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German Pages [436] Year 2013
SPRACHE UNTERM HAKENKREUZ Eine andere Geschichte des Nationalsozialismus
Horst Dieter Schlosser
2013
BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http ://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung : Joseph Goebbels redet bei einem SA-Appell in Berlin am 25. 08. 1934 ( Foto ) ©akg-images.
© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie , Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1 , D-50668 Köln , www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat : Rainer Borsdorf , M.A.; Eilfried Huth Satz : WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst , Köln Druck und Bindung : Drukkerij Wilco, Amersfoort Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-412-21023-6
INHALT Einleitung : Warum und wozu eine Diktatur die Sprache braucht 9 1 | Das politisch-kommunikative Klima der Weimarer Zeit 15 2 | Die frühe Sprache der NSDAP und ihr Ausbau zur „Weltanschauung“ 29 3 | Der gleitende Übergang zu Diktatur und Imperialismus 69 4 | Soziale Wohltaten und publikumswirksame Projekte zur Festigung der „Volksgemeinschaft“ 89 5 | Strukturen der Diktatur und des Terrors 101 6 | Anfänge des Terrors 1933 / 34 125 7 | „Gleichschaltung“ – Herrschaft durch zentrale Lenkung 137 8 | Propaganda als Theorieersatz und die Medien 143 9 | Führerstaat , Personenkult und Hitlers Rhetorik 181 10 | „Erbkranke“ und „unproduktive Menschen“ – Zwangssterilisation und Euthanasie-Morde 211 11 | Die „jüdische Gegenrasse“ und die „Endlösung“ 221 12 | Der Weg in einen „uns aufgezwungenen Krieg“ 255 13 | Vom „Deutschen Reich“ zum „Germanischen Reich Deutscher Nation“ 279 14 | Kriegspropaganda 287 15 | Der Vernichtungskrieg als „deutscher Freiheitskampf“ 299 16 | Deutschland im Kriegsalltag 327 17 | Die Sprachen eines „anderen Deutschland“ – Sprachgebrauch im deutschen Widerstand 343 Eine „arme Sprache“ zwischen Allmacht und nackter Gewalt – Versuch einer Zusammenfassung 391 Anhang 405
„Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“ Ludwig Wittgenstein
EINLEITUNG : WARUM UND WOZU EINE DIKTATUR DIE SPRACHE BRAUCHT
Die Herrschaft von Diktatoren beruht selbstverständlich auf physischer Gewalt , die gegen jeden eingesetzt wird , der diese Herrschaft gefährdet oder gefährden könnte. Hitlers und Himmlers SS-Staat1 war in Deutschland der schlimmste Beleg für diese Binsenweisheit. Diktaturen fallen aber auch nicht vom Himmel. Radikale Minderheiten wie anfangs die NSDAP müssen zunächst das Feld für eine breitere Zustimmung bereiten. Und selbst auf der Höhe ihrer Macht müssen die Herrschenden alles tun , um zumindest den Anschein zu erwecken , als gäbe es zwischen den Zielen und Maßnahmen ihrer Gewaltherrschaft und der Meinung der Unterdrückten eine vollkommene Übereinstimmung. Erst recht in der Phase eines objektiven Niedergangs der Diktatur , wie ihn die Nationalsozialisten von der Kriegswende 1942 / 43 an erfuhren , reicht physische Gewalt zur Aufrechterhaltung der Herrschaft allein nicht aus. Gerade in einer solchen Zeit müssen sprachliche Mittel eingesetzt werden , um den Herrschaftsanspruch nicht vorzeitig aufzugeben. Diktaturen sind nie sprachlos. Die NS-Herrschaft ist in dieser Hinsicht sogar ein besonders prägnantes Beispiel für die hohe Bedeutung der Sprache , die in einer Diktatur neben und nicht selten vor physischer Gewalt zum unverzichtbaren Instrument wird , zunächst die Macht zu erringen und diese dann so lange wie irgend möglich zu erhalten. Wie grundsätzlich bedeutsam Diktaturen die Sprache erscheint , wird nicht zuletzt auch aus der Angst der Mächtigen vor dem unkontrollierten freien Wort , der oft einzigen „Waffe“ einer Opposition , ersichtlich. Selbst die moderne Warenwerbung wäre erfolglos , wenn sie nicht auf vorhandene mentale Dispositionen setzen und allgemein verbreitete Denkbilder und Sprachmuster ausnutzen würde. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wäre bei einem radikalen Bruch mit dem allgemeinen politisch-kommunikativen Klima der Weimarer Republik , zumindest mit starken Strömungen in diesem Klima , kaum möglich geworden ; der Versuch eines solchen Bruchs zugunsten von Demokratie und Republik war 1918 / 19 faktisch gescheitert. Tatsächlich kamen den Absichten Hitlers und seiner NSDAP zahlreiche Bedingungen politischer , sozialer , aber eben auch kommunikativer und sprachlicher Art entgegen , sodass es im Nachhinein fast so scheinen mag , als seien die Deutschen in ihrer Mehrheit immer schon „geborene Nationalsozialisten“ gewesen. Eine scharfe sprachgeschichtliche Zäsur bedeutete das Jahr 1933 tatsächlich nicht.
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| Einleitung
Was sich ab den Dreißigerjahren vor allem ereignete , waren Bedeutungsänderungen und die steigende Frequenz bestimmter sprachlicher Muster , die dann immer deutlicher aus der anfänglichen Gruppensprache einer kleinen radikalen Minderheit eine Art Volkssprache , sprachliches Allgemeingut , werden ließ.2 Zur offiziellen Staatssprache transformiert wurde dieser Sprachgebrauch , indem vorhandene Sprachmuster mit ideologisch und politisch gewünschten Bedeutungen besetzt , bestimmte Elemente von Wortschatz und Satzbau in ihrem Gebrauch monopolisiert und andere , die abweichende Meinungen hätten fördern können , tabuisiert wurden. Darum kann man mit Victor Klemperer wohl doch von der Sprache des Dritten Reiches ( „Lingua Tertii Imperii“ ) sprechen , weil die Sprache im Dritten Reich , wie man in der neueren Forschung lieber sagen möchte , insgesamt so sehr infiziert war , dass sich – wie noch zu zeigen sein wird – selbst der Widerstand den Wirkungen der offiziellen Sprache , des sogenannten Offizialidioms, nicht ganz entziehen konnte. Der Titel „Sprache unterm Hakenkreuz“ soll also auch zum Ausdruck bringen , dass zwischen 1933 und 1945 das allgegenwärtige Symbol der NS-Gewaltherrschaft über jeglichem Sprechen und Schreiben wie über allem , was in Deutschland geschah , wie ein Damoklesschwert hing. Es erscheint zunächst wichtig , sich die sprachlichen Vorgaben bewusst zu machen , mit denen die Nationalsozialisten massenwirksam operieren konnten. Tatsächlich lag ein wesentlicher Teil des sprachlichen und argumentativen Repertoires schon in der Weimarer Zeit bereit , um als Waffe gegen die republikanisch-demokratische Ordnung eingesetzt zu werden. Die sprachlichen Weimarer Vorgaben sind aber keineswegs nur als vorauseilende Boten des sprachlichen Missbrauchs ab 1933 zu bewerten , wie man auch die Weimarer Epoche insgesamt nicht nur als eine Vorbereitungsphase der NS-Diktatur sehen darf. Zum einen reichte manches an dezidiert antirepublikanischem und antidemokratischem Gedankengut in seinem Ursprung weit hinter Weimar zurück. Zum anderen war das Geistes- und Sprachleben der Weimarer Epoche selbst zu vielschichtig und seine äußerlich oft einheitlich wirkenden Schlüsselwörter waren gemäß ihrem jeweiligen politischen und ideologischen Gebrauchszusammenhang unterschiedlich orientiert.3 Die politischen Debatten der Weimarer Zeit enthielten selbstverständlich auch wesentliche Elemente einer freiheitlichen Entwicklung , auf die man nach 1945 dankbar zurückgreifen konnte. Selbst die politischen Fehler dieser Zeit einschließlich vieler sprachlicher Missverständlichkeiten , welche die Nationalsozialisten schamlos ausnutzten , hätten unter günstigeren äußeren Bedingungen noch vor 1933 korrigiert werden können.
Warum und wozu eine Diktatur die Sprache braucht |
Die propagandistische Stärke des NS-Sprachgebrauchs bestand ja gerade in der semantischen Engführung der vorfindlichen Begrifflichkeiten , die dem politisch weniger Interessierten und Informierten ein einfaches , leicht zu handhabendes Instrumentarium bot , komplizierte Sachverhalte zu begreifen , nicht zuletzt mittels Reduzierung auf scheinbar eindeutige Feindbilder und auf scheinbar unproblematische Lebensziele. Welcher Durchschnittsdeutsche vermutete etwa im Motto der NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ ( KdF ) , dass Urlaubs-Freude nur Mittel zum Zweck der Steigerung von Arbeits- und Wehr-Kraft sein sollte ? Die verbale Verschleierung dieses Ziels wiederum wurde unterstützt durch außersprachliche Bedingungen , vor allem durch die sehr beliebten kostengünstigen KdFUrlaube und KdF-Reisen , welche die Wirkung der sprachlichen Werbung effektiv unterstützten. Und natürlich wirkten sich bei zahlreichen , eigentlich neutralen sprachlichen Zeichen Erfahrungen mit Gewalt und Terror semantisch aus. So konnten etwa die vor 1933 von politisch unterschiedlichen Gruppierungen gebrauchten Begriffe „Volksgenosse“ und „Volksgemeinschaft“ nach extremer Ausgrenzung und Verfolgung Andersdenkender , gar „nichtarischer“ Mitbürger nur noch als Bezeichnungen von gesinnungstreuen Zeitgenossen und ihres auf NS-Gefolgschaft konditionierten Großkollektivs verstanden werden. Solche pragmatischen Kontexte von Sprache müssen darum immer wieder in Betracht gezogen werden , wenn die sprachlichen Äußerungen angemessen beurteilt werden sollen. Das erfordert immer wieder , textliche Zusammenhänge zu dokumentieren mitsamt zeithistorischen Erläuterungen , ohne die mancher Wortgebrauch der NS-Zeit in seiner Tragweite kaum noch ganz verständlich wäre , womöglich sogar exotisch erschiene. Selbst bei scheinbar harmlosen Äußerungen muss bedacht werden , dass die Sprecher und ihre Themen in einem Geflecht von sozialen Bedingungen standen , die vom Geist der NS-Ideologie geprägt waren , ob in der Erziehung und Bildung einschließlich aller wissenschaftlichen Disziplinen , in künstlerischer und literarischer Betätigung , in der Warenwerbung oder in Sport , Spiel und Unterhaltung , selbstverständlich im Informationswesen und in der Arbeitswelt. Solche Bedingungen , die als indirekte , geradezu als strukturelle Gewalt zusammengefasst werden können , müssen folglich hier auch gebührend zur Sprache gebracht werden. Die vorgelegte Darstellung versucht in der Abfolge ihrer Kapitel zudem , die zeitlichen Phasen und / oder thematischen Schwerpunkte der NS-Diktatur als Gliederungsmomente zugrunde zu legen , um die Vielfalt der Phänomene einigermaßen zu systematisieren. Erst aus der Rückschau auf den Gesamtkomplex wäre dann das Fazit möglich , das Victor Klemperer 1947 , nur-linguistische
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| Einleitung
und nur-philologische Feststellungen noch weiter überschreitend , so formuliert hat : „Das Dritte Reich spricht mit einer schrecklichen Einheitlichkeit aus allen seinen Lebensäußerungen und Hinterlassenschaften : aus der maßlosen Prahlerei seiner Prunkbauten und aus ihren Trümmern , aus dem Typ der Soldaten , der SA- und SS-Männer [ … ] , aus seinen Autobahnen und Massengräbern. Das alles ist Sprache des Dritten Reiches …“4
Tatsächlich würden etwa nur-lexikalische Sammlungen von Kennwörtern für ein Gesamturteil über die NS-Diktatur absolut nicht ausreichen. Solche Sammlungen bleiben zwar ein kaum zu unterschätzendes Instrument für eine historische Aufarbeitung jener Epoche ; doch ließen sie allzu leicht Zusammenhänge übersehen , die oft weit über den aktuellen Wortgebrauch hinausreichen , nicht selten sogar auf mentalen Strukturen beruhen , die Jahrhunderte zurückreichen.5 Das schrecklichste Beispiel für derart langfristig wirkende mentale Dispositionen ist wohl der Antisemitismus , der bereits im Antijudaismus des Mittelalters und der Frühen Neuzeit seine religiösen Wurzeln hatte , in säkularisierter Form spätestens im 19. Jahrhundert in rassenbiologische , ökonomische und soziale Vorurteilskomplexe transformiert wurde und den Nationalsozialisten eine willkommene Handhabe für ihren Völkermord bot. Aber auch die nationalistische Selbstüberhebung wurde in der politischen und Mentalitätsgeschichte der Deutschen im 19. Jahrhundert grundgelegt. Es darf darum auch nicht verwundern , wenn sich selbst in Texten des Widerstands Hinterlassenschaften solcher Denk- und Sprachtraditionen finden. Um die historische , insbesondere die zeitgeschichtliche Bedeutung eines Wortgebrauchs angemessen beurteilen zu können , bleibt es mithin unabdingbar , den jeweiligen kommunikativen Kontext herauszuarbeiten. Sprache ist mehr als die Summe einzelner Wörter , und sie ist und bleibt stets in die außersprachlichen Bedingungen ihres Gebrauchs eingebettet und erhält darin , als ganze wie in ihren einzelnen Elementen , ihre jeweils spezifische Bedeutung. In einer Diktatur ist letztlich jede öffentliche Äußerung , aber auch das bewusste Verschweigen von Themen Propaganda. Offizielles Reden wie Schweigen dient der Machtsteigerung und dem Machterhalt einer Herrschaftsclique. Sprachlicher Kern ist jeweils ein Konglomerat von Schlüsselwörtern und -argumenten , die ein scheinbar geschlossenes Weltbild vorspiegeln , eine „Weltanschauung“, wie die Nationalsozialisten sagten. Abweichende Äußerungen werden strikt unterbunden. Die durch Propaganda erzielte Meinungslenkung lässt zuletzt sogar abweichendes Denken als subversiv erscheinen.
Warum und wozu eine Diktatur die Sprache braucht |
Ein insgesamt trauriges Kapitel der NS-Sprachgeschichte , das aber seiner Ausdehnung wegen hier leider nicht weiter dargestellt werden kann , ist der Zustand der deutschen Literatur zwischen 1933 und 1945 , soweit sie sich noch auf deutschem Boden äußern konnte.6 Ein nicht geringer , oft der bessere Teil deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller war durch Berufsverbot , Verfolgung , Vertreibung ins Ausland , aber auch nach Ermordung und Selbstmord nicht mehr präsent. Glühende Anhänger des Regimes hingegen konnten ihre vor 1933 begonnenen Karrieren fortsetzen und sogar in hohe Positionen gelangen , so Hans Friedrich Blunck , der seine Themen vor allem in einem idealisierten germanischen Bauerntum suchte , oder der Expressionist Hanns Johst. Diese beiden wurden nacheinander , bis 1935 bzw. 1945 , Präsidenten der Reichsschrifttumskammer. Dichter von NS-strammen Kampf- und Weiheliedern wie Hans Baumann hatten Konjunktur. Angesehene Autoren wie Gerhart Hauptmann oder Hans Carossa ließen sich für das Regime instrumentalisieren. Daneben gab es eine Fülle von Autoren von literarisch mehr oder weniger harmlosen , zumindest politisch unanstößigen Texten. Dennoch wahrten manche Autorinnen und Autoren auch eine kompromisslose Haltung , so etwa Ricarda Huch , Gertrud von Le Fort , Werner Bergengruen , Hans Fallada , Wilhelm Lehmann , Ehm Welk oder Ernst Wiechert. Nach dem Krieg zählte man sie oft zur „Inneren Emigration“ – ein allerdings umstrittener , weil sehr unscharfer Begriff , den Frank Thieß geprägt und natürlich auch für sich selbst in Anspruch genommen hat. Auch wenn es der NS-Diktatur sehr wohl gelungen ist , eine große Mehrheit der Deutschen von eigenem Denken abzuhalten , so haben sich gleichzeitig doch nicht wenige Deutsche auch außerhalb der Literatur die Kraft zu einem eigenen Urteil , zu freier Rede und , oft unter Einsatz von Leib und Leben , zu eigenem Handeln , zum Widerstand bewahrt – eine Kraft , die der geistigen und politischen Überwindung der Diktatur nach deren militärischem Zusammenbruch zugutekam. 1 2 3 4
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Kogon ( 1946 ). Klemperer ( 1969 ) : 23. Vgl. Schlosser ( 2003 ). Klemperer ( 1969 ) : 18. Als gelungene lexikographische Versuche , historische Zusammenhänge nicht außer Acht zu lassen , sei hier ausdrücklich das kommentarreiche „Vokabular“ von Schmitz-Berning ( 2000 ) erwähnt , aber auch die Zusammenstellung von Brackmann / Birkenhauer ( 1988 ) genannt , die das einzelne Wort zumindest mit zeitgenössischen Textzitaten belegt. Vgl. dazu u. a. : Hillesheim / Michael ( 1993 ) ; Hopster / Josting / Neuhaus ( 1993 / 94 ) ; Adam ( 2010 ).
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INHALT Einleitung : Warum und wozu eine Diktatur die Sprache braucht 9 1 | Das politisch-kommunikative Klima der Weimarer Zeit 15 2 | Die frühe Sprache der NSDAP und ihr Ausbau zur „Weltanschauung“ 29 3 | Der gleitende Übergang zu Diktatur und Imperialismus 69 4 | Soziale Wohltaten und publikumswirksame Projekte zur Festigung der „Volksgemeinschaft“ 89 5 | Strukturen der Diktatur und des Terrors 101 6 | Anfänge des Terrors 1933 / 34 125 7 | „Gleichschaltung“ – Herrschaft durch zentrale Lenkung 137 8 | Propaganda als Theorieersatz und die Medien 143 9 | Führerstaat , Personenkult und Hitlers Rhetorik 181 10 | „Erbkranke“ und „unproduktive Menschen“ – Zwangssterilisation und Euthanasie-Morde 211 11 | Die „jüdische Gegenrasse“ und die „Endlösung“ 221 12 | Der Weg in einen „uns aufgezwungenen Krieg“ 255 13 | Vom „Deutschen Reich“ zum „Germanischen Reich Deutscher Nation“ 279 14 | Kriegspropaganda 287 15 | Der Vernichtungskrieg als „deutscher Freiheitskampf“ 299 16 | Deutschland im Kriegsalltag 327 17 | Die Sprachen eines „anderen Deutschland“ – Sprachgebrauch im deutschen Widerstand 343 Eine „arme Sprache“ zwischen Allmacht und nackter Gewalt – Versuch einer Zusammenfassung 391 Anhang 405
„Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“ Ludwig Wittgenstein
EINLEITUNG : WARUM UND WOZU EINE DIKTATUR DIE SPRACHE BRAUCHT
Die Herrschaft von Diktatoren beruht selbstverständlich auf physischer Gewalt , die gegen jeden eingesetzt wird , der diese Herrschaft gefährdet oder gefährden könnte. Hitlers und Himmlers SS-Staat1 war in Deutschland der schlimmste Beleg für diese Binsenweisheit. Diktaturen fallen aber auch nicht vom Himmel. Radikale Minderheiten wie anfangs die NSDAP müssen zunächst das Feld für eine breitere Zustimmung bereiten. Und selbst auf der Höhe ihrer Macht müssen die Herrschenden alles tun , um zumindest den Anschein zu erwecken , als gäbe es zwischen den Zielen und Maßnahmen ihrer Gewaltherrschaft und der Meinung der Unterdrückten eine vollkommene Übereinstimmung. Erst recht in der Phase eines objektiven Niedergangs der Diktatur , wie ihn die Nationalsozialisten von der Kriegswende 1942 / 43 an erfuhren , reicht physische Gewalt zur Aufrechterhaltung der Herrschaft allein nicht aus. Gerade in einer solchen Zeit müssen sprachliche Mittel eingesetzt werden , um den Herrschaftsanspruch nicht vorzeitig aufzugeben. Diktaturen sind nie sprachlos. Die NS-Herrschaft ist in dieser Hinsicht sogar ein besonders prägnantes Beispiel für die hohe Bedeutung der Sprache , die in einer Diktatur neben und nicht selten vor physischer Gewalt zum unverzichtbaren Instrument wird , zunächst die Macht zu erringen und diese dann so lange wie irgend möglich zu erhalten. Wie grundsätzlich bedeutsam Diktaturen die Sprache erscheint , wird nicht zuletzt auch aus der Angst der Mächtigen vor dem unkontrollierten freien Wort , der oft einzigen „Waffe“ einer Opposition , ersichtlich. Selbst die moderne Warenwerbung wäre erfolglos , wenn sie nicht auf vorhandene mentale Dispositionen setzen und allgemein verbreitete Denkbilder und Sprachmuster ausnutzen würde. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wäre bei einem radikalen Bruch mit dem allgemeinen politisch-kommunikativen Klima der Weimarer Republik , zumindest mit starken Strömungen in diesem Klima , kaum möglich geworden ; der Versuch eines solchen Bruchs zugunsten von Demokratie und Republik war 1918 / 19 faktisch gescheitert. Tatsächlich kamen den Absichten Hitlers und seiner NSDAP zahlreiche Bedingungen politischer , sozialer , aber eben auch kommunikativer und sprachlicher Art entgegen , sodass es im Nachhinein fast so scheinen mag , als seien die Deutschen in ihrer Mehrheit immer schon „geborene Nationalsozialisten“ gewesen. Eine scharfe sprachgeschichtliche Zäsur bedeutete das Jahr 1933 tatsächlich nicht.
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Was sich ab den Dreißigerjahren vor allem ereignete , waren Bedeutungsänderungen und die steigende Frequenz bestimmter sprachlicher Muster , die dann immer deutlicher aus der anfänglichen Gruppensprache einer kleinen radikalen Minderheit eine Art Volkssprache , sprachliches Allgemeingut , werden ließ.2 Zur offiziellen Staatssprache transformiert wurde dieser Sprachgebrauch , indem vorhandene Sprachmuster mit ideologisch und politisch gewünschten Bedeutungen besetzt , bestimmte Elemente von Wortschatz und Satzbau in ihrem Gebrauch monopolisiert und andere , die abweichende Meinungen hätten fördern können , tabuisiert wurden. Darum kann man mit Victor Klemperer wohl doch von der Sprache des Dritten Reiches ( „Lingua Tertii Imperii“ ) sprechen , weil die Sprache im Dritten Reich , wie man in der neueren Forschung lieber sagen möchte , insgesamt so sehr infiziert war , dass sich – wie noch zu zeigen sein wird – selbst der Widerstand den Wirkungen der offiziellen Sprache , des sogenannten Offizialidioms, nicht ganz entziehen konnte. Der Titel „Sprache unterm Hakenkreuz“ soll also auch zum Ausdruck bringen , dass zwischen 1933 und 1945 das allgegenwärtige Symbol der NS-Gewaltherrschaft über jeglichem Sprechen und Schreiben wie über allem , was in Deutschland geschah , wie ein Damoklesschwert hing. Es erscheint zunächst wichtig , sich die sprachlichen Vorgaben bewusst zu machen , mit denen die Nationalsozialisten massenwirksam operieren konnten. Tatsächlich lag ein wesentlicher Teil des sprachlichen und argumentativen Repertoires schon in der Weimarer Zeit bereit , um als Waffe gegen die republikanisch-demokratische Ordnung eingesetzt zu werden. Die sprachlichen Weimarer Vorgaben sind aber keineswegs nur als vorauseilende Boten des sprachlichen Missbrauchs ab 1933 zu bewerten , wie man auch die Weimarer Epoche insgesamt nicht nur als eine Vorbereitungsphase der NS-Diktatur sehen darf. Zum einen reichte manches an dezidiert antirepublikanischem und antidemokratischem Gedankengut in seinem Ursprung weit hinter Weimar zurück. Zum anderen war das Geistes- und Sprachleben der Weimarer Epoche selbst zu vielschichtig und seine äußerlich oft einheitlich wirkenden Schlüsselwörter waren gemäß ihrem jeweiligen politischen und ideologischen Gebrauchszusammenhang unterschiedlich orientiert.3 Die politischen Debatten der Weimarer Zeit enthielten selbstverständlich auch wesentliche Elemente einer freiheitlichen Entwicklung , auf die man nach 1945 dankbar zurückgreifen konnte. Selbst die politischen Fehler dieser Zeit einschließlich vieler sprachlicher Missverständlichkeiten , welche die Nationalsozialisten schamlos ausnutzten , hätten unter günstigeren äußeren Bedingungen noch vor 1933 korrigiert werden können.
Warum und wozu eine Diktatur die Sprache braucht |
Die propagandistische Stärke des NS-Sprachgebrauchs bestand ja gerade in der semantischen Engführung der vorfindlichen Begrifflichkeiten , die dem politisch weniger Interessierten und Informierten ein einfaches , leicht zu handhabendes Instrumentarium bot , komplizierte Sachverhalte zu begreifen , nicht zuletzt mittels Reduzierung auf scheinbar eindeutige Feindbilder und auf scheinbar unproblematische Lebensziele. Welcher Durchschnittsdeutsche vermutete etwa im Motto der NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ ( KdF ) , dass Urlaubs-Freude nur Mittel zum Zweck der Steigerung von Arbeits- und Wehr-Kraft sein sollte ? Die verbale Verschleierung dieses Ziels wiederum wurde unterstützt durch außersprachliche Bedingungen , vor allem durch die sehr beliebten kostengünstigen KdFUrlaube und KdF-Reisen , welche die Wirkung der sprachlichen Werbung effektiv unterstützten. Und natürlich wirkten sich bei zahlreichen , eigentlich neutralen sprachlichen Zeichen Erfahrungen mit Gewalt und Terror semantisch aus. So konnten etwa die vor 1933 von politisch unterschiedlichen Gruppierungen gebrauchten Begriffe „Volksgenosse“ und „Volksgemeinschaft“ nach extremer Ausgrenzung und Verfolgung Andersdenkender , gar „nichtarischer“ Mitbürger nur noch als Bezeichnungen von gesinnungstreuen Zeitgenossen und ihres auf NS-Gefolgschaft konditionierten Großkollektivs verstanden werden. Solche pragmatischen Kontexte von Sprache müssen darum immer wieder in Betracht gezogen werden , wenn die sprachlichen Äußerungen angemessen beurteilt werden sollen. Das erfordert immer wieder , textliche Zusammenhänge zu dokumentieren mitsamt zeithistorischen Erläuterungen , ohne die mancher Wortgebrauch der NS-Zeit in seiner Tragweite kaum noch ganz verständlich wäre , womöglich sogar exotisch erschiene. Selbst bei scheinbar harmlosen Äußerungen muss bedacht werden , dass die Sprecher und ihre Themen in einem Geflecht von sozialen Bedingungen standen , die vom Geist der NS-Ideologie geprägt waren , ob in der Erziehung und Bildung einschließlich aller wissenschaftlichen Disziplinen , in künstlerischer und literarischer Betätigung , in der Warenwerbung oder in Sport , Spiel und Unterhaltung , selbstverständlich im Informationswesen und in der Arbeitswelt. Solche Bedingungen , die als indirekte , geradezu als strukturelle Gewalt zusammengefasst werden können , müssen folglich hier auch gebührend zur Sprache gebracht werden. Die vorgelegte Darstellung versucht in der Abfolge ihrer Kapitel zudem , die zeitlichen Phasen und / oder thematischen Schwerpunkte der NS-Diktatur als Gliederungsmomente zugrunde zu legen , um die Vielfalt der Phänomene einigermaßen zu systematisieren. Erst aus der Rückschau auf den Gesamtkomplex wäre dann das Fazit möglich , das Victor Klemperer 1947 , nur-linguistische
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und nur-philologische Feststellungen noch weiter überschreitend , so formuliert hat : „Das Dritte Reich spricht mit einer schrecklichen Einheitlichkeit aus allen seinen Lebensäußerungen und Hinterlassenschaften : aus der maßlosen Prahlerei seiner Prunkbauten und aus ihren Trümmern , aus dem Typ der Soldaten , der SA- und SS-Männer [ … ] , aus seinen Autobahnen und Massengräbern. Das alles ist Sprache des Dritten Reiches …“4
Tatsächlich würden etwa nur-lexikalische Sammlungen von Kennwörtern für ein Gesamturteil über die NS-Diktatur absolut nicht ausreichen. Solche Sammlungen bleiben zwar ein kaum zu unterschätzendes Instrument für eine historische Aufarbeitung jener Epoche ; doch ließen sie allzu leicht Zusammenhänge übersehen , die oft weit über den aktuellen Wortgebrauch hinausreichen , nicht selten sogar auf mentalen Strukturen beruhen , die Jahrhunderte zurückreichen.5 Das schrecklichste Beispiel für derart langfristig wirkende mentale Dispositionen ist wohl der Antisemitismus , der bereits im Antijudaismus des Mittelalters und der Frühen Neuzeit seine religiösen Wurzeln hatte , in säkularisierter Form spätestens im 19. Jahrhundert in rassenbiologische , ökonomische und soziale Vorurteilskomplexe transformiert wurde und den Nationalsozialisten eine willkommene Handhabe für ihren Völkermord bot. Aber auch die nationalistische Selbstüberhebung wurde in der politischen und Mentalitätsgeschichte der Deutschen im 19. Jahrhundert grundgelegt. Es darf darum auch nicht verwundern , wenn sich selbst in Texten des Widerstands Hinterlassenschaften solcher Denk- und Sprachtraditionen finden. Um die historische , insbesondere die zeitgeschichtliche Bedeutung eines Wortgebrauchs angemessen beurteilen zu können , bleibt es mithin unabdingbar , den jeweiligen kommunikativen Kontext herauszuarbeiten. Sprache ist mehr als die Summe einzelner Wörter , und sie ist und bleibt stets in die außersprachlichen Bedingungen ihres Gebrauchs eingebettet und erhält darin , als ganze wie in ihren einzelnen Elementen , ihre jeweils spezifische Bedeutung. In einer Diktatur ist letztlich jede öffentliche Äußerung , aber auch das bewusste Verschweigen von Themen Propaganda. Offizielles Reden wie Schweigen dient der Machtsteigerung und dem Machterhalt einer Herrschaftsclique. Sprachlicher Kern ist jeweils ein Konglomerat von Schlüsselwörtern und -argumenten , die ein scheinbar geschlossenes Weltbild vorspiegeln , eine „Weltanschauung“, wie die Nationalsozialisten sagten. Abweichende Äußerungen werden strikt unterbunden. Die durch Propaganda erzielte Meinungslenkung lässt zuletzt sogar abweichendes Denken als subversiv erscheinen.
Warum und wozu eine Diktatur die Sprache braucht |
Ein insgesamt trauriges Kapitel der NS-Sprachgeschichte , das aber seiner Ausdehnung wegen hier leider nicht weiter dargestellt werden kann , ist der Zustand der deutschen Literatur zwischen 1933 und 1945 , soweit sie sich noch auf deutschem Boden äußern konnte.6 Ein nicht geringer , oft der bessere Teil deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller war durch Berufsverbot , Verfolgung , Vertreibung ins Ausland , aber auch nach Ermordung und Selbstmord nicht mehr präsent. Glühende Anhänger des Regimes hingegen konnten ihre vor 1933 begonnenen Karrieren fortsetzen und sogar in hohe Positionen gelangen , so Hans Friedrich Blunck , der seine Themen vor allem in einem idealisierten germanischen Bauerntum suchte , oder der Expressionist Hanns Johst. Diese beiden wurden nacheinander , bis 1935 bzw. 1945 , Präsidenten der Reichsschrifttumskammer. Dichter von NS-strammen Kampf- und Weiheliedern wie Hans Baumann hatten Konjunktur. Angesehene Autoren wie Gerhart Hauptmann oder Hans Carossa ließen sich für das Regime instrumentalisieren. Daneben gab es eine Fülle von Autoren von literarisch mehr oder weniger harmlosen , zumindest politisch unanstößigen Texten. Dennoch wahrten manche Autorinnen und Autoren auch eine kompromisslose Haltung , so etwa Ricarda Huch , Gertrud von Le Fort , Werner Bergengruen , Hans Fallada , Wilhelm Lehmann , Ehm Welk oder Ernst Wiechert. Nach dem Krieg zählte man sie oft zur „Inneren Emigration“ – ein allerdings umstrittener , weil sehr unscharfer Begriff , den Frank Thieß geprägt und natürlich auch für sich selbst in Anspruch genommen hat. Auch wenn es der NS-Diktatur sehr wohl gelungen ist , eine große Mehrheit der Deutschen von eigenem Denken abzuhalten , so haben sich gleichzeitig doch nicht wenige Deutsche auch außerhalb der Literatur die Kraft zu einem eigenen Urteil , zu freier Rede und , oft unter Einsatz von Leib und Leben , zu eigenem Handeln , zum Widerstand bewahrt – eine Kraft , die der geistigen und politischen Überwindung der Diktatur nach deren militärischem Zusammenbruch zugutekam. 1 2 3 4
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Kogon ( 1946 ). Klemperer ( 1969 ) : 23. Vgl. Schlosser ( 2003 ). Klemperer ( 1969 ) : 18. Als gelungene lexikographische Versuche , historische Zusammenhänge nicht außer Acht zu lassen , sei hier ausdrücklich das kommentarreiche „Vokabular“ von Schmitz-Berning ( 2000 ) erwähnt , aber auch die Zusammenstellung von Brackmann / Birkenhauer ( 1988 ) genannt , die das einzelne Wort zumindest mit zeitgenössischen Textzitaten belegt. Vgl. dazu u. a. : Hillesheim / Michael ( 1993 ) ; Hopster / Josting / Neuhaus ( 1993 / 94 ) ; Adam ( 2010 ).
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1 | DAS POLITISCH-KOMMUNIKATIVE KLIMA DER WEIMARER ZEIT „Schmachfriede von Versailles“ – Der verletzte Nationalstolz der Deutschen | 15 | „Entjudung“ und „lebensunwertes Leben“ – Antisemitismus und Rassenhygiene | 19 | „Reich“, „Volksgemeinschaft“ und „deutsche Demokratie“ | 25 |
Ohne die besonderen politischen , sozialen und kommunikativen Bedingungen der Weimarer Republik wäre die NSDAP eine unbedeutende Splittergruppe unter anderen geblieben. Dass diese Bedingungen für den Aufstieg Hitlers und seiner Partei besonders günstig waren , lässt sich bereits an Schlüsselwörtern dieser Zeit , die – oft nur scheinbar – mit den programmatischen Vorstellungen und Absichten der extremen Rechten deckungsgleich waren oder leicht deckungsgleich zu machen waren , geradezu ablesen. Es lässt sich jedenfalls zeigen , dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der von den Nationalsozialisten gebrauchten Schlagwörter und die darin enthaltenen Leitbilder in der öffentlichen Kommunikation der Weimarer Zeit , teilweise aber auch schon lange zuvor, fest verankert war. „Schmachfriede von Versailles“ – Der verletzte Nationalstolz der Deutschen
Neben mühsam hochgehaltenen Zielen einer friedlichen und parlamentarischdemokratischen Entwicklung Deutschlands nach dem verlorenen Krieg spielte in fast allen politischen Lagern der durch die Niederlage von 1918 verletzte Nationalstolz eine große Rolle. Das nationale Selbstbewusstsein , das sich schon seit den Freiheitskriegen gegen das napoleonische Frankreich von 1813–15 , erst recht seit der Gründung des Bismarck’schen Deutschen Reiches und dem Sieg über Frankreich 1871 zu einem imperialistischen Überlegenheitsgefühl gesteigert hatte , war durch das unrühmliche Kriegsende zutiefst gekränkt. Was den Deutschen blieb , war ihre Überzeugung , dass Deutschsein und Deutschtum trotz dieser Niederlage unzerstörbare Werte seien und die Grundlage für eine Wiedergewinnung deutscher Größe bilden müssten. Geradezu sprichwörtlich war seit der wilhelminischen Ära die Formel „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“, die einem Gedicht von Emanuel Geibel entlehnt und sogar in einer Rede von Kaiser Wilhelm II. zitiert worden war.1 Was als „deutsch“ bezeichnet
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| Politisch-kommunikatives Klima der Weimarer Zeit
werden konnte , galt von vornherein als ausgezeichnet. Selbst reformorientierte Gruppierungen nahmen noch oder gerade nach 1918 das Hochwertwort in Anspruch , etwa im Rahmen der Jugendbewegung die katholische Schülervereinigung „Bund Neudeutschland“ ( gegr. 1919 ) oder die „Jungdeutsche Jugend“ im „Jungdeutschen Orden“ ( gegr. 1920 ). Dass diese Hoch- und Überschätzung des Deutschtums in der Weimarer Zeit bis in die offizielle Pädagogik durchschlug , beweist die Einführung des neuen Schultyps „Deutsche Oberschule“ und des Schulfachs „Deutschkunde“ im Gefolge der von Ministerialrat Hans Richert entworfenen „Richtlinien für die Lehrpläne der höheren Schulen Preußens“ ( sogenannte Richert’sche Schulreform ) 1925. Bereits aus der Phase nationaler Hochstimmung vor 1914 stammte die Gewohnheit , auch außerhalb von Institutionennamen wie „Deutsches Reich“ das Attribut „deutsch“ großzuschreiben , etwa „Deutsche Literatur / Sprache / Politik …“. Wie sehr dieser Nationalstolz oft über ein erträgliches Maß hinausging , wird allein aus der Tatsache deutlich , dass bereits vor 1914 die Abgrenzung von „deutsch“ gegen Fremdes nicht einfach nur durch die Negation „nichtdeutsch“ erfolgte , sondern durch eine geradezu moralische Diskriminierung des Fremden im Begriff „undeutsch“.2 Anders als nach dem Zweiten Weltkrieg konnte man 1918 in der Heimat von der militärischen Unterlegenheit der deutschen Truppen , die beim Waffenstillstand noch jenseits der Reichsgrenzen standen , keinen sinnfälligen Eindruck haben. Darum fielen – lange vor der NS-Propaganda – die Urteile , dass die Kapitulation unnötig gewesen sei und dass die deutschen Unterhändler am 11. November 1918 Landes- und Hochverrat begangen hätten , allseits auf fruchtbaren Boden. Diese Einschätzung erhielt ihre Quasibestätigung durch eine böswillige Bemerkung Paul v. Hindenburgs in einem Untersuchungsausschuss des Reichstags 1919 , wonach die Niederlage Folge eines „Dolchstoßes“ gewesen sei , den der innere Feind in den Rücken des angeblich ungeschlagenen deutschen Heeres geführt habe.3 Hindenburg , der letzte kaiserliche Oberbefehlshaber , wusste es eigentlich besser , denn er selbst hatte die Reichsregierung 1918 zu einem raschen Waffenstillstand gedrängt. Zur verbreiteten Fehleinschätzung der militärischen Lage trug auch bei , dass die von den Fronten heimkehrenden und noch nicht entwaffneten Truppen fast überall begeistert begrüßt worden waren. Selbst Politiker unterschiedlicher Couleur wie Friedrich Ebert in Berlin oder Konrad Adenauer in Köln entboten den Soldaten ihre Willkommensgrüße immer wieder mit der Feststellung , sie seien eigentlich „im Felde ungeschlagen“. Friedrich Ebert begrüßte am 10. Dezember 1918 am Brandenburger Tor die Heimkehrer mit der Formulierung : „Kein Feind hat euch je überwunden.“
Verletzter Nationalstolz |
Die ernüchternd schrecklichen Kriegserfahrungen der meisten Soldaten , die im Krieg zynisch als „Menschenmaterial“ bezeichnet werden konnten4 , wurden bei Teilen der Militärs zum schaurig-schönen „Fronterlebnis“ hochstilisiert. Die prominenteste Ästhetisierung des Krieges fand in Ernst Jüngers Bericht „In Stahlgewittern“ ( 1. Fassung 1920 ) statt. NSDAP-Plakate zur Reichspräsidentenwahl 1932 wandten sich gezielt an die „Frontsoldaten“ und präsentierten Hitler selbst als „Frontkämpfer“. Schnell waren für rechte Kreise auch die Schuldigen für den „Verrat“ ausgemacht : außer den Unterhändlern des Waffenstillstands die zuvor in der Heimat meuternden Matrosen und Soldaten sowie die letzte Reichsregierung , zu deren Leitung als Reichskanzler sich der Sozialdemokrat Ebert nach Ausrufung der Republik am 9. November 1918 von seinem Vorgänger , Prinz Max von Baden , hatte bewegen lassen. Sie alle fielen der Schmähung als „Novemberverbrecher“ zum Opfer. Matthias Erzberger , der Verhandlungsführer beim Waffenstillstandsabkommen , zahlte 1921 nach beispielloser Hetze seitens der VölkischDeutschnationalen für dieses „Verbrechen“ sogar mit seinem Leben. Der Widerstand gegen solche Auswüchse wurde entscheidend durch den politisch mehr als unklugen Frieden von Versailles von 19195 geschwächt , zu dessen Verhandlung man die deutsche Delegation nur zwecks Unterschrift unter ein schon fertiges Papier zugelassen hatte. Der Zorn über diese Behandlung wurde mehr oder weniger von allen politischen Kräften geteilt. Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann , der erste Ministerpräsident der Republik , trat aus Protest sogar von seinem Amt zurück. Noch bevor sich die Nationalsozialisten als Partei öffentlich dazu äußern konnten , waren kritische Umschreibungen dieses Friedens wie „Diktatfrieden“, „Versailler Diktat“, „Schmachfrieden“ oder „Dokument des Hasses und der Rache“ durch Zeitungskommentare allgemein im Umlauf gekommen. Besonders empörend fanden viele , dass in diesem Dokument Deutschland die alleinige Schuld am Kriegsausbruch zugewiesen wurde , worauf ein großer Teil der Deutschen auf diese These des Versailler Friedensvertrages mit dem Vorwurf der „Kriegsschuldlüge“ reagierte. Der deutsche Nationalstolz mitsamt seinen ökonomischen Fundamenten wurde nach der erfolgreichen Großmachtpolitik und weltwirtschaftlicher Stärke in den Jahren 1871–1914 auf vielen Gebieten durch härteste Friedensbedingungen auch sehr konkret getroffen : durch den Verlust von über zwölf Prozent des Reichsgebiets und aller Kolonien , durch alliierte Kontrolle und Ausbeutung von Industrieregionen wie des Ruhrgebiets , durch Verlust der Kriegsflotte und Reduzierung des Landheeres auf 100. 000 Mann. Der Verlust deutschen Reichsgebiets förderte die Verbreitung eines Buchtitels von Hans Grimm
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( 1926 ) als politisches Schlagwort : die Deutschen seien ein „Volk ohne Raum“. Eigene Kriegsschulden und die hohen Reparationsleistungen ruinierten die Wirtschaft bis hin zur großen Inflation von 1923 , die viele um ihr Eigentum brachte. Wachsende Arbeitslosigkeit tat das Ihre , um die sozialen Spannungen ins Unermessliche zu steigern. Wieder machte man diejenigen als Verursacher aus , die sich einer neuen , der republikanischen Ordnung verpflichtet fühlten , allen voran die lange Zeit führenden Sozialdemokraten , die tatsächlich des ökonomischen und sozialen Chaos kaum noch Herr werden konnten. Noch war den meisten auch Bismarcks böses Wort , die Sozialdemokraten seien „vaterlandslose Gesellen“, im Gedächtnis. Die Verunglimpfung des demokratisch gewählten Reichstags als ineffektive „Schwatzbude“ war gang und gäbe. Die Schmähung der ungeliebten neuen politischen Staatsform als verhasstes „System“ und ihrer Vertreter als „Systempolitiker“ haben die Nationalsozialisten also gar nicht zu erfinden brauchen. Angeheizt wurden die politischen und sozialen Spannungen durch die große Zahl derer , die aus dem Militärdienst ausscheiden mussten und ohne berufliche Alternativen vielfach in militärisch-aggressiv und mörderisch agierenden Freicorps auf eigene Faust Politik machten , wobei die der alten , aber auch der neuen parlamentarisch-demokratischen Ordnung besonders entgegenarbeitenden und vielerorts putschenden Kommunisten zu willkommenen Gegnern wurden. Die Kommunisten und weitere , nichtorthodoxe Marxisten fielen der verbreiteten Furcht vor dem Bolschewismus anheim , der seit der russischen Oktoberrevolution von 1917 auch und nicht zuletzt Deutschland und seine nationalen Werte endgültig zu bedrohen schien. Durch Aufstände wie die des Spartakusbundes und der KPD wurde eine solche Furcht freilich auch gefördert. Entsprechend wurden schon frühzeitig auch Kunstprodukte , die nicht ( mehr ) landläufigen ästhetischen Vorstellungen entsprachen , als Zeugnisse eines „Kulturbolschewismus“ verunglimpft. Dieses Wort spielte insbesondere in der Diffamierung der modernen Architektur durch den Berner Architekten Alexander von Senger ( 1880–1968 ) eine Rolle. Dagegen argumentierte noch 1932 der deutsche Typograph und Grafikdesigner Paul Renner ( 1978–1956 ) in seiner Streitschrift „Kulturbolschewismus ?“, die aber nur noch in der Schweiz erscheinen konnte.6 Nicht übersehen werden sollte allerdings auch , dass die linke Opposition gegen den Nationalsozialismus keineswegs ausschließlich aus Verteidigern der Republik bestand. Teile dieser Opposition , kommunistische und anarchistische Kreise , bekämpften die parlamentarisch-demokratische Ordnung genauso heftig wie die Nationalsozialisten. So diffamierten etwa auch die Kommunisten die Republik als „System“.7
Antisemitismus und Rassenhygiene |
„Entjudung“ und „lebensunwertes Leben“– Antisemitismus und Rassenhygiene
In krudester Weise vermengte sich mit der Furcht vor dem Bolschewismus der in breiten Kreisen längst tief verwurzelte Antisemitismus.8 Aus der Tatsache , dass unter den führenden russischen Revolutionären auch Juden gewesen waren , hatten rechtsextreme Kreise abgeleitet , dass die Oktoberrevolution Teil einer „jüdischen Weltverschwörung“ sei , die sich mit den Kommunisten nun auf Deutschland ausdehne. Wie sehr antisemitische Einstellungen auch seriösere Denker beeinflussen konnten , lässt sich schon aus einer Nebenbemerkung Thomas Manns erkennen , die er 1922 in eine Rede zum 60. Geburtstag von Gerhart Hauptmann einfließen ließ , eine Rede , die eigentlich der Verteidigung der Republik gegen ihre Verächter gewidmet sein sollte.9 Darin äußerte er einigermaßen unvermittelt und unkommentiert , dass man die neue Staatsform nicht „scharfen Judenjungen“ überlassen dürfe. Ökonomisch bedingte Kritik , etwa an Konkurrenten in Presse oder Banken , aber auch in der Kultur kam gern mit dem Wort „Verjudung“ daher , Gegenmaßnahmen sollten einer „Entjudung“ dienen. Dass Rassendiskriminierung auch andere , sonst unverdächtige Zeitgenossen beeinflussen konnte , lässt sich ausgerechnet bei Kurt Tucholsky nachweisen , der das Theorem , Rassenmischung erzeuge unreines , minderwertiges Blut , in einer seiner Sprachglossen reflektiert : „Bei einer Ehe zwischen einem Weißen und einer Schwarzen schlägt das schwarze Blut immer durch. Bei dem Kampf um die Sprachreinheit unterliegt fast immer der , der die Sprache sauber halten will , und das Verschmierte , das Halb- und Falschgebildete setzt sich durch.“10
Damit wären wir bei den nicht erst in der Weimarer Zeit aufgekommenen , sondern schon langfristig geltenden , also geradezu konstanten Vorurteilstraditionen und ihren pseudo-wissenschaftlichen Schlüsselbegriffen und -argumenten , die aber gleichwohl als mentales Ferment dieser Zeit gewertet werden müssen und ohne die der programmatische Wirrwarr der NSDAP keine Breitenwirkung hätte entfalten können. Seit der Hinwendung des 18. Jahrhunderts zu nordischen Themen und nordischer Mythologie , mächtig gefördert durch die deutsche Rezeption der vom Schotten James Macpherson 1760 erfundenen Bardengesänge eines fiktiven Ossian , machte sich in Deutschland eine Überschätzung des nordeuropäischen Germanentums und seiner bäuerlichen Kultur breit. „Arier“, „Germane“ und „nordischer Mensch“, entsprechend „arische“, „germanische“ und „nordische Rasse“ wurden zu Synonymen. Der Germanenmythos in der NS-Ideologie war
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in wesentlichen Teilen bereits im 19. Jahrhundert vorgeprägt. In der Literatur der spätwilhelminischen und der Weimarer Zeit förderte ein Teil der sogenannten Heimatkunst , etwa bei Gustav Frenssen und Hans Friedrich Blunck mit ihrer Orientierung an „nordischen“ Werten oder an germanisch-bäuerlichen Themen , diesen Akzent der NS-Programmatik , die in agrarpolitischer Hinsicht in der „Blut und Boden“-Ideologie gipfelte. Der Antisemitismus hatte – nach antijudaistischer Hetze in vielen Jahrhunderten zuvor – bereits im Deutschland des 19. Jahrhunderts schlimmsten sprachlichen Niederschlag gefunden. Geradezu ein Kompendium des gängigen Judenhasses findet sich etwa schon in der Rede „Von den Kennzeichen des Judentums“, mit der 1811 kein Geringerer als Achim von Arnim den Berliner Romantikerkreis der Christlich-deutschen Tischgesellschaft eröffnete und mit der er zu begründen versuchte , warum kein Jude Mitglied dieses Kreises werden dürfe.11 Man kann die zahlreichen ähnlichen Invektiven gegen den jüdischen Teil des deutschen Volkes während des 19. Jahrhunderts , etwa bei Richard Wagner oder beim Berliner Hofprediger Adolf Stoecker , gern übergehen. Man kann allein schon an der projüdischen Schrift des Begründers des Zionismus, Theodor Herzl , „Der Judenstaat“ von 1896 ablesen , wie sehr diese Hetze auch auf jüdisches Selbstbewusstsein wirkte , da selbst Herzl die Juden in europäischen Gesellschaften als „Störenfriede“ charakterisierte und für die Lösung der „Judenfrage“ einen von Europa weit entfernten eigenen Staat vorschlug. Wie alltäglich der Antisemitismus und seine sprachlichen Äußerungen schon vor 1900 geworden waren , lässt sich an brieflichen Äußerungen Theodor Fontanes an seine Frau und an seinen gleichnamigen Sohn erkennen. Im einen Fall beklagt er sich über die jüdischen „Gaunergesichter“, die ihm auf Norderney begegnet seien , im anderen Fall spricht er der Insel Borkum als einzigen Vorteil zu , dass sie wenigstens „judenrein“ sei. Diesen zweifelhaften „Vorteil“ pflegten damals wie später auch andere Nord- und Ostseebäder , in denen ein harscher Antisemitismus herrschte.12 Das Werbeargument , man sei „judenfrei“ oder „judenrein“, dehnte sich teilweise bis in Urlaubsgegenden Bayerns aus , wurde aber auch in Großstädten häufiger. So konnte sich 1897 das Hotel „Kölner Hof“ in Frankfurt am Main auf einer Bildpostkarte als „judenfrei“ anpreisen – mit der grafischen Darstellung eines aus dem Haus geworfenen Juden und der Erklärung , dass es das „einzige judenfreie Hotel in Frankfurt am Main“ sei , wobei Frankfurt wegen seines starken jüdischen Bevölkerungsanteils zusätzlich mit der ironischen Ortsangabe diskriminiert wurde : „Neu-Jerusalem am fränkischen Jordan“.13 Wie sehr „Jude“ dann zum Schimpfwort schlechthin werden konnte ,
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geht aus einer Titulierung des katholischen Zentrumspolitikers Erzberger im „Völkischen Beobachter“ kurz vor seiner Ermordung 1921 hervor , in der er ungestraft und völlig widersinnig „Zentrumsjude“ genannt wurde.14 Die Verquickung von Antisemitismus mit einer Rassenideologie , die man landläufig oft erst den Nationalsozialisten anlastet , hatte ebenfalls einen langen , sich zunächst außerhalb Deutschlands entwickelnden Vorlauf. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts wird der biologische Ordnungsbegriff „Rasse“, zunächst gemäß seiner französischen Herkunft „Race“ geschrieben , als Bezeichnung einer Tiergruppe mit übereinstimmenden, vererbbaren äußeren Merkmalen auf Menschen übertragen , wodurch er zu einem anthropologischen Begriff wird. Der Franzose Joseph Arthur Graf Gobineau schreibt 1853 seinen auch durch Übersetzung ins Deutsche sehr wirkungsvoll gewordenen vierbändigen „Essai sur l’inégalité des races humaines“, in dem er der „arischen Rasse“ den höchsten Wert zusprach. 1899 veröffentlicht der Schwiegersohn Richard Wagners , Houston Stewart Chamberlain , „Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts“, in der er die Geschichte und Kultur , aber auch die Zukunftsperspektiven wesentlich aus dem Gobineau’schen Theorem rassischer Unterschiedlichkeit interpretiert , die inzwischen auch als geistig-seelische , vererbbare Verschiedenheit galt. Dieses Buch war in mehreren Auflagen , auch in einer Volksausgabe , verbreitet worden und hatte nicht zuletzt bei Wilhelm II. begeisterte Aufnahme gefunden. Ihre Brisanz erhalten diese Ideen durch eine Uminterpretation der Darwin’schen Evolutionstheorie. Darwin war im Wesentlichen noch von einer natürlichen , also nicht menschengesteuerten Auslese ausgegangen , durch die sich jeweils die der Umwelt am besten angepassten Exemplare einer Art , einer Gattung durchsetzen. Den Umschwung brachte der sogenannte Sozialdarwinismus , der den passiven Selektionsprozess auch beim Menschen in einen aktiven umbog , indem er durch gezielte Eingriffe nur noch „rassisch Höherwertige“ überleben lassen wollte. Darin vereinigten sich gleichsam Humanmedizin und Veterinärmedizin in einer Züchtermentalität – mit Folgen bis in die Biomedizin der Gegenwart. Von Darwins Theorie war aber auch das auf ideologisch unterschiedlichen Seiten immer wieder zitierte Schlagwort vom „Kampf ums Dasein“ ( original „ums Überleben“ wie englisch „survival“ ) abgeleitet. Die verbreitete Biologisierung politischer und gesellschaftlicher Sachverhalte basierte sprachlich vor allem auf der schon traditionellen Metapher vom „Volkskörper“, der gesund sein und nicht infiziert werden solle. In diesem Zusammenhang steht auch die Übertragung eines Krankheitsbegriffs auf kulturelle Erscheinungen , die bereits 1892 der jüdische Arzt und
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Kulturkritiker Max Nordau in seiner Schrift „Entartung“ vorgenommen hatte. Es muss als Ironie der Geschichte gelten , dass sich nicht zuletzt die Nationalsozialisten eines Begriffs bedienten , den ein jüdischer Autor , obendrein Mitbegründer des Zionismus , ins öffentliche Bewusstsein gebracht hatte. „Entartung“, noch mehr das Perfektpartizip „entartet“ war schon vor 1933 sprachlich so gängig , dass es der NS-Kulturpolitik ein Leichtes war , alles , was nicht in ihre spießbürgerlich „deutschen“ Normen passte , mit diesen Termini zu denunzieren , als „entartete Kunst“ oder als „entartete Musik“, deren Hauptmakel geradezu selbstverständlich ihre meist „jüdische“ Herkunft sei. Die von den Nationalsozialisten akzeptierte und geförderte „Deutsche Kunst“ zeichnete sich dagegen dadurch aus , dass sie von „arischen“ Künstlern stammte und möglichst bieder Traditionelles bot. Dennoch konnte es in ästhetischen Fragen sehr wohl auch gegensätzliche Entscheidungen geben , wenn die politische und ideologische Loyalität von Künstlern gewährleistet war. Es ist hier nicht der Ort , die teilweise deutlichen Nachwirkungen des „Futuristischen Manifests“ des italienischen Kulturrevolutionärs Filippo Tommaso Marinetti von 1909 in der NS-Kultur nachzuzeichnen. Drei Beispiele für die Akzeptanz im weitesten Sinne kulturrevolutionärer Phänomene seien indes gegeben : So wurde beispielsweise der literarische Expressionismus keineswegs grundsätzlich geächtet. Ein Expressionist wie Hanns Johst etwa konnte , dank seiner früh bekundeten Zustimmung zur NS-Ideologie , 1935 sogar Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und Präsident der Reichsschrifttumskammer werden. Auch Gottfried Benn , alles andere als ein literarischer Traditionalist , konnte unangefochten weiter wirken , zumal er anfänglich ganz auf der Seite der NS-Politik stand. Ein weithin sichtbares Zeichen avantgardistischer Baukunst stellte auf der Pariser Weltausstellung von 1937 der deutsche Pavillon von Albert Speer dar , der in seiner ästhetischen Konzeption der des sowjetischen Pavillons , der ihm gegenüber stand , auffällig ähnlich war. Auf deutscher Seite erlegte schon lange vor 1933 einer der prominentesten Antisemiten , der Philosoph , Nationalökonom und Wissenschaftstheoretiker Karl Eugen Dühring ( 1833–1921 ) , in „Die Judenfrage als Racen- , Sitten- und Culturfrage“ von 1881 dem „nordischen Menschen“ die Pflicht auf , die „parasitären Rassen“ auszurotten. Und der Orientalist und Kulturkritiker Paul de Lagarde ( 1827–1891 ) bezeichnete in seinem Buch „Juden und Indogermanen“ von 1887 Juden als „wucherndes Ungeziefer“, das zu „zertreten“ sei. Zwei Jahre zuvor , 1885 , hatte der Mediziner Alfred Ploetz ( 1860–1940 ) mit seinem Buch „Die Tüchtigkeit unsrer Rasse und der Schutz der Schwachen“ und
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mit medizinpolitischen Aktivitäten die Entwicklung zur rassisch begründeten „Selektion“ forciert. Im Zentrum seiner Theorie steht der Begriff der „Rassenhygiene“, der de facto Menschenzüchtung meint : durch Bevorzugung der rassisch erwünschten und Zurückdrängung der unerwünschten , „schwachen“ Menschen. Einerseits zeichnet sich die Publikation von Ploetz durch eine wissenschaftlich differenzierende Argumentation aus. Ploetz gibt beispielsweise noch nicht dem schon landläufigen Antisemitismus nach , der die Juden pauschal als minderwertige Rasse abwertet , er sieht in den Juden sogar ein hochstehendes Kulturvolk , weil sie – hier schlägt dann aber doch rassenideologische Arroganz durch – von starken „arisch-rassischen“ Anteilen geprägt seien. Andererseits plädiert er auf zynische Weise gegen die weitere Unterstützung von „Minderwertigen“, etwa durch Krankheits- und Arbeitslosenversicherung oder in der Geburtshilfe. „Der Kampf um’s Dasein muß in seiner vollen Schärfe erhalten bleiben , wenn wir uns rasch vervollkommnen sollen …“ Und das schließt nach Ploetz auch ein , in Kriegen „die besonders zusammengereihten schlechten Varianten [ = Menschen ] an die Stellen zu bringen , wo man hauptsächlich Kanonenfutter braucht“.15 Die Argumentation mit dem Ziel , „Minderwertigen“ staatlicherseits das Leben nehmen zu dürfen , wird zudem im Erscheinungsjahr des Buches von Ploetz , 1895 , durch die Schrift von Adolf Jost „Das Recht auf den Tod. Sociale Studie“ gefördert.16 1904 fordert der Zoologe Ernst Haeckel in seinem Buch „Die Lebenswunder“ die Tötung Behinderter durch Morphiumspritzen. Im Gefolge dieser Diskussion kommt für die Tötung von Menschen der Gebrauch des Wortes „Gnadentod“ auf , das Hitler 1939 in seinem Euthanasie-Erlass schamlos nutzen wird. Philosophisch gestützt war diese menschenverachtende Haltung durch Nietzsches „Übermenschen“-Moral. Dafür zwei Belege : „Gleiche Rechte auch für die Mißratenen , das wäre die Widernatur selbst als Moral.“ ( „Der Wille zur Macht“: Aphorismus 734 ) „Der Kranke ist ein Parasit der Gesellschaft. In einem gewissen Zustand ist es unanständig , noch länger zu leben. Das Fortvegetieren in feiger Abhängigkeit von Aerzten und Praktiken [ … ] sollte bei der Gesellschaft eine tiefe Verachtung nach sich ziehen. Die Aerzte hätten die Vermittler dieser Verachtung zu sein [ … ]. Eine neue Verantwortlichkeit schaffen , die des Arztes , für alle Fälle , wo das höchste Interesse des Lebens , des aufsteigenden Lebens , das rücksichtsloseste Nieder- und Beiseitedrängen des entarteten Lebens verlangt.“ ( „Götzendämmerung“: Aphorismus 36 )
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Nicht zuletzt hier fand Hitler , ein glühender Verehrer Nietzsches , auch eine „philosophische“ Legitimation für seine Lieblingsvokabeln „rücksichtslos“ und „entartet“. 17 In der Weimarer Zeit wird Rassenhygiene an vielen deutschen Universitäten zur offiziellen medizinischen Disziplin. Die terminologische Variante „Eugenik“ war Ende des 19. Jahrhunderts vom englischen „eugenics“ übernommen worden. Als Lizenz für einen Schwangerschaftsabbruch diente noch lange nach 1945 die sogenannte eugenische Indikation. Manche Vertreter von Rassenhygiene und Eugenik arbeiteten auch nach 1945 unangefochten weiter , dann allerdings unter dem Disziplinnamen „Humangenetik“. Der Gedanke einer Rassenoptimierung durch Tötung von „Mängelexemplaren“ wird auch in der Weimarer Zeit unvermindert weiterverfolgt , wenn auch zunächst außerhalb der etablierten Rassenhygiene. 1920 gelangen schließlich der hochangesehene Jurist Karl Binding und der Mediziner Alfred Hoche zu ihrem Plädoyer für „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“18 , worin auch sie die Tötung geistig Behinderter fordern. Zwar stößt dieses Plädoyer bei den wissenschaftlichen Rassenhygienikern zunächst auf Kritik , aber die Argumentation von Binding und Hoche ist in anderen Kreisen äußerst erfolgreich. Selbst führende Vertreter der Hilfsschulerziehung , heute Sonderund Heilpädagogik , erörtern diese Pläne ernsthaft , teilweise wohlwollend. Es gibt also schon vor 1933 – von einem ablehnenden Votum des Ärztetags 1921 abgesehen – kaum ernsthaften Widerstand gegen die Idee aktiver „Selektion“, welche die Nationalsozialisten ab 1939 durch ihre Euthanasie-Massenmorde in grausame Tat umsetzen werden. So wissenschaftlich sich Binding und Hoche in ihrer Schrift geben , so zynisch erscheinen ihre Argumente. Hoche versteigt sich sogar zu der Behauptung , die Tötung von Geistesschwachen sei eine „Heilhandlung“. Besonders raffiniert erscheint die Charakterisierung dieser Kranken als „geistig Tote“ oder als „leere Menschenhüllen“, weil dadurch deren Vernichtung kaum noch als unmoralische Tötung gelten kann. Geistig bereits Gestorbene oder Sachen wie Menschenhüllen lassen sich nicht mehr „ermorden“, sondern können nur noch „beseitigt“ werden. Entlarvend hätte aber auch schon zur Zeit der Publikation der innere Widerspruch im Begriff „lebensunwertes Leben“ sein müssen. Trotz vereinzelter zeitgenössischer Kritik an der Schrift von Binding / Hoche müssen deren Gedanken wie auch die schon früheren Verunglimpfungen der Juden als „parasitäre Rasse“ und als „Ungeziefer“ unbedingt als wesentliche Bestandteile des kommunikativen Klimas der Weimarer Republik gesehen werden. Die Überschätzung der eigenen Rasse , die durch popularisierte Begriffe
Antirepublikanische Staatsauffassungen |
wie „Herrenrasse“ bei Nietzsche kräftig gefördert wurde , nimmt jedenfalls bis hin zum Plädoyer für eine Zurückdrängung , gar Ermordung „Minderwertiger“ lange vor dem NS-Rassenwahn einen breiten Raum ein. Auch die frühe Sprachwissenschaft hat – obwohl meist unbeabsichtigt – das Ihre dazu beigetragen , eine biologisch begründete Definition von „Herrenrasse“ endgültig ins Irrationale zu steigern. Schon bei Jacob Grimm ( 1785–1863 ) gehen die Termini „deutsch“ und „germanisch“ munter durcheinander ; eine Differenzierung von politischen und Sprachgrenzen findet bei ihm überdies kaum statt. Und schließlich erweitert die Indogermanistik den Horizont der Rassenideologen mit ihrem Terminus „arisch“ um eine riesige Sprachenfamilie. Die Praktiker der Rassenideologie kümmerte es dann wenig , dass es sich bei „arisch“ im Wesentlichen nur um einen Terminus für Sprachverwandtschaften handelte , der inzwischen weitgehend durch „indoeuropäisch“ ersetzt worden ist.
„Reich“, „Volksgemeinschaft“ und „deutsche Demokratie“
Die nationale Selbstüberschätzung wuchs in dem Maße , in dem die politische Depression durch den Verlust der Weltmachtstellung Deutschlands kaum noch zu unterbieten war. Die Feier „deutschen Wesens“ ging mit Ausnahme kommunistischer und im weiteren Sinne marxistischer Kreise , die auf den Internationalismus der Arbeiterklasse setzten , auch nach 1918 unvermindert weiter. Und man hielt 1919 noch bei der Namensgebung für die neue Republik an der untergegangenen Größe fest , indem man den 1871 auf dem Höhepunkt deutscher Dominanz in Westeuropa eingeführten Staatsnamen „Deutsches Reich“ gegen mancherlei Bedenken beibehielt.19 Zwar hatte schon der Verfassungsentwurf der Frankfurter Paulskirche von 1849 für einen neuen deutschen Staat den Namen „Deutsches Reich“ vorgesehen , doch war dieser Vorschlag – gemessen an dem bis 1806 geltenden Staatsnamen „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“ – zunächst von wohltuender Bescheidenheit. „Deutsches Reich“ wurde danach aber geradezu zum Symbolbegriff nationaler Sehnsucht aller , die sich mit den neuen Umständen nicht abfinden wollten. Sie fanden sich zuhauf im vielfach noch monarchistisch orientierten Beamtentum , zumal in Justiz und Verwaltung , sowie beim Militär. Und auch große Teile der akademischen Jugend radikalisierten sich im Sinne antirepublikanischer Gesinnung. Bis ins Mystische getrieben wurde diese Sehnsucht noch durch einen säkularisierten Terminus aus der mittelalterlichen Geschichtstheologie : das „dritte Reich“. Arthur Moeller van den Brucks Buch „Das dritte Reich“ von 1923 wurde zum Credo
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derjenigen , die an eine Wiederauferstehung deutscher Größe , noch mächtiger und prächtiger als das „erste Reich“ des Mittelalters und das „zweite Reich“ Bismarcks , glauben wollten. Mit Moeller van den Bruck bewegen wir uns zugleich in der Anhängerschaft einer besonderen politischen Strömung der Weimarer Zeit , die für die Projektion eines neuen Staates jenseits der für schwächlich und „undeutsch“ gehaltenen Republik maßgeblich war. Die Rede ist von den Ideen der sogenannten Konservativen Revolution , die unter den Intellektuellen öffentlichkeitswirksame Befürworter hatte. Selbst das schon zitierte Plädoyer Thomas Manns für die Republik von 1922 zeichnet sich einerseits durch reservierte Bemerkungen zur realen Republik und zu ihrem Repräsentanten Friedrich Ebert und andererseits durch deutliche Sympathien für eine geistesaristokratische Ordnung aus , an deren Spitze sich Mann den mit dieser Rede zu feiernden Jubilar Gerhart Hauptmann als „Volkskönig“ vorstellen kann. Unter Berufung auf Novalis stellt Thomas Mann unter anderem fest , „daß kein König ohne Republik“, aber auch „keine Republik ohne König bestehen“ könne.20 Die komplexe Geschichte der Konservativen Revolution lässt sich nicht kurzgefasst darstellen,21 darum nur eine zugegebenermaßen plakative Charakterisierung. Als Gemeinsamkeit dieser Richtung , die trotz divergierender Einzelpositionen das Klima der Weimarer Zeit stark mitbestimmt hat , muss die Sympathie für eine , freilich nicht „bolschewistische“ Revolution gelten. Bereits vor 1914 zielte diese Richtung auf eine Überwindung wilhelminischer Strukturen , die man sich sogar von Umwälzungen durch einen Krieg erhoffte. Gleichwohl sollte das mehr oder weniger diffus Erwartete keine völlige Abkehr von hierarchischen Ordnungen bedeuten. Vielmehr sollte eine klare Führerschaft garantiert sein , die dem Besten anvertraut sein müsse , also nicht das zufällige Ergebnis von allgemeinen Wahlen sein dürfe – eine klare Gegenposition zum demokratisch-republikanischen Gedanken. Darin wird deutlich , welche starken mentalen Barrieren die jahrhundertelange Gewöhnung an obrigkeitsstaatliche Ordnungen gegen eine demokratische Neuorientierung errichtet hatte. Die Überwindung dieser Barrieren wird erst nach 1945 mehr oder weniger gelingen. Die Grenzziehung zwischen Konservativen Revolutionären und Anhängern der Republik war und ist hinsichtlich wichtiger Schlüsselbegriffe nicht immer einfach , da beide Seiten , letztlich sogar die Marxisten – wenn auch mit unterschiedlicher Akzentuierung –, von der romantischen Vorstellung eines Gesamtkollektivs „Volk“ fasziniert schienen. Die Entdeckung dieses Kollektivs in der Frühromantik und in der Französischen Revolution hatte ursprünglich durchaus emanzipatorischen Charakter. Das Volk wurde erstmals nicht mehr
Antirepublikanische Staatsauffassungen |
nur als willenlose Untertanenschaft , sondern als das eigentliche Subjekt eines Staates gesehen. Die Revolution von 1918 gab diesem Gedanken in Deutschland neuen Auftrieb , zumal sich die sozialen Unterschiede und Gegensätze verbal am effektivsten in der Charakterisierung der Bevölkerung als Gesamtkollektiv „Volk“ wenigstens vorübergehend überdecken ließen. Berufungen auf dieses Kollektiv waren in fast allen politischen Lagern üblich. Kommunisten und weitere Marxisten etwa privilegierten die Arbeiterklasse als das „wahre“ Volk. Im übrigen politischen Spektrum , und zwar nicht nur in der „völkischen“ Bewegung , die das Wort schon im Namen trug , sondern auch in keineswegs nur rechts stehenden Parteien und Verbänden, meinte man mit „Volk“ grundsätzlich die Gesamtheit der Deutschen als nationale Einheit , als „deutsches Volk“ – eine Wortverbindung , die schon im 19. Jahrhundert immer wieder mit besonderer Emphase benutzt worden war. Darüber hinaus definierten nicht nur eindeutig konservative Kreise „Volk“ als „Gemeinschaft“ und – lange vor dem NS-Sprachgebrauch – als „Volksgemeinschaft“ sowie ihre Mitglieder als „Volksgenossen“. In der Annäherung von „Volk“ an einen Begriff von „Gemeinschaft“ folgten selbst liberale Demokraten einer Begriffskritik des Soziologen und Philosophen Ferdinand Tönnies , der in seiner viel beachteten Schrift von 1887 „Gemeinschaft und Gesellschaft“ die beiden Begriffe einander gegenübergestellt und dabei die Gesellungsform der „Gemeinschaft“ als die höherwertige charakterisiert hatte. In ihr seien Bindungen wie in Familie , Freundschaft oder Nachbarschaft um ihrer selbst willen entscheidend , während eine „Gesellschaft“ wesentlich von Egoismus , Zweckrationalität und Nutzenkalkül bestimmt werde. Auf die Idee der Gemeinschaft wird noch die Denkschrift des bürgerlichen Widerstands gegen Hitler „Die kleinen Gemeinschaften“ von Helmuth James Graf Moltke ( 1939 / 40 ) zurückgreifen. Die Abgrenzung der „( Volks- )Gemeinschaft“ von „Gesellschaft“ war auch ein Grundthema der Konservativen Revolution und beherrschte auch Moeller van den Brucks Programmschrift „Das dritte Reich“. Darin wurde – gegen die Weimarer Demokratie gerichtet –, sogar unterstellt , dass nur eine „organisch“ gegliederte Volksgemeinschaft eine „wahre“ Demokratie sein könne. Eine solche hätten die Deutschen sogar schon in ihrer Frühzeit gehabt : eine „deutsche Demokratie“ mit Führung und Gefolgschaft , bevor sie durch den Verlust von religiösen und sozialen Bindungen im Gefolge von Rationalismus und Aufklärung wieder zerfallen sei. Was sich außerhalb Deutschlands , insbesondere in England und Frankreich , „Demokratie“ nenne , habe mit dem „blutlich“ begründeten , organischen Begriff von Demokratie nichts mehr gemein. „Aufklärung“ und „Rationalismus“ gelten bereits hier als Diffamierungen , werden zu Stigma- oder
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Schmähwörtern , „blutlich“ und „organisch“ dagegen zu Fahnenwörtern einer biologistischen , rassenbiologisch völkisch-nationalen Gesinnung. Diese Bemerkungen zu Schlüsselwörtern und -argumenten der öffentlichen Kommunikation während der Weimarer Zeit , welche die Nationalsozialisten schon vorfanden und ausbeuteten , als sie ihr eigenes programmatisches Gebräu anrichteten , können nur Streiflichter auf das mentale Klima der Zeit werfen. Vieles andere , was sich dann in den Verlautbarungen Hitlers und seiner Partei sprachlich auch noch niederschlug , hat sicher auch seine eigenen historischen Vorläufer , die – wo immer möglich – im F olgenden noch aufgedeckt werden sollen. 1 2 3
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Die Schlusszeilen des Gedichts „Deutschlands Beruf“ ( 1861 ) lauteten im Original : „Und es mag am deutschen Wesen / Einmal noch die Welt genesen“. Vgl. dazu die satirische Glosse „Deutsch“ von Kurt Tucholsky ( alias Ignaz Wrobel ) von 1924 , in : Hering ( 1989 ) : 16 f. Lobenstein-Reichmann ( 2002 ). Dieses Wort ist schon im 19. Jahrhundert bei ideologisch sehr verschiedenen Autoren zu finden : u. a. bei Theodor Fontane , Karl Marx , Paul de Lagarde , Theodor Herzl , Georg Kerschensteiner. Mit Österreich war in St. Germain ein eigener Friede geschlossen worden , der u. a. einen staatlichen Zusammenschluss mit Deutschland untersagte. Reprint Frankfurt a. M. 2003. Vgl. Bavaj ( 2005 ). Zum Antisemitismus der „Völkischen“: Breuer ( 2008 ). Mann , Thomas ( 1986 ) : Von deutscher Republik. In : Aufsätze , Reden , Essays. Bd. 3. Frankfurt a. M. Glosse „100 %“. In : Hering ( 1989 ) : 33. – Dazu : Barth , Susanne / Zühlke , Tim , in : Schlosser ( 2003 ) : 191–200 ( 195 ). Arnim , Achim von ( 1992 ) : Werke. Bd. 6 : 362–387. Bajohr ( 2003 ). Reproduktion u. a. in : Arbeitskreis selbständiger Kulturinstitute ( Hrsg. ) ( 2003 ) : Kultur berichte 3 / 2003 : 32. Krämer , Andreas , in : Schlosser ( 2003 ) : 79–90. Ploetz ( 1885 ) : 147. Ploetz gilt im Übrigen auch als Urheber des Wortes „Humanitätsduselei“. Dazu : Benzenhöfer , Udo ( 1998 ) : „Das Recht auf den Tod“. Bemerkungen zu einer Schrift von Adolf Jost aus dem Jahre 1895. In : Recht und Psychiatrie. 16 : 199. Vgl. auch Benzenhöfer , Udo ( 1999 ) : Der gute Tod. München. Algermissen ( 1947 ). Leipzig , 2. Aufl. 1922. Vgl. dazu : Schlosser ( 2003 ). In : Von deutscher Republik ( = Anm. 9 ). – Dazu : Höhl , Kathrin , in : Schlosser ( 2003 ) : 115–127. Vgl. dazu u. a. : Sontheimer ( 1994 ) ; Rupprecht ( 1995 ) ; Mommsen ( 2000 ).
2 | DIE FRÜHE SPRACHE DER NSDAP UND IHR AUSBAU ZUR „WELTANSCHAUUNG“ „Groß-Deutschland“ und „germanische Rasse“ – Das NSDAP-Programm von 1920 | 31 | „Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich“ – Hitlers politisches Credo | 36 | „Rassenseele des nordischen Menschen“ – Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ | 45 | „Geistige Mobilmachung“ – Joseph Goebbels als Agitator | 47 | „Höheres Menschentum“ – Der Arier- und Germanenmythos | 52 | „Ahnenforschung“ und Konstruktionen arisch-germanischer Kultur | 54 | „Blut und Boden“ – Die Verklärung des germanischen Bauerntums | 57 | „Nur ein deutschsprechendes deutsches Volk kann Herrenvolk werden und bleiben“ | 59 | „Neue Weltanschauung“ im Spiegel der Schlüsselbegriffe | 62 |
Hitlers NSDAP brauchte dreizehn Jahre , bis sie von einer zunächst unbedeutenden Splittergruppe zur Monopolpartei wurde und sich den gesamten Staat unterwerfen konnte. Freilich genügten dann zwölf Jahre , um diesen Staat und große Teile Europas in Trümmer zu legen. Hier würde es zu weit führen , die dubiosen Quellen im Einzelnen zu inspizieren , aus denen Hitler seine „Weltanschauung“ formte , die er selbst aber für rational und wissenschaftlich begründet hielt. In der Zeit , bevor er – nach eigenen Worten – „beschloß [ … ] , Politiker zu werden“1 , wetteiferten zahllose politisch-ideologische Sektierergruppen miteinander , die jedes nationale Ressentiment , zumal aufseiten der durch die Niederlage von 1918 sozial wie geistig Entwurzelten , bedienen konnten. Drei Faktoren sollen indes kurz erwähnt sein : zum einen die Begegnung mit extrem antisemitischen Tendenzen während seiner Jahre als Gelegenheitsarbeiter in Wien 1907–1913. Zuvor war er mit seinem Wunsch , Maler zu werden , von der Wiener Akademie der Bildenden Künste abgelehnt worden. Hitlers wie vieler anderer simple Einsicht : Die Juden stellen eine „Weltgefahr“ dar , die beseitigt werden muss. Sie sind an allem schuld , nicht zuletzt am Marxismus , womit sie dann später für die russische Oktoberrevolution und 1918 für die angebliche Verhinderung eines deutschen Sieges , zuletzt aber auch für die wirtschaftliche Misere der breiten Massen nach dem Kriegsende verantwortlich gemacht werden. Seine Konsequenz : Die Juden müssten – möglichst überall in der Welt – aus ihren angeblich beherrschenden Stellungen verdrängt werden und so klein gehalten werden , dass sie nie wieder Einfluss bekommen könnten.2 Zum anderen und eigentlich Bestandteil dieser Art Antisemitismus ist die schon in Wien entwickelte Überzeugung Hitlers , dass nur die allen anderen Rassen
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ohnehin überlegene „germanische Rasse“ die Kraft zu einem neuen Aufstieg habe. Hitlers Konsequenz : Das deutsche Volk müsse durch Beseitigung aller „Rassenmischung“ wieder „rasserein“ werden , um seine Überlegenheit auch durch die Tat beweisen zu können. Zum dritten das Kriegserlebnis des Gefreiten Hitler , das bei ihm wie bei vielen anderen Teilnehmern des Ersten Weltkriegs ein tiefsitzendes Gefühl hinterließ , von der Politik getäuscht und um den Erfolg des soldatischen Einsatzes gebracht worden zu sein. Hitlers Konsequenz : Die „Schande“ der deutschen Niederlage – durch den Versailler Friedensvertrag noch verstärkt – müsse getilgt und durch ein mächtigeres Reich , als es das wilhelminische zuvor war oder sein wollte , in einen Triumph verwandelt werden. Nach einem kurzen ersten Anlauf als Propagandaredner der Reichswehr3 , als der er erstmals seine Erkenntnisse aus Gustave Le Bons Massenpsychologie4 erfolgreich umzusetzen verstand , begann Hitlers politische Karriere am 16. September 1919 mit seinem Beitritt zur „Deutschen Arbeiterpartei“ ( DAP ) , einer kleinen, unbedeutenden antimarxistisch-antisemitisch-völkischen Gruppierung in München mit zunächst maximal vierzig Mitgliedern.5 Hinter deren Gründung stand einer jener dubiosen Zirkel mit antisemitisch-germanophilem Programm , die „Thule-Gesellschaft“. Bereits in Veranstaltungen der DAP wurde die Hakenkreuzfahne gezeigt , die angeblich von Hitler entworfen worden war.6 Ihr Kreuzsymbol war allerdings in seinem Ursprung nicht ideologisch besetzt. Als „Svastika“, im Sanskrit so viel wie „Glücksbringer“, galt es im Hinduismus schon vor 5. 000 Jahren als Glückszeichen und wurde in diesem Sinne auch in anderen Kulturen verwendet , wurde aber – schon vor DAP und Hitler – in antisemitisch-völkischen Kreisen zu einem Zeichen für ein rassistisches Bekenntnis umgedeutet. Unmittelbar nachdem sich die DAP im Februar 1920 in „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ ( NSDAP ) umbenannt hatte , konnte Hitler bereits vor rund 2. 000 Besuchern im Münchner Hofbräuhaus ein 25 Punkte umfassendes Parteiprogramm vortragen , das die wesentlichsten Ziele seiner späteren Politik bereits aufs Deutlichste offenbarte. Als besonders erfolgreicher Redner beanspruchte Hitler schon im Juli 1921 das Amt des Führers der NSDAP. Bereits die Parteinamen verraten einiges darüber , womit man die Menschen an sich binden wollte : in erster Linie die große Masse der wirtschaftlich benachteiligten Lohnabhängigen , die Arbeiter. Die Arbeiterschaft stellte bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg das zahlenmäßig größte Wählerpotenzial dar. Die Umbenennung der DAP in eine „nationalsozialistische“ Partei wollte mit ihrem Namensbestandteil „sozialistisch“ durch eine bewusste Assoziation die Erfolge der traditionellen Sozialisten vor allem in der SPD beerben , war aber in
Das NSDAP-Programm von 1920 |
Teilen der Partei durchaus auch durch antikapitalistische Intentionen gestützt. Um indes eine Berührung , gar Verwechslung mit den verhassten marxistischen oder mit zumindest marxistisch orientierten Sozialisten zu vermeiden , präzisierte man den Begriff „Sozialismus“ durch „national“, ein spätestens nach 1918 besonders hoch bewertetes Attribut , das die Abgrenzung gegen einen Sozialismus mit internationalistischer Prägung , also – wie man sagte – „undeutscher“ Gesinnung , unterstreichen sollte. Der Begriff eines „nationalen Socialismus“ findet sich allerdings schon bei dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte ( 1762–1814 )7 , wird aber im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert – auch in der Form „Nationalsozialismus“ – unterschiedlich , meist jedoch national-konservativ gedeutet8 , bis schließlich die NSDAP ihre Definition durchsetzen konnte. Angesichts der scharfen Wendung gegen Links , gegen alles , was im traditionellen Sinne als sozialistisch galt , war die Selbstbezeichnung der von Hitler angeführten politischen Richtung als „National-Sozialismus“ eine Camouflage ersten Ranges. Zwar gab es in der NSDAP zunächst einen starken sozialrevolutionär-antikapitalistischen Flügel , insbesondere um die Brüder Gregor und Otto Straßer. Doch hinderte die in Wahlen oft recht erfolgreiche Anbiederung der „Arbeiterpartei“ bei der Arbeiterschaft Hitler keineswegs , mit Großindustriellen und Bankiers intensiv zu kooperieren , also eigentlich eine alles andere als sozialistische Politik zu betreiben. Wohl nicht ganz zufällig findet sich im Register von Hitlers Buch „Mein Kampf“ kein Stichwort „Sozialismus“, wohl aber „Marxismus“ und „Sozialdemokratie“. Der Sozialismus der NSDAP war also im Wesentlichen nur ein Aushängeschild , das sich auch dafür eignete , bei Gewaltaktionen auf Straßen und in Sälen einen revolutionären Charakter vorzuspiegeln.
„Groß-Deutschland“ und „germanische Rasse“ – Das NSDAP-Programm von 1920
Am 24. Febuar 1920 trug Hitler , wie schon erwähnt , in München jenes Parteiprogramm vor , das als Programm der NSDAP bis 1945 unverändert Geltung beanspruchte.9 Der weitverbreiteten Stimmung kamen in Punkt 2 die Forderungen nach „Gleichberechtigung des deutschen Volkes gegenüber den anderen Nationen“ und die „Aufhebung der Friedensverträge von Versailles und St. Germain“, also der Deutschland und Österreich extrem bedrückenden internationalen Verträge zum Abschluss des Ersten Weltkriegs , entgegen. Diesem Themenfeld kann man auch noch zurechnen , wenn in Punkt 22 gegen die militärischen Beschränkungen der
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Friedensverträge ausgeführt wird : „Wir fordern die Abschaffung der Söldnertruppen und die Bildung eines Volksheeres“, womit die im Dienst der Reichsregierung stehende Reichswehr – als „Söldner“ diskriminiert – gemeint ist , an deren Stelle die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt werden sollte. Die Wahl des Terminus „Volksheer“ ist im Übrigen ein bewusster Rückgriff auf die preußischen Militärreformen im Rahmen der antinapoleonischen Befreiungskriege 1813–15 , ein in der Folge immer wieder bemühtes Element der NS-Propaganda. Für jedermann sicher akzeptabel waren die Forderungen nach einem „großzügigen Ausbau der Altersversorgung“ ( Punkt 15 ) , nach einem „gründlichen Ausbau unseres gesamten Volksbildungswesens“ ( Punkt 20 ) sowie der „Hebung der Volksgesundheit“ mit „Schutz der Mutter und des Kindes , durch Verbot der Jugendarbeit“ und „Herbeiführung der körperlichen Ertüchtigung“ zumal der Jugendlichen ( Punkt 21 ). Ein weit überwiegender Teil des Programms aber offenbart die eng nationalistische und aggressiv antisemitische Einstellung der Partei. Bereits in Punkt 1 wird – gegen die Bestimmung der Friedensverträge – der „Zusammenschluß aller Deutschen [ … ] zu einem Groß-Deutschland“, das hieß zumindest die staatliche Einheit von Deutschland und Deutsch-Österreich , gefordert , wie sie Hitler 1938 durch den „Anschluß“ Österreichs und weiterer deutscher Siedlungsgebiete in praktische Politik umsetzen wird. Dabei beruft sich das Programm auf das – bis heute geltende – völkerrechtliche Prinzip des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“. Der Terminus „großdeutsch“ war neben seinem Pendant „kleindeutsch“ zunächst ein relativ neutraler politischhistorischer Begriff. Als 1938 der „Anschluß“ Österreichs ans Reich erfolgt und die österreichische Republik zur „Ostmark“ degradiert worden war , konnte durchaus von einem „großdeutschen“ Staat gesprochen werden. Spätestens im Siegesrausch der Frühphase des Zweiten Weltkriegs wurden die Bezeichnungen „Großdeutschland“ bzw. „Großdeutsches Reich“ allerdings nicht mehr nur in dem nüchternen Sinn der historischen Terminologie verwendet. Vielmehr hatten sie im Sinne von Hyperbeln , also übersteigernder Formulierungen, eine eindeutig propagandistische Funktion. Diese Bedeutung kündigt sich 1920 in der Verwendung von „Groß-Deutschland“ im ersten Programmpunkt bereits deutlich an. Der vom Versailler Vertrag bestimmte Verzicht Deutschlands auf Kolonien wird in Punkt 4 in der Forderung nach „Land und Boden ( Kolonien ) zur Ernährung und Ansiedlung unseres Bevölkerungsüberschusses“ angesprochen. Interessanterweise steht „Kolonien“ in einem Klammerzusatz , der auf den ersten Blick wie eine bloße Erläuterung zu „Land und Boden“ aussieht , aber auch eine andere , weniger harmlose Deutung zulässt : In erster Linie geht es
Das NSDAP-Programm von 1920 |
um zusätzliche Siedlungsräume , und der Hinweis auf Kolonien nennt nur ein Beispiel möglicher Raumerweiterung. Fünf Jahre später wird Hitler nämlich in „Mein Kampf“ aus der Notwendigkeit , die Ernährung der Deutschen zu sichern , sogar ein „moralisches“ Recht ableiten , sich „fremden Grund und Boden“ anzueignen. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker endete für die NSDAP also dort , wo ein nationales deutsches Interesse ins Spiel kommt. Als „geistige“ Norm aller Forderungen kann man aus dem Programmpunkt 24 herauslesen , dass es ein „Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse“ gebe , gegen das nicht verstoßen werden dürfe , auch nicht von religiösen Bekenntnissen , für die man grundsätzlich durchaus Freiheit fordert. Der eigene religiöse Standpunkt wird gar als der eines konfessionsneutralen „positiven Christentums“ definiert , von dessen Grundlage aus die Partei „den jüdischmaterialistischen Geist in und außer uns“ bekämpfe. Juden wird damit von vornherein ein religiöses Bekenntnis abgesprochen. Judentum und Materialismus sind für die Nationalsozialisten identisch. Mindestens neun aller Punkte dieses Programms aber wenden sich – ausdrücklich oder in ihrer Tendenz leicht zu erkennen – sehr konkret gegen Juden und andere „Nichtdeutsche“. An erster Stelle Punkt 4 : „Staatsbürger kann nur sein , wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein , wer deutschen Blutes ist , ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.“ Der in der Weimarer Zeit von verschiedenen politischen Kräften durchaus neutral verwendete Terminus „Volksgenosse“ erhält hier jene rassenideologisch bedingte semantische Einschränkung , die das Wort auf Dauer korrumpieren sollte. Dasselbe gilt für die semantische Engführung des Begriffs „Volksgemeinschaft“ im Sinne eines „rassereinen“ und willenlosen Kollektivs. „Ohne Rücksichtnahme auf Konfession“ bedeutet im obigen Zitat zugleich , dass etwa ein getaufter Jude nach wie vor als Jude zu betrachten und zu behandeln sei , also kein Volksgenosse und damit auch kein Staatsbürger sein könne. Die als selbstverständlich eingeführte Gleichsetzung von Staatsbürger und Volksgenosse ( mit „deutschem Blut“ ) gibt automatisch weiteren Forderungen des Programms eine eindeutig antijüdische und fremdenfeindliche Zielrichtung : Nur Staatsbürger bzw. Volksgenossen , also nicht die Juden , sollen ein aktives und passives Wahlrecht haben ( Punkt 5 ) , Juden oder „Nichtdeutsche“ sollen in deutschsprachigen Zeitungen nicht als Journalisten tätig sein ( Punkt 23a ) , „Nichtdeutschen“ soll jede finanzielle Beteiligung an Zeitungen oder deren Beeinflussung gesetzlich verboten werden ( Punkt 23c ). Angehörige fremder Nationen sind auszuweisen , wenn es nicht mehr möglich ist , die Gesamtbevölkerung zu ernähren ( Punkt 7 ) , jede weitere Einwanderung „Nichtdeutscher“ ist zu verhindern. „Nichtdeutsche“,
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die nach dem 1. August 1914 , dem Kriegsbeginn , eingewandert sind , sollen „sofort zum Verlassen des Reiches gezwungen werden“ ( Punkt 8 ). Vor dem Hintergrund verbreiteter antisemitischer Vorurteile können natürlich auch andere Forderungen eindeutig als gegen Juden gerichtet gesehen werden , etwa die Parole „Brechung der Zinsknechtschaft“ und das Verlangen nach „restloser Einziehung aller Kriegsgewinne“ ( Punkt 12 ) sowie die Forderung nach „sofortiger Kommunalisierung der Groß-Warenhäuser“ ( Punkt 16 ) , von denen etliche tatsächlich im Besitz jüdischer Kaufleute , etwa von Leonhard und H ermann Tietz , waren.10 Auch die Forderung nach Abschaffung des Bodenzinses und Verhinderung jeder Bodenspekulation ( Punkt 17 ) mussten als Kampfansage insbesondere an jüdische Immobilienbesitzer und -händler verstanden werden. Die Wendung gegen die angeblich von Juden ausgeübte „Zinsknechtschaft“ und weitere sozialrevolutionäre Akzente verdankte das Programm vor allem dem DAP-Mitglied Gottfried Feder , den Hitler in „Mein Kampf“ als ideologischen Mentor noch lobend erwähnen wird. Feder wurde 1924 der Wirtschaftsfachmann der NSDAP , verlor seinen Einfluss jedoch , als mit der Ermordung Gregor Straßers 1934 im Zusammenhang mit dem „Röhmputsch“ die antikapitalistische Linie der Partei endgültig verlassen wurde. Seinen Anregungen folgten zweifellos die Programmpunkte , die man noch am ehesten als sozialistisch bezeichnen kann , in erster Linie die „Abschaffung des arbeits- und mühelosen Einkommens“ ( Punkt 11 ) , also von Einkommen , die nur durch Zinseinkünfte erzielt werden , aber auch – nun schon deutlich gemäßigt sozialistisch – die „Verstaatlichung aller ( bisher ) bereits vergesellschafteten ( Trusts ) Betriebe“ ( Punkt 13 ) oder die „Gewinnbeteiligung an Großbetrieben“ ( Punkt 14 ). Eine Aufweichung streng sozialistischer Vorstellungen ist auch dort zu erkennen , wo der Arbeits- und damit auch der Arbeiter-Begriff gleichsam metaphorisiert wird , etwa in der Forderung von Punkt 10 : „Erste Pflicht jedes Staatsbürgers muß sein , geistig oder körperlich zu schaffen.“ Hieraus entwickelte sich dann die Formel von den „Arbeitern der Stirn und der Faust“. Konsequenterweise fordert das Programm die Beseitigung aller föderalen Strukturen , die in der Weimarer Republik galten , indem es „die Schaffung einer starken Zentralgewalt des Reiches“ für erforderlich hält und für eine „unbedingte Autorität des politischen Zentralparlaments über das gesamte Reich und seine Organisationen“ eintritt ( Punkt 25 ). Der amtierende Reichstag wird nur mit einer negativen Bemerkung bedacht , in der ihm „die korrumpierende Parlamentswirtschaft einer Stellenbesetzung nur nach Parteigesichtspunkten ohne Rücksichten auf Charakter und Fähigkeiten“ vorgeworfen wird ( Punkt 6 ).
Das NSDAP-Programm von 1920 |
Wichtig für das spätere Verhältnis zu den Kirchen wurde Punkt 24 , in dem es heißt : „Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat , soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen. Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums , ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden.“
Zu den tolerierten Bekenntnissen gehörte natürlich nicht der mosaische Glaube. Aber auch die christlichen Kirchen waren gewarnt , alles zu unterlassen , was als Gefährdung des Staates ausgelegt werden konnte. Darüber wollte in jedem Fall die Partei entscheiden , zumal allein sie wusste , worin das „Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse“ bestand. Alles, was sich in der Religionsausübung diesen juristisch wie philosophisch höchst flexiblen Kriterien unterwarf , konnte sich mit dem verbal altehrwürdigen Prädikat „positives Christentum“ schmücken. Doch war damit eben nicht der gleichlautende religionsphilosophische Begriff der Aufklärung gemeint , sondern die rüde Antithese „NS-bejahend contra NS-verneinend“11. Letzteres hieß dann – etwa bei Alfred Rosenberg – „negatives Christentum“. Damit wurden dann auch sehr bald die Fronten klar zwischen den „positiven“ Deutschen Christen und den „negativen“ Konfessionen , der katholischen wie der evangelischen , soweit sich diese in der „Bekennenden Kirche“ organisierte. Zweimal taucht schon in diesem Programm ein Wort auf , das später zu Hitlers Lieblingsvokabeln zählen wird : „rücksichtslos“. Allein dieses Wort offenbart bereits die menschenverachtende Tendenz der NS-Ideologie. Hier deutet sich die in der NS-Rhetorik geradezu systematische Aufwertung von inhaltlich negativen Wörtern an , die auch „blind“, etwa in „blinde Gefolgschaft“, „brutal“ und „fanatisch“ zu Kennwörtern einer vorbildlichen Haltung macht. Gegen Ende des Krieges wird Hitler von seinen Soldaten sogar eine „Fanatisierung“ fordern.12 Noch einigermaßen erträglich erscheint „rücksichtslos“ am Ende des Programms , wo es heißt , dass die Führer der Partei „für die Durchführung der vorstehenden Punkte rücksichtslos einzutreten“ gewillt seien – wenn denn damit wirklich nur das gegen die eigene Person der Führer rücksichtslose Engagement gemeint sein sollte. Eindeutiger jedoch ist die Formulierung in Punkt 18 , mit der ein „rücksichtsloser Kampf gegen diejenigen , die durch ihre Tätigkeit das Gemeininteresse schädigen“, gefordert wird. Auch die Wörter „restlos“, etwa in „restlose Einziehung aller Kriegsgewinne“, und „unbedingt“, etwa in der Formulierung „unbedingte Autorität“, verstärken den Eindruck
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absoluter Kompromisslosigkeit , die eine solche Partei für eine demokratische Zusammenarbeit mit anderen politischen Partnern ungeeignet erscheinen ließ. „Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich“ – Hitlers politisches Credo
Nach dem gescheiterten Putschversuch vom 9. November 1923 in München , der später als „Marsch auf die Feldherrnhalle“ gefeiert wurde13 , war Hitler zu fünf Jahren Festungshaft in Landsberg verurteilt worden. Davon saß er aber – unter sehr komfortablen Bedingungen , mit Blumen , Wandschmuck und Musik sowie ständigen Besuchern – nur acht Monate ab. In dieser Zeit verfasste er zusammen mit Rudolf Heß , seinem Privatsekretär14 , sein politisches Credo , das 1925 /26 in zwei Teilen unter dem Titel „Mein Kampf“ erschien. Der kämpferische Titel diente wie viele weitere Aussagen dieses Buches dem Anspruch der NSDAP , revolutionär-militant eine neue Ordnung zu erstreiten. Aus diesem Anspruch heraus wurde im Rückblick die Weimarer Phase der Parteigeschichte zur „Kampfzeit“ erhoben , und die in Saalschlachten und Straßenprügeleien besonders erprobten Parteimitglieder , in erster Linie natürlich die Teilnehmer des Münchner Putschversuchs , wurden als „Alte Kämpfer“ geadelt. Man hat oft , meist erst nach 1945 , darauf hingewiesen , dass „Mein Kampf“ schon überdeutlich alle Ziele und Methoden offengelegt habe , denen die NSHerrschaft tatsächlich entsprechen sollte. Allerdings ließ auch bereits das NSDAP -Programm wie gesehen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Abgesehen davon , dass die massenhafte Verbreitung von „Mein Kampf“ erst ab 1933 erfolgte , als das Buch an Brautpaare bei der Eheschließung verschenkt wurde15 , ist zu bezweifeln , ob es vor 1933 genügend kritische Geister gab , die die Gefährlichkeit von Hitlers Darlegungen erkennen konnten oder sie zumindest ernst zu nehmen bereit waren. In vielem entsprach das Buch eben weitverbreiteten Vorurteilskomplexen , so dass die persönlichen Motive , von denen Hitlers politische Entwicklung geprägt war , durchaus als kollektive Einstellungen gewertet werden können : Ablehnung der in den Friedensverträgen festgeschriebenen These von Deutschlands und Österreich-Ungarns Kriegsschuld , Enttäuschung über den verlorenen Krieg und die Folgen , vor allem für die um ihre sozialen Perspektiven gebrachten Soldaten , Suche nach den Schuldigen für die Niederlage , für welche die Dolchstoßlegende eine willkommene Handhabe bot16 , Heroisierung des „Fronterlebnisses“ und Sehnsucht nach einer „Wiederauferstehung“ des deutschen Volkes. Trotz aller
Hitlers politisches Credo |
Stilisierung von Hitlers ärmlicher Kindheit und seinen beruflichen Misserfolgen sprach ein persönliches Motiv viele Zeitgenossen an : Wie Hitler fühlten sich in der wirtschaftlichen Notlage der Nachkriegszeit viele Deutsche sozial deklassiert und hofften auf einen großen Aufbruch , den die neue Republik nicht zuwege zu bringen schien. Zu Hitlers persönlichen Motiven , die verbreitete Haltungen verschärften und später zu Annexionen und Völkermord führten , gehörten – wie schon im NSDAP-Programm – der Widerstand gegen die von den Friedensverträgen gebotene Zweistaatlichkeit von Deutschland und ( Deutsch- )Österreich sowie die Ablehnung eines Vielvölkerstaats , wie er bis 1918 im Habsburgerreich von Österreich-Ungarn existierte. Schon eingangs seiner Schrift postuliert Hitler : „Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich“.17 Eine solche rassenbiologische Begründung löste endgültig frühere nationalromantische Vorstellungen ab , nach denen Menschen gleicher Kultur und Sprache eine Nation sein sollten , die sich auch in einem gemeinsamen Staat organisieren sollte. Unmittelbar danach zieht Hitler aus diesem Postulat bereits die „moralische“ Berechtigung , über die Grenzen eines solchen Staates auszugreifen : „Erst wenn des Reiches Grenze auch den letzten Deutschen umschließt , ohne mehr die Sicherheit seiner Ernährung bieten zu können , ersteht aus der Not des eigenen Volkes das moralische Recht zur Erwerbung fremden Grund und Bodens.“18 Damit hatte Hitler bereits die tatsächlichen Schritte seiner Politik ab 1938 festgelegt : zunächst den „Anschluß“ Österreichs sowie die Einverleibung der sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei , mit anschließender – international geduldeter – Degradierung des tschechischen Reststaates zum „Protektorat Böhmen und Mähren“, sodann die Eroberungskriege ab 1939 , wobei er insbesondere den östlichen Raum , zunächst Polen , ab 1941 aber vor allem die Sowjetunion zwecks „Sicherheit“ der deutschen „Ernährung“ im Auge hatte. Schon in Landsberg erschien Hitler ein „deutscher Bodenerwerb“ auf Kosten Russlands möglich.19 1926 hat dann , wie bereits bemerkt , der Roman von Hans Grimm „Volk ohne Raum“ solche Expansionsziele gleichsam komplettiert , wenngleich Grimm eher eine wünschenswerte Ausdehnung in Kolonien thematisierte. Allein der Titel dieses Werks wurde zum allgemeinen Schlagwort für die Behebung der „Not des eigenen Volkes“ durch „Erwerbung fremden Grund und Bodens“. Das Thema fehlender Lebensraum kam denn auch in Hitlers „Zweitem Buch“ zum Zuge. Dabei handelte es sich um ein Manuskript , das posthum erst 1961 publiziert werden konnte , nachdem es parteiintern sehr wohl bekannt gewesen war. Es wurde wohl auch wegen der allzu offen geäußerten
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Expansionspläne und des darin deutlich ausgesprochenen Ziels , „Lebensraum“ auf russischem Territorium zu gewinnen , zunächst unter Verschluss gehalten.20 Hitler plädierte 1925 /26 wie schon das NSDAP-Programm für eine „großdeutsche Lösung“, also für einen deutschen Staat unter Einschluss von ( Deutsch- ) Österreich. Zugleich schwärmte er allerdings auch schon von einem „germanischen Staat deutscher Nation , der nicht einen volksfremden Mechanismus wirtschaftlicher Belange , sondern einen völkischen Organismus darstellt“21 , was in einem bemerkenswerten semantischen Widerspruch zum Inhalt der vorbildgebenden Bezeichnung des alten Reiches , „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“ ( bis 1806 ) , stand. Denn jenes Reich war ein Vielvölkerstaat par excellence gewesen.22 Nun war also an eine Ausdehnung des Reiches gedacht , bei der die Deutschen in jedem Fall als „Herrenvolk“ agieren sollten , die Nichtdeutschen aber – soweit sie nicht als „Germanen“ akzeptiert würden – versklavt oder vernichtet werden konnten. Bezeichnenderweise rangieren die Stichwörter „Rassenhygiene“ und „Auslese“ im Register von „Mein Kampf“ unter dem Schlüsselbegriff „Völkischer Staat“. Eigentlich lehnte Hitler den Terminus „völkisch“ ab : „Der Begriff völkisch ist infolge seiner begrifflichen Unbestimmtheit keine mögliche Grundlage für eine Bewegung …“23 Aber er fordert ausdrücklich : „ … daß ein Staat die Besiedelung gewonnener Neuländer nicht dem Zufall überläßt , sondern besonderen Normen unterwirft. Eigens gebildete Rassekommissionen haben den einzelnen das Siedlungsattest auszustellen ; dieses aber ist gebunden an eine festzulegende bestimmte rassische Reinheit. So können allmählich Randkolonien begründet werden , deren Bewohner ausschließlich Träger höchster Rassenreinheit und damit höchster Rassentüchtigkeit sind.“24
Tatsächlich wurde dieser Programmpunkt später von einem „Rasse- und Siedlungshauptamt“ der SS aufgegriffen. 1939 wurde Heinrich Himmler als „Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums“ mit der Leitung dieser Aufgabe betraut. Sie mündete 1942 in den „Generalplan Ost“, dessen Benennung wie die der entsprechenden SS-Institutionen die Vernichtungsmaßnahmen gegen alles Slawische bürokratisch verhüllte. Dieser Generalplan war im Auftrag Himmlers von dem Agrarwissenschaftler Professor Konrad Meyer , zugleich SS -Standartenführer , entworfen worden , einem der nicht wenigen Wissenschaftler , die bereits seit den Zwanzigerjahren die Ausweitung des deutschen Lebensraums nach Osten wissenschaftlich zu untermauern versucht hatten.25 Im Text dieses Generalplans selbst wird allerdings ganz offen , ohne alle bürokratiesprachliche Verhüllung von der Abschiebung der „rassisch
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Unerwünschten“ nach Sibirien , aber auch von ihrer „Verschrottung“ gesprochen. Das „Russentum“ sollte „ausgelaugt“, hingegen sollten „rassisch erwünschte“ Polen , Ukrainer und Weißruthenen „eingedeutscht“ werden. Konkret schlug dabei die schon im 19. Jahrhundert verfolgte Idee einer vorwiegend kulturellen Germanisierung der polnischen Untertanen Preußens durch Unterdrückung der angestammten Sprache und Kultur in eine rassenbiologische Auslese um , die „Aufnordung“ und „Umvolkung“ genannt wurde.26 Dieser Plan trat zwar nicht offiziell in Kraft , bestimmte aber die Hauptlinien der Besatzungs- und Vernichtungspolitik im Osten. Rücksichtslos ging man indessen meist auch mit deutschstämmigen Bevölkerungsgruppen außerhalb der Reichsgrenzen , den „Volksdeutschen“27 , um , wenn es ins politische Konzept passte. Durch Umsiedlungen , euphemistisch „Rücksiedlung“ genannt , zu denen die Betroffenen zumeist nicht gefragt wurden , verloren Tausende ihre angestammten Wohnsitze. Aus Rücksicht auf die Interessen des verbündeten Italiens wurde am 23. Juni 1939 mit Rom ein „Optionsvertrag“ geschlossen , nachdem Südtiroler auf Reichsgebiet , inzwischen einschließlich Österreich , umzusiedeln hatten , wenn sie für die deutsche Staatsangehörigkeit optierten. Infolge des Krieges wurden von den 210. 000 Menschen , die sich für Deutschland entschieden hatten , nur rund 75. 000 tatsächlich umgesiedelt. Der Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion von 1939 , der „Hitler-Stalin-Pakt“, erforderte auch hier einiges an Entgegenkommen von deutscher Seite. 1939 /40 wurden mehrere Verträge über Umsiedlungen aus verschiedenen Regionen der Sowjetunion geschlossen. Mit Rücksicht auf die Expansion der Sowjets in die baltischen Staaten Estland , Lettland und Litauen schloss man etwa am 3. November 1939 , nach der Zerschlagung und Aufteilung Polens , einen Vertrag über die Umsiedlung der „Deutsch-Balten“, die im NS -Sprachgebrauch zwecks Betonung des Deutschtums als „Baltendeutsche“ bezeichnet wurden. Sie wurden hauptsächlich in den okkupierten Provinzen Posen und Westpreußen angesiedelt. In schlechter Tradition vieler Rassentheoretiker schon des 19. Jahrhunderts werden bei Hitler die undifferenziert gebrauchten Termini „germanisch“ und „deutsch“ mit dem ethnologisch-sprachwissenschaftlichen Terminus „arisch“ semantisch gleichgesetzt , sie werden zu Synonymen , um der rassenideologischen Gegenwartsdeutung durch ein weiteres pseudo-wissenschaftliches Argument eine scheinbar welthistorische , ja sogar eine anthropologische Dimension zu verleihen. Als „arisch“ bezeichnete man , wie in Kapitel 1 bereits angemerkt , eine weitverbreitete Familie verwandter Sprachen und deren ursprüngliche Träger. Für Hitler aber steht fest :
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„Was wir heute an menschlicher Kultur , an Ergebnissen von Kunst , Wissenschaft und Technik vor uns sehen , ist nahezu ausschließlich schöpferisches Produkt des Ariers. Gerade diese Tatsache aber läßt den nicht unbegründeten Rückschluß zu , daß er allein der Begründer höheren Menschentums überhaupt war , mithin den Urtyp dessen darstellt , was wir unter dem Worte ‚Mensch‘ verstehen.“28
In der NS-Ideologie und der daraus abgeleiteten Politik werden die Termini „Arier“ und „arisch“, die geradezu selbstverständlich wie „Germane / germanisch“ und „Deutscher / deutsch“ als rassische Gegenbegriffe zu „Jude“ und „jüdisch“ zu gelten haben , noch ihre furchtbaren Konsequenzen haben. Man denke nur an die Bedeutung des „Arierparagraphen“ und des „Ariernachweises“ oder der „Arisierung“ als Instrumente der Ausgrenzung von allem Jüdischen. Berücksichtigt man die sprachhistorischen Bedingungen des Terminus „arisch“, dann bleibt indes das Problem , dass auch Romanen und Slawen am „höheren Menschentum“ Anteil hätten haben müssen , was der NS-Rassenideologie extrem zuwidergelaufen wäre. Die angeblichen Synonyme „germanisch“, auch „nordisch“, „deutsch“ und „arisch“ boten da willkommene Spielräume für sehr flexible Deutungen. Ungeachtet solcher terminologischen Unschärfen sieht Hitler als höchste Aufgabe des Staates „die Erhaltung und Steigerung der Rasse [ … ] , diese Grundbedingung aller menschlichen Kulturentwicklung“.29 Zu den von Hitler programmatisch aufgegriffenen Gemeinplätzen des Zeitgeistes gehörte natürlich auch die Furcht vor einer „Bolschewisierung“. Die im wesentlichen vom kommunistischen Spartakusbund Ende 1918 / Anfang 1919 getragenen Aufstände und weitere kommunistische Umsturzversuche im Gefolge des militärischen Zusammenbruchs hatten bei einem Großteil der Deutschen allergrößte Angst vor einem Übergreifen sowjetrussischer Verhältnisse nach der Oktoberrevolution von 1917 entstehen lassen. „Bolschewismus“ wurde schon in der Weimarer Zeit , außer aufseiten der KPD , zum Schreckwort schlechthin. Selbst auf kulturellem Gebiet operierte eine antimodernistische Propaganda mit der Stigmatisierung unerwünschter , „entarteter“ Kunst , wie schon erwähnt , als „Kulturbolschewismus“. Das NSDAP-Programm hatte in Punkt 23 gar einen gesetzlichen Kampf gegen eine Kunst- und Literaturrichtung gefordert , „die einen zersetzenden Einfluß auf unser Volksleben ausübt“. Beliebtes Schmähoder Stigmawort für diese wie andere „undeutsche“ literarische Richtungen war „Asphaltliteratur“ – ein Wort , dessen Verweis auf moderne Straßen ( Asphalt ) eine grundsätzlich antiurbane Einstellung offenbart , die aber zu den Modernisierungstendenzen der Nationalsozialisten , insbesondere der Motorisierung , in Widerstreit geriet.
Hitlers politisches Credo |
Eine besondere Schärfe erhielt die Bolschewismus-Gegnerschaft durch deren bei Hitler schon vor 1925 / 26 belegte Verbindung mit dem antisemitischen Verfolgungswahn einer „jüdischen Weltverschwörung“. Schon bei seinen rhetorischen Anfängen als sogenannter Aufklärungsredner in der Münchner Bahnhofskommandantur stand dieses Amalgam im Zentrum seiner Agitation. Sie war auch das Generalthema des späteren Chefideologen der Partei Alfred Rosenberg. Hitler spricht in „Mein Kampf“ ausdrücklich von der „Bolschewisierung Deutschlands“ als Mittel zur Eroberung der jüdischen Weltherrschaft : „Die Bolschewisierung Deutschlands , d. h. die Ausrottung der nationalen völkischen deutschen Intelligenz und die dadurch ermöglichte Auspressung der deutschen Arbeitskraft im Joche der jüdischen Weltfinanz ist nur als Vorspiel gedacht für die Weiterverbreitung dieser jüdischen Welteroberungstendenz.“30
Diese absurde Vermengung von politischen und ethnischen Themen , von Antikommunismus bzw. Antimarximus und Antisemitismus , wird die gesamte Geschichte der NS-Diktatur begleiten und zuletzt zum ideologischen Gemeingut einer deutschen Mehrheit gehören.31 Was Hitler wie seine NSDAP von der parlamentarischen Demokratie hielt , soll mit nur einem Zitat verdeutlicht werden : „Am innigsten entspricht diese Erfindung der Demokratie aber einer Eigenschaft , die in letzter Zeit zu einer wahren Schande ausgewachsen ist , nämlich der Feigheit eines großen Teils unseres ‚Führertums‘. Welch ein Glück , sich in allen wirklichen Entscheidungen hinter den Rockschößen einer sogenannten Majorität verstecken zu können.“32
Auch mit dieser Einschätzung schwimmt Hitler auf einer Welle populärer Vorbehalte gegen den Weimarer Parlamentarismus. Diese Vorbehalte wurden allerdings nicht nur aufseiten vieler intellektueller Anhänger der sogenannten Konservativen Revolution , sondern auch im Lager zahlreicher Linksintellektueller gehegt und gepflegt. Sie verachteten die Weimarer Republik als „bürgerliche“ oder als nur „formale Demokratie“.33 Hitlers Verachtung kennt dagegen keinerlei Maß. Er überschüttet die Vertreter des Parlamentarismus mit einer wahren Flut von Schimpfwörtern wie „Vertreter der Dummheit“, „blöde Nichtskönner“, „Schwätzer“, „Strauchdiebe“, „feige Lumpen“, „Pack“, „geistig abhängige Nullen“. Das einschränkende „sogenannt“ vor „Majorität“ im obigen Zitat sagt bereits viel darüber aus , was er vom Mehrheitsprinzip hält , dem er äußerst abschätzige Passagen widmet.34 Den Vertretern dieses Prinzips stellt er „große Staatsmänner“, die „großen Geister“ und den „innerlich anständigen und damit
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aber auch mutigen Mann“35 gegenüber , womit er offensichtlich solche Leute meint , die sich um Mehrheiten nicht scheren , letztlich also Diktatoren. Hitler versteigt sich schließlich sogar zu einem eigenen , „germanischen“ Demokratiebegriff , wie er ähnlich , zwei Jahre zuvor , auch von Moeller van den Bruck in dessen Buch „Das dritte Reich“ als „deutsche Demokratie“ vertreten worden war. Bei Moeller und anderen Vertretern der Konservativen Revolution finden sich ebenfalls schon alle Einwände gegen das demokratische Mehrheitsprinzip.36 Bei Hitler liest sich das wie folgt : „Dem steht gegenüber die wahrhaftige germanische Demokratie der freien Wahl des Führers , mit dessen Verpflichtung zur vollsten Verantwortung für sein Tun und Lassen. In ihr gibt es keine Abstimmung einer Majorität zu einzelnen Fragen , sondern nur die Bestimmung eines einzigen , der dann mit Vermögen und Leben für seine Entscheidung einzutreten hat.“37
Wer aber tritt noch für die real existierende parlamentarische Demokratie ein und ist ihr Drahtzieher und Nutznießer ? Der Kolumnentitel dieser Passage , „Die jüdische Demokratie“, kündigt bereits die Diffamierung an : „Daher ist diese Art von Demokratie auch das Instrument derjenigen Rasse geworden , die ihren inneren Zielen nach die Sonne zu scheuen hat , jetzt und in allen Zeiten der Zukunft. Nur der Jude kann eine Einrichtung preisen , die schmutzig und unwahr ist wie er selber.“38
Grammatisch und / oder inhaltlich unsinnige Formulierungen Hitlers wie „vollste Verantwortung“ oder „in allen Zeiten der Zukunft“ werden in der weiteren NSRhetorik zu einem wichtigen Stilmerkmal , mit dem einfache Formulierungen durch Hyperbeln , also durch Übertreibungen , ersetzt werden , die einzig und allein den Zweck verfolgen , den Durchschnittshörer oder -leser mental zu übertölpeln und für ein differenziertes Denken untauglich zu machen. Obgleich die Nationalsozialisten offiziell als Partei auftraten und sich an Wahlkämpfen intensiv beteiligten , bekämpften sie wie die KPD das Parteiensystem der Weimarer Republik aufs Schärfste , waren also an einer demokratischen Auseinandersetzung überhaupt nicht interessiert. Für die demokratischen Parteien und ihre Vertreter hatte Hitler nur abschätzige Benennungen übrig , von denen viele auch außerhalb der NSDAP gängig waren. Diffamierungen wie „Parteibürokratismus , -formalismus , -hader“ oder „morsche Parteigebilde“ waren auch sonst , vor allem in konservativen Kreisen , an der Tagesordnung.39 Beißender Spott spricht etwa aus Hitlers Formulierungen wie „diese parlamentarischen Medizinmänner der weißen Rasse“, „parlamentarische Zauberpriester
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bürgerlicher Demokratie“ oder „politisierender Dreikäsehoch“.40 Gleichsam als Leitthema für seine Verunglimpfungen muss der Vorwurf gelten , die Vertreter der Republik hätten eine „Erfüllungspolitik“ betrieben , sich also willig allen Forderungen der Kriegsfeinde unterworfen.41 Nach Zerschlagung und Verbot der übrigen Parteien gab sich die NSDAP als „die Partei“ schlechthin. Das Kürzel „Pg.“ für „Parteigenosse“ bedeutete zuletzt auch alltagssprachlich nur noch „Mitglied der NSDAP“. Der Abgrenzung gegen die übrigen Parteien diente die schon frühe Selbstcharakterisierung als „Bewegung“, so auch in „Mein Kampf“. Dieses Wort wurde nach 1933 ausschließlich der NSDAP vorbehalten. Vorbild war das gleichbedeutende faschistische „movimento“ in Mussolinis Italien. In Hitlers Propagandatheorie , die er in „Mein Kampf“ entfaltet , fällt ins Auge , dass in erster Linie Emotionen anzusprechen seien. Es geht ihm um das „Fühlen der Masse“ und um die „gefühlsmäßige Vorstellungswelt der großen Masse“. Dabei spielt weniger die Empfehlung eine Rolle , in der Propaganda „zu hohe geistige Voraussetzungen“ zu vermeiden. Vielmehr schlägt sich in diesen wie anderen Äußerungen ein genereller Antiintellektualismus nieder , der aufs Engste mit dem völkischen Gemeinplatz vom „deutschen Gemüt“ verbunden ist. Schon lange vor Hitlers Auftreten war diese angeblich deutsche Besonderheit immer wieder als eine überlegene Qualität gegen den „kalten Intellekt“ der Romanen ins Gefecht geschickt worden. Belege für diesen Gemeinplatz finden sich auch schon bei den Brüdern Grimm in ihrem Vorbehalt gegen die „kalte“ lateinische Sprache und das rational organisierte römische Recht. Dem entsprach in etwa auch das NSDAP-Programm , wenn es in Punkt 19 einen „Ersatz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemeinrecht“ forderte. Letztlich bietet auch und nicht zuletzt die zentrale NS-Rassenideologie trotz aller wissenschaftlichen Verbrämung einen nur erfühlbaren Komplex von Vorurteilen. Nicht zufällig gebraucht Hitler neben dem Terminus „Rassesinn“ auch das Wort „Rassegefühl“. Die „große Masse“ war es , die einheitlich , als Kollektiv zu fühlen hatte , gefeit gegen jeden „Überindividualismus“ und den angeblich typisch deutschen , aber unseligen „Objektivitätsfimmel“, wie Hitler die geistigen Errungenschaften der Aufklärung zu diffamieren versucht. Im zeitgenössischen Hochwertwort „Gemeinschaft“, das Hitler immer wieder zur Verschleierung seines Ziels der Entindividualisierung gebraucht42 , wurde die amorphe Masse gleichsam geadelt. Hitlers Propagandatheorie muss man freilich bescheinigen , dass darin eine außerordentlich moderne Vorstellung von Werbung zum Zuge kam , die in Grundzügen noch heute in der kommerziellen und politischen Werbung
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eine große Rolle spielt. Tatsächlich wurde erst in den Zwanzigerjahren , unter Rückgriff auf englische und amerikanische Erfahrungen , die Bedeutung der Psychologie für die ( Waren- )Werbung entdeckt.43 Wenn Hitler fordert , dass in der Propaganda nur die allerbesten „Seelenkenner“ eingesetzt werden sollten , zeigt er sich auf der Höhe dieser Innovation. „Propaganda“ war im Übrigen lange Zeit ein neutrales Synonym zu „Reklame“ und „Werbung“ und ist – in Westdeutschland – erst unter dem Eindruck der Lügenhaftigkeit des „Reichspropagandaministeriums“ unter Goebbels abgewertet worden.44 In seiner Kritik an der deutschen Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg machte Hitler deutlich , dass sie eine Grundforderung guter Propaganda verfehlt habe : die absolute Einseitigkeit der Darstellung. Auch damit stellte er bereits einen noch heute gültigen Grundsatz erfolgreicher Werbung auf. Auch dass sich eine breitenwirksame Werbung an einem niedrigen intellektuellen Niveau orientieren müsse , erscheint uns heute eigentlich nur wegen der allzu deutlichen Wortwahl Hitlers noch anstößig : „Jede Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen nach der Aufnahmefähigkeit der Beschränktesten.“45 Bei Hitler werden diese werbestrategischen Grundsätze und ihre Instrumente jedoch nicht nur für begrenzte Zwecke empfohlen und angewandt , sondern sollen der Durchsetzung einer „weltumwälzenden Bewegung“46 dienen. Dabei tritt die Propaganda mit ihren intellektuell höchst beschränkten Äußerungen gleichsam an die Stelle einer politischen Theorie. Man könnte sogar vereinfachend sagen : Die NS-Ideologie war die NS-Propaganda und umgekehrt. Hitler unterscheidet aber zwischen „Propaganda“ und „Organisation“ einer Bewegung. Das bedeutet im Sinne seiner eigenen Ausführungen : Propaganda hat die Massen für eine „Lehre“, eine „Idee“ zu gewinnen , die von einer relativ kleinen Organisation in politische Praxis umgesetzt wird , wobei auch hier eine Umkehrung erlaubt sein muss : Die politische Praxis der „Organisation“ wird in der Propaganda zur „Idee“, zur „Lehre“ stilisiert. Und Hitler schreckt schon 1925 / 26 nicht vor der Ankündigung zurück , dass die „neue Weltanschauung“ gegebenenfalls „aufgezwungen“ werden müsse : „Der durchschlagendste Erfolg einer weltanschaulichen Revolution wird immer dann erfochten werden , wenn die neue Weltanschauung möglichst allen [ ! ] Menschen gelehrt und , wenn notwendig , später aufgezwungen wird , während die Organisation der Idee , also die Bewegung , nur so viele erfassen soll , als zur Besetzung der Nervenzentren des in Frage kommenden Staates unbedingt erforderlich sind.“47
Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ |
Mit dieser Aussage war zugleich das Prinzip offengelegt , nach dem eine Riesenschar von Anhängern und Mitläufern nur dazu dienen sollte , eine Macht elite zu stützen. Einen für die NS-Propagandapraxis wichtigen Punkt spricht Hitler in Kapitel 6 an , das der Bedeutung der Rede , dem Vorrang des gesprochenen Wortes in der Massenbeeinflussung vor dem Geschriebenen gewidmet ist. Häufig ist darum auch , ganz prominent schon von Victor Klemperer , behauptet worden , dass NS -Texte eher dem Redestil verpflichtet gewesen seien als dem Ideal eines schlüssigen Gedankengangs , wie er in geschriebenen Texten zu beachten sei. Genauere Analysen von Reden Hitlers und ihren Wirkungen vor 1933 haben diesen Eindruck freilich relativiert. Auch die spätere NS-Propaganda folgte weniger einem wirklich mündlich-spontanen Stil , sondern war durchaus schrifttextlich geprägt. Der pauschale Eindruck von der Dominanz der Mündlichkeit entsteht mehr aus den argumentativen Mängeln und Brüchen in NSPropagandatexten , die insgesamt der intellektuellen Dürftigkeit der Ideologie geschuldet sind. Hitlers rhetorischer Stil war jedenfalls alles andere als spontan.
„Rassenseele des nordischen Menschen“ – Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“
Nicht nur in Hitlers „Mein Kampf“, sondern auch im weiteren NS-Schrifttum zeigt sich , dass der Nationalsozialismus keine rational nachvollziehbare Theorie hatte , sondern nur eine spezifische Mischung von zeittypischen Vorurteilen und Schlagwörtern darstellte. Aus den zahlreichen Elaboraten vor , neben und nach Hitlers „Mein Kampf“ ragt eine Grundsatzschrift mit pseudo-wissenschaftlichem Anspruch hervor : Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ von 1930 , mit dem Untertitel : „Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe“.48 Vieles zur wissenschaftlichen Qualität dieses Werks ist bereits gesagt , wenn man weiß , dass Rosenberg seit 1921 stellvertretender , ab 1923 Chefredakteur des extrem antisemitischen „Völkischen Beobachters“ war. Antisemitismus und Germanophilie waren sowohl bei Hitler als auch in Rosenbergs „Mythus“ die beiden einzigen theoretischen Klammern um das Bündel von innen- und außenpolitischen Fantasien. Hitler wie Rosenberg schürten , gestützt durch die Pseudo-Prophezeiungen der „Weisen von Zion“49 , die Angst vor einem inneren Zerfall des deutschen Volkes und einer „jüdischen Weltherrschaft“. Die Germanen , darunter allerdings nur die „blutreinen“ Deutschen , wären aufgrund ihrer rassischen Überlegenheit in der Lage , diesen Herrschaftsanspruch abzuwehren.
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Rosenberg holte freilich in seinem „Mythus“ historisch , auch kulturhistorisch und sogar anthropologisch sehr weit aus bis hin zur Feststellung einer „männlichen und weiblichen Polarität“50 , in der allein der Mann als Schöpfer kultureller Leistungen gelten sollte , während die „Fähigkeitslosigkeit“ der Frau „Folge des auf das Pflanzenhafte und auf das Subjektive gerichteten Wesens“ sei.51 Immerhin wies Rosenberg der Frau eine wesentliche Aufgabe zu : die „Rassereinheit und Rasseerhaltung“. Diese Reduktion der Frau auf ihre Mutterrolle radikalisierte in Verbindung mit der Überbewertung des „heldischen“ und kulturschaffenden Mannes in der gesellschaftlichen Praxis ab 1933 die schon traditionelle Polarisierung der Geschlechter. Sie wurde erst gemildert , als im wahrsten Sinne des Wortes Not am Mann war und die Frauen zusätzlich zu ihren Familienpflichten die Lücken im Arbeitsleben füllen mussten , welche die an den Fronten kämpfenden , vermissten oder gefallenen Männer hinterlassen hatten. Insgesamt ging es Rosenberg um eine „rassische Geschichtsbetrachtung“, in der er die „seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe“ kreuz und quer durch alle Epochen der Weltgeschichte , ob Ägyptens oder Indiens , Griechenlands und Roms , ob Chinas oder Japans , auch Englands , Frankreichs , Russlands , der USA und Preußens , herauszuarbeiten vorgab , und zwar als Wertung einer „Auseinandersetzung zwischen Blut und Blut , Rasse und Rasse , Volk und Volk. Und das bedeutet : Ringen von Seelenwert gegen Seelenwert“.52 Damit hat Rosenberg bereits einleitend alle möglichen Hochwertwörter nicht nur besetzt , sondern auch so miteinander verquickt , dass seinen Ausführungen nur noch mit einer grundsätzlichen Infragestellung jedes einzelnen Begriffs beizukommen ist. „Seele“ ist für ihn „Rasse von innen gesehen. Und umgekehrt ist Rasse die Außenseite einer Seele.“ Schnell ist in solcher Argumentation der Schritt zu einer „Rassenseele“ getan , die als Ausdruck des schöpferischen Lebens nur die Germanen , die „nordische Rasse“, in einzigartiger Weise zu repräsentieren vermöchten. Wissenschaft und Kunst wie der wahre Staat können , wie Rosenberg auf über 700 Seiten „nachweist“, nur „Schöpfungen des Blutes“, natürlich der nordischen Rasse sein. Rosenberg proklamierte sogar eine „Religion der Seele“, die das Christentum überwinden müsse. Rosenbergs Art der vorgefassten Geschichtsdeutung und entsprechend zirkelhaften Argumentation hatte bereits ihren prominenten Vorläufer in Houston Stewart Chamberlains „Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts“ von 1899 , einer ähnlich monumentalen Geschichtsklitterung , auf die sich Rosenberg auch mehrfach ausdrücklich bezieht. Den Juden aber mit ihrer „parasitären Lebensbetätigung“, ihrer „schmarotzerhaften Umwertung des schöpferischen Lebens“, ihrem „ununterbrochenen Nagen an allen Äußerungen der nordischen Seele“ will Rosenberg unter Berufung auf
Joseph Goebbels als Agitator |
einen gewissen Schickedanz53 nur den Begriff einer „Gegenrasse“ zugestehen.54 „Das vom Chaos umspülte Deutschland“ könne nur durch eine Weltrevolution gerettet werden , die „keine anderen Höchstwerte mehr neben sich“ duldet.55 Der ohnehin schon fragwürdige Gebrauch des biologischen Begriffs „Rasse“ wird im „Mythus“ insgesamt derart entgrenzt , gleichsam vergeistigt , dass er auch außerhalb rassenbiologischer Kategorisierbarkeit , also unabhängig von Bestimmungen körperlicher Merkmale des „nordischen Menschen“, für jeden politischen Zweck eingesetzt werden konnte. Auch Rosenbergs weitere Schlüsselwörter wie „Rassenangst“, „Rassenchaos“, „Rassenzucht“, „Rassenschande“ und „Rassenschutz“ waren mithin vielseitig instrumentalisierbar. Nach 1945 wurde Rosenbergs Bedeutung für die NS-Politik von interessierter Seite gern heruntergespielt. Einstige Bewunderer zumal denunzierten ihn als Vielschreiber. Tatsächlich hatte er sich seit 1918 durch eine Vielzahl von Publikationen bekannt gemacht , die einen „monomanen Antisemitismus“56 bezeugten , aber auch durch einen Kommentar zum NSDAP-Programm hervorgetan. Sein Generalthema war „Judentum und Bolschewismus“. Der „Mythus“ erreichte aber immerhin eine Auflage von einer Million Exemplaren. Rosenbergs „intellektuelle“ Unterstützung belohnte Hitler schließlich 1941 , noch vor dem Überfall auf die Sowjetunion , mit der Ernennung zum „Reichsminister für die besetzten Ostgebiete“, wo er neben Himmler eine rücksichtslose Ausbeutungspolitik betrieb. 1946 wurde Rosenberg in Nürnberg zum Tode verurteilt. „Geistige Mobilmachung“ – Joseph Goebbels als Agitator
Bei aller unzweifelhaften Bedeutung für das NS-Regime , seinen Aufstieg , seine Machtfülle , aber auch für seinen Niedergang , kann man Joseph Goebbels inhaltlich kaum eigene Beiträge zur NS-Ideologie zuschreiben. Auch waren die Eckpfeiler der NS-Ideologie , die nationale Selbstüberhebung und der Rassismus , der sich vor allem gegen „die Juden“ richtete , durch Hitler und Rosenberg fest gegründet. Goebbels war in erster Linie der rhetorische Katalysator der Parteidoktrin bzw. ihrer einzelnen Versatzstücke , die er einer „geistigen Mobilmachung“57 , wie er sein Propagandaziel nannte , zugrunde legte , und oft genug war er nur die eloquente Stimme seines Herrn. Er war kein geborener Antisemit , auch empfand er anfänglich eher gewisse Sympathien für den Marxismus. Er entwickelte sich aber zugunsten seiner Parteikarriere zur treibenden Kraft der Judenverfolgung , und zwar so sehr , dass er in seinem Übereifer sowohl beim „Judenboykott“ von 1933 als auch bei der
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„Reichskristallnacht“ 1938 von Hitler gebremst werden musste. Sein Germanistikstudium hatte er 1921 in Heidelberg mit einer Dissertation über den wenig bedeutenden romantischen Dramatiker Wilhelm Schütz abgeschlossen , die immerhin von dem jüdischen Professor Max Freiherr von Waldberg betreut worden war. Der von ihm hochverehrte Literaturwissenschaftler Friedrich Gundolf , den er sich eigentlich als Doktorvater gewünscht hatte , war ebenfalls Jude. Es waren dann aber die renommierten jüdischen Verlage , die Anfang der Zwanzigerjahre seine Stellenbewerbungen abgelehnt hatten , gegen die er zunächst aus persönlicher Enttäuschung polemisierte , was bei ihm eine Art von privatem Antisemitismus entstehen ließ. Der aber konnte sich bei seinem Eintritt in die NSDAP 1924 sehr leicht deren grundsätzlichem Judenhass anverwandeln lassen. Als Goebbels 1926 Gauleiter von Groß-Berlin wurde , beendete er dann auch konsequenterweise die enge Verbindung mit einer „Halbjüdin“, die er eigentlich hatte heiraten wollen. In der von ihm 1927 gegründeten und von ihm geleiteten rassistischen Zeitung mit dem bezeichnenden Titel „Der Angriff“ formulierte er etwa – nun ganz auf der Linie der Partei – am 30. Juli 1928 : „Der Jude ist Ursache und Nutznießer unserer Sklaverei“.58 Auf Goebbels’ persönliche Initiative geht schließlich auch zurück , dass Juden ab 1941 als Zeichen ihres Ausschlusses aus der deutschen Gesellschaft den gelben Stern tragen mussten. Zu Hitler hatte er zunächst ein gespaltenes Verhältnis , und es gab auch bis 1933 immer wieder einmal Phasen gespannter Beziehungen. Die persönliche Verehrung des Parteiführers paarte sich zunächst mit Distanz zu dessen politischer Praxis , anfangs auch mit deutlicher Kritik an Hitlers Einstellung zum Thema Sozialismus. Denn Goebbels stand dem linken , antikapitalistischen Flügel der NSDAP um die Brüder Gregor und Otto Straßer nahe , unterstützte sie als Redakteur der von Gregor Straßer herausgegebenen „Nationalsozialistischen Briefe“. In Tagebucheinträgen lässt er seiner Enttäuschung über Hitlers Haltung wie auch über gebrochene Versprechen häufig freien Lauf. Eigene Niederlagen hingegen übergeht er gern zugunsten seiner Selbststilisierung. Im innerparteilichen Konflikt aber , der später zum Bruch zwischen Hitler und der Straßer-Gruppe führte , gelang es Hitler 1926 , den innerlich widerstrebenden Goebbels auf seine Seite zu ziehen , hatte sich dieser doch als unverzichtbarer Agitator bewährt. Insgesamt hat Goebbels mehr Reden als andere , auch als Hitler selbst , gehalten. Er inszenierte dessen Auftritte , nicht zuletzt durch mitreißende Einleitungsreden. Sein Anteil an der Herausbildung des Hitler-Mythos ist kaum zu überschätzen. Nach der Katastrophe von Stalingrad springt er sogar als Redner im Berliner Sportpalast ein , als sich der Führer – sehr zum Leidwesen von Goebbels – nicht zu einer eigenen Ansprache entschließen kann. Immer und immer wieder setzt er
Joseph Goebbels als Agitator |
seine hohe rhetorische und journalistische , zugleich demagogische Begabung ein , um die NS-Diktatur zu festigen , sei es durch aggressive , sei es durch beschwichtigende Töne wie etwa in seiner Ansprache an die ausländischen Journalisten , die zur Berliner Olympiade 1936 erschienen waren. Er ist der besessene Verkünder des „Endsiegs“. Keine Beschönigung , aber auch keine Lüge ist ihm fremd. Den unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch etwa spielt er noch wie Hitler als zu meisternde „Krise“ herunter. Mit einer letzten Lüge , der Legende vom Morgenthau-Plan , wollte er die Deutschen noch einmal zum Widerstand anspornen. Ab 1933 wahrte er zu Hitler eine unverbrüchliche Treue – bis zum Selbstmord am 1. Mai 1945 , den er zusammen mit seiner Frau Magda einen Tag nach Hitlers Selbstmord im Berliner Führerbunker beging. Zuvor hatte er seine sechs Kinder getötet. In seinem Testament hatte ihn Hitler eigentlich als Nachfolger bestimmt. Als Berliner Gauleiter , der anfangs nur rund 500 Parteimitgliedern vorstand , intensivierte Goebbels mithilfe der SA in Saal- und Straßenschlachten den offenen Kampf gegen Kommunisten und Sozialdemokraten. Blutige Attacken gegen Juden waren ebenfalls an der Tagesordnung. Goebbels ließ vor 1933 – nicht zuletzt durch spektakuläre Auftritte vor Gericht , später im Reichstag – keine Gelegenheit aus , sich und seine Partei ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. 1928 wurde Goebbels Reichstagsabgeordneter , im gleichen Jahr machte ihn Hitler zum „Reichspropagandaleiter“ der Partei. Goebbels , ein äußerst begabter Organisator , setzte bereits vor 1933 alle technischen Möglichkeiten der Propaganda ein. Er nutzte für Hitlers Auftritte in großen Hallen systematisch Lautsprecher- und Übertragungstechniken , mit denen große Zuhörermengen auch außerhalb der Veranstaltungsstätten erreicht werden konnten. 1932 organisierte er für Hitler Wahlkampfreisen per Flugzeug , um ihm mehrere Auftritte pro Tag zu ermöglichen. Und er schöpfte auch sehr bald persönlich die Möglichkeiten des Rundfunks aus , indem er sich mit Livereportagen zu Wort meldete , etwa am 30. Januar 1933 , als er den Berliner Fackelzug zu Ehren Hitlers anlässlich seiner Ernennung zum Reichskanzler als Reporter enthusiastisch schilderte : „Das , was wir unten erleben , diese Tausende und Tausende und Zehntausende und Zehntausende von Menschen , die in einem sinnlosen [ ! ] Taumel von Jubel und Begeisterung der neuen Staatsführung entgegenrufen – das ist wirklich die Erfüllung unseres geheimsten Wunsches , das ist die Krönung unserer Arbeit. Man kann mit Fug und Recht sagen : Deutschland ist im Erwachen !“59
Den „Tag von Potsdam“, die Eröffnung des Reichstags am 21. März 1933 , inszenierte er als erstes mediales Großereignis , das er den Rundfunkpraktikern kurz darauf als Vorbild empfahl :
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„Es darf in Zukunft in Deutschland kein Ereignis von politisch-historischer Tragweite geben , woran das Volk nicht beteiligt wäre. Daß das geht , das haben wir beim Potsdamer Tag bewiesen. Ich habe mit dem Herrn Reichsrundfunk kommissar diese Dinge eine Woche vorher ausführlich besprochen …“60
Eine Woche vor diesem Auftritt vor Rundfunkintendanten und -direktoren , am 13. März 1933, hatte ihn Hitler zum „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“ ernannt. Ihm fiel damit die Kontrolle und Lenkung aller Medien , der Presse , des Rundfunks und Films sowie der Literatur , Malerei und bildenden Kunst zu , eine Kontrolle , die Goebbels durch umfassende Maßnahmen der Gleichschaltung zu einem besonders effektiven Herrschaftsinstrument ausgestalten sollte. Bereits im Reichstag vor 1933 hatte er die in der NSDAP gängigen Thesen vertreten , dass der Nationalsozialismus aus dem Volk erstanden und folglich nur dem Volk als Ganzem und nicht den Sonderinteressen von Parteien und Verbänden verpflichtet sei. Das deutsche Volk sei bislang ein „Sklavenvolk“ gewesen und habe sich zweitausend Jahre nach Befreiung gesehnt. „Juden“ und „Bolschewisten“ seien für die jüngste Phase der „Sklaverei“ verantwortlich. Ihre Beseitigung sei Bedingung für die Befreiung. Dasselbe gelte für die unfruchtbare Parteienvielfalt , die den wahren Bedürfnissen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden sei. Allein die Nationalsozialisten würden diese Bedürfnisse kennen und sie ernst nehmen. Was man nach 1918 als „Demokratie“ bezeichnet habe , verdiene diesen Namen nicht. Die Befreiung werde nach Jahren schwerer Kämpfe durch Errichtung des „neuen Reiches“ erreicht. Als die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren , konnte sich Goebbels über die frühen Zwangsmaßnahmen der Diktatur ungeniert und zynisch zugleich äußern , etwa in einer Hamburger Massenkundgebung am 16. Juni 1933 : „Unterdes nun setzen wir unsere Revolution fort. Wenn man uns entgegenhält : Ihr seid radikal ! , – dann können wir nur zur Antwort geben : Haben wir denn je behauptet , daß wir nicht radikal wären ? – Wenn man uns sagt : Ihr seid gegen die Juden ! , – dann können wir nur zur Antwort geben : Ja , habt Ihr denn angenommen , wir wären für die Juden ? [ … ] Wenn man uns vorwirft , wir gingen mit unseren Gegnern zu wenig glimpflich um , dann können wir nur sagen : Unsere Gegner sollen froh sein , daß wir mit ihnen umgehen. [ … ] Das deutsche Volk macht uns nicht etwa den Vorwurf , daß wir zu radikal seien , höchstens , daß wir zu human vorgegangen sind.“61
Joseph Goebbels als Agitator |
Schon in jener Rede vor den Intendanten und Direktoren der Rundfunkgesellschaften hatte er unmissverständlich die Gleichschaltung des Rundfunks angekündigt : „Wir machen gar keinen Hehl daraus : Der Rundfunk gehört uns , niemandem sonst ! Und den Rundfunk werden wir in den Dienst unserer Idee stellen , und keine andere Idee soll hier zu Worte kommen.“62 Analysiert man seine wie auch Hitlers Reden , findet man die These , dass NSIdeologie und -Propaganda letztlich ein und dasselbe sind , mehr als bestätigt. Die nationalsozialistische „Idee“, auch hochtrabend „Weltanschauung“ genannt , ist von einer in sich stimmigen Theorie meilenweit entfernt. Ein Zweck der Propaganda ist allerdings , die rationalen Mängel der Ideologie zu verdecken , wobei sie ungewollt deren innere Widersprüche offenbart. „Deutsches Volk“ etwa ist bei Goebbels je nach Adressatengruppe einmal nur die amorphe Masse , die er bei eigenen wie Hitlers Auftritten gern im „Taumel“ ihrer Emotionen sieht. Sie brauche eigentlich keine Theorie , sie verlange nur nach „Arbeit und Brot“. Ein anderes Mal ist dieses Volk der Träger einer „deutschen Nationalkultur“, für deren Erweis Goebbels eine schwindelerregende Kontinuität konstruiert : Darin verbindet er den oberbayerischen Holzschnitzer mit Dürer , die deutschen Dome mit den Philosophien von Kant und Schopenhauer , Goethe , Mörike und Schiller sowie Beethovens neunte Symphonie mit der preußischen Staatsidee , mit Friedrich dem Großen und Bismarck. „An dieser Kultur hatten Arbeiter und Bürger und Bauern ihren gleichen Anteil. Sie war nicht auf eine Klasse , auf einen Stand oder auf ein Bekenntnis begrenzt.“63 Das war die Rückprojektion der Vision einer klassenlosen Gesellschaft in die deutsche Vergangenheit. Aber das war natürlich zugleich die Vision einer „geistigen Vereinheitlichung“, womit Goebbels die Gleichschaltungspolitik 1933 unzweideutig ankündigte.64 Dieses deutsche Volk müsse erst durch die Nationalsozialisten zur „Volkwerdung“ geführt werden. Auch hier begegnet wieder jener innere Widerspruch zwischen Ist- und Sollzustand , der sich nur durch die dem Durchschnittshörer kaum zu durchschauende Doppelsemantik von „Volk“ auflöst : Anspruch auf die rechte Deutung hat nur der , der sich der Vereinnahmung in einem von den Nationalsozialisten geführten willenlosen Kollektiv unterwirft.
