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German Pages 320 [301] Year 2015
Friedhelm Decher
Handbuch der Philosophie des Geistes
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: SatzWeise GmbH, Trier Einbandgestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Lektorat: Hildegard Mannheims, Bonn Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-26741-5
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-74020-8 eBook (epub): 978-3-534-74021-5
Inhalt Einleitung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Zeugnisse einer Selbstreflexion der Psyche im alten Ägypten . . . .
17
Die Entdeckung des Geistes in der griechischen Antike . . . . . . .
20
Psyché, Thymós und Nóos bei Homer . . . . . . . . . . . . . .
20
Der Nous der Vorsokratiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entfaltung des Nous-Konzepts in der Achsenzeit . . . . . Nous und wahre Einsicht: Xenophanes . . . . . . . . . . . . Nous und Logos: Heraklit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nous und wahres Sein: Parmenides . . . . . . . . . . . . . . Theoretische und praktische Funktion des Nous: Empedokles Nous und Atomtheorie: Demokrit . . . . . . . . . . . . . . . Nous als naturwissenschaftliches Prinzip: Anaxagoras . . . . Denken als Gehirnfunktion: Alkmaion . . . . . . . . . . . .
24 24 27 28 29 31 33 35 37
Der Geist als Teil und Funktion der Seele . . . . . . . . . . . . . .
41
Nous als Teil der Psyche: Platon . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
Geist als höchste Funktion der Seele: Aristoteles
. . . . . . . .
44
Rezeption der Demokrit’schen Atomtheorie in hellenistischer Zeit: Epikur und Lukrez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
Geistkonzepte im Kontext spätantiker Einheitsspekulation und christlicher Metaphysik des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . .
58
Der Nous als erste Hypostase des Einen und als Ort der Ideen: Plotin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
Seele, Geist, Zeit und Trinität: Aurelius Augustinus . . . . . . .
64
6
Inhalt
Die Seelenfunktionen als Ausdrucksweisen des menschlichen Geistes: Thomas von Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
Der menschliche Geist als Abbild des göttlichen Geistes: Nikolaus von Kues . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
Der Geist in der Maschine: das Dilemma des René Descartes Lösungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Substantielle Identität von Geist und Körper: Baruch de Spinoza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gott als der einzige kausale Akteur: der Okkasionalismus Prästabilierte Harmonie zwischen Geist und Materie: Gottfried Wilhelm Leibniz . . . . . . . . . . . . . . . .
. . .
89
. . . 101 . . . 101 . . . 108 . . . 110
Der Geist ist ein rein physisches Phänomen: der Materialismus der radikalen französischen Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Das „denkende Ding“ ist „denkende Materie“: Thomas Hobbes als Vorläufer . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Der Geist als Produkt der Maschine: Julien Offray de La Mettrie 126 Der Geist als Derivat der Seele: Claude Adrien Helvétius . . . . 134 Geist und Seele als körperbasierte Phänomene: Denis Diderot . 140 Geist und Seele als Modifikationen des Gehirns: Paul Henri Thiry d’Holbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Geist und Denken als umgeformte oder geläuterte Materie: Fortführung des naturalistischen Programms durch Donatien Alphonse François de Sade . . . . . . . . . . . . . 155 Von der Vernunftkritik zur Geistspekulation: Kant und der Deutsche Idealismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Geist, Gemüt und dunkle Vorstellungen: Immanuel Kant
. . . 158
Deutscher Idealismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Geist ist Tätigkeit: Johann Gottlieb Fichte . . . . . . . . . . 163 Identität von Geist und Natur: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Der sich wissende Geist: Georg Wilhelm Friedrich Hegel . . 171
7
Inhalt
Der Geist im Kontext von Willensmetaphysik und Leibphilosophie . 179 Der Geist ist ein Derivat des Willens und eine Gehirnfunktion: Arthur Schopenhauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Logisierung der Welt, große Vernunft und freier Geist: Friedrich Nietzsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Ästhesiologie, Exzentrik, metaphysische Sonderstellung des Menschen und Handlung: Geistkonzepte der Philosophischen Anthropologie des zwanzigsten Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Ästhesiologie des Geistes und exzentrische Positionalität: Helmuth Plessner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Der Geist als „neue Wesenstatsache“ des Menschen: Max Scheler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Die Handlung und die vitale Basis geistiger Aktivitäten: Arnold Gehlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Monistische Positionen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Neutraler Monismus: Bertrand Russell . . . . . . . . . . . . . . 218 Bipolare Struktur der Wirklichkeit: Alfred North Whitehead . . 224 Zwischenspiel: Dualismus reloaded . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Der Geist zwischen den Welten: Karl R. Popper und John C. Eccles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Naturalisierung des Geistes: Diskussionsansätze der letzten Jahrzehnte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Die Identitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwache Version: partikularer Physikalismus . . . . Starke Version: genereller Physikalismus . . . . . . . Schwierigkeiten der Identitätstheorie . . . . . . . . . Die stärkste Version der Identitätstheorie: eliminativer Materialismus / eliminativer Physikalismus . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
235 236 238 238
. . . . 242
8
Inhalt
Der Funktionalismus . . . . . . Die Kernthese . . . . . . . . Der Computerfunktionalismus Kritische Einwände . . . . . .
. . . .
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. . . .
245 245 247 248
John Searles „biologischer Naturalismus“ . . . . . . . . . . . . 251 Rückblick, Status quo und Ausblick Anmerkungen
. . . . . . . . . . . . . . . . . 260
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
Einleitung Zur „Geistesgeschichte“ der Menschheit gehört ein immer erneutes Nachdenken über den Begriff „Geist“ und das Phänomen des „Geistigen“. Dieses Nachdenken über den Geist hat eine enorme Fülle an Aspekten und Problemstellungen zutage gefördert. Eine unsystematische Zusammenstellung mag das in einem ersten Vorgriff verdeutlichen. Handelt es sich beim Geist um ein – philosophisches und/oder theologisches – Denkprinzip, ein Instrument der Welterkenntnis, eine allgemein menschliche Eigenschaft? Wie verhält sich das „Geistige“ zur „Natur“ beziehtungsweise „Materie“? Sind Geist und Materie im wesentlichen von unterschiedlicher Art und existieren beide unabhängig voneinander, oder handelt es sich bei ihnen um zwei Erscheinungsformen des einen und selben? Wie verhalten sich Geist und „Seele“ zueinander? Wie entsteht Geist? Ist er unabhängig von der menschlichen Hirntätigkeit existent? Wie verhalten sich, anders gesagt, Geist und Gehirn zueinander? Vor allem im Zuge der modernen Hirnforschung und Neurobiologie ist die Auseinandersetzung mit dem Begriff Geist in Wissenschaften und Philosophie wieder in den Fokus des Interesses gerückt. Aber nicht nur dort scheiden sich ‚die Geister‘, sondern auch umgangssprachlich offenbart sich eine enorme Verwendungsvielfalt von „Geist“ und von Zusammensetzungen mit „Geist“. Die folgende willkürliche Aufzählung, die sicherlich um viele weitere Glieder erweitert werden kann, dürfte das hinreichend belegen: Unternehmensgeist Geistesgegenwart im Geiste der Verbundenheit im Geiste mitmarschieren der Geist des Widerspruchs der Geist der Gruppe im Geiste der Väter
geistig durchgeistigt geistlos geistreich geistsprühend geisttötend geistvoll
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Geistesverwandtschaft das geistige Auge der Geist von Bern Zeitgeist Ungeist Weingeist
geistesabwesend geistesverwandt geisteskrank entgeistert begeistert geisterhaft
Eine ähnliche Vielfalt der Verwendungsweisen von „Geist“ dokumentiert etwa auch der Sprach-Brockhaus. Dort finden sich folgende Bedeutungen von „Geist“ unterschieden: 1 – – –
– – –
– – – –
das Bewusstsein und sein Träger; traditioneller Gegensatz: Körper, Materie erkennender Verstand; Gegensatz: Seele als Sitz der Emotionen Sinn, Bedeutung, Gehalt; zum Beispiel: der Geist unserer Sprache; der Geist der Goethe-Zeit; ich glaube in seinem Geist zu handeln; jetzt weiß ich, wes Geistes Kind er ist (= nun kenne ich seine Gesinnung) Scharfsinn (im Sinne des französischen „esprit“) Geist im Sinne von Spuk, wiedererscheinender Verstorbener übermenschliches Wesen der Sage und des Märchens, Unhold, Dämon (zum Beispiel der böse Geist; der dienstbare Geist (letzteres auch in der Bedeutung „Dienstmädchen“) der Heilige Geist (dritte Person der Dreieinigkeit) Unruhe, Feuer: ein unruhiger Geist, ein feuriger Geist schweizerisch gleichbedeutend mit „Dunst“ Essenz, Sprit: Weingeist, geistige Getränke
Weitere Bedeutungen und Verwendungsweisen von „Geist“ ließen sich problemlos ergänzen – so füllt etwa Grimms Wörterbuch über 100 Spalten zum Stichwort „Geist“. 2 Werfen wir zur Abrundung dieses ersten Zugriffs auf den Begriff Geist einen Blick auf die Etymologie, die Herkunft des deutschen Worts „Geist“. 3 Im Althochdeutschen bedeutet „Geist“ im Gegensatz zum Körper „überirdisches Wesen“. Nächstverwandt sind das angelsächsische „gaestan“ (aus „gaistjan“) mit der Bedeutung „in Schrecken versetzen“, ferner das englische „aghast“ = entgeistert, entsetzt, aufgeregt, zornig sowie „ghastly“ = grässlich, entsetzlich. Alle diese Wörter
Einleitung
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gehen zurück auf das indogermanische „gheizd“, was aufgebracht, aufgeregt (sein) bedeutet. Von dieser Wurzel leitet sich auch das gotische „usgeisnan“ ab: außer Fassung geraten. Im Altnordischen gibt es zudem „geiski“ = Schreck und „geiskafullr“ = entsetzt. In Anbetracht dieser Etymologie nimmt man an, „Geist“ sei benannt nach der (eventuell kultischen) Aufgeregtheit. Versuchen wir uns nun der Frage zu nähern, was in der philosophischen Tradition des Abendlands unter „Geist“ verstanden worden ist. Die Ausrichtung auf diesen Untersuchungsgegenstand deutet bereits an, dass sich das Begriffsverständnis von „Geist“ (fast) ganz auf die philosophische Verständnisebene beschränkt und Beziehungen zu theologischen Geist-Konzepten weitgehend unberücksichtigt lässt. Freilich werden sich Verbindungen zu religiös konnotierten Konzepten nicht völlig ausschließen lassen, sind doch insbesondere spätantike und mittelalterliche Geistkonzepte im Horizont religiöser Vorstellungen entwickelt worden. Vielleicht mag in diesem Zusammenhang ein sprachanalytischer Hinweis hilfreich sein. Was im Folgenden unter „Geist“ verstanden wird, deckt sich weitgehend mit dem englischen „mind“. Im Deutschen, so dürften die oben aufgelisteten Wortverbindungen eindrucksvoll vor Augen geführt haben, ist „Geist“ im alltäglichen Sprachgebrauch eher ein undifferenzierter Sammelbegriff, wohingegen sich das englische „mind“ deutlich von Begriffen wie „spirit“ oder „ghost“ absetzt, bei denen, anders als bei „mind“, Bedeutungssphären des Überirdisch-Transzendenten mit im Spiel sind. Aber auch eine Beschränkung auf philosophische Verwendungsweisen von „Geist“ offenbart eine breite Palette an Deutungsmöglichkeiten. So lässt sich auch aus philosophischer Perspektive betrachtet etwa fragen: Ist „Geist“ eine naturwissenschaftliche Grundkategorie? Liegt den Ordnungsstrukturen in Natur und Kosmos etwas Geistiges zugrunde? Sind sie Produkt eines weltüberlegenen Geistes? (Nebenbei gesagt: Das fragen gelegentlich auch heute noch Naturwissenschaftler.) Da es in höher entwickelten Lebensformen – wie beispielsweise beim Menschen – offensichtlich „Geistiges“ gibt, lässt sich fragen: Woher kommt es? Fiel der Geist, metaphorisch gesprochen, vom Himmel? Oder ist er im Laufe der Evolution als neues, emergentes Phänomen irgendwann entstanden? Ist der Geist in uns vielleicht identisch mit der Natur außer uns, wie es die
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romantische Naturphilosophie, als deren Repräsentant etwa Schelling gelten kann, annahm? Lässt sich der Geist aus dem Zusammenspiel von Neuronen im Gehirn erklären? Wie ist das Verhältnis von Gehirn und Geist angemessen zu bestimmen? Im Brennpunkt des philosophischen Nachdenkens über den Geist stand zudem die Frage nach seinem Verhältnis zum Bewusstsein. „Bewusstsein“ wird hier als Sammelbezeichnung für die verschiedenen Formen von Erlebnis, Aufmerksamkeit oder Auffassung verwendet, also für das, was man als „Bewusstseinszustände“ bezeichnet, zum Beispiel Sinnesempfindungen (Lust und Schmerz, Empfindungen von hell und dunkel), Vorstellungen wie etwa Erinnerungs-, Erwartungs- und Phantasievorstellungen, ferner Gefühle (Liebe, Hass, Furcht beispielsweise), zudem Stimmungen (als Beispiele seien Wehmut und Angst genannt) sowie das bewusste Denken. Tatsächlich verhält es sich so, dass die meisten geistigen Prozesse mit Bewusstseinszuständen wie den angeführten in Zusammenhang stehen. Die empirischen Wissenschaften fragen nach kausalen Bedingungen für das Auftreten bestimmter Bewusstseinszustände und geistiger Phänomene. Und sie stellen die Frage: Sind Bewusstseinszustände identisch mit bestimmten Zuständen des Zentralnervensystems? Kann man Bewusstsein auf neuronale Aktivitäten reduzieren? Verkompliziert wird die Sachlage durch das Phänomen des Selbstbewusstseins. Unser Geist verfügt nämlich über die Fähigkeit, sich selbst zum Gegenstand des Nachdenkens zu machen. Ich kann mir meiner selbst bewusst werden, und der Gedanke, dass ich es bin, der Vorstellungen hat, kann, wie Kant es ausgedrückt hat, alle meine Vorstellungen begleiten. Wie steht es nun um dieses Ich, um sein Verhältnis zum Geist und zum Gehirn? Wie gelingt es uns, Einsicht in das Ich zu gewinnen? Gibt es überhaupt ein solches Ich? Oder handelt es sich bei ihm möglicherweise, wie bereits der schottische Philosoph David Hume im achtzehnten Jahrhundert fragte, um nichts anderes als eine bloße Illusion, um eine vom Geist beziehungsweise vom Gehirn erzeugte Fiktion? Wo bleibt dieses Ich, wenn ich schlafe oder bewusstlos bin? 4 Ist das Ich, so der Frageansatz der modernen Neurobiologie, eine Funktion neuronaler Aktivitäten? Außerdem kennt nicht nur der philosophische, sondern auch der alltägliche Sprachgebrauch die Unterscheidung zwischen „Geist“ als
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einer Eigenschaft und als einer Fähigkeit des Menschen. 5 Sprechen wir vom Geist als einer menschlichen Eigenschaft, dann bezieht sich das Wort „Geist“ offenbar auf einen Bereich, der jedem von uns vertraut ist. Wenn wir von jemandem sagen, er sei intelligent, klug, vorausschauend, überlegt oder er wisse enorm viel über Fußball, dann sprechen wir über geistige, über mentale Eigenschaften dieser Person. Etwas ganz anderes ist es, wenn wir von jemandem sagen, er wiege 80 Kilogramm. In diesem Fall sprechen wir über die Eigenschaften seines Körpers. Vom Geist als einer Eigenschaft des Menschen grenzen wir für gewöhnlich „Geist“ als eine menschliche Fähigkeit ab. Die wohl wichtigsten geistigen oder mentalen Fähigkeiten beziehungsweise Aktivitäten sind: Erkennen, Wissen, Denken, Sprechen, Sicherinnern, Wahrnehmen, Empfinden, Fühlen, Wollen, Wählen, Entscheiden, Handeln. Wie enorm wichtig das sich hierin aussprechende Verständnis unserer selbst als geistiges Wesen ist, kann man sich mit einem einfachen Gedankenexperiment klarmachen. Wenn man nämlich einmal überlegt, auf welche der genannten Fähigkeiten man im eigenen Fall eventuell verzichten könnte, dann wird sofort ersichtlich, dass für unser Selbstverständnis als denkende und handelnde Person hier schlechterdings nichts als verzichtbar erscheint. Ein weiteres zentrales Problem, mit dem sich das Nachdenken über den Geist von alters her bis heute herumplagt, ist das seines Verhältnisses zur Seele. Im Laufe der Geschichte dieses Nachdenkens haben sich drei Grundpositionen herauskristallisiert. Erstens: Die Begriffe Geist und Seele werden weitgehend synonym verwendet, das heißt, zwischen Geist und Seele wird nicht scharf unterschieden. Das ist zum Beispiel in der Hochkultur des alten Ägypten der Fall. Zweitens: Der Geist wird entweder als Teil der Seele begriffen – eine solche Psychologie vertritt in der griechischen Antike etwa Platon – oder als höchste Funktion der Seele, wie es dessen Schüler Aristoteles lehrte. Drittens: Geist und Seele können als Gegensätze aufgefasst werden. Besonders pointiert ist das von Ludwig Klages in seiner Schrift Der Geist als Widersacher der Seele herausgestellt worden. 6 Dort nimmt er folgende Zuordnungen vor:
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Geist: Begriffe rational, logisch objektiv Notwendigkeit, Gesetzmäßigkeit
Seele: Leben Empfinden subjektiv Freiheit
Die „Seele“ stellt dabei für Klages die ältere, ursprüngliche Schicht dar. Seine Kernthese besagt, der „Geist“ isoliere den Menschen vom Puls des kosmischen Lebens, er entfremde den Menschen von der Natur und von seinem eigenen Wesen. Daher sei der Geist der „Widersacher“ der Seele. Nehmen wir vor dem Hintergrund dieser Abgrenzungen und Unterscheidungen nun einige Stationen der Geistesgeschichte des Abendlands – und nur diese ist im Folgenden Thema – in den Blick! Dabei haben wir davon auszugehen, dass geistige Leistungen von Anfang an zum Wesen des Menschseins gehörten, wie der Paläoanthropologe Ian Tattersall in seinem Buch Becoming Human betont. 7 Dort legt er dar, die ‚Menschwerdung‘, das heißt die Entwicklung des modernen Menschen, sei vor etwa 200.000 Jahren vonstatten gegangen. Dazu gehöre ganz entscheidend, dass jener Mensch der Frühzeit einerseits tief in der Biologie verwurzelt, andererseits doch scharf durch seine kognitive Macht davon getrennt sei. Demnach sei der Mensch als sich neu herausbildende biologische Art von Anfang an ein Wesen, das über „Geist“ verfügte, gehe, anders gesagt, die Geburt des menschlichen Geistes mit der Entstehung des Menschen Hand in Hand. Eindrucksvolle Zeugnisse der frühen, vorgeschichtlichen geistigen Tätigkeit des Menschen finden sich in seinem Umgang mit Bildern und Symbolen, wie er beispielsweise in der Kunst der Steinzeit dokumentiert ist. Sehen wir uns die Kunstwerke aus der etwa 35.000 Jahre alten Höhle Vogelherd auf der Schwäbischen Alb an oder die Malereien in der südfranzösischen Grotte Chauvet, 8 die ebenfalls vor etwa 35.000 Jahren entstanden sind und derzeit als die ältesten bisher gefundenen Höhlenmalereien gelten, dann drängt sich zwangsläufig der Gedanke auf, dass derlei Kunstwerke nicht ohne „Geist“ haben hergestellt werden können. Hier wird bereits mit optischen Tricks gearbeitet, so dass beispielsweise ein perspektivischer Eindruck oder der von Dynamik und Bewegung – bei der Darstellung kämpfender Nashörner oder eines rennenden Wisents –
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entsteht. Oder nehmen wir das „Handnegativ“ aus jener Höhle oder die Schulter eines Bären, bei deren Darstellung das Relief der Felswand mit einbezogen worden ist, so dass ein 3-D-Effekt entsteht. All das, so legt sich der Schluss nahe, bezeugt einen im wahrsten Sinne des Worts „geistvollen“ Umgang mit Bildern, Symbolen und Strukturen des zu bearbeitenden Materials. Müssen wir uns angesichts solcher Zeugnisse weitgehend mit Mutmaßungen, Spekulationen und Interpretationen zufrieden geben, so ändert sich die Sachlage, sobald schriftliche Dokumente auftauchen, die ausdrücklich die geistig-seelische Aktivität der Menschen zum Gegenstand haben. Das ist in den frühen uns bekannten Hochkulturen der Fall. Als Beispiel hierfür wird im Folgenden das alte Ägypten angeführt. Die eigentliche Entdeckungsgeschichte des Geistes, in deren Zuge dann auch der „Geist“ auf den Begriff gebracht wird, beginnt in der griechischen Antike. Deren entscheidende Stationen werden herausgearbeitet, so dass ersichtlich wird, wie in jener Zeit ein Fundament gelegt wurde, auf dem spätere Zeitalter ihre „Geist“-Gebäude errichten konnten. Die hier vorgelegte Auswahl weiterer Stationen einer Ideengeschichte beansprucht keineswegs Vollständigkeit. Sie bemisst sich daran, welche Vorstellungen von Geist, Seele und Bewusstsein charakteristisch, ja gar prägend für eine Epoche waren, welche eventuell einen Epochenwechsel mit eingeleitet haben. Auf diese Weise werden entscheidende Facetten des Panoramas des europäischen Geistes und seiner Geschichte herausgestellt – bis hin zu den aktuellen Debatten um den Geist, seine Funktionsweise und seinen Zusammenhang mit der neuronalen Architektur des Gehirns.
Zeugnisse einer Selbstreflexion der Psyche im alten Ägypten
Die Anfänge geschichtlicher Entwicklungen verlieren sich für gewöhnlich im Dunkel ferner Vorzeiten. Man befindet sich erst dann auf einem einigermaßen sicheren Boden, wenn es Überlieferungen gibt – zum Beispiel schriftlicher oder bildnerischer Art –, die Aufschluss über das Phänomen, dem man nachspürt, geben können. Hinsichtlich des Nachdenkens der Menschen über ihren „Geist“ ist das im Abendland anhand der uns erhaltenen schriftlichen Aufzeichnungen in homerischer und nachhomerischer Zeit der Fall. Hier begegnet zum ersten Mal der Begriff des Nóos beziehungsweise des Nous, des „Geistes“. Indem sich die damaligen Menschen auf dieses ihnen zur Verfügung stehende Vermögen besannen, bezeugten sie zugleich ihre Fähigkeit, über sich selbst nachzudenken und ihre innere Welt und deren Stellung zur äußeren zu reflektieren. Ähnliches lässt sich in anderen Hochkulturen der damaligen Welt, wie China, Indien und Babylonien, feststellen. Noch ältere Zeugnisse solcher Reflexionsansätze sind uns aus dem alten Ägypten erhalten, aus einem Kulturraum, der spätestens um die Mitte des ersten Jahrtausends vor Christus mit der griechischen Welt im Austausch stand – so hat Pythagoras (um 580–500 v. Chr.) im Zuge seiner Reisen nachweislich auch ägyptisches Ideengut ins damalige Griechenland gebracht. Die etwa fünftausend Jahre alte Kultur der Ägypter verfügte über sprachliche Ausdrucksweisen, durch die auch Abstrakta formuliert werden konnten. Ihr verdanken wir erste schriftliche Zeugnisse über Konzepte des ‚Geistigen‘ und des ‚Psychischen‘, die freilich noch eng verwoben sind mit mythisch-religiösen Vorstellungen. So unterschied das altägyptische Denken drei Momente des Psychisch-Geistigen: Ach, Ba und Ka. Sehen wir uns diese drei Konzepte einmal im Einzelnen an. Ach ist abgeleitet von dem Stammwort für ‚leuchten‘ und ‚glänzen‘. In der ältesten Zeit der ägyptischen Mythen bedeutete es zunächst ganz all-
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Zeugnisse einer Selbstreflexion der Psyche im alten Ägypten
gemein Wesen, „die sich in einem über das Irdische hinausgehenden, ‚lichteren‘ Daseinszustand befinden“. 1 In der Folgezeit wurden dann vor allem die „verklärten“ Toten damit bezeichnet. Als „verklärt“ sah man jene Toten an, die die Segnungen des Totenkults an sich erfahren hatten. Dahinter steht die Überzeugung, der Tote rein als solcher sei nicht ohne weiteres im Ach, sondern erst die „Verklärungen“ des Totenpriesters machten ihn zu einem Ach. Ursprünglich sah man Ach in Vögeln verkörpert, insbesondere im Schopfibis. Aber schon früh ist die Vorstellung von einer besonderen Erscheinungsform des Ach aufgegeben worden. Seitdem gleicht er der irdischen Gestalt des Verstorbenen, hat jedoch mit dem Leib selbst nichts zu schaffen, „denn ‚der Ach gehört zum Himmel, der Leichnam in die Erde‘“, wie eine ägyptische Überlieferung besagt. Demnach besteht das Wesen des Ach „allein in seinen besonderen ewigen Daseinskräften“. 2 Von dem so verstandenen Ach wird der Begriff Achu abgeleitet, den man etwa mit „Geistkraft“ übersetzen kann und der schon früh die allgemeine Bedeutung „geistige Fähigkeit“ sowie „Können“ überhaupt angenommen hat. 3 Nehmen wir nun das zweite Konzept, die Ba-Seele, in den Blick, so ist zunächst zu sehen, dass dieser Begriff von den Griechen mit Psyche wiedergegeben wurde. Jedoch träfe es den Sachverhalt, der mit Ba bezeichnet wird, nicht, würde man sich durch seine Übersetzung als Psyche dazu verleiten lassen, ihn in dem Sinne zu verstehen, wie wir heute ‚Seele‘ verwenden. 4 Nach ägyptischer Vorstellung repräsentiert der Ba das geistige Prinzip der Individualität eines Menschen. Als solch geistiges Prinzip ist der Ba zu Lebzeiten des Menschen in dessen Körper eingeschlossen und löst sich im Tod – und temporär auch im Schlaf – von ihm. Aufgrund dieses Sachverhalts, dass der Ba einerseits eng an den Körper gebunden ist, sich andererseits aber auch von ihm lösen und entfernen kann, gehört er zu jenem Seelentypus, der in der Religionswissenschaft als „Freiseele“ bezeichnet wird. 5 Gemäß der ägyptischen Mythologie wurde der Ba nicht als präexistent begriffen, sondern als im und mit dem Körper entstanden. Dargestellt wurde der Ba gewöhnlich als Vogel – vom Typ des Falken – mit Menschenkopf und oft mit Götterbart, „um den göttlichen Charakter zu bezeichnen“. 6 Damit repräsentiert er den in vielen Frühkulturen verbreiteten Typus des „Seelenvogels“.
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Der Ka schließlich ist die personifizierte Lebenskraft eines Menschen. 7 Er repräsentiert seine Zeugungs- und Geisteskraft, so dass man sagen kann, es gebe kein seiner selbst bewusstes Leben ohne ihn: Der Ka gestaltet es, und nur in ihm hat es Bestand. 8 Ebenso wie beim Ba handelt es sich auch beim Ka um keine präexistente Seele. Vielmehr wird er mit dem Menschen geboren, hat an dessen Entwicklungsphasen Anteil, gleicht ihm in Gestalt und Wuchs und begleitet ihn wie eine Art „Doppelgänger“ durchs Leben, gestaltet es und bestimmt das menschliche Schicksal. Im Tod verlässt er zwar den Körper und existiert dann selbständig weiter. Jedoch verbleibt er in der Nähe des Leichnams, um den Toten auch weiterhin zu schützen: Er behält seine irdische Gestalt und „steht als Schützer und Bürge seines Seins neben ihm, wie er es im Diesseits tat“. 9 Auf diese Weise verbindet der Ka die geistige mit der physischen Welt, ja ist er selbst als Verkörperung der geistigen und physischen Kräfte des Menschen aufzufassen. Das Zeichen des Ka in den Hieroglyphen ist ein hochgerecktes Armpaar, dessen Handflächen einander zugekehrt sind. Indem sie dergestalt drei Momente des Seelisch-Geistigen unterschied, reflektierte die ägyptische Psyche die in ihr liegenden Kräfte und versuchte sie auf den Begriff zu bringen. Damit kommt der altägyptischen Kultur hinsichtlich eines anfänglichen Nachdenkens über die psychischgeistigen Kräfte des Menschen ohne Frage eine enorm wichtige Vorreiterrolle zu. Die eigentliche Entdeckungsgeschichte des Geistes jedoch datiert dann aus späterer Zeit und ereignet sich im Kulturraum der alten griechischen Welt.
Die Entdeckung des Geistes in der griechischen Antike
Psyché, Thymós und Nóos bei Homer Unser europäisches Denken nimmt seinen Anfang in der griechischen Antike. Die griechische Welt hat nicht nur Philosophie, Wissenschaft, Argumentationsformen und bestimmte Methoden des Denkens, wie etwa logische Verfahren, entwickelt. Darüber hinaus hat sie – abgesehen von den vorhin erwähnten ägyptischen Vorläufern – in einem gewissen Sinn die menschliche Seele und den menschlichen Geist als tätigen, suchenden und forschenden Geist ‚entdeckt‘ und das, was wir ‚Denken‘ nennen, allererst geschaffen. Dem liegt, wie Bruno Snell in seinem grundlegenden Werk Die Entdeckung des Geistes herausgearbeitet hat, „eine neue Selbstauffassung des Menschen“ zugrunde. Nun freilich: Was heißt hierbei ‚entdeckt‘ ? Snell hat das einmal so verdeutlicht: Dieser Prozess der Entdeckung des Geistes „ist ein anderes, als wenn wir sagen, Kolumbus habe Amerika ‚entdeckt‘ : Amerika existierte auch vor der Entdeckung, der europäische Geist aber ist erst geworden, indem er entdeckt wurde; er existiert im Bewußtsein des Menschen von sich selbst“. 1 Streng genommen wurde der Geist von den Griechen erst in nachhomerischer Zeit entdeckt, genauer gesagt: in dem Zeitraum, der das achte bis zweite Jahrhundert vor Christus umspannt. Gleichwohl ist ‚Geist‘ in einem spezifischen Sinn auch schon für Homer da, jedoch eben nicht unter diesem Namen. Dasjenige, was die Griechen in der Folgezeit dann als ‚Geist‘ bezeichneten, war vorher in anderer Form interpretiert worden – und existierte deshalb wohl auch in anderer Form. Nur deshalb kann man ja auch von einer ‚Entdeckung‘ des Geistes sprechen. Damit ist zu bedenken gegeben: Die Homerischen Menschen, wie sie uns in der Ilias und der Odyssee, den ältesten Epen der europäischen Kultur, begegnen, kannten einen Geist im Sinne eines tätigen, suchenden und forschen-
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den Geistes ebenso wenig, wie ihnen eine Seele im Sinne einer empfindenden, fühlenden oder denkenden Seele bekannt war. Das bedeutet nun aber keineswegs, die Homerischen Menschen hätten nicht an etwas denken oder sich nicht freuen können. So etwas zu behaupten, wäre, wie Snell betont, „absurd“. 2 Dennoch wird dergleichen von ihnen weder als Tätigkeit des Geistes noch der Seele interpretiert. Daher gab es für sie in diesem Sinn noch keinen Geist und keine Seele. So gesehen verwundert es denn auch nicht, dass Homer für das, was in der auf ihn folgenden Zeit ebenso wie für uns Heutige als ‚Geist‘ und ‚Seele‘ gilt, kein eigentliches Wort kennt. Natürlich benutzt Homer Wörter, die später zur Charakterisierung der Sphäre des Psychisch-Geistigen verwendet werden, nämlich Psyché, Thymós und Nóos. Snell, der den Gebrauch und die Bedeutung dieser Wörter in den Homerischen Epen detailliert untersucht hat, stellt, zunächst auf die Verwendungsweise von Psyché bezogen, klar: Wenn Homer von Psyché spricht, dann hat das bei ihm noch nicht die Bedeutung von ‚Seele‘ im späteren Griechisch. Das heißt, Psyché hat bei Homer mit der denkenden und fühlenden Seele ursprünglich nichts zu tun. Psyché heißt wörtlich ‚Hauch‘, ‚Atem‘, ‚Lebensodem‘ sowie, um wohl ihre Leichtigkeit und Luftigkeit zu akzentuieren, ‚Schmetterling‘. Bei Homer begegnet die Psyché als das belebende Prinzip, als der ‚Hauch‘, der den Menschen ‚beseelt‘, das heißt am Leben hält. Diese Psyché, so können wir von Homer vernehmen, verlässt den Menschen beim Tod. Und zwar verlässt sie ihn durch den Mund und wird ausgehaucht – oder auch durch die todbringende Wunde (aber das ist eher sekundär) – und fliegt zum Hades, wo sie als ein Eidolon, als ein Abbild des Verstorbenen, ein Schattendasein als Totengespenst führt. So, wie Homer die Psyché darstellt, hat man es bei ihr gewissermaßen mit einem halb gegenständlichen Organ zu tun, das, solange der Mensch lebt, in ihm ist. Aber wo im Menschen diese Psyché ihren Sitz hat und wie genau sie wirkt, darüber erfahren wir von Homer nichts, „können also“, wie Snell festhält, „nichts darüber wissen“. 3 Wenden wir uns nun den beiden anderen Begriffen zu, die Homer zur Charakterisierung psychisch-geistiger Aktivitäten verwendet: Thymós und Nóos. Thymós, so kann man in einer ersten Annäherung feststellen, ist das, was die Regungen verursacht, und Nóos das, was die Vorstellungen aufnimmt: „auf diese zwei verschiedenen geistig-seelischen Organe ist das
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Geistig-Seelische gewissermaßen verteilt“. 4 Modern gesprochen könnte man vielleicht sagen: Thymós umfasst mehr das Emotionale, Nóos hingegen mehr das Intellektuelle. Oder noch anders gesagt: Psyché, Thymós und Nóos begegnen bei Homer als verschiedene Organe, die ihre jeweils spezifischen Funktionen haben. Gleichwohl werden sie von ihm nicht sauber voneinander getrennt; vielmehr gibt es zwischen ihnen Überschneidungen. Nehmen wir zunächst den Thymós etwas eingehender in Augenschein, so erbringen die Forschungen Snells das Resultat, im Allgemeinen sei der Thymós jenes Organ, das den Menschen in Tätigkeit versetzt. 5 Allerdings ist hierbei zu beachten, dass der Thymós, der den Menschen in Tätigkeit versetzt, bei Homer nicht so sehr ein Organ der Aktion, sondern mehr der Reaktion ist. 6 Demnach ließe sich der Thymós wohl am besten als „Organ der reagierenden Regung“ begreifen. 7 So wird Freude beispielsweise bei Homer gewöhnlich im Thymós verortet. 8 Und er ist auch Sitz des Schmerzes. „Nach den Vorstellungen Homers“, schreibt Snell, „zerfrißt oder zerreißt der Schmerz den Thymos, scharfer, gewaltiger, schwerer Schmerz trifft den Thymos“. Und zwecks Verdeutlichung setzt er hinzu: „Es ist deutlich, welche Analogien hier die Sprache leiten: wie ein Körperteil von einer scharfen Waffe, von einem schweren Gegenstand getroffen, wie er zerfressen oder zerrissen werden kann, so auch der Thymos. Wieder löst sich die Vorstellung von der Seele nicht vom Leiblichen, und die eigene Dimension des Seelischen, die Intensität, tritt nicht hervor“. 9 Wenn hier von Zerfressen- und Zerrissenwerden des Thymós die Rede ist, so kann man daraus nach Ansicht Snells nicht ableiten, Homer kenne schon so etwas wie einen Zwiespalt in oder eine Zerrissenheit der Seele. Dergleichen gibt es bei ihm ebenso wenig, „wie es Zwiespalt im Auge oder Zwiespalt in der Hand geben kann“. Daher gibt es bei ihm auch so etwas wie eine Zwiesprache der Seele mit sich selbst noch nicht. Auch echte Reflexion ist ihm unbekannt. 10 Blicken wir nun auf den Nóos als das Organ, das Vorstellungen aufnimmt. Nóos, das Wort, das im späteren Griechisch ‚Geist‘ meint, gehört zum Verb noein. Und das bedeutet ‚einsehen‘, ‚durchschauen‘, ja weithin lässt es sich bei Homer mit ‚sehen‘ übersetzen. Noein ist oft mit idein = ‚sehen‘ verbunden. Aber es ist ein Sehen, „das nicht nur den rein visuellen Akt bezeichnet, sondern die geistige Wahrnehmung, die mit dem Sehen
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verbunden ist“. 11 Noein akzentuiert insbesondere das Einsehen, das Durchschauen in bestimmten Situationen und bedeutet dann: „eine klare Ansicht von etwas gewinnen“. Damit erklärt sich für Snell ohne weiteres auch die Bedeutung von Nóos: „Es ist der Geist, sofern er klare Vorstellungen hat, also das Organ der Einsicht […]. Noos ist ein geistiges Auge, das klar sieht“. 12 Als „dauernde Funktion“ ist der Nóos die Fähigkeit, klare Vorstellungen zu haben, also das, was man im Deutschen als „Verständigkeit“ bezeichnen könnte. Und als einzelne Funktion kann er zudem die einzelne klare Vorstellung oder den Gedanken bezeichnen, wenn zum Beispiel jemand „einen bestimmten Noos aussinnt“. 13 Bei all dem ist zu beachten: Dieses geistige Organ Nóos wird nach der Analogie des Auges begriffen. Entsprechend heißt ‚wissen‘ eidenai. Das gehört zu dem uns bereits bekannten idein und heißt eigentlich ‚gesehen haben‘. Auch hierbei ist mithin das Auge das Musterbild für die Aufnahme von Erfahrungen, so dass Snell zusammenfassen kann: „In dieser Sphäre fällt das Intensive mit dem Extensiven zusammen: wer viel und oft gesehen hat, besitzt intensive Kenntnis“. 14 Zudem ist das Augenmerk auf ein weiteres wichtiges Moment zu lenken, das im Zusammenhang mit der Beleuchtung der psychisch-geistigen Kräfte des Menschen bei Homer von Bedeutung ist. Ebenso wie er keinen Zwiespalt in der Seele, keine Reflexion, keine Zwiesprache der Seele mit sich selbst kennt, ist Homer auch eine eigene Steigerungsfähigkeit des Geistigen unbekannt. Jede Vermehrung und Vergrößerung sowohl der körperlichen als auch der geistigen Kräfte geschieht von außen, in erster Linie durch die Götter. Wenn die Homerischen Menschen mehr leisten, als man nach ihrem bisherigen Verhalten erwarten könnte, dann führt Homer das auf das Eingreifen eines Gottes oder einer Göttin zurück. Und ebenso kennt Homer noch nicht so etwas wie echte, eigene, sozusagen ‚rationale‘ Entscheidungen. Auch in jenen Szenen, in denen Menschen scheinbar überlegen, spielt das Eingreifen der Götter die entscheidende Rolle. Der Entschluss, den die Überlegung gebiert, erweist sich demnach als Resultat göttlichen Eingriffs. Daher sind die „geistigen Organe“ Thymós und Nóos „so sehr als bloße Organe gefaßt, daß sie nicht der echte Ursprung einer Regung sein können“. 15 Der Gedanke des Aristoteles, die Seele sei das ‚erste Bewegende‘, ist Homer demzufolge noch genauso fremd wie die Vorstellung von einem psychisch-geistigen Mittel-
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punkt, der das organische System beherrscht. Folglich sind die Homerischen Menschen noch nicht zu dem Bewusstsein erwacht, dass sie in der eigenen Seele beziehungsweise dem eigenen Geist den Ursprungsort eigener Kräfte besitzen. 16 Ihnen mangelt, anders gesagt, „das Bewußtsein von der Spontaneität des menschlichen Geistes, d. h. das Bewußtsein davon, daß im Menschen selbst Willensentscheidungen oder überhaupt irgendwelche Regungen und Gefühle ihren Ursprung haben“. 17 In dem Maße, in dem in den nachhomerischen Jahrhunderten die Götter ihre natürliche und unmittelbare Funktion verloren, wurde sich der Mensch seiner selbst als eines geistigen Wesens bewusst. 18
Der Nous der Vorsokratiker Die Entfaltung des Nous-Konzepts in der Achsenzeit Sieht man einmal von den ägyptischen Konzepten der Ach-, Ka- und BaSeele ab, ereignet sich die Entdeckungsgeschichte des Geistes im Abendland in der von Karl Jaspers so genannten „Achsenzeit“, also in dem Zeitraum zwischen dem achten und zweiten Jahrhundert vor Christus, 19 mithin in nachhomerischer Zeit. In einem eigentlichen Sinn ‚entdeckt‘ wird der Geist von einer Gruppe von Philosophen, Mathematikern und Naturforschern, die man seit dem neunzehnten Jahrhundert mit einer Sammelbezeichnung „Vorsokratiker“ nennt. Damit meint man – mangels einer besseren, weil differenzierenden Benennung – all diejenigen Denker und Autoren, die vor Sokrates, dessen Lebenszeit die Jahre 470 bis 399 v. Chr. umfasst, lebten. Sie verwenden für das neuentdeckte Prinzip das uns bereits von Homer bekannte Wort Nóos, das zunehmend in der zusammengezogenen Form Nous begegnet (und in latinisierter Form auch Nus geschrieben wird). Wie von altphilologischer Seite in einer Reihe von verdienstvollen Arbeiten herausgestellt worden ist, scheinen die Griechen der damaligen Zeit noch nicht all die Differenzierungen zu besitzen, die wir heute mit dem Begriff des Geistes verbinden. Zwar kennen sie neben dem Nóos/Nous nach wie vor die Psyché in der uns seit Homer vertrauten Bedeutung des den Organismus belebenden Prinzips. Aber so etwas wie
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das Konzept eines ‚Ichs‘, das für uns heute untrennbar mit dem Begriff des Geistes verflochten ist, kannten die Menschen jener Frühzeit offensichtlich noch nicht. Als philosophischer Begriff begegnet das ‚Ich‘ (to egó) erst bei Plotin im dritten Jahrhundert nach Christus, 20 mithin mehr als ein halbes Jahrtausend später als zu dem Zeitpunkt, der jetzt im Brennpunkt unseres Interesses steht. Allerdings begegnen uns in dieser frühen Phase auch schon Begriffe, die mit ‚Geist‘ zusammenhängen, wie beispielsweise Phrónesis, das gemeinhin mit ‚Einsicht‘ übersetzt wird, sowie Lógos, ein Begriff, der eine Vielzahl von Bedeutungen umgreift, deren für die Folgezeit wichtigste Vernunft, Sprache, Rede, Sinn und gesetzmäßiger Zusammenhang sind. Zudem finden wir in dieser Frühzeit die mit dem Nous zusammenhängenden griechischen Wörter noein, das ‚denken‘ bedeutet, sowie Noema, was das umfasst, was wir ‚Gedanke‘ nennen. Insbesondere noein und Noema fungieren zusammen mit Nous als „Kernbegriffe vorsokratischer Spekulation“, speziell bei Xenophanes, Heraklit, Empedokles und vor allem bei Parmenides. 21 Wenn in jener Zeit von Nous, von ‚Geist‘, die Rede ist, so sollte nicht unbeachtet bleiben, dass dieses Konzept keine völlige Abtrennung von jeglicher Sinnlichkeit, sinnlich vermittelter Wahrnehmung und folglich von der Körperlichkeit meint. Der Nous, so kann man vielleicht sagen, war für die Philosophen in jener Phase der Denkentwicklung etwas, was durchaus in der Körperlichkeit des Menschen verankert ist, was allein schon daran ersichtlich ist, dass bei Homer ein enger Bezug des Geistes und des Denkens zu sinnlicher Wahrnehmung, insbesondere zum Sehsinn, festgehalten werden konnte. Diese Verbindung des Nous zu körperlichen Gegebenheiten wird auch in vorsokratischer Zeit nicht vollständig aufgelöst, auch wenn, wie wir sogleich im Einzelnen noch sehen werden, Nous nun die Beziehung auf „eine reinere, kräftigere, wesentliche, echtere Wirklichkeit“ meint. Zugleich gehören Geist, Seele, Denken und – modern gesprochen – Bewusstsein zusammen. Gerade der griechische Gebrauch des Wortes Nous „in der Sprache des täglichen Lebens“, schreibt Julius Stenzel, „bestätigt dies: mit Nus etwas tun, heißt mit Bewußtsein handeln; in der Wendung: seinen Nus auf etwas richten, heißt Nus so viel wie Aufmerksamkeit; ohne Nus heißt sowohl sinnlos als bewußtlos, ‚geistesabwesend‘ – das ist auch griechischer Sprachgebrauch, obwohl gerade
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das einzelne denkende Bewußtsein als um sich selbst wissendes Ich erst spät philosophischer Terminus geworden ist“. 22 Damit ist zugleich zu verstehen gegeben: Richtet sich der Nous einerseits auf die ‚wahre Wirklichkeit‘, so ist in diesem Nous-Konzept andererseits zugleich das Denken des einzelnen Subjekts mit all seinen ‚subjektiven‘, flüchtigen Regungen einbezogen, aus denen die Unsicherheit und Zufälligkeit des einzelnen Meinens resultieren, also all das, was die Griechen Doxa nannten. 23 Der hiermit angedeutete Gegensatz zwischen einem Denken, das auf die Erkenntnis der ‚wahren Wirklichkeit‘, mithin auf das Erfassen von Wahrheit zielt, und dem bloßen Meinen, der Doxa, wird vor allem von Parmenides scharf akzentuiert werden. Aufs Ganze gesehen lässt sich im Blick auf die Entwicklung des GeistKonzepts zu Beginn der Achsenzeit im Abendland festhalten, dass die Tätigkeit des Nous, das noein, obwohl in erster Linie wohl auf den Sehsinn bezogen, doch schon von rein sinnlicher Wahrnehmung als „eine Art geistiger Wahrnehmung“ 24 unterschieden worden ist, womit zugleich betont sein soll, dass noein – also ‚denken‘ – keine „reine Augenblicksentscheidung bedeutet, sondern immer irgendeine Art von weitgespannter Sicht einschließt“. 25 Nach Ansicht von Kurt von Fritz, der in einer Serie von Arbeiten der Rolle des Nous in der vorsokratischen Philosophie nachgespürt hat, lassen sich in dieser Phase der philosophischen Begriffsbildung zwei grundlegende Bedeutungen des Wortes noein herausheben: zum einen ‚eine Situation erfassen‘, ‚eine Situation erkennen‘, und zum anderen ‚planen‘ oder ‚eine Absicht haben‘. 26 Kurt von Fritz ist es zudem gewesen, der für eine etymologische Ableitung des Nous von der Wurzel snu plädiert, was ‚schnuppern‘, ‚schnüffeln‘ bedeutet (was voraussetzt, dass die ursprüngliche Form von Nóos ‚snoFos‘ war). Stützen kann er seine Ansicht mit einer, wie mir scheint, plausiblen Begründung: „Der primitivste Fall, in dem eine Situation Bedeutung gewinnt, ist der, wo Gefahr besteht oder wo ein Feind in der Nähe ist. Die primitivste Funktion des nóos wäre dann gewesen, Gefahren zu bemerken und zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in einem frühen Stadium menschlicher Entwicklung der Geruchssinn eine wichtige Rolle bei dieser Aufgabe spielte. Man braucht nur auf die Tatsache hinzuweisen, daß wir vom ‚Wittern einer Gefahr‘ (vgl. engl. ‚to wit a rat‘) sprechen. Mit der Entwicklung höherer Zivilisation würde der
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Geruchssinn natürlicherweise mehr und mehr durch den Gesichtssinn ersetzt worden sein“. 27 Wenn dergestalt einiges für eine enge Verbindung zwischen dem Nous und Seh- und Geruchssinn spricht, so darf gleichwohl nicht übersehen werden, dass es für eine Verbindung zwischen dem Nous und einem bestimmten körperlichen Organ im griechischen Denken vor der zweiten Hälfte des fünften vorchristlichen Jahrhunderts keinerlei Belege gibt. 28 Der Nous ist, anders gesagt, kein besonderes körperliches Organ. Erst Alkmaion aus Kroton wird, wie wir weiter unten sehen werden, das Denken mit dem Gehirn in Verbindung bringen. Heute sprechen wir im Blick auf Geist von ‚geistigen Funktionen‘, ‚geistigen Operationen‘. Zwar war den Griechen jener Zeit diese unsere Unterscheidung zwischen einem Organ und seinen Funktionen unbekannt. Dennoch deuten die uns erhaltenen Texte darauf hin, dass sie, wäre ihnen eine solche Unterscheidung geläufig gewesen, den Nous wohl eher als Funktion denn als Organ betrachtet hätten. 29
Nous und wahre Einsicht: Xenophanes Festmachen lässt sich das unter anderem an dem Fragment 24 des Xenophanes (ca. 580/577–485/480), in welchem er von Gott sagt: „Ganz sieht er, ganz denkt er, ganz hört er“. 30 Für Kurt von Fritz ist der eigentliche Sinn dieses Fragments „ganz klar“, 31 nämlich „daß der nóos Gottes die Wahrheit über Ereignisse und Situationen und ihre Bedeutung nicht durch das Medium besonderer Organe des Sehens, Hörens usw. erfaßt“, sondern dass dieser Gott ganz Nóos, ganz ‚Denken‘ ist. 32 Beim Menschen nun, so geht des Weiteren aus den erhaltenen Fragmenten des Xenophanes hervor, ist der Nous, der auf wahre Einsicht aus ist, in seiner Reichweite verglichen mit der des göttlichen Geistes bei weitem beschränkter und, wie Xenophanes offenbar überzeugt ist, etwas eher Seltenes, also etwas, über das beileibe nicht alle Menschen verfügen. Das freilich bringt die Konsequenz mit sich: All diejenigen, denen es an auf wahre Einsicht gerichtetem Geist mangelt, bleiben in ihren subjektiven Meinungen, bleiben in ihrer Doxa gefangen. Dennoch – und das ist ein neuer Gedanke, der
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hier bei Xenophanes wohl zum ersten Mal in der europäischen Geistesgeschichte Gestalt gewinnt – findet sich bei ihm eine Perspektive, wie die Menschen sich selbst aus dem bloß scheinhaften Wissen, der Doxa, befreien und besseres, zuverlässigeres, klareres Wissen gewinnen können. In dem als Nummer 18 gezählten Fragment heißt es nämlich: „Die Götter haben den Sterblichen nicht von Anfang an alles offenbart, sondern erst nach und nach finden diese suchend das Bessere“. 33 „Hier“, so kommentiert Snell dieses Fragment, „taucht der neue Gedanke auf, daß die Menschen durch eigenes Forschen sich ihr Können und Wissen erwerben, daß sie, wenn sie auch nicht zur völligen Einsicht kommen, doch immer Besseres aufspüren können“. 34
Nous und Logos: Heraklit Diese von Xenophanes vertretene Sicht der Dinge: dass Geist und damit wahre Einsicht und Erkenntnis in der Welt der Sterblichen eher selten anzutreffen sind, wird in vorsokratischer Zeit vornehmlich und mit polemischen Spitzen versehen von Heraklit aus Ephesos (ca. 544–483 v. Chr.) behauptet. Und zwar spricht er das in gleich zweien der drei Fragmente aus, in denen das Wort Nóos bei ihm vorkommt. In Fragment 40 stellt Heraklit lapidar fest, Vielwisserei – ‚Polymathie‘ – lehre keinen Nóos, keinen Geist, und er leugnet, dass namentlich Hesiod, Pythagoras, Xenophanes und Hekataios Nóos besessen hätten: Vielwissende waren sie, aber Geist besaßen sie nicht. Allgemein formuliert ist damit zu verstehen gegeben: Vieles zu wissen, ist nicht gleichbedeutend damit, Geist zu haben. In die gleiche Kerbe haut Heraklit mit Fragment 104, in welchem er fragt, was Nóos oder Phren (Verstand) der Menschen sei. Und er gibt sich selbst zur Antwort, die Mehrheit menschlicher Wesen besäße offenbar keinen Nóos. Dies beweist sich für ihn in dem Sachverhalt: „Volkssängern glauben sie und zum Lehrer haben sie die Menge und wissen nicht, daß die Vielen schlecht, wenige aber gut sind“. 35 Aufschlussreich ist zudem das dritte Fragment, in dem Heraklit das Wort Nóos verwendet, das Fragment 114. Dieses Fragment gibt, zunächst
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etwas grob gesagt, zu bedenken: Dem Nóos kommt (ob primär oder ausschließlich oder auch als eine unter anderen Funktionen, geht aus diesem Fragment nicht hervor) die Funktion zu, die verborgene Harmonie und Gesetzmäßigkeit hinter den Gegensätzen und Widersprüchen der Erscheinungswelt zu erkennen. Heraklit will damit auf Folgendes hinaus. Gemäß seiner Physik sind alle Veränderungen in Natur und Kosmos nichts anderes als Wandlungen eines Urstoffs, den er im ‚ewig lebendigen Feuer‘ erblickt, wie es in Fragment 30 heißt. Dieses Feuer wandelt sich nach exakt angebbaren Maßverhältnissen in die drei anderen später so genannten ‚Elemente‘ Wasser, Luft und Erde und stellt sich aus ihnen wieder her. All diese Prozesse werden gesteuert von einer Art Weltgesetz, das er als Logos bezeichnet und das nur eines ist und allgemein gilt. 36 Diesen Logos nun, dieses Weltgesetz erkennen, wie Heraklit überzeugt ist, nur die wenigsten Menschen – nämlich diejenigen, die über Nóos verfügen. Nur diejenigen also, die den Nóos besitzen, sind in der Lage, das – für Heraklit anscheinend göttliche – Gesetz zu entdecken, das Sein, Werden und Vergehen im Kosmos steuert. Nur sie, so kann man sagen, sind imstande, kraft ihres Geistes die Wahrheit zu erkennen und auszusprechen. Der Mehrzahl der Menschen bleibt diese Erkenntnis nach Heraklits Überzeugung verborgen; sie ist verbannt von solcher Wahrheit, mangelt es ihr doch an Nóos, dessen grundlegende Funktion für Heraklit, um es noch einmal zu betonen, darin besteht, den Logos, das universell gültige Weltgesetz, zu erfassen.
Nous und wahres Sein: Parmenides Die hiermit von Heraklit vorgenommene Funktionsbestimmung des Nous, die grundlegenden Strukturen des Kosmos, die wahre, hinter den Erscheinungen liegende, den meisten Menschen verborgene Wirklichkeit zu erfassen, lässt sich auch bei seinem Zeitgenossen Parmenides (ca. 540– 480 v. Chr.) aus Elea, das im heutigen Süditalien lag, wiederfinden. Das Lehrgedicht des Parmenides Über das Sein beziehungsweise Über das Seiende trennt scharf zwischen dem Weg der Wahrheit und den Meinungen, die die Menschen von den Dingen haben, der Doxa. Ähnlich wie auch Hera-
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klit gibt er sich überzeugt, nur die wenigsten Menschen beschritten den Weg der Wahrheit, wohingegen ihre überwiegende Mehrzahl auf ihrer Meinung beharrten, mithin in der Doxa verharrten. 37 Für Parmenides nun heißt Denken beziehungsweise Erkennen – noein – immer etwas denken (bzw. erkennen). Für ihn ist es daher unmöglich, dass es ein Denken gibt ohne ein Objekt, auf das sich das Denken bezieht. Dieses Objekt ist das Eón, wie es bei ihm heißt: ‚das Seiende‘, das von Parmenides begriffen wird als ein nicht entstandenes, unvergängliches, sich nie veränderndes, in sich ruhendes Seiendes. Da es außer diesem Eón für Parmenides schlechterdings nichts anderes gibt, ist es das einzige Objekt, mit dem es das noein, das Denken, zu tun hat. Parmenides fasst diesen Sachverhalt in die Formulierung zusammen: Dasselbe ist Denken und der Gedanke, dass das Seiende ist. 38 Damit ist für ihn zugleich gesagt: Wenn die Sterblichen von Werden und Vergehen, von Sein und Nichtsein, von Ortsbewegung und Zustandsveränderung – zum Beispiel der Veränderung der leuchtenden Farbe – reden, dann gebrauchen sie bloße Namen. Zwar sind sie überzeugt, das, was sie da in ihrer Sprache festgesetzt haben, sei wahr; doch demjenigen, der die Wahrheit über das Seiende erfasst hat, enthüllt sich, dass aller Wandel, alles Werden und Vergehen, all die Veränderungen, die wir, fest auf unsere Sinne vertrauend, wahrzunehmen meinen, nichts als Schein und Täuschung sind. Der Weg, den die Mehrheit der Sterblichen einschlägt, führt niemals zur Wahrheit über das Seiende. Er verleitet uns lediglich zu Meinungen, zu einer für Parmenides nicht sonderlich verlässlichen Form des Sichäußerns über die Dinge. Er führt geradewegs in die Doxa. Auf diese Weise erklärt Parmenides unser alltägliches Weltverständnis, dem zufolge wir doch ständig Veränderungen wahrzunehmen meinen, zu bloßem Trug und bloßer Illusion. Ohne Frage ist das eine ziemliche Zumutung für unseren Alltagsverstand und unseren alltäglichen Umgang mit den Dingen. Und dennoch hält Parmenides unbeirrt daran fest: Diejenigen, die über Nous verfügen, die also auf das noein, das reine Denken, vertrauen, würden all solche vermeintlichen Veränderungen und Bewegungen als chimärisches Blendwerk durchschauen und die wahre Wirklichkeit – sprich das eine, in sich ruhende, statische Seiende – erfassen. Dergestalt erhält der Nous von Parmenides die Aufgabe zugesprochen,
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„in direktem Kontakt mit der letzten Wirklichkeit zu stehen“, wie Kurt von Fritz zusammenfasst. Zwecks Verdeutlichung des Parmenideischen Denkansatzes setzt er hinzu: Der Nous erreicht diese letzte Wirklichkeit nicht erst am Ende und als Ergebnis eines logischen beziehungsweise Denkprozesses, „sondern ist gewissermaßen mit ihr von Anfang an in Verbindung, da es, wie Parmenides immer wieder betont, keinen nóos ohne das eón, in dem er sich selber entfaltet, gibt“. 39 Dazu kommt ein weiteres, für die nachfolgende Entwicklung des Geistbegriffs wesentliches Moment: Parmenides nämlich ist der erste Autor, der bewusst logisches Schließen in die Tätigkeit des Nous einbezogen hat. Seine unmittelbaren Schüler Zenon (ca. 490–430 v. Chr.) und Melissos (5. Jh. v. Chr.) haben dieses Moment aufgegriffen und weiterverfolgt und die Unterscheidung zwischen sinnlicher Wahrnehmung – Aisthesis – und logischem Schließen maßgeblich vorangetrieben. Sinnfällig wird das in den Paradoxien Zenons, etwa der wohl bekanntesten vom Wettlauf des Achill mit der Schildkröte. Die Schildkröte, die von Achill einen Vorsprung eingeräumt bekommt, wird, wie Zenon mittels seines Nous logisch schließend darlegt, nie eingeholt, geschweige denn überholt werden können, da sie, während Achill den ihr gewährten Vorsprung durcheilen muss, bereits ein Stück weiter gekrochen ist. Und während Achill diese Strecke durchmisst, hat sich die Schildkröte wiederum nach vorn bewegt – und so weiter. Unserer alltäglichen Wahrnehmung entsprechend wird die Schildkröte von Achill indessen sehr rasch eingeholt und überholt werden. Wem sollen wir nun mehr vertrauen: der Aisthesis oder dem Nous? Für Zenon als Gefolgsmann des Parmenides ist die Entscheidung klar: dem Nous natürlich – und sei es auch um den Preis, dass wir an unserem alltäglichen, stark von der Aisthesis geprägten Weltverständnis irre werden.
Theoretische und praktische Funktion des Nous: Empedokles Realitätsnäher, wenn man so sagen will, ging Empedokles aus dem sizilischen Akragas (483/82–424/23 v. Chr.), ein weiteres prominentes Mitglied der vorsokratischen Philosophen, der entscheidende Beiträge zum Thema Geist beigesteuert hat, die Angelegenheit an. Empedokles bewegt
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sich insofern zunächst im Fahrwasser des Parmenides, als es auch für ihn kein Entstehen aus dem Nichts oder ein Vergehen ins Nichts geben kann. Andererseits aber hält er Veränderungen und Wandlungen nicht für bloßen Schein. Seine Kosmologie erklärt solche Wandlungen als Mischungen und Trennungen der vier ‚Elemente‘ Feuer, Wasser, Erde und Luft. Und zwar, so meint er, werde die Mischung und Trennung der Elemente durch zwei Kräfte bewirkt, die es von jeher gab und die es immer geben wird: nämlich Liebe (Philia) und Hass (Neikos). Der Kosmologie des Empedokles zufolge ruhten ursprünglich alle Dinge von der Liebe zusammengehalten in der Gestalt einer Kugel ungeschieden beieinander. Allmählich jedoch fand der Hass Eingang in diese ungeteilte Einheit. In dem Maße, in dem er an Macht gewann, bewirkte er eine Trennung der Elemente und den Anfang einer Kosmogonie. Im Laufe der Zeit gewinnt die Liebe wieder die Oberhand. Ihre Hauptleistung in dieser Periode besteht darin, dass sie die getrennten Elemente wieder zusammenführt und damit die Bildung „unzählige[r] Scharen sterblicher Geschöpfe, in mannigfaltige Formen gefügt“, in die Wege leitet. 40 Aber auch die Liebe muss irgendwann wieder dem Hass weichen – und so fort in unaufhörlichem Wechsel. Dergestalt führt die Naturphilosophie des Empedokles die Veränderungen im Kosmos auf wechselnde Machtverhältnisse zurück. Gewiss, das ist sehr anthropozentrisch gedacht, aus menschlicher Perspektive betrachtet (wobei diesem naheliegenden Einwand entgegenzuhalten wäre: Welche andere Perspektive hätten wir denn?). Für unseren Zusammenhang sind indessen andere Sachverhalte von Bedeutung, und zwar zunächst derjenige, dass es der Nous ist, der Liebe und Hass als treibende Kräfte erfasst: sowohl im Menschen als auch im kosmischen Geschehen. Da Liebe und Hass die wahren Triebkräfte in und hinter allen Ereignissen der natürlichen Welt sind, ihr Wechselspiel gewissermaßen das Grundgesetz kosmischer Prozesse ist, kommt dem menschlichen Geist bei Empedokles entscheidend die Funktion zu, diese Grundgesetzmäßigkeit von Natur und Kosmos zu erkennen. Wie aus den Fragmenten 2 und 4 hervorgeht, ist der Nous laut Empedokles zwar einerseits von den Sinnen unterschieden, gewinnt andererseits aber seine Erkenntnis in der Regel mit Hilfe der Sinne – was freilich nicht ausschließt, dass er in einigen Fällen auch ohne Vermittlung der Sinne zu Erkenntnissen zu gelangen
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vermag. Wie Kurt von Fritz herausgearbeitet hat, lässt sich anderen Empedokleischen Fragmenten, insbesondere dem Fragment 5, entnehmen, dass Empedokles den Nóos als „eine geistige Fähigkeit oder Funktion“ begreift, „die das Zeugnis der verschiedenen Sinne auswählt, prüft, korrigiert und vor allem koordiniert und verbindet“, 41 und zwar mit dem Ziel, zu einem „Verständnis des Ganzen“ zu gelangen. 42 Darüber hinaus kommt dem Nóos im Kontext des Empedokleischen Denkens die Funktion zu, Tätigkeiten und Handlungen menschlicher Wesen zu planen und zu leiten. 43 Demnach hätte der Nóos nicht nur die Funktion, das kosmische Grundgesetz zu erfassen, sondern wäre auch zu so etwas wie Voraussicht in der Lage, die ja mit dem Planen von Tätigkeiten und Handlungen einhergeht. Damit käme ihm über die erkenntnismäßige eine eminent lebenspraktische Funktion zu. Und damit wäre dem Geist durch Empedokles eine weitere, neue Dimension der Betätigung erschlossen worden.
Nous und Atomtheorie: Demokrit Der bekannteste Teil des umfangreichen Werks Demokrits aus Abdera in Thrakien, dessen Lebenszeit das Jahrhundert zwischen 479/60 und 370/ 60 umfasst haben soll, ist wohl seine Atomtheorie. Nach antiker Überlieferung soll sie durch die Beobachtung von Staubteilchen in einem Lichtstrahl veranlasst worden sein, von Teilchen also, die für gewöhnlich mit bloßem Auge nicht wahrnehmbar sind. Von hier aus soll er dann – intuitiv? – auf letzte, für das Auge nicht sichtbare Materiebausteine geschlossen haben. Damit ist der Grundgedanke seiner Atomlehre formuliert: Das von Parmenides her uns bekannte Eón, das Seiende, besteht ihr zufolge aus kleinsten Bausteinen, die mit unseren Sinnen nicht wahrnehmbar und ihrerseits nicht mehr teilbar, also unteilbar sind. ‚Unteilbar‘ heißt auf Griechisch átomos. Hierher rührt die Bezeichnung ‚Atome‘ für diese letzten Bausteine der materiellen Welt. Diese Atome versteht Demokrit nun nicht nur als unteilbar, sondern auch als nicht entstanden, unvergänglich, voll und erfüllt im Sinne von undurchdringlich, und als körperlich, also als materiell. Zudem geht er von einer unendlichen Zahl von so begriffenen
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Atomen im leeren Raum aus, in dem sie sich bewegen und im Zuge ihrer Bewegungen im Laufe eines mehrstufigen Prozesses Welten mit den in ihr existierenden Körpern und Lebewesen erzeugen. Wie er sich diese Weltentstehung im Einzelnen vorgestellt hat, wäre zwar reizvoll nachzuvollziehen; gleichwohl steht es hier nicht im Brennpunkt des Interesses. Da es uns ja in erster Linie um das Problem des Geistes zu tun ist, ist eine Konzentration auf jene Komponenten seines Denkansatzes angebracht, die Auskunft über Nous und Erkenntnis geben können. Und im Blick hierauf ist festzuhalten: Sinneswahrnehmungen entstehen nach Demokrits Ansicht dadurch, dass sich von den Dingen, denen die Sinne zugewandt sind, Eidola, also gleichsam ‚Bilder‘ ablösen und sich in die jeweiligen Öffnungen der Sinnesorgane hineinbewegen. Demokrit stellt sich den Wahrnehmungsprozess demnach so vor, dass sich atomare Strukturen vom wahrgenommenen Gegenstand ablösen, durch die Nervenbahnen des jeweiligen Sinnesorgans laufen und im Nous ein (materielles) Abbild erzeugen. Dasjenige, darauf läuft die Geist-Theorie des Demokrit augenscheinlich hinaus, was den Sinnen als eine Art ‚Substanz‘ erscheint, erweist sich für den Geist in Wahrheit als ein Komplex sehr kleiner Teilchen, der Atome, die materiell und undurchdringlich sind und den Raum erfüllen. In Anbetracht solcher hier etwas vereinfacht wiedergegebener Überlegungen Demokrits kann, wie Kurt von Fritz formuliert hat, „schwerlich irgendein Zweifel daran bestehen, daß die Tätigkeit der phren oder des nóos in der Philosophie des Demokrit nicht ausschließlich in induktivem und deduktivem Schließen im traditionellen Sinne besteht, sondern viel komplexer ist“. 44 Kurt von Fritz hat anhand von Demokrits Versuch, die reale Welt zu rekonstruieren und die hierauf bezogene Tätigkeit des Geistes zu analysieren, insbesondere auf folgende integralen Bestandstücke der Demokrit’schen Nóos-Theorie hingewiesen: Erstens operiert diese Theorie mit fundamentalen, gewissermaßen apriorischen Begriffen wie ‚sein‘, ‚nicht sein‘ und ‚Raum‘. Zweitens zieht Demokrit Schlussfolgerungen, die von analytischen Urteilen ausgehen, die sich auf solche Begriffe stützen. Drittens beinhaltet seine Theorie vergleichende Untersuchungen des Zeugnisses der Sinne über bestimmte Gegenstände. Und viertens schließlich arbeitet sie mit Folgerungen auf der Grundlage von Analogien und der Suche nach Modellen in der sichtbaren Welt, die den genannten Bedingungen genügen. All diese Operationen zusammengenommen ma-
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chen für Demokrit Nóos, Geist, aus. Wieweit sich Demokrit selbst, fasst Kurt von Fritz zusammen, „dieser verschiedenen Elemente in seinem Denken bewußt war oder über sie reflektierte, das festzustellen, fehlen uns alle Mittel“. 45 Zu Demokrit bleibt abschließend noch auf die Konsequenz hinzuweisen, die seine Atomlehre für die Psyché, die Seele, mit sich bringt. Entsprechend der konsequenten Durchführung seines atomistisch-materialistischen Programms besteht für ihn auch die Seele aus Atomen, mithin aus kleinsten materiellen Bausteinen, ist folglich selbst etwas Materielles. Allerdings vertritt er die Ansicht, die Seelenatome seien etwas anders geartet als die übrigen Atome: nämlich ganz fein, glatt und rund – und damit von ähnlicher Art wie die Atome, die das Feuer bilden. Die Psyché nun begreift Demokrit nicht als ein eigenes Organ, das seinen festen Ort im Körper hätte. Vielmehr, meint er, seien die Seelenatome im ganzen Körper verteilt und würden durch die Atmung von ihm eingesogen und im Körper zurückgehalten. Von solchen Ausführungen her liegt es auf der Hand, dass Demokrit schon vom Ansatz her keine Lehre von einer Unsterblichkeit der Seele vertreten konnte. Die Seele, das liegt ganz offensichtlich in der Konsequenz dieses materialistisch orientierten Ansatzes, geht mit dem Körper zugrunde. Im Tod wird gleichsam das letzte Seelenatom ausgehaucht, infolge wovon der Körper sein ihn belebendes Prinzip verliert. Im Fortgang des kosmischen Prozesses können sich diese Seelenatome dann wieder mit anderen Seelenatomen zu einer neuen Psyché formieren und einen anderen Organismus beleben.
Nous als naturwissenschaftliches Prinzip: Anaxagoras Eine Sonderstellung hinsichtlich der Geistthematik im Gefüge der vorsokratischen Philosophie nimmt Anaxagoras aus Klazomenai (um 500– 428 v. Chr.) ein. Bei ihm nämlich begegnet der Nous, anders als bei den Repräsentanten jener Zeiträume, deren Nouskonzepte wir bislang betrachtet haben und die unter Nous bestimmte geistige Fähigkeiten und Funktionen verstanden, als fundamentales naturwissenschaftliches Prinzip. Dieses Prinzip entfaltet er im Kontext seiner physikalisch-kosmologi-
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schen Vorstellungen. Ähnlich wie sein etwas jüngerer Zeitgenosse Empedokles vertritt auch Anaxagoras die Ansicht, die sinnlich wahrnehmbaren Dinge setzten sich aus Bausteinen, die es schon immer gegeben habe, durch Mischung zusammen und sie zerfielen wieder durch deren Trennung. Aber während Empedokles, wie wir vernahmen, vier sogenannte Elemente als letzte Bausteine alles Seienden annahm, konstituieren sich die Dinge gemäß der physikalisch-kosmologischen Theorie des Anaxagoras aus unendlich vielen Bausteinen, die er Sémata, ‚Samen‘, nennt. Von diesen Sémata sagt er, sie unterschieden sich durch ihre sinnlichen Qualitäten wie etwa Gestalt, Farbe und Geschmack und sie seien im ganzen Kosmos verteilt. Entsprechend seinem kosmologischen Modell verbinden sich die gleichartigen Teilchen – die sogenannten ‚Homoiomerien‘, wie sie im Anschluss an Aristoteles genannt werden – miteinander, wohingegen sich die ungleichartigen abstoßen. Und nun geht Anaxagoras davon aus, die Triebkraft, die es bewerkstelligt, dass sich die gleichartigen Sémata miteinander verbinden, sei der Nous, sei der ‚Geist‘. Diese Sicht der Dinge provoziert unweigerlich die Frage, was dieser Nous denn nun selbst ist. Hierauf findet sich bei Anaxagoras als Antwort die Vorstellung, der Nous sei nicht streng von den materiellen Dingen geschieden. Das heißt, er ist selbst etwas Materielles. Allerdings nimmt Anaxagoras eine wichtige Unterscheidung vor, besagt seine Theorie doch, der Nous bestehe aus besonders feiner und dünner Materie, sei mithin ein besonders feiner, fast ‚geistiger‘ Stoff – was, nebenbei gesagt, Kant zu der Bemerkung veranlasst hat, die Materie des Nous werde von Anaxagoras so „überfein“ gedacht, „daß man darüber schwindelig werden möchte“. 46 Gleichwohl bleibt festzuhalten: Auch wenn er seinen Nous als aus ‚überfeiner‘ Materie bestehend ausgibt, so wird er von Anaxagoras doch grundsätzlich der materiellen Welt zugerechnet – einerseits zumindest. Andererseits nämlich versucht er ihn durchaus von der materiellen Welt abzugrenzen, soll er doch, obwohl selbst etwas Materielles, mit nichts vermischt sein, für sich selbst existieren und seine Gewalt aus sich selbst haben, das heißt ‚autokratisch‘ sein. So jedenfalls stellt Platon die Theorie des Anaxagoras in seinem Dialog Kratylos (413 c) dar. So geht es auch aus dem Fragment 12 des Anaxagoras hervor, und in ebendiesem Fragment 12 spricht Anaxagoras dem Nous Erkennen (gnorizein) und
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Einsicht (gnóme) zu. Gleichwohl soll er nicht als persönliches Wesen aufzufassen sein, also nicht als eine Art personal gedachter Schöpfergott und auch nicht als eine welttranszendente Intelligenz, die zielgerichtet und zweckmäßig handelt. Dieser so konzipierte Nous also ist es, der die im Kosmos vorhandenen Teilchen bewegt und die gleichartigen miteinander verbindet. Die Frage ist: Wie setzt er das konkret ins Werk? Hierzu ist zu sehen: Offenbar ging Anaxagoras von einem chaotischen Urzustand des Weltalls aus, den der Nous im Zuge seiner Aktivität in geordnete Strukturen überführte. Und zwar dachte sich Anaxagoras das folgendermaßen: An irgendeiner Stelle der chaotischen Urmaterie erzeugte der Nous eine Wirbelbewegung; er fungierte, wie Luciano de Crescenzo einmal geschrieben hat, als eine Art riesiger kosmischer „Mixer“, 47 der die Stoffe zunächst trennte und dann bewirkte, dass die gleichartigen Sémata ‚zusammengerührt‘ wurden, das heißt sich zu konkreten, gestalteten Dingen verbanden: zunächst zu hellem, lichtem Äther und dunklem, schwerem Dunst, in der Folge dann zu den Himmelskörpern und der Erde mit den auf ihr lebenden Wesen. Also ist es der Kosmologie des Anaxagoras zufolge der Nous, der aus dem ursprünglichen Chaos geordnete Strukturen entstehen lässt. (Nicht ohne Grund gilt Anaxagoras als der Urvater der Chaostheorie.) Der Nous ist bei Anaxagoras demzufolge, um es noch einmal zu betonen, ein fundamentales naturwissenschaftliches Prinzip, ein, genauer gesagt, allem kosmischen Geschehen zugrunde liegendes Ordnungsprinzip, ist, wie Kurt von Fritz es einmal auf den Punkt gebracht hat, der „Schöpfer und Lenker einer geordneten Welt“. 48 Mit diesem kosmologischen Nouskonzept unterscheidet er sich grundlegend von den anderen vorsokratischen Meisterdenkern, für die sich der Nous ja, wie wir sahen, durch bestimmte, dem Menschen zukommende Fähigkeiten und Funktionen definiert.
Denken als Gehirnfunktion: Alkmaion Alkmaion aus Kroton (auf Inschriften ist auch die Schreibweise Alkmeon bezeugt) lebte um 500 v. Chr. Er war ein jüngerer Zeitgenosse des Pythagoras, wird für gewöhnlich dessen Schule zugerechnet und ist der Nach-
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welt als Philosoph und Arzt bekannt. Nach den uns erhaltenen Zeugnissen war Alkmaion wohl der erste Autor der Achsenzeit, der das Gehirn als Zentralorgan der Sinneswahrnehmung und als materielle Grundlage aller Geistestätigkeit erkannte. Ein einschlägiges Bruchstück seiner Lehre lautet: „Ist es das Blut, mit dem wir denken, oder die Luft oder das Feuer? Oder ist es keines von diesen, sondern vielmehr das Gehirn, das die Tätigkeit des Hörens, Sehens und Riechens verleiht? Und daraus entsteht dann Gedächtnis und Meinung, und aus Gedächtnis und Meinung, wenn sie zur Ruhe gekommen sind, entwickelt sich dann das Wissen? Solange das Gehirn unversehrt ist, solange hat auch der Mensch seinen Verstand. Daher behaupte ich, daß das Gehirn es ist, das den Verstand sprechen läßt“. 49 Hiermit wird deutlich und unmissverständlich ausgesprochen, dass wir nicht mit dem Auge sehen, nicht mit dem Ohr hören, nicht mit dem Geruchssinn riechen, sondern dass all das ebenso wie das Denken im Gehirn stattfindet. Geist, Verstand und Denken sind demzufolge abhängig von einem intakten materiellen Träger: dem Gehirn. Solange dieses einwandfrei funktioniert, kann der Mensch sehen, hören, riechen und – was für den vorliegenden Zusammenhang ganz entscheidend ist – denken, also geistige Operationen ausführen. In der Forschung ist immer wieder betont worden, 50 Alkmaion habe das nicht im Sinne einer spekulativen Hypothese formuliert, sondern das habe sich ihm als Resultat anatomischer Untersuchungen, die sich auf Sektionen stützten, ergeben. Aufgrund von vornehmlich wohl Tiersektionen nämlich, so ist überliefert, hat er bemerkt, dass von den Sinnesorganen ‚Wege‘ oder ‚Kanäle‘, wie er sagte (wir sprechen heute von Nervenbahnen und Nervensträngen), ausgehen, die an bestimmten Stellen im Gehirn enden. Anlass zu solchen Untersuchungen sollen ihm Erkrankungen und Läsionen gegeben haben. Demnach wäre er schon wie die modernen Wissenschaften verfahren. Wie uns von Theophrast (372–287 v. Chr.) in seiner Schrift Von den Sinneswahrnehmungen überliefert worden ist, hat sich Alkmaion insbesondere mit den infolge von Gehirnerschütterungen zu beobachtenden Sinnesstörungen beschäftigt. Zu solchen Störungen kommt es nach Alkmaion dadurch, so teilt Theophrast mit, dass das durch die Erschütterung in seiner Lage veränderte Gehirn temporär die ‚Wege‘, die ‚Kanäle‘, verschließe, durch die die Sinneseindrücke übermittelt würden. 51 Insgesamt hat Alkmaion nach den uns überkommenen Bruchstücken
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seiner Arbeiten eine detaillierte Sinnesphysiologie entwickelt und dem Hör-, Geruchs-, Geschmacks- und Sehsinn eigene Untersuchungen gewidmet. Den fünften Sinn, den Tastsinn, scheint er hierbei unberücksichtigt gelassen zu haben. Die einzelnen Ergebnisse, zu denen er laut dem Bericht des Theophrast gelangt ist, können wir hier auf sich beruhen lassen und uns mit dem Fazit zufrieden geben: Das Zentralorgan der Sinneswahrnehmungen und aller geistigen Tätigkeit ist das Gehirn. Zudem ist zu erwähnen: Nach Alkmaions Sicht der Dinge verfügt allein der Mensch über Geist und ist in der Lage zu denken. Hierdurch unterscheidet er sich seiner Überzeugung nach von allen übrigen Lebewesen. Diese, so hat er betont, hätten zwar Sinneswahrnehmungen, besäßen aber keinen Geist und könnten infolgedessen nicht denken. 52 Einmal abgesehen von dem Sachverhalt, dass hiermit ein qualitativer Unterschied zwischen Mensch und Tier behauptet ist, wird damit von Alkmaion eine grundlegende Differenz zwischen Denken auf der einen und sinnlichen Wahrnehmungen auf der anderen betont, eine Differenz, die uns im Kontext der vorsokratischen Noustheorien wiederholt begegnet ist. Neben dem Gehirn als dem Sitz des Geistes und dem Verarbeitungsort der Sinneseindrücke kennt Alkmaion zudem die Psyché – die Seele – als Prinzip des Lebens. Diese Seele, so berichtet Aristoteles in seiner Schrift Über die Seele, 53 habe Alkmaion für unsterblich gehalten. Aber Alkmaion hat das nicht nur einfach so behauptet, sondern versucht, das argumentativ zu stützen, ja gar zu ‚beweisen‘. Damit fänden wir nach den uns erhaltenen Zeugnissen bei Alkmaion die ersten Argumente für die These von der Unsterblichkeit der Seele, die uns bekannt sind, mithin lange vor Platon. Und zwar nimmt seine Argumentation ihren Ausgangspunkt von der Voraussetzung, dass nur Belebtes sich selbst bewegt und dass es das deswegen kann, weil es eine Seele, eine Psyché, besitzt. Vor diesem Hintergrund argumentiert er nun (was uns heute wohl einigermaßen seltsam erscheinen wird): Die Seele ist deshalb unsterblich, weil sie den unsterblichen Wesen, das heißt den göttlichen Wesen, gleiche. Und diese Eigenschaft kommt ihr deswegen zu, weil sie, wie auch alles Göttliche, immer in Bewegung ist: wie Mond, Sonne, Sterne und der ganze Himmel. 54 Aus dieser Analogie mit den göttlichen Wesenheiten kann man ableiten, dass er die Seele wohl nicht für etwas völlig Immaterielles gehalten
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hat. Einem anderen Bruchstück seiner Lehre kann man zudem entnehmen, wie er sich Materialität und Unsterblichkeit der Seele als miteinander vereinbar gedacht hat: Ebenso wie der Organismus unterliegt die Psyché dem physischen Tod, aber sie reinkarniert sich in einem neuen Körper. 55 Eine solche Ansicht ist insofern gar nicht überraschend, als die Reinkarnationsthese ja ein zentrales Bestandstück der Lehre des Pythagoras ist.
Der Geist als Teil und Funktion der Seele Nous als Teil der Psyche: Platon Platon, dessen Lebenszeit die Jahre zwischen 427 und 347 v. Chr. umfasst, hat eine ausgefeilte Seelenlehre entworfen, die, von einigen verstreuten Überlegungen früherer Denker abgesehen, als der erste eigenständige Entwurf einer Psychologie im Abendland gelten kann. Geistesgeschichtlich gesehen sind seine Ausführungen allein schon deswegen von außerordentlicher Bedeutung geworden, weil er die Ansicht von der Unsterblichkeit und Immaterialität der Seele vertrat, eine Ansicht, die hervorragend mit Glaubenslehren zusammenpasste, die ein halbes Jahrtausend später von dem sich konsolidierenden Christentum vertreten wurden. Wenn nun Platon in verschiedenen seiner Dialoge – hier sind etwa Menon, Phaidon, Phaidros, Symposion und Politeia anzuführen – die Seele, die Psyche, als etwas begreift, das unabhängig vom Körper existiert und sich nur während der Spanne eines Lebens mit ihm verbindet, aber, anders als der Körper, nicht sterblich ist, so konfrontiert das uns Heutige mit zwei Schwierigkeiten. Erstens wird sich, da der Gesprächspartner in Dialogen wie den erwähnten Sokrates ist, wohl nie endgültig klären lassen, was von dem, was Sokrates sagt, von Platon als Bericht über sokratische Ansichten gedacht oder was seine, Platons, Überzeugung ist. Zweitens ist in einigen dieser Dialoge die Rede von ‚Beweisen‘ für die Unsterblichkeit und Immaterialität der Seele. Dies jedoch sollte man nicht zu wörtlich nehmen, können sie doch kaum als stringent argumentative Beweise für die behauptete Unsterblichkeit und Immaterialität der Psyche gelten. Die zentralen Thesen, die Platon seinen Sokrates in jenen Dialogen vertreten lässt, behaupten zusammengefasst: Die Seele des Menschen ist unsterblich, sie geht niemals unter. Im Tod trennt sie sich vom Körper und wird mehrfach wiedergeboren, das heißt in einem anderen Körper reinkarniert. Vor ihrer Geburt, also vor ihrer Reinkarnation in einem neu-
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en Körper, besitzt die Seele ein umfangreiches Wissen, wird es ihr während ihrer körperfreien Existenz doch gestattet, die am ‚überhimmlischen Ort‘ präsenten Ideen zu schauen. Diese Ideen sind die mit den Sinnen nicht wahrnehmbaren, ewigen und unveränderlichen Urbilder all der Gegenstände und Sachverhalte, die uns in unserer Welt, die wir mittels unserer Sinne auffassen, begegnen. Vor ihrer erneuten Verbindung mit einem Körper muss die Seele den Lethefluss, den Fluss des Vergessens, durchschwimmen. Dabei geht all ihr aufgrund der Ideenschau erworbenes Wissen verloren. Demnach ist die Wiederverkörperung einer Seele gleichbedeutend mit Wissensverlust. Jenes vorgeburtlich erworbene Wissen gilt es sich im Zuge von Erziehung und Bildung, so gut es eben geht, wieder anzueignen. Lernen ist so gesehen im Grunde ein Sich-Wiedererinnern an das vorgeburtliche Wissen, ist, mit dem Begriff, den Platon in diesem Zusammenhang verwendet, Anamnesis: Wiedererinnerung. Wo nun ist im Kontext dieser Thesen über Unsterblichkeit, Immaterialität und Reinkarnation der Seele der ‚Geist‘ zu verorten? Nun, hierauf antwortet Platon: Der Geist, der Nous, ist ein Teil der Seele, der Psyche (die bei ihm, wie in der antiken griechischen Welt üblich, als das belebende Prinzip angesehen wird). In seinem großangelegten Dialog Politeia, der um die Frage der Gerechtigkeit und des besten Staats kreist, hat Platon eine Dreiteilung der menschlichen Seele vorgenommen. 1 Und zwar strukturiert sich seiner Überzeugung nach die Seele analog derjenigen des Körpers. Diesen unterteilt die antike Medizin in die drei Teile Kopf, Brust und Unterleib. Diesen drei Körperteilen ordnet Platon nun drei Seelenteile zu: Dem Kopf entspricht der Geist oder die Vernunft (also der Nous), der Brust der ‚zornige Drang‘ (der Thymos), und dem Unterleib sind die Begierden (die Epithymiai) zugeordnet. Der Nous, so erläutert Platon diese Dreiteilung näher, ist der vernünftig denkende Seelenteil, also derjenige, mit dem die Seele überlegt. Der Thymos macht jenen aus, mit dem wir uns, wie es bei Platon heißt, ereifern. In neuzeitlicher Begrifflichkeit formuliert repräsentiert dieser Seelenteil den Willen zum Leben, die Lebenskraft, den Eifer, das Streben, das uns Antreibende, das uns Motivierende. Und die Epithymiai schließlich, die Begierden, bilden denjenigen Part der Seele, mit dem die Seele beispielsweise liebt und hungert und dürstet, generell, wie Platon meint, auf beständige Erregung aus ist. Für Platon ist es evident, dass es zwischen diesen drei Seelenteilen zu
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Konflikten kommen kann. So kann zum Beispiel der vernünftige Seelenteil, der Nous, mit den Begierden in Streit geraten. Der Geist beziehungsweise die Vernunft liegt dann mit den Lüsten im Clinch. Oder aber der Thymos gerät zuweilen mit den Begierden aneinander. Allerdings, glaubt Platon, könne in der menschlichen Seele nicht alles mit allem im Kampf liegen. Offensichtlich ist, wie er betont, weil es sich allerorten beobachten lässt, dass Nous und Epithymiai einander oftmals widerstreiten, ja sich regelrecht bekriegen können. Der Thymos hingegen, so lehrt die Platonische Psychologie, könne nicht dem Nous zuwiderhandeln. Von der Sache her liegt das eigentlich auf der Hand, bedarf doch der Nous des Antriebs, um überlegen und nachdenken zu können. Würde er das, was ihn antreibt, bekriegen, so würde er seine eigenen Existenzbedingungen kappen. Auf diese Weise entfaltet Platon eine Lehre von der Psyche, die der alltäglichen Erfahrung, dass und wie konfliktbeladen unser Seelenleben zuweilen ist, Rechnung trägt. Zugleich aber ist sie geleitet von einem Ideal, nämlich dem harmonischen Zusammenspiel der drei angeführten Seelenteile. So, wie der menschliche Körper dann gesund ist, wenn sich seine einzelnen Teile in Einklang miteinander befinden, so ist die menschliche Psyche dann intakt, wenn ihre drei Teile miteinander harmonieren, wenn sie zusammenstimmen. Ist diese Harmonie gestört, etwa wenn zwei Seelenteile miteinander im Streit liegen, dann stimmt etwas nicht mit der betreffenden Seele, dann kommt es zu psychischen Defekten und Ausfallerscheinungen, dann ist die Seele krank. Und nur wenn die Seele gesund ist, so kann man Platon hier weiterdenken, ist der Nous in der Lage, seiner Aufgabe des Überlegens und Nachdenkens nachzukommen, deren höchste Leistung Platon im Erfassen der Ideen erblickt. Solches Erfassen der Ideen ist für ihn nur im Zuge eines unsinnlichen Akts möglich. Die Sinne sind hierfür nicht geeignet, begreift er sinnliche Wahrnehmung doch als einen materiellen Vorgang. Einzig der Nous ist zu intelligibler Erkenntnis fähig, und zwar ist er dazu fähig, weil er als Teil einer als unsterblich und immateriell gedachten Seele im vorgeburtlichen Zustand die Ideen auf eine nichtsinnliche, irgendwie ‚intelligible‘ Art – die Platon nicht näher erläutert – geschaut hat. Dergestalt wird der Nous als Teil einer Seele konzipiert, die allein schon aus dem Grund – und vielleicht auch noch aus anderen Gründen – als unsterblich und immateriell begriffen wird, weil Platon so das Wissen von
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den und die (Wieder-)Erkenntnis der Ideen meint verständlich machen zu können.
