Sprache und Darstellung der Phänomenologie des Geistes 3958323391, 9783958323391


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Table of contents :
Einleitung
1. Der thematische Zugang zur Phänomenologie
2. Forschungsüberblick
3. Zum Verlauf der Arbeit
Teil 1: Der Zusammenhang von Darstellung und Sprache in der Phänomenologie – systematische Problementwicklung
1. Darstellung und Wahrheit
1.1 Was ist Darstellung?
1.2 Der Zusammenhang von Wissen und Darstellung
1.3 Das Verhältnis von Darstellung und Dargestelltem und der Zusammenfall von ontologischer und semantischer Dimension der Wahrheit
1.4 Darstellung als sinnliche Vergegenwärtigung
1.5 Zwischenstand: Darstellung und das Werden der Wahrheit
1.6 Wahrheit als Selbst-Darstellung des Absoluten (die Vorrede der Phänomenologie)
1.7 Spekulative Identität und spekulativer Satz
1.8 Die Darstellung des erscheinenden Wissens als Weg zur philosophischen Wahrheit (die Einleitung der Phänomenologie)
1.9 Exkurs: Das historische Profil des Darstellungsbegriffs und die Frage der sprachlichen Darstellung der Philosophie
1.9.1 Darstellung im ästhetischen Diskurs zu Hegels Zeit
1.9.2 Die Frage der (populären) Darstellung der Philosophie
2. Sprache und Denken
2.1 Sprechen und Denken – die kognitive Funktion der Sprache (subjektiver Geist)
2.2 Sprachgemeinschaften – die kommunikative Funktion der Sprache (objektiver Geist)
3. Pluralität und Geschichtlichkeit der Sprachen und die Darstellung der Philosophie (absoluter Geist)
4. Hegels Sprache
5. Fazit
Teil 2: Sprache und Darstellung im Kontext der Hegel-Interpretationen von Brandom und Derrida
1. Robert Brandom: Sprache als Verwirklichung objektiver Bedeutung
1.1 Brandoms sprachphilosophische Grundideen
1.2 Brandoms Hegel
1.3 Sprache und Gesellschaft
1.4 Brandoms spannungsfreies Ideal der Gesellschaft (Ironie- und Entfremdungskritik)
1.5 Brandoms verengtes Verständnis der Sprache und ihrer Transformation
2. Jacques Derrida: Sprache als Verschiebung und Verlust der Bedeutung
2.1 Ökonomie und Reserve
2.2 Der Schacht und die Pyramide
2.3 Glas (1): Die Logik des Zwischenraums
2.4 Glas (2): Sprache, Darstellung und Zeit
3. Fazit
Teil 3: Sprache und das individuelle Subjekt – die kognitive Funktion der Sprache
1. Sprache und Bewusstsein (die sinnliche Gewissheit)
2. Sprache und Vernunft (Physiognomik und Schädellehre)
2.1 Physiognomik und Zeichen
2.2 Schädellehre und das unendliche Urteil
3. Fazit
Teil 4: Sprache und Geist – die kommunikative Funktion der Sprache
1. Sprache, Bildung und Entfremdung
1.1 Die Grundbegriffe der Welt des sich entfremdeten Geistes: Bildung, Entfremdung und Urteil
1.2 Sprache in ihrer eigentümlichen Bedeutung
1.3 Vermittlungsfunktionen und Rhetorik: Dienst und Schmeichelei
1.4 Die Sprache der Zerrissenheit und das unendliche Urteil
1.5 Brandom zu Bildung, Entfremdung und Ironie
1.6 Rückblick auf das Bildungskapitel
2. Sprache im Gewissenskapitel
2.1 Grundstruktur und Probleme des Gewissens
2.2 Sprache als Dasein und Bestimmtheit des Geistes
2.3 Die Konflikte von Einzelnem und Allgemeinem
2.4 Das Wort der Versöhnung und der Übergang zum absoluten Geist
3. Fazit
Teil 5: Sprache und die Darstellung des Absoluten – die welterschließende Dimension der Sprache und ihre Bedeutung für die philosophische Wissenschaft
1. Der Übergang zur Religion und die Rolle des Religionskapitels
2. Die Entwicklung der Sprache und die Kritik der Vorstellung im Religionskapitel
2.1 Die Stufen der Sprachentwicklung
2.1.1 Der Werkmeister
2.1.2 Die Hymne
2.1.3 Das Orakel
2.1.4 Das geistige Kunstwerk – Epos, Tragödie und Komödie
2.2 Die offenbare Religion
2.2.1 Spekulative Identität (1) – die Umkehrung des Satzes
2.2.2 Der Verlust von Substanz und Sprache
2.2.3 Die Entdeckung des Darstellungsproblems und die Einschränkungen des Vorstellens
2.2.4 Spekulative Identität (2) – das Gute und das Böse
2.2.5 Die Bewegung des Geistes und die Grenzen der Religion
3. Das absolute Wissen
3.1 Die Kritik der Vorstellung und das Konzept der vollendeten Darstellung
3.2 Darstellung und Zeit
3.2.1 Tilgung der Zeit als Eröffnung des Bereichs der Logik
3.2.2 Tilgung der Zeit als Moment des Verstehens einer Erzählung
3.3 Der Schluss des Kapitels: Reflexion auf die Darstellung und die Freiheit des Geistes
Ausblick: Geist, Sprache und Darstellung zwischen Hegel, Brandom und Derrida
Danksagung
Siglen
Literatur
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Sprache und Darstellung der Phänomenologie des Geistes
 3958323391, 9783958323391

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Simon Waskow

Sprache und Darstellung der Phänomenologie des Geistes

VELBRÜCK WISSENSCHAFT https://doi.org/10.5771/9783748917755

Simon Waskow Sprache und Darstellung der Phänomenologie des Geistes

https://doi.org/10.5771/9783748917755

https://doi.org/10.5771/9783748917755

Simon Waskow

Sprache und Darstellung der Phänomenologie des Geistes

VELBRÜCK WISSENSCHAFT https://doi.org/10.5771/9783748917755

Erste Auflage 2023 © Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2023 www.velbrueck-wissenschaft.de Printed in Germany ISBN 978-3-95832-339-1 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

https://doi.org/10.5771/9783748917755

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der thematische Zugang zur Phänomenologie . . . . 2. Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . 3. Zum Verlauf der Arbeit . . . . . . . . . . . . . Teil 1: Der Zusammenhang von Darstellung und Sprache in der Phänomenologie – systematische Problementwicklung . . 1. Darstellung und Wahrheit . . . . . . . . . . . . 1.1 Was ist Darstellung? . . . . . . . . . . . . . 1.2 Der Zusammenhang von Wissen und Darstellung . . 1.3 Das Verhältnis von Darstellung und Dargestelltem und der Zusammenfall von ontologischer und semantischer Dimension der Wahrheit . . . . . . 1.4 Darstellung als sinnliche Vergegenwärtigung . . . 1.5 Zwischenstand: Darstellung und das Werden der Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Wahrheit als Selbst-Darstellung des Absoluten (die Vorrede der Phänomenologie) . . . . . . . 1.7 Spekulative Identität und spekulativer Satz . . . . 1.8 Die Darstellung des erscheinenden Wissens als Weg zur philosophischen Wahrheit (die Einleitung der Phänomenologie) . . . . . . 1.9 Exkurs: Das historische Profil des Darstellungsbegriffs und die Frage der sprachlichen Darstellung der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . 1.9.1 Darstellung im ästhetischen Diskurs zu Hegels Zeit . . . . . . . . . . . . 1.9.2 Die Frage der (populären) Darstellung der Philosophie . . . . . . . . . . . . 2. Sprache und Denken . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Sprechen und Denken – die kognitive Funktion der Sprache (subjektiver Geist) . . . . . . . . . 2.2 Sprachgemeinschaften – die kommunikative Funktion der Sprache (objektiver Geist) . . . . . 3. Pluralität und Geschichtlichkeit der Sprachen und die Darstellung der Philosophie (absoluter Geist) . . . 4. Hegels Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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11 11 38 48 52 52 53 68 71 76 78 88 102 115 120 120 129 134 137 143 146 169 198

Teil 2: Sprache und Darstellung im Kontext der Hegel-Interpretationen von Brandom und Derrida . . . . 1. Robert Brandom: Sprache als Verwirklichung objektiver Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Brandoms sprachphilosophische Grundideen . . . 1.2 Brandoms Hegel . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Sprache und Gesellschaft . . . . . . . . . . . 1.4 Brandoms spannungsfreies Ideal der Gesellschaft (Ironie- und Entfremdungskritik) . . . . . . . . 1.5 Brandoms verengtes Verständnis der Sprache und ihrer Transformation . . . . . . . . . . . 2. Jacques Derrida: Sprache als Verschiebung und Verlust der Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Ökonomie und Reserve . . . . . . . . . . . 2.2 Der Schacht und die Pyramide . . . . . . . . . 2.3 Glas (1): Die Logik des Zwischenraums . . . . . 2.4 Glas (2): Sprache, Darstellung und Zeit . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229 234 240 246 258 266

Teil 3: Sprache und das individuelle Subjekt – die kognitive Funktion der Sprache . . . . . . . . . . . 1. Sprache und Bewusstsein (die sinnliche Gewissheit) . . 2. Sprache und Vernunft (Physiognomik und Schädellehre) . . 2.1 Physiognomik und Zeichen . . . . . . . . . . 2.2 Schädellehre und das unendliche Urteil . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 4: Sprache und Geist – die kommunikative Funktion der Sprache . . . . . . . . 1. Sprache, Bildung und Entfremdung . . . . . . . . . 1.1 Die Grundbegriffe der Welt des sich entfremdeten Geistes: Bildung, Entfremdung und Urteil . . . . . . . . . . . 1.2 Sprache in ihrer eigentümlichen Bedeutung . . . . 1.3 Vermittlungsfunktionen und Rhetorik: Dienst und Schmeichelei . . . . . . . . . . . 1.4 Die Sprache der Zerrissenheit und das unendliche Urteil . . . . . . . . . . . . 1.5 Brandom zu Bildung, Entfremdung und Ironie . . 1.6 Rückblick auf das Bildungskapitel . . . . . . . 2. Sprache im Gewissenskapitel . . . . . . . . . . . 2.1 Grundstruktur und Probleme des Gewissens . . . 2.2 Sprache als Dasein und Bestimmtheit des Geistes . 2.3 Die Konflikte von Einzelnem und Allgemeinem . .

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202 204 204 208 211 213 220

295 298 303 310 320 322 328 335 336 340 342 346

2.4 Das Wort der Versöhnung und der Übergang zum absoluten Geist . . . . . . . . . . . . . 350 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Teil 5: Sprache und die Darstellung des Absoluten – die welterschließende Dimension der Sprache und ihre Bedeutung für die philosophische Wissenschaft . . . . 1. Der Übergang zur Religion und die Rolle des Religionskapitels . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entwicklung der Sprache und die Kritik der Vorstellung im Religionskapitel . . . . . . . . . 2.1 Die Stufen der Sprachentwicklung . . . . . . . 2.1.1 Der Werkmeister . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Die Hymne . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Das Orakel . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Das geistige Kunstwerk – Epos, Tragödie und Komödie . . . . . . . 2.2 Die offenbare Religion . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Spekulative Identität (1) – die Umkehrung des Satzes . . . . . . . . 2.2.2 Der Verlust von Substanz und Sprache . . . 2.2.3 Die Entdeckung des Darstellungsproblems und die Einschränkungen des Vorstellens . . 2.2.4 Spekulative Identität (2) – das Gute und das Böse . . . . . . . . . 2.2.5 Die Bewegung des Geistes und die Grenzen der Religion . . . . . . . . 3. Das absolute Wissen . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Kritik der Vorstellung und das Konzept der vollendeten Darstellung . . . . . . . . . . 3.2 Darstellung und Zeit . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Tilgung der Zeit als Eröffnung des Bereichs der Logik . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Tilgung der Zeit als Moment des Verstehens einer Erzählung . . . . . . . . . . . . 3.3 Der Schluss des Kapitels: Reflexion auf die Darstellung und die Freiheit des Geistes . . . . .

356 357 363 365 369 372 374 374 377 378 381 383 394 397 403 406 413 424 427 429

Ausblick: Geist, Sprache und Darstellung zwischen Hegel, Brandom und Derrida . . . . . . . . . 438 Danksagung

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Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455

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Der spekulative Überschuss des Gedankens über das, was er einzuholen vermag, ist seine Freiheit. Sie gründet im Ausdrucksdrang des Subjekts, einer Bedingung aller Wahrheit; im Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen. Denn Leiden ist die Wucht der Objektivität, die auf dem Subjekt lastet; was es als sein Subjektivstes erfährt, sein Ausdruck, ist objektiv vermittelt. Das mag erklären helfen, dass der Philosophie ihre Darstellung nicht gleichgültig und äußerlich ist sondern ihrer Idee immanent: ihr integrales Ausdrucksmoment, unbegrifflich-mimetisch, vermag nur durch die Darstellung – die Sprache – sich zu äußern. Die Freiheit der Philosophie ist nichts anderes als das Vermögen, ihrer Unfreiheit zum Laut zu verhelfen. Theodor W. Adorno Vorlesung über Negative Dialektik

Die Sprache der Außerirdischen Intelligenz, wie wir sie nennen würden, ist voll von Wortspielen, wie wir sie nennen würden. Ann Cotten Lyophilia

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Einleitung 1. Der thematische Zugang zur Phänomenologie Geist ist nach Hegels Begriff konkrete, objektive Wirklichkeit. Hegel entwickelt also eine Theorie des objektiven Geistes. Der Grundgedanke einer Theorie des objektiven Geistes besteht darin, den Geist nicht als mentalen, privaten Vorgang zu verstehen (im Sinne des englischen mind oder des lateinischen mens), sondern durch die Formen seiner Verwirklichung. Der Geist steht damit nicht im Widerspruch zum Materiellen. Im Gegenteil sind alle geistigen Vorkommnisse prinzipiell in materiellen Ausdrucksgestalten realisiert. Die Welt des objektiven Geistes ist die Welt, in der wir leben. Diese Welt ist eine Welt sozialer Verhältnisse. Sie ist daher eine normative Welt, also eine Welt, in der es (gelingende und nicht gelingende) Beziehungen der Anerkennung gibt und in der diese sozialen, normativen Verhältnisse sich in Institutionen realisiert haben.1 Der Geist geht aber nicht in diesem objektiven Bestand auf, sondern er beinhaltet eine Reflexion auf die Verhältnisse des objektiven Geistes und ihre Entwicklung. Dies ist ein entscheidendes Moment von Hegels Theorie des Geistes: Der Geist ist auch eine Theorie des Geistes. Zum Geist gehören also nicht nur die aktualen objektiven Verhältnisse, sondern das Wissen darüber, wie sie entstanden sind und wie sich die Elemente des objektiven Geistes zueinander – und auch zu den Formen des subjektiven Geistes, also zu den Formen des Mentalen bzw. Psychischen, also des Bewusstseins – verhalten. Diese Reflexion des Geistes auf sich selbst bezeichnet Hegel als absoluten Geist.2 Der Ausdruck »Geist« bezeichnet damit einen realen Strukturzusammenhang und genauer einen Strukturzusammenhang, dessen Realität selbstbezüglich und selbsterkennend ist (und in diesem Sinne »absolut«). Die letzte Reflexionsinstanz des absoluten Geistes ist für Hegel die philosophische Wissenschaft. Absoluter Geist existiert aber nicht nur in Form wissenschaftlicher Theorien, sondern auch als Kunst und Religion. Die Selbstbezüglichkeit des Geistes lässt sich als Subjektivität verstehen. Der Geist bringt sich prozessual selbst hervor, indem er ein systematisches Selbstverhältnis realisiert. Dieses Hervorbringen ist aber nicht 1 Der Geist ist »das sittliche Leben eines Volks« und die Gestalten des Geistes sind Gestalten »einer Welt« (PhG, 326). Hegel unterstreicht, dass der Geist »nicht Bedeutung, nicht das Innere, sondern das Wirkliche« ist (PhG, 558). Zum Begriff des objektiven Geistes vgl. Kreis, Cassirer und die Formen des Geistes, 14–21. 2 Vgl. PhG, 591: Das absolute Wissen, also die Theorie des Geistes, ergibt sich aus der Erinnerung an die Entwicklung früherer »Geister« sowie ihre Organisation und bildet den Bereich des »absoluten Geistes«.

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EINLEITUNG

kon­struktivistisch oder subjektiv idealistisch gedacht, sondern die produktive Grundstruktur des Geistes ist ihrerseits etwas, das faktisch besteht und in diesem Sinne substantiell ist. Darauf bezieht sich Hegels Aussage, dass die Substanz gleichermaßen Subjekt ist: Substantialität und Subjektivität werden systematisch zusammengeführt.3 Hegels Projekt einer »Phänomenologie« des Geistes ist der Versuch, den Geist aus seinen Erscheinungsformen heraus zu begreifen. Die Phänomenologie (hier als philosophische Disziplin verstanden und daher nicht kursiv gesetzt) begründet das Projekt einer systematischen Analyse der Erscheinungsformen des Geistes und der damit verbundenen Wissens-, oder allgemeiner, Geltungsansprüche. Hegels Theorieangebot hat eine wesentlich kritische Prägung: Die Phänomenologie prüft geltende Wissensansprüche nach dem Modell der immanenten Kritik. Gefragt wird, ob eine spezifische Erscheinungsform des Geistes ihrem je eigenen Maßstab gerecht werden kann. Damit liefert die Phänomenologie (das Buch) nicht nur eine Theorie darüber, inwiefern der Mensch als Sprecher:in sozial und historisch situiert und konstituiert ist, sondern zeigt auch, wie aus diesen Situationen heraus Kritik dieser Situationen möglich ist. Sie operiert damit gegen das Problem des Relativismus, das sich aus der sprachlichen Anbindung ans Empirische ergibt.4 Die Phänomenologie geht vom Bewusstsein aus. Sie ist eine kritische Theorie der spezifischen Formen der Weltverhältnisse und Weltbilder des Bewusstseins, also des intentionalen Weltverhältnisses des Bewusstseins im Allgemeinen. Da diese Weltverhältnisse ihrerseits (implizite) Theorien sind, kann die Phänomenologie auch als Metatheorie verstanden werden: Sie behandelt den Prozess verschiedener Theorien, ihre Verhältnisse zu ihrem je spezifischen Gegenstandsbereich sowie ihre Verhältnisse zueinander.5 Dieses Projekt der immanenten Kritik der Weltbilder setzt am Standpunkt des Bewusstseins an: Die Phänomenologie befasst sich mit den 3 Vgl. PhG, 23 4 Zur Bedeutung von Hegels Dialektik und insbesondere der Phänomenologie für die Entwicklung der kritischen Theorie bei Adorno und Horkheimer vgl. Kreis, »Die Dialektik in der Dialektik der Aufklärung. Die Spur Hegels«. 5 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der metaphilosophischen Dimension der Phänomenologie findet sich bei Brandon Theunissen, Hegels Phänomenologie als metaphilosophische Theorie. Zur Hegel als Vertreter einer metaphysischen Metatheorie vgl. auch Markus Gabriel, »What Kind of an Idealist (If Any) Is Hegel?«. Zur Phänomenologie als allgemeiner Theorie der Intentionalität vgl. Gabriel, »A Very Heterodox Reading of the Lord-Servant-Allegory in Hegel’s Phenomenology of Spirit«. Die Kriterien für die Prüfung der Bewusstseinsgestalten sind Gabriel zufolge: Objektivität (jede Erscheinungsform des Geistes enthält einen spezifischen Maßstab, an dem sie das, was sie für objektiv gegeben hält, messen kann), Fallibilität (diese Gegenstandsbezüge und Weltverhältnisse können allesamt scheitern – und scheitern auch de facto

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DER THEMATISCHE ZUGANG ZUR PHÄNOMENOLOGIE

Erfahrungen des Bewusstseins. Deshalb ist die Binnenperspektive des Bewusstseins für Hegels Darstellung des erscheinenden Wissens relevant. Die Phänomenologie enthält daher zwei Perspektiven: Die Perspektive des Bewusstseins und die Perspektive der Philosoph:innen, die den Weg des Bewusstseins begleiten. Das Moment der Erfahrung ist insofern entscheidend, als das, was Hegel unter Erfahrung versteht, in seiner Prägnanz, seiner Wucht, über eine rein intellektuelle Widerlegung einer These hinausgeht.6 Durch ihren Ansatz beim Bewusstsein und der bestehenden Vorstellungswelt kann man die Phänomenologie als Realphilosophie verstehen: Sie prüft die bestehenden Formen des Weltverhältnisses des »natürlichen Bewusstseins«, das heißt eines durch verschiedene wissenschaftliche Theorien geformten Alltagsbewusstseins.7 In diesem Sinne knüpft die Phänomenologie an die Kritik der Positivität an, die Hegel seit seiner Berner Zeit entwickelt hatte.8 Welche Rolle spielt Sprache in der Phänomenologie? Sprache taucht einerseits im Gegenstandsbereich der Phänomenologie auf. Folgt man an ihren spezifischen Grenzen) und Bereichsneutralität (»topic-neutrality« – die von Hegel entwickelte Theorie ist in dem Sinne allgemein, dass sie sich nicht nur, wie die Theorien des Bewusstseins, die in den Gegenstandsbereich der Phänomenologie fallen, auf bestimmte Gegenstände bezieht, so wie sich etwa die Physik oder die Biologie auf bestimmte Gegenstände beziehen, sondern auf Gegenstandsbezug im Allgemeinen; vgl. ebd., 98f.). 6 Vgl. dazu insbesondere Emundts, Erfahren und Erkennen sowie Pippin, »Eine Logik der Erfahrung? Über Hegels Phänomenologie des Geistes«. 7 Vgl. PhG, 72 und Hoffmann, Hegel: Eine Propädeutik, 208. Wie Michael Forster ausführlich gezeigt hat, bündelt die Phänomenologie drei Typen von Aufgaben: kulturpädagogische, epistemologische und metaphysische; vgl. die Kapitel 2–4 in Forster, Hegel’s Idea. Hegel versteht seine Phänomenologie als Einleitung in sein System; zugleich ist diese Einleitung aber selbst bereits Wissenschaft. Neben der Frage, was eine Phänomenologie des Geistes prinzipiell ist, stellt sich noch die speziellere Frage, welche Stellung sie in Hegels Gesamtwerk einnimmt und wie sie sich zum reifen System verhält. In dieser Hinsicht scheinen mir vor allem Hegels spätere Verweise auf die Phänomenologie zu belegen, dass Hegel deren Projekt nach wie vor für relevant hielt. In dieser Hinsicht stimme ich mit Michael Forster überein, dass die »Aufhebung« der Phänomenologie zur Wissenschaft nicht mit deren andauernder Relevanz im Konflikt steht; vgl. dazu Kapitel 5–7 in Hegel’s Idea. Brandon Theunissen hat rekonstruiert, dass die Phänomenologie als systemexterne Rechtfertigung der philosophischen Wissenschaft verstanden werden kann; vgl. Theunissen, Hegels Phänomenologie als metaphilosophische Theorie. Vgl. zu dieser Frage ebenfalls Fulda, Das Problem einer Einleitung. 8 Vgl. insbesondere Hegels unter dem Titel »Die Positivität der christlichen Religion« bekannte Frühschrift von 1795/96 (TWA1, 104–89). Zur bleibenden Relevanz dieses Problems für Hegel vgl. z.B. Pippin, »Brandoms Hegel«, 271, 277.

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EINLEITUNG

der Entwicklung der Phänomenologie, lässt sich nachvollziehen, in welchen unterschiedlichen Funktionen Sprache in einer Theorie des Geistes relevant wird. Sprache ist außerdem das Medium, in dem sich Hegels Theorie artikuliert – und dieses Moment ist für eine Theorie, die den Geist an die Formen seiner Externalisierung knüpft, zweifellos von zentraler Bedeutung. Aus der Konzeption der Phänomenologie ergeben sich mehrere Komplikationen für die sprachliche Darstellung: (1) Der Geist entwickelt sich im Wechselverhältnis zu seinen Artikulationsformen. Es gibt daher keine Möglichkeit, auf den Geist unabhängig von allen Formen des Ausdrucks Bezug zu nehmen. (2) Da die Phänomenologie sich an den Erfahrungen des Bewusstseins orientiert, enthält sie eine doppelte Perspektive. Hegel stellt daher häufig zwei Ansichten dar: die Binnensicht des Bewusstseins, und die Außenansicht der Philosoph:innen. (3) Ein zentrales Moment von Hegels Theorie des Geistes ist seine Neukonzeption des Verhältnisses von Identität und Differenz, die er in seinem Begriff der »spekulativen Identität« kombiniert. Dieses spekulative Identitätskonzept überfordert das alltägliche Verständnis des Urteils, das auch mit der Grammatik der sprachlichen Sätze verbunden ist, in denen sich unsere Urteile artikulieren. Dass für Hegels Philosophie ein sprachliches Darstellungsproblem besteht, erkennt man daher auch an seinen Ausführungen zur spekulativen Identität und zum spekulativen Satz. Hegel versteht Sprache als Dasein des Geistes. Die Theorie des objektiven Geistes geht davon aus, dass alle geistigen Vorkommnisse ausdrucksgebunden sind. Aus dieser Perspektive ist leicht verständlich, dass der Sprache eine herausgehobene Rolle zukommt – denn Sprache ist (wie gesagt) das Medium, in dem die Objektivität des Geistigen hergestellt wird (das bedeutet nicht, dass es nicht neben Sprache auch noch andere wichtige Ausdrucksformen des Geistes gibt). Hegels Theorie der Erscheinungsformen des Geistes kann also als Grundlage einer komplexen Sprachphilosophie verstanden werden. Durch Hegels Konzeption der Sprache als »Dasein des Geistes« werden Sprache und Geist verknüpft: Geist wird über seine Externalisierung verstanden – über die Formen seines Daseins. Zugleich wird das Verständnis der Sprache an die Theorie des Geistes gebunden. Aus dieser Verbindung folgt, dass auch Sprache letztlich nur im Rahmen einer Theorie des objektiven Geistes verstanden werden kann. Sprache und Geist werden damit relational und nicht wechselseitig reduzibel verstanden.9 Daraus ergibt sich ein anspruchsvolles Sprachverständnis: Um die menschliche Sprachfähigkeit zu verstehen, muss man nämlich nachvollziehen, welche Rolle Sprache im Rahmen der Konstitution der geistigen Verhältnisse spielt, in denen wir leben.10 9 Vgl. Brandom, Begründen und Begreifen, 15f. 10 Diesen Punkt hat Charles Taylor emphatisch unterstrichen; vgl. Taylor, Das sprachbegabte Tier.

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DER THEMATISCHE ZUGANG ZUR PHÄNOMENOLOGIE

Wie gehört das bisher Gesagte mit dem Begriff der Darstellung zusammen? Unser Ausgangspunkt war das objektive Verständnis des Geistes über die Formen seiner Externalisierung und daran anschließend die kritische Position gegenüber diesen Formen. Beides hängt mit dem Darstellungsbegriff zusammen. Darstellung ist erstens die verwirklichende Externalisierung und Konstitution des Geistes – die Darstellung der »philosophische[n] Wahrheit«.11 Hegel bezeichnet Darstellung als eine innere Notwendigkeit der Substanz, die gerade dadurch, dass sie durch Darstellung ein Selbstverhältnis entwickelt, Geist ist.12 Zweitens bezeichnet Darstellung die Repräsentation und Kritik des Gegebenen – dieses Moment ist die »Darstellung des erscheinenden Wissens«. 13 Eine entscheidende Funktion der Sprache ist also die der Darstellung des Geistes und sowohl für die Darstellung der philosophischen Wahrheit als auch für die Darstellung des erscheinenden Wissens wird sich die positiv vorliegende Sprache als problematisch erweisen, so dass auch die Sprache zum Gegenstand einer Kritik der Positivität wird. Die Hauptlinie der Argumentation dieser Arbeit wird durch folgende These strukturiert: Sprache und Geist sind derart verknüpft, dass sie sich nicht losgelöst voneinander verstehen lassen. Ein Verständnis der gesamten Bandbreite des menschlichen Sprachvermögens können wir nur im Rahmen einer Theorie des objektiven Geistes gewinnen. Zugleich erfordert eine Theorie des Geistes eine Theorie darüber, wie dieser sich in Sprache (und anderen Medien) ausdrückt bzw. darstellt und wie sich Geist und Darstellungsmedien dabei dynamisch entwickeln. Indem Hegel Sprache als »Dasein des Geistes« begreift, bietet er eine solche Theorie an. Deshalb schlage ich vor, die Themenkomplexe »Sprache« und »Darstellung« zusammenzudenken und auf diesem Weg nachzuvollziehen, welcher Stellenwert der Sprache im Rahmen des Projekts der Phänomenologie zukommt. Ich argumentiere also erstens, dass Geist über die Wege seiner Darstellung verstanden wird (wobei die Spezifik des Darstellungsbegriffs berücksichtigt werden muss) und die Sprache auch als Medium der Darstellung für das Projekt der Phänomenologie relevant ist. Ich argumentiere zweitens, dass die gesuchte Theorie der Verknüpfung von Sprache und Geist ein weites Verständnis von Sprache erfordert. Ich argumentiere drittens, dass Sprache in diesem Modell zwar als Leitfaden einer Untersuchung dienen kann, dass diese Untersuchung aber zwangsläufig auch die Untersuchung anderer Bereiche erfordert, die mit dem menschlichen Sprechen verbunden sind. (1) Die erste These entspricht einer expressiven Theorie des Geistes, also einer Theorie, die von der Ausdrucksgebundenheit des Geistes 11 PhG, 11 12 PhG, 585 13 PhG, 72

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EINLEITUNG

ausgeht. Der v.a. durch Charles Taylor geprägte Begriff des »Expressivismus« bezeichnet einen theoretischen Ansatz, der das Geistige anhand seiner Ausdrucksformen begreift. Damit wird ein Dualismus des Ideellen und des Materiellen vermieden: Das Ideelle steht nicht im Widerspruch zum Materiellen, sondern konstituiert sich in einem materiellen Ausdrucksprozess. Der Begriff des Ausdrucks birgt allerdings die Gefahr eines essentialistischen Missverständnisses. »Ausdruck« darf nicht so verstanden werden, dass es ein inneres Wesen gibt, das sich durch diesem gegenüber sekundäre Mittel nur noch kundgibt. Wie z.B. Catherine Malabou betont hat, existiert Inneres im Gegenteil überhaupt nur durch den Ausdruck und ist in keiner Weise präkonstituiert.14 Durch ihren Anti-Dualismus grenzt sich eine expressive Theorie vom Sprachverständnis der Aufklärung ab, die von einem scharfen Dualismus von Sprache und Denken ausging. Die Ausdruckstheorie der Sprache wird dagegen häufig mit der Romantik verknüpft. Dadurch sollte aber nicht der Eindruck entstehen, dass eine solche Theorie notwendigerweise anti-aufklärerisch in dem Sinne ist, dass sie auf einen Anti-Rationalismus hinausläuft. So ist z.B. Robert Brandoms Entwicklung einer expressiven Theorie der Vernunft explizit rationalistisch konzipiert. Das gleiche gilt für Hegel, der das expressive Theoriemoment mit einem strikt rationalen Programm der Prüfung von Wissensansprüchen verbindet. Gerade hier zeigt sich, dass der Umstand, dass Hegel nicht den Begriff des Ausdrucks, sondern den der Darstellung ins Zentrum seiner expressiven Theorie stellt, wesentlich ist: Denn die Darstellung ist in der Phänomenologie nicht nur die konstituierende Präsentation im Sinne des Expressivismus, sondern auch die objektive und kritische Repräsentation bestehender Wissensansprüche. Anders als der Begriff des Ausdrucks, ist der Begriff der Darstellung unmittelbar mit dem argumentativen Verfahren Hegels verknüpft (und anders als der Begriff des Ausdrucks ist der Darstellungsbegriff nicht in zentraler Weise mit der unmittelbaren Gefühlserfahrung verbunden – eine Darstellung von Schmerz ist gerade kein Ausdruck von Schmerz).15 Der besondere Wert von Hegels phänomenologischem 14 Dem menschlichen Ausdruck entspricht also kein vorab bestehendes Ausgedrücktes: »à l’expression humaine ne correspond aucun exprimé pré-constitué«, Malabou, L’avenir de Hegel, 96. Im Anschluss an Isaiah Berlin hat Charles Taylor den Begriff des Expressivismus ins Zentrum seiner Hegel-Interpretation gestellt; vgl. Taylor, Hegel, 28. Eine ausführliche Besprechung findet sich bei Michael Forster, »Hegel and Some (Near-)Contemporaries: Narrow or Broad Expressivism?«. Wie Guido Kreis rekonstruiert, entwickelt auch Ernst Cassirer eine Theorie der »Ausdrucksgebundenheit« des Geistes, der zufolge Ideelles nur durch eine es verkörpernde Darstellung überhaupt besteht; vgl. dazu Kreis, Cassirer und die Formen des Geistes, 144–46. 15 Auf Hegels Formulierungen zur Darstellung des erscheinenden Wissens und zur inneren Notwendigkeit der Substanz, sich selbst darzustellen, wurde

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Projekt besteht darin, dass es zeigt, dass die konkreten Formen der Externalisierung des Geistes zwar notwendige Fortschritte sind, aber zugleich eine problematische Statik (»Positivität«) erzeugen und daher immer wieder kritisch befragt werden müssen.16 Ein zentrales Themenfeld oben schon verwiesen. Wenn wir allgemein davon sprechen, dass Hegel eine Ausdrucksgebundenheit bzw. ein expressives Moment des Geistes aufzeigt, dann muss man betonen, dass dieses Moment bei Hegel gar nicht primär mit dem Begriff des »Ausdrucks« verbunden ist. Der Begriff »Ausdruck« wird in der Phänomenologie einerseits im alltäglichen, unspezifischen Sinne als Synonym für »Wort« gebraucht. Eine terminologische Prägung erhält »Ausdruck« dagegen nur im Rahmen des Abschnitts über die theoretische (»beobachtende«) Vernunft, wo Hegel sich mit dem Ausdruck des »Inneren« im »Äußeren« befasst (vgl. PhG, 202f.). Während die konstituierende Rolle von Momenten des Ausdrucks mit dem Begriff der Darstellung (und der Entäußerung) beschrieben wird, verwendet Hegel »Ausdruck« für ein unterkomplexes Verständnis dieses Vorgangs, das davon ausgeht, dass es ein präkonstituiertes Inneres gibt, das durch den Ausdruck nicht mehr konstituiert, sondern lediglich (mehr oder weniger angemessen) repräsentiert (»ausgedrückt«) wird. Allerdings fällt auch das Bewusstsein der praktischen Vernunft noch einmal in dieses Modell zurück, obwohl Hegel den Ausdruck des Individuums im Kapitel über das geistige Tierreich als »Darstellung« einführt (PhG, 292). Diese wird aber zunächst noch im Sinne der Repräsentation einer seienden Substanz (bzw. Essenz) des Individuums missverstanden, die nur »aus dem Nichtgesehenwerden in das Gesehenwerden« übersetzt wird (PhG, 293; vgl. auch 296: »Das Tun ist nämlich nur reines Übersetzen aus der Form des noch nicht dargestellten in die des dargestellten Seins«). Genau an dieser Konzeption, die davon ausgeht, dass das Geistige eine in den einzelnen Individuen vorliegende Eigenschaft ist, scheitert jedoch das individualistische Bewusstsein des geistigen Tierreichs. Die Relevanz und die entscheidende Prägung des Darstellungsbegriffs als Einheit von Konstitution und Repräsentation zeigt sich jedoch an anderen Stellen. Dort wird auch deutlich, dass der Darstellungsbegriff ein objektives Moment einfangen kann, das dem Ausdrucksbegriff nicht zukommt. Gerade in den zentralen Verwendungen des Darstellungsbegriffs zeigt sich, dass dessen Funktion nicht als Ausdruck verstanden werden kann – etwa an der Darstellung des erscheinenden Wissens und der inneren Notwendigkeit der Sub­stanz, ihre Darstellung hervorzubringen (PhG, 72, 585). In einem anderen Zusammenhang unterscheidet Jürgen Trabant die Sprache als Ausdruck von Gefühlen und als Darstellung von Ideen. Als »Erzeugerin von Ideen« ist die Sprache Darstellung; vgl. Trabant, Was ist Sprache?, 35f. 16 Wie Michael Theunissen in seiner klassischen Arbeit zum Zusammenhang von Darstellung und Kritik zeigt, ergibt sich die kritische Funktion der Darstellung aus dem Ineinander von Schein und Wahrheit. Wahrheit und Schein durchdringen sich und die Einheit von Darstellung und Kritik hängt mit der Einheit von Wahrheit und Schein zusammen – Die Darstellung ist zugleich Darstellung von Wahrheit und Kritik von Schein; vgl. Theunissen, Sein und

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EINLEITUNG

der Phänomenologie bildet daher das Verhältnis von Geist und Sprache und die Auseinandersetzung mit Theorien über dieses Verhältnis sowie mit realen Formen und Kontexten des Sprechens und mit der gezielten Entwicklung der expressiven Möglichkeiten der Sprache in Kunst, Religion und Philosophie.17 Robert Brandom hat dieses Projekt mit dem Begriff des synthetischen Rationalismus beschrieben. Hegels Rationalismus ist synthetisch insofern Hegel die Praktiken des Darstellens und die Entwicklung der medialen Vermittlung und Darstellung des Geistes in Kunst und Religion wesentlich zur Entwicklung der Darstellung und Erkenntnis des Geistes zählt und so mit der philosophisch wissenschaftlichen Theorie des Geistes verbindet.18 (2) Die konstitutive Funktion des Ausdrucks bzw. der Darstellung erfordert ein besonderes Verständnis der Sprache. Wie Taylor in seiner Theorie der Sprache deutlich macht, kann ein Modell, das Sprache im Wesentlichen als Instrument zur Bezeichnung bestehender Entitäten versteht, die konstitutive Rolle der Sprache bei der Entwicklung des Geistigen nicht erklären. Taylor unterscheidet zwei theoretische Paradigmen der (philosophischen) Sprachforschung: Die HLC-Theorie (benannt nach ihren paradigmatischen Vertretern Hobbes, Locke und Condillac) versteht Sprache im Verhältnis zu den anderen Aspekten des menschlichen Geistes als »rahmend« (enframing), aber nicht konstitutiv. Sprache steht demnach in Zusammenhängen, die für sich genommen auch ohne Bezug auf Sprache beschrieben werden können, und sie wird zurückgeführt auf andere Elemente (z.B. Zeichen), die weniger problematisch scheinen und als Grundlage einer Erklärung der Sprache dienen können. Diese Sichtweise der Sprache ist atomistisch: erstens, insofern sie Sprache als innerhalb der anderen Aspekte des menschlichen Geisteslebens isoliert untersuchbar betrachtet; zweitens, insofern sie die Bedeutung der Sprache auf der Ebene der Worte sucht und komplexere semantische Einheiten ausgehend von dieser Basis verstehen möchte. Die Funktion der Sprache ist kennzeichnend (designative) bzw. instrumentell: Sprache dient zur Bezeichnung innerer und äußerer Entitäten. Diese Bezeichnung ist den Entitäten gegenüber aber sekundär. Dem setzt Taylor das Paradigma der HHH-Theorie entgegen (benannt nach ihren paradigmatischen Vertretern Hamann, Herder und Humboldt). Die HHH versteht Sprache gegenüber den anderen Vorkommnissen des menschlichen Geistes als konstitutiv. Sprache ist hier irreduzibel. Diese Schein, 85. Teile der Debatte um Theunissens Buch finden sich gedruckt in Fulda, Horstmann, und Theunissen, Kritische Darstellung der Metaphysik. 17 Diese besondere Bedeutung der Sprache in der Phänomenologie hat Michael Forster am deutlichsten hervorgehoben, insbes. im vierten Kapitel von Forster, Hegel’s Idea. Vgl. ebenfalls Taylor, Hegel, 124f., 154f. 18 Vgl. Brandom, »Zur Versöhnung zweier Helden: Habermas und Hegel«, 254.

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Sichtweise der Sprache ist holistisch: Erstens, insofern sie vertritt, dass Sprache nur im Rahmen einer Theorie des menschlichen Geistes als Ganzes verstanden werden kann; zweitens, insofern sie die Sprache selbst als holistisch strukturiert begreift. Im Rahmen eines solchen Holismus wird es für das Verständnis der Sprache zentral, dass sie ihre Bedeutung in komplexen sozialen Zusammenhängen oder auch in den sprachlichen Produktionen von Kunst und Wissenschaft erlangt. Die Funktion der Sprache ist expressiv. Die Grundidee der expressiven Theorie ist, dass der Ausdruck das Ausgedrückte (mit-)konstituiert oder zumindest seine Qualität – z.B. bei Verhaltensnormen – entscheidend verändern kann. Taylor bezeichnet diesen Ansatz daher als »konstitutiv-expressive Theorie«.19 Davon ausgehend kann man der Sprache eine welterschließende Dimension zuschreiben. Weil wir durch Sprache nicht nur Fertiges bezeichnen, sondern Welt erschließen, gehört zu den uns vertrauten Spracherfahrungen auch die Erfahrung, dass wir etwas sagen wollen, das wir zunächst nicht sagen können, und dass wir deshalb fortlaufend versuchen, unsere Artikulationsmöglichkeiten zu erweitern. Die Artikulation unserer Sprachabsichten enthält sowohl Momente des Findens als auch Momente des Erfindens.20 Durch die Erweiterung unserer Artikulationsfähigkeit 19 Taylor, Das sprachbegabte Tier, 82. Vgl. dazu das gesamte erste Kapitel (»Bezeichnungstheorien und Konstitutionstheorien«). Die konstitutive Rolle der Sprache für das durch sie Ausgedrückte kann gut anhand von Emotionen beschrieben werden: Während bestimmte Basis-Emotionen (wie Furcht, Freude oder Überraschung) mehr oder weniger eindeutig gekennzeichnet werden können (und auch kulturübergreifend beobachtet werden), existieren komplexere Empfindungen (wie Empathie, Stolz oder Schadenfreude) nur dadurch, dass sie sprachlich beschrieben und ausdifferenziert werden können. Das fällt vor allem auf, wenn sich neue Empfindungsbezeichnungen durchsetzen (wie etwa »Cringe«, das Jugendwort des Jahres 2021). In womöglich noch stärkerer Weise gilt das für ästhetische Klassifikationen und Codes (sub-)kultureller Zugehörigkeit (z.B. »Surrealismus« oder »Punk«). Neben Hamann, Herder und Humboldt – und Hegel – lassen sich z.B. auch Schleiermacher, Dilthey, Cassirer, Heidegger und Gadamer dem Paradigma der HHH zuordnen; vgl. Bertram, Sprachphilosophie, 145. 20 »Das ›richtige‹ Wort erschließt [...] das Phänomen und rückt es zum ersten Mal in angemessener Weise in den Blick. Entdeckung und Erfindung sind zwei Seiten derselben Medaille. Wir ersinnen einen Ausdruck, der das, was wir in den Griff bekommen wollen, zum Vorschein kommen lässt. Das ist eine entscheidend wichtige Facette unseres Sprachvermögens, die ich hier als ›Artikulation‹ bezeichnen werde.« Taylor, Das sprachbegabte Tier, 338. Die Hervorhebungen stammen von mir, S.W. Zur Artikulation als Grundfunktion der Sprache vgl. Trabant, Was ist Sprache?, 25–51. Im Rahmen der linguistischen Wende der Philosophie zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist der Begriff der Welterschließung zu einem Kernbegriff der Kritik eines rein instrumentell-bezeichnenden Sprachverständnisses (nach dem Paradigma der HLC-Theorien)

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EINLEITUNG

vergrößern wir unsere Welt. Wie bereits Wilhelm von Humboldt beschrieben hat, befinden wir uns genau aus diesem Grund ständig an den Grenzen unserer Artikulationsfähigkeit und diese Grenzerfahrung ist kein behebbarer Mangel der Sprache, sondern ein wesentliches Moment unseres Verhältnisses zu Sprache überhaupt. Die Sprache ist Humboldt zufolge eine »wahre Welt«, die der Geist zwischen sich und die Gegenstände setzt. Gerade weil die Sprache unseren Ausdruck begrenzt, muss sie fortlaufend transformiert und erweitert werden, wobei diese Erweiterungen wiederum auf unser Selbstverständnis »zurückwirken«: Wenn in der Seele wahrhaft das Gefühl erwacht, dass die Sprache nicht bloß ein Austauschmittel zu gegenseitigem Verständnis, sondern eine wahre Welt ist, welche der Geist zwischen sich und die Gegenstände durch die innere Arbeit seiner Kraft setzen muss, so ist sie auf dem wahren Wege, immer mehr in ihr zu finden und in sie zu legen. Wo ein solches Zusammenwirken der in bestimmte Laute eingeschlossenen Sprache und der ihrer Natur nach immer weiter greifenden inneren Auffassung lebendig ist, da betrachtet der Geist die Sprache, wie sie denn in der Tat in ewiger Schöpfung begriffen ist, nicht als geschlossenes, sondern strebt unaufhörlich, Neues zuzuführen, um es, an sie geheftet, wieder auf sich zurückwirken zu lassen. Dies setzt aber ein Zwiefaches voraus, ein Gefühl, dass es etwas gibt, das die Sprache nicht unmittelbar enthält, sondern der Geist, von ihr angeregt, ergänzen muss, und den Trieb, wiederum alles, was die Seele empfindet, mit dem Laut zu verknüpfen. Beides entquillt der lebendigen Überzeugung, dass das Wesen des Menschen Ahndung eines Gebietes besitzt, welches über die Sprache hinausgeht und das durch die Sprache eigentlich beschränkt wird, dass aber wiederum sie das einzige Mittel ist, dies Gebiet zu erforschen und zu befruchten, und dass sie gerade durch technische und sinnliche Vollendung einen immer größeren Teil desselben in sich zu verwandeln vermag.21 geworden. Durch eine Verabsolutierung der welterschließenden Dimension der Sprache droht allerdings ein linguistischer Relativismus, da unter dieser Annahme durch verschiedene sprachliche Zugänge tatsächlich grundverschiedene Welten erschlossen würden, die nicht mehr unter Berufung auf eine allgemeine Instanz (wie z.B. eine transzendentale Vernunft) kommensurabel gemacht werden könnten. Entscheidend ist daher, wie die welterschließende Dimension der Sprache mit der Möglichkeit wahrheitsorientierter Urteilsbildung zusammengedacht werden kann. Gerade in dieser Hinsicht bietet Hegel einen fruchtbaren theoretischen Ansatz, da für ihn beide Momente zen­tral sind. Zum Verhältnis von Welterschließung und Wahrheitsorientierung vgl. Seel, »Über Richtigkeit und Wahrheit. Erläuterungen zum Begriff der Welterschließung«. Eine ausführliche Kritik der Verabsolutierung der welterschließenden Dimension der Sprache (in Auseinandersetzung mit der Philosophie Heideggers) findet sich bei Cristina Lafont, Sprache und Welterschließung. 21 Das Zitat stammt aus der Einleitung zum 1836 postum erschienen »Kawi-Werk«; vgl. Humboldt, »Über die Verschiedenheit des menschlichen

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Dieser Gedanke ist auch für Hegel zentral: Da der Geist sich durch die Formen seiner Veräußerung entwickelt, bilden diese Formen der Veräußerung oder Verkörperung die innere Grenze des Geistes. Das heißt, dass der sprachliche Ausdruck die innere Grenze des Gedankens ist; damit wird es aber zu einer geradezu paradigmatischen geistigen Erfahrung, sich an den Grenzen des Artikulierbaren zu bewegen (auch wenn wir uns in den meisten Fällen eher an den Grenzen dessen bewegen, was wir persönlich artikulieren können, als an den Grenzen des Artikulierbaren überhaupt). Diesem expressiven Verständnis des Geistes gemäß muss der Gedanke sein Medium ändern, um sich selbst zu ändern.22 Hegel reflektiert das, indem er eine plastische Sprache entwickelt. Diejenige Sprache, die das Werden des Geistes im Ausdruck reflektiert, reflektiert darauf, wie sich die Gegenstände, die sie beschreibt, durch diese Beschreibung verändern. Diese Sprache ist damit selbst eine sich verändernde Sprache.23 Die Phänomenologie führt daher eine systematische Entfremdung von der Sprache durch. Man kann Hegels Kritik an einem designativen Verständnis der Sprache (und damit das Argument für die konstitutive Rolle der Sprache) analog zu seiner Kritik der natürlichen Vorstellung über das Erkennen verstehen, die er in der Einleitung der Phänomenologie formuliert. Dieses erkenntnistheoretische Vorverständnis geht davon aus, dass die Welt ein Bestand ist, der dem Menschen gegenüber steht und den dieser sich durch das Erkennen zugänglich macht; dadurch entsteht die Skepsis, dass der menschliche Erkenntnisapparat die Welt prinzipiell verzerren könnte. Wie auch das Erkennen, darf Sprache aber nicht als Werkzeug oder Instrument missverstanden werden. Bezieht man Hegels Erkenntniskritik auf die Fragen des Ausdrucks durch Sprache, ergibt sich noch eine weitere Pointe: Die in der Einleitung der Phänomenologie kritisierte natürliche Vorstellung versteht den menschlichen Erkenntnisapparat als »schlechthin scheidende Grenze« zwischen sich und der Welt bzw. dem »Absoluten«.24 Dagegen argumentiert Hegel, dass diese Grenze mit der Annahme, dass hinter ihr etwas Unerkennbares liege, in der Tat bereits überschritten ist. Dieser Gedanke lässt sich auf die Grenzen des sprachlichen Ausdrucks übertragen, die sich mit Humboldts Formulierung in der »Ahndung eines Gebietes« bemerkbar machen, »welches über die Sprache hinausgeht und das durch die Sprache eigentlich beschränkt wird«. Insofern die Sprache Artikulationsgrenzen darstellt, ist sie zugleich das Moment, Sprachbaues«, 146f. Die Hervorhebungen stammen von mir, S.W. Humboldt berührt hier ein ähnliches Problem wie Ludwig Wittgenstein im Tractatus, insbesondere im berühmten Satz 5.6, wo Wittgenstein pointiert formuliert, dass die Grenzen unserer Sprache die Grenzen unserer Welt »bedeuten«; Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, 67. 22 Vgl. Taylor, Hegel, 119–25. 23 Taylor, 154f. 24 PhG, 68

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EINLEITUNG

durch das diese Grenzen kontinuierlich verschoben werden (»das einzige Mittel [...], dies Gebiet zu erforschen und zu befruchten«, wie Humboldt schreibt). Hegels systematische Entfremdung von der Sprache ist daher eine Verschiebung der Grenzen des Artikulierbaren und in diesem Sinne ein semantisches Erschließen – einerseits der Welt, die durch die Sprache beschrieben und artikuliert wird, und andererseits der Welt, die (noch einmal mit Humboldt formuliert) die Sprache ihrerseits ist.25 (3) Das gesuchte Verständnis der Sprache ist in mindestens zwei Hinsichten holistisch: Sprache wird einerseits als holistisches System verstanden und steht andererseits selbst in holistischen Zusammenhängen. Wie Bertram, Lauer, Liptow und Seel in einer gemeinsamen Publikation nachzeichnen, beschreibt die Sprachphilosophie des 20. Jahrhunderts den Weg zu einem holistischen Verständnis der Sprache (und zwar sowohl in ihrer analytischen als auch in ihrer strukturalistischen und poststrukturalistischen Ausprägung). Dies wird bereits durch Freges Kontextprinzip vorweggenommen, das besagt, dass Worte überhaupt nur durch ihre Rolle im Aussagesatz Bedeutung haben.26 Wie die Autoren zeigen, kann Sprache aber nicht verstanden werden, wenn sie als Untersuchungsgegenstand isoliert wird. Um zu verstehen, inwiefern Sprache welthaltig ist, muss die Sprachphilosophie dazu übergehen, auch die Anknüpfungspunkte an andere Bereiche zu untersuchen. Sprache lässt sich demnach nicht ausschließlich aus innersprachlichen Beziehungen heraus verstehen, sondern steht mit anderen Momenten geistiger Weltverhältnisse in einem Verhältnis der Interdependenz. Diese Position bezeichnen die Autoren als postformalistischen Holismus.27 Insbesondere möchte ich in diesem Zusammenhang an Bertrams Argument anknüpfen, dass 25 Zur Verbindung von Hegels Gedanken der Dialektik der Grenze mit den Problemen des sprachlichen Ausdrucks vgl. auch den Rückgriff auf Lorenz B. Puntel bei Reza Negarestani, Intelligence and Spirit, 71f. 26 Vgl. Frege, Die Grundlagen der Arithmetik, 10. 27 »Der postformalistische Holismus setzt mit der Erkenntnis ein, dass der Zusammenhang von sprachlichen Strukturen mit der Welt und mit Praktiken der Sprachverwendung nur verstanden werden kann, wenn die daran beteiligten Faktoren als interdependent verstanden werden. Das aber bedeutet, dass schon die Beziehungen unter sprachlichen Ausdrücken innerhalb der semantischen Struktur, insofern sie für Bedeutung konstitutiv sind, gerade nicht allein von diesen innersprachlichen Beziehungen her verstanden werden können. Sprache kann nicht, in einem ersten Schritt, als autonome, allein aus sich selbst heraus konstituierte formale Struktur verstanden werden, die dann in einem zweiten Schritt in sprachliche Praktiken auf die Welt ›angewendet‹ wird. Sprachliche Praktiken sowie die Welt, in der sie sich vollziehen, sind vielmehr immer schon an der Konstitution sprachlicher Strukturen als solchen beteiligt – und zwar in einer Weise, die etwa mit dem Begriff eines Weltbezugs der Sprache bereits verfehlt wird.« Bertram u. a., In der Welt der Sprache, 19.

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es für Sprache wesentlich ist, dass sie in künstlerischen Formen verwendet werden kann.28 Hegels Ausführungen über Sprache im Kapitel über die Kunstreligion können in diese Richtung gelesen werden. Hegels Philosophie ist aufgrund ihres systematischen Anspruchs holistisch organisiert.29 Auch Sprache wird bei Hegel nicht ausgehend von einer kleinsten bedeutungstragenden Einheit verstanden. Nicht Worte sind an und für sich bedeutsam, auch nicht Urteile und einzelne Schlüsse, sondern letztlich Systeme von Schlüssen.30 Sprache wird also holistisch verstanden. Es ist wesentlich, dass Sprache in kommunikativen und künstlerischen Kontexten zum Einsatz kommt, ohne dass sie dort auf eine logische Eindeutigkeit hin formalisiert wird. Diesen Gedanken kann man auch mit einem Blick auf die Ebenen der Sprachuntersuchung verständlich machen: Syntax ist die Theorie der (richtigen) Anordnung der sprachlichen Zeichen. Semantik ist die Theorie der Bedeutung sprachlicher Zeichen. Pragmatik ist die Theorie des sprachlichen Handelns bzw. des Sprachgebrauchs. Insbesondere das Verhältnis von Semantik und Pragmatik ist aber variabel: Wenn man etwa davon ausgeht, dass sich die Bedeutung von Worten in manchen Fällen oder prinzipiell in ihrem Gebrauch ergibt, dann geht die Semantik in eine Pragmatik über. Aus der Komplexität der Pragmatik folgt der Übergang der Sprachphilosophie in andere Felder, nämlich der Untersuchung des Handelns und der sozialen Verhältnisse im Allgemeinen: die Felder der Ethik, Sozialphilosophie und auch der Ästhetik, die sich mit dem künstlerischen Sprachgebrauch auseinandersetzt.31 Ein ähnliches Bild ergibt ein Blick auf die wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit Sprache befassen: Sprache ist Gegenstand von Linguistik, Literaturwissenschaften, Kognitionswissenschaften, Psychologie und Soziologie, wobei keiner dieser Bereiche in 28 Vgl. Bertram, »Sprachphilosophie und Ästhetik«. 29 Vgl. Brandom, »Holism and Idealism in Hegel’s Phenomenology«. 30 Dies unterstreicht z.B. Chong Fuk Lau: »Entgegen der von Aristoteles über Kant bis in die moderne Logik vererbten philosophischen Selbstverständigkeit erblickt Hegel erst im System als Ganzem die kleinste bzw. die einzige logische und ontologische Einheit der Wahrheit.« Lau, Hegels Urteilskritik, 193. Vgl. ebenfalls Brandom, Begründen und Begreifen, 53. 31 Die Bedeutung einer »Ethik des Sprechens« zeigt z.B. Josef Simon bei Kant auf; vgl. Simon, »Immanuel Kant (1724–1804)«, 244. Auf die Relevanz, Sprache im Zusammenhang der Sozialtheorie hat vor Brandom (für den dies ein zentraler Punkt in A Spirit of Trust ist) bereits Pierre Bourdieu hingewiesen. Für Bourdieu (dessen Argumentation sich primär gegen Chomsky richtet) ist entscheidend, dass es keine neutrale bzw. rein formale Sprachkompetenz gibt, sondern dass diese immer mit einer Beherrschung der Situationen einhergeht, in denen gesprochen wird. Um »gut« zu sprechen, muss man z.B. wissen, auf welche unterschiedlichen Weisen verschiedene Adressaten anzusprechen sind. Vgl. Bourdieu, »Zur Ökonomie des sprachlichen Tauschs (1977)«.

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EINLEITUNG

seiner Spezialisierung dem Phänomen ganz gerecht werden kann. Gerade das muss eine Sprachphilosophie berücksichtigen. Um Hegel in diesem Feld besser verorten zu können, werfen wir einen Blick auf die sprachphilosophische Diskussion zu seiner Zeit. Zwei Modelle der Sprache haben wir bereits angesprochen: Das sprachtheoretische Paradigma der Aufklärung (das Taylor als HLC bezeichnet) versteht die Sprache als nachträgliches Mittel zur Bezeichnung von Gedanken. Gedanken werden zwar durch Worte kommuniziert, sind aber prinzipiell nicht von diesen abhängig. Dieser Ansatz trägt einen emanzipatorischen Zug, denn das Denken wird als unabhängig gegenüber einer bestehenden, konventionellen Ordnung begriffen. Das gilt gleichermaßen für die politische wie für die sprachliche Ordnung. So warnen Locke und Bacon gleichermaßen davor, dass die Sprache unser Denken trübt und uns anfällig für Vorurteile macht. Das sprachtheoretische Paradigma der Romantik (das Taylor als HHH bezeichnet) organisiert sich um die These, dass Geist und Sprache konstitutiv verbunden sind. Gedanken und andere geistige Gehalte werden also nicht bloß nachträglich durch Sprache mitgeteilt, sondern durch ihre sprachliche Artikulation überhaupt erst konstituiert. Maßgeblich für dieses Sprachverständnis sind die Arbeiten Herders. Diese beiden Modelle können wir im Folgenden historisch einordnen. Zuvor ist es aber vielleicht hilfreich, etwas weiter in die Geschichte des Sprachdenkens zurückzuschauen. In Platons Kratylos werden zwei Thesen über das Verhältnis von Worten und Dingen erörtert: Die Worte sind entweder auf ursprüngliche Weise mit den Dingen verbunden (physei-These) oder aber, sie sind an sich willkürlich und bezeichnen die Dinge auf der Grundlage bloßer Konventionen (thesei-These). Sokrates weist in beiden Annahmen Widersprüche nach. Wesentlich für den Dialog ist aber vor allem die Konsequenz, die am Ende gezogen wird: Sokrates argumentiert hier dafür, dass eine sichere Erkenntnis aus dem Wesen der Dinge selbst erlangt werden sollte und die Funktionsweise der Sprache letztlich nur auf diese Weise wirklich geklärt werden kann.32 Der Kratylos eröffnet damit eine Denktradition, die Sprache in erster Linie als Hindernis der wahren Erkenntnis versteht. Aristoteles umgeht dieses Problem, indem er die Konventionalität der Sprache akzeptiert, und sie im selben Zug als für das Denken unerheblich erklärt. Das Denken ist für Aristoteles in dem Sinne physei, dass seine Formen universell und für alle Menschen gleich sind, während sich der sprachliche Ausdruck von Gedanken in Medien vollzieht, die thesei sind. Diese 32 Am Ende des Dialogs kommt Sokrates zu dem Schluss: »Auf welche Weise man nun Erkenntnis der Dinge erlernen oder selbst finden soll, das einzusehen sind wir vielleicht nicht genug, ich und du; es genüge uns aber schon, darin übereinzukommen, dass nicht durch die Worte, sondern weit lieber durch sie selbst man sie erforschen und kennenlernen muss als durch die Worte.« Platon, »Kratylos«, 439b.

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Konventionalität der sprachlichen Kommunikation tangiert aber das eigentliche Denken nicht, da sie diesem gegenüber nur ein nachträglicher Ausdruck ist.33 Platon und Aristoteles formulieren damit ein Erkenntnisideal, das die Absicherung des Wissens jenseits der Sprache anstrebt.34 Den antiken Gegenentwurf dazu bildet die römische Kultur, in der das öffentliche Sprechen und das Rhetorische einen wesentlich höheren Stellenwert hatten. In der römischen Welt tritt die kommunikative Funktion der Sprache in den Vordergrund. Relevant ist nicht nur die wissenschaftliche Wahrheit, sondern vor allem auch die praktische und politische Überzeugungskraft des Sprechens. Die Sprache tritt damit nicht mehr hinter der Sache zurück, sondern wird als dasjenige anerkannt, was überhaupt erst einen sachlichen Zugang ermöglicht. Für diesen Vorrang des Rhetorischen in Rom stehen paradigmatisch Ciceros De oratore und Quintillians Institutio oratoria.35 Gegenüber der römischen Sprachkultur markiert das Christentum in Gestalt von Augustinus eine Wendung ins Innere. Wichtig für Hegel ist aber besonders Luther, nicht nur wegen seiner Reformation des Glaubens, sondern vor allem aufgrund der damit verbundenen Auseinandersetzung mit der Sprache. Der Heilige Geist wird bei Luther wesentlich durch die Sprache vermittelt und Hegel betont, dass Luther das Projekt der Reformation nicht ohne die sprachliche Arbeit der Bibelübersetzung hätte vollenden können.36 33 In seiner (auch als »Peri hermeneias« oder »De interpretatione« bekannten) »Hermeneutik« schreibt Aristoteles: »Es ist nun also das zur Sprache Gekommene Ausdruck von Vorgängen im innern Bewusstsein, so wie das Geschriebene (Ausdruck) des Gesprochenen. Und so, wie nicht alle die gleichen Buchstaben haben, ebenso auch nicht die gleichen Lautäußerungen; wovon allerdings, als seelische Ersterfahrungen, dies die Ausdrücke sind, die sind allen gleich, und die Tatsachen, deren Abbilder diese sind, die sind es auch.« Aristoteles, »Hermeneutik oder vom sprachlichen Ausdruck (De interpretatione)«, 16a. Wie Jürgen Trabant erläutert, ergibt sich aus dieser Überlegung auch Aristoteles’ Aufteilung der sprachbezogenen Disziplinen: Die Wissenschaft bzw. Philosophie basiert auf dem logos apophantikos, dem wahrheitsfähigen Aussagesatz (konstatives Sprechen). Die Rhetorik ist die nicht wahrheitsorientierte Überredung (performatives Sprechen). Die Poetik ist nach dieser Einteilung die wahr-scheinliche Nachahmung (mimesis) des Wahren in der Sprache, d.h. Dichtung; vgl. Trabant, Europäisches Sprachdenken, 36f. Eine Übersicht über den Beginn der Sprachphilosophie bei Platon und Aristoteles findet sich ebenfalls bei Bertram, Sprachphilosophie, 34–52. 34 Vgl. zu diesem Thema auch die Rekonstruktion des Verhältnisses von Sprache und logos in Gadamer, Wahrheit und Methode, 409–22. 35 Vgl. Trabant, Europäisches Sprachdenken, 38–45. John Smith hat nachgezeichnet, in welchem Maße Hegel auch von der rhetorisch-humanistischen Tradition beeinflusst war; vgl. Smith, The Spirit and its Letter. 36 Vgl. TWA20, 52f. Zu Luthers Konzeption von Sprache und Geist: Trabant, Europäisches Sprachdenken, 110.

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EINLEITUNG

Nach dieser kurzen Übersicht können wir nun das Sprachdenken der Aufklärung (d.h. der HLC) beleuchten: Francis Bacon betrachtet in seinem Neuen Organon die Sprache als wesentliche Bedrohung des Denkens. Die Sprache überträgt die »Idole des Marktes«, Vorurteile, von denen sich das Denken befreien muss: Indes sind die Idole des Marktes am lästigsten von allen; sie schleichen sich durch ein Bündnis mit Worten und Namen in den Verstand ein. Die Menschen glauben, ihr Verstand gebiete den Worten; es kommt aber auch vor, dass die Worte ihre Kraft gegen den Verstand umkehren; dies machte die Philosophie und die Wissenschaft sophistisch und unfruchtbar. Die Worte aber werden größtenteils nach den Auffassungen der Menge gebildet und trennen die Dinge nach den Richtungen, die dem gewöhnlichen Verstand besonders einleuchtend sind. Wenn dann aber ein scharfsinnigerer Geist oder eine sorgfältigere Beobachtung diese Bestimmungen ändern will, damit sie der Natur entsprechender sind, widerstreben die Worte.37

In seiner Problemdiagnose erkennt Bacon durchaus an, dass die Art und Weise, wie wir sprachlich die Gegenstände einteilen, auf die wir uns beziehen, maßgeblich beeinflusst, wie wir über die Welt denken. Bacon sieht also die kognitiv prägende Dimension der Sprache. Andernfalls wäre die Sprache gar kein Problem.38 Gerade deshalb fordert er eine Reinigung der Sprache, die zu einer eindeutigen – und damit wissenschaftsfähigen – Sprache führen soll, die der Natur (zumindest besser) entspricht.39 Das Ideal der Sprache ist für Bacon aristotelisch – also ein neutrales Instrument zur Bezeichnung von Gegenständen und Gedanken. Dieses Sprachideal formuliert auch John Lockes Essay Concerning Human Understanding. Dort findet sich die paradigmatische Fassung des instrumentellen Sprachverständnisses der HLC. Die Worte stehen in unserer Kommunikation für Ideen ein; die Ideen sind aber prinzipiell unabhängig von den Worten. Wie Charles Taylor diagnostiziert, ist das prinzipielle Ziel der Theorien der HLC das Kodieren von Information 37 Aphorismus Nr. 59 in Bacon, Das Neue Organon (Novum Organon). 38 Vgl. Trabant, Europäisches Sprachdenken, 129. 39 Die Metapher des Marktplatzes spielt auch in Brandoms Theorie der emanzipatorischen Kraft der Rationalität eine Rolle, allerdings gerade nicht als der Ort des überlieferten Unwissens, sondern im Gegenteil die Sphäre des gemeinschaftlichen diskursiven Begründens; vgl. Brandom, Begründen und Begreifen, 201f. Vgl. auch Bacons Aphorismus Nr. 68: »Soviel also war über die einzelnen Arten der Idole samt ihrem Zubehör zu sagen. Ihnen allen hat man mit festem und feierlichem Entschluss zu entsagen und sie zu verwerfen. Der Geist muss von ihnen gänzlich befreit und gereinigt werden, so dass kein anderer Zugang zum Reich des Menschen besteht, welches auf den Wissenschaften gegründet ist, als zum Himmelreich, in welches man nur eintreten kann wie ein von Voraussetzungen unbelastetes Kind.«

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DER THEMATISCHE ZUGANG ZUR PHÄNOMENOLOGIE

(information encoding). Kommunikation wird dabei im Rahmen eines Kurier-Modells verstanden: Ich habe einen Gedanken und benutze Worte, um ihn dir mitzuteilen. Dieses Modell geht mit der Vorstellung einher, dass die Gedanken mentale Vorgänge in unseren Köpfen sind: Man, though he have great variety of thoughts, and such, from which others, as well as himself, might receive profit and delight; yet they are all within his own breast, invisible, and hidden from others, nor can of themselves be made appear. The comfort, and advantage of society, not being to be had without communication of thoughts, it was necessary, that man should find out some external sensible signs, whereby ­those invisible ideas, which his thoughts are made up of, might be made known to others. For this purpose, nothing was so fit, either for plenty or quickness, as those articulate sounds, which with so much ease and variety, he found himself able to make. Thus we may ­conceive how words, which were by nature so well adapted to that purpose, come to be made use of by men, as the signs of their ideas; not by any natural connexion, that there is between particular articulate sounds and certain ideas, for then there would be but one language amongst all men; but by a voluntary imposition, whereby such a word is made arbitrarily the mark of such an idea. The use then of words, is to be sensible marks of ideas; and the ideas they stand for, are their proper and immediate signification.40

Worte sind hier also die sichtbaren Zeichen unsichtbarer Ideen.41 Wie bei Bacon folgt auch bei Locke aus dieser Vorstellung eine Skepsis gegenüber der potentiell verzerrenden Wirkung der Worte: At least they [die Worte, S.W.] interpose themselves so much between our understandings, and the truth, which it would contemplate and apprehend, that like the medium through which visible objects pass, their obscurity and disorder does not seldom cast a mist before our eyes, and impose upon our understandings. If we consider, in the fallacies, men put upon themselves, as well as others, and the mistakes in men’s disputes and notions, how great a part is owing to words, and their uncertain or mistaken significations, we shall have reason to think this no small obstacle in the way to knowledge, which, I conclude we are the more carefully to be warned of, because it has been so far from being taken notice of as an inconvenience, that the arts of improving it have been made the business of men’s study; and obtained the reputation of learning and subtlety […]. But I am apt to imagine, that were the imperfections of language, as the instrument of knowledge, more thoroughly weighed, a great many of the controversies that make such a noise in 40 Locke, An Essay Concerning Human Understanding, 363. 41 Hegel scheint einen solchen Gedanken aufzugreifen, wenn er selbst sowohl »das Innere« als auch die Sprache als »sichtbares Unsichtbares« bzw. »sichtbare Unsichtbarkeit« bezeichnet (PhG, 239 bzw. 244).

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EINLEITUNG

the world, would of themselves cease; and the way to knowledge, and, perhaps, peace too, lie a great deal opener than it does.42

In Lockes Theorie ist die Sprache ein Medium der nachträglichen Bezeichnung der Welt. Die sprachlichen Bezeichnungen tragen nicht dazu bei, wie die Welt ist. Genauer gesagt tun sie dies im gelingenden Fall nicht. Denn wie bei Bacon entsteht auch bei Locke die Vorstellung, dass Sprache häufig verzerrend wirkt und sich als Hindernis zwischen uns und die Welt stellt (»mist before our eyes«). Daher könnte man sagen, dass Sprache sich in diesem Theorie-Paradigma im besten Fall neutral gegenüber der Welt verhält. Dies wäre in einer Art Nullzustand des sprachlichen Ausdrucks der Fall, nämlich dann, wenn Sprache genau die Einteilungen kommunizieren würde, die in der Welt faktisch vorliegen. Sprache soll hier also dazu dienen, das, was ohnehin der Fall ist, eindeutig und unverzerrt zu beschreiben. In Kants Philosophie spielt die Sprache als Gegenstand keine herausgehobene Rolle. In den drei Kritiken scheint Kant sich in der Tradition des dualistischen Sprachverständnisses zu bewegen und gerade das hat auch den als »Metakritik« bekannten Vorwurf von Hamann und Herder hervorgerufen, Kant würde einen »Purismus« der reinen Vernunft vertreten, der deren sprachliche, historische und kulturelle Situation schlicht übergeht.43 Zumindest in seiner (späteren) Anthropologie hat Kant allerdings die Sprachabhängigkeit des Denkens explizit besprochen. Zudem lässt sich Kants Auseinandersetzung mit dem Urteil sprachphilosophisch verstehen. Insbesondere der Umstand, dass sich die Gegenstände unserer Erfahrung in unseren Urteilen konstituieren ist dabei relevant.44 Wie Josef Simon rekonstruiert hat, lässt sich anhand von Kants (punktuellen) Äußerungen zur Sprache bereits nachweisen, dass diese sich nur dann angemessen verstehen lässt, wenn man berücksichtigt, dass sich Sprache prinzipiell in einem sie immer weiter verändernden Gebrauch befindet, zu dessen Einschätzung man auch eine Ethik und Ästhetik des Sprechens (und Schreibens) benötigt. Bei Kant deutet sich also ein komplexes und fruchtbares Verständnis von Sprache an, obwohl diese nicht als zentraler Gegenstand der philosophischen Untersuchung präsent wird.45 42 Locke, An Essay Concerning Human Understanding, 435. 43 Vgl. Herder, »Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft« und Hamann, »Metakritik über den Purismum der Vernunft (1784)«. 44 Vgl. hierzu Michael Forster, »Kant’s Philosophy of Language?« sowie Josef Simon, »Immanuel Kant (1724–1804)«, 240. Aufgrund der konstitutiven Rolle unserer Urteile für ihre Gegenstände ist es auch entscheidend, die Art und Weise unseres Gegenstandsbezugs – Meinen, Glauben, oder Wissen – mitdarzustellen, da auf diese Weise erst deutlich wird, welche Sicherheit wir unserem Führwahrhalten zukommen lassen (vgl. ebd., 239). 45 Simon, »Immanuel Kant (1724–1804)«, 241, 243f., 250. Vgl. ebenfalls Simon, Die fremde Vernunft sowie Hogrebe, Kant und das Problem einer trans­ zendentalen Semantik. Insgesamt zeigen diese Arbeiten, dass sich bei Kant

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Gegenüber dem Dualismus der Aufklärung haben Charles Taylor und Michael Forster ein Sprachparadigma beschrieben, das die Rolle der Sprache in der Konstitution der Welt berücksichtigt. Dieser Position zufolge ist das Denken wesentlich abhängig von seinem medialen und insbesondere sprachlichen Ausdruck. Maßgeblich für diese expressivistische Position ist Herder. Er argumentiert nicht erst in der Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft (1799) für eine Sprachabhängigkeit des Denkens, sondern bereits in den Fragmenten über neuere deutsche Literatur (1767–68), die auch Kant bekannt waren. Exemplarisch kann man z.B. folgende Passage heranziehen: Sie [die Sprache, S.W.] ist noch mehr als dies [ein »Vehiculum menschlicher Gedanken« und »Inhalt aller Weisheit und Käntnisse«, S.W.]: die Form der Wissenschaften, nicht bloß in welcher, sondern auch nach welcher sich die Gedanken gestalten: wo in allen Teilen der Literatur Gedanke am Ausdrucke klebt, und sich nach demselben bildet. Ich sage in eine komplexe und fruchtbare Auseinandersetzung mit der Sprache findet, die auf nachfolgende Denker wie Hegel und Humboldt, bei denen die Sprache expliziter ins Zentrum gerückt wird, maßgeblichen Einfluss hat. Eine weitere wichtige Abgrenzung zu Lockes dualistischer Konzeption des Verhältnisses von Sprache und Denken findet sich bereits bei Leibniz (vgl. dessen »Dialog über die Verknüpfung zwischen den Dingen und den Worten«) und Wolff. Insbes. Wolff wird von Hegel auch deshalb hervorgehoben, weil er auf Deutsch schrieb und damit zu einer Demokratisierung der Wissenschaft beitrug (vgl. TWA20, 258f.). Michael Forster weist darauf hin, dass Kant auch während der Phase der Veröffentlichung der drei Kritiken das von Herder und Hammann verschärfte Problem der Sprachabhängigkeit des Denkens wohl bewusst war; vgl. Forster, »Kant’s Philosophy of Language?«. Fichte vertritt eine konventionellere Auffassung der Sprache: »Sprache, im weitesten Sinne des Wortes, ist der Ausdruck unserer Gedanken durch willkürliche Zeichen«; Fichte, »Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache«, 97. Allerdings sieht auch Fichte die Untersuchung der Sprache eng mit der Untersuchung der menschlichen Ratio im Allgemeinen verknüpft: »Jedem, der dem Ursprung der Sprache nachforscht, muss die Sprache so gut als nicht erfunden sein: er muss sich denken, dass er sie erst durch seine Untersuchung erfinden soll.« Fichte verfolgt die Erfindung der Sprache aus dem »höchsten Princip im Menschen, dem: sei immer einig mit dir selbst« (ebd., 100). Der Mensch als Vernunftwesen »geht nothwendig darauf aus, alles, so gut er weiß, vernunftmäßig zu machen«, damit es mit seiner Natur übereinstimmt; der Vernunftgebrauch ist hier Unterwerfung der Natur und die Vernünftigkeit der Mitmenschen wird in der »Wechselwirkung zwischen mir und diesem Wesen« geprüft (ebd., 101). Das Ziel der Sprache ist die Präzisierung der Ausdrucksmittel für Gedanken zur besseren Kommunikation mit anderen und letztlich der »Übereinstimmung mit sich selbst« (ebd., 102), wobei Fichte betont, dass der Mensch durchaus auch ohne Sprache denken kann, z.B. »vermittelst der Bilder, die er durch die Phantasie sich entwirft.« (ebd., 103, Fußnote).

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EINLEITUNG

allen Teilen der Literatur: denn wenn man glaubt, dass bloß in der Kritik der schönen Wissenschaften, in Poesie und Rednerkunst, vieles vom Ausdrucke abhängt: so setzt man dieser Verbindung zu enge Gränzen. In der Erziehung lernen wir Gedanken und Worte, und die Wärterinnen, die unsere Zunge bilden, sind also unsere erste Lehrerinnen der Logik: bei allen sinnlichen Begriffen in der ganzen Sprache des gemeinen Lebens klebt der Gedanke am Ausdruck: in der Sprache des Dichters, er spreche Empfindungen oder Bilder, belebt der Gedanke die Sprache, so wie die Seele den Körper: die ganze anschauende Erkenntnis verbindet die Sache mit dem Namen: alle Worterklärungen der Weltweisheit genügen sich am letzten – und in allen Wissenschaften hat es gute oder böse Folgen gegeben, dass man mit Worten, und oft nach Worten gedacht hat.46

Das (logische) Denken wird nicht nur durch die Sprache gebildet, es klebt geradezu an der Sprache. Eine in Teilen wortgleiche Aussage Herders in »Über den Fleiss in mehreren gelehrten Sprachen« (1764) unterstreicht ebenfalls die hohe Relevanz, die er der Sprache für die Entwicklung des Denkens zuschreibt: Denn in welchem genauen Bande steht Sprache und Denkungsart? Wer den ganzen Umfang einer Sprache übersieht, überschaut ein Feld voll Gedanken und wer sich genau ausdrucken lernt, sammlet sich eben hiemit einen Schatz bestimmter Begriffe. Die ersten Wörter, die wir lallen, sind die wichtigsten Grundsteine des Verstandes, und unsre Wärterinnen sind unsre erste Lehrer der Logik.47

Der Kontrast der Theorieparadigmen HLC und HHH fördert ein Moment zu Tage, das für meine Interpretation der Phänomenologie entscheidend ist: Theoretiker:innen der HLC gehen davon aus, dass es einen privilegierten Innenraum des Individuums gibt, der eine Basis für die Kritik bestehender sprachlicher Bedeutungen bildet und der damit eine Ressource für die Herstellung eines wahren Weltbezugs zu sein scheint. In dem Moment aber, wo durch die Anbindung des Denkens an die Sprache die strukturelle Verwobenheit und Interdependenz von Individuum und Welt erkannt wird, fällt diese Basis weg, da das Denken sich überhaupt nur unter Voraussetzung bestehender Ausdrucksformen entwickeln kann. Das zentrale Interesse muss also darin bestehen, unter diesen erschwerten Bedingungen eine Möglichkeit der Kritik der Deutungen der Welt und ihrer faktischen Formen zu finden. Auf eine solche Kritik zielt Hegels Überlegung zu Maßstab und Prüfung in der Einleitung der 46 Herder, »Über die neuere deutsche Literatur. Fragmente. Erste Sammlung. Zweite völlig umgearbeitete Ausgabe. 1768«, 556f. Vgl. dazu: Forster, German Philosophy of Language, 152, 171n34; Forster, After Herder, 56 und Forster, Herder’s Philosophy, 18f. 47 Herder, »Über den Fleiß in mehreren gelehrten Sprachen«, 27. Vgl. Forster, Herder’s Philosophy, 20.

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Phänomenologie. Die gesamte Phänomenologie erweist die Möglichkeit einer situierten Kritik – einer Kritik also, die nicht von außen auf die Welt schaut, sondern Teil dieser Welt ist. Der Wert der HHH liegt also nicht darin, dass sie das expressive (»geniale«) Individuum stark macht, sondern darin, dass sie auf die Ausdrucksgebundenheit des Geistes hinweist und zeigt, dass das Geistige und das Materielle keinen dualistischen Gegensatz bilden. Allerdings kann die HHH zugleich auch das wesentlich komplexere Interaktionsverhältnis von Geist und Sprache erklären, das sich ergibt, wenn man berücksichtigt, dass unsere sprachliche Aktivität die Welt mit konstituiert. Zwei gegenläufige Motive erklären die Spannung, in die die Sprache in Hegels Philosophie gerät: Hegel argumentiert einerseits für die prinzipielle Darstellbarkeit des Wahren. Er argumentiert andererseits für eine radikale Kritik der mit der Sprache verbundenen Vorstellungen. Hegel übernimmt also das kritische Motiv der Aufklärung, dass die sprachlichen Vorstellungen ein Hindernis der Erkenntnis sein können – zugleich akzeptiert er aber auch, dass es keinen prinzipiell vor- oder außersprachlichen (oder allgemeiner: nicht medial vermittelten) Zugang zur Wahrheit oder zum Denken gibt. In dieser Hinsicht ist Hegels Problemstellung sehr aktuell: Seine Philosophie zeigt, dass Wahrheit das Ergebnis eines hochkomplexen Vermittlungs- und Darstellungsprozesses ist. Insgesamt steht Hegel der HHH näher, es lassen sich aber wichtige Züge der HLC bei ihm identifizieren. Hegel weist in Bezug auf die Sprache also eine interessante Ambivalenz auf: Einerseits markiert die Wissenschaft der Logik die modernste Form einer überzeitlichen und über die Grenzen der Einzelsprachen hinausgehenden Wahrheitserkenntnis. Die Logik entwickelt das reine Denken in sich, die Wahrheit »ohne Hülle«.48 Auch unterstreicht Hegel, dass ein und derselbe Gedanke auf verschiedene Weise ausgesagt werden kann, wodurch der sprachliche Ausdruck auf das Niveau eines willkürlichen Zeichens reduziert zu werden scheint, zumindest aber gegenüber dem (variabel ausgedrückten) Gedanken sekundär wird. Eine häufig wiederkehrende Formulierung Hegels für die variable Aussagbarkeit desselben ist »oder, was dasselbe ist«.49 48 WL1, 44. 49 So verweist eine Passage des Religionskapitels darauf, wie derselbe Inhalt über Register der Vorstellung und des Begriffs ausgesagt werden kann: »Der also nur ewige oder abstrakte Geist wird sich ein Anderes oder tritt in das Dasein und unmittelbar in das unmittelbare Dasein. Er erschafft also eine Welt. Dieses Erschaffen ist das Wort der Vorstellung für den Begriff selbst nach seiner absoluten Bewegung oder dafür, dass das als absolut ausgesagte Einfache oder reine Denken, weil es das abstrakte ist, vielmehr das Negative und hiermit sich Entgegengesetzte oder Andere ist; – oder weil, um dasselbe noch in einer anderen Form zu sagen [meine Hervorhebung, S.W.], das als Wesen Gesetzte die einfache Unmittelbarkeit oder das Sein ist, aber

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Andererseits ist Sprache für Hegel aber nicht nur ein ausgezeichnetes Medium der Mitteilung von Gedanken, seine Artikulation im äußeren Medium ist vielmehr die Entwicklung des Denkens. In der Sprache erhält das Denken ein bestimmtes Dasein. Es macht – um eine Formulierung Wilhelm von Humboldts zu gebrauchen – »Abschnitte in seinem eignen Gange« und wird damit eigentlich erst zu einem konkreten Gedanken.50 Was wir eigentlich denken, zeigt sich erst in der Darstellung der Gedanken und deren präziseste Form ist die sprachliche. Entsprechend schreibt Hegel etwa, dass die Sprache gegenüber unseren Meinungen das Wahrhaftere ist, dass wir dann, wenn wir einen Gedanken haben, auch die richtigen Worte finden und dass der Geist nur insofern tief ist, als er bestimmte Inhalte ausbreiten und an die Oberfläche bringen kann.51 Der Geist befindet sich also in einer komplexen Wechselbeziehung mit seiner sprachlichen Außenseite und konstituiert sich letztlich durch die Verfeinerung seiner medialen und insbesondere sprachlichen Artikulationsformen. Zu diesem Prozess gehört auch, dass bestehende Artikulationsformen laufend reflektiert, revidiert und verworfen werden können.52 Besonders in der Phänomenologie zeigt sich die Entwicklung der Philosophie als sprachgebunden. Ihre Sprachlichkeit ist aber kein Mangel der Philosophie, sondern die Entwicklung sprachlicher Darstellungen ist die Entwicklung der Philosophie. Daher entwickelt Hegel auch ein umfangreiches Verständnis von Sprache: Sie ist einerseits die wesentliche Form des Daseins des Geistes und selbst ein Produkt der Vernunft. Ihre Funktion ist dabei sowohl kognitiv als auch kommunikativ. Hegel widmet sich einerseits ausführlich der Logik des Urteils bzw. des Aussagesatzes, er untersucht aber ebenso die rhetorische und die poetische Funktion der Sprache. Gerade hier tritt die »eigentümliche Bedeutung« der Sprache »als Sprache« hervor.53 In seiner Untersuchung des Sprechens als Unmittelbarkeit oder Sein des Selbsts entbehrt und also, der Innerlichkeit ermangelnd, passiv oder Sein für Anderes ist.« (PhG, 561). Vgl. z.B. auch PhG 575, 583, 585. Im sog. »Systemfragment von 1800« formuliert Hegel ausdrücklich den Gedanken einer Verbindung von Konjunktion und Disjunktion, also einer »Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung« (die er an dieser Stelle mit dem Begriff des Lebens identifiziert); vgl. TWA1, 422. 50 Vgl. Humboldt, »Über Denken und Sprechen«. Bei Platon ist das Wort ein »belehrendes Werkzeug und ein das Wesen unterscheidendes und sonderndes, wie die Weberlade das Gewebe sondert.« Platon, »Kratylos«, 388b–c. 51 Vgl. PhG, 18, 85, 247f., 554 52 Zur Dualität von »Innerlichkeit« und äußerem »Dasein« vgl. PhG, 511. 53 PhG, 376. Sprache lässt sich entweder als »selbstständige[r] Stoff« oder »nur als Zeichen« verstehen; vgl. Humboldt, »Über das vergleichende Sprachstudium«, 266 sowie Trabant, Europäisches Sprachdenken, 295. Die Diskrepanz von Sachorientierung und Eigendynamik bezeichnet Trabant als

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bzw. der zwischenmenschlichen Kommunikation ist es für Hegel wichtig, dass sich dieses Sprechen in bestimmten geistigen Formen oder Modi organisiert, wie etwa Rat, Befehl, Empörung, Geständnis, die Sprache des Gefühls, der Schmeichelei oder der Zerrissenheit.54 Die Ausdrucksfähigkeit der Sprache wird besonders in den ästhetischen Aktivitäten entwickelt, die verschiedene Formen des Sprechens reflektieren. Auch hier untersucht Hegel die Funktion der Sprache in unterschiedlichen künstlerischen Formen, wie etwa Epos, Tragödie und Komödie. Alle diese Momente tragen zur philosophischen Bildung des Bewusstseins und damit zur Wissenschaft bei. Wie schon angedeutet, entwickelt Hegels Wissenschaft aber auch ein Korrektiv gegenüber der Sprache. Das Denken geht keinesfalls in Sprache auf; vielmehr ist Sprache, ist unser Sprechen häufig gedankenlos. Das Denken beginnt für Hegel mit einem Rückzug aus dem Gegebenen und dieses Moment ist auch in Bezug auf Sprache relevant. Für die Entwicklung der Philosophie in der Phänomenologie ist in dieser Hinsicht die Unterscheidung zwischen einer vom Bekannten ausgehenden Sprache der Vorstellung und einer Erkenntnis artikulierenden Sprache des Begriffs zentral. Die Sprache des Begriffs ist aber eigentlich eine begriffene Sprache und daher ist »der Begriff« keinesfalls sprachlos, sondern offen für die Sprache. Gerade der in sich vollendete Geist kann sich frei in die Sprache entlassen und erkennt, dass die sprachliche Dynamik (wie auch die geschichtliche) Moment seiner eigenen Artikulation ist. Die Sprache ist also bei Hegel einerseits ein Moment der falschen Vertrautheit mit den Dingen – sie ist Träger von Vorurteilen und hüllt die Begriffe in »Nebel« (Hegel teilt damit Vorbehalte gegen die Sprache, die sich etwa bei Bacon und Locke finden);55 andererseits hängt dieses Problem nicht prinzipiell der Sprache an, sondern es gehört zur beschränkten Perspektive des vorstellenden Bewusstseins bzw. des Verstandes. Das spekulative Denken hat dagegen gerade »Freude« daran, Anstöße in der Sprache zu finden.56 »Antinomie der sprachlichen Vernunft« (ebd., 102). Wir werden hier allerdings gegen seine Einschätzung argumentieren, dass Hegel »sich das ›wahre‹ Denken nur jenseits der Sprache vorstellen kann« (ebd., 295). 54 Vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 94. 55 Vgl. PhG, 54 56 WL1, 20. Hegel hält deshalb auch gerade nichts davon, Sprache durch ein eindeutiges formales Kalkül zu ersetzen. Im Gegenteil eignen sich gerade bestimmte polysemische Ausdrücke besonders gut für das spekulative Denken, da sie eine innere Spannung der Bedeutungen tragen. Wie etwa Josef Simon rekonstruiert hat, ist die sprachskeptische Vorstellung, dass die Sprache prinzipiell das Denken verführt, widersinnig, vgl. Simon, »Verführt die Sprache das Denken? Zur Metakritik gängiger sprachkritischer Ansätze«. Zum Nebel vgl. PhG 54, 168, 271. Locke artikuliert diese Befürchtung in der bereits zitierten Passage des Essay (435).

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Das in der Phänomenologie untersuchte Bewusstsein neigt dazu, Verständnisdefizite auf die Sprache zu projizieren. Hegel geht dagegen nicht davon aus, dass man die Fehler der Sprache kurieren muss, sondern nur die falsche Einstellung zur Sprache. Er ist daher kein Sprachskeptiker, sondern führt eine umfangreiche Sprachkritik durch (die man entsprechend des Programms der Phänomenologie auch als sich vollbringende Sprachskepsis verstehen könnte), in der er gleichermaßen die Notwendigkeit der sprachlichen Artikulation der Philosophie und die sich dadurch ergebenden Probleme herausstellt. Die Phänomenologie untersucht in diesem Zusammenhang die logische Dimension der Sprache, d.h. die Formen des Urteils, die Einstellungen des individuellen Bewusstseins zur Sprache, die Möglichkeit der Sprache als Handlung sowie Sprache als Moment sozialer Konstellationen, ästhetischer, religiöser und wissenschaftlicher Praktiken. Hegel versteht Sprache also als wesentliches Moment der Theorie des Geistes; umgekehrt ist eine Theorie der Sprache (für ihn) nicht außerhalb einer Theorie des Geistes denkbar (diese Konzeption entspricht dem oben als relational beschriebenen Sprachverständnis). Sprache wird einerseits in historisch und kulturell spezifischen sozialen Kontexten (d.h. in den Formen des objektiven Geistes) vom Bewusstsein als vorgegebenes Medium der Bestimmung seiner Gedanken und der Kommunikation erfahren und andererseits in künstlerischen, religiösen und philosophischen Praktiken (also in den Kontexten des absoluten Geistes) als Medium der Darstellung des Geistes thematisiert – wobei das geistige Bewusstsein hier gezielt die Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache (und anderer Medien) untersucht, weiterentwickelt und sich damit dem annähert, was Hegel selbst als eine angemessene Darstellungsweise des Geistes vorschlägt. Auf den verschiedenen Stufen wird die relative Festigkeit der Sprache unterschiedlich erfahren. Sprache tritt zunächst als »abgetrennte Wirklichkeit«57 in Erscheinung, in der die Denkformen »herausgesetzt und niedergelegt«58 sind, was ihr den Charakter eines äußerlichen Bestandes verleiht.59 Auf der Ebene des absoluten Geistes zeigt sich dagegen die Plastizität und Formbarkeit der Medien des Ausdrucks – eine Plastizität, die letztlich gerade ermöglicht, dass das Denken der Philosophie immer neu an der Sprache ansetzen kann.60 Die Ambivalenz in Hegels Verhältnis zur Sprache hängt damit zusammen, dass diese einerseits ein notwendiges Moment der äußerlichen Artikulation des Denkens ist, andererseits aber aus eben diesem Grund 57 PhG, 235 58 WL1, 20; vgl. dazu auch Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 240. 59 Vgl. Hegels Ausführung zur »Spur« der vergangenen Entwicklungen des Geistes (PhG, 32), woran auch die »Bekanntschaft« mit den Formen der Vergangenheit anknüpft, die dann eine »Umbildung« erfordert (PhG, 34). 60 Zur Relevanz der Plastizität bei Hegel vgl. Malabou, L’avenir de Hegel.

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immer Gefahr läuft, nur noch äußerlich zu sein und damit gerade das (Selbst-)Denken zu unterlaufen, das durch die sprachliche Artikulation einer Theorie des Geistes systematisch nachvollziehbar gemacht werden soll. Damit befasst sich Hegel mit einem Problem, dass auch für das Verständnis von Sprache im Allgemeinen zentral ist: Sprache funktioniert überhaupt nur, weil sie in einer Weise selbständig existiert, die insofern allgemein ist, als sie über die Absichten einzelner Sprecher:innen hinausgeht und etwas zum Ausdruck bringt, das von vielen (zumindest partiell) verstanden wird.61 Deshalb ist es in der Tat ein Moment der Sprache, dass wir sie als einen äußeren Bestand vorfinden (Hegel würde einen solchen fixierten Bestand als »positiv« bezeichnen). Die Sprache hat also eine Eigendynamik (genau genommen gilt das für alle existierenden Einzelsprachen in je spezifischer Weise). Allerdings existiert sie auch nicht völlig losgelöst von denen, die die Sprache verwenden. Die Sprecher:innen haben (wie auch immer vage) Absichten, die sie an die Sprache herantragen und die nicht dem Entwicklungsstand und der Eigendynamik der Sprache entsprechen müssen (und ihnen auch faktisch nicht immer entsprechen). Diejenigen, die (eine) Sprache verwenden, greifen also die Möglichkeiten der Sprache in immer neuer Weise auf, was langfristig auf die Sprache zurückwirkt. Sprache hat eine gewisse Trägheit, ist aber zugleich formbar und plastisch. Sie verändert sich im Gebrauch. Auch wenn die Sprache also anpassungsfähig ist, zeigt sich in dieser Überlegung, dass es eine Diskrepanz zwischen den geistigen Gehalten und der Sprache gibt: Die geistige Aktivität von Menschen ist zwar an Sprache (und allgemein an medialen Ausdruck) gebunden, beide Momente sind aber nicht deckungsgleich. Um verstanden zu werden, muss das, was wir als Sprechende in sprachlichen Zeichen äußern, zu einem gewissen Grad geistig gedeckt sein. Diese Deckung wird aber nicht ausschließlich und vor allem nicht automatisch durch das System der Sprache garantiert.62 Dieser Umstand wird oft als Mangel der Sprache erfahren: Die Sprache scheint entweder zu viel oder zu wenig auszudrücken – oder sogar beides zugleich.63 In solchen Erfah61 Dieser Gedanke entspricht Wittgensteins berühmtem Argument gegen die Möglichkeit von Privatsprachen. 62 Radikalisiert man die Eigendynamik der Sprache, indem man Sprache als in sich abgeschlossenes System begreift (etwa im Sinne der langue bei Saussure), kann man nicht mehr nachvollziehen, wie Menschen sich durch Sprache verständigen; vgl. zu dieser Argumentation Bertram u. a., In der Welt der Sprache. Die Frage, wann sprachliche Äußerungen geistig gedeckt sind, ist für öffentliche Diskurse bedeutsam, in denen man sich gegenseitig Täuschung oder mangelnde Ernsthaftigkeit, Heuchelei und Ironie vorwirft, aber auch für eher technische Bereiche wie etwa Sprache, die durch künstliche Intelligenz generiert wird. 63 Vgl. PhG, 235. Wie Josef Simon erläutert hat, kann man dieses Problem auf eine Differenz zurückführen, die im Zentrum der Sprache steht – Sprache enthält

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EINLEITUNG

rungen erweist sich die Sprache für diejenigen, die sich in ihr ausdrücken, als partiell intransparent (was sich auch als Überdetermination der Sprache bezeichnen lässt). Die Intransparenz der Sprache schlägt sich darin nieder, dass wir etwas sagen können, ohne exakt zu wissen, was wir damit sagen. Dieses Problem ist für Hegel maßgeblich mit dem Übergang zum wissenschaftlichen Wissen verbunden, der in der Phänomenologie in Form des Übergangs zum »absoluten« Wissen thematisiert wird. Für das Bewusstsein steht am Anfang der Phänomenologie zunächst die Diskrepanz seines Ausdrucksbedürfnisses und der Eigendynamik der (scheinbar fest) bestehenden Sprache im Vordergrund. Erst gegen Ende der phänomenologischen Entwicklung untersucht es die Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache als solche – und damit auch die Möglichkeiten der sprachlichen Transformation. Das Problem des sprachlichen Ausdrucks wird also in der Phänomenologie folgendermaßen strukturiert: Am Beginn steht die Position des Bewusstseins, das davon ausgeht, dass es selbst, seine Gedanken, die Sprache und die Welt jeweils »fertig« bestehen und dass deswegen auch die Relationen zwischen ihnen von vornherein bestimmt sind. Aufgrund dieser Annahme (die Hegel als »natürliche Vorstellung« bezeichnet) sieht das Bewusstsein eine unüberbrückbare Diskrepanz zwischen diesen Momenten.64 In Bezug auf Sprache löst sich diese Diskrepanz im Laufe der Entwicklung der Phänomenologie auf, insofern das Bewusstsein erfährt, wie sich Sprache, Gedanken, soziale und ästhetische Praktiken wechselseitig transformieren. Damit deutet sich an, dass sich die Dynamik des Wechselverhältnisses von Sprache und Denken anhand einer systematischen Linie durch die Phänomenologie verfolgen lässt. In diesem Rahmen kommt dem Begriff der Darstellung eine besondere Bedeutung zu. Darstellung ist einerseits als argumentatives und andererseits als mediales Verfahren zu verstehen: Hegels Phänomenologie ist einerseits eine Darstellung des erscheinenden Wissens, insofern sie die Ansprüche dieses Wissens systematisch prüft. Aus dieser systematischen Prüfung ergibt sich letztlich eine Möglichkeit der Darstellung der philosophischen Wahrheit. Die geprüften zwischen Zeichen und Bedeutung wesentlich das, was Hegel einen »absoluten Unterschied« nennt: »Für das System selbst [...] gibt es [...] kein Verhältnis der Sprache auf das System. Die Darstellung des Systems hat als Darstellung sich die Sprache absolut, d.h. in eine mit den bestimmten Kategorien des Systems nicht zu erreichende Ferne, voraus-gesetzt. Die Darstellung hat diese einzige Voraussetzung der Sprache. Deshalb geht sie als Darstellung nicht gemäß irgendeiner ihrer dargestellten Bestimmungen vor, sondern ihre Methode ist von der ›Art‹ ihrer Voraussetzung. Die Darstellung macht sich das Wesen der Sprache selbst zum Prinzip, und das ist die negative Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem, das Vernehmen des Sinnes über den absoluten Unterschied hinweg [meine Hervorhebung, S.W.], die Position dieses Widerspruchs, die Dialektik.« Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 175. 64 Vgl. PhG, 68

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Wissensansprüche werden aber nicht einfach als Thesen präsentiert, sondern in Gestalten verkörpert, wodurch die Phänomenologie zu einer »Galerie von Bildern« wird.65 Durch diese mediale Komponente verbindet sich die Frage nach der Darstellung der philosophischen Wahrheit mit der Frage nach dem Verhältnis von Sprechen und Denken (diese Verbindung wird in der Phänomenologie besonders mit dem Beginn des Religionskapitels relevant). Hegels Konzeption der Darstellung enthält aber noch eine weitere entscheidende Ebene: Wie eingangs bereits zitiert, bezeichnet Hegel Darstellung als eine innere Notwendigkeit der Substanz.66 Die Substanz muss sich selbst darstellen und insofern sie das tut, ist sie Geist. Hegel versteht diesen Vorgang als Selbst-Darstellung des Absoluten. Was er darunter versteht, werden wir im Verlauf dieser Arbeit genauer untersuchen. Zunächst müssen wir nur festhalten, dass die Darstellung damit eine ontologische Dimension erhält, denn Hegel versteht sie als das Selbstverhältnissen dessen, was überhaupt existiert. Die Darstellung des Geistes repräsentiert nicht nur, was der Geist ist, sondern sie ist eine Aktivität, durch die sich dieser Geist selbst als das, was er ist, konstituiert. Hegel entwickelt demnach eine Theorie der Präsentation und Repräsentation des Geistes, die zugleich eine wirkliche Re-Präsentation des Geistes ist. Dieser Theorie zufolge enthält das Absolute ein Moment der repräsentationalen Verdopplung, in dem es ein repräsentatives Selbstverhältnis ausbildet, das konstitutiv zu ihm gehört. Die produktive Rolle der Differenz in der Verdopplung des Geistes steht im Kontrast zur Perspektive des Bewusstseins, die durch einen Unterschied konstituiert wird, der dem Bewusstsein zugleich als ein zu überwindender und doch als eine unüberwindbare, »schlechthin scheidende Grenze« erscheint.67 Hegel zufolge ist das Bewusstsein selbst die interne Differenz des Geistes; indem das Bewusstsein diesen Punkt erkennt, wäre die Selbsterkenntnis des Geistes realisiert. Das Bewusstsein selbst versteht sich jedoch als vom Absoluten getrennt und versucht, diese Lücke zu schließen. Die Erfahrungen, die es dabei macht, inszeniert Hegel als Durchscheinen des Begrifflichen in einer Reihe (der »Galerie«) von Bildern der Entwicklung des Geistes, die der Geist nicht nur sukzessive durchläuft, sondern intensiv durchdringt. Die Bewegung des Geistes ist daher eng mit der Eigendynamik der äußerlichen Medien verbunden, in denen Geistiges für das Bewusstsein erscheint.68 65 PhG, 590 66 PhG, 585 67 PhG, 68 68 Daher spielen Verhältnisse der [Un-]Durchsichtigkeit und des Vorschwebens eine entscheidende Rolle für Hegel: »Die Philosophie hat das Recht, aus der Sprache des gemeinen Lebens, welche für die Welt der Vorstellungen gemacht ist, solche Ausdrücke zu wählen, welche den Bestimmungen

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EINLEITUNG

Die vorliegende Arbeit untersucht im Rahmen einer Lektüre von Hegels Phänomenologie Sprache als Moment der Äußerlichkeit, durch die sich Geist artikuliert. Die Relevanz einer äußerlichen Artikulation für den Geist wird im Begriff der Darstellung eingefangen. Die Phänomenologie muss zwei gegenläufige Aufgaben erfüllen: Sie muss einerseits Hegels Theorie des Geistes als Weg des Bewusstseins zur Wissenschaft sprachlich artikulieren, dabei aber zugleich die bestehenden sprachlichen Vorstellungen abbauen.

2. Forschungsüberblick Hegel bietet Orientierung für eine Behandlung von Sprache, die reichhaltiger ist als gewöhnliche Sprachphilosophien des 20. Jahrhunderts. Außerdem steht die Sprache in Verbindung mit der Frage nach der Bedeutung des Endlichen in Hegels spekulativem Denken.69 Hegels Philosophie ist also einerseits für unser Verständnis der Sprache interessant; das Thema Sprache ist aber andererseits auch aufschlussreich für unser Verständnis von Hegels Philosophie. Die Einordnung der Rolle der Sprache in Hegels Philosophie erweist sich als widerspenstig und die Literatur kommt hier zu entsprechend uneinheitlichen Ergebnissen: Entweder wird die Sprache als Nebenschauplatz der Metaphysik interpretiert;70 oder sie wird als Moment gesehen, in dem sich Hegels Philosophie selbst des Begriffs nahezukommen scheinen. Es kann nicht darum zu tun sein, für ein aus der Sprache des gemeinen Lebens gewähltes Wort zu erweisen, dass man auch im gemeinen Leben denselben Begriff damit verbinde, für welchen es die Philosophie gebraucht, denn das gemeine Leben hat keine Begriffe, sondern Vorstellungen, und es ist die Philosophie selbst, den Begriff dessen zu erkennen, was sonst bloße Vorstellung ist. Es muss daher genügen, wenn der Vorstellung bei ihren Ausdrücken, die für philosophische Bestimmungen gebraucht werden, so etwas Ungefähres von ihrem Unterschiede vorschwebt [meine Hervorhebung, S.W.], wie es bei jenen Ausdrücken der Fall sein mag, dass man in ihnen Schattierungen der Vorstellungen erkennt, welche sich näher auf die entsprechenden Begriffe beziehen.« (WL2, 406f.). 69 Anhand dieser Unterscheidung lässt sich die Literatur zu Sprache bei Hegel in zwei sinnvolle Gruppen einteilen; vgl. Surber, »Hegel’s Speculative Sentence«, 425f. Zum ersten Moment (einer reichhaltigeren Behandlung der Sprache) vgl. z.B. Bodammer, der die »Aspektvielfalt« (239) in Hegels Auseinandersetzung mit der Sprache betont. Das zweite Moment (Sprache als Marker der Endlichkeit) spielt u.a. bei Josef Simon und Werner Marx eine zentrale Rolle. Surber unterstreicht, dass sich beide Punkte in Hegels Theorie des spekulativen Satzes treffen. 70 So etwa von Werner Marx, Absolute Reflexion und Sprache.

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dekonstruiert, weil sie es zwar nicht völlig umgehen, aber auch nicht mit sich vereinen kann;71 oder die Sprache wird für eine hyper-deflationäre Lesart genutzt, die versucht, Hegels Philosophie auf eine Sprachreform zu reduzieren.72 Ein weiteres Problem ist, dass sich die bestehenden Arbeiten entweder auf einen Querschnitt des hegelschen Werks beziehen oder aber nur auf einzelne Passagen (also Ausschnitte). So existiert meines Wissens keine Arbeit, die den systematischen Zusammenhang von Hegels Aussagen über die Sprache mit dem spezifischen Werk, in dem diese Aussagen getroffen werden, nachverfolgt.73 Das gilt vor allem für 71 Diese Interpretation leitet sich von Derrida ab, der hier allerdings wesentlich subtiler ist, als die meisten, die an ihn anschließen. 72 Wie John McCumber, The Company of Words. 73 Auch wenn das Thema Sprache im Zusammenhang mit Hegel zu den weniger hervorstechenden gehört, gibt es einen großen Bestand an Literatur. Eine übersichtliche Darstellung der Komplexität von Hegels Auseinandersetzung mit der Sprache findet sich bei Michael Forster, »Hegel on Language«. Einen Überblick bieten auch die Sammelbände von Surber (Hegel and Language) sowie von Lindorfer und Naguschewski (Hegel: Zur Sprache). Innerhalb der deutschsprachigen Literatur zum Thema Sprache bei Hegel bilden die Arbeiten von Josef Simon und Theodor Bodammer die wichtigsten Bezugspunkte. Im Hintergrund stehen dabei Bruno Liebrucks’ sechs Bände über Sprache und Bewusstsein, insbesondere der fünfte Band, Die zweite Revolution der Denkungsart. Hegel: Phänomenologie des Geistes. Während Josef Simon in Das Problem der Sprache bei Hegel argumentiert, dass Hegels Philosophie insgesamt eine Philosophie der Sprache ist, vertritt Bodammer die Gegenthese, dass Hegel die Sprache gerade aufgrund einer tiefen Einsicht in deren Wesen nicht zum Zentrum seines Systems gemacht hat. Der Wert von Bodammers Buch besteht v.a. darin, dass er übersichtlich nachzeichnet, welche Rolle Sprache im Zusammenhang mit einzelnen Bereichen der hegelschen Philosophie spielt; vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache. In einer weniger rezipierten Arbeit hat Günter Wohlfart die ästhetische Dimension der Sprache und ihre Relevanz für das spekulative Denken hervorgehoben; vgl. Wohlfart, Der spekulative Satz. Werner Marx interpretiert die Sprache einseitig als Dienerin des logos (nicht ohne allerdings auf ihre Eigendynamik zumindest hinzuweisen); vgl. Marx, Absolute Reflexion und Sprache. Vgl. außerdem auch die Kommentare zu Hegels (Philosophie der) Sprache bei Karl Löwith (»Hegel und die Sprache«) und Nicolai Hartmann (Die Philosophie des deutschen Idealismus, 243–50). Außerhalb des Bereiches, den man als Hegel-Forschung im engeren Sinne bezeichnen könnte, hat sich sowohl die kritische, als auch die hermeneutische Theorie mit der Sprache bei Hegel befasst. Bei Ernst Bloch kommt die Sprache gleich nach dem Selbstdenken (Subjekt-Objekt, 17–30). Vgl. ebenfalls Adorno, Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Drei Studien zu Hegel sowie Habermas, »Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser ›Philosophie des Geistes‹«. Gadamers Denken entwickelt sich in Auseinandersetzung mit Hegel, wobei auch das Verhältnis von Sprache und Dialektik durchgehend eine Rolle spielt; vgl. Gadamer, »Hegel und die antike

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die Phänomenologie. So existiert zur Zeit der Entstehung der vorliegenden Arbeit keine Monographie, die sich explizit dem Thema Sprache in der Phänomenologie widmet und auch keine, die Fragen nach Dialektik«; »Philosophie und Poesie« sowie Wahrheit und Methode, 469– 75. In der aktuellen deutsch-sprachigen Philosophie findet sich ein großes paralleles Interesse an Hegel und an der Sprache im Sinne einer »post-analytischen Philosophie«; vgl. insbesondere die Arbeiten von Georg W. Bertram, Christian Martin und Pirmin Stekeler-Weithofer. Die zurzeit prominenteste Hegel-Interpretation im englischsprachigen Raum ist die Robert Brandoms, der Hegel als Vorläufer seiner eigenen inferentiellen Semantik versteht (worauf wir im zweiten Teil dieser Arbeit eingehen). Michael Inwood hat nicht nur Hegel übersetzt, sondern auch ein »Wörterbuch« zu Hegels Begriffsgebräuchen mit einer Einleitung zu Hegels Sprache geschrieben; vgl. Inwood, A Hegel Dictionary. John McCumber reduziert Hegels Programm auf eine Sprach-Reform (vgl. McCumber, The Company of Words), während Jim Vernon versucht, eine hegelsche Sprachphilosophie im engeren Sinne abzuleiten. Für ihn bedeutet das eine Erklärung von Lexikon und Grammatik; vgl. Vernon, Hegel’s Philosophy of Language. Eher untypisch für die anglophone Tradition betont John H. Smith die Bedeutung der rhetorischen Tradition für Hegels Philosophie, insbesondere in Bezug auf Bildung (vgl. Smith, The Spirit and its Letter). Vgl. ebenfalls Cook, Language in the Philosophy of Hegel und Reid, Real Words. In der Auseinandersetzung mit Hegel im französischsprachigen Raum gibt es einen relativ starken Fokus auf die Sprache, beginnend mit Alexandre Koyré (»Note sur la langue et la terminolgie hégelienne«). Auch für Kojève und v.a. für Hyppolite ist die Sprache ein wichtiges Moment der Hegel-Interpretation; vgl. v.a. Hyppolite, Logic and Existence, 3–56. In der Dekonstruktion wird Sprache als Moment der nicht aufhebbaren Äußerlichkeit gesehen, das die Abgrenzung der Philosophie von der Literatur, die Selbst-Präsenz des Geistes und damit den Systemanspruch gefährdet. Wir werden auf die Hegel-Interpretation Derridas genauer eingehen. Bei Jean-Luc Nancy und Philippe Lacoue-Labarthe wird diese Thematik auch mit dem Begriff der Darstellung in Zusammenhang gebracht; vgl. Lacoue-Labarthe, Le Sujet de la philosophie sowie Nancy, La remarque spéculative. Nancy und Lacoue-Labarthe haben die Bedeutung der Darstellung auch in ihrer gemeinsamen Arbeit zur Philosophie der Jenaer Frühromantik untersucht (vgl. Lacoue-Labarthe und Nancy, Das Literarisch-Absolute). Aktuell an diese Tradition anschließend untersucht Catherine Malabou die Plastizität und die Relevanz des Akzidentellen bei Hegel. Dies ist insofern für die Untersuchung der Sprache von Bedeutung, als Malabou den Zusammenhang des spekulativen Denkens mit der notwendigerweise kontingenten Sprache hervorhebt und in diesem Zusammenhang auch das Verhältnis des spekulativen Satzes zu seiner Lektüre; vgl. Malabou, The Future of Hegel sowie Ontologie des Akzidentiellen. Auch bei Bernard Bourgeois findet sich eine Auseinandersetzung mit Hegels Ausführungen zur Sprache sowie zuletzt sehr klar bei Guillaume Lejeune; vgl. das Kapitel zur Sprachphilosophie in Bourgeois, Pour Hegel sowie Lejeune, Sens et usage du langage chez Hegel.

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Sprache und Darstellung der Philosophie Hegels verbindet.74 Ich möchte anhand folgender Fragen einen Überblick über die bestehende Literatur geben: (1) Hat Hegel überhaupt eine (explizite) Sprachphilosophie? (2) Wenn ja, wo findet sie sich? Wo ist der zentrale Ort der Sprache bei Hegel? (bzw. gibt es einen?). (3) Welche Rolle spielt sie für das System? (4) Welche Funktion hat die Sprache für das menschliche Denken (d.h. welche Funktion im geistigen Haushalt des Menschen schreibt Hegel der Sprache zu) und mit welchen anderen Themenbereichen ist die Sprache verknüpft? (5) Worin besteht die Verbindung von Sprache und Darstellung – insbesondere für die Phänomenologie?75 (1) Hat Hegel überhaupt eine (explizite) Sprachphilosophie? Aufgrund der Streuung der Vermerke Hegels zur Sprache wird häufig verneint, dass Hegel über eine explizite Philosophie der Sprache verfügt. Diese Grundfrage hängt u.a. daran, ob bzw. inwiefern Sprache für Hegel ein spezifischer Untersuchungsgegenstand ist oder ob ihre Bedeutung stattdessen 74 Jeffrey Reid hat im Frühjahr 2021 ein Buch vorgelegt, das sich explizit aufdie Relevanz der Sprache in der Phänomenologie bezieht, in dieser Arbeit aber nicht mehr berücksichtigt werden konnte; vgl. Reid, Hegel’s Grammatical Ontology. Lediglich die Vorrede der Phänomenologie wird zu den zentralen Orten in Hegels Auseinandersetzung mit der Sprache gezählt; vgl. die Einleitung in Surber, Hegel and Language. Darstellung wird mehr oder weniger ausschließlich als logisch-argumentatives Verfahren verstanden, das sich allenfalls im Rahmen der Theorie des spekulativen Satzes mit dem Problemfeld der Sprache berührt. Die zentrale Arbeit zum Begriff der Darstellung bei Hegel ist Michael Theunissens Monographie Sein und Schein, in der er die Einheit von Darstellung und Kritik anhand von Hegels Logik entwickelt. Diese Untersuchung führt zu einer ideologiekritischen Theorie kommunikativer Freiheit. Vgl. dazu auch die nachfolgende Debatte in Fulda, Horstmann, und Theunissen, Kritische Darstellung der Metaphysik. Die Reduktion des Darstellungsbegriffs auf seine argumentative Dimension zeigt sich etwa bei Ulrich Claesges, Darstellung des erscheinenden Wissens. Systematische Einleitung in Hegels Phänomenologie des Geistes sowie bei Puntel, Darstellung, Methode und Struktur. Eine grundsätzliche Übereinstimmung in der Forschung scheint darüber zu bestehen, dass Hegel den Begriff der Darstellung mit dem Moment der Selbstexplikation des Wissens verbindet. An diese Einschätzung wird meine Arbeit ebenfalls anknüpfen; vgl. zur Übersicht Brendan Theunissen, Hegels Phänomenologie als metaphilosophische Theorie, 193–200. Einen vergleichbaren Ansatz schlägt Brady Bowman vor, der zwar ebenfalls Sprache und Darstellung nicht verbindet, aber die Darstellung (ausgehend von Nelson Goodman) als Selbst-Exemplifikation versteht, also als Herstellung eines Selbstbezugs; vgl. Bowman, »›Werden der Wissenschaft‹. Gehalt und methodisches Ideal der Hegelschen Darstellungsform«. Im Hintergrund steht dabei Fulda, »Hegels Dialektik als Begriffsbewegung und Darstellungsweise«. 75 Vgl. Bettina Lindorfers Einleitung in Lindorfer und Naguschewski, Hegel: Zur Sprache.

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so allgemein ist, dass man Hegels Philosophie insgesamt als Sprachphilosophie verstehen kann.76 So ist Josef Simons zentrale These, dass die Sprache das eigentliche Zentrum der Philosophie Hegels ausmacht und es entsprechend auch dort um Sprache geht, wo das nicht explizit erwähnt wird.77 Dass Sprache für Hegel nicht ein bestimmter Gegenstand neben anderen ist, dient Simon als Argument dazu, Hegels Philosophie insgesamt als latente Sprachphilosophie zu lesen, auch dort, wo Hegel sich nicht explizit mit Sprache befasst. Theodor Bodammer stimmt zu, dass Sprache für Hegel mehr ist als ein objektiver Untersuchungsgegenstand neben anderen, wendet aber gegen Simon ein, dass sich das gerade dann erschließt, wenn man genau nachzeichnet, was Hegel explizit über Sprache sagt. Er weist dabei Simons Ansatz zurück, Hegels Philosophie insgesamt als eine Philosophie der Sprache zu lesen, die bei diesem selbst noch gar nicht ausgedrückt wäre und vertritt insbesondere die These, dass Hegel gerade aufgrund einer tiefen Einsicht in das Wesen der Sprache davon abgesehen hat, der Sprache einen spezifischen Ort in seiner Philosophie zuzuweisen.78 In dieser Auseinandersetzung zeichnet sich bereits ein Problem ab, dass auch in neueren Arbeiten weiter besteht: Diejenigen, die herausfinden wollen, was (nach verschiedenen, zumeist äußerlich an Hegel herangetragenen Kriterien) »Hegels Sprachphilosophie« ist, also eine wohldefinierte Theorie der Sprache, sehen sich gezwungen, etwas aus Hegels Texten zu extrahieren, was dort nicht in dieser Weise vorliegt.79 Im Gegensatz dazu möchte ich meine Untersuchung auf die Phänomenologie fokussieren, um dort die spezifische Relevanz der Sprache zu verfolgen. Das hat mehrere Gründe: einerseits sind Hegels Werke in sich geschlossen und haben verschiedene argumentative Ziele. Deswegen kann man nicht ohne Weiteres über Werksgrenzen hinaus verallgemeinern. Zweitens ist die Sprache in der Phänomenologie nicht nur als Moment der Erfahrungen des Bewusstseins relevant, sondern die Entwicklung einer philosophischen Sprache wird für Hegel selbst zum Thema, während er sich auf dem Weg zur Phänomenologie befindet. Das Pro­blem der Sprache ist also wesentlich mit dem Problem der Phänomenologie verknüpft (und die Logik baut darauf auf, dass dieses Problem schon gelöst ist). Die Phänomenologie hat ein spezifisches argumentatives Programm, dass darin besteht, bestehende Theorien – also den bereits durch Theorien geprägten, aber in Hegels Verständnis 76 Vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, vii f. 77 Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel. 78 Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, viii. 79 Diese Ansätze versuchen also, eine Sprachphilosophie aus Hegels Texten zu extrahieren, die dort nur implizit angelegt ist. Dieses Vorgehen zwingt z.B. Jim Vernon, Textbezüge über Werksgrenzen hinweg zu kombinieren; vgl. Vernon, Hegel’s Philosophy of Language.

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vor-wissenschaftlichen Common Sense – zu unterlaufen und damit für eine argumentative Prüfung zu öffnen. Insofern Sprache das Medium ist, in dem sich Gehalte objektivieren, bindet sie Theoretiker:innen an das Bestehende. Hegel sucht entsprechend nach sprachlichen Strategien, solche Bindungen zu unterlaufen. Sprache steht also im Zusammenhang mit der Bindung an und der Distanzierung von Voraussetzungen. Diese Voraussetzungen können sowohl theoretischer als auch praktischer Art sein. Sprache ist als Problem des Bewusstseins Teil der didaktischen Funktion der Phänomenologie. Sprache ist aber nicht nur ein Problem der Wissenschaftsvermittlung, sondern gleichermaßen ein zentrales Moment in der Entwicklung dessen, was Hegel als philosophische Wissenschaft versteht: Die philosophische Wissenschaft hat das Ziel einer Erkenntnis des menschlichen Denk- und Erkenntnisvermögens, das Hegel als Geist bezeichnet. Die Erkenntnis des Geistes hat also die Form einer Selbsterkenntnis darüber, wie der Geist sich entwickelt. Die Entwicklung des Geistes vollzieht sich durch die Bestimmung weltlicher Formen unterschiedlicher Komplexität. Dazu gehören z.B. Sätze, die einen einzelnen Gedanken bestimmen können, aber auch soziale Institutionen, Kunstwerke, religiöse Praktiken und wissenschaftliche Theorien (die sich sowohl mit der Entwicklung des Geistes selbst als auch mit der Natur befassen). Die Entwicklung des Geistes geht aber über die je bestimmten Artikulationsformen hinaus. Der Sprache scheint dabei eine hervorgehobene Rolle zuzukommen, weil einerseits die anderen Artikulationsformen entweder selbst sprachliche strukturiert sind oder sich sprachliche niederschlagen (wie z.B. soziale Formen) oder weil sie wiederum sprachliche Explikation fordern (wie z.B. Kunstwerke). Nicht zuletzt gilt für philosophische Theorien, dass sie sprachliche Produkte sind. Für Hegels philosophische Wissenschaft stellt sich also selbst die Frage, wie sie sich zu ihrer sprachlichen Artikulation verhält. Da sie prinzipiell eine Überschreitung einzelner, diskreter Bestimmungen ist – Hegel spricht in diesem Zusammenhang von einer Bewegung der Bestimmungen – muss Hegel klären, wie diese Dynamik mit der Statik der bestimmten Formen zusammengedacht werden kann (in Hegels Vokabular kann man dies auch so formulieren, dass der Geist, der wesentlich Negativität ist, sich dennoch positive Bestimmungen geben – diese dann aber auch wieder überschreiten muss). Dieses Problem zeichnet sich deutlich an Hegels Behandlung der Sprache ab. Damit ist einerseits gemeint, was Hegel über Sprache sagt, und andererseits, wie Hegel Sprache (konsequenterweise) selbst verwendet. In Hegels philosophischer Sprache überlagern sich also das, was man als Didaktik oder Bildung des Bewusstseins verstehen kann, und das Moment der Rechtfertigung der hegelschen Philosophie. Die 43 https://doi.org/10.5771/9783748917755

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Phänomenologie setzt sich nicht nur mit den spezifischen Prämissen einzelner Theorien auseinander, sondern im selben Zuge auch mit der Frage, wie sich Theorien grundsätzlich zu ihrer sprachlichen Artikulation verhalten.80 (2) Wo findet sich Hegels »Sprachphilosophie«? Verschiedene Teile des hegelschen Textkorpus spielen für die Untersuchung der Sprache eine Rolle. Die prominentesten Stellen sind dabei die Vorrede der Phänomenologie, die Einleitung zur zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik sowie die Passagen der Enzyklopädie, in denen sich Hegels Ausführungen über die Bedeutung des Zeichens für den Übergang von der Vorstellung zum Denken findet.81 Außerdem wird häufiger auf die Jenaer Systementwürfe verwiesen sowie auf Hegels Nürnberger Rektoratsrede von 1809, in der er für die Relevanz des Erlernens der antiken Sprachen argumentiert.82 Der Haupttext der Phänomenologie spielt dagegen kaum eine Rolle, obwohl hier nicht nur – in den Kapiteln zu Physiognomik und Schädellehre, Bildung, Gewissen und Religion – substantielle Auseinandersetzungen mit der Sprache stattfinden, sondern diese auch systematisch auf die Theorie des spekulativen Satzes hinarbeiten (und zwar in zwei Hinsichten: einerseits durch die sukzessive Entwicklung einer Erfahrung und Erkenntnis spekulativen Identität; anderseits durch die Zerstörung des Sprachverständnisses des natürlichen Bewusstseins).83 (3) Welche Rolle spielt die Sprache für das System? Sprache ist mit der Frage nach der Systematizität der Philosophie und ihrer Orientierung an Wahrheit und Objektivität verknüpft.84 Ein zentraler Aspekt dieser Frage ist die klassische Gegenüberstellung von Wahrheit und Repräsentation. Hegels Kritik der natürlichen Vorstellung, mit der die Phänomenologie einsetzt, läuft nun gerade darauf hinaus, dass eine strikte Trennung 80 Insofern hat die Phänomenologie eine metatheoretische Funktion. Vgl. dazu im Detail Brendan Theunissen, Hegels Phänomenologie als metaphilosophische Theorie sowie Gabriel, »What Kind of an Idealist (If Any) Is Hegel?« 81 Vgl. Enz. §§ 457–64 82 Für eine Übersicht vgl. z.B. Jere Surbers Einleitung in der von ihm herausgegebenen Sammlung Hegel and Language. Eine hier anschließende Frage ist, ob sich Hegels Position zur Sprache im Laufe seiner Entwicklung konsistent verhält. Die Entwicklung in Hegels Denken der Sprache und die Unterschiede zwischen den Phasen identifiziert Michael Forster, »Hegel on Language«. 83 Vgl. einzelne Aufsätze zu den Kapiteln, etwa Schlösser, »Handlung, Sprache, Geist« sowie Schlösser, »Self-Knowledge, Action and the Language of Confession in Hegel’s Phenomenology of Spirit«. 84 Vgl. Surber, Hegel and Language, 14–20. In diesem Band befassen sich die Artikel von Kevin Thompson und Angelica Nuzzo mit dem Verhältnis von Sprache und Systematizität. Zu Objektivität und Wahrheit vgl. die Artikel von Reid, McCumber und Lau.

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(eine »schlechthin scheidende Grenze«) des Wahren und dessen, was uns erscheint, selbst auf unreflektierten Annahmen beruht. Analog zu seiner Kritik der natürlichen Vorstellung verhält sich Hegels Position zur Sprache: Wie das Wahre auch erscheinen kann und muss, kann die Wahrheit auch systematisch sprachlich dargestellt werden. Der Beweis dafür ist aber letztlich nichts anderes als die Darstellung eines Systems der Wissenschaft, das darin auf seine eigene Darstellbarkeit reflektiert.85 Auf diesem Weg vermeidet Hegel einerseits anti-repräsentationale Positionen, die auf der Annahme einer unmittelbaren Selbst-Präsenz aufbauen, und andererseits anti-präsentische Positionen, die in einen unauflöslichen Relativismus der Erscheinungen und Repräsentationen münden.86 Der Skeptizismus der natürlichen Vorstellung folgt letztlich aus einer Übereinkunft dieser beiden Positionen, bei der das Bewusstsein davon ausgeht, ein unmittelbares Selbstverhältnis zu haben, während ihm seine Erkenntnis der Welt für immer fragwürdig bleibt.87 Indem das Bewusstsein sich auf diese Weise gegen die Welt positioniert, entsteht eine Sprachskepsis, denn die (angenommene) Integrität des Bewusstseins scheint immer schon von der der Welt angehörigen Sprache bedroht. Dieses Pro­ blem zieht sich durch weite Teile der Phänomenologie. Es zeigt sich, dass Hegel zwar die Sprachskepsis des Bewusstseins in größter Konsequenz dekonstruiert, dieses Problem zugleich aber als schwerwiegend genug betrachtet, um für seine eigene Philosophie ein gänzlich neues Verhältnis zur Sprache zu konzipieren. Im Rahmen dieser Entwicklung müssen die Form des gewöhnlichen Satzes sowie unser »natürliches« Verhältnis zur Sprache zerstört werden.88 Für ein System, das selbst-begründend sein soll, ist die Sprache aus zwei Gründen ein Problem: Einerseits führt sie zu einer Fragmentierung dessen, was als Einheit gedacht werden soll; andererseits ist die Sprache immer historisch »kontaminiert«.89 Beide Momente gehören zu den Einwänden der Metakritik und beide werden im Laufe der Phänomenologie behandelt. (4) Welche Funktion schreibt Hegel der Sprache in Bezug auf das menschliche Denken zu? Mit welchen anderen Themen hängt Sprache zusammen? Die prominente Passage der Enzyklopädie hat dazu geführt, dass Hegel allgemein die Position zugeschrieben wird, Sprache (primär) als Zeichen zu verstehen. In der Phänomenologie ist das aber eher nicht der Fall. Die zentrale Bestimmung der Sprache ist hier, dass sie 85 Vgl. Smith, The Spirit and its Letter, 33. 86 Smith, 31f. 87 Die natürliche Vorstellung tendiert also zu einer Position, die James Conant als kartesischen Skeptizismus beschrieben hat, vgl. Conant, »Two Varieties of Skepticism«. 88 Vgl. PhG, 59 89 Vgl. Thompson, »Fragmentation, Contamination, Systematicity: The Threats of Representation and the Immanence of Thought«.

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die Position des Daseins des Geistes einnimmt. Anders als in der Enzy­ klopädie steht die Sprache damit nicht primär in Verbindung mit den kognitiven Prozessen des subjektiven Geistes. Als Zeichen verstanden bildet die Sprache den Übergang vom Anschauen zum Denken. Sprache ist aber nicht nur als Element einer Psychologie relevant und das ist vor allem für die Phänomenologie wichtig, wo die Sprache besonders in Zusammenhängen des objektiven und des absoluten Geistes thematisiert wird. Wir werden im Verlauf der Arbeit sehen, dass sich Hegel mit der kon­ stitutiven Fremdheit der Sprache auseinandersetzt. Auch diese Auseinandersetzung ist besonders für die Phänomenologie relevant, da die SelbstOpazität des Bewusstseins auch mit der wesentlichen Undurchsichtigkeit der Sprache zusammenhängt. Hegels philosophische Wissenschaft berücksichtigt mindestens drei Funktionen bzw. Dimensionen der Sprache: Zunächst die kognitive und die kommunikative Funktion der Sprache und weiterhin ihre welterschließende und ästhetische Dimension, die insbesondere für die Theorie des absoluten Geistes von Bedeutung ist.90 (5) Worin besteht der Zusammenhang von Sprache und Darstellung in der Phänomenologie? Der Weg zur Philosophie ist für Hegel auch der 90 Wichtige Bezugspunkte der vorliegenden Arbeit finden sich im Bereich der Forschung über das Verhältnis der Sprache zu mit ihr verbundenen Untersuchungsgegenständen: Allgemein haben Bertram, Lauer, Liptow und Seel dafür argumentiert, die Sprache eher als Leitfaden durch eine Reihe außersprachlicher Themengebiete zu nutzen, als zu versuchen, nichtsprachliche Probleme auf der Ebene der Sprache zu lösen; vgl. Bertram, Die Sprache und das Ganze sowie Bertram u. a., In der Welt der Sprache. Chong Fuk Lau untersucht in seiner Untersuchung zu Hegels Urteilskritik die Rolle der Sprache in Bezug auf die Logik, das Urteil und den spekulativen Satz. Eine Auseinandersetzung mit Sprache, Vorstellung und literarischer Form findet sich in Klaus Viewegs Skepsis und Freiheit sowie in der zu Hegels 250. Geburtstag erschienenen Hegel-Biographie (Vieweg, Hegel). Albrecht Koschorke untersucht die narrative Dimension von Hegels Denken, insbesondere der Geschichtsphilosophie (Hegel und wir). Die rhetorische Dimension Hegels ist auch für Judith relevant; vgl. das erste Kapitel von Butler, Subjects of Desire. Das Verhältnis von Sprache, Stimme und Tod bei Hegel behandelt Giorgio Agamben in Die Sprache und der Tod. Sensibel für die sprachlichen Details und die Relevanz der Zwischentöne in Hegels Schriften sind die Interpretationen von Rebecca Comay; vgl. Comay, Mourning Sickness sowie Comay und Ruda, The Dash. Reza Negarestanis Untersuchung der Grundvoraussetzungen einer allgemeinen künstlichen Intelligenz orientieren sich maßgeblich an Kant und Hegel und insbesondere an Hegels Begriff der Sprache (als Dasein des Geistes) als Grundvoraussetzung der Sozialität der Intelligenz. Dabei knüpft Negarestani auch an Brandoms Hegel-Lektüre an; vgl. Negarestani, Intelligence and Spirit. Eine wichtige Verbindung in Bezug auf die Frage der Sprache und Darstellung (die den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde) bildet die Forschung zum Verhältnis von Hegel und

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Weg zu einer Sprache der Philosophie. Das liegt u.a. daran, dass Sprache nicht ausschließlich ein möglicher Untersuchungsgegenstand für wissenschaftliche Theorien unter vielen anderen ist, sondern auch die notwendige Bedingung der Artikulation jeder wissenschaftlichen Theorie. Es geht also darum, das Programm der Phänomenologie herauszustellen und davon ausgehend zu zeigen, welche Bedeutung die Entwicklung einer philosophischen Sprache für Hegel hat.91 Die philosophische Wittgenstein. Dieser inhaltliche Zusammenhang bzw. zumindest ein Inte­ resse für beide Philosophen findet sich in der Forschung von Pirmin Stekeler-Weithofer, Michael Forster und Christian Martin; vgl. dazu: Alexander Berg, Wittgensteins Hegel sowie Mácha und Berg, Wittgenstein and Hegel. 91 Michael Forster hat die Relevanz der Spracherschließung für Hegel bereits herausgestellt: »Already in a famous letter to Voss from 1805, and in some roughly contemporaneous fragments preserved by his biographer Rosen­ kranz, Hegel had committed himself to a project of making philosophy speak German (rather than, say, a Latin-based terminology). However, he also believes that the concepts that are currently available in German are inadequate for the expression of his own philosophical standpoint. One main reason for this is that they invariably imply dualisms, which are incompatible with the monism of his own philosophical standpoint. On the assumption that concepts consist in word-usages, this problem leads to the following solution: modify the existing word-usages of the relevant German vocabulary in order to make it express new, adequate concepts. This is a central task of the Phenomenology of Spirit (which, incidentally, helps to explain the work’s distinctive sort of obscurity: the fact that it uses familiar vocabulary but in unfamiliar ways).« Forster, »Hegel on Language«, 160f. Der Entwurf zu Hegels Brief an Voss ist auf der Rückseite des Fragments zum absoluten Wissen entstanden, das die Herausgeber der kritischen Ausgabe der Phänomenologie als ersten eindeutigen Beleg für Hegels Arbeit an der Phänomenologie beurteilen (vgl. GW9, 465). Der Zusammenhang von Dialektik, Darstellungsform und Rhetorik ist ein wesentliches Moment in Derridas Hegel-Lektüre in Glas (vgl. z.B. 12f. und 35f.). Zu Hegels Entwicklung einer philosophischen Sprache vgl. außerdem Pinkard, Hegel, 82, 676. Die Notwendigkeit, ein neues Vokabular zu kreieren, ist für Pinkard ein Merkmal von Hegels »radikalem Modernismus« (ebd., 137f.). Friedrich Fulda unterscheidet verschiedene Funktionen der Bedeutungsmodifikation; vgl. dazu Fulda, »Unzulängliche Bemerkungen zur Dialektik«, 57. Auch Klaus Vieweg argumentiert, dass die Relevanz der Darstellungsform und die Auseinandersetzung mit einer Vielheit von Darstellungsformen selbst zum Skeptizismus gehört: »Die verschiedenen Darstellungsformen des Pyrrhonismus, von den Tropen und Hypotyposen bis hin zum Essay, zeigen das charakteristische Oszillieren zwischen Philosophie und Literatur, zwischen Argument und Erzählung, zwischen Logik und Metaphorik. Aus dieser doppelten Natur, aus dieser besonderen Zwischenstellung zwischen Kunst und begreifendem Denken entspringt das außerordentliche Interesse für die Skepsis in der Moderne. Zum einen bildet die Situation des

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Sprache ist für Hegel inhomogen und komplex: Sie operiert in verschiedenen Bedeutungsschichten der Wörter und zeigt diese damit selbst als ein Ge-Schichte, als Konglomerat sich überlagernder und verbindender historisch bedingter Bezüge, die gerade in ihrer Vielheit für die Philosophie bedeutend sind, da dies erlaubt, ein Argument auf verschiedenen Ebenen – z.B. der begrifflichen und der Vorstellungsebene – zu führen. Philosophie als sich vollbringender Skeptizismus muss zweierlei bedeuten: Er darf nicht in der Unbestimmtheit verbleiben und muss eine »Inklusion der echten Skepsis« in die Philosophie erreichen.92

3. Zum Verlauf der Arbeit Der erste Teil der vorliegenden Arbeit enthält eine systematische Entwicklung des Problems der Darstellung der philosophischen Wahrheit in der Phänomenologie und der Relevanz der Sprache für die Darstellung von Gedanken. Hier wird gezeigt, inwiefern Geist sich durch seine Darstellung konstituiert, welchen Beitrag die Phänomenologie als Darstellung des erscheinenden Wissens dazu leistet und wie sich dieses Pro­blemfeld mit Hegels Konzeption des Verhältnisses von Sprechen und Denken verbindet. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Sprache, die Hegel in seinen philosophischen Texten entwickelt, philosophisch motivieren. Im zweiten Teil untersuche ich zwei aktuelle Hegel-Interpretationen, in denen Sprache eine zentrale Rolle spielt, nämlich die von Jacques Derrida und Robert Brandom. Derrida betrachtet Hegel als Vorläufer seines eigenen, an der Differenz und der nicht aufhebbaren Äußerlichkeit der Schrift orientierten Denkens, versucht aber im Detail nachzuweisen, inwiefern Hegel die Differenz der Identität unterordnet. Insbesondere in Glas überführt Derrida diese Überlegungen auf die Formebene des Textes und entwickelt textliche Strategien der Entfremdung von der Sprache. Dabei spielen die nichtpropositionalen Dimensionen der Sprache eine entscheidende Rolle. Dagegen interpretiert Brandom Hegel als Skeptikers das ›Hauptmoment der modernen Poesie‹ (Hegel), zum anderen zeigt sich dies im Trend zur Ästhetisierung oder Literarisierung der Philosophie.« Vieweg, Skepsis und Freiheit, 17. 92 Vgl. Vieweg, Skepsis und Freiheit, 19. Vieweg liest den Pyrrhonismus dabei auch als formales Vorbild von Hegel, indem nämlich dort die Verbindung von Metaphorik und Logik, bildlicher Vorstellung und Begriff angelegt ist. Gleichzeitig macht er darauf aufmerksam, dass dieser Untersuchungsbereich noch »kaum erschlossen« ist. Diese Untersuchung wollen wir also gezielt auf die Phänomenologie richten. Zur Inhomogenität der Sprache Hegels vgl. Kristina Mendicino, »The Pitfalls of Translating Philosophy: Or, the Languages of G. W. F. Hegel’s Phenomenology of Spirit«.

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ZUM VERLAUF DER ARBEIT

Vertreter eines komplexen »synthetischen« Rationalismus und damit als Vorläufer seiner eigenen, inferentiell (und damit propositional) orientierten Sprachphilosophie. Brandoms Hegel-Interpretation steht der von Derrida auch insofern diametral gegenüber, als Brandom sich gerade für die Überwindung des Entfremdungsmoments bei Hegel interessiert. Produktiv ist dabei allerdings, dass Brandom hervorhebt, inwiefern Sprache bei Hegel im Rahmen einer Philosophie des Sozialen (also auf der Ebene des objektiven Geistes) untersucht werden muss. In den verbleibenden Teilen (3 bis 5) verfolge ich die Frage des Verhältnisses von Sprache und Darstellung im Haupttext der Phänomenologie. Dabei beschränke ich mich auf die Kapitel, in denen Sprache und Darstellung explizit und ausführlich zum Thema gemacht werden. Zunächst spielt Sprache als Moment der Erfahrungen des Bewusstseins eine Rolle, später aber als Medium der Darstellung des Absoluten. Dies kann man (mit Hilfe der Unterteilung des Geistes aus Hegels Enzyklopädie) folgendermaßen verstehen: Die Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Denken bzw. nach dem Ausdruck des Individuums liegt auf der Ebene des subjektiven Geistes. Diese Frage wird anhand des Kapitels über die sinnliche Gewissheit sowie des Kapitels über Physiognomik und Schädellehre behandelt. Dabei steht die kognitive Funktion der Sprache im Vordergrund. Die Frage nach der kommunikativen Funktion der Sprache und der Bedeutung von Sprache in sozialen Kontexten ist eine Frage des objektiven Geistes. Sie wird in den Kapiteln über Bildung und Gewissen behandelt. Die Frage nach der Bedeutung der Sprache für die Darstellung des Absoluten ist eine Frage des absoluten Geistes. Damit befassen sich die Kapitel über Religion und absolutes Wissen. Insofern Sprache als Medium der Darstellung des Absoluten untersucht wird, rückt ihre welterschließende Dimension in den Fokus. Über die Entwicklung bis zum Ende des Geistkapitels lässt sich zusammenfassend sagen, dass Sprache hier dem (natürlichen, vernünftigen und geistigen) Bewusstsein als etwas Bestehendes erscheint, das es als Teil der Welt vorfindet. Mit dieser »Vorgegebenheit« der Sprache (wie Theodor Bodammer sagt) wird auf verschiedenen Ebenen unterschiedlich umgegangen, wie ich in den Teilen 3 und 4 rekonstruiere. Der dritte Teil der Arbeit behandelt die Rolle der Sprache im Bewusstseins- und im Vernunftkapitel der Phänomenologie. Für die sinnliche Gewissheit (die Hegel im ersten Teil des Bewusstseinskapitels der Phänomenologie untersucht) erscheint Sprache als das Element, in dem sich ihre Meinung unmittelbar widerlegt. Die Sprache erscheint daher als Problem. Zugleich ist dieser Abschnitt wichtig, weil Hegel hier den für die weitere Entwicklung zentralen Punkt etabliert, dass »das Unsagbare« das schlechthin »Unwahre« und die Sprache demgegenüber das »Wahrhaftere« ist. Hegel macht also von vornherein klar, dass die Wahrheit sich nicht der sprachlichen Artikulation entzieht. Das Kapitel 49 https://doi.org/10.5771/9783748917755

EINLEITUNG

über die sinnliche Gewissheit eröffnet damit die Problematik, die Wahrheit aufzuschreiben. Die beobachtende Vernunft in »Physiognomik und Schädellehre« nimmt ebenfalls eine ablehnende Position gegenüber der Sprache ein. Aufgrund ihrer Feststellung, dass sich die Intentionen eines Menschen in seinen sprachlichen Äußerungen (wie allgemeiner in seinen Handlungen) verkehren und die Sprache immer zugleich mehr und weniger ausdrückt als die wahren Absichten des Individuums, soll die Sprache als Medium der Äußerung umgangen werden. Dabei zeigt sich aber, dass die vermeintlich unmittelbaren Äußerungen der Individualität in der Mimik oder im Schädelknochen prinzipiell nicht den notwendigen Bestimmtheitsgrad gewährleisten können, der zur Bewertung einer komplexen Individualität notwendig wäre. Vielmehr kann eine bestimmte Knochenwölbung nur zeigen, dass eine bestimmte Anlage vorliegt »oder auch nicht«. Diese sprachskeptisch ausgerichtete Bewusstseinsgestalt zeigt sich daher selbst als eine, die sich nur durch Gerede darüber hinwegtäuscht, dass sie eigentlich nicht weiß, was sie sagt. Neben dieser phänomenologischen Entwicklung beginnt hier außerdem Hegels parallel geführte Entwicklung und Kritik der Formen des Urteils. Im vierten Teil untersuche ich zwei Abschnitte aus dem Geistkapitel der Phänomenologie, das Sprache als »Dasein des Geistes« und damit als Kommunikationsmedium in verschiedenen sozialen Kontexten und Sprechsituationen zum Thema macht. Während das Bewusstsein bisher eine sprachskeptische Position eingenommen hat, verändert sich ab hier das Verhältnis zur Sprache. Sprache wird jetzt ambivalent erfahren: Einerseits dient sie als unmittelbarer Weg des Ausdrucks des Individuums und als Medium seiner sozialen Anerkennung. Andererseits kippt dieses Verhältnis immer wieder in eine Ablehnung der Sprache, die auf diese Weise ins Zentrum von Entfremdungserfahrungen rückt. In diesen Erfahrungen scheint Sprache eine rein äußerliche Form zu sein (z.B. Schmeichelei oder Heuchelei). Beide Momente (soziale Anerkennung und Entfremdung) können noch nicht zusammengebracht werden und daher wechseln sich scheinbar unmittelbares Verstehen und Scheitern der Vermittlung ab. Dabei zeigt sich zuletzt, dass Sprache nur dann zwischenmenschliche Kommunikation befördert, wenn die Beteiligten bereit sind, sich nicht nur gegenüber einander, sondern auch gegenüber der Sprache zu öffnen. Im fünften Teil der Arbeit wird Sprache als Medium der Darstellung des Absoluten in Betracht gezogen. Dies entspricht dem Projekt des religiösen Bewusstseins, das Repräsentationen des Göttlichen entwickelt. In der Phänomenologie behandelt Hegel in diesem Rahmen auch verschiedene Formen der Kunst. Der Geist beginnt, Sprache aktiv einzusetzen und entwickelt ein differenziertes Repertoire sprachlicher (und vorsprachlicher) Ausdrucksmöglichkeiten. Wie ich rekonstruiere, erhält die Untersuchung der Sprache damit auch eine methodische Relevanz. 50 https://doi.org/10.5771/9783748917755

ZUM VERLAUF DER ARBEIT

Im Geistkapitel wird zwar die Relevanz der Sprache als wichtiges Ausdrucksmedium des Geistes registriert, sie wird aber nicht mit Blick auf die Entwicklung von Ausdrucksmöglichkeit untersucht, denn im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen die sozialen Verhältnisse – Konstellationen des Handelns, das teilweise auch sprachliches Handeln ist. Zu einer Untersuchung der Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache als solcher kommt es erst auf der Ebene des absoluten Geistes, also ab dem Religionskapitel. Dort geht es darum, wie die Welt medial und insbesondere sprachlich erschlossen wird. Während es im Geistkapitel wichtig ist, dass Sprache ein zentrales Moment sozialer Verhältnisse ist, fragt das Religionskapitel, wie genau unterschiedliche Formen sprachlichen Ausdrucks funktionieren. Dabei geht es um ästhetische Formen (wie etwa hymnischen Gesang, Tragödie und Komödie). Das zentrale Problem der verschiedenen Formen der Religion ist, dass sie konstitutiv dem Paradigma der »Vorstellung« verhaftet bleiben, was die Selbsterkenntnis des Geistes letztlich unterläuft. Hegels Sprachkritik zeigt sich hier als Vorstellungskritik, womit dieses Kapitel auch beginnt, Hegels generelle Kritik des vorstellenden Bewusstseins auf den Punkt zu bringen. Den Schluss der Phänomenologie interpretiere ich als Reflexion auf deren Darstellung. Das absolute Wissen enthält nicht nur die Einsicht in die Entwicklung philosophischen Wissens aus alltäglichem Vorwissen, sondern auch die Einsicht in die Bedeutung der medialen Darstellung dieses Wissens. Ein zentrales Moment des Kapitels zum absoluten Wissen ist Hegels Konzept der Zeit als Dasein des Begriffs. Darin zeigt sich eine Parallele von Sprache (Dasein des Geistes) und Zeit: Beide sind Momente der Artikulation, die konstitutiv zur Bestimmung des Geistes als »Begriff« gehören. Das Kapitel zum absoluten Wissen ist für die Darstellungsproblematik einerseits wichtig, weil die Darstellung des Geistes hier selbstreferentiell werden soll (»zum Selbst«, wie Hegel sagt), und andererseits, weil Hegel hier die argumentative und die eher narrative, mediale Ebene der Darstellung als »begriffene Geschichte« zusammenführt. Am Ende der Phänomenologie steht das freie Sich-Entlassen des Geistes in sein Werden. Der Geist wird damit auf die Bewegung seiner Darstellung im äußerlichen Medium der Sprache zurückverwiesen. Zugleich öffnet er sich in diesem Moment für die Formen der sprachlichen und medialen Expression, denen sich das Bewusstsein am Beginn der Entwicklung der Phänomenologie verweigert.

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Teil 1: Der Zusammenhang von Darstellung und Sprache in der Phänomenologie – systematische Problementwicklung Der Titel dieser Arbeit fokussiert unsere Untersuchung der Phänomenologie des Geistes auf zwei Momente, nämlich Sprache und Darstellung. Er verweist auf zwei Ausgangsfragen (1 und 2) und zwei daran anschließende Fragen (3 und 4), die sich für diese Interpretation der Phänomenologie stellen: (1) Was ist die philosophische Wahrheit und wie wird sie dargestellt? (2) Wie versteht Hegel das Verhältnis von Denken und Sprechen? (3) Wie hängen die ersten beiden Fragen zusammen? Anders formuliert: Welche Rolle spielt es für Hegel, dass die philosophische Wahrheit bzw. der Weg dorthin sprachlich vermittelt wird? Wie entwickeln einzelne Denker:innen durch sprachliche Vermittlung einen Zugang zur philosophischen Wahrheit? Zuletzt geht es um das Verhältnis dieser drei Fragen zueinander: (4) Kann Hegels philosophische Sprache als Teil seiner »Antwort« bzw. als Moment seines Umgangs mit den Fragen (1) bis (3) verstanden werden? Damit wird gefragt, ob aus der hier skizzierten Konstellation von Fragen Rückschlüsse auf die philosophischen Grundlagen von Hegels Umgang mit der Sprache gezogen werden können. Mit diesen vier Fragen setzen sich die vier Hauptabschnitte des folgenden ersten Teils auseinander. Sie bilden damit auch den Hintergrund für die folgenden Teile, die sich mit dem Haupttext der Phänomenologie befassen. Insgesamt leitend ist dabei die Frage, welche Rolle Sprache als äußerliches Dasein für die Artikulation des Geistes spielt.

1. Darstellung und Wahrheit Wir beginnen mit einer allgemeinen Übersicht, die sowohl in den weiteren Abschnitten dieses ersten Teils der Arbeit (in Bezug auf Vorrede und Einleitung der Phänomenologie) und im Anschluss auch in den Teilen 3 bis 5 (in Bezug auf den Haupttext der Phänomenologie) ausdifferenziert wird. Die Frage ist zunächst: Was ist »Darstellung« für Hegel? Daran schließt sich die Frage an, wie sich Darstellung zu dem verhält, was durch sie dargestellt werden soll. Davon ausgehend können wir umreißen, wie sich der Themenkomplex »Darstellung« zum Themenkomplex »Sprache« verhält.

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DARSTELLUNG UND WAHRHEIT

1.1 Was ist Darstellung? Der Darstellungsbegriff steht auf eine doppelte Weise im Zentrum der Phänomenologie: Einerseits als Darstellung der philosophischen Wahrheit und andererseits als Darstellung des erscheinenden Wissens.1 Dabei beschreibt das zweite Moment – die kritische Darstellung des erscheinenden Wissens – das genuin phänomenologische Programm einer Darstellung der Wahrheit durch eine Darstellung des erscheinenden Wissens. Durch dieses Darstellungsprogramm werden falsche Vorstellungen, die das Bewusstsein sich über die Gegenstände seines Erkennens macht, sukzessive verworfen. Damit findet jedoch eine indirekte Annäherung an die Wahrheit statt, denn obwohl sich das Erkennen auf jeder Stufe der phänomenologischen Untersuchung als durch bestimmte (nicht reflektierte) Voraussetzungen limitiert zeigt, erweist es sich dabei zugleich als real. Jeder festgestellte strukturelle Irrtum des Bewusstseins ist zugleich eine Erkenntnis: Wenn wir feststellen, dass wir (punktuell) geirrt haben, oder dass wir unter bestimmten Voraussetzungen sogar strukturell, also systematisch irren, heißt das, dass wir zumindest über diesen Irrtum (oder diese systematische Irrtumsstruktur) nun etwas Wahres herausgefunden haben. Das meint Hegel, wenn er sagt, dass die Furcht vor dem Irrtum eher als Furcht vor der Wahrheit zu bezeichnen wäre.2 Jeder aufgeklärte Irrtum ist also eine bestimmte Erkenntnis und diese »Realität des Erkennens«3 wird am Ende der Phänomenologie (im Kapitel zum absoluten Wissen) selbst zum Gegenstand des (absoluten) Wissens. »Die philosophische Wahrheit« ist dabei etwas, das eigentlich erst im Verlauf der Darstellung als solches in den Blick gerät (und daher in der Vorrede nur antizipiert wird). Sie hängt mit der Systematik und der Selbsterkenntnis des phänomenologischen Darstellungs- und Erkenntnisprozesses zusammen. Bevor wir Hegels Strategie der Darstellung in der Phänomenologie im Detail nachvollziehen, ist ein Hinweis auf deren Verhältnis zur Wissenschaft der Logik notwendig. Auch die Logik ist eine Auseinandersetzung mit dem Problem der Darstellung der philosophischen Wahrheit und enthält einen spezifischen Lösungsansatz. In der Logik stellt sich das begreifende Denken der philosophischen Wissenschaft systematisch in dem ihm eigenen Medium des »Begriffs« dar. Die Logik ist eine Darstellung des reinen, sich selbst denkenden Denkens, also eine 1 Hier geht es zunächst um den Darstellungsbegriff, den Hegel in der Phänomenologie entwickelt. Eine Einordnung in den Kontext der Auseinandersetzungen mit den verschiedenen Funktionen des Darstellungsbegriffs um 1800 findet sich weiter unten im Exkurs über das historische Profil des Darstellungsbegriffs. 2 Vgl. PhG, 69 sowie Kreis, Cassirer und die Formen des Geistes, 254. 3 PhG, 75

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DER ZUSAMMENHANG VON DARSTELLUNG UND SPRACHE

Darstellung der Formen, in denen das Denken über sich selbst denken kann. Die Bestimmungen des Denkens werden in der Logik gemäß ihrer eigenen Dynamik entwickelt und entsprechend kann man die Logik als selbstbestimmende oder »eigentliche« Darstellung der philosophischen Wahrheit verstehen. Die Logik bewegt sich von Beginn an im Medium des absoluten Wissens und basiert damit in gewisser Hinsicht auf der Einsicht in die Realität des begrifflich strukturierten Erkennens, die in der Phänomenologie vorbereitet wird. Vereinfachend gesagt enthält die Logik eine interne Rechtfertigung der philosophischen Wissenschaft und ihrer Begriffe. Ihre Entwicklung ergibt sich aus den inhärenten Widersprüchen der Grundbegriffe des Denkens (bzw. der »Denkbestimmungen«, wie Hegel sagt), die dazu führen, dass scheinbar einfache begriffliche Bestimmungen in immer komplexere begriffliche Relationen und Netzwerke übergehen.4 Die Phänomenologie enthält dagegen eine Rechtfertigung der philosophischen Wissenschaft, die gegenüber dem Medium des reinen begrifflichen Denkens extern ist. Wie bereits bemerkt nähert die Phänomenologie sich der philosophischen Wahrheit auf indirekte Weise, indem sie bestehende Annahmen darüber, was Wahrheit ist, widerlegt. Dabei geht sie nicht rein begrifflich vor, sondern setzt in der Vorstellungswelt des Bewusstseins an und orientiert sich in ihrer Darstellung daran, in welchen Formen dem Bewusstsein Wissen erscheint. Auf diese Weise ist die Phänomenologie eine Einführung in das rein begriffliche Philosophieren. Wichtig ist dabei aber zu beachten, dass auch die Phänomenologie den Anspruch enthält, ihre eigene Wissenschaftlichkeit aus sich selbst he­raus zu rechtfertigen. Hegel zufolge sind beide Wissenschaftsformen – und damit beide Formen der Darstellung der philosophischen Wahrheit – notwendig. Die logische Darstellung ist notwendig, weil die philosophische Wissenschaft aus sich selbst heraus begründet werden können muss. Die phänomenologische Darstellung ist aber ihrerseits notwendig, weil dennoch ein vermittelter Zugang zu dieser Wissenschaft möglich sein muss. Gerade weil die Phänomenologie nicht mit reinen Begriffen operiert, ist die Ausei­ nandersetzung mit der Sprache für ihre Darstellung wesentlich; die Verbindung der Problemfelder Darstellung und Sprache ist also ein spezifisches Problem der Phänomenologie.5 Kehren wir damit zur Untersuchung des Darstellungsbegriffs in der Phänomenologie zurück. Der Prozess der prüfenden Darstellung des 4 Den Begriff der Denkbestimmung verwendet Hegel besonderes häufig (aber nicht ausschließlich) in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Logik (WL1, 19–34); vgl. dazu z.B. Pippin, Hegel’s Realm of Shadows, 8. 5 Eine detailliertere Auseinandersetzung mit dem notorisch schwierigen Verhältnis von Phänomenologie und Logik würde den Rahmen der

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DARSTELLUNG UND WAHRHEIT

erscheinenden Wissens beginnt an einem noch nicht autorisierten Standpunkt. Hegel unterstreicht, dass die Wissenschaft zu Beginn nur eine Erscheinung von Wissensansprüchen unter anderen ist. Das ist so, obwohl wir bereits über philosophische Begriffe wie Wahrheit, Erkenntnis und »das Absolute« reden – ohne allerdings diese Begriffe systematisch zu kontrollieren. Hegel weist daher darauf hin, dass deren (eigentlicher) »Begriff« erst noch »zu geben« ist, dass wir also erst im Laufe einer systematischen Untersuchung verstehen werden, was »das Absolute« und »die Wahrheit« sind: Statt mit dergleichen unnützen Vorstellungen und Redensarten von dem Erkennen als einem Werkzeuge, des Absoluten habhaft zu werden, oder als einem Medium, durch das hindurch wir die Wahrheit erblicken usf. [...], statt mit den Ausreden, welche das Unvermögen der Wissenschaft aus der Voraussetzung solcher Verhältnisse schöpft, um von der Mühe der Wissenschaft zugleich sich zu befreien und zugleich sich das Ansehen eines ernsthaften und eifrigen Bemühens zu geben, sowie statt mit Antworten auf alles dieses sich herumzuplacken, könnten sie als zufällige und willkürliche Vorstellungen geradezu verworfen und der damit verbundene Gebrauch von Worten wie dem Absoluten, dem Erkennen, auch dem Objektiven und Subjektiven und unzähligen anderen, deren Bedeutung als allgemein bekannt vorausgesetzt wird, sogar als Betrug angesehen werden. Denn das Vorgeben, teils dass ihre Bedeutung allgemein bekannt ist, teils auch dass man selbst ihren Begriff hat, scheint eher nur die Hauptsache ersparen zu sollen, nämlich diesen Begriff zu geben.6

vorliegenden Arbeit deutlich überschreiten; vgl. dazu z.B. die klassische Studie von Friedrich Fulda, Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik sowie aktueller: Forster, Hegel’s Idea (Teil 2), Theunissen, Hegels Phänomenologie als metaphilosophische Theorie und Comay und Ruda, The Dash. Einordnend schreibt Hegel in der Vorrede zur ersten Ausgabe der Logik über das Verhältnis beider Wissenschaften: »Das Bewusstsein ist der Geist als konkretes, und zwar in der Äußerlichkeit befangenes Wissen; aber die Fortbewegung dieses Gegenstandes beruht allein, wie die Entwicklung alles natürlichen und geistigen Lebens, auf der Natur der reinen Wesenheiten, die den Inhalt der Logik ausmachen. Das Bewusstsein, als der erscheinende Geist, welcher sich auf seinem Wege von seiner Unmittelbarkeit und äußerlichen Konkretion befreit, wird zum reinen Wissen, das sich jene reinen Wesenheiten selbst, wie sie an und für sich sind, zum Gegenstand gibt. Sie sind die reinen Gedanken, der sein Wesen denkende Geist. Ihre Selbstbewegung ist ihr geistiges Leben und ist das, wodurch sich die Wissenschaft konstituiert und dessen Darstellung sie ist.« (WL1, 17). 6 PhG, 70f.; meine Hervorhebungen, S.W.

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DER ZUSAMMENHANG VON DARSTELLUNG UND SPRACHE

Aus dieser Passage wird unmittelbar deutlich, wie eng verzahnt das Projekt der Darstellung der philosophischen Wahrheit mit der Untersuchung des Verhältnisses von Sprache und Denken und der Frage der philosophischen Sprache ist: Die Untersuchungsgegenstände der Philosophie werden zunächst nur durch Worte bezeichnet, die einem allgemeinen Gebrauch unterliegen, der sie immer schon mit bestimmten, irreführenden Vorstellungen belegt; den »Begriff« dieser Untersuchungsgegenstände »zu geben«, beinhaltet daher eine Auseinandersetzung mit dem bestehenden Sprachgebrauch und einen Abbau von in und durch diesen Sprachgebrauch bestehenden Vorstellungen. Zugleich sind aber diese bestehenden Vorstellungen auch gerade die Ansatzpunkte von Hegels Darstellung des erscheinenden Wissens, denn sie sind jeweils mit bestimmten Wissensansprüchen verbunden. In ihnen erscheint also Wissen. Die Darstellung des erscheinenden Wissens beginnt deshalb mit der Prüfung von bestimmten Vorstellungen darüber, wie es sich mit der Welt verhält. Bei der Darstellung des erscheinenden Wissens ist recht klar, was das Objekt der Darstellung ist: Dargestellt wird ein Wissensanspruch, oder auch eine bestehende Form des Geistes, also etwas von sich selbst aus von vornherein beschränktes (genaugenommen werden diese Wissensansprüche so dargestellt, dass sie sich selbst prüfen; Hegel stellt also die Binnenperspektive einer Bewusstseinsform dar, die ihrerseits darstellt, was sie über ihren spezifischen Gegenstand weiß). Genau diese Beschränkung(en) gibt es aber bei der Darstellung der philosophischen Wahrheit nicht. Hier geht es um die Darstellung von Größen, die im emphatischen Singular genannt werden und auf diese Weise zwar in dem pro­ blematischen Sprachgebrauch, den Hegel (in der oben zitierten Passage) kritisiert, vorkommen, sich aber hartnäckig gegen eine präzise Bestimmung zu sperren scheinen: das Absolute, die Substanz, der Geist. Diese Konzepte gewinnen nur durch die jeweils spezifisch limitierten Vorstellungen, die das Bewusstsein sich von ihnen macht, überhaupt ein Profil. Daher wählt Hegel in der Phänomenologie den Weg einer Darstellung des erscheinenden Wissens, um die philosophische Wahrheit darzustellen. Betrachten wir nun den Darstellungsbegriff etwas genauer. Im ersten Absatz der Vorrede der Phänomenologie wird der Darstellungsbegriff im Zusammenhang mit der »philosophischen Wahrheit« eingeführt. Das Darstellungsproblem ist also das erste Problem, mit dem Hegel die Leser:innen der Phänomenologie konfrontiert: Eine Erklärung, wie sie einer Schrift in einer Vorrede nach der Gewohnheit vorausgeschickt wird – über den Zweck, den der Verfasser sich in ihr vorgesetzt, sowie über die Veranlassungen und das Verhältnis, worin er sie zu anderen früheren oder gleichzeitigen Behandlungen desselben Gegenstandes zu stehen glaubt –, scheint bei einer 56 https://doi.org/10.5771/9783748917755

DARSTELLUNG UND WAHRHEIT

philosophischen Schrift nicht nur überflüssig, sondern um der Natur der Sache willen sogar unpassend und zweckwidrig zu sein. Denn wie und was von Philosophie in einer Vorrede zu sagen schicklich wäre – etwa eine historische Angabe der Tendenz und des Standpunkts, des allgemeinen Inhalts und der Resultate, eine Verbindung von hin und her sprechenden Behauptungen und Versicherungen über das Wahre –, kann nicht für die Art und Weise gelten, in der die philosophische Wahrheit darzustellen sei.7

Es geht hier also um »die Art und Weise«, in der »die philosophische Wahrheit darzustellen« ist. Meine Arbeit geht von der Grundidee aus, Hegels Aussage über die Art und Weise der Darstellung so zu verstehen, dass zur Reflexion der Darstellungsweise auch die Darstellungsweise des Textes und damit auch Hegels Überlegungen zur Sprache gehören (man könnte diese Interpretation auch als »inflationär« bezeichnen, insofern sie Hegel hier beim Wort nimmt und aus seiner Aussage über die Art und Weise der Darstellung der philosophischen Wahrheit weiter reichende Konsequenzen zieht, als diese Passage möglicherweise unmittelbar zu fordern scheint). Was »die philosophische Wahrheit« ist, ist an dieser Stelle noch nicht bestimmt und eine Erkenntnis darüber wird auch durch die Vorrede insgesamt nicht angestrebt, sondern – wie Hegel hier mit seiner Kritik der Vorreden betont – erst in der Durchführung der Phänomenologie. Die nach Abschluss des Buches geschriebene Vorrede liefert also eine Außenperspektive (eine »äußere Reflexion«8) auf die (zum Zeitpunkt der Verfassung der Vorrede gerade hinter Hegel liegende) Entwicklung der Phänomenologie, eine Antizipation des Verhältnisses zur Wissenschaft der Logik und eine Konzeption verschiedener philosophischer Fachtermini, die sich daraus ergibt. Hegel operiert hier mit einem Fachvokabular der philosophischen Tradition, dem er durch die Arbeit im Hauptteil der Phänomenologie eine spezifische Prägung verleiht. Die Bestimmungen, die er in der Vorrede anbietet, bleiben aber abstrakt; so enthält die Vorrede bekannte Slogans – wie »das Wahre ist das Ganze« oder die Anweisung, dass »das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken« sei – die sich aber erst vor dem Hintergrund der Entwicklung des gesamten Buches verstehen lassen – wie die Aussage, dass das Wahre das Ganze sei, selbst bereits impliziert.9 7 PhG, 11 8 Vgl. WL1, 16, 50 9 Vgl. PhG, 22–24. Die (scheinbar) paradoxe Rolle der Vorrede ist oft kommentiert worden; vgl. u.a. Derridas Kommentar über das »Außerhalb« des Buches in Derrida, Dissemination, 9–68 sowie Smith, The Spirit and its Letter, 1–28.

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DER ZUSAMMENHANG VON DARSTELLUNG UND SPRACHE

Im Folgenden bietet Hegel eine positive Bestimmung der Philosophie an: Die Philosophie ist »wesentlich im Elemente der Allgemeinheit [...], die das Besondere in sich schließt«.10 Die Philosophie befasst sich mit allgemeinen Begriffen. Die besonderen Fälle, in denen diese Begriffe verwendet werden, sind dabei insofern relevant, als sie diesen allgemeinen Begriffen Struktur verleihen. Abgesehen davon wird das Projekt, die philosophische Wahrheit darzustellen, über drei Abgrenzungen bestimmt: (1) Die Philosophie ist kein Aggregat von Kenntnissen. (2) Die philosophische Wahrheit ergibt sich nicht durch Angaben über den Standpunkt einer Theoretikerin bzw. eines Theoretikers und ihres Verhältnisses zu anderen Theorien. (3) Die philosophische Wahrheit erschöpft sich nicht in einer Angabe der Zwecke einer Abhandlung.11 Ein Aggregat von Kenntnissen wäre (Hegel zufolge) z.B. die Anatomie. Sie benennt die Muskeln, Knochen und Nerven im Körper. Hegel verwendet dafür auch die Bezeichnung einer »historischen und begrifflosen Weise«, von Inhalten zu sprechen; er meint damit ein isoliertes Benennen von Fakten, ohne dass dabei die Beziehungen dieser einzelnen Kenntnisse in Betracht kämen.12 Das Aggregat wird im Folgenden (am Beispiel der Pflanze) mit der »flüssige[n] Natur« und der organischen Einheit kontrastiert. Anders als die Teile eines Aggregats sind die unterschiedlichen Momente eines Organismus notwendig aufeinander bezogen. Diesen Kontrast wendet Hegel auf die Beschreibung einer gewöhnlichen Sichtweise auf das Verhältnis verschiedener philosophischer Theorien zueinander an: Er kritisiert eine Sichtweise, die die verschiedenen Theorien nebeneinander aggregiert, wodurch ihre Unterschiede ausschließlich als unvermittelte Widersprüche erscheinen. Diese gewöhnliche Sichtweise »begreift die Verschiedenheit philosophischer Systeme nicht so sehr als die fortschreitende Entwicklung der Wahrheit, als sie in der Verschiedenheit nur den Widerspruch sieht«.13 Das Aggregat als metatheoretisches Modell ist Hegel zufolge unfähig, »die Wahrheit zu fassen«, da es einseitig die Unterschiede verschiedener Positionen herausstellt. So versteht auch das »auffassende Bewusstsein« die Unterschiede der philosophischen Theorien nur einseitig als Widersprüche, womit die Philosophie insgesamt als eine haltlose 10 PhG, 11 11 PhG, 11 12 Ebd. Diese Kritik bezieht sich auch auf im engeren Sinne historische Fakten, wie z.B. »wann Cäsar geboren worden, wie viele Toisen ein Stadium betrug, usf.«, die als »nette Antwort« auf isolierte Fragen gegeben werden können (PhG, 41). Genauso ist die Angabe über einen theoretischen Standpunkt für Hegel »historisch«. Er versteht darunter einen erzählenden oder aufzählenden Modus der Wissensvermittlung. 13 PhG, 12

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DARSTELLUNG UND WAHRHEIT

Aktivität erscheint. Das Organismus-Modell soll genau dieses Pro­blem lösen und die unterschiedlichen Theorien als notwendig aufeinander bezogene Schritte der Entwicklung der philosophischen Wahrheit begreifen.14 Wenn das Verhältnis zu anderen Theorien eine bloß äußerliche Angabe ist, könnte man vermuten, dass eine philosophische Theorie durch ihren inneren »Zweck« erfasst werden könnte, also durch die Angabe darüber, was eine bestimmte Theorie für sich genommen erreichen will. Diesen Ansatz lehnt Hegel allerdings ebenfalls ab, denn die Angabe eines Zwecks bezeichnet nur einen abstrakten Anfang, wird aber nicht der Sache gerecht, auf die dieser Zweck eigentlich abzielt. Dem Zweck fehlt die Ausführung: »Denn die Sache ist nicht in ihrem Zwecke erschöpft, sondern in ihrer Ausführung, noch ist das Resultat das wirkliche Ganze, sondern es zusammen mit seinem Werden«.15 Wichtig ist, dass Hegel neben dem Zweck auch das Resultat als Abstraktum disqualifiziert. Die Sache erschließt sich als Ganzes nur aus dem Resultat und seinem Werden. Diese Überlegung bringt Hegel nun auf den Darstellungsbegriff zurück. Er schließt die erste Argumentationssequenz der Vorrede mit folgender (durch einen Gedankenstrich abgesetzten) Bemerkung: »Das leichteste ist, was Gehalt und Gediegenheit hat, zu beurteilen, schwerer, es zu fassen, das schwerste [sic], was beides vereinigt, seine Darstellung hervorzubringen.«16 Darstellung enthält und »vereinigt« also die beiden zuerst genannten Momente: eine analytische Beurteilung einer Sache und das synthetisch-rezeptive Fassen dieser Sache. Insofern sie analytische Momente enthält – nämlich verschiedene Urteile darüber, was auf eine Sache zutrifft – zerlegt die Darstellung die Sache in Momente. Eine Darstellung fasst eine Einheit prinzipiell nicht als unmittelbar bestehenden, homogenen Block, sondern als intern differenziert bzw. artikuliert. Das bedeutet zunächst aber zwangsläufig eine Auflösung der (Einheit der) Sache in Unterschiede (Salz ist z.B. weiß, kubisch geformt, so und so schwer usw.). Das Fassen einer Sache kann man als Zusammenfassen verstehen. Die Sache wird so nicht nur durch Urteile zerlegt, sondern in ihrer spezifischen, artikulierten Einheit begriffen (dasjenige, was weiß, kubisch usw. ist, ist Salz). Während das (Auf-)Fassen einer Sache rezeptiv ist, ist ihre Darstellung ein produktives Verfahren: Die Darstellung muss hervorgebracht werden. Das Verfahren der 14 Wie Rabea Kleymann argumentiert, lässt sich eine grundsätzlich andere Auffassung des Aggregats in Goethes späteren Schriften nachweisen und sowohl poetologisch als auch epistemologisch produktiv machen; vgl. Kleymann, Formlose Form. In diesem Punkt bietet sich also Raum für weitere Untersuchungen der Darstellungsform. 15 PhG, 13 16 PhG, 13

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DER ZUSAMMENHANG VON DARSTELLUNG UND SPRACHE

Darstellung ist also analytisch, synthetisch und produktiv bzw. konstituierend.17 Das Moment des Hervorbringens kann unterschiedlich stark verstanden werden. Es kann entweder als Offenlegen (also als Hervorheben oder Explizieren einer bereits bestehenden, aber nicht bemerkten Struktur) oder als Produktion verstanden werden. Als Beispiel für das Offenlegen einer bestehenden Struktur könnte man z.B. den Smiley betrachten: Mit einem Doppelpunkt und dem Zeichen für eine sich schließende Klammer wird ein lachendes Gesicht dargestellt, indem man seine rudimentären Strukturen hervorhebt [:)].18 Schwieriger wäre es z.B., den Charakter einer bestimmten Person durch ein Porträt hervorzubringen und darzustellen – oder den Zusammenhang bestimmter Naturphänomene durch eine naturwissenschaftliche Theorie. Eine Darstellung, die das, was sie darstellt, produziert, wäre dagegen z.B. die eines fiktiven Wesens – wie etwa des Aliens in den Alien Filmen. Dieses Alien gibt es offensichtlich nur, weil es in genau dieser Weise dargestellt wurde. Es existiert nicht außerhalb seiner Darstellungen. Auch komplexe Entitäten wie etwa »Kunst« oder »Recht« existieren nur, insofern sie sich in realen Kunstwerken, in realen Akten 17 Das Salz-Beispiel stammt aus dem Wahrnehmungskapitel der Phänomenologie, in dem Hegel sich mit dem Problem befasst, dass das »Ding« zugleich eine Einheit und eine Vielheit ist (vgl. PhG, 95). Auch in einer späteren Passage (aus dem Geistkapitel) wird das analysierende Urteilen vom synthetischen »Fassen« abgegrenzt: »Indem es das Substantielle nach der Seite der Uneinigkeit und des Widerstreits, den es in sich einigt, aber nicht nach der Seite dieser Einigkeit kennt, versteht es das Substantielle sehr gut zu beurteilen, aber hat die Fähigkeit verloren, es zu fassen.« (PhG, 390). Dagegen ist die »reine Einsicht« der »sich im Selbstbewusstsein zusammenfassende geistige Prozess« (PhG, 393). Im »Erfassen« hebt sich »das Anderssein« eines vorgestellten Gegenstandes auf (PhG, 183). Auffassen wird dabei durchgängig als rezeptives Moment beschrieben: Das Auffassen ist »formell treu« (PhG, 399) oder auch »ruhig« (PhG, 400) und »passiv« (PhG, 487; vgl. auch 79, 82, 96–98 sowie 101 zu Auffassen und Darstellen und 261 zum Fassen und Aussprechen eines Resultats). Dagegen setzt Hegel die produktive Tätigkeit des (sich) Darstellens explizit von einem passiven, rezeptiven Fassen des Gegebenen ab: »Indem aber die Individualität als handelnd sich lebendig darstellen oder als denkend die lebendige Welt als ein System des Gedankens fassen sollte, [...]« (PhG, 158). Diese Passage fällt in den Abschnitt zum Stoizismus und in diesem Kontext ist »denken« durchaus mit Passivität konnotiert. Zum Zusammenhang von Beurteilen, Fassen und Darstellen vgl. auch Theunissen, Sein und Schein, 14. 18 Diese Zeichen- bzw. Tastenkombination wird mittlerweile in der Regel automatisch durch Textverarbeitungsprogramme in  umgewandelt.

