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German Pages 242 Year 2024
Robert Hugo Ziegler
Spinoza und das Flirren der Natur
Königshausen & Neumann
Robert Hugo Ziegler — Spinoza und das Flirren der Natur
Robert Hugo Ziegler
Spinoza und das Flirren der Natur
Königshausen & Neumann
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Verlag Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 2024 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier Umschlag: skh-softics / coverart Umschlagabbildung: Rojenmaharjan321: Sonnenaufgang; © envato.com Alle Rechte vorbehalten Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Printed in Germany ISBN 978-3-8260-8345-7 eISBN 978-3-8260-8346-4 www.koenigshausen-neumann.de www.ebook.de www.buchhandel.de www.buchkatalog.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
7
Das Flirren der Natur
9
Ein merkwürdiger Monismus
35
Eine unendliche Textur
41
Geisterkunde
55
Determinismus und Freiheit
75
Zusätze, Vorworte, Potenzen der Sätze: Bemerkungen zur Struktur der Ethik
97
Affektdramaturgie
131
Conatus im Kontrapunkt
147
Essenz und Ewigkeit
173
Scherben im Morgenlicht
201
Anhang: Aufstellung der Bezugnahmen innerhalb der Ethik
215
Literaturverzeichnis
235
Vorwort Die Auslegung von Spinozas Philosophie, die ich hier vorlege, folgt einem einfachen hermeneutischen Prinzip, das Spinozas selbst, im Tractatus theologico-politicus, formuliert hat: Der Sinn eines Textes muss diesem Text selbst entnommen werden.1 Diesen Sinn finde ich im Scholium zum Lehrsatz 29 der Ethik: die Unterscheidung in Natura naturans und Natura naturata. Ihre Pointe besteht darin, dass es eine Unterscheidung des Selben ist; Natura naturans und Natura naturata sind ein und dieselbe Natur, die sich bald so, bald so darstellt – und das aus ontologischen Gründen. Daraus folgt eine Denkfigur, die bei Spinoza auf Schritt und Tritt begegnet: Das Wesentliche und das Grundlegende erweist sich stets als abhängig vom Unwesentlichen und Begründeten, so dass sich diese Unterscheidung unablässig umkehrt und die Natur selbst ins Schillern gerät, in ein ontologisches Flirren und Oszillieren. Dieses Schillern von Natur, die Natur als Schillern, wird auf allen Etappen der folgenden Auslegung neu begegnen. Diese Studie folgt in ihrem Aufbau grob dem Schema der Ethik, auf die sie sich auch im Wesentlichen konzentriert. Die anderen Schriften Spinozas werden vor allem als Ergänzung beigezogen. In der Mitte steht eine Untersuchung, die ein wenig vom Rest – der Auslegung des Textsinnes ist – absticht, insofern in ihr die Form der Ethik selbst, ihre Konzeption als Text und die Rolle bestimmter formal ausgezeichneter Sätze, erörtert wird. Auch darin wird der Grundgedanke der Auslegung aber seine Fruchtbarkeit erweisen. Unter anderem wird dort begründet, warum die Ethik genau das nicht braucht, was in meinem Text nun schon zu lange geworden ist: ein Vorwort.
Dieses Prinzip wird dort mehrfach bekräftigt, so zuerst 16 f., 34 f., dann ausführlich im Kapitel VII (das der Auslegung der Schrift ausdrücklich gewidmet ist), vor allem 234 f. Und ganz bündig 448 f.: „Verum quidem est Scripturam per Scripturam explicandam esse […].“ „Es ist allerdings wahr, dass die Schrift durch die Schrift zu erklären ist […].“ 1
Das Flirren der Natur Am Morgen. Ein massives Erlebnis steht am Ursprung von Spinozas Philosophie und es bricht sich immer aufs Neue Bahn. Es ist das Erleben einer Wirklichkeit, vor der nichts liegt und die als etwas, was nicht mehr geteilt werden kann, allen Teilen vorangeht. Sie ist nicht die Summe ihrer Teile und auch nicht mehr als das, erst recht nicht weniger. Zumindest ist sie nicht mehr, in dem Sinn, dass sie anderes wäre. Sie ist das, wovon die Teile nur abstrakte Momente sind. Sie ist ein unmenschlicher Überschuss, der sich in alle Einzelheiten hineininjiziert und aus ihnen lebt. Das klingt, so verknappt, sicher abstrakt und abgehoben, aber wir sind doch nicht ohne Vertrautheit mit Phänomenen, die uns als Wegweiser zur Erfassung dieses Grundverhalts dienen können. Jeder neue Morgen ist ein solches Erleben einer Natur, die nicht nur den Menschen eher wie durch Zufall auch noch betrifft und die sich vor allem nicht als eine Aufsummierung von Teilen denken lässt. Der neue Morgen, in dem die kalte Luft in der Härte der Sonnenstrahlen vibriert, in der die Krähen schreien und die Eichhörnchen die Bäume hochklettern, in der der Erdball unbeeindruckt liegt und die Sonne noch unbeeindruckter sich über den Horizont erhebt – in so einem Morgen, in jedem Morgen liegt unmittelbar eine Totalität, die allen Einzelheiten vorhergeht, nicht als Möglichkeitsbedingung, sondern als eine komplexe Wirklichkeit, die ihre Teile als abstrakte Momente in sich fasst, die zudem voneinander nicht klar zu sondern sind. Denn wenn jemand fragt, worin denn die Macht des Morgens, seine Affektionsstärke, sein unverwechselbarer Charakter des Unendlichen besteht, kann ich Tausend Einzelheiten nennen, doch erstens erschöpft oder erklärt keine solche Aufzählung das Ganze, auch borgen die Einzelheiten noch einander die Kraft, die keines aus sich geschöpft haben kann. Die Kälte und die Krähen, der Tau und die Sonne spielen einander die Potentia zu, durchdringen einander in ihrer Potentia, indem sie Ausdruck der göttlichen Potentia sind. Dasselbe gilt für die Nacht, für den Abend, für den großen Pan des Mittags. Und da haben wir nur über den Tagesablauf gesprochen. Die niederländische Malerei der Epoche gibt die wie keine andere diesem Erleben Ausdruck – und dass dasselbe Erleben auf verschiedene, verschiedenste Weisen ausgedrückt werden kann, ist genau Ausdruck für den inneren Überschuss des Erlebten und die zwangsweise Aufsplitterung aller Antwort darauf in Divergentes. Wenn bei Vermeer eine Dienstmagd Milch von einer Kanne in eine Schüssel gießt, dann verdichtet sich die Totalität des Seins, die Ewigkeit des Seins in dieser belanglosesten Handlung und heiligt sie.1 Diese gemeinsame Intuition wurde beispielsweise von Todorov hervorgehoben, vgl.: Éloge du quotidien. Vor allem das Kapitel ‚L’amour du monde‘. Sara Hornäk widmet in 1
Das Erleben, von dem Spinozas Denken anhebt, ist nichts Geringeres als das der Überfülle des Wirklichen und ihrer unheimlichen Tatsächlichkeit. Philosophie entwirft Theorien. Theorien sind sauber, sie ordnen die Welt, sie klären sie auf, sie unterscheiden und kategorisieren. Sie stutzen zurecht und schneiden alles ab, was die scharfen Grenzen der Begriffe überschreitet. Sie reduzieren im Wortsinn. Die Wirklichkeit wird dabei, sicher ohne Absicht, zu etwas wahrhaft Trivialen. Denn trivial ist, was in den Kategorien der Philosoph*innen anstandslos Platz findet und sich darin zufriedengibt. Nun ist die Ahnung des Unendlichen, eines qualitativ Unendlichen – d.h. eines, das alle Kategorien und Grenzen übersteigt und zunichte macht – aber unabweisbar. Der Fehler der Philosoph*innen war lediglich, verschiedene Bereiche des Seins zu unterscheiden, einen verständlichen und einen unendlichen. So gelang immerhin in der Theorie die Alchemie der Scheidung des Reinen und Unendlichen vom Trivialen. Ob platonisch gedacht oder christlich oder cartesisch: Diese Welt, vor allem als materielle Welt, war gezeichnet: Sie war so banal, so simpel, dass ihr die metaphysische Würde des Wunderbaren höchstens in Anlehnung an das wahrhaft Wunderbare zukommen konnte, nur als Widerschein, als Abglanz. Die, die sich an diese letzte Seite gehalten haben und die sich oder die man Materialisten nannte oder mit ähnlichen, nicht schmeichelhaft gemeinten Titeln belegte, konnten der Entzauberung der Welt nicht entgehen. Ja, viele, und bis heute, sehen gerade in dieser Entzauberung den Beweis für ihre eigene Wissenschaftlichkeit: Dann hat diese Welt vielleicht vieles, was wir nicht verstehen, sie bleibt aber doch trivial in ihrem blinden Gehorsam gegen die (am Ende immer: einfachen) Gesetze der Natur. Das Göttliche und Wunderbare, die absolute Bodenlosigkeit und der unübertreffliche Reichtum dieser Welt: Das sind nun keine wissenschaftlichen Kategorien. Der naive Materialismus meinte immer, auf solche Kategorien auch in der Metaphysik verzichten zu können, unter Berufung auf die Wissenschaft, und aus der Not eine Tugend machen zu können: die Tugend der metaphysischen Bescheidenheit. In Wahrheit ist metaphysische Bescheidenheit nur selten wirklich bescheiden, und dann ist sie verzagt. Wenn alles nur Physik, Biologie, Genetik, Chemie… ist, dann ist die Verflachung der Welt und die Analyse ihrer Elemente vollendet: Verflachung der Welt: Welt wird eindimensional (oder, wenn man auf die mathematische Richtigkeit Wert legt: zweidimensional): eine reine Ebene ohne jede Ausdehnung, ohne Relief, ohne Erhebungen und Vertiefungen. Mit einem Wort: eine Wüste. Analyse der Elemente: Die Verflachung der Welt vollzieht sich konkret als Aufsplitterung der Wirklichen in ihre angeblichen Elemente, die in sich als einfache gedacht werden und deren Verknüpfungsregeln ebenfalls nur eine
ihrer Studie zu Spinoza und Vermeer gerade der Dienstmagd mit Milchkrug eine ausführliche Analyse (v.a. 202 ff.).
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begrenzte Komplexität kennen. Die moderne und nachmoderne Klage über die Sinnlosigkeit der Welt ist nur auf der Grundlage der Erfolgsgeschichte verständlich, die der szientistische Reduktionismus seit ein paar Jahrhunderten vorzuweisen hat. Ebenso wie noch die Frage nach dem Sinn eine erste Reaktion auf diese Verödung des Seins ist, die sich bis auf die romantische Antwort auf Kants Destruktion der Metaphysik zurückführen lässt. Herkules gleich haben die Aufgeklärten und Rationalisten Monster getötet und Kuhställe ausgemistet, dabei wie nebenbei noch die Flüsse begradigt und wilde Tiere gezähmt, und wo sie gerade dabei waren, haben sie oft in den Frauen noch eine andere Art von Unterjochung durch die unbeherrschbare Natur gefunden, von der man sich dringend befreien musste. 2 Moderne Wissenschaft und Technik hat uns unschätzbaren Gewinn gebracht. Wie jeder Gewinn kam aber auch dieser mit einem großen Preis. Die herkulischen Mühen illustrieren in erstaunlicher Hellsicht den Preis, den die zahlen, die unmittelbare Opfer der brutalen Aneignung durch die vermeintlichen Vernünftigen werden (eine Aneignung, die Marx „ursprüngliche Akkumulation“ nennt und die eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Generierung von Kapital spielt – bis heute). Aber auch die Kolonisatoren zahlen einen Preis: an ihrer Seele und an der Wirklichkeit, die ihnen begegnet. Beide können nur noch als verrechenbare Größe auf derselbe Wüstenendlosigkeit erscheinen, in die sich die Welt durch ihr Tun verwandelt hatte.3 Zumindest ist das Verhältnis zu den Frauen und zu ihrer Emanzipation für die Aufklärung in ihren verschiedenen Epochen und Strömungen keineswegs eindeutig – man muss nur Olympe de Gouges fragen. 3 American Psycho ist eine rabiate Abrechnung mit einer Moderne, die sich aus dieser Ausbeutung speist und in ihrer eigenen Sinnlosigkeit gefangen ist, mit brutalen Konsequenzen. In der wild überzeichneten Welt des Patrick Bateman zählen nur Reichtum, Schönheit, Sex, Kleidung. Die blutrünstigen Darstellungen von seinen Morden überraschen kaum noch. Natürlich ist das satirisch und übertrieben, aber in der Übertreibung eben auch aussagekräftig. Es gibt darin einen Moment der Klarheit, der sich daran entzündet, dass dem Erzähler ein Mensch begegnet, der wirklich Mensch ist, vielleicht der einzige im ganzen Buch. Es ist seine Sekretärin, die in ihrer unerschütterlichen Naivität und schlichten Güte den Rückstoß auslöst, in dem sich die Wahrheit der sinnentleerten Welt des Raubtiers artikuliert, so gleichgültig wie die Beschreibung seiner Morde: „… und wo Natur und die Erde, Leben und Wasser gewesen waren, sah ich eine Wüste, die sich unendlich dehnte, eine Art Krater, so jenseits aller Vernunft und allen Lichts, so entseelt, dass keine Stufe des Bewusstseins sie erfassen konnte, und wenn man näher kam, lief das Bewusstsein rückwärts, unfähig, sie zu verarbeiten. Für mich war die Vision so klar und wirklich und entscheidend, in ihrer Reinheit fast abstrakt. Das war das, was ich verstehen konnte, das war, wie ich mein Leben lebte, nach dem ich meine Schritte lenkte, wie ich das Fassbare ordnete. Das war die Landschaft, um die meine Wirklichkeit kreiste: Es ist mir nie in den Sinn gekommen, niemals, Menschen könnten gut sein, oder ein Mann könne sich ändern, oder die Welt könnte schöner aussehen, wenn jemand sich an einem Gefühl, einer Geste, einem Blick erfreut, an der Liebe oder Zuneigung einer anderen Person. Nichts stand fest, der Ausdruck ‚Herzensgüte‘ hatte keine Bedeutung, 2
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Spinozas Aufgabe ist nicht weniger herkulisch. Es gelingt ihm, einerseits die rationale Skandierung, Unterscheidung, Bearbeitung der Wirklichkeit zu betreiben und zu propagieren – und andererseits die Göttlichkeit der Welt zu wahren. Das Wirkliche ist weder eine sinnlose, deprimierende Verknüpfung von sinnlosen, deprimierenden Einzelteilen, die auf ewig ihr sinnloses, deprimierendes Spiel der Kombination und Rekombination treiben, leer, leer, leer; noch ist es der Abglanz einer anderswo beheimateten Wahrheit und Vollkommenheit, die immerhin von dorther noch eine Art Mysterium erhalten darf. Schon gar nicht ist das Wirkliche in irgendeiner vagen Weise göttlich, wie es die vulgäre Fassung des Pantheismus meint, die das All irgendwie von einer höheren Macht durchdrungen wähnt. Das Wirkliche ist unmittelbar (ohne Bedingungen und Voraussetzungen) absolut, unendlich, göttlich. Als Absolutes, Unendliches, Göttliches ist das Wirkliche auch immer mehr als alle Kombinationen von Einzelteilen, mehr zwar, aber nicht anderes. Es übersteigt alles Einzelne, jede Interaktion von Einzelnen, jede Verknüpfung, es übersteigt sie unendlich. Und doch kann es nicht ohne sie gedacht werden, noch mehr: die unendliche Übersteigung des Einzelnen ist auf das Einzelne angewiesen, in dem, durch das und über das es sich vollzieht. Der Überstieg geschieht im Endlichen und aus dem Endlichen, aber auf ein Unendliches, das nicht von anderer Art und nicht in einer anderen Region ist als das Endliche selbst. Die Kühle des Morgens, war ein Klischee, irgendein schlechter Witz. Sex ist Mathematik. Individualität ist kein Thema mehr. Was macht Intelligenz aus? Definiere Logik. Träume – bedeutungslos. Intellekt ist keine Hilfe. Gerechtigkeit ist tot. Furcht, Anklage, Unschuld, Mitleid, Schuld, Verschwendung, Niederlagen, Leid waren Dinge, Gefühle, die niemand mehr wirklich empfand. Nachdenken ist zwecklos, die Welt ist sinnlos. Das Böse ist alles, was bleibt. Gott gibt es nicht. Liebe ist Betrug. Oberfläche, Oberfläche, Oberfläche ist alles, dem jemand Bedeutung zumisst … Das war die Zivilisation, wie ich sie sah, monströs und zerklüftet…“ (516) So dehnt sich diesem Nichts, diesem „abstrakten Entwurf“, diesem künstlichen Ich Patrick Bateman (518 f.) die Wirklichkeit in eine Wüstenei, als er ahnt, dass die von seiner und der Welt Bosheit noch unberührte Frau, die ihm gegenübersitzt, ihm ihre Liebe gestehen will. Für ihn gibt es keinen Ausweg, keinen Ausgang (das letzte Wort des Buches, 549), keine Erlösung: „Ich erfahre keine tiefere Wahrheit über mich selbst, keine neue Erkenntnis kann aus meiner Beichte gezogen werden. Ich hatte gar keinen Grund, Ihnen das zu erzählen. Dieses Geständnis hat nichts zu bedeuten…“ (519) Wenn ich diese Seiten so ausführlich zitiere, dann nur darum, weil ich glaube, dass die „Sinnlosigkeit“, der fundamentale Nihilismus, der einem säkularen Zeitalter drohen kann (aber nicht muss) und der von seiner Stopfung mit merkantilen Werten und „Tugenden“ in Wahrheit nur verschärft wird, in Spinozas Metaphysik ein wirksames Antidot findet: eine Metaphysik der Immanenz, die in Fülle, Freude und Erkenntnis genossen werden kann. Und die Gegenstellung zeigt sich bereits topologisch an: Auch Spinozas Metaphysik kennt nur eine Oberfläche. Aber es ist eben nicht die gerade, endlose, ereignislose, gleichgültige Ebene der Geometrie und der Verrechnung egoistischer Interessen, sondern eine flirrende, selbst „ausgedehnte“ Oberfläche, deren Dimensionszahl sich aber nicht ganzzahlig aussagen lässt und in der alle Seienden von Anfang an miteinander konstruktiv und affektiv verbunden sind, ineinandergreifen, füreinander wirken.
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der Reif auf den Fensterscheiben, das Krächzen der Krähen, die Kraft der Sonne: Das ist ganz konkret und ohne alle Umschweife oder gar „Beweise“ unendlich, absolut, göttlich, ist in dieser Unendlichkeit so, dass es alle Unterscheidungen in Tau, Krähen, Sonne – die es doch braucht, aus denen es besteht, ohne doch daraus zusammengesetzt zu sein – verwischt. Die Welt ist in allem Ernst für Spinoza Gott: unendlich und vollkommen. Sie ist das aber nur in und aus allen Einzelnen. Man gelangt hier fast an die Grenze des Sagbaren. Aber nicht, weil da etwas Verborgenes aufzudecken wäre. Es gibt ja gar nichts Verborgenes für Spinoza. Sondern deshalb weil die unbeschreibliche Positivität des Seins ihren eigenen „Ausdruck“ in Worten, die ja ebenfalls immer nur einzelne sein können, permanent wieder zu unterlaufen und sabotieren droht. Es ist merkwürdig: Was Spinoza an den Anfang setzt (weil es sich ihm an den Anfang gesetzt hat), ist doch in Wahrheit das Erste und Vertrauteste. Es ist eine wirklich fraglose Wahrheit. Es ist eben eine Wahrheit, die nicht so ohne Weiteres in Theorien eingehen kann. Doch anstatt den Theorien zu misstrauen (wohlgemerkt: nicht sie rundweg abzulehnen), sind wir eher bereit, uns die Evidenz der Unendlichkeit dieser Welt abzugewöhnen. Mühsam müssen wir sie neu lernen, wenn wir Spinoza lesen. (Aber wer ist hier „wir“? Ich jedenfalls – doch habe ich den Verdacht, da nicht der einzige zu sein.) Das Erstaunliche ist die Form, die Spinoza dem fast nicht Sagbaren gibt. Denn diese Form ist zugleich adäquater Ausdruck dessen, was sich kaum adäquat ausdrücken lässt, und sie lässt zugleich eine systematische Entfaltung dieses Gedankens zu, ja fordert sie. Sie schreibt dauerhaft die Art, in der alle Theorie überschritten bleibt, in die Theorie ein. Sie macht die Unendlichkeit spürbar und sie modelliert das Feld der Begriffe und Theorien um, damit sie darin Aufnahme finden kann. Die Wirklichkeit flirrt. Sie flirrt, denn sie ist von sich aus mehr als sie selbst. Sie fordert nicht etwa eine doppelte Bezugnahme, in zwei Anläufen, weil unser endlicher menschlicher Verstand anders nicht in der Lage ist, sie zu begreifen. Das ist sicher auch wahr. Aber viel wichtiger ist, dass das Flirren der Wirklichkeit gar nichts mit endlichen Intellekten zu tun hat. Dieses Flirren ist die Natur der Natur selbst. Sie ist so, in restloser, voller, gleichzeitiger Verschränkung der Totalität und der Einzelnen, der Unendlichkeit und des Endlichen. Das ist die Wirklichkeit, und wenn unser endlicher Verstand das dann auch so auffasst, dann gerade nicht, weil und insofern er endlich ist, sondern im Gegenteil insofern er am unendlichen Intellekt teilhat.