Geist als höchste Funktion der Seele: Aristoteles Aristoteles (384/83–323/22 v. Chr.) war zwanzig Jahre Schüler Platons, bevor er eine eigene Schule gründete, in der er Lehrinhalte vortrug, die in mancher Hinsicht von denen seines Lehrers abwichen. So auch hinsichtlich der Seele und ihres Verhältnisses zum Körper. Für Aristoteles konstituiert sich ein Lebewesen aus Körper und Seele. Wenn er in seiner Schrift Über die Seele vorträgt, die Seele sei der „Grund der Lebewesen“ 2 und die Beseelung lege den Schnitt zwischen Belebtem und Unbelebtem, dann dokumentiert sich hierin die für die griechisch-antike Welt charakteristische Überzeugung, die Psyche stelle das belebende Prinzip dar, eine Überzeugung, die uns ja bereits wiederholt begegnet ist. Aristoteles will das so verstanden wissen, dass die Seele nicht vom Körper abtrennbar ist. Demnach bestreitet er eine vom Körper unabhängige Seele – und damit zugleich auch ihre Immaterialität. Allerdings will er seine Überzeugung, Körper und Seele machten zusammen das Lebewesen aus, nicht so gelesen haben, als sei die Seele der Körper, als seien beide identisch. Vielmehr, so stellt er klar, ist die Seele „etwas am Körper“, ist sie „in einem Körper“, und zwar „in einem so und so beschaffenen Körper“. 3 Aber auch das wiederum darf man nicht so auffassen, als befinde sich die Seele in einem bestimmten Körperteil oder als sei sie mit einem bestimmten Teil des Körpers identisch. Nein was Aristoteles uns zu bedenken aufgeben will, ist: Die Seele ist, mit seinen Worten, die ein wenig der Erläuterung bedürfen, gesagt, „Wesenheit im Sinne der Form des natürlichen Körpers, der seiner Möglichkeit nach Leben hat“. 4 Im Hintergrund dieser Sicht des Verhältnisses von Seele und Körper steht die Aristotelische Grundüberzeugung, alles Seiende bestehe einerseits aus Körper, Stoff, Materie (Hyle) und andererseits aus Form (Morphe), wobei die Materie, der Stoff, als bloße Möglichkeit begriffen wird, der durch die Form Wirklichkeit verliehen wird. Diese Lehre wurde später unter der Bezeichnung „Hyle-
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morphismus“ tradiert. Im Blick auf Aristoteles’ Definition der Seele, der zufolge sie die Form des Körpers ist, ist damit zu verstehen gegeben: Die Seele verleiht dem Körper, der als solcher nur Möglichkeit ist, Wirklichkeit. Das heißt, sie formt das bloße Material, aus dem ein Organismus besteht, und strukturiert es so, dass der Organismus als ganzer funktioniert. Modern gesprochen könnte man sagen, die Seele ist die Struktur oder auch funktionale Organisation des Körpermaterials. Auf diese Weise verabschiedet Aristoteles Platons Vorstellung von den Seelenteilen und ersetzt sie dadurch, dass er der Seele bestimmte Funktionen, genauer gesagt: Lebensfunktionen, zuschreibt. Was sind nun solche Lebensfunktionen? Zunächst sei daran erinnert, dass die Aristotelische Seelendefinition für alle belebten Körper, also alle Lebewesen gelten soll, mithin für Pflanzen, Tiere und Menschen gleichermaßen. Und als fundamentale Lebensfunktionen gelten ihm Ernährung, Stoffwechsel, Reproduktion sowie Wachstum und Vergehen. Diese fundamentalen Lebensfunktionen sind kennzeichnend für alle Pflanzen, Tiere und Menschen. Pflanzen, so fährt Aristoteles fort, verfügen nur über die genannten grundlegenden Funktionen. Andere Lebewesen, also Tiere und Menschen, besitzen weitere Funktionen, die sie in die Lage versetzen, Wahrnehmungen zu machen, Vorstellungen zu haben, Lust und Schmerz zu fühlen, etwas anzustreben – also etwas zu begehren – sowie sich im Raum fortzubewegen. Beim Menschen nun tritt nach Aristotelischer Psychologie eine weitere Funktion hinzu: die nämlich, zu denken. Dergestalt hat Aristoteles ein Stufenmodell des Lebendigen, eine scala naturae entwickelt. Systematisiert man seine Ausführungen in der Schrift über die Seele, dann wird deutlich: Auf der Ebene der Pflanzen hat die Psyche die Funktionen, Ernährung, Stoffwechsel, Fortpflanzung, Wachstum und Vergehen zu organisieren. Dies ist später als vegetative Seele und als ‚Pflanzenseele‘ bezeichnet worden. Auf der Stufe der Tiere kommen als weitere Funktionen hinzu: Wahrnehmungen, Vorstellungen, Lust- und Schmerzempfindungen, Streben und Begehren, Ortsbewegung. Zusammengefasst haben wir es hier mit der animalischen Seele zu tun. Und auf der Stufe des Menschen schließlich ist die Psyche über all diese Funktionen hinaus zudem durch ‚Geist‘ ausgezeichnet: Hier hat sie auch die Funktion, zu denken. Für unser Thema ist hieran vor allem zweierlei bemerkenswert.
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Zunächst als Erstes: Zwar stehen die drei Stufen des Lebendigen, die Aristoteles aufzählt, statisch übereinander – Aristoteles erkennt, mit anderen Worten, zwischen ihnen keinen dynamischen Zusammenhang, keinen evolutionären Prozess –; gleichwohl lässt sich aus ihnen eine Verbindung zwischen fundamentalen Lebensprozessen und affektiven und geistigen Funktionen herauslesen. Bezogen auf Affekte wird das von Aristoteles ausdrücklich hervorgehoben, schreibt er doch, die Affektionen und Affekte der Seele schienen ihm alle mit dem Körper verbunden zu sein. Als Beispiele führt er an: Zorn, Milde, Furcht, Mitleid, Wagemut, Freude, Liebe, Hass. Von ihnen allen, sagt er, werde „der Körper in Mitleidenschaft gezogen“: „Ein Zeichen dafür ist, daß man manchmal beim Vorliegen von starken und deutlichen Einwirkungen nicht in Erregung oder Furcht gerät, zuweilen aber von geringen und schwachen bewegt wird, wenn der Körper in Schwellung ist und es mit ihm so steht, wie wenn man im Zorne aufwallt. Noch auffälliger ist folgendes: Ohne daß etwas Furchterregendes vorliegt, gerät man in den Zustand dessen, der sich fürchtet. Wenn dem so ist, so ist klar, daß die Affekte materiegebundene Begriffe sind“. 5 Damit tendiert sein Konzept in eine andere Richtung als dasjenige seines Lehrers Platon, der ja in einigen seiner Dialoge, wie wir gesehen haben, seinen Sokrates die Lehre von der Trennung von Seele und Körper vertreten ließ. Nun, ganz frei geworden von einer solchen Ansicht ist auch Aristoteles noch nicht, betont er doch wiederholt in seiner Schrift über die Seele, zwar nicht die Seele, jedoch der Geist sei vom Körper getrennt 6 und man nehme mit gutem Grund nicht an, dass er mit dem Körper vermischt sei. Denn dann bekäme er ja eine bestimmte Beschaffenheit, würde etwa kalt oder warm 7 – eine Vorstellung, die Aristoteles offenbar als abwegig erschienen ist. Und dann als Zweites: Geist bestimmt Aristoteles näher als „Denkkraft“; 8 seine „Bewegung“, schreibt er, sei das „Denken“. 9 Dies bringt spezifische Konsequenzen für das Lebewesen Mensch mit sich, die Aristoteles in anderen Schriften herausgearbeitet hat. So bestimmt er in seiner Politikvorlesung den Menschen als dasjenige Lebewesen, das den „Logos“ besitzt. 10 „Logos“ verwendet er hierbei in der doppelten Bedeutung von „Vernunft“ und (artikulierter) „Sprache“. In dieser Wesensdefinition des Menschen spricht sich mithin die Einsicht aus, der Mensch verfüge über Sprache, weil er Vernunft, oder zumindest Vernunftfähigkeit, besitze
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und ebendiese Vernunft in der artikulierten Sprache zum Ausdruck gelangt. Demnach hängen für Aristoteles Vernunft und Sprache aufs Engste zusammen: Über Sprache verfügen wir, weil wir vernünftig-geistige Lebewesen sind, und unsere Vernunft, unsere denkende Seele, artikuliert sich als Sprache. Näher besehen bedeutet das, vernunftgekoppelte sprachliche Verständigung dient nicht nur dazu, die jeweilige Befindlichkeit auszudrücken, sondern sie ermöglicht uns Einsicht, zielgerichtetes Wollen, bewusste Zwecksetzungen, das Formulieren abstrakter Gedanken und Ideen sowie deren Austausch mit anderen Menschen. Seinen Schriften zur Ethik, etwa der Nikomachischen Ethik, lässt sich entnehmen: Weil der Mensch über eine denkende Seele, über Geist verfügt, ist er – als das einzige der Lebewesen – in der Lage, aufgrund von Überzeugungen und aus Gründen zu handeln. Zudem kann er seine Absichten, seine Handlungen sowie die Mittel, die er zwecks Erreichen seiner Absichten einzusetzen gedenkt, daraufhin befragen und beurteilen, ob sie den moralischen Standards, die in einer Gesellschaft gelten, entsprechen oder nicht, ob sie, anders gesagt, moralisch gut oder schlecht sind. Nun war sich Aristoteles bei alldem durchaus darüber im Klaren, dass Menschen sich bei ihrem Handeln und Verhalten nicht immer oder überwiegend von vernünftigen Überlegungen, mithin von ihrem Geist leiten, sondern sich oft genug von ihren Affekten steuern lassen. Das rührt sicherlich auch daher, dass, wie er ausdrücklich betont, nicht alle Menschen in gleicher Weise über Denkkraft, sprich Geist, verfügen. 11 Aber zumindest sind wir Menschen potentiell vernünftige, sind wir potentiell denkende Wesen. Und Aristoteles hat herausgearbeitet, welche Konsequenzen das für unser theoretisches wie praktisches Weltverhalten mit sich bringt – oder vorsichtiger formuliert: mit sich bringen könnte. Zu diesen Konsequenzen rechnet er auch und insbesondere, dass uns als Geistwesen eine besondere Form von Glück, von Eudaimonia, erreichbar ist. Glück, so formuliert Aristoteles in der Nikomachischen Ethik als seine grundlegende Überzeugung, sei Tätigkeit im Sinne der Trefflichkeit beziehungsweise der Tugend – der Areté – der Seele. Und die beweist und bewährt sich als ethische Trefflichkeit im Treffen der Mitte zwischen extremen praktischen Verhaltensweisen. Im zehnten Buch der Nikomachischen Ethik nun ergänzt er diese Sichtweise um den bemerkenswerten Gedanken, die „höchste“ Areté sei die Tätigkeit der „obersten Kraft“, sei die
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Tätigkeit des Besten in uns – und das sei der Nous, der Geist. Diese Kraft, so ist Aristoteles überzeugt, sei „wesenhaft herrschend, führend, auf edle und göttliche Gegenstände gerichtet“. 12 Und das konkretisiert er dahingehend, die Tätigkeit des Besten in uns, also des Geistes, sei ein „geistiges Schauen“, sei, wie er sagt, eine „betrachtende“ Tätigkeit, sei Theoria: ein betrachtendes Verweilen bei einer Sache, ein Sich-Versenken in einen, ein Aufgehen in einem Gegenstand. Ein solches geistiges Schauen begreift Aristoteles als „vollendetes“ Glück, womit er zu verstehen gibt: Ethisches Handeln ist durchaus als Glück zu begreifen; aber dieses Glück wird überboten durch dasjenige, das in und mit der geistigen Schau gegeben ist. Dies begründet er mit einer Reihe von Argumenten. 13 Als erstes Argument führt er an, die betrachtende Tätigkeit sei die höchste Form menschlicher Tätigkeit, denn der Geist sei das Beste in uns, und den obersten Rang unter den Erkenntnisobjekten hätten die des Geistes inne. Zweitens können wir die betrachtende Tätigkeit des Geistes in stärkerem Maße als jede andere Tätigkeit ununterbrochen vollziehen. Ihr kommt also am meisten Dauer zu; und Dauer ist für Aristoteles ein nicht unwesentliches Moment des Glücks. Drittens ist Glück für Aristoteles mit Lustempfinden verbunden. Am lustvollsten von allen menschlichen Tätigkeiten nun ist für ihn das Tätigsein des betrachtenden Geistes – und zwar aufgrund seiner Reinheit und Beständigkeit. Zudem kommt, viertens, der geistigen Schau Autarkie im höchsten Maße zu, bedarf man doch zu ihrer Verwirklichung keines anderen Menschen. Während zum Beispiel der Gerechte anderer Menschen bedarf, denen gegenüber er seine Areté bewähren kann, kann man sich der geistigen Schau auch dann hingeben, wenn man ganz bei sich ist. Dergestalt genügt sich derjenige, der sich in die Theoria versenkt, selbst. Vielleicht, überlegt Aristoteles, gelingt ihm das geistige Betrachten besser, wenn er Freunde hat, die ihn dabei unterstützen; gleichwohl bleibt er der Unabhängigste. Fünftens ist die Tätigkeit des Geistes die einzige, die um ihrer selbst willen geliebt wird, geht es ihr doch rein um den Vollzug der geistigen Schau, während man vom praktischen Wirken neben dem bloßen Handeln noch mehr oder minder großen Gewinn haben kann. Kurz und gut, aus all diesem folgt für Aristoteles, dass die geistige Tätigkeit „das vollendete Menschenglück darstellt, falls es ein Vollmaß des Lebens dauert“. 14 Ein solches von der Theoria bestimmtes Leben hält
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Aristoteles nun selbst für „übermenschlich“, für ein Leben mithin, das höher steht, als es dem Menschen als Menschen zukommt. Und so betont er, man könne es in dieser Form nicht leben, sofern man Mensch ist, sondern nur insofern ein göttliches Element in uns wohne. Dieses göttliche Element in uns Menschen sei eben der Nous, der Geist. Daher kann er festhalten: „Ist also, mit dem Menschen verglichen, der Geist etwas Göttliches, so ist auch ein Leben im Geistigen, verglichen mit dem menschlichen Leben, etwas Göttliches“. Und er fordert uns auf, soweit wir können, „alles [zu] tun, um unser Leben nach dem einzurichten, was in uns das Höchste ist“. 15 Denn ebendieses Höchste, der Geist, ist „unser wahres Selbst“, stellt es doch „den entscheidenden und besseren Teil unseres Wesens“ dar. 16 Aristoteles unterstützt diese Überzeugung mit zusätzlichen Überlegungen, die ihren Ausgang von dem Volksglauben nehmen, die Götter seien die seligsten und glücklichsten Wesen. Den Göttern nun schreibt ebendieser Volksglaube zu, ihre Tätigkeit bestehe im reinen Betrachten, im rein geistigen Schauen. Folglich, schließt Aristoteles, hat jenes menschliche Tun, das dem Wirken der Gottheit am nächsten kommt, am meisten vom Wesen des Glücks in sich. Glück im Sinne der Theoria, der betrachtenden, geistigen Schau zeichnet den Menschen, wie Aristoteles überdies darlegt, vor allen anderen Lebewesen aus. Kein anderes Lebewesen hat an diesem Glück teil, weil es neben dem Menschen kein Lebewesen gibt, das zu der betrachtenden Tätigkeit, die das Glück der Götter ausmacht, in der Lage wäre. Ganz pointiert formuliert er: In dem Maße, in dem sich die geistige Schau entfaltet, ist auch das Glück umfassend. Wer demnach ein aktives Leben des Geistes führt und den Geist pflegt, von dem darf man nach Aristoteles sagen, „sein Leben sei aufs beste geordnet und er werde von den Göttern am meisten geliebt“. So beschließt er seine Ausführungen über den Zusammenhang von Glück und Geist mit den Worten: „Daß dies aber im höchsten Grade bei dem Philosophen zu finden ist, darüber besteht kein Zweifel. Und so wird er von den Göttern am meisten geliebt. Als Liebling der Götter aber genießt er auch das höchste Glück. Und so ist also der philosophische Mensch auch von dieser Seite her im höchsten Maße glücklich“. 17 Über das göttliche Leben und das geistige Schauen der Gottheit hat
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sich Aristoteles anderenorts näher ausgesprochen, nämlich im siebten und neunten Kapitel des zwölften Buchs seiner Metaphysik, in dem er seine ‚Theologie‘ formuliert. Dort legt er dar, unter allen Erscheinungen, die wir kennen, scheint uns das Höchste und Beste Vernunft, scheint Denken zu sein. Ja Vernunft und Denken gelten uns geradezu als „das Göttlichste“. 18 Folglich müsse man sich, so Aristoteles weiter, das Sein der Gottheit als „Denken“ – Noesis – vorstellen. Das Denken nun kann sich entweder auf sich selbst oder auf etwas anderes, etwas von ihm Verschiedenes richten. Als höchstes Ziel schwebt allem Denken das Einswerden mit dem Gedachten vor. Dieses Ziel wird in vollkommener Weise dann erreicht, wenn sich das Denken auf sich selbst richtet, wenn es sich selbst zum Gegenstand hat. Und genau das ist für Aristoteles das Kennzeichen der geistigen Tätigkeit der Gottheit. Die geistige Tätigkeit der Gottheit kennt keine Trennung mehr zwischen Denken und Gegenstand; beides ist in ihr vollkommen eins. Das göttliche Denken, so lautet die berühmte Wendung des Aristoteles, ist „Denken des Denkens“ (Noesis noeseos). Eine vollkommenere geistige Tätigkeit ist uns nicht vorstellbar, denn ein Denken des Denkens ist ganz auf sich gerichtet, ist ganz bei sich, ist mithin im Vollsinn des Wortes autark, ist in sich vollendet und daher vollkommen. Auf diese Weise gelingt es Aristoteles, indem er der geistigen Tätigkeit nachspürt, eine Verbindung zwischen Psychologie – der Lehre von der Seele – und Theologie – der Lehre von der Gottheit – herzustellen. Es ist demnach die geistige Tätigkeit, die es ihm ermöglicht, im Zuge ihrer Erforschung eine empirisch unterfütterte Seelenlehre mit einer spekulativen Theologie in Beziehung zu setzen: Ist doch die höchste Funktion der menschlichen Psyche die geistige, die denkende Tätigkeit, und charakterisiert eben sie in vollendeter und vollkommener Weise die Seinsweise der Gottheit.
Rezeption der Demokrit’schen Atomtheorie in hellenistischer Zeit: Epikur und Lukrez In hellenistischer Zeit – welche die Periode der griechischen Kultur umfasst, die mit Alexander (356–323 v. Chr.) begann und mit Augustus (31 v. Chr.–14. n. Chr.) endete und in der große Teile der damals bekannten Welt von der griechischen Kultur beeinflusst wurden – wurde Demokrits atomtheoretisches Modell aufgegriffen und für die Erklärung mentaler Zustände von Epikur und Lukrez weiterentwickelt. Der von der Insel Samos stammende Epikur (341–271 v. Chr.) gründete 306 v. Chr. in Athen eine nach ihm benannte Schule, die auch unter der Bezeichnung „Der Garten“ bekannt ist und die zusammen mit der stoischen und skeptischen Schule nicht nur zu den einflussreichsten Weisheitsschulen ihrer Zeit zählte – so blieb sie in Athen bis ins zweite Jahrhundert n. Chr. lebendig –, 1 sondern im weiteren Verlauf der abendländischen Geistesgeschichte insbesondere mit ihren lebenspraktischen Ratschlägen und ethischen Maximen eine enorme Wirkung entfaltete. 2 Epikur übernimmt von Demokrit nicht nur dessen Grundgedanken, dass schlechterdings alles Seiende aus letzten, nicht weiter teilbaren Bausteinen, den Atomen, zusammengesetzt ist, sondern wendet ihn wie sein Vorgänger auch auf die Seele und die Erklärung des Wahrnehmungsprozesses an. Infolgedessen hält auch er die Seele für körperlich. Und ganz wie für Demokrit besteht sie auch für ihn aus besonders kleinen, runden und glatten Atomen, 3 so dass er von ihr sagen kann, wie er in seinem Brief an Herodot 4 schreibt, sie sei „ein feinteiliger Körper“. Diese so verstandene Seele ist für ihn im ganzen Körper verstreut, dabei, da sie ja aus feinsten Atomen besteht, am ehesten einem „Hauch“ (pneuma) ähnlich. 5 Mit dem Tod des jeweiligen Organismus geht nach Überzeugung Epikurs auch die Seele zugrunde, das heißt, die sie bildenden Atomstrukturen lösen sich in eins mit dem Organismus auf und ‚zerstreuen‘ sich wieder
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in den Kosmos 6. Epikur ist so überzeugt von der Materialität der Seele, dass er jenen, die behaupten, „die Seele sei unkörperlich“, entgegenhalten kann, sie redeten „verrücktes Zeug“. 7 Darüber hinaus liegt es für ihn auf der Hand, „daß die Seele am Wahrnehmungsvermögen den erheblichsten Ursachenanteil hat“. 8 Ähnlich wie Demokrit erklärt auch Epikur den Vorgang der sinnlichen Wahrnehmung dadurch, dass sich von den Dingen materielle Partikel ablösen und als Eidola, als Bilder oder „Sichtbilder“ in unsere Wahrnehmungsorgane hineinströmen, 9 wobei sie gleichgestaltige Typen der Körperwelt der Seele einprägen. Mit Hilfe des Gedächtnisses ist die Seele in der Lage, sie sich als Vorstellungsbilder jederzeit aufs Neue zu vergegenwärtigen, so dass das sinnliche Material dem Zugriff des Denkens – der Dianoia – verfügbar bleibt. 10 Bei diesen wenigen Darlegungen hinsichtlich des Wahrnehmungsund Erkenntnisprozesses hat Epikur es leider belassen – zumindest ist uns nichts Weitergehendes überliefert –, so dass man nicht auf hierüber hinausgehende Ausführungen hoffen darf. Zudem erklärt er sich über das Denken beziehungsweise die Verstandestätigkeit nicht näher, infolge wovon auch in dieser Hinsicht so manches im Dunkeln bleiben muss. Und bei all dem fällt auf, dass der Begriff des Geistes, des Nous, in jenen Kontexten, in denen Epikur auf das Zustandekommen unseres Bildes von der Welt zu sprechen kommt, nicht begegnet und er sich stattdessen mit dem kargen Hinweis auf den seiner Überzeugung nach erheblichen Anteil der Seele bei der sinnlichen Wahrnehmung bescheidet. Mehr ins Detail, was Geist und Seele anbetrifft, geht Titus Lucretius Carus, besser bekannt unter seinem Kurznamen Lukrez, der demokritisch-epikureisches Gedankengut mittels seines Lehrgedichts De rerum natura der Nachwelt überliefert hat. Lukrez, dessen Lebenszeit etwa in dem Zeitraum von 96 bis 55 v. Chr. anzusetzen ist, hat mit dieser Schrift über die Natur der Dinge, die eine rein atomistisch-materialistische Erklärung der Welt und der auf ihr lebenden Wesen bietet, nachhaltig auf die sich zu Beginn der Neuzeit herausbildende naturwissenschaftliche Forschung und Diskussion gewirkt. Diese Schrift, die seit dem neunten Jahrhundert für fast ein halbes Jahrtausend unbeachtet geblieben war, übte seit ihrer Wiederentdeckung im Jahr 1417 durch den italienischen Humanisten und ‚Bücherjäger‘ Poggio Bracciolini eine Wirkung aus, die derma-
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ßen stark war, dass sie die scheinbar so festgefügte Weltsicht des Mittelalters in ihren Grundfesten erschütterte und die beginnende Renaissance befeuerte und auf diesem Weg daran mitwirkte, eine neue Sicht auf die Welt und den Menschen zu etablieren. 11 Konzentrieren wir uns hier auf seine Ausführungen zum Thema ‚Geist‘ und für ihn damit zusammenhängend zu dem der ‚Seele‘. Im dritten Gesang des insgesamt sechs Gesänge umfassenden Werks nimmt sich Lukrez vor, das Wesen des Geistes und der Seele zu enthüllen und zu erläutern. 12 Seine These, die er selbst als seine „wichtigste“ apostrophiert, besagt, unser Geist, den wir oft auch als „Vernunft“ bezeichnen und mittels dessen wir unser Leben durchdenken und leiten, sei „ein Bestandteil des menschlichen Körpers gleich Händen und Füßen oder auch Augen als Gliedern des ganzen lebenden Wesens“. 13 Mit dieser These wendet sich Lukrez nachdrücklich gegen all jene, die den Geist als eine unkörperliche Substanz auffassen; sie alle, so behauptet er, seien „sehr weit von der Wahrheit“ entfernt. 14 Aber nicht nur den Geist hält Lukrez für körperlich, sondern gleicherweise auch die Seele; auch sie, so akzentuiert er, gehöre zum Körper, so dass Geist und Seele für ihn „Teile“ des Menschen darstellen. Hierbei erachtet er Geist und Seele als für eng miteinander verbunden, und zwar so eng, dass sie „nur ein einziges Wesen“ bilden. Gleichwohl nimmt er zwischen beiden eine Differenzierung vor, sagt er doch, „das Haupt und gleichsam der Herrscher im Körper als Ganzem sei die Vernunft“, die wir auch als „Geist“ oder als „Denkkraft“ bezeichnen. Diesem Geist weist er zudem einen Ort zu, geht er doch davon aus, „fest in der Mitte der Brust“ bleibe er „dem Körper verhaftet“. Während er dergestalt den Geist meint genau lokalisieren zu können, sieht er die Seele demgegenüber „über den ganzen Körper“ verteilt. 15 Dass es Sinn hat, zwischen Geist und Seele zu differenzieren, begründet Lukrez zunächst mit der Beobachtung: Die Seele bewegt sich auf Weisung und Anstoß der denkenden Kräfte, können doch nur diese Einsicht entwickeln und Freude empfinden, „während nichts anderes gleichzeitig Körper wie Seele beeindruckt“. Ferner fügt er als Beleg an: Werden wir etwa am Kopf oder an den Augen verletzt, dann empfinden wir Schmerzen nur örtlich und nicht am Körper als Ganzem. Ebenso kann auch der Geist zuweilen Schmerzen oder Freuden empfinden, während indessen die übrige Seele nirgendwo etwas verspürt an den Gliedern oder Ge-
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lenken. Wenn nun gar noch eine starke Furcht die Denkkraft, sprich den Geist, erschüttert, dann sehen wir am Leib die Seele allseitig mit betroffen: Schweißausbrüche und Blässe befallen dann nämlich sämtliche Glieder, die Zunge gerät ins Stocken, die Stimme versagt uns, es wird uns schwarz vor den Augen, es dröhnt uns in den Ohren, die Knie schlottern, und oft sehen wir Menschen infolge jähen Erschreckens taumeln und stürzen. All dies, meint Lukrez, zeige uns zur Genüge, dass Geist und Seele an den Körper gebunden sind, 16 dass beider „Substanz“ etwas Körperlich-Materielles ist. 17 Freilich handelt es sich bei der Materie von Geist und Seele um Materie, die aus „sehr feinen“ Atomen besteht. Damit bewegt sich Lukrez im Denkrahmen Demokrits und Epikurs, führt er doch ganz in deren Sinn weiter aus, die „Substanz des Geistes“ bestehe „völlig aus kleinen, glatten und runden“ Atomen, die bereits bei leichtestem Anstoß in Schwung geraten. Dahinter steht die Intuition, je glatter und winziger Atome seien, umso leichter bewegten sie sich, und nichts vollziehe sich so schnell wie die Denkkraft. 18 Ähnlich verhält es sich seiner Überzeugung nach mit der Seele. Da auch sie sehr beweglich sei – was man allein schon dem Sachverhalt entnehmen könne, dass sie sich „beim geringsten Anstoß“ rege, wie es beispielsweise der Fall ist, wenn „Bilder des Rauchs und des Nebels“ sie „nachdrücklich reizen“ –, sei auch sie aus „ganz winzigen“ Atomen gebildet, ja sei sie geradezu von „luftiger Zartheit“. 19 (Wir erinnern uns: Bereits Epikur erblickte in der Seele eine Art „Hauch“.) Solch luftige Konsistenz der Seele wird für Lukrez auch daran ersichtlich, dass dann, wenn sie im Tod völlig aus dem Leib entweicht, diesem nicht das Geringste an Gewicht fehlt. 20 Dergestalt kann Lukrez sowohl mit Blick auf den Geist als auch auf die Seele von einer geistigen und seelischen „Substanz“ sprechen; deren „Gewebe“ jedoch ist äußerst fein und nimmt im Körper nur einen „äußerst winzigen Raum“ ein. 21 Verweilen wir noch ein wenig bei Lukrezens Konzept einer aus feinsten Atomen bestehenden Seelensubstanz und nehmen wir zur Kenntnis, dass deren Wesen nach seiner Ansicht nicht einfach, sondern dreifach ist, besteht sie doch aus Wärme, Luft und Windhauch. 22 Hierfür gibt Lukrez einen Grund an, der aus der Beobachtung des Sterbeprozesses resultiert. So, wie er darlegt, entweicht dem Sterbenden ein lauwarmer flüchtiger Windhauch, und die Wärme ihrerseits lässt sich von Luft begleiten.
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Jedoch meint er selbst, dieses Konzept einer dreifach strukturierten Seelensubstanz bedürfe der Ergänzung, denn mit den drei genannten Bestandteilen allein könne man die Arbeit der Sinne nicht zureichend erklären. Daher rührt es, dass er einen vierten Bestandteil einführt, dessen atomare Struktur an Kleinheit und Glätte nicht mehr überboten werden könne. Dieser Teil, für den laut Lukrez bislang eine Bezeichnung fehlt, löse in den Gliedern belebter Wesen alle Empfindungen aus und empfange dank der Winzigkeit seiner Atome als erster den auf die Sinne einwirkenden Reiz, woraufhin dann Wärme, Wind und der Lufthauch den Anstoß übernähmen. Erst im Anschluss hieran setze sich das Übrige wie Blut, Fleischteile, Mark und Knochen in Bewegung. Dass für diesen Seelenteil bislang eine treffende Bezeichnung mangelt, liegt, wie Lukrez beklagt, an der „Armut unsrer lateinischen Sprache“. 23 Er seinerseits schlägt vor, diesen aus winzigen Atomen bestehenden Bestandteil der Seelensubstanz als „die Seele der Seele“ zu bezeichnen. 24 Von diesen Überlegungen zur Struktur der Seelensubstanz ausgehend schreitet Lukrez sodann dazu fort, die unterschiedlichen psychischen Befindlichkeiten von Menschen (aber auch von Tieren) zu erklären. Nun, vor dem Hintergrund des bislang referierten atomistischen Deutungsansatzes liegt es auf der Hand, dass sie – als Beispiele führt er Zorn, Wut sowie Gefühle überhaupt an – aus den verschiedenen Formen der vielen Atome resultieren. 25 Da solche Atome sowie deren Kombinationen als eine Art ‚ursprünglich wirksamer Anlagen‘ zu begreifen sind, kann Erziehung zwar, wie Lukrez betont, „einige Rauheiten glätten“ – die Atomstruktur der jeweiligen Seele umzuändern, dazu ist sie jedoch nicht in der Lage. 26 In diesem Sachverhalt dokumentiert sich für ihn erneut die enge Verbundenheit von Seele und Körper; eine Trennung beider käme der Vernichtung beider gleich. 27 Da nun der menschliche (und tierische) Körper geboren wird, heranwächst und irgendwann einmal stirbt, Körper, Seele und Geist aber miteinander verbunden sind, ist es für den Materialisten Lukrez unabweisbar, dass die „flüchtigen Seelen“ und die Denkkraft ebenfalls geboren werden, sich entwickeln und irgendwann wieder sterben. Dass es sich so verhält, schreibt er, könnten wir doch an uns selber spüren, merken wir doch, wenn wir ein wenig auf unsere Entwicklung achten, dass mit dem Körper auch die Denkkraft entsteht, heranwächst und schließlich wieder
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altert. „Denn wie ein Kind“, so veranschaulicht er diesen Gedanken, „mit noch schwächlichem, zartem Körper, umhertappt, / ebenso unsicher zeigt es entsprechend sich auch noch im Denken. / Aber sobald es heranwächst mit stetig gedeihenden Kräften, / wächst auch die Einsicht, steigert mit ihr sich die Stärke des Geistes. / Wird dann jedoch der Körper geschwächt durch den Einfluß des Alters, / werden die Glieder unsicher mit dem Erlahmen der Kräfte, / stockt auch der Geist, irr plappert die Zunge, entgleiten Gedanken, / alles verliert sich und steht uns auf einmal nicht mehr zu Gebote“. Am Ende verfallen Denkkraft und Seele genauso dem Tod wie der Körper: entstehen und wachsen sie doch zusammen mit unserem Körper und vergehen sie „erschöpft vom Alter“ mit diesem. 28 Wenn vorhin festgehalten werden konnte, Lukrez verorte den Geist oder die Denkkraft in der Brust des Menschen, wohingegen er die Seele als im ganzen Körper verteilt auffasst, dann ist klar, dass der Körper für beide eine Art „Gefäß“ darstellt. 29 Mit Blick auf die Seele sagt er, der Leib sei sozusagen deren „Krug“, und wenn der zerbreche, dann könne der Leib die Seele nicht länger festhalten, 30 dann ‚verflüchtige‘ sie sich, 31 ja ‚zerflattere‘ sie „dem Rauche vergleichbar“ 32 – mit der Konsequenz, dass sich die Atome, aus denen sie aufgebaut war, im Reigen der sich im Kosmos tummelnden Atome neu gruppieren können. Ja streng genommen löst sich die Seele nach Lukrezens Sicht der Dinge im Zuge des Sterbeprozesses bereits im Körper vollständig auf, ehe sie ins Freie gelangt und ihre Atome in die Lüfte hineingleiten. 33 Mit all dem will er zudem darauf hinaus, die Seele als eine Substanz zu erweisen, die sich in Teile zerlegen lässt. Wird der Körper beispielsweise im Kampf durch Schwerthiebe oder durch sichelbewehrte Kampfwagen zerschnitten und zerstückelt, dann befindet sich in jedem dieser abgetrennten Körperteile ein Teil der Seele. Für falsch erachtet er es, jedem der einzelnen Teilstücke des Körpers eine eigene Seele zuzuschreiben. 34 Und falsch ist seines Erachtens auch die Ansicht, die Seele ‚verfertige‘ sich einen Körper und dessen Glieder. Würde man nun andererseits davon ausgehen, die Seelen bezögen bereits „fertig gebildete Leiber“, dann ist das für ihn ebenso unhaltbar wie die zwei anderen zurückgewiesenen Meinungen. Nein, so verhält es sich nach Lukrez ganz und gar nicht, sondern er tritt, wie wir bereits festhalten konnten, mit Nachdruck für die Überzeugung ein, die Seele – und ebenso auch der Geist und die Denkkraft –
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entstünden zusammen mit dem Körper und könnten ohne ihn gar nicht zur Wirksamkeit gelangen. 35 Von der anderen Seite her betrachtet ist damit, um es zu wiederholen, zu verstehen gegeben: „Der Tod des Körpers bedeutet gleichzeitig auch den Tod der im Körper zerfallenden Seele“. 36 Da wir nun mit unserer Seele empfinden, diese sich aber im und mit dem Tod auflöst, ist der Tod für Lukrez gleichbedeutend mit dem Aufhören jeglicher Empfindung. „Folglich“, so Lukrez abschließend zu diesem Thema, „berührt uns der Tod nicht, bedeutet auch nicht das Geringste, / da wir die Seele als sterblichen Körperteil zwingend erkennen“. 37 Damit greift er einen zentralen Gedanken Epikurs auf, den dieser formuliert hatte, um uns die Furcht vor dem Tod zu nehmen, gibt er doch Menoikeus in dem an diesen gerichteten Brief unter anderem mit auf den Weg: „Gewöhne dich ferner daran zu glauben, der Tod sei nichts, was uns betrifft. Denn alles Gute und Schlimme ist nur in der Empfindung. Daher macht die richtige Erkenntnis – der Tod sei nichts, was uns betrifft –, die Sterblichkeit des Lebens erst genußfähig, weil sie nicht eine unendliche Zeit hinzufügt, sondern die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit von uns nimmt“. Diese Sichtweise kulminiert bei Epikur in einem Beweis, den Ludwig Marcuse als ‚einen der berühmtesten Beweise in der Geschichte der Philosophie‘ bezeichnet hat: 38 „Das Schauererregendste aller Übel, der Tod, betrifft uns überhaupt nicht; wenn ‚wir‘ sind, ist der Tod nicht da; wenn der Tod da ist, sind ‚wir‘ nicht“. 39 Dergestalt werden in der atomistischen Denkschule kosmologische Prinzipien, das heißt die These von der letztlich atomaren, mithin materiellen Verfasstheit schlechterdings alles Seienden, zum Einsatz gebracht, um psychohygienische Zwecke zu erreichen. Indem er sich voll und ganz dieser Denkschule zurechnet und deren Grundannahmen nicht nur teilt, sondern weiter ausbaut, erweist Lukrez dem ‚erhabenen Denker Demokritos‘, 40 wie er ihn bezeichnet, und dem für ihn nicht minder bedeutsamen Epikur, der, wie er meint, es tatsächlich verdient, „als Gott gepriesen zu werden“, 41 auf seine Art seine Reverenz.
Geistkonzepte im Kontext spätantiker Einheitsspekulation und christlicher Metaphysik des Mittelalters Der Nous als erste Hypostase des Einen und als Ort der Ideen: Plotin Als der letzte große Denker der griechischen Tradition und als der wirkmächtigste Philosoph der Spätantike gilt für gewöhnlich Plotin. Plotin, wahrscheinlich 204 oder 205 in Mittelägypten geboren und 270 in Kampanien gestorben, begründete, da er sich ausdrücklich als Interpret der Philosophie Platons verstand, den sogenannten Neuplatonismus. Zudem gab er den mystischen Strömungen der folgenden Jahrhunderte entscheidende Impulse. Durch beides prägte er nachhaltig die europäische Geistesgeschichte. Von ihm sind uns 54 Schriften überliefert, die als authentisch gelten. Sein Schüler und Biograph Porphyrios, dessen Leben die Jahre 232 bis 304 überspannt, hat Plotins Schriften in sechs Gruppen zusammengefasst und jede dieser Gruppen wieder in neun Abhandlungen unterteilt. Das griechische Wort für ‚neun‘ heißt ennéa; hierher rührt es, dass die Schriften Plotins als ‚Enneaden‘ bezeichnet werden. Plotins Ausgangspunkt ist ein kosmologisches Problem. Sein Denken ist nämlich von der Frage geleitet, woher das Werden der Welt kommt. Das Konzept, das er zwecks Beantwortung dieser Frage entwirft, antwortet hierauf: Das Werden der Welt entstammt dem einen wahren göttlichen Sein, das Plotin in der Regel als „das Eine“ (to hen) bezeichnet. Wir als sinnliche Wesen können uns nach Überzeugung Plotins von diesem Einen überhaupt keine Vorstellung machen, da es als das eine, wahre, göttliche Sein von allem uns Bekannten, bei dem es sich, wie bei uns selbst, um Endliches handelt, verschieden ist. Bestenfalls sind wir in der Lage, von ihm nur zu sagen, was es nicht ist 1 – nämlich: Es ist nicht körperlich, es hat
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keine Gestalt und hat auch keine Grenze, es denkt nicht (in dem Sinne, wie wir denken), es will nicht, es hat kein Bewusstsein seiner selbst, es ist nicht tätig und es leidet keinen Mangel, das heißt, es ist unbedürftig, positiv formuliert: Es genügt sich selbst. Eine solche Bestimmung von etwas durch ausschließlich negative Prädikate, also durch negativ formulierte Eigenschaften, heißt in der neuplatonischen Tradition eine Bestimmung via negationis: eine Bestimmung auf dem Weg der Verneinung. Und da solche negativ formulierten Eigenschaftsbestimmungen ja auf das göttliche Sein – theos – abzielen, spricht man von einer ‚Negativen Theologie‘. Dieses Hen, dieses göttliche Eine, besitzt nun laut Plotin eine solche Überfülle an Sein, dass es vor lauter Überfülle gleichsam überfließt oder ausstrahlt. (Siehe zum Folgenden insbesondere Enn. IV 4: Das Erste und das nach ihm; Enn. V 1: Die drei ursprünglichen Wesenheiten; V 2: Entstehung und Ordnung der Dinge nach dem Ersten.) Dieser Sachverhalt wird im Lateinischen als Emanation, als Ausfließen, als Überfließen, und im Griechischen als Eklampsis, als Ausstrahlung, bezeichnet. Wichtig für ein adäquates Verständnis des Plotin’schen Denkens ist hierbei, dass er diesen Ausfluss, diese Ausstrahlung so versteht, als strahle das Eine sein Sein aus, ohne dass es selbst dadurch eine Einbuße seines Seins erlitte. 2 Verdeutlichen kann man das anhand des Sonnenlichts: Von der Sonne, so stellt sich Plotin das vor, strahlt Licht aus, ohne dass sie dadurch an ihrer Substanz etwas einbüßt. Man kann das auch mittels einer anderen Analogie verdeutlichen: Ein Gegenstand spiegelt sich – im Teich oder in einem Spiegel – und verliert doch in solcher Spiegelung nichts von seiner Substanz. Aufgrund einer so zu verstehenden Emanation entstehen nach Plotin die von ihm so genannten „Hypostasen“. ‚Hypostase‘ heißt wörtlich ‚das darunter Stehende‘, hier: das unter dem göttlichen Einen Stehende. Die erste Hypostase nun, die aus der Emanation oder Ausstrahlung des Einen entsteht, ist für Plotin der Nous, der Geist. Der Geist selbst ist schon keine Einheit mehr, sondern eine Zweiheit. Denn gemäß dem Begriff von Geist, der hier für Plotin leitend ist, gibt es in ihm ein Erkennendes und ein Erkanntes, das heißt einen erkennenden Geist beziehungsweise ein Denken und dessen Gegenstände. Diese Gegenstände bestimmt Plotin als die dem Geist immanenten Ideen. (Hierauf wird gleich zurückzukommen sein.) Auch der Geist seinerseits strahlt aus: Durch Emanation geht aus ihm die Psyché, die Seele hervor, die Plotin in einem weiten Sinn als ‚Welt-
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seele‘ und gemäß der griechischen Denktradition als belebendes Prinzip auffasst. Ihre Funktion besteht darin, zwischen der geistig-intelligiblen und der körperlich-materiellen Welt zu vermitteln. Da in sie der Inhalt des Geistes, also die Ideenwelt, ausgestrahlt ist, formt sie nach diesen Ideen als den Urbildern aus der Materie die Dinge der sinnlich wahrnehmbaren Welt. Konkret hat man sich das so vorzustellen, dass durch immer weitere Emanationen eine Abfolge weiterer Wesen entsteht, die, je weiter sie vom göttlichen Einen entfernt sind, immer weniger vollkommen sind 3 – bis hin zur Materie als solcher. Diese stellt innerhalb des Plotin’schen Konzepts demnach kein eigenständiges Prinzip dar, sondern bildet den äußersten Horizont, den sich die Weltseele setzt, ähnlich wie die Dunkelheit die äußerste Grenze des Lichts darstellt. Diese sinnlich wahrnehmbare Welt ist, wie deutlich geworden sein dürfte, von der Einheit des einen göttlichen Seins weit entfernt. Folglich gibt es in ihr Vielheit statt Einheit, Zeitlichkeit statt Ewigkeit sowie Schein statt wahrem Sein. Schematisch kann man den Plotin’schen Stufenbau der Emanationen so darstellen: 4 Das Eine (Hen) (dies ist für Plotin gleich „das Gute“, s. Enn. VI 9) Geist (Nous) Seele (Psyché) Sternenwelt/Himmel Menschen Tiere Pflanzen Unbelebtes/Anorganisches Materie Die drei obersten Stufen – also das Eine, der Geist und die Seele – bilden für Plotin die intelligible, die obere Welt; sie repräsentieren das wahre Sein. Die Stufen von der Sternenwelt herab bis zur Materie machen die sinnlich wahrnehmbare Welt aus. Gemessen an der oberen Welt des wah-
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ren Seins, hat man es hier mit einer Welt des Scheins zu tun. Gleichwohl gilt für Plotin: Intelligible, obere und sinnlich wahrnehmbare, materielle Welt machen zusammen die eine Wirklichkeit aus. Um dieses Emanationsmodell und das damit vorgestellte Weltgefüge angemessen verstehen zu können, muss unbedingt beachtet werden, dass es die drei Stufen der intelligiblen Welt von Ewigkeit her gibt. Bei der Emanation oder Ausstrahlung der einen Hypostase auf die nächste handelt es sich demnach für Plotin nicht um einen zeitlich ablaufenden Prozess, sondern um einen im Denken vollzogenen Nachvollzug einer von Ewigkeit her bestehenden Stufung. 5 Wenn wir versucht sind, solche Stufung als in der Zeit erfolgenden Prozess zu deuten, dann liegt das allein daran, dass unser Denken selbst ein zeitlicher Prozess ist, dass es, mit anderen Worten, in einer zeitlichen Abfolge geschieht. Es dürfte wohl schon anhand der Bezeichnung des Hen als eines göttlichen Seins deutlich geworden sein, dass die Plotin’sche Lehre stark religiös geprägt ist. Zum Tragen kommt dies insbesondere im Blick auf die Konsequenzen, die Plotin aus seinem Weltentwurf für das praktische Weltverhältnis des Menschen und für seine Ethik zieht. Er fordert nämlich, wir müssten uns an unseren höheren Ursprung erinnern, mithin an die Herkunft unserer Seele, deren Urheimat ja letztlich das göttliche Eine ist und die im Zuge der Abfolge der Emanationen hinab zur Körperlichkeit verlassen worden ist. Folglich wären wir gut beraten, wenn wir uns bemühten, wieder zu diesem göttlichen Einen hinaufzustreben. Das geht nach Plotins Vorstellungen jedoch nur, wenn wir uns in einer Art Läuterungsprozess – mittels Katharsis also – von der Sinnlichkeit, von der Körperlichkeit zu befreien versuchen. Dann können wir uns Stufe um Stufe hinaufbewegen, bis es uns am Ende gelingt, uns – zumindest temporär – in das Göttliche zu versenken, mit ihm eins zu werden. Diesen Zustand nennt Plotin Henosis: Einswerden, oder auch Ekstase, was wörtlich bedeutet: aus sich Herausstehen. Im Lateinischen hat sich hierfür später der Begriff der unio mystica, der geheimnisvollen Einswerdung, eingebürgert. In diesem Zustand der temporären Einswerdung hat die menschliche Seele die Außenwelt völlig von sich abgestreift. Auch sich selbst hat sie ganz vergessen, ist sie doch jetzt reiner Geist geworden. Plotin hat das mit der Vorstellung verdeutlicht, der Mensch habe die Aufgabe, „an sich selbst wie ein Bildhauer an einer Statue zu arbeiten und alle Ecken und Schla-
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cken der Körperlichkeit abzuschlagen und wegzupolieren“. Auf diese Weise beginne dann in seiner Seele der Geist zu leuchten. 6 Aber was nun versteht Plotin des Näheren unter „Geist“? Einigermaßen detailliert hat er sich hierzu in der Enneade V 9 mit dem Titel Geist, Ideen und Seiendes geäußert. Der Geist, der als erste Hypostase des Einen vor und über der Seele ist, so legt Plotin dort dar, ist nicht zu begreifen als ein der bloßen Potenz nach Geistiges, sondern er ist aktual und ewig Geist. In spezifisch griechischer Terminologie formuliert, ist der Geist für Plotin mithin nicht bloß dýnamis, sondern enérgeia. 7 Freilich kann diese Bestimmung des Geistes für Plotin nur Geltung für den Geist als erste Hypostase beanspruchen, denn nur der ist aktual und ewig Geist, der menschliche Geist hingegen ist dýnamis, ist nur potential Geist. Nun ist auch für Plotin unbestreitbar: Geistige Tätigkeit äußert sich als „Denken“. Das Denken jedoch ist, wie er ausführt, dem Nous keine nachträgliche Zutat, also nichts, was ihm nachträglich zukommt, nichts, anders gesagt, was zu seinem Wesen akzidentiell hinzutritt. Folglich stammt das, was er denkt, aus ihm selbst. Dann aber ist er selbst das, was er denkt: Er ist von seinem Denken nicht verschieden. Oder noch anders formuliert: Das Sein und das Denken des Geistes sind dasselbe. 8 Hierin klingt, nebenbei angemerkt, der Gedanke des Parmenides, dass Denken und Sein dasselbe seien, nach. Von einem Geist, der sich selber denkt, von einer Noesis noeseos, aristotelisch gesprochen, ist jedoch bei Parmenides im Unterschied zu Plotin keine Rede. So gesehen führt Plotins Lehre vom Nous über Parmenides hinaus. Näher betrachtet will Plotin mit seiner These, das Sein und das Denken des Geistes seien dasselbe, zu verstehen geben: Das, was der Geist denkt, wenn er sein Sein denkt, das sind die Ideen, die Plotin im Sinne Platons bestimmt. 9 Man könnte diesen Sachverhalt auch so ausdrücken: Das Denken des Geistes richtet sich auf das ihm Innewohnende, das, was ihm immanent ist – und das sind die Ideen. 10 Von den Ideen sagt Plotin nun des Weiteren, die Idee sei Geist, sei „geisthafte Wesenheit“, aber die einzelne Idee sei nicht vom Geist unterschieden, sondern jede einzelne sei der Geist. Daher kann er zusammenfassend festhalten, der Geist sei „als Gesamtheit alle Ideen“ und die einzelne Idee sei der Geist „als einzelnes“. 11 Die ‚Vereinzelung‘ des Geistes, wenn man einmal so sagen darf, ergibt sich demnach durch den Denkinhalt: die einzelne Idee, die er
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denkt. Eine einzelne Idee wird somit verstanden als eine Bestimmung des Denkens seiner selbst, des Geistes. Während Platon die Ideen an einem ‚überhimmlischen Ort‘ ansiedelte, 12 verlagert sie Plotin demgegenüber in den Geist als der ersten Manifestation des Einen. Entsprechend kann er darauf hinweisen, im Geist sei „das gesamte Urbild“ der Welt enthalten, ja er selbst sei „die geistige Welt“. 13 Seiendes und Geist sind folglich, wie er eigens noch einmal akzentuiert, „eine Wesenheit“. 14 Bei Geist, Ideen und Seiendem – so lautet ja der Titel der Enneade V 9 – handelt es sich dementsprechend um austauschbare Begriffe: „Weder liegt der Nous dem Seienden voraus und bringt es erst durch sein Denken zum Sein noch ist das Seiende vor dem Nous, da es in ihm ist. Sein, Nous und das Seiende (die Ideen) bilden eine Wesenheit. Denken, die wesenhafte Tätigkeit des Nous und Gedachtes sind nur theoretisch zu trennen, faktisch fallen sie zusammen“. 15 Allein unser Geist denkt das eine vor dem anderen, allein unser Geist „zerteilt“, wie Plotin schreibt, das, was im Geist als der ersten Hypostase des Einen eine Einheit bildet, und zwar weil er zeitlich ist. Insofern ist unser „teilender Geist […] verschieden von jenem unteilbaren, nicht teilenden, welcher das Sein und die Gesamtheit aller Dinge ist“, wie Plotin erneut klarstellt. 16 Wenn dergestalt der Nous, der Geist, der ‚Ort‘ der Ideen ist, dann finden sich mithin in ihm all die Archetypen für schlechterdings alles, was es in der sinnlichen Welt gibt: „Himmel, Erde, alle Lebewesen und auch die vernunftlosen Dinge beharren dort jenseits von allem Werden in einer in sich vollendeten Ewigkeit“. 17 Unsere Welt, in der es Himmel, Erde, Lebewesen und all die anderen Dinge gibt, erhält gemäß dem kosmologischen Stufenmodell Plotins ihr Sein und ihr Sosein von der Seele, der Psyché, als der zweiten Hypostase des Einen. Da er Psyché als das belebende Prinzip auffasst, kann er mit gutem Grund unsere Welt, die von diesem Prinzip her ihr Sein und Sosein erhält, als „ein Lebewesen“ bezeichnen. 18 Das Sein dieses Lebewesens kommt von der Psyché, deren Sein seinerseits vom Geist, so dass man von der Seite des Geistes aus betrachtet sagen kann, er stelle sich „geradezu als vollendetes Lebewesen dar“, und von der Seite unserer Welt her gesehen: ihr Sein verweile „in steter Teilhabe des Geistes“. 19 Halten wir von hier aus fest: Unter ‚Geist‘ versteht Plotin in erster Linie ein metaphysisch-kosmologisches Prinzip, das er als Ausfluss, als
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Ausstrahlung des Göttlichen konzipiert. Dieser Geist ist die Gesamtheit der ewigen und unwandelbaren Ideen und unberührt von Zeitlichkeit und Vergänglichkeit. Unser menschlicher Geist, unsere Denkkraft – für Plotin, daran sei erinnert, vollzieht sich Geist ja im und als Denken – hat an jenem Geist teil. Jedoch unterliegt er der Zeitlichkeit, infolge wovon er das, was in jenem Geist eines ist, immer nur ‚zerteilt‘ denken kann. Bei unserem Geist, so könnte man vielleicht sagen, handelt es sich um einen defizienten Modus jenes von dem göttlichen Einen ausgestrahlten Geistes. Allerdings können wir uns, wie wir von Plotin vernahmen, in Ausnahmefällen, die er als Ekstase beschreibt, wenigstens für Augenblicke mit ihm vereinigen. Aber dann fordert unsere Körperlichkeit ihr Recht, und der Betreffende, der die unio mystica erlebt hat, fällt wieder aus der Schau heraus. Zu rein geistigen Wesen vermögen wir Menschen uns demzufolge nur in vereinzelten außergewöhnlichen Zuständen zu erheben. Zudem gelingt das, wie die Tradition der Mystik es bezeugt, augenscheinlich nur wenigen.
Seele, Geist, Zeit und Trinität: Aurelius Augustinus Im Werk des Aurelius Augustinus (354–430), jenes spätantiken Philosophen und Kirchenlehrers, der maßgeblich zur Konsolidierung des Christentums beigetragen hat, wird das Thema „Geist“ von den Frühschriften an bis hin zum Spätwerk immer wieder erneut bedacht. Dass es dabei zu Akzentverschiebungen und Neuansätzen kommt, wird angesichts seines umfangreichen Schrifttums wohl kaum verwundern. In den Soliloquia, den Selbstgesprächen – entstanden in den Jahren 386 und 387 –, nimmt sich Augustinus vor, Gott und die Welt zu erkennen. 20 Dabei bewegen sich seine Überlegungen und Unterredungen mit seiner Gesprächspartnerin, der Ratio, der Vernunft, zunächst in traditionellen Bahnen, wenn er darlegt, der Mensch bestehe aus zwei Teilen, nämlich aus Seele (anima) und Leib (corpus), und dann in gut platonischer und neuplatonischer Manier erklärt, hierbei stelle die Seele den besseren, der Leib den schlechteren Teil dar. 21 Ganz im Sinne der griechischen Antike begreift er hierbei die Seele in der Bedeutung von psyché als des die Lebewesen belebenden und
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beseelenden Prinzips. Die Seele also ist dasjenige, was auch nach Augustinus den Menschen belebt und beseelt. Sie selbst kann, wie er erklärt, nicht sinnlich wahrgenommen, sondern nur geistig erfasst werden. Zwar äußert sich Augustinus in dieser Schrift hierzu nicht explizit, aber diese Sicht der Dinge dürfte darauf hindeuten, dass für ihn die Seele etwas Immaterielles darstellt. Dies kann man wohl zudem auch dem Sachverhalt entnehmen, dass er ausdrücklich erklärt, er erachte die Seele für unsterblich. 22 Denn alles Materielle unterliegt ja gemäß den griechisch-antiken Vorstellungen, die hier für Augustinus leitend sind, der Vergänglichkeit. Nun steht in diesen frühen Selbstgesprächen der „Geist“ nicht im Zentrum der Unterredungen des Aurelius Augustinus mit sich selbst. Aber immerhin wird ein wenig Licht auf das Verhältnis von Geist (mens) und Seele geworfen. Und zwar erklärt Augustinus, der Geist habe „sozusagen auch seine Augen“: nämlich im Empfindungsvermögen (sensus) der Seele. 23 Und die Ratio, die Vernunft selber erklärt, sie sei für den Geist des Menschen dasselbe, was für die Augen das Sehvermögen sei. Augustins nähere Erläuterungen geben zu bedenken: Augen-Haben und Betrachten (aspicere) sei nicht dasselbe; und auch zwischen dem Betrachten und Schauen (videre) bestehe ein Unterschied. Folglich müsse die Seele drei Eigentümlichkeiten besitzen. Erstens müsse sie Augen haben, die sie gut zu gebrauchen verstehe; zweitens müsse sie „betrachten“; und drittens müsse sie „schauen“. 24 Der Geist, das scheint Augustinus damit sagen zu wollen, wird mittels dieser drei Eigentümlichkeiten der Seele mit der äußeren, der sinnlich erfahrbaren Welt verknüpft. Die Verknüpfung von Geist und sinnlicher Welt wird für Augustinus demnach durch die Seele ermöglicht, genauer gesagt: durch ihr Empfindungsvermögen, so dass für den frühen Augustinus gilt, wie er selbst erklärt: „keine Wahrnehmung ohne Seele“. 25 Bei dieser Verhältnisbestimmung von Geist, Seele und sinnlicher Wahrnehmung lässt Augustinus es in dieser Frühschrift bewenden. Nähere Ausführungen über den „Geist“, insbesondere hinsichtlich Fragen wie etwa den folgenden, wird man in ihr vergeblich suchen: Ist er etwas Materielles, oder ist er immateriell? Begreift Augustinus ihn als individuellen Geist oder als Teilhabe am göttlichen Geist? Und wo im Menschen verortet er ihn? Antworten auf Fragen wie diese bleibt auch die nachfolgende Schrift Augustins schuldig: De immortalitate animae (Von der Unsterblichkeit der
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Seele), 387 entstanden. Immerhin präzisiert er in ihr das eine und andere Thema aus den Soliloquien. Auch in ihr bekennt er sich zu der Ansicht, der Mensch bestehe aus Leib und Seele, und die Seele sei „wertvoller“ und „mächtiger“ als der Körper. 26 Dies verhalte sich deshalb so, weil der Körper „durch Vermittlung der Seele“ bestehe, er also sein Sein habe, da er beseelt sei. 27 Dann erklärt er sich über beider Verhältnis wie folgt näher: Die Seele sei nicht nur in der gesamten Masse ihres Körpers zugleich als ganze gegenwärtig, sondern auch in jedem kleinsten seiner Teile. Hierfür führt er als Begründung an: „Denn sie nimmt eine schmerzhafte Empfindung eines Körperteils als ganze auf, aber dennoch nicht im ganzen Körper“. 28 Diesen Sachverhalt noch einmal mit anderen Worten verdeutlichend: Die Seele sei in allen einzelnen Teilen des Körpers zugleich als ganze gegenwärtig, da sie als ganze zugleich in allen einzelnen Teilen Empfindung habe. 29 Auch der Gedanke, die Vernunft (ratio) sei entweder die Seele selbst oder sie sei in der Seele beziehungsweise sie sei das „Sehvermögen der Seele“ (aspectus animi), findet sich in dieser Schrift wieder. 30 Vom „Geist“ hingegen ist dann aber nicht mehr die Rede. Das jedoch ist nur zu verständlich, geht es Augustinus in ihr doch in erster Linie darum, in zahlreichen Beweisgängen die Unsterblichkeit der Seele zu beweisen. Hierbei fußt er auf platonischen und neuplatonischen, speziell Plotin’schen Gedanken, wenn er davon ausgeht, so wie der Leib von der Seele erschaffen sei, so das All von der Weltseele. 31 In dem darauffolgenden, im Jahre 388 entstandenen Dialog De quantitate animae (Von der Größe der Seele) kommt Augustinus dann erneut auf das Thema „Geist“ zurück. Der Ausgangspunkt ist auch hier, der Mensch bestehe aus Leib und Seele. Während der Leib, wie Augustinus weiter darlegt, aus den vier Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer bestehe, scheine die Seele „etwas Einfaches und von eigener Substanz zu sein“. 32 Damit will er betonen, die Seele sei einerseits von Gott erschaffen, besitze andererseits aber „eine gewisse eigene Natur“. „Denn“, so heißt es bei ihm weiter, „diese gewisse eigene Natur, die eben die ihre ist, hat Gott selbst erschaffen, so wie er die des Feuers, der Luft, des Wassers und der Erde erschaffen hat, deren Bestimmung es ist, daß sich aus ihnen alles übrige zusammensetzt“. 33 Diese Seele, die zwar im Leib ist, erachtet Augustinus für nichtmate-
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riell. Des Näheren führt er aus, die Seele sei im Leib „zugleich innen und außen“. Hierfür gibt er eine plausible Begründung: „Denn wäre die Seele nicht im Inneren, gäbe es kein Leben in unseren inneren Organen, und wäre sie nicht im Äußeren, würde unsre Haut nicht jeden kleinen Stich verspüren.“ Folglich gilt für ihn im Blick auf die „Größe der Seele“: Sie braucht „dasselbe räumliche Ausmaß […] wie der Leib“. 34 Nehmen wir demnach Körperliches mittels der Seele (anima) wahr, so sehen wir demgegenüber die „unkörperlichen Dinge“ mit dem animus, mit der „Geistseele“, wie der Übersetzer animus wiedergibt. Diese Geistseele, hält Augustinus fest, sei „unkörperlich“, sie sei weder im Körper noch etwas Körperliches, 35 sie kenne, wie er einige Seiten weiter schreibt, „keine materielle Ausdehnung“. 36 Näher bestimmt er sie als „eine bestimmte Substanz, teilhaftig der Vernunft und angepaßt, den Leib zu beherrschen“. 37 Als Geistseele mache sie sich, so viel sie kann, vom Leib durch Vernunft und Wissen frei. 38 Wissen begreift Augustinus in diesem Zusammenhang als vernunftgeneriertes Wissen: Alles, was wir wissen, schreibt er, wissen wir durch die Vernunft. Die Konsequenz ist: Sinnliches Wahrnehmen ist demnach kein Wissen. 39 Im Blick auf sinnliche Wahrnehmung sowie das, was sich mittels des Leibes zu erkennen gibt, hält Augustinus eher den Begriff der Empfindung für angebracht. 40 Bei den Leistungen, zu denen die Seele in der Lage ist, unterscheidet Augustinus insgesamt sieben Stufen. 41 Ihr erstes – im Sinne von: unterstes – Vermögen besteht in der Belebung des irdischen und sterblichen Leibs. Diese belebende Funktion übt die Seele nicht nur beim menschlichen Leib aus; Gleiches gilt von der Tier- und Pflanzenwelt. – Die zweite Stufe ist die der Wahrnehmung, die Augustinus mit den Leistungen des Gedächtnisses koppelt. Dieses Vermögen spricht er der Seele des Menschen und der Tiere gleichermaßen zu. – Die nächsthöhere, die dritte Stufe, behält er demgegenüber allein dem Menschen vor. Hierbei denkt er an Fähigkeiten des Menschen zur „Weltgestaltung und Erfindung“, 42 beispielsweise Handwerk, Künste, Staatenbildung, Institutionen, Beredsamkeit, Rechnen sowie das Vermögen, aus der Gegenwart Mutmaßungen hinsichtlich Vergangenheit und Zukunft anzustellen. – Die vierte Stufe ist die ethische oder die Stufe der „Reinigung“, wie Augustinus sie auch bezeichnet. Konkret bestimmt er das Vermögen der Seele auf dieser Stufe als das „Wagnis der Seele“, sich über die Welt und die Dinge in ihr, die sie
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verlocken, hinwegzusetzen. – Auf der fünften Stufe erreicht die Seele ihre „Reinheit“, sprich ihre Tugend, und erfasst ihre wahre Größe. – Auf der sechsten verlangt sie nach der Einsicht dessen, „was im wahrsten und höchsten Sinne ‚ist‘“, mithin des wahrhaft Seienden, platonisch gesprochen: der Ideen, und christlich gesagt: Gottes. – Die siebte und letzte, weil höchste Stufe schließlich besteht in dem Vermögen der Seele, die Wahrheit zu schauen und zu betrachten. Hier erreicht die menschliche Seele als Geistseele ihren Gipfelpunkt. Augustinus merkt an, es wäre besser, diese Stufen „Handlungsweisen“ zu nennen und sie im Einzelnen wie folgt zu bezeichnen: Belebung, Besinnung, Befähigung, Ertüchtigung, Beruhigung, Hinführung und Beschauung. 43 Daran, erklärt er, werde ersichtlich, wie die Seele Stufe um Stufe eine „vergrößerte Handlungsfähigkeit“ erlangt. In diesem Sinne könne man dann auch von einem „Wachstum der Seele“ sprechen, ohne dabei sogleich an eine räumliche Zunahme zu denken. 44 Eine prominente Rolle spielt der „Geist“ dann wieder in Augustins Confessiones, den Bekenntnissen aus den Jahren 396 bis 398, dort insbesondere im Kontext seiner Überlegungen zu der Frage: Zeit – was ist das eigentlich?, der er im elften Buch dieser Schrift nachgeht. Die Probleme, die sich ihm hierbei im Einzelnen stellen und die er in immer erneuten Anläufen zu durchdenken versucht, können hier nicht detailliert rekapituliert werden. Daher sei summarisch nur so viel gesagt. Augustinus geht von dem alltäglichen Befund eines ständigen Fließens und Verfließens der Zeit aus, womit unsere Erfahrung gekoppelt ist, dass die Zukunft noch nicht, die Vergangenheit nicht mehr ist. Einzig die Gegenwart scheint real zu sein. Sie jedoch ist im Grunde nichts weiter als ein Augenblick, ein Augenblick, der so flüchtig ist, dass er sich nicht halten, nicht aufhalten, nicht fassen lässt. Und dennoch sprechen wir ständig von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, verbinden damit einen von jedem nachvollziehbaren Sinn, ja wir meinen gar, wir könnten die sich aus diesen drei Dimensionen konstituierende Zeit messen. Wie aber kann das möglich sein, wenn es streng genommen weder Gegenwart, noch Vergangenheit, noch Zukunft gibt? Zeitmessung setzt ja voraus, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft „eine Art Ausdehnung“ (distentio) besitzen, 45 damit da überhaupt etwas Messbares ist. Die Zeit, so viel wird damit ersichtlich, scheint also eine Art Ausdehnung zu sein. Nur die Frage ist: Ausdehnung
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wessen? Ausdehnung wovon? Als Lösungsmöglichkeit bringt Augustinus nun die Antwort ins Spiel, Zeit sei möglicherweise die Ausdehnung des Geistes (distentio animi). Damit verschiebt er den Akzent: Schien es nach den bisherigen Analysen so zu sein, die Zeit selbst sei eine gewisse Ausdehnung, so sagt er nun, die Zeit sei eine Ausdehnung des Geistes. Was jedoch bedeutet das? Nun, Augustins Lösungsvorschlag läuft darauf hinaus, dass den drei Dimensionen der Zeit drei verschiedene Tätigkeiten unseres Geistes korrespondieren: Er erwartet (exspectat), nimmt wahr/ sieht hin/spannt sich aus (adtendit) und erinnert sich (meminit), so dass das, was er erwartet, durch das, auf das er jetzt hinsieht, übergeht in das, woran er sich erinnert. Von hier aus ist für Augustinus dann weder das Noch-nicht-Sein des Zukünftigen noch das Nicht-mehr-Sein des Vergangenen noch die Flüchtig- und Ausdehnungslosigkeit der Gegenwart ein Problem. Denn: Das Künftige ist in der Tat noch nicht; aber im Geist ist Erwartung von Zukünftigem (exspectatio futurorum). Und das Vergangene ist in der Tat nicht mehr; aber im Geist ist Erinnerung an Vergangenes (memoria praeteritorum). Und der gegenwärtige Augenblick hat de facto keine Ausdehnung, da er im Nu (in puncto) vorübergeht. Aber was dauert, ist die attentio, ist das gegenwärtige Wahrnehmen, durch das hindurch „immerfort das Zukünftige abwandert“,46 gewissermaßen ‚hinübergeworfen‘ wird, so dass es zu Vergangenem wird. Führen wir diesen Gedanken etwas aus. Zukünftiges ist nicht an sich, ist nicht im Sinne eines empirisch Vorhandenen. Das Zukünftige ist nur als gegenwärtige Erwartung von etwas, was jetzt noch nicht ist. Unser Geist greift, indem er, was jetzt noch nicht ist, erwartet, auf Künftiges aus. Er selbst spannt sich gleichsam aus, wenn er vom gegenwärtigen Anschauen aus in die Zukunft ausgreift. Und je weiter er nach vorn ausgreift, umso mehr spannt er sich aus (selbstverständlich nicht in einem räumlichen Sinn). Analog verhält es sich mit der Vergangenheit. Wenn Augustinus sagt, Vergangenes ist, dann heißt das nicht, Vergangenes sei im Sinne von empirisch Vorhandenem. Vielmehr greift unser Geist, wenn er das, was jetzt nicht mehr ist, erinnert, auf Vergangenes aus. Und indem er auf diese Weise auf Vergangenes zurückgreift, dehnt er sich gewissermaßen aus, spannt er sich aus, vergegenwärtigt er sich Vergangenes. So ist es der Zeittheorie des Augustinus zufolge unser Geist, der die
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Zeitbestimmungen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenhält, indem er sich in diese Dimensionen ausspannt, ja sie streng genommen dadurch allererst ermöglicht. Dergestalt hält unser Geist auf dreifache Weise in sich die Zeiten präsent. Ja man könnte gar sagen, unser Geist besitze eine triadische Struktur, sofern er sich in die drei Zeitdimensionen ausspannt. Auf eine triadische Struktur unseres Geistes denkt Augustinus auch von einer anderen Seite her hin. Zieht man andere Stellen aus den Confessiones bei, dann wird ersichtlich, dass Augustinus als die wesentlichen Momente des menschlichen Geistes intelligentia, die Einsicht, den Verstand, voluntas, den Willen, und memoria, das Gedächtnis, begreift, wobei für ihn das eine Moment nicht ohne die beiden anderen Momente sein kann. Unser Geist ist demnach eine gegliederte Einheit von Verstand, Wille und Gedächtnis, ist eine Funktionseinheit von intelligentia, voluntas und memoria. Diese triadische Struktur des Geistes taucht Jahre später wieder auf, nämlich in dem umfangreichen Spätwerk De Trinitate, den fünfzehn Büchern über die Dreieinigkeit, an dem Augustinus in den Jahren zwischen 399 und 419 gearbeitet hat. In ihm nimmt er nichts Geringeres in Angriff, als die Dreieinigkeit von Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist denkerisch zu durchdringen. Zu welchen Resultaten er dabei gelangt, kann für unser Thema weitgehend außen vor bleiben. Im vorliegenden Zusammenhang interessieren in erster Linie seine, wenn man so will, ‚geisttheoretischen‘ Reflexionen. Sie finden sich vornehmlich in den Büchern VIII–XI und XIV–XV. In ihnen geht Augustinus, wie auch in seinem teilweise parallel zu De Trinitate entstandenen Werk De Civitate Dei (Vom Gottesstaat), an dem er zwischen 413 und 426 gearbeitet hat, von dem Sachverhalt aus, in uns selber fänden wir ein Abbild Gottes, will sagen „jener höchsten Dreieinigkeit“: „Denn wir sind, wissen, daß wir sind, und lieben dies unser Sein und Wissen“. 47 Diese Dreiheit von Sein, Wissen/Erkennen und Lieben begreift Augustinus als Manifestation der göttlichen Trinität im Menschen, wobei das Sein Gott Vater, das Erkennen dem Heiligen Geist und das Lieben dem Sohn, Jesus Christus, entspricht. Und ebenso wie diese drei eine untrennbare Einheit bilden, sind auch in uns Menschen Sein, Erkennen und Lieben unlöslich miteinander verbunden. Wie schon in seinen Frühschriften gibt Augustinus auch in seinen spä-
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teren Werken seiner Überzeugung Ausdruck, der Mensch konstituiere sich aus Geistseele und Leib und das Geistige stehe „höher als der Leib“. 48 Wenn man folglich dasjenige am Menschen, „was durch Hinzufügung des Körpers zustande kommt, wegdenkt, wenn man also den Körper wegdenkt“, dann bleiben der Geist und die Geistseele übrig. 49 Und dieser Geist selbst ist „kein Körper, sondern eben Geist (spiritus)“. 50 Diesen Geist bestimmt Augustinus näher als das „Haupt“, das „Auge“ oder das „Antlitz“ der Seele. Freilich, so stellt er sogleich klar, dürfe man sich das nicht nach „Körper-Weise“ denken. Demnach ist nicht die Seele selbst Geist, sondern Geist heißt „die in der Seele hervorragende Wirklichkeit“. 51 Die weiteren geisttheoretischen Reflexionen Augustins in De Trinitate sind, wie gesagt, von der Idee geleitet, unser Geist sei „ein Bild Gottes“. Und zwar sei er eben dadurch Bild Gottes, „daß er aufnahmefähig ist für Gott und seiner teilhaftig werden kann. Ein so großes Gut“, fügt Augustinus erläuternd hinzu, „kann er nur dadurch, daß er sein Bild ist, verwirklichen“. 52 Als Bild Gottes verfügt er wie dieser Gott selbst über eine triadische Struktur, denn er erinnert sich seiner, sieht sich ein, liebt sich. Schauen wir also auf den Geist, dann schauen wir „eine Dreiheit“. Diese Dreiheit ist zwar nicht Gott selbst, aber doch schon Gottes Bild. 53 In Anbetracht dieser Dreiheit von Gedächtnis, Einsicht und Liebe betont Augustinus eigens noch einmal, dass es sich hierbei nicht um „drei Leben“ handelt, sondern nur um ein Leben, und nicht um drei Geister, sondern um einen Geist. Und folglich handelt es sich bei Gedächtnis, Einsicht und Wille nicht um drei Substanzen, sondern nur um eine Substanz. 54 So mündet Augustins Versuch, die Trinität und ihre Struktur zu denken, in ein Denken der triadischen Struktur des Geistes ein. Anders gesagt: Indem unser Geist die göttliche Dreieinigkeit zu erfassen versucht, erkennt er sich selbst als Geist, der einsieht, sich erinnert und liebt. Und weil er sich selbst kennt, ist er allein „der Vater seiner Erkenntnis“, ist er doch selbst „das Erkannte und der Erkenner“. 55 Hierbei jedoch muss man sich vor dem naheliegenden Missverständnis hüten, das so zu lesen, als könne unser Geist sich aus purer Selbstmächtigkeit zum „Erkenner“ aufschwingen und sich autonom selbst erkennen. Eine solche Lesart verbietet sich jedoch aus dem Grund, dass unser Geist ein Bild des göttlichen Geistes ist und ihm mithin die ihn charakterisierende Dreieinigkeit von Ein-
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sicht, Gedächtnis und Liebe von dort her eingeprägt worden ist. Als solch dreieiniger Geist nun ist unser Geist sich „gegenwärtig“, 56 das heißt, er muss sich selbst oder einen Teil von sich nicht allererst suchen. 57 Und weil nichts so sehr im Geist ist wie der Geist selbst, 58 ist das Denken des Geistes im Kern ein Akt der Selbstreflexion des Geistes. Im sechsten Kapitel des vierzehnten Buchs von De Trinitate spricht Augustinus diesen Sachverhalt deutlich aus: „So groß ist jedoch die Kraft des Denkens, daß sich auch der menschliche Geist selbst gewissermaßen nur dann in sein Blickfeld stellt, wenn er an sich denkt. Und so ist nichts im Blickfelde des Geistes, außer man denkt daran, so daß auch der Geist selbst, mit dem man denkt, was immer man denkt, nicht anders in seinem Blickfelde sein kann als dadurch, daß er sich denkt“. 59 Auf diese Weise stößt Augustinus, indem er die göttliche Dreieinigkeit zu denken unternimmt, auf das Phänomen der Reflexion – und das gleich in zweifacher Hinsicht: zum einen insofern, als er sieht, das Denken der Trinität ist Reflexion der Trinität im menschlichen Geist, und zum zweiten in der Hinsicht, dass der Geist sich von hierher selbst erkennt, sich selbst reflexiv erfassen kann. Menschlicher Geist ist so gesehen für den späten Augustinus ganz entscheidend Reflexionsfähigkeit.
Die Seelenfunktionen als Ausdrucksweisen des menschlichen Geistes: Thomas von Aquin Thomas von Aquin, 1225 in Roccasecca in der Nähe von Neapel geboren und 1274 in Paris gestorben, unternimmt im Hochmittelalter einen letzten großangelegten Versuch, Wissen und Glauben zu einer Synthese zusammenzufügen, Natur und Übernatur in Übereinstimmung zu bringen. Herausgekommen ist dabei eine Vielzahl von Schriften, aus denen vor allem die Summe der Theologie – die Summa theologiae, so der lateinische Originaltitel – herausragt, die heute als sein Hauptwerk gilt. Der erste Teil dieses Mammutprojekts ist der Gotteslehre gewidmet. Der zweite Teil hat den Menschen und sein Streben nach Gott zum Thema. Und der dritte –
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unvollendete – Teil handelt von Christus, vom Weg des Menschen zu Gott und von den Sakramenten. Seine Lehre von der Seele und vom menschlichen Verstand und Geist hat Thomas im Rahmen seiner Anthropologie im zweiten Teil der Summe, beginnend mit der Quaestio 75, also der 75. Frage, entwickelt. Dort übernimmt er die Grundkonzeption der Psychologie des Aristoteles und interpretiert sie vor dem Hintergrund der für ihn, Thomas, verbindlichen christlichen Glaubensgrundsätze. Ebenso wie für den antiken Meisterdenker ist auch für den Scholastiker Thomas die in der alten Welt weit verbreitete Vorstellung leitend, die Seele, die anima, sei der „erste Lebensgrund“ (primum principium vitae) all jener Wesen, denen wir das Prädikat ‚lebend‘ zusprechen. Denn „beseelt“ (animata) nennen wir das, was lebt, unbeseelte Dinge hingegen jene, die des Lebens entbehren. 60 Damit vertritt Thomas einen ebenso weitgefassten Seelenbegriff wie Aristoteles. Seele: Das ist für Thomas nicht identisch mit Geist, Bewusstsein oder einer res cogitans, sondern Seele ist das grundlegende Prinzip des Lebens überhaupt. So gesehen herrscht in seiner Seelenlehre der „biologische Gesichtspunkt […] über den psychologischen“. 61 Damit gibt Thomas zu verstehen, dass der Mensch, wie er im vierten Artikel der 75. Quaestio klarstellt, nicht nur Seele ist, sondern etwas aus Seele und Leib „Zusammengesetztes“, ein compositum aus beiden, wie es bei ihm heißt. 62 Dass er die Seele hierbei ganz im Sinne der griechischen Antike als psyché, als ‚Atem‘, versteht, geht deutlich aus dem Zusatz zu dem siebten Artikel der Quaestio 76 hervor, in dem Thomas betont, werde dem Lebewesen der Atem (spiritus) weggenommen, dann höre die Vereinigung der Seele mit dem Leib auf; und zwar, wie er zwecks Verdeutlichung dieses Sachverhalts hinzufügt, nicht deswegen, weil der Atem der „Vermittler“ zwischen Seele und Leib sei, sondern weil in diesem Fall „die Anlage beseitigt wird, durch die der Leib für eine solche Vereinigung zubereitet ist“. 63 Thomas folgt der für ihn maßgeblichen Autorität des Aristoteles auch darin, dass er die Seele als „Form“ des Körpers begreift, 64 also als funktionales Organisationsprinzip des Leibes. Und er folgt ihm auch insofern, als er wie jener verschiedene Seelenvermögen im Aufbau der natürlichen Welt unterscheidet, ist die Seele doch, wie es bei Thomas heißt, „das Erste“, wodurch Lebewesen sich ernähren, sinnlich wahrnehmen, sich räum-
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lich bewegen und, auf der Stufe von uns Menschen, wodurch wir verstehen und denken (intellegere). 65 Diese Seele selbst begreift Thomas als ein immaterielles, größeloses Prinzip, das als solches nicht selbst aus Materie und Form zusammengesetzt ist. 66 Infolgedessen gilt sie ihm als „unzerstörbar“, wohingegen der Leib vergänglich, zerstörbar ist. Diesen Sachverhalt im Rahmen der Aristotelischen Psychologie interpretierend, fasst Thomas solche Zerstörung des Leibes als Trennung der Form von der Materie auf. 67 Seele und Leib sind mithin in den Lebewesen vereint. Nach Ansicht des Thomas handelt es sich bei ihnen nicht um zwei selbständige Prinzipien; vielmehr stellen sie „zwei Teilprinzipien ein und derselben Substanz“ dar, folglich „zwei Bestandteile, die in ihrer gegenseitigen, inneren Hinordnung ein substantielles, einheitliches Kompositum darstellen“. 68 Damit stellt sich für Thomas die Frage, wo genau im Körper die Seele verortet ist, beziehungsweise präziser gefragt, ob sie ganz in jedem Teil des Körpers ist. Seine Antwort hierauf ist ganz entschieden: Weil die Seele mit dem Leib als dessen Form vereint sei, müsse sie sowohl im ganzen Körper als auch ganz in jedem Teil des Körpers sein. Mit dieser Antwort bezieht sich Thomas ausdrücklich auf Augustinus, der ja auch schon die Auffassung vertreten hatte, in jedem Körper sei die Seele sowohl ganz im ganzen Körper als auch ganz in jedem seiner Teile. 69 Gleichwohl nimmt Thomas eine wichtige Differenzierung vor. Denn seine These, die Seele sei sowohl ganz im ganzen Körper als auch ganz in jedem seiner einzelnen Teile, sei, so sagt er, so zu lesen, dass die Seele ganz in jedem Teil des Körpers sei, „nach der Ganzheit der Vollkommenheit und der Wesenheit, nicht aber nach der Kräfteganzheit“. Dies bedeutet, die Seele ist nicht mit jedem ihrer Vermögen in jedwedem Teil des Leibes, sondern sie ist beispielsweise mit dem Gesichtssinn im Auge, mit dem Gehör im Ohr. Analoges gilt von den anderen Sinnen. 70 Innerhalb der Seele nun erkennt Thomas eine Ordnung ihrer Vermögen, die für ihn zugleich eine Rangordnung darstellt. Das bedeutet konkret: Die denkende Seele steht für ihn höher als die ernährende und die sinnliche. Damit übernimmt er nicht nur das Aristotelische Konzept einer scala naturae, sondern erblickt ebenso wie dieser den Artunterschied des Menschen gegenüber anderen Lebewesen in der „Verstandesseele“ (anima intellectiva), über die der Mensch im Gegensatz zu nichtmensch-
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lichen Lebewesen verfügt. 71 Diese Verstandesseele, so legt Thomas im fünften Artikel der 76. Frage auseinander, hat nicht nur die Fähigkeit, zu denken, sondern auch die Fähigkeit, sinnlich wahrzunehmen. Hierbei liegt es für ihn auf der Hand, dass Sinnestätigkeit nicht ohne „körperliches Werkzeug“, sprich nicht ohne Sinnesorgane, stattfinden kann. Also muss die Verstandesseele mit einem solchen Körper vereint sein, der entsprechendes Organ der Sinne sein kann. 72 Demnach erfordern bestimmte Seelenvermögen körperliche Organe, um tätig werden zu können, so zum Beispiel das Sehen das Auge, das Hören das Ohr. Zugleich, so akzentuiert Thomas, gibt es aber auch gewisse Seelentätigkeiten, die ohne körperliches Organ ausgeübt werden können. Das ist für ihn beim Denken (intelligere) und Wollen (velle) der Fall. 73 Denken und Wollen sind demzufolge für ihn an kein körperliches Organ gebunden. Diese Sicht der Dinge führt die Konsequenz mit sich, dass Thomas im Hinblick auf die Frage, ob nach dem Zerfall des Körpers irgendwelche Vermögen in der Seele verbleiben – und falls ja: welche? –, wie folgt argumentiert: Alle Seelenvermögen verhalten sich zur Seele als zu ihrem „Urgrund“ (principium), einige jedoch als zu ihrem „Untergrund“ (subiectum). Letzteres ist bei Verstand und Wille der Fall. Anders als die Vermögen des sinnlichen und ernährenden Teils der Seele bleiben die Vermögen des Verstandes und des Wollens nach dem Zerfall des Körpers in der Seele. 74 Woher nun, so kann man in Anbetracht dieser bisherigen Ausführungen fragen, erhält die Seele das Vermögen des Denkens, um das es uns im Kontext der Frage nach dem Geist ja ganz zentral geht. Nun, hierauf erhält man von dem christlichen Denker Thomas die Antwort: von Gott. Gott, so schreibt er, ist der „Schöpfer der Seele“, 75 ist ‚ein höherer Verstand‘, „der der Seele zum Denken verhilft“. 76 Damit ist einerseits zu verstehen gegeben: „der Mensch denkt durch die Seele“. 77 Da diese Seele selbst etwas Unkörperliches und gegenüber dem Körper etwas Selbständiges ist und ihre höchste Funktion Verstand (intellectus) oder Geist (mens) genannt wird, ist damit andererseits zugleich gesagt, dass auch Verstand und Geist des Menschen etwas Unkörperliches sind, ihre Tätigkeit mithin keines materiellen Trägers bedarf. 78 In Anbetracht des für Thomas unbestreitbaren Sachverhalts, dass die menschliche Seele und folglich auch der menschliche Verstand beziehungsweise der menschliche Geist Produkt eines göttlichen Schöpfungs-
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akts sind, fragt er sich, ob es nur einen Verstand für alle Menschen gebe. Dies indessen erachtet er nicht nur für ungereimt, sondern hält es schlechterdings für unmöglich, würde eine solche Meinung doch absurde Konsequenzen mit sich bringen. Denn nähme man, wie Thomas schreibt, mit Platon an, der Mensch selbst sei der Verstand, dann wäre die Folge: Wenn es beispielsweise für Sokrates und Platon nur einen Verstand gäbe, so wären Sokrates und Platon nur ein Mensch, und sie würden sich voneinander nur durch das unterscheiden, „was außerhalb der Wesenheit eines jeden von beiden liegt“. 79 Folglich sei die Annahme nur eines Verstandes für alle Menschen zurückzuweisen. Nehmen wir von hier aus nun die Vermögen des menschlichen Verstandes im Einzelnen in den Blick. Dabei fällt zunächst auf, dass Thomas den Begriff ‚Verstand‘ gegenüber dem des ‚Geistes‘ bevorzugt, beide Begriffe in der Regel jedoch synonym verwendet. Wenn daher im Folgenden bei ihm von ‚Verstand‘ und seinen Vermögen die Rede ist, so sind damit zugleich die Vermögen des menschlichen Geistes gemeint. Bezüglich dieser Vermögen nun findet sich bei Thomas zunächst eine Differenzierung, die er mittels der Begriffe intellectus possibilis – „möglicher Verstand“ – und intellectus agens – „tätiger Verstand“ – kennzeichnet. Der intellectus possibilis ist der aufnehmende und insofern passive, ‚leidende‘ Verstand, 80 und zwar ist er für Thomas ‚aufnehmend‘ und daher ‚leidend‘, „insofern er sich zu den intelligiblen allgemeinen Formen, Wesenheiten, Prinzipien in Potenz befindet“. 81 Als ein solcher, sich gegenüber den allgemeinen Formen in Möglichkeit befindender, aufnehmender Verstand gleicht er am Anfang einer unbeschriebenen Tafel, der viel bemühten tabula rasa. 82 Auf der anderen Seite ist jede Verstandestätigkeit, ist jedes geistige Erkennen für Thomas zugleich ein aktiver Prozess, ist doch im Geist eine Kraft anzunehmen, „welche die Dinge in Wirklichkeit verstehbar macht durch Abziehen der Artformen aus den stofflichen Bedingungen“. 83 Anders gesagt: Thomas nimmt neben dem intellectus possibilis, dem „aufnehmenden Verstand“, eine aktive, geistig wirkende Kraft an, die aus dem Material, das die Sinne liefern, mittels Abstraktion die geistigen, die intelligiblen Gehalte, die allgemeinen Formen, Wesenheiten und Prinzipien heraushebt. Dieses aktive Prinzip, diese im Geist selbst liegende tätige Kraft, das ist das, was Thomas als intellectus agens, als „tätigen Verstand“, bezeichnet. (Über die hier beigezogenen Stellen aus der Summa
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theologiae hinaus hat sich Thomas über den intellectus agens auch in der Quaestio disputata de anima 4–5, der Summa contra gentiles II, 76–78 und im Kommentar zu Aristoteles’ Liber de anima geäußert.) 84 Geistige Tätigkeit lässt sich demnach laut Thomas auseinanderlegen in eine aufnehmende Potenz, den intellectus possibilis, und einen tätig wirkenden Verstand, den intellectus agens, aus deren Zusammenspiel sich das ergibt, was er als ‚Erkenntnis‘ bezeichnet. Nun kann man angesichts dieser Differenzierung fragen, wie es bei Thomas um jenes Vermögen bestellt ist, das als „Vernunft“ (ratio) bezeichnet wird und dem im Haushalt der Erkenntniskräfte traditionell doch eine prominente Rolle zukommt. Dieses Vermögen hat Thomas keineswegs unberücksichtigt gelassen, jedoch begreift er es nicht als ein von den Verstandes- oder Geisteskräften verschiedenes Vermögen. Im achten Artikel der 79. Frage, der diesem Thema gewidmet ist, bekennt er sich ganz klar zu der Überzeugung, Vernunft und Verstand könnten im Menschen keine verschiedenen Vermögen sein. 85 Zwar bringe man mit dem Verstand gemeinhin das Verstehen und mit der Vernunft das Vernunftbeziehungsweise das Schlussfolgern in Verbindung; doch sei es dasselbe Vermögen in uns, wodurch wir verstehen und schlussfolgern, womit klar sei, dass es sich im Menschen bei ratio und intellectus um dasselbe Vermögen handele. Die Vernunft, meint Thomas nun des Weiteren, lasse sich ihrerseits intern selber noch einmal untergliedern, und zwar in eine höhere (superior) und eine niedere (inferior) Vernunft. Diese Untergliederung bemisst sich, wie Thomas in Anlehnung an Augustinus ausführt, durch die Aufgaben ihrer Tätigkeit. Hiermit zielt er auf den Sachverhalt, dass der höheren Vernunft die Weisheit (sapientia), der niederen hingegen die Wissenschaft (scientia) zugeordnet werde. 86 Mittels solcher Differenzierungen trägt Thomas der Vielfalt menschlicher Erkenntnisbemühungen und -leistungen Rechnung. Dieser Sachverhalt findet zudem seinen Ausdruck in Thomas’ Überlegungen, ob es sinnvoll sei, einen „betrachtenden Verstand“ (intellectus speculativus) von einem „ausführenden Verstand“ (intellectus practicus) zu unterscheiden. Den Referenzpunkt hierfür bildet erneut Aristoteles, der geschrieben hatte, der betrachtende Verstand unterscheide sich vom ausführenden durch den Zweck. Das heißt, je nachdem, welchen Zweck der Verstand bei seiner
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Tätigkeit verfolgt, lässt er sich intern als betrachtender oder als ausführender differenzieren. Und zwar ist, wie Thomas in der Nachfolge des Aristoteles sagt, der betrachtende Verstand einzig auf die „Betrachtung der Wahrheit“ hingeordnet, wohingegen der ausführende „das, was er wahrnimmt, auf die Ausführung hinordnet“. 87 Aber wohlgemerkt: Hierbei handelt es sich nicht um verschiedene Vermögen; vielmehr handelt es sich bei all den genannten Differenzierungen um ein und dasselbe Vermögen, den intellectus, dessen Tätigkeit, wie Thomas im zehnten Artikel der 79. Frage zusammenfassend festhält, „im eigentlichen Sinne“ das „Verständnis“ (intelligentia), das „Verstehen“ (intelligere) ist. 88 Nun zählen wir zu unseren mentalen Vermögen gemeinhin auch Erinnerung und Gedächtnis. Welche Rolle spielen sie im Kontext der Seelenlehre des Thomas von Aquin? Er diskutiert dieses Thema im sechsten Artikel der 79. Frage, in dem er das Problem aufwirft, ob das Gedächtnis (memoria) im „verstehenden Teil der Seele“ (in parte intellectiva animae) sei. Darauf antwortet er fein differenzierend. Verstehe man, so führt er aus, unter Gedächtnis eine Kraft, „welche die Erkenntnisbilder (species) aufbewahrt, so muß man sagen, daß im verstehenden Teil ein Gedächtnis ist“. Wenn es aber zum Wesen des Gedächtnisses gehöre, „daß sein Gegenstand ein Vergangenes als Vergangenes ist, dann gibt es ein Gedächtnis nicht im verstehenden, sondern nur im sinnlichen Teil der Seele, der das Besondere wahrnimmt“. Denn Vergangenes als Vergangenes, so begründet er diese Zuordnung, gehöre, da es ein Sein zu einer bestimmten Zeit bezeichnet, zum Bestand des Besonderen. 89 Diese Differenzierung folgt der Aufgabenverteilung der verschiedenen Seelenvermögen, der zufolge Sinnlichkeit und Geist nach Aristotelischem Vorbild zwar geschieden werden, wodurch der Zusammenhang beider jedoch nicht aufgehoben wird. 90 In der umfangreichen Quaestio 79, in der Thomas den vielfältigen geistigen Vermögen des Menschen nachspürt, geht er auch auf das Thema Gewissen (conscientia) ein. Sein Ausgangspunkt im zwölften Artikel ist die Frage, ob das Gewissen ein „Vermögen“ (potentia) sei. Er beantwortet sie abschlägig, indem er darlegt, beim Gewissen habe man es nicht mit einer potentia, sondern mit einem actus, einer Tätigkeit also, zu tun. Das erläutert er näher wie folgt: ‚Gewissen‘ bedeute nämlich dem eigentlichen Wortsinn nach „die Hinordnung eines Wissens auf etwas Bestimmtes“. Denn ‚Gewissen‘ – conscientia – besage: ‚mit anderem verbundenes Wis-
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sen‘. Die Verbindung eines Wissens mit anderem, das heißt die Anwendung eines Wissens auf etwas, geschehe aber durch eine Tätigkeit. Daher ergebe sich aus solcher Namenserklärung, dass das Gewissen eine Tätigkeit sei. Dieser Tätigkeitscharakter des Gewissens geht für Thomas überdies aus dem hervor, was man ihm so alles zuschreibt: „Man sagt nämlich vom Gewissen, es bezeuge, binde, sporne an oder auch, es klage an, foltere und tadle“. In all dem bekundet sich für ihn eine „Anwendung unseres Erkennens oder Wissens auf unser Handeln“, also eine Tätigkeit. 91 Das ist ohne Frage eine originelle Erklärung des Gewissens, die primär sprachanalytisch angelegt ist und die ohne die üblichen religiösen Konnotationen, die das Gewissen als Stimme Gottes im Menschen oder als dergleichen deuten, auskommt. Nun wird zu den Vermögen des menschlichen Geistes, wie wir vorhin bei Augustinus festhalten konnten, auch die Fähigkeit zur Selbstreflexion gerechnet. Wie steht Thomas hierzu? In der Summe der Theologie geht er diesem Problem insbesondere in der 87. Quaestio nach. Dort stellt er die Frage, wie die Verstandesseele sich selbst und das, was in ihr ist, erkennt. Eine denkbare Antwort wäre, die Verstandesseele erkenne sich durch ihre „Wesenheit“ (essentia). Diese Antwort indessen verwirft Thomas, indem er herausstellt, unser Verstand erkenne sich selbst nicht durch seine ‚Essenz‘, also nicht durch seine ‚Wesenheit‘, sondern durch seine „Tätigkeit“ (actus). 92 Die weitergehende Frage in Artikel 3 dieser Quaestio nun lautet: „Erkennt der Verstand seine eigene Tätigkeit?“ Und hierauf antwortet Thomas, das Erste, was am Verstand erkannt werde, sei eben sein Erkennen. Aber hierbei gilt es, den Unterschied zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Verstand zu beachten. Der göttliche Verstand nämlich ist, wie Thomas die Angelegenheit sieht, „sein Erkennen selbst“, „denn Seine Wesenheit ist Sein Erkennen“. Der erste Gegenstand des menschlichen Erkennens ist demgegenüber weder sein Erkennen noch seine Wesenheit, „sondern etwas außerhalb Liegendes, nämlich die Natur des stofflichen Dinges“. 93 Dasjenige, was vom menschlichen Verstand zuerst erkannt wird, sind demnach die Gegenstände der Außenwelt. Erst danach, mithin an zweiter Stelle, wird die Tätigkeit erkannt, durch die die Gegenstände erkannt werden. Und durch ebendiese Tätigkeit wird der Verstand erkannt, 94 durch sie reflektiert er sich selbst, erfasst er sich selbst als ein tätig erkennendes Vermögen. In solcher Selbstreflexion erblickt
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Thomas die höchste, allein dem Menschen zukommende Seelenfunktion. Zu solcher Selbstreflexion indessen gelangt der Mensch gemäß der Psychologie des Thomas von Aquin im Ausgang von der Erkenntnis der Außenwelt. Um diese auffassen zu können, dazu jedoch bedarf es, wie uns Thomas mitgeteilt hat, der Sinne, so dass wir weder allein durch die Sinne noch allein durch den Verstand, sondern durch beide zu erkennen vermögen. 95 Abschließend geht Thomas der Frage nach, ob der Verstand auch die Tätigkeit des Willens (actus voluntatis) erkennt. Er bejaht diese Frage und weist in seiner Begründung darauf hin, die Willenstätigkeit werde vom Verstand erkannt, erstens, insofern jemand sein Wollen wahrnimmt, und zweitens, „insofern jemand die Natur dieser Tätigkeit erkennt und damit auch die Natur ihres Grundes, d. h. des Gehabes (habitus) und des Vermögens“. 96 Da es sich nun sowohl bei der Willenstätigkeit als auch der sinnlichen und der Verstandesseele um Funktionen ein und derselben Seele handelt, sind diese „verschiedenen Aspekte der Seele nicht als diskrete, getrennte Größen, sondern vielmehr als Artikulationen des Geistes zu betrachten“, 97 sind, anders gesagt, all die hier im Einzelnen thematisierten Seelenfunktionen Arten und Weisen, in denen sich der menschliche Geist ausdrückt.