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DARSTELLUNG UND WAHRHEIT

der Rechtsprechung und in bestimmten Institutionen und Dokumenten (Museen, Gerichte, Gesetzestexte, Theorien über Kunst u. Recht) darstellen. Auch in den Fällen einer Darstellung von etwas Bestehendem (Smiley, Porträt und Theorie) gibt es zwar bereits unbestreitbar etwas, das der Darstellung vorausgeht. Die Darstellung davon, was das genau ist – worin also (wie Hegel sagt) die »Gediegenheit« und der »Gehalt« dessen besteht, was wir als so und so beschaffen auffassen – beinhaltet aber immer noch eine aktive Leistung. Man kann daher sagen, dass das produktive Moment auch da beteiligt ist, wo etwas bereits bestehendes dargestellt werden soll: Die Struktur von etwas Bestehendem offenzulegen heißt, dass die Darstellung einen bestimmten Zugang zu diesem bestimmten Bestehenden finden und vermitteln muss – und dieser Zugang ist produziert. Die Darstellung eines Gegenstandes verfolgt also aktiv, wie sich dieser Gegenstand von sich aus darstellt. Allerdings greift die auf die Sache gerichtete Darstellungsaktivität damit nicht nur eine – auf der Seite der Sache bestehende – Dynamik auf, sondern sie greift auch, indem sie einen spezifischen Zugang entwickelt, in die Dynamik der Entwicklung der Sache und ihrer Bestimmungen ein.19 Hegels Ausführungen über den Darstellungsbegriff stehen in Verbindung mit seiner Bestimmung der Philosophie als Wissenschaft, die mit allgemeinen Begriffen operiert, die das Besondere in sich schließen: Durch die besonderen Bestimmungen entsteht erst die Bestimmtheit der Begriffe. Die Entwicklung dieser besonderen Bestimmungen, ihrer spezifischen Dynamik, ihrer Konflikte und ihres Zusammenhangs gehört zur Darstellung. Bemerkenswert ist, dass Hegel in der »Philosophische[n] Enzyklopädie für die Oberklasse (1808ff.)« sogar den Erkenntnisbegriff als Darstellung definiert. Dabei spielt auch das Moment des Fassens wieder eine Rolle. Erkenntnis als Darstellung ist das Zusammenfassen (»Befassen«) verschiedener Bestimmungen in der Einheit eines Begriffs: Die Erkenntnis ist die Darstellung eines Gegenstandes nach seinen daseienden Bestimmungen, wie dieselben in der Einheit seines Begriffs befasst sind und sich daraus ergeben oder insofern umgekehrt die eigene Wirksamkeit des Begriffs sich seine Bestimmungen gibt. Diese Bestimmungen, als im Begriff enthalten gesetzt, sind das Erkennen oder die im Elemente des Denkens sich realisierende Idee.20 19 Vgl. zu diesem Thema auch die unabhängig von Hegel entwickelten Überlegungen zum Darstellungsbegriff bei Eva Schürmann, Vorstellen und Darstellen, 15–17. 20 TWA4, 32 (§ 94); die Hervorhebungen stammen von mir, S.W. Dem entspricht auch Hegels Formulierung des Schlusses als Darstellung in § 65:

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Hier sieht man deutlich, dass Hegel davon ausgeht, dass Gegenstände von sich aus bestimmt sind und die Darstellung diese »daseienden« Bestimmungen aufgreift. In diesem Sinne bezeichnet das Hervorbringen einer Darstellung das Offenlegen einer bestehenden Gegenstandsstruktur. Zugleich gilt aber das entgegengesetzte, »umgekehrt[e]« Moment: Dass die daseienden Bestimmungen eines Gegenstandes in der Einheit seines Begriffs zusammengefasst werden, kann Hegel zufolge auch so verstanden werden, dass der Begriff »sich seine Bestimmungen gibt« und damit eine »eigene Wirksamkeit« entfaltet. Auf diese Weise wird also weitere Struktur produziert. Die Relevanz der Darstellung zeigt sich auch in dem unmittelbar folgenden Paragraphen über die »Absolute Idee oder das Wissen«: Das absolute Wissen hat 1. nichts Äußerliches, auf irgendeine Weise Gegebenes zu seinem Gegenstande, sondern nur sich selbst. Es ist der als Begriff existierende Begriff. 2. Der Begriff konstruiert sich aus sich selbst, indem er als Werden ist und den in ihm enthaltenen Gegensatz in der Form verschiedener für sich bestehender realer oder Verstandesbestimmungen darstellt. 3. Indem die realen Bestimmungen zunächst in ihrer Reflexion zu Verstandesbestimmungen werden, stellt ihre Dialektik sie nicht nur als sich wesentlich aufeinander beziehend, sondern auch in ihre Einheit übergehend dar. Aus dieser ihrer negativen Bewegung resultiert ihre positive Einheit, welche den Begriff in seiner realen Totalität ausmacht.21

Anders als die Gegenstände, »konstruiert« der Begriff sich »aus sich selbst«, indem er »den in ihm enthaltenen Gegensatz« darstellt. Zwar wird der Begriff als Subjekt der Darstellung verstanden, also als das produktive Moment, das die Darstellung (von sich selbst) aktiv hervorbringt. Allerdings ist auch hier eine bestehende Struktur notwendig, damit es zu dieser Darstellung kommen kann: der Begriff enthält einen inneren Gegensatz und nur durch diesen Gegensatz kann es überhaupt zu einer Darstellung kommen (die ja, wie wir gesehen haben, immer ein analytisches, auftrennendes Moment hat). Das absolute Wissen ist Hegel zufolge »der als Begriff existierende Begriff«. Dieser Begriff ist aber »als Werden« und enthält daher einen für seine Identität konstitutiven Gegensatz und über diesen Gegensatz »konstruiert« sich der Begriff. Diesen Prozess bezeichnet Hegel »Der Schluss ist die Darstellung des Begriffs in seinen Momenten. Einzelheit, Besonderheit und Allgemeinheit sind darinnen sowohl als Momente unterschieden, als auch die Extreme durch die Mitte, die ihre Einheit ist, zusammengeschlossen.« (TWA4, 24). 21 TWA4, 32f. (§ 95); die Hervorhebungen stammen von mir, S.W. Das Fassen kann man hier auch als Moment des Wortes darstellen sehen, insofern die Konstruktion »stellt [...] dar« das Dargestellte syntaktisch einfasst oder rahmt.

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als Darstellung. Wie sich hier außerdem zeigt, steht der Begriff der Darstellung nicht nur in engem Zusammenhang mit Hegels Konzeption der begrifflichen Erkenntnis, sondern auch mit dem Begriff der Dialektik. Dialektik kann als Methode verstanden werden, die verschiedene entgegengesetzte Bestimmungen eines Begriffs als »sich wesentlich aufeinander beziehend« und »in ihre Einheit übergehend« darstellt. Dialektik ist also eine Darstellungsmethode. Genau genommen ist die Dialektik allerdings etwas, das den einzelnen Bestimmungen selbst zukommt. Wenn Hegel von »ihrer« Dialektik spricht, meint er, dass die diskreten einzelnen Bestimmungen von sich aus aufeinander bezogen sind und deshalb auch von sich aus eine Darstellungsdynamik generieren, die sich systematisch entwickeln lässt. Methode ist die Dialektik daher nur, insofern sie die Dynamik der Bestimmungen erfasst und darstellt, die den Bestimmungen bereits von sich aus zukommt. Diese paradox anmutende Konstruktion entspricht gerade Hegels Verständnis davon, was die philosophische Methode ist: Die philosophische Methode ist nicht von dem Inhalt getrennt, den sie methodisch beschreibt (auf diesen Punkt werden wir im Folgenden zurückkommen).22 In diesem Wechselverhältnis des Setzens und Aufnehmens von Bestimmungen ist jeweils insbesondere der Umschlagpunkt – das Übergehen – von Einheit und Differenz relevant, in dem sich Gegensätzliches als Werden einer Einheit zeigt. Darauf deuten die qualifizierenden Partizipien in der zitierten Passage hin: Der Begriff ist Differenz, in Einheit übergehend. Das absolute Wissen ist also eine Selbstdarstellung des Begriffs als Umschlagen oder Kippen von Differenz in Einheit – und wie v.a. das erste Zitat aus der »Enzyklopädie für die Oberklasse« zeigt, auch das Umschlagen von Einheit in Differenzen, die als Bestimmungen für diese Einheit notwendig sind. Folglich ist auch die wesentliche Rolle der Philosoph:innen in der Phänomenologie das Nachvollziehen der »Umkehrung des Bewusstseins«.23 Schließlich ist der Umschlagpunkt auch 22 Dies entspricht auch dem Punkt, den Hegel bezüglich der Methode in der Einleitung der Phänomenologie markiert: Die Methode muss ihrerseits nichts mitbringen, da das Bewusstsein alle Maßstäbe zu seiner Prüfung schon selbst zur Verfügung hat. Für die philosophischen Wissenschaftler:innen bleibt daher nur das Zusehen bei der Selbstprüfung des Bewusstseins und das Nachvollziehen der Umkehrungen, die sich dabei in den Wissens- und Gegenstandskonzepten des Bewusstseins einstellen (vgl. PhG, 75–79). 23 PhG, 79. Auch Hegels Bild des »bacchantische[n] Taumel[s]«, der zugleich Ruhe ist (PhG, 46), lässt sich auf diese Weise verstehen. Die Dynamik der Dialektik hat Heidegger sehr prägnant als Durchgang durch einen Zwischenraum beschrieben. Dialektik ist das Auseinandersetzen (diairesis) und wieder Versammeln (synopsis) von Bestimmungen der Substanz:

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ein Ziel der Darstellung: Die Dialektik der Bestimmungen stellt diese Bestimmungen als »sich wesentlich aufeinander beziehend« und »in ihre Einheit übergehend dar«. Die Darstellung zielt damit auf das Moment der Bewegung. Wie aus dem Kontext der zitierten Passage aus der Vorrede der Phänomenologie zum Dreischritt von Beurteilen, Fassen und Darstellen auch klar wird, ist Darstellung für Hegel ein Verhältnis zur Sache, das diese weder nur als »Zweck« (also als Ankündigung), noch nur als fertiges Resultat, sondern als ein Ganzes, »zusammen mit seinem Werden« auffasst. Die Darstellung folgt damit der inneren Dynamik und der spezifischen Grenze einer Sache und »verweil[t]« bei ihr.24 Was bedeutet es, dass etwas »als Werden ist« und zusammen mit seinem Werden dargestellt wird? Dazu äußert sich Hegel in der Logik, in der zweiten Anmerkung zur ersten Begriffssequenz »Sein-Nichts-Werden«. Das Werden ergibt sich hier aus der Identität von Sein und Nichts, die aber die Auflösung dieser Dualität zur Folge hat. Diese Passage ist für uns umso interessanter, als sie zugleich aufzeigt, welche sprachlichen Strategien für Hegel mit der Darstellung solcher logischen Transformationsprozesse (hier der Transformation von Sein zu Nichts zu Werden) einhergehen:

»Zwischen (dia) dem einen und dem anderen ist das Sprechen dieser Ansprüche, ist ein legein. In diesem Gespräch spricht das Bewusstsein sich seine Wahrheit zu. Aber das Gespräch bleibt nicht in einer Gestalt des Bewusstseins stehen. Es geht als das Gespräch, das es ist, durch den ganzen Bereich der Gestalten des Bewusstseins hindurch (dia). In diesem Hindurchgehen versammelt es sich in die Wahrheit seines Wesens. Das durchgängige Sammeln dialegein ist ein Sichversammeln (dialegesthai).« Heidegger, »Hegels Begriff der Erfahrung«, 183f. Das »Versammeln« ist eine Übersetzung von logos (ebd., 176). Auch das Denken ist eine Übergangsbewegung – »dass wir darauf achten, inwiefern jeweils die Bedeutung sich wandelt und wie sie jeweils geschichtlich festliegt« (ebd., 175). Dialektik ist die Grundstruktur der Erfahrung (vgl. PhG, 78) und diese zeigt Heidegger als wesentlich mit dem Moment der Darstellung verknüpft (Heidegger, 186). 24 PhG, 13. Analyse, Konkretion und das Verweilen beim Gegenstand sind auch Thema nach der wichtigen Passage über die Unkenntnis des Bekannten (PhG, 35). Hegel benennt hier den Verstand als das wesentliche analytische Vermögen – die absolute, ungeheure Macht des Negativen. Bemerkenswert ist, dass diese Macht sofort im Anschluss mit dem Tod identifiziert wird – gerade bei der Trennung ist nämlich zu verweilen und gerade das Tote muss festgehalten werden. Das Leben des Geistes ist gerade das, was den Tod in sich trägt und beim Negativen verweilt (vgl. PhG 35f.).

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Insofern nun der Satz ›Sein und Nichts ist dasselbe‹ die Identität dieser Bestimmungen ausspricht, aber in der Tat ebenso sie beide als unterschieden enthält, widerspricht er sich in sich selbst und löst sich auf. Halten wir dies näher fest, so ist also hier ein Satz gesetzt, der, näher betrachtet, die Bewegung hat, durch sich selbst zu verschwinden. Damit aber geschieht an ihm selbst das, was seinen eigentlichen Inhalt ausmachen soll, nämlich das Werden. [Diese Hervorhebung stammt von mir; Hegel hebt in diesem Satz nur das Wort »Werden« hervor, S.W.] Der Satz enthält somit das Resultat, er ist dieses an sich selbst. Der Umstand aber, auf den hier aufmerksam zu machen ist, ist der Mangel, dass das Resultat nicht selbst im Satze ausgedrückt ist; es ist eine äußere Reflexion, welche es in ihm erkennt. – Es muss hierüber sogleich im Anfange diese allgemeine Bemerkung gemacht werden, dass der Satz, in Form eines Urteils, nicht geschickt ist, spekulative Wahrheiten auszudrücken[.]25

In dem hier thematisierten Satz »Sein und Nichts ist dasselbe« ist das Werden (das in der Logik aus der Identität von Sein und Nichts folgt) noch nicht explizit genannt, sondern es unterläuft dem Satz selbst. Das Werden bildet also einen Hintergrund, der in dem Satz »Sein und Nichts ist dasselbe« nicht expliziert, gleichwohl aber als Hintergrund präsent (und deshalb explizierbar) ist. Obwohl er dies nicht durch die propositionale (Urteils-)Form, sondern Hegels eigener Interpretation zufolge nur durch eine performative Wendung ausdrücken kann, zeigt sich an dem Satz »Sein und Nichts ist dasselbe«, dass seine Gegenstände – Sein und Nichts – sich im Werden befinden. Dies ist hier buchstäblich der Fall, weil in der Anfangssequenz der Logik die Kategorie »Werden« inhaltlich zum Untersuchungsgegenstand gemacht wird. Ein solches Werden des Gegenstandes kann aber natürlich auch an anderen Inhalten performativ inszeniert werden. So inszeniert Hegel in der Phänomenologie anhand der Sequenz »das Jetzt [...], dieses Jetzt. Jetzt« im Kapitel über die sinnliche Gewissheit das Werden des Untersuchungsgegenstandes »dieses Jetzt«. Das »Jetzt« soll eigentlich etwas Gegenwärtiges »sein«, zeigt sich aber als etwas, das immer schon gewesen ist 25 WL1, 93. Diese Anmerkung beschäftigt sich insgesamt mit Fragen des philosophischen Ausdrucks und des spekulativen Satzes. Hegel fährt fort: »[D]ie Bekanntschaft mit diesem Umstande wäre geeignet, viele Missverständnisse spekulativer Wahrheiten zu beseitigen. Das Urteil ist eine identische Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat; es wird dabei davon abstrahiert, dass das Subjekt noch mehrere Bestimmtheiten hat als die des Prädikats, sowie davon, dass das Prädikat weiter ist als das Subjekt. Ist nun aber der Inhalt spekulativ, so ist auch das Nichtidentische des Subjekts und Prädikats wesentliches Moment, aber dies ist im Urteile nicht ausgedrückt.«

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– was aber zunächst (wie in dem Satz »Sein und Nichts ist dasselbe«) nur performativ als Hintergrund (mit-)ausgedrückt wird. An dieser Stelle liefert Hegel auch eine Erklärung dieser Bewegung nach; zudem verlängern sich die Sätze durch die Semikolons in eine Progression, die die der »Jetzt« spiegelt: Es wird das Jetzt gezeigt, dieses Jetzt. Jetzt; es hat schon aufgehört zu sein, indem es gezeigt wird; das Jetzt, das ist, ist ein anderes als das gezeigte, und wir sehen, dass das Jetzt eben dieses ist, indem es ist, schon nicht mehr zu sein. Das Jetzt, wie es uns gezeigt wird, ist es ein gewesenes, und dies ist seine Wahrheit; es hat nicht die Wahrheit des Seins. Es ist also doch dies wahr, dass es gewesen ist. Aber was gewesen ist, ist in der Tat kein Wesen; es ist nicht, und um das Sein war es zu tun.26

Darstellung präsentiert also bestehende Gegenstände gemeinsam mit ihrem Werden. Sie drückt eine innere Prozesshaftigkeit der Gegenstände aus. Das Bestehen der Gegenstände zeigt sich darin komplexer, als man (im zuletzt zitierten Fall: das Bewusstsein der sinnlichen Gewissheit) es sich zunächst vorstellt. Dieser Gedanke knüpft (wie oben bereits bemerkt) daran an, dass das Hervorbringen einer Darstellung häufig das Dargestellte erst konstituiert: Eine »Darstellung hervorbringen« kann sich auch auf Gegenstände beziehen, die gar nicht ohne Darstellungsaktivitäten existieren (z.B. Kunstwerke, aber auch Handwerkserzeugnisse, Theorien oder Handlungen), die also prinzipiell erst werden müssen. Damit ist es entscheidend, dass die philosophische Wahrheit überhaupt darzustellen und nicht etwa nur rezeptiv aufzufassen ist.27 Die Wahrheit ist Hegel zufolge keine unmittelbare, vorfindbare Identität, sondern eine »gewordene Gleichheit«.28 Konsequenterweise versteht Hegel die Darstellung der Philosophie als Wissenschaft auch als etwas noch Ausstehendes – nämlich das, was er sich mit der Phänomenologie »vorgesetzt« hat: Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein. Daran mitzuarbeiten, dass die Philosophie der Form der Wissenschaft näherkomme – dem Ziele, ihren Namen der Liebe zum Wissen ablegen zu können und wirkliches Wissen zu sein ist es, was ich mir vorgesetzt [meine Hervorhebung, S.W.]. Die innere Notwendigkeit, dass das Wissen Wissenschaft sei, liegt in seiner Natur, und die befriedigende Erklärung hierüber ist allein die Darstellung der Philosophie selbst.29 26 PhG, 88 27 Entsprechend soll auch die Substanz nicht nur als Subjekt aufgefasst werden, sondern aufgefasst und ausgedrückt (vgl. PhG, 22f.). 28 PhG, 40f. 29 PhG, 14. Im Übergang zur Wissenschaft impliziert Hegel also ein (näher zu bestimmendes) Ende der Philosophie.

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Hegel unterstreicht hier also, dass die Darstellung die Philosophie erst im eigentlichen Sinne konstituiert. Und diesen Umstand muss das wissenschaftliche System seinerseits berücksichtigen. Dass die wahre Gestalt der Existenz der Wahrheit das wissenschaftliche System ist bzw. dass »die wahre Gestalt der Wahrheit in diese Wissenschaftlichkeit gesetzt wird«, heißt, dass für Hegel die Wahrheit »an dem Begriffe allein das Element ihrer Existenz« hat.30 Wie man hier sieht, versteht Hegel die Wahrheit als etwas Existierendes. Die Existenzweise der Wahrheit ist das wissenschaftliche System. Indem Hegel hier unterstreicht, dass das Wissen infolge einer inneren Notwendigkeit, die seiner »Natur« entspricht, von sich aus fordert, wirkliches – man könnte auch sagen wahres – Wissen zu sein und als wissenschaftliches System zu existieren, kommt hier ein ontologischer Wahrheitsbegriff zur Geltung. Als »wahr« im ontologischen Sinne bezeichnen wir Gegenstände (im weiteren Sinne), die einen mit ihnen verbundenen Maßstab in emphatischer Weise erfüllen. Wahr wäre in diesem Sinne z.B. der »wahre Freund«, das »wahre Kunstwerk«, das »wahre Abenteuer« oder eben das wahre, wirkliche Wissen, von dem Hegel hier spricht. Davon unterscheidet sich das semantische (oder propositionale) Verständnis von Wahrheit als einer Eigenschaft von Aussagen (wie z.B. »Köln liegt westlich von Berlin«, »Angela Merkel war mehr als zehn Jahre Bundeskanzlerin« usw.). Diese semantische Seite betrifft unser Wissen von Gegenständen.31 Es zeichnet Hegels Konzeption der Wahrheit aus, dass die semantische und die ontologische Seite im Moment der (begrifflichen) Erkenntnis der Erkenntnis 30 PhG, 14f. Diese Konzeption entspricht der oben aus der »Philosophische[n] Enzyklopädie für die Oberklasse« zitierten Bestimmung des absoluten Wissens als »der als Begriff existierende Begriff« (TWA4, 33). Damit wiederholt Hegel hier auch den Verweis auf das Allgemeine als Element der Philosophie. An dieser Stelle (PhG, 14) gibt Hegel noch einen Hinweis auf einen Zusammenhang, der erst im Schlusskapitel der Phänomenologie thematisiert wird (das zur Zeit der Abfassung dieser Passagen unmittelbar hinter Hegel liegt). Er beschreibt nämlich das Verhältnis von Zeit und Begriff: »Die innere Notwendigkeit, dass das Wissen Wissenschaft sei, liegt in seiner Natur, und die befriedigende Erklärung hierüber ist allein die Darstellung der Philosophie selbst. Die äußere Notwendigkeit aber, insofern sie, abgesehen von der Zufälligkeit der Person und der individuellen Veranlassungen, auf eine allgemeine Weise gefasst wird, ist dasselbe, was die innere [ist], in der Gestalt nämlich, wie die Zeit das Dasein ihrer Momente vorstellt. Dass die Erhebung der Philosophie zur Wissenschaft an der Zeit ist, dies aufzuzeigen würde daher die einzig wahre Rechtfertigung der Versuche sein, die diesen Zweck haben, weil sie dessen Notwendigkeit dartun, ja sie ihn zugleich ausführen würde.« 31 Zu dieser Unterscheidung vgl. Kreis, »Ästhetische Wahrheit«, 501.

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zusammenfallen. »Die Wahrheit« existiert in Form einer Erkenntnis darüber, was Erkenntnis ist. Die semantische Wahrheit über einen Gegenstand wäre in Hegels Vokabular »der Begriff«, den wir von diesem Gegenstand haben. Die ontologische Wahrheit wäre etwas, das bestimmten Gegenständen als Art und Weise ihrer Existenz zukommt. Hegel greift die korrespondenztheoretische Auffassung auf, dass Wahrheit dann vorliegt, wenn der Begriff dem Gegenstand und der Gegenstand dem Begriff entspricht.32 Dies ist aber nur für genau einen »Gegenstand« der Fall, nämlich für »den Begriff«, verstanden als wissenschaftliches Begriffs-System; deshalb sagt Hegel, dass die wahre Gestalt, in der die Wahrheit existiert, nur das wissenschaftliche System ist und dass genau dieses System dargestellt werden muss. Die Besonderheit von Hegels Wahrheitskonzeption ist also, dass die ontologische und die semantische Konzeption von Wahrheit zusammenfallen. Im Folgenden werden wir untersuchen, welche Konsequenzen sich aus dieser Wahrheitskonzeption für Hegels Konzept der Darstellung ergeben. 1.2 Der Zusammenhang von Wissen und Darstellung Zunächst können wir aber den Zusammenhang von Wissen und Darstellung für sich genommen in den Blick nehmen. Das Moment der Darstellung ist nicht nur in ontologischer Hinsicht, also in Bezug auf die Darstellung von Gegenständen relevant, sondern auch in Bezug auf unsere Wissensansprüche, also in semantischer Hinsicht. Wissen erscheint als solches nur in seiner Darstellung. Die Darstellung eines Wissensanspruchs dient also seiner Rechtfertigung (und damit der Klärung ihrer Wahrheit in semantischer Hinsicht). Ob wir etwas wirklich wissen, stellt sich heraus, wenn wir versuchen, unser Wissen anderen mitzuteilen, es also zu vermitteln und zur Darstellung zu bringen. In so einem Versuch kann sich zeigen, dass wir mehr wissen, als wir zu wissen dachten (ein solcher Fall wird in Kleists Text über die allmähliche Verfertigung des Gedankens beim Reden beschrieben); häufig stellt sich aber (wie an vielen Punkten der Dialoge Platons) das Gegenteil heraus: Wir meinen nur, etwas zu wissen – z.B. was Gerechtigkeit ist – scheitern aber daran, diesen Anspruch durch eine genaue Darstellung einzulösen. Hegel argumentiert, dass in solchen Fällen kein Wissen vorliegt (er akzeptiert also nicht die Ausrede, dass wir etwas zwar wissen, aber nicht darstellen können). Dabei ist sich Hegel der Schwierigkeit der Darstellung bewusst. Die Darstellung eines Gegenstandes selbst hervorzubringen und damit zu untermauern, dass wir wissen, was wir sagen, indem wir die Zusammenhänge des Gesagten entfalten, 32 Vgl. PhG, 74

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oder zu zeigen, dass wir einem Gegenstand, der uns vorschwebt, auch Konkretion verleihen können – dieses Selbst-Hervorbringen ist (wie wir gesehen haben) gerade das Schwerste.33 In der Darstellung erscheint also das Wissen. Die Darstellung ist eine Übersetzungsbewegung aus einer anfänglichen Gewissheit hinaus. Diese Bewegung setzt die anfängliche Gewissheit Anderem aus. Sie macht die Gewissheit damit angreifbar. Das hängt auch damit zusammen, dass Dimensionen des Wissensanspruchs zu Tage treten, die zunächst unberücksichtigt blieben. Thomas Sören Hoffmann spricht in diesem Zusammenhang von einer »darstellungsinduzierten Alteration«.34 Hegel argumentiert, dass diese »Alteration«, dieses Anders-Werden dessen, über das wir eine Gewissheit hatten, kein zufälliges Artefakt einer misslungenen Darstellung und auch kein Fehler des Darstellens insgesamt ist (der dann im Sinne einer wesentlichen Undarstellbarkeit oder Nicht-Repräsentierbarkeit des eigentlich Realen zu verstehen wäre). Vielmehr zeigt sich darin ein Mangel der anfänglichen Gewissheit und zwar ein Mangel, der solchen Anfangsgewissheiten in systematischer Weise zukommt. Die Anfangsgewissheit stellte sich ihren Gegenstand rein vor, also unter Abzug seiner Beziehungen auf anderes und ohne das wesentliche Moment des Werdens. Diese Vorstellung ist deshalb abstrakt; die Anfangsgewissheit ist (da sie die Beziehungen ihres Inhalts ignoriert) ein unbestimmter Gedanke.35 Wenn wir von der Reinheit unserer Anfangsgewissheit überzeugt sind und an 33 Vgl. die Ausführungen zu PhG, 13 im vorangegangenen Abschnitt sowie TWA11, 249. Hegel betont, dass uns in den Fällen, in denen wir meinen, nur nicht die richtigen Worte zu finden, eigentlich der Begriff, d.h. die Sache selbst fehlt (PhG, 248). Dazu schreibt Hoffmann: »Wer ein Wissen zu haben meint, das er nur leider, und sei es aus Gründen der ›Undarstellbarkeit‹ des Objekts, nicht zu artikulieren vermag, ›hat‹ dieses Wissen nach Hegel in der Tat nicht – er wüsste sonst, was er ›darstellend‹ zu leisten hat.« Hoffmann, »Hegels phänomenologische Dialektik«, 36. Die Darstellungsnotwendigkeit gilt damit auch für das Denken: »Prägnant würde Hegels These über die Darstellung [...] lauten können: Nur das sich darstellend vergegenständlichende, d.h. selbst erscheinende Denken hat überhaupt einen Gegenstand; nur das sich in die Bestimmtheit stellende Bewusstsein hat überhaupt, wie auch für sich, Realität.« (ebd., 39). Wie Hoffmann unterstreicht, knüpft Hegel mit diesem Ansatz an traditionelle Züge dialektischen Denkens an; schon die sokratische Aufforderung war, darzustellen, was ein angesprochener (vorgestellter) Gegenstand eigentlich ist (z.B. »Gerechtigkeit«). 34 Hoffmann, 38. Einen ähnlichen Gedanken hat auch Goethe schon mit der Bemerkung geäußert, dass wir im Sprechen notwendigerweise für einen Moment einseitig werden müssen; vgl. dazu Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 11. 35 Kant verwendet auch den Ausdruck »abgezogene Begriffe«, z.B. in Prol., 11. Vgl. auch Hegels kurzen Text »Wer denkt abstrakt?« (TWA2, 575).

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der Vorstellung einer solchen Reinheit festhalten, dann erscheint uns das Andere, das in unseren Darstellungsversuchen erscheint, als Verlust dieser reinen Gewissheit bzw. als Fehler. Tatsächlich deckt aber die Darstellungsbewegung (wie wir bereits an verschiedenen Stellen festgestellt haben) etwas Reales auf, nämlich die innere Unterschiedenheit dessen, was wir darstellen wollten. Wie Hoffmann feststellt, ist es »das Erscheinen der inneren Andersheit des nur scheinbar mit sich Identischen selbst, das ohne diese Andersheit gar nicht erschiene.«36 In der Darstellung erweisen sich also Dinge und Begriffe als wesentlich unrein und mit einer inneren Differenz durchzogen, die gerade ihre Realität ausmacht. Unsere Wissensansprüche und unsere Gedanken im Allgemeinen sind also nicht »darstellungslos«,37 sondern es gibt sie überhaupt nur als Resultate von Darstellungsprozessen, in denen sich zeigt, welche Differenzen einen Begriff oder einen Gegenstand begrenzen. Das darstellungslose, reine Sein oder der reine Gedanke ist dagegen nur eine Vorstellung. Damit wiederholt sich die Relevanz des spezifischen Werdens der Gegenstände auch für unser Wissen. Wenn wir unser Wissen, bzw. das, was wir dafür halten, nicht darstellen können, handelt es sich Hegel zufolge also nicht um (wirkliches) Wissen. Dieser Gedanke leitet auch Hegels Aussagen zur Sprache sowie seine Theorie der Handlung. Das ist nicht überraschend, denn wenn Wissen über seine Darstellung geprüft wird, ist diese Prüfung wesentlich an ein externes Medium gebunden und ebenso wie es für unsere Wissensansprüche ausschlaggebend ist, ob wir sie sprachlich darstellen können, ist es für unsere Sprache ausschlaggebend, ob sich in ihr auch wahres Wissen artikuliert – ob wir also wissen, was wir sagen. Sprache wird als das Medium eingeführt, in dem wir unsere Meinung (etwas zu wissen) unmittelbar widerlegen, insofern sich herausstellt, dass wir nicht in der Lage sind, zu sagen – d.h. zu artikulieren oder darzustellen – was wir zu wissen meinen. Wie unser (vermeintliches) Wissen, neigen wir auch dazu, uns selbst als etwas jenseits unserer Aussagen und Handlungen Substantielles zu fixieren. In der Tat sind wir aber nur durch unsere Aussagen und Handlungen überhaupt etwas Bestimmtes. Hegel rückt diese sprach- und handlungstheoretischen Überlegungen explizit in den Zusammenhang der Darstellungsproblematik.38 An dieser Stelle lässt sich also bereits antizipieren, wie sich der Gedanke der Darstellungsabhängigkeit auf Hegels Theorie des Sprechens und der Handlung erstreckt: Auch in diesen beiden Feldern ist es Hegels zentraler Gedanke, dass Sprech- bzw. Handlungsabsichten nicht die feststehenden Ausgangspunkte von (Sprech-)Handlungen bilden, sondern sich überhaupt erst in wiederholten Ausführungen 36 Hoffmann, »Hegels phänomenologische Dialektik«, 36. Vgl. ebd., 37: »Nur im Metabolismus des Darstellens spricht sich reales Erkennen aus«. 37 Hoffmann, 38. 38 Vgl. dazu PhG, 292f.

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verwirklichen, so dass erst die Resultate nachträglich »die Wahrheit« der Absichten zeigen, mit denen begonnen wurde.39 In den zeitlich ausgedehnten Darstellungsprojekten – unseren Handlungen, Beschreibungsversuchen eines Gedankens oder Gegenstandes, Verfassen eines Buches, Malen eines Bildes – konturieren und konstituieren sich Strukturen, die wir rückblickend als grundlegend für die Aktivitäten erkennen können. Diese Struktur der generellen Darstellungsabhängigkeit von Einheiten lässt sich wiederum selbst erst über eine lange Beobachtungs- und Darstellungszeit hinweg feststellen. Sie wird erst im letzten Kapitel der Phänomenologie, also auf dem Niveau des absoluten Wissens, im Rahmen von Hegels Überlegungen zu Zeit und Geschichte reflektiert. 1.3 Das Verhältnis von Darstellung und Dargestelltem und der Zusammenfall von ontologischer und semantischer Dimension der Wahrheit Wie unsere bisherige Untersuchung zeigt, hat das Nicht-Dargestellte, nur »Innere« bei Hegel keine eigene Integrität. Reale Bestimmtheit entsteht erst durch Externalisierung, also durch Darstellung. Dieser Prozess ersetzt eine anfangs vorgestellte feste (intensive) Größe. Was diese Größe sein soll, zeigt sich vielmehr erst in der Darstellung. Was Hegel über einzelne Wissensansprüche sagt, gilt also gleichermaßen für die im emphatischen Singular geführten Größen wie Substanz, Geist und Wahrheit: Auch sie sind nur das, was sich in der Darstellung objektiv manifestiert (Hegel fasst diesen Gedanken auch mit dem Begriff der Entäußerung). Dabei legt Hegel allerdings Wert darauf, dass sich in diesen Externalisierungsbewegungen durchaus intensive Größen realisieren, indem sie sich als systematische Zusammenhänge des Geäußerten zeigen (hierfür steht der komplementäre Begriff der Erinnerung). Diese Zusammenhänge werden ferner nicht von außen, sondern von innen, d.h. in Form einer Selbsterkenntnis begriffen, da sie Subjektivität enthalten.40 Das zeigt sich besonders deutlich an einer Stelle im Kapitel über das absolute Wissen, wo Hegel schreibt, dass es eine innere Notwendigkeit der Substanz ist, sich darzustellen und dass die Substanz aus diesem Grund Subjekt-Charakter hat: »die Substanz hat, als Subjekt, die erst innere Notwendigkeit an ihr, sich an ihr selbst als das darzustellen, 39 Zur Parallelität von Sprache und Handlung vgl. Schlösser, »Handlung, Sprache, Geist«. Zu Hegels Handlungstheorie im Allgemeinen vgl. Laitinen und Sandis, Hegel on Action. 40 Dieser Prozess lässt sich daher als »absoluter Prozess« bezeichnen; vgl. Hoffmann, Hegel: Eine Propädeutik, 249. Vgl. zu diesem Problem auch Bromand und Kreis, Gottesbeweise, 232.

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was sie an sich ist, als Geist.«41 Damit bringt Hegel zunächst zum Ausdruck, dass der Begriff der Substanz erklärungsbedürftig ist (im Einklang mit der Passage aus der Einleitung, dass »das Absolute, das Erkennen, usf.« Worte sind, deren Bedeutung wir erst entwickeln müssen). Wesentlicher ist es aber, dass dieser Erklärungsprozess sich nicht »außerhalb« der Substanz abspielt, so dass er deren Bestimmung nur finden muss, aber das Substanz-Sein der Substanz (was immer das auch ist) von diesen Bestimmungsversuchen unangetastet bleibt. Stattdessen unterstreicht Hegel, dass es eine innere Notwendigkeit der Substanz ist, sich selbst darzustellen. Der Bestimmungsprozess wird damit als zen­ trales Moment in den Begriff der Substanz eingeführt. Hegel zufolge hat also ein Begriff wie Substanz, der in emphatischer Weise eine bleibende Einheit markieren soll, gerade von sich aus die Tendenz, Unterscheidungen hervorzubringen und sich auf diese Weise zu entwickeln. Diese Entwicklung ist die Darstellung.42 Die Darstellung hat es also nicht mit einem fertigen Inhalt zu tun, sondern entwickelt diesen Inhalt. Im Sinne der weiter oben zitierten Passage über die Schwierigkeit der Darstellung geht es bei der Darstellung gerade nicht darum, etwas Fertiges richtig zu beurteilen, sondern darum, einen Gegenstand dynamisch zu entwickeln. Insofern hängt die Darstellung mit der Selbstbewegung der Sache zusammen, die Hegel zufolge die philosophische Wahrheit ausmacht. Wie wir bereits antizipiert haben, rückt der Darstellungsbegriff damit in die Nähe von Hegels Überlegungen zur Methode. An einer späteren Stelle der Vorrede schreibt Hegel: »Diese Natur der wissenschaftlichen Methode, teils von dem Inhalte ungetrennt zu sein, teils sich durch sich selbst ihren Rhythmus zu bestimmen, hat [...] in der spekulativen Philosophie ihre eigentliche Darstellung.«43 Die wissenschaftliche Methode ist Hegel zufolge nicht von den Inhalten getrennt, die durch diese Methode erkannt werden. Diese besondere Auffassung von »Methode« ist spezifisch für die spekulative Philosophie: Sie hat »in der spekulativen Philosophie ihre eigentliche Darstellung«. Die spekulative Philosophie realisiert also diese besondere Form der Methode, die nicht von ihrem Inhalt getrennt ist; insofern ihr das gelingt, ist sie deshalb mit der Methode identisch. Diese Realisierung ist Darstellung: Das Besondere an einer Wissenschaft des Geistes ist, dass die 41 PhG, 585 42 Wenn man als Interpret:in die Relevanz des Darstellungsbegriffs erklären möchte, findet man sich naheliegender Weise an das verwiesen, was dargestellt werden soll: Geist, Wahrheit, Substanz, Wissen. Das bedeutet aber nicht, dass diese Begriffe geeignet sind, den Begriff der Darstellung zu erklären; Hegel selbst will ja gerade diese emphatischen Begriffe über ihre Darstellung zugänglich machen und die Interpretation muss entsprechend explizieren, wie genau er das tut. 43 PhG, 55

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Instanz, die die Wissenschaft betreibt, mit dem, was sie untersucht, identisch ist. Das (untersuchte) Objekt der Wissenschaft ist hier also zugleich das (untersuchende) Subjekt und es kommt damit zu einem Zusammenfall von ontologischer und semantischer Dimension der Wahrheit.44 Das unterscheidet die philosophische Wissenschaft von allen anderen Wissenschaften. Da das untersuchte Objekt und das untersuchende Subjekt identisch sind, kann man von einem sich selbst untersuchenden SubjektObjekt sprechen. Dieser Gedanke motiviert Hegel, diese Wissenschaft als Selbstbewusstsein des Absoluten zu verstehen. Der Begriff des Absoluten ist hier deshalb gerechtfertigt, weil die Subjekt-Objekt-Relation eine Binnenrelation ist. Für die Darstellung bedeutet das, dass auch sie selbst-referentiell wird: Der Geist erkennt sich selbst, als sich selbst darstellend. Deshalb kann man auch von einer Selbsthervorbringung des Absoluten sprechen.45 Scheinbar nur beschreibende Aussagen über den Geist bringen also das, was sie beschreiben, selbst mit hervor (und zwar gerade durch die Beschreibung). Hegel denkt die Theorie des Absoluten als performativ an dessen Entwicklung beteiligt. Sie ist damit ein Moment eines plastisch sich verändernden Prozesses. Auch diese, für die spekulative Philosophie spezifische Dynamik des Verhältnisses eines Subjekt-Objekts, das sich durch seine eigene Darstellung erst konstituiert, muss aber irgendwie objektiviert (also objektiv) werden – ohne damit aber zu einem statischen Objekt herabgestuft zu werden. In diese Richtung sind Hegels Hinweise zu verstehen, dass das Absolute eine Selbstbewegung und dass die Methode die Entwicklung der Sache selbst ist. Es gibt in diesem Fall keine Position, von der aus man einen stabilen Untersuchungsgegenstand referentiell zugänglich machen könnte. Hegel versucht, dem gerecht zu werden, indem er aufzeigt, inwiefern die Kennzeichnungen der Sprache selbst nicht eindeutig und stabil sind, sondern vielmehr in Bewegung geraten, wenn man beginnt, alle ihre Implikationen auszubuchstabieren. Brady Bowman bezeichnet diesen Vorgang als »autonome Exemplifikation«.46 Weil darin etwas bisher noch nicht – zumindest nicht in dieser konsequenten Weise – Gedachtes und Ausformuliertes gezeigt werden soll, und weil Hegels Darstellung dieser Dynamik des Geistes als sich selbst erkennendes Sub44 Darauf hat bereits Martin Heidegger hingewiesen: »Die Wissenschaft ist das Subjekt des Systems, nicht ihr Objekt.« Heidegger, »Hegels Begriff der Erfahrung«, 199. 45 Vgl. Bowman, »›Werden der Wissenschaft‹. Gehalt und methodisches Ideal der Hegelschen Darstellungsform«, 276. 46 Bowman, 279 (im Hintergrund steht Nelson Goodmans Begriff der Exemplifikation). In einem derartigen Prozess müssen Kennzeichnungen immer mit Rücksicht auf den Bedeutungswandel erfolgen, wie Bowman mit Rückgriff auf Friedrich Fulda zeigt; vgl. ebd., 278 sowie Fulda, »Hegels Dialektik als Begriffsbewegung und Darstellungsweise«, 161.

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jekt-Objekt für sich beansprucht, durch Erkenntnisgewinn noch einen weiteren Schritt in der Realisierung des Geistes zu tun, gerät die kennzeichnende Sprache der rein objektiven Wissenschaften (eine Sprache im Sinne der HLC) an ihre Grenze. Bowmans Begriff der autonomen Exemplifikation geht hier in die gleiche Richtung, wie Catherine Malabous Überlegungen zur Plastizität des Absoluten und Charles Taylors Ausführungen zur Expression im Sinne der Sprachphilosophie der HHH: Der Geist konstituiert sich durch seine Artikulation, transformiert sich auf diese Weise und dieser Prozess muss in der Weise der sprachlichen Artikulation von Schriften über diese objektive Eigenschaft des Geistes (nämlich selbst-hervorbringend zu sein) berücksichtigt werden.47 Es handelt sich hier also nicht um eine willkürlich setzende Darstellung oder um einen subjektiven (Produktions-)Idealismus.48 Der Geist hat die objektive Eigenschaft, sich selbst zum Gegenstand zu machen und auf diese Weise Wissen von sich selbst zu erlangen. Das geschieht durch Darstellung. Die Darstellung stellt aber dabei nicht etwas von vornherein Gegebenes dar, sondern sie konstituiert den Geist erst – in dem Sinne, dass sie ihm reale Bestimmungen verleiht. Daher muss sie sowohl erstens die wesentliche Dynamik des Geistes berücksichtigen als auch zweitens ihre eigene Rolle dabei mit-darstellen.49 In der Fähigkeit zur Selbstdarstellung, der Fähigkeit also, durch Darstellung ein objektives Selbstverhältnis zur eigenen Subjektivität zu erlangen, liegt letztlich die Freiheit des Geistes.50 Diese Überlegungen ste47 Wie Malabou hat auch Bowman diesen Gedanken mit dem Begriff der Plastizität verbunden – und dabei auch die Darstellungsfunktion der Plastik hervorgehoben: »Die Plastik [...] stellt in sich selbst eine hervorgehobene Präsenz dar.« Bowman, »›Werden der Wissenschaft‹. Gehalt und methodisches Ideal der Hegelschen Darstellungsform«, 282. 48 Mit Manfred Frank lässt sich der Produktionsidealismus als Extremform des subjektiven Idealismus verstehen. Er bezeichnet »die Position, die da annimmt, die Wirklichkeit sei das Werk einer absoluten Setzung, eines ›thetischen Urteils‹«; Frank, Unendliche Annäherung, 101. Damit würde die Welt nicht nur als Bewusstseinsabhängig, sondern als »Produkt von Handlungen unseres (aktiv gedachten) Bewusstseins angesehen werden« (ebd., 133). 49 Vgl. folgende Passage aus Hegels Ästhetik (auf die auch Bowman hinweist): »Denn die klassische Schönheit hat zu ihrem Inneren die freie, selbständige Bedeutung, d. i. nicht eine Bedeutung von irgend etwas, sondern das sich selbst Bedeutende und damit auch sich selber Deutende. Dies ist das Geistige, welches überhaupt sich selbst zum Gegenstande seiner macht. An dieser Gegenständlichkeit seiner selbst hat es dann die Form der Äußerlichkeit, welche, als mit ihrem Inneren identisch, dadurch auch ihrerseits unmittelbar die Bedeutung ihrer selbst ist und, indem sie sich weiß, sich weist.« (TWA14, 13). 50 Vgl. WL1, 30: »Die Darstellung keines Gegenstandes wäre an und für sich fähig, so streng ganz immanent plastisch zu sein als die der Entwicklung

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hen hinter Hegels Ausführungen über die Wahrheit als Selbstbewegung. Die Wahrheit ist in letzter Hinsicht nicht eine richtige Kennzeichnung geistexterner Objekte, sondern die Selbsterkenntnis des Geistes über seine eigene Bewegung. Daher ist auch die Methode nicht etwas, das auf ein Objekt angewendet wird, sondern Selbstbewegung: Denn die Methode ist nichts anderes als der Bau des Ganzen, in seiner reinen Wesenheit aufgestellt. [...] Es ist aber nicht schwer einzusehen, dass die Manier, einen Satz aufzustellen, Gründe für ihn anzuführen und den entgegengesetzten durch Gründe ebenso zu widerlegen, nicht die Form ist, in der die Wahrheit auftreten kann. Die Wahrheit ist die Bewegung ihrer an ihr selbst.51

Die Relevanz der Darstellung hat also auch Konsequenzen für die Wahrheitskonzeption. Wahrheit ist nämlich nicht primär die Adäquatheit von Aussagen gegenüber der in ihnen ausgesagten, statischen Welt, sondern die Selbstbewegung der Begriffe im Prozess der Darstellung des Realen, also die Darstellungsbewegung. Ein weiteres Argument gegen den Verdacht eines subjektiven Idealismus liefert ein Blick darauf, wie die Selbstbewegung der Begriffe Hegel zufolge im Detail abläuft. Gegenüber der singulären Wahrheit, die Hegel im Selbstverhältnis des Geistes verortet, stehen bestimmte, lokale Wahrheiten. Diese sind Konzeptionen, die versuchen, bestimmte stabile Gegenstände oder Entitäten als Grundlage von Wahrheit zu etablieren. Die Wahrheit dieser bestimmten Formen des Bewusstseins zeigt sich aber jeweils als etwas, das über ihre Annahmen hinausgeht. Die Pointe der phänomenologischen Darstellung, also der Darstellung des erscheinenden Wissens ist, dass gerade auf diese Weise die erforderlichen Differenzierungen zustande kommen, die die unterscheidbaren Momente der Selbstbewegung des Geistes darstellen. Tatsächlich liegen die Differenzierungen nämlich schon in den verschiedenen Gegenstandskonzeptionen und Weltbildern (oder Weltverhältnissen) des Bewusstseins vor. Alles, was die Phänomenologie leistet, ist, diese beschränkten Weltverhältnisse systematisch des Denkens in seiner Notwendigkeit; keiner führte so sehr diese Forderung mit sich; seine Wissenschaft müsste darin auch die Mathematik übertreffen, denn kein Gegenstand hat in ihm selbst diese Freiheit und Unabhängigkeit.« Die Differenzierung der Substanz, durch die eine Selbstbezugnahme möglich wird, versteht Hegel auch als Befreiung der Substanz (vgl. WL2, 251 sowieKreis, Negative Dialektik des Unendlichen, 214f.). 51 PhG, 47 mit meinen Hervorhebungen, S.W.; vgl. Theunissen, Sein und Schein, 45. Zur Methode wurde hauptsächlich in Bezug auf das Schlusskapitel der Logik geschrieben. Eine ausführliche Studie zur Dialektik in Hegels Logik findet sich bei Rainer Schäfer, Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik. Vgl. außerdem Forster, »Hegel’s dialectical method« sowie Schäfer, »Hegels Ideenlehre und die dialektische Methode«.

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zu organisieren und auf diese Weise eine Erkenntnis dieser Systematik zu ermöglichen (was nicht wenig ist). Darstellung erreicht also die Konkretheit des Erkennens, und zwar einerseits inhaltlich, durch Untersuchung bestimmter Gegenstände, und andererseits formal, durch die immer wieder an diesen Inhalten durchgespielte Bewegung der Inhalte und ihrer Transformation in jeweils andere Inhalte.52 Wenn sich die Wahrheit eines bestimmten Wissensanspruchs einstellt, bedeutet das für das Bewusstsein allerdings jeweils einen Verlust seiner Gewissheit über eben diesen bestimmten Anspruch. Die philosophische Wahrheit ist demnach auch eine Erkenntnis über die Grenzen einzelner (lokaler) Wahrheitsansprüche. Hegel fängt das unter anderem durch seine Verweise darauf ein, dass der Irrtum letztlich einen Erkenntnisfortschritt bedeutet (und die Furcht vor dem Irrtum daher falsch ist) und dass der notwendige Weg des Bewusstseins einer der Verzweiflung ist. Verzweiflung kann man hier einerseits als den Verlust der Selbstgewissheiten des Bewusstseins verstehen, andererseits aber auch im Sinne der Ausdifferenzierung als Ver-zwei-flung, also als Aufspaltung oder Verzweigung in differenziertere Formen.53 Wie Hoffmann unterstreicht, zeigt die Phänomenologie damit ein Doppeltes: Wahrheit ist erstens nicht das immer Feststehende und für alle Zeiten statisch Fixierte. Wahrheit ist zweitens aber dennoch nicht verhandelbar, denn sie stellt sich unweigerlich auf allen Stufen der Phänomenologie entgegen den Versuchen des Bewusstseins ein.54 1.4 Darstellung als sinnliche Vergegenwärtigung Bevor wir das bisher Entwickelte noch einmal zusammenfassen, müssen wir noch eine weitere Dimension des Darstellungsbegriffs ins Spiel bringen. Dazu ist ein Sprung an den Beginn des Geistkapitels nötig. Wie Hegel dort schreibt, ist der Geist »das sich selbst tragende, absolute reale Wesen.« Der Geist ist insofern Substanz. Zugleich »analysiert« der 52 Vgl. auch Bromand und Kreis, Gottesbeweise, 232. 53 Vgl. PhG, 72. Zur Relevanz der systematischen Ausdifferenzierung als Objektivierung vgl. Bromand und Kreis, 230f. 54 Hoffmann verdeutlicht diesen Punkt am Beispiel des Standpunkts des quantifizierenden Denkens in der Logik: Dieser Standpunkt ist relativ, weil er »aus sich selbst heraus [...] dazu treibt, die Sache auch anders als nur quantitativ anzusehen« Hoffmann, Hegel: Eine Propädeutik, 248. Dies ist aber gerade nicht das Resultat einer Verhandlung oder Konsensbildung über seine Geltung, sondern gehört zur objektiven Dynamik des Begriffs – hier der Quantität – selbst. Es gibt also viele Wahrheiten (jede Bewusstseinsgestalt ist die Wahrheit der vorhergehenden; auch gibt es durchaus so etwas wie historische Wahrheiten) – aber mit einem zentralen Fluchtpunkt. Wahrheit ist ein subjektiver und objektiver, also absoluter Prozess (vgl. ebd., 249).

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Geist sich aber selbst, indem er sich in Momente unterteilt und bei ihnen verweilt.55 Hegels Konzept des Absoluten als gleichermaßen Substanz und Subjekt impliziert, dass die Substanz sich selbst als solche analysiert und erkennt. Zur Substanz gehört also ein Bewusstsein von sich selbst. Deshalb konzipiert Hegel den Geist als Einheit von Wirklichkeit und Vorstellung. Der Geist stellt sich sich selbst vor. Diese Vorstellung ist aber gerade die Wirklichkeit des Geistes: »Das anundfürsichseiende Wesen aber, welches sich zugleich als Bewusstsein wirklich und sich sich selbst vorstellt, ist der Geist.«56 Die Einheit von Vorstellung und Wirklichkeit kann als Darstellung verstanden werden. Eine Erläuterung dafür kann das dem Übergang zum Geist unmittelbar vorausgehende Kapitel geben. Die »Individualität, welche sich an und für sich reell ist« befasst sich nämlich in wesentlichen Punkten mit der Frage der Darstellung. Die dort thematisierte Form der Individualität versteht sich selbst als Verwirklichungsmoment. Ihr »Tun ist [...] nur reines Übersetzen aus der Form des noch nicht dargestellten in die des dargestellten Seins«.57 Ihr Programm besteht also darin, dass sie sich selbst darstellt. Diese Selbstdarstellung wird so verstanden, dass dabei nur ein bestehendes inneres Sein in eine sinnlich zugängliche äußere Gegenwart »rein«, d.h. verlustfrei, übersetzt wird. Dabei scheitert die Individualität aber in zwei Schritten: Erstens erweisen sich alle von ihr hervorgebrachten Werke nur als eingeschränkte Ausdrücke der Individualität. Der Maßstab ist hier absolut subjekt-intern und daher kann prinzipiell kein Werk ihm gerecht werden. Die Individualität geht deshalb im zweiten Schritt dazu über, sich einer »Sache« zu verschreiben. Diese Sache selbst ist wesentlich ein intellektuelles Konstrukt, für das wiederum nicht klar ist, wie es sich zu seinen weltlichen, sinnlichen Realisationen verhält: entweder die Sache stellt sich in einzelnen Werken nicht dar, oder – noch problematischer – es entsteht eine endlose Menge von Sachen, da jedes beliebige Resultat als perfekte Realisation seiner eigenen Sache, seines spezifischen Genres interpretiert werden kann. Die Sache ist als Maßstab in einer absoluten Weise objektiv vorgestellt; damit werden aber alle individuellen Interpretationen einer Sache jeweils zu perfekten Verwirklichungen unterschiedlicher Sachen. Wiederum zeigt sich, dass die Sache nicht in Werken dargestellt werden kann. Das Problem, das dabei im Hintergrund steht, ist, dass die Individualität noch von einem »noch nicht dargestellten Sein« ausgeht. Aus diesem 55 PhG, 325 56 PhG, 325 57 PhG, 296. Die Rolle des Darstellungsproblems im Kapitel über das geistige Tierreich würde eine eingehendere Untersuchung rechtfertigen. Eine ausführliche Interpretation dieses Kapitels findet sich bei Michael Forster, »Das geistige Tierreich«.

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Grund kann sie »die Sache Selbst« und ihre Darstellungen nicht zusammenbringen. Das Konzept des Geistes ist wesentlich die positiv gewendete Form dieses Problems, denn Geist ist genau das, was sich selbst darstellt und »in seiner Entäußerung mit sich gleich« bleibt oder vielmehr erst wird. Damit erhält das Konzept der Darstellung eine wichtige weitere Dimension, nämlich die sinnliche Gegenwart. Der Geist wird nicht nur als wesentlich darstellbar verstanden, sondern auch als faktisch sich in sinnlich zugänglichen Medien darstellend.58 1.5 Zwischenstand: Darstellung und das Werden der Wahrheit Rekapitulieren wir: Was ist Darstellung? Was ist »die philosophische Wahrheit«? Und wie hängt beides zusammen? Wie wir gesehen haben, eröffnet Hegel die Vorrede der Phänomenologie mit einer Aussage über »die Art und Weise [...], in der die philosophische Wahrheit darzustellen sei«: Dies kann nicht durch eine Angabe über den philosophischen Standpunkt oder die Absichten des Autors, über eine historische 58 Vgl. PhG, 588: »die Kraft des Geistes ist vielmehr, in seiner Entäußerung sich selbst gleich zu bleiben und als das Anundfürsichseiende das Fürsichsein ebensosehr nur als Moment zu setzen wie das Ansichsein«. Thomas Sören Hoffmann weist darauf hin, dass der als »Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus« bekannte Text (TWA1, 234–36) mit dem »Sinnlichwerden der Vernunft« und der Philosophie endet und dass dieser Umstand im Hinblick auf die sprachliche Darstellung der Philosophie interpretiert werden sollte; Hoffmann, Hegel: Eine Propädeutik, 76. Hoffmann nennt die Sprache die sinnliche Seite der Vernunft (ebd., 77): »Bei Hegel werden wir in verschiedenen Zusammenhängen die Erkenntnis finden, dass die Vernunft für uns tatsächlich immer schon eine sinnliche Seite hat: sie ist für uns als Sprache und in der Sprache da, hat in der Sprache eine konkrete Existenz und hebt uns durch die Sprache zu sich selbst.« Insofern denkt Hegel von der Sprache her. Unabhängig davon, wem genau die Autorenschaft an »Ältesten Systemprogramm« zuzuschreiben ist, wird hier deutlich artikuliert, dass die sinnliche Darstellung zur Realisierung des Vernünftigen gehörend gedacht wird – komplementär zu Rationalisierung des Sinnlichen: »Ehe wir die Ideen ästhetisch, d.h. mythologisch machen, haben sie für das Volk kein Interesse; und umgekehrt, ehe die Mythologie vernünftig ist, muss sich der Philosoph ihrer schämen. So müssen endlich Aufgeklärte und Unaufgeklärte sich die Hand reichen, die Mythologie muss philosophisch werden, um die Philosophen [sic] sinnlich zu machen. Dann herrscht ewige Einheit unter uns.« (TWA1, 236). Die sinnlich konkrete Vermittlung der Philosophie hat hier – wenige Jahre nach der terreur und unmittelbar nach dem Erscheinen von Schillers Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen – eine direkte soziale bzw. politische Implikation.

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Einordnung, eine Wiedergabe des allgemeinen Inhalts oder der Resultate erfolgen. Klar ist aber, dass es in der Phänomenologie um die Darstellung der philosophischen Wahrheit geht. Das spezifische Programm einer phänomenologischen Darstellung der philosophischen Wahrheit formuliert die (auf die Vorrede folgende) Einleitung als »Darstellung des erscheinenden Wissens«.59 Dieses Programm hat eine doppelte Funktion: In ihrem negativen Moment ist die Darstellung eine Kritik des erscheinenden Wissens und des natürlichen Bewusstseins; in ihrem positiven Moment ist sie der Weg zur Wissenschaft: Durch das systematische Prüfen (und Verwerfen) von Wahrheitsansprüchen (geleitet durch das Prinzip der bestimmten Negation) ergibt sich eine Systematik realen Wissens und Erkennens.60 Weiterhin haben wir festgestellt, dass Darstellung ein analytisches Moment und ein synthetisches Moment enthält (insofern es einerseits um das Beurteilen einer Sache geht und andererseits darum, dass die verschiedenen Bestimmungen zusammen-»gefasst« werden). Beide Momente werden im Hervorbringen einer Darstellung vereinigt. Darstellung enthält damit auch ein produktives Moment. Eine Darstellung vermittelt kein abstraktes Bild einer statischen Sache, sondern präsentiert sie als Ganzes, zu dem eine Entwicklung, ein »Werden« gehört. Die Darstellung fasst damit besondere Bestimmungen als Differenzierungen einer Einheit; diese Einheit wird zugleich als unterschieden begriffen. Relevant ist dabei für Hegel, dass die Differenzen in eine Einheit übergehen und dass die Darstellung auch dieses Übergangsmoment (die Umkehrung) einfängt. Das Darstellungskonzept ist also auf Einheiten bezogen. Allerdings zeigen sich die dargestellten Einheiten gerade durch ihre Darstellungsabhängigkeit als wesentlich intern differenziert und in einem Werden begriffen. Was kann dieses Darstellungskonzept leisten? Es ermöglicht, dass wir nicht mehr an singulären Begriffen wie Substanz, Geist oder »das Absolute« hängen, sondern diese Begriffe rückwirkend als Einheitsbegriffe für die Entwicklung verschiedener Bestimmungen verstehen können, die sich in einer Darstellungsbewegung entwickelt haben. Mit dem Begriff der Darstellung wird eingefangen, dass man zu Beginn eines irgendwie erkenntnisorientierten Projekts noch nicht weiß, wie genau das, was man darstellt (oder darzustellen beginnt), beschaffen ist. Diese Beschaffenheit wird erst durch die Darstellung hervorgebracht. Genau das meint Hegel, wenn er sagt, dass die Wahrheit »Selbstbewegung« ist – die Wahrheit ist die nachträgliche Erkenntnis darüber, wie ein bestimmter Erkenntnisprozess funktioniert und auf welchen Wegen er welche Resultate hervorgebracht hat. Damit wird auch einer prinzipiellen Intransparenz der 59 Vgl. PhG, 11 bzw. 72 60 Zur Einheit von Darstellung und Kritik vgl. Theunissen, Sein und Schein.

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Begriffe Rechnung getragen (die man auch als Überdeterminiertheit bezeichnen kann, worauf wir im weiteren Verlauf dieser Arbeit zurückkommen werden). Gerade aufgrund dieser Intransparenz gibt es aber überhaupt so etwas wie die Entwicklung von Erkenntnis. Wären alle Begriffe vollständig transparent, gäbe es gar kein Erkenntnisproblem – weder die Frage, was »die philosophische Wahrheit« ist, noch wie man sie erreicht, würden sich stellen, denn wir wüssten es bereits. In Bezug auf die Philosophie bedeutet das, dass wir die Eigenschaften bestimmter Begriffe rückwirkend dadurch erkennen können, welche Erkenntnisleistungen sie ermöglichen und wann sie in eine für sie spezifische Sackgasse führen. Der Darstellungsbegriff steht in einem engen Zusammenhang mit Hegels Ausführungen zur philosophischen Wahrheit und dem Weg dorthin – dem Werden der Wahrheit. Die philosophische Wahrheit ist Selbsterkenntnis des Geistes über seine eigene Bewegung. Sie existiert als Wissenschaftliches System von Begriffen. Entsprechend dem gerade Gesagten wird also die philosophische Wahrheit an einen systematischen Darstellungsprozess gebunden. Deshalb kann es auch keine »nette Antwort« darüber geben, keine Weltformel, die in einem leicht verständlichen Satz ausdrückt, was die philosophische Wahrheit ist. Eine Antwort in dieser Form würde vielmehr die eigentliche Erkenntnisleistung aussparen, weil sie nicht vermitteln kann, wie diese Erkenntnis erreicht wurde.61 Die philosophische Wahrheit ist vielmehr eine Erkenntnis darüber, wie sich systematisch nachvollziehen lässt, unter welchen Bedingungen sich einzelne Momente der Wahrheit in einem Erkenntnisprozess einstellen. Hegel versteht Wahrheit als Selbstbewegung und als »gewordene Gleichheit«: Aus Unterscheidungen wird Gleichheit und diese gewordene Gleichheit ist die Wahrheit. Aber sie ist nicht so Wahrheit, als ob die Ungleichheit weggeworfen worden wäre wie die Schla­ cke vom reinen Metall, auch nicht einmal so, wie das Werkzeug von dem fertigen Gefäße wegbleibt, sondern die Ungleichheit ist als das Negative, als das Selbst im Wahren als solchem selbst noch unmittelbar vorhanden.62

Die Differenzen, die den Darstellungsprozess ausmachen, bleiben als das Negative im Wahren unmittelbar vorhanden. Die Ungleichheit wird also nicht wie »Schlacke« weggeworfen, sondern an der Entwicklung der Erkenntnisprobleme, dem Scheitern der Erkenntnisversuche und in den Irrtümern zeigt sich gerade die Erkenntnis. Hegels Darstellungsbegriff fängt damit einerseits ein, dass Wahrheit und die wissenschaftliche Erkenntnis der Wahrheit die Ergebnisse 61 Vgl. PhG, 41 62 PhG, 40f.; meine Hervorhebung, S.W.

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aktiver Arbeit sind. Darstellungen müssen aktiv hervorgebracht werden und die Entwicklung der dabei generierten Bestimmungen gehört als »das Negative« wesentlich zur hervorgebrachten »Wahrheit« dazu. Andererseits sind diese subjektiven Leistungen Teil einer objektiven Struktur (dieses Moment haben wir im Zusammenhang mit den darzustellenden »Größen« gestreift). Zwar hat »Geist« die Eigenschaft, selbstbestimmend zu sein und entsprechend müssen geistige Wesen aktiv Bestimmungen darüber generieren, was es bedeutet, ein geistiges Wesen zu sein. Diese Bestimmungen sind aber erstens nicht beliebig (sie fordern von sich aus eine Systematizität) und zweitens ist der Umstand, dass Bestimmungen in dieser Weise entwickelt werden müssen, faktisch gegeben. Damit ist nichts Bestimmtes gegeben. Was gegeben ist, ist eine prinzipielle Offenheit, die Möglichkeit der erkennenden Bezugnahme und die Notwendigkeit der Darstellung dieser Möglichkeit. Am deutlichsten bringt Hegel diesen Punkt im Kapitel über das absolute Wissen zum Ausdruck, wenn er sagt: »die Substanz hat, als Subjekt, die erst innere Notwendigkeit an ihr, sich an ihr selbst als das darzustellen, was sie an sich ist, als Geist.«63 Hegel formuliert eine Theorie des Geistes als prozessual gegliedertes System begrifflicher Strukturbildung, dessen Selbstverhältnis »Wahrheit« ist. Der in diesem Zusammenhang geltend gemachte Begriff der Wahrheit verbindet Momente von Korrespondenz- und Kohärenztheorie: Indem er den Begriff als Übereinstimmung mit sich selbst konzipiert, nimmt Hegel das Verständnis von Wahrheit als Korrespondenz auf, allerdings mit der entscheidenden Transformation der Entsprechungsrelation in eine Selbst-Entsprechung bzw. -Identität.64 Aus der Radikalisierung des Selbstentsprechungsmoments der Wahrheit folgt, dass Wahrheit bei Hegel eine ontologische Dimension gewinnt: Das Wahre ist das, dessen Realität seinem Begriff entspricht, also dasjenige, was mit sich selbst übereinstimmt.65 Damit wird eine Existenz ausgezeichnet. Ferner ist das wirkliche Erkennen, um das es in der Philosophie geht, insofern wirklich, als es erkennt, was in Wahrheit ist, wodurch auch das Erkennen selbst wirklich ist. Erkennen ist also nicht nur Bezug auf die Realität, sondern es ist (ein Moment der) Realität. Entsprechend formuliert auch die Einleitung der Phänomenologie deren 63 PhG, 585 64 Hegel führt, so Lau, »die gewöhnliche Wahrheitskonzeption im Sinne einer Fremdentsprechung, die in einer externen Korrespondenz des einen zu dem anderen besteht, auf die identitätsphilosophische Bedeutung der Selbstentsprechung bzw. der Mit-sich-Übereinstimmung zurück.« Lau, Hegels Urteilskritik, 53. Vgl. auch Stern, »Did Hegel Hold an Identity Theory of Truth?« 65 Lau, 53f.

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Projekt als »Prüfung der Realität des Erkennens«.66 Dass das Erkennen real ist, bedeutet, dass etwas existiert, das erkennt und dass etwas existiert, das erkannt wird. Dementsprechend existiert Erkenntnis sowohl als Fremderkenntnis von Gegenständen, als auch als Selbsterkenntnis, also als Erkenntnis der erkennenden Instanz über ihre eigene Funktion; diese Selbsterkenntnis ist eine Erkenntnis darüber, wie sowohl die Fremd- als auch die Selbsterkenntnis funktionieren und wie sie sich zueinander verhalten. Die Existenzform des realen Erkennens und der Wahrheit ist Hegel zufolge die systematische Wissenschaft, deren Medium der Begriff ist.67 Die Selbstbestimmung des Begriffs entwickelt sich durch eine Folge aufeinander aufbauender Bestimmungen anderer Gegenstände, die sukzessiv komplexere Bezüge erlauben. Das Absolute ist dabei kein SuperObjekt, sondern die systematische Selbsterkenntnis dieses Bestimmungsprozesses. Das System wird damit zum »Kriterium der Wahrheit.«68 Die Wahrheit einzelner Aussagen wird über deren Übereinstimmung mit dem System des Erkennens insgesamt bestimmt; insofern Wahrheitsorientierung wesentlich durch Systematik entsteht, finden wir bei Hegel auch Momente einer Theorie der Wahrheit als Kohärenz. Der zentrale Zug von Hegels Wahrheitskonzeption ist aber, die Wahrheit als Identität des Begriffs zu denken. Begriff und Gegenstand entsprechen sich da, wo der Begriff sich selbst gegenständlich, d.h. durch die Momente seiner Entwicklung erkennbar wird.69 Um das Projekt der Phänomenologie genauer zu fassen, können wir noch einmal auf die Frage nach dem Wahrheitskriterium zurückkommen. Zwei Arten von Wahrheitskriterien können unterschieden werden: Jede Bewusstseinsgestalt der Phänomenologie hat einen spezifischen Gegenstand, der ihr Erkenntnisziel vorgibt und für den sie über einen Begriff verfügt, also einen Maßstab dafür, wann dieser 66 PhG, 75, Hervorhebung im Original. Zur Realität des Erkennens, vgl. Hoffmann, Hegel: Eine Propädeutik, 188f. und 194f. 67 Vgl. PhG, 14: »Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein.« 68 So Chong Fuk Lau, Hegels Urteilskritik, 61. 69 Zu Hegels Wahrheitskonzeption vgl. Lau, 37–62, 214. In der Logik bezeichnet Hegel die Definition der Wahrheit als »Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande« als »eine Definition, die von großem, ja von dem höchsten Werte ist.« (WL2, 266). Die Wahrheit einzelner Aussagen muss mit Hegel präziser als Richtigkeit bezeichnet werden (vgl. Enz. § 172). Zur Kohärenztheorie der Wahrheit vgl. Lau, 61f. sowie Bertram zu Hegels prozessualem »Begriffsholismus« in Bertram, Hegels »Phänomenologie des Geistes«, 315, 317. Vgl. außerdem Urbich, Benjamin and Hegel, 89ff. Zu Hegels Wahrheitsbegriff im Allgemeinen vgl. Forster, Hegel’s Idea, 193–255 sowie McCumber, The Company of Words, 33–58.

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Gegenstand erkannt wird. Ein solcher spezifischer Gegenstand wäre etwa das Ding der Wahrnehmung oder die Kraft, auf die sich der Verstand bezieht. Diese Kriterien sind relativ zu der jeweiligen Bewusstseinsgestalt und verändern sich in der Entwicklung der Phänomenologie, wie Hegel in der Einleitung beschreibt. Indem jede Gestalt an ihrem eigenen Maßstab scheitert, stellt sich heraus, dass auch das Kriterium wieder korrigiert werden muss. Es wird damit also festgestellt, dass auch das angenommene Wahrheitskriterium kein absolutes Kriterium sein kann. Wir untersuchen daher während der gesamten Entwicklung der Phänomenologie Kriterien, die relativ zu den jeweils durch sie geprüften Wissensformen und ihren spezifischen Gegenstandskonzeptionen sind. Der Mangel dieser Kriterien im Hinblick auf eine allgemeine Theorie des Wissens besteht darin, dass sie nicht im eigentlichen Sinne allgemein, d.h. nicht bereichsneu­tral sind.70 Die Entsprechung von Gegenstand und Begriff ist dagegen ein höherstufiges Kriterium, das nicht auf einen spezifischen Bereich festgelegt ist, sondern das Erkenntnisprojekt der Phänomenologie insgesamt strukturiert, wodurch letztlich die Einheit dieses Prozesses gewährleistet werden kann. Wichtig ist hier aber, dass auch dieses höherstufige Kriterium einen Mangel hat, da die Einheit von Gegenstand und Begriff überhaupt nicht unmittelbar als solche überprüft werden kann. Deshalb muss zunächst geprüft werden, ob spezifische Gegenstände ihrem spezifischen Begriff entsprechen. Der Weg zur Wissenschaft besteht damit aus einer Entwicklung von Theorien, deren Bedeutung jeweils lokal begrenzt ist. Hegels Konzept einer »Darstellung des erscheinenden Wissens« bezieht sich auf diese Entwicklung. Kritisiert werden dabei Vorstellungen darüber, wie die Gegenstände beschaffen sind, über die das Bewusstsein etwas weiß und wie dieses Wissen funktioniert. Der Darstellungsbegriff kann als Teil der Antwort Hegels auf die Probleme der Repräsentation verstanden werden, die er mit dem Begriff der Vorstellung verbindet. Der Begriff der Repräsentation bezeichnet grob gefasst Folgendes: Etwas, das unabhängig von der Repräsentation existiert, wird durch diese mental oder medial wiederholt oder verdoppelt. Die Repräsentation eines Objekts befindet sich außerhalb des repräsentierten Objektes und ist diesem gegenüber ontologisch (und zeitlich) sekundär – sie führt also zu einem unüberwindbaren Abstand zu dem Objekt, das sie eigentlich zugänglich machen soll. Das 70 Die Bereichsneutralität der Theorie ist Markus Gabriel zufolge eine der Gelingensbedingungen der Theorie des Gegenstandsbezugs, die die Phänomenologie enthält: »The goal of the Phenomenology is [...] well defined: We are looking for a theory of intentionality, which accounts for its objectivity, fallibility, and topic-neutrality.« Gabriel, »A Very Heterodox Reading of the Lord-Servant-Allegory in Hegel’s Phenomenology of Spirit«, 100.

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Konzept der Darstellung begegnet diesem Problem, indem es sich von der Idee des Vorrangs einer »Sache selbst« löst, die unabhängig von allen Repräsentationen, also jenseits dieser Repräsentationen existieren soll. Dagegen bringt die Darstellung hervor, was eine Sache ausmacht und trägt damit zur eigentlichen Entwicklung der Sache bei. Die strikte Dualität von Sache und Repräsentation wird also entschärft. Auch die abstrakte Opposition von Repräsentation und Präsentation wird auf diese Weise überwunden – ohne allerdings das Repräsentationsmoment (und damit die Differenz) ganz aufzulösen. Das Sein ist weder nur (als etwas zu repräsentierendes) vor der Darstellung (die dann eine reine Repräsentation wäre), noch nur als Präsentiertes nach der Darstellung (die dann eine reine Präsentation wäre).71 Die Probleme der Repräsentation werden in der Phänomenologie zuerst als Probleme der »natürlichen Vorstellung« in der Einleitung und später als Probleme des vorstellenden Denkens im Religionskapitel expliziert. Ihr gemeinsamer Kern besteht darin, dass der Modus der Vorstellung alle Erkenntnisversuche in die Form der Fremderkenntnis zurückwirft, da das Vorgestellte wesentlich Objekt ist. Das vorgestellte Objekt der Religion (Gott) bleibt von den Vorstellenden konstitutiv getrennt (vor-gestellt).72 Auch ein unterkomplexes Verständnis der Wahrheit als Korrespondenz suggeriert dieses Verhältnis: Korrespondenz wäre demnach nicht wie bei Hegel Selbstidentität des Gegenstandes, sondern Übereinstimmung von Vorstellung und vorgestelltem Objekt. Zu den Problemen der Vorstellung bzw. Repräsentation gehört, dass sie das vorgestellte Objekt als jenseits aller Annäherungsversuche der vorstellenden Instanz ansiedelt. Das vorgestellte Objekt scheint damit einen konkreten Reichtum an Eigenschaften zu besitzen, von dem die Vorstellung nur einen Teil einfangen kann, weshalb sie konstitutiv einen Abfall vom Vorgestellten bedeutet. Über den Begriff der Darstellung wird dagegen verständlich, dass Konkretion nicht durch diskrete Bestimmungen gebrochen wird, sondern dass im Gegenteil gerade der Zuwachs an Bestimmtheit erst zu Konkretion im eigentlichen Sinne führt.73 Mit 71 Vgl. Urbich, Benjamin and Hegel, v.a. 72–84. 72 Das Religionskapitel ist also weniger deshalb wichtig, weil Hegel dort etwas zu Religionen sagt, sondern weil er sich dort damit auseinandersetzt, was Vorstellen prinzipiell ist; insofern das Bewusstsein wesentlich ein vorstellendes Bewusstsein ist, wird dort also dessen »Grundoperation« untersucht. Vgl. dazu McCumber, The Company of Words, 54f. 73 Dieser Gedanke findet sich auch bei Gadamer, der in der Darstellung einen »Zuwachs an Sein« sieht, weil es »das Urbild« ist, das in der Darstellung zur Darstellung kommt. Das »Urbild« wird deshalb gerade nicht in allen Repräsentationen verfehlt, sondern entsteht durch diese überhaupt erst. Gadamer bezeichnet die Darstellung deshalb als »Seinsvorgang«. Sie ist nicht etwas, das (auf eine verfälschende oder täuschende Weise) außerhalb

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einem Rückgriff auf Hegels Logik versteht Jan Urbich Darstellung deshalb als »reflektierte Unmittelbarkeit«.74 Sie integriert Objektivität und Vermittlung. Trotzdem wird aber die Differenz eines vor der Darstellung Bestehenden und eines Dargestellten nicht eingeebnet (so dass ein Konstruktivismus vermieden wird, in dem alles, was sich präsentiert, schon allein aus diesem Grund Wahrheit beanspruchen kann). Die Darstellung verweist rückwirkend auf Sachen oder Gegenstände, deren Darstellung sie ist.75 Darstellung bringt die Wahrheit des Dargestellten hervor, indem sie den inneren Maßstab eines Gegenstandes oder Phänomens – seine Idee des reinen Seins wäre, sondern die Darstellung zeigt die Darstellbarkeit des Seins. Gadamer schreibt: »Das Bild [hat] im ästhetischen Sinne des Wortes ein eigenes Sein. Dies sein Sein als Darstellung, also gerade das, worin es mit dem Abgebildeten nicht dasselbe ist, gibt ihm gegenüber dem bloßen Abbild die positive Auszeichnung, ein Bild zu sein. Selbst die mechanischen Bildtechniken der Gegenwart können insoweit künstlerisch gebraucht werden, als sie aus dem Abgebildeten etwas herausholen, das in seinem bloßen Anblick als solchem so nicht liegt. Ein solches Bild ist kein Abbild, denn es stellt etwas dar, was ohne es sich nicht so darstellte. Es sagt über das Urbild etwas aus. [Z.B. ein gutes Porträtfoto] [.] Darstellung bleibt also in einem wesenhaften Sinne auf das Urbild bezogen, das in ihr zur Darstellung kommt. Aber sie ist mehr als ein Abbild. Dass die Darstellung ein Bild – und nicht das Urbild selbst – ist, bedeutet nichts Negatives, keine bloße Minderung an Sein, sondern vielmehr eine autonome Wirklichkeit. So stellt sich die Beziehung des Bildes zum Urbild grundsätzlich anders dar, als sie beim Abbild gilt. Es ist keine einseitige Beziehung mehr. Dass das Bild eine eigene Wirklichkeit hat, bedeutet nun umgekehrt für das Urbild, dass es in der Darstellung zur Darstellung kommt. Es stellt sich selbst darin dar. Das braucht nicht zu heißen, dass es gerade auf diese Darstellung angewiesen ist, um zu erscheinen. Es kann sich als das, was es ist, auch anders darstellen. Aber wenn es sich so darstellt, ist dies kein beiläufiger Vorgang mehr, sondern gehört zu seinem eigenen Sein. Jede solche Darstellung ist ein Seinsvorgang und macht den Seinsrang des Dargestellten mit aus. Durch die Darstellung erfährt es gleichsam einen Zuwachs an Sein. Der Eigengehalt des Bildes ist ontologisch als Emanation des Urbildes bestimmt.« Gadamer, Wahrheit und Methode, 144f. Vgl. dazu auch Urbich, Benjamin and Hegel, 77. 74 WL2, 20; vgl. dazu Urbich, Benjamin and Hegel, 78. 75 So schreibt Jan Urbich: »The being represented is not entirely the effect of the outer Darstellung but must be thought of as prior and at the same time subsequent to it, both independent of and originating from Darstellung. The qualitative and temporal differential between the prior and the subsequent stage of being in Darstellung is marked by what is for Hegel […] the central epistemological norm, »truth«. Darstellung brings out the subject matter represented in the (onto)logical form of its truth by transforming its

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– offenlegt, und seine Aktualität mit diesem inneren Maßstab konfrontiert. Darin besteht die Einheit von Darstellung und Kritik. Wie Urbich beschreibt, entsteht durch die Darstellung eine Doppelbelichtung: der Gegenstand erscheint in der (gelungenen) Darstellung als intern different, als Überlagerung eines formalen, normativen Anspruchs und einer objektiven Realität.76 Darstellung ist also als Hervorbringung bzw. Präsentation zeitlich »vorläufig« bzw. vorlaufend und als Repräsentation zeitlich »rückläufig« bzw. zurückschauend. Die Darstellung macht eine Sache sinnlich zugänglich und trägt damit zu deren Verwirklichung bei. Damit hat sie ein mediales Moment. Allerdings ist sie nicht (im Sinne eines Konstruktivismus) losgelöst von einem Begriff der dargestellten Sache und enthält daher eine Ausrichtung auf eine Wahrheitsnorm. Insofern ist die Darstellung auch ein argumentatives Moment.77 An dieser Stelle können wir auch noch einmal den Zusammenhang von Darstellung und Sprache andeuten: Die Eigenarten des Darstelprior-to-representation-existence (that at the same time already inhabits the essence of representability in its ontological form of objective reflexivity) into its truthful stage of represented-being.« Urbich, 79f. 76 Urbich, 82. Wie Hegel in der Enzyklopädie sagt, ist die Idee eine Einheit, die sich erst in ihrer prozessualen Artikulation als Darstellung erhält. »Erhalten« bringt dabei genau die doppelte Zeitlichkeit zum Ausdruck, die wir auch für den Darstellungsbegriff festgestellt haben: die Identität bleibt in der Darstellung bestehen und wird gleichermaßen auch erst erreicht: »Die Idee ist das Wahre an und für sich, die absolute Einheit des Begriffs und der Objektivität. Ihr ideeller Inhalt ist kein anderer als der Begriff in seinen Bestimmungen; ihr reeller Inhalt ist nur seine Darstellung, die er sich in der Form äußerlichen Daseins gibt und [der,] diese Gestalt in seine Idealität eingeschlossen, in seiner Macht, so sich in ihr erhält.« (Enz. § 213). Wie die Passage paradigmatisch zeigt, ist das Wahre für Hegel gerade nichts, das sich der Darstellung und Erkenntnis entzieht; vielmehr ist die Darstellung integraler Bestandteil der Idee(n). Vgl. auch Enz. § 18: »nur das Ganze der Wissenschaft ist die Darstellung der Idee«. Der Begriff des Erhaltens beinhaltet eine ähnliche Spannung zwischen Prädisposition und Neu-Konstitution wie der Begriff der Darstellung. Dies zeigt Catherine Malabou mit Bezug auf KrV B91; vgl. Malabou, Before Tomorrow, 27. Bei Hegel ist das Erhalten auch mit dem Aufheben verwand (vgl. WL1, 114). 77 Die Relevanz einer Unterscheidung von vorlaufender und rückschauender Perspektive hat auch Robert Brandom betont, worauf wir weiter unten zurückkommen werden. Auch Eva Schürmanns Untersuchung des Darstellungsbegriffs läuft darauf hinaus, dass es die Sache selbst nicht unvermittelt und ohne jede Darstellung gibt; vgl. Schürmann, Vorstellen und Darstellen. Genau dieser Punkt ermöglicht den Ausweg aus einer kartesischen Ontologie, die aus anonymen, passiven Objekten und weltlosen Subjekten besteht (ebd., 15–17). Das generelle Paradox der Darstellung

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lungsbegriffs wirken sich auch auf das Verständnis der Sprache aus. Sprache wird häufig – auch durch das Bewusstsein der Phänomenologie – mit dem Problem der Vorstellung verknüpft, also als Beschreibung fertiger Gegenstände verstanden, die unabhängig von diesen Beschreibungen existieren (dieses Sprachverständnis entspricht der HLC). Tatsächlich muss Sprache aber auch als Medium der Darstellung gedacht werden – also als Medium, durch das komplexe Gegenstände, sowie unser Verständnis unseres Verhältnisses zu Gegenständen überhaupt erst entwickelt werden (dieses Sprachverständnis entspricht der HHH – die dabei allerdings nicht bezweifelt, dass Sprache sich auch neutral ergibt sich Schürmann zufolge daraus, »dass die Wirklichkeit von uns sowohl vorgefunden als auch gemacht wird, und dass der Geist sich zu einer Welt verhält, die ihm gegeben ist, obwohl sie zugleich von ihm hervorgebracht wird« (ebd., 16; Schürmann hat Hegel dabei durchaus im Blick, bezieht sich aber nicht ausdrücklich auf die Phänomenologie des Geistes. Die Einheit des Vorfindens und Hervorbringens spielt auch in Brandoms Interpretation der Phänomenologie eine wesentliche Rolle). Darstellungen sind sowohl abbildend als auch konstitutiv für ihre dargestellten Gegenstände; sie bestehen »aus der Einheit von Vorstellendem und Vorgestelltem« (ebd., 17). Darstellungen beziehen sich daher auf einen objektivierbaren Gegenstand, eine Sache, aber in dem Bewusstsein, dass die Objektivität dieser Sache gerade nicht unter Abzug aller Bezugnahmen auf sie zu erreichen ist: »Darstellungen haben in ihrer Bezugnahme auf etwas Gegebenes zu rekurrieren, obwohl das Dargestellte außerhalb der Darstellung gerade nicht gegeben ist, sondern allenfalls in anderen Formen der Darstellung existiert. Dies gilt für den Plot einer Erzählung, die auch anders erzählt werden könnte, den Dargestellten eines Porträts, der auch anders gemalt oder fotografiert sein könnte, oder die Kernaussage eines Vortrags, der auch umformuliert werden kann. All diese Formen des Darstellens sind aber nicht mit einem neutralen ›Original‹ zu vergleichen, denn selbst wenn es etwa den Porträtierten wirklich gibt, wird er heute anders aussehen als morgen, und in dieser sozialen Rolle anders erscheinen als in jener, und mir anders als anderen. Insofern haben wir die ›Sache selbst‹ niemals unvermittelt und an sich, obwohl es sie in irgendeiner Form geben muss, damit es Darstellungen von ihr geben kann. Das wovon Darstellungen Vorstellungen sind, ist jedoch auf charakteristische Weise abwesend.« (ebd., 15f.). Schürmanns Konzeption der Darstellung entspricht Gadamers Ansatz zum Bild, das etwas hervorbringt, das andernfalls nicht sichtbar wäre: »Insbesondere künstlerische Darstellungen stellen etwas dar, was es ohne sie überhaupt nicht gäbe.« (ebd., 30). Genau aus diesem Grund hat Axel Hutter Literatur als Ausgangspunkt einer Ontologie des Sinns untersucht. Da literarische Werke fiktiv sind, ist der entscheidende Grund, sich mit ihnen auseinanderzusetzen eben der, dass darin die Strukturen der Sinnhaftigkeit selbst untersucht werden können; vgl. Hutter, Narrative Ontologie.

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auf Außersprachliches beziehen kann). Damit gerät Sprache aber an ihre Grenzen. Die besonderen Anforderungen des Darstellungsbegriffs erfordern daher (wie Georg Bertram feststellt) eine »Kritik der sprachlichen Darstellungsmittel«: Die Form der sprachlichen Aussage suggeriert genau die Form von feststehenden Seienden, gegen die sich Hegels anspruchsvolles Darstellungskonzept wendet. Die natürliche Vorstellung korrespondiert mit einer Annahme darüber, dass mit Sprache lediglich Subjekte oder Objekte bezeichnet und beschrieben werden, die eigentlich jenseits von diesen Bezeichnungen bestehen.78 1.6 Wahrheit als Selbst-Darstellung des Absoluten (die Vorrede der Phänomenologie) Im Folgenden wird es darum gehen, diese Überlegungen am Text der Phänomenologie weiterzuverfolgen und zwar zunächst mit einem Fokus auf die Vorrede und die Einleitung. Der Zusammenhang der philosophischen Wahrheit und des Darstellungsmoments in der Phänomenologie lässt sich anhand einer Reihe von Grundaussagen nachvollziehen: (1.1) Es gibt die philosophische Wahrheit. (1.2) Das Wahre ist das Absolute. (1.3) Das Wahre/Absolute ist das Ganze.79 Wenn Hegel zu Beginn der Vorrede darauf hinweist, dass die philosophische Wahrheit nicht auf beliebige Weise dargestellt werden kann, lässt er keinen Zweifel daran, dass es sie – und zwar im Singular – gibt und dass sie dargestellt werden kann.80 Auch die Anfangspassagen der Einleitung zeigen die Grundausrichtung der Phänomenologie auf das »wirkliche Erkennen dessen, was in Wahrheit ist«,81 was bedeutet, dass die inhaltlichen und begrifflichen Bestimmungen davon, was Wahrheit ist, damit in Einklang gebracht werden müssen, dass es wirkliches Erkennen und Wahrheit gibt. Zieht man das in Zweifel bleiben diese Begriffe leer. Wir 78 Deshalb formuliert Hegel, Bertram zufolge eine »Kritik der sprachlichen Darstellungsmittel, die dem spekulativen Denken zur Verfügung stehen. Die sprachliche Form der Aussage ist aus seiner Sicht deshalb irreführend, da sie feststehende Subjekte suggeriert, über die etwas ausgesagt wird.« Bertram, Hegels »Phänomenologie des Geistes«, 330f. Zur Verbindung von Sprache und Vorstellung vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 95. 79 PhG, 24: »Das Wahre ist das Ganze.« 80 Hegel beginnt also mit dem faktischen Bestehen von Wahrheit; vgl. dazu auch Koch, Wahrheit, Zeit und Freiheit, 11. 81 PhG, 68

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sollen also davon ausgehen, dass die Wahrheit erkennbar ist, nicht aber davon, dass wir schon wissen, was Wahrheit und Erkennbarkeit sind. Diese Annahme ist insofern begründet, als die Gegenthese, das Absolute sei unerkennbar, ihrerseits unbegründete Aussagen über das Absolute macht, wie etwa die, dass es unerkennbar ist. Ferner ist »das Absolute allein wahr und das Wahre allein absolut«.82 Das Wahre ist also das Absolute, was bedeutet, dass Wahrheit die Existenzweise des Absoluten ist. Mit der Aussage, dass das Wahre das Ganze ist, eröffnet Hegel eine holistische Perspektive (der Slogan »das Wahre ist das Ganze« steht damit im Konflikt mit seiner eigenen Form – wenn das Wahre das Ganze ist, lässt sich gerade nicht allein durch diese Formel verstehen, was das bedeutet83). Dieses Ganze wird nicht mit einem einzigen Totalitätseindruck (einer intellektuellen Anschauung) zugänglich, sondern nur vermittelt über verschiedene Zugänge und Perspektiven. Das Ganze wird also methodisch aufgebrochen,84 wodurch es eine prozessuale Dimension gewinnt: (2.1) Die Philosophie betrachtet das Wirkliche und das Wirkliche ist Prozess.85 (2.2) Das Wirkliche ist Bewegung.86 Während die Punkte der ersten Reihe Einheit betonen, markiert die zweite Reihe das Prozess-Moment in Hegels Philosophie. Das Ganze ist nicht statisch. Damit wendet sich Hegel gegen die Vorstellung, dass die Wahrheit in einem ursprünglichen Unmittelbaren bestehen könnte. Stattdessen kann die Vorstellung unmittelbarer Einheiten überhaupt nur dadurch entstehen, dass bereits eine Differenz eingetreten ist. Die Vorstellung einer anfänglichen Konkretion ist Hegel zufolge irreführend, denn konkret ist nur das, was durch eine Reihe von Differenzen zusammengewachsen ist; in diesem Zusammenhang ist die analytische Kraft des Verstandes relevant, die die methodische Brechung des vermeintlich unmittelbar Konkreten hervorbringt.87 Der damit begonnene Differenz-Prozess 82 PhG, 70: »[...] dass das Absolute allein wahr und das Wahre allein absolut ist.« 83 Zum Zusammenhang von Sätzen und ihrer Form vgl. auch WL1, 92–94. 84 Vgl. Hoffmann, Hegel: Eine Propädeutik, 25. 85 PhG, 46: »Die Philosophie dagegen betrachtet nicht [die] unwesentliche Bestimmung, sondern sie, insofern sie wesentliche ist; nicht das Abstrakte oder Unwirkliche ist ihr Element und Inhalt, sondern das Wirkliche, sich selbst Setzende und in sich Lebende, das Dasein in seinem Begriffe. Es ist der Prozess, der sich seine Momente erzeugt und durchläuft, und diese ganze Bewegung macht das Positive und seine Wahrheit aus.« 86 PhG, 26: »Der ausgeführte Zweck oder das daseiende Wirkliche ist Bewegung und entfaltetes Werden«. 87 Im Begriff des Konkreten schwingt also das lateinische concrescere – zusammenwachsen – mit. Vgl. PhG, 35f. und 37 zum fixen Konkreten.

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ist wesentlich gerichtet. Die Brechung wuchert nicht in alle Richtungen, sondern das Werden des Geistes ist ein zu-sich-selbst-Werden. Hegels Konzeption zufolge ist daher die Entwicklung als Einheit zu fassen bzw. die Einheit als Entwicklung: (3.1) Das Wahre/Absolute ist Subjekt.88 (3.2) Das Wahre/Absolute ist Sichselbstwerden. (3.3) Das Wahre/Absolute ist Resultat. (3.4) Das Wahre/Absolute ist Geist. (3.5) Die Wahrheit existiert als (wissenschaftliches) System.89 (3.6) Das Resultat ist als Zweck schon im Anfang (antizipiert). (3.7) Das als Subjekt aufgefasste Wahre/Absolute ist gleichermaßen Substanz.90 Die Punkte der dritten Reihe beschreiben die Einheit des Prozesses, die Hegel als Zweckstruktur, also teleologisch begreift: Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen. Es ist von dem Absoluten zu sagen, dass es wesentlich Resultat, dass es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und hierin eben besteht seine Natur, Wirkliches, Subjekt oder Sichselbstwerden zu sein.91

Die Zweckstruktur bindet also die Phasen eines Prozesses, der erst damit überhaupt als Entwicklung von etwas Bestimmtem aufgefasst werden kann. Indem die Momente des Anfangs, des Endes und des Resultats unterschieden und aufeinander bezogen werden, wird eine minimale Selbstbezüglichkeit erzeugt. Auf diese systematische Entwicklung einer Selbst-Relation, die Hegel als Sichselbstwerden bezeichnet, bezieht sich 88 PhG, 22f.: »Es kommt nach meiner Einsicht, welche sich nur durch die Darstellung des Systems selbst rechtfertigen muss, alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken.« 89 PhG, 14: »Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein.« Vgl. dazu auch den Kommentar zu Satz 5.1 weiter unten. 90 Vgl. PhG, 587. 91 PhG, 24. Gleichzeitig darf aber das Resultat auch nicht von seinem Entstehungsprozess losgelöst werden: »Denn die Sache ist nicht in ihrem Zwecke erschöpft, sondern in ihrer Ausführung, noch ist das Resultat das wirkliche Ganze, sondern es zusammen mit seinem Werden; der Zweck für sich ist das unlebendige Allgemeine, wie die Tendenz das bloße Treiben, das seiner Wirklichkeit noch entbehrt, und das nackte Resultat ist der Leichnam, der die Tendenz hinter sich gelassen.« (ebd., 13). Vgl. Dazu Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, 58.

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sein Begriff des Geistes, der damit ein »für sich selbst in sich reflektierter Gegenstand« ist: Dass das Wahre nur als System wirklich oder dass die Substanz wesentlich Subjekt ist, ist in der Vorstellung ausgedrückt, welche das Absolute als Geist ausspricht [...] [meine Hervorhebung, S.W.]. Das Geistige allein ist das Wirkliche; es ist das Wesen oder Ansich seiende, – das sich Verhaltende und Bestimmte, das Anderssein und Fürsichsein – und [das] in dieser Bestimmtheit oder seinem Außersichsein in sich selbst Bleibende; – oder es ist an und für sich. – Dies Anundfürsichsein aber ist es erst für uns oder an sich, es ist die geistige Substanz. Es muss dies auch für sich selbst, muss das Wissen von dem Geistigen und das Wissen von sich als dem Geiste sein, d. h. es muss sich als Gegenstand sein, aber ebenso unmittelbar als aufgehobener, in sich reflektierter Gegenstand. Er ist für sich nur für uns, insofern sein geistiger Inhalt durch ihn selbst erzeugt ist; insofern er aber auch für sich selbst für sich ist, so ist dieses Selbsterzeugen, der reine Begriff, ihm zugleich das gegenständliche Element, worin er sein Dasein hat, und er ist auf diese Weise in seinem Dasein für sich selbst in sich reflektierter Gegenstand. [Meine Hervorhebung, S.W.] – Der Geist, der sich so entwickelt als Geist weiß, ist die Wissenschaft. Sie ist seine Wirklichkeit und das Reich, das er sich in seinem eigenen Elemente erbaut. Das reine Selbsterkennen im absoluten Anderssein, dieser Äther als solcher, ist der Grund und Boden der Wissenschaft oder das Wissen im allgemeinen. Der Anfang der Philosophie macht die Voraussetzung oder Forderung, dass das Bewusstsein sich in diesem Elemente befinde. Aber dieses Element erhält seine Vollendung und Durchsichtigkeit selbst nur durch die Bewegung seines Werdens.92

Der Geist muss für sich werden, was er an sich (d.h. seinem Begriff nach) ist. Dieses Werden bezeichnet Hegel als Selbsterzeugen. Dieses wird weiter beschrieben als reines Selbsterkennen im absoluten Anderssein. Damit geht die Forderung einher, dass der Prozess des Werdens seinerseits durchsichtig wird und der Geist entsprechend ein in sich reflektierter Gegenstand ist. Der Prozess des Werdens der Durchsichtigkeit ist aber zunächst eine Auseinandersetzung mit Undurchsichtigem. Sonst könnte die Durchsichtigkeit gar nicht werden, sondern wäre immer schon gegeben. Die Erkenntnis über diese Entwicklung ist die philosophische Wissenschaft. Diese Wissenschaft ist das Selbstverhältnis des Geistes. Aufgabe der Phänomenologie ist es, das Bewusstsein zu dieser Wissenschaft zu führen. Dem Bewusstsein soll vermittelt werden, was das Selbsterkennen im absoluten Anderssein (das Hegel als »Äther« bezeichnet) bedeutet. Die Erfahrungen des Bewusstseins werden sich folglich um das Verhältnis von Selbst- und Fremderkenntnis drehen. Auffällig ist, wie 92 PhG, 28. Vgl. Johannes 4:24: »Gott ist Geist, und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten.«

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selbst hier noch auf die Notwendigkeit der Gegenständlichkeit und des Daseins hingewiesen wird – die Momente, die durch Darstellung entwickelt werden; nur ist Hegels Anspruch, wie hier ebenfalls klar wird, dass das Dasein seinen Charakter der Äußerlichkeit vollständig verliert, so dass hier »das Selbsterzeugen«, also die geistige Produktivität selbst zu einem gegenständlichen Element wird. Die Kontraktion oder Konzentration des Begriffs im Moment des Erkennens, soll nun aber zugleich als System entwickelt werden, damit dieses Erkenntnismoment seinerseits als »gegenständliches Element« erkannt werden kann. Der Systemgedanke fordert, dass der »Äther« des reinen Erkennens in eine umfassende Beziehung zum unreinen Erkennen gesetzt wird. Das Werden, die Äußerlichkeit und das absolute »Anderssein« sind also notwendige Bedingungen der Erkenntnis. Die Form der existierenden geistigen Selbsterkenntnis ist das System: »Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein.«93 Nichts ist nur wahr oder nur falsch. Deshalb ist auch das Falsche systematisierbar. Die konzeptionellen Fehler der Einstellungen des Bewusstseins zur Objektivität lassen sich systematisch katalogisieren. Dadurch entsteht ein Übergang vom Falschen zum Wahren, der sich retrospektiv selbst als Teil des Systems erweist. Durch seine systematische Organisation wird unser Nichtwissen zu Wissen – und zwar weil auf verschiedenen Positionen immer etwas anderes (nicht) gewusst wird, weshalb wir uns zwischen diesen Positionen bewegen.94 Innerhalb des Systems gibt es einerseits Spannungen zwischen verschiedenen Begriffen (die gewissermaßen objektiv als Eigenschaften der Begriffe vorliegen), andererseits lässt unsere Arbeit mit und an Begriffsbestimmungen diese auch nicht unberührt, sie befinden sich also in einem Wandel und haben eine Entwicklungsgeschichte. Diese Dynamik berührt auch den Begriff der Wahrheit, der damit temporalisiert wird: Das, was in Wahrheit ist, ist ein systematischer, aber sich permanent re-strukturierender begrifflich artikulierter Zusammenhang. Wahrheit ist deshalb die Bewegung der Begriffe, durch die sich ihr Gehalt bestimmt. In diesem Sinne beschreibt Georg Bertram Hegels Verständnis von Wahrheit als prozessualen Begriffsholismus.95 Begriffe sind bestimmt durch ihre Position relativ zu anderen Begriffen innerhalb eines Systems und erhalten über diese systematischen Relationen ihren Gehalt. Wahrheit kann deshalb »nur für einen Zusammenhang von Sätzen [...] festgestellt werden.«96 Darin liegt ein 93 PhG, 14 94 Vgl. TWA2, 107 95 Vgl. Bertram, Hegels »Phänomenologie des Geistes«, 315–17. Zu Wahrheit als Begriffsbewegung vgl. ebd., 320. 96 Bertram, 318. Hier zeigt sich wieder das Kohärenz-Moment der Wahrheit.

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Moment von Subjektivität; diese Subjektivität ist allerdings nicht anthropomorph nach dem Modell menschlichen Bewusstseins zu verstehen, sondern als differenzierender Selbstbezug. Das Absolute entwickelt sich und demonstriert seinen absoluten Status vom Ende dieser Entwicklung her, also aus deren Resultat. Der Begriff des Resultats impliziert allerdings schon, dass sein Resultat-Charakter nur durch Rückbindung an den Entstehungsprozess als solcher verstanden werden kann; die damit bleibende Relevanz der Entwicklung unterstreicht auch die Aussage, dass das Wahre das Ganze ist. Die Zweckstruktur bindet Anfang und Ende zusammen. Das Resultat ist als Zweck schon im Anfang antizipiert: »Das Resultat ist nur darum dasselbe, was der Anfang, weil der Anfang Zweck ist«.97 Ein Anfang besteht also in einer Projektion (einer Vor-Stellung und dem Vorschweben) eines Zwecks in die Zukunft.98 Was der Zweck wirklich war, kann erst vom Ende her, aus einem erreichten Resultat und seiner Entstehungsgeschichte, erkannt werden – also in einem Rückblick darauf, wie der anfängliche Zweck und das nun bestehende Produkt zusammenhängen, da der zunächst vage Zweck erst jetzt in all seinen Dimensionen entwickelt wurde. Das antizipierte Ziel der Phänomenologie ist die Entsprechung von Gegenstand und Begriff, das absolute Wissen bzw. »der sich als Geist wissende Geist«.99 In der folgenden vierten Reihe zeigt sich die Verbindung von Wahrheit und Darstellung: Das, was an und für sich die Wahrheit ist, ist dennoch 97 PhG, 26. Hegel greift dort auf Aristoteles zurück, wenn er die Vernunft als »das zweckmäßige Tun« bezeichnet. Zentral ist für ihn, dass es dabei um eine innere (Selbst-)Zweckmäßigkeit geht: »der Zweck ist das Unmittelbare, Ruhende, das Unbewegte, welches selbst bewegend ist; so ist es Subjekt. Seine Kraft, zu bewegen, abstrakt genommen, ist das Fürsichsein oder die reine Negativität. Das Resultat ist nur darum [meine Hervorhebung, S.W.] dasselbe, was der Anfang, weil der Anfang Zweck ist; – oder das Wirkliche ist nur darum dasselbe, was sein Begriff, weil das Unmittelbare als Zweck das Selbst oder die reine Wirklichkeit in ihm selbst hat.« Einen Bezugspunkt für diesen Gedanken bildet die Passage über das Selbstdenken der Vernunft und den unbewegten Beweger aus dem siebten Kapitel des zwölften Buchs von Aristoteles’ Metaphysik, aus der Hegel am Schluss der Enzy­ klopädie (§ 577) zitiert; vgl. TWA10, 395 sowie Aristoteles, »Metaphysik«, 1072a–b. 98 Vgl. WL2, 406 99 PhG, 74. In der Selbsterkenntnis des Geistes schließt sich die Phänomenologie (PhG, 591): »Das Ziel, das absolute Wissen, oder der sich als Geist wissende Geist hat zu seinem Wege die Erinnerung der Geister, wie sie an ihnen selbst sind und die Organisation ihres Reichs vollbringen.« Vgl. auch PhG, 33: »Das Ziel ist die Einsicht des Geistes in das, was das Wissen ist.« Hegel schreibt in der Einleitung: »Das Ziel aber ist dem Wissen ebenso notwendig

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als solches nur durch einen Prozess der Darstellung erkennbar – und damit auch erst realisiert. Die Darstellung ist also die Selbstproduktion des Geistes. Hier wird nun das Verwirklichungsmoment der Darstellung relevant: (4.1) (4.2) (4.3) (4.4)

Das (prinzipiell) Nicht-Darstellbare ist absolut unwahr. Die philosophische Wahrheit kann dargestellt werden. Die philosophische Wahrheit muss dargestellt werden. Die philosophische Wahrheit ist unabhängig von uns.

Die Berufung auf einen unmittelbaren Zugang zur Wahrheit kritisiert Hegel als dogmatisch. Er zeigt immer wieder, dass dieser Anspruch nicht wahrheitsfähig ist, weil er aufgrund der behaupteten Unmittelbarkeit noch nicht einmal durch diejenigen inhaltlich bestimmt werden kann, die ihn erheben (in einer paradigmatischen Weise wird dieses Argument im Kapitel über die sinnliche Gewissheit geführt, worauf wir noch genauer eingehen werden). Das, »was das Unaussprechliche genannt wird,« ist »nichts anderes [...] als das Unwahre, Unvernünftige, bloß Gemeinte.«100 Deswegen ist die Berufung auf das Unaussprechliche das Ende des (wissenschaftlichen) Diskurses; wenn das Unaussprechliche zum Kriterium wird, kann konsequenter Weise nur noch geschwiegen werden. Hegels Position ist entsprechend, dass die philosophische Wahrheit dargestellt werden kann (wie wir bereits anhand des Beginns der Vorrede gezeigt und auch im Zusammenhang mit Punkt 1.1 nochmals unterstrichen haben). Allerdings weist Hegel, wie sich schon angedeutet hat, auch die reinen Resultate, die »netten« Antworten,101 als unvermittelt aus. Erkenntnis der Wahrheit enthält wesentlich ein genetisches Moment: Die Wahrheit besteht nicht einfach – sie kann nicht nur dargestellt werden, sondern sie muss auch erst dargestellt werden. Dass die philosophische Wahrheit dargestellt werden muss, heißt, dass sie in ihrer Genese aufgezeigt werden muss. Das Wahre ist Resultat und muss erst realisiert werden (was wahr ist, etabliert sich also in der laufenden Arbeit der Wissenschaft). Das folgt aus der Unbestimmtheit, als die Reihe des Fortganges gesteckt; es ist da, wo es nicht mehr über sich selbst hinauszugehen nötig hat, wo es sich selbst findet und der Begriff dem Gegenstande, der Gegenstand dem Begriffe entspricht. Der Fortgang zu diesem Ziel ist daher auch unaufhaltsam, und auf keiner früheren Station ist Befriedigung zu finden.« 100 PhG, 92 101 PhG, 41

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dem inhärenten Defizit des anfänglichen Zwecks, der als Absicht eben nicht ausgeführt ist. Das Absolute ist insofern abhängig von »uns«, als wir das Moment sind, in dem das Absolute sich selbst erkennt. Ohne die Arbeit am Begriff wird das Absolute nie das, was es in Wahrheit ist.102 Die Entwicklung der Darstellung der philosophischen Wahrheit ist damit zwar abhängig von der Darstellungsaktivität geistiger Wesen, entscheidend ist aber, dass es sich bei diesem Punkt nicht um eine willkürliche Setzung handelt. Im Gegenteil ist die Darstellungsabhängigkeit des Geistes eine Eigenschaft, die dem Geist – bzw. der Substanz, die Hegel aber gerade aufgrund dieser Eigenschaft als Geist versteht – objektiv zukommt: »die Substanz hat, als Subjekt, die erst innere Notwendigkeit an ihr, sich an ihr selbst als das darzustellen [meine Hervorhebung, S.W.], was sie an sich ist, als Geist.«103 Darstellung zeigt, dass das Absolute sich selbst erkennen kann, d.h. dass Selbst-Erkenntnis eine objektiv bestehende Struktur ist. Das Absolute muss zwar in einem Prozess entwickelt werden, der kontingente Momente enthält; dass das der Fall ist und darin die Struktur des Absoluten besteht, ist seinerseits aber nicht konstruiert, sondern eine unabhängig von uns bestehende Struktur der Welt. Indem er die Darstellungsbewegung als innere Notwendigkeit der Substanz bzw. des Geistes konzipiert, unterstreicht Hegel, dass es sich bei der Darstellung um das Ausbilden eines Selbstverhältnisses handelt. Die Form der dazugehörigen Erkenntnis ist also die der Selbsterkenntnis. Selbsterkenntnis enthält eine Erkenntnis der Erkenntnis – d.h. eine Erkenntnis erkennender Wesen darüber, wie ihre Erkenntnis funktioniert. Genau eine solche Erkenntnis muss in der gelingenden Darstellung der philosophischen Wahrheit erreicht werden. Im Schlusskapitel 102 Vgl. PhG, 19: »Das erste Auftreten ist erst seine Unmittelbarkeit oder sein Begriff. Sowenig ein Gebäude fertig ist, wenn sein Grund gelegt worden, so wenig ist der erreichte Begriff des Ganzen das Ganze selbst.« In Hegels Beschreibung sehen wir auch, wie der prozessuale Charakter des Begriffs in seine Verwendung des Wortes »Begriff« einfließt, denn damit wird nicht nur »der Begriff« im entwickelten hegelschen Sinn bezeichnet, sondern auch ein defizitäres Vorverständnis. Wie Thomas Sören Hoffmann formuliert, gibt es bei Hegel einen Vorrang der »Aussagbarkeit« vor der unmittelbaren Identität. Das heißt nicht, dass Identität als Ziel verworfen wird, sondern dass Hegel die Identität wesentlich so konzipiert, dass sie nicht im Widerspruch zu ihrer Aussagbarkeit steht – und zwar tut er das, indem er die Differenz und den Widerspruch zum konstitutiven Moment der Identität macht; vgl. Hoffmann, Hegel: Eine Propädeutik, 141. Ein ähnliches Argument findet sich bereits bei Alexandre Kojève, Introduction to the Reading of Hegel, 120. 103 PhG, 585

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der Phänomenologie schreibt Hegel: »Die vollendete gegenständliche Darstellung ist erst zugleich die Reflexion derselben oder das Werden derselben zum Selbst.«104 Dieses Werden zum Selbst verweist auf ein zentrales Moment des Beweises, den Hegel führt und der als SelbstBeweis verstanden werden muss (dadurch fällt ein das Wissen transzendierender Maßstab weg; das absolute Wissen ist sein eigener Maßstab).105 Darin, dass er durchgängig dafür argumentiert, dass die philosophische Wahrheit dargestellt werden kann, besteht (wie schon durch die erste Reihe der Grundaussagen angedeutet) Hegels entscheidender Zug gegen einen Skeptizismus, der behauptet, das Wahre ließe sich nicht wissenschaftlich objektiv erkennen (und der deshalb leicht in einen Dogmatismus der Unmittelbarkeit umkippt). Seine Theorie des Absoluten erfordert aber eine besondere Darstellungsform, weil das Darzustellende erstens so verstanden wird, dass es sich selbst erkennt und zweitens so, dass es zwar dem Prozess seiner endlichen Bestimmungen nicht abstrakt entgegengesetzt wird, aber doch etwas ist, das sich jeder lokalen, und damit notwendigerweise reduktiven Bestimmung entzieht. Die Bestimmungen müssen so gedacht werden, dass sie sich nicht in ein Aggregat von Teilen aufsummieren, sondern sich dynamisch transformieren bzw. wie Hegel sagt, sich bewegen und durchdringen; darin besteht Hegels semantischer Holismus.106 Aus Hegels Konzeption des Verhältnisses von Darstellung und Wahrheit können weitere Konsequenzen gezogen werden: Das genetische 104 PhG, 585 105 Heidegger hat diesen Punkt durch den Hinweis unterstrichen, dass die Wissenschaft das Subjekt und nicht das Objekt der Phänomenologie ist; vgl. Heidegger, »Hegels Begriff der Erfahrung«, 199. 106 Das Bedürfnis der Unmittelbarkeit speist sich gerade aus der Ablehnung der für sich genommen jeweils relativen Bestimmungen, die jeweils auch den Charakter einer Beschränkung haben. Hegel zielt aber darauf ab, dass ohne diese Beschränkungen gar keine begriffliche Bestimmung erreicht werden kann. Die Darstellung muss daher einerseits die Bestimmungen liefern, und andererseits ihre jeweilige Endlichkeit aufzeigen; sie muss einfangen, dass die Bestimmungen immer nur lokal sind bzw. den Charakter von Momenten haben. In einer Passage aus der »Differenzschrift« bringt Hegel den Begriff der Darstellung in einen Zusammenhang mit Produktions- und Konstruktionsprozessen. Hier geht es zwar um die Vernunft, in Bezug auf das Verständnis der Dynamik des Darstellungsprozesses und der Rolle der einzelnen Bestimmungen bzw. Beschränkungen dabei ist diese Passage aber dennoch aufschlussreich: »Das Philosophieren, das sich nicht zum System konstruiert, ist eine beständige Flucht vor den Beschränkungen, – mehr ein Ringen der Vernunft nach Freiheit als reines Selbsterkennen derselben, das seiner sicher und über sich klar geworden ist. Die

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Moment der Darstellung setzt diese in Beziehung zu Sprache, Raum und Zeit. Das Absolute erscheint in endlichen Formen und dieses Erscheinen ist der Prozess seiner Entwicklung. Es entwickelt sich, breitet bzw. dehnt sich aus und legt sich auseinander in seine Momente.107 Diese Momente sind nach Hegels Konzeption des Ganzen logisch mit ihm verbunden, sie gliedern sich aber in der Phänomenologie in eine narrative und – v.a. im Geist- und Religionskapitel – historische »Sukzession«.108 Einerseits ist es für Hegel entscheidend, dass der Geist eine wirkliche Entwicklung in der Zeit durchläuft; andererseits bildet die Darstellung der Phänomenologie einen Weg, in dem auch die Momente, die eigentlich synchron bestehen – wie etwa Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Vernunft – zeitlich nacheinander dargestellt werden. Dieser Umstand kann als trivial betrachtet werden. Hegel betont diesen Punkt aber immer wieder und das Verhältnis von narrativer diachronischer Entwicklung und synchroner logischer Erinnerung spielt für die Selbsterkenntnis des Wissens im Kapitel zum absoluten Wissen eine wesentliche Rolle. Die Frage ist damit, in welchem Zusammenhang Darstellung und Wahrheit mit der Zeit stehen, sowie mit dem Verhältnis von Machen und Finden, d.h. wie eine atemporal gedachte Einheit zugleich notwendigerweise ihre Bestimmung durch einen zeitlichen Artikulations- bzw. Hervorbringungsprozess erhält. Entscheidend für die Entwicklung der Phänomenologie ist, dass Hegel dieses Problem in analoger Weise für freie Vernunft und ihre Tat ist eins, und ihre Tätigkeit ein reines Darstellen ihrer selbst. In dieser Selbstproduktion der Vernunft gestaltet sich das Absolute in eine objektive Totalität, die ein Ganzes in sich selbst getragen und vollendet ist, keinen Grund außer sich hat, sondern durch sich selbst in ihrem Anfang, Mittel und Ende begründet ist.« (TWA2, 46; meine Hervorhebungen, S.W.). Das wichtigste Projekt der Vernunft ist also, sich selbst darzustellen. Der Darstellungsprozess ist demnach die Selbstproduktion der Vernunft und wird als Einheit von Anfang, Verlauf (Mittel) und Resultat (Ende) gedacht. 107 Vgl. PhG 18: »Die Kraft des Geistes ist nur so groß als ihre Äußerung, seine Tiefe nur so tief, als er in seiner Auslegung sich auszubreiten und sich verlieren getraut.« 108 Vgl. PhG, 19: »Der Anfang des neuen Geistes ist das Produkt einer weitläufigen Umwälzung von mannigfaltigen Bildungsformen, der Preis eines vielfach verschlungenen Weges und ebenso vielfacher Anstrengung und Bemühung. Er ist das aus der Sukzession wie aus seiner Ausdehnung in sich zurückgegangene Ganze, der gewordene einfache Begriff desselben. Die Wirklichkeit dieses einfachen Ganzen aber besteht darin, dass jene zu Momenten gewordenen Gestaltungen sich wieder von neuem, aber in ihrem neuen Elemente, in dem gewordenen Sinne entwickeln und Gestaltung geben.«

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menschliche Handlungen, Sprache (als Sprechhandlung) und die Artikulation der Phänomenologie selbst konzipiert. In diesem Punkt ist Robert Brandoms Lektüre der Phänomenologie aufschlussreich. Ihm zufolge muss begriffliche Bestimmung prozessual gedacht und aus zwei Blickrichtungen verstanden werden, nämlich vorausblickend und zurückblickend. In der Vorwärtsbewegung werden Bestimmungen zunächst »gemacht«. Dabei öffnet sich ein Bereich der Kontingenz und es entsteht Prüfbarkeit: Nicht alle Bestimmungen sind kompatibel und es muss untersucht werden, welche Differenzierungen unter welchen Bedingungen gelten. Erst rückblickend kann unterschieden werden, welche dieser Differenzierungen sich als rational erwiesen haben, wodurch in dem kontingenten Konstruktionsprozess Notwendigkeit erkennbar wird. Die Darstellung generiert also prüfbare Zwischenstände und damit die Möglichkeit der Objektivität und Fallibilität von Wissensansprüchen; durch den Darstellungsprozess werden die Grenzen der Begriffe austariert.109 Wir können an dieser Stelle antizipieren, welche Rolle die Sprachlichkeit der Darstellung dabei spielt: Das Selbst-Werden des Geistes in 109 Zu dieser Grundidee Brandoms vgl. z.B. Brandom, A Spirit of Trust, 17. Brandom verbindet diese prozessuale Theorie der begrifflichen Bestimmung auch mit Hegels Ablehnung von Verbaldefinitionen: »Hegel understands the determinateness of ground-level determinate concepts in terms of the process of determining their contents. Thinking of the determinateness of conceptual content in terms of such a process, rather than in terms of the property of having sharp, complete boundaries, as Kant and Frege do, is a hallmark of understanding it according to the dynamic metacategories of Vernunft rather than the static metacategories of Verstand. The process that determines conceptual contents Hegel calls ›experience‹ [Erfahrung]. The contents so determined articulate the norms for proper application of those concepts. The process of experience is accordingly understood as being both the process of applying determinate conceptually contentful norms in judgment and intentional action and the process of institu­ting those determinate conceptually contentful norms. Regarded retrospectively, that process of determination is one of discovery. It is the gradual, progressive finding out what the content has been all along: what norm implicitly governed and governs applications of the concept in judgment. Regarded prospectively, that same process of determination is one of invention. It is the gradual, progressive fixing of the content: making a partially indeterminate content ever more determinate by applying the concept in novel circumstances. Because he thinks of determinateness in this way, Hegel rejects the possibility of conveying the content of a concept by defining it [meine Hervorhebung, S.W.]. As a matter of deep pragmatist semantic principle, the only way to understand the content of a determinate concept, he thinks, is by rationally reconstruc­ ting an expressively progressive history of the process of determining it.«

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seiner Darstellung wird einerseits durch die Äußerlichkeit der Sprache ermöglicht, deren Äußerlichkeit die Bewegung des Geistes momentan hemmt und somit die Bewegung des Geistes trägt. Zugleich entsteht damit aber auch ein Moment der Diskrepanz, das sich aus der Trägheit der Sprache ergibt und mit dem Selbstverhältnis des Geistes kollidiert. Die Äußerlichkeit der Sprache ist für Hegel deshalb idealerweise eine temporär bestehende und damit eine wieder verschwindende (Trägheit und Verschwinden beschreiben die Dynamik, die sich aus dem absoluten Unterschied von Zeichenkörper und Bedeutung ergibt; das Problem der Trägheit ist ein Beharren des Positiven, das Problem der Forderung des Verschwindens ist eine überschießende Brandom, 6. Vgl. auch ebd., 684, 696f. sowie Kant, KrV B758f. Christian Martin hat der Notwendigkeit der Artikulation von Gedanken (die ihrer Form nach überzeitlich sind) in einer räumlich und vor allem zeitlich vermittelten Form eine umfassende Untersuchung gewidmet; vgl. Martin, Die Einheit des Sinns. Für einen Ansatz aus der analytischen Philosophie vgl. Alshanetsky, Articulating a Thought. Zu Objektivität und Fallibilität in der Phänomenologie vgl. Gabriel, »A Very Heterodox Reading of the Lord-Servant-Allegory in Hegel’s Phenomenology of Spirit«. Auch anhand von Hegels Überlegungen in der »Differenzschrift« lässt sich der Darstellungsprozess als Prozess der Klärung bzw. des Testens der Tragfähigkeit philosophischer Theorien und Ideen verstehen. Die Differenz einer philosophischen Idee und ihrer Darstellung ist nur durch Darstellung zu erkennen. Eine Philosophie kann sich selbst in ihrer Darstellung different werden. Sie kann ihren leitenden Gedanken im Laufe ihrer Artikulation aufgeben oder verändern, oder daran scheitern, ihn einzulösen. Das dargestellte System kann also von einem aus dieser Darstellung ablesbaren gesetzten Maßstab abweichen; die notwendige Bedingung eines solchen Vergleichs ist aber die Darstellung. Hegel behandelt dieses Thema in der »Differenzschrift« unter dem Titel »Verhältnis des Philosophierens zu einem philosophischen System« (TWA2, 45; vgl. dazu auch den Aufsatz »Über das Wesen der philosophischen Kritik«, ebd., 171–87). Während Fichte (so Hegel an dieser Stelle) zwar über den spekulativen Grundgedanken der Einheit von Subjekt und Objekt verfügt, kann er ihm in der Darstellung der Wissenschaftslehre nicht gerecht werden und die Einheit fällt unter ein Primat des Subjekts – ein Philosophieren, »das nicht zu einem System gelangen kann« (TWA2, 95). Gelingt dagegen die systematische Darstellung, fallen Philosophie und System zusammen, wie, Hegel zufolge, bei Schelling: »Das Prinzip der Identität ist absolutes Prinzip des ganzen Schellingschen Systems; Philosophie und System fallen zusammen; die Identität verliert sich nicht in den Teilen, noch weniger im Resultate.« (TWA2, 94). Das Darstellungsproblem wird also gelöst, indem zwei Ebenen, die wir gewöhnlich durch eine Referenz-Relation auseinander halten konvergieren, d.h. als un-unterschieden gedacht werden. Zum Darstellungsproblem bei Schelling vgl. Heßeler, Grundlose Gestaltung, 28.

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Idealisierung, die letztlich eine Forderung nach Sprachlosigkeit der Erkenntnis ist).110 Weil in Hegels Theorie des Geistes der Geist seine eigene Darstellung als Wissenschaft von sich selbst hervorbringt und damit Wissenschaft und Gegenstand, Subjekt und Objekt der Wissenschaft zusammenfallen, wird der Begriff der Darstellung stark belastet. Die Wissenschaft vollendet erst den Geist und die Darstellung der philosophischen Wissenschaft konstituiert damit das, was sie erkennt. Vor diesem Hintergrund ergibt sich nun das Profil des Darstellungsbegriffs innerhalb der Phänomenologie: (5.1) Darstellung ist Erklärung. (5.2) Darstellung ist Rechtfertigung bzw. Beweis (der philosophischen Wissenschaft). Die fünfte Reihe beschreibt die Erklärungs- und Beweisfunktion der Darstellung und verweist außerdem darauf, dass die Phänomenologie eine metaphilosophische Reflexion der für sie als Projekt erforderlichen Darstellungs- und Beweisform enthält.111 Das Erklärungsmoment in Hegels Darstellungsbegriff steht in direkter Verbindung mit dem Systemcharakter der Wissenschaft, der deren Wahrheit ausmacht: Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein. Daran mitzuarbeiten, dass die Philosophie der Form der Wissenschaft näherkomme – dem Ziele, ihren Namen der Liebe zum Wissen ablegen zu können und wirkliches Wissen zu sein –, ist es, was ich mir vorgesetzt. Die innere Notwendigkeit, dass das Wissen Wissenschaft sei, liegt in seiner Natur, und die 110 Auf das Verhältnis von Trägheit und Verschwinden werden wir im Abschnitt über Hegels Sprache zurückkommen; vgl. zu diesem Thema auch Reid, Hegel’s Grammatical Ontology, xv f. Hegels Präferenz für das Verschwinden der gesprochenen Sprache erstreckt sich auch auf geschriebene Worte; diese sollten idealer Weise mit ihrem Verstandenwerden verschwinden (TWA1, 367). Auch das ursprüngliche Wort verschwindet in seiner Äußerung (WL2, 550). Das performative Element bei Hegel zielt also auf etwas anderes, als bei Derrida, bei dem gerade das Nicht-Verschwinden, die Widerständigkeit des Zeichens als nicht aufhebbarer Rest hervorgehoben werden soll. Darin weisen allerdings beide auf die prinzipielle Diskrepanz von Zeichen und Bedeutung hin, die die Sprache an sich selbst exem­ plifizieren kann; vgl. dazu Enz. § 459 sowie Schülein, Metaphysik und ihre Kritik bei Hegel und Derrida, 222. Vgl. ebenfalls Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 232. 111 Zum metatheoretischen Charakter der Phänomenologie, vgl. Brendan Theunissen, Hegels Phänomenologie als metaphilosophische Theorie. Zu Hegels absolutem Idealismus als Meta-Metaphysik vgl. Gabriel, »What Kind of an Idealist (If Any) Is Hegel?«

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befriedigende Erklärung hierüber ist allein die Darstellung der Philosophie selbst.112

In dieser Passage geht es um nichts weniger als die Verwirklichung der Philosophie als Wissenschaft. Wissenschaft kann die Philosophie nur in Form eines Systems sein. Dass sich das (einzelne) Wissen bzw. einzelne Wissensansprüche letztlich nur als wissenschaftliches System einlösen lassen, liegt Hegel zufolge im Begriff des Wissens selbst. Die Erklärung, warum das so ist (bzw. ob es überhaupt so ist) kann aber unter diesen Voraussetzungen nicht außerhalb des geforderten Systems liegen bzw. es von außen stützen, denn dann würde die Begründung der Wissenschaft gerade der eigentlichen Wissenschaftlichkeit entbehren (die im Systemcharakter ihres Wissens besteht). Aus diesem Grund ist die Erklärung darüber, warum das Wissen einen inhärenten Anspruch auf Wissenschaftlichkeit enthält »allein die Darstellung der Philosophie selbst«. Der Darstellungsbegriff ist damit ein entscheidendes Element der Makroebene von Hegels Systemverständnis, insofern er eine systemimmanente Erklärung bezeichnen kann. Wie am Ende der Phänomenologie deutlich wird, besteht diese Erklärung in der Ausdifferenzierung der einzelnen Wissensansprüche und in der Erkenntnis über ihre je spezifischen Grenzen. Die Passage, in der Hegel dem Darstellungsbegriff eine Beweisfunktion in Bezug auf die philosophische Wissenschaft zuschreibt, steht dagegen eher im Zusammenhang mit der Mikroebene des Systems – dem spekulativen Satz, in dem sich die wesentlichen Momente von Hegels Philosophie bündeln: Die »Bewegung, welche das ausmacht, was sonst der Beweis leisten sollte, ist die dialektische Bewegung des Satzes selbst. Sie allein ist das wirkliche Spekulative, und nur das Aussprechen derselben ist spekulative Darstellung.«113 Bis zu diesem Punkt haben wir verfolgt, dass Hegel das Absolute als sich selbst differenzierende Einheit denkt und in welchem Zusammenhang der Begriff der Darstellung mit diesem Differenzierungsprozess steht. Diese Konzeption einer spekulativen Identität findet sich in gebündelter Form in Hegels Theorie des spekulativen Satzes wieder, der wir uns jetzt zuwenden. Der spekulative Satz ist eine theoretische Konzeption des Satzes, die das Verstehen des Satzes wesentlich mitberücksichtigt. In seiner Theorie des spekulativen Satzes versteht Hegel die »Bewegung des Satzes« als Beweis dafür, dass substantielle Einheiten nur durch eine interne Differenz gedacht werden können und ihnen deshalb eine Subjektstruktur zukommt. Daraus, dass Hegel mit der »spekulative[n] Darstellung« eine Bewegung des Satzes verbindet, ergeben sich Konsequenzen für die Form der philosophischen Darstellung, die er in 112 PhG, 14; vgl. auch o. Satz 3.5 zum wissenschaftlichen System als Existenzform der Wahrheit. 113 PhG, 61

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der Phänomenologie insgesamt anstrebt. Die Darstellungsform muss der Form eines Systems entsprechen, das sich selbst ausdifferenziert.114 1.7 Spekulative Identität und spekulativer Satz Der spekulative Satz und die damit verbundene Theorie der spekulativen Identität bilden den ersten Referenzpunkt für die Darstellungsform der Phänomenologie (ihr Ziel). Der gewöhnliche Satz, »in Form eines Urteils« ist (wie Hegel in der Logik schreibt) »nicht geschickt [...], spekulative Wahrheiten auszudrücken«.115 Die Darstellung der spekulativen 114 Inwiefern zwischen dem, was Hegel in den beiden angeführten Passagen als »Erklärung« bzw. stärker als »Beweis« bezeichnet, eine systematische Differenz besteht, lasse ich hier offen. Ein dritter Begriff aus diesem Spektrum, den Hegel in einem ähnlichen Zusammenhang verwendet, ist der Begriff der Rechtfertigung. So schreibt Hegel, dass die »Darstellung [...] der Einsicht in die Natur des Spekulativen« ihrer Form nach gerecht werden muss (PhG, 62) und betont, dass sich seine »Einsicht [...] nur durch die Darstellung des Systems selbst rechtfertigen muss« (PhG, 22). Dazu schreibt Chong Fuk Lau: »Es kann [...] keinen systemexternen Beweisgrund geben, von dem das Wahrsein des Systems abhängig wäre. Daraus ergibt sich die Konsequenz: Der einzig mögliche Beweis für das monistisch-holistische System der Wahrheit ist, wenn man so will, allein die Darstellung seiner selbst. So fallen Beweis und Darstellung im Rahmen des Hegelschen Wahrheitsbegriffs wesentlich zusammen. [...] In diesem Zusammenhang stellt sich ein eigentümliches Problem der Darstellung, das von Hegels Wahrheitsbegriff untrennbar ist und daher eine Schlüsselstellung im ganzen System einnimmt. Für Hegel gibt es keine Wahrheit, die vor oder außer ihrer Darstellung für sich bestünde; denn das Wahre ist, spekulativ ausgedrückt, seine Darstellung.« Lau, Hegels Urteilskritik, 63. Die aussprechende Darstellung der dialektischen Bewegung des Satzes soll, Hegel zufolge, eine argumentative Funktion übernehmen, die der Dialektik eigentlich seit Aristoteles nicht mehr zugeschrieben wird: »Nachdem aber die Dialektik vom Beweise getrennt worden, ist in der Tat der Begriff des philosophischen Beweisens verlorengegangen.« (PhG, 61; in diesem Zusammenhang kann auch bemerkt werden, dass Hegel den Begriff des »Arguments« in der Phänomenologie nicht verwendet). Die Trennung der Dialektik vom Beweis, die Hegel feststellt, bezieht sich auf Aristoteles’ Trennung von Topik und Analytik. Wie Guido Kreis schreibt, ist Dialektik »nach dem Verständnis von Aristoteles lediglich eine (rhetorische) Argumentationstechnik, die auf der Basis von Trugschlüssen Scheinwidersprüche erzeugen kann«; vgl. Kreis, Negative Dialektik des Unendlichen, 18. Vgl. zum gleichen Thema Luckner, Genealogie der Zeit, 101. In der zitierten Passage rücken das Dialektische und das Spekulative eng zusammen. In einer späteren Ausführung hat Hegel Dialektik und Spekulation dagegen diskreter gefasst; vgl. dazu TWA4, 413 sowie Smith, The Spirit and its Letter, 255, 266. 115 WL1, 93; vgl. dazu Lau, Hegels Urteilskritik, 193.

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Wahrheit enthält deshalb eine Urteils- und Satzkritik, also eine Kritik der gewöhnlichen (verstandesmäßigen) Vorstellung der Urteils- und Satzform.116 Zwar zeichnen sich spekulative Sätze nicht durch eine besondere sprachliche Eigenart gegenüber normalen Sätzen aus. Gerade dieser Umstand führt aber dazu, dass im Zusammenhang mit der Theorie des spekulativen Satzes auch die sprachliche Form befragt werden muss, da es hier in besonderem Maße auf das Verhältnis des sprachlich Ausgedrückten und des Auffassens dieses sprachlichen Ausdrucks ankommt.117 Die Kritik der logischen Form beinhaltet also eine Kritik der sprachlichen Form, in der sich das Urteil artikuliert. Entsprechend enthalten Hegels Ausführungen zum spekulativen Satz, wie bereits von mehreren Kommentatoren festgestellt, Hinweise zur Form der sprachlichen Darstellung des Spekulativen.118 Hegels Theorie des spekulativen Satzes hat also indirekte Konsequenzen für die Theorie der Sprache. Ein einzelnes, prädikatives Urteil ist eine Teilbestimmung eines einzelnen Gegenstandes (des Urteilssubjekts), der unter einen Allgemeinbegriff (das Prädikat) gefasst wird.119 Ein solches Urteil sagt also nicht alles, was über seinen Gegenstand gesagt werden könnte. Auch der Umfang des Prädikats wird nicht durch das mit ihm bestimmte Subjekt erschöpft (so ist z.B. eine Katze nicht nur schwarz, sondern auch vierbeinig und schwarz sind nicht nur Katzen, sondern auch Klaviere und vieles mehr). Aus beiden Richtungen zeigt sich das Urteil als einseitig. Aufgrund dieses Defizits tritt es notwendigerweise in Verbindung mit weiteren Urteilen, die das einzelne Urteil relativieren. Diese additive Verkettung von Urteilen ist die Vorgehensweise des räsonierenden Verstandesdenkens, das ein vorgestelltes Subjekt mit einer Reihe von Prädikaten beschreibt. Hegels Konzept des spekulativen Satzes ist eine Reflexion der gedanklichen Bewegung im Urteil. Im prädikativen Urteil wird zunächst das Subjekt als wesentlich verstanden. Diese vorgestellte Bedeutung des Subjekts bildet den Ausgangspunkt für das räsonierende Denken, das an diesen Fixpunkt prädikative Bestimmungen heften kann. Diese Funktion des Urteilssubjekts entspricht seiner Bestimmung als feststehendes Substrat.120 Sofern aber das Urteil wirklich eine Identität von Subjekt und Prädikat ausdrückt (und nicht nur eine Teilbestimmung), geht diese vorgestellte Bedeutung, also die Bestimmung des Subjekts, in einem ersten Moment der Bewegung des Urteils vollständig in das Prädikat über 116 Darin folge ich der Argumentation von Chong Fuk Lau in Hegels Urteilskritik. 117 Vgl. Lau 168f. sowie Surber, »Hegel’s Speculative Sentence«, 440. 118 Vgl. neben Lau und Surber Werner Marx, Absolute Reflexion und Sprache und Wohlfart, Der spekulative Satz. 119 Dieses Verhältnis wird häufig als Subsumption des Urteilssubjekts unter das Prädikat verstanden. 120 Ein solches Substrat wird auch mit dem Begriff des hypokeimenon bezeichnet.

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und verliert sich auf diese Weise. Die Substantialität verschiebt sich vom Subjekt in das Prädikat und es kommt zu einem Verlust des ursprünglichen Satzsubjekts und damit der Substanz. Stattdessen zeigt sich nun das Prädikat als die Substanz und das räsonierende Denken kann nicht einfach weiter zu anderen Prädikaten fortschreiten, die dem Subjekt ebenfalls zukommen, weil das Subjekt sich im Prädikat erschöpft hat.121 Die in das Prädikat übergegangene Bedeutung müsste nun wieder mit dem Subjekt zusammengeschlossen werden. Das Problem bei der Rückkehr ist allerdings: Die Basis dieser Rückkehr des Prädikats ist ja in der Bewegung aller Bedeutung ins Prädikat verloren gegangen. Damit ist gerade dasjenige verloren, was das Prädikat eigentlich erst zu einem Prädikat macht, nämlich das Subjekt. Die Rückbewegung bzw. der »Gegenstoß« ist also keine einfache Wiedereinsetzung des verlorenen Subjekts, sondern es vollzieht sich ein Perspektivwechsel, durch den das Urteilssubjekt zu einem Denksubjekt wird. Nur dieses Denksubjekt kann die Bewegung des Satzes zusammenhalten – und damit bringt die Bewegung des Satzes das Denken hervor, das sich in der gebrochenen Form des Satzes gegenständlich wird.122 In der Vorrede der Phänomenologie finden sich zwei Beispiele für spekulative Sätze, nämlich »Gott ist das Sein« und »das Wirkliche ist das Allgemeine«.123 Dabei fällt auf, dass die Stelle des Prädikats im spekulativen Satz nicht durch ein Prädikat im eigentlichen Sinne ausgefüllt wird. »Das Sein« und »das Allgemeine« sind keine Allgemeinbegriffe, sondern drücken abstrakte Gegenstände aus. Deshalb ist auch der spekulative Satz eigentlich kein prädikativer Satz. Hegel unterstreicht, dass 121 Das (Satz-)Subjekt »zerfließt« in der substantiellen Bedeutung des Prädikats, wie Hegel schreibt (PhG, 59). Der Verlust der Substanz ist als Sterblichkeit Gottes ein wesentliches Moment der Erfahrung des Bewusstseins der ofenbaren Religion, die zugleich eine wichtige Stufe in der Entwicklung des Verständnisses der spekulativen Identität bildet. 122 Vgl. PhG 57f.: »Der feste Boden, den das Räsonieren an dem ruhenden Subjekte hat, schwankt also, und nur diese Bewegung selbst wird der Gegenstand.« Dazu schreibt Frank Ruda: »Das Einzige, was bleibt, ist die Bewegung, welche das Denken von allen erdenklichen Vorannahmen und Voraussetzungen befreit. Das Denken wird in der sich vertiefenden Wiederholung der Bewegung des spekulativen Satzes nicht nur gehalten, sondern allererst hervorgebracht, weil und wenn ›diese Bewegung selbst [...] der Gegenstand‹ des Denkens wird.« Vgl. auch Surber, »Hegel’s Speculative Sentence«, 435. Chong Fuk Lau entwickelt dies ausführlich in den Abschnitte 3.2.2.2 und 3.2.2.3 von Lau, Hegels Urteilskritik. Man kann schließen: Der Verlust der Substanz ist bedingungslos zu affirmieren; es gibt keine Grundlage, zu der im eigentlichen Sinne zurückgekehrt wird, sondern die Affirmationsbewegung der Rückkehr macht die Bewegung zur eigentlichen Substanz; vgl. Lau, 172. 123 PhG, 59f.

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»das Wirkliche ist das Allgemeine« nicht bedeutet »das Wirkliche ist allgemein«. Semantisch gesehen wird also die Identität zweier Gegenstände ausgedrückt und insofern ist der spekulative Satz als »identischer Satz« lesbar.124 Das spekulative Satzverständnis lebt von der Diskrepanz der prädikativen und der spekulativen Form und gerade daraus ergeben sich Konsequenzen für die philosophische Sprache. Wollte man den spekulativen Satz als besondere Satzform verstehen, würde eine Metasprache erforderlich, die eine Ebene der Übersetzung zwischen der spekulativen und der »normalen« Ausdrucksweise ermöglicht. Der spekulative Satz wäre dann nur durch Rückgriff auf die normale Form verständlich, von der er aber zugleich verschieden sein soll. Chong Fuk Laus Vorschlag ist daher, den spekulativen Satz nicht als besondere Satzform, sondern als Satzkritik zu verstehen. Damit wird unterstrichen, dass es im Zusammenhang des spekulativen Satzes nicht in erster Linie um eine besondere sprachliche Form, sondern um eine bestimmte gedankliche Bewegung geht, die mit der sprachlichen Form verbunden und in die Sprache eingeführt wird. Der entscheidende Unterschied besteht für Hegel zwischen dem räsonierenden und dem begreifenden Denken und damit zwischen »zwei 124 Lau, Hegels Urteilskritik, 176f. Daher hat Klaus Düsing den spekulativen Satz als Wesenssatz interpretiert: Das (Pseudo-)Prädikat drückt das Wesen des Subjekts aus, seine Substanz – das Wesen Gottes ist Sein und das Wesen des Wirklichen ist Allgemeinheit; vgl. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, 198–205. So verstanden wäre der spekulative Satz allerdings eine Form der Definition und würde eine abstrakte, statische Identität ausdrücken (vgl. Lau, 177–81). Eine noch schwerwiegendere Einschränkung ist aber Lau zufolge, dass die Pointe des spekulativen Satzes an sich verfehlt würde, wenn man ihn in eine abstrakte Opposition zur gewöhnlichen Form der Prädikation setzte. Man würde »den eigentlichen Sinn der Spekulation von Grund auf verfehlen, wenn man den spekulativen Satz als eine statische Satzform auffasste, die durch seine Andersheit gegenüber der gewöhnlichen Form des prädikativen Satzes deren Unzulänglichkeit überwinden sollte. Der spekulative Satz sei eine höhere oder wahrhaftere Form des Satzes als die gewöhnliche, sowie das begreifende Denken ein höheres Denkvermögen als das räsonierende Denken. Demnach hätten wir eine philosophische Sprache auf der einen (wahrhafteren) Seite und die Umgang- oder Alltagsprache auf der anderen Seite. Mit der abstrakten Gegenüberstellung von der gewöhnlichen und der spekulativen Satzform aber würde [...] der Fehler der schlechten Unendlichkeit begangen, wodurch die dialektische Bewegung, also das immanente Hinausgehen des Spekulativen, nie begreifbar würde.« (Lau, 182). Die Interpretation des spekulativen Satzes als Wesenssatz hat Lau zufolge auch entwicklungsgeschichtliche Pro­ bleme, da Hegel schon seit seiner Frankfurter Zeit dafür argumentiert, dass der Satz überhaupt nicht angemessen ist, um die philosophische Wahrheit darzustellen (Lau, 179).

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Betrachtungsweisen einer Satzform«.125 Der spekulative Satz ist aus seinem Spannungsverhältnis zum identischen Satz zu verstehen, wie Hegel in einer zentralen Passage der Vorrede erläutert: Formell gesagt kann das Gesagte so ausgedrückt werden, dass die Natur des Urteils oder Satzes überhaupt, die den Unterschied des Subjekts oder Prädikats in sich schließt, durch den spekulativen Satz zerstört wird und der identische Satz, zu dem der erstere wird, den Gegenstoß zu jenem Verhältnisse enthält.126

Die Natur des Urteils besteht im Verhältnis eines Unterschieds von Subjekt und Prädikat, wobei das Subjekt des grammatischen Satzes als Sub­ stanz des Urteils zugrunde gelegt wird, der ein allgemeines Prädikat (als Akzidenz) zugeschrieben wird. Diese natürliche Vorgehensweise des Urteilens wird durch den spekulativen Satz zerstört, denn im spekulativen Satz wird der prädikative Satz zu einem identischen Satz (also zu einer Identitätsaussage) und dieser identische Satz enthält einen »Gegenstoß« zum »natürlichen« Verhältnis des Unterschieds von Subjekt und Prädikat. Der Gegenstoß ergibt sich aus dem Spannungsverhältnis zweier Interpretationen desselben Satzes, der einerseits die Identität und andererseits die Differenz von Subjekt und Prädikat ausdrückt. Keines dieser Verhältnisse ist aber das »eigentliche«. Die Identität von Subjekt und Prädikat unterläuft das linear vom Subjekt zum Prädikat fortschreitende Verständnis des Satzes; zugleich liegt aber auch keine abstrakte Identität der Satzglieder vor.127 Insofern diese Bewegung wesentlich gedanklich ist, kann der spekulative Satz als Satzkritik verstanden werden. Damit enthält der spekulative Satz einen Konflikt zwischen seiner sprachlichen Form und dem durch 125 Lau, Hegels Urteilskritik, 183. 126 PhG 59; das spekulative Verständnis der Sprache zeigt sich dabei als Entfremdung von dieser. 127 Der spekulative Satz ist damit, wie Chong Fuk Lau schreibt, »keine Satzform, die neben oder über der gewöhnlichen Form liegt, sondern vielmehr eine Bewegung, die jeder philosophischen Satzbildung immanent ist. Das Spekulative des spekulativen Satzes ist das, wodurch die gewöhnliche Satzform in Bewegung gebracht und über sich hinausgewiesen wird«; Lau, Hegels Urteilskritik, 185. Er fährt fort: »Denn die Spekulation ist, wie gezeigt, als ›Reflexion der Reflexion‹ eine meta-theoretische, zugleich aber immanente Besinnung desjenigen Denkens, das auf dem endlichen Standpunkt seine eigene Beschränktheit nicht durchschauen kann. Sowenig die Spekulation selbst einen Standpunkt bildet, der den anderen gegenüber als das Wahrhaftere gälte, sowenig ist der spekulative Satz eine selbständige Satzform, die der Unzulänglichkeit der gewöhnlichen einfach enthoben wäre. Der spekulative Satz hat also nicht die gleiche Selbständigkeit wie der gewöhnliche prädikative Satz. Auch darf man den spekulativen Satz nicht mit dem gewöhnlichen identischen Satz gleichsetzen, der als eine nichtprädikative Aussagenform seine eigene Gebrauchsnorm in bestimmten Sprachkontexten hat.« (ebd.).

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diese Form ausgedrückten Gehalt.128 Daraus ergeben sich auch Konsequenzen für die sprachliche Darstellungsform: Der spekulative Satz löst einen Konflikt der Form des Satzes aus, insofern er selbst kein grammatischer Satz ist, mit diesem »identischen Satz« aber gewissermaßen den gleichen Körper teilt (man kann Hegel so lesen, dass er bewusst die Ambiguität des Ausdrucks »der identische Satz« ausbeutet, so dass damit einmal ein identisches Urteil gemeint ist, also eine prädikative Form, und einmal der Umstand, dass Identität und Differenz von Subjekt und Prädikat in ein und demselben grammatischen Satz ausgedrückt werden). Dieser Konflikt besteht zwischen zwei geistigen Bewegungen, die über ein materielles Raster (den grammatischen Satz) laufen. Da es kein äußerliches, sprachliches Kriterium der Unterscheidung spekulativer und »normaler«, prädikativer Sätze gibt, kommt es darauf an, wie das im Satz Ausgedrückte aufgefasst wird. Ein spekulativer Satz zeigt sich nur als ein solcher, indem man weiß, was man mit diesem Satz sagt.129 Die spekulative Auffassungsweise ist aber etwas, das nicht abschließend durch die im engen Sinne spekulativen Sätze gewährleistet werden 128 Der spekulative Satz provoziert eine »wesentliche Diskrepanz zwischen dem, was zu verstehen ist, und dem was zu lesen ist« (Lau, 186), bzw. einen Konflikt zwischen Darstellung und Sinn des Satzes: »Die Strategie, die Hegel einsetzt, um das gewöhnliche Verständnis des Satzes zu zerstören und zugleich die Bewegung des Spekulativen in Gang zu bringen, besteht ja darin, eine Form des Satzes zu gebrauchen, die im Vergleich zum gewöhnlichen Satz anders erscheint, um die Grenze jener Form zu ziehen. Indem das Denken durch das gezielte, systematische Falschmachen an seine eigenen Grenzen stößt, ist es schon über seine Grenze und seine Endlichkeit hinausgegangen, und zwar insofern, als diese dadurch erkennt, woran sie scheitert.« (ebd., 187f.). Vgl. auch ebd., 188n121: »In seiner spekulativen Kritik der Satzform kann Hegel nicht, wie es heute üblich ist, auf eine strikte Unterscheidung von Objekt- und Metasprache zurückgreifen, weil ihm eben nichts anderes zur Verfügung steht, als dasjenige, was zugleich einer Kritik unterzogen werden soll. So schreibt Röttges: ›Hegels Alternative, und es handelt sich hier ja durchaus nicht um mögliche Verfeinerungen der Sprache, sondern um unverträgliche Gegensätze der Form, Hegels Alternative ist nun nicht ein künstliches Zeichensystem, sondern die extensive Ausnutzung von in der Sprache angelegten Möglichkeiten, wie die der Zerstörung der Urteilsstruktur durch den spekulativen Satz.‹« Wohlfart zufolge ist die spekulative Wahrheit weder »etwas bloß Ausgesprochenes noch etwas bloß Hinein- bzw. Hinzugedachtes, sondern die Entsprechung der sprachlichen Äußerung und der denkenden Betrachtung.« Wohlfart, Der spekulative Satz, 243. 129 Daher muss man an diesem Punkt auch das Verhältnis von Sprache und Denken als Einheit der Differenten erkennen, wie Jere Surber schreibt: »the relation of thought and language must be conceived as fully dialectical, as a concrete mode of identity-in-difference.« Surber, »Hegel’s Speculative Sentence«, 440. Vgl. auch Lau, Hegels Urteilskritik, 168.

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kann. Hegel unterstreicht: »[E]rst diejenige philosophische Exposition würde es erreichen, plastisch zu sein, welche streng die Art des gewöhnlichen Verhältnisses der Teile eines Satzes ausschlösse.«130 Damit wird deutlich, dass Hegels Philosophie in Folge des spekulativen Identitätsverständnisses auch sprachlich nicht in gewohnten Bahnen operieren kann. Hegel ist sich darüber im Klaren, dass der »philosophische Satz [also der spekulative Satz, S.W.], weil er Satz ist« die Meinung erweckt, Subjekt und Prädikat könnten nach herkömmlichem Verständnis aufgefasst werden. Dagegen arbeitet erstens der philosophische Inhalt (also das im spekulativen Satz artikulierte logische Verhältnis) und zweitens die allgemeine sprachliche Form von Hegels Text, die ein lineares Identifizieren immer wieder mit der Erfahrung des Scheiterns konfrontiert. Hegels Sprache vermittelt eine entscheidende Erfahrung mit begrifflichem Gehalt: Sie vermittelt, dass wir nicht unmittelbar über begriffliche Gehalte verfügen, uns diese aber aneignen können. Ob wir einen spekulativen Satz überhaupt als einen solchen lesen, hängt letztlich auch davon, ob der (Kon-)Text insgesamt eine für die durch den spekulativen Satz geforderte Denkbewegung affine Lektüre nahelegt.131 Den Zusammenhang des spekulativen Satzes mit dem Moment der Darstellung und der Darstellungsform zeigt die folgende Passage: In der Tat hat auch das nicht spekulative Denken sein Recht, das gültig, aber in der Weise des spekulativen Satzes nicht beachtet ist. Dass die Form des Satzes aufgehoben wird, muss nicht nur auf unmittelbare* Weise geschehen, nicht durch den bloßen Inhalt des Satzes. Sondern diese entgegengesetzte Bewegung muss ausgesprochen werden; sie muss nicht nur jene innerliche Hemmung, sondern dies Zurückgehen des Begriffs in sich muss dargestellt* sein [meine Hervorhebungen, S.W.]. Diese Bewegung, welche das ausmacht, was sonst der Beweis leisten sollte, ist die dialektische Bewegung des Satzes selbst. Sie allein ist das wirkliche Spekulative, und nur das Aussprechen derselben ist spekulative Darstellung [meine Hervorhebung, S.W.]. Als Satz ist das Spekulative nur die innerliche Hemmung und die nicht daseiende Rückkehr des Wesens in sich. Wir sehen uns 130 PhG, 60. Hegel führt das Moment der Plastizität bzw. des Plastischen ebenfalls in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Logik an (WL1, 30f.). Die Relevanz des plastischen Vortrags für die Philosophie ist das zentrale Element der Hegel-Lektüre Catherine Malabous. Wie Malabou betont, charakterisiert die Plastizität »erstens die Seinsweise des philosophischen Inhalts, zweitens die Seinsweise der Darstellung dieses Inhalts und drittens letztlich die Seinsweise des Lesers, der seine Anfangsform aufgeben muss, um die der Sache zu erhalten und im Gegenzug der Sache selbst neue Form zu geben.« Malabou, »Dialektik und Dekonstruktion: ein neues ›Moment‹«, 157. Vgl. außerdem Malabou, L’avenir de Hegel, 24f. 131 Vgl. Lau, Hegels Urteilskritik, 192 sowie Hoffmann, Hegel: Eine Propädeutik, 254.

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daher oft von philosophischen Expositionen an dieses innere Anschauen verwiesen und dadurch die Darstellung der dialektischen Bewegung des Satzes erspart, die wir verlangten. – Der Satz* soll ausdrücken, was* das Wahre ist, aber wesentlich ist es Subjekt [meine Hervorhebung, S.W.]; als dieses ist es nur die dialektische Bewegung, dieser sich selbst erzeugende, fortleitende und in sich zurückgehende Gang. – Bei dem sonstigen Erkennen macht der Beweis diese Seite der ausgesprochenen Innerlichkeit aus. Nachdem aber die Dialektik vom Beweise getrennt worden, ist in der Tat der Begriff des philosophischen Beweisens verlorengegangen.132

Hegel hatte gerade darauf hingewiesen, dass es der philosophische Inhalt ist, der das gewöhnliche Verhältnis von Subjekt und Prädikat stört. Die inhaltliche Störung allein reicht aber scheinbar nicht aus: Auch die Form des Satzes muss aufgehoben werden. Nicht nur die Hemmung, die das Denken durch den Verlust des (Satz-)Subjekts erfährt, sondern auch das »Zurückgehen des Begriffs in sich« muss dargestellt werden. Dadurch kommt es zu einer Bewegung des Satzes und diese Bewegung ist der philosophische Beweis. Damit wird hier die Beweisfunktion der Darstellung aufgegriffen: Das Aussprechen dieser Beweisbewegung ist die spekulative Darstellung. Da die Bewegung des spekulativen Satzes ins Denksubjekt übergeht, erfordert der Satz aktive Leser:innen. Die Theorie der spekulativen Identität geht in diesem Sinne in eine spekulative Hermeneutik über, wie Catherine Malabou gezeigt hat.133 Man geht im spekulativen Satz vom Subjekt zum Prädikat als zu einer »anderen Fassung« des Subjekts, also desselben über.134 Entsprechend Hegels spekulativer Wendung »oder, was dasselbe ist«,135 artikuliert der spekulative Satz eine Transformation des Wesens einer Sache. Das Identische befindet sich in einer Disjunktion. Der spekulative Satz gibt uns keine Informationen über das Subjekt, sondern er bewegt das Subjekt, indem er uns bewegt. Aber auch indem wir ihn bewegen. Damit ist nichts Mysteriöses gemeint: Wir müssen den spekulativen Satz bewegen, weil er aufgrund seiner Struktur gerade erfordert, dass wir die Verschiebung des Wesens bzw. des substantiellen Moments des Urteils vom Subjekt ins Prädikat (und wieder zurück) gedanklich vollziehen. Wenn wir das tun, bewegt uns aber auch der spekulative Satz, denn er macht uns zu Denker:innen (»Denksubjekten«) der spekulativen Identität. Dadurch wird Subjektivität realisiert. In diesem Sinne kann auch Hegels Verweis auf den »Rhythmus« verstanden werden.136 Das Denken des spekulativen Satzes 132 PhG, 61; die einzelnen mit einem Asterisk gekennzeichneten Ausdrücke in meinen Hervorhebungen sind im Text der Phänomenologie bereits hervorgehoben. 133 Vgl. Malabou, L’avenir de Hegel, 225. 134 Ruda, Gegen-Freiheit, 31. 135 Vgl. PhG, 561 136 PhG, 59; vgl. dazu auch Pahl, »Speculative Rhythm«.

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ist eine rhythmisierte Bewegung zwischen Satz und Denksubjekt. Gegenstand des Denkens wird die Bewegung desselben, d.h. des Denkens. Die »andere Fassung« desselben, die im spekulativen Satz stattfindet, gehört zu dem »Hervorbringen« der Erkenntnis einer Sache, das Hegel mit dem Begriff der Darstellung verbindet.137 Der Beweis, um den es Hegel dabei geht, richtet sich darauf, dass »das Wahre [...] Subjekt« ist. Das heißt, dass das Wahre nicht eine spezifische Bestimmung ist, die ein Satz formulieren könnte, sondern die Bewegung des Bestimmens. Genau diese Bewegung findet statt, wenn wir bei einem spekulativen Satz mitdenken. Der gewöhnliche Satz kann diese Bewegung des Selben nicht darstellen. In dieser liegt aber die Wahrheit, die Selbstbewegung des Begriffs, also des Denkens. Der philosophische Beweis ist Hegel zufolge dieses Selbsterkennen des Denkens, das die Identität von zwei absolut unterschiedenen als Bewegung des Selben darstellen kann. Substantiell ist also die Bewegung des Selben, also dessen radikales Anderswerden und damit der Verlust einer ursprünglichen Identität. Die Bewegung des Satzes verläuft daher letztlich nicht linear vom Satzsubjekt zum Prädikat, sondern bidirektional bzw. doppelsinnig von der Kopula zum Subjekt und zum Prädikat. In diesem Sinne ist der Satz als die Bewegung der »Ur-Teilung« der Kopula (dem »ist«) zu verstehen, die sich in Subjekt und Prädikat teilt: Dasselbe ist sowohl das Subjekt als auch das Prädikat. Die Bewegung der Darstellung zeigt sich so als Überlagerung einer linearen und einer zirkulären Bewegung. Anhand des spekulativen Satzes sehen wir: Der Verstand schreitet linear vom Subjekt zum Prädikat fort. Diese (ihrerseits notwendige) Bewegung erleidet aber einen Gegenstoß durch die Identität beider. Tatsächlich muss man den Satz so denken, dass die Kopula sich in beide Richtungen – d.h. im »Doppelsinn« – auf Subjekt und Prädikat aufteilt bzw. »ur-teilt«.138 Auf der Ebene der sprachlichen 137 Vgl. PhG, 13 138 Der Gedanke, das Urteil als ursprüngliche Teilung zu verstehen, entstammt dem berühmten Text von Hölderlin, »Urteil und Sein«. Zur Relevanz dieses Gedankens für Hegel vgl. Forster, Hegel and Skepticism, 47–54. Zur Relevanz dieses Gedankens für die Konzeption der Kopula im spekulativen Satz vgl. Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 191–94. Zur Bewegung der Kopula im (spekulativen) Satz schreibt Judith Butler: »Hegel’s sentence structure seems to defy the laws of grammar and to test the ontological imagination beyond its usual bounds. […] When ›is‹ is the verb at the core of any claim, it rarely carries a familiar burden of predication, but becomes transitive in an unfamiliar and foreboding sense, affirming the inherent movement in ›being,‹ disrupting the ontological assumptions that ordinary language usage lulls us into making. […] To read the sentence right would mean to read it cyclically, or to bring to bear the variety of partial meanings it permits on any given reading. Hence, it is not just that substance is being clarified, or that the subject is being defined, but the very meaning

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Form findet sich dies als Kontrast der linear fortschreitenden (verständigen) Prosa (prorsus) und des zirkulär sich auf sich zurückwendend Verses (versus), der Umkehrung. Die Entwicklung des Geistes enthält also einen Konflikt zwischen Linearität und Zirkularität.139 Mit der Theorie des spekulativen Satzes will Hegel also unterstreichen, dass das in spekulativen Sätzen bestimmte Satzsubjekt nicht insofern substantiell ist, als eigentlich immer schon feststeht, was es ist (und die Proposition dies nur beschreibt), sondern erst durch eine Bewegung bestimmt wird, die seine eigene Bewegung ist. Dabei greift Hegel wieder auf den Zusammenhang von Darstellung und Werden zurück: Die spekulative Darstellung begreift das Subjekt nicht als »ruhendes«, sondern als Bewegung. An dieser Bewegung sind wir als Denkende beteiligt, weil wir es sind, die die Bewegung gedanklich vollziehen. Insofern wir einem spekulativen Satz überhaupt irgendeinen Sinn abgewinnen können, beweisen wir damit Denktätigkeit – und zwar eine Denktätigkeit, die nicht auf dem Fundament einer dem Denken externen Substanz beruht, sondern nur durch ihre Bewegung einen Gehalt stabilisiert. Indem diese Bewegung für uns selbst zum Gegenstand wird, »schwankt« allerdings »der feste Boden«, der in einem prädikativen Satz das (Satz-)Subjekt sein sollte. Wir können kein »gegenständliche[s] fixe[s] Selbst«140 of the copula is itself being expressed as a locus of movement and plurivo­ city [meine Hervorhebung, S.W.]. […] Hegel’s sentences enact the mea­nings that they convey; indeed, they show that what ›is‹ only is to the extent that it is enacted.« Butler, Subjects of Desire, 17f. Vgl. zum gleichen Thema auch ihren sehr frühen Text, »Vindicating Ambiguity: A Study of the ›is‹ in Hegel’s Logic [1981]«. 139 Vgl. Comay und Ruda, The Dash, 66. Antizipierend kann man sagen, dass die Zeit ebenfalls doppelt verstanden werden kann: Sie teilt sich in eine subjektive Zeit, die zwischen früher und später (den Ekstasen der Zeit) unterscheidet, und in die anonyme, objektive, physikalische Zeit, die linear fortschreitet, ohne dass darauf ein Zeitpunkt gegenüber einem anderen ausgezeichnet wäre. Vgl. dazu ebenfalls Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 84–88. Jan Urbich verbindet das Verhältnis von Linearität und Zirkularität mit den Motiven der Rückkehr und der Kreisbewegung: »In der Rückkehr in seinen punktförmigen Anfang nach dem linearen Hinausgehen in den Raum findet das Seiende in der Form des Kreises zu sich zurück und schließt sich mit sich – gemäß der ewigen Harmonie der Gleichheit des Abstandes seiner Bewegung zum Zentrum des Kreises – zusammen. Es kehrt heim zu sich in seinen Anfang, um damit einerseits die Zeit seiner Abwesenheit aufzuheben und den Umlauf wieder zu beginnen, sodass ihm derart die Ewigkeit aufzugehen scheint.« Urbich, Das Subjekt der Heimkehr, 21. Für Aristoteles ist die Kreisbewegung die vollkommenste Bewegung (vgl. ebd., 20; auf eine der Passagen bei Aristoteles, in denen diese Einschätzung zum Ausdruck kommt, haben wir bereits verwiesen; vgl. Metaphysik XII, 7). 140 PhG, 58

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zugrunde legen, sondern dieses ruhende oder fixe Selbst verändert in der Darstellung sein Wesen und geht – so Hegels Wortspiel – selbst zugrunde: Indem der Begriff das eigene Selbst des Gegenstandes ist, das sich als sein Werden darstellt, ist es nicht ein ruhendes Subjekt, das unbewegt die Akzidenzen trägt, sondern der sich bewegende und seine Bestimmungen in sich zurücknehmende Begriff. In dieser Bewegung geht jenes ruhende Subjekt selbst zugrunde; es geht in die Unterschiede und den Inhalt ein und macht vielmehr die Bestimmtheit, d.h. den unterschiedenen Inhalt wie die Bewegung desselben aus, statt ihr gegenüber stehenzubleiben. Der feste Boden, den das Räsonieren an dem ruhenden Subjekte hat, schwankt also, und nur diese Bewegung selbst wird der Gegenstand.141

Der Begriff ist also seine Darstellung als Werden. Der spekulative Satz beruht auf der Einsicht, dass die Wahrheit nicht in feststehenden Aussagesätzen über feststehende Gegenstände besteht. Stattdessen reflektiert er die Endlichkeit dieser Urteile in der Satzform selbst. Wie Hegel das Wahre als Selbstbewegung versteht, führt er auch in den Satz eine Bewegung ein. Der Beweis, dass eine solche gedankliche Bewegung vollzogen und dargestellt (und damit auch nachvollzogen) werden kann, ist der Beweis realer begrifflicher Erkenntnis. Die Wahrheit geht über punktuelle Feststellungen hinaus. Damit gerät sie aber in einen Konflikt mit der, aus dem alltäglichen Sprachgebrauch heraus natürlich erscheinenden prädikativen Urteilsform und daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer philosophischen Sprachkritik. Im spekulativen Satz wird also auch die sprachliche Darstellung des Prozesses der Artikulation des Wahren reflektiert. Die Interdependenz von Wissen, Gegenstand und Darstellung widerspricht einem geläufigen Sprachverständnis, das (im Sinne der HLC) davon ausgeht, dass Sprache Gegenstände nur nachträglich bezeichnet (und wir also nur Dinge beurteilen, die immer bereits gediegen und gehaltvoll sind). Dies ist ein Grund dafür, dass Hegel sich gegen das bestehende Sprachverständnis richtet.142 Diese 141 PhG, 57f.; vgl. zu dieser Passage auch Malabou, L’avenir de Hegel, 238. 142 Auch Georg Bertram weist darauf hin, dass aus Hegels Theorie des spekulativen Satzes eine Kritik der sprachlichen »Darstellungsmittel« folgt; vgl. dazu nochmals die bereits zitierte Stelle in Bertram, Hegels »Phänomenologie des Geistes«, 330. Ebenso argumentiert Hoffmann: »Der spekulative Satz drängt [...] über den einfachen Satz hinaus; er drängt wie die Wahrheit darauf sich als Prozess zu entfalten und als Bewegung darzustellen. Der philosophische Beweis eines Satzes ist nach Hegel seine dialektische Entwicklung, die Darstellung seines Gehaltes als Moment konkreter Subjektivität, nicht als ›keimfrei‹ konstatierbares Faktum. [...] Der gewöhnliche, fixierende Satz ist seiner Idee nach auf einen abstrakten und außersprachlichen ›propositionalen Gehalt‹ reduzierbar. Der spekulative Satz weist auf seine Fortschreibung in anderen Sätzen, auf die ›Darstellung‹, die sprachliche Gestaltung des Wahrheitsprozesses, der doch zugleich nicht einfach beliebig zu initiierendes ›Sprachspiel‹ ist, hin.

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Kritik muss aber wiederum sprachlich artikuliert werden können, weil Entwicklung der Philosophie darstellungsabhängig ist. Deshalb folgt aus Hegels spekulativer Urteilskritik und der daran anschließenden Sprachkritik nicht etwa, dass Sprache umgangen wird, sondern dass eine neue Art der sprachlichen Darstellung konzipiert werden muss.143 Sprache wird also aufgrund von zwei Darstellungsschwierigkeiten relevant: Die erste betrifft die Darstellung der philosophischen Wahrheit. Es gehört in die ›logische Notwendigkeit‹ des Spekulativen hinein, Form und Inhalt zugleich zu sein und sich selbst als beides zu produzieren.« Hoffmann, Hegel: Eine Propädeutik, 253f. Vgl. auch ebd., 249–54. 143 Im Gegensatz zu dieser Interpretation hat Werner Marx dafür argumentiert, dass aus Hegels Theorie des spekulativen Satzes folgt, dass Sprache durch den logos überwunden werden muss; vgl. Marx, Absolute Reflexion und Sprache. Zwar betont auch Marx, dass das spekulative Verständnis der absoluten Reflexion in einem weiteren Zusammenhang dargestellt und auf diese Weise exoterisch dem Bewusstsein zugänglich gemacht werden kann. Er unterstreicht: »Die absolute Reflexion vollendet ihr Wesen erst dann, wenn die spekulative Bewegung zu sprachlicher Darstellung gelangt.« (ebd., 21). Die Darstellung des Wahren kann aufgrund der Leerheit der Satzform nur in einem System von Sätzen erfolgen (ebd., 22) und sie darf nur auf dem Begriffenen aufbauen, also nicht auf Namen (oder Terminologien). Für Werner Marx bedeutet das aber, dass der »Eigensinn« der Worte vollständig überwunden und die Sprache damit zu einer »Dienerin des Logos« wird – der damit seine eigentliche Verbindung mit der Sprache aber verliert und in Marx’ Deutung nur noch Denken, nicht wie bei Hegel »Sache und Sage« ist (JS3, 175 = GW8, 190). Insofern vorstellungsmäßige Gehalte ausgeschlossen werden, bezeichnen die Worte Marx zufolge begriffliche Kategorien, deren Bewegung unabhängig von dem »Eigensinn« der Worte ist (ebd., 23f.). Allerdings betont Marx selbst, dass damit ein Dilemma entsteht: Wenn die absolute Reflexion sprachlich dargestellt werden muss, wie kann dann die Sprache eine ausschließlich dienende Funktion gegenüber dem logos haben? Er schließt: Sprache ist Dienerin des logos, hat aber eine Eigenständigkeit (ebd., 26). Dabei zieht er auch den Einwand in Erwägung, den v.a. Derrida später hervorgehoben hat, nämlich die Frage, »ob nicht gerade der Manifestationscharakter der Sprache dieses ›äußerliche Element‹, ein Anderssein ausmacht, das wesenhaft uneinholbar, unaufhebbar ist.« (ebd., 29) Allerdings ist für Marx ausgemacht, dass sich die Äußerlichkeit der Sprache ausschließlich innerhalb des »Machtbereiches« der Intelligenz bzw. des Denkens des logos vollzieht (ebd., 30). Marx schreibt: »Der Logos als dialektische Bewegung ist erst in einem eigentlichen Sinne ›da‹, ist ›Selbstdarstellung‹ und ist auch erst in einem eigentlichen Sinne ›wahr‹, wenn er – durch das Dasein, das Manifestieren der Sprache, vermittelt – in ihr ›bei sich‹ ist. Reflektieren wir jetzt auf den Sinn der Sprache, der in diesem von der Grundbewegung des Geistes her gedachten Manifestieren des Logos liegt, dann bestätigt sich, dass Hegel die Sprache als eine Dienerin des Logos auffasst. Der Manifestationscharakter ermöglicht es dem Logos, der

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Hier ist die Schwierigkeit, dass diese Wahrheit wesentlich als Entwicklung und Selbstbewegung verstanden werden soll. Die zweite Schwierigkeit dialektischen Bewegung, ganz und gar ans Licht zu treten. Die Sprache bringt das In-sich-›Reflektieren‹, das Sich-einander-Zuspiegeln des ›Spekulativen‹ zum ›Vorschein‹, zum Leuchten. In diesem Verständnis der Sprache als einem transparent machenden Leuchten kommt das Wesen der traditionellen Nous- und Lichtmetaphysik zum Ausdruck. Der am Gleichnis des Lichts gedachte ›überall herrschende‹ Nous bewirkt eine totale Durchsichtigkeit [meine Hervorhebung, S.W.], eine absolute Intelligibilität, für die es keine Sphäre der wesenhaften Fremdheit, Rätselhaftigkeit, des Geheimnisses gibt. Darin, dass für den Logos eine totale Manifestation notwendig ist, bestätigt sich aber auch zugleich, dass Hegel der Sprache eine bestimmte eigene, in diesem Sinne eigenständige Rolle zuerkannt hat. Die Eigenständigkeit dieser Rolle zeigte sich uns sogar noch ausdrücklicher dadurch, dass wir das Verhältnis von Logos und Sprache aus der Grundbewegung des Geistes dachten. Gäbe es nicht das daseiende Manifestieren der Sprache, dann könnte sich der Logos nicht durch ein Anderssein vermitteln, könnte er nicht ›bei sich‹ sein. Gerade darin, dass die Sprache diese Rolle des Manifestierens spielt, liegt der Sinn einer ›Eigenständigkeit‹, die sich nur aus dem Bezug auf den Logos, also in einer Weise erfüllt, die nicht mit der Bestimmung des Dienens in Widerspruch steht. Der Grundzug der Sprache als Dasein, ihr Manifestationscharakter macht es deutlich, dass Hegel ihr Verhältnis zum Logos als das Andere zum Einen, dessen Anderes es ist, gedacht hat.« (ebd., 31f.). Marx kann letztlich aber nicht erklären, wie die jeweilige Eigenständigkeit von Sprache und logos zusammengedacht werden können. Hier schließt das Projekt der Phänomenologie an: Denn das Erscheinen des Denkens in der Sprache produziert auch einen Schein, der für das Wissen nicht von vornherein transparent ist. Gerade die Phänomenologie ist ja eine Auseinandersetzung mit dem erscheinenden Wissen, also mit Wissen, in dem teilweise Wahres, teilweise aber auch bloß Scheinhaftes erscheint. Für das Bewusstsein ist die Sprache überhaupt nicht transparent; gerade deswegen sind seine Erfahrungen mit seinem Wissen auch Erfahrungen mit der Sprache, wie Marx selbst bemerkt (ebd., 8). Das bedeutet aber, das Sprache überhaupt nicht von vornherein immer für das Denken transparent ist. Deshalb hat Hegel folgerichtig eine umfassende Analyse des sprachlichen Scheins durchgeführt. Der Kritik der reinen Vernunft, d.h. der Logik, geht die Kritik der unreinen Vernunft, d.h. die Phänomenologie, voran (gemeint ist hier jeweils die wissenschaftliche Disziplin). Werner Marx geht dagegen davon aus, dass sich das philosophische Denken gewissermaßen durch seine Konstitution von rein sprachlichen oder rhetorischen Ausdrücken abgehoben hat. Dagegen zeigt die Phänomenologie, dass diese Auseinandersetzung vielmehr auf allen Entwicklungsstufen der Philosophie wiederzufinden ist. Weiterhin muss man bemerken, dass Hegels Philosophie insgesamt darauf zielt, Verhältnisse des Dienens (Herrschaft und Knechtschaft) abzubauen. Insbesondere die Theorie des spekulativen Satzes kann auch als Kritik subsumierender Herrschaftsverhältnisse verstanden werden; vgl. dazu Theunissen, Sein und Schein, 59. Eine »totale Durchsichtigkeit« schließlich würde

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hängt mit der Darstellung des erscheinenden Wissens zusammen. Sie besteht darin, dass diese Darstellung die Binnenperspektive des erscheinenden Wissens einfangen muss. Hegels Darstellung des erscheinenden Wissens muss also verdeutlichen, auf welche scheinhafte Weise bestimmte sprachliche Formen die Weltverhältnisse des Bewusstseins prägen. Dazu muss sie den Schein inszenieren.144 1.8 Die Darstellung des erscheinenden Wissens als Weg zur philosophischen Wahrheit (die Einleitung der Phänomenologie) Neben der Theorie der spekulativen Identität, die sich im spekulativen Satz bündelt, ist die Darstellung des erscheinenden Wissens, also die Auseinandersetzung mit dem Schein, der zweite Pol, der die Phänomenologie orientiert. Dieses Programm bestimmt die Position des natürlichen Bewusstseins als Ausgangspunkt der Entwicklung der philosophischen Wahrheit. In unserer Diskussion der Vorrede ging es primär um die Darstellung der philosophischen Wahrheit als solcher, also um die Frage: Was ist Hegels Wahrheitskonzeption und wie hängt sie mit dem Moment der Darstellung zusammen? Nun muss etwas dazu gesagt werden, wie Hegel als ein Verhältnis bezeichnen, in dem gar nichts mehr erkannt wird, weil jegliche Konturen fehlen (vgl. WL1, 96). 144 Michael Theunissen hat unterstrichen, dass (insbesondere) die Phänomenologie die Aufgabe hat, Schein als solchen darzustellen. Damit ist die Phänomenologie eine »Logik des Scheins«; vgl. Theunissen, Sein und Schein, 73f., 80. Weil die Darstellung Schein darstellt, wird sie diesem auch in gewissen Punkten ähnlich. Theunissen beschreibt dieses Moment der Darstellung als »Mimesis an den Schein«; gerade als Kritik des Scheins muss die Phänomenologie also Momente des Scheins »reproduzieren« (ebd., 80f.). Theunissen hat Schein und Einseitigkeit als zwei zentrale Formen der Unwahrheit differenziert (vgl. ebd., 71). Hegels Theorie der spekulativen Identität richtet sich v.a. gegen die Unwahrheit, die durch Einseitigkeit entsteht, während bei der Darstellung des erscheinenden Wissens die Unwahrheit des Scheins im Vordergrund steht. Beide Momente der Unwahrheit sind aber auch miteinander verbunden. Weil sich Wahrheit und Schein durchdringen, gibt es auch die reinen, (einseitig) vorgestellten Substrate (Welt, Seele, Gott, Substanz) nicht. Sie existieren jeweils nur durch ihren Erscheinungs- oder Darstellungsprozess. »Dialektik« bezeichnet den Prozess, in dem das scheinbar Selbständige und isoliert Existierende von sich aus in sein Gegenteil übergeht. Zur Entwicklung des Wissens gehört eine Auseinandersetzung mit dem Schein, da es zum Wissen gehört, dass es sich erst in seinem Erscheinen konstituiert. Die Phänomenologie macht Schein als Schein durchschaubar. Dazu muss sie aber auch Schein darstellen. Deshalb sind auch die Undurchsichtigkeit – der »Nebel« – und die »perspektivische[n] Verzerrung[en]« Darstellungstechniken der Phänomenologie (vgl. ebd., 77, 84).