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Diese Form, die Unform ist, das Flirren, in dem sich Unendliches und Endliches verschränken,4 prägt sich in der Formel aus, die naturierende und naturierte Natur gegeneinander und ineinander trägt. Bevor ich fortfahre, will ich hier erklären oder besser darauf aufmerksam machen, was wir unter „Natura naturans“ und was wir unter „Natura naturata“ zu verstehen haben. Denn meines Erachtens ergibt sich bereits aus dem Vorangehenden, dass wir unter „Natura naturans“ zu verstehen haben, was in sich selbst ist und durch sich selbst begriffen wird, also solche Attribute von Substanz, die eine ewige und unendliche Substanz ausdrücken, d.h. (nach Folgesatz 1 zu Lehrsatz 14 und Folgesatz 2 zu Lehrsatz 17) Gott, insofern er als freie Ursache angesehen wird. Unter „Natura naturata“ verstehe ich dagegen alles, was aus der Notwendigkeit der Natur Gottes oder vielmehr der Natur irgendeines seiner Attribute folgt, d.h. alle Modi der Attribute Gottes, insofern sie als Dinge angesehen werden, die in Gott sind und ohne Gott weder sein noch begriffen werden können.5
Ich wähle dieses Wort mit Absicht, denn so wie in der Quantenverschränkung unterschiedliche Teilchen voneinander gleichzeitig getrennt und doch miteinander so verbunden sein können, dass sich das eine ohne das andre nicht verstehen lässt, so behalten auch die beiden „Naturen“ ihre Differenz, ohne dass sie voneinander auch nur abstraktiv losgelöst werden könnten. 5 „Antequam ulterius pergam, hic, quid de nobis per Naturam naturantem et quid per Naturam naturatam intelligendum sit, explicare volo vel potius monere. Nam ex antecedentibus jam constare existimo, nempe quod per Naturam naturantem nobis intelligendum sit id, quod in se est et per se concipitur, sive talia substantiae attributa, quae aeternam et infinitam essentiam exprimunt, hoc est (per coroll. 1. prop. 14. et. coroll. 2. prop. 17) Deus, quatenus ut causa libera consideratur. Per naturatam autem intelligo id omne, quod ex necessitate Dei naturae sive uniuscujusque Dei atttributorum sequitur, hoc est omnes Dei attributorum modos, quatenus considerantur ut res, quae in Deo sunt et quae sine Deo nec esse nec concipi possunt.“ (Ip29s) Zur Geschichte der Begriffe vor und bis Spinoza vgl. Siebeck (Über die Entstehung), Lucks (Natura naturans) und Weijers (Contributions). Systematischer ist der Beitrag von Bouchard zum gleichen Thema; allerdings folgt er einer Lesart, die das Ausdrucksverhältnis zwischen Substanz und Attributen als eines der mindestens teilweisen Transzendenz der Substanz deutet, was ausdrücklich auf ihre Unerkennbarkeit führt. Meine Interpretation ist dem klar entgegengesetzt. Der Aufsatz von Ramond über die Doppelung von „Natur“ ist deshalb erfrischend, weil er den linguistischen Befund ernstnimmt, der zugleich ein philosophischer ist: dass es nämlich keine geläufige Bedeutung, ja nicht einmal eine außerhalb der Theologie halbwegs gesicherte Existenz des Verbs „naturare“ gibt, so dass sich die beiden Begriffe von Natur gewissermaßen um eine semantische und theoretische Leere herumgruppieren. Dieser Befund gibt uns Gelegenheit, die ganze Rätselhaftigkeit von Spinozas Philosophie, die nicht selten durch Schlagworte verdeckt wird, neu zu entdecken. Man könnte sagen, dass meine gesamte Auslegung der Versuch ist, in den unzähligen Fundstellen der flirrenden Natur die semantische und theoretische Leere, die Ramond konstatiert, zu füllen; dann wird man annehmen müssen, dass dieses abwesende „naturare“ nur durch die Vervielfältigung der Mechanismen des Wirklichen zu umreißen ist. 4
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Man könnte nun fragen, was genau in die Natura naturans gehört und was in die Natura naturata fällt. Gott und seine Attribute gehören deutlich in die erste „Natur“, die endlichen Modi ganz offensichtlich in die zweite. Im Zweifel könnte man sein, wie es mit den unendlichen Modi steht; da sie rein dem Wortlaut folgend eher in die zweite „Natur“ zu fallen scheinen, ergäbe sich, dass die Unterscheidung zwischen der Natura naturans und der Natura naturata nicht mit der Unterscheidung des Unendlichen und des Endlichen zusammenfiele.6 Solche Fragen kann man sich stellen. Man muss es aber nicht, denn man verbliebe so ganz im Bannkreis einer sterilen Exegese, die das Wichtigste und Offensichtlichste übersähe: Für diese beiden „Naturen“ ist es nämlich nicht wichtig, was wo hineingehört. Ganz im Gegenteil ist die gesamte Pointe dieses Scholiums, dass zwischen diesen „Naturen“ kein Unterschied besteht: Es ist immer ein und dieselbe Natur, die sich bald so, bald so präsentiert und denken lässt.7 Es macht keinen Sinn, diese beiden Naturbegriffe in irgendeiner Weise gegeneinander stellen zu wollen. Es ist die eine Natur, die sich als Natura naturans und als Natura naturata lesen lässt, ohne jede reale Differenz. Das schwierigste Problem, jedenfalls das größte Hindernis des richtigen Verständnisses dieser flirrenden Natur liegt in der Unvermeidlichkeit, mit der man in ihrer Darstellung in hermeneutisch anmutende Begriffe verfällt. Ich habe in den vorigen Sätzen Worte verwendet wie „lesen“, „präsentieren“, „denken“ (als transitives Verb). Demnach wären diese beiden Seiten der einen Natur nur verschiedene Aspekte, Hinsichten, die sich einem erkennenden Verstand nacheinander zeigen. Nun ist der Begriff des Aspekts einer, der spätestens in der Erörterung der Attribute unumgänglich werden wird; aber auch dort muss er als ontologisch gegründet gedacht werden. Keinesfalls darf man diese quasi-hermeneutischen oder -transzendentalphilosophischen Formulierungen für bare Münze nehmen. Es geht in der Identität und Differenz der Natur nicht um einen Sinn, eine Deutung, Auslegung, eine Lektüre, eine Auffassung, nicht um Präsentation – und das nicht einmal dann, wenn man die These zugrunde legt, dass es kein Original des Sinns, keine Wahrheit des Textes, kein Ausgedrücktes vor dem Ausdruck, keine Präsenz vor der Präsentation oder Repräsentation gibt. Das alles bleibt noch weit hinter dem zurück, worum es hier geht. Das Flirren In der Kurzen Abhandlung ist Spinoza deutlicher: Dort gehört das, was man als „unendliche Modi“ bezeichnet (und von denen dort nur die unmittelbaren genannt sind), ausdrücklich in die Natura naturata, vgl. Kapitel I, 9. 52. Und in Ip31 erklärt er ebenso ausdrücklich, dass der endliche wie der unendliche Verstand der Natura naturata angehört (genauso im Brief 9 an de Vries). 7 „Ici et là, c’est la même Nature sous deux aspects différents […].“ (Gueroult: Spinoza. 345; auch in Gueroult Studie finden sich einige Hinweise auf die Historie des Ausdrucks „Natura naturata – Natura naturans“: 564-568.) 6
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der Natur ist die Struktur selbst von Natur. Und damit ist klar, dass der Begriff der Struktur hier eigenartig fehl am Platz ist: Wenn „Struktur“ eine stabile Organisationsform eines Objekts meint, dann passt der Begriff nicht, weil das Flirren genau das Gegenteil einer stabilen Form ist und weil es um etwas geht, was kein Objekt ist: Nur in diesem Flirren selbst, als die eine Richtung der Kurve existiert das „Ganze“, das man gerne als das Objekt hätte. Spinoza zweifelt nicht daran, dass es eine Totalität des Seins gibt und dass sich sinnvoll darüber sprechen lässt, und doch existiert diese Natur nicht jenseits des Flirrens, deren einer Limes sie ist. Es ist nicht der Verstand, der die Doppelbelichtung von Natur einführt, sei es als Funktion des Erkennens überhaupt (unendlicher Intellekt) oder als Zugeständnis an das begrenzte Erkenntnisvermögen (endlicher Intellekt); diese Beziehung auf den Intellekt findet man, in allen Grundbegriffen der Ethik, nur bei den Attributen.8 Und diese Doppelbelichtung ist keine Verdoppelung; denn es ist und bleibt dabei: Es gibt nur eine Natur. Es ist die Natur selbst und als Natur, die sich ins Flirren bringt, die nur als Flirren existiert. Wenn der Verstand, egal ob endlich oder unendlich, dies erfasst und denkt, dann tut er also nichts anderes, als die Natur als Natur nachzufahren, wie man die Konturen eines Gegenstandes mit den Fingern abfährt: eines unendlichen Gegenstandes, so ähnlich wie ein Möbiusband. Jede realistische Erfassung des Wirklichen, jede, die der Natur gerecht wird, indem sie sich von ihr ihre Mittel und ihre Form ausborgt, anstatt ihr eine aufzudrängen, die dem Denken bequem ist, muss bei dieser Gleichzeitigkeit und diesem Zusammen von zwei Seiten ansetzen, die inkommensurabel sind; die keine lockere Asymmetrie bilden; die überhaupt nicht von der Art sauber einander entgegenzusetzender Teile/Schichten/Ebenen/Elemente sind; die mehr von einer infinitesimalen Abweichung haben, in der eine Ebene mit ihrer eigenen Explosion ins Räumliche schwanger geht, als mit der Unterscheidung klar zu bezeichnender Entitäten oder Dimensionen; die also keine natürliche Zahl als Dimensionszahl haben, sondern die Differentiale der unendlichen Oberfläche sind oder Fraktale einer niemals ermattenden Hervorbringung von Sein. Ein und dasselbe bringt aus sich selbst, aus purer Überfülle, eine Entzweiung hervor, die aber niemals zu einer Entfernung, Entkoppelung, Trennung führen kann – es sei denn im Denken, das sich verstümmelter und verstümmelnder Ideen bedient. Spätestens an dieser Stelle wird klar, warum Spinoza mit Dialektiken aller Art nichts anzufangen weiß.9 Die acht Definitionen, mit denen das Buch beginnt, machen das Erfassen („concipere“) konsequent vom Sein abhängig. Nur die Definition der Attribute (Idef4) lässt den Bezug zum Sein aus und referiert unmittelbar auf einen Intellekt. 9 Von einigen vor allem politisch interessierten Denken wird die Tatsache, dass Spinoza jeder Dialektik von Grund auf fremd ist, als ein wichtiger Hinweis darauf verstanden, dass es mit ihm möglich wird, sich aus den Sackgassen zu befreien, in die eine 8
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Ein Beispiel, das keines ist: Der Morgen existiert zweifelsohne. Er, d.h. immer: dieser, heutige, gestrige Morgen ist eine Realität, die in sich einen bestimmten Charakter aufweist. Es gibt diesen Morgen, den ich heute erlebt habe, und es gibt ihn als Morgen. Er bildet eine eigene Physiognomie, einen Charakter, er hat einen bestimmten Ton. Doch weder der Morgen als solcher noch seine Tonlage – die man ohnehin nicht voneinander separieren kann – existieren ohne, jenseits, diesseits, über oder unter, vor oder unabhängig von den zahllosen Einzeldingen und Einzelereignissen, die in sie eingehen. Der Schrei der Krähen, der dunstige Himmel, die Kälte, die Sonne, der Schweiß, Gehetztsein und Unduldsamkeit gegen die anderen auf der Straße, ein Eichhörnchen, ein Regenschauer, ein Hupen, eine Erinnerung, eine Befürchtung, ein Lächeln. Tausend und Abertausend kleine Dinge und Ereignisse machen die Textur des Wirklichen aus, die sich zu „Einheiten“ wie diesem heutigen Morgen vereinigen: genauso trivial wie mein heutiger Morgen, genauso unvergleichlich. Dieser Morgen, aber auch: diese meine Liebe, mein Leben, die Existenz eines Hauses, ein Staat, eine Seminarsitzung… sie alle bilden Realitäten, die als Realitäten angesprochen werden können und müssen, die von sich aus Differenzierungen im Sein sind, bündig, und die doch nur existieren und so existieren, wie sie es tun, indem sie als Resultanten aus der Konjunktion unzähliger Einzelner hervorgehen (nicht: sich aus ihnen zusammensetzen). 10 Das kann immerhin ein Bild geben für das Flirren der Natur: Mein heutiger Morgen ist nicht scharf von der Nacht und dem Vormittag abtrennbar; er existiert gleichwohl. Und er existiert als Morgen, obwohl er nur aus den Einzelnen heraus selbstherrliche historische und materialistische Dialektik geführt hat, die es sich vor lauter systematischer Strenge erlauben konnte, auf die Wirklichkeiten keine Rücksicht mehr zu nehmen. Vgl. Negri: Spinoza. 25. 86. 112. (Alle Stellen stammen aus L’anomalia selvaggia. Potere et potenza in Baruch Spinoza von 1981.) 10 Ein wenig wie in der Sprache von Tlön, deren Idealismus Spinozas Philosophie freilich diametral entgegengesetzt ist, so wie das, was man Borges‘ Fiktionalismus nennen könnte – wenn man darunter die unermüdliche Inszenierung einer Fiktion, die der Realität den Weg weist – sich mit Spinoza wirklich nicht verträgt. (Man könnte so weit gehen, die postmoderne Vorliebe für Spiel und Fiktion und Narration und Metanarration auf Borges als auf einen ihrer wirkungsmächtigsten Vorläufer zurückzuführen, wohingegen es gerade Spinozas Metaphysik ist, die seit Deleuze hilft, aus den Kindereien und noch mehr aus den verheerenden politischen Blindheiten herauszuführen, in die diese Postmoderne schließlich degeneriert ist – ohne jede Schuld von Borges, versteht sich.) Jedenfalls lässt Borges die Sprache von Tlön so rekonstruieren: Es gibt Objekte, die „aus vielen Begriffen zusammengesetzt [sind]: die Sonne und das Wasser vor der Brust des Schwimmers, das vage pulsierende Rosa, das man bei geschlossenen Augen sieht, das Gefühl eines Menschen, der sich von einem Strom und auch von einem Traum davontreiben lässt. Diese Gegenstände zweiten Grades können mit anderen kombiniert werden; der Prozess ist, mit Hilfe gewisser Abkürzungen, praktisch unbegrenzt.“ (Borges: Tlön, Uqbar, Orbis Tertius. In: Fiktionen. 15-34. 22.) Die zuletzt genannte Kombinatorik wiederum ist eine exakte Entsprechung zum Begriff des Individuums bei Spinoza.
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existiert, von denen keines ein Morgen ist. Er ist selbst Flirren einer Matuta maturans und einer Matuta maturata. Und anders kann er nicht sein. Er ist der konkrete Überschuss über alles Einzelne, der als Resultante aus diesen Einzelnen entsteht, ohne dass die Einzelnen mit der Resultante Ähnlichkeit hätten. Ein Beispiel, das keines ist. Es ist aus mehreren Gründen kein Beispiel für das Flirren der Natur, zu deren Erfassung es, dessen unbeschadet, hinführen soll. Erstens herrscht in diesem Beispiel, zumindest auf den ersten und zweiten Blick, eine klare Einseitigkeit der Bedingung: Der Morgen ist die Resultante der Einzelereignisse und -dinge. Das ist bei der Natur ja gerade nicht der Fall: Spinoza hält, in selbst ambivalenter, flirrender Weise, am Primat des Ganzen fest. Zweitens ist es gut möglich, dass Spinoza sich weigern würde, diesem meinen Morgen eine eigenständige Realität zuzuschreiben. Spricht er von Dingen, dann meint er damit identifizierbare materielle Gegenstände bzw. ihre Modifikationen. Der Morgen scheint damit nicht als eigenständige Realität gelten zu dürfen. Andererseits: Es gibt ja in Wahrheit gar nichts, was als eigenständige Realität in einem engen Sinn gelten darf. Genau das ist die Pointe der Natur, wie Spinoza sie uns sehen lässt. Natur ist die Erstellung von Differenzen, die sich niemals in einer strengen Weise bewahrheiten lassen. Es ist nicht so, dass alles eines wäre; es ist aber eben auch nicht so, dass alle Dinge eindeutig verschiedene, getrennte, abzählbare wären. Die Dimensionszahlen sind im Wirklichen nicht ganzzahlig. Und so gilt drittens für diese Realität, die mein Morgen ist, 11 dass sie ihre eigene Selbstüberschreitung verlangt: Sie kann eben nicht als ein endgültiger Haltepunkt, als eine letzte Einheit erscheinen. Sie bildet keine isolierte, isolierbare Einzelheit, kein Atom des Seins, sondern im Gegenteil nur eine vorläufige Etappe, die sowohl Pause wie Vorbereitung für das Weitere ist, die also als Etappe über sich hinausweist. Sie ist sowohl in unscharfer Abgrenzung zum Vorangegangenen und zum Folgenden wie sie auch ein nicht scharf, aber eben doch abgrenzbarer Teil eines Ganzen ist, „Mein“ Morgen? Sind wir also unversehens doch wieder in subjektivistische, transzendentalphilosophische oder idealistische oder solipsistische Irrtümer geraten? Keineswegs. Aber dass der Morgen meiner ist, d.h. dass ich ihn erlebe und dass in ihn (der von meinen Erlebnissen nie zu trennen ist) auch „subjektive“ Elemente mit eingehen, z.B. meine Müdigkeit, irgendeine Genervtheit oder im Gegenteil erwartungsfrohe Frische, ist für Spinoza ja eben unvermeidlich. In einer Welt, in der alles im selben Sinn und mit demselben Recht wirklich ist, was eben nur wirklich ist, sind die scheinbar „subjektiven“ Elemente nicht mehr und nicht weniger Teil der Ereignisse wie die „objektiven“. Wir werden später sehen, dass die „subjektiven“ Elemente, die Spinoza Affekte nennt, in Wahrheit nichts Subjektives sind, vor allem nichts Innerliches, sondern exakt die Unbestimmtheitszone zwischen mit und den Dingen auslotet, artikuliert, modifiziert. Sie existieren und wirken an der von Vektoren durchzogenen und zum Bersten gespannten Oberfläche des Seins, wie alles andere auch. 11
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vielmehr: einer ganzen Hierarchie von vollständigeren Einheiten: Tag, Monat, Leben, bis hin zur grenzenlosen Dauer des Universums. 12 Man wird zum Begriff des Individuums geführt, so wie Spinoza ihn verwendet: Ein Individuum ist bestimmt durch stabile Verhältnisse der das Individuum konstituierenden Teile und ihrer Bewegungen zueinander sowie durch die gegenseitige Einwirkung dieser Bewegungen aufeinander: Wenn mehrere Körper, von derselben Größe oder auch von verschiedener Größe, von anderen Körpern so zusammengedrängt werden, dass sie aneinanderliegen, oder wenn sie, mit demselben Grad oder auch mit verschiedenen Graden von Geschwindigkeit, sich so bewegen, dass sie ihre Bewegungen nach einer bestimmten Regel untereinander verknüpfen, dann wollen wir sagen, dass diese Körper miteinander vereinigt sind und dass sie alle zusammen einen einzigen Körper oder ein Individuum bilden, das sich von den anderen durch die beschriebene Vereinigung der Körper unterscheidet. 13
Dieser Begriff des Individuums hat mehrere erstaunliche Züge, die alle für unser Nicht-Beispiel relevant sind: Zum einen ist es gerade die Vagheit dieser Definition, die ihre Nützlichkeit verbürgt: Spinoza erklärt nur, dass die Teile eines Individuums einander ihre Bewegungen kommunizieren und dabei ein gleichmäßiges Verhältnis wahren, wodurch sie zu einer Einheit werden. Nehmen wir meinen Körper, der ja für Spinoza unzweifelhaft ein solches Individuum ist: Alle Augenblicke verliert er etwas von seinem Stoff, Hautschuppen, Haare usw., und ebenso regelmäßig wird ihm einiges hinzugefügt, vor allem beim Atmen oder Essen (vgl. auch dort Lemma 4). Dennoch gibt es, so Spinoza, eine gewisse Stabilität der Bewegungen und ihres Verhältnisses. So ist das Individuum von vornherein mit einem unscharfen Rand gedacht; nicht alle Teile und nicht alle Bewegungen müssen aufrechterhalten werden. Und es ist nicht mal nötig, genau zu bestimmen, wo die Grenze solcher Zuordnung besteht, die ein für allemal das eine vom Dass etwas nicht scharf abgegrenzt und doch abgegrenzt sein kann, versteht sich offenbar nicht von selbst. Jedenfalls wenn man übers Philosophieren den Blick fürs Wirkliche verliert. Wittgenstein arbeitet sich an solchen verqueren Voraussetzungen ab: „Ein unbestimmter Sinn, – das wäre eigentlich gar kein Sinn. – Das ist wie: Eine unscharfe Begrenzung, das ist eigentlich gar keine Begrenzung.“ (PU. § 99. Vgl. auch § 88) Es ist immer die Ansetzung eines nur theoretischen und nur für ganz bestimmte Zwecke validen Begriffs von Bestimmtheit oder Begrenztheit (die dann streng sein müssen, wenn nicht gar „exakt“) und seine Beförderung zum einzig möglichen, die auf solche Irrtümer führt, auf „Verwirrungen“ (§ 132), auf „schlichten Unsinn“ und die „Beulen“, die sich der Verstand dabei holt (§ 119). 13 „Cum corpora aliquot ejusdem aut diversae magnitudinis a reliquis ita coercentur, ut invicem incumbant, vel si eodem aut diversis celeritatis gradibus moventur, ut motus suos invicem certa quadam ratione communicent, illa corpora invicem unita dicemus, et omnia simul unum corpus sive individuum componere, quod a reliquis per hanc corporum unionem distinguitur.“ (IIdef’ [nach IIp13]) 12
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anderen Individuum trennen könnte. So etwas ergibt keinen Sinn in einer Philosophie, die alles Einzelne von Anfang an in Interaktion und mit unscharfen Grenzen denkt. In Wahrheit gibt uns diese Definition nicht einmal eine Handhabe, die wesentlichen inneren Teile und Bewegungen in letzter Klarheit zu identifizieren. Natürlich gehören z.B. mein Herzschlag und mein Blutkreislauf dazu; aber auch diese beiden sind sowohl in Rhythmik wie in Materie, sogar in der Lage zueinander verschiedensten Veränderungen unterworfen, manchen zyklischen und manchen zufälligen und manchen entwicklungsgeschichtlichen. Man merkt: Sobald man diese Definition bedrängt, zieht sie sich zurück. Es ist ganz genau ihre Vagheit, die ihre Produktivität ausmacht, weil sie es erlaubt, eine offene Vielzahl von Individuen nach der Zusammenstellung von Teilen auszumachen. Es eröffnet sich mit einem Wort die Möglichkeit einer unendlichen Konjunktion der Dinge und Ereignisse zu realen Individuen, einer Kombinatorik der Einzelwesen, die sich von keinem Kalkül erfassen lässt. Dann spricht auch nichts mehr dagegen, den heutigen Morgen als ein Individuum zu betrachten. Wenn Spinoza das nicht unmittelbar im Sinn hatte, so lassen sich dagegen jedenfalls keine systematischen Gründe vorbringen. Die Identifizierungen, die Spinoza nicht zulässt, sind doch immer nur jene der unbedachten Verallgemeinerung: Es gibt keine Universalien und keine Transzendentalien, wie Spinoza immer wieder betont (vor allem IIp40s1). Die ihnen entsprechenden Begriffe sind nur leere Worte. Man muss also im Gegenzug nur darauf achten, in die Konjunktion der Dinge zu Individuen einzig selbst konkrete Einzelwesen einfließen zu lassen, um sich vor der Herstellung unwahrer Individuen zu schützen. Zum anderen aber hat die Definition des Individuums einen expansiven Impetus – darin dem Conatus des Einzeldinges nicht unähnlich, und das nicht durch Zufall: Die Definition des Individuums als Definition ist der Versuch, dem Einzelding eine halbwegs klare Umgrenzung in begrifflicher Hinsicht zu geben. Nun sind aber die Einzeldinge sowohl der allgemeinen Metaphysik wie ihrer eigenen Ontologie nach nicht umgrenzt und vor allem nicht festgelegt: Die Metaphysik fordert, vom Ganzen auszugehen; die Ontologie fordert, den Conatus als ein Streben zu begreifen, durch das ein Einzelding ist, was es ist, indem es mehr zu sein sucht, als es ist. Wenn daher die Definition des Individuums über sich hinausstrebt, gewissermaßen gleichzeitig Definition und Indefinition ist, so ist das nur in der strengsten Übereinstimmung mit den Prinzipien der Philosophie selbst. Dieser expansive Impetus drückt sich einfach darin aus, dass ein jedes Individuum von einem anderen überwölbt wird14 und dass das Nachdenken über die Natur der Individuen von sich aus auf eine immer umfassendere
In Wahrheit ist das noch zu schematisch, die die Individuen übereinander greifen und sich kreuzen. Kein Einzelding geht nur auf eine Weise in ein anderes Individuum ein. 14
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Einheit und schließlich auf das Individuum führt, das alle anderen in sich beschließt: das Universum selbst.15 „Und wenn wir so weiter ins Unendliche fortfahren, werden wir leicht begreifen, dass die ganze Natur ein Individuum ist, dessen Teile, d.h. alle Körper, auf unendlich viele Weisen sich verändern, ohne dass sich dabei das Individuum irgendwie veränderte.“ 16 Dieser Überstieg der Individuen hin zum letzten, der Ereignisse hin zur ganzen Natur bringt viertens den entscheidenden Punkt, weshalb der heutige Morgen kein Beispiel in einem engen Sinn für das Flirren der Natur sein kann – und weshalb er doch als Hinführung geeignet ist. Es gibt eine strukturelle Abweichung, die sich klar benennen lässt und die als solche sowohl die Verwandtschaft wie die Differenz zwischen beiden begründet. Die Totalität des Seins, um die es Spinoza geht, ist in Wahrheit mit nichts vergleichbar – und zwar weil sie Totalität ist. Die Totalität markiert für Spinoza nicht so sehr einen logischen oder metaphysischen Ort als vielmehr eine Grenze, einen echten Limes, der sich als Limes von dem, was er begrenzt, abgrenzt, ohne doch etwas anderes zu sein. Daher kommt es, dass für die Totalität als Totalität manches gilt, was für die Einzeldinge nicht gelten kann. Wenn das einmal klar ist, dann muss uns auch der Begriff eines Individuums, das alle Individuen in sich begreift, keine Kopfschmerzen mehr bereiten. Denn dieses Individuum existiert nicht in der selbstgerechten, serenen Form eines Gegenstandes oder einer Gegenständlichkeit, so dass sich da irgendwelche logischen Widersprüche auftun könnten. Es existiert vielmehr nur als die Doppelung der Naturbegriffe, als Flirren, in dem alles Einzelne nicht wie in einem Begriff aufgehoben ist, sondern konkret und real und konstituierend präsent bleibt – ohne alle Abkürzung. Jede Metaphysik sucht und findet unfehlbar ihr Möbiusband: den Ort, an dem sich das Letzte als das Erste erweist, an dem das Prinzip auf sich selbst zurückgebogen wird, sich als seine eigene Prädikation oder Eigenschaft oder Folge präsentiert, als das, was nur noch sich selbst voraussetzt – und was genau dadurch nicht nur nichts voraussetzt, sondern auch der Funktion der universalen Voraussetzung gerecht werden kann. Man kann mit einigem Recht sagen, dass in Spinozas Metaphysik dieses Möbiusband in der Formel der causa sui zusammengedrängt ist (Idef1, Ip7). Das ist zwar Spinoza spricht in diesem Textstück nur über die physische Welt. Es ist also hier das im Blick, was im Brief 44 an Schuller die „facies totius universi“ genannt wird und was als einer der unendlichen Modi im Attribut Ausdehnung eine so wichtige und zugleich so rätselhafte Rolle spielt. Die nur attributive Unterschiedenheit bei substanzieller Identität erzwingt aber, dass ganz analoge Aussagen auch über die Ideen und ihren Zusammenhang getroffen werden müssen. Das ist nicht ohne Bedeutung, wenn man Funktion und Sinn des unendlichen Intellekts und der Idee Gottes ergründen will. 16 „Et si sic porro in infinitum pergamus, facile concipiemus totam naturam unum esse individuum, cujus partes, hoc est omnia corpora, infinitis modis variant, absque ulla totius individui mutatione.“ (IIl7s) 15
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richtig, aber die eigentliche Genialität besteht darin, dass Spinoza im Flirren der Natur das Ereignis aufdeckt, das nicht nur der logischen Fassung des Rückbezugs des Prinzips auf sich die Grundlage gibt, sondern das als Ereignis, als Phänomen, als Realität nicht einmal mehr von den grobkörnigen Strukturierungen begrifflicher Verständlichmachung zehrt. Die flirrende Natur ist nicht ein Rückbezug eines Prinzipiierten auf sein Prinzip in Identität, sondern es ist konkret und anschaulich die Einheit und die Vielheit, das unlösbare Zusammen von Ganzem und Teilen, so dass deren Unterscheidung zwar möglich wird, aber schon als begriffliche Unterscheidung in der Gefahr ist, die erste Intuition zu verraten. Es ist kein Möbiusband, wenn darunter eine ausgedehnte Sache verstanden wird, die man mühsam ablaufen müsste: Das geschieht in der Metaphysik, wo das Prinzip als Prinzip der Einzelnen ausgewiesen werden muss. Hier aber ist das Einzelding der unmittelbare Ausdruck der Totalität und diese ist nur als und in den Einzeldingen. Das Flirren ist die Intensität der Oberfläche, die von Vektoren durchzogen ist und die ins Weite des Raums strebt; eine Intensität als Differential, Ursprungsort der Unterscheidung von Substanz und Modi, der nie überschritten wird, reale Differenz der Einzelnen und unmittelbare Eingliederung ins Ganze, so aber, dass genau diese Unterscheidung nicht mehr „ganzzahlig“ gedacht werden kann, weshalb sie weder dialektisch noch im Möbiusband wieder aufeinander zu beziehen ist. Die Ameise ist bei Spinoza immer schon auf beiden Seiten des Bandes, weil die Wirklichkeit der Natur beides zugleich ist: Die Ameise ist Einzelnes und sie ist Ausdruck Gottes. An diesem Satz ist nichts Bildhaftes. FaktizitätundNotwendigkeit. Im Flirren der Natur überwältigt sie mich in ihrer Unendlichkeit. Aber sie erdrückt mich nicht. Sie lässt mich sein. Der Affekt, der der Unendlichkeit der Natur entspricht, wird bei Spinoza die Liebe sein wird, wo man vielleicht, allzu sehr geprägt von Kant, das Erhabene erwartet hätte. Doch in Kants Konzeption des Erhabenen wird die Unverhältnismäßigkeit von Mensch und Natur ausgespielt; das Erhabene beruht, in beiden Formen, auf der Gleichgültigkeit gegenüber dem Menschen, und derart indifferent wird die Natur zur Gelegenheit für den Menschen, sein Bestes, die Vernunft, darin unter Beweis zu stellen – eine Vernunft, die eben nicht von der gleichen Natur wie die Natur ist, sondern Zeugnis unseres intelligiblen Wesens. Die Natur wird also bei Kant in ihrer Unmenschlichkeit festgeschrieben, und diese Unmenschlichkeit wird als Hebel eingesetzt, um die andere Unmenschlichkeit, die höhere Unmenschlichkeit des Menschen in der Vernunft zur Erscheinung zu bringen. Ganz anders bei Spinoza: Diese Wirklichkeit ist von vornherein unmenschlich,
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insofern auch der Mensch in ihr kein eigenes Reich gründet.17 Ja: die Natur ist gleichgültig gegenüber dem Schicksal der Menschen. Aber doch nur, weil dieses vom Rest der Natur ontologisch nie geschieden waren. Wir brauchen keine Prüfungen und Aufgaben und Überforderungen, um unsere hehre Vernunftnatur unter Beweis und gegen die schnöde natürliche Natur zu stellen. Anstatt in der Fremdheit der Natur gegenüber dem Menschen zuerst einen Affront und dann eine Gelegenheit zu sehen, gibt es gar keine Fremdheit, die man beklagen oder sich schönreden müsste. Mein Wert besteht nicht darin, möglichst anders als die Natur zu sein; meine Bedeutung besteht im Gegenteil darin, auf dieselbe Weise wie alles andere auch zu wirken und zu handeln – je mehr Handeln, umso mehr Freiheit, Erkennen und Glück. Wir können getröstet sein: Wir sind zuhause in der Natur. Wir müssen nicht vor ihrer oder unserer Erhabenheit erschaudern; wir können sie lieben als unser Eigenstes. Die Natur ist nichtmenschlich, vielleicht sogar unmenschlich. Aber wir sind es auch, ohne alle Wertung, Resignation oder Sarkasmus. Wenn wir im Flirren der Natur ihrer Unendlichkeit gewahr werden, ihre Übermacht erfahren, wissen, dass sie uns in jedem Augenblick vernichten kann, ohne dass es dafür irgendeinen tröstlichen Grund gäbe, der auf unsere Wichtigkeit Rücksicht nähme (nur die Ursachen des Weltenlaufs werden Ursachen meines Endes sein) – dann wird mir mein Tod sicher nicht sofort akzeptabel; er wird aber auch kein Affront mehr sein. Er ist, wie alles, was mir widerfahren kann, von der Natur. Diese Natur ist hemmungslose Positivität. Daher muss die Ethik am Ende eine Blickwendung erreichen: Genau das, was etwa das dynamische Erhabene bei Kant ins Spiel bringt, die Bedrohung der endlichen Existenz nämlich, ist kein sinnvolles Thema des Nachdenkens. Mein Tod, sogar die imaginäre Beschäftigung mit Krankheiten, Gefahren, Eventualitäten ist eine Beschäftigung mit solchem, was nicht ist. Es ist Ausweichen vor dem, was ist. Und nur in dem, was ist, gibt es Möglichkeiten und Wege für mich. Daher kann Spinoza erklären, dass der freie Mensch über nichts weniger nachdenkt als über seinen Tod: „Ein freier Mensch denkt an nichts weniger als an den Tod; und seine Weisheit ist ein Nachdenken über das Leben, nicht über den Tod.“18 Dieses Leben, das Wirkliche ist Natur, Überwältigung, Positivität; es ist vor allen Dingen eine radikale Faktizität. Das ist ein Aspekt, der nicht sofort auffällt. Aber es gibt in Wahrheit kaum einen Philosophen, der mit der Faktizität des Seins so ernst gemacht Gemäß der berühmten Formel aus dem Vorwort zum Dritten Teil: „[…] eher scheinen sie den Menschen in der Natur wie einen Staat im Staate zu verstehen.“ „Imo hominem in natura, veluti imperium in imperio, concipere videntur.“ 18 „Homo liber de nulla re minus quam de morte cogitat, et ejus sapientia non mortis, sed vitae meditatio est.“ (IVp67) 17