Der menschliche Geist als Abbild des göttlichen Geistes: Nikolaus von Kues Nikolaus von Kues – in der latinisierten Version seines Namens als Cusanus bekannt – wurde 1401, wie sein Beiname es enthüllt, in Kues an der Mosel geboren. 1448 wurde er zum Kardinal, zwei Jahre später zum Bischof von Brixen und noch im selben Jahr zum apostolischen Legaten ernannt. Er starb 1464 in Todi in Umbrien. Trotz all der vielen Amtsgeschäfte, die Positionen wie die erwähnten mit sich brachten, hat er ein thematisch weit gespanntes Werk hinterlassen, das, versucht man es auf den Kernpunkt zu reduzieren, um das Verhältnis von Unendlichem und
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Endlichem kreist, um das Verhältnis von Gott, Welt und Mensch sowie um die Bemühungen des Menschen, dieses Verhältnis zu erkennen. Um diese Thematik geht es auch in derjenigen Schrift, die 1450 entstanden und für uns hier einschlägig ist: Idiota de mente, auf Deutsch: Der Laie über den Geist. In ihr belehrt ein Laie, von Beruf Löffelschnitzer, einen Redner und einen Philosophen darüber, was man seines Erachtens unter „Geist“ zu verstehen hat. Seine Kardinalthese besagt, unser menschlicher Geist sei „Abbild des göttlichen Geistes“. 98 Demnach ist unser Geist „von göttlicher Natur“, ist er „dem göttlichen Geist sehr nahe verbunden“. 99 Freilich gibt es zwischen dem göttlichen und unserem menschlichen Geist einen gewichtigen Unterschied, und zwar besteht zwischen beiden laut Nikolaus derselbe Unterschied wie zwischen „Machen“ und „Sehen“. Damit will er herausstellen: Für beide – für den göttlichen wie für den menschlichen Geist – gilt, daß die ihnen eigentümliche Tätigkeit das Denken ist. Der göttliche Geist jedoch „erschafft“, indem er denkt, nämlich die Urbilder der Dinge, wohingegen der unsrige ‚angleicht‘, indem er denkt, wodurch er „Begriffe oder vernunfthaftes Schauen“ hervorbringt. 100 Von hierher kann Nikolaus den menschlichen Geist grundlegend als „jene Kraft in uns“ bestimmen, die die Urbilder (exemplaria) aller Dinge „in Begriffe einfaltet“. 101 Unsere Begriffe, mit deren Hilfe wir uns die Welt, uns selbst, unsere Stellung in ihr sowie die zu Gott verständlich zu machen versuchen, wären demnach Abbilder der vom göttlichen Geist erzeugten Urbilder. Cusanus meint damit des Näheren Folgendes: Der göttliche Geist gilt ihm als „das Gesamt der Wahrheit der Dinge“. Dieser Wahrheit versucht sich unser Geist kraft seines Denkens anzugleichen. Und zwar nimmt er das mittels eines ‚begrifflichen Erkennens der Dinge‘ in Angriff. So gesehen wird es verständlich, wenn Cusanus seinen Löffelschnitzer sagen lässt: Wie man vom göttlichen Geist sagen könne, er sei „das Gesamt der Wahrheit der Dinge“, könne man den menschlichen Geist bestimmen als „die Gesamtheit der Begriffe“. Infolgedessen, so Cusanus weiter, sei in unserem Geist alles „im Bild“ oder als „Ähnlichkeit der eigentlichen Wahrheit“. Und solche Ähnlichkeit drücke sich „begrifflich“ aus. 102 Mit Hilfe der Begriffe gelingt es der menschlichen Geisteskraft zwar, beispielsweise ‚mechanische Künste‘ hervorzubringen sowie physikalische und logische Konzepte zu entwickeln. Jedoch sollten wir uns nach Cusanus prä-
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sent halten, dass es sich bei den dabei verwendeten Begriffen und der mit deren Hilfe versuchten Angleichung an die göttliche Kunst eher um „Mutmaßungen“ (coniecturae) als um „Wahrheiten“ handelt. 103 So verstanden ist das, was wir als ‚wahre Erkenntnis‘ begreifen, streng genommen nur eine Teilhabe an der letztlich für unseren Geist unfasslichen Wahrheit des göttlichen Geistes: der Versuch einer Angleichung an ihn mittels unserer Begriffe. Solche Angleichung kann aber immer nur nachformen, nachgestalten, während der „unendliche“ göttliche Geist „die absolut formgebende Kraft“ ist. 104 Demzufolge handelt es sich bei den menschlichen ‚Künsten‘, wie beispielsweise der Kunst des Löffelschnitzens, um „Abbilder der unendlichen und göttlichen Kunst“. All unsere Künste sind „endlich und begrenzt“, und als endliche und begrenzte stammen sie von der „unendlichen Kunst“, sprich dem Erschaffen der Urbilder durch den göttlichen Geist, 105 die sie nachzuformen, nachzugestalten versuchen. Mit dieser Rede von Urbild und Abbild und dem zwischen beiden bestehenden Verhältnis einer Angleichung und Teilhabe gibt Cusanus deutlich zu verstehen, dass sich sein Denken in platonischen und neuplatonischen Bahnen bewegt. Gleichwohl hat sich Cusanus auch andere Denktraditionen anverwandelt, insbesondere die aristotelische. Erkennbar wird das, neben anderem, im vierten Kapitel dieser Schrift über den Geist, wenn er den Philosophen sagen lässt: Aristoteles ging davon aus, unserem Geist oder unserer Seele „sei kein Begriff anerschaffen, weil er sie einer unbeschriebenen Tafel [tabula rasa] verglich“; Platon hingegen behauptete, die Begriffe seien der Seele anerschaffen, sie habe sie jedoch „infolge der Last des Leibes vergessen“. Das koppelt er mit der Frage, was er, der Laie, denn hiervon für wahr erachte. In seiner Antwort versucht der Laie, die beiden genannten Positionen miteinander zu verbinden. Die Kraft des Geistes, so führt er nämlich aus, sei, wie wir bereits vernahmen, „eine die Dinge erfassende und begriffliche Kraft“. Zu ihrer Tätigkeit sei sie jedoch nur fähig, wenn sie „von Sinnenfälligem angeregt“ werde, und sie könne nur angeregt werden „vermittels sinnlicher Vorstellungsbilder“. 106 Folglich bedürfe sie eines mit Organen ausgestatteten Leibes, denn ohne einen solchen könne es für den Geist keine Anregung geben. Wenn also Aristoteles sage, dem Geist seien keine Begriffe von Anfang an anerschaffen, so scheine er damit der richtigen Meinung zu sein. Zugleich
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jedoch kombiniert der Cusanische Laie die Aristotelische Position mit derjenigen Platons, wenn er herausstellt, unser Geist habe eine ihm „von Natur aus“ anerschaffene Urteilsfähigkeit, 107 denn ohne die könne er keine Fortschritte machen und nicht vorankommen. Er verdeutlicht dies mit dem Hinweis auf einen Tauben, der niemals Fortschritte machen würde bei seinem Unterfangen, ein Zitherspieler zu werden, „weil er bei sich kein Urteil über den Zusammenklang hätte, durch das er urteilen könnte, ob er Fortschritte macht“. 108 Kraft solcher dem Geist von Natur aus anerschaffener Urteilskraft urteilt er, wie Nikolaus betont: „selbständig“, über Beweisgründe, nämlich ob sie schwach, stark oder schlüssig sind. Und wenn Platon diese Kraft mit dem anerschaffenen Begriff gemeint habe, dann habe er sich „nicht völlig geirrt“. 109 Abgesehen von dem Sachverhalt, dass der Cusaner dergestalt Platonische und Aristotelische Konzepte zusammenzudenken versucht, ist an diesen Ausführungen ein weiteres Moment wichtig, um sein Konzept des Geistes nachvollziehen zu können. Er legte ja dar, unser Geist bedürfe eines mit Organen ausgestatteten Leibes, um durch die Sinne vermittelte Vorstellungsbilder zu erhalten, die ihn in Tätigkeit versetzen. Diesen Leib nun sieht er als durch „Seele“ belebt an (eine Vorstellung, die ja die gesamte griechische Antike durchzog). Damit stellt sich die Frage, wie Nikolaus das Verhältnis zwischen Geist (mens) und Seele (anima) konzipiert. Darauf antwortet er zunächst, Geist und Seele seien „etwas Verschiedenes“. Dies indessen sei nicht im Sinne einer absoluten Verschiedenheit beider zu verstehen, sondern man habe sich beider Verhältnis so vorzustellen: Unser Geist als Abbild des göttlichen Geistes sei Geist, „der in sich besteht“; die Seele hingegen sei Geist „im Leib“. Und als solcher habe er die Aufgabe, den menschlichen Leib zu beseelen. Die Seele wäre demnach der Geist, sofern er die Aufgabe hat, den Leib zu beseelen, sprich zu beleben. Im Prinzip sind für Cusanus Geist und Seele „das nämliche“, wie es bei ihm heißt; gleichwohl erblickt er zwischen beiden insofern einen Unterschied, als der Geist einerseits in sich besteht, also „Geist an sich ist“, andererseits die Aufgabe hat, den menschlichen Leib zu beseelen. Weil ihm diese Aufgabe zukomme, heiße er Seele, 110 und durch solche „Beseelung“ werde „das Lebewesen konstituiert“. 111 Daher kann er festhalten: „Der Geist ist eine lebendige Substanz, die wir in uns erfahren, wie sie innerlich spricht und urteilt […]. Ihre Aufgabe in diesem
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Leib ist, den Leib zu beleben, und aufgrund dessen wird sie ‚Seele‘ genannt“. 112 Was genau bedeutet das nun: Der Geist beseelt, belebt den Leib? Nun, hierauf lässt Cusanus seinen Laien antworten, der Geist in seiner Funktion als Seele belebe den Leib sowohl mit vegetativem und sinnlichem Leben als auch mit der verstandesmäßigen, der vernunfthaften und der zur geistigen Schau fähigen Kraft. 113 Aufgrund solcher Belebung des Leibes ist der Geist ja, wie wir vorhin festhalten konnten, allererst in der Lage, sich von Dingen, die in die Sinne fallen, und von sinnlichen Vorstellungsbildern anregen zu lassen. Darüber, wie das im Einzelnen vor sich geht, hat der Cusanische Laie recht konkrete Vorstellungen, Vorstellungen, die freilich dem damaligen Stand des medizinisch-physiologischen Wissens geschuldet sind. Und so legt er dar: Da dieser Geist ja die „lebendige Abbildung“ des ewigen und unendlichen, des göttlichen Geistes ist, gleicht das göttliche Leben in uns anfangs einem „Schlafenden“, bis es durch das „Staunen“, das von dem herrührt, was in die Sinne fällt, angeregt wird und sich bewegt. 114 Konkret stellt sich der Laie das so vor: Unser Geist bewege sich mit Hilfe des „Arteriengeistes“, des spiritus, wie es im lateinischen Originaltext heißt. „Angeregt“, so heißt es dann wörtlich weiter, „durch das Entgegenstehen der Bilder, die von den Gegenständen her zum Geist hin sich vervielfachen, gleicht er sich den Dingen durch die Bilder an, um durch die Angleichung ein Urteil über den Gegenstand zu bilden“. 115 Diesen „Arteriengeist“, den spiritus, differenziert Nikolaus von Kues nun entsprechend den verschiedenen Sinnesorganen. Das bedeutet im Einzelnen: Der Arteriengeist im Sehnerv ist ein anderer als derjenige im Hörnerv etwa, was die Folge mit sich bringt, dass der spiritus im Sehnerv zum Beispiel nicht durch Töne, sondern nur durch „Farbbilder“ reizbar ist, so dass er Farbbildern gleichgestaltet werden kann und nicht „Tonbildern“. 116 Entsprechend, schreibt Cusanus, verhalte es sich bei den anderen Sinnen und weiteren Vermögen des Geistes, als da etwa wären die Einbildungskraft oder das schlussfolgernde Denken. Die durch sie erzeugten „Nachbildungen“ oder Konfigurationen – Cusanus spricht nämlich von „configurationes“ – sind Angleichungen von Sinnlichem, denn auch sie kommen „mittels körperlicher Geister“ zustande, wenn auch, wie Cusanus hinzusetzt, „ganz feiner“. 117 (Ist es nicht, als werde hier ein
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Nachhall der atomistisch-materialistischen Tradition von Demokrit über Epikur bis Lukrez vernehmbar?) Hierin, in dieser Mitwirkung materieller Teilchen im Prozess des Erkennens – wenngleich auch „ganz feiner“ – erblickt Cusanus den eigentlichen Grund für den bereits erwähnten Sachverhalt, dass unser Geist es bestenfalls zu Mutmaßungen bringt, nicht jedoch zu absoluter Wahrheit. Im Zuge einer näheren Ausfaltung dieser Problematik greift der Laie auf die Meinungen der „Ärzte“ zurück, wie die Sinneswahrnehmungen zustande kommen. Deren Deutungsansatz erweist sich der herkömmlichen Lehre von den vier Elementen Feuer, Luft, Wasser und Erde verpflichtet. Im Einzelnen, so läuft diese Deutung, bedient sich die Seele als der den Leib belebender Geist in Beziehung auf die Augen der Kraft des Feuers, in Beziehung auf die Ohren braucht sie die Kraft „des Äthers oder besser der reinen Luft“, für die Nase die Kraft der „dicken und qualmigen Luft“, für den Gaumen die Kraft des Wassers, für das Mark die Kraft der Erde – „und dies“, wie hinzugefügt wird, „nach der Rangordnung der vier Elemente“. 118 Da in dieser Rangordnung das Feuer die höchste Stelle innehat, stehen die Augen höher als beispielsweise die auf die Luft angewiesenen Ohren. Analoges gilt im Blick auf die anderen Sinne. Hieraus leitet Cusanus ab, mithin sei auch der Geist, „der sich zu den Augen hinlenkt“, „höher und edler […], so daß er in gewisser Weise feurig genannt wird“. 119 (Nebenbei sei angemerkt: Hier wird auch bei Nikolaus von Kues ein die abendländische Kultur- und Geistesgeschichte von ihren Anfängen an kennzeichnender Vorrang des Sehsinns, des Auges, vor den anderen Sinnen, ein ‚Visualprimat‘, deutlich erkennbar. 120) Generell kann in Anbetracht dieser Ausführungen zur Rolle der Sinnesorgane im Prozess der Erkenntnisgewinnung – bei der es sich ja, wie wir mittlerweile wissen, für Cusanus um Angleichung und Nachbildung der vom göttlichen Geist erzeugten Urbilder handelt – gesagt werden, dass die Sinne für ihn „gleichsam Fenster und Wege“ darstellen, durch die der Geist „einen Ausgang zum Wahrnehmen hat“. 121 Hierbei indessen hat es der Cusaner nicht belassen. Vielmehr glaubt er sogar, einzelne mentale Aktivitäten einigermaßen präzise in bestimmten Regionen des Gehirns lokalisieren zu können. So geht er davon aus, im vorderen Teil des Kopfes befinde sich die von ihm so genannte „Vorstellungszelle“. Der sich in ihr befindende Geist sei „um vieles feiner und beweglicher […] als der durch die Adern sich
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ergießende Geist“. Jenen Geist, diese „Kraft der Seele“, bezeichnet Cusanus als „Einbildungskraft“ (imaginatio), und zwar nennt er sie so, weil sich die Seele durch sie „ein Bild des abwesenden Dinges formt“. 122 Im mittleren Teil des Kopfes verortet Cusanus im weiteren Verlauf seiner Ausführungen sodann die „Verstandeszelle“. 123 Der Geist, der hier wohnt, sei, so legt er dar, ein ganz feiner Geist, ein Geist, der noch feiner sei als der in der Vorstellungszelle. Sofern die Seele sich dieses Geistes als Werkzeug bediene, werde sie immer noch „feinsinniger“ und könne differenziertere Unterscheidungen treffen. Dieses Vermögen bezeichnet Cusanus als „Verstand“, als ratio. 124 Auf diese Weise bedient sich die Seele, das heißt der in den Leib eingesenkte Geist, der Sinne, der Einbildungskraft und des Verstandes. Sinne, Einbildungskraft und Verstand nun sind entsprechend den Ausführungen des Cusaners „drei Weisen eines körperlichen Werkzeuges“. Und genau hierin ist für ihn der eigentliche Grund dafür zu erblicken, dass wir Menschen mittels der Sinne, der Einbildungskraft und des Verstandes „nicht die Wahrheit der Dinge“ zu erfassen imstande sind. Cusanus drückt das mit der ihm eigenen Begrifflichkeit so aus: Die Seele erfasst „die der Materie beigemischten Formen“; die Materie aber „entstellt“ die Form, „so daß die Wahrheit in bezug auf sie nicht erfaßt werden kann“. 125 Bestenfalls, so vernahmen wir bereits, gelangen wir zu „Mutmaßungen“, zu Konjekturen. Mit all dem sind die Grundzüge des Geist-Konzepts des Nikolaus von Kues herausgestellt. Abrunden lässt sich das Bild durch drei zusätzliche Gedankenlinien. Da wäre zunächst die Frage: Wenn der menschliche Geist ein Abbild des göttlichen Geistes ist, ist dann der Geist ein einziger in allen Menschen? Cusanus verneint das und begründet das mit dem Hinweis, der Geist verlange „eine passende Gestalt des Leibes, die ihm angemessen ins Verhältnis gesetzt ist“. 126 Daher schließt er aus, dass „eine einzige Vernunft“ – wobei ‚Vernunft‘ (intellectus) und ‚Geist‘ von ihm gleichgesetzt werden 127 – in allen Menschen ist. 128 Vielmehr verfügt jeder Mensch über seinen ihm eigenen Geist. Die zweite Gedankenlinie lässt sich von Cusanus’ Ableitung des lateinischen Wortes für Geist, nämlich mens, von mensurare = messen 129 und von mensura = Maß 130 aus ziehen. Der Cusanische Laie deutet diese Ableitung so, dass der Geist dasjenige ist, „woraus aller Dinge Grenze und
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Maß stammt“. 131 Diese Begriffsbestimmung des Laien, die den am Gespräch beteiligten Philosophen sichtlich überrascht, 132 erläutert jener an einer späteren Stelle seiner Ausführungen so: Mens sei aus dem Grund von mensura her benannt, weil es dem Geist darum gehe, „das Maß seiner selbst zu erreichen“. Und dann fährt er fort: „Denn der Geist ist ein lebendiges Maß, das, indem es anderes mißt, sein eigenes Fassungsvermögen erreicht. Denn alles tut er, um sich zu erkennen. Aber sein eigenes Maß, das er in allem sucht, findet er nur dort, wo alles eins ist. Dort ist die Wahrheit seiner Genauigkeit, weil dort sein angemessenes Urbild ist“. 133 Wenden wir uns abschließend der dritten noch kurz auszuziehenden Gedankenlinie zu. Bei ihr handelt es sich um die Frage, ob der Geist sterblich oder unsterblich ist. Von dem Bischof und Kardinal Nikolaus von Kues wird man wohl intuitiv erwarten, dass er für die Unsterblichkeit des Geistes plädiert. Und so ist es auch. Die Unsterblichkeit des Geistes, so sagt der Laie, sei „nicht zu leugnen“. Aber dieser belässt es nicht bei einer bloßen Behauptung, sondern führt ein Argument als eine Art Beweisgrund für die behauptete Unsterblichkeit des Geistes an, und zwar geht er davon aus, der Geist sei „geistiges Leben […], das sich selbst bewegt, d. h. sein heigenesi Leben, welches im Erkennen besteht, hervorbringt“. Wenn es sich aber so verhalte, dann stelle sich doch die Frage, wie solle er nicht immer leben? Wie solle „eine Bewegung, die sich selbst bewegt, aufhören?“ 134 Und überhaupt: Wäre der Geist sterblich, dann käme das ja einer Auflösung in „Nicht-Geist“ gleich. Wie aber könne das sein, dass sich Geist in Nicht-Geist auflöse? Hierbei lässt Cusanus es an dieser Stelle bewenden. In einem früheren Kapitel, dem dreizehnten, hat er etwas ausgeführt, was diese abschließende Darlegung zum Thema Geist ergänzen kann. Dort dreht sich die Debatte um Platons Konzept der „Weltseele“ und Aristoteles’ Begriff der „Natur“ als desjenigen, das aus sich selbst her ent- und besteht. Besteht, so wird gefragt, zwischen beiden eine Entsprechung, oder handelt es sich um Vorstellungen, die miteinander unvereinbar sind? Durch den Mund des Laien gibt Cusanus zu verstehen, dass er der Ansicht ist, Platons „Weltseele“ entspreche der Aristotelischen „Natur“. Für einen auf christlichem Boden stehenden und argumentierenden Menschen sei beides indessen nichts anderes als „Gott“ – und zwar näher bestimmt als ein Gott, „der alles in allem wirkt und den wir den Geist des Alls nennen“. 135 Damit
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werden nicht nur Platons „Weltseele“ und Aristoteles’ „Natur“ in das christliche Denken hineingeholt – wenn auch in ganz bestimmter Weise gedeutet –, sondern damit spricht Cusanus zudem deutlich aus, dass sein Denkansatz, und mithin auch seine Ausführungen zum Thema ‚Geist‘, die Existenz Gottes und die Wahrheit des christlichen Glaubens voraussetzen. Ob sich dieses Denken mit der Aussage, Gott wirke alles in allem und er sei der Geist des Alls, nicht der Auffassung, das All, die Natur, selbst sei göttlich, annähert und folglich in Richtung Pantheismus tendiert, steht auf einem anderen Blatt.
Der Geist in der Maschine: das Dilemma des René Descartes
René Descartes (1596–1650) nimmt ein waghalsiges Unterfangen in Angriff. Schon vor einer Reihe von Jahren, so schreibt er in seinen 1641 veröffentlichten Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, habe er bemerkt, wie viel Falsches er seit seiner Jugend habe gelten lassen und wie zweifelhaft alles sei, was er hernach darauf aufgebaut habe. Daher habe er sich entschlossen, er müsse „einmal im Leben alles von Grund aus umstoßen und von den ersten Grundlagen an neu beginnen“, wenn er jemals einen festen Halt für etwas „Unerschütterliches und Bleibendes in den Wissenschaften“ schaffen wolle. 1 Inspiriert hierzu hat ihn eine Sequenz von drei Träumen, die ihn in der Nacht vom 10. auf den 11. November 1619 heimsuchten und die ihm, wie er später mitgeteilt hat, „das Licht einer wunderbaren Einsicht“ aufgehen ließen und „die Schätze aller Wissenschaften“ bescherten. 2 Diese drei Träume weisen Descartes intuitiv den Weg, der ihn zu dem archimedischen Punkt führen wird, von dem aus er, wie es in den Meditationen heißt, 3 ein ‚sicheres‘ und ‚unerschütterliches‘ Fundament zu gewinnen hofft, auf dem er ein Denkgebäude errichten kann, das dem Anspruch auf Wahrheit gerecht zu werden vermag. Ausgangspunkt hierfür wird Descartes ein umfassender Zweifel an schlechterdings allem, was er bislang für wahr gehalten hat. Hierzu ist es nicht erforderlich, jeden einzelnen Lehrsatz, jede bislang geteilte Überzeugung, jede bislang für wahr erachtete Meinung einzeln zu prüfen, sondern, meint Descartes, es genüge, den Angriff gegen die Prinzipien zu richten, auf denen solche Lehrsätze, Überzeugungen und Meinungen gründen. Denn sollte bei einem von ihnen auch nur irgendein Grund zu zweifeln bestehen, so genüge das, um sie alle zurückzuweisen. Die Konsequenz, die sich hieraus für ihn ergeben könnte, nämlich ein ‚allgemeiner Umsturz‘ alles bislang für wahr Gehaltenen, nimmt er nicht nur billigend in Kauf, vielmehr ist es erklärtes Ziel seines Unterfangens. 4
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Indem er dergestalt den Zweifel als Methode etabliert, greift Descartes den Ansatz der antiken Skeptiker auf, unterscheidet sich jedoch von ihnen in einer alles entscheidenden Hinsicht. Die antike Skepsis nämlich kultivierte den Zweifel mit dem erklärten Ziel, sich eines Urteils so lange zu enthalten, wie man nicht auf einem einigermaßen sicheren Boden steht, um auf diese Weise die Unruhe aus der menschlichen Seele zu vertreiben. Descartes hingegen ist daran interessiert, im Durchgang durch den Zweifel ein ein für alle Mal sicheres und unerschütterliches Fundament aller weiteren Denkarbeit und Wissenschaft zu finden. Zu diesem Zweck schlägt er einen Weg des Zweifels ein, der ihn über drei Etappen führt. Fraglos, so legt er in einem ersten Schritt dar, verdanke er alles, was er bisher am ehesten für wahr gehalten habe, den Sinnen oder der Vermittlung der Sinne. Nun sei ihm aber mehr und mehr klar geworden, dass uns die Sinne bisweilen täuschen. Allein das aber, dass sie uns auch nur einmal getäuscht haben, genüge bereits, ihnen niemals ganz zu trauen. Das, so betont er, sei „ein Gebot der Klugheit“. 5 Auf die Sinne ist also kein Verlass. Folglich scheiden sie als sicheres Fundament aller Erkenntnis aus. Wie aber steht es nun, fragt Descartes weiter, und damit beginnt die zweite Etappe der Zweifelsmeditation, um meine Realitätsgewissheit? Wer oder was verbürgt mir eigentlich, dass das, was mir als ‚Wirklichkeit‘ gilt, tatsächlich ‚Wirklichkeit‘ ist und kein bloßer Traum? Diese Frage ist deswegen berechtigt und so beunruhigend, weil wohl einem jeden die Erfahrung vertraut ist, dass einem, während man des Nachts zu schlafen pflegt, genau dieselben, ja mitunter sogar noch weniger wahrscheinliche Dinge im Traum begegnen wie im wachen Zustand. Und Descartes wird schlagartig klar: Wachsein und Träumen können niemals durch sichere Kennzeichen voneinander unterschieden werden. Wenn dergestalt nun auch meine Realitätsgewissheit ins Wanken gerät, wo gibt es dann noch Hoffnung auf einen einigermaßen sicheren Boden? In der Arithmetik und der Geometrie, antwortet Descartes, sowie in all jenen Wissenschaften dieser Art, die nur von den allereinfachsten und allgemeinsten Gegenständen handeln, wie beispielsweise die Logik, an die Descartes hierbei wohl vorrangig gedacht haben mag. Denn, so argumentiert er, ich mag wachen oder schlafen, so ergeben 2 + 3 doch stets 5, und das Quadrat hat nie mehr als vier Seiten. Doch dann meldet sich ein ge-
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wichtiges Bedenken zu Wort: Könnte es nicht sein, dass es irgendeinen bösen Geist – einen deus malignus – gibt, der zugleich allmächtig und verschlagen ist und der all seinen Fleiß daran gewandt hat, mich zu täuschen und mir beispielsweise vorgaukelt, 2 + 3 ergeben 5, und das Quadrat habe stets vier Seiten? Hiermit ist die dritte Etappe des Zweifels durchlaufen. Rein gar nichts scheint vor dem Zweifel sicher zu sein: weder die Sinne noch meine Realitätsgewissheit noch die Güte Gottes. Aber gerade dieser Zustand höchster Unsicherheit gebiert zugleich eine neue, für die neuzeitliche Philosophie geradezu revolutionäre Einsicht. Nun gut, sagt Descartes, dann gibt es also möglicherweise einen allmächtigen und höchst verschlagenen Betrüger, der mich geflissentlich stets täuscht. Aber sei dem durchaus so, so ist doch eines gewiss: Wann immer er mich täuscht, so ist es doch unzweifelhaft, dass ich bin. „Er täusche mich, so viel er kann“, schreibt Descartes, „niemals wird er doch fertig bringen, daß ich nichts bin, solange ich denke, daß ich etwas sei“. 6 Und so kommt Descartes nach Durchschreiten der drei Etappen des Zweifels zu der Feststellung, „daß dieser Satz: ‚Ich bin, ich existiere‘, sooft ich ihn ausspreche oder in Gedanken fasse, notwendig wahr ist“. 7 „Ich bin, ich existiere“, schreibt Descartes hier, „ego sum, ego existo“. Berühmter als diese Wendung wurde jedoch eine andere, mit der Descartes seine fundamentale Einsicht zum Ausdruck bringt: „Ich denke, also bin ich“: cogito, ergo sum, wie es in der Abhandlung von der Methode des Jahres 1637 heißt. 8 Und in den späteren, 1644 veröffentlichten Prinzipien der Philosophie gibt Descartes ihr die Fassung: Wir können nicht annehmen, dass wir, die wir solche Zweifelsmeditationen anstellen, „nichts sind; denn es ist ein Widerspruch, daß das, was denkt, zu dem Zeitpunkt, wo es denkt, nicht existiert. Demnach ist der Satz: Ich denke, also bin ich (ego cogito, ergo sum) die allererste und gewisseste aller Erkenntnisse, die sich jedem ordnungsgemäß Philosophierenden darbietet“. 9 Über die unterschiedlichen Formulierungen – ego sum, ego existo und ego cogito, ergo sum – und die damit möglicherweise vorgenommene Akzentverschiebung sowie die darin liegenden Implikationen ist lang und breit geschrieben worden. Für unseren Zusammenhang ist das indessen wenig von Belang. Entscheidender ist vielmehr: Die einzige Überzeugung, die sich als resistent gegenüber dem Zweifel erweist, ist die, dass ich als
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Denkender es bin, der all diese möglicherweise irrtümlichen Gedanken denkt. Auf diese Weise erschließt sich für Descartes das Denken reflexiv als ein sicheres, unerschütterliches Fundament. Mag ich an allem zweifeln können – an der Zuverlässigkeit der Sinne, an meinem Weltverständnis und Weltverhältnis, gar an der Güte Gottes –, an einem jedoch kann ich nicht zweifeln: dass ich, zumindest im Moment des Zweifelns, als denkendes Wesen existieren muss. Dergestalt wird die Gewissheit, dass ich ein denkendes Wesen bin, wird die Ich-Gewissheit für Descartes zu dem gesuchten Fundament, das den Zweifel beseitigt und auf dem das Gebäude des Wissens und der Wissenschaft neu errichtet werden kann. Nicht der Körper, nicht das Empfinden können mich aus dem Dilemma befreien, in das mich der Zweifel, dass alles bislang für wahr Gehaltene nur Erfindungen, nur Illusionen, nur chimärisches Blendwerk sein könnten, gestürzt hat. Allein das Denken ist hierzu in der Lage. „Hier liegt es“, hält Descartes fest, „das Denken ist’s, es allein kann von mir nicht getrennt werden. Ich bin, ich existiere, das ist gewiß. Wie lange aber? Nun, solange ich denke“. 10 Diese Feststellung provoziert nahezu unvermeidlich die Frage, was – und vielleicht auch wo – ich dann bin, wenn ich nicht denke, wenn ich zum Beispiel schlafe oder nicht bei Bewusstsein bin, wie es etwa während der Narkose oder im komatösen Zustand der Fall ist. Augenscheinlich hat Descartes gesehen, dass hier ein gewichtiges Problem lauert. Er selbst nämlich betont: „Denn vielleicht könnte es sogar geschehen, daß ich, wenn ich ganz aufhörte zu denken, alsbald auch aufhörte zu sein“. Indessen scheint ihn das nicht allzu sehr beunruhigt zu haben, geht er an dieser Stelle der Meditationen doch sogleich darüber hinweg. Stellung genommen hat er zu dieser Problematik aber bereits in der Abhandlung von der Methode. Dort bekennt er sich zu der Ansicht, dass wir während des Schlafs immer träumen und mithin unser Bewusstsein auch in den Schlafphasen nie ganz verlieren. 11 Darüber, wie es sich in dieser Hinsicht mit tiefer Bewusstlosigkeit und dergleichen verhält, erfahren wir jedoch nichts. Descartes kommt es in diesem gedanklichen Kontext allem zuvor ja darauf an, die reflexiv gewonnene Ich-Gewissheit als das alles entscheidende Moment im Gang der Meditationen mit Nachdruck zu akzentuieren. Daher fährt er fort: „Ich bin also genau nur ein denkendes Wesen,
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d. h. Geist, Seele, Verstand, Vernunft – lauter Ausdrücke, deren Bedeutung mir früher unbekannt war. Ich bin aber ein wahres und wahrhaft existierendes Ding, doch was für ein Ding? Nun, ich sagte es bereits – ein denkendes“. 12 ‚Denkendes Wesen‘: das ist die geläufige Übersetzung des lateinischen Ausdrucks ens oder res cogitans, den Descartes in diesem Zusammenhang verwendet. Diese res cogitans, so gibt die angeführte Stelle zu verstehen, umfasst „Geist“ (mens), „Seele“ (animus), „Verstand“ (intellectus) und „Vernunft“ (ratio), also eine Vielzahl von Fähigkeiten und Vermögen. Zwar erklärt sich Descartes in diesem Zusammenhang hierüber nicht näher, doch kann man im Licht der abendländischen Tradition vermuten, dass er der „Seele“ die Sphäre der Empfindungen und der (Lebens-)Gefühle zuordnet, dem „Verstand“ das verknüpfende Denken, wie es für Mathematik und Logik beispielsweise oder für das schlussfolgernde Denken und Urteilen charakteristisch ist, die „Vernunft“ mit der Planung des Handelns und der Orientierung an Prinzipien befasst sieht und den „Geist“ als den Inbegriff all dessen begreift. Wir werden jedoch sogleich sehen, dass Descartes diese begrifflichen Unterscheidungen nicht streng durchhält. Zuvor jedoch sollten wir einen Blick darauf werfen, was alles in den Zuständigkeitsbereich der res cogitans, des Geistes des Menschen, fällt. In den Meditationen sagt Descartes, der Mensch als res cogitans, als geistiges Wesen, sei „ein Wesen, das zweifelt, einsieht, bejaht, verneint, will, nicht will und das sich auch etwas bildlich vorstellt und empfindet“. 13 In den Prinzipien fügt er dieser Aufzählung außerdem noch die Wahrnehmung 14 und das Erinnern 15 hinzu. Halten wir also fest: Tätigkeiten der res cogitans, des Geistes, sind demnach: – – – – – – – –
wahrnehmen zweifeln einsehen bejahen und verneinen wollen sich etwas bildlich vorstellen, Einbildungen haben empfinden erinnern.
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All das können denkende Wesen mittels der artikulierten Sprache zum Ausdruck bringen. 16 Diese Liste zeigt, Descartes hat einen weiten Begriff von „Geist“, rechnet er zum Geistigen doch nicht nur Gedanken, sondern auch Wollen, Vorstellen, Erinnern und Empfinden. Damit umfasst die mentale Sphäre bei ihm die Gesamtheit der Bezüge des Geistes zum denkenden Wesen selbst, zu anderen Wesen sowie zur Welt. Bei all dem ist es für Descartes fraglos, dass die genannten Tätigkeiten des Geistes „bloß als Bewußtseinsbestimmungen in mir vorhanden sind“. 17 „Geist“ ist demnach bei Descartes ganz entscheidend „Bewußtsein“; ja so eng verzahnt er Denken, Geist und Bewusstsein, dass Denken und Geist für ihn immer bewusst sind, wie aus Absatz 9 des ersten Teils der Prinzipien hervorgeht. Daher rührt es, „daß ich“, wie er betont, „nichts leichter und augenscheinlicher erkennen kann – als meinen Geist“. 18 Für Descartes ist sich der menschliche Geist demzufolge während der Phasen, in denen er aktiv ist, seiner selbst durchgängig bewusst. Geistige Aktivitäten wären demnach immer schon von Bewusstsein begleitet. Vor- oder Unbewusstes scheint Descartes dementsprechend fremd zu sein. Nun wurde vorhin bereits darauf hingewiesen, Descartes unterscheide begrifflich nicht scharf zwischen den verschiedenen mentalen Provinzen, die in ihrer Gesamtheit die res cogitans bilden. In der Tat ist es so, dass er insbesondere „Seele“ (so in der Abhandlung von der Methode 19 und in den Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft 20) und „Geist“ im Allgemeinen synonym verwendet. Das heißt, er unterscheidet weder begrifflich noch sachlich zwischen „(vernünftiger) Seele“ und „Geist“. „Geist“ ist infolgedessen bei ihm ganz wesentlich „(vernünftige) Seele“ und „(vernünftige) Seele“ „Geist“. Die für sein Denken – und für die Folgezeit – zentrale Unterscheidung liegt vielmehr zwischen vernünftiger Seele/Geist auf der einen und dem Körper, das heißt dem menschlichen Leib, auf der anderen Seite. Nehmen wir diesen Unterschied in den Blick, so zeigt sich uns zunächst: Einerseits betont Descartes, mein Wesen bestehe allein im Denken, in den Aktivitäten des Geistes. Andererseits ist ihm aber zugleich auch klar, dass ich „einen Körper habe, der mit mir sehr eng verbunden ist“. 21 Ja Descartes hebt ausdrücklich hervor: Ich als geistiges Wesen bilde mit meinem Körper eine „Einheit“. Das lehren beispielsweise Schmerz-, Hungerund Durstempfindungen. Alltägliche und jedem vertraute Erfahrungen
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sind es mithin, die mir unmissverständlich zu verstehen geben, dass ich mit meinem Körper „ganz eng […] verbunden und gleichsam vermischt bin“. 22 Infolgedessen ist der Mensch eine Einheit aus Geist und Körper, ist er ‚ein Ganzes aus Geist und Körper‘. 23 Der menschliche Geist ist demnach Teil eines Ganzen, das heißt eines aus Geist und Körper bestehenden Ganzen. Damit macht sich Descartes eine in der griechischen Antike formulierte Ansicht zu eigen, die nachhaltig die abendländische Geistes- und Kulturgeschichte geprägt hat. Der Mensch ist eine Einheit, ein Ganzes aus Geist und Körper: Das, so könnte man meinen, klingt doch plausibel. Ja durchaus, wäre da aber nicht die von Descartes zugleich vertretene Überzeugung, Geist und Körper seien prinzipiell voneinander verschieden und voneinander unabhängig. Hier nun nähern wir uns dem entscheidenden Problem, das die cartesische Metaphysik der Nachwelt aufbürdete. Sehen wir uns seine Begründung für diese These an, so gilt es als Erstes festzuhalten: Das Wesen des Körpers besteht allein in seiner Ausdehnung, das heißt in seiner Erstreckung nach Höhe, Breite und Tiefe. 24 Der Körper ist, mit Descartes’ Begrifflichkeit gesagt, eine res extensa, ein ausgedehntes Ding. Ausgedehnte Dinge sind materielle und teilbare Dinge. An Körpern kann man Teile unterscheiden beziehungsweise sie in Teile aufspalten. Ein Körper, hält Descartes daher fest, ist „seiner Natur nach stets teilbar“. 25 Und der menschliche Leib ist, wie er in der Abhandlung von der Methode schreibt, rein für sich betrachtet, ein „Automat“, eine „Maschine“, allerdings eine Maschine, „die aus den Händen Gottes kommt und daher unvergleichlich besser konstruiert ist und weit wunderbarere Getriebe in sich birgt als jede Maschine, die der Mensch erfinden kann“. 26 Vom Geist hingegen kann man laut Descartes weder Ausdehnung noch Teilbarkeit behaupten; er, so schreibt er, sei „durchaus unteilbar“, an ihm könne man keine Teile unterscheiden, vielmehr erkenne man sich „als ein durchaus einheitliches und ganzes Ding“. Um das mit einem empirischen Befund zu belegen, setzt er hinzu: Wenn man einen Körperteil abschneidet, wird darum „nichts vom Geiste weggenommen“. 27 Ja mehr noch: Descartes geht sogar so weit zu behaupten, aus der Zerstörung des Körpers folge keineswegs die Vernichtung des Geistes. 28 Das besagt zum einen: Da das Wesen materieller Körper Descartes zufolge in der Ausdehnung und mithin in ihrer Teilbarkeit besteht, der Geist aber unteilbar,
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mithin nicht ausgedehnt ist, muss es sich bei ihm um etwas Immaterielles handeln. Die res extensa ist demzufolge eine materielle Substanz; bei der res cogitans haben wir es hingegen mit einer immateriellen zu tun. Zum zweiten dürfte Descartes’ zuletzt angeführte Behauptung von der Unzerstörbarkeit des Geistes wohl unweigerlich die Frage provozieren: Wie und wo überlebt der Geist die Zerstörung des Körpers? Was ist die dieser immateriellen Substanz zugehörige Sphäre? Wo – noch einmal naiv gefragt – wohnt (und überlebt) der Geist? Descartes’ Philosophie konfrontiert uns also mit folgender Sachlage: Einerseits betont sie, der Mensch sei eine Einheit, sei ein Ganzes aus Geist und Körper. Andererseits gibt sie zu bedenken, Geist und Körper seien, da der Körper materiell und teilbar, der Geist hingegen immateriell und unteilbar sei, nicht nur „verschiedenartig“, sondern „in gewisser Weise gegensätzlich“. 29 Mit anderen Worten: Geist und Körper, res cogitans und res extensa, besitzen jeweils unterschiedliche Eigenschaften: Der Geist beziehungsweise die (vernünftige) Seele ist wesentlich eine denkende, nicht ausgedehnte, nicht teilbare, immaterielle, unsterbliche Substanz. 30 Der Körper dagegen ist ausgedehnt, teilbar, materiell, sterblich, ist eine Maschine. Descartes’ Überlegungen laufen folglich auf das Konzept eines Geistes in einer Maschine hinaus – eines unsterblichen Geistes in einer sterblichen Maschine wohlgemerkt! Jeder von uns ist Geist; dieser Geist wohnt in einer Maschine, in unserem Leib (wobei noch zu klären sein wird, wie das näher zu verstehen ist). Der britische Philosoph Gilbert Ryle hat diese Descartes’sche Sicht der Dinge nicht ohne Grund als den Mythos vom „Gespenst in der Maschine“ verspottet. 31 Descartes spaltet demnach den Menschen in zwei Substanzen auf, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Und doch ist es für ihn zugleich unabweisbar, dass Geist und Körper trotz ihrer substantiellen Verschiedenheit interagieren, aufeinander einwirken. Deutlich fassen lässt sich das für ihn insbesondere daran, dass beispielsweise Lust und Schmerz mit dem Geist aufgefasst werden – und nicht in der Hand oder im Fuß oder einem anderen Teil des Körpers. Annahmen wie die letzteren, so hebt er hervor, seien nichts als „Vorurteile aus unserer Kinderzeit“. 32 Bedürfte es hierüber hinaus noch eines weiteren Belegs dafür, dass Descartes fraglos von einer Interaktion von Geist und Körper ausgeht, dann dürfte etwa die
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folgende Stelle für sich sprechen: „Der Geist“, so überschreibt er einen einschlägigen Abschnitt in den Prinzipien, 33 „hat eine derartige Natur, daß allein durch die Bewegung des Körpers in ihm die verschiedenen Empfindungen hervorgerufen werden können“, was er in ebendiesem Abschnitt mit einer Reihe von Beispielen untermauert, die er der Physiologie und der Medizin seiner Zeit entnimmt. Der Geist interagiert demnach nicht nur mit dem Körper, mehr noch, er ist, wie es in der Abhandlung von der Methode heißt, „von der Leibesbeschaffenheit und der Einrichtung der Organe abhängig“ – und zwar so sehr, wie Descartes hinzufügt, „daß ich, wäre es möglich ein Mittel zu finden, das die Menschen ganz allgemein weiser und geschickter machte, als sie bisher gewesen sind, glaube, man muß es in der Medizin suchen“. 34 Diese Stelle ist in mehrfacher Hinsicht äußerst erstaunlich und aufschlussreich zugleich. Erstens fragt man sich: Wie kann das sein, dass der Geist von der Leibesbeschaffenheit und der Einrichtung der Organe abhängig ist, da Descartes Geist und Körper doch als zwei Substanzen begreift, die ihrem Wesen nach gegensätzlich sein sollen? Oder anders gefragt: Wie kann etwas Materielles – der Leib und seine Organe – kausal auf den Geist, also auf etwas Immaterielles, einwirken? Und anders herum: Wie kann etwas Immaterielles – der Geist – Wirkungen in der materiellen Welt hervorrufen? Und doch behauptet Descartes genau eine solche in beide Richtungen laufende Interaktion! Dass Geist auf Körper und Körper auf Geist wirkt, kann man sich rasch mit simplen Beispielen verdeutlichen. Ich will beispielsweise den Arm heben (man erinnere sich: Willensakte sind für Descartes geistige Akte), und mein Arm geht hoch. Oder jemand sticht mir eine Nadel in die Hand, und ich habe eine Schmerzempfindung (und Schmerz wird, wie wir von Descartes vernahmen, mit dem Geist empfunden). Zweitens delegiert Descartes hier die Erforschung des Geistes und seine Ausbildung an die Medizin, also an eine Wissenschaft beziehungsweise wissenschaftlich einigermaßen fundierte Praxis, die sich in erster Linie mit dem Körper des Menschen, mithin mit der res extensa, beschäftigt. Damit entzieht er den Geist dem alleinigen Zugriff der Philosophen und bringt die Medizin immerhin als Mittel ins Spiel, um den Geist „weiser und geschickter“ zu machen. Eine Wissenschaft, die sich mit dem Körper befasst, soll den Geist ausbilden helfen! Wenn das nicht bemerkenswert ist! Moderne Hirnphysiologen, die an Neurotechnologie und
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-prothetik interessiert sind, würden daran indessen nichts Außergewöhnliches mehr finden. Zu Descartes’ Zeiten war es das durchaus. Kommen wir zurück zu Descartes’ Grundproblem und versuchen wir es systematisch darzustellen. Am einfachsten lässt sich das mit Hilfe von vier Sätzen bewerkstelligen: 35 1. Der menschliche Körper ist eine res extensa; er ist ausgedehnt, teilbar, materiell. 2. Der menschliche Geist ist eine res cogitans; er ist nicht ausgedehnt, nicht teilbar, immateriell. 3. Der immaterielle Geist und der materielle Körper interagieren: Der Geist wirkt auf die Maschine ein und die Maschine auf den Geist. Nun ist Descartes aber auch Physiker; und in dieser Funktion ist für ihn klar (und das geht deutlich aus Teil II bis IV der Prinzipien der Philosophie hervor): 4. Immaterielles und Materielles können wegen der Geschlossenheit und Vollständigkeit der materiellen Welt nicht interagieren (‚Geschlossenheit‘ meint hier: Geistiges kann in der materiellen Welt keine Veränderung bewirken; Geist wirkt nur auf Geist, und Materielles wirkt nur auf Materielles. Und ‚Vollständigkeit‘ bedeutet: Die materielle Welt kann auch existieren, ohne dass es Geist oder Bewusstsein gibt). Ohne Zweifel hat Descartes selbst die Schwierigkeiten gesehen, in die er sich mit der Behauptung der substantiellen Verschiedenheit von Geist und Körper hineinmanövriert hat. Wie käme man aus ihnen heraus? Nun, Descartes ‚löst‘ das Problem so, dass er faktisch den vierten Satz aufgibt. Das ergibt sich für ihn vor dem Hintergrund der erdrückenden Fülle von Beispielen, die zweifelsfrei eine Interaktion von Geist und Körper belegen, offenbar zwingend – und sei es auch um den Preis, dass er sich damit als Physiker selbst diskreditiert, ja geradezu desavouiert. Aber auch damit sind längst noch nicht alle Probleme gelöst. Im Gegenteil! Denn selbst nach Aufgabe des vierten Satzes steht nach wie vor die Frage im Raum, wie zwei gegensätzliche und grundverschiedene Substanzen interagieren können. Bei dem Versuch, sie zu beantworten, bringt
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Descartes das Gehirn ins Spiel, insbesondere einen speziellen Teil. Im Abschnitt 196 des vierten Teils der Prinzipien will Descartes den „Beweis“ erbringen, „daß die Seele nur insofern empfindet, als sie sich im Gehirn befindet“. 36 Die Seele ist demnach nicht in „einzelnen Gliedern“ des Körpers, und sie empfindet als im Gehirn verortet das, was dem Körper in seinen einzelnen Teilen begegnet, „durch die Nerven“. Drei Belege hierfür glaubt Descartes beibringen zu können. Erstens, so argumentiert er, heben manche Krankheiten, die nur das Gehirn betreffen, alle Empfindungen auf oder stören sie zumindest. Und selbst der Schlaf, der, wie Descartes schreibt, „nur im Gehirn ist“, nehme uns täglich zum großen Teil das Gefühlsvermögen, das sich beim Erwachen wieder herstelle. Zweitens gehe, auch wenn das Gehirn selbst nicht verletzt sei, aber die Wege, auf denen die Nerven von den äußeren Gliedern zu ihm gelangen, verstopft seien, das Gefühl in diesen Gliedern verloren (wie es zum Beispiel bei Taubheit in den Gliedmaßen der Fall ist). Und drittens schließlich fühle man mitunter den Schmerz in gewissen Gliedern, obgleich gerade hierzu kein Anlass besteht, wie es etwa beim sogenannten Phantomschmerz der Fall ist. Ebendies beweist für Descartes noch einmal: Schmerz wird vom Geist empfunden, „als wäre er im Fuß vorhanden“. 37 Und vermittelt wird das seiner Ansicht nach über die „inneren Gehirnteile“. 38 Von hier aus kann Descartes als Fazit dieser Überlegungen formulieren, der Geist werde nicht von den Körperteilen unmittelbar beeinflusst, sondern nur vom Gehirn, „vielleicht sogar“, wie er hinzusetzt, „nur von einem ganz winzigen Teile desselben, nämlich von dem, worin der Gemeinsinn seinen Sitz haben soll“. 39 Dieser kleine Bestandteil des Gehirns, den Descartes hier ins Spiel bringt, ist die Epiphyse, die Zirbeldrüse, 40 deren Funktion Descartes und seinen Zeitgenossen unbekannt war und in der man den sensus communis, den Gemeinsinn, verortete. Die Interaktion zwischen Geist und Körper wird, wie Descartes glaubte, nun durch ebendiese Zirbeldrüse geleistet. Ja er hielt sie geradezu für den Sitz des Geistes. Hier berühren sich Mentales und Körperliches. Sie wirkt als eine Art Umschaltstelle, als eine Art Transformator, der mittels der im Körper zirkulierenden ‚Lebensgeister‘ (esprits animaux beziehungsweise spiritus) mentale Akte in körperliche Aktionen und körperliche Regungen in mentale Erregungen umpolt. Will ich zum Beispiel meinen rechten Arm heben, so wird dieser mentale Akt in der Zirbeldrüse in
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körperliche Aktionen umgesetzt. Und umgekehrt: Werde ich mit einer Nadel in die Hand gestochen, so schaltet die Zirbeldrüse diesen körperlichen Reiz in eine Schmerzempfindung, mithin in etwas Mentales um. Auf diese Weise hält Descartes Geist und Körper für sehr eng miteinander verzahnt. Wie er in der Methodenabhandlung mit einer berühmt gewordenen Metapher sagt, wohnt der Geist nicht so in der Maschine, „wie der Kapitän an Bord seines Schiffes wohnt“. 41 Vielmehr müsse der Geist, damit man ein „wirklicher Mensch“ sei, „enger“ mit dem Körper „verbunden und vereinigt“ sein, als es bei einem Kapitän der Fall ist, der an Bord seines Schiffes wohnt. So elegant diese ‚Lösung‘ des Descartes’schen Substanzdualismus dem ersten Anschein nach auch daherkommen mag – überzeugend ist sie nicht (schon Descartes’ Zeitgenossen verspotteten sie als ‚Wunder‘). Dies ist sie vor allem schon deswegen nicht, weil ein solcher ‚dualistischer Interaktionismus‘, wie man diese Position für gewöhnlich bezeichnet, nur aufrechterhalten werden kann um den Preis, dass Descartes dadurch dem Geist doch irgendwie Ausdehnung, folglich Materialität und Teilbarkeit zuspricht. Das aber kann nicht sein, da der Geist nirgendwo, auch nicht in der kleinen Zirbeldrüse, ausgedehnt sein kann – weil er nämlich vom Ansatz dieses Substanzdualismus her überhaupt nicht ausgedehnt, ausgebreitet, körperlich sein kann, weil er „weder in die Länge, Breite und Tiefe ausgedehnt noch sonst im Besitz körperlicher Eigenschaften“ sein kann, wie Descartes in den Meditationen betont. 42 So hinterlässt uns Descartes’ Substanzdualismus das ungeklärte Problem der Interaktion von Körper und Geist, von Leib und Seele. Dies indessen ist beileibe nicht das einzige. John Searle 43 hat eine ganze Reihe weiterer Schwierigkeiten herausgearbeitet, die aus dem Descartes’schen Dualismus folgen beziehungsweise mit ihm zusammenhängen. Hinzuweisen ist zunächst auf das Problem des Fremdpsychischen: Ich nehme den Anderen nur als Körper und in seinem Verhalten wahr. Was aber berechtigt mich zu einem Schluss von der Wahrnehmung des Verhaltens auf geistige Zustände? Ferner stellt sich das Problem des Außenweltskeptizismus: Gibt es eine Welt außerhalb von mir? Diese Frage ist deshalb berechtigt, weil Descartes ja, wie wir vernahmen, davon ausging, meine Empfindungen und Einbildungen seien bloß als Bewusstseinsbestimmungen in mir vorhanden. Außerdem erhebt sich das Problem des freien Willens.
Lösungsvorschläge
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Denn wenn mein (freier) Wille ein Merkmal meines Geistes ist, wie kann er dann auf die materielle Welt einwirken, die für den Physiker Descartes ja geschlossen und vollständig ist. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der personalen Identität. Materielle Gegenstände entstehen und vergehen, wie Descartes sagte. Das Gleiche gilt aber auch für meine Erlebnisse. Was macht, mit Searle gefragt, diese Erlebnisse zu den Erlebnissen derselben Person, und was macht mich heute zu derselben Person wie letzte Woche im Urlaub? Innerhalb seiner Substanzmetaphysik kann Descartes diese letzte Frage rasch beantworten: Meine personale Identität wird dadurch gesichert, dass meine geistige Substanz, die res cogitans, als etwas Immaterielles fortbesteht – aber er kann sie eben auch nur innerhalb dieser Metaphysik und der mit ihr gekoppelten Voraussetzungen beantworten. Zudem lässt sich fragen: Haben Tiere einen Geist? Für Descartes ist das ganz entschieden nicht der Fall, hält er Tiere doch für seelenlose und folglich für nicht empfindungsfähige Automaten – für Maschinen ohne Geist also. Und last but not least ist erneut auf das bereits angesprochene Problem des Schlafs und der Bewusstlosigkeit aufmerksam zu machen, auf das Descartes nur eine wenig befriedigende Antwort zu geben wusste, sowie auf dasjenige, das sich in Anbetracht seiner These stellt, geistige Aktivität sei per definitionem stets bewusst, womit vom Ansatz her Vor- und Unbewusstes aus der Seele und mithin als Antriebskräfte menschlichen Handelns ausgeschlossen werden.
Lösungsvorschläge Substantielle Identität von Geist und Körper: Baruch de Spinoza Auch Baruch de Spinoza (1632–1677), niederländisch-jüdischer Philosoph portugiesischer Abstammung, zeigt sich wenig einverstanden mit Descartes’ dualistischem Interaktionismus und attackiert dessen Zirbeldrüsentheorie mit scharfen Worten. In der Vorrede zum fünften Teil seiner posthum erschienenen Ethik attestiert er dieser Hypothese zwar einigen Scharfsinn, setzt aber zugleich hinzu, „ich hätte schwerlich geglaubt, daß
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sie von einem so großen Manne herrühre, wenn sie weniger scharfsinnig wäre“, um dann fortzufahren: „Ich kann mich wahrlich nicht genug verwundern, daß ein Philosoph, der sich fest vorgenommen hatte, nichts anderswoher abzuleiten, als aus an sich einleuchtenden Prinzipien, und nichts zu bejahen, als das, was er klar und deutlich wahrnähme, und der so oft die Scholastiker getadelt hatte, daß sie dunkle Dinge durch verborgene Qualitäten hätten erklären wollen, eine Hypothese aufstellt, die verborgener ist als jede verborgene Qualität“. 44 Das ist fürwahr ein vernichtendes Urteil. Jedoch ist es nicht unberechtigt, muss Descartes doch eine Reihe von Zusatzannahmen machen – wie etwa die der Lebensgeister, die im Organismus zirkulieren –, um seine Zirbeldrüsentheorie überhaupt einigermaßen verstehbar formulieren zu können. Auf diese Weise fügt er, wie Spinoza mit gutem Grund kritisiert, einer an sich schon problematischen, weil empirisch nicht bestätigten Annahme weitere ‚verborgene Qualitäten‘ hinzu. Das alles verdunkelt die von Descartes behauptete, angeblich von der Zirbeldrüse gesteuerte Interaktion von Geist und Körper in der Tat mehr, als dass es sie erhellt. Spinoza seinerseits tritt nun an, ein Alternativkonzept zu entwickeln, das die Klippen, an denen Descartes seiner Überzeugung nach Schiffbruch erlitten hat, elegant umschiffen soll. Und zwar zielt der Grundgedanke dieser Alternative auf eine Transformation des cartesischen Substanzdualismus in einen Substanzmonismus. Descartes unterschied, wie wir wissen, zwei (von Gott geschaffene) Substanzen: die res cogitans und die res extensa, Geist und Materie. Spinoza meint, die sich für Descartes hieraus ergebenden Schwierigkeiten ließen sich von vornherein vermeiden, wenn man diese beiden Substanzen gleichsam in eine zusammenfallen lässt. Mit anderen Worten: Anstatt wie Descartes mit zwei eigenständigen, dem Wesen nach verschiedenen Substanzen zu operieren, behauptet Spinoza die Existenz nur einer Substanz, die aus unendlich vielen Attributen besteht. 45 Zu diesen Attributen zählen Denken (cogitatio) und Ausdehnung (extensio), also Geist (mens) und Körper (corpus). Denken und Ausdehnung, Geist und Körper werden von Spinoza demnach nicht als eigenständige Substanzen, sondern nur als Attribute der einen Substanz begriffen, als Formen, so könnte man sagen, in denen sich die eine Substanz für unser Wahrnehmen und Erkennen darstellt. Spinoza will damit zu bedenken geben: Von den unendlich vielen Attributen sind
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Denken und Ausdehnung, sind Geist und Körper die uns Menschen bekannten Attribute dieser einen Substanz. Diese eine Substanz, dieses eine dem Wortsinn nach ‚Darunterstehende‘, Zugrundeliegende ist für Spinoza sowohl causa sui, also Ursache seiner selbst, als auch zugleich Ursache aller Dinge, das will sagen, der Gesamtheit all dessen, was wir als Natur, Welt und Kosmos begreifen. Die so begriffene Substanz ist ihm gleich „Gott“, so dass er seinen Ansatz auf die knappe und berühmte Formel deus sive natura bringen kann: Gott oder die Natur, womit gesagt sein soll, dass jeder der beiden Begriffe wechselweise an die Stelle des anderen treten kann. Das ‚sive‘, das ‚oder‘, ist hier explikativ zu verstehen: ‚Natur‘ erläutert den Begriff ‚Gott‘, und umgekehrt: ‚Gott‘ erläutert den Begriff ‚Natur‘. Halten wir fest: Spinoza kennt nur eine Substanz, die er gleich Gott setzt. Als solche, so legt er in der Ethik dar, ist sie ohne zeitlichen und ohne räumlichen Anfang. Sie ist mithin durch nichts anderes geschaffen worden, folglich Ursache ihrer selbst. (Wie man sich das näher vorzustellen hat, bleibt freilich ungeklärt.) Attribute, also wesentliche Eigenschaften dieser Substanz sind Ausdehnung/Körper und Denken/Geist. Nun nehmen wir aber diese beiden Attribute nie rein als solche wahr – also nie Ausdehnung rein als solche und nie Geist rein als solchen –, sondern immer auf eine bestimmte Art und Weise, in bestimmten modi, wie Spinoza sich ausdrückt. Und zwar sind die Grundmodi der Ausdehnung (des Körpers) Gestalt und Bewegung und die des Denkens (des Geistes) Intellekt – also Erkennen – und Wollen. Eine solche Transformation des cartesischen Substanzdualismus in einen Substanzmonismus bringt gewichtige Konsequenzen sowohl für die Gottesvorstellung als auch für die Interaktion von Geist und Körper mit sich, Konsequenzen, die Spinoza selbst zur Sprache bringt und zu denen er sich mit Nachdruck bekennt. Die erste Konsequenz betrifft sein Gottesverständnis. „Alle, die über die göttliche Natur ein wenig nachgesonnen haben“, schreibt er in der Anmerkung zum Lehrsatz 15 des ersten Teils seiner Ethik, „verneinen die Körperlichkeit Gottes“. Wenn man nun, so argumentieren sie, unter einem Körper stets eine Größe verstehe, die lang, breit und tief und durch eine bestimmte Gestalt begrenzt ist, so sei es so ungereimt wie nur möglich, das von Gott als dem „unbedingt unendlichen Wesen“ auszusagen. Daher versuchen sie, „die körperliche
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oder ausgedehnte Substanz selbst von der göttlichen Natur überhaupt fern[zu]halten“. Spinoza hingegen sieht die Angelegenheit völlig anders. Da es für ihn ausgemacht ist, dass außer Gott keine Substanz sein und begriffen werden kann, schließt er, „daß die ausgedehnte Substanz eins der unendlich vielen Attribute Gottes sei“. 46 Die Ausdehnung ist für ihn folglich durchaus ein Attribut Gottes; oder wie er diesen Sachverhalt auch formuliert, „Gott ist ein ausgedehntes Ding“. 47 Das, was wir als ‚Körper‘ bezeichnen, ist innerhalb von Spinozas Ontologie der einen Substanz ein „Modus, der Gottes Wesenheit, sofern sie als ein ausgedehntes Ding angesehen wird, auf gewisse und bestimmte Weise ausdrückt“. 48 Gewiss, das ist nur konsequent gedacht. Gleichwohl brachte sich Spinoza damit in schroffen Gegensatz zum Mainstream des theologischen Diskurses und der traditionellen Gottesvorstellungen seiner Zeit, mit der Folge, dass ein Bekenntnis zum Spinozismus in der Regel mit Atheismus gleichgesetzt wurde. Kein Wunder also, dass Spinoza es für angeraten hielt, die mit einer solch brisanten Sprengladung bestückte Ethik erst nach seinem Tod das Licht der literarischen Welt erblicken zu lassen! Weniger brisant ist die zweite Konsequenz, die mit der ersten jedoch aufs Engste gekoppelt ist. Die eine Gott-Welt-Substanz, so erklärt Spinoza ja, ist für uns in den beiden Attributen Ausdehnung und Denken wahrnehm- und erkennbar. Dieser Sachverhalt bringt auf der einen Seite, wie gesehen, die Folge mit sich, dass Gott ein ausgedehntes Ding ist. Auf der anderen ist damit zu verstehen gegeben, dass er zugleich auch „ein denkendes Ding“ ist. 49 Spinozas eine Substanz ist demzufolge eine res cogitans, die zugleich eine res extensa ist – und umgekehrt: Sie ist eine res extensa, die zugleich eine res cogitans ist. In diesem Sinne fasst Spinoza seine Sichtweise mit den Worten zusammen, „daß die denkende Substanz und die ausgedehnte Substanz eine und dieselbe Substanz sind, die bald unter diesem, bald unter jenem Attribut gefaßt wird“. 50 Damit ist das für Descartes schier unlösbare Problem der Interaktion von zwei eigenständigen und gegensätzlichen Substanzen, die es eben wegen dieser Verschiedenheit nicht geben und die doch allenthalben beobachtet werden kann, bereits vom Ansatz her umgangen: Innerhalb von Spinozas Alternativkonzept stellt es sich schlicht und ergreifend überhaupt nicht. Mit Blick auf Descartes gesagt, ist auch für Spinoza klar, wie er in Lehrsatz 2 des dritten Teils der Ethik schreibt, der Körper könne den Geist nicht zum Denken
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und das Denken den Körper nicht zur Bewegung oder zur Ruhe oder zu irgendetwas anderem – falls es noch etwas gibt – bestimmen. 51 Aber das ist ja auch gar nicht nötig, bilden beide doch schon immer eine substantielle Einheit und erscheinen sie nur uns als etwas attributiv und modal Verschiedenes. Mit anderen Worten: Denken und Ausdehnung, Geist und Materie repräsentieren nicht jeweils eigene Entitäten oder Phänomene; vielmehr stellen sie nur zwei Aspekte ein und derselben Realität dar. Dies gilt, wie Spinoza wiederholt betont, auch vom Menschen. Der Mensch, so sagt er ausdrücklich, besteht aus Geist und Körper. 52 Man muss demnach gar nicht nach einem Interaktionsmechanismus zwischen beiden suchen, sind doch beide nur zwei Attribute ein und derselben Realität. Aus dieser ursprünglichen Einheit von Geist und Körper ergibt sich, dass man nicht lange nach irgendwelchen Ursachen unserer Handlungen suchen muss und beispielsweise Spekulationen über eine vermeintliche Oberherrschaft der Seele oder des Geistes über den Körper oder Ähnliches anstellen muss. 53 All dies erweist sich vor dem Hintergrund, dass Geist und Körper eine substantielle Einheit bilden, als müßig. Für Spinoza ergibt sich aus solchem Substanzmonismus die Leugnung eines „unbedingten oder freien Willen[s]“. 54 Der Geist, so legt er dar, hat seine Ursachen, aus denen aufgrund seiner Wesenseinheit mit dem Körper die Handlungen des Menschen resultieren; und jede dieser Ursachen, meint er, sei ihrerseits von einer anderen Ursache bestimmt, „und diese wiederum von einer anderen, und so weiter ins Unendliche“. Offenbar ist die Negierung menschlicher Willensfreiheit, und in eins damit die Behauptung eines durchgängigen Determinismus in allem Geschehen, der Preis, den Spinoza bezahlen muss, um konsequent seine Ontologie der einen Substanz aufrechterhalten zu können. Wenden wir uns nun der Frage zu: Was versteht Spinoza konkret unter dem, was er als cogitatio oder mens, also als ‚Denken‘ oder ‚Geist‘ (was in der einen oder anderen Übersetzung auch als ‚Seele‘ übertragen wird) bezeichnet? Nun, zunächst lässt sich feststellen, dass Spinoza ebenso wie Descartes einen weiten Begriff von cogitatio und mens hat, begreift er unter den „Modi des Denkens“ doch nicht nur Erkennen und Wollen, sondern beispielsweise auch Liebe, Begierde und ähnliche Modi, „welche sonst noch mit dem Wort Gemütsaffekt bezeichnet werden“. 55 Da solche Modi der cogitatio vom Ansatz her eine Einheit mit körperlichen Modi bilden,
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liegt es auf der Hand, dass sie immer schon mit entsprechenden körperlichen Regungen, Verhaltensweisen und Handlungen verknüpft sind. Bis hierhin scheint das plausibel zu sein. Aber was ist, wenn der Körper stirbt? Was wird dann aus dem Geist des Menschen? Geht er mit dem Körper zugrunde? Dies anzunehmen, dazu hat sich Spinoza offenbar nicht durchringen können. Und so sehen wir ihn bemüht, die Unsterblichkeit des Geistes beziehungsweise der Seele zumindest teilweise zu retten. Einerseits ist für ihn offenkundig, unser Geist könne nur insofern dauernd heißen und seine Existenz nur insofern „durch eine gewisse Zeit definiert werden“, als er „die wirkliche Existenz des Körpers in sich schließt“. 56 Andererseits aber betont er zugleich, der menschliche Geist könne mit dem Körper nicht völlig zerstört werden, sondern es bleibe von ihm „etwas“ bestehen, „das ewig ist“. 57 Fragt man hier nach, wie das näher zu verstehen ist, so findet man bei Spinoza die Antwort, der ewige Teil des Geistes sei der Verstand (intellectus), „um dessentwillen allein wir […] handelnd heißen“. 58 Abgesehen davon, dass wir hier einer Vorform der Kantischen Konzeption des Verstandes als spontan – also handelnd – und (implizit) der sinnlichen Wahrnehmung als rezeptiv – also aufnehmend – begegnen, stellt sich im Kontext von Spinozas Ausführungen die Frage, auf welche Weise der ewige Teil des Geistes fortexistiert, wo er überlebt, wo er ohne Körper ‚wohnt‘. Das jedoch bleibt innerhalb von Spinozas Konzept unerörtert. Augenscheinlich haben wir es hier selbst bei einem im Übrigen so radikalen Denker wie Spinoza mit einem Residuum des herkömmlichen Unsterblichkeitsglaubens zu tun. Deutlicher spricht sich Spinoza hingegen über das aus, was traditionell eine der entscheidenden Aufgaben des Geistes ist: die Erkenntnis der Welt (und reflexiv auch seiner selbst). Spinoza unterscheidet drei Arten von Erkenntnis, die er hierarchisch strukturiert. 59 Die für ihn niederste Art ist die Erkenntnis mittels Erfahrung. Sie beruht auf der sinnlichen Wahrnehmung und der imaginatio, der Vorstellung. Durch diese Medien erkennen wir die Dinge in ihrer zeitlichen Ordnung. Das heißt, wir sehen sie nur in ihrer zufälligen Ordnung, so, wie sie sich unseren Sinnen und unserer Imagination darbieten, nicht jedoch in ihrer ewigen Ordnung, will sagen, nicht so, wie sie in Gott sind. Erfahrungserkenntnis ist demzufolge für Spinoza eine nur unvollkommene Erkenntnis. Mit ihr ist die Möglichkeit des Irrtums gegeben, der grundlegend auf einem Mangel an Informatio-
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nen beruht; gibt uns, wie Spinoza hervorhebt – und hierin bekundet sich offensichtlich ein Nachklang des Descartes’schen Zweifels –, die sinnliche Wahrnehmung die Dinge doch nur verstümmelt und verworren. 60 Von der so verstandenen Erfahrungserkenntnis hebt Spinoza auf der nächsthöheren Stufe die reine Verstandeserkenntnis ab. Sie zielt auf die Erkenntnis des Wesens der Dinge. Dorthin gelangen wir seiner Ansicht nach dann, wenn wir zunächst die nächste Ursache eines Dings kennen und anschließend auf dem Weg des Weiterforschens zu den ersten Ursachen, also zu Gott und seinen Attributen, gelangen. Diese Art der Erkenntnis ermöglicht es uns, wie Spinoza sagt, die Dinge ‚in einer gewissen Art von Ewigkeit‘ (sub specie aeternitatis) zu sehen. 61 Das meint, wir sehen sie dann nicht mehr bloß als zufällig zusammenhängend, wie sie uns Wahrnehmung und Vorstellung zeigen, sondern wir sehen sie jetzt so, wie sie in Gott sind. Diese Art der Erkenntnis ist diejenige, die Spinoza für seine Ethik beansprucht. Das heißt, diese Schrift ist gemäß der zweiten Erkenntnisart verfasst worden. Überboten werden kann die reine Verstandeserkenntnis auf der höchsten Erkenntnisebene durch diejenige Art von Erkenntnis, die Spinoza als anschauende, als intuitive Erkenntnis bezeichnet. Während die Verstandeserkenntnis eine lange Reihe von Definitionen, Axiomen, Grundsätzen, Lehrsätzen, Argumenten und Beweisen erfordert, erkennt der Geist auf dieser dritten Stufe direkt, anschauend-intuitiv die Dinge in Gott. Geleitet ist eine solche Sichtweise bei Spinoza von der Annahme, es gebe eine vollkommene Erkenntnis der wahren Wirklichkeit aus reiner Vernunft, mithin grundsätzlich unabhängig von sinnlicher Wahrnehmung und Erfahrung. (Nebenbei bemerkt: Im sogenannten ‚Deutschen Idealismus‘ wird diese Art der Erkenntnis später als ‚intellektuelle Anschauung‘ bezeichnet werden.) Ohne Frage weist Spinozas intuitive Erkenntnisart eine Verwandtschaft mit mystischer Erfahrung auf. Denn sie intendiert ja eine direkte Gotteserkenntnis dergestalt, dass der Mensch am Denken Gottes teilhat und sich als Teil des Göttlichen weiß. Und da innerhalb von Spinozas Konzept Gott gleich Natur ist, bedeutet das zugleich: Der Mensch weiß oder erkennt sich im Zuge solch intuitiver Erkenntnis in einem ursprünglichen Sinn als Teil der Natur. Wichtig ist hierbei: Er weiß sich als Teil Gottes, als Teil der Natur. Hierin nämlich liegt ein Unterschied zur mystischen Erfahrung, der nicht übersehen werden sollte: Während für die
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mystische Erfahrung eine temporäre Verschmelzung des Menschen mit dem Göttlichen und in eins damit eine zeitweise Entgrenzung und Aufhebung der Individualität charakteristisch sind, behauptet Spinoza gerade nicht, mittels der intuitiven Erkenntnis würde – wenn auch nur temporär – der Unterschied zwischen Mensch und Gott verschwinden und der Mensch seine Individualität verlieren. So bildet die intuitiv-anschauende Erkenntnis den Schlussstein des Spinoza’schen Denkgebäudes. Einige prominente Figuren ließen sich in der Folgezeit jedoch nicht hiervon, sondern vornehmlich von der von Spinoza angenommenen substantiellen Einheit von Geist und Körper inspirieren und begriffen seine Philosophie infolgedessen als ein Plädoyer für das Verständnis des Geistes als eines rein physischen Phänomens. Zu ihnen gehören solch illustre Figuren wie Julien Offray de La Mettrie, Claude Adrien Helvétius, Denis Diderot sowie der Baron Holbach. Bevor wir uns deren Konzepten zuwenden, sollten wir jedoch zwei andere Alternativkonzepte zu Descartes’ dualistischem Interaktionismus zur Kenntnis nehmen: den sogenannten Okkasionalismus und die Leibniz’sche Monadenlehre.
Gott als der einzige kausale Akteur: der Okkasionalismus Der Okkasionalismus versteht sich einerseits als alternativer Erklärungsansatz zu Descartes’ Substanzdualismus, andererseits zu Spinozas Substanzmonismus mit seiner zur damaligen Zeit weithin nicht akzeptablen, weil häretischen Konsequenz einer Gleichsetzung von Gott und Natur. Vertreten wurde der Okkasionalismus insbesondere von Arnold Geulincx (1624–1669) 62 und Nicolas Malebranche (1638–1715). 63 Der Descartes’schen Behauptung einer Interaktion von Geist und Körper, von res cogitans und res extensa, setzten die Okkasionalisten die These entgegen, es gebe überhaupt keine Interaktion, keine Wechselwirkung zwischen Geist und Körper. Das nun scheint jeder alltäglichen Erfahrung zu widersprechen. So liegt es nahe, dieser These entgegenzuhalten: Hebt sich denn nicht mein Arm, wenn ich den Wunsch verspüre, ihn zu heben, und ist dann nicht ebendieser Wunsch die Ursache dafür, dass sich mein Arm
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hebt? Liegt hier nicht ein offensichtliches kausales Verhältnis zwischen einer, wenngleich mentalen, Ursache und einer Wirkung in der materiellen Welt vor? Mitnichten, antwortet darauf ein Okkasionalist. Diese Antwort dürfte unserem gängigen Verständnis von Ursache-Wirkungs-Verhältnissen zufolge wohl auf einiges Unverständnis stoßen. Leugnet ein Okkasionalist tatsächlich, so sind wir geneigt zu fragen, dass zwischen meinem Wunsch, den Arm zu heben, und seiner tatsächlichen Bewegung ein Zusammenhang besteht? Das nun nicht, entgegnet ein Okkasionalist, aber er argumentiert, der Zusammenhang zwischen beiden Akten sei anderer Art, als man sich das unter Rückgriff auf das gängige Erklärungsmodell, das zwischen beiden eine Kausalbeziehung glaubt feststellen zu können, für gewöhnlich vorstellt. 64 Der Okkasionalist nämlich behauptet, dass weder der Geist des Menschen noch sein Körper kausal wirksame Akteure sein können. Ja mehr noch, er behauptet das schlechterdings von allen endlichen Dingen: Sie alle besitzen keinerlei genuine kausale Wirksamkeit. Der einzige Akteur im Universum, der in der Lage ist, kausal wirksam werdende Veränderungen zu erzeugen, ist Gott. Und zwar verursacht er direkt und unmittelbar alles, was im Universum geschieht. Bezogen auf die Interaktion von Geist und Körper bedeutet das: Bei jeder sich bietenden Gelegenheit (lat. = occasio; daher die Bezeichnung dieser Denkrichtung als ‚Okkasionalismus‘) stellt Gott die Verbindung zwischen Geist und Körper und zwischen Körper und Geist her. Machen wir uns das an einem Beispiel klar. ‚Bei Gelegenheit‘ eines geistigen Akts veranlasst Gott die entsprechende Aktion. Habe ich den Wunsch, den Arm zu heben, so veranlasst Gott, dass sich mein Arm hebt. Entsprechend verhält es sich in der umgekehrten Wirkrichtung. ‚Bei Gelegenheit‘ einer körperlichen Reizung, beispielsweise eines Nadelstichs, ruft Gott als der alleinige kausal wirksame Akteur im Universum eine dementsprechende Empfindung, in diesem Fall die eines Schmerzes, hervor. Nun wird man hiergegen womöglich einwenden, das bürde Gott aber eine ungeheure Arbeitsbelastung auf. Grundsätzlich ist das wohl auch so. Aber vornehmlich Malebranche hat, um dieses Problem von vornherein umgehen zu können, darauf hingewiesen, Gott sorge für eine ständige Entsprechung zwischen mentalen und körperlichen Akten, indem er sie wie zwei perfekt aufeinander abgestimmte Uhren ablaufen lasse (was allerdings das Schreckgespenst eines allumfassenden Determinismus auf
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den Plan rufen und die so gern von uns in Anspruch genommene Willensfreiheit in einige Bedrängnis bringen dürfte). Zu seiner Zeit wurde der Okkasionalismus in den Intellektuellenkreisen Europas alles andere als allgemein akzeptiert. Heute mag man erst recht die okkasionalistische Erklärung des Wechselspiels zwischen Geist und Körper belächeln und sie als naiv und theologisch motiviert abtun. Zudem wird man darauf verweisen, der Okkasionalismus stehe quer zum alltäglichen Verständnis kausaler Abläufe. Außerdem sollte nicht übersehen werden, dass er mit Zusatzannahmen operiert, die einem aufgeklärten Menschen ebenso unplausibel erscheinen dürften wie Descartes’ Zirbeldrüsentheorie. Bei aller berechtigten Kritik sollte man jedoch eines nicht übersehen: Der Okkasionalismus war alles andere als wissenschaftsfeindlich, richtete sich seine Verursachungstheorie doch kritisch gegen die zu seiner Zeit verbreitete Annahme okkulter Kräfte in der Natur. 65 Doch eine überzeugende Antwort auf das Descartes’sche Dilemma bot er vielen Zeitgenossen gleichwohl nicht an.