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die philosophische Wahrheit durch eine Darstellung des erscheinenden Wissens erreicht werden kann, denn es ist dieses Darstellungsprogramm, das mit dem Projekt einer Phänomenologie, also einer Wissenschaft der Erscheinungsformen des Geistes zusammenhängt. Damit kommt das Bewusstsein ins Spiel und unser textlicher Schwerpunkt bewegt sich von der Vorrede in die Einleitung der Phänomenologie. Die gesamte Phänomenologie ist eine Kritik der natürlichen Vorstellung bzw. des natürlichen Bewusstseins sowie der Bewusstseinsphilosophie, also eines philosophischen Paradigmas, das das (»natürliche«) Bewusstsein als seine Grundlage akzeptiert.145 Auffällig ist, dass die natürliche Vorstellung wesentlich durch eine Metapher irregeführt wird: Sie betrachtet das Erkennen als »Werkzeug« oder »Mittel«. Hegel eröffnet die Phänomenologie, indem er zeigt, warum wir diese Vorstellung über das Erkennen hinterfragen sollten. Zugleich formuliert er, was das eigentliche Projekt der Philosophie ist, nämlich das wirkliche Erkennen, dessen, was in Wahrheit ist: Es ist eine natürliche Vorstellung, dass, ehe in der Philosophie an die Sache selbst, nämlich an das wirkliche Erkennen dessen, was in Wahrheit ist, gegangen wird, es notwendig sei, vorher über das Erkennen sich zu verständigen, das als das Werkzeug, wodurch man des Absoluten sich bemächtige, oder als das Mittel, durch welches hindurch man es erbli­ cke, betrachtet wird.146

Durch die natürliche Vorstellung entsteht die skeptische »Überzeugung«, dass »zwischen das Erkennen und das Absolute eine sie schlechthin scheidende Grenze falle«.147 Diese Erkenntnis-Skepsis setzt damit ein Mis­trauen in die Wissenschaft. Entscheidend ist, wie Hegel darauf antwortet, denn diese Antwort ist Hegels erster eigener Zug in der Phänomenologie, mit dem die Bewegung des ganzen Buches eingeleitet wird. Hegel wendet das Misstrauen der natürlichen Vorstellung noch einmal (rekursiv) auf dieses Misstrauen selbst an: In das Misstrauen in die Wissenschaft wird seinerseits ein Misstrauen gesetzt und damit kommt die Prüfung der Annahmen des Bewusstseins in Gang. Das Negative wird also noch einmal auf sich selbst bezogen.148 Aus Hegels Kritik der 145 Paradigmatischer Ausdruck der von Hegel kritisierten Vorstellung eines vorstellenden Bewusstseins ist Karl Leonhard Reinholds Satz des Bewusstseins: »Im Bewusstseyn wird die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beyde bezogen.« Zitiert nach Reinhold, Beyträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band: das Fundament der Elementarphilosophie betreffend, 167. 146 PhG, 68 147 PhG, 68 148 Vgl. PhG, 69. Diese selbstbezügliche Negation bezeichnet Dieter Henrich als Grundoperation Hegels; vgl. Henrich, »Hegels Grundoperation«. Am Ende

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Erkenntniskritik ergibt sich das Programm einer Darstellung des erscheinenden Wissens mit den folgenden Eckpunkten: (6.1) Die Wissenschaft ist in ihrem Auftreten selbst Schein und wendet sich deshalb gegen diesen.149 (6.2) Die Phänomenologie nimmt eine Darstellung des erscheinenden Wissens vor.150 (6.3) Diese ist nicht nur negative Bewegung.151 (6.4) Sie ist Prüfung der Realität des Erkennens.152 (6.5) Die Entwicklung des Bewusstseins enthält ein für dieses selbst undurchsichtiges Moment.153 (6.6) Die Darstellung fällt zuletzt mit dem Punkt der eigentlichen Wissenschaft zusammen.154 Durch die Darstellung des erscheinenden Wissens wird das individuelle Bewusstsein »von seinem ungebildeten Standpunkte aus zum Wissen« geführt.155 Die Wissenschaft der Philosophie soll das »wirkliche Erkennen dessen, was in Wahrheit ist« sein. Die Phänomenologie soll damit die Realität des Erkennens prüfen und aufzeigen (was letztlich auch gelingt, wie der Punkt 6.6 bereits andeutet). Insofern Hegels Wissenschaft erst auftritt, muss sie sich mit dem Scheincharakter bestehender Wissensansprüche auseinandersetzen, denn sie ist selbst nur ein der Phänomenologie bezeichnet Hegel das Negative als »das Negative seiner selbst« (PhG, 590). Hier ist es das Mistrauen, an anderen Stellen wird sich etwa die Entäußerung als Entäußerung ihrer selbst zeigen (PhG, 590), die Entfremdung sich selbst entfremden (PhG, 366), oder das Verschwinden seinerseits verschwinden (PhG, 303). In der Einleitung wird diese Operation allerdings aktiv durchgeführt. In dieser Hinsicht ist die Phänomenologie des Geistes (Brandoms Interpretation entgegen) gerade nicht das Ergebnis eines »Spirit of Trust«. 149 PhG, 71 150 PhG, 72 151 PhG, 73 152 PhG, 75; vgl. PhG, 76: Wahrheit ist die Seite des Ansich in der Wissensrelation des Bewusstseins. Es gibt damit eine schwache Version von Wissen bzw. Wahrheit, nämlich Wissen als Bezugsstruktur, die sich um einen Wahrheitsanspruch organisiert. Dieses Wissen muss nicht notwendigerweise wahr sein – tatsächlich stellt es sich in mehr oder weniger allen Fällen als nur bedingt wahr heraus. 153 In Hegels Formulierung: »ein Moment des Ansich- oder Fürunsseins, welches nicht für das Bewusstsein, das in der Erfahrung selbst begriffen ist, sich darstellt«, PhG, 80. 154 PhG, 81 155 PhG, 31

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Wissensanspruch unter anderen. Dieser Scheincharakter ist unmittelbar mit den bestehenden Begriffs- bzw. Wortgebräuchen verbunden, einem Sprachgebrauch, der sich auf bestehende Vorstellungen (z.B. über das Wahre, das Absolute oder das Erkennen als Werkzeug) stützt und diese verstetigt, wobei die Bedeutung dieser Worte als allgemein bekannt vorausgesetzt wird. Den bestehenden Gebrauch philosophischer Ausdrücke bezeichnet Hegel als »leere Erscheinung des Wissens«; die »Hauptsache« dagegen besteht darin, den in diesem vorstellungsgetränkten Sprachgebrauch angepeilten »Begriff zu geben«.156 Die Darstellung des erscheinenden Wissens beinhaltet daher eine Auseinandersetzung mit der Sprache, in der sich das erscheinende Wissen artikuliert sowie eine Auseinandersetzung mit Wissensansprüchen, die im engeren Sinne mit Sprache zu tun haben, wie etwa der Anspruch der sinnlichen Gewissheit, etwas zu meinen, was sich lediglich nicht aussagen lässt oder der Physiognomik und Schädellehre, einen Ausdrucksweg der Individualität nachzuweisen, der nicht den Täuschungsproblemen von Sprache und Handlung unterworfen ist. Für das Bewusstsein haben die Erfahrungen, die es bei der Prüfung seiner Wissensansprüche macht, eine primär negative Bedeutung, weil es gezwungen ist, seine Ansprüche aufzugeben und damit einen Verlust seines Weltverhältnisses erleidet. Gerade in diesen Erfahrungen zeigt sich aber sukzessive die Realität des Erkennens, wenn auch nicht jeweils für das Bewusstsein, das diese Erfahrungen macht. Dem Bewusstsein »entspringt« in seinen Erfahrungen jeweils ein neuer Gegenstand, in dem die gemachten Erfahrungen mit dem Gegenstand des vorigen Wissensanspruchs sich unmittelbar kristallisieren. 157 Dem Bewusstsein ist daher die Kontinuität der Erfahrungen unzugänglich, die lediglich wir, die philosophischen Begleiter:innen, als Umkehrungen des Bewusstseins erkennen können. Daraus ergibt sich die für die Darstellung des erscheinenden Wissens wesentliche Doppelperspektive. In Hegels Darstellung des erscheinenden Wissens ist etwas dargestellt, das sich für die dargestellte Perspektive selbst (also aus dieser Perspektive) nicht darstellt: »Es kommt dadurch in seine Bewegung ein Moment des Ansich- oder Fürunsseins, welches nicht für das Bewusstsein, das in der Erfahrung selbst begriffen ist, sich darstellt«.158 Zugleich legt Hegel aber Wert darauf, die Leser:innen an der Binnenperspektive des Bewusstseins teilhaben zu lassen, so dass wir eine doppelte Sicht auf das Geschehen erhalten. Wir sehen, wie das Bewusstsein sich und die Welt sieht. Da wir als Leser:innen um das diese Struktur prägende Wissens156 PhG, 71. Diese Passage habe ich bereits zu Beginn dieses ersten Teils der Arbeit im Abschnitt »Was ist Darstellung?« ausführlich zitiert. 157 PhG, 78 158 PhG, 80

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gefälle wissen, befinden wir uns gegenüber dem Bewusstsein in einer privilegierten Position. Wie Hegel am Ende der Einleitung antizipiert, bezeichnet das absolute Wissen das Moment der Erkenntnis des Bewusstseins über seine eigenen Erfahrungen, womit die beiden Seiten der Darstellung konvergieren bzw. kollabieren und das Bewusstsein selbst die Einsicht in seine Struktur gewinnt, die zuvor uns vorbehalten war: Die Erfahrung, welche das Bewusstsein über sich macht, kann ihrem Begriffe nach nichts weniger in sich begreifen als das ganze System desselben oder das Reich der Wahrheit des Geistes, so dass die Momente derselben in dieser eigentümlichen Bestimmtheit sich darstellen, nicht abstrakte Momente zu sein, sondern so, wie sie für das Bewusstsein sind oder wie dieses selbst in seiner Beziehung auf sie auftritt, wodurch die Momente des Ganzen Gestalten des Bewusstseins sind. Indem es zu seiner wahren Existenz sich forttreibt, wird es einen Punkt erreichen, auf welchem es seinen Schein ablegt, mit Fremdartigem, das nur für es und als ein Anderes ist, behaftet zu sein, oder wo die Erscheinung dem Wesen gleich wird, seine Darstellung hiermit mit eben diesem Punkt der eigentlichen Wissenschaft des Geistes zusammenfällt*; und endlich, indem es [das Bewusstsein, S.W.] selbst dies sein Wesen erfasst, wird es die Natur des absoluten Wissens selbst bezeichnen*.159

Das Bewusstsein positioniert sich zunächst der Realität gegenüber. Es erfährt aber im Laufe der Phänomenologie, dass sein Wissen das Selbstverhältnis des Absoluten ist. Das Bewusstsein ist also die innere Differenz der Substanz. Zugleich erlangt es die Fähigkeit, diese Struktur darzustellen. Insofern bezeichnet es das absolute Wissen.160 Hegels Programm der 159 PhG, 80f. Die mit einem Asterisk gekennzeichneten Hervorhebungen stammen von mir, S.W. Zwischen dem absoluten Wissen und seinem Gegenstand bleibt kein Repräsentationsabstand. Damit endet auch diese Linie bei der spekulativen Identität. Martin Heidegger kommentiert das Ende der Einleitung folgendermaßen: »Einer von den grandiosen Sätzen Hegels, wo Sprache und philosophisch geprägter Geist eins geworden sind. – Also: Die Darstellung des erscheinenden Geistes in seiner Bewegtheit kommt selbst dazu, das wirkliche absolute Wissen zu werden und zu sein. Die Darstellung wird in und durch ihre Bewegtheit selbst das Darzustellende! Die Darstellung fällt mit dem Dargestellten zusammen, nicht zufällig, sondern dieses Zusammenfallen ist notwendig: es soll dahin kommen, dass das absolute Wissen als das Wissen, das es ist, ist, d.h. aber sich absolut selbst weiß. (Das absolute Sichwissen ist kein freischwebendes theoretisches Verhalten, sondern die Weise der Wirklichkeit des absoluten Geistes und ist als solche Wissen und Wille zugleich.)« Heidegger, Hegels Phänomenologie des Geistes, 38. Vgl. zu diesem Absatz auch Fulda, Das Problem einer Einleitung, 131. 160 Das Verhältnis der Erfahrungen des Bewusstseins zur Selbstrelation der Substanz wird auch in zwei Absätzen der Vorrede zusammengefasst; vgl.

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Darstellung des erscheinenden Wissens geht deshalb davon aus, dass die Vorstellungen, die das Bewusstsein sich über die Welt, über sich selbst und über sein Wissen macht, systematisch gebrochen werden müssen. Wie Hegel formuliert, stellt die Phänomenologie für das Bewusstsein einen »Weg der Verzweiflung« dar.161 Allerdings wird diese negative Bewegung insofern umgewertet, als sich im systematischen Verwerfen falscher Vorstellungen tatsächlich reales Erkennen einstellt. Wir werden im weiteren Verlauf der Arbeit diejenigen Erfahrungen des Bewusstseins untersuchen, die mit der Sprache zusammenhängen. Dabei geht es einerseits um inhaltliche Einstellungen des Bewusstseins zu Sprache und andererseits darum, wie das Bewusstsein prinzipiell durch Sprache und durch sprachlich vermittelte Vorstellungen die Welt erschließt. Wie Hegel formuliert, macht erst ein Skeptizismus, der sich auf den gesamten Umfang des Bewusstseins richtet, »geschickt zu prüfen, was Wahrheit ist«.162 Wenn die Darstellung des erscheinenden Wissens einen Angriff auf die Vorstellungswelt des Bewusstseins bedeutet, dann muss dieser sich also auch auf dessen Sprache richten. 1.9 Exkurs: Das historische Profil des Darstellungsbegriffs und die Frage der sprachlichen Darstellung der Philosophie Bevor wir vom Begriff der Darstellung zum Thema Sprache übergehen, lohnt es sich, die historische Konstellation der Auseinandersetzungen mit dem Darstellungsbegriff bei Hegels Zeitgenossen zu betrachten. Dieser Hintergrund verdeutlicht nochmals den Zusammenhang des Darstellungsproblems mit dem Thema Sprache. 1.9.1 Darstellung im ästhetischen Diskurs zu Hegels Zeit Das Kalkül der Darstellung bei Hegel kann man in den Darstellungsdiskurs um 1800 einordnen. Die literaturwissenschaftliche Forschung zeigt, dass es in Hegels direktem Umfeld ein reichhaltiges Archiv von Auseinandersetzungen mit der Frage der Darstellung gibt, das in der Hegel-Forschung bisher wenig beachtet wurde.163 Das Darstellungsproblem rückt PhG, 38, »Das unmittelbare Dasein des Geistes [...]« bis PhG, 39 »[...] die Logik oder spekulative Philosophie«. 161 PhG, 72 162 PhG, 73 163 Vgl. z.B. Theunissen, Sein und Schein; Fulda, Horstmann, und Theunissen, Kritische Darstellung der Metaphysik; Fulda, »Hegels Dialektik als Begriffsbewegung und Darstellungsweise« sowie Claesges, Darstellung des erscheinenden Wissens. Systematische Einleitung in Hegels Phänomenologie des

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zum Ende des 18. Jahrhunderts ins Zentrum der Befragung des Subjekts in Poetik und Philosophie. Damit stellt sich nicht nur die Frage nach den unterschiedlichen Möglichkeiten von Kunst und Wissenschaft, Subjektivität begreifbar zu machen, sondern die weitergehende, wie man zu diesem Ziel Objekte erstellen kann, die aufgrund ihrer Formeigenschaften Subjekte sind. Der Begriff »Darstellung« erhält damit eine terminologische Funktion und wird ins Zentrum eines Paradigmenwechsels im Denken der Repräsentation gestellt. Diese Entwicklung vollzieht sich auch dadurch, dass der Begriff der Darstellung den Begriff der Nachahmung als Übersetzung des griechischen mimesis ablöst.164 Daran lässt sich ablesen, dass Darstellung nicht nur ein argumentatives, sondern vor allem Geistes. Es ist bemerkenswert, dass auch diejenigen philosophischen Interpreten, die den Begriff der Darstellung besonders hervorgehoben haben, darauf verzichten, seine begriffsgeschichtlichen Konnotationen zu behandeln, sondern das Konzept der Darstellung als von vornherein klar anzusehen scheinen. 164 Vgl. Urbich, Darstellung bei Walter Benjamin, 401, 178. Wichtige Bezugspunkte sind in diesem Zusammenhang das dritte und das zehnte Buch von Platons Politeia, wo einerseits die Darstellung von der Erzählung unterschieden und andererseits die künstlerische Darstellung als lediglich nachahmend kritisiert wird. Vgl. Platon, »Politeia«, 392c–398b und 595a–604a. Der Begriff der mimesis ist seinerseits Gegenstand einer umfassenden Forschungsgeschichte, auf die ich in diesem Rahmen nicht eingehen kann. Zu seiner Relevanz für den Darstellungsbegriff vgl. etwa Schürmann, Vorstellen und Darstellen, 29. Zur Relevanz des Darstellungsbegriffs für die Entwicklungen im Bereich der Philosophie und Poetik am Ende des 18. Jahrhunderts schreibt Winfried Menninghaus: »Der Begriff der Darstellung erlebt im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine erstaunliche Karriere. Er ist nicht weniger als Index und Medium einer theoriegeschichtlichen Umwälzung. Terminus a quo und terminus ad quem dieser Umwälzung sind durch zwei Daten scharf markiert: Vor 1774 ist der Begriff ›Darstellung‹ in Philosophie, Poetik und Rhetorik kaum anzutreffen; nach 1790 dagegen wird er omnipräsent und zu einer Art Markenzeichen jedes bedeutenden theoretischen Projekts. [...] Zwischen der (Fast-)Abwesenheit eines poetisch-philosophischen Darstellungsbegriffs vor 1774 und seiner Omnipräsenz nach 1790 vermitteln vor allem zwei Autoren: Klopstock und Kant.« Menninghaus, »›Darstellung‹. Friedrich Gottlieb Klopstocks Eröffnung eines neuen Paradigmas«, 205. Vgl. dazu auch Mülder-Bach, Im Zeichen Pygmalions, 15f. sowie den Sammelband von Christiaan Hart Nibbrig, Was heißt »Darstellen«? Zum historischen Kontext vgl. auch Bies, Im Grunde ein Bild. Die Auseinandersetzung mit dem Darstellungsbegriff ist zugleich eine Auseinandersetzung mit der Form von Subjektivität überhaupt; vgl. dazu Urbich, Darstellung bei Walter Benjamin, 411n45. Die Verbindung von Darstellung und Subjektivität verfolgen auch Lacoue-Labarthe und Nancy, Das Literarisch-Absolute. Vgl. dort z.B. 55, 89, 510. Zur Positionierung Hegels vor diesem Hintergrund vgl. Urbich, Benjamin and Hegel, 72–84.

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auch ein mediales Verfahren ist. Der Darstellungsbegriff hat somit eine wesentlich ästhetische Dimension.165 Die Darstellung des Unendlichen ist ein Hauptziel des Idealismus nach Kant. So bezeichnet etwa Schelling das Problem der »Darstellung des Unendlichen im Endlichen« als »höchstes Problem aller Wissenschaften«.166 Darstellung ist wesentlich verbunden mit der Selbsterkenntnis des Subjekts. Der Darstellungsbegriff wird also dort ins Spiel gebracht, wo ein gelingender Selbstbezug, ein freies Selbstverhältnis gesucht wird – und nicht zufällig bildet die Kunst den Schlusspunkt von Schellings System des transzendentalen Idealismus.167 Bereits vor Kant finden sich bei Lessing und vor allem bei Klopstock wichtige Behandlungen des Darstellungsbegriffs. Diese beziehen sich in erster Linie auf den Bereich der Ästhetik und Poetik, also auf Fragen der textlichen Darstellung. Lessing unterstreicht in seinem Laokoon-Aufsatz, dass die Dichtung wesentlich in der Zeit operiert. Damit emanzipiert sich die textliche Darstellung vom Ideal einer unmittelbaren Bildlichkeit. Sprachliche Darstellungen funktionieren dagegen, indem sie die 165 Eva Schürmann verbindet den Begriff der Darstellung daher auch mit der aisthesis, also der sinnlichen, körperlichen Wahrnehmung; daraus leitet sie außerdem die intentionalitätstheoretische Konsequenz ab, dass Darstellungen prinzipiell an Perspektiven gebunden sind, die sie aber auch als solche thematisieren können; vgl. Schürmann, Vorstellen und Darstellen, 116–20. 166 Schelling, »Erster Entwurf eines System der Naturphilosophie«, 14. Das Sich-Darstellen ist Schelling zufolge eine Funktion des »Seyns« selbst – wenn auch eine, die sich in keinem endlichen Seienden vollständig realisiert (ebd., 11): »Das Unbedingte kann überhaupt nicht in irgend einem einzelnen Ding, noch in irgend etwas gesucht werden, von dem man sagen kann, daß es ist. Denn was ist, nimmt nur an dem Seyn Theil, und ist nur eine einzelne Form oder Art des Seyns. – Umgekehrt kann man vom Unbedingten niemals sagen, daß es ist. Denn es ist das Seyn selbst, das in keinem endlichen Produkte sich ganz darstellt, und wovon alles Einzelne nur gleichsam ein besonderer Ausdruck ist.« Zur Darstellung des Unendlichen als Hauptziel der an Kant anschließenden Philosophie vgl. auch Lacoue-Labarthe und Nancy, Das Literarisch-Absolute, 89. 167 Der Darstellungsbegriff ist also auch mit dem Problem der Selbstgesetzgebung verbunden. Kant verwendet dafür den Begriff der »Heautonomie«; vgl. KU B XXXVII. Über dieses Problem verbindet sich der Darstellungsbegriff auch mit der Frage nach dem Verhältnis von Natur, Kultur und Geist; vgl. dazu Lacoue-Labarthe und Nancy, Das Literarisch-Absolute, 55–59. Nancy und Lacoue-Labarthe setzen den Darstellungsbegriff in Zusammenhang mit dem »System-Subjekt«. Darstellung ist ihnen zufolge Figuration (ebd., 57), Präsentation, Exposition, Inszenierung, aber nicht Repräsentation (ebd., 510). Diesem letzten Punkt möchte ich widersprechen, denn der Darstellungsbegriff grenzt sich zwar von dem der Vorstellung ab, enthält aber durchaus auch ein Repräsentationsmoment.

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Rezipienten aktiv am Werden ihrer Gegenstände teilhaben lassen. Klopstock verbindet die Darstellung ebenfalls mit der dem Gegenstand inhärenten Dynamik, dem Leben des Gegenstandes. Darüber hinaus entwickelt er das Konzept des Mit-Ausdrucks. Durch genaue Komposition der Bedeutungsebenen, also des nicht explizit Gesagten, wird die Darstellung reichhaltiger. Darstellung schwankt zwischen Verwirklichung und Täuschung, Herstellung und Verlust von Präsenz: Sie bringt das Dargestellte wirklich hervor oder erzeugt zumindest die perfekte Illusion seiner Präsenz. Insofern diese Präsenz dabei bildlich konkret vorgestellt bzw. verstanden wird, droht allerdings in der Darstellung gerade doch der Verlust dieser Präsenz. Dem wird in gewisser Hinsicht durch ein Paradigma der Darstellung begegnet, das sich stärker an der Zeit ausrichtet (wie z.B. Lessing beschreibt). Sowohl bei Lessing als auch bei Klopstock zeigt sich, dass die Darstellung ihren Präsenzeffekt nicht durch Überwindung eines Materialwiderstands (also gegen die Sprache) erreicht, sondern durch eine Übersteigerung der ihm eigenen Eigenschaften – und eine solche Übersteigerung lässt sich auch bei Hegel feststellen.168 Indem Kant den Darstellungsbegriff in den Bereich der transzendentalen Philosophie einführt, verschärft sich das Problem der Darstellung. Darstellung ist nicht mehr nur eine Frage der ästhetischen Technik, sondern wird zu einem wichtigen Mittelbegriff zwischen Sinnlichkeit und 168 Lessing zufolge ist »die Zeitfolge [...] das Gebiet des Dichters, so wie der Raum das Gebiet des Malers«; vgl. Lessing, Laokoon, 129. Man kann diesen Punkt so interpretieren, dass gerade der Verlust der Unmittelbarkeit in Sprache und Schrift einen denkenden Nachvollzug ermöglichen kann, der in wesentlich höherem Maße synthetisch ist, als die bloße Rezeption der Einheit eines Bildes. Die Rezeption einer zeitlichen Abfolge von Zeichen ist zwingend aktiv. Der Zeichengebrauch entfernt das Subjekt also nicht mehr von den unmittelbar vorgestellten Gegenständen, sondern bringt ihm diese im Gegenteil näher, indem es sich in dieser Aktivität als aktiv synthetisierend erkennt. Auch bei Klopstock steht deshalb die Dynamik des Gegenstandes und das Moment der »Teilnehmung« der Leser:innen im Mittelpunkt. Dieses Moment steht in enger Verbindung mit dem Mit-Ausdruck, denn der Eindruck, dass es im explizit Gesagten noch etwas implizit Mitgeführtes zu entdecken gibt, aktiviert ebenfalls die Leser:innen. Dichter:innen arbeiten also mit dem semantischen Feld, dem »Bedeutungsumfang der Worte«. Davon ausgehend entwickelt Klopstock die Theorie des Mit-Ausdrucks, nach der das (in einem Narrativ) zeitlich abwesende Vergangene und Kommende »mitbedeutet« wird: »Der Dichter kann diejenigen Empfindungen, für welche die Sprache keine Worte hat, oder vielmehr nur (ich sage dies in Beziehung auf den Reichtum unsrer Sprache) die Nebenausbildungen solcher Empfindungen, er kann sie, durch die Stärke und die Stellung der völlig ausgedrückten ähnlichen, mit ausdrücken.« Vgl. Klopstock, »Von der Darstellung«. Eine ausführliche Besprechung findet sich bei Jan Urbich, Darstellung bei Walter Benjamin, 416–36.

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Vernunft. Darstellung kann bei Kant ein Beweismoment sein: Die mathematische Konstruktion bezeichnet Kant als a priori Darstellung ihrer Gegenstände (also z.B. eines Dreiecks). Dadurch erreicht die Mathematik eine intuitive Gewissheit, die der Philosophie aufgrund ihrer Sprachgebundenheit verwehrt bleibt.169 Der Darstellungsbegriff ist bei Kant aber vor allem in einer anderen Hinsicht wichtig, die in der Kritik der reinen Vernunft zunächst nur indirekt eingeführt wird: Darstellung bezieht Vorstellungen auf Erfahrungen (womit sich eine wesentliche Verbindung mit dem Programm der Phänomenologie andeutet, in der die Vorstellungen des Bewusstseins an dessen Erfahrungen mit diesen Vorstellungen scheitern).170 Dieses Moment der Darstellung ist auch in der Kritik der Urteilskraft zentral. Dort definiert Kant Darstellung als Leistung der Einbildungskraft.171 Darstellung verbindet Begriffe mit ihnen korrespondierenden Anschauungen. Kant thematisiert dies in drei Kontexten: (1) Die Analytik des Erhabenen behandelt das Scheitern der Einbildungskraft an den erhabenen Gegenständen. Die erhabenen Gegenstände erregen die Vernunft, da sie sie an ihre prinzipielle Undarstellbarkeit erinnern. (2) In positiver Hinsicht ist das Genie mit dem Darstellungsbegriff verbunden, denn Genie ist nichts anderes als die Fähigkeit zur Darstellung ästhetischer Ideen. (3) Zum Abschluss des ersten Teils der dritten Kritik behandelt Kant die Darstellung als »Hypotypose«, als »Versinnlichung« der durch einen Begriff artikulierten Ideen. Das Schöne kann insofern eine sinnliche, symbolische Darstellung des sittlich Guten geben, als es die Reflexionsform bzw. die Erkenntnisregel des Guten in ein sinnliches Analog überführt. Auf diese Weise ermöglicht die Darstellung den Schritt aus dem Sinnlichen in das Übersinnliche und zugleich dessen Versinnlichung.172 169 Vgl. KrV B747f. und B763f. Außerdem kommt bei Kant auch eine rhetorische Darstellung vor, die der Sache bzw. den Beweisen äußerlich ist (vgl. KrV B XXXVIIf.). 170 Diese Fassung des Darstellungsbegriffs findet sich im Abschnitt »Von dem obersten Grundsatze aller synthetischen Urteile« (KrV B194f.): »Wenn eine Erkenntnis objektive Realität haben, d.i. sich auf einen Gegenstand beziehen, und in demselben Bedeutung und Sinn haben soll, so muss der Gegenstand auf irgend eine Art gegeben werden können. Ohne das sind die Begriffe leer, und man hat dadurch zwar gedacht, in der Tat aber durch dieses Denken nichts erkannt, sondern bloß mit Vorstellungen gespielt. Einen Gegenstand geben, wenn dieses nicht wiederum nur mittelbar gemeint sein soll, sondern unmittelbar in der Anschauung darstellen, ist nichts anders, als dessen Vorstellung auf Erfahrung (es sei wirkliche oder doch mögliche) beziehen.« [Meine Hervorhebungen, S.W.] 171 KU B55: »das Vermögen der Darstellung aber ist die Einbildungskraft.« Vgl. dazu auch Förster, Die 25 Jahre der Philosophie, 138. 172 Vgl. zu (1): KU B76f. (§ 23); zu (2): bes. KU B192f. (§ 49), wo Kant den »Geist, in ästhetischer Bedeutung« als »Vermögen der Darstellung

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In Kants Folge wird die Frage der Darstellung im Zusammenhang mit der Selbstreflexion des Subjekts weiterentwickelt. Dabei kommt es zu einer Reflexion auf die Medien, durch die sich Subjektivität artikuliert. Insofern Darstellung die genuin produktive Leistung des Subjekts vermitteln soll, ist sie unweigerlich auf das Nicht-Darstellbare, das Übersinnliche bezogen. Damit tritt ein vermeintlich konstitutiver Konflikt der Darstellung mit ihrem Medium hervor: Das Problem ist nicht nur (wie vor Kant bei Lessing und Klopstock), wie bildliche Konkretion sprachlich erreicht werden kann, sondern wie das prinzipiell Nicht-Sinnliche, das Geistige, dargestellt werden kann. Der Begriff der Darstellung erhält seine Konturen am schärfsten dort, wo es in philosophischer Hinsicht um die Grenzen der Darstellbarkeit geht. Die vermittelnde Rolle der Darstellung zwischen Endlichem und Unendlichem zeigt sich sehr pointiert bei Hölderlin, der dem Endlichen eine »Darstellungsfunktion« zuweist, auf die das Absolute angewiesen ist.173 Besonders entscheidend ist dabei der Zusammenhang von Darstellung und Zeit: Denn die Welt aller Welten, welche immer ist das Alles in Allen, stellt sich nur in aller Zeit – oder im Untergange oder im Moment, oder genetischer im werden des Moments und Anfang von Zeit und Welt dar, und dieser Untergang und Anfang, ist wie die Sprache Ausdruck Zeichen Darstellung eines lebendigen aber besondern Ganzen, welches eben wieder in seinen Wirkungen dazu wird, und zwar so, dass in ihm, sowie in der Sprache, von einer Seite weniger oder nichts lebendig Bestehendes von der anderen Seite alles zu liegen scheint.«174

Im System des transzendentalen Idealismus behandelt Schelling die Darstellung in ihrem Verhältnis zu Vorstellung und Zeit – im Rahmen der »Aufgabe: zu erklären, wie das Ich dazu komme, sich selbst als produktiv anzuschauen«. Um ihre eigene Organisation und Produktivität zu erkennen, muss sich die Intelligenz sowohl in eine Sukzession von Vorstellungen auftrennen als auch diese dann wieder in eine Einheit zusammenziehen: ästhetischer Ideen« einführt; zu (3): KU B255 (§ 59). Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Darstellungsbegriff bei Kant findet sich bei Martha B. Helfer, The Retreat of Representation. Vgl. dazu ebenfalls Bahr, Darstellung des Undarstellbaren. 173 Vgl. Schmaus, »Die Wunden des Geistes heilen. Zur Autobiographie des melancholischen Geistes oder der ›Fall Hölderlin‹ in Hegels Phänomenologie«, 96. Vgl. ebd., 97 zur »Darstellungsfunktion des Endlichen« auf die das Absolute angewiesen ist und ebd., 98 zur »Bedürftigkeit des Göttlichen«, die sich in Schillers »Die Freundschaft« ausdrückt, dem Gedicht, mit dem Hegel die Phänomenologie abschließt. 174 Hölderlin, »Das untergehende Vaterland...«, 446.

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Die Intelligenz muss sich selbst in ihrem produktiven Übergehen von Ursache zu Wirkung, oder in der Sukzession ihrer Vorstellungen anschauen, insofern diese in sich selbst zurückläuft. Aber dies kann sie nicht, ohne jene Sukzession permanent zu machen, oder sie in Ruhe darzustellen. Die in sich selbst zurückkehrende, in Ruhe dargestellte, Sukzession ist eben die Organisation. [...] Nun ist aber die Sukzession innerhalb ihrer Grenzen wieder endlos. Die Intelligenz ist also ein unendliches Bestreben sich zu organisieren. Also wird auch im ganzen System der Intelligenz alles zu Organisation streben, und über ihre Außenwelt der allgemeine Trieb zur Organisation verbreitet sein müssen. Es wird daher auch eine Stufenfolge der Organisation notwendig sein. Denn die Intelligenz, insofern sie empirisch ist, hat das kontinuierliche Streben, das Universum, das sie nicht durch absolute Synthesis darstellen kann, wenigstens sukzessiv in der Zeit hervorzubringen. Die Aufeinanderfolge in ihren ursprünglichen Vorstellungen ist also nichts anderes als sukzessive Darstellung oder Entwicklung der absoluten Synthesis, nur dass auch diese Entwicklung vermöge der dritten Beschränktheit nur bis zu einer gewissen Grenze gelangen kann. Diese Evolution begrenzt und als begrenzt angeschaut, ist die Organisation.175

Darstellung ist damit der Aufweis von Geistestätigkeit und Produktivität. Dass der »Selbstbeweis« des Geistes aber permanent durch einen Verlust der durch die Darstellung angestrebten Präsenz bedroht ist, artikuliert besonders pointiert Novalis: »Wir verlassen das Identische um es darzustellen«.176 Besonders in der Romantik nimmt diese mit dem Darstellungsbegriff verbundene Selbstreflexion metaphilosophische Form an.177 Aus der Reflexion auf diese Gefahr des (Selbst-)Verlustes, die zugleich aber aufgrund der Notwendigkeit der (Selbst-)Darstellung von Subjekten nicht umgangen werden kann, ergibt sich eine Reflexion auf die Medien, durch die sich Subjektivität artikuliert. Am Ende seiner – von Hegel besuchten – Vorlesung zur Transzendentalphilosophie nennt Friedrich Schlegel die Darstellung das primäre Medium der Mitteilung des Geistes. Diese Mitteilung funktioniert nicht über Resultate, sondern genetisch, indem der Erkenntnisweg durch Gesprächspartner:innen reproduziert wird: 175 Schelling, System des transzendentalen Idealismus, 161 (= SWIII, 255); meine Hervorhebung, S.W. Vgl. ebd. 299 (= SWIII, 475): Die Kunst berücksichtigt, was die Philosophie äußerlich nicht darstellen kann, nämlich die Rolle des Bewusstlosen im Bewussten und die ursprüngliche Identität der beiden. 176 Novalis, Werke. Studienausgabe, 293. Vgl. ebd., 323: »Der Geist führt einen ewigen Selbstbeweis.« 177 Vgl. Frank, »Novalis’ Fichte-Studies: A ›Constellational‹ Approach«. Zur Metaphilosophie vgl. ebd., 35.

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Nun giebt es kein anderes Medium als die Darstellung. Durch Darstellung soll das in dem andern vorgehen, was in uns vorgieng, so hat sie den Zweck der Mittheilung erreicht. In der Mittheilung soll enthalten seyn, nicht immer eine Darstellung der Resultate, sondern der Art und Weise, wie es entstanden ist, die Darstellung soll also genetisch seyn. Die wahre Methode der Darstellung ist demnach genetisch, oder his­ torisch.178

Da nur »das Gleiche das Gleiche versteht«, ist die Mitteilung des Geistigen mit großen Schwierigkeiten verbunden: »Die Mittheilung soll Darstellung seyn, kein anderes Medium giebt es nicht zwischen Geist und Geist. Es soll aber die Darstellung das seyn, wodurch das in dem andern produziert wird, was derjenige in sich hat, der darstellt.« Die Darstellung nimmt damit die Form einer »Entwicklung« an. Dadurch wird die Darstellung ferner sokratisch, historisch und dialektisch.179 In einem der Fragmente des Athenäums weist Schlegel darauf hin, dass eine kritische Transzendentalphilosophie eine Reflexion ihrer Produktionsmittel erfordert und darüber hinaus jede Darstellung eines Gegenstands eine Selbstreflexion ihrer eigenen Darstellungstätigkeit enthalten soll: Das Produzierende muss mit dem Produkt dargestellt werden, d.h., dass die Poesie sich in jeder ihrer Darstellungen »selbst mit darstellen« soll.180 Diese Selbstreferenz überträgt sich auf die Formebene 178 Schlegel, Transcendentalphilosophie, 102. Man sieht, dass auch Schlegel bereits den blassen Begriff der Darstellung als identisch mit Vorstellung bzw. Repräsentation führt, wenn er von einer Darstellung der Resultate spricht. 179 Schlegel, 103. Eine genaue Ausführung zu Hegels Besuchen von Schlegels Vorlesung von 1801 findet sich bei Johannes Korngiebel, »Schlegel und Hegel in Jena. Zur philosophischen Konstellation zwischen Januar und November 1801«. 180 »Es gibt eine Poesie, deren eins und alles das Verhältnis des Idealen und des Realen ist, und die also nach der Analogie der philosophischen Kunstsprache Transzendentalpoesie heißen müsste. Sie beginnt als Satire mit der absoluten Verschiedenheit des Idealen und Realen, schwebt als Elegie in der Mitte, und endigt als Idylle mit der absoluten Identität beider. So wie man aber wenig Wert auf eine Transzendentalphilosophie legen würde, die nicht kritisch wäre, nicht auch das Produzierende mit dem Produkt darstellte [meine Hervorhebung, S.W.], und im System der transzendentalen Gedanken zugleich eine Charakteristik des transzendentalen Denkens enthielte: so sollte wohl auch jene Poesie die in modernen Dichtern nicht seltnen transzendentalen Materialien und Vorübungen zu einer poetischen Theorie des Dichtungsvermögens mit der künstlerischen Reflexion und schönen Selbstbespiegelung, die sich im Pindar, den lyrischen Fragmenten der Griechen, und der alten Elegie, unter den Neuern aber in Goethe findet, vereinigen, und in jeder ihrer Darstellungen sich selbst mit darstellen, und überall zugleich Poesie und Poesie der Poesie sein.« Friedrich Schlegel, Athenäumsfragment Nr. 238; vgl. Schlegel, Charakteristiken und Kritiken (1796–1801).

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der diese Reflexionen artikulierenden Texte und damit letztlich auch auf die Sprachebene. Die Texte reflektieren, wie David Wellbery sagt, »die eigene Frage als Form« – so sind die Fragmente Betonung des Sprachlichen als Rest (und insofern negative Darstellung des Absoluten), und gleichzeitig Selbstreflexion der Sprache als Sprache.181 In explizitem Bezug zur Sprache wird ein ähnlicher Gedanke bei Schiller artikuliert – wenn auch als Reflexion zur Dichtung. Die Sprache erscheint bei Schiller als Hindernis für die Artikulation der Gedanken. 182 Das »Genie«, dem bei Schiller (wie bei Kant) der Ausdruck des Gedankens in der Sprache gelingt, muss daher die Sprache eigentlich überwinden – die »Natur des Mediums« der Darstellung muss »völlig bezwungen« werden.183 Wie Hegel im Zusammenhang mit dem spekulativen Satz eine Notwendigkeit der Zerstörung der Natur des Satzes sieht, fordert Schiller für die Dichtung, dass die Natur der Sprache im gelungenen Ausdruck »völlig untergehen« muss.184 181 Wellbery, Seiltänzer des Paradoxalen, 234. 182 Vgl. Schiller, »Kallias oder Über die Schönheit«, 116–18. 183 Schiller, 116. 184 Schiller schließt: »Die Natur des Mediums, dessen der Dichter sich bedient, besteht also ›in einer Tendenz zum Allgemeinen‹ und liegt daher mit der Bezeichnung des Individuellen (welches die Aufgabe ist) im Streit. Die Sprache stellt alles vor den Verstand, und der Dichter soll alles vor die Einbildungskraft bringen (darstellen); die Dichtkunst will Anschauungen, die Sprache gibt nur Begriffe. Die Sprache beraubt also den Gegenstand, dessen Darstellung ihr anvertraut wird, seiner Sinnlichkeit und Individualität und drückt ihm eine Eigenschaft von ihr selbst (Allgemeinheit) auf, die ihm fremd ist. Sie mischt – um mich meiner Terminologie zu bedienen – in die Natur des Darzustellenden, welche sinnlich ist, die Natur des Darstellenden, welche abstrakt ist, ein und bringt also Heteronomie in die Darstellung desselben. Der Gegenstand wird also der Einbildungskraft nicht als durch sich selbst bestimmt, also nicht frei, vorgestellt, sondern gemodelt durch den Genius der Sprache, oder er wird gar nur vor den Verstand gebracht; und so wird er entweder nicht frei dargestellt oder gar nicht dargestellt, sondern bloß beschrieben. Soll also eine poetische Darstellung frei sein, so muss der Dichter ›die Tendenz der Sprache zum Allgemeinen durch die Größe seiner Kunst überwinden und den Stoff (Worte und ihre Flexions- und Konstruktionsgesetze) durch die Form (nämlich die Anwendung derselben) besiegen‹. Die Natur der Sprache (eben diese ist ihre Tendenz zum Allgemeinen) muss in der ihr gegebenen Form völlig untergehen, der Körper muss sich in der Idee, das Zeichen in dem Bezeichneten, die Wirklichkeit in der Erscheinung verlieren. Frei und siegend muss das Darzustellende aus dem Darstellenden hervorscheinen und trotz allen Fesseln der Sprache in seiner ganzen Wahrheit, Lebendigkeit und Persönlichkeit vor der Einbildungskraft dastehen. Mit einem Wort: Die Schönheit der poetischen Darstellung ist ›freie Selbsthandlung der Natur in den Fesseln der

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An diesem Punkt lässt sich in Bezug auf Hegel und die Darstellungsstrategie Folgendes festhalten: Mit dem Begriff der Darstellung ist die Forderung nach sinnlicher Präsenz des Geistigen verbunden. Diese Präsenz droht aber durch genau das Material, das sie ermöglichen soll, unterlaufen zu werden. Aus der Reflexion des Darstellungsbegriffs folgt also eine Reflexion auf die Medien der Darstellung und das ist hier insbesondere die Sprache. Dass das Moment der Darstellung als Versinnlichung des Vernünftigen für Hegel eine Rolle spielt, zeigt sich explizit an einer Stelle aus dem »geistigen Tierreich«, wo die sinnliche Vergegenwärtigung der Individualität thematisiert wird. Zudem zeigt sich, dass Darstellungsstrategien wie das Komponieren des Mit-Ausdrucks oder die Übersteigerung der zeitlichen Dynamik des sprachlichen Materials Gegenstand der Debatte vor Hegel sind. Darstellung ist die Möglichkeit der Erzeugung einer realen Präsenz, und zwar primär infolge der Einsicht, dass die dargestellte Sache niemals ohne jede Darstellung sein könnte.185 1.9.2 Die Frage der (populären) Darstellung der Philosophie Anhand eines weiteren Kontextes, in dem sich die Frage der Darstellung der Philosophie stellt, wird deutlich, dass damit auch gesellschaftliche Implikationen verbunden sind. In dem als Horenstreit bekannten Disput zwischen Fichte und Schiller geht es nicht direkt um den Darstellungsbegriff, sondern um die Beziehung des Geistes zum geschriebenen Wort, die Frage eines freien Verhältnisses zur Sprache sowie um das Verhältnis von Kunst, Philosophie und Befreiung. Die Debatte erreicht ihr eigentliches Ziel, die Diskussion des Verhältnisses von »Geist und Buchstab in der Philosophie«, allerdings nicht ganz. Stattdessen führt der Disput über die Frage, ob die Philosophie oder die Dichtung den Menschen befreien können, zu einer längerfristigen Entzweiung von Schiller und Fichte.186 Bekanntlich besteht das Programm von Schillers Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen darin, den Menschen durch die Schönheit zur Freiheit zu führen. Es handelt sich also um ein Programm der ästhetischen Emanzipation (das insbesondere als Reaktion auf die als Scheitern der französischen Revolution empfundene terreur zu lesen Sprache‹.« (Ebd., 118). Vgl. ebenfalls Schiller, »Über naive und sentimentalische Dichtung«, 298. 185 Vgl. Schürmann, Vorstellen und Darstellen, 15f. 186 Wenn es auch keine Belege dafür gibt, dass Hegel die Texte des Disputs besessen oder gelesen hat, kann man davon ausgehen, dass ihm der grobe Rahmen dieser Auseinandersetzung bewusst war – nicht zuletzt aufgrund der erkennbaren Konsequenzen im Verhältnis von Fichte und Schiller.

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ist). Hegel hat Schillers Briefe zunächst begeistert aufgenommen. Nicht nur schließt die Phänomenologie mit einem Schiller-Zitat, auch Hegels Formulierungen über die Rolle der Zeit im absoluten Wissen weisen deutliche Parallelen zu Schillers Briefen auf.187 Im sechsten Brief konstatiert Schiller einen Entfremdungszustand, der der (späteren) Analyse des »Ältesten Systemprogramms« und Hegels Diagnose über die Entstehung eines »Bedürfnisses nach Philosophie« sehr nahekommt. Der Mensch findet sich fragmentiert und als Teil eines von ihm nicht kontrollierbaren mechanischen Gesellschaftssystems. Eine Selbstgesetzgebung scheint damit unerreichbar. Grund dieser »Zerrüttung« ist für Schiller (wie für Hegel) »der alles trennende Verstand«188 und eine korrespondierende Herrschaft des Buchstabens über den Geist: »Der tote Buchstabe vertritt den lebendigen Verstand, und ein geübtes Gedächtnis leitet sicherer, als Genie und Empfindung.«189 Schillers Briefe sind damit insgesamt eine Entfremdungskritik. Diese nimmt (wie gesagt) den Weg der Befreiung des Menschen durch ästhetische Praxis.190 Fichte sieht darin eine problematische Zirkularität: Wenn der Mensch nicht prinzipiell bereits frei wäre, wie könnte er dann überhaupt nur das Bedürfnis haben, sich zu befreien? [D]ie Idee, durch ästhetische Erziehung die Menschen zur Würdigkeit der Freiheit, und mit ihr zur Freiheit selbst zu erheben, führt uns im 187 Insbesondere Schillers elfter Brief behandelt die Zeit als Bedingung menschlicher Existenz, erklärt aber zugleich die Möglichkeit einer Aufhebung der Zeit. Vgl. dazu Baptist, »Das absolute Wissen. Zeit, Geschichte, Wissenschaft«. 188 Schiller, Über die ästhetische Erziehung, 24. 189 Schiller, 25. Vgl. ebd.: »Ewig nur an ein einzelnes kleines Bruchstück des Ganzen gefesselt, bildet sich der Mensch selbst nur als Bruchstück aus, ewig nur das eintönige Geräusch des Rades, das er umtreibt, im Ohre, entwickelt er nie die Harmonie seines Wesens, und anstatt die Menschheit in seiner Natur auszuprägen, wird er bloß zu einem Abdruck seines Geschäfts, seiner Wissenschaft. Aber selbst der karge fragmentarische Anteil, der die einzelnen Glieder noch an das Ganze knüpft, hängt nicht von Formen ab, die sie sich selbsttätig geben, (denn wie dürfte man ihrer Freiheit ein so künstliches und lichtscheues Uhrwerk vertrauen?) sondern wird ihnen mit skrupulöser Strenge durch ein Formular vorgeschrieben, in welchem man ihre freie Einsicht gebunden hält. Der tote Buchstabe vertritt den lebendigen Verstand, und ein geübtes Gedächtnis leitet sicherer, als Genie und Empfindung.« Zwar bestätigt Schiller, dass Leistung und Nutzen für die Allgemeinheit durch die Konzentration der Fähigkeiten jedes Individuums auf einen einzigen Bereich maximiert werden könnten. Ein solches Opfer des Individuums kann aber nicht gerechtfertigt werden (ebd., 28–30). 190 Zu dieser Praxis gehört nicht nur das eigentliche Schaffen von Kunst, sondern auch die Auseinandersetzung mit ihr.

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DARSTELLUNG UND WAHRHEIT

Kreise herum, wenn wir nicht vorher ein Mittel finden, in Einzelnen von der großen Menge den Muth zu erwecken, Niemandes Herren und Niemandes Knechte zu seyn.191

Ohne uns auf die Details der Debatte einzulassen, können wir feststellen, dass Hegel diese beiden Positionen vermittelt: Dass der Mensch an sich frei ist, ist eine Realität, die erst entwickelt werden muss. Freiheit besteht also nicht einfach so, sondern ihrer Forderung muss entsprochen werden. Die Frage der Freiheit hängt mit »Geist und Buchstab« zusammen, weil sie mit der Frage verbunden ist, auf welche Weise ein Text seine Leser:innen anspricht: Fichte gibt insgesamt drei Begriffe davon, was Geist ist: Geist ist die »belebende Kraft an einem KunstProdukte«,192 freies »SchöpfungsVermögen« und das »Vermögen der Ideale«, verbunden mit dem Darstellen der Idee.193 Die »belebende Kraft an einem KunstProdukte« entsteht, wenn eine kunstschaffende Person in der Produktion den Versuch aufgibt, ihre Individualität darzustellen, und sich stattdessen nur durch den »UniversalSinn der gesammten Menschheit«194 leiten lässt. Auf diese Weise findet sie »VereinigungsPunkte«, also Interessen, die »uns« allen gemein sind, und kann entsprechende »Gestalten« vor die Augen der Rezipient:innen »hinzauber[n]« (darin klingt Kants Verständnis der Darstellung als Hypotypose – als lebendiges VorAugen-Stellen – an). Die Bedeutung der Frage von Geist und Buchstabe wird also auf eine Wesensbestimmung des Menschen zurückgeführt.195 191 Fichte, »Ueber Geist und Buchstab in der Philosophie«, 348. Es war allerdings gerade Schillers Anliegen, einen Ausweg aus einem Zirkel zu bieten; vgl. Schiller, Über die ästhetische Erziehung, 34. 192 Fichte, »Ueber Geist und Buchstab in der Philosophie«, 336. 193 Beide in Fichte, 352. Im Hintergrund steht Kants Argumentation in der Kritik der Urteilskraft (vgl. v.a. KU § 49). 194 Fichte, 338. 195 Fichte, 338f. Fichte schreibt: »Was keinem so leicht, und keinem ganz gelingt, gelingt dem Künstler, indem er das Ziel verändert, und es aufgiebt, seine Individualität in andern darzustellen; vielmehr diese selbst aufopfert, und statt ihrer jene VereinigungsPunkte, die in allen Einzelnen sich wiederfinden, zum individuellen Charakter seines Geistes und seines Werks macht. Daher heißt das, was ihn begeistert, Genius, und hoher Genius; ein Wesen aus einer höhern Sphäre, in welcher alle niedere und irdische GränzLinien, die den individuellen Charakter der ErdenMenschen bestimmen, nicht mehr unterschieden werden, und in einem leichten Nebel zusammenfließen. Da die Mittel, deren er sich bedient, um jenen GemeinSinn in uns anzuregen und zu beschäftigen, und die Individualität, so lange er uns unter seinem Einflusse hält, verstummen machen, – da diese Mittel, und ihr nothwendiger Zusammenhang mit der Wirkung durch kein Nachdenken, durch keine Beziehung auf ihren Zweck durch Begriffe, so leicht dürften aufgefunden werden, wenigstens alle bisherigen Bemühungen, sie auf diese Art aufzufinden,

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Schriftliche »KunstProdukte« sind zunächst literarische Texte. Welche Rolle spielen diese Überlegungen für die Philosophie? Fichte unterstreicht, dass die Philosophie ursprünglich gar keinen Buchstaben hat, sondern »lauter Geist« ist.196 Er differenziert zwei Positionen zur populären Darstellungsweise: Fichte wirft Schiller vor, Popularität zu erreichen, indem er Begriffe durch Bilder ersetzt. Er selbst verortet das populäre Moment seiner Darstellungsweise dagegen im Gang seiner Untersuchung, die Begriffe nicht durch Bilder ersetzt, sondern komplementiert, um an geläufige Erfahrungen anzuknüpfen, also im planvollen Verbinden von bekannten Erfahrungen, Ideen-Assoziation und Systematik: Das Wesen der Popularität scheint mir im synthetischen Gange zu liegen. Ich hatte zu dem Eintheilungsgrunde der Triebe erst aufzusteigen, weil ich nicht von demselben herabsteigen wollte zu den einzelnen Trieben. [...] Sie gehen größtentheils analytisch, den Weg des strengen Sys­ tems; und setzen die Popularität in Ihren unermeßlichen Vorrath von Bildern, die Sie fast allenthalben Statt des abstrakten Begriffs setzen. Ich setze die Popularität vorzüglich in den Gang, den ich nehme – das hat Sie verleitet meine ersten Briefe zu schnell für seicht, und oberflächlich zu halten. – Nachdem die streng philosophische Disposition fertig ist, mache ich eine nach ganz andern Grundsätzen: knüpfe an eine sehr gemeine Erfahrung an, und führe so den Faden, scheinbar nach der bloßen Ideen=Aßociation, über die aber unsichtbar das System wacht, fort, bestimme nirgends schärfer, als vor der Hand nöthig ist, bis zuletzt die scharfe Bestimmung sich von selbst ergiebt. Bei mir steht das Bild nicht an der Stelle des Begriffs, sondern vor oder nach dem Begriffe, als Gleichniß: ich sehe, darauf, daß es paße[.]197

Die analytische Methode steigt von einem bereits eingesehenen Begriff herab und vergrößert die Klarheit der Erkenntnis. Fichtes synthetische gescheitert sind, so kann er nur durch Erfahrung, durch eigne innere Erfahrung an sich selbst, zur Kenntnis derselben gelangt seyn. Er hat einst selbst empfunden, was er uns nachempfinden lässt, und dieselben Gestalten, die er jetzt vor unser Auge hinzaubert, – ununtersucht, auf welchem Wege sie vor das seinige kamen, – haben ihn einst selbst in jene süße Trunkenheit, in denen holden Wahnsinn eingewiegt, der uns alle bei seinem Gesange, oder vor seiner belebten Leinwand, oder bei dem Tone seiner Flöte ergreift. Er ist wieder zur kalten Besonnenheit gekommen, und stellt mit nüchterner Kunst dar, was er in der Entzückung erblickte, um in seine Verirrung, deren geliebtes Andenken ihn noch mit sanfter Rührung erfüllt, das ganze Geschlecht hineinzuziehen, und die Schuld, welche die Einrichtung seiner Gattung auf ihn lud, unter die ganze Gattung zu vertheilen. Wo gebildete Menschen wohnen, wird bis an das Ende der Tage das Andenken seiner längst erloschnen Begeisterung durch ihre Wiederholung gefeiert werden.« 196 Fichte, 320. 197 Fichte, 321f. Meine Hervorhebung, S.W.

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Darstellungsweise ist dagegen eine des Aufstiegs; sie verfolgt das Ziel, den Leser:innen zu suggerieren, sie würden die Wahrheit selbst erfinden.198 Fichte zufolge steht das Bild vor oder nach dem Begriff. Damit ist es aber gewissermaßen beziehungslos, ein rein kommunikatives Angebot. Insofern die Phänomenologie eine Reihe notwendiger Vorstellungen durchläuft, verbindet Hegel die Bewegung durch die Bildlichkeit mit der eigentlichen Entwicklung des Begriffs. Der Begriff ist nicht ohne seine Artikulation. Dass das Bildliche vor und nach dem Begriff kommt, hat also weniger mit Fichtes Geschmack zu tun, als dieser hier vielleicht denkt. Es ist vielmehr wesentlich, dass sich der Begriff (zunächst) in Formen ausdrückt, die nicht rein begrifflich sind. In der »Differenzschrift« verweist Hegel auf die Trennung von Buchstaben und Geist, wenn er argumentiert, dass Kants Philosophie von ihrem Buchstaben »geschieden« werden muss. An dieser Stelle markiert Hegel deutlich, dass die Philosophie sich in ihrer Artikulation »verlässt«,199 dass sie sich also im Buchstaben verliert, und dass spätere Philosoph:innen dann wiederum aus den Buchstaben ein »Prinzip« herausheben müssen.200 Die Entwicklung der Philosophie ergibt sich also aus einer Dialektik von Geist und Buchstaben. Zugleich unterscheidet sich Hegel aber von Fichte wie von Schiller: Sein Ziel ist es weder, Popularität durch Bilder zu erreichen (wie Schiller), noch durch den Gang der Untersuchung (wie Fichte). Für Hegel stellt sich gar nicht die Frage, wie eine fertige Philosophie auf populäre Weise dem »Publikum« vermittelt werden soll. An dem Punkt, wo Hegel den exoterischen Anspruch der Wissenschaft unterstreicht, betont er vielmehr im gleichen Atemzug, dass die Wissenschaft nicht exoterisch wird, indem man sie vereinfacht, sondern indem sie hinreichend bestimmt wird. Das Exoterische kommt nicht von außen hinzu; es ist nicht die didaktische oder pädagogische Kommunikation des fertigen Wissens von den Wissenden zu den Unwissenden, sondern die Wissenschaft wird nur durch die Bestimmung ihres Inhalts »zugleich exoterisch«.201 Die exoterische Bestimmung des Wissens ist also ein immanentes Moment der Entwicklung der Wissenschaft (und in diesem Sinne gibt es kein esoterisches Wissen, da diesem gerade die Bestimmtheit mangelt). Die Wissenschaft muss dem Anspruch des Verstandes entsprechen und vom Bekannten ausgehen.202 Das ändert aber nichts an der Tatsache, 198 Vgl. Stašková, »Friedrich Schiller und die Popularität des Vortrags. Eine erneute Lektüre seiner Auseinandersetzung mit Johann Gottlieb Fichte«, 20f. sowie Hegels Unterscheidung des analytischen und synthetischen Erkennens, in der Schullogik (TWA4, 159). 199 TWA2, 11 200 TWA2, 9 201 PhG, 20 202 PhG, 20

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dass diese Bekanntheit dann substantiell unterlaufen und in Frage gestellt werden muss. Das Bekannte ist nicht erkannt. Der Weg des »ungebildeten Bewusstseins zur Wissenschaft« beinhaltet daher eine Entfremdung vom Bekannten, was sich bis in die Sprache hinein erstreckt: Die »Natur« des Satzes muss Hegel zufolge zerstört werden.203 Daher ist aber auch gegen den Vorwurf der »Unverständlichkeit philosophischer Schriften«, die »wiederholt gelesen« werden müssen, nichts zu machen.204 Wie der exoterische Anspruch gehört die Schwierigkeit der philosophischen Texte ebenfalls zur Philosophie. Diese rührt auch daher, dass das Zentrum der Wissenschaft für Hegel die »Selbstbewegung des Begriffs« ist,205 die eben gerade besonders schwer darstellbar ist; dieser Punkt ist vor dem Hintergrund des Darstellungsdiskurses nun ebenfalls verständlicher, denn dort zeigte sich, dass vor allem Bewegung und Produktivität des Geistes als diejenigen Schwierigkeiten der Repräsentation betrachtet werden, denen der Darstellungsbegriff begegnen soll. Hegel wählt also eine Darstellungsweise, die sich nicht daran orientiert, was »das Publikum« wohl erwartet, sondern was die Philosophie erfordert. Dabei vertraut er darauf, dass dem Publikum die Philosophie zugemutet werden kann – er traut diesem Publikum also wesentlich mehr zu als diejenigen, die (scheinbar) für es sprechen.206

2. Sprache und Denken Bisher sind wir in groben Zügen der Vorrede und der Einleitung der Phänomenologie gefolgt. In den folgenden Abschnitten über »Sprache und Denken« und die »Pluralität und Geschichtlichkeit der Sprachen« greife ich auf Hegels Vorarbeiten zur Phänomenologie und andere Texte 203 PhG, 59 204 PhG, 60 205 PhG, 65 206 PhG, 66. Das Verhältnis von Geist und Buchstabe ist auch mit der Frage der »Haltbarkeit« von Texten verbunden. So argumentiert Schiller, dass seine Schriften gerade deshalb Bestand haben werden, weil er sich in ihnen als ganzes Individuum ausdrückt; vgl. dazu Schillers Schreiben in Fichte, »Ueber Geist und Buchstab in der Philosophie«, 326, 330. Schiller sieht im Ästhetischen das Zeitenthobene (um das es auch im 9. Brief geht), wogegen Schriften, in denen es lediglich um die Richtigkeit der vertretenen Standpunkte geht gewissermaßen verfallen, wenn sich ihre theoretische Position eta­bliert hat. Die Frage ist dabei, welcher Disziplin – Philosophie oder Dichtung – die primäre gesellschaftliche Relevanz zugesprochen werden kann; vgl. dazu Stašková, »Friedrich Schiller und die Popularität des Vortrags. Eine erneute Lektüre seiner Auseinandersetzung mit Johann Gottlieb Fichte«, 16.

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Hegels zurück, in denen die besprochenen Punkte klarer zu Tage treten als in der Phänomenologie selbst. Die Rekonstruktion im weiteren Verlauf der Arbeit (in den Teilen 3 bis 5) wird zeigen, wie die Phänomenologie diese Gedanken entwickelt. Sprache ist eine Daseinsform des Geistes. Geist konstituiert sich aus der Dualität der Momente Innerlichkeit und Dasein.207 Die Momente der Innerlichkeit und des Daseins des Geistes sind absolut unterschieden; ihr Indifferenzpunkt, der rein logische Zwischenraum von Innerlichkeit und Dasein, ist die Idee. Das ist entscheidend für das Verständnis der Darstellung, denn Hegels Theorie zufolge ist das äußerlich Dargestellte das Innere. Das Innere als solches hat keine eigene Integrität, die unabhängig von Äußerungen besteht.208 Allerdings macht sich das Innerliche durchaus gegen seine Äußerungen geltend. Geist ist demnach zwar an Dasein gebunden, nicht aber an eine bestimmte Form des Daseins. Aus jeder spezifischen Daseinsform kann sich der Geist zurückziehen. Diese Rückzugsfähigkeit des Geistes, seine »Autarkie, zu binden und zu lösen«, 209 wird in der Phänomenologie nicht nur immer wieder thematisiert – der Geist bzw. verschiedene Formen des Bewusstseins ziehen sich zurück aus Gestalten und Handlungen,210 Ländern,211 Kunstwerken212, der Pflicht213 und auch der Sprache214 – sie bildet sogar den Beginn des Philosophierens überhaupt, wie Hegel in der Einleitung der Vorlesung über die Geschichte der Philosophie sagt: Die Philosophie tritt zu einer Zeit auf, wo der Geist eines Volkes sich aus der gleichgültigen Dumpfheit des ersten Naturlebens herausgearbeitet hat, ebenso als aus dem Standpunkt des leidenschaftlichen Interesses, so dass diese Richtung aufs Einzelne sich abgearbeitet hat; der Geist geht über seine natürliche Gestalt hinaus, er geht von seiner realen Sittlichkeit, Kraft des Lebens zum Reflektieren, Begreifen über. Die Folge davon ist, dass er diese substantielle Weise der Existenz, diese Sittlichkeit, diesen Glauben angreift, wankend macht; und damit tritt die Periode des 207 Vgl. PhG, 511 208 Vgl. Enz. § 213: »Die Idee ist das Wahre an und für sich, die absolute Einheit des Begriffs und der Objektivität. Ihr ideeller Inhalt ist kein anderer als der Begriff in seinen Bestimmungen; ihr reeller Inhalt ist nur seine Darstellung, die er sich in der Form äußerlichen Daseins gibt und [der,] diese Gestalt in seine Idealität eingeschlossen, in seiner Macht, so sich in ihr erhält.« 209 PhG 476 210 PhG, 376 211 PhG, 441 212 PhG, 547f. 213 PhG, 343 214 PhG, 486

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Verderbens ein. Der weitere Fortgang ist dann, dass der Gedanke sich in sich sammelt. Man kann sagen, wo ein Volk aus seinem konkreten Leben überhaupt heraus ist, Trennung und Unterschied der Stände entstanden ist und das Volk sich seinem Untergange nähert, wo ein Bruch eingetreten ist zwischen dem inneren Streben und der äußeren Wirklichkeit, die bisherige Gestalt der Religion usw. nicht mehr genügt, der Geist Gleichgültigkeit an seiner lebendigen Existenz kundgibt oder unbefriedigt in derselben weilt, ein sittliches Leben sich auflöst, – erst dann wird philosophiert. Der Geist flüchtet in die Räume des Gedankens, und gegen die wirkliche Welt bildet er sich ein Reich des Gedankens. Die Philosophie ist dann die Versöhnung des Verderbens, das der Gedanke angefangen hat. Die Philosophie fängt an mit dem Untergange einer reellen Welt; wenn sie auftritt mit ihren Abstraktionen, grau in grau malend, so ist die Frische der Jugend, der Lebendigkeit schon fort, und es ist ihre Versöhnung eine Versöhnung nicht in der Wirklichkeit, sondern in der ideellen Welt.215

Der Bruch des Bestehenden, auf den der Rückzug ins Reich der Gedanken folgt, wird in der »Differenzschrift« als »Entzweiung« beschrieben, die das Bedürfnis der Philosophie hervorruft.216 Das Abheben des Gedankens aus der wirklichen Welt wird in der Phänomenologie im Bildungskapitel nicht zuletzt durch eine Erfahrung mit der Sprache erreicht. Zudem handelt die erste Passage, in der die Phänomenologie überhaupt das Moment des Daseins des Geistes thematisiert, davon, wie der Geist mit einer Daseinsform bricht, sich von dieser löst und eine »Umgestaltung« beginnt: Es ist übrigens nicht schwer zu sehen, dass unsere Zeit eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode ist. Der Geist hat mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen und steht im Begriffe, es in die Vergangenheit hinab zu versenken, und in der Arbeit seiner Umgestaltung.217

Das Verhältnis von Geist und Sprache muss vor dem Hintergrund dieser Dialektik von Innerlichkeit und Dasein des Geistes verstanden werden (der Begriff der Umgestaltung, der hier fällt, wird in diesem Zusammenhang wiederholt auftauchen). Es kann auf zwei Ebenen nachvollzogen werden: auf der Ebene des subjektiven Geistes im Verhältnis von Sprechen und Denken und auf der Ebene des objektiven Geistes, insofern Sprache grundsätzlich etwas Gemeinschaftliches ist. Hegel berücksichtigt also einerseits die kognitive und andererseits die kommunikative Dimension der Sprache. 215 TWA18, 71f.; die Hervorhebungen stammen von mir, S.W. Vgl. dazu Ruda, Gegen-Freiheit, 208 sowie den Rückzug des Stoizismus in die Gedanken, PhG, 157. 216 TWA2, 20 217 PhG, 18

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2.1 Sprechen und Denken – die kognitive Funktion der Sprache (subjektiver Geist) Hegels Auseinandersetzung mit der Sprache wird wesentlich durch die Theorie des Geistes orientiert, dessen Dasein Sprache ist. Die Sprache hat damit für Hegel eine zentrale Funktion in Bezug auf das Denken des Geistes. Die Kategorien des Denkens sind zwar in der Sprache »herausgesetzt und niedergelegt«,218 dies ist aber wiederum von der geistigen Seite her zu verstehen: Das Geistige hat sich in der Sprache niedergeschlagen und damit eine »Spur« gebildet.219 Es gibt, wie Karl Löwith zusammenfasst, einerseits »kein sprachloses Denken«, andererseits könnte man »auch nicht über die Sprache als solche nachdenken, wenn Denken und Sprache einfach dasselbe wären.«220 Die Aufgabe ist damit das Ausloten des (In-)Differenzverhältnisses von Denken und Sprache; eines Verhältnisses also, das sich zwischen den Polen der Identität von Sprache und Gedanken, dem Aufgehen von Gedanken und Sache in der Sprache und der nicht zu überwindenden Diskrepanz von Sprache, Denken und Sache bewegt. Gedanken haben selbst keine raumzeitliche Ausdehnung. Sie sind aber notwendigerweise an Zeichen des Ausdrucks gekoppelt, die raumzeitlich erscheinen. In diesem Sinne versteht Hegel Sprache als »produktive Selbstentzweiung«221 des menschlichen Geistes in eine Ebene des Ausdrucks und eine Ebene des Ausgedrückten bzw. der Darstellung und des Dargestellten.222 Sprache markiert einen Bereich der Autonomie des Geistes gegenüber der Natur. Der Abstand von der sinnlichen, körperlichen und natürlichen 218 WL1, 20. Bodammer formuliert dies als »hinterlegt und wirksam«; Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 240. Vgl. auch Löwith, »Hegel und die Sprache«, 382. 219 PhG, 32. Insofern ist die Sprache das Werk des Verstandes oder der Einbildungskraft. 220 Löwith, 374. 221 Löwith, 381. 222 Wie Guido Kreis anhand eines Ausdrucks von Husserl erklärt, sind Gedanken »gebundene Idealitäten«. »Der Ort eines jeden Gedankens können immer nur die Sätze sein, die ihn zum logischen Inhalt haben.« Vgl. Kreis, Cassirer und die Formen des Geistes, 127f. Das Verhältnis von Gedanken zu den raumzeitlichen Formen, in denen sie erscheinen müssen, hat Christian Martin in Form einer umfangreichen »Logik des Ausdrucks« thematisiert; vgl. Martin, Die Einheit des Sinns. Er unterstreicht, dass der Gedanke, »obwohl er als Gedanke keine realen, raumzeitlichen Eigenschaften aufweist, doch wesentlich an solches gekoppelt sein muss, was solche Eigenschaften aufweist und somit selbst nicht in einem außerweltlichen Nirgendwo, sondern in der Welt verortet ist, – nämlich an Zeichen« (ebd., 20).

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äußeren Welt wird durch das sprachliche Zeichen gewährleistet. Das Zeichen ist damit ein zentraler Marker des Geistigen. Zeichen sind prinzipiell geistig, weil ihre Bedeutung keinen Bezug zu ihrer sinnlichen Form hat und sie daher nur durch den Geist überhaupt zu Zeichen werden. Wie Löwith schreibt, »verdankt« das Zeichen sein Dasein insofern dem Geist.223 Der Geist ist gerade deshalb im Zeichen »da«, weil das Zeichen ohne dieses Dasein des Geistes im Zeichen gar kein Zeichen wäre. Das bedeutet weiter, dass die konstitutive Äußerlichkeit des Zeichens, insofern der Geist in ihr da ist, gar nicht als solche wahrgenommen wird.224 Wir übersehen oder überhören das sinnliche Moment des Zeichens unmittelbar in Ausrichtung auf das geistige Moment, also auf die Bedeutung. In diesem Sinn betont Hegel immer wieder, dass die Zeichen der Worte konstitutiv verschwinden. Das tatsächliche Verklingen und Verschwinden gesprochener Sprachlaute entspricht für Hegel dabei nur besonders gut dem allgemeineren Umstand, dass der Zeichenkörper durch die geistige Bedeutung aufgehoben wird. Prinzipiell ist dies für Hegel auch in der geschriebenen Sprache der Fall.225 Sprache als Dasein des Geistes ist demnach so zu verstehen: Einerseits existiert der Geist nur durch Dasein; andererseits sind aber sprachliche Formen auch nur dadurch im eigentlichen, vollen Sinne »Sprache«, dass der Geist in ihnen »da« ist. Die sprachliche Form muss also geistig gedeckt sein. Wir erkennen diese Forderung vor allem an Sprachzeichen, die wir nicht verstehen, die wir aber trotzdem als sprachliche Zeichen erkennen, d.h. als Äußerungen von Geist, in denen jetzt aber das geistige Element (unseres Verstehens) fehlt. Dieser Dynamik von Innerlichkeit und Dasein entsprechend organisiert Hegel in der Enzyklopädie (auf der Ebene des subjektiven Geistes) Martin weist darauf hin, dass diese notwendige Kopplung des Denkens an Ausdruck noch nicht von vornherein bedeutet, dass die Zeichen des Ausdrucks notwendigerweise sprachliche Zeichen sein müssen. Vielmehr ist die erste Äußerung ihm zufolge notwendig vorsprachlich (ebd., 28). Er argumentiert also, dass die Artikulation des Gedankens notwendigerweise mit Stufen beginnt, auf denen noch Verwirrungen entstehen. Dies kann leicht auf Hegels Behandlung der Vorstellungen und Ausdrucksmedien im Religionskapitel der Phänomenologie bezogen werden, wo ebenfalls zunächst vorsprachliche Ausdrucksformen behandelt werden, letztlich aber zur Sprache fortgeschritten werden muss, da diese die größte Präzision des Ausdrucks ermöglicht. 223 Löwith, »Hegel und die Sprache«, 384. 224 Löwith, 385. 225 In einer auffälligen Passage aus den Fragmenten über den Geist des Christentums bezieht Hegel das Verschwinden auf die geschriebene Sprache, die »aufgelesen« werden soll (TWA1, 367). Auf diese Passage werden wir im Abschnitt über Hegels Sprache zurückkommen.

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das Verhältnis von Denken und Sprechen: Eine objektive Bestimmung des Denkens erfolgt ausschließlich über Externalisierung in der Sprache und zwar zu dem Grad, dass etwaige Sprech- oder Handlungsabsichten überhaupt erst als solche bestimmt sind und beurteilt werden können, nachdem ein Ausdruck erfolgt ist. Insofern Gedanken sprachlich geäußert werden, ist diese Externalisierung also nicht Externalisierung von etwas, das auch ohne sie schon bestimmt wäre, sondern die äußerliche Artikulation schafft erst die Unterschiede, die das Denken zu bestimmten Gedanken formt: Das Wort als tönendes verschwindet in der Zeit; diese erweist sich somit an jenem als abstrakte, d. h. nur vernichtende Negativität. Die wahrhafte, konkrete Negativität des Sprachzeichens ist aber die Intelligenz, weil durch dieselbe jenes aus einem Äußerlichen in ein Innerliches verändert und in dieser umgestalteten Form* aufbewahrt wird. So werden die Worte zu einem vom Gedanken belebten Dasein. Dies Dasein ist unseren Gedanken absolut notwendig*. Wir wissen von unseren Gedanken nur dann, haben nur dann bestimmte, wirkliche Gedanken, wenn wir ihnen die Form der Gegenständlichkeit, des Unterschiedenseins von unserer Innerlichkeit, also die Gestalt der Äußerlichkeit geben, und zwar einer solchen Äußerlichkeit, die zugleich das Gepräge* der höchsten Innerlichkeit trägt. Ein so innerliches Äußerliches* ist allein der artikulierte Ton, das Wort.226

Sprache und Denken befinden sich in einer Ko-Dependenz. Während sie nicht einfach ineinander aufgehen, gilt: Weder können wir ohne die Äußerlichkeit der Sprache denken bzw. bestimmte Gedanken haben, noch ist diese Äußerlichkeit ohne Gedanken im eigentlichen Sinne Sprache. Geistige Aktivität verändert, prägt, also ihr materielles Korrelat. Die Intelligenz gestaltet das Äußerliche in Innerliches um. Umgekehrt haben wir keinen unmittelbaren Zugang zu unseren Gedanken, sondern nur einen über Sprache abgebogenen.227 Sprache ist also eine notwendige Bedingung des Denkens (aber keine hinreichende Bedingung; darauf werden wir gleich zurückkommen).228 Eine Artikulation dieses Gedankens findet sich bereits in Hegels Jenaer Vorlesungsmanuskript von 1805/06, wo Sprache als Dasein des Geistes eingeführt und mit dem Begriff des logos und der Kategorie in Beziehung gesetzt wird. Sprache setzt Innerliches als bestimmtes Seiendes. 226 Enz. § 462z. Die mit einem Asterisk markierten Hervorhebungen stammen von mir, S.W. Zum wesentlich zeitlichen Dasein gesprochener Zeichen vgl. § 459. 227 Wie Thomas Sören Hoffmann formuliert; vgl. Hoffmann, »Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831)«, 267. Dieser Artikel findet sich in Borsche, Klassiker der Sprachphilosophie. 228 Vgl. Lejeune, Sens et usage du langage chez Hegel, 46.

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Auf diese Weise ist sie ein Dasein des Geistes. Insofern sie dabei Dasein des Geistes ist, enthalten die sprachlichen Formen Denkbestimmungen. Sie haben also kategorialen Gehalt: Sprache [setzt Innerliches] als Seiendes. Dies ist denn das wahre Sein des Geistes als Geistes [sic] überhaupt – er ist da als Einheit zweier freier Selbst; und ein Dasein, das seinem Begriffe gemäß ist, – es hebt sich ebenso unmittelbar auf – verhallt, aber ist vernommen. Zunächst spricht die Sprache nur mit diesem Selbst, der Bedeutung des Dinges, gibt ihm einen Namen, und spricht dies als das Sein des Gegenstandes aus; was ist dies? antworten wir, es ist ein Löwe, Esel u.s.f. es ist, d.h. es ist gar nicht ein gelbes, Füße und so fort habendes, ein eigenes Selbständiges, sondern ein Name, ein Ton meiner Stimme; etwas ganz anderes als es in der Anschauung ist, und dies sein wahres Sein. Dies ist nur sein Name, das Ding selbst ist etwas anderes; d. h. wir fallen dann zurück in die sinnliche Vorstellung; – oder nur ein Name in höherer Bedeutung, denn der Name ist selbst nur erst das sehr oberflächliche geistige Sein. – Durch den Namen ist also der Gegenstand als seiend aus dem Ich heraus geboren. – Dies ist die erste Schöpferkraft, die der Geist ausübt; Adam gab allen Dingen einen Namen, dies ist das Majestätsrecht und erste Besitzergreifung der ganzen Natur, oder das Schaffen derselben aus dem Geis­te; λόγος, Vernunft, Wesen des Dinges und Rede, Sache und Sage, Kategorie. Der Mensch spricht zu dem Dinge als dem seinigen, und dies ist das Sein des Gegenstandes. Geist verhält sich zu sich selbst; – er sagt zum Esel, du bist ein Inneres und dies Innere ist Ich – und dein Sein ist ein Ton, den ich willkürlich erfunden – Esel ist ein Ton, der ganz etwas anderes ist, als das sinnliche Sein selbst; insofern wir ihn sehen, auch fühlen oder hören, sind wir es selbst, unmittelbar eins mit ihm, erfüllt; zurücktretend aber als Name, ist er ein Geistiges – etwas ganz anderes.229

Hegel greift hier einerseits auf die Erzählung der Genesis zurück, in der Adam durch das Benennen der Dinge die Schöpfung vollendet. Andererseits versteht er diese Benennung als »logos« bzw. »Kategorie« im Sinne der (griechischen) philosophischen Tradition. Durch den Namen wird der Gegenstand zu einer konzeptuellen Bestimmung »vereinfacht« und erweist sich damit als etwas Geistiges.230 Die Passage zeigt, dass Hegel 229 JS3, 175 (= GW8, 189f.). In seiner Aufzeichnung verbindet Hegel die adamitische Sprache des Paradises, in der Adam (vor der Verwirrung von Babel) die Dinge benennt, mit der allgemeinen Benennungsfunktion der Sprache. Zur Sprache als tätige, hervorbringende Rede (logos prophorikos) vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 95. 230 Das Vereinfachen in eine Bestimmung weist Inhalte als Gedanken aus, wie Hegel in der Vorrede der Phänomenologie nachzeichnet (vgl. PhG, 51–53). Im Kontrast zu den Tieren aus der zitierten Passage aus dem Jenaer Manuskript ist der Mensch das Innere der Natur und als solcher reines Selbst, wie man an einer berühmten Stelle aus dieser Vorlesung erkennen kann. Für sich

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den Gedanken aus der Enzyklopädie, dass das Wort ein »innerliches Äußerliches« ist, bereits in seiner Jenaer Zeit artikuliert. Wie Hegel schreibt, wird der Gegenstand durch den Namen »aus dem Ich heraus geboren.« Dabei findet sowohl eine Bewegung nach außen als auch eine Bewegung nach innen statt: Hegel unterstreicht zunächst, dass Sprache Innerliches »als Seiendes« setzt. Der Name ist damit nichts rein Ideelles, sondern er ist ein »Ton meiner Stimme«. Damit ist er das von unserer Innerlichkeit unterschiedene Dasein, das Hegel in der zuvor zitierten Passage aus der Enzyklopädie als »absolut notwendig« für unsere Gedanken ausweist. Zugleich ist der Name aber innerlich, insofern er nicht durch die Referenz auf den benannten Gegenstand stabilisiert wird (hier: »Löwe, Esel u.s.f.«), sondern ein Moment der Selbstreferenz des Geistes darstellt. Im Umgang mit Namen verhält sich der Geist »zu sich selbst«. Der Mensch spricht deshalb »zu« den Dingen als den »seinigen« (und es ist auffällig, wie Hegel in dieser Passage mit den Verwendungen von »Sein« bzw. »sein« als Substantiv, Verb und Possessivpronomen spielt). Zugleich verweist Hegels Rückgriff auf die Begriffe des logos und der Kategorie darauf, dass er, wenn er den sprachlichen Bestimmungsprozess von der Referenz abkoppelt, nicht für einen Nominalsmus willkürlicher Bezeichnungen argumentiert, sondern dass (entgegen unseren alltäglichen Vorstellungen) gerade dieser Zug »das Wesen des Dinges« bzw. die »Sache« berücksichtigt (wenngleich spezifische Wortlaute durchaus willkürlich »erfunden« sind).231 Die Objektivität der Benennung ergibt sich nicht genommen, ist dieses Innere aber lediglich Nacht – es kann darin nichts erkannt werden: »Der Mensch ist diese Nacht, dies leere Nichts, das alles in ihrer Einfachheit enthält – ein Reichtum unendlich vieler Vorstellungen, Bilder, deren keines ihm gerade einfällt –, oder die nicht als gegenwärtige sind. Dies die Nacht, das Innere der Natur, das hier existiert – reines Selbst, – in phantasmagorischen Vorstellungen ist es ringsum Nacht, hier schießt dann ein blutig Kopf, – dort eine andere weiße Gestalt plötzlich hervor, und verschwinden ebenso – Diese Nacht erblickt man, wenn man dem Menschen ins Auge blickt – in eine Nacht hinein, die furchtbar wird, – es hängt die Nacht der Welt hier einem entgegen.« (JS3, 172 = GW8, 187). Das, was in dieser Nacht aufbewahrt ist, wird durch Sprache aktualisiert und überhaupt erst zugänglich gemacht. So fasst Hegel wenig später die Bewegung des Geistes in Bildern als Träumen, demgegenüber die Benennung ein Erwachen darstellt (JS3, 175 = GW8, 190); vgl. dazu Hyppolite, Logic and Existence, 31f. Zur Bedeutung des Motivs der Nacht bei Hegel vgl. Cohen, »Hegel und Levinas. Die Nacht – Von einer Sprache in die andere«. 231 Das unterstreicht auch Birgit Sandkaulen in ihrer Interpretation dieser Passage, an der ich mich hier orientiere; vgl. Sandkaulen, »›Esel ist ein Ton‹. Das Bewusstsein und die Namen in Hegels Jenaer Systementwürfen von 1803/04 und 1805/06«, hier: 156. Hegel umgeht also beide der in Platons Kratylos inszenierten Positionen: sowohl die physei-These, die davon ausgeht, dass

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direkt aus den benannten Gegenständen, sondern wird erreicht, indem die durch Benennung möglichen Bestimmungen gegeneinander geprüft werden. Objektivität ergibt sich also aus dem Austausch geistiger Wesen (den Hegel als Selbstverhältnis des Geistes versteht). Insofern ist die Realität der geistigen Wesen durch die Sprache bedingt.232 Wie Birgit Sandkaulen erläutert, übernimmt Hegel in seiner Ausführung über die Relevanz des Namen-Gebens für das Bewusstsein einen Gedanken, den Herder in der Metakritik gegen Kants Lehre des Schematismus geäußert hat. Das geistige Vermögen des Schematismus soll bei Kant zwischen Sinnlichkeit und Verstand vermitteln. Diese Vermittlungsfunktion kann aber auch der Sprache zugeschrieben werden, deren Bestimmungen damit »funktional an die Stelle des Schematismus« treten.233 Versteht man nun die Sprache als Moment, in dem der Geist durch eine besondere Form der Äußerlichkeit ein Selbstverhältnis artikuliert und schreibt man ihr darüber hinaus eine schematisierende Funktion zu, dann wird die Art und Weise, wie die Sprache bestimmte Gegenstände einteilt (wie sie also schematisiert) ausschlaggebend dafür, wie die Sachen und die Realität selbst eingeteilt sind. Die Untersuchung der Eigenlogik der Sprache wird damit zu einem entscheidenden Projekt für die Selbsterkenntnis des Geistes. Dabei tritt das Problem der historischen und kulturellen Bedingtheit in den Vordergrund: Insofern das individuelle Bewusstsein, wie wir gesehen haben, an das Medium der Sprache gebunden ist, um überhaupt Gedanken artikulieren zu können, ist es zugleich in historische und kulturelle Zusammenhänge eingebunden. Aufgrund der kognitiven Relevanz der Sprache hat die Existenz geistiger Wesen also eine kommunikative Dimension, denn Sprache ist wesentlich gemeinschaftlich geteilt.234 Die Äußerlichkeit der Sprache stellt sich alleres eine ursprüngliche Verbindung von Namen und Dingen gibt, als auch die nominalistische thesei-These, die behauptet, dass Namen bloße Konventionen sind. 232 Deshalb kann man davon sprechen, dass die Namen eine »Eigenlogik« entfalten; vgl. Sandkaulen, 156. 233 Sandkaulen, 158. 234 Auch Michael Forster hat hervorgehoben, dass Bedeutung für Hegel nicht in einer Referenz auf weltliche oder ideale Gegenstände besteht, sondern im Wortgebrauch, und dass Hegels Konzeption der Sprache damit an Herder anschließt. Insbesondere folgt daraus auch, dass Individuen wesentlich an Sprachgemeinschaften gebunden sind; vgl. dazu Forster, »Hegel on ­Language«. Es ist klar, dass das Verhältnis von Sprache und Denken noch in wesentlich umfassenderer Weise untersucht werden kann und sollte. Eine ausführliche Studie findet sich bei Gottfried Seebaß, Das Problem von Sprache und Denken. Für eine präzise Rekonstruktion des Problems vgl. das fünfte Kapitel (»Die Wende zur Sprache«) in Kreis, Cassirer und die Formen des Geistes.

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SPRACHE UND DENKEN

dings auf der sozialen Ebene wieder her, denn die Sprache ist für alle Individuen zunächst ein historisch und kulturell überformter Bestand, der sich ihrer Kontrolle entzieht. Die verschiedenen Verbindungen der Sprache mit dem Problem der Äußerlichkeit werden sich im weiteren Verlauf unserer Untersuchung immer wieder zeigen. Als notwendiges Moment der Äußerlichkeit des Denkens erzeugt die Sprache eine bestimmte Dauer, durch die sich das Denken bewegen kann. Weil sie ein Moment des äußerlichen Daseins ist, droht in der Sprache aber auch immer die Abwesenheit des Inneren. Hegel verwendet daher große Aufmerksamkeit auf die Fälle, in denen die Sprache selbst äußerlich wird, weil Zeichen und Bedeutung auseinanderfallen, der Geist sich von den Strukturen seines Daseins ablöst, der Zeichenkörper insistiert und diese Diskrepanz einen Widerstand für das Bewusstsein darstellt. 2.2 Sprachgemeinschaften – die kommunikative Funktion der Sprache (objektiver Geist) Sprache ist nicht nur notwendiges Dasein des individuellen Denkens, sondern bindet das denkende Individuum zugleich in soziale Verhältnisse, also in Verhältnisse des objektiven Geistes ein. Sprache erscheint damit auf einem Feld, wo Bedeutung gemeinschaftlich geteilt besteht und Anerkennung durch Sprache und Kommunikation geregelt ist. In seinem Manuskript zur Vorlesung von 1803/04 thematisiert Hegel Sprache als das Sprechen einer Gemeinschaft: Die Sprache ist nur als Sprache eines Volks, ebenso Verstand und Vernunft. Nur als Werk eines Volks ist die Sprache die ideale Existenz des Geistes, in welcher er sich ausspricht, was er seinem Wesen [nach] und in seinem Sein ist; sie ist ein Allgemeines, an sich Anerkanntes, im Bewusstsein aller auf dieselbe Weise Widerhallendes; jedes sprechende Bewusstsein wird unmittelbar darin zu einem andern Bewusstsein. Sie wird ebenso ihrem Inhalte nach erst in einem Volke zur wahren Sprache, zum Aussprechen, was jeder meint.235

Sprache existiert also in Form von Einzelsprachen. Die Sprache ist selbst das »Werk« einer Gemeinschaft von Sprecher:innen. Sie wird durch ein »Volk« hervorgebracht. Als solche ist sie zugleich »die ideale Existenz des Geistes«. Der kommunikative Aspekt der Sprache zeigt sich hier als geteiltes geistiges Verhältnis, das in der Sprache manifest wird, insofern das, was ausgesprochen wird, das ist, »was jeder meint«. Der Geist tritt also in der wesentlich gemeinschaftlichen Sprache aus sich heraus, manifestiert sich und stellt sich dar. Sprache ist als solche kein ungeeignetes Medium dieser Manifestation des Geistes. Im Gegenteil ist sie dazu 235 JS1, 226 (= GW6, 318)

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geradezu prädestiniert, sie ist selbst »ideal«, wie Hegel sagt. Schon im Vorlesungsmanuskript von 1803/04 wird allerdings ein diese Idealität einschränkendes Moment deutlich, das Hegel in der Phänomenologie wieder unterstreichen wird: Die Sprache ist für eine Gemeinschaft zwar etwas unmittelbar Gemeinsames und hallt im Bewusstsein aller wider. Sie enthält trotz dieser Allgemeinheit aber noch etwas Unerkanntes. Es existiert zwar ein gegenseitiges (kommunikatives) Anerkennen, durch das alle Sprecher:innen ein allgemeines Bewusstsein teilen, diese Kommunikation ist in ihrem unmittelbaren Bestehen aber noch nicht »bedeutend«. Als allgemein nur an sich anerkannte behält die Sprache ein Moment der Äußerlichkeit. Sie ist nur ansatzweise erkannt. Bedeutend wird Sprache Hegel zufolge erst durch eine Rekonstruktion, in der sie selbst als etwas Äußerliches betrachtet und »vernichtet« wird: Die Sprache wird also auf diese Weise in einem Volke rekonstruiert, dass sie als das ideelle Vernichten des Äußern [sic] selbst ein Äußeres ist, das vernichtet, aufgehoben werden muss, um zur bedeutenden Sprache zu werden, zu dem, was sie an sich, ihrem Begriffe nach ist; also sie ist im Volke als ein totes anderes als sie selbst und wird Totalität, indem sie als ein Äußeres aufgehoben und zu ihrem Begriffe wird.236 236 JS1, 227 (= GW6, 319). Wie Hegel an einer früheren Stelle des gleichen Manuskripts schreibt, erhält das Bewusstsein überhaupt erst Realität, indem es durch die Namen das Äußere vernichtet: »Das Gedächtnis, die Mnemosyne der Alten, ist [...] dass es das, was wir sinnliche Anschauung genannt haben, zur Gedächtnissache, zu einem Gedachten macht; die Form des Raumes und der Zeit, worin sie ihr anders [sic] außer sich haben, in der Zeit ebenso nur ideal aufhebt und sie an sich selbst als andre ihrer selbst setzt. Hierin erhält das Bewusstsein erst eine Realität, dass an dem nur in Raum und Zeit Idealen, d. h. das Anderssein außer sich Habenden diese Beziehung nach außen vernichtet und es für sich selbst ideell gesetzt werde, dass es zu einem Namen werde.« (JS1, 201 = GW6, 287f.; die Hervorhebungen stammen von mir, S.W.). Das Moment, in dem die Sprache ihrerseits äußerlich wird, zeigt sich vor allem durch die Möglichkeit einer rein mechanischen Verarbeitung und Verbreitung von Sprache und Zeichen. Beispiele dafür sind etwa das Rezitieren fremder Sprachen (PhG, 175), die Kulturprodukte vergangener Zeit (PhG, 547f.) und die »Vieldeutigkeit« des Schädelknochens, die letztlich ebenfalls eine Bedeutungslosigkeit ist (PhG, 250); vgl. zu diesem Thema auch Houlgate, »Hegel, Derrida, and Restricted Economy«. Das »Vernichten des Äußeren« als Internalisierung beschreibt Hegel auch als Insichgehen des Geistes: »Der Geist geht in sich«; damit wird »die Mannigfaltigkeit des Bildes [im] Selbst getilgt« (JS3, 176 = GW8, 191). Diese beiden Punkte werden am Ende der Entwicklung der Phänomenologie eine wichtige Rolle spielen, denn Hegel versteht das Insichgehen des Wissens als notwendiges Moment des Bösen. Er setzt zudem mit der Tilgung der Zeit ein Moment der (scheinbaren) Vernichtung des Sinnlichen ins Zentrum des Kapitels über das absoluten Wissen.

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Hegel zufolge besteht also eine sprachinterne Spannung zwischen der Existenz der Sprache als unmittelbar allgemein anerkanntem Kommunikationsmedium und der Sprache als eigentlich bedeutender. Die unvermittelt gesprochene Sprache ist für Hegel ein »totes anderes« ihrer Selbst, woraus die Forderung entsteht, dass die Sprache zu »ihrem Begriffe« wird. Hegel stellt also eine Diskrepanz zwischen der gesprochenen Sprache und der Sprache als begriffener und begrifflicher Totalität fest. Auch das Moment der Umgestaltung, das in den oben zitierten Passagen aus der Phänomenologie und der Enzyklopädie schon eine Rolle spielte, wird hier erneut wichtig: Man sieht, dass Hegel das »Vernichten« der Äußerlichkeit, das ein zentrales Moment der Sprache ist (und wodurch der vernichtete Laut in umgestalteter Form aufbewahrt wird), selbst noch einmal auf die Sprache bezieht bzw. anwendet: Die Sprache ist selbst zunächst äußerlich und muss »vernichtet« und »rekonstruiert« werden. Erst dann wird sie eigentlich »begriffene« Sprache und damit Sprache in vollem Sinne (Sprache des Begriffs). Die noch nicht begriffene, unverstandene Sprache zeigt sich dagegen als Vorform, Vorbegriff der Vernunft – oder im schlimmsten Fall als Träger von Vorurteilen (wie etwa dem für die Einleitung der Phänomenologie zentralen Missverständnis, dass Erkennen ein Werkzeug ist). Damit zeigt sich, warum Sprache zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung des Denkens ist. Einen Gedanken, den man zu haben meint, muss man sprachlich artikulieren und bestimmen können, man muss also sagen können, was man meint; vieles von dem, was gesagt wird, kann aber gedankenlos sein, also ausgesprochen werden, ohne dass man eigentlich weiß, was man sagt (zu wissen, was man sagt, ist für Hegel ein sehr seltener Fall).237 Zwar bedingt die Sprache den Abstand des Menschen zur natürlichen Welt und verortet ihn in der geistigen Welt überhaupt; dies ist aber zugleich die Einbindung des einzelnen Menschen in eine je historisch konkrete geistige Welt. Sprache erzeugt also (potentiell) eine neue Form der Heteronomie des Denkens und der Schritt zur bedeutenden Sprache erfordert daher eine erneute Abstandnahme, nämlich von der bestehenden Sprache. Dieser Punkt wird unter Berücksichtigung einer weiteren Komponente noch einsichtiger: Hegel geht nämlich nicht davon aus, dass das Erkenntnissubjekt als fertiges in souveräner Weise in die Welt fällt, sondern er begreift es selbst aus seiner Genese heraus. Diesen Gedanken hat bereits Habermas mit Hegels Behandlung der Sprache verknüpft. Das Subjekt befindet sich in historisch und kulturell 237 Vgl. TWA11, 249: »Wissen, was man sagt, ist viel seltener, als man meint, und es ist mit dem allergrößten Unrecht, dass die Anschuldigung, nicht zu wissen, was man sagt, für die härteste gilt.« An einer Stelle der Logik betont Hegel, dass man »nur« wissen muss, was man sagt, um das Verhältnis des Unendlichen und des Endlichen richtig zu bestimmen (WL1, 157).

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DER ZUSAMMENHANG VON DARSTELLUNG UND SPRACHE

spezifischen Rahmenbedingungen und die Sprache ist selbst ein »System einer bestimmten kulturellen Überlieferung«.238 Sprache ist also ein Moment der bestehenden Objektivität, der das Subjekt ausgesetzt ist, und insofern es seine Gedanken notwendigerweise in ihr artikulieren muss, behält die »Objektivität der Sprache« – also das System der sprachlichen Konventionen – »Gewalt über den subjektiven Geist«.239 Wie sich in der zitierten Passage aus den Jenaer Systementwürfen zeigt, geht Hegel davon aus, dass diese Gewalt gewissermaßen an die Sprache zurückgegeben werden muss – die Sprache muss (insofern sie äußerlich ist) »vernichtet« und die Natur des Satzes »zerstört« werden.240 Deshalb ist an die Rückzugsfähigkeit des Geistes zu erinnern, mit der dieser Abschnitt begonnen hat: Entscheidend ist nicht nur, wie der Geist sich in der Sprache artikuliert, sondern auch, wie er sich aus den konkreten Formen seines historisch kulturellen Daseins wieder herausarbeitet. An solchen Punkten ergibt sich jeweils das Bedürfnis von Philosophie. Die Kritik der Positivität, die Hegel in seinen Frühschriften entwickelt, lässt sich auf die Sprache übertragen. Auch die Sprache kann nicht als etwas positiv vorliegendes angenommen werden. Damit wird im Folgenden der Zusammenhang des Darstellungsmoments der philosophischen Wahrheit nun erneut zum Thema, nämlich in seinem Zusammenhang mit dem Moment der Sprachlichkeit des Denkens.

3. Pluralität und Geschichtlichkeit der Sprachen und die Darstellung der Philosophie (absoluter Geist) Hegel berücksichtigt sowohl die kognitive, als auch die kommunikative Funktion der Sprache. Wie sich bereits andeutet, versucht Hegel nicht, Sprache als Untersuchungsgegenstand zu isolieren. Im Gegenteil inte­ ressieren ihn gerade die komplexen Beziehungen der Sprache zu anderen Untersuchungsgegenständen wie z.B. zur Artikulation des individuellen Denkens und zum Bereich der sozialen Verhältnisse im Allgemeinen. Dazu kommen noch die bisher nicht berücksichtigten Verhältnisse des absoluten Geistes, nämlich Kunst, Religion und Philosophie, die im Religionskapitel der Phänomenologie behandelt werden.241 238 Habermas, »Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser ›Philosophie des Geistes‹«, 32. 239 Habermas, 27. 240 Wie Hegel an der bereits zitierten Stelle in der Vorrede der Phänomenologie schreibt (PhG, 59). Vgl. auch Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, 184. Zum Zusammenhang von Sprache und Gewalt in der Philosophie: Žižek, »Hegel versus Heidegger«. 241 Wie bereits in der Einleitung dieser Arbeit rekonstruiert, vertreten Bertram, Lauer, Liptow und Seel in In der Welt der Sprache, dass eine Untersuchung,

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PLURALITÄT UND GESCHICHTLICHKEIT DER SPRACHEN

Sprache ist für Hegel allerdings nicht ausschließlich (und möglicherweise auch nicht primär) als Untersuchungsgegenstand relevant, sondern auch in methodischer Hinsicht, da die Sprache das Artikulationsmedium der Philosophie ist. Sie taucht zwar als Moment der Psychologie (im subjektiven Geist) oder der sozialen Verhältnisse des objektiven Geistes auf; da die Philosophie selbst aber eine sprachgebundene Aktivität ist, hat die Untersuchung der Sprache für sie auch methodische Relevanz. Das wird mit dem Übergang zum absoluten Geist berücksichtigt (in der Phänomenologie also ab dem Beginn des Religionskapitels). Auf der Ebene des absoluten Geistes geht es Hegel um die Rolle der Sprache bei der Darstellung des Absoluten. In diesem Zusammenhang werden wir uns mit folgenden Punkten beschäftigen: (1) Dem Problem, dass sprachlicher Ausdruck noch kein Verstehen des Gesagten beinhalten muss, (2) der Relevanz des bei sich Seins in der Sprache bzw. eines freien Verhältnisses des Menschen zur Sprache, (3) Sprache als Vorverständnis und (4) Hegels Ablehnung fester Terminologie für die Philosophie sowie (5) der Unterscheidung einer »Sprache der Vorstellung« und einer »Sprache des Begriffs«.242 Wie wir bereits gesehen haben, geht Hegel nicht davon aus, dass das Absolute sich der Darstellung prinzipiell entzieht. Er möchte im Gegenteil zeigen, dass die Annahme einer prinzipiellen Unsagbarkeit ein Problem des vor-philosophischen Bewusstseins ist (bzw. einiger Formen des Bewusstseins). Vor diesem Hintergrund ist es hilfreich, eine Unterscheidung zweier Positionen einzuführen, die man als Sprachskepsis und Sprachkritik bezeichnen kann.243 Sprachskepsis kann als die Annahdie Sprache als isoliertes System begreift, nicht gelingen kann. Versucht man, Sprache in einer formalistischen Weise als in sich geschlossenes System zu begreifen, wird gerade mysteriös, wie sie noch ihre Funktion als Sprache von handelnden und wahrnehmenden Menschen erfüllen kann. Sie schlagen deshalb eine holistische Herangehensweise an die Sprache vor, bei der die Untersuchung sprachphilosophischer Fragen notwendigerweise über Sprachphilosophie im engeren Sinne hinausführt. In diesem Sinne bemerkt bereits Surber, dass ein Interesse der Untersuchung von Sprache bei Hegel darin besteht, den Rahmen zeitgenössischer Sprachphilosophie zu weiten; Surber, »Hegel’s Speculative Sentence«, 425. 242 Den Übergang von einer Untersuchung der Sprache als Gegenstand zu einer Untersuchung der Rolle der Sprache bei der Darstellung des Absoluten kann man auch als Übergang zu einer methodologisch orientierten Analyse der Sprache verstehen; vgl. dazu Martin, Die Einheit des Sinns, 19. Ebenfalls kann man am Rande bemerken, dass auch andere Ausdrucksmedien für die Philosophie in Betracht gezogen werden können, wie z.B. das FilmBild; vgl. dazu Pippin, Filmed Thought. 243 Vgl. Leiss, »Sprachphilosophische Grundlagen«, 7ff. in Niehr, Kilian, und Schiewe, Handbuch Sprachkritik. Diese Unterscheidung dient der

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me verstanden werden, die Sprache könnte die Welt nicht angemessen abbilden oder Gedanken nicht angemessen ausdrücken. Sprache wäre dann ein Hindernis zwischen Individuum und Welt. Diese Annahme entspricht der Position des Bewusstseins, das Sprache als ungeeignetes Werkzeug begreift und kann analog zu dessen Erkenntnisskepsis verstanden werden (die Hegel in der Einleitung der Phänomenologie kritisiert). Die Sprachskepsis des Bewusstseins lässt sich in die Gruppe der Formen einordnen, die James Conant als kartesische Skepsis beschrieben hat: Das Bewusstsein sieht die Gefahr einer Lücke zwischen seiner inneren mentalen Welt und der Außenwelt. Es sieht daher einerseits das Problem, dass Sprache die Verhältnisse der Objektwelt nicht angemessen einfangen könnte, und dass es andererseits seine Innenwelt durch die Sprache nicht angemessen ausdrücken kann. Sprache bringt demnach die Außenwelt nur verfälscht nach innen und die Innenwelt nur verfälscht nach außen.244 Daraus folgen Versuche des Bewusstseins, Sprache zu umgehen – gerade darin zeigt sich das Bewusstsein aber von der Sprache getrieben. In Hegels Darstellung korrelieren diese Versuche meistens mit Gerede. In anderen Fällen schlägt die Sprachskepsis des Bewusstseins in eine unreflektierte, überschwängliche Affirmation der Sprache um, in der davon ausgegangen wird, dass die Sprache von sich aus das Innere perfekt zum Ausdruck bringt.245 Dagegen bezeichnet Sprachkritik die Untersuchung und positive wie negative Würdigung der Leistungen der Sprache. Hegel ist selbst kein Sprachskeptiker, er betreibt aber im Rahmen der Phänomenologie eine Sprachkritik, insofern er die Grenzen des sprachlichen Ausdrucks und die Rolle der Sprache in der Artikulation des Denkens untersucht. Das Grundproblem, das Hegel mit der Sprache verbindet, ist, dass diese suggeriert, man sei bereits hinreichend informiert, weil man sich reibungslos in der Sprache bewegen kann. Das drückt sich zunächst darin aus, dass man durch die Vertrautheit der Worte und der darin transportierten Vorstellungen glaubt, man wüsste, worum es darin geht; tatsächlich bewegt man sich aber nur von Vorstellung zu Vorstellung. Die Vertrautheit der Vorstellungen, über die sich das natürliche Bewusstsein sprachlich austauscht, führt dazu, dass Probleme der im Rahmen dieser sprachlichen Ökonomie (implizit) vertretenen Wissensansprüche zunächst gar nicht auffallen. Dieses Problem widerfährt dem Bewusstsein; explizit wird es einfacheren Bezeichnung. Man könnte auch davon sprechen, dass Hegels Idee eines sich vollbringenden Skeptizismus von ihm auch auf die Sprache übertragen wird. 244 Vgl. Conant, »Two Varieties of Skepticism«. 245 Ein solches Umschlagen kann man etwa im Gewissenskapitel beobachten. Beispiele für das gemeinsame Auftreten von Gerede und (Forderungen nach) Sprachlosigkeit sind etwa die Tugend sowie Physiognomik und Schädellehre.

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vor allem von Hegel thematisiert. Registriert das Bewusstsein selbst solche Probleme, tendiert es dazu, diese Probleme seines Wissens auf die Sprache zu projizieren, so dass ein Problem seines Wissensanspruchs als Fehler der Sprache erscheint: Das Bewusstsein meint, etwas Unmittelbares zu wissen, das sich unmöglich aussprechen lässt; es schließt auf eine Unsagbarkeit des Wissens, weil es nicht sagen kann, was es meint. Wir haben uns bisher an der enzyklopädischen Aufteilung orientiert und die Rolle der Sprache auf den Ebenen des subjektiven und objektiven Geistes skizziert. Sprache ist das zentrale Moment der Bestimmung von Gedanken und für Hegel daher das Moment, in dem die mentale Tätigkeit des subjektiven Geistes vom sinnlich bestimmten Anschauen (also vom Bild) zum allgemeinen Denken übergeht. Gleichermaßen wird Sprache wesentlich in einer Gemeinschaft geteilt. Sprache ist daher allgemein bzw., wie Hegel im Jenaer Manuskript sagt, »Sprache eines Volks« und verortet das Individuum in Verhältnissen des objektiven Geistes. Daran werden wir nun eine Überlegung anschließen, die sich auf die Bedeutung der Sprache für die Philosophie richtet. Hier geht es also um die Rolle der Sprache in den Formen des absoluten Geistes: Absoluter Geist ist Geist, der sich die Frage stellt, was Geist überhaupt ist, wie er sich als solcher selbst zugänglich wird und Erkenntnisse über Geistiges, also über sich selbst gewinnen kann. Dabei sind zwei Punkte wichtig, die einen sehr klaren Ausdruck in Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie finden. Hegel bemerkt erstens, dass sprachliche Sätze nicht von sich aus garantieren, dass sie auch verstanden werden – und zwar vor allem dann, wenn es sich um philosophische Sätze handelt. Er argumentiert zweitens, dass dieses Verstehen eine Voraussetzung dafür ist, dass Menschen in der Sprache »bei sich« sein können, woraus sich die Frage ergibt, wann eine Sprache die »eigene« Sprache ist. (1) Philosophische und insbesondere »spekulative« Gedanken gehen in einer bestimmten Weise über das hinaus, was sich unmittelbar in Sprache ausdrückt. Wie Hegel schreibt, besteht für die Philosophie ein besonderes Risiko der Äußerlichkeit, also die Gefahr, dass man sich wortreich darüber ausbreitet, was Philosoph:innen gesagt haben, ohne eigentlich zu verstehen, was die Bedeutung dieser Aussagen, was also die Gedanken dieser Philosoph:innen sind (im Kanon der Geschichte der Philosophie, die Hegel im Blick hat, sind diese meines Wissens ausschließlich männlich; das Argument selbst ist aber prinzipieller Natur, weshalb ich die gegenderte Form verwende). Pointiert formuliert, muss man Hegel zumindest an dieser Stelle so verstehen, dass sich das eigentliche philosophische Wissen und Denken in letzter Instanz gerade nicht sprachlich ausdrücken lässt. Es schlägt sich zwar in Texten nieder, kann dann aber nicht ohne Weiteres von allen verstanden werden. Die Leser:innen müssen selbst etwas mitbringen – um die philosophische Bedeutung eines Textes zu verstehen, müssten sie eigentlich schon Philosoph:innen sein 149 https://doi.org/10.5771/9783748917755

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(entsprechend häufig spricht Hegel davon, dass nur der Geist den Geist erkennen kann und dieser ist im besten Fall ein verwandter Geist246). Dieser Umstand wäre prinzipiell dazu geeignet, ein Projekt wie die Phänomenologie, die den exoterischen Anspruch vertritt, das ungebildete Bewusstsein von seinem Standpunkt aus zur Wissenschaft zu führen, von vornherein unmöglich zu machen: Wenn es verschiedene Begriffe von der Wissenschaft der Philosophie gibt, so setzt zugleich der wahrhafte Begriff allein in Stand, die Werke der Philosophen zu verstehen, welche im Sinne desselben gearbeitet haben. Denn bei Gedanken, besonders bei spekulativen, heißt Verstehen ganz etwas anderes als nur den grammatischen Sinn der Worte fassen und sie in sich zwar hinein-, aber nur bis in die Region des Vorstellens aufnehmen. Man kann daher eine Kenntnis von den Behauptungen, Sätzen oder, wenn man will, von den Meinungen der Philosophen besitzen, sich mit den Gründen und Ausführungen solcher Meinungen viel zu tun gemacht haben, und die Hauptsache kann bei allen diesen Bemühungen gefehlt haben, nämlich das Verstehen der Sätze.247

Hegel konzipiert das philosophische Verstehen hier in Form des hermeneutischen Zirkels. Nur wer über den wahrhaften Begriff der Philosophie verfügt, kann eigentlich die Werke der Philosophie – ihre spezifische Intention, ihren Sinn – verstehen. Fehlt dieser Begriff, gelangen die Interpret:innen nur bis in die Region des Vorstellens und verfehlen etwas, das wohl in größerer Tiefe verborgen bleibt. Das Vorstellen kann ausgehend von dieser Passage als Vorverständnis verstanden werden, das letztlich durch das sprachliche Vermögen gewährleistet ist. Der sprachliche Ausdruck birgt also die Gefahr, lediglich Vorstellungen – und damit letztlich Vorurteile – zu vermitteln. Die Frage, die sich damit für Hegels (Wissenschaft der) Phänomenologie stellt, ist wie der Bereich des Begriffs aus der Richtung der Vorstellung, d.h. ausgehend von den Weltbildern des Bewusstseins eröffnet wird. (2) Insofern aber das Denken einen medialen Ausdruck braucht, ist es Hegel zufolge nur genau dann frei, wenn es im Medium seines Ausdrucks 246 So schreibt Hegel in der »Differenzschrift« (TWA2, 15f.): »Der lebendige Geist, der in einer Philosophie wohnt, verlangt, um sich zu enthüllen, durch einen verwandten Geist geboren zu werden.« Auf diese Passage werden wir im Rahmen des absoluten Wissens zurückkommen. 247 TWA18, 17. Hegel fährt fort, indem er diejenigen, die derart äußerlich verfahren als Tiere beschimpft: »Es fehlt daher nicht an bändereichen, wenn man will gelehrten Geschichten der Philosophie, welchen die Erkenntnis des Stoffes selbst, mit welchem sie sich so viel zu tun gemacht haben, abgeht. Die Verfasser solcher Geschichten lassen sich mit Tieren vergleichen, welche alle Töne einer Musik mit durchgehört haben, an deren Sinn aber das Eine, die Harmonie dieser Töne, nicht gekommen ist.« In ähnlicher Weise spricht er auch von der »barbarischen Terminologie« Kants (TWA20, 337).

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– dem Anderen des Denkens – »bei sich« ist. Insofern das Denken sich also sprachlich artikuliert, ist es für Hegel wichtig, dass dies in der »eigenen« Sprache geschieht. Seine höchsten geistigen Interessen (d.h. für Hegel seine höchsten Interessen überhaupt) muss der Mensch in seiner eigenen Sprache ausdrücken können, um wirklich frei zu sein. Hegel bezieht also die berühmte Formel der Freiheit als bei sich Sein im Anderen auch auf das Verhältnis von Denken und Sprache. Ein zentraler Schritt zur Freiheit des Geistes ist daher für Hegel, dass das Beten in fremder Sprache und das Treiben der Wissenschaften in solcher abgeschafft ist. In der Sprache ist der Mensch produzierend: es ist die erste Äußerlichkeit, die der Mensch sich gibt durch die Sprache; es ist die erste, einfachste Form der Produktion, des Daseins, zu der er kommt im Bewusstsein; was der Mensch sich vorstellt, stellt er sich auch innerlich vor als gesprochen. Diese erste Form ist ein Gebrochenes, Fremdartiges, wenn der Mensch in einer fremden Sprache sich ausdrücken oder empfinden soll, was sein höchstes Interesse berührt. Dieser Bruch mit dem ersten Heraustreten in das Bewusstsein ist so aufgehoben; hier bei sich selbst in seinem Eigentum zu sein, in seiner Sprache zu sprechen, zu denken, gehört ebenso zur Form der Befreiung. Dies ist von unendlicher Wichtigkeit. Luther hätte nicht seine Reformation vollendet, ohne die Bibel ins Deutsche zu übersetzen; und nicht ohne diese Form, in eigener Sprache zu denken, hätte die subjektive Freiheit bestehen können.248

Nimmt man beides zusammen, lässt sich sagen, dass das philosophische Denken, zwar überhaupt in seiner sprachlichen Fassung nicht aufgeht, dass aber zu der Sprache, in der es sich dennoch notwendigerweise artikulieren muss, ein möglichst intimes Verhältnis bestehen sollte. Hegel unterstreicht, dass auch die Erstsprache nicht unmittelbar die »eigene« ist – wie sich auch im Jenaer Manuskript zeigt, wo Hegel vermerkt, dass die Sprache des Volkes noch nicht an und für sich begriffen ist. Als Medium, in dem wir uns unmittelbar bewegen, ist die Sprache, die wir zuerst lernen, gerade nicht unmittelbar unsere eigene, denn was das Verhältnis 248 So Hegel in seinen Ausführungen zur Reformation (TWA20, 52f.). An dieser Stelle (TWA20, 49) thematisiert Hegel auch das Beten in fremder (d.h. hier lateinischer) Sprache, die Abgabe des persönlichen Besitzes und den generellen Gehorsam zu einer Priesterschaft, die den Zugang zum Paradies reguliert, als Momente, gegen die sich Luthers Reformation wendet. Diese Momente bilden den Schlusspunkt des unglücklichen Bewusstseins am Übergang zur Vernunft (PhG, 175). Ein weiterer Verweis Hegels auf Luther ist bemerkenswert: Der erste Beleg für Hegels Arbeit an der Phänomenologie findet sich auf der Rückseite des Briefes an Voss, in dem Hegel artikuliert, er wolle die Philosophie versuchen, »deutsch sprechen zu lehren«, so wie Luther die Bibel (vgl. Hoffmeister, Briefe von und an Hegel. Band 1, 99f. sowie in GW9, 465).

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von Geist und Sprache überhaupt ist, können wir nur erkennen, wenn wir aus ihm heraustreten. Daher betont Hegel in seiner Nürnberger Rektoratsrede von 1809 die Bedeutung des Erlernens der antiken Sprachen, bei dem wir gerade aufgrund des notwendigerweise mechanischen und repetitiven Verhältnisses, das wir zu diesen Sprachen einnehmen müssen, lernen, was das innige Verhältnis zu Sprache eigentlich ist.249 Der Kon­trast von »eigener« und »fremder« Sprache bezieht sich allerdings nicht nur auf Landessprachen, sondern auch auf sprachinterne Differenzen zwischen kulturellen Bereichen, d.h. auf Fachsprachen, der Wissenschaft oder auch des Rechts. Hegel kritisiert (und darin zeigt sich wiederum sein exoterischer Anspruch), dass Wissenschaft und Recht den Einzelnen unzugänglich bleiben, wenn sie aufgrund ihrer Sprachregelungen nur noch (vermittelt durch) Spezialist:innen zugänglich sind.250 Weil Hegel richtigerweise anerkennt, dass auch innerhalb einer Landessprache Sprach- bzw. Kommunikationsformen existieren, die den meisten Individuen fremd sind und bleiben, verliert die Frage nach der eigenen Sprache das Kategorische und wird zu einer Frage des Grades. Im strengen Sinne kann die Forderung einer eigenen Sprache allenfalls dann eingelöst werden, wenn jemand in einem sprachlichen Rahmen (für sich) eine neue sprachliche Form konstruiert hat. Einen solchen Gedanken äußert Hegel in der Ästhetik – nur das »echte Kunsttalent« wird von der Sprache getragen und ist in ihr heimisch.251 249 Vgl. TWA4, 315 250 Hegel kritisiert im Rahmen seiner Rechtsphilosophie, dass die Sprache des Rechts nicht mehr allen gleichermaßen zugänglich ist, so dass faktisch nicht mehr alle ihr Recht selbst geltend machen können, weil es dazu der Unterstützung durch Spezialist:innen bedarf. Ausschlaggebend für die Hermetik der Fachdiskurse sind dabei nicht in erster Linie Elemente des Lateinischen, sondern ihr Formalismus (vgl. TWA7, § 228 und § 297 sowie Bodammer, der auf diese Passagen aufmerksam macht; Hegels Deutung der Sprache, 158). 251 TWA15, 290; auch von Hegel selbst könnte man so etwas sagen – darauf verweist Dieter Henrichs Bemerkung über die Unverkennbarkeit von H ­ egels Sprache und die Schwierigkeit, diese zu reproduzieren; Henrich, »Hegels Grundoperation«, 208f. In den Vorlesungen über Ästhetik fordert Hegel vom sprachlichen Ausdruck in der Dichtung, dass er besonnen, aber nicht gewollt sein soll. Er soll sich, wie von selbst, aus der Eigendynamik der Sache ergeben (TWA15, 287–89). Dazu ist es erforderlich, in der Sprache bzw. in einer selbstgewählten Sprachform, heimisch zu sein (ebd., 290). Die formale Präzisierung der Sprache durch Rhythmus, Reim etc. ermöglicht Dichter:innen außerdem, neue Gedanken »zu finden oder zu erfinden, die ihnen ohne solch einen Anstoß nicht gekommen wären« (ebd., 291). Das sprachliche Material und die Ausdrucksform können also gegenüber dem Denken bzw. der gedanklichen Produktion sowohl hemmend als auch förderlich sein. Es kommt darauf an, sich mit dem Material anzufreunden, indem man

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Hegel macht also zurecht darauf aufmerksam, dass die unmittelbare Beziehung zur Erstsprache unterbrochen werden muss, um wirklich verstanden werden zu können. Was dann aber für Hegel die »eigene Sprache« sein soll, ist nicht ohne Weiteres klar. Plausibel scheint, dass sich damit die Anbindung des Denkens an eine bestimmte Sprache (womit auch Bereichssprachen gemeint sein können) überhaupt auflöst, so dass eine gewisse Freiheit der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten eröffnet und damit die prinzipielle Formbarkeit der Sprache erkannt wird.252 Mit diesem Zug ist allerdings eine ähnliche Position erreicht wie in der unter (1) zitierten Passage: Das eigentliche Verständnis des in der Sprache Geäußerten wird nicht mehr von »der Sprache« gewährleistet, sei es nun die »eigene« oder eine andere. Damit ist die Sprache notwendig auf den Begriff bezogen – sie weist (wie das Bewusstsein überhaupt) über sich hinaus. (3) Das Verstehen eines philosophischen Textes übersteigt also das eigentlich sprachliche Moment. Das Verhältnis zum Text kann deshalb kein rein rezeptives sein. Das Sinn-Verstehen ist (wie Bodammer beschreibt) eine »produktive Funktion« des Bewusstseins und das heißt, dass in der »scheinbaren Unmittelbarkeit« der Erfahrungen des Bewusstseins über die Sprache immer schon unausgesprochene Voraussetzungen investiert sind. Durch seine Vorstellungen verfügt das Bewusstsein also über eine Form des hermeneutischen Vorverständnisses des Begrifflichen.253 Das in ihm die Möglichkeit eines Formmoments entdeckt. Dieses Formmoment muss aber »selbsterschaffen« sein. Ein vorgefundenes Formmoment – z.B. ein Versmaß – ist zunächst nur ein Material, das Anforderungen an mich stellt, von denen ich nicht weiß, warum ich ihnen genügen sollte, durch die ich mich also heteronom verhalte. Es ist natürlich möglich, sich auch ein solches Versmaß zu eigen zu machen. 252 Vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 179. Insgesamt sind Bodammers Ausführungen zu Geschichte, Vielheit der Sprachen und Bildung in diesem Zusammenhang relevant (ebd., §§ 8–10). 253 »Für Hegel besitzen die Worte eines Textes nicht einfach einen objektiven, in sich beruhenden Sinn, der bloß anzueignen wäre, vielmehr wird der Sinn auf Grund der vorgängigen vorstellungsmäßigen Bestimmtheit des verstehenden Bewusstseins selbst überhaupt erst produziert. Es findet sich hier also bei Hegel ganz ausdrücklich bereits eine hermeneutische Besinnung auf die produktive Funktion, die die eigene gedankliche, vorstellungsmäßige und damit zugleich sprachliche Artikuliertheit des Bewusstseins für das Verstehen von Sinn hat. In diesem Hinweis deutet sich gleichzeitig die Wichtigkeit an, die Hegels phänomenologische Darstellung der Genesis des Bewusstseins im Rahmen einer hermeneutischen Reflexion bekommt. Denn Hegels Phänomenologie des Geistes lässt sich als eine Beschreibung der Erfahrungen des Bewusstseins verstehen, das auf den Grund der von ihm in der scheinbaren Unmittelbarkeit seiner Erfahrungen immer schon unausgesprochen mit einbezogenen Voraussetzungen reflektiert.« Bodammer, 166f.

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Bewusstsein muss sich deshalb in einer autohermeneutischen Aktivität seiner eigenen Produktivität im Verstehen von Texten (und damit seiner Geschichte) klar werden. Sprache ist dabei als Vorform der Vernunft für die Bildung des Geistes entscheidend. Einerseits liegt darin ein Vorverständnis der Denkbestimmungen. Andererseits sind diese Vorstellungsgehalte vom eigentlich universellen Denken zu trennen.254 Daran schließt nun Hegels Überlegung darüber an, wie sich die Geschichtlichkeit und die Vielheit der Sprache(n) zur prinzipiellen Überzeitlichkeit des begrifflichen Denkens verhält. Diese Überlegungen kulminieren in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Logik, die Hegel 1831, kurz vor seinem Tod, schreibt. Hier fasst Hegel an einer hochgradig exponierten Stelle zusammen, dass die Denkformen in der Sprache eingehüllt oder in vermischter Form bereits vorhanden sind. Aufgrund dieser prinzipiellen Verknüpfung von Sprache und Denken benötigt die Philosophie keine besondere Terminologie – im Gegenteil ist gerade eine bestimmte der Form der begrifflich produktiven Polysemie eine »Freude« für das Denken: Die Denkformen sind zunächst in der Sprache des Menschen herausgesetzt und niedergelegt; es kann in unseren Tagen nicht oft genug daran erinnert werden, dass das, wodurch sich der Mensch vom Tiere unterscheidet, das Denken ist. In alles, was ihm zu einem Innerlichen, zur Vorstellung überhaupt wird, was er zu dem Seinigen macht, hat sich die Sprache eingedrängt, und was er zur Sprache macht und in ihr äußert, enthält eingehüllter, vermischter oder herausgearbeitet eine Kategorie; so sehr natürlich ist ihm das Logische, oder vielmehr: dasselbige ist seine eigentümliche Natur selbst. [...] Es ist der Vorteil einer Sprache, wenn sie einen Reichtum an logischen Ausdrücken, nämlich eigentümlichen und abgesonderten, für die Denkbestimmungen selbst besitzt; von den Präpositionen, Artikeln gehören schon viele solchen Verhältnissen an, die auf dem Denken beruhen; die chinesische Sprache soll es in ihrer Ausbildung gar nicht oder nur dürftig bis dahin gebracht haben; aber diese Partikeln [sic] treten ganz dienend, nur etwas weniges abgelöster als die Augmente, Flexionszeichen u. dgl. auf. Viel wichtiger ist es, dass in einer Sprache die Denkbestimmungen zu Substantiven und Verben herausgestellt und so zur gegenständlichen Form gestempelt sind; die deutsche Sprache hat darin viele Vorzüge vor den anderen modernen Sprachen; sogar sind manche ihrer Wörter von 254 Sprache existiert im Plural von Sprachen, diese tragen verschiedene Vorstellungsgehalte. Gadamer hat in Wahrheit und Methode unterstrichen, dass gerade aus dieser historischen und kulturellen Diversität die Forderung folgt, sich »nicht von der Sprache treiben zu lassen«. Das Philosophieren ist daher kein Verteidigen feststehender Grundsätze, sondern »eine beständige Selbstüberholung aller [...] Begriffe« der Philosophie; Gadamer, »Zur Phänomenologie von Ritual und Sprache«, 430.

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der weiteren Eigenheit, verschiedene Bedeutungen nicht nur, sondern entgegengesetzte zu haben, so dass darin selbst ein spekulativer Geist der Sprache nicht zu verkennen ist; es kann dem Denken eine Freude gewähren, auf solche Wörter zu stoßen und die Vereinigung Entgegengesetzter, welches Resultat der Spekulation für den Verstand aber widersinnig ist, auf naive Weise schon lexikalisch als ein Wort von den entgegengesetzten Bedeutungen vorzufinden. Die Philosophie bedarf daher überhaupt keiner besonderen Terminologie; es sind wohl aus fremden Sprachen einige Wörter aufzunehmen, welche jedoch durch den Gebrauch bereits das Bürgerrecht in ihr erhalten haben, – ein affektierter Purismus würde da, wo es am entschiedensten auf die Sache ankommt, am wenigsten am Platze sein.255

Sprache ist also bereits eine Form, in der das Denken eine naive Ausprägung von sich selbst vorfindet – insofern die Begriffe zu Wörtern gestempelt sind.256 »Auf solche Wörter zu stoßen«, verlangt allerdings mindestens den »logische[n] Instinkt« des Finders.257 Solche Potentiale machen sich danach aber – wie etwa das bekannte Bedeutungsspektrum von »aufheben« als neue Bestände des Sprachverständnisses geltend. Das Fortschreiten der Wissenschaft ist damit als Klärung der Begrifflichkeiten letztlich Entwicklung der Sprache: Das Fortschreiten der Bildung überhaupt und insbesondere der Wissenschaften, selbst der empirischen und sinnlichen, indem sie im allgemeinen sich in den gewöhnlichsten Kategorien (z. B. eines Ganzen und der Teile, eines Dinges und seiner Eigenschaften und dergleichen) bewegen, fördert nach und nach auch höhere Denkverhältnisse zutage oder hebt sie wenigstens zu größerer Allgemeinheit und damit zu näherer Aufmerksamkeit hervor.258 255 WL1, 20f. Hegel findet es in der Vorrede zur Logik scheinbar nicht unangemessen, Gerüchte über die chinesische Sprache einzufügen (»soll es gar nicht bis dahin gebracht haben«). 256 Zum Motiv der Prägung vgl. Derrida, »Die weiße Mythologie. Die Metapher im philosophischen Text«. 257 Vgl. Enz. § 459 (TWA10, 272) 258 WL1, 21; die Hervorhebungen stammen von mir, S.W. Gadamer interpretiert den »logischen Instinkt« als Sprachgefühl, ohne das die Philosophie nicht funktioniert; vgl. Gadamer, »Hegel und die antike Dialektik«, 25f. Dieser Instinkt erlaubt Hegel, das Spekulative überall aufzuspüren. Wie Gadamer unterstreicht, gehört es dazu, etwas festzustellen, das bereits in der Sprache liegt, und durch eine »entfremdete Schulsprache der Philosophie« (ebd., 26) überdeckt wird. Daraus leitet sich auch die Relevanz des Ausdrucks und der Darstellung der Philosophie ab, sowie die Bedeutung des Darstellungsbegriffs: »Der Begriff der Darstellung und des Ausdrucks, der das eigentliche Wesen der Dialektik, der Wirklichkeit des Spekulativen ausmacht, muss [...] offenbar als ein Seinsvorgang verstanden werden, wie

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Indem sie das geistige Verhältnis zur Sprache verändert, ist die Wissenschaft selbst ein Faktor der Entwicklung der Sprache und unterstreicht damit deren Plastizität. Wie Hegel diese Arbeit beschreibt, erinnert an die (von Derrida betonte) Rede von einem »Schacht«, in dem ein Vorrat (mehr oder weniger) indiskreter bildhafter – d.h. hier: vermischter – Gehalte vorliegt, die von der Intelligenz durch Trennung – der analytischen Arbeit des Verstandes – zutage gefördert bzw. hervor gehoben werden, wie Hegel sagt. Die Phänomenologie kann damit als das Herausarbeiten kategorialer Gehalte aus den Hüllen der Sprache und den Mischformen der Vorstellung verstanden werden. In diesem Sinne geht die Logik von einem robusten Verhältnis des Denkens gegenüber der Sprache aus, das in der Phänomenologie aber erst erreicht werden muss. (4) Wir müssen noch auf zwei Aspekte näher eingehen: Erstens auf Hegels Ablehnung einer festen Terminologie für die Philosophie und die daraus folgende Betonung der Terminologie-Fähigkeit des Denkens; zweitens auf das Verhältnis von Sprache des Begriffs (d.h. begriffener Sprache) und Sprache der Vorstellung. Hegels Ablehnung der Terminologie kann als Reaktion auf die Diskrepanz von Wissen und Aussprechen verstanden werden: Die bekannten Vorstellungsgehalte der Sprache werden von Hegel transformiert. Hegels Sprachgebrauch führt eine Bewegung der Bedeutungen und eine Synthese verschiedener Vorstellungsgehalte in die Sprache ein.259 Diese Bewegung ist die Bewegung des begrifflichen Denkens als Durchgang durch vorgestellte Bedeutungen. Ihre Basis bildet der Verlust der einen, als substantiell vorgestellten das exprimere des Spinoza. Darstellung, Ausdruck, Ausgesprochensein bezeichnen ein Begriffsfeld, hinter dem eine große neuplatonische Tradition steht. ›Ausdruck‹ ist nicht eine nachträgliche Hinzufügung aus subjektivem Belieben, durch die das innerlich Gemeinte kommunikativ gemacht wird, sondern ist das Zum-Dasein-Kommen des Geistes selbst, seine Darstellung [meine Hervorhebung, S.W.]. Die neuplatonische Herkunft dieser Begriffe ist nicht von ungefähr. Die Gedankenbestimmungen, in denen das Denken sich bewegt, sind, wie Hegel betont, nicht äußere Formen, die wir wie Hilfsmittel auf Vorgegebenes anwenden, sondern sie haben uns immer schon eingenommen, und unser Denken besteht darin, dass wir ihrer Bewegung folgen.« (ebd., 27). Zwei Probleme gibt es bei Gadamer: Er betont zwar zurecht den sprachlichen Instinkt und eine spielerische Vertrautheit mit der Sprache, tendiert dabei aber zu einer gewissen Heimats- und Ursprungsromantik. Zweitens meint er, dass Hegel diesen Punkt selbst nicht hinreichend reflektiert hat (ebd., 28). Dagegen müsste man z.B. anhand des Religionskapitels, der Ästhetik und der Rektoratsrede sagen, dass Hegel durchaus auch daran interessiert war, die Natürlichkeit der Sprache zu durchbrechen. 259»La langue et la terminologie hégéliennes effectuent donc une synthése dialectique des significations diverses incarnés dans les mots.« Koyré, »Note sur la langue et la terminolgie hégelienne«, 425.

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Bedeutung. Dieser Durchgang ist einerseits als Wendung gegen jede bestimmte Vorstellungswelt zu verstehen; zugleich öffnet sich der Begriff aber damit prinzipiell den verschiedenen historischen Vorstellungswelten, da er sich in den jeweils historischen Ausdrucksformen artikuliert. Der als zeitlos konzipierte begriffliche Gedanke ist also in der Sprache und den in ihr kristallisierten Vorstellungsgehalten immer zeitlich entfaltet bzw. verzeitlicht (Sprache und Zeit bilden daher zentrale Momente des endlichen Daseins von Geist und Begriff).260 Durch die Darstellung der Dynamik der Vorstellungen vermittelt Hegels Sprache den Eindruck von Rhetorik. Dieses scheinbar Rhetorische ist aber die dialektische Bewegung (in) der Sprache und damit die Bewegung, die Begriffe konstituiert.261 Auch wenn Hegel durchaus davon spricht, dass Gedanken sprachlich eingekleidet werden, existieren sie nicht losgelöst von diesen Kleidern; tatsächlich ist die Entwicklung von Ausdrucksformen eine Entwicklung des Gedankens selbst, da er dabei verschiedene Bestimmungen durchläuft (ein zentraler Begriff hierfür ist der Begriff der Übersetzung).262 Die Verhandlung des Verhältnisses von Philosophie und Rhetorik ist ferner eine konstante Aufgabe der Philosophie.263 Die Stoßrichtung der Rhetorik Hegels ist dabei anti-rhetorisch. Hegels Einsatz der Sprache dient der Provokation des Denkens. Die Gedanken sollen sich aus einem scheinbaren »Chaos« entwickeln.264 Denken ist für Hegel wesentlich Negativität; es benötigt die Trennung durch positive, diskrete Bestimmungen, um konkret zu werden, also zusammenzuwachsen. Das Denken ist also »der Positivität [...] fähig«,265 260 Vgl. Koyré, 428. Auch Claus-Artur Scheier betont die Parallele von Sprache, Zeit und Tod; vgl. Scheier, »Die Sprache und das Wort in Hegels ›Phänomenologie des Geistes‹«. 261 Vgl. Derrida, Glas: Totenglocke, 35f. 262 Zur Einkleidung von Gedanken vgl. PhG, 497f.; John Smith bezieht Hegels Rede von der Vorstellung als Kleid der Gedanken auf die rhetorische Tradition, die die Verkleidung von den res nudas abgrenzt; vgl. Smith, The Spirit and its Letter, 194, 216. Vgl. ebd. 73f. zur Übersetzung und dem Paradox der Darstellung, sowie 87 zur graduellen Transformation. 263 Dafür, dass eine Auseinandersetzung mit der Rhetorik ein bleibendes Moment der Philosophie ist (die sich also gerade nicht durch eine einmalige Gründungsgeste für den Rest der Zeit unzweideutig von der Rhetorik abgrenzen kann), argumentiert Georg Bertram, »Rhetorik und Argumentation in der Philosophie«. John Smith bezieht diesen Punkt spezifisch auf Hegel und seine Entwicklung, vgl. Smith, The Spirit and its Letter, 37. 264 Vgl. Hegels »Selbstanzeige« über die Veröffentlichung der Phänomenologie (PhG, 593). 265 Hoffmann, Hegel: Eine Propädeutik, 93. Dieses Moment geht aber bei Hegel mit einem generellen Hervorheben des Aktes einher (vgl. auch ebd., 82f. und 91–114).

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es darf nur nicht in den positiven Bestimmungen stehen bleiben. Dieser Punkt ist auf die philosophische Terminologie zu übertragen: Philosophisches Denken ist als Terminologie-Fähigkeit zu verstehen, wobei die Philosophie nicht in einer abschließenden Terminologie aufgehen kann. Das bedeutet, dass es zwar unvermeidlich und notwendig ist, Begriffe präzise zu bestimmen, weil wir andernfalls gar nicht im eigentlichen Sinne Gedanken entwickeln; dass es aber gleichermaßen entscheidend ist, nachzuvollziehen, auf welche Weise diese Bestimmungen an ihre Grenzen geraten und deshalb immer wieder aufgelöst, in Bezug auf andere Bestimmungen gesetzt und weiterentwickelt werden müssen, so dass kein Abschluss in Form einer endgültigen Sprachregelung erreicht wird. Ein verengtes Verständnis von Terminologie würde diesen Prozess der Auflösung und Weiterentwicklung als der Terminologie gegenüber extern verstehen. Wie Hans-Georg Gadamer unterstrichen hat, ist der Terminus ein Abbruch in der Entwicklung der Sprache, der das Ziel hat, das Bedeutungsspektrum eines Wortes einzugrenzen, daraus eine bestimmte Bedeutung herauszuziehen, in eindeutiger Weise festzulegen und zu kontrollieren.266 Diese positiven Festlegungen sind zwar ein notwendiges Moment der begrifflichen Entwicklung, ein verkürztes Verständnis von Terminologie unterschlägt aber, dass sie eben nur ein Moment sind und sich terminologische Festlegungen von ihrer Korrektur nicht isolieren lassen. Hegels Einwände gegen Terminologie verstehe ich als Argument dafür, dass die Forderung nach terminologischer Festlegung eine Eigendynamik entfaltet, die gerade zu diesem einseitigen Verständnis von Terminologie führt. Daher kommt Hegel (in der Passage aus der Logik, die wir gerade umfassend zitiert haben) zu dem Schluss, dass die Philosophie »überhaupt keiner besonderen Terminologie« bedarf.267 Terminologie verspricht demnach Eindeutigkeit, Widerspruchsfreiheit und Endgültigkeit und damit eine Kommensurabilität, also ein Aufgehen der Gegenstände in den sie definierenden, terminologischen Bestimmungen. Sie etabliert eine Ökonomie, ein Austauschen (scheinbar) bekannter Vorstellungen. Terminologie kann also, mit der Einleitung der Phänomenologie gesprochen, als der Gebrauch von Worten verstanden werden, deren eigentlicher Gehalt noch nicht verstanden oder »begriffen« ist (zumindest nicht notwendigerweise).268 Terminologie bietet damit einen Ersatz für das Verstehen. Sie generiert eine scheinbare Tiefe, die aber das für Hegel so wichtige »Verstehen der Sätze« gerade verhindert. 269 266 Vgl. Gadamer, Wahrheit und Methode, 419. 267 WL1, 21 268 Vgl. die am Beginn des ersten Teils dieser Arbeit besprochene Passage, PhG, 70f. 269 Vgl. o. und TWA18, 17. In der Vorrede der Phänomenologie (PhG, 50) bemerkt Hegel, dass der »Pfiff« der Terminologie »bald erlernt« ist und dann leicht wiederholt werden kann (vgl. auch WL1, 114f.). Terminologie führt

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Zugespitzt könnte man sagen, dass Terminologie von sich aus dazu tendiert, sich in einen Jargon zu entwickeln. Hegel hat (einem Zitat von Rosenkranz zufolge) die Terminologie auch als Mittel des Fixierens der Begriffe beschrieben, das zwar bis zu einem gewissen Grad »seinen Zweck erfüllt«, aber zugleich die Gefahr der »Begrifflosigkeit« birgt. Die Terminologie erscheint dabei als das Fremde des Denkens.270 Das liegt daran, dass die terminologischen Festlegungen eben das Verstehen der Terminologie nicht gewährleisten können. Terminologie droht damit, die eigentliche Auseinandersetzung mit der Sache abzuwenden.271 Wie Hegel an dieser Stelle weiter ausführt, ist es zwar manchmal notwendig, sich terminologischer Ausdrücke zu bedienen (womit er insbesondere griechische oder lateinische Begriffe meint), hilfreicher wäre es aber »neue Formen aus alten Wörtern zu bilden«, also die Sprache aktiv zu verändern, Hegel zufolge also zu Gerede. Er besteht deshalb zwar darauf, dass der Weg zur Philosophie von allen erlernt werden kann, wehrt sich dabei aber zugleich gegen das, was zu leicht gelernt wird; vgl. dazu Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, 181–85. 270 »Für das Fixiren der Begriffe ist ein Mittel vorhanden, das eines Theils seinen Zweck erfüllt, aber auch gefährlicher werden kann, als das Uebel der Begrifflosigkeit selbst, nämlich die philosophische Terminologie, die zu diesem Behuf constituirten Wörter aus fremden, aus der Lateinischen und Griechischen Sprache. Ich weiß nicht, was darin liegt, daß z.B. der Ausdruck quantitativer Unterschied, fester scheint, als wenn wir sagen: Größenunterschied. Eigentlich gehört es zur höchsten Bildung des Volkes, in seiner Sprache Alles zu sprechen. Die Begriffe, die wir mit fremden Worten bezeichnen, scheinen uns selbst etwas Fremdartiges zu haben, uns nicht eigenthümlich und unmittelbar anzugehören.« Hegel, zitiert in Rosenkranz, 183. Terminologie kann also den Zugang zur Philosophie erschweren. So notiert Hegel z.B.: »Die Scheidewand zwischen der Terminologie der Philosophie und des gewöhnlichen Bewusstseins ist noch zu durchbrechen; das Widerstreben, das Bekannte zu denken. Es soll sein ruhiges Bewenden damit haben, es soll nicht Ernst mit der Philosophie gemacht werden; dies aber tut sie, wenn sie sich an das Gang und Gäbe wendet.« (GW5, 509). Vgl. dazu Lejeune, Sens et usage du langage chez Hegel, 50. In diesem Zusammenhang muss man auch betonen, dass Hegel keiner Einzelsprache eine privilegierte Position zum Denken einräumt, wie sich deutlich in einem Brief an van Ghert zeigt; vgl. den Brief Nr. 152 (16. Dezember 1809) in Hoffmeister, Briefe von und an Hegel. Band 1, v.a. 299. 271 Diesen Punkt bringt Hegel ebenfalls an der bereits zitierten Stelle aus der Logik zum Ausdruck (WL1, 21): »Die Philosophie bedarf daher überhaupt keiner besonderen Terminologie; es sind wohl aus fremden Sprachen einige Wörter aufzunehmen, welche jedoch durch den Gebrauch bereits das Bürgerrecht in ihr erhalten haben, – ein affektierter Purismus würde da, wo es am entschiedensten auf die Sache ankommt, am wenigsten am Platze sein.« Die Hervorhebung stammt von mir, S.W.

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auch wenn man ihr zu diesem Zweck »Gewalt« antun muss, was uns aufgrund einer »blinde[n] Ehrfurcht für das Hergebrachte« ungewohnt erscheint. Wo Gadamer eine gewaltsame Festlegung der Sprache durch die Terminologie problematisiert hat, scheint Hegel darauf hinzuweisen, dass auch die Auflösung dieser Bindungen ein Moment der Gewalt enthält.272 Terminologie enthält isolierte, abstrakte Resultate, die deshalb auch scheinbar leicht handhabbar sind. Sie kappt damit das Werden der 272 Gadamer bezeichnet den terminologischen Gebrauch von Worten als »Gewalttat, die an der Sprache verübt wird«; Gadamer, Wahrheit und Methode, 419. In diesem Kontext ließe sich auch eine Passage der Einleitung der Phänomenologie interpretieren, in der Hegel die Gewalt thematisiert, die das Bewusstsein gegenüber seinen eigenen Bedürfnissen teilweise selbst ausübt, und teilweise durch die Forderungen der Vernunft erleidet (vgl. PhG, 74f.). Der Zusammenhang von Sprache und Gewalt taucht an verschiedenen Stellen der vorliegenden Arbeit auf und würde eine ausführlichere Behandlung erfordern; vgl. dazu z.B. Kuch und Herrmann, Philosophien sprachlicher Gewalt. Der Zusammenhang von Sprache, Terminologie und Gewalt zeigt sich in einer von Karl Rosenkranz überlieferten Aussage Hegels. Hegel erkennt dort einerseits die Notwendigkeit der Terminologie an, andererseits erklärt er aber, warum sie immer droht, die Bewegung des Denkens stillzustellen, zu arretieren. Was dagegen zu tun ist, ist das Bilden neuer Formen aus alten Wörtern. Rosenkranz zitiert Hegel: »Wir reflectiren im gemeinen Leben nicht auf das Ist, heben dies reine Sein nicht heraus, machen es nicht zu unserem Gegenstand, wie die Philosophie dies thut. Aber dies Sein ist hier vorhanden und ausgesprochen. Es ist freilich nöthig, zur fremden Terminologie unsere Zuflucht zu nehmen, wenn wir in unserer Sprache nicht die bestimmten Bezeichnungen der Begriffe vorfinden. Es ist uns nicht gewöhnlich, der Sprache Gewalt anzuthun und neue Formen aus alten Wörtern zu bilden. Unser Denken ist in unserer Sprache noch nicht recht ein heimisch, beherrscht die Sprache nicht, wie es sein sollte, sondern wir hegen hier blinde Ehrfurcht für das Hergebrachte. Diese fremde Terminologie, die theils unnützer, theils verkehrter Weise gebraucht wird, wird aber ein großes Uebel dadurch, daß sie die Begriffe, welche an sich Bewegung sind, zu etwas Festem und Fixirtem macht, wodurch der Geist und das Leben der Sache selbst verschwindet und die Philosophie zu einem leeren Formalismus herabsinkt, welchen sich anzuschaffen und darin zu schwatzen nichts leichter ist; denen aber, die diese Terminologie nicht verstehen, scheint es sehr schwer und tief zu sein. Gerade dies ist das Verführerische einer solchen Terminologie, daß es in der That sehr leicht ist, sich ihrer zu bemächtigen. Es ist um so leichter, in ihr zu sprechen, weil ich mir alle mögliche Sinnlosigkeiten und Trivialitäten zu sagen erlauben kann, wenn ich mich vor mir selbst nicht schäme, in einer Sprache vor Leuten zu reden, die sie nicht verstehen.« Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, 183f. Die Hervorhebungen stammen von mir, S.W. Einerseits ist es also

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Bestimmungen, das eine philosophische Darstellung Hegel zufolge gerade zugänglich machen muss. Nun kann man zwar einwenden, dass die Wissenschaft konstant daran arbeitet, die Begrenzungen, die sie in ihren Terminologien notwendigerweise setzen muss, zu prüfen und zu aktualisieren. Alle Definitionsversuche eines bestimmten Begriffs sind sich über ihre Grenzen mehr oder weniger im Klaren. Allerdings muss das nicht dazu führen, dass das Ideal der Eindeutigkeit und der Kommensurabilität an sich in Frage gestellt wird – und in diesem Fall erscheinen die Momente, in denen eine terminologische Definition an ihre Grenzen gerät als nur zufällige Mängel dieser bestimmten Definition, die sich durch eine bessere Definition in Zukunft auflösen lassen sollten. Terminologische Bestimmungen suggerieren, dass es so etwas wie eine endgültige, eindeutige und widerspruchsfreie Bestimmung bestimmter Gegenstände und Phänomene geben könnte und geben sollte, geraten aber von sich aus mit ihrer eigenen Präzision in Konflikt.273 Ein reflektiertes Verständnotwendig, der Sprache Gewalt anzutun, um Reflexionen zu provozieren, die wir im Alltag sonst nicht leisten. Anderseits droht die Gefahr einer leeren Sprache, wenn man durchgängig in einer »fremden« Terminologie redet. Auch Fichte möchte eine feste Terminologie (»das bequemste Mittel für Buchstäbler jedes System seines Geistes zu berauben, und es in ein trocknes Geripp zu verwandeln«) vermeiden und setzt dieses Problem in direkten Zusammenhang mit der Notwendigkeit des Selbstdenkens in der Philosophie. Die Terminologie kann allenfalls das Ergebnis einer vollendeten Darstellung eines philosophischen Systems sein. Kant hat ebenfalls unterstrichen, dass Definitionen in der Philosophie, anders als in der Mathematik, ein Werk »eher schließen als anfangen« (KrV B759); vgl. Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794), 7–9. Meines Erachtens würde aber Hegel auch eine feste Terminologie als Ergebnis der vollendeten Darstellung eines philosophischen Systems ablehnen, da dessen Abschluss gerade nicht in einem für alle Zeiten feststehenden, positivem Bestand bestehen kann. Vgl. dazu auch Inwood, A Hegel Dictionary, 11. Koyré, »Note sur la langue et la terminolgie hégelienne«, 411. 273 Vgl. dazu Enz. § 231 (TWA8, 384f.): »Sie [die Geometrie, S.W.] stößt jedoch in ihrem Gange, was sehr bemerkenswert ist, zuletzt auf Inkommensurabilitäten und Irrationalitäten, wo sie, wenn sie im Bestimmen weitergehen will, über das verständige Prinzip hinausgetrieben wird. Auch hier tritt, wie sonst häufig, an der Terminologie die Verkehrung ein, dass, was rational genannt wird, das Verständige, was aber irrational, vielmehr ein Beginn und Spur der Vernünftigkeit ist. Andere Wissenschaften, wenn sie, was ihnen notwendig und oft, da sie sich nicht in dem Einfachen des Raumes oder der Zahl befinden, geschieht, an die Grenze ihres verständigen Fortgehens kommen, helfen sich auf leichte Weise. Sie brechen die Konsequenz desselben ab und nehmen, was sie brauchen, oft das Gegenteil des Vorhergehenden, von außen, aus der Vorstellung, Meinung, Wahrnehmung oder woher es sonst sei, auf. Die Bewusstlosigkeit dieses endlichen Erkennens über die

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nis von Terminologie – für das ich den Begriff der Terminologie-Fähigkeit vorgeschlagen habe – würde also damit einhergehen, einzusehen, dass Terminologie einen Anspruch notwendigerweise erheben muss, den sie zugleich ebenso notwendigerweise nicht einlösen kann und dass damit das Auflösen terminologischer Bestimmungen in diesen Bestimmungen mitgedacht werden muss. Vorgreifend können wir hier sagen, dass Hegels Systemabschluss gerade nicht die Form eines katalogischen Bestandes fixierter Bestimmungen hat, sondern die Form einer Erkenntnis über die Bewegung dieser Bestimmungen, die zugleich eine Bewegung des Begreifens und Verstehens ist. Das bisher Gesagte lässt sich auch mit einem kurzen Blick auf Adornos Vorlesungen über die Geschichte und die systematische Bedeutung der philosophischen Terminologie weiter verdeutlichen und stützen. Adorno weist darauf hin, dass das Spannungsverhältnis zwischen fester Terminologie und der Dynamik des Denkens im Hintergrund von Hegels Sprachgebrauch steht, der sich aus der Not ergibt, das Dynamische, das Moment der Bewegung zu fassen. Ein Ausdruck Hegels dafür ist das »Festhalten des Begriffes in der Form des Begriffes«274 – was ein Festhalten bedeutet, das zwar systematisch, dabei aber nicht statisch ist. Wie Adorno sagt, herrscht bei Hegel immerwährend ein Konflikt [...] zwischen der Nötigung, mit einer fes­ ten Terminologie zu operieren, der dieses Denken sich gegenübersieht, wenn es sich als System ausdrücken will, und auf der anderen Seite seinem dynamischen Zug, in dem es ja eigentlich jede solche einzelne, feste terminologische Bestimmung auflösen und, man könnte fast sagen, die Philosophie von ihrer eigenen Terminologie befreien oder heilen will.275

Adorno betont durchaus die Notwendigkeit der Ausbildung von Terminologien. Er beschreibt, wie das Denken sich erst durch die Entwicklung einer Terminologie überhaupt differenziert, wobei diese Bewegung Natur seiner Methode und deren Verhältnis zum Inhalt lässt es weder erkennen, dass es in seinem Fortgehen durch Definitionen, Einteilungen usf. von der Notwendigkeit der Begriffsbestimmungen fortgeleitet wird, noch wo es an seiner Grenze ist, noch, wenn es dieselbe überschritten hat, dass es sich in einem Felde befindet, wo die Verstandesbestimmungen nicht mehr gelten, die es jedoch roherweise noch darin gebraucht.« 274 PhG, 582 275 Adorno, Philosophische Terminologie 1, 40. Zum Konflikt des Festen, »Fixen« und Flüssigen vgl. PhG, 37. Wichtig ist dabei zu beachten, dass sich Hegel bei seiner Kritik der Terminologie nicht auf eine ursprüngliche Wahrheit in der Sprache beruft, die nur noch freigelegt werden müsse. Darin besteht eine Abgrenzung zu dem, was Adorno als Heideggers »Krypto-Terminologie« bezeichnet (vgl. Philosophische Terminologie 1, 28, 41).

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aber das Denken zugleich zu einer Fachsprache im eigentlichen Sinne verdinglicht, die auf ihrer letzten Stufe nur noch ein Katalog ist, in dem kein Wort mehr das sagt, »was es eigentlich sagen soll«: Wenn es keine Begriffe gibt, wenn wir nicht die Dinge fest und bestimmt denken, dann gibt es keine Wahrheit, das heißt, dann denken wir überhaupt nicht; zugleich steckt in ihr [in der begrifflichen Prägung, S.W.] doch auch ein Moment der Unwahrheit. Das führt bei einer immer abgebrauchteren Sprache zu dem berühmten Gefühl [...], als zerbröckelten einem die Worte im Munde; [...] und sicher gibt es keine Sprache, die gerade dieser Erfahrung in höherem Maße ausgesetzt ist, als die der Philosophie. Man könnte sagen, das Verdinglichte oder in einem schlechten Sinn Terminologische der philosophischen Sprache sei überall zu finden, wo das Denken sich über diese Erfahrung hinwegsetzt und wo unbekümmert die Termini festgehalten und aufgespießt werden, unbekümmert darum, ob wir mit ihnen eine solche Erfahrung noch verbinden können, oder nicht. Daraus ließe sich für die Philosophie und die philosophische Sprache die Aufgabe ableiten, genau jenes Unrecht an der Sache, das Terminologie doch nie vermeiden kann, wieder zurückzunehmen; das heißt, die Terminologie die unvermeidlich ist, muss in Zusammenhängen, in Konstellationen, in denen sie erneut einen Stellenwert zu gewinnen vermag, ihre eigene Verhärtung verlieren.276

Wie Hegel betont Adorno das »Unrecht an der Sache«, das aus einem verkürzten Terminologieverständnis folgt. Die Philosophie erschöpft sich nicht in der Organisation definitorischer Begriffsbedeutungen, sondern findet gerade in den Räumen dazwischen statt. Terminologische Sprache kann also in Konstellationen auf sich selbst reflektieren. Adorno wendet deshalb (gegen den Wittgenstein des Tractatus) ein, dass die Philosophie gerade dort stattfindet, wo etwas nicht – oder zumindest noch nicht – klar gesagt werden kann.277 Auf diese Weise werden die Möglichkeiten des Sagbaren erweitert (in diesem Sinne könnte man auch Wittgensteins spätere Arbeiten verstehen). Der Aufbau von sprachlichen Konstellationen, denen das gelingen kann, ist etwas ganz anderes, als ein Aneinanderreihen wahrer Sätze. Er erfordert, (mindestens) eine zweite Sinnebene mitzuführen, auf der die Unschärfen der Worte – das, was in ihnen mitschwingt – arrangiert werden.278 Damit wird die Breite des Bedeutungsspektrums eines Wortes gerade wieder gegen die terminologisch vereindeutigende Festlegung ins Spiel gebracht. Wie Adorno erklärt, kann man diesen Umgang mit dem Bedeutungsspielraum der Sprache als integralen 276 Adorno, 55. Die Hervorhebung stammt von mir, S.W. Vgl. auch ebd., 61 sowie Hegel, TWA11, 379. 277 Adorno, 82. 278 Vgl. Adorno, 69.

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Bestandteil philosophischer Arbeit verstehen – ein Moment, das Adorno mit dem Begriff der Darstellung verbindet. Wie er beschreibt, vermag es die Sprache, gleichzeitig die Begriffe festzuhalten und sie zugleich zu verändern durch den Stellenwert, den sie ihnen verleiht [wörtlich also durch den Wert, den ein Wort an genau dieser Stelle annimmt, S.W.]. Der Philosophie ist, wenn sie wirklich Philosophie ist und nicht Philologie oder ein bloß mechanisches Spiel, die Sprache, das heißt die Darstellung, wesentlich. Wenn eine Philosophie von sehr großem und emphatischen Anspruch auf Klagen darüber stößt, sie mute durch ihre Darstellung zu viel zu, oder gar, durch ihre Darstellung werde das verdeckt, was eigentlich gemeint sei, so ist außer in Fällen von Scharlatanerie die Differenz zwischen der rein begrifflichen Bedeutung der Worte und dem, was die Sprache mit ihnen ausdrückt, in Wahrheit das Medium, in dem erst der philosophische Gedanke gedeiht. Das zuvor angedeutete Vorgehen verbietet es, wie in den Einzelwissenschaften mit fertigen Begriffen umzugehen und die Dinge bei einem festgesetzten Namen zu nennen; vielmehr kann das geleistet werden nur in einem Medium, das eigentlich nicht der Begriff, das aber sprachlich ist – der Stil oder die Darstellung. In diesem Sinn ist in der Philosophie die Sprache oder der Stil [...] nicht ein der Sache Äußerliches, sondern gehört zu der Sache wesentlich hinzu.279

Die interne Differenz eines sprachlichen Ausdrucks (die sich zwischen verschiedenen Weisen seiner Bestimmung eröffnet), ist demnach das Medium, in dem philosophische Gedanken entstehen. Diese Differenz ist die zwischen der »rein begrifflichen«, man könnte sagen lexikalischen Bedeutung der Worte und dem, was »die Sprache« in einer spezifischen Konstellation, also kontextgebunden mit ihnen ausdrückt; die Darstellungsweise geht damit über das Operieren mit »fertigen«, terminologischen Begriffen hinaus. Dass Adorno diesen Punkt auch als Kritik des »Begriff[s]« formuliert scheint meines Erachtens eher die großen Gemeinsamkeiten zu verdecken, die in diesem Punkt mit Hegels Umgang mit der Sprache bestehen. Sprache lässt sich insgesamt gerade nicht terminologisch kontrollieren. Die Eigendynamik der Terminologie entspricht also nicht der Eigendynamik der Sprache. Akzeptiert man diesen Gedanken, heißt das, dass Theorien (die sich sprachlich artikulieren) von einem Medium durchzogen sind, das nicht ihrer alleinigen Kontrolle unterliegt. Hegel entwickelt deshalb die Terminologie-Fähigkeit des Denkens. Dieses Denken vollzieht sich gerade in den Unschärfen, also durch das Bedeutungsspek­trum der Worte. Das heißt aber nicht, dass dabei Präzision verloren gehen muss: aufgrund der Ökonomie der Sprache eröffnen Worte ein semantisches Feld, das unterschiedlich groß sein kann und durch den Kontext reguliert wird. Diese Praxis kennen wir von der poetischen Sprache, von 279 Adorno, 56. Die Hervorhebungen stammen von mir, S.W.

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der wir gerade erwarten, dass sie Ko-Notationen (das was im explizit Gesagten als Hintergrund »mitschwingt« und mit-ausgedrückt ist) mitdenkt, also plant, welche Bedeutungsbereiche durch bestimmte Worte eröffnet werden – und die damit (bestenfalls) eine Präzision erreichen kann, die in semantischer Hinsicht mehrdimensional ist.280 Bedeutungshintergründe können nicht abschließend auf einer terminologisch eindeutigen, vertikal übergeordneten metasprachlichen Ebene expliziert werden. Daher wird die Kompetenz erforderlich, metatheoretische Einstellungen auf einer Ebene einnehmen zu können – horizontal, durch Perspektivwechsel. Der Name dieser Kompetenz ist Denken. Dieses Denken beobachtet in seinem Umgang mit Sprache, wie sich dieser Umgang gestaltet. Es beobachtet also z.B., welche verschiedenen Lesarten eine bestimmte Passage erlaubt (in der Terminologie Luhmanns wäre dies eine Beobachtung zweiter Ordnung). Das Denken bildet sich damit in Auseinandersetzung mit bestimmten sprachlichen Formen. Es entsteht an einer Sprache, die so gebaut bzw. gebraucht ist, dass sie sich selbst beobachtet, dass also im Sprachgebraucht reflektiert ist, welche gedanklichen Möglichkeiten dieser Sprachgebrauch eröffnen könnte.281 280 Ausgehend von der Kultursemiotik Jurij Lotmans argumentiert z.B. Al­ brecht Koschorke, dass Präzision, Bedeutungsfixierung und Unschärfe keine Gegensätze sein müssen, sondern sich in einem komplexen Wechselverhältnis befinden; vgl. dazu Koschorke, Wahrheit und Erfindung, 128f. 281 In diesem Zusammenhang kann es hilfreich sein, sich eine gezielt schematische Unterscheidung von »wissenschaftlicher« und »poetischer« Sprache vor Augen zu führen. »Wissenschaftlicher Sprache« werden häufig die folgenden Merkmale zugeschrieben: Sie verfährt linear bzw. diskursiv, ist syntaktisch wohlgeordnet und begrifflich; sie ist daher transparent; sie erreicht Eindeutigkeit durch explizite Kontrolle der relevanten Wortbedeutungen – durch Definitionen bzw. durch eine metasprachliche Ebene; ihre sprachliche Form verhält sich dem Inhalt gegenüber neutral; sie ist ein Bericht des Fertigen und (verlustfrei) übersetzbar. Setzt man »poetische Sprache« komplementär dagegen, so verfährt diese non-linear, (möglicherweise) jenseits üblicher syntaktischer Regeln, bildhaft bzw. sinnlich (was oft als »musikalisch« bezeichnet wird) – und damit intransparent; sie ist mehrdeutig, wobei sie die relevanten Wortbedeutungen implizit – durch andere Aspekte der Sprache oder kontextspezifisch – kontrollieren kann; sie gibt Hinweise über die Wege ihres Bedeutens (erreicht also eine metasprachliche Funktion) durch eine performative Selbst-Explikation; ihre Gestaltung der sprachlichen Form entspricht einem spezifischen Inhalt bzw. der Form einer (möglicherweise auch nur gefühlten) Denkbewegung; sie inszeniert auf diese Weise ein Werden; sie ist tendenziell nur mit Verlusten oder sogar gar nicht übersetzbar. Genauso wenig, wie ein Text, der alle diese Mittel einsetzt, dadurch automatisch »poetisch« bzw. zu Kunst wird, wird ein Text, der den Merkmalskatalog der

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Nachdem wir den Zusammenhang von Hegels Wahrheitskonzeption mit dem Moment der Darstellung rekonstruiert und im Anschluss daran verfolgt haben, wie Geist und Denken sich zu Sprache verhalten, zeichnet sich nun ab, wie diese beiden Komplexe zusammenhängen. Das philosophische Denken steht selbst vor der Frage, wie es sich sprachlich artikuliert. Dieses Problem schlägt sich in der Phänomenologie folgendermaßen nieder: Zunächst sind einige Erfahrungen des Bewusstseins mit Sprache verbunden. Hegel kritisiert Bewusstseinsgestalten, die entweder durch ihr sprachliches Verhalten Schein erzeugen oder sich aus einer Furcht vor diesem sprachlichen Schein aus der Kommunikation zurückziehen wollen (wodurch wiederum ein falscher Schein produziert wird). Damit dringt die Frage nach dem Verhältnis von Sprechen, Denken und Handeln in das Problemfeld der Darstellung des erscheinenden Wissens ein. Diese Entwicklung werden wir im weiteren Verlauf der Arbeit verfolgen. Andersherum geht auch der Darstellungsbegriff in Hegels Konzeption des sich handelnd und sprechend verwirklichenden Individuums ein. Hegel spricht in diesem Zusammenhang auch davon, dass das Bewusstsein bzw. das Individuum sich selbst darstellt. Es gibt also nicht nur ein Darstellungsproblem der philosophischen Wahrheit und des Geistes, sondern eins des endlichen Individuums. Auch dieses Individuum stellt sich als Resultat seiner Weltverhältnisse heraus.282 Während der Geist sich Hegels Theorie zufolge erkennt bzw. erhält, indem er in ein Verhältnis der Differenz eintritt (worin sich das produktive, im alltäglichen Sinne positive, Moment der Entfremdung zeigt – als Bewegung ins im hegelschen Sinne Positive), erfährt das Bewusstsein dieses Eintreten in die »wissenschaftlichen« Sprache abarbeitet dadurch automatisch zu Wissenschaft. Beide Merkmalsgruppen werden faktisch auch auf der jeweils anderen Seite verwendet; vgl. dazu auch Adorno, Ästhetische Theorie, 344. Eine eingehende Diskussion dieser Gegenüberstellung findet sich bei Wilkinson und Willoughby, Schillers Ästhetische Erziehung des Menschen, 103, 108, 130f., 138. Nicht unwichtig ist dabei, dass Wilkinson und Willoughby dieses Verhältnis in Bezug auf Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen entwickeln – also auf einen Text, der sich sehr bewusst mit den spezifischen Möglichkeiten »wissenschaftlicher« bzw. »poetischer« Vermittlungs- und Darstellungsformen auseinandersetzt – und dabei auch eine wichtige Referenz für Hegel darstellt. Zu den Formen sprachlicher und besonders literarischer Selbstreferenz vgl. ebenfalls: Wellbery, Seiltänzer des Paradoxalen, 233–36 sowie Bertram, »Sprachphilosophie und Ästhetik«. 282 Vgl. PhG, 292f. Dieses Darstellungsproblem bildet den Abschluss der (auch dies ist wohl nicht zufällig) »Individualität, welche sich an und für sich reell ist«. Das Darstellungsproblem ist in seiner emphatischen Form ein Problem der Heteronomie: Das, was aus sich selbst heraus existieren soll hängt aber zu seiner eigenen Darstellung von anderem ab.

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Differenz als Verlust seiner (vermeintlich substantiellen) Selbständigkeit; das Bewusstsein macht also Erfahrungen der Entfremdung, die für es im alltäglichen Sinne negativ sind. Schließlich muss Hegel selbst eine Darstellungsform für seine Philosophie finden, was für ihn bis auf die Ebene der Sprache geht. Diese Frage stellt sich auch für das Bewusstsein ab dem Religionskapitel, wo sich die Sprachfindung der Philosophie in einer Auseinandersetzung mit Kunst und Religion entfaltet. Der Punkt, an dem die Linien des Darstellungsproblems und der Frage von Sprechen und Denken in der Phänomenologie konvergieren, ist das absolute Wissen (wo auch System und Darstellung konvergieren, wie das Ende der Einleitung ankündigt) – hier wird begrifflich gedacht, so dass das absolute Wissen weiß, was die Religion nur ausspricht. (5) Vor diesem Hintergrund können wir jetzt die Trennung der Sprache der Vorstellung und der Sprache des Begriffs und ihren Zusammenhang mit dem Projekt der Phänomenologie betrachten: Das Programm der Phänomenologie ist die Darstellung des erscheinenden Wissens, durch die das individuelle Bewusstsein »von seinem ungebildeten Standpunkte aus zum Wissen« geführt wird.283 Dieses Programm ist eine Kritik des natürlichen Bewusstseins. Konstitutiv für das Bewusstsein ist, dass es etwas von sich unterscheidet, auf das es sich zugleich bezieht. Es basiert also auf einer Differenz von sich und der Welt, die es zugleich zu überwinden versucht. Die Differenz zeigt sich dem Bewusstsein als Problem – als schlechthin scheidende Grenze zwischen ihm und der Welt. Die Kritik des Bewusstseins kann näher beschrieben werden als eine Kritik des Verstandes und der Vorstellung, die beide Modi der Entzweiung sind. Dem Denk-Modus des Verstandes entspricht das Vorstellen als Verfahrensweise des subjektiven Geistes, sich referentiell auf Objekte zu beziehen, deren Beschaffenheit die Vorstellung dabei als ihrer eigenen vorstellenden Aktivität gegenüber extern versteht. Vorstellen ist demnach die paradigmatische Tätigkeit des Bewusstseins und generiert, Hegel zufolge, eine unüberwindbare Distanz zum vorgestellten Objekt. Daraus ergeben sich die unterschiedlichen Sprachverständnisse Hegels und des Bewusstseins: Hegels Verständnis der Sprache wird durch seine Theorie des Geistes orientiert. Geist ist eine binnendifferenzierte Einheit und hat »die Kraft [...], in seiner Entäußerung sich selbst gleich zu bleiben«.284 Hegel denkt die Einheit des Geistes als in dem Sinne wirklich, dass sie sich selbst durch einen Bestimmungsprozess artikuliert und hervorbringt. Das ist von ontologischer Relevanz, weil in dieser Konzeption das Existierende in der Weise existiert, dass es (insgesamt) auf sich selbst 283 PhG, 31 284 PhG, 588

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erkennend Bezug nimmt. Hegel will die Realität des Erkennens und die Wirklichkeit des Geistes aufzeigen. Dass der Geist in seiner Entäußerung sich selbst gleich bleibt, bedeutet, dass zu seiner Identität wesentlich Unterschiedenheit gehört. Das Sich-Gleich-Bleiben ist daher genauer als ein Sich-Gleich-Werden zu verstehen, das nur durch Differenz überhaupt möglich ist.285 Dieses Verständnis der Identität von Identität und Nichtidentität drückt sich in Hegels Theorie des spekulativen Satzes aus, die sich in der Vorrede der Phänomenologie findet. Diese Theorie ist eine ontologische Interpretation der Satzform: Der spekulative Satz muss so verstanden werden, dass die beiden durch ihn identifizierten Pole – Subjekt und Prädikat des Satzes – gleichermaßen absolut identisch wie absolut unterschieden sind. Auf dieses Sprachverständnis arbeitet Hegel in der Phänomenologie hin. Dabei ist mit der Kritik der Satzform eine Kritik der Ontologie verbunden.286 Die Hauptfigur der Phänomenologie, das Bewusstsein, nähert sich der Welt jedoch aus einer epistemologischen Perspektive, in der es sich selbst als empirisches Subjekt voraussetzt. Sein Erkennen ist ontologisch nicht in der Welt verortet; es nimmt daher an, dass die Welt ihm gegenübersteht und es sich diese irgendwie zugänglich machen muss. Wie die Erkenntnisversuche des Bewusstseins aufgrund seiner Annahme, dass Erkennen ein Mittel ist, sich die Welt näher zu bringen, systematisch frustriert werden, verhält es sich auch mit seinen Erfahrungen mit der Sprache: Die Sprache ist für das Bewusstsein frustrierend, weil es in ihr stets seine Meinungen widerlegt findet, und gegen seinen Willen in ein soziales Gefüge eingebunden wird. Mit der Opposition der Ontologie Hegels und des subjektivistischen Sprachverständnisses des Bewusstseins korrespondieren zwei Sprachen: Die Sprache der Vorstellung und die Sprache des Begriffs. Die Sprache der Vorstellung geht davon aus, dass die Dinge, so wie sie sind, fest bestimmt sind, und dass diese bestimmten Dinge unseren Bezeichnungen zu Grunde liegen. Wenn ich sage: »Die Katze ist schwarz«, dann setzt dies begriffliche Kenntnis voraus: Ich weiß, was »schwarz« bedeutet und ich weiß, was eine Katze ist und füge beides in meinem Urteil zusammen. Diese Sprache ist insofern eine Sprache der Vorstellung, als die Vorstellung – in diesem Fall davon, was eine Katze ist – eben das ist, was wir zugrunde legen und über das wir dann mit dem Prädikat »schwarz« etwas aussagen. Die Sprache des Begriffs ist dagegen die philosophische Sprache, die nicht davon ausgeht, dass wir das zugrunde gelegte grammatische Subjekt bereits kennen. Sie begreift das Bestimmen als eine 285 Vgl. Hegels Rede von der »gewordene[n] Gleichheit« in der Vorrede (PhG, 40f.). 286 Zur Verbindung von Satz- und Ontologie-Kritik vgl. Lau, Hegels Urteilskritik; pointiert z.B. 192.

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Bewegung, bei der das vermeintlich von vornherein Zugrundeliegende erst am Ende erreicht wird. Diese beiden Sprachen sind wesentlich verschieden.287 Ihre Verschiedenheit beruht aber nicht auf einem Unterschied des Vokabulars oder der Grammatik, sondern auf einem theoretischen Verständnis und in den Grundannahmen darüber, was Sprache ist, wer die Sprecher:innen dieser Sprache sind und wie diese sich zu ihrer Welt verhalten. Hegels philosophische Sprache ist daher nicht als eine andere Sprache zu verstehen, die von der Sprache der Vorstellung durch eine feste Grenze getrennt wäre. Sie exemplifiziert stattdessen eine Theorie der Sprache. Die Sprache des Begriffs erfüllt eine metasprachliche Funktion. Sie ist aber keine Metasprache in dem Sinne, dass sie aus einer abgesicherten Position heraus klären würde, wie die »normale« Objektsprache funktioniert. Die Philosophie verwendet die gleichen Worte und die gleiche Grammatik, sie verwendet sie aber anders. Die Sprache des Begriffs ist deshalb besser als begriffene Sprache zu verstehen. Die Sprache der Vorstellung ist dagegen unbegriffene Sprache und schwankt deshalb zwischen blindem Vertrauen in die Sprache und ebenso unreflektierter Sprachskepsis und -verweigerung. Hegel entwickelt seine philosophische Sprache, indem er die Grenzen der Bestimmungen der Sprache der Vorstellung aufzeigt. Wir werden verfolgen, wie die Trennung dieser zwei Sprachen in der Phänomenologie vollzogen wird. Dabei spielt die Entfremdung von der Sprache eine systematische Rolle.288

4. Hegels Sprache Im Rahmen einer systematischen Untersuchung der Sprache in der Phänomenologie ist es nun auch wichtig, auf Hegels Sprache einzugehen. Hegels Verhältnis zur Sprache ist ambivalent: Einerseits ist er kein Sprachskeptiker. Das Wahre kann sprachlich dargestellt werden, und die Denkbestimmungen sind prinzipiell in der Sprache »herausgesetzt und niedergelegt«. Die Geschichte des menschlichen Ausdrucks von vorsprachlichen Medien zur Sprache (wie sie im Religionskapitel der Phänomenologie nachgezeichnet wird) ist daher eine Geschichte des Fortschritts in der Präzisierung des Ausdrucks.289 Die Sprache ist selbst ein Produkt der Arbeit der Vernunft und jeder Mensch findet das Vernünftige gewissermaßen in der Sprache vorbereitet. Andererseits kann man sich auf diese Vorbereitung nicht blind verlassen – die Denkbestimmungen liegen in der Sprache nicht in reiner Form vor und die Sprache 287 Vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 227. 288 Vgl. Bodammer, 224, 237. 289 Und nicht etwa eine Geschichte des Verfalls wie z.B. bei Rousseau.

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transportiert deshalb Vorstellungen, die das Erkennen an bekannte Weltbilder binden, träge machen und die Sprache als objektive Gewalt gegenüber den einzelnen Subjekten erscheinen lassen. Es findet sich daher bei Hegel eine Form der Gewalt gegen die Sprache, die das Ziel der Erkenntnis der philosophischen Wahrheit hat.290 Hegel arbeitet mit der Sprache gegen die Sprache. Dieses Vorgehen kann man aber zugleich auch mit einem entgegengesetzten Akzent verstehen: Der Abbau der sprachlich transportierten Vorstellungen, den die Phänomenologie durchführt, vollzieht sich gerade in einer Form, die äußerst sprachfreudig und offen für das Bildhafte ist (also für die nicht begrifflichen Momente der Sprache), das sie dabei kritisiert. Hegel bedient sich des Bildhaften in systematischer Weise, weil der Durchgang durch die bildhafte Sprache zur Entwicklung des Geistes gehört (wie das Religionskapitel der Phänomenologie zeigt). Präzisierung des Ausdrucks bedeutet also nicht Vereinfachung, sondern im Gegenteil eine Steigerung der sprachlichen Komplexität. Diese Komplexität wirkt auf Hegels Leser:innen überwältigend: Hegels Texte sind zunächst unverständlich. In ihnen erscheint uns die Sprache undurchsichtig und fremd – und zwar weniger obwohl wir die einzelnen Ausdrücke kennen, sondern gerade, weil wir die einzelnen Ausdrücke zwar kennen, dennoch aber keinen Sinn daraus ziehen können. Diese Erfahrung ist Teil einer gezielten Strategie der Entfremdung von der Sprache. Hegel versucht gewissermaßen, einen Weg zur Sprache zu bilden, indem er diese fremd erscheinen lässt. Diese Strategie ist vor allem in der Phänomenologie entscheidend, da Hegel sich hier einerseits mit dem individuellen Bewusstsein auseinandersetzt, das sprachlich gebunden ist und andererseits selbst auf dem Weg zu einer philosophischen Sprache ist.291 Die Strategie der sprachlichen Entfremdung steht im Einklang mit einem pädagogischen Programm, das auf einer altphilologischen Ausbildung 290 Vgl. die bereits zitierte Passage in Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, 184. 291 Dass die Phänomenologie auch eine Kritik der natürlichen Sprache beinhaltet hat bereits Jean Hyppolite unterstrichen; vgl. Hyppolite, »The Structure of Philosophic Language According to the ›Preface‹ to Hegel’s Phenomenology of the Mind«, 164. Vgl. ebenfalls Butler, Subjects of Desire, 19. Zusätzlich kann bemerkt werden, dass Hegel nur in seinen philosophischen Schriften eine genaue Durchformung der Sprache vornimmt. In seinen Briefen, sowie auch etwa in den Berliner Rezensionen und ähnlichen Texten drückt er sich dagegen »normal« aus. Auch Terry Pinkard unterstreicht, dass Hegel auf dem Weg zur Phänomenologie auch seine spezifische philosophische Sprache entwickelt. Pinkard schreibt Hölderlin einen maßgeblichen Einfluss auf Hegels Entwicklung einer spezifisch philosophischen Darstellungsform zu. Vgl. Pinkard, Hegel, 82, 676 zu Hölderlins Einfluss auf

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aufbaut, um zu vermitteln, was Sprache ist. Hegel ist in seiner Stuttgarter Schulzeit auf diese Weise ausgebildet worden und hat in seiner Zeit als Schulrektor in Nürnberg selbst eine ähnliche Position vertreten.292 Charakteristisch ist die Übernahme von Elementen einer fremdsprachlichen Ausbildung auch innerhalb einer Sprache. Die Entfremdung von der (Erst-)Sprache kann also nicht nur über die antiken Sprachen erreicht werden, sondern auch in der Erstsprache. In diese Richtung geht Hegels Bemerkung aus dem Brief an den Homer-Übersetzer Voss, er wolle die Philosophie »versuchen [...], deutsch sprechen zu lehren«.293 Auch das Übersetzen wird von Hegel also als innersprachliche Bewegung interpretiert (oder, im oben eingeführten Vokabular Hegels »rekonstruiert« bzw. »umgestaltet«). Diese Strategien stehen für Hegel in Zusammenhang mit der Fähigkeit des Geistes zu binden und zu lösen – wodurch uns das Bekannte auf unerwartete Weise erscheint und die festen Gedanken »flüssig« gemacht werden können.294 Auf einer elementaren Ebene ist dies ein quasi-chemischer Prozess semantischer Rekombinationen,295 auf der Ebene menschlicher Erfahrung gewinnt er jedoch Aspekte des Tragischen. So hat Heinz Kimmerle darauf aufmerksam gemacht, dass der Bedeutungsverlust in der Tragödie unmittelbar das ironische Spiel Hegels Schreibstil sowie TWA2, 558 zur Änderung und Schwierigkeit der »Schreibart« und zur Terminologie. Zu Hölderlins Einfluss mischt sich später Fichtes (Pinkard, 87). Die Notwendigkeit, ein neues Vokabular zu kreieren ist für Pinkard ein Merkmal von Hegels »Radikalem Modernismus« (ebd., 137f.). Dass im Rahmen dieses Programms die existierenden Wortgebräuche aufgenommen und verändert werden, hat Michael Forster gezeigt; vgl. Forster, »Hegel on Language«. 292 Die Strategie knüpft an Erfahrungen der Fremdheit der Sprache an, die dem Bewusstsein der Phänomenologie etwa im Bildungskapitel widerfahren. Vgl. dazu Hegels Nürnberger Rektoratsrede von 1809. Hegel verbindet die Notwendigkeit einer Entfremdung vom uns Bekannten dort u.a. mit einem »Zentrifugaltrieb der Seele« (TWA4, 321). 293 Vgl. den Hauptentwurf zum Brief Nr. 55. Hegel formuliert dort äußerst ambivalent. Möglicherweise erhebt er allerdings nicht den Anspruch, der Philosophie Deutsch beizubringen, sondern will im Gegenteil versuchen, die Philosophie dazu zu bewegen (»versuchen«), Einfluss auf die deutsche Sprache zu nehmen: »[...] so will ich von meinem Bestreben sagen, dass ich die Philosophie versuchen will, deutsch sprechen zu lehren.« Hoffmeister, Briefe von und an Hegel. Band 1, 100. Eine Interpretation dieses Briefes in Bezug auf das Moment des Übersetzens findet sich bei Kristina Mendicino, »The Pitfalls of Translating Philosophy: Or, the Languages of G. W. F. Hegel’s Phenomenology of Spirit«. 294 Vgl. PhG, 35 und 37. Das Binden und Lösen wird am Ende des Geistkapitels dem Gewissen zugeschrieben (PhG, 476); es handelt sich dabei um einen Verweis auf das Matthäus-Evangelium (16:19). 295 Inwood, A Hegel Dictionary, 11.