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hätte wie Spinoza. Das wird verdeckt durch die entschiedene Anrufung der Notwendigkeit. Vernunft, so erklärt Spinoza, besteht darin, die Dinge in ihrer Notwendigkeit und damit unter einer gewissen Hinsicht der Ewigkeit zu betrachten (IIp44 und IIp44c2). Der Witz ist nun aber, dass die Natur, wie sie das Unendliche und das Endliche, wie sie die Überwältigung und die Geborgenheit unmittelbar miteinander verschränkt, so auch die Notwendigkeit und die Faktizität in eine Engführung bringt, in der sie ununterscheidbar werden. Man darf nur Faktizität nicht mit dem philosophischen Begriff der Kontingenz verwechseln. Kontingenz bemisst sich letztlich nur an den Grenzen unserer Erkenntnis und operiert mit dem Begriff der Möglichkeit, der selbst eine Chimäre ist (Ip33s1). Wenn man die Verbindung zur Kontingenz kappt, dann schält sich die Faktizität als das fundamentalste Charakteristikum der Wirklichkeit selbst heraus: eine Welt, die auf nichts anderem beruht als nur auf sich selbst. Kein Prinzip außerhalb, oberhalb, unterhalb, vor der Welt hat die Welt begründet, ihr Sinn und Richtung gegeben oder sanktioniert sie, wenn sie zu eigensinnig wird. Nicht nur gibt es nichts außerhalb der Welt, das diese Welt erschaffen oder begründet hätte und das eben hierdurch der Faktizität die Spitze genommen hätte, indem sie im Prinzipiellen des gründenden Prinzips liquidiert wäre. Es gibt auch andersherum gedacht das Außerhalb nicht, und das heißt: Dies hier, dieser Moment, meine Handlung, so wie das Herumschlendern der kleinen Fliegen auf dem Tisch und das Zischen des Windes draußen, das ist die volle und die einzige Realität, das ist alles, und das ist Alles. Hierin, und noch im Kleinsten liegt die volle Positivität von Sein. Positiver wird es nicht. Mehr Sein braucht man nicht zu erwarten. Das Faktische als solches, bis hin in seine unheimliche Belanglosigkeit, ist das Ganze, ist die gesamte Fülle des Seins – und noch das Maß allen Seins. 19 Eine schwindelerregende Idee, Die Faktizität scheint eine Erfahrung zu sein, die nicht von Spinoza allein, sondern von seiner ganzen Zeit gemacht wird, vielleicht in dieser Radikalität zum ersten Mal in der Geschichte. Davon zeugt nicht nur die niederländische Malerei der Epoche, sondern noch ein Philosoph wie Leibniz, der im gleichen Maß Antipode Spinozas ist, der sogar einige seiner Grundthesen in Abgrenzung von Spinoza entwickelt hat, wie er ein Nahverwandter ist: Die gesamte riesenhafte Konstruktion der möglichen Welten, die sich ein personaler und rationaler und gütiger Gott vor Augen gelegt hat, um die beste auszuwählen und ins Werk zu setzen, ist zutiefst unspinozistisch. Sie trägt aber noch in dieser entschiedensten Abkehr von Spinoza, auf dem entgegengesetzten Wege, derselben Intuition Rechnung: dass das Faktische etwas Unvergleichliches an sich hat. Das Faktische ist bei Leibniz einerseits nur ein weiteres Mögliche; es ist andererseits aber auch das, was alles Mögliche übertrumpft, was anders ist, besser eben. Und so gelangt auch Leibniz zu einer resoluten Würdigung des Faktischen. Dem widerspricht im Übrigen auch nicht, dass Deleuze wahrscheinlich recht hat mit seiner Bemerkung, dass dieses Beste der besten Welt das exakte Gegenteil eines ungebrochenen Vertrauens in die göttliche Schöpfung bezeichnet, sondern schon das Produkt und zugleich den Versuch der Überwindung einer tiefen Desillusionierung, vgl. Deleuze: Le pli. 90 ff. „Car le meilleur n’est 19
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wenn es je eine gab. So schwindelerregenden, dass nur ein Kleinbuchstabe dem schmalen Pfad gerecht wird, auf dem sich das Denken hier bewegt: Denn das Sein erhebt sich nicht etwa über dem Nichts, sondern es ruht ganz einfach auf nichts. Die Notwendigkeit ist nicht im Widerstreit mit der Faktizität, sondern erlaubt ihr erst, sich zu entfalten. Ohne Notwendigkeit würde diese Welt, die auf sich selbst gründet, auseinanderfallen, zerstieben, wie eine Wolke, nach dem man greift. Wenn kein transzendentes Prinzip, kein Schöpfer, kein Ziel mehr die Integrität der Wirklichkeit von außen garantiert, dann bedarf es einer Bindemasse, um die Integrität des Seins aus sich selbst heraus zu sichern.20 Die Notwendigkeit ist der Mörtel einer Welt reiner Immanenz. GanzesundTeil. Keine Frage, die Aufgabe ist nur erst klar formuliert; sie zu erfüllen, wird Spinoza die gesamte Ethik brauchen, von den früheren Anläufen in der Kurzen Abhandlung und in der Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes ganz zu schweigen. (Der Tractatus theologico-politicus umreißt dieselbe Metaphysik; er muss sie aber wegen seiner anderen Themenstellung nicht in derselben Weise vertiefen und klären.) Wie ist also zu denken, dass die Natur eine ist, absolut eine, und dass sie zugleich nur ist, insofern sie unzählbar viele Modi hat, in denen sie ist? (Ganz analog der Frage, wie ein Morgen existieren kann, der doch nur aus den unzähligen „Teilereignissen“ besteht, von denen zwar das Aufgehen der Sonne sicher das unverzichtbare ist; aber diese Unverzichtbarkeit gilt nur und ausschließlich für den Allgemeinbegriff „Morgen“, also für eine Fiktion des Geistes. Im konkreten Ereignis, diesem meinem heutigen Morgen, ist, so erstaunlich das klingen mag, nichts unverzichtbar, nichts wesentlicher als ein anderes.) Entscheidend ist vor allem, die Begriffe fernzuhalten, die das Verhältnis von Substanz und Modi, von Natur und Einzelseienden als eines von Ganzem und Teilen beschreiben. Diese Begriffe sind so naheliegend wie falsch. Genauer: Sie sind falsch, wenn sie in einer naiven Weise eingesetzt werden. Es ist kein Wunder, dass Spinoza diese Auseinandersetzung vor allem anhand der unendlichen Ausdehnung führt. Im Scholium zu Lehrsatz 15 des Ersten Teils legt sich Spinoza die Einwände vor, die sich einem herkömmlichen metaphysischen Denken aufdrängen müssen, wenn man sich einmal dazu entschieden hat, die Natur qu’une conséquence. Et, même comme conséquence, il découle directement de la défaite du Bien […].“ (91) 20 Clément Rosset hat diese Forderung an die Philosophie (die er in diesem frühen Buch als „tragische“ bezeichnet) bündig auf den Punkt gebracht: „[…] rendre compte des péripéties de ‚ce qui existe‘ à partir seulement de ‚ce qui existe‘ […].“ (Logique du pire. 17)
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oder Gott mit dem Attribut der Ausdehnung zu versehen. Ist das nicht Gottes ganz unwürdig („indignam“), ausgedehnt zu sein? So lautet zum Beispiel so ein Einwand. Gerade mit dem hält sich Spinoza nicht lange auf: Erstens ist es nicht richtig, geradehin zu sagen, Gott sei ausgedehnt; er hat eben das Attribut Ausdehnung. Zweitens ist ein Begriff wie „unwürdig“ ohnehin notorisch ungenau und nur von den verstümmelten Begriffen der Menschen abhängig, also selbst der Metaphysik unwürdig. Wichtiger ist aber die Diskussion des Attributs Ausdehnung, die auf die Verhältnisse von Ganzem, Teilen und Teilbarkeit führt. Die Ausdehnung ist unendlich. Ihre Unendlichkeit ist die strenge, die Gott als solchem zukommt, und gerade nicht irgendeine mit dem Raum bildhaft verbundene. Deshalb kann das, was Spinoza hier über das Unendliche sagt, als Stütze für das Verständnis des Begriffs allgemein dienen. Der Irrtum, auf dem die Einwände beruhen und die in der Anrufung der Paradoxien des Unendlichen kulminieren, besteht darin, die körperliche Substanz als aus ihren Teilen zusammengesetzt zu denken („componi“). Das Unendliche mag „Teile“ haben; es hat aber keine Teile, wenn man darunter das versteht, woraus das Ganze zusammengesetzt ist. Eine Mauer ist aus Steinen, eine Uhr aus Feder und Zahnrädern zusammengesetzt. Solche Teile haben die Eigenschaft, dass sie auch ohne das Ganze und für sich gedacht werden können. Umgekehrt gibt es diese Ganzheiten nur, insofern sie aus den Teilen zusammengebaut sind. Genau diese Sichtweise gilt für die Unendlichkeit der Ausdehnung als solcher nicht. Wir haben schon gesehen, wie es unmöglich ist, von den Einzelwesen zu behaupten, dass sie irgendeine abgetrennte Existenz hätten. Worin könnte die auch bestehen? Ebenso wichtig ist es aber auch, den scheinbaren Widerspruch zusammenzudenken, dass die Natur nur ist, insofern in ihr und durch sie Einzelwesen sind, ohne dass sie aber aus ihnen zusammengesetzt wäre. Die Natur, hier als Ausdehnung gedacht, ist eine unendliche Quantität; sie ist aber weder aus Teilen gemacht noch wieder teilbar, kurz: Sie ist nicht messbar. „Aus den daraus sich ergebenden Widersinnigkeiten können sie deshalb nur dies folgern, dass eine unendliche Größe weder messbar ist noch aus endlichen Teilen zusammengesetzt sein kann“ 21, und nicht, dass es keine unendliche ausgedehnte Substanz geben könne. Spinoza dissoziiert hier streng die Begriffe von Quantität und Messbarkeit, wobei letzte sich auf die Idee einer selbständigen Existenz der Teile stützen muss. Das Unendliche existiert in, vielleicht aus den Endlichen; sie sind in ihm zu finden. Aber weder ist das Unendliche deshalb teilbar, weil es als Unendliches den „Teilen“ absolut vorhergeht, noch ist es zusammengesetzt aus seinen Teilen. „Und gewiss ist es nicht minder widersinnig zu Ip15s. „quare ex absurdis, quae inde sequuntur, nihil aliud concludere possunt, quam quod quantitas infinita non sit mesurabilis et quod ex partibus finitis conflari non possit.“ 21
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behaupten, dass eine körperliche Substanz aus Körpern oder Teilen sich zusammensetze, als zu behaupten, ein Körper setze sich aus Flächen, Flächen aus Linien und Linien endlich aus Punkten zusammen.“ 22 Es ist also weder so, dass das Unendliche, die unendliche Ausdehnung teilbar oder zusammengesetzt wäre (und das eine ist nur die Umkehrung des anderen), noch auch, dass wir gar nicht sinnvoll von Teilen sprechen können. Wir müssen nur den Sinn ändern, den wir mit Begriffen wie Teil und Ganzes verbinden. Wir müssen die Verhältnisse neu fassen, als eine gegenseitige Implikation ohne reale Unterschiedenheit, als gegenseitige Bedingung ohne Trennung, als gegenseitige Durchdringung ohne Auflösung der Differenz – eine Differenz, die in dieser Beziehung selbst gestiftet ist. Wieder ist man gezwungen, zwei Standpunkte einzunehmen, die von einer rein theoretischen Warte aus miteinander unvereinbar sind, und die dennoch erst zusammen das rechte Bild der Wirklichkeit ergeben. Denn einerseits steht am Anfang immer das Ganze. Die Teile sind unselbständige Momente des Ganzen, da sie nicht aus sich heraus zusammensetzen können. Andererseits gibt es das Ganze nur, insofern und indem es die Teile gibt. Es ist die Kurze Abhandlung, die diese schwierigen Verhältnisse noch einmal auf andere Weise klarmacht. Spinoza schreibt dort, zur gleichen Frage: „Darauf antworten wir: 1. dass Teil und Ganzes keine wahren oder tatsächlichen Entitäten sind, sondern bloße Gedankendinge, und demzufolge gibt es in der Natur weder Ganzes noch Teile.“ 23 „Entia rationis“, „wezens van reeden“, bloße sprachliche Hilfsmittel sind die Begriffe von Teil und Ganzem; sie eignen sich nicht als Kategorien, die in der realen Struktur des Seins gründen, ja: Es gibt in diesem Sinn, der mit klar abgetrennten Entitäten operiert, keine Struktur des Seins. Nicht einmal dort, wo man es spontan vermuten würde, lassen sich Teile finden: „[…] es gibt keinen Teil in der Ausdehnung.“24 Vor allem aber fährt Spinoza fort, die Begriffe von Teil und Ganzem einer Umdeutung zu unterziehen: „2. Ein Ding, das aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt ist, muss derart sein, dass die Teile desselben 25 gedacht und erkannt werden können, wenn der eine ohne den anderen für sich genommen wird.“26 Ebd. „Et profecto, non minus absurdum est ponere, quod substantia corporea ex corporibus sive partibus componatur, quam quod corpus ex superficiebus, superficies ex lineis, lineae denique ex punctis componantur.“ 23 Kurze Abhandlung. I, 2, § 19. 28. TO. 206-209. 24 Ebd. Fußnote. 25 Bartuschats Übersetzung fügt hier ein „nicht“ ein. Das widerspricht aber nicht nur dem Ziel der Argumentation und auch ganz ausdrücklich den folgenden Sätzen. Es findet sich auch im niederländischen Text nicht, zumindest nicht in der Version, die Tutte le opere gibt; die italienische Übersetzung hat ebenfalls keine Verneinung. 26 Ebd. 28 f. TO. 208 f. 22
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Eine Uhr hat Teile, wenn man darunter Körper versteht, die erstens für sich gedacht werden können (also ohne die Uhr wie ohne die anderen Teile) und die zweitens erst zusammengesetzt die Uhr bilden. Die Uhr ist demnach in einseitiger Weise Resultante ihrer Teile. (Es sei denn, man wollte irgendwelche „Ideen“ von Uhren voraussetzen, die im Geiste des Uhrmachers wären, so dass dieser allererst Uhren verfertigen kann. Wenn Darwin das Bild, das der klassischen Epoche der Spekulation über Gott und Natur so teuer gewesen ist, auf den Kopf stellte, indem er den Uhrmacher des belebten Kosmos blind werden lässt, so stellt sich heute die Frage, ob nicht vielmehr alle Herstellung nur unter der Bedingung dieser „Blindheit“ möglich ist; d.h. ob es nicht nur deshalb Erfindung, Schöpfung, Herstellung von Neuem gibt, weil das zu Erfindende, zu Schaffende, Herzustellende nicht vorher schon gedacht werden muss und nicht einmal kann.) 27 Beides gilt aber nicht, wenn es um die Natur der Natur selbst geht:28 Die Natur wird nicht aufgebaut aus Teilen; die Teile der Natur sind nicht unabhängig voneinander und schon gar nicht von der Natur als ganzer zu denken, mit einem Wort: Natur und ihre Teile sind nicht voneinander streng geschieden.29 Vgl. zur Produktion von Neuem als reiner Praxis vom Verfasser: Walzer und Löwenzahn; sowie: Wissen ohne Vorstellungen. Beide Aufsätze entwickeln diesen Gedanken in Anlehnung an Bergson. 28 Man kann diese „Ausnahmestellung“ der Natur als ganzer, die freilich nur ihre Grenze oder ihren Rand bezeichnet und nicht wieder eine Transzendenz, als „Totalitätsargument“ bezeichnen: Es gibt Aussagen, die nur auf die Natur in ihren Teilen zutreffen, die aber nicht mehr sinnvoll auf die Natur als ganze (die doch nichts „anderes“ ist) angewandt werden können. Paradigmatisch hierfür ist der Satz Ip9, der ausschließlich auf die Substanz Anwendung finden kann. 29 Damit ist klar, dass man in Spinozas unendlicher Ausdehnung eine der Quellen für den Begriff des organlosen Körpers sehen muss, der im Werk von Deleuze und Guattari eine so große Rolle spielt. Wie die unendliche Ausdehnung schließt der organlose Körper nicht eine innere Differenzierung, eine Herstellung von Identitäten aus, er ist aber nicht in dem Sinn aus ihnen zusammengesetzt, dass sie, die Teile, sich zu feststehenden, abgegrenzten und vor allem durch ihre Funktion definierten Entitäten verhärteten. Der organlose Körper ist kein Organismus, und das heißt: Seine Wirklichkeit ist weder die einer wohlgeordneten Ganzheit noch die (korrelativ dazu) eines reibungslosen Ineinandergreifens von Teilstücken (Organen). Die Teile sind in ihm, von ihm und voneinander nicht streng abgegrenzt, sie greifen ineinander, behindern sich dadurch auch, und lassen kein glattes Gefüge von Funktionen entstehen, in denen die Einzeldinge aufgehen würden, denn wenn ihre Funktionalität das Entscheidende wäre, dann ließe sich ein jedes von ihnen verlustfrei ersetzen. Die Teile bleiben hingegen Singularitäten, wie Deleuze und Guattari sagen, Einzeldinge, „res singulares“, und als solche sind sie ontologisch unersetzlich. Auch dass diese Singularitäten (die im Anti-Ödipus Begehrensmaschinen heißen; die Übersetzung mit „Wunschmaschinen“ ist leider irreführend) ontologisch ungesättigt sind, ist bei Spinoza vorgebildet, denn kein Einzelding kann für sich eine eigenständige, selbstgenügsame Existenz beanspruchen, noch nicht einmal in der Theorie. Diese Auszeichnung kommt der Substanz alleine zu. Natürlich hat sich zwischen der 27
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Kurz darauf, am Ende des ersten Dialogs, wird eine weitere Radikalisierung angedeutet: Wenn Gott die immanente, nicht die übergehende Ursache der Dinge ist, dann bedeutet das, dass zwischen Gott und seiner Schöpfung eine Ununterscheidbarkeit besteht. Ursache: dieser Begriff bezeichnet nur dann eine Beziehung der Äußerlichkeit, wenn man eben eine übergehende Ursache zugrunde legt, so wie in den Beispielen der Billardkugeln, deren gegenseitige Einwirkungen für ganze Generationen von Forschern zum paradigmatischen Beispiel für physikalische Kausalität geworden sind. Es gibt aber auch eine andere Ursache, die dem, was sie verursacht, nicht äußerlich, sondern zutiefst immanent ist. Und in ihr gibt es nicht nur eine gewisse Ununterscheidbarkeit zwischen Ursache und Wirkung, sondern noch eine Konstitution der Ursache durch die Wirkung, insofern diese jene erst ganz real werden lässt. Der Verstand, lässt Spinoza dort die allegorisierte Vernunft sprechen, ist Ursache seiner Begriffe und er ist ein Ganzes, das aus seinen Begriffen „besteht“ („bestaat“ im Niederländischen). Und so ist auch Gott Ursache der Seienden und, im selben Sinn wie bei dem Verstand, das Ganze seiner Wirkungen, mit anderen Worten: Er besteht aus dem, was er verursacht hat!30 Das wird im folgenden Dialog sogar explizit gemacht, denn dort ist es die Konjunktion von immanenter Ursache und Wirkung, die erst als solche das Ganze bildet 31 – ein Ganzes, das ein Gedankending bleibt, offenbar auch, wenn die Rede von Gott ist! 32 einen und der anderen Ethik der gesamte denkerische Rahmen dahingehend verschoben, dass die konstitutive Rolle der Totalität, des Primats der Substanz gegenüber ihren Modi zweifelhaft geworden ist, so dass im Anti-Ödipus zumindest der organlose Körper in zweideutiger Rolle auftritt; er ist auch der Ort der Anti-Produktion, zudem schwingt er sich in einer ontologischen Finte zur Quasi-Ursache dessen auf, von dem er selbst seine Existenz hat. Aber auch diese Verschiebung fußt ja noch auf dem Flirren der Natur, das wir bei Spinoza finden (und das als „Doppeltheit“ oder „Ambivalenz“ nur unzureichend beschrieben ist: da ist nichts doppelt und auch nicht zweiwertig, weil das Flirren zwischen der Eins und der Zwei steht). 30 Kurze Abhandlung. Erster Dialog. 34. (TO. 214 f.) Es ist wahr, dass auch der niederländische Text bereits eine Übersetzung aus dem Lateinischen ist, die nicht von Spinozas Hand angefertigt wurde, vgl. dazu Bartuschats Einleitung zu seiner Ausgabe, XIII f. Allerdings ist der Text nun einmal der einzige, den wir von diesem Büchlein haben. Rein sprachlich lässt sich vermuten, dass im lateinischen Original das analoge „constare“ gestanden hat, wie es auch gelegentlich bei Spinoza verwendet wird, z.B. im Caput 2 des Anhangs von Teil 4, wo in einer ganz ähnlichen Ausdrucksweise der Geist als aus seinen Ideen bestehend beschrieben wird, oder auch in Idef6. Louis Althusser hat ganz nebenbei diese Neuordnung des Begriffs der Ursache bei Spinoza auf den Punkt gebracht: „on concevra par lui la présence actuelle de la cause dans son effet (cf. Spinoza)“. (Louis Althusser: Freud et Lacan. 36). 31 Kurze Abhandlung. Zweiter Dialog. 35. 32 Ebd. 36. Was dort über das Ganze als Gedankending gesagt wird, folgt jedenfalls direkt auf Ausführungen über Gott und wird von diesen nicht abgegrenzt. Das Ganze als Gedankending ist dabei (unterschieden vom Allgemeinen) dadurch ausgezeichnet, dass es vereinigte Individuen (d.h. solche, die konkret miteinander zu schaffen haben) und
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Das Flirren der Natur gibt also einer Intuition Ausdruck, in der die ontologische Rahmung durch ein Ganzes, eine Totalität, eine Unendlichkeit, deren Primat niemals in Frage steht, ihr Gegengewicht in der Verwirklichung dieser Unendlichkeit in jedem einzelnen Endlichen hat, aus dem das Unendliche besteht, ohne doch aus den Endlichen zusammengesetzt oder in sie teilbar zu sein. Damit spielt sich die gesamte metaphysische Verdichtung, das Flirren der Natur selbst, automatisch in jedem noch so belanglosen und unwichtigen Einzelnen ab. Eine Libelle, ein Stücklein Holz, ein dahingeworfenes Wort, eine stille Geste, das Umgießen der Milch, sie können unmittelbar zum Ort der Kommunikation von Unendlichem und Endlichen werden. Ja, sie sind es immer schon, und in letzter Konkretheit. Es hängt von mir ab, das mitzuvollziehen. (Dazu später mehr.) Es ist wahr, dass diese Verhältnisse die Sprache an ihre Grenze führen, und zwar aus dem ganz präzisen Grund, weil sie die gleichzeitige Identität und Differenz von Ganzem und Teilen beinhalten. Begriffe tendieren dazu, eine Abgrenzung der von ihnen bezeichneten Entitäten zu suggerieren. Und gäbe es gar keine Differenz, so bräuchte man ja auch nicht mehr als einen Begriff. Aber die Art, in der hier Differenz besteht, ist eben zu klären. Spinoza setzt verschiedene Begriffe ein, um die Verhältnisse zu bezeichnen, ohne sie zu kompromittieren. Besonders prominent ist der „Ausdruck“, der bekanntlich von Deleuze in den Mittelpunkt gerückt wurde, das „Auswickeln“ („explicare“), das Spinozas Metaphysik an die so nahen wie unvereinbaren mystisch gefärbten Theorien bindet, 33 und vor allen Dingen der „Modus“, der selbst als eine Abkürzung zu lesen ist, in dem der „Ausdruck“ immer mitspielt: „certo ac determinato modo“ drücken sich die Substanz, ihre Attribute, die Natur/Essenz/Potenz Gottes aus (Ip25c, Ip36dem, IIdef1, IIp1dem, II10cdem, IIIp6dem). Spinoza tastet sich mit diesen Begriffen an der Grenze des Sagbaren entlang, die von der
Individuen aus verschiedenen Gattungen miteinander verbindet. Im Übrigen wird auf derselben Seite der Umkehrung der Bedingung zwischen Ganzem und Teilen noch einmal neu Ausdruck gegeben, wenn Spinoza schreibt: „Und aus allen Ideen, die ein jeder hat, machen wir ein Ganzes oder (was dasselbe ist) ein Gedankending, das wir Verstand nennen.“ So ist der Verstand also die Folge oder das Produkt seiner Ideen und nicht etwa seine Bedingung, Substanz oder Grundlage. Erst das 20.Jh. wird mühsam versuchen, sich diesem revolutionären Gedanken wieder anzunähern. 33 Ich werde später auf den einen Punkt zurückkommen, in dem sich Spinoza, der große Philosoph der Immanenz, mit dem Denken der Mystik trifft, das seinerseits ganz abhängig von einer transzendenten Existenz Gottes ist. Für den Augenblick genügt es, die Gegensetzung zu konstatieren, eine Gegensetzung, die es eben nicht ausschließt, dass sich Spinoza desselben Begriffs bedient, der ja z.B. auch für Nikolaus von Kues so wichtig ist. Um nur ein Beispiel zu nennen: „Deus ergo est omnia complicans in hoc, quod omnia in eo. Est omnia explicans in hoc, quod ipse in omnibus.“ (De docta ignorantia. I. 24) Das Begriffsfeld des Faltens ist auch in Deleuzes Philosophie äußerst prominent: implizieren, explizieren, perplizieren, Implex, Perplex.
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Grenze/Nicht-Grenze zwischen der Natur als Ganzer und den sie bildenden Einzeldingen gezogen wird. Es ist das Flirren, in dem sich Natur erst verwirklicht, das von dem nachkommenden Denken eine Perspektivierung fordert, eine abwechselnde Betrachtungsweise, in der bald das eine, bald das andre in den Vordergrund gerückt wird. Dieses Vorgehen trifft man vor allem im Ersten Teil der Ethik immer wieder an und es steht in intimen Zusammenhang mit dem deduktiven Bruch, der sich zwischen der Unendlichkeit und der Endlichkeit auftut. Dieser Bruch, der zwischen den Lehrsätzen 23 und 24 stattfindet, drückt exakt die Dimension des Inkommensurablen aus, der echten Differenz, in die sich die Natur in ihrem Flirren auseinanderfaltet. Gleichzeitig muss das Flirren in jede einzelne „Entität“ hineingetragen werden, die die philosophische Analyse ausmachen kann. Die Attribute sind einerseits absolut, ewig, unendlich, unveränderlich (Ip19, Ip21). Insofern sie unendlich sind, kann aus ihnen nichts Endliches folgen (Ip21dem). Sie sind zugleich aber auch die ontologischen Rahmungen, innerhalb derer die endlichen Einzeldinge als ihre Modifikationen auftreten können (z.B. Ip25c). Es ist sichtbar, dass diese beiden Rollen, die die Attribute spielen, nicht zur Deckung gebracht werden können, wenn sie einander auch nicht formell ausschließen. Es findet immer eine Verschiebung, Verrückung statt, die dem Flirren selbst geschuldet ist. Gott schillert in der gleichen Weise, indem er einerseits in unmittelbarer Weise Ursache von Essenz, Existenz und Wirken („operari“) der Dinge ist, als Totalität, Substanz, die allem Einzelnen absolut vorhergeht (Ip24Ip27). Andererseits wird aber die konkrete Bestimmung der Dinge zur Existenz und zum Wirken immer von einem anderen Endlichen geleistet, das dem betreffenden Ding ebenfalls vorhergeht, aber in der nur scheinbar banalen Weise des Vorhergehens der Ursache vor der Wirkung (Ip28). In diesem letzteren Sinn ist Gott als die Kausalreihe gefasst, die, wie die Punkte nicht die Linie, auch nicht die Totalität zusammensetzen kann, die dennoch aus ihr besteht.34 Beides, Totalität und der Ausdruck in einer einzelnen Ursache, die sich mit allen anderen zur unendlichen Kausalreihe verbindet, kann nicht identisch werden; beides bleibt phasenverschoben zueinander; beides ist ohne das andre nichts: leer oder zusammenhangslos.35
„Für sein Folgen bleibt nur, dass es zum Existieren und Wirken von Gott hat bestimmt werden müssen oder vielmehr von irgendeinem seiner Attribute, insofern dieses von einer Modifikation modifiziert ist, die endlich ist und eine bestimmte Existenz hat.“ „Debuit ergo sequi vel ad existendum et operandum determinari a Deo vel aliquo ejus attributo, quatenus modificatum est modificatione, quae finita est et determinatam habet existentiam“ (Ip29dem). 35 Das ist der Grund, aus dem Spinoza im Scholium zu Lehrsatz 28 sich bemüßigt fühlt klarzustellen, dass man zwar sagen kann, dass Gott die nächste Ursache der unendlichen Dinge ist, dass man deshalb noch lange nicht sagen darf, dass er in Bezug auf die 34
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Dass hier eine gegenseitige Kommunikation der verschiedenen Instanzen des Flirrens stattfindet… nein: dass es ein und dasselbe Flirren der Natur ist, das man an verschiedenen Orten wiederfinden kann, unterstreicht auch diese lakonische Note, in der Spinoza wie nebenbei Unerhörtes von sich gibt: Gott ist im selben Sinn („eo senso“) Ursache seiner selbst und Ursache aller Dinge (Ip25s). Das unterstreicht zum einen die Unmittelbarkeit, in der jedes Einzelne eine Modifikation Gottes ist. Man muss die Blickrichtung aber auch umkehren und dann ist Gott eben erst dadurch Ursache seiner selbst (Totalität, die auf nichts anderem gründet), dass er Ursache aller Einzelnen in ihrer kausalen Verbundenheit und Durchdringung ist. Das Flirren der Einzeldinge schließlich ist nichts anderes als ihre Natur selbst, die Spinoza überall zu konturieren sucht: Sie sind Einzeldinge, echtes, einziges, unersetzliches Sein, das weder durch eine überindividuelle Essenz noch durch eine begriffliche Allgemeinheit abgekürzt werden kann. Sie sind exakt darin erst vollbestimmte, wirkliche Dinge, und der Wirklichkeit geht bei Spinoza bekanntlich nichts vorher. Sie sind aber zugleich der unmittelbare Ausdruck der göttlichen Potentia: „Besondere Dinge sind nichts als Affektionen der Attribute Gottes, anders formuliert Modi, von denen Gottes Attribute auf bestimmte und geregelte Weise ausgedrückt werden.“36 Sie sind schließlich, wie die Analyse der Ursache bereits angedeutet hat und wie die Diskussion der Affektionen und Affekte bekräftigen wird, nur in unablässiger gegenseitiger Durchdringung, so dass zwischen der Substanz und den Modi und zwischen den Modi untereinander keine Abgrenzung herrscht, die sich in ganzen Zahlen ausdrücken lässt – und die dennoch nicht aufhört, Differenz zu sein. 37 Der Schluss des Buches, dessen endlichen Dinge eine entfernte Ursache wäre: Das Flirren zeichnet sich eben dadurch aus, dass binäre Logik und einfache Oppositionen nicht gelten. 36 Ip25c: „Res particulares nihil sunt nisi Dei attributorum affectiones sive modi, quibus Dei attributa certo et determinato modo exprimuntur.“ 37 Es ist in dieser Hinsicht auch nicht verwunderlich, dass in Spinozas Philosophie das kleine Wörtchen „insofern als“ eine Rolle spielt, der in der Geschichte des westlichen Denkens wahrscheinlich nichts Vergleichbares an die Seite gestellt werden kann. Diese Qualifizierung ist gerade nicht einem subjektiven Perspektivismus geschuldet, sondern sie ist selbst der Ausdruck des Ringens um eine angemessene Weise, ein Flirren in Worte und ins Denken zu bringen, das sich allen scharfen und eindeutigen Abgrenzungen entzieht und diese allererst in seinem radikalen Überschuss möglich macht. Ich versuche also, dieses Flirren als eine vollkommen eigenständige, mit nichts vergleichbare Denkfigur herauszuarbeiten. Kürzlich hat Timon Georg Boehm eine Studie veröffentlicht, die eine gewisse Sensibilität für die Dimension des spinozistischen Denkens verrät, die sich gerade nicht ohne weiteres diskursiv auflösen lässt. Mir scheint aber, dass er sich eine angemessene Würdigung dadurch verstellt, dass er sie konsequent als Paradoxie beschreibt, also nach Maßgabe einer traditionellen philosophischen Begrifflichkeit. Zudem müssen oder sollten Paradoxien „aufgelöst“ werden, was für das Schillern der Natur bei Spinoza keinerlei Sinn ergibt. So kommen auch die Seiten, die der Binnenunterscheidung
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von Spinoza wie des vorliegenden, wird genau dieses Flirren im Einzelnen so auf die Spitze treiben, dass in einer Beschleunigung, die einem kaum noch geheuer ist, schließlich die Ruhe eintritt, die höchste Vollkommenheit, höchstes Glück und höchste Erkenntnis verspricht: Amor Dei.
des Naturbegriffs gewidmet sind (Paradox und Ausdruck. 114-117), kaum über eine Aufzählung der logischen Schwierigkeiten, die mit ihr einhergehen, hinaus.