Prästabilierte Harmonie zwischen Geist und Materie: Gottfried Wilhelm Leibniz Wie Spinoza und die Okkasionalisten zeigt sich auch Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) wenig überzeugt von Descartes’ Zirbeldrüsentheorie. Also entwickelt auch er ein Alternativkonzept. Dieses hat zum Ziel, den Zusammenhang zwischen Geist und Materie, zwischen Seele und Natur so zu klären, dass einerseits die Klippen, an denen Descartes scheiterte, umschifft, andererseits zugleich die für ihn nicht akzeptablen Konsequenzen, die sich aus den Lösungsansätzen Spinozas und der Okkasionalisten ergaben, von vornherein ausgeschaltet werden können. Mithin legt er seinen Ansatz so an, dass ein dualistischer Interaktionismus à la Descartes ebenso vermieden werden soll wie der Materialismus Spinozas und das okkasionalistische Eingreifen Gottes in das Weltgeschehen. Wie aber ist so etwas zu leisten? Welche Alternative gibt es denn überhaupt noch? Nun, bei Leibniz konzentriert sich in dieser Hinsicht alles um den Begriff der „Monade“. Die Monaden – abgeleitet vom griechischen Wort Monas, was „Einheit“ bedeutet – sind einfache Substanzen, die er als die
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„wahren Atome der Natur“ und als die „Elemente der Dinge“ bezeichnet. 66 Diese Monaden bilden, wie Leibniz behauptet, die letzte, die wahre Wirklichkeit. Allerdings ginge man fehl, würde man sie, verleitet durch den Begriff des Atoms, den Leibniz verwendet, im Sinne der Atomtheorie Demokrits und Lukrezens verstehen, sie also materialistisch deuten. Als einfache Substanzen, so klärt uns Leibniz nämlich auf, haben sie weder Teile noch Ausdehnung. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um immaterielle, unsichtbare, geistige Krafteinheiten, die der Körperwelt, der sichtbaren, materiellen Welt, zugrunde liegen. Hiermit will Leibniz seinen Zeitgenossen und auch uns Heutigen noch zu bedenken geben: Die so begriffenen Monaden liegen als geistige Krafteinheiten den Körpern zugrunde, ohne jedoch deren Teile zu sein. Die materielle, sichtbare Welt der Körper, so kann man vielleicht sagen, ist in den Monaden fundiert. Da die Monaden die letzte, unhintergehbare Wirklichkeit sein sollen, kommt der materiellen Welt nur eine Art abgeleiteter Realität zu: Sie ist Erscheinung, ist Phänomen eines Fundamentaleren – der geistigen, immateriellen, unsichtbaren Monaden eben. Wo aber, so ist es in Anbetracht dieser ersten, wohl noch recht vagen Bestimmung der Monade legitim zu fragen, kommen die Monaden selbst her? Hierauf antwortet Leibniz, sie könnten nicht auf natürlichem Wege entstanden oder erzeugt worden sein. Die Begründung für diese Antwort liegt auf der Hand: Denn alles, was auf natürliche Weise entsteht, bildet sich durch Zusammensetzung, hat demnach Teile, ist ein „Aggregat“, wie Leibniz sagt. 67 Folglich, so Leibniz weiter, können sie nur durch einen göttlichen Schöpfungsakt entstehen – sie entstehen, schreibt Leibniz, „sozusagen von Augenblick zu Augenblick durch ständige blitzartige Ausstrahlungen der Gottheit“ 68 – und durch einen göttlichen Vernichtungsakt zugrunde gehen. Als der Schöpfer aller Monaden und mithin aller raumzeitlichen Realität – sprich: der Welt und des Kosmos – stellt Gott für Leibniz eine Art ‚Urmonade‘ dar, eine monas monadum. Als solche siedelt er sie außerhalb der Welt an (womit der Gegenpol zu Spinozas Gleichung deus sive natura bezeichnet sein soll). Von diesen von Gott geschaffenen, als geistige Kraftzentren konzipierten Monaden sagt Leibniz nun weiter, jede sei von jeder anderen verschieden. Eine Monade ist, mit einem Wort gesagt, ein Individuum, ein Unteilbares – was das Wort ‚Individuum‘ ja bedeutet –, ein Unverwechselbares,
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etwas, das es nur einmal im Universum gibt. Folglich gibt es keine zwei absolut gleichen, keine zwei absolut identischen Monaden. Mit dieser Idee liefert Leibniz eine philosophische Begründung des Individuums. Demnach gründet unsere Individualität nicht in unserer Körperlichkeit, sondern, da es sich bei den Monaden um geistige Kraftzentren handelt, in unserer geistigen Struktur. Des Näheren ist diese Individualität nicht als statisch zu begreifen, sondern als dynamisch. Das heißt: Da die Monade etwas ImmateriellGeistiges ist, besitzt sie keine räumlich ausgedehnten Teile. Folglich kann laut Leibniz nichts von außen auf sie einwirken. Sie ist, anders gesagt, in sich geschlossen. Monaden besitzen, wie Leibniz mit einer berühmt gewordenen Wendung sagt, keine Fenster, durch die etwas in sie hereinoder aus ihnen hinaustreten kann. 69 Gleichwohl unterliegt die Monade der Veränderung. Das folgt für ihn daraus, dass sie ihrem Wesen nach Kraft, also Dynamik, Aktivität ist. Die Monade verändert sich: Das meint im Rahmen dieses Ansatzes, es gibt in ihr aufgrund ihrer inneren Dynamik eine Vielheit in der Einheit. Dieser Gedanke ist womöglich nicht leicht zu verstehen, bedeutet er doch, dass es in einer Monade eine Vielzahl von Beschaffenheiten und Beziehungen gibt, obwohl sie nicht aus Teilen besteht. Diesen Zustand der Vielheit in der Einheit bezeichnet Leibniz als „Perzeption“. Die Monade hat also Vorstellungen, könnte man sagen. Sie ist in sich strukturiert und steht in Beziehung zu der sie umgebenden Welt. Sie stellt das dar, sie repräsentiert das, was in der Welt und im Universum geschieht. So gesehen ist sie ein Spiegel des Universums. Da es sich nun bei den Monaden um durch ihre geistige Aktivität definierte Individuen handelt, stellt jede einzelne Monade die Welt auf ihre je eigene Weise vor. Jede spiegelt das Universum aus ihrem individuellen „Gesichtspunkt“, ihrem „point de vue“, wie es bei Leibniz heißt. 70 Demzufolge gibt es genauso viele Gesichtspunkte, genauso viele individuelle Perspektiven, Welt und Kosmos vorzustellen, wie es Monaden gibt. Und jede perzipiert das Universum aus der ihr eigentümlichen, individuellen Perspektive. Gemäß der Leibniz’schen Monadologie gibt es folglich keine einheitliche Weltrepräsentation, ja kann es eine solche gar nicht geben, sondern nur perspektivische Spiegelungen, perspektivische Repräsentationen von Welt und Kosmos. Geistige Aktivität bedeutet für Leibniz also per se immer
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eine individuell unterschiedlich gebrochene, perspektivische Repräsentation dessen, was uns als Realität gilt. (Das sich hiermit stellende Problem, ob und wie wir dann noch die eine und selbe Realität perzipieren, löst Leibniz mithilfe seines später zu thematisierenden Systems der „prästabilierten Harmonie“.) Leibniz ergänzt dieses Konzept um eine weitere, bedeutsame Gedankenlinie. Ihrem Wesen nach sind alle Monaden gleich, handelt es sich doch bei ihnen allen um geistige Krafteinheiten, die perzipieren und nach neuen Perzeptionen streben. Aber, so legt Leibniz weiter dar, zwischen ihnen bestehen Unterschiede hinsichtlich des Grads ihrer Vollkommenheit. Gradmesser solcher Vollkommenheit sind die Klarheit und Deutlichkeit der Perzeptionen. Leibniz denkt hierbei an eine abgestufte Ordnung der Monaden im Sinne einer Verkettung zwischen zwei Polen. An der Spitze der Stufung steht Gott, die Urmonade; sie hat nur klare und deutliche Vorstellungen und markiert damit den einen Pol des Leibniz’schen Weltenbaus. Am anderen, unteren Ende dieses Baus befinden sich diejenigen Monaden, die nur unklare und undeutliche, die nur verworrene Perzeptionen haben. Für Leibniz sind das ‚schlummernde‘ Monaden. Dies ist charakteristisch für die anorganische Natur; sie ist für Leibniz eine bloße Ansammlung solch schlummernder Monaden. ‚Geist‘ gibt es diesem Konzept zufolge im Kosmos mithin in abgestufter Form. Während die Urmonade, so könnte man vielleicht sagen, reiner Geist ist, ist Geist am anderen Ende der Stufenleiter allenfalls sporadisch vorhanden, nur in Spuren auffindbar. In diese Abstufung gliedert Leibniz auch uns Menschen ein. Als zwischen Gott mit seinen ausschließlich klaren und deutlichen Vorstellungen und der anorganischen Welt mit ihren verworrenen Vorstellungen stehend, verfügen Menschen teils über deutliche, teils über verworrene Vorstellungen. Von den Monaden, die in der Stufenfolge unter ihm stehen, unterscheidet sich der Mensch durch Bewusstsein und Selbstbewusstsein. Hier begegnet die uns von Descartes vertraute Bestimmung wieder, Geist sei wesentlich Bewusstsein. Aber Leibniz ergänzt sie um den für die Folgezeit wichtigen Aspekt: Über Geist zu verfügen, bedeute nicht nur, Bewusstsein zu haben, sondern sich auch seiner selbst bewusst zu sein. In Leibniz’scher Terminologie ausgedrückt: Wir Menschen perzipieren nicht nur, sondern wissen auch, dass wir perzipieren und was wir perzipieren.
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Für diese Fähigkeit hat Leibniz den Begriff „Apperzeption“ geprägt, den er vom neulateinischen Verb adpercipere ableitet, was so viel bedeutet wie ‚hinzuwahrnehmen‘. Apperzeption bedeutet mithin ‚Selbstreflexion‘. Das will sagen: Der Mensch verfügt über eine „vernünftige Seele [âme intelligente], die ein Bewußtsein dessen hat, was sie ist“. Daher kann sie „das vielsagende Wort ICH sagen“. 71 Diese geistige Fähigkeit zur Apperzeption, zur Selbstreflexion, ist für Leibniz der Grund dafür, dass die vernünftige Seele „im moralischen Sinne dieselbe“ bleibt und „dieselbe Person“ ausmacht. Mit anderen Worten: Die geistige Fähigkeit zur Selbstreflexion oder, wie Leibniz auch sagt, „das Wissen um dieses Ich“ konstituiert unsere Identität. Identität gibt es demnach nicht ohne Geist. Geist ist folglich die fundamentale Bedingung nicht nur unseres Welt-, sondern auch unseres Selbstverhältnisses. Als Wesen, die zwischen Gott als reinem Geist mit ausschließlich klaren und distinkten Vorstellungen auf der einen Seite und der anorganischen Welt mit ihren nur verworrenen Vorstellungen auf der anderen eingegliedert sind, verfügen wir Menschen, wie wir soeben von Leibniz vernahmen, teils über klare und deutliche, teils aber auch über verworrene Vorstellungen. In seinen Nouveaux Essais sur l’Entendement humain nennt er sie „petites perceptiones“: kleine Perzeptionen, Perzeptionen, deren „man sich nicht bewußt ist“. 72 Diese Perzeptionen sind demnach integraler Bestandteil des menschlichen Geistes. Obwohl zahlreich, sind sie zugleich doch zu gering oder zu einförmig, um unsere bewusste Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dennoch sind sie höchst wirkmächtig, sind doch sie es, von denen sich nach Leibniz sowohl unsere Gewohnheiten und Leidenschaften als auch unsere Geschmacksvorlieben – auch und gerade in Bezug auf die Rezeption von Kunstwerken – ableiten lassen. Oftmals nämlich ist es so, dass man in einem konkreten Fall nicht präzise angeben kann, warum einem beispielsweise ein Gemälde gefällt: Dann behilft man sich mit einem, wie es bei Leibniz in den Neuen Abhandlungen über den menschlichen Verstand heißt, „je ne sais quoi“, einem „ich weiß nicht was“. Und genau dieses „je ne sais quoi“ ist Ausdruck der dunklen, unbewussten Perzeptionen, der „petites perceptiones“. Damit gehört Leibniz nicht nur zu den entscheidenden Entdeckern des Unbewussten, sondern er gliedert in sein Konzept der geistigen Struktur des Menschen auch schon – zumindest der Sache nach – „eine cognitiv akzentuierte
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Theorie des Unbewußten ein, auch wenn es dabei noch keine explizite Terminologie des ‚Unbewußten‘ gibt“. 73 Halten wir an dieser Stelle kurz inne. Denn in Anbetracht der bisherigen Ausführungen Leibnizens stellt sich erstens die Frage: Wenn Leibniz von den Monaden, den geistigen Krafteinheiten, sagt, sie könnten auf natürliche Weise weder entstehen noch vergehen, er ihnen also „unaufhörliche Fortdauer“ (subsistence perpetuelle) attestiert, 74 wie steht es dann um sie im Blick auf die Vergänglichkeit, auf den Tod des Körpers, des Leibes, der ja als Phänomen, als Erscheinung der Monaden begriffen wird? Welche Konsequenzen bringt das für die Monaden mit sich? Bei Leibniz finden wir hierauf die Antwort: Der Tod ist nichts anderes als der Übergang von einer perzipierenden und, in Anbetracht von uns Menschen, zugleich apperzipierenden zu einer schlummernden Monade. Demzufolge gehen die Monaden beim Tod des Körpers nicht unter, sondern sinken lediglich in einen Zustand undeutlicher Perzeption zurück. Zweitens wird das Problem akut: Wie interagieren Monaden und Körper, Geist und Materie? Hierfür hält das bereits erwähnte Konzept der „prästabilierten Harmonie“ eine Antwort bereit. Dieses Konzept gibt zu verstehen: Gott hat jede Monade mit einem inneren Gesetz ausgestattet, dem zufolge alle ihre Aktivitäten immer harmonisch mit dem Körper interagieren – wobei ‚harmonisch‘ bei Leibniz meint: gleichgestimmt. Jede körperliche Aktion erfolgt gleichgestimmt mit einer Aktivität einer Monade. Umgekehrt ist jeder geistigen Aktivität eine bestimmte körperliche Regung oder Bewegung zugeordnet. Und das gilt für die ganze Lebenszeit des Körpers. So gesehen führt der Körper im Grunde nur Programmschritte aus, die den Monaden von der Urmonade eingeschrieben worden sind. Daher stimmen körperliche und geistige Aktionen für Leibniz immer überein. Psychisches und Physisches laufen demnach immer gleichgestimmt parallel. Diesen ‚psychophysischen Parallelismus‘ hat Leibniz durch sein berühmtes Uhrengleichnis zu veranschaulichen versucht. 75 Und zwar vergleicht er Geist und Körper mit zwei Uhren, die absolut gleich gehen. Eine solche Übereinstimmung könne, wie er auseinandersetzt, drei verschiedene Gründe haben. Erstens könnten die beiden Uhren so miteinander verbunden sein, dass sie sich wechselseitig beeinflussen und auf diese Weise ihre parallele Ganggenauigkeit bewerkstelligen. Oder, zweitens, ein
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Uhrmacher überwacht sie permanent und hält sie ständig in Übereinstimmung. Drittens schließlich könnten sie so präzise konstruiert sein, dass jede nur ihren eigenen Gesetzen und Antrieben zu folgen braucht, damit sie exakt übereinstimmen. Nach Leibniz entsprechen diesen drei Möglichkeiten, die simultane Ganggenauigkeit der beiden Uhren zu erklären, die drei zu seiner Zeit bekanntesten und am meisten diskutierten Theorien hinsichtlich der Interaktion zwischen verschiedenen Substanzen, will sagen, zwischen Körper und Geist. Dem ersten Fall entspricht das Konzept einer wechselseitigen Interaktion zwischen diesen beiden Substanzen. Unschwer wird man hierin den dualistischen Interaktionismus des Descartes wiedererkennen. Der zweiten Möglichkeit korrespondiert die Theorie des Okkasionalismus, wonach Gott als der einzige kausale Akteur im Kosmos die verschiedenen Substanzen Körper und Geist durch ständige Eingriffe in Übereinstimmung bringen muss. Und die dritte Möglichkeit exemplifiziert Leibnizens System der prästabilierten Harmonie: Gott, die Urmonade, hat jede von ihm geschaffene Monade mit einem Programm ausgestattet, dem zufolge all ihre Aktivitäten aus ihrer eigenen Spontaneität entspringen und zugleich in perfekter Harmonie mit allem anderen ablaufen. Hieraus resultiert für Leibniz die Koordinierung von mentalen und körperlichen Aktivitäten. Und hieraus erklärt sich für ihn zudem, dass wir, obwohl wir Individuen mit je eigenem „point de vue“ sind, doch die eine und selbe Realität perzipieren. Ohne Frage: Das ist eine elegante ‚Lösung‘ des Körper-Geist-Problems. Doch man muss auch in Rechnung stellen, um welchen Preis sie erreicht worden ist. Denn wenn alles Leben der Monade nichts anderes ist als die Entfaltung dessen, was Gott bei ihrer Schöpfung in sie hineingelegt hat, dann entfaltet sie notwendigerweise immer nur das, was in ihr Programm eingeschrieben worden ist. Damit stellt sich in scharfer Form die Frage nach ihren Freiheitsspielräumen, mithin nach Freiheit und Verantwortung des Menschen. Denn dieses Konzept läuft, wie es aussieht, auf einen Determinismus in allem Geschehen hinaus. Dies indessen sei hier nur erwähnt und kann nicht weiter ausgeführt werden. Zudem ist zu bedenken: In sich mag diese Monadologie vielleicht kohärent sein; gleichwohl ist die Frage nach ihrem Realitätsgehalt erlaubt: Ist die Ausgangsprämisse dieser Lehre, welche die Monade als Basis aller
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Realität behauptet, nicht völlig willkürlich? Genau das kritisierte beispielsweise Hegel, als er festhielt: Leibnizens „Behauptungen erscheinen als willkürliche Vorstellungen, ein metaphysischer Roman“. Aber er setzt sogleich hinzu: „man lernt sie erst schätzen, wenn man sieht, was er dadurch hat vermeiden wollen“ 76 – nämlich Descartes’ dualistischen Interaktionismus, den Okkasionalismus und jeglichen Materialismus gleichermaßen. Aber gerade letzterer erfreute sich ab der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, vornehmlich in Kreisen französischer Intellektueller, immer größerer Beliebtheit.
Der Geist ist ein rein physisches Phänomen: der Materialismus der radikalen französischen Aufklärung Das „denkende Ding“ ist „denkende Materie“: Thomas Hobbes als Vorläufer Descartes’ Meditationen lösten in den zeitgenössischen europäischen Intellektuellenzirkeln eine ungewöhnliche Flut an Debatten und Diskussionen aus. Die Bruchlinien, an denen sich die Geister schieden, waren rasch zu erkennen. Eine dieser Bruchlinien, so haben wir bereits gesehen, markierte das Problem, ob die denkende Substanz, von der Descartes sprach, also der ‚Geist‘, als eine immaterielle Substanz oder als etwas Körperliches zu begreifen ist, und falls, wie von Descartes behauptet, als etwas Immaterielles, wie dann deren Interaktion mit der res extensa, der ausgedehnten Substanz, zu erklären sei. In diese Auseinandersetzung schaltete sich auch der englische Philosoph Thomas Hobbes (1588–1679) ein. Mit seiner markigen These, das „denkende Ding“ sei eine „denkende Materie“, sei mithin etwas Körperliches, ergriff er entschieden Partei und wurde, ebenso wie Spinoza, zum Anreger und Vorläufer der radikalen französischen Aufklärung, die vor allem mit den Namen La Mettrie, Helvétius, Diderot und Holbach verbunden ist (auch wenn nicht alle der Genannten, wie wir noch sehen werden, uneingeschränkt alle Hobbes’schen Ansichten teilten). Hobbes formuliert seine Thesen im Kontext einer Reihe von insgesamt sechzehn Einwänden, die er gegen Descartes’ Meditationen vorbrachte. Von besonderer Bedeutung für unseren Zusammenhang ist sein zweiter Einwand, in dem er seine von Descartes verschiedene Ansicht von der Natur des menschlichen Geistes geltend macht. Zunächst konzediert er Descartes ausdrücklich: Zu behaupten „Ich bin ein denkendes Ding“, also eine res cogitans, das sei zweifelsohne richtig. Und er akzeptiert auch Descartes’ Begründung, dass daraus, dass ich denke oder –
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sei es im Wachzustand oder im Traum – Phantasmen habe, folge, dass ich ein Denkender bin. Und habe ich mich im Denken meiner selbst als eines Denkenden vergewissert, so ergibt sich daraus auch, wie Hobbes einräumt, dass ich bin, „da ja das“, wie er hinzusetzt, „was denkt, nicht ein Nichts ist“. 1 Für problematisch und angreifbar hält er indessen Descartes’ weitergehende Überlegung: „Ich bin ein Denkender“, das bedeutet, wie es bei Descartes heißt, ich bin „Geist, Seele, Verstand, Vernunft“. So, wie Hobbes Descartes versteht, behauptet dieser mit einem solchen Satz: Ich bin ein Denkender, also bin ich ein Denken. Oder: Ich bin ein Verstehender, also bin ich Verstand. Und um die für ihn offensichtliche Falschheit, ja Absurdität eines solchen Schlusses zu demonstrieren, fügt Hobbes an: „Denn in gleicher Weise könnte ich sagen: ich bin ein Spazierengehender, also bin ich ein Spaziergang“. Hobbes will hiermit auf Folgendes hinaus. Offenbar setzt Descartes die res cogitans – „das verstehende Ding“ – und den Verstand, der ja ein Vermögen, eine Fähigkeit des Verstehenden ist, gleich. Descartes vermischt demnach das Subjekt mit seinen Fähigkeiten und Vermögen. Als Philosoph jedoch, ist Hobbes überzeugt, müsse man das Subjekt von seinen Fähigkeiten und Akten unterscheiden. In der Sprache der scholastischen Schulphilosophie und in Anlehnung an Aristotelische Terminologie ausgedrückt: man müsse den Unterschied beachten, der zwischen der „Essenz“, dem Wesen, und deren beziehungsweise dessen Eigenschaften besteht. Beachtet man diese Unterscheidung zwischen der „Essenz“ – dem Subjekt – und den Eigenschaften der „Essenz“ – den Vermögen und Fähigkeiten des Subjekts –, dann, so Hobbes weiter, könnte es gut sein, dass die res cogitans das Subjekt für Geist, Verstand, Vernunft sei. Aber dass sie das Subjekt für Geist, Verstand und Vernunft sei, schließe gleichwohl nicht aus, dass sie selbst ihrem Wesen nach etwas Körperliches, Materielles sei. Descartes, so wissen wir, hat genau das Gegenteil behauptet, allerdings, wie Hobbes ihm vorhält, ohne jeden Beweis. Die zweite Argumentationslinie, die Hobbes gegen Descartes in Stellung bringt, geht von dessen Überlegung aus, die Kenntnis des Satzes „ich existiere“ hänge von der Kenntnis des Satzes „ich denke“ ab. Das habe Descartes uns, wie er einräumt, richtig gelehrt. Die Frage ist für Hobbes allerdings: Woher haben wir die Kenntnis des „ich denke“? Und er gibt sich selbst die Antwort: „Sicher doch von nichts anderem, als davon, daß
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wir keine Tätigkeit, sei sie welche sie wolle, ohne ein zugehöriges Subjekt uns vorstellen können, wie etwa das Tanzen ohne einen Tanzenden, das Wissen ohne einen Wissenden, das Denken ohne einen Denkenden“. Gerade hieraus nun, so ist Hobbes überzeugt, scheint zu folgen, dass der Denkende, die res cogitans, etwas Körperliches ist, „denn“, so führt er als Begründung an, „die Subjekte aller Tätigkeiten sind, wie es scheint, allein unter dem Begriff von etwas Körperlichem oder Materiellem zu denken“. 2 Mithin ergibt sich ihm als Fazit der Auseinandersetzung mit Descartes: Die Kenntnis des Satzes „ich existiere“ hängt von der Kenntnis des anderen Satzes „ich denke“ ab. In diesem Satz „ich denke“ nun kann man, wie wir von Hobbes vernahmen, das Denken nicht von einer, wie er sagt, „denkenden Materie“ trennen. 3 Folglich, so schlussfolgert er, scheine die Annahme, die denkende Substanz sei materiell, berechtigter zu sein als die andere, von Descartes vertretene, dass sie immateriell sei. Mit diesem Konzept einer „denkenden Materie“ wurde Hobbes, wie erwähnt, neben Spinoza zu einem der entscheidenden Anreger der GeistKonzeptionen der radikalen französischen Aufklärer. Zudem schuf er sich mit diesem Konzept eine Grundlage für seine naturalistisch-materialistische Erklärung der geistigen Aktivitäten des Menschen, wie er sie insbesondere im ersten Teil seines 1651 erschienenen Werks Leviathan in den Grundzügen entwickelt hat. Geleitet ist dieses Werk von dem Programm, komplexe Aktivitäten und Verhaltensweisen auf ihre letzten Elemente, quasi auf ihre ‚Basiselemente‘ zurückzuführen. Den Ausgangspunkt seiner auf den Geist und seine Aktivitäten bezogenen Ausführungen markiert die Ansicht, einzeln betrachtet seien die „Gedanken“ der Menschen eine Darstellung oder eine „Erscheinung“ einer Qualität oder eines anderen Akzidenzes eines Körpers außerhalb von uns, den man gewöhnlich als „Objekt“ bezeichnet. Nach Hobbes wirken die äußeren Objekte auf Augen, Ohren und andere Teile des menschlichen Körpers ein und bringen aufgrund der Verschiedenheit der Auswirkungen die Verschiedenheit der Erscheinungen und Vorstellungen in uns hervor. Ursprung all dieser verschiedenen Erscheinungen ist das, was Hobbes „Empfindungen“ nennt. Und er ist überzeugt, es gebe im menschlichen Verstand keine Vorstellung, die nicht zuerst ganz oder teilweise in den Sinnesorganen erzeugt wurde. 4 Den Ursprung der Empfindungen erklärt Hobbes im weiteren Verlauf
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seiner Erörterungen rein mechanisch: Der äußere Körper „drückt“ auf das der jeweiligen Empfindung entsprechende Organ, sei es nun unmittelbar wie beim Schmecken und Fühlen oder mittelbar wie beim Sehen, Hören und Riechen. Mit anderen Worten: Unsere Sinnes- und anderen Organe empfangen „Stöße“ von den äußeren Gegenständen. 5 Und dieser auf die Organe ausgeübte Druck und Stoß „setzt sich durch die Vermittlung der Nerven und anderer Stränge und Membranen des Körpers nach innen bis zu dem Gehirn und Herzen fort“. Durch solche Einwirkung äußerer Materie entsteht, wie Hobbes schreibt, „das, was die Menschen Empfindung nennen und besteht für das Auge in einem Licht oder einer vorgestellten Farbe, für das Ohr in einem Ton, für die Nase in einem Geruch, für die Zunge und den Gaumen in einem Geschmack und für den Rest des Körpers in Hitze, Kälte, Härte, Weichheit und anderen Qualitäten, die wir durch das Gefühl wahrnehmen“. „Alle diese Qualitäten“, setzt Hobbes erläuternd hinzu, „die sinnlich genannt werden, stellen in dem Objekt, das sie verursacht, nichts anderes dar als lauter verschiedene Bewegungen der Materie, durch die es auf unsere Organe verschiedenartig drückt“. 6 Halten wir fest: Als Basis aller sinnlichen Wahrnehmung behauptet Hobbes eine durch Druck und Stoß bewirkte Mechanik, der zufolge eine äußere Materie – das Objekt – zunächst in unseren Sinnen, im weiteren Verlauf dann in den inneren Organen – also in etwas Materiellem – eine Bewegung erzeugt, die für das Sehvermögen als Licht, für das Ohr als Ton, für die Nase als Geruch usw. erscheint und die das ausmacht, was wir Empfindung nennen. Eine Empfindung wäre demnach nichts anderes als eine Bewegung in einem Körperorgan, die durch einen anderen materiellen Körper – das Objekt – hervorgerufen wird. Hobbes fasst diesen Sachverhalt auch in die Wendung: Vermittelt durch die Körperorgane erscheinen die Objekte aufgrund der von ihnen ausgehenden Druck- und Stoßbewegung in unserem Gehirn und in unserem Herzen. Oder noch anders gesagt: Die Objekte erzeugen ein ‚Bild‘, sie ‚bilden sich uns ein‘, erzeugen also eine „Einbildung“ und rufen auf diese Weise eine „Vorstellung“ hervor. Dabei ist es für Hobbes immer klar, dass es sich bei dem Bild, der „Einbildung“ beziehungsweise der „Vorstellung“, und dem Objekt, das die Einbildung und Vorstellung erzeugt hat, um „zwei verschiedene Dinge“ handelt. Von hierher kann er festhalten: „So ist also die Empfindung in allen Fällen nichts anderes als eine ursprüngliche Vorstellung,
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verursacht, wie ich sagte, durch den Druck, das heißt die Bewegung von äußeren Dingen auf unsere Augen, Ohren oder andere dazu bestimmte Organe“. 7 Nun besteht unser mentales Leben ja nicht nur aus Empfindungen und dadurch bewirkten Einbildungen und Vorstellungen. Ganz entscheidend, und das verkennt Hobbes keineswegs, gehört zu unserem Selbstverständnis als Menschen, dass wir denken können (ob als einzige Lebewesen, das bleibe hier dahingestellt). Wie nun erklärt sich Hobbes das Denken? Auch hierbei bleibt er seinem materialistischen Programm treu. Zunächst ist zur Kenntnis zu nehmen: Denken spielt sich „im Geist“ ab. 8 Es selbst besteht des Näheren in einer „Folge eines Gedankens auf einen anderen“. Solche Gedankenfolge, meint Hobbes, sei mitnichten so „zufällig“, wie es vielleicht scheinen könnte. Seiner Überzeugung nach folgen nämlich nicht alle Gedanken unterschiedslos aufeinander. Als Begründung bemüht er erneut, was wohl kaum noch wundern wird, die Mechanik der Bewegungen. Die Bewegungen, so legt er auseinander, die in der Empfindung unmittelbar aufeinander folgen, setzen sich nach der Empfindung, also bei der weiteren Bewegung im Gehirn oder im Herzen, ebenfalls zusammen fort. Insofern sich die erste wiederholt und dann vorherrschend wird, folgt die spätere aufgrund des Zusammenhangs der bewegten Materie nach. Er illustriert diesen Sachverhalt mit einem sinnfälligen Gleichnis: „wie Wasser auf einem ebenen Tisch auf dem Weg nachgezogen wird, den man einem Teil von ihm mit dem Finger leitet“. 9 Aber nun wissen wir alle auch aus eigener Erfahrung, wie Hobbes selbst betont: In der Empfindung folgt auf ein und dasselbe wahrgenommene Ding einmal dies, einmal jenes nach. Daher rührt es, dass wir uns bei der Vorstellung eines Dings nicht sicher sind, was wir uns als nächstes vorstellen werden. Eines, ist Hobbes überzeugt, sei gleichwohl gewiss: „daß es etwas sein wird, das dem vorangegangenen Ding irgendeinmal nachgefolgt war“. Analog, so argumentiert er nun, verhalte es sich auch beim Denken. Auch beim Denken, das sich im Geist abspiele, folge Gedanke auf Gedanke. Indessen glaubt er, zwei verschiedene Arten der Gedankenfolge unterscheiden zu können. Die eine Art bezeichnet er als „ungesteuert, absichtslos und unbeständig“. Diese Art des Denkens ist charakteristisch für jene Momente, in denen man seine Gedanken so umherschweifen lässt. Hier ist der Geist nicht auf einen ‚leidenschaftlichen Ge-
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danken‘ fokussiert, der die nachfolgenden auf ein bestimmtes Ziel lenkt und ausrichtet. Solch ungesteuerte, absichtslose Gedankenfolge, merkt Hobbes an, finde sich bevorzugt bei solchen Menschen, die ohne Gesellschaft sind und sonst nichts zu tun haben. 10 Dennoch hält Hobbes daran fest: Auch „in diesem wilden Durcheinander des Geistes“ könne man oftmals den Weg der Gedanken und ihre gegenwärtige Abhängigkeit erkennen. 11 Die zweite Art des Denkens ist, wie Hobbes erklärt, „von einem Verlangen und einer Absicht geregelt“. Infolgedessen ist sie „beständiger“ als die umherschweifende ‚wilde‘ Geistestätigkeit. Diese zweite Art des Denkens ist auf ein Ziel ausgerichtet. Indessen ist auch dieses geregelte, absichtsvolle Denken nicht dagegen gefeit, gelegentlich ab- und umherzuschweifen. Aber durch die intendierte Fokussierung auf ein Ziel wird es rasch wieder auf den richtigen Weg zurückgeführt. Genauer besehen lassen sich für Hobbes zwei Arten dieses geregelten Denkens unterscheiden. Zum einen ist ein solches Denken erfordert, „wenn wir nach den Ursachen einer eingebildeten Wirkung oder den Mitteln, die sie hervorbringen, suchen“. Und zum anderen liegt es dann vor, „wenn wir bei der Einbildung eines beliebigen Dings nach allen möglichen Wirkungen suchen, die damit hervorgebracht werden können“. Das heißt, wie Hobbes erläuternd anfügt, „wir stellen uns vor, was wir damit tun können, wenn wir es haben“. 12 Anders ausgedrückt: Die erste Art des geregelten Denkens ist theoretisch ausgerichtet, die zweite instrumentell-praktisch. Bei der letzteren steht das Tun, steht das Handeln, steht die praktische Umsetzung der Gedanken im Zentrum: Was können wir mit einem Objekt bewirken, was können wir in praktischer Hinsicht mit ihm anstellen? Wie lässt es sich zu welchen Zwecken nutzen? Die erste Art, die theoretische, teilen wir Menschen nach Einschätzung Hobbes’ mit den Tieren, wohingegen die zweite nur beim Menschen gefunden werden kann. Bei all dem, warnt Hobbes, sollten wir uns immer der Tatsache bewusst sein, dass alles, was wir uns vorstellen, endlich ist. Niemand, führt er aus, könne in seinem Geist ein Bild von unendlicher Größe besitzen oder sich unendliche Geschwindigkeit, unendliche Zeit oder unendliche Macht vorstellen. Wenn wir daher sagen, „ein Ding sei unendlich, so geben wir nur zu erkennen, daß wir nicht fähig sind, uns Ende und Grenzen des benannten Dings vorzustellen, da wir keine Vorstellung von dem
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Ding, sondern nur von unserer eigenen Unfähigkeit haben“. 13 Hobbes betont diese Begrenztheit des menschlichen Geistes auch und vor allem, um uns klarzumachen, dass wir uns keine Vorstellung von Gott machen können. Gott, so schreibt er, sei „unbegreiflich“ und seine Größe und Macht unvorstellbar. Uns eine solche Vorstellung zu machen: dazu sei unser Geist einfach zu begrenzt. Im Kontext seiner Darlegungen über Denken, Geist, Empfindungen und Vorstellungen ist uns die Vorstellung einer unendlichen Größe und Macht Gottes allein schon deswegen nicht möglich, weil es sich bei ihm nicht um ein Objekt handelt, das Gegenstand der Empfindung sein kann – denn ansonsten müsste man ihn im Rahmen der Hobbes’schen Erkenntnislehre ja als materielles Objekt begreifen, von dem eine Druck- und Stoßbewegung ausgeht. Was aber nicht Gegenstand der Empfindung ist, was nicht zuerst – sei es insgesamt oder in Teilen – durch die Empfindung wahrgenommen worden ist, davon kann man schlechterdings keinen Gedanken haben. Auf diese Weise gliedert der Materialist Hobbes – und Materialismus wurde in jenen Zeiten weithin gleichgesetzt mit Atheismus – Gott aus dem Bestand jener Objekte aus, die Gegenstand menschlicher Erkenntnis sein können. Solche Darlegungen zielen im Kern darauf ab, unser Wissen als begrenzt und als bedingt zu erweisen. Absolutes Wissen scheint uns demnach versagt zu sein, würde dieses doch, wie Hobbes im siebten Kapitel des ersten Teils des Leviathan schreibt, darin bestehen, durch Nachdenken zu wissen, ob dies oder jenes ist, war oder sein wird. Dazu sei jedoch schlechterdings niemand in der Lage. Was uns bestenfalls möglich ist, ist ein Wissen von der Art: „Wenn dies ist, so ist auch jenes, wenn dies war, so war auch jenes, wenn dies sein wird, so wird auch jenes sein“. Ein solches Wissen aber sei immer ein bedingtes Wissen. 14 Sprachlich wird das allein schon an der konditionalen Wenn-so- oder Wenn-dann-Konstruktion ersichtlich. Quer zu dieser Betonung der Bedingtheit unseres Wissens scheint dem ersten Eindruck nach jedoch Hobbes’ Aussage im neunten Kapitel des ersten Teils des Leviathan zu stehen, der zufolge es doch absolutes Wissen zu geben scheint. Hobbes kennzeichnet es an der fraglichen Stelle näher als „Tatsachenwissen“ und sagt von ihm, es sei nichts anderes als Empfindung und Erinnerung: „wie wenn wir sehen, daß eine Tat geschieht oder uns erinnern, daß sie geschehen ist“. 15 Absolutes Wissen, so verstan-
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den, sei jenes Wissen, das von einem Zeugen verlangt wird. Offenbar ging Hobbes davon aus, ein Zeuge schildere einen Sachverhalt so, wie er sich tatsächlich zugetragen hat. Heutzutage sind wir in dieser Hinsicht bei weitem skeptischer und vorsichtiger geworden. 16 Aber das sei nur am Rande erwähnt. Wichtiger ist, dass Hobbes auch an dieser Stelle erneut die Bedingtheit all unseres Wissens akzentuiert und darauf hinweist, auch Wissenschaft und Philosophie vermöchten es immer nur zu bedingtem Wissen im eben erläuterten Sinn zu bringen. Auch wenn Hobbes das nicht ausdrücklich hervorhebt, so scheint bei all diesen Ausführungen doch der Gedanke im Hintergrund zu stehen: Wenn der Geist körperlich, wenn er „denkende Materie“ ist, alles Materielle aber qua Materielles begrenzt ist, dann ist auch die Tätigkeit dieses Geistes begrenzt, endlich und nie in der Lage, die mit der Körperlichkeit gegebenen Grenzen zu überschreiten und zu absolutem Wissen zu gelangen. Und überhaupt, so warnt uns Hobbes, sollten wir nicht so viel Aufhebens hinsichtlich unserer Denktätigkeit machen. Denn was, so fragt er, ist dieses Denken im Grunde anderes als der Vollzug einiger weniger Operationen? Ja streng genommen, erklärt er, ist es nur ein simpler Rechenvorgang. „Die Römer“, so kann man bei Hobbes lesen, „nannten Geldrechnungen rationes, das Rechnen selbst ratiocinatio […]. Und von da her scheinen sie die Bedeutung des Wortes ratio auf die Fähigkeit des Rechnens in allen anderen Gebieten ausgedehnt zu haben“. 17 „Ratio“: Jenes Wort, das wir gemeinhin mit Vernunft oder Denken übersetzen, heißt in diesem Licht betrachtet für Hobbes nichts anderes „als sich eine Gesamtsumme durch Addition von Teilen oder einen Rest durch Subtraktion einer Summe von einer anderen vorstellen“. Mithin gilt für Hobbes kurz und bündig: „Wo Addition und Subtraktion am Platze sind, da ist auch Vernunft am Platze, und wo sie nicht am Platze sind, hat Vernunft überhaupt nichts zu suchen“. Daher ist Vernunft, jene Geistestätigkeit, auf die wir uns gewöhnlich einiges einbilden und durch die wir uns aus dem Kreis der anderen Lebewesen herausgehoben meinen, nichts weiter als „Rechnen“, das heißt „Addieren und Subtrahieren, mit den Folgen aus allgemeinen Namen, auf die man sich zum Kennzeichnen und Anzeigen unserer Gedanken geeinigt hat“. 18 Zwar haben wir, wie Hobbes anmerkt, mit Hilfe von Sprache und Methode unsere Geistestätigkeiten „auf eine solche Höhe gebracht […], daß man die Menschen von allen anderen Lebewesen unter-
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scheiden kann“. Doch sollte uns das, wie er zugleich warnt, nicht vergessen lassen oder darüber hinwegtäuschen, dass der menschliche Geist keine Bewegung außer Empfindung, Gedanke und Gedankengang kennt, 19 dass er – und hierauf fußt ja diese Sicht der Dinge – im Grunde nur „denkende Materie“ ist.
Der Geist als Produkt der Maschine: Julien Offray de La Mettrie Julien Offray de La Mettrie legte in seiner 1747 erschienenen Schrift L’Homme Machine einen konsequent monistisch-materialistisch ausgerichteten und mit großem rhetorischem Schwung verfassten Gegenentwurf zu Descartes’ Substanzdualismus vor. Der Titel seiner Schrift ist Programm, wird doch in ihr bis in die letzten Verästelungen der Mensch als das beschrieben und analysiert, was er nach La Mettries Überzeugung ist: eine Maschine – eine Maschine, näher besehen, die aufgrund der ihr inhärenten Mechanismen Seele, Geist, Empfindungen, Vorstellungen und vernünftiges Denken erzeugt. Der 1709 im bretonischen Saint-Malo geborene La Mettrie war Arzt und Philosoph, hatte aber auch Theologie studiert und zählte zu den fortschrittlichsten Medizinern seiner Zeit. Seit 1748 war er Leibarzt und Vorleser des Preußenkönigs Friedrich II. Allerdings blieb ihm nicht viel Lebenszeit, um diese Position genießen zu können, starb er doch bereits 1751, angeblich nach dem Genuss einer verdorbenen Geflügelpastete, was seine Gegner dazu nutzten, seinen Tod als nur folgerichtiges Ergebnis der Verfressenheit eines angeblich eine unmoralische Sinnlichkeit und Völlerei predigenden Materialisten und Atheisten zu denunzieren. Der Titel von La Mettries Schrift – Der Mensch eine Maschine – spielt auf Descartes’ Ansicht an, Tiere seien Automaten – bloße Maschinen eben. La Mettrie behauptet das nun aber auch vom Menschen, mit dem Unterschied freilich, dass er der Maschine Mensch durchaus mentale Fähigkeiten und Vermögen, also Geist, Seele und Empfindungen zuspricht, was Descartes Tieren ja von vornherein kategorisch abgesprochen hatte. Der biographischen Forschung zufolge stieß La Mettrie zu dieser Einsicht
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durch, als er während Fieberattacken bei sich selbst die Beobachtung gemacht hatte, dass seine Fieberträume in deutlicher Beziehung zu seiner Pulsgeschwindigkeit standen. Hierin sah er einen klaren Beleg für den äußerst engen Zusammenhang zwischen seelisch-geistigem Leben und körperlicher Aktivität, zwischen Geist und Körper. Aus dieser Erfahrung zog er den Schluss, „dass Spinoza recht haben musste: es handelte sich bei Körper und Geist nicht um zwei getrennte Phänomene, sondern lediglich um zwei Aspekte derselben physischen Realität“. 20 Von hier aus war es für ihn nur ein kleiner Schritt, um Descartes’ Unterscheidung zwischen res cogitans und res extensa zu verabschieden und dessen Dualismus zu verwerfen – und hiermit zugleich die Annahme von der Existenz einer selbständigen, immateriellen, denkenden Substanz, also eines vom Körper prinzipiell verschiedenen Geistes. Descartes, so kritisiert La Mettrie gleich zu Beginn seiner Schrift, habe einen ähnlichen Fehler begangen wie der sich auf Leibniz berufende „Spiritualismus“. Leibniz, so stellt La Mettrie klar, habe mit seinen Monaden „eine unverständliche Hypothese“ aufgestellt, die die Materie spiritualisiere. Es frage sich jedoch, wie man ein Wesen definieren könne, „dessen Natur uns völlig unbekannt ist“. Descartes und die Cartesianer, so La Mettrie weiter, hätten denselben Fehler begangen, haben sie doch „im Menschen zwei verschiedene Substanzen angenommen, als ob sie diese gesehen und genau gezählt hätten“. 21 In dieser Kritik spricht sich ebenso wie in der biographischen Anekdote vom beobachteten Zusammenhang zwischen Fieberträumen und Pulsgeschwindigkeit ganz klar La Mettries methodischer Standpunkt aus: Bei der Suche nach Erkenntnis darf man sich einzig von Erfahrung und Beobachtung leiten lassen. 22 Und erfahrungs- und beobachtungsgesättigte Aufzeichnungen über den Menschen und dessen organische Funktionen, so ist er überzeugt, finden sich vor allem bei jenen Medizinern, „die zugleich Philosophen waren, und nicht bei Philosophen, die keine Mediziner waren“, wie er wohl speziell an die Adresse Descartes’ gerichtet polemisch zugespitzt formuliert. Vornehmlich die Mediziner und Philosophen in Personalunion „haben das Labyrinth des Menschen erforscht und erhellt; sie allein haben uns jene verborgenen Triebfedern aufgedeckt, deren Verhüllung unseren Augen so viele Wunder entzieht“. 23 Demnach hält La Mettrie a priori-Aussagen über die Organfunktionen des Men-
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schen, erst recht aber über Seele und Geist von vornherein für verfehlt. Will man hierüber zu klaren und überzeugenden Erkenntnissen gelangen, hilft allein empirische, also erfahrungs- und beobachtungsbasierte Forschung. Konkret bezogen auf das Körper-Geist- beziehungsweise LeibSeele-Problem bedeutet das für seinen Forschungsansatz: Indem man „die Seele gleichsam in den Organen des Körpers zu erkennen sucht“, entdeckt man die Natur des Menschen selbst. Zwar räumt La Mettrie ein, da man es beim Menschen mit einer sehr „komplizierten Maschine“ 24 zu tun habe, müsse die Forschung das Ideal „untrüglicher Gewißheit“ verabschieden, aber immerhin solle man den „höchsten Grad von Wahrscheinlichkeit“ anstreben, „der in dieser Beziehung möglich ist“. 25 Geleitet von diesem Wissenschaftsideal macht sich La Mettrie ans Werk und entwirft eine materialistisch-monistische Weltkonzeption, in die er den Menschen sowohl mit seinen vitalen als auch mentalen Funktionen eingliedert. Anders als Descartes, der, wie wir wissen, von einem Substanzdualismus ausging, lässt La Mettrie in konsequenter Weiterentwicklung des spinozistischen Programms nur eine Substanz gelten: die Materie. Substanz ist für ihn mithin immer etwas Ausgedehntes, etwas Materielles. Eine nicht ausgedehnte, immaterielle Substanz, wie die res cogitans des Descartes, ist demnach für ihn ein Widerspruch in sich. Die Materie selbst begreift er – analog zu Demokrits Bestimmung des Atoms – als ewig, das heißt als anfangs- und endlos, also als nicht geschaffenen und unvergänglichen Grundstoff des Universums, der nur der Veränderung seiner Formen unterworfen ist, so dass sich der Formenreichtum der materiellen Welt für ihn als eine Folge der nie zu übersehenden potentiellen Formenvielfalt der Materie erweist. Der Materie selbst ist das „Prinzip der Bewegung“ inhärent. 26 Diese Bewegungsfähigkeit verdankt sie folglich nicht einem gleichsam über ihr schwebenden kreativen Geist, sondern sie wohnt aller Materie als solcher immer schon als Potenz inne. Das bedeutet: Die Materie bewegt sich ‚von Natur aus‘ selbst, 27 modern gesprochen: Sie besitzt die Fähigkeit der Selbstorganisation, der Autopoiese. Dieses so verstandene Bewegungsprinzip markiert für La Mettrie den Unterschied zwischen der, wie er sich ausdrückt, „organisch aufgebauten Materie“ und der „nicht organisch aufgebauten Materie“. 28 Beides aber, Organisches wie Anorganisches, unterliegt Gesetzmäßigkeiten, die mittels der Mechanik beschrieben werden können.
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Auf diese Weise lässt La Mettrie vor unserem inneren Auge das Bild eines Universums entstehen, das es als gigantische Maschine zeigt, deren „Triebfedern“ sich selbst aufziehen, die, mit anderen Worten, sich selbst organisiert und am Laufen hält. Wohl nicht zufällig, sondern mit einem Seitenblick auf die Okkasionalisten und auf Leibniz vergleicht er diese Welt-Maschine wiederholt mit einer Uhr, wobei jedoch der Unterschied nicht aus dem Blick verloren werden darf, dass sowohl Leibnizens als auch die Uhr der Okkasionalisten von einem Uhrmacher – sprich Gott – hergestellt und aufgezogen worden ist, wohingegen die Uhr La Mettries sich selbst erzeugt hat und permanent neu aufzieht. In diese Welt-Maschine nun gliedert La Mettrie den Menschen ein. Wie alles andere in diesem Kosmos begreift er auch ihn als eine bestimmte Modifikation der einen materiellen Weltsubstanz. 29 Also ist auch der Mensch eine Maschine, eine Art Uhr. Zwar ist er, wie wir von La Mettrie vernahmen, eine „komplizierte Maschine“, gleichwohl unterliegt sie den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie die große Welt-Maschine. Das bedeutet zunächst einmal, dass auch der Mensch eine sich selbst aufziehende Maschine ist, die den Grund ihrer Bewegung in sich selbst trägt. Am Leben erhalten wird dieser Mechanismus durch die Nahrungsmittel, die der Mensch aufnimmt, die er verdaut und die durch die Körpersäfte im Organismus verteilt werden, so dass die Funktion des Leibniz’schen Uhrmachers von La Mettrie den Speisesäften, mithin rein physiologischen Prozessen, zugewiesen wird. 30 Selbstverständlich spielen Art und Menge der aufgenommenen Nahrung eine nicht unerhebliche Rolle, modifiziert beides doch auf spezifische Weise die Funktionsweise der Maschine Mensch. Das aber heißt im Klartext: Für den Materialisten La Mettrie hat Ernährung nicht nur die Aufgabe, die Organfunktionen aufrechtzuerhalten; nein mehr noch, auch Stimmungslage, Verhalten, geistige Fähigkeiten, Charakter und Moralverhalten werden durch sie nachhaltig beeinflusst. Gleiches gilt für ihn vom Wetter und ganz allgemein vom Klima, dem die Maschine Mensch je und je ausgesetzt ist. 31 Für La Mettrie ist das ein hinreichender Erklärungsgrund für die Unterschiede im Denken, Wollen und moralischen Verhalten von Menschen, die er keineswegs bestreitet. Von seiner materialistischen Basis her kann er sie auf diese Weise elegant erklären. Aufs Ganze gesehen ist damit zu verstehen gegeben, dass die verschie-
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denen mentalen Zustände eines Menschen „in einem Wechselverhältnis zu denen des Körpers“ stehen. 32 Oder anders gewendet: Die seelisch-geistige Konstitution des Menschen wird nachhaltig von äußeren Einflüssen und Faktoren wie Nahrung, Wetter und Klima bestimmt, die auf seine physiologische Verfassung einwirken. Denken, Empfinden, Wollen, Entscheidungen treffen, Handeln und dergleichen mehr: All das hat eine materielle Basis, und zwar verortet La Mettrie all das im Gehirn. Der Sitz des Geistes beziehungsweise der Seele, so wird er nicht müde, seinen Lesern immer wieder einzuschärfen, ist das Gehirn. 33 Ebenso wie Descartes unterscheidet auch La Mettrie nicht zwischen „Seele“ (âme) und „Geist“ (esprit). Die Seele, so schreibt er an einer Stelle, sei eigentlich „nur ein nichtssagender Ausdruck, von dem man keine Idee hat“. Ein „guter Kopf“ dürfe ihn nur gebrauchen, „um den Teil zu bezeichnen, der in uns denkt“. 34 ‚Geist‘ ist demnach für La Mettrie ganz entscheidend ein Produkt eines auf seine je spezifische Weise funktionierenden Körpers. In diesem Sinn hält er fest: Denken ist ebenso gut eine Eigenschaft der organisch aufgebauten Materie „wie die Elektrizität, das Bewegungsvermögen, die Undurchdringlichkeit, die Ausdehnung usw.“ 35 Von hierher überrascht es nicht, wenn La Mettrie den Ursprung seelisch-geistiger Akte in den Reaktionen erblickt, die aus der Erregung der Sinne stammen, und er den Empfindungen im Aufbau der mentalen Zustände eine zentrale Rolle zuweist. Und zwar stellt er sich das näher so vor: 36 Die Selbstbewegung in der Materie der Maschine Mensch ruft Empfindungen hervor, und diese führen zu neuer Bewegung, so dass sich beide gegenseitig hervorrufen. Der Geist ist nun, wie La Mettrie die Sachlage einschätzt, „der erste der Sinne und gleichsam der Sammelpunkt aller Empfindungen“. 37 In ihm vereinigen sich alle Empfindungen – wie ebenso viele Strahlen – in einem Zentrum. So gesehen ist Geist, ist Denken, ist die „vernünftige Seele“ das Empfindungsvermögen, näher besehen „die empfindungsfähige Seele, die dazu angehalten wird, Ideen zu betrachten und Vernunftschlüsse zu ziehen“. La Mettrie hält das allein schon dadurch für bewiesen, „daß in dem Augenblick, in dem die Empfindung erlischt, auch das Denken erlischt“. 38 Gemäß dieser Sicht der Dinge kommt den durch die körperlichen Bewegungen hervorgerufenen Empfindungen beim Entstehen mentaler Zustände eine ganz erhebliche Bedeutung zu. Ja man kann La Mettries
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Sichtweise, und zwar ohne sie zu überstrapazieren, dahingehend zusammenfassen, dass wir Menschen ohne solche Empfindungen überhaupt kein mentales Leben hätten. Zudem besteht für La Mettrie offensichtlich ein enger Zusammenhang zwischen Empfindungen und Einbildungskraft. Empfindungen erzeugen Vorstellungen, und diese regen ihrerseits die Einbildungskraft zu neuen Ideen an. Einbildungskraft aber hält La Mettrie insbesondere in den Wissenschaften und schönen Künsten für unabdingbar. Und generell gibt er sich überzeugt, man müsse annehmen, „daß derjenige, der am meisten Einbildungskraft hat, auch am meisten Geist oder Genie besitzt“, denn alle diese Wörter, so setzt er dann noch hinzu, seien „gleichbedeutend“. 39 Darüber hinaus verdient ein weiterer Gedanke, der in seinen Ausführungen enthalten ist, gebührende Beachtung. Die empfindungsfähige Seele, so hatten wir soeben von La Mettrie vernommen, ‚werde dazu angehalten‘, Ideen zu betrachten und Vernunftschlüsse zu ziehen. Die naheliegende Frage dürfte wohl lauten: Von wem wird sie dazu angehalten? Nun, aus der angeführten Stelle geht hervor: augenscheinlich von den Empfindungen selbst. Das könnte man so lesen, als drängten die Empfindungen von sich aus zur Ausbildung höherstufiger mentaler Aktivitäten und Zustände. Dann hätte man es mit einer Art Autopoiese auch auf der geistigen Ebene zu tun. Hinzu kommt bei La Mettrie eine weitere bemerkenswerte Idee, die sich allerdings im Aufklärungszeitalter großer Popularität erfreute, die nämlich, dass der Geist des Menschen der Bildung durch andere Geister bedürfe. Der ‚organische Bau‘ des Gehirns, schreibt La Mettrie, sei „der größte Vorzug und die Quelle aller anderen Vorzüge“. Dazu jedoch, so fügt er sogleich an, müsse die Bildung kommen. Wenn das Gehirn, so heißt es in diesem Zusammenhang, „gut gebaut und gut unterrichtet ist, so ist es ein fruchtbarer, vortrefflich bestellter Boden, der hundertmal soviel hervorbringt, wie er aufgenommen hat“. 40 Der Bildung unseres Geistes durch andere verdanken wir die Kenntnis der Bedeutung der Wörter, durch sie erlernen wir Sprachen, lernen wir die Gesetze kennen, machen wir uns mit den Wissenschaften und den schönen Künsten vertraut. Alles das ist, wie La Mettrie hervorhebt, durch „Zeichen“ bewerkstelligt worden, so dass wir mittels der Zeichen zur „symbolischen Erkenntnis“ befähigt werden 41 und die „Schöpferkraft“ unseres Geistes 42 zu
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nutzen lernen. Durch Bildung also wird „der Rohdiamant unseres Geistes geschliffen“. 43 Da solche Lern- und Bildungsprozesse gemäß der materialistischen Ausgangsprämisse La Mettries letzten Endes auf eine Umorganisation des materiellen Trägers des Geistes, also des Gehirns, abzielen, kann einem menschlichen Gehirn im Licht des so verstandenen Bildungskonzepts nichts Besseres passieren als der Kontakt mit anderen Gehirnen. Dergestalt weist dieses Bildungskonzept weit über seine Zeit hinaus und auf aktuelle Diskussionen voraus, die über Bildung im Zusammenhang mit Hirnforschung geführt werden. 44 Freilich stößt auch der bestmöglich gebildete menschliche Geist, stößt auch das bestmöglich organisierte Gehirn nach La Mettrie an Grenzen, die ihm augenscheinlich durch die Materie selbst gesetzt werden. Die entscheidende Grenze markiert für ihn der Begriff der „Unendlichkeit“. Hier muss der menschliche Geist kapitulieren, an ihr scheitert er, weil „Unendlichkeit“ jede mit der Ausdehnung gegebene Begrenzung überschreitet. „Wir sind nicht fähig“, schreibt La Mettrie, „uns die geringste Idee von ihr zu bilden“. 45 Hiermit müssen wir uns eine unüberwindliche Unkenntnis hinsichtlich unseres Ursprungs und Schicksals eingestehen. 46 Was bleibt angesichts einer solchen Sachlage zu tun? Nun, rät uns La Mettrie, uns auf das zu konzentrieren, was die Maschine Mensch kraft ihres Geistes kann: empfinden, denken, gut und böse unterscheiden 47 – und im Übrigen zu versuchen, soweit es eben möglich ist, glücklich zu werden. Das ist das große Anliegen seiner als Anti-Seneca bekannten Schrift Über das Glück oder das höchste Gut. Das aber ist ein anderes Thema. Nicht nur wegen dieser These geriet La Mettrie im damaligen Frankreich bei Obrigkeit und Klerus in Misskredit. Überdies gaben hierfür insbesondere drei Bestandstücke beziehungsweise Implikationen seines Konzepts den Ausschlag, rüttelte La Mettrie doch mit ihnen an den Grundfesten des Wertesystems seiner Zeit. Erstens nämlich liegt auf der gedanklichen Linie seines Entwurfs, dass nichts dafür spricht, dass allein die Maschine Mensch über Geist verfügt. Ganz im Gegenteil ist La Mettrie der Ansicht, auch andere Lebewesen, wie beispielsweise Affen, die er wiederholt zum Vergleich heranzieht, besäßen aufgrund des ähnlichen Baus der Maschine Geist und infolgedessen – wenn vielleicht auch nur ansatzweise – mentale Fähigkeiten, die denen
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des Menschen ähnlich sind. „Die Ähnlichkeit des Baus und der Verrichtungen des Affen“, hält La Mettrie fest, ist „so groß, daß ich kaum daran zweifle, daß man dieses Tier, wenn man es gut abrichtet, schließlich so weit bringen kann, sprechen und folglich eine Sprache zu beherrschen lernen“. 48 Sprache nun ist, wie La Mettrie ja bereits auseinandergesetzt hat, eine Funktion des Geistes, was für ihn nur eine Schlussfolgerung zulässt: Auch Affen verfügen – zumindest potentiell – über Geist. Und wenn Affen, so die weitergehende Frage, warum dann nicht auch andere Tiere? Zwar erklärt sich La Mettrie hierüber nicht näher, aber immerhin schreibt er ausdrücklich: „Jedes Tier hat seine Seele“ 49 und weist damit die Descartes’sche Behauptung, Tiere seien seelenlose Automaten, zurück. Von hierher betrachtet liegt es für La Mettrie auf der Hand: „Der Übergang von den Tieren zum Menschen ist kein gewaltsamer“. 50 Oder anders ausgedrückt: La Mettrie erkennt keinen qualitativen Unterschied zwischen Mensch und Tier mehr an; Mensch und Tier unterscheiden sich allenfalls graduell voneinander. Durch nichts mehr sieht La Mettrie eine Sonderstellung des Menschen in der Welt-Maschine begründet. Zweitens verneint La Mettries Konzept die Existenz einer eigenständigen, vom Körper unabhängigen, von ihm verschiedenen, immateriellen Geistsubstanz. Geist kommt innerhalb seines materialistischen Ansatzes nur in Verbindung mit materiell-organischen Strukturen vor, die sich selbst organisieren. Dass eine solche These, erst recht in Verbindung mit der Negierung der Sonderstellung des Menschen, insbesondere den Klerus im zutiefst katholisch geprägten Frankreich der damaligen Zeit in Rage brachte, ja bringen musste, versteht sich nahezu von selbst. Und drittens schließlich galt seinerzeit jeder Materialismus per se als des Atheismus verdächtig. Was also lag näher, als La Mettrie des Atheismus zu verdächtigen und das mit der Anschuldigung zu koppeln, Atheisten seien allein als solche moralisch verkommene Subjekte. Was macht La Mettrie? Nun, er nimmt den Vorwurf gelassen hin und unterläuft ihn mit dem Hinweis, die Religion setze, „wie man nach so vielen Erfahrungen wohl behaupten kann, keine strenge Rechtschaffenheit voraus; doch dieselben Gründe berechtigen uns auch zu der Annahme, daß der Atheismus strenge Rechtschaffenheit nicht ausschließt“. 51 Auch wenn La Mettrie mit seinen Thesen viele Zeitgenossen gegen sich aufbrachte, so fand er doch bei der Verteidigung seiner Konzeption
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des Geistes als eines rein physischen Phänomens in Denkern wie Helvétius, Diderot und Holbach diskussionsfreudige und debattenerprobte Mitstreiter.
Der Geist als Derivat der Seele: Claude Adrien Helvétius Seit La Mettries provokantem Buch L’Homme Machine ist, zumindest in den Kreisen der radikalen französischen Aufklärung, wie sie vor allem von Helvétius, Diderot und Holbach geprägt wurde, die Metapher vom Menschen als einer Maschine geläufig. Daher wundert es nicht, wenn Claude Adrien Helvétius (1715–1771) sie wie selbstverständlich verwendet und in seiner 1773 posthum erschienenen Schrift Vom Menschen, seinen geistigen Fähigkeiten und seiner Erziehung geradezu lakonisch festhält: „Der Mensch ist eine Maschine, die von der physischen Empfindungsfähigkeit in Bewegung versetzt wird und all das machen muß, was sie ausführt“. „Sie ist“, fügt er dann zwecks Verdeutlichung hinzu, „wie das Mühlrad, das durch einen Sturzbach gedreht wird, die Kolben bewegt und durch sie wiederum das Wasser, das dazu bestimmt ist, sich in vorbereitete Becken zu ergießen“. 52 Die Mühlrad- und die Kolbenmetapher: Das klingt nach purem Mechanismus und ruft ein Bild vom Menschen als gut geöltem Automaten hervor. Allerdings ginge man fehl, würde man hieraus folgern, der Mensch des Helvétius sei in etwa den seelenlosen Automaten zu vergleichen, als die Descartes die Tiere ansah. Von derart beschaffenen Maschinen hebt sich die Maschine Mensch nach Helvétius nämlich dadurch ab, dass sie sowohl über ‚Geist‘ als auch über ‚Seele‘ verfügt. Diese Position hatte er bereits in seiner 1758 veröffentlichten Schrift De L’esprit (Vom Geist) vertreten. Von dieser Schrift sagte Diderot in einer Besprechung, kein Werk habe seinerzeit so viel Aufsehen erregt, und zwar vor allem deswegen, weil ihr Verfasser alle intellektuellen Funktionen auf das Empfindungsvermögen zurückführe. 53 Auch wenn Diderot nicht in allen Stücken mit den Thesen Helvétius’ übereinstimmt, so konzediert er diesem Werk gleichwohl, es bedeute „einen gewaltigen Keulenschlag gegen die Vorurteile auf jedem Gebiet“ und zähle „zu den großen Büchern des Jahr-
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hunderts“. 54 Helvétius selbst stufte seine Schrift über den Geist als der Ergänzung bedürftig ein. Zwar betont er in dem späteren Buch über den Menschen, er weiche von den Grundsätzen, die er in De L’esprit aufgestellt habe, nicht im mindesten ab, da sie ihm nach wie vor als „die einzig vernünftigen“ erschienen, aber ebendiese Grundsätze würden in De L’Homme „erweitert und vertieft“. 55 Vornehmlich zwei Grundsätze lassen sich als die Kernstücke beider Schriften herausschälen: Erstens ist Helvétius’ Überzeugung zu nennen, der Mensch mit all seinen Fähigkeiten, seinem Verhalten, seiner Tugend und seinem intellektuellen Profil sei das Produkt der Erziehung. Und zweitens ist seine immer wieder akzentuierte Ansicht herauszustellen, alles im Menschen sei „physische Empfindung“. 56 Diese beiden Grundsätze bilden die Basis sowohl seiner Anthropologie als auch seiner Theorie des Geistes. Für sein anthropologisches Konzept bringt das die Konsequenz mit sich, dass er im physischen Empfindungsvermögen „die einzige Antriebskraft des Menschen“ erblickt. In dieser physischen Empfindungsfähigkeit haben Lust und Schmerz ihren Ursprung, so dass sich für ihn folgerichtig nur ergeben kann, Lust und Schmerz seien das – wie er meint: verkannte – Prinzip aller menschlichen Handlungen. 57 Und für seine Theorie des Geistes bedeutet diese exponierte Stellung der Empfindungsfähigkeit, dass „alle geistige Tätigkeit sich auf das Fühlen zurückführen läßt“. 58 Damit ist zu bedenken gegeben, wir Menschen verfügten über keinerlei geistige Fähigkeiten, wären wir nicht fühlende, empfindende, mithin sinnliche Wesen. Noch kürzer formuliert könnte man sagen: Ohne Fühlen, ohne physisches Empfinden gäbe es keinen Geist. Auf diese Weise konzipiert Helvétius den Geist des Menschen als ein rein physisches Phänomen. Vehement verwahrt er sich gegen Versuche, Geist, Denken und Seele als etwas Spirituelles, gar Übersinnlich-Immaterielles zu begreifen. Nur zu oft, so kritisiert er, habe man in den „Schulen“ gelehrt, Geist und Seele seien deswegen „spirituell, weil das Denken nicht zur Ausdehnung und Materie gehöre“. Und Helvétius gibt zu, er habe nie etwas von diesem „Geschwätz“ verstanden. Was nämlich, so fragt er, bedeutet das Wort denken wirklich? „Entweder“, gibt er sich selbst zur Antwort, „ist dieses Wort sinnlos. Oder es drückt wie sich bewegen einfach eine Seinsweise des Menschen aus“. Aber gibt es, wie er weiterfragt, etwas „Absurderes, als aus dieser Seinsweise ein Wesen und noch dazu ein übersinnliches zu
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machen?“ 59 Ohne Zweifel ist das eindeutig gegen das cartesianische Verständnis von Denken und Geist als einer immateriellen Denk- beziehungsweise Geistsubstanz gerichtet. Dem setzt Helvétius seine Sicht von Denken und Geist als einer Seinsweise des Menschen unter anderen entgegen, die ebenso wie die Bewegung dem physischen Empfindungsvermögen entspringt. Damit ist seine Position dem Grundgedanken nach konturiert: Geist ist etwas Körperbasiertes, nichts Spirituelles und Übersinnliches, auch keine immaterielle Substanz im Sinne einer cartesianischen res cogitans. Freilich bedarf diese Skizze der weiteren Ausführung. Hierfür bietet sich insbesondere Helvétius’ Unterscheidung zwischen Geist (esprit) und Seele (âme) an. Anders nämlich als manche seiner Zeitgenossen und Mitstreiter für das Projekt Aufklärung verwendet er beide Begriffe keineswegs synonym, sondern glaubt, nicht unwesentliche Differenzierungen zwischen beiden vornehmen zu können. Vornehmlich drei Unterschiede gilt es seiner Meinung nach zu beachten. Um sie herausarbeiten zu können, geht er noch einmal von seiner Zentralthese aus, dass, wenn alles im Menschen physische Empfindung sei und sich infolgedessen alle geistige Tätigkeit auf das Fühlen zurückführen lasse, „wir unsere Ideen unseren Sinnen verdanken“. 60 Von hierher argumentiert er dann wie folgt: Die Seele existiert ebenso vollständig im Kind wie im Erwachsenen. Das ergibt sich für ihn aus dem Sachverhalt, dass das Kind ebenso wie der erwachsene Mensch für Vergnügen oder körperlichen Schmerz empfänglich sei, dass es also ‚fühle‘. Aber es habe längst nicht so viele Ideen, folglich nicht so viel Geist wie der Erwachsene. Hieraus zieht er den Schluss: „Wenn nun aber das Kind ebensoviel Seele hat, ohne gleichviel Geist zu haben, dann ist die Seele nicht der Geist“. 61 Dem kann man entnehmen: Zum Geist gehören Ideen, zur Seele hingegen nicht. Der zweite Unterschied zwischen Seele und Geist, auf den Helvétius abstellt, gründet in der uns bestens bekannten Annahme, die Seele sei das Prinzip des Lebens. Die Seele, so schreibt er nämlich, verlasse uns im Tode, und solange ich lebe, habe ich eine Seele. (Nebenbei bemerkt: Es wäre ohne Frage interessant zu erfahren, was denn nach Ansicht des Materialisten Helvétius aus der Seele wird, wenn sie im Tod den Organismus verlässt. Hierüber indessen schweigt er sich aus.) Er fragt sich: Verhält es sich mit dem Geist genauso? Nein, antwortet er hierauf, und zwar des-
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wegen nicht, weil Menschen ihren Geist manchmal schon verlieren, während sie noch leben. Helvétius denkt hierbei offensichtlich an Unfälle und Läsionen, wenn er als Belege etwa einen Sturz oder einen Schlaganfall anführt, durch die der Mensch temporär seinen Geist oder einen Teil des Geistes einbüßt. 62 Die Seele als das Prinzip des Lebens geht in solchen Fällen jedoch nicht verloren. Abgesehen davon, dass in diese Seelenvorstellung ungefragt und ungeprüft traditionelle Psyché-Spekulationen übernommen worden sind, geben diese Aussagen über den temporären oder teilweisen Verlust des Geistes noch einmal deutlich zu verstehen, dass und wie Helvétius ihn als rein physisches, an körperliche Zustände und Vorgänge gebundenes Phänomen begreift. Bei der Herausarbeitung eines dritten Unterschiedes zwischen Seele und Geist operiert Helvétius mit Bewusstsein und Gedächtnis als wesentlichen Funktionen des Geistes. ‚Geist‘ ist für Helvétius ganz entscheidend „Gedächtnis“ – das er als ein ‚körperliches Organ‘ begreift 63 –, und zwar so entscheidend, dass er die Behauptung wagt, der Geist sei „fast vollständig eine Wirkung dieses Vermögens“. 64 Hierfür glaubt er einen guten Grund beibringen zu können. Zur geistigen Tätigkeit, so führt er aus, gehört ganz zentral der Vergleich zwischen verschiedenen Gegenständen und Vorstellungen. Dazu aber sei unabdingbar Gedächtnis erfordert, müsse doch bei einem solchen Vergleich dem Geist beispielsweise eine frühere Vorstellung präsent sein, mit der er eine aktuelle Vorstellung in Beziehung setze. Auf solchen Beziehungen und Vergleichen beruhe aber genau das, was man als „Erfahrung“ bezeichne. Und es liege auf der Hand, dass so verstandene Erfahrung ohne Gedächtnis schlechterdings unmöglich sei. Nun verfügen wir aber, so die weiterführende Überlegung Helvétius’, nicht nur immer über eine oder zwei Vorstellungen, sondern über eine „Kette von Vorstellungen“, die uns präsent sind. Und diese Präsenz von Vorstellungsverkettungen, mithin von Erfahrungen, macht für Helvétius das Bewusstsein aus, das seinerseits Erinnerung voraussetzt. 65 So kommt also heraus: ‚Geist‘ wird von Helvétius begriffen als ein Ineinandergreifen von sinnlichen Empfindungen, Vorstellungen, Ideen, Erinnerungen und Bewusstsein. ‚Geist‘ hat man demzufolge laut Helvétius dann, wenn man Ideen, Gedanken und Erinnerungen hat, in der Lage ist, zwischen ihnen Vergleiche anzustellen und sich all dieser Aktivitäten bewusst ist. Und er fragt sich, ob es sich mit der Seele genauso verhält.
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Darauf antwortet er mit einem entschiedenen Nein, hält er doch weder Geist noch Gedanken für deren Existenz für notwendig. Das Denken, so erklärt er lapidar, sei „nicht unbedingt notwendig für die Existenz der Seele“. Und er legt dar, wenn man der Seele all das wegnähme, was er soeben als Ingredienzien und Tätigkeiten des Geistes hervorgehoben hat, welche Fähigkeit bliebe ihr dann noch? Nun, seiner festen Überzeugung nach immer noch die des Empfindens. Denken, Vorstellen, Erinnern und Vergleichen: das sind spezifische Aktivitäten des Geistes. So, wie Helvétius die Sache sieht, sind sie alle nicht notwendig für die Existenz der Seele, erblickt er in ihr doch einzig „die Fähigkeit zu empfinden“. 66 Wie nun? Will Helvétius mit solchen Unterschieden zwischen Seele und Geist am Ende darauf hinaus, sie als zwei Phänomene dergestalt voneinander abzugrenzen, dass sie überhaupt nicht miteinander verbunden, verwoben, koordiniert – oder was auch immer – sind? Nein dies ist indessen ganz und gar nicht seine Absicht – und kann es schon aus einem einfachen Grund nicht sein: Da die Seele das Vermögen des Empfindens sein soll, der Geist seine Inhalte aber diesen Empfindungen verdankt, kann es so etwas wie Geist ohne Seele gar nicht geben. „Ohne die Fähigkeit zu empfinden“, hält Helvétius daher fest, „wäre das schöpferische Gedächtnis unseres Geistes ohne Funktion; es wäre gar nichts. Die Existenz unserer Vorstellungen und unseres Geistes setzt die des Empfindungsvermögens voraus. Diese Fähigkeit ist die Seele selbst“. Folglich ergibt sich: Man kann den Geist nicht „als völlig von der Seele unabhängig betrachten“, ja mehr noch, der Geist ist „das Ergebnis der Seele oder der Fähigkeit zu empfinden“. 67 Auf diese Weise gerät der Geist bei Helvétius in den Blick als eine Funktion des Lebensprinzips, der Psyché, die als das gegenüber dem Geist grundlegendere Prinzip angesehen wird. Oder wie man diesen Sachverhalt auch formulieren könnte: Geistiges erweist sich als eine Art Derivat des Psychischen, das von diesem in spezifischer Weise abhängig ist. Da das Verhältnis von Geist und Seele nun auf diese Art und Weise bestimmt ist, kann Helvétius zusammenfassen, was „der Geist in sich selbst“ ist: nämlich „die Fähigkeit, die Ähnlichkeiten und Unterschiede, die Übereinstimmungen und Abweichungen, die zwischen den verschiedenen Objekten bestehen, zu sehen“. Und das „produktive Prinzip“ des so begriffenen Geistes ist des Menschen „physische Empfindungsfähig-
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keit, sein Gedächtnis und vor allem das Interesse, das er daran hat, seine Empfindungen untereinander zu verbinden“. 68 In diesem Konzept des Geistes findet nun auch der „Verstand“ (entendement) seinen Ort: Ihm nämlich obliegt die Genauigkeit des Vergleichs der Empfindungen, Vorstellungen und Ideen. 69 Solche Genauigkeit ist deshalb von Belang, weil sich allererst aus ihr das ergibt, was Helvétius als eine „Erkenntnis“ bezeichnet. 70 Selbstverständlich verkennt Helvétius keineswegs, dass der eine Mensch mehr, der andere weniger ‚Geist‘ besitzt. Und er fragt sich, woher ein Mangel des Geistes rühren könnte. Für gewöhnlich, meint er, könne er nicht auf einen Mangel an Gedächtnis zurückzuführen sein. Aber womöglich sei er als Wirkung „einer ungleichen Vollkommenheit der übrigen Organe“ anzusehen? 71 Dieses Problem entscheidet er dahingehend: Die fünf Sinne sind die Organe der Empfindungen; sie sind „die Türen, durch welche die Ideen zur Seele gelangen“. Die Frage jedoch ist, ob diese Türen bei allen Menschen gleich weit geöffnet sind. Eine genaue Untersuchung führt bei ihm zu dem Ergebnis, dass unser Geist keineswegs immer im Verhältnis zur größeren oder geringeren Feinheit ebendieser Sinne stehe. 72 Allerdings könne man festhalten, „daß, wenn sich die Menschen unterscheiden, sie es immer nur in der Nuance ihrer Empfindungen tun“. 73 Keinesfalls jedoch könne man für die Unterschiede in puncto Geist – und hiermit widerspricht er den Behauptungen La Mettries – Faktoren wie Ernährung, Breitengrad, Klima und Temperament des Menschen verantwortlich machen. Solche Faktoren, so gibt er sich überzeugt, „vergrößern weder die geistigen Fähigkeiten der Menschen noch verringern sie sie“. Von hieraus glaubt er dann als Fazit formulieren zu können: „Also hängt die größere oder geistige Überlegenheit weder von der körperlichen Stärke, noch von der Frische der Organe, noch von der mehr oder weniger großen Feinheit der Sinne ab“ 74 – sondern eben einzig und allein von ‚der Nuance der Empfindung‘. So rundet sich das Bild: Die Seele als das physische Empfindungsvermögen sorgt dafür, dass der Geist Vorstellungen, Ideen und Gedanken entwickeln kann. Hierbei spielen Gedächtnis und Bewusstsein eine nicht unerhebliche Rolle, da sie entscheidend an der Ausbildung von Erfahrung beteiligt sind. Der Geist vergleicht die Vorstellungen, Ideen und Gedanken; und wenn er hierbei ‚verständig‘, also genau vorgeht, gewinnt er Er-
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kenntnisse. „Was ist die Natur?“, fragt Helvétius im dritten Kapitel des zweiten Abschnitts seiner Schrift Vom Menschen. Und er antwortet: „Die Gesamtheit des Seienden“. Weiter fragt er: „Was kann im Universum die Aufgabe des Geistes sein?“ Die Antwort dürfte nun nicht mehr überraschen: „Die Beziehungen der Gegenstände untereinander und zu uns zu betrachten“. 75
Geist und Seele als körperbasierte Phänomene: Denis Diderot Anders als Helvétius hat Denis Diderot (1713–1784), Initiator, umtriebiger Mitherausgeber und unermüdlicher Autor zahlreicher Artikel der Enzyklopädie, jenes Mammutprojekts, das nichts weniger in Angriff nahm, als das gesamte Wissen der Zeit zu sammeln und es den Zeitgenossen zur Verfügung zu stellen, keine eigene Abhandlung zum Thema ‚Geist‘ vorgelegt. Gleichwohl geben die an verstreuten Orten zu findenden Äußerungen eine Ansicht zu erkennen, die in ihrer Entschiedenheit hinsichtlich der Fundierung des Geistigen im Körperlichen derjenigen des Helvétius in nichts nachsteht. In seinen etwa zwischen 1774 und 1780 geschriebenen Elementen der Physiologie gibt er im Artikel „Mensch“ gleich zu Beginn zu verstehen, was er von einem dualistischen Interaktionismus à la Descartes hält: „Ein ziemlich tüchtiger Mann“ so schreibt Diderot dort, „hat sein Werk mit den folgenden Worten eingeleitet: ‚Der Mensch sowie jedes Lebewesen ist aus zwei verschiedenen Substanzen – Seele und Körper – zusammengesetzt. Wenn irgend jemand diesen Satz bestreitet, so habe ich nicht für ihn geschrieben‘“. Ganz gewiss hat dieser ‚ziemlich tüchtige Mann‘ nicht für Denis Diderot geschrieben, kommentiert dieser diese Stelle doch sogleich mit den Worten: „Ich wollte das Buch sofort zuklappen. Oh, du lächerlicher Schriftsteller, sobald ich diese zwei verschiedenen Substanzen anerkenne, kannst du mich nichts mehr lehren. Du weißt nämlich nicht, was die Substanz ist, die du Seele nennst, noch weniger, wie sie mit der anderen zusammenhängt, und ebenso wenig, wie sie gegenseitig aufeinander wirken“. 76 Damit ist präzise das Problem auf den Punkt gebracht, das sich im Kontext von Descartes’ Metaphysik der zwei
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Substanzen stellte und das Descartes innerhalb des Denkrahmens, in dem er sich bewegt, nicht lösen konnte. Diderot seinerseits wendet sich nun mit Nachdruck gegen einen solchen Substanzdualismus und behauptet eine genaue Übereinstimmung von geistigen Aktivitäten mit körperlichen Zuständen. Damit ist die Sichtweise, Geist und Seele bildeten eine eigenständige, vom Körper verschiedene Substanz mit einem eigenen Refugium ihrer Existenz, verabschiedet. Konsequent gerät der Geist – und ebenso die Seele, wie wir noch sehen werden – als ein rein physisches, mit körperlichen Befindlichkeiten aufs Engste koordiniertes Phänomen in den Blick. In den Jahren 1773 und 1774 hat sich Diderot intensiv mit Helvétius beschäftigt. Niederschlag hat diese Beschäftigung in seinen Aufzeichnungen unter dem Titel Fortlaufende Widerlegung von Helvétius’ Werk ‚Vom Menschen‘ gefunden. Der Titel kommt, ohne Frage, reichlich großspurig daher. Zwar meint Diderot, an vielen Stellen dieses Werks im Detail Korrekturen vornehmen zu müssen. Dennoch weiß er sich mit dessen Grundtendenz, den Geist als eine körperliche Eigenschaft zu begreifen, auf einer Linie. „Wodurch beweist man“, so fragt Diderot, „daß der Mond die Ursache von Ebbe und Flut ist?“, um die Antwort zu geben: „Durch die genaue Übereinstimmung des Wechsels der Gezeiten mit dem Wechsel der Bewegungen des Mondes“. Und diese Antwort wird sogleich auf das Verhältnis zwischen menschlichem Geist und Körper übertragen: „Doch welche Übereinstimmung wäre genauer als die meines Körperzustandes mit meinem Geisteszustand? Welche Veränderung – so gering sie auch sei – geht nicht von meinem Körperbau auf meine intellektuellen Funktionen über?“ Zum Glück belässt Diderot es nicht bei dieser doch etwas dürren und abstrakten, zudem rhetorischen Frage, ist die Antwort ja bereits durch sie gegeben, sondern unterfüttert sie mit einigem empirischem Material: „Habe ich schlecht geschlafen, so denke ich schlecht; bin ich leidend, so ist mein Geist abgespannt; erhole ich mich, so gewinnt mein Geist wieder seine Kraft“. Ins Allgemeine gewendet besagt das für ihn: „Der Fehler und die fragliche Eigenschaft meines Geistes bleiben bestehen oder vergehen, je nachdem die Störung meiner Organe dauernd oder vorübergehend ist. Es gibt sogar sonderbare Umstände, unter denen die Störung meines animalischen Haushalts meinem Geist nützt und umgekehrt die Störung meines Geistes meinem Körper nützt. Ein Mensch ver-
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fettet nicht, ohne daß sein Kopf träge und sein Geist schwerfällig wird. Der gesunde oder ungesunde, beständige oder vergängliche, einen Tag oder das ganze Leben dauernde Zustand der Organe ist vom Augenblick der Geburt bis zum Augenblick des Todes das Thermometer des Geistes“. 77 Plastischer kann man die behauptete überaus enge Verklammerung von Geistes- und Körperzuständen kaum noch verdeutlichen. Wichtig hieran ist, dass Diderot von einer Übereinstimmung, einer wechselseitigen Beeinflussung von Körper- und Geisteszuständen spricht. Offenbar ist er nicht der Ansicht, ein körperlicher Zustand sei identisch mit einem Geisteszustand in dem Sinne, dass er diese Geistestätigkeit ist. Eine solche starke Identität zwischen beiden wird von ihm, wie auch die Metapher vom körperlichen Zustand als Thermometer des Geistes zu verstehen gibt, nicht vertreten – aber immerhin die einer kausalen Beeinflussung in beiden Richtungen: sowohl vom Körper zum Geist als auch umgekehrt vom Geist zum Körper. Eine Identität in einem starken Sinne würde zudem bedeuten, geistige Tätigkeiten, wie beispielsweise Denken, als eine, wie Diderot sagt, Eigenschaft der Materie zu begreifen. So etwas anzunehmen, liegt ihm indessen fern. Hobbes und Spinoza, so kritisiert er nämlich in seinem Enzyklopädieartikel „Freiheit“, hätten eine solche These vertreten, eine These, die Diderot für unhaltbar hält und mit folgender Gedankenlinie zurückzuweisen versucht. Entscheidende Eigenschaften der Materie, so setzt er auseinander, seien nach Ansicht von Hobbes und Spinoza Gestalt und Bewegung. Wolle man nun annehmen, wie es seiner Meinung nach beide tun, mentale Aktivitäten wie beispielsweise Denken und Wollen seien Eigenschaften der Materie, ja Geist und Seele selbst seien Materie, dann müssten sie offenkundig voraussetzen, „daß die Materie nicht nur Gestalt und Bewegung, sondern auch andere unbekannte Eigentümlichkeiten annehmen könne“. 78 Das aber stünde zu ihrer Vorstellung von Materie, die sich ja durch Gestalt und Bewegung definiert, in Widerspruch. Aber nichtsdestotrotz: Auch für Diderot sind geistig-seelische Akte an materielle Gegebenheiten und Prozesse rückgebunden. Als das Zentralorgan für geistige Tätigkeiten gilt ihm – das wird kaum verwundern – das Gehirn, während er seelische Regungen im Zwerchfell verortet. „Die Vollkommenheit der intellektuellen Verrichtungen“, notiert er im Zuge seiner
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Auseinandersetzung mit Helvétius, hängt „hauptsächlich von der Ausbildung des Groß- und Kleinhirns“ ab. 79 Und im weiteren Verlauf dieser Aufzeichnungen schreibt er kurz und bündig: „Der Kopf macht die vernünftigen Menschen aus, das Zwerchfell die mitleidigen und moralischen Menschen“. Gehirn und Zwerchfell, so setzt er dann noch hinzu, seien die zwei „großen“, 80 „die zwei wichtigsten Triebkräfte der Maschine“. 81 Insbesondere krankhafte Zustände oder Läsionen seien es, meint Diderot, die eindeutig belegen, wie alle geistige Tätigkeit vom Gehirn und dessen Konstitution abhängt. „Wenn ich sehe, daß ein Mann von Geist infolge eines heftigen Fieberanfalls schwachsinnig geworden ist und daß umgekehrt ein Schwachkopf bei hohem Fieber wie ein Mann von Geist denkt und spricht; wenn ich sehe, daß ein anderer durch einen Sturz, durch eine Prellung am Kopf, die Vernunft und den Verstand verliert, obwohl alle anderen Organe in gesundem Zustand geblieben sind“, dann könne die Folgerung, dass mentale Aktivitäten wie die genannten vom Zustand des Gehirns abhängen, nicht mehr abgewiesen werden. 82 Ja mehr noch! Diderot ist felsenfest überzeugt, dass sich auch individuelle Unterschiede hinsichtlich geistiger Tätigkeiten aufgrund der unterschiedlichen Gehirnkonstitution der Betreffenden erklären ließen. Das Gehirn hält er, wie er in dem bereits früher herangezogenen Enzyklopädieartikel über „Freiheit“ schreibt, für ein „sekretorisches Organ“. Sekretion nun habe verschiedene Eigenschaften: Mal sei sie „dünn“, mal „dickflüssig“, mal „rein“, mal „unrein“, mal „gehaltlos“, mal „gehaltvoll“. Und eben hierher rühre die Verschiedenartigkeit des Geistes und des Charakters. 83 Das liegt ganz auf der Argumentationslinie La Mettries, wobei dieser ja dann noch die weitergehende Perspektive eröffnete, solch unterschiedliche Beschaffenheit des mentalen Apparats hänge ihrerseits von Faktoren wie Ernährung, Klima und anderen Umwelteinflüssen ab. Wie es zu seiner Zeit verbreitet war, unterscheidet auch Diderot nicht streng zwischen ‚Geist‘ und ‚Seele‘. Dementsprechend ist er terminologisch ungenau. Gelegentlich verwendet er beide Bezeichnungen mehr oder weniger synonym, anderenorts wiederum grenzt er die Seele gegen den Geist dadurch ab, dass er ihr im Haushalt des Mentalen nur eine „sehr untergeordnete Bedeutung“ zuerkennt. 84 Aber gleichwohl gilt auch von ihr, wie vom Geist, dass sie an physische Gegebenheiten und Zustände gekoppelt ist. Welche Idee man auch von der Seele haben mag, stellt
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Diderot fest, so sei sie jedenfalls „ein bewegliches, ausgedehntes, empfindliches und zusammengesetztes Wesen. Sie wird müde wie der Körper; sie ruht aus wie der Körper. Sie verliert ihre Autorität über den Körper, wie der Körper seine Autorität über sie verliert. […] Wenn Sie von jeder körperlichen Empfindung absehen, so ist es aus mit der Seele“. 85 Immer wieder, wenn er auf dieses Thema zu sprechen kommt, schärft Diderot seinen Lesern ein, dass man sich unter einer Seele keine körperlose, immaterielle Substanz vom Zuschnitt der Descartes’schen res cogitans vorzustellen habe, sondern etwas, was im Körper, ja durch dessen wechselnde Zustände bedingt ist. Mal ist die Seele fröhlich, dann wieder traurig, ein anderes Mal ist sie zärtlich oder scheinheilig oder wollüstig. All solche Befindlichkeiten entspringen letzten Endes wechselnden körperlichen Vorgängen und Konstitutionsbedingungen. „Ohne den Körper“, erklärt Diderot ohne Umschweife, ist die Seele „nichts“. Und als ob das noch nicht deutlich genug wäre, fügt er zudem an: „Ich bestreite, daß man irgend etwas ohne den Körper erklären könnte“. 86 Von hier aus kommt er erneut auf Descartes’ Substanzdualismus zu sprechen und kritisiert insbesondere dessen Interaktionstheorem. Dieses Theorem, so Diderot, besagt, „die Seele habe einen sehr engen Verkehr mit dem Körper“. Und zwar solle sich dieser Verkehr so vollziehen, „daß anlässlich gewisser Wünsche der Seele Bewegungen im Körper und anlässlich gewisser Bewegungen des Körpers Wünsche in der Seele erregt werden“. Wie aber genau solche „Wechselseitigkeiten“ bei zwei als gegensätzlich konzipierten Substanzen, wie Seele und Körper es sein sollen, vonstatten gehen soll, sei überhaupt nicht bewiesen und vervielfache die Schwierigkeiten. 87 Wenn also die Befindlichkeit der Seele, wie Diderot darlegt, von den wechselnden Zuständen des Körpers abhängt, wie kann es dann so etwas wie ein Ich-Bewusstsein geben? Was kann mir dann noch meine Identität verbürgen? Ist dann das, was ich als mein ‚Ich‘ ansehe, nichts weiter als ein Spielball wechselnder Körperzustände, ja ist es dann nichts weiter als diese selbst? So etwas wie Letzteres zu behaupten, so weit hat Diderot dann offenbar doch nicht gehen wollen, obwohl er selbst das Problem scharf konturiert. In seiner Schrift D’Alemberts Traum aus dem Jahr 1769 entwirft er ein proto-darwinistisches Evolutionsmodell, das auf den Aufbau komplexer Organismen aus einfachen Bausteinen und den entwicklungs-
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geschichtlichen Zusammenhang alles Lebendigen abstellt, dergestalt, dass er zwischen Tier und Mensch einen allenfalls graduellen Unterschied zugibt. An einer berühmten Stelle dieser Schrift lässt er Dr. Bordeu, einen seiner Protagonisten, sagen: „Haben Sie im Park des Königs den OrangUtan im Glaskäfig gesehen, der wie ein in der Wüste predigender heiliger Johannes aussieht? […] der Kardinal Polignac sagte einmal zu ihm: ‚Sprich, und ich taufe dich‘“. 88 Da der Mensch aus den gleichen Elementen besteht wie alles andere in der Natur auch, kann man nach Diderot seine „Identität mit allem Seienden in der Natur“ behaupten. 89 Und aufgrund dieser Identität gilt auch vom Menschen: Entstehen, leben und vergehen heiße: die Gestalt wechseln. An diesem Punkt seiner Überlegungen nun kommt der Diderot’sche D’Alembert ins Grübeln: „Nach all den Wandlungen, die ich im Laufe meines Lebens durchgemacht habe, besitze ich jetzt vielleicht nicht mehr eines von den Molekülen, die ich bei der Geburt mitgebracht habe. Warum bin ich dennoch ‚ich‘ in bezug auf die anderen und in bezug auf mich selbst?“ 90 Allerdings belässt es Diderot in dieser Schrift bei der Formulierung des Problems. In dem später verfassten Artikel über die „Seele“ in den Elementen der Physiologie jedoch deutet er eine mögliche Antwort an, wenn er dort schreibt: „Das Lebewesen ist ein Ganzes, eine Einheit, und vielleicht begründet diese Einheit mit Hilfe des Gedächtnisses die Seele, das Selbst, das Bewußtsein“. 91 Zwar steht diese Antwort unter dem Vorbehalt eines ‚vielleicht‘, doch immerhin deutet sie eine Perspektive an, wie auch ein Denken, das Geist und Seele als körperbasierte Phänomene begreift, unter Rückgriff auf das Konzept des Organismus als einer Einheit, welches es mit Erinnerungsleistungen koppelt, so etwas wie ‚Ich‘ und ‚Identität‘ sichern kann – und zwar ohne seine Zuflucht zu einer eigenständigen, immateriellen Geist- oder Seelensubstanz nehmen zu müssen.