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mit der Bedeutung in der Komödie vorbereitet.296 In analoger Weise kann man das Verhältnis von Bedeutungsentzug und Sprachspiel in Hegels Texten verstehen. Das Projekt der Phänomenologie ist als Bildungsroman verstanden worden. Dieser Bildungsprozess ist aber gleichermaßen konstruktiv wie destruktiv. Insofern der Weg des Bewusstseins – von Hegel als Weg der Verzweiflung beschrieben – Züge des Bildungsromans trägt, kann er gleichermaßen als Anti-Bildungsroman bezeichnet werden, dem es wesentlich darum geht, dem Bekannten seine Bekanntheit zu nehmen. Der Weg zur Wissenschaft zeigt sich dabei als Abbau bekannter Vorstellungen (entsprechend der Parallele von Bildung und Entfremdung, die Hegel im Bildungskapitel der Phänomenologie selbst zieht, ist die Phänomenologie daher gleichermaßen ein Entfremdungsroman).297 Die Rechtfertigung bzw. Relevanz der philosophischen Sprache Hegels liegt nicht primär auf der psychologischen Ebene, sondern systematisch in der Darstellung des Scheins und der Diskrepanz von Erscheinung und Wesen – die dabei zugleich aber eine Einheit bilden. Auch hier gilt, dass die sprachliche Form sich einerseits aus der Richtung des Geistes und andererseits aus der Richtung des Bewusstseins rechtfertigen lässt: Der Geist erscheint, indem er sich verdoppelt bzw. in Sinnliches und Gedankliches, Dasein und Innerlichkeit teilt. Das Bewusstsein (das nicht davon ausgeht, dass es selbst die Binnendifferenz des Geistes ist) macht Erfahrungen mit Schein und diese Erfahrungen werden von Hegel inszeniert. Ausgehend davon kann man die Phänomenologie so interpretieren, dass sie die Entwicklung des Denkens (aus der Richtung des natürlichen Bewusstseins) prinzipiell als eine Auseinandersetzung mit zunächst ungenauen und verworrenen Artikulationsformen darstellt.298 Die Schwierigkeit der sprachlichen Darstellung der Phänomenologie ergibt sich daraus, dass wir es hier gewissermaßen mit zwei Sprachen zu tun haben, die ineinander verschränkt sind. Die Phänomenologie produziert eine Trennung von natürlicher und formaler Sprache (also von 296 Vgl. Kimmerle, »On Derrida’s Hegel Interpretation«, 231. Die Analogie von chemischer und zwischenmenschlicher Verbindung spielt später in Goethes Wahlverwandschaften eine prominente Rolle. Bei Friedrich Schlegel lässt sich die Chemie auch als Paradigma für semantische Operationen nachweisen; vgl. Chaouli, The Laboratory of Poetry. Hegel verwendet den medizinischen Begriff der »Ansteckung«. Derrida thematisiert später die Bewegung des Sinns als Mutation; vgl. Derrida, »Von der beschränkten zur allgemeinen Ökonomie. Ein rückhaltloser Hegelianismus«, 405. 297 Maßgeblich für das Verständnis der Phänomenologie als Bildungsroman ist die Interpretation von Josiah Royce; vgl. dazu Hyppolite, Genesis and Structure, 11. Die Bezeichnung »Anti-Bildungsroman« stammt von Rebecca Comay, »Resistance and Repetition«, 262. 298 Vgl. nochmals Martin, Die Einheit des Sinns.

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einer Sprache des vorstellenden Bewusstseins und einer Sprache des Begriffs). Sie arbeitet die Denkbestimmungen aus der gegebenen Sprache heraus – sie gibt den Begriff – und verweist gleichzeitig darauf, dass die Entwicklung eines technischen Vokabulars nie aus einer abgesicherten, standpunkttranszendenten Position erfolgen kann. Die Doppelbödigkeit der Phänomenologie folgt aus der konstanten Reibung der Sprache des Begriffs und einer verdinglichenden Sprache des vorstellenden Bewusstseins, die nur vom Denken (und zunächst nur punktuell) auseinandergehalten werden können. Die Sprache des Begriffs ist dabei so ausgelegt, dass sie die Ambivalenzen und Unschärfen der natürlichen Sprache verstärkt und damit ihre internen Spannungen expliziert, anstatt sie aus einem Bedürfnis nach Eindeutigkeit stillzustellen. Sie nutzt die semantische Bandbreite, also das Bedeutungsspektrum der Worte aus und entwickelt dadurch konkrete Begriffe.299 Dabei verlässt sich Hegel weder allein auf das abstrakt Eindeutige noch auf die Suggestion von Präsenz durch Bildhaftigkeit. Schon Jean Hyppolite hat festgestellt, in welcher Weise die philosophische Sprache zwar die festen Bestimmungen des Verstandes verwendet, um begriffliche Präzision zu erreichen, diese zugleich aber auch immer wieder als zu eng und selbst defizitär erkennen und darstellen muss, wozu sie auch Elemente der poetischen Sprache einsetzt. Allerdings spricht Hyppolite die Möglichkeit einer solchen Fusion zu leichtfertig der »natürlichen« Sprache zu, was angesichts der hochgradigen Künstlichkeit der philosophischen Sprache Hegels zu kurz greift. Hegels philosophische Sprache entsteht by sublating the purely poetical language that still belongs to representation, by maintaining the understanding’s determinations and fixations, but as well by dissolving them or rather by following their own internal dissolution, in a dialectic which engenders the totality of sense. This philosophical discourse indeed recognizes the understanding, but it also displays this understanding’s contradictions and their own sublation. »Thus the understanding is a becoming and, as this becoming, it is rationality« […]. We could only say finally that this philosophical language preserves from the total poetic impulse the creative power and the immanence of the whole, and that from the understanding, it preserves the weight and force which restrains the whole movement and stops it from dissipating one sole profound intention into a dispersed extension.300 299 Vgl. Hegels Bemerkung über die »schöne Zweideutigkeit« des Wortes logos (TWA20, 106). Zur »Reibung« vgl. Simon, Die fremde Vernunft. Josef Simon entwickelt dort eine Theorie über die konstitutive Bedeutung des Unterschieds für die Vernunfterkenntnis. Das Anerkennen der fremden Vernunft bedingt auch die Darstellungsformen der Philosophie (ebd., 9). 300 Hyppolite, Logic and Existence, 53. Hyppolite bezieht sich auf PhG, 54: »So ist also die Verständigkeit ein Werden, und als dies Werden ist sie die Vernünftigkeit.« Auffällig ist, dass Hegel mit der Sichtweise des Verstandes die Annahme verbindet, dass das Bestimmte durch eine »fremde Gewalt«

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Hegels Sprache fusioniert also die analytische Kraft des Verstandes und die »kreativen« Momente der poetischen Sprache, in denen aus im Wort angelegten (und implizit mitgeführten) Möglichkeiten Verbindungen erschlossen werden. Dies geschieht, wie Hegel in der Vorrede sagt, häufig blitzartig – aber dennoch nur in Folge eines langsamen Anstauens der Energie, also des Potentials eines solchen Ausbruchs.301 Die Schwierigkeit der Sprache Hegels kommt also nicht eigentlich von einer Poetik oder Bildhaftigkeit, sondern aus der Konkretion, d.h. der Integration verschiedener Teile des Bedeutungsspektrums, bildhafter wie abstrakter. Dieses Verhältnis ist auch eins von Sukzession und Gleichzeitigkeit: Während die bildlichen Vorstellungen aufeinander folgen, sind diese Momente im Begriff synchronisiert.302 aufgelöst wird. Hegel weist dagegen darauf hin, dass das Bestimmte das »Anderssein« an sich selbst hat. Hegels Sprache bezeichnet Dieter Henrich als »Kunstprosa«; vgl.»Hegels Grundoperation«, 208. 301 Vgl. PhG, 18f. Die Beschreibung des Zusammenspiels langsamer und schneller Entwicklungen in dieser Passage kann man als paradigmatisch für die Dynamik von Hegels Darstellungsweise in der Phänomenologie lesen. Das Bild des Blitzes, der »in einem Male das Gebilde der neuen Welt hinstellt« (PhG, 19) verbindet Hegel in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie mit dem Moment selbstbewusster, erkennender Subjektivität, die »in die geistige Substanz« einschlägt (TWA20, 458). Walter Benjamin nimmt dieses Motiv in sein Konzept des dialektischen Bildes auf, in dem sich Vergangenes und Gegenwärtiges »blitzhaft« treffen. Im Rahmen unserer Untersuchung ist dabei v.a. relevant, dass die dialektischen Bilder in der Sprache angetroffen, dass die blitzhaften Synthesen also durch die Sprache ermöglicht werden; vgl. dazu Benjamin, Das Passagen-Werk. Erster Band, 576f. [N2a, 3]. Ein möglicher Hintergrund von Hegels Darstellungsstrategie ist Aristoteles’ Ausführung über das Knüpfen (desis) und Lösen (lysis) von Knoten in der Poetik. Diese Auflösungen müssen einerseits überraschend und andererseits folgerichtig sein; vgl. Aristoteles, Poetik, 49, 57, 59. Eine ausführlichere Untersuchung der Figur des Knotens findet sich bei Juliane Vogel, »Verstrickungskünste. Lösungskünste: Zur Geschichte des dramatischen Knotens«. Hegel selbst verwendet den Begriff des Knotens zur Beschreibung der Entwicklung der Phänomenologie (vgl. PhG, 500f.). 302 Darauf hat bereits Alexandre Koyré hingewiesen; Koyré, »Note sur la langue et la terminolgie hégelienne«, 438f. Auch Karl Löwith schreibt: Hegel »konnte überhaupt die abstrakten Denkformen der Logik: Selbstsein und Anderssein, Ansichsein und Fürsichsein, Fürunssein und An-und-fürsich-Sein mit plastischen Worten aus dem Bereich der sinnlichen Anschauung erläutern und seine Gedanken in einer Sprache darstellen, die ebenso abstrakt und bildlos wie metaphorisch und bildhaft ist.« Löwith, »Hegel und die Sprache«, 395. Zur Synchronisation vgl. Baptist, »Das absolute Wissen. Zeit, Geschichte, Wissenschaft«.

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Hegel arbeitet dabei u.a. mit Polysemien, wie im berühmten Beispiel des Aufhebens. Dabei kommt es im Einzelnen aber nicht nur auf die Verschiedenheit der Bedeutungen an, sondern (wieder mit Blick auf den Blitz) auf eine Spannung der Konnotationen, auf die Entgegensetzungen (wir erinnern uns an das Zitat aus der Logik, das den spekulativen Geist der Sprache in den entgegengesetzten Bedeutungen der Wörter findet, nicht in den nur verschiedenen).303 Diese Züge von Hegels Sprache sind zwar auffällig, aber weder leicht (oder überhaupt) zu reproduzieren, noch in ihrer theoretischen Relevanz einzuschätzen. Dies hat bereits Dieter Henrich bemerkt304 und noch vor ihm Nicolai Hartmann: Der philosophische Schriftstil Hegels ist von Vielen gerühmt worden – eigentümlicherweise auch von solchen, die ihn nicht eigentlich philosophisch zu entziffern wissen. Es ist etwas darin, was wie Dichtung anmutet, was auf ein feinsinniges Sprachempfinden trotz aller gedanklichen Überbelastung des Wortes auch direkt gefühlsmäßig wirkt. Das hat seinen Grund in eben jener Hintergründigkeit des Wortes, die gegen die geprägte Struktur des Vordergrundes mit eigenen Gegentönen differiert und dadurch den doppelgesetzlichen ›Rhythmus‹ hervorruft. Die innere Gespanntheit dieses Verhältnisses ist so mächtig, dass sie auch dem noch nicht inhaltlich begreifenden Leser in ihren reichen Obertönen entgegenklingt. Den sprachlich Hellhörigen kann sie auf diese Weise zu einer Art intuitiven Verstehens der Sache hinführen. Denn die Sache, der Gegenstand, die ›Substanz‹ ist es, was sich in ihr verrät. Der Rhythmus des Wortes verdeckt zugleich und offenbart. Er dokumentiert sich damit als der adäquate sprachliche Ausdruck der Sache. Er ist im Kleinen und noch ganz an der Oberfläche dasselbe, was in größerer Tiefe und in gewaltigem Ausmaße die Dialektik ist. Auch die Dialektik hat das Geschick, dem, was sie sichtbar macht, verschleiernd vorgelagert zu bleiben, und dennoch das, was sie verschleiert, allererst sichtbar zu 303 Vgl. WL1, 20. Solche Spannungen entstehen sowohl z.B. im Wort »aufheben«, als auch zwischen Begriff und Bild; vgl. Inwood, A Hegel Dictionary, 13. Ein Beispiel für dieses Überlagern bzw. Ineinandersetzen von bildlicher und begrifflicher Bedeutung ist die folgende Passage, in der Hegel durchaus im Blick hat, dass die Arbeit des Knechtes darin besteht, vom Herrn fallengelassene Dinge aufzuheben: »Ebenso bezieht sich der Herr mittelbar durch den Knecht auf das Ding; der Knecht bezieht sich als Selbstbewusstsein überhaupt auf das Ding auch negativ und hebt es auf; aber es ist zugleich selbständig für ihn, und er kann darum durch sein Negieren nicht bis zur Vernichtung mit ihm fertig werden, oder er bearbeitet es nur.« (PhG, 151). Derrida hat bemerkt, dass Hegel eine Präferenz für bestimmte Formen der Polysemie hat, nämlich solche, die sich begrifflich regeln und ausnutzen lassen; Derrida, »Der Schacht und die Pyramide. Einführung in die Hegelsche Semiologie«, 122. 304 Henrich, »Hegels Grundoperation«, 208f.

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machen. Wie sie vom Inhalt nicht zu trennen ist, den sie vermittelt, so der Sprachstil, den sie sich schafft, nicht von ihr.305

Auch Hartmann verweist auf die sprachinterne Spannung, die zwischen Vorder- und Hintergrund des Wortes gebildet wird, also zwischen dem explizit Gesagten und dem implizit darin Mit-Ausgedrückten.306 Das positiv Vorliegende ist nur durch die Beziehung zu seinem Negativ etwas Bestimmtes; es ist damit gewissermaßen mehr als es einfach ist. Diese Einbettung in einen relationalen Hintergrund will Hegel sprachlich durchschimmern zu lassen. Er arbeitet also mit dem Verhältnis von Geheimnis und Offenbarung und reguliert, was zu welchem Grad offengelegt wird und was (womöglich) in einer semantisch tiefer liegenden Schicht (dem »Schacht«307) angedeutet bleibt. Die Sprache bietet – auch dem noch nicht philosophisch gebildeten Bewusstsein – auf diese Weise Ansatzpunkte zu denken. Sie fordert heraus (und fordert damit auch mehr sprachliche, nämlich interpretatorische, d.h. auslegende Aktivität). Sie suggeriert, dass es etwas zu entdecken gibt, das nicht ohne Weiteres erscheint. Auf diese Weise kann Hegel auch verschiedene Stufen der Entwicklung implizit mitführen. Auffällig ist aber auch, dass für Hartmann das »eigentlich philosophisch[e]« Entziffern von dem unterschieden werden soll, was den Leser:innen nur »gefühlsmäßig«, »intuitiv« in »Obertönen« (akroamatisch) »entgegenklingt«. Hartmann scheint unentschlossen, ob die Dialektik von ihrem Sprachstil untrennbar ist, oder ob nicht der sprachliche Ausdruck dem eigentlich philosophischen Begreifen prinzipiell vorgelagert bleibt. Das von Hartmann gelobte Moment der analogen Fortbewegung von Sprache und Dialektik hat Adorno als »Kurvenschrift« kritisiert, als ein mimetisches Anbiedern der eigentlich notwendigerweise diskreten (also unweigerlich Abschnitte im Kontinuum des Denkens bildenden) Sprache an die Bewegung des Begriffs und als »mangelnde Sensibilität für die Sprachschicht insgesamt«: Ist der Gehalt seiner [d.h. Hegels, S.W.] Philosophie Prozess, so möchte sie sich selbst als Prozess aussprechen, in permanentem status nascendi, Negation von Darstellung als einem Geronnenen, das nur dann dem Dargestellten entspräche, wenn jenes selber ein Geronnenes wäre. Mit einem anachronistischen Vergleich sind Hegels Publikationen eher 305 Hartmann, Die Philosophie des deutschen Idealismus, 249f. mit meinen Hervorhebungen, S.W. Surber fasst diesen Gedanken bündig darin zusammen, dass Sprache einen vor-systematischen Zugang zum System bieten kann; Surber, »Hegel’s Speculative Sentence«, 426. 306 Bereits Klopstock hat eine Theorie des Mit-Ausdrucks entwickelt, die er an den Begriff der Darstellung knüpft; vgl. Klopstock, »Von der Darstellung«. 307 PhG, 64. Zum Moment des Durchschimmerns vgl. Kömürcü, Sehnsucht und Finsternis, 44.

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Filme des Gedankens als Texte. Wie das ungeschulte Auge Details eines Films nie so festhalten wird wie die eines stillgestellten Bildes, so ergeht es mit seinen Schriften. Ihr spezifisch Prohibitives ist darin zu suchen, und an eben dieser Stelle bleibt Hegel hinter dem dialektischen Inhalt zurück.308

Adornos Bemerkung ist zutreffend, insofern der Fluss, der Prozess, durchaus Hegels Darstellungsideal ist. Entgegen seines Urteils scheint mir Hegel aber gerade sensibel für die Diskrepanz der Sprache zu diesem Fließen und damit für die Dialektik von Statik und Negativität zu sein. Das permanente Entstehen und Vergehen von Bestimmungen in der Sprache denkt die Diskrepanz von Sache und Ausdruck mit und ist auf diese Weise mit der Sache nicht fertig. Das zeigen vor allem die Stellen, an denen Hegel die Äußerlichkeit der Sprache betont. Dies hat Rosenkranz als »Kampf mit der Darstellung« beschrieben.309 308 Adorno, »Skoteinos oder Wie zu lesen sei«, 353. Das Denken, das spontan den Zusammenhang herstellen kann, würde durch lernbare Phrasen verdeckt. Umgekehrt kann es gerade durch Überbetonung des materiellen Teils der Sprache – der Zeichenkörper – immer wieder neu angestoßen werden. Adorno wirft Hegel ein Überkompensieren vor: Jeder Gedanke soll immer aufs Neue in der Rede verfertigt werden. Man muss allerdings sagen, dass das bewegte Filmbild erst im Zusammenspiel der 24 Fotografien pro Sekunde, der Projektion und des menschlichen Wahrnehmungsapparats entsteht. Das Werden bzw. die Bewegung wurde nirgends fotografiert; trotzdem ist es im Resultat sichtbar. In ähnlicher Weise können auch die eigentlichen Bewegungen des Begriffs nicht sprachlich abgebildet werden. Man muss stattdessen den Gedanken erst selbst zustande bringen oder: »versteh[en], warum dies oder jenes unverständlich sein muss, und dadurch es selber versteh[en].« Wie Adorno bemerkt, erfordert das eine kaum mögliche, doppelte Lesegeschwindigkeit – einerseits ein Dahingleiten auf der Sprache, andererseits ein Zeitlupentempo (»Skoteinos«, 354f.). 309 Rosenkranz schreibt: »Sein ganzes Leben hindurch erneuerte sich bei ihm die Klage, dass seine mündliche Darstellung sehr mangelhaft, sei und um so stärker ward das Bedauern darüber, als die Trefflichkeit des Gesprochenen selbst sich nicht verkennen ließ. Auch in dem Tübinger Seminarzeugniß ward Hegel als: orator haud magnus bezeichnet. Wie oft ist daher nicht über seine Sprache gesprochen und wer gegen sein System nichts zu sagen wußte, bekrittelte mindestens seinen Vortrag. Hegel gesticulirte viel, aber die körperliche Geberde wie die Bewegung der Stimme fielen mit dem Gehalt nicht harmonisch genug zusammen. Bei dem, welcher die Darstellung nach Außen beherrschen kann, weil er mit der Sache fertig ist, tritt zwischen dem Innern und der Aeußerung keine Hemmung ein. Sein Empfinden, Vorstellen und Denken geht momentan in sein Sprechen auf. Bei Hegel blieb in diesem Proceß, auch wenn er sich die Rede vorher zu Papier gebracht hatte, immer noch ein Rest. Er producirte den Inhalt immer von Neuem und konnte ihn daher, auch für den Augenblick, stets nur relativ fertig machen.

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Die sprachliche Form fordert geistige Teilnahme. Sie zwingt uns, in die gedankliche Bewegung einzusteigen. Das spekulative Denken kann sich gerade da von der Sprache abheben, wo diese unscharf scheint. Es entsteht in einem Spannungsverhältnis zum sprachlichen Material, indem es der Sprache erlaubt, zu passieren; so werden Sprache und Denken füreinander durchlässig. Die Phänomenologie inszeniert diesen Anfang des Denkens in einem systematischen Katalog der Weisen, in denen das Denken sich selbst verfehlt und opak bleibt. Selbsttransparenz ist am Ende gerade das Wissen über die Eigenlogik dieser Opazität des Bewusstseins – sowie der Eigendynamik und Opazität des sprachlichen Materials. Sprache zeigt sich dabei sowohl als Blockade, wie auch als Katalysator des Denkens.310 Hegel nimmt die Akzidenzien der Sprache auf, die er vorfindet und entwickelt daraus ein Potential der Weiterentwicklung der Sprache. Es geht ihm dabei nicht darum, ursprüngliche Bedeutungen zu finden, sondern aus den existierenden sprachlichen Ressourcen neue Potentiale zu erschließen.311 Catherine Dieser Kampf mit der Darstellung, den letzten durchbohrenden, nichts zurücklassenden Ausdruck zu finden, dies unaufhörliche Suchen, diese Fülle von Möglichkeit, erschwerten ihm mit den Jahren, je reicher seine Bildung, je vielseitiger sein Denken und je bedingter seine Stellung durch ihre Größe ward, nicht nur das Sprechen überhaupt, sondern auch das Schreiben und man kann namentlich nichts Zerhackteres, nichts Ausgestricheneres, fortwährend Umgeschriebeneres sehen, als ein Hegel’sches Briefconcept aus der Berliner Periode. Wenn Lessing von der Kunst des Malers sagen läßt, daß der Weg vom Kopf bis zur Hand ein so weiter sei, so kann dies bei Hegel von Zunge und Hand gesagt werden.« Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, 16f. 310 Vgl. zur Dynamik der Begriffsbewegung PhG, 18–20. Allerdings weist Hegel auch darauf hin, dass eine gewisse Rest-Esoterik besteht; vgl. TWA19, 21f.: »Zur Mitteilung, Übergabe einer äußerlichen Sache gehört nicht viel, aber zur Mitteilung der Idee gehört Geschicklichkeit. Sie bleibt immer etwas Esoterisches; man hat also nicht bloß das Exoterische der Philosophen. Das sind oberflächliche Vorstellungen.« Vgl. auch Lejeune, Sens et usage du langage chez Hegel, 48. 311 Vgl. Inwood, A Hegel Dictionary, 12, 16. Wie Hartmann hat auch Adorno betont, dass Hegels Text assoziativ gelesen werden kann; für Adorno muss das sogar so sein: »Entspannung des Bewusstseins als Verhaltensweise heißt, Assoziationen nicht abwehren, sondern das Verständnis ihnen öffnen. Hegel kann nur assoziativ gelesen werden. Zu versuchen ist, an jeder Stelle so viele Möglichkeiten des Gemeinten, so viele Beziehungen zu anderem einzulassen, wie irgend sich aufdrängen. Die Leistung der produktiven Phantasie besteht nicht zum letzten darin. Zumindest ein Teil der Energie, ohne die so wenig gelesen werden kann wie ohne Entspannung, wird dazu gebraucht, jene automatisierte Disziplin abzuschütteln, welche die reine Konzentration auf den Gegenstand verlangt und welche dadurch ihn leicht verfehlt.

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Malabou hat darauf hingewiesen, dass Hegel damit gerade die Äußerlichkeit der Sprache und deren räumlich und zeitlich zufälligen Charakter bewahrt.312 Hegel versucht, eine Sprache zur Beschreibung und Inszenierung der Bewegung des Geistes zu entwickeln. Eine besondere Relevanz hat dabei die Diskrepanz von Erscheinungsweisen und logischen Verhältnissen. Wir finden daher zunächst eine Vielzahl von Beschreibungen raumzeitlicher Zusammenhänge, also von Entwicklungen und Übergängen, die den Sinnen zugänglich und (im weiteren Sinn) beobachtbar sind. So betont Hegel immer wieder, dass man nur von einer »Tiefe« des Geistes sprechen kann, insofern sich diese auf der »Oberfläche« registrieren lässt. Entsprechend wichtig ist für ihn die Entwicklung des Geistigen, seine Ausdehnung, Auslegung, Ausbreitung, und Entfaltung in eine Sukzession oder »Aufeinanderfolge«.313 Da Hegel diesen Prozess als Bewegung versteht, findet sich eine große Bandbreite an Bewegungskoordinaten: Die Phänomenologie wird insgesamt als Weg des Bewusstseins beschrieben; dieser Weg zeigt sich als Fortschreiten oder Fortgang sowie als Auf- und Abstieg auf einer Leiter, die dem Bewusstsein gereicht werden soll.314 Das Bild der Leiter verweist nicht nur auf die platonische Vorstellung eines Aufstiegs zum Absoluten, sondern auch auf Schillers Gedicht Die Freundschaft, das Hegel am Abschluss der Phänomenologie zitiert. Gerade das absolute Wissen bezeichnet Hegel aber als Absteigen aus der »Intellektualwelt«.315 Darüber hinaus verwendet Hegel eine breite Palette von Ausdrücken für Beweglichkeit, für die verschiedenen Aggregatzustände von Flexibilität und Starre sowie für Verhältnisse der Mischung, des Übergehens bzw. der Unmöglichkeit eines Übergehens. Hegel greift dabei auf das Vokabular zur Beschreibung materieller bzw. organischer Zustände, Relationen und Prozesse zurück. Dazu gehören etwa Durchdringung,316 Durchsichtigkeit,317 Flüssigkeit bzw. Fließen,318 Flüssigwerden,319 Ergießen,320 Auflösen,321 Assoziatives Denken hat bei Hegel sein fundamentum in re« – und das heißt: in der »Konzeption von der Wahrheit als einem Werdenden«; Adorno, »Skoteinos oder Wie zu lesen sei«, 370f. Die »Ideenassoziation« ist allerdings Hegel zufolge ein abzulehnendes Verfahren (vgl. TWA4, 47; JS3, 173 = GW8, 187). 312 Vgl. Malabou, L’avenir de Hegel, 229f. 313 PhG, 591; vgl. ebenfalls 18f. 314 Vgl. PhG, 29 315 PhG, 586 316 Vgl. z.B. PhG, 292 317 Vgl. z.B. PhG, 29, 580 318 Vgl. z.B. PhG, 37, 59 319 PhG, 153 320 PhG, 17 321 Z.B. PhG, 153 und passim; auch als »Auflösung«.

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Verhallen,322 Pulsieren und Erzittern,323 Öl und Wasser,324 Sprödigkeit,325 Ansteckung326 und Duft.327 Bekanntlich wird das System insgesamt häufig als Organismus beschrieben und entsprechend finden sich biologische Verweise auf das Wachstum der Pflanze und seine verschiedenen Stufen. Hegel zieht auch das Wachstum des Menschen bzw. des Kindes heran und kontrastiert dieses langsame Wachstum mit dem plötzlichen Ausbruch eines 322 PhG, 376 323 PhG, 132 324 PhG, 41 325 Vgl. z.B. PhG 273, 377 326 PhG, 376, 403, 518 327 PhG, 402. Die physische Metaphorik wird im Religionskapitel vom Bewusstsein auf das Absolute angewendet, das dort als Lichtwesen, Pflanze, Tier und Körper modelliert wird. Eine nähere Untersuchung würde insbesondere das Motiv des Erzitterns rechtfertigen, das für Hegel direkt mit der absoluten Negativität verknüpft ist, die Subjekte in der Möglichkeit ihres eigenen Todes erfahren. In diesen Erfahrungen werden sie auf sich zurückgeworfen und erkennen sich als Subjekte. Dabei löst sich das Bestehende insgesamt auf und wird absolut flüssig, wie Hegel anhand der Furcht des Knechts vor dem Herrn beschreibt. Das Bewusstsein des Knechts »hat nämlich nicht um dieses oder jenes, noch für diesen oder jenen Augenblick Angst gehabt, sondern um sein ganzes Wesen; denn es hat die Furcht des Todes, des absoluten Herrn, empfunden. Es ist darin innerlich aufgelöst worden, hat durchaus in sich selbst erzittert, und alles Fixe hat in ihm gebebt. Diese reine allgemeine Bewegung, das absolute Flüssigwerden alles Bestehens, ist aber das einfache Wesen des Selbstbewusstseins, die absolute Negativität, das reine Fürsichsein, das hiermit an diesem Bewusstsein ist.« (PhG, 153). Hegel identifiziert das »reine Erzittern in sich selbst« auch mit dem »reinen Sich-selbst-Denken« (PhG, 428). Dieses Zittern wird in der Enzyklopädie (§ 351) mit der Stimme des Tieres in Verbindung gebracht und steht damit auch mit den körperlichen Spracherfahrungen in Beziehung; vgl. dazu Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 120f. sowie Agamben, Die Sprache und der Tod. Mit einem intertextuellen Bezug kann man darauf verweisen, dass das Zittern nicht nur die physische, sondern auch die semantische Ebene der Sprache betrifft. So hat Wilhelm von Humboldt (in einem beinahe dekonstruktiven Moment) betont, dass die Sprache durch die »Rückwirkung« einzelner Sprecher:innen auf ihre Bedeutungen selbst erzittert: »Keiner denkt bei dem Wort gerade und genau das, was der andre, und die noch so kleine Verschiedenheit zittert, wie ein Kreis im Wasser, durch die ganze Sprache fort. Alles Verstehen ist daher immer zugleich ein Nicht-Verstehen, alle Übereinstimmung in Gedanken und Gefühlen zugleich ein Auseinandergehen. In der Art, wie sich die Sprache in jedem Individuum modificirt, offenbart sich, ihrer im Vorigen dargestellten Macht gegenüber, eine Gewalt des Menschen über sie.« Humboldt, »Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues«, 58f. Die Hervorhebung stammt von mir, S.W.

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Blitzes.328 Wie Werner Marx bemerkt hat, wird diesen am Sinnlichen orientierten Prozessbeschreibungen eine Reihe logischer Verhältnisse gegenübergestellt, in denen der »Eigensinn« der Worte keine Rolle mehr spielen soll. Komplementär zu den Bewegungsbildern finden sich daher für Hegel spezifische Prägungen sprachlicher Konstruktionen, die im engeren Sinne begrifflich sind und teilweise den Charakter von Neologismen haben. Dazu gehören die »Vermittlung des Sichanderswerdens mit sich selbst«, »Reflexion im Anderssein mit sich selbst«,329 »sich bewegende Sichselbstgleichheit«,330 Sichaufsichbeziehen«,331 »Gegenständlichwerden«332 oder auch die »gewordene Gleichheit«.333 Gerade an diesen Prägungen fällt aber auch auf, wie sie sich aus den Re-Kombinationsmöglichkeiten der Sprache ergeben.334 Die raumzeitlichen Formen der Erscheinung werden also mit begrifflichen Bezeichnungen kontrastiert. Dementsprechend gibt es auch für dieses Kontrastverhältnis selbst wieder eine Reihe von Metaphern, nämlich einerseits solche, die das Scheinhafte betreffen und andererseits solche der wirklichen Auseinandersetzung: Es gibt die Theatermetaphorik (das Auftreten der Wissenschaft,335 die Vorstellung, das Schauen hinter den »sogenannten Vorhange«336) und die des Kampfes auf Leben und Tod, der sich auch in abgeschwächter bzw. naturalisierter Form als Spiel der Kräfte zeigt.337 Diese beiden Felder werden ihrerseits synthetisiert, wenn Hegel die »Spiegelfechterei« der Tugend mit dem Weltlauf inszeniert.338 Die Form der Bewegung des Geistes und das Problem der Eigendynamik der Worte lassen sich auch durch das Begriffspaar Trägheit und Verschwinden beschreiben. Das Moment der Äußerlichkeit hemmt die 328 Vgl. PhG, 18f. 329 Beide PhG, 23 330 PhG, 25 331 PhG, 94 332 PhG, 518 333 PhG, 40f.; vgl. W. Marx, Absolute Reflexion und Sprache, 24. Das Fehlen eines geeigneten Prädikats für die dialektische Bewegung hat Friedrich Fulda in »Hegels Dialektik als Begriffsbewegung und Darstellungsweise« besprochen. 334 Mit Bezug auf Friedrich Schlegel hat Michel Chaouli daher von einer chemischen Verwendung der Sprache gesprochen. Zur Bedeutung naturwissenschaftlicher Paradigmen für die Modellierung des Geistigen vgl. Chaouli, The Laboratory of Poetry und Bies, Im Grunde ein Bild. Chaouli legt den Fokus auf die Chemie, Bies auf die Biologie. 335 PhG, 71 336 PhG, 135 337 Vgl. hierzu die Kapitel über Kraft und Verstand bzw. Herrschaft und Knechtschaft. 338 PhG, 287

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Bewegung des Geistes. Nur so kommt es aber überhaupt zu einer Bewegung bzw. einer Aufeinanderfolge – diese ist dann aber träge, da der Geist überall verweilen muss: Die andere Seite aber seines Werdens, die Geschichte, ist das wissende, sich vermittelnde Werden – der an die Zeit entäußerte Geist; aber diese Entäußerung ist ebenso die Entäußerung ihrer selbst; das Negative ist das Negative seiner selbst. Dies Werden stellt eine träge Bewegung und Aufeinanderfolge von Geistern dar, eine Galerie von Bildern, deren jedes, mit dem vollständigen Reichtume des Geistes ausgestattet, eben darum sich so träge bewegt, weil das Selbst diesen ganzen Reichtum seiner Substanz zu durchdringen und zu verdauen hat.339

Arbeit als Bildung im Sinne von Formgebung ist »aufgehaltenes Verschwinden«.340 Diese notwendige Hemmung der geistigen Bewegung kippt in eine Trägheit, die die Bewegung vielmehr abwürgt, weil sie in die Gedankenlosigkeit mündet: Das Bewusstsein leidet also diese Gewalt, sich die beschränkte Befriedigung zu verderben, von ihm selbst. Bei dem Gefühle dieser Gewalt mag die Angst vor der Wahrheit wohl zurücktreten und sich dasjenige, dessen Verlust droht, zu erhalten streben. Sie kann aber keine Ruhe finden, es sei, dass sie in gedankenloser Trägheit stehen bleiben will – der Gedanke verkümmert die Gedankenlosigkeit, und seine Unruhe stört die Trägheit – oder dass sie als Empfindsamkeit sich befestigt, welche alles in seiner Art gut zu finden versichert; diese Versicherung leidet ebenso Gewalt von der Vernunft, welche gerade darum etwas nicht gut findet, insofern es eine Art ist.341

Die Äußerlichkeit, die den Vollzug des Denkens unterbricht, seine Bewegung aufhält und ihm eine Bestimmtheit und relative Dauer verleiht, verfügt über eine Eigendynamik, die das Denken insgesamt zum Stehen bringen und die Entwicklung des Geistes unterlaufen kann.342 Hegel 339 PhG, 590 340 PhG, 153 341 PhG, 74f. 342 Auf diese Eigendynamik hat sogar Werner Marx hingewiesen, obwohl er sich letztlich darauf festlegt, dass die Sprache – trotz dieser Eigendynamik – eine »Dienerin« des logos ist; vgl. W. Marx, Absolute Reflexion und Sprache. Das Verhältnis von Trägheit und Verschwinden kann auch als Verhältnis von Vollzug und Entzug gefasst werden. Die bestehenden Artikulationen geistiger Verhältnisse der Vergangenheit sind konservierte Spuren des Geistes. Der Beginn der Wissenschaft findet in diesen sprachlichen Beständen einerseits das Denken vorbereitet, andererseits belastet dieser Bestand den Beginn des Denkens auch. Am Beginn der Begriffslogik verwendet Hegel das Bild einer lang bewohnten Stadt, die nun umgebaut werden soll (WL 2, 243).

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weist deshalb immer wieder darauf hin, dass diese Äußerlichkeit verschwinden muss bzw. von sich aus die Eigenschaft hat, zu verschwinden. Dieses Verschwinden wird häufig auf die Worte und Zeichen der Sprache bezogen, womit sich die Topoi von Trägheit und Verschwinden mit dem Thema Sprache verbinden. Wie Bart Zantvoort gezeigt hat, ist die Trägheit ein Merkmal der relativen Dauer des bestimmten Seins, also des Daseins und zentrales Moment des Daseins des Geistes ist die Sprache. Das Wort ist ein notwendiges Moment der Äußerlichkeit, ohne die es nicht zu artikulierten Gedanken kommt. Der Geist vernimmt sich nur durch ein Moment der Äußerlichkeit. Damit diese aber nicht in der dinglichen Form verbleibt, muss sie ihrerseits wieder verschwinden. Das zeigt sich in der Phänomenologie, wenn Hegel die Lautäußerung »ich« thematisiert: Ich, das sich ausspricht, ist vernommen; es ist eine Ansteckung, worin es unmittelbar in die Einheit mit denen, für welche es da ist, übergegangen und allgemeines Selbstbewusstsein ist. – Dass es vernommen wird, darin ist sein Dasein selbst unmittelbar verhallt; dies sein Anderssein ist in sich zurückgenommen; und eben dies ist sein Dasein, als selbstbewusstes Jetzt, wie es da ist, nicht da zu sein und durch dies Verschwinden da zu sein. Dies Verschwinden ist also selbst unmittelbar sein Bleiben; es ist sein eigenes Wissen von sich und sein Wissen von sich als einem, das in anderes Selbst übergegangen, das vernommen worden und allgemeines ist.343 343 PhG, 376. Das Gleiche zeigt sich in der Logik an Hegels Äußerung über das ursprüngliche Wort (WL2, 550): »Die Logik stellt daher die Selbstbewegung der absoluten Idee nur als das ursprüngliche Wort dar, das eine Äußerung ist, aber eine solche, die als Äußeres unmittelbar wieder verschwunden ist, indem sie ist; die Idee ist also nur in dieser Selbstbestimmung, sich zu vernehmen, sie ist in dem reinen Gedanken, worin der Unterschied noch kein Anderssein, sondern sich vollkommen durchsichtig ist und bleibt.« Die komplexe Bedeutung der Trägheit als momentanes Aufhalten des Verschwindens endlichen Daseins hat Bart Zantvoort in einem kurzen Artikel folgendermaßen beschrieben: »precisely that which defines something, namely its limit, its difference from other things, is also that which causes its destruction. But these two moments, which are the logically the same moment [sic], cannot happen at the same time; there has to be a delay between them, and this delay is the existence or persistence of determinate being. For that reason, the persistence of the thing, the delay of its disappearance, is also necessary for this system to work, and the persistence or enduring existence of determinate being is made possible only by inertia understood as resistance to sublation. [...] [I]nertia is necessary to constitute the duration of finite being. Because movement is, for Hegel, a given, because Spirit is always moving and this is in fact a matter of logical necessity, the finite beings and historical formations which form the material for this movement are both defined by this movement, are caught up and overtaken by it, but also have to differ from it and resist its movement, become inert to some extent. But this necessary

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In den Fragmenten zum Geist des Christentums bezieht Hegel das Verschwinden sogar auf die geschriebene Sprache, die aufgelesen werden soll, wie man sonst etwas aufisst: [D]er Geist Jesu, in dem seine Jünger eins sind, ist für das äußere Gefühl als Objekt gegenwärtig, ein Wirkliches geworden. Aber die objektiv gemachte Liebe, dies zur Sache gewordene Subjektive kehrt zu seiner Natur wieder zurück, wird im Essen wieder subjektiv. Diese Rückkehr kann etwa in dieser Rücksicht mit dem im geschriebenen Worte zum Dinge gewordenen Gedanken verglichen werden, der aus einem Toten, einem Objekte, im Lesen seine Subjektivität wiedererhält. Die Vergleichung wäre treffender, wenn das geschriebene Wort aufgelesen [würde], durch das Verstehen als Ding verschwände; so wie im Genuss des Brots und Weins von diesen mystischen Objekten nicht bloß die Empfindung erweckt, der Geist lebendig wird, sondern sie selbst als Objekte verschwinden.344

Das Verständnis der Sprache droht in den Worten, die es allein transportieren, zu verschwinden. Die Philosophie arbeitet daher konstant daran, dieses Verständnis zu erhalten, d.h. sein Verschwinden aufzuhalten. Die Philosophie aktualisiert also immer wieder von vorne den Anfang des Denkens.345 Die Formen der Bewegung und die wechselnde, manchmal träge, manchmal sprunghafte Form der Bewegung spiegelt sich nicht nur im resistance, the inertia which allows beings to persist for some time, can also lead to a negative inertia, »thoughtless« inertia, when outdated forms which no longer correspond to the attained level of Spirit nonetheless remain in being.« Zantvoort, »Inertia in Hegel’s Phenomenology of Spirit«, 78. Die Hervorhebungen stammen von mir, S.W. Zum Verschwinden vgl. ebenfalls Žižek, »Schelling-for-Hegel: The ›Vanishing Mediator‹« und Reid, Hegel’s Grammatical Ontology. Vanishing Words and Hermeneutical Openness in the ›Phenomenology of Spirit‹. 344 TWA1, 367 345 Das erste, was Anton Friedrich Koch in seiner Einführung in die Philosophie schreibt ist daher: »Die Philosophie ist eine alte Wissenschaft, doch ihre Lehren sind immer wieder neu. Allerdings sind sie im Unterschied zu mathematischen Sätzen nicht in Lehrbüchern fixierbar. Ihr Sinn verflüchtigt sich, wenn man sich nicht unablässig um ihren Gegenstand bemüht und sie stattdessen nur dem Wortlaut nach tradiert. Ist aber eine philosophische Lehre erst einmal aus ihren Formulierungen gewichen, so muss sie von Grund auf neu erarbeitet werden als gäbe es den Wortlaut der Überlieferung nicht mehr. Da dies jeweils unter veränderten Bedingungen geschehen wird, bedarf es tiefer sachlicher Einsicht und großer hermeneutischer Findigkeit, um die alte Lehre im nunmehr neuen Begriffsgewand wiederzuerkennen. Oft merken die Späteren gar nicht, wie nahe sie den Früheren sind. Auch damit hängt zusammen, dass alle wesentlichen philosophischen Lehren stets umstritten bleiben.« Koch, Wahrheit, Zeit und Freiheit, 7.

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Vokabular, sondern sie entspricht auch dem Narrativ der Phänomenologie. In dem Sinne, dass die Phänomenologie im Bewusstsein eine – wenn auch eigenartige – Hauptfigur hat, die eine Reihe von Erfahrungen durchläuft, an deren Ende schließlich ein Moment der Selbsterkenntnis erreicht werden soll, ist sie (wie bereits bemerkt) häufig mit dem Bildungsroman verglichen worden. Die Erfahrungen des Bewusstseins ergeben sich aus seinen Selbstmissverständnissen und folgen der Eigendynamik der jeweils spezifischen Formen, in denen sich das Bewusstsein selbst undurchsichtig bleibt. Diese Entwicklung ist geprägt von einem Vergessen der vergangenen Erfahrungen, die jeweils unmittelbar in neue Gegenstände kristallisieren. Infolge der häufigen Rückfälle beschreibt Hegel diese Bewegung als träge. Sie schreitet aber doch unaufhaltsam voran und lässt sich rückblickend als Geschichte begreifen. Es ist hier aber nicht unwesentlich, dass wir als Leser:innen selbst den Fiktionen des Bewusstseins immer wieder Glauben schenken, indem wir uns von Hegels Darstellung verleiten lassen, die Perspektive des Bewusstseins einzunehmen.346 Auf eine weitere wesentliche Funktion der narrativen Struktur hat Albrecht Koschorke hingewiesen: Die Konzeption mehrerer paralleler Entwicklungsgänge sowie die Analogie der Geschichte der Menschheit und der Entwicklung eines Individuums, das sich wissenschaftlich bildet, sind Mechanismen der Vereinfachung.347 Diese vereinfachenden Parallelismen sind deshalb für die Phänomenologie zentral, da sie so aufgebaut ist, dass die Entwicklungsfigur von Unmittelbarkeit zu Konkretion in verschiedenen Formen und auf verschiedenen Stufen wiederholt durchlaufen wird, wobei diese Stufen teilweise auch synchron sind (wie z.B. Geist- und Religionskapitel der Phänomenologie).348 Einer Vereinfachung entspricht auch der metaphorische Bereich von Heimat und Eigentum, mit dem Hegel den Bereich des Denkens und der Wahrheit kennzeichnet.349 Diese Mechanismen der Komplexitätsreduktion werden vor allem in Bezug auf die Übersicht der Entwicklung der Phänomenologie relevant, also im synoptischen Blick des absoluten Wissens. Wichtig ist aber, dagegenzusetzen, dass der Weg der Phänomenologie primär einer der »Verzweiflung« ist, was man auch als Verzweigung oder Verdopplung, d.h. als differenzierende dihairese und damit als Komplexitätssteigerung verstehen kann. Wesentlich ist also das Wechselverhältnis 346 Dies hat z.B. Judith Butler herausgestellt; Butler, Subjects of Desire, 21–23. 347 Vgl. Koschorke, Hegel und wir, 144f. 348 Vgl. z.B. Forster, Hegel’s Idea, 460; Adorno, Vorlesung über Negative Dialektik, 29 und Žižek, The Sublime Object of Ideology, 237. 349 Berüchtigt ist v.a. Hegels Bezeichnung des Selbstbewusstseins als »einheimische[s] Reich der Wahrheit« (PhG, 138). Zum Eigentum vgl. PhG 20, 32–39, 586.

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von Expansion und Kontraktion, das Hegel auch als »außer sich kommen« und »insichgehen« bezeichnet.350 Der Diskrepanz zwischen linear fortschreitender Entwicklung, Zirkularität und gänzlicher Zeitlosigkeit entspricht auf der sprachlichen Ebene die »Ambiguität« des »ist« im spekulativen Satz. Insofern entsteht auch hier das von Koschorke bemerkte Vereinfachungsmoment: die Bidirektionalität der Kopula im Urteil entspricht nämlich Hegels Verständnis von zeitlicher Entwicklung in der Geschichte und logischer Gleichzeitigkeit. Im weiteren Sinne erstreckt sich dies auf den Umstand, dass Hegels Sätze prinzipiell wiederholt gelesen und kontextualisiert werden müssen – es ist relevant, wessen Perspektive dort artikuliert wird, und der einzelne Satz wird nur durch den systematischen Zusammenhang aussagekräftig.351 Formen der sprachlichen und narrativen Inszenierung sind vor allem für das Projekt der Phänomenologie relevant, weil es hier um das individuelle Bewusstsein und seine Auseinandersetzung mit dem erscheinenden Wissen geht.352 Hegels Darstellung ist daher zu großen Teilen eine Darstellung von Schein. Wir befinden uns damit als Leser:innen zwar offiziell auf der Seite der Philosoph:innen, was aber keinesfalls garantiert, dass wir uns nicht selbst immer wieder in den Scheinverhältnissen des 350 Vgl. z.B. PhG, 235, 562. Aus der Bedeutung des »Insichgehens« ergibt sich auch die Relevanz des Bösen, das paradigmatisch für diese Figur steht. Zur strukturellen Relevanz dieser Bewegung schreibt Hegel in der Logik: »Der Begriff in der absoluten Methode erhält sich in seinem Anderssein, das Allgemeine in seiner Besonderung, in dem Urteile und der Realität; es erhebt auf jede Stufe weiterer Bestimmung die ganze Masse seines vorhergehenden Inhalts und verliert durch sein dialektisches Fortgehen nicht nur nichts, noch lässt es etwas dahinten, sondern trägt alles Erworbene mit sich und bereichert und verdichtet sich in sich. Diese Erweiterung kann als das Moment des Inhalts und im ganzen als die erste Prämisse angesehen werden; das Allgemeine ist dem Reichtum des Inhalts mitgeteilt, unmittelbar in ihm erhalten. Aber das Verhältnis hat auch die zweite, negative oder dialektische Seite. Die Bereicherung geht an der Notwendigkeit des Begriffes fort, sie ist von ihm gehalten, und jede Bestimmung ist eine Reflexion-in-sich. Jede neue Stufe des Außer sich gehens, d.h. der weiteren Bestimmung, ist auch ein Insichgehen, und die größere Ausdehnung [ist] ebensosehr höhere Intensität. Das Reichste ist daher das Konkreteste und Subjektivste, und das sich in die einfachste Tiefe Zurücknehmende das Mächtigste und Übergreifendste. Die höchste, zugeschärfteste Spitze ist die reine Persönlichkeit, die allein durch die absolute Dialektik, die ihre Natur ist, ebensosehr alles in sich befasst und hält, weil sie sich zum Freisten macht, – zur Einfachheit, welche die erste Unmittelbarkeit und Allgemeinheit ist.« (WL2, 569f.). 351 Zur Ambiguität der Kopula, vgl. Butler, »Vindicating Ambiguity: A Study of the ›is‹ in Hegel’s Logic [1981]«. 352 Vgl. Butler, Subjects of Desire, 19.

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Bewusstseins verfangen – die letztlich ja auch die unseren, oder uns zumindest keinesfalls völlig unbekannt sind. Auch geht es Hegel dabei gerade darum, den Schein zu qualifizieren, also herauszustellen, inwiefern in den jeweiligen Wissensansprüchen wirkliches Wissen erscheint und wo sich im Unterschied dazu das Bewusstsein täuscht. Vor diesem Hintergrund lassen sich folgende (miteinander verbundene) Hauptmomente der Sprache Hegels beschreiben: (1) Hegel versucht (wie bereits angedeutet) nicht, Eindeutigkeit der Worte herzustellen, sondern er erlaubt Ambiguität. Die Entwicklung der Phänomenologie verläuft auf drei Ebenen und enthält mehrere Perspektiven: individuelles Bewusstsein, historischer Geist und Begriff.353 Unmittelbar verbunden mit dem Aufbau der Phänomenologie in mehrere Ebenen und Perspektiven ist das Wissensgefälle zwischen Bewusstsein und Phänomenolog:innen. Wir beobachten die Umkehrung des Bewusstseins, sein Vergessen, seine Einseitigkeit, seine Selbst-Opazität und können die Ironie seiner Situation erkennen. Ambiguität als Gegenmoment zur Einseitigkeit des Bewusstseins ist aber nicht einfach Vieldeutigkeit (die von Hegel gerade kritisiert wird), sondern Entgegensetzung und Spannung. (2) Das Bewusstsein scheitert an seinen Weltbildern, das heißt an ihm bekannten Vorstellungen, deren Scheinmomente, es nicht durchschaut. Die Konfrontation mit Undurchsichtigem ist aber auch für die Entwicklung des Geistes selbst entscheidend, denn momentane Einseitigkeit ist wesentliches Moment von Bestimmtheit überhaupt. Hegel arbeitet daher gezielt mit Bildern, wobei das Bildliche kein Selbstzweck ist, sondern in Bezug auf Abstraktion gedacht und auch sprachlich in Kombination mit dem Abstrakten umgesetzt wird. (3) Hier schließt das Moment der Bedeutungstransformation an, der Entfremdung von der Sprache, die durch Konstellationen angestoßen wird, die unbemerkte Bedeutungsschichten hervortreten lassen. Dies dient dem Abbau einseitiger Vorstellungen und damit der Begriffsbildung. (1) Der Zusammenhang von Ambiguität und Perspektivität ergibt sich daraus, dass Hegel berücksichtigt, für wen diese Ambiguität erkennbar ist. Das zeigt sich im Zusammenhang mit der Umkehrung des Bewusstseins: Wie die Umkehrung des Bewusstseins, ist die Inversion in der tragischen Ironie nur für die Zuschauer:innen erkenbar. Die Erkenntnis der tragischen Ironie entfaltet sich zwischen der:dem Autor:in des Stücks und den wissenden Zuschauer:innen. Die Zuschauer:innen können beim Zusehen die Fäden des Stücks in der Hand halten, weil sie mehr wissen als die Figuren. Deshalb können sie auch feststellen, wenn diese nicht wissen, was sie sagen oder tun.354 Ein ähnliches Moment lässt sich auch in der Struktur des Bildungsromans feststellen. Hegel greift diese 353 Vgl. Zantvoort, »Inertia in Hegel’s Phenomenology of Spirit«. 354 So schreibt Christoph Menke: »Poet and spectator see the action not from the perspective of the hero of the action, but rather from above or outside.

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tragische Erfahrung in »Lust und Notwendigkeit« auf, wenn das Bewusstsein den Doppelsinn erfährt: »es nahm das Leben, aber vielmehr ergriff es damit den Tod«.355 Die tragische Ironie des Bewusstseins gehört also zur Struktur des Textes. Die Phänomenologie arbeitet mit einem Wissensgefälle. Das Bewusstsein macht seine Erfahrungen aufgrund seines beschränkten Wissens und seines konstanten Vergessens. Wir sehen zu und begreifen. Aber als begreifende Zuschauer:innen sind wir immer auch aktiv. Das begriffene Anschauen des absoluten Wissens kann auch als das Begreifen des reinen Zusehens aus der Einleitung verstanden werden, also als Begreifen der Darstellungslogik der Phänomenologie. Damit rückt der theatrale Aspekt der Darstellung in den Vordergrund: Wissensansprüche treten – verkörpert als Bewusstseinsgestalten – auf und scheitern. Das Wissensgefälle zu verschiedenen Aussagen wird durch die Rahmung von Vorgängen und Erfahrungen des Bewusstseins thematisiert – oder auch durch die Rahmung einzelner Sätze. (2) Hegel verwendet nicht nur Bilder, sondern bezeichnet die Phänomenologie als »Galerie von Bildern«.356 Im Bild erscheint etwas, das nicht wiederum bildhaft ist. Wesentlich für die Darstellung der Phänomenologie ist also die Überlagerung zweier Bedeutungsebenen (damit schließt dieses Moment auch an die allgemeine Offenheit für Ambiguität an). John Smith schreibt dazu: The Bild, like a metaphor, receives its expressive power by presenting two levels of signification simultaneously and by transferring meaning from one to the other in order to grant the abstract level a ›visual‹ dimension. As such, the Bild corresponds to the task Hegel refers to in the Preface as the goal of modern Bildung, namely, the labor of ›reali­ zing and inspiring (verwirklichen und begeisten) the universal by dissolving firm, particular determinations of thought‹. […W]e thus arrive at an initial conception of the rhetorical Bildung of the Phenomenology. It presents us with a new form of philosophical elocutio, both a theory and practice of figurative expression, which Hegel characterizes, fully in keeping with traditional rhetoric, as Bild.357 And in this way alone do they see the tragic-ironic logic of the inversion to which the hero of the action is exposed.« Menke, Tragic Play, 48. 355 PhG, 274. Vgl. zur Ironie im Bidlungsroman Koschorke, »Identifikation und Ironie. Zur Zeitform des Erzählens in Goethes Wilhelm Meister«. Zur tragischen Blindheit des Bewusstseins vgl. Butler, Subjects of Desire, 21. Den Doppelsinn bezeichnet Günter Wohlfart als »Schibboleth der spekulativen Philosophie«; Wohlfart, Der spekulative Satz, 120. 356 PhG, 590. Das Auseinandertreten des Geistes in Bildern, Vorstellungen und Sprache ist das Schaffen von Welt; vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 95. 357 Smith, The Spirit and its Letter, 178. Smith bezieht sich auf PhG, 37. Seine Überlegungen folgen denen Derridas zur Metapher im philosophischen

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Hegel bleibt nicht bei einer bloßen Feststellung dieser Eigenschaften des Bildes stehen, sondern zieht, wie Smith deutlich macht, praktische Konsequenzen für seine eigene philosophische Darstellungsform. In seiner Rekonstruktion greift Smith auch auf eine Passage aus den Ästhetik-Vorlesungen zurück. Wie Hegel dort formuliert, kann das Bild einen ganzen Verlauf von Zuständen, Tätigkeiten, Hervorbringungen, Weisen der Existenz usf. zu seiner Bedeutung haben und dieselbe durch den ähnlichen Verlauf aus einem selbständigen, aber verwandten Kreise veranschaulichen, ohne die Bedeutung als solche innerhalb des Bildes selbst zur Sprache zu bringen.358

Das Bild deutet also auf etwas hin. Diese Trennung von Darstellung und Bedeutung ist für die Entwicklung des Geistes wesentlich. Gleichermaßen ist aber entscheidend, dass das Absolute für Hegel letztlich nicht Bedeutung, sondern Wirklichkeit ist. Hegel versteht das Be-deutete als etwas, auf das man hindeutet. Die Bedeutung (das Signifikat) ist also konstitutiv abwesend. Der Zusammenhang von Bildlichkeit und Abwesenheit des Absoluten bildet das zentrale Moment des Übergangs vom religiösen Modus der Vorstellung (im Englischen üblicherweise als picture thinking übersetzt) zum begrifflichen Denken.359 Das Bild wird von Hegel also auf eine theoretische Funktion hin kanalisiert, nämlich um das Moment des Erscheinens im Anderen darzustellen.360 Es zeigt sich, dass Formen der künstlerischen oder Text in Derrida, »Die weiße Mythologie. Die Metapher im philosophischen Text«. 358 TWA13, 524 359 Vgl. PhG, 558: »Allein der Geist ist dies, nicht Bedeutung, nicht das Innere, sondern das Wirkliche zu sein.« Da es Wirkliches ist, ist das Absolute bei Hegel eines, das wesentlich in einen absoluten Unterschied zu sich selbst tritt und anders wird: »Das einfache ewige Wesen daher würde nur dem leeren Worte nach Geist sein, wenn es bei der Vorstellung und dem Ausdrucke des einfachen ewigen Wesens bliebe. Das einfache Wesen aber, weil es die Abstraktion ist, ist in der Tat das Negative an sich selbst, und zwar die Negativität des Denkens oder sie, wie sie im Wesen an sich ist; d. h. es ist der absolute Unterschied von sich oder sein reines Anderswerden.« (558f.). An diesem Punkt grenzt sich Hegel auch klar von der romantischen Position Friedrich Schlegels ab, für den das Absolute wesentlich nur allegorisch zugänglich werden kann – als ein aber letztlich sich nur in seiner Abwesenheit andeutendes. 360 Vgl. TWA13, 520f.: »Was endlich den Zweck und das Interesse des Metaphorischen angeht, so ist das eigentliche Wort ein für sich verständlicher Ausdruck, die Metapher ein anderer, und es lässt sich daher fragen: weshalb dieser gedoppelte Ausdruck oder, was dasselbe ist, weshalb das Metaphorische, das in sich selbst diese Zweiheit ist? [...] Als Sinn und Zweck der metaphorischen Diktion überhaupt ist deshalb, wie wir noch bei der

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poetischen Sprache, die (einem Paradigma des »Verstandes« entsprechend) häufig aus der Wissenschaft ausgeschlossen werden, gerade ein wesentliches Moment der Sprache sind, in der Hegel den Weg zur Wissenschaft darstellt. Daher sind Hegels Kritik der Vorstellung und seine eigene Arbeit mit Vorstellungen als Momenten der Gedankenund Begriffsentwicklung gleichermaßen zu betonen. Momente an der Schwelle der Vernunft, wie etwa die »Ideenassoziation« tragen dabei wesentlich zur Entwicklung des Geistes bei.361 Wie Smith herausarbeitet, kann die bildliche, metaphorische Darstellungsweise bei Hegel als zentrale Konsequenz aus der für den Geist bestehenden Notwendigkeit zur (Selbst-)Darstellung und damit zur Entzweiung und Verdopplung verstanden werden.362 Gerade dieses Moment der Dopplung ist Vergleichung näher werden auszuführen haben, das Bedürfnis und die Macht des Geistes und Gemüts anzusehen, die sich nicht mit dem Einfachen, Gewohnten, Schlichten befriedigen, sondern sich darüberstellen, um zu Anderem fortzugehen, bei Verschiedenem zu verweilen und Zwiefaches in eins zu fügen. Dies Verbinden hat selbst wieder einen mehrfachen Grund.« Dieser mehrfache Grund enthält Hegel zufolge die Verstärkung des Ausdrucks, die schwelgerische Lust und Phantasie und – von ihm an zweiter Stelle angeführt, ohne allerdings einen Obertitel zu nennen – die Spannung zwischen Innerlichkeit und äußerem Dasein des Geistes: »Ein zweiter Grund für das Metaphorische liegt darin, dass der Geist, wenn ihn seine innere Bewegung in die Anschauung verwandter Gegenstände vertieft, sich zugleich von der Äußerlichkeit derselben befreien will, insofern er sich im Äußeren sucht, es begeistigt und nun, indem er sich und seine Leidenschaft zur Schönheit gestaltet, auch seine Erhebung darüber zur Darstellung zu bringen die Kraft beweist.« (TWA13, 522). Die Bedeutung der Dopplung im Moment des Bildes wird bei John Smith ausführlich nachgezeichnet; vgl. besonders Smith, The Spirit and its Letter, 180f. 361 Vgl. TWA4, 47 sowie JS3, 173 (= GW8, 187). Hegel sieht dieses Moment zwar selbst kritisch – die Wissenschaft ist aber möglicherweise auf sprachliche Momente angewiesen, die nicht selbst im vollen Sinne wissenschaftlich sind. So hat z.B. Adorno darauf aufmerksam gemacht, dass die Kategorien von Kunst und Wissenschaft sich überschneiden und in einem Spannungsverhältnis befinden, woraus aber nicht zu schließen ist, dass dieser Unterschied einfach zu übergehen wäre; vgl. Adorno, Ästhetische Theorie, 344. Bertram argumentiert, dass ein solcher »künstlerischer« Sprachgebrauch sich nicht parasitär gegenüber einem »normalen« Sprachgebrauch verhält, sondern dass es der Sprache wesentlich ist, dass sie künstlerisch gebraucht werden kann, d.h., dass sie sich in bestimmten Gebrauchsweisen selbst darstellen kann; vgl. Bertram, »Sprachphilosophie und Ästhetik«. Eine solche gedankliche Linie scheint auch das Religionskapitel der Phänomenologie zu unterstützen. 362 Vgl. PhG, 23: »Die lebendige Substanz ist ferner das Sein, welches in Wahrheit Subjekt oder, was dasselbe heißt, welches in Wahrheit wirklich ist, nur

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für Hegels Sprache wesentlich: Sie ist entscheidender Weise nicht unmittelbar bildhaft, sondern arbeitet mit einer theoretisch fundierten Bildhaftigkeit. Hegel lässt in einem Bild etwas anderes – ideelles – erscheinen, das zugleich nicht eigentlich darin sichtbar ist (weil Ideelles prinzipiell nicht gesehen werden kann); insofern eine solche Versinnlichung in der Sprache stattfindet, bezeichnet Hegel sie auch als sichtbare Unsichtbarkeit.363 Durch Verdopplung macht sich der Geist also ein Bild bzw. Bilder von sich selbst. Dieser Schritt ist zwar notwendig, aber nicht unproblematisch, denn die sinnliche Vorstellung des Spekulativen bringt zufällige Aspekte hinein. So ist das Verständnis des Absoluten als »Herr« für Hegel nicht nur in sozialer Hinsicht problematisch, sondern vor allem auch aufgrund der bildlichen Form. Auf beiden Ebenen wird Zufälliges und Notwendiges vermischt. Das Anerkennen kann daher auch als ein anfängliches Erkennen verstanden werden, das sich zunächst aber noch in Formen bewegt, die ihm insofern sie die Bewegung des Sichselbstsetzens oder die Vermittlung des Sichanderswerdens mit sich selbst ist. Sie ist als Subjekt die reine einfache Negativität, eben dadurch die Entzweiung des Einfachen; oder die entgegensetzende Verdopplung, welche wieder die Negation dieser gleichgültigen Verschiedenheit und ihres Gegensatzes ist: nur diese sich wiederherstellende Gleichheit oder die Reflexion im Anderssein in sich selbst – nicht eine ursprüngliche Einheit als solche oder unmittelbare als solche – ist das Wahre.« 363 PhG, 244. Smith schreibt dazu: »We thus see that Hegel’s characterization of the Phenomenology as a Galerie von Bildern, when placed against the background of his own later statements on figurative language and of the rhetorical tradition of elocutio, refers to more than the appearance of individual metaphorical expressions, as mere illustrations, in philosophy. Rather, the metaphoricity, the Bildlichkeit, of the Phenomenology refers to the rhetorical formation of the text as a whole, to the very mode of presenting the Spirit’s development in varying guises and expressions. This presentation is justified by the Spirit’s inherent drive to doubling and self-representation. The Spirit expresses itself in a letter, so to speak, that is not properly its own. This double expression (dieser doppelte Ausdruck), according to both Hegel and traditional rhetorical theory, functions as the only means for the Spirit and the writer-reader of its history to attain knowledge.« Smith, The Spirit and its Letter, 182. »dieser gedoppelte Ausdruck« bezieht sich auf Hegels Ästhetik (TWA13, 520; vgl. o.): »Weshalb dieser gedoppelte Ausdruck oder, was dasselbe ist, weshalb das Metaphorische, das in sich selbst diese Zweiheit ist?« Es fällt auf, dass Hegel durch das »oder, was dasselbe ist« eine weitere Dopplung einführt, um das Metaphorische durch eine zweite Formulierung der gleichen Sache kenntlich zu machen. Vgl. auch Smith, 256–58 sowie 115 zur Technik der Überlagerung in Hegels Frühschriften sowie PhG, 94 zur gedoppelten Bedeutung von »aufheben«.

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letztlich nicht klar werden – wie etwa der allegorischen Vorstellung von Herr und Knecht.364 (3) Hegel arbeitet mit Bedeutungsverschiebungen bzw. -transformationen. Diese Strategie kann auch als Reaktion auf die Begrenztheit einzelner Vorstellungen verstanden werden und beruht auf einer Technik, die einerseits die Elemente eines Wortes als zusätzliche 364 Vgl. TWA17, 66: »Der endliche Geist ist wesentlich Bewusstsein; Gott muss also Gegenstand des Bewusstseins als des Wesens sein. Dies ist, dass er anerkannt, gepriesen werde. Die Ehre Gottes ist zunächst sein Zweck. Der Reflex Gottes im Selbstbewusstsein überhaupt ist noch nicht erkannt; Gott wird nur anerkannt. Sollte er auch wirklich erkannt werden, so gehörte dazu, dass er als Geist Unterschiede in sich gesetzt hätte; hier hat er noch die gesehenen abstrakten Bestimmungen.« Man sieht hier also deutlich, dass die allegorische Sprache der Phänomenologie mit der Absicht eingesetzt wird, die Leser:innen in das Verhältnis zu versetzen, das das Bewusstsein zum Absoluten einnimmt. Die Allegorie ist Teil der fehlerhaften Modellierung des Absoluten durch das Bewusstsein und man versteht den Text der Phänomenologie daher nicht, wenn Allegorien einfach durch das ersetzt werden, was sie vermeintlich wirklich bedeuten, wie etwa Robert Brandom und John McDowell in ihren Interpretationen vorschlagen; vgl. dazu etwa Brandoms laufende Bemerkungen zum Allegorischen in A Spirit of Trust sowie McDowell, »The Apperceptive I and the Empirical Self: Towards a Heterodox Reading of ›Lordship and Bondage‹ in Hegel’s ›Phenomenology‹«. Eine Kritik dieses Ansatzes findet sich in Gabriel, »Hegels Begriff der Vorstellung und das Form-Inhalt-Problem«. Vgl. zu diesem Thema Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 187 und Wohlfart, Der spekulative Satz, 106. Das Moment des Zufälligen kritisiert Hegel auch an Platons mythischen Darstellungen. Entsprechend lobt er in der Phänomenologie den abstrakten Dialog Parmenides (PhG, 66; vgl. auch TWA19, 26–31). Auch in den Vorlesungen über die Philosophie der Religion taucht dieses Thema auf: »Diese bekannte Darstellung, wie das Böse in die Welt gekommen, ist in die Form eines Mythus, einer Parabel gleichsam eingekleidet. Wenn nun das Spekulative, das Wahrhafte so in sinnlicher Gestaltung, in der Weise vom Geschehensein dargestellt wird, so kann es nicht fehlen, dass unpassende Züge darin vorkommen. So geschieht es auch bei Platon, wenn er bildlich von den Ideen spricht, dass ein unangemessenes Verhältnis zum Vorschein kommt.« (TWA17, 75). Vgl. ebd., 76f.: »Das ist das Mangelhafte in dieser bildlichen Vorstellung, dass diese Einheit als unmittelbar seiender Zustand dargestellt wird; aus diesem Zustande der ursprünglichen Natürlichkeit muss herausgegangen werden, aber die Trennung, welche dann entsteht, soll auch wieder zur Versöhnung kommen: dieses Versöhntwerden stellt sich hier so vor, dass jener erste Zustand nicht hätte übertreten werden sollen. – In der ganzen bildlichen Darstellung ist das, was innerlich ist, als äußerlich, was notwendig, als zufällig ausgesprochen.« Vgl. dazu auch die klassische Studie zum Zufälligen bei Hegel von Dieter Henrich, »Hegels Theorie über den Zufall«.

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Bedeutungsträger ins Spiel bringt und andererseits die Bedeutungsspektren der Worte durch den Aufbau von Konstellationen reguliert. Auf diese Weise wird die Sprache konkret: Bedeutungselemente wachsen gerade dadurch zu begriffenen Konstruktionen zusammen, dass auf ihre Teilbedeutungen verwiesen wird.365 Ein Beispiel ist der Begriff der Entäußerung. Dieser Begriff wird nicht nur aus einer Übersetzung – Luthers Bibelübersetzung – gewonnen, von der er einerseits eine historische Dimension und andererseits eine Verbindung zu anderen Begriffsbereichen erhält. Er wird ferner von Hegel verdoppelt, so dass »entäußern« sowohl einen Schritt in die Äußerlichkeit als auch ein Wieder-Aufheben der Äußerlichkeit, also eine Bewegung der EntÄußerung markiert. Der Begriff enthält noch eine zweite Dopplung, insofern die Entäußerung des Allgemeinen seine Besonderung ist, die Entäußerung des einzelnen Individuums aber sein Allgemein-Werden. Der Begriff hat also die Struktur eines Chiasmus. Die verallgemeinernde Entäußerung beschreibt Hegel in einer Reihe säkularer Aktivitäten wie etwa Arbeiten und Sprechen. Seine Verallgemeinerung bedeutet für das Bewusstsein zunächst ein Sich-Verlieren im Allgemeinen; dies wird durch das Individuum der Bildung als Vergesellschaftung seiner Person erfahren, und damit als die oben angeführte Gewalt der Objektivität über das Subjekt.366 Man kann anhand des Entäußerungsbegriffs beobachten, wie Hegel die verschiedenen Vorstellungen, die das Spektrum der Bedeutung von Entäußerung beinhaltet, in der Phänomenologie sukzessive ins Spiel bringt und damit einen begrifflichen Gehalt generiert, also Begriffsbildung betreibt. Der so erzeugte Gehalt ist für das Projekt der Phänomenologie entscheidend, denn der Begriff der Entäußerung beschreibt in den Schlusspassagen der Phänomenologie das Werden des Geistes in Natur und Geschichte. Der »Doppelprozess« der Entäußerung als Verallgemeinerung des Einzelnen und Besonderung des Allgemeinen wird zum ersten Mal im Kapitel zur offenbaren Religion auch als eben solche »gegenseitige Entäußerung« gekennzeichnet.367 Die Einheit dieses Doppelprozesses erschließt sich dem Bewusstsein also nicht sofort, 365 Zur Bedeutung der Konstellationsbildung in diesem Kontext vgl. Martin, »Semantische Bestimmtheit«. 366 Vgl. dazu Habermas, »Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser ›Philosophie des Geistes‹«. Zum Chiasmus vgl. Wilkinson und Willoughby, Schillers Ästhetische Erziehung des Menschen, 76. 367 PhG, 550; Karl Rosenkranz schreibt dazu: »Hegel hat in der Phänomenologie beständig theils die Entäußerung der Substanz zum Subject, theils die Entäußerung des Subjects zur Substanz gezeigt, so daß die Wahrheit die Einheit dieses Doppelprocesses ist, ohne welchen das Absolute allerdings einsam wäre.« Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, 211.

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sondern es erfährt zunächst Teilaspekte dieses Begriffs, der sich so im Laufe der Phänomenologie anreichert und dabei eine zunehmend komplexe Struktur erlangt, bis er die rein formale Bedeutung eines AußerSich-Kommens erreicht. Die unterschiedlichen Bedeutungsebenen, die der Begriff der Entäußerung bündelt, ermöglichen dabei völlig entgegengesetzte Lesarten, was wiederum ein strukturelles Merkmal dieses Begriffs ist. Textchronologisch geordnet erscheint Entäußerung als: – der Verzicht auf die eigene Entscheidung bzw. den eigenen Entschluss, und das Aufgeben des Eigentumes und Genusses368 – das Treiben eines unverstandenen Geschäftes369 – das Machen eines Gegensatzes oder das Erzeugen eines »Anderen« als Kontrast oder Anschauungsmaterial370 – das Opfern des einzelnen Seins zugunsten des Allgemeinen durch gesellschaftliche Handlungen wie den Dienst für die vorhandene Macht und die Abgabe von Besitz bzw. das sich Versagen von Genüssen aus eigenem Antrieb371 – der Tod sowie ein Opfer, das ebenso »vollkommen« ist, wie der Tod372 – das »Verschwinden dieses Ichs« im Sprechen373 – das (wortwörtlich) Irgendwie-Nach-Außen-Bringen einer »inneren Gewissheit«374 – »sich zum Dinge zu machen und das Sein zu ertragen«375 – das versöhnende Ja, das Erscheinen Gottes und die Ausdehnung des Ichs376 Auffällig ist, dass Entäußerung bis zum Abschluss des Geistkapitels (im versöhnenden Ja) durchgängig als Entäußerung des Einzelnen zum Allgemeinen erscheint. Erst im versöhnenden Ja wird die Richtung umgekehrt, was dann ab dem Religionskapitel beibehalten wird, bevor Hegel explizit auf die doppelte Richtung der Entäußerung hinweist. Entäußerung erscheint ferner als:

368 PhG, 175f. 369 Ebd. 370 PhG, 257, 491 371 PhG, 373 372 PhG, 375 373 PhG, 376 374 PhG, 379 375 PhG, 483 376 PhG, 494

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– die Offenbarung Gottes als eines allgemeinen Gegenstandes, als reines Ich, das als allgemeiner Gegenstand zugleich die Gewissheit seiner selbst ist377 – das Körperlich-Werden des Geistes378 – »gegenseitige Entäußerung«, in der »die Wirklichkeit oder das Selbstbewusstsein und das Ansich als die Substanz [...] jedes zum anderen« werden379 – die Fleischwerdung des göttlichen Wesens380 – ein notwendiges Moment des Begriffs381 – der Übergang des Geistes in die Natur382 Hegel arbeitet sich also durch die Bedeutungsschichten des Wortes und formt so einen Begriff, der sich als zeitlich ausgedehnte Geschichte und als archäologische (räumliche) Ablagerung, also als ein Ge-schichte, von Bedeutungen zeigt.383 Schließlich ist der Begriff der Entäußerung bzw. die Bewegung, die er beschreibt auch in inhaltlicher Hinsicht für unsere Untersuchung wichtig, weil Hegel ihn als Element seiner Theorie der Sprache heranzieht – wie die Liste zeigt, wird auch das Sprechen als Entäußerung verstanden. Charakteristisch für Hegels Umgang mit der Sprache ist, dass diese Entwicklung der Begriffsbildung von Hegel völlig implizit gehalten wird. Gerade dieses Implizit-Halten ist eine Arbeit mit den Erscheinungen bzw. mit dem Schein als Schein. Dies ist ein Arbeiten mit Belichtung und Schattierungen bzw. mit dem Grad der (In-) Transparenz.384 Dass Hegels Darstellung mit unterschiedlichen Schichten der Transparenz arbeitet, zeigt sich auch daran, wie er in der »Selbstanzeige« 377 PhG, 505 378 PhG, 528 379 PhG, 550 380 PhG, 566 381 PhG, 565 382 PhG, 590 383 Vgl. Forster, Hegels Idea, 355. Dass Bedeutungstransformation und -Verschiebung wesentliche Momente von Hegels dialektischem Denken darstellen, hat auch Angelica Nuzzo unterstreichen; vgl. Nuzzo, »The Language of Hegel’s Speculative Philosophy«, v.a. 87. Vgl. dazu ebenfalls Fulda, »Hegels Dialektik als Begriffsbewegung und Darstellungsweise«. Auffällig ist, dass die hier am Begriff der Entäußerung aufgezeigten Bedeutungsvariationen den Parametern entsprechen, mit denen Sprachwandel im Allgemeinen beschrieben wird, wie etwa Bedeutungsverengung, -erweiterung, -verschiebung, -verschlechterung und -verbesserung; vgl. dazu Stedje, Deutsche Sprache gestern und heute, 28f. 384 Zum Verhältnis von Licht und Finsternis vgl. WL1, 96. Auch die Logik insgesamt bezeichnet Hegel als »Schattenreich« (WL1, 55).

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die Phänomenologie im »Intelligenzblatt der Jenaer Allgemeinen Literatur-Zeitung« ankündigt. Dort hat Hegel deutlich gemacht, was für ihn an dem Projekt zentral ist, aus welcher Richtung die Leser:innen sich diesem Buch nähern sollen und welche Erwartungen sie daran stellen dürfen. Die Phänomenologie »stellt das werdende Wissen dar.« Daraus folgt ihre Doppelfunktion, einerseits »Vorbereitung zur Wissenschaft aus einem Gesichtspunkte« und andererseits »die erste Wissenschaft der Philosophie« zu sein.385 Die Phänomenologie ist die Wissenschaft der Erscheinungsformen des Geistes. Damit referiert Hegel hier nicht den Titel, sondern nennt die phänomenologische Erklärung als einen Modus der Wissenschaft.386 Diese besteht darin, die verschiedenen Gestalten des Geistes als dessen Weg zum reinen Wissen bzw. zum absolutem Geist zu beschreiben. Dabei ist es für ihn von Bedeutung, dass sich der »Reichtum der Erscheinungen des Geistes« auf den ersten Blick als »Chaos« darbietet. Wie Hegel ausführt, ist tatsächlich dieses Chaos schon in eine »wissenschaftliche Ordnung« gebracht, die eben die Verbindungen der Erscheinungsformen (die Übergänge) aufzeigt sowie ihre notwendige Progression auf immer »höhere« Stufen der Wahrheit, deren Resultat schließlich die eigentliche Wissenschaft ist. Dem kann man entnehmen, dass die Diskrepanz von Chaos und Ordnung selbst systembildend ist. Der Gang der Phänomenologie ist insofern synthetisch, als die Leser:innen die Wissenschaft nicht einfach hingestellt bekommen, sondern den Weg zu ihr selbst gehen müssen. Ordnung entsteht wesentlich aus dem (vermeintlichen) Chaos der Erscheinungen heraus, die eben das sind, was darin geordnet wird. Die Phänomenologie beschreibt also eine Übersetzung von Chaos und Ordnung, was durchaus einerseits als Transfer und andererseits auch als Überlagerung oder Schichtung beider Momente gesehen werden kann. Wie am deutlichsten im Kapitel über Kraft und Verstand thematisiert wird, ist jede ordnende wissenschaftliche Erklärung eine Reduktion des phänomenalen Bereichs, den sie erklären will. Ferner versteht man diese reduktive Erklärung wiederum nur durch ihren Bezug auf das zu erklärende Phänomen. Gesetz und Phänomen sind daher niemals identisch, außer im Falle einer tautologischen Erklärung – bei der aber die Komplexitätsreduktion, die wir von wissenschaftlichen Ordnungsmodellen erwarten, wegfällt. Darin liegt eine inhärente Schwäche von Modellen überhaupt: Da sie dem Zweck der Komplexitätsreduktion dienen, sind sie konstitutiv unterkomplex. Entsprechend wird das absolute Wissen auch nicht ein weiteres Modell der »Realität« sein, 385 Die Selbstanzeige ist abgedruckt in PhG, 593. 386 Wie durch den nicht kursiven Druck gekennzeichnet wird (vgl. auch GW9, 446).

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sondern Wissenschaft als Fähigkeit zur Modellbildung und -transformation begreifen. 387 Der Geist ist die Bewegung, durch die er sich selbst hervorbringt.388 Diese Form steht in einem drastischen Konflikt mit der Art und Weise, wie wir unser sprachliches Vorgehen in der Regel verstehen, nämlich als Anwendung eines vorhandenen Vokabulars zur Beschreibung von Gegenständen und Gedanken, die unabhängig von diesem Vokabular bestehen. Hegels Verständnis von Sprache läuft im Gegenteil darauf hinaus, dass unsere sprachlichen Ausdrucksmittel unser Denken erst ermöglichen, dadurch aber auch begrenzen.389 Hegels ungewöhnlicher sprachlicher Gestus hat gerade das Ziel, die Sprache selbst als Bedingung der Darstellung des Geistes für die Leser:innen zum Problem zu machen.390 Hegel ist sich jedoch bewusst, dass ihm dazu keine Metaebene 387 Vgl. z.B. PhG, 110, 132. Den Gedanken, dass sich der Bereich des Phänomenalen, der Reichtum der Welt, zunächst als Chaos zeigt, das vom denkenden Geist durchdrungen werden muss, hat Hegel auch an einer prominenten Stelle der Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte geäußert. Es ist wesentlich für den Geist, dass er etwas in den Erscheinungen – d.h. auch in der Sprache – erkennt, das nicht unmittelbar sichtbar ist: »Wer die Welt vernünftig ansieht, den sieht sie auch vernünftig an; beides ist in Wechselbestimmung. Wenn man sagt, der Zweck der Welt soll aus der Wahrnehmung hervorgehen, so hat das seine Richtigkeit. Um aber das Allgemeine, das Vernünftige zu erkennen, muss man die Vernunft mitbringen. Die Gegenstände sind Reizmittel für das Nachdenken; sonst findet man es in der Welt so, wie man sie betrachtet. Geht man nur mit Subjektivität an die Welt, dann wird man es so finden, wie man selbst beschaffen ist, man wird überall alles besser wissen, sehen, wie es habe gemacht werden müssen, wie es hätte gehen sollen. Der große Inhalt der Weltgeschichte ist aber vernünftig und muss vernünftig sein; ein göttlicher Wille herrscht mächtig in der Welt und ist nicht so ohnmächtig, um nicht den großen Inhalt zu bestimmen. Dieses Substanzielle zu erkennen, muss unser Zweck sein; und das zu erkennen muss man das Bewusstsein der Vernunft mitbringen, keine physischen Augen, keinen endlichen Verstand, sondern das Auge des Begriffs, der Vernunft, das die Oberfläche durchdringt und sich durch die Mannigfaltigkeit des bunten Gewühls der Begebenheiten hindurchringt.« (PhWG, 31f.). Vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 137. Zum Begriff des Chaos vgl. Manfred Frank, Das Problem »Zeit« in der deutschen Romantik, 28, 34. 388 Vgl. TWA6, 551, 565 389 Vgl. Forster, »Hegel on Language«, 150f. 390 In der Konsequenz bedeutet das, dass jedes Formelement als in dieser Weise von Hegel intendiert zu lesen ist und damit der oft geäußerte Vorwurf zurückgewiesen wird, Hegel hätte sich prinzipiell klarer ausdrücken können und sollen. Damit wird keinesfalls behauptet, dass Hegels Formulierungen an jeder Stelle gelungen sind.

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zur Verfügung steht, auf der er uns über dieses Problem aufklären könnte, und die nicht ihrerseits immer schon durch die (natürliche) Sprache kon­ stituiert wäre. Die Phänomenologie muss daher gleichzeitig mit ihrem Inhalt die Bedingungen vermitteln, unter denen dieser verstanden und überhaupt ausgedrückt werden kann. Diese doppelte Aufgabe erfordert nichts weniger als eine Transformation der vorgefundenen Sprache, an der das Denken »klebt«, wie Herder sagt.391 Diese Transformation der Sprache findet aber wesentlich auf der Ebene des Sprachverständnisses statt: Hegel schlägt kein alternatives Vokabular vor. Die »Sprache des Begriffs« ist nur begriffene Sprache. Wesentliches Ziel der Phänomenologie ist daher erstens die Diagnose und zweitens das Überwinden sprachlicher Konventionen. Hegel versucht, durch sprachliche Mittel immer wieder eine neue Ablösung, eine Entfremdung vom bestehenden sprachlichen Ausdruck zu erreichen, an deren Ziel letztlich sein spekulatives Sprachverständnis steht. Die Phänomenologie wird dann nicht als äußere Beschreibung, sondern als eine paradigmatische Instanz des Geistes verstanden. Sie ist eine Hervorbringung des Geistes erstens, insofern sie Akt und Produkt geistiger Tätigkeit ist und zweitens, insofern sie diese Tätigkeit begrifflich darstellt, und darin ihrerseits den Geist hervorbringt.

5. Fazit Sprache enthält ein Moment der Intransparenz. Das verhindert Hegels Theorie zufolge aber nicht, dass Sprache prinzipiell offen für die Wahrheit ist bzw. es führt nicht dazu, dass sich die Wahrheit prinzipiell ihrer sprachlichen Artikulation entzieht.392 Lokal müssen aber die sprachlichen Formen immer wieder geprüft werden. Ohne diese Voraussetzung würde die Phänomenologie gar nicht über die sinnliche Gewissheit hi­ nauskommen (und auch die Einleitung macht schon klar, dass es nur darum gehen kann, den Begriff zu geben und nicht etwa Worte wie »Wahrheit« nicht mehr zu verwenden). Trotzdem, oder gerade deshalb, ist es aber bemerkenswert, welchen sprachlichen Aufwand Hegel betreibt, um 391 Herder, »Über die neuere deutsche Literatur. Fragmente. Erste Sammlung. Zweite völlig umgearbeitete Ausgabe. 1768«, 556. Vgl. dazu Forster, German Philosophy of Language, 152, 171n34. 392 Hegel zufolge wird das Denken nicht prinzipiell von der Sprache getäuscht oder verführt. Diese Wahrheitsfähigkeit der Sprache wird besonders im Kapitel über die sinnliche Gewissheit deutlich; vgl. zum Grundvertrauen in die Sprache Hartmann, Die Philosophie des deutschen Idealismus, 244. Dass die Annahme, Sprache würde das Denken prinzipiell verführen, widersinnig ist, hat Josef Simon gezeigt; vgl. Simon, »Verführt die Sprache das Denken? Zur Metakritik gängiger sprachkritischer Ansätze«.

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FAZIT

seine Darstellung des erscheinenden Wissens zu Papier zu bringen. Das liegt daran, dass Sprache nicht nur das Moment der Artikulation der Wahrheit des Begriffs ist, sondern zugleich ein notwendiges Moment der Intransparenz und des Scheins enthält. Die Wendung der auftretenden Wissenschaft gegen den Schein ist damit zu signifikanten Anteilen eine Auseinandersetzung mit sprachlichem Schein. Die Intransparenz der Sprache besteht auf mehreren Ebenen, die Hegel im Rahmen seiner phänomenologischen Sprachkritik berücksichtigt. Diese Sprachkritik enthält eine Kritik der logischen Formen des Urteils und des Satzes, eine Kritik der Vorstellung (und des vorstellenden Bewusstseins), sowie eine Kritik von Sprechsituationen, (historischen) Sprachkonstellationen und Einstellungen von Sprecher:innen und schließlich eine (implizite) Untersuchung der Verbindungen dieser Probleme.393 Jean Hyppolite hat unterstrichen, dass der philosophische Diskurs sich nicht nur durch seine Wahrheitsorientierung auszeichnet, sondern auch dadurch, dass er eine Kritik seiner eigenen sprachlichen Artikulationsweisen enthält. Philosophische Sprache beinhaltet also eine bewusste Thematisierung bzw. Befragung ihres Verhältnisses zur Wahrheitsorientierung der Philosophie.394 In Folge dieser Sprachkritik kann 393 Beispielsweise hängt im Kapitel über Physiognomik und Schädellehre das Problem auf der Urteilsebene mit dem phänomenologischen Problem zusammen; ähnliches gilt für den Abschnitt über Herrschaft und Knechtschaft. Auch Chong Fuk Lau betont den Zusammenhang von Sprach- und Urteilskritik: »Dass die Form des Urteils nicht geeignet ist, das Wahre adäquat darzustellen, beruht auf dem Wesen der Sprache, die der Mensch als endlicher Geist hat. Da das Urteil bzw. der Satz wesentlich sprachliches Gebilde ist, ist seine Form jedenfalls der Struktur der menschlichen Sprache unterworfen. In dieser Beziehung ist Hegels Urteilskritik wesentlich auch eine spekulative Sprachkritik, weil es eben um das Problem geht, ob und inwiefern sich die Wahrheit der spekulativen Philosophie sprachlich darstellen lässt. Ausschlaggebend für die Problematik ist ein im Wesen der Sprache liegendes Dilemma, indem sie zwar einerseits durch die Einseitigkeit ihrer Ausdrucksweise, also durch ihre Endlichkeit, begrenzt und bedingt wird, aber anderseits innerhalb ihrer selbst die Möglichkeit hat, über ihre eigene Grenze hinauszugehen.« Lau, Hegels Urteilskritik, 36f. 394 »While literary discourse is an imaginative speculation, philosophical discourse involves a norm of truth. Finally, and most important, philosophical discourse contains its own criticism within itself. […] In philosophic discourse, someone speaks […], but he also speaks about his own speech (parole). And the speech about the speech is an integral part of philosophic language.« Hyppolite, »The Structure of Philosophic Language According to the ›Preface‹ to Hegel’s Phenomenology of the Mind«, 158f. Hyppolite verbindet seine These über Hegels Konzeption des Verhältnisses von Sprache und Denken mit einer These über den philosophischen Stil. Wie die Phänomenologie eine Reflexion des (Proto-)Denkens des

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die Philosophie sich allerdings der Sprache öffnen: Die Philosophie ist die Auseinandersetzung des Geistes in der Sprache und erfordert daher eine Öffnung für eine Pluralität von Sprachformen und Ausdrucksregistern.395 Unsere Rekonstruktion dieses Zusammenhangs hat bisher Folgendes gezeigt: Im ersten Abschnitt haben wir Hegels Verständnis der philosophischen Wahrheit als Selbstverhältnis des Geistes rekonstruiert. Dieses Selbstverhältnis besteht nicht unmittelbar, sondern muss durch natürlichen Bewusstseins ist, ist sie auch eine der natürlichen Sprache (ebd., 164). Für Hyppolite ist sie deshalb nicht nur die Wissenschaft der Erfahrungen des Bewusstseins, sondern ebenso die Wissenschaft von dessen Sprache (ebd., 165). Weiterhin verknüpft Hyppolite die Frage nach Hegels philosophischem Stil, mit der systematischen Bedeutung der Oszillation zwischen Phänomenologie und Logik (ebd., 166ff.). Vor diesem Hintergrund führt Hyppolite den Begriff der découpage significatif ein, um zu verdeutlichen, wie wir (Hegels Theorie zufolge) die Realität sprachlich strukturieren: »for Hegel himself, there is no thought outside of the unity of signifier and signified. Moreover, for Hegel, this unity is not the world but rather the structu­ ral ›mapping‹ (découpage significatif) of the world and the structure which this mapping describes. There is no thought outside of language.« (ebd., 160). Die découpage der Realität durch die Sprache setzt sich also in der philosophischen Sprache fort: wie Hyppolite sagt, enthält diese ihre eigene Kritik – was nichts anderes bedeutet, als dass die philosophische Sprache wesentlich selbst zerschnitten bzw. in sich unterschieden (krinein) ist – dies entspricht durchaus Humboldts Rede von den Abschnitten, die die Sprache im Denken macht. Dieses Programm hat sich bei Derrida niedergeschlagen, wie wir im Folgenden noch genauer sehen werden. 395 Vgl. TWA15, 11, 14. Der Geist ist innerlich und öffnet sich gerade daher für die ganze Bandbreite der Partikularitäten des Empirischen. Wie die philosophische Sprache sich die Sprache anderer Positionen aneignet hat auch John Smith verfolgt; vgl. Smith, The Spirit and its Letter, 88. Karl Rosenkranz hält dazu fest: »Durch das Abschreiben drang er [Hegel, S.W.] bis in die feinsten Fasern des Fremden ein und erreichte er es, sich auf jeden, auch den individuellsten Standpunct versetzen und dessen eigene Terminologie reden zu können. In der Kritik verstand er es daher so meisterhaft, ›sich in den Umkreis des Gegners zu stellen‹ und dessen Ansicht so zu entwickeln, als ob sie seine eigene wäre. Diese Kraft der Entäußerung zog ihm auch mannigfach den Mißverstand zu, daß oberflächliche und flüchtige Leser solche objective Incarnation Hegel’s mit ihm selbst verwechselten und ihn oft dessen beschuldigten, was er gerade bekämpfte. Auf den Styl hat er von früh ab eine große Aufmerksamkeit verwendet und das, was man einen guten Styl zu nennen pflegt, Leichtigkeit des Ausdrucks, in seiner Jugend in hohem Grade besessen. Erst später, im Ringen mit den tiefsten Ideen, verschwand der glatthinströmende Fluß.« Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, 16.

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Darstellung entwickelt werden. Der Begriff der Darstellung wird in der Vorrede der Phänomenologie ausdrücklich mit Bezug auf diese Funktion eingeführt. Die Einleitung weist ihm aber noch eine weitere Funktion zu, nämlich die Darstellung des erscheinenden Wissens. Daraus ergibt sich, dass ein Moment der Phänomenologie auch die Darstellung des Scheins ist, der durch die Weltbilder des Bewusstseins entsteht. Durch diese Darstellung wird untersucht, wie sich im erscheinenden Wissen Erkenntnis des Wahren einstellt, ob das Bewusstseins im erscheinenden Wissen also mit dem Wahren verbunden oder von ihm getrennt wird.396 Anschließend haben wir Hegels Ausführungen zum Verhältnis von Sprache und Denken untersucht. Dabei ging es zunächst um Sprache als Gegenstand. Es zeigte sich, dass sprachliche Artikulation zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Denken ist. Neben der kognitiven ist für Hegel auch die kommunikative Dimension der Sprache wichtig. Durch sie sind Individuen immer bereits in allgemeine Vorverständnisse eingebettet, die allerdings auch eine Form von Gewalt über die Individuen ausüben. Daraus ergibt sich die methodische Relevanz der Sprache für Hegels Philosophie: Philosophie artikuliert sich sprachlich und die Entwicklung der Philosophie enthält daher eine Sprachkritik, d.h. einen Abbau der bestehenden Vorstellungen und eine Entfremdung von der unmittelbar vertrauten Sprache. Dies war Thema des dritten Abschnitts. Im vierten Abschnitt haben wir nachverfolgt, wie Hegels philosophische Sprache – oder zumindest die mit ihr verbundene Strategie – vor diesem Hintergrund verständlich gemacht werden kann. Dabei hat sich gezeigt, dass in der Phänomenologie argumentative und mediale Momente der Darstellung ineinandergreifen.397

396 Vgl. Koch, Wahrheit, Zeit und Freiheit, 16: »Der Schein verbindet uns im Erkennen mit dem Der-Fall-Sein und kann uns von ihm trennen.« 397 Man kann die Phänomenologie weder auf einen Katalog von Argumenten reduzieren noch auf einen »Bildungsroman«. Sie ist zwar klar argumentativ ausgerichtet, dazu tragen aber auch die literarischen Elemente bei. Deren Funktion ist also (um dies noch einmal zu unterstreichen) nicht bloß allegorisch. Sie dienen, wie Robert Pippin formuliert, nicht der »Illustration« der Argumente, sondern sind selbst »Beweismittel«; vgl. Pippin, »Der Status der Literatur in Hegels ›Phänomenologie des Geistes‹«, 330. Diese Position vertritt auch Allen Speight, Hegel, Literature, and the Problem of Agency.

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Teil 2: Sprache und Darstellung im Kontext der Hegel-Interpretationen von Brandom und Derrida Sprache und die damit verbundenen Gegenstände spielen in zwei Auseinandersetzungen mit Hegel eine entscheidende Rolle, die zu den prominentesten Hegel-Lektüren des 20. und 21. Jahrhunderts zählen dürften. Robert Brandom bietet eine beeindruckende Rekonstruktion von Hegels Phänomenologie im Sinne eines Rationalismus. Es geht ihm darum, zu zeigen, wie wir uns durch eine normative Praxis begrifflich auf die Welt beziehen. Dabei stellt er auch die Sprache in eine zentrale Position. Brandom überführt das Problem der begrifflichen Bezugnahme in einem vielversprechenden Ansatz in die Sphäre gemeinschaftlicher Praxis. Seine Theorie enthält eine Kritik aller Ansätze, die rationale Geltung prinzipiell auf arationale oder irrationale Ursachen zurückführen wollen. Diese Ansätze sind für ihn symptomatisch für ein entfremdetes Weltverhältnis, das er mit der Moderne verbindet. In seiner Kritik dieser Ansätze schießt Brandom jedoch über das Ziel hinaus. Seine Entfremdungskritik zielt darauf ab, dass die entfremdete Moderne durch einen Zustand abgelöst wird, in dem Entfremdung prinzipiell überwunden wird – was er als »Age of Trust« bezeichnet. Damit plädiert Brandom für eine Form von spannungsfrei versöhnter Gesellschaft, die eigentlich zu einem Klischee der Hegel-Kritik geworden ist. Er verbindet damit auch ein Plädoyer für eine eindeutig reglementierte Sprache. Jacques Derrida zielt dagegen in seiner Auseinandersetzung mit Hegel gerade auf die Kraft zum Bruch, die er im Sprachzeichen verortet. Während Brandom argumentiert, alles könne und müsse letztlich explizit gemacht werden, verweist Derrida immer wieder auf die Grenzen der Explikation (und auf das, was Hegel in seinem eigenen philosophischen System nicht rational einfangen kann). Derrida hat die Momente der Bedeutungstransformation bei Hegel genau untersucht, aber ihre teleologische Ausrichtung kritisiert. Dem setzt er – am radikalsten in Glas – eine Theorie (und eine korrespondierende textliche Praxis) der unkontrollierten Sinnwucherung oder -mutation entgegen. Brandom und Derrida unterscheiden sich auch in ihrem hermeneutischen Ansatz: Während Brandom sein Programm als »rationale Rekon­ struktion« Hegels formuliert, bei der er ausdrücklich de re, also aus der Sache, vorgeht, ist Derridas Ansatz, Hegel beim Wort zu nehmen und Hegels Sprache gegen die angestrebte Denkbewegung herauszustellen. Dabei gibt es aber durchaus Gemeinsamkeiten: Interpretation de re bedeutet, dass Brandom nicht primär fragt, welchen Aussagen Hegel 202 https://doi.org/10.5771/9783748917755

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selbst zustimmen würde, was er befürworten würde, sondern, worauf er sich mit seinen Aussagen tatsächlich verpflichtet (was tatsächlich seine commitments sind) – diese tatsächlichen Verpflichtungen gehen möglicherweise über das hinaus, was Hegel selbst bedacht hat (darin zeigt sich die Relevanz der Überdeterminiertheit einzelner Theoriestücke und der Sprache insgesamt). Damit besteht aber eine gewisse Nähe zu Derridas Betonung des Buchstabens, der sich einer kontrollierten Bedeutung immer wieder entzieht. Indem Derrida Hegel beim Wort nimmt, ist auch er den Zügen der Argumentation Hegels auf der Spur, die Hegel selbst entgangen sein mögen. Die Intention ist allerdings entgegengesetzt – während Brandom rekonstruiert, will Derrida dekonstruieren. Dekon­ struktion und Rekonstruktion sind beide als philosophische Programme non-exklusiv, da sie jeweils einen Bezugspunkt bzw. ein historisches Material benötigen, das de- oder rekonstruiert – und auf diese Weise neu lesbar gemacht wird. Wir können diese Ansätze daher komplementär lesen. Brandom vertritt ein zentralisiertes Verständnis der Sprache, ausgehend vom Aussagesatz. Derrida interessiert sich dagegen für die Fliehkräfte der Sprache.1

1 Zu Brandoms methodischem Selbstverständnis vgl. z.B. Brandom, Tales of the Mighty Dead, 15f. Dort macht Brandom klar, dass er seinen Ansatz neben anderen fruchtbaren Ansätzen verortet (das suggeriert auch der Untertitel von A Spirit of Trust, der unterstreicht, dass dieses Werk eine mögliche Interpretation – »A Reading of Hegel’s Phenomenology« – entwickelt). Auch die hermeneutischen Paradigmata der de dicto Interpretation (die feststellt, was ein:e Autor:in selbst für ihre bzw. seine Verpflichtungen hält) und der de re Interpretation (die untersucht, worauf sich ein:e Autor:in durch ihre bzw. seine Aussagen faktisch verpflichtet) sieht Brandom als gleichwertig und komplementär (vgl. ebd., 104). Zu Derridas Ansatz am Buchstaben vgl. Critch­ley, »A Commentary Upon Derrida’s Reading of Hegel in Glas«, 223f. Dieser Ansatz geht mit einer Betonung des Raumes einher, der sich – anders als die Zeit – der Idealisierung widersetzt: Im Raum bleiben die Differenzen synchron nebeneinander bestehen. Derrida bezeichnet das auch als »Zeichenpotlatch«; vgl. Derrida, Die Schrift und die Differenz, 416. Es geht ihm also um maschinelle Sinnproduktion oder Wucherung ohne Übersicht eines Subjekts, eine Bewegung des Sinns, die nicht durch ein telos organisiert ist und sich nicht in einer alltäglichen Praxis des Austauschens und Zirkulierens von Sinn regulieren lässt. Wo Hegel die Bedeutungstransformation im Begriff und als Begriffsbildung untersucht (wodurch sich die Sprache bereits deutlich destabilisiert bzw. destabilisierend und plastisch zeigt), geht Derrida noch weiter und sucht nach exzessiven und abgründigen Bewegungen des Sinns, die letztlich sinnlos sind, zumindest insofern sie nicht gerichtet erfolgen.

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1. Robert Brandom: Sprache als Verwirklichung objektiver Bedeutung Robert Brandoms Auseinandersetzung mit Hegel speist sich aus seiner systematischen Philosophie der Sprache, die er seit den 1990er Jahren entwickelt. Daher beginnen wir mit diesen sprachphilosophischen Grundideen. 1.1 Brandoms sprachphilosophische Grundideen In Brandoms Semantik wird Bedeutung nicht durch Referenz hergestellt, sondern durch Inferenz. Die Bedeutung eines Ausdrucks wird durch die Schlüsse bestimmt, die er erlaubt bzw. fordert (Brandom verwendet in diesem Zusammenhang die Begriffe der diskursiven Berechtigung [entitlement] bzw. Festlegung [commitment]). Für Sprecher:innen bedeutet das, dass sie sich durch die Ausdrücke, die sie gebrauchen, auf bestimmte Schlussfolgerungen verpflichten. Die Theorie der Bedeutung geht damit über in eine Theorie der sozialen Praxis, die die Grundlage einer bedeutungsvollen Sprache bildet (daher interessiert sich Brandom in seiner Auseinandersetzung mit der Phänomenologie besonders für Hegels Theorie der Versöhnung und der Anerkennung). Diese beiden Hauptmomente seiner Sprachphilosophie bezeichnet Brandom als inferentielle Semantik und normative Pragmatik.2 Grundlegend ist dabei ein relationales Verständnis des Verhältnisses von Sprache und Geist: »Der Begriffsgebrauch wird als wesentlich sprachliche Angelegenheit betrachtet.« Sprache und Geist bilden dabei zwei Pole einer Theorie, von denen keiner auf den anderen reduziert werden kann.3 Die Grundidee von Brandoms inferentieller Semantik besteht da­rin, repräsentationalen Gehalt nicht als grundlegend für darauf aufbauende Verknüpfungen und Schlussfolgerungen anzusehen, sondern die Reihenfolge der Erklärung umzudrehen, so dass einzelne Aussagen dadurch repräsentational gehaltvoll werden, dass sie im Zusammenhang mit anderen Aussagen stehen, also in einem System logischer Inferenzen. Man 2 Die detaillierte Ausführungen seiner Theorie der sprachlichen Semantik und Pragmatik liegt in Brandoms erstem Hauptwerk vor; Brandom, Making it Explicit (übersetzt als Expressive Vernunft). Eine leichter zugängliche Darstellung der Grundideen findet sich in Brandom, Articulating reasons (übersetzt als Begründen und Begreifen). 3 Dieses relationale Sprachverständnis übernimmt Brandom von Donald Davidson; vgl. Brandom, Begründen und Begreifen, 15f. Der relationale Ansatz gilt auch für Brandoms Verständnis des Expressivismus: Das Implizite kann nur durch Explikation überhaupt spezifiziert werden (vgl. ebd., 19).

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verfügt nur dann über einen Begriff, wenn man über viele andere Begriffe verfügt. Bedeutung ergibt sich damit aus einer holistischen Struktur.4 Im Zentrum der inferentiellen Semantik steht der Aussagesatz – und zwar aus einem doppelten Grund: Einerseits entspricht diese Ausrichtung Brandoms Holismus, der nicht von einzelnen Wortbedeutungen als Grundlage der Semantik ausgeht, sondern den Satz als kleinste bedeutungstragende Einheit annimmt; andererseits ergibt sich die hervorgehobene Position des Aussagesatzes aus Brandoms Rationalismus, der der begründenden Aussage die zentrale Position in unserem sprachlichen Handeln zuweist. Worte sind nicht für sich genommen gehaltvoll, indem sie auf bestimmte Gegenstände verweisen, sondern sie erlangen erst dadurch Bedeutung, dass sie in Aussagen vorkommen, die in inferentiellen Beziehungen zu anderen Aussagen stehen (wenn ich sage »dieses Tier ist ein Wal«, dann folgt daraus z.B. »dieses Tier ist kein Fisch« oder »dieses Tier gewinnt Sauerstoff aus der Luft«). Der Aussagesatz ist für Brandom deshalb so zentral, weil er die kleinste Einheit ist, mit der ich einen Zug in einem Sprachspiel machen und damit eine diskursive Verpflichtung eingehen kann.5 Die Fähigkeit, solche diskursiven Verpflichtungen einzugehen, ist das was uns gegenüber lediglich empfindenden Tieren auszeichnet. Wir sind rationale Wesen, weil wir begründete Aussagen treffen können.6 Mit der Idee der inferentiellen Semantik eng verbunden ist Brandoms normative Pragmatik. Deren Grundidee besteht darin, begriffliche Bedeutung als an Regeln orientierte, normative Praxis zu verstehen. Die inferentiellen Beziehungen zwischen den Ausdrücken werden in einer gemeinschaftlichen Praxis ausgehandelt, die Brandom (im Anschluss an Wilfried Sellars) als »Spiel des Gebens und Nehmens von Gründen« bezeichnet und diese Praxis des Austauschens von Gründen bildet die Grundlage der Bedeutung der darin verwendeten Begriffe. Die Praxis baut also nicht auf Begriffen auf, die bereits eine Bedeutung haben, sondern sie bringt die Bedeutung überhaupt erst hervor. Sie definiert dadurch einen »Raum der Gründe« (space of reasons), der den Rahmen rationaler Auseinandersetzungen bildet. Wenn ich eine Aussage in den Raum der Gründe stelle, bekunde ich damit zunächst eine normative Einstellung (attitude): Ich billige z.B. die 4 Die inferentialistische Semantik »zeigt sich [...] entschlossen holistisch. Gemäß der inferentialistischen Auffassung vom begrifflichen Gehalt ist es nicht möglich überhaupt irgendwelche Begriffe zu haben, wenn man nicht viele hat. Denn der Gehalt eines jeden Begriffs wird durch seine Relationen zu anderen Begriffen gegliedert.« Brandom, Begründen und Begreifen, 28. 5 Als Vorläufer sieht Brandom Kant und Frege; vgl. z.B. ebd., Brandom, 25, 106. 6 Brandoms verwendet für diese Unterscheidung die Begriffe sentience und sapience.

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These, dass dieses Tier ein Fisch ist. Damit verpflichte ich mich aber auf weitere Aussagen, z.B. dass das Tier durch Kiemen atmet. Wenn sich herausstellt, dass es dies nicht tut, sondern im Gegenteil durch Lungen Sauerstoff aus der Luft bezieht, muss ich meine Einstellung korrigieren. Ich kann dann zu einer begründeten Einstellung kommen, nämlich der, dass dieses Tier ein Wal ist. Dadurch, dass ich diese Aussage begründen kann, erhalte ich einen normativen Status (status): Die begründete Aussage verpflichtet mich zu weiteren Schlüssen, sie berechtigt mich aber auch zu weiteren Schlüssen (wobei Berechtigung und Verpflichtung nicht voneinander zu trennen sind). Wenn dieses Tier ein Wal ist, ferner einer bestimmten Walart angehört, darf ich es nicht fangen usw. Die verschiedenen Berechtigungen und Verpflichtungen, die sich so ergeben, werden von allen rationalen Diskursteilnehmer:innen registriert. Diesen Prozess bezeichnet Brandom als »Kontoführung« (score-keeping). Als rationale Wesen sind wir also Teilnehmer:innen in einer diskursiven Ökonomie des Begründens.7 Die beiden Grundideen einer inferentiellen Semantik und einer normativen Pragmatik bettet Brandom in eine rationalistische Form des Expressivismus ein. Dabei argumentiert er zunächst dafür, dass nur eine verbale Praxis, in der zumindest einige Äußerungen die Form von propositionalen Begründungen haben im eigentlichen Sinne als Sprache anzusehen ist. Diese These bezeichnet Brandom als linguistischen Rationalismus.8 Damit einher geht ein logischer Expressivismus, der sich in der These ausdrückt, dass das Vokabular, in dem die wesentlichen Momente der menschlichen Praxis explizit gemacht werden, logisches Vokabular ist. Das logische Vokabular hilft uns, zu verstehen und zu sagen, was wir tun, wenn wir Aussagen über Wale und Fische machen und damit Verpflichtungen im Spiel des Gebens und Nehmens von Gründen eingehen. Was dabei explizit gemacht wird, ist die logische Hintergrundstruktur unseres Sprechens.9 Indem wir implizite Annahmen explizit machen, klären wir unsere »inferentiellen Verwicklungen« immer weiter 7 Um den normativen Charakter dieser Kontoführung zu unterstreichen, bezeichnet Brandom sie als »deontisch«; vgl. z.B. Brandom, Making it Explicit, xiii–xv. Im Rahmen unserer normativen Praktiken der deontischen Kontoführung agieren wir ihm zufolge als »Produzenten und [...] Konsumenten von Gründen«; vgl. Brandom, Begründen und Begreifen, 217. 8 Zum Begriff des linguistischen Rationalismus vgl. Brandom, Begründen und Begreifen, 244, 263. Vgl. auch ebd., 214: »Als spezifisch sprachliche Praktiken gelten solche Praktiken, in denen einigen [meine Hervorhebung, S.W.] Performanzen die Signifikanz von Behauptungen zugebilligt wird, die also als das Eingehen inferentiell gegliederter (und somit propositional gehaltvoller) Festlegungen angesehen werden können.« Analog auch ebd., 26. 9 Vgl. Brandom, 31.

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auf.10 Brandoms logischer Expressivismus enthält damit ein emanzipatorisches Moment.11 Brandoms Semantik ist also nicht nur insofern holistisch, als sie die Sprache als holistisches System von Begriffen fasst (in dem wir einen Begriff nur dann verstehen, wenn wir viele Begriffe verstehen), sondern vor allem auch deshalb, weil wir als sprachliche Wesen in ein komplexes System von Beziehungen eingebunden sind, die immer gleichermaßen begrifflich und sozial sind. Dadurch sind wir auch immer bereits auf bestimmte Formen des Begründens und auf Beziehungen verpflichtet, auch wenn uns diese Verpflichtungen nicht bekannt sind. Die Begriffsrelationen – und damit die Struktur der Welt, in der wir leben – sind für uns nicht von vornherein überschaubar. Sie sind zu großen Teilen implizit. Die Begriffe, die wir verwenden und die unser Weltverhältnis strukturieren, sind prinzipiell semantisch überdeterminiert. Diese Überdetermination ist genau die implizite Hintergrundstruktur, die wir diskursiv explizieren wollen. Dadurch, dass die Begriffe überdeterminiert sind, verfügen wir nicht uneingeschränkt über sie, vielmehr zeigt sich darin die Macht, die Begriffe über uns haben. Wie Brandom sagt, ist das Besondere und Bemerkenswerte der Sprache gerade die Weise, in der sie uns über unseren Kenntnisstand hinaus veranlasst, Verpflichtungen einzugehen, ohne dass wir wirklich verstehen, wozu wir uns im Einzelnen verpflichten. Das ist es, was es für uns heißt, die Welt zu erfassen: Über sie zu sprechen und etwas über sie auszusagen. Indem wir Worte so benutzen, wie wir sie benutzen, können wir Verpflichtungen eingehen, deren Konsequenzen wir nicht im Ganzen überschauen können.12

Das Problem der Überdetermination steht also in Zusammenhang mit dem, was Hegel als das Problem des »Wissens, was man sagt« formuliert: Aufgrund der Überdetermination der Worte wissen wir gerade nicht in einem vollen Sinne, was wir sagen bzw. was alle Konsequenzen daraus sind. Weil wir aus diesen Gründen die Konsequenzen unserer diskursiven Aktivitäten nicht im Ganzen überschauen können, ergibt sich die Aufgabe, unsere begrifflichen Verwicklungen aufzuklären. In genau dieser Hinsicht steht Brandom fest in der Tradition der Aufklärung. Brandom weist aber auch darauf hin, dass diese Aufklärung nicht nur das Sichtbar-Machen eines fixierten Bestandes ist, sondern dass unsere 10 Brandom, 82. 11 Vgl. Brandom, 196–202. 12 Brandom, »Von der Begriffsanalyse zu einer systematischen Metaphysik«, 1013. Brandom artikuliert damit einen Gedanken, der Heideggers Konzept der »Geworfenheit« nahekommt. Martin Seel beschreibt diesen Zusammenhang als begrenzte »Verfügungsmacht«, die wir über unsere diskursiven Festlegungen haben; vgl. Seel, »Das Potential der Sprache. Adorno – Habermas – Brandom«, 286.

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Arbeit an den Begriffen diese auch verändert. Der Aufklärungsprozess kommt also durch aktive Begriffstransformationen zustande.13 Damit knüpft Brandom auch an Habermas’ Konzeption einer diskurstheoretischen Ideologiekritik an: Die Beurteilung und Legitimation von sozialen Praktiken und Institutionen wurde in der Moderne eine durch und durch diskursive Sache. Das Entlarven einer Ideologie ist daher eine metadiskursive Angelegenheit des Diagnostizierens systematischer Verzerrungen in den Strukturen des Diskurses: Deformationen des kommunikativen Handelns. Diese treten naturgemäß sowohl in im weiteren Sinne pragmatischen als auch in spezifisch semantischen Erscheinungsformen auf. Aber wir müssen prinzipiell die Sprache, die wir sprechen, die Begriffe, die wir verwenden, und den sozialen und praktischen Kontext, in dem wir das tun, in den Blick nehmen, um die besonderen modernen Formen der Unfreiheit zu verstehen und um die Mittel zu deren Bekämpfung zu finden.14

Mit dieser Überlegung lässt sich gut zu Brandoms Auseinandersetzung mit Hegel überleiten. 1.2 Brandoms Hegel Die hegelianische Ausrichtung von Brandoms pragmatischer Semantik hat er selbst auch vor Tales of the Mighty Dead und A Spirit of Trust schon deutlich gemacht. Besonders A Spirit of Trust ist Brandoms Versuch, Hegel als Vorläufer seiner eigenen Theorie zu etablieren. Brandom entwickelt dabei eine hochgradig komplexe und produktive Lesart, von der ich hier nur kleine Teile beleuchten kann. In einem aufschlussreichen Aufsatz bezeichnet Brandom Hegel als Vertreter eines synthetischen Rationalismus. Damit meint er einen Rationalismus, der neben dem Erbe der Aufklärung auch dem der Romantik seinen Platz einzuräumen versucht. Damit geht einher, dass Hegel – insbesondere in der Phänomenologie – auch die blinden Flecken der Vernunft und die Pathologien der Moderne theoretisch untersucht, dass er ferner ein mehrdimensionales, plurales Verständnis der Entwicklung des Geistes entwirft, in der der Weg zur Wissenschaft der Vernunft notwendigerweise eine Auseinandersetzung mit der affektiven und motivationalen Dimension des Menschen – d.h. eine Theorie von Gefühl, Begierde 13 Brandom bezeichnet diesen Prozess auch als »grooming« (Pflege) unserer Begriffe; es handelt sich also nicht um eine Konstruktion aus dem Nichts, die dem Vorwurf der Willkür ausgesetzt wäre; vgl. Brandom, »Facts, Norms, and Normative Facts«, 359f. 14 Brandom, »Zur Versöhnung zweier Helden: Habermas und Hegel«, 275f. Brandoms Bezugspunkt ist hier Habermas, Erkenntnis und Interesse.

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und Macht – enthält und schließlich, dass sich der Geist auch in künstlerischen und religiösen Formen artikuliert.15 In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass Brandom bei Hegel gerade an der Begriffsentwicklung und am Bedeutungswandel interessiert ist: Hegel bietet in meiner Lesart ein leistungsstarkes Modell für die Weise, in der alltägliche, basale Begriffe sich entwickeln und zunehmend durch die Eingliederung von Kontingentem bestimmt werden, das retrospektiv rational erläutert werden kann. Prospektiv betrachtet werden begriffliche Gehalte gemacht, retrospektiv betrachtet werden sie gefunden. Beide zeitlichen Perspektiven sind wesentlich sowohl für ein Verständnis, in welchem Sinn begriffliche Normen bestimmt sind, als auch dafür, in welchem Sinn sie vernünftig sind.16

Ausgehend von diesem Grundverständnis der Begriffsentwicklung muss laufend überprüft werden, ob und inwiefern aktuelle begriffliche Praktiken »verzerrt« sind.17 Entsprechend spielt in A Spirit of Trust der Zusammenhang von Sprach- und Sozialtheorie eine große Rolle.18 Brandom versucht, eine kon­struktive Semantik mit einer Entfremdungskritik zu kombinieren. Diese Entfremdungskritik basiert allerdings auf der wenig plausiblen Annahme eines in der Zukunft zu erreichenden nicht mehr entfremdeten Zustands.19 Im Folgenden möchte ich drei Kritikpunkte artikulieren: (1) Brandom entwirft ein unplausibles, spannungsfreies Idealbild der Gesellschaft. (2) Brandom zeichnet ein verengtes Bild der Sprache. (3) Brandom kann aufgrund der Probleme (1) und (2) gerade der Struktur der Begriffstransformation nicht gerecht werden – und seine Hegel-Lektüre erfüllt daher nicht das Potential des »synthetischen Rationalismus«. Brandom bezeichnet seine Hegel Interpretation als semantics with an edifying intent. Darin ist bereits eine subtile, aber wichtige Weichenstellung der Auseinandersetzung mit der Sprache enthalten, es geht nämlich wesentlich um die Bedeutung der Sprache (conceptual content). In Brandoms Hegel-Interpretation geht es gerade darum, die Negativität, 15 Vgl. Brandom, »Zur Versöhnung zweier Helden: Habermas und Hegel«, 254f. 16 Brandom, 273. 17 Brandom, 273. 18 So stellt z.B. Gilles Bouché fest, dass Brandom in A Spirit of Trust versucht, eine Art Ethik (»something akin to an ethics«) zu entwickeln; Bouché, Reading Brandom, 3. 19 Rahel Jaeggi hat herausgestellt, dass v.a. die Annahme eines nicht-entfremdeten Urzustands oder einer utopischen, nicht-entfremdeten Zukunft zum problematischen Ballast der Entfremdungskritik gehören und dass eine zeitgemäße Entfremdungskritik ohne diese Annahmen auskommen muss; vgl. Jaeggi, Entfremdung. Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems.

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die sich in der Moderne als soziale Entfremdung zeigt, zu überwinden und die Bedeutung – also den in der Sprache transportierten geistigen Inhalt – zu stabilisieren. Da Brandoms Semantik auf einer normativen Pragmatik aufbaut, muss diese Stabilisierung auf der Ebene des Sozialen stattfinden. Brandoms Ansatz betont den Zusammenhang von Sprache und Gesellschaft, v.a. in Bezug auf das Problem der Entfremdung. Er unterstreicht, dass Sprache für Hegel eine wesentlich politische Dimension hat. Sprache wird damit als Leitfaden einer allgemeinen Theorie der Rationalität verstanden. Brandoms Verbindung dieser Themen in einer Theorie der Verwirklichung des Geistes und der Relevanz der Kontingenz in diesem Realisierungsprozess ist äußerst produktiv. Zugleich ist Brandoms Lektüre in mehreren – systematischen wie hermeneutischen – Punkten problematisch: In systematischer Hinsicht unterschätzt Brandom insbesondere die Äußerlichkeit der Sprache, da er sich von vornherein nur für die Bedeutungsebene interessiert. Daher ist z.B. Entfremdung für ihn auch primär die Abwesenheit von Bedeutung bzw. die Abwesenheit einer Zustimmung zu allgemeinen Normen. Brandoms Ansatz ist mehr an der internen als an der externen Validität seiner eigenen Theorie interessiert und tendiert daher zu einer gewissen Sterilität. Er ignoriert die Komplexität und historische Konkretheit der kulturellen und sozialen Ebene und lässt damit wesentliche mit der Sprache zusammenhängenden Untersuchungsgegenstände außer Acht. Problematisch in hermeneutischer Hinsicht ist, dass sich Brandoms Semantik (obwohl er Hegels Sprachphilosophie eine herausgehobene Relevanz zuschreibt) letztlich in weiten Teilen gar nicht an Hegels Äußerungen über Sprache orientiert, sondern an Hegels Theorie der Anerkennung. Insbesondere unterschlägt Brandom die Relevanz des Religionskapitels, wo Hegel (erstens) eigentlich erst die Frage stellt, wie die Ausdrucksfähigkeit und Bedeutsamkeit der Sprache entwickelt wird (allerdings in ganz anderer Weise als Brandoms Rekonstruktion behauptet); und wo (zweitens) klar wird, dass Hegel keinen linearen Zeitverlauf vor Augen hat, bei dem in der Zukunft ein nicht-entfremdeter Zustand erreicht wird oder werden soll. Derart strukturierte Annahmen bezeichnet Hegel im negativen Sinne als religiöse Vorstellungen.20 20 Da Brandom als Advokat der Rationalität auftritt, ist dieser Umstand durchaus bemerkenswert. Diese meines Erachtens zentralen Kritikpunkte hat Stephen Houlgate am Ende seiner Rezension von A Spirit of Trust bereits benannt: »For Hegel, trust and forgiveness are essential components of modern ethical life […]. Neither, therefore, belongs principally to a postmodern age that is yet to come. Indeed, neither Hegel’s phenomenology, nor his philosophy proper, aims to bring about a community of trust that does not yet exist: Hegel’s thought does not have ›an edifying intent‹. He is explicit about this in the Preface to the Phenomenology: ›philosophy must

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1.3 Sprache und Gesellschaft Brandom markiert deutlich die Relevanz der Sprache in der Phänomenologie. Dabei unterstreicht er, dass die Art und Weise, wie Hegel Sprache im Geistkapitel einführt, politische Implikationen hat. Insofern wir uns in der Sprache artikulieren, bewegen wir uns in Praxisformen, die normative Anforderung an uns stellen: There is no Geist of any kind apart from linguistic practices. But we can see that the stakes are high when Hegel specifies the distinctive role language plays in the norm-articulating recognitive structure of modernity. Rather than being just one optional form in which the force of norms can be acknowledged and their content expressed, language becomes the medium in which the norms are instituted and applied [meine Hervorhebung, S.W.]. There are profound consequences to seeing the rise of subjectivity in the form of the acknowledgment of the rights of intention and knowledge, the advent of a new kind of self-conscious individuality, as bringing with it this new institutional centrality of language. Hegel’s philosophy of language – his account of the relations among speakers, their acts and attitudes, the linguistic communities they belong to, and the linguistic norms that make up the language itself, and the idiom in which that account is articulated – may be the part of his thought that is of the most contemporary philosophical interest and value. That is partly because he attributes deep political significance to the replacement of a semantic model of atomistic representation by one of holistic expression. It is this line of thought that underlies the contention here not only that Hegel’s semantic theory (his theory of conceptual content) and his pragmatist understanding of how meaning is related to the norms governing the use of expressions (the practical attitudes expressed by applying concepts in judging and acting intentionally) should be thought of as at the center of his thought, but also that he is presenting a semantics that is intended to have a practically edifying effect [meine Hervorhebung, S.W.].21

Brandom stellt also (zurecht) fest, dass Hegel ein relationales Verständnis von Sprache und Geist entwickelt. Sprache nimmt damit auch in den praktischen Verhältnissen des objektiven Geistes eine zentrale Rolle ein. Die Zentralität der Sprache verbindet Brandom mit einer Theorie der beware of the wish to be edifying‹. In Hegel’s view, the practical task of building a future based more profoundly on forgiveness and trust falls to religion (which Brandom largely ignores).« Houlgate, »Robert B. Brandom. ›A Spirit of Trust: A Reading of Hegel’s Phenomenology‹«. Houlgate bezieht sich auf PhG, 17, wo Hegel formuliert, dass die Philosophie sich hüten muss, »erbaulich sein zu wollen.« Zu einer ähnlichen Bewertung kommt Georg Bertram; vgl. Bertram, Hegels »Phänomenologie des Geistes«, 336f. 21 Brandom, A Spirit of Trust, 522f.

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expressiven Freiheit. Expressive Freiheit wird als Kontrast zu negativer Freiheit verstanden. Es handelt sich also nicht um die Freiheit von bestimmten Normen, sondern um eine positive Freiheit, die durch die Anbindung an Normen entsteht und gewährleistet wird. Als paradigmatisches Beispiel dafür nennt Brandom (in Anlehnung an Chomsky) die Sprache: Sie erlaubt uns, auf der Basis gemeinsam anerkannter linguistischer Normen, »unendliche« Möglichkeiten des Ausdrucks, insofern wir durch Re-Kombination des sprachlichen Materials unendlich viele verschiedene Sätze bilden können. Brandom spricht hier von einer »Explosion« der expressiven Freiheit.22 Der edifying effect besteht in der Anerkennung dieser positiven Freiheit. Nicht unwesentlich ist dabei für Brandom die Vorstellung, dass man sich diese Freiheit erkauft. Dieser Punkt ist deshalb wichtig, weil Hegel (wie sich im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch mehrfach zeigen wird) emphatisch in Frage stellt, ob es überhaupt einen Status des Individuums vor seiner sprachlichen Einbindung und Artikulation geben kann bzw. eine Position, von der aus es möglich wäre, das Für und Wider einer sprachlichen Teilnahme abzuwägen. Bei Brandom existiert dagegen die klar formulierte Vorstellung eines (vordiskursiven) Subjekts, das eine ökonomische Entscheidung darüber fällt, ob und wie es sich zu gegebenen sprachlichen Praktiken verhalten soll: But the only way one can buy this positive, expressive freedom is by paying a price in negative freedom. One must constrain oneself by linguistic and conceptual norms. When one is speaking one’s own language and not using fancy vocabulary, that constraint becomes invisible. It becomes much more visible when speaking in a language in which one is not fluent. The point here is that the way in which the language one does constrain oneself by becomes the medium in which one’s self not only expresses, but develops itself is a paradigm of central importance for Hegel.23 22 »The fact is that when you speak a language, you get the capacity to formulate an indefinite number of novel claims, and so to entertain an indefinite number of novel intentions, plans, and conjectures. That is a kind of positive freedom to make and entertain novel claims, things that could be true, or things one could commit oneself to making true. One gets this explosion of positive expressive freedom, though, only by constraining oneself by linguistic norms – the norms one must acknowledge in practice as binding in order to be speaking some particular language. However open textured those norms may be, they involve genuine constraint. If one does not sufficiently respect the linguistic norms, then one ends up not saying, or thinking, anything at all.« Brandom, 520f. Vgl. zu diesem Thema das gesamte Kapitel »Authority and Responsibility in Language as a Model of Freedom« (ebd., 514–23) sowie als Hintergrund dieser Überlegung: Brandom, »Freedom and Constraint by Norms«. 23 Brandom, A Spirit of Trust, 521.

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Brandoms Verständnis der expressiven Freiheit enthält zwei Probleme: Erstens wird die Objektivierung des Selbst in der Sprache bei Brandom ausschließlich positiv beschrieben. Er unterstreicht damit das Moment der Verwirklichung des Geistes durch Objektivierung in der Sprache. Dabei gibt es aber so gut wie keine Spannung – Brandom geht davon aus, dass das Verhältnis von Sprecher:innen zu ihrer Erstsprache prinzipiell unproblematisch ist. Wie wir gesehen haben, entspricht dies nicht Hegels Position, der im Gegenteil davon ausgeht, dass die unmittelbare Vertrautheit mit der Erstsprache zunächst unterbrochen werden muss. Zweitens findet sich Hegels explizite Auseinandersetzung mit dem Thema der expressiven Freiheit und der damit verbundenen Arbeit an den (sprachlichen) Ausdrucksmöglichkeiten gerade im Religionskapitel der Phänomenologie. Dort ergibt sich ein anderes Bild als das, was Brandom zeichnet. Es zeigt sich, dass ästhetische, darstellende Praktiken in Kunst und Religion an einem freien Verhältnis zur Sprache bzw. am Ausdruck des Geistes in der Sprache arbeiten und damit, dass gerade künstlerischer Sprachgebrauch etwas für Sprache genuin Wichtiges einfängt, nämlich wie Sprache sich selbst thematisiert und wie sich menschliche Selbstverhältnisse durch reflexive sprachliche Praktiken ändern können.24 1.4 Brandoms spannungsfreies Ideal der Gesellschaft (Ironie- und Entfremdungskritik) Brandoms spannungsfreies Idealbild der Gesellschaft zeigt sich u.a. in seiner Kritik der Ironie und der Entfremdung. Ein zentrales Thema für Brandom ist der Zusammenhang von Sprache und Entfremdung und es ist positiv hervorzuheben, dass er diesen für Hegel sehr wichtigen Zusammenhang umfassend behandelt. Entfremdung ist für Brandom das wesentliche Merkmal der Moderne und eine der schwerwiegendsten Ausprägungen dieser entfremdeten »Hypersubjektivität« ist für ihn die Ironie. Brandom formuliert seine Lektüre des Geistkapitels als Kritik moderner Ironie, die er als Entfremdung gegenüber der Sphäre normativer Geltung versteht. Entsprechend interpretiert er diesen Zustand der Entfremdung als einen, der in einer zukünftigen Epoche überwunden wird bzw. werden soll. Gegen Brandom möchte ich einwenden, dass er dabei mit einem verengten Begriff der Ironie sowie der Entfremdung operiert, wodurch er das (für Hegel wesentliche) philosophische Potential 24 Erst durch die Arbeit an der medialen Vermittlung und Darstellung des Absoluten erweisen sich die Formen des religiösen (d.h. im Rahmen der Phänomenologie: religiösen, künstlerischen und philosophischen) Geistes als eigentlich autonom; vgl. dazu Hoffmann, »Präsenzformen der Religion in der Phänomenologie des Geistes«.

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beider Begriffe unterschlägt (worauf wir im Zusammenhang mit Brandoms Lektüre des Bildungskapitels nochmals eingehen werden). Das führt im Ergebnis dazu, dass seine Theorie der Normativität »harmonistisch« ausfällt, was das kritisch-aufklärerische Potential, das Brandom der Praxis des Begründens nachweist, leider unterläuft. Für Brandom fallen Ironie und Entfremdung zusammen: The institutions and practices in which norms are implicit are sittlich insofar as those norms are practically acknowledged as real, authoritative, and efficacious. Recognitive institutions and practices are alienated insofar as the practical attitude of individuals to the conceptually contentful norms that acculturate them is one of ironic distance.25

Diese ironische Distanz entsteht für Brandom durch die »moderne« Ansicht, dass es keine objektiv geltenden normativen Status (statusses) gibt, sondern nur normative Einstellungen (attitudes), die jeweils von verschiedenen Subjekten anerkannt werden oder nicht.26 Ironie bezieht sich hier auf unsere Beziehung zu den Inhalten verschiedener Normen, die diese Verhältnisse artikulieren. Damit verbunden ist eine semantische Dimension der Ironie: Die Begriffe, durch die wir uns (normativ) orientieren, sind Produkte kontingenter Entwicklungen und haben unabhängig von diesen Entwicklungen überhaupt keinen Inhalt: there is nothing but the prior use of an expression that can be understood as determining the meaning that it has (the content it expresses) and […] any such use is shot through and through by contingencies of all sorts that affect that content, while not providing reasons for it one way rather than another.27

Brandoms Ziel ist es, (mit Hegel) die historische Kontingenz und Variabilität, durch die sich begriffliche Inhalte entwickeln, mit deren objektiver Gültigkeit zusammenzudenken und zu zeigen, dass beides nicht im Widerspruch steht, sondern sich gegenseitig bedingt.28 In inhaltlicher Hinsicht üben die Begriffe der Tradition, in die wir »geworfen« sind, Macht über uns aus, weil wir uns mit jedem Gebrauch eines Begriffs potenziell auf mehr festlegen als wir de facto überschauen können, da die Begriffe diskursiv überdeterminiert sind – so spielen Begriffe wie »Freiheit« oder »Liebe« vermutlich im Leben von vielen Menschen eine gewisse Rolle, ohne dass uns aber deswegen klar sein muss, welche commitments – und 25 Brandom, A Spirit of Trust, 560. Vgl. zur Kritik einer harmonistischen Vorstellung der Konstitution des Geistes Kreis, Cassirer und die Formen des Geistes, 312f. und 322–28. 26 Vgl. Brandom, A Spirit of Trust, 13. 27 Brandom, 567. 28 In diesem Projekt sieht er den entscheidenden Beitrag zur Beantwortung der Frage, wie Autonomie und Freiheit angesichts einer durchgängigen kausalen Determination gedacht werden können; vgl. Brandom, 558.

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damit welche Begriffsgeschichte – wir auf uns nehmen, wenn wir uns an diesen Begriffen orientieren; tendenziell gilt das gerade für die »großen« Begriffe, die die Eigenschaft haben, einerseits besonders wichtige Orientierungspunkte zu sein und andererseits besonders komplex strukturiert und daher beinahe prinzipiell opak. Brandoms logischer Expressivismus zielt darauf ab, (wiederum mit Hegel) zu zeigen, wie diese Begriffe durch eine wissenschaftliche Philosophie explizierbar sind.29 Die ironische Position betont die Gefangenheit in einer sprachlich strukturierten normativen Ordnung. Brandoms Verständnis der Ironie 29 Entsprechend formuliert Brandom über die Überdetermination der Begriffe: »it is up to us what concepts we apply. But it is not then up to us what the content of those norms is – the details of what we have committed ourselves to by applying the concepts we did, rather than some others.« Brandom, 559. Begriffliche, normative Inhalte sind demnach sozial-externalistisch bestimmt. Zum gleichen Thema schreibt Ernst Bloch: »Je größer die Worte, desto eher kann sich Fremdes in ihnen verstecken. Dies ist besonders mit Freiheit, mit Ordnung der Fall, wobei oft jeder sich das Seine denkt. Die Insel, auf der die eine oder die andere sich angesiedelt hat, vermindert trotz ihrer Kleinheit das ausgedehnt Vieldeutige dieser Grundsätze nicht.« Bloch, Das Prinzip Hoffnung, 614. Ein ähnlicher Gedanke findet sich bei Gadamer: »Entscheidende Begriffe und Worte, mit denen wir zu arbeiten pflegen, empfingen damals ihre Prägung, und wer sich nicht von der Sprache treiben lassen will, sondern um ein begründetes geschichtliches Selbstverständnis bemüht ist, sieht sich von einer Frage der Wort- und Begriffsgeschichte in die andere genötigt.« Gadamer, Wahrheit und Methode, 15. Das gilt sowohl für uns als Menschen, wie für uns als Philosoph:innen und philosophische Wissenschaftler:innen: »Die Begrifflichkeit, in der sich das Philosophieren entfaltet, hat uns vielmehr immer schon in derselben Weise eingenommen, in der uns die Sprache, in der wir leben, bestimmt. So gehört es zur Gewissenhaftigkeit des Denkens, sich dieser Voreingenommenheit bewusst zu werden. Es ist ein neues, kritisches Bewusstsein, das seither alles verantwortliche Philosophieren zu begleiten hat und das die Sprach- und Denkgewohnheiten, die sich dem einzelnen [sic] in der Kommunikation mit seiner Mitwelt bilden, vor das Forum der geschichtlichen Tradition stellt, der wir alle gemeinsam angehören.« (Ebd., 5). Begriffsgeschichte ist also (wie sich sogar ausgehend von Gadamer sagen lässt) Teil kritischer Theorie und eine solche Bewusstwerdung verfolgt auch Hegel, wenn er in der Einleitung der Phänomenologie sagt, dass wir über die Begriffe noch nicht verfügen, obwohl wir die Worte schon gebrauchen. In seinen Vorlesungen über philosophische Terminologie hat auch Adorno die Notwendigkeit unterstrichen, immer wieder hinter den (philosophischen) Sprachgebrauch zurückzutreten und die Begriffe neu darzustellen und aufzuschließen; vgl. z.B. Adorno, Philosophische Terminologie 1, 44. Zum genannten Beispiel des Begriffs der Liebe und der damit in unserer Gegenwart verbundenen Vorstellungen vgl. Illouz, Gefühle in Zeiten des Kapitalismus.

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ist insofern verengt, als er diese ausschließlich als Distanziertheit und Entfremdung betrachtet, die überwunden werden muss. Um das Potential des Ironiebegriffs schärfer zu konturieren, möchte ich hier kurz auf Jonathan Lears Ansatz verweisen, bei dem Ironie eine wesentlich komplexere Erfahrungsbewegung ist als bei Brandom. Dieses Moment ist deshalb für unsere Untersuchung der Sprache und Darstellung wichtig, weil sich darin der Zusammenhang von Sprache und sozialen Verhältnissen abzeichnet. In Lears Modell ist der Begriff der Ironie wesentlich positiver konnotiert als bei Brandom, gerade weil er uns erlaubt, Abstand von den bestehenden Normen zu nehmen, indem wir deren Kontingenz erfahren. Ausgehend von Platon und Kierkegaard zeigt Lear, dass wir uns gerade in ironischen Erfahrungen als durch Normen bestimmt erkennen, also nicht in dem Sinne distanziert sind, den Brandom kritisiert. Vielmehr entsteht durch die ironische Erfahrung eine Distanz, die erst eigentlich ermöglicht, geltende Normen, ihren Einfluss auf uns sowie vor allem ihre spezifischen Grenzen in den Blick zu nehmen. Ironie kann so als Doppelbewegung verstanden werden: Sie beschreibt keine prinzipielle (und auch nicht zeitlich für ein Individuum stabile) Einstellung, sondern ein wesentliches Moment der Welterfahrung. Zwar ist dies auch eine Erfahrung der Distanziertheit, als solche enthält sie aber wesentlich die Möglichkeit der Reflexion der eigenen semantisch-normativen Gebundenheit und damit auch der Veränderung von und der erneuten Bindung an Normen. Lear grenzt dieses Verständnis der Ironie ausdrücklich von einem auf ein Verhältnis der Distanziertheit (detachment) eingeschränkten Ironiebegriff ab. Diesen Ironiebegriff schreibt er Richard Rorty zu, der für Brandoms eigenes Verständnis von Ironie maßgeblich ist.30 Für Hegel ist ein Moment der Ironie zentral, das eher der Konzeption Lears als der Brandoms entspricht und das Kierkegaard später bündig »Weltironie« genannt hat. Bei seiner scharfen Kritik des Ironieverständnisses Friedrich Schlegels bzw. der Romantik hat Hegel selbst auch da­ rauf hingewiesen, dass die sokratische Variante der Ironie anders gelagert ist. Die Ironie des Sokrates fängt etwas philosophisch Entscheidendes 30 So schreibt Lear: »One might think of Kierkegaardian and Socratic irony as a two-part movement of detachment and attachment: detachment from the social pretense in order to facilitate attachment to the more robust version of the ideal. But if one obliterates the second part of the two-part movement, all that remains is irony as a form of detachment […]. It seems to me that Rorty’s account of irony is symptomatic of something that has happened in modernity that has made it difficult to hear the resonances of the right-hand column.« Lear, A Case for Irony, 38f. In der »right hand column« ordnet Lear die normativ anzustrebenden Ideale praktischer Identitäten (ebd., 25). Neben Platon und Kierkegaard ist die Praxis der Psychoanalyse wesentlich für Lears Verständnis der Ironie. Zu Rortys Definition der Ironie, auf die sich Lear hier bezieht vgl. Rorty, Contingency, Irony, and Solidarity, 73.

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ein, nämlich die Nichtigkeit des Endlichen. Damit ist sie ein wesentliches Moment der Dialektik: »Alle Dialektik lässt das gelten, was gelten soll, als ob es gelte, lässt die innere Zerstörung selbst sich daran entwickeln, – allgemeine Ironie der Welt.«31 Die Dialektik aller endlichen Dinge stellt die Komödie dar, die Hegel zufolge darin besteht, dass die geltenden Mächte sich als unmittelbar sich selbst auflösend zeigen (wie wir im Bildungskapitel der Phänomenologie und in den Schlusspassagen der »Kunstreligion« beobachten können).32 Die Sprache der Komödie fasst die Verkehrung der Welt sowie die Umkehrung des Bewusstseins und ist daher ein wesentliches Moment der Entwicklung der philosophischen Sprache; Komödie ist daher »Darstellung der Auflösung«.33 Dabei wird in der Komödie gerade nicht das Substantielle aufgelöst, sondern die Verkehrtheit der Welt. In Bezug auf Ironie muss also unterschieden werden zwischen dem Auflösen des Substantiellen, das Hegel an der modernen Ironie kritisiert und dem Auflösen des Bestehenden, das sich den Schein des Substantiellen gibt – was Hegel der sokratischen Ironie und der Komödie des Aristophanes anrechnet. Das Problem ist die Eitelkeit der Welt an sich, nicht eine subjektiven Eistellung zu ihr.34 Während Ironie dasjenige, was sich den Schein des Wesentlichen gibt, zurecht unterläuft, wird sie problematisch, wenn sie sich gegen das richtet, was wirklich substantiell ist. Die eigentlichen Fragen richten sich also darauf, was auf einer objektiven Ebene als substantiell angesehen werden kann und wie es von dem unterschieden wird, was nicht substantiell ist.35 Brandoms Interpretation zufolge stellt eine ironisch entfremdete Subjektivität die Rationalität faktisch geltender Normen in Frage. Während 31 TWA18, 460. Wie Kierkegaard schreibt, vernichtet die so verstandene Ironie »die gegebene Wirklichkeit mit der gegebenen Wirklichkeit selbst«; vgl. Kierkegaard, Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates, 267. 32 Vgl. TWA15, 481 33 Wie Günter Wohlfart sagt (Der spekulative Satz, 167). 34 Vgl. TWA13, 93ff. sowie zum gleichen Thema De Boer, »The Eternal Irony of the Community«. Sie verdeutlicht u.a., dass jeder Stufe des Geistes ein ihren Einschränkungen spezifisches Potential der Selbst-Kritik zukommt, wodurch eben auch die Entfremdung kritisches Potential hat (ebd., 312). Zur Komödie bei Hegel vgl. ebenfalls Hamacher, »(Das Ende der Kunst mit der Maske)«. 35 Vgl. Pöggeler, Hegels Kritik der Romantik, 54f. Als Dialektik aller (endlichen) Dinge steht die Ironie in einem Zusammenhang mit der Zeit, worauf Manfred Frank hingewiesen hat. Dieser Zusammenhang ist mit Blick auf das Moment der Tilgung der Zeit im absoluten Wissen aufschlussreich: »Den Bewusstseinsmodi ›Erinnerung‹ und ›Sehnsucht‹ sind Vergangenheit und Zukunft zugeordnet, deren Dichotomie selbst nur ein Ausdruck des als Zeit thematisierten ›Mangels‹ im Inneren der Ichheit ist. Die Zeit ist eine Indikation dieses Mangels und ebenso seine Überwindung. Sie ist – hier

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er diese Form der Skepsis als notwendiges Moment der Moderne ansieht, betont er jedoch zugleich die damit verbundene Gefahr eines überschießenden (»hypersubjektiven«) Bedürfnisses nach negativer Freiheit, also nach einer Freiheit des Individuums von der Gesellschaft und ihren Institutionen. In diesem Zusammenhang hat Brandom sich auch mit den Verfahren genealogischer Kritik auseinandergesetzt, die versucht, Ansprüche auf rational begründete Geltung auf ökonomische, machtpolitische oder unbewusst psychologische Ursachen zu reduzieren. Brandom versucht primär, eine Argumentationslinie zurückzuweisen, die die Sphäre der rationalen Argumentation, also das (zwanglose) Austauschen von Gründen insgesamt als illusorisch darstellt. Unter den Prämissen einer solchen »globalen Genealogie« gäbe es überhaupt keine rational gerechtfertigten Gründe für die Geltung bestimmter Normen. Allerdings vollzieht Brandom einen problematischen Übergang von seiner berechtigten Kritik eines global-genealogischen Erklärungsansatzes zu einer generalisierten Kritik, die auch auf lokal beschränkte Genealogien übergreift (also auf solche, die nur punktuell argumentieren, dass sich bestimmte Ansprüche auf rationale Geltung tatsächlich z.B. auf ökonomische Motive zurückführen lassen).36 Ein möglicherweise erst in der Zeit nach der Veröffentlichung von A Spirit of Trust genauer fassbar gewordenes Beispiel von Subjekten, die decken sich die Definitionen von Schelling und Friedrich Schlegel hinsichtlich der Zeit einerseits und der Ironie andererseits – ›diese Vernichtung des besonderen Lebens als eines besonderen‹ und damit zugleich ›eine beständige Sucht nach der Ewigkeit‹, ›Sehnsucht nach dem Unendlichen‹, dessen ›Epideixis‹.« Frank, Das Problem »Zeit« in der deutschen Romantik, 20. Anhand von Franks Ausführungen kann man nachvollziehen, wie Ironie und Zeitlichkeit verknüpft sind. Aufgrund dieses Zusammenhangs wird auch plausibel, dass das Problem der Ironie letztlich erst durch das Moment der Tilgung der Zeit im absoluten Wissen gelöst wird. Damit ist Bran­doms Kritik der Ironie nicht nur in sich problematisch, da sie auf eine harmonistische Position hinausläuft, sondern sie verfehlt auch den Systematischen Ort, an dem Hegel diesem Problem begegnet. Das zeigt sich weiterhin auch daran, dass Brandom an einem Schema des zeitlichen Fortschritts festhält, das in der Zukunft einen nicht mehr entfremdeten Zustand sieht und dass er das Religionskapitel, in dem Hegel sich damit auseinandersetzt, warum diese Vorstellung problematisch ist, für systematisch unwichtig erklärt. Darauf, dass erst mit dem Religionskapitel eigentlich das Verständnis dessen, was Geist ist beginnt, hat z.B. Robert Pippin hingewiesen; vgl. Pippin, Die Aktualität des Deutschen Idealismus, 230. 36 Vgl. insbesondere den Abschnitt II. in Brandom, »Reason, Genealogy, and the Hermeneutics of Magnanimity«. Bemerkenswert ist hier, dass zwei der drei »Meister des Verdachts« – Marx und Freud – Brandom zufolge ausschließlich Strategien lokaler genealogischer Kritik entwickeln und auch der dritte – Nietzsche – nur in manchen Fällen eine globale genealogische Kritik

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ein starkes Bedürfnis nach negativer Freiheit und eine der Gesellschaft gegenüber entfremdete Haltung mit einem global-genealogischen Erklärungsmuster verbinden, ist der »libertär-autoritäre« Charakter moderner Verschwörungstheoretiker:innen.37 Eine derart überschießende Ablehnung aller Begrenzungen der negativen Freiheit des Individuums durch Institutionen lässt sich auf der Grundlage von Brandoms Analyse moderner Entfremdung wirksam kritisieren. Zugunsten eines homogenisierten Rahmens gesellschaftlicher Anerkennung gibt Brandom allerdings zu leichtfertig das kritische Moment der Individualität auf, das u.a. daraus entstehen kann, dass Idividuen sich in Erfahrungen der Ironie oder Entfremdung als gesellschaftliche Instanzen erfahren, in denen sich reale gesellschaftliche und institutionelle Widersprüche bemerkbar machen. Eine Kritik der gegebenen Institutionen findet sich bei Brandom nicht. Weil Brandoms Semantik auf einer Pragmatik aufbaut, ist sie zwingend darauf angewiesen, dass regelhafte Strukturen bestehen, in denen das Spiel des Gebens und Nehmens von Gründen auf geordnete Weise ablaufen kann. Diese Strukturen begrenzen aber zugleich den Rahmen der Selbstbefragung der bestehenden Praxis bzw. Gemeinschaft. Die Fragen, »was wofür ein guter Grund ist« oder wessen Gründe mit größerer Wahrhscheinlichkeit Gehör finden, können Brandoms Theorie zufolge nur dann überhaupt gestellt werden, wenn die Fragenden zunächst eine Art grundsätzliche Konformität mit den in Frage stehenden Institutionen mitbringen, die sie als rational Fragende legitimiert.38 Brandoms Betonung der machtfreien und zwanglosen Struktur des Begründens läuft also Gefahr, potentielle Irrationalitäten der Diskursstrukturen und Institutionen zu ignorieren oder sogar zu verdecken, gerade weil die Argumentation formal abhängig von stabilen Diskursstrukturen ist (was seinen ausdrücklichen Anspruch konterkariert, solche Strukturen durch rationale Argumente kritisieren zu können). Indem Brandom grundsätzlich gegen eine zur subjektiv-entfremdeten Einstellung verengte Ironie argumentiert, ignoriert er deren eigene normative Strukturierung und reduziert damit das Potential einer produktiven Entfremdung der Vernunft vertritt. Das eigentliche Ziel von Brandoms Kritik ist ein globaler reduktivistischer Naturalismus (für den aktuell wohl eher bestimmte Interpretationen der Naturwissenschaften stehen); vgl. dazu auch Brandom, A Spirit of Trust, 560–69. 37 Vgl. dazu Amlinger und Nachtwey, Gekränkte Freiheit. 38 So konstatiert auch Bertram, dass die »Versöhnung kollektivistischer und individualistischer Momente« bei Brandom zu »spannungslos« ausfällt, weshalb Brandom die Konstanz der Konflikte zwischen diesen beiden Polen und ihren jeweiligen Begründungsschemata – also die Frage, »was wofür ein guter Grund ist« – nicht erklären kann; vgl. Bertram, Sprachphilosophie, 176f. Hegel selbst hat der Praxis des Gründe-Gebens einen problematischen Formalismus zugeschrieben (vgl. TWA8, 252f. sowie PhG, 47).

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vom Gegebenen zugunsten eines spannungsfreien und potentiell konformistischen Gesellschaftsideals, das nicht die Anerkennung von (zukünftigen) Institutionen ermöglicht, sondern die Anerkennung der gegebenen voraussetzt.39 1.5 Brandoms verengtes Verständnis der Sprache und ihrer Transformation Brandom kann mit seinem logischen Expressivismus zeigen, wie der Aussagesatz als Zentrum einer Theorie der Sprachpragmatik wirksam sein kann. Die Konzentration auf das (vermeintliche) rationale Zentrum der Sprache führt aber gerade durch ihre beeindruckende Konsequenz zu einer Einseitigkeit und zu einem verengten Sprachverständnis. Brandom kann den anderen Sprachformen nicht mehr gerecht werden und verständlich machen, was diese zu einer expressiven Theorie der Vernunft beitragen können. Wie bereits von vielen Kommentatoren bemerkt wurde, wird damit fragwürdig, ob Brandom die komplexen Dynamiken des Bedeutungswandels verständlich machen kann (für die er sich insbesondere im Zusammenhang mit Hegel interessiert), die sich gerade nicht ausschließlich in Form von begründenden Aussagen vollziehen. Ein Fluchtpunkt der Diskussion über das Verhältnis verschiedener Sprachformen oder -funktionen ist bezeichnenderweise ein von Ludwig Wittgenstein verwendetes Bild – das Bild der Sprache als Stadt.40 Die damit verbundene Frage ist: Gibt es ein Zentrum der Sprache? Wie verhält es sich zum Umland? Brandom argumentiert hier konsequent reduktionistisch: Das Zentrum der Sprache ist der Aussagesatz und den anderen Sprachformen kommt lediglich der Status von Derivaten zu.41 Dem ist von verschiedenen Seiten (meines Erachtens zurecht) widersprochen worden, dass die Sprache entweder gar kein Zentrum hat (diese Position vertritt auch der späte Wittgenstein) oder aber, dass dieses 39 In unterschiedlicher Weise ist ein derartiges Argument gegen Brandom von Ray Brassier, Robert Pippin, Georg Bertram und Italo Testa vorgetragen worden. Brassier hat darauf hingewiesen, dass prinzipiell auch aus Brandoms Perspektive nichts dagegen sprechen sollte, genealogische Momente – und damit auch Blockaden und Distanzierungen des Bedeutungsprozesses – in ein rationalistisches Programm aufzunehmen und damit sowohl dem Moment des Vertrauens als auch dem des Verdachts sein Recht zukommen zu lassen; vgl. Brassier, »Dialectics Between Suspicion and Trust«, 112. Vgl. außerdem Pippins bereits zitierten Aufsatz zu »Brandoms Hegel« sowie Testa, »Spirit and alienation in Brandom’s ›A Spirit of Trust‹: Entfremdung, Entäußerung, and the causal entropy of normativity« und Bertram, »Where is the conflict in Brandom’s theory of recognition (and why should there be any)?«. 40 Vgl. Wittgenstein, »Philosophische Untersuchungen«, § 18. 41 Vgl. Brandom, Reason in Philosophy, 175.

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nicht klarer Weise von Propositionen gebildet wird, die möglicherweise sogar ihrerseits nur ein »Vorort« der Sprache sind.42 Betrachten wir dies etwas genauer: Den für Brandoms Theorie zentralen linguistischen Rationalismus kann man in einer schwachen und einer stärkeren Version formulieren. Die schwache Version des linguistischen Rationalismus behauptet, dass einige verbale Akte die Eigenschaften propositionaler Begründungen haben müssen, damit wir eine »vokale« Praxis als Sprache ansehen. Damit ist noch nichts darüber gesagt, ob Aussagen das Zentrum der Sprache bilden oder ob auch andere Sprachformen (ko-)konstitutiv für unsere Sprache sind.43 Die starke Version des linguistischen Rationalismus behauptet darüber hinaus, dass die Proposition das Zentrum der Sprache bildet und damit eine privilegierte Rolle einnimmt. Das menschliche Sprachvermögen muss also in erster Linie ausgehend von der assertorischen Fähigkeit verstanden werden und alle anderen Sprachformen sind dieser gegenüber derivativ.44 Brandom vollzieht einen stillschweigenden Übergang von der schwachen zur starken Annahme: Während die schwache Annahme dem linguistischen Rationalismus seine Plausibilität verleiht, ist es die starke Annahme, die Brandom letztlich vertritt. Dagegen lassen sich eine schwache und eine stärkere Erwiderung formulieren. Der schwächere Einwand wäre: Auch andere Sprachformen sind relevant. Nur dadurch, dass man auch die nicht-propositionalen Sprachformen berücksichtigt, erhält man ein vollständiges Bild der menschlichen Sprachpraxis. Es könnte also möglicherweise eine Sprache geben, die nur aus Aussagesätzen besteht, für die menschliche Sprache gilt dies aber faktisch nicht. Der stärkere Einwand behauptet: Nur dadurch, dass es neben der propositionalen auch nicht-propositionale bzw. nicht-assertorische Sprachformen gibt, ist eine verbale Praxis überhaupt 42 Vgl. Taylor, Das sprachbegabte Tier, 499. 43 Vgl. die oben bereits zitierte Passage aus Begründen und Begreifen (214): »Als spezifisch sprachliche Praktiken gelten solche Praktiken, in denen einigen [meine Hervorhebung, S.W.] Performanzen die Signifikanz von Behauptungen zugebilligt wird, die also als das Eingehen inferentiell gegliederter (und somit propositional gehaltvoller) Festlegungen angesehen werden können.« Eine Sprech-Praxis, die gänzlich frei von Begründung wäre, bezeichnet Brandom als »vokal« (in Abgrenzung zu einer »verbalen« Praxis, die unser eigentliches Sprechen bezeichnet; vgl. ebd., 26; analog auch ebd., 244, 263). 44 »[I]f inferentialism is the right way to think about contentfulness, then the game of giving and asking for reasons is privileged [meine Hervorhebung, S.W.] among the games we play with words. For it is the one in virtue of which they mean anything at all – the one presupposed and built upon by all the other uses we can then put those meanings to, once they are available.« Brandom, Reason in Philosophy, 176.

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Sprache. Es ist demnach unmöglich, dass eine Sprache nur aus Aussagesätzen besteht.45 Aufgrund der starken Version seines linguistischen Rationalismus bekommt Brandom vor allem in zwei Bereichen Probleme: Erstens im Hinblick auf seine Theorie der sozio-linguistischen Einbettung. Brandom begreift das Geben und Nehmen von Gründen isoliert von anderen sozialen Situationen. Das Begründen vollzieht sich idealerweise z.B. frei von Machteinflüssen und es ist ausdrücklich dieser Idealzustand der für Brandoms Theorie maßgeblich ist. Dagegen, dass das Begründen durch psychologische, ökonomische oder machtorientierte Motive beeinflusst werden könnte argumentiert Brandom gerade in seiner scharfen Kritik der Genealogien (wie oben beschrieben). Zweitens entstehen Pro­ bleme bei der Erklärung des Bedeutungswandels: Dieser ist für Brandom zwar interessant, vollzieht sich seiner Theorie nach aber ausschließlich in Form von Feststellungen der Korrektheit bzw. Inkorrektheit von Propositionen. Eine solche Theorie funktioniert im Rahmen eines wohl-reglementierten Bereichs. Sie gerät aber in Schwierigkeiten, wenn die Grundregeln dieses Bereichs ihrerseits in Frage gestellt werden. Dies hängt mit Brandoms spannungsfreiem Ideal der Gesellschaft zusammen. Er versteht den Wandel begrifflicher Gehalte als immer bereits in homogener und geordneter Weise sich vollziehendes, institutionell stabilisiertes Verfahren. Damit kann er nicht nachvollziehbar machen, wie sich dieses Verfahren selbst ändern kann und auch nicht, wie andere Modi der Veränderung unserer begrifflichen Aktivität sich vollziehen, wie wir also spezifische Erfahrungen des Scheiterns verschiedener Begriffe machen und wie sich Begriffe mehrdimensional und ohne eindeutige Festlegung entwickeln (wie wir etwa am Beispiel von Hegels Entwicklung des Bedeutungsspektrums des Entäußerungsbegriffs gesehen haben).46 Stattdessen legt sich Brandom darauf fest, dass Aussagesätze das kon­ stitutive Zentrum jeder Praxis ausmachen, die man als »sprachlich« im eigentlichen Sinne bezeichnen kann. Dass diese assertorische Dimension 45 Vgl. Taylor, Das sprachbegabte Tier, 328f. 46 Vgl. z.B. Brandom, A Spirit of Trust, 705f. Robert Pippin beschreibt dagegen eine Krisenhaftigkeit des »begrifflichen Wandels«; vgl. Pippin, »Bran­ doms Hegel«, 288. Auch Pippin argumentiert, dass Brandom dem Aspekt des Bedeutungswandels nicht gerecht werden kann (vgl. ebd., 254). Auch die gesamte Entwicklung des Bewusstseins in der Phänomenologie ist eine Transformation des Bewusstseinskonzepts: Das Bewusstsein ist selbst nicht einfach gegeben, sondern historisch geformt und überformt (ebd., 258). Brandom müsste also besser erklären können, was passiert, wenn eine re­ glementierte Zone, eine Ökonomie des Gebens und Nehmens von Gründen, insgesamt in Bewegung gerät oder scheitert. Obwohl (oder gerade weil) die soziale Ebene die semantischen Probleme für Brandom lösen soll, werden ihre eigenen Probleme bei Brandom wenig kritisch befragt (vgl. ebd., 277f.).

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ein konstitutiver Bestandteil der Sprache ist, muss vorbehaltlos akzeptiert werden. Allerdings scheint daraus nicht zu folgen, dass andere Dimensionen der Sprache nicht ebenfalls konstitutiv für das, was wir Sprache nennen, sind. Brandom selbst hat sich diesem Gedanken gegenüber durchgängig ablehnend geäußert, allerdings ohne ihn überzeugend zu entkräften.47 Warum und in welcher Weise nicht-propositionale Sprachformen konstitutiv für das sind, was wir als Sprache bezeichnen, können wir anhand eines Arguments nachvollziehen, das Georg Bertram entwickelt hat. Bertram differenziert artikulierenden und explikativen Sprachgebrauch. Die sprachlichen Funktionen der Artikulation und Explikation stehen im Zentrum eines Arguments dafür, dass »künstlerischer« Sprachgebrauch für das Verständnis unseres Sprechens im Allgemeinen wesentlich ist. Während Sprachphilosophien, die sich am Aussagesatz orientieren, konsequenterweise künstlerischen Sprachgebrauch als Sonderfall 47 Zur Relevanz des Propositionalen vgl. auch Seel, »Das Potential der Sprache. Adorno – Habermas – Brandom« (287): »Die assertorische Rede mit ihrer inferentiellen Perforierung wird [durch Brandom, S.W.] als das zentrale bedeutungsgenerierende Gelenk des sprachlichen Handelns rehabilitiert.« Zu Brandoms Ablehnung des Nicht-Propositionalen vgl. z.B. seine Kommentare zu Foucault und Derrida in Brandom, »Facts, Norms, and Normative Facts«, 361. Brandom hat ein prinzipielles Problem damit, kreative Akte in ihrer Bedeutung wertzuschätzen – und zwar obwohl es ihm selbst darum geht, Normänderungen und Normbrüche produktiv zu machen. Das spiegelt sich auch in seinem hermeneutischen Ansatz, der darauf beruht, die Texte der Tradition »rational« zu rekonstruieren, was für ihn bedeutet, das Implizite explizit zu machen, also in eine klare, eindeutige, propositionale Sprache zu übersetzen. Aus diesem Grund ist die Form von Hegels Text für Brandom auch nichts als eine allegorische Verpackung von Argumenten, die man aus dieser Hülle herauslösen kann, ohne dabei inhaltliche Aspekte zu verlieren. Eine mangelnde Berücksichtigung der kreativen Momente der Sprache hat Charles Taylor an den Sprachtheorien der HLC kritisiert, in deren Tradition Brandom steht: »Bedeutungstheorien dieser Art [damit ist hier das TheorieModell der HLC gemeint, S.W.] scheitern also aus zwei Gründen: erstens weil sie außerstande sind, unsere Fähigkeit zu erklären, in bestimmten Bereichen sprachliche Bedeutungen zu erlernen (zu denen zum Beispiel [...] die Bereiche sozialer und kultureller Bedeutungen gehören); zweitens weil sie mit der [...] in allen Bereichen wirklicher menschlicher Sprachen gegebenen Kreativität nicht zurechtkommen.« Taylor, Das sprachbegabte Tier, 327. Das fünfte Kapitel von Kapitel von Taylors Buch (»Die figurative Dimension der Sprache«) entfaltet diese Argumentation ausführlich. Zur Erklärung des Bedeutungswandels greift Brandom auf das anglo-amerikanische Fallrecht als Modell zurück. Auch dieses Modell kann jedoch letztlich nicht verständlich machen, wie sich Normen verändern; vgl. dazu Brandom, Making it Explicit, 39 und Tales of the Mighty Dead, 233 sowie Disselbeck, Hegels Theorie der Intersubjektivität und Anerkennung, 145–48.

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betrachten (der daher auch nicht in den Bereich der Sprachphilosophie, sondern in das Gebiet der Ästhetik fällt), argumentiert Bertram, dass es für das Verständnis menschlicher Sprache konstitutiv ist, dass Sprache in künstlerischer Weise verwendet werden kann (eine derartige Argumentation unterstützt mindestens den schwachen Einwand gegen Brandoms starke Version des linguistischen Rationalismus; insofern sie den kon­ trafaktischen Fall einer Sprache außer Acht lässt, die aufgrund ihrer ausschließlich propositionalen Struktur ganz anders funktionieren würde als das, was wir Sprache nennen, beweist diese Argumentation nicht, dass eine solche kontrafaktische Sprache unmöglich ist, verweist aber diese Möglichkeit in den Bereich des im nicht-hegelschen Sinne Spekulativen).48 Sprache artikuliert die Welt der Sprecher:innen, insofern sie Unterscheidungen festlegt, an denen sich die Sprecher:innen orientieren. Wesentlich für Sprache ist aber, dass die Sprecher:innen darüber hinaus ihren Sprachgebrauch thematisieren bzw. explizieren können. Durch solche Explikationen erklären sich die Sprecher:innen, wie sie die Sprache gebrauchen und auf welche Weise sie ihre Unterscheidungen verstehen. Dies ist zunächst ganz in Brandoms Sinne ein Explizieren impliziter Hintergrundstrukturen. Bertrams These, die ich mir hier zu Eigen mache, ist nun, dass künstlerischer Sprachgebrauch »insgesamt als explikativer Sprachgebrauch zu begreifen« ist.49 Damit erhält künstlerischer Sprachgebrauch eine metasprachliche Funktion. Am stärksten zeigt sich das in Gedichten: Diese befassen sich neben ihrem thematischen Inhalt in zentraler Weise damit, wie wir mit Sprache umgehen und wie sprachlicher Ausdruck funktioniert. Gedichte bilden »lyrische Konstellationen«, in denen Aspekte von Sprache reflektiert und zueinander in Beziehung gesetzt werden, wie z.B. ihre Materialität, Klang, Lautlichkeit, Rhythmus, die Nuancen des Bedeutungsspektrums und das Verhältnis der verschiedenen Referenzbereiche, die durch bestimmte sprachliche Ausdrücke eröffnet werden.50 Ein wesentlicher Effekt dieser Thematisierung ist, dass dadurch eine Distanz zur bestehenden (alltäglichen) Sprachpraxis hergestellt werden kann. Es ist möglich, durch lyrische Konstellationen den sprachlichen (Bedeutungs-) Zusammenhang partiell aufzulösen und neu zu strukturieren (dieser Prozess weist deutliche Bezüge zu der von Lear beschriebenen semantischen Öffnung im Rahmen ironischer Erfahrungen auf). Damit zeigt sich die Sprache in diesen Konstellationen als »gebrochenes Medium«.51 In diesem Zusammenhang versteht Bertram den Entfremdungsbegriff in einem »konstitutionslogischen Sinn«: Entfremdung ist ein Moment 48 Vgl. Bertram, »Sprachphilosophie und Ästhetik«, 64. 49 Bertram, 69. 50 Bertram, 71f. 51 »Die in einer lyrischen Konstellation hergestellten Strukturen artikulieren nicht direkt die Welt, sondern sind als Strukturen eigener Art zu begreifen.

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des Verlusts der Selbstverständlichkeit, durch das wir Distanz zu Ordnungen gewinnen, in denen wir uns befinden. Dieses Entfremdungsmoment ist insbesondere auch in Bezug auf Sprache relevant: Künstlerische Sprache bewirkt eine Distanzierung, die über eine einfache metasprachliche Thematisierung unseres Sprechens (»Was verstehst du unter x?«) hinausgeht. Diese lyrische Selbstthematisierung von Sprache findet sich zwar am deutlichsten in Gedichten, prägt aber den Bereich der literarischen Texte insgesamt.52 Eine solche »Distanz von Sprache in Sprache«53 erzeugt Derrida in Glas (in Form von metasprachlichen »Effekten«). Dabei wird die Tragweite von Bertrams Argument noch in einer entscheidenden Weise erhöht, denn Derrida greift den Versuch einer strikten Unterscheidung zwischen (eindeutig und insgesamt) philosophisch-wissenschaftlichen und (eindeutig und insgesamt) literarischen Texten an. Damit macht er darauf aufmerksam, dass die Techniken der Selbstthematisierung künstlerischer Sprache durch lyrische Konstellationen auch in wissenschaftlichen Texten bzw. in wissenschaftlicher Weise zur Geltung kommen können bzw. gebracht werden können müssen.54 Wie Martin Seel erklärt, hat die propositionale Sprache zwar einen logischen, dadurch aber noch keinen funktionalen Vorrang. Sprache bildet hier Struktur aus sich heraus und löst sich dadurch partiell aus dem Zusammenhang, in dem sprachliche Artikulationen, Denken und Welt verklammert sind. Wenn Sprache in der künstlerischen Selbstthematisierung aus eigenen Konstellationen heraus funktioniert, kündigt sie in ihrem Funktionieren partiell diesen Zusammenhang auf. Es ist entscheidend, diese partielle Aufkündigung nicht als bloße Auflösung zu begreifen. Die gewisse Eigenständigkeit künstlerischer Selbstthematisierung wirkt auf den medialen Zusammenhang sprachlicher Artikulationen zurück. Sie ist in diesem Sinn als ein konstitutiver Aspekt sprachlicher Medialität zu begreifen. Von ihrer künstlerischen Selbstthematisierung her ist Sprache so als ein immer schon gebrochenes Medium zu begreifen. Die sprachlichen Artikulationen, die unser Weltverhältnis von Grund auf prägen, sind grundsätzlich mit Distanzierungen verbunden, durch die wir unseren sprachlichen Artikulationen neue Anstöße geben. Zuspitzend gesagt: Lyrische Konstellationen entfremden uns von sprachlichen Artikulationen, die uns vertraut sind – Sprache ist ein Medium mit dem Potential der Selbstentfremdung.« Ber­tram, 75f. 52 Bertram, 76. 53 Bertram, 76. 54 Damit wird entgegen der Kritik von Habermas keinesfalls der Unterschied von Philosophie und Literatur eingeebnet; vgl. Habermas, »Exkurs zur Einebnung des Gattungsunterschiedes zwischen Philosophie und Literatur«. Es geht bei Derrida gerade nicht darum, einen Gattungsunterschied zu verwischen, sondern darum, zu zeigen, dass die Momente des »künstlerischen Sprachgebrauchs« in beiden Feldern, auf beiden Seiten des Gattungsunterschieds relevant sind. In diesem Sinne argumentiert z.B. auch Adorno, Ästhetische Theorie, 344.

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Nicht-propositionale Formen der Sprache können mit dem impliziten Hintergrund, in den wir als Sprecher:innen eingebunden sind, anders verfahren, als ihn nur in Aussagen zu fassen. Sie können das Implizite gerade als Implizites, den Hintergrund als Hintergrund inszenieren oder mit-ausdrücken – ohne dass er durch die Explikation seinen Hintergrundcharakter verliert (gerade die Sprache selbst hat gegenüber dem durch sie Ausgesagten häufig einen solchen Hintergrundcharakter).55 Die Funktionen der Sprache sind also nicht gegeneinander auszuspielen. Neben der Differenzierung von Artikulation und Explikation kann man auch eine geltungsorientierte und eine welterschließende Funktion 55 Dies kann man als andere Interpretation des »doppelt Sehens« verstehen, das Hegel als Beschreibung für das Urteil verwendet (vgl. z.B. Enz. § 121z). Seel konstatiert: »Der Fehlschluss, dem Brandom wie auch Habermas und nicht wenige andere Sprachphilosophen [...] unterliegen, besteht in einem Schluss von dem logischen auf einen funktionalen Primat der buchstäblichen Rede. Gerade die figürliche Rede in ihren schwächeren und stärkeren Formen und Dimensionen ist ein unersetzliches und in diesem Sinn ebenfalls konstitutives Verfahren der Sprache bereits in den Kontexten der alltäglichen Kommunikation. Auch sie unterliegt spezifischen Bedingungen des Zutreffens und Nicht-Zutreffens, des kognitiven und kommunikativen Gelingens und damit der Rationalität. Sie vermag Einstellungen und Perspektiven des Verstehens und Erkennens von innen heraus zu artikulieren oder zu entwerfen und damit einen Zugang zu den Gegenständen der Rede wachzuhalten oder zu eröffnen, die sich einer beschreibend oder bewertend ›identifizierenden‹ Darstellung sei es vorläufig, sei es nachhaltig entziehen. Viele Formen der figürlichen Rede leisten eine Explikation des Impliziten als Implizitem; sie bringen den diffusen Hintergrund unseres Verstehens in den Vordergrund. [...] Diese erschließenden und aufschließenden Funktionen der Sprache, wie sie in ihren rhetorischen und ästhetischen Verwendungen gegeben sind, liegen im Herzen auch und gerade ihrer besten Möglichkeiten. Sie gehören zu dem Originalmodus einer ›verständigungsorientierten‹ Kommunikation – nicht in seinem logischen, wohl aber seinem funktionalen Sinn. In der Praxis des Denkens und Sprechens kommt den buchstäblichen und den übertragenen Bedeutungen der Rede ein gleichursprünglicher Stellenwert zu. Ohne diese beiden Dimensionen der Kommunikation wäre die Sprache des Menschen nicht allein weitaus ärmer und starrer, sie wäre überhaupt nicht, was sie ist: ein Medium der simultanen Artikulation der Beschaffenheit von Aspekten der Welt und des involvierten Zugangs zu ihnen. Ohne eine positive Theorie ihrer ›raffinierten‹ Verwendungen bleibt eine Theorie der Sprache auf einem Auge blind.« Seel, »Das Potential der Sprache. Adorno – Habermas – Brandom«, 292f. Auf den »Hintergrundscharakter« [sic] der Sprache hat Theodor Bodammer verwiesen; vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 239.