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Ein merkwürdiger Monismus Attributive Aufsplitterung. Wenn eine Metaphysik es als eine ihrer vordringlichsten Beweisabsichten betrachtet, dass es nur eine einzige Substanz gibt, dass es keine zwei Substanzen geben kann, weder von derselben Natur noch von einer anderen – dann ist die Kategorie des Monismus sicher berechtigt. Nicht nur das: Spinozas Denken führt auf das Bild einer Wirklichkeit, die in einer Oberfläche liegt, wobei man die Betonung wahlweise auf das Adjektiv oder das Substantiv legen kann: Es ist eine Oberfläche, insofern es in Spinozas Sicht kein Höheres oder Niederes gibt, keine Hierarchie des Seins, deren Stufen voneinander getrennt wären, so dass ihre Distanz (die klassischerweise mit dem Begriff des „Eminenten“ gefasst wird) den Raum öffnete für die willkürliche Einführung von allerlei Entitäten, die man nicht verstehen kann und die folglich auch die Wirklichkeit mit ihrer Unverständlichkeit infizieren – nicht zuletzt für die willkürliche Einführung einer göttlichen Willkür. Es gibt keine Geheimnisse, wenn man darunter etwas radikal Inintelligibles versteht, es gibt kein esoterisches Wissen, auf dessen Grundlage man einen Herrschaftsanspruch erheben könnte (und dieser politische Aspekt spielt in den Anhang zum Ersten Teil der Ethik herein, so wie er auch die Grundlage des Tractatus theologico-politicus bildet),1 es gibt keine Löcher, Lücken, Brüche im Sein. Und es ist eine Oberfläche, insofern sich alles mit einem Namen als die eine Natur ansprechen lässt, die keine Ausnahmen kennt – weil es nichts außerhalb von ihr gibt. Die Formel, die Deleuze vorgeschlagen hat, um diese radikale Strategie der Immanenz zu bezeichnen, war die von der „Univozität des Seins“. Das Sein wird nicht auf vielfache Weise ausgesagt: Es gibt nicht vielerlei Arten von Wirklichkeiten, für die jeweils verschiedene Gesetze gelten, für die gar „Sein“ jeweils etwas anderes bedeuten würde. Überhaupt spielt das Sein bei Spinoza keine ausdrückliche Rolle, und auch das Existieren ist ganz konkret gedacht: als die Dauer einer Wirklichkeit, die bei den endlichen Dingen unbestimmt, aber nicht unendlich ist, bei Gott aber ewig ist, weil sie mit seiner Essenz zusammenfällt. Spekulationen über „das Sein“ „als solches“ oder auch nur darüber, was „das Sein“ wohl sein könne, wenn es in ganz verschiedenen Wirklichkeiten sich je und je verwirklichen könne, sind in dem Moment gegenstandslos. Spinoza ist hier Nominalist: „Das Sein“ ist ein Allgemeinbegriff, etwas, was aus zufälligen Erfahrungen zusammengeklaubt und aus ihnen irgendwie künstlich extrahiert und mit einem großen Namen belegt wird, dem aber nichts im Wirklichen entspricht. Die
Im Tractatus ist es vor allem die Vorrede, die die dabei wirksamen Mechanismen kraftvoll verwirft; der Komplex von Angst („metus“, „timor“), Aberglaube, Unfreiheit und Unvernunft begegnet dort aber auf Schritt und Tritt. 1
Transzendentalien („Sein“ [„Ens“], „Ding“, „Etwas“) sind, wie die Universalien („Mensch“, „Pferd“, „Tasse“), reine Gedankendinge: „entia rationis“.2 Das Problem des Monismus ist aber immer dieses: Wie komme ich, von der einen integren und integralen Substanz, zu den zahllosen Dingen, die ich sehen kann? Welchen „ontologischen Status“ haben diese Vielen, die doch offenbar die Welt, wie ich sie erfahre, dominieren? Sind sie vielleicht nur Täuschungen, Zerrbilder des Wahren und Einen? Die letzte Antwort freilich würde automatisch wieder in einen Diskurs des Esoterischen führen, denn es hieße, das Wissen vom Wirklichen, das wir haben, zu leugnen: etwas in ihm ist grundfalsch, es gibt ein wahreres Wissen, das vom Scheinwissen verdeckt ist. Spinoza kann diese Antwort nicht geben. In Wahrheit ist die Lösung viel einfacher, denn Spinoza hat dieses Problem nicht einmal. Spinozas Philosophie ist ein Monismus. Aber die Vielheit ist von Anfang an in die Textur des Einen der Natur eingeschrieben, und zwar eine Vielheit, die absolut und unabkürzbar wirklich und wirklichkeitserzeugend ist. Das ist deutlich, wenn man die Rolle betrachtet, die die endlichen Modi bei Spinoza spielen. Das ist deutlich, wenn man sieht, dass deren Wirklichkeitskraft sich schon vor ihrer eigentlichen Einführung spüren lässt, dass sie ausstrahlt, nach vorne, über den deduktiven Bruch hinweg, der sich zwischen den Lehrsätzen 23 und 24 des Ersten Teils auftut, von den endlichen Modi in die „unendlichen“. 3 Das ist deutlich schließlich, wenn man an das Flirren der Natur denkt, das nichts anderes ist – sobald man es in philosophischen Termini formulieren will, was aber immer nur eine nachkommende und nicht erschöpfende Weise des Umgangs damit ist – als die unablässige Umkehrung der Bedingungsverhältnisse zwischen dem vermeintlich Absoluten und den vermeintlich Abhängigen. Es wird aber auch deutlich, sobald man die Funktion näher betrachtet, die die Attribute in Spinozas Metaphysik spielen. Dieser Aspekt kommt in der Ethik nicht so deutlich zum Tragen: Die unüberbietbare Systematizität Die Genese der Transzendentalien und Universalien wird in IIp40s1 geleistet; der Begriff der „entia rationis“ fällt in IIp49s: „Daher ist hier besonders anzumerken, wie leicht wir uns täuschen, wenn wir Allgemeinbegriffe mit einzelnen Dingen und Seiendes der Vernunft, Abstraktionen also, mit wirklich Seiendem vermengen.“ „Quare hic apprime venit notandum, quam facile decipimus, quando universalia cum singularibus et entia rationis et abstracta cum realibus confundimus.“ Dagegen hält das Merkmal, an dem man die „notiones communes“ erkennen kann, die Berührung mit dem Wirklichen jederzeit aufrecht und verhindert wirksam, dass diese sich ins Allgemeine versteigen: Diese sollen nur ausdrücken, was allem in der Natur gemein ist und was nicht selbst noch einmal einer Äquivokation (in Bezug auf Ganzes und Teil) unterliegen kann (IIp38, IIp38c, IIp39). Man kann dieses allem Gemeinsame daher an jedem Einzelding vollständig und adäquat auffinden. 3 Vgl., Eine unendliche Textur‘. 2
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der Darstellung lässt an eine Abfolge von Schritten oder Stufen denken oder an eine Grundlegungsgeschichte, so dass am Anfang die Substanz in ihrer Unberührbarkeit, ihrer Ewigkeit und Unendlichkeit steht, der erst in einem zweiten Schritt noch die Attribute zugeschrieben werden, die zudem – ihre Definition sagt es schon (Idef4; im Gegensatz zu den Definitionen von Substanz und Modus; vgl. auch Ip4dem) – auf einen Intellekt angewiesen sind. Selbst wenn man das Missverständnis der „Subjektivität“ oder „Erkenntnisabhängigkeit“ der Attribute umgeht (sie sind es in Wahrheit, die die Strukturierung von Sein leisten, auf deren Grundlage Erkennen erst geschehen kann), bleibt noch die Gefahr, hier eine Nachträglichkeit oder Abhängigkeit zu denken; und das selbst dann, wenn man bereits im Grundsatz die flirrende Umkehrung der Verhältnisse zwischen Bedingendem und Bedingtem erfasst hat. Dieser besteht darin, „dass Gott weder vor seinen Beschlüssen gewesen ist noch ohne sie sein kann“.4 Dabei lässt sich dieses Flirren noch einmal präziser fassen. Es gewinnt bzgl. der Attribute eine ganz prägnante Gestalt, die sich aus den Ausführungen in der Kurzen Abhandlung ablesen lässt. Gott als „causa sui“, als Ursache aller Wirklichkeit, die in ihm ist, als höchstes Gut, als ewig und unveränderlich… diese Eigenschaften Gottes finden sich hier wie in der Ethik. Die Lesart, die den Monismus Spinozas betont, beruft sich ebenso selbstverständlich wie berechtigt auf diese Teile der Theorie. Die Kurze Abhandlung aber macht deutlich, dass diese Betrachtung der Substanz für sich ganz leer und abstrakt bleibt, ja: dass sie uns „nichts Substantielles“ über die Substanz verrät!5 Genau die Eigenschaften, auf die sich eine überkommene Metaphysik und Theologie stützen wollten, um ihre Kenntnisse über Gott zu entwickeln, sind solche, die dem Göttlichen an Gott, dem Substantiellen der Substanz ganz äußerlich bleiben, wie Adjektive, die zu ihrer Erläuterung eines Substantivs bedürfen. Ein Gott, der nur diese Eigenschaften besäße, wäre wohl nicht nur kein Gott, sondern er wäre nichts. „Gott ist gewiss ohne sie nicht Gott, aber er ist es nicht durch sie, weil sie nichts Substantielles erkennen lassen, sondern bloß wie Adjectiva sind, die Substantiva zu ihrer Erklärung brauchen.“6 Deshalb lehnt Spinoza den Namen „Attribute“ für diese Eigenschaften ab. Als Attribute soll nur solches gelten, was uns etwas über die göttliche Natur oder Essenz verrät: ein echter Ausdruck göttlicher Potenz. Wir suchen nach solchen Eigenschaften, die uns „erklären, was das Ding ist“ und „was seine Essenz ist“.7 Attribute, d.h. Eigenschaften, die erklären, was Gott oder die Substanz oder die Natur ist, sind aber nun einmal solche Eigenschaften, die voneinander in radikaler Disjunktion und, aufgrund der „[…] Deum ante sua decreta nec fuisse nec sine ipsis esse posse.“ (Ip33s2) KA. 20. 38. 6 Ebd. Die beiden Fußnoten auf den Seiten 20 und 38 sind nahezu wortgleich. 7 Ebd. 49. 4 5
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göttlichen Unendlichkeit, in unendlicher Pluralität existieren. Sobald ich über Gott etwas anderes als die Gemeinplätze leerer Phrasen hören will, ebenso: sobald ich die hergebrachten Formeln über ihn mit Leben, Inhalt, mit etwas Substantiellem füllen will, muss ich von den Eigenschaften absehen, die Gott als Gott zukommen und die ihn in seiner Absolutheit, seiner Einzigkeit und vor allem in seiner Einheit besprechen, und ich muss mich im Gegenteil der Diskussion jener Eigenschaften zuwenden, die ihn konstitutiv in Disjunktion und Pluralität ausdrücken – weil er sich darin ausdrückt. Radikale Disjunktion und unendliche Pluralität sind also von vornherein in die Textur Gottes/der Substanz/der Natur eingeschrieben, und zwar noch in die Einheit Gottes. Nicht nur kann ganz grundsätzlich Gott nicht ohne seine Dekrete gedacht werden, was eine Position definiert, in der Gott prinzipiell aktiv ist; so eine Aktivität muss der Einheit, Einsinnigkeit, Einnamigkeit Gottes nicht unbedingt Abbruch tun. Spinoza geht noch weiter: Gott kann auch nicht ohne seine Aufsplitterung gedacht werden. Er ist nur, indem er sich in eine unendliche Serie von Disjunktionen auffächert, die miteinander keine Berührung mehr haben. Freilich, sie haben insofern immerhin eine Beziehung zueinander, als sie alle Ausdruck ein und derselben göttlichen Potenz sind. Doch dieses „ein und derselbe“ der göttlichen Potenz kann eben wiederum nicht von seiner Aktualisierung in den verschiedenen Attributen getrennt werden. Es ist nicht so, dass man sich hier im Kreise drehen würde. Vielmehr schwankt man auf dem unsicheren Boden einer Natur, die zittert, einer Substanz, die flirrt, die immer zugleich eine Einheit und Totalität und deren Dementi und Aufsplitterung ins unendlich Vielzahlige ist. Man kann dort Fuß fassen; was man nicht kann, ist stehenbleiben, denn das tut die Natur ja auch nicht. Philosophie wird zu einem Tanz, und zwar mehr zu einer Tarantella als zu einem gesetzten Menuett: Man wird schon gewusst haben, warum man Spinoza verdammte. Unter diesem unsicheren Boden gibt es nicht noch einen anderen, kein Netz, das die Menschen oder wenigstens ihr Denken aufzufangen in der Lage wäre. Man begegnet also schon hier, in nächster Nähe zur Substanz, zu Gott, zur Natur als naturierender, dem Flirren, das die Natur als eine ganze kennzeichnet. In Wahrheit sind noch die klassischen Eigenschaften Gottes abhängig von der Disjunktion und Pluralität der Attribute. Diese sind die einzigen echten „Inhalte“. Alles, was man sonst noch über die Substanz sagen kann, ist wie ein Adjektiv ohne Substantiv, ist eine leere Allgemeinheit. Spinozas Monismus ist von einem metaphysischen Pluralismus nicht zu unterscheiden. „Die Natur“ lässt sich nun einmal nicht im Singular aussagen. Über „die Natur“ lässt sich nur in einem ausufernden Plural sprechen, deren einzelne Instanzen aber keinem Prinzip mehr unterstehen, die nicht ableitbar sind, sondern radikal faktisch bleiben, die nebeneinanderstehen, nicht übereinander, die kein System mehr bilden, die mit einem
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Wort eine absolute Vielheit bilden und entwerfen – so dass die Univozität mit der Plusquamplurivozität des Seins von Anfang an und notwendig eine Einheit bildet. In der Tat ein merkwürdiger Monismus.
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Eine unendliche Textur Schicksal eines Schemas. Die unendlichen Modi stellen die Leser*innen von Spinoza vor besondere Schwierigkeiten. Mit Gott, den Attributen und den endlichen Modi kommt man immer halbwegs zurande; die unendlichen Modi hingegen scheinen eine nicht alltägliche Bereitschaft zu spekulativem Denken zu erfordern. Es kommt hinzu (vielmehr ist das schon Teil des Problems), dass Spinozas eigene Stellungnahmen zu diesem Theoriestück spärlich sind und den Eindruck hinterlassen, dass einem manches vorenthalten wird, was für das Verständnis wichtig wäre. Im Wesentlichen beschäftigen sich nur die Sätze 21-23 des ersten Teils der Ethik und der Brief 64 an Schuller (von verstreuten Bemerkungen in der Kurzen Abhandlung abgesehen) mit den unendliche Modi. Was steht dort? In der Ethik bilden die wenigen Seiten zu den unendlichen Modi einen Abschluss, insofern sie den Teil beschließen, der sich mit Gott direkt beschäftigt; mit dem Lehrsatz 24 setzt Spinoza noch einmal neu ein, indem die von Gott hervorgebrachten Dinge („res productae“) in den Vordergrund rücken, und das sind hier in erster Linie die endlichen Dinge. Hätte man nur diese Seiten, würde man wahrlich nicht weit kommen im Verständnis der unendlichen Modi. Lehrsatz 21 erklärt, dass alles, was aus der absoluten Natur irgendeines der Attribute Gottes folgt, immer und als Unendliches existieren muss; mit anderen Worten: Es muss vermöge des Attributs selbst ewig und unendlich sein. (Im Beweis ist dann die Rede von dem, was notwendigerweise aus der absoluten Natur irgendeines der Attribute Gottes folgt.) Es gibt also gewissermaßen „im“ Attribut noch eine weitere Dimension von Ewigkeit und Unendlichkeit. In Wahrheit ist es ja erst diese, die dem Attribut sein Gepräge gibt, seine Realität, das, was sich substanziell von ihm aussagen lässt. Lehrsatz 22 fügt hinzu, dass es in einem Attribut Gottes eine selbst notwendige und unendliche Modifikation geben kann. Das, was aus dieser notwendigen und unendlichen Modifikation folgt, muss selbst wieder notwendigerweise und unendlich sein. Der Lehrsatz 23 schließlich gibt dieser rätselhaften Konstruktion den Namen: „Jeder Modus, der notwendigerweise existiert und unendlich ist, hat notwendigerweise folgen müssen entweder aus der unbedingten Natur irgendeines Attributes Gottes oder aus irgendeinem Attribut, das von einer Modifikation modifiziert wird, die notwendigerweise existiert und unendlich ist.“1 Die absolute Natur des Attributs, das Attribut, absolut betrachtet,
„Omnis modus, qui et necessario et infinitus existit, necessario sequi debet vel ex absoluta natura alicujus attributi Dei, vel ex aliquo attributo modificato modificatione, quae et necessario et infinita existit.“ (Ip23) 1
bedeutet, wie der Beweis darlegt: Unendlichkeit und Notwendigkeit ausdrücken, d.h. Ewigkeit ausdrücken. Es ist diese Trias (Unendlichkeit, Notwendigkeit, Ewigkeit), die die gesamte Entwicklung der unendlichen Modi bestimmt, ja: die den gesamten Entwurf der Ethik bis zu diesem Punkt leitet. Wir stehen hier diesseits der Zeit und der Dauer, diesseits der Einzeldinge, diesseits des Endlichen. Gott als Substanz, die Attribute und die unendlichen Modi sind die Markierungen, denen Spinoza begegnet, als er sich anschickt, den unendlichen Kreis auszumessen, der sich jenseits des Endlichen erstreckt. Wenn mit dem 24. Lehrsatz von Dingen die Rede ist, deren Essenz nicht sogleich auch ihre Existenz einschließt, dann beginnt dort sichtlich etwas Neues, etwas, das nicht mehr in Kontinuität zum Unendlichen steht. Aber wissen wir deshalb schon, was es mit den unendlichen Modi auf sich hat? Der Brief 64 an Schuller gibt ein wenig Aufschluss, indem dort erklärt wird, was die unendlichen Modi für die jeweiligen Attribute sind. Schuller hatte im vorigen Brief nach „Beispielen“ („exempla“) für das gefragt, was in Gott unmittelbar hervorgebracht wird. 2 Spinoza gibt sie ihm in lakonischer Weise, die fast mehr Fragen offenlässt, als sie beantwortet: Die Beispiele schließlich, nach denen Sie fragen, sind von der ersten Art [unmittelbar hervorgebrachte]: im Attribut Denken unbedingt unendlicher Verstand, im Attribut Ausdehnung Bewegung und Ruhe; von der zweiten Art [durch eine unendliche Modifikation hervorgebracht]: das Angesicht des ganzen Universums, das, obwohl es in unendlichen vielen Weisen variiert, immer dasselbe bleibt […]. 3
Eine Frage stellt sich sofort: Wo ist denn der mittelbare unendliche Modus für das Attribut Denken? Bartuschat gibt gegenüber der gängigen Auslegung einer anderen, sehr viel überraschenderen den Vorzug: Er votiert dafür, dass das „Angesicht des ganzen Universums“ („facies totius Universi“) auf beide Attribute zu beziehen sei. Freilich, der Verweis im Brief auf das Scholium, das die „Physik“ des Zweiten Teils der Ethik beschließt, legt die Deutung nahe, dass es bei diesem „Angesicht“ um die Gesamtheit der physischen Welt geht. Wie lässt sich das auf das Attribut Denken übertragen? Bartuschat ist hier gezwungen, eine Umdeutung des Begriffs „facies“ vorzunehmen, die einige Gewaltsamkeit erfordert. Er übersetzt ihn dann mit der „gleichbleibenden Regel oder Gesetzlichkeit dieser Veränderungen“, denen die vielen Einzeldinge und dann eben auch die vielen Ideen in ihren Ep63. 230. TO 2126. Ep64. 232. TO 2130: „Denique exempla, quae petis, primi generis sunt in Cogitatione, intellectus absolute infinitus; in Extensione autem motus et quies; secundi autem, facies totius Universi, quae quamvis infinitis modis variet, manet tamen semper eadem […].“ Und der Satz endet in einem Verweis auf das Scholium nach dem 7. Lemma im Zweiten Teil, also mit einer Gleichsetzung der „facies totius Universi“ und der ganzen Natur als Individuum betrachtet. 2 3
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jeweiligen Attributen unterliegen, sowie als „unbestimmte bloße Struktur“.4 Aber nicht nur ist eine „facies“ schon rein sprachlich keine Struktur und keine Gesetzlichkeit, sondern eben eine sichtbare Beschaffenheit; sondern Bartuschat handelt sich damit auch das Problem ein, dass er gleich zwei Begriffen ein Heimatrecht in der spinozistischen Metaphysik gewähren muss, die für Spinoza reine entia rationis sind: Regeln bzw. Gesetzmäßigkeiten und Strukturen gibt es schlichtweg nicht bei Spinoza. Wenn er etwa das Individuum durch ein geregeltes Verhältnis der Bewegungen der Teile zueinander bestimmt, dann bestimmt er damit eben keine Struktur, sondern ein Individuum: ein konkretes, existierendes, vorweisbares Einzelding. Und das geregelte Verhältnis der Bewegungen ist auch nicht eine Struktur, sondern wieder genau das, was man sehen und beobachten kann: die Teile und ihre Bewegungen in ihrem Wechselspiel. Es scheint mir deshalb nicht überzeugend, die „facies totius Universi“ auch auf das Attribut Denken auszudehnen. Die traditionelle Lesart kann sich auf einen textuellen Beleg in der Ethik stützen. In der kurzen Darstellung der unendlichen Modi wird dort im Beweis zu Lehrsatz 21 die Idee Gottes als Beispiel für eine Sache vorgebracht, die aus der absoluten Natur eines Attributs Gottes folgt. Es gibt nun drei Möglichkeiten, mit diesem Beispiel umzugehen: Entweder man setzt es an die freie Stelle und erklärt, die Idee Gottes sei nun einmal der mittelbare unendliche Modus im Attribut Denken; oder man erklärt den unendlichen Verstand und die Idee Gottes für dasselbe; dann hätte man beiden Texten (der Ethik und dem Brief) Rechnung getragen, aber um den Preis, nun die Identität von unendlichem Verstand und unendlicher Idee erklären zu müssen – und der Platz des mittelbaren unendlichen Modus im Attribut Denken bliebe weiterhin unbesetzt. Oder schließlich man lässt eine Vielzahl solcher miteinander verschränkter unendlicher Modi zu. Bedenkt man, dass Spinoza das Denken einer Idee nicht vom Denken, sondern von der Idee her bestimmt, dass er also den Verstand als die Affirmation der Idee fasst, ja sogar erklärt, dass der Verstand aus seinen Ideen besteht,5 dann könnte man so weit gehen zu argumentieren, dass Idee Gottes und unendlicher Verstand in der Tat dasselbe sind. Zugleich spricht offenbar gegen die Idee Gottes als mittelbarer unendlicher Modus der Umstand, dass es eben die Ideen sind, die den Verstand machen und nicht umgekehrt, so dass man also eher damit hätte rechnen müssen, die Idee Gottes als unmittelbaren unendlichen Modus, den unendlichen Verstand als mittelbaren zu finden. Briefwechsel. 323. In einem anderen Text scheint Bartuschat auch zwischen dem unendlichen Intellekt und der Idee Gottes keinen echten Unterschied zu machen, was auf mich ebenfalls wie eine zu freie Auslegung wirkt (vgl. The Infinite Intellect and Human Knowledge. 191 f.). 5 Kurze Abhandlung. Erster Dialog. 34. (TO. 214 f.) Und ganz ähnlich IVapp2. 4
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Ausdehnung. Das Einfachste wird sein, mit der Diskussion der „unendlichen Modi“ im Attribut Ausdehnung zu starten. Sie wird Licht werfen auch auf die Verhältnisse, die im Attribut Denken herrschen. Bei der Ausdehnung ist der Brief an Schuller eindeutig: Es gibt zwei solcher Sachen, die notwendigerweise und als unendliche aus der absoluten Natur des Attributs folgen: zuerst Bewegung und Ruhe; dann die Gestalt des ganzen Universums. So geradeaus das formuliert ist, so birgt auch diese Erklärung einige Rätsel. Wie können Bewegung und Ruhe, die doch die Zeit brauchen, um nur gedacht zu werden, als Erscheinungsweisen des Ewigen fungieren? Oder sind das hier nur die abstrakten Kategorien einer Physik, die sich der Zeit längst enthoben hat, und einer Metaphysik, die nur das Allgemeine denkt? In der Tat sind ja Bewegung und Ruhe keine der von Spinoza inkriminierten Allgemeinbegriffe („Universalia“), sondern bilden zweifelsohne Gemeinbegriffe („notiones communes“), auf die sich Spinoza zu stützen vorgibt: Begriffe, die solches zum Ausdruck bringen, was überall und im Teil wie im Ganzen gleich ist (IIp38). Und wenn das Wort „facies“ auf eine „sichtbare Beschaffenheit“ verweist, was ich gegen Bartuschat festhalten würde, dann müsste sich doch als Folgeproblem die Frage stellen, für wen das sichtbar wäre, wenn Gott nicht als Subjekt oder Person, also nicht als ein Sehender und Erkennender gedacht ist. Es ist bestimmt so, dass Bewegung und Ruhe Gemeinbegriffe sind. Daher kann sich die Metaphysik wie die Physik auf sie berufen. Sie sind aber genau deshalb auch schlichte, grundlegende Realitäten, d.h. das, was in aller physischen Wirklichkeit immer wirkt, ja: wodurch allein physische Wirklichkeit ist und wirkt (und das ist ja dasselbe: Ip36 setzt Existenz mit Wirken im Grundsatz gleich). Bewegung und Ruhe ist das, was die innere Textur der Ausdehnung ausmacht. Ohne sie, oder auch nur: unabhängig von ihnen betrachtet ist die Ausdehnung nichts als nur ein leeres Wort, so leer wie der Gedanke, den es bezeichnet. Bewegung und Ruhe bilden aber eben auch nicht das innere Gesetz oder die Struktur der Ausdehnung. Es geht immer nur um die Realität des Seins, und die Realität ausgedehnten Seins sind die Verhältnisse von Bewegung und Ruhe, die darin die Individuen in immer vorläufige und unscharfe Kreise einbinden und die Intraaktion wie die Interaktion der Individuen konkret ausmachen. Das ist das Ewige der Ausdehnung, sobald sie als konkrete Realität genommen wird: Bewegung und Ruhe bezeichnen die Grenze, auf der das Einzelne und Endliche sich als allen Gemeinsames, Ewiges, Notwendiges, Unendliches erweist. Bewegung und Ruhe sind in eins und untrennbar das Zeitliche der Einzeldinge und das Ewige der Ausdehnung.6 Diese Ontologie wahrt demnach das Individuum, ohne es zu verabsolutieren. Es gibt Individuen, sie setzen sich aber immer aus einem unendlich komplexen Widerspiel von anderen Individuen zusammen, ohne dass eines davon sich ontologische Dominanz anmaßen dürfte. Mit anderen Worten sind alle Individuen zwar real, aber auch bedingt und 6
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Die „facies totius Universi“ nun ist die Resultante dieses Ewigen, das zugleich ein Zeitliches ist. Das Angesicht des gesamten Universums, seine sichtbare Beschaffenheit ergibt sich konkret aus dem Widerspiel von Bewegung und Ruhe der unendlich vielen Endlichen. Es gibt sie (die Beschaffenheit des Ganzen), insofern sie das Ganze selbst ist, die Ausdehnung, nun aber betrachtet von den Einzeldingen, die sie ausmachen. Sie ist deren Produkt, genauso wie diese nur in der und durch die Ausdehnung haben produziert werden können. Auch hier flirrt die Natur. Deshalb ist es ganz richtig: Es gibt niemanden, der diesen Anblick sähe. Die Gestalt ist ein Schauspiel ohne Zuschauer. Wieder ist das aus einem doppelten Grund der Fall: Erstens ist Gott eben keiner, der sich etwas anschaut: Er ist kein Subjekt, keine Person. Zweitens müsste dafür, dass sich einer das Universum so ansähe, dass er dessen Eigenschaften konstatieren könnte, gefordert sein, dass dieser Jemand außerhalb desselben zum Stehen käme. Es gibt aber kein Außerhalb. Warum aber kann Spinoza dann so selbstverständlich erklären, dass sich die „facies“ des Universums nicht verändert, obgleich all seine Teile in unablässiger Änderung begriffen sind? Ganz einfach deshalb, weil sie eben nichts anderes ist als die Ausdehnung, betrachtet als Totalität der Einzeldinge in ihrer Bewegung und Ruhe. Es müsste sich denn das Attribut verändern können, was formell ausgeschlossen ist. Spinozas Behauptung bezieht sich also nicht auf eine chimärische Erkenntnis des Universums als eines Ganzen, sondern auf dem Begriff des Universums, der unmittelbar abhängig ist von dem der Ausdehnung. Sie ist gegründet nicht außerhalb von Welt und Denken der Welt, an jenem archimedischen Punkt, von dem Descartes träumte, sondern in dieser Welt, deren physikalische Wahrheit (Ausdehnung, Bewegung, Ruhe) uns im Prinzip von jedem noch so unscheinbaren und unwichtigen ausgedehnten Einzelding aus dargeboten wird. Wenn das stimmt, dann ist es natürlich klar, dass es nicht mehr als zwei solcher Schritte geben kann: Die erste notwendige und ewige „(Real-)Folge“ („sequi“) aus dem Attribut ist seine Textur, also das, woraus sie besteht, ohne sich daraus zusammenzusetzen. Sie ist die ewige und notwendige Modifikation, von der Lehrsatz 23 spricht und aus der, als weitere „Realfolge“, als Resultante, das konkrete reale Universum der Körper als eingelassen in ein Feld, das aus ebensolchen „teilweisen“, d.h. ungesättigten Individuen besteht. Man kann hier eine entschiedene Eingliederung des Individuums in ein Feld des Prä-Individuellen feststellen: Was ein Individuum ist, erweist sich immer je und je aus der Bewegung der Materie. Ein starker, metaphysisch beladener Begriff des Individuums (das klassischerweise als Substanz gedacht ist) wird konsequent infrage gestellt. Simondon und Deleuze werden hieran anknüpfen, wenn sie in den 60er Jahren des 20. Jhs. das Sein als Genese des Individuums aus dem permanent weiterwirkenden Prä-Individuellen auffassen.