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Geist und Seele als Modifikationen des Gehirns: Paul Henri Thiry d’Holbach Im Jahre 1770 erblickt ein Buch mit dem auf den ersten Blick eher harmlos klingenden Titel System der Natur oder von den Gesetzen der physischen und der moralischen Welt das Licht der literarischen Welt. Sein Autor wandte allerlei Finten an, um seine Urheberschaft zu vertuschen. Und in der Tat hatte er allen Grund, Stillschweigen über seine wahre Identität zu wahren, denn kaum war das Buch aus Holland nach Frankreich eingeschmuggelt, fand es sofort großen Absatz, so dass sich, veranlasst durch einen Aufruf der Versammlung der Geistlichkeit und auf Weisung Ludwigs XV., das Parlament von Paris zu einer Verurteilung des Systems der Natur und sechs weiterer Bücher antichristlichen Inhalts genötigt sah. In dieser Verurteilung werden diese Werke gebrandmarkt als „gottlos, lästerlich und aufrührerisch – geeignet, jede Vorstellung des Göttlichen zu zerstören, das Volk zum Aufstand gegen Religion und Regierung aufzuwiegeln, alle Prinzipien der öffentlichen Sicherheit und Sittlichkeit ins Wanken zu bringen und die Untertanen vom Gehorsam gegenüber ihrem Herrscher abzubringen“. 92 Bei dieser Verurteilung allein blieb es jedoch nicht; darüber hinaus nämlich wurde verfügt, die Bücher sollten verbrannt, ihre Verfasser verhaftet und empfindlich bestraft werden. Einigen wenigen Eingeweihten indessen war der Autor des Systems der Natur durchaus bekannt, handelte es sich bei ihm doch um den 1723 in Edesheim im Bistum Speyer geborenen Baron Paul Heinrich Dietrich von Holbach. Aufgrund einer Erbschaft und eigener geschickter Geldanlagen hatte er es zu einem enormen Vermögen gebracht, das er nach seiner 1749 erfolgten Übersiedlung nach Paris zur Förderung der Wissenschaften und Künste verwandte. Zudem unterhielt er einen Salon, in dem jeden Donnerstag und Sonntag die Hauptvertreter der radikalen französischen Aufklärung und die Crème des europäischen Atheismus zusammenkamen: Diderot, D’Alembert und Helvétius, um nur einige zu nennen, waren gewissermaßen Stammgäste im Hause Holbach. 93 Zeitweise gehörte auch Jean-Jacques Rousseau dazu; aber die geballte Ladung an Atheismus, die ihm hier begegnete, ließ ihn auf Distanz gehen. Und auch ausländische Gäste waren gern gesehen: So nahmen beispielsweise David Hume, Laurence Sterne, Benjamin Franklin, Joseph Priestley und Adam Smith
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während ihrer Aufenthalte in Paris an diesen regelmäßigen Zusammenkünften teil. Dieser Holbach nun entwirft in seinem System der Natur ein konsequent materialistisches Bild von der Welt. Schlechthin alles Vorhandene, meint er, könne zurückgeführt werden auf Materie und Bewegung. Das gilt auch vom Menschen. „Der Mensch“, so formuliert er seine Grundüberzeugung, „ist das Werk der Natur, er existiert in der Natur, er ist ihren Gesetzen unterworfen, er kann sich nicht von ihr frei machen, er kann nicht einmal durch das Denken von ihr loskommen; vergeblich strebt sein Geist über die Grenzen der sichtbaren Welt hinaus, immer ist er gezwungen, zu ihr zurückzukehren“. 94 Hinter die Natur zurückzugehen und im Menschen andere, die natürliche Existenz transzendierende Seinsschichten entdecken zu wollen, hält Holbach schlichtweg für unmöglich. „Der Mensch“, so lautet sein Credo, „ist ein rein physisches Wesen“. 95 Diese Natur wirkt nach einfachen, einheitlichen und unveränderlichen Gesetzen, die wir mit Hilfe von Erfahrung zu erkennen vermögen. Allein an sie, die Erfahrung, müssen wir uns bei der Erforschung der Welt, aber auch bei der Erforschung des Menschen und seiner mentalen Fähigkeiten halten. Alles andere, so ist Holbach überzeugt, führt nur zu verzerrten Resultaten. Nur auf dem Weg der durch die Sinne vermittelten Erfahrung, das wird Holbach nicht müde, seinen Lesern immer wieder einzuschärfen, können wir die „Geheimnisse“ der Natur enträtseln. 96 Aber nicht nur das! Nur eine auf Erfahrung gestützte Forschung erlaubt es uns auch, Antworten auf Fragen der Religion, der Moral, der Gesetzgebung und der Staatsverwaltung zu finden. Und nur eine solche Art der Forschung bringt uns weiter in den Wissenschaften und den Künsten. Nicht zuletzt müssen wir uns an die Natur halten, wenn es um das geht, an dem wir alle so brennend interessiert sind: an unserem Glück. „Der Mensch höre also auf“, schreibt Holbach, „außerhalb der Welt, die er bewohnt, Wesen zu suchen, die ihm ein Glück verschaffen sollen, das die Natur ihm versagt: er studiere die Natur, lerne ihre Gesetze kennen und betrachte ihre Energie und die unveränderliche Art, wie sie wirkt; er nutze seine Entdeckungen für seine eigene Glückseligkeit und unterwerfe sich stillschweigend Gesetzen, denen ihn nichts zu entziehen vermag“. 97 Die Konsequenz einer solchen Sichtweise liegt auf der Hand: „Nicht aus
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einer ideellen Welt also, die nur in der Einbildung der Menschen existiert, darf man die Beweggründe holen, um ihr Handeln in der hiesigen Welt zu bestimmen. In der uns bekannten Welt werden wir die wahren Triebkräfte finden“. 98 Klar, dass ein Autor eines solchen intellektuellen Zuschnitts auch den menschlichen Geist ganz und gar im Materiellen verortet und einen Substanzdualismus, wie ihn Descartes vertreten hatte, scharf zurückweist. Descartes und all jene, die ihm folgen, führt Holbach aus, begreifen den Menschen als ein aus zwei verschiedenen Substanzen bestehendes Doppelwesen, das sich jedoch als ein „Ganzes“ betrachtet. Dies aber erfordert, dass zwei „verschiedene Naturen, die keine Verwandtschaft miteinander“ haben, „wunderbarerweise vereinigt“ sein müssen. Für Holbach sind das nichts als „willkürliche Vermutungen“, die seiner Überzeugung nach nur belegen, dass Descartes und seine Schüler zu jenen Menschen gehören, die meinen, „den Mangel an Sachkenntnis durch Wörter ausgleichen zu können, denen sie niemals einen wirklichen Sinn beilegen konnten“. So dokumentiere Descartes’ dualistischer Interaktionismus mit seiner Annahme einer immateriellen Geistsubstanz letztlich nichts anderes, als dass auch er sich im „Labyrinth einer idealen und intellektuellen Welt verloren“ habe, die allein die Einbildungskraft erschaffen hatte. 99 Um diese Klippen elegant umschiffen zu können und nicht wie Descartes intellektuellen Schiffbruch zu erleiden, hilft nach Holbachs Überzeugung nur eines: Geist und Seele als rein physische, materielle Phänomene zu begreifen. Was ist Geist?, fragt er. Ganz gewiss, so gibt er sich selbst zur Antwort, keine Substanz unbekannter Natur, die „in einem solchen Sinne einfach, unteilbar, ohne Ausdehnung, unsichtbar und sinnlich unerfaßbar“ sein soll, „daß ihre Teile nicht einmal durch die Abstraktion oder in Gedanken getrennt werden können“. Eine solche Substanz hält Holbach für schlechterdings unvorstellbar, handelt es sich bei ihr doch um eine Substanz, „die nur eine Negation alles dessen ist, was wir kennen“. „Wie“, so fragt er, „soll man sich eine Idee machen von einer Substanz, die ohne Ausdehnung ist und dennoch auf unsere Sinne wirkt, das heißt auf materielle Organe, die Ausdehnung haben? Wie kann ein Ding ohne Ausdehnung beweglich sein und Materie in Bewegung setzen? Wie kann eine Substanz ohne Teile fortwährend zu verschiedenen Teilen des Raumes in Beziehung stehen?“ 100
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All die mit diesen Fragen aufgeworfenen Schwierigkeiten lassen sich, so gibt sich Holbach überzeugt, vermeiden, wenn man dem Geist selbst Ausdehnung attestiert. Nur dann ist das cartesianische Problem der Interaktion von Körper und Geist zu lösen, wenn man den Geist selbst als körperlich begreift. Ihn als körperlich begreifen, das bedeutet freilich, die Ansicht zu akzeptieren, dass er Ausdehnung, Festigkeit und folglich unterschiedliche Teile hat. Dann klärt sich das Interaktionsproblem, das Descartes zu seiner geradezu verzweifelten Zirbeldrüsentheorie führte, von selbst. Wenn der Geist etwas Materielles und die Bewegung eine Eigentümlichkeit der Materie ist, dann setzt beispielsweise der Wunsch, den Arm zu heben – also ein mentaler, gleichwohl aber materiell fundierter Akt – unseren Arm in Bewegung. Und dieser durch den mentalen Akt bewegte Arm übt einen Druck oder Stoß aus, der dem allgemeinen Gesetz der Bewegung folgt. 101 Hieran ist nichts Merkwürdiges, ist nichts Mystisches, wirkt doch dergestalt Materielles auf etwas anderes Materielles. Die Bewegungen der Maschine Mensch – diese Wendung La Mettries greift Holbach in seinem Text wiederholt auf – sind demnach nichts anderes als Selbstbewegungen der Materie, in denen wir unterschiedliche Funktionen dieser Maschine erkennen. Nun hat es Holbach nicht nur bei einer solch eher groben Positionsbestimmung belassen, sondern sie in mancherlei Hinsicht recht detailliert weiter ausgeführt. Aus seinen zum Teil weitschweifigen und von Wiederholungen durchsetzten Darlegungen sind vor allem drei Themenkomplexe, die unsere Fragestellung betreffen, herauszuheben: erstens das Verhältnis von Geist und Seele, zweitens die Verankerung seelischer und geistiger Leistungen im Gehirn und drittens schließlich die Funktionen, die Geist und Seele zu übernehmen haben, um die Maschine Mensch steuern zu können. Was zunächst die Seele selbst anbetrifft, so ist für Holbach immer schon entschieden, „daß sie zu unserem Körper gehört“ und von ihm nur durch Abstraktion unterschieden werden kann. Die Seele ist demnach ein ebenso materielles Phänomen wie der Geist. Sie ist, schreibt Holbach, ‚nur der Körper selbst‘, „betrachtet im Hinblick auf einige seiner Funktionen oder Fähigkeiten, die er seiner besonderen Natur und Gestaltung verdankt“. 102 In einer langen Tradition stehend, geht auch Holbach davon aus, es sei die Seele, die den Körper belebt – jedoch nicht im Sinne einer
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immateriellen Substanz, die sich während der Lebensspanne des Organismus mit dem Körper verbindet, um sich im Tod wieder von ihm zu lösen. Nein, sagt Holbach, so verhält es sich ganz und gar nicht. Sondern er sieht sie so in den materiellen Kosmos eingegliedert, dass ihr Wirken und ihre Bewegungen denselben Gesetzen unterliegen wie die übrigen Dinge der Natur. Folglich kann sie gar nicht vom Körper unterschieden werden. So sehr ist sie der Körper selbst, dass sie mit ihm „entsteht, wächst und sich in demselben Maße modifiziert wie er“. Die logische Konsequenz hieraus ist für Holbach dann nicht mehr abzuweisen: Geht der Körper zugrunde, geht mit ihm auch die Seele zugrunde: „Sie erschlafft zugleich mit dem Körper, wird zugleich mit ihm träge und untätig, sie erfüllt gleich ihm ihre Funktionen immer mühsamer; die Substanz, die man von ihm hatte unterscheiden wollen, erfährt dieselben Umwälzungen wie er selbst“. 103 Von hierher ist es nur folgerichtig, wenn er die Idee von der Unsterblichkeit der Seele als nichts anderes als eine „Illusion“ abtut. 104 Dass die Maschine Mensch eine ‚Seele‘ hat, bedeutet für Holbach ganz entscheidend, dass sie Empfindungen hat. Denken, genießen, leiden zum Beispiel sind für ihn Weisen des Empfindens. Und das Leben, so stellt er fest, sei nichts anderes als „die Anhäufung dieser Modifikationen oder Bewegungen, die dem organisch aufgebauten Wesen eigentümlich sind“. Wenn nun der Körper aufhöre zu leben, dann könne das Empfindungsvermögen nicht mehr in Tätigkeit sein, und so gehe die Seele als das „Prinzip unseres Empfindungsvermögens“ mit unserem Körper zugrunde. 105 Nun verkennt Holbach keineswegs, dass sich Menschen hinsichtlich ihres Empfindungsvermögens unterscheiden. Die Unterschiede der Seelen, so betont er, seien „in den Einzelheiten unendlich“. 106 Und aus dieser Unterschiedlichkeit entstehe „das bunte Schauspiel der moralischen Welt“. 107 Die Frage ist nur: Woher rührt solche Unterschiedlichkeit? Für einen Materialisten, der seinen La Mettrie bestens kennt, ist es indessen ein Leichtes, sie zu beantworten: natürlich von materiellen Ursachen, wie etwa den Nahrungsmitteln, die ein Mensch zu sich nimmt, ferner von den verschiedenen Graden des Luftdrucks, den unterschiedlichen Jahreszeiten und dergleichen physischen Faktoren mehr. 108 Diese Unterschiede hinsichtlich des Empfindungsvermögens und mithin der Seele bedingen ihrerseits die geistigen und intellektuellen Fähig-
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keiten und Aktivitäten eines Menschen. Ebenso wie nahezu zeitgleich auch Helvétius, und im Gegensatz zu manchen Zeitgenossen, differenziert Holbach durchaus zwischen ‚Seele‘ und ‚Geist‘. Und zwar begreift er die Seele als die basale Kraft im psychischen Apparat des Menschen, die im Zuge der Entwicklung des Körpers fähig wird, Leistungen zu vollbringen, die wir als Geist, Intelligenz und Urteilskraft zu bezeichnen pflegen. Geistige Leistungen wären demnach als höherstufige Funktionen der basalen Seelenbewegungen zu begreifen. Allerdings sind auch sie – und damit rückt der zweite Themenkomplex ins Zentrum der Betrachtung – unabdingbar rückgekoppelt an materielle Prozesse in der Maschine Mensch. Für Holbach besteht nicht der geringste Zweifel, dass psychische und geistige Leistungen Leistungen des Gehirns sind. Immer wieder hebt er hervor, psychisch-mentale Leistungen seien an das Gehirn als „das gemeinsame Zentrum“ all solcher Akte gebunden. 109 Ja so eng sieht er psychisch-mentale Akte mit dem Gehirn verklammert, dass er schreiben kann, eine empfindungsfähige Seele sei „nur das Gehirn eines Menschen, das die Bewegungen, die ihm mitgeteilt werden, leicht aufzunehmen vermag“. 110 Damit ist er bereits im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts unterwegs zur Formulierung einer Identitätstheorie des Geistes, wie sie bevorzugt seit der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts vertreten worden ist und deren Kernthese besagt, bei den Zuständen, denen wir geistig-psychische Prädikate beilegen, handele es sich um eine spezielle Art von materiellen Zuständen, des Näheren um neuronale Zustände, von Zuständen des Gehirns also. Die alltägliche Erfahrung, so erklärt Holbach, stelle die Identität von Geist/Seele und Gehirn allenthalben unter Beweis. So sei es ein bekanntes Phänomen, dass das Gehirn des Menschen – und mithin seine Seele und sein Geist – notwendigerweise in „Verwirrung“ geraten, sobald sein Körper auf eine außergewöhnliche Weise bewegt wird, wie es beispielsweise der Fall ist, wenn jemand zu reichlich Wein genossen hat. Das störe unsere Ideen und bringe Unordnung sowohl in unsere körperlichen als auch intellektuellen Funktionen. 111 Damit wäre das Verhältnis von Geist und Seele und deren beider Verankerung im Gehirn, ja streng genommen deren Identität mit bestimmten Zuständen des Gehirns, wie Holbach sich das vorstellt, im Wesentlichen geklärt.
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Werfen wir nun noch einen Blick auf den dritten Themenkomplex, die Funktionen, die seiner Ansicht nach Seele und Geist zu erfüllen haben, um die Maschine Mensch am Laufen zu halten. Wir vernahmen bereits, die Seele sei das Prinzip der Empfindungen. Daher wird es nicht verwundern, wenn Holbach der Seele das „Gefühl“ beiordnet. Zu fühlen, das hält er für „die grundlegende Fähigkeit des lebenden Menschen“, von der sich alle anderen Fähigkeiten herleiten lassen. Aber auch das Fühlen ist ein durch und durch materieller Vorgang; es sei, erläutert er, nichts anderes „als die besondere, bestimmten Organen belebter Körper eigentümliche Art und Weise, affiziert zu werden, und zwar durch die Gegenwart eines materiellen Objekts, das auf die Organe wirkt, deren Bewegungen oder Erschütterungen dem Gehirn mitgeteilt werden“. 112 Bei Gefühlen und Empfindungen hätten wir es demzufolge mit Wirkungen physischer Modifikationen zu tun, also mit Affektionen, die im Gehirn eine bestimmte materielle Reaktion erzeugen, die man als Gefühl oder Empfindung erlebt. Mit einer solchen Sicht der Dinge sind insbesondere zwei wichtige Sachverhalte eng verwoben. Der erste Sachverhalt ist der folgende. Die von Holbach vorgelegte Erläuterung beinhaltet, dass der Geist des Menschen, wie er formuliert, an die „sichtbare Welt“ gebunden ist. 113 Das seinerseits zielt auf zweierlei: Zum einen erfolgt alle Affektion unseres Gehirns durch die Sinne. Sie sind, wie Holbach sagt, „die sichtbaren Organe unseres Körpers, mit deren Hilfe das Gehirn modifiziert wird“. 114 Alles Denken, alles Urteilen, alles Wünschen, kurz: alle mentalen und psychischen Akte sind demnach unabdingbar auf die Sinne angewiesen. Oder anders herum und kürzer formuliert: Ohne unsere Sinne hätten wir keinerlei mentale und psychische Aktivitäten. Auch wenn er auf diese Weise die Sinne enorm aufwertet, so verkennt Holbach doch keineswegs, dass auch unsere Sinne fehlerhaft sind und uns, was Descartes ja scharf akzentuiert hatte, gelegentlich in die Irre führen. Aber das, meint er, stelle kein grundsätzliches Hindernis bei der Suche nach Wahrheit dar. Solche Fehler, so ist er überzeugt, ließen sich weitgehend durch wiederholte Erfahrungen ausmerzen. 115 Hiermit ist, zum anderen, zu bedenken gegeben, dass wir die Dinge nur aufgrund von Erfahrung zu erkennen vermögen, die durch die Tätigkeit der Sinne vermittelt ist. Damit ist sogleich zu verstehen gegeben, dass alle unsere Ideen erworben sind – letzten Endes mit-
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tels der Sinne – und sich die Rede von angeborenen Ideen, wie Holbach betont, als eine unhaltbare und indiskutable Annahme erweist. 116 Zudem will er hiermit darauf hinaus, dass wir gut beraten sind, wenn wir unsere Erkenntnisansprüche auf jene Gebiete beschränken, von denen sich sinnlich vermittelte Erfahrungen gewinnen lassen. Sobald wir den Boden der Erfahrung verlassen, so warnt er seine Leser, „geraten wir in ein Vakuum, in dem unsere Einbildungskraft uns irreführt“. 117 Solche Irreführungen sind seiner Meinung nach die Basis solch bloßer „Wortwissenschaften“ wie etwa Theologie und Metaphysik. 118 Von hier aus lässt sich nun der vorhin angesprochene zweite Sachverhalt in Augenschein nehmen. Holbachs Ausführungen ließ sich entnehmen, dass er geistige Leistungen als höherstufige psychische Aktivitäten begreift. Diese geistigen Leistungen lassen sich ihrerseits nun noch weiter ausdifferenzieren. Dabei ist zunächst festzuhalten: Bei aller Kritik, die er an Descartes’ Substanzdualismus formuliert, greift er doch zugleich dessen Ansicht auf, Geist sei ganz wesentlich Bewusstsein. Aber während Descartes argumentierte, das Denken erschließe sich reflexiv ein unumstößlich gewisses Fundament – nämlich die Ich-Gewissheit –, so dass er sagen konnte, ich würde mir meiner selbst im Zweifel bewusst und gewiss, und auf diesem Wege zu seinem Konzept einer immateriellen res cogitans gelangte, argumentiert Holbach mit Blick auf Bewusstsein und Ich-Gewissheit rein materialistisch. Im Allgemeinen, so erklärt er, gebe es nur dann ein Gefühl, wenn das Gehirn die auf die Organe ausgeübten Eindrücke unterscheiden könne. Und „die deutlich wahrgenommene Erschütterung oder die fühlbare Modifikation, die es erfährt“, sei das, was man als „Bewußtsein“ bezeichne. 119 Das heißt, Bewusstsein ist für Holbach ein bestimmter materieller Zustand des Gehirns. Ähnliches gilt für ihn auch im Blick auf das Ich-Bewusstsein, nur dass hier noch die Erinnerung als weiterer Faktor mit hineinspielt. Ich-Bewusstsein, so legt er dar, komme dann zustande, wenn das Gehirn sich des Eindrucks in dem Augenblick, in dem es ihn erhält, bewusst ist und durch die Erinnerung der nach und nach erhaltenen Eindrücke das Bewusstsein eines sich durchhaltenden Ichs hat. 120 Das mag dem ersten Eindruck nach eine bestechende Erklärung sein. Doch was ist mit ihr tatsächlich erklärt? Nun, im Grunde genommen ist damit nur eine Identität von mentalen und materiellen Zuständen be-
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hauptet. Aber darüber, was denn nun Bewusstsein, gar Ich-Bewusstsein ist, wie es von der betreffenden Person erlebt wird, welche Erlebnisqualität es für sie hat, erfährt man wenig bis gar nichts. Aber immerhin: Hier ist eine Theorie des Geistes vorformuliert, die erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zur vorherrschenden Forschungshypothese werden wird. Kehren wir zu Holbachs Erklärungsansatz zurück. Bewusstsein und Ich-Bewusstsein sind also für ihn bestimmte Modifikationen des Gehirns. Gleiches lässt sich seiner Ansicht nach im Hinblick auf weitere Aktivitäten sagen, die man gemeinhin als ‚geistige‘ zu bezeichnen pflegt. Generell könne man sagen, so gibt er zu verstehen, Denken sei eigentlich nur „die Wahrnehmung von Modifikationen […], die unser Gehirn von äußeren Gegenständen empfangen hat oder die es sich selbst gibt“. Wenn das Gehirn sich selbst Gegenstände gibt, dann modifiziert es sich gewissermaßen selbst, dann geht es, wirkt es auf sich selbst zurück. Die Ausübung dieser Fähigkeit ist das, erklärt Holbach, was man für gewöhnlich Nachdenken nennt. 121 Gedächtnis – das klang soeben bei Holbachs Erklärung des IchBewusstseins bereits an – ist die Erinnerung an Modifikationen des Gehirns, die es einmal empfangen hat. Die Einbildungskraft verbindet die aufgrund von Gehirnmodifikationen entstandenen Ideen, und die Urteilskraft vergleicht sie miteinander und entdeckt Beziehungen und Wirkungen zwischen ihnen. Und der Wille schließlich ist eine Modifikation des Gehirns, die es geneigt macht, zu wirken, womit konkret gemeint ist, die Organe des Körpers so zu modifizieren, damit er sich dasjenige verschafft, „was ihn auf eine seiner Seinsweise gemäße Art modifiziert, oder damit er sich das fernhält, was ihm schadet“. 122 Zusammenfassend lässt sich von hierher festhalten: Geistig-intellektuelle Leistungen lassen sich für Holbach ebenso wie psychische auf „Modifikationen, Eigenschaften, Seinsweisen und Veränderungen, die durch die Bewegung im Gehirn hervorgerufen werden“, zurückführen. 123 Sie alle dienen letzten Endes dem Zweck, die Maschine Mensch am Leben zu erhalten – jedoch nicht nur im Sinne eines puren Überlebens, sondern so am Leben zu erhalten, dass „das einzige Ziel aller unserer körperlichen und geistigen Handlungen“ erreicht werden kann: „die Glückseligkeit“. Setzt der Mensch, so viel in seiner Macht steht, daran, Seele und Geist zwecks Erreichen dieses Ziels zu gebrauchen, dann beweist er sich damit
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für Holbach als ein vernünftiges Wesen. 124 Vernunft, verstanden als die Fähigkeit, sich all das zu verschaffen, was der Glückseligkeit dienlich ist, und sich all das vom Leib zu halten, was ihr abträglich sein könnte, wäre dann die höchste Funktion des menschlichen Geistes. Damit stünde sie höher als alle Welt- und Selbsterkenntnis. Nicht ein theoretischer, sondern ein praktischer wäre demzufolge der letzte und höchste Zweck des menschlichen Geistes – will sagen: der Modifikationen und Bewegungen des Gehirns. Dergestalt läuft Holbachs Theorie des Geistes am Ende auf eine Art Regelkreis, eine Art Rückkopplungsschleife hinaus: Im Laufe seiner Entwicklung bildet der materielle Körper Seelen- und Geistesfunktionen aus, deren primäre Aufgabe es ist, diesen Körper nicht nur am Leben zu erhalten, sondern ihn so zu organisieren, dass er seine Existenz als glücklich empfindet. Da dieser Prozess von der der Materie innewohnenden Bewegung initiiert und gesteuert wird, die ihrerseits durch nichts anderes in Bewegung gesetzt worden ist, begegnet uns hier bei Holbach die Vorstellung von Natur, Mensch, Seele, Geist und Gehirn als autopoietischen, also sich selbst erzeugenden, regulierenden und erhaltenden Prozessen.
Geist und Denken als umgeformte oder geläuterte Materie: Fortführung des naturalistischen Programms durch Donatien Alphonse François de Sade In dieser Denktradition, die sich konsequent und kompromisslos dem Projekt einer Naturalisierung des Geistes und der Seele verschrieben hat, steht auch der Marquis de Sade (1740–1814), ein jüngerer Zeitgenosse der radikalen französischen Aufklärer. Immer wieder bekennt er sich in seinem umfangreichen Werk zu der Auffassung, die Natur sei die einzige Bezugsgröße allen menschlichen Handelns und Verhaltens und bei all unserem Tun würden wir nur der Natur folgen. Diese Natur selbst, so schärft er ein, ist nichts anderes als eine Ansammlung von Materieteilchen. Ganz folgerichtig begreift er alle Veränderungen, alle Prozesse des Werdens und Vergehens, die sich in der Natur allenthalben beobachten lassen, als Umgruppierungen und Neuanordnungen materieller Teilchen.
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In seinem 1797 erschienenen Roman Die Geschichte der Juliette, der durchsetzt ist mit philosophischen und psychologischen Reflexionen, ferner mit solchen, die ethische und politische Fragestellungen aufwerfen und diskutieren, schreibt er in dem Kapitel, in dem er die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele als unhaltbar zu erweisen versucht, alle Lebewesen würden „in den Schmelztiegel der Natur zurückfallen, um bald darauf in anderer Gestalt wieder daraus hervorzukommen“. Wahrhaften Bestand haben für de Sade einzig die Materieteilchen, aus denen alles Natürliche zusammengesetzt ist. Und diese „Grundstoffe“ vereinigen sich zu immer anderen Verbindungen. Natur: Das ist für de Sade infolgedessen ein Prozess ständigen Werdens und Vergehens, ein Prozess ständig neuer Zusammensetzungen, Verbindungen und Umgruppierungen materieller Teilchen. Das einzig Beständige hieran ist, wie er schreibt, „diese glorreiche, immerwährende Wandlung“. 125 „Was warst du denn“, lässt er eine seiner Figuren fragen, „bevor du geboren wurdest?“ Und er lässt sie die Antwort gleich mitliefern: „Irgendwelche Teile von untergeordneter Materie, die noch keine Gestalt angenommen hatten oder nur eine Gestalt, an die du dich nicht erinnern kannst. Nun, du wirst wieder zu den gleichen Materieteilchen werden und diese werden bereit sein, sich zu neuen Wesen zu ordnen, sobald die Gesetze der Natur es für angebracht halten“. 126 Vor diesem Hintergrund dürfte es sich wohl von selbst verstehen, dass de Sade die behauptete Immaterialität und Unsterblichkeit der Seele leugnet. Zwar verkennt er keineswegs, dass die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele für „unglückliche Menschen“ ein „tröstlicher Gedanke“ ist. Dennoch betont er zugleich, bei dieser Lehre handele es sich im Letzten nur um „eine süße und angenehme Illusion“. 127 Denn wenn schlechterdings alles auf Bewegung von Materieteilchen zurückführbar sein soll, dann kann es neben oder über dem Materiellen nichts Immaterielles, nichts rein Geistiges geben. Die Seele, so legt er dar, „ist nichts anderes als die bis zu einem gewissen Grade geläuterte Materie, die auf diese Weise jene uns erstaunlich erscheinenden Fähigkeiten erhalten hat“, 128 wobei de Sade hierbei insbesondere Bewusstsein, Empfindungsfähigkeit und Denken im Blick hat. Mit dem Tod des Individuums, den de Sade als Zerfall einer für eine gewisse Zeitspanne zusammengefügten Form der Anordnung von Materieteilchen begreift, zerfällt auch die Seele, das heißt löst sie sich auf in die einzelnen Bestandteile, aus denen sie aufgebaut war.
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Auf diese Weise durchläuft die Seele seiner Überzeugung nach die gleichen Entwicklungsstufen wie der Körper. Ganz deutlich, so meint er, wird das an folgendem Sachverhalt: In früher Kindheit ist die Seele schwach, und im Greisenalter wird sie wiederum schlaff. Sie unterliegt also den gleichen Einflüssen wie der Körper. Und wie der verfällt, so zerfällt am Ende des Lebens auch die Seele. 129 Genau dieses Argument, wir erinnern uns, bemühte fast zweitausend Jahre vor de Sade bereits Lukrez, um ein Argument für die Materialität der Seele in die Hand zu bekommen. Dieses materialistische Grundkonzept wendet de Sade nun auch auf das Denken und den Geist an. Denken hat für ihn nichts mit der Tätigkeit eines als immateriell angenommenen ‚Geistes‘ oder einer ‚denkenden Substanz‘ zu tun. Denken ist für ihn vielmehr ein rein materieller Prozess, der auf Bewegungen von Materieteilchen zurückgeführt werden kann. Also sind für de Sade auch Denkakte Bewegungen der Materie, sind Umformungen, Umgruppierungen von Materieteilchen, die mittels Naturgesetzen erfasst und erklärt werden können. Folglich kann er mit größter Selbstverständlichkeit erklären, „daß an dem Phänomen des Denkens nichts Erstaunliches ist“. Und er setzt hinzu: „jedenfalls gibt es nichts, was beweisen könnte, daß dieses Denken von der Materie zu trennen wäre, und nichts weist darauf hin, daß die Materie, in einer bestimmten Weise umgeformt oder geläutert, nicht das Denken erzeugen kann“. 130 Mit der Bekundung solcher Überzeugungen schreibt der Marquis de Sade gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts die Geschichte der Naturalisierung des Geistes konsequent fort und gehört damit zu den Autoren, die sie an jene weiterreichen, die sie in der Folgezeit fortschreiben werden.
Von der Vernunftkritik zur Geistspekulation: Kant und der Deutsche Idealismus Geist, Gemüt und dunkle Vorstellungen: Immanuel Kant Eine der großen Leistungen von Kants (1724–1804) sogenannter ‚erster Kritik‘, der 1781 veröffentlichten Kritik der reinen Vernunft, ist zweifellos darin zu erblicken, dass er hier den alten Streit zwischen Rationalisten und Empiristen hinsichtlich des Ursprungs, der Gewissheit und des Umfangs menschlicher Erkenntnis zu schlichten unternimmt. Der Rationalismus, wie er etwa von Descartes, Spinoza und Leibniz vertreten wurde, ging, kurz gesagt, davon aus, es gebe Begriffe und Prinzipien, die dem menschlichen Geist eingeboren seien: die von Descartes so bezeichneten „ideae innatae“, die eingeborenen Ideen. Diese sind uns nach Ansicht der Rationalisten immer schon mit unserem Geist gegeben und können deshalb ohne Hilfe der sinnlichen Erfahrung entwickelt werden. Zu ihnen rechneten sie beispielsweise grundlegende Prinzipien und Axiome der Logik und der Mathematik, bestimmte Kategorien, wie etwa die der ‚Einheit‘ oder der ‚Substanz‘, ferner die Idee Gottes, aber auch ethische Prinzipien, wie etwa den Pflichtbegriff, oder praktische Prinzipien, zum Beispiel diejenigen, Lust zu suchen und Unlust zu vermeiden. Von der Annahme solcher eingeborener Ideen ausgehend erklärten die Rationalisten die Möglichkeit von (wahrer) Erkenntnis durch die Behauptung, unserer Vernunft beziehungsweise unserem Geist und der erfahrbaren Wirklichkeit lägen gleiche, einander zugeordnete Strukturen zugrunde. Demnach besteht nach Überzeugung der Rationalisten eine Gleichförmigkeit, eine Strukturgleichheit zwischen unseren Erkenntniskategorien, also den eingeborenen Ideen, und realer Welt. Ebendiese Strukturgleichheit sowie die ihr zugrunde liegende An-
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nahme eingeborener Ideen, die vor aller Erfahrung – ‚a priori‘, wie Kant später sagen wird – in unserem Geist bereitliegen sollen, wird von den Empiristen, zu denen neben John Locke (1632–1704) insbesondere David Hume (1711–1776) zu zählen ist, scharf kritisiert und zurückgewiesen. Nach Überzeugung der Empiristen sind unsere Sinne die Quelle all unserer Erkenntnisse, durch die das Material in den bei der Geburt nach Meinung Lockes leeren Geist hineingelangt, der es dann bearbeitet und umformt. Solche Bearbeitung geschieht beispielsweise durch Unterscheiden und Vergleichen, durch Benennen, Erinnern und Abstrahieren. Locke fasste diese Sicht der Dinge mit der Formulierung zusammen, nichts sei im Verstand, was nicht zuvor in den Sinnen war. Der Empirismus begreift Erkenntnis mithin als überwiegend passives Abbilden von Welt: Wir brauchen nur unsere Sinne offen zu halten, und schon spaziert, etwas salopp gesagt, die Welt in unseren Kopf hinein. Kant, der nun den Schauplatz des Denkens betritt und die Regie übernimmt, verabschiedet die Vorstellung, Erkenntnis sei als weitgehend passiv ablaufender Abbildungsvorgang zu begreifen. Nicht die Welt da draußen, schärft Kant uns in der Kritik der reinen Vernunft ein, gibt unseren Wissensinhalten die Struktur vor, indem sie unserem Geist die Vorlage zu seinen Vorstellungen und Ideen liefert. Nein Kant zufolge verhält es sich genau umgekehrt: Wir als autonomes Erkenntnissubjekt sind es, unser Geist ist es, das beziehungsweise der gewissen unstrukturierten Vorgaben, den Dingen außer uns, die im Erkenntnissubjekt – im Geist – selbst liegenden Formen aufprägt und aus dieser Synthese aus im Subjekt liegenden Erkenntnisstrukturen und Dingen mit Hilfe der produktiven Einbildungskraft, die diese Synthese herstellt, die Welt der Erscheinungen entstehen lässt. Mit anderen Worten: Wir als Erkenntnissubjekte strukturieren die Welt gemäß den in uns liegenden Anschauungsformen und Denkkategorien. Damit gibt er zu bedenken, die Quellen all unserer Erkenntnis seien einerseits die Sinnlichkeit – die sinnliche Wahrnehmung – und andererseits der Verstand. Unsere Sinnlichkeit, so erläutert Kant dies näher, ist rezeptiv, also aufnehmend, ist die Fähigkeit unseres Bewusstseins, Vorstellungen zu empfangen. Allerdings geschieht das nicht rein passiv, vielmehr strukturiert bereits die sinnliche Wahrnehmung das Anschauungsmaterial insofern, als in ihr die beiden Anschauungsformen Raum und Zeit liegen.
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Damit betont er, unsere Sinne vermitteln uns die Dinge dreidimensional, also räumlich geordnet, und in einer zeitlichen Abfolge. Unser Verstand nun ist, wie Kant sagt, spontan, selbsttätig, verfügt er doch über die Fähigkeit, Vorstellungen selbst hervorzubringen. In ihm liegen nämlich Begriffe, durch die ein Gegenstand gedacht wird. Bei diesen Begriffen, über die wir nach Kant immer schon a priori, also vor aller Erfahrung verfügen, weil sie so etwas wie Erfahrung allererst ermöglichen, handelt es sich um Denkformen, unter denen das sinnliche Material gedacht wird. Diese Denkformen nennt Kant auch „Verstandesbegriffe“ oder „Kategorien“. Man kann sie sich als eine Art Schubladensystem vorstellen, in die der Verstand das durch die Sinne aufgenommene Material einordnet. Zum Beispiel ordnet er das sinnliche Material gemäß quantitativen Kategorien: Er denkt die Dinge als Einheit, als Vielheit und als „Allheit“. Letzteres will sagen, er betrachtet die Vielheit als Einheit: so, wie wir etwa die Vielheit der Dinge in dem einen Universum begreifen. Oder um eine andere Gruppe von solchen Kategorien heranzuziehen, er denkt die Dinge relational aufeinander bezogen, zum Beispiel als Substanz und Akzidens, das heißt als das Wesen eines Dings in Relation zu seinen wechselnden Eigenschaften, oder als Kausalität, also als Ursache-WirkungsRelation, oder als Wechselwirkung. Auf diese Weise zieht Kant unserer Erkenntnis eine klare Grenze: Sie kommt nur dann und nur dort zu Ergebnissen, wenn und wo sie im Rahmen möglicher Erfahrung verbleibt und dort ihr Wissen mittels der im Verstand bereitliegenden Erkenntnisstrukturen organisiert. Bei diesen handelt es sich, um es noch einmal zu betonen, um Sinnlichkeit und Verstand. Sie sind für ihn demnach die zwei „Grundquellen“ unseres Geistes, aus denen all unsere Erkenntnis, all unser Wissen entspringt. Nun spricht Kant im Blick auf Sinnlichkeit und Verstand jedoch nicht von den zwei Grundquellen des Geistes, sondern von den zwei „Grundquellen des Gemüts“. 1 Über das, was er hier mit „Gemüt“ meint, hat er sich in einem Brief vom 10. August 1795 an den Arzt und Naturforscher Samuel Thomas Sömmering wie folgt näher erklärt. „Unter Gemüt“, so schreibt er da, „versteht man nur das die gegebenen Vorstellungen zusammensetzende und die Einheit der empirischen Apperzeption bewirkende Vermögen (animus), noch nicht die Substanz (anima) nach ihrer von der Materie ganz unterschiedenen Natur, von der man alsdann abstrahiert“. 2
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Freilich bedarf diese Erläuterung von „Gemüt“ ihrerseits der Erläuterung. Zunächst einmal stellt Kant klar, das „Gemüt“ sei nicht im Sinne einer – geistigen, mentalen – Substanz zu begreifen, die sich von der Materie ihrem Wesen – ihrer „Natur“ – nach unterschiede, also nicht im Sinne einer cartesianischen res cogitans im Gegensatz zur res extensa. Sodann sagt er, das Gemüt sei das „Vermögen“, das die gegebenen Vorstellungen zusammensetze und die „Einheit der empirischen Apperzeption“ bewirke. „Apperzeption“ leitet sich, wie wir bereits anlässlich der Erörterung der Leibniz’schen Monadenlehre festhalten konnten, von „adpercipere“ ab, das so viel wie ‚hinzuwahrnehmen‘ bedeutet. Und mit ‚empirischer‘ Apperzeption meint Kant das Vermögen des Verstandes, klare Vorstellungen aus der sinnlichen Wahrnehmung zu bilden und die mannigfaltigen Anschauungen durch die Tätigkeit des inneren Sinnes zu einer einheitlichen Vorstellung zusammenzufassen. 3 Das apperzeptive Moment unseres Gemüts besteht mithin darin, dass das Gemüt die vielen sinnlichen Wahrnehmungen mittels des Verstandes zu einer einheitlichen Vorstellung formt und auf diese Weise etwas zu den einzelnen Wahrnehmungen ‚hinzuwahrnimmt‘. Aber warum spricht Kant hier von „Gemüt“ und nicht von „Geist“, wie man ja erwarten könnte? Nun, der Grund ist rasch benannt, erklärt Kant doch in seiner Anthropologie-Vorlesung, „Geist“ sei „das belebende Prinzip im Menschen“, und versteht er darunter das deutsche Äquivalent zum französischen Esprit. In der französischen Sprache, so Kant, führen „Geist“ und „Witz“ „einerlei Namen“: nämlich „Esprit“. Im Deutschen hingegen sei es anders, sage man doch: „eine Rede, eine Schrift, eine Dame in Gesellschaft, u. s. w. ist schön; aber ohne Geist. Der Vorrat an Witz macht es hier nicht aus; denn man kann sich auch diesen verekeln, weil seine Wirkung nichts Bleibendes hinterläßt“. Kant schlägt nun vor, mit der deutschen Wendung „eigentümlicher Geist“ das französische Wort „Genie“ wiederzugeben. 4 Und wenn er dann in dieser Vorlesung zudem darlegt, „Genie“ sei „das Talent der Erfindung dessen, was nicht gelehrt oder gelernt werden kann“, 5 dann dürfte klar sein, dass er den Begriff „Geist“ für eine spezifische mentale Fähigkeit – das ‚geniale Erfinden‘ von etwas – reserviert und der Begriff folglich nicht im Kontext einer Analyse der grundlegenden Erkenntnisoperationen auftaucht. Gerade im Blick auf solches ‚Erfinden‘ und spätere Erforschung men-
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taler Aktivitäten sowie der Motive menschlichen Verhaltens ist ein anderer Gedanke Kants aus der Anthropologie-Vorlesung äußerst bemerkenswert. In § 5 nämlich kommt er auf das Problem zu sprechen, dass wir Menschen offenbar Vorstellungen haben, derer wir uns nicht bewusst sind. John Locke wollte hierin einen Widerspruch erblicken, erklärte er doch, wie Kant hier ausführt, wie können wir wissen, dass wir sie haben, wenn wir uns ihrer nicht bewusst sind? Infolgedessen verwarf er den Gedanken solcher Vorstellungen. 6 Kant hingegen beurteilt die Sachlage völlig anders, argumentiert er doch, wir könnten uns mittelbar bewusst sein, eine Vorstellung zu haben, obgleich wir uns ihrer unmittelbar nicht bewusst seien. Dergleichen Vorstellungen, so Kant weiter, heißen „dunkele“, alle anderen „klar“. Und nun wagt er die weitergehende und für die Bewusstseinsund Verhaltensforschung folgenreiche Behauptung, das „Feld“ solch dunkler Vorstellungen im Menschen und, wie Kant hinzufügt, auch in Tieren, sei „unermeßlich“, wohingegen die klaren „nur unendlich wenige Punkte […], die dem Bewußtsein offenliegen“, darstellen, so „daß gleichsam auf der großen Karte unseres Gemüts nur wenig Stellen illuminiert sind“. 7 Kant illustriert diesen Sachverhalt anhand des Beispiels eines Organisten, der sowohl bei sich als auch im Zuhörer „eine Menge“ Empfindungen und Vorstellungen hervorruft, derer wir uns in dem Moment nicht bewusst sind. Überdies lenkt Kant in diesem Zusammenhang das Augenmerk auf den Sachverhalt, dass, wenn „der frei phantasierende Musiker“ bei seinem Orgelspiel selbst von Vorstellungen und Empfindungen geleitet wird, die ihm in diesem Augenblick nicht bewusst sind, das die Konsequenz mit sich bringt, dass ein solch improvisierender Musiker „oft wünschen möchte, manches von ihm glücklich ausgeführte Stück, dergleichen er vielleicht sonst mit allem Fleiß nicht so gut zu Stande zu bringen hofft, in Noten aufbehalten zu haben“. 8 Dieser Verlust, so scheint es, ist der Preis, den er für die unbewusste Steuerung seiner Improvisation zu zahlen hat. Man mag das beklagen; Kant jedoch betont, ebendieser Sachverhalt, dass auf der großen Karte unseres Gemüts nur einige wenige Stellen erleuchtet seien, könne uns „Bewunderung über unser eigenes Wesen einflößen“, 9 so dass für ihn der Umstand, dass „das Feld dunkler Vorstellungen das größte im Menschen“ ist, 10 ganz offensichtlich nichts Furchteinflößendes darstellt.
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Deutscher Idealismus Die auf Kant folgende philosophiegeschichtliche Epoche wird für gewöhnlich als die des „Deutschen Idealismus“ bezeichnet. Kennzeichnend für sie ist, dass das Wahre nicht im Materiellen erblickt wird, sondern in etwas Ideellem, Geistigem, das begrifflich als „die Vernunft“, „der Geist“ oder „das Absolute“ gefasst wird. Seine Hauptrepräsentanten sind Johann Gottlieb Fichte (1762–1814), Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775– 1854) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831). Diesen Denkern des Deutschen Idealismus ist gemeinsam, dass sie die Grenzen, die Kant mit seinen drei Kritiken der Vernunft gezogen hatte, überschritten, indem sie sich denkend zum Absoluten zu erheben versuchten.
Geist ist Tätigkeit: Johann Gottlieb Fichte Fichtes 1794 publizierte Schrift Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre unternimmt es, das Wissen aus schlechterdings nur einem Prinzip abzuleiten. Dieses eine Prinzip meint Fichte im „Ich“ zu erkennen. Dieses Ich, so Fichte, setzt sich in einem Akt, den er als „Tathandlung“ bezeichnet, selbst. 11 Der Begriff der „Tathandlung“ akzentuiert sowohl die Aktivität des Ich – die Handlung – als auch das Ergebnis – die Tat des Sich-Setzens. Den Ausgangspunkt seiner Überlegungen nimmt Fichte vom Satz der Identität: A = A. Diesen Satz, schreibt er, gebe jeder zu und man anerkenne ihn für völlig gewiss und ausgemacht. 12 Damit will er zu bedenken geben, der erste Erkenntnisakt sei die Erkenntnis der Identität des Gegenstands, und die logische Formel dieses Aktes ist A = A. 13 Für Fichte ist dies der einfachste und grundlegendste aller Bewusstseinsakte. Für möglich hält er ihn nur deswegen, weil das „Ich“ als Grund der Bewusstseinstätigkeit existiert. Daher ist es für Fichte nur folgerichtig, zu behaupten, die Analyse des Bewusstseins müsse mit der Setzung des tätigen Ich als eines sich erkennenden Ich begonnen werden. So kann er denn festhalten: „Also das Setzen des Ich durch sich selbst ist die reine Tätigkeit desselben. – Das Ich setzt sich selbst, und es ist, vermöge dieses bloßen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt: Das Ich ist und es setzt sein Sein, vermöge seines bloßen Seins. – Es ist zugleich das Handelnde, und das Produkt
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der Handlung; das Tätige, und das, was durch die Tätigkeit hervorgebracht wird; Handlung, und Tat sind Eines und ebendasselbe; und daher ist das Ich bin Ausdruck einer Tathandlung; aber auch der einzig möglichen“. 14 Fichtes hierauf aufbauende Überlegungen zur weiteren Ausgestaltung seiner Wissenschaftslehre können wir für unseren Zusammenhang auf sich beruhen lassen. Hier kommt es darauf an, ein Schlaglicht auf das Konzept des Geistes zu werfen, das für Fichte leitend ist. Und dabei ist zu sehen: Durch den Satz A = A wird geurteilt. Alles Urteilen nun ist „laut des empirischen Bewußtseins“, wie Fichte sagt, „ein Handeln des Geistes“. Der menschliche Geist ist demnach seinem Wesen nach für Fichte Handlung, ist Aktivität, ist Tätigkeit. „Der ‚reine Charakter‘ des menschlichen Geistes“, hält er denn auch fest, ist „Tätigkeit an sich“, 15 ist, wie er auch schreibt, „Spontaneität“. 16 Mittels dieser Spontaneität entwirft das Ich aufgrund der Tathandlung des Sich-Setzens den weiteren Aufbau des Wissens, den Fichte mittels seiner Wissenschaftslehre zu beschreiben unternimmt. Daher kann er festhalten: „Die Wissenschaftslehre soll sein eine pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes“. 17 Heute erblickt man für gewöhnlich die Grenze der Fichte’schen Wissenschaftslehre in ihrer einseitigen Ausrichtung und Konzentration auf die subjektive Seite der Wirklichkeit, auf die Aktivität des menschlichen Geistes. 18 Bereits Kant hatte dies als Manko der Philosophie Fichtes gerügt, als er kritisch hervorhob, Fichte gelinge es nicht, das Sein aus der Tätigkeit des Subjekts, des Ich, abzuleiten, sei es doch unmöglich, aus dem Subjekt an sich „ein reales Objekt herauszuklauben“. 19 Aber auch wenn Fichte sich über die Geisteswelt des Menschen äußert, kommt er über die Behauptung, der Geist sei Tätigkeit, sei Handlung, sei Spontaneität, nicht hinaus, so dass man nähere Aufschlüsse vergeblich erwartet. Daran ändert auch der Sachverhalt nichts, dass Fichte nach 1800 in seiner Berliner Zeit seine Philosophie umbaute und grundlegend revidierte und seinen ursprünglich subjektiven Idealismus in einen objektiven transformierte, indem er zum Ausgangspunkt seiner Philosophie nun nicht mehr die subjektive Tätigkeit, sondern das „absolute Wissen“ und schließlich das „Absolute“ selbst nahm.
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Identität von Geist und Natur: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling Schellings schon früh erwachtes Interesse an Natur und Naturforschung führte seit der Mitte der 1790er Jahre zu einer Reihe von Schriften, in denen er grundlegenden Problemen der Naturforschung und Naturphilosophie nachging. Das für ihn fundamentalste Problem erblickte er in dem seiner Überzeugung nach unleugbaren Zusammenhang zwischen Geist und Natur, zwischen Geist und Materie, zwischen, wie er auch gerne sagt, Idealem und Realem. In seiner 1797 entstandenen Schrift Ideen zu einer Philosophie der Natur als Einleitung in das Studium dieser Wissenschaft bringt er dieses Problem folgendermaßen auf den Punkt: Es ist nicht abzuleugnen, so betont er in der „Einleitung“, dass es eine Welt außer mir gibt und ein Geist in mir ist – wie aber ist zwischen beiden ein Zusammenhang möglich? 20 Auf dieses Problem eines Zusammenhangs zwischen der Welt außer mir und dem Geist in mir wurde man Schelling zufolge durch das Problem des Ursprungs organisierter Körper geführt. In Organismen, so Schelling, sind „Nothwendigkeit und Zufälligkeit innigst vereinigt“. Mit ‚Notwendigkeit‘ meint er hier, schon das bloße Dasein von Organismen, und nicht nur ihre Form, sei zweckmäßig. Und ‚Zufälligkeit‘ akzentuiert, diese Zweckmäßigkeit sei „doch nur für ein anschauendes und reflektirendes Wesen“, mithin für ein Wesen, das über Geist verfügt, wirklich. Hierdurch nun wurde seiner Ansicht nach der menschliche Geist auf die Idee einer sich selbst organisierenden Materie geführt, denn Organisation, wie wir sie in Organismen erkennen, ist für Schelling „nur in Bezug auf einen Geist vorstellbar“ – und das heißt für ihn: „auf eine ursprüngliche Vereinigung des Geistes und der Materie in diesen Dingen“. Und der Mensch begann etwas über seine eigene Natur zu ahnen: dass in ihr nämlich Geist und Materie, Ideales und Reales, „ursprünglich eines und dasselbe ist“. 21 Diese Ahnung war es, die uns veranlasste, diesem vermuteten Zusammenhang nachzuspüren. Die Frage indessen ist: Wie kann ein solcher Zusammenhang begriffen werden? Eine mögliche Erklärungsstrategie – heute würden wir sagen: eine reduktionistische – schließt Schelling von vornherein aus. Eine solche Strategie argumentiert: Denken, Vorstellen, Wollen – also mentale Akte – sind Resultate meines Körpers; Geistiges, Mentales wäre mithin auf
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Materie zurückzuführen. Das eine „weiß ich gar wohl“, hält Schelling einem solchen reduktionistischen Erklärungsversuch entgegen, dass ich denke, vorstelle, will und dass dieses Denken, Vorstellen und Wollen kein „Resultat meines Körpers“ sein kann. Vielmehr, so gibt er sich überzeugt, wird der Körper selbst nur durch jenes Vermögen, zu denken, vorzustellen und zu wollen, mein Körper. 22 Ebenso wie einen so verstandenen Reduktionismus lehnt er einen Dualismus à la Descartes ab, der mit einer vom Körper – der res extensa – dem Wesen nach verschiedenen Seele – einer res cogitans – operiert. Denn für einen solchen Dualismus ist und bleibt der Zusammenhang zwischen Materie und Geist, der für Schelling nicht abgestritten werden kann, unbegreiflich. 23 Schellings eigener Erklärungsansatz nimmt nun seinen Ausgangspunkt von der Überlegung: Wenn wir etwas über den Zusammenhang zwischen Geist und Materie, zwischen Denken und Natur herausbekommen wollen, dann verlangen wir ja nicht zu wissen, „wie eine solche Natur außer uns entstanden“ ist, sondern wir wollen wissen, „wie auch nur die Idee einer solchen Natur in uns gekommen sey“. „Denn“, so führt er als Begründung an, „die Existenz einer solchen Natur außer mir erklärt noch lange nicht die Existenz einer solchen Natur in mir“. 24 Der Versuch, diese Frage unter Rückgriff auf Leibnizens Idee einer prästabilierten Harmonie zwischen Geist und Natur zu beantworten, hilft hier nach Schelling nicht weiter, denn eine solche Harmonie ist ja gerade der Gegenstand des anstehenden Problems. Und auch der Ansatz, dem zufolge man eine solche Idee eines Zusammenhangs zwischen Geist und Materie lediglich auf die Natur übertrage, verfehlt seiner Überzeugung nach das anvisierte Ziel, denn wer so argumentiere, offenbare damit nur zu deutlich, so Schelling, dass in seine Seele „nie eine Ahndung von dem, was uns Natur ist und seyn soll“, gekommen sei. 25 Es geht ja bei dem in Frage stehenden Problem nicht darum, dass die Natur mit den Gesetzen unseres Geistes zufällig – etwa durch Vermittlung eines Dritten – zusammentreffe, „sondern daß sie selbst nothwendig und ursprünglich die Gesetze unseres Geistes nicht nur ausdrücke, sondern selbst realisiere, und daß sie nur insofern Natur sey und Natur heiße, als sie dieß thut“. 26 Schelling hält dies nur auf eine Weise für möglich – und jetzt folgt die berühmte Formulierung, mit der er die „Einleitung“ zu den Ideen beschließt: „Die Natur soll der sicht-
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bare Geist, der Geist die unsichtbare Natur seyn. Hier also, in der absoluten Identität des Geistes in uns und der Natur außer uns, muß sich das Problem, wie eine Natur außer uns möglich sey, auflösen“. 27 In der Natur also wird der Geist sichtbar, in ihr ‚objektiviert‘ er sich, wie Schopenhauer später im Blick auf das Verhältnis des Willens zum Leben zur Natur sagen wird. In der Natur wird der Geist für uns fassbar, vor allem in ihren organisierten Produkten. Und der Geist seinerseits ist die unsichtbare Natur; in ihm ist Natur der Möglichkeit nach, also potentialiter, vorhanden. Im Zuge der weiteren Ausarbeitungen dieses Konzepts hat Schelling es um einen weiteren wichtigen Gedanken ergänzt. Im Mai 1801 veröffentlichte er in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift für spekulative Physik die Schrift Darlegung meines Systems der Philosophie. In ihr bekennt er sich zu der Überzeugung: weder sei der Geist noch die Materie, weder sei das Denken noch das Sein, weder sei das Ideale noch das Reale als Urgrund alles Seienden zu begreifen. Der Fehler liegt nach Schelling in dem Entweder-oder: entweder der Geist oder die Natur, entweder das Denken oder das Sein, entweder das Ideale oder das Reale. Nein, meint er, so verhält es sich gerade nicht, sondern der Geist und die Materie, das Denken und das Sein, das Ideale und das Reale zusammen – also die Identität beider – machten den Urgrund alles Seienden aus. Aber nun fügt er diesem ja schon in den Ideen vorgestellten Konzept den Gedanken hinzu, diese Identität von Geist und Natur – eine Identität, die Schelling oft näher als absolute Identität bezeichnet – sei die „Vernunft“. „Ich nenne Vernunft“, schreibt er, „die absolute Vernunft, oder die Vernunft, insofern sie als totale Indifferenz des Subjektiven und Objektiven gedacht wird“. 28 Im weiteren Verlauf seiner Denkentwicklung bezeichnet er diese absolute Vernunft auch als „Gott“. So beispielsweise in den Stuttgarter Privatvorlesungen von 1810. Dort sagt er, seine Philosophie setze dem Idealen ein „reelles Reales“ entgegen, nehme mithin „zwei Principien“ an, „deren absolute Identität Gott ist“. 29 In ebendiesen Stuttgarter Privatvorlesungen ordnet er überdies sein Identitätskonzept von Geist und Natur in den Entwicklungsgang der neuzeitlichen Philosophie ein, indem er sich von den bislang vorliegenden Konzepten des Verhältnisses von Geist und Natur, von Idealem und Realem abgrenzt. 30 Er setzt an bei Descartes’ Substanzdualismus. Descartes, schreibt Schelling, sei „absoluter Dualist“, gehe er doch von „zwei absolut
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verschiedene[n] Substanzen“ aus: der idealen oder geistigen Substanz auf der einen Seite und der realen, ausgedehnten oder materiellen auf der anderen. Spinoza hingegen sei „absoluter Anti-Dualist“, seien doch für ihn die denkende und die ausgedehnte Substanz „wirklich numerisch einerlei“. Leibniz nehme letztere ganz weg und statuiere nur die ideale, die geistige Substanz. Den entgegengesetzten Weg hätten die französischen Materialisten – Schelling bezieht sich namentlich auf Holbachs Système de la Nature – eingeschlagen, denn sie hätten das Geistige ganz hinweggenommen, wodurch sie, wie Schelling kritisiert, „an allem Geistigen“ einen „Todtschlag“ begingen. Und Fichte schließlich habe die ausgedehnte Substanz unter der geistigen Substanz weggenommen. „Nach Fichte“, so Schelling wörtlich, „kommt dem Körper – oder der Aussenwelt nicht einmal eine ideale – sondern eben gar keine Existenz zu. Das Ideale ist nicht, einmal subjectiv (in uns), das andremal objectiv (ausser uns), sondern es ist überall nur subjectiv gesetzt“. Das sei „Idealismus in seiner höchsten Steigerung oder äussersten Einseitigkeit“. 31 Um nun seine eigene Position im Gang der neuzeitlichen Denkbewegung zu markieren, grenzt sich Schelling folgendermaßen gegen die angeführten Ansätze ab: Von Descartes unterscheide er sich dadurch, dass er keinen absoluten Dualismus behaupte, das heißt einen solchen, der Identität grundsätzlich ausschließt. Von Spinoza grenze er sich in der Weise ab, dass er keine absolute Identität in dessen Sinn behaupte, der jeglichen Dualismus ausschlösse. Im Unterschied zu Leibniz löse er, Schelling, Reales und Ideales nicht wieder ins bloß Ideale auf, sondern betone „einen realen Gegensatz beider Principien bei ihrer Einheit“. 32 Damit ist dann auch schon die Grenzziehung gegenüber den französischen Materialisten vorgenommen, denn die lösen Geistiges und Reales bloß in Reales auf, was er, Schelling, mit seiner Behauptung eines realen Gegensatzes dieser beiden Prinzipien bei ihrer Einheit gerade nicht tue. Und von Kant, vor allem aber von Fichte, unterscheide er sich durch den Umstand, dass er weit entfernt sei, das Ideale wieder bloß subjektiv im Ich zu setzen, vielmehr setze er selbst diesem Idealen ein reelles Reales entgegen, er nehme also, so hörten wir bereits, zwei Prinzipien an, deren absolute Identität Gott ist. Auf diese Weise umfasst Schellings System der Identität von Geist und Natur, umfasst seine „Identitätsphilosophie“ Natur und Geist, Mensch und Gott gleichermaßen, lässt all dies jedoch nicht bis zur abso-
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luten Ununterscheidbarkeit zusammenfallen, sondern akzentuiert, dass Geist und Natur, Ideales und Reales, gerade als entgegengesetzte Prinzipien jene absolute Identität konstituieren, die er hier in den Stuttgarter Privatvorlesungen als „Gott“ bezeichnet. Hier ist nicht der Ort, Schellings Konzept von „Gott“ näher zu charakterisieren. Für den vorliegenden Zusammenhang empfiehlt es sich stattdessen, das Augenmerk auf etwas anderes zu richten: In der letzten dieser Vorlesungen, vom 24. Juli 1810, geht Schelling nämlich näher auf die geistigen Fähigkeiten des Menschen ein. Seine diesbezüglichen Ausführungen vermögen seinen Darlegungen zum Thema „Geist“ zusätzliche Konturen zu verleihen. Schelling unterscheidet hier drei geistige Tätigkeiten oder, wie er sagt, im Menschen „als Geist 3 Potenzen“: „Gemüth“, „Geist“ und „Seele“. 33 Vom Gemüt sagt er, es sei „die reale Seite des Geistes“, womit er, wie er erläuternd hinzusetzt, das meint, „was der Mensch von der Natur empfangen hat“, also die psychische Naturanlage. Laut Schelling äußert sie sich als „Sehnsucht“ – die, da er in ihr „die innere Schwerkraft des Geistes“ erblickt, in ihrer tiefsten Erscheinung zur „Schwermuth und Ahndung“ wird –, ferner als „Sucht nach dem Seyn“ und zudem als „Gefühl“. 34 Die zweite Potenz, der Geist im engeren Sinn, nämlich verstanden als Esprit, „macht die eigentliche Persönlichkeit des Menschen aus“. Auch hierbei nimmt Schelling weitere Differenzierungen vor. „Das Allgemeine des Geistes“, hat er vorgetragen, ist „bewusste Begierde, und Wille“. 35 Dem Willen in der Gestalt des ‚Eigenwillens‘ steht der „Verstand“ als „das Ideale“ entgegen. Ohne Verstand, so erklärt sich Schelling näher, wäre der Eigenwille blind; erst mit Hilfe des Verstandes werde er zum „besonnenen Willen“. 36 Für die höchste geistige Potenz im Menschen schließlich erachtet Schelling die Seele. Sie begreift er als „das unpersöhnliche“, als „das eigentlich Göttliche“ im Menschen, dem das Persönliche unterworfen sein soll. 37 Dass eine Unterscheidung zwischen Geist und Seele sinnvoll ist, kann man nach Schelling schon dem allgemeinen Sprachgebrauch entnehmen, unterscheiden wir doch Menschen von Geist von Menschen von Seele und kann ein Geistvoller doch seelenlos sein. 38 Bezieht sich diese als unpersönliche Potenz begriffene Seele „auf Sehnsucht und Selbst-
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kraft“, so erzeugt sie die „Kunst“. Richtet sie sich hingegen unmittelbar auf Gefühl und Verstand, dann entsteht daraus „die höchste Wissenschaft“: Das ist die Philosophie. 39 Nun besteht hierüber hinaus zudem die Möglichkeit, dass sie „unbedingt und ohne alle Beziehung“ wirkt. Für Schelling ist dies zum einen der Zustand der „Tugend“ und zum anderen der der „Religiositaet“, den er näher als den Zustand der „innern Seligkeit des Gemüths und Geistes“ beschreibt. 40 Dieser Differenzierung von Gemüt, Geist und Seele sowie ihren Untergliederungen fügt Schelling gegen Ende dieser letzten Stuttgarter Privatvorlesungen einige Spekulationen über den Tod, das Leben nach dem Tod und die Auferstehung an. Der Tod stellt für ihn, wie er darlegt, „keine absolute Losreissung des Geistigen von dem Physischen“ dar. 41 Auch letzteres, sagt er, „gehet mit, insofern es vom Menschen selbst gebildet wird. Daher ist auch der ganze Mensch unsterblich“. Und er erläutert dies durch folgende Analogie: „Der Prozess, der im Tode vorgeht, ist wie wenn in der Natur aus einer Pflanze ihre Essenz gezogen wird, wie z. B. der Melissen Geist aus der Melisse. Tod ist daher nicht Trennung, sondern Essentification der Prinzipien. Alles wird abgeschieden, was in die Essenz des Menschen ohne sein Zuthun eingegriffen hatte“. 42 Schelling vertritt in diesen Schlusspassagen demnach die Ansicht, der Tod töte weder Geist noch Seele; vielmehr gewinne die Individualität nach dem Tod an Kraft, 43 und Geistiges und Physisches würden im Zustand nach dem Tod einander wiederfinden. Dies geschieht, wenn der letzte Akt der Weltgeschichte eingeläutet wird. Für Schelling ist dies die Epoche der Auferstehung und des Jüngsten Gerichts. Ausführlicher als in den Stuttgarter Privatvorlesungen hat er sich zu dieser Thematik in der ebenfalls um 1810 verfassten Schrift Clara. Über den Zusammenhang der Natur mit der Geisterwelt geäußert. Hier wie auch in den Stuttgarter Vorlesungen bekennt er sich zu der Auffassung, beim Jüngsten Gericht kämen Geist und Leib wieder zusammen und durch diese letzte Verbindung beider Welten sei „der Zweck der Schöpfung“ erreicht. 44 Und alsdann werde Gott „Alles in Allem“ sein, und man werde „mit Recht sagen können: dass Vorhandene seye der vollendetste Pantheismus“. 45 Dergestalt läuft Schellings Denkweg ab etwa 1810 auf eine spekulativvisionäre Theologie hinaus, in der Geist und Natur, Ideales und Reales, zwei Prinzipien darstellen, deren Einheit als das allumfassende Göttliche
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begriffen wird. Damit sind die Grenzen, die Kant menschlicher Erkenntnis gezogen hatte, weit überschritten, und es wird die Perspektive eröffnet in Richtung auf eine unio mystica, eine geheimnisvolle Einheit von Geistigem und Physischem im Göttlichen. Auch für Hegel, Schellings Jugendfreund, werden jene Kantischen Grenzmarkierungen, wenn auch auf andere Weise, bedeutungslos.
Der sich wissende Geist: Georg Wilhelm Friedrich Hegel Als Höhepunkt und Vollender der philosophischen Strömung des Deutschen Idealismus gilt gemeinhin Hegel (auch wenn Walter Schulz die Vollendung dieser Denkrichtung in der Spätphilosophie Schellings zu erblicken meint). Hegel wies der Philosophie die Aufgabe zu, „ihre Zeit in Gedanken“ zu erfassen, 46 den ‚Zeitgeist‘ auf den Begriff zu bringen. Die jeweilige Zeit zu erfassen, das versucht die geschichtliche Betrachtung; und etwas auf den Begriff zu bringen, das ist das Geschäft der Philosophie. Wenn Hegel nun fordert, die Philosophie solle den Geist ihrer Zeit auf den Begriff bringen, so betont er damit eine enge Zusammengehörigkeit von Geschichte und Philosophie. Und zwar ergibt sich das für ihn aus dem Umstand, dass er in Weltgeschichte und Philosophie das gleiche Prinzip am Werk sieht: Hegel nennt es die „Vernunft“ oder auch das „Absolute“ und den „Geist“. Dieses Prinzip äußert sich im konkreten Geschehen, das heißt in der Aufeinanderfolge der geschichtlichen Ereignisse, und in der Philosophie in unterschiedlicher Weise. Im geschichtlichen Geschehen gestaltet sich das Absolute laut Hegel als „Weltgeist“, der sich in den einzelnen Zeiten als der Geist der Zeit, eben als ‚Zeitgeist‘ verwirklicht. Mit dem Weltgeist meint Hegel kein Gespenst oder dergleichen, sondern das Vernunftprinzip, das er im Gang der Geschichte zu sich kommen sieht und das in seiner, Hegels, Philosophie erkannt wird. Und in der Philosophie, die Hegel als einen philosophischen Prozess begreift, ist das Absolute das „Ganze“ beziehungsweise das „Wahre“, wie er sich ausdrückt und womit er das Ganze des geschichtlich zu begreifenden Erkenntnisprozesses meint. Damit gibt er zu bedenken, jede philosophische Erkenntnis sei
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eine Station auf dem Weg zum Erfassen des Wahren. Demnach hat jede philosophische Erkenntnis ihre geschichtliche Wahrheit, was besagt: In ihrer Zeit fasst sie das Wahre, dieses ist jedoch nur ein Moment des Wahren. Die eigentliche Wahrheit ist demzufolge nicht eine bestimmte Stufe im Gang des philosophischen Prozesses, auch nicht seine letzte, sondern das Ganze der Entwicklung. Nur dieses Ganze der Gedankenentwicklung kann beanspruchen, ‚absolutes Wissen‘ zu sein oder, wie Hegel auch sagt, philosophisches Wissen des Absoluten beziehungsweise „sich wissender Geist“, wie es in der Phänomenologie des Geistes heißt. Der sich wissende Geist ist eine Bewusstseinsform, die mit sich völlig ins Reine gekommen ist. Für ihn gibt es nichts ihm Fremdes oder Unerkennbares in der Welt mehr. Er umfasst das Ganze und ist als das Ganze des philosophischen Prozesses „das Wahre“. In diesem Sinne hält Hegel in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes fest: „Das Wahre ist das Ganze“. 47 Richten wir von hier aus nun zunächst den Blick auf die Entwicklung des Geistes in der Weltgeschichte, danach auf die Bewegung des Geistes im philosophischen Erkenntnisprozess. In seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte unternimmt Hegel es, die These zu belegen, in den geschichtlichen Ereignissen erscheine das Absolute, erscheine der Geist, in ihnen sei, mit anderen Worten, Vernunft am Werk. Damit begreift Hegel die geschichtlichen Ereignisse gewissermaßen als das Medium, in dem sich der Geist (die Vernunft, das Absolute) verwirklicht. Geist, Vernunft, Absolutes nun werden von Hegel als Freiheit bestimmt – Freiheit, so kann man bei ihm lesen, sei dasjenige, „wodurch der Mensch Mensch wird, also das Grundprinzip des Geistes“ 48 –, so dass er als seine grundlegende geschichtsphilosophische These formulieren kann: „Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“. 49 Von hierher konnte er dann den Gang der Geschichte als einen Prozess begreifen, in dem der Geist zu sich selbst kommt, als einen Prozess der Selbstbefreiung des Geistes. Hierbei durchläuft der Geist verschiedene Stadien. Und zwar beginnt die Weltgeschichte für Hegel im Orient, also im Osten, genauer gesagt: in den altorientalischen Reichen Chinas, Indiens und Persiens. Dort war jeweils nur einer frei: der Herrscher, der Despot. Die Sachlage ändert sich durch die Siege der Griechen über die Perser. Hierdurch verlagert sich nicht nur der Fokus des Weltgeistes von Ost nach West, sondern in den griechischen und
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römischen Staaten im Mittelmeerraum werden nun einige frei: nämlich die Bürger jener Staaten, die indessen noch über Sklaven verfügten, so dass noch keine umfassende Freiheit erreicht wurde. Das Befreiungswerk des Geistes vollendete sich gemäß der Hegel’schen Geschichtskonstruktion erst in den christlich-germanischen Reichen, wo in der Neuzeit schließlich alle frei wurden. Die letzte Stufe innerhalb dieses Prozesses markieren hierbei für Hegel die Aufklärung und die französische Revolution. Auf dieser Stufe, so war Hegel überzeugt, machte der philosophische Gedanke selbst Geschichte: Hier kam der Geist im Gang der Weltgeschichte und zugleich innerhalb der Gedankenbewegung der Philosophie zu sich selbst; hier fiel der ‚Gedanke der Philosophie‘, wie Hegel zu sagen pflegt, mit dem Geschehen der Welt zusammen; hier sind Philosophie und Wirklichkeit miteinander versöhnt. Philosophie verhält sich dann nicht mehr kritisch zur Wirklichkeit, sondern jetzt gilt, mit der berühmten Wendung aus der Vorrede zu den Grundlinien der Philosophie des Rechts gesagt: „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig“. 50 Eine solche Versöhnung des Vernünftigen mit dem Wirklichen gilt Hegel als die höchste Stufe in der Freiheit des Geistes. Diesen prozesshaften und laut Hegel notwendigen Zusammenhang, der von der Idee der Freiheit geleitet ist und den er an der Weltgeschichte und der Entwicklung der Philosophie dargelegt hat, glaubte er auch in allen anderen geistigen Phänomenen unserer Um- und Lebenswelt nachweisen zu können. In ihnen allen, so lautet sein Grundgedanke, sucht das Absolute, sucht der Geist sich selbst zu verwirklichen. Dieses Absolute, dieser Geist, das beziehungsweise den Hegel als die eine Substanz – hier wirkt die Eine-Substanz-Metaphysik Spinozas nach – und auch als das Unendliche konzipiert, trägt als Unendliches alles Endliche in sich. Daher können seiner Überzeugung nach die einzelnen Stufen des Weges der Selbstverwirklichung des Geistes systematisch dargestellt werden. Und Hegels Philosophie versteht sich selbst als Rekonstruktion dieser Selbstverwirklichung des Geistes. Hegel unterscheidet hierbei drei Entwicklungsstufen. Auf der ersten Stufe befindet sich der Geist im Zustand des An-sich-Seins. Dieser Stufe entspricht als philosophische Disziplin die Logik. Auf der nächsthöheren, der zweiten Stufe, ist der Geist im Zustand der Entäußerung, der Selbstentfremdung, des Anders-Seins. Hiermit meint Hegel, der Geist entäußere
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sich in die endliche, die raum-zeitliche Natur. Diesem Zustand des Geistes korrespondiert als philosophische Disziplin die Naturphilosophie. Auf der dritten Stufe endlich kehrt der Geist aus der Selbstentfremdung zu sich selbst zurück und befindet sich dann im Zustand des An-und-fürsich-Seins. Der Geist, so kann man sagen, hat sich auf dieser Stufe selbst wiedergewonnen. Diesem Zustand entspricht die Philosophie des Geistes, die Hegel in Kunst, Religion und Philosophie untergliedert. In ihnen erfasst sich der Geist, wie wir noch sehen werden, auf je unterschiedliche Weise selbst. Für Hegel sind die drei genannten Stufen als Prozessabfolge zu begreifen, und zwar treibt eines das andere notwendig aus sich hervor. Die Notwendigkeit dieses dynamischen Zusammenhangs, dieser Bewegung der Aufeinanderfolge, bezeichnet Hegel als die Dialektik des Geschehens. „Dialektik“ ist so gesehen für Hegel die nach eigenen Gesetzen sich vollziehende Entwicklung und Selbstverwirklichung des Absoluten, des Geistes, der Vernunft. Belassen wir es nicht bei dieser abstrakten Charakterisierung der genannten drei Stufen und versuchen wir sie etwas mit Inhalt zu füllen. Den drei von Hegel unterschiedenen Stufen, so konnten wir festhalten, ordnet er spezifische philosophische Disziplinen zu. Die Philosophie als Ganzes, als System, enthält demnach drei Systemteile: Logik, Naturphilosophie und Philosophie des Geistes. Ausführlich geäußert hat sich Hegel hierzu in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. 51 Werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die Logik. Logik ist für Hegel etwas anderes, als was man üblicherweise darunter versteht. Die Logik, wie sie etwa Aristoteles entwickelt hat, als Lehre von den Formen und Gesetzen des Denkens, das sich mittels Begriffen, Urteilen und Schlüssen vollzieht, bildet nur einen Teil von Hegels Logik. Ihr geht es nicht in erster Linie um die Formen und die Gesetze des menschlichen Denkens; in ihrem Zentrum steht vielmehr der Geist beziehungsweise die „Idee“, wie Hegel auch sagt, im reinen Zustand des Ansich-Seins jenseits von Raum und Zeit. Damit wird verständlich, wenn Hegel einmal schrieb, was in seiner Logik entwickelt werde, das seien „die Gedanken Gottes vor der Schöpfung“. 52 Lassen wir es bei dieser knappen Charakterisierung der Hegel’schen Logik bewenden und wenden wir uns seiner Naturphilosophie zu. Natur,
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so vernahmen wir bereits, wird von ihm als der Geist in seinem Anderssein bestimmt. Infolgedessen ist die Naturphilosophie die Wissenschaft vom Geist oder der Idee in seinem beziehungsweise ihrem Anderssein. Natur verstanden als Geist in seinem Anderssein ist ‚schlafender Geist‘ (hier ist unschwer der Einfluss von Schellings Naturphilosophie zu spüren). Dieser schlafende Geist erwacht, indem er sich durch den vielschichtiger werdenden Stufenbau der Natur emporarbeitet, zu Bewusstsein. Dieser Prozess läuft nach Hegel folgendermaßen ab. Die Idee beziehungsweise der Geist als Natur ist erstens in der Bestimmung des Außereinanders, der unendlichen „Vereinzelung“, die Materie. Hiermit befasst sich die Mechanik. Ihr geht es um Raum und Zeit – die Hegel als das „ganz abstrakte Außereinander“ bestimmt 53 –, um Materie und um Bewegung. Von der Bewegung sagt Hegel, sie sei das „vereinzelte Außereinander“, und die Mechanik untersuche dessen Beziehung zu Raum und Zeit. 54 Zweitens ist der Geist als Natur in der Bestimmung der „Besonderheit“, der ‚natürlichen Individualität‘. Als solcher ist er Gegenstand der Physik. 55 Die Physik hat gemäß Hegels Gliederung zum Inhalt: A. die allgemeine Individualität, das heißt die unmittelbaren physischen Qualitäten. 56 Dazu zählen beispielsweise das Licht und die Elemente. Darüber hinaus geht es der Physik – B. – um die besondere Individualität. Das meint, die Physik beschäftigt sich mit der spezifischen Schwere, der Kohäsion, dem Klang und der Wärme. Und zudem geht es der Physik – C. – um die „totale freie Individualität“, 57 das heißt, es geht ihr um die Gestalt der Naturdinge, die Besonderheiten der Körper und um den chemischen Prozess. Drittens schließlich ist der Geist als Natur in der Bestimmung der Subjektivität. Hier steht der Körper als individueller, besonderer und endlicher im Blick. Als solcher ist er Gegenstand der Organik 58 beziehungsweise der organischen Physik. Diese betrachtet die Idee, wie sie zur „unmittelbaren Existenz“, das heißt zum Leben, gekommen ist. 59 Ihre Gegenstände sind im Einzelnen: die geologische Natur, worunter Hegel den Erdkörper als das allgemeine System der individuellen Körper versteht 60, die vegetabilische Natur, also das pflanzliche Leben, 61 sowie der tierische, der animalische Organismus. Dieser Abriss der Hegel’schen Naturphilosophie mag hier genügen. Sie gilt heute als der schwächste der Systemteile; dies vor allem, weil ihre
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vermeintlichen ‚Erkenntnisse‘ mit empirischer naturwissenschaftlicher Forschung kaum vereinbar sind. Nähern wir uns nun seiner Philosophie des Geistes. Grundlegend charakterisiert Hegel sie als die Wissenschaft des Geistes, der aus seinem Anderssein in sich zurückkehrt. In ihr erfasst sich der Geist als Geist – und nicht mehr als Natur. Folglich besteht die Aufgabe der Philosophie darin, aufzuzeigen, dass der Geist in allem, was mit geistiger Tätigkeit verbunden ist, sich selbst erkennt und dass sein Wesen darin besteht, sich auf sich selbst zu beziehen. Solche Selbsterkenntnis, solcher Selbstbezug, meint Hegel, lasse sich in drei Sphären feststellen, die er als die des subjektiven, des objektiven und des absoluten Geistes benennt. Als subjektiven Geist bezeichnet Hegel das Geistige in der Einzelseele. Präziser gesagt ist der subjektive Geist die individuelle, an das jeweilige Individuum gebundene und durch dieses bestimmte Art und Weise, Überindividuelles, Allgemeines, Objektives zu erfassen. In der Phänomenologie des Geistes und im dritten Teil der Enzyklopädie führt Hegel die verschiedenen Seelen- und Bewusstseinsformen vor, in denen der subjektive Geist sich äußert. Zu den Seelenformen gehören etwa die Empfindung, das Fühlen, das Selbstgefühl und die Gewohnheit. Solche Seelenformen sind für Hegel Gegenstand der Anthropologie. Zu den Bewusstseinsformen rechnet er beispielsweise die sinnliche Gewissheit, die Wahrnehmung, den Verstand, die individuelle Vernunft sowie das Selbstbewusstsein, das näher als Reflexionsfähigkeit zu fassen ist, die uns, modern gesprochen, Metarepräsentationen und den Entwurf eines Selbstmodells ermöglicht. Zudem untergliedert Hegel die Sphäre des subjektiven Geistes in den „theoretischen Geist“, der seiner Ansicht nach Anschauung, Vorstellung und Denken umgreift, und den „praktischen Geist“, zu dem er das praktische Gefühl, die Triebe, die Willkür und die Glückseligkeit zählt. Zu dieser Sphäre gehört nach Hegel außerdem der von ihm so genannte „freie Geist“, der für ihn die Einheit des theoretischen und praktischen Geistes darstellt. 62 Der objektive Geist ist das, was einer Gruppe von Menschen, einer Gemeinschaft, einem Volk gemeinsam ist. Es handelt sich hierbei also um einen überindividuellen Geist, einen Geist, der eine Vielzahl von Menschen miteinander verbindet. Man könnte auch sagen, der objektive Geist ist eine Art Gemeingeist, der im Bewusstsein von jenen Menschen
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lebt, die von gleicher Art sind und eine gemeinsame Geschichte haben. Damit ist schon gesagt, dass der objektive Geist der Zeitlichkeit unterliegt und mithin wandelbar ist und dass seine Formationen vergänglich sind. Dieser objektive Geist manifestiert sich für Hegel im Recht und in der Sittlichkeit, das heißt bei Hegel: in Familie, bürgerlicher Gesellschaft und im Staat. Mit dem objektiven Geist befasst sich die Staats- und Rechtsphilosophie. Von diesen zwei Sphären unterscheidet Hegel, wie gesagt, als dritte die des absoluten Geistes. Hierunter versteht er den reinen, das heißt den vom Einzel- und Gemeingeist losgelösten Geist, der für ihn, als ideales Ganzes betrachtet, der göttliche Geist ist. Dieser, so legt Hegel dar, offenbart und entfaltet sich in Kunst, Religion und Philosophie. Kunst, Religion und Philosophie haben demzufolge den einen und selben Bezugspunkt: den absoluten Geist. Allen dreien weist Hegel die Aufgabe zu, das Absolute, den Geist, das Göttliche zum Bewusstsein zu bringen. Allerdings bedienen sie sich dazu unterschiedlicher Formen. In der Kunst, führt Hegel aus, wird das Geistig-Göttliche in sinnlicher Anschauung erfasst. Hegel bestimmt das Schöne, das für ihn den zentralen Gehalt der Kunst ausmacht, als „das sinnliche Scheinen der Idee“. 63 Die Religion erfasst das Göttliche demgegenüber in der Form der Vorstellung. ‚Vorstellung‘ bezeichnet bei Hegel in diesem Kontext die Verinnerlichung dessen, was in der Kunst in sinnlich fassbarer Form verkörpert und ausgedrückt wird. Das Absolute, der Geist, wird, wie Hegel schreibt, aus der Gegenständlichkeit der Kunst in die Innerlichkeit des Subjekts hineinverlegt und ist dergestalt für die Vorstellung auf subjektive Weise gegeben. Damit werden nach Hegel in der Religion „Herz und Gemüt“ die Hauptmomente. 64 In der Philosophie schließlich geschieht das Erfassen des Absoluten in der Form des Wissens. Die die Religion kennzeichnende Vorstellung ist für Hegel nämlich noch nicht die höchste Form der Innerlichkeit, wird sie doch überboten durch das Denken. Dieses eignet sich den gleichen Inhalt an wie Kunst und Religion, jedoch nicht auf dem Weg sinnlicher Anschauung oder der Vorstellung. Erst mittels des Denkens, in der Form des Gedankens, im begreifenden Wissen, wird das Wahre als Geist erfasst. Auf diese Weise schließt sich Hegels Philosophie, die ja im Kern eine Phänomenologie des Geistes ist: eine Lehre von den Erscheinungsweisen des Geistes, die „das Ganze“, das heißt sämtliche Erscheinungen aus
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Natur, Geschichte, Kultur, Religion, Wissenschaft sowie des menschlichen Bewusstseins zu denken und zu umgreifen versucht – und zwar mittels eines Prinzips: des Absoluten, des Geistes. Wie, so lautet die das Denken Hegels leitende Grundfrage, drückt sich in all den genannten Phänomenen das Absolute aus, wie erscheint in ihnen allen der Geist? Er antwortet darauf, wie wir gesehen haben, mit einem als System angelegten Konzept, das den Geist geschichtlich fasst und ihn im philosophischen Wissen zu sich kommen lässt, so dass er am Ende ein sich wissender Geist wird.