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„Höheres Menschentum“ – Der Arier- und Germanenmythos
Mindestens so häufig wie die pseudo-kulturhistorische Herleitung volklicher , „völkischer“ Einheit der Deutschen bei Goebbels war der pseudo-historische Verweis auf einen germanischen Urzustand , in dem es angeblich nur Freie gab , die dem jeweils Besten aus ihren Reihen als Führer folgten. Die ideologischen Beschwörungen eines „Germanentums“ der Deutschen hatten wie vieles im Nationalsozialismus einen langen Vorlauf. Bereits im 18. Jahrhundert beginnt mit der literarischen Hinwendung zu nordischen Themen und nordischer Mythologie eine Überschätzung des nordeuropäischen Germanentums und seiner bäuerlichen Kultur.65 „Arier“, „Germane“ und „nordischer Mensch“, entsprechend „arische“, „germanische“ und „nordische Rasse“, wurden schon früh zu synonymen Bezeichnungen eines „höheren Menschentums“. Germanenmythos und germanophiles Denken waren schon lange vor Hitler verbreitet , man denke nur an die Operntexte Richard Wagners mit ihren Anleihen bei der germanischen Mythologie und dem Versuch , den germanischen Stabreim wiederzubeleben. Dass ausgerechnet das im Blutrausch endende „Nibelungenlied“ im 19. Jahrhundert zum deutschen Nationalepos avancieren sollte , zeigt in der Rückbesinnung auf das Germanentum einen zukunftsfeindlichen , in mancher Hinsicht sogar nekrophilen Grundzug , der als Ausdruck eines generellen Todes- und Untergangstriebs gewertet werden kann. Die „Nibelungentreue“, das unerschütterliche, tapfere Durchhalten bis zum Tod , war spätestens seit 1909 zum politischen Schlagwort geworden , nachdem der damalige Reichskanzler Fürst von Bülow in einer Reichstagsrede am 29. März 1909 die Bündnistreue zu Österreich-Ungarn damit umschrieben hatte. Der Vergleich mit dem blutigen Untergang der Burgunder wurde erst recht nach der Katastrophe von Stalingrad 1943 beschworen. Hermann Göring etwa verglich in einer Rede vor Wehrmachtsangehörigen am 30. Januar 1943 , die als „Nibelungen-Rede“ bekannt wurde , das Gemetzel in Etzels Halle mit der Vernichtung der 6. Armee , sah im neuerlichen Untergang gleichwohl einen „Stempel zum Endsieg gesetzt“: „Und aus diesen gigantischen Kämpfen ragt nun gleich einem gewaltigen , monumentalen Bau Stalingrad , der Kampf um Stalingrad heraus.“66 Zu welch abenteuerlichen germanisierenden Geschichtsanleihen insbesondere die SS unter ihrem extrem germanophilen Reichsführer Himmler fähig war , geht aus einem ihrer „Leithefte“ zu Beginn des Krieges gegen die Sowjet union hervor :
Der Arier- und Germanenmythos |
„Was aber den Goten , Warägern und allen einzelnen Wanderern aus germanischem Blut nicht gelang – das schaffen jetzt wir , ein neuer Germanenzug , das schafft unser Führer , der Führer aller Germanen. [ … ] Wieder reiten die Goten , seit dem 22. Juni 1941 – jeder von uns ein germanischer Kämpfer !“67
Ab 1942 wurden die in den besetzten Gebieten stationierten SS-Verbände überdies in „Germanische SS“ umbenannt , sie schworen ihren Treueid „Adolf Hitler als dem germanischen Führer“.68 Den germanischen Heldensagen entnahm man schon lange vor 1933 , erst recht aber nach dem NS-Machtantritt jenen Begriff des Helden und des Heldenhaften , der grundsätzlich tote Krieger , die in einem aussichtslosen Kampf untergegangen waren , als Vorbilder pries. Bereits im Deutsch-französischen Krieg von 1870 /7 1 war das Sterben im Kampf zum „Heldentod“ stilisiert worden. Die Umbenennung des Volkstrauertags in „Heldengedenktag“ 1934 war einer der unübersehbaren Beweise für diese nekrophile Orientierung. Sie setzte sich fort in der Neubenennung von Kriegerdenkmälern als „Heldendenkmäler“. An den Fronten des Zweiten Weltkriegs wurden die Gefallenen , wenn sie nicht in einzelnen „Heldengräbern“ verscharrt wurden , auf „Heldenfriedhöfen“ beigesetzt. Zweieinhalb Wochen nach Görings „Nibelungen-Rede“ feierte Goebbels in seiner „Sportpalastrede“ die katastrophale Niederlage an der Wolga , mit Göring gleichgestimmt , als das „große Heldenopfer , das unsere Soldaten in Stalingrad brachten“.69 Zur Demonstration ihrer Assimilation wählten bis 1933 sogar deutsche Juden für ihre Kinder nicht selten Namen aus der germanischen Heldensage wie Siegfried oder Siegmund. Entsprechende germanische bzw. altdeutsche Namensgebungen , die schon im 19. Jahrhundert aus nationalistischen Motiven propagiert worden waren , nahmen dann ab 1933 unter den „arischen“ Deutschen extrem zu. Besonders beliebt wurden Namen wie Brunhild , Gerhard , Gudrun , Hagen , Helga , Ingrid , Kriemhild und Volker. Der Anteil echter germanischer und germanisierender Vornamen von Neugeborenen erreichte 1940 seinen Höhepunkt , freilich gestützt durch entsprechende Publikationen70 und offizielle Namenslisten , die über Standesbeamte und in den „Deutschen Einheits-Familienstammbüchern“ Eltern eine solche Namensgebung dringend nahelegten.71 Gleichzeitig gab es diskriminierende Vorschriften für die Vornamenswahl bei jüdischen Kindern. Ab 1943 freilich nahm die Attraktivität germanischer und altdeutscher Vornamen für Kinder „arischer“ Eltern wieder deutlich ab. Selbst noch der letzte verzweifelte Versuch , sich gegen die unabwendbare Niederlage zu stemmen , erhielt eine Bezeichnung aus der germanischen Mythologie : „Werwolf“ – die Bezeichnung eines Wechselwesens , das tagsüber
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als scheinbar harmloser Mensch ( germanisch „wer“ = „Mann / Mensch“ ) auftritt , nachts aber als Wolf wütet.72 Aber auch der Putschplan des militärischen Widerstands um Claus Schenk Graf von Stauffenberg trug einen Decknamen aus der germanischen Mythologie : „Operation Walküre“. Walküren waren jene weiblichen Geistwesen im Gefolge Odins / Wotans , die etwa in Schlachten eingriffen.73 „Operation Walküre“ war freilich bereits seit 1941 das Codewort der Wehrmacht für die Niederschlagung möglicher Aufstände in Deutschland. In der Praxis der Politik ab 1933 freilich stieß sich der Germanenmythos mit den unübersehbaren Modernisierungsschüben , welche die Nationalsozialisten in ökonomischer , technischer und gesellschaftlicher Hinsicht bewirkten. Die forcierte Industrialisierung Deutschlands und die damit einhergehende Formierung einer Massengesellschaft stellten faktisch die denkbar weiteste Entfernung von den Bedingungen dar , unter denen die historischen Germanen einst gelebt hatten.74 Schon die gigantomanische Planung Albert Speers für eine „Welthauptstadt“ auf dem Boden Berlins mit Namen „Germania“ machte den Widerspruch zwischen moderner , stadtgeprägter Massengesellschaft und rückwärts gewandter Bauernideologie mehr als sinnfällig. Allein das für „Germania“ geplante „Haus des Volkes“ mit einer Kuppelhöhe von 320 Metern sollte 180. 000 Menschen fassen. In einem Befehl Hitlers vom 25. Juni 1940 hieß es dazu : „Berlin muß in kürzester Zeit durch seine bauliche Neugestaltung den ihm durch die Größe unseres Sieges [ über Frankreich ] zukommenden Ausdruck als Hauptstadt eines starken neuen Reiches erhalten.“75 Bereits ab 1938 ließ Speer zahllose Häuser räumen , um durch ihren Abriss Platz für seine Neubauten zu gewinnen. In Speers Verantwortung fiel dabei auch die Deportation von 75. 000 Berliner Juden , deren Häuser und Wohnungen ihm im Wege standen. Die Umgestaltung Berlins sollte bis 1950 vollendet sein. Weitere städtische Neugestaltungen waren für München , Linz und Hamburg geplant.
„Ahnenforschung“ und Konstruktionen arisch-germanischer Kultur
Die sogenannte Ahnenforschung , die insbesondere von der 1937 gegründeten SS -Forschungsgemeinschaft „Ahnenerbe“ betrieben wurde , ging weit über einen konkreten Gebrauchswert , die Erstellung eines amtlich vorgeschriebenen und erstellten „Ahnenpasses“ zum Nachweis arischer , möglichst „deutschblütiger“ Abstammung des Inhabers , des sogenannten Ariernachweises , hinaus. Der „Ahnenpass“ war nicht irgendein genealogisches Papier , sondern ein
Konstruktionen arisch-germanischer Kultur |
Herrschaftsinstrument , das über die berufliche wie private Zukunft entschied. Dazu passt , dass Ahnenforschung im „Ahnenerbe“ nicht nur der Produktion pseudo-wissenschaftlicher Publikationen und Dokumentarfilme diente , sondern auch die aktive Mitwirkung an Mordaktionen , etwa im KZ NatzweilerStruthof , einschloss. Wissenschaftler wie Scharlatane versuchten darüber hinaus , die Existenz einer „arisch-germanischen Herrenrasse“ bereits in fernsten Vergangenheiten nachzuweisen. So datierte man etwa das Alter der ägyptischen Cheops-Pyramide als Zeugnis einer „germanischen Hochkultur“ weit hinter den wissenschaftlich beweisbaren Baubeginn zurück. Auch mit Expeditionen und rassekundlichen Untersuchungen , sogar in Peru und Tibet , suchte man nach Beweisen für die angeblich über die Erde zerstreute „Herrenrasse“. Insbesondere die SS konstruierte in ihren Symbolen und Ritualen eine pseudogermanische Tradition. Jedermann sichtbar war bereits die Verwendung von Runen76 , speziell die runische Wiedergabe der Buchstaben „SS“ als Verdoppelung der germanischen „Sigrune“. Dafür wurden in Setz- und Schreibmaschinen sogar eigene Zeichen einmontiert. Auch die „Lebensrune“ und ihre Umkehrung als „Todesrune“, die Geburts- bzw. Sterbedaten markieren sollten , wurde allgemein bekannt.77 Wo im Krieg eine noch einigermaßen würdige Beerdigung von Gefallenen möglich war , erhielten die Gräber zwar meist ein Kreuz mit den Personaldaten des Toten , die Gräber von SS-Angehörigen dagegen eine Holzkonstruktion in Form der Todesrune. „Thingplätze“, auf denen unter anderem Propagandathemen in Sprechchorform als kultische „Thingspiele“ aufgeführt wurden , sollten in ihrer Bezeichnung wie ihrer Nutzung an die Orte erinnern , an denen einst die Germanen ihre Volksund Gerichtsversammlungen , das Thing , abgehalten hatten.78 Die Bezeichnung „Thing“ für eine Versammlung war im Übrigen bereits in der bündischen Jugend vor 1933 gebräuchlich , teilweise sogar noch nach 1945. In den gleichgeschalteten und von der SA dominierten Sportvereinen wurde das Amt eines „Dietwarts“, neuhochdeutsch : eines „Volkswarts“79 , eingeführt , der über die „völkische“ Haltung der Sportler zu wachen hatte. Sonnwendfeiern , jeweils am 23. Juli und am 21. Dezember , sollten mit ihrer Lichtsymbolik an einen angeblich germanischen Sonnenkult anknüpfen. Im Schulunterricht wurde die Entstehung des Hakenkreuzes von einem zu Tal rollenden brennenden Sonnwendrad abgeleitet. Mit der Feier im Dezember versuchte man – allerdings wenig erfolgreich – das christliche Weihnachtsfest durch ein „Julfest“ mit Entzünden eines „Julleuchters“ und Liedern , die frei von christlichen Anklängen waren , zu verdrängen. Eine noch milde sprachliche Umdeutung von Weihnacht( en ) war die Festbezeichnung
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„Weihenacht“, so in einer Schrift des SS-Hauptamts 1941. Auch die Halle des germanischen Gottes Odin / Wotan , die Aufenthaltsort der gefallenen Krieger sein sollte , wurde an prominenter Stelle berufen. Hitler rief am 6. August 1934 bei der Beisetzung Hindenburgs im Denkmal von Tannenberg / Ostpreußen dem Verblichenen nach : „Toter Feldherr , geh nun ein in Walhall !“ Hitler hat offenbar mehrfach die Überzeugung vertreten , dass der „Deutsche Gruß“, auch „Führergruß“ genannt , „etwa der gleiche wie der alte Deutsche Gruß der Germanen“ sei , wie aus einem Schreiben Martin Bormanns , Hitlers Sekretär , an Heinrich Himmler noch vom 8. Januar 1945 hervorgeht.80 Die „Dienststelle Rosenberg“ hat diese Vermutung durch eigene „Forschungen“ zu untermauern versucht , mit Belegen aus der altnordischen „Edda“, mit einem Münzbildnis Theoderichs des Großen und mit einer römischen Mosaikdarstellung eines Vandalenkriegers. Dass die fragliche Grußgeste primär für römische Herrscher charakteristisch war , weswegen sie auch „Cäsarengruß“ genannt wird und im italienischen „Faschistengruß“ unter Mussolini nachgeahmt wurde , passte eigentlich nicht ins germanophile Bild. Ähnlich unstimmig war , dass die SS – wie etwa schon die Jugendbewegung – auch mittelalterliche Reminiszenzen , die mit Germanentum absolut nichts mehr zu tun hatten , in ihre Germanenadaption aufnahm , insbesondere den Ordens-Gedanken , aber auch Himmlers persönlichen Kult um König Heinrich I. ( 919–936 ).81 Das bekannte Hitler-Bild von 1934 / 36 „Der Bannerträger“ des Malers Hubert Lanzinger zeigte übrigens den Diktator in spätmittelalterlicher Ritterrüstung. In der germanisierenden NS-Rechts- und Sozialordnung spielte die „Sippe“ eine wichtige Rolle. Angehörige der SS hatten sogar ein „Sippenbuch“ zu führen , das als Nachweis ihrer Rassereinheit galt und die Voraussetzung für eine Heiratsgenehmigung durch den „Reichsführer SS “ war. Die Sippenforschung in einer eigens geschaffenen Reichsstelle , 1940 „Reichssippenamt“ genannt , war insbesondere für den erb- und rassekundlichen Abstammungsnachweis zuständig. Bei Sippen „mit gemeinschaftsunfähigen Sippenmitgliedern“, wozu neben Verbrechern auch „rassisch Anomale“ gezählt wurden , betrieb man eine „erbbiologische Bestandsaufnahme“. Zum pseudo-juristischen Instrument wurde die „Sippenhaft“ bzw. „Sippenhaftung“, das heißt eine Haftung von Verwandten für straffällig gewordene Angehörige. Dieses Repressionsinstrument wurde in großem Umfang vor allem gegen die nächsten Angehörigen von Widerstandskämpfern im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 eingesetzt. Es bedeutete eine Inhaftierung , sogar in KZs , und ging weit über eine Beugehaft hinaus , weil es auch Folgen für das Vermögen der Inhaftierten hatte und sogar ihre Ermordung möglich machte. Am 3. August 1944 kündigte Himmler auf
Verklärung des germanischen Bauerntums |
einer Gauleitertagung in Posen die Ausweitung dieses Vorgehens durch eine „absolute Sippenhaftung“ an : „Dann werden wir hier eine absolute Sippenhaftung einführen. Wir sind danach schon vorgegangen und [ … ] es soll uns ja niemand kommen und sagen : das ist bolschewistisch , was Sie da machen. [ … ] das ist gar nicht bolschewistisch , sondern sehr alt und bei unseren Vorfahren gebräuchlich gewesen. Sie brauchen bloß die germanischen Sagas nachzulesen.“82
Vorher war jedoch schon ein anderes altdeutsches , „germanisches“ Wort zu neuen Ehren gekommen : der „Gau“ als Organisationsterminus der NSDAP wie des NS-Staates.83 Darüber hinaus wurde im Führerstaat Hitlers „Gefolgschaft“ als angebliches Kennzeichen germanischer Treue generell zum Inbegriff totaler Unterordnung. Sogar die Belegschaften von Unternehmen wurden in kollektive „Gefolgschaften“ uminterpretiert. Was in Betrieben heute oft Sozialraum genannt wird , hieß „Gefolgschaftsraum“. Solche Räume waren bei entsprechender Größe auch zum gemeinsamen Abhören von Führerreden eingerichtet. Erst einige Jahre nach dem Krieg entmystifizierte die Altnordistik die lange Zeit geltende Vorstellung einer angeblich willenlosen germanischen Gefolgschaft. Das immer wieder , nicht nur beim Militär , berufene Prinzip des blinden Gehorsams war dem historischen Germanentum mit Sicherheit völlig fremd. Und geradezu selbstverständlich berief sich Hitler in „Mein Kampf“ auf angeblich germanische Vorbilder , als er für die Deutschen die „wahrhaftige“, auf das Führerprinzip gegründete Demokratie neu erfand , eben die „germanische Demokratie“. „Germanisches Reich deutscher Nation“ und „Großgermanisches Reich“ nannten sich die Visionen für die angestrebte Herrschaft über Europa.
„Blut und Boden“ – Die Verklärung des germanischen Bauerntums
Der NS-Germanenmythos beinhaltete nicht zuletzt die Überzeugung , dass das Bauerntum die Grundlage germanischer Rassereinheit gewesen sei , die wiederherzustellen vor allem dieser Bevölkerungsschicht obliegen sollte. Bereits in der Propaganda vor 1933 wurde versucht , in der ländlichen Bevölkerung ein Bewusstsein dafür zu wecken , dass die Bauern die eigentliche Verkörperung der „germanisch-nordischen Rasse“ seien. Das auf diese Weise idealisierte Bauerntum sollte ein Gegengewicht gegen städtische Lebensformen bilden , die in neoromantischer Sicht – gegen alle sozialgeschichtlichen Erfahrungen
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und auch gegen die gleichzeitig betriebene Industrialisierung – zutiefst beargwöhnt wurden. Davon profitierte auch jene Richtung der Heimatkunst , die in Dichtung und bildender Kunst bäuerliches Leben verklärte. Mit dieser Verklärung ließ sich eine weitere Verunglimpfung des jüdischen Bevölkerungsteils verbinden : Juden verkörperten danach ein „Nomadentum“, dem die bäuerliche Bodenständigkeit entgegenzusetzen sei. Das Bauerntum sei darum berufen , in der Einheit von „reinem Blut“ und gesichertem Boden einen wesentlichen Beitrag zur „rassischen Wiedergeburt“ der Deutschen zu leisten. In praktische Politik wurde dieser Gedanke im „Reichserbhofgesetz“ vom 29. September 193384 umgesetzt , das einen engen Zusammenhang von bäuerlicher Bodenbindung und „Blutreinheit“ der Bauern herstellte , der unter der Formel von „Blut und Boden“ propagiert wurde.85 Bereits eingangs der Präambel hieß es : „Die Reichsregierung will unter Sicherung alter deutscher Erbsitte das Bauerntum als Blutquelle des deutschen Volkes erhalten.“ Was sich wie eine Wiederherstellung einer „alten deutschen Erbsitte“ gab , war in Wirklichkeit eine ideologisch und politisch motivierte Einebnung von bis dahin in Deutschland nebeneinander geltenden unterschiedlichen Formen des bäuerlichen Erbrechts. In jedem Fall wurde dadurch das bürgerliche Erbrecht beseitigt. Die zunächst plausibel klingende Absicht war : „Die Bauernhöfe sollen vor Überschuldung und Zersplitterung im Erbgang geschützt werden , damit sie dauernd als Erbe der Sippe in der Hand freier Bauern bleiben.“ Dieses Gesetz definierte den „Erbhof“, der das „Odal“, eine angeblich uralte Eigentumsform , wiederherstellen sollte. Odal wurde in der zeitgenössischen Kommentierung des Gesetzes als „das unverkäufliche Lehen des urgermanischen Bauern“ bezeichnet.86 Ein Erbhof durfte nun reichsweit nur noch an einen einzigen Erben , den „Anerben“87 , weitergegeben werden , der „deutscher Staatsbürger , deutschen oder stammesgleichen Blutes und ehrbar“ zu sein hatte. Paragraph 13 ( 2 ) dekretierte ausdrücklich : „Deutschen oder stammesgleichen Blutes ist nicht , wer unter seinen Vorfahren väterlicher- oder mütterlicherseits jüdisches oder farbiges Blut hat.“ Nur der Eigentümer eines Erbhofs durfte fortan „Bauer“ heißen. Eigentümer oder Besitzer anderen agrarisch genutzten Grundeigentums sollten als „Landwirte“ bezeichnet werden. Davon abweichende Benennungen mussten in den Grundbüchern korrigiert werden. Die mit diesem Gesetz befohlene massive Einschränkung des Erbrechts und damit generell bäuerlicher Selbstbestimmung führte freilich zu einer Fülle von Streitfällen vor den „Anerbengerichten“. Das Ziel einer weiteren Verbäuer lichung der deutschen Gesellschaft verband sich dann allerdings sehr schnell
Deutsch als Sprache des „Herrenvolks“ |
mit den NS-Expansionsplänen , durch die neuer Raum für eine möglichst autarke Agrarwirtschaft geschaffen werden sollte. Einer der prominentesten Verfechter dieser Ideen war der Diplom-Landwirt Richard Walther Darré , der 1930 der NSDAP beitrat. Im selben Jahr veröffentlichte er sein Hauptwerk „Neuadel aus Blut und Boden“. Bereits 1931 wurde er Leiter des „SS-Rasse- und Siedlungshauptamts“ und 1933 Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft sowie 1934 „Reichsbauernführer“. Hitler sah wohl den inneren Widerspruch zwischen seiner eigenen Modernisierungspolitik und den einseitig auf das Bauerntum konzentrierten Ideen Darrés , duldete aber dessen politischen Einfluss noch bis 1942. Schließlich verlor Darré alle seine Ämter. „Nur ein deutschsprechendes deutsches Volk kann Herrenvolk werden und b leiben“
Nahtlos ließen sich mit dem Germanenmythos alle jene schon älteren Tendenzen verbinden , die über eine „Reinhaltung“ der deutschen Sprache das nationale Selbstbewusstsein wecken und stärken wollten. Auf diesem Feld hatte sich , nach ähnlichen Bestrebungen , die bis ins 17. Jahrhundert zurückreichten , der 1885 gegründete „Allgemeine Deutsche Sprachverein“ ( A DS ) mit zahl reichen , oft erfolgreichen Empfehlungen für den öffentlichen Sprachgebrauch hervorgetan. Ein wesentlicher Programmpunkt des ADS war die Bewahrung der deutschen Sprache vor sogenannten Fremdwörtern. Die Gründung des ADS und sein Erfolg in breiten Bevölkerungsschichten sind vor dem Hintergrund des nationalen Hochgefühls nach dem deutschen Sieg über Frankreich und der Gründung des Deutschen Reiches 1871 zu sehen. Dabei kamen insbesondere die seit den antinapoleonischen Befreiungskriegen 1813–15 gewachsenen Widerstände gegen den Einfluss der französischen Kultur und Sprache , die sogenannte Verwelschung , zum Tragen. Im politischen und wirtschaftlichen Wettkampf des neuen Reiches mit Großbritannien wurden zusätzlich antienglische Ressentiments wirksam. Der Altphilologe Hermann Dunger veranlasste 1899 im ADS eine Entschließung „Wider die Engländerei in der deutschen Sprache“. Die Forderungen nach deutscher Sprachreinheit gingen im ADS so weit , dass sogar Hunden nur noch deutsche Namen zu geben seien. Der verlorene Erste Weltkrieg förderte zwischen 1918 und 1933 nicht gerade eine allgemeine Sympathie für die französische und englische Sprache , so dass die Fremdwortjäger schon vor 1933 auf allgemeine Sympathien stoßen konnten.
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Schon 1923 hatte sich der ADS in „Deutscher Sprachverein“ ( DSV ) umbenannt. Mit dem NS-Machtantritt sahen die deutschtümelnden Kräfte im DSV erst recht ihre Stunde gekommen. Mit rassistischer , auch dezidiert antisemitischer Stoßrichtung gaben sie die Parole aus : „Sprich deutsch , Sprache ist Volk , Volk ist Sprache ! Nur ein deutschsprechendes deutsches Volk kann Herrenvolk werden und bleiben.“ Es gelang tatsächlich , eine Reihe von Eindeutschungen weitgehend durchzusetzen , so wurden Parteifunktionäre zu „Amtswaltern“, Juristen zu „Rechtswahrern“, Redakteure zu „Schriftleitern“, Regisseure zu „Spielleitern“, das Telefon zu „Fernruf“. Text und Musik wurden beispielsweise im HJ-Liederbuch zu „Dichtung und Weise“. Die Psychiatrie wurde – freilich auch mit inhaltlicher Veränderung – zur „Deutschen Seelenheilkunde“. Das Berliner Olympia-Stadion , Zentrum des „Reichssportfelds“, wurde zur „Deutschen Kampfbahn“. Auch in Frankfurt am Main wurde das Stadion einschließlich des offiziellen Namens einer Bahnstation in „Sportfeld“ umbenannt. Ganz ließ sich aber das Eindringen auch neuester Fremdwörter nicht verhindern. So scheint etwa der Amerikanismus „Shopping“ für Schaufenster- / Einkaufsbummel , den man gern für ein Fremdwort gehalten hätte , das erst Jahrzehnte nach 1945 eingeführt worden sei , bereits 1936 allgemein bekannt gewesen zu sein. Denn in einer Rundfunkreportage von den Olympischen Spielen in Berlin berichtete die deutsche Betreuerin des kanadischen Schwimmerinnenkaders , dass die „Mädels“ ihre Freizeit auch für Shopping genutzt hätten , ohne dass dabei eine deutsche Worterklärung gegeben wurde.88 Dabei war das letzte Heft einer 26 Nummern umfassenden Reihe von „Olympia-Heften“ gerade wünschenswerten Verdeutschungen gewidmet : „Das Olympia-Heft Nr. 26 erschließt die Geheimnisse der Sportsprache. Es räumt endlich einmal mit der Fremdwörtersucht im überladenen Sportbericht auf und ist ein Verdeutschungsheft in neuer Form , eine spannende Abrechnung.“89
Auch der Verdeutschung französischer Modetermini widmete man sich – mit einem bis heute wirkenden Teilerfolg.90 Von den deutschen Übersetzungen französisch benannter Modefarben etwa haben sich zwar nur wenige halten können , beispielsweise „altrosa“ für vieux rose oder „himbeerrot“ für framboise , während Ersatzvorschläge wie „neurot“ für aubergine oder „veilchenblau“ für violet keine Chance bekamen. 1935 wurde die Arbeit des DSV staatlicherseits durch Gründung eines „Deutschen Sprachpflegeamts“ unterstützt , doch sollte diese Institution die Sprachentwicklung im Wesentlichen beobachten und nur in Maßen beeinflussen , Sprachvorschriften zu erlassen war diesem Amt dagegen untersagt.91 Dies ist
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ein früher Hinweis auf das wachsende Misstrauen , das die NS-Führung gegen ein Zuviel an Sprachpflege hatte , die nicht eigenem Gutdünken entsprang. Diesem aber entsprach schon eher das offizielle Verbot , weiterhin von „Klassen“ zu sprechen , da nun alle Deutschen gleiche Rechte und Pflichten hätten. Auch wurde ein nur noch eingeschränkter Gebrauch von „Demokratie“, „Emigrant“, „international“, „liberalistisch“ und „pazifistisch“ zugelassen.91 Auf dem Gebiet der Orts- und Städtenamen konnte sich die Tendenz , alles Nichtdeutsche zu tilgen , durchsetzen , weil sie mit den Absichten der offiziellen Politik völlig konform ging. So wurde etwa 1936 der halbfranzösische Städtename Saarlouis in „Saarlautern“ verändert. Selbst der vor der Einrichtung des „polnischen Korridors“ von 1919 schon vorhandene halbwegs deutsche Name der Ostseehafenstadt Gdingen ( polnisch Gdynia ) wurde 1939 im wahrsten Sinne des Wortes germanisiert : Fortan sollte die Stadt „Gotenhafen“ heißen. Slawische Ortsnamen in Ostpreußen wurden systematisch eingedeutscht. Die deutsche Besetzung polnischer und französischer Gebiete führte insgesamt zu zahlreichen Umbenennungen von Ortsnamen. Dem „Großen Conti-Atlas für Kraftfahrer“93 etwa wurde außer Korrekturen im Kartenteil , bei denen polnische und französische Ortsnamen durchgestrichen und durch deutsche Namen ersetzt worden waren , ein 52-seitiges „Verzeichnis umbenannter Ortsnamen“ mit mehr als zweitausend Umbenennungen beigefügt. Aber auch auf Familien mit nichtdeutschen , meist slawischen Namen , insbesondere in Ostpreußen , aber auch im übrigen Reich , übte die NSDAP Druck aus , sich einen „deutschen“ Namen zuzulegen. Nur wenig erfolgreich war indes der Versuch deutschtümelnder Kreise , die längst eingebürgerten lateinischen Monatsnamen durch ältere deutsche Termini wie „Hartung“ für Januar , „Hornung“ für Februar oder „Lenzing“ für März wieder zu verdrängen. Offiziell wurden diese Archaismen jedenfalls nicht verwendet. Schließlich ging der NS-Führung der puristische Eifer des DSV doch eindeutig zu weit. Die vom DSV vorgeschlagenen Verdeutschungen von Fremdwörtern , etwa „fühligen“ statt emotionalisieren , „Gewerbsamung“ statt Industrialisierung , „Selb“ statt Automat , „Vernunfttum“ statt Rationalismus oder „Weibischtum“ statt Feminismus , wurden nicht mehr akzeptiert. Man wollte nicht auf längst allgemein akzeptierte Entlehnungen verzichten , aber auch nicht auf politisch-ideologische Termini wie „Appell“, „Dynamik“, „Euthanasie“, „Fanal“, „fanatisch“, „Garant“, „Konzentrationslager“, „Plutokratie“ oder „Propaganda“. Im November 1940 verbot Hitler in einem persönlichen Erlass „die künstliche Ersetzung längst ins Deutsche eingebürgerter Fremdwörter“.94 Damit wurde der DSV bedeutungslos und ging 1945 endgültig unter. Die auf
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dem Höhepunkt des Luftkriegs amtlich verordnete Ersetzung von „Katastrophe“ durch „Großnotstand“ hatte eigentlich nichts mehr mit sprachlichem Purismus zu tun , sondern diente in erster Linie der Verharmlosung. Zweifellos war der Versuch , das kulturelle und politische Leben der Deutschen einer Vorstellung von germanischer oder arischer Ursprünglichkeit anzupassen , die auffälligste Komponente der NS-Ideologie. Doch war dieser Versuch schon deswegen zum Scheitern verurteilt , weil er – gegen alle anders lautenden Behauptungen – von keiner einheitlichen Idee geleitet sein konnte. Vielmehr erschöpfte er sich in einer Addition selektiv bemühter und willkürlich gedeuteter historischer Reminiszenzen , die sich teils gegenseitig ausschlossen , teils mit den Bedürfnissen der praktischen Politik kollidierten.
„Neue Weltanschauung“ im Spiegel der Schlüsselbegriffe
Auch wenn die NS-Terminologie und -Argumentation alles andere als in sich stimmig war und in der Propaganda – wie Hitler ausdrücklich in „Mein Kampf“ ausführt – in erster Linie das „Fühlen der Masse“ ansprechen sollte , so schälen sich bei einer systematisierenden Betrachtung doch Konstanten und innere Zusammenhänge heraus. Wie bereits betont , kann der NS -Sprachgebrauch bereits vor 1933 durchaus als Probehandeln gedeutet werden. Das heißt : er enthält eindeutige Absichten , die ab 1933 Schritt für Schritt in praktische Politik umgesetzt werden sollten. Die NS-Strategie zielte von Anfang an auf einen Staat „Groß-Deutschland“ ( 1920 ) , in dem das deutsche Volk mit einer „starken Zentralgewalt“ einheitlich organisiert sein sollte. Die innere Organisation dieses Staates konnte nur eine „germanische Demokratie“ sein , die der zeitgenössischen , angeblich würdelosen „jüdischen Demokratie“, ihrem Parlamentarismus und ihrer Parteienvielfalt diametral entgegengesetzt war. „Deutscher“ und damit „Volksgenosse“ und „Staatsbürger“ konnte nur sein , wer der „germanischen“ bzw. „nordischen“ oder „arischen“ Rasse angehörte und „deutschen Blutes“ war. Der undifferenzierte Gebrauch von „germanisch“, „nordisch“, „arisch“ und „deutsch“ kann zwar als Beleg für eine schon traditionelle Begriffsverwirrung gelten , er erfüllte aber auf perfide Weise den Zweck , die NS-Positionen nicht nur welthistorisch und anthropologisch begründet erscheinen zu lassen. Auch machte er es möglich , die Varianten eines scheinbar identischen Begriffs nach Gutdünken einzusetzen. Die permanenten Rückgriffe auf das „Germanische“ waren nicht nur eine belanglose Attitüde , so sehr sie auch willkürlich waren , historischer Fundierung
„Neue Weltanschauung“ |
weitgehend entbehrten und in der „Blut und Boden“-Idee eines „rassereinen Bauerntums“ im Widerspruch zu Hitlers Modernisierungspolitik standen. Sie boten vielmehr willkommene Argumente für Ziele der Innen- wie Außenpolitik , konkret etwa in der Beschränkung des bäuerlichen Erbrechts , aber auch in weitgehenden Expansionsansprüchen , die dem „Volk ohne Raum“ weiteren „Lebensraum“ sichern sollten. Völkerrechtliche oder auch nur moralische Bedenken gegen gewaltsame Annexionen galten nichts angesichts der Anmaßung , dass die Deutschen – in Popularisierung eines Schlüsselbegriffs bei Nietzsche – „Herrenmenschen“ seien , die über jedem Recht stünden und eben ein eigenes „Sittlichkeits- und Moralgefühl“ hätten. Die „Erhaltung und Steigerung der Rasse“ galt als oberste Aufgabe des Staates , der sich dabei auf die Frauen stützte , die in ihrer sonstigen „Fähigkeitslosigkeit“ ( Rosenberg ) wenigstens als Mütter Wichtiges zu leisten hatten und damit den männerbündischen Wahn vieler Parteigenossen , insbesondere von SS und SA , am Leben erhalten konnten. Die „rassische Reinheit“ war Voraussetzung dafür , dem „jüdisch-materialistischen Geist“ und der „Bolschewisierung“ / dem „Bolschewismus“ als Instrument „jüdischer Welteroberungstendenz“, der „jüdischen Weltfinanz“, konkret der „Zinsknechtschaft“ entgegenzutreten. Die „Blut und Boden“-Idee sollte generell das „jüdische Nomadentum“ überwinden , das sich insbesondere in städtischen Gesellschaften ausgeprägt habe. Die Juden , im kollektivierenden Singular „der Jude“, wurden als Urheber und Förderer von Marxismus und Bolschewismus gesehen , in Hitlers Augen eine „Weltpest“. Im Kampf mit deren „zersetzenden“ Tendenzen musste auch das spezifische „Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse“ aktiviert werden. In einem „großdeutschen Reich“ standen daher Juden nicht dieselben Rechte zu wie den „blutechten“ Deutschen. Juden wie andere „Nichtdeutsche“ sollten stärksten Beschränkungen unterliegen. Die Echtheit des „Blutes“, jenes schillerndsten Schlüsselbegriffs der Rassentheorie , wurde indes nicht nur an physischen Merkmalen gemessen , sondern sie prägte sich angeblich zugleich in inneren , geistig-seelischen Werten , bei Rosenberg in der „Rassenseele“, aus. Biologische und charakterliche Kriterien konnten dabei wahlweise gegeneinander ausgespielt werden , wie dies schon am Ende des 19. Jahrhunderts „theoretisch“, vor allem bei Houston Stewart Chamberlain , vorexerziert worden war. Dieses Gebräu erhielt den anspruchsvollen Namen „neue Weltanschauung“, die durchzusetzen es einer „weltanschaulichen Revolution“, gar einer „Weltrevolution“ bedurfte , in der sowohl die Ideologeme als auch die politisch-praktischen Vorstellungen der NSDAP ohne jede Toleranz für „andere Höchstwerte“ zur Geltung kommen sollten.
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Während der Begriff „national“ trotz seiner extremen Verengung auf Nationalegoismus aus dem allgemeinen Zeitgeist noch einigermaßen erklärlich blieb , changierte das Wort „sozialistisch“ zwischen sozialpolitischen Vorstellungen und einer bloßen Worthülse der Propaganda. Gemessen an der Idee internationaler Solidarität der Arbeiterklasse war das Kompositum „National-Sozialismus“ letztlich ein Widerspruch in sich. Aber es kam der erklärtermaßen antiintellektuellen NS-Propaganda nicht auf eine rationale Schlüssigkeit ihrer Terminologie an , sondern auf Gefühlswerte , die von der NSDAP ausgiebig traktiert wurden. Bereits ab 1933 wurde „national“ mehr und mehr durch „nationalsozialistisch“ ersetzt. Die angebliche „nationale Erhebung“ wurde zur „nationalsozialistischen Revolution“, und der alte , bis 1933 überparteilich gebrauchte Begriff „Volksgemeinschaft“ wurde spätestens 1938 , nach Entfernung von „Artfremden“ aus allen halbwegs wichtigen Positionen , zur „nationalsozialistischen Volksgemeinschaft“. Der Anspruch auf eine Revolution wurde nach und nach zurückgenommen. Hitler dekretierte sogar den 31. Dezember 1933 offiziell als „Tag der Beendigung der nationalsozialistischen Revolution“. Der revolutionäre Anspruch erlosch endgültig , als tatsächlich noch vorhandene revolutionäre Ambitionen in Teilen der SA und im linken Parteiflügel um die Straßer-Gruppe nicht mehr zu Hitlers Parteilinie passten , der an einer grundsätzlichen Umverteilung wirtschaftlicher Macht nicht rütteln wollte. Hitler entledigte sich der abweichenden Kräfte 1934 beim sogenannten Röhmputsch durch Mord. Für die praktische Politik vor 1933 und bis zur endgültigen Alleinherrschaft der NSDAP nach Verbot und / oder erzwungener Selbstauflösung aller anderen Parteien war charakteristisch , dass gleichsam eine Doppelstrategie verfolgt wurde. Gründung , Namensgebung und Auftreten in Wahlkämpfen zielten formal auf Anerkennung als „Partei“. Um einer Verwechslung mit traditionellen Parteien und einer Bindung an demokratische Spielregeln zu entgehen , definierte man sich gleichzeitig als „Bewegung“, ein Terminus , der auch sonst Freiheit von herrschenden formalen Bedingungen beanspruchte. Man denke nur an das Selbstverständnis in anderen historischen Bewegungen wie der Arbeiterbewegung. Setzt man die einzelnen Bestandteile der NS-Ideologie zu allgemeinen , über Deutschland hinaus reichenden Entwicklungen in Beziehung , stellt man in vielem einen Grundwiderspruch zwischen modernistischen und antimodernistischen Intentionen fest. So muss man den Biologismus der Nationalsozialisten , nicht zuletzt die Übertragung des zoologischen Rassenkriteriums auf Menschen als modernistisch bewerten , weil damit – nicht nur in Deutschland und hier auch schon vor 1933 – letztlich nur bestimmte naturwissenschaftliche
„Neue Weltanschauung“ |
Fortschritte des 19. Jahrhunderts nachvollzogen wurden. Dass mit dem Wandel von einer religiös begründeten antijudaistischen hin zu einer antisemitischen , im wesentlichen ökonomisch argumentierenden Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsteile auch letzte Bastionen ethischer Grundsätze fielen , macht die Fragwürdigkeit mancher wissenschaftlicher Fortschritte und des ihnen folgenden Machbarkeitsglaubens offenbar. Modernistisch , also auf der Höhe allgemeiner Veränderungen, war alles , was auf die Bildung einer Massengesellschaft zielte. Selbst die Beseitigung ständischer und konfessioneller Ansprüche , die sich noch im Parteien- und Verbändepluralismus von Weimar niedergeschlagen hatten , gehört in diesen Rahmen. Antimodernistisch war dagegen die Fixierung auf eine zentrale Lenkungsinstanz. Denn der Führerstaat bedeutete letztlich die Rückkehr zum monarchischen Prinzip , das sich konkret in Sprachlenkung und Medienzensur auswirkte. Der ideologische Grundwiderspruch ist besonders deutlich im Nebeneinander von rückwärts gewandter Germanophilie einschließlich ihrer Hochschätzung des Bauerntums einerseits und der Förderung von industriellem und urbanem Fortschritt andererseits zu sehen. Gleichwohl zeigte die „Blut und Boden“-Politik in der Zerschlagung bäuerlicher Traditionen auch einen modernistischen Zug. Eine Weile tolerierte das Regime auch das Nebeneinander von regionalistischer Dialektförderung und Betonung hochdeutscher Spracheinheitlichkeit , da beides „völkisch“ begründet werden konnte. Schließlich aber entschied man sich zugunsten eines modernen Einheitsstaates für eine auf allen Ebenen wirksame Geltung des hochdeutschen Standards. Damit einher ging die Zurückdrängung allzu deutschtümelnder Tendenzen bis hin zur Abschaffung der „gotischen“ Frakturschrift. Als eindeutig einer allgemeinen Modernisierung folgend ist schließlich die Nutzung moderner Medien zu bewerten. Sie ist zugleich – vor allem im Massenmedium des Rundfunks – der Beginn einer auch in anderen Gesellschaften zu beobachtenden Förderung der Oralität , also mündlicher Sprachkonventionen gegen die Dominanz schriftsprachlicher Normen. Alles in allem hat man es bei der NS -Ideologie mit einem Neben- und Gegeneinander von Modernität und Antimodernismus zu tun , das aber , wie immer wieder zu betonen war , der politischen Praxis und Propaganda der Nationalsozialisten durch flexible Handhabung der einzelnen Ideologeme weite Spielräume für totalitäres Handeln eröffnete.
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Hitler : Mein Kampf ( 1925 /26 ) : 225 ( zitiert wird die 85.–94. Aufl. 1934 ). Es gibt allerdings Argumente dafür , dass Hitler seinen extremen Antisemitismus erst mit seiner Mitgliedschaft in der Deutschen Arbeiterpartei und in der frühen NSDAP entwickelt habe ; Reuth ( 2009 ). 3 Ab Februar 1919 diente sein Regiment der bayerischen Räterepublik. Hitler kooperierte dabei mit der Propagandaabteilung der Regierung unter dem Sozialisten Kurt Eisner ( USPD ). 4 Le Bon , Gustave ( 1895 ) : Psychologie des foules ( in deutscher Übersetzung 1911 ). 5 Am 5. 1. 1919 von Anton Drexler und Karl Harrer gegründet. 6 NSDAP ( 1936 ) : 41. 7 Rohls , Jan ( 1999 ) : Geschichte der Ethik. Tübingen : 442 f. 8 S. dazu : Schmitz-Berning ( 2000 ) : 417–424. 9 Text u. a. in : http://dhm.de / lemo / htm / dokumente / nsdap25 / index.html 10 Noch während des Zweiten Weltkriegs war der Name „Tietz“ umgangssprachlich synonym mit „Kaufhof“ ( Leonhard Tietz ). Das Kurzwort „Hertie“ ( für Hermann Tietz ) lebte nach 1945 wieder auf. 11 Vgl. Bärsch ( 2002 ). 12 Moll ( 1997 ) : 391. 13 Dieser Marsch sollte in gewisser Weise den erfolgreichen Marsch auf Rom der italienischen Faschisten unter Benito Mussolini vom Oktober 1922 nachahmen. 14 Ab 21. 4. 1933 „Stellvertreter des Führers“. 15 Gesamtauflage 1934 : 1,3 Mio. Noch ist das rein quantitative Ausmaß der Rezeption , insbesondere in Leihbüchereien , nicht genau zu bestimmen ; Plöckinger ( 2006 ). 16 Lobenstein-Reichmann ( 2002 ). 17 Mein Kampf : 1. 18 Ebda. 19 Ebda. : 524. 20 Institut für Zeitgeschichte ( 1961 ). Nach 1945 galt das Manuskript längere Zeit als verschollen. 21 Mein Kampf : 361 f. 22 Vgl. auch die formale Nachbildung dieses Staatstitels in der Präambel der DDR -Verfassung , 2. Fassung 1968 : „Die DDR ist ein sozialistischer Staat deutscher Nation“; Schlosser ( 1999a ) : 51. 23 Mein Kampf : 397. 24 Ebda : 448 f. 25 Konrad Meyer konnte nach dem Krieg fast unbehelligt wieder eine Professur bekleiden. 26 Das Idealbild des „nordischen Menschen“ führte bereits vor 1933 zur verbalen Ableitung „aufnorden“, das auch für rassenhygienische Maßnahmen verwendet wurde. 27 Als „Volksdeutsche“ galten schon vor 1933 Angehörige der deutschen Sprache und Kultur , die nicht Staatsbürger Deutschlands oder Österreichs waren. 28 Mein Kampf : 317. 29 Ebda. : 430. 30 Ebda. : 703. 31 Noch in der umstrittenen Rede des ehemaligen CDU -Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann von 2003 fand sich ein Reflex dieser Geschichtsklitterung , als dort – rhetorisch 1
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Anmerkungen |
perfide formuliert – die Juden trotz ihrer Mitwirkung an bolschewistischen Verbrechen vom möglichen Vorwurf , ein „Tätervolk“ zu sein , immerhin freigesprochen wurden. 32 Mein Kampf : 89. 33 Bavaj ( 2005 ). 34 Mein Kampf : 95 ff. 35 Alle zitierten Belege im Umkreis des Zitats : Mein Kampf : 88 ff. 36 Sontheimer ( 1994 ). 37 Mein Kampf : 99. 38 Ebda. 39 Vgl. Schottmann ( 1997 ) : 358. 40 Mein Kampf : 412 ff. 41 Ebda. : 472. 42 Ebda. : 433. 43 Dazu : Nierhaus , Annette : Eine neue Orientierung der „Reklame“. In : Schlosser ( 2003 ) : 213–223. 44 In der DDR gab es dagegen bis zuletzt ein „ZK -Sekretariat für Agitation und Propaganda“, und in der frühen Nachkriegszeit hatten auch im Westen größere Unternehmen noch „Propaganda“-( = Werbe- )Abteilungen. 45 Mein Kampf : 197. 46 Ebda. : 634. 47 Ebda. : 654 , im Original gesperrt. 48 Die Wortform „Mythus“ findet sich u. a. schon bei Friedrich Nietzsche. 49 Dazu : Benz ( 2007 ). 50 Mythus : 3. Buch , Kap. II. 51 Ebda. : 483. 52 Ebda. : 1 f. 53 Damit kann nur gemeint sein : Schickedanz , Arno ( 1927 ) : Rasse und Rassenentstehung beim Menschen. Leipzig – eine von zahlreichen rasseideologischen Publikationen , die bereits vor 1933 erschienen sind. 54 Mythus : 462. 55 Ebda. : 699. 56 Piper ( 2005 ). 57 Heiber ( 1991 ) I : 90. 58 Wiederabdruck in : Der Angriff. Aufsätze aus der Kampfzeit. München 1935. – Vgl. Stein , Peter ( 1987 ) : Die NS-Gaupresse 1925–1933. Forschungsbericht , Quellenkritik , neue Bestandsaufnahme. München. 59 Heiber ( 1991 ) I : 60. 60 Ebda. : 96 f. 61 Ebda. : 119 ( Kursive = Hervorhebungen im Original ). 62 Ebda. : 87. 63 Ebda. : 55. 64 Ebda. : 99. 65 Dazu : von See ( 1970 ). 66 Text bei : Krüger , Peter : Etzels Halle und Stalingrad. Die Rede Görings. In : Heinzle , Joachim / Waldschmidt , Anneliese ( Hrsg. ) ( 1991 ) : Die Nibelungen. Frankfurt a. M.
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Hofer ( 1957 ) : Nr. 145. Gruchmann ( 1978 ) : 203. 69 Wenn jemand für einen Einsatz in der Heimat vor dem „Heldenkampf“ bewahrt wurde , etwa als der Funktionär des NS-Fußballsports Sepp Herberger Spieler vom Frontdienst befreien ließ , wurde hinter vorgehaltener Hand despektierlich vom „Heldenklau“ gesprochen. 70 Etwa Fahrenkrog , Rolf Ludwig ( 1939 ) : Deutschen Kinder deutsche Namen. Berlin. 71 Vgl. Wolffsohn / Brechenmacher ( 1999 ). 72 Es wird vermutet , die Benennung sei von Hermann Löns’ Roman „Der Wehrwolf“ ( 1910 ) angeregt worden ; Weiß , Hermann : Werwolf. In : Benz / Graml / Weiß (1998) : 803. Allerdings ist die Rückführung von „Wer-“ auf „Wehr-“ eine Volksetymologie ; vgl. auch „Wer-geld“, das die materielle Entschädigung für einen erschlagenen „Mann“ bezeichnet. 73 Vgl. auch Richard Wagners Oper „Walküre“. 74 Zum grundsätzlichen Gegensatz von Atavismus und Modernisierung : Prinz / Zitelmann ( 1991 ). 75 Heiber / Heiber ( 2001 ) : Nr. 324. 76 Die Reaktivierung von Runen war allerdings keine NS-Erfindung ; sie war bereits im 19. Jahrhundert in völkisch-rassistischen Gruppierungen beliebt. 77 Es handelte sich um die Varianten der germanischen Algiz- / Elchrune. 78 Vgl. etwa noch den Namen „Folke-ting“ für das dänische Parlament. 79 Mittelhochdeutsch „diet“ = „Volk“; Mattausch , Wolf-Dieter : Sport. In : Benz / Graml / Weiß ( 1998 ) : 251–256 ( 251 ). 80 Heiber / Heiber ( 2001 ) : Nr. 410. 81 Longerich ( 2008 ). 82 Zitiert nach : Fest ( 1973 ) : 973. 83 „Gau“ war allerdings schon im 19. Jahrhundert ein politischer Begriff , und zwar als bewusst ungenaue Bezeichnung deutscher Regionen , um die realen politischen Grenzen und Unterschiede der ( Teil- )Staaten zu umgehen , z. B. beim Wartburgfest 1817. 84 Zitate nach der Fassung von 1942 , Reichsgesetzblatt I : 549 ff. 85 Die Formel von „Blut und Boden“ findet sich nach Schmitz-Berning ( 2000 : 110 ) bereits 1901. Insgeheim wurde sie mit dem Kürzel „Blu-Bo“ ironisiert. 86 Schmitz-Berning ( 2000 ) : 446. 87 „Anerbe“ ( schon mittelhochdeutsch ) war und ist der juristische Terminus für einen bäuerlichen Alleinerben. Das Anerbenrecht galt und gilt noch heute als Sonderform in Teilen Deutschlands , in Österreich und in der Schweiz. 88 Quelle : Tonarchiv des Hessischen Rundfunks , Frankfurt a. M. 89 Ankündigung in Heft 1 der Reihe ( 1935 ) : 30. 90 Greule / Sennebogen ( 2004 ) : 216–218. 91 Bernsmeier ( 1983 ) : 56. 92 Ebda. 93 18. Auflage , ohne Jahresangabe , vermutlich 1940. 94 Vgl. Heiber / Heiber ( 2001 ) : Nr. 331. 68
3 | DER GLEITENDE ÜBERGANG ZU DIKTATUR UND IMPERIALISMUS „Nun laßt die Fahnen fliegen!“ – Die Verwandlung des Straßenbildes | 70 | „In einem sinnlosen Taumel von Jubel“ – Außersprachliche Instrumente der Propaganda | 72 | Von „Arisierung“ bis „Westwall“ – Themen und Tabus in der Alltagskommunikation | 75 | „Nationale Erhebung“ oder „nationalsozialistische Revolution“ | 79 | „Nationale Ehre wiederhergestellt“ – Der „Tag von Potsdam“ 1933 | 82 | „Aufrichtige Freunde eines Friedens“ – Hitler als „Friedenskanzler“ | 84 | „Entpolitisierung der Geistlichkeit“ – Das Reichskonkordat mit dem Vatikan | 85 | „Friedensprogramm“ und „Wehrgesetz“ – Verschleierungen aggressiver Ambitionen | 86 |
Die zwölf Jahre der NS-Herrschaft und deren kommunikative Bedingungen lassen sich nicht sauber in zwei Hälften von je sechs Jahren , in eine fried liche Hälfte bis 1939 und eine kriegerische danach , einteilen. Denn die ab 1933 zunächst geheimen Kriegsvorbereitungen bestimmten auch den privaten Alltag und seine Gespräche. Die Rekrutierung selbst von Frauen für militärische Aufgaben lange vor Kriegsbeginn , etwa der Einsatz von „Blitzmädels“ im Funkverkehr , wurde ebenso zum Gesprächsthema wie die sehr frühen Luftschutzübungen. Ab 1936 bauten überdies Tausende Arbeitskräfte am sogenannten Westwall , einer Befestigungsanlage , die vom Niederrhein bis zur Schweizer Grenze reichen sollte. 1936 begann auch der Bau des „Führerbunkers“ im Garten der Neuen Reichskanzlei in Berlin , wo Hitler am 30. April 1945 Selbstmord begehen wird. Die Grenzen zwischen eigentlich politikferner und einer ausdrücklich politisch orientierten Kommunikation waren gerade in der NS-Zeit außerordentlich fließend. Der Übergang zur Diktatur erfolgte für die meisten Deutschen – trotz aller mitunter äußerst verstörenden Ereignisse – insgesamt eher gleitend. Bezeichnend war bei sogar hellsichtigeren Zeitgenossen die lange , zu lange gehegte Hoffnung , dass der „braune Spuk“ bald wieder vorbei sei. Selbst unter den eindeutig Bedrohten , den Juden , hielt sich diese Illusion und / oder die Furcht , die Heimat verlassen zu müssen. Exemplarisch kann man dafür eine erst in den 1960er-Jahren wiederentdeckte Rezension von Theodor W. Adorno anführen , in der er noch 1934 in der Zeitschrift „Neue Musik“ die Vertonung von Liedern Baldur von Schirachs besprochen hatte. Darauf öffentlich angesprochen erklärte er schließlich , er habe diese Besprechung geschrieben „in der Torheit dessen , dem der Entschluß zur Emigration unendlich schwerfiel“.1
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Unübersehbar waren jedoch die bereits 1933 einsetzenden Veränderungen außersprachlicher Art , die als Rahmenbedingungen auch der Alltagskommunikation unbedingt beachtet werden müssen. „Nun laßt die Fahnen fliegen!“ – Die Verwandlung des Straßenbildes
Während sich zur offiziellen Eröffnung des neuen Reichstags am 21. März 1933 , dem „Tag von Potsdam“, die Parteifahnen der NSDAP mit dem Hakenkreuz noch unter die offiziellen Fahnen der Republik mischen mussten , nahmen danach die Beflaggungen mit dem Hakenkreuz immer mehr zu. Das Reichsflaggengesetz , das dritte der „Nürnberger Gesetze“ von 1935 , gebot , dass zu den zahlreichen offiziellen Anlässen auch privat die neue , die NS-Nationalfahne zu hissen sei , was Juden gleichzeitig ausdrücklich verboten wurde.2 Dadurch wurden die Straßen und Plätze aller Städte und Ortschaften immer wieder in ein Meer von Hakenkreuzfahnen verwandelt , was den Sieg der „neuen Ordnung“ sinnfällig dokumentieren sollte. Sogar Straßenbahnen wurden bei bestimmten Anlässen an der Frontseite mit kleinen Hakenkreuzfähnchen geschmückt. Die Umbenennung zahlreicher Straßen und Plätze zu Ehren von Hitler und weiterer NS-Größen unterstützte eine – auch wortwörtlich zu verstehende – Umorientierung der Bevölkerung. Aus der Weimarer Republik war man gewohnt , dass die jeweilige politische Richtung von ihren Anhängern auch im Tragen von besonderen Uniformen präsentiert wurde. Auch Militäruniformen wurden schon vor 1933 auch außerhalb militärischer Anlässe gern gezeigt. Mit dem Sieg der NSDAP verschwanden natürlich mit ihren bisherigen Trägern diejenigen Uniformen , die nicht-nationalsozialistische Gesinnungen hätten verraten können. Stattdessen nahm die Zahl der Uniformträger aus den sogenannten Gliederungen der NSDAP zu. Nicht zuletzt die SA war mit ihren Braunhemden , vor wie nach ihrer halben Entmachtung 1934 , im Straßenbild allgegenwärtig. NS -Uniformen drangen auch in einst zivile Bereiche ein , so in den Unterricht von Schulen und Hochschulen. Manchem Lehrenden war es ein Bedürfnis , durch eine Uniform seine Gesinnung jedermann kundzutun. Ein prominentes Beispiel war der Philosoph Martin Heidegger , der an der Freiburger Universität seine Vorlesungen in SA -Uniform hielt , nachdem er bereits 1933 Hitler „unbedingten Gehorsam“ gelobt hatte und eine „völkische Wissenschaft“ über alles gestellt sehen wollte. Die höheren Funktionäre der Partei , die sogenannten Politischen Leiter , waren an ihren aufwendig braun-gelb-golden gestalteten Uniformen mit
Verwandlung des Straßenbildes |
rotem Kragenspiegel zu erkennen , weswegen man ihre Träger als „Goldfasane“ belächelte. Nach dem Krieg hat man das Uniformtragen nicht zu Unrecht als ein deutsches Spezifikum gedeutet , hinter dem sich eine individuelle Verantwortung für Taten wie Untaten gut verstecken ließ. In jedem Fall ging es dabei zutiefst um eine kollektive Uniformierung des Geistes. Das Alltagsleben konnte bis zum Kriegsbeginn scheinbar seinen gewohnten Gang gehen. Und doch war es nicht mehr das gewohnte Leben. Es war gleichsam umstellt von Fahnen und Uniformen , die stets dokumentierten , wes Geistes Kind man zu sein hatte. Auch die zahlreichen öffentlichen Sammel aktionen , insbesondere für das „Winterhilfswerk“, später die Spinnstoff- und Buntmetallsammlungen sowie weitere Aktionen , die selbstverständlich von Uniformierten , nicht zuletzt der Hitlerjugend , durchgeführt wurden , gehörten nun zum Straßenbild. Hinzu kamen aber auch die öffentlichen Parolen gegen Juden. Eine sehr häufige Inschrift an öffentlichen Einrichtungen lautete „Juden unerwünscht“. Dass die NS-Führung um die Problematik solcher antijüdischen Bekundungen in der Wahrnehmung ausländischer Besucher des Reiches wusste , wurde durch die vorübergehende Entfernung von entsprechenden Parolen , Inschriften und der zahlreichen antijüdischen Verbotsschilder während der Olympiade 1936 deutlich. Nicht wenige empfanden es als durchaus begrüßenswert , dass es der NS Führung gelungen war , die in der Endphase der Weimarer Republik unübersehbaren Scharen von Arbeitslosen , Bettlern und herumlungernden Jugendlichen von der Straße entfernt zu haben. Auch die „Zigeuner“, gegen die es schon lange gepflegte Vorurteile gab , wurden mehr und mehr aus dem öffentlichen Blickfeld verdrängt , bis sie schließlich in KZs der Vernichtung preisgegeben wurden. Bei der Liquidierung des sogenannten Zigeunerlagers im KZ Auschwitz wurden in einer Nacht , vom 2. auf den 3. August 1944 , knapp 2. 900 Angehörige der Sinti und Roma in den Gastod getrieben. Der deutsche Durchschnittsbürger liebte Ordnung und Sauberkeit. Wer sich nicht in die uniforme Volksgemeinschaft einpassen wollte , wurde den „Asozialen“, „Arbeitsscheuen“ und „Unverbesserlichen“ oder „Gemeinschaftsunfähigen“ zugerechnet. Diese Personengruppen wurden nicht nur verbal diskriminiert , sondern galten auch juristisch als Verbrecher. Die Kennzeichnung als „asozial“ konnte eine Zwangssterilisation oder eine Einweisung in ein KZ nach sich ziehen. „Arbeitsscheue“ wurden 1938 zu Tausenden in verschiedenen Verhaftungswellen der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ ebenfalls in KZs verschleppt. Ab Kriegsbeginn wurden viele , die durch „Bummelei“ oder Arbeitsverweigerung aufgefallen waren , in KZ-ähnliche „Arbeitserziehungslager“ eingewiesen und
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wurden entweder nach mehrwöchiger Haft wieder entlassen oder in die „richtigen“ KZs überstellt. Straßen und Plätze unterm Hakenkreuz waren also von sozialen Auffälligkeiten weitgehend „gereinigt“. Da auch Kriminalfälle grundsätzlich totgeschwiegen wurden , also nicht mehr ins öffentliche Bewusstsein dringen konnten , galt die öffentliche Ordnung während der NS-Zeit bei nicht wenigen Zeitgenossen bis weit über das Kriegsende hinaus als vorbildlich. So begegnete man nach 1945 nicht selten dem stereotypen Kommentar „Das hätte es unter Hitler nicht gegeben !“. „In einem sinnlosen Taumel von Jubel“ – Außersprachliche Instrumente der Propaganda
Die Sprache war weder vor noch nach 1933 das einzige Medium der NS Propaganda , die ihre volle Wirksamkeit erst im Verbund mit außersprachlichen Umständen und Zeichen entfaltete. Dazu sind ab 1933 in jedem Fall auch zahlreiche Zeugnisse der bildenden Kunst zu zählen , die im Auftrag der NSDAP entstanden. Exemplarisch seien die monumentalen Skulpturen von Arno Breker mit Titeln wie „Die Partei“ oder „Die Wehrmacht“ erwähnt. Neben den weiteren Kontexten , die sich aus bestimmten politischen , sozialen oder kulturellen Situationen ergaben , waren sprachliche Manifestationen der NS-Propaganda jeweils bereits in ein dichtes Geflecht außersprachlicher Zeichen eingebunden , die alle Sinne und Emotionen ansprechen und über die rationalen Defizite der sprachlichen Äußerungen hinwegtäuschen sollten. Die bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil noch sehr viel sinnenfreudigeren Riten der katholischen Kirche waren vielfach Vorbild. Ihre Adaption durch die NS-Propaganda war aber auch für die wesentlich nüchternere , wortzentriertere Haltung der Protestanten außerordentlich attraktiv. Die NSDAP setzte bis 1933 diese Formen – wenn auch noch nicht so pompös wie nach Erringung ihrer Alleinherrschaft – schon relativ früh ein. Ein auch volkspsychologisch sehr wirksamer Höhepunkt im Bemühen , auch die protestantische Formentradition in Dienst zu nehmen , war die Eröffnung des neuen Reichstags am 21. März 1933 , die nicht zufällig in einer Kirche , der Potsdamer Garnisonkirche , zelebriert wurde. Konrad Ehlich3 hat solche Inszenierungen – in Anlehnung an Richard Wagners Opernideal – treffend als „Gesamtkunstwerk“ bezeichnet. Viele dieser außersprachlichen Propagandaformen waren ganz bewusst auch an Vorbilder aus dem Militärwesen angelehnt. Das entsprach preußisch-milita-
Außersprachliche Instrumente der Propaganda |
ristischen Traditionen , die über 1918 hinaus auch von republikanischen Kreisen gepflegt wurden. Das öffentliche Leben der Weimarer Zeit war zu einem nicht unwesentlichen Teil davon geprägt. Viele , auch linke Gruppen der bündischen Jugend zeigten sich uniformiert und pflegten militärische Lebensformen. Selbst der ausgewiesene Pazifist Erich Kästner bezeugt in seinem Kinderbuch „Emil und die Detektive“ von 1929 , wie allgemein attraktiv zumindest das Kriegspielen seinerzeit war. Die Aktionen der Kinder in diesem Jugendbuch , einen Dieb und Bankräuber dingfest zu machen , entsprechen sprachlich einem militärisch organisierten Unternehmen , mit Befehlen , Parolen , Haupt- und Standquartier , Marschordnung , Posten und Vorposten. Gustav mit der Hupe wird sogar „Generalstabschef“ genannt.4 Da sich die Nationalsozialisten als revolutionäre Bewegung verstanden , verfolgten militärische Schauspiele einen doppelten Zweck : Sie sollten innerhalb der Mitgliedschaft den Kampfgeist wachhalten und nach außen Stärke demon strieren. In sprachlicher Hinsicht spielten darum kämpferische Töne , Texte und Lieder , eine wesentliche Rolle. Das Schreckwort der Endzeit der Weimarer Republik , von den Nationalsozialisten gezielt eingesetzt , war ohnehin „Bürgerkrieg“. Allerdings waren es stets die anderen , vornehmlich die Kommunisten , die angeblich einen Bürgerkrieg entfesseln wollten. Mit dem gezielten Hinweis auf diese Gefahr konnten sich die Nationalsozialisten als ordnungstiftende Macht präsentieren und ihre eigenen aggressiven Aktionen als Taten einer Bürgerkriegsabwehr legitimieren.5 Wesentliche , meist zusammenwirkende Instrumente außersprachlicher Propaganda waren , wie gesagt , insbesondere Uniformen , vorzugsweise der SA . Ihr uniformiertes Auftreten erheischte bereits Respekt , verbreitete oft genug jedoch Angst und Schrecken und war sogar schon im Reichstag vor 1933 als Drohkulisse eingesetzt worden. Aufmärsche , selbst von Kindern , erfolgten unter Mitführen von Fahnen und Standarten , auf denen das Hakenkreuz im runden weißen Mittelfeld auf blutrotem Grund jedermann die Gesinnung der Marschierenden offenbarte. Bei den ab 1933 immer aufwendiger werdenden NS-Demonstrationen verfehlten Fahnen und Uniformen bei entsprechender Anordnung nicht den Eindruck von Größe und Macht , der man sich freiwillig-unfreiwillig unterordnete. Unterstützt wurden die Aufmärsche durch Marschmusik und den Gesang von Kampfliedern. Der Marschtritt als Bewegungsrhythmus und der gemeinsame Gesang schufen nachweislich eindrucksvolle Kollektiverlebnisse , die aber zugleich die Fähigkeit zu einem individuellen , kritischen Denken erheblich minderten.
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Ab 1933 wurden alle Aufmärsche und Kundgebungen bis ins Kleinste geplant und inszeniert : Marschmusik vor dem Auftreten Hitlers6 und / oder seiner Paladine weckte im Publikum eine Stimmung gespannter Erwartung. Der Einzug von Fahnen , die meist von Uniformträgern der verschiedenen Gliederungen der Partei auf einem erhöhten Podium um das Rednerpult gruppiert wurden , und zuletzt die Ankunft des Redners selbst , der von hinten kommend auf einem Mittelgang durch die Menge nach vorn schritt , glichen einer liturgischen Feier , insbesondere dem Einzug eines Priesters zum Altar. Ulrich Nill7 hat diese Art der Inszenierung zutreffend als „säkularisierten Gottesdienst“ charakterisiert. Diese Formen sollten einerseits die Einheit von Führung und Volk demonstrieren , andererseits aber auch sinnfällig das Machtgefälle symbolisieren : die Herrschenden oben , die Menge unten. Schon der optische Eindruck solcher Inszenierungen war emotional erhebend und einschüchternd zugleich.8 Kollektiverlebnisse vermittelten aber auch andere Gemeinschaftsformen , nicht zuletzt „Weihestunden“, etwa zum Gedenken an bestimmte Ereignisse der deutschen Geschichte oder an den Tod verdienter Parteigenossen. Gerade in diesen Feierformen ließ sich auf besonders starke Weise eine emotionale , geradezu mystische Verbundenheit der Teilnehmer miteinander und mit den „Blutzeugen der Bewegung“ herstellen. Die SA -Hymne , das „Horst-WesselLied“, das zum obligatorischen Anhängsel der Nationalhymne „Deutschland , Deutschland über alles“ wurde , zielte mit seiner Aussage , die vom politischen Gegner Getöteten „marschier’n im Geist in unserer Reihen mit“, unmittelbar auf einen Glauben an die Gemeinschaft von Lebenden und Toten. Besonders eindrucksvoll gestaltete sich der Berliner Fackelzug der SA am Abend des 30. Januar 1933 , des Tags der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Aber auch in zahlreichen anderen Städten fanden an diesem Abend ähnliche Umzüge statt. Fackelzüge waren – teilweise noch nach dem Krieg – eine traditionelle akademische Feierform , mit der Professoren anlässlich runder Geburtstage oder aus Anlass ihrer Emeritierung geehrt wurden. Goebbels ließ es sich , wie bereits erwähnt , nicht nehmen , den Berliner Fackelzug in einer emotionalisierenden Rundfunkreportage selbst zu kommentieren. Dabei sah er die vorbeiziehenden Massen „in einem sinnlosen Taumel von Jubel“. Zu jährlichen Höhepunkten der NS-Feierkultur wurden die ab 1933 in Nürnberg stattfindenden Reichsparteitage mit ihren Massenaufmärschen von SA , SS , Reichsarbeitsdienst , Hitlerjugend und ab 1935 auch der Wehrmacht. Zur intensiven Propaganda nach innen wie nach außen wurde selbstverständlich auch die Olympiade 1936 genutzt.
Themen und Tabus in der Alltagskommunikation |
Neben diesen gleichsam noch traditionellen Propagandaformen erkannte Hitler mit tatkräftiger Unterstützung durch Goebbels sehr früh die Bedeutung technischer Kommunikationsmittel. Schon 1932 demonstrierte Hitler durch Propagandareisen per Flugzeug den Eindruck von Allgegenwart. Öffentliche Auftritte vor großem Publikum erhielten ihre zusätzliche Wirkung durch intensive Nutzung elektronischer Übertragungsmöglichkeiten. Die Presse , zunächst die Parteizeitungen , nach 1933 der große gleichgeschaltete Rest , war ein weiteres wirksames Propagandainstrument. Der sich seit 1923 allmählich verbreitende Hörfunk wurde ebenfalls sehr bald unter NS-Kuratel gestellt. Gemeinschaftsempfang in Betrieben und die massenhafte Verbreitung der „Volksempfänger“ sicherten den Führerreden und weiteren Propagandasendungen allergrößte Verbreitung. Und schließlich wurde auch der Film , ansatzweise sogar das Fernsehen , in den Dienst der Propaganda gestellt. Bei allem technischem Fortschritt und inszenatorischem Aufwand behielt die Sprache in der NS-Propaganda doch ihre zentrale Bedeutung. Die außersprachlichen Inszenierungen sollten die sprachlichen Äußerungen verstärken , überdeckten dabei aber vielfach deren intellektuelle Lücken. Von „Arisierung“ bis „Westwall“ – Themen und Tabus in der Alltagskommunikation
Der alltägliche Sprachgebrauch ist selbst in der Gegenwart nur schwer zu fassen. Noch schwieriger ist es , den nicht schriftlich fixierten Sprachgebrauch einer vergangenen Epoche auch nur annähernd zu rekonstruieren. Zufällig erhaltene authentische Belege lassen sich nicht einfach generalisieren. Darum sind bestenfalls zeittypische Kommunikationsfelder abzustecken , deren sprachliche Besonderheiten mit Material aus oftmals verschiedenen Quellen bestimmt werden müssen. Herausragende Ereignisse vor Kriegsbeginn , nicht zuletzt im Bereich des Sports , die auch heute noch die private Kommunikation mitbestimmen würden , dürfen als Gesprächsthemen nicht unterschätzt werden. Dazu gehörten etwa die wagemutigen Flüge von Elly Beinhorn und Hanna Reitsch , die Olympischen Spiele 1936 , der K.-o.-Sieg von Max Schmeling über den als unschlagbar geltenden Joseph Louis Barrow , alias „Joe Louis“, in den USA im selben Jahr , die Rennfahrerfolge von Rudolf Caracciola und Bernd Rosemeyer , allerdings auch Rosemeyers tödlicher Unfall 1938 , dessen sogar mit Staatstrauer gedacht wurde. Auch die Katastrophe der Zerstörung des Zeppelins „Hindenburg“ bei dessen missglückter Landung in Lakehurst / USA
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1937 war eine der Sensationen , welche die deutsche Alltagskommunikation vor 1939 mitprägte. Eine Aussage zur generellen Struktur der Binnengliederung der deutschen Sprache , des sogenannten Varietätensystems , insbesondere zur Geltung von Umgangssprache und Dialekten lässt sich fast nur noch auf der Folie einer bestimmten Nachkriegsentwicklung machen. Die Dialekte spielten bis 1945 eine viel größere Rolle als danach , und zwar als noch weitgehend bodenständige Alltagssprachen. Diese Bodenständigkeit als Garant sprachlicher Dauerhaftigkeit wurde allerdings ab 1939 durch die gewaltigen demographischen Umschichtungen , durch Umsiedlungen , Evakuierungen , Flucht und Vertreibung , weitgehend aufgelöst. Das hatte unmittelbare Folgen für die entwurzelten Dialekte , weil sich ihre Sprecher der jeweils neuen Umgebung anpassen mussten , was auf Dauer auch Folgen für die Dialekte der gastgebenden Gebiete hatte. Seitdem ergab sich in Deutschland , allerdings mit einem deutlichen Nord-Süd- und StadtLand-Gefälle , eine starke Senkung des Dialektniveaus. Das heißt : der hochdeutsche Standard , die sogenannte Hochsprache , wurde auch in der privaten Kommunikation stärker als je zuvor zur dominanten Varietät. Fremdsprachliches spielte in der spontanen mündlichen Kommunikation bis 1945 und auch noch lange danach nur eine äußerst geringe Rolle. Der Französischunterricht an den Schulen war aus politisch-ideologischen Gründen stark reduziert. In gebildeteren Kreisen wurde allerdings noch manches französische Lehngut gepflegt. Es gab durchaus schon – oder noch – eine Reihe alltäglicher Angloamerikanismen , etwa „Bluff“, „Dandy“, „Sex-Appeal“, „Snob“ oder „Spleen“. Sie waren teils Reste aus der Anglisierungswelle gegen Ende des 19. Jahrhunderts , teils aber auch Folgen der Rezeption amerikanischer Populärkultur seit den 1920er-Jahren. Man denke etwa an Hollywood-Filme , Revuetheater , Jazz und Tanzmoden. Auffällig im Vergleich zu heute ist die Distanz zu Entlehnungen bzw. zu Neubildungen und Neubedeutungen , die inzwischen fast schon als „heimische“ Wörter empfunden werden wie „sich engagieren“, „Information“, „Kommunikation“ oder „Problem“. Deren Ausbreitung in der Alltagssprache erfolgt oft tatsächlich erst ab den 1960 er-/ 70er-Jahren. Eine klare Unterscheidung von privater Alltags- und öffentlicher Sprache ist gerade unter den Bedingungen einer Diktatur kaum vorzunehmen. Insbesondere die NS-Diktatur hielt das Volk von Anfang an „in Bewegung“. Das heißt : der Alltag wurde mit einer Fülle von Verpflichtungen und Aktivitäten überzogen , denen sich kaum jemand entziehen konnte. Also waren die offizielle Politik , ihre Terminologie und sogar Satz- und Argumentationsmuster auch im privaten Alltag allgegenwärtig. Man denke nur an Begriffe wie „Winterhilfswerk“
Themen und Tabus in der Alltagskommunikation |
( WHW ) und „Wehrsport“ oder an das Argument , Deutschland müsse „autark“, also wirtschaftlich unabhängig werden. Im familiären Alltag spielte der „Dienst“ der Kinder und Jugendlichen , die in der HJ waren , eine nicht unbeträchtliche Rolle. Vor Kindern und Jugendlichen konnte über politisch brisante Themen auch privat nicht mehr unbefangen gesprochen werden. Bereits die Schulanfänger wurden mit regelmäßigen Fahnenappellen und offiziellen Gesängen , vornehmlich mit „Deutschlandlied“ und „Horst-Wessel-Lied“, konfrontiert. Offizielle Parolen fanden – oft zunächst über einen ironischen Gebrauch – Eingang in die Privatgespräche. Das fatale Wort von den „unnützen Essern“ hatte seine meist humorvoll gemeinte Variante in dem Paulus-Zitat „Wer nicht arbeitet , soll auch nicht essen“, das von der NS-Propaganda aber durchaus ernst gemeint war. Ähnlich erging es der WHW-Parole „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“, zumal diese auch auf den Rand der Reichsmark-Münzen geprägt war. Der Führerkult schlug bis in harmlose private Situationen durch , etwa wenn Kindern die letzten Löffel einer Mahlzeit nicht mehr nur mit „ein Löffelchen für die Mami / den Papi / die Omi / den Opi“ verabreicht wurden , sondern auch mit „ein Löffelchen für den Führer“. Ja sogar Abendgebete wie „Ich bin klein , mein Herz ist rein“ konnten am Ende – zudem reichlich unlogisch – ergänzt werden : „ … soll niemand drin wohnen als Jesulein – und du mein lieber Führer auch“.9 Aber es gab auch ernst gemeinte Tischgebete , die anstelle Gottes den Führer als den Spender des täglichen Brots priesen. Das Prinzip des nicht hinterfragbaren absoluten Gehorsams , das Hitler weit über die Wehrmacht hinaus der ganzen Volksgemeinschaft als GefolgschaftsIdee auferlegt hatte , schlug sich auch in der privaten Erziehung nieder. Aufmüpfige Fragen von Kindern , warum sie eine bestimmte Anweisung zu erfüllen hätten , konnten mit dem Hinweis beantwortet werden : „Dein Vater muss auch gehorchen !“ – Auf die Frage „Wem ?“ wurde irgendein Vorgesetzter genannt , und auf die Frage , ob und wem dieser zu gehorchen hätte , wurde dann der Führer als letzte Befehlsinstanz genannt. Die Psychoanalyse hat das Produkt solcher Erziehung als „faschistoide Persönlichkeit“ definiert. Die Alltagspsychologie spricht mit einem treffenden Bild von „Radfahrern“: „Nach oben buckeln , nach unten treten“. Dass man sich insgesamt im Sinne NS-geprägter Wohlanständigkeit verhielt , etwa bei offiziellen Anlässen wie zu „Führers Geburtstag“ oder zum 1. Mai eine Fahne zu hissen oder mitzumarschieren , dafür sorgten im Wohnbezirk die „Blockwarte“. Ein tragisches Kapitel sind die terminologischen und semantischen Folgen des NS -Rassismus auch für die Alltagssprache. Nach der offiziellen Diskriminierung und Degradierung insbesondere von Juden war ein unbefangenes
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Benennen von jüdischen Menschen , mit denen man bis dahin vielleicht sogar beste Nachbarschaft oder gar Freundschaft gepflegt hatte , nicht mehr möglich. Dasselbe galt für andere „nichtarische“ Mitmenschen. Konkret nachweisen lässt sich eine fremdenfeindliche Akzentuierung etwa im Gebrauch des zunächst neutralen Terminus „Fremdarbeiter“, der durch Wertungen wie „fremdrassig“ und „fremdvölkisch“ stigmatisiert wurde.10 Aber auch die Selbstbezeichnungen erhielten durch die rassen- und volkstumsideologischen Abgrenzungen allgemein neue Akzente : „Arier“ und „Deutscher“ zu sein , bedeutet nun grundsätzlich , über allen „Nichtariern“ und „Nicht- oder Undeutschen“ zu stehen. Auch wenn das von Nietzsche inspirierte Herrenmenschentum alltagssprachlich nicht ausdrücklich artikuliert wurde , bestimmte es die deutsche Mentalität dieser Jahre sehr wohl nachhaltig. Zur Kennzeichnung einer Kommunikationssituation gehört natürlich auch die Feststellung , über welche Themen nicht gesprochen wird , sei es , dass sie nicht aktuell sind , sei es , dass sie tabuisiert sind. Bei heimlicher Erwähnung tabuisierter Themen war es ab 1933 tunlich , zunächst den „deutschen Blick“ schweifen zu lassen. Damit wurde , in ironischer Anlehnung an „deutscher Gruß“, umschrieben , wenn man erst einmal die Umgebung auf unwillkommene Zuhörer hin überprüfte. Gerade der offizielle Umgang mit dem ethnischen Themenkomplex , die Verfolgung „Fremdrassiger“ und die Vernichtung der jüdischen Mitbürger , schuf zwischen 1933 und 1945 zahlreiche Felder , die in der Alltagssprache weitgehend „beschwiegen“ wurden. Trotz verbreiteter Kenntnis waren Gegenstände wie „Konzentrationslager“ oder die „Endlösung“ keine Themen der Alltagskommunikation. Auch die Kommentierung , wie mit vermeintlichen oder tatsächlichen Regimegegnern umgegangen wurde , erschöpfte sich in der oft ängstlich geäußerten Feststellung: „Er / Sie ist abgeholt worden.“ Oder man beschränkte sich bei deportierten Juden auf die Bemerkung „Sie sind weggegangen“. Mit derartigen Verschleierungen versucht man sich mancherorts noch heute vor einer Reflexion der Verbrechen zu drücken , so etwa in der Ortschronik der Gemeinde Neuhof / Osthessen , in der die Deportationen jüdischer Mitbürger im Jahr 1942 wie folgt umschrieben wird : „Im Laufe des Jahres werden die noch verbliebenen jüdischen Bürger weggeführt.“11 Wenn jemand zwecks Euthanasie verschleppt wurde , konnte man – auch noch nach 1945 – immer wieder einmal auf achselzuckende Bemerkungen wie „als Hitler ihn / sie weggenommen hat“ stoßen. Erst durch Aktenfunde in jüngerer Zeit wurde deutlich , wie verbreitet eine bestimmte Form der Beteiligung an Aktionen vor allem gegen jüdische Mitbürger war und wie sehr diese Mitschuld bis in die Gegenwart kollektiv verdrängt
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worden ist. Seinerzeit aber war sie verbreitetes Tagesgespräch : Gemeint sind die in vielen Orten des Reichs öffentlichen Versteigerungen von Hausrat , Schmuck und sonstigen Besitztümern , die Juden beim Verlassen ihrer Wohnungen in Richtung Ausland , mehr aber noch bei Deportationen zurücklassen mussten. Der Staat betrachtete diese Hinterlassenschaft als sein Eigentum und veräußerte sie mit bürokratisch genauer Aktenführung meist durch Versteigerungen , die vielfach auf offener Straße vor den geräumten Häusern stattfanden. Die sogenannten Arisierungen , die Enteignungen jüdischer Unternehmer zugunsten neuer , „arischer“ Inhaber , waren öffentlich zwar weniger spektakulär , wurden aber ebenfalls allenthalben bekannt , weil die neuen Besitzer in Geschäftsanzeigen die Arisierung ihrer Unternehmen sogar als Werbeargument einsetzten. Bis 1939 spielten die sozialen Wohltaten des Regimes , obgleich sie objektiv weit unter den von der Propaganda behaupteten Größenordnungen blieben , eine große Rolle auch in der Alltagskommunikation. Dazu gehörten der relativ rasche Abbau der Massenarbeitslosigkeit , die Ehestandsdarlehen und die Freizeit- und Urlaubsmöglichkeiten , welche die Organisation „Kraft durch Freude“ ( KdF ) bot. Vor allem der Abbau der Massenarbeitslosigkeit war für den Durchschnittsbürger von großer Bedeutung und wurde ab 1945 in der privaten Auseinandersetzung mit der NS -Vergangenheit zu einem starken Entlastungsargument. Bei 120 Reichsmark monatlicher Durchschnittsentlohnung für Arbeiter und Angestellte waren selbst bei niedrigen Preisen größere Anschaffungen kaum möglich , was Familiengründungen außerordentlich erschwerte. Hier kam der NS -Staat Heiratswilligen mit großzügigsten Krediten entgegen , was die allgemeine Beurteilung des Regimes natürlich ebenfalls sehr positiv beeinflusste. Die Erfahrungen mit KdF-Urlaubsreisen waren im Alltag vieler ein wichtiges , äußerst positiv besetztes Gesprächsthema. Dass die meisten Sozialleistungen volkswirtschaftlich teuer erkauft waren und dass sie wesentlich Propagandazwecke zu erfüllen hatten , blieb aus den Alltagsgesprächen freilich ausgeblendet.
„Nationale Erhebung“ oder „nationalsozialistische Revolution“
Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten v. Hindenburg am 30. Januar 1933 erfolgte durchaus noch im Rahmen der Weimarer Verfassung , die dem Reichspräsidenten tatsächlich weitgehende Entscheidungsbefugnisse , auch gegen den Reichstag , eingeräumt hatte. Schon die Vorgänger Hitlers seit 1930 , die Reichskanzler Heinrich Brüning , Franz v. Papen und Kurt
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v. Schleicher , waren bei bloßer Duldung durch den Reichstag von Hindenburg eingesetzt worden , ihre Minderheitsregierungen waren nur sogenannte Präsidialregierungen. Der Kanzler v. Schleicher ( 2. Dezember 1932–28. Januar 1933 ) hatte selbst schon den Plan , das politische und wirtschaftliche Chaos durch eine Diktatur zu beenden , was aber von Hindenburg abgelehnt wurde. Mit Hitler als Reichskanzler und einer Koalition von NSDAP und der republikfeindlichen Deutschnationalen Volkspartei ( DNVP ) hofften Kreise um den Reichspräsidenten , insbesondere v. Papen , eine Alleinherrschaft Hitlers und seiner Partei zu verhindern , zumal die DNVP im Kabinett gegenüber nur zwei NSDAP-Ministern zahlenmäßig das personelle Übergewicht erhielt. Den wichtigen Posten des Reichsinnenministers erhielt freilich ein Nationalsozialist , Wilhelm Frick. Neben ihm wurde Hermann Göring für die Durchsetzung der NS-Politik von unschätzbarem Wert , da er zwar Minister ohne Geschäftsbereich war , aber als Reichskommissar für das preußische Innenministerium de facto als Innenminister , dann auch als Ministerpräsident von Preußen , dem größten Land des Reichs , fungierte. Die Mitsprache der DNVP-Minister wurde darüber hinaus durch geschicktes Taktieren Hitlers sehr bald auf ein Minimum beschränkt. Die Strategie v. Papens , zunächst noch Vizekanzler , Hitler und seine Partei zu „zügeln“, misslang gründlich. Hitler und seine deutschnationalen Partner feierten ihre Zusammenarbeit zunächst gemeinsam als „Regierung der nationalen Erhebung“, wie sie sich auch amtlich nennen ließ , und als Sieg über die lange Zeit politisch verantwortlichen demokratischen Parteien der Weimarer Republik , denen damit das Attribut „national“ faktisch abgesprochen wurde.12 Tatsächlich empfand auch eine große Zahl der Deutschen diese Regierungsübernahme als das lang herbeigesehnte Ende der politischen und wirtschaftlichen Wirren , die allein den Vertretern der Republik schon seit ihrer unvermeidlichen Hinnahme des Versailler Friedensvertrags 1919 angelastet worden waren. Bis heute gehen die Meinungen darüber auseinander , wie der Beginn der NS -Herrschaft am angemessensten benannt werden soll. Die in historischen Publikationen wohl am häufigsten vertretene Variante ist „Machtergreifung“. Der liberale Journalist Theodor Wolff hatte bereits vor den Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932 dieses Wort benutzt , als er vor einer „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten warnte.13 Gegen diese Bezeichnung spricht indes , dass sie zumindest eine semantische Facette enthält , die dem revolutionären Anspruch der NSDAP entgegenkam und deswegen von dieser Seite gern benutzt wurde. Von der Legalität der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler auf der Grundlage der verhassten Weimarer Verfassung wollte man jedenfalls sehr schnell nichts
„Nationale Erhebung“ oder „nationalsozialistische Revolution“ |
mehr wissen. Die Varianten „Machtantritt“ und „Machtübernahme“ könnten in dieser Hinsicht als neutraler gelten. Was die Nationalsozialisten mit der legal gewonnenen Macht dann tatsächlich trieben , hatte jedoch sehr wohl etwas mit einer „Macht-ergreifung“ zu tun , auch wenn der Beginn der NS-Herrschaft zunächst äußerlich noch sehr zahm erschien. Auch ohne den Propagandaaufwand der NSDAP wäre es anlässlich von Hitlers Ernennung zu Freudenkundgebungen gekommen. Deshalb störte es nur den kleineren , kritischen Teil der Gesellschaft , dass am Abend jenes 30. Januar vielerorts Fackelumzüge stattfanden , die von der SA angeführt wurden. Der nationale Taumel half auch darüber hinweg , dass der Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 schon zum Ausgangspunkt erster Verfolgungsmaßnahmen werden konnte , da die Brandstiftung von der NS-Propaganda den Kommunisten angelastet wurde. Unverzüglich , schon am 28. Februar 1933 , erließ Hindenburg die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“, die eine rechtliche Handhabe für die Hatz auf Kommunisten und andere „Verdächtige“ bot. Als erstes wurde auf der Grundlage dieser Verordnung die kommunistische und sozialdemokratische Presse verboten. Letztendlich läutete das Ermächtigungsgesetz vom 23. März mit dem offiziellen Titel „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ das Ende der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland ein. Ermächtigungsgesetze waren zwar grundsätzlich ein in der Weimarer Verfassung fixiertes Rechtsinstrument , von dem auch schon vor 1933 Gebrauch gemacht worden war , jedoch nie mit auch zeitlich so unbegrenzten Konsequenzen. Die Welle der „nationalen Erhebung“, auch „nationale Konzentration“ genannt , wogte fort und schwemmte manche Bedenken fort , so dass es der NSDAP relativ leichtfiel , nach der schnellen Auflösung des letzten „Weimarer“ Reichstags , schon am 1. Februar 1933 , in einem monströsen Wahlkampf unter der Leitung von Joseph Goebbels den Regierungswechsel vom Januar in eine „nationale Revolution“ umzudeuten. Bereits 1923 hatte Hitler seinen Münchner Putschversuch als „nationale Revolution“ angekündigt. Trotzdem errang die NSDAP , die sich unter ihrem Führer mit seinem Kanzlerbonus einen haushohen Sieg erhofft hatte , am 5. März 1933 im neuen Reichstag nur 43,9 Prozent. Die Sozialdemokraten , die Zentrumspartei und die Bayerische Volkspartei konnten sich sogar behaupten. Aber zusammen mit der „Kampffront Schwarz-WeißRot“ aus Deutschnationaler Volkspartei ( DNVP ) , „Stahlhelm“ und „Landbund“ erreichte die NS-Partei die Reichstagsmehrheit von 52 Prozent. Die Kommunisten verloren , nicht zuletzt unter dem Eindruck der Kampagne gegen sie als angebliche Reichstagsbrandstifter , und wurden obendrein aus dem Reichstag ausgeschlossen. Ihre Abgeordneten wie etliche der SPD wurden verhaftet oder
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gingen in den Untergrund und ins Ausland. Die „nationale Revolution“ entledigte sich – ohne großen Protest der Öffentlichkeit – der „Unruhestifter“. Auf dieser Grundlage ließ sich dann am 21. März die Eröffnung des neuen Reichstags , der „Tag von Potsdam“, unbeschwert als grandioses Propagandaereignis im Sinne der NSDAP feiern. Und es dauerte dann auch nicht mehr lange , bis sich die „nationale Erhebung“ wie die „nationale Revolution“ propagandistisch in eine „nationalsozialistische Revolution“ umwandeln ließ. Insgesamt zeichnet sich der öffentliche Sprachgebrauch in dieser Übergangsphase durch eine geschickte Kombination von weithin akzeptierten Nationalismen , Friedensformeln , sozialpolitischen Verheißungen und Drohungen gegen tatsächliche wie mutmaßliche Gegner der nationalen Erhebung aus. „Nationale Ehre wiederhergestellt“ – Der „Tag von Potsdam“ 1933
Die feierliche Eröffnung des neuen Reichstags am 21. März 1933 folgte einer minutiös geplanten Inszenierung , in der sich das unzweifelhafte Geschick der NS-Propagandastrategie erwies , Sprache und außersprachliche Symbole effektvoll zu verbinden. Die Wahl des Ortes für diese Veranstaltung , die Potsdamer Nikolaikirche , als Grablege Friedrichs des Großen und als Garnisonkirche , also ein Symbol preußischen Soldatentums , sollte vor allem eine Verschmelzung von preußischer und deutscher Geschichte suggerieren. Entsprechend unterstrich die Rundfunkübertragung , dass dabei „die deutsche Nation zur Sammlung“ angetreten sei.14 Zeitungen sprachen in ähnlicher Weise vom „Tag der Nation“. Selbst das Glockenspiel dieser Kirche , mit dem das Lied „Üb’ immer Treu’ und Redlichkeit“ intoniert wurde , ließ sich in diese Inszenierung einpassen. Es wurde vom 22. März 1933 an als Pausenzeichen des Deutschlandsenders verwendet und damit reichsweit bekannt. Der inzwischen 85-jährige Reichspräsident Paul v. Hindenburg trat in seiner alten Feldmarschallsuniform mit Pickelhaube zugleich als Verkörperung des Preußentums wie deutscher Kaiserherrlichkeit auf. Hitler mimte im schwarzen Cut den obersten zivilen Staatsdiener , der sich artig vor der Symbolgestalt Hindenburgs verneigte. Erst im Jahr zuvor hatte Hindenburg seiner zweiten Wahl zum Reichspräsidenten noch deswegen zugestimmt , weil damit Hitler als Reichspräsident verhindert werden konnte. Zwar nahm er in der Kirche im Zentrum des Altarraums auf einem erhöhten Sessel Platz , noch einmal die preußische Einheit von Thron und Altar15 demonstrierend , wurde nun aber ,
Der „Tag von Potsdam“ 1933 |
ebenfalls auf hervorgehobenen Plätzen , von Adolf Hitler und Hermann Göring flankiert. So hatte auch die NSDAP in ihren Repräsentanten zumindest optisch an der Verbindung von Thron und Altar teil , was viele Zeitgenossen über die eigentlich kirchenfeindliche Tendenz der NSDAP täuschen konnte. Orgelmusik und Chorgesang unterstrichen den quasi-religiösen Charakter der Veranstaltung , die etwa in der „Potsdamer Tageszeitung“ auch „Weihe- und Staatsakt“ genannt wurde.16 Hitlers Rede stellte eine rhetorisch äußerst geschickte Mischung von Themen und Motiven dar , die sehr verschiedene politische Interessen- und Weltanschauungsgruppen , konservative wie national-revolutionäre , kirchlich gesinnte , militaristische wie pazifistische , mit Befriedigung erfüllen konnte. Einerseits kam der Tag von Potsdam der Hoffnung vieler entgegen , Hitler werde sich in seiner Funktion als Reichskanzler mäßigen und seine extremen Ansichten und aggressiven politischen Ziele aufgeben. Vieles aus seinen früheren Äußerungen wurde als nur verbale Aufschneiderei abgetan , da auch die anderen politischen Kräfte der Weimarer Republik im Wortkampf nur selten zimperlich miteinander umgegangen waren. Andererseits erfüllte Hitler die weitverbreitete Erwartung , dass ein politischer Neuanfang an die alte Größe des preußisch-deutschen Reiches anknüpfen und diese sogar noch übertreffen werde. Der Zentralbegriff einer „nationalen Erhebung“ traf schnell die Herzen derer , die sich seit 1918 / 19 auf der Schattenseite des Lebens gesehen hatten und die sich nun von Hitler als „junge Kräfte“, als „junges Deutschland“ angesprochen fühlten.17 Die allgemein überaus positiven Reaktionen auf den Tag von Potsdam kamen nicht nur bei voreingenommenen NS-Sympathisanten , sondern auch in zahlreichen privaten Zeugnissen von politisch bis dahin weniger Interessierten , in Briefen wie in simplen Dorfchroniken , zum Ausdruck. Insofern gab die schon erwähnte „Potsdamer Tageszeitung“, die das Geschehen dieses Tages auch sonst überschwänglich feierte , die allgemeine Stimmung keineswegs parteilich wieder. Wie leichtfertig man in diesem nationalen Taumel aber auch über „ehrlichere“ Worte Hitlers hinweggehen konnte , kann man an einem mehr als platten Witz erkennen , der ausgerechnet in derselben Ausgabe dieses Blatts unter der Überschrift „Eine Minute Lachen“ abgedruckt wurde : „Deine Frau ist wohl eine glühende Verehrerin von Hitler ?“ „Das will ich meinen , seitdem der Reichskanzler etwas von der Säuberungsaktion gesagt hat , fängt sie jetzt schon mit dem großen Reinemachen an , obwohl Ostern noch weit ab ist.“
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„Aufrichtige Freunde eines Friedens“ – Hitler als „Friedenskanzler“
Mithilfe einer geschickten Diplomatie und zahlreicher öffentlicher Bekundungen seines Friedenswillens gelang es Hitler , die Deutschen und das Ausland von seinem angeblichen Willen zum Frieden im Inneren wie im Äußeren zu überzeugen. Noch 1938 konnte Hitler , nach gezielten Kriegsdrohungen , der Welt seine eigentlich friedlichen Absichten vermitteln. Der „Anschluß“ Österreichs im März 1938 , der einen eklatanten Bruch der Friedensbedingungen von Versailles und St. Germain von 1919 darstellte , sowie die Annexion der deutschen Siedlungsgebiete in der Tschechoslowakischen Republik , des Sudetenlands , blieben ohne Gegenmaßnahmen der westeuropäischen Mächte. Die Reduzierung der Tschechoslowakei auf einen Reststaat fand im Münchener Abkommen vom 29. September 1938 sogar die Zustimmung des britischen Premiers Arthur Neville Chamberlain und des französischen Ministerpräsidenten Edouard Daladiers , die dieses Abkommen vor der eigenen Bevölkerung als friedenserhaltende Maßnahme feierten und damit Hitlers Nimbus eines Friedenskanzlers förderten. Dieser Nimbus wurde selbstverständlich durch eine hilfreiche Propaganda gestützt , die in den ersten Jahren des Regimes vor allem die Aufgabe hatte , alle sehr früh eingeleiteten Maßnahmen der Kriegsvorbereitung zu verschleiern oder Medieninformationen darüber zu unterdrücken. Als zwei Beispiele für vieles können zwei Zensurmaßnahmen vom 11. August 1933 dienen. Zum einen fordert das Propagandaministerium in einer „Bestellung“, also in einer Anweisung an die Medien : „Am 1. 4. 34 wird der Truppenübungsplatz Heuberg im Schwarzwald von der Reichswehr wieder in Betrieb genommen. Meldungen über diese Tatsache sind nicht erwünscht.“ Eine Mehrzahl solcher Meldungen hätte im In- wie Ausland vorzeitig auf die systematisch betriebene deutsche Aufrüstung über die vom Versailler Vertrag gesetzten Grenzen hinaus aufmerksam machen können. Aber auch paramilitärische Aktivitäten sollten möglichst nicht bekannt werden , wie das zweite Beispiel zeigt : „Das Reichsinnenministerium hat einen sehr scharfen Erlass herausgegeben gegen die allzu grosse Veröffentlichung von nationalsozialistischen Aufmärschen , Felddienstübungen usw.“ Höhepunkte der Verklärung Hitlers als Friedenskanzler waren das Reichskonkordat 1933 , die Inszenierung der Olympischen Spiele 1936 und die international beifällig aufgenommene Überwindung der „Sudetenkrise“ als eines möglichen Kriegsanlasses. Meldungen über die tatsächliche Aufrüstung der Reichswehr bzw. der Deutschen Wehrmacht wurden konsequent unterdrückt.
Das Reichskonkordat mit dem Vatikan |
„Entpolitisierung der Geistlichkeit“ – Das Reichskonkordat mit dem Vatikan
Einen ersten spektakulären innen- wie außenpolitischen Erfolg , der Hitler als scheinbar äußerst moderaten Politiker erscheinen ließ , erzielte er mit dem Abschluss des Reichskonkordats mit der römischen Kurie am 20. Juli 1933. Damit schien er einen Friedensschluss mit der katholischen Kirche gemacht zu haben , deren deutsche Bischöfe ihn wie seine Parteigänger mehrfach als „Abtrünnlinge“ bezeichnet hatten , „die nicht in den Genuß der Sakramente kommen dürften“. Dieses Spannungsverhältnis hatte Hitler auch dazu bewogen , den katholischen Gottesdienst aus Anlass der Reichstagseröffnung am Tag von Potsdam demonstrativ zu meiden. Die durch das Konkordat geweckten Hoffnungen der Kurie wie der deutschen Katholiken auf ein friedliches Nebeneinander zerstoben allerdings bald , als sich herausstellte , dass die Vereinbarung auch der Verhinderung öffentlicher Aktivitäten der Kirche diente , die nicht im Sinne des Regimes waren. Die Vorteile für den Staat lagen nämlich nach einer Ausführung des Vizekanzlers v. Papen in der Kabinettssitzung vom 14. Juli 1933 , eine Woche vor der endgültigen Unterzeichnung des Vertrags , darin , dass „die Kirche sich bereit erklärt , alle Vereine , mit Ausnahme der rein religiös-sittlichen und charitativen [ ! ] Vereine , dem Staat ( Reich ) anzuvertrauen. Die Entpolitisierung der Geistlichkeit und die Einführung eines Treueids für die Bischöfe und eines Gebets für den Staat [ … ] wären besonders bemerkenswerte Bestimmungen des Reichskonkordats.“18
Hitler freute sich laut Protokoll dieser Sitzung ebenfalls über den Rückzug der Kirche aus dem Vereins- und Parteileben. Er sah im Konkordat „eine rückhaltlose Anerkennung des derzeitigen Regiments“ durch die Kirche und betonte , dass „Deutschland eine Chance gegeben und eine Vertrauenssphäre geschaffen [ wäre ] , die bei dem vordringlichen Kampf gegen das internationale Judentum besonders bedeutungsvoll wäre.“ Damit gab er – natürlich nur intern – zu erkennen , worin für ihn die eigentlichen Zwecke dieses zeitgenössisch bestaunten Bündnisses mit dem Vatikan lagen : innenpolitisch die Verdrängung der Kirche aus dem öffent lichen Leben ( so wurde etwa auch die zwangsweise erfolgte Selbstauflösung der Zentrumspartei , der Partei des politischen Katholizismus , durch das Konkordat noch nachträglich sanktioniert ) , außenpolitisch die Schaffung günstigerer Ausgangsbedingungen für den geplanten Krieg gegen das „internationale Judentum“.
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Bei entsprechender Auslegung der kirchenrechtlichen Bestimmungen des Konkordats konnten letztlich fast alle Lebensäußerungen der Kirche in Deutschland als Verstoß gegen die Entpolitisierung der Geistlichkeit verstanden und geahndet werden19 , wovon in der Folgezeit sehr wohl oft Gebrauch gemacht wurde. Denn das Regime duldete nur ein „positives Christentum“, also Einstellungen und Äußerungen , die im Einklang mit der NS-Ideologie und -Politik standen. Der Begriff „positives Christentum“ war , wie schon gesagt , einer jener Euphemismen , mit denen die zum großen Teil noch kirchlich gebundene Bevölkerung über die tatsächlich extrem kirchen- und religionsfeindliche Haltung des Regimes hinweggetäuscht werden sollte. In diesem Zusammenhang kann man auch die amtliche Quasi-Konfessionsbezeichnung „gottgläubig“ für alle , die aus der Kirche ausgetreten waren , sehen.20 Das Reichskonkordat war für die deutsche katholische Kirche de facto ein Knebelungsvertrag. Sein Artikel 16 verlangte von neu ernannten Bischöfen , zunächst gegenüber dem Deutschen Reich einen Treueid abzulegen , in dem das „Interesse des deutschen Staatswesens“ – das hieß im Zweifelsfall : des NS-Regimes – der „pflichtgemäßen Sorge“ des Bischofs überantwortet wurde. „Friedensprogramm“ und „Wehrgesetz“ – Verschleierungen aggressiver Ambitionen
Hitler demonstrierte bis kurz vor Kriegsausbruch offiziell immer wieder seinen Friedenswillen. Seiner Politik wurde im Inneren auch positiv angerechnet , dass – freilich aufgrund einer Volksabstimmung im Saargebiet am 13. Januar 1935 – die Saarländer erfolgreich die Wiedereingliederung in das Deutsche Reich erreichten. Sie hatten seit 1920 unter Verwaltung des Völkerbunds gestanden. Zur Werbung für diese Entscheidung war etwa das alte Bergmannslied „Glückauf ! Glückauf ! Der Steiger kommt“ in „Deutsch ist die Saar“ umgedichtet worden. Obwohl Deutschland seit Ende 1933 nicht mehr Mitglied des Völkerbunds war , nahm die Reichsregierung dessen Zustimmung vom 17. Januar 1935 zur Rückgabe des Saargebiets an das Deutsche Reich natürlich mit Wohlgefallen auf. Im Windschatten der allgemeinen Begeisterung setzte Hitler allerdings bereits zwei Monate später , im März 1935 , mit dem „Wehrgesetz“ sein Aufrüstungsprogramm auch offiziell in Gang. Diese Doppelstrategie verfolgte Hitler bis 1938 wie schon in seiner Rede in Potsdam in zahlreichen weiteren offiziellen Reden weiter , in denen er die ausschließlich friedlichen Absichten Deutschlands beschwor. So legte er am 21. Mai 1935 im Reichstag ein dreizehn Punkte umfassendes „Friedensprogramm“ vor ,
Verschleierungen aggressiver Ambitionen |
in dem er insbesondere zweiseitige , also auch leichter kündbare Nichtangriffsverträge vorschlug , was allerdings gegen französische Pläne für ein umfassendes Paktsystem zugunsten kollektiver Sicherheit gerichtet war. Konsequenterweise kündigte Hitler 1936 den multilateralen Locarno-Pakt von 1925 auf. Mit strategischem Hintersinn hatte das Reich bereits am 26. Januar 1934 einen Nichtangriffspakt und Freundschaftsvertrag mit Polen geschlossen. Welchen Wert solche zweiseitigen Verträge hatten und welche wahren Absichten hinter ihnen standen , wurde spätestens durch den deutschen Überfall auf Polen 1939 und 1941 auf die Sowjetunion deutlich , mit der Deutschland 1939 ebenfalls einen Nichtangriffsvertrag , den Hitler-Stalin-Pakt , geschlossen hatte. Zur Verschleierung der wahren , aggressiven Absichten wurde auch die friedensvertragswidrige militärische Besetzung des entmilitarisierten Rheinlands am 7. März 1936 propagandistisch heruntergespielt. Beispielsweise waren in Schulbüchern feindselige Äußerungen gegen die von der Besetzung mitbetroffenen Anrainerstaaten , vornehmlich die Niederlande und Belgien , zu tilgen. Innen- wie außenpolitisch am erfolgreichsten gelang Hitler schließlich die Inszenierung der Olympiade 1936 als „Fest des Friedens“, bei der er sich zusätzlich hinter der olympischen Friedensidee verstecken konnte. Aber selbst dabei ließ er es zu einer Demonstration deutscher militärischer Macht kommen. Gleichzeitig , im Rücken dieses Friedensfests , übte sich seine Wehrmacht in Spanien hinter der Maske der sogenannten Legion Condor im Führen eines Vernichtungskriegs. 1 2 3 4 5
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Schlosser , Horst Dieter ( 102010 ) : dtv-Atlas Deutsche Literatur. München : 261. Nürnberger „Blutschutzgesetz“ § 4. 1. Ehlich ( 1985 ). Dazu : Pausch , Sibylle , in : Schlosser ( 2003 ) : 39–50. Vgl. Blasius ( 2005 ). Zum Einzug Hitlers in Versammlungshallen wurde stets sein Lieblingsmarsch , der „Badenweiler Marsch“, gespielt ( Badenweil = Badonville / Lothringen ). Nill ( 2008 ). Welchen Eindruck solche Inszenierungen auf nichtdeutsche Beobachter machten , schilderte u. a. der Schweizer Kulturphilosoph Denis de Rougemont für die Jahre 1935–36 in seinem „Journal aus Deutschland“ ( französisch : Paris 1938 , deutsch : Wien 1998 ). Vgl. Behr , Hans Georg ( 2002 ) : Fast eine Kindheit. Fast ein Roman. Frankfurt a. M. Vgl. Spieles , Martin ( 1993 ) : Ausländer in der deutschen Sprache. Historische Entwicklung – aktuelle Pressetexte. Wiesbaden. Eitel , Hannah : Opfer ohne Täter. In : Frankfurter Rundschau ( Regionalausgabe ) , 22. / 23. 1. 2010. Als „deutsche Erhebung“ wurde bereits die Mobilmachung 1914 gefeiert.
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Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 34. – Zum Gebrauch der Varianten nach 1945 , zu denen auch „Macht-erlangung / -eroberung / -überlassung / -übertragung“ zählen , Eitz / Stötzel ( 2009 ). Quelle : Deutsches Rundfunkarchiv. Bis 1918 war Kaiser Wilhelm II. als preußischer König offizielles Oberhaupt der evangelischen Christen in Preußen gewesen. Abendausgabe , 21. 3. 1933 : 1. Eine genauere Analyse der Komponenten von Hitlers Rede in Kapitel 9. Hofer ( 1957 ) : 130 ; dort auch das folgende Zitat. Vgl. dazu : Hofer ( 1957 ) : 127. Vgl. Schmitz-Berning ( 2000 ) : 281–283.
4 | SOZIALE WOHLTATEN UND PUBLIKUMSWIRKSAME PROJEKTE ZUR FESTIGUNG DER „VOLKSGEMEINSCHAFT“ „Arbeitsschlacht“ – Die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit | 90 | „Feiertag der nationalen Arbeit“ und „Deutsche Arbeitsfront“ | 91 | „Ehestandsdarlehen“ und „Mutterehrenkreuz“ | 92 | „Straßen des Führers“ – Der Mythos der Reichsautobahnen | 94 | „Kraft durch Freude“ – Der Beginn des Massentourismus | 95 | „Ehrendienst am Deutschen Volke“ im Reichsarbeitsdienst | 97 | „Volkswagen“ wird „KdF-Wagen“ – Technik fürs Volk | 98 |
In seinem Buch „Hitlers Volksstaat“ hat Götz Aly1 eindrucksvoll zusammengetragen , wie sich das NS-Regime schon früh durch breit gestreute soziale Wohltaten die Loyalität der Bevölkerung erkauft hat. Aly hat dabei die wirtschaftlich wie moralisch äußerst problematischen Quellen der Finanzierung aufgedeckt. Sie bestanden im Wesentlichen in der Ausbeutung von Millionen Zwangsarbeitern2 , in der Ausplünderung der besetzten Länder und nicht zuletzt in der Konfiszierung jüdischen Eigentums , derer sich die begünstigten Zeitgenossen nicht oder höchst ungern bewusst waren. Welcher Durchschnittsdeutsche wollte etwa hinterfragen , woher der Staat sogar noch mitten im Krieg das Geld nahm , wenn er ihm eine deutliche Rentenerhöhung bescherte ! Oder wen interessierte es ernsthaft , woher Möbel , Wäsche und andere Ausstattungsstücke stammten , die ihm nach Bombardierungsverlusten erstaunlich schnell zur Verfügung gestellt werden konnten ! Nicht zu übersehen ist jedoch , dass die Staatsausgaben zugunsten einer „Gefälligkeitsdiktatur“, wie Aly das NSRegime charakterisierte , bei weitem hinter den Ausgaben für die Aufrüstung zurückblieben. Die Rüstungsausgaben umfassten bereits 1934 über fünfzig Prozent der staatlichen Investitionen. J. Adam Tooze3 möchte lieber von einer „Mobilisierungsdiktatur“ sprechen. Den hier vorgestellten Aktivitäten ist hinsichtlich ihrer offiziellen Benennung oft eine sprachliche Spezifik eigen , die in geschickter Weise die politischideologischen Leitbilder mit allgemein gängigen zeitgenössischen Hochwertwörtern verbindet. Die „Arbeitsschlacht“ genannten Maßnahmen koppeln den in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit positiv hochbesetzten Begriff „Arbeit“ mit einem Kampfbegriff , der auf der NS-Propagandaleitlinie lag , die Bevölkerung auf revolutionäre und militaristische Haltungen einzustimmen. Dasselbe gilt für den Gewerkschaftsersatz namens „Arbeitsfront“. Die offizielle Benennung des Maifeiertags als „Feiertag der nationalen Arbeit“ hebt „Arbeit“ aus
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seiner Sphäre von Anstrengungen zur individuellen Lebenssicherung durch das Hochwertattribut „national“ auf die Höhe kollektiver Begeisterung. Die KdFFreizeit- und Urlaubsprogramme standen kaum zufällig nicht unter den heute zu erwartenden Aspekten von individueller Erholung , von Entspannung und Vergnügen. Vielmehr sollte die dabei vermittelte „Freude“ der Stärkung von „Kraft“ im Sinne von Produktivität zugunsten der Volksgemeinschaft dienen. „Unproduktive“ Menschen wurden als „Minderwertige“ diskriminiert und in großer Zahl sogar ermordet. Am deutlichsten kommt die Koppelung von nur scheinbar privater Mutterliebe und militaristischer Attitüde in der Ordensbezeichnung „Mutterehrenkreuz“ mit ihrer kaum zufälligen Assoziation an „Ritterkreuz“ zum Ausdruck. „Arbeitsschlacht“ – Die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit
Die neue , „nationale“ Regierung ging zur Zufriedenheit der meisten Deutschen schon am 1. Juni und 21. September 1933 mit zwei Gesetzen zur „Verminderung der Arbeitslosigkeit“ das größte soziale Problem an : die Massenarbeitslosigkeit. Auch dank der positiven Folgen einer Erholung der Weltwirtschaft konnte innerhalb eines knappen Jahres ein tatsächlicher Rückgang der Arbeitslosenzahlen von sechs auf vier Millionen erzielt werden. „Arbeitslosigkeit“ wurde sehr schnell zu einem Stigmawort , das gegen die überwundene Weimarer Republik gewendet werden konnte. „Arbeitsbeschaffung“ dagegen wurde zum Fahnenwort des NS-Regimes. Wie erfolgreich diese verbale Polarisierung war , ließ sich nach 1945 noch an entschuldigenden Erklärungen für die Zustimmung zum NS-Regime erkennen , wenn NS-Sympathisanten immer wieder einmal formulierten : „Aber Hitler hat uns doch Arbeit und Brot gegeben !“ Natürlich wurden die sozialpolitischen Maßnahmen propagandistisch aufwendig unterstützt und ihr Erfolg ausführlichst gefeiert. Die zahlreichen Aktionen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze galten als Teil einer „Arbeitsschlacht“, wie die Propaganda militaristisch formulierte. Konkrete Maßnahmen sollten von den Medien immer wieder kampagnenartig herausgestellt werden. In einer Anweisung des Reichspropagandaministeriums an die Medien vom 11. August 1933 hieß es etwa : „Die Mitteilungen der Agenturen über das Arbeitsbeschaffungsprogramm des Oberpräs[ identen ] Kube sind in grosser Aufmachung zu veröffentlichen. Nachdem über die Massnahmen gegen die Arbeitslosigkeit in Pommern , Ostpreussen
Umdeutung des 1. Mai |
usw. gross berichtet wurde , soll auch über die Massnahmen in dem so schwierigen Gebiet , der Provinz Brandenburg , ausführlich berichtet werden.“
1933 wurde zugunsten des Arbeitsbeschaffungsprogramms sogar eine Lotterie eingeführt , zu der die Zeitungen mit einer Liste von vierzehn Werbeslogans und Werbetexten versorgt wurden , darunter mit gereimten Sprüchen wie „Es liegt in Deiner eig’nen Kraft , / daß sie dem Bruder Arbeit schafft !“ oder „Mit einem Los zu einer Mark / machst Du eines Feiernden4 Arm wieder stark !“. „Feiertag der nationalen Arbeit“ und „Deutsche Arbeitsfront“
Ausgerechnet die NSDAP erhob den seit Beginn der Arbeiterbewegung geforderten und oft nur heimlich gefeierten 1. Mai , den Tag der Arbeit , zum gesetzlichen Feiertag. Sie ließ ihn erstmals 1933 mit großen Versammlungen als „Feiertag der nationalen Arbeit“ öffentlich begehen , allerdings bei gleichzeitiger Unterdrückung der ursprünglich gewerkschaftlichen Idee. Denn nun sollten Arbeitnehmer und Arbeitgeber zugunsten einer Arbeit für die Nation , der „nationalen Arbeit“, eine Gemeinschaft bilden , in der die sozialen Unterschiede und Gegensätze keine Rolle mehr spielen sollten. Hitler selbst sprach auf der pompösen Berliner Großkundgebung auf dem Tempelhofer Feld und führte unter anderem aus : „Deutsches Volk ! Du bist stark , wenn Du eins wirst , wenn Du den Geist des Klassenkampfes und Deiner Zwietracht aus Deinem Herzen reißest.“5 Was scherte die Mehrheit angesichts der demonstrierten „Versöhnung“ der Klassen , dass schon einen Tag danach , am 2. Mai 1933 , die traditionellen Gewerkschaften aufgelöst wurden ! Sie vertraten nach Hitlers Worten ja nur den für die Einheit der Nation schädlichen „Geist des Klassenkampfes“ und der „Zwietracht“. Gewerkschafter leisteten zwar teilweise erbitterten Widerstand gegen die Besetzung der Gewerkschaftshäuser durch die SA und gegen die Beschlagnahmung des Gewerkschaftseigentums , konnten sich aber gegen die Wucht der polizeilich geduldeten Aktionen nicht behaupten. Das geraubte Gewerkschaftsvermögen erlaubte dann relativ leicht die großzügige Finanzierung von Aktivitäten , die dem Ansehen des Regimes zugutekamen. Die Arbeiterschaft erhielt auch schnell , am 10. Mai 1933 , Ersatz : eine Art Einheitsgewerkschaft namens „Deutsche Arbeitsfront“ ( DAF ). Sie richtete in den Belegschaften sogleich eine Art Gesinnungspolizei mit dem harmlos klingenden Namen „Werkschar“ ein. In die DAF waren auch die Arbeitgeber eingegliedert , die dabei – gegen die offiziellen Beteuerungen der Gleichheit aller
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Volksgenossen – nichts von ihrer ökonomischen Vormachtstellung aufgeben mussten. Diese Strategie wurde durch das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ vom 20. Januar 1934 noch bekräftigt , durch das die Arbeitnehmer in Betriebsgemeinschaften zusammengefasst wurden. Als „Gefolgschaften“ unterstanden sie „Betriebsführern“, die von sogenannten „Treuhändern der Arbeit“ kontrolliert wurden. Der aus der nationalökonomischen Theorie stammende Abstraktbegriff „Arbeit“ wurde gleichsam seines Gegenbegriffs „Kapital“ beraubt und überdeckte verbal als allein stehendes Hochwertwort alle sozialen Unterschiede. Die aus sozialistischer Tradition entlehnte Hochschätzung des Begriffs „Arbeiter“ für den Fabrikarbeiter und den handwerklich Tätigen wurde in der kollektivierenden Formel von den „Arbeitern der Stirn und der Faust“ semantisch entleert und dem diffusen Ideologem der „nationalen Arbeit“ unterworfen. Gemäß der behaupteten „nationalen Revolution“ und ihrem kämpferischen Anspruch wählte man im Namen „Arbeitsfront“ gezielt eine Metapher aus dem militärischen Bereich , die zugleich Assoziationen an das offiziell positiv gedeutete Fronterlebnis und an den Kameradschaftsgeist des Ersten Weltkriegs wachrufen sollte. Noch weit über 1945 hinaus titulierten sich Arbeitskollegen als „Arbeitskameraden“. „Ehestandsdarlehen“ und „Mutterehrenkreuz“
Parallel zu den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurde am 1. Juni 1933 auch eine gezielte Förderung der Gründung von Familien eingeführt , das „Ehestandsdarlehen“. Der Staat gewährte Heiratswilligen ein Darlehen bis zu RM 1. 000 ,–, also bis zum Achtfachen eines durchschnittlichen Monatslohns. Voraussetzungen waren , dass die künftige Ehefrau zuvor eine Anstellung hatte , diese aber aufgeben musste , wenn der Mann mehr als RM 125 ,– verdiente. Um den Arbeitskräftemangel auszugleichen , durfte die Frau ab 1938 dann doch weiterarbeiten. Das Darlehen musste in monatlichen Raten von ein Prozent zurückgezahlt werden , bei Geburt eines Kindes wurden 25 Prozent des Darlehensbetrages erlassen.6 Das später in der DDR gebräuchliche Wort „abkindern“ für eine ähnliche Minderung von Darlehen durch die Geburt eines Kindes könnte sehr wohl bereits auf die NS-Zeit zurückgehen. Diese soziale Wohltat , die das Ansehen des NS -Regimes nachweislich steigerte , war im Sinne des Systems natürlich nicht uneigennützig. Zum einen
„Ehestandsdarlehen“ und „Mutterehrenkreuz“ |
war die entscheidende Voraussetzung für die Gewährung eines Darlehens , dass die Heiratswilligen außer ihrer „Erbgesundheit“ auch ihre „Deutschblütigkeit“ nachzuweisen hatten. Zum anderen sollte durch die wachsende Zahl von Eheschließungen auch die Geburtenrate erhöht werden. Es ging also um Steigerung der medizinischen Gesundheit und „Rassereinheit“ eines möglichst zahlreichen Nachwuchses. Die Parole „Dem Führer ein Kind schenken !“, mit der schließlich für steigende Geburtenzahlen geworben wurde , machte schlagartig klar , dass Ehe und Familie keine Privatangelegenheiten mehr sein sollten , sondern sich staatlichen Zwecken unterzuordnen hatten , konkret dem Führer , der Soldaten brauchte. Bezeichnenderweise wurde die Steigerung der Kinderzahl „Geburtenschlacht“ genannt. Auf dem Nürnberger Frauenkongress 1935 erklärte Hitler : „Auch die deutsche Frau hat ihr Schlachtfeld. Mit jedem Kinde , das sie der deutschen Nation zur Welt bringt , kämpft sie ihren Kampf für die Nation.“7 Dass eine Vielzahl von „erbgesunden“ und „rassisch reinen“ Kindern einer Familie besonders begrüßenswert war , schlug sich in einem wahren Mutterschaftskult nieder. Der in Deutschland seit 1922 gefeierte Muttertag wurde 1933 als „Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mutter“ fester Bestandteil des NS -Festkalenders. „Mütterweihen“ mit pseudo-religiöser Ausgestaltung wurden sonntagvormittags , in Konkurrenz zu gleichzeitigen kirchlichen Gottesdiensten , angesetzt. Zahlreiche Gedichte , Lieder und Zeugnisse der bildenden Kunst verklärten das Mutterbild. Der NS-Weihnachtsliedersatz „Hohe Nacht der klaren Sterne“ von Hans Baumann ( 1936 ) etwa verlieh dem Mutterkult in seiner dritten Strophe eine geradezu kosmische Dimension : „Mütter , euch sind alle Feuer , Alle Sterne aufgestellt. Mütter , tief in euren Herzen Schlägt das Herz der weiten Welt.“
Auf diese Weise wurde das Ideologem von der grundsätzlichen „Fähigkeitslosigkeit“ der Frau , das Alfred Rosenberg vorgegeben hatte , auf geradezu mystische Weise aufgehoben. Auch im Leistungssport traute man der Frau nichts zu. Nur Schwimmen , Turnen und Gymnastik galten als „fraugemäß“. Der Deutsche Fußballbund ( DFB ) unterband etwa alle zagen Versuche , Frauen Fußball spielen zu lassen. In seinem Pressedienst erklärte er am 5. März 1936 kategorisch , dass der Fußball zu jenen Sportarten zähle , die „mit dem Wesen der Frau und der Würde des Weibes unvereinbar“ seien8 – eine Haltung , an welcher der DFB auch noch Jahrzehnte nach 1945 festhielt.
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1938 stiftete Hitler für „erbtüchtige und würdige deutschblütige Mütter“9 das „Ehrenkreuz der Deutschen Mutter“, kurz „Mutterehrenkreuz“, auch „Mutterkreuz“ genannt. Es wurde am 21. Mai 1939 erstmals verliehen. Die Verleihung erfolgte auf Antrag. Für vier bis sechs Kinder gab es die Auszeichnung in Bronze , für sechs bis acht in Silber , für acht und mehr in Gold. Empört berichtete 1939 ein geheimer Lagebericht der SS , dass ein evangelischer Pfarrer , Mitglied der Bekennenden Kirche und Vater von zehn Kindern , sich geweigert habe , für seine Frau das Mutterehrenkreuz zu beantragen , weil es „gleichbedeutend wäre mit der Prämierung von Zuchtvieh“.10 „Straßen des Führers“ – Der Mythos der Reichsautobahnen
Eine der Arbeitsbeschaffung dienende und besondere propagandistische Rolle spielte der im Juni 1933 mit größtem personellem und technischem Aufwand in Gang gesetzte Bau der Reichsautobahnen. Fritz Todt , 1933 als Generalinspektor für das Straßenwesen mit der Leitung des Unternehmens betraut , führte die propagandistische Bezeichnung dieser Verkehrsbauten als „Straßen des Führers“ ein. Mit dieser Zuschreibung konnten sich die Autobahnen geradezu als spezieller Führer-Mythos bis weit nach 1945 im kollektiven Gedächtnis der Deutschen festsetzen. Dabei reichten ihre ersten Entwürfe bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück.11 Die gigantischen Planungen unter Hitler wurden in allen Medien als Spitzenleistung nationalsozialistischer Arbeitsmarkt- und Verkehrspolitik gefeiert. Bis Kriegsende hingen in den Volksschulen Schautafeln , welche die Autobahnen als NS-Meisterleistung feierten. Auch in einer zeitgenössischen Spielzeuginstallation , die gleichsam Vorläufer der heutigen Carrerabahn war , wurde die Autobahnidee popularisiert. Darüber hinaus regte der Autobahnbau eine Fülle künstlerischer und literarischer Ergüsse an.12 Ein besonderer Schwerpunkt der Propaganda für den Autobahnbau lag in der Behauptung , dass sich diese Verkehrswege harmonisch in die Natur einfügten. Damit sollten offenbar schon damals geäußerte naturschützerische Bedenken ausgeräumt werden. Nicht zufällig wurde immer wieder ein harmonisches Miteinander von Autobahnen und Natur ins Bild gesetzt , etwa in einer Mercedes-Benz-Anzeige von 1935 , die großflächig einen Autobahnverlauf zwischen üppiger Vegetation links und rechts der Fahrbahnen und auf dem Mittelstreifen zeigt. Tatsächlich hatte bereits die Weimarer Republik mit ersten Baumaßnahmen für Autobahnen begonnen. Im August 1932 weihte der damalige Kölner
Der Beginn des Massentourismus |
Oberbürgermeister Konrad Adenauer die erste Autobahn , die „Kraftwagenstraße Köln-Bonn“, die heutige A 555 , ein. Schon der Berliner Avus von 1921 galt als Prototyp einer „kreuzungsfreien Autostraße“. Dennoch wurde Hitler zum Autobahnerfinder hochstilisiert. Ganz im Sinne dieses Mythos wurde er im November 1933 ins Zentrum einer Propagandakampagne zur Reichstags( schein )-wahl , bei der nur noch die NSDAP kandidierte , und zur gleichzeitigen Volksabstimmung über den schon vollzogenen Austritt aus dem Völkerbund gerückt. Sein Foto vom ersten Spatenstich am 23. September 1933 wurde in die Mitte einer Plakatcollage gesetzt , in der er überlebensgroß über einer Schar vorbeiziehender Bauarbeiter schwebte , was ihn zugleich als „obersten Arbeiter“ der Nation zeigen sollte. Das Schriftband am oberen Rand der Werbung für Hitlers Völkerbundpolitik lautete : „Die Armee der Arbeit und des Friedens antwortet dem Führer mit : …“. Im unteren Drittel des Plakats prangte dann in stark vergrößerter Schrift die Antwort „Ja !“.13 Die mit den neuen Reichsautobahnen verbundenen , letztlich aber illusionären militärstrategischen Absichten wurden in der NS-Zeit grundsätzlich verschwiegen. Auch über die ökonomisch zweifelhaften Aspekte , insbesondere die insgesamt nur geringe Auswirkung auf den Arbeitsmarkt oder die finanzielle Auszehrung der Deutschen Reichsbahn zugunsten des Autobahnbaus , durfte nichts veröffentlicht werden; wesentliche finanzielle Mittel musste die Deutsche Reichsbahngesellschaft beisteuern. Ebenso wurde nichts über die zahlreichen , teilweise schweren Unfälle beim Bau veröffentlicht.
„Kraft durch Freude“ – Der Beginn des Massentourismus
Das populärste Programm der NS-Mobilisierung der Massen bot zweifellos die „NS -Gemeinschaft ‚Kraft durch Freude‘“ ( KdF ) , eine 1934 gegründete Unterorganisation der Deutschen Arbeitsfront. Deren eigentliches Ziel war es , durch erschwingliche Freizeit- und Urlaubsangebote die Leistungsfähigkeit von Arbeitern zu steigern. Tatsächlich aber nutzten mehr Angestellte als Arbeiter die KdF-Programme. Das KdF-Amt „Schönheit der Arbeit“ kümmerte sich auf vielfältige Weise um verbesserte Bedingungen am Arbeitsplatz. Auf dem touristischen Sektor griff KdF mit Tagesausflügen und Wochenendfahrten zunächst die traditionelle Wanderbewegung auf , startete aber schon 1934 auch Urlauberzüge , etwa nach Oberbayern und in den Harz. Sogenannte Grenzlandfahrten ins Saarland oder nach Ostpreußen sollten das Bewusstsein für geopolitische Aspekte wecken. Den positivsten Widerhall hatten indes die
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KdF-Urlaubsreisen ins Ausland , auf Schiffen zum Mittelmeer und zu den norwegischen Fjorden. Denn nun waren solche Reisen nicht mehr Privileg einer Minderheit von Reichen. Ein KdF-Plakat warb darum über einem Bild von fröhlichen Schiffspassagieren in einem norwegischen Fjord mit dem verheißungsvollen Slogan „Auch Du kannst jetzt reisen“. Dass „reisen“ ein Hochwertwort sein konnte , ist für eine heutige Freizeit- und Urlaubsgesellschaft kaum noch nachzuvollziehen. „KdF-Reisen“ war darum in diesem Rahmen das wohl meistbenutzte Kompositum. Für die Seereisen wurden sogar eigens KdF-Schiffe , elegante weiße Luxusdampfer , gebaut und eingesetzt. Als erstes die „Wilhelm Gustloff“, deren Untergang nach einem sowjetischen Torpedobeschuss in der Danziger Bucht am 30. Januar 1945 über 5. 000 Flüchtlinge und Wehrmachtsangehörige das Leben kostete. Ein weiteres KdF-Schiff wurde auf den Namen des Leiters der KdF-Organisation „Robert Ley“ getauft. Auf der Insel Rügen , an der Bucht von Prora , baute KdF 1935–39 an einem gigantischen Hotelkomplex , dessen halbwegs fertiggestellten Teile im Krieg als Lazarett und als Flüchtlingsunterkunft , später von der DDR-Armee als Kasernen genutzt wurden. Die Monstrosität der Anlage ging auf eine Idee Hitlers zurück , der ein „Riesenseebad“ mit 20. 000 Betten wünschte , wie Robert Ley am 18. Februar 1936 vor Architekten kundtat. Ley offenbarte dabei auch den massenpsychologischen Hintersinn des Bauwerks und seiner Einrichtungen : „Wenn der Mensch in das Seebad kommt , dann muss er sofort seine Vergangenheit vergessen. Ich möchte es so einrichten , dass er in einen Trubel hineinkommt , der ihm den Atem benimmt , dass er vor lauter Musik , Tanz , ins-Theater-gehen usw. nicht zu sich selbst kommt.“14
Die KdF-Einrichtungen und -Freizeitaktivitäten dienten aber nicht nur bloßer Ablenkung vom Arbeitsalltag und der Betäubung eigenen Denkens. Vielmehr war ihr Zweck auch einem klaren ideologischen Ziel verpflichtet , wie aus der Darstellung einer NSDAP-Erklärung von 1938 hervorgeht , worin es heißt : „Die Arbeit der NS.-Gemeinschaft KdF soll aber auch dazu dienen , um den deutschen Arbeiter zu einem stolzen , frohen und freien , zu einem Herrenmenschen zu machen. So sehen wir in dem Aufgabengebiet der NS.-Gemeinschaft KdF nicht nur eine Organisation , um die Freizeit zu gestalten. Sie ist vielmehr eine nationalsozialistische Gemeinschaft , die eine neue Gesellschaftsordnung herstellt.“15
Die KdF-Freizeitaktivitäten erstreckten sich ferner auf zahlreiche nichttouristische Felder , auf kulturelle Programme wie Theateraufführungen , Konzerte ,
Der Reichsarbeitsdienst |
Vorträge und Kunstausstellungen. Zu den Olympischen Sommerspielen in Berlin 1936 wurde in der Nähe des Olympiastadions die sogenannte KdF-Stadt gebaut , in deren Häusern „deutschen Volksgenossen“ zu günstigen Preisen für Unterkunft und Verpflegung der Besuch der Olympischen Spiele ermöglicht wurde. Im Krieg übernahm KdF in Zusammenarbeit mit der Wehrmacht die kulturelle Frontbetreuung der Soldaten. Kulturhistorisch betrachtet stellen die KdF-Reisen und der Prora-Komplex den Beginn des modernen Massentourismus dar. „Ehrendienst am Deutschen Volke“ im Reichsarbeitsdienst
Eine propagandistisch sehr effektvolle Maßnahme , große Zahlen Jugendlicher aus der Arbeitslosigkeit zu holen oder sie davor zu bewahren , war 1935 die Einführung des „Reichsarbeitsdienstes“ ( RAD ) , kurz „Arbeitsdienst“ genannt. Im RAD hatten alle männlichen und bis 1939 auf freiwilliger Basis auch alle weiblichen Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren auf verschiedenen Feldern des Arbeitslebens eine halbjährige Dienstzeit zu absolvieren. Auch hierfür entstammte die Idee der Weimarer Republik , in der 1931 schon ein „Freiwilliger Arbeitsdienst“ ( FAD ) eingeführt worden war. 1934 wurde der FAD dem „Reichskommissar für den freiwilligen Arbeitsdienst“, Konstantin Hierl , unterstellt. Er war bereits zuvor für diese Aufgabe zum „Beauftragten des Führers“ bestellt worden. Nach Auflösung des FAD 1935 zielte die neue Organisation des RAD bei den männlichen Jugendlichen nicht zuletzt auf eine vormilitärische Ausbildung. Der RAD war bereits militärisch gegliedert , die Mitglieder trugen in der Öffentlichkeit eine besondere Uniform. Die „Arbeitsdienstmänner“ hatten mit einem Spaten , Symbol ihrer Handarbeit , wie mit einem Gewehr zu paradieren. Die Verbindung von ziviler Arbeitsleistung und vormilitärischer Zweckbestimmung kam auch im Refrain eines Arbeitsdienst-Liedes sinnfällig zum Ausdruck : „Wir sind der Arbeit Soldaten“. Bis zum Kriegsbeginn waren die männlichen Mitglieder als Hilfskräfte mit zivilen Aufgaben betraut , etwa in der Forstwirtschaft , bei der Trockenlegung von Mooren , aber auch beim Autobahnbau. Nach Kriegsbeginn wurden sie kompanieweise als Bautrupps und zur Bewachung sowjetischer Kriegsgefangener eingesetzt. Sie folgten in Russland – auf Fahrrädern ! – der kämpfenden Truppe , teilweise bis vor Stalingrad.16 Die „Arbeitsmaiden“, wie die jungen Frauen altertümelnd genannt wurden , waren vornehmlich in der Landwirtschaft , als Haushaltshilfen und in der Säuglings- und
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Kinderbetreuung tätig. Bis zu je 150 der männlichen RAD-Mitglieder waren zunächst in Barackenlagern zusammengefasst. Durch politische Schulung , die beiden Geschlechtern zuteil wurde , und durch Drill der jungen Männer fand auch hier eine Einübung in den NS-Gemeinschaftsgeist statt. Das Gesetz zur Einführung des RAD vom 26. Juni 1935 nannte den Arbeitsdienst mit euphemistisch stilisierender Absicht „Ehrendienst am Deutschen Volke“. So wurde übrigens auch die Wehrpflicht pathetisch umschrieben.17 Im „Wehrgesetz“ von 1935 war bereits drei Monate vor der offiziellen Einführung des RAD die Absolvierung des Arbeitsdienstes als Voraussetzung der Ableistung des Wehrdienstes festgelegt worden. „Volkswagen“ wird „KdF-Wagen“ – Technik fürs Volk
1937 gründete die Deutsche Arbeitsfront ( DAF ) unter der Regie der Organisation „Kraft durch Freude“ die „Gesellschaft zur Vorbereitung des Deutschen Volkswagens mbH“. 1938 errichtete sie mit dem beschlagnahmten Vermögen der 1933 aufgelösten Gewerkschaften bei dem niedersächsischen Ort Fallersleben das heutige Wolfsburg mit seiner großen Autofabrik und mit Arbeiterwohnungen als „Stadt des KdF-Wagens“.18 Hitler taufte das Auto , von dem er selbst einen Prototyp getestet hatte , in „KdF-Wagen“ um , nachdem dieses Projekt während der gesamten Planung noch „Volkswagen“ genannt worden war ( und nach seiner „Entnazifizierung“ ab 1947 wieder heißen sollte19 ). Mit dieser Umbenennung sollten die positiven Assoziationen , die allgemein mit den sonstigen Aktivitäten der Urlaubs- und Freizeitorganisation KdF verbunden waren , auf das Projekt übertragen werden. Nach Vorarbeiten ab Ende der 1920er-Jahre war schon 1934 Hitlers Protegé , der österreichische Ingenieur Ferdinand Porsche , gegen Widerstände aus der übrigen Automobilindustrie mit der Konstruktion eines preisgünstigen PKW beauftragt worden. Die maßgeblichen Anteile , welche die Konstrukteure Béla Barényi und Adolf Rosenberger an der technischen Entwicklung hatten , wurden von Porsche – bis in heutige Firmendarstellungen erfolgreich – unterdrückt. Rosenberger wurde als Jude bereits 1933 aus dem gemeinsamen Unternehmen verdrängt , er emigrierte nach Haft in die USA.20 Ein wesentlicher Teil der Geschichte dieses Autos zwischen 1934 und 1940 /41 vollzog sich , vom Technischen abgesehen , als Propagandafeldzug. Hitlers Testfahrt 1937 und die grandios inszenierte Grundsteinlegung des Autowerks am 26. Mai 1938 waren die ersten Höhepunkte. Bei der Grundsteinlegung feierte
Technik fürs Volk |
Hitler das entstehende Werk als „Symbol der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft“.21 Die Werbekampagne umfasste außer Broschüren mit dem Titel „Dein KdF-Wagen“ auch Schaufahrten durch ganz Deutschland. Noch 1939 gab die Deutsche Reichspost eine Sonderbriefmarke heraus. Die Entwicklung des KdF-Wagens stand in engem Zusammenhang mit der von Hitler besonders geförderten allgemeinen Motorisierung der Deutschen. Die avisierte Kaufsumme für einen KdF-Wagen in Höhe von 990 Reichsmark , etwa das Siebenfache eines monatlichen Arbeiterlohns , wurde auf „Sparkarten“ der KdF-Organisation mit RM 5 ,– wöchentlich angespart. Die Werbeparole lautete : „5 Mark die Woche musst Du sparen – willst Du im eignen Wagen fahren !“ Die tatsächlichen Herstellungskosten überstiegen den Kaufpreis allerdings bei Weitem. Die offizielle Vorstellung des KdF-Wagens auf der Berliner Automobilausstellung am 16. Februar 1939 war dem Regime natürlich wiederum eine grandiose Propagandainszenierung wert.22 Ein halbes Jahr vor dem längst geplanten Kriegsbeginn kam aber keine Serienfertigung mehr in Gang , und eine echte Verkaufswerbung war schon mehr oder weniger illusorisch. So hat auch keiner der 60. 000 von den insgesamt 337. 000 potenziellen Käufern , die bis 1940 die Kaufsumme schon vollständig erspart hatten , jemals einen KdF-Wagen sein Eigen nennen können. Höhere Parteifunktionäre jedoch erhielten einzelne Exemplare als Dienstfahrzeuge , anfangs in noblem Schwarz , nach Kriegsbeginn in feldgrauer Tarnfarbe. Das von den „unteren Hunderttausend“ angesparte Geld mit der Gesamtsumme von 280 Millionen Reichsmark wurde sehr bald für die Kriegsgüterproduktion , insbesondere für die schließlich statt des PKWs gebauten Kübel- und Schwimmwagen der Wehrmacht , verwendet. Ferdinand Porsche wandte sich der Konstruktion von Panzern zu und wurde Vorsitzender der „Panzerkommission“. Trotz der publikumswirksamen Umbenennung des Volkswagens in „KdFWagen“ hielt das Regime in Bezeichnungen technischer Geräte nach wie vor Komposita mit dem Bestimmungswort „Volk“ für werbewirksam , schon früh etwa auch in der Bezeichnung für kostengünstige Radiogeräte , die „Volksempfänger“. Ebenso wurde ein „Volksfernseher“ hergestellt , und sogar an die Entwicklung eines „Volkspflugs“ und eines „Volkstraktors“ war gedacht. 1
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Aly ( 2005 ). Die Begriffe „Zwangsarbeiter“ und „Sklavenarbeiter“ kamen erst nach dem Krieg auf , vor allem im 1. Nürnberger Kriegsverbrecherprozess 1945 /46. Zeitgenössisch wären sie zu „ehrlich“ gewesen. Ehrlich war hingegen Himmler , wenn er von „Sklaven“ sprach. So formulierte er
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jedoch nur in einer seiner Geheimreden. Bei Zwangsarbeitern aus den besetzten Gebieten etwa benutzte man lieber den Euphemismus „ausländische Zivilarbeiter“. 3 Tooze ( 2007 ). 4 Inzwischen untergegangene Bezeichnung eines Arbeitslosen ( vgl. noch „krank-feiern“ ). 5 Domarus ( 1965 ) I. 1 : 261. 6 Schmitz-Berning ( 2000 ) : 161. 7 Zitiert nach : Klose ( 1982 ). 8 Zitiert nach : Frankfurter Rundschau ( Regionalausgabe ) , 1. / 2. 6. 2011 : 4. 9 Uneheliche Kinder wurden unter diesen Bedingungen ehelichen gleichgesetzt. 10 Schmitz-Berning ( 2000 ) : 165. 11 Benz ( 1992 ) : 40 ff. ; Schütz / Gruber ( 1996 ). 12 Ebda. 13 Reproduktion in : Schütz / Gruber ( 1996 ) : 44. 14 Heiber / Heiber ( 2001 ) : Nr. 278. 15 Jahres- und Leistungsbericht der Gauwaltung Düsseldorf : 46 , zitiert nach : Schmitz-Berning ( 2000 ) : 349. 16 Vgl. etwa Stadler , Wolfgang ( 2000 ) : Hoffnung Heimkehr. Colditz. 17 Vgl. Hottner , Maresa : Sprache im Reichsarbeitsdienst. In : Greule / Sennebogen ( 2004 ) : 89–172. 18 Der Stadtname „Wolfsburg“ wurde erst nach britischer Besetzung im Mai 1945 eingeführt , Fallersleben wurde Anfang der 1970er-Jahre ein Stadtteil von Wolfsburg. 19 Seinen Spitznamen „Käfer“, original „beetle“, erhielt das Auto seiner Form wegen schon vor Kriegsbeginn in den USA. 20 E. Reuß in : Südwestdeutscher Rundfund 2 , Sendung „Leben“, 12. 3. 2010. 21 Domarus ( 1965 ) I. 2 : 868. 22 Vgl. „Der KDF -Wagen von A bis Z“, 1941 ( Nachdruck Bielefeld 2006 ).