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ganzes entsteht. Dieses ist wieder die Ausdehnung, das Attribut, aber als nicht-leeres. Mehr als zwei Aspekte dieser Textur sind weder nötig noch möglich. Es ist somit die dritte Möglichkeit ausgeschlossen, die oben in Bezug auf die Füllung des Schemas der „unendlichen Modi“ genannt wurde. Wie steht es jetzt aber mit diesem Schema: Was ist der mittelbare unendliche Modus im Attribut Denken? Man hat, wegen der Erwähnung der Idee Gottes im Beweis zu Lehrsatz 21 immer dazu geneigt, die Idee Gottes an diese Stelle des Schemas zu setzen. Ich hatte schon erwähnt, dass dagegen zu sprechen scheint, dass für Spinoza die Ideen dem Verstand vorhergehen, so dass dieses Schema: unendlicher Intellekt -> Idee Gottes die sonst bei ihm herrschenden Verhältnisse auf den Kopf zu stellen scheint. Denken. In Wahrheit gibt uns genau das den Schlüssel zum Verständnis. Gehen wir von dem unendlichen Verstand aus; erinnern wir uns daran, dass das ein Verstand ohne verstehendes Subjekt, ohne Seele oder Person ist, also gerade nicht die Extrapolation des menschlichen Verstandes auf einen göttlichen Verstand, mit dem Gott die Dinge erkennt, analog zum menschlichen Erkennen, wenn auch vollkommen; halten wir zudem fest, dass der Verstand im Wesentlichen das Haben von Ideen ist (IIp11c, IIp48s) 7 – dann wird deutlich, was unter dem unendlichen Verstand zu verstehen ist: Er ist in direkter Parallele zu Bewegung und Ruhe nämlich ebenfalls als eine dynamische Textur zu lesen, eine, in der sich Zeit und Ewigkeit, Endliches und Unendliches überschneiden. Der unendliche Verstand, das ist das ewige Verhältnis aller Ideen zueinander, in Attraktion und Repulsion, in Förderung und Unterdrückung. Er ist bei Spinoza nicht ein souveränes Subjekt, eine eigene, freie Instanz, in der die Entscheidungen getroffen werden, was geliebt, geglaubt, verfolgt wird, die das Urteil fällt über die Wahrheit und die Falschheit, das Gute und Schlechte. Es gibt kaum eine Philosophie, die dem Dezisionismus ebenso wie dem Willenspathos ferner
In der Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes liegt noch großer Nachdruck auf der „Bildung“ von Ideen durch den Verstand; vgl. ebd. 94 ff. Diese Terminologie („formare“) wird in der Ethik scharf ausdifferenziert: Sie findet sich vor allem mit Blick auf die imaginative Herstellung von Universalien und Transzendentalien (IIp40s1, IIp49s), also die erste Erkenntnisgattung. Auch die Verwendung des Begriffs in IVp64c und IVp68 bezieht sich auf die Herstellung von Begriffen, die in ontologischer Strenge keine Grundlage haben: das Gute und das Schlechte. Der aktive und offenkundig positiv konnotierte Gebrauch des Begriffs des Bildens kehrt allerdings im Fünften Teil massiv wieder, und zwar immer mit Bezug auf einen klaren und deutlichen Begriff („conceptus“). Exakt in diesem Sinn ist dieser Gebrauch schon in Idef3 vorgebildet. Spinoza differenziert also seinen Sprachgebrauch in der Ethik in eine zulässige und eine unzulässige Formung von Ideen, wobei die letztere nur die Bilder („imagines“) betrifft (die häufig terminologisch von den Ideen im strengen Sinn abgegrenzt werden, z.B. IIp48s)) und erstere dem klaren und deutlichen Begriff vorbehalten ist. Aber immer gilt, dass der Verstand von seinen Ideen her zu fassen ist (vgl. vor allem IIp49). 7
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wäre als die Spinozas. Eine Entscheidung, das ist die Verdrängung einer Idee durch eine andere. Dass ich meine Phantasien oder Erinnerungen nicht für die Realität halte, hat weder etwas mit den intrinsischen Eigenschaften dieser Ideen oder dieser Aktmodi zu tun, wie das etwa die Phänomenologie zu etablieren sucht, noch mit der Unterscheidung, die zwischen ihnen ein absolutes, transzendentales oder auch nur psychologisches Subjekt treffen würde. Dass ich meine Phantasie nicht für bare Münze nehme, liegt daran, dass zur gleichen Zeit, in der ich von Stränden in der Karibik träume, tausend andere Ideen mir versichern, dass ich unter kältren Himmeln lebe. Es sind die Ideen, die miteinander und gegeneinander das Denken und das „Subjekt“ desselben bilden, nicht andersherum (IIp17, IIp49s). Gewohnheiten und Assoziationen geben dabei den einzelnen Ideen mehr oder weniger Gewicht, affektive Aufladung tut ihr übriges, die ganz zufällige Erfahrung, die mein Leben ist, hatte für alles die Grundlage abgegeben: dass all mein Denken und meine Sprachverwendung von Umständen abhängt, die mit den Verhältnissen der Sache oft nicht viel zu tun haben. Die verstümmelten Ideen, das sind die Ideen, insofern sie aus ihren notwendigen Zusammenhängen herausgerissen und falsch wieder zusammengeordnet werden. Verstümmelt („mutilatae“) sind sie dabei deshalb, weil diese Verbindung zu den anderen Ideen niemals eine äußere Bestimmung ist, die zum genuin eigenen, inneren Gehalt einer Idee hinzukäme. Vielmehr gibt es auch für die Ideen keine scharfe Grenze zwischen innen und außen und ihr „Gehalt“ ist unmittelbar von diesen Verhältnissen abhängig. Es ist ganz wörtlich so, dass man ihnen etwas abschlägt, was für sie unerlässlich ist, wenn man sie aus diesen Zusammenhängen herauslöst: Man verstümmelt sie. Es ist unter Voraussetzung der alles bestimmenden Idee des Flirrens der Natur auch verständlich, weshalb Spinoza eine so drastische Ausdrucksweise wählt. Denn man muss eben sich klarmachen, dass die einzelnen Ideen auch und gerade in der Idee Gottes (aber auch schon „in sich“ betrachtet) nicht nebeneinander stehen, in reiner Äußerlichkeit. Sondern jede Idee – z.B. meine Idee, d.h. die Idee meines Körpers, insofern sie meine aktuelle Existenz, aber auch insofern sie die Essenz Gottes ausdrückt, d.h. auf beiden Seiten der flirrenden Grenzscheide des Endlichen und des Unendlichen – ist nur, insofern sie über sich hinaus ist, anderes einbezieht, von anderem abhängt, aber so, dass eine eindeutige Scheidung ins Eigene und Andre/Fremde gar nicht möglich ist. Daher muss die Vorstellung, man könne irgendeine Idee, z.B. eben meine Idee in irgendeiner Weise rein, für sich, ohne Beimischung von etwas anderem haben, unausweichlich gewaltsam werden. Sie muss, es geht nicht anders, tausenderlei Verknüpfungen oder zumindest Andockstellen, Affektionen eben (die die Natur beider beteiligten Körper beinhalten), abschneiden, amputieren, verstümmeln. Die
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Redeweise ist so präzise, wie sie nur sein kann, und das auf einem metaphysischen Niveau, bevor sie ethisch relevant wird. Der „unendliche Verstand“ ist also nur eine Kurzschrift für die verschiedenen Verhältnisse, die die unendlich vielen Ideen untereinander einnehmen können. Der unendliche Verstand schließt die endlichen Intellekte nicht (als ungenügend, verzerrend, nur partikular oder subjektiv) aus, sondern er fordert sie aktiv und schließt sich absolut ein – was noch bedeutsam werden wird. Dann aber ist klar, dass auch im Attribut Denken die Beziehungen herrschen, die wir eben im Attribut Ausdehnung konstatieren konnten: Während die erste Etappe die innere Textur des Attributs artikuliert, damit eine erste Modifikation des Attributs produzierend, ist die zweite Etappe die Resultante genau der Elemente dieses Gewebes in ihrer Dynamik, und sie führt wieder zurück zum Attribut selbst, diesmal aber seiner abstrakten Leere überhoben. Im unendlichen Intellekt finden alle Ideen Platz, und zwar ihren Platz. Die Idee der Flugbahnen der Vögel findet ihren Platz in dem Zusammenhang, der bestimmt, wie es zu genau diesen Flugbahnen kam, ebenso wie die Idee, die diese Flugbahnen zum Omen erklärt und sie deutet, ihren Platz in der Verknüpfung der Ideen erhält, so dass dieser Irrtum sich also genauso notwendig und mithin „rational“ erweist wie die wissenschaftliche Idee. Im Widerstreit der Ideen wird die falsche nicht vernichtet oder aufgelöst, sondern an ihren begrenzten Platz verwiesen; die richtige Idee ist die, die sich aus den anderen Ideen zwangsläufig ergibt. Deshalb ist ihre Richtigkeit, ihre Adäquation eine „innere“ Eigenschaft: Nur die wahre Idee ist die, die mit dem Gegenstand, von dem sie Idee ist, übereinstimmt (Iax6).8 Aber die adäquate Idee ist die, die in sich und ohne Beachtung dieser Beziehung zum Gegenstand alle Merkmale des Wahren trägt (IIdef4). Das kann aber keine Idee von sich alleine, da keine Idee, so wie auch kein Ding, unabhängig von anderen ist. Die adäquate Idee ist also die, in der sich die Verhältnisse der anderen Ideen zueinander unter voller Berücksichtigung aller relevanten anderen Ideen zwingend zum Ausdruck bringen. Adäquat ist eine Idee, insofern sie die Spitze aller (relevanten) anderen Ideen ist. Man sieht, dass hier der Unterschied zwischen wahr und falsch im Sinn der Übereinstimmung nicht das Erste ist, da es immer auf
In der Kurzen Abhandlung heißt es, die wahre Idee habe mehr Essenz als die falsche (85) – was ganz schlüssig ist, wenn man auch die Idee als Conatus auffasst, also als Drang zur Selbstbejahung, der sich dem Denkenden mitteilt. Vgl. auch 89: „[…] so dass wir es also niemals sind, die etwas von dem Ding bejahen oder verneinen, sondern das Ding selbst ist es, das etwas von sich aus in uns bejaht oder verneint.“ (Diese Formulierung kann man freilich noch, in Übereinstimmung mit dem ungeklärten Verhältnis von Körper und Geist in diesem frühen Text, als eine direkte Einwirkung von Dingen auf den Geist lesen, was sich später nicht mehr aufrechterhalten lässt; vgl. auch die Anmerkung 39 in TO. 360.) 8
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den Zusammenhang ankommt. Ich kann zahllose wahre Kenntnisse über Falsches haben, sogar unabhängig davon, ob ich um seine Falschheit weiß. Ich könnte z.B. im ungebrochenen Glauben an die Vogeldeutung deren Geschichte aufschreiben. Der unendliche Intellekt ist das Feld, in dem jeder Idee ihr Platz zugewiesen wird, noch besser: er ist ein Feld im physikalischen Sinn, wo die Ideen Vektoren sind, deren Spiel und Kräfteverhältnisse die Adäquation der Ideen und damit ihre Wahrheit bestimmen. (Denn es ist immer die adäquate Idee, von der die wahre ontologisch abhängig ist.) Diese Konzeption läuft offenbar von sich auf die Idee einer Idee aller Ideen hinaus. „Am Ende“ muss, so scheint es doch, das System allen Wissens stehen, die Totalität der Ideen und ihrer Verhältnisse zueinander, die, hätte man einmal Einsicht in sie gewonnen, uns zuverlässig über die Wahrheit jeder einzelnen Idee informieren könnte. Und genau so ist es ja auch. Hegel hat mit diesem Gedanken dann bitteren Ernst gemacht. Für Spinoza ist hingegen klar, dass das Widerspiel der Ideen als unendlichem Intellekt von sich aus auf diese Idee aller Ideen hinsteuert; ja, sie ergibt sich aus diesem Widerspiel, ist deren Resultante. (Man wird Spinoza also nicht eine quasi-kantianische Position zuschreiben können, so als wäre die Idee Gottes nur eine „regulative Idee“, irgendein Limes des Denkens, der zwar notwendig ist, dessen Wahrheit aber nur mehr problematisch bleiben kann. Es geht hier ja überhaupt nicht um Möglichkeitsbedingungen und auch nicht um die Bedingungen des Denkens, sondern um die realen Bedingungen und Effekte des Realen.) Die Totalität aller Ideen kann aber nicht gedacht werden, weil es dazu eines Wesens bedürfte, das sich außerhalb der Wirklichkeit und ihres Denkens selbst zu setzen hätte. So wie Gott kein Subjekt ist, so sind die Menschen und alle Erkennenden nichts außerhalb der Welt, so dass von beiden Seiten der konkrete und wirkliche Vollzug der Idee Gottes unmöglich ist. Anders ausgedrückt: Konkreter, wirklicher Vollzug dieser Idee ist nicht ein der Welt überhobenes Denken, sondern der Prozess der Welt selbst.9 Es ist also auch hier so, dass die Idee Gottes (wie die „facies totius Universi“) eine Resultante des konkreten Widerspiels der Elemente ist, die allein die reale Fülle der Attribute ausmachen; und so wie niemand den
Man könnte es schematisch so formulieren: Die unendlichen Attribute erhalten in den unmittelbaren unendlichen Modi die Parameter, die ihre innere Differenzierung (kurz gesagt: in die differenten endlichen Modi) erwirken. Die unmittelbaren unendliche Modi blicken also im und vom Unendlichen und auf unendliche Weise auf das Endliche hin. In den mittelbaren unendlichen Modi dreht sich dieser Blick wieder um: Sie zeigen das Bild, das sich aus den in den unmittelbaren unendlichen Modi bloßgelegten Parametern für das Wirkliche der Attribute ergibt, insofern diese eine Totalität bilden. Es ist der paradoxe Blick, der sich im Unendlichen und auf unendliche Weise vom Endlichen zurück aufs Unendliche richtet. 9
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Anblick des ganzen Universums sehen kann, so kann auch niemand den Inhalt der Idee Gottes denken – und aus den gleichen, rein ontologischen Gründen. Und auch hier führt die Idee Gottes wieder auf die Ganzheit des Attributs Denken zurück, nachdem diesem die Fülle seiner wirklichen Artikulation und Textur zurückgegeben wurde. Der Parcours ist damit vollständig, auch wenn man ihn immer wieder durchlaufen kann und muss: Flirren der Natur auch hier.10 Ewigkeit und Unveränderlichkeit einerseits, Dynamik und Veränderung andererseits schließen sich in dieser Textur des Unendlichen nicht aus, sondern fordern einander.11 An diesem Punkt angekommen, kann man allerdings auf die Anregung von Bartuschat zurückkommen: Natürlich ist rein ontologisch betrachtet die „facies totius Universi“ dasselbe wie die Idee Gottes. Sie sind die „parallelen“ Resultanten der Bewegung, die durch Bewegung und Ruhe Ich hatte oben noch die exegetische Möglichkeit erwähnt, den unendlichen Verstand und die Idee Gottes zusammenfallen zu lassen. In einer gewissen Hinsicht ist das natürlich richtig. Aber deshalb fallen sie eben noch lange nicht zusammen! Die Logik von Spinozas Philosophie fordert es, gerade wegen des zugrundeliegenden „Monismus“, dass die Unterschiede in der einen Substanz und die Art der Unterschiede umso peinlicher beachtet werden. 11 In den Kapiteln I, 8 und I, 9 der Kurzen Abhandlung ist das sehr deutlich, denn dort wird ganz unerschüttert angesichts der Bewegung der Materie von Ewigkeit und Unveränderlichkeit gesprochen. Will man das ernstnehmen, dann kommt man nicht umhin, die „unendlichen Modi“ in der hier beschrieben Weise zu begreifen, und dann sind Bewegung und Unveränderlichkeit innerlichst miteinander verschränkt. Dass Spinoza das konkrete Bild eines sich verändernden physischen Universums vor Augen hat, bestätigt der Nachdruck, mit dem Spinoza in der Fußnote 7 (nach Bartuschats Zählung) in Kapitel I, 2 (zu § 19) daran erinnert, dass es in der Ausdehnung nicht einfach nur Bewegung gibt, sondern Bewegung und Ruhe (28. TO. 206 f.). Es ist merkwürdig, dass sowohl Bartuschat (131) als auch die Herausgeber der Tutte le opere (358) behaupten, dass die Anmerkung zu I,9 der Kurzen Abhandlung irgendeine systematische Bedeutsamkeit und eine Beziehung zum Brief 83 an Tschirnhaus habe. Diese Anmerkung, offenbar von anderer Hand als der Spinozas, relativiert die ohnehin ganz allgemeinen Aussagen zur Bewegung der Materie. Der Verfasser habe, heißt es dort, noch die Ursache (der Bewegung?) zu finden, die hier nur a posteriori gesetzt sei. Schon diese Anmerkung ist ganz unspinozistisch: Warum sollte man die Ursache der Bewegung (a priori) finden müssen? Wo Körper, da Bewegung, wo Conatus in der Ausdehnung, da Bewegung. Hier gibt es nichts zu finden oder zu suchen. Es ist wahr, dass Spinoza, wie er gegen Ende seines Lebens (15.7.1676) an Tschirnhaus schreibt, keine systematische Darstellung über die „Entstehung“ der Verschiedenheit aus der Ausdehnung verfasst hat. Er hat aber doch gezeigt, wo die ganze Fragestellung modifiziert werden muss, wenn man darüber sinnvoll sprechen möchte. Der Begriff der Ausdehnung ist formal, abstrakt, leer. Aus ihm kann nichts folgen, und in ihm ist nichts drin. Die Unterfütterung der Ausdehnung mit ihrer unverzichtbaren inneren Textur ist es eben, die von sich aus Existenz, Bewegung und Interaktion endlicher Dinge fordert. Daher ist es genau die hier geleistete Rekonstruktion der Verhältnisse der „unendlichen Modi“, die Spinoza, wie er selbst zugibt, nicht ausdrücklich durchgeführt hat und die exakt die Antwort auf die Frage von Tschirnhaus gibt. 10
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einerseits, dem Spiel der Ideen im unendlichen Verstand andererseits entstehen. Und weder die eine noch die andre sind in einem engen Sinn sichtbar oder denkbar, es sei denn das Wirkliche selbst vollziehe konkret diese Sichtbarkeit und Denkbarkeit. Damit ist nichts anderes gemeint, als dass es keine globale, panorama-artige Sichtbarkeit des ganzen Seins gibt, und zwar weil es erstens keinen Gott als erkennendes oder sehendes Subjekt gibt und weil zweitens diese Totalität zwar primär ist, sie in ihrer Wirklichkeit, d.h. auch in ihrem wirklichen Vollzug aber an den Vollzug jeder einzelnen Wirklichkeit, jedes einzelnen Dings gebunden bleibt. Man kann dasselbe auch so ausdrücken: Dächte selbst jemand einst (per impossibile) in adäquater Weise das Ganze des Seins, so gelangte das Sein hierdurch gerade nicht zu seiner letzten Vollkommenheit und gewissermaßen zu seinem Abschluss. Im Gegenteil, es wäre noch dieses absolute Denken des Absoluten nur eine Idee neben allen anderen, eine weitere Idee, so dass die Verhältnisse jener Idee zu allen anderen wiederum geklärt werden müssten. Das totale Denken ist genau dadurch, dass es Denken ist, nicht total (wohlgemerkt, aus ontologischen, nicht etwa psychologischen Gründen); der vollständige Gedanke produziert seine eigene Ergänzungsbedürftigkeit. Gestalt des Universums und Idee Gottes sind nicht regulative Ideen, die das Denken an ein Außen verweisen, von dem sie nur noch Mutmaßungen anstellen können, sondern sie bilden die innere Grenze des Denkens selbst: eine Grenze, die jedes Mal aufs Neue seine Überschreitung in wieder wirkliches Denken vom Wirklichen fordert. (Denn von dem Wirklichen ist das Denken, anders als bei Kant, eben nie getrennt gewesen.) Die Idee Gottes ist dann die „facies totius Universi“, nur vom Attribut des Denkens her betrachtet.12 Warum tritt im Beweis zu Ip21 von den vier „unendlichen Modi“ ausgerechnet die Idee Gottes als ein Beispiel auf? Die beiden „unendlichen Modi“ der Ausdehnung scheiden aus: Da die Ausdehnung erst im Zweiten Teil ausdrücklicher Gegenstand der Untersuchung werden wird, wäre es in der Tat didaktisch unsinnig, ihre Beispiele hier heranzuziehen. Man hätte aber wohl den unendlichen Intellekt an der Stelle der Idee Gottes als ein Beispiel bringen können. Warum hat sich Spinoza dagegen entschieden und stattdessen den „Modus“ gewählt, der selbst noch das Produkt einer ersten Modifizierung ist? Man kann natürlich nur mutmaßen. Immerhin gibt der Lehrsatz 16 mit seinem Beweis Indizien: Dort wird der Begriff des unendlichen Intellekts zum ersten Mal eingeführt, und zwar, wie man zugeben muss, ohne dass er näher erläutert würde. Der Lehrsatz 16 ist dabei im Grunde eine Art Vorspiel zur Theorie der „unendlichen Modi“, insofern er erklärt, dass aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur Unendliches auf unendliche Weise folgen muss. Das sind die Attribute und ihre unendliche Textur (was hier aber nicht erwähnt wird, Lehrsatz und Beweis bleiben ganz formal). Nun wird sowohl im Lehrsatz wie im Beweis das Unendliche, das auf unendliche Weise folgt, weiter durch diese Formel charakterisiert: „d.h. alles, was unter den unendlichen Intellekt fallen kann“. Hätte Spinoza daher im Beweis zu Lehrsatz 21 den unendlichen Intellekt als ein Beispiel angeführt, so wäre die fruchtlose Frage entstanden, ob der unendliche Intellekt unter 12
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Es ist spätestens jetzt auch klar, wie irreführend es war, für das, was Spinoza in diesen Sätzen und im Brief an Schuller verhandelt, den Namen der unendlichen Modi zu verwenden. Es ist wahr, diese Benennung kann sich auf Spinozas eigene Wortwahl stützen. Zugleich ist sie alles andere als hilfreich, suggeriert sie doch eine Kontinuität zu den endlichen Modi, die so nicht besteht. Was man die unendlichen Modi genannt hat, ist nichts anderes als die innere Explikation und Artikulation der Attribute, steht also – soweit solche Sätze bei Spinoza erlaubt sind – eindeutig auf deren Seite und hat mit den endlichen Modi kaum etwas gemein – wieder: soweit man im Kontext von Spinozas Metaphysik so sprechen kann. D.h. diese sind abhängig von und Aspekte der Attribute, nicht stehen sie mit den Modi in echter Beziehung. Auch ist es schon falsch, sie als Modi anzusprechen, wenn man, wie billig, unter „Modi“ Wesen von einer relativen Selbständigkeit versteht. Die unendlichen Modi sind aber gar keine Modi in diesem Sinn. Sie sind die Artikulationen der Attribute, deren innere Textur, insofern diese als absolut betrachtet wird. Sie sind Instanziierungen des Flirrens mit Blickrichtung von der Totalität aus. Zugleich wird nun offensichtlich, wie der ontologische Bruch zwischen den Lehrsätzen 23 und 24 zwar unbezweifelbar ist, wie er aber in Wahrheit schon in die Ausführungen, die ihm vorhergehen, eingeschrieben ist, gemäß der Doppelbewegung, die bei Spinoza alles ins Flirren bringt und wo jedes Bedingte seinerseits die Bedingung bedingt. Denn die innere Artikulation der Ausdehnung in Bewegung und Ruhe, die die Ausdehnung erst von einer abstrakten Denksache zu einem Wort für etwas Wirkliches macht, braucht, wenn sie selbst mehr sein will als Denksache oder Wortklauberei, die endlichen Modi: die einzelnen Körper, die sich bewegen und ruhen. Genau so braucht der unendliche Verstand, der gerade nicht das absolute Denken ist, sondern die Kurzschrift für das unendliche Spiel von Attraktion und Repulsion, von Position und Negation, die Existenz und das heißt: den konkreten, realen Vollzug der einzelnen Ideen, die auf ihrer grundlegendsten Stufe immer Idee von etwas sind – und zwar zuerst und sich selbst fällt. Eine solche Frage hätte schlicht und ergreifend auf den Holzweg geführt, selbst wenn man in der Selbsterfassung des unendlichen Intellekts gar kein Problem sehen möchte. Viel natürlicher ist es zu sagen (und zwar fast unabhängig von den metaphysischen Voraussetzungen), dass die Idee Gottes unter den unendlichen Intellekt fällt. Dass der unendliche Intellekt dabei eben nicht als Verstand einer göttlichen Person missverstanden werden darf, hatte das Scholium zu Lehrsatz 17 schon in brutaler Klarheit zum Ausdruck gebracht. Genau diese Disjunktion und Umdeutung hätte das Problem der Selbsterfassung des unendlichen Intellekts aber nur verschärft. Indem Spinoza die Idee Gottes als Beispiel wählt, hat er einfach das Beispiel gewählt, das einerseits didaktisch sinnvoll eingesetzt werden kann und das andererseits nicht von der Sache ablenkt, indem es ziellose spekulative Diskussionen auslöst. Es ist ja auch bezeichnend, dass Spinoza den unendlichen Intellekt an keiner anderen Stelle der Ethik ausdrücklich in der systematischen Position lokalisiert, die die Lehrsätze 21 bis 23 umgrenzen.