Der Geist im Kontext von Willensmetaphysik und Leibphilosophie
Der Geist ist ein Derivat des Willens und eine Gehirnfunktion: Arthur Schopenhauer Bereits in seinem 1818 erschienenen Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung hat Arthur Schopenhauer (1788–1860) eine Art evolutionärer Erklärung der geistigen Fähigkeiten des Menschen vorgelegt. Und zwar entwickelt er sie dort im Kontext seiner Metaphysik des Willens. Dieser Metaphysik des Willens entsprechend werden ausnahmslos alle Vorgänge in der Natur – und mithin auch im menschlichen Organismus – von dem gesteuert, was Schopenhauer den „Willen zum Leben“ nennt. Dieser Wille zum Leben, von Schopenhauer als die grundlegende kosmische Kraft konzipiert, „objektiviert“ sich, wie er sagt, in der uns sichtbaren Welt auf vier großen Stufen, die Schopenhauer auch im Sinne einer zeitlichen Aufeinanderfolge begreift. Die unterste, zeitlich erste Stufe der Objektivation des Willens bilden die Kräfte der anorganischen Natur. Hier wirkt der Wille „blind, dumpf, einseitig und unveränderlich“. 1 Auf dieser Entwicklungsstufe fehlt dem Willen jeglicher Geist, jegliches Bewusstsein und folglich jegliche Erkenntnis seiner selbst. Auf der nächsthöheren Stufe stellt sich der Wille dar „im stummen und stillen Leben einer bloßen Pflanzenwelt“. 2 Auch hier ist er lediglich als blinder und dumpfer Drang aktiv, „noch völlig erkenntnislos als finstere treibende Kraft“. 3 Gleiches gilt vom „vegetativen Teil“ animalischen Lebens, welches die dritte große Objektivationsstufe darstellt. Und die vierte und für Schopenhauer (vorerst?) letzte Stufe seiner Objektivation erreicht der Wille im Menschen. Hier hat er sich, mit Schopenhauers Worten gesagt, gleichsam „ein Licht angezündet“, 4 hat er sich hier doch Bewusstsein und einen Intellekt geschaffen, der in der Lage ist, die Welt – und damit auch sich selbst – zu
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Der Geist im Kontext von Willensmetaphysik und Leibphilosophie
erkennen. Auf diese Weise, so könnte man sagen, arbeitet sich der Wille gleichsam Stufe um Stufe empor – und aus dem blinden, dumpfen, bewusst- und erkenntnislosen Willen wird im Laufe seiner Entwicklung ein von Erkenntnis und Bewusstsein begleiteter Wille zum Leben. In den unteren Bereichen der Natur, so klärt uns Schopenhauer auf, erhalten sich die Lebewesen, indem sie die notwendige Nahrung auf Reize hin assimilieren. Mit fortschreitender Entwicklung tritt die Individualität der Lebewesen immer deutlicher hervor, bis sie im Menschen ihren bisher höchsten Ausprägungsgrad erreicht. Dabei wird auch die zur Selbsterhaltung unabdingbare Nahrung eine speziellere. Zudem kann auf dieser hohen Entwicklungsstufe der Eintritt eines Reizes nicht abgewartet werden, wäre doch die Häufigkeit der auf Reize hin erfolgenden Nahrungsaufnahme viel zu gering, um die Selbsterhaltung komplexer organisierter Lebewesen gewährleisten zu können. Also müssen höhere Lebewesen, auch und vor allem der Mensch, ihre Nahrung selbst aufsuchen und auswählen. Zu diesem Zweck hat der Wille zum Leben differenzierte Erkenntnismöglichkeiten und -strukturen hervorgebracht, hat er sich im Laufe seiner Objektivationsgeschichte, die ja von Schopenhauer als eine Entwicklungsgeschichte gedacht wird, einen Intellekt geschaffen. So gesehen ist der Intellekt zunächst einmal ein bloßes Hilfsmittel zur Erhaltung des Individuums und der Art wie jedes andere Körperorgan auch. 5 Demnach wäre unser Intellekt, wären unsere Erkenntnisstrukturen biologisch bedingt: Ihnen käme vor allem die Funktion zu, die Erhaltung höher entwickelter, komplexer organisierter Lebewesen sicherzustellen. Da für Schopenhauer das Wort „Geist“ die intellektuellen Fähigkeiten im Unterschied zum Willen bezeichnet, 6 begründet Schopenhauer die Entwicklung unserer geistigen Fähigkeiten also mit ihrer Lebensnotwendigkeit und Lebensdienlichkeit. All diesem zufolge bildet für Schopenhauer der Wille zum Leben die Basis des Psychischen. Intellekt, Vernunft, Bewusstsein, mithin das Insgesamt dessen, was für Schopenhauer „Geist“ heißt, entstammt beziehungsweise entspringt diesem Willen. So gesehen handelt es sich bei Bewusstsein, Intellekt und Geist um etwas entwicklungsgeschichtlich Späteres, um etwas dem Willen als dem Primären gegenüber Sekundäres. Unter dynamischem Gesichtspunkt betrachtet, ist damit zu bedenken gegeben: Alle Energie, Kraft, Bewegung des Lebens leitet sich aus dem Willen zum Leben als der primären und grundlegenden Instanz ab. Auch der
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Geist bezieht all seine Kraft und Dynamik ganz und gar aus dieser Basisschicht der menschlichen Natur, mit der Folge, dass er von ihr abhängig ist. Die Sphäre des Rationalen, Kognitiven, Bewussten, kurz: des ‚Geistigen‘, besitzt mithin keinerlei Autonomie; sie ist nichts Selbständiges, nichts, was auch unabhängig von jener Basisschicht für sich existieren könnte. Vielmehr handelt es sich bei ihr um eine Ableitung, ein Derivat des Willens, um etwas, was aus dem Willen zum Leben, der kraftvollen Triebschicht, hervorgegangen ist. Zur Kennzeichnung dieses Verhältnisses von Wille und Intellekt hat Schopenhauer einmal die Metapher verwendet, der Wille sei der Herr im Haus und der Intellekt dessen Diener. Das Gebiet des Psychisch-Geistigen besteht demnach für Schopenhauer aus den zwei Komponenten „Wille“ und „Intellekt“ beziehungsweise „Geist“. Der Wille bildet hierbei den unbewussten Teil, der Geist den bewussten. Da dieser Wille die Basis allen Lebens ausmacht – ja, nebenbei angemerkt, als Streben zum Erdmittelpunkt gedeutet sogar auch der anorganischen Welt – setzt Schopenhauers Philosophie das eigentliche Wesen des Menschen nicht in das Bewusstsein, nicht in die Vernunft, nicht in die Sphäre des Rationalen, des Geistigen, sondern in den Willen zum Leben, der seinem Wesen nach nicht mit Bewusstsein verbunden, sondern an sich selbst bewusstlos, sich selbst nicht durchsichtig ist. Bewusstsein bindet Schopenhauer allein an die sekundäre Instanz: an den Intellekt, an den Geist. 7 Intellekt und Geist sind damit auch bei Schopenhauer – wie schon bei Descartes – eng mit Bewusstsein gekoppelt. Und die primäre Funktion von Geist und Bewusstsein, so haben wir bereits vernommen, ist eine in einem biologisch fundamentalen Sinn lebensnotwendige. Schopenhauer hat diese Funktion wiederholt mit sinnfälligen Bildern zu veranschaulichen versucht. So schreibt er beispielsweise einmal, die Funktion des Erkennens sei „nichts weiter als eine vom Willen zu seinen draußen liegenden Zwecken aufgestellte Vedette [= Wachtposten], welche oben auf der Warte des Kopfes durch die Fenster der Sinne umherschaut, aufpaßt, von wo Unheil drohe und wo Nutzen abzusehn sei, und nach deren Bericht der Wille sich entscheidet“. 8 Dergestalt gehören für Schopenhauer Berücksichtigung, Beobachtung und Erkenntnis der Realität für eine erfolgreiche Triebbefriedigung zur Hauptleistung der sekundären Instanz, das heißt des Geistes. Der Wille, hält Schopenhauer fest, „schafft“ sich einen Intellekt, einen Geist, „zum Behuf seiner Bezie-
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hungen zur Außenwelt“. 9 Sieht man genauer zu, wie sich Schopenhauer denn nun eine solche Erkenntnis der Außenwelt vorgestellt hat, so wird man finden, dass seiner Überzeugung nach unser Intellekt aufgrund des sinnlichen Materials, das durch die Anschauungsformen Raum und Zeit bereits vorstrukturiert worden ist, mit Hilfe der für Schopenhauer zentralen Verstandesfunktion der Kausalität ein Bild der Welt entwirft, eine „Vorstellung“ erzeugt, wie er sich bevorzugt auszudrücken pflegt. Gewiss, die diesbezügliche Nähe zu Kant ist unverkennbar, auch wenn Schopenhauer von den zwölf Kategorien des Königsberger Philosophen elf verwirft und die Ansicht vertritt, zur Erzeugung der Vorstellungswelt, also dessen, was uns als Außenwelt, als Realität gilt, reiche die Kategorie der Kausalität voll und ganz aus. Aber nun weiß Schopenhauer natürlich auch, dass wir Menschen kraft unseres Geistes nicht nur zu so verstandener Verstandeserkenntnis in der Lage sind, sondern zudem über Reflexionsfähigkeit – auch in bezug auf uns selbst, was das ausmacht, was wir unter Selbstbewusstsein verstehen – und das Vermögen der Abstraktion, des abstrakten Denkens, verfügen. Für Schopenhauer sind das Leistungen der Vernunft. Mit Hilfe dieser Vernunft sind wir zu dem fähig, was er Besonnenheit nennt. Und damit meint er: Wir können uns besinnen, wir können uns selbst zum Gegenstand des Nachdenkens machen, wir können auf uns selbst reflektieren, wir können uns gleichsam bei unserem Denken zuschauen, kurz: jeden unserer mentalen Akte zum Gegenstand des Nachdenkens machen. Und die Vernunft setzt uns, wie Schopenhauer hervorhebt, in die Lage, Zukunft und Vergangenheit zu überblicken, unser Handeln über den gegenwärtigen Augenblick hinaus zu planen und uns Rechenschaft von unseren eigenen Willensakten zu geben. 10 All das, zusammen mit unseren Verstandesfähigkeiten, kennzeichnet uns als geistige Wesen. Das alles scheint auf den ersten Blick ja durchaus erfreulich zu sein. Aber die ganze Angelegenheit hat eine unangenehme Kehrseite: Mit der Vernunft – wie überhaupt mit unseren Erkenntniskräften – wird zugleich der Irrtum möglich. Dadurch, dass wir über uns selbst nachdenken können, wird uns zugleich die Möglichkeit eröffnet, uns auch selbst zu betrügen. Die Sicherheit und Untrüglichkeit der Willensäußerungen, die sich auf den niedrigeren Stufen der Objektivationsreihe des Willens feststellen lassen, gehen beim Menschen mit seinem hypertrophen Geist fast ganz ver-
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loren. „Der Instinkt“, so Schopenhauer wörtlich, „tritt völlig zurück, die Überlegung, welche jetzt alles ersetzen soll, gebiert […] Schwanken und Unsicherheit: Der Irrtum wird möglich“. 11 Demnach hätten wir einen hohen Preis dafür gezahlt, dass wir uns auf das evolutionäre Wagnis eingelassen haben, „Geist“ zu entwickeln. Aber nicht nur der Irrtum wird möglich, sondern auch, wie Schopenhauer wiederholt herausgestellt hat – vornehmlich im Kapitel 19 des zweiten Bandes von Die Welt als Wille und Vorstellung – Verfälschungen, Selbsttäuschungen, bewusste und unbewusste Manipulationen unserer selbst und anderer. Unser Geist, so scheint es, ist offenbar nur zu gern bereit, sich verführen zu lassen und nichtsachangemessene Schlüsse zu ziehen, illusionäre Konzeptionen zu entwerfen, sich auf Wunschprojektionen einzulassen, die uns eine oftmals nur trügerische Sicherheit versprechen, sich am Ende aber als nichts anderes denn chimärisches Blendwerk erweisen. 12 Unser Geist, hält Schopenhauer fest, ist nun einmal „ein bloß sekundäres Vermögen, welches auf einem Willen wurzelt, vermöge dieser Basis aber eine Verunreinigung fast aller seiner Erkenntnisse und Urteile zu erleiden hat“. 13 Dergestalt ergibt sich für ihn der Sachverhalt, dass wir vielfältigen Täuschungen, Irrtümern, Manipulationen und Verführungen unterliegen, ganz konsequent aus der dem Willen zum Leben dienstbaren Funktion unseres Geistes. Da unser Geist, so argumentiert er, vom Willen zum Leben im Zuge einer evolutionären Aufwärtsentwicklung hervorgebracht worden ist, um ihm dienstbar, um sein Sklave zu sein, gehört es zu den Aufgaben des Geistes, dem Willen beständig neue Motive zu liefern, damit der in seinem endlosen Drang nach Leben befriedigt werden kann. 14 Das täuschende Moment in der Tätigkeit des Geistes liegt dabei in dem Umstand, dass er dem von Ziel zu Ziel drängenden Willen immer neue, scheinbar lohnenswerte Motive vorgaukelt, auf die der Wille dann sein Streben richtet. So ist unser Geist nicht nur ein Verführter; er ist zugleich selbst ein Verführer: Stellt er unserem Willen doch immer wieder neue Motive vor Augen, die es angeblich zu erstreben lohnt. All die genannten Fähigkeiten und Vermögen, die Schopenhauer in dem Begriff des „Geistes“ zusammenfasst, sind seiner Überzeugung nach an einen materiellen Träger gekoppelt. Als diesen materiellen Träger
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identifiziert er das Gehirn. Damit ist von vornherein klar, dass in seinem Denken kein Platz ist für einen Geist im Sinne einer Descartes’schen, als immateriell konzipierten res cogitans. „Man nehme z. B. den Begriff ‚Geist‘“, so schreibt Schopenhauer in Anspielung auf und in deutlicher Abgrenzung gegen Descartes, „und analysiere ihn in seine Merkmale: ‚ein denkendes, wollendes, immaterielles, einfaches, keinen Raum füllendes, unzerstörbares Wesen‘, so ist dabei doch nichts Deutliches gedacht; weil die Elemente dieser Begriffe sich nicht durch Anschauungen belegen lassen: denn ein denkendes Wesen ohne Gehirn ist wie ein verdauendes Wesen ohne Magen“. 15 Immer wieder schärft Schopenhauer seinen Lesern ein: Das Bewusstsein, das Denken, der Geist hat seinen Sitz im Gehirn, 16 jeder Bewusstseinsakt, jede Denk- und Geistestätigkeit ist eine „Tätigkeit des Gehirns“, und da das Gehirn integraler Bestandteil des Organismus ist, mithin eine „Funktion“ des Organismus. 17 Und selbstredend handelt es sich auch bei den Anschauungsformen Raum und Zeit sowie der Kausalität als der Grundoperation des Intellekts um nichts anderes als um „Gehirnfunktionen“. 18 Kurzum: Das, was wir „Geist“ nennen, ist im Kontext des Schopenhauer’schen Denkansatzes schlicht und ergreifend eine „Gehirnfunktion“. Und das, was uns als Welt, als Außenwelt, als Realität gilt, ist ein „Gehirnphänomen“. 19 So gesehen handelt es sich bei der sogenannten realen Außenwelt für Schopenhauer streng genommen um ein Konstrukt, das aus dem Zusammenspiel unserer sinnlichen Wahrnehmung mit unseren Erkenntniskräften entspringt. Das Gehirn, so hat Schopenhauer einmal geschrieben, streckt seine „Fühlfäden“, die „Sinnesnerven“, in die Außenwelt; 20 diese liefern ihm den „Stoff“ („in Gestalt der Empfindung“), den es dann zur anschaulichen Vorstellung verarbeitet. 21 Von hier aus gesehen hält Schopenhauer die Cartesianische Einteilung aller Dinge in Geist und Materie für eine philosophisch falsche. Richtig hingegen, so ist er überzeugt, sei die Einteilung in Wille und Vorstellung. Diese jedoch gehe mit jener Cartesianischen „keinen Schritt parallel“. Denn, so führt er als Begründung an, seine, Schopenhauers, Einteilung „vergeistigt alles, indem sie einerseits auch das dort ganz Reale und Objektive, die Körper, die Materie, in die Vorstellung verlegt, und andererseits das Wesen an sich einer jeden Erscheinung auf Willen zurückführt“. 22 Aber nicht nur die Anschauung der Außenwelt, der Körperwelt be-
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ziehungsweise, was für Schopenhauer das Gleiche ist, „das Bewußtsein anderer Dinge“, ist durch das Gehirn und seine Funktionen bedingt. Dasselbe gilt auch für das Selbstbewusstsein. Im Anschluss an Kants Konzept der synthetischen Einheit der Apperzeption – das Kant auf die Formel gebracht hat: „Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können“ 23 – erklärt Schopenhauer, mittels der apperzeptiven Tätigkeit des Geistes werde sich der Wille seiner selbst bewusst, „indem dieser Fokus der Gehirntätigkeit oder das Erkennende sich mit seiner eigenen Basis, daraus er entsprungen ist, dem Wollenden, als identisch auffaßt und so das Ich entsteht“. 24 Und um es uns noch einmal klar und deutlich vor Augen zu halten: Dieser „Brennpunkt der Gehirntätigkeit (oder das Subjekt der Erkenntnis) ist als unteilbarer Punkt zwar einfach, deshalb aber doch keine Substanz (Seele), sondern ein bloßer Zustand“, 25 des Näheren, wie wir wissen, ein Zustand des Gehirns. So kommt mithin heraus: Sowohl das Außenweltbewusstsein als auch das Ich- oder Selbstbewusstsein sind für Schopenhauer unauflöslich an das Gehirn und seine Aktivitäten geknüpft. Außenwelt- und Selbstbewusstsein, die Vorstellung der sogenannten objektiven Welt ebenso wie das sich seiner selbst bewusst werdende Ich erweisen sich ihm von dieser Warte aus betrachtet als nichts weiter denn „eine gewisse Bewegung oder Affektion der Breimasse im Hirnschädel“. 26 Wenn nun aber die reale Außenwelt ebenso wie das Ich im Kern Gehirnfunktionen sind, dann macht die übliche Trennung von innen und außen – hier drinnen das Ich, dort draußen die Welt – im Grunde genommen keinen Sinn. Und so erklärt denn Schopenhauer auch ohne Umschweife, dass es sich bei beidem nur um zwei Seiten, zwei Aspekte der einen und selben Grundgegebenheit handelt: Was von innen gesehen – modern gesprochen: aus der Ersten-Person-Perspektive betrachtet – als Erkenntnisvermögen, als Geist und Ich erfasst und erlebt wird, erweist sich von außen angesehen – aus der Dritten-Person-Perspektive – als das Gehirn, 27 das zum Zweck seiner Interaktion mit der Außenwelt bestimmte Operationen ausführt, aus denen die Vorstellung sowohl einer Körper- als auch einer Ich-Welt entsteht. Als an das Gehirn gekoppelt sind solche Funktionen naturgemäß endlich: Mit der Aktivität des Gehirns finden auch sämtliche Geistestätigkeiten ihr Ende. Da es sich bei allen mentalen Aktivitäten um Tätigkeiten des
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Gehirns handelt, diese ihrerseits von bestimmten Funktionen des Organismus abhängen, endet, erklärt Schopenhauer lapidar, alle Geistestätigkeit mit dem Tod ebendieses Organismus. 28 Nicht nur der individuelle Mensch hat demnach für Schopenhauer ein höchst ephemeres Dasein auf einer dieser ‚zahllosen leuchtenden Kugeln‘, die sich im „unendlichen Raum“ umeinanderwälzen und „auf der ein Schimmelüberzug lebende und erkennende Wesen erzeugt hat“, sondern auch und gerade jenes Vermögen, auf das sich ebendieser Mensch für gewöhnlich recht viel einbildet: sein Geist.
Logisierung der Welt, große Vernunft und freier Geist: Friedrich Nietzsche Im Denken Friedrich Nietzsches (1844–1900) wird das Thema ‚Geist‘ vor allem in drei Kontexten virulent. Da sind zum einen seine Überlegungen zur von ihm so genannten ‚Logisierung‘ der Welt 29 und zu der damit zusammenhängenden manipulativen Macht des Geistes. Zudem beleuchtet er das Verhältnis des Geistes zum Leib – die alte Problematik, zu der auch er meinte Stellung beziehen zu müssen, was er, wie bei ihm nicht anders zu erwarten ist, mit kühnen Thesen in Angriff nimmt. Und schließlich gibt es das Konzept eines ‚freien Geistes‘, das in seinem Denkgefüge ja keine unerhebliche Rolle spielt. Nehmen wir zunächst den ersten Kontext in Augenschein. Bei Schopenhauer bereits begegnete uns der Gedanke, unsere Erkenntnisstrukturen, also auch unser Geist, seien – modern gesprochen – biologisch bedingt, kommt ihnen doch, wie Schopenhauer darlegte, in erster Linie die Funktion zu, die Erhaltung höherer Lebewesen, mithin auch die des Menschen, sicherzustellen. Demnach begründet Schopenhauer die Erkenntniskräfte, über die wir verfügen, mit ihrer Lebensnotwendigkeit. Hätten wir nicht, so schärft er ein, im Laufe unserer gattungsgeschichtlichen Entwicklung diejenigen kognitiven Strukturen und geistigen Leistungen entwickelt, über die wir heute verfügen, so hätten wir als Gattung wohl nicht überlebt. Diesen Ansatz hat Nietzsche aufgegriffen und weitergeführt. In einer späten Nachlassaufzeichnung heißt es beispielsweise: „Der so-
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genannte Erkenntnißtrieb ist zurückzuführen auf einen Aneignungs- und Überwältigungstrieb: diesem Triebe folgend haben sich die Sinne, das Gedächtniß, die Instinkte usw. entwickelt“. 30 Hinter dieser Sichtweise steckt Nietzsches Gedanke, der Grundzug allen Lebens sei ein Wille zur Macht. Diesen Willen zur Macht beschreibt er als die treibende Kraft eines Prozesses, in welchem das eine ein anderes zu überwältigen und ihm seinen Willen aufzuzwingen versucht, um auf diese Weise stärker zu werden, mehr Macht anzusammeln. Für Nietzsche steht auch das sogenannte Streben nach Erkenntnis, steht auch alle geistige Aktivität im Dienst eines so verstandenen Willens zur Macht. Wenn er in der angeführten Nachlassnotiz zu bedenken gibt, im Gefolge des Übermächtigungstriebs hätten sich als dessen Werkzeuge die Sinne, das Gedächtnis und weitere mentale Aktivitäten entwickelt, dann ist damit nichts weniger gesagt, als dass es sich bei diesen Aktivitäten um alles andere als autonom operierende, von jeglicher Beeinflussung unabhängige Fähigkeiten handelt. Sie alle stehen vielmehr im Dienst des Willens zur Macht, sie alle dienen dem Ziel, dem jeweiligen Organismus zu einem Höchstmaß an Kraft und Macht zu verhelfen. Hierbei ist die Selbsterhaltung eines Organismus nur das Minimalziel. Hierüber hinaus geht es darum, sich so in der Welt einzurichten, dass sie überschaubar und beherrschbar wird. Und zu diesem Zweck versuchen unsere Erkenntniskräfte, die Dinge „in ‚Formen‘ und Rhythmen“ zu bringen. 31 Hierbei schreckt eine Erkenntnis, die im Dienst des Lebens, mithin im Dienst des Willens zur Macht steht, selbst vor Täuschung, Irrtum, Schein und Fiktionen nicht zurück. Der Aphorismus 34 des zweiten Hauptstücks von Jenseits von Gut und Böse gibt deutlich zu verstehen, dass vom Willen zur Macht gesteuertes Leben und Scheinbarkeit untrennbar zusammengehören. „Man gestehe sich doch soviel ein“, schreibt Nietzsche dort, „es bestünde gar kein Leben, wenn nicht auf dem Grunde perspektivischer Schätzungen und Scheinbarkeiten“. 32 Ähnlich heißt es in einer Aufzeichnung aus dem Nachlass: „die ‚Scheinbarkeit‘ gehört selbst zur Realität: sie ist eine Form ihres Seins, d. h. in einer Welt, wo es kein Sein giebt, muß durch den Schein erst eine gewisse berechenbare Welt identischer Fälle geschaffen werden“. 33 Und dies gelingt uns mit Hilfe unseres Geistes, ist doch eben der, wie Nietzsche lapidar erklärt, des Menschen „Erfindungs- und Verstellungskraft“. 34 Ohne dass wir Menschen
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uns eine berechenbare Welt identischer Fälle schaffen, so gibt Nietzsche mit solchen Äußerungen zu verstehen, wäre es uns unmöglich, uns in einer Welt einzurichten, die seiner Ansicht nach von unaufhörlichem Werden durchflutet ist, in der alles entsteht, um eine gewisse Zeit zu dauern – zu ‚sein‘ –, um dann wieder zu vergehen. In einer solchen Welt muss die Weltbewältigung ständig von neuem geleistet werden. Die Vielfalt an Sinneseindrücken, die in jedem Augenblick unseres Lebens auf uns einströmen, ist als solche chaotisch und strukturlos. Daher sehen wir uns aus Nietzsches Sicht genötigt, mit Hilfe unseres geistigen Apparats identische Fälle, gleich ablaufende Prozesse, eine stabile, geordnete, strukturierte, mittels Gesetzen beschreibbare Welt – nun, letzten Endes – zu erdichten. Die Welt als solche ist nach Nietzsche nicht ‚logisch‘ ; wir vielmehr sind es, die sie mit Hilfe unseres Geistes ‚logisieren‘. So gesehen ist unser Geist ein Fälscher, ein ‚Dichter‘, ein Erdichter, ein Erfinder und Erzeuger von Schein, von Illusionen, von logischen Strukturen, die, obwohl im Grunde nur illusionär, doch nötig sind, damit wir uns in einer als Werden gedeuteten, als Prozess begriffenen Realität einrichten und uns unser Überleben sichern können. In Anbetracht dieser Sichtweise wird man sich wohl nicht mehr wundern, wenn Nietzsche in Jenseits von Gut und Böse in Aphorismus 230 von einer „nicht unbedenkliche[n] Bereitwilligkeit des Geistes“ spricht, andere Geister zu täuschen und sich vor ihnen zu verstellen“. 35 Damit erklärt er unseren Geist geradezu zum Werkzeug der Verstellung und Täuschung anderer. Nicht allein die lebensdienlichen Irrtümer, mit denen wir uns ständig umgeben, gehören demzufolge zu den Konstitutionsbedingungen des Menschen, sondern auch die Verstellung und der Wille, andere zu täuschen. In seiner 1873 entstandenen, zu seinen Lebzeiten jedoch nicht publizierten Schrift Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne bringt er diesen Sachverhalt auf den Punkt: „Im Menschen kommt diese Verstellungskunst auf ihren Gipfel: hier ist die Täuschung, das Schmeicheln, Lügen und Trügen, das Hinter-dem-Rücken-Reden, das Repräsentieren, das im erborgten Glanze Leben, das Maskirtsein, die verhüllende Convention, das Bühnenspiel vor Anderen und vor sich selbst, kurz das fortwährende Herumflattern um die eine Flamme Eitelkeit so sehr die Regel und das Gesetz, dass fast nichts unbegreiflicher ist, als wie unter den Menschen ein ehrlicher und reiner Trieb zur Wahrheit aufkommen
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konnte“. 36 In solcher Verstellung genießt unser Geist, wie Nietzsche in Jenseits von Gut und Böse in Aphorismus 230 betont, seine „Masken-Vielfältigkeit und Verschlagenheit“. Zudem genießt er auch ein Gefühl der Sicherheit, denn gerade in solcher Verstellung kann man sich am besten verteidigen und verstecken. Diesem Willen des Geistes, sich zu verstellen und sich selbst und andere zu täuschen, entspricht geradezu symmetrisch die Bereitwilligkeit des Geistes, sich – wenn auch nicht durchgängig, so doch zumindest gelegentlich – täuschen zu lassen. Das geschieht beispielsweise dadurch, dass er nach einfachen Erklärungen sucht. Auf diese Weise reduziert er Komplexität und unterwirft das, was er vorfindet, seiner Gewalt. Ein solches Bestreben, Komplexität zu reduzieren, findet seinen Ausdruck etwa im Verfügbarmachen von Welt durch das Erdichten identischer Fälle und gleichlaufender Prozesse, durch die Erzeugung der Illusion, die Welt sei logisch strukturiert und geordnet. Darin beweist sich unser Geist als kraftund machtvoll. Die Kraft eines Geistes nämlich äußert sich für Nietzsche vor allem darin, sich Fremdes anzueignen, das Neue dem Alten anzugleichen, das Mannigfaltige zu vereinfachen und das gänzlich Widersprüchliche zu übersehen oder von sich zu weisen. Das alles zielt letztlich auf Wachstum des Geistes, genauer gesagt: auf das Gefühl des Wachstums, auf das Gefühl vermehrter Kraft. Denn unser Geist meint ja, auf diese Weise die Dinge im Griff zu haben. Nietzsche – bekannt, wenn nicht gar gefürchtet für seine gedanklichen Winkelzüge, mit deren Hilfe er die Abgründe der menschlichen Psyche auslotet – stößt auch in diesem Kontext auf ein eigenartiges Phänomen. Ein solches Gefühl des Wachstums, eines Mehr an Kraft und Macht, könne unser Geist, so behauptet er, über das soeben betrachtete Verfahren hinaus aus zwei weiteren „Trieben“ gewinnen, und zwar erstens aus dem der bislang beschriebenen Vorgehensweise scheinbar entgegengesetzten Trieb, verfügbares Wissen nicht mehr an sich herankommen zu lassen. Man hat es hierbei, wie Nietzsche sagt, mit einem spontanen Entschluss zu tun, etwas einfach nicht mehr wissen zu wollen. Man macht dann gleichsam seine Fenster zu und schließt seine Horizonte ab, wie er mit einer sehr sinnfälligen Metapher formuliert. Man sagt rundheraus Ja zu seiner Unwissenheit und heißt sie gut. 37 Dabei handelt es sich offensichtlich um eine spezifische Form der Selbstmanipulation. Man gibt sich zu-
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frieden mit seinen Irrtümern, Vorurteilen, Illusionen und Tagträumen, man lebt in und mit ihnen, man hat sich gut in ihnen eingerichtet, ja genießt sie gar. Auch dadurch hat man in gewisser Weise die Welt im Griff, hat man die Dinge unter Kontrolle – zumindest hat man das Gefühl, dass es sich so verhält. Selbst wenn sich dieses Gefühl bei genauerer Betrachtung als illusionär erweisen sollte, so vermittelt es doch immerhin den Eindruck, man besitze Macht über die Dinge. Zweitens gewinnt der Geist ein Mehr an Macht – auch wenn das dem ersten Eindruck nach paradox zu sein scheint – aus dem bereits erwähnten gelegentlichen Willen, sich täuschen zu lassen. Manchmal nämlich ist dieser Wille mit einer Ahnung davon verknüpft, dass es sich so, wie man annimmt, gerade nicht verhält, aber – und das ist der springende Punkt der Angelegenheit – man lässt es eben so gelten. Offenbar hat man es hierbei mit einer Lust an der Mehrdeutigkeit zu tun: Man genießt eine solche Verführung und Täuschung geradezu. Und genau in diesem Genuss am Schein empfindet sich der Geist als kraft- und machtvoll. So ließe sich denn unser Geist hin und wieder nur zu gerne täuschen, manipulieren, verführen und mit Illusionen und Chimären füttern. Auch wenn man dazu neigen mag, dies als eine extravagante Deutung anzusehen, so wird man ihr wohl kaum einen Wahrheitskern absprechen können. Nietzsche geht gar noch einen Schritt weiter, indem er fragt: Was ist denn eigentlich dieser Geist selbst? Und er antwortet: Der Geist selbst ist eine Fiktion, genauer gesagt: eine ‚fingierte Synthese und Einheit‘. 38 Insbesondere in nachgelassenen Notizen finden sich Hinweise und Überlegungen, die diese These verdeutlichen können. Für gewöhnlich, so führt Nietzsche in ihnen aus, verstehe man unter ‚Geist‘ „etwas, das denkt“, und meine damit womöglich gar den Geist „absolut, rein, pur“. Eine solche Konzeption eines absoluten, reinen Geistes erachtet Nietzsche indessen als eine, wie er sich notiert hat, „abgeleitete zweite Folge der falschen Selbstbeobachtung, welche an ‚Denken‘ glaubt“. Wenn er hier von einer ‚zweiten‘ Folge spricht, dann will er damit auf Folgendes hinaus: Erstens, so legt er dar, werde mit dem Konzept eines reinen Geistes „ein Akt imaginiert, der gar nicht vorkommt“: ‚das Denken‘. Und zweitens werde dann „ein Subjekt-Substrat“ vorgestellt, „in dem jeder Akt dieses Denkens und sonst nichts Anderes seinen Ursprung hat“: der ‚Geist‘ als dasjenige, was denkt. Demnach läge hier einerseits ein „Thun“ vor: ‚das Den-
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ken‘ ; und dann gäbe es andererseits noch einen „Thäter“: den ‚Geist‘. Beides aber, sowohl das „Thun“ als auch den „Thäter“, hält Nietzsche für Fiktionen: „sowohl das Thun, als der „Thäter“, heißt es bei ihm, „sind fingirt“. Zwar betont er, hier habe man es mit ‚ganz willkürlichen Fiktionen‘ zu tun; zugleich aber verkennt er keineswegs, dass eine solche „künstliche Zurechtmachung“ dem Zweck dient, uns unsere mentalen Aktivitäten verständlich zu machen. 39 An anderen Stellen hat er ergänzend darauf hingewiesen, die grammatische Struktur indoeuropäischer Sprachen, für die ein Subjekt-Prädikat-Schema charakteristisch ist, verlange, zu einem Geschehen einen Akteur, zu jedem Tun einen Täter hinzuzudenken, ja streng genommen hinzuzuerfinden. Das verführt dazu, ein Ereignis als Wirkung einer Ursache, ein Geschehen als bewirkt durch einen Akteur zu deuten. Und indem wir in einem weiteren Schritt den Täter als eine Art Substanz, als ein Substrat, als ein Zugrundeliegendes, als ein ‚Subjekt‘ ansetzen, gelangen wir dahin, ‚Geist‘ als dasjenige zu konzipieren, das denkt. Oft genug, so moniert Nietzsche überdies, koppeln wir das mit der Überzeugung, unser Denken sei ein mit Bewusstsein vollzogener Akt. Aber auch hierüber täuscht es sich selber. „Die längsten Zeiten“, schreibt Nietzsche in der Fröhlichen Wissenschaft, „hat man bewusstes Denken als das Denken überhaupt betrachtet“. Und jetzt erst, in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, so heißt es dann weiter, „dämmert uns die Wahrheit auf, dass der allergrösste Theil unseres geistigen Wirkens uns unbewusst, ungefühlt verläuft“. 40 Der kleinste Teil unseres Denkens wäre demzufolge ein bewusst kontrolliertes Denken, die größte Flut unserer Denkbewegungen hingegen uns selbst nicht durchsichtig, da gesteuert von unbewussten Wünschen, Trieben, Affekten, im Letzten von einem Willen zur Macht, der mit Hilfe des Denkens die Dinge in den Griff bekommen, sie beherrschen will. Der „reine Geist“ ist so gesehen nicht nur ein die wahren Tatsachen verkennendes Konzept, nein für Nietzsche ist er gar, wie er in Der Antichrist formuliert, „eine reine Dummheit“. 41 Dass gerade die Philosophen diese Dummheit begangen haben, ist für ihn alles andere als ein Zufall; sie liegt, meint er, gewissermaßen in der Logik ihres Tuns: „Das bewusste Denken, und namentlich das des Philosophen, ist die unkräftigste und desshalb auch die verhältnissmässig mildeste und ruhigste Art des Denkens: und so kann
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gerade der Philosoph am leichtesten über die Natur des Erkennens irre geführt werden“. 42 Jedoch haben sich die Philosophen nicht nur hinsichtlich der wahren Triebkräfte des Denkens Jahrhunderte lang geirrt; dazu kommt, dass sie für gewöhnlich auch das Verhältnis von Geist und Leib in einer Art und Weise gedeutet haben, die Nietzsche für grundfalsch erachtet. Philosophen wie auch Theologen haben, wie Nietzsche wiederholt scharf pointiert, „die allerersten Instinkte des Lebens“ verachtet, indem man „eine ‚Seele‘, einen ‚Geist‘ erlog, um den Leib zu Schanden zu machen“, 43 um dann die ‚Seele‘, den ‚Geist‘ als das wahre Selbst des Menschen etablieren zu können. Für Nietzsche indessen ist „das Selbst“ der Leib. Besonders prägnant hat er sich hierüber in dem Kapitel „Von den Verächtern des Leibes“ im ersten Teil von Also sprach Zarathustra ausgesprochen. Dort positioniert er sich gleich zu Beginn mit der provokanten These, „das Kind“ gehe davon aus, es sei Leib und Seele, „der Erwachte, der Wissende“ hingegen sage: „Leib bin ich ganz und gar und Nichts ausserdem; und Seele ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe“. 44 Das, was man landläufig als ‚Seele‘ oder ‚Geist‘ bezeichnet, so lässt Nietzsche seinen Zarathustra erklären, sei nichts anderes als eine Funktion körperlicher Prozesse. Nietzsches Zarathustra trennt in diesem Kapitel nicht, zumindest nicht scharf, zwischen Seele und Geist; aber daran liegt im Kontext des Gedankengangs dieses Kapitels nicht allzu viel. Entscheidender ist allemal, dass Nietzsche in ihm eine Leibphilosophie skizziert, die in der Konsequenz das herkömmliche Verhältnis zwischen Leib und Seele/Geist umkehrt: Seele/Geist sind für ihn Funktionen des Leibes, sie besitzen mithin für ihn keine davon unabhängige Existenz. Und der Leib selbst ist die „grosse Vernunft“ – und das, was man üblicherweise unter ‚Vernunft‘ versteht und die man „Geist“ nennt, infolgedessen nur eine „kleine Vernunft“. Diese „kleine Vernunft“, erklärt Zarathustra seinen Zuhörern des Weiteren, ist „ein kleines Werk- und Spielzeug deiner grossen Vernunft“. Das Denken, die Geistestätigkeit mit anderen Worten, ist abhängig von körperlichen Prozessen, von Vorgängen im Leib. Und dieser Leib als solcher ist „das Selbst“. Unter dem „Selbst“ versteht Nietzsche mithin kein Selbstbewusstsein, das von den leiblichen Vorgängen abgekoppelt, von ihnen verschieden, eine Art immaterielle Substanz im Sinne Descartes’ wäre. Nein für Nietzsche ist das Selbst eine letzte, im Körperlichen verankerte
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Instanz, die sich der Sinne und des Geistes als Werkzeuge bedient. „Das Selbst“, so lässt er Zarathustra sagen, „sucht auch mit den Augen der Sinne, es horcht auch mit den Ohren des Geistes“. 45 Das, was wir unser Ich, unser Selbstbewusstsein zu nennen pflegen, unterliegt demnach dem Einfluss der Körperlichkeit: „Hinter deinen Gedanken und Gefühlen“, fährt Zarathustra fort, „steht ein mächtiger Gebieter, ein unbekannter Weiser – der heisst Selbst. In deinem Leibe wohnt er, dein Leib ist er“. Die Konsequenz aus einer solchen Sichtweise liegt auf der Hand; Nietzsche lässt sie seinen Zarathustra in die Worte fassen: „Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe, als in deiner besten Weisheit“. Und er koppelt das mit einer entwicklungsgeschichtlichen Perspektive: „Der schaffende Leib schuf sich den Geist als eine Hand seines Willens“. 46 Aber gerade hinsichtlich dieses letzten Aspekts scheint eine eigentümliche Dialektik am Werk zu sein. Denn wenn Nietzsche auf der einen Seite betont, der Leib schaffe sich einen Geist, und zwar, wie es in diesem Zarathustra-Kapitel heißt, als sein Werkzeug, so sieht er doch zugleich auf der anderen Seite, dass sich ebendieser Geist vom Leib, vom Leben insoweit zu emanzipieren vermag, als er dem Leben, das ja von Nietzsche als vom Willen zur Macht gesteuertes Werden begriffen wird, eine Welt des vorgeblich wahren, des beharrendes Seins, ein Jenseits des Lebens, eine jenseitige Welt entgegenzusetzen vermag – eine Welt, die eben jene des ewigen Werdens negiert. Auf diese Weise ist der Geist, wie Nietzsche ausdrücklich hervorhebt, „das Leben, das selber in’s Leben schneidet“. 47 Aber steckt nicht dahinter auch der Wille zur Macht? Aber sicher doch, versichert Nietzsche sogleich und erklärt uns: „Dem Werden den Charakter des Seins aufzuprägen – das ist der höchste Wille zur Macht“. 48 Und um das leisten zu können, bedarf er eben des Geistes als eines Werkzeugs – womit erneut herauskommt: Der Geist ist für Nietzsche mitnichten ein Garant von Wahrheit und Verlässlichkeit, vielmehr ist er ein Manipulator, ein Täuscher, ein Fälscher, ein Illusionserfinder. Kommen wir auf das Verhältnis von Geist und Leib zurück. Dem Altphilologen Nietzsche stand klar vor Augen, dass die behauptete Abtrennung des Geistes von körperlichen Phänomenen in der griechischen Antike ihren Ursprung genommen hat, insbesondere, wie er in seinem Essay Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen herausstellt, bei Parmenides. Dieser nämlich habe eine „unzulängliche und in ihren Folgen ver-
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hängnisvolle erste Kritik des Erkenntnisapparats“ dadurch vollzogen, „daß er die Sinne und die Befähigung Abstraktionen zu denken, also die Vernunft jäh auseinander riß“. Und „als ob es zwei durchaus getrennte Vermögen seien, hat er den Intellekt selbst zertrümmert und zu jener gänzlich irrthümlichen Scheidung von ‚Geist‘ und ‚Körper‘ aufgemuntert, die, besonders seit Plato, wie ein Fluch auf der Philosophie liegt“. 49 Diesen Fluch zu bannen, das ist eine derjenigen Aufgaben, die der von Nietzsche so bezeichnete „befreite“, der „freie Geist“ zu leisten hat. In Menschliches, Allzumenschliches etwa schreibt er: „Der wahrhaft Freie im Geiste wird auch über den Geist selber frei denken und sich einiges Furchtbare in Hinsicht auf Quelle und Richtung desselben nicht verhehlen“, 50 was Zarathustra ja dann zu leisten unternimmt. Allein schon von dessen Konzept des Leibes als der großen Vernunft her dürfte ersichtlich sein, dass Nietzsche mit dem „freien Geist“ nicht den in seinen Augen letztlich doch etwas schwerfälligen Freigeist des Aufklärungszeitalters meint, der todernst an die Macht der Vernunft glaubt. Nietzsches „freier Geist“ – dieser ‚Philosoph der Zukunft‘, wie er ihn in Jenseits von Gut und Böse bezeichnet 51 – besitzt vor allem eine Verwegenheit des Geistes, die vor nichts – schlechterdings vor gar nichts – zurückschreckt. Er hat etwas Versucherisches, Experimentierendes; sein Lebenselixier ist der Wagemut – daher spricht Nietzsche von den „freien Geistern“ als den ‚Wagehalsen des Geistes‘, zu denen er, wie könnte es anders sein, sich selbst auch rechnet. 52 Ein Wagehals des Geistes versieht alles mit einem Fragezeichen und scheut dabei auch nicht vor solchen Themen und Angelegenheiten zurück, die traditionell hoch geachtet sind und wertgeschätzt werden. Zudem misstraut er allen überlieferten Weltdeutungen und hat keine Scheu und keinen Respekt – am wenigsten vor dem, was alle Welt wichtig nimmt und für heilig erachtet. 53 Er ist auf illusionslose Wahrheiten aus – selbst wenn sie tödlich sind. Bei alldem hat er Distanz zu sich selbst, er nimmt sich selbst nicht zu ernst, er hat etwas Spielerisches, Leichtes, Tänzerisches. Ihm ist eine mediterrane Heiterkeit zu eigen, die ihn die Dinge leichtnehmen lässt. Damit ist er der Gegentypus zum nordeuropäischen Aufklärer, der all seine Hoffnungen auf die Vernunft und damit auf strenge Logik und Gesetzmäßigkeit im Denken wie im Handeln setzt. Dieser Typus Aufklärer hat in Nietzsches Augen etwas Todernstes und Schwerfälliges an sich, er ist „bleich, nordisch, königsbergisch“. 54 In summa: Der
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Geist, der um seine eigene Herkunftsgeschichte, um seine manipulative Kraft und um sein Verhaftetsein im Leib weiß, für den der „reine Geist“ die „reine Lüge“ ist, 55 der „jedem Glauben, jedem Wunsch nach Gewissheit den Abschied giebt, geübt, wie er ist, auf leichten Seilen und Möglichkeiten sich halten zu können und selbst an Abgründen noch zu tanzen“ – „ein solcher Geist wäre der freie Geist par excellence“. 56
Ästhesiologie, Exzentrik, metaphysische Sonderstellung des Menschen und Handlung: Geistkonzepte der Philosophischen Anthropologie des zwanzigsten Jahrhunderts Ästhesiologie des Geistes und exzentrische Positionalität: Helmuth Plessner 1923 veröffentliche Helmuth Plessner (1892–1985), der für gewöhnlich neben Max Scheler und Arnold Gehlen zu den bedeutenden Vertretern der Philosophischen Anthropologie des zwanzigsten Jahrhunderts gerechnet wird, sein Buch Die Einheit der Sinne. Dieses Buch trägt den Untertitel Grundlinien einer Ästhesiologie des Geistes. In ihm unternimmt es Plessner, in den Grundzügen eine, wie er sagt, ‚neue Theorie des Geistes‘ zu entwickeln. 1 Diese neue Theorie des Geistes kristallisiert sich in dem Begriff der „Ästhesiologie des Geistes“. Mit ihm zielt Plessner darauf, die Theorie des Geistes aus der rein rationalen Betrachtung zu lösen und das für ihn unbezweifelbare Ineinandergreifen von Geistigkeit und Sinnlichkeit herauszustellen. Dieses Ineinandergreifen dieser beiden Sphären will er des Näheren verstanden wissen als Versinnlichung des Geistes und Vergeistigung des Sinnlichen. 2 Den Ausgangspunkt seiner Untersuchungen bildet die These, die Welt des täglichen Lebens sei nach ihren „sinnlichen Evidenztypen ein Organismus“ und stehe „in strenger Entsprechung zu dem Wesenstypus Mensch“. 3 Diese These bedarf fraglos der Verdeutlichung. Dazu ist zu sehen: Für Plessner gehören die Sinnesqualitäten zum „objektiven Sein der Dinge“, stellen sie für ihn doch „die möglichen Modi der Materie“ dar. 4 Damit ist gesagt: Das Aussehen der Welt hängt seiner Überzeugung nach nicht von unserem Bewusstsein ab – ist mithin für ihn durchaus kein Resultat konstruktiver Leistungen unserer Erkenntniskräfte –; vielmehr hängt nach seiner Auffassung unser Bewusstsein am Aussehen der Welt,
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ist also eine ‚Entsprechung‘, ein ‚Gegenbild‘ der Sinnesqualitäten als den Modi der objektiv vorhandenen, also von Konstitutionsleistungen unseres Bewusstseins unabhängigen Materie. Der „erscheinenden Welt“ spricht er damit objektiv existierende „Grundeigenschaften“ zu. 5 Und die Sinne nun, über die wir verfügen, begreift er als „Anpassung“ an das „Sein“, 6 an das, wie er auch sagt, „Lebensmedium“ des Menschen. 7 Diese Sinne sind Bestandteil unseres Körpers, sind Organe der Aneignung von Welt – jedoch nicht im Sinne einer simplen Abbildtheorie, sondern so verstanden, dass sie entscheidend daran beteiligt sind, einen „geistigen Gehalt“ zu begründen. Freilich ist nach Plessner diesbezüglich eine Differenzierung angezeigt, spricht er hierbei doch dem Auge und dem Ohr eine Vorrangstellung zu, sind doch sie es, die seiner Ansicht nach in erster Linie geistige Sinngebungen ermöglichen. Die anderen Sinne, die er als „Zustandssinne“ bezeichnet 8 und zu denen er Geschmack und Geruch, Getast und Schmerz, Temperatursinn, Gleichgewichtssinn und Wollust rechnet, hält er demgegenüber zu solchen Sinngebungen für nicht fähig. Solche Sinne, so schreibt er, geben uns das Bewusstsein von Zuständen stets nur „an den Sinnesflächen des eigenen Leibes“. Wärme, Kälte, Rauigkeit oder ein Duft beispielsweise erscheint für unser Bewusstsein „an den entsprechenden Reizflächen auf dem Erregungsgebiet des eigenen physischen Zustands“. Hier ist demnach keine Distanz gegeben zwischen der Sinnesfläche des Körpers und dem psychischen Zustand. Infolgedessen, so behauptet Plessner, könnten die Sinne des Zustands dem Geist kein Material liefern. „Ihr Sinn“, so hält er fest, „erschöpft sich mithin in der bloßen Vergegenwärtigung des eigenen Körpers“. 9 Die durch diese Zustandssinne hervorgerufenen Erregungen motivieren, wie er ausführt, weder eine bestimmte „Haltung des Leibes“ noch sind sie in der Lage, „Träger von Gegenständen“ zu sein, so dass „die eigentümlich verschiedenen seelischen Anmutungen“, welche mit den aus diesen Sinnen entstammenden Eindrücken verbunden sind, keinen geistigen Gehalt begründen können. „Die Zärtlichkeit des Samts“, gibt Plessner als Beispiel an, „die Schmiegsamkeit des Leders, der erdig verhalten süße Geruch des Veilchens, die abstoßende Gemeinheit des Schwefelwasserstoffs, dann die typischen Anmutungen des Kitzels, Stoßes, Streichens usw., der Geruchs- und Geschmacksarten, der kinästhetischen Empfindungen, die eindeutige seelische Qualität der Wollust- und Schmerzempfindungen werden die Richtigkeit dieses Satzes
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zum Bewußtsein bringen“. 10 Hier, so meint er, stößt die Vergeistigung der Sinne ebenso an ihre Grenze wie die Versinnlichung des Geistes. Besonders also das Auge und das Ohr stellen für Plessner Versinnlichungsweisen des Geistes dar, und zwar eben deswegen, um es noch einmal zu betonen, weil in ihrem Material – im Gegensatz zu dem der Zustandssinne – eine eigene Sinngebung stattfindet, man also bei Gesicht und Gehör spezifische Vergeistigungsmöglichkeiten antrifft. 11 Mit einer Fülle von Einzelanalysen anhand der bildenden Kunst, speziell der Malerei, und der Musik hat er diese These zu untermauern versucht. Diese Analysen legen dar, dass zu bestimmten Sinngebungen bestimmte sinnliche Materialien nötig und warum keine anderen als gerade diese möglich sind. 12 Die Nachzeichnung dieser Analysen im Einzelnen würde zu weit führen. Daher mag hier pars pro toto seine diesbezüglich grundsätzliche Ansicht hinsichtlich der Sinngebungen, also des geistigen Gehalts, der durch das Gehör vermittelten Musik angeführt werden. Die Musik, schreibt Plessner, hat es „mit Sinngefügen zu tun, die alles noch offen lassen. Durch die Akkordanz der erklingenden Töne werden (gewollt oder ungewollt) sinnadäquate Haltungen hervorgerufen. Ein Spiel von Gesten entfaltet sich und damit ein Spiel von Formen möglicher Bedeutungen aus allen Gebieten des Geistes, das der Geist durchgängig nach dem Gesetz der Ordnungsfunktion in der Einheit des Sinnes und in jenen Formen [sc. das sind die „Formen für jede mögliche bestimmte Sinnerfüllung“] begründet ist. Wie wäre es sonst erklärlich, daß bloße Wendungen, Biegungen, Krümmungen, Streckungen, welche wir, eingeschmiegt in die tönenden Figuren, erfahren, uns Sinngehalte mitteilen, daß sie uns etwas sagen?“ 13 Auch hinsichtlich des Ursprungs der Sprache vermag die Ästhesiologie des Geistes Erhellendes beizutragen, denn sie sieht die Sprache verankert „im Ganzen der menschlichen Organisation und nicht etwa nur in seiner Physis oder in seiner Vernunft“, 14 sieht Sprache mithin als Versinnlichung des Geistes und Vergeistigung des Sinnlichen an. Fassen wir kurz zusammen: Bei der Ästhesiologie des Geistes handelt es sich um eine Wahrnehmungs- und Empfindungslehre, jedoch, wie sogleich hinzugesetzt werden muss: des Geistes. 15 Die Beziehung zwischen Wahrnehmung und Empfindung auf der einen und Geist auf der anderen Seite hat demnach nicht die Form eines bloßen Entsprechens, sondern,
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wie Plessner wiederholt klarstellt, „des Verbindens“. Es besteht also auch keine bloße „Konkordanz“ zwischen beiden, auch keine bloße „Analogie“ aufgrund formaler Gemeinsamkeit, sondern man hat es mit einer „Verschmelzung zweier Größen zu einer einzigen neuen Größe“ zu tun: eben der Versinnlichung des Geistes, der Vergeistigung der Sinnlichkeit. 16 Auf diese Weise gewinnt Plessner einen weiten Begriff von ‚Geist‘, bedeutet er im Grunde doch, wie er sich ausdrückt, „die Einheit aller Auffassungsweisen […], in denen wir verstehen, nach denen wir etwas zum Ausdruck bringen können“. Ja letztlich fällt bei ihm der Begriff des Geistes mit dem der Kultur zusammen, erlaubt doch sein Ansatz, Kultur zu begreifen als ‚Werk gewordener Geist‘. 17 Auch wenn die so verstandene Ästhesiologie des Geistes den Sinnen beim Aufbau von Sinngebungen, Bedeutungen und geistigen Gehalten eine eminent wichtige Rolle zuerkennt, so verkennt Plessner doch keineswegs, dass sie allein nicht zu gültigen Urteilen über die Dinge berechtigt sind. Hierzu ist der Mensch nur aufgrund seiner „Geistigkeit“ in der Lage. Diese Eigenschaft seines Wesens „macht ihn der physischen Natur überlegen, der Umwelt fremder Körper und des eigenen Leibes“. Ohne Geist, ist Plessner überzeugt, wäre der Mensch nur Tier, wäre er „ein bloßer Spielball der Energien, welche die Materie beherrschen“. Die Geistigkeit nun „verleiht ihm die Fähigkeit des Denkens, Urteilens und Beobachtens, des Vergleichens und Schließens, die Begriffe, welche im Unterschied zu einfachen Namen das Allgemeine einer Sache herausfinden und für allen weiteren Gebrauch denkender Rede aufbewahren. Sie ist es, die in Zusammenfassung aller dieser Fähigkeiten dem Menschen die Erkenntnis fremder Gegenstände in Gegenwart und Vergangenheit, die Selbsterkenntnis sichert. Was nützen Auge und Ohr und alle die anderen Sinne, wenn nicht ein einheitliches Bewusstsein ihre Erregungen an der Peripherie auffängt, als Meldungen von der Welt sammelt, nicht ein Verstand ihren gegenständlichen Wert prüft, nicht eine Vernunft Freiheit der Überlegung gestattet?“ 18 „Echte Erkenntnis“ erweist sich für Plessner dergestalt als Produkt aus, wie er sagt, „zwei verschiedenen Fabrikationsprozessen“: dem Wahrnehmungs- und dem Denkprozess. 19 Hierin mag man eine Nähe zum Ansatz der Erkenntnistheorie Kants vermuten, gibt uns Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft doch zu bedenken, unsere Erkenntnis speise sich aus
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zwei Quellen oder Stämmen: der rezeptiven Sinnlichkeit und dem spontan agierenden Verstand. Indessen ist diese Nähe nur scheinbar. Denn wenn Plessner von der Vergeistigung der Sinnlichkeit und der Versinnlichung des Geistes spricht und dies im Sinne einer Verschmelzung von Geist und Sinnen verstanden wissen will, dann ist damit mehr und anderes gemeint, als wenn Kant behauptet, Erkenntnis stelle eine Synthese aus sinnlicher Rezeption und Verstandestätigkeit dar. Den Geist zu versinnlichen und die Sinne zu vergeistigen: Davon ist Kant weit entfernt. So teilt Plessners Ästhesiologie des Geistes mit Kants Kritik der reinen Vernunft zwar die Frage; „ihrer Tendenz und ihrem Ergebnis nach“ ist sie jedoch der Kantischen Philosophie „entgegengesetzt“. 20 Dennoch bleibt die Frage insbesondere im Blick auf die Erkenntnisfunktion: Zeigt sich der Mensch trotz der von Plessner aufgezeigten Möglichkeit, wie der Geist versinnlicht und die Sinne vergeistigt werden können, nicht doch in seinem Wesen zwiefältig? Denn einerseits ist er ja abhängig von seiner leiblichen und sinnlichen Beschaffenheit, und andererseits kann er sich mittels seines Geistes darüber erheben. Dass dem so ist, räumt Plessner ein; er stellt zugleich aber noch einmal heraus, trotz solcher „Zwiespältigkeit“ zeige der Mensch aber auch „verbindende Einheit aus dieser Dualität im Resultat des die Gegenstände zutreffend beurteilenden Gedankens“. 21 Ja Plessner geht sogar so weit zu behaupten, von seiner Ästhesiologie des Geistes her ließen sich Ansätze zu einer Lösung des Leib-Seele-Problems gewinnen, das die neuzeitliche Philosophie und Psychologie, wie wir wissen, seit Descartes mit sich herumschleppt. Entscheidend hierbei ist, dass er die Sinnesmodalitäten als Verbindungsmodalitäten von Geist und Leib begreift sowie dass, wie er glaubt nachweisen zu können, die Sinnesmodalitäten möglichen Haltungen des Leibes konkordant sind und „ursprüngliche Gegenwart des Geistes […] nur an Leibern in ihrer Haltung ablesbar“ ist 22 – woraus für ihn folgt, „daß der Leib als Einheit der Haltung die qualitative Form und Gestalt ist, in welcher Körper und Seele miteinander verankert existieren“. 23 Einmal abgesehen davon, dass hier unvermittelt und unvermutet der Begriff der Seele ins Spiel kommt und Plessner an dieser Stelle ‚Seele‘ und ‚Geist‘ augenscheinlich als Synonyme begreift, stellt sich die Frage, ob mit diesen Ausführungen tatsächlich das Leib-Seele-Problem geklärt ist.
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Plessners eigene Einschätzung der Sachlage scheint vorsichtig zu sein, spricht er doch lediglich davon, unter Zugrundelegung des Konzepts der Sinnesqualitäten als Verbindungsweisen von Geist und Leib ließen sich „Ansätze“ zu einer Lösung skizzieren. Aber im Blick auf dieses Konzept spricht er selbst von der „Unfertigkeit“ seiner Darlegungen und will sie als ‚erste Ergebnisse‘ einer neuen, kritischen Analyse der Sinne verstanden wissen. 24 Das Thema Geist hat Plessner auch in der Folgezeit beschäftigt. In seinem nächsten größeren Werk – Die Stufen des Organischen und der Mensch aus dem Jahre 1928 – hat er die Akzente indessen ganz anders gesetzt. In diesem Werk bestimmt Plessner die Sphäre des Menschen als die einer „exzentrischen Positionalität“. Wahrscheinlich erschließt sich die Bedeutung dieses Begriffs nicht auf Anhieb, so dass er einer kurzen Erläuterung bedarf. Das gemeinsame Merkmal alles Lebendigen – also von Pflanze, Tier und Mensch – ist für Plessner die „Positionalität“. Das bedeutet im Blick auf Pflanzen und Tiere: Sie haben eine fest geordnete Position im Leben. Pflanzen zum Beispiel sind in allen ihren Lebensäußerungen unmittelbar ihrer Umgebung eingegliedert; sie sind ein ‚unselbständiger Abschnitt des ihnen entsprechenden Lebenskreises‘. 25 Mit anderen Worten: Sie haben eine bestimmte Position innerhalb ihres Lebenskreises. Ähnlich verhält es sich mit den Tieren: Durch angeborene Triebe und Wahrnehmungen sind sie auf eine spezifische Umwelt hin orientiert. Und sie bleiben ihr ganzes Leben lang in diesem fest geschlossenen System von Trieb, Wahrnehmung und Triebhandlung. Dies ist ihre Positionalität. Daran können sie nichts ändern. Mit dem Menschen nun wird nach Plessner keine grundsätzlich neue Organisationsform erreicht. Also ist auch der Mensch Positionalität, aber eben, wie Plessners zentrale These besagt, exzentrische Positionalität. Das Tier, so führt er aus, lebt im Hier und Jetzt, es geht im Hier und Jetzt auf. Aber es vermag nicht, sein Leben im Hier und Jetzt „gegenständlich“ zu machen, das heißt, es ist nicht in der Lage, sich sein Leben im Hier und Jetzt zu Bewusstsein zu bringen und über es nachzudenken. Anders hingegen sieht die Sachlage beim Menschen aus. Er nämlich vermag sein Leben im Hier und Jetzt zu reflektieren; ihm ist bewusst, dass er in einem Zusammenhang mit seinem Umfeld steht. Während das Tier diesen Zusammenhang einfach lebt, weiß der Mensch zudem darum, dass er in
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diesem Zusammenhang steht. Und das wird ihm dadurch ermöglicht, dass er sich von sich selbst distanzieren, dass er sich gewissermaßen von außen betrachten kann. Dem Menschen, heißt es bei Plessner, ist „die Zentralität seiner Existenz bewußt geworden“. Ihm ist, anders gesagt, bewusst geworden, dass er inmitten eines Umfelds lebt. Das Leben des Menschen, fasst Plessner zusammen, „hat sich selbst, es weiß um sich, es ist sich selber bemerkbar und darin ist es Ich, der ‚hinter sich‘ liegende Fluchtpunkt der eigenen Innerlichkeit“. 26 Auf diese Weise lebt und erlebt der Mensch nicht nur, „sondern er erlebt sein Erleben“. 27 Halten wir fest: Wie das Tier ist auch der Mensch „in die Mitte seiner Existenz gestellt“. 28 Aber während das Tier darauf beschränkt bleibt, weiß der Mensch, dass er in der Mitte seiner Existenz steht: Er erlebt diese Mitte. Und weil er sie erlebt – er sie also zum Gegenstand machen, zu ihr Distanz gewinnen kann –, ist er zugleich über die Mitte hinaus, steht er ex centro, ist er das exzentrische Lebewesen. Dergestalt ist der Mensch einerseits die Mitte seiner Existenz – dies ist seine Positionalität –, und er ist zugleich darüber hinaus – dies ist seine exzentrische Positionalität, dies macht seine Exzentrik aus. Allein dem Menschen ist es möglich, sich selbst „in voller Rückwendung“ zu erfassen. Allein der Mensch fühlt sich, wird sich seiner selbst inne; allein er kann seinem Wollen, Denken, Treiben, Empfinden zusehen. Exzentrik, hält Plessner daher fest, „ist die für den Menschen charakteristische Form seiner frontalen Gestelltheit gegen das Umfeld“. 29 Und dennoch bleibt er bei all dem an das Hier und Jetzt gebunden. Er ist eben nicht nur exzentrische Positionalität, sondern, wie Pflanze und Tier, auch Positionalität. Positional liegt nach Plessner beim Menschen mithin ein Dreifaches vor: Der Mensch als Leben ist Körper, im Körper (nämlich als Innenleben oder Seele) und außer dem Körper, das heißt als Blickpunkt, von dem aus er beides ist. Und ein Lebendiges, das auf diese Weise positional dreifach charakterisiert ist, nennt Plessner eine Person. Das kann für ihn natürlich nur ein Mensch sein. Denn nur der Mensch „ist das Subjekt seines Erlebens, seiner Wahrnehmungen und seiner Aktionen, seiner Initiative. Es weiß und es will“. 30 Von diesem Konzept der exzentrischen Positionalität ist nun auch der Begriff des Geistes geprägt, den Plessner in diesem späteren Werk, wenngleich nur kurz und umrisshaft, entwickelt. Und zwar verortet er den
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Geist in der von ihm so genannten „Wirsphäre“, 31 der Sphäre der Mitwelt. Eine Mitwelt, so sagt Plessner hier, sei den Menschen durch die exzentrische Positionsform gewährleistet. Das will sagen: Mitwelt ist für Plessner die vom Menschen „als Sphäre anderer Menschen erfaßte Form der eigenen Position“. Infolgedessen wird für ihn die Mitwelt durch die exzentrische Positionsform gebildet und zugleich ihre Realität gewährleistet. In dieser Sichtweise liegt Mehreres beschlossen. Zunächst einmal ist Mitwelt für Plessner nichts, was dem Menschen erst aufgrund bestimmter Wahrnehmungen zum Bewusstsein kommen müsste, obwohl sie, wie er sogleich einräumt, „im Lauf der Erfahrung bei Gelegenheit bestimmter Wahrnehmungen Farbe und Leben gewinnt“. 32 Ferner umgibt die Mitwelt nicht die Person, wie es etwa die Natur tut. Sie erfüllt auch nicht die Person, wie wir, auch wenn das inadäquat ist, von der Innenwelt sagen, sie erfülle uns. Vielmehr, so will Plessner zu verstehen geben, trägt die Mitwelt die Person, und zwar „indem sie zugleich von ihr getragen und gebildet wird“. 33 Und genau hier, in dieser „Wirsphäre“, verortet Plessner nun den Geist, beruht doch, wie er sagt, „der geistige Charakter der Person in der Wir-form des eigenen Ichs, in dem durchaus einheitlichen Umgriffensein und Umgreifen der eigenen Lebensexistenz nach dem Modus der Exzentrizität“. 34 Um ihn hier richtig zu verstehen, ist zu beachten, dass Plessner betont, mit „Wir“ meine er nicht eine aus der Wirsphäre ausgesonderte Gruppe oder Gemeinschaft, die zu sich „Wir“ sagen kann, sondern die mit „Wir“ bezeichnete Sphäre als solche. Und nur diese, so schärft er ein, dürfe „in Strenge“ Geist heißen. „Geist“ ist demnach für Plessner mehr als ein subjektiv-individuelles Vermögen; „Geist“ transzendiert ebendiese subjektiv-individuelle Sphäre, hat seinen Ort im „Wir“ einer Sphäre der Mitwelt. Diesen in einem ersten Zugriff so gefassten Geist grenzt Plessner gegen Seele und Bewusstsein ab, und zwar wie folgt: Seele ist für ihn real als „die binnenhafte Existenz der Person“, 35 also als das, was man gemeinhin als die „Innenwelt“ bezeichnet. 36 In Abhebung hiervon ist Bewusstsein der durch die Exzentrizität der personalen Existenz bedingte Aspekt, in dem die Welt sich darbietet. Bewusstsein braucht demnach ein Außen, eine Welt. Geist hingegen ist, wie Plessner noch einmal klarstellt, realisiert in der Mitwelt. Und er ist nur hier realisiert, macht daher, wie Plessner ausdrücklich hervorhebt, keine hiervon unabhängige „Realität“ aus. 37
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Oftmals werden und wurden, wie wir wissen, Geist, Seele, Subjekt und Bewusstsein als „Äquivalente“ behandelt oder synonym verwandt. Für Plessner entstehen hieraus dann solche, wie er sagt, „verhängnisvolle Anschauungen“ wie etwa von der Geistigkeit der Welt oder der Allbeseeltheit. Daher empfiehlt es sich für ihn, im Sinne einer präzisen Terminologie Begriffe wie die genannten voneinander abzuheben. Dann, so hofft er, werde begreiflich, dass Geist nicht als Subjektivität oder Bewusstsein oder Intellekt ist, sondern nur als „Wirsphäre“. Nur als „Wir“ ist der Mensch Geist, hat er Geist, aber wohlgemerkt: Er hat ihn nicht in derselben Weise, wie er einen Körper und eine Seele hat. Seele hat er, weil er sie ist und lebt. Geist dagegen „ist die Sphäre, kraft deren wir als Personen leben, in der wir stehen, gerade weil unsere Positionsform sie erhält“. 38 Diesen Sachverhalt hat Plessner mit folgender Gedankenlinie weiter zu verdeutlichen versucht. Als Glied der Mitwelt steht jeder Mensch da, wo der andere steht. Streng genommen gibt es so gesehen in der Mitwelt nur „Einen Menschen“ oder, wie er meint, noch genauer ausgedrückt, „die Mitwelt gibt es nur als Einen Menschen“. Sie, so betont er, sei „absolute Punktualität, in der alles, was Menschenantlitz trägt, ursprünglich verknüpft bleibt“. Hierbei ist er sich selbstverständlich des Umstands bewusst, dass die „vitale Basis“ der so gedeuteten Mitwelt „in Einzelwesen auseinandertritt“. 39 In Anbetracht solcher Ausführungen wird ersichtlich, dass auf den Geist als Wirsphäre traditionelle Zuordnungen wie ‚subjektiv‘ oder ‚objektiv‘ nicht anwendbar sind. Freilich darf das, wie Plessner warnt, nun nicht so missverstanden werden, als habe man es beim Geist, als Wirsphäre verstanden, mit einem ‚absoluten‘ Geist, beispielsweise im Sinne Hegels, zu tun. Solche Zuschreibungen und Kategorisierungen sind Plessners Konzept des Geistes in den Stufen unangemessen, lässt sich die Sphäre des Geistes doch „nur als subjektiv-objektiv neutral, d. h. als gegen die Unterscheidung von Subjekt und Objekt indifferent bestimmen“ – ist er ja nur, wie Plessner seine Ansicht noch einmal bekräftigend schreibt, „die mit der exzentrischen Positionsform des Menschen gegebene Sphäre“. Und da Exzentrizität die den Menschen kennzeichnende Form seiner, mit Plessners Worten gesagt, „frontalen Gestelltheit gegen das Umfeld“ bedeutet, wird das „ursprüngliche Paradoxon“ begreiflich, das mit der Lebenssituation des Menschen gegeben ist: „daß er als Subjekt gegen
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sich und die Welt steht und zugleich darin diesem Gegensatz entrückt ist“. 40 Ohne Frage hat Plessner hiermit ein eigenwilliges Konzept von Geist vorgelegt. Und es wird unschwer zu erkennen sein, dass dieses Konzept des Geistes aus den Stufen entscheidend anders ausgerichtet ist als jenes, das er in Die Einheit der Sinne vorgestellt hat. Thematisierte er dort den Geist in seinen Beziehungen zu den menschlichen Sinnen, so verankert er die Geistigkeit des Menschen nun in der mitweltlichen Wirsphäre. Jeglicher Bezug des Geistes zur Sinnlichkeit des Menschen bleibt nun ausgeblendet, ja die Sinne werden in den Stufen gar nicht zum Thema der Erörterung. Das ist insofern befremdlich, ja geradezu irritierend, weil es Plessner in den Stufen doch um eine Anthropologie, eine Lehre vom Menschen geht und man mit gutem Grund erwarten kann, dass die Sphäre der Sinnlichkeit und ihre Beziehungen zur geistigen mit thematisiert würde. Dem indessen ist nicht so, und so bleiben die beiden Konzepte von Geist, die Plessner entwickelt hat, unverbunden neben- oder besser: nacheinander bestehen.
Der Geist als „neue Wesenstatsache“ des Menschen: Max Scheler Neben Helmuth Plessner und Arnold Gehlen zählt der 1874 in München geborene und 1928 während einer Vortragsreise in Frankfurt am Main gestorbene Max Scheler, wie erwähnt, zu den prominenten und wirkmächtigen Repräsentanten der Philosophischen Anthropologie des zwanzigsten Jahrhunderts. Diese Einschätzung gründet sich vor allem auf sein schmales, gleichwohl inhaltsreiches Buch Die Stellung des Menschen im Kosmos, das aus einem Vortrag, den Scheler 1927 in Darmstadt gehalten hatte, hervorgegangen und in seinem Todesjahr erschienen ist. Den Ausgangspunkt dieser Schrift markiert Schelers Überzeugung, zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts mangele es an einer „einheitliche[n] Idee vom Menschen“. 41 Vielmehr würden drei verschiedene Auffassungen, die sich nicht bruchlos zu einer Einheit zusammenfügen ließen, unser Bild vom Menschen bestimmen. Erstens gibt es die jüdisch-christliche Tradition,
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gemäß der der Mensch als Geschöpf Gottes zu begreifen ist, der sich aufgrund seiner Ursünde gegen den Schöpfer gestellt hat und deswegen aus dem paradiesischen Urzustand vertrieben wurde. Zweitens existiert der griechisch-antike Gedankenkreis, in dem sich – wohl zum ersten Mal in der Welt – das Selbstbewusstsein des Menschen zu einem Begriff seiner Sonderstellung erhob mit der These, der Mensch sei durch den „Logos“, also durch Vernunft und Sprache ausgezeichnet. Und dann ist da drittens der Gedanke der modernen Naturwissenschaft und der genetischen Psychologie, der Mensch stelle ein sehr spätes Ergebnis der Evolution dar und er unterscheide sich von der Tierwelt allenfalls graduell. Dergestalt, so Scheler, besitzen wir zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts eine theologische, eine philosophische und eine naturwissenschaftliche Anthropologie, denen indessen „jede Einheit untereinander“ fehlt und „die sich nicht umeinander kümmern“, mit der Folge, dass wir kein einheitliches Menschenbild mehr haben. 42 Für Scheler kann man es hierbei nicht einfach bewenden lassen. Zweifellos gehört der Mensch morphologisch gesehen zu den Wirbel- und Säugetieren. Das wird von ihm auch gar nicht Abrede gestellt. Aber die Frage für ihn ist: Ist damit tatsächlich das letzte Wort über den Menschen gesagt? Oder kommt ihm nicht dennoch, verglichen mir der Tierwelt, eine, wie er meint, unvergleichliche Sonderstellung zu? Damit ist die Leitfrage seiner Untersuchung formuliert, die in sich bereits eine These enthält. Um diese Frage beantworten zu können, erörtert Scheler zunächst das Wesen des Menschen im Verhältnis zu Pflanze und Tier und daran anschließend „die metaphysische Sonderstellung des Menschen“. 43 Dergestalt entwickelt Scheler ein zweifaches methodisches Vorgehen. Erstens bezieht er sich auf die Ergebnisse empirischer Wissenschaften, insbesondere aus Biologie und Psychologie. Bei den anthropologisch entscheidenden Thesen verfährt er, zweitens, philosophisch-metaphysisch, das heißt, hier überschreitet er den Rahmen, innerhalb dessen sich die empirischen Wissenschaften bewegen. Nimmt man den Aufbau der biopsychischen Welt in den Blick, dann kann man nach Scheler eine „Stufenfolge der psychischen Kräfte“ erkennen, die für ihn zugleich eine Rangfolge darstellt. 44 Und zwar markiert die unterste Stufe des Psychischen das, was er „Gefühlsdrang“ nennt und womit er ganz wesentlich den allgemeinen Drang zu Wachstum und Fortpflan-
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zung meint. 45 Die nächste Stufe erkennt er im „Instinkt“. Instinktives Verhalten dient der Erhaltung und der Fortpflanzung – sowohl des Individuums als auch der Art – und läuft nach einem festen, unveränderlichen Rhythmus ab. Die dritte psychische Form, die Scheler anführt, bezeichnet er als „assoziatives Gedächtnis“. Hierunter fasst er bestimmte Verhaltensweisen, die aufgrund früherer Erfahrungen erfolgen. Und als die vierte Form des psychischen Lebens gilt ihm die „praktische Intelligenz“, die er für prinzipiell noch organisch gebunden erachtet. 46 Solch praktische Intelligenz bekundet sich in Wahlfähigkeit und Wahlhandlung. Unter Bezugnahme auf die in den 1920er Jahren von Wolfgang Köhler durchgeführten Versuche mit Schimpansen ist praktische Intelligenz für Scheler gekennzeichnet durch nicht reproduktives, sondern produktives Denken, durch „die Antizipation, das Vorher-Haben eines neuen, nie erlebten Tatbestandes (pro-videntia, Klugheit, Schlauheit, List)“. 47 Und nun behauptet Scheler: Mit keiner dieser vier Stufen ist etwas spezifisch Menschliches erfasst, da ja auch schon assoziatives Gedächtnis und praktische Intelligenz in der Tierwelt anzutreffen sind (wenn auch höchstwahrscheinlich nicht auf allen Ebenen, so doch auf den höher entwickelten). Damit ist zu verstehen gegeben: Das zunächst eingeschlagene methodische Vorgehen – nämlich sich auf die Ergebnisse von Biologie und Psychologie zu berufen – bringt den Menschen als solchen gar nicht in den Blick und legt die Ansicht nahe, der Mensch unterscheide sich allenfalls graduell, jedoch nicht prinzipiell von der Tierwelt. Würde man nun bei den bislang beigebrachten Ergebnissen stehen bleiben, dann würde man, wie Scheler die Angelegenheit beurteilt, vorzeitig die Untersuchung beenden – mit der Konsequenz: Dann kommt das spezifisch Menschliche gar nicht in den Blick. Dann schiene der Mensch nichts weiter als ein Tier zu sein, ein hochentwickeltes zwar, aber doch lediglich ein Tier. Will man die Untersuchung hinsichtlich dessen, was der Mensch ist, jedoch weitertreiben, dann muss sie philosophisch werden, was, wie gesagt, für den Anthropologen Scheler bedeutet, sie muss den Rahmen, innerhalb dessen sich die Erfahrungswissenschaften bewegen, überschreiten. Und diese Überschreitung ist geleitet von der Idee, der Mensch nehme im Kosmos eine Sonderstellung ein und diese sei darin begründet, dass er das einzige Wesen ist, das „Geist“ besitzt. Geist, so erklärt Scheler in einem ersten Zugriff, stehe hoch über dem, was man Intelligenz und Wahlfähigkeit nenne.
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Vielmehr sei damit ein neues Prinzip benannt, eines, das, so Scheler wörtlich, „außerhalb alles dessen, was wir ‚Leben‘ im weitesten Sinne nennen können“, steht. Ja es sei gar „ein allem und jedem Leben überhaupt, auch dem Leben im Menschen entgegengesetztes Prinzip: eine echte neue Wesenstatsache, die als solche überhaupt nicht auf die ‚natürliche Lebensevolution‘ zurückgeführt werden kann, sondern, wenn auf etwas, nur auf den obersten einen Grund der Dinge selbst zurückführt: auf denselben Grund, dessen eine große Manifestation das ‚Leben‘ ist“. 48 Wenn Scheler hier sagt, der Geist sei ein dem Leben entgegengesetztes Prinzip, dann kann das leicht missverstanden und im Sinne der von Ludwig Klages verwendeten Formel vom Geist als „Widersacher“ der Seele beziehungsweise des Lebens gelesen werden. Eine solche Feindschaft zwischen Geist und Leben heraufzubeschwören, ist indessen gar nicht Schelers Absicht. Zwar behauptet er mit der angeführten Stelle einen Unterschied zwischen Geist und Leben. Diesen jedoch begreift er nicht als einen unüberbrückbaren Gegensatz und den Geist nicht als eine selbständige Macht, die völlig vom Lebendigen getrennt wäre. Vielmehr, so stellt er an späterer Stelle seiner Ausführungen klar, verdankt der Geist seine Energie den Trieben; sie entspringt also aus vorrationalen Tiefen. „Geist und Leben“, hält er fest, „sind aufeinander hingeordnet – es ist ein Grundirrtum, sie in eine ursprüngliche Feindschaft, in einen ursprünglichen Kampfzustand zu bringen“. 49 Geist ist ebenso wie das Leben eine „Manifestation“ des obersten Grunds aller Dinge, des „Weltgrunds“, wie Scheler auch sagt, den er aber nicht als „einen geistigen, in seiner Geistigkeit allmächtigen persönlichen Gott“ begreift. 50 Bereits die Griechen, schreibt Scheler, behaupteten ein solches Prinzip des Geistigen und nannten es „Vernunft“: „Logos“. Für Scheler ist dieser Begriff zu eng gefasst, zielt er doch primär auf das „Ideendenken“, auf das Erfassen von Allgemeinem. Geist, so wie er ihn begreift, umfasse jedoch mehr, nämlich darüber hinaus auch eine bestimmte Art von „Anschauung“ – die von „Urphänomenen oder Wesensgehalten“ –, zudem eine bestimmte Klasse volitiver und emotionaler Akte wie Güte, Liebe, Reue, Ehrfurcht, geistige Verwunderung, Seligkeit und Verzweiflung, die freie Entscheidung mitumfasst. 51 Diesen Geist nun sieht Scheler durch drei Wesensmerkmale charakterisiert: Weltoffenheit, Selbstbewusstsein und reine Aktualität. Hierbei
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handelt es sich um Merkmale, die nicht getrennt voneinander bestehen, sondern nur in ihrer Einheit das ausmachen, was Scheler als „Geist“ gilt. Sehen wir uns diese drei Merkmale im Einzelnen etwas genauer an. Bereits Johann Gottfried Herder hatte in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts gesagt, aufgrund der gegenüber dem Tier mangelnden Spezialisiertheit der Sinne und der Organe sowie des Fehlens der den Tieren eigentümlichen Instinktsicherheit sei er umweltfrei und offen für die Welt, sei er „der erste Freigelassene der Schöpfung“. 52 Für diesen Sachverhalt prägt nun Scheler den Begriff der „Weltoffenheit“. Er versteht ihn im Sinne „der prinzipiellen Abschüttelung des Umweltbannes“. 53 Aufgrund dieser Weltoffenheit ist der Mensch – anders als das Tier, das an seine Umwelt gebunden, in sie eingefügt ist und sie nicht transzendieren kann – für Scheler in der Lage, Abstand zu den Dingen zu gewinnen. Das beweist sich für Scheler insbesondere darin, dass der Mensch nicht nur das Dasein, sondern auch das „Sosein“ von Sachen zu erfassen vermag. Das heißt, er kann die Dinge, die ihn umgeben, zu einer Sache für sich machen. Daher ist Weltoffenheit bei Scheler näher bestimmt als „Sachlichkeit, Bestimmbarkeit durch das Sosein von Sachen selbst“. „Geist“, schreibt Scheler, „‚hat‘ nur ein zu vollendeter Sachlichkeit fähiges Lebewesen“. 54 Zudem schließt Weltoffenheit im Sinne der prinzipiellen Abschüttelung des Umweltbanns für ihn eine eigenartige „Fernstellung“ ein: eine „Distanzierung der ‚Umwelt‘ zur ‚Welt‘“ beziehungsweise zu einem Symbol der Welt, 55 etwa in Kunst, Musik, Sprache, Mythen und Religionen, also zu dem, was Ernst Cassirer „symbolische Formen“ genannt hat. Kraft seines Geistes ist der Mensch für Scheler mithin „das X, das sich in unbegrenztem Maße ‚weltoffen‘ verhalten kann, Menschwerdung ist Erhebung zur Weltoffenheit kraft des Geistes“. 56 Und als das weltoffene Wesen kann er sich von Vorstellungen, selbst abstrakten, und Vorstellungskomplexen sowie von Ideen motivieren lassen. Als ein weltoffenes Geistwesen ist er zudem fähig, seine Triebimpulse zu hemmen oder aber auch eine zunächst zurückgehaltene Triebregung zu enthemmen, was dann alles zu den entsprechenden Handlungen führen kann. 57 Wenden wir uns nun dem zweiten Merkmal des Geistes, dem Selbstbewusstsein, zu, so finden wir es von Scheler grundlegend definiert als „Bewußtsein des geistigen Aktzentrums von sich selbst“, womit eine „Zurückbeugung und Zentrierung“ der menschlichen Existenz 58 ausgesagt
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ist, also das, was man auch als ‚Selbstreflexion‘ oder ‚Ichbewusstsein‘ bezeichnet. Das Eigentümliche des Selbstbewusstseins besteht für Scheler darin, dass der Geist es dem Menschen ermöglicht, „seine eigene physiologische und psychische Beschaffenheit und jedes einzelne psychische Erlebnis, jede einzelne seiner vitalen Funktionen selbst wieder gegenständlich zu machen“. 59 Demnach setzt Scheler die Grundfunktion des Selbstbewusstseins darein, dass der Mensch dank seines Geistes jede seiner geistigen und vitalen Funktionen zum Gegenstand machen kann, genauer gesagt: zum Gegenstand seines Nachdenkens, seiner reflektierenden Tätigkeit. „Das Tier hat sich selbst“, hält Scheler zwecks Verdeutlichung dieser Gedankenlinie fest, „aber ohne zu wissen, daß es hört und sieht. Die Psyche des Tieres funktioniert, lebt – aber das Tier ist kein möglicher Psychologe und Physiologe!“ Aufgrund dieses Sachverhalts, dass das mit Geist ausgestattete Wesen Mensch jeden seiner vitalen und psychischen Akte gegenständlich machen kann, verfügt es über die Möglichkeit, „sein Leben frei von sich zu werfen“, sprich Selbstmord zu begehen. Aber dies ist nur ein Nebenaspekt in Schelers Ausführungen zum Selbstbewusstsein. Entscheidender ist ihm an etwas anderem gelegen, daran nämlich, zu betonen, dass ein seiner selbst bewusstes Wesen sich auf dreifache Weise gegeben ist. Anorganische Gebilde, so legt er dar, haben kein solches „Inne- und Selbstsein“ wie ein mit Selbstbewusstsein begabtes Wesen. Auch haben sie kein Zentrum, das seinsmäßig zu ihnen gehörte, folglich auch „kein Medium, keine Umwelt“. Anders sieht es schon bei der Pflanze aus. Ihr eignet sowohl ein Zentrum als auch ein Medium, in das sie hineingesetzt ist. Dennoch mangelt ihr eine Rückmeldung ihrer verschiedenen Zustände an ihr Zentrum. Aber, so Scheler weiter, „ein ‚Innesein‘ überhaupt und damit Beseeltheit besitzt die Pflanze“ – was wohl so gelesen werden will, dass Scheler der Pflanze eine Psyche zuspricht, die Ernährung, Wachstum und Fortpflanzung organisiert. Der nächsten Stufe auf der scala naturae, dem Tier, spricht Scheler Empfindung und Bewusstsein und damit eine Rückmeldung der wechselnden Zustände seines Organismus und eine Modifizierbarkeit seines Zentrums durch Rückmeldung zu. Auf diese Weise ist sich das Tier, wie Scheler sich ausdrückt, „schon ein zweites Mal gegeben“. Überboten wird das durch das Wesen Mensch mit seinem Selbstbewusstsein; es ist sich ein drittes Mal gegeben: Der Mensch hat Zustän-
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de, er empfindet diese Zustände (er hat Bewusstsein) und weiß, dass er es ist, der diese Zustände hat und empfindet (das heißt, er besitzt über das Bewusstsein hinaus außerdem Selbstbewusstsein). Scheler fasst diese Überlegungen hinsichtlich der dreifachen Art und Weise des Sich-gegeben-Seins mit der sehr hegelisch klingenden Wendung zusammen: „Ist das nicht, als gäbe es eine Stufenleiter, auf der ein urseiendes Sein sich im Aufbau der Welt immer mehr auf sich selbst zurückbeugt, um auf immer höheren Stufen und in immer neuen Dimensionen sich seiner inne zu werden – um schließlich im Menschen sich selbst ganz zu haben und zu erfassen?“ 60 Aus dieser im Geist und im Selbstbewusstsein wurzelnden „Seinsstruktur“ des Menschen leitet Scheler nun in der Folge eine Reihe „menschlicher Besonderheiten“ ab, als das etwa wären: Nur der Mensch hat die „vollkommen ausgeprägte konkrete Ding- und Substanzkategorie“, das heißt, er kann im Wechsel der sich ändernden Eigenschaften das Beharrende erfassen und auf einen „identischen Realitätskern“ beziehen. Ferner verfügt nur der Mensch von vornherein über einen „einigen Raum“, 61 der unabhängig von den Ortsbewegungen als stabiler Hintergrund verharrt. Tiere, meint Scheler, erleben Zeit und Raum zudem als erfüllt, als „voll“, während der Mensch demgegenüber Raum und Zeit als „Leerformen“ hat, über die er unabhängig von sie erfüllenden Gegenständen verfügt. Und schließlich kann der Mensch dank seines Selbstbewusstseins Distanz zu sich selbst gewinnen, sich über das eigene Dasein erheben, wie es beispielsweise typisch für Ironie und Humor ist. 62 Blicken wir nun abschließend auf das dritte Wesensmerkmal des Geistes: die von Scheler so genannte „pure Aktualität“. Damit will er akzentuieren: Der Geist des Menschen hat sein Sein nur „im freien Vollzug seiner Akte“. Demnach ist der Geist für Scheler kein Gegenstand, keine Substanz – etwa im Sinne der cartesischen res cogitans –, nichts Materielles. „Das Zentrum des Geistes“, schreibt Scheler, „die ‚Person‘, ist also weder gegenständliches noch dingliches Sein, sondern nur ein stetig selbst sich vollziehendes (wesenhaft bestimmtes) Ordnungsgefüge von Akten. Die Person ist nur in ihren Akten und durch sie“. 63 Alles Psychische, so hatten wir von Scheler vernommen, ist gegenstandsfähig; nicht aber, wie er nun erklärt, der Geistesakt selbst, die „Intentio“, dasjenige, was die psychischen Vorgänge selbst noch schaut. Zu ihm hin, so gibt er sich überzeugt, kön-
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nen wir uns nur „sammeln“, zu ihm hin können wir uns nur „konzentrieren“ – „nicht aber es objektivieren“. 64 Es gibt also, anders gesagt, Schelers Darlegungen zufolge in unserem Geist keine objektivierbare Instanz, die unsere psychischen Akte schaut. Denn verhielte es sich so, dann könnte man einen Schritt weiter gehen und fragen, welche Instanz denn ihrerseits diese Instanz „schaut“, die unsere psychischen Akte anschaut – und so weiter in einem unendlichen Regress. Dieses in der neueren Debatte um die Theorie des Geistes als „Homunculus-Problem“ bekannte Dilemma kann Scheler elegant dadurch vermeiden, dass er von vornherein klarstellt, das Aktzentrum der Person sei nicht objektivierbar. Aber er kann das nur um den Preis, dass er einen Weltengrund annimmt, ‚einen übersingulären Geist‘, einen „Urgrund“, ein „Urseiendes“, das sich im Aufbau der Welt im Selbstbewusstsein des Menschen seiner inne wird „in dem selben Akte, in dem der Mensch sich in ihm gegründet schaut“ 65 und an dem wir „nur durch Mitvollzug Teil gewinnen“ – und zwar des Näheren „an einer Wesensordnung, soweit es sich um den erkennenden Geist, an einer objektiven Wertordnung, soweit es sich um den liebenden Geist, an einer Zielordnung des Weltprozesses, soweit es sich um den Geist als wollenden handelt“. 66 Dergestalt erweist sich Schelers anthropologisches Konzept, das von der Idee einer Sonderstellung des Menschen im Stufenbau der Welt, ja gar, wie der Buchtitel zu verstehen gibt, „im Kosmos“, geleitet ist, am Ende von einer unverkennbar metaphysisch-religiösen Unterströmung durchzogen, die auch seine Theorie des Geistes nachhaltig bestimmt.