5 | STRUKTUREN DER DIKTATUR UND DES TERRORS „Trägerin des deutschen Staatsgedankens“ – Die NSDAP als Staatspartei | 101 | „Reichsparteitage des Deutschen Volkes“ – Die Gleichsetzung von Partei und Volk | 103 | Von „Motorsportschulen“ und „Reichsmütterdienst“ – Die Gliederungen der Partei | 106 | „Schulen der Weltanschauung“ – Napola und Adolf-Hitler-Schulen | 107 | „Wo wir stehen , steht die Treue“ – Die HJ als Personalreserve der Partei | 108 | „Die Fahne ist mehr als der Tod“ – Erziehung zu Hass und Heldentod im HJ-Lied | 111 | „Sturmabteilung“, „Schutzstaffel“, „Geheime Staatspolizei“ – Die Terrororganisationen | 114 | „Wetzt die langen Messer“ – Die SA von der Sportabteilung zur Sturmabteilung | 114 | „Blut , Auslese , Härte“ – Die SS von der Schutzstaffel zum Orden der Massenmörder | 116 | „Verschärfte Vernehmungen“ – Der Unterdrückungsapparat der Gestapo | 119 | „gnadelos“ und „anständig“ – Nationalsozialistische Partikularethik | 120 |
„Trägerin des deutschen Staatsgedankens“ – Die NSDAP als Staatspartei
In „Mein Kampf“ hatte Hitler die „Organisation“ der nationalsozialistischen „Idee“ von der Propaganda für die Massen abgegrenzt. Die politische Praxis sollte also einem engeren Kreis vorbehalten sein , der sich in der Form einer Partei , der NSDAP , etablierte. Das bedeutete konkret , dass es in dieser Organisation trotz Massenanhängerschaft eine Elite geben sollte , die selbst wiederum ganz auf einen „Führer“ fixiert war. Gut einen Monat nach Hitlers Berufung ins höchste Regierungsamt verfehlte seine Partei in der Reichtagswahl am 5. März 1933 noch die erhoffte absolute Mehrheit. Die NSDAP konnte nur mithilfe der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ eine parlamentarische Mehrheit bilden. Immerhin strömten nun der NSDAP als stärkster Kraft zahlreiche neue Mitglieder zu , nicht zuletzt Beamte und staatliche Angestellte , die bis dahin keiner Partei beitreten durften. In Anspielung auf das Wahldatum wurden diese plötzlichen Neuzugänge insbesondere vonseiten der „Alten Kämpfer“ der Partei spöttisch als „Märzgefallene“ bezeichnet – eine Parodie auf die Benennung der Todesopfer der Märzrevolution 1848. Der Ansturm war so groß , dass eine vierjährige Aufnahmesperre verhängt werden musste. Am 24. März 1933 beschloss der Reichstag im „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, dem sogenannten Ermächtigungsgesetz , mit einer
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beschämend großen parlamentarischen Mehrheit von 444 zu 94 Stimmen seine Selbstentmachtung. Die katholische Zentrumspartei stimmte mit der Mehrheit. Die Opposition war schon deswegen dezimiert , weil die KPD Reichstagsabgeordneten aus dem Parlament ausgeschlossen waren und die SPD -Fraktion fast ein Drittel ihrer Mitglieder durch Verhaftung verloren hatte. Im Juni / Juli 1933 lösten sich unter Druck alle Parteien selbst auf , auch die Deutschnationale Volkspartei , die immerhin noch der Koalitionspartner der NSDAP gewesen war. Die SPD wurde sogar ausdrücklich verboten. Zum 14. Juli 1933 beschloss der auf ein Akklamationsgremium reduzierte Reichstag ein „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“. Dadurch blieb die NSDAP auch formal als einzige Partei übrig. Fortan wurde sie auch alltagssprachlich „die Partei“ genannt. Zu einer neuerlichen Reichstagswahl , die am 12. November 1933 durchgeführt wurde , gab es nur noch die Einheitsliste der NSDAP. Sie konnte die überwältigende Mehrheit von 92 Prozent auf sich vereinigen. Ebenso groß war die bei dieser Wahl zusätzlich erfragte nachträgliche Zustimmung zum Austritt des Deutschen Reiches aus dem Völkerbund , dem Deutschland seit 1926 angehört hatte. Am 1. Dezember 1933 vollzog die NSDAP mit Zustimmung des ihr hörigen Reichstags im „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat“ auch formell ihre Gleichsetzung mit dem von ihr ohnehin schon dominierten Staat. Paragraph 1 erklärte die NSDAP zur „Trägerin des deutschen Staatsgedankens“, die „mit dem Staat unlöslich verbunden“ sei. Angesichts dieser hochoffiziellen Stellung wurde die als diskriminierend empfundene Bezeichnung „Nazi“ für einen NS-Parteigenossen tabuisiert. „Nazi“ war zunächst als Kampfbegriff der Gegner aufgekommen – dem Kurzwort „Sozi“ vergleichbar – , war aber vor 1933 auch von den NSDAP-Mitgliedern als Selbstbezeichnung benutzt worden , etwa in der Parole „Keine Arbeitsstelle ohne Nazizelle“.1 Die Dominanz und schließlich die Monopolstellung der NSDAP waren trotz verbreiteter Hoffnung auf ein effektiveres staatliches Handeln nicht einfach das Ergebnis freiwilliger Zustimmung , sondern ganz wesentlich eine Folge der systematischen Beseitigung jeglicher politischen Konkurrenz. Allerdings stießen das Verbot oder die unter Druck erfolgte Selbstauflösung der Parteien auch deswegen auf nur geringe Kritik , weil eine Grundstimmung in der Bevölkerung die Parteienvielfalt der Weimarer Zeit mit dem Vorwurf eines ineffektiven Parteiengezänks verband. Die Problematik eines Ermächtigungsgesetzes wurde nicht zuletzt deswegen nicht allzu ernst genommen , weil es mit dem beruhigend klingenden Zusatz „zur Behebung der Not von Volk und Reich“ daherkam.
Die Gleichsetzung von Partei und Volk |
„Reichsparteitage des Deutschen Volkes“ – Die Gleichsetzung von Partei und Volk
Als eins der eindrucksvollsten Zeichen der Allmacht der NSDAP und ihres Führers müssen ihre jeweils Anfang September organisierten Reichsparteitage am Südostrand von Nürnberg gelten. Schon seit 1927 wählte die NSDAP Nürnberg als Ort ihrer Parteitage , womit sie an die dortigen Zusammenkünfte von Reichstagen des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation anknüpfen wollte. Reichsparteitage hielten bis zu ihrem Untergang auch andere Parteien ab. Der zunächst neutrale Terminus erhielt jedoch ab 1933 nicht nur durch die Monopolisierung der NSDAP , sondern durch die pompöse Inszenierung dieser Zusammenkünfte eine spezifische Bedeutung. Ein NS-Reichsparteitag war weit über eine Parteiveranstaltung hinaus eine Machtdemonstration der Staatsführung und damit für das gesamte Volk von höchster Bedeutung. Schließlich konnte ein Reichsparteitag sogar quasi-parlamentarische Funktionen übernehmen , insbesondere bei der Verkündung der „Nürnberger Gesetze“ 1935. Nach dem Einzug schier endloser Marschkolonnen der Partei und ihrer Gliederungen , ab 1935 auch von Einheiten der Wehrmacht in kriegsmäßiger Ausrüstung , auf das über und über mit Fahnen geschmückte Parteitagsgelände , das Nürnberger Zeppelinfeld , stellten sich die einzelnen Gruppierungen in riesigen Menschenblöcken auf. Geradezu selbstverständlich erschienen auch die nichtmilitärischen Formationen in ihren jeweiligen Uniformen. Die Massen hatten stundenlang auszuharren , um Parolen entgegenzunehmen , Treuegelöbnisse zu absolvieren und Totenehrungen vorzunehmen. Den Höhepunkt bildete jeweils eine programmatische Rede Hitlers. Albert Speer , Hitlers Chefarchitekt , war beauftragt worden , das Parteitagsgelände mit Aufmarschfeld , Stadion und Kongresshalle zu gestalten. Die bis 1935 teilweise fertiggestellten Anlagen entsprachen in ihrer Gigantomanie ganz dem Bedürfnis des Auftraggebers nach einer auch architektonisch spektakulären Machtdemonstration. Die Nürnberger Haupttribüne , auf der Hitler den Vorbeimarsch der mehrere Hunderttausende umfassenden Kolonnen abnahm und seine Reden hielt , war als eigenes Machtsymbol ein hoch über die Menschenmassen ragendes Steinpodium. Auf seiner Stirnseite und noch einmal hoch über der Tribüne thronte in Stein je ein Reichsadler auf dem Hakenkreuz im Eichenlaubkranz. „Sprache unterm Hakenkreuz“ war auch die Gesamtheit außersprachlicher Zeichen : hier wie andernorts die das einzelne Individuum einschüchternde „Sprache der Architektur“. Man denke nur an die bedrohlich
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wirkende Architektur der drei fertiggestellten Ordensburgen in Sonthofen / Allgäu , Vogelsang / Eifel und Crössinsee / Pommern. Die Gesamtinszenierung der größten aller NS -Massenveranstaltungen in Nürnberg mit ihren zunächst außersprachlichen Zeichen , die in ihrer Wirkung durch Filmwochenschauen noch verstärkt wurde , suggerierte zweierlei erfolgreich : einerseits dass die NSDAP und ihr Führer die Macht schlechthin seien , andererseits dass die Deutschen eine unauflösbare Einheit bildeten. Dieser Eindruck wurde auch terminologisch dadurch verstärkt , dass die Nürnberger Veranstaltungen offiziell „Reichsparteitage des Deutschen Volkes“ genannt wurden. Deren starke Wirkung kam sogar in der alltagssprachlich-ironischen Kennzeichnung einer positiv bewegenden Situation zum Ausdruck , wenn gesagt wurde : „Es war mir ein innerer Reichsparteitag.“ Im Wort „Reichsparteitag“ hatte sehr schnell ein zutiefst emotionaler Aspekt die ursprünglich neutrale Semantik der Bezeichnung für eine bestimmte Versammlungsform verdrängt. Es war daher geradezu konsequent , dass die NSDAP ihre Parteitage zum Forum für ihre programmatischen Äußerungen machte. Die einzelnen Parteitage standen jeweils unter einem Motto , das eine pathetische Deutung der aktuellen politischen Situation enthielt : 1933 „Sieg des Glaubens“ – in Erinnerung an die NS -Machtübernahme , 1934 „Triumph des Willens“ – nach Durchsetzung der Diktatur ,
1935 „Reichsparteitag der Freiheit“ – nach Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht und damit nach Befreiung von Einschränkungen des Versailler Vertrags ,
1936 „Reichsparteitag der Ehre“ – nach der militärischen Besetzung des linken Rheinufers und nach der internationalen Anerkennung in den Olympischen Spielen ,
1937 „Reichsparteitag der Arbeit“ – auf ihm wurde der schon Ende 1936 in Kraft getretene 2. Vierjahresplan offiziell verkündet.
1938 „Reichsparteitag Großdeutschlands“ – nach dem „Anschluß“ Österreichs.
1939 sollte das Motto „Reichsparteitag des Friedens“ lauten , das durch den Kriegsbeginn überholt wurde , aber auch schon durch die NS -Kriegspolitik zuvor zur glatten Lüge geworden
wäre. „Glaube“, „Wille“, „Freiheit“, „Ehre“, „Arbeit“ und die Perspektive „Großdeutschland“ ergaben jene Reihe von NS -Fahnenwörtern , die den Deutschen auch sonst in der
Propaganda eingehämmert wurden.
Die Verquickung von NS-Staat und NSDAP war im gesamten politischen Leben Deutschlands sichtbar. Schon die Doppelfunktion von Gauleitern der Partei , die im Gefolge der Gleichschaltung in neun der elf Länder zu Reichsstatthaltern , also zu den obersten Vollstreckungsbeamten, gemacht worden waren , stellte einen
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eklatanten Beweis dafür dar , dass sich die NSDAP gleichsam als Staatsersatz verstand. Einen weiteren Gipfel dieser absichtsvollen Verwechslung von Partei und Staat stellte schließlich die Verkündung dreier Gesetze , der sogenannten Nürnberger Gesetze , auf dem Reichsparteitag von 1935 dar. Dabei soll es an dieser Stelle noch nicht um die Ungeheuerlichkeit der beiden „Nürnberger Rassegesetze“ gehen , sondern um die jeder parlamentarischen und administrativen Tradition widersprechende Art , Gesetze rechtswirksam werden zu lassen. Das dritte Nürnberger Gesetz , das „Reichsflaggengesetz“, war gleichsam das Tüpfelchen auf dem i der Ineinssetzung von Partei und Staat : Darin wurde die Hakenkreuzfahne , die Parteifahne der NSDAP , zur Reichs- , National- und Handelsfahne erklärt. Schwarz-Weiß-Rot waren nun wie schon ab 1871 die Reichsfarben. Schwarz-Rot-Gold , die Symbolfarben der deutschen demokratischen Bewegung seit Anfang des 19. Jahrhunderts , die in der Weimarer Republik nur mühsam gegen Schwarz-Weiß-Rot hatten durchgesetzt werden können , wurde erneut verdrängt. Es hätte nicht viel gefehlt , dass sogar ein Parteilied , genauer die SA-Hymne, anstelle des „Deutschlandsliedes“ Nationalhymne geworden wäre. Es ging um das „Horst-Wessel-Lied“, das Martin Bormann , im Parteibüro der NSDAP maßgeblich2 , noch 1938 als offizielle Hymne anerkannt wissen wollte. Der Liedtext war von dem SA-Sturmführer Horst Wessel gedichtet worden , kurz bevor er am 23. 2. 1930 in einer eher persönlichen Auseinandersetzung von einem KPDMitglied erschossen wurde. Die NS-Propaganda machte aus Wessel sofort einen „Märtyrer der Bewegung“, der wie in seinem Lied ein Opfer von „Rotfront und Reaktion“ geworden sei. Das Lied , mit einer Melodie aus dem 19. Jahrhundert , wurde am 1. März 1930 erstmals im „Völkischen Beobachter“ veröffentlicht. Schon seit 1933 wurde die erste Strophe dieses Liedes jeweils im unmittelbaren Anschluss an die erste Strophe des „Deutschlandliedes“ gesungen. Hitler selbst aber wollte es bei diesem Gebrauch , in einer Art Doppelhymne , belassen , was dann tatsächlich bis 1945 gegolten hat. Bei Hitlers Widerstand gegen eine weitere Aufwertung des „Horst-Wessel-Liedes“ könnte seine Distanz zur SA seit dem sogenannten Röhmputsch 1934 mitgespielt haben. Denn der Liedtext stammte erkennbar aus der Zeit , da die SA für sich noch die führende Rolle in der „nationalsozialistischen Revolution“ beansprucht hatte : „SA marschiert , die Reihen fest geschlossen. / SA marschiert mit festem Schritt und Tritt“.
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Von „Motorsportschulen“ und „Reichsmütterdienst“ – Die Gliederungen der Partei
Die SA wie die SS , die aktivsten Vollstrecker des NS-Terrors , galten als „Gliederungen“ der NSDAP , ebenso wie die Hitlerjugend ( HJ ) inklusive des Bundes Deutscher Mädel ( BDM ) , ferner das Nationalsozialistische Kraftfahrkorps ( NSKK ) , der Nationalsozialistische Deutsche Dozentenbund ( NSDDB ) , der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund ( NSDStB ) und die NS-Frauenschaft. Das NSKK war schon 1931 als Sondereinheit der SA gegründet worden und widmete sich offiziell der „motorischen Ertüchtigung der Jugend“. Die eigentlich harmlose Freude am Motorsport wurde von Anfang an jedoch mit wehrpolitischen Zielen verknüpft. Die Mitglieder trugen SA-ähnliche Uniformen. Unter anderem bildete das NSKK in Motorsportschulen Kraftfahrer für die Wehrmacht aus und war bei der Deportation von Juden aus den besetzten Gebieten aktiv. Berufs- und Ausbildungsinteressen griffen der NSDDB und der NSDStB auf , waren aber in erster Linie höchst wirksame Instrumente zur ideologischen Durchdringung des Hochschulwesens. Der NSDStB kontrollierte bereits seit 1929 die Allgemeinen Studentenausschüsse mit Mehrheiten von über 60 Prozent. 1933 legte er mit der öffentlichen Bücherverbrennung eine beschämende Probe seiner Gesinnung ab. Geschlechtsspezifische Ziele im Sinne der NS-Ideologie verfolgte die NSFrauenschaft , die 1931 von der NSDAP als Zusammenschluss verschiedener Verbände gegründet worden war und 1935 offizielle Gliederung der Partei wurde. Gemäß der minderen Stellung der Frau im Weltbild der Nazis widmete sie sich mit ihrem „Reichsmütterdienst“ so gut wie ausschließlich der Schulung von Frauen in häuslichen und familiären Angelegenheiten. Alle diese Gliederungen profitierten ab 1933 von der Auflösung und / oder dem Verbot vieler bis dahin selbstständig agierender Organisationen , ein Vorgang , der mit einem aus dem NS-Verfassungsrecht entlehnten Begriff „Gleichschaltung“ genannt wurde. Entsprechend der hohen Mitgliederzahl und ihrer alltäglichen Präsenz wie auch ihrer Bedeutung als politisch-ideologische Vorschule der NSDAP sollen der HJ im Folgenden noch zwei besondere Betrachtungen gewidmet sein. Die HJ war auch und nicht zuletzt das wohl wirksamste Instrument nationalsozialistischer Massenerziehung , aus der zahlreiche Funktionäre der Partei und ihrer Gliederungen hervorgingen. Die NSDAP erhoffte sich zu Recht aus den Reihen der HJ einen starken Mitgliederzuwachs. De facto konnte die HJ als eine Art Personalreserve der NSDAP betrachtet werden. Erst in jüngster Zeit sind zahlreiche Fälle bekannt geworden , in denen
Napola und Adolf-Hitler-Schulen |
sich ehemalige HJ -Mitglieder ohne eigene Erinnerung an einen formellen Aufnahmeantrag als Mitglieder der NSDAP geführt sahen. Dabei mag es sich in Einzelfällen auch um Folgen einer verdrängten Handlung handeln , doch ist es nicht unwahrscheinlich , dass übereifrige HJ-Führer auch von sich aus ganze Gruppen zur Aufnahme in die Partei angemeldet hatten , meist als „Geschenk“ zu Hitlers Geburtstag am 20. April gedacht.
„Schulen der Weltanschauung“ – Napola und Adolf-Hitler-Schulen
Für die Erziehung im NS -Geist schuf sich die NSDAP neben der HJ noch zwei besondere Institutionen , in denen eine Führerelite herangezogen werden sollte : zum einen die „Nationalpolitischen Erziehungsanstalten“, meist mit dem Kürzel „Napola“ benannt , zum anderen die „Adolf-Hitler-Schulen“. Beide Schultypen waren auf je eigene Weise Bestandteile einer geplanten allgemeinen Umwandlung des deutschen Schulsystems , das in Gänze der Ausrichtung der Jugend auf die NS-Ideologie gewidmet werden sollte. Dabei wurden NSdienliche und -geprägte Fächer deutlich bevorzugt , intellektuelle Fähigkeiten waren zweitrangig. Zur Jugenderziehung soll Hitler beispielsweise in einem „Gespräch“ mit Hermann Rauschning sehr grundsätzlich erklärt haben : „Ich will keine intellektuelle Erziehung. Mit Wissen verderbe ich mir die Jugend.“3 Überhaupt sollte der deutsche Junge nach einem Wort Hitlers „zäh wie Leder , hart wie Krupp-Stahl und flink wie die Windhunde“ sein. In jenem angeblichen Gespräch mit Rauschning führte Hilter noch deutlicher aus : „Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muß weggehämmert werden. In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen , vor der sich die Welt erschrecken wird. Eine gewalttätige , herrische , unerschrockene , grausame Jugend will ich.“4
Auch wenn die „Gespräche“ Rauschnings selbst inzwischen als Fälschung gelten , kann am Gehalt der darin kolportierten Äußerungen Hitlers kaum gezweifelt werden. Die Napolas waren 1933 eingerichtete achtklassige Internatsschulen , die zur Hochschulreife führten.5 Die Devise ihrer Erziehung lautete „Glauben , gehorchen und kämpfen“, ein schlagender Beweis für den Antiintellektualismus des NS-Erziehungsideals. Die Adolf-Hitler-Schulen , 1937 gegründet , waren ebenfalls Internatsschulen , welche die Schuljahre 7–12 umfassten und als Zwischenstufe einer speziellen Ausbildung zum Politischen Leiter der Partei gedacht waren.6
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Erst nach Ableistung des Arbeits- und Wehrdienstes konnten die dann meist 25-jährigen Absolventen ihren letzten Schliff auf einer der „Ordensburgen“ erhalten. Robert Ley , Reichsorganisationsleiter und Leiter der Deutschen Arbeitsfront , nannte sie „Schulen der Weltanschauung“. Noch pathetischer wurden sie auch als „Festungen des Glaubens“ bezeichnet. Die Absolventen dieser letzten Ausbildungsphase wurden als „Ordensjunker“ bezeichnet. Das im Ursprung religiöse Ordens-Ideal war schon vor der NS-Zeit für völkische Gruppierungen äußerst attraktiv , etwa im 1912 gegründeten „Germanenorden“ und in der 1918 gegründeten „Thule-Gesellschaft“, die sich „Orden für deutsche Art“ nannte. Es versteht sich von selbst , dass die Aufnahme in eine der beiden Schultypen , Napola wie Adolf-Hitler-Schule , von einer schon in jungen und jüngsten Jahren bewiesenen politisch-ideologischen Bewährung in der HJ und von ihrer absoluten „Rassereinheit“ abhängig gemacht wurde. Erst 1942 wurde auf Veranlassung Hitlers die Abschlussbewertung in einer Adolf-Hitler-Schule dem Abitur gleichgesetzt. Das Gerangel um den Einfluss auf die beiden NSSchultypen zwischen verschiedenen Ebenen von Partei und Staat muss hier unberücksichtigt bleiben. „Wo wir stehen , steht die Treue“ – Die HJ als Personalreserve der Partei
Zwar waren alle Gliederungen der NSDAP mit ihren Uniformen und Auftritten spätestens ab 1933 in der Öffentlichkeit stets präsent. Die Hitlerjugend ( HJ ) , zeitgenössisch meist „Hitler-Jugend“ geschrieben , war aber ein im deutschen Alltagsleben besonders sichtbares Element. Auch hatten die Hitlerjungen und BDM-Mädel einen erheblichen Einfluss auf das Leben in ihren Familien. Ihre Mitgliederzahl steigerte sich von rund 100. 000 im Jahr 1932 nach Einführung der „Jugenddienstpflicht“ 1939 auf 8,7 Millionen. Der schon ab 1933 einsetzende Mitgliederzuwachs der HJ verdankte sich zu einem großen Teil der mehr oder weniger erzwungenen Eingliederung von nicht-nationalsozialistischen Jugendorganisationen , soweit sie nicht wie sozialistische , kommunistische und jüdische Gruppierungen von vornherein direkt verboten waren. Auf den ersten Blick mag es äußerst überzogen scheinen , auch diese Organisation , mit der so viele Deutsche durchaus angenehme Jugenderinnerungen verbanden , in einen Zusammenhang mit Diktatur und Terror zu stellen. Herkunft , ideologische Ausrichtung und Zweckbestimmung der HJ legen einen solchen Zusammenhang aber sehr wohl nahe. Wie sehr die HJ viele für sich
Die HJ als Personalreserve der Partei |
und den Nationalsozialismus einnehmen konnte , geht explizit aus zeitgenössischen Tagebüchern und ehrlichen Bekenntnissen hervor. Exemplarisch seien genannt : der aufrichtige Rückblick von Melita Maschmann7 , die gegen den Willen ihrer Eltern heimlich dem BDM beigetreten war und voll blinder Begeisterung in Führungspositionen bis hin zur Referentin in der Reichsjugendführung aufstieg , sowie das Tagebuch des Hitlerjungen Reinhard Gröper , der sich gegen Kriegsende wie viele andere voller Überzeugung noch zur Waffen-SS meldete.8 Die HJ war 1926 in Weimar als „Großdeutsche Jugendbewegung“ für Jungen gegründet , bald darauf aber dem Namen des Führers gewidmet worden. Sie war zunächst als Unterstützung der SA gedacht. Für die Mädchen gab es , ebenfalls ab 1926 , parallel organisierte „Schwesternschaften“, die 1930 in „Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend“ ( BDM ) unbenannt wurden. Beide Säulen der NS-Jugendorganisation waren noch einmal nach Altersgruppen gegliedert : die Kinderorganisationen für Zehn- bis Vierzehnjährige waren das „Deutsche Jungvolk“ bzw. die „Jungmädel in der Hitler-Jugend“. Erst mit vierzehn Jahren wurde man jeweils am 20. April , dem Geburtstag Adolf Hitlers , Vollmitglied der HJ bzw. des BDM. Bezeichnenderweise wurden Mädchen ab siebzehn Jahren im BDM-Werk „Glaube und Schönheit“ zusammengefasst , wo sie auf ihre geschlechtsspezifische Rolle als „deutsche Frau“ vorbereitet wurden.9 Das Prinzip „Jugend führt Jugend“ entsprach zwar einer Tradition der bündischen Jugend , doch waren die Führungspositionen in der HJ ausschließlich ideologisch und politisch geschulten Jugendlichen vorbehalten. Per Gesetz wurde die HJ 1936 endgültig zum staatlichen Jugendverband , die einem „Reichsjugendführer“, zunächst Baldur von Schirach , ab 1940 Arthur Axmann , unterstand. Das Gruppenleben spielte sich vielfach in Formen der traditionellen Jugendbewegung wie Heimabenden , Fahrten und Zeltlagern ab. Diese Aktivitäten besaßen für eine große Zahl von Jugendlichen , bis weit über das Kriegsende hinaus , eine große Attraktivität. Auch einzelne Bezeichnungen der Untergliederungen wie „Horde“, „Schar“, „Fähnlein“ oder „Stamm“ oder die Bezeichnung „Pimpfe“ für die zehn- bis vierzehnjährigen Jungen weckten bewusst Assoziationen an die bündische Jugend bzw. an die Pfadfinder , deren Mitglieder man durch Übernahme und / oder Verbot ihrer bisherigen Gruppen in die HJ einzugliedern versuchte. Bis 1933 waren in unterschiedlichsten Verbänden bereits fünf Millionen deutsche Kinder und Jugendliche organisiert gewesen. Mit der Dienstpflicht , der für den einzelnen Jungen , das einzelne Mädchen auch einen regelmäßigen Pflichtdienst bedeutete , wurde das Leben von Jugendlichen direkt und das ihrer Familien zumindest indirekt Bedingungen
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unterworfen , die sonst im Wehr- und Arbeits-„Dienst“ galten. Dass sich die jungen Menschen gegebenenfalls sogar gegen ihre Eltern entscheiden müssten , hatte als Botschaft bereits 1933 der Propagandafilm „Hitlerjunge Quex“ sinnfällig vermittelt. Bezeichnenderweise umschrieb man die regelmäßige Verpflichtung mit „zum Dienst antreten“, wobei das Antreten auch sehr konkret als militärisch korrektes Sich-Aufstellen verstanden wurde. Entsprechend gab es auch „Dienstgrade“ und „Dienstbefehle“. Auf das unentschuldigte Fehlen im „Dienst“, das Nichterscheinen an einem „Dienstort“ oder die Abwesenheit bei einer „Dienstbesprechung“ wurde mit einer schriftlichen Aufforderung reagiert , zu einer „Dienstbeteiligung“ zu erscheinen. Ein entsprechendes Formular war bei „Dienstantritt“ „vom Führer / von der Führerin der Einheit“ dem bzw. der Schuldigen auszuhändigen. Es musste dann per Einschreiben ( ! ) an die „Erfassungsstelle“ des zuständigen „Banns“ weitergeleitet werden.10 Die straffe Organisation und viele Arten körperlicher Ertüchtigung waren bei den Jungen die Basis für eine vormilitärische Ausbildung. Mit Bedacht war als Abzeichen für HJ-Uniformen und -Fahnen das runische S gewählt worden , gleichsam als Symbol für eine „halbe SS“. Tatsächlich bewarben sich während des Krieges zahlreiche Hitlerjungen auch noch um Aufnahme in die SS. Die Bildung von HJ-Spezialabteilungen wie Flieger- , Marine- , Reiter- oder Nachrichten-HJ wies nicht nur verbale Parallelen zur Wehrmacht auf , sondern war auch praktisch als Vorbereitung auf den Dienst in einer der Waffengattungen gedacht. Waren schon die bündisch-traditionellen Geländespiele verkappte Wehrübungen , wurde daraus mit Kriegsbeginn blutiger Ernst. Schließlich wurde 1943 aus Hitlerjungen , die teilweise noch keine siebzehn Jahre alt waren , die „12. SS -Panzerdivision Hitler-Jugend“ gebildet , die 1944 in der Normandie nach der Landung der Alliierten fast völlig vernichtet wurde. An der Heimatfront war es schon etwas früher zu Ende mit bloßem Kriegspielen und harmlosen Sammelaktionen : Die HJ musste nach Bombardierungen bei Lösch- und Bergungsarbeiten helfen und wurde schließlich auch im Volkssturm gebraucht. Der BDM wurde in Lazaretten und im Luftschutz eingesetzt. Eine besondere Aufgabe wurde dem BDM schon nach der Eroberung Polens zugeteilt. Im sogenannten Warthegau sollten sie den anstelle der vertriebenen Polen angesiedelten Volksdeutschen bei der Haushaltsführung und in der Landarbeit helfen. Die mentale Vorbereitung auf derlei Einsätze fand in jugendgemäßen Runden statt , in denen gespielt und gesungen wurde. Dass manches in der HJ Liedersammlung , gerade auch Kriegerisches , bereits traditionelles Liedgut der
Erziehung zu Hass und Heldentod |
bündischen Jugend gewesen war , kann nicht über dessen mehr als problematische Leitbildfunktion hinwegtäuschen. „Die Fahne ist mehr als der Tod“ – Erziehung zu Hass und Heldentod im HJ-Lied
Zwar enthielt „Unser Liederbuch. Lieder der Hitlerjugend“11 , die offizielle HJLiedersammlung , auch zahlreiche traditionelle Volks- und Fahrtenlieder. Etwa ein Drittel der HJ-Lieder aber machten eindeutig SA-Kampf- und Soldatenlieder aus. Dieses Liederbuch war in seiner zweiten Auflage von 1938 in 24 thematische Abteilungen gegliedert , beginnend mit Teil I : „Ein junges Volk steht auf“, II : „Tag der deutschen Revolution“ zum 30. Januar , dem Tag der Machtübernahme der NSDAP 1933 , und III : „Großdeutschland“. Nach Teil IV : „Schön ist die Welt“ folgten die Teile V : „Tag des Führers“ zum 20. April , Hitlers Geburtstag , und VI : „Tag der Arbeit“ zum 1. Mai. In Liedern von Teil XI : „Zum 9. November“ wurde des „Marschs auf die Feldherrnhalle“, also des gescheiterten Hitlerputsches von 1923 , gedacht. Der intensiven Vermittlung von militaristischen Haltungen dienten weiterhin die Lieder von Teil XVII : „Regiment sein Straßen zieht“, XVIII : „Argonnerwald“, XIX : „In den Ostwind hebt die Fahnen“, und XX : „Jetzt müssen wir marschieren“. Außer dem permanenten Marschieren , ziehen „Sturmsoldaten“, also SA-Männer , immer wieder in Kolonnen zu Kampf und Sieg. Insbesondere im Heldenkult erhielt das der Jugend per Gesang vermittelte Weltbild eine zutiefst nekrophile Tendenz. Der NS-Heldenkult war , wie schon früher angemerkt , in Wahrheit ein Totenkult. Bereits im zweiten Schuljahr , also für Sieben- bis Achtjährige , gehörte etwa das Marschlied „Wir ziehen über die Straßen“ zum Pflichtprogramm des Lehrplans. Darin war zu singen : „Wir ziehen über die Straßen in schwerem Schritt und Tritt , und über uns die Fahne , sie knallt und flattert mit. Trum , trum [ … ]. Voran der Trommelbube , er schlägt die Trommel gut. Der Bub weiß nichts von Liebe , weiß nicht , wie scheiden tut. [ … ] Er trommelte schon manchem ins Blut und in sein Grab , und dennoch liebt ein jeder den frohen Trommelknab. [ … ] Vielleicht bin ich es morgen , der sterben muß im Blut. Der Bub weiß nichts von Liebe , weiß nicht , wie sterben tut.“12
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Noch deutlicher heißt es in der ersten Strophe des HJ-Liedes „Ein junges Volk steht auf“ von Werner Altenburg : „Vor uns marschieren mit sturmzerfetzten Fahnen die toten Helden der jungen Nation , und über uns die Heldenahnen. Deutschland , Vaterland , wir kommen schon.“
Der nach dem Krieg zum harmlosen Kinderbuchautor mutierte Hans Baumann , im HJ-Liederbuch mit 27 Texten der am stärksten vertretene Autor , dichtete in der dritten Strophe seines Liedes „Nun laßt die Fahnen fliegen“: „Deutschland , sieh uns , wir weihen dir den Tod als kleinste Tat.“ In der dritten Strophe des Liedes „Unter der Fahne schreiten wir“ von Max Barthel wurde gesungen : „Unter der Fahne werben wir , / unter der Fahne sterben wir , / [ … ] jagen wir stolz zur Unsterblichkeit ein.“ Fahnen gelten seit jeher als wichtige Symbole für nationale oder weltanschauliche Zusammengehörigkeit. Im Nationalsozialismus aber wuchs ihr Symbolwert geradezu in transzendentale Höhen. Die beim Münchner Hitlerputsch von 1923 mit Blut verschmierte Hakenkreuzfahne , die „Blutfahne“, galt „als heiligstes Symbol der Bewegung“.13 Hitler weihte dank seiner eingebildeten magischen Kraft regelmäßig neue Parteifahnen. Die SA-Hymne , das „Horst-Wessel-Lied“, forderte stets dazu auf : „Die Fahne hoch !“ Und die HJ lernte früh , schon in der ersten Strophe des Liedes „Vorwärts ! Vorwärts !“ ihres Reichsjugendführers Baldur von Schirach : „Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit , / Ja , die Fahne ist mehr als der Tod.“ Dieses Lied war für den Film „Hitlerjunge Quex“ ( 1933 ) geschrieben worden. Zu dieser Fahnenmystik passten natürlich auch die anderen pseudo-religiösen Versatzstücke , etwa in der zweiten Strophe des HJ-Liedes „Wir Jungen tragen die Fahne“ von Eberhard Wolfgang Möller : „Die Fahne ist unser Glaube an Gott und Volk und Land“, oder in der dritten Strophe von „Wir Jungen“ von Heinrich Spitta : „Himmlische Gnade uns den Führer gab“. Solche Mystifizierungen gab es indes auch außerhalb des NS-Liedguts , etwa in einem Lied , das Rudolf Alexander Schröder schon 1914 gedichtet hatte : „Heilig Vaterland“ und „deutsche heilige Erde“. Und schon in einem Lied des sozialdemokratischen Arbeiterdichters Karl Bröger hatte auch „Deutschland“ als „heiliges Wort“ gegolten. Was man an sonstigen Haltungen von der HJ erwartete , hat wiederum Hans Baumann in gleich zwei Liedern unmissverständlich mit kaum zufälligem Anklang an den Wahlspruch der SS , „Unsere Ehre ist die Treue“, formuliert :
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„Wo wir stehen , steht die Treue“ und „Haben wir die Treue“, worin es in der zweiten Strophe heißt : „Die [ Treue ] kann uns keiner schmähen , da hält kein Feind mehr Schritt ; die kann der Tod nicht mähen mit seinem harten Schnitt.“
Und schließlich erfuhren die Hitlerjungen auch , wogegen sie sein sollten , etwa in der zweiten Strophe des Liedes „Volk ans Gewehr“ von Arno Pardun : „Viele Jahre zogen dahin , geknechtet das Volk und betrogen. Verräter und Juden hatten Gewinn , sie forderten Opfer Legionen.“
Den Hass auf den immer noch gegenwärtigen Feind der Bewegung , die Kirchen , insbesondere die katholische , stachelten aber auch andere , nichtoffizielle Lieder an. So ist von der Düsseldorfer HJ etwa der folgende Text gegen den Papst und seine deutschen Anhänger gesungen worden : „Ein schwarzer Götze in weißem Gewand regiert von Rom aus die Stunde , regiert auch schon das deutsche Land , seine Diener sind treue Hunde. Schlagt tot , schlagt tot , schlagt alle tot ! Schlagt sie nieder die heuchelnden Geister mit deutscher Kraft und deutschem Mut , dann werdet ihr deutsche Meister.“14
Die Kirchen wurden von der HJ immer wieder einmal auch aktiv provoziert. Nicht zufällig wurden „Dienste“ am Sonntag so anberaumt , dass Mitglieder , die auch noch Christen sein wollten , am Kirchgang gehindert waren. Ab 5. November 1939 wurden zudem sonntagvormittags , also zur Gottesdienstzeit , für die HJ Kinos reserviert , in denen NS-Filme gezeigt wurden. Auch fanden lautstarke Aufmärsche mit Trommeln und Fanfaren vor Kirchen zwecks Störung der Gottesdienste statt. Das hatte die NS-Jugendorganisation von der SA gelernt. Selbst volkstümliche Reste christlichen Gedankenguts wurden , so gut es ging , verdrängt. Im HJ-Liederbuch wurde im Reigen traditioneller und neu begründeter Feste zwar auch Weihnachten eine eigene Abteilung ( X II ) gewidmet. Bezeichnenderweise war sie aber mit der Anfangszeile des Liedes „Hohe Nacht
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der klaren Sterne“ von Hans Baumann übertitelt , dessen gefühlvoll-kitschiger Text in deutlich bemühter Weise jede christliche Assoziation vermied , dafür aber einem geradezu kosmisch orientierten Mutterkult huldigte. Daneben konnte eben noch das alte , aber gleichfalls vom christlichen Festanlass völlig absehende „O Tannenbaum“ bestehen. „Sturmabteilung“, „Schutzstaffel“, „Geheime Staatspolizei“ – Die Terrororganisationen
Als Hitler und seine NSDAP 1933 an die Macht kamen , galten sie manchem noch als bloße Radaubrüder , die sich in der Bewältigung der schwierigen Pro bleme Deutschlands schnell verschleißen würden. Eine andere , damit verbundene Hoffnung war , dass sie – wie es in der anfänglichen Koalition mit Deutschnationalen und Parteilosen im ersten Kabinett Hitlers 1933 versucht wurde – von gemäßigten Kräften „gezügelt“ würden. Jedenfalls rechneten anfangs viele mit einem baldigen Ende des NS-Regimes , was sich bekanntlich als gefährliche Illusion erwies. Denn die sehr schnell auch staatlich sanktionierten Instrumente einer rigorosen Machtausübung waren bereits in der „Kampfzeit“ der Bewegung vor 1933 bestens erprobt. Das Land war sehr bald überzogen von einem Netz von Funktionsträgern , die der Festigung der NS-Herrschaft offen oder geheim dienten , von der höchsten staatlichen Ebene über die Untergliederungen der NSDAP , die oft zugleich Funktionen der öffentlichen Verwaltung wahrnahmen , bis hinunter zum „Blockleiter“ oder „Blockwart“, der vierzig bis sechzig Haushaltungen überwachte. Die brutalsten Terrororganisationen , SA und SS , waren , wie bereits erwähnt , Gliederungen der NSDAP. Sehr bald machte die Partei die politische Polizei als „Geheime Staatspolizei“ zum dritten Glied dieser unheiligen Allianz. Wie bei SA und SS trat schon früh auch in der Alltagssprache das Kurzwort „Gestapo“ an die Stelle der Vollform des Organisationsnamens. „Wetzt die langen Messer“ – Die SA von der Sportabteilung zur Sturmabteilung
An erster Stelle ist die SA zu nennen , ein 1920 als Ordnerdienst der NSDAP gegründeter paramilitärischer Verband , der dem Schutz von NS-Veranstaltungen dienen sollte. De facto wurde die SA zu Hitlers Privatarmee. Ihr anfänglicher
Die SA von der Sportabteilung zur Sturmabteilung |
Tarnname war im Übrigen „Turn- und Sportabteilung“ ( der NSDAP ) , wobei „SA“ entsprechend als Initialwort für „Sportabteilung“ gedeutet werden konnte. In gewalttätigen Auseinandersetzungen bei Saalschlachten und in Straßenkämpfen der Weimarer Zeit erfuhr die SA ihre spezifische Ausprägung als Terrortruppe. Die 1921 eingeführte Vollform für das Kürzel „SA“ namens „Sturmabteilung“ ließ endgültig nicht mehr an einen zivilen Ordnungsdienst denken. Die SA bestand anfangs vor allem aus ehemaligen Soldaten , die bereits beim gescheiterten Hitlerputsch 1923 , dem „Marsch auf die Feldherrnhalle“ in München , mit geschätzten 1. 500 Mann teilgenommen hatten. Wes Geistes Kind die SA war , gab sie bereits vor 1933 aufs Deutlichste zu erkennen , vornehmlich ihren mörderischen Judenhass im „Heckerlied“, in dessen Umdichtung es unter anderem hieß : „Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig , / Laßt die Messer flutschen in den Judenleib !“ Die Mitgliederzahl war schon vor 1933 auf ca. 420. 000 SA-Männer angewachsen , 1934 hatte sie sich auf 4,2 Millionen verzehnfacht. Ab 1931 wurde die SA von Hitlers Duzfreund Ernst Röhm als Stabschef geführt , der 1934 aber beim sogenannten Röhmputsch zusammen mit weiteren Führungskräften auf Geheiß von Hitler ermordet wurde. Mit Hitlers Machtantritt hatte die Basis der SA gehofft , im NS-Reich zum zentralen Ordnungsfaktor zu werden , was nicht zuletzt in der Reichswehr auf erhebliches Misstrauen stieß. Tatsächlich waren SA-Führern zahlreiche einflussreiche Verwaltungsämter , als Oberpräsidenten , Bürgermeister und Polizeipräsidenten , übertragen. In vielen Bereichen fungierte die SA als Hilfspolizei. So war sie etwa zur Bewachung der frühen Schutzhaft- und Konzentrationslager eingesetzt. Man überließ ihr aber auch zahlreiche , teilweise mörderische Aktionen gegen tatsächliche oder mutmaßliche Gegner des Regimes , nicht zuletzt gegen Deutsche jüdischer Herkunft , zuletzt noch 1938 in der sogenannten Reichskristallnacht. Hitler unterband aus Rücksicht auf die Reichswehr mit seiner Mordaktion gegen Ernst Röhm und weitere SA-Führer die offenkundigen Bestrebungen , die „nationale Revolution“ mit einer „zweiten ( sozialen ) Revolution“ auf die der SA bis dahin gemäße Art der Willkürmaßnahmen fortzusetzen. Angesichts dieser Entmachtung sank die Mitgliederzahl kontinuierlich auf 1,2 Millionen ( 1938 ) und 900. 000 Mitglieder ( 1940 ). Gleichwohl blieb die SA in ihren braun-gelben Uniformen bis 1945 im Straßenbild deutscher Städte stets sichtbar und galt damit als einer der vielen omnipräsenten Vertreter der Partei- und Staatsmacht.
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„Blut , Auslese , Härte“ – Die SS von der Schutzstaffel zum Orden der Massenmörder
Wesentlich „ziviler“ wirkte auf den ersten Blick die Namensgebung für die tatsächlich schrecklichste NS-Formation. „SS“ hieß in der Vollform „Schutzstaffel“. Sie war 1925 zum persönlichen Schutz Hitlers ins Leben gerufen worden und unterstand zunächst dem jeweiligen obersten SA-Führer. Hervorgegangen war sie aus der „Stabswache“ bzw. dem „Stoßtrupp Hitler“, zwei Bezeichnungen , die schon eher an militärische Funktionen denken ließen. Heinrich Himmler , seit 1929 „Reichsführer SS“, formte diese Parteitruppe zur NS-Eliteeinheit mit einer seit ihrer Gründung besonderen Bindung an Hitler. Das führte schon früh zu Reibereien mit der SA-Führung , die sich von der herausgehobenen Stellung der SS in ihrer Position bedroht sah. Himmler baute ab 1933 diese Sonderstellung aus , die Hitler 1934 dann auch nutzte , als er der SS die Mordbefehle gegen die SA-Führung gab. Gleichsam als Belohnung für ihre Mordaktionen wurde die SS kurz darauf auch formal eigenständig. Von da an wurde sie zum zentralen Terrorinstrument des Regimes. Der SS wurde die Inspektion der Konzentrationslager übertragen , 1936 übernahm sie endgültig die Leitung und Bewachung der KZs. Himmler wurde im selben Jahr Chef der gesamten deutschen Polizei , was ihm eine nahezu grenzenlose Machtfülle verlieh. Die SS gliederte sich in die „Allgemeine SS“, die „SS-Totenkopfverbände“ und die „SS-Verfügungstruppe“, aus der die „Waffen-SS“ mit zuletzt rund 600. 000 Mann in 38 Divisionen hervorging15 , die auf allen Kriegsschauplätzen eingesetzt waren. Dort tat sie sich durch rücksichtslose und unmenschliche Einsätze , auch durch Massaker an der Zivilbevölkerung hervor. Zu den Wächtern und Peinigern in den KZs passte als geradezu symbolisches Emblem auf Uniform und Dienstmütze der Totenkopf. Die Hauptämter der SS , an der Spitze das 1939 gegründete „Reichssicherheitshauptamt“ ( RSHA ) , waren zugleich staatliche Stellen , die alle wichtigen Bereiche der NS-Politik im Zusammenhang mit der rassischen „Auslese“ und „Ausmerze“ sowie der Bekämpfung innenpolitischer Gegner kontrollierten. Mit größter Grausamkeit betrieben sie vor allem die Verfolgung und Vernichtung der deutschen und europäischen Juden und anderer „Fremdblütiger“. Die umfassende Vernichtung von Sinti und Roma wurde – nach zahlreichen noch unsystematischen Unterdrückungs- und Mordaktionen – durch den „Auschwitz-Erlass“ vom 19. Dezember 1942 in Gang gesetzt : Eine systematische Erfassung dieser Volksgruppen schuf die administrative Voraussetzung für deren konsequente Vernichtung insbesondere in Auschwitz. Zur „Auslese“ zählten die „Eindeutschung“
Die SS von der Schutzstaffel zum Orden der Massenmörder |
von Kindern in den besetzten Gebieten , sofern sie „arisch-germanisch-deutsche“ Rassemerkmale aufwiesen , und die Förderung von „reinblütigen“ Geburten in dem 1935 dafür eigens gegründeten SS-Verein „Lebensborn e. V.“. Die vor wie nach 1945 häufige Unterstellung , der „Lebensborn“ sei eine Zuchtanstalt der SS gewesen , war allerdings falsch. Der „Lebensborn“ verfolgte zwar laut Satzung das Ziel , „den Kinderreichtum in der SS zu unterstützen“. Doch lässt sich nicht nachweisen , dass in den Heimen des Vereins SS-Männern Frauen zwecks Begattung zugeführt wurden. Es ging – im Sinne der NS-Zuchtwahl schlimm genug – in erster Linie darum , „jede Mutter guten Blutes zu schützen und zu betreuen“. Dabei sollten in den „Lebensborn“-Heimen nicht zuletzt werdende , natürlich erbbiologisch „wertvolle“ Mütter , die uneheliche Kinder zur Welt bringen würden , zunächst einmal den seinerzeit üblichen gesellschaftlichen Diskriminierungen entzogen werden. Und es wurde ihnen eine durch eigene Standesämter oft verschleierte Niederkunft gewährt.16 Himmler unterstützte dabei , dass die unehelichen Mütter Bekanntschaften und Ehen mit SS-Leuten schlössen , die dann standesamtlich dokumentiert als leibliche Väter der adoptierten Kinder geführt werden konnten. Prominentestes Beispiel war die von Himmler persönlich geförderte Eheschließung des Chefs des SSWirtschaftsverwaltungshauptamtes Oswald Pohl , der für die Ausbeutung der Zwangsarbeiter in den KZs verantwortlich war.17 Allerdings ordnete Himmler in seinem „SS-Befehl an die letzten Söhne“ vom 15. August 194218 nicht nur den Rückzug der jeweils letzten , das heißt der noch nicht gefallenen Söhne einer Familie von der Front an und verpflichtete sie auch , „so rasch wie möglich durch Zeugung und Geburt von Kindern guten Blutes dafür zu sorgen“, dass sie nicht mehr „letzte Söhne“ seien. Und im letzten Teil des Befehls erklärte er : „Seid bestrebt , in einem Jahr das Fortleben Eurer Ahnen und Eurer Familien zu gewährleisten , damit Ihr wieder für den Kampf in der vordersten Front zur Verfügung steht.“ Dieser Befehl , der auch außereheliche Kinder zuließ , wurde allgemein als „Zeugungserlass“ verstanden. Die SS nahm während des Krieges gemäß dem NS-Anspruch auf eine gesamteuropäische Herrschaft , aber auch aus Personalnot Freiwillige aus allen „germanischen“ Ethnien Europas , vorzugsweise aus Skandinavien , den Niederlanden und Flandern auf und firmierte in den besetzten Ländern ab 1942 als „Germanische SS“. 1943 wurden aus Personalnot neben den „blutsverwandten“ Flamen – gegen alle rassenideologischen Bedenken – auch Wallonen als „Germanen“ akzeptiert19 und sogar muslimische Bosnier aufgenommen. Himmler wahrte gegenüber Hitler bis kurz vor Schluss eine strikte persönliche Loyalität. 1943 wurde er , gleichsam als Krönung seiner Laufbahn , zum
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Reichsinnenminister ernannt. In Ungnade fiel er erst kurz vor Kriegsende , als er auf eigene Faust den illusorischen Versuch unternahm , bei schwedischer Vermittlung mit den Westalliierten einen Waffenstillstand zu erzielen , was mit seinem Parteiausschluss geahndet wurde. Seine SS hatte Himmler als „Orden guten Blutes“ eingeschworen20 , der – bezeichnungsgleichen religiösen Gruppierungen ähnlich – strengsten Regeln unterworfen war , die allerdings jeder humanen Ethik Hohn sprachen. Denn die Förderung der Rassereinheit war das oberste Gebot , das jedes Verbrechen rechtfertigte. Als Zentrum seines Ordens wählte Himmler die Wewelsburg bei Paderborn. Die Aufnahme neuer Mitglieder erfolgte grundsätzlich nach rassischen Kriterien , die vor allem die körperliche Tüchtigkeit auch unter härtesten Bedingungen im Auge hatten. Himmler fasste in seiner berüchtigten „Posener Rede“ vom 4. Oktober 194321 , einer Geheimrede vor den höchsten Chargen von SS und Polizei , den Grundsatz der SS wie folgt zusammen : „Blut , Auslese , Härte. Das Gesetz der Natur ist eben dies : Was hart ist , ist gut , was aus dem Lebenskampf körperlich , willensmäßig , seelisch sich durchsetzt , das ist das Gute.“ Himmler sah für die Zeit nach einem deutschen Sieg in der SS die geeignetste Formation , um als eine „kleine Minderheitsoberschicht“ in den eroberten Gebieten – ausdrücklich bis zum Ural – die „germanisch-deutsche“ Herrschaft zu sichern. Als „wichtigste Tugenden des SS-Mannes“ nannte Himmler in der „Posener Rede“: 1. die „Treue“, 2. den „Gehorsam“, 3. die „Tapferkeit“, 4. die „Wahrhaftigkeit“, 5. die „Ehrlichkeit“, 6. die „Kameradschaft“, 7. die „Verantwortungsfreudigkeit“, 8. den „Fleiß“ und 9. die Meidung von – Alkohol. Alles Werte , die nach der Kriegswende durch die Niederlage von Stalingrad offenbar eingeschärft werden mussten , die aber schon zuvor in der SS ihre besondere , von bürgerlichen Tugenden meilenweit entfernte Bedeutung hatten. Für Himmlers Sprache ist die Mischung von Brutalität und pervertierten Wertvorstellungen charakteristisch , in Posen wörtlich : „ … ehrlich , anständig , treu und kameradschaftlich haben wir zu Angehörigen unseres eigenen Blutes zu sein und zu sonst niemandem. Wie es den Russen geht , wie es den Tschechen geht , ist mir total gleichgültig. [ … ] Ob die anderen Völker in Wohlstand leben oder ob sie verrecken vor Hunger , das interessiert mich nur insoweit , als wir sie als Sklaven22 für unsere Kultur brauchen.“
Was „anständig“ noch bedeutete , kommt in seinen Ausführungen zur „Ausrottung des jüdischen Volkes“ zum Ausdruck :
Der Unterdrückungsapparat der „Gestapo“ |
„Von euch werden die meisten wissen , was es heißt , wenn 100 Leichen beisammen liegen , wenn 500 daliegen oder wenn 1. 000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein , das hat uns hart gemacht.“
Im Rückblick auf die „Verdienste“ um die Verfolgung von Kommunisten sagt er : „Man wird nach dem Krieg einmal feststellen können , welcher Segen es für Deutschland war , dass wir allen Humanitätsduseleien zum Trotz diese ganze kriminelle Unterschicht des deutschen Volkes in die Konzentrationslager einsperrten.“ Und er kündigt auf zynische Weise weitere Mitteilungen des Reichsjustizministers an , „ … daß dem Herrn Regierungsrat Soundso und dem Herrn Fabrikbesitzer Soundso und dem Herrn Kellner , dem Herrn Chauffeur , dem Herrn Monteur und dem Herrn Angestellten sein hübsches Köpfchen vor die Füße gelegt wurde , weil er als Defaitist die Stimmung des deutschen Volkes zerstörte , die Widerstandskraft zersetzte und Verrat beging.“
Als „Defaitismus / Defätismus“ wurden in der NS-Zeit strafrechtlich relevante öffentlich oder privat geäußerte Zweifel am deutschen Sieg genannt.23 Der Wahlspruch „SS -Mann , deine Ehre ist die Treue !“ bedeutete noch unmittelbar vor Kriegsende , dass die SS als Nachhut der zurückweichenden deutschen Truppen in deutschen Städten auf Fenster schoss , aus denen weiße Fahnen hingen.
„Verschärfte Vernehmungen“ – Der Unterdrückungsapparat der „Gestapo“
Die Geheime Staatspolizei , die auch alltagssprachlich mit ihrem Kurzwort „ Gestapo“ sehr wohl bekannt war , ging aus der preußischen Politischen Polizei hervor , die bereits vor 1933 vorwiegend mit der Bekämpfung des Linksradikalismus , zuletzt auch der Sozialdemokratie befasst war. 1933 wurde sie unter dem preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring zu einem neuen Staatsschutzinstrument im Sinne der NSDAP umgewandelt. Sehr bald wurde sie auch in den anderen Teilen Deutschlands tätig. 1936 erhielt sie den Status einer Reichsbehörde , die Himmler als Chef der deutschen Polizei unterstellt war. Damit wurde eine noch effektivere Zusammenarbeit mit allen Institutionen und Organisationen ermöglicht , die mit erlaubten wie unerlaubten Mitteln jegliche Opposition gegen das NS-Regime unterdrückten. Sie konnte
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schon sehr früh „Schutzhaft“ verhängen , betrieb eigene Gefängnisse , oft in den Kellern ihrer Dienststellen , wo sie die Inhaftierten folterte , aber auch ermorden konnte. Ihre Foltermethoden nannte sie verschleiernd „verschärfte Vernehmungen“. Die Gestapo war maßgeblich beteiligt an Deportationen in Konzentrationslager , wo sie die Häftlinge mitterrorisierte , sowie an der Ermordung von Kriegsgefangenen. Als Angehörige der sogenannten Einsatzgruppen , die gleich nach dem Überfall auf Polen24 auch aus „Sicherheitsdienst“ ( SD ) und „Sicherheitspolizei“25 gebildet worden waren , förderte die Gestapo in den im Osten besetzten Gebieten die „Endlösung der Judenfrage“ durch sogenannte Evakuierungen und Mordaktionen. Bis März 1942 brachten die Einsatzgruppen rund 600. 000 jüdische Menschen um. Allein im September 1941 wurden im Tal Babi Jar bei Kiew durch ein Sonderkommando der „Einsatzgruppe C“ binnen 36 Stunden 33. 771 jüdische Einwohner im Schichtbetrieb von Hand ( ! ) erschossen , stündlich also rund 9. 370 Menschen. Im Inland war die Gestapo als allgegenwärtig gefürchtet. Wenn jemand durch ihren Zugriff plötzlich verschwand , sagte man meist nur in verhüllender Weise: „Er ist abgeholt worden.“ Der Eindruck von Allgegenwart beruhte indes nicht auf einer übermäßig hohen Zahl von offiziellen Mitarbeitern. Der Höchststand der Beamten und Angestellten dürfte 1943 bei wenig mehr als 31. 000 gelegen haben. Das ist – zum Vergleich – nur etwa ein Drittel der Zahl derer , die in der sehr viel kleineren DDR als offizielle Stasi-Mitarbeiter tätig waren. Entscheidender für den Eindruck der Allgegenwart war die in großen Teilen der Bevölkerung verbreitete oder gefürchtete Bereitschaft vieler , nicht ganz linientreue Mitbürger zu denunzieren. „gnadelos“ und „anständig“ – Nationalsozialistische Partikularethik
Die Kurzwörter SA , SS , RSHA , Gestapo und viele andere mehr waren Teil der bürokratiesprachlichen Abkürzungssucht der Nationalsozialisten. Im Alltag waren sie als Symbolwörter der Macht stets präsent und gingen auch generell in die Allgemeinsprache ein. Diese war indes bereits insgesamt stark von sprachlichen Bürokratismen geprägt , in denen die zentrale Lenkung der Bevölkerung zum Ausdruck kam , indem das Individuum nur noch als Objekt obrigkeitsstaatlichen Handelns erscheinen konnte. Häufig gebrauchte Wörter wie „ansetzen“, „betreuen / Betreuung“, „einsetzen / Einsatz“ oder „erfassen / Erfassung“
Nationalsozialistische Partikularethik |
markierten , wenn sie sich auf Menschen bezogen , deren bereits sprachliche Degradierung zur manipulierbaren Sache. Die Vollformen der Namen für die NS-Terrororganisationen , ob militärsprachlich orientiert wie „Sturmabteilung“ oder eher zivil anmutend wie „Schutzstaffel“, wandelten angesichts des wahren Charakters der Bezeichnungsträger ihre Bedeutung. Sie standen überdies in jeweils eigenen Wortfeldern , die letztlich über die aktuelle Semantik mitentschieden. In ihren Kurzformen waren die Organisationsnamen nicht mehr frei interpretierbar. Je nach Einstellung zum Regime galten sie als Zeugen einer bejahten und begrüßten „neuen Ordnung“ oder als Schreckwörter der Unterdrückung. „Ehre“, „Treue“, „Kameradschaft“, nicht zuletzt aber auch „Gehorsam“ waren in der deutschen Gesellschaft schon vor 1933 , auch außerhalb des Militärs , allgemein anerkannte Hochwertwörter. Ihr Missbrauch für verbrecherische Ziele wurde nur von kritischen Zeitgenossen , also nur von einer Minderheit, wahrgenommen und / oder ab 1939 mit den besonderen Bedingungen des Krieges entschuldigt. Die mehr als zynischen Erläuterungen zu solchen Hochwertwörtern , die Heinrich Himmler 1943 gab , etwa die Offenbarung , dass „Judenevakuierung“ für „Ausrottung der jüdischen Rasse“ stand , blieben einem Großteil der Deutschen verborgen. Denn Himmlers „Posener Rede“ vor den höchsten Chargen von SS und Polizei war , wie gesagt , eine Geheimrede. Und doch gab es genügend Gelegenheiten auch des persönlichen Erlebens, die Differenz zwischen verbalem Anspruch und verbrecherischer Realität zumindest im Einzelfall zu erkennen. Die entsprechenden Wahrnehmungen von Widerstandsgruppen sind der Beweis für diese These. Ihre Gültigkeit wurde auch noch lange nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes – gerade auch von Wissenden , dabei vielfach aus Motiven des Selbstschutzes – immer wieder geleugnet. Zwar verstand es die NS-Propaganda , das Verhältnis zwischen positiv anmutenden Worten und schrecklichen Taten oft genug wirkungsvoll zu vernebeln. Doch der tiefere Grund für ein solches jahrelang gepflegtes Missverhältnis ist mit Vorwürfen wie „Lug und Trug“ allein nicht hinreichend zu erfassen. Für das uns heute erschreckende Miteinander von abgrundtiefer Unmenschlichkeit und für sich gesehen moralisch erscheinenden Wertvorstellungen , etwa Himmlers Ansicht , seine SS sei stets „anständig“ geblieben , gibt Raphael Gross26 eine Erklärung , die auch für andere soziale Systeme gelten kann. Gross attestiert der SS wie dem NS-System insgesamt eine spezifische Moralkonzeption , in der eine besonders radikale Form einer „partikularen Moral“ dominierend geworden sei , die – gegen Normen einer universalen Moral wie in Kants Kategorischem Imperativ gerichtet – ausschließlich die Werte einer
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Gruppe , einer Familie , eines Volks oder einer Glaubensgemeinschaft unter Ausschluss anderer Werte gelten lässt. Diese Einstellung hat es überzeugten Nationalsozialisten auch noch nach dem Krieg vielfach unmöglich gemacht , das Verbrecherische der NS -Untaten zu erkennen und Schuldgefühle zu entwickeln. Grundlage einer solchen Haltung war das nicht erst durch die NS-Propaganda geförderte und ausgebeutete Gefühl vieler Deutscher , jeweils nur Opfer welthistorischer Entwicklungen gewesen zu sein. Diese „Opferperspektive“ hat nach dem Krieg auch die bis heute immer wieder angestellte Aufrechnung der Verbrechen nach dem Motto „Wir haben schließlich auch viel erleiden müssen“ begünstigt. Vor dem Hintergrund dieser Deutung ist es auch kaum noch verwunderlich , dass Himmler in seiner „Posener Rede“ die Wörter „anständig“ und „gnadelos“ annähernd gleich häufig benutzen konnte. Es reicht kaum hin , nur von einem selektiven Wahrnehmungsvermögen zu sprechen. Diese Diagnose würde sich eher für Fehlhaltungen Einzelner oder kleiner Gruppen eignen. Die systematische Ausblendung der verbrecherischen Phänomene der NS-Diktatur bei einer übergroßen Zahl von Deutschen , selbst wenn davon deren persönlicher Lebensumkreis unmittelbar betroffen war , und die Fixierung auf die „positiven“ Seiten der Diktatur verlangen tatsächlich nach einer tiefer gehenden Erklärung. 1
Vgl. das Fotodokument in : Benz ( 2000 ) : 17. Zunächst Stabschef von Rudolf Heß , 1941 offizieller Leiter des Parteibüros , ab 1943 Hitlers Sekretär. 3 Rauschning ( 1940 ) : 237 ; auch : Hofer ( 1957 ) : 88. 4 Ebda. 5 Weiß , Hermann , in : Benz / Graml / Weiß ( 1998 ) : 597–599. 6 Ebda. : 349–351. 7 Maschmann , Melita ( 1963 u.ö ) : Fazit. Kein Rechtfertigungsversuch. Stuttgart. 8 Gröper , Reinhard ( 1996 ) : Erhoffter Jubel über den Endsieg. Tagebuch eines Hitlerjungen 1943–1945. Sigmaringen ; Schlosser ( 2005 ) : 73–75. 9 Zu Gliederung und Aufbau der HJ in : Benz / Graml / Weiß ( 1998 ) : 512 ; Organisationsübersichten auch in : Brackmann / Birkenhauer ( 1988 ) : 211 f. 10 Ein Faksimile einer derartigen Aufforderung findet sich u. a. in : Schnalzger , Marianne ( 2007 ) : Sonntagsmädel. Erinnerungen aus Offenbach. Offenbach a. M. : 18. 11 Reichsjugendführung ( 1938 ). 12 Zitiert nach : Noll ( 1999 ) : 121. 13 Bouhler ( 1942 ) in : Schmitz-Berning ( 2000 ) : 113 f. 14 Zitiert nach : Neuhäusler ( 1946 ) : 26. 15 Genauere Überblicke über Organisation und Gliederung bieten die Diagramme in : Kammer / Bartsch ( 2002 ) : 238–242. 2
Anmerkungen |
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In den Entbindungsheimen wurden insgesamt rd. 8. 000 Kinder zur Welt gebracht , davon waren bis 1940 rund 80 Prozent unehelich ; Auerbach , Hellmuth , in : Benz / Graml / Weiß ( 1998 ) : 564. Quelle : SWR 2 , Sendung „Leben“, 4. 11. 2008. Text u. a. in : http://www.gelsenzentrum.de / zeitgeist_aufruf_soehne.htm. Gruchmann ( 1978 ) : 202 f. Hofer ( 1957 ) : 112. IMT Bd. XXIX : 4. 10. 1943 ; Auszüge auch in : Hofer ( 1957 ) : 113 f. Wie das Wort „Zwangsarbeiter“ ist auch „Sklavenarbewiter“ ( englisch „slave worker“ ) erst nach dem Krieg aufgekommen , hatte aber gleichsam auch seine deutsche Wurzel bei Himmler.Schlosser ( 2005 ) : 204 . Abgeleitet von französisch „défaitisme“ = „Erwartung einer Niederlage“, um 1915 aufgekommen ; Schmitz-Berning ( 2000 ) : 134 f. Mallmann / Böhler / Matthäus ( 2008 ). SD und Sicherheitspolizei waren zunächst als unterschiedliche Organisationen entstanden , der SD 1931 als innerparteiliches Überwachungsinstrument , die Sicherheitspolizei 1934. Gross ( 2010 ).
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6 | ANFÄNGE DES TERRORS 1933 / 34 „Bolschewistischer Terrorakt“ – Der Reichstagsbrand | 125 | „Kauft nicht bei Juden !“ – Die Anfänge der Verfolgung | 128 | „Sondergerichte“ und „Volksgerichtshof“ – Die Festigung der Unrechtsjustiz | 129 | „Verbrennungsfeiern“ – Die Bücherverbrennung | 131 | „Heimtückische Angriffe auf Staat und Partei“ – Die Legitimierung des Denunziantentums | 133 | „Als Staatsnotwehr rechtens“ – Die Mordaktionen beim sogenannten Röhmputsch | 134 |
Die wahre , brutale Natur der NS-Herrschaft , die bis zum Kriegsbeginn vor der Mehrheit der Deutschen und vor der Welt immer wieder hinter einer verbal und inszenatorisch friedlichen Fassade halbwegs verborgen werden konnte , äußerte sich schon unmittelbar nach Hitlers Machtantritt im Januar 1933.
„Bolschewistischer Terrorakt“ – Der Reichstagsbrand
Einen willkommenen Vorwand zur systematischen Verfolgung von Oppositionellen bot der Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 , der von der Propaganda der NSDAP sofort als „bolschewistischer Terrorakt“ pauschal den Kommunisten zur Last gelegt wurde. Bereits einen Tag später erließ der Reichspräsident Hindenburg eine Verordnung „zum Schutz von Volk und Staat“, die ausdrücklich der „Abwehr staatsgefährdender kommunistischer Gewaltakte“ dienen sollte. Dabei konnte es – schon gar nicht zu einem so frühen Zeitpunkt – irgendwelche Beweise dafür geben , dass hinter diesem Anschlag eine weitreichende Verschwörung stünde. Dass der Brandstifter , der Niederländer Marinus van der Lubbe , kommunistischen Ideen anhing , hätte in einem Rechtsstaat nie und nimmer eine ganze Partei belasten können. So aber setzte die „Reichstagsbrandverordnung“ wesentliche Grundrechte außer Kraft , und sie verschärfte Strafbestimmungen , darunter die Todesstrafe für Hochverrat , aber auch für Brandstiftung. Die Todesstrafe , zu der van der Lubbe am 23. Dezember 1933 verurteilt wurde , wurde absolut rechtsstaatswidrig rückwirkend angewendet und vollstreckt. Denn zur Tatzeit selbst gab es für die ihm zur Last gelegten Verbrechen die Todesstrafe nicht. Die Reichstagsbrandverordnung setzte außerdem , unter m issbräuchlicher Anwendung und Ausweitung des bis dahin gesetzlich streng geregelten Instruments der Schutzhaft , eine Verhaftungswelle in Gang , der neben den besonders verdächtigten Kommunisten zahlreiche weitere NS -Gegner zum Opfer fielen. Das Todesurteil gegen van der Lubbe wurde erst am 11. Januar
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| Anfänge des Terrors 1933 / 34
2008 , ein Dreivierteljahrhundert nach der Vollstreckung , endgültig aufgehoben – wahrlich kein Ruhmesblatt der deutschen Nachkriegsjustiz ! Der ursprüngliche Rechtsterminus „Schutzhaft“ wurde zu einem der zahlreichen Euphemismen der NS-Sprache , also zur Verhüllung einer Realität , in der den Betroffenen faktisch jeglicher Schutz verweigert wurde. Gleichwohl galt als Haftgrund immer noch der „Schutz der persönlichen Sicherheit“. Dieses Muster semantischer Verdrehung wird uns immer wieder begegnen. „Verschwörung“ ist dagegen als eine dem Euphemismus entgegengesetzte rhetorische Figur zu werten , als Dysphemismus , das heißt als übertreibende Dramatisierung , mit der die Gegner des Regimes belastet werden sollten. Dasselbe gilt für den pauschal gegen die Kommunisten gerichteten Vorwurf von Terror- und Gewaltakten , ein Vorwurf , der vom eigenen Terror ablenken sollte. Der bis heute ungeklärten Frage , ob neben van der Lubbe nicht doch auch SA- und Gestapo-Angehörige tätig geworden seien , ging das Reichsgericht aus durchsichtigen Gründen aus dem Wege. Dennoch fielen die Argumente für eine Verschwörung von NS Gegnern selbst in der durch die NS-Propaganda aufgeheizten Stimmung sehr bald in sich zusammen. Die Attribute „kommunistisch“ und erst recht „bolschewistisch“ dienten der Emotionalisierung der Öffentlichkeit , weil mit ihnen der nichtlinke , überwiegend bürgerliche Teil der Bevölkerung schon lange nur negative Assoziationen verband. In den Medien sollte wärend des Prozesses jeder Hinweis auf die Unhaltbarkeit des Generalverdachts gegen die Kommunisten als Urheber des Reichstagsbrands unterdrückt werden. In einer Anweisung an die Presse vom 14. ( oder 15. ) November 1933 heißt es anlässlich des für die Nationalsozialisten ungünstigen Prozessverlaufs gegen mehrere Angeklagte aus dem kommunistischen Spektrum : „Die Zeitungen werden ersucht über den Reichstagsbrandprozess keine langen Berichte mehr zu bringen , insbesondere sollen ausführliche Schilderungen über die Angeklagten sowie die Wiedergabe von direkten Reden und Verhören vermieden werden. Zugelassen sind lediglich kurze knappe Schilderungen des Prozessverlaufs. Diese Anordnung gilt ab sofort.“
Der Versuch , den Reichstagsbrand als kommunistische Verschwörung darzustellen , war zu diesem Zeitpunkt bereits wenig aussichtsreich. Die mit Marinus van der Lubbe mitangeklagten vier Kommunisten , die Bulgaren Georgi Dimi troff , Leiter des Berliner Büros des Komintern1 , Blagoi Popoff und Wassili Taneff sowie das KPD-Reichstagsmitglied Ernst Torgler , waren nachweislich unschuldig. Besonders spektakulär und für die NS-Propaganda äußerst peinlich
Der Reichstagsbrand |
war der Freispruch für Georgi Dimitroff. Genauere Mitteilungen aus dem Prozess in dieser Richtung wären eine Blamage für das Regime gewesen. Die Verschwörungstheorie sollte schlicht „vergessen“ werden. Eine Unschuld von Kommunisten passte nicht ins Konzept der allgemeinen Kommunistenhatz. Die beabsichtigte weitere sprachliche Degradierung von Regimegegnern wäre ebenfalls gefährdet gewesen. Die Vielzahl der in Schutzhaft Genommenen machte die Einrichtung von „Schutzhaftlagern“ erforderlich , die eine Variante der Konzentrationslager waren. Diese Lager wurden zunächst von SA und Polizei bewacht , bis diese 1936 endgültig von der SS abgelöst wurden. Verhaftungen und Verhöre , auch Folterungen nahmen vielfach Angehörige der Gestapo vor , die 1933 zunächst nur in Preußen tätig war. Konzentrationslager mit dem offiziellen Kürzel „K.L.“, aber schon zeitgenössisch auch als „K.Z.“ abgekürzt , war eine bereits vor 1933 eingeführte Lehnübersetzung von englisch „concentration camp“. Damit hatten die Briten im Burenkrieg ( 1899–1902 ) ihre berüchtigten Gefangenenlager bezeichnet. Das Wort war also bereits negativ besetzt , als es schon gegen Ende der Weimarer Zeit zur Bezeichnung von Sammellagern für Zigeuner , etwa in Frankfurt a. M. , benutzt wurde. Diese negative Assoziation verstärkte sich unvermeidlich , als ab 1933 in solchen Lagern wie in den anfänglichen Schutzhaftlagern viele tatsächliche wie mutmaßliche NS-Gegner ohne jeden Rechtsschutz gefangen gehalten wurden. Als die KZ s unter der SS zu „Todesfabriken“ wurden , in denen Millionen Menschen jüdischer Abstammung , aber auch Sinti und Roma und andere rassisch und politisch Unerwünschte der systematischen Vernichtung preisgegeben wurden , wandelte sich die negative Konnotation zum Denotat , zum semantischen Kern der Bezeichnung. Aber schon 1933 wurden „Schutzhaft“, „Gestapo“ und „Konzentrationslager“ für viele Zeitgenossen zu Schreckwörtern. Noch vor den Massenmorden in den KZs gab es genügend Informationen über die menschenfeindlichen Haftbedingungen in diesen Lagern. Exemplarisch kann aus einem Brief von Börries Freiherr von Münchhausen an Thomas Mann vom 22. März 1937 zitiert werden : „An dieser Überzeugung [ pro NS-Regime ] werde ich festhalten , selbst wenn , was ich durchaus für möglich halte , irgendein [ … ] törichter Beamter mich morgen in ein Konzentrationslager befördert.“2 Die Nationalsozialisten verschwiegen die Existenz der frühen Konzentrationslager keineswegs , sondern berichteten, mitunter sogar öffentlich , vom „normalen“ Leben in diesen Lagern , so etwa in der Publikumszeitschrift „Illustrierter Beobachter“ mit einem Bildbericht vom 3. Dezember 1936 über das KZ Dachau.
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Dieser Bericht enthielt freilich auch den Hinweis auf den „harten Dienst der SS , die hier auf Wacht steht , zum Wohle der Nation“. Die Verfolgung von Kommunisten und Sozialdemokraten im Gefolge des Reichstagsbrands , der Missbrauch von Schutzhaft und die Einrichtung von Konzentrationslagern waren nur der Anfang einer systematischen Unterdrückung abweichender Haltungen. Die Zerschlagung der Gewerkschaften mit der gewaltsamen Besetzung ihrer Häuser am 2. Mai 1933 und der Beschlagnahme ihres Vermögens beendeten jeglichen öffentlich wirksamen Einfluss weiterer regimekritischer Gruppierungen. Die Gleichschaltung der Länder , Medien und Verbände garantierte der NSDAP schließlich eine absolute Herrschaft und Meinungshoheit. „Kauft nicht bei Juden !“ – Die Anfänge der Verfolgung
Kurz nach Eröffnung des Reichstagsbrandprozesses holten die Nationalsozialisten bereits auch zu ersten Schlägen gegen die „Hauptfeinde“ des Regimes , „die Juden“, aus und verwandelten damit die bis dahin meist „nur“ verbalen Attacken gegen diese Bevölkerungsgruppe in verbrecherisches Handeln. Wenn man zuvor schon Joseph Goebbels gehört oder gelesen hatte , konnten einen die 1933 beginnenden tätlichen Angriffe auf diesen Bevölkerungsteil , die sich bis zum Völkermord steigern sollten , kaum überraschen. Nur wenige Zitate aus einem Goebbels-Text vom 30. Juli 19283 : „Der Jude ist Ursache und Nutznießer unserer Sklaverei. [ … ] Macht aus dem deutschen Volk eine einzige Gemeinschaft und gebt ihr die Freiheit vor der Welt , der Jude hätte keinen Platz mehr unter uns.“ „Der Jude hat unsere Rasse verdorben , unsere Moral angefault , unsere Sitte unterhöhlt und unsere Kraft gebrochen.“ „ ‚Der Jude ist doch auch ein Mensch.‘ Gewiß , und niemand von uns hat das je bezweifelt. Wir bezweifeln nur , daß er ein anständiger Mensch ist. Er paßt nicht zu uns.“
Gerade im Hass auf die Juden war Goebbels jederzeit das Sprachrohr Hitlers , der sich bei diesem Thema ab 1933 insgesamt eher zurückhielt. Schließlich überließ er Goebbels im Leitartikel der Zeitschrift „Das Reich“ vom 16. November 1941
Die Festigung der Unrechtsjustiz |
auch die ausführlichere „theoretische“, eine extrem antisemitische Begründung des Überfalls auf die Sowjetunion 1941. Am 1. April 1933 inszenierte die SA zusammen mit Mitgliedern der Hitlerjugend und des „Stahlhelms“ den „Judenboykott“, indem sie Geschäfte jüdischer Inhaber , aber auch Arztpraxen und Anwaltskanzleien von Juden belagerten und Kunden , Patienten oder Klienten mit Gewalt von deren Besuch abhielten. Eine knappe Woche später , am 7. April 1933 , trat das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ in Kraft , durch das Angehörige des öffentlichen Dienstes , soweit sie keinen Ariernachweis erbringen konnten , aus dem Staatsdienst entlassen wurden. Dieses Gesetz stellte den Beginn der systematischen staatlichen Verfolgung von Deutschen jüdischer Abstammung dar. Von da an erfolgte Schritt für Schritt eine weitere , zuletzt völlige Entrechtung der „Nichtarier“. „Sondergerichte“ und „Volksgerichtshof“ – Die Festigung der Unrechtsjustiz
Noch war der Reichstagsbrandprozess in seinem Anfangsstadium , da tat die NS -Führung bereits die ersten systematischen Schritte , die deutsche Justiz insgesamt zu einem Gewaltinstrument umzubauen , bis sich sehr bald , 1934 , Hitler selbst zur höchsten Rechtsinstanz erklärte. Auf der Grundlage einer Verordnung vom 21. März 1933 wurden in allen Oberlandesgerichtsbezirken sogenannte Sondergerichte errichtet. Diese speziellen Strafkammern waren bis 1939 vor allem für politische Delikte zuständig , deren Aburteilung im Sinne der NS-Führung man den ordentlichen Gerichten nicht mehr anvertrauen wollte. Dabei waren auch diese schon sehr früh völlig auf die ideologisch-politischen Normen der NDSAP eingeschworen. 1936 räumten „Leitsätze des Reichsrechtsführers“ Hans Frank endgültig jeden Zweifel an der Instrumentalisierung auch der ordentlichen Gerichte aus , da Frank ihre Unterwerfung unter den Führerwillen verlangte.4 Vor den Sondergerichten waren die Angeklagten in ihren Rechten stark eingeschränkt , Rechtsmittel gegen Entscheidungen waren nicht zugelassen. 1940 führte man zwar die Möglichkeit einer Nichtigkeitsbeschwerde ein , deren Nutzung aber mehr und mehr sogar zu Strafverschärfungen führte. Das bereits 1938 , also vor Kriegsbeginn , eingeführte Kriegssonderstrafrecht sah für „Wehrkraftzersetzung“ und „Wehrdienstentziehung“ die Todesstrafe vor. Weitere Verschärfungen bedrohten ab September 1939 das Hören ausländischer Sender , das sogenannte Rundfunkverbrechen , mit Zuchthaus. Der Umgang mit
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Kriegsgefangenen wurde unter Strafe gestellt. Für „Volksschädlinge“, welche die Kriegsituation für Verbrechen nutzten , war im Einzelfall die Todesstrafe vorgesehen. Für Gewaltverbrecher kam nur die Todesstrafe in Frage. Diese und andere Ausweitungen der ursprünglichen Zuständigkeit der Sondergerichte und die wachsende Zahl der Verfahren machten eine Vermehrung der Kammern von anfangs 26 auf über 70 notwendig. Schließlich waren oft nur noch Einzelrichter tätig. Diese Praxis führte zuletzt , im Februar 1942 , auch zu den Standgerichten , die nur noch drei Urteilsmöglichkeiten kannten : Todesstrafe , Freispruch oder Überweisung an ein ordentliches Gericht. Die Sondergerichte verhängten bis Kriegsende rund 11. 000 Todesurteile.5 Auch der „Volksgerichtshof“ war zunächst nur ein Sondergericht. Er wurde am 24. April 1934 per Gesetz eingerichtet. In der Benennung dieses Gerichts sollte suggeriert werden , das deutsche Volk spreche darin unmittelbar sein Urteil über besonders „volksschädliche“ Straffälle. Tatsächlich war schon die Besetzung der Senate dieses Gerichts Beweis für die Lenkung durch die NS-Führung und damit auch für die Aufhebung jeglicher richterlichen Unabhängigkeit. Jeweils zwei Berufsrichter wurden auf Vorschlag des NS-treuen Reichsjustizministers von Hitler ernannt , drei weitere Beisitzer waren Laien , die aus den Gliederungen der NSDAP und aus der Polizei ausgewählt wurden. Dem Volksgerichtshof wurde die Zuständigkeit für Hoch- und Landesverrat zugewiesen , die vom Reichsgericht im Falle des Reichstagsbrandprozesses nicht in dem von den Nationalsozialisten gewünschten Sinne wahrgenommen worden war. Mit Gesetz vom 18. April 1936 wurde der Volksgerichtshof zum ordentlichen Gericht und löste damit auch für andere Delikte , die der NS Führung besonders wichtig erschienen , das Reichsgericht de facto ab. Dazu zählten ab Kriegsbeginn unter anderem „schwere Wehrmittelbeschädigung“, „Feindbegünstigung“, „Spionage“ und „Wehrkraftzersetzung“. Zur letztgenannten Kategorie zählten schließlich sogar nicht öffentlich geäußerte Zweifel am „Endsieg“. Sie galten wie schon andere „zersetzende“ Äußerungen , die den Sinn der Rüstung und des Krieges infrage gestellt hatten , als strafrechtlich zu ahndender „Defätismus“. Nicht erst Roland Freisler , der 1942 Präsident des Volksgerichtshofs wurde , begründete die Brutalität der „Rechtsprechung“ dieses Gerichts. Schon sein Vorgänger Otto Georg Thierack , ab 1942 Reichsjustizminister , hatte sein Amt in der von der NS-Führung gewünschten Weise als Vernichtungsjustiz gegen alle Regimegegner geführt. Freisler aber hat sich nicht zuletzt durch seine Verfahrensführung in Prozessen gegen die tatsächlichen und mutmaßlichen Akteure des Attentats vom 20. Juli 1944 besonders verwerflich hervorgetan. Seine
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permanenten rüden und ehrabschneidenden Unterbrechungen von Aussagen der Angeklagten , sein Toben und Schreien behinderten sogar die Filmaufnahmen der Prozesse , die sich Hitler jeweils vorführen ließ. Jedenfalls beklagten die Tontechniker , dass ihre Arbeit durch die Lautstärke der Einlassungen Freislers erschwert werde. Unter Freisler nahm der Anteil von Todesurteilen von fünf Prozent auf fast fünfzig Prozent zu. Insgesamt wurde vom Volksgerichtshof in rund 5. 200 Fällen auf Tod erkannt. Freisler selbst kam am 3. Februar 1945 bei einem Bombenangriff in Berlin ums Leben.
„Verbrennungsfeiern“ – Die Bücherverbrennung
Anfangs , aber sogar noch bis zur sogenannten Reichskristallnacht 1938 versuchte die NS -Führung , ihre ideologisch-politischen Ziele durch scheinspontane Aktionen aus der Mitte der Gesellschaft zu legitimieren. Am 10. Mai 1933 veranstaltete die seit 1930 von der NSDAP dominierte Deutsche Studentenschaft nach Absprache mit Regierungsstellen in sogenannten Verbrennungsfeiern die öffentliche Vernichtung von Büchern zahlreicher Autoren , die als Gegner der NS-Ideologie galten. Die Bücherverbrennung fand zeitgleich in insgesamt 93 Städten statt und vollzog sich überall nach demselben zentral vorgegebenen Schema. An Hochschulorten wurden die Bücher aus den Universitätsbibliotheken entfernt und zu einem Scheiterhaufen auf einem zentralen Platz gebracht. Professoren und Rektoren sowie die noch nicht gleichgeschalteten studentischen Korporationen , die in „vollem Wichs“, ihrer traditionellen Uniformierung , antraten , begleiteten Transport und Verbrennung der Bücher. In Frankfurt a. M. benutzte man einen Mistkarren , der von einem Ochsen von der Universität zum zentral gelegenen Römerberg gezogen wurde. Peinlicherweise begrüßte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels die Aktionen ausdrücklich. In Berlin wirkte Goebbels sogar persönlich mit , wobei er die Aktion der Studenten in einer Rede5 begeistert begrüßte : „Meine Kommilitonen ! Deutsche Männer und Frauen ! Das Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus ist nun zu Ende , und der Durchbruch der deutschen Revolution hat dem deutschen Weg wieder die Gasse freigemacht.“
Mit der Anrede „Kommilitonen“ stellte sich der Minister als Akademiker auf eine Stufe mit den Studenten.
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Die Zeit der „Schmach“ während der „November-Republik“, unter der die Studenten – so Goebbels – als „Vortrupp eines wirklich revolutionären Geistes“ gelitten hätten , sei nun vorbei. Vorbei die Zeit , da sich die Bibliotheken „mit dem Unrat und dem Schmutz dieser jüdischen Asphaltliteraten“ angefüllt hätten. „Deshalb tut ihr gut daran , in dieser mitternächtlichen Stunde den Ungeist der Vergangenheit den Flammen anzuvertrauen.“ Überall wurden die Bücher , einem Opferritus ähnlich , einzeln oder gruppenweise unter lautem Ausrufen von „Feuersprüchen“ in die Flammen geworfen.6 Der erste Feuerspruch galt geradezu selbstverständlich den Grundschriften des verhassten Marxismus : 1. Rufer : „Gegen Klassenkampf und Materialismus , für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung ! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Marx und Kautsky.“
Es folgten weitere Bannformeln mit jeweiliger Berufung auf die vermeintlich „deutschen Werte“, z. B.
2. Rufer : „Gegen Dekadenz und moralischen Zerfall ! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat ! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Heine , Ernst Glaeser und Erich Kästner.“ [ … ] 4. Rufer : „Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens , für den Adel der menschlichen Seele ! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Sigmund Freud.“ [ … ] 7. Rufer : „Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs , für Erziehung des Volkes im Geiste der Wehrhaftigkeit ! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque.“7 [ … ] 9. Rufer : „Gegen Frechheit und Anmaßung , für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist ! Verschlinge , Flamme , auch die Schriften von Tucholsky und Ossietzky !“
Für noch lebende Autoren , nicht zuletzt solche jüdischer Herkunft , war die Bücherverbrennung der Beginn von jahrelanger , oft tödlicher Verfolgung , obwohl dieser barbarische Akt angeblich nur auf eine studentische Initiative zurückging.
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Kurt Tucholsky etwa beging 1935 Selbstmord , ebenso Walter Benjamin 1940 auf der Flucht in Spanien. Carl v. Ossietzky starb 1938 nach KZ-Haft. Erich Kästner , Erich Maria Remarque und viele andere erhielten Publikationsverbot. Die neun Feuersprüche stellten in komprimierter Form die NS-Ideologie in Gegensatzpaaren von Fahnen- und Stigmawörtern dar : 1. „Volksgemeinschaft“ – „Klassenkampf“ und „Idealismus“ – „Materialismus“, 2. „Zucht und Sitte in Familie und Staat“ – „Dekadenz und moralischer Z erfall“, 3. „Hingabe an Volk und Staat“ – „Gesinnungslumperei und politischer Verrat“, 4. „Adel der menschlichen Seele“ – „Überschätzung des Trieblebens“, 5. „Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit“ – „Verfälschung unserer Geschichte“, 6. „verantwortungsbewusste Mitarbeit am Werk des nationalen Aufbaus“ – „volksfremder Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung“, 7. „Geist der Wehrhaftigkeit“ – „literarischer Verrat am Soldaten“, 8. „Pflege [ der deutschen Sprache als ] des kostbarsten Gutes unseres Volkes“ – „dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache“, 9. „Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist“ – „Frechheit und Anmaßung“. „Heimtückische Angriffe auf Staat und Partei“ – Die Legitimierung des Denunziantentums
Die Gleichschaltungsformel „Staat und Partei“ erhielt am 20. Dezember 1934 gleichsam ihre juristische Weihe durch das „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen“, kurz „Heimtückegesetz“ genannt. Vorläufer war die „Verordnung zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung“ vom 21. März 1933. Der Gesetzestitel von 1934 stellte , verglichen mit früheren Verordnungs- und Gesetzestiteln , den vorläufigen Höhepunkt einer immer engeren Definition , mehr noch einer Umdefinition des Staates dar. Die Reichstagsbrandverordnung war noch dem „Schutz von Volk und Staat“ gewidmet , das Ermächtigungsgesetz sollte der „Behebung der Not von Volk und Reich“ dienen. Die weitere exzessive Berufung der NSDAP auf das „Volk“ war somit längst durch die Überhöhung der „Partei“ auf gesetzlicher Ebene eigentlich bedeutungslos und zum bloßen Propagandaelement geworden. Der traditionelle strafrechtliche Begriff „Heimtücke“, auch „heimtückischer Angriff“, erweiterte durch dieses Gesetz überdies den juristischen Ermessensspielraum geradezu ins Unendliche : In Paragraph 1 wurde festgelegt :
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„Wer vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet , die geeignet ist , das Wohl des Reichs oder das Ansehen der Reichsregierung oder das der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei oder ihrer Gliederungen schwer zu schädigen , wird [ … ] mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft.“8
Die Auslegung des Begriffs „Heimtücke“ war eins der vielen Beispiele , wie die Nationalsozialisten Rechtsgrundsätze auf den Kopf stellten. Denn die traditionellen Bedingungen für die Feststellung , dass ein „heimtückischer Angriff“ vorliege , waren – und sind heute wieder – die Arglosigkeit und Schutzlosigkeit des Angegriffenen. Diese Bedingungen waren 1934 wahrlich nicht mehr gegeben. Zugleich aber sollten mit dem Heimtückegesetz auch die Uniformen der NSDAP und ihrer Gliederungen vor Missbrauch und Angriffen ( Paragraph 3 und 5 ) geschützt werden. Parteiuniformen , aber auch „Fahnen oder Abzeichen der NSDAP“ wurden somit staatlichen Hoheitszeichen gleichgestellt. Alles, was der Partei irgendwie in die Quere kommen konnte , ließ sich nun als Heimtücke gegen den Staat verfolgen. Dem Denunziantentum , das während der gesamten NS-Zeit kräftig blühte , wurde damit eine gesetzliche Handhabe geboten. „Als Staatsnotwehr rechtens“ – Die Mordaktionen beim sogenannten Röhmputsch
Innerparteiliche Spannungen , insbesondere die Forderung der SA-Führung unter Ernst Röhm nach einer „zweiten Revolution“, die der SA mit ihren damals 4,2 Millionen Mitgliedern , eine dominante Stellung in einem „Wehrstaat“ sichern sollte , trieben im Frühjahr 1934 einem Höhepunkt zu. Bis dahin waren die SA -Männer hauptsächlich als Hilfspolizei und als Wachpersonal in Schutzhaftlagern und KZs tätig. Nun aber musste Hitler , sollte er den Forderungen Röhms folgen , um die Loyalität der Reichswehr fürchten. Deren Stellung und Bedeutung für seine Kriegspläne wären durch eine Aufwertung der SA extrem geschwächt worden. Er entschloss sich , von Göring , Himmler und Goebbels gedrängt , zu einer gewaltsamen Lösung und ließ in der Nacht zum 30. Juni 1934 die SA-Führung und bis zum 2. Juli 1934 auch zahlreiche andere mutmaßliche Gegner seines Regimes wegen angeblicher Umsturzpläne von der SS ermorden. Die Verhaftung seines Duzfreundes Röhm in Bad Wiessee , wohin man die SA-Führung gelockt hatte , nahm Hitler in Begleitung von zwei Kriminalbeamten persönlich vor. Mit einem mehrfachen „Röhm , du bist verhaftet“ riss er Röhm aus seinem ahnungslosen Schlaf. Während die Mordkommandos , oft
Die Mordaktionen beim „Röhmputsch“ |
auf eigene Faust , durch die Lande zogen , wurde Röhm zunächst in der Haftanstalt Stadelheim / München festgesetzt und nach einigem Zögern Hitlers auf dessen ausdrücklichen Befehl am 1. Juli 1935 erschossen. Zur Rechtfertigung dieser Mordaktionen ließ sich Hitler am 3. Juli 1934 in einem eigens dafür verabschiedeten Gesetz ausdrücklich bestätigen , dass die „vollzogenen Maßnahmen [ … ] als Staatsnotwehr rechtens“ gewesen seien.9 Bereits im 15. Kapitel von „Mein Kampf“ hatte Hitler „Notwehr als Recht“ thematisiert. In Hitlers Argumentation und Wortwahl – er sprach von „RöhmRevolte“ – , aber auch in der oft noch heute gebräuchlichen Umschreibung der Vorgänge als „Röhmputsch“, wurde und wird die Täter-Opfer-Perspektive aufs Deutlichste umgekehrt. Dieses Sprachlenkungsmuster sollte in der NSPropaganda noch sehr oft genutzt werden , nicht zuletzt bei der Rechtfertigung des 1939 begonnenen Angriffskriegs. Weit über einen an sich durchsichtigen Rechtfertigungsversuch hinaus gelang es Hitler sogar , aus den Mordaktionen gegen die SA-Führung und andere mutmaßliche Opponenten den Anspruch abzuleiten , er sei in Deutschland der „oberste Gerichtsherr“. 1
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Dimitroff wurde 1946 bulgarischer Ministerpräsident. Zitiert nach : Fetscher , Iring ( 1989 ) : Die Ahnungslosigkeit des Ritters ohne Furcht. In : Frankfurter Allgemeine Zeitung , 24. / 25. 6. 1989. Abdruck in : Der Angriff. Aufsätze aus der Kampfzeit. München 1935 : 329. Zu Franks „Leitsätzen“ s. Kapitel 9. Vgl. die Stichwörter „Sondergerichte“, „Volksgerichtshof“, „Kriegssonderstrafrecht“ in : Benz / Graml / Weiß ( 1998 ). Goebbels-Zitate nach : Heiber ( 1991 ) I : 108 ff. Text in : Walberer ( 1983 ) und Sauder ( 1983 ). – Das Verbrennen von Büchern aus politischideologischen Motiven hatte seinen historischen Vorläufer auf dem Wartburgfest von 1817. Dort verbrannten Studenten , in bewusster Anknüpfung an Luthers Verbrennung der päpstlichen Bannandrohungsbulle im Jahr 1517 , zahlreiche Schriften , die ihrem republikanischen Geist widersprachen. Hassobjekt von Deutschnationalen und Nationalsozialisten war insbesondere Remarques Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“ ( Buchpublikation 1929 ). Reichsgesetzblatt 1934 , I : 1269. Fest ( 1973 ) : 643.
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„Gleichschaltung“ war und ist noch heute Schlüsselwort für eine totalitäre Herrschaftsform , in der alle offiziellen und halboffiziellen Strukturen – mit Wirkungen bis ins Privatleben – von einem politischen Zentrum aus gelenkt und dessen Zielen dienstbar gemacht werden. Schon in seiner Wortbildung verrät der Begriff den politisch-technizistischen Charakter der damit benannten Vorgänge. Alles soll wie in der Elektrotechnik von einer „Schalt“-Zentrale aus in gleicher Weise gesteuert werden. Gleichschaltung war eine der wesentlichsten Herrschaftsformen des NS-Regimes. Darin eiferte ihm nach 1945 die SED -Diktatur insbesondere 1952 durch Abschaffung der Länder zugunsten einer zentral gelenkten Bezirksverwaltung nach. In der NS-Zeit stand dieser technizistische Begriff eigentlich im Widerspruch zur allfälligen Berufung auf das „Organische“ einer Volksgemeinschaft und ihrer „natürlichen“ Lebensformen , die gegen die „kalte Systemhaftigkeit“ einer liberalen Demokratie ins Feld geführt wurde. Schon 1947 hat Victor Klemperer1 auf die umfassende sprachliche Technisierung durch die Nationalsozialisten aufmerksam gemacht , die sich in weiteren technischen Metaphern niedergeschlagen hat. Während sich in der Weimarer Zeit – so Klemperer – nur zwei technische Termini , „verankern“ und „ankurbeln“, in der Allgemeinsprache als Schlag- und Modewörter hätten etablieren können2 , seien in der NS-Zeit Wörter wie „einstellen / Einstellung“, „neu aufgeladen“, „Motor“, „auf Hochtouren laufen / zu vollen Touren auflaufen“, „spuren“ oder „voll ausgelastet“ populär geworden. Tatsächlich zeichnet sich der Wortschatz dieser Zeit durch eine starke Dynamisierung aus , die sich schon in zahlreichen Anleihen bei der Sprache des Sports niederschlug , sich aber hinsichtlich der sprachlichen Technisisierung nicht zuletzt der offiziellen Förderung der Motorisierung der Deutschen verdankte. Der Begriff „Gleichschaltung“ hatte in der NS-Zeit zunächst einen staats- und verfassungsrechtlichen Ursprung und Rang , der ihm offizielle , sogar gesetzesöffentliche Geltung verlieh. Eher metaphorisch , also inoffiziell , wurde er dann auf zahlreiche andere totalitäre Lenkungsmaßnahmen übertragen. Dass es bei der „Behebung der Not von Volk und Reich“, wie das Ermächtigungsgesetz von 1933 vorgab , nicht in erster Linie um das Volk ging , sondern eher um eine Stärkung des Reiches im Sinne der Staatsvorstellungen der
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NSDAP , belegten gleich zwei frühe Gesetze , welche die Weimarer Verfassung
in wesentlichen Punkten ebenfalls außer Kraft setzten , denn sie hoben die föderale Struktur des Deutschen Reiches auf. Das erste , vom 31. März 1933 , sprach noch – freundlich verschleiernd – von „Gleichstellung der Länder mit dem Reich“. Es beseitigte aber deren Besonderheiten bereits insoweit , als die Länderparlamente , ohne dass die Wähler darauf noch einen Einfluss gehabt hätten , nach dem Verhältnis der Reichstagswahlergebnisse neu gebildet wurden. Auf diese Weise wurden überall dort , wo noch stärkere parlamentarische Kräfte der Politik der „nationalen Regierung“ kritisch gegenüberstanden , diese in die Minderheitenrolle gedrängt. Bereits eine Woche später , am 7. April 1933 , folgte das zweite Gesetz „zur Gleichschaltung der Länder“, deren Regierungen der Aufsicht von „Reichsstatthaltern“ unterstellt wurden , die von Berlin aus eingesetzt wurden , zunächst vom Reichspräsidenten , ab 1934 von Hitler persönlich. Neun der insgesamt elf Reichsstatthalter waren zugleich Gauleiter , also die obersten Gebietsleiter der NSDAP. Hierdurch erhielt der Gebrauch der schon früh benutzten Doppelformel „Partei und Staat“, mit jener verräterischen Vorrangstellung von „Partei“, einen kräftigen Impuls. Das „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat“ vom 1. Dezember 1933 erhob dann die generelle Gleichsetzung von zentral gelenkter NSDAP und Staat zur Staatsdoktrin. Mit dem Gesetz zum „Neuaufbau des Reiches“ vom 30. Januar 1934 wurde den Reichsstatthaltern als Inhabern der Reichsgewalt sogar die Befugnis übertragen , Minister und Beamte zu ernennen. Hitler kam damit seiner Vision von einer zentral gelenkten „germanischen Demokratie“ ein großes Stück näher. Den ersten Schritt zur Gleichschaltung der Länder hatte allerdings bereits 1932 der Reichskanzler Franz v. Papen ( Zentrum ) getan , als er am 20. Juli durch den sogenannten Preußenschlag3 mittels Notverordnung und militärischen Ausnahmezustands die geschäftsführende Regierung Preußens unter dem Ministerpräsidenten Otto Braun ( SPD ) ihres Amtes enthob und durch einen Reichskommissar der Zentralregierung unterstellte. Damit verlor schon 1932 der größte deutsche Teilstaat seine Selbstständigkeit und die SPD einen ihrer wichtigsten Stützpunkten im Reich. Dadurch war für die Machtübernahme durch die NSDAP im Gesamtstaat eine geradezu ideale Voraussetzung geschaffen worden. Die NSDAP wollte indes nicht nur auf staats- und verfassungsrechtlicher Ebene , durch Aufhebung föderaler Prinzipien und Rechte , eine politische Einheit erzwingen. Auch auf allen anderen Ebenen von einiger politischer Bedeutung , nicht zuletzt durch Beseitigung des Verbändepluralismus , bewirkte sie die Errichtung reichseinheitlicher , also zentral steuerbarer Organisationen. So wurde etwa die Vielfalt der Gewerkschaften zugunsten einer Einheitsorganisation , der
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Deutschen Arbeitsfront ( DAF ) , oder die Pluralität von Jugendgemeinschaften zugunsten der Hitlerjugend ( HJ ) zerschlagen. Wie weit die Gleichschaltungspolitik im Einzelnen ging , kann man exemplarisch daran erkennen , dass sogar ein Klangkörper wie der Leipziger Thomanerchor der HJ eingegliedert wurde. Als „Gleichschaltung“ müssen somit auch alle kulturpolitischen Maßnahmen bezeichnet werden , durch die eine zentrale Kontrolle kultureller Aktivitäten und deren Instrumentalisierung für Propagandazwecke erreicht wurden. Unter Federführung des Goebbels’schen „Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda“ wurde , wie schon erwähnt , durch Gesetz vom 22. September 1933 die „Reichskulturkammer“ als Pflichtorganisation für alle Kulturschaffenden gegründet. Die Nichtaufnahme in entsprechende „Berufslisten“ bedeutete de facto Berufsverbot , womit man diejenigen bestrafte , die sich dem Regime gegenüber nicht völlig loyal verhielten. Damit aber wurden auch grundsätzlich alle Menschen jüdischer Abstammung von einer Mitgliedschaft ausgeschlossen. Die Reichskulturkammer war gegliedert in –– die Reichsschrifttumskammer , –– die Reichspressekammer , –– die Reichsrundfunkkammer , –– die Reichstheaterkammer , –– die Reichsfilmkammer , –– die Reichsmusikkammer , –– die Reichskammer der bildenden Künste. Die Wahl des Terminus „Kammer“ war nicht zufällig. Zwar waren und sind auch andere Berufszweige bereits traditionell in „Kammern“ mit Zwangsmitgliedschaft organisiert. Man denke an Architekten- / Ärzte- / Handwerks- oder Industrie- und Handelskammern. Allerdings war und ist in diesen traditionellen Kammerorganisationen von der Sache bedingt ein Regelungsbedarf unabweisbar , während künstlerische Arbeit wesentlich der individuellen Freiheit bedarf. In der Reichskulturkammer sollte also auch der Geist gleichgeschaltet werden. Goebbels nannte es verräterisch genug „geistige Vereinheitlichung“. Musikalische „Quertreiber“ etwa konnten sogar in einer Musikansage des Rundfunks auf zynische Weise gewarnt werden : „Die kommen in ein Konzertlager [ ! ] , wo man ihnen so lange die Flötentöne beibringt , bis sie sich an eine taktvolle Mitarbeit gewöhnt haben.“4 Wie direkt sich Joseph Goebbels als Präsident der Reichskulturkammer in den Kulturbetrieb einschaltete , bezeugt etwa eine Anweisung , die er 1936 auf der 3. Jahrestagung dieser Institution vortrug :
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„Da auch das Jahr 1936 keine befriedigende Besserung der Kunstkritik [ im Sinne der nationalsozialistischen Gesinnung ] gebracht hat , untersage ich mit dem heutigen Tage endgültig die Weiterführung der Kunstkritik in der bisherigen Form. Anstelle der bisherigen Kunstkritik wird ab heute der Kunstbericht gestellt , an die Stelle des Kunstkritikers tritt der Kunstschriftleiter. Der Kunstbericht soll weniger Wertung als vielmehr Darstellung und damit Würdigung sein.“5
Die Folgen der Gleichschaltung und Gängelung für die Künste in Deutschland , die hier nicht weiter ausgeführt werden können , sind kaum zu überschätzen.6 Peinlicherweise unterstützten auch Institutionen , denen schon aus ökonomischen Interessen etwas an der Freiheit des Geistes hätte liegen müssen , die NS -Knebelungspolitik. Dazu gehörten der Zeitungsverlegerverband und auf literaturpolitischem Gebiet der Börsenverein des Deutschen Buchhandels. In einigen Organisationen wissenschaftlicher Disziplinen setzten sich ab 1933 , erst recht nach der systematischen Entlassung jüdischer Forscher , Kräfte durch , die zugunsten pseudo-wissenschaftlicher Positionen mit ideologischen Prämissen völkischer und nationalsozialistischer Art die hohe internationale Reputation ihrer Disziplinen nachhaltig zerstörten. Vollends verpönt war nun die Psychoanalyse , zumal sie von einem Juden wie Sigmund Freud geprägt erschien. Geographen hatten bereits vor 1933 den NSEroberungen im Osten insofern vorgearbeitet , als sie jenseits aller historisch fassbaren Grenzen deutscher Siedlungstätigkeit „germanische“ bzw. „deutsche Kulturräume“ identifizierten , die „zurückzugewinnen“ seien. Als ein Beispiel für vieles kann die einer deutschen Expansion dienende Karte „Siedlungsbrücke im Osten“ des Geographen Albrecht Penck von 1925 gelten.7 Selbst der nachmals weltberühmte Verhaltensbiologe Konrad Lorenz lieferte Legitimationen für die NS-Rassenpolitik.8 Auf zweifelhaften theoretischen Voraussetzungen , deren Begründung bis ins 19. Jahrhundert zurückreichte , die aber international als inakzeptabel galt , fußten Neudefinitionen sogar der Mathematik , Chemie und Physik , deren Hauptzweck die Verdrängung „jüdischer“ Theorien und ihrer Vertreter wurde. Es sollte nun eine „Deutsche Mathematik“, eine „Deutsche Chemie“ und eine „Deutsche Physik geben“. So richtete sich etwa der Kampf der Deutschen Physik unter Führung von Philipp Lenard , Autor des Buches „Deutsche Physik“ ( 1936 ) , in dem er die sogenannte Äthertheorie vertrat , gegen keinen Geringeren als Albert Einstein , seine Relativitätstheorie und Quantenmechanik. Das Attribut „deutsch“ mit seinem zeitgenössischen Hochwertcharakter wurde hier wie in vielen anderen Fällen zur Adelung auch schlimmster nationalistischer Borniertheit eingesetzt.9
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Das gilt auch für jene Art der „Nationalisierung“ von Theologie und Religion , wie sie in der Selbstbezeichnung des willfährigsten Teils der evangelischen Christen zum Ausdruck kam : „Deutsche Christen“. Eine höchst schillernde , von den Nationalsozialisten , wenn auch mit Vorbehalt , geförderte Sekte nahm für sich sogar in Anspruch , eine „Deutsche Gotterkenntnis“ zu pflegen.10 An der Diffamierung jüdischer Gelehrter und damit de facto an der Rechtfertigung für deren Vertreibung aus den Hochschulen hatten sich auch Vertreter sämtlicher Geisteswissenschaften beteiligt. Die Ächtung des Theologen und Philosophen Paul Tillich , des Philosophen und Soziologen Max Horkheimer oder des Romanisten Victor Klemperer kann hier nur stellvertretend für eine Unzahl ähnlicher Fälle genannt werden. Bekannte Erziehungswissenschaftler wie der Begründer der Jenaplan-Pädagogik Peter Petersen dagegen biederten sich dem Regime geradezu an. 1933 schrieb Petersen in der NS-Zeitschrift „Blut und Boden“ etwa : „Weil es dem Juden unmöglich wird , unsere Art innerlich mitzuleben , so wirkt er in allem , das er angreift , für uns zersetzend , verflachend , ja vergiftend und tritt alles in den Dienst seines Machtstrebens.“11 Eine Disziplin , für die schon im 19. Jahrhundert die germanisch-deutschen Wurzeln und Ausprägungen der Kultur in Sprach- und Literaturgeschichte ein zentrales Thema gewesen waren , konnte in diesem „Kampf für das Deutschtum“ natürlich nicht nachstehen : die Germanistik.12 Spätestens ab 1933 bekannten sich auch prominente Vertreter dieses Fachs zu einer explizit „rassischen“ Fundierung ihrer Forschungen. Auch wenn Jörg Riecke13 deren Bekenntnisse – anders als die fanatischeren Erklärungen von Laienphilologen – im Wesentlichen als „Ornament“ deutet , mithilfe dessen man sich weitere öffentliche Unterstützung erhoffte , förderten auch „harmlose“ Anpassungen das rassistische Klima im NS-Regime.14 Gleichschaltung funktionierte zu einem wesentlichen Teil von innen heraus. Das gilt auch für die freiwillige Mitwirkung zahlreicher Gelehrter in der „Arbeitsgemeinschaft für den Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“, die eine kriegerisch erzwungene völkische Neuordnung Europas wissenschaftlich unterstützen sollte. Zu den zahlreichen Mitgliedern , die aus allen geisteswissenschaftlichen Disziplinen stammten , zählten unter anderem der Rechtswissenschaftler Theodor Maunz , der Historiker Hermann Aubin , der Philosoph Hans-Georg Gadamer , der Altphilologe Wolfgang Schadewaldt , der Soziologe Arnold Gehlen und der Germanist Benno von Wiese – alles Namen , die nach 1945 noch in höchstem Glanz standen. Heideggers frühes Bekenntnis zum „Führer“ und seiner Ideologie ist bereits erwähnt worden. Eine andere akademische Disziplin , die durch ihr aktives Engagement zugunsten der NS-Diktatur für sehr viel direktere und
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schlimmste Folgen verantwortlich war , die Medizin , hat sich nach 1945 – wenn überhaupt – nur sehr zögerlich mit der Aufarbeitung ihrer braunen Vergangenheit beschäftigt.15 1
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Klemperer ( 1969 ). Hierzu steht freilich eine genauere Untersuchung noch aus. – Vgl. Schlosser ( 1999b ). Varianten : „Preußenputsch“, „Staatsstreich Papens“, „Papenstreich“. Zitiert nach der TV -Dokumentation „Frohsinn , Fernsehen und Faschismus“ von Radio Berlin-Brandenburg am 22. 8. 2005. Völkischer Beobachter , 28. 11. 1936. Vgl. dazu u. a. : Sarkowicz ( 2004 ). Fahlbusch , Michael ( 1999 ) : Die verlorene Ehre der Geographie. In : Frankfurter Rundschau , 2. 10. 1999 : 6. Föger , Benedikt / Taschwer , Klaus ( 2001 ) : Die andere Seite des Spiegels. Konrad Lorenz und der Nationalsozialismus. Wien. – Vgl. auch Junginger ( 2011 ). Zu den Karrieren regimetreuer Wissenschaftler s. Grüttner ( 2004 ). Vgl. Puschner , Uwe : Ein Volk , ein Reich , ein Gott. Völkische Weltanschauung und Bewegung. In : Sösemann ( 2002 ) : 25–41. Zitiert nach : Ortmeyer , Benjamin ( 2008 ) : Peter Petersen und die NS-Zeit. – Forschungsbericht. Goethe-Universität. Frankfurt a. M. ; vgl. auch Ortmeyer ( 2009 ). Vgl. dazu u. a. : Lämmert ( 1967 ) ; Engster ( 1986 ) ; Römer ( 1989 ) ; König ( 2002 ). Riecke ( 2008 ) : 623. Vgl. dazu einzelne Biographien von Tätern und Opfern in : König , Christoph ( Hrsg. ) ( 2003 ) : Internationales Germanistenlexikon 1800–1950. 3 Bde. Berlin / New York ; Maas , Utz ( 2010 ) : Verfolgung und Auswanderung deutschsprachiger Sprachforscher 1933–1945. 2 Bde. Tübingen. Vgl. u. a.: Mitscherlich / Mielke ( 1978 ) , Hausmann ( 1998 ) , Schröder ( 2002 ) , Bieckmann ( 2004 ).
8 | PROPAGANDA ALS THEORIEERSATZ UND DIE MEDIEN „Predigt des Glaubens“ – Der NS-Antiintellektualismus | 145 | „Bitten“, „Wünsche“, „Anweisungen“ – Instrumente und Beispiele der Medienlenkung | 147 | „Gestalter der nationalsozialistischen Gesinnungspresse“ | 153 | „Auf verlorenem Posten“ – Liberale Feigenblätter | 154 | „Deutscher ! Dein Feind ist der Jude !“ – Presseorgane im Zeichen des Fanatismus | 156 | „Geist eines neuen Heroismus“ – Der Rundfunk als Propagandainstrument | 159 | „Wir lassen uns das Leben nicht verbittern“ – Willkommene Propaganda im Schlager | 163 | Von „Hitlerjunge Quex“ bis „Kolberg“ – Der Kinofilm im Dienst der Propaganda | 166 | „Stehen und kämpfen !“ – Die Deutsche Wochenschau | 169 | „Wir senden Frohsinn“ – Das verhinderte Massenmedium Fernsehen | 172 | „Deutsch die Uhr – deutsch der Klang“ – Die Indienstnahme der kommerziellen Werbung | 173 |
Die alles andere als in sich widerspruchsfreie , gar rationale NS-Ideologie fiel also selbst in Kreisen auf fruchtbaren Boden , in denen rationales Denken oberstes Gebot hätte sein sollen. Karriererücksichten halfen indes in nicht wenigen Fällen über vorhandene Bedenken hinweg. Verbal als „neue Weltanschauung“ überhöht , wurde diese Ideologie in allen Lebensbereichen verankert. Dafür sorgte eine sehr wirkungsvolle Propaganda , deren oberste Leitung Joseph Goeb bels übertragen war und der alle organisatorischen und technischen Möglichkeiten der Verbreitung dieser Ideologie und ihrer jeweils aktuellen Interpretation – vom einzelnen Plakat bis zum aufwendigen Film – intensivst nutzte. Ähnlich wie Hitler bereits in „Mein Kampf“ vertrat Goebbels selbst für den Rundfunk die werbepsychologisch sehr wohl nachvollziehbare Maxime , die Kunst zu üben , „komplizierte Tatbestände zu entkomplizieren , zu vereinfachen , zu primitivieren , sie auf das allereinfachste Maß wieder zurückzuführen und im einfachsten Maße auch wieder dem Volk vor Augen zu führen.“1 Freilich blieb es dann in der NS-Propanda fast ausnahmslos bei primitiven Welterklärungen und Deutungen der Gegenwart , die tunlichst „zu hohe geistige Voraussetzungen“ ( Hitler ) übergingen. Wo sich der promovierte Joseph Goebbels dann doch zu intellektuellen Höhenflügen erhob , gelangte er nie über die Klischees der Parteidoktrin hinaus und verstieg sich gelegentlich zu so tiefsinnigen Formulierungen wie der von den „wirklichkeitlichen Ausdrücken der wirklichen Zeit“.2 „Wirklich“ war anfangs eins der Lieblingswörter von Goebbels , natürlich stets in dem Sinne , dass nur er oder die Partei wusste , was „wirklich“ war oder zu sein hatte. Ziel blieb stets die „geistige Vereinheitlichung
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des deutschen Volkes“, und zwar als „blindes und gläubiges Vertrauen“ aller zur Sache des Führers.3 Dass die Propaganda kein Lebensalter ausließ , zeigen die Schulbücher der Zeit. Schon die Illustrationen in Fibeln für die Erstklässler zeigten außer Hakenkreuzfahnen Vertreter von HJ und BDM in ihren Uniformen. Im Rechenbuch wurde etwa der Zehnerblock nach der Zahlenreihe 1–9 von einem Hitlerjungen übersprungen. Für das fortgeschrittenere Lesealter stand unter der Zeichnung einer Familienszene , Mutter mit drei Kindern , eins davon in HJ -Uniform , um ein Rundfunkgerät gruppiert : „Am Radio. Wir hören Musik. / Wir hören die Trommel. Wir hören : Sieg Heil ! / Sieg Heil ! Sieg Heil ! / W ir hören das Lied : / Deutschland , Deutschland / über alles , / und das Lied : / Die Fahne hoch !“ Links und rechts des Texts sind eine Landsknechtstrommel der HJ und selbstverständlich wieder eine Hakenkreuzfahne abgebildet.4 – Wie sehr sich gerade bei Kindern solche Indokrination durch die Schule und das weitere Umfeld auswirken konnte , lässt sich exemplarisch aus zwei Einträgen eines Siebenjährigen in sein „Tagebuch“5 erkennen : „29. 6. [ 1944 ] Heute war ich mit dem Horst S. im Strandbad ! S. war so feig ins tiefe Wasser zu gehen , Deutschland ist nicht da zu feige fölker auf zu nehmen : aber ich bin nicht so feige , weil ich wil das ich so kräftig werde wie mein Papi !“ „8. 11. [ 1944 ] Heute haben sie im Radio gesagt das Londern [ London ] mit V. I. und mit V. II. beschossen wird. Wir sollen es schon zeigen das wir eine Stärkere Hand haben , als die Kuhschwanzeln , die machen im Leben nicht was sie wollen , mit uns. Die blöden Oksen die ergeben sich bevohr V. III. kommt.“
Eine klare Grenzziehung zwischen Propaganda und anderen offiziellen Äußerungen ist so gut wie unmöglich. Bereits der Errichtung des totalitären Regimes musste eine sprachliche Beeinflussung der Öffentlichkeit vorausgehen , die sich vorhandene mentale Dispositionen der Bevölkerung zunutze machte. Das Auftreten der NSDAP vor 1933 war – von brutalen Attacken in Saal- und Straßenschlachten einmal abgesehen – ein permanenter rhetorisch-propagandistischer Feldzug , in dem die eigenen Ziele in geschickter Abstimmung mit bereits verbreiteten Leitbildern und Klischees sprachlich präsentiert wurden. Dabei gelang es auch , einer wachsenden Zahl von Deutschen unter den allgemein geschätzten Hochwertwörtern wie „deutsch / Deutschland“, „Volk“ oder „Vaterland“ die Deutungen zu vermitteln , die der NS -Politik dienten. Da es auch nachträglich so gut wie unmöglich ist , im Nationalsozialismus eine stimmige Theorie zu entdecken , kann man mit gutem Recht behaupten , dass die NS-Ideologie
Der NS-Antiintellektualismus |
eigentlich nur aus der Summe propagandistischer Äußerungen bestand , die schon vorhandene Vorurteile bedienten und / oder latente Sehnsüchte förderten. Das Reichsschriftleitergesetz von 1933 wies dann ausdrücklich insbesondere den Medien „Aufgaben der geistigen Einwirkung auf die Nation“ zu. Ein besonderes Kapitel war natürlich die Verschärfung der Propaganda unter Kriegsbedingungen. Doch zeigt bereits die Propaganda der angeblichen Friedenszeit bis 1939 deutliche Konturen dessen , was zur Maxime der Kriegspropaganda wurde : die weitere Steigerung deutschen Selbstbewusstseins mit dem Anspruch , über allem zu stehen , was nicht „deutsch“, „germanisch“ oder „arisch“ war. Es war kein Zufall , dass Goebbels bereits sehr früh von der „geistigen Mobilmachung“ der Nation sprach.
„Predigt des Glaubens“ – Der NS-Antiintellektualismus
Wie deckungsgleich letztlich NS-Ideologie und NS-Propaganda sogar zeitgenössisch gesehen werden konnten , geht aus einer Heidelberger Dissertation von 19366 hervor , in der es etwa heißt : „Die politische Propaganda war in diesem Kampf die Predigt des Glaubens , die Träger der Propaganda die Überbringer einer Sendung im deutschen Volk. Aus ihrem Glauben haben sie in schöpferischer Tat die Gesinnung auf die Millionen übertragen , denen sie ihre Lehre überbrachten. Der Glaube lebte im Menschen , im politischen Soldaten ; er brannte in ihm , ob er marschierte , ob er vor den Massen stand oder ob er mit sich allein war. Der Glaube lebte in ihnen allen , die den Eid auf den Führer abgelegt haben. [ … ] Die Propaganda predigte und predigt den Glauben , sie war und ist selbst nicht Glaube ; sie ist Geist , Handwerkszeug zur Formung der Gesinnung. Dieser Glaube , aus dem Menschen kommend und in den Menschen zurückgehend , war geboren aus einer höheren Macht als die des Geistes. [ … ] Diese Macht lag im tiefsten Grunde in dem Mythos der deutschen Nation.“
Hier werden alle Register einer religiösen Sprache gezogen , um die NS-Propaganda gegen jeden intellektuellen Verdacht abzuschirmen : „Predigt“, „Sendung“, „Glaube“, „Geist“, „Mythos“ der deutschen Nation , der eine höhere Macht als der Geist sein soll. In deutlicher Anlehnung an kirchliche Losungen , deren ungebremste Verbreitung den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge war , erschienen zwischen 1937 und 1944 „Wochensprüche“, die jeweils auf eine einzige Aussage beschränkt
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waren.7 Im ungefähren Format von DIN A 4 gaben sie in anspruchsvoller Gestaltung Zitate von Autoritäten aus Geschichte und Gegenwart wieder , die inhaltlich zu Grundgedanken der NS-Ideologie zu passen schienen. Zitiert wurden klassische deutsche Philosophen und Dichter , womit auch die Gebildeten angesprochen werden sollten. Selbstverständlich kamen die NS-Größen – allen voran Hitler – ebenfalls immer wieder selbst zu Wort. Goebbels etwa textete : „Bauern und Soldaten stehen Hand in Hand zusammen , um dem Volke sein täglich Brot zu geben und dem Reiche seine Freiheit zu sichern.“ Diese säkularisierten Losungen wurden massenhaft verbreitet und wurden in Wechselrahmen an allen Orten mit Publikumsverkehr ausgehängt , in Ämtern , Bahnhöfen , Gaststätten , Wartezimmern von Ärzten und Anwälten. Ebenso in Schulen , wo sie jeweils zu Wochenbeginn verlesen wurden und teilweise sogar auswendig gelernt werden mussten. Nicht wenige Privathaushalte bezogen sie im Abonnement. Im Gegensatz zu anderen ähnlichen Agitationsformen , vor allem der „Parole der Woche“ oder der „Parole des Monats“, erst recht zu den üblichen Propagandaplakaten und Propagandaschriften vermieden die „Wochensprüche“ weitgehend aggressive Töne , was ihre Wirksamkeit zweifellos erhöhte. Die NS-Agitatoren , an der Spitze natürlich Hitler , Goebbels und Rosenberg , pflegten ansonsten ausdrücklich wie indirekt einen extremen Antiintellektualismus , mochten sie sich auch noch so intellektuell gebärden , etwa wenn sie ihre weltgeschichtlichen und rassenbiologischen Ansichten darlegten. Antisemitismus und Germanophilie waren , wie schon ausgeführt , die beiden einzigen „theoretischen“ Klammern um das Bündel von innen- und außenpolitischen Zielvorstellungen. Der „Theoretiker“ des Nationalsozialismus Rosenberg war – es muss wiederholt werden – zuvörderst Agitator und blieb es ab 1923 auch in der Funktion des Chefredakteurs des „Völkischen Beobachters“, des „Kampfblatts der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands“. Schon in seinem Entwurf eines Propagandakonzepts in „Mein Kampf“ von 1925 / 26 hatte Hitler als Grundsätze guter Propaganda die absolute Einseitigkeit der Darstellung und die Orientierung an der „Aufnahmefähigkeit der Beschränktesten“ definiert. Besonderen Wert legte Hitler in seinem Konzept , wie ebenfalls schon ausgeführt , darauf , dass vornehmlich Emotionen , das „Fühlen der Masse“ und die „gefühlsmäßige Vorstellungswelt der großen Masse“, zu aktivieren seien. Darin gründet jener Antiintellektualismus , der sich neben anderen traditionellen Klischees wie dem des „deutschen Gemüts“ auch auf das NS-Theorem vom „gesunden Volksempfinden“ stützte. Auch hierbei handelte es sich um eine rein emotionale Größe , die auf verschiedenen Feldern
Instrumente und Beispiele der Medienlenkung |
der Aktivierung von Vorurteilen Tür und Tor öffnen konnte. Das galt für die Beurteilung von Menschen und ihrem Verhalten oder für die Bewertung von künstlerischen Gestaltungen. Selbst in der Rechtsprechung konnte die Berufung auf das „gesunde Volksempfinden“ maßgeblich werden. Im Nationalsozialismus sollten indes , Hitlers frühem Konzept folgend , die werbestrategischen Grundsätze und Instrumente nicht nur für begrenzte Zwecke empfohlen und angewandt werden , sondern sollten eigentlich der Durchsetzung einer „weltumwälzenden Bewegung“8 dienen. Auch damit trat die Propaganda an die Stelle der Theorie. Denn mit welchen Ideen außer mit ihrem nackten Machtanspruch die Nationalsozialisten die ganze Welt „umwälzen“ wollten , blieb letztlich in dichtem Nebel. Nachdem die NSDAP unter den Bedingungen der Weimarer Republik zunächst Parteipropaganda betreiben musste , eröffneten sich mit dem Regierungsantritt Hitlers 1933 ganz neue Möglichkeiten. Der Chefagitator der NSDAP Joseph Goebbels , seit 1930 Reichspropagandaleiter der NSDAP , erhielt mit seiner Ernennung zum Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda alle Möglichkeiten , Propaganda als regierungsamtliches Handeln zu betreiben. Ab 1933 konnten die massenpsychologisch orientierten Propagandamittel noch systematischer und nun mit staatlicher Unterstützung auch äußerst machtvoll und völlig konkurrenzlos eingesetzt werden. Der „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 bot nach dem Berliner Fackelzug anlässlich von Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar die erste große Gelegenheit , alle Register der Propagandamaschinerie zu ziehen. Wesentliche , auch sonst meist zusammenwirkende Propagandainstrumente sprachlicher und außersprachlicher Art waren vor allem die bis ins Kleinste inszenierten Aufmärsche und Kundgebungen , Weihestunden und Festveranstaltungen , Fahnen , Standarten und Uniformen , Marschmusik , gemeinsamer Gesang , auch Volkstanz. In allen diesen Formen sollte die Individualität der Teilnehmer im Kollektiv aufgehoben werden und nur noch Resonanzboden für die Verkündung überindividueller , scheinbar transzendentaler Botschaften sein.
„Bitten“, „Wünsche“, „Anweisungen“ – Instrumente und Beispiele der Medienlenkung
Ab 1933 waren Zeitungen , Hörfunk und Film , aber auch die Warenwerbung die bevorzugten Medien der Verbreitung der propagandistisch orientierten Sprache , zumal auch sie durch Gleichschaltung willfährig gemacht worden waren. Aufgrund der Zwangsmitgliedschaft der in Presse , Funk und Film Tätigen in
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Reichspresse- , Reichsrundfunk- und Reichsfilmkammer war dem Propagandaministerium , sehr direkt Joseph Goebbels als Präsidenten der Reichskulturkammer , die unmittelbare Kontrolle und jederzeit eine Einflussnahme auf diese Medien möglich. Die Lenkung der Medien , insbesondere der Zeitungen , vollzog sich in täglichen Reichspressekonferenzen des Propagandaministeriums , auf denen detaillierte Vorgaben gemacht wurden , über was in welcher Weise zu berichten – oder zu schweigen war.9 Anwesend waren jeweils rund 150 Vertreter von Hauptstadtzeitungen und großen überregionalen Blättern. Aufzeichnungen von den Vorgaben waren nach ihrer Weiterleitung an die Redaktionen eigentlich zu vernichten , sind aber von einigen Teilnehmern heimlich aufbewahrt worden. Schriftliche Regelungen , auch bis ins Einzelne gehende sprachliche Vorschriften wurden euphemistisch in „Bitten“ und „Wünschen“ fixiert , aber auch unverhohlen als „Anweisungen“, auch „strikteste Anweisungen“, „Anordnungen und Bestellungen“ deklariert.10 Verstöße konnten mit der Verhaftung einzelner Journalisten oder mit dem Verbot einer ganzen Zeitung geahndet werden. Die schnell bekannt gewordenen Verbotsmaßnahmen trugen natürlich dazu bei , dass sich in den Redaktionen sehr bald auch eine gewisse Selbstzensur etablierte , die gleichsam einem vorauseilenden Gehorsam folgte. Rolf Glunk11 ist zwar detailliert der Wirkung vieler sprachlicher Vorgaben nachgegangen und konnte auch manchen Misserfolg nachweisen. Doch ist der grundsätzliche Erfolg dieser Form der Sprachlenkung kaum zu bezweifeln. Das sehr dichte Netz der Presseanweisungen umfasste in den frühen Drei ßigerjahren sowohl politisch hochbrisante Themen wie die deutsche Völkerbund politik oder die friedensvertragswidrigen Aufrüstungsmaßnahmen , aber auch Themen , die aus heutiger Sicht eher trivial erscheinen. Nichts wollte man dem Zufall überlassen , beispielsweise wann und wie über Publikationen oder Reden von Parteifunktionären zu berichten sei. Die Anweisungen belegen insgesamt eine – natürlich über das Regierungsmitglied Goebbels vermittelte – sehr enge Abstimmung zwischen der Reichsregierung und den für die Propaganda Zuständigen. Das betraf nicht zuletzt Anweisungen , ob Reisen Hitlers oder seine Gespräche mit einzelnen in- oder ausländischen Gästen , aus denen man auf seine politischen Absichten hätte schließen können , verschwiegen oder mitgeteilt werden sollten. Gleichwohl gab es in diesem System immer wieder einmal auch Reibungsverluste , wenn untergeordnete Stellen der Partei gut gemeinte , aber unabgestimmte propagandistische Verlautbarungen in die Welt setzten. Überblickt man die Zensurmaßnahmen , so sind vor allem folgende Regelungsmuster bedeutsam : die generelle Tabuisierung eines politisch unerwünschten
Instrumente und Beispiele der Medienlenkung |
Themas , die Unterdrückung einzelner Nachrichten , die Relativierung von unerwünschten , aber nicht ganz zu unterdrückenden Informationen , die Überhöhung willkommener Nachrichten und die ständige Wiederholung von Themen , die dem Regime nützlich erschienen. Diese Strategien der Informationskontrolle gingen natürlich Hand in Hand mit konkreten Sprachlenkungsmethoden , die sich als Eingriffe in die Semantik einzelner Begriffe wie folgt systematisieren lassen. Gängige , aber ideologisch oder politisch unerwünschte Begriffe werden tabuisiert , oft jedoch auch durch abwertende Varianten ersetzt. Eine Tabuisierung erfahren dabei alle Begriffe , welche nicht-nationalsozialistische Sachverhalte in einem neutralen oder gar positiven Licht erscheinen lassen könnten. Erwähnt wurden schon die Begriffe „Versailler Friede“, der als „Versailler Diktat“ diskriminiert , oder „Weimarer Republik“, die beispielsweise als „Weimarer System“ oder „Novemberrepublik“ verächtlich gemacht werden musste. Bestimmte Begriffe durften nur noch abwertend , pejorativ benutzt werden. An erster Stelle ist hier der Begriff „Demokratie“ zu nennen , der nun das verächtliche Gegenteil dessen bezeichnen sollte , was die Nationalsozialisten unter Führerstaat und Volksgemeinschaft verstanden. Darum stand „Demokratie“, wenn das Wort denn verwendet werden musste , grundsätzlich in einem negativen Kontext. Es sei denn , es wurde mit dem aufwertenden Attribut „germanisch“ sanktioniert. Wenn „Demokratie“ für eine konkrete , liberale Staatsform , etwa Großbritanniens oder der USA , gebraucht wurde , griff man auch hier wie bei anderen Tabuisierungen auf eine schon vor 1933 negativ besetzte Variante zurück : „Plutokratie“ für „Herrschaft der Reichen“. Dieses Beispiel kann zugleich auf die Grenze verweisen , die der zunächst offiziell geförderten Reinigung der deutschen Sprache von Fremdwörtern gesetzt war. Es gab gerade im politischen und ideologischen Sprachgebrauch zahlreiche Fremdwörter , auf welche die Nationalsozialisten nicht verzichten wollten. Termini für NS -Sachverhalte werden als Hochwertwörter monopolisiert. Das prominenteste Hochwertwort , das nur einen , und zwar einen einzigen NS -Sachverhalt bezeichnen durfte , war das Wort „Führer“. Mit bestimmtem Artikel , „der Führer“, wurde es nicht nur zum Amtstitel , sondern auch alltagssprachlich mehr und mehr sogar als Namensersatz für Adolf Hitler monopolisiert. Ähnliches galt für ein Wort wie „Partei“, deren Alleinstellung als „die Partei“ nach dem Verbot anderer Parteien nur noch der NSDAP vorbehalten war. Auch das Wort „Bewegung“ wurde ebenfalls für die NSDAP reserviert. Politisch wichtige Sachverhalte werden mit neuen , positiv besetzten Begriffen belegt. Noch einmal seien erwähnt die Beispiele „Machtergreifung“, „nationale
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Erhebung“ oder „nationale Revolution“, „Großdeutschland“, „Großdeutsches Reich“. Noch 1943 wird verlautbart : „Die Zeitschriften werden erneut darauf aufmerksam gemacht , daß die amtliche Bezeichnung des Reiches ‚Großdeutsches Reich‘ ist.“ Schon gebräuchliche negativ besetzte Begriffe werden nun positiv konnotiert , also aufgewertet. Das schlagendste Beispiel ist das Wort „Fanatismus“ und seine Ableitung im Adjektiv „fanatisch“. Bis 1933 bezeichneten diese Wörter eine irrationale Begeisterung für eine Idee oder ein Ziel. Die NS-Propaganda erhob diese Haltung zu einer zentralen Tugend des „guten Deutschen“, der mit Fanatismus der neuen politischen Ordnung ergeben sein und deren Gegner im Innern wie im Äußern fanatisch bekämpfen sollte. Ethisch entlarvend war die häufige Koppelung von „fanatisch“ mit dem Adjektiv „rücksichtslos“. Diese Umdeutung ging 1945 erfreulicherweise mit dem NS-Regime wieder unter. Unter anderem erfuhr auch das Adjektiv „blind“ als Attribut zu „Gefolgschaft“ oder „Gehorsam“ eine positive Umwertung. Die semantische Strategie , mit der man die meisten Fälle solcher einzellexikalischen Sprachregelungen zusammenfassen kann , ist die sogenannte Monosemierung. Damit ist gemeint , dass ein Wort auf eine einzige , hier auf die jeweils ideologisch-politisch erwünschte semantische Facette beschränkt wird. Ein solches Verfahren ist in der auf sachliche Präzision orientierten Fachkommunikation sinnvoll , weil damit Missverständnisse vermieden werden können. Eine Diktatur wie die der NSDAP reduziert dagegen die alltagssprachlich normale semantische Weite von Wörtern , ihre Polysemie , um damit abweichende Meinungen zu unterbinden. Semantisch offene Deutungen eines Begriffs würden geradezu subversiv wirken. Auf der Grenze zur Lüge lagen die zahllosen Euphemismen , also Beschönigungen negativer Tatbestände und Sachverhalte. Relativ harmlos erscheinen uns heute die Euphemismen „neue Werkstoffe“ und „Heimstoffe“ für das negativ konnotierte Wort „Ersatzstoffe“ ( heute heißen sie noch anspruchsvoller „naturidentische Stoffe“ ). Die ab 1942 / 43 zunehmenden militärischen Rückschläge und Niederlagen aber wurden weit weniger harmlos als „geordnete Absetzbewegung“, „Frontbegradigung“ oder als „Rücknahme der Front“ vernebelt. Die Folgen der Bombardierung deutscher Städte durften auf dem Höhepunkt der Zerstörungen nicht mehr „Katastrophe“ genannt werden. Das vorgeschriebene Ersatzwort sollte „Großnotstand“ sein. Brutalste Vorgänge wie die Mordaktionen insbesondere in KZs wurden hinter Begriffen wie „Sonderbehandlung“, „Selektion“ und „Endlösung“ versteckt.
Instrumente und Beispiele der Medienlenkung |
Alle diese Zensur- und Sprachlenkungsmaßnahmen hatten Folgen für die Sprache insgesamt , wie an einzelnen Beispielen gezeigt werden soll. Die Tabuisierung eines Themas hatte schon für sich genommen zur Folge , dass ganze Sachbereiche und damit auch der zugehörige Wortschatz , vorübergehend oder ganz ausgeblendet wurden. Das führte aufs Ganze gesehen sogar zur Sprachverarmung. Ein Beispiel wäre die Presseanweisung vom 5. August 1933 : „Gregor Strasser hat an die Presseabteilung der Reichsregierung ein Schreiben des Inhalts gerichtet , dass in Zukunft in der Tagespresse doch keinerlei Aeusserungen über seine frühere Haltung innerhalb der NSDAP gebracht werden möchten. Von Seiten der Reichskanzlei wird die Tagespresse aufgefordert , diesem Wunsche in vollem Umfang Rechnung zu tragen. Bekanntlich hat zwischen Gregor Strasser und dem Führer eine Aussöhnung stattgefunden.“
Gregor Straßer , zeitweilig Gauleiter und 1926–30 , vor Goebbels , Reichspro pagandaleiter , gehörte dem linken Flügel der NSDAP an. Er wurde – trotz behaupteter „Aussöhnung“ – im Juni 1934 im Zusammenhang mit der Er mordung der SA -Führung sogar umgebracht. Mit der zitierten Anweisung wurde unterdrückt , dass die Staatspartei , welche die Deutschen zu einer ideologischen Einheit formen wollte , zunächst selbst aus sehr disparaten Kräften bestand. Mit der Formulierung „seine frühere Haltung“ wurde Straßers sozialistische und antikapitalistische Position verhüllend umschrieben. Nun verboten sich alle Äußerungen , die abweichende Meinungen mit einer politischen Vielfalt in den oberen Parteirängen hätten legitimieren können. Mögliche Begriffsbildungen wie „Parteiflügel“ oder „linke Parteikräfte“ waren damit ausgeschlossen. Die Unterdrückung einer einzelnen Nachricht blendete zwar nicht ganze Wortfelder aus , erschwerte aber oder machte es sogar unmöglich , Zusammenhänge zwischen den nicht unterdrückten Mitteilungen herzustellen. Die entsprechenden Maßnahmen verschoben in jedem Fall semantische Gewichte , etwa in der bereits zitierten Presseanweisung vom 11. August 1933 , über die Wiedereröffnung eines Truppenübungsplatzes zu schweigen. Eine Mehrzahl ähnlicher Meldungen hätte im In- wie Ausland vorzeitig auf die schon ab 1933 systematisch betriebene Remilitarisierung aufmerksam machen können. Bis Ende 1938 wurde alles mehr oder weniger verschwiegen , was die tatsächliche Vorbereitung auf einen Krieg hätte entlarven können. Eine Anordnung , die dem Regelungsmuster „Relativierung von unerwünschten , aber nicht ganz zu unterdrückenden Informationen“ folgte , betraf am 14. ( oder 15. ) November 1933 die Berichterstattung über den Reichstagsbrandprozess , der nicht wie erwünscht verlief. Danach sollten über diesen Prozess keine
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langen Berichte mehr erscheinen. Im Vollgefühl , dass dieser Prozess den Verdacht einer kommunistischen Verschwörung bestätigen würde , hatte man bis dahin ausführliche Berichte sehr wohl gefördert. Nun aber konnte man das unangenehm gewordene Thema nicht mehr einfach völlig totschweigen , man konnte es aber in seiner Bedeutung wenigstens relativieren. Genauere Mitteilungen aus dem Prozess in dieser Richtung wären eine Blamage für das Regime gewesen. Umgekehrt wurde alles überhöht und / oder durch ständige Wiederholung ins allgemeine Bewusstsein eingehämmert , was den Erfolg der NS -Politik bestätigen konnte. Ein für die NS-Propaganda in den frühen Dreißigerjahren wichtiges Thema waren die Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit , einer angeblichen Hinterlassenschaft der verhassten Weimarer Republik. Die gesetzliche Einführung des Reichsarbeitsdiensts ( RAD ) im Juni 1935 , der für alle jungen Menschen ab 18 Jahren für jeweils sechs Monate Pflicht wurde , war ein weiteres Propagandathema , bei dem die Arbeitsbeschaffung für die junge Generation hochgepriesen wurde. Die Instrumentalisierung im Sinne der NS-Ideologie sowie der vormilitärische Drill in RAD-Lagern wurden dagegen nicht thematisiert oder sie wurden billigend hingenommen. Offiziell hieß es : „Der Reichsarbeitsdienst ist Ehrendienst am Deutschen Volke. Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts sind verpflichtet , ihrem Volk im Reichsarbeitsdienst zu dienen. Der Reichsarbeitsdienst soll die deutsche Jugend im Geiste des Nationalsozialismus zur Volksgemeinschaft und zur wahren Arbeitsauffassung , vor allem zur gebührenden Achtung der Handarbeit erziehen.“12
Formeln wie „Achtung der Handarbeit“ verschleierten wie die Aufwertung des bäuerlichen Lebens in der „Blut und Boden“-Ideologie die nicht zuletzt der Aufrüstung dienende Forcierung industrieller Entwicklung und die damit verbundene enge Kooperation der NS-Führung mit der Großindustrie. Geradezu selbstverständlich lieferten die sozialen Wohltaten des Regimes – von der Arbeitsbeschaffung über die Ehestandsdarlehen , die Freizeit- und Urlaubsorganisation KdF bis hin zum KdF-Wagen – jeweils geeignete Anlässe , eine genuin journalistische Arbeit durch Propagandakampagnen zu ersetzen. Dasselbe galt natürlich auch für kulturelle und nicht zuletzt sportliche Höhepunkte wie die Olympischen Spiele 1936.