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unverzichtbar von einem Körper: Die Idee, die meinen Geist ausmacht, ist die Idee meines Körpers (IIp13). 13 Es scheint mir deshalb sinnvoll, den etablierten Ausdruck zu vermeiden. Stattdessen sollte man lieber von den zwei Schichten in der Textur der Attribute sprechen oder vom Gewebe des Unendlichen. Freilich, gegen einen etablierten Sprachgebrauch kommt man nur schwer an.14
Dass die Ideen immer Ideen von etwas sind, lässt sich deshalb nicht in die Phänomenologie eingemeinden. Aus Spinozas Warte bliebe der phänomenologische Intentionalitätsbegriff eigenartig abstrakt, und das trotz all der enormen Arbeit, die in seine Ausbuchstabierung in den verschiedensten Hinsichten geflossen ist. Er ist eben nicht körperlich geerdet. Selbst in den ausgesprochen leibphänomenologischen Analysen (etwa bei Merleau-Ponty) wird man den Eindruck kaum los, dass der Leib immer zu spät in die philosophische Theorie eintritt, nachdem sich das Bewusstsein schon breitgemacht hat. Es ist demnach der spezifisch phänomenologische Idealismus (der in ihr Projekt zumindest tendenziell eingeschrieben zu sein scheint), dem Spinoza mit einem Schlag den Boden entzieht, wenn er ungerührt erklärt, dass mein Geist die Idee meines Körpers ist. 14 In der Meditation 10 von L’être et l’événement zeichnet Badiou die metaphysische Unternehmung Spinozas nach: Diese Metaphysik sei die konsequente Anstrengung, die Leere aus dem Sein endgültig auszuschließen. Dazu lasse Spinoza die beiden Ebenen zusammenfallen, deren strukturelle und nicht aufzuhebende Disjunktion für Badiou eben das Sein als solches ausmacht: Situation und „Verfassung“ („état“), Präsentation und Repräsentation, Struktur und Metastruktur. Zwar hat die Ontologie (also die Lehre vom Sein) keine Metastruktur mehr und sie ist auch keine; nach Badiou ist die Mengenlehre schlicht und ergreifend diese Ontologie, die die Philosophie lange vergeblich gesucht hat. Doch alles Sein ist in sich doppelt geordnet, ja: erst die „Verfassung“ ordnet ein Sein, das für sich als reine Mannigfaltigkeit erscheint oder besser: gerade nicht erscheint. Da zwischen Situation und Verfassung immer ein Bruch besteht (diese lässt sich nicht aus jener ableiten), ist die Leere nicht aus dem Sein zu tilgen. Badiou versucht zu zeigen, dass sich bei Spinoza die Leere, die dieser dem Sein austreiben wollte, durch die unendlichen Modi wieder einschleicht. Diese seien letztlich eben leer, „le nom technique de l’abîme“ (137), die Kondensation des einen Problems, dessen sich Spinozas Ontologie nicht bemächtigen könne, weil es eben das (leere) Zentrum jeder Ontologie sei. Ich hoffe, dass meine Deutung klar macht, dass diese Kritik nicht zutreffend ist. Spinozas unendliche Modi sind keineswegs die rätselhaften und letztlich leeren Begriffe, zu denen Badiou sie machen will. Vor allem aber lässt sich in Abgrenzung zu Badiou noch einmal Denkweise Spinozas konturieren: Er lässt in der Tat Situation und Verfassung zusammenfallen (wenn man bei Badious Begriffen bleiben will), insofern es nur eine Ebene des Seins gibt. Doch diese Ebene ist nicht flach, sie ist selbst ausgedehnt und in Bewegung, sie schillert. Sie integriert also exakt das, was Badiou in einer so eindrucksvollen wie spekulativen Volte als zwei inkommensurable Größen auseinanderreißt. Das lässt sich auch daran ablesen, dass Badiou das als-Eins-Zählen als die wesentliche Operation ausweist, in der eine Mannigfaltigkeit Konsistenz erhält und zur Situation im engen Sinn wird. Mit diesem kategorialen Werkzeug kommt man aber nicht einmal in die Nähe von Spinozas großer Intuition, wonach das Sein sich im Ganzen und in allen seinen „Teilen“ gerade nicht in ganzen Zahlen aussagen lässt. 13
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Geisterkunde
Genese des Geistes. Berühmterweise stößt Descartes in der Zweiten Meditation auf die Gewissheit des Ego Cogito. Der Zweifelsgang erfüllt die Aufgabe, die ihm gestellt war: eine unerschütterliche Grundlage des Wissens aufzufinden, aber eben so, dass der Gang der Meditation etwas findet, was vorher schon längst da war. Andernfalls wäre die gesamte Unternehmung gescheitert: Man hätte sich selbst die Antwort auf die Frage einfach erfunden. Descartes teilt dem so gefundenen Bewusstsein den Status eines denkenden Dings und einer Substanz zu, d.h. einer Sache, die (von Gott abgesehen) keines anderen Dinges bedarf, um zu existieren. Woher so ein Bewusstsein kommt, wie es mit dem Körper in Zusammenhang steht, ob es vergehen kann – das bleibt bekanntlich alles im Vagen, obgleich Descartes sich immerhin zugutehalten kann, bewiesen zu haben, dass dieses Bewusstsein nicht mit dem Körper untergehen muss. (Die erste Auflage der Meditationen von 1641 verspricht im Untertitel noch den Beweis für die Unsterblichkeit der Seele; in der zweiten, ein Jahr später, ist das korrigiert: Nun wird nur noch davon gesprochen, dass das Buch die Unterschiedenheit – „distinctio“ – von Körper und Geist beweist.) Auf dieser Grundlage entwickelt sich die charakteristische cartesische Konzeption von Philosophie, die einerseits einem Idealismus eines autonomen Geistes den Weg eröffnet (ein Weg, für den Descartes selbst offenkundig nur begrenztes Interesse hatte), die andererseits eine von allem Geistigen gereinigte und damit neuer Klarheit und Deutlichkeit zugeführte Physik ermöglicht. Bei alledem hält Descartes an der kategorialen Verschiedenheit von Körper und Geist fest: Sie haben keinerlei gemeinsame Eigenschaften (von solchen formalen Zuschreibungen wie „Substanz“, „Seiendes“ oder „Eines“ abgesehen). Zwischen ihnen gibt es für Descartes zwar Wechselwirkungen, diese können aber nicht mehr näher erklärt werden; man bemerkt sogar, dass sich Descartes nicht einmal für dieses Problem besonders interessiert: Betrachtet er das Vermittlungsproblem von der Seite des Körpers aus, identifiziert er die berüchtigte Zirbeldrüse als zentrales Übersetzungsorgan; nimmt er dasselbe Problem von der Seite des Geistes her in den Blick (wie in der Sechsten Meditation) spricht er nur mehr von der „Natur“, die es so eingerichtet hat. Beides sind keine hilfreichen Antworten, beides scheint Descartes für seine Zwecke aber durchaus zu genügen. Ich führe diese Rekapitulation nur an, um die Position Spinozas schärfer abheben zu können. Denn für Spinoza ist 1) der Geist immer schon mit dem Körper verbunden: Mein Geist ist die Idee meines Körpers (IIp13). Descartes muss reichlich spät noch erklären, dass natürlich mein Bewusstsein auch in besonderer Weise mit einem Körper verbunden ist, intim
verbunden sogar; so sehr, dass sie „irgendwie eines“ bilden („unum quid“). 1 Aber erstens wirkt das merkwürdig wie ein Nachklapp, mit dem die Beziehung zwischen Körper und Geist, die ja in der Tat für uns das Erste ist, noch ins Konzept hineingepresst wird; und zweitens findet exakt hierdurch eine Modifikation des Status des Bewusstseins statt: Es ist nun nicht mehr das Bewusstsein der ersten Fünf Meditationen, das dort mit „cogitatio“, „res cogitans“ angesprochen wird; vielmehr verwendet Descartes in der Sechsten Meditation, wenn das Bewusstsein als (um diesen anachronistischen Terminus der späteren Transzendentalphilosophen zu gebrauchen) empirisches auftritt, immer den Begriff des Geistes („mens“). Für Spinoza hingegen mögen Ausdehnung und Denken zwei inkommensurable Attribute Gottes ausmachen, sie sind dennoch substanziell dasselbe, was sich konkret in der Erfahrung niederschlägt, dass mein Denken und meine Bewusstseinsakte nicht oft oder meistens oder auch nur faktisch immer mit meinem Körper befasst sind oder von ihm ausgehen, sondern konstitutiv an ihn verwiesen sind.2 Der Geist ist bei Spinozas 2) nicht selbst Substanz. Es ist nicht so, dass mein Geist höchstens noch von Gott abhängt, sonst aber ontologisch autonom ist. Die gesamte Argumentation der Meditationen, die ja bis kurz vor Schluss hypothetisch ein freischwebendes Bewusstsein inszenieren, ist für Spinoza widersinnig. Spinozas Begriff des Dings (Modus), des Individuums ist einer, der grundsätzlich von der Ungesättigtheit jedes Einzeldinges ausgeht. Nichts, und auch mein Geist nicht, ist irgendwie abgeschlossen und selbstgenügsam, so als müsste es erst im Nachhinein und mühsam, unter Bedauern, noch mit den anderen Dingen in Beziehung treten. Meine Existenz ist von Anfang an und immerzu in Austausch mit allem, was mich umgibt. Dafür stehen die Konzepte der Affektionen bzw. der Affekte. Vor allem aber wird 3) bei Spinoza etwas denkbar, was für Descartes und die gesamte idealistisch geprägte Tradition, die sich an ihn anschließt, nicht einmal ins Auge gefasst werden kann: eine Genese des Geistes. Es ist ein ganz guter Test für die Tragfähigkeit einer Philosophie, wenn man an sie eine einfache Frage stellt: Verfügt sie über einen Begriff des Subjekts, AT VII. 81. Dass andererseits der strikte Parallelismus von Körper und Geist – also die These, wonach jedem (kurz gesagt) neuronalen Zustand ein geistiger entspricht und umgekehrt – permanent in Sackgassen führt, zumindest dann, wenn er zur Grundlage der Erklärung von Erfahrungstatsachen gemacht wird, hat Bergson mehrfach eindrucksvoll aufgezeigt, vgl. z.B.: Le cerveau et la pensée. Nebenbei sei bemerkt, dass der Begriff des Parallelismus, der sich für Spinozas Fassung des Verhältnisses von Geist und Körper eingebürgert hat, vollkommen unpassend ist. Damit Geist und Körper zueinander „parallel“ sein können, ist gefordert, dass sie voneinander unterschieden sind, in realer Distanz zueinander – und genau das ist ja bei Spinoza nicht der Fall. Sucht man nach einem Beispiel für einen Parallelismus, der dem Namen gerecht wird, wird man ihn gerade nicht bei Spinoza, sondern bei Leibniz finden. 1 2
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der es erlaubt, die Geburt und Entwicklung desselben zu denken, oder nicht? Es ist erstaunlich, wie viele zurecht wirkungsvolle Philosophien an dieser scheinbar harmlosen Frage scheitern. Spinoza immerhin muss hier nicht Schiffbruch erleiden. Es gibt schon ein äußerliches Anzeichen dafür, dass er für die Entzweiungen des Subjekts keinen Platz hat, die einer Genese und realen Entstehung desselben entgegenstehen: Denn er reißt dieses „Subjekt“ nicht in verschiedene Begriffe oder Hinsichten auseinander, er verdoppelt es nicht, mit der Absicht, in einem von beiden das wahre, das reine, das transzendentale Subjekt zu finden. Es bleibt immer bei dem Menschen, der sich freilich der Scheidung der Attribute gemäß als Geist und als Körper darstellt, ohne dass sich beide Seiten gegeneinander ausspielen ließen. Man muss sofort klarstellen, dass mit dieser Genese des Geistes nicht die Entstehung des Denkens, betrachtet als Attribut, zu verwechseln ist. Das Attribut Denken entsteht nicht und vergeht nicht; es ist ewig und unendlich wie Gott selbst. Es ist deshalb wahr, dass Spinozas geschmeidigeres Verständnis des Geistes noch einmal in einem festen spekulativen Rahmen aufgehoben ist. Das ändert aber nichts daran, dass innerhalb dieses Rahmens erstaunliche Gewinne gegenüber den alten wie neuen Idealismen erbracht werden. Denn nicht nur wird grundsätzlich die Genese des Geistes denkbar. Es ist vor allem ihre charakteristische Gestalt, die es erlaubt, das Subjekt aus der Position der monolithischen Abgeschlossenheit zu befreien, die zwar seine ontologische Auszeichnung begründen mag, dies aber nur um den Preis seiner Isolation vom Rest des Seins. Die Genese des Geistes vollzieht sich bei Spinoza nämlich von außen nach innen. Damit ist der Geist von Anfang an, und zwar von seinem Anfang an, mit dem übrigen Sein in Verbindung; er kann nur von diesem her verstanden werden, weil er daher seinen Ursprung hat. Spinoza genügen fünf Lehrsätze, um diese Bewegung der Genese des Geistes aus einer reinen Interaktion darzustellen – eine reine Interaktion, die ein Feld noch ohne Geist oder Subjekt oder Zentrum bildet: IIp19IIp23. Ausgangspunkt ist freilich der Satz, der die Unterbrechung des Beweisganges des Zweitens Teils provoziert, weil er einen Exkurs über die allgemeinsten Grundlagen der Physik erzwingt: „Das Objekt der Idee, die den menschlichen Geist ausmacht, ist der Körper, d.h. ein bestimmter wirklich existierender Modus von Ausdehnung und nichts anderes.“ 3 Mein Denken ist damit grundlegend an meinen Körper verwiesen. Wie wird mir nun mein Körper bewusst? Nur und ausschließlich, indem er von anderen Körpern affiziert wird: „Der menschliche Geist erkennt den menschlichen
„Objectum ideae humanam mentem constituentis est corpus sive Extensionis modus actu existens et nihil aliud.“ (IIp13) 3
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Körper selbst und weiß um dessen Existenz lediglich durch Ideen der Affektionen, mit denen der Körper affiziert wird.“4 Spinoza bewegt sich also in dem Augenblick, in dem es um die Erfahrungsweise des eigenen Körpers geht, von genau der Annahme fort, die eine Erfassung der hier wirkenden Verhältnisse unmöglich macht: dass nämlich das leibliche Innesein als solches oder auch (anders formuliert) die Zentralität des Subjekts, seine Selbstidentität der Ausgangspunkt der Erfassung ist. Die Selbstdurchsichtigkeit des Subjekts bei Descartes verdankt sich nicht nur der transzendentalphilosophischen Reinigung des Bewusstseins von allem, was nicht Bewusstsein ist; sondern auch der Grundüberzeugung, dass das Subjekt sich genau deshalb und insofern selbst erfassen könne, als es sein eigener Mittelpunkt ist. Diese Zentriertheit um sich selbst aber schließt das Subjekt im gleichen Zug ab von anderem. Spinoza dagegen lässt schon die Erfassung meines Körpers nicht in mir, in meinem Körper oder in meinem Geist (verstanden als eine ontologisch autarke Seinsregion) beginnen, sondern an den Rändern des Körpers – dort, wo mein Körper und der andere eine Zone der Ununterscheidbarkeit bilden. (Dazu gleich noch mehr.) Ich wüsste nicht einmal, dass ich einen Körper habe (und das heißt: ich wüsste auch nichts von mir), wenn er nicht von anderen Körpern affiziert würde. Die Suche nach irgendwelchen vorempirischen Entitäten, die als Grundlage aller Erfahrungen, Erleidungen und Akten fungieren würden und die klassischerweise Substanz heißen, bringt nur leere Fiktionen hervor. Genau deshalb muss die „Substanz“, die in Wahrheit nur ein Modus ist, von ihrer realen Genese her gedacht werden – und es ist diese Genese, die offensichtlich werden lässt, dass ein Einzelding eben keine Substanz ist. Die beiden Sätze IIp20 und IIp21 scheinen nun einen Perspektivwechsel einzuführen: Hier rückt die Idee meines Geistes, insofern er aus der Idee Gottes folgt, ins Licht. Allerdings ist diese Evokation des Geistes als der Idee der Idee an dieser Stelle nicht so sehr Vorspiel für die Befreiung des Erkennens durch Reflexivität und Formalisierung; das kommt später. Hier wird diese Erinnerung (denn das Scholium zu IIp21 bemerkt, dass dasselbe auch aus IIp7s beschlossen werden kann) dazu eingesetzt, den Übergang von der Erkenntnis des Körpers durch den Geist zur Selbsterkenntnis dieses Geistes zu vollziehen. In Wahrheit freilich ist das kein Übergang, sondern es ist ein und dieselbe Erkenntnis, die sich nur bald auf dieser, bald auf jener Ebene verwirklicht. Wohlgemerkt, die Idee des Körpers (= der Geist) und der Körper können mir ebenso wie mein Geist und die Idee meines Geistes als getrennt gegeben sein, wenn ich mich nicht auf die Höhe der metaphysischen Spekulation begeben habe. Zu erfassen, dass sie ein und dasselbe sind, setzt eben jenen Blickwechsel voraus, der vom Absoluten her
„Mens humana ipsum humanum corpus non cognoscit nec ipsum existere scit nisi per ideas affectionum, quibus corpus afficitur.“ (IIp19) 4
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ins Endliche schaut. Spinoza erinnert hier an diese Verhältnisse, um den beiden Sätzen alles nötige Gewicht und zwingende Kraft zu geben, die folgen und die nichts anderes machen, als (befähigt durch IIp20 und IIp21) den Satz IIp19 um eine Stelle auf der ontologischen Serie zu verschieben. IIp22 spricht diese Verschiebung als solche aus, gewissermaßen pragmatisch: „Der menschliche Geist nimmt nicht nur die Affektionen des Körpers wahr, sondern auch die Ideen dieser Affektionen.“ 5 D.h. dass die Wahrnehmung („percipere“) des Körpers immer auch eine Selbstwahrnehmung des Geistes ist. Die Argumentation gipfelt in IIp23, in dem der Schluss für die Natur des Geistes gezogen wird: Nicht nur ist der Geist immer auch Selbstwahrnehmung im Spiegel der Wahrnehmung des Körpers; vielmehr entpuppt sich der Geist als etwas, das 1) in seiner Selbsterfassung recht eigentlich erst real wird, d.h. sich verwirklicht: Diese ist also weder eine transzendentale Bedingung noch eine grundlegende Form noch eine nur in Ausnahmefällen erreichbare Selbstdurchsichtigkeit (wir sind uns nie selbst durchsichtig). Vielmehr entstehen wir als genau dieser Geister, die wir je sind, in der Geschichte solcher Selbsterfassung. Damit ist 2) ausgesprochen, dass hiermit die Genese des Geistes als einer konkreten, „empirischen“ Realität begründet ist, eine Genese, die 3) wie die des Körpers auch von der Peripherie nach innen hin geht und die vor allem als Konstitution oder Genese vom Körper her gedacht werden muss. Dieser gesamte Komplex (der die traditionelle Metaphysik individueller Substanzen ebenso auf die Füße stellt wie das cartesische Cogito) ist nun, nach den vorangegangenen Sätzen, in einem Lehrsatz zusammengedrängt: „Der Geist erkennt sich selbst lediglich insofern, als er die Ideen der Affektionen des Körpers wahrnimmt.“ 6 Damit ist eine Skizze der Genese des Geistes als einer realen Wirklichkeit geliefert. So eine Genese ist stets gebunden an den Körper: Erst von dem doppelten Außen der anderen Körper, die auf meinen einwirken, und meines eigenen Körpers, der mir durch diese Einwirkung erst wirklich wird, kommt der Geist zu sich und wird recht eigentlich Geist. Zwar ist die strikte Scheidung der Attribute gewahrt, so dass die Selbsterfassung Werk des Geistes bleibt; doch ist es eine Selbsterfassung, die auf die Wahrnehmung der Affektionen des Körpers angewiesen ist. Wieder drehen sich die Bedingungsverhältnisse auf schwindelerregende Weise ineinander.