Die Handlung und die vitale Basis geistiger Aktivitäten: Arnold Gehlen Johann Gottfried Herder vertrat insbesondere in seiner 1772 publizierten Abhandlung über den Ursprung der Sprache die Auffassung, der Mensch sei von Natur aus mit spezifischen Mängeln behaftet, die seine Erhaltung unter rein natürlichen Bedingungen gefährden können. 67 Diese im Übrigen schon von Platon her bekannte Bestimmung des Menschen als biologisches Mängelwesen hat vornehmlich Arnold Gehlen (1904–1976) in
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seiner Schrift Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, die er 1940 veröffentlichte, aufgegriffen und zum Ausgangspunkt seiner anthropologischen Reflexion genommen. Für Gehlen gehört das „Unfertigsein“ zur Natur des Menschen, gehört es zu seinen physischen Existenzbedingungen. Infolgedessen ist er das gefährdete, das „riskierte“ Wesen, wie Gehlen sagt, „mit einer konstitutionellen Chance, zu verunglücken“. 68 Aus dieser konstitutionellen Unfertigkeit des Menschen leitet Gehlen nun ab, der Mensch müsse sich zu etwas machen, er sei also das auf Handlung gestellte Wesen. Nach Gehlens Sicht der Dinge ist der Mensch erst dann lebens-, ja überlebensfähig, wenn es ihm, ganz gleich wo auf der Erde, gelingt, sich eine zweite Natur zurechtzumachen, in der er dann statt in der „Natur“ existiert: Das ist, wie Gehlen schreibt, in einer Welt „der vom Menschen tätig, arbeitend bewältigten, veränderten und verwerteten Naturbedingungen, einschließlich der bedingteren, entlasteten Fertigkeiten und Künste, die auf jener Basis erst möglich werden“, kurz: in einer Welt der Kultur. 69 Diese Welt der Kultur ist Produkt der eigentätigen Bewältigung der Weltoffenheit, ist Resultat der produktiven Wendung der mit der Natur gegebenen unmittelbaren Belastung in eine Existenzchance. Gehlen stellt es als außergewöhnliche Leistung Herders heraus, den Menschen als ein Wesen begriffen zu haben, das sich selbst Aufgabe ist. Solche Ansichten, so betont Gehlen, konnten zur Zeit Herders jedoch nicht zur Entfaltung gelangen, weil deren philosophische Einstellung von der Auffassung des Menschen als Geistwesen geleitet war, die insofern nach Herders und Gehlens Einschätzung zu „eng ist, als in ihr gerade die erwähnten Bestimmungen nicht ohne weiteres liegen“. 70 Und ganz generell ist Gehlen überzeugt, nur vom Gedanken eines nicht festgestellten Wesens, das sich eben deshalb noch Aufgabe ist, also vom Gedanken eines handelnden Wesens bekomme man überhaupt die Physis des Menschen in den Blick – und niemals lasse die Definition des Menschen als ‚Geistwesen‘ allein einen Zusammenhang gerade dieser Leibesbeschaffenheit mit dem, was man unter ‚Vernunft‘ oder ‚Geist‘ zu verstehen pflegt, sichtbar werden. Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, dass Gehlen das Geistkonzept seines Anthropologie-Kollegen Scheler, dem zufolge der Geist ja ein dem Leben überhaupt entgegengesetztes Prinzip darstellt, zurück-
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weisen muss. Wenn das Wesen des Geistes, wie Scheler dargelegt hat, in seiner existentiellen Entbundenheit und in der Ablösbarkeit vom Bann des und von der Abhängigkeit vom Organischen bestehen soll, dann lebt der Geist, wie Gehlen kritisch hervorhebt, „von den Kräften, die nicht in der Welt umgesetzt, die ihr entzogen werden“, dann bewegt er sich „außerhalb des Lebens auf Kosten des Lebens“. 71 Durch eine solche Sichtweise aber werde der Geist „denaturiert“. 72 Zugleich verbaue sich Scheler damit die Möglichkeit, sowohl somatische als auch geistige Kräfte des Menschen von einem „durchlaufenden Strukturgesetz“ her zu betrachten und in diesem einen Unterschied zum Tier feststellen zu können. Dieses Strukturgesetz, wir wissen es bereits, ist für Gehlen mit der Handlung gegeben. Mit ihr, so betont er, „ist das Aufbaugesetz aller menschlichen Vollzüge, von den somatischen bis zu den geistigen, gegeben“. 73 Mit anderen Worten: Sowohl leibliche als auch geistige Vollzüge sind gemäß dem „Aufbaugesetz“, dass der Mensch das handelnde Wesen ist, zu interpretieren. Nimmt man von hier aus die Vollzüge der zweiten Art – die geistigen – in den Blick, dann ist damit gesagt, dass alle Phänomene des Geistigen von der Handlung her und im Zusammenspiel mit ihr zu verstehen sind. 74 Gehlen hat das vor allem anhand von ‚Bewusstsein‘ und ‚Denken‘, also von zwei Akten, die traditionell als ‚geistige‘ begriffen werden, zu zeigen unternommen. Wenden wir uns zunächst dem Bewusstsein zu. Zwar räumt Gehlen ein, ‚Bewusstsein‘ sei ein ‚dunkles Wort‘ ; 75 gleichwohl hält er es für „ohne weiteres einleuchtend“, dass man das menschliche ebenso wie das tierische Bewusstsein – Gehlen spricht mithin auch nichtmenschlichen Lebewesen Bewusstsein zu – nur im Zusammenhang mit dem Verhalten eines Organismus verstehen könne, so dass man es geradezu als eine „Phase der Handlung“ definieren müsse. 76 Und zwar versteht er unter ‚Bewusstsein‘ des Näheren einen – uns übrigens, wie er hervorhebt, undurchsichtigen – „Umsetzungsvorgang“ an den „Kontaktstellen eines Organismus mit der Welt“. 77 Das meint: Bewusstsein ist eng mit Wahrnehmungsakten gekoppelt – ja bei niederen Tieren ist es laut Gehlen in erster Linie in die Wahrnehmungsakte gelegt 78 –, und zwar so, dass es das Verhalten gegenüber entfernten Reizquellen steuert und dosiert. 79 So gesehen wäre das Bewusstsein in erster Linie ein „Hilfsmittel im Dienste der Vollkommenheit des organischen Prozesses“. Es entsteht zuerst als Wahrnehmung und aus
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den gesamten organischen Bedingungen eines Lebewesens heraus. Und seine Leistung liegt „in seiner Teleologie auf den Ablauf komplizierter und unter erschwerten Bedingungen stehender Lebensprozesse“. 80 Mit dieser Deutung des Bewusstseins als Hilfsmittel zum Zweck des Überlebens von Organismen berührt sich Gehlen, wie er selbst wiederholt herausstellt, 81 eng mit Schopenhauers Verständnis der geistigen Kräfte als biologisch notwendigen Hilfsmitteln im Dienst der Überlebenssicherung und des Bewusstseins als ‚Medium der Motive‘. Als solches ist es nicht mit der „Seele“ als einer ‚inneren Welt‘ zu verwechseln. Bewusstsein, akzentuiert Gehlen, ist vielmehr primär „Oberfläche“, 82 bestehen seine Aufgabe und seine Leistung doch in den erwähnten Umsetzungsvorgängen an den Kontaktstellen der Organismen mit der (Um-)Welt. Da Gehlen ein so begriffenes Bewusstsein auch Tieren zuspricht, ist Bewusstsein nicht einmal ein anthropologischer Begriff, also keiner, der spezifische Bedeutung nur für den Menschen hätte. 83 Wenn nun Bewusstsein dergestalt auf Verhalten und Handlung bezogen ist, dann stellt sich die Frage, wie es um den Zusammenhang zwischen Bewusstsein und Erkennen bestellt ist, den man doch für gewöhnlich glaubt herstellen zu können. Hierauf antwortet Gehlen, auch Erkenntnis könne eine Phase der Handlung sein, ja sie könne sogar „als eigene, funktionalisierte und selbstgenügsam gewordene Lebensform Ersatz der Handlung sein“. Gleichwohl bleibe sie immer auf sie bezogen. Und das gelte auch für die „höchsten Synthesen des Bewußtseins“, deren Träger nicht mehr so sehr einzelne Menschen als vielmehr ganze Gesellschaften sind. Als Beispiele stehen Gehlen hierfür religiöse und philosophische Überzeugungen vor Augen. Auch sie, so stellt er klar – und er folgt damit nur konsequent seiner Argumentationslinie –, seien zuletzt Motive, „die sich im konkreten Verhalten wirklicher Personen ausdrücken müssen“ und die, „wenn sie dies nicht mehr tun, nicht gehalten werden können“. 84 Schreiten wir von hier aus nun zum ‚Denken‘ fort, so wird es uns in Anbetracht der bisherigen Ausführungen Gehlens wohl nicht mehr verwundern, wenn wir von ihm gesagt bekommen, auch Denken sei ein „nach außen gewendetes System“, das zum Zweck der „Weltbewältigung des handelnden Menschen“ entstanden ist. 85 Als „riskiertes“ Wesen, das konstitutionell in der Gefahr steht, zu verunglücken, sieht sich der Mensch vor die primäre Aufgabe gestellt, „überhaupt am Leben zu blei-
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ben“. 86 Hierbei hilft ihm das Denken. Denken ist so gesehen ein „Instrument“ zum Zweck des Überlebens und der Lebenssicherung. 87 Mithin kommt ihm eine eminent wichtige biologische Funktion zu, es ist also auch, wie das Bewusstsein, in der Vitalsphäre verwurzelt. Und zwar geht Gehlen davon aus, die „vitale Basis“ des Denkens und des Gedankens sei der „Laut“, der sich kommunikativ auf Dinge richtet. 88 Für Gehlen ist es demnach ein Fehler, „Intention“ erst in der Sphäre des Seelischen oder gar Geistigen anzunehmen. Vielmehr ist Intentionalität seiner Ansicht nach bereits auf der Ebene der stimmlichen Verlautbarung anzutreffen, denn der Laut fasst einen gerichteten Vorgriff auf eine „Erfüllung“ in anderen Lauten, die ihm antworten, in sich. Von hierher kann Gehlen den „Gedanken“ mit gutem Grund als „eine im Sprachlaut verlaufende Intention auf etwas“ definieren. So gesehen ist Denken von seinem Ursprung her für Gehlen gar nicht trennbar vom Sprachlaut: Ursprünglich bedeutet es eine Intention, die im sprachlichen Laut auf ein Ding hinweist. Menschliches Denken nun kann sich von der anschaulichen Gegenwart der Dinge lösen und die Dinge durch ein „Anzeichen“, ein „Symbol“ vertreten lassen. Und ‚Denken‘ in einem eigentlichen Sinn ist ein Sichrichten auf etwas durch ein solches Symbol. Hierin nun liegt für Gehlen der Unterschied zwischen Tier und Mensch. Bewusstsein, verstanden als Sichrichten auf etwas in Wahrnehmungen, Erwartungen oder auch Phantasmen, kann man, so gibt er sich überzeugt, allen Tieren zuschreiben. Allein der Mensch jedoch ist in der Lage, zu denken – denken verstanden als Sichrichten auf etwas durch ein selbst gesetztes und selbst verfügbares Symbol hindurch. 89 Von seiner Herkunft her, betont Gehlen, liegt das Denken „im sensomotorischen Kreis“: „als ein nach außen gewendetes System von Deutungen und Bezeichnungen“, als „ein Organ des Planens und Übersehens“, kurz: als „Führungsorgan des Handelns“. Bei all dem hat es in erster Linie entlastende Funktionen – dies zum Beispiel weil es auf „Abbau“ der unmittelbaren, bildhaften Gehalte zielt, auf „Entsinnlichung“ also, und vor allem weil es über die Fähigkeit verfügt, „seine Intentionen in sich fortlaufen und sich erfüllen zu lassen“. 90 Bei Funktionen wie diesen sieht Gehlen es immer bezogen auf seine grundlegende Aufgabe: die Lebenssicherung und „die Steigerung des Verhaltens“. 91 Darüber hinaus kann das Denken sich selbst zum Thema machen,
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kann es doch „sich selbst methodisch und nach Gesetzen in festgehaltenen Konstruktionsschritten aufbauen“, sofern ihm eine „zweite Symbolisierung“ gelingt. Eine solche zweite Symbolisierung ergibt die Mathematik: Sie verzichtet auf jeden Inhalt, hält nur, wie Gehlen schreibt, den bloßen Denkakt fest und enthält nichts anderes „als Symbole schon geschehener, gesetzmäßig definierter Denkschritte, um neue solche Symbole festlegen zu können“. 92 Aber auch bei solchen hochartifiziellen Aktivitäten bleibt das Denken für Gehlen das, was es aufgrund seiner vitalen Basis ist: ein Instrument – wie überhaupt für ihn geistige Tätigkeiten Werkzeuge des Handelns sind, durch die sich das „riskierte“ Wesen Mensch am und im Leben hält. Anders also als Scheler, der den Geist als ein Prinzip begreift, das in einer Sphäre beheimatet ist, die er jenseits des Lebens angesiedelt sieht, verortet Gehlen geistige Tätigkeiten in ebendiesem Leben selbst. Und während Scheler im Geist des Menschen eine gegenüber dem Tier völlig neue Qualität, eine neue „Wesenstatsache“ erblickte, nähert Gehlen Mensch und Tier einander an. Zwar reserviert er Denken im Sinne des Symbolgebrauchs für den Menschen, erblickt er in dieser geistigen Fähigkeit etwas spezifisch Menschliches; aber dieses Denken entstammt keinen lebenstranszendenten Gefilden, sondern hat, ebenso wie das Bewusstsein, seine Basis in der Vitalsphäre.
Monistische Positionen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts Neutraler Monismus: Bertrand Russell 1921 veröffentlichte Bertrand Russell (1872–1970) sein Buch Die Analyse des Geistes, das aus insgesamt fünfzehn Vorlesungen besteht, die er zuvor in London und Peking gehalten hatte. In ihnen versucht er die Frage zu beantworten: „Was charakterisiert den Geist im Gegensatz zur Materie?“ 1 Für Russell lässt sich diese Frage auch als die nach dem Unterschied zwischen Psychologie und Physik stellen, womit gesagt ist, dass er die Psychologie als diejenige Wissenschaft ansieht, die sich mit dem ‚Geist‘ oder, wie Russell auch immer wieder einmal sagt, dem ‚Psychischen‘ befasst, und die Physik als die, die sich mit der Erforschung der Materie beschäftigt. Während noch jemand wie Descartes in den ersten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts Geist und Materie entsprechend den wissenschaftlichen und theologischen Vorstellungen seines Zeitalters als prinzipiell voneinander verschiedene Entitäten begriff, haben sich zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts die wissenschaftlichen Paradigmen entscheidend dahingehend verändert, dass der ‚Geist‘ an ‚Geistigkeit‘ und die ‚Materie‘ an ‚Materialität‘ einzubüßen beginnt. Der Behaviorismus, der sich in den ersten Dezennien des zwanzigsten Jahrhunderts ausbildete und in der Folgezeit weithin die psychologische Szene beherrschte, befolgte, zumindest in der Methode, insofern eine ‚materialistische‘ Tendenz, als durch ihn die Psychologie in wachsende Abhängigkeit von der Physiologie und der äußeren Beobachtung geriet. Auf der anderen Seite verlor die Materie unter den Händen der Physiker, insbesondere Einsteins und der Vertreter der Relativitätstheorie, immer mehr ihren materiellen
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Charakter. Ihre Welt, schreibt Russell im Vorwort von Die Analyse des Geistes, besteht aus „Ereignissen“, aus denen die ‚Materie‘ als logische Konstruktion abgeleitet wird. 2 Als exemplarisch für diese Sichtweise mag etwa Eddingtons bekannte Charakterisierung eines materiellen und scheinbar festgefügten Gegenstands wie eines Tischs als einer ‚Wolke von Atomen‘ gelten. Und so richtet Russell denn an seine Studenten die Worte: „Ich werde Sie im Verlaufe dieser Vorlesungen zu überzeugen versuchen, daß der Geist nicht so geistig und die Materie nicht so materiell ist, wie man für gewöhnlich glaubt“. 3 (Nebenbei sei angemerkt: Während der Ausarbeitung dieses Gedankens hat Russell einem Freund, Clifford Allen, erzählt: „Wie die Götter mein Bemühen gesehen haben, die Nicht-Existenz des Geistes zu beweisen, haben sie mir einen derartigen Schnupfen geschickt, daß sie mir, für den Augenblick wenigstens, den persönlichen Beweis für die Wahrheit meiner Behauptung liefern“. 4) Jemand wie Descartes, um noch einmal auf ihn zurückzukommen, war, wie wir gesehen haben, davon überzeugt, dass sowohl Geist als auch Materie zu dem gehören, was wirklich in der Welt existiert, sowie „daß zwischen beiden eine unüberbrückbare Kluft gähnt“, 5 mit der Folge, dass beide eigentlich nicht aufeinander einwirken können, Geist und Materie mithin gegenseitig kausal unabhängig voneinander sind, was aber, wie ja auch Descartes selbst einräumen musste, mit offenkundigen Tatsachen schwer in Einklang zu bringen ist. Fast drei Jahrhunderte später hält Russell nun fest, heutzutage bestehe keinerlei Veranlassung mehr zu einer solchen Annahme. Die Tatsachen, so trägt er vor, sind ganz einfach diese: „Ich bekomme einen Brief mit einer Einladung zum Essen: der Brief ist eine physikalische Tatsache, aber mein Verstehen seines Inhalts ist etwas Psychisches. Wir haben also eine Wirkung der Materie auf den Geist vor uns. Infolge meines Verstehens des Inhalts des Briefes gehe ich zur rechten Zeit an den rechten Ort. Hier haben wir eine Wirkung des Geistes auf die Materie“. 6 Diese für Russell unbestreitbare Tatsache einer Wirkung der Materie auf den Geist und einer Wirkung des Geistes auf die Materie entschleiert sich aller Rätselhaftigkeit, wenn man wie Russell davon ausgeht, der „Stoff“, aus dem die Welt unserer Erfahrung besteht, sei weder etwas Geistiges noch etwas Materielles, „sondern etwas Usprünglicheres als beide“. „Sowohl Geist als Materie“, so charakterisiert Russell in einem ersten
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Zugriff seine Position, „scheinen zusammengesetzt zu sein, und der Stoff, woraus sie bestehen, liegt in einem gewissen Sinne zwischen beiden, in einem anderen Sinne vor beiden wie ein gemeinsamer Vorfahre“. 7 Diese Sichtweise des Problems greift den unter anderen von dem amerikanischen Philosophen und Psychologen William James (1842–1910) vorgelegten Lösungsvorschlag des Geist-Materie-Problems auf, der als „Neutraler Monismus“ bekannt ist (und gelegentlich auch als „Aspektdualismus“ bezeichnet wird). Gemäß diesem Ansatz ist der „Stoff“, aus dem die Welt besteht, weder geistig noch materiell, sondern ein „neutraler Stoff“, aus dem beide, Geist und Materie, aufgebaut sind. 8 Unsere Welt ist demzufolge, wie Russell in der ersten Vorlesung seines Zyklus erklärt, aus dem konstruiert, „was die amerikanischen Realisten ‚neutrale‘ Entitäten nennen, diese besitzen weder die Härte und Unzerstörbarkeit der Materie noch die Beziehung auf einen Gegenstand, die als charakteristisch für den Geist angesehen wird“. 9 Nun, das ist wohl kein Lösungsansatz, der sich einem sofort ohne weiteres erschließt; daher bedarf er einiger Verdeutlichung. Sein Kerngedanke, um es noch einmal zu betonen, besagt: Der grundlegende „Stoff“, aus dem das besteht, was wir als ‚Welt‘ bezeichnen, ist weder als physischmateriell noch als psychisch-geistig angemessen zu bestimmen. Vielmehr, so behauptet der Neutrale Monismus à la James und Russell, gibt es nur eine einzige Entität, und dieser kommen sowohl physische als auch psychische Eigenschaften zu. Mit anderen Worten: Das, was wir für gewöhnlich als Materie und Geist bezeichnen, kann auf ein neutrales Drittes zurückgeführt werden, das in der Wahrnehmung, die wir als Empfindung (impression) erleben, gegeben ist. Damit ebnet sich der Unterschied zwischen Materie und Geist ein. Ihr – scheinbarer – Unterschied beruht darauf, dass das in der Wahrnehmung Gegebene nur eine unterschiedliche Art und Weise ist, wie das neutrale Dritte von uns im jeweiligen Kontext geordnet wird. Mit diesem neutralen Dritten verhält es sich demnach ähnlich wie mit dem Licht. Das Licht ist sowohl Teilchen, Korpuskel, als auch Welle beziehungsweise Energiequantum. Beides sind zwei Aspekte der einen und selben Wirklichkeit. Nur in ihrer Komplementarität, in ihrer gegenseitigen Ergänzung, vermögen sie zu erklären, was Licht ist. Ähnlich, behauptet Russell, verhält es sich mit Geist und Materie: Sie sind Komplementärphänomene, also Phänomene, die, sich gegenseitig er-
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gänzend, zwei Aspekte der einen und selben fundamentalen Entität darstellen. Ich versuche diesen Gedanken noch weiter zu erläutern. Für den Sprachanalytiker Russell ist klar: Wurzel allen Missverstehens ist die Sprache. Für gewöhnlich pflegen wir zu sagen: ‚Der Tisch ist braun‘ und nehmen an, dass da ein Tisch vorhanden ist, dem wir materielle Substanz zuschreiben. Doch was kennen wir, fragt Russell, tatsächlich? Und er antwortet: Wir haben nur ein Sinnesdatum: einen braunen Farbfleck. Dazu kommt, dass wir wie selbstverständlich davon ausgehen, es gebe ein Subjekt, das dieses Sinnesdatum ‚hat‘ : ein ‚Ich‘, dem ein Sinnesdatum gegeben wird und das deswegen eine Empfindung ‚hat‘. Für Russell jedoch scheint das Subjekt, das ‚Ich‘, „eine logische Fiktion“ zu sein, „wie die mathematischen Punkte und die Zeitpunkte“. „Es wird“, so erklärt er sich näher, „nicht eingeführt, weil es beobachtet wird, sondern weil es sprachlich bequem und von der Grammatik anscheinend gefordert wird“. Sofern man „völlig leere Annahmen“ vermeiden wolle, müssten wir, wie er fordert, auf das Subjekt „als wirklichen Bestandteil der Welt verzichten“. 10 Dies koppelt er mit der „Vermutung, daß vieles, was als seinem Wesen nach psychisch erscheint, in Wirklichkeit dem Nervensystem zukommt“. „Vielleicht“, so schreibt er, „sind es die Nerven, die Erfahrungen machen, und nicht der Geist. Wenn dem so ist, so kann das Vermögen, Erfahrungen zu machen, nicht dazu benützt werden, den Geist zu definieren“. 11 Hieraus ergibt sich für ihn die Konsequenz: Wenn wir auf das Ich, das Subjekt, als wirklichen Bestandteil der Welt verzichten, „so verschwindet die Möglichkeit, zwischen der Empfindung und dem Sinnesdatum zu unterscheiden“. Dann haben wir nicht einerseits ein Sinnesdatum und andererseits ein Ich, das eine Empfindung hat, sondern für Russell sind dann eine braune Sinnesgegebenheit und die Empfindung, braun zu sehen, identisch. Oder mit seinen Worten gesagt: „Demnach ist die Empfindung, die wir haben, wenn wir einen Farbfleck sehen, mit diesem Farbfleck identisch und als ein wirklicher Bestandteil der physischen Welt ein Teil dessen, womit die Physik zu tun hat“. 12 So gesehen ist der Farbfleck also etwas Physisches. Aber er ist zugleich auch etwas Psychisches, da er ja mit unserer Empfindung, unserem Sehen des Farbflecks, identisch ist. Dergestalt erweisen sich für Russell Materielles und Psychisches als zwei Aspekte der einen und selben Grundgegebenheit, als, so könnte man auch sagen, kon-
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textuelle und komplementäre Aspekte einer einzigen neutralen Gegebenheit. Ins Allgemeine gewendet, gibt Russell damit zu bedenken: Das, was wir gemeinhin als ‚Materie‘ bezeichnen, erweist sich für ihn als eine Konstruktion aus Empfindungen und Sinnesdaten. Am Beispiel des braunen Tisches verdeutlicht: Wir haben eine Empfindung – eine braune Sinnesgegebenheit – und konstruieren beziehungsweise erschließen daraus die ‚materielle Entität‘ ‚Tisch‘. 13 Nun besteht, wie Russell meint, die primäre Aufgabe des ‚Geistes‘ darin, Empfindungen zu haben. Und ‚Bewusstsein‘ besteht für ihn einfach darin, Dinge zu sehen, Dinge zu hören, Dinge zu berühren. ‚Geist‘ wäre demnach eine Konstruktion aus Empfindungen und ‚Bildern‘ des Sehens, Hörens, Berührens usw. Oder anders gesagt: Aus Empfindungen und so verstandenen bewussten Bildern konstruieren, erschließen wir die Entität ‚Geist‘. Auf diese Weise zeigt sich: Der gemeinsame Nenner von Geist und Materie ist die Empfindung. „Empfindungen“, schreibt Russell, „sind das, was der psychischen und der physischen Welt gemeinsam ist; sie können als der gemeinsame Teil von Geist und Materie definiert werden“. 14 Wie Russell in diesem Zusammenhang eigens betont, sei eine solche Ansicht keineswegs neu, vielmehr werde sie nicht nur von William James und den sich auf ihn berufenden amerikanischen Autoren, wie beispielsweise John Dewey, vertreten, sondern auch von Ernst Mach in dessen 1886 erschienener Analyse der Empfindungen. Unter Rekurs auf die Empfindungen gelingt ihnen allen „eine gemeinsame Annäherung zwischen Materie und Geist“ 15, an der Russell allein schon deswegen viel gelegen ist, als durch sie zum einen die Wechselwirkung zwischen physischer und psychischer Welt nicht länger ein Mysterium bleiben muss und sie zum anderen unentbehrlich ist für jedes Verständnis der Beziehungen „zwischen unseren Wahrnehmungen und der Welt, die sie wahrnehmen“. 16 Kurz und gut: Der ‚Geist‘, das ‚Psychische‘, ist eine Konstruktion aus den gleichen Bestandteilen wie die physikalischen Objekte, das ‚Physische‘. Insoweit die Physik eine empirische Wissenschaft sei und keine „logische Phantasie“, hält Russell fest, habe sie es folglich mit den gleichen Elementen zu tun, mit denen sich auch die Psychologie unter dem Namen ‚Empfindungen‘ beschäftigt. 17 Von hier aus angesehen, hält Russell die populäre Meinung, dass,
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wenn irgendetwas für den Geist charakteristisch ist, es das Bewusstsein sei, für irrig. Eine vorläufige Aufzählung der verschiedenen Arten, wie man sich einer Sache bewusst sein kann, erbringt als Resultat gemeinhin Wahrnehmung, Erinnerung, Idee beziehungsweise Vorstellung und Glauben. Das, so Russell, seien die „kognitiven“ Elemente des Geistes. 18 All diesen verschiedenen Weisen des Bewusstseins scheint offenbar ein Merkmal gemeinsam zu sein: die von Franz Brentano (1838–1917) so genannte Intentionalität des Bewusstseins. Bewusstsein ist immer Bewusstsein ‚von etwas‘, Bewusstsein ist immer auf etwas gerichtet: auf Gegenstände, Denkinhalte, Erinnerungen, Gefühle und dergleichen mehr. Analysiert man einmal alle die genannten Weisen des Bewusstseins, wie Russell es in seiner Analyse des Geistes durchgeführt hat, dann, so ist er überzeugt, werde erkennbar, „daß das Bewußtsein etwas viel zu Kompliziertes ist, um als fundamentales Merkmal des Geistes gelten zu können“. 19 Ein solches fundamentales Merkmal liegt seiner Überzeugung nach, wie gesagt, mit der Empfindung vor, mit deren Hilfe ein Begriff von Geist und Materie möglich wird, der, wie Russell meint, auf elegante Weise die Kluft zwischen Geist und Materie zu überbrücken vermag. Und so kann er denn abschließend zusammenfassen: „Physik und Psychologie unterscheiden sich nicht durch ihren Stoff. Sowohl Geist wie Materie sind logische Konstruktionen; die Elemente, aus denen sie konstruiert oder erschlossen sind, stehen in mannigfachen Beziehungen. Einige von diesen untersucht die Physik, andere die Psychologie“. 20 Wie Alan Wood betont, hätte Russell gerne gezeigt, dass sich mit umfassenderem Wissen psychische Gesetzmäßigkeiten auf physikalische zurückführen lassen. Doch freimütig räumte er 1921 ein, er wisse vorläufig nicht, ob das möglich sein würde. 21 Nun, im weiteren Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts gebar ebendieser Wunsch ein Forschungsprogramm, das insbesondere im Zusammenhang mit Hirnforschung und Neurowissenschaften zum leitenden Paradigma hinsichtlich der Erforschung und versuchten Erklärung des Geistes werden sollte. Bevor wir uns ihm zuwenden, sollten wir einen Moment bei den Überlegungen verweilen, die Russells Lehrer, Freund und Ko-Autor der Principia Mathematica, nämlich Alfred North Whitehead, im Blick auf Geist und Materie angestellt hat.
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Bipolare Struktur der Wirklichkeit: Alfred North Whitehead 1929 publizierte Alfred North Whitehead (1861–1947) sein umfangreiches Buch Process and Reality, das als eines seiner Hauptwerke gilt. Wegen seiner schwierigen Gedankengänge und einer Terminologie, die vielfach neu ist und oftmals quer zu der üblichen Verwendung und Bedeutung der Begriffe steht, ist dieses Werk nicht einfach zu verstehen. Es trägt den Untertitel An essay in cosmology. Diesen kosmologischen Entwurf legt Whitehead als „spekulative Philosophie“ an. Und hierunter versteht er „das Bemühen, ein kohärentes, logisches und notwendiges System allgemeiner Ideen zu entwerfen, auf dessen Grundlage jedes Element unserer Erfahrung interpretiert werden kann“. 22 ‚Kosmologie‘ meint mithin bei ihm eine universale Theorie dessen, was menschlicher Erfahrung und menschlichem Erleben zugänglich ist. Den Ausgangspunkt der so begriffenen ‚Kosmologie‘ markiert die Frage nach dem, was wirklich seiend ist. Sie antwortet darauf mit dem Konzept eines von Whitehead so genannten ‚wirklichen Einzelwesens‘ (actual entity). Whitehead nimmt eine Vielzahl solcher wirklicher Einzelwesen an. Diese stellen für ihn die letzten Realitäten in dem Sinne dar, dass sie ihrerseits nicht noch einmal auf andere, fundamentalere Realitäten zurückgeführt werden können. Um diesem Konzept des wirklichen Einzelwesens nun Kontur verleihen zu können, sind vor allem drei Gedankenlinien etwas auszuziehen. Erstens begreift Whitehead die wirklichen Einzelwesen als Subjekte mit ihnen spezifischen subjektiven Erfahrungen beziehungsweise Erlebnissen. Erfahrung ist für Whitehead nicht notwendigerweise mit Bewusstsein verknüpft, sondern umfasst das ganze Spektrum der Beziehungen, durch die ein wirkliches Einzelwesen mit anderen wirklichen Einzelwesen verbunden ist. Damit ist die zweite hier kurz zu thematisierende Gedankenlinie angeschnitten. Nach Whitehead verhält es sich nämlich so, dass wirkliche Einzelwesen nicht isoliert für sich bestehen, sondern dergestalt aufeinander bezogen sind, dass ein wirkliches Einzelwesen anderen wirklichen Einzelwesen immanent ist und andere ihm. Diese wechselseitige Immanenz wirklicher Einzelwesen bezeichnet Whitehead als ‚Prehension‘ beziehungsweise als Erfassen des einen wirklichen Einzelwesens durch ein anderes. Seine Erläuterung sol-
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cher Erfassensakte zeigt, dass ein jeder dieser Akte drei Faktoren in sich einbegreift: das erfassende Subjekt, das erfasste Objekt beziehungsweise das ‚Datum‘ und die ‚subjektive Form‘, das ist die Art und Weise, in der das Objekt durch das Subjekt erfasst wird. Diejenigen Erfassensakte, die etwas in ein wirkliches Einzelwesen einbeziehen, nennt Whitehead ‚positive Prehensionen‘ oder ‚feelings‘, also ‚Empfindungen‘ oder ‚Fühlungen‘ ; diejenigen hingegen, die etwas ausschließen, ‚negative Prehensionen‘. Um Whitehead hier folgen zu können, ist es drittens wichtig, darauf hinzuweisen, dass das wirkliche Einzelwesen für ihn eine bipolare Struktur besitzt. Das will sagen: Jedes wirkliche Einzelwesen verfügt diesem kosmologischen Konzept zufolge über einen, wie Whitehead sich ausdrückt, ‚physischen‘ und einen ‚mentalen‘ Pol. Aufgrund seines physischen Pols erfasst oder fühlt ein wirkliches Einzelwesen ein anderes mittels sogenannter ‚physischer Prehensionen‘. Und aufgrund seines mentalen Pols erfasst beziehungsweise fühlt es mittels der ‚begrifflichen Prehensionen‘ bislang noch nicht realisierte Möglichkeiten, die für es als Ideale fungieren und die es zu verwirklichen strebt. Im Kontext der Whitehead’schen Kosmologie sind primär die positiven Prehensionen von Bedeutung, stellt sie doch darauf ab, dass sich der Zusammenhang der Wirklichkeit aus solchen positiven Prehensionen aufbaut. Gemeinhin, so erklärt sich Whitehead diesbezüglich näher, sprechen wir von einem Ding, einem Lebewesen oder einer Person als einer Einheit. Whiteheads Kosmologie nun erklärt solche Entitäten als bestimmt strukturierte ‚Gesellschaften‘ (societies) miteinander in Beziehung stehender wirklicher Einzelwesen. (Einen solchen Realzusammenhang miteinander in Beziehung stehender Einzelwesen bezeichnet Whitehead als „Nexus“.) Entscheidend ist für diese Kosmologie darüber hinaus, dass sie die wirklichen Einzelwesen als Prozesseinheiten fasst. Whitehead bezeichnet sie auch als ‚wirkliche Ereignisse‘ (actual occasions) und betont damit den dynamischen Charakter dieser Entitäten. Das Sein eines wirklichen Einzelwesens, so kann man sagen, besteht in seinem Werden. Und das heißt des Näheren: Ein wirkliches Einzelwesen baut sich im Gefüge der wechselseitigen Erfassensvorgänge selbst auf; es entsteht aus den Möglichkeiten, die ihm das es umgebende Universum bietet und die es als Daten entsprechend seiner subjektiven Form und seinem ‚subjektiven
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Ziel‘ – das ist: entsprechend dem Ideal, das es im Prozess seines Werdens zu realisieren strebt – prehendiert und verarbeitet. In Abenteuer der Ideen, einem weiteren, 1933 erschienenen Werk hat Whitehead seine Sichtweise wie folgt zusammengefasst: „Die Wirklichkeiten des Universums sind Erlebensprozesse, und jeder dieser Prozesse ist ein individuelles Faktum. Das Universum im ganzen ist die in ständigem Fortschritt begriffene Gesamtheit dieser Prozesse“. 23 Vor diesem Hintergrund erschließt sich nun die Whitehead’sche Unterscheidung zwischen „Wirklichkeit“ und „Erscheinung“. Zunächst ist seine These zu beachten, diese Unterscheidung sei nur für das Tierleben auf der Oberfläche dieser Erde, nicht hingegen für die anorganische Welt von Bedeutung. 24 Ferner ist relevant, dass es sich bei Wirklichkeit und Erscheinung um eine Unterscheidung handelt, die den ‚objektiven Inhalt‘ eines Erlebensvorgangs betrifft. Unter dem ‚objektiven Inhalt‘ eines Erlebensvorgangs begreift Whitehead „die reale voraufgegangene Welt, so, wie sie für diesen Vorgang gegeben ist“. Dies, so setzt er hinzu, „ist die ‚Wirklichkeit‘, die er schöpferisch zu verarbeiten beginnt, das fundamentale Faktum, dessen Konsonanzen und Dissonanzen ihre Aufnahme und Auflösung in ihm erwarten“. ‚Wirklichkeit‘ meint im Gefüge der Whitehead’schen Kosmologie mithin nichts anderes als die reale voraufgegangene Welt, wie sie in der Anfangsphase eines Erlebensvorgangs für diesen Vorgang gegeben ist. Im Zuge dieses Erlebensvorgangs bildet sich nun nach Whiteheads Theorie „ein Ferment des qualitativen Bewertens“ aus. 25 Dieses Ferment des qualitativen Bewertens wird im weiteren Fortgang des Erlebensvorgangs mit den physischen Erfassensakten der Anfangsphase integriert; und zwar so, dass der ursprüngliche objektive Inhalt in diesem Stadium nach wie vor erhalten ist, jedoch mit neuen, aus dieser Integration resultierenden Erfassensakten überlagert und vermischt wird. Dies führt bei den „höheren Typen von realen Vorgängen“ zu einem ‚fühlenden Erfassen von gedankenartigen Empfindungen‘ (propositional feelings). 26 Die aus solchen Erfassensakten entspringende Integration von Physischem und Mentalem, von realer voraufgegangener Welt und Akten der Bewertung, konstituiert nach Whitehead die ‚Erscheinung‘ eines Erlebensvorgangs. Die Erscheinung also ist, mit anderen Worten, das Resultat mentaler Akte, durch die, wie Whitehead sich ausdrückt, „die Qualitäten und Ko-
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ordinaten der gegebenen physischen Welt einer Transformation unterzogen werden“. 27 Halten wir hier kurz inne und fassen wir die für unser Thema entscheidenden Momente zusammen. Die letzten Realitäten, die von Whitehead so genannten actual entities, besitzen eine bipolare Struktur: Jedes dieser wirklichen Einzelwesen verfügt über einen ‚physischen‘ und einen ‚mentalen‘ Pol. Aufgrund seines physischen Pols erfasst oder ‚fühlt‘ es andere actual entities. Das sind die ‚physischen Prehensionen‘. Und aufgrund seines mentalen Pols erfasst beziehungsweise ‚fühlt‘ es bislang noch nicht realisierte Möglichkeiten, die für es als Ideale fungieren und die es zu verwirklichen strebt. Das sind die ‚begrifflichen Prehensionen‘. Diesem kosmologischen Entwurf zufolge ist die aus wirklichen Einzelwesen bestehende Wirklichkeit also bipolar strukturiert: Sie ist gleichermaßen etwas Physisches wie Mentales. Damit ist zu verstehen gegeben: Das Mentale, das Geistige, kommt nicht zu dem Physischen hinzu, sondern ist mit ihm gleichursprünglich. Und das nun wiederum bedeutet: Im Rahmen der Whitehead’schen Kosmologie ist der Geist keine vom Physischen unabhängige Entität, sondern bildet gemeinsam mit ihm das, was uns als Realität gilt. Beide hängen, so könnte man sagen, organisch miteinander zusammen. Gemäß dieser von Whitehead denn auch „organisch“ genannten Philosophie sind physische und geistige Vorgänge unauflöslich miteinander verflochten. 28 Und so ist es nur konsequent, wenn Whitehead erklärt, seine Philosophie gebe den „unabhängigen Geist“ auf. „Geistestätigkeit“, so erklärt er sich in diesem Zusammenhang näher, „ist nur eine Weise des Empfindens, die in gewissem Maße allen wirklichen Einzelwesen zugehört, aber nur bei einigen bis zu bewußter Intellektualität gelangt“. 29 Das, was wir „Geist“ zu nennen pflegen und was Whitehead hier als ‚bewusste Intellektualität‘ bezeichnet, ist mithin ein vergleichsweise spätes Produkt der im Universum ablaufenden evolutionären Prozesse. Aber dieses Spätprodukt ‚Geist‘ wurde nur möglich, weil ‚Geist‘ in den letzten Bausteinen der Realität aufgrund von deren bipolarer Struktur immer schon angelegt ist. Auf der anderen Seite ist damit zu verstehen gegeben, dass es beispielsweise auf der Ebene einer Zelle keinerlei Beweis für eine im Einzelnen wie auch immer geartete Geistigkeit gibt. 30 Erst auf höheren Entwicklungsstufen entfaltet sich der mentale Pol der actual entities zu Komplexen ‚intellektueller Vorgänge‘, die man
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Monistische Positionen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts
nach Whitehead als den ‚Geist‘ des wirklichen Ereignisses bezeichnen kann. Ein durch solche Vorgänge charakterisiertes wirkliches Ereignis könne man, erklärt er, auch ‚bewusst‘ nennen. Ja vielleicht sei es, so überlegt er, sogar ratsam und besser, anstelle des Terminus ‚Geist‘, da dieser den „Eindruck einer unabhängigen Substanz“ vermittele, den Begriff des zu einem wirklichen Ereignis gehörenden „Bewußtseins“ zu verwenden. 31 So begegnet uns auch hier bei Whitehead die seit Descartes geläufige Kopplung von Geist und Bewusstsein. Das jedoch ist so ziemlich die einzige Gemeinsamkeit zwischen beiden, wenn es um den Geist geht. Im Übrigen nämlich grenzt sich Whitehead wiederholt gegen den französischen Autor ab. Descartes – und ähnlich auch Locke –, so kritisiert Whitehead, interpretiert die physische Welt als ihrem Wesen nach unabhängig von der geistigen, obwohl die beiden Welten, wie Whitehead akzentuiert, für Descartes „schlecht definierte akzidentelle Beziehungen zueinander haben“. 32 Für ihn, Whitehead, hingegen sind beide Welten aufgrund der bipolaren Struktur des kosmischen Baumaterials unauflöslich miteinander verflochten. Damit ist, zumindest innerhalb dieser spekulativen Kosmologie, der Cartesianische Dualismus von Geist und Materie überwunden. Hierin besteht fraglos eines ihrer Verdienste. Andererseits aber bleibt der Whitehead’sche Geist-Begriff eigentümlich blass und leer. Allenfalls erfährt man noch, dass ‚Geist‘ mit ‚Bewusstsein‘ gekoppelt ist, sich auf höheren Stufen der organischen Entwicklung als ‚intellektuelle Operationen‘ gestaltet sowie dass die erwähnten ‚begrifflichen Prehensionen‘ die „grundlegende Geistestätigkeit“ darstellen. 33 Aber das ist dann auch schon so ziemlich alles.
Zwischenspiel: Dualismus reloaded
Der Geist zwischen den Welten: Karl R. Popper und John C. Eccles Karl Popper (1902–1994), Philosoph und Wissenschaftstheoretiker, und John Eccles (1903–1997), mit dem Nobelpreis für Medizin geehrter Hirnphysiologe, verorten ihre Überlegungen zum Thema „Geist“ im Kontext von Poppers mittlerweile berühmt gewordener Unterscheidung von drei Welten oder Universen. 1 Diejenige Welt, die Popper die Welt 1 nennt, ist die Welt der physikalischen Gegenstände und Zustände. Sie umfasst die Welt des Anorganischen, also die Materie und die Energie des Kosmos, die biologische Welt, das heißt die Strukturen und Aktionen sämtlicher Lebewesen, sowie die Welt der Artefakte, das ist die Welt der – von Mensch und Tier – künstlich geschaffenen Gegenstände. Bei Welt 1 handelt es sich, zusammenfassend gesagt, um die sinnlich erfahrbare, mittels Wissenschaft erforschbare und mit Hilfe der Technik veränderbare Welt. Neben dieser materiellen Welt der physikalischen Dinge gibt es eine Welt der subjektiven Erfahrungen. Dies ist die von Popper so bezeichnete Welt 2. Das ist die Welt unserer bewussten Erlebnisse, unserer Bewusstseins- und geistigen Zustände. Konkret zählt Popper dazu das subjektive Wissen von uns Menschen, das mit Wahrnehmung, Denken, Fühlen, Empfinden, Absichten, schöpferischen Vorstellungen und Gedächtnisinhalten verbunden ist. Aufs Ganze gesehen kann man sagen: Welt 2 ist für Popper all das, was man als Zustände des Ich-Bewusstseins bezeichnen kann. Die für Popper interessanteste und innerhalb seines wissenschaftsphilosophischen Konzepts wichtigste Welt ist die Welt 3, die Wissen in einem objektiven Sinn enthält (wobei angemerkt werden sollte, dass ‚objektives‘
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Wissen für Popper nicht gleichbedeutend ist mit ‚wahrem‘ Wissen). Welt 3, sagt Popper auch, ist eine Welt der objektiven Strukturen. Es ist dies die Welt der Ideen, der Kunst, der Wissenschaften, der Technik, der Sprache, der Religion, der Philosophie, der sozialen und politischen Institutionen, der großen Fragen und Probleme der Ethik sowie all der Problemlösungen, die wir bislang noch nicht gefunden haben. Kurz und gut, so kann man zusammenfassend festhalten, Welt 3: Das ist das gesamte kulturelle Erbe der Menschheit, in Philosophie, Religion, Wissenschaft, Kunst, Literatur und Technik. Diese objektiven Strukturen sind Schöpfungen des menschlichen Geistes, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um beabsichtigte oder unbeabsichtigte Schöpfungen handelt. Entscheidend ist für Popper allemal, dass sie, einmal geschaffen, unabhängig vom subjektiven menschlichen Geist oder Bewusstsein existieren. So sind zwar alle Inhalte von Welt 3 irgendwann einmal der geistigen Tätigkeit des Menschen entsprungen, aber sie können unabhängig von einem erkennenden Subjekt existieren, objektiv und autonom – vorausgesetzt, sie sind in Gehirnen, Bibliotheken und Informationsspeichern von Datenverarbeitungsträgern wie Computern, aber auch in Filmen, Bildern sowie Aufzeichnungen aller Art aufbewahrt. Nehmen wir zwecks Verdeutlichung ein Beispiel: die Linearschrift-B-Texte der minoischen Kultur. Diese Texte aus der Zeit um etwa 1500 v. Chr. sind zwar erst vor einigen Jahrzehnten – nach der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts – entziffert worden; dennoch war ihr logischer, ihr gedanklicher Gehalt, waren die in ihnen enthaltenen Informationen über die Jahrtausende objektiv vorhanden. Die Pointe dieser Popper’schen Dreiteilung besteht nun darin, dass diese drei Welten für ihn nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern dass zwischen ihnen eine Wechselwirkung besteht. In Das Ich und sein Gehirn gibt sich Popper überzeugt, seine Überlegungen hinsichtlich der Wechselwirkungen, die zwischen diesen drei Welten bestehen, könnten „neues Licht auf das Leib-Seele-Problem werfen“, 2 also auf das Verhältnis von Körper beziehungsweise Gehirn und Geist. Bei diesen Überlegungen handelt es sich um die folgenden drei Kernthesen Poppers. 3 Erstens, so legt Popper dar, sind die Gegenstände der Welt 3 zwar abstrakt, aber nichtsdestoweniger sind sie wirklich, denn, so setzt er hinzu, sie sind mächtige Werkzeuge zur Veränderung von Welt. Zweitens haben, wie er
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betont, die Gegenstände der Welt 3 eine Wirkung auf Welt 1 nur durch das Eingreifen des Menschen – und das heißt: durch die geistige Welt 2. Damit meint er: Welt 2 – also die Welt unserer Bewusstseins- und geistigen Zustände – schafft, erzeugt und erfasst Welt 3, die Welt der objektiv vorhandenen geistigen Gehalte. Und eben unter Rückgriff auf Welt-3Wissen kann Welt 2, kann mithin unser ‚Geist‘ Veränderungen in Welt 1, der materiellen Welt, bewirken. Hiermit ist drittens zunächst gesagt, dass sowohl die Gegenstände der Welt 3 als auch die Prozesse der Welt 2 wirklich sind. Zugleich ist mit diesen Überlegungen zu verstehen gegeben: Welt 2 – die psychisch-geistige Welt – und Welt 3 – die Welt des objektiven Wissens – stehen in Wechselwirkung. Und auch Welt 2 – unser ‚Geist‘ – und Welt 1 – die Welt der physikalischen Gegenstände – stehen in Wechselwirkung, sie interagieren. Die materielle, die physikalische Welt 1 unterscheidet sich zwar eben aufgrund ihrer Materialität deutlich von den geistig strukturierten und geprägten Welten 2 und 3. Gleichwohl jedoch besteht zwischen allen drei Welten „eine Interaktion im Sinne einer gegenseitigen Einflußnahme“. 4 Damit legt Popper einen dualistischen Lösungsversuch des Leib-Seelebeziehungsweise Körper-Geist-Problems vor: Materie und Geist wirken aktiv aufeinander ein, sie stehen in Wechselwirkung. Mit einem terminus technicus gesagt, vertritt Popper demnach die Position eines ‚interaktionistischen Dualismus‘ oder, wie man auch sagen könnte, eines dualistischen – streng genommen sogar ‚trialistischen‘ – Interaktionismus. John Eccles nun hat nicht nur Poppers Dreiteilung der Welten übernommen, sondern ebenso die bei diesem hieraus abgeleitete Position des interaktionistischen Dualismus. Allerdings geht er an einer entscheidenden Stelle einen Schritt weiter als Popper. Es liegt ja auf der Hand, dass mit der behaupteten Wechselwirkung zwischen den drei Welten und der Akzentuierung von Welt 2 als der die Vermittlung zwischen materieller Welt 1 und geistiger Welt 3 leistenden Instanz das Kernproblem jeglichen Dualismus noch längst nicht gelöst ist, denn auch Poppers Darlegungen vermögen das Wie, den modus operandi dieser Wechselwirkung nicht aufzuklären. Aber gerade das ist das Problem, das gelöst werden muss, da ja geistig-mentale und physische Entitäten, wie der Dualismus seit Descartes annimmt, von unterschiedlicher Art sind, verschiedenen ontologischen Bereichen angehören. 5 In Das Ich und sein Gehirn sieht Eccles das
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Entstehen des menschlichen Ich-Bewusstseins im Zusammenwirken der Bewusstseinszustände von Welt 2 mit dem objektiven Wissen der Welt 3. Dieses Ich-Bewusstsein setzt er nun aus seiner dualistisch-interaktionistischen Sicht betrachtet mit dem „selbstbewußten Geist“ 6 in Beziehung, „der außerhalb des Körpers als übernatürliche spirituelle Schöpfung postuliert wird“. 7 Eccles bezeichnet diesen Ansatz als Konzept des „LiaisonHirns“. 8 Mit dieser Rede vom „Liaison-Hirn“ bezieht er sich auf all jene Abschnitte des Neocortex, also der Großhirnrinde, die seiner Meinung nach potentiell in der Lage sind, eine direkte Liaison, also eine direkte Verbindung oder Vereinigung mit dem „selbstbewußten Geist“ einzugehen, der nach Eccles Überzeugung unabhängig vom Körper existiert. Eccles räumte bereits in Das Ich und sein Gehirn ein, eine genaue Lokalisierung solcher Liaison-Hirnareale könne er im Einzelnen (noch) nicht vornehmen. 9 Zudem wurde ihm in der Folgezeit offenbar mehr und mehr bewusst, dass dieser frühe Erklärungsansatz das für den Dualismus entscheidende Problem des modus operandi, des Wie der Wechselwirkung zwischen Körper und Geist nicht gelöst hat. Daher beschritt Eccles in den frühen 1990er Jahren einen seinen früheren Ansatz ergänzenden Lösungsweg. Und zwar versuchte er, mittels einer bestimmten Interpretation der Quantenmechanik eine Annahme zu entwickeln, wie mentale Entitäten auf bestimmte neuronale Ereignisse im Gehirn – also auf Materie – Einfluss nehmen könnten. Im Zentrum dieses neuerlichen Versuchs, das Kernproblem des Dualismus aufzuklären, steht der von Eccles geprägte Begriff des „Psychons“. Als „Psychon“ bezeichnet er die kleinsten mentalen Entitäten. Und seine Hypothese hinsichtlich der Wechselwirkung von Geist und Gehirn lautet nun zusammengefasst: „Mentale Ereignisse können über quantenmechanische Effekte die Emission aus Membranbläschen an Nervenenden im Gehirn ändern, ohne daß dabei die Erhaltungssätze der Physik verletzt werden. Auf diese Art und Weise kann ein mentales Ereignis wie ein willkürlicher Vorsatz über die üblichen neuronalen Schaltkreise die gewünschten Gehirnreaktionen hervorrufen“. 10 Wir können es hier bei dieser zusammenfassenden Darstellung belassen, ohne auf die quantenphysikalischen Ausführungen Eccles’ detailliert einzugehen. Entscheidend an diesem späteren Eccles’schen Erklärungsansatz ist, dass er „eine lokal auf die Großhirnrinde begrenzte psychophysische Wechselwirkung zwischen Psychonen und Mikrostrukturen der
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Nervenzellen annimmt“. 11 Ein zentrales Problem des Dualismus, nämlich die kausale Geschlossenheit der physischen Welt, mit der sich ja bereits Descartes auseinandersetzte, glaubt Eccles durch seine Interpretation des Gehirns als quantenmechanisches System umgehen zu können. Diesem quantenmechanisch ausgerichteten Lösungsversuch Eccles’ ist heftig widersprochen worden. 12 Die Haupteinwände sind die folgenden. Zunächst fällt auf, dass der Begriff „Psychon“ von Eccles nicht näher erklärt wird. Gemäß seiner Hypothese sollen die Psychonen als die kleinsten Einheiten des Geistigen das Verbindungsglied zur physischen Welt sein. Viel mehr jedoch erfährt man über sie nicht, so dass die Einführung dieses neuen Begriffs unnötig erscheint. Ferner vermag Eccles’ Hypothese keinen Aufschluss darüber zu geben, wie höhere Eigenschaften des mentalen Bereichs wie Bewusstsein, Ich-Bewusstsein, Intentionalität und Rationalität entstehen. Damit taucht das Körper-Geist-Problem in veränderter Form erneut auf, hat Eccles’ Ansatz doch keineswegs erklärt, wie die ganze Fülle des geistig-mentalen Lebens und Erlebens aus diesen Urbausteinen des Psychischen entstehen soll. Darüber hinaus ist von physikalischer Seite kritisch angemerkt worden, Eccles’ Ansatz fuße auf einem überholten quantenmechanischen Konzept. Ganz generell kann man mit Blick auf seine Voraussetzung eines ‚selbstbewussten Geistes‘, der unabhängig vom Körper als übernatürliche Schöpfung existieren soll, fragen, ob er damit nicht den Boden naturwissenschaftlicher Betrachtung und Forschung verlässt und sich auf den des Glaubens begibt. Eccles ist sich dieses Sachverhalts, dass sein Konzept die Grenze zwischen Naturwissenschaft und Religion überschreitet, nicht nur bewusst, sondern er bekennt sich auch offen dazu. So hat er beispielsweise auf dem dem Thema „Geist und Natur“ gewidmeten Kongress, der vom 21. bis 27. Mai 1988 in Hannover stattfand, vorgetragen: „wie es dazu kam, daß wir zu unserer selbst bewußten Wesen wurden“, sei „ein Wunder, das für alle Zeiten jenseits der Naturwissenschaft liegt“. 13 In den Dialogen mit Karl Popper, die den Schlussteil von Das Ich und sein Gehirn bilden, bekennt er sich in Dialog XI noch einmal ausdrücklich zum Glauben an einen „übernatürlichen Ursprung meines einzigartigen selbstbewußten Geistes oder meiner einzigartigen Selbstheit der Seele“ sowie an die „Idee einer übernatürlichen Schöpfung“. 14 Und in seinem 1989 publizierten Buch Das Rätsel Mensch schließlich schreibt er, er glaube,
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Zwischenspiel: Dualismus reloaded
„daß außer den materialistischen Geschehnissen der biologischen Evolution und über sie hinaus eine Göttliche Vorsehung wirksam ist“. Hieraus folgert er, wir dürften „nicht dogmatisch behaupten, die biologische Evolution in ihrer gegenwärtigen Form sei die letzte Wahrheit“. Vielmehr sollten wir glauben, „daß die Kette der Zufallsbedingungen […] auf irgendeine geheimnisvolle Weise gelenkt wird“. 15 Mit solchen Glaubensbekenntnissen ist, wie gesagt, nicht nur der Grund einer naturwissenschaftlichen Erforschung des Körper-Geist-Problems verlassen. Darüber hinaus sind sie nicht eben hilfreich, wenn es darum geht – worauf es Eccles ja ebenso wie Popper ankommt –, überzeugend darzulegen, warum ein Dualismus die beste Erklärung der Interaktion von Körper und Geist, von Leib und Seele liefert. 16
Naturalisierung des Geistes: Diskussionsansätze der letzten Jahrzehnte
Die Identitätstheorie Bereits Thomas Hobbes, so haben wir gesehen, formulierte im siebzehnten Jahrhundert die These, das ‚denkende Ding‘, die res cogitans, von dem bei Descartes die Rede war, sei ‚denkende Materie‘. Schon er eröffnete die Perspektive, Geist und Bewusstsein, mentale Zustände also, könnten materialistisch erklärt werden. Seine Gedanken wurden aufgegriffen und weiterentwickelt von den Cheftheoretikern der radikalen französischen Aufklärung wie La Mettrie, Helvétius, Diderot und Holbach, die mentale Zustände als Produkte der ‚Weltmaschine‘, als körperbasierte Phänomene und als Modifikationen des Gehirns zu fassen versuchten. Auf einer ähnlichen gedanklichen Schiene bewegte sich auch Schopenhauer, wenn er ‚Geist‘ als ein Derivat des Willens zum Leben und als Gehirnphänomen begriff. Sie alle jedoch bewegten sich mit ihren Erklärungsansätzen auf dem Boden der mechanistischen Physik ihrer Zeit, einem Fundament mithin, das aufgrund der Weiterentwicklung der Naturwissenschaften heute als unzulänglich angesehen wird. Seit den letzten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts sind die naturwissenschaftlichen Grundlagen so weiterentwickelt worden, dass die derzeitigen Neurowissenschaften Gehirnvorgänge in wachsendem Maße auf biologischer Grundlage untersuchen können. Für die Erforschung von Geist und Bewusstsein brachte das die Konsequenz mit sich, dass versucht wurde – und gegenwärtig immer noch versucht wird –, mentale Phänomene auf der Grundlage von beobachtbaren Prozessen im Gehirn zu erklären. Der entsprechende theoretische Ansatz ist die sogenannte Identitätstheorie von Geist und Gehirn. Die Identitätstheorie verabschiedet jeglichen Dualismus, wie er seit Descartes geläufig geworden ist. Ihre Kernthese besagt nämlich: Bei dem, was wir für gewöhnlich als mentale
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Zustände bezeichnen, handelt es sich um nichts anderes als um materielle Zustände des Gehirns beziehungsweise des Zentralnervensystems. Für Identitätstheoretiker gibt es demzufolge keine eigenständige Sphäre des Geistes, will sagen, keine Sphäre des Geistes, die von materiellen Prozessen prinzipiell unterscheidbar wäre. Für sie sind geistige Zustände identisch – und zwar numerisch identisch – mit materiell-körperlichen Zuständen. Folglich sind sie davon überzeugt, geistig-mentale Zustände könnten aufgrund von Analysen von Vorgängen im Gehirn erklärt werden. Der Slogan der Identitätstheoretiker lautet demnach, etwas vereinfacht gesagt: „Der Geist ist das Gehirn“. 1 Allerdings ist hierbei zu beachten: Identitätstheorie ist nicht gleich Identitätstheorie, lassen sich bei ihr doch verschiedene Versionen oder Varianten unterscheiden, die von einer schwachen Formulierung solcher Identität bis hin zu jener stärksten des sogenannten „eliminativen Materialismus“ reichen, der aufgrund der behaupteten Identität sogar vor einer Ersetzung des mentalen Vokabulars durch rein physiologische Ausdrücke nicht zurückschreckt.
Schwache Version: partikularer Physikalismus Eine schwache Version der behaupteten Identität von mentalen Zuständen mit materiellen Prozessen wurde beispielsweise von dem australischen Psychologen Ullin T. Place in seinem 1956 veröffentlichten Aufsatz Is Consciousness a Brain Process? formuliert. 2 In ihm beantwortet Place die aufgeworfene Frage, ob Bewusstsein ein Gehirnprozess ist, dahingehend, dass seiner Ansicht nach jeder psychische Zustand mit einem physischen Zustand identisch ist. Damit gibt er zu bedenken, jeder einzelne Bewusstseinszustand, jeder psychische Zustand sei derselbe wie ein bestimmter physischer Zustand. Der momentane Angstzustand eines Menschen beispielsweise wäre demnach ein bestimmter Zustand seines Gehirns, er wäre identisch mit ihm – und nicht etwa dessen Ursache oder dessen Wirkung. Der Vorteil einer so verstandenen Identität von mentalen mit neuronalen Zuständen dürfte sofort ins Auge fallen, erledigen sich damit doch
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die fundamentalen Probleme, die sich Descartes und seinen Nachfolgern mit der schwierigen Problematik der Interaktion von res cogitans und res extensa stellten. Denn exakt dieses Interaktionsproblem und damit das Rätsel mentaler Verursachung – wir erinnern uns: das Problem, wie etwas Mentales oder Geistiges Wirkungen in der materiellen Welt verursachen kann – werden elegant bereits von Ansatz her ausgeschaltet. 3 Somit schließt die Identitätstheorie von vornherein einen Dualismus aus, der davon ausgeht, bei Geist und Bewusstsein handelte es sich um eigene Entitäten, um eigene Wesenheiten, die als solche etwas ganz anderes als Prozesse im Gehirn seien. Bei Place selbst begegnet die Identitätstheorie in einer, wie gesagt, schwachen Form, vertrat er doch lediglich die Ansicht, die Annahme einer solchen Identität sei eine sinnvolle wissenschaftliche Hypothese, die nicht allein schon aus rein logischen Gründen zurückweisbar sei. Ihr weiteres Schicksal hängt nach Place von empirischen Bestätigungen ab, die durch die zu erwartenden Fortschritte der Hirnforschung in der Zukunft ermöglicht werden. Eine weitere schwache Version einer Identitätstheorie liegt mit der sogenannten „Token-Identitätstheorie“ vor. „Token“ bezeichnet hierbei ein einzelnes Vorkommen von mentalen Phänomenen, von Bewusstseinsoder Geisteszuständen. Diese Version der Identitätstheorie behauptet also nur, dass einzelne Vorkommnisse von mentalen Zuständen faktisch mit bestimmten einzelnen Vorkommnissen eines physisch-neuronalen Zustands identisch sind. 4 Mit anderen Worten: Ein einzelner momentaner psychischer Zustand, zum Beispiel mein augenblicklicher Kopfschmerz, ist ein faktischer Zustand meiner jetzigen neurophysiologischen Prozesse. Oder noch anders gesagt, geht diese schwache Version davon aus, es gebe zwischen bestimmten mentalen Erlebnissen oder Zuständen und bestimmten neurophysiologischen Phänomenen partikulare Identitäten. Daher wird diese Version auch als „partikularer Physikalismus“ oder im Englischen als „token physicalism“ bezeichnet.
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Naturalisierung des Geistes: Diskussionsansätze der letzten Jahrzehnte
Starke Version: genereller Physikalismus Eine starke Form der Identitätstheorie liegt mit der „Typen-Identitätstheorie“ vor. 5 Anders als der soeben betrachtete „partikulare Physikalismus“, dem zufolge nur bestimmte einzelne mentale Phänomene mit bestimmten einzelnen neurophysiologischen Zuständen identisch sein sollen, behauptet diese starke Variante eine Identität von Typen bestimmter mentaler Zustände mit bestimmten Typen neurophysiologischer Zustände. Mit Peter Bieri könnte man auch sagen, diese starke Version besagt, nicht nur einzelne mentale Phänomene, sondern „mentale Universalien“ seien faktisch mit bestimmten „neurophysiologischen Universalien“ identisch: „Die materialistische Identifikation gilt nicht nur für einzelne Instantiierungen mentaler Eigenschaften, sondern für die mentalen Eigenschaften selbst“. 6 Am Beispiel verdeutlicht ist damit gesagt: Das Haben von Kopfschmerzen oder das Empfinden von Angst ist ganz generell eine neurophysiologische Eigenschaft. Gemäß dieser starken Version gibt es zwischen bestimmten Typen mentaler Zustände und bestimmten Typen neurophysiologischer Zustände generelle Identitäten. Daher wird diese Form der Identitätstheorie „genereller Physikalismus“ genannt. Im Englischen begegnet sie als „type physicalism“. Ihre gegenüber dem partikularen Physikalismus weitergehenden Ansprüche kann man laut Bieri auch so kennzeichnen: „Dem partikularen Physikalismus zufolge sind nur alle mentalen Phänomene, die es faktisch gibt, Phänomene im Gehirn. Nach dem generellen Physikalismus dagegen sind alle mentalen Phänomene, die es überhaupt geben könnte, neurophysiologische Phänomene“. 7 Damit dürfte der Unterschied zwischen der schwachen und der starken Version der Identitätstheorie präzise auf den Punkt gebracht worden sein.
Schwierigkeiten der Identitätstheorie Die Vorteile einer identitätstheoretischen Fassung des Verhältnisses zwischen mentalen und neurophysiologischen Zuständen, zwischen Geist und Gehirn beziehungsweise Materie, wie das Verhältnis traditionell ge-
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nannt worden ist, wurden bereits genannt. Sie sind, um es noch einmal zu betonen, darin zu erblicken, dass die Identitätstheorie – und zwar gilt das für beide Versionen in gleicher Weise – das Interaktionsproblem und das Rätsel mentaler Verursachung, das Descartes ja einiges Kopfzerbrechen bereitet hat, ausschaltet. Allerdings hat die Identitätstheorie ihrerseits mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen. Zunächst nämlich muss man mit aller Deutlichkeit sehen, dass mit ihr noch nichts hinsichtlich der Frage ausgemacht ist, ob mit Hilfe von Gehirnuntersuchungen das qualitativ Entscheidende des Bewusstseins erfasst werden kann. Dieses Problem ist in der Philosophie des Geistes als das sogenannte „Qualia-Problem“ bekannt. Dahinter steckt die Frage: Wie fühlt es sich für mich an, ein bestimmtes Erlebnis zu haben? Welche Erlebnisqualität hat für mich ein bestimmter Bewusstseinszustand? Wie erlebe ich ihn qualitativ? Thomas Nagel hat dieses Problem in einem vielbeachteten Aufsatz anhand des Beispiels einer Fledermaus zu verdeutlichen versucht. Dort argumentiert er wie folgt: Selbst wenn es der Forschung eines Tages gelingen sollte, alles über die Physiologie der Fledermaus in Erfahrung zu bringen – wie ihre Gehirnstruktur beschaffen ist, wie dieses Gehirn arbeitet, wie die Ortung mittels Echolot genau funktioniert und dergleichen mehr –, so ist damit noch nichts darüber ausgesagt, wie es sich für eine Fledermaus anfühlt, eine Fledermaus zu sein. Das heißt, auf die Frage: Könnte ein menschlicher Physiologe etwa jemals aus der Außenperspektive heraus meine psychischen Vorgänge und Erlebnisse beobachten?, antwortet Nagel mit „Nein“. Und er veranschaulicht diese Position anhand eines weiteren Beispiels: Mein visueller Eindruck beim Betrachten der Mona Lisa wird stets eine bestimmte Qualität aufweisen, von der niemand, der von außen in mein Gehirn hineinschaut, auch nur die mindeste Spur finden kann. Ja mehr noch: „Aber selbst wenn er dort ein winziges Bild von der Mona Lisa finden würde, würde er keinen Grund haben, es mit diesem Eindruck zu identifizieren“. 8 Damit stellt sich in Anbetracht der Identitätstheorie – ganz gleich ob schwach oder stark formuliert – die Frage: Was können wir aus der These, ‚Bewusstsein ist ein Prozess im Gehirn‘ über das Bewusstsein oder den Geist selbst lernen? Und da muss die Antwort im Moment wohl noch lauten: „sehr wenig“, denn die Behauptung der Körperlichkeit des Bewusstseins oder des Geistes sagt über das Bewusstsein und den Geist
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und beider Inhalte sowie über die Qualität, die ein Erlebnis für mich hat, praktisch nichts aus. 9 Zudem, und damit ist ein weiteres Problem angesprochen, kann die Identität von mentalen Phänomenen mit neuronalen Zuständen keine notwendige Geltung beanspruchen. Der amerikanische Philosoph Saul Kripke hat bereits in den 1970er Jahren darauf hingewiesen, es sei immer denkbar, dass ein bestimmter mentaler Zustand mit einem anderen neuronalen Zustand identisch ist als mit demjenigen, den die Identitätstheoretiker jeweils anführen. 10 Machen wir uns seine Position anhand eines Beispiels klar. 11 Ein Vertreter der Identitätstheorie – insbesondere einer der starken Version – könnte etwa behaupten: ‚Schmerz ist C-Fasern-Aktivität‘. Nach Kripke ist diese Aussage nicht nur a posteriori, sondern auch notwendig wahr, wenn es sich bei ‚Schmerz‘ und ‚C-Fasern-Aktivität‘ um starre Bezeichnungen handelt. Entscheidend ist hierbei für ihn der Aspekt der Notwendigkeit. Denn wenn Schmerz nicht notwendigerweise mit der behaupteten C-Fasern-Aktivität identisch ist, würde sich die Identitätstheorie als unhaltbar erweisen. So wie Kripke die Sachlage beurteilt, ist Schmerz nun aber nicht notwendigerweise mit der Aktivität von C-Fasern identisch. Denn es könnte doch auch sein, dass Schmerz ohne C-FasernAktivität vorkommt. Seiner Meinung nach ist es für die Fixierung der Bedeutung von ‚Schmerz‘ wesentlich, wie Schmerz sich für eine betreffende Person anfühlt, denn es handelt sich hierbei doch um einen Zustand, der von einem Individuum erlebt und empfunden wird. Ohne dass es empfindungsfähige Wesen gibt, hätte der Begriff des Schmerzes ja keinerlei Anknüpfungspunkt. Daher ist es für Kripke eine wesentliche und keine bloß zufällige Eigenschaft von Schmerz, dass er von einem empfindenden Wesen in einer ganz bestimmten Art und Weise erlebt wird. Die von der Identitätstheorie behauptete Identität von Schmerz und C-Fasern-Aktivität ist jedoch kontingent und eben nicht notwendig, ist es doch durchaus vorstellbar, dass anstelle der C-Fasern andere neuronale Strukturen den Schmerz konstituieren, den ich gerade empfinde. Mit dieser Schwierigkeit, mit der sich Identitätstheorien von Geist und Materie konfrontiert sehen, ist ein weiteres Problem verbunden, das der sogenannten ‚multiplen Realisierbarkeit‘ des Mentalen oder Psychischen nämlich. Damit ist gemeint, wie Hilary Putnam kritisch gegen die Identitätstheorie eingewandt hat: 12 Mentale Zustände sind prinzipiell durch ver-
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schiedenartige physikalische Zustände realisierbar. Hiermit will er darauf hinaus, es gebe keine intrinsischen Eigenschaften physikalischer beziehungsweise neurophysiologischer Zustände, aufgrund derer sie mit bestimmten mentalen Zuständen identisch sind. Mit anderen Worten und einfacher formuliert: Ein bestimmtes psychisches Phänomen, zum Beispiel der Kopfschmerz, kann aufgrund unterschiedlicher Tatsachen eintreten; so kann er durch Aktivität von C1-Fasern, aber auch durch Aktivitäten von C2-Fasern, jedenfalls multipel realisiert sein. 13 Dieser Schwierigkeit sieht sich vor allem die starke Version der Identitätstheorie gegenüber, behauptet sie doch in der Gestalt des generellen Physikalismus stabile Zuordnungen von Typen mentaler Zustände mit Typen physikalischer Zustände. Für die schwächere Version ist dieses Problem hingegen weit weniger bedrohlich, geht sie doch davon aus, ein bestimmtes mentales Phänomen sei mit einem bestimmten einzelnen neuronalen Vorkommnis identisch. Sie trägt also dem Umstand Rechnung, dass etwa der Kopfschmerz unterschiedliche Realisierungsbedingungen – beispielsweise C1-Fasern-Aktivität oder aber C2-Fasern-Aktivität – haben kann. Das bringt jedoch seinerseits für die praktisch-experimentelle Forschung das Problem mit sich, dass solche Realisierungsbeziehungen zwischen einer Vielzahl individueller Zustände in aufwendigen empirischen Untersuchungen bestimmt werden müssten. 14 Aufgrund dieser hier herausgestellten Schwierigkeiten kann man als zusammenfassenden Kritikpunkt gegen die Identitätstheorie den Sachverhalt ins Feld führen, dass sie lediglich Korrelationen zwischen mentalen und physikalischen Zuständen aufweisen, aber keine strikte Identität beweisen kann. Das aber schränkt den Anspruch einer Identitätstheorie ein. Eine solche Einschränkung nahm bereits Place vor, als er betonte: 15 Wir können Bewusstsein mit einem gegebenen Muster der Gehirnaktivität identifizieren, wenn wir die introspektive Beobachtung des Subjekts unter Bezug auf die Gehirnprozesse erklären können, mit denen sie korrelieren.
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Die stärkste Version der Identitätstheorie: eliminativer Materialismus / eliminativer Physikalismus Von solchen Einschränkungen des Anspruchsbereichs der Identitätstheorie will ihre stärkste Version nichts wissen. Vielmehr zieht sie eine letzte und radikale Konsequenz aus der starken Version, dem generellen Physikalismus. Wenn dieser behauptete, es gebe stabile Zuordnungen von Typen bestimmter mentaler Zustände und Typen bestimmter neurophysiologischer Zustände, so ziehen die Vertreter des eliminativen Materialismus hieraus die Konsequenz, jedes mentale Prädikat ließe sich durch ein physikalisches Prädikat ersetzen. Bei mentalen Prädikaten handelt es sich zum Beispiel um die sprachliche Formulierung mentaler Zustände wie beispielsweise: ‚Ich habe Kopfschmerzen‘, ‚Ich fürchte mich vor X‘, ‚Ich habe Angst‘, ‚Ich liebe Y‘. Ließen sich solche mentalen Zustände tatsächlich als typenidentisch mit bestimmten neurophysiologischen Zuständen erweisen, dann, so argumentieren die Vertreter eines eliminativen Materialismus, wäre es nur konsequent, auf mentale Prädikate wie etwa die genannten zu verzichten, ja sie aus der Sprache zu eliminieren. Dann wäre es fortan angebracht, statt von Schmerz, Angst, Furcht, Liebe und dergleichen von Veränderungen des Aktionspotentials in bestimmten Gehirnarealen, von spezifischen synaptischen Prozessen, von Faser-Aktivitäten oder von Schwankungen im Neurotransmitterspiegel zu sprechen. Machen wir uns die damit ins Visier genommene Veränderung des Sprachgebrauchs an einem einfachen Beispiel klar: Statt ‚Ich bin verliebt‘ müsste man sagen: ‚Mein Oxytocinspiegel ist nicht in Ordnung‘. Oder statt ‚Ich habe Schmerzen‘ müsste man sagen: ‚Meine C-Fasern feuern‘. 16 Allein das schon dürfte wohl weithin als einigermaßen befremdlich empfunden werden. Aber der Anspruch des eliminativen Materialismus geht noch einen Schritt weiter. Denn würde sich das Programm einer rein physiologischen Herangehensweise an menschliche Wesen tatsächlich durchführen lassen, dann würden sich mentalistische Beschreibungen von Zuständen als falsch erweisen, denn bei dem, auf das sie sich angeblich beziehen, handelte es sich ja um keine wirklich existierenden Phänomene. 17 Damit wäre zugleich eine Klippe des generellen Physikalismus umschifft, könnten doch dann „mentale Phänomene […] mit Gehirnphänomenen identi-
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fiziert werden, ohne daß Gehirnphänomene mit mentalen Phänomenen identifiziert werden müssen“. 18 Vertreten wurde ein solcher eliminativer Materialismus bereits um die Mitte der 1960er Jahre von Richard Rorty und Paul Feyerabend. 19 Für Rorty liegt es auf der Hand, dass, vorausgesetzt die Hirnforschung brächte empirische Ergebnisse herbei, die zeigen würden, dass Gehirnprozesse und Empfindungen identisch wären, dies „Veränderungen in unseren Sprachgewohnheiten mit sich bringen“ würde. 20 Und Feyerabend gab sich seinerzeit überzeugt, es gebe keinen Grund, anzunehmen, dass eine von der früheren, uns bislang vertrauten Sprache „verschiedene Betrachtungsweise nicht ebenso erfolgreich sein könnte“. 21 Daher hat er gegen eine rein physiologische Herangehensweise an menschliche Wesen auch keinerlei Einwände. Gemäß dem eliminativen Materialismus würde unser gewohntes mentalistisches Vokabular das Schicksal so manch anderer Theorie erleiden: Es hat seine Zeit gehabt und gilt irgendwann als überholt. Gleichwohl dürfte bei so manchem, wie Peter Bieri betont, ein „Unbehagen“ bleiben. Zwar erklären wir, hält er fest, in diesem Vokabular Verhalten. „Aber ist seine primäre Funktion nicht, innere Gegebenheiten zu beschreiben, die theorieunabhängig sind? Und ist das mentalistische Vokabular deshalb nicht in gewissem Sinn ein privilegiertes Vokabular, das nicht ersetzbar ist?“ 22 Dass solche inneren Gegebenheiten theorieunabhängig sind, eben das bestreitet Richard Rorty. In seinem einflussreichen Buch Der Spiegel der Natur 23 versucht er zu zeigen, dass die Intuitionen, aus denen die aufgeworfenen Fragen entstehen, „ein Produkt cartesianischer Epistemologie sind, die das Bewußtsein als sich selber vollständig durchsichtig beschreibt, weil der Cartesische Skeptizismus die Transparenz des Bewußtseins als Prämisse braucht“. 24 In den 1980er und 1990er Jahren wurde der eliminative Materialismus vor allem von Patricia und Paul Churchland vertreten. Ihre Kernthese lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass es den menschlichen Geist beziehungsweise das menschliche Bewusstsein als eigenständige Entität in Wirklichkeit genauso wenig gibt wie Dämonen (wie bereits Rorty argumentiert hatte 25). Was wir empirisch feststellen können, ist, dass es Aktivitäten beziehungsweise Aktivitätsmuster von Nervenzellen im Gehirn gibt. Wenn wir demnach von Geist, Bewusstsein und Seele sprechen,
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dann tun wir das analog dem Verhältnis zum Beispiel von Tischen und Atomen aus Gründen der praktischen Einfachheit – schon der Physiker Arthur Eddington wies darauf hin, wie wir oben im Zuge von Russells Analyse des Geistes vernahmen, bei dem, was wir als ‚Tisch‘ bezeichnen, handele es sich streng genommen um eine ‚Wolke von Atomen‘. Entsprechend, meint Paul Churchland, lasse sich das „unerreichbare Wesen des Bewusstseins“ „klar im Alphabet neuronaler Aktivität“ beschreiben, „die sich in unserem Gehirn und Nervensystem abspielt“. Kurz und gut: Bewusstsein ist für ihn nichts anderes als „eine Meisterleistung neuronaler Netzwerke“. 26 Konsequenterweise dürfe man dann auch nicht mehr vor einer Ersetzung des mentalen Vokabulars zurückschrecken. Bei Patricia Churchland heißt es wörtlich: „Es bleibt abzuwarten, ob die neurobiologische Wirklichkeit es erlauben wird, Kategorien wie ‚Überzeugung‘ und ‚Wunsch‘ beizubehalten […], obwohl Paul Churchland und ich dafür argumentiert haben, daß auch hier eine Revision äußerst wahrscheinlich ist“. 27 Dies schrieb Patricia Churchland 1993. Wenige Jahre später, nämlich 1998, hat sie ihre Ansicht geändert. Nun hält sie die Identitätstheorie zumindest in der Fassung des eliminativen Materialismus für nicht durchführbar. In einem Interview mit der „ZEIT“ vom 2. Juli 1998 sagte sie: „Ich habe meine Ansicht geändert“. Sie meint, die bislang verfolgte Erklärungsstrategie sei zu einfach, man müsse nämlich viel mehr Komponenten, die zum Bewusstsein und zum Geist beitragen, in die Untersuchung einbeziehen, wie beispielsweise Aufmerksamkeit, Kurzzeitgedächtnis, Wahrnehmung, Kognition, Reflexion und Introspektion. „Wenn man erkennt“, so Churchland weiter, „wie die Systeme zusammenarbeiten, kann man vielleicht beurteilen, welche Rolle das Bewußtsein spielt und wie es entsteht“. 28 Aber bis dahin, so sieht es jedenfalls gegenwärtig aus, ist es noch ein weiter Weg.
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Der Funktionalismus Die Kernthese Der Funktionalismus versteht sich als Alternativmodell zur Identitätstheorie des Geistes. Während letztere, wie im vorhergehenden Kapitel festgehalten werden konnte, eine Identität von mentalen Zuständen mit Vorgängen auf der neuronalen Ebene des Gehirns behauptet, versucht der Funktionalismus die ausschließliche Orientierung am Gehirn abzumildern. Entwickelt und vertreten wurde der Funktionalismus seit den 1960er Jahren insbesondere von dem amerikanischen Philosophen Hilary Putnam (geb. 1926). Weitere namhafte Vertreter sind Jerry Fodor, Daniel Dennett und David Lewis. Der Funktionalismus ist kein einheitlicher Theorieansatz, sondern ist in den letzten Jahrzehnten in diverse Spielarten ausdifferenziert worden. 29 Gleichwohl basieren all diese verschiedenen Versionen auf ein und derselben Grundthese. Diese besagt, kurz und bündig formuliert: Mentale, also geistige Zustände sind ihrer Natur nach funktionale Zustände. Oder, mit Putnams Worten gesagt: Der Funktionalismus identifiziert psychische Zustände mit funktionalen Zuständen. 30 Das bedarf freilich der Erläuterung. Zunächst ist zu klären: Was sind ‚funktionale Zustände‘ ? In einem ersten Zugriff kann man sagen, der Funktionalismus begreift funktionale Zustände als Zustände eines Systems, die allein durch ihre kausale Rolle charakterisiert sind. Und das wiederum bedeutet, es geht hier um Zustände, die erstens charakterisiert sind durch die Ereignisse außerhalb des Systems, durch die sie verursacht werden – die sogenannten „Inputs“ –, zweitens durch das, was sie selbst außerhalb des Systems verursachen – die „Outputs“ – und drittens durch die kausalen Relationen zu anderen Systemzuständen derselben Art. 31 Zugegeben – das ist alles noch reichlich abstrakt. Verdeutlichen wir uns das daher an einem Beispiel, am Beispiel von Schmerzen. 32 Schmerzen haben, wie wir wohl alle zustimmen würden, typische Ursachen und Wirkungen, also typische kausale Rollen. So werden Schmerzen etwa durch eine Verletzung oder Schädigung von Körpergewebe verursacht, durch den Stoß des Oberschenkels an einer Tischkante etwa oder durch einen Schnitt mit einem Messer. Diese Verletzung ist der erwähnte „Input“. Die Schmerzen ihrerseits verursachen – für gewöhnlich häufig – einen Schrei, Stöhnen,
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Jammern, Erbleichen beim Anblick der Wunde beispielsweise, ferner Maßnahmen zur Versorgung der verletzten Körperstelle. Und Schmerzen verursachen – ebenfalls häufig – eine Ablenkung der Aufmerksamkeit weg von der Verletzung sowie den Wunsch, den Schmerz zu beseitigen, mit der eventuellen Folge, ein schmerzlinderndes Medikament einzunehmen. All das kann als „Output“ des Systems bezeichnet werden. Und die Kernthese des Funktionalismus, um von hier aus auf sie zurückzukommen, besagt, mentale Zustände, zum Beispiel Schmerzen, seien Zustände, die eine bestimmte kausale Rolle in einem System haben, seien funktionale, das heißt durch kausale Rollen spezifizierte Zustände. 33 Mit Daniel Dennett kann man die Grundidee des Funktionalismus kurz und bündig auch dahingehend zusammenfassen, dass einen Geist nicht das ausmacht, woraus er besteht, sondern was er tun kann. 34 Damit dürfte sich der unterschiedliche Erklärungsansatz der Identitätstheorie und des Funktionalismus so allmählich herauskristallisieren. Die Identitätstheorie behauptet, Schmerz sei ein Gehirnzustand im Sinne eines physikalisch-chemischen Zustands des Gehirns (oder sogar des gesamten Nervensystems). Der Funktionalismus hingegen geht davon aus, Schmerz sei – wie Putnam schreibt – eine ganz andere Art von Zustand: Schmerz nämlich oder der Zustand des Schmerzhabens sei ein funktionaler Zustand eines ganzen Organismus, 35 ein Zustand, der sich, wie es das Beispiel des Schmerzes klarzumachen versuchte, durch die kausalen Beziehungen zwischen den über die Sinne vermittelten „Inputs“, den internen Zuständen – das sind die Schmerzempfindungen – sowie dem beobachtbaren Verhalten der betreffenden Person – den „Outputs“ – beschreiben lässt. Zwei weitere Überlegungen können helfen, die funktionalistische Position zu verdeutlichen. Erstens: Der Ausdruck ‚funktionaler Zustand‘, wie der Funktionalismus ihn gebraucht, hat „so gut wie nichts mit dem Begriff der Funktion zu tun […], wie er in der Biologie oder der Soziologie verwendet wird“. 36 Für den Funktionalisten sind, wie wir vernommen haben, funktionale Zustände solche Zustände, die durch kausale Rollen charakterisiert sind. Zweitens: Der funktionalistische Kerngedanke, wie er hier bislang entfaltet worden ist, ist ‚ontologisch neutral‘. Was heißt das? Nun, gehen wir erneut von einem Beispiel aus, dem Beispiel des Zorns. 37 Zorn, darüber
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dürfte wohl Einigkeit herrschen, ist ein mentaler Zustand. Gemäß der Grundthese des Funktionalismus ist dieser mentale Zustand ‚Zorn‘, wie alle mentalen Zustände, durch seine kausale Rolle charakterisiert. Eine Person ist zornig – so kann man von funktionalistischer Warte aus betrachtet sagen, wenn sie in einem Zustand ist, der durch bestimmte äußere Ereignisse verursacht wird, der seinerseits bestimmte physische Reaktionen hervorruft, ein bestimmtes Verhalten verursacht und in bestimmten Relationen zu anderen Zuständen dieser Person steht. So weit, so gut. Der springende Punkt hierbei ist, dass mittels einer solchen funktionalen Beschreibung des mentalen Zustands ‚Zorn‘ über die Art dieses Zustands schlechterdings nichts gesagt ist. Es könnte sich um einen Gehirnzustand handeln (wie die Identitätstheorie behauptet), also um einen physischen Zustand. Es könnte sich aber auch um einen nichtphysischen Zustand der betreffenden Person handeln oder vielleicht sogar um einen Zustand einer immateriellen Seele (von deren Existenz christliche Denker wie etwa Augustinus und Thomas von Aquin überzeugt waren), denn auch ein solcher Zustand könnte genau die kausale Rolle spielen, die für Zorn charakteristisch ist. Kurzum: Über den ontologischen Status des Zorns sagt der Funktionalismus zunächst einmal nichts aus. So gesehen ist er sogar mit einem ontologischen Dualismus verträglich. 38 Zu einer Version des Physikalismus und damit zu einer naturalistischen Theorie geistiger Zustände wird der Funktionalismus erst durch eine zusätzliche These, nämlich diejenige, dass alle mentalen Zustände durch physische Zustände realisiert sind. 39 Eine solche These liegt dem sogenannten „Computerfunktionalismus“ zugrunde.
Der Computerfunktionalismus Diese Spielart des Funktionalismus – wobei ‚Spielart‘ bereits akzentuiert, dass der Computerfunktionalismus nicht mit dem Funktionalismus schlechthin gleichgesetzt werden darf – vertritt eine Art Computermodell des Geistes. Und zwar geht sie davon aus, der Geist, oder präziser gesagt: das Gehirn, sei ein Computer, also eine Symbole verarbeitende Maschine. Gemäß diesem Modell sind, wie Putnam schreibt, „psychische Zustände (‚glauben, daß p‘, ‚wünschen, daß p‘, ‚überlegen, ob p‘ usw.) nichts weiter
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als ‚kalkülmäßige Zustände‘ des Gehirns“. Demzufolge wäre das Gehirn als „Digitalrechner“ aufzufassen und das Psychische als die „Software“ dieses Computers – als seine „funktionale Ordnung“ – zu beschreiben. 40 Hier kommt also ein Bild des menschlichen Geistes zum Tragen, dem zufolge das Gehirn als ein Rechner, als ein Computer – also als die Hardware – und das Psychische, das Geistige, als die Software dieses Computers aufzufassen wäre. Das Geistige ist die Software des Computers, das meint, es ist die ‚funktionale Ordnung‘ dieses Computers, es sind seine ‚funktionalen Zustände‘. Das bedeutet konkret: Bewusste Erlebnisse wie Wahrnehmen, Vorstellen, Erinnern, Begreifen, Verstehen oder Aufmerksamkeit etwa wären dann nichts anderes als Funktionen von aufeinanderfolgenden Rechenoperationen. Und diese Rechenoperationen ihrerseits beruhen auf schematischen Umformungen von Zeichenreihen in Zeichenreihen höherer Ordnung. 41 Mittels eines so verstandenen Computerfunktionalismus wird der psychophysische Zusammenhang des menschlichen Verhaltens nicht einfach auf ein Ineinandergreifen von physikalisch-chemischen Zuständen, wie es die Identitätstheorie unterstellt, zurückgeführt, sondern als ein Zusammenspiel einer materiellen Struktur – nämlich des Gehirns – mit einer funktionalen Ordnung begriffen.