Instrumente und Beispiele der Medienlenkung |
„Gestalter der nationalsozialistischen Gesinnungspresse“
In der Medienpolitik spielten nach wie vor die Zeitungen eine wichtige Rolle. Die NS-geprägten und / oder -gelenkten Blätter errangen ab 1933 ihre Monopolstellung durch Enteignung oder Verbot von Periodika der demokratischen Parteien und Verbände. Zeitungsunternehmen von SPD , KPD und Gewerkschaften waren bereits im Frühjahr 1933 entschädigungslos enteignet worden. Damit war auch die gesamte Presse de facto gleichgeschaltet. Zwar dauerte es noch eine Weile , bis aus allen Redaktionen missliebige Journalisten entfernt waren. Die ersten , die gehen mussten , waren jüdische Mitarbeiter. In einigen Redaktionen wurden dagegen nichtlinientreue Kollegen manchmal über Jahre gedeckt. Aber der freie Journalismus war beseitigt , weil zumindest verbale Anpassung das Gebot der Stunde war , wenn man als Redaktion oder als Einzelperson überleben wollte. Paragraph 7 der „Verordnung zum Schutz des deutschen Volkes“ vom 4. Februar 1933 eröffnete die Möglichkeiten polizeilicher Beschlagnahmung von Druckschriften , welche die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ gefährden konnten. Mit dem Reichskulturkammergesetz vom 22. September 1933 wurde auch eine Reichspressekammer eingerichtet. Ihr Präsident hatte im Sinne des Führerprinzips weitgehende Vollmachten , sogar zur Schließung von Zeitungsverlagen , gegebenenfalls aus „wirtschaftlichen Gründen“. Erster Präsident war Max Amann , Verleger des NS-Eher-Verlags , der 1939 bereits 150 weitere Verlage direkt kontrollierte. Amann war wegen seiner Teilnahme am Münchner Putsch 1923 wie Hitler zu Festungshaft in Landsberg verurteilt worden. Dort diktierte ihm Hitler den zweiten Teil von „Mein Kampf“. Während es 1933 noch über 3. 000 Pressetitel gab , sank deren Zahl bis 1937 auf rund 2. 300. Etliche Zeitungen fielen auch der „Anordnung zur Beseitigung der Skandalpresse“ vom 24. April 1935 zum Opfer , zumal die Zuordnung zur „Skandalpresse“ willkürlich erfolgen konnte und letztlich stets aus politischen Gründen geschah. 1943 existierten nur noch 988 Tageszeitungen. Ganz neu war eine staatliche Kontrolle der Medien indes nicht. Die Gleichschaltung der Presse war bereits vor 1933 durch Staatsschutzgesetze gleichsam vorbereitet worden. Verordnungen des Reichspräsidenten vom 28. März und 17. Juli 1931 verschärften die schon vorher zulässigen staatlichen Eingriffsmöglichkeiten , insbesondere die Verordnung vom 17. Juli 1931 „zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen“. Bereits durch sie wurde die Pressefreiheit weitgehend eingeschränkt , weil sie einen großen Ermessensspielraum ließen , Presseorgane ganz zu verbieten.13
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Unter den durch die Nationalsozialisten weiter verschärften Bedingungen erklärte schon im Mai 1933 das Präsidium des Vereins Deutscher Zeitungsverleger unter dem Vorsitz von Max Amann dem Reichskanzler Hitler , dass man seine Kraft „freudig in den Dienst Ihrer Führerschaft für die politische Wiederaufrichtung des Staates und für die geistige und seelische Erneuerung der deutschen Nation stellen“ wolle. Entsprechend hatte der Verlegerverband – wie das „Handbuch der deutschen Tagespresse“ 1934 feststellte – dann auch zu gewährleisten , „daß die deutschen Zeitungsverleger den an sie von Partei und Staat zu stellenden persönlichen und fachlichen Voraussetzungen als Gestalter der nationalsozialistischen Gesinnungspresse genügen.“ Mit dem Reichsschriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933 , das die Arbeit der Medien in den „Dienst an Volk und Staat“ stellte , wurden die Mitarbeiter weiterbestehender Periodika auf Linie gebracht. Denn die Berufserlaubnis hing ab von ihrer Aufnahme in sogenannte Berufslisten des Reichsverbands der Deutschen Presse , seit dem 28. Juni 1933 Nachfolger des Vereins Deutscher Zeitungsverleger. „Auf verlorenem Posten“ – Liberale Feigenblätter
Auch die Redakteure der im Ursprung liberalen „Frankfurter Zeitung“ waren den neuen Regelungen unterworfen. Man ließ dieses Blatt für die Wirkung im Ausland gleichsam bis 1943 als liberales Feigenblatt bestehen. Das bedeutete jedoch , dass diese Zeitung in ihrer Berichterstattung permanent Kompromisse eingehen musste. Die eigentliche Meinung konnte nur zwischen den Zeilen versteckt werden. Damit stand man aber , wie Günther Gillessen14 die Situation charakterisiert hat , „auf verlorenem Posten“. Zum 31. August 1943 wurde die „Frankfurter Zeitung“ auf Hitlers Geheiß verboten. Anlass war ein Artikel von Herbert Küsel zum 75. Geburtstag von Dietrich Eckart , dem Mitbegründer der NSDAP und Hitlers Leibdichter ( gestorben 1923 ). Küsels Text , von niemandem in der Redaktion kritisch gegengelesen , enthielt „unpassende“ Untertöne , so einen Hinweis darauf , dass Eckart nach einer Erkrankung zum Morphinisten geworden war. Dies wurde aber als Anspielung auf die Morphiumabhängigkeit von Göring gedeutet. Das Verbot wurde offiziell indes mit Papierknappheit begründet.15 1938–1943 ließ man ebenfalls der Außenwirkung wegen sogar ein „Jüdisches Nachrichtenblatt“ erscheinen , natürlich unter peinlicher inhaltlicher Kontrolle.16 Ganz auf eine positive Außenwirkung zielend wurde am 26. Mai 1940 eine
Liberale Feigenblätter |
Wochenzeitung begründet , die bis zum Kriegsende erscheinen konnte : „Das Reich“. Sie zeichnete sich darin aus , dass sie in geschickter Weise eine bildungsbürgerliche Mentalität anzusprechen vermochte17 , nicht zuletzt durch die Mitwirkung einer erstaunlichen Anzahl prominenter Mitarbeiter und Beiträger. Für deren Auswahl war auch nicht wie sonst eine Parteizugehörigkeit maßgeblich. Dazu gehörten beispielsweise Theodor Heuss , Max Planck , Elisabeth NoelleNeumann und Werner Höfer18. Mit solchen Autoren konnte „Das Reich“ den Eindruck erwecken , dass hier nicht wie in der übrigen NS-Presse platte Propaganda betrieben würde. Der weitgehende Verzicht auf Propagandaphrasen und auf das Traktieren von Pflichtthemen , das vorsichtige Eingehen auf sonst tabuisierte Gegenstände sowie die Einbeziehung unpolitischer Themen verliehen dem „Reich“ den Ruf einer relativ liberalen Publikation. Goebbels behielt sich allerdings vor , die Leitartikel zu schreiben19 , die dann doch die wahre Intention auch dieser Zeitschrift offenbarten. So lieferte er etwa am 16. November 1941 unter der Überschrift „Die Juden sind schuld“ die „theoretische“ Begründung für den Überfall auf die Sowjetunion nach. Dabei ließ er seinem exzessiven Antisemitismus wieder einmal freien Lauf. Unter anderem schrieb er : „Die historische Schuld des Weltjudentums am Ausbruch und an der Ausweitung dieses Krieges ist so hinreichend erwiesen , daß darüber keine Worte mehr zu verlieren sind. Die Juden wollten ihren Krieg , und sie haben ihn nun. [ … ] In dieser geschichtlichen Auseinandersetzung ist jeder Jude unser Feind , gleichgültig , ob er in einem Ghetto vegetiert oder in Hamburg noch sein parasitäres Dasein fristet oder in New York oder Washington in die Kriegstrompete bläst.“ 20
Mit kaum noch zu steigerndem Zynismus formulierte er in diesem Beitrag auch : „Die Tatsache , daß der Jude noch [ ! ] unter uns lebt , ist kein Beweis , daß er auch zu uns gehört , genau so wie der Floh ja auch nicht dadurch zum Haustier wird , daß er sich im Hause aufhält.“ Dennoch hielt das intellektuelle Publikum die Zeitschrift für liberal , jedenfalls für liberaler als die übrigen Parteizeitungen. Die für die erste Nummer geplante Auflage von 100. 000 Exemplaren musste sofort verdoppelt werden , sie stieg bis zum April 1945 auf 1,4 Millionen. Damit war sie das zweitstärkste Presseprodukt der NS-Zeit. Allerdings erfolgte gegen Ende des Krieges eine immer deutlichere Annäherung an die ideologische Generallinie der übrigen NS-Presse. Unter dem Titel „Das Innere Reich“ erschien bereits ab 1934 eine Monatsschrift , die sich im Untertitel „Zeitschrift für Dichtung , Kunst und deutsches
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Leben“ nannte. Ihre Linie schwankte zwischen Zustimmmung und einer gewissen Distanz zum Regime. Einige ihrer prominenten Beiträger rechnete man später der sogenannten Inneren Emigration zu , so etwa Rudolf G. Binding , Gerd Gaiser , Rudolf Alexander Schröder und Ernst Wiechert. Herausgeber waren Paul Alverdes und Karl Benno von Mechow , dieser bis 1938.21 1944 musste die Zeitschrift ihr Erscheinen einstellen. „Deutscher ! Dein Feind ist der Jude !“ – Presseorgane im Zeichen des Fanatismus
Auflagenstärkstes Presseorgan war und blieb mit 1,7 Millionen Exemplaren ( 1944 ) der „Völkische Beobachter“. Ab 1919 war diese Zeitung zunächst als Wochenblatt erschienen.22 Die NSDAP kaufte den Titel 1920 und machte das Blatt zu ihrem Parteiorgan mit dem Untertitel „Kampforgan der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands“. Ab 1923 konnte die Zeitung täglich erscheinen. 1923 übernahm Alfred Rosenberg die Chefredaktion. 1933 wurde der „Völkische Beobachter“ faktisch Regierungsorgan. In dieser Funktion , die von der des Parteiorgans nicht zu unterscheiden war , unterstützte die Zeitung vorbehaltlos den offiziellen ideologischen und politischen Kurs. Entsprechend nahm sie etwa am 11. Mai 1933 in einem Zweispalter mit der Schlagzeile „Undeutsches Schrifttum auf dem Scheiterhaufen“ Stellung zur Bücherverbrennung in Berlin. Die Oberzeile lautete : „Der Vollzug des Volkswillens“. Die Rede von Joseph Goebbels auf dem Berliner Opernplatz zur Vernichtung von „Schund und Schmutz jüdischer Asphaltliteratur“ wurde ausführlich wiedergegeben. Auch zu noch spektakuläreren Ereignissen stand der „Völkische Beobachter“ dem NS-Regime bedingungslos zur Seite und versorgte das Publikum mit den offiziell erwünschten Deutungen. Etwa in einer Sondernummer vom 1. Juli 1934 , am Tag der Ermordung von Ernst Röhm , worin unter dem Aufmacher „Röhm verhaftet und abgesetzt“ über die „Aktion des Führers“ gegen die SA-Spitze berichtet wurde.23 Zunächst hieß es in dieser Ausgabe nur „Röhm aus Partei und S.A. ausgeschlossen“. Zur Beruhigung der höchst irritierten SA-Mitgliedschaft wurden die Ereignisse zugleich unter der Überschrift „S.A.-Geist hat gesiegt“ interpretiert. Darin wurde eine ungebrochene Treue der Sturmabteilungen unterstellt. In einem weiteren Artikel wurde daran erinnert , dass Hitler der „oberste S.A.-Führer“ mit uneingeschränkter Befehlsgewalt sei. Ebenfalls auf Seite 1 wurde sogleich der neue Stabschef der SA , Viktor Lutze , unter der Überschrift
Presseorgane im Zeichen des Fanatismus |
„Der Führer an den neuen Stabschef“ vorgestellt. Mit seinem Auftrag an Lutze verband Hitler unmissverständlich die Forderung „blinden Gehorsams“. Lutze selbst durfte sich in dieser Ausgabe mit einem eigenen „Aufruf“ vorstellen. Als ein weiteres von zahllosen Beispielen für die bedingungslose Unterstützung des Regimes durch den „Völkischen Beobachter“ kann die Deutung des erfolglosen Attentats von Georg Elser auf Adolf Hitler am 22. November 1939 gelten. Die eigentlich erschreckende Schlagzeile „Wiederholte Anschläge auf den Führer“ wird durch die Unterzeile „Die britische Mordverschwörung“ relativiert. Das dramatischer klingende Wort „Attentat“ wird dabei bewusst vermieden. Überdies werden die „Anschläge“ dem Kriegsgegner angelastet. Ein echter Deutscher wäre – so wird suggeriert – dazu nicht in der Lage gewesen. Elser konnte nur ein „gedungener Mörder“ gewesen sein. Er wie seine angeblichen Hintermänner , darunter namentlich genannt der 1933 nach England emigrierte „Verräter Otto Strasser“24 , müssen laut Oberzeile „das Werkzeug des englischen Geheimdienstes“ gewesen sein. Triumphierend wird die Erfolglosigkeit des Anschlags in einer Zwischenüberschrift als „Die große Pleite des [ britischen ] Intelligence Service“ dargestellt. Selbst die um eine gewisse Eigenständigkeit ringende rechtskonservative „Deutsche Allgemeine Zeitung“ folgte am selben Tag wie der „Völkische Beobachter“ dieser Deutung des Attentatsversuchs und dem Verdacht angeblicher Hintermänner. Schließlich schwingt sich der „Völkische Beobachter“ in der Endphase des Krieges am 6. Januar 1945 noch einmal zu einem Aufruf zu einem „neuen Volksopfer“ auf : „Helft neue Divisionen ausrüsten !“. Illusionärer konnte man die Lage kaum einschätzen , da es schon den vorhandenen Divisionen mehr und mehr an Ausrüstung mangelte , von der Personalknappheit ganz abgesehen. Eine letzte Ausgabe sollte am 30. April 1945 , dem Tag von Hitlers Selbstmord , erscheinen , konnte aber nicht mehr ausgeliefert werden. Von den zahlreichen Presseorganen , die dem NS-Regime und seiner Ideologie noch auf ganz besondere Weise verschworen waren , seien nur erwähnt „Der Stürmer“ und das „Schwarze Korps“, das als „Organ der Reichsführung SS – Zeitung der Schutzstaffeln der NSDAP“ firmierte. „Der Stürmer“ war eine am 20. April 1923 von Julius Streicher gegründete Wochenzeitung , die bereits vor 1933 als das antisemitische Hetzblatt schlechthin gelten konnte. 1933 stieg die zunächst niedrige Auflagenzahl sehr stark , 1935 auf rund 410. 000 , in Sonderausgaben sogar auf ein bis zwei Millionen. Außer dem üblichen Verkauf wurde die Zeitung in Städten und Dörfern ganz Deutschlands in sogenannten Stürmer-Kästen ausgehängt. „Die Juden sind unser Unglück“, ein Zitat des Historikers Heinrich von Treitschke , des extrem antijüdischen
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Protagonisten im Berliner „Antisemitismusstreit“ von 1879 , zierte als Balken jede Titelseite am Unterrand. Sie war zugleich die zentrale Botschaft aller Beiträge. Die Stürmer-Kästen trugen an der Stirnseite die Aufschrift „Deutscher ! Dein Feind ist der Jude !“ Wie Hitler war Streicher von einer „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“ überzeugt. Vor ihr wollte sein Blatt warnen. Verbrechen , die Juden angedichtet wurden , hatten in der Berichterstattung Priorität. Dabei wurden selbst antijudaistische Ammenmärchen von jüdischen Ritualmorden aufgefrischt , etwa in einem umfangreichen Beitrag vom März 1934 , der unter der Schlagzeile „Die Mordnacht“ das „Geheimnis des jüdischen Purimfestes“ enthüllen wollte. Bereits die Einleitung sollte die Leser in eindeutiger Weise emotionalisieren : „Alljährlich im März feiern die Juden ein seltsames Fest. Es sind die Tage des Purim. Die Juden feiern es auf ebenso seltsame Art. Sie sind nicht harmlos fröhlich dabei und vergnügt , wie dies bei den Nichtjuden der Brauch ist. Sie widmen das Fest nicht der Menschenliebe , wie etwa wir unser Weihnachtsfest. [ … ] Das Fest der Juden hat den gegenteiligen Sinn. Es ist dem Haß und dem Mord gewidmet. Und dem Fressen und dem Saufen und dem Huren.“25
Es folgt eine krause Exegese des Talmud und des biblischen Buches „Esther“, worauf noch an zwei – im übrigen gar nicht aufgeklärte – Morde aus den Jahren 1929 und 1932 erinnert wird. Sie können nach Meinung des Verfassers nichts anderes gewesen sein als „Opfermorde für das Purimfest“. „Und tausende und abertausende von Morden könnte man diesen anfügen“. Aber der Autor hat für seine Leser auch einen Trost bereit , indem er sein Machwerk wie folgt enden lässt : „Die große Weltenwende ist gekommen. Die Weltenwende , in der nicht mehr der Jude , sondern der Arier siegen wird. Dieser Sieg aber , das wissen wir und das ahnt Alljuda , dieser Sieg bedeutet des jüdischen Weltfeinds Untergang.“
Streicher gelang es über seine publizistische Tätigkeit hinaus , an der Formulierung der Nürnberger Rassegesetze mitzuwirken. Er listete danach in einer eigenen Rubrik seines „Stürmer“ die Namen verhafteter Juden auf , die angeblich gegen die neuen Gesetze verstoßen hatten. In einer weiteren Rubrik mit dem bezeichnenden Titel „Am Pranger“ berichtete er – mit Fotos – über „artvergessene“ Frauen. Mehr als bedrückend , dass sein Wochenblatt täglich bis zu 700 zustimmende Leserbriefe erhielt , die teilweise sogar konkrete Denunziationen enthielten , die anschließend von der Gestapo bearbeitet wurden. Streichers Verlag gab auch „Stürmerbücher“ heraus , ab 1936 sogar für Kinder. Hierin wurden Streichers antisemitische Obsessionen in kindgerechter Weise
Der Rundfunk als Propagandainstrument
verarbeitet , wobei die widerlichen Karikaturen des Wochenblatts aus der Zeichenfeder eines gewissen „Fips“, eigentlich Philipp Rupprecht , immer wieder als Vorbild dienten. 1940 verlor Streicher wegen Korruption und nach Streit mit höchsten Parteifunktionären zwar seine Parteiämter , blieb aber bis 1945 Mitglied des Reichstags. Sein „Stürmer“ konnte noch bis Anfang Februar 1945 erscheinen. Im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess wurde er zum Tode verurteilt und hingerichtet. „Das Schwarze Korps“ war ein Wochenblatt , das schon im Farbattribut seines Titels auf die schwarze SS-Uniform verwies. Es erschien erstmals am 6. März 1935 mit einer Auflage von 70. 000 Exemplaren und konnte seine Auflage – nicht nur im Pflichtabonnement der SS-Angehörigen , sondern auch im freien Verkauf – bis Ende 1944 auf rund 750. 000 Exemplare steigern. In erster Linie dienten seine Beiträge der Glorifizierung der Untaten der SS , nicht zuletzt der „Totenkopfverbände“, denen die KZs unterstellt waren. Und das geschah auf oft zynische Weise , etwa wenn in Nr. 7 , 1938 , über das KZ Dachau unter der Überschrift „K.Z. und seine Insassen“ berichtet wurde. Daneben füllte Hetze gegen Juden , aber auch gegen Katholiken und Freimaurer viele Artikel. In einer Hinsicht erwies sich das „Schwarze Korps“ als gefürchtetes Terrorinstrument. Eine ständige Rubrik „Leserzuschriften mit der Bitte um Stellungsnahme“ provozierte Äußerungen der Leserschaft , die an den „Sicherheitsdienst“ ( SD ) weitergeleitet wurden und im Zweifelsfall zu Verhaftungen führten. Goebbels’ letzte journalistische Propagandatat war die Herausgabe einer Zeitung unmittelbar vor der Kapitulation Berlins , „Der Panzerbär. Kampfblatt für die Verteidiger Groß-Berlins“. Dieses Durchhalteblatt erschien zwischen dem 23. und 29. April 1945. „Geist eines neuen Heroismus“ – Der Rundfunk als Propagandainstrument
Immer wichtiger wurde der Rundfunk. Seine allgemeine Nutzung war seit seiner Einführung 1923 bis 1933 zwar schon gewachsen , unter Goebbels aber erfuhr dieses Medium als ideales Propagandainstrument besondere Förderung. Ab 1933 wurde die Verbreitung des Hörfunks durch das Angebot von kostengünstigen Empfangsgeräten , den „Volksempfängern“, systematisch vorangetrieben. Goeb bels konnte die großen Gerätehersteller dazu bewegen , gemeinsam und damit äußerst kostengünstig einen Volksempfänger zu einem Verkaufspreis von RM 76 , – zu produzieren.26 Werbeplakate für dieses Gerät von 1934 machten den
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eigentlichen Zweck dieser großzügigen Neuerung deutlich : „Ganz Deutschland hört den Führer mit dem Volksempfänger.“ Wer noch kein eigenes Radio besaß , wurde durch Plakate auf Hörmöglichkeiten hingewiesen : „Hier ! hören Sie die Führer-Rede“. 1938 kam für RM 35 ,– ein noch preiswerteres Gerät auf den Markt. Wegen seines großen kreisrunden Lautsprechers wurde es im Volksmund „Goebbels’ Schnauze“ genannt. Durch die Steigerung der Rundfunkversorgung von 25 Prozent ( 1933 ) auf 65 Prozent ( 1938 ) wurde der Hörfunk zu dem Massenmedium schlechthin. Damit war ein weitgehender Empfang der linientreuen Programme technisch sichergestellt. Aber man beließ es nicht dabei. Durch zusätzliche Verpflichtungen wurde erreicht , dass propagandistisch wichtige Sendungen in jedem Fall gehört wurden. Für einen „Gemeinschaftsempfang“ der Führerreden wurde in den Betrieben sogar die Arbeit unterbrochen. In größeren Betrieben hörte man Hitlers Reden in eigens geschaffenen „Gefolgschaftsräumen“. Dafür hatte die Deutsche Arbeitsfront ( DAF ) einen besonderen „DAF-Empfänger“ produzieren lassen. Im „Handbuch des Deutschen Rundfunks“ 1939 /40 schrieb der NS-Intendant des Reichssenders Saarbrücken , Adolf Raskin , zur Funktion des Rundfunks äußerst erhellend : „Wer das Wesen der Propaganda erfaßt hat , der allein vermag die ‚rundfunkeigenen‘ Aufgaben einer Erfindung abzuschätzen , die von sehr vielen Leuten irrtümlicherweise als rein technisches Übertragungsmittel angesehen wird. Gewiß vermittelt der Rundfunk Nachrichten , Ereignisse , Kunst , Unterhaltung und Wissenschaft , aber wir dürfen nicht vergessen , seine Aufgabe ist ungleich größer und unvergleichlich bedeutungsvoller : er ist das Propagandainstrument.“27
Noch 1932 hatte die NSDAP-Fraktion im preußischen Landtag versucht , die Überwachungsausschüsse , die gegen den Einfluss der radikalen Parteien im Rundfunk wirken sollten , abzuschaffen. Nun aber wurde die Überwachung der Rundfunkprogramme zugunsten der einzig tolerierten politischen Meinung fortgeführt. In einer höchst aufschlussreichen Rede vor den Rundfunkintendanten führte Goebbels am 25. März 1933 aus : „Der Geist der pöbelhaften individualistischen Massenanbetung wird ersetzt durch den Geist eines neuen Heroismus , eines Heroismus , der sich durchgekämpft hat in den Fabriken , in den Straßen , in den Städten , in den Provinzen , in den Ländern , im ganzen Reich und der nun Kommunen , Länder und das Reich in seiner Hand hat.
Der Rundfunk als Propagandainstrument |
Dieser Geist wird auch in den Häusern des Rundfunks Einzug halten. Und es wäre nun naiv zu glauben , dass irgendein Mensch die Kraft oder die Möglichkeit hätte , sich dem zu widersetzen , zu glauben , er könne das sabotieren oder durch kleine Ranküne aufhalten oder behindern. Das kommt mir so vor , als wenn ein Steinchen auf der abgleitenden Bergbahn eine Lawine aufhalten wollte – ein kindliches , naives Unterfangen , ein zweckloser Versuch am untauglichen Objekt ! Ich würde deshalb schon von vornherein wünschen mögen , dass jeder , der uns innerlich noch nicht hundertprozentig verstanden hat , dann , wenn er seinem Gefühl nicht folgt , wenigstens dem Gebot der Klugheit zu folgen [ sic ! ]. Denn er kann nichts daran ändern. Das ist so und das bleibt so !“28
Der Appell an die Rundfunkintendanten , den „Geist eines neuen Heroismus“ zu akzeptieren , ist hier mit einer unverhohlenen Drohung verbunden. Gleichzeitig gibt Goebbels aber auch , in einer ungewollten Selbstentlarvung , den autoritären Charakter des neuen Geistes zu erkennen , wenn er formuliert , dass dieser Geist Kommunen , Länder und das Reich „in seiner Hand hat“. Und auch das von ihm verwendete Bild von der unaufhaltsamen Lawine gerät ihm unversehens zu einer für das Regime wenig schmeichelhaften Charakterisierung : Diese Lawine erhalte ihre Kraft auf einer „abgleitenden [ ! ] Bergbahn“. Die aktuell häufig als Ausdruck von Höflichkeit entschuldigten Konjunktivfloskeln vom Typ „Ich würde sagen“ werden bereits bei Goebbels auf die Spitze getrieben , und zwar um die eigentlichen Befehlsabsichten zu verschleiern : „ich würde von vornherein wünschen mögen.“ Sehr zügig wurden dann auch die bisherigen Rundfunkleiter entlassen und inhaftiert. Gerichtliche Verurteilungen erfolgten offiziell wegen angeblicher Veruntreuung von Rundfunkgebühren. Jüdischen oder politisch unzuverlässigen Mitarbeitern wurde selbstverständlich gekündigt. An die Stelle der Entlassenen , insbesondere der Intendanten , traten NSDAP-Funktionäre. Im April 1934 wurden die Landesrundfunkanstalten in „Reichssender“ umgewandelt , die nur noch Zweigstellen der von Goebbels kontrollierten Reichsrundfunkgesellschaft waren. Die Freiheit der Senderwahl wurde bei den Volksempfängern bereits technisch eingeschränkt , da sie im Wesentlichen nur zum Empfang inländischer Sender ausgelegt waren. Sie erlaubten keinen Kurzwellenempfang , der für das Abhören von ausländischen Sendungen wichtig gewesen wäre. So dienten die Volksempfänger der flächendeckenden Verbreitung der Goebbels genehmen Sendungen , allen voran natürlich der Führerreden. Nachdem schon im September 1933 angeordnet worden war , die Mitglieder kommunistischer Abhörgemeinschaften , die Radio Moskau hörten , in KZs einzuweisen , legte
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Goebbels im Januar 1937 einen Gesetzentwurf für ein generelles Abhörverbot kommunistischer Sender vor. Mit Kriegsbeginn wurden ausländische Sender generell zu „Feindsendern“ erklärt. Ihnen wurde unterstellt , „Feindpropaganda“ zu betreiben. Es wurde verboten , sie abzuhören. Das galt auch für Sender des neutralen Auslands , sogar verbündeter Staaten. Wer gegen dieses Verbot verstieß , beging ein „Rundfunkverbrechen“, war ein „Rundfunkverbrecher“, dem drakonische Strafen drohten , bis hin zur Todesstrafe , wenn er „Feindpropaganda“ auch noch verbreitete. Als „Rundfunksünder“ galten bereits die Rundfunkmitarbeiter , die sich den NS Direktiven nicht voll unterwarfen. Die „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“ vom 1. September 1939 kennzeichnete es als „Anstandspflicht“ jedes Deutschen , „grundsätzlich das Abhören ausländischer Sender zu unterlassen“. Auf Ausnahmeanträge reagierte Goebbels mit folgender Entscheidung : „Niemand ist abhörberechtigt , der nicht abhörverpflichtet ist.“29 Um die Wirkung politisch wichtiger Sendungen , nicht zuletzt der Reden Hitlers , zu verstärken , wurden die verschiedenen Regionalsender jeweils zusammengeschaltet. Zuletzt jedoch gab es nicht mehr nur einzelne „Reichssendungen“, sondern mehr und mehr ein Einheitsprogramm , das von allen Sendern ausgestrahlt wurde. Eine Folge der Indienstnahme des Rundfunks für die NS -Propaganda war auch die Veränderung einzelner Beitragsformen , auf die hier im Einzelnen nicht eingegangen werden kann. So veränderte sich beispielsweise die vor 1933 bereits entwickelte Form des Hörspiels , das nun ganz der NS-Ideologie verpflichtet wurde. Ganz rigide aber wurden die Möglichkeiten von Gesprächen im Rundfunk eingeschränkt. Bereits vor 1933 wirkten Dialoge im Hörfunk unter den bereits damals geltenden , aber noch relativ zahmen Zensurbedingungen oft reichlich steril , weil die einzelnen Wortmeldungen zuvor schriftlich eingereicht werden mussten ; die „Gesprächs“-Teilnehmer lasen sich dann in einer Sendung ihre Beiträge nur noch gegenseitig vor. Nun aber sollten Dialoge nur noch geführt werden , wenn sie auf ein inhaltlich gemeinsames Ziel gerichtet waren. Abweichende Meinungen waren damit völlig unterbunden. Geradezu absurd erscheinen heute Informationssendungen , deren Aktualität durch einschneidende Entwicklungen und Ereignisse bereits völlig überholt war. In solchen Fällen spiegelte eine Sendung oft nur noch eine wünschenswerte Realität vor. Ein markantes Beispiel ist die am 18. März 1943 ausgestrahlte Landfunksendung zum Thema „Obstanbau im Osten“. Ausgestrahlt wurde ein
Propaganda im Schlager |
ausführliches Interview mit einem Agrarwissenschaftler namens Dr. Gern , der mit dem Interviewer sechs Wochen nach der Niederlage von Stalingrad die Ausweitung deutscher Obstanbauerfahrungen in die Weiten eroberter Gebiete Russlands so bespricht , als seien diese Landschaften nicht nur endgültig deutscher Herrschaft unterworfen , sondern stünden auch kurz vor einer Ansiedlung deutscher Kolonisten. Neben der Erörterung zahlreicher Fachfragen zu Raumnutzung , Baumarten oder Düngung spricht der Interviewer mit großer Selbstverständlichkeit davon , dass im Osten „eine gewisse Neuorientierung der Bevölkerungsstruktur einsetzen wird“, und er fasst zusammen : „Was uns die Landschaft ja letzten Endes heimisch macht , dazu soll auch der Obstanbau im Osten dienen“. Auch hört man Sätze wie diese : ( Interviewer ) „Wir planen ja bei der ganzen Gestaltung nicht nur einer [ agrarwirtschaftlichen ] Kulturform das Bild der Landschaft , sondern das gesamte Zusammenwirken aller Kulturformen , aller Kulturarten , denn das macht ja die neue Landschaft aus.“ ( Dr. Gern ) „Gewiss , es ist sogar eine sehr große Notwendigkeit vorhanden , die großen baumlosen Räume zu überwinden …“30
Zum Zeitpunkt dieser Sendung konnten die „großen baumlosen Räume“ Russlands schon militärisch nicht mehr „überwunden“ werden , geschweige denn mit neuen Obstplantagen ! Den Rundfunkhörern in der Heimat aber wurde die Fata Morgana eines friedlichen deutschen Obstanbaus in einer „neuen Landschaft“ geboten , die sich nach einer „gewissen Neuorientierung der Bevölkerungsstruktur“, wie die geplante Vertreibung oder Versklavung der bisherigen Bevölkerung beschönigend genannt wird , darstellen soll. In ähnlicher Weise wurden etwa in der „Deutschen Wochenschau“ deutsche Siege präsentiert , die längst zu Niederlagen geführt hatten. „Wir lassen uns das Leben nicht verbittern“ – Willkommene Propaganda im Schlager
In der realistischen Einsicht , dass eine permanente Konfrontation des Publikums mit direkter Propaganda kontraproduktiv wäre , förderte Goebbels in Rundfunk und Film in starkem Maße den Unterhaltungssektor dieser Medien. Unterhaltungsfilme und Unterhaltungssendungen machten einen Großteil der Produktionen aus. Als Mittel zur Ablenkung waren sie natürlich auch Teil der
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NS -Propagandastrategie. Ihr Anteil im Rundfunk machte sogar zwei Drittel
aller Sendungen aus. Dank Rundfunk blühte auch die Schlagerindustrie , selbstverständlich mit nur deutschen Texten. Die traditionelle Italiensehnsucht der Deutschen etwa schlug sich , völlig losgelöst vom aktuellen Kriegsgeschehen auf der Apenninenhalbinsel , in den „Capri-Fischern“ mit Rudi Schurike nieder , einem Schlager , der die Deutschen noch über das Kriegsende hinaus begleiten sollte. Eine besondere Funktion übernahm der Schlager freilich dort , wo ein Text mehr oder weniger auf die aktuelle Lage bezogen werden konnte. So kam das bereits 1915 , also während des Ersten Weltkriegs , von Hans Leip geschriebene Gedicht von „Lili Marleen“ 1938 durch die Vertonung von Norbert Schultze und durch eine Schallplattenaufnahme mit Lale Andersen zu neuen Ehren. Es besingt den seit Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahr 1935 erneut millionenfach erlebten Abschied „vor der Kaserne , vor dem großen Tor“. Dieser Schlager wurde zum Lieblingslied der Soldaten , da er ab 1941 – trotz offizieller Verbotsversuche – regelmäßig nicht nur vom deutschen Soldatensender Belgrad ausgestrahlt , sondern , in Übersetzungen , auch von alliierten Militärsendern übernommen wurde.31 Eindeutig ließ sich der von Lale Andersen gesungene und 1939–45 ausgestrahlte Schlager „Es geht alles vorüber , es geht alles vorbei“ auf die Kriegssituation und die Hoffnung auf ein glückliches Ende beziehen. Bereits die erste Strophe schildert unmissverständlich die Lage : „Auf Posten in einsamer Nacht Da steht ein Soldat und hält Wacht , träumt von Hanne und dem Glück , das zu Hause blieb zurück.“
In der zweiten Strophe schreibt der Soldat an seine Hanne : „Denn gibt es auch Zunder und Dreck , das alles , das geht wieder weg , und vom Schützen bis zum Leutenant , da ist die Parole bekannt …“
Die Parole aber lautet wie der titelgebende Refrain , der die Position des Landsers fern der Heimat charakterisiert : „Es geht alles vorüber , es geht alles vorbei , / Auf jeden Dezember folgt wieder ein Mai …“32 Die dritte Strophe kündigt den vom Soldaten erhofften „Urlaubsschein“ an , der bereits unterschrieben beim „Spieß“ liegt und ein kurzes Glück bei Hanne
Propaganda im Schlager |
zu Haus gewährt , an dessen Ende nun auch Hanne in den Kehrreim der Hoffnung , „Es geht alles vorüber …“, einstimmen kann. Fast zwangsläufig erfuhren im Krieg auch andere , textlich weniger militärisch eindeutige Schlager Interpretationen , die den aktuellen Lebensumständen der Rezipienten zu entsprechen schienen. Meist waren es die Refrains , die sich durch Wiederholung besser einprägten und den übrigen , meist nicht zeitgebundenen Liedkontext leicht vergessen ließen. Die Sehnsucht von Soldaten an einem weit entfernten Kriegsschauplatz nach der Heimat konnte auch der Refrain eines Liedes aus dem Film „Quax , der Bruchpilot“ von 1942 wecken : „Heimat , deine Sterne , / sie strahlen mir auch am fernen Ort.“ Als Aufmunterung gegen die wachsende Angst vor einer Katastrophe konnte der Refrain des Liedes „Es weht der Wind mit Stärke zehn“ empfunden werden : „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern. Keine Angst , keine Angst , Ros’marie ! Wir lassen uns das Leben nicht verbittern. Keine Angst , keine Angst , Ros’marie ! Und wenn die ganze Erde bebt und die Welt sich aus den Angeln hebt.“
Eine ähnliche Aktualisierung konnte der von Zarah Leander gesungene Schlager „Wenn mal mein Herz unglücklich liebt“ mit seinem Refrain anstoßen : „Davon geht die Welt nicht unter , sieht man sie manchmal auch grau. Einmal wird sie wieder bunter , einmal wird sie wieder himmelblau. Geht’s mal drüber und mal drunter , wenn uns der Schädel auch raucht , davon geht die Welt nicht unter , die wird ja noch gebraucht.“
Wie eine Anspielung auf das erhoffte Wunder einer Kriegswende , vielleicht gar auf Hitlers „Wunderwaffen“, konnte der ebenfalls von Zarah Leander gesungene Text „Ich weiß , es wird einmal ein Wunder geschehen“ gedeutet werden. – Wie auch immer : Solche Deutungen als sanfte Durchhalteparolen können der Propaganda von Goebbels kaum ungelegen gekommen sein ! Hatte Goebbels anfangs noch einen wenigstens „melodiösen Jazz“ zugelassen , wurde dieser Musikstil 1935 als „Niggerjazz“ ganz verboten. Als „rhythmische Tanzmusik“ konnte er indes in Maßen weiterleben. Dem „undeutschen“ Jazz
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wurden auch andere Musikstile als „undeutsch“ gleichgestellt , etwa die Rumba. 1938 hatte der Komponist Werner Bochmann für den Film „Kautschuk“ eine Rumba geschrieben. Sie konnte offiziell aber nur als „brasilianischer Foxtrott“ durchgehen. Auch verstanden es manche Unterhaltungsorchester wie die „Teddis“ des Schweizers Teddy Stauffer , den verbotenen Swing weiter erklingen zu lassen. Für US-amerikanische Titel erfand Stauffer einfach deutsche Komponistennamen. Die Reichsrundfunkgesellschaft hatte allerdings auch ein eigenes „Deutsches Tanz- und Unterhaltungsorchester“ ( DTU ) gegründet , dessen gemäßigt moderne Rhythmen die Hörer davon abhalten sollten , ausländische Sender ihrer Musik wegen zu nutzen. Von „Hitlerjunge Quex“ bis „Kolberg“ – Der Kinofilm im Dienst der Propaganda
Natürlich widmete sich das Propagandaministerium auch dem publikumswirksamen Medium Film. In mancher Hinsicht war der Kinofilm sogar eine Art Leitmedium der NS-Propaganda , was sich auch in der Verdoppelung der Zuschauerzahlen zwischen 1939 und 1943 auf über 1,1 Milliarden widerspiegelt.33 Ein „Reichsfilmdramaturg“, Ewald von Demandowsky , Intimus von Joseph Goebbels , sorgte für die Linientreue der Produktionen. Goebbels förderte höchstpersönlich das Filmschaffen , umwarb nach Vertreibung und Ermordung prominenter jüdischer Filmkünstler aufs Heftigste die verbliebenen Stars wie Lil Dagover , Heidemarie Hatheyer , Marianne Hoppe , Kristina Söderbaum , Zarah Leander , Hans Albers , Albert Florath , Willy Fritsch , Otto Gebühr , Heinrich George , Heinz Rühmann , Emil Jannings , Theo Lingen , Mathias Wiemann und viele andere mehr. Goebbels unterstützte nach Kräften die Produktion von Unterhaltungs- und Revuefilmen. Für letztere sah er nicht zuletzt in HollywoodStreifen , die er intensiv studierte , anregende Vorbilder. Unterhaltungsfilme überwogen in der Produktion der NS-Zeit von insgesamt über 1. 000 Filmen die reinen Propagandafilme im Verhältnis von 9 : 1. Die unermüdliche ungarische Tänzerin Marika Rökk wurde zum begehrten UFA-Filmrevuestar. Entspannung und Unterhaltung waren nicht zuletzt während des Kriegs gefragt , was etwa dem Film „Wunschkonzert“ von 1940 mit Ilse Werner und Carl Raddatz aufs Beste gelang. Dieser Film zog bis 1945 fast 30 Millionen Kinobesucher an. Er war zugleich eine zusätzliche Werbung für die überaus beliebte Radiosendung „Wunschkonzert“. Filmruhm erntete nicht zuletzt die Schwedin Zarah Leander , die sich allerdings 1943 nach allzu intensiven Vereinnahmungsversuchen seitens der
Propaganda im Film |
NS -Mächtigen wieder nach Schweden zurückzog. Goebbels hatte ihr neben
großen materiellen Anreizen die deutsche Staatsbürgerschaft und den Titel „Staatsschauspielerin“ angeboten. Dagegen ließen sich zahlreiche deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler ihrer Karriere wegen durch oftmals allzu große Nähe zur Macht kompromittieren. Heinz Rühmann etwa ließ sich auf Druck von Goebbels hin sogar von seiner Frau Maria Bernheim , einer „Halbjüdin“, scheiden. Er konnte seine Filmlaufbahn unbehelligt fortsetzen. Einer seiner größten , bis heute nachwirkenden Erfolge wurde 1943 „Die Feuerzangenbowle“. Anders verhielt sich der ebenso beliebte österreichische Schauspieler Hans Moser. Er widerstand dem Druck und hielt zu seiner jüdischen Frau , konnte aber trotzdem in zahlreichen Filmen weiter mitwirken. Kurz vor Kriegsende wurde es allerdings immer schwieriger , für Außenaufnahmen Orte zu finden , die noch nicht deutliche Spuren der Zerstörung zeigten , sondern eine heile Welt vorspiegelten. Unter dieser besonderen Produktionsbedingung litten insbesondere die Filme von Helmut Käutner „Große Freiheit Nr. 7“ von 1944 mit Hans Albers und „Unter den Brücken“ von 1945 mit Carl Raddatz. Beide Streifen kamen freilich erst nach Kriegsende in die Kinos. Die Aufführung von „Große Freiheit Nr. 7“ war freilich wegen ihres „unheroischen“ Gehalts von Goebbels verboten worden. Bald nach Hitlers Machtübernahme war bereits eine Reihe von Propagandafilmen entstanden. Der bekannteste Teil einer „Märtyrer-Trilogie“ des Regisseurs Hans Steinhoff , „Hitlerjunge Quex“ nach dem gleichnamigen Roman von Karl Aloys Schenzinger , wurde am 12. September 1933 uraufgeführt.34 Die Botschaft von Roman und Film , die auf einer authentischen Vorlage zum Schicksal und Tod eines HJ-Jungen im Kampf mit Kommunisten beruhten , war , dass man sich gegen den Widerstand der eigenen Familie für die HJ und damit für den Nationalsozialismus entscheiden müsse , auch wenn es das Leben koste. Ein Meisterwerk , das ob seines filmästhetischen Niveaus seinen Propagandazweck in besonderer Weise erfüllte , war der zweiteilige Dokumentarfilm über die Olympiade 1936 von Leni Riefenstahl mit den Titeln „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“. Der am Ende dieser Dokumentation gezeigte grandiose „Lichtdom“ über dem Olympiastadion war indes nur unter Einsatz zahlreicher Scheinwerfer möglich , die der damals schon hochgerüsteten Fliegerabwehr entliehen waren. Mit einer geschickten Mischung von Unterhaltung und Propaganda gelangen Regisseuren wie Veit Harlan oder Wolfgang Liebeneiner große Publikumserfolge. Veit Harlans antisemitischer Film „Jud Süß“ von 1940 mit Heinrich George beeindruckte mit seiner filmisch-handwerklichen Qualität durchaus.
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Seine perfide Intention und Wirkung aber wird allein darin erkennbar , dass dieser Film SS-Einheiten regelmäßig zwecks „Einstimmung“ auf ihre Mordaktionen vorgeführt wurde. Liebeneiners Film von 1941 „Ich klage an“ um eine aktive Sterbehilfe war als Test gedacht , wie die Deutschen wohl zur sogenannten Euthanasie stünden. Auch ein Film mit dem unverfänglichen Titel „Die große Liebe“ von Rolf Hansen aus dem Jahr 1942 diente anhand der Geschichte zweier Liebender , die durch Krieg und Kriegseinsatz lange nicht zueinanderfinden können , letztlich der Mobilisierung der Volksgemeinschaft. In der Schluss einstellung blicken die endlich Vereinten freudig zum Himmel , über den ein deutsches Bombergeschwader zieht. Historienfilme wie die Filme über Friedrich den Großen mit Otto Gebühr sollten das Bewusstsein einer großen Vergangenheit als Vorbild für die neue „große Zeit“ wecken. „Fridericus“ von 1936 und „Der große König“ von 1942 waren in gewisser Weise Fortsetzungen des Films „Fridericus Rex“, in dem Otto Gebühr ebenfalls die Titelrolle gespielt hatte. „Fridericus Rex“ war allerdings schon vor 1933 entstanden. Goebbels verstieg sich anlässlich der Fridericus-Filme zu der Behauptung , Friedrich der Große sei der „erste Nationalsozialist“ gewesen. Die zahlreichen Beispiele , die unverhüllt der Propaganda dienten , etwa zur Unterstützung der Euthanasie-Pläne , können hier nur summarisch erwähnt werden. Es gab darunter freilich auch Fälle , in denen die Nationalsozialisten Propagandafilme erst gar nicht oder nur kurz zur Aufführung kommen ließen , weil sie befürchteten , dass das Gegenteil der Agitationsabsicht , nämlich Mitleid mit den Opfern , bewirkt werden könnte , so bei Filmen mit Bildern aus den Ghettos. Der letzte große Propagandafilm , der aufwendigst gedrehte Farbfilm „Kolberg“, war ein Durchhaltestreifen des bewährten Veit Harlan. Gegenstand des Films ist eine nun hochgespielte Episode der deutschen Befreiungskriege 1813–15 : der Widerstand der schon fast aufgegebenen Festung Kolberg gegen die Franzosen. Für die Statisterie wurden Tausende Soldaten von den schon bedrohten Fronten abgezogen. Dieser Film konnte zum 12. Jahrestag des NS-Machtantritts am 30. Januar 1945 nur noch in Berlin und in einigen wenigen anderen Städten , sinnigerweise gerade in „Festungen“ wie Königsberg und Breslau , vorgeführt werden. Eine Kopie gelangte per Fallschirm auch noch in das von den Alliierten eingeschlossene La Rochelle , den deutschen U-Boot-Stützpunkt an der französischen Atlantikküste. Seine zentrale Parole „Nun , Volk , steh auf und Sturm brich los !“ war ein Zitat aus der „Sportpalastrede“ 1943 von Joseph Goebbels. Er hatte dabei den Anfang des Liedes „Männer und Buben“ von Karl Theodor Körner aus dem Jahr 1813 , „Das Volk steht auf , der Sturm bricht los“, in einen
Die Deutsche Wochenschau |
Imperativ umgewandelt. Die so entstandene Parole konnte wie der Film als ganzer angesichts der katastrophalen Lage 1945 keine Wirkung mehr entfalten. Die Einnahme Kolbergs durch sowjetische Truppen am 18. März 1945 durfte auf Weisung von Goebbels im Wehrmachtbericht nicht erwähnt werden. „Stehen und kämpfen !“ – Die Deutsche Wochenschau
Obligatorischer Vorspann jedes Kinofilms war die „Deutsche Wochenschau“. Bis 1937 lief dieser Vorspann unter dem Namen „UFA-Wochenschau“, war aber von Anfang an die einzige Wochenschau und natürlich staatlich kontrolliert. Sie war das eigentliche filmische Propagandainstrument der NSDAP , das mit einer Kopienzahl von bis zu 1. 000 Stück pro Folge und einer außerordentlichen Länge , bis zu dreißig Minuten , die Deutschen flächendeckend mit den vom Regime erwünschten Informationen und Bildern versah. Vor dem Krieg hatte die Wochenschau wie Presse und Rundfunk die NS-Glanztaten zu feiern. Aber schon die Titelsequenz jeder Folge ab 1937 mit einem schräg von unten gefilmten strahlenumkränzten Reichsadler und einem Melodieausschnitt aus dem „Horst-Wessel-Lied“35 machten jeweils deutlich , welchem Zweck auch Berichte aus dem zivilen Leben der Nation letztlich dienten. Ab Kriegsbeginn wurden 1. 500 Journalisten und Kameramänner in „Propagandakompanien“ als „PK-Berichterstatter“ an die Fronten geschickt , darunter Henri Nannen , später Chefredakteur des „Stern“, und Karl Holzamer , der 1962 Intendant des ZDF wurde. Die Wirkungen der Wochenschauen beruhten weniger in der verbalen Entfaltung politischer Thesen. Im Mittelpunkt stand stattdessen die intensive optische Konfrontation des Publikums mit einer Wirklichkeit , wie sie die Propaganda gesehen haben wollte. Das bedeutete für die Kriegsberichterstattung nicht nur die Darstellung von Vormarsch und Siegen , sondern auch der Härten des Krieges , an die sich das Publikum gewöhnen sollte oder mit denen die Zuschauer ihre eigenen Nöte relativieren sollten. Kriegstote und zerstörtes Kriegsgerät gab es dabei grundsätzlich nur auf der gegnerischen Seite zu sehen. Deprimierte alliierte Gefangene etwa , auch Juden wurden in langen Einstellungen vorgeführt , die den Abscheu vor den „Untermenschen“ fördern sollten. Die meist knappen Kommentare hatten nicht selten reißerischen Charakter.36 Sicherlich nicht nur technisch bedingte Verzögerungen führten dazu , dass hin und wieder deutsche Erfolge gefeiert wurden , die sich längst ins Gegenteil
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verkehrt hatten. Das galt insbesondere für die Berichterstattung über die letzte größere deutsche Offensive , die Ardennen-Offensive , die bereits zu Weihnachten 1944 gescheitert war , deren Anfangserfolge aber noch im Januar 1945 im Kino gefeiert wurden.37 Dabei wurden außer zerstörtem alliiertem Kriegsgerät Kolonnen gefangen genommener US-Soldaten gezeigt. In Großaufnahmen sah man nicht zuletzt farbige Gefangene , deren „stumpfe Gesichter“, wie sie der Kommentar charakterisierte , als indirekter Beweis der rassischen Überlegenheit der Deutschen vorgeführt wurden. Mitunter kann man auch entdecken , dass dieselbe Filmsequenz in ihrer Wiederholung in einer anderen Wochenschau-Folge gegensätzlich interpretiert wurde , etwa wenn eine Menschengruppe , die sich in der Ferne von der Kamera weg bewegt , in zwei verschiedenen Wochenschau-Folgen mal als vorwärts stürmende Deutsche , mal als fliehende Sowjets vorgestellt wurden. Ganz besonders verlogen war ein Bericht über Streikunruhen in England und in den USA in Folge 754 / 1945 , der dem deutschen Publikum Hoffnungen auf eine Schwächung der westalliierten Kampfkraft vermitteln sollte. Das illustrierende Filmmaterial war aber nachweislich bereits 1937 bei einer blutig niedergeschlagenen Arbeiterdemonstration in Chicago entstanden , also einem Archiv entnommen.38 Wie die Wochenschau doch auch bestimmte Parolen und Schlüsselwörter der Propaganda unters Volk brachte , lässt sich exemplarisch an einem Beispiel der allerletzten Folge ( Nr. 755 / 1945 ) zeigen , in der die Sowjets immer wieder als „Bestien“ und ihr Handeln als „bestialisch“ gekennzeichnet werden. Um Abscheu und Entsetzen zu erzeugen , wurden in einem Beitrag aus einer – vorübergehend – rückeroberten deutschen Ortschaft tatsächlich auch einmal Bilder von deutschen Opfern gezeigt , von grausam zugerichteten, toten deutschen Zivilisten , vor allem von Frauen und Kindern. Sie waren bei der vorangegangenen sowjetischen Besetzung des Ortes ermordet worden. Der Beitrag wird durch einen Schwenk auf eine Mauer mit der Parole „Schützt unsere Frauen u. Kinder vor den roten Bestien“ eingeleitet. Dann wird ein Ausschnitt aus einem Interview mit einer Gruppe von Frauen wiedergegeben , die das Massaker überlebt hatten. Dabei wirken die Antworten auf die Fragen des Interviewers allerdings schon im Tonfall wie vorher eingeübt : Erste Frau :
„Man kann ja gar nicht von Soldaten und Offizieren [ der Sowjets ] in diesem Sinne sprechen. Man kann hier nur sprechen von bestialischen Horden. Denn sie haben sich alle gleichmäßig benommen. [ … ] In meiner Gegenwart ist eine 68jährige Frau vergewaltigt worden in allergemeinster Weise.“
Die Deutsche Wochenschau |
Interviewer : „Und diese Volksgenossinnen hier auch , ja ?“ Zweite Frau : „Ja. Sogar meine Mutter von 60 Jahren haben sie nicht geschont und haben sie auch bestialisch vergewaltigt.“ Interviewer : „Und Sie selbst auch hier ?“ Dritte Frau : „Ja. Sogar meine Mutter und meine Schwester haben sie in bestialischer Weise misshandelt.“39
Es geht hier nicht darum , das Schreckliche der Ereignisse herunterzuspielen. Es scheint sich bei der im Wochenschau-Beitrag nicht namentlich genannten Ortschaft um das ostpreußische Nemmersdorf südwestlich von Gumbinnen zu handeln , wo die Sowjets am 21. Oktober 1944 , also immerhin schon etwa vier Monate vor der Kinovorführung , tatsächlich ein schlimmes Massaker verübt hatten. Auch dessen Kennzeichnung als „bestialisch“ muss erlaubt sein. Kritisch hingegen muss der Versuch gesehen werden , das deutsche Kinopublikum auf eine einzige , zugleich generelle Charakterisierung des Gegners als „Bestien“ festzulegen. Dass dies einer offiziellen Sprachregelung folgte , lässt sich bereits aus der Häufung der Belege Ende 1944 / Anfang 1945 ableiten. Die Unterdrückung von Berichten über die sehr viel monströseren deutschen Gräueltaten in besetzten Gebieten war für das Propagandainstrument Deutsche Wochenschau natürlich selbstverständlich. Die letzten Folgen mussten im Vorspann immer mehr Namen von PK Berichterstattern mit einem Kreuz versehen. Auch und gerade von ihnen , die oft an vorderster Front arbeiteten , forderte der Krieg einen hohen Blutzoll. Als sich 1945 die Wehrmacht bereits tief auf deutschem Boden noch gegen die Rote Armee zu wehren versuchte , zeigte die schon zitierte letzte noch fertiggestellte Wochenschau , Nr. 755 / 1945 , in der Schlusssequenz heroisch dreinblickende deutsche Kämpfer. Deren Parole „Stehen und kämpfen !“ sollte zugleich ein Aufruf an das deutsche Kinopublikum sein , es diesen Soldaten gleichzutun. Neben den Schwarz-Weiß-Wochenschauen wurden im Dezember 1944 und Januar 1945 unter dem Titel „Panorama“ insgesamt vier Monatsschauen in Farbe hergestellt. Sie waren für Vorführungen im neutralen Ausland bestimmt. Im Gegensatz zu den gleichzeitigen Wochenschauen kommen hier sehr viel weniger Berichte von Kampfhandlungen vor. Das Schwergewicht liegt – nicht ganz zufällig – auf eher friedlichen Berichten , etwa von einem Sommersonntag in Berlin , aus einer Gymnastikschule , einer Glasbläserei oder aus der
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Spanischen Hofreitschule in Wien. Die propagandistische Botschaft dieser Produktionen sollte sein : „Die Deutschen wären ja so friedlich , wenn man sie in Ruhe ließe !“
„Wir senden Frohsinn“ – Das verhinderte Massenmedium Fernsehen
Bereits am 24. Dezember 1930 war dem deutschen Physiker Manfred von Ardenne eine erste Fernsehübertragung gelungen. Ab 1933 wurde die neue Technik so weit vorangetrieben , dass in Kooperation von Deutscher Reichspost und Reichsrundfunkgesellschaft ein „Deutscher Fernsehrundfunk“ gegründet werden konnte. Reichssendeleiter war Eugen Hadamovski. Vor den Briten und Amerikanern , die auf diesem Gebiet ebenfalls große technische Fortschritte erzielt hatten , konnte am 22. März 1935 in Deutschland der Sender „Paul Nipkow“ im Berliner Deutschlandhaus das weltweit erste regelmäßige Fernsehprogramm ausstrahlen. Nach technisch und programmlich unzulänglichen Anfängen konnten nach und nach Kurzfassungen von Spielfilmen , Kulturfilmen und selbstverständlich Propagandastreifen der NSDAP , etwa über einen Reichsparteitag , gesendet werden. Musiksendungen dominierten.40 Einen nennenswerten Einsatz erfuhr das neue Medium anlässlich der Olympiade 1936 , deren Wettkämpfe auch per Fernsehen übertragen wurden. Diese Übertragungen konnten in Berlin in 25 „Fernsehstellen“ der Deutschen Reichspost , auch „Fernsehstuben“ genannt , jeweils von 20.00 bis 22.00 Uhr empfangen werden. Auch in Potsdam , Leipzig , Hamburg und Nürnberg wurden solche Empfangsräume eingerichtet. Neben den überaus kleinen Bildschirmen von 18 × 22 cm gab es in Berlin aber auch schon zwei Großbildempfänger im Format von 1,5 × 1,5 m. Private Geräte waren außer bei Parteifunktionären und Posttechnikern kaum verbreitet , so dass die tägliche Zuschauerzahl von 2. 000 Personen kaum überschritten wurde. Darum ging man auch an die Entwicklung eines „Volksfernsehers“, parallel zum Volksempfänger für den Hörfunk. Tatsächlich wurde „durch zielbewusste und schöpferische Zusammenarbeit der fünf deutschen Fernsehfirmen“, wie 1939 ein Prospekt der Firma Lorenz A.G. unter dem Titel „Fernsehen im Heim“ verkündete , der „Einheits-Fernsehempfänger E 1“ für RM 650 ,– herausgebracht , einem normalen Hörfunkempfänger sehr ähnlich und als solcher auch außerhalb der Sendezeiten des Fernsehens nutzbar. Eins der ersten Geräte schenkte Hitler seiner Lebensgefährtin und späteren Ehefrau Eva Braun.
Indienstnahme der kommerziellen Werbung |
Zu Kriegsbeginn wurde der Fernsehbetrieb für fast vier Monate eingestellt , da die Luftwaffe Funkfrequenzen brauchte. Danach aber standen die Sendungen wieder ganz im Dienst der Propaganda , etwa wenn die deutsche Okkupation Luxemburgs , nun „Gau Moselland“, als „Wiedervereinigung“ des besetzten Gebiets mit dem Deutschen Reich gefeiert wurde oder wenn in einer Serie Hochleistungen deutscher Techniker und Forscher , etwa die Entdeckung der Röntgen-Strahlen und die Erfindung des Röntgen-Geräts , vorgestellt wurden. Empfangsgeräte wurden nun vermehrt in Lazaretten aufgestellt. Mit Rücksicht auf die Genesenden wurde auf allzu martialische Sendungen verzichtet , dafür aber regelmäßig leichte Unterhaltung unter dem Motto „Wir senden Frohsinn – wir spenden Freude“ geboten. Nach Zerstörung der Studios des Senders „Paul Nipkow“ in Berlin durch einen Bombenangriff im November 1943 konnte der Sendebetrieb nur noch bis zum 21. Juni 1944 aufrechterhalten werden. Eine propagandistische Massenbeeinflussung wie durch Film , Rundfunk und Presse war dem NS-Fernsehen jedoch ohnehin nicht vergönnt. „Deutsch die Uhr – deutsch der Klang“ – Die Indienstnahme der kommerziellen Werbung
Am 12. September 1933 war das „Gesetz über Wirtschaftswerbung“ in Kraft getreten , das „zwecks einheitlicher und wirksamer Gestaltung“ das gesamte Werbe- , Anzeigen- , Ausstellungs- und Messewesen der Aufsicht des Reiches unterstellte. Die Aufsicht wurde durch den „Deutschen Werberat“ ausgeübt , der wiederum dem Propagandaministerium unterstand ( Paragraph 1 und 2 ). Diese Lenkung schlug sich von da an in einer Vielzahl absolut linientreuer Werbekampagnen sowie in Ausstellungen und Messen nieder.41 Davon können hier nur einige wenige Beispiele vorgeführt werden.42 Schon 1933 „kämpft“ etwa Opel laut Anzeigen im „Völkischen Beobachter“ „als alter bewährter Pionier für Fortschritt und Weltgeltung des deutschen Gebrauchswagens“. 1935 setzt ein Frankfurter Schuhgeschäft in ein Theaterprogramm die mit Eichenblatt und Eichel verzierte Annonce „Tack Der gute deutsche Schuh“. 1936 marschieren auf einer Gemeinschaftswerbung der Wirtschaftsgruppe Brauerei endlose Kolonnen in Zehnerreihen dem Horizont zu , begleitet von dem Text „EINE MILLION schaffende deutsche Volksgenossen leben von der Erzeugung und dem Vertrieb des deutschen Bieres.“ Ob Autos , Schuhe , Bier – alles war gut , weil „deutsch“ !
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Geradezu selbstverständlich griffen auch deutsche Unternehmen in ihrer Werbung gern die NS-Propagandaformeln und -Symbole auf und bekundeten schon auf diese Weise ihre ideologische Übereinstimmung mit dem System. Beispielsweise flatterte quer über einer Werbeanzeige für „Kelheimer Zellwolle“, die ebenfalls eine im Gleichschritt marschierende Arbeiterkolonne zeigte , die Hakenkreuzfahne. Aus der Fülle der Belege aus der Vorkriegszeit seien nur noch drei weitere Beispiele ausgewählt und genauer charakterisiert : zwei Werbeanzeigen von Daimler- bzw. Mercedes-Benz und eine Hörfunkwerbung des Uhrenherstellers Kienzle. In Zeitungsanzeigen des „Völkischen Beobachters“ vom Mai 1935 warb die Daimler-Benz Aktiengesellschaft mit dem Slogan : „WIR DIENEN DER NATION “. Er prangt in einem Balken über einem großen Mercedes-Stern , den zwei Ansichten von Fabrikanlagen flankieren. Vom Firmenlogo aus aber hängt ins Zentrum der Annonce bis zu einem großen Motorblock ebenfalls eine Hakenkreuzfahne. Links davon marschieren Stahlarbeiter mit zum Hitlergruß erhobenem Arm abwärts in die Mitte des unteren Anzeigenteils. Rechts davon werden in zwei parallelen Reihen von oben nach unten 25 verschiedene Kraftfahrzeugtypen , von LKWs bis zu Luxuslimousinen , präsentiert , an deren unterem Ende drei Beispiele von Daimler-Benz-Motorenprodukten zwischen „1886“ und „1935“ grafisch angedeutet werden : ein Motorrad , ein Rennwagen und ein Zeppelin. Unterbrochen werden die grafischen Säulen durch zwei Textspalten. Darin steht jeweils in Großbuchstaben : Links : „Mehr als 23. 500 Schaffende tragen ihren besten Teil an Leistung und Arbeit bei zum Weltruf unserer Erzeugnisse. Das Können des Fachmannes und die Präzision unserer Arbeitsmethoden sind Fundamente bewährter Tradition.“ Rechts : „Die grossen Aufgaben der Nation zum Wiederaufbau finden uns bereit an vorderster Front der Arbeitsbeschaffung , und an der Spitze der Weltbestleistungen erblicken wir unseren Pflichtenkreis in der deutschen Wirtschaft.“
Natürlich verzichtete man nicht auf die Nennung nichtideologischer Werte wie „Tradition“, „Können“ und „Präzision“ sowie „Weltruf“ und „Weltbestleistungen“. Aber dem Anspruch von Hakenkreuzfahne und Hitlergruß gemäß betont man deutlich auch die Aufgaben des nationalen „Wiederaufbaus“ mitsamt der „Arbeitsbeschaffung“, für welche die Nennung von mehr als „23. 500 Schaffenden“ eine Erfolgsmeldung darstellen soll.
Indienstnahme der kommerziellen Werbung |
„Deutschland im Aufbau“ ist auch das Motto einer Zeitungsanzeige ein Jahr später , die nun für Mercedes-Benz wirbt. Als einziges , großes Bildmotiv muss nun eine Ansicht der Reichsautobahn herhalten , über der ein großer Mercedes-Stern aufscheint. Der Text steht nun übersichtlich in einem Kasten im unteren Drittel : „Deutschland im Aufbau – es gibt wohl kaum ein eindringlicheres Zeichen für den Schaffensgeist und Aufbauwillen des neuen Deutschland als das Riesenwerk der Reichs-Autobahnen. Neue Zeiten stellen neue Aufgaben – Schritthalten mit der vorwärts drängenden Entwicklung ist die Parole. So hat die überwältigende Steigerung der Motorisierung zu Erde , Luft und Wasser auch die Ingenieure der Daimler-Benz-Werke vor neue Aufgaben gestellt. Spitzenleistungen wurden geschaffen , um aus einem unerreichten Erfahrungsschatz das Beste an Konstruktion , Material und Arbeit der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Unermüdlicher Arbeitsfreudigkeit und restlosem Einsatz aller Gefolgschaftsmitglieder der Daimler-Benz-Werke ist es zu danken , daß im In- und Ausland der MERCEDES-BENZ-Stern zum bewunderten Wahrzeichen deutschen Erfindergeistes und deutscher Werkmannsarbeit geworden ist. MERCEDES-BENZ“
Die Werbung für objektive Unternehmensleistungen , die scheinbar den text lichen Hauptteil dieser Anzeige bildet , ist zeitgemäß bereits zwischen deutlichen Verbeugungen vor den propagandistischen Vorgaben des Regimes platziert : „Deutschland im Aufbau“, „Schaffensgeist und Aufbauwille des neuen Deutschland“ einerseits und „deutscher Erfindergeist und deutsche Werkmannsarbeit“ andererseits. Aber auch der Hinweis auf die „überwältigende Steigerung der Motorisierung“ ist überdeutlich als Dankadresse des Automobilbauers an die um diese Steigerung verdiente Reichsregierung zu verstehen. Die firmeninterne Anpassung an die NS -Ideologie kommt in Formulierungen wie „unermüdliche Arbeitsfreudigkeit“ und „restloser Einsatz aller Gefolgschaftsmitglieder“ zum Ausdruck. Es ist der Lobpreis eines neuen Arbeitsethos , das „restlosen“ Einsatz einer Belegschaft forderte , die als „Gefolgschaft“, das heißt als Arbeitskollektiv ohne irgendwelche gewerkschaftlichen Eigenrechte , definiert wird. „Restloser Einsatz“ wurde schließlich auch vom Soldaten gefordert. Die ganze Anzeige überspannend aber war , wie schon bemerkt , die bild liche wie textliche Werbung für das „Riesenwerk der Reichs-Autobahnen“, die sogenannten Straßen des Führers.
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Drittes Beispiel : Was man dem propagandistisch schon konditionierten breiten Publikum auch bei scheinbar politikfernen Themen bereits 1936 sprachlich bieten konnte , kann exemplarisch eine Rundfunkwerbung für „Kienzle“-Uhren43 zeigen : „Die Direktion der Kienzle-Uhrenfabriken hat den Wunsch folgendes zum Ausdruck zu bringen : Unsere alten schönen Volkslieder sind nach den gewaltigen Ereignissen , die den neuen Staat zur Blüte führten , wieder in unseren Herzen erwacht und fest in unserer Heimat verwurzelt. Diese Lieder , die alles überbrücken , uns aus der vergangenen Zeit in die neue Zeit hinüber folgten , sind ewige Zeugen größten deutschen Geschehens. Wir haben deshalb nationale Volkslieder als neue Gongschläge für unsere Uhren gewählt. Der dem deutschen Wesen fremde ‚Bim-Bam-Schlag‘ , mit dem wir uns begnügen mussten , gehört nicht mehr in unser Heim. Mehrere hundert Arbeiter sind mit der Herstellung von neuen Gongs beschäftigt , so daß wir gerüstet sind , noch vor Weihnachten alle deutschen Fachgeschäfte zu beliefern. Diese beiden neuen Kienzle-Gongs werden auf dem Gebiete der Uhrenproduktion revolutionierend wirken. Wir haben diese Gongschläge als Halbstundenschläge verwendet und führen sie jetzt , von der Uhr auf die Schallplatte übertragen , vor : ‚Deutscher Gong‘ – Halbstundenschlag [ als Klangprobe ] ‚Potsdamer Gong‘ – Halbstundenschlag [ als Klangprobe : „Üb’ immer Treu’ und Redlichkeit“ ] Der neue Stundenschlag ist ein musikalisch vollendeter Gong : Stundenschlag [ als Klangprobe ] Es ist mit Sicherheit vorauszusagen , daß das Publikum diese neue zeitgemäße Uhr für das Heim wählen wird und somit das Uhrengeschäft einen ganz starken Auftrieb erfahren wird. Die Parole der Kienzle-Uhrenfabriken heißt in Zukunft : ‚Deutsch die Uhr – deutsch der Klang‘. Helfen Sie uns , diese Parole in die Bevölkerung zu tragen !“
Anschließend wird diese „Parole“ noch einmal von einem Chor gesungen vorgetragen. Der Werbebeitrag wird mit dem „Deutschlandlied“ beendet. Aus moderner Werbung ist man manche Übertreibung gewohnt. Zweifellos wird auch hier mit Übertreibungen geworben. Aber es waren nicht die üblichen Reklameübertreibungen , sondern es waren die bereits längst verinnerlichten Elemente der politischen Propaganda , die unvermittelt für ökonomische Interessen eingesetzt werden : die Fahnenwörter und -formulierungen „gewaltige
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Ereignisse“, natürlich seit 1933 , „der neue Staat“, „die neue Zeit“, „ewige Zeugen größten deutschen Geschehens“ und „deutsches Wesen“. Dies wird abgegrenzt gegen alles , was nicht mehr „zeitgemäß“ ist. Insbesondere der einfache „BimBam-Schlag“ soll „dem deutschen Wesen fremd“ geworden sein. Er macht alte Uhren unzeitgemäß. Eine clevere Geschäftsidee : Die letztlich geringfügige technische Innovation , der Einbau von Gongs mit deutschen Liedzitaten , macht aus einem Zeitmesser eine „deutsche Uhr“. Politische Propaganda wird zum Verkaufsargument. Als Kuriosum mag gelten , dass die deutsche Zigarettenindustrie für die SA eine eigene Marke namens „Trommler“ produzierte. Die Packungen zu je sechs Stück für 20 Pfennig enthielten auch „prächtige Bilder“, selbstverständlich von deutschen Uniformen. Die Wertsteigerung von „deutsch“ in allen möglichen und unmöglichen Zusammenhängen war bereits ein Erbe des wilhelminischen Nationalismus. Schon Kurt Tucholsky konnte in den zwanziger Jahren die ironische Parole ausgeben : „Deutsche , kauft deutsche Zitronen !“ Meist wird sie in der Variante „Deutsche , kauft deutsche Bananen !“ kolportiert. Ab 1933 aber wurde die Betonung von „deutsch“ ohne jede Ironie ins Lächerliche getrieben. So forderte etwa der Motorenhersteller Deutz 1934 in einer Werbung für Gaserzeuger auf Holzbasis : „Deutsches Holz im deutschen Holzvergaser“. 1 2 3
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Heiber ( 1991 ) I : 91. Ebda. : 96. Ebda. : 122. Beispiele aus Schulbüchern der Verlage Westermann und Oldenbourg ( Sammlung der Württembergischen Landesbibliothek , Stuttgart ). Quelle : private Kopie. Six , Franz A. ( 1936 ) : Die politische Propaganda der NSDAP im Kampf um die Macht. Heidelberg. 1936 : 60. – Referent dieser Dissertation war im Übrigen der nach dem Krieg prominent gewordene Politologe Arnold Bergsträßer. Die folgenden Informationen sind entnommen : Sösemann , Bernd ( 1989 ) : „Nationalsozialismus ist Preußentum“ – Die nationalsozialistischen Wochensprüche aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht. In : Frankfurter Allgemeine Zeitung , 2. 8. 1989 : N3 f. ( mit sechs Faksimiles ). Mein Kampf : 634. Bohrmann ( 1984 ff. ). Zur Umsetzung einer einzelnen Presseanweisung exemplarisch : Braun ( 2007 ) : 465–540. Glunk ( 1964–66 ). Zitiert nach : Benz ( 2000 ) : 99. Müsse ( 1995 ) : 22 ; dort auch das folgende Zitat. Gillessen ( 1987 ).
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Hummerich , Helga ( 1984 ) : Mit Benno Reifenberg in der alten „Frankfurter Zeitung“. In : Frankfurter Allgemeine Zeitung , 18. 2. 1984 : 10. 16 Burger ( 2001 ). 7 Reichel ( 1993 ) ; Winde ( 2002 ). 1 18
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Werner Höfer holte nach dem Krieg , aber erst als er schon jahrelang im WDR /A RD-Fernsehen den allsonntäglichen „Internationalen Frühschoppen“ moderiert hatte , seine NS-nahe Vergangenheit ein , was zu seiner Ablösung führte. Vgl. dazu : Kessemeier , Carin ( 1967 ) : Der Leitartikler Goebbels in den NS-Organen „Der Angriff“ und „Das Reich“. Münster. Zitiert nach : Beißwenger ( 2000 ) : 85 bzw. 87. – Eine ausführliche Analyse bei Braun ( 2007 ) : 359–418. Mallmann , Marion ( 1978 ) : „Das Innere Reich“. Analyse einer konservativen Kulturzeitschrift im Dritten Reich. Bonn. Zuvor als Vorstadtblatt „Münchner Beobachter“, herausgegeben von der antisemitischen „Thule-Gesellschaft“. Quelle : Deutsches Historisches Museum , Berlin. Bruder des 1934 ermordeten Gregor Straßer , zunächst ein glühender Anhänger Hitlers , später aber heftiger Opponent und in der Emigration gegen das NS-Regime arbeitend. Halbfette Hervorhebungen im Original werden hier durch Kursive markiert , ebenso im folgenden Zitat. Bereits vor 1933 war ein kostengünstiges Empfangsgerät unter der Bezeichnung „Volksempfänger“ produziert worden , wegen Absatzschwierigkeiten wurde es aber wieder vom Markt genommen. Handbuch des Deutschen Rundfunks 1939 / 40 : 84. Heiber ( 1991 ) I : 85 f. Hensle ( 2003 ). Quelle : Tonarchiv des Hessischen Rundfunks ; Transkription und Interpretation von Frau Annabell Erb im Rahmen eines Frankfurter Seminars „Sprachgebrauch im Hörfunk in historischen Beispielen“ ( Sommersemester 2005 ). Angeblich wurde der Text in 42 Sprachen übersetzt. – 1942 erhielt Lale Anderson wegen Kontakten zu jüdischen Künstlern und wegen eines Fluchtversuchs Auftrittsverbot. Eine heimliche Parodie lautete : „Es geht alles vorüber , / es geht alles vorbei. / Sogar Adolf Hitler , / dann seine Partei.“ Vgl. Drewniak ( 1987 ). Zur Trilogie gehörten die Filme „SA-Mann Brand“ und „Hans Westmar – einer unter vielen“. Dieser aus sechs Tönen bestehende Ausschnitt wurde dem aus sechs Silben bestehenden Titel „Die Deut-sche Wo-chen-schau“ unterlegt. Elitz , Ernst : Goebbels’ Soldaten. Wie Journalisten in der Wehrmacht dem Dritten Reich dienten. In : „Frankfurter Rundschau“, 8. 5. 2012 : 35. Wochenschau-Folge Nr. 747 / 1945. Zensurdatum war der 4. 1. 1945. Institut für den Wissenschaftlichen Film ( Hrsg. ) ( 1979 ) : Publikationen zu wissenschaftlichen Filmen. Sektion Geschichte / Publizistik. Serie 4. / 20. Göttingen : 34 f. Transkription H.D.S. Kursive soll deutliche Betonungen kennzeichnen. Vgl. Bülow ( 1996 ).
Anmerkungen |
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Im folgenden verdanke ich außer den im Literaturverzeichnis aufgeführten Arbeiten einige Hinweise der Frankfurter Magisterarbeit von Boris Udina „Wir dienen der Nation. Wirtschaftswerbung im Nationalsozialismus“ ( 1993 ). 42 Zu Sprachregelungen in der NS -gelenkten Werbung : Sennebogen , Waltraut : Von „jüdischer Reklame“ zu „deutscher Werbung“. In : Greule / Sennebogen ( 2004 ) : 173–230. 43 Quelle : Tonarchiv des Hessischen Rundfunks ; Transkription und Interpretation : Frau Kathrin Kilian ( wie Anm. 30 ).
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9 | FÜHRERSTAAT , PERSONENKULT UND HITLERS RHETORIK „Der Führer schützt das Recht“ – Hitler als oberster Gerichtsherr | 183 | „Wie Jesus – so Hitler“ – Der NS-Messianismus | 186 | „Der Führer spricht“ – Zur Rhetorik Hitlers | 191 | „Mehrung der Güter des Friedens“ – Hitlers Maske der Seriosität | 197 | „Schlamm und Unrat der Moderne“ – Hitlers Hetz reden | 202 | „Göttliche Vorsehung“ – Die Ausbeutung kirchlich-religiösen Sprachgebrauchs | 204 |
Schon früh hatte sich Hitler zum „Führer“ der NSDAP aufgeschwungen und so auch titulieren lassen , was angesichts gleicher Benennung von Vorsitzenden auch demokratischer Parteien und Verbände zunächst keine Besonderheit war. Die rigorose Durchsetzung des Führungsanspruchs in seiner Partei wurde für Hitler aber nach seiner Ernennung zum Reichskanzler und der Bildung einer „nationalen“, schließlich „nationalsozialistischen“ Regierung 1933 Anlass , sein Führertum auf allen Ebenen des Staates und der Gesellschaft diktatorisch durchzusetzen. Vorbild waren Titulierung und Machtfülle Mussolinis im faschistischen Italien : „il duce“ = „der Führer“. Auch in Deutschland wurde Mussolini „der Duce“ genannt. Hitlers Bewunderung Mussolinis nahm während des Krieges infolge der militärischen Misserfolge des Verbündeten allerdings immer mehr ab , bis Mussolini schließlich sogar zu Hitlers Vasallen absank. Führertum in der Deutung Mussolinis wie Hitlers war von vornherein ein antidemokratisches Prinzip. Es glich aber für viele Zeitgenossen in gewisser Weise den Verlust monarchischer oder soldatischer Vaterfiguren aus. Aber selbst intelligente Zeitgenossen versuchten schon vor 1933 , monarchische Traditionen in die Republik zu retten , etwa wenn Thomas Mann 1922 in seiner Rede „Von deutscher Republik“ zu Gerhart Hauptmanns 60. Geburtstag den Jubilar als „Volkskönig“ titulierte. Diese Bezeichnung wurde im Übrigen von den Nationalsozialisten im Zuge ihrer Adaption solcher Traditionen weiterverwendet. Am 2. Juli 1936 nannte Himmler in einer Feier zum 1. 000. Todestag des Königs Heinrich I. im Quedlingburger Dom diesen „Begründer des ersten Deutschen Reiches“ einen „Volkskönig“.1 Der Kult um Friedrich den Großen war vor wie nach 1933 ein weiterer Versuch , an eine monarchische Vergangenheit anzuknüpfen. Am 2. August 1934 starb Paul v. Hindenburg , der zuletzt nur noch als Repräsentationsfigur dienende Reichspräsident. Sein Tod bot Hitler , bis dahin offiziell nur Kanzler unter dem Reichspräsidenten , die willkommene Gelegenheit , sich selbst auch formal an die Stelle des obersten Repräsentanten des Staats
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zu setzen. Die Wahl eines Nachfolgers von Hindenburg kam gar nicht erst in Betracht. Hitler lehnte den Titel „Reichspräsident“, der an die demokratischen Strukturen der Weimarer Republik erinnert hätte , schlicht ab , sondern wählte für sich den Titel „Führer und Reichskanzler“.2 In diesem Doppeltitel rückte das Amt des Parteiführers nicht zufällig an die erste Stelle , zumal es nach Verbot oder Selbstauflösung der anderen Parteien nur noch die NSDAP als „die Partei“ gab und Hitler in diesem Amt ohnehin die faktische Macht innehatte. Daneben wandelte sich die anfangs benutzte einheitsstiftende Formel „Volk und Staat“ mehr und mehr zur Formel „Partei und Staat“. Vor dem Hintergrund des allgemeinen Sprachgebrauchs erschien der Wechsel des Amtstitels von 1934 zunächst nur wie ein geringer lexikalischer Wandel. Das sogenannte Führerprinzip galt überdies schon vor 1933 in zahlreichen Verbänden , nicht zuletzt in der bündischen Jugend. Auch der „Wandervogel“ kannte bereits „Führer“ und „Führerinnen“. Exemplarisch für die Distanz mancher bündischer Gruppierungen zur Demokratie kann auch die begeisterte Aufnahme der antiintellektuellen Ansichten von Julius Langbehn , des sogenannten Rembrandtdeutschen , gesehen werden. Seine 1928 posthum herausgegebene Schrift trug den bezeichnenden Titel „Dürer als Führer“. 1933 aber wurde das Führerprinzip zwecks besserer Kontrolle der Verbände durch die neue Staatsmacht verpflichtend. Gleichwohl schützte es die Gruppierungen , die es noch halbwegs freiwillig eingeführt hatten , nicht vor einem späteren Verbot oder vor der verordneten Fusion in einer NS -Organisation , etwa in der Hitlerjugend. 1939 streifte Hitler schließlich auch den Titel „Reichskanzler“, die letzte Erinnerung an die Weimarer Republik , ab und nannte sich nur noch „Der Führer“. Im formellen Verkehr mit dem Ausland hielt sich indes der Amtstitel „Der Deutsche Reichskanzler“, bis Hitler im September 1942 entschied , sein Titel müsse „Der Führer des Großdeutschen Reiches“ lauten. Von Deutschen solle er fortan mit „Mein Führer“ angesprochen werden , Ausländern solle die Anrede „Führer“ nahegelegt werden.3 Durch die systematisch vorangetriebene Alleinstellung eines „des Führers“ verblasste dann sehr schnell das Prestige der Bezeichnung „Führer“ in anderen Bereichen , wo das Wort hauptsächlich nur noch in Komposita oder mit Genitivattribut benutzt wurde : „Bann- / Betriebs- / Ortsbauern- / … Reichs-führer SS“ oder „Führer der Universität“ statt „Rektor“ 4. Im November 1943 entschied dann Hitler , „bereits jetzt sollten im Rahmen des möglichen die notwendigen Maßnahmen getroffen werden , um die Bezeichnung ‚Führer‘ in Verbindung
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mit derartigen Benennungen in Fortfall zu bringen. Im Laufe der Zeit seien alle Wortverbindungen dieser Art zu beseitigen.“5 „Der Führer schützt das Recht“ – Hitler als oberster Gerichtsherr
Die brutale Beseitigung der SA-Führung 1934 und deren pseudo-juristische Rechtfertigung waren der definitive Beginn des absoluten Führerstaats , in dem der „Führerwille“ zum obersten Rechtsmaßstab erhoben wurde. Willfährige Staatsrechtler verschafften dieser diktatorischen Anmaßung überdies eine rechtstheoretische Begründung. Der nach dem Krieg umstrittene , aber durchaus auch noch angesehene Jurist Carl Schmitt ( 1888– 1985 ) , Hochschullehrer , Staatsrat und ab November 1933 Präsident der „Vereinigung nationalsozialistischer Juristen“, hatte schon vor 1933 eine Staatsrechtslehre , etwa in der Schrift „Der Begriff des Politischen“ von 1932 , vertreten , die zeitgenössisch als rechtsphilosophische Legitimation eines Führerstaats interpretiert wurde. Schmitt hatte sich grundsätzlich gegen ein Verfassungsgericht und für den Reichspräsidenten als obersten Garanten der Verfassung ausgesprochen. 1933 erklärte er dann sogar die NSDAP und die SA als außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit stehend.6 Hitler hatte am 13. Juli 1934 zur Rechtfertigung der Röhm-Morde im Reichstag erklärt : „Wenn mir jemand den Vorwurf entgegenhält , weshalb wir nicht die ordentlichen Gerichte zur Aburteilung herangezogen hätten , dann kann ich ihm nur sagen : In dieser Stunde war ich verantwortlich für das Schicksal der deutschen Nation und damit des deutschen Volkes oberster Gerichtsherr.“7
Schmitt kommentierte nun diese dubiose Rechtfertigung in der von ihm geleiteten „Deutschen Juristen-Zeitung“ unter dem Titel „Der Führer schützt das Recht“. Darin attestierte er Hitler ausdrücklich , dass er „kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft“.8 Damit erhob er kraft seiner juristischen Autorität Hitlers Anmaßung , über der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu stehen , zur verbindlichen Rechtsnorm. Schon in der Reichstagssitzung am 13. Juli 1934 hatte Göring Hitler sekundiert , dass sich das deutsche Volk „in einem einzigen Aufschrei : ‚Wir alle billigen immer das , was unser Führer tut‘ “ vereinige.9
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Per Gesetz vom 20. August 1934 war auch verordnet worden , dass der Treuund Gehorsamseid von Beamten und Soldaten „dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes , Adolf Hitler“, zu leisten sei. Diese persönliche eidliche Bindung an den Diktator bedeutete für viele bis zum Schluss , auch gegen innere Überzeugungen , eine starke Hemmschwelle vor jeglichem Widerstandsversuch. Die persönliche Eidesbindung an den Führer wurde weit über die Beamten und Soldaten hinaus ausgedehnt. So wurde etwa 1938 auch von den evangelischen Geistlichen in Hamburg und dem Umland ein Treueid auf den Führer geleistet.10 Auf die zumindest indirekte Bindung neu ernannter katholischer Bischöfe an das – seit 1934 vom Führer definierte – „Interesse des deutschen Staatswesens“ durch einen vom Reichskonkordat vorgeschriebenen „Treueid“ ist bereits hingewiesen worden. Das spätere , jeden individuellen Willen ausschaltende Bekenntnis „Führer , befiehl ! Wir folgen dir“ war gleichsam die logische Konsequenz des absoluten Führungsanspruchs Hitlers. Es stammte im Übrigen aus dem Refrain eines Soldatenliedes beim Überfall auf die Sowjetunion , „Von Finnland bis zum Schwarzen Meer“.11 In einem erweiterten Zitat wurde dieses Bekenntnis auch noch zum 10. Jahrestag der Machtübernahme , am 30. Januar 1943 , also unmittelbar vor der sich vollendenden Katastrophe von Stalingrad , auf einem Plakat des Propagandaministeriums in Erinnerung gerufen : „FREIHEIT DAS ZIEL / S IEG DAS PANIER / F ÜHRER BEFIEHL / WIR FOLGEN DIR“ .
Der nach Beseitigung aller anderen Parteien ohnehin zur Kulisse entwertete Reichstag bestätigte in seiner allerletzten Sitzung am 26. April 1942 auch formell Hitler zum „obersten Gerichtsherrn“ und übertrug dabei die parlamentarischen wie alle anderen staatlichen Kompetenzen auf den „Führer“, dessen Entscheidungen , als „Führerwille“ deklariert , jedes Recht außer Kraft setzen konnten. Bereits am 14. Januar 1936 hatte der „Reichsrechtsführer“ und Präsident der von ihm gegründeten „Akademie für Deutsches Recht“, Hans Frank12 , fünf „Leitsätze“ für die deutsche Justiz veröffentlicht , deren erste drei an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen : „1. Der Richter ist nicht als Hoheitsträger des Staates über den Staatsbürger gesetzt , sondern er steht als Glied in der lebendigen Gemeinschaft des deutschen Volkes. Es ist nicht seine Aufgabe , einer über der Volksgemeinschaft stehenden Rechtsordnung zur Anwendung zu verhelfen oder allgemeine Wertvorstellungen durchzusetzen , vielmehr hat er
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die konkrete völkische Gemeinschaftsordnung zu wahren , Schädlinge auszumerzen , gemeinschaftswidriges Verhalten zu ahnden und Streit unter Gemeinschaftsgliedern zu schlichten. 2. Grundlage der Auslegung aller Rechtsquellen ist die nationalsozialistische Weltanschauung , wie sie insbesondere in dem Parteiprogramm und den Äußerungen unseres Führers ihren Ausdruck findet. 3. Gegenüber Führerentscheidungen , die in die Form eines Gesetzes oder einer Verordnung gekleidet sind , steht dem Richter kein Prüfungsrecht zu. Auch an sonstige Entscheidungen des Führers ist der Richter gebunden , sofern in ihnen der Wille , Recht zu setzen , unzweideutig zum Ausdruck kommt.“13 Damit war der Willkür der Gerichte , sofern sie sich nur auf die „nationalsozialistische Weltanschauung“ und auf „Äußerungen unseres Führers“ berufen konnten , Tür und Tor geöffnet. Insbesondere die Sondergerichte und der Volksgerichtshof verstanden sich als bloße Vollstrecker des Führerwillens. Schließlich ging es auch dabei darum , „die konkrete völkische Gemeinschaftsordnung zu wahren und Schädlinge auszumerzen“. Dem entsprach auch eine Grundsatzerklärung Roland Freislers , des Präsidenten des Volksgerichtshofs , kurz nach seiner Berufung in dieses Amt 1942 : „Er [ Hitler ] ist als Führer von Volk und Reich zugleich auch der deutsche Richter. Wir bemühen uns daher wie seine Statthalter zu richten.“14 Gemäß dem 3. Leitsatz Franks genügte etwa 1939 schon ein persönliches Schreiben Hitlers an den Reichsleiter Philipp Bouhler und Dr. med. Karl Brandt , um die Euthanasie-Morde zu legitimieren , die diese beiden schon längst in Gang gesetzt hatten. Noch nicht einmal der Justizminister wurde beteiligt , er durfte das Schreiben sogar erst fast ein Jahr später „zur Kenntnis“ nehmen. Das Vordringen des Führerprinzips und des Volksgemeinschafts-Denkens war allerdings nicht nur von oben diktiert , sondern – wie zu sehen war – durch Eigeninitiative und aktive Beteiligung von Rechtswissenschaft sowie Rechts praxis und nicht ohne Billigung durch weite Teile der Bevölkerung und sogar der beiden christlichen Kirchen gefördert worden.15 Die mit dem „Anschluß“ Österreichs 1938 eingeführte politische Programmformel lautete : „Ein Reich , ein Volk , ein Führer“. Dabei rückte der „Führer“ nur äußerlich an die letzte Stelle. Im Sinne einer Klimax , also der rhetorischen Figur der Steigerung , erhielt dieser Titel aber die betonteste Position. In Traueranzeigen für Gefallene rückte er allerdings auch formal an die erste Stelle , wenn es – häufig aber nur bis zum Ende der „Blitzsiege“ – feierlich stabreimend hieß „gefallen für Führer , Volk und
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Vaterland“. Schon am Lebensanfang vieler stand , dass ihre Eltern der Parole „Dem Führer ein Kind schenken !“ gefolgt waren. Auch wenn mit der juristischen Sonderstellung Hitlers das NS-Rechtssystem eigentlich keinerlei weiterer Regelung zu bedürfen schien , hatten die führenden „Rechtswahrer“ des Regimes gemäß dem generellen Systemdenken der Rechtswissenschaft das Bedürfnis , das neue Recht einheitlich zu kodifizieren. Damit sollte nicht zuletzt das angeblich überholte bürgerliche Recht endgültig abgelöst und das „Bürgerliche Gesetzbuch“ ( BGB ) abgeschafft werden. Die „Akademie für Deutsches Recht“ beschäftigte ab Juni 1939 bis zu 200 Mitarbeiter , um ein auf acht Bände angelegtes „Volksgesetzbuch“ zu erarbeiten. Es sollte in jedermann verständlicher Sprache die Prinzipien und Gegenstände der NSRechtsordnung fixieren. Bis Ende 1942 wurde allerdings nur der Entwurf zu einem Buch I mit dem Titel „Der Volksgenosse“ fertiggestellt. Dass darin die einschlägigen Forderungen des NSDAP-Programms und die nachfolgenden gesetzlichen Entscheidungen zugunsten eines alleingültigen „arischen“ Menschenbilds zu leitenden Grundsätzen erhoben wurden , versteht sich von selbst. Die Erarbeitung weiterer Kapitel wurde Mitte 1944 eingestellt. Sie sollte erst nach einem Ende des Krieges fortgeführt werden.16 „Wie Jesus – so Hitler“ – Der NS-Messianismus
Anlässlich einer aufwendigen Marketingkampagne , die 2005 für mehr individuelle Mitverantwortung in der bundesdeutschen Gesellschaft mit der Parole warb „Du bist Deutschland“, wurde ein historisches Foto von einer Veranstaltung in Ludwigshafen aus den Anfängen des NS-Staates ( 1933 oder 1935 ) wiederentdeckt , das unter einem großen Hitler-Porträt ein Transparent mit der Aufschrift zeigt „Denn Du bist Deutschland“.17 Die moderne Anzeigenwerbung hatte zweifellos die Intention , mit „Du“ möglichst viele Individuen anzusprechen. Das Ludwigshafener Transparent hingegen kannte nur ein einziges Du , Adolf Hitler , das alle Individuen zu einem konturlosen Kollektiv vereinnahmte. Entsprechend konnte Hitler seine Gefolgsleute gelegentlich wie Jesus seine Jünger als „die Meinen“ ansprechen. Als entindividualisierte Masse traten Hitler jährlich zu Tausenden die Angehörigen der Partei und ihrer Gliederungen insbesondere auf den Nürnberger Reichsparteitagen der NSDAP gegenüber. Überboten wurde der Gedanke engster Einheit von Führer und Volk , einer unio mystica verwandt , durch einen Text des Reichsjugendführers Baldur von
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Schirach , der im Liederbuch der Hitlerjugend die Lieder zum „Tag des Führers“ als Vorspruch einleitete : „Ihr seid viel tausend hinter mir , und ihr seid ich und ich bin ihr , Ich habe keinen Gedanken gelebt , der nicht in euren Herzen gebebt. Und forme ich Worte , so weiß ich keins , das nicht mit eurem Wollen eins. Denn ich bin ihr und ihr seid ich , und wir alle glauben , Deutschland , an dich.“18
In jedem Fall genoss Hitler als Person eine geradezu mythische Sonderstellung , die sich in zahllosen Bekundungen tiefster Verehrung ausdrückte. Briefe etwa , die von durchschnittlichen Zeitgenossen an den Führer gerichtet wurden , bezeugen , wie weitverbreitet die emphatische Zustimmung zu seiner Person und Politik war.19 „An unseren einzigen Führer“ oder „unserem geliebten zweiten ‚Hermann‘ [ = Arminius ]“ waren schon das Normale. Einzelne Anreden des Verehrten und weitere Formulierungen lassen sogar eine extreme Erotisierung des individuellen Verhältnisses zu ihm erkennen, etwa „Meinem verehrten lieben guten Führer“, „Einen Händedruck von Dir , Adolf Hitler , der für mich wie ein Schicksal ist“, „Lieber Adolf“, „Mein inniggeliebter Adolf“, „Mein heißgeliebter Führer“, „Liebster“ – „Mein Lieb“ – „Mein Süßer“ – „Herz !“, „Mein heißgeliebtes Herzelchen“.
Hitler-Porträts hingen nicht nur in allen Amtsstuben , sie zierten auch zahlreiche Wohnzimmer. Hitler-Büsten aus Gips verdrängten auf Klavieren und Vertikos die bildungsbürgerlich traditionellen Beethoven- und Goethe-Köpfe. An die 4. 000 Städte und Gemeinden , selbst kleinste Dörfer trugen ihm die Ehrenbürgerwürde an. Dass er insgesamt mindestens 39 Attentatsversuche überlebte – vom vergifteten Brief eines Ludwig Assner 1933 über den Anschlag des Georg Elser im Münchner Bürgerbräukeller 1939 bis zu Stauffenbergs Attentatsversuch 1944 – , ließ ihn wie eine unangreifbare jenseitige Macht erscheinen. Dass Hitler Elsers Bombenanschlag letztlich nur durch einen Zufall entgangen war , wurde von der NS-Propaganda als Eingreifen der „Vorsehung“ gefeiert. Seine eigenen häufigen Bekundungen , im Einklang mit der „Vorsehung“, auch „göttlichen
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Vorsehung“ zu handeln , hatten , wie schon bemerkt , ihre Vorläufer in ähnlichen Erklärungen Kaiser Wilhelms II. und des österreichischen Kaisers Franz Joseph. Die NS-Propaganda ging freilich noch einen blasphemischen Schritt weiter. So wurde etwa auf einem NSDAP-Plakat vor 1933 Hitler ikonographisch in die Nähe von Jesu Taufe im Jordan gerückt : der Parteiführer mit Hakenkreuzfahne im Vordergrund , ein über ihm schwebender Vogel , der die Taube als Symbol des Heiligen Geistes assoziieren ließ , sendet Lichtstrahlen auf ihn und seine SA-Gefolgschaft aus.20 Hitler wurde geradezu eine eigene Segenskraft zugeschrieben , die er ab 1926 bei der Weihe neuer Parteistandarten und -fahnen für sich selbst auch in Anspruch nahm. Indem er ein Fahnentuch anfasste , sollte sich seine magische Kraft auf die Textilie übertragen.21 Im Ritual der Fahnenweihen spielte die „Blutfahne“ des Münchner Putschs von 1923 eine wichtige Rolle.22 Die Kraft dieser Fahne sollte durch Berührung weitergegeben werden , ein der katholischen Reliquienverehrung offensichtlich nachempfundenes Ritual. Man denke an den Kult um das Turiner Grabtuch oder den Heiligen Rock von Trier. Während die Toten des Münchner Putschs zu „Blutzeugen der Bewegung“ stilisiert wurden und den überlebenden Putschisten 1933 als höchste Parteiauszeichnung der „Blutorden“ verliehen wurde , blieb Hitler die unangefochtene Zentralfigur des neuen Kults. Hitlers pompös inszenierte Auftritte in der Öffentlichkeit lösten bis zum Kriegsbeginn bei den jubelnden Massen regelmäßig hysterische Reaktionen aus , die Joachim Fest treffend als „Kollektivdelirien“ charakterisiert hat. Die „Deutschen Christen“, der regimetreue Teil der deutschen Protestanten , erklärten bereits im Dezember 1933 in ihren „Richtlinien“: „Wie jedem Volk , so hat auch unserem Volk der ewige Gott ein arteigenes Gesetz eingeschaffen. Es gewann Gestalt in dem Führer Adolf Hitler und in dem von ihm geformten nationalsozialistischen Staat.“23 Erst recht im NS -Liedgut stößt man immer wieder auf Texte , die Hitler eine messiasgleiche Stellung einräumen. Selbst in Diktattexten der Volksschule wurden ausdrückliche Vergleiche zwischen dem christlichen Messias und Hitler angestellt und entsprechend eingeübt : „Wie Jesus die Menschen von der Sünde und Hölle befreite , so rettete Hitler das deutsche Volk vor dem Verderben. Jesus und Hitler wurden verfolgt , aber während Jesus gekreuzigt wurde , wurde Hitler zum Kanzler erhoben. [ … ] Jesus baute für den Himmel , Hitler für die deutsche Erde.“24
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Der Hitlergruß „Heil Hitler !“, auch „Deutscher Gruß“ genannt , der bei nach vorn gestrecktem rechten Arm zu entbieten war , hatte vor diesem Hintergrund eine gleichsam religiöse Dimension. Vorbild war indes der italienische Faschistengruß , der dem altrömischen Cäsarengruß nachempfunden war und auch in Franco-Spanien üblich wurde.25 In Deutschland eröffneten selbst die angeblich so politikfernen Karnevalisten in den Dreißigerjahren manche ihrer öffentlichen Veranstaltungen – humorlos-inbrünstig – mit „Heil Hitler!“.26 Bereits in einem Erlass des Reichsinnenministers an die Länderregierungen vom 13. Juli 1933 hieß es : „Nachdem der Parteienstaat in Deutschland überwunden ist und die gesamte Verwaltung im Deutschen Reiche unter der Leitung des Reichskanzlers Adolf Hitler steht , erscheint es angebracht , den von ihm eingeführten Gruß allgemein als deutschen Gruß anzuwenden. Damit wird die Verbundenheit des ganzen deutschen Volkes mit seinem Führer auch nach außen hin klar in Erscheinung treten.“27
Nach Stauffenbergs Attentatsversuch am 20. Juli 1944 wurde der Hitlergruß in der Wehrmacht anstelle der traditionellen militärischen Ehrenbezeigung verpflichtend eingeführt. Die Grußformel „Heil Hitler !“ verdrängte in offizieller Korrespondenz , auch des Geschäftslebens , sehr bald zivilere Schlussformeln wie „Hochachtungsvoll“. Als Interjektion hatte „Heil !“ freilich schon eine längere Tradition , die mit emphatischem Charakter in der hohen Literatur bereits des 18. Jahrhunderts anzutreffen ist und sich später in patriotischen Liedern wie „Heil dir im Siegerkranz ! Heil Kaiser dir !“ fortsetzte.28 Daneben gab es die nüchterneren Wunschformeln , die noch heute gebräuchlich sind , wie „Petri Heil !“ oder „Ski Heil !“. Der einfache Gruß „Heil !“ war in Jugendbünden verschiedenster Couleur schon vor 1933 verbreitet , hatte aber längst noch nicht die emotionale Bedeutung , die er dann im Führerkult gewann. Eine magisch beschwörende Funktion erhielt der Ruf „Heil !“, wenn er an einen Siegeswunsch angeschlossen wurde : „Sieg – Heil !“. Bezeichnenderweise erscholl dieser Ruf umso häufiger , je weniger noch eine Aussicht auf Sieg bestand. Dem Namen Hitlers wurde bereits 1926 der Jugendbund der NSDAP gewidmet , der von nun an „Hitler-Jugend“ hieß. Sein Name zierte so gut wie jede Stadt , die Plätze und / oder Straßen auf „Adolf-Hitler“ umtauften. Allerorten wurden „Adolf-Hitler-Eichen“, gelegentlich auch „Adolf-Hitler-Linden“ gepflanzt. Sein Name wurde außerdem zahlreichen öffentlichen Einrichtungen verliehen , etwa –– der „Adolf-Hitler-Spende“, einer schon vor 1933 begründeten Hilfskasse für die in den politischen Kämpfen verletzten Parteimitglieder , später auch für die Hinterbliebenen verstorbener „Alter Kämpfer“,
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–– der „Adolf-Hitler-Freiplatzspende“ für kostenlose Erholungsurlaube der „Alten Kämpfer“ ab 1933 , –– der „Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft“, die 1933 seitens der deutschen Industrie zur Finanzierung des Wahlkampfs von NSDAP , Deutschnationaler Volkspartei und Deutscher Volkspartei eingerichtet wurde , dann aber nur noch der NSDAP zugutekam , –– dem „Adolf-Hitler-Koog“ ( heute Dieksanderkoog ) , einem Musterkoog , der bis 1935 im Rahmen eines Generalplans für Landgewinnung an der Nordseeküste angelegt wurde , –– dem „Adolf-Hitler-Marsch der deutschen Jugend“, auf dem sich ab 1935 HJAbordnungen aus allen Regionen auf einen monatelangen Fußmarsch „durch das Volk“ auf den Weg zu den Nürnberger Reichsparteitagen begaben , –– dem „Adolf-Hitler-Dank“, einem Hilfsfonds für verdiente Parteimitglieder ab 1937 , –– den „Adolf-Hitler-Schulen“ zur Heranbildung des Führungsnachwuchses der NSDAP ab 1937 , –– dem „Adolf-Hitler-Kanal“, der 1933–1939 als Wasserstraße zwischen dem oberschlesischen Industriegebiet und der Oder angelegt wurde. Die propagandistische Benennung der Reichsautobahnen als „Straßen des Führers“ durch Fritz Todt ist bereits erwähnt worden. Geschenkpakete mit Lebensmitteln , die Urlaubern von der Ostfront für einen Heimaturlaub überreicht wurden , hießen „Führerpaket“. In den Akten der Reichskanzlei fanden sich darüber hinaus – insbesondere aus der Anfangszeit seiner Herrschaft – zahlreiche Anträge von kommunalen Körperschaften , Vereinen , Geschäftsleuten , aber auch von Privatpersonen , alles Mögliche mit dem Namen Adolf Hitlers schmücken zu dürfen. Gemeinden , Gewässer und Berge sollten entsprechend umgetauft werden , eine neue Obstplantage , eine neue Brücke , der neue Rennvierer eines Ruderclubs , eine neu aufgestellte Turnerriege , neue Kirchenglocken , neue Rosen- und Erdbeerzüchtungen , eine Konditorei , sogar eine Torte , eine Schuhkreation , auch ein neu errichtetes Eigenheim sollten mit Hitlers Namen geadelt werden.29 Ein Architekt erbot sich gar , in Wien einen „Adolf-Hitler-Dom“ zu bauen. Vieles wurde „aus grundsätzlichen Erwägungen“, wohl aus berechtigter Sorge um eine Inflationierung und damit Wertminderung des Namens von Adolf Hitler , abgelehnt. Erfolg hingegen hatte 1933 noch der Biologe Oscar Scheibel , als er für einen neu entdeckten Käfer – ohne jede ironische Absicht – in die offizielle zoologische Nomenklatur den Namen „Anolphtalamus Hitleri“
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einführte ; dieser Anolphtalamus gehört im Übrigen zur Gruppe der „räuberischen Laufkäfer“. Auch die individuelle Namensgebung wurde vom Führerkult beeinflusst. Hitler selbst wehrte sich zwar gegen die Einführung von „Hitler“ und „Hitlerine“30 als Vornamen. Standesbeamte legten in solchen Fällen den Eltern nahe , stattdessen „Adolf“ und „Adolfine“ zu wählen.31 Tatsächlich wurde der Vorname „Adolf“, der in der Namensgebung für Neugeborene bis 1933 konstant mit ein Prozent vertreten war , 1933 / 34 anderthalbfach häufiger gewählt. Aber es gelang einigen Eltern doch , ihr Mädchen „Hitlerike“ zu nennen. Dieser Namenskult nahm indes mit Kriegsbeginn 1939 wieder deutlich ab.32 Von Kritik an Maßnahmen des NS -Staates wurde Hitler fast regelmäßig ausgenommen. In den „Meldungen aus dem Reich“, eine von 1938 bis 1945 regelmäßige , für den internen Gebrauch bestimmte Berichterstattung des SSSicherheitsdienstes ( SD ) über die Stimmung der Deutschen33 , wird Hitler bei der Wiedergabe zunehmender Kritik an der Führung grundsätzlich ausgespart.34 Ein alltagssprachlich häufiger Satz lautete : „Wenn das der Führer wüsste !“, als wenn etwas gegen seinen Willen geschehen wäre. Auch nach dem Krieg gab es noch viele Versuche , die NS-Verbrechen unter Schonung seiner Person nur seinen Untergebenen anzulasten. „Der Führer spricht“ – Zur Rhetorik Hitlers
Die Formulierung „Der Führer spricht“ wurde spätestens mit Kriegsbeginn für einen Großteil der Deutschen zur Ankündigung einer anfangs freudig , später bang erwarteten Offenbarung , die zunächst Stolz , dann aber immer mehr Trost und Zuversicht vermitteln sollte. Allerdings wurden Hitlers öffentliche Redeauftritte nach 1940 – zum Leidwesen von Goebbels – immer seltener. Insbesondere nach der Katastrophe von Stalingrad vermisste man eine öffent liche Stellungnahme von ihm. Lag der Akzent der Reden 1939 / 40 noch auf der Siegeszuversicht , so verlegte sich Hitler mit den wachsenden Schwierigkeiten der Wehrmacht in Russland mehr und mehr auf Drohungen gegen die „Feindmächte“. Die Faszination , die jahrelang von Hitler als Redner ausgegangen war , nahm kontinuierlich ab , wie selbst die „Meldungen aus dem Reich“ konstatieren mussten.35 Letzte Reden und Proklamationen , die nur noch über den Rundfunk verbreitet wurden , dienten der Durchhaltepropaganda , ergingen sich aber , mehr als realitätsfern , immer noch in „Endsieg“-Phantasien.
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Hitlers Reden waren viele Jahre das Zentrum der NS-Propaganda.36 Bereits in der Deutschen Arbeiterpartei , die sich 1920 in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei umbenannte , tat sich Hitler mit dem Anspruch , die Führung an sich zu reißen , als besessener Redner hervor.37 Seine ideologischen Obsessionen paarten sich dabei mit einem übersteigerten Selbstbewusstsein. Seine Egomanie lässt sich allein schon am exzessiven Gebrauch von „ich“ in vielen seiner Reden messen. Ab 1933 wurde die sogenannte „Parteierzählung“38 ein fester Bestandteil seiner Reden , in der Hitler immer wieder das Werden und Wachsen der NSDAP und damit natürlich auch die Bedeutung seiner Person hervorhob. Die Selbstcharakterisierung eines sozial zunächst wenig glanzvollen Werdegangs vermittelte Zuhörern , die sich ebenfalls nicht auf der Sonnenseite des Lebens sahen , den Eindruck „Hier spricht einer von uns – und für uns.“ Schon für diesen Teil der Reden war charakteristisch , dass Hitler wie auch sonst hauptsächlich monologisierte. Aber auch in Besprechungen duldete er keinen Widerspruch. Bekannt sind seine Wutausbrüche , wenn es jemand trotzdem wagte zu widersprechen , etwa in einer Auseinandersetzung mit dem Oberbefehlshaber des Heeres Walther v. Brauchitsch über den Beginn der Westoffensive am 5. November 1939.39 Auch wenn er sich aktuelleren Themen zuwandte , monologisierte er. Allerdings wurde er dabei relativ selten konkret , sondern entwarf eher allgemeine Visionen. Gerade mit allgemeineren Phrasen konnte er aber häufig das Selbstbewusstsein seiner Zuhörer wecken , etwa am 1. Mai 1933 : „Deutsches Volk ! Du bist stark , wenn Du eins wirst“. Ferner bestärkte er sein Publikum in seinen diffusen Stimmungen , auch Ängsten , etwa wenn er in derselben Rede in Anspielung auf die beängstigenden Erfahrungen seiner Zuhörer mit den politischen Kämpfen vor seinem Machtantritt sagte : „Eine Lehre , die unser Volk ergriffen hatte , versuchte den Tag der erwachenden Natur , des sichtbaren Frühlingseinzugs zu verwandeln in einen Tag des Hasses , des Bruderkampfes , des Zwists und des Leides.“40 Für Probleme bot er dem Publikum jeweils seine „Lösungen“ an. Seine Strategie , die Zuhörerschaft für seine Ziele zu gewinnen , bestand im Wesentlichen in der Konstruktion von Alternativen , in denen er auch komplexere Themen auf ein simples Entweder-oder reduzierte. Diese Alternativen waren natürlich so gestaltet , dass die Entscheidung , welche Möglichkeit die einzig richtige sei , nämlich die von Hitler von vornherein gewollte , jedermann leichtfiel. In diesen Teilen einer Rede konnte Hitler zu rednerischer Hochform , bis hin zur – freilich kalkulierten – Ekstase , auflaufen. Hitlers Strategie , auch komplexe Themen so zu simplifizieren , dass sie die „Aufnahmefähigkeit der Beschränktesten“ nicht überforderten und Alternativen
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jeweils zu seinen Gunsten zu konstruieren , schlug sich in der Folge auch im Stil vieler anderer Äußerungen aus der NSDAP nieder. Man denke nur an die Alternative „Kapitulation oder totaler , weil kürzester Krieg“, die Joseph Goebbels 1943 seinem Publikum in der „Sportpalastrede“ bot. Für das NS-Herrschaftssystem charakteristisch ist – wie Ian Kershaw41 herausgearbeitet hat – , dass Hitler in seinen Reden für seine Vasallen oft nur eine Art „Stichwortgeber“ war. Denn diese bemühten sich jeweils , seine mehr oder weniger abstrakten Visionen , teilweise mit Übereifer , in praktisches Handeln umzusetzen. Konkreter Führerbefehle bedurfte es bei dieser Art des Zusammenwirkens vielfach nicht. Das gilt nicht zuletzt für den Beginn der „Endlösung der Judenfrage“. Die maßgebliche Wannsee-Konferenz etwa konnte in ihren Entscheidungen Spielräume nutzen , die sich aus der zutreffenden Unterstellung ergaben , dass man nur den Führerwillen vollziehe. Eine nur an Kriterien der klassischen Rhetorik orientierte Analyse von Hitlers Reden träfe lediglich etwas höchst Oberflächliches , weil sie den inhaltlichen Kern vieler seiner Reden , die Lüge , zumindest aber seine besondere Art , die Realität zu verschleiern , nicht erfassen könnte. Verschleierungen waren in der antiken rhetorischen Tradition zwar durchaus erlaubt , waren aber jeweils auch zu reflektieren. Spätestens aus nachträglicher Kenntnis seiner wahren Absichten werden aber nicht nur die Widersprüche zwischen seinen verschiedenen Äußerungen , sondern auch so mancher logische Bruch in einzelnen seiner Reden erkennbar , etwa –– permanente Beschwörung nationaler Einheit – Ausgrenzung „schädlicher“ Volksteile , –– Appelle an den „guten Willen“ – Androhung von Zwang und Gewalt , –– Berufung auf eine glanzvolle deutsche Vergangenheit – Kritik an einer grundsätzlichen deutschen Unfähigkeit zur Größe , –– Glaube an die Naturgegebenheit deutscher Überlegenheit – „Organisieren“ des Lebenskampfes des deutschen Volkes. Diese inneren Widersprüche verdankten sich letztlich der Irrationalität der NSIdeologie insgesamt , in der gängige , aber eigentlich isolierte Vorurteile und Stereotype nur durch das Machtstreben Hitlers und seines Anhangs zusammengezwungen wurden. Das galt insbesondere , wenn der Urheber der politischen und wirtschaftlichen Misere vor 1933 und der weiteren Bedrohung als „Weltjudentum“ = „Marxismus“ = „Bolschewismus“ = „Untermenschentum“ identifiziert wurde. Allerdings lässt sich trotz aller erkennbaren Lüge bei Hitler wie auch bei anderen Diktatoren feststellen , dass er zuletzt wohl doch auch selbst an seine
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Wahnideen glaubte. Joachim Fest42 bewertet Hitlers Äußerungen während des Krieges insgesamt als „Dokument für den Prozeß der permanenten Selbstüberredung“. Anders ist auch kaum zu erklären , dass Hitler noch am 30. Januar 1945 in seiner letzten öffentlichen Rede überhaupt , einer Rundfunkbotschaft , von „unserem Großdeutschen Reich , der deutschen Nation“43 schwärmte. Dem entsprach , dass er in dieser Rede den unübersehbaren Zusammenbruch zu einer momentanen „Krise“ herunterspielte. Am selben Tag hatte ihm Speer eine Denkschrift überreicht , wonach der Krieg unwiderruflich verloren sei. Selbst die Silvesteransprache 1944 , also nach dem überstandenen Attentat vom 20. Juli – Hitler spricht abstrakt vom „Vorgang des 20. Juli“ – lässt zwar zunächst einen nachdenklicheren Ton hören , wenn er unter anderem ausführt : „Ich möchte am Ende dieses Jahres nun all den unzähligen Millionen meiner Volksgenossen als Sprecher der Nation und in diesem Augenblick auch als Führer ihres Schicksals aus übervollem Herzen danken für alles , was sie erlitten , geduldet44 , getan und geleistet haben [ … ] Es ist daher meine einzige Sorge , mich abzumühen , um das deutsche Volk durch diese Zeit der Not hindurchzuführen.“45
Doch mündet auch diese Rede in den Ausdruck wahnhafter Siegesgewissheit , eingebettet in religiöse Formeln , wenn Hitler abschließend sagt : „In dieser Stunde will ich daher als Sprecher Großdeutschlands gegenüber dem Allmächtigen das feierliche Gelöbnis ablegen , daß wir treu und unerschütterlich unsere Pflicht auch im neuen Jahr erfüllen werden , des felsenfesten Glaubens , daß die Stunde kommt , in der sich der Sieg endgültig dem zuneigen wird , der seiner am würdigsten ist : dem Großdeutschen Reiche.“
Kurz vor seinem Selbstmord und der deutschen Niederlage soll er allerdings zu erkennen gegeben haben , dass er sogar noch das „Versagen“ der Deutschen für eine Bestätigung seines Rassenwahns hielt , wonach eben nur der Stärkere , nun der Feind, ein Überleben verdient habe. Nachdem sich Hitler durch das Ermächtigungsgesetz vom 23. Februar 1933 von allen Rücksichten auf Parteien , Parlament und de facto sogar auf den Reichspräsidenten Hindenburg befreit sah , übernahm er mehr und mehr auch rhetorisch die Rolle des Verkünders „ewiger Werte“, die nicht mehr hinterfragt werden konnten. In diese Rolle konnte er indes nur gelangen , weil es ihm bis zum militärischen Niedergang immer wieder glückte , seine egomanen Ansprüche mit taktisch geschickt herbeigeführten politischen Bedingungen zu verknüpfen , vor allem mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit , mit außenpolitischen Erfolgen , insbesondere der unblutigen Expansion nach Österreich und
Zur Rhetorik Hitlers |
ins Sudetenland. Seine außerordentliche Führungskraft stand für die meisten außer jedem Zweifel. Zwar fällt es heute schwer nachzuvollziehen , wie jemand mit einer letztlich als abstoßend wirkenden Stimme46 , wie sie aus Tonaufnahmen Hitlers bezeugt ist , so große Wirkungen erzielen konnte. Es gibt sehr wohl auch zeitgenössische Zeugnisse , wonach Hitlers „Bellen“, „Schnarren“ und Schreien schon seinerzeit zumindest einigen Zeitgenossen höchst unangenehm auffiel. Die Schriftstellerin Annette Kolb sprach gar von „Fleischhackertönen“. Aber mindestens die folgenden Bedingungen , von denen einige schon genannt wurden , können Hitlers rhetorische Erfolge erklärbar machen : –– Er sprach grundsätzlich die Themen an , die einen Großteil seiner Zuhörerschaft bedrängten. –– Er identifizierte sich insbesondere mit den Nöten und Ängsten seines Publikums , indem er immer wieder auf sein eigenes bedauernswertes Schicksal vor seinem Aufstieg verwies. –– Er operierte mit Klischees und Argumentationsmustern , die auch außerhalb der NSDAP gängig waren. –– Er bot der Sinnsuche in einer chaotischen Zeit grandiose Vereinfachungen , vor allem in der permanenten Konstruktion simpelster Alternativen. –– Er vertrat in Stimmführung , Gestik und Mimik eine zu seiner Zeit sehr wohl als normal angesehene Form der Redekunst , die er aber zu höchster Form brachte. –– Er verfügte auch in der Körpersprache über alle Register der forensischen Rhetorik , die er seit seinen politischen Anfängen nach 1918 systematisch kultiviert hatte und in denen er vielen anderen objektiv überlegen war. –– Er nutzte auf intensive Weise die seinerzeit noch relativ neuen Übertragungstechniken47 , deren Wirkung sich heute am ehesten noch mit Lautsprechermitteilungen zu Treffern und erfolgreichen Akteuren bei Fußballspielen in großen Stadien vergleichen lässt. Begünstigt wurde die positive Wirkung selbst seiner menschenverachtenden Äußerungen durch die generelle Disposition breiter Schichten der deutschen Bevölkerung , einer Leitfigur zu folgen , die ihnen die kompliziert gewordene Welt auf einfache Weise durchschaubar zu machen schien. Trotz boomender Rhetorikkurse käme heute niemand mehr auf die Idee , Körperhaltung , Gestik und Mimik so einzustudieren , wie es Hitler 1927 getan hat. Er ließ sich , wie bereits erwähnt , sogar dabei fotografieren , wie er vor einem Spiegel jede Geste übte , die er in öffentlichen Auftritten dann auch
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wirkungsvoll einsetzte.48 Wie weit wir heute von damaligen Erwartungen in öffentliches Reden entfernt sind , lässt sich allein daran erkennen , dass heute niemand wie seinerzeit die NSDAP auf die Idee käme , solche Fotografien zu Propagandazwecken auch noch als Bildpostkarten in Umlauf zu bringen , es sei denn , er wollte den Dargestellten lächerlich machen.49 Bei den zeitgenössischen Bedingungen für die öffentliche politische Rede ist auch zu bedenken , dass damals noch diejenigen technischen Übertragungsmöglichkeiten fehlten , die inzwischen – spätestens seit der massenhaften Einführung des Fernsehens ab Ende der 1960er-Jahre – einen Redner gleichsam ins Wohnzimmer holen , dadurch neue Hörgewohnheiten und dementsprechend auch neue rhetorische Strategien begründet haben. Standardsituation der öffentlichen politischen Rede zuvor war der Vortrag vor einem großen Publikum , in großen Sälen oder im Freien , wofür eben Lautsprecher benötigt wurden. Das allein bedingte bereits eine größere Lautstärke , ein anderes Artikulationsverhalten und ein grundsätzlich langsameres Sprechtempo. Das Pathos vieler Reden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts , auch politisch unverdächtiger Redner , lässt sich zu einem Teil sogar auf diese rein „technischen“ Bedingungen zurückführen. Selbst der frühe Rundfunk simulierte vielfach Bedingungen öffentlicher Veranstaltungen. Das „Geschmetter“ der NS-Sprecher überdauerte im Übrigen 1945 noch eine ganze Weile. Der Sprechstil etwa von Wochenschau-Reportagen änderte sich erst in den 1950er-Jahren. Bis dahin konnte man Berichte über zivile Ereignisse wie eine Modenschau oder eine sportliche Veranstaltung sprechstilistisch kaum von Reportagen unterscheiden , die bis 1945 von Kriegsschauplätzen und Kampfhandlungen stammten. Auch lässt sich das heute verbreitete Desinteresse an großen Kundgebungen mit politischen Inhalten , beispielsweise Wahlkampf- oder 1.-Mai-Kundgebungen , das grundsätzlich auch Folge einer inzwischen stark entwickelten Individualisierung ist , nicht auf frühere Zeiten übertragen. Das Interesse an Informationen zu allgemein wichtigen Themen war in den Zwanziger- und frühen Dreißigerjahren notwendigerweise ein anderes und ungleich stärker als heute , da die zahlreichen miteinander konkurrierenden Medien inzwischen eine Informationsüberflutung bewirken , die kaum noch zu bewältigen ist und unvermeidlich sehr verschiedene individuelle Rezeptionsstrategien fördern. Am Anfang des NS-Regimes aber gab es im Wesentlichen nur die Zeitung und das öffentlich angeschlagene Plakat als Massenmedien. So waren viele politische Plakate der Weimarer und frühen NS-Zeit im Vergleich mit heutigen Plakaten außerordentlich text- und informationsreich. Die allgemeine soziale Notlage führte zudem öffentlichen Kundgebungen auch ohne Zwang
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sehr viel leichter als heute ein Massenpublikum zu , das sich von bekannten Rednern Lebenshilfen erhoffte. „Mehrung der Güter des Friedens“ – Hitlers Maske der Seriosität
Nach den zahlreichen demagogischen Auftritten und Kampagnen Hitlers vor seiner Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 konnte er außerordentlich staatsmännisch auftreten. So schlüpfte er am 21. März 1933 , dem Tag der feierlichen Reichstagseröffnung in der Garnisonkirche zu Potsdam , in die Rolle des obersten Staatsdieners. Artig verneigte er sich im Cut vor dem greisen Reichspräsidenten und feierte die Begegnung , um eine politische Übereinstimmung mit dem uniformierten Repräsentanten des Preußentums und wilhelminischer Kaiserherrlichkeit v. Hindenburg zu suggerieren , hochpathetisch als eine „Vermählung [ … ] zwischen den Symbolen der alten Größe und der jungen Kraft“. An Hindenburg , die „Verkörperung der jüngeren deutschen Geschichte“, richtete Hitler ehrende Worte : „Herr Generalfeldmarschall , dreimal kämpften Sie auf dem Feld der Ehre für das Dasein und die Zukunft unseres Volkes.“ Aber kaum zufällig mied Hitler die offizielle Titulatur Hindenburgs als „Reichspräsident“. Vielmehr erinnerte er bewusst an dessen militärische Verdienste und billigte ihm wenigstens die Rolle eines „Schirmherrn über die neue Erhebung unseres Volkes“ zu. Zur historischen Bedeutung der Potsdamer Garnisonkirche für die preußische und deutsche Geschichte bemühte Hitler zahlreiche historische Erinnerungen : „zweitausend Jahre“ ( deutscher Geschichte ) , „Volk und Reich“, „Bismarck , der Große Kanzler“, „Mehrung der Güter des Friedens , der Kultur und der menschlichen Gesittung“ ( ein Zitat aus der Kaiserproklamation von 1871 ) , „Einigung der deutschen Stämme“, „Traditionen“.
Allerdings sieht er die deutsche Geschichte insgesamt als bedauerlichen permanenten Wechsel von Höhepunkten und Tiefpunkten , die durch ein unstetes Wesen der Deutschen verursacht worden seien. Diese Einschätzung ist natürlich das heimliche Hauptargument seiner Politik , die Deutschen notfalls mit Gewalt zu einer Einheit zusammenzuschmieden. Die zu überwindenden Zustände seit der Niederlage von 1918 werden in vielfältigen negativ konnotierten Begriffen charakterisiert , allerdings unter auffälliger Schonung der angeblich Schuldigen , die teilweise noch Mitglieder des Reichstags sind :
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„Revolution des Novembers 1918“, „Kriegsschuld“, „Zusammenbruch“, „weltanschauliche Auflösung der deutschen Volksgemeinschaft“, „innerer Zerfall der Nation“, „innerer politischer Zwiespalt und Hader“, „Beengtheit eines doktrinären parteimäßigen Denkens“, „Verfall“, „fünfzehnjährige deutsche Not“, „Krisen ohne Ende“, „Not und Armut“, „Jammer und Elend“.
Mit seiner kritischen Sicht auf die jüngste deutsche Geschichte kontrastiert Hitler die Vision einer neuen Zukunft , die zusammen mit der Ehrung Hindenburgs den zweiten Teil der Rede bestimmt. Schlüsselformulierungen sind „nationale Ehre wiederhergestellt“, „das junge Deutschland“, „deutsche Zukunft“, „alle wirklich lebendigen Kräfte des Volkes“, „neue Ordnung des deutschen Lebens“, „das große Werk der Reorganisation des deutschen Volkes und des Reiches“, „Regierung der nationalen Erhebung“, „nationale Regierung“.
Der innere Widerspruch zwischen der Überzeugung von einem eigentlich naturwüchsigen Ausleseprozess im Sinne des Darwinismus und der Absicht , in diesen Kampf aktiv einzugreifen , ihn zu „organisieren“, also nicht sich selbst zu überlassen , kommt in zwei eigentlich gegensätzlichen Argumenten zum Ausdruck : „Wir wollen wiederherstellen das [ ! ] Primat der Politik , die berufen ist , den Lebenskampf der Nation zu organisieren und zu leiten.“ An Hindenburg gerichtet aber sagt er : „Dies Ihr wundersames Leben ist für uns alle ein Symbol der unzerstörbaren Lebenskraft der deutschen Nation.“ Trotz weitgehender Zähmung seiner aggressiven Grundhaltung – man denke an „Mein Kampf“ und an die Propaganda vor 1933 – lässt er allerdings auch in diesem feierlichen Rahmen totalitäre Absichten durchblicken : „[ Es ] erwartet die nationale Regierung in dieser feierlichen Stunde von den Parteien der Volksvertretung , daß sie [ … ] sich emporheben mögen über die Beengtheit eines doktrinären parteimäßigen Denkens , um sich dem eisernen Zwang unterzuordnen , den die Not und ihre drohenden Folgen uns allen auferlegen.“ „Wir wollen [ … ] uns redlich bemühen , diejenigen zusammenzufügen , die eines guten Willens sind , und diejenigen unschädlich zu machen , die dem deutschen Volk zu schaden versuchen.“
Die von Hitler vorher wie nachher so gern benutzten Vokabeln „rücksichtslos“, „brutal“ und „fanatisch“ werden „in dieser feierlichen Stunde“ wohlweislich unterdrückt. Die Formulierung „eiserner Zwang“ und die Absichtserklärung , Gegner „unschädlich zu machen“, sind jedoch auch in der Potsdamer Garnisonkirche eigentlich unüberhörbar.
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In außenpolitischer Hinsicht versichert er in seiner „Potsdamer Rede“ ausdrücklich : „Der Welt gegenüber aber wollen wir [ … ] aufrichtige Freunde sein eines Friedens , der endlich die Wunden heilen soll , unter denen alle leiden.“ Das waren tatsächlich ganz andere Töne , als man sie von ihm schon gewohnt war , jedenfalls das Gegenteil seiner programmatischen Ankündigung von 1924 , das Deutsche Reich habe als Staat die Aufgabe , die Deutschen „langsam und sicher zur beherrschenden Stellung emporzuführen“.50 Mit seinem Potsdamer Friedensbekenntnis und ähnlichen Äußerungen , die Hitler bis 1938 noch häufig traktieren wird , hat er sich bis zum Ausbruch des Krieges bei einer Mehrheit der Deutschen , aber auch bei naiven Politikern des Auslands den Ruf eines Friedenskanzlers erworben. Auch am 21. Mai 1935 etwa beschwört er in einer Reichstagsrede seinen Friedenswillen : „Das nationalsozialistische Deutschland will den Frieden aus tiefinnersten weltanschaulichen Überzeugungen. [ … ] Deutschland braucht den Frieden und es will den Frieden !“51 Betont friedlich zeigte er sich natürlich auch im Vorfeld und während der Olympiade 1936. In seiner Reichstagsrede am 7. März 1936 bezeichnete Hitler die europäischen Nationen gar als „Familie“ und Europa als „Haus“, gleichsam Gorbatschows Diktum vom „gemeinsamen Haus Europa“ vorwegnehmend.52 Selbstverständlich spielen in der „Potsdamer Rede“ wie in vielen anderen Reden Hitlers politische Hochwertwörter eine zentrale Rolle , insbesondere „deutsch“, „national“, „deutsche Nation“, „Lebenskampf der Nation“, „Volk“ und „Reich“. Auch nutzt er zahlreiche Anleihen beim kirchlich-religiösen Sprachgebrauch , die noch genauer zu besprechen sind. Kennzeichnend für Hitlers Absicht , in der Potsdamer Garnisonkirche so seriös wie möglich zu erscheinen , sind zwei gegensätzliche syntaktisch-stilistische Besonderheiten , die aber inhaltlich miteinander korrespondieren : Klammerformen und Entklammerungen. Die syntaktischen Entklammerungen dienen durch ein stilistisches „Achtergewicht“ der Hervorhebung der politischen Ziele , etwa „Wir wollen wiederherstellen die Einheit des Geistes und des Willens der deutschen Nation“ oder – mit Inversion , also einer Umstellung der Satzglieder : „Aufbauen wollen wir eine andere Gemeinschaft aus den deutschen Stämmen.“ Klammerformen treten vor allem gegen Ende dieser Rede auf. Dabei soll auch durch weitere literatursprachliche Konstruktionen , insbesondere durch vorangestellte Genitive , gleichsam eine glanzvolle Vergangenheit mit der „neuen Zeit“ verknüpft werden : „des Reiches Werden“, „des Großen Kanzlers Werk“, „des deutschen Volkes Jugend“ und „unseres Volkes Freiheit und Größe“. In der Formulierung „Freiheit und Größe“ wird wie bei „Volk und Reich“, „Jammer
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und Elend“, „Not und Armut“ oder „Zwiespalt und Hader“ außerdem Hitlers Vorliebe für Zweierformeln deutlich. Ähnliche , ebenfalls staatstragende Reden hat Hitler anfangs immer wieder gehalten , als er innen- wie außenpolitisch um Vertrauen zu seiner Politik werben musste. So war er bereits am 11. Februar 1933 , auch schon im Cut und „im Auftrag des Herrn Reichspräsidenten“, zur Eröffnung der Internationalen Automobil- und Motorrad-Ausstellung in Berlin erschienen und hatte zu den Vertretern der Automobilindustrie gesprochen. Ihnen versprach er dabei größtmögliche Förderung durch steuerliche Entlastung , einen großzügigen Straßenbauplan – seine Autobahnen im Blick – und motorsportliche Veranstaltungen. Anfangs wechselte Hitler mit gutem Gespür für die Außenwirkung noch häufig seine Kleidung zwischen seriöser Zivilkleidung , neben dem Cut auch einen dunklen Anzug mit schwarzer Krawatte , oder – wieder wie schon vor 1933 – in Parteiuniform mit Hakenkreuzarmbinde , die er schließlich überwiegend trug , oder gar nur im Braunhemd. Ab Kriegsbeginn trug er als „Feldherr“ im Führerhauptquartier selbstverständlich eine Militäruniform. Offiziell beschwor Hitler bis 1939 immer wieder zwei hehre Ziele , die seine Politik unanfechtbar machen sollten : außenpolitisch die Erhaltung des Friedens , innenpolitisch die Überwindung innerer Gegensätze , die er für den Niedergang deutscher Größe verantwortlich machte. Für das innenpolitische Ziel inszenierte er bereits 1933 einen geradezu symbolischen Akt. Er erklärte den von Sozialisten und Marxisten bis dahin oft heimlich gefeierten „Tag der Arbeit“ am 1. Mai gesetzlich zum arbeitsfreien „Feiertag der nationalen Arbeit“. Entsprechend pompös wurde der 1. Mai 1933 gefeiert , und zwar als eine Art Feier der Versöhnung der bisher antagonistischen Klassen. In seiner Rede auf der zentralen Kundgebung auf dem Tempelhofer Feld in Berlin erklärte er , wie teilweise schon zitiert : „Fleiß und Arbeit allein schaffen nicht das Leben , wenn sie sich nicht vermählen mit der Kraft und dem Willen eines Volkes. Fleiß und Arbeit , Kraft und Wille , wenn sie zusammen wirken , erst wenn hinter der Arbeit die starke Faust der Nation zu Schutz und Schirm sich erhebt , kann wirklicher Segen erwachsen. [ … ] Deutsches Volk ! Du bist stark , wenn Du eins wirst , wenn Du den Geist des Klassenkampfes und Deiner Zwietracht aus Deinem Herzen reißest …“53
Das rhetorisch deutlich geplante Pathos einer solchen Äußerung manifestiert sich in der Wahl von literatursprachlichen Wörtern wie „Zwietracht“ und „Segen“ und ( wiederum in einer Zweierformel ) „Schutz und Schirm“, die obendrein stabreimend gestaltet ist. Diese Zweierformel war zumindest
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katholischen Christen aus der deutschen Fassung eines der ältesten Mariengebete wohlvertraut : „Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir , o heilige Gottesgebärerin“. Auf gleichem stilistischem Niveau liegen Formulierungen wie „aus dem Herzen reißen“ mit der seinerzeit schon veraltet wirkenden Verbform „reißest“, ferner „Faust“, die „sich erhebt“ mit nachgetragenem „sich“ und „Segen“, der „erwächst“.54 Was man den „Monumentalstil“ der Hitler’schen Rhetorik genannt hat , äußerte sich in seinen Reden wie in Reden seiner Vasallen in zahlreichen , oft unsinnigen Steigerungen in Komparativen wie „totaler“ ( als „total“ ) und noch mehr in Superlativen wie „tiefinnerste Überzeugungen“, „allererster Beginn“, „vollste Verantwortung“, „Gebot brutalster Loyalität“, ferner in sogenannten Elativen , also in Ausdrücken , die formal keine Steigerungsform sind , aber nicht mehr überbietbare Aussagen enthalten , etwa „absolut“, „einmalig“, „einzigartig“, „gewaltig“, „gigantisch“, „grenzenlos“, „kolossal“, „restlos“, „riesig“, „total“, „unabänderlich“, „unendlich“, „unzählig“, „aller Zeiten“, „in allen Zeiten der Zukunft“, „über die menschlichen Vorstellungen hinaus“.
Über die Medien wurden solche der Massenbeeinflussung dienenden Übertreibungen , von der Rhetorik Hyperbeln genannt , weit verbreitet , etwa in der Charakterisierung eines Olympiateilnehmers von 1936 , der als der „gigantischste Kämpfer in einem gigantischen Stadion“ bezeichnet wurde. Besonders beliebt war die Behauptung , etwas sei „historisch“, ja sogar „welthistorisch einmalig“. Zum Hyperbelstil zählen im weiteren Sinne auch die immer wieder übersteigernden Zahlenangaben in Hitlers Reden wie „Tausende und Abertausende“ oder „unzählige Millionen“. Solche Übertreibungen wurden selbstverständlich auch von der übrigen Propaganda sowie von der NS Wirtschaftswerbung genutzt, etwa in einer zeitgenössischen Werbung für den Ersatzkaffee „Kathreiner“: „Erst waren es wenige , die ihn tranken ; Hunderte , dann Hundertausende.“ Pleonasmen , also eigentlich überflüssige Häufungen sinngleicher oder sinnähnlicher Ausdrücke etwa in Zweierformeln wie „hart und unbeugsam“ oder stabreimend „nicht wanken und weichen“ dienten der emotionalen Steigerung von Aussagen. Mit der gleichen Absicht einer Aussagensteigerung nutzte Hitler immer wieder Adjektive in der Form eines sogenannten klassifizierenden Gleichsetzungsglieds nach dem Muster „Dieser Kampf ist ein so grenzenlos schwerer“. Die Verbreitung dieses rhetorischen Stils erfolgte im Übrigen auch systematisch über die Ausbildung von Agitatoren , „Gauredner“ genannt , in NS -Rednerschulen. Bereits 1928 hatte Fritz Reinhardt , ab 1. April 1933 Staatssekretär im
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Reichsfinanzministerium , Fernkurse zur systematischen Schulung von NSDAPAgitatoren gegründet. Die Teilnehmerzahl ging schließlich in die Tausende.59 Die von Nationalsozialisten gehegte Erwartung , die NS-Herrschaft werde „tausend Jahre“ währen , entsprach indes keineswegs nur der rhetorischen Strategie der Übertreibung , sondern einem durch und durch irrationalen Glauben an eine ewige Geltung der NS-Weltanschauung und -Herrschaft. Hitlers häufige Attribuierung seiner Handlungen und Visionen als „säkulär“ oder „säkular“ unterstützten auf eigene Weise den Glauben an die Ewigkeit seiner Herrschaft. Hitlers Friedenspropaganda wird indes von ihm selbst schon vor der geheimen Ankündigung vom 5. November 1937 , in absehbarer Zeit einen Krieg zu beginnen , durch wiederholte öffentliche Drohungen infrage gestellt , etwa „Die Erde ist nur für denjenigen da , der sie sich nimmt“ oder „was die politische Verwaltung will , muss die Waffe besorgen.“ Aber erst nach den erfolgreichen Coups der Einverleibung Österreichs und gegen die Tschechoslowakei durch Eingliederung des Sudetenlandes ins Reich , als alle Welt hoffte , nun wären die friedensgefährdenden Konflikte beseitigt , drängte Hitler auf die Weckung von Kriegsbereitschaft durch die Medien. „Schlamm und Unrat der Moderne“ – Hitlers Hetzreden
Je nach Anlass und Publikum wechselte Hitler wie die Kleidung auch seine Rednerrolle radikal. Anfangs waren noch relativ abstrakt die Weimarer Republik , ihre Parteien und Politiker sowie das „Weltjudentum“, der „Sozialismus“, „Marxismus“ und „Bolschewismus“ Zielscheibe seiner rhetorischen Hassausbrüche. Die deutlichsten Attacken gegen konkrete Gegner fuhr er ab 1933 zunächst nur in nichtöffentlichen Reden vor inneren Kreisen der Partei. Da beschimpfte er etwa die Gegner als „Narren“ und „Idioten“ und verhöhnte sogar noch die , die bereits Opfer der Willkürmaßnahmen waren , als „Sträflinge“ und „Zuchthäusler“ oder nannte sie in zynischer Weise „Bewohner unserer Konzentrationslager“. In solch ungeschminkten Reden offenbarte sich die ganze Menschenverachtung , die bereits die Haltung in „Mein Kampf“ bestimmt hatte und die den mörderischen Umgang mit tatsächlichen oder vermeint lichen Gegnern bestimmen sollte. Völlig ungehemmt griff er , bisweilen auch bei diplomatisch heikler Gelegenheit , etwa kurz vor Beginn seines Angriffskriegs im Gespräch mit dem Völkerbundkommissar für Danzig Carl J. Burckhardt , zu brutalsprachlichen
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Mitteln , wenn er ankündigte , er werde Polen „zerschmettern“, oder wenn er später davon sprach , er wolle Städte „ausradieren“, als ginge es nur um abstrakte Landkartenkorrekturen. In Befehlen an die Wehrmacht schreckte er nicht davor zurück , Wörter wie „umlegen“ und „erledigen“ für „ermorden“ zu gebrauchen , so etwa im sogenannten Kommissarbefehl vom 30. März 1941 oder im letzten Tagesbefehl an die Ostfront vom 16. April 1945. Wo Hitler komplexere oder gar ihm unangenehme Themen ansprach , griff er freilich außer zu Simplifizierungen immer wieder zu den rhetorischen Mitteln der Verschleierung. Nach Joachim Fest verwandelte er alles , was ihn wirklich beschäftigte , in „wuchernde Rede“, wie gesagt mit Ausnahme der Judenvernichtung , zu der er anders als Goebbels auffällig wenig sagte , obwohl sie ganz in seinem Sinne lag und die es in dieser Form ohne seine volle Zustimmung niemals hätte geben können.56 Seine zutiefst antisemitische Grundhaltung kam spätestens in seiner Reichstagsrede am 30. Januar 1939 wieder ganz zum Zuge , in der er – seine eigenen Kriegsplanungen noch verschweigend – prophezeite : „Wenn es dem internationalen Finanzjudentum inner- und außerhalb Europas gelingen sollte , die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen , dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein , sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“57
Auch bei scheinbar weniger politischen Themen wie der Kunstpolitik58 dis kriminierte Hitler alles , was nicht seinen ästhetisch beschränkten Vorstellungen entsprach , mit Hassvokabeln , etwa bei seinen Invektiven gegen die „entartete Kunst“. Er sprach von „Schlamm und Unrat der Moderne“ und vom „Kunstschmierantentum“. Auf der Kulturtagung des Reichsparteitags 1935 geißelte er in der „undeutschen“ Kunst der Dadaisten , Kubisten und Futuristen die „Zeichen der Degeneration und damit des Verfalls“, sprach von „korrupter und krankhafter Verkommenheit der Künstler“, die er als „Kunstverderber“, „Kunstbarbaren“, „Schwindler“ und „Irrsinnige“ beschimpfte. Bei der Eröffnung der 1. Großen Deutschen Kunstausstellung 1937 in München nahm er – wie schon Goebbels im Jahr zuvor – auch die Kunstkritiker ins Visier und sprach sie als „meine Herren prähistorische Kunststotterer“ an.59 Das extrem Politische solcher Äußerungen bestand dann freilich darin , dass die auf diese Weise Diskriminierten generell verfemt wurden , Berufsverbote erhielten und ihrer Werke beraubt wurden. Die Reichskulturkammer , insbesondere die Reichskammer der bildenden Künste hatte da meist schon vorgearbeitet. Verständlich war Hitlers Hass auf die Attentäter des 20. Juli. In einer Rundfunkansprache am Abend des Attentats sprach er – den Umfang des
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Putschversuchs gleichwohl herunterspielend – von einer „ganz kleinen Clique ehrgeiziger , gewissenloser und zugleich verbrecherischer , dummer Offiziere“.60 Absoluter Tiefpunkt der allgemeinen Entwicklung zur Hetzrede im NS Regime wurden dann die Ausbrüche des Präsidenten des Volksgerichtshofs Roland Freisler, insbesondere in den Verhandlungen gegen die Widerstandskämpfer im Zusammenhang des 20. Juli 1944. So titulierte er etwa den Jesuiten Alfred Delp in der Gerichtsverhandlung als „Ratte“ und „pfäffisches Würstchen“.
„Göttliche Vorsehung“ – Die Ausbeutung kirchlich-religiösen Sprachgebrauchs
In Anpassung an den kirchlichen Ort der feierlichen Reichstagseröffnung am 21. März 1933 , die Potsdamer Garnisonkirche , und seinem persönlichen , messianischen Sendungsbewusstsein entsprechend nutzt Hitler in seiner „Potsdamer Rede“ auch zahlreiche Elemente eines kirchlich-religiösen Sprachgebrauchs : „in diesem für jeden Deutschen geheiligten Raum“, „heiligste ( innere ) Überzeugung“, „Glaube“, „gläubiges Vertrauen“, „ewige Fundamente“ ( unseres Lebens ) , „die eines guten Willens sind“ – eine Anspielung auf die Botschaft der Engel im Weihnachtsevangelium , „die Vorsehung“, „Segnung“, „Mission“.