„Mens humana non tantum corporis affectiones, sed etiam harum affectionum ideas percipit.“ (IIp22) 6 „Mens se ipsam non cognoscit, nisi quatenus corporis affectionum ideas percipit.“ (IIp23) 5
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Niemandsland. Es hat sich in den letzten Ausführungen schon angedeutet, welche überragende Funktion die Affektionen des Körpers einnehmen. In ihnen, d.h. dort, wo ein Körper mit einem anderen interagiert, realisiert sich ein Körper eigentlich erst. Noch einmal: Die falsche metaphysische Idee, ein individueller Körper sei eine Substanz, führt dazu, die Körper (und in weiterer Folge auch die Geister) als erst einmal abgetrennt zu denken; dann kommen ihnen die Geschehnisse, Erfahrungen und Wechselfälle nur noch zufällig und äußerlich zu. Eine solche Trennung in eine metaphysische Form und ihren empirischen Inhalt lässt Spinoza aber nicht zu. Es gibt keine Existenz oder Realität von Dingen, die „unabhängig von“ oder „vor“ ihrem Wirken und ihren Interaktionen gedacht werden könnten. Solche Denkweisen generieren regelmäßig Chimären, die gespenstisch über den wirklichen Ereignissen der Welt zu schweben vorgeben und am Ende nicht einmal viel erklären. Die Realität der Körper vollzieht und „verwirklich“ sich also in einem ganz strengen Sinn erst in den Affektionen. Erinnert man sich daran, dass die Affekte die Ideen dieser Affektionen sind, d.h. die Affektionen, insofern sie in meinem Geist sind, dann wird klar, dass auch der Geist dort am meisten Realität vorweisen kann, wo er im Vollzug ist und wo er gerade nicht bei sich ist oder für sich, sondern im Austausch mit anderem. Eine kurze Bemerkung zur Terminologie: Spinoza unterscheidet nicht immer streng zwischen „affectio“ und „affectus“. Dabei ist der erste Begriff der, der laxer gebraucht wird. Zwar tritt im Allgemeinen „affectio“ vornehmlich für die Interaktionen des Körpers auf; gelegentlich aber ist auch mal von einer „affectio“ in Bezug auf den Geist die Rede (z.B. IIIp52s), und zudem wird im Ersten Teil durchgehend der Modus (der unendliche wie der endliche) als Affektion der Substanz oder eines Attributs beschrieben. Aufs Ganze gesehen ist der Begriff der Affektion aber mit dem Körper verbunden; der des Affekts taucht, soweit ich sehen kann, überhaupt nur mit Blick auf den Geist auf. Die Definition 3 des Dritten Teils scheint beide Richtungen, die geistige und die körperliche, zusammenzufassen, und sie führt vor allem den dynamischen Aspekt des Affekts ein. Es heißt dort: „Unter Affekt verstehe ich Affektionen des Körpers, [durch die] die Wirkungsmacht des Körpers vermehrt oder vermindert, gefördert oder gehemmt wird, und zugleich die Ideen dieser Affektionen.“7 Um genau zu sein, ist der Affekt hier nicht nur dynamisch, sondern er weist eine gewisse Selbstreflexivität auf: Affekt ist die Affektion des Körpers, insofern durch sie die Wirkmacht desselben Körpers in ihrem Grad verändert wird. Das wird später bedeutsam sein; es ist aber auffällig, dass die allgemeine Definition der Affekte, mit der der
„Per affectum intelligo corporis affectiones, quibus ipsius corporis agendi potentia augetur vel minuitur, juvatur vel coercetur, et simul harum affectionum ideas.“ (IIIdef3) 7
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Dritte Teil schließt, den Affekt nur noch als „confusa idea“ des Körpers oder seiner Teile anspricht – ganz in Übereinstimmung mit der Verwendungsweise des Begriffs im vorangegangenen Teil.8 Ich entscheide mich pragmatisch dafür, von der Affektion bzw. den Affektionen ausschließlich mit Blick auf körperliche Geschehnisse zu sprechen und den Begriff des Affekts für die Sphäre des Denkens zu reservieren. Die Aspekte der Dynamik und Selbstreflexivität werden im Abschnitt über den Dritten Teil näher beleuchtet. Hier geht es zuerst um die allgemeinste Charakterisierung der Affektion als solcher. Ich hatte eben nachgezeichnet, wie Körper und Geist bei Spinoza Produkt einer eigentümlichen Genese sind, die grundlegend von außen nach innen fortschreitet. Es ist also nicht so, dass irgendein identisch gedachter Körper schon vorliegt, dem dann noch diese oder jene Erfahrungen oder Geschehnisse zugeschrieben werden; es ist nicht so, dass ein als überzeitliche Struktur gedachtes Ich seinen Wahrnehmungen und Gedanken vorherginge: Weder in Bezug auf den Körper noch auf den Geist kann sich ein metaphysischer Substanzbegriff behaupten. Körper und Geist werden konkret und ohne Netz und doppelten Boden durch die Interaktionen hergestellt, die hier oder dort statthaben. Der Begriff der Affektion aber vertieft die Radikalität dieser These noch. Denn das, woraus Körper und Geist dergestalt entstehen, das Milieu ihrer Produktion – eine Produktion, die nie abgeschlossen ist, sondern sich immer neu vollzieht – ist nicht einfach nur das Feld, in dem sich andere Wesen (d.h. Modi) tummeln. Meine Individuierung vollzieht sich nicht als Ergebnis des Aufeinandertreffens zweier oder mehrerer anderer Wesen (z.B. meiner Eltern). Oder genauer: Sie vollzieht sich zwar so, doch dieses Aufeinandertreffen hat nicht die Gestalt einer halbwegs säuberlichen Zuweisung von Rollen; die Protagonisten dieses Aufeinandertreffens bleiben nicht voneinander getrennt, die Akteure der Interaktion sind gerade als solche Akteure nicht sie selbst, nicht rein identisch, nicht abgetrennt. Eine Handlung – so muss man mit Spinoza sagen – zeichnet sich dadurch aus, dass die Handelnden gerade nicht ihre Autonomie und Äußerlichkeit zueinander wahren. Eine Handlung: das ist die Herstellung eines Feldes, das ohne die Handelnden nicht existieren würde, das aber keinem von ihnen gehört. Es, d.h. die Affektion, bildet eine Realität, die sich aus der gegenseitigen Durchdringung der Akteure bildet, so aber, dass das, was da geschieht, von keiner Wissenschaft vorhergesagt werden könnte, weil es zu den „Ausgangsmaterialien“, nämlich den getrennt vorgestellten Einzelwesen, inkommensurabel ist. 9 Der Vollständigkeit halber man muss noch bemerken, dass zwar das Substantiv „affectus“ wohl nur in IIIdef3 für den Körper verwendet wird, dass hingegen das Partizip Perfekt „affectus“ vielfach Anwendung auch auf den Körper findet. 9 Wenn die Wissenschaften gleichwohl sehr vieles vorhersagen und verlässlich erklären können, dann insofern als sie die interagierenden Entitäten als getrennt voneinander 8
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Die Grundlage für diesen radikalen Gedanken wird in einem scheinbar harmlosen Satz gelegt, nämlich im Axiom I nach Lemma 3 des Zweiten Teils. Dieses Axiom formuliert den Gedanken mit Blick auf die Körper: „Alle Weisen, in denen ein Körper von einem anderen affiziert wird, ergeben sich aus dem Zusammen der Natur des affizierten Körpers und der Natur des affizierenden Körpers […].“10 Das klingt ganz unscheinbar, doch es heißt nichts anderes als dies: Wenn zwei Körper aufeinandertreffen, ist das, was geschieht (selbst, wenn es primär eine Wirkung „in“ einem der beiden Körper sein sollte), etwas, was keinem der beiden aufeinander wirkenden Körper als solchen zugehört. Eine fundamentale Entfremdung stellt sich ein, doch eine, die nicht die Perversion unserer Tätigkeiten ist, sondern deren Bedingung und Begleiterin. Ein Körper entsteht und interagiert vermittels ad hoc oder dauerhaft eingerichteten Bereichen, die weder ihm selbst noch den anderen interagierenden Körpern gehören – ja, die mit ihnen, den identifizierbaren Dingen (Modi), ontologisch inkommensurabel sind, weil in ihnen die Identifizierungen ineinanderlaufen wie im Aquarell. Ein „terrain vague“, ein „common land“, das sich überall einstellt, wo Körper einander begegnen. Das Ganze führt aber noch weiter. Nicht nur habe ich körperliche Außengrenzen, an denen jedes Mal, wenn ich mit anderen Körpern interagiere, eine solche Allmende entsteht; da mein eigener Körper ja seinerseits als eine permanente Interaktion von Individuen aufzufassen ist, wird diese Fremdheit in meinen Körper selbst hineingetragen. Dieser ist, ohne dass sich der Widerspruch auflösen ließe, Allmende und Privateigentum; er wird Privateigentum durch die individuierenden Prozesse, in denen er sich als „compositum“ bewährt. Die Prekarität dieser Aneignung besteht aber weiter fort. „Der menschliche Körper ist aus sehr vielen Individuen (verschiedener Natur) zusammengesetzt, von denen jedes seinerseits äußert komplex ist.“ 11 Dieses Milieu einer ontologischen Allmende ist somit zu beschreiben als das Vor-Individuelle, in das alle Individuationen eingetaucht bleiben. Und das noch bei meinem Geist: „Die Idee einer jeden Weise, in der der menschliche Körper von äußeren Körpern affiziert wird, muss die Natur des menschlichen Körpers und zugleich die des äußeren Körpers in sich schließen.“12
voraussetzen. Es könnte sein, dass in dieser Hinsicht (aber wohl nur in dieser) Auf- und Abprall der Billardkugeln dauerhaft paradigmatisch bleiben für die Ontologie, mit der die Wissenschaften in ihrem gesunden Pragmatismus operieren. 10 „Omnes modi, quibus corpus aliquod ab alio afficitur corpore, ex natura corporis affecti et simul ex natura corporis afficientis sequuntur […].“ (IIax1’’ [nach IIp13]) 11 „Corpus humanum componitur ex plurimus (diversae naturae) individuis, quorum unumquodque valde compositum est.“ (IIpost1) 12 „Idea cujuscunque modi, quo corpus humanum a corporibus externis afficitur, involvere debet naturam corporis humani et simul naturam corporis externi.“ (IIp16)
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Spinoza betont hier, dass der Geist die Natur der äußeren Körper gemeinsam mit der des eigenen wahrnimmt (IIp16c1) und vor allem dass dabei die Ideen der äußeren Körper „mehr“ („magis“) die Einrichtung unseres eigenen Körpers anzeigen als die der äußeren Körper (IIp16c2). Jedoch ändert das nichts daran, dass sich ein echtes Zwischenreich einstellt, eine gegenseitige Durchdringung der Körper und damit auch der Ideeninhalte, die sich nicht mehr formalisieren lässt. Man muss die beiden Blickpunkte der Genese des Körpers und des Geistes einerseits und die grundstürzende Neubestimmung des Begriffs der Affektion zusammenführen. Spätestens dann wird deutlich, dass die Genese des Körpers und des Geistes von außen nach innen nicht einmal den Ausgang von einem identifizierten Anderen nimmt, sondern ganz im Gegenteil immer von einem nicht identifizierbaren Milieu der Interaktion. Die „Subjekte“, „Akteure“, Dinge („res“) gehen ihren Affektionen gerade nicht vorher, sondern entstehen aus einem Feld der Affektionen, das sich unablässig umgestaltet.13 Nimmt man beides (Affektion und Genese) zusammen, so sieht man, dass der Geist nicht als eine Domäne reiner Innerlichkeit begriffen werden kann. Mag es auch „Innerlichkeit“ geben, 14 dann ist sie wesentlich, ja sogar ausschließlich entstanden an dem Grenzbereich zwischen Außen und Innen, den andren Körpern und meinem, der seinerseits durch den Grenzbegriff der Affektion zu fassen ist. Ein Grenzbegriff ist das insofern, als er das diskursive Denken, das auf Unterscheidungen und Identitäten nicht verzichten kann (und auch nicht soll), ins Schlingern bringt. Es ist dabei zu beachten, dass es für die ontologische Perspektive ganz unerheblich ist, was das für andere Körper sind, mit denen meiner solche Ununterscheidbarkeitszonen bildet: andere Menschen, Libellen, Regentropfen, Uranium… Die Ontologie wird zu einer Theorie, die ihre eigene Grenze nicht nur im Begriff der Affektion erfährt, sondern die letztlich ihre formale Beschränktheit in jeder konkreten Begegnung vor Augen geführt bekommt. Wenn in der Tat die Zahl möglicher Affekte so groß ist wie die der einander begegnenden Dinge selbst (IIIp56, IIIp57), dann fordert die Philosophie als Theorie geradezu ihre eigene Überwindung hin auf eine Experimentierkunst der Affektionen. Das Sein weitet sich zu einem endlosen Gewebe immer neuer Verknüpfungen in unscharfen Affektionen. Dadurch ist zugleich diese Theorie vor einem Absturz ins Beliebige bewahrt. Es mag ja sein, dass sich theoretisch und allgemein keine Auskunft „Il n’y a plus de sujet, mais seulement des états affectifs individuants de la force anonyme.“ Deleuze: Spinoza. Philosophie pratique. 169. 14 Systematisch könnte man so eine Innerlichkeit etwa in der Dominanz der Idee des eigenen Körpers im Vergleich zu denen der äußeren Körper situieren, von der IIp16c2 spricht. Andererseits bleibt das „magis“ eigentümlich vage. Ich werde darauf zurückkommen im Zusammenhang der Diskussion von Freiheit und Determinismus. 13
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über die Verhältnisse des Eigenen und des anderen in den Affektionen geben lässt. Insofern diese Affektionen aber Genese des Eigenen oder Selben sind, wird diese Unterscheidung, so prekär sie sich plötzlich darstellt, gerade nicht aufgehoben. Es ist dann der Affekt, der in seiner doppelten Richtung: Freude und Traurigkeit, Kunde gibt von der Art und Weise, wie eine Affektion mit mir, mit der mir eigenen „Natur“ oder „Einrichtung“ („constitutio“) oder Essenz verfährt. Wenn das alles schwer zu denken ist, vor allem die Konstitution des Selben, nicht einfach nur von einem anderen her, sondern aus Unentscheidbarkeitsfeldern, die sich je und je bilden und auch wieder auflösen können – eine Konstitution, die, um der Provokation die Spitze aufzusetzen, niemals abgeschlossen ist, sondern die unsere dynamische Existenz selbst ist –, dann liegt das daran, dass die verstörende Wirkung der schillernden Natur auch hier wiederkehrt: Dort, wo ein allzu selbstsicheres Denken eindeutige Bedingungs- oder auch Kausalverhältnisse erkennen konnte; vielleicht sogar, für die ganz Selbstsicheren, inklusive der Möglichkeit der gelegentlichen oder auch dauerhaften Umkehrung dieser Verhältnisse, jedoch immer unter Aufrechterhaltung der Identität derjenigen, die sich so bedingen (in der Dialektik) – da beschleunigt sich das Umkippen der Verhältnisse, bis es eine neue Qualität erhält und sich in Zwischenreichen ausprägt, die niemandes Gebiet sind und von denen her alles, was sich als dies oder jenes bzw. diese oder jener ansprechen lässt, seine Wirklichkeit im strengsten Sinn bezieht. Die Affektion ist das Schillern der Natur selbst, bezogen auf die Beziehung der endlichen Modi untereinander. Ontologische Allmende, fleißig bebaut. Selbsterkenntnis. Grenzphänomene, Grenzbegriffe: Grenzen der Selbsterkenntnis. Ein alter Hut, wird man sagen, ist doch die Klage über die Endlichkeit, die Unvollkommenheit menschlicher Erkenntnis ein Gemeinplatz. Ja, aber genau so ist es bei Spinoza nicht gemeint. Schließlich hält er alle Urteile über die vermeintliche Unvollkommenheit des Wirklichen im Allgemeinen und der Menschen im Besonderen fern. Nicht, dass es nicht vieles an ihnen zu kritisieren gäbe; kaum jemandem muss das so klargewesen sein wie Spinoza. Doch ihre Fehler, Irrtümer, Verbrechen, Dummheiten, Frivolitäten und Lächerlichkeiten haben ihre Ursache gerade nicht in einer Einrichtung, die man irgendwie hätte besser machen können; sie folgen ganz einfach aus der Natur von Einzelwesen in einer unendlichen, komplexen Welt, in der die Seienden ununterbrochen ineinandergreifen und einander affizieren. Dass wir uns nicht einmal selbst klar und deutlich erkennen können, drückt daher keinen Mangel und keine Unvollkommenheit aus, weder bei uns noch in der Natur als ganzer, sondern ist direkt auf die Struktur der Wirklichkeit selbst zurückzuführen. Einen sich selbst durchsichtigen Geist fordern, hieße, die Grundlagen der Ontologie ignorieren und
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nach einem Geist verlangen, der auf keinen Körper bezogen ist und dessen Ideen nicht ineinander verschränkt sind: Es hieße also, sich ein Denken wünschen, das keinen Anker im Realen hat und das keine Ähnlichkeit mit der Komplexität dieses Realen hätten. Es hieße mit einem Wort: auf ein Denken setzen, das nicht denkt. Die intrinsische und notwendige Komplexität des Geistes wird vor allem im Anschluss an den physikalischen Einschub im Zweiten Teil verhandelt. „Der menschliche Geist ist fähig, sehr vieles wahrzunehmen, und umso fähiger, auf je mehr Weisen sein Körper disponiert wird.“15 Der Beweis nimmt Bezug auf die vielfachen Affektionen des menschlichen Körpers, die ihn sowohl (wie eben ausgeführt) in ein „common land“ verwandeln, jedenfalls immer lokal und vorläufig, und die aus ihm auch allgemein gesprochen ein unermesslich komplexes Feld in unablässiger Fluktuation machen. Es ergibt sich von alleine: „Die Idee, die den menschlichen Geist in dessen Sein ausmacht, ist nicht einfach, sondern aus sehr vielen Ideen zusammengesetzt.“16 Der menschliche Geist erscheint fundamental als ein Gewebe von mehr oder weniger gut (aber nie strikt) voneinander abgegrenzten Vorstellungen, auf dem sich bald hier, bald dort schärfere Konturen abzeichnen. Im Beweis zu IIp19 wird sodann der Aspekt auch ausdrücklich eingeholt, wonach jede Affektion eine Domäne bildet, die für die Zeit der Affektionen keinem der beteiligten Körper „gehört“. Nicht nur die schiere Komplexität, sondern auch die zweideutige Natur der Affektionen und Ideen von Affektionen, auf denen sich das Denken erhebt, macht eine Transparenz unmöglich: die Transparenz des Körpers für das Denken wie auch die des Denkens für sich selbst. Der Geist nimmt wohl alles wahr, was seinem Körper geschieht; das heißt aber noch nicht, dass er es auch erkennt. 17 Im Gegenteil: Die Einrichtung des Wirklichen selbst erfordert (durch den doppelten Grund der Komplexität und der Allmende) einen unbeleuchteten Hintergrund, vor dem sich der helle Schein unseres Handelns und Denkens erst abzeichnet. Die Sätze IIp24-29 exerzieren das in schneller Folge durch. „Der menschliche Geist schließt die adäquate Erkenntnis der den menschlichen Körper zusammensetzenden Teile nicht in sich.“18 Hier aktiviert Spinoza den Gedanken der Komplexität: Ein Körper (jeder Körper) ist aufgebaut „Mens humana apta est ad plurima percipiendum et eo aptior, quo ejus corpus pluribus modis disponi potest.“ (IIp14) 16 „Idea, quae esse formale humanae mentis constituit, non est simplex, sed ex plurimis ideis composita.“ (IIp15) 17 „[…] mens humana corpus humanum non cognoscit. […] mens humana easdem affectiones percipit […].“ (IIp19d) 18 „Mens humana partium corpus humanum componentium adaequatam cognitionem non involvit.“ (IIp24) 15
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aus einer unerfassbaren Vielzahl anderer Körper, die sich ihre Bewegungen „certa quadam ratione“ mitteilen: so aber, dass dieses Verhältnis („ratio“) in Wahrheit gerade nicht klar bestimmbar ist, oder nur in den wenigen Fällen gelingender wissenschaftlicher Analyse. 19 Ich erkenne schlichtweg meinen Körper nicht so, dass ich seine Teile, ihre Bewegungen und ihre (förderlichen oder hemmenden) Verhältnisse zueinander erkenne. Das ist weder möglich noch nötig. Nun erkenne ich natürlich auch den anderen Körper nicht adäquat (IIp25), und zwar vor allem, weil er nun einmal nicht meiner ist, wie es Spinoza im Beweis ausführt. Wir können aber auch anfügen: Und wäre er auch meiner, ich könnte ihn doch nicht adäquat erkennen: Die Idee einer Affektion meines Körpers schließt nicht die adäquate Erkenntnis dieses meines Körpers ein (IIp27). Nach und nach aber schiebt sich der Aspekte der Allmende in den Vordergrund: Da die Affektion die einzige Grundlage von Erkenntnis sowohl über unseren Körper wie über unseren Geist ist; da diese aber sowohl die Natur des affizierenden wie des affizierten Körpers beinhaltet; ersteht alle Erkenntnis und auch Selbsterkenntnis auf dem Boden, der weder dem einen noch dem anderen Körper gehört. Der Geist, der sich auf sich und seinen Körper beschränken will, in der Hoffnung, darin endlich Klarheit und Deutlichkeit zu gewinnen, findet nur Verworrenheit. Seine Beschränkung auf sich, aufs Eigene, kappt eben die lebensnotwendige Verbindung zum anderen (die, mehr als eine Verbindung, gegenseitige Durchdringung ist). Einen realistischen Begriff von sich selbst kann der Geist nur entwickeln, wenn er von seiner Selbstzentriertheit Abstand nimmt. Er findet sich umso sicherer, je entschlossener er bereit ist, von sich abzusehen – und das einfach deswegen, weil er darin der ontologischen Struktur folgt. „Die Ideen der Affektionen des menschlichen Körpers sind, insofern sie nur auf den menschlichen Geist bezogen werden, nicht klar und deutlich, sondern verworren.“20 Das Scholium fügt an, was man schon ahnt: Dass auch die Idee des menschlichen Geistes „in sich allein gesehen“, 21 nicht klar und deutlich sein kann. Der Satz 29 schließt diesen thematischen Abschnitt ab: „Die Idee der Idee einer jeden Affektion des menschlichen Körpers schließt die adäquate Erkenntnis des menschlichen Geistes nicht ein.“ 22
Da es zudem immer (per definitionem) um individuelle Verhältnisse geht, sind der wissenschaftlichen Verallgemeinerung Grenzen gesetzt. Das ist der Grund, weshalb sich z.B. die Humanmedizin notwendig eine statistische Seite zulegen muss. 20 „Ideae affectionum corporis humani, quatenus ad humanam mentem tantum referuntur, non sunt clarae et distinctae, sed confusae.“ (IIp28) 21 „[…] in se sola considerate […]“. (IIp28s) 22 „Idea ideae cujuscunque affectionis corporis humani adaequatam humanae mentis cognitionem non involvit.“ (IIp29) 19
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Somit erweist sich für die Erkenntnis wie für das Sein, dass beide sich und ihre (immer vorläufigen) Individuierungen in einem Milieu des PräIndividuellen vollziehen – ein Prä-Individuelles, das ontologisch nicht-identisch ist. Es ist einerseits die Natur der körperlichen Individuen, sich so aus anderen Individuen zusammenzusetzen (ins Unendliche), dass diese Individualität immer nur vorläufig ist, so dass sich in meinem Körper Unschärfen und Übergänge, Verschränkungen und Scheidungen in so vielfacher Weise ergeben, dass die Identifizierung von Körperteilen zwar sehr wohl möglich ist, aber immer nur vorläufige Bedeutung und oft wohl nur heuristischen Wert haben kann. Es ist andererseits die Natur meines Körpers, der sich in seinen Affektionen mit den anderen Körpern so überschneidet, dass wieder die Trennung in meines und das Äußere vorläufig bleibt. Die Affektion ist der konkrete Vollzug von Wirklichkeit, und zwar von einer Wirklichkeit, die permanent ontologisches Niemandsland generiert. Das Temperament, das hinter diesem Gedanken steht, lässt sich besonders gut erahnen, wenn man ihn gegen einen ganz ähnlichen und doch grundverschiedenen absetzt. Auch bei Leibniz ist das Undeutliche, das Verworrene, nicht selten sogar das Dunkle das Milieu, aus dem sich die Klarheit und Deutlichkeit der Erkenntnis erhebt. Der Unterschied ist aber der, dass das, was wir nur verworren und dunkel erfassen, nicht an sich selbst verworren oder dunkel sein kann. Alles, was ist, untersteht dem Prinzip der Identität: Jede Eigenschaft muss im Prinzip (wenn auch sicher meistens nicht für uns) explizierbar und benennbar sein. Hätte ich eine vollständige Liste aller möglichen Eigenschaften, müsste ich (oder zumindest Gott) in der Lage sein können, jedes Stückchen Realität mit dieser Liste abzugleichen. Nur für uns ist das Rauschen des Meeres undeutlich: An sich selbst ist jedes Plätschern jedes Tröpfchens so klar und deutlich, wie etwas nur sein kann.23 Bei Spinoza hingegen ist es das Sein selbst und an sich, das nicht diesem Prinzip der klaren Identitäten unterworfen ist. Die Dinge, die sehr Vgl. z.B. Principes de la nature et de la grâce. § 13: „Chaque Ame connoît l’infini, connoît tout, mais confusement; comme en me promenant sur le rivage de la mer et entendant le grand bruit qu’elle fait, j’entends les bruits particuliers de chaque vague, dont le bruit total est composé, mais sans les discerner. Mais perceptions confuses sont le résultat des impressions que tout l’univers fait sur nous; il en est de même de chaque Monade. Dieu seul a une connoissance distincte de tout, car il en est la source.“ „Jede Seele erkennt das Unendliche, erkennt alles, jedoch auf undeutliche Weise, wie wenn ich am Ufer des Meeres spazierengehe und den großen Lärm vernehme, den es macht, und dabei den besonderen Lärm einer jeden Welle, aus denen der Gesamtlärm zusammengesetzt ist, vernehme, jedoch ohne ihn zu unterscheiden. Undeutliche Perzeptionen sind jedoch das Ergebnis von Eindrücken, welche das ganze Universum auf uns macht, so ist es auch bei jeder Monade. Gott allein hat eine deutliche Erkenntnis von allem, denn er ist dessen Quelle.“ (In: Leibniz: Monadologie und andere metaphysische Schriften. 152173. 168 f.) 23
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wohl existieren und ihre relative Selbständigkeit haben, durchdringen einander ohne Unterlass und schaffen so allerorten Felder der ontologischen Uneindeutigkeit. Es ist bezeichnend, dass in den Beweisen zu diesen Sätzen Gott wieder auftaucht. Es heißt dort z.B., dass die adäquate Erkenntnis der äußeren Körper als auch der Teile des menschlichen Körpers nicht in Gott ist, insofern er als vom menschlichen Geist affiziert betrachtet wird, sondern insofern er als von anderen Ideen affiziert betrachtet wird (IIp28d). Es ist das Hin- und Herspringen Gottes (oder zumindest der möglichen Betrachtung Gottes), in dem das Schillern der Natur in der Affektion zu einem sinnenfälligen Ausdruck kommt. Gott fungiert hier gerade nicht als Kurschrift für eine vollkommene, objektive, an sich bestehende Bestimmtheit des Wirklichen, sondern als Chiffre für die Nicht-Totalisierbarkeit desselben: Ja, die Erkenntnis meines Körpers und der auf mich einwirkenden ist adäquat, wo ein Blick sich auf dieses Geschehen richtet, das alle Seiten gleichermaßen und vollständig berücksichtigt. Dahin konvergiert die Idee der Erkenntnis selbst. Es ist damit aber noch nicht gesagt, dass so eine totale Erkenntnis auch tatsächlich vollzogen werden kann: Von wem auch, da doch Gott kein erkennendes Subjekt ist? Und wie wäre sie möglich, da doch jede Begegnung von Körpern das (im Wortsinn) unermessliche Feld einer ontologischen Allmende erschließt? Dass Gott im Text der Ethik regelmäßig in solchen Kippbildern auftritt, drückt exakt diese Unmöglichkeit einer totalen Erfassung aus, die ihrerseits ontologische Gründe hat. Selbst die adäquate Erfassung, in deren Position Gott dann (abgehoben gegen die inadäquate Erfassung der Einzelgeister) auftritt, ist nicht die totale Erfassung, sondern eine weitere Erkenntnis, eine neben den anderen, nicht über ihnen.