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der Sprache differenzieren: Erstere umfasst explizite Stellungnahmen zu Gedanken über den Zustand der Welt, letztere dagegen mehr oder weniger innovative, häufig künstlerische Verfahren einer semantisch dichten Eröffnung und Artikulation weltbildender Sichtweisen.56 Die nichtpropositionalen Sprachformen haben daher sowohl eine explikative, als auch eine »erschließende« und (Verständniszusammenhänge) »aufschließende« Funktion. Gerade die »erschließende[n] Repräsentationen«57 verbinden die konstituierende und die abbildende Funktion, die wir mit dem Darstellungsbegriff assoziiert haben und dieser Funktion wird insbesondere in den (sprachlichen) Praktiken Rechnung getragen, die wir als ästhetische Praktiken bezeichnen.58 Durch sein spannungsfreies Ideal der Gesellschaft und seine Verengung der Sprache auf den Bereich des Propositionalen kann Brandom die Dynamik des Bedeutungswandels nur schwer beschreiben. Anders als für Brandom scheint dagegen für Hegel klar, dass die spezifische Welthaftigkeit der »Welten« des Geistes v.a. durch literarische Sprache eingefangen werden kann. Daher greift Hegel in der Phänomenologie auf literarische Quellen wie Antigone und Rameaus Neffe zurück. Ferner rekonstruiert er, wie die Rollen, die wir als Sprecher:innen einnehmen, in bestimmten literarischen Genres verhandelt und untersucht werden. Dazu gehören z.B. in Epos, Tragödie und Komödie, die Hegel im Religionskapitel explizit als Formen des künstlerischen Ausdrucks untersucht. Schließlich unterstreicht Hegel, dass Propositionen letztlich nicht »geschickt« sind, 56 Vgl. Seel, »Das Potential der Sprache. Adorno – Habermas – Brandom«, 283. 57 Kreis, »Ästhetische Wahrheit«, 508. Vgl. zur »welterschließenden Kraft der Sprache« auch Kreis, Cassirer und die Formen des Geistes, 116. 58 Wie Guido Kreis zeigt, kann man so zu einem antirepräsentationalistischen Repräsentationsbegriff kommen: »Dass die geistigen Vorkommnisse Gegenstände repräsentieren, heißt für einen Repräsentationalisten in der Regel, dass es einzelne Stellvertreter im Geist gibt, die die Repräsentationen der Dinge außerhalb des Geistes sind, und dass wir nur zu den Stellvertretern einen unmittelbaren Zugang haben, nicht aber zu den Dingen selbst. Häufig deuten Repräsentationalisten die Stellvertretungsbeziehung als Abbildung, die das Kriterium der Ähnlichkeit erfüllt. Obwohl die Schwächen dieser Position immer wieder hervorgehoben worden sind, gibt es keinen Grund, auf den Repräsentationsbegriff selbst zu verzichten. Er muss nur derart umgedeutet werden, dass der Gehalt eines geistigen Vorkommnisses nicht durch Abbildung entsteht, sondern durch souveräne Ausdifferenzierung des Geistes oder eines seiner Subsysteme, zum Beispiel durch die autonome Setzung eines Kunstwerks.« Kreis, »Ästhetische Wahrheit«, 509. Gerade ein solcher Repräsentationsbegriff sollte eigentlich in hohem Maße verträglich mit Brandoms inferentialistischer Konzeption von Repräsentation sein.

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die Wahrheit auszudrücken, sondern dafür eine systematische holistische Struktur benötigt wird, die mit einer Pluralität von Sprach- und Ausdrucksformen arbeitet, um eine Sache auch zusammen mit ihrem Werden darstellen zu können.59 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass Brandom sich nicht zu Hegels Urteilskritik positioniert – tatsächlich wird der spekulative Satz in A Spirit of Trust kein einziges Mal auch nur erwähnt. Zwar operiert jede Lektüre der Phänomenologie selektiv; Brandom ignoriert allerdings maßgebliche Teile des Textes von denen man sagen muss, dass sie gerade für seine theoretischen Interessen von höchster Relevanz wären: Einerseits das Religionskapitel, das sich mit den verschiedenen Formen medialen Ausdrucks und der Selbstvermittlung von Gemeinschaften durch Sprache beschäftigt und andererseits die Theorie und Kritik des Urteils, die auf den spekulativen Satz hinausläuft (Brandom beschränkt sich hier auf Hegels Verständnis der Substanz als Subjekt und der Identität durch Differenz). Schließlich lässt sich auch bemerken, dass gerade Hegels Kritik des »Unsagbaren« zu einem weiten Sprachverständnis führt. Darin kann man eine Parallele zur Entwicklung Wittgensteins sehen: Während der Wittgenstein des Tractatus einen weiten Bereich menschlicher Interessen jenseits der Reichweite sinnvoller Sätze verortet, vergrößert der spätere Wittgenstein den Bereich des Sagbaren, indem er weichere Sprachformen akzeptiert (so etwa in den »Philosophischen Untersuchungen« und »Über Gewissheit«). Wir werden deshalb im Folgenden untersuchen, wie die Sprache in einem weiteren Rahmen bei Hegel thematisch wird. Der Theoretiker, der am entschiedensten dafür argumentiert hat, dass die vermeintlich »parasitären« Sprachformen, die sich etwa in der künstlerischen Sprache finden, zentral für das Funktionieren der Sprache insgesamt sind, ist Jacques Derrida, 59 Vgl. die im ersten Teil dieser Arbeit diskutierte Passage PhG, 13. In der Wissenschaft der Logik unterstreicht Hegel in der zweiten Anmerkung zu »Sein-Nichts-Werden«, »dass der Satz, in Form eines Urteils, nicht geschickt ist, spekulative Wahrheiten auszudrücken; [...]. Das Urteil ist eine identische Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat; es wird dabei davon abstrahiert, dass das Subjekt noch mehrere Bestimmtheiten hat als die des Prädikats, sowie davon, dass das Prädikat weiter ist als das Subjekt. Ist nun aber der Inhalt spekulativ, so ist auch das Nichtidentische des Subjekts und Prädikats wesentliches Moment, aber dies ist im Urteil nicht ausgedrückt.« (WL1, 93). Diese Anmerkung enthält auch weitere zentrale Kritikpunkte Hegels an der gewöhnlichen Sprachform. Vgl. analog Enz. § 31: »Ohnehin ist die Form des Satzes oder bestimmter des Urteils ungeschickt, das Konkrete – und das Wahre ist konkret – und das Spekulative auszudrücken; das Urteil ist durch seine Form einseitig und insofern falsch.«

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dessen Auseinandersetzung mit Hegels Texten wir als nächstes in den Blick nehmen.60

2. Jacques Derrida: Sprache als Verschiebung und Verlust der Bedeutung Brandoms Ansatz zielt darauf ab, den impliziten Hintergrund der logischen Verwicklungen, in denen wir uns bewegen, explizit zu machen. Dieser Hintergrund spielt bei Derrida ebenfalls eine wichtige Rolle. Es handelt sich dabei aber nicht nur um einen logischen Hintergrund, sondern vor allem auch um einen sozio-kulturellen und historischen. Derrida verfolgt also andere Formen der Überdetermination der Sprache. Seine dekonstruktive Lektüre ist sogar grundsätzlich an solchen Überdeterminationen orientiert, die sich Derrida zufolge insbesondere durch den Schriftcharakter der Sprache geltend machen: [D]er Schriftsteller schreibt in einer Sprache und in einer Logik, deren System, Gesetze und Eigenleben von seinem eigenen Diskurs nicht absolut beherrscht werden können. Er bedient sich dieses Systems, indem er sich in gewisser Weise und bis zu einem gewissen Grad von ihm beherrschen lässt.61

Schreibende begeben sich durch ihre Tätigkeit also gewissermaßen in die Bewegung der Sprache hinein und zehren dabei von Hintergrundannahmen, die für sie selbstverständlich sind. Während Brandom davon ausgeht, dass rationaler Fortschritt im Wesentlich darin besteht, das, was in unserer Praxis bereits implizit ist, explizit zu machen, zielt die Dekonstruktion darauf, scheinbar Offensichtliches (also das bereits Explizite) erneut fragwürdig zu machen. Dies ist ein wesentlich skeptischer Zug: Es geht darum, die unerkannten Voraussetzungen des scheinbar Natürlichen deutlich zu machen und es so als nicht natürlich auszuweisen (die Philosophie kann also sowohl zu ihrer Aufgabe nehmen, das Nicht-Offensichtliche zu erklären, als auch das scheinbar Offensichtliche erneut fragwürdig zu machen). Derrida und Brandom ergänzen sich also: Bei Derrida finden wir eine Theorie der nicht-propositionalen Sprachformen, der Mutation und der unkontrollierten Transformation des Sinns – und ferner eine Praxis des philosophischen Schreibens, die sich aus dieser Theorie ergibt und ihr wiederum Impulse verleiht. Das zentrale Problem 60 Paradigmatisch für seine Kritik »normaler« Sprechformen ist Derridas Auseinandersetzung mit Austin in »Signatur Ereignis Kontext«. 61 Derrida, Grammatologie, 273. Derrida spricht in diesem Zusammenhang auch von einem »Übergewicht der Sprache«, das alle Schreibenden – auch die Philosoph:innen – betrifft (vgl. ebd., 276).

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von Derridas Hegel-Interpretation ist, dass er an dem Klischee der »totalitären« Hegel-Interpretation festhält. Während Brandoms Lektüre der Phänomenologie eine homogene Sozialform des Vertrauens anstrebt, argumentiert Derrida gegen Hegels Versuche, die Philosophie zu einem systematischen Abschluss zu bringen, um auf diese Weise die Möglichkeit einer offenen Zukunft zu erhalten.62 Ein wichtiges Moment in Derridas Denken ist die Erfahrung einer kon­ stitutiven Fremdheit der Sprache. In »Die Einsprachigkeit des Anderen« schreibt er: »Ich habe nur eine Sprache, die ist nicht die meinige«.63 Dieser Gedanke drückt sich auch in Glas aus, das mit dem Zitatcharakter der Worte beginnt.64 Entsprechend ist die Sprache auch in Derridas Auseinandersetzung mit Hegel zentral. Derrida unterstreicht, dass Hegel die Frage der philosophischen Sprache nicht umgangen hat und zeigt, dass ein wesentlicher Bestandteil von Hegels Projekt darin besteht, dass der philosophische Begriff die Natürlichkeit der Sprache überwindet und eine Denaturalisation der Sprache vollzieht, die zugleich ein genuines Moment der Sprache selbst ist: »Der Prozess der Sprache ist [...] ihre Denaturalisation.«65 In der Entwicklung des Begriffs wird die Sprache als Moment der Äußerlichkeit durchquert.66 Dieses Moment der Aufhebung der Sprache verdeutlicht sich am Klang, also an der spezifischen Zeitlichkeit des gesprochenen Sprachzeichens. In diesem Zusammenhang erläutert Derrida, dass die Aufhebung der natürlichen Sprache nicht in eine andere Sprache mündet, sondern stattdessen einen »metasprachlichen Effekt« hervorruft.67 Die Sprache muss in einer ähnlichen Weise aus sich selbst heraus gehen und zu sich selbst in Bezug gesetzt werden, wie der Geist selbst.68 Derridas Auseinandersetzungen mit Hegel fokussieren drei für unsere Arbeit zentrale Momente: (1) Das Verhältnis der Philosophie zur natürlichen Sprache, (2) das Verhältnis der Philosophie zu der Art und Weise, wie ihre eigene Geschichte die Sprache geprägt hat, und (3) die philosophische Relevanz der Art und Weise des Umgangs mit der Sprache. In betontem Kontrast zu Hegel zielt Derridas Philosophie darauf ab, Text als Differenzprozess zu verstehen und damit eine Form der Einheit 62 Damit versuchen allerdings sowohl Brandom als auch Derrida, Hegels Konzept des absoluten Wissens zu umgehen bzw. zu entkräften. 63 Derrida, Die Einsprachigkeit des Anderen oder die ursprüngliche Prothese. Vgl. zu diesem Text Derridas und zur Fremdheit der Sprache im Allgemeinen auch Trabant, Was ist Sprache?, 52–85 und 229–48. 64 Vgl. Derrida, Glas: Totenglocke, 5. 65 Derrida, Randgänge der Philosophie, 375n27. Vgl. auch Derrida, Glas: Totenglocke, 12a f. Die Kennzeichnung a bzw. b in den Zitaten aus Glas bezieht sich auf die linke bzw. rechte Spalte des Textes. 66 Derrida, 13a. 67 Derrida, 14a f. 68 Vgl. Derrida, 19a f. zur Objektivierung des Geistes.

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zu unterlaufen, die er als totalitär zurückweisen will. Er setzt die Differenzierungsleistung dessen, was er »Schrift« nennt, gegen das Schlussmoment des Werkes bzw. des Buches. Damit hängt auch zusammen, dass Derrida eine irreduzible Materialität der Sprache betont, durch die die sprachlichen Zeichen sich dagegen sperren, ganz in Bedeutung aufzugehen. Allerdings ist es keinesfalls so, dass Hegels Texten ausschließlich oder eindeutig eine einheitsbildende Funktion zugeschrieben werden kann. Entsprechend der spekulativen Theorie der Identität (die als Identität von Identität und Nichtidentität bestimmt wird), ist auch Hegels Text eine Differenzierung einer Einheit, die nur durch (Selbst-)Differenz überhaupt zustande kommt (was auch Hegels Bezeichnung der Phänomenologie als »Weg der Verzweiflung« unterstreicht) und in der Tat hat Derrida selbst darauf hingewiesen, dass man Hegel auch als Denker der Differenz und des Bedeutungsverlustes lesen kann: Der Horizont des absoluten Wissens ist das Erlöschen der Schrift im Logos, die Resumtion der Spur in der Parusie, die Wiederaneignung der Differenz, die Vollendung dessen, was wir an anderer Stelle die Metaphysik des Eigentlichen genannt haben. Und doch kann alles, was Hegel in diesem Horizont gedacht hat – das heißt alles außer der Eschatologie –, auch als Überlegung zur Schrift gelesen werden. Hegel ist auch der Denker der irreduziblen Differenz. Er hat das Denken als ein Zeichen produzierendes Gedächtnis wieder zu Ehren gebracht. Und er hat, wie wir an anderer Stelle zeigen wollen, die wesensmäßige Notwendigkeit der geschriebenen Spur in einem philosophischen, das heißt sokratischen Diskurs, der sich ihrer immer entledigen zu können glaubte, von neuem eingeführt. Hegel ist der letzte Philosoph des Buches und der erste Denker der Schrift.69

Damit betont Derrida eine Ambialenz des Hegelschen Denkens, die sich insbesondere auch auf Hegels Verständnis der Sprache und seinen sprachlichen Ausdruck überträgt: Hegels Sprache ist einerseits auf unmittelbares Verstehen und andererseits auch auf den Entzug des Sinns hin lesbar. Sie entzieht den Sinn zuerst völlig und erscheint als völlig fremd, obwohl wir alle Worte kennen. Sie bietet dann aber auch die Möglichkeit, einen Gedanken in extrem komplexer Weise aufzuschließen. Hegels Sprache arbeitet also mit der Differenz von Sinneröffnung und Sinnentzug.70 Entsprechend hat Derrida auch darauf hingewiesen, dass das, was bei Hegel aussieht wie Rhetorik, tatsächlich die eigentliche 69 Derrida, Grammatologie, 48. Eine Differenzierung verschiedener Text-Konzeptionen findet sich in der Einleitung der Herausgeber in Kammer und Lüdeke, Texte zu Theorie des Textes. 70 Vgl. Bertrams Ausdruck des »Zaubers«, den man beim Lesen Hegels manchmal erfährt. Darin verbirgt sich dieser Doppelaspekt der Sprache Hegels; Bertram, Hegels »Phänomenologie des Geistes«, 8.

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Entwicklung des Begriffs ist. Die Phänomenologie bewegt sich in der Spannung der »Sprache der Vorstellung« und der »Sprache des Begriffs« bzw. wie Derrida sagt, der natürlichen und der formalen Sprache. Wie bereits gezeigt, handelt es sich dabei aber nicht um zwei verschiedene Sprachen im Sinne des Vokabulars, sondern primär im Sinne des Verstehens und des Wissens um die Sprache. Auf der Ebene des Sprachgebrauchs mit dem Ziel einer Pro-Vokation, eines Hervorrufens des Denkens, besteht eine wesentliche Parallele zwischen Derrida und Hegel. Derrida deutet dies an, indem er auf seine »fast absolute Nähe zu Hegel« verweist.71 Der Unterschied, den er allerdings »radikal«72 nennt und entsprechend deutlich markieren will, liegt in den Nuancen, in der »Micrologie«.73 Die Überschneidungen von Hegel und Derrida liegen einerseits in einer Kritik der Unmittelbarkeit und andererseits in einer Kritik von Dualismen: Hegel argumentiert gegen Vorstellungen unmittelbarer Einheiten und gegen Verharren in starren Oppositionen. Derrida setzt sich hier insofern von Hegel ab, als er kritisiert, dass die Einheit bei Hegel letztlich immer auf einer höheren Ebene wiederhergestellt und die verlorene Unmittelbarkeit darin wiederangeeignet wird. Das Programm der Dekonstruktion ist eine Kritik der Metaphysik in jeder Form, die darauf abzielt, die Schließung des Systems zu unterlaufen, und alle Schließungsfiguren zu »entgrenzen«.74 Insbesondere legt Derrida dabei darauf Wert, die Intransparenz der Sprache he­ rauszustellen, die einer reinen Selbstpräsenz des Geistigen entgegenwirkt. Derrida weist selbst darauf hin, dass es auch aus seiner theoretischen Position absurd wäre, eine strikte Opposition zu Hegel zu beziehen, da ja sein Denken insgesamt darauf abzielt, solche Oppositionen zu unterlaufen.75 Trotz seines Anspruchs auf Radikalität sind Derridas Auseinan71 So Derrida im Gespräch mit Jean-Louis Houdebine und Guy Scarpetta, Positionen, 92f. Vgl. dazu Derridas Rede von der »absolut nahen Präsenz« in Derrida, »Von der beschränkten zur allgemeinen Ökonomie. Ein rückhaltloser Hegelianismus«, 415. 72 Derrida, »Die différance«, 43. 73 Derrida, Positionen, 93. 74 Vgl. Positionen, 95 und Schülein, Metaphysik und ihre Kritik bei Hegel und Derrida, 30. 75 Schematisch kann man sagen, dass Derrida versucht, duale Oppositionen zu unterlaufen, indem er zunächst Partei für den (vermeintlich) schwächeren Term bezieht und dann darauf hinweist, dass dieser immer schon das Verhältnis dieser Opposition strukturiert; in diesem Fall ist nicht mehr klar, wie der Konflikt beider Termini aufgehoben werden könnte. Dazu schreibt Karin de Boer: »For Derrida […], opposite terms not only presuppose one another – as Hegel would be the first to affirm – but are related in such a way that the subjugated term first makes possible the emergence of the allegedly purely spiritual filiation [meine Hervorhebung, S.W.]. If, as Derrida

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dersetzungen mit Hegel selbst teilweise nicht eindeutig einzuordnen und bleiben in der Schwebe; tatsächlich wäre eine über alle Kontexte generalisierende Eindeutigkeit aus Sicht Derridas eine zu große Konzession an die Form von Systematizität, die er gerade ablehnt.76 Im Detail betrachtet, erweist sich das Verhältnis von Hegel und Derrida also als wesentlich ambivalenter. Das betrifft besonders den Aspekt der Sprache: Wie wir bereits gesehen haben, vertritt Hegel gar nicht die Auffassung, dass Sprache für das Denken vollständig transparent ist oder wird. Auch Johannes Schülein weist darauf hin, »dass Hegel die Sätze des Urteils und des Schlusses ausdrücklich als intransparente und nicht geschlossene sprachliche Einheiten begreift« und damit »eine maßgebliche sprachbezogene Überlegung Derridas vorwegnimmt«.77 Außerdem ist Sprache für Hegel mit dem Modus der Vorstellung verbunden, die ebenfalls eine notwendigerweise intransparente – und unumgängliche – Vorstufe des Denkens bezeichnet. Dialektischer Fortschritt resultiert in der Phänomenologie (u.a.) aus einer Konfrontation des Bewusstseins mit dem impliziten Gehalt seiner eigenen Sprache. Meiner These nach benutzen sowohl Hegel als auch Derrida Strategien der sprachlichen Darstellung, um Diskrepanzen im Bereich der Vorstellung zu erzeugen. Derrida verstärkt dabei etwas, das Hegel ebenfalls tut: Er verräumlicht das Denken, lässt es dabei different werden und verweist so auf die Resistenz des Denkens gegenüber endlichen Bestimmungen; er kreiert also Konstellationen, in denen wir semantisch herausgefordert werden, weil unser Begriffsapparat an seine Grenzen gerät. Die radikalste Ausdrucksform findet dieses Programm in den Zwischenräumen von Glas.78 Bei Hegel wie bei Derrida finden wir einen Zusammenhang von sprachlicher Form und Argumentation. Hegels Phänomenologie des Geistes beschreibt die Entwicklung des Bewusstseins zum absoluten Wissen durch die immanente Kritik bestehender Wissensansprüche. Dieses Projekt enthält auch einen Bruch mit den gegebenen Ressourcen der sprachlichen Artikulation: Die von Hegel angestrebte Philosophie muss die Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks erweitern, um sich ihrem argumentativen Ziel gegenüber angemessen artikulieren zu können. suggests, the subjugated term is not secondary, then it does not necessarily yield to the term that attempts to establish itself as the pure principle of itself and its contrary. Seen from this perspective, the ensuing conflict between both terms is not necessarily resolvable.« De Boer, »Différance as Negativity: The Hegelian Remains of Derrida’s Philosophy«, 603. 76 Vgl. dazu auch Derrida, »Signatur Ereignis Kontext«. 77 Schülein, Metaphysik und ihre Kritik bei Hegel und Derrida, 31. Vgl. ebd., 366. 78 Christian Martin hat in einem ähnlichen Zusammenhang den Begriff des semantischen Sollens vorgeschlagen; vgl. Martin, »Semantische Bestimmtheit«.

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Dieses kritische Moment findet bei Derrida eine Entsprechung in der »Kraft eines Bruches« mit der bestehenden Ordnung des Wissens, die er dem Zeichen zuschreibt.79 Es zeigt sich eine interessante Konstellation: Für Hegel liegt die Kraft zum Bruch mit dem Gegebenen im Einheitsstreben der Vernunft. Das kritische Moment ist das absolute Wissen bzw. die Fähigkeit des reinen Denkens, durch das ein menschliches Subjekt autonom wird. Um dieses reine Denken zu evozieren und darzustellen, nutzt Hegel die dem sprachlichen Material inhärenten Potentiale, übersteigt dabei aber auch die Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache. Für Derrida ist die Kraft zum Bruch mit gegebenen Bedeutungsstrukturen eine Eigenschaft des Zeichens, die diesem aufgrund seiner Übertragbarkeit in jeden beliebigen Kontext prinzipiell zukommt. Aufgrund der wesentlichen Iterierbarkeit des Zeichens kann es – so die These von »Signatur Ereignis Kontext« – keinen allumfassenden Kontext geben, sondern nur eine Vielzahl verschiedener Kontexte. Die Iterierbarkeit des Zeichens wirkt destabilisierend auf jede symbolische Ordnung und Derrida führt dieses Moment in Glas deshalb gerade gegen die Selbsttransparenz des reinen Denkens bzw. des standpunkt-transzendenten absoluten Wissens ins Feld, das für ihn den totalitären Anspruch eines allumfassenden Kontextes repräsentiert.80 Zu fragen ist, ob es in gewissen Punkten einen Pakt zwischen der Iterierbarkeit des Zeichens und dem die Gegensätze verflüssigenden absoluten Wissen gibt. Mit dieser Ausrichtung werden wir im Folgenden die drei zentralen Texte der Auseinandersetzung Derridas mit Hegel untersuchen: den Aufsatz über beschränkte und allgemeine Ökonomie, »Der Schacht und die Pyramide« sowie zuletzt Glas. 2.1 Ökonomie und Reserve Die Logik, die Derrida in Glas auf der Formebene des Textes umsetzt, wird u.a. in seinem frühen Aufsatz über beschränkte und allgemeine Ökonomie entwickelt. Derrida beschreibt Hegels System als »beschränkte Ökonomie« (économie restreinte). Die beschränkte Ökonomie bezeichnet er als »Ökonomie des Lebens«, die darauf abzielt, Sinn in einem geschlossenen System zirkulieren zu lassen, ihm einen Tauschwert zuzuschreiben und ihn zu reproduzieren. Wenn in dieser Ökonomie etwas aufs Spiel gesetzt wird, dann mit dem Ziel, dass sich der Einsatz »amortisier[t]«.81 Die 79 Vgl. Derrida, »Signatur Ereignis Kontext«, 335f. 80 Ist »diese Struktur der Iteration einmal gegeben, so wird die Intention, welche die Äußerung beseelt, sich selbst und ihrem Inhalt nie vollkommen gegenwärtig sein. Die Iteration, die a priori sie strukturiert, führt in sie eine wesentliche Dehiszenz und einen wesentlichen Bruch ein.« Derrida, 347. 81 Vgl. Derrida, »Von der beschränkten zur allgemeinen Ökonomie. Ein rückhaltloser Hegelianismus«, 389.

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beschränkte Ökonomie ist eine der Herrschaft; Differenzen werden einer über sie hinausgehenden Identität untergeordnet. Den Gegenbegriff bildet die allgemeine Ökonomie (économie générale). Sie ist im Unterschied eine Ökonomie des Todes.82 Diese Ökonomie ist eine der Souveränität, die sich von der Herrschaft dadurch unterscheidet, dass sie die Reproduktion des Sinns vollständig aufs Spiel setzt, ohne dabei auf einen Gewinn zu spekulieren. Herrschaft wird über Anerkennung definiert, während Souveränität auf Anerkennung verzichtet; der absolute Verzicht auf Anerkennung ist ein »absolute[s] Wagnis des Todes«, die Akzeptanz des absolut bedeutungslosen Todes.83 Derrida sieht die Beschränkung der Philosophie (Hegels) darin, dass das Moment des Negativen nur als Vorraussetzung bzw. »Reserve des Sinns« relevant ist und damit einer abschließenden Wahrheit des Sinns untergeordnet wird, die nie eigentlich durch die Negativität in Frage gestellt oder gefährdet werden kann. Diese Wahrheit hat die Form einer Selbstpräsenz des Sinns bzw. des sinnhaften Erkennens. Der Prozess der Aufhebung der Negativität, der diese Wahrheit hervorbringt, bleibt, so Derrida, »Herr über das Spiel«, das er »begrenzt und bearbeitet, indem [er] ihm Form und Sinn verleiht«; diese »Ökonomie des Lebens [beschränkt sich] auf die Erhaltung, die Zirkulation und Reproduktion des Selbst, wie auch des Sinns«:84 Weil die Phänomenologie des Geistes (und die Phänomenologie im allgemeinen) die Folge der Figuren der Phänomenalität auf ein Wissen um den Sinn, der sich immer schon angekündigt hat, bezieht, entspricht sie einer beschränkten Ökonomie: die auf die Tauschwerte beschränkt ist, könnte man sagen, indem man die Begriffe der Definition wieder aufnimmt, eine »Wissenschaft, die die Verwendung der Reichtümer erörtert« und die durch den Sinn und den konstituierten Wert der Gegenstände auf ihre Zirkulation beschränkt bleibt. Die Zirkularität des absoluten Wissens würde demzufolge nur diese Zirkulation und den Kreislauf der reproduktiven Konsumtion beherrschen bzw. begreifen. Die Produktion und die absolute Zerstörung des Wertes, die überschüssige Energie als solche, die »nur ziellos verschwendet werden kann, folglich ohne Sinn«, all das entgeht der Phänomenologie als beschränkter Ökonomie. Sie ist nur in der Lage, die Differenz und die Negativität als Seiten, Momente oder Voraussetzungen des Sinns zu bestimmen: als Arbeit. Der Nicht-Sinn des souveränen Tuns ist aber weder das Negative, noch die Bedingung des Sinns, selbst wenn er das ebenfalls ist und sein 82 Entsprechend betont Derrida Hegels eigene Forderung, »das Tote festzuhalten« (PhG, 36); vgl. Derrida, 385. Auch Glas wird im Klappentext des Buches als Ökonomie des Todes beschrieben. 83 Derrida, 389. Die Unterscheidung von beschränkter und allgemeiner Ökonomie leitet sich aus einer Lektüre des Herr-Knecht-Szenarios aus der Phänomenologie ab (vgl. ebd., 387 sowie PhG, 145–55). 84 Derrida, 387.

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Name dies zu verstehen gibt. Er ist keine Reserve des Sinns. Er steht jenseits der Opposition von Positiv und Negativ, denn der Akt der Aufzehrung ist nicht, wenn er auch zur Verschwendung des Sinns auffordert, das Negative der in der Wahrheit ihres Sinns (des Bewahrens) bewahrten oder betrachteten Präsenz.85

Derrida verbindet die Diagnose dieser Zirkulation mit einer Kritik an der Philosophie des logos, der »im Anfang« schon war und dessen Präsenz in Form eines Abschlussmoments wiedergewonnen wird (ein Motiv, das sich in Glas wiederfinden wird).86 Die Reserve im französischen Titel bedeutet also zweierlei: Das negative Moment des NichtSinns soll erstens nicht als Ressource verstanden werden, als Reservoir oder Quelle des Sinns; das System hat Derrida zufolge keinen Rückhalt bzw. kein Fundament. Man darf zweitens dem Nicht-Sinn gegenüber nicht reserviert sein, sondern soll sich rückhaltlos ausliefern. Die sinnorientierte Dialektik übersieht, wodurch dieser Sinn überhaupt erst möglich wird: Der Begriff der Aufhebung […] ist lächerlich darin, dass er die Geschäftigkeit eines Diskurses bezeichnet, der alle Negativität wiederanzueignen sich abquält und alles tut, um den Einsatz beim Spiel in eine Investition zu verwandeln, die die Ausgaben absolut amortisieren, dem Tod einen Sinn verleihen soll, um sich gleichzeitig vor dem Un-Grund des NichtSinns, aus dem der Grund des Sinns geschöpft wird und in dem er sich erschöpft, zu verschließen.87

Das System stabilisiert sich durch eine Unterscheidung von Sinn und NichtSinn. »Im Diskurs (Einheit von Prozess und System) ist die Negativität immer die andere Seite und der Komplize der Positivität.«88 Innerhalb dieses Systems ist Hegel nicht angreifbar: Derrida sagt ausdrücklich, dass Hegel immer Recht behält, »sobald man den Mund auftut, um den Sinn zu artikulieren«.89 Derrida entwirft daher die Strategie, den Sinn selbst anzugreifen, indem man »die Prädikate durchstreicht« oder »eine widerspruchsvolle Doppelbelichtung (surimpression) praktiziert« und damit »die Logik der Philosophie exzediert«, also in den Exzess treibt, übersteigt oder entgrenzt. »Der blinde Fleck des Hegelianismus« liegt Derrida zufolge in einer vorbehaltlosen Negativität, also im Spiel mit dem Sinn-Verlust.90 Die beschränkte Ökonomie der Philosophie, die die Negativität auf eine Ermöglichungsbedingung reduziert, wird durch eine Geste der 85 Derrida, 412. 86 Vgl. Derrida, Glas: Totenglocke, 86. 87 Derrida, »Von der beschränkten zur allgemeinen Ökonomie. Ein rückhaltloser Hegelianismus«, 389. 88 Derrida, 392. 89 Derrida, 398. 90 Derrida, 392.

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Souveränität überschritten. Durch ihr verschwenderisches Riskieren des »schlichten und einfachen«, »stummen und ergebnislosen«91 Todes bewirkt die Souveränität eine »Öffnung«, die »die Grenze des Diskurses und das Jenseits des absoluten Wissens der Philosophie freilegt.«92 Die Souveränität verzichtet auf Herrschaft über sich selbst sowie auf Identität überhaupt.93 Dieser Verzicht geht mit einem Verzicht auf Sinn einher, den Derrida mit einer Form des Schweigens und der Schrift verbindet. Es wäre »knechtisch«, sich durch die Schrift entweder selbst unterzuordnen oder etwas anderes unterordnen zu wollen. Die souveräne Schrift erfordert deshalb die absolute Indifferenz gegenüber den Systemen der Bedeutungssicherung.94 Sie muss in der Sprache schweigen können, was bedeutet, dass sie auf eine final gültige Explikation verzichten (können) muss. Möglich ist das nur durch eine Syntax des Un-Verhältnisses. Daraus ergibt sich das Programm einer »mündigen« Schrift bzw. Schreibweise. Das Überschreiten des Prinzips der Herrschaft (und damit auch die Abgrenzung der allgemeinen von der beschränkten Ökonomie) hängt damit an einer bestimmten Konzeption der Schrift.95 Die Souveränität der Schrift ist Derrida zufolge dann absolut, wenn »sie sich von jedem Bezug freimacht und in der Nacht des Geheimnisses steht«.96 Sie kommuniziert sich gerade durch dieses Geheimnis. Für Derrida ist entscheidend, dass ein Unbekanntes bestehen bleiben kann 91 Derrida, 387. 92 Derrida, 395. 93 Derrida, 401. Vgl. ebd., 395: »Die Souveränität muss daher auch noch die Herrschaft opfern, die Vergegenwärtigung der Bedeutung des Todes. Der Sinn wird, sobald er für den Diskurs verloren ist, vollkommen zerstört und aufgebraucht. […] Indem die Souveränität den Sinn opfert, lässt sie den Diskurs zugrundegehen.« Die Souveränität verzichtet auf Identität, insofern sie »kein Selbst, kein Für-sich, kein Auf-sich, kein Bei-sich« ist; Derrida, 402. 94 Mit dem Begriff der absoluten Indifferenz verweist Derrida auch auf den Schellingschen »Un-Grund«; vgl. Derrida, 399. 95 Vgl. Derrida, 404f. Zur Syntax des Un-Verhältnisses vgl. ebd., 400: »Absolut einzigartiger Bezug einer Sprache auf ein souveränes Schweigen, das keine Beziehung, keine Symmetrie zu dem toleriert, was sich beugt und was gleitet, um sich auf es beziehen zu können. Dieser Bezug jedoch muss die untergeordneten Bedeutungen und das Tun, das das Un-Verhältnis ist, das keinerlei Bedeutung hat und sich frei außerhalb der Syntax hält, wissenschaftlich streng in eine gemeinsame Syntax bringen. Wissenschaftlich müssen Verhältnisse zu einem Un-Verhältnis, muss ein Wissen zu einem Un-Wissen in Bezug gesetzt werden.« Zum Derridas Begriff der Schrift vgl. v.a. Derrida, Grammatologie, 9–48. 96 Derrida, »Von der beschränkten zur allgemeinen Ökonomie. Ein rückhaltloser Hegelianismus«, 404.

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und nicht durch den philosophischen Diskurs assimiliert wird (worin ein maximaler Unterschied zu Brandoms Programm besteht). Souverän ist demnach das, was seinem Begriff nach nicht zu einer Form von Mitarbeit im Diskurs werden kann. Das Verhältnis der souveränen Schrift und der herrschaftlichen Philosophie hat sich Derrida zufolge in der Entwicklung des (philosophischen) Diskurses laufend verschoben: »Diese Verschiebung aber ist nicht in der Lage, den Kern der Prädikate umzuformen.«97 Eine solche Umformung wäre notwendig, da die Beschreibungen der Souveränität andernfalls nur auf ein Vokabular zurückgreifen könnten, das in fester Verbindung mit dem Diskurs der Herrschaft steht: »Alle der Souveränität zugeteilten Attribute sind der (Hegelschen) Logik der Herrschaft entlehnt«, wie Derrida sagt.98 Einen Ansatz zur Lösung dieses Problems findet Derrida bei Bataille, der (Derridas Interpretation zufolge) ein »allgemeine[s] Gewebe« konstruiert, in dem sich der Sinn seiner Sätze auflöst. Die Auflösung des Sinns bewirkt eine Leseerfahrung, die logisch nicht mehr einzufangen ist, Derrida zufolge aber als solche Erfahrung der schlechthinnigen Inkommensurabilität zu jedem echten Wissen gehört. In diesem Sinne sucht Bataille eine Schrift, die durch eine »Sinnmutation« über »den Logos (des Sinns, der Herrschaft, der Präsenz, usw.)« hinausgeht (ihn »exzediert«, wie Derrida schreibt) und man verfehlt die Bedeutung seiner Texte, wenn man an einer gewohnten, Sinn assimilierenden Leseweise festhält.99 Derrida zufolge enthält Batailles Text eine formale Notwendigkeit, die man übersieht, wenn man ihn als Bestandteil oder Kommentar einem (im herrschaftlichen Sinn) philosophischen Diskurs ein- oder beiordnet. Der philosophische Diskurs verfehlt notwendigerweise die Dynamiken des Sinnverlusts. Dagegen bezieht die mündige Schrift (écriture majeure) das Wissen konstant auf ein Nicht-Wissen, ohne innerhalb dieser Beziehung jemals eine klare (hierarchische) Ordnung zuzulassen. Sie konstruiert das bereits angesprochene Un-Verhältnis: Die mündige Schrift auf das souveräne Tun zu beziehen, heißt ein Verhältnis in der Form des Un-Verhältnisses zu errichten, den Riss in den Text einzuschreiben, die Kette des diskursiven Wissens in ein Verhältnis zu einem Nicht-Wissen zu bringen, das nicht eines ihrer Momente ist, zu einem absoluten Nicht-Wissen, von dessen Un-Grund der Glücksfall oder der Einsatz des Sinns, der Geschichte und der Horizonte des absoluten Wissens sich abheben. Die Einschreibung eines solchen Verhältnisses wird »wissenschaftlich« sein, das Wort Wissenschaft erfährt aber eine radikale Änderung; ohne etwas von seinen eigentlichen Normen zu 97 Derrida, 404. 98 Derrida, 404. 99 Derrida, 405.

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verlieren, erzittert es allein dadurch, dass es in ein Verhältnis zu einem absoluten Nicht-Wissen gesetzt wird.100

Die Souveränität spekuliert nicht auf die Amortisierung des Einsatzes, sondern riskiert den absoluten Verlust des Sinns; sie ist die rückhaltlose Verausgabung, auf das, was man auf ihrer philosophischen Seite höchstens noch Negativität oder Verlust des Sinns nennen kann; auf einen Nicht-Sinn also, der sich jenseits des absoluten Sinns, jenseits der Geschlossenheit oder des Horizontes des absoluten Wissens befindet.101

Jenseits des absoluten Wissens besteht ein Nicht-Sinn. Zur bewussten Annäherung an diesen Nicht-Sinn übernimmt Derrida das Kalkül der écriture majeure, gezielt den »klassischen Begriffen« ihren Sinngehalt zu entziehen und sie damit »unhaltbar« werden zu lassen, was zu einer Transgression des Sinns führt. Diese »Transgression des Sinns ist weder Zugang zur unmittelbaren und unbestimmten Identität eines Nicht-Sinns, noch die Möglichkeit, den Nicht-Sinn aufrechtzuerhalten.«102 Die Aporien, in die Derrida das Denken führt, sind daher nicht Widersprüche, sondern Abgründe. Die allgemeine Ökonomie erzielt Energieüberschüsse und instabile Zustände, und zwar prinzipiell ziellos, ohne Sinn und daher verschwenderisch. »Diese nutzlose und unsinnige Verschwendung ist die Souveränität.«103 Diese Überschüsse können aber ohne weiteres als Mehrwerte durch die beschränkte – auf Sinnreproduktion und (Waren-)Tausch abzielende – Ökonomie angeeignet werden.104 100 Derrida, 407. Indem die Worte durch Bezug auf ihre Bodenlosigkeit zum Erzittern gebracht werden, beginnen sie auch, zu klingen. Dieser Klang ist ein zentrales Thema von Glas. 101 Derrida, 406. 102 Derrida, 406. Die écriture majeure ist die Schreibweise der allgemeinen Ökonomie; vgl. ebd., 409: »Die Schrift der Souveränität richtet sich wenigstens in zwei Zügen nach der allgemeinen Ökonomie: 1. sie ist eine Wissenschaft, 2. sie bezieht ihre Gegenstände auf die vorbehaltlose Destruktion des Sinns.« 103 Derrida, 410. 104 Derrida, 410n67. Das Verhältnis von beschränkter und allgemeiner Ökonomie beschreibt Derrida an dieser Stelle so: »Der Verbrauch der überschüssigen Energie durch eine bestimmte Klasse ist nicht die sinnzerstörende Aufzehrung; er ist die bedeutungsvolle Reappropriation eines Mehrwerts im Raum der beschränkten Ökonomie. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Souveränität absolut revolutionär. Sie ist es aber nicht minder im Hinblick auf eine Revolution, die nur die Welt der Arbeit umorganisieren würde und die die Werte im Raum des Sinns, das heißt immer noch in dem der beschränkten Ökonomie, neu verteilen würde.«

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Derridas späterer Text Glas ist im Sinne dieser allgemeinen Ökonomie zu lesen: indem man berücksichtigt, dass Sinn sich im Rahmen dieses textlichen Kalküls auf spontane Weisen bildet und wieder implodiert. Glas produziert am laufenden Band die Sinnüberschüsse, die Derrida in seinem Text über beschränkte und allgemeine Ökonomie thematisiert. Diese Überschüsse entstehen aus der Interaktion von singulären, spontanen Gedankeneinsätzen, die durch maschinelle Wiederholung von Zeichen ausgelöst werden.105 Sie sind ihrerseits nur möglich, weil in den Zwischenräumen von Glas auch der Sinn der beschränkten Ökonomie zirkuliert. 2.2 Der Schacht und die Pyramide Während der Ökonomie-Essay Sprache als Begrifflichkeit der Metaphysik und als Artikulationsform der Philosophie problematisiert, befasst sich Derrida in »Der Schacht und die Pyramide« mit Hegels Behandlung der Sprache bzw. des Zeichens in der Enzyklopädie. Der Kern seiner Kritik bleibt, dass die Negativität bei Hegel eine beschränkte Rolle spielt. Derrida nimmt damit zentrale Motive des Ökonomie-Essays wieder auf und kündigt zugleich bereits das Projekt Glas an. Auch hier geht es Derrida wieder um die Mutationen und Transformationen innerhalb der diskursiven Konstellationen, die den Worten ihren Sinn verleihen.106 Er operiert dabei 105 Für Derrida geht es dabei auch um das Maschinelle als Faktor im Denken; vgl. seine Ausführung zu Maschine und Ereignis in »Limited Ink II«: »Wird uns das möglich sein? Werden wir eines Tages und in einer einzigen Bewegung ein Denken des Ereignisses mit dem Denken der Maschine verbinden können? Werden wir denken können, was denken heißt, mit einem Schlag sowohl das, was geschieht/sich ereignet (man nennt dies ein Ereignis!), als auch, andererseits, die kalkulierbare Programmierung einer automatischen Wiederholung (man nennt das eine Maschine)? Man müsste nun in Zukunft (es wird jedoch nur unter dieser Bedingung eine Zukunft geben) sowohl das Ereignis als auch die Maschine als zwei kompatible, ja untrennbare Begriffe denken. Heute erscheinen sie als antinomisch.« Derrida, Maschinen Papier, 36. Die Maschine wird auch am Ende von »Der Schacht und die Pyramide« zum Thema sowie in »Tympanon«, einem Vorläufer der Textform von Glas; vgl. dazu auch Gadamer, Wahrheit und Methode, 98f. 106 Derrida, »Der Schacht und die Pyramide. Einführung in die Hegelsche Semiologie«, 95. Derrida hat diesen Text (in einer ersten Fassung) im Januar 1968 in Jean Hyppolites Seminar am Collège de France vorgetragen, nur wenige Tage vor seinem Vortrag über die »différance«; vgl. Derrida, Randgänge der Philosophie, 358n1 und 367n1. Dass nicht nur zeitlich, sondern auch inhaltlich eine Nähe von Derridas Konzept der »différance« und Hegels Theorie der Negation besteht hat auch Manfred Frank unterstrichen; vgl. Frank, Was ist Neostrukturalismus?, 337f. »Der Schacht und die Pyramide« erscheint 1972 in Marges de la Philosophie. Eine ausführliche und

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im Sinne der Skepsis, die unreflektierte Voraussetzungen offenlegen will, und zwar mit Beweisanspruch.107 Indem er das Verhältnis von Präsenz und Absenz unter die Lupe nimmt, folgt Derrida dem Darstellungsproblem. Indem er die Sprache an Fragen von Raum und Zeit bindet, zeigt er die systematische Reichweite der Konzeption der Sprache bei Hegel. Derridas zentraler Vorwurf gegen Hegel ist der eines Phonozentrismus, der sich in einer nicht argumentativ gedeckten Privilegierung der gesprochenen Sprache und der phonetisch orientierten Buchstabenschrift ausdrückt. Dieser Phonozentrismus ist ein Symptom des (Derrida zufolge) beschränkten Differenzkonzepts Hegels, das Derrida schon im Ökonomie-Essay kritisiert hat. Zeichen und Sprache spielen nur als Momente des Durch- oder Übergangs auf dem Weg der Wiederaneignung des Geistes eine Rolle, dessen Wahrheit in seiner Selbstpräsenz besteht – eine Wahrheit, die durch den Umweg über das negative, externe Moment des Zeichens letztlich nie in Frage gestellt wird: Indem die Metaphysik das Sein als Präsenz bestimmte (als Präsenz in Gestalt des Objekts oder als Selbstrepräsenz) von der spezifischen Art des Bewusstseins, konnte sie das Zeichen nur als einen Übergang behandeln. Eine solche Behandlung wurde sogar ein untrennbarer Teil ihrer selbst.108

Die Hauptkritikpunkte lassen sich anhand der titelgebenden Bilder des Schachts und der Pyramide rekonstruieren: Derrida beschreibt den Schacht, Hegels Bild für die Funktion der Intelligenz, Bilder bewusstlos in sich aufzubewahren, als »Vorrat«, im Original reservoir bzw. réserve: Das Bild, das [...] erinnert* wird, ist nicht mehr da, nicht mehr existierend und vorhanden, sondern verwahrt an einem unbewussten Ort, bewusstlos aufbewahrt. Die Intelligenz hortet diese Bilder in der Tiefe eines dunklen Schlupfwinkels als Vorrat [réserve] wie das Wasser in einem nächtlichen* oder bewusstlosen Schacht*[.]109 präzise Behandlung findet sich bei Johannes Schülein, Metaphysik und ihre Kritik bei Hegel und Derrida, 137–72. 107 Vgl. Derrida, »Der Schacht und die Pyramide. Einführung in die Hegelsche Semiologie«, 100. Zum Problem unreflektierter Sprachschemata vgl. Derrida, Grammatologie, 273. 108 Vgl. Derrida, »Der Schacht und die Pyramide. Einführung in die Hegelsche Semiologie«, 94. Vgl. ebd., 113: »der Prozess des Zeichens ist eine Aufhebung*.« Das Zeichen ist nur ein Moment in der Rückkehr der Idee zur Selbstpräsenz (ebd., 97). Es ist nur in Bezug auf die Wahrheit haltbar (ebd., 104f.). Diese Pro­blematik deutet sich Derrida zufolge schon durch die Positionierung der Diskussion des Zeichens in der Enzyklopädie an, wo sie im Kontext der Psychologie steht. 109 Derrida, 101. Vgl. die Parallelstelle in Marges de la philosophie, 88 sowie Enz. § 453. Derrida spielt ebenfalls auf das Bild der Quelle an; vgl. dazu seinen Text »Qual Quelle« in Derrida, Randgänge der Philosophie.

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Damit knüpft Derrida an seine Kritik einer Reserve des Sinns aus dem Ökonomie-Essay an, was am Ende von »Der Schacht und die Pyramide« noch deutlicher wird. Aus diesem Reservoir werden durch Zeichen Anschauungen zu Tage gefördert. Derrida hält positiv fest, dass dem Zeichen damit eine zentrale Position in der Entwicklung der Wahrheit zugewiesen wird. Zugleich ist diese Rolle des Zeichens aber eingeschränkt, insofern es nur als negatives Moment, vorübergehende Phase oder Umweg einer Rückkehr zur Selbstpräsenz dient.110 Das Zeichen steht für eine abwesende Bedeutung, ein Signifikat, das es repräsentiert. So verstanden reproduziert die Zeichenrelation ein konventionelles Verhältnis von Körper und Seele.111 Da das Zeichen arbiträr verstanden wird, übt es keine Macht über das Bezeichnete aus. Im Gegenteil verleiht es dem geistigen Signifikat Präsenz in der Abwesenheit, es schützt daher vor dem Tod. Diese Funktion des Zeichens entwickelt Derrida aus dem Bild der Pyramide. Das Zeichen ist die Pyramide, die dem Ideellen eine »Dauer über den natürlichen Tod hinaus« ermöglicht.112 Über die zeitliche Dimension des Zeichens weitet Derrida die Bedeutung des Themas Sprache in den Bereich der Naturphilosophie aus. Anhand des Konzepts der physischen Idealität zeichnet er den Vorrang nach, den Hegel der Zeit gegenüber dem Raum zukommen lässt.113 Diesem Vorrang der Zeit entspricht auch Hegels Präferenz des Phonischen gegenüber dem Graphischen, also der Stimme gegenüber der Schrift. Die Position, die er Hegel zuschreibt, formuliert Derrida wie folgt: Der Kern der These ist schnell dargelegt: das Privileg oder die Vortrefflichkeit des linguistischen – das heißt phonischen – Systems gegenüber jedem anderen semiotischen System. Es handelt sich um das Privileg des Sprechens gegenüber der Schrift – und der phonetischen Schrift gegenüber jedem anderen System der Einschreibung im besonderen gegenüber der hieroglyphischen oder ideographischen, aber auch gegenüber der mathematischen Schrift, gegenüber allen formalen Symbolen, den Algebren, Pasigraphien und sonstigen Projekten vom Leibnizschen Typus, gegenüber all dem was, wie Leibniz sagte, nicht »auf die Stimme – oder auf das Wort (vox) – Bezug zu nehmen« braucht.114

Derrida fasst zusammen, dass der »Prozess des Zeichens« für Hegel eine Aufhebung ist und damit dem phonozentrischen Modell folgt. Das Zeichen als räumliche Markierung ist maximal äußerlich. Diese Äußerlichkeit annulliert sich aber in der zeitlich begrenzten Dauer des 110 Derrida, »Der Schacht und die Pyramide. Einführung in die Hegelsche Semiologie«, 104. Vgl. ebd., 102 zu Derridas Kritik des »Ausdrucks«. 111 Derrida, 106. 112 Derrida, 110; vgl. auch 107. 113 Derrida, 115. 114 Derrida, 112.

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ausgesprochenen Tons selbst. Hegel versteht den Ton daher als in seiner physischen Aufhebung (d.h. in seiner Eigenschaft, zu verklingen) die mentale Aufhebung des Zeichens in der Bedeutung antizipierend.115 Derrida kritisiert also den Dualismus einer geistigen Innerlichkeit und einer, dieser nachgeordneten räumlichen Äußerlichkeit. Am Ende des Textes greift Derrida auf das Moment zurück, das schon im Ökonomie-Essay den Kern seiner Argumentation bildete: das Negative, das sich nicht (wieder) aneignen lässt. Hier denkt er dieses in Form einer funktionierenden Maschine: »Eine Maschine, die in ihrem reinen Funktionieren definiert wäre und nicht in ihrer finalen Zweckmäßigkeit, in ihrem Sinn, ihrem Ertrag, ihrer Arbeit.«116 Diese Maschine würde in ähnlicher Weise zu nichts dienen oder nützen wie das souveräne Tun. Um die völlige Zweckfreiheit zu erreichen, müsste aber auch noch die »Präsentation« dieses Apparats »maschiniert« werden. Damit antizipiert Derrida die Textform von Glas, wo er – anders als in den bisherigen Hegel-Texten – die Zweckorientierung seiner eigenen Arbeit auf der Formebene abbauen wird. Glas spielt auf diesen Vorgang u.a. an, indem das Klacken der Schreibmaschine in die sprachliche Formation des Textes eingebunden wird.117 Derrida artikuliert also zwei miteinander verbundene Vorwürfe. Der Vorwurf des Phonozentrismus lautet: Hegel schreibt der Stimme (wie dem Phonischen im Allgemeinen) ein Primat gegenüber der Schrift zu. Der Vorwurf der beschränkten Ökonomie lautet: Hegel beschränkt von vornherein die Reichweite des Negativen. Alle Verluste der Bedeutung kann sich der Geist wieder aneignen. In Bezug auf den Vorwurf des Phonozentrismus hat Johannes Schülein darauf hingewiesen, dass auch Hegel die Intransparenz der Sprache argumentativ betont. Sprache hat demnach nicht den nachgeordneten Charakter, den Derrida aus Hegels Ausführungen über das Zeichen abliest. Hegel stuft die Äußerlichkeit nicht in der Weise herab, die Derrida ihm zuschreibt, sondern lässt mehr Raum für eine echte Differenz. Nur liegt die Intransparenz der Sprache für Hegel, wie Schülein überzeugend darlegt, nicht wesentlich im Zeichen, sondern in der vom Verstand 115 Derrida beruft sich hier auf § 459 der Enzyklopädie, den er vollständig zitiert. Außerdem spielt er auf die Bedeutung der Zeit als Dasein des Begriffs an, vertieft diesen Punkt aber nicht. Er weist auch auf den Aspekt der physischen Idealität, d.h. der Vorstufen der Idealität im Bereich des Physischen hin (115; vgl. Enz. §§ 401 und 403). Dieses Moment ist für die vorliegende Arbeit vor allem relevant, weil die physische Idealität des Tons in zentralen Passagen zur Sprache in der Phänomenologie eine Rolle spielt. 116 Derrida, »Der Schacht und die Pyramide. Einführung in die Hegelsche Semiologie«, 131. 117 Außerdem kündigt Derrida das Projekt Glas in den Fußnoten 5 und 27 an. Zum Klacken der Schreibmaschine vgl. Glas: Totenglocke, 6b: »Die ALC klingen, knallen [...]«.

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nicht durchschauten Urteilsstruktur. Ein weiteres Moment der Intransparenz besteht, so möchte ich hinzufügen, in der ebenso wenig durchschauten Vorstellungsstruktur. Dies ist gerade in der Phänomenologie ein entscheidendes Problem für das Bewusstsein. Schülein argumentiert, dass Derridas Versuch einer Dekonstruktion Hegels daher nicht gelingt. Hegel vertritt zwar einen Phonozentrismus und lässt sich nach Derridas Kriterien in die Metaphysik der Präsenz einordnen. Daraus folgen aber keine Widersprüche, die Hegels System prinzipiell angreifen. Schülein zufolge kommt es zu einer Polarisierung der Positionen Derridas und Hegels, nicht aber zu einer Dekonstruktion. In dieser Polarisierung liegt der Doppelcharakter, den Derrida Hegel selbst zugeschrieben hat, nicht mehr vor. Hegel erscheint hier nicht mehr als Denker der irreduziblen Differenz und der Rückkehr zur Identität, sondern nur noch als Identitätsdenker.118 Auch Stephen Houlgate hat (ausgehend von Derridas Ökonomie-Essay) herausgearbeitet, inwiefern es bei Hegel selbst relevant ist, dass es in der Genese des Geistes zu einem echten Bedeutungsverlust kommt. Houlgates paradigmatisches Beispiel dafür ist das mechanische Gedächtnis in der Enzyklopädie. Er weist aber auch auf die Relevanz des Sprechens der »toten« Sprachen hin, v.a. im Kapitel über das unglückliche Bewusstsein in der Phänomenologie. Houlgate unterstreicht, dass ein echter Bedeutungsverlust auch für Hegels Theorie des Geistes wichtig ist, weil damit klar wird, dass die Entwicklung des Geistes ein echtes zu sich selbst kommen ist, dessen Ergebnis nicht vor der Entwicklung antizipiert werden kann. Dahingehend hat Hegel selbst z.B. betont, dass es 118 Vgl. Schülein, Metaphysik und ihre Kritik bei Hegel und Derrida, 150. Zu Schüleins Argument, dass Hegel selbst eine Intransparenz der Sprache vertritt, die nicht im Zeichen, sondern im Urteil besteht vgl. ebd., 139. Schülein unterstreicht, dass es Derrida lediglich gelingt, Hegel dem Modell einer Metaphysik der Schließung zuzuordnen, nicht aber, Hegel zu dekonstruieren. Das liegt gerade am Doppelcharakter der Philosophie Hegels, die Präsenz und Differenz zusammendenkt (ebd., 150). Schülein weist auf ein Missverständnis Derridas hin, der den hegelschen Begriff im Sinne Saussures als Signifikat versteht. Die Selbstpräsenz des Geistes wäre demnach die Präsenz eines absoluten Signifikats, also einer Bedeutung, die durch ein arbiträres Zeichen oder einen arbiträren Namen lediglich befördert wird. Das Absolute ist Hegel zufolge aber gar nicht Bedeutung, sondern Wirklichkeit, wie man im Rückgriff auf die Phänomenologie sagen kann (vgl. PhG, 558). Denken basiert daher bei Hegel gerade auf dem Verlust der Bedeutungen der Vorstellung. Allerdings benennt Derrida durchaus einen realen Konflikt, der sich aus Hegels Präferenz für die Buchstabenschrift ergibt, nämlich einen nicht argumentativ gedeckten Doppelstandard bei der Bewertung der Polysemie. Derrida weist darauf hin, dass Hegel zwischen einer spekulativen und einer lediglich unpräzisen Polysemie unterscheidet; vgl. Derrida, »Der Schacht und die Pyramide. Einführung in die Hegelsche Semiologie«, 121f.; 127.

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eine Schwäche des modernen Skeptizismus ist, dass er feste Punkte des Ausgangs und der Rückkehr annimmt – dass ein vorausgesetzter Punkt der Rückkehr also eine theoretische Schwäche bedeutet.119 Die Momente des Bedeutungsentzugs werde ich im Laufe der Arbeit hervorheben, da sie maßgeblich für Hegels Behandlung der Sprache sind. Die systematische Relevanz der Sprache und Darstellungsweise sowie die Reichweite ihrer theoretischen Implikationen kann man ausgehend von Derridas Hegel-Lektüre genauer bewerten, auch ohne Derrida dabei in allen Punkten zu folgen.120 Deutlicher gegen Hegel gerichtet argumentiert Catherine Kellog, dass die im »Schacht« aufbewahrten Bedeutungen ein Reservoir sind, das das System benötigt, aber nicht kontrollieren kann. 121 Sie unterstreicht damit den Vorwurf der beschränkten Ökonomie und kommt zu dem Schluss, dass Derrida Hegel erfolgreich dekonstruiert. In der Tat scheint die Intransparenz bzw. Äußerlichkeit der Sprache und des semiotischen Bereichs im Allgemeinen nur ein Symptom oder Beispiel für das zu sein, was der Kern von Derridas Kritik ist: die Abwendung des reinen Verlustes bzw. des bedeutungslosen Todes. Diese Abwendung kennzeichnet für Derrida letztliche eine Form der Theodizee, also eine Rechtfertigung des Leidens durch eine (eschatologische) Ausrichtung auf einen letzten Zweck, ein telos, das sich immer schon angekündigt hat. Da Derrida den Aufsatz mit diesem Problem schließt, scheint es ihm, wie schon im Ökonomie-Essay wieder um die Reserve des Sinns zu gehen, die dieser zwar benötigt, sich aber nicht aneignen kann. Dasjenige, zu dem wir uns in allen Operationen im Bereich des Sinns immer in Differenz befinden und das dabei trotzdem konstitutiv ungreifbar bleibt, hat Derrida im Ökonomie-Essay wiederholt mit Schellings Begriff des Ungrunds belegt. Er scheint dem konstitutiv bewusstlosen »Schacht« in der Enzyklopädie eine ähnliche Position zuzuschreiben.122 Einerseits lässt sich (mit Schülein und Houlgate) gegen Derridas Vorwurf des Phonozentrismus plausibel einwenden, dass He119 Vgl. PhG, 72. 120 So stellt Houlgate fest: »Derrida indirectly alerts us to an aspect of Hegel’s thought which, without his work, we might well have overlooked: namely, Hegel’s appreciation of the importance of the passage through the loss of meaning« Houlgate, »Hegel, Derrida, and Restricted Economy«, 92. Vgl. ebd., 93: »[I]f we move from Derrida’s work to Hegel’s we must surely be struck by Hegel’s ›quasi-Derridean‹ attentiveness to the importance of the passage through meaninglessness for the emergence of self-consciousness and freedom.« 121 Vgl. Kellogg, »The Three Hegels: Kojève, Hyppolite, and Derrida on Hegel’s Philosophy of Language«, 214f. 122 Zur Relevanz Schellings für Derrida vgl. Kömürcü, »Jacques Derrida im Ausgang von Schellings Denken«.

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gel zumindest in wesentlich höherem Maße Momente des Bedeutungsverlustes und der Intransparenz der Sprache berücksichtigt, als Derrida suggeriert. Andererseits ist der stärkere Einwand womöglich der, den Kellog nachzeichnet. In gewisser Hinsicht kann man sagen, dass Derrida seine Einwände aus den beiden früheren Aufsätzen in Glas systematisch weiterdenkt, denn dieser Text geht von der Frage aus, wie ein Buch als allgemeine Ökonomie konzipiert werden kann. Folgerichtig entsteht dadurch ein Text, der versucht, seine eigene Systematizität zu untergraben und eine ateleologische Form zu entfalten. Im Zentrum von Glas steht die generative Differenz als Leerstelle (d.h. die différance), die eine parallele Dualität zweier Spalten erzeugt. Der Text wird also gespalten und zerstückelt. Derrida arbeitet mit der Iterierbarkeit der Zeichen Bruchstellen und Fliehkräfte der Sprache heraus. Glas ist eine Dissemination des Sinns – eine sprachliche Bewegung, die nicht zu einem Zentrum zurückkehrt, das den Sinn organisiert und kontrolliert. 2.3 Glas (1): Die Logik des Zwischenraums Im Anschluss an die Argumentation von Georg Bertram habe ich darauf verwiesen, dass künstlerischer Sprachgebrauch eine explikative Funktion in Bezug auf den Sprachgebrauch im Allgemeinen haben kann. Diese explikative Funktion wird durch eine Entfremdung von der Sprache erreicht. Eine solche »Distanz von Sprache in Sprache«123 erzeugt Derrida in seiner Konstellationsarbeit in Glas. Damit verweist er auf die innere Negativität der Sprache.124 Wie bereits beschrieben, greift Derrida in Glas den Versuch einer strikten Unterscheidung zwischen (eindeutig und insgesamt) philosophisch-wissenschaftlichen und (eindeutig und insgesamt) literarischen Texten an und macht damit darauf aufmerksam, dass die Techniken der Selbstthematisierung künstlerischer Sprache auch in wissenschaftlichen Texten und in wissenschaftlicher Weise zur Geltung kommen können. Die Besonderheit von Glas besteht darin, dass Derrida diese Argumentation auch auf die Formebene des Textes überführt. Meine Herangehensweise an Glas ist, Derridas Verfahren insgesamt als Moment seiner philosophischen Argumentation zu lesen, und zwar insbesondere im Kontext seiner anderen Auseinandersetzungen mit Hegel. Dabei soll aber gerade auch betont werden, wie Derridas Argumentation über die Formebene des Textes funktioniert. Die Konstruktion Glas entfaltet ihr Gewicht vor allem dann, wenn man sie in Bezug auf die 123 Bertram, »Sprachphilosophie und Ästhetik«, 76. Vgl. den Abschnitt über Brandoms verengtes Verständnis der Sprache und ihrer Transformation. 124 Vgl. Derrida, Glas: Totenglocke, 13a.

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philosophische Begriffsarbeit liest – wenn man also beachtet, inwieweit das, was man mit Bertram als »künstlerischen Sprachgebrauch« und als Arbeit mit (»lyrischen«) Konstellationen bezeichnen kann, in einen philosophischen, argumentativen Diskurs eingeführt wird und damit selbst argumentatives Gewicht erhält.125 Diese Herangehensweise ist notwendigerweise partikulär, denn sie lässt z.B. die inhaltliche Auseinandersetzung Derridas mit Jean Genet (und damit die Entwicklung der gesamten rechten Spalte von Glas) weitestgehend außer Acht. Wie Benoit Peeters herausgestellt hat, ist es allerdings ein Strukturmerkmal von Glas, durch die unüberschaubare Ansammlung von Textfragmenten partielle Lektüren zu erzwingen.126 Bevor wir Derridas Textarbeit in Glas näher untersuchen, kann es hilfreich sein, das Verhältnis von Hegels und Derridas Denken der Identität und ihres Bezugs zur Sprache kurz zu rekapitulieren. Wie wir bereits gesehen haben, versteht Hegel Identitäten als prinzipiell intern unterschieden und damit als Identität von Identität und Nichtidentität. Differenz ist damit auch bei Hegel konstitutiv für Identität. Daher weist Derrida selbst darauf hin, dass Hegel auch in entscheidender Weise ein Denker der Differenz ist.127 Derrida versucht jedoch, noch einen Schritt weiter zu gehen und zu zeigen, dass es prinzipiell keine geschlossenen 125 Ich lese Glas also als philosophischen Text (wie z.B. auch Karin De Boer und Johannes Schülein). Eine Erörterung der Grundmotive von Glas findet sich schon in den frühen Reaktionen von Geoffrey Hartmann, Gayatri Spivak und Rodolphe Gasché (Hartman, »Monsieur Texte: On Jacques Derrida, his Glas«; Hartman, »Monsieur Texte II: Epiphony in Echoland«; Spivak, »Glas-Piece: A Compte Rendu«; Gasché, The Tain of the Mirror und Ga­ sché, »Strictly Bonded«) sowie in dem von Stuart Barnett herausgegebenen Sammelband: Hegel after Derrida. Vgl. außerdem Marian, »Styling against absolute Knowledge in Derrida’s Glas«; Lauer, »Kant and Jealousy in Derrida’s Glas« sowie Kern und Menke, Philosophie der Dekonstruktion. 126 Wie Peeters schreibt, gibt es die Leserin oder den Leser, die bzw. der den Text vollständig verstehen könnte (noch) nicht. Glas ist ihm zufolge ein Buch für erst noch kommende Leser:innen – Leser:innen à venir. Das hängt damit zusammen, dass der Text mit allen Mitteln versucht, nicht als Ganzes lesbar zu sein, indem er (u.a.) endlose Mengen von Einzelstücken montiert und mit Hegel und Genet zwei äußerst disparate Protagonisten wählt. Bezeichnenderweise ist dieses Anti-Buch zugleich Derridas erste wirkliche Monographie überhaupt; vgl. dazu Peeters, Derrida, 376f. Selbstverständlich kann aber auch die Detailflut nicht verhindern, dass sich ein Gesamteindruck von Glas einstellt; vgl. dazu Spivak, »Glas-Piece: A Compte Rendu«, 43. 127 Vgl. dazu die bereits zitierte Passage in Derrida, Grammatologie, 48. Die möglicherweise pointierteste Aussage Hegels zu diesem Thema findet sich in der »Differenzschrift«: »Das Absolute selbst aber ist darum die Identität der Identität und der Nichtidentität; Entgegensetzen und Einssein ist zugleich in ihm.« (TWA2, 96).

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Identitäten gibt, sondern Identität immer verschoben und aufgeschoben wird. Er versucht also, ein Denken der uneingeschränkten Differenz zu entwickeln – einer Differenz, die sich vom Fluchtpunkt der Identität ablöst. Damit suchen sowohl Hegel als auch Derrida nach Auswegen aus einem beschränkten Identitätsdenken. Für Hegel wird dieses durch die spekulative Philosophie überwunden, die damit einhergeht, dass der spekulative Satz die sprachlichen Normalvorstellungen – die »Natur des Urteils oder Satzes überhaupt« – zerstört.128 Für Derrida liegt die Kraft des »Bruches« dagegen im Zeichen selbst, das die Entitäten, die durch es artikuliert werden sollen, unweigerlich aus ihren vorgesehenen Kontexten verschiebt.129 Eine weitere Parallele von Derrida und Hegel ist damit, dass beide aus ihren identitätskritischen Überlegungen ein Programm der Entfremdung von der Sprache ableiten. Beide sehen die Sprache, bzw. bestimmte Normaleinstellungen gegenüber der Sprache als in problematischer Weise mit theoretischen Annahmen verknüpft, die Sprecher:innen sich zu eigen machen, ohne darauf zu reflektieren. Bei Hegel sind das die »natürlichen« Vorstellungen (der Metaphysik) des Verstandes, der in festen Identitäten denkt; bei Derrida die Annahmen der »traditionellen«, d.h. für ihn: an einem Modell der lebendigen Gegenwart orientierten Metaphysik. Die »Effekte« dieser beiden Herangehensweisen sind in Bezug auf die Entfremdung von der Sprache durchaus vergleichbar.130 Das scheint auch der Grund zu sein, aus dem sich Derrida (in allen Texten, die sich mit Hegel befassen) gerade für Hegels Denken der Sprache interessiert und aufzeigt, inwiefern Hegels Philosophie in wesentlichen Punkten eine Philosophie der Sprache ist. So weist Derrida zu Beginn von Glas darauf hin, dass Hegel das Problem der philosophischen Sprache »nicht umgangen« hat und stellt fest, dass Hegel die Entwicklung der philosophischen bzw. begrifflichen Sprache als »Denaturalisation« einer natürlichen Sprache begreift.131 Derrida interessiert sich vor allem für die »metasprachlichen Effekte«, die in dieser Bewegung zustande kommen.132 Zugleich möchte er aber auch gegen Hegel zeigen, dass sich die natürliche Sprache nicht restlos formalisieren lässt, so dass keine reinen Begriffe entstehen.133 Die Sprache wird demnach prinzipiell nicht transparent für eine eindeutige und kontrollierbare Bedeutung. Die Zentrifugalkräfte der Sprache müs128 PhG, 59 129 Derrida, »Signatur Ereignis Kontext«, 335. 130 Wie Derrida selbst im Klappentext von Glas (in etwas anderem Zusammenhang) sagt. 131 Derrida, Glas: Totenglocke, 12a f. 132 Derrida, 15a. 133 Derrida spielt dabei mit dem Bild der unbefleckten Empfängnis (immaculée conception), das er für die reine Begrifflichkeit verwendet (vgl. z.B. Derrida, 85b).

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sen Derrida zufolge stärker berücksichtigt und ferner durch Begriffe beschrieben und moduliert werden, die sich bei Hegel noch nicht finden. Kommen wir zur textlichen Strategie von Glas. Die These, die Derrida in Glas performativ vertritt ist, dass Sprache die Identitäten, die sich in ihr artikulieren wollen oder sollen, notwendigerweise dezentriert, so dass der Identitätsanspruch letztlich nicht eingelöst werden kann. Wie wir gesehen haben, findet sich diese These auch in den früheren Texten Derridas, allerdings radikalisiert Derrida in Glas den performativen Aspekt der Argumentation. Die Argumentation läuft hier über die Collage von Textelementen – Zitate, Worte, Silben, Schriften, Rahmen – und damit über die Juxtaposition von Ordnungssystemen – Autoren, Genres, Quellenarten etc. Daher ist die Beweisführung eine »Agglutination«.134 Der Text legt etwas nahe, indem er Buchstaben auf der Seite verteilt. Glas versucht eine konsequente Umsetzung der zentralen Momente der Metaphysikkritik Derridas auf der Formebene des Textes. Derridas Überlegungen zum Schriftcharakter der Sprache (basierend auf der Iterierbarkeit des Zeichens) und seine Kritik des Phonozentrismus, des Logozentrismus und der »beschränkten Ökonomie«, sowie seine Gegenentwürfe – die Konzepte der Dissemination und der différance werden hier in Szene gesetzt. Durch die Inszenierung, also durch die Umsetzung auf der Formebene, werden diese Konstrukte nicht mehr theoretisch thematisiert, sondern ihre Explikation wird performativ durchgeführt (entsprechend enthält Glas auch kaum explizite Erörterungen der philosophischen Begriffe Derridas). Der Schritt vom Theoretisieren zur Inszenierung ist deshalb wichtig, weil es Derrida ja gerade darum geht, aufzuzeigen, an welchen Momenten eine lückenlose Theoretisierung notwendigerweise scheitert. Die Argumentation geht also konsequent auf die Formebene des Textes über. Das Layout entspricht den Überlegungen Derridas dazu, wie die Bewegung des Denkens sprachlich dargestellt werden kann – und wie darüber hinaus auch das noch nicht Gedachte in der sprachlichen Artikulation bzw. »Verräumlichung« eröffnet werden kann.135 Der Titel Glas spielt mit dem Verhältnis von Transparenz und Intransparenz. So bezeichnet das deutsche Wort »Glas« ein transparentes 134 Derrida, 86b. Die Agglutination bezeichnet eine Verklebung. Im Medizinischen Sinne kann dies die Verklebung des Blutes bei der Wundschließung sein. 135 Martin Endres beschreibt diese implizite Strategie von Glas als »Rahmung« der Denkbewegung und der Rolle der Sprache dabei: »Mit den Fragen, wie freies Denken überhaupt sprachlich fixiert werden kann und wie dieses Andere, noch nicht Gedachte in einen dafür vorgesehenen Rahmen integrierbar ist, wird die Diskussion über die Grenzen und Aufgaben der Philosophie mit der Materialität des Buches und dessen Herstellung überblendet.« Endres, »Der Ausdruck des Anzeichens. Die typographische Dimension der Drucktexte Jacques Derridas«, 234. Die Hervorhebung stammt von mir, S.W. Die

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Material, das durch das Schmelzen, also durch die Auflösung von nichttransparentem Material gewonnen wird (gewissermaßen in einem Prozess der Veredelung). Dagegen bedeutet das französische Wort »glas« so viel wie »Totengeläut« oder »Totenglocke« (daher der Untertitel der deutschen Übersetzung).136 Besonders wichtig ist für Derrida die erste Hälfte des Wortes, gl, die er durch Alliterationsgruppen hervorhebt oder auch allein stehen lässt. Das gl klebt (glu ist der Kleber) die Zunge am Gaumen fest, in einem Laut, der sich nicht in den klingenden Vokal »A« auflöst. In diesem Sinne bezeichnet »glas« weniger eine Entität als eine »Operation«,137 nämlich die Operation des Aufzeigens des Verbleibs angestrebter Identitäten im Fragmentarischen oder ihres Rückfalls in Stücke (daher nennt Derrida auch das Stück als wesentliches Stilelement). Das hervorstechende Strukturmoment von Glas ist die Trennung des Textes in zwei symmetrische Spalten, die durchgängig parallel verlaufen. Die Breite der Spalten variiert stellenweise leicht; stärker variiert die grafische Textdichte in ihnen. Außerdem werden Felder in den Text eingefügt und die Kontinuität des Textes innerhalb der Spalten wird stellenweise ganz durchbrochen. Niemals aber ragt der Text sichtbar in den Raum zwischen ihnen. Durch die räumliche Anordnung verharren die Textstücke nebeneinander, also in ihrer Diskrepanz. Sie werden nicht in eine zeitliche Sukzession gebracht, die als textchronologischer und teleologischer Fortschritt verstanden werden könnte. Entsprechend des ateleologischen Ansatzes ist auch das Zentrum der Seiten nicht bedruckt – im Zentrum zeigt sich eine Lücke. Dieser Zwischenraum ist dennoch nicht leer. Die Operation »glas« ereignet sich vielmehr genau dort: Einerseits ist der Zwischenraum immer bereits durch bestehende Bezüge organisiert; andererseits zeigen sich diese Bezüge gerade durch das äußere Gestalt der Texte Derridas steht, insbesondere in Glas, »mit dem Inhalt der Texte in untrennbarer Beziehung und besitzt direkte Auswirkungen auf ihre Interpretation. [...] Nicht nur die Vorstellung eines linear aufgebauten ›Buches‹ und einer entsprechenden Kontinuität und Logizität der im Text artikulierten Gedanken wird von Derrida unterlaufen. Der Autor unterstellt sich ganz bewusst der Differenz zwischen Materialität und Idealität, Signifikat und Signifikant, die vor jede Intentionalität zurückreicht und das vouloir-dire, das Sagen-Wollen immer schon determiniert. So ist für Derrida kein Schreiben denkbar, das nicht die Gegenständlichkeit der Sprache, das nicht das graphem im weitesten Sinn reflektiert und an sich zur Darstellung bringt [diese Hervorhebung stammt von mir, S.W.]. Derridas Texte sind ›Ausdruck‹ und ›Anzeichen‹ dieser Reflexion, sie sind (Re-)Präsentationen einer letztlich unabschließbaren Bewegung des Denkens.« (ebd., 236f.). 136 Das deutsche Verb »glasen« bezeichnet das Anschlagen der Schiffsglocke während der (Nacht-)Wache. 137 Derrida, Glas: Totenglocke, 8a.

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explizite Hervorheben und Verschieben des Zwischenraums als hochgradig unsicher und fragil. Der Zwischenraum ist damit der Ort, an dem der Sinn gleichermaßen auf unscheinbare Weise zirkuliert und unterlaufen wird.138 In diesem Zwischenraum entsteht also das nicht zu positivierende Spiel der différance – der »›aktive[n]‹, in Bewegung begriffene[n] Zwietracht [discorde] verschiedener Kräfte und Kräftedifferenzen«.139 Derrida beschreibt diese Konstruktion auch als Fokussierung des Textes um einen »unmöglichen Ort« und einen »unmöglichen Begriff«; der Text strukturiert sich durch die leere Mitte.140 Das Zwei-Spalten Layout kann auf einen Text Genets zurückgeführt werden, dessen Titel Derrida zu Beginn der rechten Spalte als »was 138 Das gilt auch für die Zwischenräumen zwischen Textfenstern etc. Schülein notiert als weitere Strukturmomente den Titel, die elliptische Form und das Fehlen expliziter Literaturverweise, das er als »Unwissenschaftlichkeit« bezeichnet; Schülein, Metaphysik und ihre Kritik bei Hegel und Derrida, 307. Allerdings eröffnet Derrida das Buch mit dem Hinweis, dass »diese Worte« Zitate sind (Glas: Totenglocke, 5). Der Text fragt also prinzipiell danach, was Zitate sind. Indem er die Zitate nicht explizit an ihre Positionen innerhalb der Schriften der Autoren rückbindet, unterstreicht Derrida, dass es keinen privilegierten Kontext der zitierten Worte gibt; stattdessen könnte man sogar sagen, dass wir einen Text(teil) ohne die Hintergrundinformationen über seine Position im Werk eines Autors oder einer Autorin, seiner oder ihrer Bedeutung für die Tradition etc. stärker als das lesen, was die Worte an sich uns sagen können. Die elliptische Form verweist auf die Abwesenheit einer autoritativen (Erzähl-)Stimme. Schülein beschreibt Glas deshalb zurecht als »Operationsraum«. 139 Derrida, »Die différance«, 47. Vgl. die Parallelstelle in Derrida, Marges de la philosophie, 19. 140 Vgl. Derrida, Glas: Totenglocke, 221, 169–81. Vgl. De Boer, »Différance as Negativity: The Hegelian Remains of Derrida’s Philosophy«, 602. Eine hilfreiche Annäherung an den Begriff der différance findet sich bei Manfred Frank: »Gemeint ist [mit »différance«] nicht eine bestehende Differenz, sondern, um es auffällig auszudrücken, jene generative und nie in Einheit (hegelisch) aufzuhebende Lücke, in der alle Bestimmtheiten entspringen und sich wieder auflösen. Bestimmtheit – dies ist ja ein Leitmotiv des Neostrukturalismus – ist der Effekt differentieller Beziehungen zwischen ›marques‹ einer Struktur. Da die Differentialität der Struktur aber kein Zentrum verleiht, ist das Spiel der differentiellen Bestimmung(en) offen, was bedeutet, dass jede in einem bestimmten Kontext profilierte Bedeutung eines Terms oder einer Aussage sich durch eine neue Differenzierung in neuen Kontexten unabsehbar verändern kann. So formuliert, scheint die différance zugleich Grund von Einheit (Bestimmtheit) und Nicht-Identität (Verschiebbarkeit) der Bedeutung von Termen zu sein.« Frank, Was ist Neostrukturalismus?, 336. Die Bestimmtheit ist ein Ergebnis der differentiellen Zeichenverhältnisse und wird nicht nur noch von den Zeichen repräsentiert. Die différance ist

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übriggeblieben ist (resté) von einem Rembrandt, der in kleine, ganz regelmäßige Vierecke zerrissen und ins Scheißhaus geschmissen wurde« zitiert.141 Bemerkenswert ist aber, dass auch Hegel bei der Textproduktion zweispaltig arbeitete: Er beschrieb zuerst die linke Seite eines Bogens und lies die rechte frei für Kommentare und Bearbeitungen. In diesem Sinne fixiert Glas die Entstehungsphase der Texte Hegels – die Phase, in der sie noch nicht geschlossen sind.142 Derrida führt die fertigen Texte, aus denen er zitiert, wieder in einen Rahmen der Unabgeschlossenheit ein – diese Strategie markiert auch seine Aussage darüber, dass in Glas die Metasprache enthauptet, bzw. ihr Kopf wieder in den Text getaucht wird. Durch dieses Verfahren liest und hört man Hegels Texte anders.143 Bei Derrida sind die Spalten symmetrisch. Sie stehen in einer strikten Dualität nebeneinander, einerseits ignorieren sie sich in einer »doppelten Einsamkeit« und ohne zu kommunizieren, andererseits zwinkern sie sich (»unendlich«) zu, »doublieren, verdoppeln sich um die Wette, penetrieren sich, kleben aneinander und lösen sich, indem sie ineinander übergehen, zwischen dem einen und im anderen«, wie der Klappentext erläutert. Wir finden aber auch Zwischenräume im Text, v.a. durch das Auftrennen von Worten und durch Texteinschübe. Diese Konstruktion hat mehrere Effekte: Das Auftrennen der Worte führt zu einer Ausweitung der Sinnressourcen: nicht nur Worte, sondern auch Wortteile tragen zum Sinngeschehen von Glas bei und gewinnen auf diese Weise eine Eigendynamik; das Verhältnis von Wort zu Wortteil ist bei den zerstückelten Worten nicht mehr klar hierarchisch.144 Entsprechend der Logik des Stücks verschiebt Derrida die Bedeutung von den ganzen Worten in ihre daher »de marques« wie Derrida in »La différance« schreibt; vgl. Derrida, Marges de la philosophie, 14. 141 Derrida, Glas: Totenglocke, 5b. Derrida verwendet bereits in seinem früheren Text »Tympanon« (erschienen in Randgänge der Philosophie) ein zweispaltiges Layout. 142 Zu Hegels Vorgehen bei der Textproduktion vgl. Jaeschke, Hegels Philosophie, 17. 143 Derrida möchte die Metasprache »enthaupten oder vielmehr ihren Kopf wieder in den Text [...] tauchen«. Er argumentiert also, dass es keine präferierte metasprachliche Position gibt, von der aus eine Unterscheidung zwischen normaler und zum Begriff geführter Sprache möglich wäre, weil diese Unterscheidung selbst wieder in eine (natürliche) Sprache zurückfällt. Vgl. Derrida, Glas: Totenglocke, 130. Vgl. ebd., 85b dazu, dass die Sprache selbst bereits etwas ist, das enthauptet. Zur Metasprache vgl. ebd., 187b. Dieses Neu-Lesen ist ebenfalls expliziter Bestandteil der textlichen Strategie (vgl. ebd., 8a). 144 Zur Ausweitung der Sinnressourcen durch »poetische Sprache« vgl. Derrida, Die Stimme und das Phänomen, 133.

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Einzelteile. Unsere Aufmerksamkeit wird so darauf gelenkt, dass Texte nicht nur aus Worten und Buchstaben bestehen, sondern auch aus den freien Flächen dazwischen. Wir neigen dazu, diesen unmarked space unbemerkt vorauszusetzen, in Glas tritt er jedoch in den Vordergrund.145 Schließlich ist in Fällen, wo es sich bei den Zwischenräumen um Einschübe handelt, entscheidend, was in diesen Zwischenräumen passiert, was sich also auf welche Weise in den kontinuierlichen Text einschiebt. Durch die Unterbrechung wird eine Form nicht-expliziter, fragwürdiger Beziehungen zwischen dem Thema des unterbrochenen Textes und dem Einschub hergestellt bzw. suggeriert, die sich einerseits gegenseitig zu untergraben drohen, andererseits aber evtl. auch in einem herstellbaren Bezug ganz neu gesehen werden können. Die Einschübe haben daher inhaltliche Konsequenzen, indem sie Rahmen bilden.146 Die Form von Glas ist zugleich räumlich und begrifflich.147 Es handelt sich um eine Logik des Zwischenraums. Die Technik der (grafischen) Konstruktion von Zwischenräumen bezeichnet Derrida als »Handarbeit«.148 Diese Technik ist mit einer Logik der Zwischenräume auf der Sinnebene verbunden; die entscheidende Frage ist, wie diese Verbindung genau zu bestimmen ist. Einerseits existiert eine prinzipielle Diskrepanz zwischen der raumzeitlichen und der Sinndimension eines (sprachlichen) Vorgangs. Zweitens können Lücken im Bedeutungszusammenhang aufgewiesen werden: Die Begriffe stehen immer in verschiedenen Themenbereichen oder -feldern. Die Einbettung der Philosophie als Fach im Kontext anderer Disziplinen und Lebensbereiche kommt dabei insofern zur Geltung, als sich zeigt, wie die Begriffe wesentlich zwischen diesen Bereichen geteilt sind und von keinem Bereich abschließend kon­trolliert werden. Besonders wichtig ist für Derrida in Glas die Familie. Aber auch dem Bereich der Botanik kommt eine wichtige Rolle zu – so betont Derrida die Bedeutung der Blumenreligion, der Blumen der Rhetorik, die Blumen bei Genet, Genet als Pflanze [genêt, der Ginster] und die Dissemination der Pollen als Modell der Sinnbewegung. Die Sinnbewegung, die Derrida durch die konstellative Arbeit mit den Zwischenräumen erreichen möchte, ist eine solche Dissemination: Die Parallelität der beiden Spalten zwingt die Leser:innen, zu springen; die Bewegung wird durch Einschübe und Textfenster um- und abgelenkt 145 Niklas Luhmann thematisiert, dass wir »weißes Papier voraussetzen« müssen, um einen Unterschied markieren zu können; vgl. Luhmann, Einführung in die Systemtheorie, 69, 139. 146 Zur Bedeutung der Rahmung bei Derrida vgl. Freytag, Die Rahmung des Hintergrunds. 147 »[A]t once spatial and conceptual«. Vgl. dazu Derridas Vorwort zu Catherine Malabous The Future of Hegel: Derrida, »Preface«, xii. 148 Derrida, Glas: Totenglocke, 133b. Der französische Ausdruck »ouvrage« ist allerdings mehrdeutig und könnte auch als »Werk« übersetzt werden.

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und Derrida lässt den Text in eine ermüdende Menge von Lexikon-Recherchen abdriften. Der Text wird also nicht (bzw. kaum) linear entwickelt und auch nicht zirkulär auf sich zurückgewendet und abgeschlossen; auch wird die Bedeutung des Textes – so zumindest der Anspruch – nicht durch die Autorität des Autors oder einer leitenden Idee kontrolliert, sondern der Sinn explodiert überall punktuell, um sich dabei aber unmittelbar zu verbrauchen. Das heißt allerdings nicht, dass Glas nicht insgesamt ein systematisches, methodisch kontrolliertes Vorgehen ist; die Methode ist aber vor allem das Erstellen eines Rahmens, in dem »improvisiert« und das »Unkalkulierbare« einkalkuliert wird. Eine Technik Derridas ist die Rahmung der immer fortschreitenden Bedeutungsverschiebung. Derrida zeigt auf, was passiert, wenn man Momente, die bei Hegel ebenfalls eine Rolle spielen – Polysemie, Ambiguität, Überdetermination der Ausdrücke – »entfesselt«149 und ins Exzessive schießen lässt. Diese Praxis der Dissemination entspricht der Logik der »allgemeinen Ökonomie«: Der Sinn dieser Bewegung kann nicht angeeignet werden, er kehrt nicht zum »Vater« oder zum »logos« zurück; bei der Suche nach dem Sinn von Glas tritt also zwangsweise eine Ermüdung ein.150 Der Text bildet Konstellationen von Stücken und Zwischenraum. Betrachten wir nun, wie Derrida diese Logik der Konstellationsbildung beschreibt – und zwar kurz nachdem er selbst den Begriff der Konstellation aufgerufen bzw. zumindest das Wort beiläufig fallengelassen hat (als »constellation céleste«, übersetzt als »Sternbild«151). Die folgende Passage wird in Glas selbst keinesfalls hervorgehoben und ist dort auch nicht eindeutig eine Beschreibung des Textes Glas; wir bedienen uns also des mehrdeutigen indexikalischen Ausdrucks »dieses«, wenn wir die Passage auf Glas beziehen: Schaffen wir Zwischenraum. Die Kunst dieses Textes besteht in der Luft, die er zwischen seinen Wandschirmen zirkulieren lässt. Die Verkettungen sind unsichtbar, alles erscheint improvisiert oder nebeneinandergestellt. 149 Derrida, 12a (im Textfenster). 150 Vgl. z.B. Derrida, 54a (im Textfenster): »Die Dissemination wird [...] stets die Bedeutung bedroht haben.« Derrida kritisiert deshalb Leseeinstellungen, die assimilieren, homogenisieren und Einheit des Sinns behaupten wollen. In der Tat ist die Ermüdung – im Sinne von Hegels Kritik der Unabgeschlossenheit – völlig von Derrida eingeplant, vgl. ebd., 5b. Allerdings hat bereits Gayatri Spivak bemerkt, dass sich unweigerlich so etwas wie ein Gesamteindruck einstellt; Spivak, »Glas-Piece: A Compte Rendu«, 43. 151 Auf Seite 83 der deutschen bzw. Seite 85 der französischen Ausgabe von Glas. Der Verweis auf die Sternenkonstellation eröffnet eine Parallele zu Mallarmés Un Coup de Dés, wo die Sternenkonstellation eine zentrale Rolle spielt. Auch Mallarmés Gedicht arbeitet mit dem Raum und dem Sprachbild (auf) der Doppelseite, wobei es darum geht, dass »nur eine Konstellation« »vielleicht« stattgefunden haben wird.

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Er induziert eher durch Agglutination als durch Beweisführung, eher durch Anfügen und Ablösen als dadurch, dass er die kontinuierliche und analoge, belehrende und erdrückende Notwendigkeit einer diskursiven Rhetorik zur Schau stellte.152 Espaçons. L’art de ce texte, c’est l’air qu’il fait circuler entre ses paravents. Les enchaînements sont invisibles, tout parait improvisé ou juxtaposé. Il induit en agglutinant plutôt qu’en démontrant, en accolant et en décollant plutôt qu’en exhibant la nécessité continue et analogique, enseignante, étouffante, d’une rhétorique discursive.153

Und etwas später: Nichtsdestoweniger können sich all diese Stücke (morceaux), natürlich, nicht verbinden. Der Gegenstand des vorliegenden Werks (présent ouvrage), auch sein Stil, ist das Stück (morceau).154

Glas operiert also mit Stücken und Zwischenraum. Das, was nach der Theorie des absoluten Wissens zu denken bleibt, so schreibt Derrida im Klappentext, ist »das mit einem Schlag Detaillierte, in Stücke Gehauene«. Glas handelt insofern von der unmittelbaren Spaltung des Gleichen, vom Insistieren der Details, der Einzelfälle und der Beispiele gegenüber dem, von dem sie Details oder für das sie Beispiele sein sollen.155 Derrida versucht, eine Denkbewegung plausibel zu machen, die von diesen Stücken und dem durch sie und zwischen ihnen entstehenden Raum ausgeht. Das bedeutet z.B., dass die Überdetermination der Worte akzeptiert wird, der »Rest« oder Exzess, der in einem Wort über den wohlbestimmten Gedanken hinausgeht. Solche Momente hebt das Arrangement von Glas hervor, denn genau an den impliziten Überschüssen knüpft unsere Lektüre an, wenn wir unweigerlich (dennoch) versuchen, die Stücke zu verbinden. Wie die zuerst zitierte Passage zeigt, ist Derrida dabei an den Mechanismen der Beweisführung und am Kon­trast zu einer »diskursiven Rhetorik« interessiert (worin bereits eine Kritik an einer bloß rhetorischen und zur Schau gestellten Wissenschaftlichkeit enthalten ist).156 Der Text, dessen »Kunst« Derrida beschreibt, funktioniert durch das Zirkulieren der Luft zwischen den Zeilen (paravents), also durch unsichtbare 152 Derrida, Glas: Totenglocke, 86b. 153 Derrida, Glas (Originalausgabe), 88b. 154 Derrida, Glas: Totenglocke, 133b. 155 Vgl. dazu neben dem Klappentext auch Glas: Totenglocke, 24a. In der Fachsprache des Druckerwesens bezeichnet der »Zwischenschlag« den Raum zwischen zwei Spalten; vgl. Endres, 228. Bei den Schlägen ist auch an die Schreibmaschine zu denken. 156 Es geht Derrida durchaus um das Beweisen; vgl. auch Glas: Totenglocke, 19a (im Textfenster).

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Verkettung (Iteration). Er »induziert«, d.h. er bewirkt oder leitet (gewissermaßen kausal) durch eine Collage-Technik – durch Anfügen (accolant), Ablösen (décollant) und Verkleben (agglutinant). Die Verbindungen scheinen dabei improvisiert und – wie zufällig – nebeneinandergestellt (juxtaposé). Es steht also immer das Problem im Raum, zu entscheiden, ob eine bestimmte Konstellation, die sich auf einer Seite ergibt, beabsichtigt ist oder nicht.157 In diesem Sinne macht Derrida bereits zu Beginn von Glas deutlich, dass das »Unkalkulierbare« einkalkuliert wird.158 Auch das kann aber doppelt verstanden werden: Wird ein Rest an Unabwägbarkeit akzeptiert? Oder wird das Unkalkulierbare als Mehrwert in eine (Sinn-)Entwicklung eingepreist, die daraus Kapital schlägt? Letzteres wäre der Vorwurf der beschränkten Ökonomie, die alle Sinnverschiebungen auf eine zentrale Bewegung hinordnet – Derrida verbindet das Zirkulieren auch mit einer Kritik an der Philosophie des logos, der »im Anfang« schon war – und dessen Einheit durch das Urteilen gefährdet wird. Das ist genau das, was wir kurz vor unserer Passage in Glas in der linken Spalte lesen.159 Diese Zirkulation hat Derrida als Moment einer »beschränkten Ökonomie« kritisiert. Wie bereits beschrieben, bezeichnet er die beschränkte Ökonomie als »Ökonomie des Lebens«, die auf Selbsterhaltung abzielt, also darauf, Sinn in einem geschlossenen System zirkulieren zu lassen, ihm einen Tauschwert zuzuschreiben und ihn zu reproduzieren. Wenn in dieser Ökonomie etwas aufs Spiel gesetzt wird, dann mit dem Ziel, dass sich der Einsatz »amortisiert«.160 Derrida sieht die Beschränkung der Philosophie (Hegels) darin, dass sie das Unkalkulierbare nur als Reserve, oder Quelle des Sinns betrachtet – der letztlich aber nicht durch die Fliehkräfte der Bewegung, durch die er sich artikuliert, gefährdet werden kann, so dass sich die Entwicklung des Sinns letztlich auf eine zen­ trale Hauptlinie hin organisiert, die sie vom Ende her regelt. So ist es zu verstehen, wenn Derrida kritisiert, dass die Aufhebung »Herr über das Spiel« bleibt, das sie »begrenzt und bearbeitet, indem sie ihm Form und Sinn verleiht«. Diese Ökonomie des Lebens, die Derrida mit den Begriffen des logos und des absoluten Wissens verbindet, beschränkt sich »auf die Erhaltung, die Zirkulation und Reproduktion des Selbst, wie auch des Sinns«.161 157 Diese Unentscheidbarkeit ist ein entscheidendes Moment. Glas ist ein »definite layout of undecidability«; Spivak, »Glas-Piece: A Compte Rendu«, 25. 158 »Das Unkalkulierbare dessen, was übriggeblieben ist, wird (ein)kalkuliert, verarbeitet alle Schläge, verzerrt oder stapelt sie im Stillen, Sie werden schneller ermüden, als sie zu zählen.« Derrida, Glas: Totenglocke, 5b. 159 Derrida, 86a. Vgl. auch ebd., 87a: »Man hätte nicht teilen [...] dürfen«. 160 Vgl. Derrida, »Von der beschränkten zur allgemeinen Ökonomie. Ein rückhaltloser Hegelianismus«, 389. 161 Derrida, 387. Vgl. auch ebd., 412.

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Kehren wir zu unserer Passage in Glas zurück. Den Verweis auf die Collage-Arbeit der »Ver(zwischen)räumlichung (espacement)«162 führt Derrida in der rechten (also in der Genet gewidmeten) Spalte im Kontext eines Zeitungsberichts an, in dem es um eine Hinrichtung geht. Dieser Bezug ist aus mehreren Gründen relevant: Einerseits hält Derrida es auf diese Weise in der Schwebe, ob unsere Passage sich auf diesen Zeitungsbericht oder auf Glas bezieht. Damit macht er auch darauf aufmerksam, wie nah die Techniken der Sinnzirkulation beieinander liegen, denn der angeführte Zeitungsartikel ist vielmehr im Sinne einer Macht zu verstehen, die sich durch ihn auf subtile Weise geltend macht (beschränkte Ökonomie), während die Operation von Glas gerade auf die Bodenlosigkeit dieser Sinnbewegung aufmerksam machen will (allgemeine Ökonomie). Der Verweis auf die Zeitung ist auch deshalb relevant, weil die Zeitung ein Textformat ist, das mit seiner Aufteilung in Spalten und andere Textbereiche, durch die Sammlung von Texten verschiedener Autor:innen mit verschiedenen Intentionen und letztlich durch die Optik der Seite Glas durchaus nahe kommt. Darüber hinaus ist die Zeitung das paradigmatische Material der collagierenden Arbeit der Textentfremdung und der Verwertung von Textresten.163 Genets Notre Dame de Fleur (auf das Derrida hier zusammen mit Das Wunder der Rose verweist), beginnt damit, dass der Erzähler seine Gefängniszelle mit zerfledderten Zeitungen, »ihren schönsten Blumen« gestaltet.164 Als eine solche »Blütenlese / Anthologie« bezeichnet Derrida auch den stückhaften Stil von Glas, der auf das Neu-Lesen (relire) und Neu-Verbinden (relier) dieser Stücke zielt.165 Um ein solches Neu-Verstehen geht es durchaus auch bei Hegel, wenn er der bestehenden Sprache durch »Denaturalisation« und durch Ablösung von den bestehenden Bedeutungsmustern die Kategorien des Denkens entwenden möchte.166 Neben die (vertikale) Aufhebungsbewegung der Sprache bei Hegel stellt Derrida eine parallele, horizontale bzw. laterale Bewegung der Sprache, durch die sich alle Aussagen rekontextualisieren lassen, wobei sie ungeahnte Bedeutungen annehmen können.167

162 Derrida, Glas: Totenglocke, 85b. 163 Vgl. Vogel, »Anti-Greffologie. Schneiden und Kleben in der Avantgarde«. 164 Genet, Notre Dame des Fleurs, 9. Vgl. ebd., 7: »Dieses herrliche Blütenmeer voll schöner und düsterer Blumen erfuhr ich nur in Form von Bruchstücken: eines wurde mir auf einem Stück Zeitungspapier geliefert [...]«. 165 Derrida, Glas: Totenglocke, 133b. 166 Derrida, 86a. 167 Diese Bewegung ist deswegen auch nicht als einfache Opposition zu Hegel gedacht; vgl. Derrida, »Die différance«, 43.

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2.4 Glas (2): Sprache, Darstellung und Zeit Dem Moment der Bedeutungsverschiebung, das er in Glas formal umsetzt, spürt Derrida zugleich in Hegels Texten nach. Ein wichtiges Thema am Beginn von Glas ist die »Denaturalisation« der Sprache. Dass Derrida diese Denaturalisation der Sprache als ein wesentliches Thema von Glas bereits in »Der Schacht und die Pyramide« ankündigt, zeigt, dass dieser Punkt für ihn zentral ist.168 Derridas Position in Glas lässt sich folgendermaßen umreißen: In Hegels Theorie besteht der Prozess der natürlichen Sprache in ihrer Denaturalisation, d.h. in ihrer Entwicklung zur universellen Sprache. Damit stellt Hegel die natürlichen Sprachen insgesamt an die systematische Position, die Derrida in »Der Schacht und die Pyramide« für das Zeichen beschrieben hat. Wie das Zeichen nur als Übergang zur Selbstpräsenz des Geistes dient, sollen bei Hegel auch die natürlichen Sprachen insgesamt eine Tendenz zur Idealisierung beinhalten. Sie stehen also unweigerlich in der Bewegung der Aufhebung, die Derrida als eine der Aneignung kritisiert.169 Wie wir bereits gesehen haben, erscheint in Hegels Jenaer Vorlesungen von 1803/04 die Sprache als »Sprache eines Volks«. An diesem Punkt setzt Derrida an. Er betont zunächst, dass Hegel »das Problem der philosophischen Sprache« nicht umgangen hat.170 Daraus ergibt sich die Frage, ob die philosophische Sprache eine natürliche oder eine formale Sprache ist. Indem das Jenaer Vorlesungsmanuskript Sprache als Sprache eines Volkes ausweist, erscheint Sprache dort zunächst als Alltagssprache und damit als natürliche Sprache: Die Sprache ist nur als Sprache eines Volks, ebenso Verstand und Vernunft. Nur als Werk eines Volks ist die Sprache die ideale Existenz des 168 Er schreibt dort: »Es ist wahr, dass in der spekulativen Dialektik für einen klaren Gegensatz zwischen natürlicher und formaler (oder universaler) Sprache kein Platz ist. Der Prozess der Sprache ist – wir werden es an anderer Stelle zeigen – ihre Denaturalisation. Jede Sprache ist, wenn man so sagen kann, als solche universal.« Derrida, Randgänge der Philosophie, 374f.n27. 169 Darin ist eine Parallele zu Adornos Kritik der Aufklärung erkennbar, worauf Heinz Kimmerle hingewiesen hat: Während Hegel in der Denaturalisation und der Entwicklung des Bewusstseins zum Begriff bzw. zur Wissenschaft ein entschieden emanzipatorisches Moment sieht (womit er trotz seiner Kritik einer über sich selbst nicht aufgeklärten Aufklärung in der rationalistischen Tradition steht), argumentiert Derrida, dass sich in dieser Bewegung Elemente eines Denkens finden, das unweigerlich auf Naturbeherrschung hinausläuft. Pauschalisierend ausgedrückt geht es damit um die Frage der Unterdrückung des »Anderen« bzw. »Nichtidentischen«; vgl. Kimmerle, »On Derrida’s Hegel Interpretation«. 170 Derrida, Glas: Totenglocke, 12a.

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Geistes, in welcher er sich ausspricht, was er seinem Wesen [nach] und in seinem Sein ist; sie ist ein Allgemeines, an sich Anerkanntes, im Bewusstsein aller auf dieselbe Weise Widerhallendes; jedes sprechende Bewusstsein wird unmittelbar darin zu einem andern Bewusstsein. Sie wird ebenso ihrem Inhalte nach erst in einem Volke zur wahren Sprache, zum Aussprechen, was jeder meint.171

Hier findet sich bereits eine Differenzierung von Sprache und idealer Existenz des Geistes einerseits und von Sprache und »wahrer Sprache« andererseits. Derrida kommentiert entsprechend: Die geistige Sprache ist folglich auch natürlich. Zum Volk gehörend, ist die Familie also stets sprechend; es gibt keine biologische Familie; aber die Sprache, die sie spricht, ist nicht, so scheint es zumindest, formal oder willkürlich. Doch aufgrund der Struktur der inneren Entwicklung der Sprache wird das, was darin erarbeitet wird, genau dadurch zerstört oder vielmehr dem Prozess der Aufhebung* unterworfen, aufgehoben. Indem sie sich als System natürlicher Zeichen setzt, das in der Äußerlichkeit existiert, erhebt sich die Sprache zum Begriff (ideale innere Bedeutung) und negiert sich folglich als System natürlicher Zeichen.172

Derrida kennzeichnet die Entwicklung der natürlichen Sprache zur Sprache des Begriffs als Aufhebung, der die Sprache unterworfen wird. Im Anschluss zieht Derrida selbst die Parallele zu seiner Behandlung des Zeichens in »Der Schacht und die Pyramide«, bevor er einen weiteren Beleg aus Hegels Jenaer Manuskript heranzieht (den wir an einer früheren Stelle dieser Arbeit bereits zitiert haben): Die Sprache wird also auf diese Weise in einem Volke rekonstruiert, dass sie als das ideelle Vernichten des Äußern [sic] selbst ein Äußeres ist, das vernichtet, aufgehoben werden muss, um zur bedeutenden Sprache zu werden, zu dem, was sie an sich, ihrem Begriffe nach ist; also sie ist im Volke als ein totes anderes als sie selbst und wird Totalität, indem sie als ein Äußeres aufgehoben und zu ihrem Begriffe wird.173

Derrida kommentiert: Die Sprache vollendet sich, wird also bedeutend (signifiante) nur, indem sie den (sinnlichen, äußerlichen) Signifikanten (signifiant), ihn durchquerend [meine Hervorhebung, S.W.] und ihn nichtend mit Blick auf den Begriff, mit Blick auch auf ihren eigenen Begriff von Sprache, in sich aufhebt. Sie wird Sprache nur, indem sie sich beseitigt/bewahrt im Begriff. Die traditio ist die Aufhebung*. Die Sprache erreicht ihren eigenen Begriff nur, indem sie bis ans Ende dessen geht, was sie induziert, ans Ende ihrer eigenen inneren Negativität [meine Hervorhebung, S.W.], 171 JS1, 226 (= GW6, 318); Derrida zitiert diese Passage nicht komplett (vgl. Glas: Totenglocke, 12a). 172 Derrida, 12a. 173 JS1, 227 (= GW6, 319); Derrida, 13a.

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einem Schema des Wesens als sich unaufhörlich verifizierender und ausarbeitender Negativität gemäß. Dieses Werden (traditio) der Sprache oder eher der Sprachwissenschaft vollzieht sich also im Inneren eines Volkes, eines Volksgeistes, der sich ohne es nicht setzen würde. Die sprach(wissenschaft)liche (linguistique) Negativität reduziert sich weder auf die Einwurzelung noch auf die Entwurzelung der Sprache im Verhältnis zum Boden der geschichtlichen Gemeinschaft. Die Entwurzelung, die Denaturalisierung, die Explantation einer Sprache vollendet das verwurzelnde Wesen der Sprache. Diese gehört zu einem Volk als endlicher Totalität: Sie ist nun eine »natürliche Sprache«, eine endliche, besondere, bestimmte Sprache. Doch hört sie auf, es zu sein, sowie sie sich als solche setzt; sie vollendet ihr Wesen einer »natürlichen« Sprache nur, indem sie sich entgrenzt, indem sie sich selbst entrandet hin zur Universalität des Begriffs. Sie ist also sogleich universale Sprache, die in sich die natürliche Sprache zerstört.174

In seinem Kommentar zieht Derrida folgende Schlüsse: (1) Der Sprache kommt in Hegels Theorie eine eigene innere Negativität zu; Sprache ist demnach als solche bereits selbstbezüglich. (2) Die Entwicklung der Sprache ist eine Entwicklung der Sprachwissenschaft; mit dem Wissen um die Sprache verändert sich also auch die Sprache selbst. (3) Die Sprache ist als natürliche bereits universal insofern sie ihre eigene Natürlichkeit zerstört bzw. die Tendenz zu dieser Zerstörung enthält. Damit markiert Derrida zentrale Elemente von Hegels Sprachverständnis (wenngleich er sie gerade entgegengesetzt bewertet). In diesem wesentlich in ihr angelegten Prozess der Idealisierung »verschlingt« die Sprache sich selbst, bleibt aber trotzdem – so Derridas Kritik an Hegel – ein »Rest«, der nicht im Begriff aufgeht.175 In der Spannung von natürlicher und begrifflicher Sprache entstehen metasprachliche Effekte, die wiederum diese sprachinterne Spannung darstellen können.176 Derrida befasst sich ebenfalls mit der Frage der Darstellung des Geistes. Er entwickelt dieses Problem in einer längeren Passage, an deren Ende er 174 Derrida, 13a. 175 Derrida, 13a. Wie auch sein Verweis auf den »Ungrund« andeutet, übernimmt Derrida wichtige Momente seiner Kritik an Hegel von Schelling. Das Konzept eines »nie aufgehenden Rest[es]«, der für die Entstehung alles Verstehens notwendig ist, sich aber zugleich nie »in Verstand auflösen lässt«, formuliert Schelling in der »Freiheitsschrift« in seiner Theorie des »Grundes« jeglicher Existenz; vgl. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, 32 (= SWVII, 360). Der Ungrund soll der Unterscheidung von Grund und Existenz nochmals vorausgehen, was aber – weil diese Unterscheidung jegliche Intelligibilität erst ermöglicht – nicht mehr prädikativ zugänglich gemacht werden kann (vgl. ebd., 77f. = SWVII, 406f.). 176 Derrida, Glas: Totenglocke, 15a.

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es mit der Aufhebungsbewegung der Sprache verbindet.177 Die Grundfrage richtet sich dabei auf die Selbsthervorbringung des Geistes und die Rolle des Endlichen in diesem Zusammenhang: Der Geist ist sein eigenes Resultat. Ein Beispiel dafür findet der Mensch an sich selbst, denn der Mensch unterscheidet sich dadurch vom Tier, dass er nicht unmittelbar ist, was er ist, sondern seine spezifischen Fähigkeiten des Menschseins (in Differenz zu anderen Menschen) erst selbst entwickeln muss. Auch im Kontext der Selbsthervorbringung des Geistes unterstreicht Derrida den damit einhergehenden Bruch mit der Natur.178 Im Folgenden wird Derrida untersuchen, worin die Beispielfunktion des Endlichen besteht. Insofern der Geist sein eigenes Resultat ist, begreift und benennt er sich wesentlich selbst; er ist insofern »selbstnamentlich (autonommément)«. – Doch für diese Selbsthervorbringung, als hemmender Negation der natürlichen Selbstbeweglichkeit, ist das menschliche Individuum, das besondere, endliche Individuum, als solches nur ein Beispiel (exemple). Und das (menschliche) Vater/Sohn-Verhältnis ist nur ein (endliches) Beispiel des unendlichen Vater/Sohn-Verhältnisses, des Verhältnisses des unendlichen Geistes, der sich frei zu sich selbst als/wie zu seinem eigenen Vorsprung (ressaut), seiner eigenen Quelle (ressource) verhält. Genauso wie es einen Sprung in der Negativität gab, zwischen der Negativität der natürlichen Entzweiung* (Pflanze, Tier) und der der geistigen oder menschlichen Entzweiung*, zwischen der Aufhebung in der Natur und der Aufhebung der Natur im endlichen Geist, genauso gibt es einen dialektischen Sprung, welcher der absolute Vorsprung des Resultats ist, zwischen der Aufhebung* des endlichen Geistes und der des unendlichen Geistes. Genauso wie – genauso: Die Analogie oder die Proportion hängt mit dem zusammen, was das Endliche als Übergang ins Unendliche ist. Daher die exemplarische Rhetorik Hegels, das exemplaristische Vorgehen seiner Rhetorik: seiner Rhetorik als Technik der Figuren und als Form der Argumentation.179

Derrida weist auf die Verbindung von Hegels Darstellungsweise mit der zentralen Eigenschaft des Geistes hin, sich selbst zu erkennen und zu produzieren. Sein Punkt ist, dass Hegels Darstellungsweise einem Prinzip folgt, das Marion Schmaus die »Darstellungsfunktion des Endlichen«180 genannt hat: Jedes endliche Individuum ist ein Beispiel für die Selbsthervorbringung des Geistes, indem es sich selbst bildet.181 Insofern ist das 177 Derrida, 38a. Vgl. ebd. 32a–39a. 178 Vgl. Derrida, Glas: Totenglocke, 34. Bezugspunkt sind Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte (PhWG, 56f.). 179 Derrida, 35a. 180 Vgl. Schmaus, »Die Wunden des Geistes heilen. Zur Autobiographie des melancholischen Geistes oder der ›Fall Hölderlin‹ in Hegels Phänomenologie«. 181 Derrida, Glas: Totenglocke, 36. Der Bezugspunkt ist PhWG, 58.

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Endliche exemplarisch für das Unendliche, das selbst aber kein Beispiel sein kann. Der unendliche Geist kann deshalb kein Beispiel mehr sein – da er nicht endlich ist. Zumindest kann er nicht mehr die Rolle eines Beispiels spielen, wenn das Beispiel ein besonderer Fall in einem Ganzen oder einer homogenen Reihe ist. Er kann es, wenn das Beispiel das beispielhafte Ideal, der absolute Sinn ist, dessen endliche Beispiele eben nur exemplarische Annähernd-Genaue sind. Dieser Übergang vom Beispiel zur Beispielhaftigkeit des Beispiels, dieser Übergang vom Endlichen zum Unendlichen kann sich mitunter Gangarten geben, die nach Rhetorik und Darstellungsweise aussehen. Er ist in Wahrheit das Ontologische des Übergangs, der Grund (raison) des Endlichen, das sich als solches nur setzt, indem es ins Unendliche übergeht. Im Endlichen können die Beispiele* einander ersetzen, und deshalb sind sie Beispiele, besondere, gemäß dem allgemeinen Gesetz klassifizierte Fälle. Diese Ersetzung ist die Freiheit im Spiel, des Spiels zwischen den Beispielen. Diese Freiheit ist endlich. Das Spiel wird hierbei möglich gemacht durch die Endlichkeit; doch die Endlichkeit hebt sich selbst auf.182

Das Endliche – und damit die Sprache – wird also als sich-selbst-aufhebendes Durchgangsmoment des Unendlichen konzipiert. Damit überträgt Derrida die Kritik, die er in »Der Schacht und die Pyramide« an der Funktion des Zeichens im Rahmen der Enzyklopädie übt, auf die Ebene des ontologischen Verhältnisses von Endlichkeit und Unendlichkeit. Hegels Konzeption dieses Verhältnisses kristallisiert sich in seinem Sprachgebrauch: Das, was den Leser:innen Hegels als Rhetorik erscheinen kann, ist deshalb ein Moment des Ontologischen.183 Der Geist bewegt sich im Übergang bzw. im Zwischenraum. Geist ist eine Übertragungsleistung, die notwendig ist, damit ein Beispiel überhaupt beispielhaft sein, d.h. als Beispiel verstanden werden kann.184 In einem religiösen Register formuliert bedeutet das: Der Geist ist »weder der Vater noch Sohn (fils), sondern die Abstammung (filiation)«.185 Der »Sohn« dient als innere Differenz Gottes und gibt diesem »sein Bild«. Die religiöse Schöpfungsgeschichte ist also ein bildgebendes Verfahren, womit sich Hegel im Religionskapitel der Phänomenologie auseinandersetzt. Der Begriff der Abstammung kann hier so verstanden werden, dass er auf die Beziehung, auf den Zusammenhang verweist, der nicht in den jeweiligen Elementen – hier »Vater« und »Sohn« – aufgeht. 182 Derrida, 35f.a. Vgl. PhWG, 58. 183 Auch hier möchte Derrida darauf hinaus, dass das Verhältnis zwischen der Ebene der (rhetorischen) Darstellung und der ontologischen Ebene ein Verhältnis der »Amortisierung« und des Gewinns ist – also ein ökonomisches Verhältnis. 184 Vgl. Schaub, »Die Philosophie und ihre Beispiele«, 286. 185 Derrida, Glas: Totenglocke, 37a.

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JACQUES DERRIDA: SPRACHE ALS VERSCHIEBUNG UND VERLUST DER BEDEUTUNG

Das Thema des Verhältnisses von Endlichkeit und Unendlichkeit, das Derrida in der Frage der Darstellung ankündigt, wird mit der Tilgung der Zeit im Schlusskapitel der Phänomenologie zu einem Abschluss geführt. Die Frage der Darstellung verbindet Derridas Untersuchung von Hegels Theorie der Sprache mit der Frage der Zeit: Der Geist ist immer – schon (déja) – frei als Geist, aber es bleibt (reste) ihm, das zu sein, was er gewesen sein wird: die phänomenale Erfahrung seiner Freiheit zu machen, sich als solcher zu erscheinen, sich zu befreien, seine Freiheit zu befreien.186

Obwohl der Geist »immer schon« frei ist, muss diese Freiheit Teil einer Erfahrung werden, sie muss erscheinen. Zeit ist damit prinzipiell die Zeit der Darstellung des Geistes, Zeit in der die tatsächliche Erfahrung der Freiheit stattfinden kann. Glas schließt mit Derridas Lektüre des Übergangs von der Religion zum absoluten Wissen, wobei Derrida sich direkt auf die Phänomenologie des Geistes bezieht. Sein Ziel ist dabei diametral zu Hegels gesetzt: Derrida versucht die Rest-Äußerlichkeit, die dem Absoluten in der religiösen Vorstellung zukommt, gegen die Selbstpräsenz des Geistes im absoluten Wissen zu profilieren. Wie wir bereits gesehen haben, verfolgt Derrida in Glas die Strategie, eine nicht aufhebbare Dualität zu inszenieren. Er inszeniert dieses Argument insofern es wesentlich für seine Argumentation ist, dass sie auf der Formebene des Textes stattfindet (und sich u.a. in dem zwei-spaltigen Layout von Glas niederschlägt). Der negative, weiße Raum zwischen den Textspalten soll als eine nicht aufhebbare Differenz, eine Art ursprünglicher Riss oder Zwischenraum zur Geltung kommen.187 Dieses Unterstreichen der Eigendynamik der materiellen Textproduktion hängt mit Derridas inhaltlicher Argumentation zusammen: Gegen Hegels Schritt von der zeitlich und sprachlich gebundenen Vorstellungswelt der Religion zu der (so Derrida) gänzlich zeit- und sprachenthobenen Ebene des Begriffs bzw. des absoluten Wissens möchte Derrida aufweisen, dass diese Form der Aufhebung der Andersheit nur durch die gewaltsame Assimilation eines »Restes« zustande kommt, einer Andersartigkeit des vorgestellten Objekts, die für die Figur, die Hegel »Religion« nennt, konstitutiv ist. In seiner Interpretation lässt Derrida deshalb das absolute Wissen, das durch die Tilgung der Zeit erreicht wird, wieder in die Entwicklung der 186 Derrida, 30a. 187 Das, was in Glas neu gedacht werden soll, ist »das mit einem Schlag Detaillierte, in Stücke Gehauene«, wie Derrida im Klappentext schreibt. Wolfram Hogrebe erläutert (ausgehend von Heidegger), dass unser menschliches Dasein sich prinzipiell in Zwischenräumen abspielt. Es ist dementsprechend ein »Zwischensein« bzw. »Inter-esse« – eine sich fortsetzende Entfaltung von Unterscheidungen, wie sie Derrida mit dem Begriff der différance beschreibt; vgl. Hogrebe, Das Zwischenreich (τὸ μεταξύ), 26. Den Begriff des Interesses benutzt Hegel auch als Bezeichnung für das Denken (vgl. PhG, 35).

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SPRACHE UND DARSTELLUNG IM KONTEXT DER HEGEL-INTERPRETATIONEN

Religion zurückfallen. Die Entwicklung der Religion wird in Glas erst nach dem absoluten Wissen thematisiert wird und bildet den Abschluss der Hegel-Spalte. Damit unterstreicht Derrida allerdings auch, dass das zentrale Moment in Hegels Konzeption des absoluten Wissens die Tilgung der Zeit ist. Zudem wird die Relevanz der zeitlichen Dimension bereits am Anfang von Glas herausgestellt, denn der Text beginnt mit der Frage nach dem, was hier und jetzt ist und was immer schon war.188 Derrida interpretiert den Schluss der Phänomenologie so, dass am Übergang von Religion zu absolutem Wissen erstens das Problem der Zeit den Mittelpunkt der Argumentation bildet und dass zweitens im Kapitel zum absoluten Wissen eine Ambivalenz zwischen Tilgung und Aufhebung der Zeit besteht: In Wirklichkeit: In der absoluten Religion wird die Entzweiung noch nicht absolut durch die Versöhnung überwunden. Eine Entgegensetzung bleibt, sie bestimmt sich als vorwegnehmende Vorstellung. Letzte Grenze der absolut wahren, absoluten, geoffenbarten Religion: Sie bleibt bei der Vorstellung* stehen (en reste). Das wesentliche Prädikat dieser Vorstellung ist die Äußerlichkeit dessen, was sich darin gegenwärtigt oder ankündigt. Sie stellt vor sich, sie hat Bezug zu einem Objekt, das gegenwärtig (pré-sent) ist, das zuvor kommt nur, insofern es äußerlich bleibt. Die Einheit von Objekt und Subjekt erfüllt sich noch nicht gegenwärtig, wirklich; die Versöhnung zwischen Subjekt und Objekt, Drinnen und Draußen ist in Erwartung gelassen. Sie stellt sich vor, aber die vorgestellte Versöhnung ist nicht die wirkliche Versöhnung. Es ist nichts Zufälliges daran, dass diese vorstellungsmäßige Äußerlichkeit zugleich (en même temps) die Zeit (temps) ist. Wenn es in der absoluten Religion der absoluten Familie ein Bereits des Noch-Nicht oder ein Noch-Nicht des Bereits (des Sa) gibt, so ist das ganz einfach, wenn man das sagen kann, deshalb so, weil es – noch – die Zeit gibt. Die Religion ist vorstellungsmäßig, weil sie der Zeit bedarf. Und wenn man diesem Rechnung trägt, dass das Sa, wie in dem Kapitel gesagt, das den entsprechenden Titel trägt, sowohl ein schlichtes und einfaches Tilgen als auch eine Aufhebung der Zeit ist, ermisst man die außerordentliche Schwierigkeit, wenn nicht Unmöglichkeit dieses Denkens des Sa in seiner Zeit.189 188 Vgl. Derrida, Glas: Totenglocke, 5a. Dass die Frage der Zeit einen wichtigen Rahmen in der Entwicklung der Hegel-Spalte von Glas bildet, hat auch Heinz Kimmerle unterstrichen; vgl. Kimmerle, »Kann Zeit getilgt werden?« 189 Derrida, Glas: Totenglocke, 244a.Wie die unmittelbar vorausgehende Passage zeigt, verbindet Derrida den Schritt zum absoluten Wissen mit auch mit einem Vermittlungsproblem in Hegels Text. Es scheint hier besonders darauf anzukommen, zu verstehen, was Hegel sagen möchte: »Wenn man Hegel vernimmt, wenn man (aus dem Inneren des Bildes [tableau]) den Sinn dessen versteht, was sein Text sagen will, kann man nicht das absolute Bereits-Da des Noch-Nicht oder das absolute Bereits-Nicht-Mehr des Noch

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JACQUES DERRIDA: SPRACHE ALS VERSCHIEBUNG UND VERLUST DER BEDEUTUNG

Derridas eigenes Projekt besteht darin, gegen das Moment, das er mit dem absoluten Wissen verbindet (die absolute, versöhnte, wirkliche Einheit von Subjekt und Objekt, in der jeder Rest assimiliert ist190) geltend zu machen, dass es einen Rückfall in die Sphäre gibt, die bei Hegel »Religion« heißt. Um dieses Argument zu prüfen, wäre eine genaue Lektüre der letzten rund 40 Seiten von Glas nötig. Diese Prüfung würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen (ich möchte aber unterstreichen, dass hier durchaus eine Prüfung eines zentralen Arguments von Glas möglich ist, dass dieser Text also nicht jenseits der wissenschaftlichen Bewertbarkeit operiert). Entscheidend für unsere Untersuchung ist, dass Derrida hier das Problem identifiziert, das sich in den letzten Kapiteln der Phänomenologie (also den Kapiteln zu Religion und absolutem Wissen) stellt: Wie verhält sich das absolute Wissen, in dessen Kern das Moment der Tilgung (und/oder Aufhebung) der Zeit liegt, zu dem ihm im Text vorausgehenden Modus der Vorstellung, der wesentlich auf einer Trennung von vorgestelltem Objekt und vorstellendem Subjekt einerseits, sowie einer Trennung in verschiedene (zeitlich aufeinander folgende) Vorstellungen andererseits beruht? Der Modus der Vorstellung zeichnet sich dabei nicht nur durch seine Zeitlichkeit aus, sondern auch durch seine Sprachlichkeit, denn die Vorstellungen sind jeweils sprachlich bestimmt. Wie Heinz Kimmerle unterstreicht, überfordert das Moment der Tilgung der Zeit die uns bekannten Möglichkeiten der sprachlichen Artikulation.191 Heißt das aber (wie er ebenfalls nahelegt), dass man das absolute Wissen nur als prinzipiell jenseits von Sprache und Zeit denken kann? Meine These ist, dass es sich anders verhält: Erstens soll auch das Moment des absoluten Wissens ja in der Phänomenologie insgesamt diskursiv, also sprachlich und argumentativ plausibel gemacht werden; dies ist zumindest Hegels exoterischer Anspruch. Zweitens scheint das Moment des absoluten Wissens eher darauf hinzuweisen, dass es in jeder bestehenden sprachlichen Artikulations- und Vorstellungsform – genau diese werden ja im Religionskapitel untersucht – eine Lücke, eine Unvollständigkeit gibt, so dass diese Formen faktisch nicht für sich bestehen bleiben. Das absolute Wissen als »begriffene Geschichte« ist dann die Reflexion auf das reduzieren, was man familiär/vertraut (familièrement) von der Familie zu kennen glaubt. Was Hegel sagen will, ist, dass der absolute Sinn der absoluten Familie, das Familial-Sein der Familie sich nur dem/im Übergang (au passage) zwischen der absoluten Religion und dem Sa, im vorletzten Kapitel der Phänomenologie des Geistes, preisgibt: von dem Absoluten des Bereits-Da des Noch-Nicht oder des Noch des Bereits-Nicht-Mehr her. [...] Dieses familiale Zwischen liest sich innerhalb und außerhalb – auf seiner Grenze – der Phänomenologie des Geistes, im Scharnier (charnière) des vorletzten und letzten Kapitels.« (ebd., 243a). 190 Vgl. Derrida, 261a. 191 Vgl. Kimmerle, »Kann Zeit getilgt werden?«

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SPRACHE UND DARSTELLUNG IM KONTEXT DER HEGEL-INTERPRETATIONEN

auf die Entwicklung dieser Formen, also auf die transformierende Darstellung des Geistes. Es liegt damit zwar jenseits jeder bestimmten Artikulationsform, aber nicht jenseits der Artikulation überhaupt. Im Gegenteil ist gerade das absolute Wissen das Moment, in dem der Geist selbst darauf reflektiert, dass er außerhalb der Entwicklung seiner Artikulationsund Darstellungsformen überhaupt kein Bestehen hat. Das meint Hegel, wenn er sagt, dass der Geist sich im Moment seiner höchsten Freiheit und Sicherheit in sein Werden »entlässt«. Auf diese Punkte werden wir im Rahmen der Diskussion des absoluten Wissens eingehen.

3. Fazit In Bezug auf die Interpretationen von Brandom und Derrida können wir insgesamt Folgendes festhalten: Beide betonen in ihren Auseinandersetzungen mit Hegel die Relevanz der Sprache und interessieren sich dabei insbesondere für die Probleme, die aus der Überdetermination der Worte entstehen. Dabei setzen sie allerdings sehr unterschiedliche Schwerpunkte: Brandom stellt die Proposition in den Mittelpunkt seiner Semantik und verfolgt deshalb ein Programm des Explizierens implizit in der Sprache enthaltener Annahmen. Für Derrida ist aber gerade entscheidend, dass sich damit kein vollständiges Bild der Sprache ergibt. Er entwickelt daher ein Verständnis der Sprache, in dem die Sinnentwicklung jenseits des Propositionalen nachvollzogen wird. Ausgehend von Brandom und Derrida können wir feststellen, dass es in der Expression oder Artikulation zu einer Verschiebung und Veränderung der Identitäten kommt, die auf die Eigendynamik der Medien zurückzuführen ist, in denen sich dieser Prozess vollzieht. Man muss daher, wenn man Expression denken will, auch zu einem Denken der dekonstruktiven Effekte der Darstellung übergehen. Dieses Motiv scheint in Brandoms Denken der Kontingenz und der semantischen Überdetermination durchaus angelegt, aber nicht konsequent weiterverfolgt und in dieser Hinsicht ist es sinnvoll, Brandom und Derrida komplementär zu lesen. Dies ist in Bezug auf Hegel insbesondere deshalb der Fall, weil Hegel erstens (wie wir im Abschnitt über den spekulativen Satz gesehen haben) eine Kritik der Möglichkeiten des propositionalen Urteils durchführt und weil er zweitens (wie wir im Abschnitt über Hegels Sprache gesehen haben) in wesentlichen Punkten jenseits der propositionalen Sprache operiert. Sowohl Brandom als auch Derrida verlassen allerdings vorzeitig die Entwicklung der Phänomenologie: Brandom zufolge ist der Abschluss der Entwicklung des Geistes bereits am Ende des Geistkapitels erreicht. Damit schneidet er die gesamte Entwicklung der ästhetisch-welterschließenden Dimension der Sprache ab – und damit die eigentliche Theorie der Darstellung des Geistes. Derrida sperrt sich gegen den Übergang von »Religion« 266 https://doi.org/10.5771/9783748917755

FAZIT

zum absoluten Wissen, um eine nicht aufhebbare Äußerlichkeit gegen das Moment des absoluten Wissens geltend zu machen. Derrida zufolge ist das absolute Wissen ein Moment der homogenisierten Innerlichkeit des Geistes. Dagegen werde ich argumentieren, dass die wesentliche Relevanz von Äußerlichkeit für den Geist gerade im Moment des absoluten Wissens geltend gemacht wird, insofern sich der Geist hier in sein Werden (in Natur und Geschichte) entlässt. Damit lesen Brandom und Derrida Hegel interessanterweise zumindest in einem Punkt ähnlich, denn sie verstehen ihn beide als Denker einer Versöhnung, in der ein harmonischer Endzustand hergestellt wird. Der Unterschied liegt dabei natürlich darin, dass Brandom dieses Moment ausdrücklich für seine eigene Theorie der normativen Pragmatik adaptieren will, während Derrida dieses Moment kritisiert, indem er versucht zu zeigen, dass der Abschluss der Phänomenologie nur durch ein Moment gewaltsamer Assimilation zustande kommt.192 Nachdem wir mit Hilfe der Hegel-Interpretationen von Brandom und Derrida einen Überblick über die verschiedenen Pro­blemfelder gewonnen haben, die eine Untersuchung der Sprache und Darstellung der Phänomenologie des Geistes eröffnet, können wir uns nun dem Haupttext der Phänomenologie zuwenden.

192 Eine mögliche Fortsetzung der Parallellektüre von Brandom und Derrida könnte darin bestehen ihre Konzepte der Versöhnung bzw. Vergebung zu vergleichen, schließlich bildet reconciliation bzw. forgiveness ein zentrales Moment von A Spirit of Trust; vgl. zu diesem Thema etwa Derrida, Vergeben. Das Nichtvergebbare und das Unverjährbare.

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Teil 3: Sprache und das individuelle Subjekt – die kognitive Funktion der Sprache In den folgenden Teilen (3 bis 5) untersuchen wir, wie Hegel Sprache und Darstellung im Haupttext der Phänomenologie behandelt. In den Abschnitten zu Bewusstsein und Vernunft kritisiert Hegel im Wesentlichen individualistische Auffassungen von Bedeutung und Versuche des Bewusstseins, den sprachlichen Ausdruck durch Rekurs auf einen davon unabhängigen Bereich des Mentalen zu umgehen. Sprache wird hier in ihrer kognitiven Funktion untersucht. Im Geistkapitel ändert sich die Perspektive. Die Gestalten des Geistes sind objektive Welten. »Bildung« ist der Versuch, soziale Verhältnisse über die Partizipation an bestehenden Ordnungen durch sprachlich vermittelte Anerkennung zu konzipieren. Dagegen thematisiert das Gewissenskapitel ein interaktives Sprachmodell, bei dem sich die Sprecher:innen auf der gleichen Ebene begegnen. Sprache ist in den beiden Szenen des Geistkapitels in ihrer kommunikativen Funktion relevant. Dabei wird allerdings wenig beachtet, wie genau die zwischenmenschlichen Verhältnisse und der Weltbezug im Allgemeinen durch verschiedene sprachliche Formen modelliert und transformiert werden können. Erst mit dem Beginn des Religionskapitels setzt eine Auseinandersetzung mit der Sprache ein, die diese bewusst gestaltet. Der Fokus richtet sich damit auf die welterschließende Funktion und die ästhetische Dimension der Sprache. Die Reflexion darauf, was die verschiedenen Ausdrucksformen für die Darstellung des Geistes bedeuten, findet sich im Schlusskapitel der Phänomenologie, dem absoluten Wissen, wo der Geist auf sein Werden reflektiert.

1. Sprache und Bewusstsein (die sinnliche Gewissheit) Die Phänomenologie ist die Wissenschaft davon, wie das Bewusstsein zum absoluten Wissen gelangt. Das Bewusstsein ist per Definition intentional auf etwas bezogen, was es von sich unterscheidet und das für es ein Gegenstand ist bzw. als Gegenstand erscheint. Das Bewusstsein ist eine endliche Perspektive auf einen durch bestimmte Grundannahmen abgesteckten Gegenstandsbereich und diese Grundannahmen bestimmen, was das Bewusstsein in diesem Bereich mit den darin erscheinenden Gegenständen erfahren kann. Bewusstsein beruht also auf der Differenz zwischen sich selbst und seinem Gegenstand. Das Bewusstsein 268 https://doi.org/10.5771/9783748917755

SPRACHE UND BEWUSSTSEIN (DIE SINNLICHE GEWISSHEIT)

verfügt über einen Maßstab, der besagt, wie es sich seinen Gegenstand vorstellt. Weil es über diesen Maßstab verfügt, treten Diskrepanzen in seiner Gegenstandserfahrung auf. Die Erfahrungen des Bewusstseins entstehen gerade aus den Diskrepanzen zwischen dem Begriff, den das Bewusstsein von seinem Gegenstand hat und der Art und Weise, in der dieser Gegenstand sich tatsächlich zeigt. Weil sich Begriff und Gegenstand des Bewusstseins nie entsprechen, wird das Bewusstsein immer über seine Standpunkte und damit über sich selbst hinausgetrieben. Darin, dass sich Begriff und Gegenstand für das Bewusstsein nicht entsprechen können, besteht gerade seine Endlichkeit. Deshalb sind die Momente der Wahrheit, die das Bewusstsein erfährt, immer Momente der Bewegung des Gegenstandsbegriffs – Momente, in denen der so verstandene Gegenstand für das Bewusstsein verschwindet und als ein neuer erscheint. Das Bewusstsein macht also Erfahrungen der Endlichkeit. Diese Erfahrungen sind Erfahrungen des Scheiterns und die Wissenschaft dieser Erfahrungen besteht darin, dass diese Erfahrungen (logisch) nachvollzogen werden. Zentrale Momente dieser Erfahrungen sind Sprache und Zeit bzw. Sprachlichkeit und Zeitlichkeit des Bewusstseins und im Begriff des Nachvollzugs drückt sich bereits aus, dass das Erkennen oder Verstehen der Erfahrungen einerseits nachträglich ist und andererseits dynamisch. Es kommt also wesentlich nach den Erfahrungen und es geht nicht in einem Katalog von Ergebnissen auf, sondern erfordert eine Denktätigkeit.1 Da die Phänomenologie eine Theorie der Relationen und der Bezugnahme ist, spielen Demonstrativpronomen eine zentrale Rolle im Text. Auffällig viele Absätze beginnen mit Rückbezügen auf den vorherigen Absatz.2 In der Analyse der sinnlichen Gewissheit etabliert Hegel, wie diese Bezüge funktionieren. Dabei wird auch das Problem der Zeit eröffnet, das erst im absoluten Wissen aufgelöst wird. Für das Bewusstsein in Gestalt der sinnlichen Gewissheit erscheint Zeit zunächst als Problem: Sie will sich unmittelbar auf das sinnlich Gegenwärtige beziehen. Diese Referenz lässt sich aber nicht stabilisieren und das, was vermeintlich unmittelbar konkret und gegenwärtig ist, verschwindet für die sinnliche Gewissheit in der Zeit. Darin zeigt sich ihr Gegenstand als etwas, das nur gewesen ist und daher nicht unmittelbar, sondern nur vermittelt zugänglich werden kann. Es gibt also keine unmittelbar sinnliche 1 Vgl. Emundts, Erfahren und Erkennen. Zur Relevanz des Nachvollzugs vgl. z.B. Luckner, Genealogie der Zeit, 109, 116. Das Verschwinden der Gegenstände kann als Effekt der Perspektivität des Bewusstseins verstanden werden (ebd., 124). Ein weiterer relevanter Marker der Endlichkeit wäre der Körper, der in der Phänomenologie v.a. im Zusammenhang mit der Erfahrung des Todes relevant wird. 2 Vgl. z.B. PhG, 78: »Diese dialektische Bewegung [...]« oder PhG, 376: »Diese Entfremdung [...]«.

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SPRACHE UND DAS INDIVIDUELLE SUBJEKT

Gegenwart. Für die Sprache bedeutet das, dass deiktische bzw. indexikalische Referenzen auf ein darüberhinausgehendes semantisches Repertoire angewiesen sind, um überhaupt als solche funktionieren zu können.3 Die Konsequenz ist, dass Erfahrung nicht empiristisch-atomistisch verstanden werden kann.4 Unseren Umgang mit deiktischen Ausdrücken hat Robert Brandom als anaphoric recollection beschrieben. Das Demonstrativpronomen (»dieses«) wird dabei an einen Ausdruck gebunden, der nicht seinerseits wieder demonstrativ ist (»dieses Pferd dort«, »dieses Geräusch gerade«). 5 Wie Brandom überzeugend vermittelt, geht es dabei darum, eine sinnliche Erfahrung zu stabilisieren, indem man sie wiederholbar macht, was auch erst ermöglicht, eine Reihe von verschiedenen Erfahrungen mit demselben Gegenstand zu machen. Re-collection bezeichnet das WiederHolen einer – in ihrer sinnlichen Qualität nicht wiederholbaren – Gegenstandserfahrung aus bzw. in der Erinnerung: »Recollection [Erinnerung] refers to something that is no longer, as something that is no longer.«6 Daraus resultiert, wie Brandom unterstreicht, der geschichtliche Charakter der Phänomenologie als Entwicklung begrifflicher Operationen.7 Hegel markiert dieses Moment ebenfalls in der sinnlichen Gewissheit: Es erhellt, dass die Dialektik der sinnlichen Gewissheit nichts anderes als die einfache Geschichte [meine Hervorhebung, S.W.] ihrer Bewegung oder ihrer Erfahrung und die sinnliche Gewissheit selbst nichts anderes als nur diese Geschichte ist.8

Demgegenüber wird Hegel das absolute Wissen als »begriffene Geschichte« bezeichnen.9 Das Problem der Bezugnahmen auf scheinbar unmittelbar sinnlich Gegebenes ist mit einem zweiten Feld verbunden, nämlich mit Hegels prinzipieller Kritik der Unmittelbarkeit. Das Resultat der sinnlichen Gewissheit besteht darin, dass unmittelbare Bezugnahme weder auf die sinnliche Welt noch auf uns selbst möglich ist. Weil wir keinen vorsprachlichen Zugang zu uns etablieren können, wird (wie Thomas Sören Hoffmann formuliert) jeder Bezug auf uns selbst über die Sprache »abgebogen«.10 Damit unterstreicht Hegel die kognitive Notwendigkeit der 3 4 5 6

Vgl. Koch, Die Evolution des logischen Raumes, 34. Vgl. Brandom, A Spirit of Trust, 125. Vgl. Brandom, 129 sowie Koch, Die Evolution des logischen Raumes, 34. Brandom, A Spirit of Trust, 127. Vgl. ebenso auch Emundts, Erfahren und Erkennen, 75. 7 Brandom, A Spirit of Trust, 131. 8 PhG, 90 9 PhG, 591 10 Hoffmann, »Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831)«, 267. Unmittelbarkeit ist nur durch Vermittlung möglich. Beides ist nicht voneinander zu trennen, wie Hegel immer wieder unterstreicht (vgl. z.B. WL1, 66).

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SPRACHE UND BEWUSSTSEIN (DIE SINNLICHE GEWISSHEIT)

Sprache: Die entscheidende Einsicht des Kapitels in Bezug auf die Frage nach Sprache und Selbsterkenntnis besteht darin, dass hier erfahren wird, dass unser direktes Selbstverhältnis und das, was wir gewöhnlich als unsere »Meinung« bezeichnen, nur etwas vermeintliches ist, von dem wir niemals sagen können, was genau es überhaupt sein soll, ohne auf sprachliche Ressourcen zurückzugreifen. Es ist gar nicht klar, was es heißen sollte, dass »wir« auf sprachliche Ressourcen zurückgreifen, da es »uns« als voroder außersprachliche (und damit außer-soziale) Wesen gar nicht gibt. Insofern ist die Sprache »das Wahrhaftere«, wie Hegel sagt, und das Unaussprechliche das schlechthin Unwahre: Die Sprache aber ist, wie wir sehen, das Wahrhaftere; in ihr widerlegen wir selbst unmittelbar unsere Meinung; und da das Allgemeine das Wahre der sinnlichen Gewissheit ist und die Sprache nur dieses Wahre ausdrückt, so ist es gar nicht möglich, dass wir ein sinnliches Sein, das wir meinen, je sagen können.11

Zugang zu uns selbst finden wir deshalb nur durch sprachliche Artikulation. Zu dem, was Gegenstand unserer Intention ist, verhalten wir uns nicht »linear«.12 Wir befinden uns also nicht in einer gesicherten Position, von der aus wir dann versuchen, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was sich jenseits dieser Position noch befindet. Diese Non-Linearität wird sich auch in Hegels Handlungstheorie immer wieder zeigen, die darauf hinausläuft, dass Handlung – und damit auch Sprachhandlung – nicht als lineare zeitliche Abfolge einer wohlformulierten (Sprech-)Absicht, einer sie ganz oder teilweise verwirklichenden Ausführung und schließlich einer Begutachtung des Resultats besteht, sondern dass wir vielmehr erst im Resultat wirklich wissen können, was die Absicht eigentlich war, die vermeintlich den kausalen Ursprung unserer Handlung bildete. Trotzdem wird diese Absicht aus dem Resultat heraus als eine schon gewesene verstanden. Wie explizit im Physiognomik-Kapitel formuliert wird, zeigt sich schon in der Erfahrung der sinnlichen Gewissheit, dass Sprache eine Äußerung ist, »worin das Individuum nicht mehr an ihm selbst sich behält, und besitzt, sondern das Innere ganz außer sich kommen lässt und dasselbe Anderem preisgibt.«13 Dasselbe kann überhaupt nur durch Anderes »dasselbe« sein. Darin deutet sich bereits an, dass Identität nur durch Differenz, durch eine Selbst-Relation, bestehen kann und nicht unmittelbar zu haben ist. Das ist aber nicht nur auf die menschliche Selbsterkenntnis zu beziehen, sondern auch auf das Problem des Aufschreibens der Wahrheit, mit dem Hegel die Prüfung des Bewusstseins eröffnet – wobei es nicht zufällig ist, dass der allererste Prüfungsschritt, der in der 11 PhG, 85 12 Hoffmann, »Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831)«, 267. 13 PhG, 235

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SPRACHE UND DAS INDIVIDUELLE SUBJEKT

Phänomenologie überhaupt durchgeführt wird, in dem Versuch besteht, die Wahrheit aufzuschreiben: Sie sprechen von dem Dasein äußerer Gegenstände, welche, noch genauer, als wirkliche, absolut einzelne, ganz persönliche, individuelle Dinge, deren jedes seines absolut gleichen nicht mehr hat, bestimmt werden können; dies Dasein habe absolute Gewissheit und Wahrheit. Sie meinen dieses Stück Papier, worauf ich dies schreibe oder vielmehr geschrieben habe; aber was sie meinen, sagen sie nicht. Wenn sie wirklich dieses Stück Papier, das sie meinen, sagen wollten, und sie wollten sagen, so ist dies unmöglich, weil das sinnliche Diese, das gemeint wird, der Sprache, die dem Bewusstsein, dem an sich Allgemeinen angehört, unerreichbar ist. Unter dem wirklichen Versuche, es zu sagen, würde es daher vermodern; die seine Beschreibung angefangen, könnten sie nicht vollenden, sondern müssten sie anderen überlassen, welche von einem Dinge zu sprechen, das nicht ist, zuletzt selbst eingestehen würden. Sie meinen also wohl dieses Stück Papier, das hier ein ganz anderes als das obige ist; aber sie sprechen wirkliche Dinge, äußere oder sinnliche Gegenstände, absolut einzelne Wesen usf., d. h. sie sagen von ihnen nur das Allgemeine; daher, was das Unaussprechliche genannt wird, nichts anderes ist als das Unwahre, Unvernünftige, bloß Gemeinte.14

Das schlechthin Individuelle ist für die Sprache unerreichbar. Was in emphatischer Hinsicht individuell ist, entzieht sich der (direkten) sprachlichen Fassung. Der unmögliche Versuch, dieses Individuelle zu fassen, ist das Projekt der Jenaer Romantik, das daher auch mit vollem Bewusstsein in die Form des Fragments geführt wird. Was Hegel hier sagt, ist: Eine Konzeption, die auf das zielt, was konstitutiv unerreichbar ist, ist irrational. Die Sprache hat die göttliche Natur, »die Meinung unmittelbar zu verkehren.«15 Daran erkennt man im Eröffnungskapitel der Phänomenologie die unterschiedlichen Perspektiven auf die Sprache: Für das Bewusstsein ist sie ein Element des Scheiterns. Hegel sieht in ihr aber gerade die Möglichkeit, das Einzelne als Allgemeines zu fassen. Hegel orientiert sich von vornherein an der Aussagbarkeit und akzeptiert voll und ganz, dass die Sprache nicht die sinnlichen Einzeldinge aussagt. Deshalb interpretiert Josef Simon die Erfahrung der sinnlichen Gewissheit als »Aufforderung zum bestimmten Sprechen«.16 Die Sprache ist ein Ganzes aus Einzelheit und Allgemeinheit, in dem beide sich immer ineinander 14 PhG, 91f. Zum Problem des Aufschreibens der Wahrheit sowie zu der Klammerfunktion der Kapitel zur sinnlichen Gewissheit und zum absoluten Wissen vgl. McCumber, »Writing Down (Up) the Truth: Hegel and Schiller at the End of the Phenomenology of Spirit«. 15 PhG, 92 16 Vgl. Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 184. Zu Einzelnem und Allgemeinem vgl. ebd., 25.

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SPRACHE UND BEWUSSTSEIN (DIE SINNLICHE GEWISSHEIT)

verkehren.17 Das unmittelbar sinnliche Dasein oder das Sein, das einfach nur ist, erweist sich in der Erfahrung der sinnlichen Gewissheit als Abwesendes. Das sinnliche Jetzt ist immer schon zeitlich vergangen und das reine Sein ist immer schon logisch vergangen. Damit wird hier auch das Thema der Zeit angelegt (auf das Hegel im Schlusskapitel der Phänomenologie zurückkommen wird). Die Erfahrung der sinnlichen Gewissheit schließt damit, dass die Sprache (»das Wahrhaftere«) die Meinung unmittelbar verkehrt und gar nicht zu Wort kommen lässt. Nachdem Hegel die erste Erfahrung des Bewusstseins an die Sprache geknüpft hat, verweist er auch in der Reflexion auf den Übergang zur Wahrnehmung auf ein zentrales methodisches Moment, das ebenfalls mit einer sprachlichen Besonderheit zusammenhängt – und das der Sprache inhärente Moment der Verkehrung theoretisch nutzbar macht: Indem »Das Dieses« sich gerade als »nicht dieses« zeigte, ist es »aufgehoben«.18 Damit findet hier die erste (in der Einleitung beschriebene) »bestimmte Negation« einer Annahme des Bewusstseins statt und Hegel ist sehr bemüht, dieser methodischen Einführung gerecht zu werden. Das Scheitern der sinnlichen Gewissheit hat als Resultat nicht (ein abstraktes) »Nichts, sondern ein bestimmtes Nichts oder ein Nichts von einem Inhalte, nämlich dem Diesen.«19 Dadurch führt das Scheitern der sinnlichen Gewissheit zu einem Fortschritt: Es hat sich zwar gezeigt, dass die sinnliche Gewissheit systematisch irrt, damit ist aber auch eine Wahrheit über diesen Standpunkt entdeckt worden, die es erlaubt, sich von diesem Standpunkt weg zu bewegen.20 Die bestimmte Negation der sinnlichen Gewissheit ist, dass das (vermeintlich) sinnliche »Diese« – z.B. dieses Stück Papier – kein einzelner konkreter Gegenstand, sondern etwas ganz abstraktes Allgemeines ist. Jedes Stück Papier ist »dieses Stück Papier«.21 Das Sinnliche wird zu einer Eigenschaft des neuen Gegenstandes, des Dings. Diese Bewegung wird durch die gedoppelte Bedeutung des Wortes »aufheben« eingefangen, das die Doppelstruktur der bestimmten Negation aus Annullieren und Beibehalten darstellt – also die begriffliche Entgegensetzung in einem Wort realisiert: »Das Aufheben stellt seine wahrhafte gedoppelte Bedeutung dar, welche wir an dem Negativen gesehen haben; es ist ein Negieren und Aufbewahren zugleich«.22 Einerseits stellt das Aufheben die gedoppelte Bedeutung des »Diesen« dar, das 17 Vgl. dazu Simon, 28. 18 PhG, 94 19 PhG, 94 20 Damit unterstreicht Hegel auch, warum die Furcht vor dem Irrtum eine Furcht vor der Wahrheit ist, denn ein bestimmter Irrtum ist immer eine Erkenntnis der Wahrheit; vgl. PhG 69. 21 PhG, 92 22 PhG, 94

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SPRACHE UND DAS INDIVIDUELLE SUBJEKT

zugleich »Nicht-Dieses« ist. Außerdem kann man den Satz aber auch so verstehen, dass das Wort »aufheben« in dieser Verwendungsweise seine eigene doppelte Bedeutung darstellt, weil von keiner der beiden Bedeutungsdimensionen abstrahiert wird. Dieser zentrale »spekulative« Ausdruck erschließt also die Möglichkeit einer Bewegung, die zugleich auf eine neue Ebene führt (wenn auch diese dritte Bedeutung hier von Hegel nicht genannt wird). Man kann darin ein paradigmatisches Beispiel dessen sehen, was wir mit Kreis und Seel als welterschließende Funktion der Sprache eingeführt haben. Um Hegels expliziten Behandlungen der Sprache und der sprachlichen Darstellung zu folgen, richten wir unsere Aufmerksamkeit nun auf einen Teil des Vernunftkapitels (womit wir mehrere Abschnitte im Text der Phänomenologie überspringen). Das Bewusstseinskapitel führt im Abschnitt über Kraft und Verstand noch ein Theorieelement ein, das für das Thema Sprache relevant ist, nämlich den absoluten Unterschied. Dieser wird aber sowohl im Kapitel über Physiognomik und Schädellehre als auch im Geistkapitel thematisch aufgegriffen. Auch die Externalisierung und die Konstruktion eines Weltverhältnisses durch Arbeit, die im Selbstbewusstseinskapitel behandelt wird, könnte parallel zu den Fragen von Sprache und Darstellung gelesen werden. Diese Themen werden wir im Rahmen der Untersuchung von Sprache und Handlung im Geistkapitel diskutieren.23

2. Sprache und Vernunft (Physiognomik und Schädellehre) Das Kapitel zu Physiognomik und Schädellehre steht am Ende des Abschnitts der Phänomenologie, der sich mit der theoretischen oder »beobachtenden« Vernunft auseinandersetzt und bildet den Übergang zur praktischen Vernunft bzw. zu Hegels Analyse der »Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewustseins durch sich selbst«. Das Kapitel schildert die scheiternden Versuche des vernünftigen Bewusstseins, Sprache als Ausdrucksmittel zu umgehen. Hegel argumentiert hier gegen einen (kartesischen) Dualismus von Körper und Geist, der sich als Dualismus von Innen und Außen ausdrückt. Seine Kritik ist eine weitere Zurückweisung eines introspektiven oder emphatisch individuellen Zugangs zu »privaten« Gedanken oder Meinungen und damit eine Weiterentwicklung des Arguments, das in der Kritik der sinnlichen Gewissheit eröffnet wird. 23 Zum Zusammenhang von Sprache und Arbeit vgl. Habermas, »Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser ›Philosophie des Geistes‹«.

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SPRACHE UND VERNUNFT (PHYSIOGNOMIK UND SCHÄDELLEHRE)

In der Entwicklung der Phänomenologie beginnt die Stufe der Vernunft mit »der Gewissheit des Bewusstseins, in seiner Einzelheit absolut an sich, oder alle Realität zu sein.«24 Diese Gewissheit des Bewusstseins, alle Realität zu sein, ist »die reine Kategorie« als Einheit von Denken und Sein.25 Das Bewusstsein ist auf der Ebene der Vernunft ein Denken, das Gewissheit über seine eigene Realität und Wirklichkeit hat. Die Position des Bewusstseins der Vernunft ist deshalb »Idealismus«.26 Idealismus ist einerseits eine philosophische These mit ahistorischem Anspruch, andererseits aber selbst ein geistesgeschichtliches Phänomen. Der ahistorische Anspruch, mit dem der von Hegel am Beginn des Vernunftkapitels dargestellte Idealismus auftritt, führt aber gerade dazu, dass dieser Idealismus seine eigene Thesenhaftigkeit übersieht, so dass er Probleme mit seiner historischen Bedingtheit bekommt.27 Der Idealismus, den Hegel hier umreist, wird auf eine unmittelbare Weise für wahr gehalten, weswegen er das, was er ausspricht, nicht eigentlich weiß: Die Vernunft ist die Gewissheit des Bewusstseins, alle Realität zu sein; so spricht der Idealismus ihren Begriff aus. Wie das Bewusstsein, das als Vernunft auftritt, unmittelbar jene Gewissheit an sich hat, so spricht auch der Idealismus sie unmittelbar aus: Ich bin Ich, in dem Sinne, dass Ich, welches mir Gegenstand ist, [...] Gegenstand mit dem Bewusstsein des Nichtseins irgendeines anderen, einziger Gegenstand, alle Realität und Gegenwart ist.28

Weil sich der Idealismus der Bewusstseinsgestalt Vernunft als alle Realität versteht, muss alles andere für ihn zu einer bloßen Nichtigkeit werden. Es handelt sich also um eine extreme Ausprägung eines subjektiven Idealismus. Wie Hegel in der »Differenzschrift« schreibt, ist der Grundgedanke des Idealismus die Konzeption der Idee als Vernunft bzw. Subjekt-Objekt.29 Systeme, die innerhalb der absoluten Identität von Subjekt und Objekt einer Seite dieser Unterscheidung einen Vorrang zuschreiben, sind Hegel zufolge dogmatisch. Ein dogmatischer Idealismus behauptet einen Vorrang der Subjektseite, ein dogmatischer Realismus behauptet einen Vorrang der Objektseite. Im dogmatisch idealistischen System wird die Erscheinung unter die absolute Identität subsumiert und es gelingt nicht, die Identität zugleich in die Erscheinung zu setzen. Umgekehrt wird im dogmatischen Realismus das Subjekt unter die Objekt-Seite 24 PhG, 177 25 PhG, 184 26 PhG, 179 27 Vgl. dazu (in Anlehnung an Nicolai Hartmann) Hyppolite, Genesis and Structure, 226. 28 PhG, 179; meine Hervorhebungen, S.W. 29 TWA2, 50; vgl. Enz. § 214

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subsumiert.30 Bei Fichte, der beispielhaft für den dogmatisch-subjektiven Idealismus steht, bleibt das Prinzip des Systems – Ich – ein »subjektives Subjekt-Objekt«.31 Da seine eigene Einheit, die Einheit der Vernunft, eine nur subjektive (also gesollte, aber nie erreichte) ist, ist seine Freiheit eine, die sich gegen die Welt der mannigfaltigen objektiven Erscheinungen setzt. Es gelangt nicht dazu, »sich selbst in seiner Erscheinung anzuschauen« und die Erscheinungen bleiben ihm insgesamt »absolut ein Fremdes«.32 Man kann daher sagen, dass im subjektiven Idealismus das Objekt zu subjektiv ist, weil es zu sehr unter der Macht des Subjekts steht, und andererseits das Subjekt zu wenig objektiv, weil es seine Einheit immer nur gegen die Mannigfaltigkeit des Objektiven denken kann und ihm daher das empirische Ich (einer realen Person) und das transzendentale Ich (allgemeine Subjektivität als Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt) auseinanderfallen. Das Subjekt erreicht hier also zu viel und zu wenig: Es unterwirft das Objekt und erlangt gerade deswegen selbst keine Objektivität. Diese sich gegen die Erscheinungswelt konstituierende Subjektivität drückt sich in einer sprachskeptischen Position aus, die Hegel am Anfang des Kapitels »Beobachtung der Beziehung des Selbstbewusstseins auf seine unmittelbare Wirklichkeit; Physiognomik und Schädellehre« bestimmt: Die Sprache bringt (so die Befürchtung des Bewusstseins) das Innere zu sehr nach außen (so, dass es gänzlich abgelöst und äußerlich wird), transportiert dabei aber zu wenig davon, wie das (vermeintlich präkonstituierte) »Innere« wirklich ist. Das Subjekt hält mit dieser Befürchtung an »seiner« Subjektivität fest und kann sich der Objektivität nicht anvertrauen.33 Auffällig ist, wie Hegel diesen Überschuss der Subjekt-Seite mit einem radikalen Überschuss der Objekt-Seite verbindet, nämlich mit der Schädellehre, die das Subjekt absolut zum Ding macht: 30 Die absolute Identität ist im dogmatisch idealistischen System deshalb nur etwas, das sein soll (also mit der Terminologie des Physiognomik-Kapitels eine Möglichkeit): »die absolute Synthesis zu welcher dieses [System] gelangt, ist nicht Ich = Ich, sondern Ich soll gleich Ich sein. Das Absolute ist für den transzendentalen Gesichtspunkt, aber nicht für den der Erscheinung konstruiert; beide widersprechen sich noch. Weil die Identität nicht zugleich in die Erscheinung gesetzt worden oder die Identität nicht auch vollkommen in die Objektivität übergegangen ist, so ist die Transzendentalität selbst ein Entgegengesetztes, das Subjektive, und man kann auch sagen, die Erscheinung ist nicht vollständig vernichtet worden.« (TWA2, 50). 31 TWA2, 50. Diese subjektivistische Position geht mit der Vorstellung einer »objektive[n] Unendlichkeit« einher, die das Subjekt bedingt; diese objektive Unendlichkeit wird auch als »Zeit-Progress in infinitum« vorgestellt (TWA2, 11). 32 TWA2, 69 33 PhG, 235; vgl. auch TWA2, 72

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Das gelingt nur, weil sie im Stillen selbst davon überzeugt ist, so einen »Materialismus«34 gar nicht zu vertreten – denn aus genau diesem Grund wollte sie das Innere vor den Verkehrungen der Sprache schützen.35 In der »Differenzschrift« heißt es zu dieser Frage: »Weil Ich subjektives Subjekt-Objekt ist, so bleibt ihm eine Seite, von welcher ihm ein Objekt absolut entgegengesetzt ist, von welcher es durch dasselbe bedingt ist«.36 Darin deutet sich das Schwanken zwischen einer absoluten, leeren Identität des Ich = Ich und einem absoluten Unterschied von Subjekt und Objekt an. Die Vernunft behauptet die absolute Identität des Ich. Der Versuch, diese Identität des Ich durch Beobachtung zu begreifen, führt aber einen absoluten Unterschied zu Tage und das Bewusstsein kann diese beiden Gedanken nicht zusammenbringen. Dieses Problem beschreibt Hegel am Ende des Kapitels über Physiognomik und Schädellehre anhand des Konzepts des »unendlichen Urteils«.37 Das Kapitel beginnt mit einer Frage nach der Gesetzmäßigkeit: Die vorangegangene Gestalt, die »psychologische Beobachtung«, konnte 34 PhG, 259 35 In diesem Zusammenhang weist Alasdair MacIntyre auf den Unterschied zwischen Hegels Kritik der Physiognomik und Schädellehre und dem Vorgehen anderer Kritiker hin, die diese als materialistisch kritisieren und dabei selbst an einem kartesischen Dualismus von Körper und Geist festhalten: »Gall was charged by his critics with determinism, materialism, and consequently atheism. Both Gall and Spurzheim [Galls Schüler und Anhänger, S.W.] denied these charges […]. The critics in question, notably Francis Jeffrey, the editor, and Brougham, the lawyer, fastened all their attention on the alleged causes, seeking to show that the mental cannot have a physical, or more specifically a physiological cause. To show this, they rely on a simple dualism of matter and mind, and the vapid naivete of Gall’s and Spurzheim’s science is matched only by the vapid naivete of Jeffrey’s and Brougham’s philosophy. The spirit of their attack on phrenology is as alien to the spirit of Hegel’s attack as any could be. Hegel’s opposition to Cartesian dualism is of so thorough-going a kind that he would have had to reject all the premi­ ses of Jeffrey’s and Brougham’s attacks. Nor is Hegel interested in showing that there cannot be physiological causes of the type cited by the phrenologists.« MacIntyre, »Hegel on Faces and Skulls«, 181. 36 TWA2, 72 37 Auch die Suche nach einem Kausalverhältnis von Schädelknochen und Persönlichkeit, auf die sich das Bewusstsein in diesem Kapitel begibt, entspricht dem Verharren des subjektiven Idealismus in der abstrakten Entgegensetzung von Körper und Geist, insofern eine Suche nach kausalen Erklärungen auf der Prämisse fußt, dass es im Rahmen einer gegebenen Dualität ein primäres (Ursache) und ein sekundäres Element (Wirkung) geben müsse.Vgl. dazu PhG, 244f. sowie TWA2, 102: »Was das Vermengen betrifft, so gibt das der Naturwissenschaft Angehörige, in das System der Intelligenz gemischt, die transzendenten Hypothesen, die durch einen

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»kein Gesetz des Verhältnisses des Selbstbewusstseins zur Wirklichkeit« finden. Dieses Problem soll hier nun gelöst werden und deshalb heißt das Kapitel »Beobachtung der Beziehung des Selbstbewusstseins auf seine unmittelbare Wirklichkeit«. Wirklichkeit wird dabei im Sinne einer äußerlich »entgegengesetzten Welt« verstanden, die dementsprechend durch Beobachtung zugänglich gemacht werden soll. Die Ausgangsfrage ist, wie man mit dem Gegensatz umgeht, dass das Individuum einerseits »Sein« und andererseits »Tun« ist. Zwischen diesen Aspekten erhält der »Leib« eine Doppelrolle: Er ist einerseits die ursprüngliche Voraussetzung des Individuums und als solche sein »Nichtgetanhaben«, »zugleich« soll er aber auch selbst wieder ein Produkt des bisherigen Lebens jedes Individuums sein und in diesem Sinne ein »Zeichen« seiner spezifischen Individualität.38 Zeichen vermitteln allerdings, wie sich bald herausstellen wird, nur eine »willkürliche Verbindung« von Innen und Außen und geben daher gerade kein Gesetz.39 Das Bewusstsein nimmt an, dass Individuen wesentliche und unwesentliche Aspekte haben, und dass diese nach innen (Wesen) und außen (Erscheinung) verortet werden können.40 Deswegen muss es fragen, wie sich das Innere im Äußeren ausdrückt, wie der »Ausdrucke des Inneren im Äußeren zu verstehen ist.«41 Dabei wird Ausdruck in der Schädellehre wortwörtlich das Drücken des Gehirns gegen den Schädel bedeuten, wodurch »Knorren«42 entstehen, an denen die Wahrheit des Inneren abgelesen werden können soll. Wichtig ist, dass Hegel den Begriff des Ausdrucks mit der Vorstellung des Bewusstseins verbindet, dass es über ein präkonstituiertes Inneres – über ein inneres Sein – verfügt, das durch diesen Ausdruck gewissermaßen nur noch sichtbar gemacht werden müsste. Gerade an dieser Voraussetzung scheitern aber alle tatsächlichen Ausdruckshandlungen des Bewusstseins und Hegel geht es darum, falschen Schein der Vereinigung des Bewusstseins und des Bewusstlosen blendend werden können; sie geben sich für natürlich aus und überfliegen auch wirklich das Palpable nicht, wie die Fiberntheorie des Bewusstseins; dagegen gibt das Intelligente als solches, in die Naturlehre gemischt, die hyperphysischen, besonders teleologischen Erklärungen. Beide Missgriffe des Vermengens gehen von der Tendenz des Erklärens aus, zu dessen Behuf Intelligenz und Natur ins Kausalitätsverhältnis, das eine als Grund, das andere als Begründetes gesetzt werden, wodurch aber nur die Entgegensetzung als absolut fixiert und durch den Schein einer solchen formalen Identität, wie die Kausalidentität ist, der Weg zur absoluten Vereinigung völlig abgeschnitten wird.« 38 PhG, 233 39 PhG, 236 40 Vgl. PhG, 238 41 PhG, 234 42 PhG, 253–55

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aufzuzeigen, dass dieses Scheitern systematisch aus der falschen Annahme eines präkonstituierten Inneren folgt. Parallel zu der »offiziellen« Untersuchung des Verhältnisses von Körper und Geist bzw. des Äußeren und Inneren des Menschen läuft eine Reihe von Bemerkungen zum Verhältnis von Körper und »Wert« des Zeichens, und dem Ausdruck des Menschen in »Sprache und Arbeit«.43 Diese Ausführungen haben die Form von Hintergrundwissen: Was Zeichen und Sprache sind, scheint das Bewusstsein der beobachtenden Vernunft bereits zu wissen, denn es bedient sich dieses Wissens und bezieht es auf die Untersuchung des Schädels. Erst die Nachbetrachtung zum unendlichen Urteil wird diesen Hintergrund mit einbeziehen, wobei »wir« bemerken können, dass der Hintergrund in der Tat argumentatives Gewicht trägt. Es gibt also einen Austausch zwischen dem zentralen Argumentationsstrang und den Nebenlinien, die zunächst nur den (narrativen) Kontext des Arguments bilden. Die Dialektik entwickelt sich, indem Positionen aus der Peripherie ins Zentrum der Argumentation verlagert werden und umgekehrt. 2.1 Physiognomik und Zeichen Die Auseinandersetzung mit Sprache und Zeichen im Physiognomik-Abschnitt beginnt mit dem Versuch des beobachtenden Bewusstseins, den Ausdruck in Sprache und Arbeit zu umgehen und zu einem direkten Ausdruck des Inneren zu gelangen: Die Sprachskepsis, die schon in der sinnlichen Gewissheit vorhanden war, gewinnt hier, in Folge der fortgeschrittenen Entwicklung der Theorie des Bewusstseins, eine differenziertere Form. Es handelt sich dabei um die Skepsis, dass die Sprache dem (wie auch immer bestimmten) »Inneren« nicht gerecht werden kann, sondern es konstitutiv verzerrt, da sie entweder zu viel oder zu wenig sagt: Sprache und Arbeit sind Äußerungen, worin das Individuum nicht mehr an ihm selbst sich behält und besitzt, sondern das Innere ganz außer sich kommen lässt und dasselbe Anderem preisgibt. Man kann darum ebensosehr sagen, dass diese Äußerungen das Innere zu sehr, als dass sie es zu wenig ausdrücken; zu sehr, – weil das Innere selbst in ihnen ausbricht, bleibt kein Gegensatz zwischen ihnen und diesem; sie geben nicht nur einen Ausdruck des Innern, sondern es selbst unmittelbar; zu wenig, – weil das Innere in Sprache und Handlung sich zu einem Anderen macht, so gibt es sich damit dem Elemente der Verwandlung preis, welches das gesprochene Wort und die vollbrachte Tat verkehrt und etwas anderes daraus macht, als sie an und für sich als Handlungen dieses bestimmten Individuums sind.44 43 PhG, 235 44 PhG, 235

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In dieser Passage hat Hegel in den Formulierungen des zu sehr und zu wenig bereits die Behandlung des unendlichen Urteils als Hintergrund des Kapitels angelegt, das sich in die Setzung einer zu starken Entsprechung von Subjekt und Prädikat einerseits (das Innere ist nichts anderes als das Ausgedrückte, Geist ist Geist), und andererseits einer zu starken Diskrepanz beider (das Innere ist ganz anders als das Ausgedrückte, Geist ist Knochen) aufspaltet.45 Im Anschluss an diese Passage lassen sich drei Möglichkeiten einer Diskrepanz zwischen dem Inneren einer sprechenden Person und der Äußerung differenzieren: Fehlinterpretation durch andere, bewusste Täuschung durch Sprecher:innen und Unfähigkeit von Sprecher:innen, sich angemessen auszudrücken.46 Um solche Täuschungen zu umgehen, möchte die beobachtende Vernunft diese Ausdrucksweisen umgehen und eine direkte, physiologische Verbindung zum Inneren aufschlüsseln: Das Tun also, als vollbrachtes Werk, hat die doppelte, entgegengesetzte Bedeutung, entweder die innere Individualität und nicht ihr Ausdruck oder als Äußeres eine von dem Inneren freie Wirklichkeit zu sein, welche ganz etwas anderes ist als jenes. – Um dieser Zweideutigkeit willen müssen wir uns nach dem Innern umsehen, wie es noch, aber sichtbar oder äußerlich, an dem Individuum selbst ist.47

Das Problem hat eine gewisse Absurdität: Da alle Äußerungen des Inneren Äußerungen sind, sind sie per Definition zu äußerlich, um noch Äußerungen des Inneren zu sein.48 Die Beobachtung wird versuchen, dieses Problem zu umgehen, indem sie nach Äußerungen sucht, die nicht wirklich Äußerungen sind, die »noch« direkt, unmittelbar mit dem Individuum verbunden sind oder »an« dem Individuum selbst, wie Hegel sagt. Die Verbindung des Inneren und des Äußeren soll notwendig sein und die Momente »durch ihren Begriff aufeinander bezogen«.49 Um diese notwendige, begriffliche Verbindung zu beglaubigen, sucht die Physiognomik physische Verbindungen. In diesem Rahmen wird das Zeichen als Negativbeispiel in den Argumentationsgang geholt: Im Zeichen ist die Verbindung von Bedeutung 45 Zudem beginnt sich hier ein weiterer Aspekt deutlich abzuzeichnen, nämlich die enge Verbindung von Sprache und Handlung, hier Arbeit, als Wege des Ausdrucks. Zur Diskrepanz von Subjekt und Prädikat im unendlichen Urteil vgl. auch WL2, 325. 46 PhG, 235; vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 89. Die bewusste Täuschung durch Sprecher:innen wird im Gewissenskapitel der Phänomenologie als »Heuchelei« thematisiert (vgl. PhG, 485). 47 PhG, 235f. 48 Eine berühmte Formulierung dieses Problems findet sich in Schillers Xenien: »Warum kann der lebendige Geist dem Geist nicht erscheinen? Spricht die Seele, so spricht ach! schon die Seele nicht mehr.« 49 PhG, 236

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und Zeichenkörper arbiträr.50 Ein Zeichen ist (hier) ein beliebiger körperlicher Ausdruck, der für etwas anderes steht, und zwar in einem arbiträren Verhältnis. Das Zeichen verweist auf etwas anderes, ist mit diesem anderen aber nur durch »Willkür« verbunden.51 Das Zeichen ist »gleichgültig gegen das Bezeichnete«.52 Zeichen haben ferner einen Wert und sie kommunizieren ihren eigenen Zeichencharakter, der neben der Verweisfunktion darin besteht, in einem (systematischen) Zusammenhang mit anderen Zeichen zu stehen (darauf lässt zumindest der Begriff des Wertes schließen).53 Wesentlich für das Zeichen ist also, dass es nicht die bezeichnete Sache ist. Dass das Verhältnis von Bedeutung und Träger im Zeichen wesentlich als Kontrast zu der Art Verbindung gesucht wird, die dem Bewusstsein vorschwebt, zeigt diese Passage: Wenn nun die äußere Gestalt nur, insofern sie nicht Organ oder nicht Tun, hiermit als ruhendes Ganzes ist, die innere Individualität ausdrü­ cken könnte, so verhielte sie sich also als ein bestehendes Ding, welches das Innere als ein Fremdes in sein passives Dasein ruhig empfinge und hierdurch das Zeichen desselben würde: – ein äußerer, zufälliger Ausdruck, dessen wirkliche Seite für sich bedeutungslos, – eine Sprache, 50 Natürliche Zeichen, wie z.B. Rauch, der auf Feuer verweist, werden deshalb auch gar nicht in Betracht gezogen, weil es hier nicht in erster Linie darum geht, eine Theorie des Zeichens zu entwickeln, sondern eine Theorie der Physiognomik. Die »Knorren« des Schädels, die man als natürliche Zeichen verstehen könnte, sollen in der maximalen Zuspitzung dieses theoretischen Paradigmas in der Schädellehre gerade weniger sein als Zeichen, nämlich abstrakt identisch mit dem, was durch einen Zeichenkörper bloß bedeutet würde. In Hegels Behandlung der Sprache im Kontext des subjektiven Geistes in der Enzyklopädie steht der Zeichencharakter der Sprache im Vordergrund. Tatsächlich erschöpft sich Hegels Denken der Sprache aber nicht in einer Theorie des Zeichens. So hat z.B. Theodor Bodammer (gegen Josef Simon) argumentiert, dass man Hegels Behandlung der Sprache verkürzt, wenn man sie auf deren Zeichencharakter einschränkt. Der Zeichencharakter der Sprache ist einer unter weiteren und gerade in der Phänomenologie keinesfalls der hervorstechende; vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 23f. Zum gleichen Schluss kommt Lau, Hegels Urteilskritik, 91f. 51 PhG, 236: Ein Zeichen wird hier bestimmt als »ein äußerer, zufälliger Ausdruck, dessen wirkliche Seite für sich bedeutungslos« ist. 52 PhG, 239 53 Diese Merkmale des Zeichens werden später in Abgrenzung zum Schädelknochen eingeführt: »Noch hat auch dieses Seiende [der Schädelknochen, S.W.] den Wert eines Zeichens. Miene und Gebärde, Ton, auch eine Säule, ein Pfahl der auf einer öden Insel eingeschlagen ist, kündigen sich sogleich an, dass noch irgend etwas anderes damit gemeint ist als das, was sie unmittelbar nur sind. Sie geben sich selbst sogleich für Zeichen aus, indem sie eine Bestimmtheit an ihnen haben, welche auf etwas anderes dadurch hinweist, dass sie ihnen nicht eigentümlich angehört.« (PhG, 251)

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deren Töne und Tonverbindungen nicht die Sache selbst, sondern durch die freie Willkür mit ihr verknüpft und zufällig für sie sind. Eine solche willkürliche Verbindung von solchen, die ein Äußeres füreinander sind, gibt kein Gesetz.54

Die Physiognomik will aber gerade Gesetze darüber angeben, wie das Innere und Äußere zwar notwendig voneinander unterschieden, aber gleichermaßen notwendig »durch ihren Begriff aufeinander bezogen sind.«55 Da die Physiognomik aber das Äußere gegenüber dem Inneren als unwesentlich abwertet, ist sie doch gezwungen, selbst in ein Deuten von Zeichen zurückzufallen. Alle Äußerungen durch Sprache und Handlungen werden dabei als unwesentlich disqualifiziert. Die für sie relevante Äußerung ist die »Gestalt« des Menschen, aus der sich dessen wahre Absichten erschließen sollen, die nun zum Untersuchungsgegenstand werden. In der Gestalt soll eine »unmittelbare sinnliche Gegenwart des individuellen Geistes« liegen;56 die Innerlichkeit, die die wahre sein soll, ist die Eigenheit der Absicht und die Einzelheit des Fürsichseins; beides der gemeinte Geist. Was das Beobachten zu seinen Gegenständen hat, ist also gemeintes Dasein, und zwischen solchem sucht es Gesetze auf.57

Indem sie sich nur auf Gemeintes bezieht, befindet sich die »physiognomische[...] – wenn man so will – Wissenschaft«58 nicht mehr im Kontakt mit der Wirklichkeit. Dadurch wird sie prinzipiell infallibel und in Folge dessen leer. Da sie sich nur auf die (von ihr angenommenen) wahren Absichten richtet, die durch keine wirkliche Tat widerlegt werden können, ist sie »etwas End- und Bodenloses, das nie dazu kommen kann zu sagen, was es meint, weil es nur meint und sein Inhalt nur Gemeintes ist.«59 Wie die sinnliche Gewissheit scheitert auch die Beobachtung an dem Versuch, das Absolute ohne den Umweg über die allgemeine Vermittlungsebene, also ohne Sprache, zu begreifen und das Unsichtbare sichtbar zu machen anstatt zu denken.60 Sie zielt auf die schlechte Unendlichkeit der reinen individuellen Absicht, aber gerade dieses schlechthin Individuelle ist unaussprechlich.61 54 PhG, 236 55 PhG, 236 56 PhG, 240; dieses Missverständnis ist in Bezug auf die Darstellungsform relevant, die den Geist in einer Reihe von Gestalten des Bewusstseins erscheinen lässt. 57 PhG, 240f. 58 PhG, 240 59 PhG, 242 60 Vgl. PhG, 241 61 Vgl. PhG 241: »Denn die einzelne Gestalt wie das einzelne Selbstbewusstsein ist als gemeintes Sein unaussprechlich.«

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Die Physiognomik führt sich also selbst in einer sehr konsequenten Weise ad absurdum: Da sie Sprache und Handlung (bzw. Arbeit) als empirische Belege über das Innere der Individuen, das sie untersuchen möchte, ablehnt, ist sie nicht nur unfähig, Gesetze für ihren Forschungsbereich aufzustellen, sondern sie ist sogar selbst nicht in der Lage zu sagen, was genau sie in diesem Bereich für Verbindungen zu sehen scheint. Statt in der reinen Absicht ist die Individualität Hegel zufolge in der Tat wirklich (es gibt an dieser Stelle einen Einschub in der Progression des Kapitels, den ich als Hegels Position verstehe). Das Argument ist dabei nicht, dass die Ausführung die Absicht nicht verkehren würde, sondern dass es einfach keine Möglichkeit gibt, sich diesem Moment des Allgemeinen und damit der »Verwandlung« zu entziehen.62 Mit diesem Befund endet die Untersuchung der Physiognomik und damit die erste Hälfte des Kapitels. Dabei wird auch das Verhältnis von Zeichen und Sache noch einmal thematisiert. An dieser Stelle ist ein längeres Zitat gerechtfertigt: – Das wahre Sein des Menschen ist vielmehr seine Tat; in ihr ist die Individualität wirklich, und sie ist es, welche das Gemeinte in seinen beiden Seiten aufhebt. Einmal das Gemeinte als ein leibliches ruhendes Sein; die Individualität stellt* sich vielmehr in der Handlung als das negative Wesen dar*, welches nur ist, insofern es Sein aufhebt. Alsdann hebt die Tat die Unaussprechlichkeit der Meinung ebenso in Ansehung der selbstbewussten Individualität auf, welche in der Meinung eine unendlich bestimmte und bestimmbare ist. In der vollbrachten Tat ist diese schlechte Unendlichkeit vernichtet. Die Tat ist ein Einfach-Bestimmtes, Allgemeines, in einer Abstraktion zu Befassendes; sie ist Mord, Diebstahl oder Wohltat, tapfere Tat usf., und es kann von ihr gesagt werden, was sie ist. Sie ist dies, und ihr Sein ist nicht nur ein Zeichen, sondern die Sache selbst. Sie ist dies, und der individuelle Mensch ist, was sie ist; in der Einfachheit dieses Seins ist er für andere seiendes, allgemeines Wesen und hört auf, nur Gemeintes zu sein. Er ist zwar darin nicht als Geist gesetzt; aber indem von seinem Sein als Sein die Rede und einerseits das gedoppelte Sein, der Gestalt und der Tat, sich gegenübersteht und jene wie diese seine Wirklichkeit sein soll, so ist vielmehr nur die Tat als sein echtes Sein zu behaupten, – nicht seine Figur, welche das ausdrücken sollte, was er zu seinen Taten meint, oder was man meinte, dass er tun nur könnte. Ebenso indem andererseits sein Werk und seine innere Möglichkeit, Fähigkeit oder Absicht, entgegengesetzt werden, ist jenes allein für seine wahre Wirklichkeit anzusehen, wenn auch er selbst sich darüber täuscht und, aus seiner Handlung in sich gekehrt, in diesem Innern ein Anderes zu sein meint als in der Tat. Die Individualität, die sich dem gegenständlichen Elemente anvertraut, indem sie zum Werke wird, gibt sich damit wohl dem preis, verändert und verkehrt zu werden. Aber den Charakter 62 PhG, 235

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der Tat macht eben dies aus, ob sie ein wirkliches Sein ist, das sich hält, oder ob nur ein gemeintes Werk, das in sich nichtig vergeht. Die Gegenständlichkeit verändert nicht die Tat selbst, sondern zeigt nur, was sie ist, d. h. ob sie ist oder ob sie nichts ist. – Die Zergliederung dieses Seins in Absichten und dergleichen Feinheiten, wodurch der wirkliche Mensch, d. h. seine Tat, wieder in ein gemeintes Sein zurückerklärt werden soll, wie er wohl selbst auch sich besondere Absichten über seine Wirklichkeit erschaffen mag, müssen dem Müßiggange der Meinung überlassen bleiben, der, wenn er seine tatenlose Weisheit ins Werk richten, den Charakter der Vernunft am Handelnden ableugnen und ihn auf diese Weise misshandeln will, dass er statt der Tat vielmehr die Figur und die Züge für das Sein desselben erklären will, die obige Erwiderung zu befahren hat, die ihm erweist, dass Figur nicht das Ansich ist, sondern vielmehr ein Gegenstand der Behandlung sein kann.63

Schon im ersten Satz wird die Opposition von statisch und dynamisch unterlaufen, indem Hegel das Sein des Menschen als Tat ausweist. Insofern es »Tat« ist, ist das Sein des Menschen selbst dynamisch. Ferner wird dieser aktive Ausdruck als Darstellung verstanden. Die Meinung als unbestimmbare und unaussprechliche bezeichnet Hegel als schlechte Unendlichkeit insofern sie der Bestimmbarkeit und damit der Endlichkeit entgegengesetzt wird. Der Mensch wird nicht aus seinen Möglichkeiten verstanden, sondern aus seiner Wirklichkeit, d.h. was für Hegel zählt, ist gerade das, was wirklich beobachtbar ist, weil es offen zu Tage liegt. Die beobachtende Vernunft will dagegen paradoxer Weise durch Beobachtung auf etwas schließen, was eigentlich nicht beobachtet werden kann, nämlich eine reine Möglichkeit, die sie als Wesen versteht. Die Tat ist Hegel zufolge kein Zeichen einer Innerlichkeit, die darüber hinaus noch etwas anderes wäre, sondern sie ist die Sache selbst. Darin sieht man deutlich, dass Hegel keinen Raum für einen Wesenskern des menschlichen Subjekts oder Ähnliches lässt. Die Verkehrung, die in der Tat eintritt, ist daher keine Verkehrung von etwas, das man ohne diese Verkehrung erkennen bzw. das ohne diese Verkehrung überhaupt existieren könnte. An dem bis hierher Beschriebenen kann die Sprachskepsis des Bewusstseins näher bestimmt werden, indem wir auf James Conants Unterscheidung eines kartesischen und eines kantischen Skeptizismus zurückgreifen. Die Sprachskepsis des Bewusstseins lässt sich als kartesische Sprachskepsis verstehen.64 Conants kartesischer Skeptizismus ist ein Außenweltskeptizismus, dessen zentrale Frage darin besteht, ob das, was 63 PhG, 242–44; die mit einem Asterisk markierten Hervorhebungen stammen von mir, S.W. 64 Vgl. Conant, »Two Varieties of Skepticism«. Ich beziehe mich hier nur auf Conants Bestimmungen dieser Formen der Skepsis, also nicht auf Descartes oder Kant selbst.