Der katholisch getaufte Hitler brachte es fertig , am 10. Februar 1933 , einen guten Monat vor seiner „Potsdamer Rede“, seine Ausführungen vor einem überwiegend protestantischen Publikum mit einer Abwandlung des Vaterunser-Schlusses , der in dieser Form damals nur in der evangelischen Kirche üblich war , sogar mit einem „Amen“ zu beenden. Das christliche Vorbild lautete61 : „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ Hitlers Version war : „ … das neue Reich der Größe und der Ehre und der Kraft und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit. Amen.“62 Eine weitere Abwandlung dieses Gebetsschlusses benutzte Hitler auch am Ende seiner Rede in Linz am 12. März 1938 nach dem deutschen Einmarsch in Österreich , als er die deutschen Soldaten bezeichnete als „opferbereite und opfergewillte Kämpfer für des ganzen deutschen Volkes Einheit , für des Reiches Macht , für seine Größe und für seine Herrlichkeit , jetzt und immerdar.“63 Die Formulierung „jetzt und immerdar“ war im Übrigen das Zitat einer anderen traditionellen Gebetsformel , die bei Gläubigen automatisch an die Fortsetzung „und in alle Ewigkeit. Amen“ denken ließ. Auf der Großkundgebung zum 1. Mai 1933 hatte er wiederum am Ende seiner Rede christliche Gebetsformeln , diesmal noch mit direkter Anrufung Gottes ,
Die Ausbeutung kirchlich-religiösen Sprachgebrauchs |
nachgeahmt : „Wir bitten den Allmächtigen : ‚Herr , mach uns frei !‘ [ … ] Herr , wir lassen nicht von Dir ! Nun segne unseren Kampf um unsere Freiheit und damit unser deutsches Volk und Vaterland !“64 Man vergleiche damit 1. Mos. 32,27 : „Ich lasse dich nicht , du segnetest mich denn.“ In einem Tagesbefehl Hitlers an die Wehrmacht vom 1. Januar 1944 wurden als jenseitige Macht sowohl die „Vorsehung“ als auch Gott als „gerechter Richter“ bemüht : „Wenn daher die Vorsehung das Leben als Preis demjenigen schenkt , der es am tapfersten erkämpft und verteidigt , dann wird unser Volk die Gnade vor demjenigen finden , der als gerechter Richter zu allen Zeiten immer noch dem den Sieg gab , der seiner würdig war.“65
Bei seiner Ausbeutung des kirchlich-religiösen Sprachgebrauchs variierte Hitler , scheinbar nach Laune , nachweislich aber nach rhetorischem Kalkül , die Umschreibungen für eine jenseitige Instanz , die er natürlich als immer auf seiner Seite stehend ausgab. Er wählte vor allem die Varianten „Allmächtiger“, „Herr“, „Herrgott“ und „Vorsehung“ sowie „göttliche Vorsehung“. Die Berufungen auf die „Vorsehung“ von Kaiser Wilhelm II. und des österreichischen Kaisers Franz Joseph gründeten letztlich im jahrhundertelang gepflegten Glauben an ein Gottesgnadentum von Potentaten , die sich im Einklang mit der „Vorsehung“ wähnten. Dieser Glaube war eigentlich erst in der Revolution von 1918 einigermaßen erschüttert worden. 1933 aber war er bei vielen Deutschen noch gegenwärtig und wurde durch entsprechende propagandistische Stilisierungen Hitlers als einer Art „neuer Messias“ immer wieder reaktiviert. Der Gebrauch einzelner sprachlicher Elemente aus dem kirchlich-religiösen Raum ist aber noch vor einem weiteren Hintergrund zu sehen , der für die politische Rhetorik in Deutschland bis ins 20. Jahrhundert insgesamt von großer Bedeutung war. Da demokratische Traditionen und Gelegenheiten fehlten , gab es auch keine Übung in öffentlicher Rede – mit Ausnahme der Predigt. Es kann also nicht verwundern , dass viele politische Reden des 19. und 20. Jahrhunderts rhetorisch und stilistisch Ähnlichkeit mit einer Predigt hatten. Selbst die von Hitler eingeübten Posen und Gesten verraten eine gewisse Nähe zur Körpersprache von zeitgenössischen Predigern.66 Man sollte Hitler und die Nationalsozialisten also nicht für die Erfinder eines solchen Sprachgebrauchs halten. Es ist zwar richtig , dass die deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts , so später auch die der SED , eine besondere Vorliebe für derartige Anleihen bei religiöser Sprache hatten67 , aber diese Vorliebe kam nicht von ungefähr. Denn die Quasi-Zitate aus dem kirchlichen
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Sprachgebrauch bei Hitler wurden gezielt eingesetzt , um der NS-Herrschaft zumindest verbal eine Art transzendentaler Legitimation zu verschaffen. Die gleichsam liturgische Inszenierung vieler NS-Veranstaltungen boten meist auch einen angemessenen äußeren Rahmen für derartige Rückgriffe auf die Religion. Die Vorgeschichte kirchlich-religiöser Sprachanleihen außerhalb der Religionsgemeinschaften reicht insgesamt sehr weit zurück , mindestens bis ins 18. Jahrhundert. Durch Aufklärung und Säkularisation jedenfalls ging der religiöse Wortschatz keineswegs unter , sondern wurde nun auch für andere , weltliche Themen genutzt , denen man eine außergewöhnliche Bedeutung beimaß. Aus der Fülle deutscher Belege für die „Halbsäkularisierung“ religiösen Wortgebrauchs sei exemplarisch nur an Goethes „heilig glühend Herz“ in der Sturmund-Drang-Hymne „Prometheus“ und an den exzessiven Gebrauch des Wortes „heilig“ bei Hölderlin erinnert. Im Anspruch auf Gleichberechtigung mit den religiös begründeten feudalen und bürgerlichen Herrschaftsstrukturen hatte sodann aber auch die Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts den religiösen Wortschatz aufgegriffen und sah in ihrem „Glauben“ an eine gerechtere Welt die Überwindung der Klassengesellschaft als „heilige Mission“. Die Menschenopfer , die dieser Kampf forderte , wurden schon damals entsprechend zu „Blutzeugen“ und „Märtyrern“ stilisiert. Sozialisten und Kommunisten pflegten diese sprachlichen Traditionen im 20. Jahrhundert weiter , die SED sogar bis 1989. Ein pseudo-religiöser Sprachgebrauch diente natürlich auch dazu , triviale Themen zu überhöhen oder gar über höchst irdische Schwierigkeiten hinwegzutäuschen. Schon 1933 hatte Goebbels in einer Hamburger Kundgebung formuliert : „Wir wollen trauen auf den höchsten Gott.“68 Kurz vor Kriegsende , als die Rote Armee bereits über die deutschen Grenzen flutete , griff Goebbels in seiner „Görlitzer Rede“ vom 11. März 1945 zu einem geradezu blasphemischen Vergleich : Die deutschen Truppen würden , wenn sie demnächst in kleineren und größeren Offensiven anträten , „wie in einen Gottesdienst gehen“.69 Von etwa gleicher Qualität war dann noch , als 1988 der PEN-Vorsitzende der DDR Heinz Kamnitzer die Störung der Ostberliner SED-Kampfdemonstration im Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht durch Dissidenten einer „Gotteslästerung“ gleichsetzte.70 Auch im Liedgut der HJ wimmelte es nur so von religiösen Hochwertwörtern : „Ewigkeit“, „Glaube“, „Gnade“, „Gott“ und „Unsterblichkeit“. In einer Denkschrift des Oberpräsidenten der Rheinprovinz unter dem Titel „Nationalpolitische Lehrgänge für Schüler“ von 193571 wird als Höhepunkt des Vortrags eines „alten Frontsoldaten“ ein Schwur der jungen Zuhörer zitiert : „Und alle
Die Ausbeutung kirchlich-religiösen Sprachgebrauchs |
Deutschen wollen wir Brüder nennen , und sie sollen uns heilig sein.“ Die Letztbegründung dieser und ähnlicher „Heiligsprechungen“ lag für die NS-Ideologen in der Überzeugung von der „Heiligkeit des deutschen Blutes“. Hitler und seine Paladine scheuten auch nicht davor zurück , den christlichen Osterglauben sprachlich zu beleihen , und zwar in zwei sehr verschiedenen Phasen ihrer Herrschaft. Anfangs versprachen sie , dass das deutsche Reich nach der Depression der Niederlage von 1918 unter nationalsozialistischer Führung in alter Größe und Herrlichkeit „wiederauferstehen“ werde. Dann , als so gut wie alles in Trümmern lag , trösteten sie die Deutschen damit , dass das Land , seine materiellen und kulturellen Schätze nach dem Sieg „wiedererstehen“ würden , sogar herrlicher als je zuvor. Während sich der Marxismus als angeblich einzige wissenschaftliche Weltanschauung ausgab , aber auch mit diesem Anspruch nicht ohne religiöse Versatzstücke auskommen konnte , war die NS -Ideologie in mancher Hinsicht konsequenter , da in ihr rationale , gar wissenschaftlich nachprüfbare Argumente von vornherein gar keinen Platz hatten. Nationalsozialismus war der irrationale „Glaube“ an eine „Sendung“, die von einem „Mythos“ legitimiert war , wie unter anderem die hier in Kapitel 8 kommentierte Heidelberger Dissertation von 1936 zur politischen Propaganda deutlich genug ausgeführt hatte. In den Köpfen überzeugter Nationalsozialisten hatte sich hinter den Anleihen bei christlichem Sprachgebrauch dank langer Vorarbeit durch einschlägige Schulungen und Schriften , nicht zuletzt durch Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“, längst eine Art eigener Religion gebildet , die katholischerseits zu Recht als „Neuheidentum“ kritisiert wurde. Hitler selbst nahm für die NS-„Weltanschaung“ in seiner Vision eines neuen Menschen sogar das christliche Dogma von den zwei Naturen in der einen Person Jesu Christi , Gott und Mensch , in Dienst : „Aus ihr [ einer neuen , heroischen Jugend ] wächst die Stufe des Freien , des Menschen , der Maß und Mitte der Welt ist , des schaffenden Menschen , des Gottmenschen. In meinen Ordensburgen wird der schöne , sich selbst gebietende Gottmensch als kultisches Bild stehen.“72
Insofern kann es kaum verwundern , wenn andere bereits darangingen , einer solchen „Theologie“ eine passende eigene Terminologie zu verleihen , wie es sich exemplarisch aus dem Schreiben eines August Männecke , immerhin Chefredakteur einer Berliner Zeitung , vom 29. Dezember 1935 an Adolf Hitler ableiten lässt.73 Männecke adressiert sein Schreiben „An den gottgewollten Führer des Dritten Reiches , Kanzler und Patronatsherrn des Welt-Ariertums“.
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Und er schließt in gleichem Geiste : „Der Erwartete aller Gutgesinnten im Geiste ist da und will den Weg zu Ihnen finden ! [ … ] Das walte Er – der göttliche Allgeist !“ 1 2 3
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Quelle : Berliner Illustrirte Zeitung , 9. 7. 1936. Gesetz über das Oberhaupt des Deutschen Reiches vom 1. 8. 1934. Heiber / Heiber ( 2001 ) : Nr. 118. So etwa in Frankfurt a. M. Heiber / Heiber ( 2001 ) : Nr. 130. Hofer ( 1957 ) : Nr. 32b. Zitiert nach : Fest ( 1973 ) : 644. – Während des Krieges beanspruchte Hitler geradezu selbstverständlich , auch „oberster Gerichtsherr“ der Militärgerichtsbarkeit zu sein. Hofer ( 1957 ) : 105. Zitiert nach : Fest ( 1973 ) : 646. Verg , Eric ( 1977 ) : Das Abenteuer , das Hamburg heißt. Hamburg : 206. Auch unter dem Titel „Wir standen für Deutschland auf Posten“ bekannt. Von 1934 an Reichsminister , 1939–1945 Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete , vom Nürnberger Internationalen Gerichtshof als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt und hingerichtet. Hofer ( 1957 ) : 101 f. Zitiert nach : Ortner ( 1995 ) : 143. Wette 2006. Hensle , Michael : Volksgesetzbuch. In : Benz / Graml / Weiß ( 1998 ) : 787. Abgebildet u. a. in : Frankfurter Rundschau , 26. 11. 2005. Reichsjugendführung ( 1938 ) : 61.
Heiber / Heiber ( 2001 ) , daraus auch die folgenden Zitate ; s. auch Eberle ( 2009 ). Abbildung in : Dokumentationen Drittes Reich ( 2011 ) ( Edition Atlas , Cheseaux / Lausanne ) : Folge „Leben in der Weimarer Republik 1929–1933“. 21 Fotografische Wiedergabe in : Militärgeschichtliches Forschungsamt ( 1985 ) : 60. 22 S. dazu auch Kapitel 2. 23 Hofer ( 1957 ) : 131. 24 Ebda. : 128. 25 Allert , Tilmann ( 2005 ) : Der Deutsche Gruß. Geschichte einer unheilvollen Geste. Berlin. 26 Unter NS -Gegnern konnte auf den Gruß „Heil Hitler !“ heimlich geantwortet werden : „Heil du ihn !“ 27 Zitiert nach einer Kopie des Runderlasses des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg vom 17. 7. 1933 , in dem sich der Senat „die Ausführungen des Herrn Reichsministers des Innern zu eigen“ macht. 28 Schmitz-Berning ( 2000 ) : 299 ff. 29 Heiber / Heiber ( 2001 ) : Nrn. 147 ff. 30 Der sowjetische Personenkult brachte im Übrigen durchaus geistesverwandte Namensgebungen hervor , so den Mädchenvornamen „Stalina“. 31 Heiber / Heiber ( 2001 ) : Nr. 151. 32 Aly ( 2006 ). 19
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Boberach ( 1984 ). Steinert ( 1970 ). Plöckinger , Othmar : Der Redner Hitler im Urteil seiner Zeitgenossen. In : Kopperschmidt ( 2003 ) : 217–242 ( insbes. 234 ff. ). Vgl. dazu den ausführlichen Forschungsbericht von Johannes G. Pankau , in : Kopperschmidt ( 2003 ) : 53–73 , sowie Ulonska ( 1990 ). Dazu : Schmölders , Claudia : Führers Stimme. Das rhetorische Attentat oder : Zur auditorischen Seite der Politik. In : Frankfurter Rundschau , 20. 11. 1999 : ZB 3. Zuvor schon in einem Rundfunkbeitrag veröffentlicht , Südwestrundfunk 2. Programm ( Programmreihe „Aula“ ). – Vgl. auch weitere Beiträge in : Kopperschmidt ( 2003 ). Domarus ( 1965 ). Gruchmann ( 1997 ) : 42. Domarus ( 1965 ) I. 1. : 261 , dort auch das folgende Zitat. Kershaw ( 1998 / 2000 ) Bd. 2 : 325. Fest ( 1973 ) : 913. Domarus ( 1965 ) II. 2 : 2198. Man könnte bei der Verwechslung von „dulden“ und „erdulden“ fast an einen „Freud’schen Versprecher“ denken. Quelle : Deutsches Rundfunkarchiv , dessen Aufnahme gegen Ende auch Einwirkungen eines Störsenders enthält , der verkündet : „Das Jahr 1945 muß das Ende der Hitler-Tyrannei sein !“ – „Hitler-Klüngel ! Nieder mit Hitler und seiner Bande ! Weg mit den Nazis !“ und „Der falsche Prophet hat gesprochen !“ Möglicherweise handelte es sich dabei um eine jener von den Sowjets genutzten „Geisterstimmen“. – Vgl. Domarus ( 1965 ) II. 2 : 2195. Schmölders ( 1999 ) = Anm. 37. Vgl. dazu : Epping-Jäger , Cornelia : Laut / Sprecher Hitler. In : Kopperschmidt ( 2003 ) :143– 157. Vgl. dazu : Protte , Katja : Hitler als Redner in Fotografie und Film. In : Kopperschmidt ( 2003 ) : 243–256. Die sechs Aufnahmen dieser Fotoserie hat Karl Müller in seinem Bändchen „Unseres Führers Sprachkunst“ ( Dresden 1935 ) mit Zitaten aus Hitlers „Mein Kampf“ noch einmal veröffentlicht ; vgl. auch die Wiedergaben in : Benz / Graml / Weiß ( 1998 ) : 26 f. , oder Fest ( 1973 ) : 235. Mein Kampf : 439. Hofer ( 1957 ) : 179. Vgl. Kluke ( 1955 ). – Allerdings hatte schon Leonid Breschnew am 23. 11. 1981 in einer Rede in der Godesberger Redoute formuliert : „Was uns auch teilen möge : Europa bleibt unser gemeinsames Haus“ ( Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr.112 vom 26. 11. 1981 : 996 ). Domarus ( 1965 ) I. 1. : 261. Vgl. dazu : Wedleff , Margarete ( 1970 ) : Zum Stil in Hitlers Maireden. In : Muttersprache 80 : 107–127. Schmölders ( 1999 ) = Anm. 37. Fest ( 1973 ) : 931 ; dazu auch : Kershaw ( 1998 / 2000 ) und Longerich ( 2001 ). Hofer ( 1957 ) : 277. Vgl. dazu : Brenner , Hildegard ( 1993 ) : Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus , Reinbek.
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Völkischer Beobachter , 17. 7. 1937. Domarus ( 1965 ) II .2 : 2128. 61 Inzwischen ist dieser Vaterunser-Schluss auch in der katholischen Kirche eingeführt. 62 Domarus ( 1965 ) I. 1 : 208 und Anm. 85. 63 Ebda. I .2 : 818. 64 Ebda. I. 1 : 264. 65 Ebda. II . 2 : 2076. 66 Auch die teilweise exaltierten Körperhaltungen barocker Heiligendarstellungen sind Belege für eine längst untergegangene rhetorische Tradition. 67 Zur DDR : Schlosser ( 1999a ) : 38 f. 68 Heiber ( 1991 ) I : 122. 69 Zitiert nach : Deutsche Wochenschau , vorletzte Folge ( Nr. 754 / 1945 ). 70 Neues Deutschland , 28. 1. 1988. 71 Verlag Moritz Diesterweg , Frankfurt am Main 21935 , zitiert nach einer privaten Abschrift eines ehemaligen Gauredners. 72 Rauschning ( 1940 ) : 237. 73 Heiber / Heiber ( 2001 ) : Nr. 196. 60
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Der Rassenideologie und ihrem Ziel folgend , das deutsche Volk biologisch wie sittlich von allem „Entarteten“ und „Artfremden“ zu reinigen , begann man sehr bald nach dem NS-Machtantritt , Forderungen der sogenannten Rassenhygiene Gesetzeskraft zu verleihen. Rassenhygiene war bereits in der Weimarer Zeit an vielen deutschen Universitäten zur offiziellen medizinischen Disziplin geworden. Wie bereits in Kapitel 1 ausgeführt , waren es zunächst hochangesehene Wissenschaftler , die schon seit Ende des 19. Jahrhunderts für rassenhygienische Eingriffe plädiert hatten. Auch hatte schon 1932 die preußische Regierung ein Sterilisationsgesetz erlassen , so dass sich – außer seitens der Kirchen – kein nachhaltiger Widerstand gegen die Verschärfung der Bestimmungen durch die NS-Regierung regte. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 gebot die Sterilisation , original „Unfruchtbarmachung“, von sogenannten Erbkranken , ohne dass deren Einwilligung erforderlich war. Ärzte , Lehrer , Fürsorger , letztlich jeder , der von einer „Erbkrankheit“ erfuhr , war verpflichtet , dies bei den Behörden anzuzeigen. Der Hausarzt sollte künftig ein „Hüter am Erbstrom der Deutschen sein“.1 Materielle Benachteiligungen der „Erbkranken“ – sie erhielten etwa keine Ehestandsdarlehen und keine Kinderbeihilfe – flankierten die Politik , die auf völlige „Ausmerze“ gerichtet war. „Ausmerze“ war indes ein Begriff aus der Landwirtschaft , genauer aus der Schafzucht , in der untaugliche Tiere regelmäßig ausgesondert und meist getötet werden.2 Ohnehin waren Rassenhygiene und Rassenpflege den Ideen der Viehzucht verpflichtet. Die Rassenideologie , die den gesetzlichen Bestimmungen und massenhaft tödlichen Maßnahmen gegen „Erbkranke“ zugrunde lag , schlug sich auch in der NS-Pädagogik nieder. Der bereits in der Weimarer Zeit mit seiner viel gerühmten Jenaplan-Pädagogik von 1927 hervorgetretene Erziehungswissenschaftler Peter Petersen ( 1884–1952 ) bekannte sich 1935 offen zur Unterstützung „aller Forderungen der Hygiene und Eugenik , der Rassenlehre und der Erbwissenschaft“. „Erbkrankheit“ war und ist ein seriöser Terminus für einen – wie man heute sagt – genetischen Defekt , der vererbt wird. Die Erblichkeit vieler der im Gesetz von 1934 definierten Krankheiten war indes medizinisch durchaus umstritten. In den Ausführungsbestimmungen zum Gesetz erklärte man dagegen kategorisch ,
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dass als Erbkrankheit zu gelten habe , wenn eine entsprechende Anlage „in einer einzelnen bestimmten Familie schon einmal bei Verwandten sich sichtbar zu einem abnormen Zustande entwickelt“ habe. Eine solche wissenschaftlich unseriöse Bestimmung machte es möglich , sogar Auffälligkeiten wie Alkoholismus oder Kriminalität zum Kriterium zu machen , mithilfe dessen anfänglich Sterilisationsmaßnahmen , später aber auch Tötungen begründet werden konnten. Schaut man sich an , was die NS-Rassenhygieniker insgesamt für „erbkrank“ erklärten , ahnt man bereits , worauf die Stigmatisierung letztlich hinauslief. Zwischen 1933 und 1945 wurden außer den echten Erbkranken auch Alkoholiker , Prostituierte , Langzeitarbeitslose und kinderreiche „Asoziale“, in der Mehrzahl Fürsorgeempfänger , auch Hilfsschüler zwangssterilisiert. „Asoziale“ galten wegen angeblich ererbter Charaktereigenschaften grundsätzlich als erbkrank. Sie wurden vielfach auch in KZs eingewiesen. „Erbgesundheit“, der Gegenbegriff zu „Erbkrankheit“, war dagegen eine biologisch wie medizinisch nebulöse Erfindung der Rassenhygiene , die dem Ziel diente , das deutsche Volk nach „Ausmerze“ alles „Minderwertigen“ und nach „Auslese“ der „Hochwertigen“ sowie „Leistungsstarken“ zu einer höheren Stufe seiner Existenz zu führen. Damit wurde der einzelne Mensch , sei es als Gesunder oder als Kranker , in den Hintergrund gerückt , zugunsten eines Kollektivs , des „Volkskörpers“. Mit der positiven Anmutung des Begriffs „Erbgesundheit“ konnte man aber zugleich für die brutalen Maßnahmen gegen tatsächliche und willkürlich definierte „Erbkranke“ freundliche Assoziationen wecken. Die staatlichen Eingriffe in die Privatsphäre zugunsten eines „erbgesunden“ Volkes nahmen immer weiter zu. Im Rahmen des per Gesetz vom 3. Juli 1934 vereinheitlichten Gesundheitswesens wurden nicht nur Beratungsstellen für „Erb- und Rassenpflege“ eingerichtet , es wurden auch systematisch „Erbarchive“ und „Erbkarteien“ aufgebaut. Am 18. Oktober 1935 wurde ein „Ehe gesundheitsgesetz“ verkündet , das die systematische Erfassung von Krankenakten förderte , um „erbkranke“ Familien identifizieren zu können. Was sich im Begriff „Ehegesundheit“ so positiv anhörte , war in Wirklichkeit eine weitere Stufe auf dem Weg rassischer Züchtung. Insgesamt wurden bis 1945 rund 400. 000 Menschen zwangssterilisiert. Peinlicherweise wurden bis in die Frühzeit der Bundesrepublik noch viele weitere Personen gegen ihren Willen sterilisiert. Aber auch in anderen Ländern , insbesondere in Schweden , wurden lange Zeit zahlreiche Zwangssterilisationen aus „Erbgesundheitsgründen“ durchgeführt. Folgerichtig ergaben sich aus dem Erbgesundheitsgesetz und insbesondere aus den Vorschriften zum Sterilisationszwang neue juristische und administrative
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Strukturen mit entsprechender Terminologie. Den Antrag auf Sterilisation von Psychiatriepatienten stellte der Anstaltsarzt. Die Entscheidung trafen eigens eingerichtete „Erbgesundheitsgerichte“ ( EGG ). Zum Verfahren gehörte grundsätzlich eine sogenannte Intelligenzprüfung. Berufungen gegen EGG -Entscheidungen konnten bei einem „Erbgesundheitsobergericht“ ( E GOG ) eingelegt werden. Nach der Operation in einem „Sterilisationskrankenhaus“, etwa in Wiesbaden , Bad Homburg , Idstein oder Herborn , wurden die Opfer noch einmal in die Psychiatrie verlegt , von wo sie meist entlassen wurden. Wie aus wissenschaftlich oft zweifelhaften Indizien , insbesondere der Intelligenzprüfung , weitreichende Schlüsse gezogen wurden , soll exemplarisch an einem EGG -Urteil3 gezeigt werden , das am 18. März 1938 vom Frankfurter Erbgesundheitsgericht gefällt wurde : „Anna V. ist im Termin erneut einer eingehenden Intelligenzprüfung unterzogen worden. Sie hat dabei unzureichende Leistungen dargeboten , welche sich nicht nur als Mangel an schulisch erworbenen Kenntnissen darstellten , sondern welche zweifellos auf eine Verstandesschwäche zurückzuführen sind. [ … ] so muss das wesentlich ungünstigere Ergebnis der heutigen Intelligenzprüfung doch zum wesentlichen Teil als der Ausdruck anlagemässiger geistiger Mängel aufgefasst werden. [ … ] Mit Rücksicht auf die starke erbliche Belastung und auf das soziale und sittliche Versagen der Anna V. muss ihre intellektuelle Minderleistung , wie sie sich auf Grund der heutigen eingehenden Untersuchung darstellte , als ausreichend angesehen werden , um die Annahme eines erbbedingten anlagemässigen Schwachsinns zu begründen. Anna V. ist erbkrank im Sinne von § 1 , Ziffer 2,1 des Gesetzes vom 14. Juli 1933. Nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft ist mit grosser Wahrscheinlichkeit zu erwarten , dass die Nachkommen der Anna V. an schweren geistigen Erbschäden leiden werden.“
Zum Hintergrund des Falls : Anna V. war nach schwieriger Kindheit , aber bei normaler schulischer Entwicklung durch sexuelle Kontakte und Diebstähle verhaltensauffällig und straffällig geworden. Sie kam 1933 in Fürsorgeerziehung , mit 21 Jahren wurde sie daraus unmittelbar in die Psychiatrie überwiesen. Die Sterilisation fand im Mai 1938 in Herborn statt.4 Rassenhygieniker hatten schon in der Weimarer Zeit , insbesondere in der Not der Zwanziger- und beginnenden Dreißigerjahre , äußerst werbewirksam in popularisierenden Tabellen und Schaubildern auf die hohen staatlichen Kosten für die Betreuung behinderter Menschen hingewiesen , während den Gesunden oft nur ein Bruchteil dieses Geldes zur Verfügung stünde. Diese Argumentationsmuster kamen der Erbgesundheits-Politik der NSDAP zugunsten einer
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systematischen „Ausmerze“ sehr gelegen. Sie wurden weiter verwendet , so auch das Argument gegen eine ungebremste Vermehrung Behinderter , da sie die Geburtenrate der Gesunden deutlich übersteige. Zwei Beispiele für die ökonomische Argumentationslinie , die 1920 auch in der Schrift von Karl Binding und Alfred Hoche5 vertreten worden war. In der Dia-Serie „Blut und Boden“, die für NS-Schulungszwecke hergestellt worden war , wird in einer graphischen Gegenüberstellung6 links die Karikatur eines Kranken , der sich auf ein großes Schild mit der Aufschrift „RM 5.50“ stützt , rechts eine fünfköpfige Familie mit als proper charakterisierten Kindern dargestellt. Der Vater der gesunden Familie trägt ein kleineres Schild , das ebenfalls die Aufschrift „RM 5.50“ trägt. Zur Erklärung steht über den beiden Bildern , links : „Täglich RM 5.50 kostet den Staat ein Erbkranker“, und rechts : „Für RM 5.50 kann eine erbgesunde Familie 1 Tag leben !“ Die Zeitschrift „Volk und Rasse. Illustrierte Monatsschrift für deutsches Volkstum“ führte 1936 mit einer eindrucksvollen Illustration die Überbelastung eines gesunden deutschen Arbeiters vor , der zwei „Erbkranke“ zu schultern hat. Im Hintergrund sieht man einen hinter Mauern liegenden aufwendigen Bau , der offenbar eine psychiatrische Anstalt darstellen soll. Der Text dazu lautete : „Hier trägst Du mit. Ein Erbkranker kostet bis zur Erreichung des 60. Lebensjahres im Durchschnitt 50. 000 RM.“7 Auch NS -Propaganda-Schaubilder mit Titeln wie „Die Minderwertigen vermehren sich stärker als die gesunde Bevölkerung !“8 lassen sich mit entsprechenden Agitationsmitteln in der Zeit vor 1933 bis in Details vergleichen. Nun aber wird das zentrale Begriffspaar der neuen Rassenhygiene in den Vordergrund gerückt : „erbgesund – erbkrank“. Natürlich sind auch die schon älteren Stigmawörter für Behinderte keineswegs vergessen : „Minderwertige“, „minderwertige Elemente“, „Schwächlinge aller Sorten“, „NebenMenschen“, „Defektmenschen“, „Degenerierte“, „Kretins“, „Halb- / Viertel- / Achtelkräfte“, „Ballastexistenzen“, „leere Menschenhüllen ,“ „geistig Tote“.
Aber der Wortschatz wird nun noch erweitert. Neben dem halbwegs neutralen Terminus „Erbkranke“ werden etwa folgende Charakterisierungen verwendet : „unproduktive Mitmenschen“, „erblich Belastete“, „verdächtige Neugeborene“, „mißgestaltete Neugeborene“, „Krüppel“, „Krüppelexistenzen“, „geistig Unterentwickelte“, „aufgegebene Schwerkranke“, „geistig erloschene Patienten“.
Gleichwohl führte man auch einen neuen , euphemistischen Terminus ein , der den Eindruck besonderer Fürsorge vermitteln sollte : „Staatspfleglinge“.
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Unterstützt wurde die Propaganda gegen diesen Bevölkerungsteil durch eine Reihe von Kinofilmen , etwa „Sünden der Väter“ ( 1935 ) , „Erbkrank“ ( 1936 ) oder „Opfer der Vergangenheit“ ( 1937 ). Ein filmischer Höhepunkt der Kampagne wird 1941 der Film „Ich klage an“ von Wolfgang Liebeneiner , mit dem beim Publikum die Akzeptanz der Tötung von unheilbaren Kranken getestet werden sollte. Allein die Starbesetzung mit Heidemarie Hatheyer , Paul Hartmann , Mathias Wiemann , Harald Paulsen und Albert Florath lockte Massen in die Kinos. Selbst kirchlich orientierte Zeitgenossen bekannten , wie sehr sie dieser Film aufgewühlt habe. „Angeklagt“ wurde in diesem Film und in dem zugrunde liegenden Buch „Sendung und Gewissen“ von Hellmuth Unger freilich nicht die Tötung , sondern das formal immer noch geltende Tötungsverbot.9 Aber auch Ausstellungen und Führungen durch Heil- und Pflegeanstalten , bei denen vor allem extreme Krankheitsfälle vorgeführt wurden , sollten die Bevölkerung für eine staatliche Lösung reif machen. Besonders einprägsam – und folgenreich war indes das Stigmawort „lebensunwert“. In dem auch alltagssprachlich gebräuchlichen Attribut „lebensunwert“ fiel zweierlei zusammen : zum einen die humane Mutmaßung , dass die Betroffenen selbst ihr Leben als unerträglich ansähen und nach „Erlösung“ verlangten , zum anderen , dass dieses Leben der Gesellschaft nicht länger zugemutet werden könne. Gelegentlich wurde die Formulierung „lebensunwertes Leben“ sogar zu „unwertes Leben“ verkürzt , womit der letzte Rest einer Patientenperspektive wie „Ich selbst finde dieses Leben nicht lebenswert“ beseitigt und eine absolute Wertlosigkeit des Lebens behauptet wurde. Die Propaganda gegen die Schwächsten der Gesellschaft schlug auch sonst bis in die Alltagssprache durch , wo sich das Schlagwort „unnütze Esser“ festsetzte , das mit kriegsbedingt zunehmender Lebensmittelknappheit seinen brisanten Inhalt entfaltete. Ab 1936 wurden im Sinne des Erbgesundheitsgesetzes Maßnahmen ergriffen , die in den psychiatrischen Anstalten zu drastischen Kosteneinsparungen führen sollten. Die täglichen Verköstigungssätze wurden beispielsweise in Hadamar , ausgehend von RM 0,98 im Jahr 1934 auf RM 0,40 im Jahr 1939 , also auf rund 40 Prozent , gesenkt. Außerdem wurden die Anstalten ohne zusätzliche Finanzmittel mit zahlreichen weiteren Patienten aus privaten Anstalten überbelegt. Die extrem reduzierte Ernährung der zum Tod bestimmten Patienten wurde anstaltsintern „Euthanasiekost“ oder kurz „E-Kost“ genannt. Die Schließung privater , vor allem kirchlicher Anstalten entzog das weitere Vorgehen gegen Psychiatriepatienten jeglicher außerstaatlichen Kontrolle. Planungen für ein Tötungsprogramm wurden allerdings auf den Zeitpunkt des Kriegsbeginns verschoben. Indes begann die sogenannte Kindereuthanasie ,
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die Ermordung geistig und körperlich behinderter Säuglinge und Kleinkinder – Gesamtzahl der Opfer über 5. 000 – bereits Anfang 1939 mit einem Präzedenzfall , dem „Fall Knauer“, in dem ein Elternpaar Hitler persönlich um Tötung ihres Kindes gebeten hatte. Bereits mit diesem Fall setzte die sprachliche Verschleierung der Verbrechen ein : Das Kind wurde auf Veranlassung Hitlers und seines Begleitarztes Prof. Dr. med. Karl Brandt in die Universitätskinderklinik Leipzig zur „Begutachtung“ verlegt , was die Tötung des Kindes bedeutete. Hitler ermächtigte den Reichsleiter Philipp Bouhler und den Mediziner Brandt , in weiteren Fällen unter strenger Geheimhaltung in „Kinderfachabteilungen“ in gleicher Weise zu verfahren. Da Hitler eine unbürokratische Lösung wünschte , wurde auf ein Gesetz verzichtet. Der Reichsjustizminister Franz Gürtner wurde auf seine Nachfrage hin erst nachträglich informiert. Als dann aber ohne jede juristische Grundlage zunehmend auch ältere Psychiatriepatienten in den immer noch als „Krankenhäusern“ getarnten Anstalten10 ermordet wurden , erhob der Minister Bedenken , allerdings rein formaler , keineswegs moralischer Art. Er ließ sich beschwichtigen , als ihm von Bouhler – juristisch einmalig – eine letztlich private Ermächtigung seitens Hitlers fast ein Jahr nach deren Ausfertigung überreicht wurde. Damit sollten Ärzte befugt werden , unheilbar Kranke zu töten.11 Inzwischen hatte sich der Führerwille als letzte rechtliche Instanz so weit durchgesetzt , dass Hitler in seinem Schreiben sogar darauf verzichten konnte , irgendeinen Amtstitel als Legitimation zu benutzen : [Reichsadler mit Hakenkreuz]
BERLIN , DEN 1. Sept. 1939
Adolf Hitler
Reichsleiter B o u h l e r und Dr. med. B r a n d t sind unter Verantwortung beauftragt , die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern , dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.
A. Hitler
Zwangssterilisation und Euthanasie-Morde |
Handschriftlich hat der Justizminister darunter geschrieben : „Von Bouhler mir übergeben am 27. 8. 40 Dr. Gürtner“. Das bedeutet , dass der Justizminister hingenommen hat , fast zwölf Monate auf die Information über eine „Rechtsgrundlage“ für die schon längst laufenden Mordaktionen warten zu müssen. Allerdings geht man in der Forschung auch davon aus , dass Hitler das Schreiben auf den 1. September 1939 rückdatiert hat , also auf den Beginn des Krieges , mit dem „Notmaßnahmen“ leichter zu rechtfertigen waren beziehungsweise der die Menschen mit ganz anderen Themen beschäftigte und ablenkte. Immerhin nimmt Hitler in diesem Schreiben , wohl nicht zuletzt mit Rücksicht auf noch vorhandene Vorbehalte für den Massenmord, den Euphemismus „Gnadentod“ in Anspruch. Das war eigentlich ein Begriff aus der Tierhaltung , der aber schon vor 1933 in Debatten um die Rechtmäßigkeit der Ermordung von Menschen gebraucht wurde.12 Was tatsächlich geschah , wurde auch nicht zuletzt mit dem Wort „Euthanasie“ verschleiert. Wie sehr die Bedeutung eines Wortes von seinem Gebrauch abhängt , lässt sich gerade an diesem Beispiel sehr gut nachweisen. Die ursprüngliche , griechische Bedeutung war „gutes Sterben“ und hatte nur wenig mit aktiver Sterbehilfe zu tun , sondern meinte eher Sterbebegleitung , etwa im Sinne der modernen Hospizbewegung.13 Inzwischen wird allerdings die Tötung auf Verlangen , um unerträgliche Leiden abzukürzen , die seit einiger Zeit in meist hochindustrialisierten Gesellschaften diskutiert und teilweise auch praktiziert wird , außerhalb Deutschlands ziemlich unbefangen als „Euthanasie“ bezeichnet. Beispielsweise wird das niederländische Gesetz zur Straffreiheit einer „levensbeendiging“ als „euthanasie-wet“ bezeichnet. Dass dabei im NS-Wortgebrauch zum Thema „Euthanasie“ auch eine ethische Schwelle überschritten wurde , lässt sich allein daran erkennen , dass diese Form aktiver Sterbehilfe mit dem bürokratischen Tarnnamen „Aktion T4“ bezeichnet wurde. „T4“ war das Kürzel für die Adresse der Zentrale der Aktion in der Berliner Tiergartenstraße 4. Anlässlich des Films „Ich klage an“ versuchte Goebbels , sogar die Verwendung des Begriffs „Euthanasie“ ganz zu verhindern. Außer den Tarnbezeichnungen „Euthanasie-“ und „T4-Aktion“ wurden auch die beteiligten Stellen mit Tarnnamen versehen. Für die Erfassung der Mordopfer und die Nachlassverwaltung war eine „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten“ ( RAG ) zuständig , in deren Namen der Schein aufrechterhalten werden sollte , dass auch die Tötungsanstalten14 wie die „Zwischenanstalten“, in denen die Opfer zunächst gesammelt wurden , der Heilung und Pflege der Kranken dienten. Eine „Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft“ ( Gekrat ) betrieb den Abtransport der zur Tötung Bestimmten aus
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den normalen Anstalten mit grauen Bussen , deren Scheiben verhängt wurden. Die „Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege“ und die „Zentralverrechnungsstelle Heil- und Pflegeanstalten“ waren unter anderem mit der Verwertung von Schmuck und Zahngold der Opfer betraut. Nach außen hin wurden die Mordaktionen auch sonst sprachlich verschleiert. Der Transport der Opfer von einer Heilanstalt in eins der sechs Tötungszentren wurde etwa als „Verlegung“ kaschiert. Intern sprach man indes geschäftsmäßig von „Anlieferung“; dafür wurde auch ein „Lieferschein“ ausgestellt. Die „Verlegung“ wurde durch eine „planwirtschaftliche Erfassung“ vorbereitet. Sonst unverdächtige Formulierungen wie „Verlegung / verlegt nach“ und „Erfassung“ bedeuteten in all diesen Fällen de facto so viel wie „Abtransport zwecks Ermordung“ und „Einleitung des Ermordungsverfahrens“. Man denke auch an den Euphemismus „Wohnsitzverlegung“ für den Abstransport von Juden in Ghettos und KZs. Die Ermordung von Kindern erfolgte , wie bereits gesagt , in „Kinderfachabteilungen“ durch „Einschläfern“. Selbst intern , im Täterjargon , wurden noch Tarnbezeichnungen verwendet , etwa generell „Behandlung“ für Tötung oder „Desinfektion“ für den Mord durch Gas , eine lexikalische Anleihe bei der Terminologie der Schädlingsbekämpfung , die auch in KZs zur Anwendung kam. Dass man behördenintern sehr wohl auch zutreffendere Termini benutzen konnte , belegt der als „Geheime Reichssache“ ausgewiesene „Bericht über die allgemeine Lage im Oberlandesgerichtsbezirk Frankfurt am Main“ des Frankfurter Oberlandesgerichtspräsidenten an den Reichsjustizminister vom 26. Juni 194115. Dieser Bericht geht auch ausdrücklich auf die Beunruhigung in der Bevölkerung über die Vorgänge in und um Hadamar ein. Ungeschminkt wird die dortige Einrichtung „Liquidationsanstalt“ genannt : „Eine sehr starke seelische Belastung für die Bevölkerung , namentlich in der näheren Umgebung von Heil- und Pflegeanstalten , bedeuten die bekannten [ ! ] Vorgänge in diesen Anstalten. So beobachtet man in Limburg und Hadamar die täglich zur gleichen Stunde durchkommenden Transporte nach der Liquidationsanstalt in Hadamar , die mitunter bis zu 6 große Kraftwagen umfassen und deren Insassen häufig sichtbar werden , da sie die Verspannungen an den Fenstern auseinanderzerren , mit Anteilnahme.“
Des Weiteren geht der Bericht auf Gerüchte ein , in denen die – freilich objektiv begründeten – Sorgen darüber zum Ausdruck kommen , dass „auch Kranke , die keineswegs lebensunfähig wären , [ … ] liquidiert worden seien“. Der Verfasser als Jurist bemängelt indirekt das Fehlen einer „klaren gesetzlichen Regelung“, wer
Zwangssterilisation und Euthanasie-Morde |
zum Kreis der Betroffenen gehören solle und wie konkret zu verfahren sei. Er charakterisiert in seinem Bericht die Klage über diesen Mangel als wiederholt aus der Bevölkerung vorgetragenen „Wunsch“. Der im oben zitierten persönlichen Schreiben Hitlers vom 1. September 1939 an Bouhler und Brandt zum Ausdruck gekommene Führerwille scheint ihm also nicht zu genügen. Gleichwohl kennzeichnet er den hinnehmbaren Opferkreis als die „wirklich geistig erloschenen Patienten“. Wenn auch nicht öffentlich , so doch in einem offiziellen Schreiben an den Reichsjustizminister Gürtner vom 13. August 194116 schilderte der katholische Bischof von Limburg , Antonius Hilfrich , die Situation der in seinem Bistum gelegenen Liquidationsanstalt Hadamar mehr als deutlich : „Öfter in der Woche kommen Autobusse mit einer größeren Anzahl solcher Opfer in Hadamar an. Schulkinder der Umgegend kennen diese Wagen und reden : ‚Da kommt wieder diese Mordkiste.‘ Nach der Ankunft solcher Wagen beobachten dann die Hadamarer Bürger den aus dem Schlot steigenden Rauch und sind von dem ständigen Gedanken an die armen Opfer erschüttert , zumal wenn sie je nach der Windrichtung durch die widerlichen Düfte belästigt werden. Die Wirkung der hier getätigten Grundsätze : Kinder , einander beschimpfend , tun Äußerungen : ‚Du bist nicht recht gescheit , du kommst nach Hadamar in den Backofen‘ ; solche , die nicht heiraten wollen oder keine Gelegenheit finden : ‚Heiraten , nein ! Kinder in die Welt setzen , die dann in den Rex-Apparat17 kommen !‘ Bei alten Leuten hört man die Worte : ‚Ja in kein staatliches Krankenhaus !‘ “
Der Bischof wendet sich des Weiteren gegen Einschüchterungsversuche der Gestapo , die Äußerungen der Bevölkerung über die Vorgänge zu unterdrücken versucht , und er betont unbeirrt , mit deutlichem Protest gegen die offiziell geduldeten rechtswidrigen Aktionen : „Das Wissen und die Überzeugung und Entrüstung der Bevölkerung werden damit nicht geändert ; die Überzeugung wird um die bittere Erkenntnis vermehrt , daß das Reden mit Drohungen verboten wird , die Handlungen selbst aber nicht strafrechtlich verfolgt werden.“
Insgesamt fielen dieser Mordaktion , die in zwei Phasen verlief , rund 120. 000 Menschen zum Opfer , in der ersten Phase – wie in KZs – durch Vergasung in als Duschen getarnten Räumen mit abschließender Verbrennung in Krematorien. Zuletzt wurden auch Zwangsarbeiter , Schwerstkriegsbeschädigte und andere , die absolut nicht unter die ohnehin schwammige Kategorie der „Erbkranken“ fallen konnten , ermordet.
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Nach Protesten , insbesondere von kirchlicher Seite , wurde die Aktion in einigen Anstalten „nur“ noch durch Verhungernlassen oder Giftspritzen fortgesetzt , in anderen ging das Töten mit Gas jedoch weiter. Zur Ausstellung von Totenscheinen mit gefälschten Angaben über Todesursache und -datum wurden in einigen Anstalten eigene Standesämter eingerichtet. Abgesehen von den Maßnahmen der Gestapo gegen Kritik an diesem Massenmord und abgesehen auch von der Ausnahmesituation des Krieges wären dem NS-Regime die Tötungsaktionen sicherlich schwerer gefallen , wenn die moralische Hemmschwelle großer Teile der Bevölkerung , zum Teil sogar von Verwandten der zu Ermordenden , nicht durch systematische sprachliche Degradierungen der Opfer so sehr gesenkt gewesen wäre. 1 2 3 4
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Vasold , Manfred ( 1997 ) : Medizin. In : Benz / Graml / Weiß ( 1998 ) : 241. Weitere Informationen zum Thema sind ebenfalls Vasolds Beitrag entnommen. Etymologisch ist unsicher , ob der häufig gewählte Zeitpunkt solcher Aussonderung , der März , im Wort „aus-merzen“ weiterlebt. Faksimile in : Landeswohlfahrtsverband Hessen ( 1994 ) : 55. Ebda. : 50. S. hierzu Kap. 1. Reproduktion in : Vasold ( 1997 ) [ = Anm. 1 ] : 239. Reproduktion in : Landeswohlfahrtsverband Hessen ( 1994 ) : 41. Eine exemplarische Reproduktion in : Vasold ( 1997 ) [ = Anm. 1 ] : 242. Brandt , Hans-Jürgen ( 1993 ) : Mord und Moral. Wolfgang Liebeneiners Propagandafilm „Ich klage an“, in : Forschung Frankfurt , H. 3 / 1993 , S. 48–55. Zu den Tarnbenennungen im Rahmen der „Euthanasie“-Morde : Reiter ( 1995 ). Faksimile u. a. in : Landeswohlfahrtsverband Hessen ( 1994 ) : 69 ; vgl. auch Moll ( 1997 ) : 89 , r.1. Benzenhöfer , Udo ( 2009 ) : Der gute Tod ? Göttingen. Vgl. Winau ( 1980 ) : 16 ; Heutmann , Stefan : „Euthanasie“ – die deutsche Belastung eines Begriffs. In : Schlosser ( 1998 ) : 177–192. Brandenburg / Havel , Bernburg a.d. Saale , Grafeneck ( Württemberg ) , Hadamar , Hartheim / Linz , Sonnenstein / Pirna. Zitiert nach einer Kopie in der Gedenkstätte Hadamar. Landeswohlfahrtsverband Hessen ( 1994 ) : 116. „Rex“ wie „Weck“( -glas ) ein Verfahren zur Konservierung von Lebensmitteln.
11 | DIE „JÜDISCHE GEGENRASSE“ UND DIE „ENDLÖSUNG“ „Die Juden“ – „der Jude“ – „Juda“ – Die sprachliche Kollektivierung jüdischer Menschen | 223 | „Die jüdische Rasse“ – Das pseudo-biologische Konstrukt | 224 | „Deutsche ! Wehrt Euch !“ – Der „Judenboykott“ 1933 und die Berufsverbote | 226 | „Schutz des deutschen Blutes“ – Die Nürnberger Rassegesetze 1935 | 228 | „Reichskristallnacht“ – Der Scheinpogrom 1938 und die Folgen | 230 | „Fünfachteljuden“ – Der Abstammungsnachweis und die Rassenbruchrechnung | 233 | „Fluch des Judentums“ – Die Tricks individueller Arisierung | 234 | „Die Juden sind schuld“ – Vorbereitungen auf die „Endlösung der Judenfrage“ | 236 | „Judenevakuierung“ – Die Wannsee-Konferenz 1942 | 239 | „Vernichtung der jüdischen Rasse“ – Der systematische Massenmord in KZs | 241 | „Untermenschen“ – „Verschrottung“ – Zum Verhältnis von Sprache und Gewalt | 244 | „Stück Nummer X“ – Der sprachliche Terror in den KZs | 247 |
Eine schon traditionelle sprachliche Degradierung1 leitete nicht zuletzt auch den noch monströseren Massenmord an Menschen jüdischer Herkunft in Deutschland und im deutsch besetzten Europa ein. Schon die Formulierung „die Juden“, die bis heute nicht überwunden ist , war und ist eine sprachliche Ausgrenzung , die ihren wesentlichen , antijudaistischen Ursprung im jahrhundertelang behaupteten Gegensatz von Anhängern des christlichen und jüdischen Glaubens hat. Die Judenemanzipation des 19. Jahrhunderts änderte daran wenig. In mancher Hinsicht konnte sie sogar zur Verschärfung der Gegensätze beitragen , weil nun „Christen“ in den formal gleichberechtigten Juden auch wirtschaftliche Konkurrenten sahen. Die Rassenideologie des 19. Jahrhunderts förderte einen Argumentationswechsel vom Antijudaismus zum Antisemitismus , der nun noch schärfer als zuvor darauf angewiesen war , die Juden als biologisch definiertes Kollektiv zu sehen. An diesem Paradigmenwechsel war der Publizist Wilhelm Marr ( 1819–1904 ) entscheidend beteiligt. In einer Schrift von 1879 wird die Wende von religiös motivierter Judenfeindschaft zur nicht religiös , sondern rassisch begründeten Feindschaft gegen Juden bereits im Titel signalisiert : „Der Sieg des Juden thums über das Germanenthum. Vom nicht confessionellen Standpunkt aus betrachtet“.2 Marr machte dabei den Begriff „antisemitisch“ populär. 1879 rief er überdies eine „Antisemitenliga“ ins Leben. Die älteren Vorurteile und zunächst konfessionell begründeten Verunglimpfungen aber lebten gleichsam in säkularisierter Form weiter. Das hinderte gleichwohl Menschen , die sich nach wie vor als Christen verstanden , keineswegs daran , religiöse Vorbehalte gegen die Juden weiter zu pflegen , insbesondere das
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unsägliche , historisch wie theologisch absurde Urteil , „die Juden“ hätten Jesus Christus ermordet und seien so zu „Gottesmördern“ geworden.3 Die sich daraus zwangsläufig ergebende Peinlichkeit , dass man christlicherseits an einen Gottessohn glaubte , der selbst jüdischer Abstammung war , wurde in bestimmten christlichen Kreisen , insbesondere der „Deutschen Christen“, durch ernsthafte Versuche überspielt , Jesus Christus zu einem „Arier“ zu stilisieren. Bereits 1907 hatte Max Bewer in seiner Schrift „Der deutsche Christus“ nachzuweisen versucht , dass Jesus von „deutschen Söldnern“ im römischen Heer , das in Galilea stationiert war , abstamme und dass seine Botschaft von „deutschem Blut“ geprägt sei. Die diskriminierende Kollektivbenennung „die Juden“ traf schon am Ende des 19. Jahrhunderts und erst recht im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts einen politisch , gesellschaftlich wie konfessionell höchst differenzierten Teil der Deutschen. Vor allem hatten zahlreiche Angehörige dieses Bevölkerungsteils nach der Befreiung aus den Ghettos die Normen der „christlichen“ Kultur akzeptiert , hatten sich den sozialen und kulturellen Bedingungen der übrigen Deutschen so sehr angepasst – oder wie man überwiegend sagte : „assimiliert“ – , dass sich nicht wenige erst durch die auch gegen sie gerichteten NS-Verfolgungsmaßnahmen ihrer jüdischen Herkunft wieder bewusst wurden. Politisch stand man in sehr verschiedenen Lagern , etwa auch bei den Deutschnationalen.4 Dennoch beeindruckte die sprachliche Kollektivierung auch die Menschen jüdischer Herkunft selbst , sogar , wie schon in Kapitel 1 angedeutet , Theodor Herzl , den Begründer des Zionismus. In seiner programmatischen Schrift „Der Judenstaat“ von 1896 sah er die sogenannte Judenfrage auch aus jüdischer Sicht als ernstes Problem , und er scheute sich auch nicht , allfällige Diskriminierungen als berechtigt anzuerkennen. Als Konsequenz plädierte er gar für eine geographische Separierung der Juden in einem eigenen , fernen Staat , in Argentinien oder in Palästina. Damit lieferte er eine ungewollte Vorlage für die Vertreibung der Juden aus Deutschland und Europa. 1940 erwog das Reichsaußenministerium , von Adolf Eichmann , dem Organisator der „Endlösung“, detailliert geplant , drei Millionen Juden in Madagaskar , das man dem besiegten Frankreich abnehmen wollte , als „agrarisch Tätige“ anzusiedeln. Der sogenannte Madagaskar-Plan wurde aber zugunsten einer „Umsiedlung“ in die eroberten Ostgebiete wieder aufgegeben. Auch die neben „Judenfrage“ und „Judenstaat“ zahlreichen weiteren Komposita wie „Juden-boykott / -firma / -haus / -knecht / -presse“ verfestigten das allgemeine Bewusstsein , dass es sich bei den Juden um eine homogene Einheit handle , die in jeder nichtjüdischen Gesellschaft einen „Fremdkörper“ darstelle.
Die sprachliche Kollektivierung jüdischer Menschen |
Diesen Generalverdacht gegen jüdische Menschen hegte sogar noch eine Denkschrift aus dem Widerstand. Schon lange vor der physischen Vernichtung jüdischer Menschen sorgten NS- , insbesondere SA-Lieder für die mentale Vorbereitung auf Unterdrückung und physische Vernichtung. Ungeniert war darin von der Ermordung von Juden die Rede. In einer Umdichtung des „Heckerlieds“5 , das bereits in den Freicorps nach 1918 gesungen und von der SA übernommen wurde , hieß es , wie bereits früher anzitiert : „Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig , Laßt die Messer flutschen in den Judenleib ! Blut muß fließen knüppelhageldick , Und wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik.“
Das 1931 von Arno Pardun gedichtete , Joseph Goebbels gewidmete und schnell verbreitete Lied „Siehst du im Osten das Morgenrot“ schloss in seiner vierten Strophe mit dem programmatischen Vers „Deutschland erwache ! Juda den Tod !“. „Die Juden“ – „der Jude“ – „Juda“ – Die sprachliche Kollektivierung jüdischer Menschen
Die Agitation völkischer Kreise vor 1933 , so auch Hitlers und der NSDAP , richtete sich in populistischer Weise vorrangig gegen diejenigen Juden , die in der Finanzwirtschaft , insbesondere im Kreditwesen tätig waren.6 Hier konnte man beim nichtjüdischen Durchschnittsbürger am ehesten auf Resonanz hoffen , da so manchen gerade in den Notzeiten der Weimarer Republik die Abhängigkeit von Krediten , die natürlich auch von nichtjüdischen Geldinstituten mit Gewinn gewährt wurden , belastete. Das traf aber nicht nur die großen Bankiers , sondern schließlich auch den kleinen Geldverleiher auf dem flachen Land , von dessen Kredit mancher Landwirt abhängig sein konnte. Dass Juden in diesem Bereich tatsächlich eine besondere Rolle spielten , hing mit der jahrhundertelangen Einschränkung ihrer beruflichen Möglichkeiten zusammen. Christen waren lange Zeit Geldgeschäfte nicht erlaubt. Juden hingegen waren vom kirchlichen Zinsverbot ausgenommen gewesen , weswegen sie sich auf diesem Feld besonders stark betätigten. Doch nicht nur die inländischen Finanzvertreter mit jüdischem Hintergrund gerieten ins Visier der Antisemiten. Für die Abhängigkeit Deutschlands von der Weltwirtschaft , nicht zuletzt aber auch für die ökonomischen Belastungen ,
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welche die Deutschen durch eigene Kriegsschulden und infolge der Siegerpolitik nach 1918 zu ertragen hatten , machte man die Juden verantwortlich. Hitler sprach etwa in „Mein Kampf“ von der „jüdischen Weltfinanz“. Die sprachliche Kollektivierung wurde nun gleichsam internationalisiert. Den Gipfel , besser den Tiefpunkt der sprachlichen Kollektivierung stellte schon vor 1933 der Singular „der Jude“ dar , durch den jegliche Möglichkeit unterbunden wurde , in Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe überhaupt noch Individuen zu erkennen. Es ist kein Zufall , dass der sogenannte kollektivierende Singular auch sonst fast ausschließlich bei mehr oder weniger feindlicher Distanzierung von fremden Ethnien angewendet wird , etwa im Zweiten Weltkrieg „der Russe“, im Landserdeutsch „der Iwan“, „der Tommy“ oder „der Ami“. Eine besonders perfide Form der Kollektivierung , die jüdische Menschen auf eine unwandelbare negative Größe reduzierte , bestand in der Kollokation , also in einer festen Wortverbindung , „der ewige Jude“, der unter anderem zum Titel antisemitischer Ausstellungen und 1940 eines Hetzfilms wurde. Dabei war die Ursprungsfigur , der sagenhafte „Ewige Jude“ namens Ahasver( us ) , in vielen europäischen Literaturen , seit 1602 auch in der deutschen , eigentlich eine im christlichen Sinne positive Büßerfigur.7 Aber auch die Zusammenfassung des Judentums im Gebrauch des alten Stammesnamens „Juda“ war der leider erfolgreiche Versuch , jegliche Individualität jüdischer Menschen zu leugnen , erst recht in der mörderischen SA-Parole „Juda , verrecke !“. Nicht erst diese Parole , sondern alle Kollektivierungen senkten unvermeidlich die Hemmschwelle vor einer generellen Verfolgung und Vernichtung alles Jüdischen. Die „anständigen Juden“, die fast jeder „arische“ Deutsche persönlich kannte , mussten dadurch wie Ausnahmen erscheinen , über die man sich zuletzt gleichwohl mitleidslos hinwegsetzen konnte.
„Die jüdische Rasse“ – Das pseudo-biologische Konstrukt
Die „jüdische Rasse“ war der Hauptfeind der „arischen“ alias „germanischen Rasse“, die sich am reinsten in den Deutschen darstellen sollte. Aus der Übertragung der Rassenbiologie auf den Menschen ergaben sich fundamentale Ungereimtheiten , die unter der NS-Herrschaft eher noch verstärkt wurden. Sie wurden am deutlichsten darin , dass die Definition sowohl des „Arischen / Germanischen“, ebenso des „Nordischen“ wie auch des „Jüdischen“ zwischen biologischen und kulturellen Kriterien schwankte. Aspekte der sich naturwissenschaftlich gebenden Rassenkunde , die in der NS-Zeit Universitätsdiziplin war ,
Das pseudo-biologische Konstrukt |
und der Kulturkritik mussten nach wie vor die Erkenntnislücken der jeweils anderen Richtung schließen. Die bis in die Volksschulen ausgreifende Rassenkunde differenzierte überdies auf letztlich verwirrende Weise das Bild von der einen „arisch-germanischen Rasse“, wenn sie in Schulbüchern und Schautafeln als verschiedene „Deutsche Rassen“ vorgestellt wurde. Dabei wurde etwa zwischen „ostbaltischer“, „ostischer“ und „dinarischer Rasse“ unterschieden. So wurde wenigstens annähernd ethnischen Unterschieden unter den Deutschen oder denen , die man einverleiben wollte , Rechnung getragen. Die vom Ideal des hochgewachsenen blonden und blauäugigen Germanen extrem abweichenden Figuren Hitlers , Himmlers und Goebbels’ konnten sich in diesen „Rassenvarianten“ bequem aufgehoben fühlen. In der medizinischen Fachliteratur der Zeit behielt indes sogar noch bis 1940 die Überzeugung Geltung , dass die Juden gar keine einheitliche „Rasse“, sondern wie die Deutschen „gemischtrassig“ seien. Das „Klinische Wörterbuch“ von Dornblüth / Pschyrembel etwa hielt unter dem Stichwort „Rasse“ fest : „Die Juden sind ebenso wie die Deutschen keine einheitliche Rasse , sondern ein Rassengemisch ; infolgedessen zeigen sie in ihrer äußeren Erscheinung oft große Unterschiede ( blonde Juden , Ostjuden usw. ).“8 Dem sprach natürlich die in antisemitischen Darstellungen seit dem 19. Jahrhundert stereotyp vorgeführte „typisch“ jüdische Physiognomie Hohn , die von der Annahme einer physischen Homogenität der jüdischen Rasse ausging.9 Besonders penetrant bediente sich dieser Karikatur das Hetzblatt von Julius Streicher , „Der Stürmer“. Aber sie findet sich auch in Kinderbüchern der NSZeit. Als Beispiel für vieles kann das antisemitische Kinderbuch von Elvira Bauer aus dem Jahr 1936 gelten , das bereits im Titel seine Hetzintention offenlegte : „Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud10 bei seinem Eid“, ausgestattet mit Illustrationen , die das „Stürmer“-Karikaturenrepertoire „kindgerecht“ umsetzten. Nicht zufällig war das Buch im „Stürmer“-Verlag erschienen. Auch Zeichentrickfilme der NS-Zeit , grundsätzlich der NS-Propaganda verpflichtet , arbeiteten zwecks „Volksaufklärung“ mit den antisemitischen Bildklischees.11 Unbeeindruckt von wissenschaftlichen Differenzierungen gehen die NS Rassenideologen stets von der Existenz „der jüdischen Rasse“ aus , die damit zu einem Konstrukt wird wie „die arische /germanische Rasse“ oder die Annahme reiner „Deutschblütigkeit“. Die Rassenkunde war also alles andere als eine rationale Wissenschaft , sondern pure Ideologie im negativsten Sinne. Wie andere wissenschaftliche und historische Irrtümer hat auch dieses Konstrukt ein ausschließlich sprachliches Fundament , zum einen in der Konservierung von Vorurteilen und Diskriminierungen , zum anderen in Pseudodefinitionen ,
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bei denen nicht selten auch noch eigentliches und uneigentliches , metaphorisches Sprechen durcheinandergeht. Vielfach wurde der Pseudo-Rassenterminus „Jude“ auch als eine Art Gattungsbegriff für alles Abzulehnende , also als Stigmawort verwendet. Noch einmal sei exemplarisch an die Diffamierung des Katholiken und Zentrumspolitikers Matthias Erzberger als „Zentrumsjude“ 1921 erinnert. Einen der vielen Tiefpunkte dieses irrationalen Umgangs mit rassenbiologischen Kategorien stellte das Plakat zur Ausstellung „Entartete Musik“ in Düsseldorf 1938 dar , auf dem karikaturenhaft ein Saxophon spielender Schwarzer dargestellt wurde , auf dessen Revers ein Davidstern prangte.12 Schon in der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ von 1937 stellte eine Schrifttafel ebenfalls die schwarze Rasse auf eine Stufe mit den Juden , indem es hieß : „Wie die Verniggerung der Musik und des Theaters sollte die Verniggerung der bildenden Kunst den rassischen Instinkt entwurzeln , die Grenzen des Blutes niederreißen.“13 In dieser Ausstellung wurden Gemälde und Plastiken der Moderne , die man aus Museen und Sammlungen entfernt hatte , dem Abscheu des „gesunden Volksempfindens“ preisgegeben. „Deutsche ! Wehrt Euch !“ – Der „Judenboykott“ 1933 und die Berufsverbote
Die erste Phase der Judenverfolgung ab 1933 vollzog sich zunächst noch im Rahmen traditionellen antisemitischen Vorgehens : durch Drangsalierungen und Geschäftsboykotte , organisierte „Pogrome“, durch Berufsverbote , schließlich Vertreibung und erzwungene Auswanderung , bis zum Emigrationsverbot 1941. Höhepunkt dieser ersten Phase war die sogenannte Reichskristallnacht am 9. /1 0. November 1938. Ab 1933 wurde die bereits 1931 eingeführte „Reichsfluchtsteuer“, die generell gegen den Abfluss von Kapital durch Wegzug der Eigentümer ins Ausland gerichtet war , nun insbesondere emigrierten Juden auferlegt. 25 Prozent des Gesamtvermögens wurden eingezogen , bei Nichtent richtung dieser Steuer wurde das gesamte Inlandsvermögen beschlagnahmt. Die Zurückdrängung eines jüdischen Einflusses auf das öffentliche Leben wurde aufs Engste mit dem Argument der „Rassereinheit“ verknüpft , so dass auch die sozial weniger starken deutschen Juden , Kleinbauern und Kleinhändler , in ihrer Existenz massiv bedroht wurden. Kleinliches Konkurrenzdenken konnte auch auf der untersten ökonomischen Ebene Rasseargumente gegen Juden ausspielen , etwa wenn eine Händlerin auf einem Wochenmarkt bei den Behörden das Verbot des benachbarten Verkaufsstands eines jüdischen Händlers verlangte.
„Judenboykott“ 1933 und die Berufsverbote |
Primäres Ziel des Kampfes um die Rassereinheit des deutschen Volkes und die Beseitigung „rasse“- , „art“- oder „volksfremder“ Kräfte waren bereits kurz nach dem Regierungsantritt Hitlers außer den „Zigeunern“ die Menschen jüdischer Herkunft , die Juden. Zunächst überließ man der SA die Übergriffe gegen jüdische Geschäfte , gegen jüdische Ärzte und Anwälte. Auf Anordnung der Parteileitung der NSDAP , unter besonderer Förderung durch Goebbels , bezogen am 1. April 1933 SA-Männer , aber auch Mitglieder der Hitlerjugend und des „Stahlhelms“ vor Geschäften , Arztpraxen und Anwaltskanzleien drohend Stellung , um Kunden , Patienten oder Klienten von deren Besuch abzuhalten. Schaufensterscheiben wurden mit dem Davidstern und dem Wort „Jude“ beschmiert. Die Posten trugen Schilder mit Parolen wie „Deutsche ! Wehrt Euch ! Kauft nicht bei Juden!“. „Wehrt Euch !“ nahm Bezug auf die offizielle Begründung der Aktionen , die der Abwehr einer angeblichen „jüdischen Greuel- und Boykotthetze“ dienen sollten. In ländlichen Gebieten kam es auch zu Plünderungen. Der sogenannte Judenboykott wurde nach heftigen Reaktionen und wirtschaftlichen Sanktionsdrohungen des Auslands , aber keineswegs wegen eines breiteren Widerstands in der Bevölkerung wenige Tage später abgebrochen. Aber bereits am 7. April 1933 begann , wie bereits erwähnt , mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ die systematische staatliche Verfolgung von Deutschen jüdischer Abstammung. Mit ihm wurde der öffentliche Dienst ausschließlich „arischen“ Deutschen vorbehalten , Beamte mit jüdischer Abstammung wurden aus dem Staatsdienst entlassen. Auch viele Hochschullehrer – allein in Preußen rund siebenhundert – mussten ihren Arbeitsplatz räumen.14 Die Entrechtung der „Nichtarier“ erfolgte dann Schlag auf Schlag. Ebenfalls am 7. April 1933 wurde durch ein anderes Ausschlussgesetz Anwälten „nichtarischer“ Abstammung die Zulassung entzogen. Jüdische Ärzte durften nur noch jüdische Patienten behandeln. Auf ähnliche Weise verloren jüdische Angehörige zahlreicher weiterer Berufsgruppen ihre Existenzgrundlagen. Wie früh sich auch linientreue Lexikographen auf die offizielle rassenideologische Terminologie einstellen konnten , lässt sich an einem neuen Interpretament des älteren deutschen Terminus „Überfremdung“ in der Ausgabe des „Duden“ von 1934 exemplarisch nachweisen. Bis zu dieser Auflage galt „Überfremdung“ als Fachwort der Betriebswirtschaft und meinte „zuviel fremdes Geld in einem Unternehmen“. Zu dieser Deutung tritt im „Duden“ 1934 plötzlich die Interpretation „Eindringen Fremdrassiger“, 1941 ergänzt durch „Eindringen fremden Volkstums“. Diese rassenideologische Deutung hat inzwischen den betriebswirtschaftlichen Terminus „Überfremdung“ ganz verdrängt , also ein sehr erfolgreicher Akt der Sprachlenkung.15
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„Schutz des deutschen Blutes“ – Die Nürnberger Rassegesetze 1935
Einen ersten Höhepunkt der Verfolgung der Juden bildeten 1935 die beiden Nürnberger Rassegesetze : das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der Ehre“, kurz „Blutschutzgesetz“ genannt , und das „Reichsbürgergesetz“. Sie werden zusammen mit dem „Reichsflaggengesetz“ unter dem Sammelbegriff „Nürnberger Gesetze“ zusammengefasst , weil sie in Nürnberg – gegen alle rechtsstaatlichen Gepflogenheiten – auf einem Reichsparteitag der NSDAP verkündet wurden. Das „Blutschutzgesetz“ stellte insbesondere Ehen und sexuelle Partnerschaften zwischen Juden und „Deutschblütigen“ unter Strafe. Mit einer Jüdin verheiratet zu sein , machte einen Nicht-Juden wie den Dichter Jochen Klepper zumindest zum „jüdisch Versippten“, der deswegen als „wehrunwürdig“ aus der Armee ausgestoßen wurde. Die von diesem Gesetz streng verbotenen ehelichen und außerehelichen Beziehungen zwischen „arischen“ Deutschen und Juden wurden von einem neuen Straftatbestand erfasst , dessen Benennung allein schon sprachlich die extreme Entfernung der NS-Justiz von einem sonst um Nüchternheit bemühten juristischen Denken und seiner Terminologie bezeugt : „Rassenschande“. Im Grundwort dieses Kompositums , „Schande“, kommt eine vom NS-Regime intendierte Moralisierung des Tatbestands und entsprechend die tiefe Verachtung für die „Täter“ zum Ausdruck , womit zugleich auch die Hemmschwelle vor ihrer Verfolgung gesenkt werden sollte. Überhaupt bezeugen viele der von den Nationalsozialisten eingeführten Termini für neue Straftatbestände agitatorische , volksverhetzende Intentionen. Dass bei der Bestrafung von Verfehlungen der „Rassenschande“ der jüdische Teil oft mit dem Tod , der „arische“ Teil nur mit Freiheitsentzug bedacht wurde16 , macht die juristisch extreme Mindergeltung von Juden deutlich. 1942 sollte Juden nach einem Entwurf Roland Freislers auch die Möglicheit entzogen werden , in Strafsachen Rechtsmittel , Berufung , Revision und Beschwerde , zu nutzen.17 Das zweite „Nürnberger Gesetz“, das „Reichsbürgergesetz“ erklärte die „arischen“ Deutschen zu privilegierten „Reichsbürgern“, während es die deutschen Juden zu „Staatsbürgern“ mit minderen Rechten deklassierte. Eine ähnliche Unterscheidung war schon im NSDAP-Programm von 1920 gefordert worden. Juristisch war die Differenzierung in „Reichsbürger“ und „Staatsbürger“ absurd. Sieht man einmal von der ethischen , aber auch nur von der formaljuristischen Ungeheuerlichkeit der beiden Gesetze ab , so spricht diese Gesetzgebung selbst minimalen Anforderungen an sachliche Begründungen Hohn. Die einzige Grundlage für diese juristischen Setzungen waren wissenschaftlich äußerst
Nürnberger Rassegesetze 1935 |
dubiose Definitionen von „deutschem“ und „artverwandtem“ Blut , also ein ausschließlich ideologischer Wahn. Bestenfalls das Kriterium „deutsches Blut“ hätte sich aus einer teilweise bis in die Gegenwart wirksamen Tradition des Staatsangehörigkeitsrechts ableiten lassen. Mit dem Terminus „artverwandt“ jedoch wurde diese juristische Qualität mit der Unterstellung beiseitegeschoben , es handle sich um ein biologisch , natürlich rassenbiologisch objektivierbares Kriterium. Bei der amtlichen Feststellung , wer Jude sei , spielte aber selbst dieses pseudo-biologische Kriterium keine Rolle. Denn man beschränkte sich darauf festzustellen , ob jemand selbst und / oder seine Vorfahren Angehörige der jüdischen Glaubensgemeinschaft waren. Während sich äußerlich noch manches in einem quasi-gesetzlichen Rahmen zu vollziehen schien , tobte sich der abgrundtiefe Hass der NSDAP gegen Juden bereits früh in Hetzkampagnen aus , die noch unter das Niveau der Nürnberger Gesetze gingen. Sie dienten eindeutig dem Ziel , die notwendige innere Zustimmung für eine spätere Ausrottung der Juden zu schaffen. 1935 etwa gab die SS in einer Auflage von vier Millionen eine Schrift mit dem Titel „Der Untermensch“ heraus , in der die Abgrenzung gegen alles Jüdische als geradezu mythischer „Kampf des Lichts gegen die Nacht , das Halbdunkle , das Chaos , den Sumpf , die Hölle , die Unterwelt“ dargestellt wird. Von diesen nebulösen , gleichwohl schrecklichen Zuordnungen abgesehen war die bereits im Titel der Schrift unmissverständliche Diskriminierung von Juden als „Untermenschen“ wohl die folgenreichste. Denn sie sprach Juden jegliche Menschenwürde ab , was sie zum Freiwild machte. Als Entschuldigung für einen derartigen Wortgebrauch kann kaum gelten , dass man schon vor 1933 die diskriminierende Bezeichnung „Untermensch“ auch in anderen politischen Lagern benutzte , etwa wenn der SPD -Abgeordnete Kurt Schumacher in einer Reichstagsrede am 23. Februar 1932 SA-Männer als „Untermenschen“ titulierte.18 Noch fehlte dabei die biologisch argumentierende generelle Herabstufung der so Bezeichneten unter die Grenze zum Menschsein. Eine andere zeitgenössische Schrift der SS ( undatiert ) bezeichnete die Juden als „Parasiten der Menschheit“, worin wieder einmal eine pseudo-biologische Argumentation durchschlug. Den Tiefpunkt biologistischer Agitation , von Rassekundlern , also von „Wissenschaftlern“ gestützt , stellt aber zweifellos die von Rosenberg populär gemachte Definition der jüdischen Rasse als „Gegenrasse“ dar , die jeder biologischen Logik widersprach. Es gab nur wenige Mutige , welche die konkreten alltäglichen Folgen solcher Hetzkampagnen schon im dritten Jahr der NS-Herrschaft öffentlich beim Namen nannten , etwa die evangelische Studienrätin Elisabeth Schmitz , die in einer Denkschrift für die „Bekennende Kirche“ 193519 – allerdings ohne Reaktion
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ihrer Kirche – teilweise mit genauen Ortsangaben auf Vorgänge wie diese aufmerksam machte : „In der Stadt Schlüchtern ( Hessen-Nassau ) sind an den arischen Geschäften Plakate angebracht worden , die Juden den Zutritt verbieten ( ! ). [ … ] Und wenn z. B. kein jüdisches Lebensmittelgeschäft , keine jüdische Apotheke existiert ? ! [ … ] Dass seit vielen Monaten in den fränkischen Dörfern um Nürnberg herum Tafeln angebracht oder Spruchbänder quer über die Straße gezogen sind mit Inschriften : ‚Juden betreten die Ortschaft auf eigene Gefahr‘ , ist wohl allgemein bekannt.“
Insbesondere macht Schmitz auf die Not jüdischer Kinder aufmerksam , die mit Billigung christlicher Eltern und Lehrer , aber auch Pfarrern von ihren Mitschülern auf erniedrigendste Weise drangsaliert wurden. Wie sich zuletzt der Hass auf Juden auch in quasi-außerpolitischen Veranstaltungen niederschlug , zeigte sich unter anderem darin , dass im Nürnberger Fastnachtsumzug von 1938 ein „Festwagen“ mitgeführt wurde , auf dem eine als „Jude“ gekennzeichnete Puppe an einem Galgen baumelte.20 Unter solchen , durch zahlreiche weitere Verfolgungsmaßnahmen noch verschärften Bedingungen wanderte bis zur sogenannten Reichskristallnacht 1938 etwa ein Drittel der anfangs rund 500. 000 deutschen Juden „freiwillig“ aus. Danach wurden bis zu einem Auswanderungsverbot 1941 weitere große Teile der jüdischen Bevölkerung zum Verlassen Deutschlands unmittelbar gezwungen. „Reichskristallnacht“ – Der Scheinpogrom 1938 und die Folgen
Eine letzte, angeblich spontane , tatsächlich aber zentral gesteuerte Aktion vor den wiederum „juristisch“ sanktionierten Verfolgungsmaßnahmen ab 1939 stellte am 9. /1 0. November 1938 die sogenannte Reichskristallnacht dar. Dabei wurden vierhundert Synagogen gesprengt oder niedergebrannt , rund dreißig jüdische Warenhäuser , über 7. 000 Geschäfte sowie zahlreiche Wohnungen von Juden geplündert und verwüstet. Polizei und Feuerwehren schritten nicht ein. 91 Menschen wurden ermordet , die Zahl der Selbstmorde ist nicht genau zu beziffern. Etwa 26. 000 Juden wurden in Lager verschleppt. Vorwand war die Ermordung eines deutschen Diplomaten in Paris , Ernst von Rath , durch einen jungen polnischen Juden , Herschel Grynszpan , die Goebbels zu einer Hetzrede und unter seiner Leitung die SA und Angehörige weiterer Parteigliederungen zu ihrem Zerstörungswerk veranlasste. Wie geplant die Aktion war , geht allein daraus hervor , dass die SA-Trupps nach vorbereiteten Listen Wohnungen jüdischer
Scheinpogrom 1938 und die Folgen |
Menschen stürmte und nach ihren Aktionen ihrer jeweiligen Führung über den „Vollzug“ Bericht zu erstatten hatten.21 Auf Himmlers Geheiß hatte sich die SS aus dieser Aktion , die parteiintern nicht unumstritten war , weitgehend herausgehalten. Es gab sogar Kritik an der Zerstörung von Wirtschaftsgütern und Goebbels musste auf Druck hin die Beendigung befehlen. Das Datum für den Beginn der Aktion , der 9. November 1938 , war nicht zufällig gewählt. Es war der 20. Jahrestag der Ausrufung der Republik 1918 , die mit dem Ende des Bismarck-Reiches Deutschlands „Schande“ besiegelt hatte , wofür nun „die Juden“ zu büßen hatten. Auch als 15. Jahrestag des gescheiterten Hitlerputschs von 1923 bot der 9. November 1938 einen Anlass zu „nationaler Rache“. Zwar ist bis heute nicht geklärt , wer die schnell in Umlauf gekommene Bezeichnung „Reichskristallnacht“ – offiziell hieß sie verharmlosend „Judenaktion“ – aufgebracht hat , aber sie verrät eine gehörige Portion Zynismus , der zur NS-offiziellen Haltung durchaus passte. Denn es ging dabei nicht nur Glas zu Bruch , es gab unter den jüdischen Deutschen , wie gesagt , auch zahlreiche Mord- und Selbstmordopfer. Außerdem unterstellte das Wort , dass sich Juden nicht wie die biederen „Arier“ mit einfachem Glas zufriedengäben , sondern das kostbarere Kristall bevorzugten. Der gut gemeinte Versuch , den zweifelhaften Begriff durch „Reichspogromnacht“ zu ersetzen , hat seinen Nachteil darin , dass das aus dem Russischen stammende Wort „Pogrom“ eigentlich stets eine spontane Aktion bezeichnet , von Spontaneität konnte aber am 9. /1 0. November 1938 wahrlich nicht die Rede sein. Die bereits am Beispiel des Wortes „Röhmputsch“ und der regierungsoffiziellen Rechtfertigung der so benannten Mordaktionen als „Staatsnotwehr“ nachzuweisende Umkehrung der Täter-Opfer-Perspektive feierte auch 1938 wieder Triumphe. Von „den Juden“, die inzwischen durch Registrierungen längst als eine kollektive Gruppe amtlich identifiziert waren , wurde eine „Sühneabgabe“ in Höhe von einer Milliarde Reichsmark verlangt. Die Opfer mussten die Täter entschädigen ! In der Folge mussten jüdische Geschäfte und Handwerksbetriebe schließen und / oder wurden „arisiert“, das heißt „arischen“ Deutschen – meist zu Spottpreisen – übereignet.22 Es kam fast allerorten zu zahlreichen öffentlichen Versteigerungen jüdischen Eigentums , durch die Millionen Deutscher zumindest zu Mitwissern dieses Verbrechens gemacht wurden. Allein in Berlin fanden rund fünfhundert solcher Versteigerungen mit rund 200. 000 direkt Beteiligten statt. Die Zahl derer , die in Berlin davon wussten , wird auf etwa zwei Millionen geschätzt. Die penible deutsche Bürokratie führte über solche
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Eigentumstransaktionen in „Judenakten“ Buch , die noch heute in den Archiven mancher Finanzämter unter diesem Terminus aufbewahrt werden.23 Zentral gelenkt wurde die finanzielle Ausplünderung der Juden im Reichsfinanzministerium , in dem es ein eigenes „Judenreferat“ gab. Raul Hilberg24 hat mit Recht darauf hingewiesen , dass die Judenverfolgung und -vernichtung auf einen fast schon selbstläufigen Prozess zurückgeführt werden kann , in dem Bürokraten zu Tätern wurden , ein Prozess , an dem aber die gesamte organisierte Gesellschaft Deutschlands beteiligt wurde.25 Juden wurden bis 1939 ganz aus dem Wirtschaftsleben verdrängt. Es ergingen zahlreiche weitere Berufsverbote. Geradezu selbstverständlich wurde schon sehr früh jüdischen Künstlern jede Betätigung untersagt. Neuaufnahmen in eine der Reichskulturkammern blieben ihnen versagt. Die Reichsschrifttumskammer etwa hatte 1934 noch 428 jüdische Mitglieder , ein Jahr später waren es nur noch fünf. Der Maler Felix Nussbaum , der UFA-Regisseur Kurt Gerron oder der Komiker Otto Wallburg – einige wenige Beispiele für zahlreiche andere – wurden im KZ ermordet oder wurden wie der Kabarettist Fritz Grünbaum in einem KZ zu Tode gequält. Selbst die Erinnerung an jüdische Autoren wurde unterdrückt. Manche populären Texte , etwa des damals noch lebenden jüdischen Autors Karl Ettlinger , konnten allerdings als anonyme ( ! ) Texte weiterbestehen. Für die immer wieder vorgetragene Behauptung , dass Heines „Loreley“ mit der Angabe „Unbekannter Verfasser“ in Schul- und Gesangbüchern weiter veröffentlicht worden sei , gibt es dagegen bisher keinen einzigen sicheren Beleg.26 Wohl aber ist versucht worden , Robert Schumanns „Heine-Liedern“ andere Texte unterzulegen. Längst war das Musikleben von allen Werken jüdischer Komponisten „gereinigt“, und zwar sowohl von klassischen Kompositionen wie denen Felix Mendelssohn-Bartholdys27 als auch von Werken der leichten Muse wie den Operetten von Paul Abraham , etwa „Victoria und ihr Husar“ oder „Blume von Hawaii“. Die Operette „Im weißen Rössl“ von Ralph Benatzky durfte nicht mehr aufgeführt werden , weil das Libretto von dem jüdischen Autor Oskar Blumenthal stammte. Aus den Schallplattenkatalogen verschwanden alle Aufnahmen mit jüdischen Interpreten wie Jascha Heifetz , Vladimir Horowitz oder Joseph Schmidt. In der beliebten Gesangsgruppe der „Comedian Harmonists“ hatten „Arier“ die Mitglieder jüdischer Abstammung „ersetzt“. Der Aufstieg mancher Künstler , so auch des Dirigenten und NSDAP-Mitglieds Herbert von Karajan , verdankte sich nicht zuletzt der Vertreibung rassisch unerwünschter Vorgänger.28 Juden wurde 1938 / 39 der Besuch von öffentlichen Schulen und Hochschulen , ebenso von öffentlichen Veranstaltungen verboten , ihre Bewegungsfreiheit
Abstammungsnachweis und die Rassenbruchrechnung |
wurde immer mehr eingeengt. Wie böswillig man vorgehen konnte , zeigt exemplarisch eine Verwaltungsanordnung der Stadt Frankfurt a. M. , wonach Juden nur noch eine einzige für sie reservierte Badeanstalt benutzen durften. Schon kurze Zeit später wurde auch dieses Schwimmbad für sie gesperrt , weil es eine unerhörte „Privilegierung“ gegenüber den „Ariern“ darstellen würde , dass Juden ein „eigenes“ Bad hätten. „Fünfachteljuden“ – Der Abstammungsnachweis und die Rassenbruchrechnung
Schon der sogenannte Arierparagraph des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von 1933 und die darauf fußenden Verordnungen hatten definiert , wer als „Nichtarier“ zu gelten habe : Abkömmlinge von einem Elternoder Großelternteil jüdischer Konfession. Damit wurde eine folgenschwere begriffliche Unterscheidung zwischen zwei Kollektiven zementiert : „Nichtarier“, das heißt Juden , einerseits und „Arier“ andererseits. Zwecks besserer Kontrolle des jüdischen Kollektivs wurden am 17. September 1933 die unterschiedlichsten jüdischen Gemeinschaften , orthodoxe , liberale und zionistische , gedrängt , sich in der „Reichsvereinigung der deutschen Juden“ unter dem Präsidenten Leo Baeck ( 1873–1956 ) zusammenzuschließen. Der Kommentar zum „Blutschutzgesetz“29 legte 1936 endgültig fest , wer „Jude“ sei : Drei Großelternteile jüdischer Abstammung machten einen Menschen zum „Volljuden“, bei Zugehörigkeit zur jüdischen Religionsgemeinschaft genügten aber auch zwei jüdische Großelternteile. Darunter begann dann eine wahre Rassenbruchrechnung mit „Dreivierteljuden“, „Halbjuden“, „Fünfachteljuden“ … Die rassenbiologische Identifizierung von nicht „Reinblütigen“ hatte allerdings bereits lange vor 1933 zu dieser Art Mathematik geführt , die noch heute nicht ganz aus der Alltagssprache verschwunden ist.30 Der antisemitische Literaturhistoriker Adolf Bartels ( 1862–1945 ) hatte es sogar fertiggebracht nachzuweisen , dass der Liederdichter Hermann Löns ein „Zweiunddreißigstel-Jude“ war. In jedem Fall galt ein nicht ganz „Deutschblütiger“ als „Mischling“. Eine Ehe zwischen einem „arischen“ und einem „nichtarischen“ Partner wurde als „Mischehe“ diskriminiert – ein Stigmawort , das der katholischen Ehelehre entnommen war , die damit die eigentlich unerwünschte Verbindung mit einem nichtkatholischen Partner kennzeichnete. Der Verstoß gegen die Rassereinheit in Sexualpartnerschaften wurde , mit einem noch deutlicheren Rückgriff auf christliche Termini , als „Sünde“, sogar als „Erbsünde“ gebrandmarkt.31 Selbst auf das bei Inzestfällen hoch stigmatisierte Wort „Blutschande“ wollte man nicht verzichten.
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Wie tief die Judenfeindschaft selbst in christliche Kreise hinein wirkte , lässt sich an einer höchstkirchlichen Äußerung belegen. Der Münchner Kardinal Michael von Faulhaber hielt es in seiner Predigt zum „Papstsonntag“ am 9. Februar 1936 für geboten , den Papst gegen das Gerücht in Schutz zu nehmen , das Oberhaupt der katholischen Kirche sei ein „Halbjude“. Faulhaber bezeichnete dieses Gerücht als die „persönlich gehässigste Unwahrheit“.32 So sehr war „Jude“ oder „Halbjude“ von diesem Kirchenfürsten als Schimpfwort bereits verinnerlicht. Schon ein geringer Anteil an jüdischer Abstammung reichte für eine Diskriminierung aus. „Biologisch“ abgesichert wurden diese Differenzierungen durch einen urkundlich beglaubigten „Abstammungsnachweis“, den sogenannten Ahnenpass , der 1933 für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes , 1935 für alle Deutschen obligatorisch wurde. NSDAP-Mitglieder mussten in einem „Großen Ahnenpaß“ ihre „rein arische“ Abstammung bis zurück zum Jahr 1800 nachweisen. Für die übrige Bevölkerung reichte der „Kleine Ahnenpaß“ aus , in dem der Nachweis jeweils nur bis zu den Großeltern geführt werden musste. Für Zweifelsfälle erstellten spezielle Universitätsinstitute „erb- und rassenbiologische Gutachten“ – das alles noch ohne die Möglichkeiten moderner Humangenetik ! „Fluch des Judentums“ – Die Tricks individueller Arisierung
Wie sich einzelne jüdische Menschen vor Diskriminierung und meist tödlicher Verfolgung zu schützen versuchten , geht aus dem verzweifelten Schreiben einer Wiener Jüdin vom 9. April 1938 an Hitler33 persönlich hervor : „Ich flehe Sie an , Führer des Deutschen Volkes , mich von dem Fluch des Judentums freizusprechen.“ Einleitend hatte die Schreiberin zweimal sogar geschworen , in jeder Hinsicht einer „Arierin“ gleich zu sein , in allen „Eigenschaften“, in „Denkungsweise“, „Art“ und äußerer Erscheinung. Vier Monate später antwortete der „Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“: „Ich bedauere Ihnen mitteilen zu müssen , daß im Sinne der bestehenden Gesetze und Verordnungen Schwüre zu einem Antrage [ … ] nicht genügen.“ Wäre die Wienerin aus irgendwelchen Gründen außer ihrer „Denkungsweise“ der NSDAP unentbehrlich erschienen , hätte sie – wie noch zu zeigen ist – möglicherweise bessere Chancen gehabt. Vielleicht wäre es ihr aber auch vergönnt gewesen , rechtzeitig durch Urkundenfälschung zur „reinblütigen“ Deutschen zu mutieren. Einzelfälle sind dem Verfasser bekannt , etwa dass an die Stelle des außerehelichen Großvaters , der Jude war , der „arische“ Stiefgroßvater in die Familiendokumente geschmuggelt
Tricks individueller Arisierung |
wurde. Eine derartige Fälschung , die sogar von der SS vorgenommen wurde , rettete gleichsam auch das offizielle Ansehen des Walzerkönigs Johann Strauß , den Hitler nach Richard Wagner für den „deutschesten aller Komponisten“ hielt. Man hatte bei Strauß jüdische Vorfahren entdeckt und „reinigte“ – um Hitler eine Enttäuschung zu ersparen – in einer Geheimaktion seinen Stammbaum , indem man im entsprechenden Kirchenbuch des Wiener Stephansdoms die peinlichen Einträge im gewünschten Sinne „korrigierte“.34 Im NS-Reich wurden aus opportunistischen Gründen an zahlreichen Stellen Juden oder Menschen mit jüdischen Vorfahren aber auch offiziell geduldet oder sogar zu „Ehrenariern“ gemacht. Paragraph 7 der 1. Verordnung zum Nürnberger „Reichsbürgergesetz“ eröffnete eine solche Statusänderung , wenn aufseiten der Betreffenden die Voraussetzung der Unentbehrlichkeit oder besonderer Verdienste um die NSDAP gegeben war. Während die anfängliche Schonung der jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs35 , die im „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ organisiert waren , sehr bald wieder aufgegeben wurde , verwandelte man rund 260 Offiziere der Reichswehr und Wehrmacht oder deren Ehefrauen in „Ehrenarier“, am prominentesten den Generalfeldmarschall Erhard Milch. Seit dem 30. Januar 1933 war Milch Stellvertreter Görings als Reichskommissar für die deutsche Luftfahrt und 1938–1945 Generalinspekteur der deutschen Luftwaffe. Der Wehrmachtsoffizier Ernst Bloch , Sohn eines jüdischen Vaters , wurde 1935 vom Abwehrchef Admiral Wilhelm Canaris zum Leiter einer Abteilung für Industriespionage im Ausland ernannt und – zur Heilung seines „Rassenmakels“ – 1939 von Hitler für „deutschblütig“ erklärt. Die von Bryan Mark Rigg36 mit 117. 000–190. 000 angenommene sehr hohe Zahl deutscher Soldaten mit jüdischen Vorfahren , die in der Wehrmacht dienen „durften“, wird zwar angezweifelt , doch konnte Rigg fast 1. 700 Fälle sicher dokumentieren. Auch prominente jüdische Spitzensportler wurden , wenn sie denn – wie bei der Olympiade 1936 – zum Erweis deutscher Größe beitragen konnten , in Einzelfällen zu „Ehrenariern“ erklärt oder mussten vor der Weltöffentlichkeit als „Alibijuden“ dienen. Das Wort „Wer Jude ist , bestimme ich“ wird gelegentlich Hermann Göring zugeschrieben , der es anlässlich einer Auszeichnung von Erhard Milch formuliert haben soll. Aber es stammt wahrscheinlich bereits von dem antisemitischen Oberbürgermeister Wiens , Karl Lueger ( 1844–1910 ). Die Ernennung zum „Ehrenarier“ war letztinstanzlich ohnehin Adolf Hitler vorbehalten. Gerade angesichts der sonstigen Radikalität rassenideologischer Ausgrenzung bezeugen solche sprachlichen „Umetikettierungen“ die wissenschaftliche Brüchigkeit der offiziellen Rassenbiologie.
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Auch die am radikalsten auf Rassereinheit eingeschworene SS sah sich ab 1943 , wie schon gesagt , gezwungen , zwecks Ersatz ihrer hohen Menschenverluste in der Waffen-SS und zur Aufstellung neuer Kampfverbände neben „blutsverwandten“ Flamen , Niederländern , Norwegern und anderen „Germanen“ nicht nur Deutsche , die keineswegs mehr den körperlichen Idealen eines SSMannes entsprachen , sondern auch „artfremde“ Soldaten , etwa Wallonen und selbst muslimische Bosnier , aufzunehmen. Der Männerorden musste außerdem auf die Mitwirkung von Frauen , sogenannten SS-Helferinnen , zurückgreifen. Sie wurden auch als Bewacherinnen eingesetzt und standen nicht selten ihren männlichen Kollegen an Brutalität kaum nach. In Frauenlagern nahmen sie auch selbst „Selektionen“ vor. Der große Rest der männlichen Juden , die nicht als „Ehrenarier“ umetikettiert wurden oder sonstwie unentbehrlich waren , wurde ab Dezember 1938 als Zwangsarbeiter in Fabriken , nicht zuletzt der Rüstungsindustrie , eingesetzt , um die in die Wehrmacht eingezogenen „Arier“ zu ersetzen , allerdings jeweils im „geschlossenen Arbeitseinsatz“, das hieß : getrennt von der „arischen“ Belegschaft. „Die Juden sind schuld“ – Vorbereitungen auf die „Endlösung der Judenfrage“
In der Phase der Ausgrenzung und Verfolgung , die der sogenannten Endlösung unmittelbar voraufging , wurden die entwürdigenden Maßnahmen gegen Deutsche mit jüdischer Abstammung noch verschärft. Längst hatten alle Straßennamen , die an bedeutende jüdische Menschen erinnern sollten , einen ideologisch korrekten Ersatz gefunden.37 Der schon 1933 auf Kontrolle zielende Zusammenschluss der unterschiedlichsten jüdischen Gemeinschaften zur „Reichsvereinigung der deutschen Juden“ wurde nun in eine unter Gestapo-Aufsicht stehende „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ umgewandelt. Aus „deutschen Juden“ wurden nun „Juden in Deutschland“ – eine Kennzeichnung , die Juden jede persönliche Nähe zum Deutschsein absprach , sie vielmehr auch terminologisch als Fremdkörper in Deutschland definierte. Diese Zwangsvereinigung durfte bis zu ihrer Auflösung im Juni 1943 noch als Hilfsorgan bei den Deportationen dienen. Zuvor aber hatten offizielle Maßnahmen zur Namensgebung für eine ins höchst Private reichende perfide Ausgrenzung von Juden im Reich gesorgt. Die „Zweite Verordnung zum Gesetz über die Änderung von Familien- und Vornamen“ vom 17. August 1938 bezog sich ausschließlich auf die jüdische Bevölkerung. Darin war festgelegt , dass neugeborenen Juden ab 1. Januar 1939 nur
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noch hebräische oder jüdisch klingende Vornamen wie „Abel“, „Levi“ oder „Isaak“ gegeben werden durften , die das Reichsinnenministerium in offiziellen Listen fixiert hatte. Namen hebräischen Ursprungs wie „Anna“, „Gabriel“ oder „Michael“, die unter nichtjüdischen Deutschen stark verbreitet waren , wurden von dieser Diskriminierungsmaßnahme vorsorglich ausgenommen. Ebenfalls ab Januar 1939 mussten schließlich alle Juden einen zusätzlichen Vornamen führen , der für alle gleich war , für Frauen „Sara“, für Männer „Israel“.38 Über eine bürokratische Schikane weit hinaus war dies ein weiterer entscheidender Schritt zur Entindividualisierung jüdischer Menschen. Er verletzte mit voller Absicht die persönliche Identität der Betroffenen , die in einer freiwilligen Vornamenswahl mitbegründet ist. Offiziell galten Juden zuletzt sogar als „Reichsfeinde“. Über sie wurde eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Sie wurden massiv zur Auswanderung gedrängt , bis diese am 23. Oktober 1941 verboten wurde. Rosenbergs in vielen Zeitungen verbreitete Schlussfolgerung einer ersten Arbeitstagung des sieben Monate zuvor in Frankfurt a. M. gegründeten „Instituts zur Erforschung des Judentums“39 lautete : „Für Europa ist die Judenfrage erst dann gelöst , wenn der letzte Jude den europäischen Kontinent verlassen hat.“ Auswanderung bedeutete konkret den Verlust aller Eigentumsrechte in Deutschland , allein für die Ausstellung eines Reisepasses – so etwa in Österreich – die Abgabe von fünf Prozent des Vermögens.40 Außerdem musste , wie bereits erwähnt , die „Reichsfluchtsteuer“ entrichtet werden – ein Verwaltungsterminus , der auch die sogar erwünschte und amtlich geregelte Emigration mit dem Makel der Rechtswidrigkeit versah. Besonders hinterhältig war ein spezielles Verfahren , Juden um ihr Vermögen zu bringen : In einem Vertrag , welcher der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ aufgezwungen worden war , wurde den vornehmlich älteren jüdischen Menschen , die ins KZ Theresienstadt in Nordböhmen deportiert wurden , gegen die partielle oder ganze Übereignung ihres Vermögens auf Lebenszeit Unterkunft und Betreuung zugesichert. Dafür musste jeweils ein „Heimeinkaufsvertrag“ abgeschlossen werden. Die von der SS auf diese Weise gewonnenen Millionen dienten angeblich der Unterstützung bedürftiger Lagerinsassen , flossen aber in Wahrheit der SS , genauer dem Reichssicherheitshauptamt zu. Im Vertrag blieb eine „anderweitige Unterbringung“ als in Theresienstadt ausdrücklich vorbehalten. Das aber hieß , dass rund 88. 000 Insassen in Vernichtungslager , ab Oktober 1942 ausschließlich nach Auschwitz , weiterdeportiert wurden. Wer nicht auswandern konnte , musste ohnehin Schmuck und Edelmetall abliefern , „arische“ Wohnhäuser räumen und in ein „Judenhaus“ einziehen.
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Steuerkarten trugen die Kennzeichnung „JS “, das hieß : „als Jude veranlagt“, was es den Finanzämtern erlaubte , die so Gekennzeichneten bis auf die letzte Mark auszuplündern. Für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel brauchte man eine besondere Erlaubnis. Radios mussten abgeliefert werden , private Telefonanschlüsse wurden gekündigt. Im Laufe des Jahres 1942 wurde auch die Benutzung öffentlicher Telefone verboten , es durften keine Zeitungen und Zeitschriften mehr gehalten werden. Elektrische und optische Geräte sowie Schreibmaschinen und Fahrräder waren abzuliefern , ebenso Kultgegenstände aus Edelmetall. Bei Bezugsscheinen und Lebensmittelkarten wurden Juden beispielsweise von der Zuteilung von Kleiderkarten , zuletzt auch von Fleischund Milchmarken ausgeschlossen. Der Einkauf von Brot nach 9.00 Uhr , von Fleisch außerhalb der Zeit von 14.30–16.00 Uhr war Juden bei Strafe verboten. Juden durften nur Parkbänke benutzen , die eigens gekennzeichnet waren , unter anderem auch durch einen gelben Anstrich. Jüdische Schüler durften nicht mehr unterrichtet , „arische“ Friseure und Buchhandlungen nicht mehr aufgesucht werden. Kinobesuche waren verboten. Gleichzeitig aber bot man den „arischen“ Kinofreunden einen Film von Veit Harlan , „Jud Süß“, der alle Register antisemitischer Vorurteile zog. Ab 1. September 1941 mussten auf Initiative von Goebbels alle Juden ab sechs Jahren auf ihrer Kleidung deutlich sichtbar einen „gelben Stern“, den sogenannten Davidstern , auch „Judenstern“ genannt , tragen.41 Dieses Erkennungszeichen ermöglichte jedem „Arier“, Verstöße eines Juden gegen die Vorschriften leicht wahrzunehmen und anzuzeigen. Diese Maßnahmen extremer Isolierung waren Vorstufen der geplanten Ghettoisierung auch der deutschen Juden , die wie bereits in den besetzten östlichen Gebieten , allen voran in Polen , wiederum die Vorstufe für die Vernichtung der jüdischen Menschen war. Der Kriegsbeginn am 1. September 1939 wurde in der NS-Propaganda auch als Anfang eines „Kriegs gegen die Juden“ gedeutet42 , da in den „Feindstaaten“ angeblich Juden an den politischen Schalthebeln säßen. Das exzessiv antisemitische Wochenblatt „Der Stürmer“ warf in Nr. 38 vom November 1939 die Frage auf , ob nicht sogar der damalige britische Schatzkanzler W inston Churchill ein „Halbjude“ sei. Es ging in der Sicht des NS-Regimes um einen Überlebenskampf der „arischen Rasse“ schlechthin. Außerdem wurde zuvor schon immer wieder darauf verwiesen , dass eigentlich „die Juden“ den Deutschen den Krieg angedroht hätten – die übliche Verkehrung der Täter-OpferPerspektive. Schon sieben Monate vor Kriegsbeginn , am 30. Januar 1939 , hatte Hitler in einer Reichstagsrede die Vernichtung der „jüdischen Rasse“ in Europa prophezeit.
Wannsee-Konferenz 1942 |
Die stereotype ideologische und propagandistische Verquickung von „Judentum“ und „Bolschewismus“ ließ sich erst recht zur Rechtfertigung des Angriffs auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 nutzen. Der schon erwähnte Leitartikel von Joseph Goebbels in der Zeitschrift „Das Reich“ vom 16. November 1941 trug die bezeichnende Überschrift „Die Juden sind schuld“. „Judenevakuierung“ – Die Wannsee-Konferenz 1942
Den Beginn des Massenmords an den europäischen Juden , die letzte Phase der Judenvernichtung, leitete die sogenannte Wannsee-Konferenz43 am 20. Januar 1942 ein , eine Zusammenkunft von hochrangigen Vertretern des SS-Reichssicherheitshauptamtes ( RSHA ) und oberster Reichs- und Okkupationsbehörden. Den Vorsitz hatte der Chef des RSHA Reinhard Heydrich , der einen von ihm im Auftrag von Göring erarbeiteten Plan für die verschleiernd „Endlösung der Judenfrage“ genannten Aktionen vorlegte. Diese Konferenz konnte formal zwar keine Entscheidung fällen , doch nach Heydrichs Plan wurde mit höchster Zustimmung tatsächlich verfahren. Auch wenn dazu kein ausdrücklicher Führerbefehl vorliegt , ist es schlechterdings unvorstellbar , dass die allein logistisch enorme Organisation , nicht zuletzt der Einsatz der Deutschen Reichsbahn mitten im Krieg , nur Initiativen unterer politischer Ebenen entsprungen sein könnte. Gleichsam im Vorgriff auf die Beschlüsse der Wannsee-Konferenz hatten ab 1941 „Einsatzgruppen“ von Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst bis zum März 1942 außerhalb der deutschen Reichsgrenzen bereits rund 600. 000 jüdische Menschen umgebracht. Es begannen die Deportationen großen Stils , die in Deutschland noch verbliebenen Juden wurden in Sammeltransporten „evakuiert“. Verschleiernd hieß es : „zur Ansiedlung im Osten“ oder „Richtung Osten“. Bereits knappe sechs Monate nach dem Überfall auf Polen waren im Februar und März 1940 die ersten Juden in polnische Gebiete abgeschoben worden.44 Dort wurden sie wie die stetig wachsende Zahl weiterer aus Deutschland Deportierter schließlich mit zahllosen nichtdeutschen Juden aus den besetzten Gebieten , soweit diese nicht hinter der nach Osten vorrückenden deutschen Front von den Einsatzgruppen sofort ermordet worden waren , in Ghettos zusammengepfercht. Für diese Morde war der Euphemismus „Sonderbehandlung“ vorgegeben. Die Ghettos waren aber nur eine Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtungslager der KZs. Das Wort „Judenevakuierung“ war von vornherein eine Beschönigung. Heinrich Himmler offenbarte in seiner schon zitierten Posener Geheimrede vom
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4. Oktober 1943 in einem einzigen Satz , was tatsächlich gemeint war : „Ich meine jetzt die Judenevakuierung , die Ausrottung des jüdischen Volkes.“45 Zwei Tage danach , am 6. Oktober 1943 , formulierte Himmler in einer weiteren Rede vor den Reichs- und Gauleitern in Posen ebenfalls mehr als deutlich : „Es musste der schwere Entschluß gefasst werden , dieses Volk von der Erde verschwinden zu lassen.“ Ohne Himmlers ehrliche , aber geheim gebliebene Erklärung wäre das Wort „Evakuierung“ kaum jemandem besonders aufgefallen. Denn es gab zu diesem Zeitpunkt schon zahlreiche Evakuierungen aus deutschen Städten , die immerhin dem Schutz der Betroffenen vor dem Bombenkrieg dienten. Auch der häufig benutzte Euphemismus „Wohnsitzverlegung“ für eine Deportation von Juden sollte die Fakten verschleiern. Noch in den Ghettos wurde die brutale Realität beschönigt. So wurden diejenigen , die in die Vernichtungslager abtransportiert wurden , als „Auszusiedelnde“ umschrieben. Goebbels als Gauleiter von Berlin hatte Hitler versprochen , die Reichshauptstadt bis zu dessen Geburtstag am 20. April 1943 „judenrein“ zu machen. Deportationen aus Berlin hatten schon ab 1941 stattgefunden. Am 27. Oktober 1943 begannen die letzten Großrazzien gegen jüdische Deutsche in Berlin. In der sogenannten Fabrik-Aktion wurden rund 10. 000 jüdische Zwangsarbeiter an ihrem Arbeitsplatz verhaftet. Der angeblich erfolgreiche Protest von „arischen“ Ehefrauen gegen die Verhaftung ihrer Männer in der Berliner Rosenstraße – inzwischen auch in einem Film dargestellt – hat sich allerdings als Mythos erwiesen.46 Die Schlagwörter „judenrein“ und „judenfrei“, die auch in anderen deutschen Großstädten , etwa in Köln , als Programmvokabeln der NSJudenvertreibung benutzt wurden , hatten ihren sprachlichen Vorlauf seit dem 19. Jahrhundert , wie schon in Kapitel 1 dargestellt. Mit der Bezeichnung „Ghetto“, zeitgenössisch auch „Getto“, knüpfte man terminologisch an die jüdischen Wohnquartiere bis zur Judenemanzipation im 19. Jahrhundert an. Die historischen Ghettos standen bereits für eine äußerst erniedrigende Lebensform , hatten aber im Vergleich zu den neuen so benannten Zwangswohnstätten fast noch paradiesische Verhältnisse geboten. Denn nun war beispielsweise jeglicher Außenkontakt , der in den alten Ghettos immerhin noch möglich gewesen war , strikt und durch Waffengewalt unterbunden. Man tarnte die neue , schreckliche Situation freilich noch damit , dass eine Art jüdischer Selbstverwaltung eingerichtet wurde , an deren Spitze ein „Judenrat“ stand. Dieser aber hatte vor allem deutsche Anordnungen auszuführen und dabei auch für die Umsetzung der Befehle zu weiterer Deportation in die KZs zu sorgen. Um beim deutschen Publikum die Abscheu vor den Juden zu erhöhen , wurden einige Propagandafilme mit Aufnahmen aus den Ghettos produziert , die
Systematischer Massenmord in KZs |
angesichts der Lebensbedingungen dort wahrlich erbärmliche Zustände zeigten , die als typisch für „jüdische Lebensart“ ausgegeben wurden. Aus Sorge , diese Filme könnten beim Publikum doch noch Mitleid wecken , wurden sie jedoch sehr schnell wieder zurückgezogen. Ein ganz anders gearteter Propagandafilm entstand 1944 , der nach einer nicht gesicherten Information „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ heißen sollte. Er sollte das KZ Theresienstadt in Nordböhmen als Beweis für die großherzige Behandlung jüdischer Menschen vorführen und die Verschleierung von Deportationen als bloße „Wohnsitzverlegung“ aufrechterhalten. Tatsächlich wurde Theresienstadt immer wieder einmal als Vorzeigelager präpariert , etwa wenn beim Besuch des Internationalen Roten Kreuzes am 23. Juli 1944 mit eigens eingerichteten Läden , Cafés und einer Bank ein normales städtisches Leben vorgetäuscht wurde. Gleichwohl wurde auch Theresienstadt , wie schon angemerkt , für rund 88. 000 Insassen nur zur Durchgangsstation in die Vernichtungslager.
„Vernichtung der jüdischen Rasse“ – Der systematische Massenmord in KZs
Spätestens seit Harald Welzers Analyse der Ursachen , „wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden“47 , kann man wissen , dass es nur ganz bestimmter sozialer Bedingungen bedarf , damit letzte moralische Schranken fallen , die bei allen halbwegs noch erträglichen Vorurteilen gegen soziale , weltanschauliche und politische Minderheiten doch davor bewahren können , den Schritt zu deren physischer Vernichtung zu tun. Zu den sozialen Bedingungen , die in Deutschland bei allzu vielen jede Hemmung zu töten aufhoben und eine staatlich organisierte Verfolgung und Vernichtung der Juden und anderer Bevölkerungsgruppen ermöglichten , gehörte unbedingt die Art und Weise , wie diese Opfergruppen sprachlich behandelt wurden. Juden , Sinti und Roma , Homosexuelle , Slawen und Farbige waren in einer langen sprachlichen Tradition schon vor 1933 entindividualisiert worden , so dass nur in Einzelfällen die Angehörigen dieser Gruppen noch als Individuen erscheinen konnten , während die große Mehrheit als amorphe Masse mit keinerlei Daseinsberechtigung galt. In den Ghettos im Osten , außerhalb der eigentlichen Reichsgrenzen , waren die Verfolgten und größtenteils zum Tod Bestimmten den Blicken der allermeisten Deutschen mehr oder weniger entzogen , was es schließlich auch nach 1945 gleichsam erleichterte , ihr weiteres Schicksal zu „beschweigen“48. Das galt vor allem für die nach und nach erfolgende Räumung der Ghettos mit Abtransport
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ihrer Insassen in die KZs und deren Vernichtungsanlagen , für die man ebenfalls Orte östlich der alten Reichsgrenze bevorzugte : Auschwitz , Belzec , Chelmno , Majdanek , Sobibor , Treblinka. Gleichwohl mussten sehr viele von den Verbrechen wissen. Die Massentransporte , welche die Deutsche Reichsbahn zu bewältigen hatte , machten zumindest zahlreiche ihrer Mitarbeiter zu Mitwissern.49 Letztlich war der Massenmord doch ein „offenes Geheimnis“.50 Dass auch das Auswärtige Amt bei der Vernichtung der europäischen Juden eine aktive Rolle gespielt hat , wurde nach seiner bundesdeutschen Wiedergründung 1951 von Mitarbeitern , die schon bis 1945 unter dem NS-Außenminister Joachim von Ribbentrop tätig gewesen waren , sorgsam verschleiert. Erst 2010 kam dieses Kapitel der Ministeriumsgeschichte ans Licht der Öffentlichkeit.51 Die Transporte , oft in Vieh- und Güterwaggons , endeten beispielsweise in Auschwitz , dem größten KZ , an der berüchtigten „Rampe“. Zur Täuschung der Ankommenden mussten zeitweilig weibliche Lagerinsassen fröhliche Lieder spielen. Aber schon an der Rampe wurden Männer und Frauen sowie Kinder getrennt aufgestellt. Die Männer wurden sofort durch „Selektion“ in „Arbeitsfähige“ und „nicht Arbeitsfähige“ unterteilt. „Selektion“, bis dahin ein Terminus der Evolutionstheorie und tierischen Rassenzüchtung , erfuhr dabei eine bis heute nachwirkende zweite , schreckliche Bedeutung. Die nicht Arbeitsfähigen sowie Frauen und Kinder wurden ab Januar 1942 sogleich nach ihrer Ankunft in das separate Vernichtungslager Birkenau , „Auschwitz II“ genannt , verbracht und „vergast“. Anfangs wurden „Vergasungen“52 in kleinerem Umfang noch in einer provisorischen „Gaskammer“ in „Auschwitz I“ durchgeführt. Lagerintern hieß diese Gaskammer „Bunker I“. Zur Erprobung dieser Mordmethode waren am 3. September 1941 zunächst 600 russische Kriegsgefangene und andere Häftlinge in den Gastod geschickt worden. Erfahrungen mit der Vergasung hatte man aber auch bereits bei den Euthanasie-Morden gesammelt. Die Opfer wurden in einen als Dusche getarnten Raum getrieben , in den Gas eingeleitet wurde. In einer ersten Phase wurde Kohlenmonoxyd aus Flaschen und aus Motorabgasen verwendet. Mit der wachsenden Zahl der Eingelieferten musste die Tötung aber „rationeller“ erfolgen , wofür das Giftgas Zyklon B gewählt wurde. Es wurde von Öffnungen in der Decke eingebracht und entfaltete seine tödliche Wirkung. Die Stelle , die für die Beschaffung dieses Giftgases für Auschwitz zuständig war , hieß – ein absoluter Tiefpunkt nicht nur sprachlicher Menschenverachtung – „Amt für Schädlingsbekämpfung“. Die Leichen mussten von Häftlingen geborgen werden und zum Verbrennen in ein Krematorium transportiert werden. Als Zeugen des Verbrechens waren sie als Nächste dem Tod geweiht. „Bunker“,
Systematischer Massenmord in KZs |
„Dusche“ und „Gaskammer“ waren für die Lagerinsassen die Schreckwörter schlechthin. Die jüdischen Arbeitsfähigen waren zumeist schon vorher , in jedem Fall in den Ghettos Zwangsarbeiter gewesen und galten als „Arbeitsjuden“. Sie kamen entweder nach Auschwitz I , wo sie wie auch sonst streng bewacht in Betrieben , die der SS unterstanden , in der Landwirtschaft oder in Versuchsanstalten zu arbeiten hatten , oder nach „Auschwitz III“, Monowitz , wo sie in einem Buna-Werk der „I.G. Farben“ in der Produktion für synthetischen Kautschuk beschäftigt wurden. Versuche , aus dem Lager zu fliehen , endeten fast ausnahmslos entweder im Kugelhagel der Wachposten oder in der unter Strom stehenden Einzäunung. Die Lebensbedingungen waren unmenschlich. Primitivste Schlafstätten auf mehrstöckigen Pritschen , Nahrungsmangel , härteste körperliche Arbeit , oft zusätzlich stundenlange Appelle , bei denen auch willkürlich Exekutionen vorgenommen wurden , schwächten auch die stärksten Naturen. Krankheiten wie Typhus oder Fleckfieber breiteten sich epidemisch aus. Die Gesamtzahl der allein in Auschwitz getöteten Juden wird von Fachleuten auf 1,1 bis 1,5 Millionen geschätzt. Hinzugerechnet werden müssen die hohen Zahlen von ermordeten nichtjüdischen Häftlingen , auch von politischen Gefangenen und Zeugen Jehovas sowie der Todesopfer medizinischer Versuche unter maßgeblicher Leitung des SS-Arztes Josef Mengele. Noch 1944 hat Adolf Eichmann , im SS-Reichssicherheitshauptamt leitend zuständig , für die Vertreibung und Deportation von Juden , angeordnet , dass die „Tagesquote“ der Tötungen in Auschwitz von 10. 000 auf 12. 000 erhöht werden müsse. Am 27. Januar 1945 wurden die Überlebenden von Auschwitz von der Roten Armee befreit. Die Überlebenden anderer KZs wurden angesichts der auch an anderen Fronten vorrückenden alliierten Truppen zwecks Verlegung in noch sichere Lager zu „Todesmärschen“ gezwungen , bei denen zusätzlich Unzählige starben oder erschossen wurden. Dass sich die Juden keineswegs , wie oft behauptet wird , insgesamt nur wie willenlose Opferlämmer zur Schlachtbank führen ließen , lässt sich allein schon mit dem energischen Widerstand jüdischer Gruppen etwa in Berlin widerlegen.53 Viele Juden taten sich im Osten auch in Partisanengruppen hervor. Selbst im strengstens bewachten KZ Auschwitz gab es 1944 zwei Aufstandsversuche. Nicht zuletzt aber der Aufstand im Warschauer Ghetto , in dem 1943 vornehmlich Juden fast einen Monat lang , vom 19. April bis 16. Mai , der geballten deutschen Militärmacht Paroli boten , ist ein schlagender Gegenbeweis gegen die verbreitete Meinung vom mangelnden jüdischen Widerstandswillen.
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„Untermenschen“ – „Verschrottung“ – Zum Verhältnis von Sprache und Gewalt
Wie sehr selbst Sprachlenkungsmaßnahmen , die nur scheinbar nebensäch licher Art waren , zum allmählichen Aufbau eines Gewaltpotenzials beitragen konnten , zeigen exemplarisch die Veränderung des Buchstabieralphabets und die Abschaffung der Frakturschrift , auch „gebrochene Druckschrift“ genannt. In beiden Fällen sollte Jüdisches diskriminiert werden. Das amtliche Buchstabieralphabet wurde 1934 durch die Deutsche Reichspost geändert , weil es „jüdische“ Namen enthielt. „David“ für den Buchstaben „D“ wurde durch „Dora“ ersetzt , „Jakob“ für „J“ durch „Jod“, „Nathan“ für „N“ durch „Nordpol“, „Samuel“ für „S“ durch „Siegfried“ und „Zacharias“ für „Z“ durch „Zeppelin“. Bis auf die zwischenzeitlich mögliche Variante „Samuel“ neben „Siegfried“ und die Restituierung von „Zacharias“ in der deutschen DIN-Regelung 5009 aus dem Jahr 2005 gilt das „entjudete“ Buchstabieralphabet immer noch außer in Deutschland auch in Österreich , und es wurde auch in der DDR verwendet. Im März 1941 ließ Hitler für alle künftigen Druckerzeugnisse , staatliche Urkunden , Dienstsiegel und Veröffentlichungen von Behörden eine Umstellung von der traditionellen Frakturschrift auf die Antiqua , die sogenannte Normalschrift, anordnen.54 In den Schulen wurde die sogenannte deutsche Schrift in der seit den 1920ern geltenden Variante „Sütterlin“ zugunsten der lateinischen Schrift abgeschafft. Man könnte in dieser Reform einen Widerspruch zur Wahrung „deutscher“ Traditionen sehen. Tatsächlich handelte es sich dabei um einen kleinen Sieg modernistischer über antimodernistische Tendenzen. Doch spielte dabei auch die Absicht mit , sich im Ausland und nicht zuletzt im militärisch erweiterten deutschen Herrschaftsraum international geltenden Schriftnormen anzupassen. Bezeichnend aber war , dass dabei die Frakturschrift – historisch völlig unbegründet – als „Schwabacher Judenlettern“ diskriminiert wurde.55 Der Völkermord an Juden und der Massenmord an anderen Bevölkerungsgruppen ist im Hinblick auf die Frage , welche Rolle die Sprache bei der Vorbereitung und Durchführung solcher Verbrechen spielt , ein Paradebeispiel für das unmittelbare Zusammenspiel von Wort und Tat. Indes entwickelten sich in der NS-Zeit die Anteile sprachlicher Äußerungen und verbrecherischer Taten gleichsam gegenläufig. Die diskriminierenden Äußerungen stehen am Anfang , werden mit der immer wieder angewandten Verkehrung der Täter-Opfer-Perspektive verknüpft , verlieren dann aber trotz heftigen weiteren Gebrauchs an Gewicht gegenüber der wachsenden nichtsprachlichen Brutalität des Handelns , bis diese auf dem Fundament einer gelungenen Verinnerlichung der verbalen
Zum Verhältnis von Sprache und Gewalt |
Diskriminierung „ehrlich“ werden kann und auch sprachlich keinerlei Rücksichten auf irgendwelche Empfindlichkeiten , gar auf ethische Normen mehr nimmt. Die NS -Strategie der verbalen Stigmatisierung hatte im Falle der Judenverfolgung günstigste Ausgangsbedingungen , da ihre Mittel teilweise schon jahrhundertelang erprobt waren. Herabwürdigungen von Menschen jüdischer Herkunft gab es schon im Rahmen konfessioneller , antijudaistischer Anfeindung seitens der christlichen Mehrheit , ob sie nun katholischer oder evangelischer Konfession war. Mit der Wendung zu einem „wissenschaftlich“ begründeten Antisemitismus im 19. Jahrhundert , der die angeblich biologische Besonderheit von Juden zur Begründung und zum Ziel von Angriffen machte , verloren religiöse Verunglimpfungen wie der Generalvorwurf , die Juden seien „Gottesmörder“, oder die Verdächtigung , sie begingen Ritualmorde , töteten aus rituellen Gründen christliche Kinder und schändeten Hostien56 , an allgemeiner Bedeutung. Freilich hielten sich solche Lügen in großen Teilen der christlichen Bevölkerung und machten diese auch für nicht religiös motivierte Verunglimpfungen von Juden empfänglich. Noch bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil ( 1962–65 ) war in der katholischen Karfreitagsliturgie folgende Fürbitte obligatorisch : „Lasset uns auch beten für die ungläubigen Juden [ im lat. Original : pro perfidis Iudaeis ] : Gott , unser Herr , möge den Schleier von ihren Herzen wegnehmen , auf daß auch sie unsern Herrn Jesus Christus erkennen.“ In einer Anmerkung des „Vollständigen Römischen Meßbuchs“57 dazu hieß es : „Hier unterläßt der Diakon die [ nach den sonstigen Fürbitten übliche ] Aufforderung zur Kniebeugung , um nicht das Andenken an die Schmach zu erneuern , mit der die [ ! ] Juden um diese Stunde den Heiland durch Kniebeugungen verhöhnten.“ Zur Verunglimpfung griff man in die untersten , schon seit dem 19. Jahrhundert geöffneten Schubladen pseudo-biologischer Umschreibungen wie „Parasiten“, „Parasitenvolk“, „Bazillen“, „Trichinen“ oder „Gezücht“. Richtig biologisch wurde es dann mit der Übertragung der tierischen Rassenlehre auf menschliche Verhältnisse , in denen Juden samt und sonders einer Rasse zugerechnet wurden , die sich durch ihr „minderwertiges Blut“ von der höchsten Form des Menschtums , der „arisch-germanisch-deutschen“ oder „nordischen Rasse“ deutlichst unterscheiden sollte , bis schließlich ihr „zoologischer“ Status sogar als „Menschentiere“, gar als „Gegenrasse“ bestimmt wurde. Die Lücken biologischer Nachweise wurden jeweils durch Behauptungen einer angeblich kulturellen Minderwertigkeit ausgefüllt. Die sprachliche Kollektivierung „die Juden“, erst recht der kollektivierende Singular „der Jude“ dienten erfolgreich der Leugnung jeglicher Individualität.
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Der Brei in sich widersprüchlicher Argumente gegen Juden wurde immer zäher , verband sich mit sozialen , nicht zuletzt ökonomischen Vorurteilen , etwa in Invektiven gegen das „Finanzjudentum“, so dass mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in einer Art Doppelstrategie tätlicher Angriffe wie im sogenannten „Judenboykott“ von 1933 und juristischer Deklassierungen wie in den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 ein ganzer Bevölkerungsteil an den äußersten Rand der Gesellschaft gedrängt werden konnte. Was als Gesetz oder Verordnung daherkam , wurde von den meisten im Obrigkeitsdenken jahrhundertelang erprobten Deutschen allzu leicht hingenommen , auch wenn strafrechtliche Termini wie „Rassenschande“ mit keiner rechtssprachlichen Tradition mehr vereinbar , sondern nur die Fortsetzung der antisemitischen Hetze mit quasijuristischen Mitteln waren. Im Zuge dieser rechtlichen Unterdrückung wurden Juden neben den privilegierten „deutschblütigen Reichsbürgern“ zunächst zu „Staatsbürgern“ mit minderen Rechten degradiert , sodann zu „Rassefeinden“ und schließlich zu „Reichsfeinden“ erklärt. Die Maßnahmen , das stigmatisierte Kollektiv aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens und schließlich durch erzwungene Auswanderung aus Deutschland insgesamt zu vertreiben , wurde zuletzt wie eine logische Konsequenz aller bisherigen „Einsichten“ empfunden , dass Juden im deutschen Volk nicht nur ein Fremdkörper schlechthin wären , sondern eine für den deutschen „Volkskörper“ äußerst schädliche , durch seine angeblich internationalen Verbindungen sogar höchst gefährliche Macht darstellten. Die Funktion sprachlicher Distanzierung wurde nun von einem vorwiegend außersprachlichen Vorgehen abgelöst. Der „gelbe Stern“ war gleichsam das alle Maßnahmen der Separierung umfassende Symbol , das eine sofortige und simple Identifizierung von Gut und Böse ermöglichte. Die beiden letzten Euphemismen von Gewicht , welche die NS -Machthaber noch benutzen zu müssen glaubten , waren die „Endlösung der Judenfrage“ und die „Judenevakuierung“. Beide Termini ließen ohne Insiderwissen offen , wie die damit bezeichneten Maßnahmen tatsächlich verlaufen sollten. Sie verhießen nur , dass ein lästig gewordenes Problem endlich beiseitegeschafft werde. „Judenrein“ und „judenfrei“ waren die wirkungsvollen Propagandavokabeln für eine gelungene ethnische „Reinigung“ und die Beseitigung einer „Schadensquelle“.58 Der große Rest der Judenverfolgung vollzog sich hauptsächlich außersprachlich , durch Mord. Wörter wie „Ghetto“ oder „Judenrat“ mit ihren beschönigenden Aspekten waren nicht mehr für die Deutschen daheim , sondern zur vorläufigen Beruhigung der aus dem öffentlichen Blickfeld gerückten Opfer bestimmt. Die SS konnte in diesem abgeschirmten Raum endlich deutlich
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werden : „Judenevakuierung“ konnte nun wie von Himmler 1943 direkt als „Vernichtung der jüdischen Rasse“ offenbart werden. Die Instrumente der Vernichtung , Gaskammern und Krematorien , bedurften keiner sprachlichen Verschleierung mehr. Die weiter laufenden Verunglimpfungen außerhalb der Lager wurden nun nicht mehr zur Rechtfertigung nackter Gewaltanwendung gebraucht , sondern hatten nur noch die Funktion , die schon grundsätzlich gefestigte Gegnerschaft gegen derart marginalisierte Unpersonen , gegen „Untermenschen“, im Bewusstsein zu halten , um die Gewalttaten gleichsam störungsfrei zu halten. Die Bezeichnungen „Holocaust“ und „Shoa( h )“ für den millionenfachen Völkermord , der außer in Auschwitz in insgesamt 26 KZs mit mehr als 1. 200 „Außenlagern“ und „Außenkommandos“ betrieben wurde , sind erst lange nach 1945 in Umlauf gekommen.59 „Stück Nummer X“ – Der sprachliche Terror in den KZs
Ein besonderes Kapitel ist der Sprachgebrauch in den Ghettos und KZs. In den Ghettos , der „Vorhölle“ vor den Vernichtungslagern , konnte sich seitens der Häftlinge wenigsten ansatzweise ein eigener Sprachgebrauch entwickeln , in dem man zumindest einen geistigen Widerstand gegen die Peiniger leisten konnte.60 Im Ghetto Lodz-Litzmannstadt etwa ist von den Eingesperrten 1941–44 eine Chronik der Tagesereignisse geführt worden61 , deren Stil auf bedrückende Weise die Ausweglosigkeit des Ghettodaseins widerspiegelt. Bezeichnend für das dort bereits verinnerlichte Selbstverständnis der Insassen , jenseits aller Hoffnung auf Individualität nur noch eine amorphe Masse zu sein , ist etwa die häufig gebrauchte kollektivierende Selbstbezeichnung „der Gettomensch / die Gettomenschen“. In den KZs konnten dann die SS und ihre Helfer und Helferinnen , zumal in den Vernichtungslagern ab 1942 , auf brutalste Weise offen sein , war deren Sprachgebrauch doch öffentlicher Beachtung entzogen. Physische Gewalt und sprachlicher Terror – nicht nur gegen Juden – gingen hier unmittelbar Hand in Hand. Der Sprachgebrauch der Befehlshaber und ihres Hilfspersonals war mit der Herabstufung alles Menschlichen zum bloßen „Material“ und seiner faktischen Behandlung semantisch sogar völlig deckungsgleich. Die Sprache , mit der die Häftlinge täglich und stündlich seitens ihrer Bewacher , auch seitens der „Funktionshäftlinge“ wie Lager- oder Blockältesten , konfrontiert wurden , war überwiegend die Befehlssprache. Die ausschließlich deutschen Kommandos hatten alle , auch die , die der deutschen Sprache
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nicht mächtig waren , sofort zu verstehen , wollten sie eine zumindest vorläufige Überlebenschance wahren. In Auschwitz etwa , wo Angehörige von bis zu vierzig verschiedenen Nationen , zudem unterschiedlichster sozialer Herkunft , eingeschlossen waren , gab es im Verständnis der Kommandos von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich große Probleme. So fielen etwa aufgrund mangelnder deutscher Sprachkenntnisse viele neu internierte Italiener einer sofortigen „Selektion“ zum Opfer.62 Sie „gingen ins Gas“, wie es der lagerinterne Jargon formulierte. Die Inhumanität schon der sprachlichen Behandlung der Häftlinge wurde nicht selten noch dadurch verstärkt , dass man auch Berufsverbrecher zu Vorarbeitern , zu „Kapos“63 , machte. Für nichtdeutschsprachige Überlebende , die 1945 noch befreit werden konnten , blieben die grundsätzlich gebrüllten deutschen Kommandos mit ihrem jeweils beängstigenden Kontext zeitlebens oft die einzigen , traumatischen Erinnerungen an die deutsche Sprache. Aber auch den deutschsprachigen Überlebenden konnte die Muttersprache für den Rest ihres Lebens nachhaltig verhasst sein. Zumindest wurden für Überlebende manche deutschen Begriffe aufgrund ihres schrecklichen Erfahrungsgehalts , nicht zuletzt „Lager“ und „Gas“, auch in harmloseren Kontexten zu lebenslang nachwirkenden Schreckwörtern. Zynismen waren allgegenwärtig. Bereits über dem Eingangstor zum KZ Auschwitz prangte die zynische Aufschrift „Arbeit macht frei“64. Auch andere KZ-Einfahrten , so etwa in Theresienstadt , trugen diese Aufschrift. Eine gleichfalls zynische Variante war die Aufschrift in Buchenwald / Weimar : „Jedem das Seine“ – eine Parodie auf einen Ausspruch des römischen Politikers Cato des Älteren. Obwohl die SS die KZs als Wirtschaftsbetriebe führte , die der deutschen Industrie zuarbeiteten und die auf die Arbeitsleistungen der Häftlinge angewiesen waren , nannte man die Art der Behandlung der Häftlinge intern zynisch-offen „Verschrottung von Arbeitskräften“.65 Einen solchen Zynismus , welcher der tatsächlichen Behandlung der Häftlinge aufs Schlimmste entsprach , konnte man sich sehr wohl leisten. Denn für die „verschrotteten“, sprich : ermordeten Lagerinsassen gab es stets genügend „Ersatz“. Die Ankündigung , eine Baracke werde am nächsten Tag „entlaust“, was die bevorstehende Ermordung ihrer Insassen bedeutete , war kaum noch eine verschleiernde Formulierung , sondern ebenfalls eher ein Zynismus , da den Insassen ohnehin nur der Status von Ungeziefer zugestanden wurde. Manche Zynismen wurden auch von den Häftlingen selbst benutzt , etwa wenn angekündigt wurde , jemand werde das Lager „durch den Kamin“, das hieß : nach Gastod und Verbrennung in einem Krematorium , verlassen. Zwecks geheimer Verständigung benutzten die Häftlinge zahlreiche eigene Tarnwörter
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und -formulierungen. Eine der bedrückendsten Umschreibungen , die auf beiden Seiten benutzt wurde , war die in Auschwitz aufgekommene Bezeichnung eines bereits physisch dem Tod geweihten Häftlings. Jemand , der sich vor Entkräftung nicht mehr auf den Beinen halten konnte und nur noch vor sich hin vegetierte , wurde „Muselman( n )“ genannt. Sobald die Bewacher einen solchen Zustand entdeckten , wurde der Betreffende sofort „ins Gas geschickt“. Die etymologische Herkunft von „Muselman“ ist bis heute unsicher. Eine häufig vertretene , aber eher unwahrscheinliche Deutung will eine Verbindung herstellen zwischen den pendelnden Körperbewegungen des Todkranken und dem angeblichen Gebetsverhalten von Muslimen. Der Verfasser hält indes eine wohl über das Jiddische vermittelte Verballhornung von mittelhochdeutsch „misel-man“ ‚Aussätziger‘ für sehr viel wahrscheinlicher. Unklar ist auch noch das Motiv , warum ein aus dreißig Baracken bestehendes , riesiges Lagerdepot in Auschwitz II-Birkenau , in dem die den Häftlingen bei ihrer Ankunft geraubten letzten Wertsachen gelagert wurden , „Kanada“ genannt wurde : Kanada als Inbegriff eines reichen Landes und / oder als Ziel einer nun unmöglich gewordenen Auswanderung ?66 Auch in diesem nach außen abgeschotteten Kommunikationsbereich spielten SS -interne Tarnbezeichnungen insofern noch eine gewisse Rolle , als sie den Peinigern selbst offenbar eine gewisse emotionale Entlastung bieten konnten. Bezeichnenderweise handelte es sich dabei vielfach um Abkürzungen , deren Vollformen selbst eigentlich meist Euphemismen waren. Indem man aber statt der Vollformen Abkürzungen benutzte , konnte man sich hinter der Distanz schaffenden bürokratiesprachlichen Wortbildungsart gleichsam verstecken , etwa hinter folgenden Kürzeln : B = „Behandlung“ ( für Folter ) , S , auch SB = „Sonderbehandlung“ ( für Ermordung ) , RU = „Rückkehr unerwünscht“ ( für geplante Ermordung ) , NN = „Nacht und Nebel“ ( für eine Gruppenexekution aufgrund des „Nacht-und-Nebel-Erlasses“ Hitlers von 194167 ).
Über solche Details erfuhr die Öffentlichkeit bis zum Kriegsende so gut wie nichts , was nicht heißen soll , dass nur wenige Deutsche von den grundsätzlichen Bedingungen und Zwecken der KZs gewusst hätten , wie nach 1945 immer wieder gern behauptet wurde. Von der sprachlichen wie tatsächlichen Grausamkeit der Bewacher und Peiniger drang tatsächlich kaum etwas nach außen , und die Häftlinge , denen es in Einzelfällen noch vor dem Kriegsende vergönnt war , wieder auf freien Fuß zu kommen , hüteten sich wohlweislich , Einzelheiten preiszugeben.
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Erst aus späteren Zeitzeugenberichten , aber auch aus erhaltenen Aufzeichnungen , die schon während der Lagerhaft heimlich angefertigt worden waren , konnte inzwischen eine Fülle von Daten zum Sprachgebrauch der Häftlinge , auch in Form von Wörterbüchern , gesichert und analysiert werden , wobei allerdings auch Unterschiede zwischen den verschiedenen KZs zu beachten sind.68 Wolf Oschlies69 hat den besonderen Sprachgebrauch , einen polnischen Germanismus aus der Häftlingskommunikation aufgreifend , „lagerszpracha“ genannt , schon um diese Sprachform aus Respekt vor den Sprachträgern und ihrem Schicksal nicht als eine x-beliebige Sondersprache abzuwerten.70 Inzwischen wird in der Forschung aber auch die deutsche Form „Lagersprache“ benutzt. Was mit der Entindividualisierung durch Kollektivformulierungen für jüdische Menschen wie „die Juden“ und „der Jude“ begann , sich später in der kollektiven Vornamengebung „Sara“ und „Israel“ fortsetzte , endete in KZs schließlich in der absoluten sprachlichen Entmenschlichung und Verdinglichung bei der Bezeichnung eines Häftlings als „Stück“, die sogar in Anreden benutzt wurde : „Stück Nummer X , vortreten !“ 1 2
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Hortzitz , Nicoline ( 1995 ) : Die Sprache der Judenfeindschaft. In : Schoeps / Schlör ( 1995 ) : 19–40. Ein früher Vorläufer der pseudo-biologischen Abgrenzung findet sich allerdings bereits in einer Theorie , die im Zuge der Reconquista im Spanien des 15. Jahrhunderts aufkam , wonach es zwischen Juden und Christen sogar einen Blutsunterschied gäbe – aktuell als „genetischer“ Unterschied wiederbelebt in der Agitation von Thilo Sarrazin. Grözinger , Karl-Erich : Die „Gottesmörder“. In : Schoeps / Schlör ( 1995 ) : 57–66. Vorübergehend verschonte das NS-Regime wenigstens die nationalstolzen jüdischen „Frontkämpfer“ des Ersten Weltkriegs mit Verfolgungsmaßnahmen. Das keineswegs antisemitische Original stammte von dem badischen März-Revolutionär Friedrich Hecker ( 1811–81 ). Vgl. dazu : Raphael , Freddy : Der „Wucherer“. In : Schoeps / Schlör ( 1995 ) : 103–118. Vgl. Frey , Winfried : „Ein geborner Jud von Jerusalem“. Überlegungen zur Entstehung der Ahasver-Figur. In : Battenberg , Friedrich / Voigts , Manfred ( Hrsg. ) ( 2002 ) : Von Enoch bis Kafka. Festschrift für K.E. Grözinger. Wiesbaden : 207–217 ; Baleanu , Avram Andrei ( 1995 ) : Der „ewige Jude“. In : Schoeps / Schlör ( 1995 ) : 96–102 ; Benz ( 2010 ). Dornblüth , Otto / Pschyrembel , Willibald ( 1940 ) : Klinisches Wörterbuch. Berlin : 471. Vgl. dazu : Ziege , Eva-Maria : Die „Mörder der Göttinnen“. In : Schoeps / Schlör ( 1995 ) : 180–195 ( 184 f. ). Eine in der Alltagssprache häufig verwendete Form von „Jude“; vgl. auch den Filmtitel „Jud Süß“. Filmverlag der Spezialisten ( Hrsg. ) ( 2011 ) : Animation in der Nazizeit ( DVD ; http://www. absolutmedien.de ).
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Darin wurde im Übrigen das Plakat zur Oper „Jonny spielt auf“ ( Uraufführung 1927 ) des von den Nationalsozialisten verfemten Komponisten Ernst Krenek parodiert. Benz ( 2000 ) : 65. Zur Bedeutung jüdischer Wissenschaftler bis 1933 s. die exemplarische Darstellung Heuer , Renate / Wolf , Siegbert ( Hrsg. ) ( 1997 ) : Die Juden der Frankfurter Universität. Frankfurt a. M. / New York. Vgl. Müller , Senya ( 1994 ). Vgl. Hofer ( 1957 ) : 286 f. ( Dokument 161 b ). Ebda. : 289 f. ( Dokument 163 a ). Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 30. Dokumentation von längeren Textauszügen in : Frankfurter Rundschau , 20. 7. 2000 : 7 ; daraus die folgenden Zitate. Dokumentiert in der ARD -Sendung von Michael Kloft „Als die Synagogen brannten“, 5. 11. 2008. Hofer ( 1957 ) : 291 f. S. dazu : Wojak / Hayes ( 2000 ). Vgl. Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen ( Hrsg. ) ( 2003 ) : Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933–1945. Ausstellungskatalog. Frankfurt a. M. Hilberg ( 1997 ). Dieses Urteil wird inzwischen durch die umfangreiche Dokumentation Aly u. a. ( 2008–2011 ) mehr als bestätigt. Kaiser , Niels : Märchen aus alten Zeiten. Ein hartnäckiges Gerücht bis heute : Die Nazis und Heinrich Heines „Loreley“. In : Frankfurter Rundschau , 31. 7. / 1. 8. 2010 : 33. Aus Protest gegen die Entfernung eines Denkmals dieses Komponisten 1936 trat der Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler von seinem Amt zurück und wandte sich dem Widerstand zu. Uehling , Peter ( 2006 ) : Karajan. Eine Biographie. Reinbek / Hamburg. Mitverfasser war Hans Globke , der nach den Krieg unter Konrad Adenauer eine zweite Karriere machen konnte. S. dazu : Schmitz-Berning ( 2000 ) : 292 ff. Ebda. : 204 f. Kühlwein ( 2007 ). Heiber / Heiber ( 2001 ) : Nr. 217. Quelle : Informationen des Musikjournalisten Xaver Frühbeis , die dieser 1996 / 97 in ARDHörfunksendungen , z. B. BR , SWR , veröffentlicht hat. Inzwischen auch Werfring , Johann ( 2010 ) : Der Walzerkönig und das Gausippenamt. In : Wiener Zeitung , 25. 3. 2010 ( Beilage ). Vgl. Rosenthal , Jacob ( 2007 ) : „Die Ehre des jüdischen Soldaten“. Die Judenzählung im Ersten Weltkrieg und ihre Folgen. Frankfurt a. M. Rigg ( 2003 ). In Frankfurt a. M. etwa verschwanden auf diese Weise traditionelle Straßennamen wie „Rothschildallee“ oder der „Theodor-Stern-Kai“ ( nach 1945 wieder eingeführt ). Initiator war Hans Globke ( s. auch Anm. 29 ). Dieses Institut , am 23. 3. 1941 gegründet , war das erste ( und einzige ) Institut einer geplanten Parteihochschule der NSDAP unter Leitung von Alfred Rosenberg. Es kam de facto
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nur zum Aufbau einer Bibliothek mit rund zwei Millionen Bänden ( davon heute 400. 000 in Israel ) , offizielles Periodikum „Weltkampf“; Piper ( 2005 ). 40 Benz ( 2000 ) : 212. 41 Im sogenannten Generalgouvernement , in den besetzten polnischen Gebieten , mussten Juden schon unmittelbar nach der deutschen Eroberung auf ihre Kleidung einen „gelben Fleck“ nähen. 42 Schon am Anfang des 19. Jahrhunderts hatten Adam Heinrich Müller und Johann Gottlieb Fichte von einem „Krieg gegen die Juden“ gesprochen. Von einem „Rassenkrieg“ gegen Juden und Slawen schwadronierte vor 1914 Wilhelm II. ; vgl. Röhl , John ( 2004 ) : Wilhelm II. Cambridge. 43 Diese Bezeichnung kam erst 1947 auf ; sie bezieht sich auf den Ort der Zusammenkunft , eine vom RSHA genutzte Villa in Berlin , Am Großen Wannsee 56–58. 44 Benz ( 2000 ) : 216. 45 IMT Bd. XXIX : 145 ; Hofer ( 1957 ) : 114. 46 Gruner , Wolf ( 2006 ) : Widerstand in der Rosenstraße. Die Fabrik-Aktion und die Verfolgung der „Mischehen“ 1943. Frankfurt a. M. 47 Welzer ( 2005 ). 48 Vgl. Schlosser ( 2005 ) : 56 und 62 f. 49 Hilberg ( 1987 ) ; Gottwaldt , Alfred ( 2011 ) : Die Reichsbahn und die Juden 1933–1939. Wiesbaden. 50 Bajohr / Pohl ( 2006 ). 51 Conze u. a. ( 2010 ). 52 Die Wendung „bis zur Vergasung“ war indes kein NS -spezifischer Ausdruck. Sie war zuvor schon in der Landsersprache für „bis zur Erschöpfung“ gebräuchlich ; eine Verbindung zum Gastod an der Westfront im Ersten Weltkrieg ist unsicher. 53 Vgl. u. a. Löhken / Vathke ( 1993 ). 54 Etwa dokumentiert in einem „Schnellbrief“ des Reichsministers für Wissenschaft , Erziehung und Volksbildung an die Behörden des Reiches vom 22. 3. 1941. 55 Heiber / Heiber ( 2001 ) : 336. – Auseinandersetzungen um die Zurückdrängung der Fraktur gab es allerdings schon seit dem 18. Jahrhundert. So beschwerte sich etwa noch Goethes Mutter , dass ihr Sohn den „Wilhelm Meister“ nicht mehr in der Fraktur , sondern in lateinischen Lettern drucken ließ. 56 Vgl. dazu verschiedene Beiträge in : Schoeps / Schlör ( 1995 ). 57 Mönche der Erzabtei Beuron ( Hrsg. ) ( 111951 ) : Das vollständige Römische Meßbuch lateinisch und deutsch. Freiburg i. Br. : 392. 58 Vergleichbare ( meist jüngere ) Wortbildungen wären etwa „ausländerfrei“, „staubfrei“ oder „unfallfrei“. 59 Schlosser ( 2005 ) : 84. 60 S. dazu die Arbeiten von Jörg Riecke , zuletzt : Wörter und Unwörter aus dem Getto. Beobachtungen zur Sprache der Opfer des Nationalsozialismus. In : Füllgrabe , Jörg ( Hrsg. ) ( 2011 ) : Wanderer zwischen den Zeilen. Von Wörtern und Texten. Frankfurt a. M. S. 139–150 ( mit weiterer Literatur ). 61 Feucherl / L eibfried / Riecke ( 2007 ). – Die Aufzeichnungen konnten auf abenteuerliche Weise für die Nachwelt gerettet werden. 62 http://www.wolheim-memorial.de / de / sprachen_im_kz.bunamonowitz.
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„Kapo“ ist entweder eine direkte Entlehnung aus italienisch „capo“ ‚Haupt , Spitze , Anführer‘ oder ein Kurzwort zu frz. „caporal“, einer Variante zu „corporal“, das als militärischer Jargonismus für einen Unteroffizier benutzt wurde. „Arbeit macht frei“ war ursprünglich der Titel eines seriösen Erziehungsromans von Lorenz Diefenbach ( erschienen 1873 ). Von „Verschrottung“ sprach auch der „Generalplan Ost“ der SS von 1942. Kanada wurde – neben Argentinien und Palästina – auch in Neuordnungsplänen des Widerstands als Ort für die Errichtung eines jüdischen Staates erwogen. Benz / Graml / Weiß ( 1998 ) : 595. S. u. a. Warmbold ( 2009 ). Oschlies ( 1985 und 1986 ). Auch Weselowska , Danuta ( 1998 ) benutzt diese Wortform in : Wörter aus der Hölle. Die „lagerspracha“ der Häftlinge von Auschwitz. Krakau ; vgl. dazu : Riecke ( 2001 ) : 238 f.
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12 | DER WEG IN EINEN „UNS AUFGEZWUNGENEN KRIEG“ „Luftschutz“ und „Volksgasmaske“ – Der früh geplante Luftkrieg | 257 | „Aufbau der Wehrmacht“ – Die deutsche Hochrüstung ab 1935 | 259 | „Sogenannte Überraschungen“ – Die Rheinlandbesetzung 1936 | 261 | „Fest des Friedens“ – Die Olympiade 1936 als Machtdemonstration | 263 | „Der Ordnung Boten“ – Die „Legion Condor“ 1936 / 37 in Spanien | 266 | „Zielsetzung dieses Systems“ – Das Ende der Friedenspropaganda | 267 | „Ein Reich – ein Volk – ein Führer“ – Die Parole der beginnenden Ostexpansion | 268 | „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ – Der „Anschluß“ 1938 | 269 | „Heim ins Reich !“ – Die Einverleibung des Sudetenlands 1938 | 272 | „Anwendung von Gewalt unter Risiko“ – Das Hoßbach-Protokoll von 1937 | 275 |
Manche NS-Verbrechen gegen die Menschlichkeit , die Euthanasie-Morde wie die „Endlösung der Judenfrage“, aber auch willkürliche Inhaftierungen und Exekutionen von politischen Gegnern erschienen vielen Deutschen in einem milderen Licht , als sie ab dem 1. September 1939 in dem von Hitler begonnenen Krieg in einer ständig wachsenden Zahl von Gefallenen und im Bombenkrieg Getöteten selbst Menschenverluste zu beklagen hatten. Die eigentlichen Verursacher , die Täter , traten gegenüber den eigenen Opfern in den Hintergrund oder ließen sich selbst als heroische Opfer feiern. Für den Erfolg solcher Verschleierung hatte die seit 1933 systematisch verfolgte Propagandastrategie , die Täter-Opfer-Perspektive jeweils umzukehren , gründlich gesorgt. Schließlich schob Hitler auch die Schuld für die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs Deutschlands Gegnern zu. Er konnte dies umso überzeugender tun , als er und seine Propaganda für viele Jahre nach außen hin einen „Willen zum Frieden“ vertreten hatten , von seiner Rede am „Tag von Potsdam“ 1933 bis hin zu einem noch für September 1939 geplanten „Reichsparteitag des Friedens“. Der aber kam nicht mehr zustande , weil zu diesem Zeitpunkt bereits die Waffen sprachen. Wenn Hitler jemals ein Fünkchen echten Friedenswillens verspürt hätte , wäre es von vornherein von seinem weitaus stärkeren Willen ausgelöscht worden , die „Schmach“ der Friedensbedingungen von Versailles zu tilgen und die „deutsche Ehre“ wiederherzustellen. Diese Ehre aber lag für ihn wie für sehr viele Deutsche vor allem darin , wieder eine militärische Großmacht zu werden. Diesem Willen waren in jedem Fall alle Maßnahmen verpflichtet , die gegen die militärischen Beschränkungen durch Versailles gerichtet waren.