Kritische Einwände Der amerikanische Philosoph John R. Searle (geb. 1932), der selbst eigenständige Beiträge zur Philosophie des Geistes vorgelegt hat (siehe das nächste Kapitel), bezweifelt, ob diese Analogie von Gehirn und Computer das Phänomen der bewussten geistigen Bezugnahme auf die Welt und das Problem der subjektiven Erlebnisqualität tatsächlich befriedigend erklären kann. Letztlich, so meint er, stehe hinter dem computerfunktionalistischen Modell immer noch der alte Traum vom ‚Geist in der Maschine‘, ein Traum, der von der Annahme geleitet ist, mentale Vorgänge seien im Prinzip nichts anderes als Computerprogramme und die mentalen Vorgänge ließen sich, bei genügend großer Speicherkapazität, durch Computerprogramme simulieren, so dass sich, worauf der Computerfunktionalismus ja abstellt, bewusste mentale Erlebnisse als Funktionen
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aufeinanderfolgender Rechenoperationen und schematischer Umformungen von Zeichenreihen in Zeichenreihen höherer Ordnung beschreiben lassen. Der einzige Unterschied zwischen Computer und Gehirn bestünde dann darin, dass das Gehirn andere Mittel verwendet. Aber, so fragt Searle, werden auf diese Weise tatsächlich ‚Denken‘ und ‚Bewusstsein‘ erklärt? Mitnichten, lautet darauf seine Antwort. In seinem 1986 auf Deutsch erschienenen Buch Geist, Hirn und Wissenschaft hat er seine kritische Sicht der Sachlage anhand eines mittlerweile legendären Gedankenexperiments verdeutlicht, das unter dem Titel „Argument vom Chinesisch-Zimmer“ bekannt geworden ist: „Stellen Sie sich vor“, schreibt Searle, „Sie seien in ein Zimmer eingesperrt, in dem mehrere Körbe mit chinesischen Symbolen stehen. Und stellen Sie sich vor, daß Sie (wie ich) kein Wort Chinesisch verstehen, daß Ihnen allerdings ein auf Deutsch abgefaßtes Regelwerk für die Handhabung dieser chinesischen Symbole gegeben worden wäre. Die Regeln geben rein formal – nur im Rückgang auf die Syntax und nicht auf die Semantik der Symbole – an, was mit diesen Symbolen gemacht werden soll“. Halten wir hier kurz inne, denn der letzte Sachverhalt ist wichtig: Dieses Regelwerk, das mir ins Zimmer gereicht worden ist, ist eine Grammatik, kein Wörterbuch. Es gibt mithin nur an, welche Symbole mit welchen anderen kombiniert werden können, damit ein grammatisch korrekter Satz auf Chinesisch entsteht. Es gibt mir aber keinerlei Auskunft darüber, was diese Symbole bedeuten. Mit anderen Worten: Es sagt nichts über die Semantik dieser Symbole, mit denen ich hantiere. Lassen wir nun Searle fortfahren: „Nehmen wir nun an, daß irgendwelche anderen chinesischen Symbole in das Zimmer gereicht werden, und daß Ihnen noch zusätzliche Regeln dafür gegeben werden, welche chinesischen Symbole jeweils aus dem Zimmer herauszureichen sind. […] Nehmen wir außerdem an, daß die Programme so trefflich und Ihre Ausführung so brav sind, daß Ihre Antworten sich schon bald nicht mehr von denen eines chinesischen Muttersprachlers unterscheiden lassen. Da sind Sie nun also in Ihrem Zimmer eingesperrt und stellen Ihre chinesischen Symbole zusammen. […] In so einer Lage […] könnten Sie einfach dadurch, was Sie mit den formalen Symbolen anstellen, kein bißchen Chinesisch lernen“. 42 Die Pointe dieser Geschichte besteht darin, dass meine sämtlichen
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Handlungen im „Chinesisch-Zimmer“, also alle Zusammenfügungen der chinesischen Symbole, unabhängig von ihrem Sinn, von ihrer Bedeutung ausgeführt werden. Mit Searle gesprochen, funktionieren die Abläufe in diesem Zimmer rein „syntaktisch“, nicht „semantisch“. Und keine Zahl formaler Algorithmen – also keine Rechenvorgänge, die nach einem bestimmten Schema ablaufen – kann nach Searle jemals ausreichen, „geistige Intentionen“ oder Bedeutungen zu erzeugen. Lassen wir Searle noch einmal selbst zu Wort kommen: „Der Geist ist semantisch – semantisch in dem Sinne, daß er mehr hat als eine formale Struktur; er hat einen Gehalt“. 43 Demnach kann es für Searle keinen Begriff des Bewusstseins oder des Geistes geben, der nicht schon die Begriffe der Intentionalität – das heißt der Bezugnahme auf etwas – oder des Bedeutens beinhaltet. 44 So gesehen ist Searle durchaus der Ansicht, geistig-mentale Phänomene seien durch Vorgänge im Gehirn verursacht, doch lässt sich daraus für ihn nicht ableiten, dass man die Subjektivität der Erlebnisse und ihres intentionalen Charakters leugnen müsste. Von hierher kann man als Fazit seiner Auseinandersetzung mit dem Computerfunktionalismus festhalten: Zwar sind Geist und Bewusstsein für ihn durchaus Bestandteile der materiellen Ordnung der Natur, sind Geist und Bewusstsein ein Produkt der Natur. Gleichwohl gibt er sich überzeugt, kein rein physikalisches oder biologisches Vokabular sei in der Lage, zu erhellen, „was die besondere Qualität psychischer Zustände ist und was sie jeweils bedeuten“. 45 Erst recht, so betont er, kann nicht das bloße Hantieren mit Symbolen ausreichen, um Fähigkeiten wie Wahrnehmung, Einsicht, Verständnis und Denken zu erzeugen. 46 Ganz in diesem Sinne hat auch Hilary Putnam den Computerfunktionalismus kritisiert: Während ein Computerprogramm, das von Menschen geschrieben worden ist, beschreibbar ist, kann die funktionale Organisation mentaler Prozesse niemals auch nur annähernd vollständig erfasst werden – und zwar einfach deswegen nicht, weil es eine schier unendliche Zahl von Kombinationsmöglichkeiten der Zeichen gibt. Daher hält er zusammenfassend fest: „Wird der Funktionalismus im Sinne der Theorie gedeutet, propositionale Einstellungen“ – zum Beispiel ‚glauben, dass p‘, ‚überlegen, ob p‘ – „seien nichts anderes als kalkülmäßige Zustände des Gehirns, kann er nicht richtig sein“. 47 Und: „Kalkülmäßige Eigenschaften sind allem Anschein nach einfach nicht dasjenige, was ‚intentio-
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nalen Systemen‘ mit dergleichen propositionalen Einstellungen gemeinsam ist“. 48
John Searles „biologischer Naturalismus“ In seinem Buch Geist, Hirn und Wissenschaft, auf das im vorigen Kapitel wiederholt Bezug genommen wurde, hat Searle über den Computerfunktionalismus hinaus auch die rein hirnphysiologisch ausgerichteten sowie die sich auf die Biochemie der Neuronen stützenden Erklärungsmodelle des Geistes kritisch unter die Lupe genommen. Um ihn nicht von vornherein misszuverstehen, sollte darauf hingewiesen werden, dass auch Searle nicht leugnet, dass Geist und Bewusstsein einen materiellen Träger haben, nämlich das Gehirn. Es ist, schreibt er, nicht zu leugnen: „jedes geistige Phänomen – ob bewußt oder unbewußt, visuell oder auditiv, Schmerzen, Kitzel, Jucken, Gedanken, ja tatsächlich die Gesamtheit des geistigen Lebens – ist von Vorgängen im Gehirn verursacht“. 49 Gleichwohl bezweifelt er, ob die hirnphysiologischen Modelle, wie sie den Spielarten der Identitätstheorie zugrunde liegen, oder der sogenannte „Konnektionalismus“, der Geist und Bewusstsein durch die Verbindung und Verschaltung – die ‚Konnektion‘ – ‚neuronaler Netze‘ zu erklären versucht, oder, wie gesehen, die Analogie von Gehirn und Computer „das Phänomen der geistigen Bezugnahme auf die Welt“ befriedigend erklären können. 50 Sehen wir uns zunächst Searles Auseinandersetzung mit dem hirnphysiologischen Erklärungsansatz an. 51 Dieser geht von der Vorstellung aus, das Gehirn stelle ein geschlossenes System dar, das mit der Außenwelt lediglich über eine Menge äußerst feiner Sensoren verbunden ist. Die durch diese Sensoren übermittelten Reize setzt das Gehirn mittels verschiedener Prozeduren der Vernetzung und Rückkopplung miteinander in Beziehung und verarbeitet sie. Nach Searle nun lässt sich – bislang jedenfalls – nicht angeben, worin die Mechanismen der Verbindung, der Bildung von Rückkopplungsschleifen und der Reizverarbeitung genau bestehen und wie das System ‚Gehirn‘ das von sich aus vollbringt. Bezugnahme auf die Welt, Intentionalität mit einem anderen Wort, setzt für
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Searle aber „immer schon die Leistungen eines Subjekts voraus, das weiß, was es tut oder will, und das sich mithin selbst verständlich ist“. Laut Searle steht man hier darum einer paradoxen Situation gegenüber. Dieses Paradox hat der amerikanische Wissenschaftstheoretiker Lawrence Davis anhand eines schönen Gedankenexperiments wie folgt veranschaulicht: „In einem Bürohaus sind Angestellte auf mannigfachen Ebenen telefonisch miteinander und mit anderen Schaltstellen verbunden. Über die Telefonleitungen werden verschiedene Botschaften – etwa ein Schmerzreiz – übermittelt, und wenn ein Schmerz das Empfindungszentrum trifft, entspricht alles, was wir beobachten können, einer Serie von Telefongesprächen. Das Gesamtsystem befindet sich in einem Zustand unerträglichen Leidens – doch was wir allein sehen, ist nichts als ein angeregter Informationsaustausch. Wo ist dann der Schmerz?“ 52 Im Bewusstsein natürlich – werden wir darauf spontan antworten. Aber der springende Punkt ist ja, dass wir das Bewusstsein mit diesem Modell gerade nicht erfassen – alles, was wir wahrnehmen, ist ein angeregter Informationsaustausch. Searle zieht hieraus den Schluss, Bewusstsein, Geist sei etwas anderes, sei mehr als eine bloße Begleiterscheinung, sei mehr als ein bloßes ‚Epiphänomen‘ von physikalischen Prozessen im Gehirn. Zu dem gleichen Resultat führt sein kritischer Blick auf jene Versuche, Geist und Bewusstsein anhand der Biochemie der Nervenzellen im Gehirn erklären zu wollen. Entsprechende Forschungen zeigen einen biochemischen und elektrischen Austausch von ‚Informationen‘ an den Synapsen, den Enden der Nervenzellen. Aber ist damit das Wesen des Geistes, ist damit das Eigentümliche des Bewusstseins erklärt? Laut Searle kann davon überhaupt keine Rede sein. Denn hierbei bleibt gerade dasjenige Moment außen vor, was es seiner Ansicht nach doch gerade zu erklären gilt, nämlich die bewusste Bezugnahme auf die Welt, die Intentionalität, die Bewusstseinszustände mit ihrer subjektiven Erlebnisqualität. Jede Theorie des Geistes und des Bewusstseins, die solche Phänomene unberücksichtigt lässt, hält er schon vom Ansatz her für verfehlt. Die Hirnphysiologen, hat Searle in einem Interview einmal gesagt, dringen in die „Black box“ ein; allerdings finden sie bislang lediglich eine Reihe kleinerer „Black boxes“. Bisher sei es ihnen nicht gelungen, den subjektiven oder qualitativen Charakter bewusster beziehungsweise geistiger Phänomene aufzudecken, „denn alle geistigen Phänomene haben“, so Searle weiter,
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„wenn sie hervorgebracht werden, eine Verständlichkeit in der ‚Ersten Person‘“. 53 Daher hat Searle in seinem Buch Geist. Eine Einführung, das ursprünglich 2004 und 2006 auf Deutsch erschienen ist, eine eigene, alternative Sichtweise vorgetragen. Er selbst bezeichnet seine Auffassung als „biologischen Naturalismus“. Damit will er akzentuieren, sie biete eine naturalistische Lösung für das traditionelle Körper-Geist-Problem, das heißt eine Lösung, „die den biologischen Charakter mentaler Zustände betont und sowohl den Materialismus als auch den Dualismus vermeidet“, zugleich aber die Existenz subjektiver Bewusstseinszustände berücksichtigt. 54 Searle formuliert seinen biologischen Naturalismus in bezug auf Bewusstsein zunächst in vier zusammenhängenden Thesen. 55 Die erste These akzentuiert, Bewusstseinszustände mit ihrer subjektiven Erste-PersonOntologie seien wirkliche Phänomene in der wirklichen Welt. Damit will er auf zweierlei hinaus. Zum einen lässt sich seiner Überzeugung nach Bewusstsein nicht eliminativ reduzieren, das heißt nicht dergestalt auf etwas anderes zurückführen, dass es als eigenständiges Phänomen verschwindet. Und zum anderen ist er überzeugt, man könne Bewusstsein nicht auf seine neurobiologische Basis, die es für ihn fraglos hat, reduzieren. Dabei nämlich handelt es sich um eine Reduktion von Bewusstsein auf eine Dritte-Person-Ontologie. Eine solche jedoch ließe die Erste-Person-Ontologie von Bewusstsein, das ist seine subjektive Erlebnisqualität, unberücksichtigt. Searles zweite These besagt, Bewusstseinszustände würden vollständig von neurobiologischen Gehirnprozessen der niedrigeren Ebene verursacht. Bewusstseinszustände sind für ihn deshalb kausal reduzierbar auf neurobiologische Prozesse. (Zu dem Unterschied zwischen eliminativer und kausaler Reduktion später mehr.) Mit dieser These stellt er darauf ab, dass Bewusstseinszustände unabhängig von neurobiologischen Vorgängen überhaupt kein eigenständiges Leben haben. Bewusstseinszustände sind demnach für ihn nichts, was ‚über‘ neurobiologische Prozesse hinausgeht oder ‚jenseits‘ dieser liegt. Anders gesagt: Bewusstseinszustände gehören für ihn keiner eigenen Sphäre des Mentalen an, die es als irgendwie Luftig-Ätherisches ‚neben‘, ‚über‘ oder ‚jenseits‘ des Kompakt-materiell-Physischen gäbe. Searle negiert also ganz entschieden eine „metaphysische Kluft“ zwischen Mentalem und Physischem, 56 eine Kluft, die
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uns seit Descartes’ Trennung der res cogitans und der res extensa nicht nur das Körper-Geist-Problem beschert hat, sondern dessen Lösung als unmöglich erscheinen ließ. Mit seiner dritten These behauptet Searle, Bewusstseinszustände seien im Gehirn als Eigenschaften des Gehirns systemrealisiert und existierten deshalb auf einer höheren Ebene als der Ebene von Neuronen und Synapsen. Hiermit grenzt er sich ganz entschieden gegen die Identitätstheorie – ganz gleich welcher Spielart – ab. Bewusstseinszustände sind für ihn nicht einfach ‚identisch‘ mit bestimmten neuronalen Aktivitäten – auch wenn diese Aktivitäten als Gehirnsystem Bewusstseinszustände realisieren. „Einzelne Neuronen“, schreibt Searle, „haben kein Bewußtsein, aber Teile des aus Neuronen zusammengesetzten Gehirnsystems haben Bewußtsein“. 57 Die vierte These schließlich formuliert eine einfache Lösung des Körper-Geist-Problems. Sie lautet: „Weil Bewußtseinszustände wirkliche Merkmale der wirklichen Welt sind, haben sie kausale Funktionen“. So bewirkt zum Beispiel mein bewusster Durst, dass ich Wasser trinke. 58 Im Kern behauptet Searles biologischer Naturalismus, das Bewusstsein und – da das Bewusstsein ein entscheidender Faktor des Geistes ist – der Geist seien eine Eigenschaft des Gehirns und somit Teil der physischen Welt. Mit dieser Position wendet sich Searle gegen eine bestimmte Tradition der Geist- beziehungsweise Bewusstseinsphilosophie, nämlich diejenige, die davon ausgeht, mentale Zustände könnten, weil sie intrinsisch mental seien, nicht in genau derselben Hinsicht physisch sein. Dieser Tradition setzt Searles Ansatz die Behauptung entgegen: „Weil sie intrinsisch mental sind, sind sie ein bestimmter Typ von biologischem Zustand, und deshalb sind sie a fortiori physisch“. 59 Hierin schwingt bei Searle eine Polemik gegen die herkömmliche Terminologie des Mentalen und Physischen mit, die traditionell darauf angelegt ist, einen absoluten Gegensatz zwischen dem Mentalen und dem Physischen zu schaffen. Daher hält Searle es für angebracht, diese Terminologie überhaupt nicht zu verwenden. Der Verzicht auf diese herkömmliche Terminologie ist für ihn jedoch nicht gleichbedeutend damit, die Phänomene als solche verschwinden zu lassen. Bewusstseinszustände, das betont er immer wieder, sind Teil der Welt; wir erleben sie, und zwar erleben wir sie als etwas, das ganz bestimmte Eigenschaften besitzt, näm-
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lich als ganz zentrale: qualitativ, subjektiv und intentional zu sein. Diese Eigenschaften zusammengenommen implizieren die Erste-Person-Perspektive. Die für Searle zentrale Frage lautet nun: „Wie passen qualitative, subjektive und intentionale Phänomene in die physische Welt? Was genau sind nun die physischen Eigenschaften der Welt, in die sie hineinpassen müssen?“ 60 Traditionell hat man dem Mentalen folgende Eigenschaften zugeordnet: Es ist 1. subjektiv, 2. qualitativ, 3. intentional, 4. nicht räumlich lokalisiert und nicht im Raum ausgedehnt, 5. nicht durch physische Prozesse erklärbar, 6. unfähig, kausal auf das Physische einzuwirken. Das Physische besitzt herkömmlicherweise folgende Eigenschaften: Es ist 1. objektiv, 2. quantitativ, 3. nichtintentional, 4. räumlich lokalisiert und im Raum ausgedehnt, 5. kausal von der Mikrophysik erklärbar und 6. wirkt es kausal und ist als System kausal geschlossen. 61 Für Searle nun liegt es auf der Hand, dass die ersten drei genannten Eigenschaften des Mentalen völlig widerspruchsfrei mit den letzten vier aufgelisteten Eigenschaften des Physischen vereinbar sind. Das bedeutet: „Qualitativität, Subjektivität und Intentionalität sind den letzten vier Kriterien entsprechend physisch. Sie sind im Raum des Gehirns zu bestimmten Zeiten lokalisiert, sie sind kausal durch Prozesse der niedrigeren Ebene erklärbar, und sie haben das Vermögen, kausale Rollen zu spielen“. Dergestalt ist Searle überzeugt, unser gesamtes mentales Leben finde im Raum unseres Gehirns statt, werde dort von Mikroprozessen verursacht und wirke von dort aus kausal. 62 Nun gut, wird man hier vielleicht sagen, aber verfolgt Searle damit nicht auch eine reduktionistische Strategie? Und gefährdet er damit nicht selbst die reale Existenz mentaler Phänomene, an der ihm doch so viel zu liegen scheint? Dass seine Theorie des Mentalen mit einer Reduktion arbeitet, räumt Searle im Zuge der Formulierung seiner vier Ausgangsthesen unumwunden ein. Jedoch gilt es zu beachten, dass ‚Reduktion‘ nicht gleich ‚Reduktion‘ ist, was besagen will, dass sich zwei Arten von ‚Reduktion‘ unterscheiden lassen, nämlich solche, die eliminativ sind, und solche, die das nicht sind. Eliminativ sind ontologische Reduktionen; sie zeigen, dass das reduzierte Phänomen nicht wirklich existiert hat. 63 So lassen sich Phänomene des Typs A ontologisch auf Phänomene des Typs B reduzieren, wenn As nichts weiter sind als Bs. Als Beispiele hierfür führt Searle
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an: Materielle Gegenstände sind „nichts weiter als Ansammlungen von Molekülen, und Sonnenuntergänge sind nichts weiter als Erscheinungen, die durch die Rotation der Erde um ihre eigene Achse relativ zur Sonne entstehen“. Von einer ontologischen Reduktion ist nach Searle eine kausale Reduktion zu unterscheiden. Auf das Problem des Bewusstseins angewandt, ist damit zu verstehen gegeben, dass sich Bewusstsein kausal reduzieren lässt, das heißt, es wird vollständig durch das Verhalten von Neuronen erklärt. Aber dadurch wird nicht gezeigt, „daß es nichts weiter als neuronales Verhalten ist“. 64 Letzteres wäre eine ontologische Reduktion. Mit ihr würde der eigentliche Sinn, überhaupt einen Begriff von Bewusstsein zu haben, verlorengehen. Weil es aber „wirklich existiert“, kann man Bewusstsein nach Searle gar nicht ontologisch reduzieren. 65 Der entscheidende Punkt, überhaupt einen Begriff von Bewusstsein zu haben, besteht für Searle darin, „die subjektiven Erste-Person-Eigenschaften des Phänomens zu erfassen“. Aber ebendieser Zweck geht seines Erachtens verloren, wenn man im Sinne einer ontologischen Reduktion Bewusstsein in objektiven Dritte-Person-Begriffen neu zu definieren versucht. 66 Verdeutlichen wir uns den Sachverhalt, um den es Searle ganz entscheidend zu tun ist, anhand von zwei anderen Beispielen, die er in diesem Zusammenhang beibringt und die zunächst etwas abseitig zu sein scheinen – geht es doch um Schlamm und um Beethovens Neunte Symphonie. Schlammverhalten, schreibt Searle, ist – ontologisch reduziert – Molekularverhalten. Aber das ist nicht das Interessante an Schlamm: „Deswegen würden nur wenige Leute darauf bestehen ‚Schlamm läßt sich auf Molekularverhalten reduzieren‘ zu sagen, obwohl sie das könnten, wenn sie es wirklich wollten“. Analog liegt der Fall mit Beethovens Neunter. Aufführungen dieser Symphonie lassen sich – ontologisch – auf Wellenbewegungen in der Luft reduzieren – aber das ist wohl kaum das, was uns an der Aufführung interessiert: „Der Musikkritiker, der schreibt ‚Alles, was ich hören konnte, waren Wellenbewegungen‘, hat den Punkt der Aufführung verpaßt“. 67 Wenn Searle nun, wie gesehen, davon ausgeht, Geist und Bewusstsein ließen sich kausal auf ihr neuronales Substrat reduzieren, dann führt diese Reduktion jedoch nicht zu einer ontologischen Reduktion, weil Bewusst-
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sein eine Erste-Person-Ontologie hat „und der Sinn, überhaupt den Begriff zu haben, verlorengeht, wenn man es in Dritte-Person-Begriffen neu definiert“. 68 Damit will er ganz grundsätzlich zu verstehen geben, dass man ein und dasselbe Ereignis so behandeln kann, dass es sowohl neurobiologische als auch phänomenologische Eigenschaften hat. „Dasselbe Ereignis“, hält er fest, „ist zugleich eine Abfolge von Neuronenfeuern und schmerzhaft“. 69 Infolgedessen ist Bewusstsein für ihn „ein Aspekt des Gehirns, und zwar der Aspekt, der aus ontologisch subjektiven Erlebnissen besteht“, also aus Erlebnissen, die für Searle, um es noch einmal zu wiederholen, einfach zum phänomenalen Bestand der Welt dazugehören und in ihrer Subjektivität, Qualitativität und Intentionalität nicht eliminativ reduziert werden können. Und um den für ihn entscheidenden Punkt noch einmal herauszustellen, schärft er seinen Leserinnen und Lesern ein: „Allerdings gibt es in Ihrem Schädel keine zwei verschiedenen metaphysischen Bereiche, einen ‚physischen‘ und einen ‚mentalen‘. Vielmehr laufen in Ihrem Gehirn nur Prozesse ab, und einige davon sind bewußte Erlebnisse“. 70 In Anbetracht dieser Auskunft sei die kritische Anfrage erlaubt: Wo kommen diese bewussten Erlebnisse, wo kommt die durch Subjektivität, Qualitativität und Intentionalität charakterisierte Erste-Person-Perspektive her? Ist Searle der Ansicht, sie könne grundsätzlich nicht durch neurobiologische Vorgänge erfasst werden? Wie es scheint, hilft hier seine Auskunft, Bewusstsein könne zwar nicht ontologisch, jedoch kausal reduziert werden, nicht weiter. Er erklärt, an diesem Punkt brauche man seines Erachtens „keine Entdeckung, sondern eine Entscheidung“. 71 Letztere besteht darin, dass man, wie bereits angeführt, ein und dasselbe Ereignis so behandeln könne, dass es sowohl neurobiologische als auch phänomenologische Eigenschaften hat. Aber hilft eine solche „Entscheidung“ hier tatsächlich weiter? Folgen wir nun seinem weiteren Gedankengang. Von seinen Ausführungen über die Beziehung des Bewusstseins zum Gehirn ausgehend kann Searle nun seine, wie er sagt, „grundsätzliche Lösung des Körper-GeistProblems“ formulieren. Diese Lösung besagt: „Bewußtsein wird von Prozessen der Mikroebene im Gehirn verursacht und ist im Gehirn als eine höherstufige oder Systemeigenschaft realisiert“. Und er setzt hinzu: „Aber die Komplexität der Struktur selbst und die genaue Natur der daran be-
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teiligten Gehirnprozesse wird durch diese Charakterisierung nicht analysiert“. 72 Grundsätzlich jedoch ist hiermit, wie Searle überzeugt ist, eine Antwort auf die Frage gegeben, wie physische Prozesse mentale Prozesse verursachen. Indessen ist sich Searle völlig darüber im Klaren, dass damit nur die eine Hälfte des Körper-Geist-Problems gelöst worden ist. In der Tradition war für viele Philosophen die andere Hälfte die dringlichere. Searle formuliert sie wie folgt: „Wie kann etwas so Ätherisches und Substanzloses wie mentale Prozesse physische Wirkungen in der wirklichen Welt haben?“ Mit anderen Worten: Wie kann es sein, dass ein nichtphysisches Bewusstsein eine physische Wirkung haben kann, dass es etwa, am Beispiel verdeutlicht, meinen Körper bewegt, dass auf meine bewusste Entscheidung hin mein Arm bewegt wird. 73 Für Searle entsteht diese Frage freilich erst, wenn man von der Grundannahme ausgeht, das Mentale sei etwas Nicht-Reduzierbares, was impliziert, es sei etwas, was über das Physische hinausgeht und nicht Teil der physischen Welt ist. Gibt man jedoch diese Annahme auf, dann lässt sich das Rätsel der mentalen Verursachung auf eine, wie Searle meint, einfache Art und Weise lösen. Denn dann gibt es, „kausal gesprochen, keine zwei unabhängigen Phänomene, bewußtes Bemühen und unbewußtes Neuronenfeuern“. 74 Dann nämlich gibt es nur noch das „Gehirnsystem“; und dieses hat zwei Beschreibungsebenen. Auf der einen tritt Neuronenfeuern auf, und auf der anderen – der „Systemebene“ – hat das System Bewusstsein und versucht in der Tat bewusst, seinen Arm zu heben. Das Körper-Geist-Problem ist demnach für Searle nur solange virulent, als wir die cartesianischen Kategorien des Mentalen und Physischen als zwei verschiedene, unverbundene Bereiche akzeptieren. Verwerfen wir hingegen diese Idee, dann, so ist er überzeugt, gebe es kein besonderes Problem mehr mit mentaler Verursachung. Jedoch fügt er sogleich hinzu – wohl um jeden überbordenden Optimismus, der nun meinen könnte, jetzt sei das Problem mentaler Verursachung restlos geklärt, von vornherein zu dämpfen –, es gebe selbstverständlich sehr schwierige Probleme damit, wie mentale Verursachung tatsächlich neurobiologisch funktioniert. Und da sei der aktuelle Stand der, dass man für diese Probleme die Lösungen größtenteils noch nicht kenne. 75 Gleichwohl sieht er seinen „biologischen Naturalismus“ als einen Versuch an, „eine Erklärung des Geistes zu geben, die mentalen Phänomenen
John Searles „biologischer Naturalismus“
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einen Platz in der natürlichen Welt gibt“. 76 Dieser „biologische Naturalismus“ verabschiedet die Vorstellung, wir lebten in zwei verschiedenen Welten: einer mentalen Welt und einer physischen Welt. Für Searle gibt es nur eine Welt, die Welt, in der wir alle leben. Und es ist an uns, schreibt er, zu erklären, „wie wir als Teil von ihr existieren“. 77 Bei Geist und Bewusstsein handelt es sich, wie er eigens herausstellt, zwar nur um einen Aspekt unseres Lebens. Aber insofern es um unsere tatsächliche Lebenserfahrung gehe, sei Bewusstsein „das eigentliche Wesen unserer sinnhaften Existenz“, so dass man, „hätte Descartes die Bedeutung des Satzes nicht bereits zerstört“, sagen könnte: „Das Wesen von Geist ist Bewußtsein“. 78
Rückblick, Status quo und Ausblick Nun haben wir einen weiten Weg durch die europäische Geistesgeschichte – oder genauer gesagt: durch die Geschichte des Geistes – zurückgelegt und einige Stationen ihres Verlaufs eingehender in Augenschein genommen. Hierbei konnten wir feststellen, dass und wie die menschliche Psyche sich anfänglich bereits im alten Ägypten zu reflektieren beginnt und der Geist sich im Griechenland der sogenannten „Achsenzeit“ selbst entdeckt und wie er sich in recht kurzer Zeit ein erstaunlich breites Leistungsspektrum erschließt. Auf diesem Weg konnten wir des Weiteren verfolgen, wie Geist gegen Psyche abgegrenzt wird, welche Deutungsmöglichkeiten ihres Verhältnisses bereits in der Antike entwickelt worden sind und wie er sich zum Körper, zur Materie verhält. In der Spätantike dann beginnt, wie wir gesehen haben, eine Tradition, die das Nachdenken über den Geist in metaphysische Konzepte einbindet, eine Tradition, die in der Folgezeit die Leitlinie des Verständnisses von Geist vom frühen über das späte Mittelalter bis hin zur Renaissance werden sollte. Der mit dem Namen René Descartes gekoppelte Versuch, die Philosophie im Allgemeinen neu zu begründen und für das Verständnis von Geist im Besonderen eine neue Grundlage zu schaffen, mündet in einen LeibSeele- beziehungsweise einen Natur-Geist-Dualismus ein, der eine Problematik in sich birgt, an deren Lösung sich menschliche Geistesaktivitäten bis heute abmühen. Bereits im Zeitalter Descartes’ wurden verschiedene Lösungsansätze vorgeschlagen. Während die einen – zum Beispiel der Okkasionalismus und Leibniz – metaphysisch inspirierte Konzepte weiterzuentwickeln versuchten, bereitete ein anderer Ansatz, nämlich derjenige Spinozas, solchen Denkansätzen den Weg mit, die, indem sie zudem auf materialistisch angelegte Geistbegriffe der Antike zurückgriffen, Geist als ein rein physisches Phänomen auffassten. Gegenüber diesem in der radikalen französischen Aufklärung vorherrschenden Naturalismus und Materialismus etabliert sich in den deutschen Landen parallel dazu und zeitlich etwas später eine dezidiert idealistisch ausgerichtete Geistspe-
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261
kulation, die in Hegels Philosophie des wissenden Geistes gipfelt (oder, je nach Perspektive, ihren Tiefpunkt erreicht). Allerdings hinterließ der französische Materialismus des achtzehnten Jahrhunderts seine Spuren in der deutschen Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts, so etwa in Schopenhauers evolutionär angelegter Willensphilosophie, die den Geist als Derivat des Willens zum Leben als der Basiskraft alles Lebendigen begreift, und in Nietzsches Leibphilosophie mit ihrer These vom Leib als der ‚großen Vernunft‘. In den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts spielen in der philosophischen Anthropologie Deutschlands sowohl metaphysische und idealistische als auch naturalistische Konzepte eine nicht unerhebliche Rolle, so dass sich hier ein einigermaßen uneinheitliches Bild ergibt. Zeitgleich werden in Großbritannien monistische Positionen vorgelegt, zum Beispiel von Russell und Whitehead. Mit dem Monismus ist ein Erklärungsansatz formuliert, der unter dem Schlagwort ‚Naturalisierung des Geistes‘ die im zwanzigsten Jahrhundert, vom Dualismus Poppers und Eccles’ abgesehen, zur vorherrschenden Strategie wird, den Geist und seine Funktionsweise zu erklären, eine Strategie, die sich in diverse Spielarten – von der Identitätstheorie über den Funktionalismus bis hin zum ‚biologischen Naturalismus‘ Searles – auffächert. Auch wenn die ‚Naturalisierung des Geistes‘ in den letzten Jahrzehnten die verbreitetste Erklärungsstrategie ist, so bleibt sie dennoch nicht unwidersprochen. Einer ihrer prominentesten Kritiker aus der Riege der Philosophen ist derzeit Thomas Nagel. In seinem im Herbst 2013 auf Deutsch erschienenen Buch Geist und Kosmos 1 startet er einen Generalangriff auf den Anspruch der Naturwissenschaften, hinsichtlich der Fragen, wie Leben, Geist und Bewusstsein entstanden sind, die alleinige Deutungshoheit zu besitzen. Tatsächlich nämlich, so kritisiert Nagel, seien Naturwissenschaften wie Biologie, Chemie und Physik nicht in der Lage, erklären zu können, wie aus Anorganischem, also toter Materie, oder auch aus Belebtem, wie etwa ‚dummen‘ Bakterien, so etwas Komplexes wie Geist, Bewusstsein und Subjektivität entstanden ist. Hier klafft, wie Nagel moniert, eine offensichtliche Erklärungslücke, die Wissenschaften wie die genannten mit reduktionistischen Bestrebungen zu schließen versuchten, indem sie sie zu Vorgängen auf der materiellen Ebene erklärten. Damit jedoch könnten sie gerade das nicht erfassen, was uns als emp-
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Rückblick, Status quo und Ausblick
findenden Wesen am nächsten ist: unsere subjektive Innenwelt mit ihren Gefühlen, Wünschen, Absichten und Erlebnissen, kurz: unsere Erste-Person-Perspektive. Solch reduktionistischen Erklärungsstrategien setzt Nagel seinerseits nun die These entgegen, der Geist sei von Anfang an als Möglichkeit, als Disposition im Kosmos präsent, sei dem Universum inhärent gewesen, lange bevor es Leben gab. Seiner Überzeugung nach hat die kosmische Ordnung vom Anbeginn aller Zeiten an dazu tendiert, im Laufe der weiteren Entwicklung Wesen zu erzeugen, die in der Lage sind, mit Hilfe ihres Geistes ebendiese kosmische Ordnung zu begreifen. Zwar räumt Nagel selbst ein: Dass man diese von ihm behauptete kosmische Tendenz zur Entwicklung von Geist mittels einer nicht materialistisch orientierten Naturwissenschaft beweisen könne, sei vorerst wohl nichts als eine Utopie. Gleichwohl muss er sich dem Vorwurf aussetzen, auch er selbst ‚naturalisiere‘ den menschlichen Geist „und unterstelle dem Kosmos eine Zielgerichtetheit, die er gar nicht besitze“. 2 Nagels Kritik indessen berührt insofern einen neuralgischen Punkt, als sie herausstellt, was sich trotz aller naturalistischen und reduktionistischen Bestrebungen bislang einer zufriedenstellenden Erklärung entzieht: nämlich wie Prozesse auf der neuronalen Ebene des Gehirns, also im Letzten physikalische und chemische Prozesse, so etwas wie subjektive Erfahrungen und ein Ich-Bewusstsein erzeugen können. Bereits 1994 hat der australische Philosoph David Chalmers herausgestellt, dass dies „the hard problem“, also das „schwierige“ Problem der Bewusstseinsforschung darstelle. Demgegenüber habe man es bei der Erforschung von Wahrnehmung, Gedächtnis, Lernen und Emotionen mit vergleichsweise „einfachen“ Problemen, den „easy problems“ zu tun. 3 Und auch Antonio Damasio, einer der derzeit führenden Neurowissenschaftler, betont in seinem Buch Self comes to Mind, das 2011 auf Deutsch unter dem Titel Selbst ist der Mensch. Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins publiziert worden ist: „Das Vorhaben, verstehen zu wollen, wie das Gehirn einen bewussten Geist aufbaut, bleibt unvollendet. Das Geheimnis des Bewusstseins ist nach wie vor ein Geheimnis, auch wenn wir ein wenig weiter vorgedrungen sind. Aber für die Behauptung, wir hätten es gelüftet, ist es noch zu früh“. 4 Des Problems „Ich-Bewußtsein“ hat sich im deutschsprachigen Raum
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seit etwa der Mitte der 1990er Jahre Thomas Metzinger angenommen und bemerkenswerte Überlegungen entwickelt. 5 Dabei geht er von dem uns in der Regel wohl allen bekannten Erlebnis aus, dass uns nichts vertrauter zu sein scheint als unser „Ich“, unser „Selbst“, das es uns ermöglicht, eine Perspektive der „Meinigkeit“ einnehmen zu können. Nun hat aber bereits der schottische Philosoph David Hume, worauf schon in der Einleitung hingewiesen wurde, um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts betont, solche „präreflexive Selbstvertrautheit des Ich“, wie Metzinger formuliert, werde immer nur episodisch instantiiert, sei also nicht permanent aktiviert. So verschwindet diese Selbstvertrautheit des Ich beispielsweise im Tiefschlaf oder im Koma. Daher kann man mit Recht fragen: Wer oder was garantiert mir eigentlich, dass ich, wenn ich morgens aufwache, noch dasselbe „Ich“ bin, das sich am Abend zuvor zum Schlafen ins Bett gelegt hat? Mittlerweile gibt es eine ganze Fülle von neuropsychologischen Befunden, die zeigen, dass diese Selbstvertrautheit und die subjektiv unbezweifelbare Qualität der „Meinigkeit“ zum Beispiel während eines schizophrenen Schubs jederzeit und manchmal unwiderruflich verlorengehen können. Das aber bedeutet, sie können durch kontingente, ‚natürliche‘ Ereignisse auf der neurobiologischen Ebene verlorengehen. Zu diesen Problemen, die an der Stabilität eines „Ichs“, eines „Selbst“ zweifeln lassen, tritt der Sachverhalt, dass die neurobiologische Erforschung des Gehirns bislang nirgends ein neuronales Korrelat einer solchen Ich-Instanz hat lokalisieren können, was zu der Hypothese geführt hat, ein solches Selbst im Sinne einer beständigen Einheit, die das Subjekt all unserer Erfahrungen ist, gebe es möglicherweise gar nicht. 6 Damit sieht man sich mit der Problemlage konfrontiert, wie beides zusammenpasst: die neurophysiologisch anscheinend untermauerte Hypothese von der Nicht-Existenz einer solchen Ich-Instanz oder -Substanz und das Erlebnis der Vertrautheit mit dem „Ich“, mit dem „Selbst“. Metzinger nun hat eine Hypothese entwickelt, die beiden Sachverhalten Rechnung zu tragen versucht und die viel Akzeptanz erfahren hat. Dieses Modell lässt sich mit seinen Worten auf die Formulierung bringen: „Ich bin der Inhalt eines transparenten Selbstmodells“. 7 Das bedarf freilich der Erläuterung. Metzingers Ausgangspunkt ist der Sachverhalt, dass wir nie in Kontakt mit der Wirklichkeit an sich stehen, sondern sie immer nur als
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Repräsentation, das heißt als ihre Darstellung in unserem Erkenntnisapparat, in unserem Geist, kennen. So wäre eine Möglichkeit des Zugangs zur Wirklichkeit die der „phänomenalen Repräsentation“: Das ist die Art und Weise, wie mein bewusster Geist – aus naturalistischer Perspektive betrachtet letzten Endes mein Gehirn – die Wirklichkeit und mich selbst darstellt, repräsentiert. Demnach entwirft mein Geist ein Modell seiner selbst, das wir für gewöhnlich als „Ich“ oder „Selbst“ bezeichnen, also ein „Selbstmodell“, ein „Selbstbewusstsein“. Dieses Selbstmodell ist aber keine nichtphysikalische Substanz, sondern ein „repräsentationaler Zustand“. Mein sogenanntes „Ich“ wäre demzufolge die Art und Weise, wie mein Geist mich darstellt, mich repräsentiert. Ohne diese Hypothese hier detailliert vertiefen zu können, sieht es so aus, als schienen die Fortschritte und Erkenntnisse der aktuellen Hirnforschung unser Welt- und Selbstbild immer wieder zu erschüttern. Diese Erkenntnisse verunsichern uns möglicherweise, so dass wir fragen, ob wir weiterhin von einem Ich, von Selbstbewusstsein und von einem freien Willen – was zusätzliche Probleme aufwirft – sprechen können. Jemand wie Michael Pauen vertritt angesichts dieser Situation die Ansicht, die Erkenntnisse der Neurowissenschaften würden uns und unser Selbstverständnis gar nicht bedrohen, vielmehr ermöglichten sie uns im Gegenteil tiefe Einblicke in die natürlichen Grundlagen des menschlichen Geistes. 8 Und ganz generell gibt er sich überzeugt, die gegenwärtige Hirnforschung erzeuge kein neues Menschenbild, erfordere keine spektakuläre Revision unseres Bildes vom Menschen. 9 Vielmehr sehe es so aus, „als würde die Forschung unser Selbstverständnis stützen und gleichzeitig unser Verständnis für diese Fähigkeiten [sc. die Fähigkeiten unseres Bewusstseins und unseres Geistes] vertiefen“. 10 In Metzingers These vom Ich als einem repräsentationalen Zustand, den mein Geist entwirft, schwingt ein Problem mit, das in den neueren Debatten um den Geist intensiv und – wie könnte es anders sein? – kontrovers diskutiert wird: Wo hört unser Geist auf, und wo fängt der Rest der Welt an? Bereits Ende der 1990er Jahre haben Andy Clark und David Chalmers diesbezüglich ein Konzept entwickelt, das sie als „extended mind thesis“ bezeichnen: als die „These des erweiterten Geistes“. Diese These behauptet, unser Geist erstrecke sich über die Körpergrenzen hinaus in die Welt, womit sie meinen, unsere Überzeugungen könnten teil-
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weise von Eigenschaften der äußeren Welt konstituiert sein, „sofern die betreffenden Eigenschaften die richtige Art von Rolle bei der Aufrechterhaltung kognitiver Prozesse spielen“. 11 Und wenn das tatsächlich zutreffe, erweitere sich der Geist in die Welt. Clark und Chalmers veranschaulichen ihre These anhand der beiden Personen „Inga“ und „Otto“ (wobei diese beiden Namen angeblich so gewählt worden sind, um „inner“ and „outer“ zu assoziieren). Betrachten wir, so schreiben Clark und Chalmers, 12 zunächst den üblichen Fall einer Überzeugung, die im Gedächtnis eingebettet ist. Inga hört von einem Freund, es gebe eine Ausstellung im Museum of Modern Art, und sie entscheidet sich, hinzugehen und sie sich anzuschauen. Sie überlegt einen Moment und erinnert sich, dass sich das Museum in der 53sten Straße befindet. Also geht sie zur 53sten Straße und geht ins Museum. Es scheint klar, dass Inga glaubt, das Museum befinde sich in der 53sten Straße und dass sie dies glaubte, bevor sie ihr Gedächtnis konsultierte. Betrachten wir nun Otto. Otto leidet an der Alzheimer-Krankheit, und wie viele Alzheimer-Patienten vertraut er auf Informationen aus der Umwelt, die ihm helfen, sein Leben zu strukturieren. Otto trägt, wohin auch immer er geht, ein Notizbuch mit sich. Wann immer er neue Informationen lernt, hält er sie in ihm fest. Wenn er ältere Informationen benötigt, schlägt er sie nach. Für Otto spielt sein Notizbuch die Rolle, die für gewöhnlich von einem biologischen Gedächtnis übernommen wird. Heute nun hört Otto von der Ausstellung im Museum of Modern Art und entscheidet sich, hinzugehen und sie sich anzuschauen. Er konsultiert sein Notizbuch, das ihn darüber informiert, dass das Museum sich in der 53sten Straße befindet. Also geht er zur 53sten Straße und betritt das Museum. Klar ist, so Clark und Chalmers weiter, Otto ging zur 53sten Straße, weil er ins Museum gehen wollte und er glaubte, das Museum befände sich in der 53sten Straße. Und genau wie Inga ihre Überzeugung hatte, bevor sie ihr Gedächtnis befragte, scheint es sinnvoll zu sein, zu sagen, dass Otto glaubte, das Museum befände sich in der 53sten Straße, bevor er sein Notizbuch konsultierte. Bezüglich relevanter Aspekte sind die beiden Fälle gänzlich analog: Das Notizbuch spielt für Otto dieselbe Rolle wie das Gedächtnis für Inga. Die Information im Notizbuch funktioniert genau gleich wie die Information, die eine gewöhnliche, nichtzufällige
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Überzeugung konstituiert – nur liegt diese Information „beyond the skin“: jenseits, außerhalb der Haut. Mit Hilfe dieses Szenarios versuchen Clark und Chalmers ihre Behauptung zu illustrieren: Während es einerseits Geisteszustände („mental states“), wie etwa Erfahrungen gebe, die intern, also von innen bestimmt werden, gibt es andere, bei denen äußere Faktoren einen bedeutsamen Beitrag leisten. Auf diese Weise versuchen sie ihre These zu belegen, dass Überlegungen teilweise („partly“) von Eigenschaften der Umwelt konstituiert sein können. Diese These vom „erweiterten Geist“ wird, wie gesagt, kontrovers diskutiert. Hier ist nicht der Ort, diese Debatten nachzuzeichnen. Vielmehr sollte dieses Konzept nur deswegen kurz vorgestellt werden, um deutlich werden zu lassen, dass die Erforschung des Geistes ein work in progress ist, ein Unterfangen mithin, das um immer neue Erkenntnisse, Deutungsansätze, Hypothesen und Modelle bereichert wird und dessen Ende beim derzeitigen Stand der Dinge nicht abzusehen ist, so dass abschließend das obige Zitat von Antonio Damasio dahingehend abgewandelt werden kann: Für die Behauptung, die Forschung hätte das Geheimnis des Geistes gelüftet, ist es noch zu früh.
Anmerkungen Einleitung 1 2 3
4 5 6 7 8
Der Sprach-Brockhaus, S. 235. Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Band 4, I, 2, Sp. 2623–2741. Friedrich Kluge / Alfred Götze: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 251 f.; Wolfgang Pfeifer (Hrsg.): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, S. 415 f. David Hume: Treatise of Human Nature (1739), Book I, Part IV, chap. VI, S. 251 ff. S. Dieter Teichert: Einführung in die Philosophie des Geistes, S. 11 f. Ludwig Klages: Der Geist als Widersacher der Seele (1929–1932). Bonn 1960. Ian Tattersall: Becoming Human. Evolution and Human Uniqueness. New York 1998. S. hierzu Jean-Marie Chauvet / Eliette Brunel-Deschamps / Christian Hillaire: Dawn of Arts: The Chauvet Cave. New York 1996; Jean Clottes: La Grotte Chauvet – L’art des origines. Paris 2010; Werner Herzog: Die Höhle der vergessenen Träume. Dokumentarfilm 2011.
Zeugnisse einer Selbstreflexion der Psyche im alten Ägypten 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Hans Bonnet: Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte, S. 4; Wolfgang Helck / Eberhard Otto (Hrsg.): Lexikon der Ägyptologie, Bd. I, Sp. 49–52. Bonnet, ebd. Helck / Otto, a. a. O., Sp. 51. Bonnet, a. a. O., S. 74. Jan Assmann: Tod und Jenseits im alten Ägypten, S. 116 ff. Bonnet, a. a. O., S. 77. Bonnet, a. a. O., S. 357 ff.; Assmann, a. a. O., S. 131 ff.; Helck / Otto, a. a. O., Sp. 275–282. Bonnet, a. a. O., S. 358. Bonnet, a. a. O., S. 362.
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Anmerkungen
Die Entdeckung des Geistes in der griechischen Antike 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37
Bruno Snell: Die Entdeckung des Geistes, S. 7. Snell, a. a. O., S. 10. Snell, a. a. O., S. 19. Ebd. S. Snell, a. a. O., S. 22. S. Snell, a. a. O., S. 24. Snell, a. a. O., S. 27. S. Snell, a. a. O., S. 22. Snell, a. a. O., S. 27. Ebd. Snell, a. a. O., S. 22. Snell, a. a. O., S. 22 f. Snell, a. a. O., S. 23. Snell, a. a. O., S. 27. Snell, a. a. O., S. 28. S. Snell, a. a. O., S. 29. Snell, a. a. O., S. 36. Snell, a. a. O., S. 41 f. Karl Jaspers: Vom Ursprung und Ziel der Geschichte (1949). München 1983. S. Julius Stenzel: Zur Entwicklung des Geistbegriffs in der griechischen Philosophie (1956/1957), S. 216. Stenzel, a. a. O., S. 218. Stenzel, a. a. O., S. 216. S. Stenzel, a. a. O., S. 217 u. 222. Kurt von Fritz: Die Rolle des Nous (1943/1945/1946), S. 269. von Fritz, a. a. O., S. 255. von Fritz, a. a. O., S. 260 ff. von Fritz, a. a. O., S. 276. S. von Fritz, a. a. O., S. 290. S. von Fritz, a. a. O., S. 254. Wilhelm Capelle: Die Vorsokratiker, S. 121. von Fritz, a. a. O., S. 289. von Fritz, a. a. O., S. 290. Capelle, a. a. O., S. 125. Snell, a. a. O., S. 129. Heraklit: Fragmente, hrsg. von Bruno Snell, S. 33. S. hierzu Friedhelm Decher: Sein – Werden – Vergehen. Vorsokratische Erklärungsmodelle der Veränderung und Stoffumwandlung, S. 313–316. S. hierzu Decher, a. a. O., S. 319 ff.
Anmerkungen 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55
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Hermann Diels / Walther Kranz: Die Fragmente der Vorsokratiker, Parmenides fr. 28 B 8, Z. 34; Bd. I, S. 238. von Fritz, a. a. O., S. 314 f. Diels / Kranz, a. a. O., Empedokles fr. 31 B 35, Z. 16 f.; Bd. I, S. 328. von Fritz, a. a. O., S. 325. von Fritz, a. a. O., S. 332. S. ebd. von Fritz, a. a. O., S. 352. Ebd. Zitiert nach Karl Vorländer: Geschichte der Philosophie mit Quellentexten, Bd. I, S. 43. Luciano de Crescenzo: Geschichte der griechischen Philosophie. Die Vorsokratiker, S. 182. Kurt von Fritz: Der NOUS des Anaxagoras, S. 95. Capelle, a. a. O., S. 111. S. z. B. Capelle, a. a. O., S. 105 f.; Theodor Gomperz: Griechische Denker, Bd. I, S. 122 ff. Capelle, a. a. O., S. 109. Capelle, a. a. O., S. 112. Aristoteles: Über die Seele, 405 a; S. 29 ff. Capelle, a. a. O., S. 109. Geoffrey S. Kirk / John E. Raven / Malcolm Schofield: Die vorsokratischen Philosophen, S. 380.
Der Geist als Teil und Funktion der Seele 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
S. Platon: Politeia, 439 d ff. – S. zum Folgenden Friedhelm Decher: Die Schule der Philosophen, S. 47 ff. Aristoteles: Über die Seele, 402 a; S. 5. A. a. O., 414 a; S. 28. – S. hierzu Michael-Thomas Liske: Aristoteles’ Philosophie des Geistes: Weder Materialismus noch Dualismus. A. a. O., 412 a; S. 24. A. a. O., 403 a; S. 7. A. a. O., 429 b; S. 58. A. a. O., 429 a; S. 57. A. a. O., 404 b; S. 9. A. a. O., 407 a; S. 14 und 427 b; S. 57. Aristoteles: Politik, 1253 a 9 f.; S. 49. S. Aristoteles: Über die Seele, 404 b; S. 9. Aristoteles: Nikomachische Ethik, 1177 a; S. 230.
270 13 14 15 16 17 18
Anmerkungen
A. a. O., 1177 a – 1177 b; S. 230 ff. A. a. O., 1177 b; S. 232. Ebd. A. a. O., 1178 a; S. 232. A. a. O., 1179 a; S. 236. Aristoteles: Metaphysik, 1074 b; S. 320.
Rezeption der Demokrit’schen Atomtheorie in hellenistischer Zeit: Epikur und Lukrez 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
S. Pierre Hadot: Wege zur Weisheit, S. 153. S. hierzu Gianni Paganini / Edoardo Tortarola (Hrsg.): Der Garten und die Moderne. Epikureische Moral und Politik vom Humanismus bis zur Aufklärung. S. Malte Hossenfelder: Epikur, S. 136. Epikur: Briefe, Sprüche, Werkfragmente, S. 25 (Brief an Herodot, Abschn. 63). Ebd. Epikur, a. a. O., S. 27 (Brief an Herodot, Abschn. 65). Ebd. (Brief an Herodot, Abschn. 66). Epikur, a. a. O., S. 25 (Brief an Herodot, Abschn. 63). S. Epikur, a. a. O., S. 17 (Brief an Herodot, Abschn. 52 f.); s. ferner a. a. O., S. 103 u. 112. S. Wolfgang Krautz: Nachwort, in: Epikur, a. a. O., S. 161. S. hierzu Stephen Greenblatt: Die Wende. Wie die Renaissance begann. Lukrez: Vom Wesen des Weltalls III, 35; S. 125. Lukrez, a. a. O., III, 94 ff.; S. 127. Lukrez, a. a. O., III, 105; S. 128. Lukrez, a. a. O., III, 135 ff.; S. 129. Lukrez, a. a. O., III, 143 ff.; S. 129 f. Lukrez, a. a. O., III, 175; S. 131. Lukrez, a. a. O., III, 194 ff.; S. 132. Lukrez, a. a. O., III, 422 ff.; S. 141. Lukrez, a. a. O., III, 219–220; S. 132. Lukrez, a. a. O., III, 209–210; S. 132. Lukrez, a. a. O., III, 231 ff.; S. 133 f. Lukrez, a. a. O., III, 260; S. 134. Lukrez, a. a. O., III, 280; S. 135. Lukrez, a. a. O., III, 288 ff.; S. 135 f. Lukrez, a. a. O., III, 307 ff.; S. 136. Lukrez, a. a. O., III, 322 ff.; S. 137.
Anmerkungen 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41
271
Lukrez, a. a. O., III, 447 ff.; S. 142. Lukrez, a. a. O., III, 555; S. 146. Lukrez, a. a. O., III 439 ff.; S. 141. Lukrez, a. a. O., III, 438; S. 141. Lukrez, a. a. O., III, 582; S. 148. Lukrez, a. a. O., III, 590–591; S. 148. Lukrez, a. a. O., III, 641 ff.; S. 150 f. Lukrez, a. a. O., III, 797; S. 156. Lukrez, a. a. O., III, 798–799; S. 156. Lukrez, a. a. O., III, 830–831; S. 157. Ludwig Marcuse: Philosophie des Glücks, S. 69. Epikur, a. a. O., S. 43 u. 45. Lukrez, a. a. O., III, 371; S. 139. Lukrez, a. a. O., V, 51; S. 223.
Geistkonzepte im Kontext spätantiker Einheitsspekulation und christlicher Metaphysik des Mittelalters 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
14 15 16 17
S. Plotin: Enneade VI, 9: Das Gute (das Eine), Abschn. 21 ff. S. Karl-Heinz Volkmann-Schluck: Plotin als Interpret der Ontologie Platons, S. 123. S. Venanz Schubert: Plotin, S. 32. Nach Schubert, a. a. O., S. 8. S. Schubert, a. a. O., S. 56; Edgar Früchtel: Weltentwurf und Logos. Zur Metaphysik Plotins, S. 41 f. Klaus Held: Treffpunkt Platon, S. 259. Plotins Schriften, Bd. I a; S. 111. Ebd. Plotins Schriften, a. a. O., S. 113 f. Plotins Schriften, a. a. O., S. 117. Ebd. S. Platon: Phaidros, 247 c ff. Plotins Schriften, a. a. O., S. 119. – „Man muß sich verdeutlichen“, schreibt Christoph Horn, „dass Plotin unter dem Geist oder dem Intellekt (nous) nicht in erster Linie die mentalen Fähigkeiten oder Leistungen menschlicher Individuen versteht. Vielmehr denkt er primär an ein kosmisches Prinzip“ (Plotins Philosophie des Geistes. Ideenwissen, Selbstbewusstsein, Subjektivität, S. 57). Plotins Schriften, ebd. Schubert, a. a. O., S. 63 f. Plotins Schriften, a. a. O., S. 119. Früchtel, a. a. O., S. 30.
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54 55 56
Anmerkungen
Plotins Schriften, a. a. O., S. 119. Früchtel, a. a. O., S. 30. Augustinus: Selbstgespräche / Von der Unsterblichkeit der Seele, S. 19. Augustinus, a. a. O., S. 53. S. Augustinus, a. a. O., S. 121, 125, 147. Augustinus, a. a. O., S. 31. Augustinus, a. a. O., S. 33. Augustinus, a. a. O., S. 81; ähnlich auch S. 87. Augustinus: Von der Unsterblichkeit der Seele, S. 203. Augustinus, a. a. O., S. 199. Augustinus, a. a. O., S. 203. Augustinus, a. a. O., S. 205. S. Augustinus, a. a. O., S. 157 u. 171. S. Augustinus, a. a. O., S. 181. Augustinus: Von der Größe der Seele, S. 2. Augustinus, a. a. O., S. 3. Augustinus, a. a. O., S. 10. Augustinus, a. a. O., S. 34. Augustinus, a. a. O., S. 40. Augustinus, a. a. O., S. 35. Augustinus, a. a. O., S. 83. Augustinus, a. a. O., S. 86. Augustinus, a. a. O., S. 88. S. Augustinus, a. a. O., S. 101 ff. Kurt Flasch: Augustin, S. 139. Augustinus: Von der Größe der Seele, S. 111. Augustinus, a. a. O., S. 50. Augustinus: Bekenntnisse, S. 324. Augustinus, a. a. O., S. 328. Augustinus: Vom Gottesstaat, XI, 26; 2. Bd, S. 42 f. Des heiligen Kirchenvaters Augustinus fünfzehn Bücher über die Dreieinigkeit, IX, 4. Kap.; 2. Bd., S. 48. Augustinus, a. a. O., IX, 2. Kap.; 2. Bd., S. 46 Augustinus, a. a. O., IX, 3. Kap.; 2. Bd., S. 48. Augustinus, a. a. O., XV, 7. Kap.; 2. Bd., S. 266. Augustinus, a. a. O., XIV, 8. Kap.; 2. Bd., S. 223. Ebd. – S. hierzu Johannes Brachtendorf: Die Struktur des menschlichen Geistes nach Augustinus. Selbstreflexion und Erkenntnis Gottes in „De Trinitate“; ders.: Augustins Begriff des menschlichen Geistes. Augustinus, a. a. O., X, 11. Kap.; 2. Bd., S. 90. Augustinus, a. a. O., IX, 6. Kap.; 2. Bd., S. 64. Augustinus, a. a. O., X, 9. Kap.; 2. Bd., S. 85
Anmerkungen 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95
273
Augustinus, a. a. O., X, 4. Kap.; 2. Bd., S. 78. S. Augustinus, a. a. O., X, 8. Kap.; 2. Bd., S. 83. Augustinus, a. a. O., XIV, 6. Kap.; 2. Bd., S. 217. Thomas von Aquin: Summa theologica, qu. 75, 1. Art.; Bd. 6, S. 5. Hans Meyer: Thomas von Aquin, S. 174. Thomas, a. a. O., Bd. 6, S. 17. Thomas, a. a. O., Bd. 6, S. 79. S. zum Beispiel Thomas, a. a. O., qu. 76, 1. Art.; Bd. 6, S. 36; ferner ebd. 3. Art.; Bd. 6, S. 56. Thomas, a. a. O., qu. 76, 1. Art.; Bd. 6, S. 37; s. ferner qu. 76, 3. Art.; Bd. 6, S. 58 sowie qu. 77, 2. Art. ff.; Bd. 6, S. 94 ff. Thomas, a. a. O., qu. 75, 5. Art.; Bd. 6, S. 21. Thomas, a. a. O., qu. 75, 6. Art.; Bd. 6, S. 25. Meyer, a. a. O., S. 175. Thomas, a. a. O., qu. 76, 8. Art.; Bd. 6, S. 81 ff. Ebd., Bd. 6, S. 84. Thomas, a. a. O., qu. 76, 3. Art.; Bd. 6, S. 53 ff. Thomas, a. a. O., Bd. 6, S. 69. Thomas, a. a. O., qu. 77, 5. Art.; Bd. 6, S. 105 f. Thomas, a. a. O., qu. 77, 8. Art.; Bd. 6, S. 116. Thomas, a. a. O., qu. 79, 4. Art.; Bd. 6, S. 159 f. Ebd., Bd. 6, S. 158. Thomas, a. a. O., qu. 75, 2. Art.; Bd. 6, S. 12. Ebd., Bd. 6, S. 10. Thomas, a. a. O., qu. 76, 2. Art.; Bd. 6, S. 47. Thomas, a. a. O., qu. 79, 2. Art.; Bd. 6, S. 148 ff. Meyer, a. a. O., S. 213. S. ebd. Thomas, a. a. O., qu. 79, 3. Art.; Bd. 6, S. 154. Zu detaillierten Analysen s. Johannes Mundhenk: Die Seele im System des Thomas von Aquin, S. 167 ff. S. Thomas, a. a. O., Bd. 6, S. 174 ff. Thomas, a. a. O., qu. 79, 9. Art.; Bd. 6, S. 180. Thomas, a. a. O., qu. 79, 11. Art.; Bd. 6, S. 187. Thomas, a. a. O., Bd. 6, S. 184. Thomas, a. a. O., Bd. 6, S. 168. S. Meyer, a. a. O., S. 211. Thomas, a. a. O., Bd. 6, S. 193. Thomas, a. a. O., Bd. 6, S. 349. Thomas, a. a. O., Bd. 6, S. 357. Thomas, a. a. O., Bd. 6, S. 358. S. A. D. Sertillanges: Der heilige Thomas von Aquin, S. 495.
274
Anmerkungen
96 Thomas, a. a. O., qu. 87, 4. Art.; Bd. 6, S. 361. 97 Estanislao Arroyabe: Das reflektierende Subjekt, S. 41. 98 Nikolaus von Kues: Philosophisch-theologische Werke, Bd. 2, S. 93; ähnlich 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135
S. 25 u. 29. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 55. Ebd. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 11. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 26. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 59. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 27. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 13. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 31. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 33. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 31. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 33. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 9. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 59. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 35. S. ebd. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 39. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 57. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 57 f. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 59. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 71 f. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 73. S. Wolfgang Welsch: Der Philosoph, S. 49; dort in Fußnote 11 zahlreiche Belege hierfür aus der abendländischen Geistesgeschichte. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 73. Ebd. Ebd. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 75. Ebd. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 105. S. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 35. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 105. S. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 9. S. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 83. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 9. S. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 11. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 83. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 125. Nikolaus, a. a. O., Bd. 2, S. 109.
Anmerkungen
275
Der Geist in der Maschine: das Dilemma des René Descartes 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38
René Descartes: Meditationen über die Grundlagen der Philosophie I, 1; S. 15. Zit. nach Otto Böhmer: Sternstunden der Philosophie, S. 31. Descartes: Meditationen II, 16; S. 21. Descartes, a. a. O., I, 1; S. 15. Descartes, a. a. O., I, 1; S. 16. Descartes, a. a. O., II, 3; S. 21. Descartes, a. a. O., II, 3; S. 22. René Descartes: Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs IV, 1; S. 26. René Descartes: Die Prinzipien der Philosophie, I, 7; S. 2 f. Descartes: Meditationen II, 6; S. 23. S. Descartes: Von der Methode, IV, 8; S. 32. Descartes: Meditationen, II, 6; S. 23 f. Descartes, a. a. O., II, 8; S. 25; ähnlich auch III, 1; S. 30. Descartes: Prinzipien, I, 9; S. 3. Descartes, a. a. O., I, 65; S. 24. S. Descartes: Von der Methode, V, 11; S. 46 ff. Descartes: Meditationen, III, 1; S. 30 Descartes, a. a. O., II, 16; S. 29. Descartes: Von der Methode, V, 12; S. 48. René Descartes: Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft, Regel 7, 7; S. 24. Descartes: Meditationen, VI, 9; S. 70. Descartes, a. a. O., VI, 13; S. 72. Descartes, a. a. O., VI, 15 u. 23; S. 74 u. 79. Z. B. Descartes: Prinzipien, II, 4 u. II, 9; S. 32 u. 35; Meditationen, IV, 1; S. 48. Descartes: Meditationen, VI, 19; S. 77. Descartes, a. a. O., V, 9; S. 45. Descartes, a. a. O., VI, 19; S. 77. Descartes, a. a. O., Übersicht, S. 12. Ebd. Ebd., S. 13. Gilbert Ryle: Der Begriff des Geistes. Descartes: Prinzipien, I, 67; S. 25. Descartes, a. a. O., IV, 197; S. XXVI. Descartes: Von der Methode, VI, 2; S. 50 f. S. zum Folgenden Heiner Hastedt: Bewußtsein, S. 649 f. Descartes: Prinzipien, S. 239 f. Descartes: Meditationen, VI, 21; S. 78. Descartes, a. a. O., VI, 22; S. 78.
276 39 40
41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
Anmerkungen
Descartes, a. a. O., VI, 20; S. 77. S. insbesondere René Descartes: Die Leidenschaften der Seele, Art. 30–39; S. 51–67; zum Interaktionismus von Seele und Körper speziell Art. 43, S. 71. S. ferner René Descartes: Traité de l’Homme. In: Ders.: Oeuvres et Lettres, S. 813 f., 844 ff., 854 ff.; s auch Oeuvres de Descartes, Bd. XI, S. 129 f., 170 ff., 180 ff. Descartes: Von der Methode, V, 12; S. 48. Descartes: Meditationen, IV, 1; S. 48. John Searle: Geist, S. 41 ff. Baruch de Spinoza: Die Ethik, S. 264 f. Spinoza, a. a. O., Teil I, Def. 6; S. 4. Spinoza, a. a. O., Teil I, Lehrsatz 15, Anm.; S. 17. Spinoza, a. a. O., Teil II, Lehrsatz 2; S. 52. Spinoza, a. a. O., Teil II, Def. 1; S. 49. Spinoza, a. a. O., Teil II, Lehrsatz 5; S. 53. Spinoza, a. a. O., Teil II, Lehrsatz 7, Anm.; S. 55; ähnlich Teil III, Lehrsatz 2, Anm.; S. 112. Spinoza, a. a. O., S. 112. Spinoza, a. a. O., Teil II, Lehrsatz 13, Folgesatz; S. 62. S. Spinoza, a. a. O., Teil III, Lehrsatz 2, Anm; S. 113. Spinoza, a. a. O., Teil II, Lehrsatz 48; S. 97. Spinoza, a. a. O., Teil II, Grundsatz 3; S. 51. Spinoza, a. a. O., Teil V, Lehrsatz 23, Anm.; S. 283. Spinoza, a. a. O., Teil V, Lehrsatz 23; S. 282. Spinoza, a. a. O., Teil V, Lehrsatz 40, Folgesatz; S. 293. Prägnante Darstellung bei H. G. Hubbeling: Spinoza, S. 77–85. S. Spinoza, a. a. O., Teil II, Lehrsatz 35; S. 83 f. Spinoza, a. a. O., Teil II, Lehrsatz 44, Folgesatz 2; S. 94. Arnold Geulincx: Sämtliche Schriften, hrsg. von H. J. de Vleeschauwer. Nicolas Malebranche: De la recherche de la vérité (1674/75). Ders.: Von der Erforschung der Wahrheit. S. zum Folgenden Teichert: Einführung in die Philosophie des Geistes, S. 41 ff. S. Teichert, a. a. O., S. 43. Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie, § 3; S. 27. Leibniz, a. a. O., § 2; S. 27. Leibniz, a. a. O., § 47; S. 47. Leibniz, a. a. O., § 7; S. 29. Leibniz, a. a. O., § 57; S. 53; s. auch Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade, § 3; S. 5. Gottfried Wilhelm Leibniz: Metaphysische Abhandlung, § 34; S. 87; ähnlich Monadologie, § 30; S. 39.
Anmerkungen 72 73 74 75 76
277
Leibniz: Monadologie, § 14; S. 31; ferner ders.: Vernunftprinzipien, § 4; S. 9; außerdem ders.: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, II, §§ 10 ff. Ludger Lütkehaus: „Dieses wahre innere Afrika“, Einleitung, S. 19. Leibniz: Metaphysische Abhandlung, ebd. Gottfried Wilhelm Leibniz: Die philosophischen Schriften, Bd. IV, S. 498 f. Albert Heinekamp: Gottfried Wilhelm Leibniz, S. 289.
Der Geist ist ein rein physisches Phänomen: der Materialismus der radikalen französischen Aufklärung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie. Erster Teil: Lehre vom Körper, S. 164. Hobbes, a. a. O., S. 165. Ebd. Thomas Hobbes: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 11. Hobbes, a. a. O., S. 14. Hobbes, a. a. O., S. 11. Hobbes, a. a. O., S. 12. Hobbes, a. a. O., S. 19. Ebd. Ebd. Hobbes, a. a. O., S. 20. Ebd. Hobbes, a. a. O., S. 23. Hobbes, a. a. O., S. 49. Hobbes, a. a. O., S. 63. S. hierzu Friedhelm Decher: Die rosarote Brille. Warum unsere Wahrnehmung von der Welt trügt. Hobbes, a. a. O., S. 29. Hobbes, a. a. O., S. 32. Hobbes, a. a. O., S. 23. Philipp Blom: Böse Philosophen, S. 64. Julien Offray de La Mettrie: Der Mensch eine Maschine, S. 25. S. ebd.; ähnlich auch S. 63. La Mettrie, a. a. O., S. 29 f. La Mettrie, a. a. O., S. 31. Ebd. La Mettrie, a. a. O., S. 99.
278 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44
45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65
Anmerkungen
S. La Mettrie, a. a. O., S. 113 u. 119. La Mettrie, a. a. O., S. 121. S. La Mettrie, a. a. O., S. 137. S. La Mettrie, a. a. O., S. 113. S. La Mettrie, a. a. O., S. 43 f. La Mettrie, a. a. O., S. 45. S. La Mettrie, a. a. O., z. B. S. 41, 97, 109, 125. La Mettrie, a. a. O., S. 99. La Mettrie, a. a. O., S. 127. S. La Mettrie, a. a. O., S. 119. La Mettrie, a. a. O., S. 13. La Mettrie, a. a. O., S. 119. La Mettrie, a. a. O., S. 69. La Mettrie, a. a. O., S. 67. La Mettrie, a. a. O., S. 57. La Mettrie, a. a. O., S. 69. La Mettrie, a. a. O., S. 57. S. hierzu Gerald Hüther: Was wir sind und was wir sein könnten; Gerhard Roth: Bildung braucht Persönlichkeit; Manfred Spitzer: Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens; ders.: Medizin für die Bildung. La Mettrie, a. a. O., S. 89. S. La Mettrie, a. a. O., S. 137. S. La Mettrie, a. a. O., S. 127. La Mettrie, a. a. O., S. 55. La Mettrie, a. a. O., S. 135. La Mettrie, a. a. O., S. 55. La Mettrie, a. a. O., S. 89. Claude Adrien Helvétius: Vom Menschen, seinen geistigen Fähigkeiten und seiner Erziehung, S. 119. Denis Diderot: Philosophische Schriften, 1. Bd., S. 475. Diderot, a. a. O., S. 482. Helvétius: Vom Menschen, S. 31. S. z. B. Helvétius, a. a. O., S. 87. Helvétius, a. a. O., S. 105. Helvétius, a. a. O., S. 87. Helvétius, a. a. O., S. 100. Helvétius, a. a. O., S. 87. Helvétius, a. a. O., S. 90. S. Helvétius, a. a. O., S. 92. Ebd. Helvétius, a. a. O., S. 90. Helvétius, a. a. O., S. 92.
Anmerkungen 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106
279
Helvétius, a. a. O., S. 93. Helvétius, a. a. O., S. 94 f. Helvétius, a. a. O., S. 133. Ebd. Fußnote. Helvétius, a. a. O., S. 169. Helvétius, a. a. O., S. 121. Helvétius, a. a. O., S. 122. Helvétius, a. a. O., S. 127. Helvétius, a. a. O., S. 126. Helvétius, a. a. O., S. 95. Denis Diderot: Philosophische Schriften, 1. Bd., S. 608. Diderot, a. a. O., 2. Bd., S. 139. Diderot, a. a. O., 1. Bd., S. 312. Diderot, a. a. O., 2. Bd., S. 27. Diderot, a. a. O., 2. Bd., S. 70. Diderot, a. a. O., 2. Bd., S. 93. Diderot, a. a. O., 2. Bd., S. 27. Diderot, a. a. O., 1. Bd., S. 649. Diderot, a. a. O., 1. Bd., S. 713. Ebd. Diderot, a. a. O., 1. Bd., S. 714. Diderot, a. a. O., 1. Bd., S. 714 f. Diderot, a. a. O., 1. Bd., S. 579 f. Diderot, a. a. O., 1. Bd., S. 541. Diderot, a. a. O., 1. Bd., S. 554. Diderot, a. a. O., 1. Bd., S. 715. Will und Ariel Durant: Kulturgeschichte der Menschheit, Bd. 14, S. 453 f. S. hierzu Blom: Böse Philosophen. Paul Thiry d’Holbach: System der Natur oder von den Gesetzen der physischen und der moralischen Welt, S. 17. Ebd. Holbach, a. a. O., S. 20. Holbach, a. a. O., S. 17. Holbach, a. a. O., S. 233. Holbach, a. a. O., S. 74. Holbach, a. a. O., S. 83. Holbach, a. a. O., S. 84. Holbach, a. a. O., S. 85. Holbach, a. a. O., S. 210. Holbach, a. a. O., S. 213. Ebd. Holbach, a. a. O., S. 104.
280 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130
Anmerkungen
Holbach, a. a. O., S. 105. S. Holbach, a. a. O., S. 86 u. 110. Holbach, a. a. O., S. 89. Holbach, a. a. O., S. 110. Holbach, a. a. O., S. 137 f. Holbach, a. a. O., S. 92. Holbach, a. a. O., S. 17. Holbach, a. a. O., S. 96; s. auch S. 98. S. Holbach, a. a. O., S. 112 f. S. Holbach, a. a. O., S. 147. Holbach, a. a. O., S. 20. S. Holbach, a. a. O., S. 149 f. Holbach, a. a. O., S. 95. S. Holbach, a. a. O., S. 138. Holbach, a. a. O., S. 99. Holbach, a. a. O., S. 100. Holbach, a. a. O., S. 102. Holbach, a. a. O., S. 113 f. de Sade: Ausgewählte Werke, Bd. III, S. 484. de Sade, a. a. O., S. 485 f. de Sade, a. a. O., S. 484. de Sade, a. a. O., S. 486. de Sade, a. a. O., S. 487. Ebd.
Von der Vernunftkritik zur Geistspekulation: Kant und der Deutsche Idealismus 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 50/B 74. Zit. nach Friedrich Delekat: Immanuel Kant, S. 58. Kant, a. a. O., A 107. Immanuel Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, in: Werke, Bd. VI, S. 544. Kant, a. a. O., Bd. VI, S. 668, Anm. Kant, a. a. O., Bd. VI, S. 417. Kant, a. a. O., Bd. VI, S. 418. Kant, a. a. O., Bd. VI, S. 419. Kant, a. a. O., Bd. VI, S. 418. Kant, a. a. O., Bd. VI, S. 419. Johann Gottlieb Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, S. 11.
Anmerkungen 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49
281
S. Fichte, a. a. O., S. 12. S. Arseni Gulyga: Die klassische deutsche Philosophie, S. 163. Fichte, a. a. O., S. 16. Ebd. Fichte, a. a. O., S. 141. Ebd. S. Gulyga, a. a. O., S. 175. Zit. nach Gulyga, a. a. O., S. 171. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Sämmtliche Werke, Bd. I/2, S. 19; ähnlich auch S. 29. Schelling, a. a. O., S. 47. Schelling, a. a. O., S. 51. S. Schelling, a. a. O., S. 53. Schelling, a. a. O., S. 55. Ebd. Schelling, a. a. O., S. 55 f. Schelling, a. a. O., S. 56. Schelling: Sämmtliche Werke, Bd. I/4, S. 114. Schelling: Stuttgarter Privatvorlesungen, Anhang II: Brief an Georgii vom 18. Februar 1810, S. 221. S. ebd. Schelling, a. a. O., S. 220 f. Schelling, a. a. O., S. 221. Schelling, a. a. O., S. 180. Schelling, a. a. O., S. 181 f. Schelling, a. a. O., S. 182. Schelling, a. a. O., S. 183. Schelling, a. a. O., S. 185; s. auch S. 188. Ebd. Schelling, a. a. O., S. 189. Schelling, a. a. O., S. 192. Schelling, a. a. O., S. 195 f. Schelling, a. a. O., S. 196. S. Schelling, a. a. O., S. 197. Schelling, a. a. O., S. 207. Schelling, a. a. O., S. 209. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Grundlinien des Philosophie des Rechts, Theorie Werkausgabe, Bd. 7, S. 26. Hegel: Phänomenologie des Geistes, Theorie Werkausgabe, Bd. 3, S. 24. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Theorie Werkausgabe, Bd. 12, S. 524 f. Hegel, Bd. 12, S. 32.
282 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64
Anmerkungen
Hegel, Bd. 7, S. 24. Theorie Werkausgabe, Bd. 8–10. Zit. nach Franz Wiedmann: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, S. 48. Hegel, Theorie Werkausgabe, Bd. 9, S. 41. Ebd. Hegel, a. a. O., S. 37. Hegel, a. a. O., S. 109. Hegel, a. a. O., S. 110. Hegel, a. a. O., S. 37. Hegel, a. a. O., S. 337. Hegel, a. a. O., S. 342. Hegel, a. a. O., S. 371. Hegel, Theorie Werkausgabe, Bd. 10, S. 100. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, Theorie Werkausgabe, Bd. 13, S. 151. Hegel, a. a. O., S. 142 f.
Der Geist im Kontext von Willensmetaphysik und Leibphilosophie 1 2 3 4 5
6 7 8 9 10
Arthur Schopenhauer: Sämtliche Werke, Bd. I, S. 181. Schopenhauer, a. a. O., Bd. V, S. 170. Schopenhauer, a. a. O., Bd. I, S. 222. Schopenhauer, a. a. O., Bd. I, S. 223. S. ebd. – Diese Schopenhauer’sche Sicht der Dinge wird von der modernen Evolutionsbiologie geteilt. So betont etwa Merlin W. Donald: Die archaischen Hominiden – zu denen etwa der Homo erectus zählt – „besaßen größere Gehirne, die auf Kosten einer reduzierten Darmgröße erreicht wurden – ein Stoffwechselkompromiss, der notwendig war, um ihre energieintensiven Gehirne betreiben zu können. Das heißt, dass sie vermutlich nicht einfach von Nahrung leben konnten, die sie sich suchten, sondern etwa Gemüse und Fleisch vorher zubereiten mussten, bis sie verdaulich war. Dies machte einen beträchtlichen Fortschritt in ihren kognitiven Fähigkeiten erforderlich, denn die Zubereitung von Nahrung erfordert vorausschauendes Denken, und die nötigen Werkzeuge verlangen die Aufteilung von komplexen Fähigkeiten auf alle Mitglieder der Gruppe“ (Die Definition der menschlichen Natur, S. 49). Schopenhauer, a. a. O., Bd. III, S. 612. Schopenhauer, a. a. O., Bd. II, S. 633. Schopenhauer, a. a. O., Bd. II, S. 312. Schopenhauer, a. a. O., Bd. II, S. 254. S. Schopenhauer, a. a. O., Bd. I, S. 224.
Anmerkungen 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47
283
Schopenhauer, a. a. O., Bd. I, S. 224 f. S. Decher: Die rosarote Brille, S. 154 ff. Schopenhauer, a. a. O., Bd. V, S. 80. S. Schopenhauer, a. a. O., Bd. I, S. 269. Schopenhauer, a. a. O., Bd. II, S. 89. Schopenhauer, a. a. O., Bd. III, S. 345. Schopenhauer, a. a. O., Bd. II, S. 633. S. z. B. Schopenhauer; a. a. O., Bd. I, S. 565; Bd. II, S. 38 u. 71. S. z. B. Schopenhauer, a. a. O., Bd. II, S. 11, 38 u. 71. Schopenhauer, a. a. O., Bd. II, S. 331. Schopenhauer, a. a. O., Bd. II, S. 39. Schopenhauer, a. a. O., Bd. V, S. 127. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 132. Schopenhauer, a. a. O., Bd. II, S. 359. Schopenhauer, a. a. O., Bd. II, S. 359 f. Schopenhauer, a. a. O., Bd. II, S. 353. – Ähnlich wie hier Schopenhauer hat auch dessen Zeitgenosse Ludwig Feuerbach argumentiert, wenn er in der „Denktätigkeit eine organische Tätigkeit“ erblickt und im „Denkakt“ einen „Hirnakt“ (Wider den Dualismus von Leib und Seele, Fleisch und Geist, S. 170 u. 168). Schopenhauer, a. a. O., Bd. II, S. 335. Schopenhauer, a. a. O., Bd. II, S. 633. Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches I, 18; Kritische Studienausgabe (= KSA), Bd. 2, S. 38 ff. Nietzsche, KSA, Bd. 13, S. 326. Nietzsche, KSA, Bd. 10, S. 651. Nietzsche, KSA, Bd. 5, S. 53. Nietzsche, KSA, Bd. 13, S. 271. Nietzsche, KSA, Bd. 5, S. 61. Nietzsche, KSA, Bd. 5, S. 168. Nietzsche, KSA, Bd. 1, S. 876. Nietzsche, KSA, Bd. 5, S. 168. Nietzsche, KSA, Bd. 13, S. 68. Nietzsche, KSA, Bd. 13, S. 54. Nietzsche, KSA, Bd. 3, S. 559. Nietzsche, KSA, Bd. 6, S. 181. Nietzsche, KSA, Bd. 3, S. 559. Nietzsche, KSA, Bd. 6, S. 372. Nietzsche, KSA, Bd. 4, S. 39. Ebd. Nietzsche, KSA, Bd. 4, S. 40. Nietzsche, KSA, Bd. 4, S. 134.
284 48 49 50 51 52 53 54 55 56
Anmerkungen
Nietzsche, KSA, Bd. 12, S. 312. Nietzsche, KSA, Bd. 1, S. 843. Nietzsche, KSA, Bd. 2, S. 384 f. Nietzsche, KSA, Bd. 5, S. 60. Nietzsche, KSA, Bd. 3, S. 352. S. Nietzsche, KSA, Bd. 3, S. 537. Nietzsche, KSA, Bd. 6, S. 80. Nietzsche, KSA, Bd. 6, S. 175. Nietzsche, KSA, Bd. 3, S. 583.
Ästhesiologie, Exzentrik, metaphysische Sonderstellung des Menschen und Handlung: Geistkonzepte der Philosophischen Anthropologie des zwanzigsten Jahrhunderts 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Helmuth Plessner: Die Einheit der Sinne, Gesammelte Schriften, Bd. III, S. 276. S. Plessner, a. a. O., S. 221. Plessner, a. a. O., S. 19. Plessner, a. a. O., S. 21. Ebd. Plessner, a. a. O., S. 39. Plessner, a. a. O., S. 40. Plessner, a. a. O., S. 274. Plessner, a. a. O., S. 273. Plessner, a. a. O., S. 274. S. Plessner, a. a. O., S. 269. S. Plessner, a. a. O., S. 278. Plessner, a. a. O., S. 241. Plessner, a. a. O., S. 248. S. Plessner, a. a. O., S. 32. Plessner, a. a. O., S. 221. Plessner, a. a. O., S. 279. Plessner, a. a. O., S. 34. Plessner, a. a. O., S. 35. Plessner, a. a. O., S. 18. Plessner, a. a. O., S. 36. Plessner, a. a. O., S. 288. Plessner, a. a. O., S. 314. Plessner, a. a. O., S. 16.
Anmerkungen 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65
285
Helmuth Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch, S. 219. Plessner, a. a. O., S. 290. Plessner, a. a. O., S. 292. Plessner, a. a. O., S. 291. Plessner, a. a. O., S. 292. Plessner, a. a. O., S. 293. Plessner, a. a. O., S. 303. Plessner, a. a. O., S. 302. Plessner, a. a. O., S. 303. Ebd. Ebd. Plessner, a. a. O., S. 295. Plessner, a. a. O., S. 303. Plessner, a. a. O., S. 304. Ebd. Plessner, a. a. O., S. 305. Max Scheler: Die Stellung des Menschen im Kosmos, S. 9. Ebd. Scheler, a. a. O., S. 10. Scheler, a. a. O., S. 11. Scheler, a. a. O., S. 14. Scheler, a. a. O., S. 32. Scheler, a. a. O., S. 33. Scheler, a. a. O., S. 37 f. Scheler, S. 87. Scheler, a. a. O., S. 91. Scheler, a. a. O., S. 38. Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Sämmtliche Werke, Bd. XIII, S. 146. Scheler, a. a. O., S. 40. Scheler, a. a. O., S. 39. Scheler, a. a. O., S. 40 f. Scheler, a. a. O., S. 40. S. ebd. Scheler, a. a. O., S. 41. Scheler, a. a. O., S. 42. Scheler, a. a. O., S. 43. Scheler, a. a. O., S. 44 f. S. Scheler, a. a. O., S. 47. Scheler, a. a. O., S. 48. Ebd. Scheler, a. a. O., S. 91.
286 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92
Anmerkungen
Scheler, a. a. O., S. 49. S. Friedhelm Decher: Anthropologie. Arnold Gehlen: Der Mensch, S. 32. Gehlen, a. a. O., S. 39. Gehlen, a. a. O., S. 33. Gehlen, a. a. O., S. 22. Gehlen, a. a. O., S. 23. Ebd. S. Gehlen, a. a. O., S. 186. S. Gehlen, a. a. O., S. 234. Gehlen, a. a. O., S. 62. Gehlen, a. a. O., S. 238. S. Gehlen, a. a. O., S. 258. S. Gehlen, a. a. O., S. 68. Gehlen, a. a. O., S. 71. S. Gehlen, a. a. O., S. 71 u. 186. Gehlen, a. a. O., S. 322. S. Gehlen, a. a. O., S. 258. Gehlen, a. a. O., S. 186 f. Gehlen, a. a. O., S. 340. Gehlen, a. a. O., S. 62. Gehlen, a. a. O., S. 255. Gehlen, a. a. O., S. 48; s. auch S. 143 u. 201. Gehlen, a. a. O., S. 234. Gehlen, a. a. O., S. 339. Gehlen, a. a. O., S. 340. Gehlen, a. a. O., S. 255.
Monistische Positionen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Bertrand Russell: Die Analyse des Geistes, S. 367. Russell, a. a. O., S. V. Russell, a. a. O., S. 36. Alan Wood: Bertrand Russell, S. 143. Russell, a. a. O., S. 2. Russell, a. a. O., S. 36. Russell, a. a. O., S. 3. S. Russell, a. a. O., S. VI. Russell, a. a. O., S. 36 f.
Anmerkungen 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33
287
Russell, a. a. O., S. 174. Russell, a. a. O., S. 377. Russell, a. a. O., S. 174. S. Russell, a. a. O., S. 384. Russell, a. a. O., S. 177. Russell, a. a. O., S. 148. Russell, a. a. O., S. 393. Russell, a. a. O., S. 386. Russell, a. a. O., S. 7. Russell, a. a. O., S. 374. Russell, a. a. O., S. 394. – Ähnlich hat sich Russell auch im Zusammenhang einer kritischen Auseinandersetzung mit Gilbert Ryles Der Begriff des Geistes geäußert: „Ich selber glaube, daß der Unterschied zwischen psychisch-geistigen und physischen Gegenständen nicht eine Sache der inneren Beschaffenheit ist, sondern durch die Art und Weise begründet wird, wie wir zum Wissen von diesen Vorgängen bzw. Gegenständen kommen“ (Philosophie. Die Entwicklung meines Denkens, S. 264). S. Wood, a. a. O., S. 148. Alfred North Whitehead: Prozeß und Realität, S. 31. Alfred North Whitehead: Abenteuer der Ideen, S. 357. S. Whitehead, a. a. O., S. 377 f. Whitehead, a. a. O., S. 376. Ebd. Whitehead, a. a. O., S. 377. Whitehead: Prozeß und Realität, S. 586. Whitehead, a. a. O., S. 121. S. Whitehead, a. a. O., S. 202. Whitehead, a. a. O., S. 396. Whitehead, a. a. O., S. 586. Whitehead, a. a. O., S. 83.
Zwischenspiel: Dualismus reloaded 1 2 3 4 5 6
S. vor allem Karl R. Popper: Objektive Erkenntnis, S. 109 ff. u. 158 ff.; Karl R. Popper / John C. Eccles: Das Ich und sein Gehirn, S. 61 ff. Popper/Eccles: Das Ich und sein Gehirn, S. 74. S. Popper/Eccles, a. a. O., S. 74 f. Harald von Sprockhoff: Bewußtsein, Geist und Seele, S. 82. S. Godehard Brüntrup: Das Leib-Seele-Problem, S. 44. Popper/Eccles: Das Ich und sein Gehirn, S. 431.
288 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Anmerkungen
von Sprockhoff, a. a. O., S. 101. S. Popper/Eccles: Das Ich und sein Gehirn, S. 431 ff. S. Popper/Eccles, a. a. O., S. 431. Brüntrup, a. a. O., S. 53; s. von Sprockhoff, a. a. O., S. 83 f. Brüntrup, a. a. O., S. 53. S. hierzu Brüntrup, a. a. O., S. 55 ff.; von Sprockhoff, a. a. O., S. 84 u. 108 f. John C. Eccles: Der Ursprung des Geistes, des Bewußtseins und des Selbst-Bewußtseins im Rahmen der zerebralen Evolution, S. 86 f. Popper/Eccles: Das Ich und sein Gehirn, S. 658. John C. Eccles: Das Rätsel Mensch, S. 230. Sehr kritisch gegenüber jeder Spielart des Dualismus ist Mario Bunge eingestellt. Er erblickt im Dualismus „keine das Mentale erklärende wissenschaftliche Hypothese“. Für ihn ist er vielmehr „ein außerwissenschaftlicher Mythos, der sich nur aus ideologischen Gründen aufrecht erhalten läßt“ (Das Leib-Seele-Problem, S. 270).
Naturalisierung des Geistes: Diskussionsansätze der letzten Jahrzehnte 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
14 15 16 17 18
Dieter Teichert: Einführung in die Philosophie des Geistes, S. 66. In: British Journal of Psychology 47, 1956, S. 44–50. S. Teichert, a. a. O., S. 71. S. Peter Bieri: Analytische Philosophie des Geistes, S. 39; Teichert, a. a. O., S. 73. S. Bieri, a. a. O., S. 39 f.; Teichert, a. a. O., S. 71 ff. Bieri, a. a. O., S. 39. Bieri, a. a. O., S. 39 f. Thomas Nagel: Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?, S. 273, Anm. 10. Hastedt: Bewußtsein, S. 670. Saul Kripke: Name und Notwendigkeit. S. hierzu Teichert, a. a. O., S. 76. Hilary Putnam: Die Natur mentaler Zustände, S. 123–135. Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Argument der multiplen Realisierbarkeit s. Holger Lyre: Reduktionismus, Multirealisierbarkeit und höherstufige Näherungen, S. 55–80. S. Teichert, a. a. O., S. 74. Place, a. a. O., S. 44. Richard Rorty: Leib-Seele-Identität, Privatheit und Kategorien, S. 98. S. Bieri, a. a. O., S. 43. Bieri, a. a. O., S. 45.
Anmerkungen 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48
49 50 51 52 53
289
Richard Rorty, a. a. O., S. 93–120; Paul Feyerabend: Mentale Ereignisse und das Gehirn, S. 121–122. Rorty, a. a. O., S. 93. Feyerabend, a. a. O., S. 122. Bieri, a. a. O., S. 46. Richard Rorty: Der Spiegel der Natur, insbes. Kap. II. Bieri, a. a. O., S. 46. Rorty: Leib-Seele-Identität, Privatheit und Kategorien, S. 96 ff. Paul Churchland: Durchbruch zum Bewusstsein, S. 261. Patricia Churchland: Die Neurobiologie des Bewußtseins, S. 467. Dies.: Erben des Geistes, S. 33. Als Überblick s. Ned Block: What is Functionalism? Hilary Putnam, a. a. O., S. 134. Ansgar Beckermann: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes, S. 142. S. ebd. S. Teichert, a. a. O., S. 90 u. 92. Daniel Dennett: Spielarten des Geistes, S. 87. Putnam, a. a. O., S. 127. Beckermann, a. a. O., S. 144 f., Anm. 5. S. Beckermann, a. a. O., S. 155. Putnam, a. a. O., S. 130. S. Beckermann, a. a. O., S. 155. Hilary Putnam: Repräsentation und Realität, S. 137. Ingeborg Breuer / Peter Leusch / Dieter Mersch: Was ich meine, kann ich ausdrücken. Sprach- und Geistphilosophie bei John Searle, S. 151. John Searle: Geist, Hirn und Wissenschaft, S. 31. Searle, a. a. O., S. 30; s. auch ders.: Geist, Gehirn, Programme, S. 225–252. S. John Searle: Intentionalität; ders.: Die Wiederentdeckung des Geistes, Kap. 8; ders.: Geist, Kap. 6. Breuer / Leusch / Mersch, a. a. O., S. 153. John Searle: Ist der menschliche Geist ein Computerprogramm?, S. 40–47. Putnam: Repräsentation und Realität, S. 138. Putnam, a. a. O., S. 169. Zur Kritik am Funktionalismus s. auch Ned Block: Troubles with Functionalism, S. 268–305; ders.: Schwierigkeiten mit dem Funktionalismus, S. 159–224; ferner Godehard Brüntrup: Zur Kritik des Funktionalismus, S. 58–76. Searle: Geist, Hirn und Wissenschaft, S. 17. Breuer / Leusch / Mersch, a. a. O., S. 150. S. zum Folgenden ebd. Ebd. Dieter Mersch: Syntax ist nicht Semantik. Ein Gespräch mit John R. Searle, S. 158.
290 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73
74 75 76 77 78
Anmerkungen
Searle: Geist, S. 123. S. Searle, a. a. O., S. 123 f. Searle, a. a. O., S. 126. Searle, a. a. O., S. 124. Ebd. Searle, a. a. O., S. 126. Searle, a. a. O., S. 127. S. ebd. Searle, a. a. O., S. 128. S. Searle, a. a. O., S. 133. Searle, a. a. O., S. 130. Searle, a. a. O., S. 133. Searle, a. a. O., S. 131. Ebd. Searle, a. a. O., S. 134. Searle, a. a. O., S. 135. Searle, a. a. O., S. 139. Searle, a. a. O., S. 135. Searle, a. a. O., S. 169. Searle, a. a. O., S. 206. Zum Problem der mentalen Verursachung s. Markus F. Peschel / Alexander Batthyany (Hrsg.): Geist als Ursache? Mentale Verursachung im interdisziplinären Diskurs. Searle, a. a. O., S. 223. S. ebd. Searle, a. a. O., S. 309 Searle, a. a. O., S. 311. Searle, a. a. O., S. 170.
Rückblick, Status quo und Ausblick 1 2 3 4 5 6 7 8
Thomas Nagel: Geist und Kosmos. Berlin 2013. Thomas Assheuer: Die neue Orthodoxie, S. 60. David Chalmers: The Conscious Mind. Oxford 1996. S. ferner Susan Blackmore: Gespräche über Bewußtsein, S. 56 ff. Antonio Damasio: Selbst ist der Mensch, S. 276. S. hierzu Thomas Metzinger: Niemand sein, S. 130–154; ferner ders.: Being No One. The Self-Model Theory of Subjectivity; ders.: Der Ego-Tunnel. Thomas Metzinger: Niemand sein, a. a. O., S. 148. So Metzinger im Gespräch mit Susan Blackmore, a. a. O., S. 210. Michael Pauen: Was ist der Mensch?, S. 10.
Anmerkungen 9 10 11 12
Pauen, a. a. O., S. 16. Pauen, a. a. O., S. 160. Jan G. Michel: Mit Gedankenexperimenten argumentieren, S. 114. Andy Clark / David Chalmers: The Extended Mind, S. 33 f.
291
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