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so und so zu sein scheint, wirklich so ist. Er basiert also auf einer Unterscheidung von Innen und Außen, wie sie durch die beobachtende Vernunft in Hegels Kapitel thematisiert wird. Übertragen auf das Feld der Sprache mündet diese Skepsis in die Frage, wie wir sicher sein können, ob bestimmte Zeichen, die wir wahrnehmen, wirklich die Bedeutung haben, von der wir denken, dass sie sie vielleicht haben könnten und wie wir eine gelungene Äußerung von einer misslungenen unterscheiden können. Es scheint einleuchtend, dass damit auch ein SendungsEmpfangs-Modell der Kommunikation einhergeht, und damit ein instrumentelles Sprachverständnis analog zur instrumentellen Konzeption des Erkennens, die Hegel an der natürlichen Vorstellung des Bewusstseins kritisiert. Ein:e kantische:r Skeptiker:in würde Conants Modell zufolge dagegen fragen, wie irgendwelche Laute oder Kritzel überhaupt als bedeutungsvoll aufgefasst werden können.65 Hegels Antwort darauf haben wir hier noch nicht erhalten, aber eine minimale Bedingung ist, dass wir die Annahme verwerfen, dass unsere wahre Meinung etwas Inneres ist, das durch seine sprachliche oder handelnde Artikulation prinzipiell verkehrt wird. Das, was gesagt wird, ist Hegel zufolge die Sache. Nur das, was gesagt oder getan wurde bietet überhaupt die Chance, als »Sache« verstanden zu werden. Sprache ist daher näher an Handlung als an Zeichengebrauch (die Tat hebt die Unaussprechlichkeit auf und die »Werke« können Werke »der Sprache oder einer befestigteren Wirklichkeit« sein66). Sobald das Gesagte in Zeichen und kleinere Bestandteile zerfällt, besteht die Gefahr eines Rückfalls in das kartesische Modell und in die Frage, was damit nun wirklich gemeint ist (ein solcher Rückfall ist zweifellos jederzeit möglich und kann auch bewusst eingesetzt werden). Bedeutung kann daher nur durch ein Ganzes vermittelt werden, nicht durch Einzelteile. Die Sache wird durch alle Aussagen hinweg verstanden und man versteht die Sache insofern man die Aussagen versteht. 2.2 Schädellehre und das unendliche Urteil Die Physiognomik postuliert eine Zeichenrelation zwischen dem inneren Wesen des Menschen und dessen äußerlichem Ausdruck; sie versucht, eine Geheimsprache (die »sichtbare Unsichtbarkeit«) des Geistes zu entschlüsseln, durch die dieser sich im Körper täuschungsresistent 65 Conant, 16. Hegels sprachkritisches Programm entspricht eher dem kantischen Paradigma, insofern Hegel fragt, wie es sein kann, dass sprachliche Ausdrücke überhaupt für uns Bedeutung haben. Zu Hegels Beziehung zu den verschiedenen Formen der philosophischen Skepsis vgl. insbesondere das dritte Kapitel in Forster, Hegel’s Idea. 66 PhG, 240

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ausdrückt.67 Als Verhärtung dieses Ansatzes sucht die Schädellehre ein kausales Verhältnis. Dazu muss sie annehmen, dass »die geistige Individualität [...] als Ursache selbst leiblich« ist.68 Sie stößt aber auf ein prinzipielles Problem, denn die postulierte Ursache zeigt sich immer als unbestimmter, als jede tatsächliche Handlung.69 Da sich das Kausalverhältnis als unbestimmbar erweist, geht die Schädellehre in letzter Konsequenz zur abstrakten Identifikation des Geistes und des Schädelknochens über.70 Dadurch wird das Bestimmtheitsproblem aber nicht gelöst, denn der Knochen ist zu »vieldeutig«,71 wodurch die Schädellehre in eine modale Verwirrung gerät: Einerseits soll der Schädel das wirkliche Dasein des Geistes des Individuums sein, andererseits aber auch nur eine Möglichkeit bzw. eine Anlage (da die Vertreter:innen der Schädellehre einräumen müssen, dass ein bestimmter »Knorren« nicht notwendig darauf schließen lässt, dass sein:e menschliche:r Träger:in eine spezifische Handlung ausführen wird). Der Versuch von Physiognomik und Schädellehre, ein notwendiges Gesetz des Ausdrucks des wahren Inneren im Äußeren aufzuzeigen, endet damit, dass erklärt wird, in den Knorren zeige sich irgendein Zusammenhang, oder auch nicht: Wir erhalten also die Möglichkeit, dass dieser Knorren oder Vertiefung des Schädels sowohl etwas Wirkliches als auch nur eine Anlage, und zwar unbestimmt zu irgend etwas, dass er etwas Nichtwirkliches bezeichne; wir sehen es einer schlechten Ausrede wie immer ergehen, dass sie wider dasjenige, dem sie aufhelfen soll, selbst zu gebrauchen steht. Wir sehen das Meinen durch die Natur der Sache dahin gebracht, das Gegenteil dessen, aber gedankenlos, selbst zu sagen, was es festhält: – zu sagen, es wird durch diesen Knochen irgend etwas angedeutet, aber ebensogut auch nicht.72

Was wir weiter überprüfen müssen ist, wie das Scheitern dieser Theorien (Nicht-Finden des Gesetzes) mit dem zusammenhängt, was sich als positives Resultat des Kapitels erhalten wird – die Formulierung des unendlichen Urteils, dass der Geist ein Knochen ist. Hegel deutet das selbst an, indem er darauf hinweist, wie den Beobachter:innen der Vernunft noch in ihren Ausreden etwas Wahres vorschwebt: Was der Meinung selbst bei dieser Ausrede vorschwebt, ist der wahre, sie gerade vertilgende Gedanke, dass das Sein als solches überhaupt nicht 67 PhG, 244 68 PhG, 245 69 Vgl. MacIntyre, »Hegel on Faces and Skulls«, 183–85 sowie Forster, Hegel’s Idea, 94. 70 PhG, 250 71 Vgl. PhG, 250: »die Vielseitigkeit des Geistes gibt seinem Dasein eine ebensolche Vieldeutigkeit«. 72 PhG, 255f.

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die Wahrheit des Geistes ist. Wie schon die Anlage ein ursprüngliches Sein ist, das an der Tätigkeit des Geistes keinen Anteil hat, ein eben solches ist seinerseits auch der Knochen.73

Das positive Resultat des Kapitels ist eine Weiterentwicklung des Urteils. Die Entwicklung des Urteils findet statt, indem im Laufe des Kapitels herausgearbeitet wird, was Physiognomik und vor allem Schädellehre eigentlich behaupten, nämlich dass die Wirklichkeit des Individuums sein Schädel bzw., dass der Geist ein Knochen ist. Die Annahme des beobachtenden Bewusstseins war: Die Wirklichkeit des Individuums ist nicht das, was es durch Sprache und Arbeit in den öffentlichen Raum stellt, sondern vielmehr das Innere, die »wahren« oder »wirklichen« Anlagen. Diese sollen sich im wörtlichen Sinne unmittelbar im Schädel ausdrücken, ohne dass dabei die Möglichkeit einer Täuschung durch das Individuum besteht, sei diese nun bewusst oder auf bloßem Unvermögen beruhend. Der Hauptweg der Argumentation arbeitet darauf hin, die Schädellehre auf das identische Urteil zuzuspitzen und damit in den Widerspruch zu führen; dabei zeigt sich, dass auch die Verortung der wahren Wirklichkeit des Individuums in seinem »Inneren« eine epistemische Sackgasse ist. In der Tat gibt es keinen anderen Weg, als das Individuum auf der Grundlage seiner (Ent-)Äußerungen in Sprache und Taten zu beurteilen. Beide Probleme zeigen sich verwandt: Durch das Ablehnen der durch das Allgemeine vermittelten Äußerungswege sind Physiognomik und Schädellehre gezwungen, unmittelbare Kanäle der Äußerung des Inneren zu suchen. Auch diese erweisen sich aber als zu unsicher. Die Beobachtung folgert, dass es dabei um eine innere geistige Wahrheit geht, die sich nur im Knochen ausdrückt – und dabei noch etwas anderes ist; dieser Ausdruck kann aber nicht auf anderen Wegen objektiviert werden. Das gesuchte Gesetz des Ausdrucks des Inneren im Äußeren kann nicht gefunden werden, da dieses Innere nicht inhaltlich bestimmt werden kann. Die tatsächliche Aussage der Schädellehre materialisiert sich in dem unendlichen Urteil »der Geist ist ein Knochen«. Die positiven Aussagen Hegels über Sprache und Zeichen befinden sich eher auf einem Nebenweg; die beobachtende Vernunft macht hier weniger eine Erfahrung mit Sprache, als mit dem Versuch, die Sprache zu umgehen. Aufgrund der (in Folge des Widerspruchs verständlichen) Probleme des beobachtenden Bewusstseins, zu sagen, was es meint, tritt erst relativ spät zu Tage, dass es hier überhaupt um die Praxis des Urteilens geht: Im 23. Absatz des Kapitels wird deutlich, dass es sich bei dem (inneren) Fürsichsein des Individuums um ein »Subjekt« handelt, das unter die Bestimmung seines Seins im Gehirn »subsumiert« wird.74 Dabei 73 PhG, 256 74 PhG, 250

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wird diese Bestimmung noch nicht als Prädikat bezeichnet (erst im 35. Absatz fällt der Begriff des Prädizierens und in 37. Absatz der des Prädikats). Man liest »Subjekt« deswegen an dieser Stelle eher als andere Bezeichnung für das Individuum. Hegel will darauf hinaus, dass die Bewusstseinsgestalt sich überhaupt nur aufrechterhalten kann, indem sie den Kategorienfehler, der in ihrem unendlichen Urteil liegt, verbirgt und also gar nicht urteilt, sondern he­ rumdruckst und nur vermeintliche Zusammenhänge postuliert. Dass das Urteilen erst am Ende des Kapitels explizit zum Thema wird, entspricht also auch der Entwicklung des Selbstbewusstseins der Beobachter:innen über ihr eigenes Vorgehen. Indem sie ihre Urteile nicht explizieren, sondern im Vagen bleiben, scheitern sie nicht nur an der Bestimmung ihres Gegenstandes, sondern bekommen auch ihre eigene Aktivität gar nicht in den Blick. Das Beobachten ist ein »begrifflose[s]«, wie Hegel sagt.75 Dabei ist für das Verhältnis des Geistes zum Äußeren zweierlei zu beachten: Wie oben zitiert, ist »das Sein als solches überhaupt nicht die Wahrheit des Geistes«; das Äußere ist aber die »seiende Wirklichkeit« des Geistes.76 Es ist also richtig, nach Momenten zu suchen, die äußere Wirklichkeiten des Geistes sind, Momente, durch die Geist sich empirisch untersuchbar macht und manifestiert. Der Knochen ist dabei nur die schlechteste Alternative (die dennoch irgendwann einmal in Erwägung gezogen werden muss). Die Identifikation zweier Relata, die schlechthin inadäquat sind, bezeichnet Hegel in der Logik als negatives unendliches Urteil.77 Diese Urteilsform ist in der Entwicklung der spekulativen Identität entscheidend. Sobald man Physiognomik und Schädellehre dazu bringt, wirklich zu sagen, was sie meinen, stellt sich heraus, dass sie sagen, »dass das Sein des Geistes ein Knochen ist.«78 Dieses Resultat hat eine »gedoppelte Bedeutung« und deren beiden Aspekten widmet Hegel die vorletzten zwei Absätze des Kapitels: Er beschreibt erstens »seine wahre« Bedeutung, die in der Relevanz der logischen Entwicklung der Einheit von Denken und Sein liegt (im Vernunftkapitel als Kategorie gefasst).79 Zweitens beschreibt er die phänomenologische Bedeutung des Scheiterns der Beobachtung an ihrer Begrifflosigkeit.80 75 PhG, 261 76 PhG, 256. Wichtig ist hier auch der Zusatz, dass das Innere nicht noch mehr ist als das Äußere, so dass dieses nur ein (potentiell unzureichender) Ausdruck des Inneren wäre. Das Innere ist niemals mehr als das ausgedrückte Äußere und alles, was wir geneigt sind, in dieser Hinsicht über unsere Absichten zu sagen, ist Hegel zufolge nur eine Meinung. 77 Vgl. WL2, 325 78 PhG, 260 79 PhG, 260 80 PhG, 261

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(1) Zur Einheit von Denken und Sein (logisches Resultat): Es war das erklärte Ziel der beobachtenden Vernunft, sich als Gegenstand im Sein zu finden.81 Allerdings führt dieser Versuch zu einem auch für sie nicht akzeptablen Ergebnis. Die Einheit von Sein und Denken kann nicht in einem Knochen bestehen, da in dieser maximalen Reduktion gerade die wesentlichen Bestimmungen des Geistes verloren gehen. Deswegen findet sich hier der Übergang zur Vernunft als aktive Selbstproduktion.82 Es zeigt sich, das Beobachtung nicht verständlich machen kann, was Geist ist (damit wird ex negativo bereits antizipiert, dass ein narratives Modell benötigt wird). Um die Bedeutung dieses ersten Moments des Resultates zu verstehen, müssen wir rekapitulieren, was für einen Begriff der Kategorie Hegel in der Phänomenologie entwickelt. Dazu ist vor allem der Beginn des Vernunftkapitels relevant. Dabei werden wir auch einen zweiten Begriff aufklären können, der in den Passagen zur Sprache wichtig ist – den Begriff des absoluten Unterschieds. Die Einheit von Sein und Denken, die in der Kategorie gedacht werden soll, begreift Hegel zugleich als absoluten Unterschied von Sein und Denken: Diese Kategorie nun oder einfache Einheit des Selbstbewusstseins und des Seins hat aber an sich den Unterschied; denn ihr Wesen ist eben dieses, im Anderssein oder im absoluten Unterschiede unmittelbar sich selbst gleich zu sein. Der Unterschied ist daher, aber vollkommen durchsichtig und als ein Unterschied, der zugleich keiner ist.83

Der Ausdruck »absoluter Unterschied« zielt also auf Hegels Konzept der spekulativen Identität als Identität von Identität und Nichtidentität. Er ist ein Unterschied, der zugleich keiner ist. Der Unterschied wird nicht einfach der Identität untergeordnet. Vielmehr soll gerade das spekulative Identitätskonzept auch absolute Differenz erlauben. Was man darunter verstehen kann, ist, dass der Unterschied selbst absolut ist. Es ist kein Unterschied von zwei Entitäten (»Denken« und »Sein« oder »Geist« und »Natur«), die außerhalb dieses Unterschieden-Seins Bestand hätten, sondern deren Bestehen in diesem Unterschied. Insofern ist der absolute Unterschied ein Unterschied, der keiner ist. Ihn zu denken, erfordert eine Bewegung von der Einheit der Kopula zu beiden Polen und von jedem der Pole zum jeweils anderen. Der absolute Unterschied wird insofern auch als Wechsel oder Umkehrung verstanden. Auf der phänomenologischen Ebene ist das für Hegels Konzeption von Sprache und Handlung entscheidend. Die Äußerung in Sprache und Handlung ist nämlich ein Verhalten, in dem wir erfahren, was der 81 Vgl. PhG, 186: »Das Bewusstsein beobachtet; d. h. die Vernunft will sich als seienden Gegenstand, als wirkliche, sinnlich-gegenwärtige Weise finden und haben.« 82 Vgl. dazu Hyppolite, Genesis and Structure, 270f. 83 PhG, 181

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absolute Unterschied ist, weil durch eine Äußerung erst eine Unterscheidung eines Inneren und eines Geäußerten möglich ist – wobei aber das Innere nichts weiter sein kann als das, was sich geäußert hat. Hegels Theorie des absoluten Unterschieds des Geäußerten und des (durch die Äußerung rückwirkend produzierten) Inneren ist eine radikale Kritik jeder Annahme eines introspektiven oder unmittelbaren Selbstverhältnisses, insofern sie verdeutlicht, dass das Innere eben nur als Geäußertes und damit in seinem absoluten Unterschied besteht. Deshalb ist auch die Entwicklung des unendlichen Urteils entscheidend: Sowohl die abstrakte Identität von Subjekt und Prädikat, als auch die Stufe des negativen unendlichen Urteils, in dem sich Subjekt und Prädikat in einer strikten Diskrepanz befinden, müssen durchlaufen und zusammengedacht werden.84 Es scheint keinesfalls zufällig, dass die Entwicklung des unendlichen Urteils zu wesentlichen Teilen in den Kapiteln der Phänomenologie stattfindet, in denen es auch um Sprache geht, da eben die Erfahrung der Sprache (für Hegel) eine des absoluten Unterschiedes ist (wir werden sehen, dass das unendliche Urteil auch im Bildungskapitel eine entscheidende Rolle spielt).85 (2) Zum begrifflosen Beobachten (phänomenologisches Resultat): Die Einleitung zur beobachtenden Vernunft zeigt, dass (a) die Diskrepanz von Meinung und Wirklichkeit ein prinzipielles Problem der beobachtenden Vernunft ist und dass (b) dieses Problem mit der Begrifflosigkeit der Beobachtung zusammenhängt: Die Vernunft sucht sich selbst, aber im (und dadurch als) Ding. In Wirklichkeit übersieht sie dabei, dass sie selbst immer schon mit Begriffen operiert und dass diese Operation ihr eigentliches Element bildet.86 Das beobachtende Bewusstsein behauptet also, dass der Knochen die Wirklichkeit des Geistes ist: dieses Beobachten – hat aber auch darüber, dass es dies sagt, keine Klarheit des Bewusstseins und fasst seinen Satz nicht in der Bestimmtheit seines Subjekts und Prädikats und der Beziehung derselben, noch weniger in dem Sinne des unendlichen, sich selbst auflösenden Urteils und des Begriffs. – Es verbirgt 84 Vgl. Enz. § 173 sowie Ruda, »What Is To Be Judged? On Infinitely Infinite Judgments and Their Consequences«; Wohlfart, Der spekulative Satz, 308ff. und Wohlfart, »Das unendliche Urteil. Zur Interpretation eines Kapitels aus Hegels ›Wissenschaft der Logik‹«. 85 Vgl. Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 175 sowie den Beginn des entsprechenden Kapitels der Logik (WL2, 46), wo der Unterschied als ein Nichts konzipiert wird, das mit unserem identifizierenden Sprechen verbunden ist: »Der Unterschied ist die Negativität, welche die Reflexion in sich hat, das Nichts, das durch das identische Sprechen gesagt wird, das wesentliche Moment der Identität selbst, die zugleich als Negativität ihrer selbst sich bestimmt und unterschieden vom Unterschied ist.« 86 Vgl. PhG, 185–87.

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sich vielmehr aus einem tiefer liegenden Selbstbewusstsein des Geistes, das hier als eine natürliche Honettetät erscheint, die Schmählichkeit des begrifflosen nackten Gedankens, für die Wirklichkeit des Selbstbewusstseins einen Knochen zu nehmen, und übertüncht ihn durch die Gedankenlosigkeit selbst, mancherlei Verhältnisse von Ursache und Wirkung, von Zeichen, Organ usw., die hier keinen Sinn haben, einzumischen und durch Unterscheidungen, die von ihnen hergenommen sind, das Grelle des Satzes zu verstecken.87

Das Bewusstsein weigert sich gegen die Bestimmtheit. Das Selbstbewusstsein ist sozusagen implizit schon weiter, als es explizit ist. Es hat ein Gefühl für die Idiotie der Position, weshalb diese vage gehalten und übertüncht wird. Die Diskussion des Zeichencharakters des Schädels und der Gesichtszüge sowie der Kausalverhältnisse zwischen Geist und Schädel sind Akte der Selbsttäuschung. Das Bewusstsein identifiziert Geist und Knochen, wobei es zugleich vor dieser Identifikation zurückschreckt und sie deswegen selbst durch ein postuliertes »System« vermeintlicher Kausalverhältnisse verwischt.88 Es ist geleitet von dem »allgemeinen Vernunftgrund, dass das Äußere der Ausdruck des Inneren sei«.89 Es geht aber erstens dadurch fehl, dass es ein Primat des Inneren (also der Möglichkeit) ansetzt und sich den Ausdruck als lineare Folge vorstellt, die von dieser angenommenen inneren Bestimmung ausgeht. Zweitens sollen auch die Merkmale, in denen das Innere sich ausdrückt, noch weniger als Zeichen sein. Sie sind nur »Knorren«.90 Der Schädel wird als eine absolut »geistlose Wirklichkeit, bloßes Ding« konzipiert.91 Wäre der Schädel ein Zeichen, wäre er noch zu nahe an der Sprache. In der Rekapitulation sagt Hegel deshalb: Dieses Äußere, obzwar eine Sprache des Individuums, die es an ihm selbst hat, ist zugleich als Zeichen etwas Gleichgültiges gegen den Inhalt, den es bezeichnen sollte, so wie das, welches sich das Zeichen setzt, gleichgültig gegen dieses. Von dieser wandelbaren Sprache geht darum die Beobachtung endlich zum festen Sein zurück und spricht ihrem Begriffe nach aus, dass die Äußerlichkeit nicht als Organ, auch nicht als Sprache und Zeichen, sondern als totes Ding die äußere und unmittelbare Wirklichkeit des Geistes sei.92

Die Beobachtung versucht also, die Sprache vollständig zu umgehen. Selbst der Zeichenkörper wäre, insofern er Körper eines Zeichens ist, noch zu stark in geistige Verhältnisse eingebunden. Der Schädel ist 87 PhG, 261; meine Hervorhebungen, S.W. 88 PhG, 261 89 PhG, 254 90 PhG, 253 91 PhG, 252 92 PhG, 259; meine Hervorhebung, S.W.

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dagegen das caput mortuum, der absolute Rest.93 In Bezug auf dieses Resultat können verschiedene Ebenen des Problems der Beobachtung differenziert werden: Es ist ein Widerspruch, dass die Vernunft (gedankenlos) das Gegenteil dessen sagt, was sie meint. Insofern sie das, was sie meint, gar nicht sagen kann und ihre Position deshalb ausweglos ist, gerät sie in eine Aporie. Insofern aber diese Ausweglosigkeit erkannt wird, kann man den Widerspruch als Paraklet verstehen, als helfendes Moment, das anzeigt, dass auf der Position, die behauptet, dass der Geist Knochen ist, in Folge ihrer Ausweglosigkeit nicht stehen geblieben werden kann; damit ist die Beobachtung aufgefordert, eine neue Position zu suchen.94

3. Fazit Der Schädel sollte als Objekt einer empirisch wissenschaftlichen Beobachtung der Individualität etwas bedeuten. Die Wege des Bedeutens wurden aber allesamt durch das beobachtende Bewusstsein angezweifelt.95 Indem der Träger der angestrebten Bedeutung von allen Täuschungsmöglichkeiten befreit werden sollte, muss aber letztlich auch noch die Relation des Bedeutens selbst wegfallen und der minimalsten, brutalsten, der unmittelbaren Relation weichen: der Identifikation bzw. dem Sein. Der Schädel verweist nicht auf, sondern er ist die Wirklichkeit des Individuums. Die Sprachskepsis des beobachtenden Bewusstseins bewirkt also sowohl, dass das Bewusstsein sich (über die Entwicklung der Gegenstandsseite) in das unendliche Urteil hineinsteigert (indem es Denken und Sein in extremer Weise polarisiert, bevor die beiden Seiten dann doch identifiziert werden), als auch, dass es selbst nicht sagen kann, was es meint und seine eigene – sprachlich, prädikativ organisierte – Urteilspraxis verschleiern muss – ein Verschleiern, das letztlich durch die Sprache ermöglicht wird (in der sich das Bewusstsein sehr gewandt zeigt). Das Nicht-Reflektieren des eigenen Urteilens ist also letztlich nur die andere Seite der Fehlkonzeption der Individualität durch die Annahme, 93 PhG, 248; vgl. TWA20, 381 94 Eckart Förster beschreibt den als Paraklet verstandenen Widerspruch als einen »Helfer« oder »Fürsprecher«, »der dazu auffordert, vom Vergänglichen zum wahrhaft Seienden aufzusteigen und damit eine höhere Erkenntnisstufe zu suchen«. Er verweist dabei auf Politeia 521c, wo Platon von der Umkehrung der Seele spricht, was mit einem Konflikt zwischen Sinnlichkeit und Übersinnlichem zusammenhängt; vgl. Förster, Die 25 Jahre der Philosophie, 130. Der Begriff des Paraklet findet sich ebenfalls im Johannes-Evangelium (14:16 und 14:26), wo der Heilige Geist als »Beistand« gefasst wird. 95 Begonnen hatte dieser Zweifel mit Äußerungen durch Hand und Mund (PhG, 235).

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FAZIT

dass diese sich adäquater in einem physischen, von außen beobachtbaren Sein ausdrückt, als durch ihre eigenen Taten. Beides zusammen bildet den Übergang zum zweiten Teil des Vernunftkapitels, wo folgerichtig die Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewusstseins durch sich selbst zum Thema wird. Es zeigen sich also folgende Resultate: (1) Individualität kann nicht durch Beobachtung begriffen werden, sondern muss sich aktiv generieren. (2) Es gibt kein unmittelbares und auch kein kausales Verhältnis von Innen und Außen – die Vermittlung und damit die sprachliche Ebene kann nicht umgangen werden. Die Annahme eines kausalen Verhältnisses postuliert eine Substanz, die nicht existiert. Es gibt überhaupt kein substantielles persönliches Subjekt vor der Tat; insofern der Mensch überhaupt Anlagen hat, ist er frei in Bezug darauf, wie er sie entwickelt.96 Sprache und Handlung sind nur in dem Sinne expressiv, als sie zugleich konstitutiv für das Subjekt sind. Das »Innere« des Subjekts konstituiert sich durch das Äußere. Das bedeutet auch, dass Hegels Verständnis des Subjekts ein narratives ist, das sich wesentlich rückblickend entwickelt. Temporal linear vorgestellte Determination durch Dispositionen kann inhaltlich nicht ausgefüllt werden.97 (3) Die Gewissheit der Vernunft, alle Realität zu sein wurde in das unendliche Urteil geführt, bei dem nicht stehen geblieben werden kann; es gelingt dem Bewusstsein hier noch nicht, die Identität von Denken und Sein zu denken. Beide Pole fallen auseinander, worin sich der Idealismus des Bewusstseins als subjektiver Idealismus erweist. Die Natur ist daher letztlich das Tote – der Schädel, dem alle geistigen Elemente entzogen wurden. Daraus schlägt die Entwicklung in die unmittelbare Aktivität des sich selbst gegen die Welt Setzens um. Solche Verhältnisse (die zunächst Thema des Teils zur praktischen Vernunft sind) entsprechen denen, die wir anhand des Geistkapitels untersuchen können, wenn es um Konflikte zwischen Individuen und Gemeinschaft geht. (4) In logischer Hinsicht zeigt sich darin zum ersten Mal die Unfähigkeit des Urteils, die spekulative Identität von Subjekt und Objekt auszudrücken und damit die Beschränktheit jeder sprachlichen Äußerung. Gleichzeitig zeigt sich die sprachliche Äußerung als unumgänglich. Beides geschieht hier aber noch verhältnismäßig unterschwellig und hinter dem Rücken des Bewusstseins. (5) Es zeigt sich, dass sich das logische und das phänomenologische Moment in der Sprache verknüpfen. Die Erfahrungen des Bewusstseins über Innerlichkeit und Äußerlichkeit der Individualität, über sein Verhältnis zu und sein Wissen von sich und der (bzw. seiner) Natur entsprechen seinem Verständnis der Logik des Urteils. Die sinnliche Gewissheit wähnt sich in einem unmittelbaren Kontakt mit dem sinnlich Gegebenen. Ihre Erfahrung zeigt aber, dass Bezugnahme 96 Vgl. Hegels Lichtenberg-Zitat, PhG, 239. 97 Vgl. MacIntyre, »Hegel on Faces and Skulls«, 187.

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nur über die Vermittlungsebene der Sprache und der allgemeinen Begriffe funktioniert. Sowohl in Hegels Analyse der sinnlichen Gewissheit, als auch im Kapitel über Physiognomik und Schädellehre wird deutlich, dass Hegel die äußerliche Artikulation als notwendiges Moment der Entwicklung des Inneren ansieht. Wir verfügen demnach über keinen privilegierten inneren Zugang zu »uns selbst« und »unseren« Gedanken. Mit dieser Argumentation unterstreicht Hegel die kognitive Relevanz der Sprache. Aufgrund dieser kognitiven Relevanz der Sprache sind Individuen prinzipiell an eine kommunikative Sphäre verwiesen, in deren geteilten Sprach- und Ausdrucksformen sie sich immer schon bewegen. Diese sozialen und kommunikativen Verhältnisse werden im Rahmen des Geistkapitels der Phänomenologie thematisiert.

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Teil 4: Sprache und Geist – die kommunikative Funktion der Sprache Wie wir zu Beginn dieser Arbeit betont haben, formuliert Hegel eine Theorie des objektiven Geistes und einen entsprechenden Begriff des Geistes als konkrete, objektive Wirklichkeit.1 Während sich das Prüfverfahren des Bewusstseins bis zum Ende des Vernunftkapitels der Phänomenologie unter den Voraussetzungen eines methodischen Individualismus bewegt, beginnt mit dem Geistkapitel eine Analyse realer, historischer Lebenswelten, in denen sich verschiedene Formen des objektiven Geistes progressiv entwickeln. Der Geist ist gleichermaßen substantiell und sozial. Wie Hegel zu Beginn des Geistkapitels schreibt, ist der Geist »das sich selbst tragende, absolute reale Wesen.« Der Geist ist insofern Substanz. Diese Substanz ist sozial realisiert; sie ist »die sittliche Wirklichkeit« und als solche gleichermaßen Produkt und Grundlage des gemeinschaftlichen Lebens.2 Der Ausgangspunkt von Hegels Analyse und die einzige soziale Form, in der diese substantielle Sittlichkeit (zumindest vermeintlich) realisiert ist, ist die Polis des antiken Griechenlands. Wenn Hegel diese Sittlichkeit einleitend als »unverrückt«, »unaufgelöst« und »unwankend« beschreibt, suggeriert er allerdings bereits, dass ihre unmittelbare Einheit nicht bestehen bleiben wird.3 Ein Grund dafür ist, dass in ihrem Rahmen nicht auf die Entstehungsbedingungen dieser sittlichen Einheit reflektiert werden kann, die erst dann Gegenstand einer Untersuchung werden können, wenn der unmittelbare Anfangszustand hinterfragt wird und damit seine Selbstverständlichkeit verliert.4 Diese kritische Historisierung und 1 Vgl. die Einleitung dieser Arbeit sowie das Kapitel »Darstellung als sinnliche Vergegenwärtigung«. 2 Vgl. PhG, 325: »Die Substanz und das allgemeine, sichselbstgleiche, bleibende Wesen, – ist er [der Geist, S.W.] der unverrückte und unaufgelöste Grund und Ausgangspunkt des Tuns Aller und ihr Zweck und Ziel, als das gedachte Ansich aller Selbstbewusstsein[e]. – Diese Substanz ist ebenso das allgemeine Werk, das sich durch das Tun Aller und Jeder als ihre Einheit und Gleichheit erzeugt, denn sie ist das Fürsichsein, das Selbst, das Tun.« Der Geist ist »das sittliche Leben eines Volks« und die Gestalten des Geistes sind Gestalten »einer Welt« (PhG, 326; vgl. insgesamt PhG, 324–27). 3 PhG, 325 4 So gelten die Bestimmungen des geistigen Allgemeinwesens für Antigone in Sophokles’ Tragödie als »der Götter ungeschriebenes und untrügliches Recht: ›nicht etwa jetzt und gestern, sondern immerdar [/] lebt es, und keiner weiß, von wannen es erschien.‹« Die Regeln des Allgemeinwesens bestehen jenseits von Legitimationsfragen: »Sie sind. Wenn ich nach ihrer Entstehung

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die damit verbundene Einsicht in die wesentliche Historizität des Geistes sind für Hegel das zentrale Moment der Moderne.5 Die Auflösung der unmittelbaren Einheit des Geistes ist notwendiges Moment seiner Analyse (tatsächlich ist Analyse dem Wortsinn nach Auflösung). Der Geist geht nicht in einem objektiven Bestand auf: Erstens greifen Individuen durch (mehr oder weniger) selbstbestimmte Handlungen in das Gegebene ein und zweitens beinhaltet der Geist eine Reflexion auf die Verhältnisse des objektiven Geistes und ihre Entwicklung. Zu dieser Reflexion gehört auch die Frage danach, wie die theoretischen Begriffe, durch die sich eine Gemeinschaft selbst beschreibt, auf die praktischen Verhältnisse ihres Zusammenlebens zurückwirken, ob die Begriffe, die jeweils bereits zur Beschreibung gemeinschaftlicher Selbstverständnisse gebraucht werden, akzeptiert werden sollten und ferner warum. Das Konzept »Geist« enthält insofern die Einsicht, dass der Maßstab, den eine soziale Gemeinschaft in Form von Begriffen für ihre Selbstbewertung hat, selbst wieder von dieser Gemeinschaft hervorgebracht werden muss.6 Geist beschreibt also Formen gemeinschaftlicher Selbstgesetzgebung sowie der Reflexion darüber, wobei diese Formen während der gesamten Entwicklung des Geistkapitels noch defizitär sind und sich die beschriebenen Subjekte daher in heteronomen sozialen Verhältnissen befinden.7 Der Geist »analysiert« sich also selbst.8 Bis zum Ende des Vernunftkapitels werden zwar Momente des Geistes untersucht, der Geist selbst (als absolut reales Wesen und zugleich sittliches Leben eines Volkes) ist aber als objektive Voraussetzung dieser Analysemomente noch nicht eigentlich erkannt. Der Geist muss aber über das, was er ist, »Bewusstsein« erreichen.9 Das geschieht, indem innerhalb der realen Lebenswelten Konflikte aufbrechen. Das Geistkapitel beschreibt, wie die theoretischen Defizite des Geistes, die Defizite seines Wissens über seine Struktur, sich in Form von praktischen, politisch-sozialen Konflikten artikulieren. Die-

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frage und sie auf den Punkt ihres Ursprungs einenge, so bin ich darüber hinausgegangen; denn ich bin nunmehr das Allgemeine, sie aber das Bedingte und Beschränkte. Wenn sie sich meiner Einsicht legitimieren sollen, so habe ich schon ihr unwankendes Ansichsein bewegt und betrachte sie als etwas, das vielleicht wahr, vielleicht auch nicht wahr für mich sei. Die sittliche Gesinnung besteht eben darin, unverrückt in dem fest zu beharren, was das Rechte ist, und sich alles Bewegens, Rüttelns und Zurückführens desselben zu enthalten.« (PhG, 322) Vgl. dazu Brandom, A Spirit of Trust, 469–71. Vgl. Emundts, Erfahren und Erkennen, 89. Vgl. Hoffmann, »Präsenzformen der Religion in der Phänomenologie des Geistes«. PhG, 325 PhG, 326

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se praktischen Konflikte führen über eine weitere Vermittlungsstufe zur Erkenntnis der selbstbewussten Struktur, die Hegel als absoluten Geist bezeichnet. Die Analyse des Geistes, die vor dem Geistkapitel abstrakt bleibt, weil sie nicht auf die Struktur ihrer realhistorischen gesellschaftlichen Einbettung reflektiert und sich selbst damit nicht als Analyse des Geistes erkennen kann, tritt im Geistkapitel selbst insofern in den Hintergrund, als sie nicht mehr als (theoretische) Analyse des Geistes betrieben wird, sondern in ein praktisches Agieren übergeht. Thema des Geistkapitels ist die Realisierung von Individuen und gesellschaftlichen Ordnungen durch Handlungen. Erst mit dem Religionskapitel beginnt eine bewusste Analyse des Geistes in Form verschiedener symbolischer Aktivitäten, die den absoluten Geist – die Theorie des Geistes – bilden. Entsprechend der wesentlichen Historizität des Geistes ist das Geistkapitel durch historische Stufen gegliedert, die jeweils in paradigmatischer Weise bestimmte gesellschaftliche Ordnungen realisieren. Hegel beginnt mit einer Analyse der griechischen Sittlichkeit, untersucht den römischen »Rechtszustand« und gelangt von dort aus in die Moderne. Unsere Untersuchung konzentriert sich auf die Auseinandersetzungen mit der Sprache, die sich einerseits in Hegels Darstellung höfischer Verhältnisse im vorrevolutionären Frankreich und andererseits im Rahmen seiner Analyse seiner eigenen Gegenwart in Jena zur Zeit der Abfassung der Phänomenologie finden (zwischen diesen Abschnitten liegt unter anderem Hegels umfassende Auseinandersetzung mit der französischen Revolution). Ein wesentliches Merkmal der Erfahrungen im Geistkapitel ist, dass sie aufgrund ihrer inhärenten Geschichtlichkeit erinnert und nicht aktuell durchlebt werden. Eine wichtige Rolle spielen dabei literarische Texte, wie z.B. Sophokles’ Antigone und Denis Diderots Rameaus Neffe, durch die überliefert ist, auf welche Weise (unterschiedlich lang) vergangene Lebensformen sich selbst thematisiert haben.10 Allerdings wird die Relevanz dieser Erinnerungsfunktion im Geistkapitel nicht ihrerseits durch die Gestalten des Geistes selbst reflektiert. Daher ist es zwar wesentlich für diese Erfahrungen, dass sie durch Zeugnisse überhaupt als Teil von Hegels 10 So schreibt Dina Emundts: »Was die Position betrifft, die das Geistkapitel definiert, also die Position, die unter anderem durch die Annahme bestimmt ist, dass die Begriffe wirklich sind, so gilt für deren Vertreter also, dass er nicht selbst Erfahrungen macht. Die Erfahrungen sind hier nicht Umkehrungen desjenigen, dessen Behauptung auf Bewährung hin untersucht wird. Er sieht geschichtliche Gestalten zwar scheitern, aber er sieht auch Kontinuität und etwas sich Bewahrendes. Die Erinnerung tritt anstelle der Erfahrung: Nicht aktuelle Teilnahme bestimmt die Haltung der Position, die sich im Geistkapitel bewähren soll, sondern eine Art Sammeln gemachter Erfahrungen.« Emundts, Erfahren und Erkennen, 91. Zur Bedeutung der literarischen Bezüge der Phänomenologie und insbesondere des Geistkapitels vgl. Speight, Hegel, Literature, and the Problem of Agency.

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SPRACHE UND GEIST

Gegenwart verfügbar sind; dabei geht es aber primär darum, dass überhaupt bestimmte Handlungsvorgänge als Beschreibungen von Lebensformen erinnert werden können, und nur in impliziter Form darum, wie diese Erinnerungen erreicht werden. Es ist zwar so, dass historische Figuren wie Sophokles und Diderot die sozialen Konstellationen, in denen sie sich befanden, textlich bündeln konnten; Hegel fokussiert seine Darstellung der Entwicklung im Geistkapitel aber auf die Inhalte ihrer Texte, also auf die Handlungen, die dort beschrieben werden. Spannungen werden in diesem Rahmen u.a. dadurch aufgelöst, dass sie überhaupt als solche darstellbar und erinnerbar werden. Erst im Religionskapitel findet sich eine explizite Auseinandersetzung damit, wie bewusst zu diesem Zweck eingesetzte Selbstrepräsentation bzw. -darstellung durch Gemeinschaften zur gemeinschaftlichen Selbsterkenntnis beitragen kann, und welche Formen dazu besonders geeignet bzw. erforderlich sind. Auf der Ebene des Geistkapitels ergeben sich die Formen eher unwillkürlich aus den sozialen Gegebenheiten. Im Geistkapitel werden also kommunikative Konstellationen dargestellt, während im Religionskapitel die Formen der Darstellung dieser Konstellationen als solche zum Thema werden. Während das Geistkapitel sich für eine sozialphilosophische Interpretation anbietet, enthält das Religionskapitel mit seiner Reflexion verschiedener (künstlerischer wie im engeren Sinne religiöser) Darstellungsformen Elemente einer Ästhetik. Wie die Phänomenologie insgesamt eine Geschichte von Figuren des Scheiterns ist, beschreibt auch das Geistkapitel das Scheitern sozialer Konstellationen. Sprache findet sich dabei buchstäblich in der Mitte: Hegel begreift sie als Mittelbegriff zwischen Besonderem und Allgemeinem. Die Diskrepanzen von Individuum und Gemeinschaft, die das Geistkapitel durchspielt, zeigen sich daher auch in spezifischen Verhältnissen zur Sprache und wir können demnach beobachten, wie Situationen sozialer Entfremdung sich in der Sprache und im Verhältnis der Sprecher:innen zu ihr niederschlagen. Sprache ist hier das Medium der Selbstdarstellung von Individuen in sozialen Konstellationen. Damit steht die kommunikative Funktion der Sprache im Vordergrund.

1. Sprache, Bildung und Entfremdung Unsere Untersuchung des Geistkapitels setzt im Kontext der Moderne ein, wo die sittliche Einheit zu einem nur noch historischen Fluchtpunkt geworden ist. Im ersten Teil dieser Arbeit habe ich auf Hegels Gedanken des Bedürfnisses der Philosophie hingewiesen, das aus der »Entzweiung« entsteht.11 Dieses Moment kann man im Bildungskapitel der 11 Der Bezugspunkt ist dabei die unter dem Titel »Bedürfnis der Philosophie« stehende Passage in der »Differenzschrift« (TWA2, 20–25).

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Phänomenologie wiederfinden, insofern es hier um eine in sich entfremdete Wirklichkeit geht. In dieser Konstellation untersucht Hegel das Verhältnis von Individuen zu gesellschaftlichen Ordnungen, an denen sie – unter anderem vermittelt durch Sprache – partizipieren.12 Im Hintergrund steht dabei die Frage, wie die Einbettung menschlicher Existenz in Traditionen zu bewerten ist. Diese Frage haben wir ebenfalls bereits berührt, und zwar anhand des Begriffs der Überdetermination, der sowohl für Brandoms als auch für Derridas Verständnis des Verhältnisses von Sprache und Sozialität eine entscheidende Rolle spielt. Brandom hebt das Moment der expressiven Freiheit hervor, die uns die Sprache ermöglicht. Er betrachtet die sprachliche Einbettung von Individuen in eine Tradition damit vor allem als Problemlösung, weil er auf diesem Weg einen geteilten Weltbezug begründen kann. Dagegen wird dieser Umstand bei Derrida stärker problematisiert. Wie Derrida beschreibt, bedienen sich Sprecher:innen und Schriftsteller:innen (in Ausübung ihrer expressiven Freiheit) eines sprachlichen Systems, an dem sie teilhaben. Insofern sie sich dieser Sprache bedienen, müssen sie allerdings erlauben, auch von der Sprache beherrscht zu werden.13 Dieser Gedanke spielt im Bildungskapitel der Phänomenologie insofern eine Rolle, als das Bewusstsein hier versucht, Anerkennung durch Partizipation an einer übergeordneten Ordnung oder Institution zu erreichen. Wie Brandom hervorhebt, steht dabei insbesondere die Sprache im Mittelpunkt, die hier zum »Medium der Anerkennung« wird.14 Die Partizipation von Individuen an Ordnungen, zu der es in der Sprache kommt, läuft allerdings nicht ohne Reibung ab. Das Bildungskapitel zeigt, dass die Sprache dabei zugleich zu einem Medium der Entfremdung wird. Bildung schlägt in Entfremdung um, sobald Individuen sich nicht mehr in Übereinstimmung, sondern im Konflikt mit Ordnungen befinden (und sich insofern als fremdbestimmt bzw. heteronom erfahren). Die Ordnung wird in diesem Fall als ungerechtfertigte Autorität erlebt. Sprache bestimmt also unser Weltverhältnis und übt Autorität uns gegenüber aus. Dieses Verhältnis betrifft nicht nur einzelne Sprecher:innen, sondern auch alle kritischen Diskurse und letztlich die Philosophie selbst. So schreibt Derrida (mit Bezug auf Heidegger) zum zirkulären Verhältnis, in dem sich diese Diskurse gegenüber der Geschichte der Metaphysik befinden: 12 Zur Abgrenzung partizipativer und interaktiver Gesellschaftsmodelle vgl. Disselbeck, Hegels Theorie der Intersubjektivität und Anerkennung, 11. 13 Vgl. die bereits zitierte Passage in Derrida, Grammatologie, 273. Daher besteht ein »Übergewicht der Sprache« gegenüber denen, die sich darin ausdrücken (vgl. ebd., 276). Vgl. dazu den Abschnitt 2.1 in Lüdemann, Politics of Deconstruction. Zuerst auf Deutsch erschienen als Lüdemann, Jacques Derrida zur Einführung. 14 Vgl. Brandom, A Spirit of Trust, 506.

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Diese destruktiven Diskurse (und alles ihnen Entsprechende) sind aber allesamt in einer Art von Zirkel gefangen. Dieser Zirkel ist einzigartig; er beschreibt die Form des Verhältnisses zwischen der Geschichte der Metaphysik und ihrer Destruktion: es ist sinnlos, auf die Begriffe der Metaphysik zu verzichten, wenn man die Metaphysik erschüttern will. Wir verfügen über keine Sprache – über keine Syntax und keine Lexik –, die nicht an dieser Geschichte beteiligt wäre. Wir können keinen einzigen destruktiven Satz bilden, der nicht schon der Form, der Logik, den impliziten Erfordernissen dessen sich gefügt hätte, was er gerade in Frage stellen wollte.15

Zwar rückt dieses Problem der Sprachgebundenheit der Philosophie innerhalb des Haupttextes der Phänomenologie erst ab dem Religionskapitel ins Zentrum; wir haben allerdings (u.a. anhand der Einleitung der Phänomenologie) bereits gesehen, dass die kritische Bezugnahme auf die herkömmlichen Begriffe der Metaphysik – und v.a. das Bewusstsein für die Problematik einer Abgrenzung von bzw. Transformation dieser Begriffe ein Zug ist, den Hegel mit der Dekonstruktion teilt. In gewisser Weise spiegelt sich dieses Problem im Bildungskapitel der Phänomenologie im Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft. Dort geht es zwar nicht um die Geschichte oder Kritik der Metaphysik, aber es geht um 15 Derrida, Die Schrift und die Differenz, 425. Eine vergleichbare Einschätzung dieses Problems findet sich auch bei Horkheimer und Adorno, Dialektik der Aufklärung, 4. In einem Interview hat Derrida unterstrichen, dass das Denken der Dekonstruktion von vornherein darauf gezielt hat, die Autorität der Sprache in Zweifel zu ziehen. Bei Derrida findet sich also gerade kein »Panlingualismus«, sondern eine Kritik der Sprache und insbesondere der Autorität der Sprache bzw. der in der Sprache repräsentierten Autoritäten: »I cannot explain what deconstruction is to me without putting matters in context. At the time that, under this title, I undertook my task, structuralism was predominant. Deconstruction staked out a position against structura­ lism. On the other hand, it was a time when scientific theories of language governed everything, references to linguistics, ›all things are a language.« At the time – I’m speaking of the 1960s – deconstruction began to take shape as ... I wouldn’t say as ›antistructuralism‹, but, all the same, by taking a certain distance from structuralism and casting the authority of language into doubt. Therefore, it astonishes and irritates me in equal measure every time that deconstruction (as commonly occurs) is equated with – how should I put it? – ›omnilingualism‹, ›panlingualism‹, or ›pantextualism‹.« Deconstruction starts with just the opposite. I began by contesting the authority of linguistics, language, and logocentrism.« Die Hervorhebungen stammen von mir, S.W. Dieses Zitat findet sich in Lüdemann, Politics of Deconstruction, 26 und ist ein Auszug aus einem Interview vom 30. Juni 1992, das in einem Nachruf auf Derrida am 12. Oktober 2004 in Le Monde veröffentlicht wurde; vgl. »1930–2004 – Jacques Derrida – Qu’est-ce que la décon­ struction?«

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die Frage, ob sich ein sprechendes Subjekt außerhalb der Kommunikationsformen und der Formen sozialer Anerkennung seiner Gesellschaft behaupten kann. Diese Frage wird hier emphatisch verneint. Zugleich wird aber deutlich, dass sich innerhalb dieser Ordnungen Risse auftun, an denen eine kritische Reflexion ansetzen kann. Die entscheidende Figur des Kapitels, das Bewusstsein, das die Sprache der Zerrissenheit artikuliert, erkennt gerade seine Bestimmtheit durch die bestehenden Sozialformen an. Es zeigt gleichzeitig deren Brüche auf, indem es sie als das inszeniert, was sie sind, nämlich verschiedene soziale Masken. Im Bildungskapitel artikuliert sich folgender Konflikt: In Form von über-individuellen Strukturen gewährleisten Traditionen unseren Weltbezug. Solche Traditionen konstituieren »uns« dabei derart, dass wir uns zugleich dagegen abgrenzen müssen. Im Zentrum dieses Konflikts steht die Sprache (als »Medium der Anerkennung«). Das Bildungskapitel zeigt, wie die Sprachgebundenheit durch das individuelle Bewusstsein als Entfremdung erlebt wird. Insofern das Individuum zu seiner Aktualisierung auf Sprache angewiesen ist, ist es zugleich in eine gesellschaftliche Tradition eingebunden, die es konstituiert.16 Dieser Umstand ist aber für das Individuum keine positive Erfahrung, sondern bedeutet einen Autonomieverlust. Auch wenn dieser letztlich zugestanden wird, ist jedoch in einer Interpretation des Bildungskapitels zu betonen, wie sich die Abhängigkeit des Individuums von sozialen Ordnungen insbesondere in Erfahrungen der realen Defizite dieser Ordnungen niederschlägt. Die Erfahrung des Eingebunden-Seins in eine Ordnung wird von Hegel entschieden negativ beschrieben und die korrespondierende Erfahrung 16 Eine konzise Formulierung dieses Zusammenhangs findet sich bei Michael Forster: »Hegel believes that the modern individualist’s division between himself and his community rests on an implicit assumption of his ontological and practical autonomy from his community: an assumption that he is not dependent on his community or on conformity with it either for his own existence and identity or for the realization of his deepest aspirations (at least, not essentially). The Phenomenology addresses the individual-community division largely by arguing that, on the contrary, the very existence and identity of the individual and the realization of all his deepest aspirations do depend essentially on his community and on his conformity with it. Thus, concerning first the individual’s very existence and identity, the Phenomenology argues forcefully that (i) conceptual thought of any kind essentially requires possession of a corresponding language, and (ii) possession of a language essentially requires participation in a corresponding linguistic community. Consequently, (iii) a human individual, as the sort of being who could not exist at all without conceptual thought, nor be the part­icular person he is without (much of) the specific conceptual thought which he has, depends essentially for his existence and identity on participation in his linguistic community.« Forster, Hegel’s Idea, 83f.

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der Sprache koinzidiert mit der Erfahrung einer in Sprechsituationen und also anhand von Sprache erlebten Entfremdung. Diese Entfremdung löst sich nicht in Harmonie auf, sondern wird nur aufgehoben, insofern sich das Bewusstsein als konstitutiv entfremdet erfährt bzw. – wie Hegel formuliert – »in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet«.17 Daher greift eine Interpretation wie die von Brandom zu kurz, die sprachlich konstituierte Sozialität vorschnell als Grundlage geteilten Weltbezugs begrüßt. Die grundsätzlich soziale Konstitution des Subjekts ist in dem Maße, wie sie eine Antwort auf Probleme des Individualismus darstellt, zugleich eine Eröffnung des Bereichs der genuinen Pro­ bleme des Sozialen.18

17 PhG, 36; vgl. die entsprechende Passage im Bildungskapitel, PhG, 383f. Diese grundlegende Zerrissenheit des Subjekts hat Jaroslaw Bledowski in seiner Interpretation von Heideggers Sein und Zeit anhand des Begriffs der Fraktur beschrieben; vgl. Bledowski, Zugang und Fraktur. 18 Einige Probleme von Brandoms Interpretation des Bildungskapitels werden am Ende dieses Abschnitts besprochen. Auch Judith Butler hat die Eingebundenheit des Subjekts in die Gesellschaft und die dadurch bestehende Abhängigkeit immer wieder problematisiert. Neben der Arbeit Foucaults bilden Derrida und Hegel dabei wichtige Bezugspunkte. Butler betont, dass es sich bei diesem Konstitutionsverhältnis allerdings nicht um eine soziale Determination handelt; vgl. Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, 210, 216. Eine paradigmatische Passage zur Problematik unserer Eingliederung in einen sozialen Raum der Gründe findet sich am Beginn von The Psychic Life of P ­ ower, wo dieser Prozess als Unterwerfung (subjection) beschrieben wird: »›we‹ who accept [the terms of power] are fundamentally dependent on those terms for ›our‹ existence. Are there not discursive conditions for the articulation of any ›we‹? Subjection consists precisely in this fundamental dependency on a discourse we never chose but that, paradoxically, initiates and sustains our agency. ›Subjection‹ signifies the process of becoming subordinated by power as well as the process of becoming a subject.« Butler, The Psychic Life of Power, 2. Dagegen hat John McDowell eine Position vertreten, die in diesem Punkt eher der Brandoms entspricht. McDowell verknüpft die Idee, dass Individuen durch sprachliche Bildung zu rationalen Akteur:innen reifen, mit dem Bildungsbegriff. In McDowells optimistischer Version dieser Geschichte werden wir durch Bildung in den »Raum der Gründe« eingeweiht, in dessen Rahmen wir uns dann auf die Realität beziehen. Der Raum der Gründe enthält nicht nur Grundeinstellungen zur Realität, sondern darüber hinaus Möglichkeiten der Reflexion über diese Grundeinstellungen: »Thought can bear on empirical reality only because to be a thinker at all is to be at home in the space of reasons. And being at home in the space of reasons involves not just a collection of propensities to shift one’s psychological stance in response to this or that, but the standing potential for a reflective stance at which the question arises whether one

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1.1 Die Grundbegriffe der Welt des sich entfremdeten Geistes: Bildung, Entfremdung und Urteil Auf der Ebene des Geistes setzt sich das Bewusstsein mit seinen Rollen in der sozialen Welt auseinander. Sprache ist ihm dabei in bestimmten Konstellationen dienlich oder hinderlich; es entstehen also soziale Situationen, die sich dadurch auszeichnen, dass Sprache in ihnen ein Schlüsselmoment ist. Im Kapitel zur Bildung wird die Sprache als Dasein des Geistes eingeführt, wenn auch zuerst nur implizit. Sprache erscheint hier als Medium der Entfremdung des Selbst, zugleich aber auch als Element dessen objektiven Daseins, das dieses »in seiner Reinheit« enthält.19 Dieses Objektivierungs- oder Entfremdungsmoment bezeichnet Hegel als die eigentümliche Bedeutung der Sprache. An dieser Stelle wird Sprache als Sprechakt aufgefasst, als mündliches Sprechen, »welches das ausführt, was auszuführen ist«. Sie ist außerdem die »Mitte« ought to find this or that persuasive.« McDowell, Mind and World, 125. Wir sind demnach nur dann wirkliche Denker:innen, wenn wir in den Raum der Gründe eingeweiht wurden, dort einheimisch und zuhause sind. Der Raum der Gründe ist das Haus des Menschen und ihr Leben in der Welt und es ist die Sprache, durch die wir ein Teil dieser Welt werden. Wenn wir überhaupt in irgendeiner Weise denken wollen, müssen wir Teil dieser Tradition werden. Wenn wir in die Welt kommen, steht die Sprache über uns und McDowell zufolge ist diese Herrschaftsfunktion das, worauf es beim Verständnis der Bedeutung der Sprache für das Denken in erster Linie ankommt: »Human beings mature into being at home in the space of reasons or, what comes to the same thing, living their lives in the world; we can make sense of that by noting that the language into which a human being is first initiated stands over against her as a prior embodiment of mindedness, of the possibility of an orientiation [sic] to the world. [...] The feature of language that really matters is [...] this: that a natural language, the sort of language into which human beings are first initiated, serves as a repository of tradition, a store of historically accumulated wisdom about what is a reason for what. The tradition is subject to reflective modification by each generation that inherits it. Indeed, a standing obligation to engage in criti­ cal reflection is itself part of the inheritance. […] But if an individual human being is to realize her potential of taking her place in that succession, which is the same thing as acquiring a mind, the capacity to think and act intentionally, at all, the first thing that needs to happen is for her to be initiated into a tradition as it stands.« McDowell, 125f.; meine Hervorhebungen, S.W. McDowell zufolge werden wir also zu rationalen Wesen, indem wir durch das Erlangen von Sprachfähigkeit und Bildung in eine Tradition initiiert werden. Er versteht diesen Prozess als ein Realisieren von Möglichkeiten (»potential«); die damit verbundenen Entfremdungspotentiale spielen bei McDowell keine Rolle. 19 PhG, 376

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zwischen zwei Extremen.20 Die Welt des sich entfremdeten Geistes organisiert sich grundsätzlich in Urteilen, also in einer sprachlichen Praxis – wobei es v.a. um Konstrukte geht, die erst durch Urteile überhaupt Konturen erhalten (die man also als Bestandteile einer sozialen Ontologie verstehen könnte – Staatsmacht, Reichtum und verschiedene Einstellungen dazu), die sich das urteilende Bewusstsein aber zugleich als stabile Essenzen vorstellt. Auffällig ist, dass die Trias Beurteilen-Fassen-Darstellen aus der Vorrede am Ende des Bildungskapitels wieder auftaucht, wobei das Bewusstsein hier nur zum Beurteilen in der Lage ist; die Welt fassen kann es nicht mehr.21 Auch die Urteilenden Subjekte erweisen sich keinesfalls als stabil, sondern werden im Urteilen anders.22 Unser Ziel ist es, die sozialen Erfahrungen der Entfremdung und der Zerrissenheit mit der logischen Entwicklung des Urteils zusammen zu denken. Dabei ist außerdem relevant, in welcher Weise Hegel hier auf Diderot als literarische Quelle zurückgreift. Das ganze Kapitel wird als eine Welt des Urteilens inszeniert, also als (zumindest teilweise) bewusste Urteilspraxis: Die Welt wird mit Begriffen wie »gut«, »schlecht«, »edelmütig« und »niederträchtig« eingeteilt und bewertet. Darüber erschließt sich die allgemeine Rolle der Sprache in diesem Kapitel. Das Kapitel entwickelt daraus drei spezifische Funktionen der Vermittlung von Besonderem und Allgemeinen, davon zwei als Sprach- oder Sprechformen. Die dritte Stufe, die Sprache der Zerrissenheit, bildet ein Resultat des Kapitels: Das unendliche Urteil, dass das Selbst in seiner Einheit absolut zerrissen ist. Beginnen wir die Klärung der Grundbegriffe des Kapitels mit dem Begriff der Entfremdung. Die Differenzierung des Entfremdungsbegriffs ist wichtig, weil es ein Streitpunkt ist, ob Hegel Entfremdung negativ als soziale Entfremdung, und damit als etwas sieht, das an bestimmte historische oder soziale Zustände gebunden ist und durch andere Zustände überwunden werden kann, oder vielmehr als wesentliches logisches Moment.23 Josef Simon interpretiert Sprache als das Moment, indem die wesentliche Entfremdung des Menschen stattfindet. Diese Entfremdung ist keine, die irgendwie umgangen werden könnte. Allerdings muss man auch feststellen, dass der Rahmen von Hegels Kapitel durchaus so zu verstehen ist, dass Hegel hier auf eine Beherrschung der Menschen durch die von ihnen selbst hergestellten Umstände verweist. Hegel inszeniert also das logische bzw. ahistorische Entfremdungsmoment in einem 20 PhG, 376f. Zu Sprache in diesem Kapitel vgl. Schlösser, »Handlung, Sprache, Geist«. Die Funktion der Sprache als Mitte kann auf auch Hegels Theorie des Schlusses bezogen werden; vgl. dazu WL2, 353 sowie Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 233. 21 Vgl. PhG, 390 22 Vgl. Hyppolite, Genesis and Structure, 385n10. 23 Vgl. Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 95–103.

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Kontext von Erfahrungen sozialer Entfremdung, also einem Kontext, in dem Entfremdung als Phänomen auffällig wird.24 Der speziellere Zustand der (negativ erlebten sozialen) Entfremdung verdeutlicht also das allgemeinere (logische) Moment der Entfremdung. Der gesamte zweite Teil des Geistkapitels trägt den Titel »Der sich entfremdete Geist. Die Bildung« – Bildung und Entfremdung gehören also zusammen. Die Erfahrung der Welt des sich entfremdeten Geistes ist ein Realitätsschock: [D]erjenige Geist, dessen Selbst das absolut diskrete ist, hat seinen Inhalt sich als eine ebenso harte Wirklichkeit gegenüber, und die Welt hat hier die Bestimmung, ein Äußerliches, das Negative des Selbstbewusstseins zu sein. Aber diese Welt ist geistiges Wesen, sie ist an sich die Durchdringung des Seins und der Individualität; dies ihr Dasein ist das Werk des Selbstbewusstseins; aber ebenso eine unmittelbar vorhandene, ihm fremde Wirklichkeit, welche eigentümliches Sein hat, und worin es sich nicht erkennt.25

Die Ordnung dieser Welt ist nicht mehr durch eine höhere Macht garantiert (wie im wahren Geist der antiken Sittlichkeit), sondern menschengemacht. In ihrer Gemachtheit erscheint sie aber nicht vertraut, sondern fremd (»eigentümlich«).26 Diese erste Form ist der (von Marx her bekannte) Begriff von Entfremdung als »Herrschaft des Werkes über seinen Hervorbringer«.27 Die Welt wird ferner erst durch die Entfremdung des Selbstbewusstseins real bzw. »wirklich«. Selbst und Wesen fallen dabei auseinander, was konstitutiv für diese Sphäre des Geistes ist. Es gibt keine 24 Vgl. Simon, 100. Zum Verhältnis von Bildung und Entfremdung vgl. ebd., 107. 25 PhG, 359f. Hegel hebt nur das Wort »Werk« hervor. Bildung und Entfremdung sind der thematische Leitfaden des gesamten mittleren Teils des Kapitels VI. (Der Geist) der Phänomenologie mit der Überschrift Der sich entfremdete Geist. Die Bildung. Innerhalb dieses Teils ist der erste Teil (I.) mit Die Welt des sich entfremdeten Geistes betitelt. Er gliedert sich in zwei Abschnitte – a.) Die Bildung und ihr Reich in der Wirklichkeit und b.) Der Glaube und die reine Einsicht. Wie das Inhaltsverzeichnis zeigt, dienen Bildung und Entfremdung einerseits als Leitfaden für den gesamten Abschnitt VI. B., weiterhin aber in einem engeren Sinn für VI. B. I. und am konkretesten für VI. B. I. a. In diesem Teil finden wir das Auftreten der Sprache als eine der ersten Entwicklungen des sich entfremdeten Geistes überhaupt. 26 Die eigentümliche Welt ist gerade nicht das Eigentum ihrer Bewohner:innen. Diese Welt ist nicht mehr an sich bedeutsam. Hier deutet sich ein sprachtheoretisch relevanter Zug an: Sprache – ein Gebrauch bedeutsamer Zeichen oder ein Ausführen bedeutsamer Handlungen – wird kontrastiert mit einer Entfremdung, die als Bedeutungsverlust konzipiert werden kann. 27 Ludwig Siep, Der Weg der »Phänomenologie des Geistes«, 189.

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unmittelbare Wirklichkeit, sondern Wirklichkeit wird nur durch Entfremdung konstituiert. Dabei wird sowohl die einzelne Person durch Entfremdung erst substantiell wie auch die allgemeine Substanz durch die Entfremdung der einzelnen Personen entsteht.28 Für diese Form der Entfremdung gebraucht Hegel auch den Begriff der Entäußerung.29 Ludwig Siep führt diese zweite Form der Entfremdung auf Rousseaus Konzept der aliénation totale zurück. Die beiden Formen der Entfremdung sind entgegengesetzt, insofern die erste einen Abstand von bzw. eine Fremdheit zwischen Welt und Individuum beschreibt, während die zweite deren Ko-Dependenz betont.30 Als dritte Form der Entfremdung nennt Siep die Verdopplung der Wirklichkeit: Jeder Zugang zur Gegenwart geht mit einem Bewusstsein dessen einher, was diese Gegenwart nicht ist: »Der Geist bildet daher nicht nur eine Welt, sondern eine gedoppelte, getrennte und entgegengesetzte aus.«31 Bildung erscheint damit zuerst versteckt als Verb. Auf der allgemeinsten Ebene sind Bildung und Entfremdung zwei komplementäre Aspekte des Anders-Werdens einer Einheit, wobei »Bildung« die werdende Einheit und »Entfremdung« das Anders-Werden betont; diese Konzeption hebt das Prozessmoment hervor.32 Beide Begriffe beschreiben eine Spannung von Einheit und Unterschied, die prozessual gelöst werden soll, indem durch Bildung Einheit entwickelt wird. Wie sich aber im unendlichen Urteil zeigt (das Hegel hier, wie auch im Kapitel zu Physiognomik und Schädellehre als logisches Resultat diskutiert), ist die letzte Konsequenz der Bildung eine absolute Zerrissenheit. Als Ergebnis der Verdoppelung der Wirklichkeit erscheinen auch deren Hälften innerlich entfremdet, was sich destabilisierend auf sie auswirkt. Darin identifiziert Siep einen vierten Begriff der Entfremdung.33 Der Entfremdungsbegriff ist also mehrdimensional. Der 28 PhG, 360 29 Vgl. dazu Hyppolite, Genesis and Structure, 385n10. 30 Siep, Der Weg der »Phänomenologie des Geistes«, 190. Rousseau versteht die aliénation totale als »Entäußerung« des Individuums an das Gemeinwesen; vgl. Rousseau, Du contrat social ou principes du droit politique, 32f. (erstes Buch). Zum Begriff der Entäußerung vgl. ebenfalls Lukàcs, »Die Entäußerung als philosophischer Zentralbegriff der ›Phänomenologie des Geistes‹«. 31 PhG, 361; vgl. Siep, Der Weg der »Phänomenologie des Geistes«, 191. Für Bertram geht es in diesem Zusammenhang um das Unterscheiden einer schlechteren und einer besseren Welt; vgl. Bertram, Hegels »Phänomenologie des Geistes«, 200. 32 Vgl. PhG 363 33 Dieser vierte Entfremdungsbegriff kommt Siep zufolge aber erst in den späteren Unterkapiteln zum Tragen; vgl. Siep, Der Weg der »Phänomenologie des Geistes«, 192.

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Entfremdungsbegriff ist ein wesentliches Element der Untersuchung der Sprache, weil sich die notwendige Entfremdung des Denkens in der Sprache (und damit die kognitive Funktion der Sprache) mit der sozialen Entfremdung verbindet, die die Sprache als äußere, »fremde« Wirklichkeit hervortreten lässt; insofern das Individuum nur durch Sprache denken kann, ist es notwendigerweise in soziale, kommunikative Zusammenhänge eingebunden. Mit dem Begriff der Bildung rückt ein Moment in den Fokus, das für das Projekt der Phänomenologie insgesamt zentral ist, insofern sie »das Individuum von seinem ungebildeten Standpunkte aus zum Wissen« führen will, also insgesamt ein Bildungsprojekt verfolgt.34 In der Welt des sich entfremdeten Geistes ist Bildung das Moment, in dem das Individuum Geltung und Wirklichkeit in seiner Gemeinschaft erreicht: Wodurch also das Individuum hier Gelten und Wirklichkeit hat, ist die Bildung. Seine wahre ursprüngliche Natur und Substanz ist der Geist der Entfremdung des natürlichen Seins. Diese Entäußerung ist daher ebenso Zweck als Dasein desselben; sie ist zugleich das Mittel oder der Übergang sowohl der gedachten Substanz in die Wirklichkeit als umgekehrt der bestimmten Individualität in die Wesentlichkeit. Diese Individualität bildet sich zu dem, was sie an sich ist, und erst dadurch ist sie an sich und hat wirkliches Dasein; soviel sie Bildung hat, soviel Wirklichkeit und Macht.35

Diese Passage artikuliert einen vertrauten Bildungsbegriff, dem zufolge Individuen durch Bildung ihre Anlagen verwirklichen und werden, was sie sind. Im engeren Sinne auf soziale Verhältnisse bezogen, bedeutet Bildung, dass Individuen nur als solche gelten, indem sie eine gesellschaftliche Rolle übernehmen, also an institutionell stabilisierten Strukturen partizipieren. Die Pointe von Hegels Kapitel ist aber, dass man dem Alltagsbegriff von Bildung nicht blind und uneingeschränkt vertrauen kann und er nur eine vorläufige Meinung darüber vorstellt, was Bildung ist.36 Diese Meinung wird Hegel in der Entwicklung des 34 PhG, 31; vgl. auch 73 35 PhG, 364 36 Wie immer, wenn ein neues Phänomen zum Gegenstand der Untersuchung gemacht wird, ist es zunächst unbestimmt. Wir beginnen mit einer vagen Idee, die entwickelt werden muss. Vgl. PhG, 71: »Denn das Vorgeben, teils dass ihre Bedeutung [die Bedeutung der Worte, S.W.] allgemein bekannt ist, teils auch, dass man selbst ihren Begriff hat, scheint eher nur die Hauptsache ersparen zu sollen, nämlich diesen Begriff zu geben.« Außerdem TWA7, 445: »Die immanente Entwicklung einer Wissenschaft, die Ableitung ihres ganzen Inhalts aus dem einfachen Begriffe (sonst verdient eine Wissenschaft wenigstens nicht den Namen einer philosophischen Wissenschaft) zeigt das Eigentümliche, dass der eine und derselbe Begriff [...], der anfangs, weil es der Anfang ist, abstrakt ist, sich erhält, aber seine Bestimmungen, und zwar

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Kapitels kontraintuitiv unterlaufen – das Kapitel beginnt zwar mit diesem Bildungsbegriff, bleibt dort aber nicht stehen. Die »reine Bildung«, in der die Wahrheit der Welt der Bildung liegt, wird sich am Ende des Kapitels als »absolute und allgemeine Verkehrung und Entfremdung der Wirklichkeit und des Gedankens« herausstellen.37 Diesem reinen Begriff zufolge ist Bildung keinesfalls der Prozess, in dem Menschen zur Vernunft geführt werden, sondern ein Zerreißen von Wirklichkeit und Gedanken, worin sich die bestehende Wirklichkeit als limitiert und unbeständig erweist. Weiterhin verweist der Begriff allerdings auch darauf, dass das Bewusstsein sich ein Bild von der Realität macht. Die Realität wird auf diese Weise unter einem einheitlichen Aspekt (als Weltbild) repräsentativ zusammengefasst. Zugleich wird die Realität in diesem Prozess durch ihr Bild verdoppelt (Verdopplung kennzeichnet also sowohl Entfremdung als auch Bildung). Mit den Begriffen von Bildung und Entfremdung konzipiert das Bewusstsein zwei Paradigmen sozialer Prozesse, in denen es sich selbst anschaut. Es projiziert also sein »Doppelwesen« als Ordnungsstruktur auf die Wirklichkeit.38 Damit bedeutet Bildung auch, dass das Bewusstsein sich eine Position gegenüber der Wirklichkeit erschließt und sie beurteilt (wodurch ein der Wirklichkeit entgegengesetzter Gedanke entsteht). Entsprechend entwickelt Hegel in der Einleitung des Kapitels opponierende Bewusstseinsformen, die sich durch ihre Art und Weise der Beurteilung der Realität definieren. Auch die Entwicklung des Urteils erweist sich haltloser als zunächst angenommen. Die Einführung des Kapitels konzipiert die Welt des sich entfremdeten Geistes als eine Welt des Urteilens. Die Subjekte dieser Welt definieren sich über die Art und Weise ihres Urteilens als »edelmütiges« oder »niederträchtiges Bewusstsein«. Die Welt erscheint prinzipiell in zwei entgegengesetzten Momenten: Zunächst sind dies Staatsmacht und Reichtum. Die Staatsmacht ist das Moment des Allgemeinen, des kollektiven Zusammenhalts, der Reichtum dagegen das Moment des ebenso nur durch sich selbst, verdichtet und auf diese Weise einen konkreten Inhalt gewinnt.« 37 PhG, 385. So schreibt auch Goethe in der »Morphologie«: »Betrachten wir aber alle Gestalten, besonders die organischen, so finden wir, dass nirgend ein Bestehendes, nirgend ein Ruhendes, ein Abgeschlossenes vorkommt, sondern dass vielmehr alles in einer steten Bewegung schwanke. Daher unsere Sprache das Wort Bildung sowohl von dem Hervorgebrachten, als von dem Hervorgebrachtwerdenden gehörig genug zu brauchen pflegt.« Goethe, Schriften zur Naturwissenschaft, 48. 38 PhG, 368. Vgl. Sørensen, »Not Work, but Alienation and Education. Bildung in Hegel’s Phenomenology«. Zum Bildungsbegriff vgl. auch Lacoue-Labarthe und Nancy, Das Literarisch-Absolute, 101. Dort ist v.a. der Zusammenhang zu Bild und eidos relevant.

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Partikulären, des individuellen Genusses. Das Bewusstsein sieht sich diesen beiden Institutionen gegenüber, »es schaut sein Doppelwesen darin an, in der einen [d.h. in der Staatsmacht, S.W.] sein Ansichsein, in der anderen [im Reichtum, S.W.] sein Fürsichsein.«39 Es beurteilt diese Momente (Wesen) als »gut« oder »schlecht«, kann sich ihnen gemäß machen oder auch nicht. So kommen zwei Bewusstseinsformen zustande: das edelmütige Bewusstsein, das sich selbst durch Macht und Reichtum verwirklichen will und kann, und das niederträchtige, das sich nur widerstrebend in diese Welt fügt, »den Herrscher hasst, nur mit Heimtücke gehorcht und immer auf dem Sprunge zum Aufruhr steht« und das selbst im Reichtum nur »zum Bewusstsein der Einzelheit und des vergänglichen Genusses kommt, ihn liebt aber verachtet«.40 Das Problem dieses Urteilens ist, dass die Wesenheiten, auf die die Urteile sich richten (hier: Staatsmacht und Reichtum), nicht an und für sich bestehen, sondern durch diese Urteile erst hervorgebracht werden. In dieser Hinsicht funktioniert die Welt der Bildung konstruktivistisch. So gilt die Staatsmacht nur als solche, weil andere ihr dienen.41 Ferner zeigt sich später, dass die Staatsmacht eigentlich als Reichtum existiert.42 Ähnliches widerfährt den Einstellungen des Bewusstseins zu diesen Konstrukten: So findet sich das edelmütige Bewusstsein im Laufe der Entwicklung im Konflikt mit der Macht und zeigt sich darin als niederträchtiges,43 bevor dieser Unterschied im weiteren Verlauf ganz hinfällig wird.44 Die Wahrheit der Welt des sich entfremdeten Geistes liegt daher letztlich nicht in einem bestimmten Urteil oder einer bestimmten Weise des Urteilens, sondern in der allgemeinen Praxis des Urteilens überhaupt. Darin zeigt sich, dass die Wesenheiten, über die geurteilt werden sollte, keine festen Entitäten sind, sondern nur Bilder des Bewusstseins, die einen temporären Charakter haben und sich in ihr Gegenteil verkehren. Das Urteilen zerreißt die Substanz45 in Momente und macht sie dadurch analysierbar – es löst im wörtlichen Sinne die Substanz durch Urteile auf. Nur muss dabei beachtet werden, dass diese Momente nicht hypostasiert werden dürfen und die geistreiche Sprache, in der die Wahrheit der Welt der Bildung artikuliert wird, enthält genau diese Einsicht in deren Struktur. Dagegen nennt Hegel das »ehrliche Bewusstsein«, das die Momente als bleibende Wesenheiten versteht, »ungebildete Gedankenlosigkeit«. Das Spiel des Urteilens löst sich zuletzt selbst auf: 39 PhG, 368 40 PhG, 372 41 PhG, 373f. 42 PhG, 380 43 PhG, 380f. 44 PhG, 383 45 PhG, 380

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SPRACHE UND GEIST

Der wahre Geist aber ist eben diese Einheit der absolut Getrennten, und zwar kommt er eben durch die freie Wirklichkeit dieser selbstlosen Extreme selbst als ihre Mitte zur Existenz. Sein Dasein ist das allgemeine Sprechen und zerreißende Urteilen, welchem alle jene Momente, die als Wesen und wirkliche Glieder des Ganzen gelten sollen, sich auflösen und welches ebenso dies sich auflösende Spiel mit sich selbst ist.46

Der vorübergehende Charakter des Urteilens und seiner Objekte liegt parallel zu Hegels Konzept der Sprache und der Staatsmacht: Nicht nur sind die Bestimmungen der Sprache temporär, sondern die gesprochene Sprache basiert selbst auf dem ständigen Verschwinden der Bedeutungsträger. Auch den Staat versteht Hegel als eine solche Übergangsfigur.47 Das unendliche Urteil, das die Welt der Bildung letztlich auf ihren Begriff bringt, wird gerade nicht planvoll durch diese Praxis, die alles auseinanderhalten will, hervorgebracht. Diderots Figur des Neffen Rameaus, die die Sprache der Zerrissenheit hervorbringt, läuft dem offiziellen Kalkül der Einteilung der Welt der Bildung gerade zuwider, indem sie deren Zusammenhänge aufzeigt. Diese Sprache der Zerrissenheit ist am Ende der wahre existierende Geist dieser Welt. Ihr geistiges Potential hat Diderot in seinem Dialog Rameaus Neffe dargestellt.48 1.2 Sprache in ihrer eigentümlichen Bedeutung Auch wenn er erst im Gewissenskapitel schreibt, dass dort nun »wieder« Sprache als Dasein des Geistes relevant wird, ist klar, dass sich Hegel damit auf eine relativ konzentrierte Passage aus dem Bildungskapitel bezieht, die auch aus der Entwicklung dieses Kapitels heraussticht. Seine Ausführungen an dieser Stelle kann man als allgemeine phänomenologische Beschreibung der Sprache als Dasein des Geistes verstehen. Die Entwicklung des Kapitels über die Welt des sich entfremdeten Geistes läuft auf die »Sprache der Zerrissenheit« hinaus. Dazu passt die allgemeine phänomenologische Beschreibung, insofern sie Sprache prinzipiell durch die Parameter der Konstitution, des Verschwindens und Erhaltens von Bestimmungen fasst. Sprache fügt sich deshalb in den Kontext der Bildung 46 PhG, 386 47 So schreibt Josef Simon: »Die Blüte des Staates ist in Wahrheit sein Untergang. Das ›Wesen‹ des Staates liegt nicht in seinem bestehenden Sein, in seiner Dauer, sondern ebensosehr in seinem Verschwinden.« Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 142. Die Staatsmacht ist Hegel zufolge »eine solche, deren Begriff eben diese Bewegung ist, durch den Dienst und die Verehrung, wodurch sie wird, in ihr Gegenteil, in die Entäußerung der Macht überzugehen.« (PhG, 380). 48 Vgl. dazu ausführlich Speight, Hegel, Literature, and the Problem of Agency.

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SPRACHE, BILDUNG UND ENTFREMDUNG

ein, weil sie ein Moment des Übergangs und der Vermittlung von Individuum und Gesellschaft ist. Diese Passage lässt sich daher – mit gewisser Vorsicht – als prinzipielle Ausführung dazu verstehen, was Hegel unter Sprache als Dasein des Geistes versteht. Einschränkend ist dabei zu beachten, dass wir hier einen Idealfall geschildert bekommen, also eine Situation, in der Sprache unmittelbar auch Verstehen und Verbindung der Beteiligten ist. Diese Ausführung muss daher im Zusammenhang mit den vielen Stellen verstanden werden, in denen sprachliche Kommunikation aus verschiedenen Gründen scheitert (in ein solches Scheitern kippt auch die Passage, die sich an die hier zitierte anschließt). Diese sehr dichte Passage kann über folgende Parameter erschlossen werden: das Moment des Performativen, die Gegensätze von Form und Inhalt, Unmittelbarkeit und Vermittlung sowie Besonderem und Allgemeinem, das Verhältnis von Ich und Sprache, die Momente des Verschwindens, Bleibens und Erhaltens, den Kontrast von Bedeutung und Bedeutungsträger und schließlich das Moment des Opfers. Ich zitiere den ersten Absatz der Passage vollständig, inklusive des Anschlusses an den vorausgehenden Paragraphen: Die wahre Aufopferung des Fürsichseins ist daher allein die, worin es sich so vollkommen als im Tode hingibt, aber in dieser Entäußerung sich ebensosehr erhält; es wird dadurch als das wirklich, was es an sich ist, als die identische Einheit seiner selbst und seiner als des Entgegengesetzten. Dadurch, dass der abgeschiedene innere Geist, das Selbst als solches, hervortritt und sich entfremdet, wird zugleich die Staatsmacht zu eigenem Selbst erhoben; so wie ohne diese Entfremdung die Handlungen der Ehre, des edlen Bewusstseins und die Ratschläge seiner Einsicht das Zweideutige bleiben würden, das noch jenen abgeschiedenen Hinterhalt der besonderen Absicht und des Eigenwillens hätte. Diese Entfremdung aber geschieht allein in der Sprache, welche hier in ihrer eigentümlichen Bedeutung auftritt. – In der Welt der Sittlichkeit Gesetz und Befehl, in der Welt der Wirklichkeit erst Rat, hat sie das Wesen zum Inhalte und ist dessen Form; hier aber erhält sie die Form, welche sie ist, selbst zum Inhalte und gilt als Sprache; es ist die Kraft des Sprechens als eines solchen, welche das ausführt, was auszuführen ist. Denn sie ist das Dasein des reinen Selbsts, als Selbsts; in ihr tritt die für sich seiende Einzelheit des Selbstbewusstseins als solche in die Existenz, so dass sie für andere ist. Ich als dieses reine Ich ist sonst nicht da; in jeder anderen Äußerung ist es in eine Wirklichkeit versenkt und in einer Gestalt, aus welcher es sich zurückziehen kann; es ist aus seiner Handlung wie aus seinem physiognomischen Ausdrucke in sich reflektiert und lässt solches unvollständige Dasein, worin immer ebensosehr zuviel als zuwenig ist, entseelt liegen. Die Sprache aber enthält es in seiner Reinheit, sie allein spricht Ich aus, es selbst. Dies sein Dasein ist als Dasein eine Gegenständlichkeit, welche seine wahre Natur an ihr hat. Ich ist dieses Ich – aber ebenso allgemeines; sein Erscheinen ist ebenso unmittelbar die 311 https://doi.org/10.5771/9783748917755

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Entäußerung und Verschwinden dieses Ichs und dadurch sein Bleiben in seiner Allgemeinheit. Ich, das sich ausspricht, ist vernommen; es ist eine Ansteckung, worin es unmittelbar in die Einheit mit denen, für welche es da ist, übergegangen und allgemeines Selbstbewusstsein ist. – Dass es vernommen wird, darin ist sein Dasein selbst unmittelbar verhallt; dies sein Anderssein ist in sich zurückgenommen; und eben dies ist sein Dasein als selbstbewusstes Jetzt, wie es da ist, nicht da zu sein und durch dies Verschwinden da zu sein. Dies Verschwinden ist also selbst unmittelbar sein Bleiben; es ist sein eigenes Wissen von sich als einem das in anderes Selbst übergegangen, das vernommen worden und allgemeines ist.49

Zunächst denkt Hegel die Sprache hier vom Sprechen her. Als solche ist sie performativ – sie führt etwas aus. Hegels Rückgriff auf den Begriff der Kraft zeigt, dass es dabei auch um die Richtung von innen nach außen geht.50 Normalerweise ist die Sprache in dieser Bewegung nach außen die Form, in der bestimmte Inhalte (Wesen) geäußert werden. Das sprachliche Performativ ist nun aber das Moment, in dem die Sprache nicht hinter einem, in ihr geäußerten Inhalt zurücktritt, sondern ihre eigene Form reflektiert und betont (entsprechend zeigt der weitere Verlauf des Kapitels, dass gerade leere Sprechformen wie die »Schmeichelei« Sprache als Sprache einsetzen). Sprache in diesem Sinne ist Reden um der Kommunikation Willen, was zu dem höfischen Setting passt, in dem Hegel diese Überlegung verortet. Sprache ist das Dasein des »reinen Selbsts als Selbsts« – und zugleich für andere. Hegel begreift Sprache damit als szenisches Phänomen oder Ereignis, das Sprecher:innen, Adressat:innen und Medium einschließt. Dabei ist ein Fall »gelingender« Sprache dann gegeben, wenn das Medium in Bezug auf die Bedeutung völlig durchsichtig wird, so dass das »Ich« der Sprechenden »unmittelbar in die Einheit mit denen, für welche es da ist« übergeht. Dagegen kann sich in anderen Fällen das Ich aus seinen Äußerungen zurückziehen (wie Handlung und physiognomischer Ausdruck, die zu viel und zu wenig ausdrücken), so dass die Bedeutungsträger »entseelt« sind. Für das Verständnis von Sprache als Dasein des Geistes bedeutet das: Im gelingenden Fall ist der Geist in der Sprache unmittelbar vermittelt; es besteht allerdings die Gefahr, dass nur das Dasein zurückbleibt, ohne dass sich Bedeutung erschließt.51 49 PhG, 375f. 50 Hegel konzipiert Sprache als eine tätige, welterzeugende Rede. Diese wird bei Philon (der hier als Bezugspunkt dient) als logos prophorikos charakterisiert. Vgl. dazu Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 56f.; 95. 51 So zeigt sich z.B. im Religionskapitel die Bedeutung überlieferter Werke als verloren. Vgl. zu Sprache als Dasein des Geistes sowie zum Zeichencharakter der Sprache auch Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 124–27. Simon unterstreicht das Paradox, dass Sprache gerade dann am besten funktioniert, wenn sie gar nicht bemerkt wird. Weil Sprache für Simon letztlich

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SPRACHE, BILDUNG UND ENTFREMDUNG

Allerdings ist die Bezeichnung »Selbst« hier durchaus auch auf die Sprache zu beziehen: Sprache zeichnet sich gegenüber anderen Daseinsformen insofern aus, als sie selbst ein Selbst ist. Damit ist gemeint, dass Sprache bereits ein in sich unterschiedenes und auf sich selbst bezogenes systemisches Gebilde ist. Sprache ist nicht nur selbstbezüglich, weil wir, auch wenn wir über Sprache reden (so wie Hegel hier), notwendigerweise immer in der Sprache reden; Sprache enthält außerdem die Unterscheidung, um die es in Hegels Philosophie im Wesentlichen geht, die Unterscheidung von Denken und Sein, und zwar weil Sprache notwendigerweise einen sinnlichen und einen geistigen Aspekt hat. Es ist diese Differenz, der absolute Unterschied von Bedeutung und Träger, die es ermöglicht, dass Sprache nicht nur auf sich selbst diskursiv referieren kann, sondern ebenfalls auf sich selbst zeigen bzw. sich selbst als Sprache inszenieren kann, indem nämlich die Verhältnisse von Bedeutung und Träger in vielfacher Weise umgewichtet werden können.52 Zunächst ist es für Hegel aber relevant, dass wir im physischen Kontakt mit dem Träger auch unmittelbar in Kontakt mit etwas ganz anderem sind, nämlich der Bedeutung. Den Umstand, dass das einzelne Ich in der Sprache unmittelbar in die Einheit mit anderen übergeht und dadurch allgemeines Selbstbewusstsein wird, bezeichnet Hegel als Ansteckung.53 Damit meint er eine Mitteilung, die weder bemerkt wird noch umgangen werden kann (Hegel versteht Kommunikation also als viral). Der Begriff der Ansteckung betont, wie das Physische das Geistige unweigerlich affiziert: Der Geist wird durch ein körperliches Ereignis infiziert, ohne sich dagegen wehren zu können. Dabei spielt Hegel mit der Differenz des Lautes [ɪç] und seiner Bedeutung: Seine Wendung »ich, das sich ausspricht, ist vernommen« verweist darauf, dass unmittelbar in dem akustischen Ereignis auch ein geistiges Ereignis der Übertragung liegt, wobei der Begriff der Ansteckung dieses Übertragungsmoment einfriert und als solches heraushebt. Ansteckung ist ein liminaler Zustand, der Moment des Überspringens.54 Zeichen ist, ist sie ein »unbemerktes Werkzeug« und ihr Wesen aber gerade durch dieses reibungslose Funktionieren immer verstellt (ebd., 127). 52 Zur Selbstbezüglichkeit der Sprache vgl. Hyppolite, Logic and Existence, 44. Diese Selbstbezüglichkeit kann man auch unter dem hegelschen Begriff der Negation fassen: In der Sprache negieren sich das Sinnliche und das Geistige jeweils selbst. 53 Vgl. auch PhG, 402f., 518 54 So schreibt Erika Fischer-Lichte: »Es ist der Vorgang der Ansteckung, der auf dem Wege über die Wahrnehmung die am Körper des Schauspielers wahrgenommenen Empfindungen auf den Körper des Zuschauers überträgt und so die Wirkung der Aufführung ermöglicht. Der Ausdruck ›Ansteckung‹ bezeichnet einen nachgerade ›klassischen‹ liminalen Zustand, einen Zustand des Zwischen, den Übergang von der Gesundheit zur Krankheit.

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SPRACHE UND GEIST

Hegel überlagert also zwei Momente der Sprache: Einerseits verhallt der Sprachlaut, das daseiende, physische Moment der Sprache. Andererseits verhallt darin auch das spezifische Dasein des einzelnen Ich, also dieses Ich. Indem das einzelne Ich aber wie der Sprachlaut verschwindet, erhält es sich als Allgemeines. Die Erfahrung der Sprache ist also eine des Verschwindens des einzelnen Ich als einzelnes und damit eine Erfahrung des Allgemeinen. Sprache verallgemeinert prinzipiell. Dabei scheint das Verhältnis von Besonderheit und Allgemeinheit des Ich um den mittleren Gedankenstrich des Paragraphen zu kippen. Der Paragraph enthält drei Gedankenstriche; der erste und der dritte folgen auf einen Punkt und dienen der Gliederung des Paragraphen, wobei der erste den Beginn einer ausführlichen Erläuterung ankündigt und der letzte eine Art Fazit. Der mittlere Gedankenstrich steht dagegen in der Mitte eines Satzes: »Ich ist dieses Ich – aber ebenso allgemeines;« die erste Hälfte beschreibt, wie das Ich selbst in der Sprache zum Ausdruck kommt und inwiefern der sprachliche Ausdruck dem Selbst angemessener ist als andere Ausdrucksweisen. Die zweite Hälfte beschreibt, wie es damit unweigerlich zum Allgemeinen wird. Die Ansteckung geht dabei in beide Richtungen: In dem Moment, wo das Individuum sich sprachlich affirmieren will, verliert es unweigerlich seine spezifische Individualität; zugleich wird es aber auf die Allgemeinheit übertragen.55 Der Unterschied von Selbst und Ich wird aus Hegels Text nicht ganz klar. Ich lese »Selbst« als logische Funktion einer Selbstreflexion, einer Bezugnahme von etwas auf sich selbst, während »Ich« sich im engeren Sinne auf das menschliche Selbst bezieht. »Ich« hat deshalb die logische Form »Selbst«, womit aber nicht gesagt sein muss, dass das menschliche Ich die einzige Instanz eines solchen Selbstbezugs sein muss.56 Ähnlich Mit der ›Gefühlsansteckung‹ beweisen die Aufführungen ihre transformatorische Kraft.« Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, 335. Der Begriff der Ansteckung kommt aus dem Kontext der Theater-Theorie. Er bezeichnet Transformation (ebd., 55); Ansteckung erfolgt auf dem Weg der »Ko-Präsenz« der Körper von Schauspieler:innen und Zuschauer:innen (ebd., 162). Vgl. außerdem Pfister, »Aufklärung als Ansteckung. Zu einer Passage in Hegels Phänomenologie des Geistes«, 267f. 55 Diese Form des Übergangs von Individualität und Allgemeinheit hat Hegel bereits in der sinnlichen Gewissheit beschrieben, sowie später z.B. in der Gegenüberstellung von Tugend und Weltlauf, die ebenfalls schon durch den Begriff ihrer Differenz in einander übergehen. Er spricht daher auch von einer wechselseitigen Durchdringung. Catherine Malabou schreibt: »At the very moment when subjectivity affirms itself as the ground of certainty, when it acquires its full autonomy and freedom, it alienates itself. The ›I = I‹ finds itself deprived of its own content.« Malabou, The Future of Hegel, 111. 56 Vgl. auch JS3, 171–75 (= GW8, 185–90). Zum Verhältnis von Mensch und formaler Selbst-Relation schreibt Jean Hyppolite: »Man is consciousness

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SPRACHE, BILDUNG UND ENTFREMDUNG

wie bereits die Erfahrung der sinnlichen Gewissheit, weist diese Passage darauf hin, dass »Ich« eine sprachliche Aussagefunktion ist und nicht auf eine Substanz oder einen Seinsgrund referiert, der tief in uns verborgen ist. »Ich« als Subjekt ist vor seiner sprachlichen Artikulation »nur antizipiert«, wie man in Anlehnung an eine Stelle aus der Vorrede sagen kann.57 Jean Hyppolite hat darauf hingewiesen, dass Sprache, obwohl wir durchaus sagen können, dass wir uns und unsere Gedanken in ihr ausdrücken, diesem Ausdruck immer schon vorausgeht und damit buchstäblich vor dem Denken steht. Weder »ich« noch »meine Gedanken« existieren in irgendeiner Weise, bevor sie sich sprachlich, und damit sinnlich, artikuliert haben.58 Damit wird hier die kognitive Funktion der Sprache unterstrichen und zugleich an die kommunikative geknüpft. Im Sprechakt zeichnet Hegel die Bewegung eines Chiasmus des Einzelnen, das allgemein wird, und des Allgemeinen, das sich besondert, nach (und wir erinnern uns, dass Hegels Entwicklung des Bedeutungsspektrums von »Entäußerung« im Verlauf der Phänomenologie selbst Merkmale eines Chiasmus aufweist59). Das Allgemeine ist nur unter Voraussetzung seiner Besonderung verfügbar. Insofern and self-consciousness, while at the same time natural Dasein, but consciousness and self-consciousness are not man.« Hyppolite, Logic and Existence, 20. Vgl. auch PhG, 541 und 546 zum Unterschied von Person und Selbst, 552 zum Selbstverhältnis von Geist und Bewusstsein sowie Pöggeler, Hegels Kritik der Romantik, 39. 57 PhG, 27; an dieser Stelle der Vorrede bezieht sich Hegel auf »das Absolute Subjekt«. 58 Vgl. Hyppolite, Logic and Existence, 43, 31–33. Hyppolite macht darauf aufmerksam, dass Sprache dem Denken deshalb in einem präzisen Sinne vor-gestellt ist: Sie steht buchstäblich vor dem Denken, insofern es kein vorsprachliches Denken gibt. Ferner stellt sie das Denken vor sich selbst, so dass es sich aus einer Fremdperspektive beobachten kann, und schließlich ist unser Bewegen im Bereich der Vorstellung noch nicht im strengen Sinne Denken. Für unsere Untersuchung hat das noch eine weitere Relevanz, die Hyppolite ebenfalls hervorhebt (ebd., 46f.): Es gibt keinen »nackten Sinn«. Deshalb ist es im strengen Sinne auch nicht so, dass es einen nackten Gedanken gibt, den man in verschiedene sprachliche Kostüme stecken kann. Der Sinn variiert mit den verschiedenen sprachlichen Ausdrucksweisen. Das Bedürfnis, hier eine eindeutige Bestimmung zu erreichen, die diese Sinn-Variation stillstellt, ist das des Verstandes. Das heißt aber nicht, dass keine progressive Fortbestimmung eines Gegenstandes möglich ist; dabei müssen wir nur beachten, dass dieser Gegenstand, z.B. wir selbst oder auch »der Geist«, dabei tatsächlich anders wird: »Self-expression makes progress because, across the expressed content (what was there earlier), sense announces itself and states itself in a universal way.« 59 Vgl. dazu den Abschnitt über Hegels Sprache.

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SPRACHE UND GEIST

deutet sich in der Beschreibung der Sprache an, wie Entäußerung und Erinnerung für Hegel gleich sind. Geistige Gehalte differenzieren sich also in der sinnlichen Ebene. Die Einheit dieser Entwicklungen hat Hegel in der Ästhetik anhand der Doppelbedeutung des Wortes Sinn bemerkt: »Sinn« nämlich ist dies wunderbare Wort, welches selber in zwei entgegengesetzten Bedeutungen gebraucht wird. Einmal bezeichnet es die Organe der unmittelbaren Auffassung, das andere Mal aber heißen wir Sinn: die Bedeutung, den Gedanken, das Allgemeine der Sache. Und so bezieht sich der Sinn einerseits auf das unmittelbar Äußerliche der Exis­tenz, andererseits auf das innere Wesen derselben. Eine sinnvolle Betrachtung nun scheidet die beiden Seiten nicht etwa, sondern in der einen Richtung enthält sie auch die entgegengesetzte und fasst im sinnlichen unmittelbaren Anschauen zugleich das Wesen und den Begriff auf.60

Gerade dadurch, dass sich die erst nur antizipierten geistigen Gehalte sinnlich artikulieren, werden sie auch geistig wirklich verfügbar und wiederholbar. Dasjenige, was medial externalisiert ist, wird auf diese Weise der Erinnerung zugänglich. Daher steht jeder Sprechakt und jedes Sprachverstehen in zwei Ebenen: der sinnlichen, auf der die Signifikanten zeitlich linear aufeinander folgen und verhallen (oder weggeblättert werden) und der Sinn- oder Bedeutungsebene, die in überzeitlichen Einheiten funktioniert (man kann hinzufügen, dass Hegel den Aspekt der Tilgung der Zeit noch auf einer anderen Ebene berücksichtigt, nämlich indem er diese phänomenologische Beschreibung der Sprache aus der narrativen Entwicklung des Kapitels abhebt; er tut das, indem er hier eine tiefere bzw. kleinere Ebene fokussiert und von der sozialen Welt des Dienstes und der Staatsmacht in den Bereich eines gesprochenen Wortes, eines Lautes mit Bedeutung überwechselt; während dieser Detaileinstellung wird die zeitliche, narrative Entwicklung des Kapitels angehalten).61 60 TWA13, 173. Vgl. dazu auch den Abschnitt über das Kunstwerk als »für den Sinn des Menschen dem Sinnlichen entnommen« (ebd., 52–64, v.a. 57 zum da sein und 60f. zu Schein, Oberfläche, Mitte und Versinnlichung). Im zweiten Band der Ästhetik thematisiert Hegel die Sprache als Mit-Teilung des Geistes in der Materie; vgl. TWA14, 351f. sowie zum gleichen Thema Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 152f.; 118. 61 Das Verhältnis der zeitlich ausgedehnten sinnlichen Ebene und der überzeitlichen bzw. »zeitlosen« Sinnebene in Hegels Beschreibung der Sprache in unserer Passage hat Christian Martin beschrieben. Er betont dabei die Relevanz des geistigen Verhallens der Zeichen (das z.B. auch beim Lesen stattfindet): »Entscheidend ist, dass sich im Zuge der Artikulation semantischem Gehalt [sic] zwei ihrer Verlaufsform nach entgegengesetzte Vorgänge verschränken – derjenige des geistigen Verhallens einzelner, sinnlicher Zeichen und derjenige des Vernehmens allgemeinen, zeitlosen Sinns.« Martin,

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SPRACHE, BILDUNG UND ENTFREMDUNG

Sofort nachdem Sprache als das Moment eingeführt wurde, in dem das reine Selbst als solches zum Ausdruck kommt, kippt dieses Verhältnis im nächsten Absatz ins Gegenteil und die Vermittlung erscheint als »entfremdend«. Dadurch wird die Sprache selbst als Mitte gegenständlich.62 Sprache ist als szenische Einheit eine Form des Selbstverhältnis des Geistes. Zugleich haben aber die an Sprache beteiligten Momente eine »eigene Wirklichkeit« und können deshalb auch auseinanderfallen. Die Einheit der Sprache »zersetzt« sich in »spröde Seiten« bzw. »Ex­treme«, zwischen denen dann die Sprache als Mitte eine gegenständliche Existenz erhält.63 Deshalb kann man hier kein lineares Begründungsverhältnis aufbauen. Das Verhältnis von Sprache und Geist ist vielmehr eine »logische Kreisstruktur«: Der Geist ist einerseits (als Sprache) Mitte zwischen zwei Extremen, andererseits aber auch deren Einheit.64 Entsprechend wird auch Geist erst in seiner Entäußerung in der Sprache konstituiert – dann aber als etwas, das nicht auf das Geäußerte reduziert werden kann.65 Wie können wir die logische Kreisstruktur genauer verstehen? Geist tritt hier in Form von Sprache »als Geistigkeit in das Dasein«66 und erhält so eine wirkliche Existenz. Dass der Geist sich entfremdet, bedeutet einerseits, dass Geist überhaupt nur in einer äußeren, irgendwie materiellen Form, nämlich als Sprache vorliegt und demnach als Untersuchungsgegenstand objektiv begreifbar wird. Geist hat hier die Erscheinungsform »Sprache«. Andererseits konzipiert Hegel dieses Entwicklungsstadium des Geistes so, dass Sprache als die Form, in die der Geist sich entfremdet, auch dem subjektiven Geist, also dem individuellen Bewusstsein, als Medium der »Semantische Bestimmtheit«, 69. Zur Wiederholbarkeit vgl. Brandom, A Spirit of Trust, 509f. Zur Erinnerung vgl. Hyppolite, Logic and Existence, 28f. 62 PhG, 377 63 Indem die Sprache als Mitte zwischen zwei Extremen erscheint, trennt sie diese beiden in eine private und eine öffentliche Seite (ein privates Fürsichsein und ein öffentliches Ansichsein; PhG, 377). Hegel spricht am Ende des Kapitels von »selbstlosen Extremen« (PhG, 386). Diese Extreme haben also scheinbar kein eigenes Selbst; das ist für die vorliegende Passage vor allem wichtig, weil es auf ihre eingeschränkte Gültigkeit verweist. 64 Vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 93. 65 Dieses Moment der notwendigen Artikulation fasst Hegel auch mit dem Begriff des »Erhaltens«, dessen Bedeutung zwischen gleich bleiben (beibehalten, bewahren) und etwas neu erhalten (im Sinne von gewinnen) changiert; vgl. PhG, 376f.: »Der Geist erhält hier diese Wirklichkeit, weil die Extreme, deren Einheit er ist, ebenso unmittelbar die Bestimmung haben, für sich eigene Wirklichkeiten zu sein.« Vgl. dazu auch Malabou, Before Tomorrow, 26f. 66 PhG, 377

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SPRACHE UND GEIST

Entfremdung dient. Individuen, Gemeinschaft und ihre Relation sind daher wechselseitig ko-konstitutiv. Damit entsteht ein definitorisches Problem, wie Theodor Bodammer bereits gesehen hat: Die Sprache ist zwar die Voraussetzung für die Möglichkeit einer Vermittlung überhaupt, setzt aber als Mitte umgekehrt die sich vermittelnden Wesen, für die sie allein ›Mitte‹ sein kann, ebenfalls voraus. [...] Sprache ermöglicht allererst Sozialität unter den Individuen; andererseits ist sie aber auch immer bereits Ausdruck dieser Sozialität.67

Sprache und Sozialität bilden keine Hierarchie, sondern bestimmen sich wechselseitig. Der Geist ist aber nicht nur Mitte, sondern auch das Ganze. Er ist so [als Dasein, also als Sprache; S.W.] die Mitte, welche jene Extreme voraussetzt und durch ihr Dasein erzeugt wird, – aber ebenso das zwischen ihnen hervorbrechende Ganze, das sich in sie entzweit und jedes erst durch diese Berührung zum Ganzen in seinem Prinzip erzeugt.68

Geist hat also einmal die Funktion als Mitte und insofern ist er hier Sprache. Außerdem ist aber diese ganze Konstellation ein Entwicklungsstadium des Geistes insofern der Geist eine bestimmte Sozialität, also eine Kultur oder Welt ist.69 Dieses Ganze bricht zwischen den einzelnen Elementen der Relation Individuum-Sprache-Gemeinschaft hervor. Jedes Element der Relation wird erst durch diese Berührung (damit greift Hegel den Topos der Ansteckung wieder auf), also durch die Relation selbst, zum Ganzen in seinem Prinzip erzeugt. Wir verstehen die Elemente der Relation nicht außerhalb der Relation, sondern durch das Ganze (das deshalb immer in unsere konzeptuelle Arbeit einbricht). Dieses definitorische Problem besteht nicht nur für die Sprache als Mitte der Beziehung, sondern gleichermaßen für die beiden Extreme, also für Individuum und Gemeinschaft. Auch der Begriff des Individuums und der Begriff der allgemeinen (Staats-)Macht sind noch nicht entwickelt, sondern werden gerade erst konzeptuell angereichert, indem Hegel sie in diesem Kapitel trennt und als solche definiert, die ihre Beziehung zueinander explizit thematisieren und aushandeln (dabei wird sich zeigen, dass diese Wesen auch gar keine stabile eigene Existenz haben, sondern tatsächlich nur transitorische Phänomene sind). Am Beispiel der Sprache zeigt sich hier also die Verwobenheit von Individuen und ihrer Gemeinschaft. Beide sind konzeptuell gerade durch ihr Verhältnis zueinander bestimmt, daher kann keiner der 67 Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 93. Vgl. ebd., 96: »Die Sprache gibt [...] nicht nur dem einzelnen Selbstbewusstsein unmittelbar ›Allgemeinheit‹, sondern sie verleiht ebenso auch dem Geist ›Besonderheit‹.« 68 PhG, 377 69 Vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 95.

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SPRACHE, BILDUNG UND ENTFREMDUNG

beiden Pole als stabiler Ausgangspunkt einer Untersuchung des jeweils anderen dienen – und das gilt ebenso für die Sprache als Mitte. Robert Brandom hat dieses Problem der logischen Kreisstruktur als das eines starken semantischen Holismus beschrieben: Wenn alle Relata nur aus ihrer Relation einen bestimmten, konkreten Inhalt erhalten, stehen wir vor dem Problem, dass diese Relata selbst völlig unverständlich werden. Hegel scheint uns aufzufordern, sie aus ihrer Relation heraus zu verstehen – wovon aber sind diese Relationen Relationen?70 Holistische Semantik unterstreicht die Relevanz einer fortlaufenden Aktivität des Unterscheidens. Brandoms Lösung besteht im Rückgriff auf ein hermeneutisches Vorverständnis, also dem Unterscheiden verschiedener Verständnisgerade. Ein Prozess der genaueren Bestimmung komplexer Relata kommt erst ins Rollen, wenn wir uns von einer unmittelbaren Unterscheidung oder Definition (einem unqualifizierten Vorverständnis wie etwa das Bewusstsein von der Bildung hat) abstoßen können. Der Prozess der Bestimmung besteht dann genau darin, dass wir uns durch die verschiedenen Ebenen (Feinheitsgrade) unserer begrifflichen Unterscheidungen bewegen und verschiedene Stufen von Bestimmungen durchlaufen.71 In diesem Ansatz finden wir das Modell einer Erkenntnis, die nicht auf reduktiven Erklärungen beruht, was Brandom hervorhebt. Das holistische Bedeutungsmodell kann nicht aus sich heraus, sondern nur mit Bezug auf ein Vorverständnis verstanden werden. Es ermöglicht ein Ende, aber keinen gesicherten Anfang der Theorieentwicklung: »one must build the holistic roles in stages, starting with something construed as immediate, and then investigating the mediation implicit in taking it [den Anfangspunkt, S.W.] to be immediate.«72 Entsprechend greift Hegel hier auf verschiedene dem Common Sense vertraute Sprechformen zurück und inszeniert deren Scheitern in Form der beiden sich kreuzenden Vermittlungsbewegungen von allgemein zu besonders und von besonders zu allgemein. Dabei können wir sukzessive das Scheitern der endlichen Formen und ihre Einheit zusammenlesen, wenngleich sie das von ihnen angestrebte Vermittlungsverhältnis zwischenzeitlich zu erreichen scheinen (entgegen Brandoms Position folgt daraus aber nicht, dass der Common Sense meistens bereits prinzipiell richtig liegt).

70 So fragt Brandom: »relations between what, exactly?« Vgl. Brandom, Tales of the Mighty Dead, 187. Brandom leitet aus dieser Problematik die Inkohärenz eines starken semantischen Holismus ab, den er Hegel dementsprechend auch nicht zuschreibt. 71 »The process of grasping or understanding holistically identified and individuated items is what Hegel calls ›traversing the moments.‹« Brandom, 202. Die entsprechende Stelle ist PhG, 46. 72 Brandom, 206.

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1.3 Vermittlungsfunktionen und Rhetorik: Dienst und Schmeichelei Zentral für die Entwicklung des Bildungskapitels sind Beschreibungen von Austauschbewegungen, also von Übergängen zwischen Besonderem und Allgemeinem.73 Hegels Beispiele sind Dienst und Sprache, die er beide als Formen des Opfers beschreibt. Daraus ergibt sich eine Folge dreier spezifischer Funktionen der Vermittlung: der Heroismus des (stummen) Dienstes,74 der verbale, beratende Dienst75 und die Sprache der Schmeichelei.76 Diese Modi der Vermittlung unterscheiden sich danach, in welche Relation sie Einzelne zur (allgemeinen) Gesellschaft stellen. Sie qualifizieren Gesagtes in Form von übergeordneten semantischen Organisationsformen.77 Dienst ist eine Form, die einzelne Existenz zugunsten des Allgemeinen (hier der Staatsmacht) aufzuopfern. Dieses Opfer ist aber nur »vollkommen« (und damit heroisch), wenn es bis in den Tod des dienenden Subjekts führt; Hegel hat hier den Dienst auf dem Schlachtfeld vor Augen. Während dieser vollkommene Dienst zugleich die Möglichkeit weiteren Dienens beendet, birgt ein Überleben des dienenden Subjekts ein anderes Problem: In diesem Fall bleibt ein »bestimmtes Dasein und damit ein besonderes Fürsichsein übrig, welches den Rat fürs allgemeine Beste zweideutig und verdächtig macht und sich in der Tat die eigene Meinung und den besonderne Willen gegen die Staatsgewalt vorbehält.«78 Der spezifisch moderne (post-heroische) Dienst nimmt die Form einer Beratungstätigkeit an, funktioniert also sprachlich. Das Problem auf das Hegel hinweist, ist dass die Berater:innen im Rahmen ihres Dienstes möglicherweise eigene Absichten verfolgen, die sie in ihrem Rat über das allgemeine Beste verbergen. Ist ein solcher Fall gegeben, scheitert die kommunikative Vermittlung von Einzelnem und Allgemeinem. Im vorangegangenen Abschnitt haben wir Hegels Passage über den gelingenden Sprechakt interpretiert, in dem sich ein Subjekt durch die Sprache vollständig verallgemeinert und damit eine »Aufopferung des 73 Vgl. Hyppolite, Genesis and Structure, 402–17. 74 PhG, 373; der Begriff des »Heroismus« kann vor dem Hintergrund verstanden werden, dass die Heroen der griechischen Antike erst durch ihre Arbeit zu Göttern wurden. Er beschreibt also die Form einer Übersetzung der besonderen Existenz ins Universelle; vgl. Wohlfart, Der spekulative Satz, 146. 75 PhG, 375 76 PhG, 378, 380 77 Diese Vermittlungsfunktionen kann man als illokutionäre Kräfte verstehen. Neben den hier besprochenen werden etwa im Gewissenskapitel das Geständnis und die Heuchelei analysiert. Wiederum komplexere Formen sind die im Religionskapitel behandelten (ästhetischen) Gattungen: Orakelbefragung, Hymne, Epos, Tragödie und Komödie. 78 PhG, 375

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Fürsichseins« vollzieht, die »so vollkommen als im Tode« ist79. Diese Passage wird durch eine Entwicklung gescheiterter Kommunikation gerahmt. Die Gefahr des Scheiterns liegt im Wesentlichen darin begründet, dass die Verbindung von sprachlicher Bedeutung und ihrem sinnlichen Träger lose ist (wie wir ebenfalls im vorangegangenen Abschnitt gesehen haben). Es ist daher nicht immer klar, was Sprecher:innen, die Aussagen tätigen, mit diesen Aussagen sagen wollen, sondern die Sprache kann »zweideutig« sein: Gerade wenn Sprecher:innen vorgeben, nur das »allgemeine Beste« zu raten, machen sie sich damit »verdächtig«, da in ihrem Rat nicht klar wird, in welcher Weise dieser allgemeine Rat mit ihren bestimmten persönlichen Interessen verknüpft ist – ob der Rat ehrlich gemeint ist oder nicht.80 Diese Gefahr wird im Bildungskapitel zusätzlich dadurch unterstrichen, dass der Kontext der Argumentation die höfische Gesellschaft ist, also eine Welt von Intrigen, Misstrauen, Inszenierung, Inauthentizität und Rhetorik. Diese soziale Konstellation bringt eine Hermeneutik des Verdachts hervor. Genauer könnte man sagen, dass erst durch die allgemeine Atmosphäre des Verdachts überhaupt eine hermeneutische Situation entsteht: Nur weil die Sprechabsichten zweifelhaft sind, wird überhaupt gefragt, was sich hinter dem Gesagten – in einem »abgeschiedenen Hinterhalt der besonderen Absicht und des Eigenwillens«81 – noch verbergen könnte. Hier zeigt sich, dass Sprache als solche nicht zufällig in einem entfremdeten sozialen Verhältnis relevant wird, also gerade da, wo eigentlich kein gelingendes Miteinander zustande kommt. Dieser Punkt wird anhand der zweiten Vermittlungsfunktion, die Hegel diskutiert, noch deutlicher. Neben dem allgemeinen Rat, der hinter dem Gesagten noch etwas versteckt, existiert als zweite Form der Vermittlung von Einzelnem und Allgemeinem der »Heroismus der Schmeichelei«. Damit meint Hegel ein Sprechen, in dem der:die Sprecher:in tatsächlich jede eigene Absicht aufgibt, wodurch die Sprache aber völlig entleert wird. Die Sprache der Schmeichelei richtet sich an den »unumschränkte[n] Monarch«; sie »reflektiert« die Machtverhältnisse, die die Sprechsituation bestimmen und die Positionen, die die Beteiligten darin einnehmen.82 Diese Konstellation scheitert nicht an den geheimem Absichten der Sprechenden, sondern an der Übermacht des Angeredeten. Aufgrund seiner unumschränkten Macht können die untertänigen Subjekte dem Monarchen nur »sagen, was er ist«; sie können also nur seine 79 PhG, 375 80 PhG, 375 81 PhG, 375. Dadurch wird noch einmal unterstrichen, dass es sich in der im vorangegangenen Abschnitt besprochenen Passage um einen Idealfall handelt. 82 PhG, 378

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unumschränkte Macht bestätigen, ihm aber nicht im eigentlichen Sinne etwas Mitteilen. Es findet demnach faktisch gar keine Kommunikation statt und die sprechend dienenden Subjekte erfüllen nur die Funktion von »Zierrate[n]« während sich die gesamte Macht im Namen des Monarchen reflektiert, der in Folge dieser Unerreichbarkeit zu einem von allen isolierten »Atom« wird.83 Entscheidend für beide Vermittlungsfunktionen ist, dass »die Sprache« als vorliegendes (grammatisches) System gar nicht dafür verantwortlich gemacht werden kann, ob sie nun unmittelbar vermittelt, täuscht oder leer ist. Das hängt wesentlich von der Einstellung der Sprecher:innen ab. Dadurch wird an dieser Stelle aber auch klar, dass die Möglichkeit des rein rhetorisch Verkleidenden wesentlich zur Sprache gehört.84 Ein umfassenderes Verständnis schließt daher die Reflexion der Sprechsituationen in den Begriff der Sprache ein. Diese Reflexion wird im Bildungskapitel in der Diskussion der »Sprache der Zerrissenheit« weitergeführt. 1.4 Die Sprache der Zerrissenheit und das unendliche Urteil Die Sprache der Zerrissenheit artikuliert ein zentrales Resultat des Bildungskapitels, nämlich dass die absolute Zerrissenheit des Selbsts wesentlich zu dessen Einheit gehört. Wie im Schädellehre-Kapitel, läuft die Entwicklung auch hier in eine Diskrepanz von Bedeutung und Träger, in eine »geistverlassene Oberfläche«.85 Diese ist nicht mehr der tote Schädel, sondern die gesamte »Persönlichkeit«.86 Hinter oder unter dieser 83 PhG, 379 84 Daraus ergibt sich der Verdacht des »Verstandes«, dass Sprache kon­stitutiv täuschend sei und man daher den Gedanken prinzipiell von seiner Verkleidung lösen sollte. Diese Täuschung wird häufig dem physischen der Sprache, also ihrem »Leib«, dem Buchstaben angelastet. Dieser gibt vor, das Gute und Wahre zu wollen, aber der Geist und die Seele der Rede lösen das nicht ein; vgl. Strowick, Sprechende Körper, Poetik der Ansteckung, 71. Über die problematische Vorstellung eines »nackten Gedanken« schreibt Jean Hyppolite: »When the understanding claims […] to strip a problem of its language, it is already the dupe of an illusion; it inevitably leads us to ask this question: What would the problem be without the clothing of its language? There is, however, no naked problem when the issue is philosophical problems; it is impossible to pose Plato’s problems differently without changing them radically, without posing different problems. The progress of thought is parallel to the progress of its expression; the one is strictly unified with the other.« Hyppolite, Logic and Existence, 46f. 85 PhG, 384 86 PhG, 385

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Oberfläche liegt (aus der Perspektive der Betrachter:innen) das Selbstbewusstsein, dessen Sprache die »Sprache der Zerrissenheit« ist. Dieses Selbstbewusstsein ist die Verkörperung eines logischen Verhältnisses, das einen wichtigen Schritt über das unendliche Urteil der Schädellehre hinaus bedeutet: Während die Schädellehre ein negativ-unendliches Urteil artikuliert, in dem Subjekt und Prädikat keine Gemeinsamkeiten haben, ist das zerrissene Selbstbewusstsein der Bildung ein Urteil, das zugleich unendlich und identisch ist: Die Sprache der Zerrissenheit aber ist die vollkommene Sprache und der wahre existierende Geist dieser ganzen Welt der Bildung. Dies Selbstbewusstsein, dem die seine Verworfenheit verwerfende Empörung zukommt, ist unmittelbar die absolute Sichselbstgleichheit in der absoluten Zerrissenheit, die reine Vermittlung des reinen Selbstbewusstseins mit sich selbst. Es ist die Gleichheit des identischen Urteils, worin eine und dieselbe Persönlichkeit sowohl Subjekt als Prädikat ist. Aber dies identische Urteil ist zugleich das unendliche; denn diese Persönlichkeit ist absolut entzweit, und Subjekt und Prädikat [sind] schlechthin gleichgültige Seiende, die einander nichts angehen, ohne notwendige Einheit, sogar dass jedes die Macht einer eigenen Persönlichkeit ist.87

In der absoluten Zerrissenheit zeigt sich unmittelbare Selbstidentität. Die Zerrissenheit wird damit als logisches Verhältnis relevant. Entscheidend sind nicht die Urteile, die in der Welt der Bildung gefällt werden, sondern dass am Ende der Entwicklung dieser Welt das Selbstbewusstsein, das ihre Parameter maximal bündelt und auf sich vereint, der Form nach der Zerrissenheit des identischen Urteils entspricht. Die Entwicklung wurde bisher in einem affektiven Register beschrieben; hier sehen wir, dass die affektive Ebene der logischen entspricht.88 Die Sprache der Zerrissenheit ist der Ausdruck eines Selbstbewusstseins, dessen Einheit in der Zerrissenheit mit derjenigen des unendlichen Urteils identisch ist. Dieses Selbstbewusstsein exemplifiziert also die logische Form des unendlichen Urteils.89 87 PhG, 384f. 88 Zu Hegels Engführung von affektiver und logisch-modaler Dimension der Existenz vgl. Comay, »Hegel: Non-Metaphysical, Post-Metaphysical, PostTraumatic (Response to Lumsden, Redding, Sinnerbrink)«. 89 Vgl. Wohlfart, Der spekulative Satz, 309. Zum unendlichen Urteil vgl. ebenfalls Ruda, »What Is To Be Judged? On Infinitely Infinite Judgments and Their Consequences«. Hegels Beispiel für das unendliche Urteil in der Logik ist das Verbrechen; auch dort gibt es also eine Handlung, die ein unendliches Urteil ist, wie im Bildungskapitel die Sprache der Zerrissenheit das unendliche Urteil nicht ausspricht, sondern zu einem Selbstbewusstsein gehört, das ein unendliches Urteil ist. Wohlfart führt Hegels Beispiel des Todes aus der Enzyklopädie (§ 173z) an. Beide Beispiele sind für das Verständnis des Bildungskapitels sehr relevant: das Verbrechen, negiert, zerreißt die

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Unendliche Urteile unterstreichen die prinzipielle Begrenztheit eines einzelnen Urteils, da sie auf die Diskrepanz von Subjekt und Prädikat verweisen: Die Identität, die im Urteil ausgesagt wird, ist entweder zu groß oder zu gering. Zugleich finden sich aber außerhalb von Urteilen gar keine Bestimmungen. Das Bewusstsein der Welt des sich entfremdeten Geistes glaubt, dass das Urteilssubjekt ein festes Substrat ausmacht. Dieses geht ihm aber in der Bewegung des Urteils, die das Subjekt durch das Prädikat bestimmt, verloren. Darin zeigt sich, dass das Subjekt zunächst nur ein Name war, der für sich gar nichts bedeutet. Insofern steht das unendliche Urteil in Zusammenhang mit dem Namen. Der Name ist nur der leere Anfang eines Urteilsprozesses und diese Leerheit der Namen wird in der Welt des sich entfremdeten Geistes entdeckt. Dass etwas einen Namen hat, verweist auf seinen Subjektcharakter (im prädikativen Sinn). Namen bezeichnen etwas, das für sich selbständig und »in sich reflektiert«, also eben als Subjekt besteht. Im Urteil ist dies aber nur antizipiert.90 Das Urteil antizipiert ein Subjekt, von dem etwas prädiziert gesellschaftliche Ordnung, während der Tod Leib und Seele auseinanderreißt. Dabei ist der Tod genau das Moment, als dessen Platzhalter die Sprache hier auftritt. Vgl. WL2, 325: »Das Verbrechen aber ist [meine Hervorhebung, S.W.] das unendliche Urteil, welches nicht nur das besondere Recht, sondern die allgemeine Sphäre zugleich negiert, das Recht als Recht negiert. Es hat zwar die Richtigkeit damit, dass es eine wirkliche Handlung ist, aber weil sie sich auf die Sittlichkeit, welche ihre allgemeine Sphäre ausmacht, durchaus negativ bezieht, ist sie widersinnig.« Vgl. ebenfalls Enz. § 173z (TWA8, 325): »Ebenso ist [meine Hervorhebung, S.W.] dann auch der Tod ein negativ-unendliches Urteil, im Unterschied von der Krankheit, welche ein einfach-negatives Urteil ist. In der Krankheit ist bloß diese oder jene besondere Lebensfunktion gehemmt oder negiert, wohingegen im Tode, wie man zu sagen pflegt, Leib und Seele sich scheiden, d. h. Subjekt und Prädikat gänzlich auseinanderfallen.« 90 Vgl. dazu PhG, 388 sowie die Vorrede der Phänomenologie (PhG, 26f.): »Das Bedürfnis, das Absolute als Subjekt vorzustellen, bediente sich der Sätze: Gott ist das Ewige, oder die moralische Weltordnung, oder die Liebe usf. In solchen Sätzen ist das Wahre nur geradezu als Subjekt gesetzt, nicht aber als die Bewegung des sich in sich selbst Reflektierens dargestellt. Es wird in einem Satze der Art mit dem Worte ›Gott‹ angefangen. Dies für sich ist ein sinnloser Laut, ein bloßer Name; erst das Prädikat sagt, was er ist, ist seine Erfüllung und Bedeutung; der leere Anfang wird nur in diesem Ende ein wirkliches Wissen. Insofern ist nicht abzusehen, warum nicht vom Ewigen, der moralischen Weltordnung usf. oder, wie die Alten taten, von reinen Begriffen, dem Sein, dem Einen usf., von dem, was die Bedeutung ist, allein gesprochen wird, ohne den sinnlosen Laut noch hinzuzufügen. Aber durch dies Wort wird eben bezeichnet, dass nicht ein Sein oder Wesen oder Allgemeines überhaupt, sondern ein in sich Reflektiertes, ein Subjekt gesetzt ist. Allein zugleich ist dies nur antizipiert. Das Subjekt ist als fester Punkt

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werden kann, aber diese Antizipation wird erst in der faktischen Prädikation erfüllt (wie die im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen Vermittlungsfunktionen soll das Urteil also ein Besonderes mit einem Allgemeinen verbinden). Dem Urteil gehört also eine grundlegende Leerheit an und daher sind die Bestimmungen der Urteile wesentlich solche, die sich von selbst wieder auflösen bzw. in Widersprüche verkehren, weil das, worüber sie urteilen, keine festen Wesenheiten sind. Dem zerrissenen Bewusstsein entspricht eine Sprache, die die Struktur dieser Verkehrung verinnerlicht hat: Die Sprache der Zerrissenheit bringt die Gedanken zusammen; da sie gleichermaßen die konstitutive Beschränktheit der Bestimmungen im Urteil und die Unmöglichkeit, sich aus der Urteilspraxis herauszuziehen, erkennt, ist sie Hegel zufolge »geistreich«: Das ehrliche Bewusstsein nimmt jedes Moment als eine bleibende Wesenheit und ist die ungebildete Gedankenlosigkeit, nicht zu wissen, dass es ebenso das Verkehrte tut. Das zerrissene Bewusstsein aber ist das Bewusstsein der Verkehrung, und zwar der absoluten Verkehrung; der Begriff ist das Herrschende in ihm, der die Gedanken zusammenbringt, welche der Ehrlichkeit weit auseinanderliegen, und dessen Sprache daher geistreich ist. Der Inhalt der Rede des Geistes von und über sich selbst ist also die Verkehrung aller Begriffe und Realitäten, der allgemeine Betrug seiner selbst und der anderen; und die Schamlosigkeit, diesen Betrug zu sagen, ist eben darum die größte Wahrheit.91

Hegel inszeniert das logische Resultat des Kapitels anhand einer literarischen Quelle, Diderots Dialog Rameaus Neffe. Der titelgebende Neffe ist eine Art Bohemian, der seinem philosophischen Gesprächspartner berichtet, wie er chamäleonsartig in verschiedene soziale Rollen schlüpft und so die gehobene Gesellschaft ausspielt.92 Die Frage der Bildung geht angenommen, an den als ihren Halt die Prädikate geheftet sind, durch eine Bewegung, die dem von ihm Wissenden angehört und die auch nicht dafür angesehen wird, dem Punkte selbst anzugehören; durch sie aber wäre allein der Inhalt als Subjekt dargestellt. In der Art, wie diese Bewegung beschaffen ist, kann sie ihm nicht angehören; aber nach Voraussetzung jenes Punkts kann sie auch nicht anders beschaffen, kann sie nur äußerlich sein. Jene Antizipation, dass das Absolute Subjekt ist, ist daher nicht nur nicht die Wirklichkeit dieses Begriffs, sondern macht sie sogar unmöglich; denn jene setzt ihn als ruhenden Punkt, diese aber ist die Selbstbewegung.« 91 PhG, 386f.; die Hervorhebungen stammen von mir, S.W. 92 In seinem Buch über die literarischen Adaptionen in der Phänomenologie hat Allen Speight Hegels Behandlung von Rameaus Neffe ausführlich rekonstruiert, deren Zusammenhang mit dem unendlichen Urteil jedoch nicht hervorgehoben; vgl. das dritte Kapitel in Speight, Hegel, Literature, and the Problem of Agency.

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damit einher, wie soziale Rollen übernommen werden; das Bildungskapitel der Phänomenologie zeigt, dass das Bewusstsein nur durch Bildung und Entfremdung überhaupt etwas Bestimmtes werden kann; damit wird die Frage nach der Authentizität aufgeworfen: Inwiefern behält oder verliert es sich dabei? Gibt es ein Selbst jenseits der (verfügbaren) sozialen Rollen? Diderots Dialog inszeniert eine Selbstreflexion über die Möglichkeit und Unmöglichkeit einer persönlichen Identität unter der Maske. Damit bewegt sich auch Hegels Kapitel in einem Register der Komödie. Der Neffe Rameaus (bei Diderot »lui«) ist ein virtuoser Performer der sozialen Rollen. Zugleich erkennt er diese als eben solche. Gerade indem er alle gesellschaftlichen Rollen gleichermaßen spielt, ist er aber »immer derselbe«93 und bewegt sich jenseits der Opposition von Theatralik und Authentizität.94 Sein Dialogpartner, der Philosoph (»moi«), nimmt dagegen für sich die Rolle des authentischen Denkers in Anspruch, also desjenigen, der das soziale Theater von außen überblickt. Mit seiner Adaption inszeniert Hegel eine komische Inversion der Situation der Phänomenologie: Er lässt im Text die Konstellation eines Philosophen und eines von ihm untersuchten Bewusstseins auftreten, wobei aber die Rollen verkehrt sind. Der Philosoph hat die Fäden nicht in der Hand; stattdessen ist es der soziale Parasit und Taugenichts Rameau, der seine Situation selbst auf den Punkt bringt, wogegen der Philosoph nur »einsilbig« sein kann.95 Die Pointe dieser Konstellation liegt darin, wie es gelungen ist, die geistreiche Sprache der Zerrissenheit einzufangen: Wie Speight unterstreicht, ist es Diderot, der dieses Verhältnis der Erinnerung zugänglich macht, indem es ihm gelingt, die Sprache der Zerrissenheit zu fassen und darzustellen.96 Um die Darstellung der Welt des sich entfremdeten Geistes hervorzubringen, erfordert es ein:en Erzähler:in, der oder die sich gleichermaßen in der Sprache der Zerrissenheit, wie in der der Einheit bewegen kann. Die Sprache der Zerrissenheit ist daher von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung für die Sprache der Philosophie. 93 Diderot, Rameaus Neffe, 97. 94 Zum Verhältnis von Theatralik und Authentizität vgl. z.B. Pippin, After the Beautiful. 95 Vgl. PhG, 387. In seiner Berliner Zeit behandelt Hegel einige Probleme der dialogischen Form in der Philosophie im Rahmen seiner Rezension zu Solgers nachgelassenen Schriften. Dabei nennt er u.a. Diderot als Beispiel für eine gelungene Umsetzung der Dialogform in der Moderne; vgl. TWA11, 269 sowie 262 und 268–71. Zur Relevanz des Dialogs bei Hegel vgl. auch Speight, Hegel, Literature, and the Problem of Agency, 78. 96 Vgl. PhG, 389f. und 13 sowie Speight, 86f. Speight geht nicht auf die Pa­ rallele zur Vorrede ein, die aber für unsere Untersuchung des Darstellungsproblems entscheidend ist. Karin de Boers Untersuchung über die Rolle von Aristophanes spricht ebenfalls für eine solche Interpretation, vgl. De Boer, »The Eternal Irony of the Community«, 318.

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Der Bezug zu Diderots Dialog verdeutlicht allerdings noch einen weiteren Punkt, nämlich das Verhältnis von Original und Kopie (ein weiteres Verhältnis von Einheit und Unterschied) und zwar anhand des Pro­ blems der Übersetzung. Das Motiv der Übersetzung scheint in Bezug auf den Übergang von einem subjektiv gefühlten »reinen« Selbst zu einem objektiv gegenständlich bestimmten Selbst einen wesentlichen Aspekt einzufangen, nämlich die Frage danach, wie die artikulierte Version der (wie auch immer konzeptualisierbaren) nicht artikulierbaren Version gerecht werden soll.97 Nun unterscheidet sich dieser Vorgang natürlich dadurch von einer gewöhnlichen Übersetzung, dass kein Original vorhanden ist. Hegels Rede von einem sich in seiner Darstellung »erhaltenden«, »reinen« Selbst scheint uns einerseits intuitiv etwas einzufangen, andererseits wird in Hegels Betonung des Verschwindens auch deutlich, dass es dort nie etwas Benennbares gab, was konserviert werden könnte: Das Verschwinden ist das Bleiben. Wir haben also den Prozess des Übergangs eines nicht artikulierten Selbst in eine artikuliertes, den wir als Übersetzung eines nicht identifizierbaren »Originals« beschreiben können (ein Original, das so wenig identifizierbar ist, dass es im Prozess der Übersetzung selbst verschwindet).98 Wie Josef Simon beschrieben hat, ist die Sprache selbst als Übergehen zu begreifen.99 Dieser gesamte Vorgang wird nun seinerseits übersetzt, nämlich in das Vokabular der Erzählung der Selbsterschaffung Gottes, das durch den Begriff der Entäußerung (kenosis) aufgerufen wird, den Hegel mit der Frage der sozialen Repräsentation und Selbstdarstellung des Subjekts und der sprachlichen Artikulation seiner Gedanken verbindet.100 Der Begriff »Entäußerung«, 97 Im Kapitel über das »geistige Tierreich« problematisiert Hegel ein Verständnis des »Tuns« als »reines Übersetzen aus der Form des noch nicht dargestellten in die des dargestellten Seins« (PhG, 296). 98 Dazu schreibt Kristina Mendicino: »If Hegel’s striving is […] also a work of translation, then it is a translation of a text that does not yet exist.« Mendicino, »The Pitfalls of Translating Philosophy: Or, the Languages of G. W. F. Hegel’s Phenomenology of Spirit«, 25. 99 Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 84. 100 So schreibt Catherine Malabou: »Vorstellung, in its economy, unites itself to the movement of kenosis: pure thought is driven out into the space of the empirically given; alienated thought returns to itself. Representation is the process through which individual subjectivity repeats the movements of the divine alienation. To the degree that it posits its object outside itself and thus alienates itself in it, representation is the kenotic ordeal [épreuve] of thought. Its double and agonistic play, its incessant struggle between an inside and an outside, condemns it to a painful oscillation. The process of representational thinking translates the sacrifice of the self into the material of thought. If subjectivity restores to itself the kenotic movement, it is because representation is a movement actually inscribed in the very being

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der den göttlichen Selbstschöpfungsakt beschreibt, ist seinerseits ein Produkt der Bibelübersetzung Luthers – ein Projekt, das Hegel als Inspiration für seine eigene Arbeit sah.101 Schließlich wird das Kapitel zum Reich der Bildung gerahmt durch Zitate aus Rameaus Neffe. Der Text ist nicht nur inhaltlich passend, sondern auch auf formaler Ebene, denn bekanntlich erscheint Diderots Schrift 1806 zuerst in Goethes Übersetzung auf Deutsch. Noch vor der Veröffentlichung des französischen Originals wird Goethes Version sogar ins Französische rückübersetzt. Die Unmöglichkeit des Ablegens der Masken des sozialen Theaters und damit der Originalität können wir im Motiv der Übersetzung parallel zum Verschwinden des Ursprungs lesen, das sich in Hegels Darstellung des Zusammenhangs von Sprache, Bildung und Entfremdung artikuliert. 1.5 Brandom zu Bildung, Entfremdung und Ironie Robert Brandom schränkt die Bedeutung der Entfremdung im Bildungskapitel der Phänomenologie deutlich ein. Auf welche Weise Brandoms Verständnis von Ironie und Entfremdung seinen Blick auf die Phänomenologie beschränkt, sehen wir, wenn wir uns mit seiner Lektüre des Bildungskapitels beschäftigen. Das Bewusstsein der Welt des sich entfremdeten Geistes setzt dem Bereich des Wirklichen einen Bereich des »reinen Bewusstseins« und des »Glaubens« entgegen und verdoppelt damit die Welt.102 Durch diese Dopplung, die sich auch im Bereich der Wirklichkeit in den Polen von Staatsmacht und Reichtum wiederholt, wird es möglich, normative Ordnungen zu relativieren und auf diesem Weg eine Position zu gewinnen, von der aus eine Korrektur bzw. Kritik der Verhältnisse möglich ist. Dadurch erhält das im vorangegangenen Abschnitt beschriebene Moment der Entfremdung ein kritisches Potential. Zugleich unterstreicht Hegel aber, dass das individuelle Selbst, das so einen Perspektivwechsel vornehmen kann, überhaupt erst ermöglicht wird, indem es sich durch Sprache in eine Ordnung einfügt, die ihm notwendigerweise vorausgeht. Es erlangt Autonomie nur in Verhältnissen, durch die es zunächst heteronom bestimmt ist. Im Sprechen liegt also nicht nur eine Macht des einzelnen Selbst, sondern zugleich eine Ohnmacht. Dieses doppelte Verhältnis wird durch das Konzept der Sprache der Zerrissenheit eingefangen. Ausgehend von dieser prinzipiellen Heteronomie sollte man argumentieren, dass Hegel gerade aufzeigt, dass of God and not an arbitrary projection of consciousness.« Malabou, The Future of Hegel, 112. Vgl. das französische Original, Malabou, L’avenir de Hegel, 156. 101 Vgl. den Hauptentwurf zum Brief an Voss aus dem Jahr 1805 (Brief Nr. 55) in Hoffmeister, Briefe von und an Hegel. Band 1, 99f. 102 PhG, 363

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Individuen Distanz zu den normativen Ordnungen gewinnen müssen, die ihre Individualität zuallererst ermöglichen. Ich stimme hier mit Georg Bertrams Interpretation des Bildungskapitels überein, der unterstreicht, dass keine Ordnung aus sich heraus einen Standpunkt der Freiheit begründen kann; Freiheit stellt sich erst im Übergang ein. Entfremdung kann sich dann als das Moment zeigen, in dem Subjekte frei von einer normativen Ordnung sind und diese als prinzipiell kontingentes Phänomen erkennen, so dass sie nicht mehr gezwungen sind, sich in die Kategorien dieser bestehenden Ordnung einzuordnen oder an ihnen zu patizipieren (im Vokabular des Bildungskapitels wären das z.B. Staatsmacht, Reichtum, edelmütiges und niederträchtiges Bewusstsein).103 Entscheidend ist dabei, dass Hegel Entfremdung letztlich nicht nur als subjektive Einstellung und als einen durch diese geprägten emotionalen oder kulturellen Zustand begreift, der überwunden werden muss (oder kann), sondern vor allem als logisch notwendiges Moment von Subjektivität, dem er außerdem eine wichtige aufklärerische Funktion zuspricht.104 Für Brandom geht es in Hegels Theorie des sich entfremdeten Geistes um eine Theorie der Moderne, wobei er diese als Epoche der Subjektivität bzw. Hyper-Subjektivität versteht,105 die aber einen zu überwindenden Entfremdungszustand darstellt. Allerdings betont auch Brandom, dass Entfremdung für Hegel primär ein (onto-)logisches Moment ist und keine emotionale Erfahrung.106 Brandoms Entwicklung des Ent103 Vgl. dazu Bertram, Hegels »Phänomenologie des Geistes«, 197, 202–4. 104 Unterstützt wird diese Argumentationslinie auch durch Hegels Rektoratsrede, wo er genau diesen Punkt mit dem Erlernen der antiken Sprachen verknüpft: das Entfremdungsmoment wird hier pädagogisch eingesetzt, um die Schüler aus ihrer »Muttersprache« und dem Weltbild der Gegenwart he­ rauszulösen, das für sie als natürlich und geschlossen erscheint – bzw. daher gar nicht als Weltbild erscheint, sondern nur einen unbefragten Hintergrund bildet; vgl. dazu TWA4, 320–24. Hegel schreibt u.a.: »Das grammatische Erlernen einer alten Sprache hat zugleich den Vorteil, anhaltende und unausgesetzte Vernunfttätigkeit sein zu müssen; indem hier nicht, wie bei der Muttersprache, die unreflektierte Gewohnheit die richtige Wortfügung herbeiführt, sondern es notwendig ist, den durch den Verstand bestimmten Wert der Redeteile vor Augen zu nehmen und die Regel zu ihrer Verbindung zu Hilfe zu rufen. Somit aber findet ein beständiges Subsumieren des Besonderen unter das Allgemeine und Besonderung des Allgemeinen statt, als worin ja die Form der Vernunfttätigkeit besteht. – Das strenge grammatische Studium ergibt sich also als eines der allgemeinsten und edelsten Bildungsmittel.« (TWA4, 323). Entfremdung von der Sprache fördert also die bewusste und denkende Vermittlung zwischen Besonderem und Allgemeinem. 105 Brandom, A Spirit of Trust, 496. 106 Brandom, 503f. Vgl. ebd., 504: »Alienation is a structural defect in the relations between the recognitive attitudes that synthesize the social substance and the communal norms that are its essence – the norms subjection to which

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fremdungsbegriffs fällt tendenziell jedoch hinter diese Einsicht zurück und beschreibt Entfremdung ausschließlich negativ (entsprechend ist das Projekt, das Brandom sowohl selbst verfolgt als auch Hegel zuschreibt therapeutisch).107 Entfremdung bedeutet dabei, dass Individuen die Geltung von Normen bezweifeln und in diesen nicht mehr als die Einstellungen anderer Individuen und Gruppen sehen. Brandom versteht Entfremdung u.a. als »Not identifying with […] normative statuses, not acknowledging the authority of norms over one’s attitudes by being willing to sacrifice attitudes for norms.«108 Die »Moderne« zeichnet sich ferner dadurch aus, dass Sprache zum »Medium der Anerkennung« wird.109 Dadurch besteht der Zusammenhang von Sprache und Entfremdung, den wir bereits festgestellt haben: we can understand the alienation from our norms that is inherent in modernity only in terms of the deformations of language that express it. It is an essential, principled part of Hegel’s general methodology to understand what is implicit in terms of its explicit expressions – to think of those expressions as essential to the identity of what is implicit. In this particular case, its specifically linguistic expressions are essential to alienation as a distinctively modern metaphysical normative structure. That is so precisely because alienation is at base a pathology of legitimation, undercutting the bindingness of norms. As such, it is rooted in the demand for a linguistically explicit account of the nature and rationale of the bindingness of the norms that make us what we are, in the light of an appreciation of the sense in which we make them what they are.110

Für Brandom bedeutet Entfremdung eine ironische Distanz, die dazu führt, dass Normen nicht als real anerkannt werden. Dieser Zustand soll seiner Theorie zufolge durch eine nachfolgende historische Epoche abgelöst werden, in der dieses ironische detachment überwunden ist. Entfremdung und ironische Distanz fallen bei Brandom zusammen (wobei er zugleich fordert, dass wir die Probleme der Legitimation als Probleme der logisch-metaphysischen Struktur der Welt verstehen). Er sieht in der Entfremdung ein destabilisierendes (und letztlich zynisches, »niederträchtiges«) Moment, das er therapieren will. In Folge seines verengten Entfremdungsbegriffs macht Brandom in seiner Interpretation des zerrissenen Bewusstseins eine Reihe von Fehlern: Er sieht das Sich-Auflösen make self-conscious individuals out of particular desiring natural organisms. In Hegel’s terms, this defective metaphysical structure is a defective logical structure: a deformation of the way universals characterize particulars to yield individuals.« 107 Brandom, 475. 108 Brandom, 493. 109 Brandom, 501. 110 Brandom, 501. Meine Hervorhebung, S.W.

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der Wesenheiten in der Welt des sich entfremdeten Geistes (entgegen seiner eigenen Interpretation der Entfremdung als Defekt der ontologischen Ebene) nicht primär als einen inhärenten Fehler dieser Wesenheiten, sondern als Ergebnis falscher Einstellungen diesen gegenüber. So versteht er die reine Bildung als »linguistic way of being in the world that manifests the asymmetrical recognitive relations between the two forms of consciousness.«111 Ferner interpretiert er, dass das bedeutet, dass die normative Dimension insgesamt abgelehnt wird: »The whole normative dimension is rejec­ted as illusory«.112 Hegels Aussagen zufolge sind aber diese Auflösungserscheinungen nicht das Produkt einer subjektiven Einstellung zur Welt, sondern sie sind ein objektives Merkmal der Welt, d.h. sie sind auch ein prinzipielles Defizit der normativen Ordnungen, um die es hier geht: Es ist also hier der seiner in seiner Wahrheit und seines Begriffes bewuss­ te Geist dieser realen Welt der Bildung vorhanden. Er ist diese absolute und allgemeine Verkehrung und Entfremdung der Wirklichkeit und des Gedankens; die reine Bildung. Was in dieser Welt erfahren wird, ist, dass weder die wirklichen Wesen der Macht und des Reichtums noch ihre bestimmten Begriffe, Gut und Schlecht, oder das Bewusstsein des Guten und Schlechten, das edelmütige und niederträchtige, Wahrheit haben; sondern alle diese Momente verkehren sich vielmehr eins im andern, und jedes ist das Gegenteil seiner selbst.113

Die allgemeine Verkehrung ist nicht etwas, das allein durch eine Einstellung gegenüber der Welt oder einer bestimmten Weise, in ihr zu sein, hervorgebracht wird, sondern sie ist der objektive Zustand dieser Welt (insofern »Welt« hier der von Hegel definierte Rahmen ist). Die Momente verkehren sich aufgrund ihrer eigenen Defizite von selbst; genau das macht diese Verkehrung absolut. Das passt aber nicht zu Brandoms Lesart, dass die normative Ordnung abgelehnt wird (weshalb er auch darauf verzichtet, den letzten Teilsatz nach dem Semikolon zu zitieren). Brandom suggeriert, dass das zentrale Problem in einer solchen Ablehnung besteht, indem er den Zerfall der normativen Sphäre einem »nihilistic game«, »nihilistic talk« oder »nihilism« zuschreibt – womit bei ihm eine subjektive Einstellung gemeint zu sein scheint.114 Zwar enthält Millers Übersetzung die Formulierung »nihilistic game«, diese ist aber irreführend, denn Hegel spricht von einem sich auflösenden Spiel: Was vorhanden ist, ist also dies, dass alle Momente eine allgemeine Gerechtigkeit gegeneinander ausüben, jedes ebensosehr an sich selbst 111 Brandom, 511. Meine Hervorhebung, S.W. 112 Brandom, 512. Meine Hervorhebung, S.W. 113 PhG, 385 114 Vgl. Brandom, A Spirit of Trust, 511–13.

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sich entfremdet, als es sich in sein Gegenteil einbildet und es auf diese Weise verkehrt. – Der wahre Geist aber ist eben diese Einheit der absolut Getrennten, und zwar kommt er eben durch die freie Wirklichkeit dieser selbstlosen Extreme selbst als ihre Mitte zur Existenz. Sein Dasein ist das allgemeine Sprechen und zerreißende Urteilen, welchem alle jene Momente, die als Wesen und wirkliche Glieder des Ganzen gelten sollen, sich auflösen und welches ebenso dies sich auflösende Spiel mit sich selbst ist. Dies Urteilen und Sprechen ist daher das Wahre und Unbezwingbare, während es alles überwältigt; dasjenige, um welches es in dieser realen Welt allein wahrhaft zu tun ist. Jeder Teil dieser Welt kommt darin dazu, dass sein Geist ausgesprochen oder dass mit Geist von ihm gesprochen und von ihm gesagt wird, was er ist.115

Das sich auflösende Spiel ist der wahre Geist der Welt der Bildung als Einheit der Getrennten. Die Auflösung geschieht von selbst aufgrund des ontologischen Defekts dieser Welt, den Brandom selbst feststellt; dieser objektive Zustand beinhaltet aber auch die Institutionen dieser Welt (was Brandom ignoriert). Das bedeutet aber, dass innerhalb dieser Welt jede Berufung auf geltende Normen der gesellschaftlichen Partizipation tatsächlich naiv ist und nur das zerrissene Bewusstsein die Wahrheit dieser Welt auf den Begriff bringt (ich zitiere noch einmal die im vorangegangenen Abschnitt bereits angeführte Passage): Das ehrliche Bewusstsein nimmt jedes Moment als eine bleibende Wesenheit und ist die ungebildete Gedankenlosigkeit, nicht zu wissen, dass es ebenso das Verkehrte tut. Das zerrissene Bewusstsein aber ist das Bewusstsein der Verkehrung, und zwar der absoluten Verkehrung; der Begriff ist das Herrschende in ihm, der die Gedanken zusammenbringt, welche der Ehrlichkeit weit auseinanderliegen, und dessen Sprache daher geistreich ist.116

Die Entfremdung des zerrissenen Bewusstseins ist demnach eine adä­ quate Reaktion auf die objektiv gegebenen Umstände einer in sich entfremdeten Welt. Den zentralen Punkt, dass das zerrissene Bewusstsein zugleich Einheit ist und als solches die Wahrheit der Welt des sich entfremdeten Geistes artikuliert, unterschlägt Brandom, indem er es als nihilistische Einstellung interpretiert, die aufgrund dieses Nihilismus noch nicht einmal Wissen über ihre eigene Einstellung erlangen kann: The witty talk – which »knows how to pass judgement on and chatter about everything« – denies the correctness of talk of how things are in themselves, seeing only how they are for consciousness. So it has no way to make intelligible even the notion of how things are for consciousness, 115 PhG, 386; vgl. PhG [Miller], 317. Terry Pinkard setzt an diese Stelle »game of self-dissolution«; PhG [Pinkard], 303. 116 PhG, 386

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including for itself. For the content of such an attitude depends on its normative exclusion of other such attitudes.117

Als Beleg dafür zitiert er: The consciousness that is aware of its disruption and openly declares it, derides existence and the universal confusion, and derides its own self as well. . . . This vanity of all reality and every definite Notion [is] vanity which knows itself to be such.118

Tatsächlich steht dort: Die ihrer selbst bewusste und sich aussprechende Zerrissenheit des Bewusstseins ist das Hohngelächter über das Dasein sowie über die Verwirrung des Ganzen und über sich selbst; es ist zugleich das sich noch vernehmende Verklingen dieser ganzen Verwirrung [diese Hervorhebung stammt von mir, S.W.]. – Diese sich selbst vernehmende Eitelkeit aller Wirklichkeit und alles bestimmten Begriffs ist die gedoppelte Reflexion der realen Welt in sich selbst; einmal in diesem Selbst des Bewusstseins, als diesem, das andere Mal in der reinen Allgemeinheit desselben oder im Denken.119

Man sieht, dass in Hegels Text gerade die Sprache der Zerrissenheit eine wesentliche Einsicht in den defekten ontologischen Zustand der Welt der Bildung formuliert – weil sie nämlich die Verkehrung der Wesenheiten auf den Punkt bringt und daher der Begriff in ihr herrschend ist; deshalb beschreibt Hegel diese Verwirrung auch als »sich selbst klar«120 und als Beginn des Verklingens der Verwirrung. Brandom ignoriert außerdem den zentralen Punkt, dass das zerrissene Bewusstsein zugleich identisch ist und die Wahrheit der Welt der Bildung auf den Begriff bringt, weil es sich gerade nicht von dieser Welt zu distanzieren versucht, sondern sie (performativ) spiegelt. Brandom dagegen liest die Zerrissenheit nur als ironische Distanz – er beurteilt das zerrissene Bewusstsein als »distanced and remote« und seinen Bezug auf allgemeine Normen als lediglich vorgeblich.121 Diese Lesart passt aber nicht dazu, dass das Bewusstsein in seiner Zerrissenheit absolut identisch ist. Das zerrissene Bewusstsein hält die Bestimmungen nicht auf Abstand zu sich, sondern es weiß sich durch alle gleichermaßen bestimmt und erkennt gerade darin ihre Widersprüchlichkeit: In jener Seite der Rückkehr in das Selbst ist die Eitelkeit aller Dinge seine eigene Eitelkeit, oder es ist eitel. Es ist das fürsichseiende Selbst, das alles nicht nur zu beurteilen und zu beschwatzen, sondern geistreich die 117 Brandom, A Spirit of Trust, 513. 118 Brandom, 513. 119 PhG, 389 120 PhG, 387 121 Brandom, A Spirit of Trust, 513.

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festen Wesen der Wirklichkeit wie die festen Bestimmungen, die das Urteil setzt, in ihrem Widerspruche zu sagen weiß, und dieser Widerspruch ist ihre Wahrheit.122

Hier liegt zwar durchaus eine ironische Position vor – deren Ironie liegt aber gerade in der Erkenntnis über die Unmöglichkeit einer Distanzierung. Selbst »Diogenes im Fasse« ist noch durch die Welt bedingt und damit zeigen sich in der Welt der Bildung gerade diejenigen als unreflektiert, die sich auf die ewigen Werte berufen.123 Brandom berücksichtigt weiterhin nicht, dass die Sprache der Zerrissenheit eine linguistische Performance ist und damit auf sprachliche Normen bezogen. Es ist also gar nicht so, dass dieses Bewusstsein gar keine Normen anerkennen würde und deshalb inhaltsleer ist. Vielmehr affirmiert es alle widersprüchlichen Normen und zeigt sie in ihrer faktisch bestehenden Widersprüchlichkeit auf, die sich aus ihrer spezifischen inhaltlichen Bestimmtheit gegeneinander ergibt. Es ist daher schwer verständlich, warum in diesem sprachlichen Exzess nicht auch eine Form oder zumindest ein Ansatz expressiver linguistischer Freiheit liegt (vor allem, wenn man die wesentlich komplexere Konstellation von Diderots Dialog mitdenkt, ist zu erkennen, dass sich in der erfassten und dargestellten Sprache der Zerrissenheit ein entscheidendes expressives Potential befindet). Das Potential der Entfremdungserfahrung, die Hegel beschreibt, kann man gegen Brandoms Entfremdungsbegriff konturieren, wenn man sie mit dem (bereits skizzierten) Ironiekonzept Jonathan Lears vergleicht: Lear argumentiert, dass ein nicht zu überschätzender Wert ironischer Erfahrungen darin besteht, dass wir durch sie nicht nur aus den regulären Abläufen unserer Welt, sondern auch noch aus den (höherstufigen) Schemata der Selbstreflexion dieser Welt gerissen werden (dies wären hier die Bewertungsschemata »edelmütig« und »niederträchtig«). Lears Ausgangspunkt dabei ist, dass gerade ein hoch entwickeltes Repertoire von Mechanismen der Selbstreflexion und -kritik eine Gesellschaft gegen Kritik imprägnieren kann, da eben diese höherstufigen Reflexionen immer noch Teil dieser Gesellschaft sind. Eine ironische Erfahrung ist ihm zufolge gerade die Erfahrung der völligen Kontingenz dieser Ordnung sowie ihrer Selbstreflexionsmechanismen. Indem eine solchen Kontingenzerfahrung aber eine Erfahrung ist, die ich (je erstpersonal) mache, erfahre ich mich darin gerade nicht als völlig losgelöst (im Sinne 122 PhG, 389. Dagegen ist die »Sprache der Schmeichelei« (PhG, 384) noch ein einseitiger Geist, dem der Gegenstand ein Ansich und nicht zugleich sein eigenes Selbst ist. Diese Position würde eher zu der distanzierten Ironie passen, die Brandom vorschwebt. 123 Vgl. PhG, 388 sowie Brandom, A Spirit of Trust, 513. Zu Diogenes vgl. auch TWA7, 351.

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eines ironischen detachment), sondern als Individuum, das faktisch an bestimmte kontingente Normen gebunden ist. Entsprechend kommt die Zerrissenheit des Neffen gerade deshalb zustande, weil er in seiner Einheit und durch seine Bindung an Normen absolut zerrissen ist. Der ontologische Defekt der Welt der Bildung betrifft also auch die Institutionen dieser Welt und lässt sich nicht auflösen, indem Subjekte ihre vermeintliche Distanz zu diesen Institutionen zugunsten einer anerkennenden Partizipation an diesen Institutionen überwinden.124 1.6 Rückblick auf das Bildungskapitel Wir haben den Zusammenhang von Sprache, Bildung und Entfremdung nachgezeichnet. Wesentlich für das Verständnis von Sprache ist, wie sie kommunikative Zusammenhänge organisiert, in denen Individuen sich selbst darstellen. Sprache wird besonders dann als solche erfahren, wenn sie als Symptom entfremdeter sozialer Verhältnisse auffällig wird. Die soziale Entfremdung ist allerdings nicht die einzige Dimension der Entfremdung, die im Bildungskapitel relevant ist. Man sollte (gegen Brandom) darauf hinweisen, dass Hegels Entfremdungsbegriff mehrdimensional ist. Entfremdung ist nicht nur negativ und auch nicht etwas, das zugunsten eines utopischen nicht-entfremdeten Zustandes überwunden werden kann oder soll (auch wenn das an diesem Punkt der Phänomenologie noch nicht abschließend beurteilt werden kann). Entfremdung im logischen Sinne wird von Hegel letztlich positiv bewertet, nämlich als Ausdifferenzierung. Wie das Bildungskapitel zeigt, berücksichtigt Hegel 124 Ausgehend von dieser Kritiklinie müssten auch Brandoms Kernkonzepte trust (Vertrauen) und magnanimity (Edelmütigkeit) hinterfragt werden. Wie wir gesehen haben, setzt die gesamte Bewegung der Phänomenologie mit einem Misstrauen in die natürliche Vorstellung ein. Zu Hegels Kritik des Vertrauens vgl. auch PhG, 514. Robert Pippin argumentiert ebenfalls, dass Brandoms Modell dahingehend defizitär ist, dass es letztlich darauf beruht, dass Individuen die »richtige« (und das ist für Brandom die edelmütige) normative Einstellung annehmen müssen und dass dieses Modell dann scheitert, wenn eine Lebensform insgesamt in Schieflage gerät, wenn also das, was eine soziale, normative Autorität darstellt, selbst angezweifelt werden muss (Pippin, Die Aktualität des Deutschen Idealismus, v.a. 264 und 275). Brandoms Interpretation ist in ihrer Präferenz der Edelmütigkeit einseitig, weil sie unterschlägt, dass edelmütiges und niederträchtiges Bewusstsein komplementäre Formen und für sich genommen beide defizitär sind. Eine ähnliche Kritik von Brandoms Lesart des Bildungskapitels in A Spirit of Trust findet sich in sehr luzider Form bei Italo Testa, »Spirit and alienation in Brandom’s ›A Spirit of Trust‹: Entfremdung, Entäußerung, and the causal entropy of normativity«. Vgl. auch Brassier, »Dialectics Between Suspicion and Trust«.

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dabei auch Erfahrungen sozialer Entfremdung. Aufgrund der Tatsache, dass die Sprache der Zerrissenheit einen für die gesamte Entwicklung der Phänomenologie wichtigen logischen Fortschritt erreicht, möchte ich betonen, dass Hegel in dieser Sprache ein Erkenntnispotential zu sehen scheint: Die Zerrissenheit als für sich selbst klare Verwirrung enthält eine bewusste Affirmation der Entfremdung, weshalb Hegel in ihr ein Moment der Wahrheit entdeckt. Er erkennt damit an, dass die geistreiche Sprache innerhalb der Welt der Bildung deren Wahrheit auf den Punkt bringt und sich auf diese Weise aus den Rahmenbedingungen dieser Welt lösen kann (auch wenn noch ein Subjekt wie Diderot benötigt wird, um dieses Wahrheitsmoment zu konservieren und damit die Entfremdungsrelation zu fassen und darzustellen). Innerhalb der Welt der Bildung wäre es also gerade naiv, auf das Bleibende zu pochen oder zu versuchen, Entfremdung zu vermeiden. Entfremdung wird stattdessen durch mehr Entfremdung begegnet.125 Geistreich ist in diesem Kontext eine Sprache, die auf performative Weise die Widersprüche ihrer Welt sichtbar macht. Diese Sprache ist kein leeres rhetorisches Spiel, sondern erkennt bewusst an, dass sie tatsächlich durch die Widersprüche ihrer Welt bestimmt ist. Sie führt den Kollaps der normativen Strukturen der Welt des sich entfremdeten Geistes nicht herbei, sondern stellt deren innere Widersprüche dar. Daher ist die durch das Selbst erkannte Zerrissenheit bereits »die Rückkehr des Wesens in sich selbst«126 bzw. das »sich vernehmende Verklingen dieser Verwirrung«127 (worin auch die Relevanz des verklingenden Lautes aus der ersten Sprachszene nochmals unterstrichen wird). Der Geist »gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet«, wie Hegel in der Vorrede schreibt.128 »Einheit« ist also keine Überwindung der Entfremdung, sondern die Einheit ist entfremdet und die Zerrissenheit ist damit kon­stitutiv für die Einheit des Geistes, wie Hegel in seiner Ausführung zum unendlichen Urteil klar macht.

2. Sprache im Gewissenskapitel Im Bildungskapitel wurde Sprache als Dasein des Geistes und als »Mitte« sozialer Verhältnisse eingeführt. Hegels Verständnis von Sprache als Dasein des Geistes wird deutlicher, wenn man die Kapitel zu Bildung 125 Wie die Bildung eine Bewegung der Verkehrung ist, ist auch die Entfremdung selbst eine Bewegung des Fremd-Werdens und des Weniger-FremdWerdens, also eine Ent-Fremdung. Vgl. dazu Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 153. 126 PhG, 385 127 PhG, 389 128 PhG, 36

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und Gewissen zusammen betrachtet: An der Sprache bzw. an Sprechformen wird der Zustand des sozialen Verhältnisses insgesamt ablesbar. Umgekehrt entspricht die »Sprache« einer bestimmten sozialen Welt und den dort gegebenen Verhältnissen. Weder Sprache noch soziale Situation existieren also isoliert voneinander. Sprache ist die jeweilige Selbstvermittlung und das objektivierte Selbstverhältnis einer sozialen Konstellation und wie »die Sprache« funktioniert, hängt maßgeblich von dieser Konstellation ab. Sprache ist also ein Moment, an dem sich objektivieren lässt, was eine bestimmte soziale Welt ausmacht: Wird sie bestimmt durch asymmetrische Machtverhältnisse? Wird sie bestimmt durch individuelle Überzeugungen? So zeigt sich Sprache z.B. im Gewissenskapitel der Phänomenologie als Mittel der Heuchelei, weil die Welt des Gewissensdiskurses eine ist, die aufgrund ihres kollektiven Selbstverständnisses Heuchelei hervorbringt. Dieses soziale Problem wird als Problem der sprachlichen Kommunikation greifbar. In scheiternden sozialen Situationen materialisiert sich die Sprache und wird zu einer Projektionsfläche für das gegenseitige Nicht-Anerkennen. Dieser Zusammenhang zeigt auch, dass Sprache wesentlich über holistische, szenische Indikatoren einer illokutionären Ausrichtung funktioniert, die Gesagtes z.B. als »Rat«, »Befehl«, »Schmeichelei« oder »Heuchelei« erscheinen lassen. Dabei kann natürlich unklar sein, ob es sich in dem gegebenen Fall um einen Rat oder um Schmeichelei handelt; unwahrscheinlich ist aber, dass zur Kommunikation geäußerte Sätze ohne jede illokutionäre Färbung sind. Darin zeigt sich die soziale und kommunikative Funktion der Sprache.129 Dass Hegel die spezifische illokutionäre Kraft von Sprechakten als wesentliches Moment der Kommunikation betont, kann man im Sinne des postformalistischen Holismus deuten: Sprache zeigt sich hier als Moment eines kommunikativen Zusammenhangs, der durch soziale Funktionen strukturiert ist und nicht auf der Ebene einer rein grammatischen Semantik zu klären ist. Sprache wird also über größere Sinneinheiten verstanden, die sich aus sozialen Konstellationen ergeben, und ein Verständnis von »Sprache« kann nicht ohne eine Theorie der sozialen Funktionen der Sprache zustande kommen. Die Sprache beinhaltet jeweils einen bestimmten Geist, in dem man spricht, also eine geistige Haltung, die man im Sprechen kommuniziert. Man lernt das Sprechen nicht als rein formale 129 Auch im Kapitel zu Physiognomik und Schädellehre betont Hegel, dass eine Tat durch eine allgemeine, abstrakte Bestimmung gefasst werden kann, so dass gesagt werden kann, was diese Tat ist. Damit erscheint die Tat unter einem einheitlichen Charakter (der deswegen auch abstrakt ist): »Die Tat ist ein Einfach-Bestimmtes, Allgemeines, in einer Abstraktion zu Befassendes; sie ist Mord, Diebstahl oder Wohltat, tapfere Tat usf., und es kann von ihr gesagt werden, was sie ist. Sie ist dies, und ihr Sein ist nicht nur ein Zeichen, sondern die Sache selbst.« (PhG, 243).

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Grammatik, sondern erlangt zugleich eine Kompetenz darüber, wer in welchen Situationen was sagen darf und wie soziale Relationen sprachlich entwickelt werden.130 Diese Interpretation entspricht den sprachtheoretischen Überlegungen Pierre Bourdieus, der für eine soziologische Erweiterung der Sprachtheorie argumentiert hat, in der man einen Situationismus des Sprechens erkennen kann. Damit ist gemeint, dass Aussagen ihre Bedeutung nicht allein durch grammatische Korrektheit erhalten, sondern die soziale Konstellation der Sprecher:innen eine entscheidende Rolle spielt, so dass nicht überzeitlich festgelegt werden kann, was eine angemessene Form des miteinander Sprechens ist.131 In die gleiche Richtung gehen die Überlegungen von Josef Simon, der darauf hingewiesen hat, dass Sprache aus der Situation verstanden wird und man im richtigen Kontext die Laute oder Zeichen, durch die man kommuniziert, überhört bzw. übersieht, so dass die Bedeutung einer Aussage sich jeweils aus dem situativen Kontext ergibt. Das verschiebt die semantische Frage nach der Bedeutung der Sprache von einer semiotischen auf eine soziale Ebene: Dort erneuert sich die Frage nach der Bedeutung in Form der Frage, wie die gesuchten Situationen unmittelbaren Verständnisses eigentlich hergestellt werden können.132 Das Bildungskapitel der Phänomenologie beschreibt den Versuch, Individuen durch Partizipation an Institutionen Anerkennung zukommen 130 Zur Theorie des postformalistischen Holismus vgl. die Einleitung dieser Arbeit sowie Bertram u. a., In der Welt der Sprache. 131 Vgl. Bourdieu, »Zur Ökonomie des sprachlichen Tauschs (1977)«. 132 Josef Simon hat betont, dass Bedeutung immer erst situativ hergestellt wird, dass es aber keine Differenz von Bedeutung und Träger – Geist und Buchstabe – gibt, insofern eine Situation wahren Verstehens hergestellt wird; vgl. Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 70f. Er bezeichnet dies auch als »Überhören des Tones« (ebd., 125). Simon denkt also die Sprache vollständig vom erfüllten Wort her. Unter diesen Voraussetzungen wird aber schwer verständlich, warum sprachliche Kommunikation überhaupt scheitern kann. Wenn ein Wort immer genau das bedeutet, was es »in dieser Situation bedeutet« – wie kann es dann überhaupt dazu kommen, dass man sich nicht versteht? Wie Simon selbst unterstreicht, muss eine solche Eindeutigkeit hergestellt werden, was ein eigenes Konfliktpotential birgt (ebd., 35). Es kommt also darauf an, zwischen Sprecher:innen und Zuhörer:innen eine Verständnissituation herzustellen. Sie ist die Bedingung der Möglichkeit des Verstehens (ebd., 73; vgl. auch 124f.). Tatsächlich ist die Rhetorik nichts anderes als der Versuch eines Kataloges der Mittel, mit denen man so eine Situation herstellt – eben damit erneuert sich aber wieder das Problem, ob dieses Verständnis nicht nur ein forciertes ist. Das Problem von Simons Interpretation besteht darin, dass er Sprache zu vorbehaltlos als »Parusie des Absoluten« versteht (ebd., 128). Was das bedeutet, bleibt aber solange unklar, wie nicht irgendeine Form der Erfahrung der Sprachlichkeit überhaupt

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zu lassen. Das individuelle Bewusstsein identifiziert sich in diesem Rahmen durch sein (zustimmendes, »edelmütiges« oder ablehnendes, »niederträchtiges«) Verhältnis zu Staatsmacht und Reichtum. Das Gewissenskapitel nimmt dagegen Interaktionen in den Blick. Die soziale Konstellation ist hier (wie Georg Bertram rekonstruiert) »dialogisch und interaktiv angelegt«, da das gewissenhafte Bewusstsein auf der Einsicht beruht, dass die Versicherung über die Gewissenhaftigkeit eigener Handlungen nur von jemand anderem geleistet werden kann.133 Diese wechselseitige Anerkennung über die Gewissenhaftigkeit des Handelns setzt eine sprachliche Praxis voraus. Hegel analysiert hier also sprachliches Handeln zwischen Interaktionspartner:innen auf (zumindest prinzipiell) gleicher Ebene (während die partizipativen Strukturen des Bildungskapitels vertikal organisiert sind, stehen die sprachlich interagierenden Individuen des Gewissenskapitels in horizontalen Verhältnissen zueinander).134 Auf diese Analyse der Interaktionsformen folgt im Religionskapitel eine Analyse von Formen der Reflexion von Interaktionsformen, also stattgefunden hat und eine solche Erfahrung kann nur negativ über eine Entfremdung von der Sprache zustande kommen. Aus diesem Grund interessiert sich Hegel gerade für Situationen scheiternder Kommunikation und für das, was in bestimmten Ausdrucksformen jeweils nicht zur Sprache kommt (wie wir v.a. im Religionskapitel noch sehen werden). Auch Giorgio Agamben hat die Situationsgebundenheit der Bedeutung beschrieben. Unter Rückgriff auf eine Unterscheidung Émile Benvenistes bezeichnet er die Bedeutung als »augenblickliche Emergenz« des Semantischen aus dem Semiotischen; vgl. Agamben, Kindheit und Geschichte, 82. Auch die Erfahrung der Sprachlichkeit als solcher ist ein Problem, dass für Agambens Arbeit insgesamt leitend ist (vgl. ebd., 10f.). Die Erfahrung der Sprache als solcher hat Agamben auch an anderer Stelle als eine Erfahrung der »Instanz der Rede« bezeichnet; vgl. die Abschnitte zum dritten und vierten Seminar-Tag in Agamben, Die Sprache und der Tod. 133 Vgl. Bertram, Hegels »Phänomenologie des Geistes«, 236. Damit findet sich hier einerseits eine Weiterentwicklung der Themen des Bildungskapitels und andererseits eine Antwort auf die Probleme der unmittelbar im Text vorangehenden (monologisch operierenden) moralischen Weltanschauung, die Hegel im Kapitel über die Verstellung bündelt (vgl. ebd., 232–34). Zur Unterscheidung partizipativer und interaktiver Modelle des Sozialen vgl. Disselbeck, Hegels Theorie der Intersubjektivität und Anerkennung, 11. 134 Hegel thematisiert diese Gleichstellung eines beurteilenden und eines handelnden Bewusstseins am Ende des Kapitels: »Hierdurch also dem Handelnden, welches von ihm beurteilt wird, sich gleich machend, wird es [das »beurteilende Bewusstsein«, S.W.] von diesem als dasselbe mit ihm erkannt. Dieses findet sich von jenem nicht nur aufgefasst als ein Fremdes und mit ihm Ungleiches, sondern vielmehr jenes nach dessen eigener Beschaffenheit mit ihm gleich. Diese Gleichheit anschauend und sie aussprechend, gesteht es sich ihm ein und erwartet ebenso, dass das Andere, wie es sich in der Tat

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eine höherstufige Analyse darüber, wie das Bewusstsein nicht nur sprachlich und handelnd einen gemeinsamen »Geist« realisieren, sondern über seinen Geist sprechen kann. Wie Hegel im Gewissenskapitel bereits antizipiert, ist Religion »Sprechen der Gemeinde über ihren Geist«.135 Dem geht die Analyse der sozialen Verhältnisse in einer Sprachgemeinschaft voran, damit überhaupt so etwas wie eine gemeinsame theoretische Bezugnahme funktionieren kann. Zur Debatte steht im Gewissenskapitel dabei nicht nur die Anerkennung von Individuen in der Sprache, sondern auch die Anerkennung der Sprache als solcher, also des bestimmten Daseins des Geistes. 2.1 Grundstruktur und Probleme des Gewissens Wer sich auf sein Gewissen beruft, beruft sich auf einen unmittelbaren Zugang zu einer Instanz allgemeiner Gültigkeit. Wenn man sagt, man habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, erhofft man sich die Zustimmung anderer, die die Allgemeingültigkeit des eigenen Handelns und der eigenen Beweggründe anerkennen sollen. Hegels Darstellung der Gemeinschaft der gewissenhaft Handelnden im Gewissenskapitel beginnt genau so: Dem gewissenhaften Bewusstsein geht es darum, pflichtgemäß gehandelt zu haben. Dafür fordert es die Anerkennung seiner Gemeinschaft, die es zunächst auch erhält. Die besondere Qualität der Handlung (»gewissenhaft« zu sein) wird von vornherein sprachlich geltend gemacht. Die Form, in der Einzelne Anerkennung für ihre partikularen Handlungen einfordern, ist das Geständnis oder Bekenntnis. In der Sprache des Geständnisses bringt das Individuum seine Singularität, seine Einzelheit zum Ausdruck und will damit zugleich allgemein anerkannt werden. Problematisch wird diese Konstellation, sobald die allgemeine Anerkennung in Frage gestellt wird, denn in diesem Moment erweist sich die gesamte soziale Konstruktion als haltlos und die gegenseitigen Bestätigungen erweisen sich als leer. Zu solchen Infragestellungen kommt es, weil die »reine Pflicht«136 durch keine konkrete Handlung verwirklicht werden kann und jeder einzelnen Handlung der »Makel der Bestimmtheit«137 anhaftet: Gerade, weil eine Handlung konkret bestimmt ihm gleichgestellt hat, so auch seine Rede erwidern, in ihr seine Gleichheit aussprechen und [somit] das anerkennende Dasein eintreten werde.« (PhG, 489f.). 135 PhG, 482; vgl. dazu Bertram, Hegels »Phänomenologie des Geistes«, 251. Zur hier beschriebenen Grundkonstellation des Gewissenskapitels vgl. ebd., 237–39. 136 PhG, 472; im Text der PhG werden diese Worte hervorgehoben. 137 PhG, 474; im Text der PhG werden diese Worte hervorgehoben.