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| Der Weg in einen „uns aufgezwungenen Krieg“
Wie sehr man 1933 noch darauf bedacht war , im Ausland kein Misstrauen zu wecken und erste , relativ leichte Verstöße gegen die deutschen Abrüstungsverpflichtungen nach außen hin abzuschirmen , geht aus etlichen Presseanweisungen hervor. Am 12. August 1933 etwa verschärft das Reichsinnenministerium in der zentralen Pressekonferenz einen vorangegangenen Erlass wie folgt : „Staatsekretär Pfundtner erläuterte heute in der Pressekonferenz noch einmal den Erlass des Reichsinnenministeriums an die Länder , diejenigen verantwortlichen Schriftleiter in Schutzhaft zu nehmen , die sich Veröffentlichungen textlicher und bildlicher Art zu Schulden kommen lassen , aus denen das Ausland einen Vorwurf gegen die Reichsregierung herleiten kann , daß die deutsche Regierung die Versailler Friedensbestimmungen bezüglich der Abrüstung verletze.“1
Nur wenige Monate später nahm Hitler schon weniger Rücksicht auf das Ausland und betrieb den Austritt des Deutschen Reiches aus dem Völkerbund , dem auf Friedenssicherung angelegten Zusammenschluss europäischer Staaten , dem Deutschland seit 1926 angehört hatte. Seine demagogische Begründung : Er wolle die deutsche „Gleichberechtigung“ Deutschlands wiederherstellen. Dabei war gerade die von der Weimarer Republik angestrebte Aufnahme in diese Staatengemeinschaft ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Wiederherstellung des deutschen Ansehens gewesen. Im Rahmen der Reichstags( schein )wahl vom 12. November 1933 ließ sich Hitler von der überwältigenden Mehrheit von 92 Prozent auch die Zustimmung für den bereits am 19. Oktober vollzogenen Austritt geben. Wie weit die Feindschaft gegen den Völkerbund ging , der offiziell noch bis 1946 existierte , und wie heuchlerisch man die eigene Friedensliebe hervorhob , kommt noch vier Jahre später in einer Sprachlenkungsmaßnahme aus Anlass des Austritts Italiens aus dieser Staatengemeinschaft zum Ausdruck. In einer Presseanweisung vom 13. Oktober 1937 heißt es : „Es ergeht die dringende Anweisung , dass ab heute das Wort ‚Völkerbund‘ nicht mehr von der deutschen Presse verwendet wird. Dieses Wort existiert nicht mehr. Dafür soll das Wort ‚Genfer Entente‘ gesetzt werden. Dieses Wort ‚Genfer Entente‘ kann jeweils ersetzt2 werden durch die Beiworte ‚zur Erhaltung des Versaillers Diktats‘ , ‚zur Bekämpfung des europäischen Friedens‘ usw.“ 3
Das Wort „Entente“ war kein zufälliger Ersatz für „Völkerbund“. Zurückgehend auf die 1904 zwischen Großbritannien und Frankreich vereinbarte „Entente cordiale“ ( „herzliches Einvernehmen“ ) in kolonialpolitischen Fragen war das Wort bereits im Ersten Weltkrieg auf deutscher Seite zur Umschreibung der Gegner Deutschlands und Österreichs uminterpretiert worden.
Der früh geplante Luftkrieg |
Schritt für Schritt , zunächst im Geheimen , dann immer offener , unternahm Hitler alles , um Deutschland von Bindungen zu befreien , die seinen Welteroberungsplänen hätten im Wege stehen können. Die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg sind in dieser Hinsicht durch eine sich steigernde Zahl von Verstößen gegen Versailler Bestimmungen und von eklatanten Vertragsbrüchen gekennzeichnet , die bis 1938 gleichwohl von offiziellen Beteuerungen einer Friedenspolitik begleitet wurden. Die beim Überfall auf Polen 1939 im Reichstag verkündete These Hitlers , der Krieg sei ein „uns aufgezwungener Krieg“, war eine glatte Lüge. Sie hatte freilich schon 1914 den Kriegseintritt des Deutschen Reiches offiziell verschleiert. Die militärische Aufrüstung und die Vorbereitung der sogenannten Heimatfront auf einen Krieg nahmen ihren Ausgang bereits kurz nach dem Machtantritt Hitlers. Er verlangte kabinettsintern schon im Februar 1933 eine völlige Ausrichtung der Wirtschaft „an den Bedürfnissen der deutschen Aufrüstung“. Eine systematische kritische Analyse des weiteren Sprachgebrauchs hätte – so sie denn zeitgenössisch möglich gewesen wäre – die wahren Absichten leicht aufdecken können. J. Adam Tooze4 stellte in seiner Geschichte der NS-Wirtschaft , wie bereits bemerkt , fest , dass die Militärausgaben 1934 bereits über 50 Prozent aller Staatsausgaben ausmachten. „Luftschutz“ und „Volksgasmaske“ – Der früh geplante Luftkrieg
Die keineswegs geheimen Vorbereitungen auf einen „Luftkrieg“ haben schon 1933 begonnen. Bereits in diesem Jahr wurden in größeren Städten erste „Luftschutzübungen“ durchgeführt. 1935 trat ein „Luftschutzgesetz“ in Kraft , Grundlage für zahlreiche Rechtsverordnungen. Darin wurde auch ein neuer Straftatbestand eingeführt , das „Verdunklungsvergehen“. Gemeint war ein Verstoß gegen die Pflicht , Fenster und andere Öffnungen von Gebäuden , durch die Licht nach außen dringen und feindlichen Flugzeugen mögliche Ziele anzeigen konnte , abzudichten , zu „verdunkeln“. Die „Entrümpelung von Dachböden“ zur Minderung der Brandgefahr etwa wurde gar zu einem Kriterium , wer als pflichtbewusster Volksgenosse zu handeln bereit war und wer nicht. „Der Luftschutz war seit 1933 als Mittel der inneren Mobilisierung wichtiger Bestandteil der Aufrüstungspolitik. Man hat Ängste geweckt und zugleich suggeriert , man hätte das Heilmittel in der Hand.“5 Für Mehrfamilienhäuser wurden „Luftschutzwarte“ bestellt. „Luftschutzräume“ in Kellern wurden an Häuserwänden in weißer Schrift gekennzeichnet , meist
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mit dem Kurzwort „LSR“. Auf den Dachböden hatten Wassereimer , „Feuerpatschen“ und Löschsand bereitzustehen , um Flammen zu ersticken. Während des Krieges wurden auf freien Plätzen zusätzlich „Löschteiche“ angelegt sowie „Deckungs-“ und „Splittergräben“ ausgehoben , Kellerfenster wurden mit Sandsäcken gegen Bombensplitter gesichert. Frühzeitig stellte sich auch die Industrie auf Anforderungen eines Luftkriegs ein. Die Luftschutzräume , später auch die „Luftschutzbunker“, kurz „Bunker“ genannt , wurden mit Sanitätskästen und Verbandsmaterial ausgestattet. Die Berliner „Hazet-Werkstätten“ etwa boten „Luftschutz-Einrichtungen und Ausrüstungen“ an. Die ebenfalls Berliner Firma „Merkuranker“ inserierte : „Für jeden Bau die angepaßte Verdunklung“, und das Unternehmen „Hetko“ verkaufte für RM 0,50 zwei Bögen „Zellglas zum Abdunkeln von Glühbirnen“. Spezielle Rollos kamen auf den Markt , die der Verdunklung dienen sollten. Die Firma „Kalle“ in Wiesbaden produzierte lange vor Kriegsbeginn die Folie „Bicella“, einen Glasersatz für zerborstene Fensterscheiben. Auch mit der massenhaften Herstellung von „Volksgasmasken“ wurde ab 1937 viel Geld verdient. Das Bestimmungswort „Luft“ war in vielen Komposita die abkürzende Bezeichnung für „Luftkrieg“. Ein drohender feindlicher „Luftangriff“ wurde vom Rundfunk und durch ein besonderes Sirenensignal als „Luftgefahr“ angekündigt. Die „Luftschlacht“ um England 1941 wird allerdings mit einem britischen Sieg enden , und die von Hermann Göring vollmundig hervorgehobene deutsche „Lufthoheit“ der deutschen „Luftwaffe“ wird verloren gehen. Nach der Ankündigung von „Luftgefahr“ erfolgten mit jeweils eigenen Sirenensignalen „Voralarm“, „Vollalarm“ und „Entwarnung“. Diese Phasenunterscheidung brach freilich spätestens 1943 zusammen , als sich die Angriffswellen alliierter Bomberverbände überschlugen. Die immer wieder einmal , aber fälschlich als westdeutsche Sprachspezifik gedeutete Kurzform „Flieger“ für „Flugzeug“ hat ihre im Zweiten Weltkrieg begründete Tradition im Gebrauch von „Fliegeralarm“, „Fliegerbombe“ und „Tiefflieger“. Schon ab 1934 wurden unter strengster Geheimhaltung zahlreiche junge Frauen für einen Einsatz in Funkzentralen der deutschen Luftwaffe als „Nachrichtenhelferinnen“ angeworben. Diese Frauen erhielten später wegen eines Blitzemblems auf ihren Uniformen den umgangssprachlichen Namen „Blitzmädels“. Offiziell gehörten sie ab 1940 neben anderen weiblichen Unterstützungskräften in Stäben bei Marine , Flak und anderen Wehrmachtseinheiten zur Gruppe der uniformierten „Wehrmachthelferinnen“. Ihre Zahl stieg bis 1945 auf eine halbe Million an.
Die deutsche Hochrüstung ab 1935 |
Vor allen nennenswerten alliierten Angriffen auf deutsche Städte hatte die deutsche Luftwaffe freilich schon 1939 Angriffe mit Flächenbombardierungen auf polnische Städte , insbesondere Warschau , und 1940 auf Rotterdam und Coventry geflogen. Doch bereits 1936 / 37 hatte sie unter dem Namen „Legion Condor“ im Spanischen Bürgerkrieg ihr Vernichtungswerk geübt und dabei die baskische Stadt Guernica weitgehend zerstört. Der erste Großangriff der Royal Air Force erfolgte dagegen erst am 28. März 1942 mit der Bombardierung von Lübeck. Natürlich wurden nicht die verheerenden deutschen Angriffe , sondern die alliierten Gegenschläge von der NS-Propaganda als „Bombenterror“ und „Terrorangriffe“ bezeichnet.
„Aufbau der Wehrmacht“ – Die deutsche Hochrüstung ab 1935
Die deutsche Luftwaffe war heimlich – gegen die Abrüstungsbestimmungen des Versailler Vertrags – bereits sehr früh aufgebaut worden. Deutschland war der Besitz von Militärmaschinen verboten worden , doch schon 1920 begannen die Planungen für den Wiederaufbau von Luftstreitkräften. 1933–35 wurden Reichswehroffiziere heimlich für den Dienst in der Luftwaffe ausgebildet. Hitler vereinbarte schließlich mit der „Lufthansa“ den Bau von Linienflugzeugen , die später zu Bombern umgerüstet werden könnten.6 Am 10. März 1935 gab der Reichsminister für Luftfahrt , Hermann Göring , die Existenz einer Luftwaffe öffentlich zu. Eine knappe Woche später , am 16. März 1935 , verkündete Hitler mit dem „Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht“, dem sogenannten Wehrgesetz , ganz offiziell nicht nur die Wiedereinführung der Wehrpflicht , sondern auch die Gründung der Luftwaffe neben Heer und Marine als dritten Teil der „Wehrmacht“. Das bedeutete in mehrfacher Hinsicht einen eklatanten Bruch der Versailler Bestimmungen. Damit wurde nämlich auch das durch den Versailler Frieden auf 100. 000 Mann beschränkte Feldheer auf 550. 000 erweitert , die für reine Verteidigungsaufgaben nicht benötigt worden wären. Der weitere Ausbau brachte es bis 1939 auf ein Kriegsheer von 2,42 Millionen , zusammen mit dem Ersatzheer sogar auf 4,62 Millionen Mann unter Waffen. Allerdings hatte sich auch schon die Weimarer Reichswehr über die Vertragsbedingungen von Versailles hinweggesetzt , als sie in geheim gehaltener Kooperation mit der Roten Armee auf russischem Boden die Ausbildung an Deutschland eigentlich verbotenen Waffensystemen betrieb. Ebenfalls heimlich war vor 1935 die Reichsmarine ausgebaut worden. Mit dem eigentlich völlig verbotenen Bau von U-Booten
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war sogar bereits 1933 begonnen worden. Die Proteste des Auslands verstummten bald , da Großbritannien schon am 18. Juni 1935 diesen Vertragsbruch im Deutsch-britischen Flottenabkommen sanktionierte. Das Wehrgesetz definierte in Paragraph 1 den Wehrdienst als „Ehrendienst am Deutschen Volke“, wie auch der Reichsarbeitsdienst ( RAD ) offiziell bezeichnet wurde. Vorsorglich wurde in Paragraph 6 auch eine mögliche „Erweiterung“ der Wehrpflicht über die zunächst wehrpflichtigen Jahrgänge hinaus vorgesehen , was zuletzt noch die Einziehung Jugendlicher und älterer Männer im „Volkssturm“ ermöglichte. Für den Fall eines Krieges konnte „jeder deutsche Mann und jede deutsche Frau“ zum Kriegsdienst herangezogen werden. Dies war ab 1939 die Grundlage für die „Kriegsdienstverpflichtung“ vieler Frauen , nicht zuletzt in der Rüstungsindustrie. Welch hohe nationalpolitische Bedeutung der Wehrpflicht zugesprochen wurde , geht aus Paragraph 2 des Wehrgesetzes hervor : „Die Wehrmacht ist der Waffenträger und die soldatische Erziehungsschule des Deutschen Volkes.“ Das entsprach der traditionellen , oft aber auch ironisierten Anschauung , dass das Militär die „Schule der Nation“ sei. Nun aber wurde diese Zweckbestimmung in einem NS-spezifischen Sinne interpretiert. Paragraph 15 bestimmte nämlich : „Arische Abstammung ist eine Voraussetzung für den aktiven Wehrdienst.“ Auch sollten nur „Personen arischer Abstammung“ Vorgesetzte werden dürfen. Konsequenterweise wurden den Angehörigen der Wehrmacht Eheschließungen mit „nichtarischen“ Partnern ausdrücklich verboten. Im Zusammenhang mit dem Wehrgesetz von 1935 fanden zahlreiche offizielle Umbenennungen statt , welche die veränderte Politik schon sprachlich offenbarten. Eine semantische Verschärfung kann man in der neuen Benennung der Streitkräfte als „Wehrmacht“ mit dem Grundwort „Macht“ an Stelle des defensiver klingenden Weimarer Terminus „Reichswehr“ mit dem Grundwort „Wehr“ sehen. Noch deutlicher aber war die Abkehr vom Titel „Reichswehrminister“ zugunsten eines „Reichskriegsministers“. Dasselbe gilt für die Umbenennung der „Reichsmarine“ der Weimarer Zeit in „Kriegsmarine“. Die relativ bescheiden klingenden Titel von Führungspositionen der Weimarer Reichswehr , „Chef der Heeresleitung“, „der Marineleitung“ oder „des Truppenamtes“ wurden jeweils durch Einführung des Titels „Oberbefehlshaber“, sei es „des Heeres“, „der Kriegsmarine“ oder „der Luftwaffe“, in ihrem Prestigewert deutlich erhöht – sicher nicht gegen den Willen der Funktionsträger. „Oberster Befehlshaber der Wehrmacht“ aber war seit August 1934 Hitler. Diese Funktion , die nach der Weimarer Verfassung der Reichspräsident wahrnahm , hatte sich Hitler nach Hindenburgs Tod mit der Übernahme auch aller
Rheinlandbesetzung 1936 |
anderen präsidialen Aufgaben als „Führer und Reichskanzler“ angemaßt. 1938 übernahm er nach Absetzung des Reichskriegsministers Werner von Blomberg mit einem neu geschaffenen „Oberkommando der Wehrmacht“ ( OKW ) unter General Wilhelm Keitel auch den persönlichen Oberbefehl über die Wehrmacht. Den meisten militärischen Führungskräften war das so lange kein Anlass zur Opposition , solange unter seinem Oberbefehl grandiose Siege errungen werden konnten. Da seit Hitlers Quasi-Staatsstreich von 1934 zudem alle Soldaten auf seine Person vereidigt waren , wurde ein breiterer militärischer Widerstand schon durch ethische Bedenken gegen einen Eidbruch weitgehend unterdrückt. Die Übernahme des persönlichen „Oberkommandos des Heeres“ ( OKH ) durch Hitler im Dezember 1941 wurde etwa von Claus Schenk von Stauffenberg , dem späteren Attentäter , zunächst sogar noch ausdrücklich begrüßt.
„Sogenannte Überraschungen“ – Die Rheinlandbesetzung 1936
Wie weit Hitler neben unmittelbaren Maßnahmen der Aufrüstung ohne allzu große Risiken außenpolitisch gehen könnte , testete er mit immer weiteren Schritten. Bevor er zum entscheidenden Schlag , zur Entfesselung des Zweiten Weltkriegs , ausholte , versuchte er , seine Tests auf ironische Weise als nur „sogenannte Überraschungen“ herunterzuspielen. Ermutigt wurde er durch die Folgenlosigkeit deutscher Vertragsbrüche beim Austritt aus dem Völkerbund 1933 und bei den extremen Verstößen gegen die Rüstungsbeschränkungen des Vertrags von Versailles im Wehrgesetz von 1935. Ein waghalsiger Test war die Rheinlandbesetzung , der gleichfalls zur Zufriedenheit Hitlers ausfiel. Im März 1936 kündigte er den Locarno-Vertrag von 1925 auf , in dem Deutschland , Belgien , Frankreich , Großbritannien und Italien auf einen Angriffskrieg verzichtet hatten. Darin war auch die deutsche Westgrenze garantiert worden. Dafür hatte Deutschland das linke Rheinufer sowie einen fünfzig Kilometer tiefen Streifen des rechten Rheinufers als entmilitarisierte Zone anerkannt. Erst aufgrund des Locarno-Vertrags hatte Deutschland 1926 Mitglied des Völkerbundes werden können. In scheinheiliger Berufung auf den Deutschland angeblich bedrohenden französisch-sowjetischen Beistandspakt von 1935 ließ Hitler am 7. März 1936 das Rheinland militärisch besetzen , auch dies zur angeblichen Wiederherstellung deutscher „Gleichberechtigung“. Der in Locarno vereinbarte Verzicht auf einen Angriffskrieg wurde damit aber kaum aufgehoben. Denn 1928 hatte sich Deutschland durch Beitritt zum Briand-Kellog-Pakt zu einem generellen Verbot von Angriffskriegen verpflichtet.
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Die Verbindlichkeit dieses Verbots spielte im 1. Nürnberger Prozess gegen die NS-Hauptkriegsverbrecher 1945 /46 eine wichtige Rolle. Schon bald nach der Rheinlandbesetzung begann auch die Errichtung von Verteidigungsanlagen an der Westgrenze , die 1938 / 39 auf rund 630 Kilometern Länge , von der Schweiz bis zum Niederrhein , zum sogenannten Westwall ausgebaut wurden. Nach den ursprünglichen Absichten Hitlers sollte eine Verteidigung im Westen Kräfte für einen als erstes geplanten Angriffskrieg im Osten freihalten. „Westwall“ war die bombastische Bezeichnung für eine Kette von Bunkern und Sperranlagen , die gegen Ende des Krieges von den Alliierten relativ leicht überrannt werden konnte , zumal zwischenzeitlich wichtiges Baumaterial für die Küstenbefestigung , den „Atlantikwall“, abgezweigt worden war. Der „Wall“ an der Atlantikküste vom Nordkap bis zur Biscaya sollte mit über 8. 000 Bunkern und Artilleriestellungen , die 1942–1944 gebaut wurden , alliierte Landungen verhindern. Bereits 1939 geplant war auch ein „Südostwall“, eine sogenannte Reichsschutzstellung , die von den Weißen Karpaten bis zum Fluss Drau verlaufen sollte. Das Pendant im Nordosten , der sogenannte Ostwall , wurde 1944 in Angriff genommen , als die Sowjets bereits bis an die deutsche Reichsgrenze vorgestoßen waren. Die Errichtung beider Wälle wurde aus militärischer Sicht viel zu spät und beim Südostwall trotz des Einsatzes großer Zahlen von Zwangsarbeitern unter Aufsicht von Hitlerjungen völlig unzureichend vorgenommen. Beim Ostwall legte die HJ auch selbst Hand an , anfangs noch mit dem begeisterten Schlachtruf „Schipp-schipp hurra !“. Eine zentrale Rolle bei der Errichtung kriegswichtiger Anlagen spielte ab 1938 die „Organisation Todt“ ( O.T. ) , eine militärisch organisierte Bauorganisation , benannt nach deren Leiter Fritz Todt , der sich bereits beim Autobahnbau verdient gemacht hatte. Nach Todts tödlichem Flugzeugabsturz 1942 übernahm Albert Speer die Leitung der O.T. Noch im Juni 1935 kommt es , wie schon erwähnt , zum Deutsch-britischen Flottenabkommen , in dem Großbritannien , allerdings gegen heftigen französischen Widerspruch , Deutschland eine – wenn auch begrenzte – Aufrüstung der Kriegsmarine zubilligte. Damit war wenigstens dieser Teil der vertragswidrigen Aufrüstung durch einen internationalen Vertrag sanktioniert , der ganz auf Hitlers taktischer Linie lag , möglichst nur zweiseitige Verträge zu schließen. Der Locarno-Vertrag hatte noch auf die Einbindung mehrerer Partner gesetzt.
Olympiade 1936 als Machtdemonstration |
„Fest des Friedens“ – Die Olympiade 1936 als Machtdemonstration
Hitlers vorgebliche Absicht , nur einen friedlichen Wettbewerb der Völker zu verfolgen , wurde am eindrucksvollsten noch einmal in der Inszenierung der Olympischen Spiele von 1936 , ganz besonders der Sommerspiele in Berlin , dokumentiert. Das Regime und seine Propaganda taten alles , um Deutschland als Garanten einer friedlichen Weltordnung zu präsentieren.7 Die Deutschen wurden in einer besonderen Werbekampagne aufgefordert , sich als Gastgeber von ihrer besten Seite zu zeigen ; schließlich hoffte man auch auf eine Steigerung des devisenträchtigen Fremdenverkehrs. Im Schlusswort von Nummer 1 einer 1935 / 36 eigens zur Einstimmung der Deutschen auf die Spiele herausgegebenen Serie „Olympia-Hefte“ heißt es : „Das ganze deutsche Volk aber wird den Spielen jenen Atem einhauchen , der dem ebenso mannhaften wie friedensliebenden Geiste seines Führers entspricht.“8 Umbauten in Berlin , etwa des Platzes um die Siegessäule am Großen Stern , die Gestaltung einer Triumphstraße , der „Via triumphalis“, vom Berliner Schloss zum Reichssportfeld , und zahlreiche Renovierungen sollten die Reichshauptstadt in höchstem Glanz erstrahlen lassen. Dafür mussten alle weniger schönen Erscheinungen beseitigt oder versteckt werden. So wurden alle „Zigeuner“ aus dem Zentrum in ein Lager am Stadtrand , nach Marzahn , zwangsumgesiedelt. Zur Täuschung ausländischer Besucher waren während der Olympiade in Garmisch-Partenkirchen sowie in und um Berlin alle Verbotsschilder und -aufschriften gegen Juden , etwa „Juden unerwünscht“, entfernt worden. Auch das antisemitische Hetzblatt „Der Stürmer“ durfte während der Spiele nur nach strenger Zensur , einschließlich eines Verbots aller antijüdischen Äußerungen , vertrieben werden. Goebbels unternahm es persönlich , in einer äußerst geschickten Mischung von Lüge und Ehrlichkeit die ausländischen Medienvertreter vom guten Willen des Regimes zu überzeugen und gewisse Freiheitsbeschränkungen als das gute Recht eines Staates zu erklären , der in seinem Inneren für Ordnung zu sorgen habe.9 Die NS-Organisation der Olympischen Spiele führte erstmals einen Fackellauf vom griechischen Olympia zum Austragungsort der Spiele ein. Für die Berliner Spiele war eigens eine „Olympia-Glocke“ gegossen worden , deren Läuten den quasi-religiösen Charakter der neuzeitlichen Olympia-Rituale verstärkte , aber auch der ebenso quasi-religiösen Inszenierung in Berlin zugutekam. Entsprechend nutzte Goebbels , im Gebrauch einer emotionalisierenden Sprache bestens geübt , diesen Charakter olympischer Rituale , indem er das Entzünden
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des olympischen Feuers im Berliner Stadion wie folgt pathetisch begrüßte : „Heilige Flamme , glüh , / glüh und erlösche nie !“ Das letztlich heuchlerische Motto „Fest des Friedens“ wurde bereits zur Eröffnung der Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen am 6. Februar 1936 vom Präsidenten des Organisationskomitees Karl Ritter von Halt verkündet : „Wir Deutsche wollen der Welt auch auf diese Weise zeigen , daß wir die Olympischen Spiele , getreu dem Befehle unseres Führers und Reichskanzlers , zu einem wahren Fest des Friedens und der aufrichtigen Verständigung unter den Völkern gestalten werden.“10
Bereits seit 1933 waren die Vorbereitungen auf die Olympiade auf Hochtouren gelaufen. Das vorhandene Berliner Stadion , Kernstück des Reichssportfeldes , nun „Deutsche Kampfbahn“ genannt , wurde großzügig umgebaut und auf 102. 000 Zuschauerplätze erweitert. Wie bereits erwähnt , war eigens zur Olympiade in Berlin eine „KdF-Stadt“ errichtet worden , in der „deutschen Volksgenossen“ der Besuch der Spiele erleichtert werden sollte. Ein Jahr lang zog eine Werbewanderausstellung durch Deutschland. Es erschien außer den millionenfach verbreiteten „Olympia-Heften“11 eine Olympia-Propagandazeitschrift mit dem Titel „Olympia 1936“. Der Untertitel beider Publikationen , „Eine nationale Aufgabe“, machte allerdings klar , dass es letztlich mehr um eine deutsche , genauer um eine nationalsozialistische Selbstinszenierung als um ein völkerverbindendes Ereignis gehen sollte. So beanspruchten die NS-Organisatoren denn auch , dass Deutschland „Gralshüter der olympischen Idee“ sei. Dabei versäumte man freilich nicht , aus der olympischen Idee auch eine rassenideologische Zielsetzung abzuleiten. In der Einleitungsnummer der „Olympia-Hefte“ mit dem Titel „Was muß jeder Deutsche vom Olympischen Sport wissen ?“ heißt es : „Die olympische Idee erstrebt einen Menschentyp , der in harmonischer Ausbildung seiner körperlichen und geistigen Anlagen und Kräfte die höchste Veredelung seiner Rasse darstellt.“12 Und geradezu selbstverständlich gehört – wie der darauf folgende Satz formuliert – dieses Ziel zu den „nationalsozialistischen Grundsätzen“ für die Ausbildung des „neuen deutschen Menschen“. Insgesamt aber sieht die NS-Propaganda in der Olympiade auf deutschem Boden „ein wichtiges Instrument zur Wiedererringung der Weltgeltung Deutschlands.“ Die Gigantomanie der Berliner Eröffnungs- und Schlussveranstaltung beeindruckte das deutsche wie das internationale Publikum. Die Via triumphalis war von Fahnenwänden gesäumt , Tausende mussten Spalier stehen. Hitlers Auftreten im Berliner Olympiastadion zu Beginn , von Fanfarenstößen begleitet ,
Olympiade 1936 als Machtdemonstration |
war einer der Höhepunkte in der Ausbeutung liturgischer Rituale durch die Nationalsozialisten. Dass Hitler , bevor er auf der Tribüne Platz nahm , nicht nur Reihen der Sportler , sondern auch ein Ehrenbataillon der Wehrmacht abschritt , dokumentierte den Hintersinn der NS -Organisatoren : eine Machtdemons tration. Selbst die nichtdeutschen Olympiamannschaften , mit Ausnahme der englischen und japanischen , ließen sich unter dem Eindruck der grandiosen Inszenierung dazu hinreißen , beim Einzug ins Berliner Olympiastadion an Hitlers Tribüne mit erhobenem rechten Arm , also mit dem sogenannten Hitlergruß, vorbeizumarschieren. Gleichzeitig jedoch , im Schatten des Berliner „Friedensfestes“, übte die Wehrmacht in Spanien mit der „Legion Condor“ den Vernichtungskrieg. In Berlin beachtete man auch kaum , schon gar nicht kritisch , dass der „Lichtdom“ über dem Olympiastadion zum Ende der Spiele nicht zuletzt von FlakScheinwerfern gebildet wurde. Ebenso wurde nicht allgemein beachtet , dass das Regime zur Hebung des „arischen“ Ansehens auch jüdische Sportler einsetzte , die zuvor zu „Ehrenariern“ gemacht worden waren oder als „Alibijuden“ fungieren sollten , wenn sie nicht – trotz hervorragender Leistungen zuvor – aus rassischen Gründen gänzlich ausgeschlossen wurden und dann einem tödlichen Schicksal geweiht waren. Drei exemplarische Schicksale : Die international bekannte Fechterin Helene Mayer aus Offenbach / Main , die den persönlichen „Vorzug“ hatte , blond und blauäugig zu sein , erhielt den Status einer „Ehrenarierin“ und durfte aktiv teilnehmen. Die exzellente Hochspringerin Gretel Bergmann aus Laupheim / Ulm war wegen ihrer Diskriminierung zunächst nach England gegangen , wurde aber 1935 unter Androhung von Repressalien gegen ihre Familie zur Rückkehr gezwungen und unter dem Druck des Internationalen Olympischen Komitees ( IOC ) als „Alibijüdin“ ins deutsche Olympia-Aufgebot aufgenommen , jedoch kurzfristig wieder aus dem deutschen Kader ausgeschlossen. Als Entschädigung bot man ihr eine Stehplatzkarte an. Kurz darauf floh sie in die USA. Die bis 1933 mit zahlreichen Meistertiteln und Weltrekorden ausgezeichnete Leichtathletin Lilli Henoch hingegen erhielt noch nicht einmal die „Chance“ einer Bergmann. Sie konnte sich nach 1933 nur noch in einem jüdischen Sportverein betätigen. 1942 wurde sie aus Berlin deportiert und in der Nähe von Riga ermordet.13 In den „Olympia-Heften“ wurden solche vom Rassenwahn diktierten Schicksale natürlich verschwiegen. Dabei hatte das Regime 1933 und 1934 dem IOC die offizielle Zusage gegeben , dass eine Rassendiskriminierung nicht stattfinden werde.14
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Einen herben Dämpfer erhielt der NS -Rassenhochmut dann allerdings doch noch , als ausgerechnet ein farbiger Amerikaner , Jesse Owens , also ein Angehöriger einer „minderwertigen“ Rasse , in Berlin den Einhundertmeter- , den Zweihundertmeterlauf und das Weitspringen gewann und der amerikanischen 4 × 100-Meter-Staffel zum Sieg verhalf. Dennoch hielt man unbeirrt an der Überzeugung fest , dass – wie noch 1938 behauptet wurde – nur ein „rassisch reiner Körper“ zu Höchstleistungen fähig sei. Die olympische Idee wurde nachträglich als „Geist einer knochenweichen Völkerverständigung“ diffamiert.15 Schon damals gab es Ansätze einer Kommerzialisierung der Olympischen Spiele. Der Autobauer Opel etwa brachte schon 1935 ein neues Modell auf den Markt , das den werbeträchtigen Namen „Opel-Olympia“ erhielt.16 Oder es wurde , auch in Rundfunksendungen , ein frühes , allerdings noch unhandliches , sehr schweres Kofferradio , der sogenannte Olympiakoffer , beworben. Die Olympiade bot überdies eine erste größere Gelegenheit , das Fernsehen einzusetzen , das – von wenigen privaten Empfangsmöglichkeiten abgesehen – größeren Gruppen von Zuschauern Übertragungen von den Spielen in den „Fernsehstuben“ der Deutschen Reichspost bot. Der nachträglichen Verbreitung der Ereignisse , zugleich der Dokumentation von Hitlers Friedenswillen diente jedoch weit mehr der filmtechnisch beeindruckende zweiteilige Dokumentarfilm von Leni Riefenstahl : „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“. Italienische , französische und englische Versionen dieses Films trugen die Propaganda ins Ausland. „Der Ordnung Boten“ – Die „Legion Condor“ in Spanien
Einen willkommenen Anlass , die Fähigkeiten des deutschen Militärs unter realistischen Bedingungen zu erproben , bot die Bitte des spanischen Putschistengenerals Franco , mit vollem Namen Francisco Franco y Bahamonde , ihn und seine Truppen im Kampf gegen die gewählte Volksfrontregierung im Spanischen Bürgerkrieg zu unterstützen. Am 25. Juli 1936 schickte Hitler zunächst zwanzig Transport- und sechs Jagdflugzeuge nach Spanien. Zum 1. November 1936 wurde dem Generalmajor Hugo Sperrle als Erstem die Führung der inzwischen auf 5. 000 Mann und auf rund einhundert Flugzeuge verschiedener Typen aufgestockten Interventionskräfte übertragen. Die regelmäßige Auswechslung der Mannschaften und der Kommandeure führte zu einer deutschen Gesamtbeteiligung von rund 19. 000 Soldaten , die auf diese Weise praktische Kampferfahrungen sammeln konnten – eine geradezu ideale Kriegsvorbereitung.
Ende der Friedenspropaganda |
Offiziell wurden die Soldaten als „Freiwillige“ deklariert , waren aber samt und sonders Angehörige der Wehrmacht. Zur weiteren Verschleierung der Intervention nannte man die Truppe „Legion Condor“, was die Führung der Wehrmacht nach außen hin von der Verantwortung für das Unternehmen befreien sollte. Denn „Legion“ war ein bereits von Frankreich genutzter Terminus für eine Truppe freiwilliger Söldner , die „Fremdenlegion“. Die deutsche Legion griff wie die gleichzeitig intervenierenden Italiener mit großer Härte in das spanische Kampfgeschehen ein und tat sich insbesondere durch die Bombardierung der baskischen Stadt Guernica am 26. April 1937 hervor , die dabei zu achtzig Prozent zerstört wurde.17 Dies alles geschah gleichsam im Rücken der Berliner Olympiade , durch welche die Weltöffentlichkeit von diesen Kriegsverbrechen weitgehend abgelenkt wurde. Das verordnete Sendungsbewusstsein der Legion Condor , das ganz der NS-Ideologie verpflichtet war , kam im „Lied der Legion“ zum Ausdruck : „Wir zogen übers weite Meer ins fremde Spanierland , zu kämpfen für der Freiheit Ehr’ , weil Haß und Krieg entbrannt. Hier herrschten die Marxisten und Roten , der Pöbel hatte Macht. Da hat , als der Ordnung Boten , der Deutsche Hilfe gebracht.“18
Im Anspruch der Täter auf „Freiheit“, „Ehre“ und „Ordnung“ gegen die „Anmaßung“ von „Marxisten und Roten“ wird wieder einmal eine Umkehrung der Täter-Opfer-Perspektive praktiziert.
„Zielsetzung dieses Systems“ – Das Ende der Friedenspropaganda
Nur ein gutes Jahr nach der großen Friedensdemonstration der Olympiade kündigte Hitler am 5. November 1937 in einer geheimen Besprechung mit seinen Militärs an , in absehbarer Zeit einen Krieg zu beginnen. Zweifel an der militärisch-technischen Durchführbarkeit dieses Plans bewogen zumindest einen Teil des Offizierkorps , heimlich auf Distanz zu Hitlers Plänen zu gehen. In einer ebenfalls geheim gehaltenen Ansprache vor Chefredakteuren am 10. November 193819 stimmte Hitler endlich auch die Medien auf seine Angriffsabsichten ein. In dieser Rede führte er unter anderem aus :
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„Die Umstände haben mich gezwungen , jahrzehntelang [ ! ] fast nur vom Frieden zu reden. [ … ] Es ist selbstverständlich , daß eine solche jahrzehntelang betriebene Friedenspropaganda auch ihre bedenklichen Seiten hat. Denn es kann nur zu leicht dahin führen , dass sich im Gehirn vieler Menschen die Auffassung festsetzt , daß das heutige Regime an sich identisch sei mit dem Entschluß und dem Willen , den Frieden unter allen Umständen zu bewahren. Das würde aber nicht nur zu einer falschen Beurteilung der Zielsetzung dieses Systems führen , sondern es würde vor allem auch dahin führen , daß die deutsche Nation statt den Ereignissen gegenüber gewappnet zu sein mit einem Geist erfüllt wird , der auf die Dauer als Defätismus gerade die Erfolge des deutschen Regimes lähmen würde und lähmen müßte.“
Entlarvend sind hier die Worte „Friedenspropaganda“ und „Zielsetzung dieses Systems“. „System“ war ja eigentlich das NS-Stigmawort für die Weimarer Republik. Mit „Defätismus“, auch „Defaitismus“, wurden alle Haltungen , die der gewollten Aggression nicht bedingungslos folgen wollten , stigmatisiert. Im Zweiten Weltkrieg wurde Defätismus zum Straftatbestand , der sogar mit der Todesstrafe geahndet wurde. Was Hitler in der Folge selbst vom Zaune brechen sollte , spielt er in dieser Rede als künftige „Ereignisse“ herunter und definiert sie damit gleichsam als naturgegebene Entwicklungen. Die ab 1938 /1 939 einsetzende Kriegspropaganda konnte auch dem bis dahin Zweifelnden deutlich machen , dass die „Zielsetzung des Systems“ zu keinem Zeitpunkt dem Willen entsprochen hatte , „den Frieden unter allen Umständen zu bewahren“. Die Ankündigung Hitlers von 1933 in der Potsdamer Garnisonkirche , „Der Welt gegenüber aber wollen wir [ … ] aufrichtige Freunde sein eines Friedens , der endlich die Wunden heilen soll , unter denen alle leiden“, entlarvte sich damit endgültig als Lüge , war eben nur „Friedenspropaganda“. „Ein Reich – ein Volk – ein Führer“ – Die Parole der beginnenden Ostexpansion
Die weiteren großen Schritte in Richtung Krieg , die im Ausland auf alles in allem nur geringen Widerstand stießen , ja sogar Hoffnungen auf eine Festigung des Friedens weckten , waren in Wahrheit nur Maßnahmen , für Hitlers Expansionsziele im Osten eine günstigere geostrategische Lage zu schaffen. Der eine Schritt erweiterte das Deutsche Reich 1938 um das Staatsgebiet der Republik Österreich , wodurch für die Propaganda die seit dem 19. Jahrhundert auf beiden Seiten verfolgte „großdeutsche“ Idee Wirklichkeit geworden war. Der
„Anschluß“ Österrreichs 1938 |
andere Schritt führte , ebenfalls 1938 , sogar mit dem Segen Großbritanniens und Frankreichs , zur Eingliederung der sudetendeutschen Gebiete ins Reich und anschließend zur Zerschlagung der Tschechoslowakischen Republik. Hitler gelangen diese beiden wahrlich großen außenpolitischen Coups noch kurz vor Kriegsbeginn , in denen er endgültig Bestimmungen der Friedensverträge von Versailles und St. Germain aus dem Jahre 1919 , die eine Vereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich untersagt hatten , aushebelte und sogar die Souveränität eines Nachbarstaats , der Tschechoslowakei , beseitigte. In beiden Fällen nutzte er innenpolitische Krisen der Nachbarländer , die er allerdings selbst auf die äußerste Spitze getrieben hatte. Nach außen hin jedoch konnte er sich als jemand präsentieren , der angeblich alles getan hatte , um einen Kriegsausbruch zu verhindern. Die Kriegsfurcht , die anlässlich der „Sudetenkrise“ Deutsche wie Briten und Franzosen befallen hatte , wich einem allgemeinen befreiten Aufatmen , das freilich nur kurze Zeit anhalten durfte. Hitlers Prestige in der deutschen Bevölkerung aber stieg durch seine „friedlichen“ Lösungen außerordentlich.
„Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ – Der „Anschluß“ 1938
Am 11. März 1938 wird der österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg durch ein deutsches Ultimatum zum Rücktritt gezwungen. Am 12. März marschiert die deutsche Wehrmacht und deutsche Polizei unter Glockengeläut und großem Jubel der Bevölkerung in Österreich ein. Vor den deutschen Truppen war allerdings schon Himmlers SS zur Stelle und begann mit ersten Verfolgungen Missliebiger. Insbesondere jüdische Wissenschaftler , am prominentesten der Wiener Sigmund Freud , Begründer der Psychoanalyse , waren gezwungen , ins nichtdeutsche Ausland auszuweichen , was das internationale Ansehen der deutschen Wissenschaftssprache dauerhaft schwächte. Österreich konnte nun aber auch zahlreichen anderen Menschen , die schon in Deutschland verfolgt waren und die nach 1933 hierhin ausgewichen waren , keine Zuflucht mehr bieten. Zumal Schriftsteller , die nun – wenn sie nicht in der Schweiz Asyl fanden – in andere Länder fliehen mussten , verloren auf diese Weise die für ihr Schaffen wesentliche muttersprachliche Umgebung. Die nach Schuschniggs Verdrängung amtierende neue österreichische Regierung unter dem Nationalsozialisten Arthur Seyß-Inquart beschließt einen Tag nach dem deutschen Einmarsch , am 13. März , das „Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“. Schon
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zwei Tage später , am 15. März , lässt sich Hitler auf dem Wiener Heldenplatz von einer Viertelmillion Österreicher feiern. Unter ihnen war spätestens seit 1918 tatsächlich ein starker Wunsch nach einem Zusammenschluss mit dem Deutschen Reich gewachsen , erst recht als durch die Friedensverträge von Versailles und St. Germain eine staatliche Vereinigung verboten worden war. Die Veranstaltung auf dem Wiener Heldenplatz war als „Befreiungs-Kundgebung“ ausgegeben worden. In seiner Rede vom Balkon der Neuen Hofburg führte Hitler aus : „Deutsche ! Männer und Frauen ! In wenigen Tagen hat sich innerhalb der deutschen Volksgemeinschaft eine Umwälzung vollzogen , die wir heute wohl in ihrem Umfange sehen , deren Bedeutung aber erst spätere Geschlechter ganz ermessen werden. [ … ] Dieses Land ist deutsch , es hat seine Mission begriffen , es wird diese erfüllen , und es soll an Treue zur großen deutschen Volksgemeinschaft von niemandem jemals überboten werden.“20
Mit der Berufung auf eine „Mission“ Österreichs konstruierte Hitler eine Kontinuität zwischen seiner militärischen Besetzung und der mittelalterlichen Besiedlung des Landes durch Deutsche , wodurch – in seinen Worten – das Land zum „Bollwerk“ gegen die „Stürme des Ostens“ und zum „Unterpfand für das Glück und für den Frieden unseres großen Volkes“ geworden sei. Nun aber sollte es „immer mehr zu einer Trutzburg nationalsozialistischer Willenskraft“ werden. Am Ende seiner Rede spielt Hitler seine österreichische Herkunft aus Braunau am Inn rhetorisch aus : „Als der Führer und Kanzler der deutschen Nation und des Reiches melde ich vor der Geschichte nunmehr den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich.“21 Die seitdem in der NS-Propaganda mit hohem Pathos propagierten Begriffe „Großdeutschland“ und „Großdeutsches Reich“ waren indes zu einem wesentlichen Teil nur Blendwerk , da es Hitler im Wesentlichen um die Verbesserung der geopolitischen und militärstrategischen Situation ging , wie noch zu zeigen sein wird. Während das österreichische Bundesverfassungsgesetz noch ganz bewusst von „Wiedervereinigung“, also von einer Einheit mehr oder weniger ebenbürtiger Partner , sprach , bürgerte sich bald der Begriff „Anschluß“ ( Österreichs an das Deutsche Reich ) ein , welcher der realen Dominanz des Deutschen Reiches eher entsprach und der sehr schnell den Begriff „Wiedervereinigung“ verdrängte.22 Die
„Anschluß“ Österrreichs 1938 |
kritische Distanz , mit der nach dem Krieg auf österreichischer Seite der Begriff „Anschluß“ verwendet wurde , hat in den tatsächlichen Motiven und Handlungen der deutschen Seite sicher ihre Berechtigung. Die anfänglich euphorische und keineswegs nur erzwungene Zustimmung der meisten Österreicher 1938 zur Vereinigung mit dem Deutschen Reich wird in dieser Distanzierung allerdings vornehm verschwiegen. Gefördert wurde die „großdeutsche“ Begeisterung von sehr verschiedenen Kräften in Österreich , auch von der Mehrzahl der Sozialisten. Die österreichischen katholischen Bischöfe unter dem Vorsitz des Wiener Kardinals Theodor Innitzer erklärten – wenn auch unter Druck des neu ernannten NS -Reichskommissars für Österreich Josef Bürckel – in einem öffentlichen Aufruf etwa : „Wir erkennen freudig an , daß die nationalsozialistische Bewegung auf dem Gebiet des völkischen und wirtschaftlichen Aufbaues sowie der Sozialpolitik für das Deutsche Reich und Volk , namentlich für die ärmsten Schichten des Volkes Hervorragendes geleistet hat und leistet. Wir sind auch der Überzeugung , daß durch das Wirken der nationalsozialistischen Bewegung die Gefahr des alles zerstörenden gottlosen Bolschewismus abgewehrt wurde.“23
Innitzer unterschrieb diesen Text mit „Heil Hitler!“. Die Parole „Ein Volk – ein Reich – ein Führer“ war bereits auf dem Wiener Heldenplatz lautstark zu hören gewesen , sie begleitete sodann auf Plakaten und großen Propagandastelen die gesamte Werbekampagne für die österreichische Volksabstimmung am 10. April 1938 , die zusammen mit einer entsprechenden Volksabstimmung in Deutschland 99,7 Prozent für die Einheit ergab. Und das nicht nur wegen der manipulativen Gestaltung der Stimmzettel , die aber durchaus erwähnenswert ist. Die österreichische Variante wird mit dem Satz eröffnet : „So mußt [ ! ] Du abstimmen für den Führer und Großdeutschland.“ Für das „Ja“ ist in der Mitte des Zettels ein großer Kreis vorgesehen , während ein „Nein“ nur in einem kleineren Kreis , der an den rechten Rand gerückt ist , anzukreuzen war. Für ganz Begriffsstutzige folgt im unteren Drittel noch der Hinweis : „Mit der Einzeichnung eines Kreuzes in den größeren Kreis mit der Überschrift Ja gibst Du dem Führer Dein Ja [ im Original in fünffacher Schriftgröße und unterstrichen ] zum Wiederaufbau Österreichs ! zur Beschaffung von Arbeit u. Brot für hunderttausende Volksgenossen ! zur Beseitigung von Elend u. Not !“24
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Die lange Selbstständigkeit Österreichs sollte auch mit der Unterdrückung des Landesnamens aus der Erinnerung getilgt werden. Am 1. Mai 1939 erhielt das Land per Gesetz den Namen „Ostmark“, 1942 verschwand auch dieser indirekte Hinweis auf ein einst einheitliches Gebilde in der Umbenennung zu „Donauund Alpenreichsgaue“.
„Heim ins Reich !“ – Die Einverleibung des Sudetenlands
Mit dem Anschluss Österreichs an das Reich wurde die sogenannte Sudetenfrage zur „Sudetenkrise“. Die Spannungen zwischen den verschiedenen Volksgruppen in der 1918 gegründeten multiethnischen Tschechoslowakischen Republik25 , der ČSR , waren für Hitler ein willkommener Anlass , als nächstes Ziel seines Expansionsdrangs diesen Staat ins Auge zu fassen. Vordergründig ging es ihm um das „Deutschtum“ in der ČSR oder – wie die die dort lebenden Deutschen sagten – um das „Sudetendeutschtum“. Die Sudetendeutschen waren mit 3,5 Millionen die größte nichttschechische Volksgruppe. Sie bewohnten in Böhmen und Mähren Regionen , die im Norden , Westen und Süden das tschechische Siedlungsgebiet fast wie ein Ring umschlossen. Die Bezeichnungen „Sudetenland“ und „Sudetendeutsche“ leitete sich her von dem Gebirge , das die deutschen Siedlungsgebiete in Böhmen und Mähren gegen Sachsen und Schlesien abgrenzt. Die höchst unglückliche Nationalitätenpolitik der tschechischen Regierung benachteiligte die deutsche Minderheit de facto außerordentlich. Ihre Beschwernisse , aber auch die der anderen nichttschechischen Volksgruppen , Slowaken , Polen und Ungarn , missbrauchte Hitler indes für seine Expansionsabsichten nur als Hebel. In den Sudetendeutschen fand Hitler sehr schnell die wichtigsten Bundesgenossen , um die Stabilität der ČSR insgesamt zu untergraben und diesem Staat einen wirksamen Schutz seitens Frankreichs , Großbritanniens und der Sowjetunion zu entziehen. Ein besonders williges Instrument stellte die 1933 von Konrad Henlein gegründete „Sudetendeutsche Heimatfront“ dar , die sich 1935 unter Henleins Führung zur Wahl ins Prager Abgeordnetenhaus als „Sudetendeutsche Partei“ ( SdP ) etablierte. In dieser Wahl erhielt sie als Sammlungsbewegung aller deutschen völkisch-nationalen , auch ausdrücklich nationalsozialistischen Kräfte und infolge der übrigen Parteienzersplitterung die höchste Stimmenzahl insgesamt. Bereits 1918 war eine „Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei“ gegründet worden , die aber 1933 verboten wurde. Die ideologische Nähe der
Einverleibung des Sudetenlands |
sudetendeutschen Nationalsozialisten und ihr nahestehender Kreise zur NSDAP äußerte sich schon darin , dass Menschen mit jüdischer Abstammung lange vor der Eingliederung ins Deutsche Reich offen diskriminiert wurden , etwa durch Ausschluss aus „deutschen“ Vereinen. Goebbels hatte 1933 den Sudetendeutschen – offenbar erfolgreich – zu wenig Distanz zu Juden vorgeworfen , etwa dass sie in ihren Städten , in Teplitz-Schönau oder Reichenberg , „verjudete Theater“ duldeten. Die Verfolgung , Vertreibung und Vernichtung jüdischer Menschen vollzog sich dann ab 1939 im Gleichklang mit den Maßnahmen im sogenannten Altreich. Auch sonst hatte die Agitation der Sudetendeutschen Partei ganz die Linie der Propaganda der NSDAP verfolgt. Das „Fronterlebnis“ im Ersten Weltkrieg , den deutsche Böhmen und Mähren noch als Soldaten der österreichisch-ungarischen Armee mitgemacht hatten , wurde ebenso wie in Deutschland heroisiert , das „Führertum“ gefeiert und eine rassistisch begründete Feindschaft gegen alles Slawische , das „Untermenschentum“, gegen Marxismus , Bolschewismus und Kapitalismus gepflegt.26 Nicht zufällig waren die bei jedem öffentlichen Auftritt gezeigten Fahnen der SdP wie die Hakenkreuzfahne rot mit einem weißen Feld , in dem das Kürzel „SdP“ prangte. Hitler bewog Henlein und seine Partei dazu , der Prager Regierung immer unerfüllbarere Forderungen zu stellen , um aller Welt zu beweisen , wie nötig ein deutsches Eingreifen zum Schutz der „Volksgenossen“ sei. Am 24. April 1938 forderte Henlein in einer Rede , die er in Karlsbad hielt , als erstes „Herstellung der vollen Gleichberechtigung und Gleichrangigkeit der deutschen Volksgruppe mit dem tschechischen Volke im Staate“, entsprechende Autonomierechte , und er erhob den Anspruch auf Wiedergutmachung „tschechischen Unrechts“. Ferner verlangte er „volle Freiheit des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum und zur deutschen Weltanschauung“, was unmissverständlich ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus bedeutete. Von Henlein ging im September 1938 auch die programmatische Parole „Heim ins Reich !“ aus. Die geschickten außenpolitischen Schachzüge Hitlers , der alle Hebel bis hin zur offenen Kriegsdrohung betätigte , um in der ČSR direkt intervenieren zu können , sind hier nicht im Einzelnen nachzuzeichnen. Seine dabei erzielten spektakulären Erfolge lähmten im Übrigen den ersten ernsthaften Widerstandsversuch in der deutschen Generalität. Vor allem der Generalstabschef des Heeres , Ludwig Beck , hatte zunächst in Denkschriften Hitlers militärische Planungen gegen die ČSR kritisiert und mit anderen einen Staatsstreich geplant , den man aber nach dem Höhepunkt von Hitlers Diplomatie im Münchner Treffen mit dem britischen Premier Chamberlain und dem französischen Ministerpräsidenten Daladier aufgab.
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Dieses Treffen führte am 29. September 1938 zum Münchner Abkommen , in dem sich Hitler , unter Vermittlung Mussolinis , von Chamberlain und Daladier die Zustimmung zu einem deutschen Einmarsch ins Sudetenland geben ließ. Zwei Tage später , am 1. Oktober 1938 , besetzten deutsche Truppen das Sudetenland , das nun Teil des Deutschen Reiches wurde. Chamberlain und Daladier wurden daheim wegen ihres scheinbaren Erfolgs , einen Krieg verhindert zu haben , begeistert gefeiert. Sie hatten mit Hitler überdies eine Garantie für den tschechoslowakischen Reststaat ausgehandelt , die Hitler dann aber schnell nicht mehr gelten ließ. In München ging es offiziell nur um eine „Angliederung“ der „deutschen Gebiete“. Die von Hitler bald geförderte Selbständigkeitserklärung der Slowakei am 14. März 1939 entlarvte indes sein eigentliches Ziel , das er bereits in Weisungen an die Wehrmacht vom 30. Mai 1938 und vom 21. Oktober 1938 deutlich gemacht hatte : „Es ist mein unabänderlicher Entschluß , die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen.“27 Am 21. Oktober 1938 sprach er dann von der „Erledigung der Resttschechei“.28 Die deutschen Truppen marschierten 1939 nach Besetzung des Sudetenlands über dessen Grenzen hinaus weiter. Der tschechische Staatspräsident Emil Hácha , wie ein Subalterner nach Berlin beordert , erfuhr in der Nacht zum 15. März 1939 , dass die Deutschen auf Prag zu marschierten. In der Einsicht , dass Widerstand zwecklos sei , und unter Hitlers Drohung , Prag bombardieren zu lassen , erklärte Hácha , dass er das Schicksal der Tschechoslowakei „vertrauensvoll in die Hand des Führers“ lege. Bereits einen Tag später , am 16. März , erklärte Hitler auf der Prager Burg per Erlass die Errichtung des „Protektorats Böhmen und Mähren“, ein Begriff , den Hitler als Euphemismus für die faktische Unterwerfung der Tschechen eingeführt hat.29 Henlein wurde zum Dank für seine wertvolle Unterstützung bei diesem Coup „Reichsstatthalter“ und „Gauleiter des Sudetengaus“. Dies waren aber angesichts der faktischen Machtausübung von sogenannten Reichsprotektoren und ihren Stellvertretern im „Protektorat“, darunter der berüchtigte Reinhard Heydrich , eher bedeutungslose Ämter. Am 4. Juni 1942 erlag Heydrich einem Attentat durch tschechische Widerstandskämpfer. Dieser Anschlag löste als deutsche Vergeltungsmaßnahme das Massaker im tschechischen Dorf Lidice aus. Henleins minderer Position kam Heydrichs Tod aber nicht mehr zugute. Schon vor der deutschen Kapitulation war er faktisch entmachtet. Am 10. Mai beging er in Pilsen Selbstmord.30 Die Programmformel „Heim ins Reich !“ wurde bei der Vertreibung der Deutschen ab Mai 1945 von den Tschechen voller Ironie als verbaler Bumerang benutzt. Letzte Hoffnungen , dass die bis zum Kriegsende
Das Hoßbach-Protokoll von 1937 |
auch alltagssprachlich gepflegte Unterscheidung zwischen „Sudetendeutschen“, also Alteingesessenen , und „Reichsdeutschen“, also jenen , die aus dem „Altreich“ stammten , zu einer differenzierten Behandlung durch die Sieger führen könnten , zerstoben.
„Anwendung von Gewalt unter Risiko“ – Das Hoßbach-Protokoll von 1937
Der Propagandaeffekt zweier außenpolitischer Erfolge , die Einverleibung Österreichs und des Sudetenlands , war außerordentlich. Hierbei hatte sich der „Friedenskanzler“ Hitler noch einmal so recht in Szene setzen können. Er hatte die von ihm angeheizten „Krisen“ ohne jedes Blutvergießen gemeistert und war dafür in Österreich wie im Sudetenland begeistert gefeiert worden. Für die Binnenwirkung war außerdem entscheidend , dass sich beide Prozesse propagandistisch als wesentliche Schritte auf dem Weg zur ( W ieder- )Herstellung einer staatlichen Einheit der deutschen Nation darstellen ließen. Die Expansion über die Grenzen von 1937 hinaus wurde überdies als Kompensation der Gebietsabtretungen und des Verlusts der Kolonien durch Versailles empfunden. Dass weder friedliche Absichten noch der nationalpolitische Gedanke im Zentrum von Hitlers Denken und Absichten standen , ist einem Dokument zu entnehmen , das 1937 , also schon vor den Ereignissen in Österreich und in der ČSR , entstanden ist : der Niederschrift einer Besprechung Hitlers mit den obersten militärischen Führern und dem Reichsaußenminister am 5. November 1937 durch Oberst Friedrich Hoßbach , dem sogenannten „Hoßbach-Protokoll“31. Dieses Dokument diente im 1. Nürnberger Prozess als zentrales Beweismittel für den Vorwurf , das NS-Regime hätte bereits früh einen Angriffskrieg geplant. In einer Erklärung zur Entstehungsgeschichte der Niederschrift vom 10. November 193732 hat Hoßbach zwar ausdrücklich darauf hingewiesen , dass es sich bei diesem Text um kein wortgetreues Protokoll der Ausführungen Hitlers handle , zumal er den Text auf der Basis von Notizen erst Tage später niedergeschrieben und niemandem zur Bestätigung vorgelegt habe. Er machte aber darauf aufmerksam , dass – was eine kritische Lektüre bestätigen kann – etliche Formulierungen , die sich teils identisch , teils in Variation über den Text verstreut finden , als originale Äußerungen Hitlers gewertet werden müssen. Das zentrale Thema von Hitlers Ausführungen ist ohnehin zweifelsfrei : Die Deutschen bräuchten einen „größeren Lebensraum“, und zwar in Europa , nicht etwa in Kolonien.33 Da alle historischen Raumerweiterungen nur durch „Brechen von Widerstand“ erfolgt seien , folgert Hitler auch für das eigene Vorgehen : „Zur
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Hoßbach-Protokoll von 1937 |
Lösung der deutschen Frage könne es nur den Weg der Gewalt geben , dieser [ ergänze : Weg könne ] niemals nur risikolos sein.“34 Der Grundsatz „Anwendung von Gewalt unter Risiko“ findet sich im Text mehrfach , kann also nicht von Hoßbach erfunden worden sein , zumal ein Großteil von Hitlers Ausführungen der möglichen Gegenwehr der europäischen Nachbarn , insbesondere Frankreichs und Großbritanniens , und anderer Weltmächte gewidmet ist. Auch die zeitlichen Optionen , die Hitler erwägt , sind sehr konkret : Spätestens 1943–1945 müsse die „deutsche Raumfrage“ gelöst werden. Frühere Zeitpunkte müssten dann gewählt werden , wenn innen- und außenpolitische Entwicklungen , vor allem in Frankreich , dies nahelegten. In diesem Rahmen wird nun das , was 1938 / 39 mit Österreich und 1939 mit der ČSR geschehen und als Herstellung der „nationalen Einheit“ angepriesen werden sollte , in der Runde vom 5. November 1937 von Hitler als nackte geostrategische Angelegenheit erörtert : „Zur Verbesserung unserer militär-politischen Lage müsse in jedem Fall einer kriegerischen Verwicklung unser erstes Ziel sein , die Tschechei und gleichzeitig Österreich niederzuwerfen , um die Flankenbedrohung eines etwaigen Vorgehens nach Westen auszuschalten.“35
Wenn die „Tschechei“ niedergeworfen und „eine gemeinsame Grenze Deutschland-Ungarn gewonnen“ sei , könne im Falle eines deutsch-französischen Konflikts seitens der Polen eher mit einem neutralen Verhalten gerechnet werden.36 Hier wie in der ganzen von Hoßbach dokumentierten Besprechung geht es schlicht um die Anwendung kriegerischer Gewalt , um die Machtbasis für ein Ausgreifen auf weitere Länder zu vergrößern. Die „Angliederung“ der beiden Staaten , Tschechoslowakei und Österreich , bedeute „militär-politisch eine wesentliche Entlastung infolge kürzerer , besserer Grenzziehung , Freiwerdens von Streitkräften für andere Zwecke [ ! ] und der Möglichkeit der Neuaufstellung von Truppen bis in Höhe von etwa 12 Divisionen , wobei auf eine Million [ neu gewonnener Staatsbürger ] eine neue Division entfalle.“37
Diese im Zentrum von Hitlers Ausführungen stehende kühle Rechnung hat Karl Dietrich Erdmann zu dem zutreffenden Urteil veranlasst , dass die „Idee Großdeutschland“ im Sinne einer Vollendung des Nationalstaats , überhaupt das Schicksal der Deutschen in Österreich und im Sudetenland keine Rolle gespielt hätten. Erdmanns Fazit : „Er rechnete in Divisionen.“38 Allerdings hatte Hitler zumindest seine Rassenideologie keineswegs ganz aus dem Auge verloren , da er sich , wie zu Beginn der Besprechung ausgeführt , von
Das Hoßbach-Protokoll von 1937 |
einer Expansion die Erhaltung und Vermehrung der „deutschen Volksmasse“ als eines nirgendwo mehr anzutreffenden „in sich fest geschlossenen Rassekerns“ erhoffte.39 Es ist müßig , darüber zu spekulieren , von welchem Motiv Hitler bei seinen Angriffsplänen mehr geleitet worden ist : vom reinen Eroberungswillen oder von seinem Rassenwahn. Mit Sicherheit schloss die spezifisch deutschgermanisch-arische Rassenideologie den Willen , sich rücksichtslos auszubreiten , grundsätzlich ein. Die Ansprüche und das militärische Ausgreifen auf weitere , keineswegs „rassereine“, sondern sogar „fremdrassige“ Regionen und Länder , ob Polen , Frankreich oder Russland , mussten in jedem Fall nachträglich rassen ideologisch gerechtfertigt oder durch brutale Unterdrückungs- und Vernichtungsmaßnahmen „legitimiert“ werden. 1 2 3 4
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Bohrmann ( 1984 ) Bd. 1 : 99. Wahrscheinlich sollte es „ergänzt“ heißen. Bohrmann ( 1984 ) , Bd. 5.3 : 1005. Tooze ( 2007 ). Der Historiker Thomas Weichel in einem Vortrag in Wiesbaden , zitiert nach : Frankfurter Rundschau , 11. 2. 2005 : 36. Quelle : TV -Dokumentation des Senders arte : „Fliegen heißt siegen“. Die verdrängte Geschichte der Lufthansa , 21. 7. 2010. Vgl. zum Folgenden u. a. : Diem , Carl ( 1937 ) : XI. Olympiade Berlin 1936. Amtlicher Bericht. 2 Bde. Berlin ; Rürup , Reinhard ( 1997 ) : Die Olympischen Spiele und der Nationalsozialismus. Berlin ; Boch , Volker ( 2002 ) : Die Olympischen Spiele unter Berücksichtigung des jüdischen Sports. Konstanz. Olympia-Hefte 1 : 48. Diese Ansprache ist als Tonaufnahme nicht vorhanden und wird auch bei Heiber ( 1991 ) nicht dokumentiert , wird aber in der Tonsammlung Sarkowicz ( 2004 ) ausschnittweise zitiert. Zitiert nach : Deutschlandradio Kultur , Kalenderblatt 6. 2. 2011. Der bewusst niedrig gehaltene Preis für jeweils eine der 26 Nummern umfassenden Reihe betrug 10 Pfennig. Olympia-Heftreihe , Einleitungsausgabe : 3. Centrum Judaicum Berlin ( Hrsg. ) ( 2009 ) : Katalog zur Ausstellung „Vergessene Rekorde. Jüdische Leichtathletinnen vor und nach 1933“. Berlin. Eggers , Erik ( 2008 ) : Gebrochene Versprechen. In : Frankfurter Rundschau , 2. / 3. 8. 2008 : 6 ; Informationen zu Helene Mayer : Jüdisches Museum. Frankfurt am Main. Mattausch , Wolf-Dieter : Sport. In: Benz / Graml / Weiß ( 1998 ) : 250–256 ( 251 ). Das Nachfolgemodell von 1953 trug noch den Namen „Opel-Olympia-Rekord“. Durch Pablo Picasso in seinem berühmten Bild „Guernica“ künstlerisch dokumentiert. Zitiert nach : Laske , Karsten ( 2007 ) : Das schönste Jahr der Hitlerzeit. In : Freitag , 4. 5. 2007. Text in : Treue , Wilhelm ( 1958 ) : Rede Hitlers vor der deutschen Presse am 10. November 1938. In : Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 6 /1 958 : 175 ff. Domarus ( 1965 ) I. 2 : 823.
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Ebda. : 824. Der Begriff „Wiedervereinigung“ fand sich auch auf den Stimmzetteln sowohl der österreichischen als auch der deutschen Volksabstimmungen am 10. 4. 1938. – Das Wort wurde von den Nationalsozialisten auch für die Besetzung des 1919 Litauen zugesprochenen Memelgebiets im März 1939 sowie für die militärische Okkupation Luxemburgs im Mai 1940 verwendet. 23 Zitiert nach : Erdmann ( 1999a ) : 245. 24 Faksimile bei Benz ( 2000 ) : 160. 25 Die tschechoslowakischeVerfassung stammt von 1920. 26 Deutliche Quellen sind das entsprechende zeitgenössische Schrifttum , u. a. Deubner , KarlAugust ( 1938 ) : Der Politiker Konrad Henlein. Schöpfer der sudetendeutschen Einheit. Bad Furth / Wien / Leipzig. 27 So am 30. 5. 1938 ; Erdmann ( 1999a ) : 252. 28 Ebda. : 257. 29 Der Terminus „Protektorat“ ( eigentlich „Schutzgebiet“ ) wurde von den Sudetendeutschen bis 1945 auch alltagssprachlich benutzt. 30 Zu Person , Position und Ende Henleins : Clary-Aldringen , Alfons ( 1977 ) : Geschichten eines alten Österreichers. Berlin : 250–255. 31 Hoßbach ( 1965 ) : 181–189. 32 Ebda. : 189–192. 33 Ebda. : 183 ; vgl. Hitlers Ausführungen zu diesem Thema in „Mein Kampf“. 34 Hoßbach ( 1965 ) : 185. 35 Ebda. : 186. 36 Ebda. 37 Ebda. : 187. 38 Erdmann ( 1999a ) : 225. 39 Hoßbach ( 1965 ) : 181 , auch 183. 22
13 | VOM „DEUTSCHEN REICH“ ZUM „GERMANISCHEN REICH DEUTSCHER NATION“
Mit der Eingliederung Österreichs wäre eigentlich das Ziel erreicht gewesen , nach der jahrhundertelangen politischen Zersplitterung Deutschlands die immer noch nur „kleindeutsche“ Gestalt des Bismarck-Reichs von 1871 endgültig zu überwinden. Eine „großdeutsche“ Einheit herzustellen war zwar auch schon das Ziel der Demokraten der Frankfurter Paulskirche gewesen , das „großdeutsche Reich“ Hitlers aber hatte damit höchstens noch verbal etwas gemein. Der „Anschluß“ Österreichs war für Hitler ohnehin nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer noch größeren , europäischen Zwangseinheit. Bereits der einfache Terminus „Reich“ konnte im Vergleich mit anderen Staatsnamen als Inbegriff einer politischen Sonderstellung Deutschlands gelten. Schon im Staatsnamen „Heiliges Römischen Reich Deutscher Nation“ hielt man diese Sonderstellung für begründet , obwohl diesem historischen Reich erst nach seinem Ende 1806 der Nimbus als „erstes deutsches Reich“ verliehen worden war. Angesichts seiner längst geschwundenen realpolitischen Bedeutung war dieser Nimbus freilich nicht gerechtfertigt. Auch das historische Attribut „heilig“ konnte in diesem Sinne missverstanden werden. Spätestens seit der Projektion eines „dritten Reiches“ bei Arthur Moeller van den Bruck konnte sich eine weitere religiöse Assoziation einstellen. Moeller hatte 1923 eine heilsgeschichtliche Theorie , die des Joachim von Fiore ( ca. 1130–1202 ) , als Folie seiner Geschichtsdeutung benutzt. Joachim hatte die Lehre vertreten , dass die Zeitalter der Weltgeschichte den Personen der göttlichen Dreifaltigkeit , Gottvater , Gottsohn und – das dritte und letzte Zeitalter – dem Heiligen Geist zugeordnet seien. Mit der auf Moeller fußenden Identifizierung der NS-Herrschaft als „Drittes Reich“ erhöhte sich noch der Anspruch auf eine besondere , geradezu mythische Stellung Deutschlands : Ein „drittes Reich“ konnte als Vollendung der Weltgeschichte gedeutet werden. Fast zwangsläufig zog diese theologische Anleihe auch chiliastische Vorstellungen des Mittelalters an , wonach ursprünglich schon im Jahr 1000 die irdische Geschichte zu Ende gehen sollte. Da nun aber das politisch definierte „Dritte Reich“ erst 1933 beginnen konnte , lagen die tausend Jahre gleichsam noch vor den Menschen. Und so sprachen Anhänger des Nationalsozialismus nicht nur vom dritten , sondern auch vom „tausendjährigen Reich“. Hitlers antichristlich motivierte Distanz zum Begriff „tausendjähriges Reich“ mündete jedoch in
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| Vom „Deutschen Reich“ zum „Germanischen Reich Deutscher Nation“
einen parteiamtlichen Versuch , seinen Gebrauch zu verbieten. „Aber es half nichts. Der Ausdruck war zu schön“, zitiert Claudia Schmitz-Berning1 einen politischen Lagebericht von 1935. „Deutsches Reich“ als Staatsname war seit dem Verfassungsentwurf des Paulskirchenparlaments von 1849 auch ohne pseudoreligiöse Ausdeutungen ein emotional äußerst stark besetzter Zielbegriff mit großdeutscher Perspektive. Den Hochwertcharakter von „Deutsches Reich“ machte man sich entsprechend zunutze , als es um die Benennung des neuen Staates von 1871 ging. Seine Benennung konnte sogar über den Makel des kleindeutschen Zuschnitts dieses Staates , also ohne Österreich , hinweghelfen. Sie behielt ihre besondere Bedeutung erst recht nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 , weil sie anders als ein neuer Staatsname wie „Deutsche Republik“, den Philipp Scheidemann am 9. November 1918 verkündet hatte und Friedrich Ebert bis zur Verabschiedung der Weimarer Verfassung benutzte , zumindest eine mentale Brücke zur untergegangenen Glorie des Kaiserreichs zu bauen schien. So kam es zu einer Definition des Weimarer Staates , die bereits sprachlich den Zwiespalt zwischen einem imperialen , um nicht zu sagen : imperialistischen Anspruch und republikanischer Nüchternheit markierte. Art. 1 der Weimarer Verfassung definierte : „Das Deutsche Reich ist eine Republik.“2 War bereits seit 1871 die Zahl von unumgänglichen Institutionennamen sehr groß , die in Komposita mit dem Bestimmungswort „Reich-“ gebildet waren , etwa „Reichs-bahn / -bank / -gericht / -post / -regierung“, so wuchs deren Zahl ab 1933 ins Unermessliche , weil nun allem und jedem der Stempel der allgemeinen Reichseinheitlichkeit , also der Gleichschaltung , aufgedrückt werden sollte. Mit der generellen Hochbewertung von „Reich“ wurde auch das Prestige der so benannten Institutionen oder Angelegenheit deutlich angehoben. Karl-Heinz Brackmann und Renate Birkenhauer3 verzeichnen insgesamt rund achtzig Komposita mit dem Bestimmungswort „Reich-“: vom „Reichsarbeitsdienst“ bis zum „Reichswerkscharführer“, darunter heute so lächerlich erscheinende Institutionennamen wie „Reichsjägermeister“ für Göring oder gar „Reichsvollkornbrotausschuß“. Aber es werden auch Zynismen verzeichnet wie „Reichsaltersheim“ für das KZ Theresienstadt und „Reichskristallnacht“, ferner parodistische Bezeichnungen , die bereits zeitgenössisch eine – natürlich meist heimliche – Kritik an der Inflation von Benennungen mit „Reich( s )-“ bezeugen , beispielsweise „Reichsgletscherspalte“ für die Regisseurin Leni Riefenstahl wegen ihrer Bergfilme oder „Reichswasserleiche“ für die Schauspielerin Kristina Söderbaum wegen ihres filmischen Tods durch Ertrinken. Deutliche Kritik an der Ermordung der SA-Führung und von NS-Gegnern 1934 kommt in der
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parodistischen Bezeichnung „Reichsmordwochen“ zum Ausdruck. Doch ist auch diese Liste keineswegs vollständig. Es fehlen bei Brackmann / Birkenhauer unter anderem offizielle Benennungen wie „Reichsbräuteschule“ oder „Reichseierkarte“ für den Bezug von Eiern sowie weitere Spitznamen wie „Reichsklaviermutter“ für die Pianistin Elly Ney , „Reichstrunkenbold“ für Robert Ley , den Leiter der Deutschen Arbeitsfront , wegen seines Alkoholismus , oder „Reichsschamhaarmaler“ für den Aktmaler Adolf Ziegler. 1938 nun war es so weit , dass „Deutsches Reich“ mehr als nur die Vision einer politischen Gemeinschaft möglichst aller Deutschen bedeutete. Aber ausgerechnet unmittelbar nach der Vereinigung mit Österreich , welche die Erfüllung lang gehegter politischer Wünsche brachte , offenbarte sich die Maßlosigkeit von Hitlers Politik. In einer Presseanweisung vom 21. März 1938 wird verboten , die Termini „volksdeutsch“ und „großdeutsch“ weiter zu verwenden. Der Terminus „volksdeutsch“ war nun zumindest für die bisherigen Österreicher obsolet geworden ; für die Deutschstämmigen außerhalb der neuen Reichsgrenzen wurde er gleichwohl weiterverwendet. Doch warum auch „großdeutsch“ nicht mehr gebraucht werden sollte , das erklärt eine „streng vertrauliche“ Anweisung vom selben Datum : „Selbstverständlich kann das Wort ‚großdeutsch‘ im Gegensatz zu ‚kleindeutsch‘ verwendet werden , wie es der Führer in seiner Rede getan hat. Es soll lediglich der Eindruck vermieden werden , als ob die deutschen Ansprüche mit der Herstellung der deutsch-österreichischen Einheit erledigt wären. Dies ist nicht der Fall. Zu dem wirklichen großdeutschen Reich gehören natürlich noch andere Gebiete , die wir zu gegebener Zeit beanspruchen werden.“4
Tatsächlich stand zu diesem Zeitpunkt noch das Sudetenland auf der Agenda Hitlers. Aber auch ohne Kenntnis der längst gefallenen Entscheidungen zur Expansion über das Sudetenland hinaus kann man dieser Presseanweisung entnehmen , dass es gar nicht mehr nur um das Sudetenland ging. Ließ doch Hitler die Sudetendeutschen selbst die Eingliederung ins Reich fordern , so dass nach außen hin „Ansprüche“ des Reiches gar nicht in Erscheinung zu treten brauchten. Dadurch hatte die Formulierung „noch andere Gebiete , die wir zu gegebener Zeit beanspruchen werden“ einen deutlich drohenden Unterton. Auch wenn Hitler „Großdeutsches Reich“ als Staatsnamen zunächst nicht zulassen wollte , wogegen die über seine Erfolge begeisterten Anhänger freilich immer wieder verstießen , genehmigte er doch , dass zumindest der Reichstag nach den Ergänzungswahlen in den sudetendeutschen Gebieten als „Großdeutscher Reichstag“ firmieren konnte.5
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Was den räumlichen Umfang des Reiches anging , schwebte Hitler bereits 1925 etwas weit Größeres vor , als er es 1938 mit der großdeutschen Arrondierung erreichen konnte. Am Ende des ersten Bands von „Mein Kampf“ sieht er einen Staat , „der nicht einen volksfremden Mechanismus wirtschaftlicher Belange und Interessen , sondern einen völkischen Organismus darstellt : Einen germanischen Staat deutscher Nation.“6
Am 13. September 1937 sah Hitler in einer Rede vor dem Parteikongress diesen Gedanken erstmals politisch verwirklicht : „Die deutsche Nation hat doch bekommen ihr germanisches Reich.“7 Zu diesem Zeitpunkt , noch vor jeder Expansion nach Österreich und ins Sudetenland , konnte dies zunächst eigentlich nur heißen , dass das Deutsche Reich auf allen Ebenen vom Einfluss nicht-„germanischer“ Kräfte gereinigt sei , also einen „völkischen Organismus“ darstelle. Doch schon gut zwei Monate später formulierte Hitler einen entsprechenden Staatsnamen , der ganz seiner Vision in „Mein Kampf“ folgte : „Germanisches Reich Deutscher Nation“, eine Formulierung , die unübersehbar den alten Reichsnamen „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“ belehnte. Gemäß der germanophilen Rassenideologie wurde ab 1933 auch politisch vieles unter dem Gesichtspunkt betrachtet , ob es für eine „germanische“, also über das „Deutsche“ hinausgehende Adaption oder Lösung tauge. Das politische Verhältnis zu den „germanischen“ Engländern etwa war immer wieder einmal von Rücksichtnahmen auf deren angebliche „Blutsverwandtschaft“ beeinflusst , bis die Realpolitik jeden Gedanken an die ohnehin nur historisch fassbaren Stammesverbindungen verdrängte. Auch in den nordischen Staaten sowie bei Niederländern und Flamen versuchte man – mit geringem Erfolg – Sympathien für „germanische“ Gemeinsamkeiten zu wecken. Deutsche Gewaltakte erstickten mögliche Sympathien immer wieder schon im Keim. Selbst der norwegische NS-Kollaborateur Vidkun Quisling hoffte ab 1942 vergeblich auf einen „Bund germanischer Völker“, in dem sein Norwegen nicht mehr nur ein besetztes Land wäre. Wenn es um die Macht ging , vergaßen Hitler wie Himmler alle ideologischen Grundsätze. Hitlers „germanischer Staat“ hätte sich ohne jede Rücksicht auf die „nichtgermanische“ Bevölkerung bis zum Ural ausdehnen sollen. Die „deutsche Nation“ wäre dann in den Weiten Russlands mit einer „kleinen Minderheitsoberschicht“ vornehmlich in SS-Stützpunkten vertreten gewesen. Himmler umriss den angestrebten Machtbereich in seiner „Posener Rede“ vom 4. Oktober 1943 kurz und
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bündig als „großgermanisches Reich“, in dem der nichtgermanischen Bevölkerung ein Lebensrecht bestenfalls als Sklaven zugestanden werden sollte. Und Berlin sollte nach einer gigantischen Umgestaltung zur „Welthauptstadt“ den Namen „Germania“ erhalten. Für den rasanten Realitätsverlust Hitlers und seiner Anhänger während des Krieges war bezeichnend , dass man sich solchen Expansionsträumen um so stärker hingab , je mehr der von den Deutschen militärisch beherrschte Raum schrumpfte. Ausgerechnet nach der Katastrophe von Stalingrad 1943 wurde – vielleicht aus propagandistischem Trotz – auf den Briefmarken der Aufdruck „Deutsches Reich“ noch durch „Großdeutsches Reich“ ersetzt. Ein Staatsname wie „Germanisches Reich Deutscher Nation“ passte nun überhaupt nicht mehr zur aktuellen politischen und militärischen Lage. Das Afrikakorps war geschlagen , die Alliierten waren in Italien gelandet , Mussolini war gestürzt worden , der Rückzug im Osten war in vollem Gange. Das aber tat der Illusion einer „germanisch-deutschen“ Weltherrschaft keinerlei Abbruch. Am 30. Januar 1945 , zum Jahrestag der Machtübernahme , beendete Hitler seine letzte Rundfunkansprache freilich mit einer Modifizierung des großsprecherischen Staatsnamens : „Unser großdeutsches Reich , die deutsche Nation.“8 Durchmischt waren Hitlers germanische Fantasien mit Ideen von einem Europa , das – von der „rassisch stärksten Nation“, also den Deutschen – unterworfen ein einheitliches Machtgebilde werden sollte , wie es einst das Römische Reich gewesen sei. Dass Hitlers an Ideen des 19. Jahrhunderts orientierter Nationalismus dabei letztlich über das Interesse der Nation bedenkenlos hinwegging , hat Joachim Fest9 deutlich herausgearbeitet. Der Europa-Gedanke war von Hitler schon früher immer wieder einmal thematisiert worden , freilich meist unter Verschleierung seiner machtpolitischen Ansprüche , etwa in seiner Reichstagsrede am 7. März 1936 mit jener friedenspolitischen Attitüde , die ins Propagandakonzept der Olympiade passte. Die europäischen Nationen hat er dabei , wie schon früher zitiert , sogar eine „Familie“ und Europa als ihr „Haus“ genannt. Wie wenig er hinter solch freundlichen Worten stand , hatte eigentlich schon seine Feindschaft gegen den Völkerbund gezeigt , der doch nicht zuletzt einer europäischen Friedensordnung dienen sollte. Gelegentlich diffamierte er das historisch gewachsene Europa sogar als ein „Kleinstaatengerümpel“.10 An Europa und dessen „Freiheit“ dachten Hitler und seine engste Umgebung um so mehr , je weniger das NS-Regime diesem Kontinent Positives zu bieten hatte. Zuletzt hoffte man nur noch , dass ganz Europa gegen den Bolschewismus zusammenstehen würde und damit die deutsche Niederlage verhindern
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könnte. Diese Illusion lebte zuletzt – teilweise über die Kapitulation hinaus – in der Erwartung mancher Deutscher , dass die Westalliierten die Reste der Wehrmacht weiter gebrauchen könnten , um die Sowjets aus Mitteleuropa militärisch wieder zu verdrängen. Wie sehr man den deutschen Angriffskrieg , als er sich gegen die Deutschen gewendet hatte , zum Versuch umstilisierte , Europa vor dem Bolschewismus zu retten , hatte schon 1943 Goebbels in seiner „Sportpalastrede“11 deutlich gemacht , da er in der ersten von drei Thesen erklärte : „Wäre die deutsche Wehrmacht nicht in der Lage , die Gefahr aus dem Osten zu brechen , so wäre damit das Reich und in kurzer Folge ganz Europa dem Bolschewismus verfallen.“ Die NS-Propaganda hatte den Deutschen die Gefahren durch den Bolschewismus immer wieder einmal , zuletzt aber immer heftiger vor Augen geführt. Besonders sinnfällig kam dies etwa in einem Plakat von 1943 zum Ausdruck , das farblich zweigeteilt mit der Alternative „SIEG oder BOLSCHEWISMUS“ drohte. Im linken , hellen Feld hebt eine lachende Mutter unter „SIEG“ ein fröhliches Kind in die Höhe , während im rechten , dunklen Feld eine übergroße finstere Gestalt mit „Bolschewikenmütze“ über einer Gruppe verzweifelter oder schon zusammengebrochener Zivilisten die Alternative „BOLSCHEWISMUS“ verkörpert.12 Die nach der größten Ausdehnung deutscher Macht zunächst stolz verkündete „Festung Europa“ ereilte sehr bald das Schicksal , das den militärischen Anachronismus von Festungen in einem hochtechnisierten Krieg des 20. Jahrhunderts immer mehr ad absurdum führte. Schon 1942 / 43 versuchte die Propaganda , die Einkesselung deutscher Verbände bei Demjansk südlich des Ilmensees der deutschen Öffentlichkeit als „Festung“ zu verkaufen. 1943 wurden die Krim und 1944 Kreta zu „Festungen“ erklärt. Das alles waren deutliche Hinweise darauf , dass man sich immer häufiger nur noch in der Defensive befand. Die Festungsidee verkümmerte schließlich in der unsinnigen Deklarierung von Königsberg und Breslau , aber auch anderer Städte wie Danzig , Gotenhafen13 und Posen , zuletzt auch von Berlin und Hamburg als „Festungen“. Selbst Freudenstadt im Schwarzwald musste sich noch kurz vor der Einnahme zur „Festung“ erklären und büßte dafür wie alle anderen „Festungen“ mit zusätzlichen Zerstörungen. Als ein 1944 in der Schweiz entstandenes Fantasieprodukt , an das selbst Hitler nicht mehr glaubte , erwies sich die Idee einer „Alpenfestung“, von der aus Deutschland noch verteidigt werden sollte. Immerhin beeinflusste dieser absolut realitätsferne Begriff noch im März 1945 die militärischen Operationen der Alliierten : Die 3. und 7. US-Armee mussten nach Süden abschwenken , um deutschen Verbänden den Weg in die angebliche Festung zu verlegen.
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Der Staat „Deutsches Reich“ wurde auch nach seinem faktischen Untergang formalrechtlich nie beseitigt. Die Alliierten übergingen schlicht den Staatstitel , indem sie , unter anderem in den Potsdamer Beschlüssen von 1945 , nur noch den völker- wie staatsrechtlich irrelevanten und für unterschiedliche politische Lösungen offenen Terminus „Deutschland“ benutzten. Er erlaubte es schließlich , die staatliche Einheit dieses Landes zu zerschlagen und 1949 zwei verschiedene Staaten , die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik entstehen zu lassen. 1
Schmitz-Berning ( 2000 ) : 607. Schlosser ( 2003 ). 3 Brackmann / Birkenhauer ( 1988 ). 4 Zitiert nach : Schmitz-Berning ( 2000 ) : 286 f. 5 Vgl. ebda. 6 „Mein Kampf“: 361 f. ( Sperrung und Zeilenanordnung wie im Original ). 7 Domarus ( 1965 ) I. 2 : 732 und Anm. 191. 8 Ebda. II . 2 : 2198. 9 Fest ( 1973 ) : 1031 f. 10 Ebda. : 939. 11 Heiber ( 1991 ) : 203 ff. 12 Beleg im Deutsch-russischen Museum Berlin-Karlshorst. 13 NS -Umbennung von Gdingen bzw. polnisch Gdynia. 2
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So früh wie die Vorbereitungen auf einen Krieg schon begannen , so früh war auch schon der öffentliche Sprachgebrauch militarisiert. Natürlich sollte nicht die heimlich betriebene Aufrüstung öffentlich bekannt gemacht werden. Dafür wurden eher verschleiernde Formulierungen benutzt , oder sie wurde ganz totgeschwiegen. Wohl aber sollten die Deutschen über die Sprache zumindest in einen „mentalen Kriegszustand“ versetzt werden , der die Konfrontation mit einem echten Krieg erleichtern sollte. „Volk ans Gewehr“ – Die sprachliche Mobilmachung
Das schon 1931 gedichtete und schnell verbreitete NS-Lied von Arno Pardun „Siehst du im Osten das Morgenrot“ machte mit seinem Refrain „Volk ans Gewehr ! Volk ans Gewehr !“, dessen Anfangstakte 1933 zudem als Pausenzeichen des Berliner Rundfunks gewählt wurden , die mentale Mobilmachung viele Jahre vor dem Kriegsbeginn zum Programm. Als sehr direkt gemeinte Aufforderung indes hing die Parole „Volk ans Gewehr !“ 1944 auf Transparenten in den Erfassungsstellen des Volkssturms.1 Ein nicht unwichtiges weiteres Motiv für den auffälligen Gebrauch von Militarismen muss allerdings auch im Selbstverständnis des Nationalsozialismus als einer Revolution gesehen werden. Und Revolutionen kommen nie ohne einen kämpferischen Sprachgebrauch aus , selbst dann wenn sich der „revolutionäre Kampf“ im Wesentlichen auf unblutig-bürokratischer Ebene abspielt. Die Zeit vor 1933 wurde zur „Kampfzeit der Bewegung“ stilisiert , in der sich die Haudegen der Partei in Straßen- und Saalschlachten als „Alte Kämpfer“ hervorgetan hatten und weiterhin als solche gefeiert wurden. Nicht zufällig hatte Hitler seine Programmschrift von 1925 / 26 „Mein Kampf“ genannt. In allem waren die Nationalsozialisten „kämpferisch“, um alles hatten sie „kämpfen“ müssen. Goebbels beschrieb seine Zeit vor 1933 als NSDAP-Gauleiter in Berlin in einem Buch , das den Titel „Kampf um Berlin“ trug. Diese Selbststilisierung erhielten die Nationalsozialisten auch aufrecht , als sie 1933 endlich über die Weimarer Demokratie und deren Parteien „gesiegt“
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hatten. Gleichsam ihrer Herkunft als „Bewegung“ gemäß wollte die NSDAP mit zahlreichen , oft generalstabsmäßig geplanten Kampagnen , von „AltstoffSammlungen“ bis zu Spendenaktionen für das „Winterhilfswerk“, auch die gesamte Bevölkerung permanent „in Bewegung halten“, um sie von eigenem , kritischem Denken abzuhalten. Die staatliche Jugendarbeit in der Hitlerjugend führte sächlich wie terminologisch eine konsequente Organisation mit quasimilitärischen Dienstgraden ein. Besonders auffällig wird die sprachliche Aufrüstung dort , wo – oft nur vorgeblich – zivile Projekte mithilfe von Kampfmetaphern propagiert wurden. Zu erinnern ist noch einmal an die Umschreibung der frühen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen als „Arbeitsschlacht“ oder der Förderung von mehr Nachwuchs als „Geburtenschlacht“. Erfolge in der Landwirtschaft wurden als siegreiche „Erzeugungsschlacht“ gefeiert. Beim Autobahnbau wurden die Arbeiter als „Armee der Arbeit und des Friedens“ bezeichnet. Für die Neuordnung des Verhältnisses zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nach Zerschlagung der Gewerkschaften wurde die „Deutsche Arbeitsfront“ ( DAF ) ins Leben gerufen. Passend zum kämpferischen Institutionennamen hieß das DAF-Presseorgan „Der Angriff“. Geistesverwandt war natürlich das sehr viel bedeutendere und gefährlichere Hetzblatt des Julius Streicher , das sich revolutionär-kämpferisch „Der Stürmer“ nannte. 1935 startete die HJ eine „Frühjahrsoffensive“. Ihr oblag aber auch grundsätzlich , wie den gleichgeschalteten Sportvereinen und sportlichen Pflichtveranstaltungen in anderen Bereichen , etwa im Studium , bereits lange vor 1939 die Einübung in „Kampf- und Wehrsport“. Neben eindeutig militärischen Aktivitäten wie „Geländedienst“ und Schießen wurden regelmäßig „Hallenkampfspiele“ durchgeführt.2 Die regimetreue Literatur wollte dem natürlich nicht nachstehen. Sie stellte sich unter die Parole „Buch und Schwert“. Der Lyriker Gerhard Schumann etwa , ein hochgelobter Parteigänger und NSDAPFunktionär , formulierte die kollektive Haltung so : „Wir fragen nicht. Wir sind des Führers Faust.“3 Aber auch eine auf den ersten Blick sinnvolle Kampagne gegen die Verschwendung von Lebensmitteln und Rohstoffen , die 1936 zum Auftakt des zweiten Vierjahresplans propagiert wurde , erhielt ihren militaristischen Anstrich in der Parole „Kampf dem Verderb !“. Zum Signalwort kämpferischer Gesinnung wurde „Einsatz“, das quer durch alle Themenfelder benutzt wurde , von einer tatsächlich militärischen Handlung bis zum Auftreten von friedlichen Gesangs- und Spielgruppen. Inflationär oft tauchte „Einsatz“ in den Funktionsverbgefügen „zum Einsatz bringen“ oder „kommen“ auf.
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Gleichsam rechtzeitig war 1934 der 1926 eingeführte Volkstrauertag in „Heldengedenktag“ umbenannt worden , der jeweils mit militärischen Machtdemonstrationen begangen wurde.4 Verbal konnte sich dieser Terminus zwar auf eine ältere Tradition berufen , da gefallene Deutsche schon im 19. Jahrhundert im Sinne der germanischen Heldendichtung zu „Helden“ stilisiert worden waren. Damit verbunden aber war jener NS-( Kriegs )Totenkult , der mit Beginn des Zweiten Weltkriegs immer mehr Anlässe fand. Die Bezeichnung „Helden-“ oder „heldischer Kampf“ bot jeweils untrügliche Hinweise auf einen verlorenen Kampf , der meist zahlreiche Tote gefordert hatte , die – im günstigsten Fall – auf einem „Heldenfriedhof“ bestattet werden konnten , bevor die alliierten Streitkräfte das Gelände wieder unter ihre Kontrolle brachten. Einen „Heldentod“ zu bejahen , gar anzustreben wurde Kindern und Jugendlichen schon in der Schule und in der HJ beigebracht. Die grundsätzliche Nähe zum Totenkult in der NS- , genauer in der SS-Ideologie wurde nicht zuletzt darin sinnfällig , dass für die Zeit nach der Eroberung Russlands die Grenzen deutscher Macht auch durch einen Kranz pompöser „Totenburgen“ markiert werden sollten.5
„Räder müssen rollen für den Sieg“ – Der Kriegseinsatz der Sprache
Wie schon früher ausgeführt , lässt sich die NS-Propaganda eigentlich nicht trennscharf in eine friedliche Phase bis zum Kriegsbeginn 1939 und eine kriegerische Phase danach einteilen. Zu stark waren schon bis 1939 die sprachlichen und außersprachlichen Zeichen , durch welche die Deutschen mental auf eine kämpferische Auseinandersetzung mit einer dem Deutschtum feindlichen Welt vorbereitet wurden. Die Maxime , dass Deutschland hoch über allem zu stehen habe , brauchte unter den Kriegsbedingungen nur verschärft zu werden. Schon 1938 tauchten aber Parolen und Werbeaussagen auf , die als Zeichen offener Kriegsdrohung verstanden werden mussten , etwa: „Es ist die sittliche Pflicht eines jeden einzelnen , für sich und die Seinen die Volksgasmaske zu erwerben.“ Selbst in dieser auf ein sächlich begrenztes Werbeziel gerichteten Parole beruft sich die NS-Propaganda auf eine weltanschauliche Oberinstanz , ein ominöses „Sittengesetz“, gegen das bereits derjenige verstoße , der auf den Kauf einer „Volksgasmaske“ verzichtet. Das mag heute lächerlich erscheinen , muss aber als eins von vielen Mosaiksteinchen im Gesamtbild pseudoreligiöser Vereinnahmungen der Zeitgenossen gewertet werden. Ohne eine so anspruchsvolle Begründung hätte sich leicht die grundsätzliche Frage erheben können , wofür Zivilisten im friedlichen Nebeneinander der Völker überhaupt eine Gasmaske
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brauchten – ein Requisit , das im Ersten Weltkrieg die Soldaten im Kampf gegen das Gas als Waffe tatsächlich gebraucht hatten. Aber auch die sonstige Werbung für Waren und Dienstleistungen wurde mehr und mehr auf kriegsbedingte Zwecke eingestellt.6 Die Zeiten , in denen noch für privaten Konsum geworben werden konnte , waren mehr oder weniger vorbei. Die Motoren- und Autobauer , ob „Mercedes“, die „Deutsche Schneekettenfabrik Nordland“ oder „Zündapp“, werben nun mit martialischen Illus trationen von Panzern und Flugzeugen. Selbst „UHU Der Alleskleber“ bot sich 1940 mit einer Annonce als Hilfsmittel zum Modellbau von „Heerestypen“ an. Gezeigt wird ein Panzermodell. Ein solcher Nachbau sei „ein Teil vormilitärischer Erziehung. Für diese Modellbauarbeiten hat die Schuljugend ein besonderes Anrecht auf – UHU.“ 1939 beginnt die eigentliche Kriegspropaganda , die es zunächst relativ leicht hat. Verharmlosend lässt ein Schlager von Will Glahé 1939 noch singen : „Es ist so schön , Soldat zu sein“. Die deutschen Truppen eilten zunächst von Erfolg zu Erfolg , und es konnte eine euphorische Siegespropaganda entfaltet werden , die auch den Widerstandswillen der NS-Gegner lähmte. Die Einleitungsmusik zu den Rundfunk-„Sondermeldungen“ des Oberkommandos der Wehrmacht ( OKW ) , eine Sequenz aus Franz Liszts „Les préludes“, klang den Deutschen bis 1942 stets wie eine Siegesfanfare , bis sich dieser Effekt bei den immer schwächer werdenden Erfolgsmeldungen allmählich abnutzte. Eine heimliche Parodie formulierte schließlich : „Das OKW gibt bekannt : Schon wieder hat ein Päckchen Knäckebrot die Ostfront erreicht.“ Mit Kriegsbeginn nahm die Zahl der Wortbildungen zu , in denen die militärischen Gegner Deutschlands kollektiv als „Feind“ charakterisiert wurden , nachdem man zuvor schon im Innern zahlreiche „Feinde“ ausgemacht hatte : etwa „Feind-fahrten / -flieger / -flugblatt / -mächte / -propaganda / -sender“. Im April 1945 wurde in Berlin mit einem eigenen , vom Fliegeralarm abweichenden Sirenensignal „Feindalarm“ gegeben , der vor direktem Beschuss warnen sollte. Das Wort „Feind“ sollte in allen Fällen einen entschiedeneren Abwehrwillen provozieren , als es das Wort „Gegner“ vermocht hätte. Dieses „Feind“-Bild prägte sich den Deutschen so sehr ein , dass nach dem Krieg ausdrücklich verboten werden musste , in behördlichen Schreiben Besatzungstruppen weiterhin als „Feinde“ zu bezeichnen. So musste etwa der Geraer Oberbürgermeister am 25. Juni 1945 , damals wie ganz Thüringen noch unter amerikanischer Kontrolle , alle Dienststellen anweisen , Ausdrücke wie „Feindbesetzung“ zu unterlassen.7 Nach der Kriegserklärung Englands am 3. September 1939 nahm die Propaganda auch keine Rücksicht mehr auf das angeblich germanische Brudervolk.
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Nun trat an die Stelle bis dahin meist zurückhaltender Äußerungen über Großbritannien dessen permanente Verunglimpfung als „Plutokratie“. Der Gebrauch dieses Stigmaworts wurde nach dem Kriegseintritt der USA 1942 auf die amerikanische Demokratie ausgeweitet. Schließlich galten Churchill und Roosevelt als Stalins „plutokratische Komplicen“.8 Seinen Überfall auf die Sowjetunion kaschierte Hitler als Reaktion auf ein „Komplott der jüdisch-angelsächsischen Kriegsanstifter“. Noch vor der Zerstörung Dresdens am 13./ 14. Februar 1945 , die tatsächlich ein Kriegsverbrechen war , nannte der „Völkische Beobachter“ etwa am 3. Februar 1945 die Gegner „Kriegsverbrecher“. Aber auch auf einem zivileren Sektor war eine situationsbedingte Propaganda zu betreiben. Die in großen Zahlen nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppten „fremdvölkischen“ Land- und Fabrikarbeiter aus dem Osten , die „Fremdarbeiter“, nun auch „Ostarbeiter“ genannt , schienen den Nationalsozialisten zu einer Gefahr für die „Rassereinheit“ daheim zu werden. Wie eine Verlautbarung des „Volksbundes für das Deutschtum im Ausland“ unter Berufung auf Weisungen Himmlers und Görings formulierte , wurden nun „völkische Fragen akut“, es werde zu „völkischen Kraftproben“ kommen. Neben den äußerst repressiven Maßnahmen gegen die als drittklassig eingestuften und behandelten Menschen hämmerte man den deutschen Volksgenossen Sätze wie diesen ein : „Deutscher ! Der Pole ist niemals dein Kamerad ! Er steht unter jedem deutschen Volksgenossen auf deinem Hof oder in deiner Fabrik. Sei wie immer als Deutscher gerecht , aber vergiß nie , daß du Angehöriger des Herrenvolkes bist.“9 Mit der Kriegswende 1942 / 43 , erst recht nach dem Desaster von Stalingrad , wurden Euphemismen , mit denen militärische Rückschläge und Niederlagen beschönigt , zumindest relativiert werden sollten , zum festen Bestandteil der Propaganda , in deren Dienst auch die täglichen „Wehrmachtberichte“ standen , die in Rundfunknachrichten verbreitet wurden. Ein Zurückweichen vor der gegnerischen Übermacht sollte möglichst nie zugegeben werden. Deutsche Truppen „gingen / rückten“ prinzipiell nur „vor“. Wenn man schon von Rückzug sprechen musste , handelte es sich grundsätzlich um einen „geordneten Rückzug“. Es sollte die Illusion geweckt werden , es handle sich nur um eine taktische Maßnahme. Noch verschleiernder wurde formuliert , dass die Wehrmacht „neue Stellungen“ bezogen oder „Auffangstellungen“ aufgesucht habe , also scheinbar sichere Orte , die eine kluge Führung offenbar von vornherein eingeplant hatte. Auch „Frontbegradigung“ und „Frontverkürzung“ meinten ein Zurückweichen vor dem Gegner , das auch „Ausweich-“„ oder „Absetzbewegung“ genannt werden konnte , möglichst mit dem Zusatz „planmäßig“ oder „befehlsgemäß“. Den Verlust einer einheitlichen Front nannte Hitler in einem Erlass vom Januar 1945 10
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„bewegliche Kampfführung“. Die schließlich nur noch in Absetzbewegungen befindlichen Soldaten wurden sprachlich zu „Rückkämpfern“ erhoben. Das Wort „Brückenkopf“, normalerweise Bezeichnung eines lokalen Vorstoßes und Geländegewinns , meinte auf deutscher Seite zuletzt meist nur einen Geländerest , den man noch kontrollierte. Umgekehrt wurde die alliierte Besetzung Frankreichs nach der Landung der Alliierten , der sogenannten Invasion , bis zur Einnahme von Paris als „Landekopf“ heruntergespielt.11 Nachdem man am Anfang des Krieges gegen die Sowjetunion in vielen „Kesselschlachten“ gesiegt hatte , erfuhr man aber bald doch , dass eigene Verbände , in Stalingrad eine ganze Armee , vom Gegner „eingekesselt“ wurden. Für die Befreiungsversuche der Eingeschlossenen erfand man den Euphemismus vom „wandernden Kessel“. Auf Plakaten und in Anzeigen , schließlich sogar auf dem rollenden Material der Reichsbahn , auf Lokomotivtendern und Waggons , las man ab 1943 immer häufiger „Räder müssen rollen für den Sieg“.12 Damit sollten zwar auch die Einschränkungen im Reiseverkehr akzeptabel gemacht werden , aber mindestens so wichtig war dabei das nach wie vor propagierte Ziel „Sieg“. Entsprechend wurden in Zeitungsanzeigen der Deutschen Reichsbahn reisende Zivilisten von einem Soldaten in voller Ausrüstung gefragt : „Hilft Deine Reise siegen ?“, oder es wurde getextet : „Jeder [ Eisenbahn- ]Wagen mehr – 600. 000 SCHUSS für’s MG. Helft mit ! Beladet auch sonn- und feiertags !“13 Zuletzt lag der Schwerpunkt der Propaganda auf Durchhalteparolen. Verbreitet wurden martialische Losungen wie „Durchhalten !“ oder „Jetzt erst recht !“. Diese Parole wurde auch in Werbeplakaten wie dem der Junkers Motorenwerke von 1944 eingesetzt , auf dem ein deutscher Sturzkampfbomber zum Angriff auf eine Krallenhand ansetzt , welche die Weltkugel im Griff hat. Der Text dazu lautete : „Wir kämpfen und arbeiten … gegen britische Habgier. Jetzt erst recht ! Unser der Sieg !“ Der zuletzt noch gedrehte Durchhaltefilm „Kolberg“ ist bereits erwähnt worden. Allerdings kam er in den Kinos nicht mehr zur allgemeinen Aufführung. Die „Deutsche Wochenschau“, obligatorischer Vorspann zu jedem Kinofilm , tat freilich bis zu ihrem Ende so , als gäbe es von den Fronten immer noch nur Siege zu verkünden. Aus der anfänglich so selbstbewussten Parole „Der Sieg ist unser“ wird ab 1943 die kleinlautere Formulierung „Der Sieg wird unser sein“. Einmal hieß es sogar – aus der Rückschau äußerst vielsagend : „SIEG um jeden Preis“. „Endsieg“ wurde zum zentralen Schlagwort , das einen Kriegserfolg nach und trotz allen nicht mehr zu leugnenden Rückschlägen verhieß. Die Wortbildung „Endsieg“ beschränkte sich im Übrigen nicht auf den NS-Sprachgebrauch , sondern war
Sogenannte Feindpropaganda |
auch in Emigrantenkreisen geläufig : für die Hoffnung auf eine zuletzt doch noch glückende Überwindung der NS-Diktatur , literarisch belegt etwa in Lion Feuchtwangers „Der Wartesaal“ ( 1940 ). Aber auch schon für die „Kampfzeit“ der NSDAP vor 1933 benutzten die Nationalsozialisten dieses Wort in ihrer Hoffnung , die politische Macht endlich zu erringen.14 Mit einem schwarzen Schattenmann als Symbolfigur für einen unheimlichen Lauscher wurde zuletzt allerorten die Parole „Pst ! Feind hört mit“ plakatiert , als könnte der Sieg durch mangelnde Vorsicht vor Spionage noch verspielt werden. Gerade dieses Propagandamotiv verbreitete in der Bevölkerung eine Stimmung gespannter Unsicherheit , die im übrigen das Denunziantentum noch steigerte. Neben dem Plakat als Träger von Sieges- und Durchhalteparolen entdeckte man auch die Briefmarke als Medium der Kriegspropaganda. Noch 1944 wurde ein Satz von dreizehn „Wehrmachtmarken“ aufgelegt , deren Motive Kampfsituationen wiedergaben : etwa ein vorwärts rasendes Schnellboot , einen U-BootFahrer am Sehrohr oder einen nach vorn rollenden Panzer. Nicht zu vergessen die immer häufigere Marschmusik im Radio. Aber auch Schlager konnten , wie schon in Kapitel 8 ausgeführt , durch eine vom Hörer mehr oder weniger unbewusst vorgenommene Aktualisierung einzelner Textteile , nicht zuletzt von Refrains , propagandistische Wirkung entfalten. Unterhaltungsangebote gab es sogar für die beklemmenden Situationen bei Bombenangriffen. In den Handel gelangten „Bunkerspiele“. Das waren Würfelspiele , die den Bombenkrieg verharmlosten , oder Warnungen , etwa vor „Feindsendern“, enthielten – zum Zeitvertreib in Luftschutzbunkern. Als die Folgen alliierter Bombardements schon allüberall unübersehbar geworden waren , verstieg sich die Propaganda gar zur Parole „Mauern brachen , unsere Herzen nicht“. Goebbels’ letzte journalistische Tat vor seinem Selbstmord und kurz vor der Kapitulation der Reichshauptstadt war , wie bereits erwähnt , im schon zusammengebombten und -geschossenen Berlin eine Durchhaltepostille mit dem Titel „Der Kampfbär“ herauszugeben. „Deutsche Hörer !“ – Die sogenannte Feindpropaganda
Über meist pauschale Thesen und mehr oder weniger isolierte Einzeluntersuchungen hinaus lässt sich kaum noch ermitteln , welche Wirkungen die vielfältigen Versuche tatsächlich hatten , die Deutschen von außen über ihre wahre Lage aufzuklären. Die Nationalsozialisten nannten es „Feindpropaganda“ und fürchteten sehr wohl mögliche Wirkungen , was sich allein mit den seit Kriegsbeginn
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extrem strafbewehrten Verboten , „Feindsender“ zu hören , belegen lässt.15 Von Goebbels angeordnete Abschreckungsurteile bei sogenannten Rundfunkverbrechen konnten bis zu siebeneinhalb Jahre Zuchthaus vorsehen , bei Weiterverbreitung von „Feindstaatenmeldungen“ drohte sogar die Todesstrafe. Der technische Aufwand , den Empfang ausländischer Sendungen zu erschweren oder zu unterbinden , war gewaltig. Bereits seit dem Herbst 1934 versuchten deutsche Emigranten , jenseits der Grenzen Propagandasendungen gegen das NS-Regime zu organisieren , etwa Otto Straßer , ein zunächst glühender Anhänger Hitlers , von der Tschechoslowakei aus. Sein Techniker wurde nach vier Monaten Sendebetrieb im Januar 1935 in Prag von einem eingeschleusten SS-Kommando ermordet. Abenteuerlich , aber so gut wie wirkungslos war die zeitweilige Installation eines Kurzwellensenders der in Frankreich gegründeten „Deutschen Freiheitspartei“ auf einem Fischkutter vor der französischen Küste , der die Deutschen mit sonst unterdrückten Nachrichten versorgen sollte. Wirkungsvoller waren dagegen der offizielle Straßburger Sender bis 1939 , dessen Anti-NS-Programme bis zum Protest der deutschen Reichsregierung zunächst auch von deutschen Emigranten mitgestaltet werden konnten , sowie 1937 der vom damals noch republikanischen Spanien aus operierende „Deutsche Freiheitssender“ des „Schutzverbands deutscher Schriftsteller“ in Paris. Mitwirkende waren unter anderem Bertolt Brecht , Alfred Kerr , Egon Erwin Kisch , Heinrich und Thomas Mann sowie Arnold Zweig. Deutschsprachige Sendungen von Radio Moskau mit Anti-NSPropaganda der in der Sowjetunion lebenden Emigranten wurden während der Geltungsdauer des Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts , des Hitler-Stalin-Pakts , von August 1939 bis zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 auf deutschlandfreundliche Töne umgestellt. Danach aber , nun umso heftiger, wurde die Anti-NS -Propaganda wieder aufgenommen. 1943 wurde sie durch Rundfunksendungen für Deutschland seitens des „Nationalkomitees Freies Deutschland“ unterstützt. Einer der wichtigsten „Feindsender“ war der „Deutsche Dienst“ der BBC. Er war während der „Sudetenkrise“ im September 1938 ins Leben gerufen worden. Hier waren Emigranten für eigene Beiträge nicht zugelassen , sie durften nur fremde Texte sprechen oder Lieder singen. Gleichwohl leistete der Londoner Rundfunk unter Hugh Green – wenn auch mit einer gewissen Rücksichtnahme auf die britische Kriegspolitik – mit Nachrichten und Kommentaren eine sehr intensive Aufklärungsarbeit , etwa wenn dieser Dienst in bewegten Worten über die Euthanasiemorde in Deutschland berichtete. Zum prominentesten Beiträger wurde auf Umwegen schließlich doch Thomas
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Mann. Seine monatlichen Ansprachen „Deutsche Hörer“ 1940–1945 wurden in den USA aufgenommen , per Schallplatte nach London übermittelt und von dort gesendet.16 Grundsätzlich muss man aber davon ausgehen , dass die Wirkungen solcher Aufklärungsarbeit insgesamt relativ gering waren. Die große Mehrheit der Deutschen blieb bis zum Schluss für die eigene Propaganda sehr viel empfänglicher als für die „zersetzende“ Kritik von außen. Gegen emigrierte Schriftsteller zumal bestand eine gerade unter in Deutschland gebliebenen Intellektuellen verbreitete Skepsis , sogar Ablehnung. Sie gipfelte in dem von der NS -Propaganda heftig unterstützten Vorwurf , die Emigranten hätten ihr Volk zugunsten ihrer Bequemlichkeit im Stich gelassen – ein Vorwurf , der noch nach dem Krieg Remigranten treffen konnte. Ein solcher Vorwurf traf auch Thomas Mann , der es dann auch vorzog , sich in der Schweiz niederzulassen.17 Weder die an der Ostfront vom kommunistisch gelenkten „Nationalkomitee Freies Deutschland“ ( NKFD ) mittels Lautsprecher und Flugblätter betriebene Agitation noch die der Westalliierten nach deren Landung in Frankreich , mit der man deutsche Soldaten zu Widerstand und Desertion bewegen wollte , zeigten eine nennenswerte Wirkung. Dafür sorgten schon die harten Strafandrohungen und zahlreiche Todesurteile gegen Deserteure. Aber auch die früh in Umlauf gebrachten geheimen Berichte der Exil-SPD „Sopade“ blieben wie zahlreiche vergleichbare Aktionen des Widerstands in ihrer Wirkung äußerst begrenzt. Alliierte Flugblätter , die über Deutschland abgeworfen wurden , sammelte man allermeist brav ein und übergab sie den NS-Behörden. Immerhin sind im Verlauf des Krieges etwa 40. 000 verschiedene Flugblätter hergestellt worden. Von England aus wurden über sechs Milliarden Flugblätter in 29 verschiedenen Sprachen über West- und Mitteleuropa abgeworfen.18 Die weitgehende Wirkungslosigkeit dieser Propagandaform gilt auch für ein Flugblatt , das ursprünglich dem Widerstand in Deutschland gewidmet war : das sechste , zuletzt verteilte Flugblatt der Münchner Gruppe „Die Weiße Rose“. Es war 1943 auf Umwegen nach England gelangt. Es wurde von britischen Bombern in 1,5 Millionen Exemplaren über Deutschland abgeworfen. Ein von deutschen Behörden konfisziertes Exemplar , das heute im Deutschen Historischen Museum zu Berlin archiviert ist , trägt quer über den Text den handschriftlichen Vermerk „Feindpropaganda“. Kaum noch zu entwirren ist das Neben- und Gegeneinander von NS-Propaganda und alliierter Gegenpropaganda per Rundfunk ab Juni 1944. Nicht nur die Deutschen versuchten , mit sogenannter schwarzer Propaganda die Gegner zu verwirren. Sie erfolgte etwa mit Rundfunksendungen , die von
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angeblichen Geheimsendern auf deutschem Boden ausgestrahlt , aber eine nichtdeutsche Herkunft vortäuschten. Auch die Alliierten bedienten sich dieser Taktik , indem sie fiktive deutsche „Soldatensender“ gründeten , die mit wahrheitsgemäßen , aber auch mit erfundenen Meldungen die deutsche Seite irritieren sollten. Sprachlicher Ton und Stil waren einem echten deutschen Soldatensender angepasst. An herausragender Stelle ist hier der Brite Sefton Delmer zu erwähnen , der mit Einrichtungen wie dem „Soldatensender Calais“ oder dem „Soldatensender West“ erhebliche Verwirrung stiften konnte. Dem US -„Soldatensender Radio 1212“ gelang es tatsächlich , mit entsprechenden Fehlinformationen die Deutschen vom alliierten Ausbau des rechtsrheinischen Brückenkopfs bei Remagen im März 1945 abzulenken. Ein intelligentes Instrument der Gegenpropaganda brachten schließlich die Sowjets ins Spiel. Mit sogenannten Geisterstimmen nutzten sie oft die kurzen Pausen zwischen zwei Sätzen einer NS-Sendung , indem sie auf gleicher Wellenlänge knappste Kommentare wie „Alles gelogen“ über den Äther brachten. Möglicherweise stammt aus dieser Quelle auch die in Kapitel 9 erwähnte Störung von Hitlers Silvesterrede 1944. Mit ihrem schnellen Vormarsch auf die deutschen Reichsgrenzen hatten die Alliierten organisatorisch wie technisch immer günstigere Möglichkeiten , vom rückeroberten europäischen Festland aus mit reichsnahen Rundfunksendern und per Flugschriften den Deutschen ihre Informationen und Aufrufe zu übermitteln. Den Amerikanern war etwa der bisherige „Reichssender Luxemburg“ sogar unversehrt in die Hände gefallen. Als „Radio Luxemburg“ sendete er nun im Dienst der alliierten Propaganda. So gab es in den letzten Monaten vor dem Waffenstillstand im Westen , der nach und nach von Amerikanern und Briten erobert worden war , eine höchst unübersichtliche , die Deutschen tatsächlich verwirrende Situation. Denn in diesen Regionen konnten immer noch die NSSender , aber auch schon – auf deutschen Wellen und in deutscher Sprache – alliierte Rundfunksendungen empfangen werden. Die Produktion und Verbreitung von gedruckten Informationen für die deutsche Wehrmacht und Bevölkerung wurde durch die Geländegewinne von Amerikanern und Briten erheblich erleichtert. Die „Amerikanische Armee in Westeuropa“ als Herausgeber verbreitete bereits im Herbst 1944 doppelseitig bedruckte Flug blätter , mit denen sie die Deutschen über die von den NS-Medien verschwiegenen alliierten Kriegserfolge informierte19 , so etwa in Nr. 3 vom 18. November , die wie viele weitere Flugblätter von dem emigrierten Schriftsteller und US-Sergeanten Stefan Heym verfasst war : „Die ‚Tirpitz‘ [ das letzte deutsche Schlachtschiff ] versenkt“, „Russen stoßen weiter vor“ und „Metz-Festungen fallen“.
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Bereits der Titel dieser Flugblätter , „Feldpost“, aber auch die übrige Wortwahl zielten vornehmlich auf Angehörige der deutschen Wehrmacht , etwa wenn im Stil der deutschen Militärsprache die Sowjets „Russen“ genannt werden oder vom „Fallen“ der Metzer Festungen statt von deren „Eroberung“ gesprochen wird. Aber auch die Kolumne „Von der Kompanie“, die über Personalien der Truppe berichtet , weist auf die primäre Zielgruppe dieser Flugblätter hin. Die Flugblattproduktion wurde ausgeweitet bis zur Herstellung ganzer Zeitungen , etwa der vierseitigen „NACHRICHTEN F ÜR DIE TRUPPE “ im ungefähren Format von DIN A 4 , die bereits eine etwas buntere Mischung von Kriegsberichten und leichterer Kost bringen konnten , zum Beispiel in Nr. 359 vom 10. April 1945 ein Modefoto mit einem launigen Gedicht. Aber auch in diesem Medium nahm man Rücksicht auf deutsche Sprachgewohnheiten , beispielsweise in einer Bildunterschrift , in der es in derselben Ausgabe heißt : „Diese 5 Kumpels [ fotografiert in Marineuniform ] vom Minensuchboot 1504 [ … ] werden , sowie Schluss ist , mit ihrem Boot wieder auf Fischfang gehen und Tausende Volksgenossen ernähren helfen.“ Im März 1945 hatten die Alliierten im Westen von Brüssel aus begonnen , für die deutsche Zivilbevölkerung in den inzwischen besetzten westdeutschen Regionen Zeitungen herzustellen , federführend war das britische „Intelligent Corps“ unter maßgeblicher Mitwirkung des Emigranten Karl Spalt aus Darmstadt , der sich nach seinem Eintritt in die britische Armee Keith Spalding nannte. Das Intelligent Corps gab im Zeitungsgroßformat „Die Mitteilungen. Alliiertes Nachrichtenblatt der 21. Heeresgruppe für die deutsche Zivilbevölkerung“ heraus20 , die zunächst nur aus zwei Seiten bestand , 20 Pfennig kosten sollte , aber „vorläufig unentgeltlich“ verteilt wurde. Darin wurde in erster Linie natürlich über die fortschreitende Eroberung und Besetzung Deutschlands berichtet , in Nr. 6 vom 15. April 1945 über den Tod Roosevelts oder in Nr. 8 vom 2. Mai über die Hinrichtung Mussolinis und Himmlers vergebliches Kapitulationsangebot an die Westalliierten. In der Sonderausgabe Nr. 9 vom 9. Mai berichteten „Die Mitteilungen“ über die deutsche Kapitulation , aber auch über Entwicklungen in anderen Staaten und alltagspraktische Themen. Hierbei lernte zumindest ein Teil der Deutschen schon vor dem endgültigen Ende des NS-Regimes und seiner Propaganda in Aufmachung und Sprachgebrauch einen Journalismus kennen , der – abgesehen von den selbstverständlichen Informationsinteressen der künftigen Besatzungsmächte – zumindest eine Ahnung von den Möglichkeiten einer freien Presse wecken konnte. Der Eindruck von Objektivität ergab sich daraus , dass auch Meldungen des NSgelenkten „Deutschen Nachrichtenbüros“ ( DNB ) wiedergegeben wurden , so in
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Nr. 3 über die aktuellen Schulden des Deutschen Reiches , oder wenn in Nr. 4 aus dem „Völkischen Beobachter“ ein Beitrag zum 70. Geburtstag Hans Grimms , des Verfassers von „Volk ohne Raum“, abgedruckt wurde. In ähnlicher Weise führten die „Aachener Nachrichten“, unter alliierter Kontrolle ab 24. Januar 1945 , eine journalistische Kultur vor , die den Deutschen seit 1933 fremd geworden war. Die „Aachener Nachrichten“ waren dann auch die erste nur von Deutschen gemachte Zeitung , die am 27. Juni 1945 eine Lizenz der Besatzungsbehörden erhielt. Im Untertitel nannte sie sich „Erste Neudeutsche Zeitung“. 1 2 3
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Sywottek ( 1976 ) : 89 ; vgl. auch Seidler ( 1989 ). Mattausch , Wolf-Dieter : Sport. In : Benz / Graml / Weiß ( 1998 ) : 251–256. Hillesheim / Michael ( 1993 ) : 9. Schmitz-Berning ( 2000 ) : 304 f. – Am 16. 3. 1939 wurde dieser Gedenktag noch deutlicher in „Tag der Wehrfreiheit“ umgetauft. Vgl. den Entwurf einer solchen „Totenburg“ für das Dnjepr-Gebiet in : Fest ( 1973 ) : 941. Auch hierzu verdanke ich etliche Hinweise und Beispiele der in Kapitel 8 , Anm. 41 genannten Magisterarbeit von Boris Udina. Schlosser ( 2005 ) : 80 f. Etwa in : Völkischer Beobachter , 10. 2. 1945. Titel : „Unsere Stellungnahme zur Frage der Polen im Reich“, undatiert , aber wohl Ende 1939 /A nfang 1940. Kursive = Sperrung im Original ; Kopie beim Verfasser. Moll ( 1997 ) : Nr. 383. Klemperer ( 1969 ) : 9. Eine heimliche Parodie lautete „Köpfe müssen rollen für den Sieg“. Beispiele aus „Nassauer Volksblatt“ 23. 6. 1942 bzw. „Westfälische Landeszeitung – Rote Erde“ 10. 7. 1942 ( Kursive = Unterstreichungen im Original ). NSDAP ( 1936 ) : 1. Der Umfang der Rundfunkaktivitäten aus dem Exil ist inzwischen gut dokumentiert bei Püttner ( 1986 ) ; Tondokumente und Erläuterungen in : Sarkowicz ( 2004 ). Vgl. Wolbold ( 2005 ). Vgl. dazu : Schlosser ( 2005 ) : 61 f. Information des Gutenberg-Museums Mainz anlässlich seiner Ausstellung „Flugblattpropaganda im Zweiten Weltkrieg“ 1979. Vgl. Kirchner ( 1974 ). Zitate aus privaten Kopien. Vgl. die Autobiographie Spalding , Keith ( 1992 ) : 33 – alles umsteigen. Lübeck : 198 ff. – Spalding hat dem Verf. dankenswerterweise Kopien seiner Belegexemplare der frühen „Mitteilungen“ überlassen. Vgl. auch Matz ( 1969 ).
15 | DER VERNICHTUNGSKRIEG ALS „DEUTSCHER FREIHEITSKAMPF“ „Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen“ – Die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs | 302 | „Bolschewisten“ und „asiatische Horden“ – Der Krieg gegen die Sowjetunion | 306 | „Totaler Krieg“ und „Wunderwaffen“ – Letzte Anstrengungen für den „Endsieg“ | 311 | „Invasion“ – Der Anfang vom Ende im Westen | 317 | „Vorübergehend rückgeführte Volksgenossen“ – Der Untergang im Osten | 319 | „Der Führer im Kampf um Berlin gefallen“ – Letzte Lügen | 321 |
Es ist hier nicht der Ort , das Kriegsgeschehen 1939–45 in seinem vielschichtigen Verlauf auch nur annähernd nachzuzeichnen. Für die Charakterisierung der Funktion von Sprache im Kontext des Krieges muss die Skizzierung der wichtigsten Entwicklungen und Ereignisse ausreichen. Vieles an Besonderheiten des Sprechens im und über den Krieg war den Deutschen noch aus dem Ersten Weltkrieg geläufig. Wenig hatte sich vor allem in der sogenannten Landsersprache1 , dem Soldatenjargon , geändert. Auch die Stilisierung von Gefallenen als „Helden“ war grundsätzlich nicht neu. Sie reichte bis weit ins 19. Jahrhundert zurück , wurde nun aber ideologisch aufgeladen. Der Rassenwahn barbarisierte die deutsche Kriegführung in unermesslicher Weise. Erst recht , als der Krieg mit der Sowjetunion zum „Rassenkrieg“ stilisiert worden war. Schließlich hatte die NS-Propaganda schon lange zuvor Marxismus und Bolschewismus als eine jüdische Verschwörung definiert. Goebbels versuchte , mit diesem speziellen antisemitischen Klischee auch den Überfall auf die Sowjetunion 1941 zu begründen. Mit seiner These „Die Juden sind schuld“ kehrte er wieder einmal die Täter-Opfer-Rollen um. Hitler erweiterte wenig später diese Schuldzuweisung um die ebenfalls schon traditionelle „weltanschauliche“ Perspektive , indem er in einem Erlass vom 1. März 1942 erklärte : „Juden , Freimaurer und die mit ihnen verbündeten weltanschaulichen Gegner des Nationalsozialismus sind die Urheber des jetzigen gegen das Reich gerichteten Krieges.“2 Die Feinde in einem rassistisch begründeten Krieg waren aber nicht nur die „jüdische“ und die „slawische Rasse“. Alles „Nichtweiße“ war widerlicher Negativpropaganda ausgesetzt und entsprechend der Vernichtung preisgegeben. In zahlreichen Massakern hat die Wehrmacht auch schwarzafrikanische französische Gefangene getötet.3 Dass Hitler selbst zuletzt den Deutschen einen Anspruch auf Überleben nicht mehr zugebilligt haben soll , weil sie sich gegenüber ihren Gegnern , zumal dem „Ostvolk“, als die Schwächeren erwiesen hätten ,
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stellte dagegen alles , was man jahrzehntelang über die absolute Überlegenheit der „germanischen Rasse“ gepredigt und geglaubt hatte , auf den Kopf und ließ alle Leiden , die man in diesem Glauben erduldet hatte , sinnlos erscheinen. Tatsächlich aber hat Hitler bis unmittelbar vor seinem Selbstmord zumindest an seinem Judenhass festgehalten. Neu waren in jedem Fall die terminologischen Folgen einer auf allen Seiten modernen , hochtechnisierten Kriegführung und der dabei eingesetzten neuartigen Waffen und Waffensysteme , bis hin zu deutschen Mittel- und Langstreckenraketen. Der Luftkrieg wie der Einsatz von U-Booten hatten ihre Anfänge zwar auch schon im Ersten Weltkrieg , wurden aber nun zu wichtigen Elementen der Kriegführung und im Falle der Flächenbombardements leidvollster Erfahrungen auch der Zivilbevölkerung , die in Deutschland 1943 ausdrücklich in einen „totalen Krieg“ einbezogen wurde. Auffällig war die bis in den heutigen Sprachgebrauch wirkende verharmlosende Kennzeichnung der frühen Phasen des Krieges als bloße „Feldzüge“, wie man sie aus historischen Kriegen kannte , als habe man deutscherseits gar nicht geplant , sich die überfallenen Staaten in Gänze anzueignen. Ob „Polen- / Frankreich- / Russland- , West- oder Ostfeldzug“ – es ging in Wahrheit immer um mehr als um eine begrenzte Operation. Gefördert wurde die sprachliche Reduzierung auf „Feldzüge“ freilich durch Presseanweisungen zumindest beim Überfall auf Polen , wonach das Wort „Krieg“ zu vermeiden sei. Wichtig war natürlich , die Deutschen vor der Wirkung von „Feindpropaganda“ zu schützen , weswegen nur der offiziell genehmigten Kriegsberichterstattung geglaubt werden sollte. Und so kamen neben der allfälligen Warnung , „Feindsender“ zu hören , etwa Bildergeschichten auf , in denen unter der gereimten Überschrift „Gerüchte läßt der Feind verbreiten , / Um uns zum Mißmut zu verleiten“ vor der Verbreitung von unerwünschten Informationen gewarnt wurde. Am Ende einer dieser Bildergeschichten hieß es dann , nachdem ein Soldat zwei Verbreiter von „Gerüchten“ bei den Ohren gepackt hatte , unmissverständlich : „Denn jeder weiß : die Wahrheit spricht /A llein der OKW-Bericht.“ Dass die „Wehrmachtberichte“ bestenfalls jeweils nur die halbe Wahrheit enthielten , versteht sich fast von selbst.4 Ein inzwischen geflügeltes Wort galt von Beginn des Krieges an auch in Deutschland : „Das erste Opfer eines Krieges ist die Wahrheit.“ Eins der Instrumente , die deutsche Öffentlichkeit im Sinne des Regimes zu konditionieren , war neben der gelenkten Presse und dem ebenso gelenkten Rundfunk die „Parole der Woche“, die in Wandzeitungen verbreitet wurde.5 Eine Trennung zwischen der NS -Kriegsberichterstattung und der allgemeinen NS -Propaganda war und ist also kaum möglich. Das
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Propagandaministerium wirkte in einzelnen Fällen sogar direkt auf die Wehrmachtberichte ein , etwa durch Unterdrückung der Meldung , dass das pommersche Kolberg von den Sowjets eingenommen wurde , weil Kolberg zuvor durch den gleichnamigen Durchhaltefilm zum Symbol erfolgreichen deutschen Widerstandswillens hochstilisiert worden war. Die Kriegsverbrechen , derer sich SS , Polizeieinheiten und die sogenannten Einsatzgruppen , in Teilen auch die Wehrmacht an den militärischen Gegnern und der Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten der Sowjetunion schuldig gemacht haben , wurden deutscherseits durch den „Kriegsgerichtsbarkeitserlaß Barbarossa“ juristisch legitimiert. Er schrieb Hinrichtungen von verdächtigen Zivilpersonen ohne Verfahren und kollektive Strafmaßnahmen vor und befreite SS-Angehörige und Soldaten von einer Strafverfolgung. Bezeichnenderweise war dieser Erlass bereits am 13. Mai 1941 , also über einen Monat vor dem Überfall auf die Sowjetunion , in Kraft getreten. Ebenso völkerrechtswidrig war der „Kommissarbefehl“, mit dem das OKW am 6. Juni 1941 die Ermordung sowjetischer Politkommissare nach deren Gefangennahme angeordnet hatte. Daneben war die Brutalität , mit der die NS-Führung und die deutsche Militärführung gegen tatsächliche wie mutmaßliche Gegner in den eigenen Reihen vorging , ein nicht weniger übles Kapitel des Krieges. Bereits der Volksgerichtshof urteilte seit Kriegsbeginn Vergehen wie „Wehrmittelbeschädigung“, „Feindbegünstigung“, „Spionage“ und „Wehrkraftzersetzung“ mit extremen Strafen ab , in vielen Fällen mit der Todesstrafe. Mit der Wiedereinführung der Militärgerichtsbarkeit 1934 und der Einsetzung des „Reichskriegsgerichts“ 1936 waren weitere Möglichkeiten geschaffen worden , auch geringste Verstöße gegen blinden Gehorsam und gegen bedingungslose Zustimmung selbst zu sinnlosesten Befehlen aufs Schärfste zu ahnden. Mit Kriegsbeginn wurden auch hier wie ähnlich schon bei den zivilen Sondergerichten die Nutzung von Rechtsmitteln sowie jeglicher Instanzenzug unterbunden. Die „Feldkriegsgerichte“, „Standgerichte“, gegen Ende des Krieges auch „Sonderstandgerichte“ und „Fliegende Standgerichte“ verhängten vor allem für „Fahnenflucht“ und „Wehrkraftzersetzung“ insgesamt mehr als 30. 000 Todesurteile6 – eine schon im Vergleich mit der älteren deutschen Militärgeschichte , erst recht mit den Verhältnissen bei den alliierten Gegnern ungeheure Zahl. Noch zu den milderen Urteilen gehörte die Versetzung von Angeklagten an besonders gefährdete Stellen der Front zwecks „Front-“ oder „Feindbewährung“, offiziell : „Bewährung vor dem Feinde“, im Soldatenjargon „Himmelfahrtskommandos“ genannt. Das 1942 aufgestellte „Bewährungsbataillon 999“, auch „Strafbataillon“ genannt , dessen Einheiten an allen Fronten eingesetzt wurden , bestand neben verurteilten
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politischen Straftätern und Kriminellen zu einem Großteil aus Wehrpflichtigen , denen die „Wehrwürdigkeit“ aberkannt worden war. Sogenannte Kriegsverräter , deren Verurteilung der Deutsche Bundestag erst 2009 offiziell aufhob , wurden öffentlich durch den Strang gerichtet , wobei man den Toten noch ein Schild mit der Aufschrift „Ich bin ein Feigling“ umhängte , oftmals noch unmitelbar vor der Kapitulation. Die Brutalität sogar gegen die eigenen Soldaten muss sehr wohl auch unter dem besonderen Aspekt eines spezifischen Zusammenhangs zwischen Sprache und Handeln gesehen werden. Hier wie auch auf zahlreichen anderen Ebenen ging die Sprache den Taten voran : in der terminologischen Fixierung von Delikten , die dann eine juristische Legitimation für schärfste Verfolgungen boten. Vor diesem Hintergrund wird wenigstens teilweise verständlich , warum zahlreiche Täter gerade aus dem Kreis der Militärgerichtsbarkeit auch nach 1945 keine Einsicht in ihr schuldhaftes Verhalten entwickeln konnten. Sie brauchten sich oft gar nicht einmal auf einen sogenannten Befehlsnotstand zu berufen , sondern sahen sich schon durch die seinerzeit geltenden rechtlichen Bestimmungen gerechtfertigt. Zunächst aber ging es vom 1. September 1939 an von „Blitzsieg“ zu „Blitzsieg“. Gegen Frankreich siegte man sogar in einem „Blitzkrieg“.7 Sehr bald aber mussten die militärischen Aktionen zum „Ringen“ mit übermächtigen Gegnern stilisiert werden , und die Wehrmacht konnte nur noch , wie man formulierte , „Wacht halten“. Die drohende Niederlage wurde zur bloßen „Krise“ kleingeredet , immer verbunden mit der Illusion eines „Endsiegs“, den dann doch die Alliierten feierten.
„Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen“ – Die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs
Der Zweite Weltkrieg begann wie auch viele andere Kriege mit einer faustdicken Lüge. Als am 1. September deutsche Truppen in Polen einfielen und die weit unterlegenen polnischen Streitkräfte trotz tapferster Gegenwehr in wenigen Wochen besiegten , nutzten Hitler und seine Propaganda zur Verschleierung der Aggression die altbewährte Verdrehung der Tatsachen : Die Polen , also die Opfer , seien die eigentlichen Täter , die Angreifer gewesen. Sie hätten mit Überfällen auf deutsches Gebiet , namentlich mit einem Überfall auf den oberschlesischen Sender Gleiwitz am Abend des 31. August, die Aggression begonnen , so dass Hitler am nächsten Tag im Reichstag verkünden konnte : „Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen.“8
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Tatsächlich aber war der Überfall auf den Gleiwitzer Sender fingiert , durch ein SS-Kommando in Zivil arrangiert. Dabei mussten KZ-Häftlinge , die man in polnische Uniformen gesteckt hatte , die Angreifer spielen. Sie wurden bei der „Gegenwehr“ erschossen. Ihre Leichen ließen sich dann im Gleiwitzer Sendergebäude als Beleg für die angeblich polnische Aggression auffinden. Nur wenige Stunden später konnte die Wehrmacht im bestens organisierten Angriff mit mehreren Divisionen und mit der Luftwaffe auf die polnischen Untaten reagieren. Sie marschierte dabei sogleich bis zur östlichen Demarkationslinie durch , die ein geheimes deutsch-sowjetisches Begleitabkommen zum Hitler-Stalin-Pakt für die Aufteilung Polens zwischen Deutschland und der Sowjetunion festgelegt hatte. Auch hatte Hitler nachweislich bereits am 31. August mittags , also Stunden vor dem angeblichen polnischen Überfall in Gleiwitz , den Befehl zum Angriff auf Polen gegeben.9 Und wiederum drei Wochen vor diesem Befehl , am 11. August , hatte Hitler gegenüber dem Völkerbundkommissar für Danzig Carl J. Burckhardt mit brutalsprachlicher Offenheit erklärt : „Ich werde Polen ohne Warnung zerschmettern , so daß nicht eine Spur von Polen nachher zu finden ist.“10 Zu diesem Zeitpunkt hatte die Wehrmacht den logistischen Aufwand eines Aufmarschs an der polnischen Grenze bereits bewältigt. Die Wehrmacht führte von vornherein einen Vernichtungskrieg , wie sich allein aus der Zahl von 31. 000 Polen ersehen lässt , die innerhalb von vier Wochen getötet wurden ; darunter waren Tausende , die willkürlich erschossen wurden.11 In ähnlich brutaler Weise ermordeten allerdings auch die Sowjets nach ihrem Einmarsch in den östlichen Teil Polens , zweieinhalb Wochen nach dem deutschen Angriff , Tausende Polen , darunter in Katyn bei Smolensk über 4. 000 Offiziere – ein Massenmord , der lange Zeit den Deutschen zur Last gelegt wurde. Die NS-Propaganda konzentrierte sich zunächst darauf , im Volk Empörung über die angeblich polnischen Verbrechen und Verständnis für den deutschen „Gegenschlag“ zu wecken. Nach der deutschen Eroberung Katyns kam ihr dann freilich auch das sowjetische Verbrechen mehr als gelegen. Die Schutzmächte Polens , Großbritannien und Frankreich , erklärten zwar am 3. September 1939 Deutschland den Krieg , zögerten aber trotz ihrer Beistandsverpflichtung gegenüber Polen ein Eingreifen hinaus. Denn sie fürchteten , dass Hitler weiter eine Westoffensive plante – zu Recht , da er nach dem erfolgreichen „Polenfeldzug“ das Gros seiner Truppen sofort an die französische Grenze verlegte. Um dem zu begegnen , wollten die Engländer das Reich von den kriegswichtigen Erzlieferungen aus Norwegen , insbesondere vom Hafen Narwik , abschneiden. Es kam zu einem Wettlauf um die Besetzung der norwegischen Küste , den
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die deutsche Wehrmacht unter großen Verlusten knapp gewann. Norwegen und Dänemark wurden von den Deutschen besetzt. Jede Rücksichtnahme auf die nordischen „Blutsverwandten“ wurde beiseitegeschoben. Der Anführer der norwegischen faschistischen Minderheitsgruppierung „Nasjonal Samling“, Vidkun Quisling , der mit dem NS-Regime kooperierte , wurde 1942 Ministerpräsident von deutschen Gnaden , erhielt aber keinerlei Zusage für eine künftige norwegische Unabhängigkeit , auch nicht für die von ihm erhoffte Mitgliedschaft in einem „Bund germanischer Völker“. Der Name „Quisling“ wurde unter den skandinavischen NS-Gegnern zum Synonym für einen Verräter. Versuche der Niederländer und Belgier im November 1939 , zwischen den beiden westlichen Großmächten und Deutschland noch zu vermitteln , scheiterten. Schon im Mai 1939 hatte Hitler vor dem Oberkommando der Wehrmacht erklärt , dass er mit einer Besetzung der Niederlande und Belgiens die „Basis für einen erfolgreichen Krieg gegen England“ zu schaffen gedenke. Damit waren Entscheidungen zugunsten eines großen Kriegs längst gefallen. Am 10. Mai 1940 begann die Eroberung und Besetzung der Niederlande und Belgiens , anschließend der sogenannte Frankreichfeldzug. Bereits am 14. Juni besetzten die Deutschen Paris. Am 22. Juni wurde im Wald von Compiègne der Waffenstillstand geschlossen , und zwar symbolträchtig in demselben Eisenbahnwaggon , in dem 1918 die Deutschen ihre Niederlage im Ersten Weltkrieg mit Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens hatten besiegeln müssen. Eine neue , rechtsgerichtete französische Regierung unter Marschall Henri Pétain mit Sitz in Vichy erhielt im unbesetzten Süden Frankreichs eingeschränkte Souveränitätsrechte. Anfangs entstanden Plakate mit Schriftzügen wie „Mit unseren Fahnen ist der Sieg !“. Massenweise wurden Spielzeugsoldaten mit ihrem Kriegsgerät produziert und von Kindern und Jugendlichen begeistert aufgenommen. Das Zitat „[ Denn ] Wir fahren gegen Engeland“ aus einem populär gewordenen Kriegslied wurde zum Titel verschiedener Würfel- und Figurenspiele.12 Aus der „Fahrt gegen Eng( e )land“, also einer Eroberung der britischen Insel , aber wurde bekanntlich nichts. Man hatte zwar große britische Expeditionskorps in Norwegen und in Nordfrankreich geschlagen oder vertrieben , für einen direkten Angriff auf England aber reichten die Kräfte bei Weitem nicht aus. Dass die Briten im Mai / Juni 1940 den größten Teil ihres Expeditionskorps in Frankreich zusammen mit einer großen Zahl französischer Soldaten von Dünkirchen nach England retten konnten , war auf einen der militärstrategisch unsinnigen „Haltebefehle“ Hitlers zurückzuführen , der den deutschen Vormarsch stoppte. Möglicherweise hatte Hitler dabei die Illusion gehegt , mit England , dem „germanischen“ Gegner , doch noch zu einem Interessenausgleich
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zu gelangen. Pläne für eine deutsche Landungsoperation in England mit dem Namen „Seelöwe“ und für einen Angriff aus der Luft , „Adler“ genannt , waren zwar ausgearbeitet , wurden aber mehrfach verschoben und bald sogar aufgegeben oder nur in kleinerem Umfang verfolgt. Die deutsche Luftwaffe bombardierte immerhin 65 Nächte lang London , doch die pathetisch angekündigte „Luftschlacht gegen England“ wurde faktisch verloren. Zuvor aber , nach der Kapitulation Frankreichs , herrschte zunächst noch für einige Zeit eine trügerische Ruhe , die bei vielen Deutschen Friedensillusionen aufkommen ließen. Man nannte diese Phase wie zuvor schon die Zeit gespannter Ruhe nach der Eroberung des Westteils von Polen und vor dem Beginn von Kampfhandlungen im Westen „Sitzkrieg“. Die deutsche Seekriegführung verlegte sich nach herben Verlusten größerer und großer Schiffseinheiten auf den Einsatz der forciert ausgebauten U-Boot-Waffe , die anfangs mit Erfolg der britischen Marine , am meisten aber der Handelsflotte auf Nachschubwegen schwere Verluste beibrachte. In den täglichen Rundfunknachrichten über die Kriegsereignisse war von regelmäßigen Erfolgen mit der Formel „zu Lande , zu Wasser und in der Luft“ die Rede. Auch wenn , oder gerade weil die meisten Binnenländer in der Berechnung von Schiffsraum unerfahren waren , wurden sie von Meldungen mit riesigen Mengenangaben zu „Bruttoregistertonnen“, die deutsche U-Boote auf „Feindfahrten“ versenkt hatten , tief beeindruckt , bis sich herausstellte , dass es die britische , später die „angloamerikanische“ Seemacht immer noch gab. Tatsächlich verlor gerade die deutsche U-Boot-Flotte im Verlauf des Krieges von rund 1. 250 Booten mehr als die Hälfte , die meisten ab 1943 durch neue taktische Maßnahmen der Alliierten und durch den Einsatz neuer Techniken , nicht zuletzt von Radar , mit denen die U-Boote leichter aufgespürt und vernichtet werden konnten. Von besonderer Bedeutung war auch , dass es den Alliierten gelungen war , in das deutsche System für die Verschlüsselung von Nachrichten mit Namen „Enigma“ einzudringen. Ein „Dreimächtepakt“ zwischen den beiden „Achsenmächten“13 Deutschland und Italien mit Japan , 1940 vereinbart , war als Basis für eine politische Neuordnung in Europa und Ostasien gedacht. Die „Neuordnung Europas“, auch „europäische Neuordnung“ genannt , und ein „neues Europa“ – natürlich unter deutscher , nationalsozialistischer Dominanz – wurden ab 1940 zu Fahnenwörtern der NS-Politik.14 Zum Auftakt des Überfalls auf die Sowjetunion führte Hitler in seiner „Proklamation an das deutsche Volk“ vom 22. Juni 1941 unter anderem aus : „Von Ostpreußen bis zu den Karpaten reichen die Formationen der deutschen Ostfront. [ … ] Die Aufgabe dieser Front ist daher
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nicht mehr der Schutz einzelner Länder , sondern die Sicherung Europas und damit die Rettung aller.“15 In seinem Tagesbefehl an die Wehrmacht vom selben Tag rückte er das „Schicksal Europas“ vor die Zukunft des Deutschen Reiches und das „Dasein unseres Volkes“.16 Der so oft beschworene „Schicksalskampf des deutschen Volkes“ sollte nun als Teil einer weit wichtigeren , übernationalen Auseinandersetzung erscheinen und unter diesem Blickwinkel zusätzliche Bedeutung erhalten. Zuletzt aber , als die europäischen Eroberungen der Wehrmacht unaufhaltsam verloren gingen , wurde die „Rettung Europas“ zur verzweifelten Beschwörungsformel der NS-Propaganda. Noch am 26. April 1945 titelte die NSDAPTageszeitung für Baden „Der Führer“17 in ihrer letzten Ausgabe unter einem Bericht über die Straßenkämpfe in Berlin mit dem Goebbels-Zitat : „In Berlin kämpft Deutschland für ganz Europa“. Dem Dreimächtepakt traten bis 1941 auch Ungarn , Rumänien , die Slowakei , Bulgarien und Kroatien bei. De facto war dies der Ausgangspunkt für das militärische Ausgreifen von Deutschen und Italienern auf dem Balkan und im östlichen Mittelmeer. Um den Italienern bei ihrem „Parallelkrieg“, den sie nach ihrer Eroberung von Abessinien , dem heutigen Äthiopien , in Nordafrika und unabgestimmt auch gegen Griechenland begonnen hatten , zu Hilfe zu kommen , wurde im Februar 1941 unter der Führung von General Erwin Rommel das in Deutschland zur Legende gewordene „Deutsche Afrikakorps“ nach Tripolis entsandt. Das weiter gehende deutsche Ziel dieses Eingreifens war freilich , die Engländer in Ägypten militärisch zu treffen. In zunächst siegreichen Kämpfen , in denen sich Rommel den populären Titel „der Wüstenfuchs“ erwarb , konnten die deutschen Truppen im Juli 1942 bis zum ägyptischen El Alamein vordringen. Ein weiterer Vorstoß aber gelang nicht mehr. Bis Mai 1943 wurden die deutschen und italienischen Truppen Schlag auf Schlag nach Tunesien zurückgedrängt und mussten am 13. Mai 1943 kapitulieren. Die Briten nahmen 130. 000 deutsche und 120. 000 italienische Soldaten gefangen. „Bolschewisten“ und „asiatische Horden“ – Der Krieg gegen die Sowjetunion
Das in ideologischer Hinsicht äußerst fragwürdige Zweckbündnis mit der Sowjetunion , der Hitler-Stalin-Pakt , das überzeugte Nationalsozialisten irritiert18 , mehr aber noch die Kommunisten , die im Widerstand gegen den „HitlerFaschismus“ kämpften , in tiefe Verwirrung gestürzt hatte , zerbrach endgültig
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am 22. Juni 1941 , als die deutsche Wehrmacht im „Unternehmen Barbarossa“ auf einer Front von der Ostsee bis zu den Karpaten mit drei Millionen Soldaten in drei Heeresgruppen die Sowjetunion angriff. Es ist zwar in der Forschung diskutiert worden , ob Hitler damit nicht einem sowjetischen Angriff nur zuvorgekommen sei.19 Fest steht allerdings , dass der deutsche Angriff alles andere als eine spontane Aktion war. Denn das OKW hatte bereits zehn Monate zuvor , am 9. August 1940 , in einer Weisung mit dem verschleiernden Titel „Aufbau Ost“ den deutsch besetzten Teil Polens , das sogenannte Generalgouvernement , zur Operationsbasis für den Angriff auf die Sowjetunion bestimmt und eine dafür nötige Vielzahl von Divisionen bereitgestellt. Überdies hatte Hitler bereits 1928 die Expansion auf russisches Territorium zur Gewinnung von neuem „Lebensraum“ fest ins Auge gefasst , wie sein „Zweites Buch“, aber auch seine erste Ansprache vor den Generälen der Reichswehr am 3. Februar 1933 nach Aufzeichnungen eines Teilnehmers deutlich belegen : „Wie soll pol[ itische ] Macht , wenn sie gewonnen ist , gebraucht werden ? [ … ] vielleicht – und wohl besser – Eroberung neuen Lebensraumes im Osten u. dessen rücksichtslose Germanisierung.“20 Aber auch noch unter dem geltenden Pakt mit der Sowjetunion und vor dem Überfall auf Polen machte Hitler in dem schon erwähnten Gespräch mit dem Völkerbundskommissar für Danzig Carl J. Burckhardt am 11. August 1939 unmissverständlich klar , was er tatsächlich vorhatte : „Alles , was ich unternehme , ist gegen Rußland gerichtet ; wenn der Westen zu dumm und zu blind ist , um dies zu begreifen , werde ich gezwungen sein , mich mit den Russen zu verständigen , den Westen zu schlagen , um dann nach seiner Niederlage mich mit meinen versammelten Kräften gegen die Sowjetunion zu wenden.“21
Damit aber jeder wisse , dass die geplante Aggression im Osten wie der Krieg im Westen einen welthistorisch , sprich : rassentheoretisch einheitlichen Sinn hätten , erklärte Hitler in seiner „Proklamation“ vom 22. Juni 1941 : „Damit ist nunmehr die Stunde gekommen , in der es notwendig wird , diesem Komplott der jüdisch-angelsächsischen Kriegsanstifter und der ebenso jüdischen Machthaber der bolschewistischen Moskauer Zentrale entgegenzutreten.“22
Die deutschen Truppen stießen vom 22. Juni 1941 an im Osten zunächst auf einen unvorbereiteten Gegner , und es folgte wiederum „Blitzsieg“ auf „Blitzsieg“. Allein im Juni / Juli 1941 wurden in den „Kesselschlachten“ von Minsk , Bialystok und Smolensk 638. 000 sowjetische Soldaten gefangen genommen ,
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in den Schlachten von Uman und Gomel im August 1941 über 100. 000 und in der Kesselschlacht von Kiew im September noch einmal 665. 000.23 Diese Massen mussten in entsprechend großen Lagern untergebracht werden , die auch terminologisch differenziert wurden. Dabei drang etwa das militärsprachliche Kürzel „Stalag“ für „Stammlager“ unvermeidlich auch in die Alltagssprache ein , da ein großer Teil der Lager nur unweit ziviler Wohnstätten lag. Die Gesamtzahl gefangener Sowjets betrug zuletzt 5,7 Millionen. Davon starben in deutschen Lagern mehr als 3,7 Millionen. Diese außergewöhnlich hohe Todesrate war nicht etwa auf einen kriegsbedingten Nahrungsmangel zurückzuführen. Man hatte sich ja gerade in den eroberten Gebieten , vor allem in der „Kornkammer“ der Ukraine , allergrößte Nahrungsquellen angeeignet. Vielmehr war sie Folge einer gezielten Vernichtungspolitik , die wiederum ganz dem NS-Rassenwahn entsprang. Nicht wenige Kriegsgefangene wurden sogar in KZs ermordet , etliche dienten etwa in Auschwitz , wie schon erwähnt , bei der Inbetriebnahme von Gaskammern als „Versuchskaninchen“. Nachdem man auf Stalins Wohlwollen keine Rücksicht mehr zu nehmen brauchte , konnten in der Konfrontation mit den Sowjets alle Vorurteile gegen Slawen und andere „Fremdvölker“ auch offiziell wieder zu voller Geltung gelangen. Hier konnte nun die Wahnidee Wilhelms II. von einem „Rassenkrieg“, der außer gegen Juden auch gegen alles Slawische geführt werden müsse , endlich auch in die Tat umgesetzt werden. Der Hass einer Mehrheit der Deutschen gegen Kommunismus und Bolschewismus , der seit der russischen Oktoberrevolution 1917 und ihren Auswirkungen auf die deutsche Innenpolitik , in der Meuterei von Matrosen und Soldaten und im sogenannten Spartakusaufstand 1919 sowie in weiteren KPD-Aufstandsversuchen , kräftig gepflegt worden war , wurde nun von der NS-Propaganda als psychologische Waffe gegen den sowjetischen Gegner , auch in den Kriegsgefangenenlagern , eingesetzt. Was man in diesen Lagern unter elendsten Bedingungen zusammengepfercht hatte , waren wie zuvor schon die Juden und die Polen , nichts anderes als „Untermenschen“, die keinerlei Mitleid verdienten. Damit verglichen waren die Bezeichnungen „Bolschewisten“ oder „Bolschewiken“ fast noch menschenfreundlich. Mit diskriminierender Absicht sprach freilich auch das OKW in seinen Kriegstagebüchern bis Ende des Krieges neben den Benennungen „Sowjets /sowjetisch“, „die Russen“ und der „Russe“ von „Bolschewisten / bolschewistisch“, wenn es um die Benennung des sowjetischen Gegners ging , so etwa am 1. Mai 1945 : „Im Stadtkern von Berlin verteidigt sich tapfere Besatzung auf engstem Raum gegen die bolschewistische Übermacht. [ … ] Die Verteidiger von Breslau schlugen bolschewistische Angriffe ab.“24
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Die Begegnung mit den pluriethnischen Truppen der Sowjets verstärkte die rassistischen Vorurteile gegen den „Feind“ im Osten , der auch Mongolen und Angehörige anderer asiatischer Sowjetvölker an die Front brachte , die nun pauschal als „mongolische Menschenmassen“, „Mongolensturm“ oder als „asiatische Horden“ und geradezu selbstredend als „Untermenschen“ oder gar als „Menschentiere“ verunglimpft wurden. Hitler selbst zog in einer Rundfunkansprache am 30. Januar 1944 für die sowjetischen Vorstöße auf die Reichsgrenzen den welthistorischen Vergleich mit dem „Hunneneinbruch“, den selbstverständlich nur die Deutschen zur Rettung Europas aufhalten könnten.25 Himmler nannte bereits in seiner „Posener Rede“ vor dem SS Führungspersonal von 1943 die sowjetischen Divisionen eine „Masse , die eben zertreten und abgestochen , abgeschlachtet werden“ müsse , „wie bei einem Schwein , das abgestochen wird und allmählich ausbluten muß“. Erst recht gegen Ende des Krieges , als die Sowjets , in Reaktion auf die deutschen Gräueltaten , auf deutschem Boden ebenfalls scheußliche Verbrechen an der Zivilbevölkerung begingen , wurden die Sowjets als „bolschewistische Bestien“ bezeichnet , um die Deutschen zum äußersten Widerstand zu motivieren. Im Westen der Sowjetunion hatte man bis zum harten „russischen Winter“ 1941 / 42 mit bis zu vierzig Minusgraden , auf den die deutschen Truppen nicht vorbereitet waren und der den Vormarsch zum Stocken brachte , noch bis Leningrad , das am 8. September 1941 eingeschlossen wurde , und bis vor Moskau vorstoßen können. Im November 1941 wurde in einem von OKW und NSDAP inspirierten „Merkblatt – An alle Haushaltungen“ für die Abgabe von Gegenständen wie Heimatbilder , Tisch- und Wandleuchter , Kerzen , Lampenschirme , Zeichen- und Malutensilien geworben : zur „geistigen Betreuung unserer Soldaten im Osten und Norden“ und „für die wohnlichere Ausstattung und Ausschmückung der Winterunterkünfte“. In diesem Aufruf hieß es auch : „In Schnee und Eis hält der deutsche Soldat die Wacht für uns“, was nichts anderes hieß , als dass der auch in diesem Text beschworene „Kampf gegen den Bolschewismus“ objektiv auf der Stelle trat. Statt Vormarsch wird nur noch „Wacht“ gehalten. Mehr und mehr war auch vom „Ringen“ mit dem „Feind“ die Rede. Hierfür stand als Metapher verräterischerweise eine Sportart Pate , die außerhalb der Matte keinen Raumgewinn zulässt. Im Südosten der UdSSR konnte die Wehrmacht bis August 1942 immerhin noch den Kaukasus erreichen. Im Vollgefühl , dass man noch nie ein so riesiges Gebiet – vom Nordkap bis Nordafrika und vom Atlantik bis zum
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Kaukasus – unter deutsche Kontrolle gebracht hatte , sprach die NS-Propaganda nun von der „Festung Europa“. In den besetzten Gebieten aber wüteten hinter den Fronten die „Einsatzgruppen“ aus Angehörigen der Sicherheitspolizei , des Sicherheitsdienstes ( SD ) und der Gestapo , teilweise auch der Waffen-SS , die Juden , Sinti und Roma , Geisteskranke sowie alle tatsächlichen oder mutmaßlichen politischen Gegner , insbesondere auch „bandenverdächtige“, das hieß der Partisanentätigkeit verdächtigte Zivilisten in Massenerschießungen oder durch Tötung in „Gaswagen“ ermordeten. Die Zahl der Opfer überstieg , wie bereits mehrfach erwähnt , insgesamt weit über eine halbe Million Menschen. Die Wehrmacht , der man lange nachsagte , sie sei in solche Aktionen nicht verwickelt gewesen , war in sehr vielen Fällen nicht nur Zeuge dieser Verbrechen , sondern bis in höchste Kommandostellen genauestens informiert und sie kooperierte insbesondere in Frontnähe oft sogar direkt mit den Einsatzgruppen. Der „Kommissarbefehl“ wurde von der Wehrmacht zwar nur teilweise befolgt , kostete aber zusätzlich zahlreiche Sowjets das Leben. Für Übergriffe von deutschen Soldaten gegen die Zivilbevölkerung , nicht zuletzt die sofortige Erschießung von Verdächtigen , bedeutete der schon erwähnte „Kriegsgerichtsbarkeitserlaß Barbarossa“ einen Freibrief , der tatsächlich unzählige Male genutzt wurde.26 Wie man mit denen umging oder umgehen sollte , die nicht ermordet wurden oder Hungers sterben würden , hat Heinrich Himmler in seiner schon zitierten „Posener Rede“ vor SS-Führungskräften von 1943 ebenfalls mehr als deutlich gemacht : Man brauche „Sklaven für unsere Kultur“. Im Winter 1942 /43 wurde die Überbeanspruchung der deutschen Militärkräfte offenkundig. Auch wenn sich eine militärische Wende zugunsten der „Feindmächte“ schon früher abzeichnete , wurde die Einschließung der deutschen 6. Armee mit rund 250. 000 Mann in und um Stalingrad unter Generaloberst Friedrich Paulus und deren Kapitulation am 31. Januar und 2. Februar 194327 zum Symbol der Kriegswende. Auch an anderen Fronten mussten sich die Deutschen zurückziehen. Die mit den Deutschen verbündeten Streitkräfte wurden nach und nach zerschlagen oder abgezogen. Sie standen für die Stützung der „Ostfront“, erst recht für geplante Gegenoffensiven nicht mehr zur Verfügung. Besonders gravierend war , dass Italien nach dem Sturz Mussolinis am 25. Juli 194328 unter seinem Nachfolger Pietro Badoglio mit den Alliierten im August 1943 einen Waffenstillstand schloss und Deutschland den Krieg erklärte. Die Deutschen mussten nun zusätzliche Kräfte zur Übernahme von Balkan- und Mittelmeerregionen , die von Italienern besetzt gewesen waren , sowie schließlich zur Besetzung von Italien selbst zwecks Abwehr alliierter Landungen einsetzen.
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Das gegen alle militärische Vernunft erteilte Verbot Hitlers , sich rechtzeitig von Stalingrad zurückzuziehen oder dort wenigstens zu kapitulieren , sowie der verbissene und höchst verlustreiche Kampf der Sowjets um diese Stadt hatten , von strategischen Überlegungen abgesehen , auf beiden Seiten auch ein wichtiges psychologisches Motiv : Der Stalin gewidmete Name der Stadt29 hatte für Hitler wie für die Sowjets einen je eigenen , natürlich gegensätzlichen Symbolwert. Für die Deutschen aber wurde Stalingrad mit seinen übergroßen Menschenverlusten , rund 86. 000 Tote und 130. 000 Überlebende in sowjetischer Gefangenschaft , zum Menetekel , zum negativen Symbol , das die NS-Propagandamaschine auf Hochtouren bringen musste , wollte man in der Bevölkerung nicht endgültig das Vertrauen in die Führung verlieren.
„Totaler Krieg“ und „Wunderwaffen“ – Letzte Anstrengungen für den „Endsieg“
Am 18. Februar 1943 hielt Goebbels im Berliner Sportpalast vor Tausenden gezielt ausgewählten Teilnehmern30 die wohl demagogischste seiner Reden , die sogenannte Sportpalastrede31 , in deren Zentrum er fragte : „Wollt ihr den totalen Krieg ?“ Ein einstimmiges begeistertes „Ja“ scholl ihm entgegen , was angesichts von Stalingrad oft als Ausdruck totaler Verblendung der Massen gedeutet wird. Übersehen wird bei dieser Deutung , dass hinter dem Redner bereits ein Riesentransparent hing , auf dem zu lesen war : „Totaler Krieg – kürzester Krieg“. Was anders als die Vision , dass mit einem „totalen Krieg“32 , also mit dem Einsatz auch der letzten Möglichkeiten und Reserven an der Front wie in der Heimat , der „Heimatfront“, die Leiden dieses schon über mehr als drei Jahre währenden Krieges verkürzt werden könnten , hätte eine solche Begeisterung der Massen auslösen können ! Es waren ja nicht nur die zahllosen Toten und Vermissten an den Fronten , die fast jede Familie zu beklagen hatte , welche die Deutschen allmählich kriegsmüde machten. Auch die deutschen Städte waren inzwischen fast pausenlosen Luftangriffen der Engländer und Amerikaner ausgesetzt und wurden mehr und mehr in Trümmer gelegt mit ebenfalls zahllosen Toten und einer Vielzahl von Obdachlosen. Die befürchtete Kriegsmüdigkeit spielte Goebbels in seiner Rede im Berliner Sportpalast mehrfach als Erfindung feindlicher Propaganda herunter , wenn er etwa sagte : „Die Engländer behaupten , das deutsche Volk ist des Kampfes müde.“ Und er ließ sich auf zehn Fragen jeweils ein donnerndes „Ja“ als Antwort geben. Seine erste Frage zielte bereits aufs Ganze : „Ich frage euch : Glaubt ihr mit dem Führer und mit uns an den endgültigen Sieg des deutschen Volkes ?“ Goebbels
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versäumte auch nicht , sich mit seiner vorletzten , neunten Frage eine Legitimation dafür geben zu lassen , gegen einen „kleinen Kreis von Drückebergern und Schiebern“ in härtester Weise vorzugehen : „Seid ihr damit einverstanden , daß , wer sich am Krieg vergeht , den Kopf verliert ?“ Die vierte , letztlich zentrale Frage aber lautete , nachdem Goebbels eine Kapitulation als mögliche Alternative angedeutet hatte : „Ich frage euch : Wollt ihr den totalen Krieg ? Wollt ihr ihn , wenn nötig , totaler und radikaler , als wir ihn uns heute überhaupt vorstellen können ?“ Die Alternative „Kapitulation oder totaler Krieg“ war eine jener auch von Hitler häufig genutzten perfiden Vereinfachungen , die nur die politisch gewünschte Entscheidung zuließen. Abgesehen vom nachwirkenden Trauma der Kapitulation von 1918 musste sich jeder nach dem Sinn der schon ertragenen Leiden und immensen Menschenopfer fragen. Nachdem alle zehn Fragen , auch die nach der Bereitschaft , „zehn , zwölf und – wenn nötig – vierzehn und sechzehn Stunden täglich zu arbeiten“, frenetisch bejaht worden waren , fasste Goebbels zusammen : „Der Führer hat befohlen , wir werden ihm folgen. Wenn wir je treu und unverbrüchlich an den Sieg geglaubt haben , dann in dieser Stunde der nationalen Besinnung und inneren Aufrichtung. Wir sehen ihn greifbar vor uns liegen ; wir müssen nur zufassen. Wir müssen nur die Entschlußkraft aufbringen , alles andere seinem Dienst unterzuordnen. Das ist das Gebot der Stunde. Und darum lautet die Parole : Nun , Volk , steh auf und Sturm brich los !“
Einen Tag später , am 19. Februar 1943 , berichtete der „Völkische Beobachter“ ausführlich von dieser Veranstaltung , deren natürlich vorgefasstes Ergebnis unter der Schlagzeile „Volksentscheid für den totalen Krieg“ stand. Wie „sportlich“ Goebbels ansonsten die Katastrophe von Stalingrad zu nehmen empfahl , geht aus einer Äußerung vom September 1943 hervor , in der er aus dem auch sonst bei den Nationalsozialisten beliebten Metaphernschatz der Sportsprache bezeichnenderweise ein Bild aus dem Boxsport verwendete : „Wir wischen uns das Blut aus den Augen , damit wir klar sehen können , und geht es in die nächste Runde , stehen wir wieder sicher auf den Beinen.“33 Der Schlussappell seiner „Sportpalastrede“, „Nun , Volk , steh auf und Sturm brich los !“ war einem Lied Karl Theodor Körners entlehnt. Goebbels ließ seinen Appell 1944 noch einmal als zentrale Parole des historisierenden Durchhaltefilms „Kolberg“ wörtlich zitieren. Zugleich aber lieferte diese Parole die sprachliche Vorlage für die Benennung des „letzten Aufgebots“, des „Volkssturms“. Nicht nur im Film „Kolberg“ wurden Erinnerungen an die deutschen Freiheitskriege gegen Napoleon aktiviert. Die eigene Aggression wurde im weiteren Verlauf
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des Krieges propagandistisch mehr und mehr in einen Kampf um die Erhaltung der „deutschen Freiheit“ uminterpretiert , etwa in einem Kommentar der Deutschen Wochenschau : „Hinter dem deutschen Soldaten steht ein einiges Volk , entschlossen , für die Freiheit und für das Glück seines Vaterlandes das Beste herzugeben.“34 Ebenfalls im Februar 1943 hatte Hitler vor Soldaten der Heeresgruppe Süd angekündigt : „Unbekannte , einzigartig dastehende Waffen sind auf dem Weg zu euren Fronten.“35 Das Märchen von den „Wunderwaffen“ war geboren. Es verbreitete sich in Windeseile , auch in der Zivilbevölkerung , und wurde noch bis unmittelbar vor Kriegsende , selbst und gerade in militärisch aussichtsloser Situation , geglaubt. In Hitlers Umgebung lief der Jargonismus um , er habe „noch etwas im Ärmel“ – also einen Kartenspielertrick. Tatsächlich waren vor wie nach Hitlers Ankündigung von 1943 etliche militärtechnische Erfindungen vorangetrieben worden. Schon 1941 begannen Entwicklungsarbeiten für Langstreckenraketen , die aber erst im Sommer 1944 , zum Einsatz kamen : die „V 1“, eine unbemannte Flugbombe , Vorläufer moderner Marschflugkörper , und die „V 2“, die erste große Flüssigkeitsrakete der Welt. „V“ als Kürzel für „Vergeltungswaffe“ war eine propagandistische Umbenennung ; denn die V 1 hatte zunächst die technische Bezeichnung „Aggregat 4“. 1942 wurden das Düsenflugzeug „He 178“ der Firma Heinkel und 1943 das Raketenflugzeug „Me 163“ der Firma Messerschmitt mit Geschwindigkeiten von über 1. 000 km / h in Dienst gestellt. Offiziell hießen sie „Strahlflugzeuge“. Der Einsatz der Weiterentwicklung „Me 262“ mit über 1. 000 Maschinen scheiterte 1944 / 45 größtenteils aus Mangel an Piloten , Treibstoff und Ersatzteilen. 1944 kam erstmals das unbemannte Raupenfahrzeug „Goliath“ zum Einsatz ; es konnte mit Sprengstoffladungen in die Linien des Gegners gelenkt werden. Die Benennung „Goliath“ war eine am NS-Selbstbewusstsein gemessen eigentlich doppelt fragwürdige Benennung : Der biblische Goliath wird im entscheidenden Kampf getötet , und zwar durch den Juden David. Ähnlich wie die verbündeten Japaner mit ihren Kamikaze-Angriffen versuchte die Wehrmacht in der allerletzten Phase des Krieges , mit sogenannten Selbstopfer-Angriffen , etwa mit Ein-Mann-U-Booten , pathetisch „Einzelkämpfer des Meeres“ genannt , oder mit Sprengbooten etwas zu bewirken. Auch der Einsatz von Flugzeugen als „Rammjäger“ und „Sturmböcke“ gegen anfliegende alliierte Bomberverbände war der japanischen Kamikaze-Taktik nicht unähnlich. Ein „Wunder“ aber konnte das alles nicht mehr bewirken. Trotz Höchstleistungen in der Waffenproduktion bewirkte die gezielte Zerstörung von Raffinerien durch die Alliierten einen immer empfindlicher werdenden Treibstoffmangel , der
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auch durch Kampfgeist nicht ausgeglichen werden konnte. Panzer und LKWs blieben in entscheidenden Situationen , zuletzt bei der Ardennen-Offensive , schlicht wegen fehlenden Benzins stehen. Der Bau einer Atombombe scheiterte außer an Finanzierungsmängeln am hinhaltenden Widerstand beteiligter Kernphysiker. Allerdings dauerte es noch bis zum Atombombenabwurf der Amerikaner auf Hiroshima und Nagasaki , bis sich prominente Forscher wie Werner Heisenberg oder Carl Friedrich von Weizsäcker von ihren Visionen einer deutschen Atombombe lösten und sich zu kompromisslosen Gegnern einer atomaren Rüstung wandelten. Weizsäcker etwa hatte noch 1941 sogar ein „Verfahren zur explosiven Erzeugung von Energie und Neutronen aus der Spaltung des Elements 93“, also von Plutonium, und damit auch zum Bau einer Plutoniumbombe zum Patent angemeldet.36 Indes hatte Hitler selbst eine zügigere Entwicklung allein dadurch gehemmt , dass er schon 1940 in einem Befehl nur wissenschaftlich-technische Arbeiten zulassen wollte , die kurzfristige praktische Erfolge zeitigen würden. Auch hatte er sich einreden lassen , dass die Kernphysik eine „jüdische Physik“ sei.37 Die schon vorher im Rassenwahn zur „Deutschen Physik“ erklärte Naturwissenschaft litt also nicht nur dem Namen nach unter einer bornierten – im Fall des Atombombenbaus allerdings begrüßenswerten – Beschränkung. Zu den letztlich verzweifelten Versuchen , einen totalen Krieg zu führen , gehörten so extreme Befehle Hitlers wie der berüchtigte „Befehl Nr. 7“ vom 24. Februar 1943 an die militärischen Vorgesetzten , wonach Untergebene wegen „Ungehorsam“ sofort zu erschießen seien , aber auch die folgenden Maßnahmen : –– der Einsatz von Schülern ab 17 Jahren als „Luftwaffen- / F lakhelfer“, die in der Endphase des Krieges sogar Kampfeinsätze zu leisten hatten ; –– die Aufstellung einer SS-Panzerdivision mit Namen „Hitlerjugend“ aus 17 bis 18-Jährigen , nicht selten noch jüngeren HJ -Freiwilligen im Juni 1943 , eine Division , die in den Abwehrkämpfen gegen die alliierte Landung in der Normandie fast vollständig aufgerieben wurde. Die Amerikaner verhöhnten diese Truppe als „baby division“; –– die Aufstellung des „Volkssturms“ ab September 1944 , eines angeblich letzten Aufgebots der noch nicht eingezogenen 16 bis 60-Jährigen , die mangelhaft ausgebildet und ausgerüstet vor allem an der Ostfront immense Verluste erlitten ; –– der Einsatz von Hitlerjungen , die in „Wehrertüchtigungslagern“ ausgebildet wurden , als „Drittes Aufgebot“ im Rahmen des Volkssturms ; –– die Bildung von „Volksgrenadier“-Divisionen , ebenfalls ab Herbst 1944 , die hauptsächlich der Verteidigung dienen sollten. Die Wortwahl „Volksgrenadier“ war eine propagandistisch motivierte Kombination des historischen
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Terminus „Grenadier“ mit einer historisierenden Berufung von „Volk“, das sich in den antinapoleonischen Befreiungskriegen angeblich kollektiv erhoben hatte. Ihre Aufstellung wurde – ähnlich wie die des Volkssturms – nur durch Ausschöpfung letzter personeller Reserven , einschließlich von Kindern , möglich. Ihre Ausbildung aber war mangelhaft und ihre Angehörigen verfügten so gut wie über keinerlei Offensivwaffen. Trotzdem wurden diese auf jeweils sechs Bataillone reduzierten Divisionen in den Endkämpfen im Westen wie im Osten eingesetzt. Der sich mehr und mehr gegen die deutsche Aggression entwickelnde Krieg wurde über die Lüge vom „deutschen Freiheitskampf“ hinaus , wie schon eingangs dieses Kapitels angedeutet , mehr und mehr sogar zu einem Kampf für Europas Zukunft hochstilisiert. Die „europäische“ Perspektive von Hitlers Krieg wurde – wenn man als Quelle etwa Wochenschau-Berichte auswertet – umso intensiver beschworen , je weniger vom außerdeutschen Europa noch in deutscher Hand war. Die Sowjets hatten in Ostpreußen die deutsche Grenze längst überschritten , da tönte es noch im Februar / März 1945 in den Kinos : „Im Osten tobt in diesen Wochen der Kampf um Deutschlands und Europas Schicksal“ oder „Die Winterschlacht an der Ostfront ist zur Entscheidungsschlacht für das gesamteuropäische Schicksal geworden.“38 Die bedrohlichen Realitäten wurden dennoch zu bloßen „Krisen“ heruntergespielt. Selbst noch im März 1945 operierte Goebbels mit diesem von seinem „Führer“ in einer Rede zum 30. Januar 1945 vorgegebenen Euphemismus , als er in Görlitz – kurz vor dem Einmarsch der Sowjets – eine Durchhalterede hielt , die von der Deutschen Wochenschau dokumentiert wurde und als vorletzte Folge ( Nr. 754 / 1945 ) in die Kinos kam : „So wie der Führer die Krisen der Vergangenheit bewältigt hat , so wird er auch diese bewältigen. Er ist fest davon überzeugt. Noch vorgestern sagte er mir : ‚Ich glaube so fest daran , dass wir diese Krise bewältigen werden. Und ich glaube so fest daran , dass , wenn wir unsere neuen Divisionen hineinwerfen , dass wir den Feind schlagen und zurückjagen werden. Und ich glaube so fest , dass wir eines Tages den Sieg an unsere Fahnen heften werden , wie ich je in meinem Leben an etwas fest geglaubt habe.‘ “39
Ganz zuletzt aber ging es – wie ausdrücklich verkündet wurde – noch nicht einmal mehr um die Alternative „Sieg oder Niederlage“, sondern um „Sieg oder Untergang“, gar um „Sein oder Nichtsein“. Der Irrsinn der Kriegführung
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erreichte nach dem Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 einen neuen schreck lichen Höhepunkt , nicht zuletzt ablesbar an der Zahl der eigenen Todesopfer : Allein in den letzten neun Kriegsmonaten verloren noch 2,6 Millionen deutsche Soldaten ihr Leben , das war fast die Hälfte der seit 1939 insgesamt 5,3 Millionen deutschen Gefallenen. Als „Generalbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz“ proklamierte Goebbels am 2. April 1945 noch die Aktion „Werwolf“, in der jeder Deutsche einzeln oder in Gruppen durch Sabotage und Mord die in Deutschland eingedrungenen „Feinde“ bekämpfen sollte. In Goebbels’ Aufruf , der über den „Sender Werwolf“, vormals „Deutschlandsender“, ausgestrahlt wurde , hieß es : „Für die [ nationalsozialistische ] Bewegung sind jeder Bolschewist , jeder Brite und jeder Amerikaner auf deutschem Boden Freiwild. Wo immer wir eine Gelegenheit haben , ihr Leben auszulöschen , werden wir das mit Vergnügen und ohne Rücksicht auf unser eigenes Leben tun. [ … ] Haß ist unser Gebet und Rache unser Feldgeschrei.“40
Längst hatten sich in Deutschland auch sonst Formen einer meist offiziell gebilligten Lynchjustiz breitgemacht , denen vor allem abgeschossene Bomberpiloten der Alliierten zum Opfer fielen. Ihre Todesursache wurde oft mit „auf der Flucht erschossen“ angegeben. Doch auch „wehrunwillige“ Deutsche oder gar solche , die mit den Siegern kooperierten , sollten im „Werwolf“ wie in der mittelalter lichen Femepraxis getötet werden. Der Proklamation von Goebbels war bereits am 25. März 1945 die spektakuläre Ermordung des in Aachen von den Amerikanern eingesetzten deutschen Bürgermeisters Franz Oppenhoff voraufgegangen. Sie war im eigentlichen Sinne noch keine „Werwolf“-Aktion , sondern – von Himmler direkt befohlen – von Angehörigen der SS und der Luftwaffe durchgeführt worden. Himmler , der schon im September 1944 eine „Widerstands bewegung in den deutschen Grenzgebieten“ für den Guerillakampf aufzubauen begonnen hatte , war es auch , der schon in einer Rede am 28. Oktober 1944 den Begriff „Werwolf“ benutzt hat. Es würde im Übrigen gut zu Himmlers germanophilen Wahnideen passen , wenn er vor Goebbels zur Benennung von Untergrundkämpfern auf die Idee gekommen wäre , jenes Fabelwesen der nordischen Mythologie , das tagsüber als Mensch , nachts dagegen als Wolf auftritt , zu bemühen. Die schon vor dem Goebbels’schen Aufruf aufgebauten Untergrundgruppen , die oft auf eigene Faust agierten , begingen tatsächlich etliche Sabotageakte und Morde , waren aber militärisch bedeutungslos. Nur die Sowjets überhöhten nach dem Krieg die Bedeutung des „Werwolf“, indem sie eine – oft nur unterstellte – Mitgliedschaft zum Anlass für zahlreiche Strafaktionen nahmen.
Anfang vom Ende im Westen |
Schon 1944 hatten sich die deutschen Truppen vielfach bis zu den Reichsgrenzen zurückziehen müssen , in Russland waren sie von zahlreichen Partisanenangriffen hinter der Front zusätzlich geschwächt worden. Um diese Gegenwehr der gepeinigten Bevölkerung in den besetzten Gebieten herunterzuspielen , sprach man deutscherseits vom „Kampf gegen Banden“. Hitler stiftete am 30. Januar 1944 sogar ein eigenes „Bandenkampfabzeichen. In Führer-Erlassen ist außer von „Terroristen“ und „Saboteuren“ gelegentlich auch schon von „Partisanen“ die Rede. Spätestens 1944 war die nichtverschleiernde Bezeichnung „Partisanen“ auch in der deutschen Alltagssprache angekommen. Aber nicht nur in Russland hatte sich Widerstand gegen die deutsche Besatzung erhoben , auch in allen anderen besetzten Ländern operierten Untergrundkämpfer. Mit exemplarischen Vergeltungsaktionen gegen die Zivilbevölkerung , wobei sich die SS besonders hervortat , versuchte man , des Widerstands Herr zu werden. Das immer häufiger genutzte Instrument der mörderischen Abwehr wurde schließlich auch in Deutschland selbst offen beim Namen genannt : Unzählige Zivilisten , darunter auch viele Kinder , wurden als „Geiseln“, also gleichsam als Stellvertreter für nicht gefasste Partisanen , ermordet. Symbolcharakter für den Widerstand und für Nachkriegseinstellungen der betroffenen Länder zu den Deutschen erhielten zahlreiche Ortsnamen , die für brutalste Massaker an der Zivilbevölkerung standen , etwa das tschechische Lidice , wo bereits 1942 an unschuldigen Zivilisten Rache für das Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor für Böhmen und Mähren , Reinhard Heydrich , genommen worden war , oder Oradour-sur-Glane , ein französischer Ort nordwestlich von Limoges , den die SS 1944 als Vergeltung für einen Partisanenüberfall mit allen seinen Einwohnern vernichtete. „Invasion“ – Der Anfang vom Ende im Westen 1944
Ein knappes halbes Jahr nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion , am 11. Dezember 1941 , hatten Deutschland und Italien den USA den Krieg erklärt. Voraufgegangen war am 7. Dezember 1941 der japanische Angriff auf Pearl Harbour , der den „Pazifikkrieg“ eröffnete. Von nun an konnte man mit Recht von einem neuen , dem „Zweiten Weltkrieg“ sprechen. Bis dahin war das Wort „Weltkrieg“ auch alltagssprachlich dem Krieg von 1914–1918 vorbehalten gewesen. Mit den USA hatte Deutschland die wirtschaftsstärkste Macht herausgefordert. Ohne amerikanische Unterstützung durch Lieferung von Kriegsmaterial
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und anderen Gütern wäre die UdSSR zuletzt noch in größte Bedrängnis geraten. Auch andere Staaten erhielten im Kampf gegen Deutschland großzügige Unterstützung. In der Konferenz von Teheran 1943 vereinbarten Roosevelt , Churchill und Stalin eine enge militärpolitische Zusammenarbeit sowie eine grundsätzliche Einigung für die europäische Ordnung in Europa nach dem Krieg. Ohne massive amerikanische Beteiligung wären die mit dem 10. Juli 1943 auf Sizilien eingeleiteten Landungen der Westalliierten in Italien und dessen Eroberung kaum so schnell möglich gewesen. Der entscheidende Schlag gegen die deutsche Militärmacht im Westen mithilfe hoch überlegener Streitkräfte , nicht zuletzt der Amerikaner , erfolgte aber am 6. Juni 1944 durch die alliierte Landung in der Normandie , auf alliierter Seite Operation „Overlord“ genannt ; der 6. Juni erhielt das Codewort „D-Day“. Der sogenannte Atlantikwall , die Kette von Bunkern und Küstenbatterien , brach in Frankreich unter dem Ansturm der Alliierten bis auf wenige Küstenstellungen schnell zusammen. Schon Ende Juli standen 1,5 Millionen alliierte Soldaten auf französischem Boden. Rommel , inzwischen Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B , hatte Hitler angesichts dieser Lage aufgefordert , „politische Konsequenzen“ zu ziehen. Aber statt strategischen Überlegungen seiner Militärs zu folgen , schien sich der Führer in völliger Verkennung der Lage sogar auf die direkte militärische Konfrontation gefreut zu haben. Überliefert ist seine Äußerung gegenüber Wilhelm Keitel , dem Chef des OKW : „Solange sie in England waren , konnten wir sie nicht fassen. Jetzt haben wir sie endlich dort , wo wir sie schlagen können.“41 Die bis heute gebräuchliche Bezeichnung „Invasion“ für die alliierte Landung ist insofern irreführend , als sie die ursprünglich deutsche Invasion in Frankreich leicht vergessen lässt und stattdessen den alliierten „Invasoren“ einen aggressiven Akt unterstellt. Die deutschen Truppen mussten in Italien , nun auch in Frankreich , Belgien und in den Niederlanden Zug um Zug zurückweichen. Paris wird am 25. August 1944 gegen Hitlers Befehl kampflos geräumt. Zusammen mit der 4. US-Division rückt dort auch eine französische Panzerdivision mit General Charles de Gaulle ein. De Gaulle hatte zunächst von London , dann von Afrika aus als Führer der „freien Franzosen“ in Opposition zum Pétain-Regime in Vichy den militärischen Widerstand gegen die Deutschen organisiert und mit britischer und amerikanischer Unterstützung „freifranzösische“ Streitkräfte aufstellen können. Nach der Besetzung Deutschlands wurde Frankreich eine eigene Besatzungszone zugestanden. Bereits am 21. Oktober 1944 erobern die Amerikaner als erste d eutsche Stadt Aachen. Ein letzter größerer deutscher Versuch , sich gegen das weitere westalliierte
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Eindringen ins Reichsgebiet zu wehren , wurde vom 16. bis 24. Dezember 1944 in der sogenannten Ardennen-Offensive unternommen. Sie erhielt den offiziellen Namen „Wacht am Rhein“ – eine deutlich resignative Bezeichnung , die nichts mehr von den früheren Eroberungen jenseits des Rheins wissen wollte. Sie war ein Zitat aus dem Lied „Lieb Vaterland , magst ruhig sein“, das bereits im Ersten Weltkrieg populär war : „Fest steht und treu die Wacht , die Wacht am Rhein.“ Nach anfänglichen Überraschungserfolgen scheiterte auch diese deutsche Gegenoffensive. Nach Niederringung von Verteidigungsversuchen auf deutschem Boden stießen Amerikaner und Briten nun immer tiefer ins Reichsinnere vor. „Vorübergehend rückgeführte Volksgenossen“ – Der Untergang im Osten 1944 / 45
Am 16. Oktober 1944 standen die Sowjets an der deutschen Ostgrenze und konnten ihren Angriff auf das deutsche Reichsgebiet beginnen , zunächst auf Ostpreußen , im Januar 1945 auf Schlesien. Sinnloserweise , geradezu anachronistisch wurden die von den Sowjets bereits eingeschlossenen Städte Königsberg und Breslau noch zu „Festungen“ erklärt , die bis auf den letzten Mann zu verteidigen wären. In einem Befehl Hitlers vom September 1944 hieß es sogar : „Jeder Bunker , jeder Häuserblock in einer deutschen Stadt und jedes deutsche Dorf muß zu einer Festung werden , an der sich der Feind verblutet oder die ihre Besatzung im Kampf Mann gegen Mann unter sich begräbt.“42 Hinter vorgehaltener Hand wurde Breslau „Reichsluftschutzkeller“ genannt , weil sich das Leben dort zuletzt nur noch unterirdisch abspielen konnte. Schon seit dem Spätsommer 1944 hatten sich zahllose Flüchtlingstrecks vor der anrückenden Roten Armee auf den Weg nach Westen gemacht. Die Propaganda nannte sie euphemistisch „rückgeführte Volksgenossen“. Auch als am 23. Januar 1945 – verspätet und wenig geplant – die offiziellen Räumungstransporte aus dem bereits eingekesselten Ostpreußen begannen , nannte man diese Aktionen euphemistisch „Rücktransporte“. Und wenn es dann noch hieß , man bringe die Volksgenossen „im Innern des Reiches“ in Sicherheit , konnte dies den Eindruck wecken , es habe sich bei den aufgegebenen östlichen Reichsteilen nur um vorübergehend besiedelte Regionen gehandelt.43 Immerhin gelang es unter Einsatz aller verfügbaren zivilen und militärischen Schiffseinheiten 1,5 Millionen Menschen aus dem bereits eingekesselten Ostpreußen über die Ostsee nach Westen zu führen. Noch am 4. Februar 1945 betonte Hitler dagegen , es handle sich um nur „vorübergehend rückgeführte Volksgenossen“.44
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Hitlers letzte Rundfunkansprache am 30. Januar 194545 , dem 12. Jahrestag seiner Machtübernahme , konnte die hoffnungslose Lage nicht völlig ausblenden. Er spricht vom „grauenhaften Schicksal , das sich heute im Osten abspielt“, ferner davon , dass der Gegner „in Dorf und Mark , auf dem Land und in den Städten die Menschen zu Zehn- und Hundertausenden ausrottet“. Wenn er dabei jedoch feststellt , dass „Europa heute von einer schweren Krankheit ergriffen“ sei , lässt er mittels einer Medizinmetapher assoziieren , dass man es mit einer gleichsam naturwüchsigen Entwicklung zu tun habe. Jedenfalls wird er an keiner Stelle seiner Rede konkreter und verschweigt völlig , wie tief die Gegner schon in die Mitte Deutschlands vorgestoßen sind. Stattdessen hält er unbeirrt an seinen Illusionen fest : „Wie tief auch die Krise im Augenblick sein mag , sie wird durch unseren unabänderlichen Willen , durch unsere Opferbereitschaft und durch unsere Fähigkeiten am Ende trotzdem gemeistert werden.“46 Schließlich griff Hitler zu einem äußersten Mittel , um das Schicksal doch noch zu wenden. Mit seinem Zerstörungsbefehl vom 19. März 194547 , der als „Nero-Befehl“ in die Geschichte eingegangen ist , wollte Hitler die Strategie der „verbrannten Erde“, die bereits im Krieg gegen die Sowjetunion – im Übrigen von beiden Seiten – angewendet worden war , auch auf deutschen Boden ausdehnen : Alle Versorgungseinrichtungen sollten zerstört werden , damit sie dem Gegner nicht in die Hände fielen. Den Vorhaltungen von Albert Speer , seit 1942 Rüstungsminister , dass damit die Lebensgrundlagen der Deutschen vernichtet würden , soll Hitler mit dem nicht mehr zu überbietenden Argument seines Rassenwahns begegnet sein , dass nur der jeweils Stärkere ein Recht auf Leben habe , folglich dass das deutsche Volk , wenn es den Krieg verlöre , ein Überleben nicht verdient habe. Nach den Erinnerungen von General Heinz Guderian soll Hitler zu den Vorhaltungen Speers bemerkt haben : „Im Gegenteil sei es besser , selbst diese Dinge zu zerstören , denn das Volk hätte sich als das schwächere erwiesen , und dem stärkeren Ostvolk gehöre dann ausschließlich die Zukunft. Was nach dem Kampf übrigbleibe , seien ohnehin nur die Minderwertigen , denn die Guten seien gefallen.“
Zweifel an der Authentizität dieser Aussage48 hat das bei Hitler sonst nicht belegte Wort „Ostvolk“ geweckt. Doch kann es sich bei Guderian sehr wohl um eine verkürzende Wiedergabe der stereotypen Stigmawörter Hitlers für Slawen und Asiaten handeln. Inhaltlich scheint dem allerdings entgegenzustehen , dass Hitler noch einen Tag vor seinem Selbstmord in seinem „Politischen Testament“ vom 29. April 194549 die Deutschen sehr wohl noch einmal zu verpflichten versuchte , den Kampf gegen das „Weltjudentum“, den „Weltvergifter aller Völker“,
Letzte Lügen |
uneingeschränkt weiterzuführen. Sollte er wirklich – wie in der Äußerung , an die sich Guderian erinnert hat – das „Ostvolk“ ohne seine „jüdischen Machthaber“ gesehen haben ? Speer gelang es , die Ausführung des „Nero-Befehls“ weitgehend zu verhindern. Die weiteren Kampfhandlungen sorgten jedoch schon ohne diesen Befehl für immense Zerstörungen. Noch in seinem letzten Tagesbefehl an die Soldaten der Ostfront vom 16. April 1945 hatte sich Hitler, wenn auch schon nicht mehr ganz so siegessicher , so doch vordergründig, noch optimistisch gegeben , wenn er etwa schrieb , dass Berlin „deutsch“ bleibe und das inzwischen an die Sowjets verlorene Wien „wieder deutsch“ werde. Seine eigenen Zweifel waren freilich zwischen den Zeilen durchaus erkennbar : „Zum letzten Mal ist der jüdisch-bolschewistische Todfeind mit seinen Massen zum Angriff angetreten. Er versucht , Deutschland zu zertrümmern und unser Volk auszurotten. [ … ] Wir haben diese Stunde vorausgesehen , und es ist seit dem Januar alles geschehen , um eine starke Front aufzubauen.“50
Er erinnerte auch in diesem Tagesbefehl an sowjetische Gräueltaten gegen die deutsche Zivilbevölkerung. Rückzugsgedanken schließt er jedoch – mit brutaler Wortwahl – konsequent aus : „Wer euch Befehl zum Rückzug gibt , ohne daß ihr ihn genau kennt , ist sofort festzunehmen und nötigenfalls augenblicklich umzulegen , ganz gleich , welchen Rang er besitzt.“ Zu diesem Zeitpunkt hatten die Sowjets bereits Warschau , Budapest und ganz Ungarn sowie Teile Österreichs einschließlich Wiens erobert. Am 25. April 1945 treffen Amerikaner und Sowjets bei Strehla / Elbe51 und am 2. Mai Briten und Sowjets in Wismar zusammen. Der Zangenangriff der Roten Armee auf Berlin führte am selben Tag zur Kapitulation der Reichshauptstadt. Von Hitler wurde nur noch ein verkohlter Leichnam gefunden. „Der Führer im Kampf um Berlin gefallen“ – Letzte Lügen
Am 30. April , zwei Tage vor der Kapitulation Berlins , hatte Hitler im Führer bunker unter der zerstörten Reichskanzlei Selbstmord begangen. Selbst in dieser Situation schwang sich die NS -Propaganda noch zu einer frommen Lüge auf : Alle noch deutsch kontrollierten Medien meldeten seinen Tod unter der Schlagzeile „Der Führer im Kampf um Berlin gefallen“. Der von Hitler noch designierte Nachfolger Großadmiral Alfred Dönitz regierte danach als
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„Reichspräsident“ bei Plön / Holstein. Mit alliierter Duldung konnte er über die bedingungslose Gesamtkapitulation vom 7. und 9. Mai 194552 hinaus in Flensburg-Mürwik weiter amtieren , um die unmittelbaren Kapitulationsfolgen abzuwickeln. Dafür stand ihm zunächst sogar noch ein eigener Rundfunksender zur Verfügung. Vergeblich versuchte ein gewisser Heinrich Hitzinger , in dieser Regierung unterzutauchen. Hinter dem Namen „Hitzinger“ verbarg sich niemand Geringerer als Heinrich Himmler. Auf seiner weiteren Flucht wurde er schließlich von den Briten verhaftet und enttarnt. Am 23. Mai 1945 beging er in Lüneburg Selbstmord. Am selben Tag wurden auf sowjetisches Drängen Dönitz und seine Regierung endgültig abgesetzt und gefangen genommen. Einen äußerst wirksamen Propagandacoup vor dem absehbaren Ende der NS -Herrschaft hatte Goebbels bereits mit der Verbreitung des sogenannten Morgenthau-Plans gelandet. Dessen bedrohlicher Inhalt sollte noch einmal die Deutschen zusammenschweißen. Dieses Gespenst war im Ursprung eine Denkschrift des amerikanischen Finanzministers Henry Morgenthau aus dem Jahre 1944 zur künftigen Deutschlandpolitik. Darin hatte Morgenthau die Aufteilung eines stark verkleinerten Deutschland in drei verschiedene Staaten vorgeschlagen , ferner neben Entwaffnung und Abrüstung eine völlige Deindustrialisierung , die nach etwa zwanzig Jahren strenger Wirtschaftskontrolle aus Deutschland ein zu keiner Aggression mehr fähiges Ackerland gemacht hätte. Dieser Plan aber wurde in den USA formell nie diskutiert. Bereits am 22. September 1944 hatte sich der US-Präsident Roosevelt von dieser Denkschrift sogar distanziert. Nachweislich hat sie weder in den USA noch bei den übrigen Alliierten eine konkrete Rolle gespielt. Ihr Inhalt war aber durch eine Indiskretion auch den Nationalsozialisten bekannt geworden , die damit ihre Durchhaltepropaganda geschickt unterfütterten. Angesichts der unübersehbar werdenden materiellen Einschränkungen des ehemals hochindustrialisierten Reiches wurde er für bare Münze genommen und zur Erklärung der deprimierenden und aussichtslosen Lage bemüht.53 Selbst nach der Kapitulation sahen noch viele Deutsche in der Notlage der frühen Nachkriegszeit eine direkte Auswirkung dieses Plans. Hellsichtiger hingegen war Goebbels’ Vision von einem „Eisernen Vorhang“, der sich nach einer Niederlage Deutschlands zwischen Ost und West niedersenken würde. Er hatte sie am 15. Februar 1945 in einem Leitartikel für die Zeitschrift „Das Reich“ formuliert. Gemeinhin schreibt man das Bild vom „Eisernen Vorhang“, das der Theatersprache entnommen ist , einer Nachkriegsrede von Winston Churchill zu. Tatsächlich entstammt es aber schon einer Quelle unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. In einer 1919 publizierten
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Schrift „Das bolschewistische Rußland“, die Goebbels sicher gekannt hat , hatte der Autor Hans Vorst bereits geschrieben : „Damit senkte sich für Westeuropa aufs neue der eiserne Vorhang über die russischen Ereignisse herab.“54 Das Oberkommando der Wehrmacht aber hatte in seinem letzten Tagesbefehl nach der Kapitulation immerhin noch folgenden pathetischen Trost parat : „Jeder Soldat kann deshalb die Waffen aufrecht und stolz aus der Hand legen und in den schwersten Stunden unserer Geschichte tapfer und zuversichtlich an die Arbeit gehen für das ewige Leben unseres Volkes.“55 1 2 3
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„Landser“ ist eine Kurzform des historischen „Landsknecht“ ( Variante „Lanzknecht“ ). Moll ( 1997 ) : Nr. 146. Scheck ( 2009 ). Zu den NS-Strategien sprachlicher Tarnung : Greule / Sennebogen ( 2004 ). Heyen ( 1983 ). Hensle , Michael : Kriegsgerichtsbarkeit. In : Benz / Graml / Weiß ( 1998 ) : 555. – Für das „Fliegende Standgericht“ dekretierte Hitler am 9. 3. 1945 ausdrücklich , dass das Gnadenrecht entfalle ; Moll ( 1997 ) : Nr. 483. Diese Wörter gingen als Lehnwörter in die englische Sprache ein. Das Bestimmungswort „Blitz“ wird im Amerikanischen sogar in Komposita benutzt , etwa in „blitz course“, woraus gut neudeutsch „Crash-kurs“ wurde. Ungeklärt ist , warum Hitler nicht die richtige Uhrzeit des Angriffs , nämlich 4.45 Uhr , nannte. Erdmann ( 1999b ) : 32. Zitiert in : Haffner , Sebastian ( 1985 ) : Historische Variationen. Stuttgart / München : 181. Böhler , Jochen ( 2004 ) : Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939. Bonn. Reproduktionen in : Dollinger ( 1989 ) : 40 f. Die Bezeichnung ist abgeleitet von der 1936 zwischen Deutschland und Italien vereinbarten politischen Zusammenarbeit , die Mussolini als „Achse Berlin-Rom“ umschrieben hatte. Diese Kooperation wurde 1939 durch den sogenannten Stahlpakt zum Militärbündnis erweitert. Als „Achsenmächte“ galten späterhin alle mit dem Deutschen Reich verbündeten europäischen Staaten. Vgl. Schmitz-Berning ( 2000 ) : 426 f. und 213–215. Domarus ( 1965 ) II. 2 : 1731. Ebda. : 1732. „Hauptorgan der NSDAP Gau Baden“. Der Aufmacher dieser Ausgabe stand unter der Schlagzeile „Kampf um jeden Fußbreit Boden in Berlin“. Vgl. etwa Rosenbergs persönliche Zweifel , die ein Tagebucheintrag bezeugt : „Wie können wir noch von einer Rettung Europas sprechen , wenn wir den Zerstörer Europas [ Stalin ] um Hilfe bitten müssen ?“; Hofer ( 1957 ) : 236. S. dazu u. a. : Musial ( 2010 ). Hofer ( 1957 ) : 181. Haffner ( = Anm. 10 ) : 186.
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Domarus ( 1965 ) II. 2 : 1731. Der Terminus „Kessel“ für eingekreiste Streitkräfte traf dann sehr bald auch auf eingeschlossene deutsche Truppen zu : bei Cholm und Demjansk ( südlich des Ilmensees ) sowie bei Stalingrad ( 1942 / 43 ) und zuletzt beim „Ruhrkessel“ und dem Kessel von Halbe ( 1945 ). Thorwald ( 1985 ) : 73. Domarus ( 1965 ) II. 2 : 2083. Vgl. Krausnick , Helmut ( 1977 ) : Kommissarbefehl und „Gerichtsbarkeitserlaß Barbarossa“ in neuer Sicht. In : Vierteljahrshefte zur Zeitgeschichte 25 : 682–738. Der Kessel von Stalingrad war zuvor von den Sowjets in eine Süd- und eine Nordgruppe aufgespalten worden , die jede für sich kapitulierte. Seine handstreichartige Befreiung aus der Gefangenschaft im Gran-Sasso-Massiv durch ein deutsches Kommando wurde in Deutschland natürlich propagandistisch hoch gefeiert ; danach aber durfte Mussolini in Norditalien nur noch eine Scheinregierung von Hitlers Gnaden führen. Im Zuge der Entstalinisierung der UdSSR wurde die Stadt 1961 in „Wolgograd“ umbenannt. Goebbels : „Ich habe heute zu dieser Versammlung nun einen Ausschnitt des deutschen Volkes im besten Sinne des Wortes eingeladen.“ Heiber ( 1991 ) : 203 ff. ; s. dazu u. a. : Fetscher ( 1998 ) ; Kegel ( 2006 ). Die theoretische Vorlage hatte bereits 1934 Erich Ludendorff mit seiner Schrift „Der totale Krieg“ geliefert , in der er bei einem Krieg die Einbeziehung der Zivilbevölkerung forderte. Zitiert nach : Klemperer ( 1969 ) : 237. Februar 1945 ; Transkription H.D.S. Dollinger ( 1989 ) : 156. Dazu : Karlsch , Rainer / Petermann , Heiko ( Hrsg. ) ( 2007 ) : Für und Wider „Hitlers Bombe“. Münster ; Karisch , Karl-Heinz : Wandel zur Vernunft. In : Frankfurter Rundschau , 19. 6. 2012 : 12 f. Erdmann ( 1999b ) : 121 f. – Vgl. auch Mehrtens / Richter ( 1980 ). Transkription nach Wochenschau-Kopien H.D.S. Transkription H.D.S. Zitiert nach : Weiß , Hermann : Werwolf. In : Benz / Graml / Weiß 1998 : 803. Dollinger ( 1989 ) : 200. Heiber / Heiber ( 2001 ) : Nr. 407. Die Formulierung „ins Reich“ aus der Perspektive derer , die sich in abgeschnittenen Resten des Reiches wie Königsberg aufhielten , ging 1945 zeitweilig auch in die Alltagssprache ein ; Schlosser ( 2005 ) : 30. Moll ( 1997 ) : Nr. 385. Domarus ( 1965 ) II. 2 : 2195–2198. Ebda : 2198. Moll ( 1997 ) : 486 , Nr. 294. Dazu : Domarus ( 1965 ) II. 2 : 2214. Ebda. : 2235–2249. Ueberschär / Müller ( 2006 ) : 167 , dort auch die Fortsetzung des Zitats.
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Von Torgau rund 30 Kilometer elbaufwärts gelegen. – Die in die Geschichtsbücher eingegangene Begegnung bei Torgau ist wie die symbolische Hissung der roten Fahne auf der Berliner Reichstagsruine eine nachgestellte Szene. Die Gesamtkapitulation der Deutschen Wehrmacht wurde am 7. 5. in Reims besiegelt , auf sowjetischen Wunsch wurde sie am 9. 5. in Berlin-Karlshorst wiederholt. Benz ( 1992 ) : 154. Vorst , Hans ( 1919 ) : Das bolschewistische Rußland. Leipzig : 229. Böddiker ( 1985 ) : 228.
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16 | DEUTSCHLAND IM KRIEGSALLTAG „Eisern sparen !“ – Planwirtschaft als Mangelverwaltung | 328 | „Mauern brechen – unsere Herzen nicht !“– Die Zerstörung der urbanen Kultur | 331 | „Heimat“ – „Heimatfront“ – „Heimatkriegsgebiet“ | 333 | „Tapfere kleine Soldatenfrau“ – Der Kriegseinsatz von Frauen | 336 | „In stolzer Trauer“ – Bombenkrieg und Kriegsmoral | 338 |
Die Alltagskommunikation der Deutschen veränderte sich mit Kriegsbeginn gegenüber der äußerlich noch halbwegs friedlichen Situation und ihren Themen zuvor schlagartig. Zwar genoss man wann immer möglich – vielleicht sogar noch intensiver als vorher – die verbliebenen Freuden. Auch versuchte man , so gut es ging , ein normales Leben aufrechtzuerhalten. Doch in den von der Propaganda mächtig geförderten Stolz über die militärischen Anfangserfolge mischte sich mehr und mehr die Sorge um die an den Fronten eingesetzten Verwandten und Freunde. Dass auch schon früh Gefallene und Vermisste zu beklagen waren , beherrschte natürlicherweise die privaten Gespräche. Schließlich brach der Krieg mit der Bombardierung der Städte und ihren steigenden Zahlen an zivilen Opfern auch sehr direkt ins Alltagsleben ein. „Kinderlandverschickung“ und „Bombenevakuierungen“ von Personen , die in der Arbeitswelt nicht benötigt wurden , waren zwar Hilfsmaßnahmen , die aber manche Familie zusätzlich auseinanderrissen. Denn die Arbeitsfähigen mussten an den gefährdeten Wohnorten ausharren. Eigentlich jedermann musste die drohende Niederlage deutlich werden , als ab 1944 die „Bombenevakuierten“ und immer zahlreicher werdende Flüchtlinge sowie viele „Volksdeutsche“ aus den nun doch kriegsgefährdeten Regionen „in das Innere des Reiches“, also in das noch nicht von den Alliierten besetzte Restreich , strömten. Die ohnehin schon vorhandenen Probleme der Unterbringung und Versorgung verschärften sich von Tag zu Tag. Noch 1944 wurden in einer „Erweiterten Kinderlandverschickung“ Tausende Kinder „außer Gefahr“ gebracht , wie die Propaganda behauptete. In Wirklichkeit aber wurden sie in östliche , angeblich sichere Regionen verschickt , aus denen ihnen bereits die Flüchtlingstrecks entgegenkamen. Der Gauleiter von Ostpreußen, Erich Koch, etwa hatte in Übereinstimmung mit einem Führerbefehl eigentlich jegliche Flucht verboten , was Parteifunktionäre freilich nicht daran hinderte , sich heimlich und rechtzeitig „abzusetzen“. Die Evakuierungen aus dem Memelland wurden dagegen offiziell genehmigt , aber ausdrücklich als „ausnahmsweise“ und „vorübergehend“ deklariert. Die zuletzt doch noch ermöglichten Transporte mit Schiffen vom eingekesselten
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Ostpreußen aus über die Ostsee waren zu spät und überhastet organisiert worden. Sie forderten zusätzlich zahlreiche Opfer , rund 5. 000 allein beim Untergang der „Wilhelm Gustloff“, die am 30. Januar 1945 von einem sowjetischen U-Boot versenkt wurde. Zu den alltäglichen Sorgen gehörte schon früh die Verknappung aller Güter. Die im „Feindesland“ von Soldaten nicht immer legal erworbenen , im Landserdeutsch : „organisierten“ Luxuswaren , darunter Spirituosen und mancher Pelz , die ein „Urlauber“ mitbrachte , hellten zwar die Stimmung in einzelnen Familien vorübergehend auf , doch das tröstete selten über die unumgängliche neue Trennung der Partner am Ende eines „Heimaturlaubs“ hinweg. Auf den arbeitsfähigen Frauen zu Hause wie auf den rüstigen Frauen in den Flüchtlingstrecks lag die volle Last des Krieges. „Eisern sparen !“ – Planwirtschaft als Mangelverwaltung
Schon die Kriegsvorbereitungen erforderten planwirtschaftliche Maßnahmen , die sich in der „Rationierung“ bestimmter Waren niederschlug , worüber nicht zuletzt auch privat gesprochen wurde. 1936 war der 2. Vierjahresplan eingeführt worden , durch den unter Leitung von Göring die wirtschaftlichen Ressourcen vor allem zugunsten der Rüstungsindustrie noch systematischer genutzt werden sollten. Eine Berliner Ausstellung im Jahr 1937 zitierte auf einem Plakat Hitler , der , in Uniform vor rauchenden Fabrikschloten stehend , fast die ganze Plakatfläche einnahm : „GEBT MIR VIER JAHRE ZEIT“. Dies war die Parole Hitlers , mit der er bereits 1933 den 1. Vierjahresplan in Gang gesetzt hatte , der aber längst nicht die Effektivität der Fortsetzung von 1936 erreichte. 1939 wurden schließlich „Lebensmittelkarten“ eingeführt. „Lebensmittelmarken“, „Bezugscheine“, die Fristen für bestimmte „Zuteilungen“ sowie „Abgabemengen“ waren im Alltagsgespräch unvermeidliche Themen. Dahinter standen ein immer komplizierter werdendes Verteilungssystem und eine entsprechend ausdifferenzierte Terminologie. So gab es etwa Karten für „werdende / stillende Mütter“ oder für „Schwerstarbeiter“ sowie „Reisemarken“ oder „Rauchermarken“. Die „Rauchermarken“ übernahmen teilweise die Funktion einer Nebenwährung. Wer als Kunde – aus welchen Gründen auch immer – bevorzugt behandelt wurde , konnte „U.T.“-Waren erstehen , das hieß Produkte , die heimlich , „unter ( der ) Theke“, gehandelt wurden. Der Terminus „U.T.“-Waren wurde in den frühen Nachkriegsjahren mit ihrer Mangelwirtschaft weiterverwendet. Eine
Planwirtschaft als Mangelverwaltung |
Variante war „Bückware“, die in den Westzonen bis 1948 , in der SBZ / DDR bis 1989 verwendet wurde , aber möglicherweise auch ihren Vorlauf vor 1945 hatte. „Schwarzhandel / Schwarzmarkt“, „Schwarzschlachten“ oder „Schwarzbrennen“ sind keineswegs erst nach Kriegsende aufgekommen. Als die Versorgungslage immer prekärer wurde , war man vielfach froh , wenn man nach langem „Anstehen“ vor einer Bäckerei wenigstens ein „Kommißbrot“1 , ein primär für die Wehrmachtsverpflegung entwickeltes Vollkornbrot ergattern konnte. Die Politik des Regimes vor der Ausbeutung eroberter Gebiete , die Wirtschaft so „autark“ wie möglich zu machen , förderte auch die Entwicklung und Verbreitung von Ersatz für knappe Rohstoffe. Das häufig beschworene Ziel wirtschaftlicher „Autarkie“ als vollständige Unabhängigkeit von fremden Quellen blieb in vielerlei Hinsicht ein bloßes Schlagwort. Beispielsweise wäre die deutsche Rüstungsindustrie während des Krieges ohne die Stahllieferungen aus dem neutralen Schweden sehr schnell an ihre Grenzen gelangt. Um Benzin zu sparen , wurde für Autos Kraftstoff vielfach aus „Holzvergasern“ gewonnen , die in Form klobiger tonnenförmiger Eisenöfen auf den Fahrzeugen , während des Krieges sogar auf größeren PKWs , montiert waren. Diese Energiequelle war bereits 1925 entwickelt worden. Um im Haushalt Energie zu sparen , kam ein Hilfsmittel zu neuen Ehren , das bereits im Zuge der „Lebensreform“-Bewegung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erfunden worden war : die „Kochkiste“, ein mit Textilien und Papier isolierter Behälter , in den angekochte Speisen , vor allem Kartoffeln und Gemüse , zum Garwerden gestellt wurden. Zur Einsparung von Batterien für Taschenlampen – unentbehrlich in abgedunkelten Häusern – wurden neben „Karbid-Leuchten“ auch „DynamoTaschenlampen“ verwendet. Die heute zivil „Teelichte( r )“ genannten kleinen Kerzen , die bei fehlender Elektrizität eingesetzt wurden , firmierten bis über das Kriegsende hinaus unter der Bezeichnung „Hindenburg-Lichter“. Ihr Name , dem damaligen Oberbefehlshaber Paul v. Hindenburg gewidmet , war in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs aufgekommen. Der während des Krieges wachsende Zwang , Energie zu sparen , schlug sich in einer Kamp agne gegen die Verschwendung der Hauptenergiequelle , der Kohle , nieder , in deren Mittelpunkt die Symbolfigur „Kohlenklau“ stand : ein schwarzer Mann mit Schlägermütze und einem Sack auf dem Rücken , in dem er offensichtlich gestohlene Kohlen davonschleppt. Diese Figur wurde auf unzähligen Plakaten und in Zeitungen verbreitet. Der entsprechende Slogan lautete : „Der Kohlenklau geht um“. Sogar auf Löschblättern für Schüler wurde zum „Kampf gegen Kohlenklau“ aufgerufen.
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Ein häufig benutzter Kunststoff war das „Bakelit“2 , das lange Zeit der alltagssprachliche Gattungsname für Kunststoffe war. Die Gehäuse der Volksempfänger , aber auch Brotdosen wurden aus Bakelit hergestellt. In den Dreißigerjahren beginnt auch der bis heute ungebrochene Siegeszug der deutschen Lebensmittelchemie , die zahlreiche „Ersatzstoffe“, etwa „Aromaersatz“, entwickelte. Den Herrschenden wäre es allerdings lieber gewesen , wenn sich in der Bevölkerung die per Presseanweisung empfohlenen Euphemismen „neue Wertstoffe“ oder „Heimstoffe“ durchgesetzt hätten. „Kaffee-Ersatz“ und „Kunsthonig“ traten an die Stelle kaum noch verfügbarer Originalprodukte. Am Kriegsende wurde sogar zu „Ersatzlebensmitteln“ wie Klee und Bucheckern geraten. Oft konnte man nur durch das „Strecken“ von Speisen mit weniger wertvollen Zutaten die benötigten Mengen erzielen. Der heute noch in der Werbung , nun aber für freiwillig hungernde , diätbewusste Kunden beliebte Terminus „entrahmte Frischmilch“ für eine „Vollmilch“, der die Fettsubstanz entzogen war , wurde alltagssprachlich nie benutzt. Stattdessen sprach man stets wahrheitsgemäß von „Magermilch“. Umgekehrt wurden die raren echten Lebensmittel mit einem geradezu überhöhenden Namen belegt. Etwa in Abgrenzung zum Ersatzkaffee , dem „Muckefuck“, sagte man „Bohnen-Kaffee“ oder „gute Butter“ zur Unterscheidung von Margarine. Apfelsinen und Zitronen gab es bestenfalls in „Sonderzuteilungen“. Der alte Terminus „Kolonialwaren“ wurde zum Archaismus. Um in der Zuteilung von Produkten flexibel zu bleiben , fasste man auf Lebensmittelkarten verschiedene Waren mit fachsprachlichen Gruppentermini zusammen , etwa als „Nährmittel“ unter anderem für Graupen und Gries , als „Wirkstoffe“ für Textilien oder als „Brennstoffe“ für Kohlen , Briketts oder Koks. Gekauft werden konnte aus diesen Warengruppen jeweils nur das , was gerade zur Verfügung stand. Bereits ab 1933 sollte in den Monaten Oktober bis März an je einem Sonntag , dem sogenannten Eintopfsonntag , nur ein einfaches Essen , ein „Eintopf“, gegessen werden , um Gelder zugunsten des „Winterhilfswerks“ einzusparen. Ab 1942 gab es in Restaurants ein der Frontverpflegung nachempfundenes karges Speisenangebot , das „Feldküchenessen“, womit die „Verbundenheit der Heimatfront“ mit der kämpfenden Truppe gestärkt werden sollte. Schmalhans wurde allmählich aber auch allgemein Küchenmeister , wovon die zahlreichen „Kriegsrezepte“ zeugen , die der Hausfrau Möglichkeiten aufzeigen sollten , auch mit geringen Mitteln noch Schmackhaftes , beispielsweise eine „Griestorte“, zuzubereiten. Die Frau wurde nun endgültig zum „Kameraden“, etwa in einer Propagandaanzeige von 1942 , die eine Fabrikarbeiterin mit Hakenkreuz-Abzeichen unter der Parole „Spar Strom Kamerad“ zeigt. Am unteren Ende folgt der
Zerstörung der urbanen Kultur |
Aufruf „Alle Energie für den Endsieg“. Die generelle Parole lautete ohnehin : „Eisern sparen !“ Sie wurde freilich nicht selten mit der Verheißung verbunden , dass „nach dem Sieg“ wieder alles in Fülle zu haben sei. Die Parole „Kampf dem Verderb !“ wurde auch alltagssprachlich sprichwörtlich. Die Zahl der Sparaufrufe , auch „Sparwinke“ in Zeitungen und Rundfunk , war Legion.3 Seife zu sparen , mit Hautschutzmitteln , etwa „Nivea“, sparsam umzugehen , sparsamer zu heizen , den Gas- und Stromverbrauch zu drosseln , Regenwasser beim Wäschewaschen zu nutzen , waren die Gebote der Stunde. Zum Ausgleich des „Brennstoff“-Mangels wurden zuletzt ganze Parks abgeholzt. Zwecks Nahrungsergänzung , zum Anbau von Kartoffeln und Gemüse , wurde jedes verfügbare Fleckchen Erde in Kleinstgärten umgewandelt. Selbst auf engsten Balkonen wurden zur privaten Fleischversorgung vielfach Kaninchen gehalten. Kleidungsstücke mussten selbstverständlich länger als gewöhnlich halten. Mit „Spinnstoffsammlungen“ versuchte das Regime die Versorgungslücken bei Textilien notdürftig zu schließen. Offiziell wie privat wurde dringend die Wiederaufarbeitung schon abgetragener Kleidung unter der Devise „Aus alt mach neu !“ empfohlen. Dazu gehörte auch das „Wenden“ von Mänteln , Jacken und Röcken , deren Außenseite unansehnlich geworden war , sowie das „Umfärben“ älterer Kleidungsstücke. Seidenstrümpfe , eine absolute Rarität , imitierte man durch Bemalen der Beine mit speziellen Cremes. „Laufmaschen“ bereiteten den Frauen , die noch echte Seidenstrümpfe besaßen , peinliche Situationen. „Laufmaschenreparatur“ entwickelte sich darum zu einem bescheidenen neuen Erwerbszweig.
„Mauern brechen – unsere Herzen nicht !“ – Die Zerstörung der urbanen Kultur
Mit Kriegsbeginn veränderte sich das Bild der Städte grundlegend , und zwar nicht erst infolge der immer stärkeren Bombardierungen. Straßenbeleuchtungen gehörten der Vergangenheit an. Zwar war man schon lange vorher auf die „Verdunkelung“ der Häuser eingestellt worden. Nun aber blieb es nach Einbruch der Dunkelheit allerorten und ununterbrochen finster. Autoscheinwerfer wurden bis auf einen Schlitz abgedeckt. Fußgänger trugen Plaketten mit fluoreszierenden Farben. Bis in die Unterhaltungsmusik der Zeit spielte die Sehnsucht nach Licht eine Rolle , wenn wie in einem Schlager von Edmund Kötscher 1942 die Hoffnung besungen wurde , dass „die Lichter wieder scheinen“ und Liebende wieder „einen Bummel durch die hellen Straßen“ machen können.
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Außer der Einrichtung von „Luftschutzräumen“ in Hauskellern wurden in aller Eile „Luftschutzbunker“, klotzige Bauten mit meterdicken Betonwänden , errichtet. Um die größeren Städte herum und auf exponierten Bauten in den Städten wurden „Fliegerabwehrkanonen“ ( F lak ) aufgestellt. Bei alliierten Nachtangriffen tasteten Scheinwerfer den Himmel ab. Zum provisorischen Schutz bei Tagesangriffen wurden „Deckungs-“ und „Splittergräben“ ausgehoben. Kellerfenster wurden mit Sandsäcken gegen Bombensplitter gesichert. Auf öffentlichen Plätzen wurden zusätzliche „Löschteiche“ angelegt. Als aus vereinzelten „Trümmerhäusern“ ganze „Trümmerfelder“ und „Trümmerlandschaften“ wurden und sich das Wort „Katastrophe“ ausbreitete , versuchte die NS-Führung , wie schon früher bemerkt , stattdessen das Wort „Großnotstand“ durchzusetzen , was aber nur im Behördenverkehr beachtet wurde. Außer der Brandbekämpfung und Bergung von Toten durch die Feuerwehr wurden für Aufräumungsarbeiten auch Zwangsarbeiter , Häftlinge und sogar Hitlerjungen eingesetzt. Für die meisten Beobachter völlig neu war dabei der Anblick von Menschen in Sträflingskleidung , die selbstverständlich unter scharfer Bewachung standen. Auf Häuserresten wurden mit Kreide oder Farbe private Mitteilungen angebracht , die darüber informierten , dass vormalige Bewohner noch lebten , etwa „Frau Müller lebt“, oder wo sie nun zu finden seien , beispielsweise „Fam. Schneider jetzt Hermannstr. Nr. x“. Übereifrige NS-Parteigänger konnten selbst Mauerreste ohne jede Ironie auch noch mit Parolen verzieren , etwa „Adolf Hitler ist der erste Arbeiter Deutschlands“ oder hoch pathetisch „Mauern brechen – unsere Herzen nicht !“. Menschen , die sich nach einem größeren Luftangriff , einem „Großangriff“, aus den Trümmern befreien konnten , haben vielfach bekundet , sie hätten angesichts der Verheerungen ringsum zunächst nicht mehr gewusst , wo sie sich befänden. Doch auch in dieser Situation versuchte das Regime , der immer aussichtsloseren Lage durch Sprachregelungen einen Anschein von Normalität zu verleihen. Auf die unsinnige Erklärung von bereits eingekesselten Städten zu „Festungen“ ist schon hingewiesen worden. Regionen , die bereits teilweise vom Gegner eingenommen waren , wurden als „Frontgaue“ deklariert. Aus „Gauleitern“ wurden „Reichsverteidigungskommissare“. Noch nicht eingenommene Städte wurden „frontnahe Orte“ oder „Frontstädte“ genannt , eine eigentlich absurde Umkehrung der Perspektive : Die Orte rückten an die Front ! „Frontstadt“ wurden zuletzt sogar Städte , die tief im Landesinneren lagen , etwa Frankfurt am Main.4
Wandel des „Heimat“-Begriffs |
„Heimat“ – „Heimatfront“ – „Heimatkriegsgebiet“
Die Einberufung der Männer zur Wehrmacht bedeutete im Leben der Familien jeweils einen tiefen Einschnitt , insbesondere nach Kriegsbeginn , als man sich auf eine Trennung von unbestimmter Dauer einstellen musste. Die Kürzel für die Diensttauglichkeitsgrade der Wehrmacht spielten auch in der Alltagssprache eine bedeutende Rolle. Einberufen wurde zunächst nur , wer „k.v.“, also „kriegsdienstverwendungsfähig“ war. Glücklich war , wem bescheinigt wurde , dass er entweder „d.u.“, „dienstuntauglich“ oder aufgrund seiner beruflichen Kompetenzen „u.k.“, „unabkömmlich“ sei – eine Vorzugsstellung , die gegen Kriegsende allerdings immer seltener wurde. Von diesen Kategorisierungen hing oft die Entscheidung über Leben und Tod ab. Aus Geheimhaltungsgründen waren selbst Verwandte und Freunde nie genau darüber informiert , wo sich ein Soldat aufhielt. Die allgemeinste Auskunft war : „an der Front“, schon genauer war , wenn es hieß : „im Westen“ oder „an der Ostfront“. Relativ genau war es , wenn man wusste , dass jemand „in Norwegen“, „im Kaukasus“ oder „in Afrika“ Dienst tat. Die Kontakte wurden mittels „Feldpost“ , „Feldpostbriefen“ und „Feldpostpäckchen“ über eigens eingerichtete „Feldpostbriefstellen“ – natürlich mit verschlüsselten Daten , den „Feldpostnummern“ – aufrechterhalten. Briefe in die Heimat trugen neben dem Datum meist die nichtssagene Ortsangabe „Im Felde“. Insgesamt wurden bis 1945 vierzig Milliarden Feldpostsendungen befördert , dreißig Milliarden an die Fronten , zehn Milliarden in die Heimat.5 Vor dem Angriff auf die Sowjetunion gab es eine „Feldpostsperre“. Nicht selten trafen Feldpostbriefe in Deutschland erst ein , wenn der Absender bereits offiziell als „gefallen“ oder „vermisst“ gemeldet war. Nach dem Tod des Adressaten an der Front nicht mehr zustellbare Feldpostsendungen wurden mit dem Vermerk „gefallen für Großdeutschland“ zurückgeschickt. Der Versuch , eine Ehe oder Partnerschaft unbeschadet aufrechtzuerhalten , bedeutete jeweils eine große emotionale Leistung von beiden Seiten. Väter wurden ihren Kindern fremd , oft waren die Kinder sogar erst nach dem letzten Urlaub des Vaters geboren worden. Aus ehrlicher Zuneigung und / oder aus Versorgungsrücksichten konnten Ehen in Abwesenheit des Partners standesamtlich auch durch „Ferntrauungen“ geschlossen werden. In begründeten Ausnahmefällen wurden sogar nachträgliche Eheschließungen mit schon gefallenen Soldaten erlaubt.6 Das Wort „Urlaub“ hatte noch einen gänzlich anderen Klang als heute. Einer der beliebtesten Schlager der Kriegsjahre war denn auch „Wovon kann der
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Landser denn schon träumen ?“, mit der Fortsetzung „Er träumt von seiner Urlaubszeit“. Die Komposita „Fronturlaub“ und „Heimaturlaub“ waren Synonyme mit unterschiedlicher Perspektive. Außerordentliche Urlaube wurden bei den immer schwierigeren Verhältnissen an den Fronten selbst bei wichtigen Familienereignissen wie dem Tod von Angehörigen immer seltener gewährt. Eine Ausnahme spielte der „Heiratsurlaub“, wenn ein Soldat in der Heimat heiraten wollte. Die damit verbundene Hoffnung auf Nachwuchs lag schließlich im Interesse des Regimes. Dieser Grund für einen Urlaubsantrag machte „Heiratsurlaub“ geradezu zum Zauberwort. Ein weiteres Kompositum war der „Genesungsurlaub“ nach einer heilbaren Verletzung , wonach ein neuer Kriegseinsatz üblich war. Die Lazarette boten dann – sofern sie auf Reichsboden standen – eine Begegnungsmöglichkeit für die sonst zerrissenen Familien. Die dauerhaft „Kriegsversehrten“ wurden nach Möglichkeit zu Einsätzen in der Heimat abkommandiert. Über das Kriegsgeschehen wurde die Bevölkerung durch den täglich in den Mittagsnachrichten übermittelten Wehrmachtbericht mit dem einleitenden Satz „Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt“ informiert. Je schlechter die Lage wurde , umso mehr wurde beschönigt. Mit dem Näherrücken der Fronten wurde die Formel von der „deutschen Volksgemeinschaft“ mehr und mehr zur Doppelformel „deutsche Volks- und Notgemeinschaft“ erweitert. Mit der Fachsprache des Militärs waren auch die Zivilisten bestens vertraut. Dafür sorgten schon die Wehrmachtberichte , die Wochenschauen und Erzählungen von Soldaten auf Urlaub , durch die auch der spätestens seit dem Ersten Weltkrieg benutzte Landserjargon in die Alltagssprache eindrang. Schulpflichtige waren überdies im Rahmen des schulischen Sportunterrichts und in der HJ der „Wehrerziehung“ und „Wehrertüchtigung“ unterworfen und kamen bald auch als „Flakhelfer“ mit der Fachterminologie des Militärs in unmittelbaren Kontakt. Institutionen und Sachverhalte wie „Oberkommando der Wehrmacht“ ( OKW ) oder „Hauptkampflinie“ ( Hkl ) , ebenfalls die Namen für die verschiedenen Waffengattungen , Truppenteile und Dienstgrade , Termini für das eigene Kriegsgerät wie das der Gegner wurden auch im Alltag benutzt. Bei Kindern sorgte schon eine Fülle von Kriegsspielzeug und Kriegsspielen , die beliebte Geschenke zu Geburtstagen und zu Weihnachten waren , für sehr genaue Kenntnisse militärischer Gegenstände. Nicht selten wurden alltagssprachlich auch fachspezifische Abkürzungen benutzt , so etwa „Kaleu“ für Kapitänleutnant , „UvD“ für Unteroffizier vom Dienst , „lMg / sMg“ für leichtes / schweres Maschinengewehr , „Stuka“ für Sturzkampfbomber oder „Flak“ und „Pak“ für Flieger- / Panzerabwehrkanone.
Wandel des „Heimat“-Begriffs |
Scherzhaft wurden die Militärgeistlichen „eSak“ und „kSak“ genannt : „evangelische“ bzw. „katholische Sündenabwehrkanone“. Die generelle Abkürzungsmanie des Regimes , die sich schon in den Kürzeln für die Partei und ihre Gliederungen niedergeschlagen hatte , war das Kennzeichen eines bürokratisch durchorganisierten Systems. Sie wurde allerdings – natürlich nur insgeheim – auch ironisiert. So wurde etwa das dem Generalfeldmarschall Keitel zugeschriebene Wort , Hitler sei der „größte Feldherr aller Zeiten“, auf das Kurzwort „Gröfaz“ reduziert. Victor Klemperer7 kürzte nach dem Krieg in Anspielung auf die hohe Frequenz von NS-Kürzeln den Titel seiner Sprachkritik zu „LTI “ für das lateinische „Lingua Tertii Imperii“, die „Sprache des Dritten Reiches“. Die zunächst eher theoretische Kenntnis der militärischen Fachterminologie wurde in der Endphase des Krieges , in der unmittelbaren Konfrontation mit der Kriegswirklichkeit von leidvollen Erfahrungen abgelöst. Jugendliche wurden an der Front als „Melder“ eingesetzt und wurden sogar dem „Nahkampf“ ausgesetzt. Die tragbare Panzerbekämpfungswaffe namens „Panzerfaust“ etwa wurde zuletzt vielen Nichtwehrpflichtigen , Sechzehnjährigen wie alten Männern , auch Frauen , in die Hand gedrückt. Mit dem Zurückweichen der Wehrmacht auf deutschen Boden wurde die Zivilbevölkerung immer öfter auch mit der Polizeieinheit der Wehrmacht , der „Feldgendarmerie“, bekannt , die nicht nur wegen des an einer Halskette befestigten Brustschilds „Kettenhunde“ genannt wurden. Sie jagten gnadenlos jeden , der als Deserteur verdächtig erschien , nicht selten sogar Minderjährige. Die Verleihung von „Ritterkreuzen“ als Belohnung von besonders tapferem Verhalten erfolgte indes mit dem Niedergang der militärischen Macht des Reiches so inflationär , dass immer mehr Familien einen „Ritterkreuzträger“ in ihren Reihen wussten. Schon mit der wachsenden Bedrohung deutscher Städte und Regionen durch den Luftkrieg , der offiziell „alliierter Bombenterror“ genannt wurde , nahm die Unterscheidbarkeit von Heimat und Front ab. Und so wurde der zunächst nur propagandistisch-kämpferische Terminus von der „Heimatfront“ oder der schon ab 1942 in Führer-Erlassen gebrauchte Begriff „Heimatkriegsgebiet“ blutiger Ernst. Bereits 1941 inserierte „Mercedes“ zur Hebung der Arbeitsmoral mit einem Bild zweier kämpfender Soldaten den folgenden Text : „Auch bei ‚dicker Luft‘ wird sich der Soldat nicht ‚drücken‘ , – und er will es auch nicht , weil er weiß , daß es auf jeden einzelnen ankommt. Das gilt auch für die Heimatfront. Sei Deiner Kameraden draußen würdig , – fehle niemals ohne berechtigten Grund.“8
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Unabhängig von der Verengung auf „Heimatfront“ erfuhr der Begriff „Heimat“ während des Krieges und durch den Krieg eine heute kaum noch vorstellbare Steigerung seines Gefühlswerts. Zum einen wurde die Heimat für Millionen Soldaten zum weit entfernten , aber umso sehnsüchtiger angestrebten Ort der Geborgenheit bei Verwandten und Freunden. Ein sehr beliebter Schlager war denn auch „Heimat , deine Sterne.“ Zum anderen wurde Millionen Zivilisten der Wert von Heimat in dem Moment bewusst , da sie die angestammten Wohnsitze als Flüchtlinge oder als „Heimatvertriebene“ verlassen mussten. Die Flucht- und Vertreibungsfolgen , aber schon die massenhaften Evakuierungen sorgten , wie schon angedeutet , für eine kulturelle und insbesondere sprachliche Durchmischung der deutschen Stämme mit Langzeitwirkungen auf deren brauchtümliche und sprachliche , zumal dialektale Traditionen. „Tapfere kleine Soldatenfrau“ – Der Kriegseinsatz von Frauen
Als der Krieg durch den Überfall auf Polen am 1. September 1939 ausgelöst worden war , wurde auch der letzte Rest an zivilem Leben militärischen Notwendigkeiten unterworfen. Die Einberufung der Männer zum Kriegsdienst hatte einen extremen Mangel an männlichen Arbeitskräften zur Folge. Die entstehenden Lücken im Arbeitsleben wurden von Zwangsarbeitern , diese bis 1945 mit insgesamt 13,5 Millionen , von Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen ausgefüllt. Aber auch zahlreiche Frauen wurden zur Arbeit , sogar in der Schwerindustrie wie in Rüstungsbetrieben , „kriegsdienstverpflichtet“. Schon damals war ihre Entlohnung bei gleicher Leistung geringer als die von Männern. Der starke , bis zum Kriegsende noch wachsende Anteil an weiblichen Arbeitskräften führte zu einer frühen , allerdings unfreiwilligen Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern durch Sprache : Viele Berufsbezeichnungen wurden weit über traditionelle Bezeichnungen wie „Hausgehilfin“, „Schneiderin“ oder „Sekretärin“ hinaus „moviert“. Das heißt : sie erhielten das weibliche Suffix „-in“, etwa bei „Bahnhofsvorsteherin“, „Kontoristin“ oder „Straßenbahnschaffnerin“. Besonders die letztgenannte berufliche Kategorie war im Alltagsbild der Städte außerordentlich präsent. Es wurde ihr sogar ein eigener Schlager gewidmet : „Süße kleine Schaffnerin“. Die vom Militärischen abgeleitete Bezeichnung des Berufskollegen als „Arbeitskamerad“ wurde auch auf die Frauen übertragen. Sogar im außerberuflich Privaten setzte sich die Anerkennung zollende Benennung einer Frau , auch und gerade der Ehepartnerin , als „Kamerad / in“ oder
Der Kriegseinsatz von Frauen |
„Lebenskamerad / in“ durch. Ein auch noch nach dem Krieg beliebter Schlager , im Original von Hertha Feiler und Heinz Rühmann gesungen , zeugt davon : „Mir geht’s gut , ich bin froh , und ich sag’ dir auch wieso : weil du mich gut verstehst und mit Rat und mit Tat als mein guter Kamerad mit mir durchs Leben gehst.“
Tatsächlich hatte die Frau im Krieg „ihren ganzen Mann zu stehen“, schon früh als „Blitzmädel“ oder im Reichsarbeitsdienst als „Arbeitsmaid“. Viele durchaus gefährliche Aufgaben etwa als „Wehrmacht-“, „Nachrichten-“ oder „Luftschutzhelferin“, zuletzt sogar noch im Volkssturm hatte sie zu erfüllen und oft zusätzlich zu ihrer schon traditionellen Doppelrolle in Familie und Beruf zu bewältigen. Der Mutterkult mit Verleihung von „Mutterkreuzen“ wurde zwar bis zum Ende aufrechterhalten , war aber de facto nur noch ein Zierrat zur Ausbeutung von Frauen in der Kriegswirtschaft und in der Sicherung von Überlebensmöglichkeiten. Über die seelischen und sexuellen Nöte von Frauen , deren Männer über lange Zeiträume an der Front waren , sollte indes ein im Rundfunk immer wieder gesungenes Lied hinweghelfen , das aus der Sicht des fernen Landsers das Glück der Ehe und unüberhörbar auch die bedrohte eheliche Treue beschwor : „Tapfere kleine Soldatenfrau“. Das Lied war von einem Carl Sträßer gleichsam als lyrische Kriegsvorbereitung gedichtet und komponiert worden. Sein Refrain lautete : „Tapfere kleine Soldatenfrau , Warte nur , bald kehren wir zurück. Tapfere kleine Soldatenfrau , Du bist ja mein ganzes Glück. Tapfere kleine Soldatenfrau , Ich weiß , wie so treu du denkst an mich. Und so soll es immer sein. Und so denk ich ja auch dein. Und aus dem Felde von Herzen grüße ich dich.“
Eine extrem verfemte Gruppe von Frauen , deren Schicksal bis in die jüngste Zeit verdrängt worden ist , waren dagegen diejenigen , die sich unter Missachtung
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der NS-Rassengesetze mit „nichtarischen“ Zwangsarbeitern eingelassen hatten und denunziert worden waren. Sie wurden öffentlich gedemütigt , indem sie unter Polizeibegleitung durch die Straßen geführt wurden , wobei sie ein großes Schild vor sich hertragen mussten , auf dem zu lesen war : „Ich bin aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen“. Sie wurden von der Menge als „Polenhure“ oder als „Serbi“ beschimpft , erhielten Haftstrafen oder wurden in KZs eingeliefert.9 „In stolzer Trauer“ – Bombenkrieg und Kriegsmoral
Der Tageslauf wurde ab 1942 / 43 immer stärker vom Luftkrieg diktiert. Zunächst flogen die Alliierten nur nachts Angriffe , ab 1944 regelmäßig auch tagsüber. Eine damit einhergehende neue Tageszeiteinteilung musste sich nach den Rundfunkwarnungen vor „anfliegenden feindlichen Bomberverbänden im Großraum x“ und den danach durch Sirenensignale markierten Alarmstufen richten. In der bis 1943 noch berechenbaren Zeitspanne zwischen „Vor-“ und „Vollalarm“ zog man sich hastig an , ergriff das vorbereitete Handgepäck und suchte den „Luftschutzkeller“ oder einen in der Nähe gelegenen „Luftschutzbunker“ auf. Dort hörte man das Dröhnen der Bomber , das Bellen der Flak , anfangs auch noch das spezifische Geräusch eigener Jagdflugzeuge. Sehr bald wusste man die Treffer einfacher Bomben von den alles erschütternden Einschlägen der „Luftminen“ zu unterscheiden. Eine bis heute nachwirkende Gefahr stellten die zahlreichen „Blindgänger“ dar. „Stabbrandbomben“, die sich noch nicht ganz durch einen Dachboden gefressen hatten , mussten vom „Luftschutzwart“ und seinen Helferinnen gelöscht werden. Zur Zielmarkierung setzten die alliierten Bomberverbände nachts langsam niederschwebende Leuchtkörper ein , die alltagssprachlich „Christbäume“ genannt wurden. Die ab 1943 in Massen abgeworfenen Stanniolstreifen , die den Einsatz von Radar zur Ortung alliierter Bombenflugzeuge stören sollten , nannte man gemeinhin „Lametta“. Als die deutsche „Luftabwehr“ mehr oder weniger wirkungslos geworden war und die Alliierten ihre Startplätze an die deutschen Grenzen und darüber hinaus vorverlegen konnten , war man auch in den von Bombenangriffen freien Zeitspannen vor Attacken aus der Luft nicht mehr sicher. Es war ständig mit „Tieffliegern“ zu rechnen , die mit ihren Bordwaffen jedes nur denkbare Ziel angreifen konnten. Darunter hatten ab Herbst 1944 insbesondere die Flüchtlingstrecks , die ungeschützt über die Straßen ziehen mussten , schwer zu leiden. Heute absurd erscheinend , aber alltagsrealistisch
Bombenkrieg und Kriegsmoral |
waren Wochenschau-Berichte über das Leben in unterirdischen Gemäuern , in denen von der Bürgermeisterei bis zur Krankenversorgung alles angeblich seinen gewohnten Gang ging. Wer die Schutzräume nach einem Angriff lebend verlassen konnte oder nicht zu den „Verschütteten“ in einem eingestürzten Haus zählte , war entweder noch einmal davongekommen oder war nach Verlust von Hausrat oder gar der ganzen Wohnung „bombengeschädigt“ oder „ausgebombt“ und hatte einen Anspruch auf Entschädigung. Diejenigen Bewohner , die nur nachts aus der Stadt in die nähere Umgebung flüchteten , wurden – so in Frankfurt am Main – „Fernschläfer“ genannt. Vorsorglich entfernte man aber auch viele Tausende , vor allem Kinder und ältere Menschen , aus besonders „bombengefährdeten“ Orten und Regionen und brachte sie in – vorläufig – sichereren Gegenden als „Bombenevakuierte“ unter. So schuf der von Hitler und Goebbels angezettelte totale Krieg geradezu eine neue soziale Ordnung , die sich nach dem Grad der Lebenseinschränkungen und Beschädigungen richtete. Das Alltagsleben nach Kriegsbeginn wurde aber nicht zuletzt durch die immer stärker wachsende Zahl der Kriegstoten , traditionell „Gefallene“ genannt , und der Vermissten an den Fronten geprägt. Da es zu jener Zeit noch üblich war , den Tod von Angehörigen durch Trauerkleidung , mindestens aber durch eine schwarze Armbinde öffentlich zu dokumentieren , bedurfte es eigentlich gar nicht der meist genormten „Gefallenenanzeigen“ in den Zeitungen , um zumindest im Kreis der Nachbarn , Freunde und Bekannten Beileidsbekundungen auszulösen. In diesen Anzeigen hieß es meist , N.N. habe „für Führer , Volk und Vaterland“ sein Leben verloren. Besonders fanatische NS-Anhänger indes bekundeten in Anzeigen – gegen Ende des Krieges aber immer seltener – , dass sie „in stolzer Trauer“ seien. Der Tod , ob an der Front oder im Bombenkrieg , war Alltagsthema. Frauen wurden zu „Kriegerwitwen“ mit jenem noch aus dem 19. Jahrhundert stammenden Archaismus „Krieger“ als Bestimmungswort , Kinder wurden zu „Kriegswaisen“. Die Zerstörung der Städte durch Bombenangriffe veränderte das Leben von Millionen. Ruinen und Trümmer waren auch sprachlich allgegenwärtig. „Notquartiere“ entstanden in ausgebauten Kellern unter zertrümmerten Häusern , und in oft an der Peripherie der Städte kostengünstig errichteten „Siedlerheimen“. Ihre sparsamste Ausstattung , etwa mit „Siedlerherden“, trat mehr und mehr an die Stelle der anfangs noch großzügig erstatteten Entschädigungen , die aus beschlagnahmtem Gut , vor allem aus enteignetem Besitz ausgewanderter oder deportierter Juden , stammten. Zerborstene Fensterscheiben konnten
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oft nicht mehr mit Glas repariert werden , sondern wurden durch transparente Kunststofffolien ersetzt. Bereits die Requirierung von Privatautos fürs Militär und die vorrangige Nutzung der Eisenbahn für Militärtransporte hatten allgemeine Verkehrsbeschränkungen zur Folge. Mehr und mehr aber mussten wegen der Zerstörungen der Schienenstränge und des rollenden Materials zusätzliche Unannehmlichkeiten in Kauf genommen werden. Aufschriften auf Lokomotivtendern und Waggons wie die schon erwähnte Parole „Räder müssen rollen für den Sieg“ oder die bereits 1943 in Taschenfahrpläne eingedruckte Parole „Erst siegen – dann reisen“ machten jedermann klar , dass Bahnreisen nur noch aus wichtigem Grund erlaubt seien. Beschädigte Abteilfenster in Eisenbahnwaggons wurden oft nur noch mit Holzplatten zugenagelt , in denen man freilich ein postkartengroßes verglastes Guckloch freiließ , das mit der Umschreibung „Großdeutschlandfenster“ ironisiert wurde. Trotzdem oder gerade deswegen wurde alles getan , alte Lebensgewohnheiten aufrechtzuerhalten , nicht zuletzt die Feiertage wie in „Friedenszeiten“ zu begehen , wie man verklärend die scheinbar unkriegerische Phase bis 1939 nannte. Die sehr eingeschränkten Möglichkeiten für Weihnachtsgeschenke wurden durch den auch im Alltag präsenten Terminus „Kriegsweihnacht( en )“ sprachlich gemildert. Selbst der Winter mit seinen besonderen Versorgungsengpässen erhielt durch das Kompositum „Kriegswinter“ sprachlich eine gewisse Normalität. Auch im bescheidenen Rahmen sollte das Leben wie gewohnt weitergehen , wie es sogar noch die letzten Wochenschauen in den bald darauf geschlossenen Kinos nahelegten : Man zeigte etwa „Kriegsversehrte“, die mit einem Bein Ski fuhren. Aus dem schon ausgebombten Berliner Sportpalast wurde eine Eiskunstrevue vor einem in Decken gehüllten Publikum gezeigt. Ein Filmbericht über einen Zoobesuch enthielt freilich auch den warnenden Hinweis , dass bei „Luftgefahr“ sofort die Schutzräume aufzusuchen seien. Tatsächlich gelang es der NS-Führung , bei einem Großteil der Bevölkerung bis zuletzt eine heute kaum noch nachvollziehbare Opferbereitschaft zu begründen , die von der Hoffnung auf einen „Endsieg“ getragen wurde , obwohl oder gerade weil es in einer der letzten Parolen hieß : „Siegen oder Sibirien“. Jedenfalls misslang der Versuch der Kriegsgegner , die Deutschen durch die massive Zerstörung der Städte und der Versorgungseinrichtungen zu demoralisieren und zu einem wirksamen Widerstand gegen das Regime zu bewegen. Im Gegenteil : Gerade die Leiden im Bombenkrieg stärkten sogar noch die Kriegsmoral , ein Phänomen , das auch bei der englischen Zivilbevölkerung , die unter deutschen Luftangriffen zu leiden hatte , nachzuweisen war.10
Anmerkungen |
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Diese Bezeichnung ist bereits im 18. Jahrhundert gängig. Nach dem belgisch-amerikanischen Chemiker Leo Hendrik Baekeland benannt. Eine reiche Fundgrube ist der Anzeigenteil der Zeitschrift „Das deutsche Mädel“. Vgl. die Plakatwiedergabe in : Dollinger ( 1989 ) : 227. Surminski , Arno ( 32004 ) : Vaterland ohne Väter. Berlin : 101. Moll ( 1997 ) : Nr. 116. Klemperer ( 1969 ). In : Deutsche Werbewirtschaft : Marktordnung in der Werbewirtschaft. 1941 : 152. Fehse , Erika : „Für eine Liebe so bestraft …“. WDR-Fernsehdokumentation 13. 10. 2010. Süß ( 2011 ) ; Kershaw ( 2011 ).
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17 | DIE SPRACHEN EINES „ANDEREN DEUTSCHLAND“ – SPRACHGEBRAUCH IM DEUTSCHEN WIDERSTAND „Gebt dem Kaiser , was des Kaisers ist“ – Widerstand in den Kirchen | 346 | „Wir verwerfen die falsche Lehre“ – Widerständiges in der evangelischen Kirche | 349 | „Wehe unserem deutschen Volke !“ – Widerständiges in der katholischen Kirche | 354 | „Sturz Hitlers und des Finanzkapitals“ – Kommunistischer Widerstand als Klassenkampf | 358 | „Tod den Kriegsverbrechern !“ – Kommunistischer Widerstand im deutschen Untergrund | 360 | „Für Volk und Vaterland !“ – Das Nationalkomitee Freies Deutschland in der UdSSR | 363 | „Freiheit und Sozialismus“ – Sozialdemokratischer Widerstand | 364 | „Größenwahn einer prahlerischen Führungskaste“ – Die Deutschland-Berichte der Exil-SPD | 365 | „Zur Rettung Deutschlands“ – Das Programm der Sozialistischen Aktion | 367 | „Dann ist es ein gerechter Staat“ – Der „Kreisauer Kreis“ als Denkfabrik der Opposition | 369 | „Das rechte Verantwortungsgefühl“ – Moltkes Plädoyer für einen Staat freier Menschen | 371 | „Widerstand – wo immer Ihr auch seid“ – Die „Weiße Rose“ in ihren Flugbättern | 373 | „Höchste Verantwortung vor dem gesamten Volke“ – Ludwig Beck und die Rolle des Militärs | 377 | „Das Ziel“ – Goerdelers Denkschrift von 1941 mit antisemitischem Generalverdacht | 379 | „Der Lüge sagen wir Kampf an“ – Eine verhinderte Regierungserklärung | 382 | „Das Attentat auf Hitler muß erfolgen“ – Stauffenbergs Attentatsversuch | 383 |
Unterm Hakenkreuz durfte es keine öffentlichen Äußerungen geben , die mit dem Meinungsdiktat des Regimes nicht in Einklang standen. Was davon in privaten Äußerungen davon abwich , konnte größtenteils erst nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur rekonstruiert und öffentlich werden , es sei denn, es wurde den Behörden durch Denunziation bekannt. Zeitgenössische regimekritische Aufzeichnungen , Tagebücher oder die ideologie- und sprachkritischen Kommentare des verfolgten jüdischen Romanisten Victor Klemperer , dessen Überleben nur dank der Courage seiner „arischen“ Ehefrau möglich war , konnten erst nach dem Kriegsende ans Licht der Öffentlichkeit treten.1 Sie mussten während der Zeit der Unterdrückung gut versteckt bleiben , wenn sie ihrem Urheber nicht gefährlich werden sollten. Auch die zahlreichen politischen Flüsterwitze und Spottgedichte , die im Volk umgingen , wurden in ihrer Gesamtheit erst nach 1945 allgemein bekannt.2 Allerdings darf keineswegs pauschal angenommen werden , dass alle diese Äußerungen dem Regime grundsätzlich feindlich gesinnt waren. Rudolph Herzog3 weist nach , dass nicht wenige Witze bestimmte NS-Repräsentanten und politische Gegebenheiten nur sehr oberflächlich ins Visier nahmen , ja manche
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sogar eher systemstützender Natur waren , weswegen bei Bekanntwerden eine Strafverfolgung entweder ganz ausblieb oder sehr milde ausfiel. Die Schärfe , mit der die Verbreitung bestimmter Witze verfolgt wurde , lässt indes darauf schließen , dass sich das Regime von ihnen sehr wohl zutiefst getroffen fühlte. Unbedingt geheim mussten die Äußerungen und erst recht ihre Urheber bleiben , die auf eine grundsätzliche Infragestellung , gar auf einen Sturz des Regimes zielten. Es sind die vielfältigen Texte von Widerstandskämpfern , die insgesamt als Vertreter eines „anderen Deutschland“ gelten müssen. Zwar sind auch die offiziellen Texte des NS-Regimes in ihren Aussagen keineswegs von inhaltlicher Einheitlichkeit geprägt. Bei kritischer Betrachtung stößt man in ihnen immer wieder auf eine Reihe von inneren Widersprüchen , die jeweils mit großem rhetorischem Aufwand überspielt wurden. Im Vergleich mit den verschiedenen Manifestationen des Widerstands erscheinen NS-Texte und ihr Sprachgebrauch jedoch weitaus homogener , schon wegen der weitgehenden Einheitlichkeit der darin verwendeten Schlüssel- und Schlagwörter. Eine solche Homogenität war von Widerstandstexten und ihrem Sprachgebrauch allein aus zwei Gründen nicht zu erwarten. Zum einen weil die theoretischen Voraussetzungen der Widerstandsgruppen und die daraus abgeleiteten programmatischen Folgerungen außerordentlich unterschiedlich , teilweise sogar gegensätzlich waren. Das Spektrum reicht von kommunistisch bis nationalkonservativ. Zum anderen gab es schon aus einsichtigen organisatorischen und technischen Gründen nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten der Kommunikation und damit einer sprachlichen Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Positionen. Dabei braucht man noch gar nicht an die technischen Beschränkungen bei der Verbreitung von Widerstandstexten , etwa die Anfertigung von Kopien per Schreibmaschine , zu denken , denen der geballte Medienapparat des Regimes gegenüberstand. Wenn gelegentlich von einem „Netzwerk“ des Widerstands insgesamt gesprochen wird , so kann dies weitgehend nur metaphorisch verstanden werden. Tatsächlich gab es erstaunliche Kontakte zwischen ideologisch sonst weit auseinander liegenden Positionen. Man denke nur an die Mitwirkung von Sozialisten wie Carlo Mierendorff und von Jesuiten wie Alfred Delp im liberalen „Kreisauer Kreis“ oder an die Zusammenarbeit von Gewerkschaftern wie Jakob Kaiser und Wilhelm Leuschner mit dem nationalkonservativen Carl Friedrich Goerdeler. Aber die Vorstellung von einem regelmäßigen und systematischen Informations- und Meinungsaustausch , die das moderne Wort „Netzwerk“ weckt , ist von der Realität der NS-Zeit allzu weit entfernt. Wer sich auch nur einmal verdächtig gemacht hatte , stand unter ständiger Beobachtung und war damit in
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seiner Bewegungsfreiheit außerordentlich eingeschränkt. Insofern ist auch die zusammenfassende Bezeichnung aller widerständigen Gruppen und Aktivitäten als „Widerstandsbewegung“ leicht irreführend.4 Über die Gemeinsamkeit einer Gegnerschaft zur NS-Diktatur hinaus erreichten die Widerständler auch nicht annähernd jene Homogenität der Ziele , die man anderen „Bewegungen“ attestieren kann. Bedrückenderweise war die Haltung zum zentralen Verbrechen an den Juden sehr unterschiedlich. Sie reichte – neben eindeutiger Empörung mutiger Einzelner – vom Verschweigen des Themas über terminologische Annäherungen an den rassistischen Sprachgebrauch bis hin zur Bekräftigung antisemitischer Vorurteile , etwa in einer Denkschrift von Carl Friedrich Goerdeler. Andererseits legten die Widerständler , insgesamt betrachtet , in ihrem Kampf gegen den NSKollektivismus und -Totalitarismus gerade durch die Vielfalt ihrer Äußerungen ein beeindruckendes Zeugnis für eine in Wort und Tat freie Gesellschaft ab. Bei den Manifestationen des Widerstands muss also inhaltlich von vornherein mit einer großen Bandbreite der Aussagen und Absichten gerechnet werden , die der Blockartigkeit der NS-Massenlenkung absolut unterlegen sein musste , weil – wie schon Hitler durchaus realistisch erkannt hatte – die „gefühlsmäßige Vorstellungswelt der großen Masse“ eine entscheidende Grundlage für die erfolgreiche Rezeption ideologischer und politischer Aussagen des Regimes darstellte. Die Konzentration auf den Sprachgebrauch von bestimmten Widerständlern will selbstverständlich die zahlreichen weiteren Widerstandsaktionen in der NS-Zeit nicht unterschlagen. Sie reichten von sehr vielen Beispielen individueller Protesthandlungen , nicht zuletzt den äußerst risikoreichen Versuchen , gefährdete Personen , darunter viele jüdische Menschen , vor dem Zugriff der staatlichen Organe zu verstecken , bis hin zu den immer wieder misslingenden Versuchen , Hitler zu töten , von Ludwig Assner ( 1933 ) über Georg Elser ( 1939 ) bis zu Claus Schenk von Stauffenberg ( 1944 ). Hans Rothfels5 betont aber eine über die konkreten Manifestationen des Widerstands weit hinausgehende feste Überzeugung von der absoluten Geistigkeit , gar einer metaphysischen Bestimmung des Menschen , die in der NS-„Weltanschauung“ rigide geleugnet oder durch machtorientierte Ideologeme mit quasitranszendentalem Anspruch ersetzt wurde. Hier kann nur eine kleine Auswahl von Widerstandsäußerungen etwas genauer in den Blick genommen werden. Zahlreiche , selbst prominente Vertreter des Widerstands kommen dabei notwendigerweise zu kurz. Für eine Gesamtübersicht über den deutschen Widerstand ist hier leider kein Raum.6 So muss etwa auch die weitverzweigte Opposition der sogenannten Roten Kapelle oder der
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„Edelweißpiraten“ übergangen werden. Die Benennung „Rote Kapelle“ war im Übrigen eine Erfindung der Gestapo. Erst eine jüngere differenzierte Darstellung hat diese Gruppierung von der lange geltenden Unterstellung befreit , im Wesentlichen ein Spionagenetz für die Sowjets gewesen zu sein.7
„Gebt dem Kaiser , was des Kaisers ist“ – Widerstand in den Kirchen
Einen nennenswerten allgemeinen Widerstand der beiden großen Kirchen in Deutschland hat es nicht gegeben. Dabei sollte man zunächst meinen , dass die christlichen Konfessionen die weltanschaulich schärfsten Waffen gegen den NS-Atheismus gehabt hätten , weil sie eine transzendentale Orientierung hatten , die der NS-Ideologie überlegen war. Die zeitgenössisch noch hohe Attraktivität einer solchen Orientierung hat , wie bereits dargestellt , die NS-Propaganda schamlos auszubeuten versucht. Dass die Kirchen nur schwachen Widerstand geleistet haben , hat mehrere wichtige Gründe , insbesondere die seit dem Gleichnis Jesu vom Zinsgroschen traditionelle Anschauung von der Zuständigkeit des Staates für das irdische Leben : „Gebt dem Kaiser , was des Kaisers ist , und Gott , was Gottes ist“ ( Matth. 22,19 ). Weiterentwickelt wurde dieser Gedanke in der Unterscheidung von irdischer und göttlicher Lebensordnung , von „civitas terrena“ und „civitas Dei“ bei Augustinus. Diese Perspektive wurde schließlich in der evangelischen Kirche durch Luthers Obrigkeitsprinzip verschärft. Mit strategischer Absicht schloss sich die NSDAP einer Trennung von „irdisch“ und „religiös“ an , indem sie „irdisch“ als die Sphäre aller politischen Manifestationen definierte und „religiös“ deutete als „alles , was in den irdisch nicht faßbaren Formen als Glaube an Überirdisches , als Gefühl der Unendlichkeit , als Sehnsucht nach Dingen jenseits der den Menschen sichtbaren Welt fühlbar wird.“8 Eine solche Trennung bot im Sinne der NS-Grundüberzeugung , Nationalsozialismus und Christentum seien absolut unvereinbar9 , genügend Handhaben zur Unterdrückung auch unpolitischer kirchlicher Lebensäußerungen. Den christlichen Konfessionen wurde fürs Erste , etwa im NSDAP-Programm von 1920 , immerhin eine Quasi-Existenzberechtigung unter dem verschleiernden Etikett des „positiven Christentums“ zugebilligt. Das aber hieß nichts anderes , als dass sie in allem das NS-Regime zu bejahen hätten. Alles andere galt als „negatives Christentum“. Euphemistisch gestand man den aus der Kirche Ausgetretenen das standesamtliche Attribut „gottgläubig“ zu. Der „Erhaltung und Verstärkung des kirchlichen Partikularismus“, so Hitlers rechte Hand Martin
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Bormann , diente neben der Förderung der „Deutschen Christen“ etwa auch die offizielle Wiederzulassung des 1933 zunächst verbotenen „Bundes Deutsche Gotterkenntnis“, einer von Mathilde Ludendorff gegründeten völkisch-religiösen Sekte 1937. Hintergrund dieser Förderung war freilich ein taktisch bedingtes Entgegenkommen Hitlers gegenüber dem Ehemann von Mathilde Ludendorff , Hitlers Mitstreiter beim Münchner Putschversuch Erich Ludendorff. Vor diesem Hintergrund gab es eine Reihe von Anpassungen kirchlichen Lebens an die NS-Politik , die sich auf evangelischer Seite in der Bewegung der „Deutschen Christen“ am deutlichsten zeigten und die einen Großteil der vorhandenen Kräfte kirchlicher Opposition gegen das Regime , sogar in der „Bekennenden Kirche“, geschwächt haben. Aber auch die katholische Kirche war als Ganze in ihrem Widerstand gegen das Regime gelähmt , vor allem nachdem der Vatikan schon 1933 mit Hitler das Reichskonkordat geschlossen hatte , in dem Geistlichen jede politische Betätigung untersagt wurde. Dieses Konkordat folgte kirchlicherseits wie manche andere Anpassung der Absicht , den Kirchen einen Schutzraum gegen staatliche Willkür zu sichern. Es erwies sich aber in der Praxis als Knebelungsvertrag. Daran änderte auch die Enzyklika von Papst Pius XI. „Mit brennender Sorge“ im Jahre 1937 nichts , die – wohl aus der Feder des Nuntius beim Deutschen Reich, Eugenio Pacelli, stammend und schon im Original auf Deutsch verfasst – die zahlreichen Verstöße des Regimes gegen das Konkordat brandmarkte. Dem Schicksal von Juden aber stand Pacelli als Papst Pius XII. ( ab 1939 ) im Ernstfall faktisch sogar mitleidslos gegenüber , am deutlichsten bei der SS-Razzia gegen Juden in Rom vom 16.–18. Oktober 1943 , bei der Tausende Juden nach Auschwitz deportiert wurden. Entgegen der frommen Legende vom „Retter der Juden“, die seiner Seligsprechung dienen sollte , verhielt er sich an diesen Tagen völlig passiv , angeblich aus diplomatischen Gründen , obwohl er sehr wohl wusste , welches Schicksal die Deportierten erwartete.10 In beiden Kirchen waren echte Widerstandshandlungen jeweils Aktionen einzelner Personen. Sie wurden oft von konkreten Anlässen ausgelöst , waren aber keine Aufrufe zum aktiven Widerstand , sondern mehr Appelle an die Mächtigen , wieder auf den Boden christlicher und humanitärer Grundwerte zurückzukehren. Dazu zählen auch innerkirchliche Appelle an die Gläubigen , die Treue zum Glauben und zu dessen Normen zu bewahren. Eine Verbindung von religiöser Standhaftigkeit und politischer Arbeit war mehr oder weniger nur bei Einzelnen wie dem Jesuiten Alfred Delp zu entdecken. Grundsätzlich war das Wort in religiös motivierten Äußerungen weniger eine Waffe als ein Medium der Reflexion. In vielen Texten herrscht darum ein verhaltener Sprachstil.
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Gelegentlich – etwa bei Dietrich Bonhoeffer oder in Flugblättern der „Weißen Rose“ – stellt man bei Umschreibungen des Unrechtsregimes auch ein Ausweichen in gleichsam metaphysische Abstraktionen wie „das Böse“, „Maskerade des Bösen“ oder „die Dämonen“ fest. Konkrete Anlässe , sich kritisch zu äußern , waren insbesondere staatliche Übergriffe auf kirchliches Eigentum , die Behinderung kirchlicher Arbeit und die Bedrohung sowie Verfolgung von kirchlichen und außerkirchlichen Personengruppen. Die spektakulärsten Aktionen waren Protestschreiben an die staatlichen Stellen und öffentliche Predigten gegen die Massentötung „lebensunwerten Lebens“ in den Euthanasie-Mordaktionen , etwa des evangelischen Pastors Paul Gerhard Braune oder des Münsteraner Bischofs Clemens Graf von Galen und des Berliner katholischen Dompropsts Bernhard Lichtenberg. Charakteristisch ist darin die Verbindung von religiöser und juristischer Argumentation. Der Einsatz für verfolgte Juden hielt sich leider in sehr engen Grenzen. Evangelischer- wie katholischerseits wirkte hierbei die traditionelle , theologisch begründete antijudaistische Haltung bis weit in die Nachkriegszeit nach. Sie gipfelte in dem historisch wie theologisch absurden Vorwurf , „die Juden“ hätten den Sohn Gottes getötet. Selbst der sonst über jeden Zweifel erhabene Bonhoeffer erklärte noch 1933 in Auseinandersetzung mit den staatlichen Maßnahmen gegen Juden unter Berufung auf Luther : „Niemals ist in der Kirche der Gedanke verlorengegangen , daß das ‚auserwählte Volk , das den Erlöser der Welt ans Kreuz schlug , in langer Leidensgeschichte den Fluch seines Tuns tragen muß‘ … ( Luther , Tischreden ).“11 Auch benutzt Bonhoeffer in diesem Zusammenhang den kollektivierenden Singular „der Jude“ und spricht undifferenziert von „Judentum“. Beim Thema Judenverfolgung exponierten sich fast nur Einzelpersonen , allerdings oft auch sie nur im engen Rahmen von Predigten und öffentlichen Gebeten. Erstaunlich , um nicht zu sagen : ein Ärgernis war , dass sich – auch jenseits einer Zustimmung zum sogenannten Arierparagraphen – kirchliche Vertreter dazu veranlasst sahen , Kirchenmitglieder jüdischer Herkunft als „nichtarische Christen“ oder als „katholische Nichtarier“ zu bezeichnen. Die besonders regimetreuen „Deutschen Christen“ gar forderten schon 1933 , dass alle „fremdblütigen evangelischen Christen“ in eigenen Gemeinden zusammenzufassen seien und dass – geradezu vorpaulinisch – eine „judenchristliche Kirche“ begründet werden müsse.12 Die sprachlichen Mittel kirchlicher Äußerungen waren sowohl auf der Mikroebene von Wortwahl und Satzbau als auch auf der Makroebene von Textsorte , Gesamtargumentation und Textgliederung naturgemäß vor allem der
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biblischen und theologischen Tradition entlehnt. Aus deren Pathos und Bildlichkeit wurden jedoch immer wieder auch starke rhetorische Effekte gewonnen , die umso stärker wirkten , als das angesprochene Publikum noch weitgehend in dieser Tradition heimisch war. Die Rücksichtnahme auf das prekäre Verhältnis zwischen Kirche( n ) und Staat , aber auch auf eine deutschnationale Grundströmung bei den meisten Gläubigen erklärt die häufigen kirchlichen Berufungen auf „deutsche Werte“. Selbst Jesuiten im Wehrdienst konnten noch bei Kriegsbeginn von solchen nationalen Perspektiven begeistert sein.13 Die tatsächliche Übereinstimmung mit der NS-Ideologie ist jedoch stets am Kontext zu überprüfen. Es gibt auch im einen oder anderen Zitat nationalistischer Begriffe gelegentlich Anzeichen einer teilweise ironischen Distanzierung. „Wir verwerfen die falsche Lehre“ – Widerständiges in der evangelischen Kirche
Die evangelischen Christen standen , soweit sie die christliche Botschaft nicht politisch instrumentalisieren lassen wollten , gleichsam in einem Zweifrontenkrieg : einerseits nach außen gegen die ideologischen Anmaßungen und die Übergriffe des atheistischen NS-Regimes und andererseits innerkirchlich gegen die starken Versuche der „Deutschen Christen“, den Nationalsozialismus als eine Erfüllung der christlichen Heilslehre , in jedem Fall aber als „Vollendung der deutschen Reformation aus dem Geist des Nationalsozialismus“ zu deuten.14 Nicht zufällig hing in Gemeinden , die mit der „deutsch-christlichen“ Deutung sympathisierten , über dem Altar und /oder an der Kanzel eine Hakenkreuzfahne. Ungeniert nannte man sich „die SA Jesu Christi“, in einem Fall gar „die SS der Kirche“.15 Den „Deutschen Christen“ gelang es , das mit der Kirchenverfassung von 1933 neu geschaffene Amt eines „Reichsbischofs“ zu okkupieren , nachdem der zunächst in dieses Amt gewählte Friedrich von Bodelschwingh16 von der NSStaatsführung nicht anerkannt worden war. Am 24. Juni 1933 wurde der Wehrkreispfarrer Ludwig Müller „Reichsbischof“, der zugunsten der Gleichschaltung eine Zentralisierung der evangelischen Landeskirchen als „Deutsche Christliche Nationalkirche“ anstrebte und für die strikte Anwendung des Arierparagraphen in der Kirche eintrat. Nominell blieb Müller bis 1945 in diesem Amt , wurde aber trotz seiner deutlichen Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus von der NS-Staatsführung sehr bald wieder übergangen.
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Gegen die theologischen wie kirchenpolitischen Zumutungen der „Deutschen Christen“ erhob sich innerkirchlich sehr bald Widerstand. Schon im September 1933 gründete sich auf Initiative von Pastor Martin Niemöller der „Pfarrernotbund“, der Widerstand gegen die Politik des Reichsbischofs und seiner Anhänger leistete.17 Aus diesem Zusammenschluss und weiteren gleichgesinnten „Pfarrerbruderschaften“ entstand die Bewegung der „Bekennenden Kirche“. Sie trat auf ihrer Reichsbekenntnissynode am 30. / 31. Mai 1934 in BarmenGemarke / Wuppertal mit einer „Theologischen Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche“ als Opposition gegen das offizielle Kirchenregiment der „Deutschen Christen“ und damit auch gegen den Totalitätsanspruch des NS-Staates in Erscheinung. Das kurz „Barmer Erklärung“ genannte Dokument wurde zum Zentraltext der Bewegung. Sie litt allerdings bald unter Spannungen zwischen entschiedenen Anhängern und kompromissbereiten Kirchenoberen , die sogar noch nach 1945 weiter wirksam waren. Die „sechs biblischen Sätze über das wahre Evangelium“ der „Barmer Erklärung“18 sind ein deutlicher Beleg für die doppelte Frontstellung gegen die „deutsch-christliche“ Häresie sowie die NS -Ideologie. Sie beginnen jeweils mit Zitaten aus dem Neuen Testament , die theologisch ausgelegt werden , dabei aber in deutliche Zurückweisungen aktueller Bedrängnisse münden , die mit der Formulierung „Wir verwerfen die falsche Lehre …“ eingeleitet werden , etwa am Ende von Satz 1 : „Wir verwerfen die falsche Lehre , als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte , Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“
Am Ende von Satz 3 heißt es : „Wir verwerfen die falsche Lehre , als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.“
Satz 5 schließt : „Wir verwerfen die falsche Lehre , als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen.“
Zwar vermeidet dieses Bekenntnis , die offenkundigen Zumutungen von Staat und „Deutschen Christen“ direkt beim Namen zu nennen. Vornehm
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umschreibend ist nur von „anderen Mächten , Gestalten und Wahrheiten“ die Rede. Doch waren die Äußerungen zeitgenössisch unmissverständlich. Der von den „Deutschen Christen“ unterstützte Totalitätsanspruch des Regimes , insbesondere die Gleichschaltungspläne kommen deutlich zum Ausdruck. Die Formulierung „Wir verwerfen“ war darüber hinaus die deutsche Variante eines kirchlich traditionellen Verdammungsurteils , eines sogenannten Anathemas , durch das Häretiker aus der Glaubensgemeinschaft ausgeschlossen wurden. In der katholischen Kirche führt ein Anathema zur Exkommunikation. Andere Äußerungen aus der „Bekennenden Kirche“, etwa aus der „Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union“ 193519 , formulierten deutlicher : „Die neue Religion [ des Nationalsozialismus ] ist Auflehnung gegen das erste Gebot. In ihr wird die völkisch-rassische Weltanschauung zum Mythos. In ihr werden Blut und Rasse , Volkstum , Ehre und Freiheit zum Abgott.“ Aber den Mut , die zu diesem Zeitpunkt schon unübersehbare Unterdrückung und Verfolgung von Juden , die beschämenderweise unter den Augen und mit Billigung von Christen vor sich ging , konkret beim Namen zu nennen , hatte man selbst in der „Bekennenden Kirche“ nicht. Denkschriften zu diesem Thema , von zwei einzelnen Kirchengliedern 1935 unabhängig voneinander verfasst und Kirchenleitungen sowie Synoden vorgelegt , blieben ohne Resonanz : „Über die Aufgaben der Bekennenden Kirche an den evangelischen Nichtariern“ der Wohlfahrtspflegerin Marga Meusel20 und „Zur Lage der deutschen Nichtarier“ der Studienrätin Elisabeth Schmitz. Beide beklagen , dass jüdische Christen in der evangelischen Kirche anders als in der katholischen auf keinerlei Unterstützung hoffen konnten.21 Immerhin entschloss sich der evangelische Landesbischof von Württemberg , Theophil Wurm , 1943 , nachdem der Massenmord an Juden bereits immense Opferzahlen erreicht hatte , an Adolf Hitler einen Brief zu schreiben , in dem er sich – in teilweise erschreckend mitleidsloser Sprache – wenigstens für die Schonung der „privilegierten Nichtarier“ einsetzte. Damit waren jüdische Menschen mit einem „arischen“ Ehepartner und deren Kinder gemeint , die vorerst vor der schlimmsten Verfolgung bewahrt blieben. Wurm schrieb : „Nachdem die dem deutschen Zugriff unterliegenden Nichtarier in größtem Umfang beseitigt sind , muß auf Grund von Einzelvorgängen befürchtet werden , daß nunmehr auch die bisher verschonten sogenannten privilegierten Nichtarier in gleicher Weise behandelt werden.“22
Wurm war es im Übrigen , der gegen das „Stuttgarter Schuldgeständnis“ der Evangelischen Kirche in Deutschland ( EKD ) vom Oktober 1945 , in dem eine
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Mitverantwortung für die NS-Gräuel – unter Aussparung der Judenverfolgung – übernommen wurde , noch Bedenken erhob.23 Angesichts mancher wachsweichen Stellungnahmen kirchlicher Stellen gehörte schon erheblicher Mut dazu , die NS -Verbrechen beim Namen zu nennen oder gar aktiven Widerstand zu leisten. Diesen Mut hatten tatsächlich doch noch zahlreiche einzelne evangelische Christen. Zu ihnen gehörten Martin Niemöller und schließlich doch auch Dietrich Bonhoeffer. Der eine zahlte dafür mit KZ-Haft , der andere mit seinem Leben – Schicksale , die sie mit vielen weiteren aufrechten Protestanten teilten. Exemplarisch für vieles , was von Einzelnen gewagt wurde , soll hier nur die Bußtagspredigt des Oberlenninger Pfarrers Julius von Jan kurz besprochen werden.24 Von Jan hielt diese Predigt kurz nach den Ausschreitungen gegen jüdische Mitbürger während der sogenannten Reichskristallnacht 1938. Biblischer Ausgangstext und zugleich Einleitungssatz der Predigt war Jeremia 22,29 : „Der Prophet ruft : O Land , Land ! Höre des Herrn Wort !“ Die Rückschau auf den vergeblichen Kampf des Jeremia gegen unrechtes Tun von Volk und Königen in Israel fasst von Jan in dem anspielungsreichen Satz zusammen : „Er [ Jeremia ] widerspricht den Lügenpredigten derer , die in nationaler Schwärmerei Heil und Sieg verkünden.“ Und er fragt schließlich : „Wo ist der Mann , der im Namen Gottes und der Gerechtigkeit ruft , wie Jeremia gerufen hat … ?“ Von Jans Antwort ist unmissverständlich : „Gott hat uns solche Männer gesandt ! Sie sind heute entweder im Konzentrationslager oder mundtot gemacht [ … ] , schmerzlicherweise haben es unsere Bischöfe nicht als ihre Pflicht erkannt , sich auf die Seite derer zu stellen , die des Herrn Wort gesagt haben.“ Zu den Ausschreitungen des 9. November und zu Verhaftungen aus „rassischen“ Gründen sagt er ebenso deutlich : „Die Leidenschaften sind entfesselt , die Gebote Gottes missachtet , Gotteshäuser , die andern heilig waren , sind ungestraft niedergebrannt worden , das Eigentum der Fremden geraubt oder zerstört. Männer , die unserem deutschen Volk treu gedient haben und ihre Pflicht gewissenhaft erfüllt haben , wurden ins KZ geworfen , bloß weil sie einer andern Rasse angehörten.“
Die Rassendifferenzierung auch in dieser Predigt war zeitgenössisch wohl unvermeidlich. Von Jan umschreibt Juden allerdings auch als „Fremde“, was immer noch eine mit den Nationalsozialisten geteilte Distanz zu dieser Bevölkerungsgruppe verrät. Der Mut von Jans , die aktuelle Situation so konkret zu charakterisieren , ist indes unbezweifelbar. Entsprechend verhöhnte die SA ihn wie andere Aufrechte als „Judenknecht“. Sechzehn Monate Haft wegen
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„Kanzelmissbrauchs“ und die Vertreibung von seiner Pfarrstelle durch seine , die württembergische Landeskirche unter Leitung von Bischof Theophil Wurm waren von Jans Lohn. Nicht öffentlich , aber doch schon ein Jahr vor der berühmten Predigt des katholischen Bischofs von Münster , Graf von Galen, protestierte der Leiter der Bodelschwingh’schen Anstalten und Vizepräsident des Central-Ausschusses der Inneren Mission , Pastor Paul Gerhard Braune , in einer Denkschrift vom 9. Juli 19402 , die er an Hitler persönlich schickte , gegen die Euthanasie-Morde. „Im Laufe der letzten Monate ist in verschiedenen Gebieten des Reiches beobachtet worden , daß fortlaufend eine Fülle von Insassen der Heil- und Pflegeanstalten aus ‚planwirtschaftlichen Gründen‘ verlegt werden , zum Teil mehrfach verlegt werden , bis nach einigen Wochen die Todesnachricht bei den Angehörigen eintrifft. Die Gleichartigkeit der Maßnahmen [ … ] schaltet jeden Zweifel darüber aus , daß es sich hierbei um eine großzügig angelegte Maßnahme handelt , die Tausende von ‚lebensunwerten‘ Menschen aus der Welt schafft.“
Braune bestreitet in seinem Text die Berechtigung der von den Verantwortlichen vertretenen Gründe , er befürchtet – wie später von Galen – , dass es nicht bei den Geistesschwachen oder anderen medizinisch hoffnungslosen Fällen bleibt , sondern dass dem nationalsozialistischen „Aufartungsprozeß des deutschen Volkes“ auch die „anormalen , asozialen und gemeinschaftsunfähigen“ Menschen , letztlich „hunderttausend und mehr Menschen“ zum Opfer fallen werden. Er beklagt , dass schon jetzt „Tausende deutscher Volksgenossen“ ohne jede Rechtsgrundlage „beseitigt“ sind und fordert unmissverständlich : „Wenn Tötung angeordnet werden soll , dann müssen geltende Gesetze die Grundlage solcher Maßnahme sein.“ Sein Fazit : „Es ist dringend notwendig , diese Maßnahmen so schnell wie möglich aufzuhalten , da die sittlichen Grundlagen des Volksganzen dadurch aufs schwerste erschüttert werden.“ Natürlich zeigte sich das NS-Regime unbeeindruckt , Braune aber musste mehrere Wochen GestapoHaft erdulden. Über ein Jahr später , am 9. Dezember 1941 , ging Landesbischof Wurm in einem Schreiben an Hitler , in dem er im Auftrag der evangelischen Kirchenführerkonferenz26 gegen die Bedrückungen der Kirche protestierte , wenigstens auch auf die Euthanasie-Maßnahmen und die zunehmende Verfolgung der Juden ein. So deutliche Worte wie die von Jans oder Braunes aber waren nicht seine Sache.