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ist, steht sie zu anderen Handlungen im Widerspruch, die eine andere Pflicht erfüllen würden. Es kommt damit zu einem Konflikt verschiedener Pflichten. Damit kippt das Verhältnis reibungsloser gegenseitiger Anerkennung in die zynische Verteidigung prinzipiell jeder Handlung als pflichtgemäß, was zu einer gegenseitigen Ablehnung und letztlich zu einem Rückzug aus dem Sozialen führt, der sich in zwei Stufen vollzieht: Zuerst findet ein Rückzug aus dem Handeln in die Sprache statt (die damit gewissermaßen als Ersatzhandlung dient); dieser Rückzug weitet sich in der Folge auch auf die Sprache selbst aus.138 Das im Hintergrund stehende logische Problem ist (wie bereits im Bildungskapitel) die Konzeption des Verhältnisses von Einzelnem und Allgemeinem. Das einzelne Individuum ist für Hegel eine Folge des Allgemeinen. Das erste Moment der Erfahrung des Allgemeinen ist die Sprache und in ihr erfährt sich das Individuum deshalb als Produkt des gesellschaftlichen Zusammenhangs.139 Insofern sich im Gewissenskapitel das Individuum aber gerade als solches geltend machen will, erfährt es den wesentlichen Konflikt seiner Individualität mit dem Allgemeinen. Ferner steht das allgemeine Medium der Sprache im Konflikt mit der Individualität, die sich zugleich aber auf keinem anderen Weg artikulieren kann. Deshalb kommt es im Gewissenskapitel konsequenterweise auch zum Versuch des vollständigen Rückzugs aus Handeln und Sprache. Die innere Sicherheit des individuellen Gewissens führt in dem Moment, wo die Gewissenhaftigkeit nicht mehr unhinterfragt allgemein anerkannt wird, zu einem allgemeinen Vorwurf der Heuchelei, denn alle, die am Gewissensdiskurs teilnehmen, können nun prinzipiell jede Handlung als gewissenhaft darstellen und nur ihre je eigenen Maßstäbe dafür als maßgeblich akzeptieren. Das Gewissen ist umso reiner, je konsequenter es alle sozialen Einflüsse abweist und nur seiner inneren Stimme (der »Autarkie zu binden und zu lösen«) folgt.140 Damit kippt die allgemeine Anerkennung des Individuums als allgemeingültig in eine allgemeine 138 Zum Konflikt der Pflichten vgl. PhG, 473f. 139 Mit Bezug auf Rousseau bezeichnet Catherine Malabou die Sprache deshalb als den »erste[n] Gesellschaftsvertrag«; Malabou, »La confession estelle l’accomplissement des la reconaissance?«, 42f. Hegels Kritik an Rousseaus Theorie des Gesellschaftsvertrags besteht Malabou zufolge deshalb darin, dass Rousseau die ursprüngliche Verbundenheit durch Sprache nicht berücksichtigt und seiner Vertragskonzeption daher die Sprache, in der ein solcher Vertrag formuliert werden müsste, fremd bleibt. 140 PhG, 476. Zur »moralische[n] Genialität« des Gewissens, die sich als innere Stimme ausdrückt vgl. PhG, 481. An beiden Stellen bezeichnet Hegel die individuelle Gewissheit bzw. das individuelle Gewissen als »Majestät«. Die innere Stimme wird notwendigerweise zu einem Moment, das die Stimmen der sozialen Umwelt stillstellen will. Vgl. dazu auch (mit Bezug auf Rousseaus Émile) Dolar, His Master’s Voice, 119.

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Verweigerung der Anerkennung. In den folgenden Abschnitten möchte ich drei Momente des Gewissenskapitel hervorheben: (1) die Relevanz von Sprache als Dasein und Bestimmtheit des Geistes, (2) den Konflikt von Einzelnem und Allgemeinem (der sich in den Figuren der schönen Seele, der Heuchelei, des harten Herzens und des Bösen niederschlägt) sowie (3) die Szene der Verzeihung und des Ablassens vom Gegensatz; in dieser Szene wird durch das »Wort der Versöhnung« der Übergang zum absoluten Geist realisiert. 2.2 Sprache als Dasein und Bestimmtheit des Geistes Der zentrale Konflikt des Kapitels besteht zwischen Allgemeinheit und konkreter Bestimmtheit. Dieser Konflikt zeichnet sich bereits zu Beginn des Kapitels anhand der Spannung zwischen der allgemeinen Pflicht und dem »Makel der Bestimmtheit« jeder konkreten Handlung ab.141 Auch der Konflikt zwischen handelndem und urteilendem Bewusstsein ist einer über die Bestimmung des Gewissenhaften. Hegels Argument für die Bestimmtheit ist zugleich eine Kritik der Reinheit. Die reine Pflicht kann nicht aktualisiert werden, sie erweist sich als prinzipiell im Widerspruch mit allen Versuchen ihrer Aktualisierung stehend. Entsprechend folgen aus den Problemen der reinen Pflicht die Versuche des Rückzugs aus Handlung und Sprache.142 Sprache erscheint als Lösung des Problems der Handlung, weil Sprache als Dasein des Geistes eine allgemein zugängliche Bestimmtheit ist. In der sprachlichen Äußerung wird das individuelle Selbst zu einem bestimmten Sein. Indem man spricht, erkennt man diese allgemeine Ebene performativ an.143 Deshalb soll die Sprache zunächst anstelle der 141 PhG, 474 142 Zum Konflikt von Reinheit und Bestimmung vgl. Bertram, Hegels »Phänomenologie des Geistes«, 242, 245. Konzise wird dieser Konflikt auch von Karen Feldman beschrieben: »This contradiction between the purity and immediacy of conscience’s relation to duty and the multiplicity and actuality of determinate action further reveals the split between knowing and acting conscience, and it demonstrates that conscience cannot perform the duty that it is bound to perform. The rest of Hegel’s chapter plays out the manifold aspects and movements of precisely this split. In one moment, conscience knows pure duty, that is, the knowing conscience knows a pure duty whose content is simply its own certainty and thus is not determinate. In its other moment, conscience must act and must give its action a content, a content that is necessarily in discrepancy with the purity of duty.« Feldman, Binding Words, 57. 143 Vgl. PhG, 486: »Wer darum sagt, dass er nach seinem Gesetze und Gewissen gegen die anderen handle, sagt in der Tat, dass er sie misshandle. Aber das wirkliche Gewissen ist nicht dieses Beharren auf dem Wissen und Willen, der

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Handlung das Medium sein, in dem sich alle gegenseitig anerkennen und ihre Überzeugungen aussprechen. Sprache und Handlung sind also eng verbunden: Sprache folgt als Medium des Ausdrucks auch deshalb so nahtlos auf die Handlung, weil diese von vornherein nicht für sich steht, sondern es dem gewissenhaften Selbstbewusstsein prinzipiell um die sprachliche Darstellung seiner Handlung geht. Ziel des gewissenhaften Selbstbewusstseins ist, seine Handlung als Pflicht auszuweisen: »das allgemeine Selbstbewusstsein ist frei von der nur seienden bestimmten Handlung; sie als Dasein gilt ihm nichts, sondern die Überzeugung, dass sie Pflicht ist, und diese ist in der Sprache wirklich.«144 Wie Karen Feldman unterstreicht, ist die Sprache damit von vornherein als rhetorischer Rahmen des Handelns relevant: »action is not alone what mediates between consciousnesses, but action declared to be duty is the ›middle term [Mitte]‹ […]. Language is intrinsic to the unfolding of conscience, for it performatively transforms mere action into duty.«145 Die Sprache ist das Medium, in dem sich die Überzeugung der Pflichtmäßigkeit des Handelns äußern können soll. Wie die Handlung entzieht sich aber auch die sprachliche Äußerung der Kontrolle der Sprecher:innen und entfaltet ein Eigenleben: »the declaration of conscience acquires its own being and objectivity, which render it incommensurable with the subjective conscience it is supposed to objectify.«146 Diese Eigendynamik der Sprache ist eine Eigenschaft ihrer Überdetermination: Die Sprache ist niemals nur das, was ein:e individuelle:r Sprecher:in mit ihr aussagen dem Allgemeinen sich entgegensetzt, sondern das Allgemeine ist das Element seines Daseins, und seine Sprache sagt sein Tun als die anerkannte Pflicht aus.« Vgl. ebenfalls PhG, 491: »Zugleich erkennt es nicht den Widerspruch, den es begeht, die Abwerfung, die in der Rede geschehen ist, nicht für das wahre Abwerfen gelten zu lassen, während es selbst die Gewissheit seines Geistes nicht in einer wirklichen Handlung, sondern in seinem Innern und dessen Dasein in der Rede seines Urteils hat.« Hegel hatte schon im Jenaer Vorlesungsmanuskript von 1803/04 notiert, dass die wahre Sprache in einem »Volke« das »Aussprechen« dessen ist, »was jeder meint« (vgl. JS1, 226 = GW6, 318). Was jede:r meint entspricht dann aber wesentlich dem, was eben in der Sprache im Allgemeinen zum Ausdruck gebracht wird und entzieht sich zu einem gewissen Grad den Intentionen Einzelner. Den Zusammenhang von rhetorischem Scheitern und performativem Erfolg stellt Karen Feldman ins Zentrum ihrer Interpretation des Gewissenskapitels der Phänomenologie. Vgl. dazu das zweite Kapitel in Binding Words. 144 PhG, 479; die letzte Hervorhebung stammt von mir, S.W. 145 Feldman, Binding Words, 61. Vgl. ebd., 58 zum Problem der Benennung und des Nominalismus der Pflichten. Zur Kontinuität von Hegels Theorie von Sprache und Handlung vgl. auch Schlösser, »Self-Knowledge, Action and the Language of Confession in Hegel’s Phenomenology of Spirit«. 146 Feldman, Binding Words, 62.

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möchte, sondern sie ist immer auch etwas für andere. Wäre dies nicht so, würde sie gar nicht funktionieren. Die Sprache artikuliert nie »dieses Ich«, sondern immer nur Allgemeines. Damit zeigt sich, dass es bei Hegel – entgegen der Argumentation Derridas – keine Selbstpräsenz des Individuums in der Sprache gibt. Deshalb kann aber auch die Sprache das Problem des Ausdrucks durch Handlung nicht lösen.147 Sprachlich realisierte Selbstpräsenz ist nicht das Ziel Hegels, sondern das des Bewusstseins. Betrachten wir aber zunächst die Stelle, an der Hegel die Struktur der Sprache als gelingende Artikulation des Selbst beschreibt. Das allgemeine Selbstbewusstsein ist hier Sprache, die in dieser Konstellation zu einem Handlungsersatz wird. Diese Sprache ist nicht (wie im Bildungskapitel) eine, in der das Selbst sich entfremdet, sondern eine, in der es in Form eines Geständnisses ausspricht, was seine Überzeugungen sind oder waren. Es verhält sich hier also narrativ und erzählt eine Geschichte über sich selbst. In diesem Kontext wird die Konzeption von Sprache als Dasein des Geistes wieder aufgegriffen: Wir sehen hiermit wieder die Sprache als das Dasein des Geistes. Sie ist das für andere seiende Selbstbewusstsein, welches unmittelbar als solches vorhanden und als dieses allgemeines ist. Sie ist das sich von sich selbst abtrennende Selbst, das als reines Ich = Ich sich gegenständlich wird, in dieser Gegenständlichkeit sich ebenso als dieses Selbst erhält, wie es unmittelbar mit den anderen zusammenfließt und ihr Selbstbewusstsein ist; es vernimmt ebenso sich, als es von den anderen vernommen wird, und das Vernehmen ist eben das zum Selbst gewordene Dasein.148

Auch an dieser Stelle lohnt es sich, die Sprachanalyse für einen Moment aus dem Kontext zu heben und für sich zu lesen. Zerteilen wir Hegels Aussage über die Sprache, sehen wir diese als Übergangsmoment: 1. Sprache ist das für andere seiende Selbstbewusstsein. 2. Srache ist das sich von sich abtrennende Selbst, a. das als reines Ich = Ich sich gegenständlich wird, b. in dieser Gegenständlichkeit sich ebenso als dieses Selbst erhält, c. wie es unmittelbar mit den anderen zusammenfließt und ihr Selbstbewusstsein ist. 147 Vgl. Feldman, 63: »insofar as conscience produces speech, that speech takes on a being of its own and thus only its echo, not the performance itself, returns to conscience. Conscience speaks and hears its own speech immediately, and yet this speech act, once performed, is not entirely its own because it is a being-for-others as well. [...] The problem of conscience being in its acts is thus repeated with respect to conscience being in its speech«. 148 PhG, 478f. Zur Relevanz des narrativen Moments vgl. Hyppolite, Genesis and Structure, 512.

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Sprache ist demnach ein komplexer (Untersuchungs-)Gegenstand. Sprache ist selbst ein Prozess, da sich in ihr das Selbst einerseits von sich abtrennt, andererseits sich dabei auch als Selbst erhält. Tatsächlich wird mit dem Partizip »abtrennend« ein Bewegungs- bzw. Übergangsmoment eingefroren (wie durch den Begriff der Ansteckung im Bildungskapitel). Im Schritt 2.c. erfolgt als Synthese dieses Abtrennens und Erhaltens – die aber mit diesem Prozess zugleich »unmittelbar« identisch sein soll – das »Zusammenfließen« des Selbst mit »den anderen«. Sprache hat hier also die Form einer Bewegung vom unbestimmten zum konkreten Allgemeinen: In 2.c. sind wir wieder bei 1. angelangt und haben dabei eine Bewegung von Vagheit zu einer bestimmten Allgemeinheit durchgeführt. Sprache führt diese Bewegung permanent durch, insofern sie das sich abtrennende Selbst ist. Hegel versteht Sprache daher als permanente Trennung. Sie ist eine konstante Differenzierung bzw. Artikulation. Dabei wird in diesem Zusammenhang immer die Frage nach der Einheit des Ich gestellt: Worin kann diese bestehen, wenn das »Ich« in der Sprache immer aufgetrennt wird? Diese Einheitsfunktion wird überhaupt erst zugänglich, wenn sich die Einheit nicht mehr erhält, sondern zerfällt. Bemerkenswert ist, dass Sprache hier gar nicht mehr semiotisch über bedeutsame Zeichen verstanden wird, sondern als sozialer Prozess der Konstitution von (Selbst-)Bewusstsein. Sprache ist ein sich differenzierendes allgemeines »Selbst«, das heißt ein selbstbezüglicher, systematischer Zusammenhang. Damit gibt diese Passage auch bereits Aufschluss über das »Wort der Versöhnung«, mit dem das Kapitel schließt. Das Wort als solches ist bereits Wort der Versöhnung, insofern es überhaupt als Sprache verstanden wird, denn das bloße Stattfinden von Sprache ist für Hegel bereits der Prozess eines sich ausdifferenzierenden allgemeinen Selbstbewusstseins.149 Wesentlich für dieses allgemeine Selbstbewusstsein ist aber, dass Individuen sich davon distanzieren können. Bevor wir auf die (notwendigen) Versuche des Individuums eingehen, sich als Einzelnes aus diesem Zusammenhang herauszunehmen, können wir vorgreifend feststellen, dass aus Hegels Verständnis der Sprache folgt, dass Sprache letztlich nur dann als Dasein des Geistes funktionieren kann, wenn sie als Gemeinschaftsprodukt angesehen wird. Nur durch eine allgemeingültige Sprache kann sich das Individuum geltend machen (nur durch eine allgemeingültige Sprache kann also ein Geständnis gelingen). Zu einer solchen Sprache müssen alle »beitragen«:

149 Theodor Bodammer hat in diesem Kontext den Zusammenhang von Sprache und Hegels Theorie des Schlusses untersucht. Zur Schlussform als Darstellung, Permutation und Kreislauf vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 234.

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Sein Geständnis ist nicht eine Erniedrigung, Demütigung, Wegwerfung im Verhältnisse gegen das Andere; denn dieses Aussprechen ist nicht das einseitige, wodurch es seine Ungleichheit mit ihm setzte, sondern allein um der Anschauung der Gleichheit des Anderen willen mit ihm spricht es sich, es spricht ihre Gleichheit von seiner Seite in seinem Geständnisse aus und spricht sie darum aus, weil die Sprache das Dasein des Geis­ tes als unmittelbaren Selbsts ist; es erwartet also, dass das Andere das Seinige zu diesem Dasein beitrage.150

Die Erkenntnis, dass Sprache als Dasein des Allgemeinen etwas ist, wozu alle beitragen müssen, steht aber erst am Ende des Kapitels und wird nur über einen Konflikt erreicht, in dem auch das Ausdrucksmedium Sprache (wie die Handlung) noch einmal verweigert wird und in Form der »Heuchelei« ein Rückzug aus der Sprache stattfindet. 2.3 Die Konflikte von Einzelnem und Allgemeinem In der Sprache des Gewissens verkündet ein individuelles »Ich«, aus Überzeugung gehandelt zu haben. »Ich« rechtfertige meine (vergangenen) Handlungen, indem ich mich auf die allgemeine Instanz des Pflichtgemäßen berufe. Das Geständnis handelt wesentlich davon, wie ich aus meiner (erstpersonalen) Perspektive die Dinge sehe, was letztlich niemand überprüfen kann.151 Indem ich meine Überzeugungen verkünde, 150 PhG, 490. Die letzte Hervorhebung stammt von mir, S.W. Das Problem unterscheidet sich zwischen Bildungs- und Gewissenskapitel: Sprache der Zerrissenheit ist eine Überidentifikation mit der bzw. ein Sich-Ausliefern an die Sprache. Heuchelei ist aber ein Rückzug aus der Sprache, eine Verweigerung der allgemeinen Ebene. 151 Daher beschreibt das Geständnis des Gewissens ein wesentlich narratives Moment unseres Verhältnisses zu unseren Handlungen, indem wir ihnen nachträglich eine Bedeutung verleihen. Sehr pointiert formuliert dies Jean Hyppolite: »The past awaits its meaning from the future.« Hyppolite, Genesis and Structure, 495. Auch Robert Pippin und Allen Speight haben die Nachträglichkeit der Bedeutung der Handlung als zentrales Moment von Hegels Handlungstheorie beschrieben; vgl. z.B. Pippin, »Hegel’s Social Theory of Agency: The ›Inner-Outer‹ Problem«. Speight verbindet diese Überlegung zudem mit der besonderen Rolle der literarischen Adaptionen in der Phänomenologie, die im Gewissenskapitel v.a. in Form der Geständnisliteratur relevant sind. Neben Rousseaus Bekenntnissen (Confessions) und Goethes Schilderung der schönen Seele in Wilhelm Meisters Lehrjahre weist Speight auch Bezüge zu Jacobis Woldemar nach. Vgl. dazu das vierte Kapitel in Speight, Hegel, Literature, and the Problem of Agency. Während es in den Überlegungen Pippins und Speights zur Nachträglichkeit vor allem um die Relevanz unumgänglicher Kontingenzen unserer Handlungen geht, erhält dieses Konzept – auch als Anachronismus, Delay oder Retroaktivität

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kann ich deshalb niemanden überzeugen, der oder die nicht bereits überzeugt ist und daher beruht dieser Sprachmodus auf einer im Voraus gewährten Anerkennung der ausgedrückten Überzeugungen. Solange alle glauben, dass ihre individuellen Überzeugungen die richtigen sind, können auch alle anderen individuellen Überzeugungen anerkannt werden. Sobald aber angezweifelt wird, dass die innere Überzeugung dem Allgemeinen entspricht, ziehen sich die Individuen jeweils auf eine eigene Position zurück. Darin zeigt sich, dass die bis dahin bestehende Anerkennung haltlos war, weil ihr Gegenstand – die Übereinstimmung von allgemeiner Pflicht und individueller Überzeugung – nicht objektiviert werden kann.152 Ausgehend von diesem Problem analysiert Hegel verschiedene Formen des Rückzugs aus der Sphäre allgemein geteilter Anerkennung, ihrer Verweigerung und Erschleichung. Es handelt sich um einen Rückzug ins »Innerste« des Subjekts, das durch diese Bewegung in der extremsten Form der Individualität »zugespitzt« wird.153 Der Gegenstand des Bewusstseins reduziert sich auf sein Selbst. Hier liegt also die extremste Form von Selbstbewusstsein vor: Der Gegenstand des Bewusstseins »ist das vollkommen Durchsichtige, es ist sein Selbst, und sein Bewusstsein ist nur das Wissen von sich.« Durch diese Bewegung »versinkt« das Bewusstsein in sich; es implodiert. Auf dieser Stufe ist das Wissen des Selbstbewusstseins ein rein partikulares Wissen und dieses partikulare Wissen ist für das wissende Bewusstsein darüber hinaus die substantielle Grundlage seines Weltverhältnisses – eines Weltverhältnisses allerdings, das aufgrund dieser Konzeption ausschließlich ein Selbstverhältnis ist: Für das Bewusstsein ist »die ansichseiende Substanz das Wissen als sein Wissen.«154 Diese Form des Selbstbewusstseins behandelt Hegel unter dem Titel der schönen Seele. Dieses Selbstbewusstsein äußert sich zwar auch in einer Form der Rede. Diese Rede erreicht aber niemanden. Man kann dieses Moment durchaus als Prototyp der von Derrida kritisierten illusorischen Selbstpräsenz in der Rede verstehen: Was das Selbstbewusstsein in der Rede findet, ist jeder eigenen Gegenständlichkeit beraubt. Es kann daher kein »Negatives« für das Bewusstsein sein. Dadurch ist diese Rede nur ein Echo des partikulären Selbstverständnisses des Individuums und entbehrt jeglicher Reibung. Wie Hegel schreibt, findet das Selbstbewusstsein gerade aus diesem Grund nicht zu einer eigentlichen Realität. Es löst – in den Deutungen von Rebecca Comay, Frank Ruda und Slavoj Žižek eine noch umfassendere Bedeutung. Vgl. z.B. in Bezug auf die »Rückwirkung« einer Entschuldigung: Žižek, Weniger als Nichts, 283. 152 Vgl. hierzu PhG, 481f. 153 PhG, 482f. 154 PhG, 483

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sich als »gestaltloser Dunst« in Luft auf,155 weil es seinen Äußerungen nicht erlaubt, ein eigenes Sein – und damit eine echte Differenz zu seinem unmittelbaren Selbstverhältnis (ein »absoluter Unterschied«) zu sein. Die schöne Seele verweigert damit das Sein selbst und bleibt ein Substanzloses Denken (das Hegel als »Sehnen« bezeichnet): Die absolute Gewissheit seiner selbst schlägt ihr also als Bewusstsein unmittelbar in ein Austönen, in Gegenständlichkeit seines Fürsichseins um; aber diese erschaffene Welt ist seine Rede, die es ebenso unmittelbar vernommen und deren Echo nur zu ihm zurückkommt. Diese Rückkehr hat daher nicht die Bedeutung, dass es an und für sich darin ist; denn das Wesen ist ihm kein Ansich, sondern es selbst; ebensowenig hat es Dasein, denn das Gegenständliche kommt nicht dazu, ein Negatives des wirklichen Selbsts zu sein, so wie dieses nicht zur Wirklichkeit [kommt]. Es fehlt ihm die Kraft der Entäußerung, die Kraft, sich zum Dinge zu machen und das Sein zu ertragen. Es lebt in der Angst, die Herrlichkeit seines Innern durch Handlung und Dasein zu beflecken; und um die Reinheit seines Herzens zu bewahren, flieht es die Berührung der Wirklichkeit und beharrt in der eigensinnigen Kraftlosigkeit, seinem zur letzten Abstraktion zugespitzten Selbst zu entsagen und sich Substantialität zu geben oder sein Denken in Sein zu verwandeln und sich dem absoluten Unterschiede anzuvertrauen.156

Auf diese Entäußerungsbewegung wird Hegel im Kapitel zum absoluten Wissen zurückkommen; der Geist ist konzeptuell gerade so angelegt, dass er sich nicht gegen seine Entäußerung – und damit gegen sein Anders-Werden wehrt. Die hier dargestellte Konzeption des Bewusstseins führt dagegen nicht nur zu einem substanzlosen Individualitätsverständnis; auch die Sprache, durch die sich die so konzipierte Individualität ausdrückt, leidet unter dem Rückzug ins Innere. Die Geständnisse der individuellen Überzeugung werden zu »Heuchelei«, was sich zunächst darin ausdrückt, dass die Worte nur noch eine »Oberfläche« bilden, unter oder hinter der das innere (für sich seiende) Wesen verborgen ist. Damit »zerfällt« die Sprache: die Sprache, in der sich alle gegenseitig als gewissenhaft handelnd anerkennen, diese allgemeine Gleichheit zerfällt in die Ungleichheit des einzelnen Fürsichseins, jedes Bewusstsein ist aus seiner Allgemeinheit ebenso schlechthin in sich reflektiert [meine Hervorhebungen, S.W.]; hierdurch tritt der Gegensatz der Einzelheit gegen die anderen Einzelnen und gegen das Allgemeine notwendig ein, und dieses Verhältnis und seine Bewegung ist zu betrachten. – Oder diese Allgemeinheit und die Pflicht hat die schlechthin entgegengesetzte Bedeutung der bestimmten, 155 PhG, 484 156 PhG, 483. Die Hervorhebungen ab »Es fehlt ihm die Kraft...« stammen von mir, S.W.

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von dem Allgemeinen sich ausnehmenden Einzelheit, für welche die reine Pflicht nur die an die Oberfläche getretene und nach außen gekehrte Allgemeinheit ist; die Pflicht liegt nur in den Worten und gilt als ein Sein für Anderes.157

Die zerfallene Sprache vermittelt nicht mehr zwischen den Individuen; stattdessen tritt deren Ungleichheit hervor. Jedes individuelle Bewusstsein ist in sein spezifisches Fürsichsein »reflektiert« und trennt sich vom Allgemeinen ab. Eine sich von dem Allgemeinen ausnehmende Einzelheit ist Heuchelei bzw. das Böse. »Böse sein« bedeutet, seine eigene Partikularität aus dem Ganzen herauszuheben und gegen dieses geltend zu machen (dementsprechend ist das Böse eine Grundeigenschaft individueller empirischer Existenz). An dieser Stelle kommen wiederum Verhältnisse der Gleichheit und Ungleichheit ins Spiel, wie bereits im Bildungskapitel.158 Allerdings sind die Rahmenbedingungen hier verschärft, da es nicht mehr um die Beziehung eines Individuums zu einer normativen Institution (wie etwa der Staatsmacht) geht, sondern um das Verhältnis zu dem, was allgemeines moralisches Gesetz sein soll. Die Heuchelei zeigt sich im Konflikt eines handelnden und eines urteilenden Bewusstseins: Diesem Festhalten an der Pflicht [der Einstellung des beurteilenden Bewusstseins, S.W.] gilt das erste Bewusstsein [das handelt und seine Handlung als pflichtgemäß ausspricht, S.W.] als das Böse, weil es die Ungleichheit seines Insichseins mit dem Allgemeinen ist, und, indem dieses zugleich sein Tun als Gleichheit mit sich selbst, als Pflicht und Gewissenhaftigkeit ausspricht, als Heuchelei.159

Dabei ist Heuchelei nur das bisherige Verhältnis unter Abzug des allgemeinen Einverständnisses darüber, dass die individuellen Überzeugungen dem Allgemeinen entsprechen, weil die Erkenntnis gewonnen wurde, dass meine individuelle Überzeugung sich immer in einer gewissen Diskrepanz zum absolut Allgemeinen befindet. Für das Bewusstsein stellt sich diese Diskrepanz hier als absolute Diskrepanz dar – als unüberwindbarer Unterschied zwischen der Faktizität der persönlichen Existenz und der Allgemeinheit des moralischen Gesetzes. Daher ist die Individualität böse und ihr Bekenntnis zum moralischen Gesetz heuchlerisch. In dieser Konstellation kann aber auch die Sprache kein gegenseitiges Verständnis mehr gewährleisten. Die Heuchelei zeigt sich als instrumentelles (Sprach-)Verhältnis. Sie 157 PhG, 484 158 PhG, 485 159 PhG, 485; vgl. auch PhG, 486: »Es gesteht sich in der Tat als Böses durch die Behauptung ein, dass es, dem anerkannten Allgemeinen entgegengesetzt, nach seinem inneren Gesetze und Gewissen handle.« Im Übrigen gilt das auch für Theorien, dies sich das Ganze unterwerfen. Zum Zusammenhang von Insichsein und dem Bösen vgl. Pöggeler, Hegels Kritik der Romantik, 39.

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ist zugleich aus diesem Anerkennen der Sprache ebensosehr heraus und in sich reflektiert, und darin, dass sie das Ansichseiende nur als ein Sein für Anderes gebraucht, ist vielmehr die eigene Verachtung desselben und die Darstellung seiner Wesenlosigkeit für alle enthalten. Denn was sich als ein äußerliches Werkzeug gebrauchen lässt, zeigt sich als ein Ding, das keine eigene Schwere in sich hat.160

Die Heuchelei betrachtet also das, was in der Sprache geäußert wird, nur als Sein für anderes und damit als völlig substanzlos. Dieser höchste Grad der Trennung wird kurz vor dem Abschluss des Gewissenskapitels (und damit des gesamten Geistkapitels) damit erreicht, dass die Sprache als allgemeines Medium der Anerkennung abgelehnt wird. Dementsprechend ist die Szene des Verzeihens des Bösen durch das Wort der Versöhnung auch ein Moment, in dem die Kapazität des Wortes an sich zur Debatte steht. 2.4 Das Wort der Versöhnung und der Übergang zum absoluten Geist In der Szene der Verzeihung des Bösen wird durch das »Wort der Versöhnung« der Übergang zum absoluten Geist erreicht. Wie ist das zu verstehen? Hegel schreibt: Das Wort der Versöhnung ist der daseiende Geist, der das reine Wissen seiner selbst als allgemeinen Wesens in seinem Gegenteile, in dem reinen Wissen seiner als der absolut in sich seienden Einzelheit anschaut, – ein gegenseitiges Anerkennen, welches der absolute Geist ist.161

Vor dieser Versöhnungsszene steht eine Reihe von Konflikten, die verschiedene Formen der Verweigerung von Objektivität beinhalten (wir haben bereits die Probleme der schönen Seele und der Heuchelei verfolgt). Die entscheidende Schlussszene beschreibt das Geständnis und die Verzeihung des Bösen. In ihrem Zentrum steht die Frage, unter welchen Bedingungen ein Sprechakt wirksam sein und damit Wirklichkeit haben kann. Der Konflikt besteht hier zwischen einem handelnden und einem urteilenden Bewusstsein. Das handelnde Bewusstsein verwirklicht seine Partikularität durch seine Handlungen, gesteht dann aber gegenüber dem urteilenden Bewusstsein diese Partikularität und das darin liegende Moment des Bösen ein, wodurch es einen Schritt in die Allgemeinheit macht. Das urteilende Bewusstsein ist zunächst Agent:in des Allgemeinen, insofern es nicht handelt (seine Partikularität also nicht verwirklicht), sondern nur die Beurteilung der Anderen als seine spezifische Handlung betrachtet. In dem Moment, wo es das Geständnis des handelnden Bewusstseins verweigert, wird das urteilende Bewusstsein allerdings selbst partikular und gerät in einen Widerspruch: Es versteht 160 PhG, 486 161 PhG, 493

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zwar sein eigenes urteilendes Reden als wirkliche Aktualisierung des Allgemeinen, nicht aber das Bekenntnis des handelnden Bewusstseins (in der Zurückweisung der oder des Anderen zeigt sich das urteilende Bewusstsein als »harte[s] Herz«162). Das urteilende Bewusstsein spricht damit seiner eigenen Sprache und seinen eigenen Sprechakten eine Objektivität zu, die es denen der Anderen verweigert – es versteht nur seine Sprache (d.h. seine Bewertung des handelnden Bewusstseins) eigentlich als Sprechakt, während es der Sprache der oder des Anderen vorwirft, lediglich eine oberflächliche Hülle (also bloß rhetorisch) zu sein. Das urteilende Bewusstsein beansprucht also die Autorität über die Kriterien der Geltung der Sprache (also des Daseins des Geistes) für sich. Damit entzieht es sich der Gleichheit mit seiner:seinem Interaktionspartner:in (dem handelnden und sich bekennenden Bewusstsein) und »verleugnet« so den beide einschließenden Geist. Zugleich erkennt es, wie Hegel fortfährt, nicht den Widerspruch, den es begeht, die Abwerfung, die in der Rede [des handelnden Bewusstseins, S.W.] geschehen ist, nicht für das wahre Abwerfen gelten zu lassen, während es selbst die Gewissheit seines Geis­ tes nicht in einer wirklichen Handlung, sondern in seinem Innern und dessen Dasein in der Rede seines Urteils hat. Es ist es also selbst, das die Rückkehr des Anderen aus der Tat in das geistige Dasein der Rede und in die Gleichheit des Geistes hemmt und durch diese Härte die Ungleichheit hervorbringt, welche noch vorhanden ist.163

Wie Hegel schreibt, ist die Auflösung dieses Widerspruchs allerdings prinzipiell schon vorhanden, denn das urteilende Bewusstsein muss nur die Bewegung des Bekenntnisses des handelnden Bewusstseins wiederholen, so dass beide ihre einseitige Positionierung gegeneinander aufgeben. Dann können beide sich als Momente eines Ganzen, d.h. eines Interaktionszusammenhangs erkennen. Gerade, weil beide Kontrahent:innen (wenn auch auf unterschiedliche Weise) ihre Einzelheit und ihre Allgemeinheit geltend machen, sind sie sich formal gleich. In dem Moment, wo die Beteiligten diesen Punkt wissend reflektieren, kommt Bewegung in den Widerspruch und die Verwirklichung dieses Wissens geschieht durch die »Bewegung dieses Gegensatzes«, also durch die Reflexion auf die (logischen) Verhältnisse des realen sozialen Konflikts, in dem beide sich befinden: [D]ieser Gegensatz ist vielmehr selbst die indiskrete Kontinuität und Gleichheit des Ich = Ich; und jedes für sich eben durch den Widerspruch seiner reinen Allgemeinheit, welche zugleich seiner Gleichheit mit dem Anderen noch widerstrebt und sich davon absondert, hebt an ihm selbst sich auf.164 162 PhG, 490 163 PhG, 491 164 PhG, 494; die »Bewegung des Gegensatzes« wird auch auf Seite 485 bereits antizipiert.

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Beide Kontrahent:innen erkennen in dieser Bewegung eine Sphäre des objektiven Daseins an, das durch Sprache und Handlung be- und entsteht. Sie erkennen damit an, dass das Wesentliche das ist, was auch erscheint und damit allgemein zugänglich ist. Umgekehrt formuliert verzichten sie damit auf ihr »unwirkliches Wesen« (also auf das »reine« Wesen, das gerade aufgrund seiner Reinheit nicht erscheint). 165 Hegel schildert in dieser Szene eine Akzeptanz des »Wortes« bzw. der Entäußerungsbewegung, die durch Sprache notwendigerweise stattfindet und durch die das Einzelne und das Allgemeine aufeinander bezogen sind. Er betont aber, dass dieses Wort nur durch maximale Zuspitzung des Gegensätzlichen – also der Sprecher:innen zueinander und zur Sprache – in Erscheinung tritt: Das Wort der Versöhnung ist der daseiende Geist, der das reine Wissen seiner selbst als allgemeinen Wesens in seinem Gegenteile, in dem reinen Wissen seiner als der absolut in sich seienden Einzelheit anschaut, – ein gegenseitiges Anerkennen, welches der absolute Geist ist. Er tritt ins Dasein nur auf der Spitze, auf welcher sein reines Wissen von sich selbst der Gegensatz und Wechsel mit sich selbst ist.166

In beiden beteiligten »Ichs« findet sich also eine Übereinstimmung, ein Ineinander-Stehen von Einzelheit und Allgemeinheit. Damit stehen Einzelheit und Allgemeinheit nicht mehr in dem Sinne in Konflikt, dass eines der beiden Momente einseitig ein Vorrecht gegenüber dem anderen behaupten kann. Vielmehr sind Einzelheit und Allgemeinheit konstitutiv aufeinander bezogen (weshalb sie als »Momente« bezeichnet werden) und ihr Konflikt ist daher wirklichkeitskonstitutiv.167 165 PhG, 492. Hegel geht es auch hier schon (wie auch später im Kapitel zum absoluten Wissen) darum, dass sich Individuen in dieses bestimmte Sein entäußern, also von ihrem Gegensatz zum Allgemeinen »ablassen« (PhG, 494). 166 PhG, 493 167 Vgl. PhG, 492: »Das verwirklichende Selbst, die Form seiner Handlung, ist nur ein Moment des Ganzen und ebenso das durch Urteil bestimmende und den Unterschied der einzelnen und allgemeinen Seite des Handelns festsetzende Wissen. Jenes Böse setzt diese Entäußerung seiner oder sich als Moment, hervorgelockt in das bekennende Dasein durch die Anschauung seiner selbst im Anderen. Diesem Anderen aber muss, wie jenem sein einseitiges, nicht anerkanntes Dasein des besonderen Fürsichseins, so ihm sein einseitiges, nicht anerkanntes Urteil brechen; und wie jenes die Macht des Geistes über seine Wirklichkeit darstellt, so dies die Macht über seinen bestimmten Begriff.« Die letzten beiden Hervorhebungen stammen von mir, S.W. Bertram betont (auch gegen Brandoms Überschätzung des Versöhnungsmoments), dass die Kontrahent:innen nicht erst durch die Versöhnung einen Bezug zueinander herstellen, sondern dass sie in diesem Moment lediglich feststellen, dass sie im und durch den Konflikt bereits aufeinander bezogen sind. Er bezieht diesen Punkt aber nur auf die soziale Ebene und nicht auch

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Dieser Differenzierungsprozess von Momenten der Allgemeinheit und Einzelheit zur Erkenntnis über die notwendige Koinzidenz beider lassen sich auch als Reflexion auf die komplementären Formen einzelnen und allgemeinen Wissens lesen (diese Dimension hat sich auch in Hegels Diskussion der schönen Seele schon angedeutet, die ihr Wissen insgesamt als ihr wesentlich partikuläres Wissen von sich selbst verstand). Hegel zufolge ist »der absolute Geist« der »daseiende Geist, der das reine Wissen seiner selbst als allgemeinen Wesens in seinem Gegenteile, in dem reinen Wissen seiner als der absolut in sich seienden Einzelheit anschaut«. Dieses Konstrukt ist das »Wort der Versöhnung«.168 In Bezug auf die Interpretation des Verhältnisses von allgemeinem und einzelnem Wissen und die Reflexion dieses Verhältnisses als Form des absoluten Geistes folge ich der Interpretation von Guido Kreis. Wie Kreis schreibt, realisiert sich das allgemeine Wissen im einzelnen Wissen [...], insofern das einzelne Wissen selbst eine allgemeine Perspektive einnimmt. Der absolute Geist ist nun nicht etwa das gegenüberstehende allgemeine Wissen allein, sondern der Zusammenhang [meine Hervorhebung, S.W.] von allgemeinem und einzelnem Wissen. Der absolute Geist ist selbst »ein gegenseitiges Anerkennen« zweier Wissensformen: das Allgemeinwerden des einzelnen Wissens, aber so, dass das allgemeine Wissen nie den möglichen Anerkennungsfokus des einzelnen Wissens transzendieren darf. Der absolute Geist wäre also gar nichts, wenn es nicht uns gäbe, die im jeweiligen einzelnen Denken die Perspektive des allgemeinen Denkens anerkennten. Wir sind der absolute Geist – insofern wir als einzelne allgemein denken.169

Dabei handelt es sich insofern um eine für das Verständnis von Sprache zentrale Einsicht, als darin zugleich begründet ist, dass Sprache nur dann funktioniert, wenn sie die individuellen Absichten einzelner Sprecher:innen überschreitet. Diese Einsicht macht Hegel ex negativo plausibel, indem er eine Reihe negativer Erfahrungen mit der Sprache und verschiedenen Formen des Rückzugs aus ihr schildert. Das gesamte Gewissenskapitel bildet eine Folge von Versuchen, sich als partikulares Selbst der Objektivierung zu entziehen. In dem Moment, wo die entgegengesetzten Figuren sich aber als Momente einer geteilten Konstellation erkennen und akzeptieren, reflektieren sie auf ihre eigene Objektivität. Sie reflektieren damit den Geist als objektiv (durch Dasein bzw. Erscheinung) realisiert. Der Vollzug dieser »entpartikularisierenden« Reflexion des Geistes auf sich selbst als objektiven Geist ist der absolute Geist.170 auf die logisch-kategoriale; vgl. Bertram, Hegels »Phänomenologie des Geistes«, 252. 168 PhG, 493 169 Kreis, Negative Dialektik des Unendlichen, 216. 170 Kreis, 218.

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Absoluter Geist ist also kein gegebenes, an sich bestehendes Objekt, sondern der Vollzug der Reflexion des Geistes auf seine eigenen Strukturen.171 Genau diese Reflexion wird im Religionskapitel der Phänomenologie ihrerseits zum Gegenstand der Untersuchung gemacht, wobei es insbesondere darum geht, wie die selbstreflexive Vollzugsform des Geistes in verschiedenen Medien dargestellt werden kann.

3. Fazit Im Geistkapitel der Phänomenologie werden verschiedene negative Erfahrungen mit der Sprache gemacht, die aber letztlich in die unumgängliche Akzeptanz des Mediums Sprache münden. Diese beiden Erfahrungsmomente werden auf dem Niveau des absoluten Geistes in einer Theorie der gezielten Transformation der sprachlichen Ausdrucksmittel zum Zweck einer Darstellung des Geistes zusammengedacht. Damit werden die welterschließende Funktion der Sprache und ihre Exemplifikation in ästhetischer Sprache zum Thema. Wie sich dabei herausstellt, bedeutet die prinzipielle Akzeptanz des Mediums Sprache in keiner Weise die Akzeptanz eines bestimmten Ist-Zustandes von Sprache oder einer bestimmten (komplexeren) sprachlichen Ausdrucksform. Bei jeder sprachlichen Äußerung treten (wie bei jeder Handlung) Kontingenzeffekte auf, die das Allgemeine notwendigerweise partikularisieren. Wie wir bereits anhand des Kapitels über Physiognomik und Schädellehre rekonstruiert haben, unterstreicht Hegel, dass das Individuum sich in seinen Äußerungen in Sprache und Handlung nicht mehr »an ihm selbst [...] behält und besitzt« und der sprachliche Ausdruck nicht gänzlich mit einer Sprechabsicht zur Deckung kommt.172 Während also die 171 Wie Kreis rekonstruiert, konstituiert die wissende Instanz den absoluten Charakter ihrer eigenen Reflexion also mit (vgl. ebd., 217). Seine Analyse der Passage zum »Wort der Versöhnung« löst diese Stelle aus ihrem Kontext, so dass sie zwar hilfreich für das Verständnis des Begriffs des absoluten Geistes ist, dies aber auf Kosten der sozialen und sprachlichen Dimension des Gewissenskapitels erreicht. 172 Vgl. PhG, 235; wie Hegel dort schreibt bringt die Sprache das Innere zugleich »zu sehr« und »zu wenig« nach außen. Karen Feldman unterstreicht in ihrer Analyse des Gewissenskapitels, dass diese Problematik auch dort im Zentrum steht: »Conscience in Hegel’s Phenomenology allegorizes the susceptibility of performatives to actualizing the unexpected – to accomplishing more than, less than, or something other than what was foreseen. In its illustrations of the inadvertent rhetorical effects of binding performative declaration, the chapter on conscience in the Phenomenology stages the vulnerability of our own speech acts to excessive and unpredictable effects.« Feldman, Binding Words, 49f.

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FAZIT

Reflexion auf diese Struktur entpartikularisierend ist, produziert die Artikulation dieser Reflexion wiederum Bestimmtheiten. Sie deckt niemals alle Aspekte ab. Diese Effekte können aber durch ästhetische Sprache produktiv gemacht werden. Dabei werden die Bestimmtheiten der Sprache in ihrer Eigendynamik in Szene – und damit zugleich in Beziehung zur Entwicklung des sprachlichen Gegenstandes gesetzt.173 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Sprache und Handlung als Formen der Entäußerung Differenzierungen produzieren, durch die erst erkennbar wird, was eigentlich ein innerer Zusammenhang ist. Karen Feldman hat daher vorgeschlagen, die Phänomenologie insgesamt performativ zu lesen. In dieser Konzeption erhält die Bewegung der Darstellung eine ontologische Dimension: The failures of conscience’s speech act are […] instructive with regard to the Phenomenology as a whole, when taken as a speech act in its own right. […] Hegel’s preface suggests that the Phenomenology is not simply about the unfolding of Spirit but instead enacts the unfolding of Spirit. The book should thus be binding upon the world in a peculiar way, as the very movement and unfolding of Spirit in the world. The narration of Spirit’s progress in the Phenomenology, according to Hegel, is strangely inseparable from, and perhaps even performs, that progress itself. The possibility of reading the Phenomenology of Spirit as a speech act, as a performative text with binding force, hinges in large part on the darstellen, or presenting, to which Hegel refers when he writes, »It is this becoming of Science as such, or of knowledge, that this Phenomenology of Spirit … presents [darstellt]«.174

Die Darstellung des Geistes wird mit dem Beginn des Religionskapitels selbst zum Thema der Phänomenologie, die damit beginnt, ihre eigene Funktionsweise als philosophischer Text reflexiv einzuholen.

173 Diese komplexe Bewegung hat Catherine Malabou als Akzidentell-Werden des Wesens und Wesentlich-Werden des Akzidentellen bestimmt; vgl. Malabou, L’avenir de Hegel, 220–22 sowie Malabou, »Dialektik und Dekon­ struktion: ein neues ›Moment‹«, 159. 174 Feldman, Binding Words, 75. Feldman bezieht sich hier auf PhG, 31: »Dies Werden der Wissenschaft überhaupt oder des Wissens ist es, was diese Phänomenologie des Geistes darstellt.« Im Hintergrund steht dabei auch Judith Butlers Hegel Interpretation; vgl. z.B Subjects of Desire, 18–19.

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Teil 5: Sprache und die Darstellung des Absoluten – die welterschließende Dimension der Sprache und ihre Bedeutung für die philosophische Wissenschaft Wie bereits im letzten Kapitel bemerkt, versteht Hegel »Religion« als das »Sprechen der Gemeinde über ihren Geist«.1 In diesem Sinne geht es im Religionskapitel der Phänomenologie um die sprachliche »Darstellung des Geistes«.2 »Religion« ist eine Praxisform, die mit sprachlichen Mitteln (und auf dem Weg dorthin auch in nicht-sprachlichen Medien) zu erschließen versucht, was Geist ist. Mit Beginn des Religionskapitels rückt deshalb die welterschließende – und damit auch die ästhetische – Dimension der Sprache ins Zentrum. Dabei thematisiert Hegel insbesondere die Wechselwirkungen zwischen Darstellungsform und Erkenntnismöglichkeiten; diese sind für eine Theorie des Geistes deshalb besonders relevant, weil Geist eine selbsterkennende Struktur ist und dieses Strukturmoment in der Darstellung berücksichtig werden muss. Beginnend mit dem Religionskapitel wird Sprache nicht mehr primär als Medium der sozialen Kommunikation erfahren, das in bestimmten Konfliktsituationen auffällig wird, sondern aktiv als Gestaltungsmedium im Rahmen einer autonomen Praxis der Selbstdarstellung des Geistes eingesetzt. Im letzten Großabschnitt der Phänomenologie geht es für das Bewusstsein selbst um die Darstellung des Absoluten und die Rolle der Sprache in diesem Projekt. Die verschiedenen Praktiken, die Hegel unter dem Titel »Religion« untersucht, produzieren Gestalten des Geistes, sie gestalten also ihr eigenes Selbstverständnis. Daher geht es Hegel nicht um das, was wir gewöhnlich unter Religion verstehen, sondern allgemeiner um die Vermittlung des Geistes mit sich selbst und um die Frage, wie Geist sich selbst gegenständlich werden kann. Zu diesem Prozess, den Hegel als absoluten Geist bezeichnet (weil der Geist hier auf sich selbst als Geist Bezug nimmt), gehören Praktiken die wir im engeren Sinne als Kunst, Religion oder Philosophie bezeichnen und ihre Gemeinsamkeit liegt darin, dass sie alle (in unterschiedlicher Form) am Selbstverständnis des Geistes arbeiten. Wir finden also im Religionskapitel keine Theorie 1 PhG, 482; etymologisch kann der Terminus »Religion« auf das lateinische religare (verbinden) verweisen, also die von Hegel angesprochene »synthetische Verbindung«, oder auf re-legere, also auf das wiederholtes Lesen und damit auf eine hermeneutische Aktivität; vgl. Smith, The Spirit and its Letter, 135n89. 2 PhG, 560

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DER ÜBERGANG ZUR RELIGION UND DIE ROLLE DES RELIGIONSKAPITELS

über Religion, sondern eine Weiterentwicklung der Theorie des Geistes (die auch im Sinne Brandoms als Teil eines »synthetischen Rationalismus« verstehen werden kann).3 In diesem Zusammenhang rückt die Untersuchung der Theorieform und der Praxis der Theorie ins Zentrum, denn die Frage des Religionskapitels ist im Wesentlichen: Durch welche Darstellungsweisen kann vermittelt werden, was Geist und was der Mensch als geistiges Wesen ist? Deshalb enthält das Religionskapitel auch Hinweise dazu, wie die Phänomenologie selbst zu lesen ist – nämlich indem man die Theorie der Darstellungsformen, die hier entwickelt wird, wiederum auf das Buch anwendet. Dabei ist der zentrale Punkt, dass Hegel verschiedene Sprachen bzw. Vermittlungsformen untersucht, deren philosophisches Potential wesentlich aus ihrer Kombination entsteht, durch die ihre jeweilige Limitation aufgehoben wird. Seine Theorie läuft darauf hinaus, dass die Philosophie nicht auf eine bestimmte Sprache bzw. Sprachform festgelegt ist, sondern sich vielmehr in einer großen Bandbreite sprachlicher Modi artikuliert. Zwar haben alle Darstellungsformen, die im Religionskapitel diskutiert werden, eine spezifische Grenze; zusammen bilden sie aber gewissermaßen Hegels sprachliches Repertoire bzw. den Pool, aus dem er schöpft. Hegel entwickelt die philosophische Form – und die philosophische Sprache – wesentlich in einer Auseinandersetzung mit künstlerischen und religiösen Formen.

1. Der Übergang zur Religion und die Rolle des Religionskapitels Bevor wir uns dem Religionskapitel selbst widmen, sollten wir zwei Fragen beantworten, um es besser einordnen zu können: (1) Warum muss die Entwicklung der Phänomenologie vom Geist weiter zur Religion fortschreiten? (2) Warum ist ein weiterer Fortschritt von der Religion zur Philosophie bzw. zum absoluten Wissen notwendig? (1) Im Geistkapitel geht es darum, innerhalb von Welten, in denen die Einheit des Einzelnen und des Allgemeinen prinzipiell besteht, ein 3 Zum Begriff des synthetischen Rationalismus vgl. den Abschnitt zu Brandom im zweiten Teil dieser Arbeit sowie Brandom, »Zur Versöhnung zweier Helden: Habermas und Hegel«, 254f. Walter Jaeschke argumentiert sogar, dass Hegels Religionsphilosophie (die er in den späteren Vorlesungen über die Philosophie der Religion entwickelt) insgesamt aus seiner Theorie des Geistes folgt und nicht etwa aus Hegels früheren Studien zur Religion. Entscheidend ist die Frage, wie Geist sich (als »absoluter Geist«) auf sich selbst bezieht und warum es also überhaupt so etwas wie das Phänomen »Religion« gibt; vgl. Jaeschke, Hegels Philosophie, 361–63.

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SPRACHE UND DIE DARSTELLUNG DES ABSOLUTEN

symmetrisches Anerkennungsverhältnis zwischen beiden zu schaffen. Dabei werden auch die zwei Momente des Geistes – Innerlichkeit und Dasein – vermittelt, damit der Geist nicht nur an sich besteht, sondern auch erscheint, was am Ende des Kapitels mit dem Wort der Versöhnung gelingt. Erst dann ist der Geist wirklich realisiert. Damit hat sich der Geist zwar praktisch konsolidiert, das wirft aber überhaupt erst die Frage auf, wie das Phänomen »Geist« wiederum theoretisch einzuholen und wie das Wissen vom Geist zu vermitteln ist. Auf der Ebene des Geistkapitels wird gehandelt, die Spannungen der (impliziten) Konzeptionen davon, was Geist ist, werden ausagiert. Es geht dabei um das Verhältnis gesellschaftlicher Akteur:innen zueinander. Gegenüber diesem Verhältnis insgesamt nimmt die Religion nun wieder ein theoretisches Verhältnis ein: Was der Geist ist, soll nun als solches repräsentiert werden. Hier beginnt also für das Bewusstsein erst die eigentliche Auseinandersetzung damit, was »Geist« ist und damit die Frage nach der Darstellung des Geistes. Damit rücken die Fragen nach den Medien des Ausdrucks und ihren spezifischen Möglichkeiten in den Mittelpunkt. Sprache erscheint im Geistkapitel als Mitte und wird an dessen Ende zum erscheinenden Gott transponiert. Religion ist die Tätigkeit, durch die der Mensch sich bewusst zu dieser Mitte ins Verhältnis setzt, also die Auseinandersetzung mit der Vermittlungsebene, ihrer Funktionsweise und ihren näheren Bestimmungen.4 Wie Thomas Sören Hoffmann schreibt, erfährt sich das Bewusstsein auf der Stufe des Geistes prinzipiell nicht als selbstbestimmend, sondern als heteronom, »durch das Andere einer äußeren Welt vermittelt«.5 Die Bewegungen des Geistes sind motiviert durch Erfahrungen sozialer Entfremdung. Erst der religiöse Geist ist dagegen im eigentlichen Sinne selbstbestimmend, weil er aktiv an seiner Selbstbestimmung und -repräsentation arbeitet.6 »Religion« ist also Selbstreflexion als Selbstreflexion – und damit eine meta-reflexive Stufe.7 Der Ausdruck bezeichnet in diesem Sinne ein »Zu-sich-Kommen des Wissens« und damit den Beginn der »Selbstfindung des absoluten Wissens«, das sich Hoffmann zufolge in der »Konstitution einer Sprache der Totalität« vollzieht, die vom Bewusstsein im Laufe des Religionskapitels aktiv entwickelt wird.8 Das Verhältnis der Religion erfordert und erarbeitet daher Darstellungen. Die Versöhnung am Ende des Geistkapitels produziert den göttlichen Geist, macht ihn aber noch nicht als solchen objektiv; der Geist erscheint 4 Vgl. TWA16, 12 5 Hoffmann, »Präsenzformen der Religion in der Phänomenologie des Geistes«, 320. 6 Hoffmann, 317. 7 Hoffmann, 312. 8 Hoffmann, 316.

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DER ÜBERGANG ZUR RELIGION UND DIE ROLLE DES RELIGIONSKAPITELS

zwar, aber dadurch existiert noch keine Wissenschaft bzw. Theorie des Geistes. Geständnis und Verzeihung bleiben (contra Brandom) ironisch, weil in ihrem Gelingen noch nicht nachvollzogen ist, warum sie gelingen. Das Gelingen verweist auf eine (ideelle) Substanz, die aber noch subjektiv und implizit, ist. Was am Ende der Entwicklung des Geistkapitels noch aussteht, verdeutlicht ein Blick auf Hegels Frühschriften: Diese Liebe ist göttlicher Geist, aber noch nicht Religion; dass sie dazu würde, [dazu] musste sie zugleich in einer objektiven Form sich darstellen[.]9 Die Gemeine [sic] hat das Bedürfnis eines Gottes, der der Gott der Gemeine ist, in dem gerade die ausschließende Liebe, ihr Charakter, ihre Beziehung zueinander dargestellt ist; nicht als Symbol oder Allegorie, nicht als Personifikation eines Subjektiven bei welcher man sich der Trennung desselben von seiner dargestellten [Gestalt] bewusst wäre, sondern das zugleich im Herzen, zugleich die Empfindung und Gegenstand ist; Empfindung als Geist, der alle durchweht und ein Wesen bleibt, wenn auch jeder Einzelne seiner Empfindung als seiner einzelnen sich bewusst wird.10

Liebe ist Einigkeit, aber erfordert zur Erkenntnis noch die Darstellung der Einigkeit; sonst bleibt fragwürdig, wie und warum der Sprechakt (das Wort der Versöhnung) überhaupt gelingen kann.11 Das Ereignis des Wortes hat Roland Barthes am Beispiel des Liebesgeständnisses je t’aime beschrieben, bei dem wir uns wundern, wie diese Phrase (»jeden zweiten Abend wird es im Fernsehen ausgesprochen«) in der richtigen Situation zugleich ein Ausdruck sein kann, der unsere Existenz vollständig revolutioniert.12 Um die Frage nach der Struktur und der Darstellbarkeit geistiger Übereinkunft zu beantworten, werden die Formen der medialen Vermittlung nun selbst zum Thema. Im Religionskapitel kommt 9 TWA1, 405; meine Hervorhebung, S.W. 10 TWA1, 406f.; meine Hervorhebungen, S.W. 11 Vgl. TWA1, 407: »Ein Kreis der Liebe, ein Kreis von Gemütern, die ihre Rechte an alles Besondere gegeneinander aufgeben und nur durch gemeinschaftlichen Glauben und Hoffnung vereinigt sind, deren Genuss und Freude allein diese reine Einmütigkeit der Liebe ist, ist ein kleines Reich Gottes; aber ihre Liebe ist nicht Religion, denn die Einigkeit, die Liebe der Menschen enthält nicht zugleich die Darstellung dieser Einigkeit [meine Hervorhebung, S.W.]. Liebe vereinigt sie, aber die Geliebten erkennen diese Vereinigung nicht; wo sie erkennen, erkennen sie Abgesondertes. Dass das Göttliche erscheine, muss der unsichtbare Geist mit Sichtbarem vereinigt sein, dass alles in einem, Erkenntnis und Empfinden, dass eine vollständige Synthese, eine vollendete Harmonie, dass Harmonie und das Harmonische eins sei.« Vgl. auch ebd., 409 sowie 414: »Göttliches Tun ist Wiederherstellung und Darstellung der Einigkeit«. 12 Vgl. Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe, 141.

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SPRACHE UND DIE DARSTELLUNG DES ABSOLUTEN

die doppelte Funktion der Darstellung zum Tragen: Darstellen heißt einerseits das Abbilden oder Repräsentieren von etwas, das auch ohne die Darstellung eine Realität gehabt hätte und andererseits Wirklichkeit geben oder Verwirklichen. Allerdings kann man auch in der Religion nicht stehen bleiben. Auch der Mangel des Christentums (und der Religion überhaupt) ist noch ein Mangel der Darstellung.13 Dem religiösen Bewusstsein ist der Geist zwar bekannt, sie erkennt ihn aber nicht, weil sie nicht aus ihrer Vorstellung herausgeht.14 In gewisser Hinsicht liegt darin die größte Ironie, denn die Vorstellung der absoluten Religion ist zwar richtig, das kann diese Religion aber selbst mit ihren Mitteln gar nicht überprüfen, eben weil sie im Modus der Vorstellung verbleibt. Verlässt sie diesen, wird sie Philosophie. Deshalb gibt es zwar Philosophie der Religion, aber keine Religion der Philosophie – die vollständige Explikation des Verhältnisses der Religion zu ihrem Gegenstand kann von der Religion als Religion konstitutiv nicht geleistet werden.15 (2) Weil die sprachliche Darstellung der Phänomenologie an Hegels Konzept der Wahrheit ausgerichtet ist, die die Sprache darstellen soll, brauchen wir ein Verständnis dieser Wahrheitskonzeption. Das erfordert aber den Allgemeinheitsgrad des absoluten Wissens. Absolutes Wissen ist eine Selbsterkenntnis, die ihre Sicherheit ohne die Garantien externer Entitäten erhält. Strukturell bildet es das Gravitationszentrum der Phänomenologie. Das absolute Wissen ist die erste (und einzige) Form des Wissens in der Phänomenologie, die für sich genommen konsistent ist und nicht über sich hinaus auf weitere Formen verweist, in die sie eingebettet werden muss; es markiert vielmehr den systematischen Zusammenhang der anderen Wissensformen in Form ihrer Übergänge ineinander. Damit ist das absolute Wissen gerade die Erkenntnis eines Wissens, nicht in dem Sinne »für sich« zu bestehen, dass es gegen oder isoliert von anderen Wissensformen wäre. Alle vorangegangenen Formen (und auch alle vorangegangenen Themen) sind relativ zu dieser Figur zu lesen. Das absolute Wissen bildet also das gedankliche Zentrum der Phänomenologie.16 Die Phänomenologie des Geistes produziert das Element der 13 Vgl. TWA1, 411 14 Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 198. 15 Vgl. Rometsch, »Why there is no ›recognition-theory‹ in Hegel’s ›struggle of recognition‹: Towards an epistemological reading of the Lord-Servant-relationship«, 183. 16 So schreibt etwa Martin Heidegger: »Die Wissenschaft verlangt als System, dass sie als absolutes Wissen sich auch absolut weiß, um in diesem absoluten Wissen ihr Reich und ihre Wirklichkeit zu haben. Alles zielt auf das absolute Wissen und darauf, dass dieses absolut gewusst werde. Nur von diesem absoluten Wissen als der Wissenschaft aus, d.h. vom Hegelschen Begriff des Geistes her ist der Charakter und die Notwendigkeit der ›Phänomenologie des Geistes‹ verständlich.« Heidegger, Hegels Phänomenologie

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DER ÜBERGANG ZUR RELIGION UND DIE ROLLE DES RELIGIONSKAPITELS

Wissenschaft – das wirkliche Wissen. Die (absolute) Religion artikuliert den richtigen Inhalt, weiß dies aber selbst nicht und kann es auch konstitutiv nicht wissen. Das absolute Wissen ist das Wissen, das ihren Worten noch fehlt.17 Das Absolute muss nicht nur mit Worten beschrieben werden, die aus wissenschaftlicher Perspektive als Artikulation seiner Struktur erkannt werden können, sondern es muss gelingen, ein Denken zu artikulieren, das dieses Absolute als von sich selbst nicht unterschieden begreifen kann. In der Terminologie des Systems bedeutet das: Wir müssen das System nicht mehr als äußerlichen Gegenstand, sondern als Artikulationsprozess denken, zu dem wir als Theoretiker:innen selbst beitragen. Nachdem die Phänomenologie ihren Inhalt aus der Geschichte (des Bewusstseins) aufgenommen hat, geht es nun darum, das absolute Wissen als das Wissen der Organisation dieses Inhalts zu begreifen. Wenn es uns gelingt, die verschiedenen Stufen der inhaltlichen Entwicklung der Phänomenologie als logisch zu begreifen, beweisen wir damit die Realität eines Denkens, das in der Lage ist, sich in holistischen Strukturen zu orientieren. Religion ist eine Thematisierung des Geistes in Form von Vorstellungen, die den Geist zugänglich machen sollen. Geist wird hier also in »eingekleideter« Form untersucht: des Geistes, 39f. Brandom verfehlt Hegels Theorie des Geistes daher, wenn er meint, dass die philosophische Entwicklung der Phänomenologie mit dem Geistkapitel im Wesentlichen abgeschlossen ist und Hegel danach nur noch zeigt, dass auch die Religionen ein ähnliches Wissen entwickeln. Brandom zieht es vor, schon am Ende des Geistkapitels die Phänomenologie zu verlassen und für mehr oder weniger beendet zu erklären, woran deutlich wird, dass er das Problem der Darstellung des Geistes, das im Religionskapitel behandelt wird, noch nicht einmal registriert: »It is true that the Spirit chapter is succeeded by two more: Religion, and Absolute Knowing, but in a real sense they comment on a development that has already been completed by the end of Spirit. Absolute Knowing is an account of where we have arrived, after our phenomenological recollection of the development of different shapes of consciousness, self-consciousness, and reason – that is, of the cognitive, recognitive, and practical dimensions of conceptual activity – and of the stages of Spirit as a whole. When Absolute Knowing begins, we are supposed to have already achieved the sort of self-consciousness it concerns itself with. And the point of the Religion chapter is that the insights we have achieved philosophically, by the end of the Spirit chapter, can be seen to be those that religion, too, seeks to express – albeit not conceptually, but in the form of sensuous immediacy.« Brandom, A Spirit of Trust, 583. 17 Vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 198. Die Darstellungsschwierigkeiten rühren, wie Heidegger bemerkt, wesentlich daher, dass es sich um die erste Darstellung (Hervorbringung) dieses Wissens der Wissenschaft handelt; vgl. Heidegger, Hegels Phänomenologie des Geistes, 38.

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SPRACHE UND DIE DARSTELLUNG DES ABSOLUTEN

Wie wir nun es wissen, dass der Geist in seiner Welt und der seiner als Geist bewusste Geist oder der Geist in der Religion dasselbe sind, so besteht die Vollendung der Religion darin, dass beides einander gleich werde, nicht nur, dass seine Wirklichkeit von der Religion befasst ist, sondern umgekehrt, dass er sich als seiner selbst bewusster Geist wirklich und Gegenstand seines Bewusstseins werde. – Insofern der Geist in der Religion sich ihm selbst vorstellt, ist er zwar Bewusstsein, und die in ihr eingeschlossene Wirklichkeit ist die Gestalt und das Kleid seiner Vorstellung. Der Wirklichkeit widerfährt aber in dieser Vorstellung nicht ihr vollkommenes Recht, nämlich nicht nur Kleid zu sein, sondern selbständiges freies Dasein [diese Hervorhebung stammt von mir, S.W.]; und umgekehrt ist sie, weil ihr die Vollendung in ihr selbst mangelt, eine bestimmte Gestalt, die nicht dasjenige erreicht, was sie darstellen soll [diese Hervorhebung stammt von ebenfalls mir, S.W.], nämlich den seiner selbst bewussten Geist. Dass seine Gestalt ihn selbst ausdrückte, müsste sie selbst nichts anderes sein als er und er sich so erschienen oder wirklich sein, wie er in seinem Wesen ist. Dadurch allein würde auch das erreicht, was die Forderung des Gegenteils zu sein scheinen kann, nämlich dass der Gegenstand seines Bewusstseins die Form freier Wirklichkeit zugleich hat; aber nur der Geist, der sich als absoluter Geist Gegenstand ist, ist sich eine ebenso freie Wirklichkeit, als er darin seiner selbst bewusst bleibt.18

Das Religionskapitel untersucht das Wechselverhältnis zwischen der »Kleidung« und dem durch sie vorgestellten Inhalt. Hegel wiederholt die Relevanz des Hervorbringens der eigenen Darstellung. Diese versteht er als Konstitution des Selbst des Geistes, der dadurch nicht mehr als vorgestelltes Objekt verstanden wird. Der Begriff der Darstellung hängt damit mit dem für den Übergang zum absoluten Wissen der Philosophie entscheidenden Übergang von der Form der Fremderkenntnis zur Form der Selbsterkenntnis zusammen: Das vorgestellte Selbst ist nicht das wirkliche; dass es, wie jede andere nähere Bestimmung der Gestalt, dieser in Wahrheit angehöre, muss es teils durch das Tun des Selbstbewusstseins in sie gesetzt werden, teils muss die niedrige Bestimmung von der höheren aufgehoben und begriffen zu sein sich zeigen. Denn das Vorgestellte hört nur dadurch auf, Vorgestelltes und seinem Wissen fremd zu sein, dass das Selbst es hervorgebracht hat und also die Bestimmung des Gegenstandes als die seinige, somit sich in ihm anschaut.19

18 PhG, 497f. 19 PhG, 504

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2. Die Entwicklung der Sprache und die Kritik der Vorstellung im Religionskapitel Wie auch »Wissenschaft«, ist »Religion« im deutschen Sprachgebrauch um 1800 etwas, das jemand haben kann; Religion zu haben bedeutet, sich nicht in der unmittelbaren Gegenwart zu suchen.20 Religion ist »als angeschautes oder daseiendes Wissen das Sprechen der Gemeinde über ihren Geist«.21 Das heißt: »Religion« ist Hegels Name für den Versuch, das Absolute durch Repräsentation zu begreifen.22 Hegel benutzt dafür den Ausdruck Vorstellung: Die Religion entwickelt Vorstellungen des Geistes. Dieser Prozess ist dem (als Begriff realisierten) Geist gegenüber epistemisch und zeitlich primär, der Begriff ist ihm gegenüber aber ontologisch primär.23 Die Entwicklung der Vorstellung vollzieht sich zunächst über Verfeinerungen der vorsprachlichen Ausdrucksmittel und später der sprachlichen Formen und Genres. Dabei finden wir im Religionskapitel der Phänomenologie Elemente einer Theorie der Ästhetik, deren Projekt hier noch nicht explizit von dem einer Philosophie der Religion getrennt ist (stattdessen finden wir hier die Kunst als eine Form der Religion).24 Wir finden im Religionskapitel eine bewusste Entwicklung von Modellen der Subjektivität, also von systematischer, aktiv sich differenzierender, prozessualer Ordnung begrifflicher und nichtbegrifflicher Entitäten und zwar in Form einer »Geschichte der Repräsentationen Gottes«.25 Es ist aber eine Konsequenz des gesamten Paradigmas der Repräsentation (Vorstellung), dass eine Restdifferenz zu dem repräsentierten 20 Vgl. PhG, 495. Ebenso heißt es z.B. im sechsten Buch von Wilhelm Meisters Lehrjahre: »Mein Sprachmeister war ein wackrer Mann. Er war nicht ein leichtsinniger Empiriker, nicht ein trockner Grammatiker; er hatte Wissenschaften, er hatte die Welt gesehen.« Vgl. Goethe, »Wilhelm Meisters Lehrjahre«, 470. Auch Philosophie kann man haben; vgl. das Fragment Nr. 62 aus Friedrich Schlegels Sammlung »Ideen«: »Man hat nur so viel Moral, als man Philosophie oder Poesie hat.« Zitiert aus Lacoue-Labarthe und Nancy, Das Literarisch-Absolute, 259. 21 PhG, 482 22 Vgl. Rometsch, »Why there is no ›recognition-theory‹ in Hegel’s ›struggle of recognition‹: Towards an epistemological reading of the Lord-Servant-relationship«, 183. 23 Vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 200. 24 Vorstellungen sind (dem späteren) Hegel zufolge als »Metaphern der Gedanken und Begriffe« zu verstehen (Enz. § 3). Indem es den Modus der Vorstellung in den Blick nimmt, beginnt das Religionskapitel auch, den Prozess der Phänomenologie selbst in den Blick zu nehmen, in der es insgesamt darum geht, die Vorstellungen, die sich das Bewusstsein vom Wissen und der Wirklichkeit macht, als begrifflich unzureichend aufzuzeigen. 25 Forster, Hegel’s Idea, 456.

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SPRACHE UND DIE DARSTELLUNG DES ABSOLUTEN

Gegenstand bleibt. Die Vorstellung eines Gegenstandes kann nie dieser Gegenstand sein. Der Versuch, das Absolute im Modus der Vorstellung zu erkennen, garantiert daher, dass das angepeilte Erkenntnisziel nie erreicht werden kann (wir erinnern uns daran, wie die »natürliche Vorstellung« eine schlechthin scheidende Grenze zwischen sich und das Absolute zieht). Die Form der Religion ist daher systematisch frustrierend. Ihr repräsentationales Verhältnis zum Gegenstand wird im absoluten Wissen aufgehoben. Dort gibt es keinen Mediator mehr zwischen dem Begriff und einem Gegenstand, auf den er sich bezieht, sondern die Differenz von Begriff, Gegenstand und Mediator verschwindet – sie wird zu einem Moment des Begriffs.26 Der Übergang von der Religion zum absoluten Wissen ist deshalb ein Übergang von der Vorstellung zur Darstellung und die Darstellung wird im Moment des absoluten Wissens selbstreflexiv. Die Figur Geist beschreibt Selbstorganisation und -repräsentation einer Gesellschaft aus der Sicht des darin lebenden (Selbst-)Bewusstseins. Diese Selbstrepräsentation vollzieht sich dort im Handeln. Auch manche Stufen des Geistes entwickeln diese handelnden Selbstrepräsentationen in künstlerischen Werken (wie z.B. Antigone oder Rameaus Neffe) und wie wir gesehen haben, kann gerade diese erinnernde Verarbeitung als entscheidender Fortschritt und Moment der Selbsterkenntnis einer spezifischen Welt des Geistes gesehen werden. Im Rahmen des Geistkapitels werden diese Selbstdarstellungen aber nicht auf ihre spezifischen formalen Qualitäten als literarische Werke hin befragt, sondern ausschließlich inhaltlich. Die Stufen des Geistes haben gewissermaßen keine ästhetische und mediale Kompetenz und konzentrieren sich auf die Handlung Antigones oder die Zerrissenheit Rameaus, ohne besondere Rücksicht darauf zu nehmen, dass es sich hier um fiktionale Figuren handelt, die durch eine bestimmte Geistesform zum Zweck der Auseinandersetzung mit sich selbst produziert wurden. Analysiert wird nur das Dargestellte, nicht aber die Form seiner Darstellung. Erst das Verhältnis der Religion beinhaltet eine bewusste Reflexion auf künstlerische, performative und (proto-)theoretische Repräsentationsformen und ihre medialen Eigenarten. Es geht hier gerade um die Entwicklung der Möglichkeiten 26 Vgl. dazu Forster, 287. Der Begriff ist das »Wesen selbst« (PhG, 583). Der Schlusssatz der Einführung in das Religionskapitel kündigt daher an, dass das zentrale Problem der Religion ist, dass sie sich Begriffe (»den Begriff«) in anderen Gestalten vorstellt, als in der von Begriffen: »Ob er [der Geist, S.W.] aber in ihr [der offenbaren Religion, S.W.] wohl zu seiner wahren Gestalt gelangt, so ist eben die Gestalt und die Vorstellung noch die unüberwundene Seite, von der er in den Begriff übergehen muss, um die Form der Gegenständlichkeit in ihm ganz aufzulösen, in ihm der ebenso dies sein Gegenteil in sich schließt. Alsdann hat der Geist den Begriff seiner selbst erfasst, wie wir nur erst ihn erfasst haben und seine Gestalt oder das Element seines Daseins, indem sie der Begriff ist, ist er selbst.« (PhG, 502f.).

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DIE ENTWICKLUNG DER SPRACHE UND DIE KRITIK DER VORSTELLUNG

unterschiedlicher Darstellungsformen. Die Religion entdeckt, dass es möglich ist, einen Gegenstand durch formale Mängel der Darstellung inhaltlich zu verfehlen. Geist befasst sich also mit dem Problem der Darstellung weltlicher Subjekte bzw. mit der Selbstverwirklichung dieser Subjekte durch Handlungen in ihrer Welt. Religion befasst sich mit dem Problem der Darstellung des absoluten Subjekts, die Formen der Religion sind daher Praktiken der Theorie. Anhand des Religionskapitels können wir die Rolle der Sprache bei der Entwicklung des spekulativen Inhalts des Denkens verfolgen. Diese Entwicklung setzt sich im Kapitel zum absoluten Wissen fort. Der Geist beginnt in der Religion, sich selbst, das Göttliche und die Natur zu unterscheiden. Grob zusammengefasst steht am Anfang dieser Entwicklung der Mensch einem absoluten Wesen gegenüber, das eine göttliche Natur bzw. ein natürlicher Gott ist. Die Konstruktion des göttlichen Wesens wird dann immer stärker dem Menschen angenähert. Dieser Prozess endet im absoluten Wissen in der Form, dass die Trennung einer göttlichen von einer menschlichen Ebene wegfällt, das Göttliche vollständig in der menschlichen Ebene aufgeht und dabei zugleich die Natur als eigene Sphäre der Genese dieses Gedankens erkennbar wird. 2.1 Die Stufen der Sprachentwicklung Die drei großen Klassen, in die Hegel die Entwicklung der Kunst in seinen Vorlesungen über Ästhetik aufteilt, definieren sich danach, in welchem Verhältnis der (»absolute«) geistige Inhalt der Kunst zu seinem Ausdruck im sinnlichen Medium steht. Die symbolische Kunst sucht noch nach einem Konzept für das Geistige: Der Geist ist hier über das Irdische erhaben. Die Rätselhaftigkeit des Geistes spiegelt sich in ebenso rätselhaften sinnlichen Formen, wie etwa der Sphinx. Die klassische Kunst ist insofern der Höhepunkt der Kunst überhaupt, als das Geistige sich hier restlos im Kunstwerk ausdrückt und damit sinnlich gegenwärtig ist. Hegel verbindet diese Entwicklungsstufe der Kunst mit der griechischen Antike, betont aber auch, dass das klassische Moment in allen Phasen der Kunst identifiziert werden kann.27 Die moderne Kunst ist romantisch: Die Subjektivität geht in keinem einzelnen Ausdruck restlos auf und daher entsteht hier wieder eine Diskrepanz von Ausdruck und Geist. Die Werke sind lediglich Anstoß zur begrifflichen Reflexion. Eine analoge Aufteilung findet sich auch in der Phänomenologie: In solcher Epoche [d.h. im antiken Griechenland, S.W.] tritt die absolute Kunst hervor; früher ist sie das instinktartige Arbeiten, das, ins Dasein 27 Das Klassische ist deshalb ein Ideal, dessen »historische Verwirklichung« wir bei den Griechen finden (TWA14, 25).

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SPRACHE UND DIE DARSTELLUNG DES ABSOLUTEN

versenkt, aus ihm heraus und in es hinein arbeitet, nicht an der freien Sittlichkeit seine Substanz und daher auch zum arbeitenden Selbst nicht die freie geistige Tätigkeit hat. Später ist der Geist über die Kunst hi­ naus, um seine höhere Darstellung zu gewinnen, – nämlich nicht nur die aus dem Selbst geborene Substanz, sondern in seiner Darstellung als Gegenstand dieses Selbst zu sein, nicht nur aus seinem Begriffe sich zu gebären, sondern seinen Begriff selbst zur Gestalt zu haben, so dass der Begriff und das erzeugte Kunstwerk sich gegenseitig als ein und dasselbe wissen.28

Im Rahmen des Religionskapitels und vor allem im zweiten Abschnitt, der »Kunstreligion«, differenziert Hegel eine Reihe von Sprachen mit variabler Bestimmtheit und Ausdrucksfähigkeit. Jede dieser Sprachen ist auf eine je spezifische Weise intransparent; sie alle lassen etwas ungesagt und lediglich implizit, angedeutet. Dies ist auch einer der Gründe, wa­rum Derrida in Glas den Zusammenhang von Sprache und Religion unterstreicht, der in der Abwesenheit des Signifikats bzw. des (als metaphysisches Signifikat verstandenen) Absoluten besteht. An den Sprachstufen lässt sich verfolgen, wie Hegel die spezifischen Formen der Intransparenz der Sprache untersucht. Die Stufen der Sprachentwicklung ordnen sich danach, wie konkret sie Inhalte ausdrücken können und wie sie sich zu dem, in der Sprache immer mittransportierten, geschichtlichen Gehalt der Begriffe verhalten. Hegel unterscheidet die kryptische (Proto-) Sprache des »Werkmeisters«, die lyrische Sprache der Hymne, die Zeichensprache des Orakels, die mystische Sprache des lebendigen, sowie die Sprachen der drei Ebenen des geistigen Kunstwerks – Epos, Tragödie und Komödie, wobei die komische Sprache den Übergang in die prosaische Sprache der Wissenschaft enthält.29 In der Entwicklung der Sprachformen geht es darum, durch Darstellungen des Absoluten überhaupt ein Verständnis dessen zu entwickeln, was dargestellt werden soll. Dazu gehört, dass verschiedene Darstellungsformen sukzessive als nicht dem Geist entsprechend erkannt werden – und sich dann als nur »zufällige Verkleidung« zeigen.30 Die verschiedenen Sprachstufen sind Grade der Ausdrucksfähigkeit der Sprache selbst. Die früheren haben dabei eher einen Modellcharakter, insofern sie gar nicht als Sprachen vorgestellt werden, die Menschen tatsächlich 28 PhG, 514 29 Diese Differenzierung findet sich bei Wohlfart, Der spekulative Satz, 168f. (vgl. auch 158, 101). Wohlfart entwickelt eine detaillierte Analyse der einzelnen Stufen (ebd., 100–170). Zu Sprache im Religionskapitel vgl. ebenfalls: Speight, »Religion, Art, and the Emergence of Absolute Spirit in the ›Phenomenology‹« und Mendicino, »The Pitfalls of Translating Philosophy: Or, the Languages of G. W. F. Hegel’s Phenomenology of Spirit«. 30 Vgl. PhG, 516

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sprechen.31 Wichtig ist, dass diese Sprachformen allesamt zum Repertoire des Begriffs gemacht werden.32 Daher enthalten der entwickelte Begriff bzw. die entwickelte philosophische Sprache ein Maximum an Ausdrucksformen. Philosophische Sprache ist damit in einem spezifischen Sinne ex-zentrisch, nämlich insofern das Verstehen durch immer weitere Bestimmungen gedehnt wird, sich also der Bereich des Wissens ausdehnt. Dabei ist für Hegel entscheidend, dass diese exzentrische Bewegung das Wissen und die Wissenden nicht zerreißt: Die exzentrische Bewegung des Wissens wird durch eine Steigerung seiner »Intensität« balanciert.33 Die Philosophie untersucht, was in der Sprache und in verschiedenen Formen des Sprechens vorausgesetzt ist, und thematisiert diesen Gebrauch. Wie bereits Jean Hyppolite über die philosophische Sprache gesagt hat, überfordert sie einerseits den Denkmodus des Verstandes und sein Bedürfnis nach Eindeutigkeit; andererseits ist sie auch nicht einfach poetische Sprache, da sie ihre sprachlichen Züge und deren Bedeutung in einem größeren Maße theoretisch durchschauen und erklären können muss. Allerdings entsteht hier eine interessante Konsequenz: Man kann sagen, dass derjenige Sprachgebrauch, der auf seine eigene Sprachlichkeit Bezug nimmt und damit eine Position generiert, von der aus Sprache in ihren bestimmten Eigenarten in den Blick kommt, gerade der künstlerische Sprachgebrauch ist. Daraus würden sich auch Konsequenzen für die Annahmen darüber, was eine »normale« Sprache ist, ergeben.34 Hier möchte ich zunächst nur darauf hinweisen, dass man Hegels Ausführungen im Kontext der Kunstreligion einerseits als Verweis darauf verstehen kann, inwiefern die philosophische Sprache eine komplexe Sprache sein wird – eine Sprache, die sich eines vielschichtigen Repertoires unterschiedlicher Formen bedient. Außerdem zeigt das Religionskapitel, dass sich bereits in der Phänomenologie selbst theoretische Mittel finden, mit denen Hegel sprachlichen Ausdruck analysiert und die man als Belege dafür verstehen muss, dass Hegel die Entwicklung seiner eigenen philosophischen Sprache ausdrücklich reflektiert hat. Diese Untersuchung läuft aber nicht darauf hinaus, dass am Ende (durch das absolute Wissen 31 Stattdessen ist etwa die Sprache des Orakels die Sprache »des Gottes« (vgl. PhG, 520). 32 Wie Günter Wohlfart unterstreicht: »Betrachtet man den Entwicklungsgang über diese Sprachbildungsstufen etwas näher, so zeigt sich, dass die Sprache bestimmter und konkreter wird, und zwar indem sie [...] das geschichtliche Erbe erwirbt, in Besitz nimmt und aufhebt.« Wohlfart, Der spekulative Satz, 169. Wohlfart kommt daher zu dem meines Erachtens richtigen Ergebnis, dass die »Sprache der spekulativen Philosophie [...] rücksichtlich dieses Sprachbildungsprozesses« betrachtet werden sollte (ebd., 170). 33 Vgl. WL2, 570 34 Vgl. Hyppolite, Logic and Existence, 53 sowie Bertram, »Sprachphilosophie und Ästhetik«.

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der Philosophie) eine vollständig transparente Sprache des Begriffs eingesetzt wird; vielmehr werden die verschiedenen Weisen der spezifischen Intransparenz der Sprachformen als konstitutiv für die Entwicklung des Begriffs erkannt. Wie Hegel sagt, ist reines Licht, also reine Transparenz, für das Erkennen genauso fatal, wie reine Nacht und Finsternis. Absolute Durchsichtigkeit ist also gerade ein Moment, in dem nichts erkannt wird. Die Erkenntnis liegt in der Abstufung. Die Sprache (als bestimmtes Sein bzw. Dasein des Geistes) fördert das Erkennen gerade durch den relativen Widerstand, den sie dem Denken entgegensetzt.35 Schließlich sollte man betonen, dass Hegel Sprache wesentlich in ihrer Funktion in religiösen Praktiken und literarischen Werken untersucht. Seine Untersuchung der Sprache enthält also auch einen Bezug auf Texte (und weitere Formen sprachlicher Praxis) und erschöpft sich nicht in einer rein sprachtheoretischen Auseinandersetzung mit der kognitiven und der kommunikativen Funktion der Sprache.36 Vielmehr werden diese beiden Funktionen auch auf der Ebene der ästhetischen Darstellung 35 So schreibt Hegel in der Logik, dass reines Licht und reine Finsternis gleichermaßen leer sind; sie sind zwei Leeren: »man stellt sich wohl das Sein vor – etwa unter dem Bilde des reinen Lichts, als die Klarheit ungetrübten Sehens, das Nichts aber als die reine Nacht – und knüpft ihren Unterschied an diese wohlbekannte sinnliche Verschiedenheit. In der Tat aber, wenn man auch dies Sehen sich genauer vorstellt, so kann man leicht gewahr werden, dass man in der absoluten Klarheit soviel und sowenig sieht als in der absoluten Finsternis, dass das eine Sehen so gut als das andere, reines Sehen, Sehen von Nichts ist. Reines Licht und reine Finsternis sind zwei Leeren, welche dasselbe sind. Erst in dem bestimmten Lichte – und das Licht wird durch die Finsternis bestimmt – , also im getrübten Lichte, ebenso erst in der bestimmten Finsternis – und die Finsternis wird durch das Licht bestimmt –, in der erhellten Finsternis kann etwas unterschieden werden, weil erst das getrübte Licht und die erhellte Finsternis den Unterschied an ihnen selbst haben und damit bestimmtes Sein, Dasein sind.« (WL1, 96). Inwiefern Undurchsichtigkeit uns ermöglicht, dass wir unsere Weltverhältnisse verändern haben in einem anderen Zusammenhang Bertram und Bertinetto untersucht. Sie schreiben über die Verbindung von Freiheit und Nicht-Erwartbarem: »in order to be able to act freely, we need to confront aspects of the world that we do not know in advance. Put differently, we need to be confronted with something unexpected.« Die Akzeptanz des Unerwartbaren als Potential freier Handlungen verbinden sie mit Praktiken der Improvisation; vgl. Bertinetto und Bertram, »We Make Up the Rules as We Go Along«, 217. Hegel thematisiert das Unerwartbare im Kontext der tragischen Handlung, wie wir im Folgenden sehen werden. 36 Dagegen hat Jürgen Trabant beschrieben, wie die allgemeine Entwicklung dessen, was er als »europäisches Sprachdenken« bezeichnet, durch eine disziplinäre Ausdifferenzierung geprägt ist, durch die sich die Untersuchungsbereiche der verschiedenen mit Sprache befassten Disziplinen fortschreitend

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geistiger Gehalte weiterentwickelt. Die Konkretisierung der Sprache in der Kunst und die Aneignung dieses Prozesses durch die Philosophie hat Friedrich Nietzsche in einem Kommentar zu Platon beschrieben, der sich zu einem gewissen Grad auf die Phänomenologie übertragen lässt. Platon, der Nietzsche zufolge in der Verurteilung der Tragödie und der Kunst überhaupt gewiss nicht hinter dem naiven Zynismus seines Meisters [Sokrates, S.W.] zurückgeblieben ist, hat doch aus voller künstlerischer Notwendigkeit eine Kunstform schaffen müssen, die gerade mit den vorhandenen und von ihm abgewiesenen Kunstformen innerlich verwandt ist. [...] Wenn die Tragödie alle früheren Kunstgattungen in sich aufgesaugt hatte, so darf dasselbe wiederum in einem exzentrischen Sinne vom platonischen Dialoge gelten, der, durch Mischung aller vorhandenen Stile und Formen erzeugt, zwischen Erzählung, Lyrik, Drama, zwischen Prosa und Poesie in der Mitte schwebt und damit auch das strenge ältere Gesetz der einheitlichen sprachlichen Form durchbrochen hat; [...].37

Damit wird klar inwiefern das Religionskapitel sowohl für die Sprachfindung als auch für die Sprachkritik der Phänomenologie entscheidend ist. Betrachten wir nun die Stufen jeweils kurz im Einzelnen. 2.1.1 Der Werkmeister Die erste Stufe der Sprachentwicklung ist die stumme und kryptische Sprache der Produktionen des »Werkmeisters«. Auf der Ebene des Werkmeisters ist der Ausdruck noch nicht im eigentlichen Sinne Sprache, sondern der »erfüllende Sinn« der Sprache fehlt gerade.38 Stattdessen erzeugt der Werkmeister durch »ein instinktartiges Arbeiten«39 rätselhafte Mischwesen wie die Sphinx, bei denen (Hegel zufolge) ein unvermittelter Gegensatz zwischen den abstrakten Ausdrucksmitteln voneinander isolieren. Insbesondere gilt das für Linguistik und Literaturwissenschaften; vgl. dazu Trabant, Europäisches Sprachdenken. 37 Vgl. den 14. Abschnitt der Geburt der Tragödie; Nietzsche, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, 108f. Nietzsche wendet damit Friedrich Schlegels Konzept der Transzendentalpoesie als in der Mitte schwebend auf Platon an (vgl. Schlegels Athenäumsfragment Nr. 116). Zu der zitierten Nietzsche-Passage vgl. Lacoue-Labarthe, Le Sujet de la philosophie, 10f. Hegel selbst spricht von der »schwebenden Mitte« des spekulativen Satzes (PhG, 59). Auch »Mischung« ist ein wichtiges Thema des Religionskapitels, allerdings offiziell als Mischung gedanklicher und sinnlicher Formen. 38 PhG, 510 39 PhG, 508. Herder verwendet das Bild der Bienen als Paradigma für das instinktive Arbeiten, vgl. das Ende des zweiten Abschnitts des ersten Teils in Herder, »Abhandlung über den Ursprung der Sprache«.

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und dem inneren »Selbst« besteht, das damit zum Ausdruck gebracht werden soll. Dadurch, dass auf dieser Stufe der Kunst beinahe alles unausgesprochen bleibt, suggeriert sie ihren Gegenstand als etwas Tiefes und Unaussprechliches.40 Die instinktive Tätigkeit des Werkmeisters ist poiesis – Hervorbringen und Formieren des Vorhandenen. Der Werkmeister ist also ein geistiger Arbeiter.41 Der Werkmeister verwendet zuerst gerade Linien und geometrische (»verständige«) Formen und adaptiert später die Gestalten von Pflanzen und Tieren, die ihm als Material für seine gestaltende Arbeit dienen. Die Formen, die der Werkmeister hervorbringt, befinden sich in einem starken Kontrast zu dem, wofür sie symbolisch stehen sollen. Sie deuten auf das Geistige, das darin aber rätselhaft bleibt. Es besteht daher eine scharfe Trennung zwischen dem Geist und seiner »Hülle« oder »Behausung«, oder allgemeiner zwischen »Innerlichkeit« und »Dasein« des Geistes. Hegel betrachtet die Hieroglyphen des Werkmeisters daher nur als Proto-Sprache. Um in einem volleren Sinne Sprache zu sein, müsste die Diskrepanz von Innen und Außen aufgebhoben werden: Beide Darstellungen enthalten die Innerlichkeit und das Dasein, – die beiden Momente des Geistes; und beide Darstellungen [enthalten sie] beide zugleich in entgegengesetztem Verhältnisse, das Selbst sowohl als Inneres wie als Äußeres. Beides ist zu vereinigen. – Die Seele der menschlich geformten Bildsäule kommt noch nicht aus dem Innern, ist noch nicht die Sprache, das Dasein, das an ihm selbst innerlich ist, – und das Innere des vielförmigen Daseins ist noch das Tonlose, sich nicht in sich selbst Unterscheidende und von seinem Äußeren, dem alle Unterschiede gehören, noch Getrennte. – Der Werkmeister vereint daher beides in der Vermischung der natürlichen und der selbstbewussten Gestalt, und diese zweideutigen, sich selbst rätselhaften Wesen, das Bewusste ringend mit dem Bewusstlosen, das einfache Innere mit dem vielgestalteten Äußeren, die Dunkelheit des Gedankens mit der Klarheit der Äußerung paarend, brechen in die Sprache tiefer, schwerverständlicher Weisheit aus.42

40 Darin besteht ein Zusammenhang mit dem Erhabenen. Hegel ist prinzipiell nicht vom Erhabenen beindruckt, da es für ihn keine prinzipielle Schranke der Artikulationsmöglichkeiten bedeutet, sondern nur eine faktische Grenze, die aber überschritten werden kann. So wird auch das Rätsel der Sphinx von Odysseus gelöst, wodurch es seine Rätselhaftigkeit verliert; vgl. Wohlfart, Der spekulative Satz, 108–10. 41 Zu Arbeit und Objektivierung als poiesis vgl. Testa, »Spirit and alienation in Brandom’s ›A Spirit of Trust‹: Entfremdung, Entäußerung, and the causal entropy of normativity«, 158. 42 PhG, 511

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In den Werken des Werkmeisters besteht eine Diskrepanz zwischen der »Dunkelheit des Gedankens« und der »Klarheit der Äußerung«.43 Hegel zufolge ist diese Diskrepanz der entstehenden Gedanken und ihrer Äußerungsform so groß, dass die Gedanken sich selbst unverständlich sind und daher vielmehr gänzlich in ihrem Entstehungsstadium verbleiben. Hegel bezeichnet das Arbeiten des Werkmeisters als »synthetisch«: Es ist ein »Vermischen der fremdartigen Formen des Gedankens und des Natürlichen«.44 Damit ist ein zentrales Thema des Religionskapitels gesetzt, denn noch die offenbare Religion wird das Sinnliche und das Begriffliche in Metaphern und Allegorien vermischen. Die Präzision des Denkens wird durch eine Entwicklung der Ausdrucksmittel vorangetrieben. Solange diese noch nicht fein genug sind, bleiben auch die Gedanken auf einer Vorstufe oder genauer: Sie werden nicht im eigentlichen Sinne zu Gedanken, sondern bleiben unbestimmte Ahnungen. Eine ähnliche Problemlage artikuliert Hegel in einem Briefentwurf an van Ghert in Bezug auf Jakob Böhme: seine [Böhmes, S.W.] Theosophie ist immer einer der merkwürdigsten Versuche eines tiefen, jedoch ungebildeten Menschen, die innerste Natur des absoluten Wesens zu erfassen. – Für Deutschland hat er das besondere Interesse, dass er eigentlich der erste deutsche Philosoph ist. – Bei der wenigen Fähigkeit seiner Zeit und bei seiner eigenen wenigen Bildung, abstrakt zu denken, ist sein Bestreben der härteste Kampf, das tiefe Spekulative, das er in seiner Anschauung hat, in die Vorstellung zu bringen, und zugleich das Element des Vorstellens so zu gewältigen, dass das Spekulative darin ausgedrückt werden könne. Es bleibt deswegen so wenig Stetes und Festes darin, weil er immer die Unangemessenheit der Vorstellung zu dem fühlt, was er will, und sie wieder umgekehrt; wodurch, weil dieses Umkehren der absoluten Reflexion ohne bestimmtes Bewusstsein und ohne die Begriffsform ist, eine so große Verwirrung erscheint. Es wird schwer, oder, wie mir scheint, unmöglich sein, außer der Anerkennung der allgemeinen Tiefe seiner Grundprinzipien, das zu entwirren, was auf Detail und Bestimmtheit hingeht.45

Was Hegel an Böhmes Schriften beobachtet, ist die Dynamik der Wechselbestimmung des Denkens und seiner Ausdrucksmittel: Solange diese 43 Vgl. auch Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 188. 44 PhG, 512 45 Hegel an van Ghert (Brief [Entwurf] Nr. 192 vom 29.7.1811) in Hoffmeister, Briefe von und an Hegel. Band 1, 381f. Die Hervorhebungen stammen von mir, S.W. Wie Hegel an anderer Stelle bemerkt, gehört es zu den Aufgaben der Philosophie, »den echten Gehalt der Begeisterung« darzustellen und diesen Gehalt dann auch in der Darstellung wiederzufinden (TWA11, 228). Ebenfalls kann in diesem Zitat der Zusammenhang von Sprache und Gewalt (»gewältigen«) bemerkt werden, auf den wir bereits wiederholt gestoßen sind.

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nicht scharf genug gemacht worden sind, kann auch das Denken selbst keinen Zugang zu sich finden. Das Denken muss den Umweg über den medialen Ausdruck – und damit über die Form der Vorstellung – machen, durch die es sich (mit sich) selbst auseinandersetzt. Die bestehenden Artikulationsmöglichkeiten beschränken aber die Entwicklung des Denkens und verlangsamen seine inhaltliche Fortbewegung und Selbstreflexion. Erlangt der Werkmeister ein Bewusstsein seiner eigenen Tätigkeit und der damit verbundenen Ausdrucksprobleme, wird er »Künstler« – er formt dann seine Welt durch das Erschließen neuer semantischer Möglichkeiten.46 2.1.2 Die Hymne Die erste eigentliche Sprache, der wir im Religionskapitel begegnen, ist die der Hymne, die sich als eine Form der Andacht an eine Gottheit richtet. Obwohl Hegel die Hymne zuerst vor der Passage über das Orakel anführt, ist sie diesem gegenüber »wahrer«. Anders als skulpturale Darstellungen kann die Sprache (so zumindest die Annahme an diesem Punkt) nicht in die Äußerlichkeit zurückfallen. Die Hymne erzeugt also Innerlichkeit als Reflex aus der Äußerlichkeit – das gemeinsame Singen in der »Andacht« ist ein »in allen angezündet[er]«, »geistige[r] Strom«.47 Angezündet wird dieser geistige Strom durch einen Strom aus Lauten.48 Damit rekurriert Hegel auf den Topos der Ansteckung, der schon im Bildungskapitel mit der Sprache verbunden wurde. Der hymnische Gesang entfaltet sich in der Zeit. Der geistige Strom und die Ansteckung, auf die Hegel hier verweist, resultieren aus der Gleichzeitigkeit eines gemeinsamen Im-Moment-Seins. Dabei ist die Ansteckung nicht nur wie 46 PhG, 512. Das erste Hervorbringen geistiger Gehalte ist Poesie, die Fähigkeit, »durch die Sprache das bisher Unenthüllte offenbar« zu machen (TWA15, 285). Sie ist älter als die Prosa und Hegel bezeichnet die Poesie als »das ursprüngliche Vorstellen des Wahren« (ebd., 240; vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 187), also das in die Zukunft Stellen einer Möglichkeit, die ihre Wahrheit noch erweisen muss. In der Ästhetik wird Hegel die ursprüngliche Poesie von einer späteren abgrenzen, die auf eine schon vorliegende Prosa trifft und ihr Repertoire entsprechend erweitern muss. Diese Situation gleicht derjenigen Hegels, für seine Philosophie eine Sprache entwickeln zu müssen; das Religionskapitel der Phänomenologie verfolgt aber die Route der ursprünglichen Poesie (vgl. Bodammer, 187). Zur Funktion der Poesie vgl. auch Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 129. 47 PhG, 519 48 Ein »Lautstrom«, wie Giorgio Agamben sagt; vgl. Agamben, Die Sprache und der Tod, 66.

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im Bildungskapitel geistig, sondern verweist auch auf die Erzeugung von Wärme, also die Empfindungsebene dieser Sprachhandlung, in der die Sprache »beseelt« wird.49 Die Präsenz der Stimme löst die »tonlose Gestalt«50 der Skulptur ab. Die Erfahrung der eigenen Stimme überwiegt hier gegenüber den darin textlich geäußerten Inhalten: »Das Selbstbewusstsein bleibt in dem Gegenständlichwerden seines Wesens unmittelbar bei sich.«51 Mit Giorgio Agamben gesprochen ist die Erfahrung der menschlichen Stimme eine Erfahrung der »Instanz der Rede«, also des bloßen Stattfindens von Sprache.52 Insofern sie sich in der Zeit entfaltet, ist die Hymne damit zugleich eine Erfahrung der Zeit. Sie steht so dem Dinglichen der Bildsäule [dem Produkt des Werkmeisters, S.W.] gegenüber. Wie diese das ruhende, so ist jenes das verschwindende Dasein; wie in diesem die Gegenständlichkeit frei entlassen des eigenen unmittelbaren Selbsts entbehrt, so bleibt sie dagegen in jenem [also in der Hymne, S.W.] zu sehr in das Selbst eingeschlossen, kommt zuwenig zur Gestaltung und ist, wie die Zeit, unmittelbar nicht mehr da, indem sie da ist.53

Derrida hat rekonstruiert, wie die »Idealisierung« vom Ausdruck des Werkmeisters zur Hymne verläuft.54 Dieser beginnt mit eckigen, harten Materialien (das »verständige Kristall«55) und arbeitet sich zu organischeren Formen vor. Der Klang der Hymne ist nun reine Schwingung, 49 PhG, 518 50 PhG, 511; Hegel bezieht sich hier wohl auf die ägyptischen Memnonenstatuen, die bei aufgehender Sonne (also durch einen äußeren Auslöser) einen Ton von sich geben sollten. Dagegen setzt er als Kontrast den selbst hervorgebrachten Ton. 51 PhG, 518 52 Agamben, Die Sprache und der Tod, 59f. 53 PhG, 521. Zeit »tilgt [...] das gleichgültige Nebeneinander des Räumlichen« (TWA15, 156). Musik ist für Hegel eine Erfahrung der Zeitlichkeit des Subjekts: »Ich ist in der Zeit, und die Zeit ist das Sein des Subjekts selber. Da nun die Zeit und nicht die Räumlichkeit als solche das wesentliche Element abgibt, in welchem der Ton in Rücksicht auf seine musikalische Geltung Existenz gewinnt und die Zeit des Tons zugleich die des Subjekts ist, so dringt der Ton schon dieser Grundlage nach in das Selbst ein, fasst dasselbe seinem einfachsten Dasein nach und setzt das Ich durch die zeitliche Bewegung und deren Rhythmus in Bewegung, während die anderweitige Figuration der Töne, als Ausdruck von Empfindungen, noch außerdem eine bestimmtere Erfüllung für das Subjekt, von welcher es gleichfalls berührt und fortgezogen wird, hinzubringt.« (TWA15, 156f.). Die Wirkung ist aber rein formal und ohne jeden Inhaltsbezug, wie Hegel an dieser Stelle auch mit Bezug auf die Hymnen Orpheus’ argumentiert. 54 Derrida, Glas: Totenglocke, 275a. 55 PhG, 515

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die darüber hinaus – durch Ansteckung – Wärme erzeugt und eine Gruppe von Menschen gewissermaßen elektrisiert. Dieser Prozess der physischen Idealisierung ist Hegels Suche nach den ideellen Formen im vorgeistigen Bereich – also die Suche der Vernunft nach sich selbst im Anderen.56 2.1.3 Das Orakel Während die Hymne eine ritualisierte Anfrage an einen Gott ist, ist das Orakel dessen Antwort. Die Zeichensprache des Orakels ist nun ein sprachlicher Ausdruck, der aber in ähnlicher Weise rätselhaft ist, wie die Skulpturen des Werkmeisters. Das Orakel ist eine fremde Sprache. Es spricht nicht die Sprache der Menschen, sondern die »Sprache des Gottes«, die im Kern deshalb unverständlich ist, weil sie nur rein Zufälliges enthält – das Orakel verkündet den Willen der Götter in Form von Zeichen oder Rätseln.57 An diesem Beispiel ist gut erkennbar, wie Fremdheit der Sprache nicht primär durch die Pluralität der Sprache, sondern auch durch die Fremdheit der (vorgestellten) Inhalte der Sprache entsteht. Die Sprache des Orakels ist gerade deshalb mysteriös, weil das Orakel als Medium einer fremden Gottheit verstanden – oder, besser gesagt, nicht verstanden wird. Das gilt auch noch für den zweiten von Hegel diskutierten Fall, nämlich die Stimme des inneren Dämons (womit er sich auf das daimonion des Sokrates bezieht58). 2.1.4 Das geistige Kunstwerk – Epos, Tragödie und Komödie Das lebendige Kunstwerk inszeniert einen Konflikt des bacchantisch-dionysischen und des klaren, apollinischen Ausdrucks.59 Das 56 Derrida verbindet die Stimme und den Ton mit einer »psychisch-semiotischen Idealität«; beide als Zeitverhältnisse bilden eine »physische Idealität«, in der der Geist antizipiert wird; vgl. Derrida, »Der Schacht und die Pyramide. Einführung in die Hegelsche Semiologie«, 114f. In Glas verweist Derrida auch darauf, dass die Rückbezüge auf Vorformen der Idealität ihrerseits Idealisierungsmomente sind. Die Rückbindungen der Aspekte der Religion an die darin relevanten Naturvorgänge und -phänomene (wie etwa Materialeigenschaften, Klang oder Stimme) bilden »strukturale Analogie[n]«, durch die sich der Entwicklungsprozess des Geistes organisiert; vgl. Derrida, Glas: Totenglocke, 273a. 57 Vgl. dazu auch Hegels Vermerk zur Dunkelheit Heraklits in TWA18, 323. 58 Vgl. Jaeschke, Hegel-Handbuch, 179. 59 Wie sich schon im »Werkmeister« angedeutet hat, ist ein Maß der Sprache für Hegel, inwiefern sie in der Lage ist, klare und allgemeine Inhalte

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(anschließende) »geistige Kunstwerk« ist »ein Pantheon, dessen Element und Behausung die Sprache ist.«60 In der Sprache wohnen also die Götter. Dabei ist schon an sich bemerkenswert, dass das Kapitel, das dem Titel nach geistige Kunstwerke behandelt, sich mit den verschiedenen Sprachen in Epos, Tragödie und Komödie auseinandersetzt. Die Entwicklung des geistigen Kunstwerks ist eine der Selbstreflexion des Sprechens und vollzieht sich in ästhetischen Formen, die dem Menschen dazu dienen, die Dynamik der Konstellationen seines Handelns in zugespitzten Modellen zu untersuchen. Epos, Tragödie und Komödie sind Formen von Menschen gesprochener Sprache, die sich bereits in geregelten Gattungen organisiert haben. Die sprachliche Konstellation enthält damit auch jeweils verschiedene Rahmenbedingungen. So ist das Epos die erzählende Sprache eines (i.d.R. männlichen) Sängers, der eine bekannte Geschichte von (i.d.R. männlichen) Helden und Gottheiten aus der Erinnerung (mnemosyne) jeweils momentan aktualisiert. Hegel kritisiert hier, dass der Sänger, der die Erzählung vermittelt, selbst in ihr keine Rolle spielt. Er dient als Organ des Epos und verschwindet als Einzelner in dessen allgemeiner Bedeutung. Im Epos stellt sich »die Beziehung des Göttlichen auf das Menschliche« als solche dar.61 In der Tragödie findet zum ersten Mal ein dialogisches Sprechen menschlicher Individuen untereinander statt. Diese scheitern aber daran, dass sie, insofern sie als Sprechende und Handelnde auf etwas zu artikulieren. Dies wird hier nun noch deutlicher: »Das vollkommene Element, worin die Innerlichkeit ebenso äußerlich als die Äußerlichkeit innerlich ist, ist wieder die Sprache, aber weder die in ihrem Inhalte ganz zufällige und einzelne des Orakels, noch die empfindende und nur den einzelnen Gott preisende Hymne, noch das inhaltslose Stammeln der bacchischen Raserei. Sondern sie hat ihren klaren und allgemeinen Inhalt gewonnen.« PhG, 528f. 60 PhG, 529 61 PhG, 531f. Diese Beziehung war im (in der Phänomenologie vorab thematisierten) »Kultus« lediglich angelegt. Hegel führt hier auch die Definition der Vorstellung als »synthetische Verknüpfung« ein. Er etabliert hier also, dass das Hintergrundthema des Religionskapitels bereits die Synthesis des Einzelnen und des Allgemeinen ist – hier allerdings erst im Medium der Vorstellung, weshalb es noch zu einer inkonsequenten »Vermischung« beider kommt: »Das Geschäft, um welches die allgemeine Bemühung geht [d.h. der Inhalt der epischen Erzählung, S.W.], bekommt die zwei Seiten, die selbstische, von einer Gesamtheit wirklicher Völker und den an ihrer Spitze stehenden Individualitäten, und die allgemeine, von ihren substantiellen Mächten vollbracht zu werden. Die Beziehung beider aber bestimmte sich vorhin so, dass sie die synthetische Verbindung des Allgemeinen und Einzelnen oder das Vorstellen ist.«

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Substantielles ausgerichtet sind, prinzipiell nicht alle Konsequenzen ihrer Handlungen und ihrer sprachlichen Zusagen absehen können (könnten sie dies, müssten sie nicht handeln).62 In der Komödie wird nun der letzte Rest substantiellen Wesens annulliert – das absolute Wesen ist hier »das Selbst«. Damit bereitet die Komödie die Dialektik vor, die wesentlich der Prozess des Untergangs des nur scheinbar Substantiellen ist. Das Wissen um das Scheitern des Substantiellen an seiner eigenen Realisierung, also das Wissen um die »Weltironie«, ist dialektisches Wissen.63 Die antike Komödie ist das Spiel mit der Maske. Hier wird also das Wechselspiel von »Selbst« (und in der Konsequenz Geist) und Erscheinungsbild (also bestimmtem Dasein) als solches zum Gegenstand. Im Komischen wird expliziert, dass alle Erscheinungsformen des Selbstbewusstseins diesem gegenüber nicht substantiell sind. Darin liegt ein deutliches Moment der Emanzipation gegenüber dem tragischen Modell, das den Menschen als wesentlich durch substantielle Mächte bestimmt sieht. Dieses Moment ist eines der Darstellung der eigenen Macht der Menschen über die Götter: Das wirkliche Selbstbewusstsein stellt sich (in exakter Umkehrung der Tragödie) als »Schicksal der Götter« dar.64 Indem sich das wirkliche Selbstbewusstsein als absolute Macht und Negativität darstellt, verliert diese Macht die Form von etwas Vorgestelltem. Diese Bewegung von Vorstellung zu Darstellung wird das absolute Wissen nach den Erfahrungen der offenbaren Religion wiederholen müssen: Dadurch, dass das einzelne Bewusstsein in der Gewissheit seiner selbst es ist, das als diese absolute Macht sich darstellt, hat diese die Form eines Vorgestellten, von dem Bewusstsein überhaupt Getrennten und ihm Fremden verloren [...]. Was dies Selbstbewusstsein anschaut, ist, dass in ihm, was die Form von Wesenheit gegen es annimmt, in seinem Denken, Dasein und Tun sich vielmehr auflöst und preisgegeben ist, es ist die Rückkehr alles Allgemeinen in die Gewissheit seiner selbst, die 62 Vgl. dazu ausführlich Hamacher, »(Das Ende der Kunst mit der Maske)«. Auch die Tragödie selbst ist eine Sprache. Hegel formuliert: »Diese höhere Sprache, die Tragödie [...]« (PhG, 534). Sprache ist also der gesamte Aufbau einer Form, die sich als künstlerische Gattung etabliert und eine bestimmte Konstellation von Sprechabläufen festlegt, die Menschen für Menschen aufführen. Durch diese Form insgesamt kommunizieren sie mit sich selbst. Wie sich auch in der Komödie zeigt, denkt Hegel hier die gesamte Konstellation des antiken Theaters mit, also das, was insgesamt zwischen Stück, Figuren, Schauspielern und Publikum passiert (also in der fiktionalen und der nicht fiktionalen Welt). Diese Selbstreflexion der Form als Sprache spielt in der Komödie eine noch stärkere Rolle. 63 Die Komödie wird schon am Beginn des Abschnitts zur Kunstreligion als Vollendung der Antike eingeführt (vgl. PhG, 513). 64 PhG, 541

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hierdurch diese vollkommene Furcht- und Wesenlosigkeit alles Fremden und ein Wohlsein und Sichwohlseinlassen des Bewusstseins ist, wie sich außer dieser Komödie keines mehr findet.65

Das komische Selbstbewusstsein ist also furchtlos und glücklich. Es ist agiert damit im alltäglichen Sinne selbstbewusst.66 Alle substantiellen Mächte, die Götter, an die es sich bindet, die Rollen, die es spielt und die Masken, die es trägt, kann es von sich weisen. In Bezug auf Sprache bedeutet das: Die bestimmten Artikulationen können ebenfalls als Masken betrachtet werden, die ein Spiel des Denkens ermöglichen, das sie annehmen und ablegen kann. Die Darstellung des Selbst ist auf Momente des Spiels mit und dem An- und Ablegen von Masken angewiesen. Es unterstreicht sein Selbst aber in den Übergängen zwischen Maskierungen, in denen der Gedanke sich bewegt – nicht jenseits aller Maskierungen.67 Die komische Sprache enthält als Sprache einer verkehrten Welt den Übergang in die prosaische Sprache.68 Als Schritte der Bestimmung des Ausdrucks sind die Sprachstufen zugleich Erkenntnisse über Formen eines gezielt suggestiven Ausdrucks. Wesentlich interessanter als der Umstand, dass Hegel diese Sprachformen sukzessive verwirft, ist also der Umstand, dass sie zur Entwicklung der (Sprache der) Philosophie gehören und die (Sprache der) Philosophie damit wesentlich aus der zunehmend selbstreflektierten Verfahrensweise sprachlicher Kunstformen entsteht. 2.2 Die offenbare Religion Während das Kapitel über die Kunstreligion eine Entwicklung der Sprachformen enthält, und damit eine Anreicherung der Ausdrucksund Vorstellungsformen, finden sich im Kapitel über die offenbare Religion zwei weitere für die Untersuchung von Sprache und Darstellung 65 PhG, 544. Die Mächte lösen sich auf, weil sie nur dadurch bestehen, dass das Bewusstsein sie (als Objekte einer Ideologie) preist; dadurch sind sie diesem faktisch preisgegeben, also ausgeliefert. 66 Wogegen das unglückliche Selbstbewusstsein eher der Konnotation des englischen »self-conscious«, eines unangenehmen Auffallens des Selbst bezeichnet. Allerdings deutet sich auch hier bereist an, dass die Furchtlosigkeit Konsequenz einer gewissen Ignoranz gegenüber dem Fremden sein könnte, das hier gänzlich wesenlos erscheint. Es gibt demnach für diese Position einfach nichts Fremdes. 67 Dies entspricht dem Moment des Durchgangs das zur Dialektik gehört. Das Spiel mit dem Verhältnis von Wesen und Ausdruck ist Kunst. In diesem Zusammenhang ist auch zu bemerken, dass sich hier eine frühe Version von Hegels berüchtigter These vom »Ende der Kunst« findet. 68 Vgl. Wohlfart, Der spekulative Satz, 168f. sowie ebd., 158, 101.

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relevante Momente, nämlich die (erste Phase der) Kritik der Vorstellung und die Analyse der spekulativen Identität. Im Abschnitt über die offenbare Religion geht es um die Menschwerdung Gottes, die Hegel in der christlichen Gotteserzählung vorfindet. Dieser Abschnitt ist für uns aus einer anderen Perspektive relevant als die Kunstreligion, denn das religiöse Bewusstsein macht hier zwei Entdeckungen: Es stößt erstens auf die ontologische Relevanz der Prädikationsform, also auf den spekulativen Satz und zweitens auf das (in der Behandlung der Sprachstufen bereits implizierte) Darstellungsproblem. Im Hintergrund liegt ein Gefühl des Verlustes der Substanz. Direkt zu Beginn des Abschnitts verweist Hegel darauf, dass die gestaltende Aktivität, die im Abschnitt über die Kunstreligion thematisiert wurde, Subjektivität realisiert, indem sie ihre eigene Produktivität und (Darstellungs-)Aktivität in die Formen des Absoluten – d.h. der unveränderbaren Substanz – einfügt. Damit erreicht sie eine Veränderung in dieser scheinbar unveränderlichen Substanz, was Hegel als die »Menschwerdung des göttlichen Wesens« beschreibt: Durch die Religion der Kunst ist der Geist aus der Form der Substanz in die des Subjekts getreten, denn sie bringt seine Gestalt hervor und setzt also in ihr das Tun oder das Selbstbewusstsein, das in der furchtbaren Substanz nur verschwindet und im Vertrauen sich nicht selbst erfasst. Diese Menschwerdung des göttlichen Wesens geht von der Bildsäule aus [...].69

Die Darstellung des Geistes im Medium der Vorstellung bleibt aber insgesamt abstrakt und der Geist deshalb etwas Fremdes.70 Die offenbare Religion bleibt (wie die Geistesgestalt »Religion« insgesamt) in einem Verständnis des Absoluten (bzw. der Substanz) als metaphysisches Objekt gefangen. Aus dieser Beschränkung wird sich die Notwendigkeit des Übergangs zum absoluten Wissen ergeben. 2.2.1 Spekulative Identität (1) – die Umkehrung des Satzes Der Inhalt, mit dem sich die offenbare Religion auseinandersetzt, ist die »Menschwerdung des göttlichen Wesens«.71 Die Struktur »Religion« 69 PhG, 545 70 Vgl. PhG, 560 71 PhG, 552. Philosophie und Religion teilen ihren Inhalt. Hegel wird über diesen Zusammenhang später schreiben, »dass Philosophie und Religion denselben Inhalt hat, dass die Philosophie nichts anderes ist als das Denken über die Gegenwart des Wesens in unserer Erkenntnis und Existenz oder, mit anderen Worten, über die göttliche Offenbarung [...], dass das Denken, welches das Philosophieren ist, mit der Erkenntnis durch Offenbarung ganz

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versucht insgesamt, das absolute Wesen mit der Struktur des »Selbst« zur Deckung zu bringen. Die Menschen arbeiten hier an der Konstruktion des absoluten Wesens als Modell von sich selbst und damit an der Darstellung des Absoluten. Diese Modelle werden im Laufe des Religionskapitels komplexer und können immer mehr Aspekte der »Form des Selbst« einfangen.72 Die Naturreligion konzipiert das absolute Wesen als Substanz, der gegenüber das (menschliche) Selbst nur den Status eines Prädikats hat. Die Kunstreligion setzt dann (wie wir gerade gesehen haben) in Gestalt der Komödie das menschliche Selbst absolut, was den Verlust der Substanz des absoluten Wesens zur Folge hat: Gott hat keine Autorität mehr über den Menschen, »das Selbst ist das absolute Wesen«.73 Dieses leichtsinnige und in seiner Ironie glückliche Bewusstsein kippt aber durch eine Akzentverschiebung in seinen – logisch äquivalenten – affektiven Gegenpol: Das unglückliche Bewusstsein der offenbaren Religion entsteht, indem es das Selbst zu einem Prädikat des absoluten Wesens »herunterstimmt und die Substanz zum Subjekte erhebt.«74 Es bündelt sich in dem Satz: das absolute Wesen ist das Selbst – was so viel bedeutet wie: nur das absolute Wesen ist »das Selbst« (dieser Satz findet sich nicht explizit im Text).75 Dem Christentum gelingt es auf diese Weise, das absolute Wesen als Subjekt zu konzipieren, dieses absolute Subjekt hat aber (der Theorie des religiösen Bewusstseins zufolge) gegenüber der religiösen Gemeinde eine selbstständige Existenz. Es gibt daher nur ein einziges wirkliches Selbst, nämlich »Gott«. Die offenbare Religion entsteht also aus der Bewegung eines (proto-)spekulativen Satzes, womit Hegel in ihrem Ausgangspunkt bereits die ontologische Relevanz der Prädikationsform angelegt hat. Günter Wohlfart hat in seinem Buch Der spekulative Satz auf diese Passage aufmerksam gemacht und dafür argumentiert, dass die Gestalt der offenbaren Religion selbst bereits zu einem spekulativen Verständnis des Verhältnisses von Substanz und Subjekt gelangt, das sich in dem Satz »Das absolute Wesen (die göttliche Substanz) ist das Selbst (das menschliche Subjekt)« ausdrückt.76 Diese Argumentation kann allerdings nicht dasselbe ist, nur von einer anderen Seite betrachtet« – und unter Abzug der »Vermischung« der Vorstellung; TWA11, 242. 72 Vgl. PhG, 582. Das absolute Wesen wirklich als Mensch zu konzipieren, wird in letzter Konsequenz erfordern, dass man diese Konstruktionen von ihrem Modellcharakter befreit. Diesen Schritt vollzieht das absolute Wissen. 73 PhG, 545; vgl. ebd.: »Der Satz der diesen Leichtsinn ausspricht. Lautet so: das Selbst ist das absolute Wesen; das Wesen, das Substanz und an dem das Selbst Akzidentalität war, ist zum Prädikate heruntergesunken, und der Geist hat in diesem Selbstbewusstsein, dem nichts der Form des Wesens gegenübertritt, sein Bewusstsein verloren.« 74 PhG, 545 75 Vgl. Harris, The Odyssey of Spirit, 652. 76 Wohlfart, Der spekulative Satz, 172.

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überzeugen, insbesondere weil durch sie unverständlich wird, warum es überhaupt eine weitere Entwicklung des Religionskapitels gibt. Außerdem muss Wohlfart für seine Argumentation den früheren Gestalten der Religion Erkenntnisse unterschieben, die diese noch gar nicht haben können, wie H. S. Harris richtigerweise gegen ihn eingewandt hat.77 Obwohl die 77 Vgl. insgesamt im Folgenden Wohlfart, 170–176. Wohlfahrt konzipiert eine Folge von drei Sätzen: Satz 1 lautet: »Das absolute Wesen ist das Selbst. (Die göttliche Substanz ist das menschliche Subjekt).« Satz 2 lautet: »Das Selbst ist das absolute Wesen. (Das menschliche Subjekt ist die göttliche Substanz).« Satz 3 lautet (wie oben bereits zitiert): »Das absolute Wesen (die göttliche Sub­stanz) ist das Selbst (das menschliche Subjekt)« (ebd., 171f.; vgl. dazu auch ebd., 315ff.). Wohlfart zufolge spricht Satz 1 das geistige Bewusstsein der natürlichen Religion aus, Satz 2 das geistige Selbstbewusstsein der »künstlichen Religion« und Satz 3 »die geistige Vernunft der absoluten Religion«. Man muss allerdings feststellen, dass sich Satz 1 nicht in der Phänomenologie findet. Die Artikulation eines möglicherweise spekulativen Satzes finden wir erst in der Eröffnungspassage der offenbaren Religion. Wohlfart bemerkt selbst, dass erst die Kunstreligion zu einer satzförmigen Artikulation ihres Selbstverständnisses gelangt (ebd., 171). Die natürliche Religion ist zu einer solchen Artikulation noch gar nicht in der Lage, wie H.S. Harris zurecht gegen Wohlfahrts Lesart eingewandt hat (Harris, The Odyssey of Spirit, 700n5): »since Hegel does not give us the ›proposition‹ of ›the first substantiality‹ at all, it is better to leave the text alone. The ›first substantiality‹ cannot utter its own ›proposition‹ – that is why Hegel writes in such an irregular form.« Der einzige Satz, der sich explizit im Text der Phänomenologie findet ist Satz 2; dieser Satz wird dann umgekehrt. Schauen wir uns die Passage an: »Dieser Satz: das Selbst ist das absolute Wesen, gehört, wie von selbst erhellt, dem nichtreligiösen, dem wirklichen Geiste an, und es ist sich zu erinnern, welches die Gestalt desselben ist, die ihn ausdrückt. Sie wird zugleich die Bewegung und die Umkehrung desselben enthalten, welche das Selbst zum Prädikate herunterstimmt und die Sub­stanz zum Subjekte erhebt.« (PhG, 545). Man sieht, dass der wirkliche Geist nicht nur den Satz 2 – »das Selbst ist das absolute Wesen« – ausspricht, sondern auch dessen Umkehrung enthält. Die Umkehrung ist also keine Leistung der offenbaren Religion, sondern die Basis, auf der diese überhaupt erst (aus dem ironischen Bewusstsein der Komödie) entsteht. Einerseits setzt Wohlfart hier schon die Gestalt der »absoluten Religion« als diejenige ein, die die Umkehrung durchführt. Der Begriff der absoluten Religion ist bisher aber gar nicht eingeführt worden (das passiert erst auf PhG, 552). Außerdem unterschlägt Wohlfart, dass die Umkehrung ein Herunterstimmen ist, in dem das (menschliche) Selbst die Autorität, die es im Bewusstsein der Komödie genießen konnte, verliert. Die Umkehrung vollzieht sich also nicht, wie Wohlfahrt meint, von Satz 1 über Satz 2 zu Satz 3, sondern bezeichnet einen Verlust, der eher der Bewegung von Satz 2 zu Satz 1 entsprechen würde. Wohlfart möchte den Fortschritt des Christentums hervorheben. Er ist dazu aber gezwungen, einen Satz zu konstruieren, der im Text gar nicht vorkommt, um dann den Satz »das absolute Wesen ist das Selbst« eindeutig im Sinne von Satz 3 und nicht im Sinne des – worauf

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Gestalt der offenbaren Religion entsteht, indem ein Satz hervorgebracht wird, der als spekulativer Satz lesbar ist, heißt das nicht, dass sie selbst auch zu dieser Erkenntnis gelangt. Hegel weist explizit darauf hin, dass die Religion den absoluten Inhalt zwar ausspricht, aber dabei nicht weiß, was sie sagt.78 Entsprechend erfolgt die Umkehrung des Satzes ohne das Wissen um die Logik solcher Umkehrungen und ohne ein konzeptuelles Verständnis spekulativer Sätze. Erst am Ende des Kapitels wird die offenbare Religion aus einer ganz anderen Richtung wieder das Terrain des spekulativen Satzes erreichen. Auch dort besteht ihr Problem aber noch darin, Unterschiede von Identität und Nichtidentität, Einheit und Unterschied »für etwas Wahres, Festes, Wirkliches zu nehmen und auf ihnen zu beruhen.«79 Wohlfart steigt dagegen schon nach dem zweiten Absatz aus dem Kapitel zur offenbaren Religion aus und schneidet damit dessen gesamte Entwicklung ab (obwohl er zuvor den früheren Stufen der Religion bedeutend mehr Raum gewidmet hat). 2.2.2 Der Verlust von Substanz und Sprache Im fünften Absatz der offenbaren Religion finden wir Hegels Übersetzung der Kipp-Bewegung, die wir oben an der prädikativen Form beobachtet haben, in ein affektives Register. Damit beginnt erst die eigentliche Entwicklung des Kapitels. Die (historische) Ausgangsposition der er selbst hinweist – gleichlautenden Satz 1 zu interpretieren. Satz 1 kann auch nicht als Aussage der natürlichen Religion interpretiert werden, weil diese de facto nicht in der Lage ist, solche Aussagen zu treffen. Diese Fähigkeit haben nur die nachträglichen Interpret:innen (Und ich möchte hier wiederum Harris zustimmen, dass diese Tendenz auf einem christlichen Vorurteil zu beruhen scheint; vgl. Harris, 700n5.). Hegel geht auch zunächst gar nicht mehr darauf ein, was die Umkehrung inhaltlich bedeutet, sondern darauf, wie sie zustande kommt: »So nämlich, dass der umgekehrte Satz nicht an sich oder für uns die Substanz zum Subjekte macht oder, was dasselbe ist, die Substanz so wiederherstellt, dass das Bewusstsein des Geistes zu seinem Anfange, der natürlichen Religion, zurückgeführt wird, sondern so, dass diese Umkehrung für und durch das Selbstbewusstsein selbst zustande gebracht wird.« Der Fortschritt besteht darin, dass die Umkehrung durch das Selbstbewusstsein selbst zustande gebracht wird: »Indem dieses sich mit Bewusstsein aufgibt, so wird es in seiner Entäußerung erhalten und bleibt das Subjekt der Substanz, aber als sich eben so [auch hier wird die Art und Weise der Entäußerung wieder unterstrichen, S.W.] entäußertes hat es zugleich das Bewusstsein derselben; oder indem es durch seine Aufopferung die Substanz als Subjekt hervorbringt, bleibt dieses sein eigenes Selbst.« (PhG, 545f.). 78 PhG, 585. Nicht zu wissen, was sie sagt, ist die Ironie bzw. – wie Walter Jaeschke sagt – die Tragik der Religion; vgl. Jaeschke, »Das absolute Wissen«, 87. 79 PhG, 568

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offenbaren Religion ist das Gefühl eines Verlustes der Substanz. Während das komische Bewusstsein der Kunstreligion die Autorität der göttlichen Substanz annullierte und sich in diesem Moment selbst genießen konnte, sieht das unglückliche Bewusstsein der offenbaren Religion darin nun einen Verlust. Genauer gesagt erkennt das unglückliche Bewusstsein der offenbaren Religion den Verlust der Substanz (der damit nicht aufhört, ein Fortschritt zu sein) als Verlust. Dass »Gott gestorben ist«, bedeutet einerseits die Unmöglichkeit des Wissens, andererseits den Verlust der Bedeutung.80 Mit dem Verlust des Inhalts verliert der Mensch auch die Sprache. Dem Bewusstsein der offenbaren Religion fehlt also beides: ein sicheres Verständnis des zu beschreibenden Gegenstandes (»Gott« bzw. die Substanz) und ein für diese Beschreibung geeignetes Vokabular. Damit etwas Sprache ist, müssen wir es als sinnvolle Äußerung eines bewussten Wesens erkennen; andernfalls sehen oder hören wir nur rein physisches Material – Markierungen oder Laute. Gelingende Sprache beinhaltet also immer ihren gedanklichen Mitvollzug. Die Figuren der Entfremdung in der Phänomenologie teilen das Moment, dass dieser Mitvollzug blockiert ist und der materielle Körper der Sprachzeichen in den Vordergrund tritt: Das unglückliche Bewusstsein kann die lateinischen Gebete nur nachmurmeln.81 Der Höfling vor dem Thron hört seine Sprache als Laute verhallen.82 Das Bewusstsein der offenbaren Religion findet nun die Worte der überlieferten (griechischen) Hymnen und Kunstwerke als tote Reste: »die Bildsäulen sind nun Leichname, denen die lebende Seele, so wie die Hymne Worte, deren Glauben entflohen ist«.83 Was in der spätrömischen Welt, aus der das Christentum der offenbaren Religion hervorgeht, besteht, sind nur isolierte Überbleibsel, von deren Entstehungsprozess sich die Menschen abgeschnitten finden: »Sie sind nur das, was sie für uns sind, – vom Baume gebrochene schöne Früchte«.84 Der immer wieder als Bild der Prozessform des Begreifens bemühte Baum ist mitsamt seiner Umwelt und sogar dem Klima selbst verschwunden – »es gibt nicht das wirkliche Leben ihres Daseins«.85 Das hier thematisierte Bewusstsein ist daher museal. Es wischt 80 PhG, 547; vgl. auch 572 81 Vgl. PhG, 175 und besonders explizit, vor allem im Hinblick auf die Wissenschaft, TWA20, 52. 82 PhG, 376 83 PhG, 547f. Dazu schreibt H.S. Harris: »It is the literary remains that are most essential, because language is that form of being (or of objectivity) which cannot be sundered from the Self, or from self-consciousness in its logically inevitable singularity, without ceasing to be the thing that it is. From being language the literary remains sink down into mere marks, if they are not read and understood.« Harris, The Odyssey of Spirit, 657. Die Hervorhebung stammt von mir, S.W. 84 PhG, 547 85 PhG, 548

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Staub und Regentropfen von den Früchten der Vergangenheit. In diesen konservatorischen Handlungen sieht es sich Erinnerungsstücken einer vergangenen Lebensform gegenüber. Daraus ergibt sich aber ein Wendepunkt, denn wenn auch die unmittelbare Erfahrung verloren ist, erhält sich nicht nur die Erinnerung, sondern die Erinnerung enthält mehr als das unmittelbare Verhältnis. Sie ist eine Versammlung des Erinnerten, eine Konzentration in einem Punkt – hier dem »Pantheon«. Diese Erinnerungsform ist damit eine Funktion des logos. Sie begreift den vergangenen Geist als Geist, also als etwas, das nicht in den Überlieferten Stücken aufgeht. Der Geist, der die überlieferten Kunstwerke darbietet, ist mehr [meine Hervorhebung, S.W.] als das sittliche Leben und Wirklichkeit jenes Volkes [gemeint sind damit die Griechen, S.W.], denn er ist die Er-Innerung des in ihnen noch veräußerten Geistes, – er ist der Geist des tragischen Schicksals, das alle jene individuellen Götter und Attribute der Substanz in das eine Pantheon versammelt, in den seiner als Geist selbst bewussten Geist.86

In dieser Erfahrung des Versammelns von Erinnerungen findet sich ein wesentliches Moment der Methodik der Phänomenologie, denn genau diese versammelnde Erinnerung wird ein zentrales Moment des absoluten Wissens darstellen. In diesem Bild verbindet Hegel eine historische Erfahrung mit dem Moment des Substanzverlusts, das er zu Beginn des Kapitels im Kontext des spekulativen Satzes thematisiert hat. Davon ausgehend wird es im Folgenden darum gehen, das Absolute als Entwicklungsprozess und als Bewegung zu begreifen. 2.2.3 Die Entdeckung des Darstellungsproblems und die Einschränkungen des Vorstellens Im Rahmen seiner Analyse und Kritik der Vorstellung in der Phänomenologie verfährt Hegel bereits nach dem Prinzip, das später die Enzy­ klopädie strukturieren wird: Der absolute Geist ist eine Darstellung des objektiven Geistes, in der vermittelt wird, was genau der objektive Geist ist. Die Darstellung des objektiven Geistes orientiert sich dabei an den verschiedenen Formen des subjektiven Geistes. Der objektive Geist als Inhalt wird also durch verschiedene sinnliche und mentale Formen vermittelt: Anschauen, Vorstellen und Denken. Diese drei Stufen, die er im Religionskapitel der Phänomenologie als »Elemente« oder »Momente« bezeichnet, führt Hegel als Zugangsmöglichkeiten zum Absoluten ein.87 Das Absolute (das in dieser ganzen Entwicklung prinzipiell bereits als »Geist« verstanden werden soll) wird zunächst unmittelbar als gegen86 PhG, 548 87 Vgl. PhG, 556–58

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wärtiger Mensch angeschaut (Stufe 1). Die Vermittlungsfunktion, die ihm zukommen soll, muss aber dargestellt werden. Dazu werden zwei weitere Schritte benötigt, nämlich Vorstellung (Stufe 2) und Begriff (Stufe 3).88 Die eigentliche Gestalt der offenbaren Religion wird im 11. Absatz des gleichnamigen Unterkapitels eingeführt. Das Dasein des Geistes zeigt sich dort als »Selbstbewusstsein, d.h. als ein wirklicher Mensch«.89 Das bedeutet, dass die Substanz, die zunächst von der Sphäre der Menschen abgelöst (absolut) schien, nun (scheinbar von sich aus) Momente des menschlichen Selbstbewusstseins und der Subjektivität entwickelt. Die Menschwerdung Gottes ist ein Indiz für die Möglichkeit der Einheit von Einheit und Unterschied: »[D]er Geist ist das Wesen seiner selbst in seiner Entäußerung«.90 Versteht man sie als »Geist«, kann die Substanz auf sich selbst Bezug nehmen. Es deutet sich hier also schon an, dass Geist dasjenige ist, was die Eigenschaft besitzt, mit sich selbst in Differenz treten zu können und zugleich in dieser Entäußerung mit sich gleich zu bleiben. Die Bewegung in das Anderssein wird also in das Konzept der Identität integriert (und dieser theoretische Zug hat für Hegel sowohl ontologische, als auch prädikationslogische Konsequenzen). Die Form der gegenständlichen Gestaltung des Absoluten – als »wirklicher Mensch« – ermöglicht also, dieses Absolute auf eine neue Weise zu denken. Daraus folgt für Hegel auch, dass sich für das (religiöse) Bewusstsein prinzipiell die Aufgabe stellt, die »Bedeutung des Gegenständlichen« in einem allgemeinen Sinn zu klären. Die Bedeutung des Gegenständlichen muss »einmal« bewusst begriffen werden.91 Hegel sagt deutlich, dass die »Gestalt«, die der Geist sich gibt, die Form des wirklichen Wissens des »Weltgeist[s]« von sich selbst ist, weil der Geist über seine Gestaltungen Bewusstsein von sich erlangt. Trotzdem besteht für das religiöse Bewusstsein weiterhin ein Erkenntnisdefizit: Die Vorstellung der offenbaren Religion gestaltet Geist zwar als Selbstbewusstsein, ihr Zugang zu dem so verstandenen Geist hat aber nicht die Form des Wissens (und insbesondere nicht die des Selbst-Wissens), sondern die des Glaubens.92 Hegels Einführung des Begriffs der offenbaren Religion zufolge erhebt diese allerdings durchaus einen Wissensanspruch: »In dieser Religion ist 88 Vgl. PhG, 554–56 89 PhG, 551 90 PhG, 552 91 PhG, 550 92 Vgl. PhG, 551: »Das unmittelbare Ansich des Geistes, der sich die Gestalt des Selbstbewusstseins gibt, heißt nichts anderes, als dass der wirkliche Weltgeist zu diesem Wissen von sich gelangt ist; dann erst tritt dies Wissen auch in sein Bewusstsein und als Wahrheit ein. Wie jenes geschehen, hat sich schon oben ergeben. Dies, dass der absolute Geist sich die Gestalt

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deswegen das göttliche Wesen geoffenbart. Sein Offenbarsein besteht offenbar darin, dass gewusst wird, was es ist. Es wird aber gewusst, eben indem es als Geist gewusst wird, als Wesen, das wesentlich Selbstbewusstsein ist.«93 Für Hegel besteht das Offenbarsein des göttlichen Wesens in der offenbaren Religion darin, dass gewusst wird, was das göttliche Wesen ist. Es scheint aber, als wäre dieses Wissen noch nicht vollständig, denn es wird nur gewusst, dass es »Geist« ist – oder vielmehr sein soll. Diesen Glaubenssatz kann die religiöse Vorstellung aber nicht inhaltlich anreichern. Der Zweifel an der Vollständigkeit des Offenbarseins des göttlichen Wesens verstärkt sich, wenn Hegel im Anschluss an die Bestimmung der offenbaren Religion (nach einem zweiten Gliederungsgedankenstrich und scheinbar übergangslos) über das Geheimnis spricht.94 In der Tat gibt es kein Geheimnis in Bezug auf das formale Selbst-Sein des absoluten Wesens; das absolute Wesen ist aber nur (»allein«95) »als Selbst«, d.h. in dieser formalen Bestimmung offenbar. Es fehlen weitere Bestimmungen. Die Prädikate, die diesem Subjekt allgemein zugesprochen werden, haben bisher nur den Status von Zuschreibungen des Bewusstseins. Es kommt zu einer voreiligen Euphorie, einer »Freude« über die (scheinbar) erfüllten »Hoffnungen und Erwartungen«, dass das »absolute Wesen« sich offenbart hat und als Geist identifiziert ist.96 Damit erreicht die offenbare Religion eine entscheidende Erkenntnis: Gott ist das spekulative Wissen. Er ist ebenfalls die Einheit des Denkens und des Seins sowie des allgemeinen und des partikulären Selbst. Für die offenbare Religion verkörpert er dieses allerdings in seiner »offenbaren« sinnlichen Anwesenheit:

des Selbstbewusstseins an sich und damit auch für sein Bewusstsein gegeben, erscheint nun so, dass es der Glaube der Welt ist, dass der Geist als ein Selbstbewusstsein, d. h. als ein wirklicher Mensch da ist, dass er für die unmittelbare Gewissheit ist, dass das glaubende Bewusstsein diese Göttlichkeit sieht und fühlt und hört. So ist es nicht Einbildung, sondern es ist wirklich an dem.« 93 PhG, 552. Hegel fügt eine umgangssprachliche Anwendung von »offenbar« in seinen Satz ein, wodurch er auf den Umfang des semantischen Feldes von »offenbar« verweist. Das wäre ein Beispiel explikativen Sprachgebrauchs. Wir sagen z.B. »Sie ist offenbar sehr reich«, womit wir ausdrücken, dass es allen Anschein hat, dass es so ist, dass wir aber evtl. nicht über alle Informationen verfügen und sich hinter dem, was offen zu Tage liegt noch etwas verbirgt. In diesem Sinne meldet das Wort »offenbar« sofort Zweifel an der Vollständigkeit der durch es ausgedrückten Offenbarung an. 94 PhG, 552; zum Motiv des Geheimnisses vgl. Cohen, »Hegel und Levinas. Die Nacht – Von einer Sprache in die andere«, 331f. 95 PhG, 553 96 PhG, 554

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Dass das höchste Wesen als ein seiendes Selbstbewusstsein gesehen, gehört usf. wird, dies ist also in der Tat die Vollendung seines Begriffes; und durch diese Vollendung ist das Wesen so unmittelbar da, als es Wesen ist. [...] Gott ist also hier offenbar, wie er ist; er ist so da, wie er an sich ist; er ist da, als Geist. Gott ist allein im reinen spekulativen Wissen erreichbar und ist nur in ihm und ist nur es selbst, denn er ist der Geist, und dieses spekulative Wissen ist das Wissen der offenbaren Religion. Jenes weiß ihn als Denken oder reines Wesen, und dies Denken als Sein und als Dasein, und das Dasein als die Negativität seiner selbst, hiermit als Selbst, dieses und allgemeines Selbst; eben dies weiß die offenbare Religion.97

In dem Moment, in dem diese Konzeption des Absoluten als Geist erreicht wird, entsteht aber die Frage, wie sich dessen unmittelbares, denkendes Selbstwissen darstellen soll, und damit entdeckt das religiöse Bewusstsein das Darstellungsproblem – eine Entdeckung, die den euphorischen Ton radikal abschneidet: Dieser Begriff des sich selbst als Geist wissenden Geistes ist selbst der unmittelbare und noch nicht entwickelt. Das Wesen ist der Geist, oder es ist erschienen, es ist offenbar; dies erste Offenbarsein ist selbst unmittelbar; aber die Unmittelbarkeit ist ebenso reine Vermittlung oder Denken; sie muss daher an ihr selbst als solcher dies darstellen.98

Hier taucht also das Darstellungsproblem für das religiöse Bewusstsein auf: Wenn das Absolute reine Vermittlung oder Denken ist und nicht in einer sinnlichen Präsenz aufgeht – wie kann diese Vermittlungsfunktion dargestellt werden? Es wird jetzt also gezielt nach einer Gestalt gesucht, die die Form des Begriffs haben kann.99 Das gelingt aber nur über Zwischenschritte und diese bilden die Entwicklung der religiösen Vorstellungen, mit denen sich das Denken an seine Selbstdarstellung herantasten wird. Es werden zunächst Bilder entwickelt, die als »Voranzeigen«100 dienen können und darüber hinaus ein umfassendes Repertoire rhetorischer Stilmittel, die insgesamt die Eigenschaft teilen, dass sie uns (insofern wir hier der Entwicklung des religiösen Bewusstseins folgen) einen gedanklichen Weg eröffnen (oder zumindest eröffnen können), auch wenn wir selbst nicht wissen, wie genau sie das tun. Hier wird also die praktische Anwendung des welterschließenden Potentials figurativer sprachlicher Darstellung relevant. Die Entwicklung des Zugangs zum Absoluten orientiert sich zunächst an den Möglichkeiten eines sinnlichen (also anschauenden) Verhältnisses zu ihm: Indem Gott in menschlicher Gestalt 97 PhG, 554 98 PhG, 555; die Hervorhebung stammt von mir, S.W. 99 Pirmin Stekeler-Weithofer hat diesen Punkt klar gesehen; vgl. Stekeler-Weithofer, Dialogischer Kommentar, Band 2, 893–95. 100 Stekeler-Weithofer, 895.

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besteht, kann das Bewusstsein zu dieser Gestalt zunächst ein unmittelbares Verhältnis einnehmen. Es liegt alles offen an der »Oberfläche« und Gott kann »gesehen, gehört usf.« werden, was beim Bewusstsein die angesprochene »Freude« auslöst.101 Daraus ergibt sich aber erstens noch kein Verständnis der denkenden Vermittlungsfunktion, die das absolute Wesen (Gott) ebenfalls sein soll. Die unmittelbare, körperliche Existenz Gottes in Jesus muss für etwas über sie Hinausgehendes stehen. Dieses Verhältnis erschließt sich aber nicht aus der bloßen Präsenz des Gottmenschen. »Offenbarung« ist prinzipiell eine äußerliche Form der Erkenntnis, denn die Vorstellung eines Wissens durch Offenbarung beinhaltet die Annahme, dass dieses Wissen durch das »Absolute« garantiert werden soll. Das Moment, das das (fragliche) Wissen zu wirklichem Wissen machen würde, liegt damit prinzipiell außerhalb des Wissens.102 Die Gestalt des absoluten Wesens wird noch nicht in der Form des Begriffs entwickelt und erfasst, sondern erst in der Vorstellung: die Gestalt hat noch nicht die Form des Begriffs, d.h. des allgemeinen Selbsts, des Selbsts, das in seiner unmittelbaren Wirklichkeit ebenso Aufgehobenes, Denken, Allgemeinheit ist, ohne in dieser jene zu verlieren. – Die nächste und selbst unmittelbare Form dieser Allgemeinheit ist aber nicht schon die Form des Denkens selbst, des Begriffes als Begriffes, sondern die Allgemeinheit der Wirklichkeit, die Allheit der Selbst[e] und die Erhebung des Daseins in die Vorstellung [...].103

Eine Vorstellung »ist die synthetische Verbindung der sinnlichen Unmittelbarkeit und ihrer Allgemeinheit oder des Denkens«, also eine 101 PhG, 554 102 Besonders deutlich wird dieser Punkt in Hegels Vorlesung über Platon (TWA19, 55): »Diese Vorstellung, dass das Wissen ganz von außen komme, findet sich in neuerer Zeit bei ganz abstrakten, rohen Erfahrungsphilosophen, die behauptet haben, dass alles, was der Mensch vom Göttlichen wisse, für wahr halte, durch Erziehung, durch Angewöhnung in ihn komme, die Seele, der Geist nur die ganz unbestimmte Möglichkeit sei. Das Extrem ist dann die Offenbarung, wo alles von außen gegeben ist [meine Hervorhebung, S.W.]. In der protestantischen Religion ist diese rohe Vorstellung in ihrer Abstraktion nicht vorhanden; da gehört zum Glauben wesentlich das Zeugnis des Geistes, d. h. dass der einzelne subjektive Geist an und für sich, in sich diese Bestimmung enthalte, setze, mache, die in Form eines Äußerlichen, nur Gegebenen an ihn kommt. Platon spricht also gegen jene Vorstellung. Er sagt [...]: Die Vernunft lehrt, dass in jedem inwohne das immanente Vermögen seiner Seele; er habe in sich das Organ, mit dem er lernt.« Auch hier geht die Offenbarung, bei der die Erkenntnis von außen kommt, einer Ausführung über das Denken voran, das seine Inhalte selbst produziert (vgl. ebd., 56f.). 103 PhG, 555; die letzte Hervorhebung stammt von mir, S.W.

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Vermischung von Sein und Denken.104 Hegel beschreibt hier, dass in der christlichen Geschichte der Menschwerdung, des Todes und der Auferstehung Gottes zwar prinzipiell inhaltlich erfasst wird, wie Allgemeinheit und Besonderung zusammengehören; die »Form des Vorstellens«,105 in der die Religion sich zu diesem Inhalt verhält, führt dabei aber dazu, dass dieser konstitutiv nicht begriffen werden kann. In der Form der Vorstellung sind nämlich die einzelnen Momente nur äußerlich aufeinander bezogen. Das Vorstellen ist »das Bewusstsein des Anderswerdens«, wie Hegel sagt.106 Das ist keinesfalls nur negativ zu verstehen, denn in der Entwicklung einer Sache ist es entscheidend, dass wirkliche Unterschiede entstehen.107 Der Modus der Vorstellung verliert aber die Einheit dieser Momente bzw. den Zusammenhang der 104 PhG, 556 105 PhG, 556 106 PhG, 557 107 Vgl. dazu etwa Hegels Kritik der Mathematik, die sich im Gegensatz zur Philosophie nur mit »unwesentliche[n] Unterschiede[n]« der Größe beschäftigt (PhG, 45). Der Begriff der Vorstellung wird im 17. Absatz des Kapitels über die offenbare Religion definiert und im 18. Absatz weiter entfaltet (vgl. PhG, 556f. sowie zuvor 531). Zur Vermittlungsposition der Vorstellung zwischen Anschauung und Begriff schreibt Klaus Vieweg: »Die Vorstellungen stehen zwischen dem Sinnlich-Anschaulichen und dem Begriff, sie repräsentieren die Mitte, das Zwischen, den Übergang, das Übertragen zwischen dem Einzelnen der Anschauung und der Allgemeinheit des Begriffs. Sie sind erstens Verbildlichungen des Allgemeinen und Verallgemeinerungen des Bildlichen, Veranschaulichungen von Bedeutungen und Metaphern der Begriffe – man könnte es die innere Repräsentation, die innere Vergegenwärtigung nennen. Es handelt sich zweitens um Äußerungen, um äußere Repräsentation im Sinne von Verbildlichungen und schließlich drittens um Versprachlichungen des Bildlichen.« Vieweg, Skepsis und Freiheit, 316f. Vorstellung als synthetische Verbindung macht also die Mitte zwischen Selbstbewusstsein und Denken aus (PhG, 558), womit die Position der Vorstellung genau der der Sprache bzw. des Zeichens in der Enzyklopädie entspricht. Das Zeichen ist Bewohner beider Welten, der körperlichen und der geistigen. Die Eigendynamik der Verbindungsfunktion war für Friedrich Schlegel auch formal interessant. Michel Chaouli hat darauf aufmerksam gemacht, wie das Präfix ver- eine Transformation, eine quasi-chemische Synthese in der Verbindung anzeigt: Zwei Verbundene bleiben in einer Verbindung nicht das, was sie außerhalb dieser wären; vgl. Chaouli, The Laboratory of Poetry, v.a. 21–29. Die Dynamik solcher Synthesen lässt sich z.B. an dem zunächst unscheinbaren, aber in der Konsequenz dieses Denkens der Verbindung radikalen Äthenäums-Fragment Nr. 53 nachvollziehen: »Es ist gleich tödlich für den Geist, ein System zu haben, und keins zu haben. Er wird sich also wohl entschließen müssen, beides zu verbinden.« In: Schlegel, Charakteristiken und Kritiken (1796–1801).

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einzelnen Vorstellungen. Die Vorstellung kann Identität und Nichtidentität nicht zusammendenken. Deshalb ist die Gottesgeschichte für sie eine Abfolge verschiedener zeitlicher Momente (genau das zeichnet sie als erzählte Geschichte aus); deren logische Einheit wird uns (in unserer Funktion als philosophische Beobachter:innen des religiösen Bewusstseins) zwar klar, Hegel möchte aber darauf hinaus, dass diese Einheit etwas ist, das nicht auf der Ebene der Vorstellung geleistet wird, die in einem zu engen Kontakt zu den durch sie vorgestellten Bildern steht. Wir müssen uns also an dieser Stelle daran erinnern, dass wir (als philosophische Beobachter:innen) schon mehr wissen als das Bewusstsein der Religion, das insofern eine Abstraktion ist, als es ausschließlich im Modus der Vorstellung operiert.108 Ein zweites Problem ist, dass die Bezugnahme auf Gott als unmittelbare Präsenz (in Form des Gottmenschen Jesus) die Probleme erbt, die bereits im Kapitel über die sinnliche Gewissheit diskutiert wurden: Die sinnliche Gegenwart geht nämlich unmittelbar in eine Abwesenheit (ein »Gewesensein«) über – und das Bewusstsein kann sich nur noch selbst daran erinnern, dass es diesen »einzelne[n] Mensch[en]« gesehen und »gehört hat«. Hegel unterstreicht hier bewusst die Perfekt-Form.109 Diesem Pro­ blem sieht sich das Bewusstsein der offenbaren Religion unmittelbar ausgesetzt. Weil die einzelnen Momente der Vorstellung aufeinander folgen, besteht für die Vorstellung ein unüberbrückbarer Unterschied des Gegenwärtigen und des Vergangenen oder Zukünftigen bzw., wie Hegel sagt, eine »unversöhnte[...] Entzweiung in ein Diesseits und Jenseits«.110 Im Rahmen der christlichen Erzählung bedeutet das: Gott wird zwar sinnlich gegenwärtig, er verschwindet dann aber auch wieder. Gott stirbt notwendigerweise. Die religiöse Vorstellung definiert den Prozess des Geistes als ein Geschehen, das vor ihr abläuft. Der Modus der Vorstellung setzt dabei einerseits die Stufen dieses Prozesses als zeitliche Abfolge und andererseits den Prozess selbst als von dem vorstellenden religiösen Bewusstsein verschieden.111 Damit ist zwar die Gegenständlichkeit des sinnlich Gegenwärtigen »aufgehoben«, aber noch nicht als Begriff, sondern nur als Vorstellung, also als synthetische Verbindung gedanklicher und sinnlicher 108 Das wirkt sich wiederum auf Hegels Darstellungsform aus: »The three moments of the knowledge of the community already exist for us in the element of concept when they still exist for the community in the element of representation: hence Hegel’s double presentation. He expounds what these moments are in the portrayal of religious consciousness and at the same time what they mean for us.« Hyppolite, Genesis and Structure, 564. 109 PhG, 555; Hegel verweist an dieser Stelle auch ausdrücklich auf die Entwicklung der Gegenstandsverhältnisse des Bewusstseins von der sinnlichen Gewissheit über die Wahrnehmung zum Verstand. 110 PhG, 556 111 Vgl. PhG, 555f.

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Elemente.112 Diese Verbindung drückt sich insbesondere in raumzeitlichen Relationsbeschreibungen zu einem (vorgestellten) Objekt aus, das in der Vorstellung vergangen bzw. entfernt ist. Hegel betont besonders, dass diese Form der Beschreibung zu einer inhaltlichen Fehlinterpretation der existenziellen Konstellation führt, die das religiöse Bewusstsein zu analysieren versucht: Vergangenheit und Entfernung sind aber nur die unvollkommene Form, wie die unmittelbare Weise vermittelt oder allgemein gesetzt ist; diese ist nur oberflächlich in das Element des Denkens getaucht, ist als sinnliche Weise darin aufbewahrt und mit der Natur des Denkens selbst nicht in eins gesetzt. Es ist nur in das Vorstellen erhoben, denn dies ist die synthetische Verbindung der sinnlichen Unmittelbarkeit und ihrer Allgemeinheit oder des Denkens. Diese Form des Vorstellens macht die Bestimmtheit aus, in welcher der Geist in dieser seiner Gemeine seiner bewusst wird [meine Hervorhebung, S.W.]. Sie ist noch nicht das zu seinem Begriffe als Begriffe gediehene Selbstbewusstsein desselben; die Vermittlung ist noch unvollendet. Es ist also in dieser Verbindung des Seins und Denkens der Mangel vorhanden, dass das geistige Wesen noch mit einer unversöhnten Entzweiung in ein Diesseits und Jenseits behaftet ist. Der Inhalt ist der wahre, aber alle seine Momente haben, in dem Elemente des Vorstellens gesetzt, den Charakter, nicht begriffen zu sein, sondern als vollkommen selbständige Seiten zu erscheinen, die sich äußerlich aufeinander beziehen.113

Der religiösen Vorstellung fehlt noch ein Bewusstsein davon, was sie selbst eigentlich tut. Deshalb wird der Geist in der religiösen Gemeinde nur »bewusst« und nicht gewusst. Als Vermischung des Sinnlichen und des Denkens stellt die Vorstellung eine vermittelnde Position zwischen beiden dar, also ein Übergangsmoment. Damit lässt sich feststellen, dass die mediale Dimension der Darstellung integraler Bestandteil der argumentativen Dimension der Darstellung ist. Die Vorstellung ist zwar Gegenstand einer wesentlichen Kritik, zugleich aber ein notwendiges Moment der Entwicklung des Denkens. Hegel beschreibt sie als notwendige Zwischenstufe der Bestimmung des Denkens. Die Vorstellung steht paradigmatisch für das Anderswerden des Geistes bzw. des reinen Denkens, die sich notwendig artikulieren – »ins Dasein treten« – müssen. Zugleich ist es für die philosophische Darstellung erforderlich, die Interaktionseffekte zwischen Darstellungsform und dargestelltem Inhalt zu kontrollieren, die der religiösen Vorstellung entgehen (das bedeutet nicht, eine Darstellungsform zu finden, die in dem Sinne neutral wäre, dass solche Interaktionseffekte zum Verschwinden kämen, sondern es bedeutet, diese 112 Der Begriff wird im Kapitel über das absolute Wissen u.a. als »aufgehobene[r] Gegenstand« bestimmt (PhG, 585). 113 PhG, 556

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Interaktionseffekte zu kennen und bewusst einzusetzen). Indem Hegel uns die Funktion der Vorstellung in der Entwicklung des Geistes erklärt, erlaubt er uns auch Schlüsse auf die Inszenierung, die zur Darstellung der Phänomenologie des Geistes gehört. In der Kunstreligion wurden Sprachformen entwickelt, die einen immer reicheren Ausdruck ermöglichten, so dass in den Formen des menschlichen Ausdrucks immer weniger ungesagt blieb. Dort wurde also die Kapazität entwickelt, immer präziser sagen zu können, was man meint. Die Möglichkeiten der Vorstellung wurden dort also erweitert, bis schließlich in der Komödie eine Selbstreflexion des Inszenierens im Rahmen der Inszenierungen erreicht wurde. In der offenbaren Religion arbeitet Hegel nun die Beschränkungen des Modus der Vorstellung insgesamt heraus. Wenn Hegel die offenbare Religion auch als »absolute[...] Religion« bezeichnet,114 heißt das, dass hier die Probleme behandelt werden, die »Religion« insgesamt betreffen. »Absolute Religion« heißt also auch »absolute Vorstellung« und damit absolute Verbindung sinnlichen und gedanklichen Gehalts. Durch diese Verbindung bzw. Vermischung entstehen Probleme dabei, zu wissen, was man sagt. Das Wissen darüber, was man sagt kann aber (wenn überhaupt) nur erreicht werden, wenn der Modus der Vorstellung als Mischform thematisiert und erkannt wird und dazu muss es möglich sein, diese Mischung wieder zu trennen. Dazu muss zunächst anerkannt werden, dass der Schritt in die diskreten Bestimmungen der Vorstellungswelt ein unumgängliches Moment der Entwicklung des Denkens ist: Der Geist ist Inhalt seines Bewusstseins zuerst in der Form der reinen Substanz oder ist Inhalt seines reinen Bewusstseins. Dies Element des Denkens ist die Bewegung, zum Dasein oder der Einzelheit herunterzusteigen [meine Hervorhebung, S.W.]. Die Mitte zwischen ihnen ist ihre synthetische Verbindung, das Bewusstsein des Anderswerdens oder das Vorstellen als solches [meine Hervorhebung, S.W.] – Das dritte ist die Rückkehr aus der Vorstellung und dem Anderssein oder das Element des Selbstbewusstseins selbst. – Diese drei Momente machen den Geist aus; sein Auseinandertreten in der Vorstellung besteht darin, auf eine bestimmte Weise zu sein; diese Bestimmtheit aber ist nichts anderes als eines seiner Momente. Seine ausführliche Bewegung ist also diese, in jedem seiner Momente als in einem Elemente seine Natur auszubreiten; indem jeder dieser Kreise sich in sich vollendet, ist diese seine Reflexion-in-sich zugleich der Übergang in den anderen. Die Vorstellung macht die Mitte zwischen dem reinen Denken und dem Selbstbewusstsein als solchem aus und ist nur eine der Bestimmtheiten; zugleich aber, wie sich gezeigt, ist ihr Charakter, die synthetische Verbindung zu sein, über alle diese Elemente ausgebreitet und ihre gemeinschaftliche Bestimmtheit.115 114 PhG, 552 115 PhG, 557f.; vgl. auch 531

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Die Selbsterkenntnis des Geistes ist eine Bewegung durch drei Elemente oder »Momente« – (reines) Denken, Vorstellung und Selbstbewusstsein. In dieser trinitarischen Struktur antizipiert die offenbare Religion die Struktur des Begriffs als prozessuale Einheit von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit. Wie Hegel hier hervorhebt, ist »Denken« eine Bewegung in das bestimmte Dasein hinein. Damit ist an dieser Stelle die Vorstellung gemeint. Indem eine Vorstellung artikuliert wird, existiert ein geistiger, gedanklicher Gehalt auf eine bestimmte Weise. Diese Bestimmtheit wird auch maßgeblich durch die sprachliche Artikulation ermöglicht (in diesem Sinne können wir uns hier an die Bestimmung von Sprache als »Dasein des Geistes« erinnern). Bezeichnender Weise bestimmt Hegel den Schritt in die Bestimmtheit der Vorstellungsebene nicht nur (wie gerade zitiert) als »herunter[...]steigen«, sondern – und zwar unmittelbar vor der oben zitierten Passage – auch als »herauf[...] treten«.116 Dass die Artikulationsbewegung als Veränderung zu verstehen ist, unterstreicht Hegel, indem er die Vorstellung als »Bewusstsein des Anderswerdens« fasst. Hegel verfügt also über eine komplexe Theorie der Artikulation geistiger Gehalte und ihrer Entwicklung in verschiedenen Formen. Diese Entwicklung bestimmt letztlich, was wir überhaupt als Geist bezeichnen können. Zu betonen ist deshalb auch, dass Hegel diese Theorie der Darstellungsformen des Geistes unmittelbar im Vorfeld des absoluten – philosophischen – Wissens platziert. Der Reflexion auf die Form des philosophischen Wissens geht also eine Reflexion auf die Darstellungsform voraus.117 Eine Folge von Entwicklungsstufen gibt es jedoch nicht nur für die Formen des subjektiven Geistes, also auf der Seite der erkennenden 116 PhG, 557: »Der absolute Geist ist Inhalt, so ist er in der Gestalt seiner Wahrheit. Aber seine Wahrheit ist, nicht nur die Substanz der Gemeinde oder das Ansich derselben zu sein, noch auch nur aus dieser Innerlichkeit in die Gegenständlichkeit des Vorstellens heraufzutreten [meine Hervorhebung, S.W.], sondern wirkliches Selbst zu werden, sich in sich zu reflektieren und Subjekt zu sein.« Damit verweist Hegel auf eine sich kreuzende Bewegung, die der ähnelt, die wir bereits anhand des Begriffs der Entäußerung beschrieben haben; vgl. das Ende des Abschnitts zu Hegels Sprache im ersten Teil dieser Arbeit. 117 Auch Francesca Menegoni zeichnet nach, wie ausgehend vom Begriff der Offenbarung das Darstellungsproblem explizit wird; vgl. Menegoni, »Die offenbare Religion«. Menegoni kritisiert die Interpretationen dieses Übergangs, die darauf fokussieren, dass der Begriff ein schlechteres Vokabular (der Religion bzw. Vorstellung) in ein besseres (der Philosophie bzw. des Begriffs) »übersetzt«. Menegoni wendet ein, dass keine strikte Hierarchie zwischen diesen Vokabularen besteht. Dem würde ich grundsätzlich zustimmen. Zwar hebt Hegel deutlich hervor, dass die Philosophie zwar die Vorstellungen der Religion explizieren kann, nicht aber umgekehrt. Aber auch eine

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Subjekte, die sich durch ihre Gottesvorstellung auf das Absolute beziehen, sondern parallel dazu auch für die Entwicklung des auf der Objektseite vorgestellten absoluten »ewigen Wesens«.118 Dabei unterstreicht Hegel, dass die Probleme der Darstellung des Geistes im Medium (»Element«) der Vorstellung, von den gleichen Problemen befallen sind, wie die mit diesen Vorstellungen verbundene Konzeption des Absoluten als höchstes Wesen: »Die Darstellung des Geistes aber in diesem Elemente [damit ist hier das Element der Vorstellung gemeint, S.W.] hat denselben Mangel der Form nach an sich, den das Wesen als Wesen hat.«119 Das absolute Wesen muss also so verstanden werden, dass es von sich selbst aus dazu tendiert, zu erscheinen und anders zu werden. Das Anderswerden des Geistes hat selbst zwei Formen oder Aspekte: Einerseits die oben beschriebene Bewegung in die Vorstellung und anderseits ein »Insichgehen des Wissens überhaupt«.120 Mit dem Insichgehen beginnt ein neues Thema, nämlich die Relevanz und Notwendigkeit des Bösen. Übersetzung der begrifflichen Formen in die Vorstellungen ist notwendig. Deshalb sollte vor allem festgehalten werden, dass die Fähigkeit des Übersetzens zwischen solchen Vokabularen (die Terminologie-Fähigkeit) nicht im Beherrschen eines einzigen finalen Vokabulars (des Begriffs) aufgeht. Auch Klaus Vieweg argumentiert für die Relevanz einer Übersetzung in beide Richtungen; vgl. Vieweg, »Religion und absolutes Wissen. Der Übergang von der Vorstellung in den Begriff.« Eine Analyse von Hegels Theorie der Vorstellung mit einem Schwerpunkt auf die Enzyklopädie findet sich bei Markus Gabriel, »Hegels Begriff der Vorstellung und das Form-Inhalt-Problem«. Für das Projekt der vorliegenden Arbeit ist dabei insbesondere wertvoll, dass Gabriel Hegels Analyse der Vorstellung ausdrücklich als Reflexion des Textes auf seine eigene Lesbarkeit deutet: »Die Lesbarkeit des Textes wird selbst zum Inhalt der Untersuchung, er [der Text, S.W.] wird zum Zeichen für eine Bedeutung, eine Manifestation in Hegels Sinne.« (ebd., 26). 118 PhG, 561; vgl. dazu PhG 558–62. Hier geht es zunächst um den Geist »als Substanz«; der als Substanz vorgestellte Geist ist »unmittelbar das einfache sich selbst gleiche ewige Wesen, das aber nicht diese abstrakte Bedeutung des Wesens, sondern die Bedeutung des absoluten Geistes hat.« (PhG, 558). Das Problem ist nun, wie dieses abstrakte Wesen für sich selbst etwas Bestimmtes sein kann. Das Wesen soll also mit seiner Erscheinung zusammengedacht werden und dazu unterscheidet Hegel »drei Momente«, nämliche die Momente [1] »des Wesens, [2] des Fürsichseins, welches das Anderssein des Wesens ist und für welches das Wesen ist, und [3] des Fürsichseins oder Sichselbstwissens im Anderen.« Dieser Prozess der Selbstvermittlung des absoluten Wesens steht für Hegel in direktem Zusammenhang mit dem sich Entäußern und Vernehmen des absoluten Wesens im »Dasein des Wortes« (PhG, 559; der Bezug ist dabei der Beginn des Johannes-Evangeliums). 119 PhG, 560 120 PhG, 562. Wie Hegel an einer anderen Stelle sagt, zerfällt »das Anderswerden in zwei« (PhG, 563). Das Anderswerden bezeichnet Hegel auch als

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2.2.4 Spekulative Identität (2) – das Gute und das Böse Das Anderswerden des absoluten Wesens mit den zwei Momenten der Vorstellung und des Bösen enthält eine wichtige Auseinandersetzung mit dem spekulativen Identitätskonzept, das an dieser Stelle der Entwicklung explizit für das Bewusstsein zu einem Problem wird. Neben der Analyse und Kritik der Vorstellung findet sich im Kapitel über die offenbare Religion auch eine Urteilskritik. Das Kapitel enthält also sowohl die Kritik eines Denkens, das von den sinnlich und historisch gegebenen Formen ausgeht, als auch die Kritik der propositionalen Wissensform, die scheinbar isoliert und für sich bestehende abstrakte Substanzen durch ein »geistlose[s] ist« verknüpft.121 Wie hier ebenfalls erkennbar wird, gehören diese beiden Momente der Sprachkritik zusammen: Sie gehen nicht nur beide von der Stufe des Anderswerden des Geistes aus, sondern beide vereint in systematischer Hinsicht, dass sie diskret bestimmte Einheiten (wie »gut«, »böse«, »Vater« oder »Sohn«) als nur äußerlich verbunden denken können – als zeitliche Folge der Vorstellung oder als abstrakte Identifikation im Urteil, einem »Festhalten am Ist« wie Hegel sagt.122 Damit wird auch erkennbar, dass das Aufbrechen der Sprache, die Inszenierung der Konflikte und Interferenzen verschiedener (und zwar aufgrund der Bestimmtheitsstruktur von Vorstellungen notwendig verschiedener und miteinander konkurrierender) Vorstellungen, also die mediale Dimension der Darstellung (die von der Überdetermination der Sprache durch historisch geformte Vorstellungsgehalte ausgeht), das gleiche Ziel hat, wie die argumentative Dimension der Darstellung – nämlich eine Kritik des vorstellenden Bewusstseins, das in festen Identitätsbestimmungen verharrt, daher die Bewegung dieser Identitäten nicht denken und damit letztlich auch sein eigenes Erkenntnisvermögen nicht nachvollziehen kann. Folgerichtig ist deshalb, dass, sobald dieses Problem erkannt wird, auch die Aufgabe des Erkenntnisprojekts klar wird, nämlich die Bewegung des Geistes als Bewegung darzustellen.123 Dabei macht das religiöse »Entfremdung des göttlichen Wesens« (PhG, 564) – formal betrachtet ist Entfremdung also auch einfach ein Anderswerden. 121 PhG, 568 122 PhG, 568; in der kritischen Ausgabe ist diese Passage als »Festhalten am: ist« gedruckt (GW9, 416). 123 Hegel betont dabei auch die Momente des Werdens und des Hervorbringens, die mit seinem Darstellungskonzept eng verbunden sind (wie wir anhand der Vorrede der Phänomenologie nachvollzogen haben): »Die Bewegung der Gemeinde als des Selbstbewusstseins, das sich von seiner Vorstellung unterscheidet, ist, das hervorzubringen, was an sich geworden ist. Der gestorbene göttliche Mensch oder menschliche Gott ist an sich das allgemeine Selbstbewusstsein; er hat dies für dies Selbstbewusstsein zu werden. Oder indem es

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Bewusstsein allerdings die Erfahrung, dass alle seine Vorstellungen in ihr Gegenteil kippen (und dieses Kippmoment ist wiederum ein wesentlicher Aspekt von Hegels Darstellung der Erfahrung des religiösen Bewusstseins). Dies betrifft in letzter Konsequenz auch die Basis des Vorstellens überhaupt, nämlich die Vorstellungen von Identität und Nichtidentität: Indem nämlich das Wesen an sich mit sich schon versöhnt und geistige Einheit ist, worin die Teile der Vorstellung aufgehobene oder Momente sind, so stellt sich dies dar, dass jeder Teil der Vorstellung hier die entgegengesetzte Bedeutung erhält, als er vorher hatte; jede Bedeutung vervollständigt sich dadurch an der andern, und der Inhalt ist erst dadurch ein geistiger; indem die Bestimmtheit ebensosehr ihre entgegengesetzte ist, ist die Einheit im Anderssein, das Geistige vollendet; wie sich für uns oder an sich vorhin die entgegengesetzten Bedeutungen vereinigten und selbst die abstrakten Formen des Desselben und des Nichtdesselben, der Identität und Nichtidentität aufhoben.124

Das Verhältnis von Identität und Nichtidentität wird für das religiöse Bewusstsein aufgrund einer Überlegung zum Problem des Bösen zum Thema. Die Frage, die das Bewusstsein sich stellt, ist, in welchem Verhältnis das Böse zum Absoluten stehen kann. In der religiösen Vorstellung der Schöpfungsgeschichte erschafft Gott Menschen, die damit in ihrer eigenen Erzählung auftauchen.125 Es ist entscheidend, dass die Menschen auf die Bühne ihrer eigenen Vorstellung geholt werden, denn über das Konzept des Menschen entsteht die Vorstellung eines Konflikts von Gut und Böse. Der konzeptuelle Fehler des religiösen Bewusstseins in der Auffassung dieses Konflikts besteht darin, dass es »das Gute« und »das Böse« als stabile, äußerliche und gewissermaßen zufällige Gegensätze auffasst. So entsteht für die offenbare Religion die Frage nach dem Verhältnis von Identität und Nichtidentität und damit betritt sie (nach der Umdeutung des Ergebnisses der Komödie am Beginn des Kapitels) erneut das Terrain der Theorie der spekulativen Identität und des spekulativen Satzes. Man erkennt an der Unfähigkeit des religiösen Bewusstseins, eine spekulative Identität von Gut und Böse zu denken, dass es auch am die eine Seite des Gegensatzes der Vorstellung ausmacht, nämlich die böse, der das natürliche Dasein und das einzelne Fürsichsein als das Wesen gilt, so hat diese, die als selbständig, noch nicht als Moment vorgestellt ist, um ihrer Selbständigkeit willen an und für sie selbst sich zum Geiste zu erheben oder die Bewegung desselben an ihr darzustellen.« (PhG, 568f.). Die letzte Hervorhebung stammt von mir, S.W. 124 PhG, 569; die Stelle, auf die Hegel verweist, geht dieser Passage unmittelbar voran (PhG, 567f.). 125 Ein vergleichbares Moment gibt es in der griechischen Tragödie, wo zuerst wirkliche Menschen als Darsteller auf der Bühne stehen; vgl. Wohlfart, Der spekulative Satz, 161.