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„Wehe unserem deutschen Volke !“ – Widerständiges in der katholischen Kirche
Auch die katholische Kirche in Deutschland hat als Institution keinen einheitlichen , gar machtvollen Widerstand gegen das NS-Regime geleistet. Das hatte bereits ihre Ruhigstellung durch das Reichskonkordat verhindert. Auch in dieser Kirche waren standhafte Geistliche und Laien wie die evangeliumtreuen Protestanten schlimmsten Repressalien ausgesetzt. Standhaft blieben diejenigen , die sich an den anfangs noch deutlichen Worten von Oberhirten und Theologen gegen die NS -Ideologie , gegen ihr „Neuheidentum“, nicht zuletzt in Ausei nandersetzung mit Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“, orientierten. Es entstanden zahlreiche Zirkel , die aber über einzelne gemeinsame Positionen wie etwa gegen die Entfernung von Kruzifixen aus den Schulen hinaus zu keiner einheitlichen Widerstandsform fanden.27 Auch offizielle Verlautbarungen kreisen insgesamt mehr um die Bewahrung kirchlicher Positionen , etwa zur Vereins- und Pressearbeit oder zur Zukunft der Bekenntnis- und klösterlichen Privatschulen.28 Eine Konferenz der bayerischen Bischöfe am 20. April 1933 hatte zwar die entsprechenden Sorgen angesprochen , zugleich aber auch in einer gemeinsamen Erklärung , veröffentlicht am 5. Mai , ausdrücklich anerkannt den „kraftvolle[ n ] Wille[ n ] der jetzigen , rechtmäßigen Reichsregierung [ … ] , das deutsche Volk zu einer geistigen , sittlichen und wirtschaftlichen Erneuerung zu führen.“29 In der weiteren Entwicklung dominierte in der offiziellen Politik der katholischen Kirche trotz wachsenden Unmuts in den eigenen Reihen über die Zahnlosigkeit offizieller Stellungnahmen ein vorsichtiger Kurs , der die Staatsloyalität der Katholiken nicht infrage gestellt sehen wollte. Immerhin attestierten die beiden oben erwähnten evangelischen Denkschriften von 1935 der katholischen Kirche , dass sie Christen jüdischer Abstammung in vielen Einzelfällen , in Schulen oder in anderen Beschäftigungsverhältnissen , anders als die evangelische Kirche zu schützen versuchte. Eine Mitschuld von Katholiken an den NS -Verbrechen wurde nach dem Krieg zwar sehr bald durch ein Hirtenwort der Deutschen Bischofskonferenz vom 23. August 1945 eingeräumt. Doch äußerte man sich nur zögerlich zu den konkreten Verbrechen gegen Juden. Zunächst , allerdings noch bistumsbegrenzt , hat der Kölner Kardinal Joseph Frings , dann der Katholikentag 1948 und erst 1988 , vierzig Jahre später , die Deutsche Bischofskonferenz in einer ausführlichen Erklärung dieses Thema angesprochen.30 Zwar hatte sich Kardinal Frings in einer Predigt am 12. März 1944 , ähnlich wie der evangelische Landesbischof Wurm im Jahr zuvor , für die Unantastbarkeit „rassisch gemischter“ Ehen eingesetzt :
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„Die Ehen zwischen Volksangehörigen und Fremdstämmigen , wenn sie mit kirchlicher Gutheißung geschlossen sind und zumal wenn beide Teile getaufte katholische Christen sind , sind unauflöslich , und es ist ein Verbrechen gegen Gottes Recht über die Ehe , durch irgendwelche Machenschaften solche Ehen auseinanderzutreiben.“31
Doch da hatten die bekannten „Machenschaften“ längst zahlreiche solcher Ehen zerstört und oft genug den „fremdstämmigen“ Partner um Freiheit oder Leben gebracht. Von den sonstigen Juden und ihrem millionenfachen Leid liest man in kirchenoffiziellen katholischen Verlautbarungen bis 1945 nichts. Eher protestierte , wie schon erwähnt , der Münchner Kardinal Michael von Faulhaber 1936 schon einmal gegen die „gehässigste Unwahrheit“ der NS-Propaganda , Papst Pius XI. sei ein „Halbjude“. Peinlicherweise sahen sich auch katholische Institutionen bemüßigt , getaufte jüdische Menschen gemäß rassenideologischer Differenzierung als „katholische Nichtarier“ zu umschreiben. So etwa der St. Raphaels-Verein , der Auswanderungswillige betreute , in einem Arbeitsbericht von 1938.32 Es war einer der unerschrockenen Priester , der auf eigene Initiative , ohne oberhirtliche Absicherung , nach dem reichsweiten „Pogrom“ vom 9. November 1938 ausdrücklich die Juden – ohne die distanzierenden Umschreibungen wie „Fremdstämmige“ oder „Nichtarier“ – in seine öffentlichen Gebete einschloss : der Dompropst von St. Hedwig in Berlin Bernhard Lichtenberg. Für Ende Oktober 1941 hatte er außerdem eine Kanzelverkündigung vorbereitet , mit der er gegen eine antisemitische Hetzschrift protestieren wollte. Darin sollte es heißen : „In Berliner Häusern wird ein anonymes Hetzblatt verbreitet. Darin wird behauptet , daß jeder Deutsche , der aus falscher Sentimentalität die Juden irgendwie unterstützt [ … ] , Verrat an seinem Volke übt. – Laßt euch durch diese unchristliche Gesinnung nicht beirren , sondern handelt nach dem strengen Gebot Jesu Christi : Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ 33
Damit war für die Gestapo das Maß voll , zumal Lichtenberg – wie noch erwähnt werden soll – durch frühere Protesthandlungen schon unangenehm aufgefallen war. Er kam nicht mehr zur öffentlichen Verkündigung seines Texts. Er wurde verhaftet und 1942 durch ein Sondergericht zu zwei Jahren Haft verurteilt. Während der Überführung ins KZ Dachau starb er im November 1943. Damit wurde er unter katholischen Geistlichen und Laien eins von vielen Opfern , die ihre Haltung und ihren Mut mit dem Leben bezahlen mussten. Exemplarisch
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erwähnt seien nur Erich Klausener , ermordet 1934 , Willi Graf , ermordet 1943 , oder der Jesuit Alfred Delp , ermordet 1945 – von den vielen zu schweigen , die schwere Haftstrafen auf sich nehmen mussten. Ohne derart schlimme Konsequenzen blieben allein zwei katholische Bischöfe , die es wagten , NS-Verbrechen öffentlich beim Namen zu nennen : der Bischof von Münster Clemens Graf von Galen und der Limburger Bischof Antonius Hilfrich. Bischof von Galen , ein an sich zutiefst konservativer Theologe , politisch nationalkonservativ , der den Krieg gegen die Sowjetunion sogar begrüßt hatte , nahm konkrete Bedrängnisse der Kirche zum Anlass von Predigten , die ihn über die katholische Kirche hinaus in ganz Deutschland bekannt machten. In einer Predigt am 13. Juli 1941 wandte er sich scharf gegen NS-Übergriffe auf kirchliches Eigentum und gegen die Verfolgung der Orden. Eine andere , die berühmter gewordene Predigt vom 3. August 1941 griff die Euthanasie-Mordaktionen auf.34 Er hatte sie bereits zuvor in einer eigenen Ergänzung eines gemeinsamen Hirtenworts der deutschen Bischöfe deutlich angesprochen. Am 3. August 1941 wiederholt er diese Ergänzung : „Seit einigen Monaten hören wir Berichte , daß aus Heil- und Pflegeanstalten für Geisteskranke auf Anordnung von Berlin Pfleglinge , die schon länger krank sind und vielleicht unheilbar erscheinen , zwangsweise abgeführt werden. Regelmäßig erhalten dann die Angehörigen nach kurzer Zeit die Mitteilung , der Kranke sei verstorben [ … ] Allgemein herrscht der an Sicherheit grenzende Verdacht , daß diese zahlreichen unerwarteten Todesfälle von Geisteskranken nicht von selbst eintreten , sondern absichtlich herbeigeführt werden …“35
Galen geißelt dabei die „Lehre , die furchtbar ist , die die Ermordung Unschuldiger rechtfertigen will , die die gewaltsame Tötung der nicht mehr arbeitsfähigen Invaliden , Krüppel , unheilbar Kranken , Altersschwachen grundsätzlich freigibt“. Anlässlich des zahlreichen Abtransports von Kranken aus Heil- und Pflegeanstalten seines Bistums verschärft sich für von Galen die Befürchtung , dass eben auch weitere „sogenannte unproduktive Menschen“ – er benutzt diesen Begriff deutlich widerwillig – alle Menschen , die altersschwach werden , „Invaliden“, die der Arbeitsprozess mit sich bringt , und – „wehe unseren braven Soldaten“ – die „Schwerkriegsverletzten“, der staatlich angeordneten „Ermordung“ anheimfallen könnten. Wie recht er mit dieser Befürchtung hatte ! Mit einem Rest des Glaubens an eine irdische Rechtsordnung , insbesondere hinsichtlich des Paragraphen 139 des Strafgesetzbuches , der bei Verbrechen gegen das Leben eine Anzeige zur Pflicht machte , hatte von Galen , wie
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er berichtet , bereits eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Münster erstattet , auf welche die Behörde aber nicht reagierte. So bleibt ihm nur noch der grundsätzliche Aufschrei : „Wehe den Menschen , wehe unserem deutschen Volke , wenn das hl. Gottesgebot : ‚Du sollst nicht töten‘ , das der Herr unter Blitz und Donner auf Sinai verkündet hat [ … ] , nicht nur übertreten wird , sondern wenn diese Übertretung sogar geduldet und ungestraft ausgeübt wird.“36
Sehr passend zum schmerzlichen Thema wählte von Galen als Ausgangspunkt seiner Predigt aus dem am 3. August 1941 aktuellen und zuvor verlesenen Sonntagsevangelium Luk. 19,41 ff. die bewegende Szene , in der Jesus über das verstockte Jerusalem weint : „Eine erschütternde Begebenheit ist es , die das Evangelium berichtet : Jesus weint ! Der Sohn Gottes weint !“ Am Schluss der Predigt fordert von Galen , seine mehr als deutlichen Klagen und Anklagen zusammenfassend , die Gläubigen auf : „Lasset uns beten für die armen vom Tode bedrohten Kranken , für unsere verbannten Ordensleute , für alle Notleidenden , für unsere Soldaten , für unser Volk und Vaterland und seinen Führer.“37 Die letzte Bitte mag überraschen , sicherte den Prediger aber gegen den Verdacht einer Fundamentalopposition ab. Allerdings lässt er Distanz durchblicken , wenn er nicht von „unserem Führer“, sondern von „seinem Führer“, also dem auch von ihm nicht infrage gestellten Führer von „Volk und Vaterland“ spricht. Der Limburger Bischof Hilfrich hat kurz danach , am 13. August 1941 , in einem Brief an den Reichjustizminister , wie bereits in Kapitel 10 zitiert , konkrete Einzelheiten der Euthanasie-Mordaktionen in seiner unmittelbaren Umgebung , in der Tötungsanstalt Hadamar / Westerwald , geschildert. Ähnlich wie schon der evangelische Pastor Braune in seiner Denkschrift von 1940 und wie Bischof von Galen befürchtet auch Hilfrich : „Nach den Schwachsinnigen kommen die Alten als unnütze Esser an die Reihe.“ Und er folgert auf deutlichste Weise : „Alle gottesfürchtigen Menschen empfinden diese Vernichtung als himmelschreiendes Unrecht.“ Die mutige Predigt von Galen wurde in zahllosen Abschriften in ganz Deutschland bekannt. Sie trug von Galen den Titel „der Löwe von Münster“ ein.38 Auf diese Predigt hatte sich gut drei Wochen später , am 28. August 1941 , auch der Berliner Dompropst Lichtenberg berufen , als er an den „Reichsärzteführer“ Leonardo Conti einen Brief schrieb mit Kopien an die Reichskanzlei , an die Reichsministerien und ironischerweise auch an die Gestapo.39 Darin beschrieb Lichtenberg einen konkreten Fall aus der großen Zahl der Tötungen
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von Geisteskranken. Auch er berief sich dabei auf den Paragraphen 139 des Strafgesetzbuches , der eine verschwiegene Mitwisserschaft von Verbrechen gegen das Leben unter Strafe stellt. Auf der von den Nationalsozialisten längst zerstörten Grundlage dieser Strafbestimmung hatte er sein Schreiben mit den herausfordernden Worten geschlossen : „Auch wenn ich nur einer bin , so fordere ich doch von Ihnen , Herr Reichsärzteführer , als Mensch , Christ , Priester und Deutscher Rechenschaft für die Verbrechen , die auf Ihr Geheiß oder mit Ihrer Billigung geschehen und die des Herrn über Leben und Tod Rache über das deutsche Volk herausfordern.“40
Dies war ein weiterer Stolperstein für Lichtenberg auf dem Weg zu seiner „Beseitigung“. „Sturz Hitlers und des Finanzkapitals“ – Kommunistischer Widerstand als Klassenkampf
Anders als bei den Kirchen , die sehr viel , oft zuviel Rücksicht auf ihr prekäres Verhältnis zum NS-Staat nahmen , gab es für die deutschen Kommunisten im Kampf gegen den Nationalsozialismus kein Pardon. Sie hatten auf der Basis ihrer marxistisch-leninistischen Überzeugung von einer geschichtsnotwendigen Abfolge der „Klassenkämpfe“ eine mindestens so feste weltanschauliche Grundlage wie die christlichen Kirchen. Für das Auftreten des „Hitler-Faschismus“ beanspruchten sie überdies eine aktuelle wie in die endgültige kommunistische Zukunft der Gesellschaft weisende Deutung. Sie waren schon seit 1918 / 19 die entschiedensten Gegner konservativer , „bürgerlicher“ Kräfte , damit aber auch gegen die liberale Weimarer Demokratie gewesen. Seit führende Mitglieder 1933 verhaftet und ihre Partei mit ihren Unterorganisationen verboten worden waren , sahen sie erst recht keinen Anlass , irgendwelche Rücksichten zu nehmen. Die frühen Versuche , wie auch noch 1936 nach französischem Vorbild , mit anderen Sozialisten , Sozialdemokraten und liberalen NS-Gegnern eine „Volksfront“ zu bilden , scheiterten. Nach dem KPD-Verbot waren die noch in Freiheit befindlichen Kommunisten in die Illegalität gegangen. Das hieß : sie betrieben Widerstand aus dem Untergrund oder versuchten , aus dem Ausland ihre Opposition fortzusetzen. Nur der ideologisch unbegreifliche Hitler-Stalin-Pakt von 1939 lähmte vorübergehend ihr politisches Selbstbewusstsein. Tatsächlich gelang es der Untergrund-KPD in Deutschland , ein echtes Netzwerk von kleineren und größeren Widerstandsgruppen aufzubauen. Deren
Kommunistischer Widerstand als Klassenkampf |
Äußerungen sind nur im Hinblick auf die gemeinsamen , ideologisch fixierten Schlüsselwörter als Einheit zu fassen , da sie in sehr unterschiedlichen Textformen veröffentlicht wurden , von Wandparolen über textlich ebenfalls begrenzte Flugblätter bis hin zu ausführlicheren Manifesten. Darin kommt jeweils ein gruppenspezifischer Sprachgebrauch zum Zuge , der sich deutlich von dem anderer Widerstandsgruppen unterscheidet. Die internationalistische Perspektive der Kommunisten ließ sie etwa grundsätzlich nationale Töne vermeiden , es sei denn , man wollte gelegentlich mögliche nichtkommunistische Verbündete gewinnen. Das immer wieder beschworene ideologische Bündnis mit der KPdSU konnte angesichts der wirksamen NS-Propaganda gegen den „Bolschewismus“, erst recht im Krieg gegen den sowjetischen „Todfeind“, bei der breiten Bevölkerung natürlich nur auf geringe Sympathien stoßen. In vielfacher Hinsicht ist der kommunistische Sprachgebrauch die Fortsetzung des verbalen Kampfes der KPD während der Weimarer Republik. Vor wie nach 1933 ging es um die Beseitigung aller Machtstrukturen in Wirtschaft und Politik , die dem Streben nach einer „klassenlosen Gesellschaft“ im Wege standen. Summarisch lassen sich die verwendeten Schlüsselwörter , Fahnen- wie Stigmawörter , und Hauptargumente wie folgt zusammenfassen : „Arbeiterklasse“ mit der Variante „Proletariat“ ist der Terminus für eine eng definierte gesellschaftliche Formation , der allein das Recht zusteht , die Zukunft zu gestalten. Damit verengt die kommunistische Argumentation die Semantik des Begriffs „Klasse“, der vor Karl Marx und außerhalb seiner Theorie eher unscharf , etwa im Sinne von „gesellschaftliche Schicht“ benutzt wurde und wird. Der enge „Klassen“-Begriff dient der Unterstützung des geschichtstheoretischen Dogmas , dass die historische Entwicklung nur eine Abfolge von „Klassenkämpfen“ sei , bei der jeweils die „fortschrittlichste Klasse“, zuletzt die „Arbeiterklasse“ siegt. Der Gegner besteht nicht nur aus einer vorübergehend waltenden NS-Herrschaftsclique , sondern aus einem Gemenge von verschiedenen Kräften , die zusammenfassend als „Bourgeoisie“, als „Kapitalisten“ stigmatisiert werden , voran als „Ausbeuter“ in der „Großindustrie“ und im „Groß- / Finanzkapital“, die Hitler zur Herrschaft verholfen hätten. Um jede ideologisch aufweichende Differenzierung zu vermeiden , wird der Nationalsozialismus unter dem kollektivierenden Begriff „Faschismus“ subsumiert und die NS-Politik generell als „Imperialismus“ charakterisiert. Beide Begriffe werden zur generellen Kennzeichnung des „Spätkapitalismus“, als einer
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historischen Epoche im „Klassenkampf“, verwendet. In dieser Geschichtstheorie haben spezifische Aspekte der NS-Rassenideologie und der Judenverfolgung aber keinen „systematischen“ Platz. „Faschismus“ als Bezeichnung des Nationalsozialismus war eigentlich eine Verharmlosung der deutschen Diktatur. Dieser Begriff eignete sich aber zur Vermeidung von Assoziationen , die sich aus dem Nebeneinander von marxistisch gedeutetem „Sozialismus“ und „National-Sozialismus“ ergaben. Entsprechend ist der Begriff „Antifaschismus“ das Fahnenwort für den ideologisch korrekten Kampf gegen den „( Hitler- )Faschismus“ und NS-„Imperialismus“. „Antifaschismus“ wird nach 1945 zum zentralen Schlüsselwort von KPD / SED und 1949 zum Gründungsmythos der DDR. Die Bündnispolitik der deutschen Kommunisten , die andere NS-Gegner oft nur aus taktischen Gründen einbezieht , konzentriert sich im Wesentlichen auf die „fortschrittlichen Kräfte“, auf ideologisch verwandte , marxistisch orientierte Partner aus den verbotenen Gewerkschaften und aus der SPD. „Demokratie“ und „Demokratisierung“ kann bei Kommunisten nur heißen : eine Regierungsform , die sich als „sozialistisch“ und „antifaschistisch“ im Sinne der KPD definiert. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Parole von Anton Saefkow , dem führenden Kopf einer nach ihm benannten Berliner Widerstandsgruppe : „Nie wieder Weimarer Demokratie !“ Die Zukunft Deutschlands nach einer Beseitigung der NS-Herrschaft wird so beschrieben , wie sie in der SBZ und späteren DDR faktisch vorangetrieben werden wird. „Tod den Kriegsverbrechern !“ – Kommunistischer Widerstand im deutschen Untergrund
Aus der Vielzahl der Dokumente können hier nur zwei Beispiele kurz beleuchtet werden. Beide stammen aus der Zeit nach der Katastrophe von Stalingrad , als NS-Gegner vergeblich hofften , dass den Deutschen schon durch die massiven Rückschläge und Verluste der Wehrmacht die Augen geöffnet würden. 1943 , nach Mussolinis Sturz verbreitete der einstige KPD -Reichstagsab geordnete Theodor Neubauer unter illegalen Gruppen in Thüringen eine Flugschrift unter dem Titel : „Hitlers Krieg ist verloren , nur Kindsköpfe träumen noch vom Sieg !“41 Diese Schrift wandte sich an „Genossen“, diente also nicht der Außenwirkung , sondern wollte die vielfach bedrohten Gruppen in ihrem Widerstandswillen stärken. Neubauer will Hoffnungen wecken durch Sätze wie
Kommunistischer Widerstand im Untergrund |
„Zerstoben sind die Illusionen , die Träume von Welteroberung und fetter Beute. Das Volk durchschaut das Lügengewebe der Goebbelspropaganda und erkennt , wie schamlos es betrogen wurde. [ … ] Hitler und seine Bande wissen , dass sie den Krieg verloren haben.“42
Nach einer Warnung davor , dass die „deutsche Bourgeoisie“ ihre Rettung in einem Verkauf an den „englisch-amerikanischen Imperialismus“ sehen könnte , konstatiert Neubauer : „Für das arbeitende Volk Deutschlands gibt es nur eine Rettung : Sturz Hitlers und des Finanzkapitals , Errichtung einer Regierung des werktätigen Volkes , Bündnis mit Sowjetrußland und den befreiten Völkern Europas im Rahmen einer Union sozialistischer Republiken.“43
Seine Ausführungen münden in Parolen , die diese These wiederholen , aber mit folgenden deutlichen Forderungen eingeleitet werden : „Schluß mit dem Krieg ! Tod den Kriegsverbrechern ! Auflösung der national-sozialistischen Partei und aller ihrer Organisationen !44 Natürlich muss man diesem Text insgesamt eine gewisse , eben gruppenspezifische Hermetik der Wortwahl bescheinigen , die aber mit Rücksicht auf die angesprochene ideologiesprachlich geübte Adressatengruppe von „Genossen“ verständlich war. Wie sich aber Neubauers Deutung des Krieges , insbesondere gegen die Sowjetunion , einer Mehrheit der Deutschen als „Klassenkrieg“45 vermitteln lassen sollte , nachdem diese jahrelang auf einen „Rassenkrieg“ eingeschworen worden waren , muss der Spekulation überlassen bleiben. In jedem Fall wäre dafür noch eine sehr intensive Überzeugungsarbeit vonnöten gewesen , die unter den äußerst beschränkten Möglichkeiten von Untergrundgruppen praktisch nicht möglich war. Neubauers Vision einer sozialistischen , letztlich kommunistischen Zukunft war dafür obendrein noch sehr blutleer. Das zweite Beispiel , eine längere Erklärung vom Februar 1944 , wandte sich ebenfalls an eingeschworene „Genossen“ einer Untergrundgruppe , die sich in Berlin um den Verfasser Anton Saefkow geschart hatte.46 Saefkow hatte bereits Gefängnis und KZ -Haft hinter sich. Auch dieser Text will die Gruppe und ihre Mitglieder im Kampf gegen das NS-Regime stärken , ist aber wesentlich pragmatischer als der von Neubauer : „Wir wissen , welche Summe von Kleinarbeit , wieviel vorsichtige Umsicht und welcher persönliche Mut dazu gehört , um im Lande der Hitler und Himmler sich rückhaltlos zum revolutionären Kampf gegen den Faschismus zu bekennen …“47 Saefkow möchte trotz einer
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grundsätzlichen Klärung der Stellung von Kommunisten in der Arbeiterschaft „nicht vom grünen Tisch her euch sagen , was ihr heute und morgen tun und lassen sollt“.48 Er empfiehlt beispielsweise , dass jeder Genosse den Kreis der Sympathisanten erweitert , konkret durch Sammlung der Adressen von sympathisierenden Soldaten und Genossen aus den wichtigsten Industrieorten der Provinz Brandenburg. Auch die „kleinste Unzufriedenheit“ in einem Betrieb sollte Anlass bieten , Verzögerungen oder Unterbrechungen von kriegswichtigen Arbeiten anzuregen. „Es geht fast nie um große politische Dinge , wenn das Faß der Unzufriedenheit überläuft und die Arbeiter zu handeln beginnen.“49 Saefkow hat sehr wohl auch „massenmäßige Sabotageakte der Rüstungsproduktion“ im Blick. Aber er weiß auch , dass der „geringste Schritt aktiven Kampfes [ … ] mehr wert [ ist ] als ein Dutzend prächtiger Diskussionen“.50 In der geschickten Einbindung von kleinen NS- und DAF-Funktionären51 in den Betrieben bis hin zur offenen Wahl von Kommunisten als Belegschaftsvertreter sieht er Möglichkeiten , die „erste Bresche in das faschistische Terrorregime“ zu schlagen. Einer in sonstigen Widerstandstexten oft übersehenen Personengruppe widmet Saefkow noch besondere Aufmerksamkeit : den „Ausländern“, und zwar den „zivilen Arbeitern und Kriegsgefangenen“. Dabei geht es ihm freilich nicht um deren bedauernswertes Schicksal , sondern um widerstandsdienliche Kontakte : „Soweit unter den Ausländern [ … ] Genossen sind , weisen wir sie auf ihre Pflicht hin , sich gleichfalls als Zelle oder Kader zusammenzuschließen , und stellen eine gutgesicherte Verbindung zu unseren Organisationen her.“52 Am Schluss seiner Ausführungen empfiehlt Saefkow noch Parolen , die zu verbreiten sind , darunter „Hört die Sendungen des Nationalkomitees!“. Spätestens hier macht er deutlich , dass seine Gruppe gleichsam der inländische Arm einer in der UdSSR tätigen kommunistischen Widerstandsorganisation sein will , die sich nach der Niederlage von Stalingrad gebildet hatte. Die Hoffnungen auf praktische Erfolge , die Saefkow in diesem Text vertrat , standen freilich im Gegensatz zu den extremen Gefahren für Leib und Leben , denen er und seine Genossen , auch in allen anderen Gruppen , täglich ausgesetzt waren. Ein Gestapo-Spitzel lieferte ihn schließlich ans Messer. Im Juli 1944 wurde er erneut verhaftet und im September vom Volksgerichtshof zum Tod verurteilt. Auch Theodor Neubauer ereilte dasselbe Schicksal. Er wurde im Februar 1945 hingerichtet. Der kommunistische Teil des Widerstands hatte insgesamt den höchsten Blutzoll zu entrichten.
Nationalkomitee Freies Deutschland |
„Für Volk und Vaterland !“ – Das Nationalkomitee Freies Deutschland in der UdSSR
Am 12. / 13. Juli 1943 gründeten in Krasnograd bei Moskau emigirierte deutsche Kommunisten , darunter Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck , und deutsche Kriegsgefangene das „Nationalkomitee Freies Deutschland“ ( N KFD ). Das Eröffnungsreferat bei der NKFD-Gündung hielt der emigrierte Schriftsteller und Kommunist Erich Weinert , der auch Präsident des NKFD wurde. Dieses Komitee schloss sich am 14. September 1943 mit dem kurz zuvor gegründeten „Bund Deutscher Offiziere“ ( BDO ) , die sich ebenfalls in sowjetischer Gefangenschaft befanden , zusammen. Dem NKFD wurde , wie bereits erwähnt , sogar ein eigener Rundfunksender zur Verfügung gestellt , der deutschlandweit empfangen werden konnte. Ebenso konnte das NKFD eine eigene Zeitung , „Freies Deutschland“, herausgeben. Das „Manifest“ des NKFD vom 19. Juli 194353 forderte die Bildung einer „wahrhaft deutschen Regierung“, mit der allein noch ein Frieden geschlossen werden könne. In der ersten von vier abschließenden Parolen hieß es : „Für Volk und Vaterland ! Gegen Hitler und seinen Krieg“. Vorrangige Zielsetzung des NKFD aber war , zunächst eine militärische Opposition auch in Deutschland zu bilden , die zum Sturz Hitlers führen sollte. In einem Aufruf vom 24. September 1943 wurden die deutschen Militärs aufgefordert , „die Armee gegen den Befehl Hitlers unter verantwortungsbewußter Führung an die Reichsgrenzen zurückzuführen“.54 Der BDO hatte auch einzelne kriegsgefangene Generäle gewinnen können , nachdem die Sowjets , allerdings nur mündlich , versprochen hatten , man werde sich für ein Deutsches Reich in den Grenzen von 1937 verwenden , wenn dem Offiziersbund ein Staatsstreich gegen Hitler gelänge. Damit setzte man auf das vor allem in den oberen Rängen des deutschen Heeres fest verankerte Nationalbewusstsein , das nicht mehr – wie in den Anfängen des Russlandkriegs – von sowjetischer Seite mit den allfälligen kommunistischen Parolen zugunsten eines „antifaschistischen“ Widerstands irritiert sein sollte. Mit taktischem Hintersinn entschied man sich bei der Außendarstellung – gegen die Farben Schwarz-RotGold der Weimarer Republik – für Schwarz-Weiß-Rot. Sie wurden auch auf Flugblättern verwendet , die über den Frontlinien abgeworfen oder über diese hinweg katapultiert wurden. Auch die Parole „Für Volk und Vaterland“ zielte auf das von den Nationalsozialisten geprägte Nationalbewusstsein. Doch weder die Flugblätter noch die Beschallung der deutschen Front per Lautsprecher mit Aufforderungen zur Desertion zeitigten nennenswerte Erfolge. Doch nicht nur
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die Angst vor Folgen einer Fahnenflucht , sondern auch der propagandistisch eingeimpfte Abscheu der deutschen Soldaten gegen den „bolschewistischen Feind“, mit dem man außerdem an der Front direkt konfrontiert war , machte diese „Feindpropaganda“ wirkungslos. In der Truppe hielt man die widerständigen Offiziere allgemein sogar für Hoch- und Landesverräter. Auch in den sowjetischen Kriegsgefangenenlagern stieß die Agitation des NKFD überwiegend auf Ablehnung.55 Einen ebenfalls zu vernachlässigenden Erfolg hatten die Rundfunksendungen des NKFD , zu deren Abhören Anton Saefkow in Berlin aufgefordert hatte. Saefkow versuchte vergeblich , in Deutschland selbst wichtige Militärs für die Pläne des NKFD zu gewinnen. Das Misstrauen gegen die Mitglieder von NKFD und BDO überdauerte im Westen Deutschlands das Kriegsende. Aber auch in der SBZ und DDR machten eigentlich nur die zivilen Mitglieder eine politische Karriere , während die Militärs – von einigen Ausnahmen abgesehen – sogar weiter als Kriegsverbrecher verfolgt werden konnten. „Freiheit und Sozialismus“ – Sozialdemokratischer Widerstand
Nach dem endgültigen Verbot der SPD am 22. Juni 1933 blieb ihren Anhängern wie den Kommunisten Widerstand nur noch im Untergrund oder vom Ausland aus möglich. Ihrer Reichstagsfraktion war es zuvor , anlässlich der Debatte und Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 noch möglich , öffentlich ihre Ablehnung der Diktatur zu bekunden. Von den 120 Fraktionsmitgliedern waren zu jenem Zeitpunkt aber bereits zahlreiche Genossen von diesem letzten öffentlichen Auftritt durch willkürliche Verhaftungen ferngehalten worden , so dass nur noch 94 SPD-Abgeordnete gegen das Ermächtigungsgesetz stimmen konnten. Der SPD-Parteivorsitzende Otto Wels konnte an diesem 23. März im Reichstag die letzte freie Rede halten.56 Darin versuchte er – meist unter Hohngelächter der NSDAP-Abgeordneten – , zahlreiche Übereinstimmungen mit der Regierungspolitik , etwa in der Zurückweisung der Kriegsschuldthese von 1919 und in den „gerechten Forderungen der deutschen Nation gegenüber den anderen Völkern der Welt“ aufzuzeigen. Er verwies auf die Leistungen der Sozialdemokraten „für den Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft“ und für die Herstellung einer gerechten Gesellschaftsordnung :
Deutschland-Berichte der Exil-SPD |
„Wir haben gleiches Recht für alle und ein soziales Arbeitsrecht geschaffen. Wir haben geholfen , ein Deutschland zu schaffen , in dem nicht nur Fürsten und Baronen , sondern auch Männern aus der Arbeiterklasse der Weg zur Führung des Staates offen steht. [ … ] Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit , der Freiheit und des Sozialismus.“ 57
Damit versuchte er zugleich , die Nationalsozialisten in ihrem nur verbalen Anspruch auf „Sozialismus“ zu treffen. Auch zog er ihren Anspruch auf eine „nationale Revolution“ in Zweifel , indem er erklärte : „Das Verhältnis Ihrer Revolution zum Sozialismus beschränkt sich bisher auf den Versuch , die sozialdemokratische Bewegung zu vernichten , die seit mehr als zwei Menschenaltern die Trägerin sozialistischen Gedankengutes gewesen ist.“58
Die ganze Rede von Wels stand natürlich unter dem Eindruck der schon laufenden Verfolgung von Demokraten , nicht zuletzt der eigenen Genossen. Seine Rede beschloss er denn auch mit dem bewegenden Gruß : „Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut , ihre ungebrochene Zuversicht verbürgen eine hellere Zukunft.“59 Zum viel zitierten Kern- und Schlüsselsatz der Rede aber ist der Ausruf von Wels geworden : „Freiheit und Leben kann man uns nehmen , die Ehre nicht.“60 „Größenwahn einer prahlerischen Führungskaste“ – Die Deutschland-Berichte der Exil-SPD
Einen nicht geringen Teil der Sozialdemokraten allerdings verließ nach Zerschlagung ihrer Organisationsstrukturen und Inhaftierung zahlreicher Funktionäre der „Bekennermut“, auch nachdem es den Nationalsozialisten gelungen war , einen Teil genuin sozialdemokratischer Forderungen zur Sozial- und Arbeitspolitik – wenn auch auf eigene Art – zu erfüllen. Dennoch pflegte der größere Teil auch nach einem offiziellen Rückzug ins Private in kleineren Zirkeln das „sozialistische Gedankengut“ weiter.61 Aktiv bleibende Teile der Partei hielten mit meist nur lockeren Kontakten untereinander im Inland illegale Zusammenschlüsse aufrecht , die sich für Widerstandshandlungen bereithielten. Eine dieser Gruppen um den Journalisten Werner Blumenberg nannte sich „Sozialistische Front“, die 1934–36 im
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Untergrund vier- bis sechswöchentlich die „Sozialistischen Blätter“ mit bis zu 1. 000 Exemplaren herstellte und verteilte. Diese wie andere in Deutschland produzierten Schriften wandten sich aber grundsätzlich nur an Parteimitglieder und nicht an eine breitere Öffentlichkeit. Das gilt auch für ein anderes illegales Periodikum , das von der Exil-SPD im Ausland hergestellt und auf konspirativem Weg in Deutschland unter Genossen verbreitet wurde. Die Leser waren zugleich auch die Hauptlieferanten für Informationen zur tatsächlichen Lage im Reich , die in diesem Periodikum verarbeitet wurden. Schon im Mai 1933 hatte sich die Exil-SPD , unter anderem mit Otto Wels , zunächst in Prag konstituiert. Ab 1938 arbeitete sie , der deutschen Besetzung jeweils ausweichend , vorübergehend in Paris und ab 1940 in London. Sie firmierte unter dem Silbenkurzwort „Sopade“ für „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“. Ihr Periodikum , das 1934–40 existierte , nannte sich entsprechend „Deutschland-Berichte der Sopade“.62 Die anonymen Berichte der „Sopade“ zeigen an zahlreichen Beispielen , wie sich schon im Kleinen der alltägliche NS-Terror gegen Andersdenkende und abweichend Handelnde auswirkte , etwa wenn selbst Kinder wegen „Rassenschande“ verfolgt wurden , aber auch wie oft selbst Durchschnittsbürger gegen die NS-Normen bewusst verstoßen konnten. 1935 berichteten die „Deutschland-Berichte“ in einer Übersicht über den „Terror gegen Juden im Dritten Reich“ und informierten aus konkret genannten Orten , dass dort beispielsweise in jüdischen Geschäften Fensterscheiben eingeschlagen wurden , Juden der Zuzug und der Kauf von Grund und Boden sowie der Zutritt zu öffentlichen Einrichtungen verboten worden waren.63 Im selben Jahrgang kann es erstaunlicherweise noch heißen : „Im Allgemeinen wird der Judenboykott von der Bevölkerung abgelehnt. Es zeigt sich trotz der Veröffentlichung im Prangerkasten64 , daß teilweise aus Widerwillen gegen das jetzige Regime , nun erst recht beim Juden gekauft wird.“65 Eine solche Parteinahme zugunsten der Juden wurde allerdings nicht allgemein geteilt. An gleicher Stelle kann man nämlich auch lesen : „Eigentlich haben ja die Nazis mit ihrem Kampf gegen die Juden doch recht , aber man ist gegen die Übertreibungen [ ! ] dieses Kampfes und wenn man in jüdischen Warenhäusern kauft , dann tut man es in erster Linie nicht , um den Juden zu helfen , sondern um den Nazis eins auszuwischen.“66 Anlässlich einer konkreten polizeilichen Verfolgungsmaßnahme konnte der Protest aus der Bevölkerung indes sogar in sehr realistischer Sprache wiedergegeben werden : „Unverblümt wurde den Polizeibeamten , die aufforderten , weiterzugehen , gesagt , sie sollten sich besser um die Schweine von Nazis
Programm der „Sozialistischen Aktion“ |
bekümmern , die sich täglich herumsauen und dann anständigen Juden und Mädchen die Ehre rauben.“67 Die unbezweifelbare Gegnerschaft der Sozialdemokraten zum Regime , „das barbarischste System , was die Welt je gesehen hat“68 , äußerte sich in zahlreichen Stigmawörtern , die vor allem gegen die NS -Methoden der Meinungs- und Sprachlenkung gerichtet waren , die als „Hetz-“ und „Hasspropaganda“, aber auch als „Propagandabrutalität“ charakterisiert wurden. Schon 1935 wurde der „Größenwahn einer prahlerischen Führungskaste“ angeprangert , deren Gesetzgebung als „Terrorgesetze“ bezeichnet wurde. Anders als die Widerstandstexte von Kommunisten und mancher nicht parteigebundenen Sozialisten oder Anhänger „rechthaberischer Splittergruppen“, wie die „Sopade“ Gruppierungen jenseits von KPD und SPD benennt69 , zeichnen sich diese Berichte sprachlich weitgehend durch Verzicht auf ideologische Versatzstücke aus , wirken aber gerade dadurch besonders überzeugend. Natürlich beruft man sich auf die „guten Kräfte der alten Bewegung“, soll heißen : der Arbeiterbewegung. Die treu gebliebenen Genossen , die „aktiven Sozialisten“, gelten als „politisch selbständig denkende Menschen“. Gegen die Kommunisten grenzt man sich trotz des gemeinsamen Leidensdrucks ausdrücklich ab. Deren Kampf wird als „Raubbau an den Kräften der Arbeiterschaft“ kritisiert , weil er zwar mutig , aber erfolglos sei und weil man offenbar lieber in die KZ s wandere. Zur kommunistischen Forderung einer „Volksfront“ hält man nach wie vor Abstand. Aber auch die „bürgerlichen“ Oppositionsgruppen fallen der „Sopade“-Kritik anheim , nicht zuletzt die Kirchen. Die katholische sei viel zu kompromissbereit , ja sogar zum Paktieren mit dem Unrechtssystem bereit , und die protestantische verharre immer noch in den Traditionen einer „Staatskirche“.70 „Zur Rettung Deutschlands“ – Das Programm der „Sozialistischen Aktion“
Es waren eher sozialdemokratische Einzelkämpfer wie Theodor Haubach und Carlo Mierendorff , die außer zu Gleichgesinnten einen direkten Kontakt auch zu bürgerlichen Widerstandskreisen suchten und fanden und dabei ihr sozialistisches Gedankengut auch sprachlich wirksam werden ließen , nicht zuletzt im „Kreisauer Kreis“. Nach seiner Haft während der Jahre 1933–38 in verschiedenen KZs gelangte Carlo Mierendorff , Journalist und vormaliger SPD -Reichstagsabgeordneter ,
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nach Wiederaufnahme früherer politischer Kontakte in den Widerstandskreis um Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg. Dieser Kreis wurde – übrigens erstmals so in SS-Ermittlungsakten von 1944 – nach dem Ort seiner Treffen auf dem niederschlesischen Familiengut der Moltkes Kreisau benannt. In Widerstandskreisen sprach man von „Grafenkreis“. In diesem Kreis übernahm Mierendorff unter dem Decknamen „Dr. Friedrich“ die Aufgabe , sozialpolitische Perspektiven für die Zeit nach Hitler zu entwerfen. 1943 legten er und Gesinnungsgenossen des Kreises Vorstellungen von einer „Sozialistischen Aktion“71 vor , die auf der 2. Kreisauer Haupttagung zu Pfingsten dieses Jahres als Programm des gemeinsamen Handelns beschlossen wurde. In der Präambel wird erklärt : „Die Sozialistische Aktion ist eine überparteiliche Volksbewegung zur Rettung Deutschlands. Sie kämpft für die Befreiung des deutschen Volkes von der Hitlerdiktatur , für die Wiederherstellung seiner durch die Verbrechen des Nazismus niedergetretenen Ehre und für seine Freiheit in einer sozialistischen Ordnung.“72
Als „Ausdruck der Geschlossenheit und Einheit“ soll ein „Aktionsausschuß“ aus Vertretern der „christlichen Kräfte“, der „sozialistischen Bewegung“, auch der „liberalen Kräfte“ und sogar der „Kommunistischen Bewegung“ bestehen.73 Dieser Partei- und ideologische Grenzen weit überschreitende Ansatz wird später im Text – mit Blick auf frühere Spaltungen – noch einmal bekräftigt : „Nie wieder soll das deutsche Volk sich im Parteienstreit verirren ! Nie wieder darf die Arbeiterschaft sich im Bruderkampf zerfleischen !“74 Symbol der Aktion soll eine rote Fahne sein , aber „mit dem Symbol der Freiheit“, was gegen das Hakenkreuz in der roten NS-Fahne gerichtet erscheint , vielleicht auch gegen Hammer und Sichel der Kommunisten. Die neue Fahne soll nämlich einen „sozialistischen Ring“ zeigen , der „mit dem Kreuz“ vereint sein soll. Diese christliche Symbolzutat wird durch die dritte der insgesamt neun Forderungen des Programms verständlich , wenn es heißt : „Achtung vor den Grundlagen unserer Kultur , die ohne das Christentum nicht denkbar ist.“75 Im „Kreisauer Kreis“ hatte Mierendorff intensive Kontakte mit Vertretern der „christlichen Kräfte“ , darunter mit Katholiken wie den Jesuiten Alfred Delp und Lothar König und mit Protestanten wie dem Theologen Eugen Gerstenmaier und dem Pfarrer Harald Poelchau , was nicht ohne Einfluss auf seine Haltung zum Christentum blieb. Einer der wichtigen Anreger des Kreises war überdies der evangelische Theologe Paul Tillich , der einen christlichen Sozialismus vertrat. Gleichwohl geht es in diesem Programm zentral um sozialistische Perspektiven , wie auch in den konkreten Forderungen 4–7 deutlich wird. Darin wird
„Kreisauer Kreis“ als Denkfabrik der Opposition |
eine „sozialistische Ordnung der Wirtschaft“ und gegen die „Macht des Großkapitals“ eine „Enteignung der Schlüsselindustrie“ verlangt , ferner eine „Selbstverwaltung der Wirtschaft unter Gleichberechtigung des arbeitenden Volkes“ und eine „Sicherung der Landwirtschaft“ gegen „kapitalistische Interessen“.76 Das sind alles genuin sozialistische Forderungen , die auch mit den traditionellen Begriffen wie „Großkapital“ und „kapitalistische Interessen“ argumentieren , mit denen das herrschende System stigmatisiert wird. Dennoch enthält sich das Programm des Fahnenworts „Arbeiterklasse“. An seine Stelle treten die neu traleren Varianten „Arbeiterschaft“ und „arbeitendes Volk“. Dies geschah wohl nicht nur aus Rücksicht auf die „bürgerlichen“ Mitstreiter , sondern wohl auch aus der Einsicht , dass der „Parteienstreit“ zwischen den verschiedenen „Arbeiterparteien“ und die Vereinnahmung großer Teile der Arbeiterschaft durch den Nationalsozialismus den Gebrauch des Begriffs einer einheitlichen „Arbeiterklasse“ inzwischen als überholt erscheinen ließ. Auch den nationalkonservativen Kräften kommt das Programm mit etlichen Formulierungen entgegen , etwa „deutsches Volk“, „der deutsche Name“, „alle aufrechten Deutschen“, „Rettung Deutschlands und des gemeinsamen Vaterlands“ und „Wiederherstellung seiner Ehre“. Gemäß dem Grundkonsens im „Kreisauer Kreis“ werden die Forderungen des Programms umrahmt von Aufrufen zur „Wiederherstellung von Recht und Gerechtigkeit“, zur „Beseitigung des Gewissenszwanges und zu unbedingter Toleranz in Glaubens- , Rassen- und Nationalitätenfragen“, ferner zum „Abbau des bürokratischen Zentralismus“ und zum „organischen Aufbau des Reiches aus seinen Ländern“77 sowie zur „aufrichtigen Zusammenarbeit mit allen Völkern“. An entschiedener Gegnerschaft zum NS -Regime hat es das Programm – wie teilweise schon zitiert – wahrlich nicht fehlen lassen. „Nazismus“, „der Nationalsozialismus und seine Lügen“, „Machtwahn des Faschismus“, „Hitlers Machtwahn“, „Hitlerdiktatur“, „politischer , moralischer und wirtschaftlicher Verfall“ sind mehr als deutliche Worte. An einer Stelle schwingt sich der Text sogar zu einem Appell wie auf einem Flugblatt auf : „Fort mit Hitler ! Kampf für Gerechtigkeit und Frieden !“78
„Dann ist es ein gerechter Staat“ – Der „Kreisauer Kreis“ als Denkfabrik der Opposition
Von so direkten Handlungsaufforderungen wie im Programm der „Sozialistischen Aktion“ hielten sich die meisten Mitglieder des „Kreisauer Kreises“ um Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg
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weitgehend fern , bis sich etliche Mitglieder doch zu konkretem Widerstandshandeln entschlossen , was viele nach dem Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 in den Strudel der gnadenlosen Verfolgung von tatsächlichen oder nur mutmaßlichen Mitverschwörern zog. Yorck etwa wurde in der Nacht vom 20. /21. Juli 1944 verhaftet und kurz darauf hingerichtet. Moltke war bereits im Januar 1944 verhaftet worden und wurde erst ein Jahr später , am 23. Januar 1945 , in Berlin-Plötzensee ermordet. Im Wesentlichen diskutierten und formulierten zwischen 1940 und 1943 die rund zwanzig Mitglieder , die den festen Kern des „Kreisauer Kreises“ bildeten , in ihren mehr oder weniger regelmäßigen Zusammenkünften philosophischethische und politisch-theoretische wie -praktische Grundlagen für eine demokratische Zukunft Deutschlands nach einem Ende der NS-Diktatur. Eine solche Runde , die man heute eine „Denkfabrik“ nennen würde , darf trotz ihrer aktionsfernen Arbeit nicht gering geachtet werden. Im Schatten der geistigen Gleichschaltung , die ab 1933 alle Lebensbereiche erfasst hatte , stellte sie eine der wenigen , aber ständig bedrohten Möglichkeiten eines freien Gedankenaustauschs dar. Dessen Offenheit schlug sich nicht zuletzt in der Mitwirkung einer etwa gleich großen Gruppe weiterer , weltanschaulich unterschiedlicher Sympathisanten nieder. Hier trafen Vertreter ideologisch oft einander fremder Richtungen zusammen , die versuchten , ihre Positionen einem gemeinsamen Ziel anzunähern. Die Möglichkeit etwa von Sozialisten , ihr spezifisches Gedankengut wie in der „Sozialistischen Aktion“ in die Debatten einzuführen und dem gemeinsamen Ziel dienstbar zu machen , war nur eins der Beispiele für die geistige Freiheit des Kreises. Der dabei gepflegte differenzierte Sprachgebrauch war bereits für sich ein Symbol der Freiheit gegen die NS-offizielle Sprachdiktatur. Schon vor Kriegsbeginn hatten Moltke und Yorck jeweils eigene Freundeskreise von Oppositionellen um sich versammelt. 1940 trafen Moltke und Yorck erstmals persönlich zusammen , im selben Jahr begannen die fester geplanten Zusammenkünfte. Wie grundsätzlich die beiden Mentoren des Kreises ihr zentrales Thema einer geistigen Erneuerung und staatlichen Neuordnung Deutschlands angingen79 , geht bereits aus einem persönlichen Briefwechsel hervor , in dem Moltke am 16. Juni 1940 an Yorck unter anderem schrieb : „Wir kamen zur Frage der Definition eines solchen Staates , und ich schlug als Kriterium die Gerechtigkeit vor [ … ] Damit blieb übrig die Definition der Gerechtigkeit , und wir einigten uns darauf , daß Gerechtigkeit darin bestünde , daß im Rahmen des Staatsganzen ein Jeder sich voll entfalten und entwickeln könnte.“80
Moltkes Denkschrift 1939/40 |
Nach Zurückweisungen falscher Bestimmungen des Staates , deren Vertreter auch ungenannt in Anhängern der NS-Ideologie zu erkennen sind , heißt es dort weiter : „Die letzte Bestimmung des Staates ist es daher , der Hüter des Einzelmenschen81 zu sein. Dann ist es ein gerechter Staat.“ Auch ein anderes frühes Mitglied des Kreises wie der Staatsrechtler Otto Heinrich von der Gablentz reflektierte über ethische Grundsatzfragen , wie aus einem Brief an Moltke vom 9. August 194082 hervorgeht. Dieses Schreiben ist zugleich ein Zeugnis für die später auch von Mierendorff und anderen übernommene grundsätzlich christliche Orientierung einer Zukunftsplanung. Bei aller Abwehr engerer christlicher und kirchlicher Ansprüche schreibt von der Gablentz : „Im Gegensatz zu Ihnen meine ich , daß Staatslehre überhaupt nur von der Theologie her zu begründen ist.“83 Und weiter schreibt er : „Der Staat hat einen Sinn , soweit er sich ausrichtet nach dem Maßstab des Reiches Gottes , nämlich durch den freien Menschen die richtige Ordnung zu verwirklichen.“84 „Das rechte Verantwortungsgefühl“ – Moltkes Plädoyer für einen Staat freier Menschen
Als Grundlage der gemeinsamen Reflexionen über eine künftige staatliche Ordnung muss Moltkes Denkschrift von 1939/40 über die „Kleinen Gemeinschaften“ gelten , die zum Schlüsseldokument des „Kreisauer Kreises“ werden sollte. Sie ist natürlich zunächst als fundamentaler Widerspruch zum Zentralismus des NS -Gleichschaltungsstaats zu verstehen , kann aber in ihren grundsätzlichen Überlegungen gerade in Zeiten der immer umfassender und mächtiger werdenden politischen Organisationen auf europäischer wie globaler Ebene auch eine sehr aktuelle Geltung beanspruchen. Schon im Eingang dieses Texts kommt die hohe Wertschätzung des „einzelnen Menschen“ zum Ausdruck : „Ich gehe davon aus , daß es für eine europäische Ordnung unerträglich ist , wenn der einzelne Mensch isoliert und nur auf eine große Gemeinschaft , den Staat , ausgerichtet wird. Der Vereinzelung entspricht die Masse ; aus einem Menschen wird so ein Teil der Masse.“85
Moltke plädiert schon hier wie im gesamten Text für einen Staatsaufbau „von unten“, wenn er schreibt , es werde nur der das „rechte Verantwortungsgefühl“ haben , „der in kleineren Gemeinschaften in irgendeiner Form an der Verantwortung mitträgt , andernfalls entwickelt sich bei denen , die nur regiert werden , das Gefühl ,
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daß sie am Geschehen unbeteiligt und nicht dafür verantwortlich sind , und bei denen , die nur regieren , das Gefühl , daß sie niemandem Verantwortung schuldig sind als der Klasse der Regierenden.“86
Damit nimmt Moltke gleichsam ein wesentliches Motiv heutiger Politikverdrossenheit vorweg. Konsequenterweise fordert er zunächst – ausdrücklich jeder „Vereinsmeierei“ abhold – , dass schon auf der untersten Ebene , in Vereinigungen wie Hausgemeinschaften , Fördergemeinschaften für Schulen und Kindergärten oder freiwilliger Feuerwehr , eben in kleinen Gemeinschaften , Verantwortung eingeübt werde. „Das Wesen einer kleinen Gemeinschaft besteht darin , eine Anzahl von Menschen zu einem ihnen gemeinsamen Zweck in einer solchen Weise zusammenzufassen , daß sie die Verfolgung ihres besonderen Zwecks als in den Rahmen der großen Gesamtheit gestellt , begreifen.“87
Als immer noch aktuell kann seine Feststellung zum Wesen solcher Vereinigungen gelten : „Die Grundlage einer Einordnung in die Staatsverwaltung wird stets eine Form der Selbstverwaltung sein müssen.“88 Staatliche Aufgaben , auch „staatliche Herrschaftsgewalt“ üben dann auf einer nächsthöheren Stufe die Gemeinwesen aus , Landgemeinde , Kreis , Stadt und Provinz. Schließlich obliegen dann dem Staat als „Zentralgewalt“, neben Wehrmacht und Außenpolitik die Bereiche Wirtschafts- und Steuerpolitik sowie Justiz einheitlich zu regeln. Aber Moltke erklärt auch : „Das Verhältnis von Staat zu Gemeinwesen auf dem ihm übertragenen Gebiet muss sich auf die Aufsicht beschränken ; Aufsicht bedeutet Aufsicht über die Organe der Gemeinwesen und Ablehnung jeder Einwirkung auf die den Organen untergeordneten Beamten der Gemeinwesen.“89
Auch ohne agitatorische Attitüde war damit der deutlichste Widerspruch gegen eine zentralistische Staatsauffassung formuliert , die wie im NS-Regime für die Zentralgewalt , möglichst noch in Gestalt eines einzigen Führers , eine Gleichschaltung aller politischen und sozialen Ebenen beanspruchte und durchsetzte.
Die „Weiße Rose“ in ihren Flugbättern |
„Widerstand – wo immer Ihr auch seid“ – Die „Weiße Rose“ in ihren Flugbättern
Als eins der beschämend seltenen Zeugnisse einer Opposition von Studenten gegen die Hitler-Diktatur kann der Zusammenschluss einer Gruppe Münchner Studierender gewertet werden. Er hatte sich im Sommer 1942 unter dem Decknamen „Weiße Rose“ zusammengefunden , der angeblich willkürlich gewählt war , aber auch dem Titel eines Romans von Bruno Traven , „La Rosa Blanca“, deutsch „Die Weiße Rose“ ( 1929 ) , entlehnt gewesen sein könnte.90 Den Kern der Gruppe bildeten die Geschwister Hans und Sophie Scholl , Willi Graf , Alexander Schmorell und Christoph Probst , deren geistige und politische Übereinstimmung bereits in ihren akademisch und christlich geprägten Familien grundgelegt worden war. Philosophische und musische Interessen , nicht zuletzt in engem Kontakt mit ihrem Mentor , dem Münchner Professor für Musikwissenschaft Kurt Huber , aber auch Fronterfahrungen von Hans Scholl , Graf und Schmorell wurden zur Basis ihres Widerstandswillens. Allerdings war ihr Weg in den Widerstand keineswegs geradlinig. Für Sophie Scholl sind Belege für eine anfangs sehr wohl zustimmende Haltung zum NS-Regime , etwa ihre freiwillige Mitwirkung im „Bund Deutscher Mädel“ ( BDM ) bis 1941 , zu finden. Und ihr Freund Fritz Hartnagel freute sich noch bei Kriegsbeginn „aufs Knallen“.91 Zur Charakterisierung ihrer zuletzt doch kritischen Haltung genügen die insgesamt sechs Flugblätter , die Mitglieder dieses Kreises hergestellt und verteilt hatten92 , bevor die Gestapo zuschlug , eigentlich nicht. Mindestens so wichtig wäre eine ausführliche , hier aber nicht zu leistende Betrachtung der zahlreichen persönlichen Briefe und Aufzeichnungen , in denen sich die Freunde untereinander , aber auch jeder einzeln ihrer Position zu sehr grundsätzlichen , auch Glaubensfragen zu vergewissern suchten.93 Sie pflegten unter anderem intensive Kontakte zu den katholischen Publizisten Carl Muth und Theodor Haecker. Man könnte darin im weitesten Sinne Parallelen zu den persönlichen Vorklärungen von Grundsatzfragen durch Moltke und Yorck sehen , bevor im „Kreisauer Kreis“ konkretere Ziele ins Auge gefasst wurden. Was immerhin an eine zunächst sehr begrenzte Öffentlichkeit gelangte , waren die Flugblätter , die zwischen Juni 1942 und Februar 1943 verfasst wurden. Die ersten vier , von Scholl und Schmorell geschrieben , wandten sich in jeweils rund einhundert Exemplaren an ausgewählte Adressen einer intellektuellen Oberschicht in München und Umgebung. Die Widerstandsabsicht wird dabei unmissverständlich formuliert , etwa im ersten Flugblatt : „Leistet passiven Widerstand – Widerstand – wo immer Ihr auch seid.“ 94 Im zweiten Flugblatt heißt es : „ … doch jetzt , da man sie [ die Nationalsozialisten ] erkannt hat , muss
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es die einzige und höchste , ja heiligste Pflicht eines jeden Deutschen sein , die Bestien zu vertilgen.“ Und im 4. Flugblatt : „Wir müssen das Böse dort angreifen , wo es am mächtigsten ist , und es ist am mächtigsten in der Macht Hitlers.“ Gemäß dem Bildungsstand der Verfasser wie der Adressaten sind die Texte mit zahlreichen , teilweise ausführlichsten literarischen Zitaten sowie Anspielungen auf die literarische Tradition untermauert. Bereits im ersten Flugblatt ist von den „Boten der rächenden Nemesis“ aus der griechischen Mythologie die Rede. Schiller wird mit einem längeren Auszug aus der „Gesetzgebung des Lykurgus und Solon“ zitiert , und ein Auszug aus Goethes „Des Epimenides Erwachen“ mit dem mehrfachen Ausruf „Freiheit“ beschließt den Text. Das zweite Flugblatt geht ausdrücklich auf die hunderttausendfache Ermordnung von Juden in Polen ein , endet aber auch mit längeren Zitaten von Laotse. Das dritte Fugblatt , das den Aufruf zu passivem Widerstand aus dem ersten wiederholt , nun aber auch dringend zur „Sabotage“ auf allen Ebenen rät , wird mit dem lateinischen Satz „Salus publica suprema lex“, „Das öffentliche Wohl ist das höchste Gesetz“, eingeleitet und schließt mit einem Auszug aus der Schrift des Aristoteles „Über die Politik“, in dem es um Tyrannei geht. Das vierte Flugblatt warnt vor einem falschen Optimismus nach Hitlers militärischen Erfolgen durch Rommels Siege in Nordafrika , bemüht aber ebenfalls wieder die abendländische Tradition mit längeren Zitaten aus den biblischen „Sprüchen Salomons“ und von Novalis. Solche bildungsbürgerlichen Markierungen sowie der spezifische Stil der Texte veranlassten die Gestapo , einen Stab von hörigen Geisteswissenschaftlern zu beschäftigen , welche die mutmaßlichen Autoren identifizieren sollten. Tatsächlich war man mit dieser Arbeit , wie der Drehbuchautor Fred Breinerdorfer bei seinen Recherchen zum Film „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ von 2005 feststellen konnte95 , schon vor der eher zufälligen Verhaftung von Hans und Sophie Scholl so weit gediehen , dass man der Gestapo zielführende Hinweise auf die Verfasser geben konnte. Doch zunächst wechselte die Gruppe noch ihren Flugblattstil. Sowohl die Niederlage bei Stalingrad als auch eine gewisse Unzufriedenheit Kurt Hubers mit den ersten Flugblättern und ihrer Verbreitung legten einen Wandel nahe. Das fünfte Flugblatt , ein „Aufruf an alle Deutschen“, nun von Huber selbst und Hans Scholl verfasst , firmierte gleichsam unter einem Reihentitel : „Flugblätter der Widerstandsbewegung“. Sein Stil war nun direkter , zupackender und enthielt sich aller akademischen Argumentationskunst. In Sperrschrift konnte man lesen : „Hitler kann den Krieg nicht gewinnen , nur noch verlängern.“ Ausdrücklich fragen die Verfasser :
Die „Weiße Rose“ in ihren Flugbättern |
„Deutsche ! Wollt Ihr und Eure Kinder dasselbe Schicksal erleiden , das den Juden widerfahren ist ? Wollt Ihr mit dem gleichen Masse gemessen werden , wie Eure Verführer ? Sollen wir auf ewig das von aller Welt gehasste und ausgestossene Volk sein ?“
Die klare Antwort lässt nur Widerstand zu : „Nein ! Darum trennt Euch von dem nationalsozialistischen Untermenschentum ! Beweist durch die Tat , dass Ihr anders denkt ! [ … ] Entscheidet Euch , eh’ es zu spät ist !“ Darin wird wie schon im ersten Flugblatt das NS-Stereotyp vom „Untermenschentum“ gegen seine Urheber zurückgelenkt. Und der negativen Aussicht auf ein schreckliches Ende unter einer NS-Herrschaft , ihres „imperialistischen Machtgedankens und preussischen Militarismus“ wird die positive Vision einer friedlichen Neuordnung gegenübergestellt : „Nur in grosszügiger Zusammenarbeit der europäischen Völker kann der Boden geschaffen werden , auf welchem ein neuer Aufbau möglich sein wird.“ Mit dieser europäischen Perspektive , ferner mit den Forderungen , das künftige Deutschland könne „nur föderalistisch“ sein , und einer Befreiung der Arbeiterschaft aus „niedrigster Sklaverei“ durch einen „vernünftigen Sozialismus“, nicht zuletzt aber auch mit dem dringenden Verlangen nach Schutz des einzelnen Bürgers vor staatlicher Willkür hat die „Weiße Rose“ eine Position formuliert , die in wesentlichen Punkten mit der des „Kreisauer Kreises“ übereinstimmt. Der sprachliche und stilistische Umschwung zugunsten einer klareren , allgemeinverständlicheren Aussage ging mit einer starken Erhöhung der Auflagenzahl einher. Das fünfte Flugblatt erreichte mit mindestens 6. 000 Exemplaren zahlreiche Städte in Süddeutschland und Österreich. Das sechste und letzte der verbreiteten Flugblätter , von Huber entworfen , von Hans Scholl und Schmorell korrigiert , wandte sich noch einmal an einen engeren , studentischen Adressatenkreis , an „Kommilitoninnen ! Kommilitonen !“, wie es in der Anrede hieß. Äußerer Anlass dieser Adressierung , der im Text auch zur Sprache kommt , war eine Rede des Gauleiters Paul Giesler vor den Studierenden in München , in der er die Studentinnen aufgefordert hatte , ihren Kriegsbeitrag vor allem durch Gebären zu leisten. Es kam zu einem öffentlichen Aufruhr , der aber niedergeschlagen wurde. Dazu liest man nun : „Gauleiter greifen mit geilen Spässen den Studentinnen an die Ehre. Deutsche Studentinnen haben an den Münchner Hochschulen auf die Besudelung ihrer Ehre eine würdige Antwort gegeben.“ Den größeren thematischen Rahmen dieses Texts aber bot die deutsche Katastrophe von Stalingrad. Dazu heißt es einleitend :
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„Erschüttert steht unser Volk vor dem Untergang der Männer von Stalingrad. Dreihundertdreissigtausend deutsche Männer hat die geniale Strategie des Weltkriegsgefreiten [ Hitler ] sinn- und verantwortungslos in Tod und Verderben gehetzt. Führer , wir danken dir !“
Anschließend folgt eine „Abrechnung unserer deutschen Jugend mit der verabscheuungswürdigsten Tyrannis , die unser Volk je erduldet hat“. Mit mehr als deutlichen Worten wird die geistige Knebelung durch die sogenannte weltanschauliche Schulung durch HJ , SA , SS und die Perversion der Begriffe „Freiheit und Ehre“ angeprangert. Konkret fordert der Text : „Kampf der Partei ! Heraus aus den Parteigliederungen , in denen man uns politisch weiter mundtot halten will ! Heraus aus den Hörsälen der SS-Unter- oder Oberführer und Parteikriecher ! Es geht uns um wahre Wissenschaft und echte Geistesfreiheit !“ Bei der Auslage dieses Flugblatts im Lichthof der Münchner Universität am 18. Februar 1943 wurden Hans und Sophie Scholl dank eines besonders diensteifrigen Handwerkers der Hochschule verhaftet. Zusammen mit Christoph Probst wurden sie nach längeren Verhören bereits vier Tage später , am 22. Februar , vom Volksgerichtshof zum Tod verurteilt und noch am selben Tag enthauptet. Ein zweiter Prozess im April 1943 gegen weitere Mitglieder und Sympathisanten der Gruppe endete neben Haftstrafen für weniger Belastete mit Todesstrafen für drei der Angeklagten , für Willi Graf , Alexander Schmorell und den Mentor Kurt Huber. Das sechste Flugblatt gelangte indes durch Vermittlung von Moltke über Skandinavien , wie schon erwähnt , nach England , wo es , als „EIN DEUTSCHES FLUGBLATT“ überschrieben , mit dem Titel „Manifest der Münchner Studenten“ vervielfältigt und im Herbst 1943 in 1,5 Millionen Exemplaren von britischen Bombern über Deutschland abgeworfen wurde. So akademisch verhalten manche Äußerungen der „Weißen Rose“, insbesondere in ihren ersten Flugblättern , auch erscheinen mögen , so eindeutig sind jeweils die Urteile über das verbrecherische NS-System und seinen Diktator. Sie äußern sich in Stigmawörtern wie „nationalsozialistischer Terrorstaat“, „Diktatur des Bösen“, „Parteiclique“, „braune Horde“, „Verführer“, „Schurken“, „Ausbeuter“, „Mordbuben“, „Bestien“, „Hybris eines Untermenschen“, „rücksichtslos“, „bestialisch“ und „teuflisch“. Solche Worte stehen in einer Reihe mit Wandparolen , welche die Gruppe unter ständiger Lebensgefahr in den nächtlichen Straßen von München anbrachte und die keinen Zweifel an ihrem Widerstandswillen ließen , etwa „Freiheit“, „Nieder mit Hitler“ oder „Hitler Massenmörder“. Die zutiefst idealistische Haltung der
Ludwig Beck und die Rolle des Militärs |
„Weißen Rose“ blieb also wahrlich nicht in feingeistigen Erörterungen stecken. Und sie machten , was in Widerstandskreisen keineswegs selbstverständlich war , auf das Leiden der Juden unter dem NS-Mordsystem aufmerksam.
„Höchste Verantwortung vor dem gesamten Volke“ – Ludwig Beck und die Rolle des Militärs
Entgegen manchen Verdrängungsversuchen nach 1945 war der Massenmord an Juden in den ab 1939 eroberten Ostgebieten in der Wehrmacht keineswegs unbekannt. Bis in hohe Stäbe war man sogar über konkrete Aktionen der Einsatzgruppen informiert , und nicht selten mussten Wehrmachtsangehörige daran aktiv teilnehmen. Berichte hierüber , die an die Westfront gelangten , riefen unter dort stationierten deutschen Offizieren Unruhe , sogar Entsetzen hervor. Zweifel von Militärs an der Tolerierbarkeit der Hitler-Diktatur waren allerdings schon älter. Eine realistische Aussicht auf einen radikalen Sturz des NS-Regimes von innen konnte nach Lage der Dinge letztlich nur das Militär bieten. Weder die vielfach taktierenden Kirchen noch die dezimierte Opposition linker Kräfte und auch nicht der idealistische Opfermut einzelner Intellektuellenkreise hätte ohne militärische Unterstützung einen nachhaltigen Erfolg zeitigen können. Doch war den oppositionellen Kräften in der deutschen Wehrmacht durch sehr grundsätzliche Bedingungen ein kraftvolles Vorgehen gegen die Diktatur unmöglich gemacht. Hitler hatte zunächst der Reichswehr- , dann der Wehrmachtsführung durch seine intensive Aufrüstungspolitik gegen die Beschränkungen des Versailler Friedensvertrags , aber auch schon in der Abwehr von konkurrierenden Ansprüchen der SA 1934 ein neues Selbstbewusstsein vermittelt , mit dem die Militärs seine sonstige Politik – mochte sie im einzelnen noch so fragwürdig erscheinen – immer wieder billigend in Kauf nehmen konnten. Ein Großteil der jüngeren Offiziere zeichnete sich sogar bereits durch eine ideologisch gefestigte NS-Gefolgschaftstreue aus. Bei kriegserfahrenen älteren Offizieren herrschte freilich gegen die Eroberungspläne Hitlers eine durchaus skeptische Haltung. So nahm etwa der Chef des Generalstabs des Heeres Ludwig Beck nach Kritik an Hitlers Kriegsvorbereitung am 1. Oktober 1938 seinen Abschied aus der Wehrmacht. Drei Jahre zuvor hatte er Hitler noch als „Erneuerer und Mehrer der Wehrmacht“ gefeiert.96 Aber die außenpolitischen Erfolge 1938 , die grandiosen militärischen Erfolge ab 1939 bis zum Sieg über Frankreich 1940 und die Siege über sowjetische Armeen 1941 / 42 lähmten entschiedenere Aktivitäten
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gegen einen offenbar so erfolgreichen Politiker und Feldherrn wie Hitler. Ein Versuch , ihn auf dem Zenit seiner Erfolge als unfähig , gar als verbrecherisch darzustellen , wäre von der großen Mehrheit der Deutschen als Verrat , auch an den schon gebrachten Opfern für diese Siege , ausgelegt worden. Putschpläne , die in einzelnen Offizierszirkeln schon seit Ende 1937 diskutiert worden waren , wurden vorerst beiseitegelegt. Kam hinzu , dass einem Widerstand gegen den Führer aufseiten von Soldaten ein ethisches Hindernis im Wege stand : der auf diesen Führer seit 1934 persönlich abgelegte Eid , dessen Bindung seinerzeit sehr viel absoluter aufgefasst wurde als heute , da ein solcher Eid bei berechtigten Zweifeln an der Integrität des Eidnehmers als null und nichtig gelten darf. Erst recht Pläne für ein Attentat auf das Staatsoberhaupt stießen auf schwere ethische Bedenken , die seit der frühen Neuzeit in den Diskursen über einen sogenannten Tyrannenmord kontrovers abgehandelt wurden. Es ist kein Zufall , dass in manchen Widerstandskreisen , so auch im „Kreisauer Kreis“, zunächst mehr über die Zeit nach Hitler nachgedacht wurde als über konkrete Möglichkeiten , wie eine solche Zukunft – außer durch eine Beseitigung des Regimes von außen – erreicht werden könnte. Etliche der von Militärs versuchten Attentate gingen davon aus , dass man den Gegnern noch ein Deutschland präsentieren könnte , das im Kern mit der verbrecherischen NS-Politik nicht identisch war. Ludwig Beck hatte seine kritische Einstellung zu Hitlers Kriegsplänen , die zunächst gegen die Tschechoslowakei gerichtet waren , am 16. Juli 1938 , also schon vor seinem Ausscheiden aus der Wehrmacht für sich wie folgt formuliert97 : „Alle aufrechten und ernsten deutschen Männer in staatsverantwortlichen Stellungen müssen sich berufen und verpflichtet fühlen , alle erdenklichen Mittel und Wege bis zur letzten Konsequenz anzuwenden , um einen Krieg gegen die Tschechei abzuwenden , der in seinen Auswirkungen zu einem Weltkrieg führen muß , der das finis Germaniae [ „Ende Deutschlands“ ] bedeuten würde.“98
Er sieht vor allem die „höchsten Führer der Wehrmacht berufen und befähigt“, eine solche Katastrophe noch abzuwenden. Beck schrieb : „Es stehen letzte Entscheidungen für den Bestand der Nation auf dem Spiel ; die Geschichte wird diese Führer mit einer Blutschuld belasten , wenn sie nicht nach ihrem fachlichen und staatspolitischen Gewissen handeln.“99 Und er kritisiert bereits in diesem Text eine Haltung , die den soldatischen Gehorsam zur alleinigen Handlungsmaxime ohne Rücksicht auf die „höchste Verantwortung vor dem gesamten Volke“ macht. Was Beck , vorerst nur auf die aktuelle Situation der sogenannten Sudetenkrise bezogen , an Grundsätzlichem formulierte , sollte künftig auch für
Goerdelers Denkschrift von 1941 |
die Planungen eines Staatsstreichs von Militärs gelten : Nicht die rein militärischen Aspekte , schon gar nicht nur der blinde „soldatische Gehorsam“ sollten im Vordergrund stehen , sondern eine größere , staatspolitische Verantwortung gerade der höchsten Militärführer. Ein über seine persönliche Situation weit hinaus reichender Kernsatz seiner Ausführungen lautete daher : „Außergewöhnliche Zeiten verlangen außergewöhnliche Handlungen !“ Natürlich leiteten Beck vorrangig militärisch-fachliche Zweifel an der deutschen Fähigkeit , einen von ihm schon 1938 befürchteten Weltkrieg zu überstehen. Aber er sah auch , jenseits des „Rauschs einer Ideologie“, die „stimmungspolitischen“ Voraussetzungen als nicht gegeben. Er fordert daher „eine brutal klare Schilderung der wahren Stimmung im Volke [ … ] , die sehr wesentlich durch die aufkommende Bonzokratie im Dritten Reich hervorgerufen ist.“100 Wie in Becks Niederschrift erhofft , mussten Pläne für einen Sturz des NSRegimes auch mit zivilen Widerstandskräften abgestimmt werden : „Andere aufrechte Männer in staatsverantwortlichen Stellungen außerhalb der Wehrmacht werden sich auf ihrem Wege anschließen.“ 101 Tatsächlich pflegte Beck intensive Kontakte nicht zuletzt zu Carl Friedrich Goerdeler , dem ehemaligen Oberbürgermeister von Leipzig , der einen eigenen Kreis von NS-Gegnern um sich versammelt hatte. Goerdeler , politisch national-konservativ und monarchistisch geprägt , war nach gescheiterten Versuchen , Hitler von einer unseriösen Finanzpolitik zugunsten der Hochrüstung abzubringen , zu einer der Zentral gestalten des zivilen Widerstands geworden. Er nutzte seine weitreichenden Auslandskontakte , stand außer mit Beck noch mit anderen hohen Militärs wie Franz Halder und Erwin v. Witzleben in Verbindung , gewann aber auch Gewerkschaftsführer wie Jakob Kaiser und Wilhelm Leuschner für seinen Kreis. „Das Ziel“ – Goerdelers Denkschrift von 1941 mit antisemitischem Generalverdacht
In einer Reihe von Denkschriften entwickelte Goerdeler Pläne für eine Neugestaltung Deutschlands , die freilich auch in seiner Gruppe , dem sogenannten Goerdeler-Kreis , nicht unumstritten waren. Ende 1941 entstand sein von Ludwig Beck mitverantwortetes Manifest „Das Ziel“, das neben den „Grundsätzen für die Neuordnung“ der „Kreisauer“ Moltke und Yorck vom 9. August 1943 als der wichtigste Entwurf für eine deutsche Verfassung nach einem Sturz Hitlers galt.102 Eine Übereinstimmung mit den Kreisauer Plänen bestand im Wesentlichen aber nur in dem Prinzip eines Staatsaufbaus von unten nach oben. Ansonsten sieht
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diese Denkschrift eine autoritäre Reichsführung vor , wobei man gar an Erbkaiser , Wahlkaiser oder an einen auf Zeit gewählten „Reichsführer“ dachte.103 „Das Ziel“ wendet sich der Neuordnung Deutschlands zunächst sehr grundsätzlich zu , einleitend in Kapitel I , mit allgemeinen Reflexionen über das Verhältnis , das zwischen Politik , Wirtschaft und Mensch herrschen sollte. Sodann , in Kapitel II , werden außenpolitische Perspektiven entwickelt. Ende 1941 schien es Goerdeler noch möglich , nicht nur abstrakt zu fordern : „Alle zusammenwohnenden Deutschen gehören in einen Nationalstaat ; dabei ist es keine Schwächung , sondern im Gegenteil eine Stärkung deutscher Geltung , wenn auch außerhalb der so zu bestimmenden Grenzen des Deutschen Reiches starke deutsche Teile wohnen.“104
Als „Träger des Deutschtums“ müssten sie sich aber in den fremden Nationalstaat einordnen. Dies war eine Forderung , die dem NS-Ziel einer staatlichen Einheit aller , nicht nur der „zusammenwohnenden“ Deutschen , also auch auf Kosten anderer Staaten , entgegengesetzt war. Das gilt auch für die Perspektive , dass ein „Großwirtschaftsraum Europa“ nur durch „organische Zusammenfassung selbständiger europäischer Nationalstaaten“ erreicht und bewahrt werden könne. Auf der Basis der zu diesem Zeitpunkt noch überlegenen deutschen Streitkräfte konnte man dagegen fast selbstverständlich nicht nur den Erhalt einer „ausreichend starken Wehrmacht“ verlangen , sondern auch die Sicherung der 1938 gezogenen „großdeutschen“ Grenzen. In Kapitel II. 4 wird sogar ein Anspruch auf deutsche Kolonien erhoben , wobei der „Ausbeutungsgedanke“ allerdings ausdrücklich abgewiesen wird. Irritierenderweise wird das Thema „Stellung der Juden“ in Kapitel II. 11 unter einem außenpolitischen Aspekt abgehandelt. Die Begründung für diese heute überraschende Platzierung liegt allerdings in dem von Goerdeler ungebrochen vertretenen Vorurteil , die Juden passten in keinen bestehenden Staat – ein Klischee , das schließlich den NS-Massenmord an Juden mitlegitimiert hat. Die schon vom Begründer des Zionismus Theodor Herzl , aber auch in NS-Plänen erwogene geographische Separierung der Juden in einem eigenen , fernen Staat wird von Goerdeler in folgender Feststellung aufgegriffen : „Zur Ruhe wird die Welt aber doch nur kommen , wenn das jüdische Volk eine wirklich ausnützbare Möglichkeit erhält , einen eigenen Staat zu gründen und zu erhalten“105 , wobei auch er an „Teile Südamerikas“, aber auch an Kanada dachte. Diese Perspektive geht dabei immer noch von einer grundsätzlichen , eindeutig rassistisch begründeten Fremdartigkeit der Juden schlechthin aus , wie sie in antisemitischen Kreisen schon lange vor 1933 als Credo verkündet
Goerdelers Denkschrift von 1941 |
worden war. Die Denkschrift setzt hinsichtlich der anzustrebenden deutschen Bedingungen reichlich unrealistisch voraus , dass ein solcher jüdischer Staat bereits existiere oder sehr bald existieren werde. Denn sie nennt Juden in einem künftigen Deutschland „Fremdbürger“, denen freilich dieselben Rechte wie anderen „Ausländern“ zugestanden werden sollen. Argumentativ stimmt dies peinlicherweise mit Punkt 4 des NSDAP-Programms überein. Kein Wort zu den vielen deutschen Juden , die bis 1933 gar nicht daran dachten , ihre deutsche Heimat aufzugeben oder auch nur an ihrem Deutschsein zu zweifeln ! Durch eine solche juristische Trennung von „Deutschen“ und „Juden“ würden sich – so meint Goerdeler – auch die Nürnberger Rassegesetze von selbst erledigen.106 Im Einzelnen wird dabei aber auch festgelegt , welche Staats bürgerschaft bei Eheschließungen zwischen Deutschen und Juden der „nichtdeutsche“ Partner erhalten solle – eine deutsche oder eine „jüdische“, also die eines noch absolut fiktiven jüdischen Staates. Für jene Zeit geradezu selbstverständlich soll die Staatangehörigkeit des Mannes entscheiden. Im naiven Vertrauen auf ein längst korrumpiertes gesundes Volksempfinden wird formuliert : „Die Frage der Rassenvermischung muß stets dem gesunden Sinn des Volkes überlassen bleiben.“ Immerhin werden bei der geforderten Wiederherstellung von „Recht und Anstand“ im Rechtswesen , der Beseitigung aller Willkürhandlungen und der „Ausmerzung“ ungeeigneter Fachleute auch die Konzentrationslager bedacht , die „sofort“ der Wehrmacht unterstellt , also der SS entzogen werden sollen. Die Inhaftierungsgründe sollen geprüft werden. Auch im Falle , dass Häftlinge nicht straffällig sind , kann eine weitere „Verwahrung oder Polizeiaufsicht , soweit dies während des Krieges zur Sicherheit des Reiches unerlässlich ist“, angeordnet werden. Während die Denkschrift zunächst über das Wesen der Politik reflektiert hat , erfolgt das Plädoyer für „Geistesfreiheit“, das für andere Widerstandsäußerungen an erster Stelle stand , erst in Kapitel III zur Innenpolitik. Grundsätzlich heißt es dort : „Alle Beschränkungen der Freiheit des Geistes , des Gewissens und der Forschung werden sofort aufgehoben. Das Volk muß sofort erkennen , daß der Tellshut entfernt ist.“107 Die „Kreisauer“ konnten sich mit bestimmten Grundsätzen Goerdelers gar nicht anfreunden , wie unter anderem aus einem Brief Moltkes vom 9. Januar 1943 nach einer Begegnung mit Goerdeler hervorgeht.108 Vor allem in sozialen Fragen war man sich alles andere als einig. Selbst der eigentlich dem Goerdeler-Kreis zugehörige national-konservative Ulrich von Hassell , nach seiner Abberufung vom Posten des Botschafters in Rom 1937 in der Privatwirtschaft
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tätig , nannte einmal , bei aller Distanz zu den „Kreisauern“, Goerdeler einen „Reaktionär“.109 „Der Lüge sagen wir Kampf an“ – Eine verhinderte Regierungserklärung
Noch vor solchen Differenzen hatte sich die bürgerliche Opposition schon im Winter 1941 / 42 für Beck und Goerdeler als Spitzen eines neuen Staates entschieden. Beck sollte Staatsoberhaupt werden , Goerdeler Regierungschef. Der 1942 aus gesundheitlichen Gründen aus dem Dienst ausgeschiedene Generalfeldmarschall Erwin v. Witzleben sollte Oberbefehlshaber der Wehrmacht werden. Für den Fall eines gelungenen Staatsstreichs hatten Beck und Goerdeler eine Regierungserklärung vorbereitet , deren Text allerdings nur noch aus Unterlagen der Verfolgungsbehörden von 1944 rekonstruierbar war. Hierin wird manches von dem wiederholt , was schon in Goerdelers Denkschrift von 1941 niedergelegt worden war.110 An erster Stelle steht hier „die Wiederherstellung der vollkommenen Majestät des Rechts“. Einer der Kernsätze lautete : „Keine menschliche Gemeinschaft kann ohne Recht bestehen.“ 111 Konkret werden unter anderem angekündigt die Auflösung der Konzentrationslager , die Entlassung der Unschuldigen , und die gerichtliche Verfolgung der Schuldigen. Lynchjustiz werde auf keinen Fall zugelassen. Hier sollte es dann endlich auch heißen : „Die Judenverfolgung , die sich in den unmenschlichsten und unbarmherzigsten , tief beschämenden und gar nicht wiedergutzumachenden Formen vollzogen hat , ist sofort eingestellt.“112 Die Verbrechen , die in den besetzten Gebieten „hinter dem Rücken der kämpfenden Truppe und ihren Schutz mißbrauchend“ begangen wurden , werden als eine „tiefe Entehrung des deutschen Namens“ gebrandmarkt. Die Abrechnung mit dem Betrug des Volkes durch die NS-Propaganda wird in pathetischer Weise eingeleitet : „Der Lüge sagen wir Kampf an , die Sonne der Wahrheit soll ihre dicken Nebel auflösen.“113 In ähnlicher Weise wird eine neue Freiheit für die Glaubensgemeinschaften und die Presse angekündigt : „Die zerbrochene Freiheit des Geistes , des Gewissens , des Glaubens und der Meinung wird wiederhergestellt.“114 Insbesondere die Jugend habe einen Anspruch auf Wahrhaftigkeit. Ihr solle eine Bildung dienen , die „wieder eine möglichst allgemeine , Herz und Verstand erfassende“ sein müsse , und eine Erziehung , die bei „äußerster Duldsamkeit gegenüber Andersgläubigen“ wieder „auf die christlich-religiöse Grundlage“ zu stellen sei.115
Stauffenbergs Attentatsversuch |
Die Verwaltung müsse neu geordnet werden. Beamte müssten wieder in Amts- und Lebensführung „ein Beispiel werden. Mit dem Parteibuchbeamten wird Schluß gemacht.“ Der Wirtschaft , die während des noch nicht beendeten Kriegs als „Zwangswirtschaft“ fortgeführt werden müsse , wird die „Wiederherstellung voller wirtschaftlicher Freiheit“ in Aussicht gestellt , freilich nicht allein , um „die freie Initiative des Kapitalbesitzes herzustellen“. Denn „auch der deutsche Arbeiter muß und wird Gelegenheit erhalten , an der Verantwortung schöpferisch teilzunehmen.“116 Die Arbeiter sollen zur Wahrung ihrer Belange „das Recht voller Selbstverwaltung“ erhalten. Was in diesem Rahmen noch grundsätzlich wie konkret zur Sozialpolitik eines neuen Staates gesagt wird , ob Schutz des Eigentums wie Bekämpfung einer „die Unselbständigkeit nur vermehrenden Zusammenballung des Kapitals“, ob Unterstützung der Schwachen durch eine gerechtere Verteilung der Lasten , zeigt viele Merkmale einer Ordnung , die nach 1945 im Westen Deutschlands als „soziale Marktwirtschaft“ definiert werden sollte. Doch die Verfasser müssen auch berücksichtigen : „Aber noch ist Krieg. In ihm gebührt unser aller Arbeit , Opfer und Liebe den Männern , die das Vaterland verteidigen.“117 Ein Frieden , von dem die Verfasser fest glauben , dass auch das deutsche Volk ihn wolle , liege indes mit Sicherheit im Interesse aller Völker. Zu einem Frieden werde die neue Führung „unbeirrt die Schritte tun , die wir ohne Schädigung unseres Volkes [ … ] machen können.“118 „Das Attentat auf Hitler muß erfolgen“ – Stauffenbergs Attentatsversuch
Zur Durchsetzung dieser hehren Ziele kam es freilich nicht. Noch tobte der Krieg und das NS-Regime verstärkte seine Anstrengungen , trotz Rückzugs an allen Fronten dem Volk die Möglichkeit eines „Endsiegs“ vorzugaukeln. Dazu gehörte auch die immer gnadenlosere Verfolgung aller , die solche Illusionen beim Namen nannten. Aber auch die Zahl der Versuche von oppositionellen Militärs , einen Staatsstreich mit oder ohne Tötung Hitlers zu wagen , stieg.119 Es war die Tragik derjenigen , die zu Staatsstreich oder Attentat bereit waren , dass alle Versuche durch die Unentschlossenheit oder den Wankelmut von militärischen Befehlshabern , aber auch durch an sich oft banale Umstände fehlschlugen. Das Misslingen konnte propagandistisch jeweils als Folge eines besonderen Schutzes des Führers durch die „Vorsehung“ umgedeutet werden. Zuletzt schien es so , dass ein Putsch nach der alliierten Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 und damit angesichts der sicheren deutschen Niederlage
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keinen politisch-praktischen Zweck mehr hätte , da man den Kriegsgegnern nicht mehr selbstbewusst , zumindest noch mit einem Rest an eigener Kraft zu einem Neubeginn gegenübertreten könne. In dieser Situation erklärte der Generalmajor Henning v. Tresckow : „Das Attentat auf Hitler muß erfolgen , um jeden Preis. Sollte es nicht gelingen , so muß trotzdem der Staatsstreich versucht werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an , sondern darauf , daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere daneben ist gleichgültig.“120
Nach etlichen gescheiterten Versuchen anderer Offiziere war zu einem Attentat zuletzt Oberst Claus Schenk von Stauffenberg bereit. Er gehörte zu den Militärs , die erst sehr spät zum aktiven Widerstand gefunden hatten. Als Bewunderer Hitlers hatte er noch 1941 den Überfall auf die Sowjetunion als „Krieg gegen den jüdischen Bolschewismus“ bejaht. Trotz beginnender Kritik an Hitlers militärischer Führungsqualität hatte er dessen Übernahme des persönlichen Oberbefehls über das Heer im Dezember 1941 als „Geschenk an das Heer“ begrüßt. Nach schwerer Verwundung in Nordafrika konnte er 1944 sogar noch Generalstabschef beim Oberbefehlshaber des Ersatzheeres werden , womit er einen direkten Zugang zu Hitler erhielt – eine wichtige Voraussetzung für ein Attentat. Stauffenbergs Absicht , Hitler selbst zu beseitigen , war mit seinen wachsenden Zweifeln an einem Kriegserfolg und durch enttäuschte Hoffnungen auf Initiativen anderer zum festen Vorsatz geworden. Stauffenberg konnte sich die Mitwirkung hochrangiger Offiziere für einen zentral gesteuerten Umsturzplan nach Hitlers Tod , „Operation Walküre“ genannt , sichern. Allerdings litt das Unternehmen von vornherein auch unter der unklaren Haltung einzelner Verschwörer. Als Stauffenberg endlich am 20. Juli 1944 bei einer Lagebesprechung mit Hitler im ostpreußischen Führerhauptquartier Wolfsschanze eine Bombe zünden konnte , blieb Hitler bekanntlich nur leicht verletzt am Leben. Die objektiv falsche Meldung Stauffenbergs nach Berlin , das Attentat sei gelungen , löste dort zwar einige der zuvor verabredeten Maßnahmen zum Umsturz aus , doch brach das Unternehmen schnell zusammen , als bekannt wurde , dass Hitler überlebt hatte. Eine wichtige Rolle spielte dabei der Major Otto Ernst Remer , Kommandeur des Berliner Wachbataillons , der gemäß dem „Walküre“-Operationsplan unter anderem Goebbels verhaften sollte , sich aber durch ein persönliches Telefonat mit Hitler von dessen Überleben überzeugen konnte. Dabei erhielt er von Hitler den Befehl , die Verschwörung mit allen Mitteln niederzuschlagen. Remer blieb bis zu seinem Tod in Spanien 1997 ,
Stauffenbergs Attentatsversuch |
wohin er vor strafrechtlicher Verfolgung der bundesdeutschen Justiz geflohen war , ein fanatischer Nazi. Er war 1949 Mitgründer der „Sozialistischen Reichspartei“, einer Nachfolge-Organisation der NSDAP , die 1952 verboten wurde. Stauffenberg und seine Mitverschwörer Werner von Haeften , Albrecht Mertz von Quirnheim , Friedrich Olbricht und Ludwig Beck wurden noch am 20. Juli standrechtlich erschossen. Weitere tatsächliche und mutmaßliche Mitverschwörer , insgesamt rund 700 Personen , viele mitsamt ihren Familien , wurden verhaftet. Mehr als 110 wurden , sofern sie sich nicht schon selbst das Leben genommen hatten , exekutiert. Hitler hatte in einer Rundfunkrede am Abend des 20. Juli von einer „ganz kleinen Clique ehrgeiziger , gewissenloser und zugleich verbrecherischer , dummer Offiziere“ gesprochen121 , woraus im „Völkischen Beobachter“ ( VB ) am 22. Juli eine „kleine Generalsclique“ wurde. Am 21. Juli hatte der VB das Attentat unter der Schlagzeile „Feindlicher Mordanschlag auf den Führer mißglückt“ gemeldet und die Parole verbreitet „Das deutsche Volk steht in Treue zum Führer bis zum Sieg“. Das bei „Mordanschlag“ eigentlich unsinnig erscheinende Attribut „feindlich“ stand im Zusammenhang mit der schon beim Elser-Attentat gebrauchten Unterstellung , dass der Putsch von außen , von Amerikanern , Briten und Sowjets in Gang gesetzt worden sei. Die NS-Propagandamaschine kam auf Hochtouren. Nicht zuletzt wurde wieder einmal die „Vorsehung“ bemüht , die Hitler das Leben gerettet habe. Aber auch ohnedies war eine allgemeine Stimmung in der Bevölkerung gegen den Umsturz gerichtet. Von Stauffenberg sind insgesamt nur relativ wenige Äußerungen überliefert , die seine Wandlung vom Bewunderer zum Todfeind Hitlers dokumentieren. Zweifellos handelte es sich um eine schmerzliche Wandlung , für die immerhin zwei wichtige Motive belegt sind : Zum einen sah er nach dem offiziellen Beschluss des Reichstags am 26. April 1942 , Hitler sei der „oberste Gerichtsherr“ und stehe über formalem Recht , „jede Rechtlichkeit aufgehoben“, an die er lange geglaubt hatte. Zum anderen erklärte Stauffenberg 1942 in Gesprächen mehrfach : „Die erschießen massenhaft Juden. Die Verbrechen dürfen nicht weitergehen.“122 Planungen über die Zeit einer Militärdiktatur nach Hitlers Tod hinaus hatten er wie seine Mitverschwörer weitgehend zivilen Widerstandsgruppen überlassen , mit denen sie über Graf Moltke und Ludwig Beck in Verbindung standen. Die Grundüberzeugung , dass alles zum Wohle des Vaterlands getan werden müsse , muss man Stauffenberg sicher auch für seine anfänglich blinde HitlerGefolgschaft zugutehalten. Für diese grundsätzliche Überzeugung stand er dann schließlich mit seinem Leben ein.
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Von seinen letzten Worten bei der Erschießung im Hof des Berliner Bendler-Blocks sind zwei Varianten überliefert , die jede für sich diese Überzeugung bestätigen können : „Es lebe das heilige Deutschland !“ und – als Quasizitat eines Schlüsselworts des elitär-konservativen George-Kreises , zu dem Stauffenberg mit seinem Bruder Berthold schon als Jugendlicher gestoßen war : „Es lebe das geheime Deutschland !“123 Auch ein Gedicht Stefan Georges in seinem Gedichtband „Das neue Reich“ von 1928 trug selbst den Titel „Das geheime Deutschland“. Beide Varianten bezeugen , wie sehr dieser Teil des militärischen Widerstands bis zuletzt vom nationalen Idealbild Deutschlands geprägt war. Gerade in der Tragik des Scheiterns wird noch einmal deutlich , wie leicht die Nationalsozialisten auf traditionelle Hochwerte des deutschen Selbstbewusstseins bauen und sie für ihre Zwecke missbrauchen konnten. 1
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Klemperers gesammelte „Notizen“ unter dem Titel „Lingua Tertii Imperii“ erschienen erstmals 1947 ( Klemperer 1969 u.ö ). Klemperers Tagebücher 1933–1945 erschienen erst posthum 1995. U. a. Sellin , Kurt ( 1946 ) : Geflüstertes. Die Hitlerei im Volksmund. Heidelberg ; Gamm , Hans-Jochen ( 1963 ) : Der Flüsterwitz im Dritten Reich. München ; Hirche , Kurt ( 1964 ) : Der ‚braune‘ und der ‚rote Witz‘. Düsseldorf / Wien. – Viele weitere Sammlungen und Darstellungen erschienen noch sehr viel später. Herzog ( 2006 ). Vgl. dazu : Brecht , Gerd ( 1974 ) : Zur Geschichte des Wortes „Widerstandsbewegung“. In : Muttersprache 84 : 145–150. Rothfels ( 1986 ). Überblicksdarstellungen und Vorstellung der zahlreichen Gruppierungen u. a. bei Benz / Pehle ( 1994 ). Eine breitere Zusammenstellung von Widerstandstexten in : Steinbach / Tuchel ( 2000 ). Nelson , Anne ( 2010 ) : Die Rote Kapelle. Die Geschichte der legendären Widerstandsgruppe. Gütersloh. Aus der Zeitschrift „Wille und Macht“ vom 15. 4. 1935 , zitiert nach : Hofer ( 1957 ) : 127. Vgl. etwa Martin Bormanns Äußerungen in einem streng vertraulichen Rundschreiben von 1942 ; Hofer ( 1957 ) : 160 f. Kühlwein , Klaus ( 2008 ) : Warum der Papst schwieg. Düsseldorf. Bonhoeffer , Dietrich : Die Kirche vor der Judenfrage. In : Der Vormarsch 1933 : 172 ff. – Zitiert in : Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 95. Hofer ( 1957 ) : 132. Leugers , Antonia ( 2009 ) : Jesuiten in Hitlers Wehrmacht. Kriegslegitimation und Kriegserfahrung. Paderborn. Zitiert in : Hofer ( 1957 ) : 132. So etwa auf dem 9. Deutschen Diakonietag in Hamburg am 13. 9. 1933. Sohn des Gründers der Bodelschwingh’schen Anstalten in Bethel.
Anmerkungen |
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Dem „Notbund“ traten rund 7. 000 Pfarrer bei , während den ( politisch trotzdem mächtigeren ) „Deutschen Christen“ nur rund 2. 000 Pfarrer angehörten. 18 Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 102–106. – Die folgenden Zitate : 104 f. 19 Hofer ( 1957 ) : 144. 20 Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 112–115. 21 Dokumentation größerer Auszüge ihrer Denkschrift in : Frankfurter Rundschau , 20. 7. 2000 : 7 ; s. dazu auch : Schmitt , Hartmut : Trauer über die schweigende Kirche. In : Frankfurter Rundschau , 21. 8. 2003 : 33. – Elisabeth Schmitz quittierte 1938 aus Protest gegen die Verbrechen während der sogenannten Reichskristallnacht den Schuldienst. 22 Hofer ( 1957 ) : 164 f. 23 Schlosser ( 2005 ) : 65. 24 Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 122–124. 25 Braune , Paul Gerhard ( 1947 ) : Die Aktion der I.M. [ = Innere Mission ]. In : Die Innere Mission 37. H. 5 / 6. – Die folgenden Zitate : 23 f. 26 Benz / Pehle ( 1994 ) : 76. 27 Vgl. ebda. : 79 ff. 28 Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 129–133. 29 Ebda. : 130 f. 30 Schlosser ( 2005 ) : 64. 31 Hofer ( 1957 ) : 166. 32 Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 159–163. 33 Ebda. : 146. – Die Angaben zur Dauer seiner Haftstrafe divergieren zwischen dieser Quelle und Benz / Pehle ( 1994 ) : 373. 34 Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 137–144. 35 Ebda. : 138 , dort auch das folgende Zitat. 36 Ebda. : 141. 37 Ebda. : 144. 38 1946 wurde von Galen nicht zuletzt in Anerkennung seines Mutes zum Kardinal erhoben. 39 Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 114–146. 40 Ebda. : 146. 41 Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 80–82. 42 Ebda. : 80 f. 43 Ebda. : 81 f. 44 Ebda. : 82. 45 Ebda. : 81. 46 Ebda. : 82–88. 47 Ebda. : 82 f. 48 Ebda. : 83. 49 Ebda. : 86. 50 Ebda. : 87. 51 „DAF “ = „Deutsche Arbeitsfront“. 52 Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 87. 53 Text u. a. auch http://www.dhm.de / lemo / html / dokumente / manifest / index-htm. 54 Benz / Pehle ( 1994 ) : 262. 55 Vgl. etwa Stadler , Wolfgang ( 2000 ) : Hoffnung Heimkehr. Colditz : 203 f. , 229 ff.
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Abdruck u. a. in : Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 51–55. Ebda. : 54. 58 Ebda. : 52. 59 Ebda. : 54 f. 60 Ebda. : 52. 61 Mehringer , Hartmut : Sozialistischer Widerstand. In : Benz / Pehle ( 1994 ) : 45 f. 62 Deutschland-Berichte ( 1980 ). 63 Ebda. 1936 : 921 ff. 64 Gemeint sind die allgegenwärtigen „Stürmer“-Aushängekästen. 65 Deutschland-Berichte ( 1980 ) 1936 : 922. 66 Ebda. 67 Ebda. : 926. 68 Ebda. : 1935 : 996. 69 Mehringer ( in : Benz / Pohle 1994 : 42 ff. ) fasst sie als „linke Zwischengruppen“ zusammen. 70 Deutschland-Berichte ( 1980 ) 1937 : 250 bzw. 1140 f. 71 Text in : Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 229–231. – Ein Registerverweis bei Benz / Pohle ( 1994 : 428 ) ordnet das Programm fälschlicherweise der „Sozialistischen Front“ ( S F ) , einer von mehreren sozialdemokratischen Widerstandsgruppen , zu – wahrscheinlich wegen der Titelgleichheit des Programms mit einem früheren illegalen Periodikum der SF bzw. der „Sopade“ ( vgl. Benz / Pohle 1994 : 302 ). 72 Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 229. 73 Ebda. 74 Ebda. : 231. 75 Ebda. : 230. 76 Alle Forderungen ebda. 77 Vgl. dazu Moltkes frühe Denkschrift „Die kleinen Gemeinschaften“. 78 Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 231. 79 Dazu : van Roon , Ger ( Hrsg. ) ( 1986 ) : Helmuth James Graf von Moltke. Völkerrecht im Dienste der Menschen. Berlin : 154–158. 80 Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 212. 81 Zeitgenössisch eine häufige Variante zu „Individuum“. 82 Steinbach / Tuchel ( 1994 ) : 221–223. 83 Ebda. : 221. 84 Ebda. : 222. 85 Ebda. : 215. 86 Ebda. 87 Ebda. : 219. 88 Ebda. : 217. 89 Ebda. : 218. 90 In diesem Roman geht es um die Zerstörung der Indianer-Hazienda „Weiße Rose“ durch einen Ölkonzern. 91 Vgl. dazu die neue , sehr differenzierte Biographie Sophie Scholls von Beuys ( 2010 ). 92 Ein siebtes Flugblatt lag nur in einem Entwurf , von Christoph Probst verfasst , vor. Es fiel der Gestapo bei der Verhaftung von Hans Scholl in die Hände. Texte u. a. in : Deutsches Historisches Museum http://www.dhm.de / lemo / html / nazi / widerstand / weisserose. 57
Anmerkungen |
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Vgl. dazu u. a. : Jens ( 1995 ) und Knoop-Graf / Jens ( 1994 ) ; eine kleine Auswahl auch in : Steinbach / Tuchel ( 1994 ) : 251 ff. 94 Kursive markieren Hervorhebungen im Original. 95 Mündliche Mitteilung an den Verf. am 15. 1. 2005. 96 Zu Becks langem Weg in den Widerstand : Müller , Klaus-Jürgen ( 2007 ) : Generaloberst Ludwig Beck. Eine Biographie. Paderborn. 97 Text in : Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 301–304. 98 Ebda. : 302. 99 Ebda. 100 Ebda. : 303. 101 Ebda. : 302. 102 Text ebda. : 304–323. 103 Benz , Wolfgang , in : Benz / Pehle ( 1994 ) : 192 f. 104 Steinbach / Tuchel ( 2000 ) : 313. 105 Ebda. : 317. 106 Ebda. : 318. 107 Ebda. : 321. 108 Ebda. : 324. 109 Ebda. : 325. 110 Text ebda. : 349–362. 111 Ebda. : 349. 112 Ebda. : 351. 113 Ebda. : 352. 114 Ebda. 115 Ebda. : 354. 116 Ebda. : 356. 117 Ebda. : 359. 118 Ebda. : 361. 119 S. dazu im Einzelnen : Militärgeschichtliches Forschungsamt ( 1987 ). 120 Schlabrendorff , Fabian von : Offiziere gegen Hitler. 1946 , zitiert nach : Steinberg / Tuchel ( 2000 ) : 342. 121 Domarus ( 1965 ) II ,2 : 2128. 122 Beide Zitate in : Graml , Hermann : Militärischer Widerstand. In : Benz / Pehle ( 1994 ) : 94 f. 123 Vgl. Riedel , Manfred ( 2006 ) : Geheimes Deutschland. Stefan George und die Brüder Stauffenberg. Köln / Weimar / Wien.
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EINE „ARME SPRACHE“ ZWISCHEN ALLMACHT UND NACKTER GEWALT – VERSUCH EINER ZUSAMMENFASSUNG Die entscheidende Grundbedingung des Sprachgebrauchs 1933–1945 war die allmächtige Bedeutung der offiziellen Sprache des Regimes , die keine abweichenden Äußerungen zuließ. Was nicht auf der Linie der Staatspartei NSDAP lag oder sich gar gegen sie richtete , wurde von jeder Möglichkeit , öffentliches Gehör zu finden , konsequent abgeschnitten , mit schlimmen und schlimmsten Folgen für die Urheber. Da aber so gut wie alle wichtigen Bereiche des täglichen Lebens durch Gleichschaltung reichsweit geltenden Bedingungen unterworfen waren , konnte sich auch die Alltagssprache dem Anspruch der offiziellen Sprachvorgaben und ihrer Deutungen nie ganz entziehen. Allein schon deren Allgegenwart begründete auch ihre allmächtige Stellung. Auch die Alltagssprache war stark von sprachlichen Bürokratismen einschließlich einer überbordenden Fülle von Abkürzungen durchsetzt , die durch die NSDAP , ihre Gliederungen und die gleichgeschalteten Organisationen , nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht auch durch das Militär alltäglich präsent waren. Intention und semantischer Kern zahlreicher Bürokratismen der NS-Zeit wie „betreuen / Betreuung“, „einsetzen / Einsatz“, „erfassen / Erfassung“ war aber ebenfalls die zentrale Lenkung der Bevölkerung. Denn in ihnen konnten sich die Menschen nicht ( mehr ) als eigenverantwortliche Individuen erkennen , sondern waren zu fremdbestimmten Objekten degradiert. Dass auch das Leben in einer demokratischen Gesellschaft allzuoft von derartigen individuumsfeindlichen Bürokratismen umstellt ist , kann nicht als Entschuldigung gelten , sondern sollte eher zu Bedenken Anlass geben. Selbst wenn die private Kommunikation der NS-Zeit keine Eins-zu-einsWiedergabe des offiziellen Idioms darstellte , muss sie als integraler Bestandteil eines die Gesamtgesellschaft umfassenden Sprachgebrauchs gesehen werden , der insgesamt sehr wohl als „Sprache des Nationalsozialismus“ gewertet werden kann. Dafür war bei einer Mehrheit die Art , zu denken und zu argumentieren , mit den vorgegebenen Mustern allzu deckungsgleich. Überdies schuf die permanent gepredigte Überzeugung , dass man als „blutreiner“ Deutscher einem „Herrenvolk“ angehöre , bei vielen eine bequeme Grundlage für die Übernahme auch des großen Rests der Propaganda , die das Fehlen einer rational nachvollziehbaren Theorie ausgleichen musste.
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Wo dies nicht ausgereicht hätte , um alles zu bejahen , wirkten sich vor jedem direkten Zwang die Bedingungen einer strukturellen , also außersprachlichen Gewalt aus , die in allen Lebensbereichen wirksam war , im Erziehungswesen wie in der Organisation des beruflichen Lebens und der Freizeit , erst recht in der Einbindung in militärische und paramilitärische Strukturen. Positive wie negative Erfahrungen mit diesen Bedingungen konnten auf Formulierung wie Verständnis selbst harmloser Äußerungen einwirken. Die geringe Distanz einer Mehrheit zu den offiziellen politischen und ideologischen Leitbildern machte selbst die im Alltag oft unbewusst gebrauchte Sprache in vielerlei Hinsicht gleichzeitig zum Reflex der Macht wie der Unterwerfung unter die Gewaltherrschaft – und sei es nur in der scheinbar harmlosen Empfehlung , ein Kind möge „noch ein Löffelchen für den Führer“ essen. Die weitreichende Uniformität des Sprachgebrauchs wurde durch ineinandergreifende Methoden der Sprachlenkung erzielt , die noch einmal in neun Punkten kurz wiederholt seien. 1. Termini , die für das NS-Selbstverständnis eine zentrale Rolle spielten und die auch im allgemeinen Sprachgebrauch ihren Widerhall fanden , wurden als Hochwertwörter monopolisiert. Die Bandbreite solcher Hochwertwörter reichte von „Deutschland / deutsch“ über „Nation / national“ und „Vaterland“ bis hin zur Benennung der obersten Lenkungsinstanzen als „die Partei“ und „der Führer“. Diese beiden Begriffe traten auch alltagssprachlich vielfach an die Stelle der Eigennamen „NSDAP“ und „Adolf Hitler“, worin sich auch unbewusst die Unterwerfung unter übermächtige Autoritäten niederschlug. Die Überhöhung des Diktators als „der Führer“ mit messiasgleichen Gaben und Kräften wurde mental durch den seit 1918 weithin nicht verwundenen Verlust monarchischer und soldatischer Vaterfiguren erleichtert. Hierin liegt auch der tiefere Grund für den Gebrauch eines pathetischen Stils , mit dem sich nicht zuletzt Hitler selbst über den sprachlichen Durchschnitt zu erheben versuchte. 2. Die rassenideologische Fixierung des Regimes verlieh Begriffen wie „Blut“ und „Rassereinheit“ einen gleichsam transzendentalen Hochwertcharakter. Der Pseudo-Biologie menschlicher Rassenzucht entsprangen natürlich alle Begriffe und Maßnahmen der „Aufartung“ des deutschen Volkes. Unterfüttert war der NS-Rassismus mit der Konstruktion einer angeblich anthropologischen Konstante der Deutschen als „Arier“, „Germanen“ oder als „nordische Menschen“. Zahlreiche Termini wie „Gefolgschaft“, „Julfest“, „Sippe“, „Thing“ verbalisierten und verbreiteten den NS-Germanenmythos. Die Betonung dieses achristlichen , nicht selten explizit antichristlich gedeuteten Mythos
Eine „arme Sprache“ zwischen Allmacht und nackter Gewalt |
hinderte die Nationalsozialisten aber keineswegs daran , christliche Traditionen bis hin zu einer Art Reliquienverehrung – man denke an die Bedeutung der „Blutfahne“ von 1923 – nachzuahmen und ungeniert christliches Sprachgut auszubeuten , von „Amen“ bis „göttliche Vorsehung“. 3. Mit dem Germanenmythos in enger Verbindung stand die Überhöhung des Heldentums , das als Bereitschaft gefeiert wurde , für das Regime sogar das Leben zu lassen , es gar freiwillig zu opfern. Besondere Wertschätzung erfuhren alle sprachlichen Zeichen , die der „Kampfbereitschaft“ der Deutschen , damit aber auch der mentalen Vorbereitung auf einen Krieg dienen konnten. Selbst eigentlich zivile Sachverhalte wie die Steigerung der Geburtenzahl , die Arbeitsbeschaffung oder der Ersatz für die zerschlagenen Gewerkschaften wurden verbal militarisiert , als „Geburtenschlacht“, „Arbeitsschlacht“ und „Arbeitsfront“. Militarisierende Umschreibungen alltäglicher Sachverhalte mündeten im Krieg selbst in den Versuch , unübersehbaren Bedrohungslagen den Anschein von Normalität zu verleihen , insbesondere in Bezeichnungen wie „Kriegsweihnachten“, „rückgeführte Volksgenossen“ oder „Frontgau“. 4. Dem organologischen , biologistischen Weltbild der Nationalsozialisten entsprachen Aufwertungen oder einengende Neudefinitionen von Wörtern wie „Gemeinschaft“ und „Volk“, beides – wie auch „Volksgemeinschaft“ – im Sinne eines ideologisch homogenen Kollektivs. Die innere Widersprüchlichkeit der NS-Ideologie zwischen spätromantischer Rückwärtsgewandtheit und Modernisierungstendenzen kam freilich durch den gleichzeitigen Gebrauch eines technizistischen Sprachgebrauchs zum Ausdruck. Die Technikmetaphern reichten von „ausschalten / Ausschaltung“ über „Gleichschaltung“ bis „voll auslasten“. 5. Dem Regime wichtige Themen wurden mit teils älteren , teils neuen , aber stets positiv besetzten Begriffen belegt. Als Beispiele können „nationale Erhebung“, „Machtergreifung“, „Führerwille“, „Großdeutsches Reich“ dienen. Dem entsprach in der NS-Medienpolitik die Überhöhung regimefreundlicher Nachrichten. 6. Ein Großteil der NS-Verlautbarungen – man denke nur an Hitlers Friedenspropaganda – gründete sich schlicht auf Lügen. Auf der Grenze zur Lüge lagen die zahllosen Euphemismen , also Beschönigungen negativer Tatbestände und Sachverhalte. Relativ harmlos erscheinen uns heute Euphemismen wie „neue Werkstoffe“ und „Heimstoffe“ für das negativ konnotierte Wort „Ersatzstoffe“. Die ab 1942 /43 zunehmenden militärischen Rückschläge und Niederlagen aber wurden mit zahlreichen Euphemismen verharmlost. Schlimme Verschleierungen brutalster Vorgänge waren dagegen Begriffe
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wie „Sonderbehandlung“ und „Selektion“ für Einzel- und Massenmord , die auch dann zum kommunikativen Gesamtklima der NS-Zeit gezählt werden müssen , wenn ihr Gebrauch mehr oder weniger auf den Verwaltungsbereich beschränkt blieb. Eine Reihe solcher Wörter , die isoliert betrachtet eigentlich harmlos wären , muss aufgrund ihres NS-Gebrauchs auf unabsehbare Zeit als semantisch belastet gelten. Das gilt unter anderem auch für das Wort „Endlösung“, womit die Vernichtung aller Juden in Europa umschrieben wurde. 7. Vor 1933 schon gängige , nun aber politisch-ideologisch nicht mehr genehme Begriffe wurden tabuisiert , oft jedoch auch durch abwertende Varianten ersetzt. Eine Tabuisierung erfuhren alle Begriffe , welche die vom NS-Regime nicht akzeptierten Sachverhalte in einem neutralen oder gar positiven Licht hätten erscheinen lassen können. An erster Stelle wäre der Begriff „Demokratie“ zu nennen , der das genaue Gegenteil dessen bezeichnet hätte , was die Nationalsozialisten unter „Führerstaat“ und „Volksgemeinschaft“ verstanden. Darum stand der Begriff „Demokratie“, wenn er denn verwendet werden musste , grundsätzlich in einem negativen Kontext , von Hitlers Versuch abgesehen , mit der Kollokation „germanische Demokratie“ einen eigenen Staatsbegriff zu begründen. Wenn „Demokratie“ für eine konkrete Staatsform , etwa Großbritanniens oder der USA , gebraucht wurde , griff man freilich auch hier wie bei anderen Tabuisierungen auf eine negativ besetzte Variante zurück : „Plutokratie“ als Terminus für eine „Herrschaft der Reichen / des Kapitals“, das bereits im Ersten Weltkrieg als Stigmawort gebraucht wurde. Erwähnt seien auch noch einmal Nominationen wie „Versailler Friede“, der als „Versailler Diktat“ stigmatisiert werden sollte , „Weimarer Republik“, die etwa als „Novemberrepublik“ oder „Weimarer System“ verächtlich gemacht werden musste , oder „Völkerbund“, der terminologisch auf eine Deutschland feindliche „Entente“ reduziert wurde. In der Medienlenkung fielen neben einzelnen für das Regime ungünstigen Nachrichten ganze Themenbereiche , die politisch unerwünscht waren , der Tabuisierung anheim. Wo sich eine Information nicht ganz unterdrücken ließ , wurde sie inhaltlich relativiert. Eine besondere Bedeutung hatte vor der endgültigen militärischen Katas trophe das abwiegelnde Wort „Krise“. 8. Andere Begriffe durften nur noch abwertend , pejorativ benutzt werden. An erster Stelle rangierten hier die Benennungen des „Rassefeinds“ schlechthin : „der Jude“, „die Juden“, „Judentum“. Alles , was mit dem Attribut „jüdisch“ gekennzeichnet werden konnte , wurde stigmatisiert. In engster Verbindung , sogar identisch mit allem Jüdischen sah die NS-Propaganda den „Marxismus“,
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der permanent zu bekämpfen war. Das galt noch mehr für den „Bolschewismus“, hinter dem die Propaganda mehr und mehr die „asiatischen Horden“ der Roten Armee sah. In der „bolschewistischen Moskauer Zentrale“ regierten – so Hitler – die „jüdischen Machthaber“. Aber auch der „Liberalismus“ wurde dem Verdacht ausgesetzt , „jüdisch“, zumindest „undeutsch“ infiziert eine kalte Antithese zur „völkischen Gemeinschaft“ zu sein. Daraus ergab sich eine Fülle von weiteren Stigmatisierungen , von der schon traditionellen Kennzeichnung der Juden als „Parasiten“ bis hin zu ihrer Umschreibung als „Gegenrasse“. Absoluter Tiefpunkt der nicht nur sprachlichen Entwürdigung von Menschen war die Zuständigkeit eines „Amts für Schädlingsbekämpfung“ für die Beschaffung des Giftgases Zyklon B , mit dem in Auschwitz der Massenmord betrieben wurde. Das Stigmawort „Untermensch“ wurde Juden , aber auch anderen „Minderrassigen“ angeheftet. Im Hass auf Gegner wurde Hitler noch direkter mit Beleidigungen wie „Kunststotterer“ für Kunstkritiker , „Narren“ und „Idioten“ oder in Zynismen wie „die Bewohner unserer Konzentrationslager“. 9. Schon länger gebräuchliche , aber negativ besetzte Begriffe wurden dagegen positiv konnotiert , also aufgewertet oder gar in ihr Gegenteil verkehrt. Das schlagendste Beispiel ist das Wort „Fanatismus“ und seine adjektivische Ableitung „fanatisch“. Bis 1933 bezeichneten diese Wörter außerhalb der NSPropaganda eine einseitige , irrationale Begeisterung für eine Idee oder ein Ziel. Die Nationalsozialisten aber erhoben diese Haltung zu einer zentralen Tugend. Mit „Fanatismus“ sollten die Deutschen der neuen politischen Ordnung „blind“ ergeben sein und Gegner im Innern wie im Äußern „fanatisch“ bekämpfen. Ethisch entlarvend war die häufige Koppelung von „fanatisch“ mit dem Adjektiv „rücksichtslos“. Diese Umdeutung ging 1945 mit dem NSRegime erfreulicherweise wieder unter. Die Allgegenwart der NS-Ideologie äußerte sich in der Penetrierung , also in der ständigen Wiederholung von Wörtern und Themen , die für Ideologie und Politik der Nationalsozialisten bedeutsam waren. Nach Victor Klemperer1 war das ständige Wiederholen bestimmter Begriffe ein Hauptstilmittel der Nationalsozialisten , das bei einer Mehrheit der Deutschen , auch wenn sie nicht von vornherein auf die NS -„Weltanschauung“ eingeschworen waren , seine Wirkung nicht verfehlte. Gerade mit Blick auf die Wirkung dieses Stilmittels , das sowohl einzelne Schlag- und Schlüsselwörter als auch komplexere Argumentationsmuster betraf , formulierte Klemperer seine für die Sprachkritik insgesamt immer noch wichtige These : „Worte können sein wie winzige Arsendosen ; sie
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werden unbemerkt verschluckt , sie scheinen keine Wirkung zu tun , und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“2 Die Wirkung dieses „Giftes“, die Betäubung selbstständigen Denkens und Urteilens , beschränkte sich aber keineswegs auf die „vergifteten“ Individuen , indem es sie unfähig machte , das Unrecht gegen andere kritisch wahrzunehmen , vielmehr senkte dieses „Gift“ bei allzu vielen die Hemmschwelle vor eigenen Unrechtstaten und schlimmsten Verbrechen. Die generelle semantische Strategie , die man in den meisten Fällen von lexikalischer Auf- und Abwertung erkennen kann , war die sogenannte Monosemierung : Die Bedeutung eines Worts wurde auf eine einzige , hier auf die jeweils ideologisch-politisch erwünschte semantische Facette eingeengt. Ein solches Verfahren ist in der auf sachliche Präzision orientierten Fachkommunikation sehr wohl wünschenswert , weil es Missverständnissen vorbeugt. Die Monosemierung politischer Begriffe dagegen war und ist eine Methode der Meinungslenkung. Denn eine nicht eingeschränkte semantische Vielfalt , die Polysemie , hätte in der Kommunikation der Diktatur für die Geltung von ideologischen und politischen Schlüsselwörtern geradezu subversiv wirken können und wurde darum auf jeden Fall unterbunden. Die inneren Widersprüche der NS -Ideologie zwischen modernistischen und antimodernistischen Komponenten , zwischen politischem Anspruch und Realität oder zwischen sozialistischer Attitüde und real existierendem Kapitalismus wurden rhetorisch auf vielfältige Weise überdeckt. Nicht nur die aus einem grundsätzlichen Antiintellektualismus erklärbare Konzentration auf unmittelbar emotionalisierende Formulierungen , etwa „gesundes Volksempfinden“, „junges Deutschland“ oder „unzerstörbare Lebenskraft der deutschen Nation“, sondern auch die häufig übersteigernde , hyperbolische Sprachgebung dienten der Benebelung der Massen. Dabei kam es – passend zur sonstigen NSGigantomanie , etwa in der Architektur und Städteplanung – zu monströsen sprachlichen Übersteigerungen. Beispiele sind inhaltlich eigentlich nicht mehr zu überbietende Adjektive , sogenannte Elative , wie „absolut“, „ewig“, „gigantisch“ und „unendlich“. Nicht selten wurden Adjektive inhaltlich unsinnig in Komparativen und Superlativen noch gesteigert wie „totaler“ ( ergänze : „als total“ ) oder „gigantischst“. Ungewollte Nebenwirkung war freilich , dass sich dadurch der semantische Wert dieser Wörter letztlich auflöste. Systematisch betriebene Propagandastrategie aber war die Umkehrung der Täter-Opfer-Perspektive. Eine solche Umkehrung war in einem Grundgefühl vieler Deutscher , dass ihr Volk jeweils nur Opfer welthistorischer Entwicklungen gewesen sei , bereits vor 1933 verankert. Schon der Kriegseintritt Deutschlands
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1914 war als „aufgezwungene“ Reaktion auf eine feindliche Einkreisung gedeutet worden. Spätestens aber seit der Niederlage von 1918 und dem Versailler Friedensvertrag fühlten sich viele Deutsche als ein zu Unrecht bestraftes Volk. Dies führte zu einer zuletzt mörderischen „Partikularethik“, in der nur noch die eigenen rassisch wie ethnisch begründeten Werte gelten durften und in der – besonders deutlich bei Himmler – „anständig“ und „gnadelos“ in einem Atemzug benutzt werden konnte. Die permanente Umkehrung der Täter-Opfer-Perspektive spielte sowohl in der Verfolgung aller möglichen Gegner , von der Beseitigung der SAFührung 1934 mit der Begründung einer „Staatsnotwehr“ bis hin zum Überfall auf Polen 1939 , eine zentrale Rolle. Sie war auch und nicht zuletzt Grundlage der Verfolgung und Vernichtung der Juden , gegen deren angeblich schädlichen Einfluss und bedrohliche Dominanz sich die „arischen“ Menschen unbedingt „wehren“ müssten , etwa in der frühen Parole „Deutsche , wehrt Euch !“. Eine schwerwiegende grundsätzliche Folge all dieser sprachlichen , rhetorischen und dialektischen Strategien war eine grundsätzliche Verarmung der Sprache. Darauf hat ebenfalls schon Victor Klemperer aufmerksam gemacht , als er in seiner Sprachkritik feststellte , dass die Grundeigenschaft der Sprache des Dritten Reiches , der „Lingua Tertii Imperii“ ( LTI ) , ihre „Armut“ sei , woraus sich aber auch ihre „Allmacht“ erklären lasse. „Die LTI ist bettelarm. Ihre Armut ist eine grundsätzliche ; es ist , als habe sie ein Armutsgelübde abgelegt. ‚Mein Kampf‘ , die Bibel des Nationalsozialismus , begann 1925 zu erscheinen , und damit war seine Sprache in allen Grundzügen buchstäblich fixiert. [ … ] sie bemächtigte sich aller öffentlichen und privaten Lebensgebiete : der Politik , der Rechtsprechung , der Wirtschaft , der Kunst , der Wissenschaft , der Schule , des Sportes , der Familie , der Kindergärten und der Kinderstuben.“3
Tatsächlich lässt sich eine solche Verarmung der Sprache zwischen 1933 und 1945 auf vielen Feldern der Kommunikation , auf denen die Wortwahl und der Gebrauch von Argumentationsmustern um wichtige , nicht zuletzt um alle humanen Aspekte beschnitten wurde , empirisch belegen. In der Konsequenz bedeutete dies auch die Verdrängung zahlreicher anderer Denkbilder und emotionaler Orientierungen. Klemperer sah darin einen jähen Absturz des Sprachgebrauchs gegenüber einer sprachlichen Vielfalt in den Epochen zuvor. Doch ganz so plötzlich war dieser Absturz wiederum nicht , und er ist auch nicht nur darauf zurückzuführen , dass die NS -Sprachlenkung streng darüber wachte , was noch geschrieben und veröffentlicht werden durfte. Der Blick auf nicht unwesentliche Teile des Sprachgebrauchs vor 1933 , auf die oft langfristige Vorgeschichte mancher
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Schlag- und Schlüsselwörter vornehmlich nationalistischer Selbstüberhebung und der Rassendiskriminierung kann – wie immer wieder zu belegen war – offenbaren , dass es schon teilweise lange Zeit vor Beginn der NS-Diktatur in Deutschland starke mentale Dispositionen , Vorurteile und Stereotype , somit auch kommunikative Traditionen gab , die von den Nationalsozialisten für ihre Zwecke nur ausgebeutet zu werden brauchten. Am tiefsten hatten sich in der Gefühlswelt vieler Deutscher schon seit dem 19. Jahrhundert der Antisemitismus und die Überzeugung von einer besonderen Rolle Deutschlands in der Welt eingenistet. Selbst Teile des Widerstands waren von solchen Prädispositionen beeinflusst , wie manche Argumentation und Wortwahl beweist. Die Kirchen etwa ließen sich sprachlich vielfach auf die rassenideologischen Unterscheidungen zwischen „arischen“ und „nichtarischen Christen“ ein. Oder : in Goerdelers Denkschrift von 1941 wird auch für die Zukunft ein normales Zusammenleben von „Deutschen“ und „Juden“ grundsätzlich in Zweifel gezogen. Ein entscheidender Unterschied zwischen dem Sprachgebrauch von Widerstand und NS-Diktatur bestand indes außer in den grundverschiedenen Zielen darin , dass die NS-Propaganda keinerlei sprachliche Zwischentöne und Differenzierungen zuließ , sondern stets nur ein und dieselbe sprachliche Keule schwang. Demgegenüber forderten die Widerständler – lässt man einmal die kollektivistischen Simplifizierungen der Kommunisten beiseite – das freie , also auch differenzierende Wort ein , als Voraussetzung für ein selbstständiges , eben auch differenziertes Denken und Urteilen der Bürger , und nutzten es auch selbst. Damit aber kam man , nicht nur wegen der extremen kommunikationstechnischen Beschränkungen , gegen eine Propaganda nicht an , die ihr Publikum in seinen Vorurteilen mit einer emotionalisierenden Sprache nur noch bestärkte und zur Lösung objektiv vorhandener , aber auch fingierter Probleme jeweils perfide-simple Alternativen anbot. Klemperer konnte nicht nur pauschal , wie es in dem zuletzt zitierten Auszug aus seiner „LTI“ scheinen mag , feststellen , dass die „arme“ offizielle Sprache auch das Sprechen in eigentlich politikfernen Bereichen , bei Gebildeten wie Ungebildeten , bestimmen konnte , sogar bei denen , die Opfer des Nationalsozialismus wurden. Selbst bei Juden sei – so Klemperer – , ob in Gesprächen und Briefen , auch in anfangs noch publizierten Schriften , die Armut der „LTI“ bemerkbar gewesen , was aber stets auch deren Allmacht bestätigt habe.4 Solche Anpassungen kamen also zunächst nicht nur durch unmittelbaren Zwang zustande. Der im doppelten Wortsinn herrschende öffentliche Ton färbte stets auch unbewusst auf privates Sprechen ab.
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Zwar wurde in der NS -Zeit außer im Widerstand auch sonst Sach- und Sprachkritik geübt ; nicht zuletzt in einer großen Zahl von politischen Witzen kam sie zum Ausdruck. Aber wie die Manifestationen des Widerstands konnte diese Form der Kritik nur heimlich , in Flüsterwitzen , geübt werden. Doch war auch darauf hinzuweisen , dass ein nicht geringer Teil dieser Witze keineswegs als echtes Widerstandshandeln gewertet werden darf , auch wenn einzelne Witze bei Bekanntwerden auf strengste Weise geahndet werden konnten. Manches mag sogar von der NS-Propaganda als Ventil für angestauten Volkszorn toleriert , wenn nicht sogar angeregt worden sein. Goebbels selbst soll angesichts der während des Krieges wachsenden Unzufriedenheit die zum geflügelten Wort avancierte Formulierung in Umlauf gebracht haben „Schimpfen ist der Stuhlgang der Seele“.5 Eine fundamentalere Sprachkritik konnte erst nach dem Zusammenbruch des Regimes öffentlich werden. Klemperers „LTI“, die auf privaten Aufzeichnungen während der NS-Zeit beruhte , konnte erst nach Kriegsende eine Buchgestalt erhalten. Bis 1945 mussten Klemperers Notizen wie seine weiteren Tagebuchaufzeichnungen vor jeder Entdeckung sorgsam versteckt werden. Auch das ebenfalls klassisch gewordene westdeutsche Pendant zu Klemperers 1947 zuerst in der Sowjetzone erschienene Buch , die Sprachkritik von Dolf Sternberger , Gerhard Storz und Wilhelm Süskind unter dem Titel „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“6 , konnte erst nach Kriegsende öffentlich werden , und zwar zunächst in einer Fortsetzungsserie der Zeitschrift „Die Wandlung“ 1945–48 ; die Buchform erschien erstmals 1957. Manko der Sprachkritiken von Klemperer und Sternberger / Storz / Süskind ist der durchscheinende oder gar explizite Versuch , sprachlichen Missbrauch an bestimmten Wörtern und Formulierungen selbst zu diagnostizieren und nicht aus ihrem jeweiligen Gebrauchszusammenhang und damit aus den Absichten ihrer Verwender zu erklären.7 So wichtig die Analyse der sprachlichen Elemente der NS-Diktatur auch ist , so wenig dürfen die jeweiligen Kontexte ihres Gebrauchs außer Acht gelassen werden. Die spezifische Semantik eines Wortes lässt sich angemessen nur im Zusammenhang ihrer Verwendung bestimmen. Hierfür gilt nach wie vor die Definition von Ludwig Wittgenstein : „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“8 Entsprechend müssen in eine Analyse jeweils textliche und situative Zusammenhänge einbezogen werden. Goebbels’ berüchtigter Aufruf zum „totalen Krieg“ etwa hätte kaum die frenetische Zustimmung gefunden , wäre er nicht , unmittelbar nach Stalingrad , also auf dem Tiefpunkt deutschen Selbstvertrauens , mit der Verheißung verbunden worden , dass ein „totaler Krieg“ zugleich den „kürzesten Krieg“, also ein baldiges Ende aller Leiden,
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bedeuten würde. Aber auch der jeweilige Gebrauch von „Endsieg“ macht deutlich , wie sehr die Semantik eines Wortes von den Verwendungszusammenhängen zumindest mitbestimmt wird. Es macht eben einen Unterschied , ob Emigranten wie Lion Feuchtwanger mit diesem Wort die Hoffnung auf eine endgültige Überwindung des NS-Regimes verbanden9 oder ob die NS-Propaganda damit ab 1942 / 43 einen Sieg wider alle realistischen Erfahrungen beschwor und die Deutschen zu täuschen versuchte. Eine noch so geschickt manipulierte Sprache könnte ohnehin nie und nimmer so viel Macht über die Menschen gewinnen , wenn sie nicht in ein Geflecht außersprachlicher Zeichen eingebunden wäre , die schon für sich eine bestimmte Richtung des Denkens und Fühlens vorgeben. Selbstverständlich muss hier an erster Stelle noch einmal an die Erfahrungen erinnert werden , welche die Deutschen mit dem „sprachlosen“ NS-Terror gemacht haben. Solche Erfahrungen , die man auch als nicht direkt Betroffener wahrnehmen musste , konnten auch dem Mutigsten jeden Schneid nehmen , gegen den Stachel zu löcken. Den Mächtigen in einer Diktatur reicht es überdies vielfach , wenn die Menschen allein angesichts des außersprachlichen Drucks auf Widerstand verzichten und zumindest schweigen. Genauso wichtig wie der unmittelbare und mittelbare Druck war , dass es den Nationalsozialisten vielfach gelungen ist , ihre Propaganda und Ziele durch außersprachliche Inszenierungen akzeptabel zu machen. Die vielfältigen seinerzeit höchst attraktiven Formen visueller und akustischer , nicht zuletzt musikalischer Präsentation blieben fast bis zum Schluss ein wirksames Mittel der emotionalen Einvernahme der Massen. Von Fahnenschmuck , Marschmusik und Gemeinschaftsgesang über quasiliturgische Feiern und Kundgebungen bis hin zu „Deutschlandlied“ und „Horst-Wessel-Lied“ sowie den Siegesfanfaren aus Franz Liszts „Les Préludes“ zur Einleitung von „Sondermeldungen“ – all das beeinflusste das Gefühlsleben von Millionen. Das bis in Kleidung und Gestik genau kalkulierte Auftreten Hitlers konnte tausend Worte aufwiegen , erst recht , wenn er rituelle Handlungen wie eine Fahnenweihe vornahm. Von diesen vornehmlich der symbol- und sinnenfreudigen katholischen Kirche entlehnten Formen ließen sich sogar die prinzipiell wortzentrierteren Protestanten hinreißen , denen Hitler aber sehr wohl auch mit Anleihen bei Bibel und Gottesdienst entgegenkam. Auch das geflügelte alltagssprachliche Wort „Es ist mir ein innerer Reichsparteitag“ war – wenn auch ironisch gebraucht – eine ernstzunehmende Bestätigung der Faszination , die von NS-Inszenierungen ausging. In realistischer Einschätzung , dass eine Dauerpropaganda letztlich Desinteresse hervorrufen müsste , bot man dagegen vor allem in Hörfunk und Kino
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zwecks Entspannung und Ablenkung umfangreiche Programme mit leichter Kost , vornehmlich mit Unterhaltungsmusik und -filmen , wobei man freilich nie ganz darauf verzichtete , auch darin noch propagandistische Töne unterzubringen. Nicht vergessen sei , dass scheinbar ideologiefreie Entspannungs- und Vergnügungsprogramme wie die der Organisation „Kraft durch Freude“ komplexe Propagandamaßnahmen waren. Dies alles ging freilich mit einem genau kalkulierten Sprachgebrauch einher. Gerade die Akzeptanz von Gewalt im Innern wie nach außen wurde systematisch durch Sprache aufgebaut. Die Verfolgung von Gegnern und die Auslösung des Krieges wären ohne eine sprachliche Einübung des Volkes in menschenverachtendes und totalitäres Denken kaum so reibungslos verlaufen. Insbesondere im Zusammenhang der Verfolgung und Vernichtung der Juden lässt sich nachweisen , dass zunächst einmal das Feld für Gewalt und Massenmord verbal bereitet wurde , bis man schließlich nach und nach im konkreten Handeln auf sprachliche Tricks der Verschleierung verzichten und die nackte Gewalt sprechen lassen konnte. Aber auch auf anderen Gebieten ging die Sprache dem brutalen Handeln eindeutig voran. Ein besonderes Kapitel ist dabei die Definition von neuen Straftatbeständen , ob im Medienrecht oder in der Kriegsgerichtsbarkeit , aufgrund derer dann eine juristisch „legitimierte“ exzessive Verfolgung möglich wurde.
Wie die NS-Diktatur insgesamt keineswegs nur ein „Betriebsunfall“ der deutschen Geschichte war , so war auch der von dieser Diktatur erfolgreich geforderte und sich unterwerfende Sprachgebrauch kein „Ausrutscher“ der deutschen Sprachgeschichte. Dafür hatten sowohl öffentliches Reden und Schreiben als auch verbreitete private Denk- und Sprachmuster bereits vor 1933 wichtige Weichen in Richtung des offiziellen Idioms der Nationalsozialisten gestellt. Auch dauerte es nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes 1945 noch eine ganze Weile , bis sich zumindest die Westdeutschen von den eingefahrenen Denkbildern und Sprachmustern lösen konnten. In manchen Kreisen ist dieser Ablösungsprozess allerdings bis heute nicht gelungen , wie die ungenierte erneute Handhabung selbst allerschlimmster NS-Parolen beweist. Und man sollte überhaupt – bei aller Einmaligkeit der NS-Verbrechen , insbesondere des Völkermords – nicht meinen , dass politische Konstellationen wie die der Jahre 1933–1945 mit entsprechenden Folgen für Denken und Sprechen 1945 ein für allemal passé gewesen wären. Die kommunistische Diktatur in der
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Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR beweist das Gegenteil. Denn bereits unmittelbar nach Kriegsende wurden dort – unter Druck , aber auch mit Duldung oder gar Unterstützung durchaus vieler ehrenwerter Gutmeinender – sehr ähnliche Gewaltstrukturen aufgebaut und ein offizieller Sprachgebrauch durchgesetzt , der die Unterdrückung durch Tabuisierungen , Verschleierungen und Beschönigungen erträglich zu machen versuchte , der aber auch ganz offen befehlen konnte , wie man zu denken hatte. Die Deutschen im Osten hatten im übrigen gar nicht die Gelegenheit und Zeit , sich von den mentalen Konditionierungen der NS-Zeit zu lösen. Trotz offizieller Zulassung anderer , freilich stets gegängelter Parteien gab es seit 1946 doch wieder nur eine alles bestimmende Staatspartei , die SED , die sich offiziell und privat wie die NSDAP als „die Partei“ titulieren und feiern ließ. Sie brachte es auch fertig , ihre „führende Rolle“ in der DDR-Verfassung zu verankern. Und kaum war der NS-Missbrauch von Begriffen wie „Volk“ mit seiner rassenideologischen Definition abgeschafft , wurde eine neue kollektive ideologische und politische Vereinnahmung der Bürger mit ebendiesem Begriff wieder verbindlich gemacht. An die Stelle der quasitranszendentalen Orientierung an der „Rasse“ trat nun die an der „Arbeiterklasse“, deren Deutung als geschichtsbestimmender Faktor es wiederum möglich machte , dass eine Herrschaftsclique , als angebliche „Vorhut“ dieser Klasse , alle Lebensbereiche durchherrschen konnte. Gegner war nun nicht mehr der „Rassenfeind“, sondern der „Klassenfeind“. Gegen ihn setzte die DDR-Staatssicherheit , die Stasi , mit teilweise unglaublichen Maßnahmen der „Zersetzung“ von Individuen und Gruppen rund 91. 000 hauptamtliche und mehr als 170. 000 „Inoffizielle Mitarbeiter“ als Spitzel ein. So viel Personal hatte noch nicht einmal die Gestapo für das sehr viel größere NS-Reich zur Verfügung. Die Überwachungsdichte in der DDR war sogar im gesamten Ostblock einschließlich der UdSSR die größte. Aufs Ganze gesehen erscheint der Austausch von „Nationalsozialismus“ durch „Antifaschismus“ also nur wie ein Etikettenwechsel , zumal die „sprachlosen“ Unterdrückungsmaßnahmen kein Deut besser waren als die des NS-Regimes. Menschen verschwanden schon aus geringem Anlass hinter Gefängnismauern. Eins der berüchtigsten von zuletzt insgesamt acht Spezialgefängnissen der Stasi , Berlin-Hohenschönhausen , zuvor ein Gestapo-Folterzentrum , war bezeichnenderweise auf keinem Ostberliner Stadtplan eingezeichnet , im doppelten Wortsinn also ein „Unort“. Immerhin gelang es den Untertanen der SED , dieses Unrechtsregime gewaltlos abzuschütteln , nicht zuletzt durch Entlarvung einer ebenfalls „armen“, gleichwohl allmächtigen Sprache ihrer Unterdrücker. Das
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gelang aber auch erst nach mehr als vierzig Jahren , ohne Blutvergießen und unter besonders günstigen weltpolitischen Bedingungen. 1 2 3 4 5 6
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Klemperer ( 1969 ) : 37. Ebda. : 23. Ebda. : 26. Ebda. : 27. Brackmann / Birkenhauer ( 1988 ) : 167. Sternberger / Storz / Süskind ( 1957 ). Vgl. dazu u. a. : Schlosser , Horst Dieter : Sprachkritik als Problemgeschichte der Gegenwart. In : Böke , Karin u. a. ( Hrsg. ) ( 1996 ) : Öffentlicher Sprachgebrauch. Praktische , theoretische und historische Perspektiven. Opladen : 99–109 ; Schiewe ( 1998 ) : 209–227. Wittgenstein , Ludwig ( 1977 ) : Philosophische Untersuchungen. Frankfurt a. M. : 41. Vgl. etwa den Gebrauch in Lion Feuchtwangers „Der Wartesaal“ von 1940.
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| Anhang
Personenregister ( Auf Seitenverweise zu Hitler wird verzichtet , da er auf fast jeder Seite zu finden ist. )
A
Bergmann, Gretel 265
Abraham, Paul 232
Bernheim, Maria 167
Adenauer, Konrad 16, 95
Bewer, Max 222
Adorno, Theodor W. 69
Binding, Karl 24, 214
Albers, Hans 166, 167
Binding, Rudolf G. 156
Altenburg, Werner 112
Bismarck, Otto von 18, 51, 197
Alverdes, Paul 156
Bloch, Ernst 235
Amann, Max 153, 154
Blomberg, Werner von 261
Andersen, Lale 164
Blumenberg, Werner 365
Ardenne, Manfred von 172
Blumenthal, Oskar 232
Aristoteles 374
Blunck, Hans Friedrich 13, 20
Arnim, Achim von 20
Bochmann, Werner 166
Assner, Ludwig 187, 345
Bodelschwingh, Friedrich von 349
Aubin, Hermann 141
Bonhoeffer, Dietrich 348, 352
Augustinus 346
Bormann, Martin 55, 105, 347
Axmann, Arthur 109
Bouhler, Philipp 185, 216 Brandt, Karl 185, 216
B
Brauchitsch, Walther von 192
Badoglio, Pietro 310
Braune, Paul Gerhard 348, 353
Baeck, Leo 233
Braun, Eva 173
Barényi, Bela 98
Braun, Otto 138
Barrow, Joseph Louis 75
Brecht, Bertolt 294
Bartels, Adolf 233
Breker, Arno 72
Barthel, Max 112
Bröger, Karl 112
Bauer, Elvira 225
Brüning, Heinrich 79
Baumann, Hans 13, 93, 112, 114
Bülow, Bernhard von 52
Beck, Ludwig 273, 377, 379, 382, 385
Burckhardt, Carl J. 202, 307
Beethoven, Ludwig van 51 Beinhorn, Elly 75
C
Benatzky, Ralph 232
Canaris, Wilhelm 235
Benjamin, Walter 133
Caracciola, Rudolf 75
Benn, Gottfried 22
Carossa, Hans 13
Bergengruen, Werner 13
Cato der Ältere 248
Personenregister |
Chamberlain, Arthur Neville 84, 273
Frank, Hans 129, 184
Chamberlain, Houston Stewart 21, 63
Franz Joseph I. 188, 205
Churchill, Winston 238, 291, 318, 322
Freisler, Roland 130, 185, 204
Conti, Leonardo 357
Frenssen, Gustav 20 Freud, Sigmund 132, 140, 269
D
Frick, Wilhelm 80
Dagover, Lil 166
Friedrich der Große 51, 82, 168, 181
Daladier, Edouard 84, 273
Frings, Joseph 354
Darré, Richard Walther 58
Fritsch, Willy 166
Darwin, Charles 21 Delmer, Sefton 296
G
Delp, Alfred 204, 344, 347, 356, 368
Gablentz, Otto Heinrich von der 371
Demandowsky, Ewald von 166
Gadamer, Hans-Georg 141
Dimitroff, Georgi 126
Gaiser, Gerd 156
Dönitz, Alfred 321
Galen, Clemens von 348, 353, 356, 357
Dühring, Karl Eugen 22
Gaulle, Charles de 318
Dunger, Hermann 59
Gebühr, Otto 166, 168
Dürer, Albrecht 51, 182
Gehlen, Arnold 141 Geibel, Emanuel 15
E
George, Heinrich 166, 168
Ebert, Friedrich 16, 17, 280
Gerron, Kurt 232
Eckart, Dietrich 154
Gerstenmaier, Eugen 368
Eichmann, Adolf 222, 243
Giesler, Paul 375
Einstein, Albert 140
Glaeser, Ernst 132
Elser, Georg 157, 187, 345
Glahé, Will 290
Erzberger, Matthias 17, 21, 226
Gobineau, Joseph Arthur 21
Ettlinger, Karl 232
Goebbels, Joseph 29, 51, 53, 74, 75, 81, 128, 131, 134, 139, 143, 145, 146, 147, 148, 155, 156, 159,
F
160, 161, 162, 166, 167, 168, 169, 193, 203,
Fallada, Hans 13
206, 217, 223, 225, 227, 230, 238, 240, 263,
Faulhaber, Michael von 233, 355
273, 284, 287, 293, 294, 299, 311, 312, 315,
Feder, Gottfried 34
316, 322, 384, 399
Feiler, Hertha 337 Feuchtwanger, Lion 293, 400
Goerdeler, Carl Friedrich 344, 345, 379, 380, 382, 398
Fichte, Johann Gottlieb 31
Goethe, Johann Wolfgang von 51, 206, 374
Florath, Albert 166, 215
Gorbatschow, Michail Sergejewitsch 199
Fontane, Theodor 20
Göring, Hermann 52, 53, 80, 83, 119, 134, 154,
Franco, Francisco F. y Bahamonde 266
183, 235, 239, 258, 259, 280, 291, 328
419
420
| Anhang
Graf, Willi 355, 373, 376
Hilfrich, Antonius 219, 356, 357
Green, Hugh 294
Himmler, Heinrich 38, 52, 56, 116, 117, 118, 119,
Grimm, Hans 17, 37, 298
121, 134, 181, 225, 230, 239, 246, 282, 291,
Grimm, Jacob 25 Gröper, Reinhard 109
297, 309, 310, 316, 322 Hindenburg, Paul von 16, 55, 80, 81, 82, 125,
Grünbaum, Fritz 232
181, 194, 197, 198, 260, 329
Guderian, Heinz 320
Hoche, Alfred 24, 214
Gundolf, Friedrich 48
Höfer, Werner 155
Gürtner, Franz 216, 219
Hölderlin, Friedrich 206 Holzamer, Karl 169
H
Hoppe, Marianne 166
Hácha, Emil 274
Horkheimer, Max 141
Hadamovski, Eugen 172
Horowitz, Vladimir 232
Haeckel, Ernst 23
Hoßbach, Friedrich 275
Haecker, Theodor 373
Huber, Kurt 373, 374, 375, 376
Haeften, Werner von 385
Huch, Ricarda 13
Halder, Franz 379 Halt, Karl Ritter von 264
I
Hansen, Rolf 168
Innitzer, Theodor 271
Harlan, Veit 168, 238 Hartmann, Paul 215
J
Hassell, Ulrich von 381
Jan, Julius von 352
Hatheyer, Heidemarie 166, 215
Jannings, Emil 166
Haubach, Theo 367
Joachim von Fiore 279
Hauptmann, Gerhart 13, 19, 26, 181
Johst, Hanns 13, 22
Heidegger, Martin 70, 141
Jost, Adolf 23
Heifetz, Jascha 232
Jünger, Ernst 17
Heine, Heinrich 132, 232 Heinrich I. 181
K
Heisenberg, Werner 314
Kaiser, Jakob 344, 379
Henlein, Konrad 272, 273, 274
Kamnitzer, Heinz 206
Henoch, Lilli 265
Kant, Immanuel 51, 121
Herzl, Theodor 20, 222, 380
Karajan, Herbert von 232
Heß, Rudolf 36
Kästner, Erich 73, 132, 133
Heuss, Theodor 155
Käutner, Helmut 167
Heydrich, Reinhard 239, 274, 317
Kautsky, Karl 132
Heym, Stefan 296
Keitel, Wilhelm 261, 318, 335
Hierl, Konstantin 97
Kisch, Egon Erwin 294
Personenregister |
Klausener, Erich 355
M
Klemperer, Victor 141, 343, 399
Macpherson, James 19
Klepper, Jochen 228
Männecke, August 207
Koch, Erich 327
Mann, Heinrich 294
Kolb, Annette 195
Mann, Thomas 19, 26, 127, 181, 294, 295
König, Lothar 368
Marinetti, Filippo Tommaso 22
Körner, Karl Theodor 169, 312
Marr, Wilhelm 221
Kötscher, Edmund 331
Marx, Karl 132, 359
Kube, Wilhelm 90
Maschmann, Melita 109
Küsel, Herbert 154
Maunz, Theodor 141 Max von Baden 17
L
Mayer, Helene 265
Lagarde, Paul de 22
Mechow, Karl Benno von 156
Langbehn, Julius 182
Mengele, Josef 243
Lanzinger, Hubert 56
Meusel, Marga 351
Laotse 374
Meyer, Konrad 38
Leander, Zarah 165, 166, 167
Mierendorff, Carlo 344, 367, 371
Le Bon, Gustave 30
Milch, Erhard 235
Le Fort, Gertrud von 13
Moeller van den Bruck, Arthur 25, 42, 279
Lehmann, Wilhelm 13
Möller, Eberhard Wolfgang 112
Leip, Hans 164
Moltke, Helmuth James von 27, 368, 369, 371,
Lenard, Philipp 140
376, 379, 381, 385
Leuschner, Wilhelm 344, 379
Morgenthau, Henry 49, 322
Ley, Robert 96, 108, 281
Mörike, Eduard 51
Lichtenberg, Bernhard 348, 355, 357
Moser, Hans 167
Liebeneiner, Wolfgang 168, 215
Müller, Ludwig 349
Liebknecht, Karl 206
Münchhausen, Börries von 127
Lingen, Theo 166
Mussolini, Benito 56, 181, 274, 283, 297, 310,
Löns, Hermann 233 Lorenz, Konrad 140
360 Muth, Carl 373
Lubbe, Marinus van der 125 Ludendorff, Erich 347
N
Ludendorff, Mathilde 347
Nannen, Henri 169
Lueger, Karl 235
Neubauer, Theodor 360, 362
Luther, Martin 346, 348
Ney, Elly 281
Lutze, Viktor 157
Niemöller, Martin 350, 352
Luxemburg, Rosa 206
Nietzsche, Friedrich 23, 25, 63 Noelle-Neumann, Elisabeth 155
421
422
| Anhang
Nordau, Max 22
Rauschning, Hermann 107
Novalis 26, 374
Reinhardt, Fritz 201
Nussbaum, Felix 232
Reitsch, Hanna 75 Remarque, Erich Maria 132, 133
O
Renner, Paul 18
Olbricht, Friedrich 385
Ribbentrop, Joachim von 242
Oppenhoff, Franz 316
Richert, Hans 16
Ossietzky, Carl von 132, 133
Riefenstahl, Leni 167, 266, 280
Owens, Jesse 266
Röhm, Ernst 115, 134, 156 Rökk, Marika 166
P
Rommel, Erwin 306, 318, 374
Pacelli, Eugenio (Pius XII .) 347
Roosevelt, Franklin D. 291, 297, 317, 322
Papen, Franz von 79, 80, 85, 138
Rosemeyer, Bernd 75
Pardun, Arno 113, 223, 287
Rosenberg, Alfred 35, 41, 45, 47, 56, 63, 146,
Paulsen, Harald 215
156, 207, 229, 237, 354
Paulus, Friedrich 310
Rosenberger, Adolf 98
Penck, Albrecht 140
Rühmann, Heinz 166, 167, 337
Pétain, Henri 304
Rupprecht, Philipp (\ 159
Petersen, Peter 141, 211 Pieck, Wilhelm 363
S
Pius XI . 347
Saefkow, Anton 360, 361, 362, 364
Pius XII . (Pacelli, Eugenio) 347
Schadewaldt, Wolfgang 141
Planck, Max 155
Scheibel, Oscar 190
Ploetz, Alfred 22
Scheidemann, Philipp 17, 280
Poelchau, Harald 368
Schenzinger, Karl Aloys 167
Pohl, Oswald 117
Schickedanz, Arno 47
Popoff, Blagoi 126
Schiller, Friedrich 51, 374
Porsche, Ferdinand 98, 99
Schirach, Baldur von 69, 109, 112, 186
Probst, Christoph 373, 376
Schleicher, Kurt von 80 Schmeling, Max 75
Q
Schmidt, Joseph 232
Quirnheim, Albrecht Mertz von 385
Schmitt, Carl 183
Quisling, Vidkun 282, 304
Schmitz, Elisabeth 229, 351 Schmorell, Alexander 373, 375, 376
R
Scholl, Hans 373, 374, 375, 376
Raddatz, Carl 166, 167
Scholl, Sophie 373, 376
Raskin, Adolf 160
Schopenhauer, Arthur 51
Rath, Ernst von 230
Schröder, Rudolf Alexander 112, 156
Personenregister |
Schultze, Norbert 164
Treitschke, Heinrich von 158
Schumacher, Kurt 229
Tucholsky, Kurt 19, 132, 133, 177
Schumann, Gerhard 288 Schumann, Robert 232
U
Schurike, Rudi 164
Ulbricht, Walter 363
Schuschnigg, Kurt 269
Unger, Hellmuth 215
Senger, Alexander von 18 Seyß-Inquart, Arthur 269
V
Söderbaum, Kristina 166, 280
Vorst, Hans 322
Spalding, Keith (Spalt, Karl) 297 Speer, Albert 22, 54, 103, 194, 262, 320
W
Sperrle, Hugo 266
Wagner, Richard 20, 52, 72, 234
Spitta, Heinrich 112
Waldberg, Max von 48
Stalin, Josef 291, 311, 318
Wallburg, Otto 232
Stauffenberg, Claus Schenk von 53, 187, 189,
Weinert, Erich 363
261, 345
Weizsäcker, Carl Friedrich von 314
Stauffer, Teddy 166
Welk, Ehm 13
Steinhoff, Hans 167
Wels, Otto 364, 366
Sternberger, Dolf 399
Werner, Ilse 166
Stoecker, Adolf 20
Wessel, Horst 105
Storz, Gerhard 399
Wiechert, Ernst 13, 156
Sträßer, Carl 337
Wiemann, Mathias 166, 215
Straßer, Gregor 31, 48, 151
Wiese, Benno von 141
Straßer, Otto 31, 48, 157, 294
Wilhelm II . 15, 21, 187, 205, 308
Strauß, Johann 234
Witzleben, Erwin von 379, 382
Streicher, Julius 157, 158, 225, 288
Wolff, Theodor 80
Süskind, Wilhelm 399
Wurm, Theophil 351, 353
T
Y
Taneff, Wassili 126
Yorck von Wartenburg, Peter 368, 369, 379
Thierack, Otto Georg 130 Thieß, Frank 13
Z
Tietz, Hermann 34
Ziegler, Adolf 281
Tietz, Leonhard 34
Zweig, Arnold 294
Tillich, Paul 141, 368 Todt, Fritz 94, 190, 262 Tönnies, Ferdinand 27 Torgler, Ernst 126
423
Carl Goerdeler gegen die Verfolgung der Juden PETER HOFFMANN Peter Hoffmann
CARL GOERDELER GEGEN DIE VERFOLGUNG DER JUDEN
Carl Friedrich Goerdeler war einer der führenden Köpfe der konservativen Widerstandsbewegung im „Dritten Reich“. Seine Vorstellungen über eine Neuordnung der Stellung der Juden in der Welt brachten ihm von einigen Historikern den Vorwurf des Antisemitismus ein. Peter Hoffmann, Kenner des deutschen Widerstands und Stauffenberg-Biograf, zeigt dagegen auf Grundlage neu ermittelter und analysierter Quellen Goerdelers unablässiges Bemühen um den Schutz der Juden vor Verfolgung, Verlust ihrer Staatsangehörigkeit und Ermordung. Eine zentrale Persönlichkeit der bürgerlichen Opposition und der Umsturzbewegung gegen den Nationalsozialismus erfährt hier eine neue Bewertung und Würdigung.
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Mit der Wannsee-Konferenz wurde der gesamte deutsche Staatsapparat zum Mitwisser und Mittäter bei der Ermordung der europäischen Juden. Der bereits stattfindende Massenmord wurde zum systematischen Völkermord. Das Konferenzprotokoll als schriftliche Quelle und seine Überlieferung, die Interpretation seiner bürokratischen Sprache, die Interessen der Konferenzteilnehmer, aber auch die Kontextualisierung in Geschichtsschreibung, Erinnerungskultur und Pädagogik werden in diesem Buch analysiert. Alle wichtigen Dokumente zur Konferenz und ihrem Umfeld sowie Eichmanns zahlreiche Äußerungen hierzu in Argentinien und Israel sind als Faksimilie oder in Abschrift wiedergegeben. 2013. 482 S. 43 S/W-ABB. GB. 170 X 240 MM. | ISBN 978-3-412-21070-0
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