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Eingang des Kapitels noch kein Verständnis des spekulativen Satzes entwickelt haben kann. Das vorstellende Denken klammert sich an »nicht dem Begriffe angehörige« Formen wie »Abfallen« (von Gott) oder »Sohn« (Gottes) und vermischt diese mit dem begrifflichen Denken, das sich aber gerade aufgrund der Bindung an diese Vorstellungen nicht im eigentlichen Sinne entfalten kann.126 Könnte die Figur der offenbaren Religion schon am Eingang des Kapitels spekulative Sätze denken, wäre es unklar, warum der Zwischenschritt des Vorstellens überhaupt noch stattfindet. Die Antizipation einer spekulativen Identität, die das religiöse Bewusstsein schon eingangs spürt, bildet eher den Fluchtpunkt seiner gesamten Entwicklung (die Vor-Stellung, wie man sagen könnte). Wie bereits angesprochen, wird dieses Thema erst am Ende des Kapitels wird wieder erreicht – und zwar aus einer anderen Richtung. Die Fixierung des Gegensatzes von Gut und Böse ist ein Produkt des Modus der Vorstellung, dem der Prozess des absoluten Wesens »als ein unbegreifliches Geschehen« erscheint.127 Der Vorstellung nach besteht das Böse im Insichsein des »fürsichseienden Selbsts«, das sich so dem absoluten Wesen gegenüberstellt.128 Hegel bemerkt, dass in der Geschichte der Inkarnation ebenfalls eine Vorstellung davon existiert, wie das absolute Wesen als fürsichseiendes Selbst existiert; die in dieser Geschichte verbundenen Vorstellungen können allerdings als solche (also im Modus der Vorstellung als vorbegriffliches Denken) nur hintereinander bestehen: Der Gedanke aber, dass jene sich zu fliehen scheinenden Momente des absoluten Wesens und des fürsichseienden Selbsts nicht getrennt sind, erscheint diesem Vorstellen auch – denn es besitzt den wahren Inhalt –, aber nachher [meine Hervorhebung, S.W.], in der Entäußerung des göttlichen Wesens, das Fleisch wird.129

Im Absoluten selbst, kann es aber (wie Hegel argumentiert) gar keinen »Abfall« geben. Das Böse charakterisiert auf der absoluten Ebene daher ein Moment des Absoluten, genauso wie auch das Gute. Ferner ist dieses Moment für den Geist wesentlich, denn es macht das Selbst des Geistes aus: »das absolute Wesen hätte nur diesen leeren Namen, wenn es in Wahrheit ein ihm Anderes, wenn es einen Abfall von ihm gäbe; – das Moment des Insichseins macht vielmehr das wesentliche Moment des Selbsts des Geistes aus.«130 Die Differenz, die sowohl durch die Vorstellung, als auch durch das Böse markiert wird, gehört also wesentlich zur Entwicklung des Absoluten. Hegels Analyse des Bösen würde eine eingehendere Rekonstruktion 126 PhG, 563 127 PhG, 566 128 PhG, 566 129 PhG, 566f. 130 PhG, 566

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erfordern, als ich in diesem Rahmen leisten kann. An dieser Stelle kann ich nur andeuteten, dass Hegel mit der Bewegung des Insichgehens des Bösen ein »innerlich [W]erden« des wissenden Selbstbewusstseins verbindet – so dass sich ein Zusammenhang mit der Bewegung des Wissens und der Bewegung des Bösen andeutet.131 Diesen Zusammenhang haben wir ebenfalls im Kontext der Verzeihung des Bösen am Ende von Hegels Analyse des Gewissens beobachtet: Dort zeigte sich, dass die Partikularisierung, die Hegel mit dem Moment des Bösen verbindet, ein notwendiges Moment der tatsächlichen Verwirklichung allgemeinen Wissens ist, insofern auch allgemeines Wissen jeweils nur als partikulär instanziiert real ist.132 2.2.5 Die Bewegung des Geistes und die Grenzen der Religion Am Ende des Abschnitts zur offenbaren Religion steht das Problem der begrifflichen Bewegung des Durchlaufens der drei Elemente reines Denken, Vorstellen und Selbstbewusstsein.133 Wir haben gesehen, dass Religion als Erkenntnisform (oder -modell) generell im Modus der Vorstellung verfährt. Religion als Reflexionstypus konstruiert ein bestimmtes Programm, ein System von Aussagen und Handlungen, die (im weiteren Sinne) eine Theorie des Absoluten bilden. Es zeigt sich aber, dass diese Theorie ihren angestrebten Gegenstand grundsätzlich verfehlt, insofern sie im Modus der Vorstellung operiert. Die Theorie scheitert damit an der Form ihrer Herangehensweise an ihren Gegenstand. Untersuchen wir also, wie das Verhältnis der Form der Theorie zur Form des Gegenstandes hier gelagert ist: In den letzten zwei Absätzen des Religionskapitels thematisiert Hegel die Bewegung, in der der Geist sich selbst erkennt. Es ist die Eigenart des Geistes, einerseits etwas zu sein, das als Selbstverhältnis besteht, und andererseits etwas, das wesentlich eine Bewegung ist (und damit nicht fixierbar), die das Problem der Darstellung des Geistes ausmacht. Der Geist ist am Ende des Religionskapitels zu einem wirklichen Geist geworden, der inhaltlich bereits nicht mehr der weltlichen Realität entgegengesetzt ist: Die Geschichte Gottes findet in der Welt der Menschen statt. Gott wird Gott, indem er zuerst ein Mensch wird, und die Religion konstruiert eine Erzählung davon, in der sie den Geist als Bewegung vorstellt: 131 PhG, 573; vgl. zu diesem Thema PhG, 569–73. 132 Eine ähnliche Theorie des Bösen findet sich in Schellings »Freiheitsschrift« (1809), in der Schelling das Böse als wesentliches Moment der Freiheit überhaupt analysiert (insbesondere im Rahmen der längeren Abschnitte über das Vermögen zum Bösen sowie die Möglichkeit und Wirklichkeit des Bösen); vgl. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände. 133»Nicht das eine oder das andere hat Wahrheit, sondern eben ihre Bewegung«, PhG, 568.

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So ist also der Geist sich selbst wissender Geist; er weiß sich; das, was ihm Gegenstand ist, ist, oder seine Vorstellung ist der wahre absolute Inhalt; er drückt, wie wir sahen, den Geist selbst aus. Er ist zugleich nicht nur Inhalt des Selbstbewusstseins und nicht nur für es Gegenstand, sondern er ist auch wirklicher Geist. Er ist dies, indem er die drei Elemente seiner Natur durchläuft; diese Bewegung durch sich selbst hindurch macht seine Wirklichkeit aus; – was sich bewegt, ist er, er ist das Subjekt der Bewegung, und er ist ebenso das Bewegen selbst oder die Substanz, durch welche das Subjekt hindurchgeht.134

Was hier sprachlich auseinandergehalten wird, soll ontologisch identisch sein, aber trotzdem differenzierbar.135 Das Problem des religiösen Bewusstseins besteht darin, dass es diese differenzierte ontologische Einheit von sich unterscheidet (dieses Unterscheiden ist das wesentliche Merkmal der Relation »Bewusstsein«) und sie in Form einer Vorstellung von sich trennt und vor sich stellt. In Bezug auf die Bewegung des Geistes ist das religiöse Bewusstsein nur beobachtend und indem es sich diese Rolle zuweist, macht es die Erkenntnis der Bewegung des Geistes (die nur in der Bewegung des Geistes selbst liegt, also darin, diese Bewegung zu vollziehen) für sich selbst unmöglich. Diese Bewusstseinsform »ist das geistige Selbstbewusstsein« aber sie »hat nicht auch das Bewusstsein über das, was sie ist«.136 Das unterscheidet das religiöse Bewusstsein von uns, den Leser:innen der Phänomenologie: Wie uns der Begriff des Geistes geworden war, als wir in die Religion eintraten, nämlich als die Bewegung [A] des seiner selbst gewissen Geis­ tes, der dem Bösen verzeiht und darin zugleich von seiner eigenen Einfachheit und harten Unwandelbarkeit ablässt, oder die Bewegung [B], dass das absolut Entgegengesetzte sich als dasselbe erkennt und dies Erkennen als das Ja zwischen diesen Extremen hervorbricht, – diesen Begriff schaut das religiöse Bewusstsein, dem das absolute Wesen offenbar [ist], an und hebt die Unterscheidung seines Selbsts von seinem Angeschauten auf, – ist, wie es das Subjekt ist, so auch die Substanz und ist also selbst der Geist, eben weil und insofern es diese Bewegung ist.137 134 PhG, 572. Wie gesagt, sind die Elemente der Natur des Geistes das reine Denken (PhG, 558), das Vorstellen (PhG, 561) und das Selbstbewusstsein als solches (PhG, 566). 135 Vgl. Schürmanns Feststellung zu diesem Problem: »Die Polaritäten Denken und Sein, Sprache und Wirklichkeit bzw. Darstellung und Dargestelltes sind sprachliche Ausdrücke, mit denen man selbst das noch unterscheiden muss, dessen Einheit man gerade ausweisen will.« Schürmann, Vorstellen und Darstellen, 11. 136 PhG, 573 137 PhG, 572f.; die Ergänzung »[ist]« gehört zum Text der Theorie-Werkausgabe. In der kritischen Ausgabe wird dieses »[ist]« nicht eingefügt (vgl. GW9, 420).

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Es geht zunächst darum, wie uns Leser:innen der Begriff des Geistes geworden war.138 Der ganze Satz ist deshalb schwer zu lesen, weil der gewählt schwammige Einstieg »Wie uns der Begriff des Geistes geworden war...« zwei Lesarten erlaubt: Wir können den Akzent entweder auf die inhaltliche Bestimmung des Begriffs des Geistes setzen: Der Begriff des Geistes ist uns irgendwie geworden und er ist inhaltlich zu bestimmen durch die zwei Bewegungen A und B. Oder wir betonen die Form, die Art und Weise, in der dieser Begriff uns »geworden war«: Der Begriff des Geistes ist uns auf (mindestens) eine von zwei möglichen Weisen geworden, nämlich durch Bewegung A oder Bewegung B (oder auch durch beide), was darüber hinaus auch noch etwas zu seiner inhaltlichen Bestimmung beitragen mag (es ist dabei nicht nebensächlich, dass der Absatz mit »So« beginnt, also mit einer Bestimmung der Art und Weise bzw. der Form). Schlüsseln wir diesen Satz auf: Wie uns der Begriff des Geistes geworden war, als wir in die Religion eintraten, nämlich als die Bewegung [A] des seiner selbst gewissen Geistes, der dem Bösen verzeiht und darin zugleich von seiner eigenen Einfachheit und harten Unwandelbarkeit ablässt, oder die Bewegung [B], dass das absolut Entgegengesetzte sich als dasselbe erkennt und dies Erkennen als das Ja zwischen diesen Extremen hervorbricht, – diesen Begriff schaut das religiöse Bewusstsein, dem das absolute Wesen offenbar [ist], an und hebt die Unterscheidung seines Selbsts von seinem Angeschauten auf, – ist, wie es das Subjekt ist, so auch die Substanz und ist also selbst der Geist, eben weil und insofern es diese Bewegung ist. 138 Die Wendung, dass uns etwas »wird«, verwendet Hegel häufiger, wenn es darum geht, anzudeuten, dass ein Entstehungsprozess zwar vollbracht, aber nicht verstanden wurde. Es ist eines der konstitutiven Probleme des Bewusstseins, dass ihm zwar Gegenstände »werden« und sich sein Verständnis dadurch erweitert, es aber nicht begreift, wie und warum. Hegel schreibt dazu in seinem Artikel über Solgers Schriften in Bezug auf dessen Korrespondenz mit Tieck: »Wenn Tieck seinerseits [...] von diesem Gedicht sagt, dass es ihm ganz aus dem Gemüte gekommen, ihn selbst wie überrascht habe, gar nicht gemacht, sondern geworden sei, [...]« (TWA11, 217).

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SPRACHE UND DIE DARSTELLUNG DES ABSOLUTEN

Wie der zweite Einschub zwischen den Gedankenstrichen zeigt, entscheidet sich das religiöse Bewusstsein für die erste Lesart: Es schaut den Begriff, inhaltlich bestimmt durch Bewegung A und B, an und darin ist ihm das absolute Wesen »offenbar«. Lesen wir weiter, werden wir von dem auf den zweiten Gedankenstrich folgenden »ist« völlig aus der Bahn geworfen. Nach der eingeschobenen Disjunktion der Bewegungen A und B (die hier ebenfalls als Konjunktion gelesen werden kann) und dem weiteren Einschub durch die Gedankenstriche wissen wir einfach nicht mehr, worauf sich dieses »ist« beziehen soll. Die Irritation wird dadurch verstärkt, dass die Position des religiösen Bewusstseins auch grammatikalisch gewaltsam (gewissermaßen als Gegenstoß) in den Satz einfällt: Die Bezugnahme auf »diesen Begriff« fügt sich in keiner Hinsicht in den Satz ein, dessen Struktur wir ohnehin bis zu diesem Punkt noch nicht überblicken konnten, da uns ein Verb (»ist«) fehlte. Erst wenn wir den Satz sezieren, stellen wir fest, dass es Hegel hier vor allem um die zweite Lesart zu gehen scheint: »Wie uns der Begriff des Geistes geworden war, [...] ist, wie es das Subjekt ist, so auch die Substanz und ist also selbst der Geist, eben weil und insofern es diese Bewegung ist.« Hegel sagt also: »Wie uns der Begriff des Geistes geworden war, [...] ist also selbst der Geist« – und zwar eben weil und insofern es diese Bewegung ist. Der Geist ist also etwas, das sich in sich bewegt und das wir erkennen, indem wir in diese Bewegung einsteigen, indem wir uns als nicht von dieser Bewegung getrennt begreifen. Der Geist wird nicht angeschaut. Er ist nichts anderes als seine Bewegung. Insofern es in dieser Bewegung etwas Differenzierbares gibt, sollen wir das Differenzierbare nur als Momente verstehen. Wir wissen, was der Geist ist, indem wir wissen, wie er uns geworden war. Der Geist wird also (entgegen der Annahme des religiösen Bewusstseins) nicht auf etwas externes Substantielles zurückgeführt, sondern auf die Art und Weise seines eigenen Werdens, und zwar seines Werdens in uns, insofern wir denken und dieses Denken darstellen. Dieses Werden ist die Substanz des Geistes. Was sich bewegt, ist der Geist selbst und es geht hier im Wesentlichen darum, den Bewegungscharakter des Geistes herauszustellen. Das religiöse Bewusstsein schaut diesen Begriff aber an und darin behält es die Unterscheidung von sich selbst und dem Absoluten auch bei.139 Was der 139 Das Wissen der Religion erreicht noch nicht das Sein, sondern nur die Erscheinung des Göttlichen (vgl. dazu TWA16, 199 sowie ebd., 201). Der Unterschied, den das religiöse Bewusstsein »aufhebt«, muss als Unterschied im Absoluten begriffen werden, nicht als Unterschied zwischen dem Absoluten und dem darauf bezogenen Bewusstsein. An dieser Stelle der Phänomenologie ist das Anschauen noch nicht begriffen, weil es noch eine vom Sinnlichen ausgehende Struktur hat. Wichtig ist, zu präzisieren, um was für eine Art von Anschauung es dem religiösen Bewusstsein geht. Vgl. dazu etwa TWA16, 138, wo Hegel beschreibt, dass das religiöse Bewusstsein einen sinnlichen

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DIE ENTWICKLUNG DER SPRACHE UND DIE KRITIK DER VORSTELLUNG

Modus der Vorstellung nicht denken kann, ist, dass der Geist bereits realisiert ist. Die Religion erhält sich die Vorstellung eines Anderen bzw. »die Vorstellung von etwas«.140 Sie setzt also ein Fundament unter die Bewegung. Daher liegt die Realisierung des Geistes, die Versöhnung, für das religiöse Bewusstsein immer noch in der Zukunft: Indem an sich diese Einheit des Wesens und des Selbsts zustande gekommen, so hat das Bewusstsein auch noch diese Vorstellung seiner Versöhnung, aber als Vorstellung. Es erlangt die Befriedigung dadurch, dass es seiner reinen Negativität die positive Bedeutung der Einheit seiner mit dem Wesen äußerlich hinzufügt; seine Befriedigung bleibt also selbst mit dem Gegensatze eines Jenseits behaftet. Seine eigene Versöhnung tritt daher als ein Fernes in sein Bewusstsein ein, als ein Fernes der Zukunft, wie die Versöhnung, die das andere Selbst vollbrachte, als eine Ferne der Vergangenheit erscheint.141

Die Religion sucht nach einem gegebenen, metaphysischen Substrat der Bewegung. Geist ist aber eine Bewegung ohne Substrat bzw. eine Bewegung, die sich nicht vor einem Hintergrund abspielt. Das religiöse Bewusstsein stellt die Bewegung aber prinzipiell vor einen solchen Hintergrund einer bleibenden Substanz, auf den es sie projizieren kann. Dieser Hintergrund ist dabei eigentlich eine Projektion des Bewusstseins. In diesem Zusammenhang hat Dieter Henrich darauf hingewiesen, dass für das spekulative Verständnis der Identität von Substanz und Subjekt die Vorstellung einer zugrundeliegenden Substanz aufgegeben werden muss, womit aber die Grundlosigkeit selbst substantiell wird. Die Darstellung das Geistes referiert damit nicht auf ein ursprüngliches Seiendes (das in der Darstellung möglicher- oder notwendigerweise verfehlt wird), sondern nur auf den Umstand, dass sich überhaupt etwas darstellt. Der Darstellungsprozess wird damit selbst zur Realisierung des Absoluten.142 Gegenstand benötigt. Vgl. auch PhG, 526 zum Mystischen. Wird der Begriff (sinnlich) angeschaut, erscheint er als Zeit, wird also verendlicht. Vgl. dazu Luckner, Genealogie der Zeit, 118, 208, 228. 140 PhG, 573; die Hervorhebung stammt von mir, S.W. 141 PhG, 573f. 142 Henrich schreibt: »That ›the truth is the whole‹ means that we should not look at the process that is self-manifestation as a deprivation of the original Being. Nor should we look at it only as an ascent to the highest. The process is already the highest, and, for that reason, the end of the process refers to its beginning and its course of development, just as the process points throughout to an end. This is the self-referential structure of the entire discourse. For this reason we can also say that ›the substance has to be conceived rather as the subject.‹ This substance is an ontological principle that only underlies the process. It is with reference to the substance that processes can take place. The subject for Hegel is, however, nothing but the active relationship to itself. In the subject there is nothing underlying its self-reference,

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»Religion« als Form der Erkenntnis scheitert am Ende an drei wesentlichen Punkten: Der für Religion konstitutive Modus der Vorstellung vermischt den gedanklichen Gehalt mit sinnlichen Elementen (daher ist auch Vermischung ein durchgängiges Thema des Religionskapitels); die verschiedenen Vorstellungen, die sich die Religion von ihrem Objekt macht, bleiben unverbunden (die Momente erscheinen deshalb nacheinander); das vorgestellte metaphysische Objekt der Religion (Gott) bleibt konstitutiv getrennt von den Vorstellenden (und ihnen in diesem Sinne vor-gestellt). Die angestrebte Versöhnung liegt deshalb entweder weit in der Vergangenheit zurück oder noch in ferner Zukunft.143 Am Ende des Religionskapitels wird deutlich, dass jede Form religiösen Bewusstseins das Denken unterbindet, indem es dieses auf ein Absolutes fokussiert, das – wie komplex und prozessual auch immer es sonst verstanden wird – ein gegenüber dem Denken Äußerliches ist und damit eine gegebene Substanz. Das Absolute und seine Entwicklung sind dem religiösen Bewusstsein ein unabhängig von seinen eigenen Aktivitäten vor seinem Bewusstsein ablaufendes »Geschehen«, das es nicht begreift.144 Das religiöse Bewusstsein ist deshalb strukturell unfähig, den Begriff des Geistes in sich selbst realisiert zu finden. Insofern es Bewusstsein ist, »hat es nur Vorstellungen, die betrachtet werden«.145 Es »ergreift« ein Bild, mit dem es zwar sein Leben erklärt, aber nur um there is only the self-reference. For this reason, there is only the process and ­nothing underlying it. Philosophical and metaphorical models such as ›emanation‹ (neo-Platonism) or ›expression‹ (Spinozism) present the relationship between the infinite and the finite in a way that fails to characterize what the process (self-manifestation) is. The subject does not manifest some underlying structure of substance that is hidden. It manifests itself. But how does it manifest itself if there is no underlying structure? To return to the Fichtean terminology: it manifests itself as manifestation.« Henrich, Between Kant and Hegel, 289f. Zur (hinter-)grundlosen Bewegung schreibt Hegel in der Logik (WL2, 85): »Das Wesen hat eine Form und Bestimmungen derselben. Erst als Grund hat es eine feste Unmittelbarkeit oder ist Substrat. Das Wesen als solches ist eins mit seiner Reflexion und ununterschieden ihre Bewegung selbst. Es ist daher nicht das Wesen, welches sie durchläuft; auch ist es nicht dasjenige, von dem sie als von einem Ersten anfängt. Dieser Umstand erschwert die Darstellung der Reflexion überhaupt; denn man kann eigentlich nicht sagen, das Wesen geht in sich selbst zurück, das Wesen scheint in sich, weil es nicht vor oder in seiner Bewegung ist und diese keine Grundlage hat, an der sie sich verläuft.« 143 Vgl. McCumber, The Company of Words, 54f. Vgl. auch WL2, 197, wo Hegel zwar die Vollständigkeit aber zugleich die fehlende Notwendigkeit in Spinozas Konzeption des Absoluten feststellt – aufgrund eines Nacheinanders vorausgesetzter Momente. 144 PhG, 570 145 PhG, 573

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den Preis, dass dieses Leben ein einziges Warten auf die immer noch ausbleibende Versöhnung ist. Bewusstsein ist genau die Struktur, die im Diesseits keine Befriedigung finden kann. Es ist prinzipiell unglückliches Bewusstsein, wie Jean Hyppolite sagt.146 Das religiöse Bewusstsein ist dafür das paradigmatische Beispiel und in diesem Sinne bildet das religiöse Bewusstsein den systematischen Schlüssel der Probleme des Bewusstseins überhaupt, das sich auf das Absolute in Form eines vorgestellten Objekts bezieht.

3. Das absolute Wissen Die Religion betrachtet das Absolute als metaphysisches Objekt, als höchstes Seiendes. Die Bestimmungen des Wissens und das Verhältnis der wissenden, menschlichen Subjekte zu diesem höchsten Seienden sind für die Religion deshalb etwas, das dem absoluten Objekt nur äußerlich zukommt. Das religiöse Bewusstsein bezieht sich intentional auf etwas anderes und entspricht damit genau der (in der Einleitung der Phänomenologie eingeführten) Definition des Bewusstseins, das etwas von sich unterscheidet, worauf es sich zugleich bezieht.147 Das absolute Wissen reflektiert dagegen, dass dieser absolute Inhalt der Religion eine Form seines eigenen Wissens ist, und aus diesem Grund steht im Kapitel über das absolute Wissen die »Form des Selbst« im Mittelpunkt. Diese Verschiebung geht mit einem Übergang vom Modus der Vorstellung zum Modus der Darstellung einher. Die »vollendete gegenständliche Darstellung« bezieht eine Reflexion des Darstellungsprozesses und damit des Prozesses der sukzessiven Bestimmung des Dargestellten mit ein. Sie wird damit (auch) selbstreferentiell bzw. zum »Selbst« wie Hegel sagt.148 Absolutes Wissen ist Wissen, das sich durch seine Darstellung rechtfertigen kann. Es kann darstellen, in welchen Formen Wissen in den Erfahrungen des Bewusstseins erscheint und wie diese Erscheinungsformen des Wissens zusammenhängen. Diese Darstellung muss aber von uns allen jeweils selbst geleistet werden, weil wir immer nur jeweils als einzelne Individuen etwas wissen (darin besteht die Relevanz des Partikularisierungsmoments, das wir oben im Zusammenhang mit der Bewegung des Bösen unterstrichen haben). Damit kommt Hegel auf die Relevanz des SelbstHervorbringens der Darstellung zurück, die wir im Zusammenhang mit dem Beginn der Vorrede der Phänomenologie untersucht haben.149 Durch 146 Hyppolite, Genesis and Structure, 190. 147 Vgl. PhG, 76 148 PhG, 585 149 Vgl. den Abschnitt »Was ist Darstellung?« am Beginn des ersten Teils dieser Arbeit.

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diese Verschiebung findet sich bei Hegel eine Transformation der metaphysischen Theorien des Absoluten als eines höchsten Seienden in eine Theorie des Absoluten als Form wissenschaftlichen, philosophischen Wissens. Das Absolute wird auf diese Weise nicht nur im Einklang mit seiner methodischen Darstellbarkeit konzipiert, sondern als methodische Darstellung und als Reflexion der Form der Entwicklung von Wissen.150 In der Diskussion des absoluten Wissens sind folgende Themen für uns relevant: (1) Eine grundlegende Frage, die sich am Ende der Phänomenologie stellt, ist die nach dem Verhältnis von Einheit und Differenz am Abschluss der Entwicklung des Geistes. Diese Frage kann auch als Frage danach formuliert werden, welches Konzept der Relation Hegels Theorie des absoluten Wissens beinhaltet oder ob möglicherweise sogar jegliche Relation im absoluten Wissen aufgehoben ist. Es ist daher nicht überraschend, dass sich die weiteren Themen, die uns im Zusammenhang mit der Untersuchung des Darstellungsproblems interessieren werden, auch als Aspekte der Frage nach dem Verhältnis von Einheit und Unterschied verstanden werden können. Anders formuliert: Läuft die Darstellungsfunktion des Endlichen darauf hinaus, dass das Endliche dem reinen Selbstverhältnis eines (monistisch verstandenen) Geistes untergeordnet wird? Oder unterstreicht im Gegenteil gerade das Kapitel zum absoluten Wissen die Relevanz einer echten Alterität in Hegels Theorie des Geistes?151 150 Die Relevanz des Darstellungsbegriffs für das absolute Wissen, sowohl in seiner Abgrenzung zum Modus der Vorstellung, als auch in seiner methodologischen Funktion, hat vielleicht am deutlichsten Angelica Nuzzo angesprochen: »Hegel’s absolutes Wissen, representing Hegel’s critical answer to the problem of the ›knowledge of the Absolute‹, amounts to the destruction – or Aufhebung – of the ontological-metaphysical notion of ›the Absolute‹. This is a move that will remain crucial for Hegel’s mature construction of the system of philosophy and for his idea of dialectical method. This leads to the discussion of what constitutes the ›absolute‹ character of Hegel’s absolutes Wissen – i.e., to the methodological problem of the adequate presentation or exposition (Darstellung) of a knowledge that has been completed in the form of its absoluteness. Hegel claims that what is ›absolute‹ in the last of all the successive figures that the structure of Wissen has gone through in the Phenomenology is nothing but the form of its conclusive presentation; i.e., ›absolute‹ is not a particular content of knowing, but its very modality or form.« Nuzzo, »The Truth of ›Absolutes Wissen‹ in Hegel’s ›Phenomenology of Spirit‹«, 267. Zu Hegels Transformation der metaphysischen Theorien des Absoluten als eines höchsten Seienden in eine Theorie des Absoluten als Form wissenschaftlichen bzw. philosophischen Wissens vgl. ebd., 268, 285f. 151 Wie wir gesehen haben ist es Derridas Vorwurf, dass im Moment des absoluten Wissens alle Reste von Äußerlichkeit getilgt werden sollen. Eine gesamte Ausgabe der Owl of Minerva (Volume 30, Issue 1, Herbst 1998) widmet sich den Problemen des absoluten Wissens. Dort werden insbesondere

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(2) Im Anschluss an das Religionskapitel entwickelt das Kapitel zum absoluten Wissen die Kritik der Vorstellung weiter. Diese Kritik ergibt sich aus Hegels Verständnis der Frage des Verhältnisses von Einheit und Unterschied: Der Modus der Vorstellung beruht auf der Annahme einer strikten Äußerlichkeit der Relata. Insofern drückt sich in der religiösen Vorstellung noch einmal in aller Konsequenz das Grundprinzip des Bewusstseins aus: Es unterscheidet etwas von sich, auf das es sich zugleich bezieht. Dabei sind einerseits das vorstellende Subjekt und das vorgestellte Objekt äußerlich verbunden. Das Gleiche gilt aber auch für die einzelnen Vorstellungen, die das Subjekt vom Objekt hat. Sie folgen nur zeitlich aufeinander und nicht logisch auseinander. (3) Den Abschluss der Phänomenologie bildet das freie Sich-Entlassen des Geistes in sein eigenes Werden, also eine Bewegung nach außen. Insofern der Übergang von Vorstellung zu Begriff als Bewegung nach innen verstanden werden kann, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Internalisierung und Externalisierung. (4) Die Bewegungen der Internalisierung und Externalisierung hängen mit dem Begriff der Darstellung zusammen: Zunächst unterstreicht Hegel, dass die »vollendete gegenständliche Darstellung« ein »Werden [...] zum Selbst« bedeutet.152 Das ist so verstehen, dass die Substanz sich als intern unterschieden zeigt und insofern ihre eigene Darstellung hervorbringt. Diese Bewegung der Internalisierung ist aber nicht das letzte Wort der Phänomenologie. Denn die höchste Freiheit des Geistes besteht darin, sich aus der Form seines Selbst frei zu entlassen. Dieser Punkt folgt nur wenige Absätze nachdem diese Form des Selbst überhaupt gewonnen wurde. Der Begriff reflektiert damit auf seine eigene Darstellung in Form eines »freien zufälligen Geschehens«.153 Der Begriff der Darstellung zeichProbleme der Relation diskutiert. Praktisch gewendet kann diese Frage auch als das Verhältnis von Autonomie und Interdependenz verstanden werden. Vgl. Lumsden, »Absolute Knowing«; Houlgate, »Absolute Knowing Revisited«; Flay, »Absolute Knowing and the Absolute Other« und Williams, »Towards a Non-Foundational Absolute Knowing«. Lumsden, Williams und Flay argumentieren für verschiedene Formen des Relationalen auf der Ebene des absoluten Wissens, während Houlgate vertritt, dass es in der Einheit des absoluten Wissens – dem Selbstdenken des Denkens – keine Andersheit mehr gibt. Wie Stephen Houlgate, möchte ich betonen, dass es im absoluten Wissen um das reine Denken geht. Zugleich wird aber der Bereich der Kontingenz und Differenz damit nicht annulliert, sondern gerade freigegeben; vgl. dazu ebenfalls Lauer, »Space, Time, and the Openness of Hegel’s Absolute Knowing«. Wie Simon Lumsden schlage ich eine Vermittlung der Positionen von Houlgate und Flay bzw. Williams vor, setze dabei aber andere Schwerpunkte. Dies betrifft insbesondere den Fokus auf den Darstellungsbegriff. 152 PhG, 585 153 PhG, 590

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net sich demnach dadurch aus, dass er Einheit und Unterschied einfangen und vermitteln kann: Er beinhaltet sowohl das Resultat, die Form des Selbst oder »gewordene Gleichheit« des Begriffs, als auch das »Werden« dieses Resultats, also den darauf hinführenden Prozess, die Artikulation der Einheit in Momente, die zunächst aber noch als Schritte oder Stufen unterschieden sind.154 Anders formuliert: Der Begriff der Darstellung erfasst eine Einheit von Repräsentation und Präsentation, also eine Einheit von Repräsentation und Sein. (5) Nachdem die Zeit im Religionskapitel bereits am Problemhorizont des Bewusstseins aufgetaucht ist, weil das vorgestellte, absolute Objekt sich zeitlich vom Bewusstsein entfernte, thematisiert Hegel die Zeit nun explizit und zwar als Dasein des Begriffs. Insofern wird Zeit hier als spezifischer Modus der Äußerlichkeit relevant. Die Zeit ist das Moment, an dem sich die Bewegungen der Internalisierung und Externalisierung am deutlichsten abzeichnen. Während der Modus der Vorstellungen diese noch zeitlich und narrativ aneinanderreiht, ergibt sich der Schritt auf die logische Ebene durch die Tilgung der Zeit. Folgen ergeben sich damit nicht mehr in der Zeit, sondern aus Notwendigkeit. Mit der Tilgung der Zeit wird also die begriffliche Ebene erschlossen und damit das Terrain der Logik. Ebenso entscheidend ist aber, dass der wissenschaftliche Geist sich in den letzten Paragraphen frei in ein zeitliches und räumliches Werden entlässt. Die Entwicklung der Phänomenologie ist Hegel zufolge nicht vollendet, bevor es nicht zu dieser Externalisierungsbewegung gekommen ist. (6) Daraus ergeben sich metatheoretische Implikationen: Der Geist stellt sein eigenes Werden zum Geist in Form eines freien zufälligen Geschehens dar. Hegels Darstellungsweise entspricht einerseits der Form des Begriffs (d.h. logische Entwicklung und Bewegung) und andererseits der Erfahrungsweise des Bewusstseins (und damit dem Weg bzw. der Form, durch die das Bewusstsein etwas begreift). Entsprechend thematisiert Hegel das Verhältnis von Bewusstsein und Wissenschaft und zwar als Übergang der Wissenschaft ins Bewusstsein. Der Reflexion auf die Relevanz der Darstellung für den Geist folgt eine Reflexion auf die Form der Darstellung des Textes. 3.1 Die Kritik der Vorstellung und das Konzept der vollendeten Darstellung Beginnen wir mit den Aspekten 2, 3 und 4, also mit Hegels Kritik der Vorstellung, dem Problem der Internalisierung und Externalisierung und 154 Vgl. dazu die im ersten Teil dieser Arbeit bereits hervorgehobenen Passagen der Vorrede, PhG, 40f. bzw. 13.

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dem daraus folgenden Übergang zur Darstellung. Sprache spielt im absoluten Wissen zwar keine explizite Rolle, relevante Entwicklungen zu unserer Frage nach Sprache und Darstellung finden sich aber in Hegels Diskussion von Vorstellung, Entäußerung und Geschichte (hier verfolgen wir zunächst das Moment der Vorstellung; die anderen beiden Aspekte werden weiter unten besprochen). Vorstellung entspricht einem Modus der Fremderkenntnis. Dagegen verbindet Hegel den Darstellungsbegriff mit dem Modus der Selbsterkenntnis. Die Religion schaut die Bewegung des Begriffs als Entwicklung eines transzendenten Gegenstandes an und ist damit an den Modus der Vorstellung gebunden. Das absolute Wissen macht dagegen den Schritt von der Vorstellung zur Darstellung des Absoluten. Es denkt die Bewegung des Begriffs. Damit wird der Unterschied zwischen Wissen und Gegenstand aufgehoben, von dem das Bewusstsein insgesamt ausgeht. Der gedachte Gegenstand hat die Form des »Selbst«.155 Wissen, wie man denkt, ist etwas, das jede:r Denker:in selbst lernen muss. Wir erreichen dies, indem wir lernen, dass die Wahrheit des Denkens nicht darin besteht, dass man einen bestimmten Inhalt denkt, also einen spezifischen Gegenstand zum Objekt seines Denkens macht. Deshalb werden die vorgestellten Gegenstände, in denen das Bewusstsein die Wahrheit der Philosophie sucht, sukzessive abgebaut: Die Wahrheit liegt in keinem dieser Gegenstände, sondern in der Möglichkeit der Bezugnahme überhaupt. Die Aktivität des Abbaus von Vorstellungen ist die Übung des Denkens. Insofern markiert das absolute Wissen eine »Metaeinsicht in die Einsicht«: Es reflektiert darauf, wie überhaupt Erkenntnisse erreicht werden.156 In der vollendeten Darstellung wird diese zum Selbst. Die »vollendete gegenständliche Darstellung«157 ist dabei die gesamte Bewegung, durch die der Geist sich unterscheidet und einen (wissenschaftlichen) Selbstbezug aufbaut. Dieses Denken der Einheit erfordert, dass die einzelnen Unterscheidungsmomente als Momente »durchsichtig« werden.158 Deshalb verweist Hegel im Kontext seines Kommentars zur vollendeten Darstellung auch auf den Unterschied des Aussprechens und des Wissens des 155 Vgl. PhG, 504: »Denn das Vorgestellte hört nur dadurch auf, Vorgestelltes und seinem Wissen fremd zu sein, dass das Selbst es hervorgebracht hat und also die Bestimmung des Gegenstandes als die seinige, somit sich in ihm anschaut.« Denken ist daher Ent-fremdung; vgl. Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 153. Hegel thematisiert dieses Problem auch in der Logik; vgl. WL2, 255, 201. 156 Zur »Metaeinsicht« vgl. Gottfried Gabriel, »Literarische Formen der Vergegenwärtigung in der Philosophie«, 19. Die Relevanz des Übens – und letztlich des Selbstdenkens – hat Hannah Arendt sehr eindringlich beschrieben; vgl. Arendt, Between Past and Future, 13f. 157 PhG, 585 158 PhG, 29; vgl. WL2, 188

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Ausgesprochenen.159 Dieses Verhältnis wird einerseits ontologisch gedacht. Der Selbstbezug des Geistes ist die Substanz und insofern sie auf sich selbst bezogen ist, ist die Substanz Subjekt bzw. Geist. Andererseits unterstreicht Hegel, dass darin nichts gewusst wird, das nicht Bestandteil der Erfahrungen des Bewusstseins ist. Das bedeutet, dass die Analyse des Verhältnisses von Einheit und Unterschied als Moment der Analyse von Erfahrung überhaupt verstanden wird. Damit deutet sich schon an, dass die Bezugnahme des Bewusstseins auf das, was existiert, insofern ontologisch relevant ist, als sie ebenfalls existiert und damit selbst ein Moment der Substanz ist. Die vollendete Darstellung (und damit die philosophische Wissenschaft) beruht dementsprechend auf dem Aufheben des Gegensatzes, der das Bewusstsein definiert. Sie beruht also auf dem Aufheben des Gegensatzes zwischen dem Bewusstsein und den Gegenständen, auf die es sich bezieht. Gegenüber diesem Fremdbezug stellt das absolute Wissen einen Selbstbezug des Wissens auf sich dar. Wie bereits angedeutet, hat der Inhalt, auf den es sich bezieht, für das absolute Wissen daher die »Form des Selbst«. Absolutes Wissen ist die letzte Gestalt des Geistes, der Geist, der seinem vollständigen und wahren Inhalte zugleich die Form des Selbsts gibt und dadurch seinen Begriff ebenso realisiert, als er in dieser Realisierung in seinem Begriffe bleibt [...]; es ist der sich in Geistsgestalt wissende Geist, oder das begreifende Wissen.160 159 Vgl. PhG, 585f. 160 PhG, 582. Wie die Formulierung »Form des Selbst« unterstreicht, versteht Hegel den gedachten Gegenstand als einen, der mit uns als Denkenden innerlich verbunden ist. Dieses Verhältnis der innerlichen Verbindung thematisiert nicht nur Schillers Gedicht »Die Freundschaft«, mit dem Hegel die Phänomenologie beschließt, sondern auch eine Stelle aus der »Differenzschrift«, in der Hegel von der Bedürftigkeit der philosophischen Systeme nach einem »verwandten Geist« spricht, der die Wahrheit in ihnen erkennen kann: »Kenntnisse betreffen fremde Objekte; in dem Wissen von Philosophie, das nie etwas anderes als eine Kenntnis war, hat die Totalität des Innern sich nicht bewegt und die Gleichgültigkeit ihre Freiheit vollkommen behauptet [meine Hervorhebung, S.W.]. Kein philosophisches System kann sich der Möglichkeit einer solchen Aufnahme entziehen; jedes ist fähig, geschichtlich behandelt zu werden. Wie jede lebendige Gestalt zugleich der Erscheinung angehört, so hat sich eine Philosophie als Erscheinung derjenigen Macht überliefert, welche es in eine tote Meinung und von Anbeginn an in eine Vergangenheit verwandeln kann. Der lebendige Geist, der in einer Philosophie wohnt, verlangt, um sich zu enthüllen, durch einen verwandten Geist geboren zu werden [meine Hervorhebung, S.W.]. Er streift vor dem geschichtlichen Benehmen, das aus irgendeinem Interesse auf Kenntnisse von Meinungen auszieht, als ein fremdes Phänomen vorüber und

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Dass derjenige Geist, der das absolute Wissen ist, in seiner Realisierung in seinem Begriff bleibt, heißt, dass er nicht mehr über sich hinausgetrieben wird. Es heißt, dass er seinen Wissensanspruch mit seinen eigenen Mitteln geltend machen kann. Dazu kommt es aber nur, weil die Vorstellung eines privilegierten Gegenstandes, der ein letztes Fundament der Erkenntnis liefern würde aufgegeben wird. Darin besteht der Unterschied zu den früheren Gestalten.161 Den selbsterkennenden offenbart sein Inneres nicht. Es kann ihm gleichgültig sein, dass er dazu dienen muss, die übrige Kollektion von Mumien und den allgemeinen Haufen der Zufälligkeiten zu vergrößern, denn er selbst ist dem neugierigen Sammeln von Kenntnissen unter den Händen entflohen. Dieses hält sich auf seinem gegen Wahrheit gleichgültigen Standpunkte fest und behält seine Selbständigkeit, es mag Meinungen annehmen oder verwerfen oder sich nicht entscheiden; es kann philosophischen Systemen kein anderes Verhältnis zu sich geben, als dass sie Meinungen sind, und solche Akzidenzien wie Meinungen können ihm nichts anhaben; es hat nicht erkannt, dass es Wahrheit gibt.« (TWA2, 15f.). Dieser Absatz bündelt zentrale Momente von Hegels Verständnis des Geistes und demonstriert dabei zugleich eine typische Metaphorik. Der Geist wird als »lebendig« beschrieben; dieses Moment wird mit der eingehüllten Form kontrastiert, in der der Geist »in einer Philosophie wohnt« und sich gewissermaßen verborgen hält, bis ein verwandter Geist ihn gebärt. Geschieht dies nicht, bleibt der Geist dagegen als Meinung konstitutiv »Vergangenheit«; vgl. dazu Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 155. Die Geschichte des Geistes zeigt sich damit als eine von Geburt, Leben, Familie und Verwandtschaft. Dieses familiäre Motiv hat Derrida in Glas besonders untersucht. Er bezeichnet den Geist dort etwa als Filiation und seine Geschichte als Familiengeschichte; vgl. Derrida, Glas: Totenglocke, 5a; 37a. Auch Martin Heidegger hat diese Motive in einem Kommentar zur zitierten Passage aus der »Differenzschrift« aufgegriffen: »Wenn wir zu einer Auseinandersetzung mit Hegel kommen wollen, dann geht an uns die Forderung, mit ihm ›verwandt‹ zu sein. Und selbst dann, wenn wir uns nur erst darum bemühen können, die rechte Bereitschaft für eine Auseinandersetzung in uns auszubilden, selbst dann schon und gerade dann müssen wir diese Forderung vor allem hören: verwandt zu sein. Verwandt – nicht gleich und nicht dasselbe. Verwandtschaft – das ist hier nicht die Gleichheit eines sogenannten Standpunktes, nicht die Zugehörigkeit zu einer Schule und noch weniger die Übereinstimmung in Sätzen und Begriffen und schon gar nicht die Gleichmacherei des Miteinanderzustimmens zu denselben sogenannten Ergebnissen und Fortschritten einer ›Forschung‹. Verwandt – das meint verpflichtet den ersten und letzten sachlichen Notwendigkeiten philosophischen Fragens.« Heidegger, Hegels Phänomenologie des Geistes, 44. 161 Ebenso argumentiert Fulda, »Das absolute Wissen«. Auch Walter Jaeschke schreibt: »›Absolut‹ nennt Hegel dieses Wissen – analog zu anderen Wortbildungen wie ›absolute Kunst‹ oder ›absolute Religion‹ –, weil es sich auf sich selbst bezieht, Wissen des Geistes von sich, von seinem Wesen ist: ›der sich als Geist wissende Geist‹.« Jaeschke, Hegel-Handbuch, 181.

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Geist nennt Hegel Wissenschaft. Diese Form des Wissens steht in einem besonderen Verhältnis zu den bisher in der Phänomenologie beschriebenen, defizitären Gestalten des Wissens. Sie kann nur als Resultat eines Durchgangs oder einer Bewegung durch diese Gestalten verstanden werden. Die Phänomenologie könnte nicht mit dem absoluten Wissen beginnen. Insofern fordern zwar die früheren Gestalten der Phänomenologie den Fortschritt ins absolute Wissen, gleichzeitig erfordert aber das absolute Wissen auch die vorangegangene Entwicklung, ohne die es gar nichts Bestimmtes wäre. Die Bestimmung des absoluten Wissens erfolgt durch die Widerlegung immer komplexerer Wissensansprüche bzw. immer komplexerer Vorstellungen davon, was das Absolute und in Konsequenz das Wissen davon sein könnte. Diese Theorien kollabieren nicht am Maßstab des absoluten Wissens, sondern an ihrem jeweils eigenen. Als Selbsterkenntnis dieses Prozesses ist das absolute Wissen existierendes Wissen vom Wissen bzw. das Wissen darüber, dass die Möglichkeit des Wissens wirklich ist. Die Wissensformen, die dem absoluten Wissen in der Phänomenologie (epistemisch) vorangehen, sind ontologisch gesehen seine Derivate, während das absolute Wissen zwar zuletzt erreicht wird, ontologisch aber diese Derivate ermöglicht hat.162 Diese Relation, die einerseits ein zeitliches Verhältnis von früher und später und andererseits ein Verhältnis von Zeitlichkeit (überhaupt) und Begrifflichkeit umfasst, thematisiert Hegel an dem Punkt des Kapitels, wo der Geist seine eigene Realisierung erreichen muss. Auf dieses Moment der Tilgung der Zeit werden wir weiter unten zurückkommen. An dieser Stelle bleiben wir zunächst bei der Frage der Darstellung und dem Moment des »Selbst«. Wie wir schon anhand der Vorrede der Phänomenologie verfolgt haben, weist Hegel der Darstellungsfähigkeit eine besondere Relevanz zu: »Das leichteste ist, was Gehalt und Gediegenheit hat, zu beurteilen, schwerer, es zu fassen, das schwerste, was beides vereinigt, seine Darstellung hervorzubringen.«163 Das absolute Wissen reflektiert sich nun als Wissen, indem es die Darstellung des erscheinenden Wissens hervorbringt. Die Philosoph:innen haben dabei nur zwei Aufgaben: die Versammlung der Momente des erscheinenden Wissens und das Festhalten des Begriffes in der ihm eigenen Form. Letzteres zeigt, dass die Form der Darstellung nicht arbiträr ist, denn der Begriff wird von Hegel so gedacht, dass er eine eigene Form hat, die bestimmt, wie Erkenntnis prinzipiell funktioniert und die eine philosophische Theorie des Begriffs verfehlen kann. Ein solches Verfehlen ist das Vorstellen des religiösen Bewusstseins: 162 Vgl. Koch, Die Evolution des logischen Raumes, 155. Dort geht es um den Begriff in der Logik. 163 PhG, 13

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Was also in der Religion Inhalt oder Form des Vorstellens eines Anderen war, dasselbe ist hier [im absoluten Wissen, S.W.] eigenes Tun des Selbsts; der Begriff verbindet es, dass der Inhalt eigenes Tun des Selbsts ist; denn dieser Begriff ist, wie wir sehen, das Wissen des Tuns des Selbsts in sich als aller Wesenheit und alles Daseins, das Wissen von diesem Subjekte als der Substanz und von der Substanz als diesem Wissen seines Tuns. – Was wir hier hinzugetan, ist allein teils die Versammlung der einzelnen Momente, deren jedes in seinem Prinzipe das Leben des ganzen Geistes darstellt, teils das Festhalten des Begriffes in der Form des Begriffes, dessen Inhalt sich in jenen Momenten und der sich in der Form einer Gestalt des Bewusstseins schon selbst ergeben hätte [sic].164

Der eigentliche Inhalt des absoluten Wissens ist also die Reflexion auf die Aktivität, die wir jeweils selbst ausüben, wenn wir etwas erkennen. Dieses Moment bezeichnet Hegel als »Tun des Selbsts«. Die Versammlung der Momente bezeichnet die systematische Organisation der Bewusstseinsund Geistesgestalten. Das Festhalten des Begriffs in der Form des Begriffs bezieht sich darauf, dass diese Gestalten in eine logische Folge gebracht werden. Der Begriff, der wesentlich als Bewegung-in-sich-selbst gedacht werden soll, droht im sprachlichen Ausdruck in einer (in Hegels Sinn »positiven«) Vorstellung fixiert und damit stillgestellt zu werden; dadurch würde gerade überdeckt, dass zum Begreifen immer noch eine Aktivität notwendig ist. Das Festhalten des Begriffs in der Form des Begriffs ist deshalb auch die scheinbar paradoxe Aufgabe, etwas sprachlich fixieren zu müssen, was sich prinzipiell jeglicher Fixierung als Positives entzieht. Das Denken des Begriffs kann aber trotzdem nicht unartikuliert bleiben, und muss deshalb versuchen, die Sprache selbst in Bewegung zu setzen, so dass Zwischenräume entstehen, in denen Übergänge gemacht werden können, die dann als die eigentliche Bewegung des Denkens erkennbar werden. Das Grundverhältnis der Religion zu ihrem Gegenstand, ist eine am Bewusstsein orientierte Erkenntnistheorie: Das Bewusstsein will wissen, wie Gott als von ihm unterschiedener Gegenstand wirklich ist. Dieses Verhältnis zum Gegenstand verbindet Hegel mit dem Begriff der Vorstellung. Im absoluten Wissen ist die Perspektive nun entschieden ontologisch: Die Substanz selbst hat die innere Notwendigkeit, sich selbst darzustellen.165 Die Darstellung ist also das Selbstverhältnis der Substanz, die sich im Darstellungsprozess von sich selbst unterscheidet und anders wird, aber nur auf diese Wiese überhaupt zugänglich werden kann. Darstellung ist damit nicht mehr etwas, das »wir« einem externen Objekt zukommen lassen, sondern indem wir darstellen, was uns erscheint, stellt sich die Substanz für sich selbst dar. Wir sind in diesem Sinne – wie Hegel mit der Bemerkung verdeutlicht, dass das absolute Wissen den Inhalt der 164 PhG, 582 165 Vgl. PhG, 585

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SPRACHE UND DIE DARSTELLUNG DES ABSOLUTEN

Religion als die Form seines eigenen Tuns erkennt – der absolute Geist. Der Darstellungsbegriff wird von Hegel in diesem Zusammenhang so eingesetzt, dass er den Durchgang durch verschiedene Wissensformen als Selbstverhältnis beschreiben kann und so einen Gegenpol zum Begriff der Vorstellung markiert, der dem Modus der Fremderkenntnis entspricht.166

166 Dass das absolute Wissen mit der Fähigkeit zur Darstellung bzw. »Organisation« des erscheinenden Wissens verbunden ist hat bereits Martin Heidegger festgestellt: »Das absolute Wissen aber ist die Darstellung des Erscheinens des daseienden Geistes. Es vollbringt ›die Organisation‹ der Seinsverfassung des Geisterreiches.« Heidegger, »Hegels Begriff der Erfahrung«, 202. Auch Jean Hyppolite hebt die Relevanz der Eigenaktivität der Denker:innen (also des Selbst-Tuns) hervor: »in the element of the concept, [...] absolute know­ ledge appears as the very action of the subject that thinks it. The self-know­ ledge that is ›logos‹ is not a passive contemplation, for we ourselves are the reason that comprehends itself and poses itself, we are the object that knows itself and produces itself in this self-knowledge.« Hyppolite, Genesis and Structure, 599. In der Betonung dieser Aktivität des denkenden Subjekts bestehen auch Parallelen zwischen Hegel und Fichte. Während Fichte allerdings nur an die Fähigkeiten seiner (größtenteils männlichen) Zuhörer appelliert und diese auffordert, selbst zu denken, ist diese Eigenaktivität bei Hegel so konzipiert, dass sie sich in ihrer experimentellen sprachlichen Artikulation schrittweise (als Weg zum Wissen) entfaltet; detailliert beschreibt diesen Unterschied Kazimir Drilo, »Das absolute Wissen als Lebensform und Geschichtlichkeit«. Heidegger hat auch darauf aufmerksam gemacht, dass das Versammeln eine Übersetzung von logos ist; Heidegger, »Hegels Begriff der Erfahrung«, 176. Wie eine weitere Passage in Heideggers Text zeigt (auf die ich bereits zu Beginn der Arbeit verwiesen habe), kann Dialektik demnach als das Auseinandersetzen (diairesis) und wieder Versammeln (synopsis) von Bestimmungen der Substanz verstanden werden: »Zwischen (dia) dem einen und dem anderen ist das Sprechen dieser Ansprüche, ist ein legein. In diesem Gespräch spricht das Bewusstsein sich seine Wahrheit zu. Aber das Gespräch bleibt nicht in einer Gestalt des Bewusstseins stehen. Es geht als das Gespräch, das es ist, durch den ganzen Bereich der Gestalten des Bewusstseins hindurch (dia). In diesem Hindurchgehen versammelt es sich in die Wahrheit seines Wesens. Das durchgängige Sammeln dialegein ist ein Sichversammeln (dialegesthai).« (ebd., 183f.). Die Phänomenologie des Geistes vertritt das Interesse des Denkens und insofern ist sie eine Logik des Durchgangs durch einen logischen Zwischenraum. Heidegger gibt auch eine sehr klare Bestimmung davon, was Denken ist, nämlich, »dass wir da­rauf achten, inwiefern jeweils die Bedeutung sich wandelt und wie sie jeweils geschichtlich festliegt.« (ebd., 175). Zwar spielt er sehr offen mit dem Begriff der Darstellung (den er mit dem Moment der Erfahrung verknüpft; ebd., 186; vgl. PhG 72, 79f.), erläutert aber nicht genau, welche systematische Relevanz er diesem Begriff bei Hegel zuschreibt.

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DAS ABSOLUTE WISSEN

3.2 Darstellung und Zeit Bevor Hegel die Darstellung als Selbstverhältnis des Geistes bzw. der Substanz thematisiert, rückt er zunächst die Zeit ins thematische Zentrum des Textes. Der Zusammenhang von Darstellung und Zeit bildet ein Schlüsselmoment im Kapitel zum absoluten Wissen (vgl. die Punkte 4 und 5 der eingangs genannten Liste). Bereits am Beginn des Religionskapitels weist Hegel darauf hin, dass man die Entwicklungsstufen, die in der Phänomenologie beschrieben werden, nicht abschließend als zeitliche Folge verstehen darf.167 Allerdings ist die Zeit die Form, in der die Momente, die die logische Einheit des Geistes bilden, nacheinander erscheinen. Zeit ist also das Moment des Unterschieds (das AuseinanderSein) der Momente.168 Der Begriff ist dagegen die Einheit der Momente (durch seine logisch-zeitliche Doppelbedeutung ermöglicht das Wort »Moment«, dieses Verhältnis der zeitlichen und der begrifflichen Ebene einzufangen). Tilgung der Zeit bedeutet, die Einheit der Unterschiede im Begriff, also im begreifenden Denken, zu erfassen. Die phänomenologische Entwicklung erfordert aber, dass es zunächst ein zeitliches Auseinander dieser Momente gibt. Überzeitliche, logische Einheit gibt es nur durch zeitliches Auseinander und diese Einheit denkt daher prinzipiell auch ihre Differenz zur zeitlichen Ebene mit. Tilgung der Zeit ist ein konstantes Moment des Denkens und Verstehens: Sinnzusammenhänge existieren überzeitlich und unser Verstehen erfordert, dass wir zeitliche Abfolgen und logische Folgen laufend in Beziehung setzen.169 Die Tilgung der Zeit ist daher auch selbst kein Ereignis, das zu einem bestimmten Zeitpunkt eintritt (z.B. dann wenn wir in der Phänomenologie über die Tilgung der Zeit lesen), sondern ein logisches Moment. Genauso wenig wie es etwas gibt, das zeitlich vor dem Anfang der Welt bzw. der Zeit liegt, gibt es keinen bestimmten Zeitpunkt, an dem die Zeit getilgt wird. Vielmehr passiert das ständig.170 167 Vgl. PhG, 498f. 168 Vgl. Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 200. Josef Simon unterscheidet intendierendes (zweck-rationales) Denken in der Zeit von einem Denken der Zeit (ebd., 103). Zum zeitlichen Verhältnis des Ganzen und der Momente vgl. Pippin, Die Aktualität des Deutschen Idealismus, 229f. 169 Damit zeigt sich auch die Relevanz der Tilgung der Zeit für die Frage des spekulativen Satzes und der sprachlichen Darstellung: Der spekulative Satz darf gerade nicht prosaisch als lineares Fortschreiten einer Reihe bereits bestimmter Ausdrücke gelesen werden, sondern muss in dieser Sukzession die logische Einheit von Subjekt und Prädikat begreifen. 170 Zum Verhältnis von Zeit- und Sinnebene, auch mit Bezug auf das Moment der Tilgung der Zeit bei Hegel, vgl. Martin, »Semantische Bestimmtheit«. Der Mensch lebt prinzipiell nicht an einer isolierten Raumzeit-Stelle,

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SPRACHE UND DIE DARSTELLUNG DES ABSOLUTEN

Die Zeit und die Genese des Geistes in der Zeit stehen in enger Verbindung mit dem Darstellungsproblem. Man könnte sogar sagen, dass die Frage, wie der Geist sich in der Zeit artikuliert und erst am Ende (und als Resultat) dieses Prozesses als Unbedingtes erkannt wird, nichts anderes als das Darstellungsproblem ist, nämlich die Frage, wie etwas, das wesentlich als gewordenes, hergestelltes Resultat gedacht wird, zugleich ein Unbedingtes sein kann, das diesem Darstellungsprozess immer schon zu Grunde lag. Darstellung ist die Artikulation logischer Momente als zeitlich sukzessiver Momente. Es kann keine andere Darstellung, keine andere Artikulation von Einheiten geben als eine, die diese Einheiten räumlich und zeitlich zergliedert (also auslegt, auseinandersetzt und entwickelt). Die Darstellungsform muss leisten, dass diese Auseinandersetzung der Momente – die Analyse – die Momente dabei nicht substantialisiert (ein solches Substantialisieren verbindet Hegel mit einer Interpretation der Momente als »Teile«171). Daher betont Hegel immer wieder, wie Geist sich gerade im Übergang und als Bewegung selbst als das gegenständlich wird, was er ist. Folglich inszeniert die Phänomenologie auch mehrere Übergänge und mehrere Arten von Übergängen, die in ihrer variierenden Wiederholung definierbar werden. Die Darstellung muss also sowohl ihre logische, beweisende als auch ihre narrative Funktion reflektieren. Sie ordnet deshalb erstens die aufgezeigten Widersprüche der Gestalten des erscheinenden Wissens in einer notwendigen und vollständigen Reihe; zweitens unterstreicht sie das Moment des »Selbst« in diesem Beweis und berücksichtigt die Form der Erfahrung in der Darstellungsform. Das bedeutet, dass Hegels Darstellung einfangen muss, wie sich die Erfahrungen für das Bewusstsein (aus seiner Binnenperspektive) darstellen, wie es also selbst sein Wissen erfährt. Gerade indem das Bewusstsein am Scheitern seiner Wissensansprüche verzweifelt, zeigt sich, dass es »selbst« in diesem Wissen involviert ist. An diesen Erfahrungen lässt Hegel uns durch seine sprachliche Inszenierung teilnehmen. Beide Momente – die argumentativ und die mediale Dimension der Darstellung – gehören zur Form des Begriffs und seiner Entwicklung. Um aber explizit zu machen, wie sich diese Entwicklung durch verschiedene Momente vollzieht, muss die Zeit selbst zum Thema gemacht und damit (für einen Moment) aus dem Hintergrund, den sie für die Erscheinungen des Wissens bildet, in den Vordergrund der Untersuchung geholt werden. Während Sprache (im Geistkapitel der Phänomenologie) als Dasein des Geistes eingeführt wird, erscheint die Zeit als Dasein des Begriffs. Sie ist das, was einen Unterschied zwischen Anfang und Ende sondern seine Existenz erstreckt sich in Vergangenheit und Zukunft; vgl. dazu Gabriel, Fiktionen, 27. 171 Vgl. z.B. PhG, 569

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ermöglicht (das »Werden, Entstehen und Vergehen« der Dinge, wie Hegel in der Enzyklopädie schreibt172). Der 13. und der 14. Absatz des Kapitels zum absoluten Wissen beschreiben das Erscheinen des Begriffs in der Zeit und Wirklichkeit. Das Erscheinen des Geistes in der Zeit stellt uns vor das Problem eines zeitlichen Missverhältnisses, denn der als Begriff erfasste Geist soll eine Struktur sein, die atemporal existiert. Um dieses Problem lösen zu können, macht Hegel die Zeit selbst zum Thema und verbindet dieses Moment mit der Frage nach der »vollendete[n] gegenständliche[n] Darstellung«.173 Diese Darstellung bringt eine Wahrheit hervor. Sie ist nicht das defizitäre Abbild eines als absolut vorgestellten ewigen Urbildes, sondern beweist durch ihre Existenz die dem Absoluten genuin zukommende Darstellbarkeit, also die absolut bestehende Bedingung der Möglichkeit systematischer, wissenschaftlicher Erkenntnis.174 Diese Vermittlung verläuft aber zunächst diskursiv, das heißt schrittweise und nacheinander. Was wir deshalb im absoluten Wissen verstehen müssen, ist, warum die Selbstreferenz des Absoluten nur durch Referenzen auf Anderes hergestellt werden kann; oder anders gesagt: warum die Unmittelbarkeit nur durch Vermittlung gedacht werden kann.175 Wir nähern uns der Unmittelbarkeit nur über einen Umweg. Entscheidend für den Begriff ist es, dass dieser Entstehungsprozess konstitutiv zu ihm gehört. Der Begriff kann also nur durch sein Werden gedacht werden und hat als Totalität konstitutiv eine Geschichte (deshalb könnte man den Umweg eher als den eigentlichen Weg verstehen). Zur Erklärung dieses Verhältnisses verweist Anton Friedrich Koch auf eine Passage aus der Logik: Der Begriff ist das absolut Unendliche, Unbedingte und Freie. [...] Das Wesen ist aus dem Sein und der Begriff aus dem Wesen, somit auch aus dem Sein geworden. Dies Werden hat aber die Bedeutung des 172 Enz. § 258 (TWA9, 49); vgl. dazu Pöggeler, Hegels Kritik der Romantik, 22. Die Verknüpfung von Sprache und Zeit wird auch von Daniel Cook bemerkt, wobei Cook nicht mehr zu dieser Verbindung sagt, als dass sie besteht; vgl. Cook, Language in the Philosophy of Hegel, 127. Eine Verbindung von Sprache und Zeit besteht auch in dem Zusammenhang, den Hegel in den Jenaer Manuskripten von 1803/04 zwischen Sprache, Gedächtnis und der Artikulation der (sich in der Zeit entfaltenden) Laute der menschlichen Stimme herstellt (JS1, 201f. = GW6, 287–89). Auch in der Enzyklopädie greift Hegel diese Verbindung wieder auf, wenn er das Zeichen und insbesondere das akustische Zeichen als »Dasein in der Zeit« bezeichnet (§ 459). 173 PhG, 585 174 Vgl. Urbich, Benjamin and Hegel, 80. 175 Unmittelbarkeit und Vermittlung sind für Hegel untrennbar (vgl. TWA5, 66; TWA17, 367).

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SPRACHE UND DIE DARSTELLUNG DES ABSOLUTEN

Gegenstoßes seiner selbst, so dass das Gewordene vielmehr das Unbedingte und Ursprüngliche ist.176

Die Schwierigkeit dieses Gedankens besteht darin, dass wir gewohnt sind, anzunehmen, dass etwas Gewordenes nicht unbedingt sein kann, und schon gar nicht das Unbedingte und Ursprüngliche überhaupt. Was ursprünglich ist, ist (unserer Meinung nach) ursprünglich, weil es gerade nicht geworden ist. Man kann sehen, dass es hier auch um das Darstellungsproblem geht: Wie kann das Dargestellte, das Resultat eines Darstellungsprozesses, mehr sein als nur ein Abbild von dem, was es darstellt? Die Passage aus der Logik muss so verstanden werden, dass nur das Dargestellte überhaupt das »Urbild« sein kann: Das Gewordene ist das Ursprüngliche. Was sich überhaupt als »ursprünglich« präsentieren kann ist daher immer schon geworden und vermittelt. Auch in der Phänomenologie geht Hegel von diesem Gedanken aus: Das Ganze ist erst das Wahre als dargestelltes System. Das Wahre muss also erst werden und die Darstellung ist (wie Hegel in der Vorrede der Phänomenologie betont) das Moment, das dieses Werden vermitteln kann. Damit verabschiedet Hegel sich vollständig von der Idee einer authentischen Ursprünglichkeit. Der Begriff muss also artikuliert werden, weil er wesentlich »geworden« ist und intern bestimmt sein muss. Dieser Prozess passiert in der Zeit, durch unseren aktiven Beitrag, und ist fallibel. Diese Fallibilität hat sich in der Philosophiegeschichte in Form der Theorien des Absoluten gezeigt, die Hegel als defizitär ausweist. Alle Gestalten des Bewusstseins in der Phänomenologie haben Vorstellungen davon, was wahr ist. Diese Vorstellungen haben aber alle auch die Qualität, sich als falsch erweisen zu können. Die Artikulation des Wissens des Absoluten vollzieht sich also in Form von philosophischen Theorien, die Prüfungsschritte darstellen. Die Entwicklung von Theorien und damit des Bewusstseins des Geistes über sich selbst braucht daher Zeit: 176 WL2, 274. Zum Gegenstoß im spekulativen Satz vgl. PhG, 59 sowie Comay und Ruda, The Dash, 58. Der Begriff ist ein Ganzes oder eine Totalität, deren Systematik Hegel in der Vorrede am Beispiel einer Pflanze anschaulich gemacht hat: Die Pflanze ist nicht ihr Keim, nicht ihre Frucht, nicht ihre Blüte und auch nicht ihr ausgewachsener Zustand, kurz bevor im Herbst der Verfall wieder einsetzt, sondern der gesamte »Pflanzenprozess«, wie Anton Friedrich Koch sagt; vgl. Koch, Die Evolution des logischen Raumes, 162. Wie Koch ebenfalls betont, kann man sich der Erkenntnis dieser Begriffsstruktur nur aus der Richtung des Abgeleiteten nähern. Der Begriff ist »von seinen Derivaten her. Aus ihnen kommt er auf sich zu als auf ihren Ursprung. Dieser bemerkenswerte Sachverhalt wird ihm seine interne Artikulation und seinen Status sichern müssen, das Prinzip seiner Artikulation und selbstbestimmend zu sein.« Koch, 155.

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DAS ABSOLUTE WISSEN

Was aber das Dasein dieses Begriffs betrifft, so erscheint in der Zeit und Wirklichkeit die Wissenschaft nicht eher, als bis der Geist zu diesem Bewusstsein über sich gekommen ist. Als der Geist, der weiß, was er ist, existiert er früher nicht und sonst nirgends als nach Vollendung der Arbeit, seine unvollkommene Gestaltung zu bezwingen, sich für sein Bewusstsein die Gestalt seines Wesens zu verschaffen und auf diese Weise sein Selbstbewusstsein mit seinem Bewusstsein auszugleichen.177

Der voll entwickelte Geist, »der weiß, was er ist« existiert erst nach der Vollendung eines Gestaltungsprozesses.178 Dieser Prozess besteht aber genau darin, dass unvollkommene Gestaltungen produziert und dann sukzessive verworfen werden. Diesen Gestaltungen scheint Hegel eine so große Beständigkeit zu attestieren, dass er sogar von einem Bezwingen spricht. Der entwickelte Begriff des Geistes ist in dieser Hinsicht das Ergebnis von Arbeit. Zu Beginn dieser Arbeit verfügt das Bewusstsein nur über eine diffuse Vorstellung des »Ganze[n]«. Das Ganze »aber unbegriffene« ist zuerst im Bewusstsein. Im Begriff, »der sich als Begriff weiß«, treten zuerst die Momente dieses Ganzen auf, »dessen Werden die Bewegung jener Momente ist«. Es gibt also im Begriff zuerst einzelne (begriffene) Momente und dann das Ganze und im Bewusstsein zuerst das (noch nicht begriffene) Ganze und dann die Momente (die die einzelnen Schritte des Begreifens bilden). Die Entwicklung des Ganzen vollzieht sich in zwei Abläufen, nämlich einmal ausgehend vom Bewusstsein und einmal ausgehend vom Begriff und ausgehend von der Beschreibung dieser temporalen Entwicklung führt Hegel den Begriff der Zeit ein: In dem Begriffe, der sich als Begriff weiß, treten hiermit die Momente früher auf als das erfüllte Ganze, dessen Werden die Bewegung jener Momente ist. In dem Bewusstsein dagegen ist das Ganze, aber unbegriffene, früher als die Momente. – [1] Die Zeit ist der Begriff selbst, der da ist und als leere Anschauung sich dem Bewusstsein vorstellt; [2] deswegen erscheint der Geist notwendig in der Zeit, [3] und er erscheint so lange in der Zeit, als er nicht seinen reinen Begriff erfasst, d.h. nicht die Zeit tilgt. [4] Sie ist das äußere angeschaute, vom Selbst nicht erfass­ te reine Selbst, der nur angeschaute Begriff; [5] indem dieser sich selbst erfasst, hebt er seine Zeitform auf, begreift das Anschauen und ist begriffenes und begreifendes Anschauen. – [6] Die Zeit erscheint daher 177 PhG, 583 178 Catherine Malabou bezeichnet diese Gestaltung als »Selbstschematisierung«; vgl. Malabou, The Future of Hegel, 18. Für Heidegger ist die Phänomenologie insgesamt eine Durchführung der Gestaltung des absoluten Geistes bzw. »absolute Selbstdarstellung der Vernunft«; Heidegger, Hegels Phänomenologie des Geistes, 42.

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SPRACHE UND DIE DARSTELLUNG DES ABSOLUTEN

als das Schicksal und die Notwendigkeit des Geistes, der nicht in sich vollendet ist[.]179

Weil es hier um eine Entwicklung geht, ist Zeit ein entscheidender Faktor. Hegel zufolge ist die Zeit »der Begriff selbst, der da ist« bzw. »das äußere angeschaute, vom Selbst nicht erfasste reine Selbst, der nur angeschaute Begriff«. Die Zeit wird also als Dasein des Begriffs eingeführt und diese Funktion kommt ihr zu, weil sie, wie der Begriff, die reflexive Form eines »Selbst« hat. Diese reflexive Form schaut das Bewusstsein zunächst an, bevor es die Zeit »tilgt«, damit die Form der Zeit als Form der Anschauung aufhebt und auf diese Weise sowohl die Zeit als auch das Anschauen begreift. (1) Die Zeit begegnet dem Bewusstsein zuerst in Form einer »leere[n] Anschauung«. Das Bewusstsein versteht die Zeit damit zunächst formalistisch als gleichförmige Sukzession von Jetzt-Zeitpunkten (auf diese Weise erfährt auch die sinnliche Gewissheit die Zeit). Zeit wäre diesem Verständnis zufolge eine rein quantitative Größe. (2) In dieser Hinsicht scheint das Bewusstsein Kants Analyse der Zeit als Form der Anschauung aus der transzendentalen Ästhetik zu teilen, der zufolge alles, was erscheint, notwendigerweise zeitlich erscheint.180 Dementsprechend ist auch das Erscheinen des Geistes zunächst in der Zeit lokalisiert. Weil der Geist in der Zeit erscheint, sieht es zunächst so aus, als wäre die formale, quantitative Zeit etwas Unhintergehbares (wie auch der letzte Satz [6] zum Ausdruck bringt). (3) Dieses Verhältnis von Geist und Zeit wird nun aber in dem Moment umgekehrt, in dem der Geist seinen »reinen Begriff erfasst« und die Zeit »tilgt«. (4) Durch diesen Zug wird das Verhältnis von Geist und Zeit neu evaluiert, denn die Anschauung der Zeit ist nun nicht mehr einfach leer, sondern hat die reflexive Form eines »Selbst« und ist daher der »angeschaute Begriff«. Der Geist fällt nicht mehr in eine anonyme Zeit, sondern Geist und Zeit sind durch ihre Strukturgleichheit aufeinander bezogen. Das Verständnis der Zeit wird durch diesen Zug subjektiviert. (5) Durch diese Subjektivierung scheint es dem »Begriff« möglich zu sein, seine »Zeitform« aufzuheben. Wichtig ist hier, festzuhalten, dass die Zeit getilgt wird, während die Zeitform – und zwar die Zeitform des Begriffs – aufgehoben wird. (6) Der letzte Satz scheint für Hegel eine Rekapitulation zu sein (was auch daran erkennbar ist, dass er ihn durch einen Gedankenstrich absetzt). Er beschreibt damit das Verhältnis von Geist und Zeit noch einmal aus der Perspektive des Bewusstseins. Für das geistige Bewusstsein sieht es zunächst so aus, dass die Zeit eine Macht über den Geist ist, weil er in ihr erscheint. Diese Sichtweise liest Hegel allerdings als Symptom dafür, dass der Geist noch nicht »in sich vollendet ist«. 179 PhG, 584f. 180 Vgl. KrV B46–48

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DAS ABSOLUTE WISSEN

Die Zeit als Form der Anschauung bildet den Hintergrund, vor dem Gegenstände überhaupt für das Bewusstsein der Phänomenologie erscheinen können. Für manche Bewusstseinsgestalten wird die Zeit auch zu einem manifesten Problem, insbesondere für die sinnliche Gewissheit (die ihre Gegenstände nicht so fixieren kann, dass sie nicht in der Zeit verschwinden) und für die offenbare Religion (die ebenfalls durch die Zeit von ihrem metaphysischen Objekt abgeschnitten ist). Die Form der Erscheinung wird nun also selbst zum Thema und dieses Moment scheint ferner den Schlusspunkt der Entwicklung des Geistes zu bezeichnen. Dies suggeriert zumindest die vorliegende Passage, indem sie das Moment der Tilgung der Zeit als das Moment ausweist, in dem der Begriff sich als Begriff erfasst. Wir werden später darauf zurückkommen, dass Hegel erst mit einer finalen Bewegung der Entäußerung des Geistes in sein zeitliches (und geschichtliches) Werden den eigentlichen Schluss der Phänomenologie setzt. Eine präzise Einordnung von Hegels zeitphilosophischer Position in der Phänomenologie würde eine wesentlich umfassendere Lektüre erfordern. Ich möchte an dieser Stelle nur auf zwei (miteinander verbundene) Momente näher eingehen, die für unsere Frage nach der Darstellung des Geistes relevant sind: die Differenzierung zwischen der Tilgung der Zeit und der Aufhebung der Zeitform sowie die Subjektivierung der Zeit.181 Hegel schreibt einerseits, dass die Zeit getilgt wird (indem der Geist seinen reinen Begriff erfasst), spricht dann aber davon, dass der Begriff 181 Eine umfangreiche Analyse des Problems der Zeit im absoluten Wissen entwickelt Alexandre Kojève im Rahmen seiner klassisch gewordenen Lektüre der Phänomenologie. Er stellt Hegels Position in den Kontext der historischen Entwicklung der Philosophien der Zeit, insbesondere mit Bezug auf Platon, Aristoteles, Spinoza und Kant; vgl. »A Note on Eternity, Time and the Concept« in Kojève, Introduction to the Reading of Hegel, 100–149. Eine neuere Auseinandersetzung findet sich bei Andreas Luckner, Genealogie der Zeit. Eine Übersicht über die allgemeine historische Entwicklung der Philosophien der Zeit seit der Antike bietet Karen Gloy, Philosophiegeschichte der Zeit. Neben der historischen Einordnung müsste eine genauere Analyse von Hegels Ausführungen über die Zeit und ihre Tilgung in der Phänomenologie auch in den Blick nehmen, wie Hegel dieses Problem in der Jenaer Zeit entwickelt. In den Jenaer Vorlesungsmanuskripten thematisiert Hegel die Zeit sowohl in ihrem Verhältnis zur Philosophie und zum absoluten Geist (vgl. JS3, 261f. = GW8, 286f.) als auch im Rahmen der Analyse des Gedächtnisses (das auch mit der Sprache in Verbindung steht; vgl. JS1, 197–201 = GW6, 282–88) und in naturphilosophischer Hinsicht (vgl. z.B. JS3, 9–13 = GW8, 10–14); vgl. dazu Waibel, »Raum und Zeit in Hegels Jenaer Systementwürfen«. In der Enzyklopädie widmet Hegel der Zeit einen Abschnitt im Rahmen der Naturphilosophie (§§ 257–59), verbindet sie aber ebenfalls mit dem über das Zeichen vollzogenen Übergang von der

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SPRACHE UND DIE DARSTELLUNG DES ABSOLUTEN

seine Zeitform aufhebt. Das Moment der Tilgung der Zeit scheint damit relativiert zu werden.182 Im Sinne der drei Bedeutungsdimensionen, die Hegel im Konzept der Aufhebung verbindet, bedeutet die Aufhebung der Zeitform, dass diese zwar annulliert, zugleich aber auch konserviert (also aufbewahrt) und damit auf eine höhere Ebene gehoben wird. Genau das scheint Hegel auch zu meinen, wenn er betont, dass die Zeit die reflexive Form des Begriffs – die Form des »Selbst« – teilt. Wie passt das aber dazu, dass »die Zeit« getilgt wird? Hegel gebraucht diesen Begriff in bewusstem Gegensatz zum Begriff der Aufhebung. Wenn er aber zugleich betont, dass die reflexive und damit die subjektive Form der Zeit aufgehoben wird, dann scheint sich die Tilgung nur auf die objektive Zeit zu beziehen, also die Zeit, die sich das Bewusstsein als rein quantitative, lineare Abfolge formal gleicher Gegenwartsmomente vorstellt. Getilgt würde dann nur eine Vorstellung der Zeit. Diese Lesart scheint zwar den Begriff der Tilgung stark abzuschwächen, entspricht aber tatsächlich dem, was Hegel sagt, den »die Zeit« ist tatsächlich eine Vorstellung des Bewusstseins: »Die Zeit ist der Begriff selbst, der da ist und als leere Anschauung sich dem Bewusstsein vorstellt« (die letzte Hervorhebung stammt von mir, S.W.). Die Zeit ist ferner »das äußere angeschaute, vom Selbst nicht erfasste reine Selbst, der nur angeschaute Begriff«. »Die Zeit« steht also jeweils für ein Missverständnis. Dieses Missverständnis scheint sich insbesondere darauf zu beziehen, dass die so vorgestellte, objektive Zeit ein »Schicksal« des Geistes ist, also etwas, das dem Geist wie aus unglücklichen Umständen widerfährt. Hegel scheint deshalb eher zu sagen, dass es eine wesentliche Verbindung von Geist und Zeit gibt – aus genau diesem Grund erkennt auch der Geist, der seinen Begriff »erVorstellung zum Gedächtnis (vgl. insbes. § 459). Eine systematische Theorie des Verhältnisses von Zeit und Subjektivität hat Anton Friedrich Koch entwickelt; vgl. Koch, Versuch über Wahrheit und Zeit. Einen leichteren Zugang zu den Grundannahmen dieser Theorie bietet Koch, Wahrheit, Zeit und Freiheit. Die Relevanz der Zeit in der Artikulation von Sinn ist ein zentraler Bestandteil einer aktuellen Arbeit von Christian Martin; vgl. dazu insbesondere den Abschnitt 4.4 in Martin, Die Einheit des Sinns. Eine eigenständige Theorie über das Selbstdenken des Denkens und seine Beziehung zu Sprache und Zeit (auf die ich an dieser Stelle lediglich hinweisen kann) hat auch Sebastian Rödl entwickelt; vgl. Rödls Veröffentlichungen, Self-Consciousness and Objectivity, Selbstbewußtsein und Kategorien des Zeitlichen. 182 Vgl. dazu z.B. Luckner, Genealogie der Zeit, 111. Derrida hat dieses Moment als Problem bzw. als Unsicherheit in Hegels Konzeption des absoluten Wissens bewertet, worauf ich schon im Rahmen der Rekonstruktion von Glas verwiesen habe. Diese Ambivalenz hat dazu geführt, dass z.B. Joseph Flay zu der verkehrten Schlussfolgerung kommt, dass die Zeit gerade nicht annulliert (»abolished«) wird, sondern nur die Zeitform; vgl. Flay, »Time in Hegel’s Phenomenology of Spirit«, 268.

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fasst«, dass Begriff und Zeit beide selbstbezügliche, reflexive Strukturen sind. Der Begriff erkennt also die Form des Selbst als Moment der Zeit, das zugleich Moment des Begriffs ist. Damit ist, wie viele Interpret:innen betont haben, für Hegel eine Subjektivierung der Zeit relevant. Das bedeutet zunächst, dass Zeit gar nicht die rein quantitative, gleichförmig fortschreitende und anonyme Objektivität ist, als die sie sich das Bewusstsein vorstellt, sondern durch die Entwicklung des Geistes ein qualitatives Moment erhält. Dieses qualitative Moment berücksichtigt, dass gerade die Entwicklungsschritte, die Menschen als handelnde, geistige Akteur:innen bewirken, bestimmte Verhältnisse zu Vergangenheit werden lassen, indem sie sich über sie hinwegsetzen.183 Die Zeit erscheint daher nicht nur als äußeres Schicksal des Geistes, sondern sie ist für den »selbstbewussten« Geist vielmehr die Zeit, in der er etwas realisiert: Die Zeit erscheint daher als [...] die Notwendigkeit, den Anteil, den das Selbstbewusstsein an dem Bewusstsein hat, zu bereichern, die Unmittelbarkeit des Ansich [...] in Bewegung zu setzen oder umgekehrt, das Ansich als das Innerliche genommen, das, was erst innerlich ist, zu realisieren und zu offenbaren, d. h. es der Gewissheit seiner selbst zu vindizieren.184 183 Paradigmatisch dafür ist Hegels eigene Zeitdiagnose aus der Vorrede der Phänomenologie (PhG, 18): »Es ist übrigens nicht schwer zu sehen, dass unsere Zeit eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode ist. Der Geist hat mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen und steht im Begriffe, es in die Vergangenheit hinab zu versenken, und in der Arbeit seiner Umgestaltung.« Die Hervorhebung stammt von mir, S.W. 184 PhG, 584f. Die Passage über die Tilgung der Zeit weist eine große Nähe zu Schiller auf, der (im Rahmen der Diskussion über das Verhältnis von Person und Zustand im elften Brief über die ästhetische Erziehung des Menschen) schreibt, dass der Mensch durch das Formen von Materie die Zeit erschaffen und aufheben kann; damit kann er »alles in sich vertilgen«, was »bloß Welt ist«. Vor diesem Hintergrund muss man davon ausgehen, dass sich Hegel hier sehr bewusst auf Schiller bezieht (mit dessen – wenn auch veränderten – Worten er auch die Phänomenologie beschließt) und sich zugleich von ihm abgrenzt. Schiller schreibt: »Um [...] nicht bloß Welt zu sein, muss er [der Mensch] der Materie Form erteilen; um nicht bloß Form zu sein, muss er der Anlage, die er in sich trägt, Wirklichkeit geben. Er verwirklichet die Form, wenn er die Zeit erschafft und dem Beharrlichen die Veränderung, der ewigen Einheit seines Ichs die Mannigfaltigkeit der Welt gegenüberstellt; er formt die Materie, wenn er die Zeit wieder aufhebt, Beharrlichkeit im Wechsel behauptet, und die Mannigfaltigkeit der Welt der Einheit seines Ichs unterwürfig macht [meine Hervorhebungen, S.W.]. Hie­raus fließen nun zwei entgegengesetzte Anforderungen an den Menschen, die zwei Fundamentalgesetze der sinnlich-vernünftigen Natur. Das erste dringt auf

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Der Geist prägt damit die Zeit. Durch die Reflexion auf diesen strukturierenden Zugriff auf die Zeit nähert sich Hegel auch der Analyse der Bewegung des Erkennens. Unmittelbar im Anschluss an diese Passage unterstreicht er noch einmal, dass die Bewegung des Erkennens ein Werden ist und ihr damit eine zeitliche Struktur zukommt: Denn die Erfahrung ist eben dies, dass der Inhalt – und er ist der Geist – an sich, Substanz und also Gegenstand des Bewusstseins ist. Diese Substanz aber, die der Geist ist, ist das Werden seiner zu dem, was er an sich ist; und erst als dies sich in sich reflektierende Werden ist er an sich in Wahrheit der Geist. Er ist an sich die Bewegung, die das Erkennen ist, – die Verwandlung jenes Ansichs in das Fürsich, der Substanz in das Subjekt, des Gegenstandes des Bewusstseins in Gegenstand des Selbstbewusstseins, d. h. in ebensosehr aufgehobenen Gegenstand oder in den Begriff.185

absolute Realität: er soll alles zur Welt machen, was bloß Form ist, und alle seine Anlagen zur Erscheinung bringen: das zweite dringt auf absolute Formalität: er soll alles in sich vertilgen [meine Hervorhebungen, S.W.], was bloß Welt ist, und Übereinstimmung in alle seine Veränderungen bringen; mit anderen Worten: er soll alles innre veräußern und alles äußere formen [meine Hervorhebungen, S.W.]. Beide Aufgaben, in ihrer höchsten Erfüllung gedacht, führen zu dem Begriff der Gottheit zurücke, von dem ich ausgegangen bin.« Schiller, Über die ästhetische Erziehung, 46f. In einem Brief an Schelling vom 16. April 1795 lobt Hegel Schillers Briefe ausdrücklich: »Schillers Horen, zwei erste Stücke, haben mir großen Genuss gewährt; der Aufsatz über die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts ist ein Meisterstück.« Vgl. Brief Nr. 11 in Hoffmeister, Briefe von und an Hegel. Band 1, 25. Wie Michael Forster betont, wird die Bedeutung Schillers für Hegel tendenziell unterschätzt; Forster, Hegel’s Idea, 292. Zur Relevanz Schillers, insbesondere in Bezug auf das absolute Wissen, vgl. auch Comay und Ruda, The Dash sowie Baptist, »Das absolute Wissen. Zeit, Geschichte, Wissenschaft«. Viele Interpret:innen haben das qualitative Moment der Zeit hervorgehoben: Catherine Malabou betont, dass die Aufhebung nicht der Zeit überhaupt gilt, sondern nur der objektiven, linearen Zeit, die für das menschliche Subjekt eine Erfahrung der eigenen Endlichkeit und damit der Entfremdung ist; vgl. Malabou, The Future of Hegel, 128. Wie Georg Ber­tram (etwas zu deflationär) schreibt, verliert die Zeit im Moment der Tilgung der Zeit ihre »Fremdheit« für den Geist; Bertram, Hegels »Phänomenologie des Geistes«, 303. Wie David Morris argumentiert, kann man die auf diese Weise subjektivierte Zeit auch als »gelebte Zeit« (»lived time«) verstehen; Morris, »­Lived Time and Absolute Knowing: Habit and Addiction from ›Infinite Jest‹ to the ›Phenomenology of Spirit‹«. Vgl. zur qualitativen Zeit auch Flay, »Time in Hegel’s Phenomenology of Spirit«, 264f. 185 PhG, 585

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Die zeitliche Bewegung kann damit auch als eine Entwicklungsdynamik verstanden werden, die nicht nur der Realität überhaupt, sondern auch den Begriffen zukommt, durch die diese Realität nicht nur zugänglich gemacht, sondern auch geformt und verändert wird.186 Auch wenn dies paradox scheinen kann, unterstreicht der Moment, in dem die Tilgung der Zeit im Text der Phänomenologie auftaucht, in erster Linie die Wichtigkeit, die die Zeit für die Entwicklung des Geistes und der Begriffe hat und die bis zu diesem Punkt im Text kaum explizit thematisiert wurde. Von der Zeit als Moment der Binnendifferenzierung des Begriffs geht Hegel nun zur Darstellung als Binnendifferenzierung der Substanz über, die aufgrund dieser binnendifferenzierten Struktur »Geist« ist. Geist ist die Bewegung des Erkennens. Erkennen erfordert aber Differenz und Hegel zufolge ist der Geist »notwendig dieses Unterscheiden in sich«.187 Weil der Geist diese zeitlich differenzierte Binnenstruktur hat, muss er sich darstellen. Wie wir im ersten Teil dieser Arbeit gesehen haben, fängt Hegels Begriff der Darstellung eine Entwicklungsdynamik, also das Werden von etwas ein und dieses Moment der Darstellung versteht Hegel als innere Notwendigkeit der Substanz: [D]ie Substanz hat, als Subjekt, die erst innere Notwendigkeit an ihr, sich an ihr selbst als das darzustellen, was sie an sich ist, als Geist. Die vollendete gegenständliche Darstellung ist erst zugleich die Reflexion derselben oder das Werden derselben zum Selbst. – Ehe daher der Geist nicht an sich, nicht als Weltgeist sich vollendet, kann er nicht als selbstbewusster Geist seine Vollendung erreichen. Der Inhalt der Religion spricht darum früher in der Zeit als die Wissenschaft es aus, was der Geist ist; aber diese ist allein sein wahres Wissen von ihm selbst.188

Zeit ist demnach das Unterscheidungsmoment, das die innere Differenz ermöglicht, die zu einer Darstellung gehört (die Zeit ist deshalb 186 Dementsprechend interpretiert Georg Bertram die Tilgung der Zeit als das Moment, in dem die prinzipielle Veränderbarkeit der Realität und der Begriffe reflektiert wird: »Das reflexionslose Denken ist ein Denken, das Begriffe als bestimmte Größen auffasst« – damit sind hier von sich aus fertig bestimmte Größen gemeint. Durch diese Auffassungsweise »wird aber das wesentlich zeitliche Moment von Begriffen gerade nicht gefasst und lässt sich nur als äußerer Einfluss verstehen, der den Begriff (oder wie Hegel in der Einleitung sagt: den Gegenstand) verändert. Mit der Selbstbewegung begrifflicher Strukturen in der begrifflichen Reflexion wird hingegen die Zeit als inhärentes Moment von Begriffen verständlich.« Zeitliche Entwicklung wird damit nicht mehr als »äußerer Ablauf, sondern als innere Entwicklung verstanden«; Bertram, Hegels »Phänomenologie des Geistes«, 303f. 187 PhG, 585 188 PhG, 585f.

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der »absolute Unterschied«, wie Hegel sagt189). Ohne eine solche innere Differenz könnte es zu keiner Darstellung kommen. Es gäbe keinen Ansatzpunkt und keine Möglichkeit der Bezugnahme auf irgendetwas. Zugleich zeigt diese Passage auch, dass die »vollendete gegenständliche Darstellung« eine Reflexion auf sich selbst erfordert. Die Darstellung des Geistes muss also in ihrem Abschluss selbstreferentiell werden. Weil diese Selbstreflexion sich nicht ohne Weiteres sprachlich artikulieren lässt, betont Hegel an diesem Punkt den Unterschied zwischen Aussprechen und Wissen. Während die Religion die Binnenstruktur des Geistes bereits ausspricht, kann sie noch nicht systematisch nachvollziehen, was genau die Implikationen ihrer Aussagen sind. Auf dieses Problem werden wir weiter unten zurückkommen. Zunächst möchte ich zwei Dimensionen der Relevanz der Tilgung der Zeit unterscheiden. 3.2.1 Tilgung der Zeit als Eröffnung des Bereichs der Logik Obwohl wir die Reichweite der Tilgung der Zeit eingeschränkt haben, ist es wichtig zu bemerken, dass in einem zentralen Punkt tatsächlich die Zeit restlos getilgt wird: Das Moment der Tilgung der Zeit markiert den Übergang zur begrifflichen Ebene, also zu der Ebene, auf der die Wissenschaft der Logik insgesamt operiert. Es ist insofern entscheidend, dass Hegel hier von einer Tilgung und nicht von einer Aufhebung spricht, als die begriffliche Ebene atemporal strukturiert ist. Hegel antizipiert diesen Punkt, wenn er kurz vor Ende des Kapitels das Verhältnis von Phänomenologie und Logik anspricht. Die Logik, die er hier schlicht »die Wissenschaft« nennt, zeichnet sich dadurch aus, dass in ihr der Unterschied von Bewusstsein und Selbstbewusstsein keine Rolle mehr spielt.190 Die Begriffe, mit denen die Logik arbeitet, sind rein, weil sie nicht mehr dem Bewusstsein erscheinen müssen. Sie sind, wie Hegel formuliert, von der Erscheinung im Bewusstsein »befreit«. Ihre Gestalt ist daher auch nicht an Formen der Vorstellung gebunden, sondern die Gestalt ist selbst Begriff. Demnach spielt auch die Zeit für die Entwicklung der Bestimmtheit der reinen Begriffe keine Rolle, deren Entwicklung zeitlos ist. Ein einzelnes Moment der logischen Entwicklung tritt nicht als diese Bewegung auf, aus dem Bewusstsein oder der Vorstellung in das Selbstbewusstsein und umgekehrt herüber und hinüber zu gehen, sondern seine reine, von seiner Erscheinung im Bewusstsein 189 PhG, 587 190 PhG, 589. Hegel spricht kurz vor dieser Passage auch von einem Ausgleichen der Unterscheidung von Bewusstsein und Selbstbewusstsein (vgl. PhG, 583).

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befreite Gestalt, der reine Begriff und dessen Fortbewegung hängt allein an seiner reinen Bestimmtheit.191 191 PhG, 589; wie Hegel unmittelbar fortfährt, entsprechen allerdings die Gestalten des Bewusstseins (die in der Phänomenologie thematisiert werden) den reinen Begriffen der Logik und diese Stelle lässt sich so verstehen, das beide sich wechselseitig Realität verleihen: »Umgekehrt entspricht jedem abstrakten Momente der Wissenschaft eine Gestalt des erscheinenden Geistes überhaupt. Wie der daseiende Geist nicht reicher ist als sie, so ist er in seinem Inhalte auch nicht ärmer. Die reinen Begriffe der Wissenschaft in dieser Form von Gestalten des Bewusstseins zu erkennen, macht die Seite ihrer Realität aus, nach welcher ihr Wesen, der Begriff, der in ihr in seiner einfachen Vermittlung als Denken gesetzt ist, die Momente dieser Vermittlung auseinanderschlägt und nach dem inneren Gegensatze sich darstellt.« Dieter Wandschneider und Vittorio Hösle weisen auf Platons Idee der Zeit als »bewegliches Bild der Ewigkeit« als theoriengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Konzeption der Zeit hin; vgl. dazu Wandschneider und Hösle, »Die Entäußerung der Idee zur Natur und ihre zeitliche Entfaltung als Geist bei Hegel«, 197n37. Schleiermacher übersetzt dies als »bewegliches Bild der Unvergänglichkeit«; vgl. Platon, »Timaios«, 37d. Der für das Ewige oder Unvergängliche verwendete griechische Begriff ist der des aion, mit dem auch Aristoteles die ewige Fortdauer des Göttlichen beschreibt; vgl. dazu die bereits mehrfach angesprochene Passage der Metaphysik: XII,7 (1072b). Eine eingehende Untersuchung von Hegels Theorie der Zeit, insbesondere in Bezug auf die in der Logik entwickelte Theorie des begrifflichen Denkens, würde einen interessanten Ansatzpunkt für weitere Nachforschungen bilden, den Rahmen der vorliegenden Arbeit aber entschieden sprengen. Ich möchte an dieser Stelle nur betonen, dass eine Interpretation der Logik als Reich ewiger Ideen, denen gegenüber die Erscheinungswelt lediglich ein »Abbild« ist, natürlich völlig quer zu der hier entwickelten Position steht, der zufolge auch Gedankliches – und damit Logisches – erst durch seine Darstellung überhaupt entsteht und der zufolge sich Hegels Theorie der Darstellung gerade darauf richtet, ein vereinfachendes Verständnis von Repräsentation als bloßes Abbilden des schon Bestehenden zu korrigieren (auch Wandschneider und Hösle lehnen eine solche Interpretation ausdrücklich ab). In diesem Sinne wäre etwa die oben zitierte Passage so zu lesen, dass die »Realität« der reinen Begriffe der Wissenschaft gerade darin besteht, dass man sie in den Erscheinungen »erkennen« kann. In diese Richtung wären auch Hegels Bemerkungen darüber zu verstehen, dass ein Begriff ein »aufgehobene[r] Gegenstand« bzw. ein »Schatten« ist (PhG, 585, 496; WL1, 55). Die Logik abstrahiert zwar von Zeit als Erscheinungsform, dadurch ist sie aber noch kein Reich ewiger Ideen. Im Sinne dieser Einschätzung hat auch Michael Theunissen darauf hingewiesen, dass Hegel zwar selbst an manchen Stellen ein Verständnis der Logik als »kosmos noetos« zu suggerieren scheint (Hegel spricht etwa von einer »Darstellung Gottes [...], wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist«; WL1, 44), dies aber im Widerspruch dazu

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Aus zwei Gründen ist damit aber die Zeit nicht einfach verschwunden: Erstens kehrt sie am Ende des Kapitels zurück, wenn Hegel das freie Sich-Entlassen des Absoluten in sein eigenes Werden beschreibt; zweitens wird die Zeit in ein logisches Moment transformiert, nämlich in logische Zeit. Die logische Zeit ist ein Konzept, mit dem auf Entwicklung im Bereich des Logischen verwiesen werden kann (so ist z.B. die logische Vergangenheit die Wahrheitsbedingung eines Urteils). Vorstellen können wir uns die logische Zeit nicht. Für unsere Vorstellung existiert die logische Zeit nur als physische Zeit (analog dazu können wir uns auch den logischen Raum nur als physischen Raum vorstellen).192 Die Übersetzung zwischen diesen beiden Ebenen ist eine Aufgabe der Darstellung. Die Ebene der physischen zeitlichen Erfahrung dient gewissermaßen als Schema des Begrifflichen.193 Die Sprache partizipiert an beiden Bereichen, da wir in ihr einerseits mit raumzeitlich gegliedertem sinnlichem, physischem Material operieren, uns dabei aber andererseits immer schon logisch verhalten, also auf der begrifflichen Ebene, die der Zeit enthoben ist. Der »absolute Unterschied« dieser beiden Ebenen macht gerade das Wesen der Sprache aus, wie Josef Simon sagt.194 Die Parallele von Sprache und Zeit ergibt sich aus dem Konflikt von »Einheit der Idee« und »Mannigfaltigkeit der Sukzession«.195 Hegel geht es in diesem Zusammenhang darum, die wechselseitige Abhängigkeit des Endlichen und des steht, dass auch die Logik eine Bewegung enthält, nämlich die Bewegung der reinen Begriffe, und dass auch die Logik die Realität des Erkennens prüft; vgl. Theunissen, Sein und Schein, 80. Zum Verhältnis von Phänomenologie und Logik vgl. ebd. 79–84. Zum Übergang der Entwicklung der Logik in die raumzeitliche Natur vgl. neben Wandschneider und Hösle auch Oswald, Das freie Sich-Entlassen. 192 Koch, Die Evolution des logischen Raumes, 174. Wie Koch erläutert, untersucht Hegels Logik »das Absolute und seinen Prozess oder, wie man auch sagen kann, den logischen Raum und seine prätemporale, logische Evolution, und zwar noch unabhängig davon, dass der logische Raum und die logische Zeit für unsere Vorstellung nur als physischer Raum und physische Zeit gegeben werden können. Vom physischen Raum-Zeit System aber handelt erst die Realphilosophie.« Wie Markus Gabriel formuliert, wird die logische Zeit »am Urteil, am logos, gemessen«; Gabriel, Sinn und Existenz, 407. 193 Zum Verhältnis von zeitlicher und logischer Folge vgl. Malabou, The Future of Hegel, 12. Vgl. auch PhG, 183: »Die Einzelheit ist ihr Übergang aus ihrem Begriffe zu einer äußeren Realität, das reine Schema, welches ebensowohl Bewusstsein wie damit, dass es Einzelheit und ausschließendes Eins ist, das Hindeuten auf ein Anderes ist.« 194 Das Wesen der Sprache ist Simon zufolge »die negative Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem, das Vernehmen dieses Sinnes über den absoluten Unterschied hinweg«; Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, 175. 195 Frank, Das Problem »Zeit« in der deutschen Romantik, 363.

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Unendlichen zu denken. Das heißt, dass Einheit gerade in ihrer sprachlichen und zeitlichen Differenzierung besteht und nicht durch diese zerstört wird. Um das plausibel zu machen, kommt es auch auf eine bestimmte Form der Gestaltung der sprachlichen Sukzession an. 3.2.2 Tilgung der Zeit als Moment des Verstehens einer Erzählung Man kann die Tilgung der Zeit allerdings auch anders verständlich machen, und zwar mit einem Verweis auf die Mechanismen des Textverstehens (sowie des generellen Sprachverstehens). Das absolute Wissen ist die Rekapitulation des Werdens des Geistes im bisherigen Verlauf der Phänomenologie. Dieses Abschlussmoment erfordert, dass die Leser:innen den bisherigen Verlauf des Textes mental präsent haben. Die Stufen der Argumentation sind zwar räumlich aneinandergereiht und werden zeitlich linear nacheinander durchlaufen. In welcher Weise diese Entwicklung aber logisch kohärent ist und als kontinuierliches Argument verstanden werden kann, erschließt sich nur, wenn wir die einzelnen Gestalten des Bewusstseins und des Geistes synchronisieren können. Das gilt für jeden Text, ist aber zum Verständnis der Phänomenologie in besonderer Weise notwendig, da wir hier wesentlich darauf angewiesen sind, analoge bzw. verwandte Formen bestimmter paradigmatischer Probleme auf verschiedenen Stufen wiederzuerkennen.196 Der Text verlangt von uns, dass wir ihn als Einheit lesen. Wir müssen uns die Arbeit eines Crossmapping der sich strukturell entsprechenden Gestalten machen, auch wenn diese Bezüge häufig nur angedeutet werden. Wir verstehen den Text gerade durch das Herstellen dieser internen Bezüge.197 Das erfordert die geistige Synchronizität der aufeinander bezogenen Momente. Dass Hegel das Tilgen der Zeit auch in diesem Sinn versteht, zeigt eine Passage aus den Berliner Vorlesungen zur Ästhetik: Indem [...] die Rede auch da, wo sie eine konkrete Anschauung hervorzurufen bemüht ist, sich nicht an das sinnliche Aufnehmen einer vorhandenen Äußerlichkeit, sondern immer an das Innere, an die geistige Anschauung wendet, so sind die einzelnen Züge, wenn sie auch nur aufeinanderfolgen, doch in das Element des in sich einigen Geistes versetzt, 196 Vgl. Žižek, The Sublime Object of Ideology, 237. Im Rahmen seiner Erzähltheorie hat Gérard Genette (ausgehend von einer Analyse von Prousts Recherche) die variierende Wiederholung als eine der Grundfunktionen der Erzählung beschrieben; vgl. Genette, Discours du récit. 197 Vgl. z.B. Forster, Hegel’s Idea, 460. Die früheren Gestalten der Phänomenologie (wie z.B. Herr und Knecht) erfüllen auch die Funktionen, als Schemata für die Reduktion ihrer späteren und komplexeren Formverwandten zu dienen. Den Begriff des Crossmapping übernehme ich von Elisabeth Bronfen; vgl. Bronfen, Crossmappings.

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der das Nacheinander zu tilgen, die bunte Reihe zu einem Bilde zusammenzuziehen und dies Bild in der Vorstellung festzuhalten und zu genießen weiß.

Die Dichtkunst kann einen Gegenstand in seiner ganzen innerlichen Tiefe wie in der Breite seiner zeitlichen Entfaltung dar[...]stellen. Das Wahrhaftige ist schlechthin konkret in dem Sinne, dass es eine Einheit wesentlicher Bestimmungen fasst. Als erscheinend aber entwickeln sich dieselben nicht nur im Nebeneinander des Raums, sondern in einer zeitlichen Folge als eine Geschichte [...].198

In diesem Sinne ist die Tilgung der Zeit also das Herstellen einer Einheit in der Erinnerung. Durch das Tilgen des »Nacheinander« erfassen wir ein Ganzes, das wir uns in einzelnen Schritten zugänglich machen mussten.199 In der Erinnerung befinden sich Inhalte in der Eigenzeit des Subjekts.200 Hegels Ausdruck der begriffenen Geschichte kann daher auch aus einer narrativen Perspektive verstanden werden. Dasjenige, was dabei begriffen wird, ist, dass das, was seinerseits nicht zeitlich ist, dennoch raumzeitlich gegliedert erscheint. Diese Diskrepanz der Form der Erscheinung und der logischen Form bedeutet nicht, dass etwas hinter der Erscheinung ist, das uns konstitutiv verborgen bleibt. Das raumzeitliche Auseinander-Sein ist vielmehr die Artikulation logischer Einheiten. Diese narrative Sinnerfahrung sollte man aber nicht als rein psychologisches Moment einstufen, denn dass wir Narrative überhaupt als solche verstehen, verweist gerade auf das Grundverhältnis von Sukzession und Sinn. Das Verstehen einer Narration ist also eine Grunderfahrung von Sinn.201 198 TWA15, 226. Die Hervorhebungen stammen von mir, S.W. 199 So schreibt Philipp Heßeler (im Rahmen einer Interpretation von Schellings System des transzendentalen Idealismus) zur Mnemotechnik der »Gedächtnis-Palast-Methode« (und damit auch zur Metapher des Theoriegebäudes): »Schreitet man nun in Gedanken die einzelnen Räume des imaginierten Gebäudes ab, gelingt es einem spielend sich an die mit ihnen verknüpften Informationen zu erinnern. Die Parallele zum transzendentalen System ist unverkennbar. Auch hier gilt es sich der »Geschichte des Selbstbewußtseyns« zu erinnern, indem wir uns das ›Gebäude des Selbstbewußtseyns‹ – die Architektur unseres Wissens – vor Augen führen.« Heßeler, Grundlose Gestaltung, 27. 200 Vgl. TWA4, 45: »Die Anschauung ist als Vorstellung die eigene Zeit des Subjekts und der eigene Raum des Subjekts, in die Zeit und den Raum als allgemeine Formen versetzt. Durch das Aufheben der besonderen Zeit der Anschauung wird sie dauernd; durch das ihres besonderen Raumes ist sie überall.« 201 Eine ausführliche Version dieses Arguments findet sich bei Axel Hutter, Narrative Ontologie. Albrecht Koschorke hat Hegels Geschichtsphilosophie aus einer erzähltheoretischen Perspektive untersucht und dabei insbesondere auch die rekursive Reflexion der Erzählposition in der Erzählung betont; vgl.

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3.3 Der Schluss des Kapitels: Reflexion auf die Darstellung und die Freiheit des Geistes Wie wir rekonstruiert haben, ersetzt Hegel das metaphysische Objekt der Religion durch eine formale Erkenntnis der Bewegung des Erkennens und der Darstellung dieser Bewegung. Das, was substantiell ist, ist demnach der Selbstbezug, der durch einen absoluten Unterschied der »Substanz« zu sich selbst besteht. Damit wird auch das Konzept der Substanz in ein Konzept der Bezugnahme transformiert und insofern ist die Substanz für Hegel »Subjekt«. Die Subjektivität erhält damit einen substantiellen Charakter. In dieser Erkenntnis steigt das Denken aus der »Intellektualwelt« herab. Dabei erkennt es auch, dass Entäußerung und Erinnerung durchgängige Vorgänge sind und die »Angst vor [der] Entäußerung« (die ein Moment eines subjektiven Idealismus darstellt) nicht gerechtfertigt ist.202 Deshalb entlässt sich der Geist in sein eigenes Werden in Form des freien zufälligen Geschehens. Für das Bewusstsein erscheint die Substanz zunächst als etwas ihm Gegenüberstehendes. Es glaubt daher, dass es selbst außerhalb der Sub­stanz stünde. Im absoluten Wissen wird aber erkannt, dass das Bewusstsein nicht der Substanz gegenübersteht, sondern das Selbstverhältnis der Koschorke, Hegel und wir, insbes. 92f. In ihrer Interpretation des absoluten Wissens betont Gabriella Baptist das Moment der synchronischen Intemporalität der begrifflichen Betrachtung; vgl. Baptist, »Das absolute Wissen. Zeit, Geschichte, Wissenschaft«, 254. Auch H.S. Harris hat darauf hingewiesen, dass wir die Zeit auf eine räumliche Ausdehnung übertragen; vgl. Harris, The Odyssey of Spirit, 736. Umgekehrt besitzen wir die Fähigkeit, die Zeit in dem Sinne zu tilgen, dass wir Inhalte, die wir zeitlich nacheinander aufgenommen haben (auch) ohne diese zeitliche Sukzession denken können, wie Wandschneider und Hösle beschreiben: »Es ist dies die Art und Weise, wie sich die logische Idee expliziert: In Gestalt der Wissenschaft der Logik etwa, in der die ideale Totalität des Logischen nun diskursiv, in der Sukzession von Zeilen, Seiten und Kapiteln eines Buchtexts zeitlich entfaltet wird. Diese Logik ist ein Werk des Geistes, und das heißt eben: sukzessives Auseinanderlegen dessen, was an sich außer der Zeit ist, aber der Zeit zur Realisierung seiner Bestimmungen bedarf. [...] Dass die Wissenschaft der Logik mit dem ,,Sein« beginnt und mit der ,,absoluten Idee« endet, ist im Hinblick auf den Denkvollzug des Geistes zeitlich, dialektisch-logisch hingegen als überzeitlicher Prinzipierungszusammenhang zu fassen. Die logische und zeitliche Perspektive haben ihre spezifische Berechtigung, und erst im absoluten Geist, in der Philosophie, kann es gelingen, dies begreifend zu vereinen.« Wandschneider und Hösle, »Die Entäußerung der Idee zur Natur und ihre zeitliche Entfaltung als Geist bei Hegel«, 198. Man kann in diesem Zusammenhang auch bemerken, dass Hegel die »bunte Reihe« des narrativen Nacheinander mit dem Grau der Schatten der philosophischen Abstraktion zu kontrastieren scheint. 202 PhG, 586

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Substanz ist. Hegel bezeichnet dieses Moment als Ausgleichen von Bewusstsein und Selbstbewusstsein.203 Diese beiden Momente – Fremdund Selbstbezug – konnten im Laufe der Phänomenologie bisher nicht zur Deckung gebracht werden. Indem aber der Geist sich selbst gegenständlich wird, besteht ein Bewusstsein der Form des Selbstbezugs. Dieses Bewusstsein weiß, dass das selbstbezügliche Moment nicht eine Eigenschaft einer von ihm getrennten, metaphysischen Substanz (»Gott«) ist, sondern es selbst. Dadurch ist das Substantielle nichts anderes als die prozessuale Selbsterkenntnis des Geistes. Durch diese Erkenntnis wird die Grundposition des Bewusstseins völlig verändert: Es steht nicht mehr (epistemologisch orientiert) einem Gegenstand gegenüber und versucht Erkenntnisse von ihm zu gewinnen. Genauso wenig versucht es (im Sinne eines subjektiven praktischen Idealismus), »sich selbst« zu realisieren, indem es in eine gegenüberliegende Sphäre eintritt. Bei diesen Versuchen erfuhr es immer wieder, dass ihm sein Gegenstand oder es sich selbst entglitt. Dieser Unterschied zum Gegenstand fällt nun aber weg bzw. er wird absolut, insofern der Geist als Einheit von Bewusstsein und Selbstbewusstsein sein eigener Gegenstand ist. Man könnte diesen Punkt auch so formulieren, dass das, worin der Geist einen Stand hat, also einen Widerstand oder auch einen Halt, eben er selbst ist. Das zeigt sich, indem das, was das Bewusstsein bisher als störende Bewegung des Verlusts des fixierten Gegenstandes erfuhr, als die Bewegung des Erkennens erkannt wird. Damit ist die Erkenntnisbewegung für sich erkannt.204 Daraus ergibt sich eine von der des vorstellenden Bewusstseins gänzlich verschiedene Perspektive: Die Differenzierungen und Einteilungen, durch die das epistemologische Bewusstsein nur vorhatte, die Sub­ stanz zugänglich zu machen (also zu repräsentieren oder vorzustellen), sind Unterscheidungsmomente der Substanz selbst, also Momente, in denen sich die Substanz selbst unterscheidet. Damit zeigt sich die Substanz als in sich reflexiv unterschieden und insofern als Subjekt bzw. als Geist. Die systematische Darstellung des erscheinenden Wissens und der Erfahrungen, die das Bewusstsein mit seinen Vorstellungen der Welt macht, ist also Vermittlung der Substanz mit sich selbst, Selbstdarstellung der Substanz. Hegel sagt daher, dass die Substanz eine innere Notwendigkeit hat, sich selbst darzustellen und zwar als das, was sie an sich ist – Geist. Die Substanz ist Geist, weil sie in ihrem Werden begriffen werden muss und damit immer schon etwas Vergangenes bzw. Gewesenes ist. Sie ist der Unterschied eines Inhalts und seiner zeitlichen Entwicklung, so dass man sagen kann, was dieser Inhalt im Laufe seiner Entwicklung ist. Erscheinender Inhalt schließt dabei Gewesenes notwendigerweise mit ein, weil eine Erscheinung nur als Erscheinung von etwas, das erscheint 203 Vgl. PhG, 583 204 Vgl. PhG, 585

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verstanden werden kann. Das Geistige an Erscheinungen besteht darin, dass sie nicht unmittelbar oder einfach sind, sondern einen Unterschied in sich tragen, nämlich den zum Wesen (zu dem, was erscheint). Die innere Notwendigkeit der Substanz besteht also darin, sich selbst darzustellen, sich zu unterscheiden, um überhaupt zu erscheinen. Dieser Unterscheidungsprozess ist dann vollendet, wenn er »zum Selbst« wird,205 wenn also klar wird, wie überhaupt Unterscheidungen entstehen und wie sich diese Unterscheidung zu einer Einheit verhalten, die durch sie artikuliert wird. Hegel zufolge sind die Unterscheidungen Produkte der »Arbeit«, die der Geist »als wirkliche Geschichte vollbringt.«206 Diese Geschichte ist eine des (erscheinenden) Wissens des Geistes von sich selbst. Man kann diesen Punkt als Kommentar zu den Geschichten der Religion verstehen: Das Selbstwissen des menschlichen Geistes ist zugleich eine Erkenntnis darüber, dass es kein Wesen gibt, das die Fremdheit des menschlichen Daseins beenden wird. Diese Hoffnung des religiösen Bewusstseins muss Hegel zufolge aufgegeben werden. Die Geschichten über das Absolute wurden schließlich von Menschen hervorgebracht. Was sie darstellen, ist das »Dasein als Gedanke«.207 Hegel möchte damit darauf hinaus, dass das, was existiert (die Wirklichkeit), denkend auf sich selbst bezogen ist. Dieser Bezug ist gerade nicht so vorzustellen, dass es eine »Intellektualwelt« gibt, in der gedankliche Wesenheiten subsistieren und darauf warten, erkannt zu werden. In direktem Widerspruch zu diesem Gedanken beschreibt das absolute Wissen gerade den Abstieg aus der »Intellektualwelt«, weil es sich als das Moment erkennt, in dem das, was existiert, auf sich selbst erkennend Bezug nimmt (also bewusst ist). Aus »der Intellektualwelt herabzusteigen« bedeutet für Hegel, diese »mit dem wirklichen Selbst zu begeisten«.208 Das bedeutet, zu erkennen, dass die Intellektualwelt etwas ist, das prinzipiell vom Diesseits ausgeht und nicht umgekehrt. Sie ist eine formale Abstraktion – Begriff oder Schatten der Erfahrung.209 205 PhG, 585 206 PhG, 586 207 PhG, 586. Der Begriff der Geschichte wäre auch in Bezug auf dasjenige weiter zu untersuchen, was Hegel in den späteren Vorlesungen als »absolute Geschichte« bezeichnet, nämlich die Geschichte der göttlichen Idee und des notwendigen Todes von Gott. Diese Geschichte ist nicht nur wesentlich mit den – in der Phänomenologie zentralen – Momenten der Umkehrung und Umwandlung verbunden, sondern ruft auch in emphatischer Weise das Problem der Darstellung dieser Ideenstruktur auf. Mit dem Bild der »Schädelstätte des absoluten Geistes« (PhG, 591) spielt Hegel auch auf diese absolute Geschichte an; vgl. dazu TWA17, 291–93 sowie TWA14, 147–54. 208 PhG, 586 209 Der Begriff ist »aufgehobene[r] Gegenstand« (PhG, 585); der Schatten ist ein »aufgehobener Dieser, und somit allgemeines Selbst« (PhG, 496). Beide sind also eine Tilgung des Besonderen.

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Die verbleibenden Passagen der Phänomenologie enthalten eine Reflexion auf die Form der Entwicklung des Selbstbezugs des Geistes durch sein Werden in der gedoppelten Form von Natur und Geschichte. Die Selbstreferentialität der Darstellung und die Reflexion auf das Begreifen der Geschichte des Werdens des Geistes, also der Selbsterkenntnis, bedeutet auch, dass das absolute Wissen auf die Rolle der Phänomenologie in diesem Prozess Bezug nimmt.210 Die Phänomenologie reflektiert also auf sich selbst als Darstellung einer trägen Bewegung von Geistern, die eigentlich Bilder waren. Der gedankliche und argumentative Weg der Phänomenologie ist nicht nur ein linearer Durchgang von vorne nach hinten, sondern an jedem Punkt auch ein logischer Durchgang durch die verschiedenen, historischen und kategorialen Schichten dieser Bilder. Erst im absoluten Wissen wird klar, dass der Geist keine »Angst vor seiner Entäußerung«211 zu haben braucht, weil die äußeren Formen die Möglichkeit seines Selbstverhältnisses darstellen (seinen absoluten Unterschied). Die Wissenschaft des Geistes besteht darin, das Geist weiß, was Geist ist und was nicht Geist ist. Die sprachliche Artikulation dieser Erkenntnis zeigt sich als »Schaum«, insofern Schaum ein Prozess des Entstehens und Vergehens von Grenzen ist, die bestimmte Bereiche definieren: die Bläschen des Schaums bzw. die Gestalten und Gestaltungen des Bewusstseins.212 Wie der von Hegel beobachtete Wasserfall ist der Schaum nur dadurch eine Einheit, dass er sich ständig von sich selbst unterscheidet. Die Bereiche können sich zwar zu Bildern einer Galerie verfestigen, deren Diskretion sich aber ebenfalls auflöst, insofern alle Bilder verschiedene Bilder desselben sind, nämlich des Geistes. Die beiden Bilder (des Schaums und der Galerie) verweisen auch darauf, wie Hegel die sprachliche Darstellung der Phänomenologie versteht, nämlich als Artikulation des Geistes, der sich selbst Bestimmungen gibt, die aber jeweils nur temporären Charakter haben. Geist existiert nur durch diese Bestimmungen, allerdings in dem Sinne, dass er über jede einzelne hinaus bzw. durch sie hindurch geht.213 Die Reflexion auf die Darstellung betrifft das sechste der eingangs genannten Themen, die metatheoretischen Implikationen des absoluten Wissens. Kurz nach dem Synthesemoment der Tilgung der Zeit, durch 210 Vgl. PhG, 589 211 PhG, 588 212 Vgl. PhG, 591 213 Über eine Wanderung zum Reichenbachfall in den Berner Oberalpen notiert Hegel: »Durch eine enge Felsenkluft drängt oben das Wasser schmal hervor, fällt dann in breiteren Wellen senkrecht herab; in Wellen, die den Blick des Zuschauers beständig mit sich niederziehen und die er doch nie fixieren, nie verfolgen kann, denn ihr Bild, ihre Gestalt, löst sich alle Augenblicke auf, wird in jedem Moment von einem neuen verdrängt, und in diesem

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das die Wissenschaft erreicht wird, wird die Sphäre der Kontingenz sofort wieder freigegeben (textchronologisch gesprochen). Dieses Moment kann man als metatheoretische Reflexion verstehen: Der absolute Geist der Wissenschaft reflektiert auf sein eigenes vorwissenschaftliches Werden, also auf die Momente der Kontingenz, die zur Dynamik des erscheinenden Wissens gehören. Neben dem logischen Abschluss kommt es zu einem narrativen Abschluss. Die Phänomenologie endet also mit einem doppelten Schluss: Sie ist eine »begriffene Geschichte«214 und damit ein selbstreflektierendes bildgebendes Verfahren des Geistes. Damit vereint sie die Form der Zufälligkeit mit der begriffenen Organisation. Man kann das als Reflexion auf eine vorbewusste Produktion verstehen, die sich von der (partiellen) Undurchsichtigkeit der Sprache und der Vorstellungen leiten lässt. Diese Undurchsichtigkeit betrifft sowohl die logische Struktur des Ausdrucks als auch die vorstellungsmäßigen Inhalte. Sie wird zum Ausgangspunkt für das Entdecken unbekannter Voraussetzungen, die sowohl in einzelnen Vorstellungen als auch im Modus der Vorstellung überhaupt liegen.215 Es ist demnach wesentlich, dass Sprache bei Hegel immer partiell intransparent ist. Das Spiel mit Sprache und Vorstellungen beruht gerade darauf, dass diese immer zu einem gewissen Grad alogisch sind (dieses Moment hat Hegel im Religionskapitel als synthetische Verbindung von sinnlichem und begrifflichem Gehalt benannt). Sonst könnte eine Polysemie wie »aufheben« oder ein Bedeutungsspektrum wie das von »Entäußerung« gar nicht als in besonderer Weise dem Begriff angemessen erkannt werden. Es gäbe vielmehr überhaupt keine Ausdrucksformen, die dem Begriff nicht angemessen wären.216 Zugleich wird damit plausibel, dass es noch eine Operationsebene geben muss, die nicht an diese opaken Elemente gebunden ist, diese also vergleichen, bewerten und in Bewegung bringen kann. Das ist auf der Ebene der Vorstellung nicht möglich, denn das vorstellende Bewusstsein wird durch seine Vorstellungen bestimmt (es gibt daher notwendigerweise viele Religionen, die ihren jeweiligen Anspruch, die einzig wahre zu sein, nicht mit religiösen Mitteln begründen können). Insofern fordert die Pluralität der Vorstellungen von Falle sieht er ewig das gleiche Bild und sieht zugleich, dass es nie dasselbe ist.« (TWA1, 615). 214 PhG, 591 215 Die Relevanz des Zufälligen bei Hegel hat Dieter Henrich in einem klassisch gewordenen Aufsatz hervorgehoben; vgl. Henrich, »Hegels Theorie über den Zufall«. Das Verhältnis des bewusst und »bewusstlos« Produzierten thematisiert Schelling im sechsten (und letzten) Hauptabschnitt des System des transzendentalen Idealismus. 216 Das kann auch Hegels Bemerkung verdeutlichen, dass man im reinen Licht genauso wenig erkennen kann, wie in vollständiger Dunkelheit (vgl. WL1, 96).

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sich aus den Begriff und führt so über sich hinaus. Der Begriff wiederum übersetzt sich in die Pluralität der Vorstellungen und kann so überhaupt erst erscheinen. Die Ebene der begrifflichen Reflexion wird durch sprachliche Operationen eröffnet. Hegels Sprache ist als Artikulation der wesentlichen Unterschiede zu verstehen, die holistische Einheiten intern differenzieren. Sie ist daher darauf gepolt, Begriffsbewegungen zu artikulieren. Die dabei entstehenden Ambiguitäten entsprechen einer Doppelbelichtung der Untersuchungsgegenstände, die sowohl mit einem Fokus auf Einheit als auch mit einem Fokus auf Differenz bzw. auf den vorübergehenden Charakter bestimmter Einheit betrachtet werden können. Ein Beispiel dafür liefert Hegels Beschreibung der Sprache selbst: Als Dasein des Geistes ist sie Artikulation und Kommunikation der Einheit; als Dasein des Geistes setzt sie bestimmte, positive Differenzen, die sich immer verselbständigen und in eine Äußerlichkeit kippen können. Hegel unterstreicht, dass das freie Sich-Entlassen des Geistes in sein eigenes Werden ein notwendiges Moment der Wissenschaft ist. In diesem Moment wird nämlich die Grenze zu dem Bereich der menschlichen Erfahrung und Existenz markiert, der nicht mehr im strengen Sinne wissenschaftlich ist. Dieser Bereich wird gerade durch den Schluss der Wissenschaft als System freigegeben.217 Hegel weist also darauf hin, dass es ein vorwissenschaftliches Werden des Geistes geben muss, eine Entwicklung, die sich nicht selbst durchsichtig ist. Ein Moment dieses Werdens ist die Sprache, die Hegel auch als »Element der Verwandlung« problematisiert hat, in dem immer zugleich zu viel und zu wenig gesagt wird.218 Dass solche Intransparenzen notwendig zum Werden des Geistes gehören, zeigt nicht zuletzt Hegels Verweis auf das scheinbare »Chaos« der Erscheinungen, den er in der »Selbstanzeige« über das Erscheinen der Phänomenologie platziert.219 In den Schlusspassagen der Phänomenologie unterstreicht Hegel den Doppelaspekt des Werdens des Geistes, indem er wiederholt das 217 Man kann das im Sinne Luhmanns verstehen, der betont, dass Systeme sich gerade als geschlossene im Austausch mit ihrer Umwelt befinden und ferner nur durch diese Relation zur Umwelt überhaupt als geschlossene Systeme funktionieren können. In seiner ausführlichen Studie über das freie Sich-Entlassen der Idee am Ende der Wissenschaft der Logik weist Georg Oswald auch darauf hin, dass man Hegels Systemschluss mit Luhmanns Begriff der »operativen Geschlossenheit« plausibel machen kann; vgl. Oswald, Das freie Sich-Entlassen, 180. Eine übersichtliche Skizze des Konzepts der operativen Geschlossenheit findet sich in Luhmann, Einführung in die Systemtheorie, 88–97. 218 PhG, 235 219 Vgl. PhG, 593. Auch das berühmte Bild des »bacchantische[n] Taumel[s]«, in dem sich alle Glieder auflösen, der aber zugleich »durchsichtige und einfache Ruhe« ist, kann in diese Richtung gelesen werden (vgl. PhG, 46).

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Begriffliche und das Anschauliche konfrontiert: Der Geist begreift das Anschauen und ist dadurch begriffenes Anschauen. Dieser Punkt kann direkt auf Hegels Bild der Galerie von Bildern bezogen werden, in denen der Geist sein Werden betrachtet (auch in diesem Bild wird wieder das Moment des Durchgangs – durch die Galerie – unterstrichen). Ebenso sind die Paarung der Erinnerung mit dem Bild der »Schädelstätte«, sowie der Ausdruck der »begriffene[n] Geschichte« selbst Konfrontationen des (innerlich) Begrifflichen und des (äußerlich) Anschaulichen.220 Damit wird auch klar, dass die verschiedenen Sprachstufen, die Hegel im Kapitel über die Kunstreligion explizit zum Thema gemacht hat, wesentlicher Bestandteil der Entwicklung des Geistes sind und dass es Hegel darauf ankommt, diesen Aspekt nicht nur zu thematisieren, sondern auch zu inszenieren. Eine solche Inszenierung wird durch die Pluralität der sprachlichen Ausdrucksformen möglich. Durch die komplexe sprachliche Form erhalten wir von den jeweiligen Gestalten nicht nur eine wissenschaftliche Beschreibung (aus der philosophischen Perspektive), sondern auch eine Darstellung der Bewegungen der Vorstellungen und Begriffe sowie eine Darstellung der Binnenperspektive des Bewusstseins. Auf diese Weise stellt die gesamte Phänomenologie den Übergang der Wissenschaft ins Bewusstsein dar, da sie die wissenschaftliche Form mit der Form der Erfahrungen des Bewusstseins verbindet. Hegel stützt die finale Bewegung der Phänomenologie, das freie SichEntlassen des Geistes, auf einen Begriff, den er beinahe über die ganze Strecke des Textes aufgebaut und angereichert hat (wobei die Bezüge zur Sprache eine wichtige Rolle spielen). Der Begriff der Entäußerung wurde durch das Bündeln verschiedener Vorstellungen in einem Ausdruck entwickelt, wodurch ein Spektrum von Anwendungen entstanden ist. Insofern Entäußerung das Nach-Außen-Bringen von etwas ist, fällt auch jede Form der geistigen Produktion unter diesen Begriff. Entäußerung bezeichnet eine Bewegung und diese Bewegung kann in zwei Richtungen gehen: Entäußert sich das Einzelne, wird es allgemein; entäußert sich das Allgemeine, wird es einzeln. Dieser »Doppelprozess« wird zum ersten Mal in der offenbaren Religion als »gegenseitige Entäußerung« benannt.221 Zentrales Element dieses Doppelprozesses ist die zugleich konstituierende und repräsentierende Darstellung, die Hegel als innere Notwendigkeit der Substanz ausweist. Der Übergang von der Religion zum absoluten Wissen wird getragen von einem Übergang vom Vorstel220 PhG, 591. Zum Bild der Schädelstätte vgl. Crites, »The Golgotha of Absolute Spirit«. 221 PhG, 550. In den Worten von Karl Rosenkranz hat »in der Phänomenologie beständig theils die Entäußerung der Substanz zum Subject, theils die Entäußerung des Subjects zur Substanz gezeigt, so daß die Wahrheit die Einheit dieses Doppelprocesses ist, ohne welchen das Absolute allerdings einsam wäre.« Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, 211.

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len zum Darstellen. Darin besteht eine methodische Reflexion auf das Werden des Wissens, das ebenfalls wesentlich ein Darstellungsprozess ist. Insofern diese Entwicklung sich in der Form eines »freien zufälligen Geschehens darstellt«,222 das der Geist als sein eigenes Werden akzeptiert, markiert gerade das absolute Wissen, dass der Gedanke sich in Sprachformen artikuliert, die immer partiell undurchsichtig sind. Im Moment des Sich-Entlassens rückt die Frage der Freiheit, die wir bereits an verschiedenen Stellen unserer Untersuchung gestreift haben, ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Sich frei zu entlassen ist eine genuine Bedeutung von »absolut« im Sinne des lateinischen absolvere (losmachen, befreien, abfertigen, bezahlen, freisprechen, freilassen, vollenden, fertig stellen). Wie Angelica Nuzzo andeutet, sollte man aus dem Gedanken des freien Sich-Entlassens deshalb auch Konsequenzen für die Konzeption des Verhältnisses von Denken und Sprache ziehen: Geistige Freiheit bedeutet, sich nicht in den Gegensatz zu den Formen sinnlicher Externalisierung und Andersheit zu stellen, sondern sich in Relationen zu dieser Andersheit und durch diese Relationen frei zu entwickeln. Damit zeigt sich zugleich, dass auch die Relationen auf dem Niveau des absoluten Wissens keinesfalls getilgt werden (etwa in dem Sinne, dass der Geist die Rechnung an die Sprache und die Natur bezahlen und von da an autonom sein könnte). Im Gegenteil sind Relationen gerade notwendig, da es sonst gar keine Möglichkeit des Werdens und der Darstellung des Geistes gäbe und dementsprechend auch kein Sich-Entlassen in dieses Werden stattfinden könnte. Das absolute Wissen markiert also gerade kein reines Selbstverhältnis eines monistisch konzipierten ewigen Geistes, sondern es enthält die Einsicht, dass es zu einem Selbstverhältnis überhaupt nur kommen kann, wenn es auch Relationen zu Anderem und zu Anderen gibt, wobei diese Anderen von Projektionen des »Selbst« frei gelassen werden müssen. Die »höchste Freiheit und Sicherheit« des Wissens des Geistes von sich ist gerade ein »Entlassen seiner aus der Form seines Selbsts«.223 Der Geist sichert sich selbst nicht gegen das Andere ab. Wie Nuzzo unterstreicht, ist die Entäußerung (die Externalisierung) daher als die eigentliche Vollendung der »Er-Innerung« zu verstehen (also der Internalisierung).224 Denken und darstellen kann man 222 PhG, 590 223 PhG, 590 224 Diesen Gedanken fasst Angelica Nuzzo wie folgt: »One of the meanings of absolutus is entailed by its being the past participle of the Latin absolvere: to ›let go free‹ or to ›set free‹. Hegel recalls this meaning with the frei entlassen that appears both at the end of the Phenomenology and in the culmination of the Logic: it is the movement whereby thinking lets its creative and poetic power go free in its otherness, and in this way points out that the dimension of truth is at the same time the dimension of freedom. [...] In the ›total‹ structure of absolute knowing, the act of recollection (Er-Innerung)

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dieses nur durch Sprache. Die Freiheit des Geistes besteht also durch äußerliche, mediale und argumentative Darstellung. Weil an diesem Punkt erst die Relevanz der Äußerlichkeit und die Abhängigkeit des Geistes von seiner Artikulation durch Externalisierung eigentlich erkannt ist, markiert das absolute Wissen auch weniger einen endgültigen Abschluss als einen neuen Anfang. Der Geist beginnt wieder.225

is complemented by an act of a radical externalization (Äußerung).« Nuzzo, »The Truth of ›Absolutes Wissen‹ in Hegel’s ›Phenomenology of Spirit‹«, 284. Warum die Freiheit das zentrale Moment des absoluten Geistes ist rekonstruiert Kreis, »Soziale Gemeinschaft und absoluter Geist«. Die absolute Freiheit des Geistes besteht im Gegensatz zu einer leeren, negativen Freiheit (des »Verstandes«) gerade im Moment des Anderswerdens und im Verhältnis zu Anderen und Anderem. 225 Vgl. PhG, 591

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Ausblick: Geist, Sprache und Darstellung zwischen Hegel, Brandom und Derrida Wenn man die im Gehalt implizit enthaltene inferentielle Festlegung als eine explizite Behauptung formuliert, so bringt man sie als eine ans Licht, die sich wie jede andere behauptende Äußerung Anfechtungen und Rechtfertigungsforderungen zu stellen hat. Auf diese Weise spielen explizite Ausdrücke eine aufklärende Rolle. Robert B. Brandom Begründen und Begreifen Die Selbstaffektion ist keine Modalität einer Erfahrung, die bezeichnend wäre für ein Seiendes, das bereits es selbst (autos) wäre. Sie bringt das Selbe als Beziehung zu sich in der Differenz mit sich, das Selbe als das Nicht-Identische hervor. Jacques Derrida Die Stimme und das Phänomen Wer in dieser Wirklichkeit handeln will, hat sich eben damit ihren Gesetzen unterworfen und das Recht der Objektivität anerkannt. Georg Wilhelm Friedrich Hegel Grundlinien der Philosophie des Rechts

Die vorliegende Untersuchung bringt Hegels Ausführungen zu Sprache und Darstellung in der Phänomenologie in einen systematischen Zusammenhang. Sie zeigt, dass die Phänomenologie eine komplexe Theorie der Sprache enthält, die kognitive, kommunikative, welterschließende und ästhetische Aspekte der Sprache berücksichtigt. Ebenfalls zeigt sich, dass Hegels Theorie der Sprache in einer engen Beziehung zu seiner Auseinandersetzung mit dem logischen Urteil steht. Bemerkenswert ist, dass sich die Entwicklung dieser Theorie systematisch durch alle Teile der Phänomenologie zieht. Die Arbeit zeigt auch, dass es für eine Interpretation der Phänomenologie produktiv ist, die Programme der Darstellung des erscheinenden Wissens und der philosophischen Wahrheit im Licht von Hegels Ausführungen über das Problemfeld »Sprache« zu betrachten. 438 https://doi.org/10.5771/9783748917755

AUSBLICK: GEIST, SPRACHE UND DARSTELLUNG

Zwei zentrale Bezugspunkte meiner Untersuchung bilden die HegelInterpretationen von Robert Brandom und Jacques Derrida. Wie Brandom unterstreicht, ist Sprache für Hegel im Rahmen der Theorie des objektiven Geistes relevant, also in ihrer Funktion als Medium der Kommunikation und Anerkennung in sozialen Kontexten. Brandom rückt dabei das aufklärerische Potential der inferentiellen Begründung ins Zentrum einer expressiven Theorie der Freiheit. Er entwickelt aber eine Vorstellung sozialer Gemeinschaften, in denen Momente der Entfremdung in einem zukünftigen Zustand prinzipiell überwunden werden sollen. Dadurch droht die Möglichkeit, kritische Distanz zum Gegebenen zu generieren, eingeebnet zu werden. Gerade dieses Moment betont Derrida, dem es darum geht, durch Operationen auf der sprachlichen Materialebene neue Denkbewegungen zu eröffnen, also Distanz zum Gegebenen herzustellen. Wie sich an Derridas Texten nachvollziehen lässt, ist es entscheidend, eine Dimension der Sprache zu berücksichtigen, die bei Brandom vernachlässigt wird. Diese welterschließende Dimension der Sprache in den Blick zu nehmen, erfordert insbesondere eine Auseinandersetzung mit den Formen der Sprache, die wir häufig als »künstlerische« Sprache bezeichnen. Auch Derridas textliche Praxis kann verdeutlichen, auf welchen Wegen eine Entfremdung von den bekannten Sprachmustern philosophisch produktiv gemacht werden kann. Wie ich nachgewiesen habe, inszeniert auch Hegel eine Entfremdung von der Sprache. Deren Ziel ist letztlich, uns der Sprache näher zu bringen. Hegels Sprachkritik richtet sich sowohl gegen bestehende sprachliche Formen als auch gegen eine Verweigerung der Sprache bzw. des (sprachskeptischen) Rückzugs aus der Kommunikation. Zwischen den Interpretationen von Brandom und Derrida lässt sich ein Verständnis der Phänomenologie entwickeln, das diese nicht nur in Bezug auf die in ihr entwickelte Sprach- und Darstellungstheorie produktiv macht, sondern insbesondere auch erklären kann, dass Hegels philosophische Sprache sich aus den Konsequenzen ergibt, die er selbst aus dieser Theorie zieht. Die Interpretationen von Brandom und Derrida machen nicht nur verschiedene Aspekte von Hegel lesbar, sondern entfalten jeweils eine starke Eigendynamik. Deshalb erschließt sich vor allem zwischen Brandom, Derrida und Hegel ein theoretisches Spektrum, in dem sich Sprache auf eine mehrdimensionale Weise verstehen lässt.1 Die Darstellung des Geistes ist ein sprachlich gebundenes Projekt. Die Sprache der Phänomenologie des Geistes ist eine Sprache, die 1 Dieser Punkt lässt sich auch auf das Verhältnis der von Charles Taylor beschriebenen Formen der Sprachtheorie übertragen, also auf das auf propositionale Beschreibung ausgerichtete Paradigma der HLC und das die welterschließende Dimension der (figurativen) Sprache betonende Paradigma der HHH. Vgl. dazu nochmals Taylor, Das sprachbegabte Tier.

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AUSBLICK: GEIST, SPRACHE UND DARSTELLUNG

reflektiert, wie sich Geist sprachlich darstellt. Sie artikuliert eine Reflexion darüber, worauf wir uns verpflichten, wenn wir uns als geistige Wesen sprachlich ausdrücken. Sie enthält aber auch eine Reflexion über die Spielräume dieser Verpflichtungen und sie kann diese Verpflichtungen nicht nur explizit hinterfragen, sondern auch performativ inszenieren, verschieben, auflösen, neu bewerten und neu eröffnen – und damit Umkehrungen des Bewusstseins auslösen.2 Wie Hegel in der Phänomenologie immer wieder zeigt, bestehen Einheiten nicht vor ihrer Darstellung, durch die sie sich überhaupt erst bestimmt artikulieren. Das gilt sowohl für Individuen (und ihre Sprech- und Handlungsabsichten) als auch für die emphatischen Einheitsbegriffe, die die philosophische Wissenschaft theoretisiert – das Wahre, das Absolute, die Substanz und den Geist. Hegel zufolge gibt es also keine Möglichkeit, den Schritt in die einzelnen Bestimmungen zu vermeiden; allerdings zeigt er ebenfalls, dass diese Bestimmungen selbst nichts fest Bestehendes sind. Im Gegenteil erweisen sich die Bestimmungen im Prozess der Darstellung als plastisch und veränderbar. Wie hängen also Sprache und Darstellung mit der Entwicklung des Geistes zusammen? Wie wir am Beginn dieser Arbeit gesehen haben, zeigt sich dieser Zusammenhang für Hegel zuerst in einer Diskussion über die philosophische Wahrheit. Wenn man fragt, wie die philosophische Wahrheit dargestellt werden kann, erreicht man früher oder später das Feld der Sprache und ihres Verhältnisses zum Denken: Die Wahrheit ist für Hegel eine Bewegung der Selbsterkenntnis. Diese Konzeption steht aber mit gängigen Vorstellungen im Konflikt, die das Wahre als einen bestimmten Gegenstand verstehen. Wie Hegel in der Einleitung der Phänomenologie zeigt, sind diese Vorstellungen (über »die Substanz« oder »das Absolute«) sprachlich vermittelt und fixiert. Ein zu skeptischer Blick könnte die Sprache deshalb ausschließlich als Reservoir von Vorurteilen betrachten, das die Gedanken verzerrt, träge macht und deshalb ganz umgangen werden sollte. Hegels Ansatz besteht dagegen darin, genauer zu untersuchen, was die Gehalte der bestehenden Vorstellungen eigentlich sind und wo ihre Grenzen liegen. Ein zweiter Aspekt von Hegels Sprachkritik bezieht sich auf das Verständnis logischer Verhältnisse, das durch bestehende sprachliche Formen nahegelegt wird. Die uns vertraute Sprache scheint einer prädikativen Urteilsform zu entsprechen. Dieses Urteilsverständnis beruht aber (ähnlich wie die Vorstellungen des natürlichen Bewusstseins) auf der Annahme fest bestehender Identitäten. Hegel setzt dagegen ein Konzept der sich bewegenden Identität, als »gewordene Gleichheit«, in dem die Nichtidentität zu einem wesentlichen 2 In diesem Sinne heben Brandom und Derrida jeweils bestimmte Aspekte von Hegels philosophischer Darstellungsweise hervor. Zur »Umkehrung des Bewusstseins« vgl. PhG, 79.

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Moment aller Identitäten wird.3 Das spekulative Satzverständnis, das Hegel ausgehend von dieser Kritik des Identitätsdenkens der prädikativen Urteilstheorie entgegensetzt, führt indirekt auch zu einer Kritik der sprachlichen Form, die diese Urteile ausdrückt. Sowohl Hegels Kritik der Vorstellung als auch seine Kritik des prädikativen Urteils implizieren, dass die Frage nach der Wahrheit auch zu der Frage führen muss, wie individuelle, denkende Subjekte die Wahrheit erkennen können. Diese Vermittlung ist das Ziel einer Darstellung der Wahrheit. Wie Hegel in der Phänomenologie sukzessive erarbeitet, ist die Wahrheit selbst nichts Fertiges, sondern sie ist die Bewegung des Erkennens. Die Vermittlung oder Darstellung der Wahrheit steht also nicht extern der Wahrheit bzw. dem Wahren gegenüber, sondern Wahrheit ist das Denken dieser Vermittlungsleistung. Hegel versteht Wahrheit also als Denkbewegung. Weil die bestehenden Formen der Vorstellung und der Prädikation diese Denkbewegung verdecken und weil sie mit bestehenden sprachlichen Konventionen verbunden sind, greift Hegel diese an. Sein Ziel ist, die festen Gedanken in Flüssigkeit zu bringen. Wie Hegel in diesem Zusammenhang sagt, ist es »weit schwerer, die festen Gedanken in Flüssigkeit zu bringen, als das sinnliche Dasein.«4 Diese Aussage kann man auch so verstehen, dass die Verflüssigung der Gedanken auf der Ebene ihres sinnlichen Daseins beginnen kann, also mit einer Verflüssigung der Sprache. Umgekehrt wird es auch, wenn man mit der Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Denken beginnt, irgendwann notwendig, die Frage danach zu stellen, was wahr bzw. Wahrheit ist und wie man sie darstellt: Zunächst müssen denkende Subjekte ihre Gedanken darstellen, um überhaupt bestimmte Gedanken zu haben (auch hier ist es eine naheliegende Frage, wann diese Gedanken wahr sind). Weil Gedanken artikulationsabhängig sind, sind sie in ihrer Entwicklung der Sprache und deren Eigendynamik ausgesetzt (dies ist die expressivistische These, die wir zu Beginn dieser Arbeit eingeführt haben). Das gilt nicht nur für theoretische Gedanken, sondern auch für praktische Handlungsabsichten. Für Hegel ist besonders relevant, dass Denker:innen, insofern sie kognitiv auf Sprache angewiesen sind (weil sie ihre Gedanken sprachlich artikulieren müssen), durch das Medium dieser Artikulation – die Sprache – in soziale, kommunikative Zusammenhänge eingebunden sind. In diesen sozialen Konstellationen kommt es zu Entfremdungserfahrungen. Daher wird es für Individuen relevant, sich aus den Zusammenhängen lösen zu können: Erfahrene Entfremdung ist einerseits ein Symptom dafür, dass eine Loslösung zu einem gewissen Grad schon stattgefunden hat. Entfremdung kann aber auch bewusst (weiter) befördert werden, insbesondere 3 PhG, 40f. 4 PhG, 35

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auch durch sprachliche Strategien. Solche Entfremdungsmomente stehen Hegel zufolge am Anfang der Philosophie. Daher sind für Hegel Strategien der sprachlichen Entfremdung und Auflösung besonders relevant. Diese Formen reflektieren die Art und Weise, wie Sprache und gesellschaftliche Formen Individuen prägen, öffnen sie für eine Prüfung und machen sie zugleich transformierbar. In dieser Hinsicht ist die Weise der Sprachbehandlung relevant, die Derrida radikalisiert hat; zugleich werden auch die argumentativ prüfenden Explikationen, die Brandom stark macht, gerade dann möglich, wenn bekannten Vorstellungen ihre Selbstverständlichkeit genommen wird. Wie hängen aber diese Überlegungen über die sprachliche Gebundenheit individueller Subjekte und die Darstellung ihrer Gedanken und Handlungsabsichten mit der Darstellung der philosophischen Wahrheit zusammen? Die Darstellung der Wahrheit kommt einerseits ins Spiel, wenn man fragt, wann ein einzelner Gedanke wahr ist und andererseits dann, wenn es darum geht, die komplexen Verhältnisse des objektiven Geistes zu beurteilen: Das Bewusstsein erfährt sich als geistiges Wesen; aber was bedeutet es überhaupt, ein geistiges Wesen zu sein? Diese Frage wird (durch das Bewusstsein) erst ab dem Religionskapitel der Phänomenologie gestellt. Hier beginnt das Bewusstsein bewusst zu versuchen, sich durch mediale Vermittlung zugänglich zu machen, was Geist ist. Es beginnt also, sich ein Bild von sich selbst zu machen. Man könnte die Motivation dieses Bildungsprojekts so verstehen: Wenn alle sozialen Verhältnisse zu Entfremdung führten, was wäre dann die wahre Existenzform (die ontologische Wahrheit) des Geistes? Was wäre die Wahrheit über den Geist bzw. was müsste korrekter Weise darüber gesagt werden, was der Geist ist (um davon ausgehend die Verhältnisse kritisieren zu können)? Damit ist wieder die Frage erreicht, wie individuelle, endliche Subjekte die Wahrheit erkennen und darstellen können. An diesem Punkt wird ein wesentlich komplexeres Sprachverständnis nötig, das nicht nur nach der Möglichkeit korrekter Bezeichnung sucht (wie die HLC), sondern die Interaktion von Entwicklungen der Ausdrucksmöglichkeiten (als Entwicklung von Zugängen zur Sache) und der Entwicklungen der Sachebene selbst berücksichtigt (wie die HHH). Die Reflexion auf diese welterschließende Funktion der Sprache verbinden wir eher mit einer »künstlerischen« oder ästhetischen Sprache. Wie ich argumentiert habe, ist dieser Sprachgebrauch aber entscheidend für unser Sprachverständnis im Allgemeinen. Deshalb findet auch die Sprachentwicklung einen wichtigen Platz im Religionskapitel der Phänomenologie. Zugleich betont Hegel, dass die Vorstellungswelten immer wieder kritisiert werden müssen, weil sie prinzipiell nur ein begrenztes Weltbild vermitteln können. In diesem Sinne ist die Wahrheit des Geistes, dass er sich nur durch eine »Galerie« von Bildern bewegt, indem er die Räume 442 https://doi.org/10.5771/9783748917755

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zwischen ihnen auslotet.5 Eine radikale Option der Arbeit mit solchen Zwischenräumen habe ich anhand von Derridas Text Glas vorgestellt. Die Untersuchung der Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Denken erfordert also, dass man den komplexen Zusammenhang von individueller und sozialer Ebene sowie der Ebene der Darstellung und der Bildung von Theorien über diesen Zusammenhang in den Blick nimmt, denn in diesen Theorien artikulieren wir, was und wie wir über das Denken denken. Es müssen also die Ebenen des subjektiven, objektiven und absoluten Geistes berücksichtigt werden. Die Orientierung eines solchen Ansatzes ist holistisch. Im Rahmen eines solchen Holismus überführt Brandom seine Semantik daher in eine Sozialtheorie. Auf diesem Weg muss man aber (wie sich auch ausgehend von Derridas Hegel-Interpretation plausibel machen lässt) mit Hegels Theorie des Geistes noch einen Schritt weitergehen und auch die welterschließende Funktion der Sprache berücksichtigen. Geist ist der Zusammenhang von individueller und sozialer Ebene und zugleich der theoretische Blick auf diesen Zusammenhang, und zwar aus diesem Zusammenhang hinaus. Dieser Ausblick führt zugleich weiter in die Entwicklung des Geistes hinein. Ein solcher Blick ist keine reine Durchsicht, sondern muss an vielen bestimmten Punkten gebrochen werden. Der Zusammenhang kulminiert nicht in Harmonie, sondern er wird weiter befragt.6 Die skeptische Bezugnahme auf die Wirklichkeit gehört selbst zur Wirklichkeit und in diesem Sinn ist die Übersicht oder der Ausblick auf die Wirklichkeit – die theoretische Bezugnahme auf die Wirklichkeit – nicht der Wirklichkeit entgegengesetzt, sondern in diesem Moment ist die Wirklichkeit sich selbst entgegengesetzt.7 Gegenüber dem Werden des Geistes ist die Sprache das bestimmte Dasein. In der Logik bestimmt Hegel das Werden als »eine haltungslose 5 Vgl. PhG, 590 6 In diesem Befragen besteht Schelling zufolge die für uns wesentliche »Freiheit der Untersuchung«; vgl. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, 81 (= SWVII, 410). An einer Stelle in Begründen und Begreifen (102f.) thematisiert Brandom die Harmonie nicht als soziale, sondern als inferentielle. Harmonie wäre demnach eine Form der Widerspruchsfreiheit, die durch das »Explizitmachen« inferentieller Festlegungen laufend überprüft werden muss. Dieser Prozess der Harmonisierung scheint aber zu keinem Abschluss kommen zu können. 7 Vgl. Bertram, Hegels »Phänomenologie des Geistes«, 333–37. Den Skeptizismus als Teil der Wirklichkeit und nicht als Trennung des Bewusstseins von der Wirklichkeit zu sehen, kann auch als das Moment verstanden werden, in dem der Skeptizismus sich – wie Hegel in der Einleitung fordert – selbst vollbringt, also seinen Anspruch realisiert und damit zugleich seine erkenntnisbedrohende Kraft verliert, weil er als Moment des Erkennens

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Unruhe, die in ein ruhiges Resultat zusammensinkt.«8 Die Darstellung fasst den Gegenstand zusammen mit seinem Werden. Der Geist begreift sich als sein eigenes Werden und entlässt sich daher (wie wir am Ende des Kapitels über das absolute Wissen verfolgt haben) in eine permanente Metamorphose. Diese ergibt sich aus der Dialektik der bzw. dem Durchgang durch die Statik der bestimmten Formen des Seins, also des Daseins. Die zentrale Daseinsform des Geistes ist die Sprache. Die Statik der Sprache hält das Werden des Geistes temporär auf. Sie setzt also der reinen Fluktuation des Werdens eine Grenze. Diese Statik ist dabei aber selbst begrenzt. Es handelt sich um eine relative, plastische Statik. Sprache ist also alles andere als ein Gefängnis des Geistes, denn ihre Statik ist tatsächlich das Einzige, was dem Geist bestimmte Existenz verleiht.9 Wie wir gesehen haben, denkt die »Religion« als Höhepunkt des vorstellenden Bewusstseins in Substraten. Dagegen erkennt das absolute Wissen die Substanz als absolut durch die Zeit (die das Dasein des Begriffs ist) unterschieden. Es gibt also keine absolute Einheit als ewig selbstidentisches Substrat. Durch diese Erkenntnis enthält gerade das absolute Wissen ein kritisches Potential: Die Substanz (das Konzept des ewigen Einen) verändert sich. Der Geist erkennt sich als historisch situiert, aber trotzdem auf die Wahrheit bezogen. Die Weltbilder der »Galerie« stehen damit insgesamt zur Disposition und das absolute Wissen ist die erste Wissensform, die nicht durch eine bestimmte Weltansicht bestimmt ist. Im absoluten Wissen wird erkannt, dass der vom Bewusstsein angepeilte Gegenstand wesentlich ein sich verändernder ist. Diese Bewegung wird nun umgewertet: Während das Bewusstsein daran verzweifelte, dass ihm der Gegenstand immer entglitt, stellt es nun fest, dass genau diese Bewegung zu einem Fortschritt seines Wissens führte. Die Erfahrungen des Scheiterns der begrenzten Gestalten von Bewusstsein, Geist und Religion sind eigentlich also Erkenntnisfortschritte. Diese Fortschritte sind ihrerseits aber nur durch die Grenzen dieser bestimmten Gestalten möglich. Die Trägheit der Bewegung des Geistes macht also seinen Fortschritt aus. Jede Erfahrung ist eine Umdeutung und zu diesen Umdeutungen zeigt sich das Bewusstsein letztlich immer bereit. Insgesamt zeigt dieser Prozess, dass bereichsübergreifend gilt, dass jeweils bereichsspezifisch Objektivität erreicht werden kann – so allerdings, dass damit die einzelnen Erkenntnisbereiche (die Bewusstseinsgestalten) an ihre Grenzen getrieben werden und sich als letztlich nicht erkannt wird (vgl. PhG, 72). Zur Relevanz der Skepsis für Hegel (insbesondere der antiken, pyrrhonischen Skepsis) vgl. Forster, Hegel and Skepticism. 8 WL1, 113 9 Eine kritische Auseinandersetzung mit der Idee, dass die Sprache ein Gefängnis darstellt, sowie eine Übersicht über einige prominente Artikulationen dieser Idee findet sich bei Catherine Malabou, »Life and Prison«.

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autonom erweisen.10 Was sich dabei als stabil erweist, ist nicht eine bestimmte Form eines bestimmten Gegenstandes (durch die dann alles erklärt werden könnte), sondern die Form des Begriffs: Der Begriff ist selbst nichts anderes als eine Form des Fortbestimmens. Er ergibt sich (wie insbesondere Catherine Malabou gezeigt hat) aus den Metamorphosen, also den Umgestaltungen des Geistes.11 Indem das absolute Wissen den Prozess der Phänomenologie in den Blick nimmt und begreift, ist es das erste Moment, das nicht durch einen bestimmten Gegenstands- oder Weltbezug bestimmt ist, sondern zwischen verschiedenen Zugängen unterscheiden kann.12 Damit eröffnet sich für das begreifende Denken die Möglichkeit, sich selbst durch Gegenstände (bzw. durch Bezug auf Gegenstände) zu dynamisieren, wobei Gegenstände als Widerstände des Denkens dienen.13 Die Trägheit ist in diesem Sinne produktiv für das Erkennen. Auch die Sprache bildet einen solchen Widerstand. Sie ist die Artikulation des Gedankens und muss sich deshalb verändern, damit sich der Gedanke verändern kann. Zugleich kann sie aber als Katalysator des Denkens wirken. Die Intransparenzen der Sprache erweisen sich bei genauer Betrachtung als Symptome einer komplexen Binnenstruktur der sprachlichen Ausdrücke, die auch ermöglicht, dass durch einen Ausdruck ein komplexer Zusammenhang (blitzartig) aufgeschlossen wird. Sie sind deshalb notwendige Erkenntniswiderstände. Insofern das erkannt wird, kann auf der Ebene des absoluten Wissens klar werden, wie der Erkenntnisprozess durch verschiedene Darstellungs- und Sprachformen dynamisiert wird. Geist und 10 Entscheidend ist dabei die Fähigkeit zu einer »Prüfung der Realität des Erkennens« (PhG, 75), die Hegel in der Einleitung aufzeigt und die sich als argumentative Darstellung und immanente Kritik auch ohne ein ultimatives Wahrheitskriterium als funktional erweist. 11 In diesem Zusammenhang können wir nochmals die folgende Passage aus der Vorrede der Phänomenologie heranziehen: »Der Geist hat mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen und steht im Begriffe, es in die Vergangenheit hinab zu versenken, und in der Arbeit seiner Umgestaltung.« (PhG, 18; die Hervorhebung stammt von mir, S.W.). Malabou unterstreicht, dass das absolute Wissen die Entwicklung des Geistes nicht stillstellt, sondern auf die Plastizität des Geistes verweist, die sich in Form von Metamorphosen darstellt; vgl. dazu Malabou, L’avenir de Hegel, 211. Zum Moment des Fortbestimmens und der immanenten Plastizität der spekulativen Bewegung vgl. Gadamer, »Hegel und die antike Dialektik«, 16. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Bertram, Hegels »Phänomenologie des Geistes«, 292–95. 12 Vgl. Bertram, Hegels »Phänomenologie des Geistes«, 293. 13 So schreibt Georg Bertram: »Reflexion in Form des Begriffs ermöglicht es, den Widerstand von Gegenständen als negativen Impuls zu erfahren.« Ber­ tram, Hegels »Phanomenologie des Geistes«, 296. Vgl. auch ebd., 293.

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Sprache erweisen sich dabei als wechselseitig supplementär. Deshalb stehen aber immer noch weitere Untersuchungen aus. Das Verstehenwollen kommt nicht an ein Ende und artikuliert sich immer dort, wo die alltägliche Ökonomie des Austauschs sprachlichen Sinns unterbrochen wird.14 Das Darstellungsproblem und damit die Frage, in welcher Hinsicht Hegels Theorie des Geistes expressiv ist, klärt sich erst im absoluten 14 Vgl. dazu Agostini, »Durchsichtigkeit. Mallarmé und das Absolute«, 236. Wie Axel Hutter betont, ist das Verstehenwollen möglicherweise noch zentraler für die Selbsterkenntnis als das Verstehenkönnen: »Was in der Selbsterkenntnis verstanden werden soll, ist deshalb in gewisser Hinsicht das Verstehen selbst. Denn im Verstehen manifestiert sich in exemplarischer Weise die nicht-objektivierbare Seinsform des Subjekts. Subjektsein bedeutet Verstehenkönnen und – vielleicht noch grundlegender – Verstehenwollen. Selbsterkenntnis ist deshalb ein Verstehen des Verstehens selbst, das die Subjekterkenntnis anleitet und das fragende Subjekt überhaupt erst zu einem Subjekt oder Ich macht.« Hutter, Narrative Ontologie, 15. Zu diesem Thema vgl. ebenfalls Agostini, Nach der Literatur, 26. Mit dem Verstehenwollen eröffnet sich noch eine ganz andere Sphäre der Untersuchung der Sprache, nämlich die Sphäre der unbewussten oder vorbewussten sprachlichen Prozesse, in der etwa die Frage entsteht, warum wir überhaupt manches verstehen wollen, anderes aber nicht. In seinem Seminar über Platons Symposion (dem Dialog über die Bewegung zwischen Endlichem und Unendlichem) hat Jacques Lacan das Verstehenwollen anhand einer Interpretation der Rede des Alkibiades über die Götterbilder (agalmata) entwickelt, die dieser im Inneren des Sokrates sieht. Daraus leitet er auch einen methodologischen bzw. hermeneutischen Punkt ab, der die sprachbasierten Wissenschaften im Allgemeinen betrifft: »Ich bitte Sie, sich dazu zu merken, dass alles, was das Gewicht, den Widerhall und den Akzent des metaphysischen Diskurses ausmacht, stets auf irgendeiner Ambiguität beruht. Anders gesagt, wenn all die Termini, derer Sie sich bedienen, wenn Sie Metaphysik treiben, streng definiert wären, alle jeweils nur eine einstimmige Bedeutung hätten, wenn das Vokabular der Philosophie triumphierte, ewiges Ziel der Professoren, dann hätten Sie überhaupt keine Metaphysik mehr zu treiben, denn Sie hätten nichts mehr zu sagen. Sie würden dann erkennen, dass die Mathematik viel besser ist – da kann man Zeichen hin und her bewegen, die einen einstimmigen Sinn haben, weil sie überhaupt nur einen haben. Das heißt, dass Sie auf eine mehr oder weniger leidenschaftliche Weise von den Beziehungen von Subjekt und Objekt sprechen, weil Sie unter Subjekt etwas anderes ansetzen als dieses strikte Subjekt, von dem ich gerade sprach – und auch unter Objekt setzen Sie etwas anderes an als das, was ich gerade als etwas definiert habe, das im äußersten Fall an die strikte Äquivalenz einer Kommunikation ohne Mehrdeutigkeit eines wissenschaftlichen Subjekts heranreicht. Wenn dieses Objekt sie leidenschaftlich berührt, so deshalb, weil es dadrin, in ihm verborgen, das Objekt des Begehrens gibt, agalma. Das macht das Gewicht aus, die Sache, um deretwillen es interessant ist zu wissen, wo es ist, dieses famose

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Wissen. Was bedeutet das für den Darstellungsbegriff? Ist Darstellung eine Funktion der Präsenzmetaphysik und die gelungene Darstellung damit das metaphysische Moment, in dem alle Verluste zur realen Präsenz und Konstitution eines Selbst werden, also ein Moment der Parusie (der Anwesenheit) des Absoluten? Oder ist Darstellung im Gegenteil das Moment der Akzeptanz der Artikulation (und damit der Äußerlichkeit)? Das Moment, in dem solche metaphysischen Entitäten final auf ihre diesseitige Artikulation herabgestuft werden? Für die erste Option scheint zu sprechen, dass Hegel in der Tat unterstreicht, dass der sich wissende Geist unmittelbar selbstidentisch ist: »Denn der sich selbst wissende Geist, eben darum, dass er seinen Begriff erfasst, ist er die unmittelbare Gleichheit mit sich selbst«.15 Damit wäre ein Moment der Parusie bezeichnet, denn der Geist wäre in diesem Wissen absolut für sich selbst präsent. Allerdings markiert gerade dieses Moment auch den Übergang ins Bewusstsein und damit in einen Unterschied. Der entscheidende Punkt ist hier, dass gerade das »Entlassen seiner aus der Form seines Selbsts [...] die höchste Freiheit und Sicherheit [des] Wissens« des Geistes von sich ist.16 Diese absolute Identität ist also gerade eine Akzeptanz der Artikulation in äußerlichen Formen. Die Freiheit des Selbst besteht Hegel zufolge gerade darin, seine Form nicht gegen Anderes zu schützen. In diesem Sinne lassen sich auch die letzten beiden Absätze der Phänomenologie verstehen, die den Geist in der Darstellung seines Werdens beschreiben. Die Konzeption von Darstellung als äußerliche Artikulation unterstreicht das freie Sich-Entlassen des Geistes in sein Werden. Der Geist ist die Bewegung seines Werdens, also seine Darstellungsbewegung.17 Worin besteht dann aber noch die Einheit? Nur in der systematischen Form der Darstellung dieses Zusammenhangs. Die »Wissenschaft des erscheinenden Wissens«18 ist nicht mehr als dessen systematische Organisation. Das System schließt sich, indem es die Bewegung seiner Artikulation als Grenzziehung begreift, sich also von einer Umwelt und einer Geschichte abgrenzt. Diese Schließung ist aber lediglich (wie man mit Niklas Luhmann sagen könnte) operativ. Die Sphären der Äußerlichkeit des Geistes – Natur und Geschichte Objekt, welches seine Funktion ist, wo es sowohl in der Inter- als auch in der Intrasubjektivität operiert.« Lacan, »Die Triebfeder der Liebe. Ein Kommentar des ›Gastmahls‹ von Platon«, 187f. Vgl. Platon, »Symposion«, 215a–b. 15 PhG, 589 16 PhG, 590 17 Das kann auch ein Rückgriff auf die Vorrede verdeutlichen, wo Hegel den Zusammenhang von Beurteilen, Fassen und Darstellen etabliert und dabei zugleich betont, dass Resultate nur unter Berücksichtigung ihres Werdens verstanden werden können (vgl. PhG, 13). 18 PhG, 591

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– bestehen nicht zufällig, sondern sind notwendige Momente der Differenzierung des Geistes. Es gibt also notwendigerweise verschiedene Sphären wie Logik, Geist und Natur. Gerade im Abschluss der systematischen Entwicklung des Geistes zeigt der Geist sich damit als wesentlich bezogen auf Äußeres.19 Diese Arbeit hat anhand von Hegels Phänomenologie die Eckpunkte einer Theorie des Verhältnisses von Sprache, objektivem und absolutem Geist umrissen. Verschiedene Möglichkeiten der Weiterentwicklung dieses Untersuchungsfeldes bieten sich an: Zunächst können im Bereich einer philosophischen Ästhetik bzw. einer Philosophie der Kunst die Strategien des künstlerischen (sprachlichen) Ausdrucks feiner untersucht werden. Dazu gehören auch Strategien der methodischen Entfremdung und Verschiebung von Bedeutungsökonomien wie z.B. Improvisation. Ein derartiger Ansatz könnte auch im engeren Sinne auf die Philosophie bezogen werden, etwa mit dem Ziel, eine Theorie der Textformen in der Philosophie zu entwickeln.20 Insofern die Phänomenologie Vorstellungen und Bilder des Denkens entwickelt, bietet sie auch einen Übergang in die Theorie des Kinos bzw. des Films (und anderer gegenwärtiger Bildmedien) an. Zu untersuchen wäre hier z.B., inwiefern das komplexe sozio-ökonomisch-ästhetische Konstrukt »Kino« Gedanken artikulieren kann.21 Auch die Rolle der Sprache im objektiven Geist fordert weitere Untersuchungen. Das gilt insbesondere für den sozialphilosophischen Zusammenhang von Äußerlichkeit und Sprache, der etwa in einer Theorie der Entfremdung, aber auch des Rechts oder der Stimme in der Demokratie zum Thema gemacht werden kann. Nicht zuletzt stehen neue Formen der Äußerlichkeit in Bezug auf ihre Relevanz in der allgemeinen Entwicklung und Theorie des Geistes zur Untersuchung und damit die Frage, ob und wie z.B. die technischen Fortschritte des Neural Network Computing, Maschinenlernen und der so bezeichneten »künstlichen Intelligenz« zur Entwicklung des Geistes beitragen. Das absolute Wissen als Schlussmoment des phänomenologischen Weges enthält und erfordert eine Umdeutung dieses Weges – eine 19 Wie Hegel in der Vorrede schreibt, findet der Geist sich selbst »in der absoluten Zerrissenheit« (PhG, 36). Diesen Punkt kann man auch anhand der Interpretation von Slavoj Žižek nachvollziehen, dem zufolge das epistemologische Hindernis ein Problem der Sache selbst ist und keines des epistemischen Zugangs zur Sache. Das Absolute ist demnach nicht-ganz; vgl. Žižek, Weniger als Nichts, 33. 20 So hat z.B. Werner Stegmaier kürzlich eine historische Übersicht der verschiedenen Textformen in der Philosophie vorgelegt; vgl. Stegmaier, Formen philosophischer Schriften zur Einführung. 21 In enger Verbindung mit einer Auseinandersetzung mit der Philosophie Hegels verfolgen etwa Slavoj Žižek und Robert Pippin ähnliche Projekte; vgl. z.B. Pippin, Filmed Thought.

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Umdeutung, die Hegel selbst anspricht: Die Gegenstände, die das Bewusstsein vorstellt, sind nicht für sich genommen substantiell, sondern immer schon begrifflich individuiert und relational. Auch der Geist selbst ist kein festes Substrat, sondern sein eigenes Werden und entlässt sich frei in dieses. Er genießt die Existenz. Dies ist kein Aufstieg zur intellektuellen Anschauung, sondern ein Abstieg aus der »Intellektualwelt«. Damit ist auch klar, dass die Phänomenologie einen Raum eröffnet, den sie selbst noch nicht vollständig überblicken kann. Eine neue Phase der Entwicklung des Geistes wird begrüßt.22 Das absolute Wissen ermöglicht daher weitere Metamorphosen des Geistes, der sich in sein »permanentes Anderswerden« entlässt.23 Das Ende der Phänomenologie ist also eher eine Eröffnung als eine (Ein-)Schließung, insbesondere weil der Raum, der eröffnet wird, noch nicht explizit von Hegel gefasst werden kann (was auch seiner Argumentation dafür entspricht, dass Erkenntnis wesentlich nachträglich erfolgt). Es folgt eine Weiterentwicklung des Geistes durch immer neue Formen der Äußerlichkeit, aber auf einer Ebene, wo diese Entwicklungsstruktur systematisch analysierbar gemacht worden ist, wodurch die weitere Entwicklung möglicherweise wesentlich anders verstanden werden kann. Die systematische Selbsterkenntnis des Geistes (die man als seine Stabilisierung durch Wissen verstehen könnte) geht einher mit einer Destabilisierung der Sprache. Genauer gesagt handelt es sich dabei um eine Korrektur der Vorstellung darüber, worin die Stabilität der Sprache besteht, nämlich gerade in ihrer Veränderung. Es handelt sich also vielmehr um eine Metastabilität. Durch die Bewegung der Bedeutungsspektren der Worte und durch die Konzentration entgegengesetzter Bedeutungen in einem Terminus, der dadurch zu einem »Knotenpunkt des Gedankens« wird, entstehen Begriffe. Aus einer hegelianischen Perspektive wären einzelne Termini nur Momente von Begriffsbildung. Im Prozess der Begriffsbildung kommen notwendigerweise auch Strategien zum Einsatz, die jenseits des Propositionalen liegen, die also jenseits der einfachen Zuschreibung von Wahrheitswerten sprachliche Konstellationen auflösen, 22 Hegel hat dieses Begrüßen des Neuen stets betont (vgl. TWA10, 403; TWA18, 13). Giorgio Agamben zufolge liegt der Gedanke der Geschichte als Ort menschlichen Glücks jenseits von Hegels Horizont, da Hegel die Geschichte scheinbar nur als Negativitätserfahrung (als »Weg der Verzweiflung«) denkt. Vgl. Agamben, Kindheit und Geschichte, 151. 23 Mit dieser Formulierung unterstreicht Guido Kreis, dass die Identität des Geistes gerade in seiner Veränderung besteht: »Der objektive Geist ist als Relation permanentes Anderswerden, aber so, dass er im Anderswerden er selbst bleibt. Deshalb ist er permanentes Anderswerden seiner selbst; anders gesagt: Er ist ein solches, das sein Selbst-Sein und Bestehen darin hat, immer anders zu sein als es selbst.« Kreis, Cassirer und die Formen des Geistes, 312.

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verschieben und umgestalten können.24 Da es keinen absoluten, nichtsprachlichen Hintergrund gibt, kann die Sprache – wie der Geist – nur durch ihre Veränderung gedacht werden.

24 Die negative Bewegung gegen die philosophischen Termini ist notwendig, weil sie, wie Adorno ausführt, nicht nur »Knotenpunkte des Gedankens« oder (mit Husserl gesprochen) »Problemtitel« sind, sondern jeder Terminus »die verhärtete Narbe eines ungelösten Problems« anzeigt; vgl. Adorno, Philosophische Terminologie 2, 10f. Zum engen Verhältnis der Philosophie zu ihren Termini und insbesondere zu der Notwendigkeit, die Gedanken immer neu aus den Termini zu lösen, vgl. auch ebd., 15.

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Danksagung Die vorliegende Arbeit wurde 2022 als Dissertation am Institut für Philosophie der Universität Bonn angenommen. Während des langen Zeitraums, in dem diese Arbeit entstanden ist, haben viele Personen auf direkte oder indirekte Weise zu ihrer Entwicklung beigetragen. Unter ihnen möchte ich mich zuallererst bei Michael Forster für die sorgfältige und herzliche Betreuung dieser Arbeit bedanken. Er hat mich nicht nur fortlaufend mit seiner inhaltlichen Expertise, sondern auch an schwierigen Punkten moralisch unterstützt und mir darüber hinaus durch die Anstellung am Lehrstuhl für theoretische Philosophie Sicherheit gegeben. Mein Dank gilt auch Guido Kreis, der mit seiner konstruktiven Kritik einige wichtige Weichen für die Entwicklung der Arbeit gestellt hat und dessen philosophische Präzision seit meiner Studienzeit ein Vorbild für mich ist. Ebenfalls möchte ich mich bei Rainer Schäfer für die vielen hilfreichen Gespräche über Hegel bedanken (und für die dabei verbrauchten Zigaretten) sowie für seine Beteiligung in der Prüfungskommission. Dafür richtet sich mein Dank auch an Michael Schulz. Der größte Teil dieser Arbeit ist während meiner Zeit am Internationalen Zentrum für Philosophie NRW in Bonn entstanden. Das Interesse für die idealistische Philosophie verdanke ich diesem intensiven und anregenden Studien- und Arbeitsumfeld. Dafür möchte ich mich auch bei den Dozenten (und späteren Kollegen) bedanken, die meine akademische Entwicklung geprägt haben: Markus Gabriel, Wolfram Hogrebe, Jens Rometsch und Stephan Zimmermann. Für ihre Hilfsbereitschaft und organisatorische Unterstützung danke ich Annette Feder. Auch wenn große Teile dieser Arbeit (bedingt durch die COVID-19 Pandemie) an meinem Schreibtisch zuhause entstanden sind, ist das Projekt mit einer Reihe von Bibliotheken verbunden. Neben den Bibliotheken 1 und 2 des Instituts für Philosophie in Bonn sind dies die Bibliothek der Kunsthochschule für Medien im Overstolzenhaus in Köln, die Bibliothek des deutschen Literaturarchivs in Marbach und vor allem die Regenstein Library und die Bibliothek des Oriental Institute in Chicago. Für die Ermöglichung des Aufenthalts an der University of Chicago danke ich (nochmals) Michael Forster. Für ihre freundliche Aufnahme vor Ort danke ich Jonathan Lear, Robert Pippin und David Wellbery. Für ihre Rückmeldung zu einzelnen Fragen in Bezug auf die Arbeit danke ich Georg Bertram, Karin de Boer, Eckart Förster, Walter Jaeschke und Klaus Vieweg. Für die Aufnahme der Arbeit in das Verlagsprogramm und die Betreuung der Veröffentlichung möchte ich mich bei Marietta Thien und Thomas Gude vom Verlag Velbrück Wissenschaft bedanken. 451 https://doi.org/10.5771/9783748917755

DANKSAGUNG

Seit der gemeinsamen Zeit in Chicago ist Jan Urbich ein besonders wichtiger Gesprächspartner für mich. Auch Cem Kömürcü hat mit vielen Denkanstößen zu meinem Verständnis von Darstellung, Wissenschaft und Philosophie beigetragen. Bei beiden möchte ich mich besonders bedanken. Neben ihnen möchte ich den Freundinnen und Freunden, Kolleginnen und Kollegen danken, die mich in verschiedenen Phasen durch Rückmeldungen, Anmerkungen, Korrekturen und Gespräche unterstützt haben, auch denen, die sich vielleicht außerhalb der (akademischen) Philosophie bewegen, dadurch aber nicht weniger Anteil an meiner Vorstellung davon haben, was Philosophie in unserer Zeit können und sein sollte: Giulia Agostini, Philipp Arnold, Ethan Blass, Jaroslaw B ­ ledowski, Annie Bloch, Benjamin Bode, Daniel Burnfin, Mehmet Büyükatalay, Daniel Carranza, Shana Crandell, Philipp Disselbeck, Jaime Edwards, Alex Englander, Deren Ercenk, Paul Faltz, Simon Friedland, Marin Geier, Sergio Genovesi, Katie Gibson, Tim Gorinski, Miriam Gossing, Maren Grünewald, Sebastian von der Heide, Henning Hein, Nicola Hein, Nils Herzogenrath, Jakob Höfting, Maeve Hooper, Jens Hopperdietzel, Ana Ilievska, Giuliano Infantino, Niclas Irrgang, Christine Jakobson, Matt Johnson, Anna Katsman, Hyun Kang Kim, Elisa Kühnl, Carsten Kuhr, Matthias Kurth, Agnes M ­ alinowska, Shannon Malloy, Thomas Meckel, Dario Mendez Acosta, Mehdi Parsa, Susanna Praetorius, Ian Purnell, Benjamin Ramírez Pérez, Stefan Ramírez Pérez, Bastian Reichardt, Francey Russell, Alexander Schubert, Lina Sieckmann, Tilman Singer, Alexandra Spaeth, Amy Stebbins, Guofeng Su, Judith Süggeler, Benjamin Surangkanjanajai, David Tain, Francois Thomas, Emily Wittbrodt, Jason Yonover, Noah Zeldin und Levin Zendeh. Für ihre Unterstützung in allen Bereichen des Lebens möchte ich meiner Familie danken, besonders meinen Eltern Barbara und Siegfried. Der letzte und größte Dank gilt Mirjam Berg für die geteilte Zeit. Köln, im Juli 2023

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Simon Waskow

Siglen Sofern nicht anders angegeben, werden Hegels Werke nach der TheorieWerkausgabe (TWA) zitiert, die seit 1970 im Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main erscheint, herausgegeben von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Gelegentlich wird auf die bei Felix Meiner erscheinende Studienausgabe und auf die textkritische Ausgabe der Gesammelten Werke (GW) hingewiesen. Diese Ausgabe erscheint, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste, seit 1968 ebenfalls im Felix Meiner Verlag Hamburg. Folgende Siglen werden verwendet: TWA1 Frühe Schriften TWA2 Jenaer Schriften 1801–1807 PhG Phänomenologie des Geistes (= TWA3) TWA4 Nürnberger und Heidelberger Schriften 1808–1817 WL1 Wissenschaft der Logik I (= TWA5) WL2 Wissenschaft der Logik II (= TWA6) TWA7 Grundlinien der Philosophie des Rechts Enz. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I–III (= TWA8–10). Zitiert wird nach Paragraphen und nur in einzelnen Fällen mit zusätzlicher Angabe der Seitenzahl im jeweiligen Band. TWA11 Berliner Schriften 1818–1831 TWA13–15 Vorlesungen über die Ästhetik I–III TWA16–17 Vorlesungen über die Philosophie der Religion I–II TWA18–20 Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I–III GW5 Schriften und Entwürfe (1799–1808) GW9 Phänomenologie des Geistes JS1 Jenaer Systementwürfe I: Das System der spekulativen Philosophie. Fragmente aus Vorlesungsmanuskripten zur Philosophie der Natur und des Geistes. Neu herausgegeben von Klaus Düsing und Heinz Kimmerle. Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1986. Zusätzlich wird hier die korrespondierende Stelle in GW6 angegeben. JS3 Jenaer Systementwürfe III: Naturphilosophie und Philosophie des Geistes. Neu herausgegeben von Rolf-Peter Horstmann. Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1987. Zusätzlich wird hier die korrespondierende Stelle in GW8 angegeben. 453 https://doi.org/10.5771/9783748917755

SIGLEN

PhWG

Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Band I: Die Vernunft in der Geschichte. Herausgegeben von Johannes Hoffmeister. Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1994.

Folgende Übersetzungen der Phänomenologie werden verwendet: PhG [Pinkard] PhG [Miller]

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: The Phenomenology of Spirit. Übersetzt von Terry P. Pinkard. New York: Cambridge University Press, 2017. Phenomenology of Spirit. Übersetzt von A. V. Miller. Oxford: Oxford University Press, 2013.

Darüber hinaus wird auf Kants Schriften mit den gängigen Siglen verwiesen: KrV KU Prol.

Kritik der reinen Vernunft. Herausgegeben von Jens Timmermann. Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1998. Zitiert wird nach der B-Ausgabe. Kritik der Urteilskraft. Herausgegeben von Heiner F. Klemme. Hamburg: Felix Meiner Verlag, 2009. Zitiert wird nach der B-Ausgabe. Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können. Herausgegeben von Karl Vorländer. Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1976.

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