Wer da? Fast ausnahmslos schreibt die Tradition Initiative und Lenkung des Denkens einem Akteur zu, sie personalisiert Denken, Erinnerung, Wahrnehmung, indem sie von einem Zentrum ausgehend gedacht werden. So ein Zentrum hat verschiedene Namen: Seele, Ich (Ego), Subjekt, Wille sind die geläufigsten. Auch unser Alltagsverstand greift auf diese Vorstellungsweise zurück. Von mir geht mein Denken aus, meine Erkenntnis, meine Wahrnehmung. Damit ist eine metaphysische Prominenz dieses Zentrums verbunden, seine Erhebung zur (theologisch oder juristisch verantwortlichen) Person folgt daraus; die vielfältigen Probleme, wie dieses Zentrum mit dem Rest des Seins wohl in Verbindung stehen kann, lassen sich dann kaum noch umschiffen. (Wie komme ich zur Welt? Wie kann ich meinem Körper Anweisungen geben? Woher weiß ich, dass andere Menschen auch einen Geist haben? Wie kann ich wissen, ob meine Vorstellungen von der Wirklichkeit mit dieser übereinstimmen bzw. in welchem Maße sie diese treu abbilden?) Es gibt dann zweierlei Arten von Sein,
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nämlich Subjekte und Körper, und zwischen beiden tut sich ein Abgrund auf, eine jener Lücken in der Welt, in die der Aberglaube seine Fiktionen hineinlaufen lassen kann: ein „ignorantiae asylum“ (Iapp). 24 Irgendwie muss, so scheint es, alles Äußere eine einzigartige metaphysische Schwelle überwinden, vom Körper-Sein zum Vorstellungsinhalt-Sein, die kaum erklärbar ist (und für die gerne Metaphern aus dem Umkreis der Übersetzung verwendet werden). Eine weitere Schwierigkeit ist, dass dieses Zentrum, gerade deshalb, weil es mein Zentrum sein soll, mein Innerstes, mein Kern, eben dadurch sich in eine Differenz zu mir setzt: „Bin“ ich z.B. meine Seele? Offenbar doch nicht, sonst könnte ich mich nicht um sie sorgen, sonst wäre sie nicht so schwer zu greifen, sonst könnte sie „mich“, d.h. meinen Körper nicht überleben. Genauso ist „mein Wille“ (vor allem nach Kant) zwar mein eigenstes Wesen, aber nur um den Preis, dass ich nie ganz mit ihm zusammenfallen kann. Die philosophische Anstrengung führt, indem sie das Zentrum dessen, was da denkt, seinen Akteur und Verantwortlichen sucht, in eine Verdopplung des Menschen, aus der es keinen Ausweg mehr gibt. Mit einer kleinen Änderung der Vorzeichen gelingt es Spinoza, sich aus diesen Verwickelungen zu lösen. Er akzeptiert nämlich die Voraussetzung nicht: Statt verzweifelt nach der Instanz zu fahnden, die im Zentrum des Denkens steht und von dort aus alles bestimmt, stellt Spinoza fest, dass das Denken gerade nicht von mir ausgeht, sondern von den Ideen. Das klingt auf den ersten Blick paradox und kontra-intuitiv, und führt doch auf die auch phänomenologisch präzisere Darstellung. Denn wer, was und wo das Subjekt ist, hatte nie geklärt werden können, man begnügte sich im Wesentlichen mit Selbstverständlichkeiten (die eben deshalb fragwürdig sind) und spekulativ erzwungenen Unterstellungen: Da nun einmal etwas gedacht und wahrgenommen wird, müsse es wohl auch jemanden geben, der denkt und wahrnimmt; ein Akt erfordert einen Akteur. Freilich, wo nichts ist, ist auch keine Handlung und kein Gedanke. Das heißt aber eben noch nicht, dass irgendeine wohlgeordnete und philosophisch sauber definierte Gestalt (wie eben ein Subjekt) zugrunde liegt. Der Geist hat kein Zentrum und keine letzte Instanz im metaphysischen Sinn; er ist die Interaktion genau dieser Ideen (zu denen unverzichtbar immer die Idee eines bestimmten Körpers gehört). Zentren und letzte Instanzen zerreißen die Oberfläche des Seins, maßen sich Transzendenz gegenüber dem Geschehen und dem
Die Unterschiedenheit der Attribute lässt gerade nicht so eine Lücke zu: Sie sind Attribute ein und derselben Substanz, sie drücken sie und damit dasselbe auf verschiedene Weisen aus: inkommensurabel zwar, doch in substanzieller Identität. Konkreter und griffiger wird dieses Verhältnis, wenn Spinoza erklärt, dass der Geist die Idee eines Körpers ist. Hier kommt die substanzielle Identität der attributiv Unterschiedenen bündig zum Ausdruck. 24
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„bloß Empirischen“ an, ohne diesen Anspruch auch mit gültigen Dokumenten belegen zu können.25 Indirekt wird dieses Thema von den Kritikern und auch einigen Korrespondenten Spinozas schon früh angesprochen. Provoziert von Spinozas Notwendigkeitsbegriff beklagen sie die angeblich verheerenden moralischen Folgen: Müssten dann nicht, so meinen sie, alle Unterschiede zwischen guten und schlechten, zwischen zu entschuldigenden und zu strafenden Menschen fallen, wenn alles mit gleicher Notwendigkeit geschieht? Nicht nur ist Spinoza chronisch verständnislos gegenüber dieser letzteren Kritik; er hebt gelegentlich auch eben die Provokation heraus, die in den Kritiken implizit bleibt – wohl deshalb, weil keiner der Gesprächspartner wie Ankläger Spinozas auf die Idee gekommen wäre, die Existenz einer letzten Instanz im Menschen zu leugnen, zu radikal ist dieser Gedanke für seine Zeit. In einem Brief an Tschirnhaus aber kommt genau das sehr gut zum Ausdruck: Spinoza weist dort die Idee einer Freiheit als „Dekret“ von sich, also jene Vorstellung, die die Freiheit von einer höheren Instanz ausgehen lässt.26 Vor allem aber gibt es im Denken nicht noch einmal ein metaphysisches Zentrum, von dem die Entscheidungen über das Denken, Vorstellen etc. ausgingen. Bezugnehmend auf das Beispiel von Tschirnhaus heißt es in Spinozas Antwort: „[…] ich bestreite, dass ich mit einer unbedingten Denkmacht denken kann, [einen Brief] schreiben zu wollen oder nicht schreiben zu wollen.“27 Besonders deutlich legt Spinoza seine Position, wonach das Denken sich aus der Kraft der Ideen speist und nicht von der eines ursprünglichen Subjekts abhängig ist, in den Lehrsätzen 48 und 49 des Zweiten Teils nieder. Der Lehrsatz 48 weist den freien Willen kategorisch zurück: „Im Geist gibt es keinen unbedingten oder freien Willen, sondern der Geist wird von einer Ursache bestimmt, dieses oder jenes zu wollen, die ebenfalls von einer anderen bestimmt ist und diese wiederum von einer anderen und so weiter ins Unendliche.“28 Jedes Wollen bezieht sich auf einen anderen Modus, jeder Clément Rosset hat in seiner wundervollen „Studie über die Identität“ (so der Untertitel) Loin de moi (1999) den Gedanken einer öffentlichen, sozialen Gründung aller Identität so radikal wie anschaulich durchexerziert: „[…] j’ai toujours tenu l’identité sociale pour la seule identité réelle; et l’autre, la prétendue identité personnelle, pour une illusion totale autant que tenance […].“ (11) Ein Wissen oder ein Gefühl der eigenen Identität (auf die sich die Philosophien des Bewusstseins berufen zu können glauben) ist nicht nur illusorisch, nicht nur nutzlos; es steht, so Rosset, der gelingenden Bewältigung des Lebens sogar im Weg. 26 Ep58. Bartuschaft übersetzt „decretum“ mit „freier Beschluss“ (219). TO. 2110. 27 Ep58. 221. TO. 2114. „nego, me ulla absoluta cogitandi potentia cogitare posse, quod vellem et quod non vellem scribere.“ 28 „In menta nulla est absoluta sive libera voluntas; sed mens ad hoc vel illud volendum determinator a causa, quae etiam ab alia determinata est, et haec iterum ab alia, et sic in infinitum.“ 25
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Akt ist bestimmt durch einen vorangegangenen Akt bzw. ein anderes Geschehen. Somit wird hier die unendliche Kausalkette aktiviert, um die Idee des Wollenszentrums zu diskreditieren. Doch erst das Scholium rückt die Kritik an einem angeblich freien Willen ins rechte Licht: Der Irrtum besteht nicht nur in der Ansetzung einer Freiheit, die Kappung aller Verbindungen sein müsste und daher undenkbar ist, sondern auch in der Verortung dieser Freiheit in einem ausgezeichneten „Vermögen“. Dagegen gilt es zu verstehen, dass es im Geist keinerlei Vermögen gibt. Diese sind nur Abstraktionen, die eine nachkommende Reflexion aus den verschiedenen Ideen herauslesen zu dürfen glaubt. Spinoza ebnet konsequent die Verdopplung des Menschen in sich selbst und seine letzte Instanz ein, eine Verdopplung, für die die Vermögenslehre wahlweise eine Vorbereitung oder von der sie eine Fortentwicklung darstellt. Spinoza versucht nun gerade, die „Einheit“, d.h. ontologische Univozität des Denkens und schließlich noch des Menschen zu wahren. Erstaunlich, dass das so schwer ist! Es gibt also schon deshalb keinen freien Willen, weil es keinen Willen gibt: Es fehlt dieser vorgeblichen Freiheit ganz einfach das mögliche Subjekt. Schreibt man der Freiheit einen eigenen Willen zu, hantiert man mit lauter Homunculi, die man im Menschen finden zu dürfen glaubt. Wichtig ist dieses Scholium zu Lehrsatz 48 aber auch deshalb, weil es für den Gedanken den Weg bereitet, dass der Geist vielleicht nur die Interferenz der Ideen selbst ist. Spinoza erklärt, dass er unter dem Willen nicht eine „Begierde, mit der [der Geist] Dinge erstrebt oder vermeidet“, 29 verstehen will: Wille ist also ausdrücklich nicht Motor, Triebfeder, nicht ein mich antreibendes Begehren (wie es vor allem bei Schopenhauer, im Deutschen Idealismus und in deren Nachfolge gefasst wird). 30 Spinoza will unter dem Willen einzig das Vermögen des Bejahens und Verneinens verstehen: „das Vermögen […], kraft dessen der Geist bejaht, was wahr ist, und verneint, was falsch ist“.31 Und da es nun mal keine Vermögen gibt, „gilt es jetzt zu untersuchen, ob die Akte des Wollens etwas sind, das über das, was die Ideen der Dinge sind, hinausreicht“. 32 Das ist ganz grundlegend gemeint. Unter den Willen in diesem Sinn fällt bereits das Realitätsurteil. Nur dass man nun versteht, dass es hier nicht um ein Urteil geht, zumindest nicht, wenn man darunter eine Tätigkeit des Subjekts versteht, und sei sie noch so versteckt, latent, vorgängig, „[…] cupiditatem, qua mens res appetit vel averatur.“ Auch wird man den Conatus nicht mit so einem Motor verwechseln dürfen. Zumindest muss man dann die Parameter einer solchen Konzeption genau definieren. Sicher gibt es nicht einen Conatus für alle Seienden; man kann aber auch nicht ohne weiteres behaupten, es gäbe einen individuellen Conatus für jedes einzelne Seiende. Ich werde auf diese Verhältnisse zurückkommen. 31 „[…] facultatem […], qua mens, quid verum quidve falsum sit, affirmat vel negat […].“ 32 „[…] inquirendum jam est, an ipsae volitiones aliquid sint praeter ipsas rerum ideas.“ 29 30
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implizit, sei sie passive Synthesis oder Generalthesis oder wie man es auch beschreiben will. Es sind die Ideen selbst, die ihre Wahrheit, d.h. auch die Realität des in ihnen Dargestellten bejahen, und zwar jede Idee für sich selbst. Es gibt nämlich keinen Grund anzunehmen, dass der Conatus, als Selbstbewahrung und Expansion (IIIp6) nicht für die Ideen zu gelten habe, vor allem dann, wenn sich herausstellt, dass auch ein Geist nur ein aus vielen Ideen zusammengesetztes „Individuum“ darstellt. Wenn es keine Vermögen gibt, wenn die Zentrierung oder Ordnung des Geistes nach wesentlichen subjektiven Kategorien misslingt, dann öffnet sich das Spiel der Ideen in ihrer unendlichen Komplexität, deren Ort mein Geist ist. Mein Geist ist dieses Spiel der Ideen. (Der unausweichlich jetzt einsetzende Aufschrei, damit schaffe man doch das Subjekt oder gleich den Menschen ab, damit sei alle Handlungsmacht, alles Eigene, Innerliche, Subjekte, Wirkliche des Menschen geleugnet, beruht auf einer eigenartigen Blindheit für einen einfachen Punkt: dass doch mein Geist Idee dieses meines Körpers ist und damit sehr wohl seine eigene Realität immer mitbringt. Mit anderen Worten: Wenn mein Geist der Ort ist, an dem die Ideen miteinander ins Spiel kommen und ihre Kräfte ausprobieren, dann ist das kein ätherischer Ort über den Wolken, der keine eigene Wirksamkeit in diesem Spiel hätte, sondern er bringt permanent besondere Ideen ein, denen man einfach nicht entwischen kann. Reicht das etwa nicht als Wirklichkeitsgarantie für einen Menschen aus? Eine transzendente, letzte Instanz des Denkens oder Urteilens jedenfalls braucht es für Spinoza nicht.) Der Lehrsatz 49 spricht es deutlich aus: „Im Geist gibt es keinen Akt des Wollens, anders formuliert keine Bejahung oder Verneinung außer der, die die Idee in sich schließt, insofern sie eine Idee ist.“ 33 Eine jede Idee fordert von mir ihre Bejahung. Das klingt nur dann esoterisch, wenn man Ideen als Atome denkt, die vereinzelt auf uns aufträfen, und wenn man mit dem Vorurteil des souveränen Subjekts beladen die vielfältigen Erfahrungen ignoriert, die das überall beweisen. Eine jede Idee hat ihre eigene Kraft, Ideen können uns verführen und abstoßen, sie wirken sehr wohl auf uns ein, und das wäre sogar noch dann wahr, wenn man einen psychologischen Standpunkt aufrechterhalten wollte: Ideen also als etwas „im Geist“ und abhängig von diesem ansähe, wohingegen für Spinoza Ideen die Grenze der Körper und die Grenze des Geistes zum Körper und zu anderen Körpern bezeichnet. Ideen sind deshalb mit dem Realen befasst und nicht etwas dem Geist Immanentes, von dem es schwer wäre zu erklären, wie es zum Realen gelangt. Es lässt sich völlig rational davon sprechen, dass die Ideen ihre eigene Affirmation in sich tragen, die sich für uns jederzeit bemerkbar macht, wenn wir nur darauf achten wollen. Dass daraus nicht
„In mente nulla datur volitio, sive affirmatio et negatio, praeter illam, quam idea, quatenus idea est, involvit.“ 33
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eine billige Gleichmachung aller Ideen und ihrer „Inhalte“ folgt, dass daraus nicht Wahn und Wahrnehmung einfach dasselbe werden, liegt einfach daran, dass die Ideen miteinander konkurrieren, dass sie interferieren und einander verdrängen. Wenn jemand sich ein geflügeltes Pferd vorstellt und er zugleich keine anderen Ideen hat, die die Existenz dieses geflügelten Pferdes aufheben, dann wird das geflügelte Pferd als existent erscheinen – es kann nicht anders sein.34 Ähnliches passiert uns oft im Traum, wo die Ideen nicht mehr von anderen in Schach gehalten werden, so dass alles, was uns erscheint, sogleich seine Bejahung fordert, d.h. als real erscheint (IIp49s). Der Geist ist also nicht so sehr die Grundlage oder gar die Substanz der Ideen; im Geist finden sich keine Vermögen und keine letzte Instanz, die über die Ansprüche dieser oder jener Ideen urteilte; es ist nicht die klare Vernunft, die aufgrund der Kohärenz der Verkettungen erkennt, dass wir wachen, wie es Descartes beschreibt; es ist nicht ein transzendentales Subjekt, dass in einer Generalthesis den Wirklichkeitssinn „setzt“, wie es bei Husserl heißt. Der Geist ist der Raum, in dem sich bestimmte Ideen in einmaliger Form miteinander kombinieren und interferieren – ja, dieser Geist bildet sich in genau dieser Interferenz. Mein Geist ist die Resultante meiner Ideen. Und doch ist er meiner, und diese Meinigkeit ist nicht nichts. Er ist gerade Geist (und nicht bloß Attribut Denken), insofern er die Genese eines Individuums aus dem Prä-Individuellen der Ideen auf sich nimmt, insofern er die Idee eines Körpers ist, der als existent gesetzt ist, insofern er von außen her entsteht und damit Entstehung eines Innen ist. Mein Geist ist Produkt meiner Ideen, doch insofern sie meine sind, sind sie durchaus von meinem Geist abhängig und durch ihn gegründet; meine Individualität (im Sinn Spinozas) ist nicht illusorisch. Damit entspinnt sich ein Wechselspiel der Gründung und Bedingung und von Zentripetale und Zentrifugale, das die prozessuale Seinsweise des Geistes selbst ist. Auch hier schillert die Natur.
Die metaphysische Grundlegung dieser absoluten Selbstbejahung (zugleich der Vorgriff auf den Begriff des Conatus) findet sich bereits in Ip11dem2: „Hieraus folgt, dass ein Ding notwendigerweise existiert, wenn es keinen Grund oder keine Ursache gibt, die es daran hindert zu existieren.“ „Ex quibus sequitur id necessario existere, cujus nulla ratio nec causa datur, quae impedit quominus existat.“ Wie nebenbei spricht dieser Beweis eine der fundamentalsten Intuitionen Spinozas aus. 34
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Determinismus und Freiheit
Das Problem. Bereits der Briefwechsel zeigt es und die spätere Rezeptionsgeschichte wird es bekräftigen, dass neben der vollkommenen Umdeutung des Gottesbegriffes der erklärte Determinismus Spinozas der größte Stein des Anstoßes für seine Leser*innen war. In einer Welt, in der alles kausal determiniert ist, müssen doch Verdienst und Verbrechen allen Sinn verlieren, so meint man; wenn der Mörder ebenso notwendig zum Mörder wurde wie der Tugendhafte sich in den Dienst an den Menschen stellt, wie sollte man jenem seine Tat vorwerfen, wie diesem seine Haltung anrechnen? 1 Und überhaupt: Wieso sollte man sich in einer vollkommenen determinierten Welt überhaupt noch Gedanken über das menschliche Verhalten machen? Ist unter dieser Voraussetzung nicht die Abfassung philosophischer Bücher allgemein witzlos, umso mehr solcher Bücher, die es mit der Ethik zu tun haben? Wenn alles Tun determiniert ist, würde keine Erklärung und Ermahnung etwas am Schicksal der Menschen ändern. Es sei denn, man zöge sich darauf zurück zu statuieren, dass eben auch Spinoza determiniert war, sein Buch zu schreiben, ganz unbetroffen von seiner absoluten Sinnlosigkeit. Irgendwo zwischen dem performativen Widerspruch einer Ethik auf deterministischem Boden und der Entleerung aller ethischen Kategorien durch den Determinismus hat sich die Ethik also gleich einem Wesen, das mit sich selbst im Widerstreit liegt und das es nach Spinoza deshalb gar nicht geben dürfte (IIIp4), aufgelöst. Der Textbefund lässt sich nicht leugnen: Immer wieder kommt Spinoza auf die Kritik an der Vorstellung einer Freiheit des Willens zurück; auf der anderen Seite trägt der Begriff der Notwendigkeit fast alleine das Gewicht des theoretischen Gebäudes. Im Anhang zum Ersten Teil wird die Herkunft des Vorurteils unserer Freiheit knapp und apodiktisch hergeleitet: Wir sind uns zwar sehr wohl unserer Strebungen („volitiones“, „appetitus“) bewusst, nicht aber ihrer Ursachen. In diese Wissenslücke schieben wir eine angebliche souveräne Freiheit ein, die als Ursache zu fungieren hat. 2 Die Vorrede zum Dritten Teil erkennt in dieser Zuschreibung einer fiktiven Instanz, die als Ersatz realer Ursachen dient, nicht nur einen unhaltbaren metaphysischen Irrtum: Hierdurch wird der Mensch aus der Natur ausgekoppelt, so dass er mit dem ersten Schritt der philosophischen Untersuchung schon als unerkennbar markiert wird. Dieser Irrtum hat auch eine paradoxe ethische Konsequenz, denn die Behauptung einer absoluten Freiheit („absoluta potentia“) wird vom tatsächlichen Verhalten der Menschen permanent desavouiert. Die Verteidiger der Freiheit können mit den absurden Oldenburg hat z.B. dieses Bedenken, vgl. Ep74. Blijenbergh macht sich ähnliche Sorgen, wobei dort der Begriff der Vollkommenheit als Scharnier fungiert, vgl. Ep20 und Ep22. 2 Die Vorrede zum Vierten Teil kommt auf diese Konzeption zurück. 1
und traurigen Realitäten menschlichen Handelns nicht umgehen: Sie sind außerstande, sie als natürliche Wirkungen aufzufassen. So sind sie, um ihre Theorie zu retten, gezwungen, den Menschen eine tiefe moralische Unzulänglichkeit zu unterstellen, eine Verkommenheit und am Ende: eine sündige (zweite) Natur.3 Es gibt aber vielleicht keine Passage, in der Spinoza so brüsk und so gewitzt die Idee einer menschlichen Freiheit zurückweist, als in dem Brief an Schuller vom Oktober 1674. Nachdem er das Bild eines von äußeren Kräften bald bewegten, bald in Ruhe befindlichen Steines evoziert hatte, fährt Spinoza fort: Stellen Sie sich bitte nun weiter vor, dass der Stein, während er fortfährt sich zu bewegen, denkt und weiß, dass er seine Bewegung, dass er seine Bewegung so viel wie möglich fortzusetzen strebt. Ein so verfasster Stein wird in Anbetracht dessen, dass er sich allein dieses Strebens bewusst ist und in ihm keineswegs unentschieden ist, der Meinung sein, dass er vollkommen frei ist und allein deshalb in seiner Bewegung verharrt, weil er das will. Das ist dann die vielbesungene menschliche Freiheit, auf die alle so stolz sind und die allein darin besteht, dass die Menschen sich ihres Begehrens bewusst sind und die Ursachen, von denen sie bestimmt werden, nicht kennen. So glaubt das kleine Kind, es verlange frei nach der Milch, der zornige Junge, er wolle die Rache, und der ängstliche Mensch, er wolle die Flucht. So glaubt der Trunkene, er rede aus freier Entscheidung des Geistes, was er nachher, wieder nüchtern, lieber verschwiegen haben wollte. So glauben Leute im Fieberwahn, Schwätzer und andere dieses Schlages aus freier Entscheidung des Geistes zu reden, nicht aber von einem Antrieb getragen zu werden. Und weil dieses Vorurteil allen Menschen innewohnt, ist es nicht leicht für sie, sich davon loszumachen. Obwohl die Erfahrung mehr als genug lehrt, dass die Menschen nichts weniger können als ihre Begierden beherrschen und sie oft, eine Beute widerstreitender Affekte, das Bessere sehen und dem Schlechteren folgen, glauben sie doch frei zu sein, und zwar deshalb, weil sie manches nur in geringem Maße begehren und ihre Begierde nach ihm sich leicht durch das Denken an etwas anderes bezwingen lässt, an das wir uns häufig erinnern.4 Genannt ist dort Descartes. In der Vorrede zum Fünften Teil treten neben Descartes als Wortführer absoluter Freiheit noch die Stoiker auf. 4 Ep58. Dt. 219 f. TO. 2112: „Porro, concipe iam, si placet, lapidem, dum moveri pergit, cogitare, et scire, se, quantum potest, conari, ut moveri pergat. Hic sane lapis, quandoquidem sui tantummodo conatus est conscius, et minime indifferens, se liberrimum esse, et nulla alia de causa in motu perseverare credet, quam quia vult. Atque haec humana illa libertas est, quam omnes habere iactant, et quae in hoc solo consistit, quod homines sui appetitus sint conscii, et causarum, a quibus determinantur, ignari. Sic infans se lac libere appetere credit; puer autem iratus vindictam velle, et timidus fugam. Ebrius deinde credit, se ex libero mentis decreto ea loqui, quae postea sobrius tacuisse vellet. Sic delirans, garrulus, et hujus farinae plurimi se ex libero mentis decreto agere, non autem impetu ferri 3
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Diese Sätze sind doch wohl definitiv, scheint es. 5 Die menschliche Freiheit ist nur eingebildet: „ficta humana libertate“, wie es gleich darauf heißt. Gleichzeitig aber ist der letzte Teil, in dem die Ethik kulminiert, in allem Ernst mit ‚De Potentia Intellectus, seu de Libertate Humana‘ überschrieben. Es gibt also doch eine Freiheit bei Spinoza, und das trotz des Determinismus: Wie lässt sich das zusammendenken? In der Tat reagiert Spinoza nicht selten ungeduldig auf diese Einwände. Es ist offenkundig, dass er nicht einmal mehr das Problem verstehen konnte, das man mit der Zusammenstellung von Determinismus und Freiheit haben konnte. Spinozas Auflösung dieses Widerspruchs, seine Entlarvung als purer Schein, der auf zu pauschalen und unbegründeten Begriffen basiert, ist denn auch ebenso elegant wie zwingend. Sie lässt sich in drei Etappen rekonstruieren. Freiheit. Das erste ist es, den Begriff der Freiheit selbst zu klären. Es ist richtig, dass Spinoza wiederholt erklärt, dass die Menschen keinerlei Freiheit haben. Das erste Ziel dieser Erklärung ist aber die Beseitigung eines ganz falschen Freiheitsbegriffes. Die erste Bedingung, zu der Freiheit durchzudringen, die uns erreichbar ist, ist es, uns von der utopischen Freiheit zu verabschieden, die wir uns gerne ausmalen.
credunt. Et quia hoc praeiudicium omnibus hominibus innatum est, non ita facile eodem liberantur. Nam quamvis experientia satis superque doceat, homines nihil minus posse, quam appetitus moderari suos, et quod saepe, dum contrariis affectibus conflictantur, meliora videant, et deteriora sequantur, se tamen liberos esse credunt, idque propterea, quod res quasdam leviter appetant, et quarum appetitus facile potest contrahi memoria alterius rei, cujus frequenter recordamur.“ Es fällt auf, dass Spinoza hier immer vom „Dekret“ der Freiheit spricht, also genau jene Terminologie aufnimmt und kritisiert, von der im vorigen Kapitel gezeigt wurde, dass sie auf die Vorstellung einer souveränen Instanz im Menschen rekurriert. 5 Ein Echo dieser Sätze findet man bei Schopenhauer, der in seiner ‚Preisschrift über die Freiheit des Willens‘ die eingebildete Freiheit eines Mannes, der sich des Abends überlegt, was er nun alles tun kann (und der also von seiner Freiheit ausgeht), mit den hypothetischen Reflexionen des Wassers vergleicht. Es ist so, als sage das Wasser zu sich: Ich kann große Wellen schlagen, wenn ich will; ich kann in die Höhe steigen, wenn ich will; ich kann verkochen, wenn ich will… Schopenhauer kommentiert genüsslich: „Wie das Wasser jenes Alles nur dann kann, wann die bestimmenden Ursachen zum Einen oder zum Andern eingetreten sind; ebenso kann jener Mensch was er zu können wähnt, nicht anders, als unter der selben Bedingung. Bis die Ursachen eingetreten, ist es ihm unmöglich; dann aber muss er es, so gut wie das Wasser, sobald es in die entsprechenden Umstände versetzt ist.“ (Preisschrift 400 f.) Schopenhauer zitiert die oben hingesetzte Briefstelle Spinozas sogar in dem Kapitel über seine ‚Vorgänger‘ (ebd. 433 f.). Es wird sich freilich zeigen, dass die Begriffe hier täuschen: Schopenhauers Determinismus ist meilenweit von dem Spinozas entfernt. Jener ist besser als „Fatalismus“ beschrieben, oder mit dem Wort von Buber, das ich unter zitiere, als „Verhängnis“.
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Spinozas Kritik hat zwei Aspekte. Erstens ist die Vorstellung einer absoluten Freiheit in sich widersinnig, und das sowohl begrifflich als auch ontologisch. Begrifflich ist die Idee der Freiheit widersinnig, weil sie etwas setzt, was keine Ursache hat. In verschiedenen Weisen fungiert die Frage nach der menschlichen Freiheit als eine Fahndung nach etwas, das aus den Interaktionen der Wirklichkeit ausgenommen wäre. Das ist besonders deutlich in klassischen Konzeptionen der Freiheit als einer Indifferenz, die rein aus sich selbst heraus, also von nichts anderem bestimmt, zu einer Entscheidung kommt; und in Kants Konzeption, die wie in so vielem auch hier die latente Wahrheit einer philosophischen Tendenz ins Manifeste überträgt: Bei Kant ist das Subjekt als freies tatsächlich aus der Welt der Erscheinungen und damit der Kausalität ausgenommen. Nur dass, anders als bei Spinoza, diese Qualifizierung „als freies“ nicht eine nur andere Beleuchtung oder eine neue Perspektivierung desselben meint, sondern eine echte Ankopplung an eine andere, eine substantiell und nicht nur attributiv verschiedene Wirklichkeit (um mit Spinozas Begriffen zu sprechen). Etwas, das keine Ursache hat: das kann aber nur auf Gott selbst zutreffen, und in Wahrheit nicht einmal auf ihn, denn er ist schließlich causa sui. So stellt sich heraus, dass, wie sonst auch häufig, Wurzel dieser philosophischen Chimäre die Exaltation der eigenen Unwissenheit ist. Denn die Menschen geraten auf solche Ideen wie einen ganz freien Willen, indem sie sich ihrer Handlungen, nicht aber derer Ursachen bewusst sind – und indem sie diese Diskrepanz für bare Münze nehmen (Iapp, IIp35s, Vpraef, wo die Kritik des freien Willens als Kritik an den Stoikern und an Descartes durchgeführt ist). Ontologisch ist diese Idee widersinnig, weil sie etwas fordert, was von einem endlichen Seienden konstitutiv nicht erreicht werden kann: nämlich zu kontrollieren und zu bestimmen, was es wie beeinflusst. Die Freiheit der Indifferenz, die Freiheit der Stoiker, Descartes‘, Kants: Sie fingiert eine Ecke im menschlichen Sein, die nicht der Natur unterliegt, die nicht Teil der Natur ist, sondern wie von außen oder gar tatsächlich von außen in die Natur eingreift, man weiß nicht, nach welchen Gesetzen. Es gilt aber: „Es ist unmöglich, dass der Mensch kein Teil der Natur wäre und bloß solche Veränderungen erleiden könnte, die durch seine eigene Natur allein eingesehen werden können und deren adäquate Ursache er ist.“ 6 Das hieße, dass der Mensch Gott wäre. Denn nur Gott ist eine freie Ursache – wenn man das Wort recht versteht: etwas, das einzig aus den Gesetzen der eigenen Natur heraus handelt (Ip17 und Ip17c2). Zweitens rekurriert die Konzeption einer emphatischen Freiheit auf den Begriff des Willens, und sie vollzieht an ihm eine Operation, die sich zum einen zwingend aus den eben angeführten Irrtümern ergibt und die
„Fieri non potest, ut homo non sit naturae pars et ut nullas possit pati mutationes, nisi quae per solam suam naturam possint intelligi quarumque adaequata sit causa.“ (IVp4) 6
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zum anderen eben deren Falschheit offenlegt. Denn wenn man im Menschen irgendeine souveräne, eine freie Quelle des Handelns identifizieren will, wenn man in ihm eine Einhegung vermutet, deren Hecken das Andrängen äußerer Ursachen abwehren können, dann muss man – die fast unvermeidliche Formulierung verrät es schon: „im Menschen“ – den Menschen von sich selbst entzweien; man muss „im“ Menschen einen Bereich der Manipulierbarkeit und einen Bereich der Souveränität unterscheiden: Auf jenen wirken die äußeren Ursachen ein, und insofern ich auch so etwas habe, unterscheide ich mich in nichts von anderen Dingen. In diesem bin ich aber uneingeschränkter Herr und durch ihn behaupte und bewahrheite ich meine Ausnahme im strengen Sinn. Damit ist mir dieser auch die eigentliche Heimat, etwas, das man früher vielleicht die Seele genannt hätte, während mir jener im Grunde fremd bleibt, oder vielmehr fremd wird, ist er das doch das Terrain, in dem sich alle Wirkungen auf mich wie auf einem öffentlichen Platz tummeln. Wieder ist es Kant, bei dem diese Trennung besonders nachdrücklich vollzogen ist; sie findet sich ebenfalls als der enigmatische Schlüssel in Husserls Konzeption der Subjektivität, die sich als eine „Paradoxie“ gibt: empirische und zugleich transzendentale zu sein.7 Diese Verdopplung des Menschen in sein Äußeres und sein Innerstes, die Zerfällung eines Seins, das nur als integres existiert, schlägt sich zwangsläufig auch terminologisch wieder. Und in Hinsicht der Freiheit fungiert der Wille als der Anker dieser inneren Souveränität. Man kann sogar so weit gehen zu sagen, dass – da es „im“ Menschen gar keine realen Unterscheidungen gibt (was natürlich nicht heißt, dass es nicht unzählige Differenzen in ihm gibt) – das einzige Argument, das die Idee einer unberührten Ecke Nicht-Natur stützt, deren Name ist. Der Fehler entsteht dadurch, dass jemand aus schlechten Gründen eine falsche Konzeption von Freiheit begründet; dass derselbe dazu einer Scheidung verschiedener Instanzen im Menschen bedarf, von denen eine von der Natur abgeschirmt ist; und dass deshalb ein Name für diese reine Instanz gefunden und zum Zentralbegriff und Glaubensartikel erhoben werden muss. Hinsichtlich der Freiheit ist dieser Begriff eben der Wille.8 Husserls Paradoxie der Subjektivität ist strukturell der spinozistischen Denkfigur der beiden Aspekte der Natur verwandt, denn auch diese Verdopplung der Subjektivität geschieht eher dem Aspekt als der Realität nach. Husserl gelangt aber eben nicht dazu, diese beiden Aspekte als eine gegenseitige Umgreifung zu verstehen, als die positive Bedingung von Sein überhaupt, wovon schon seine Redeweise von einer Paradoxie Zeugnis ablegt. In dem, aus Sicht Spinozas, unmöglichen Versuch, im Subjekt etwas Absolutes zu finden, ist Husserl gezwungen, den Knoten zu zerschlagen und doch wieder ein einseitiges Gründungsverhältnis zwischen den beiden „Subjekten“ zu etablieren, womit die Unterscheidung wieder eine reale wird – mit allen Folgen. 8 Aber nicht etwa hinsichtlich der Unsterblichkeit. Die Rede von der Unsterblichkeit des Willens klingt eigentümlich falsch: Wir wollen zwar offenbar gerne unsterblich sein, aber nicht als Wille. (Schopenhauers Konzeption eines Willens, der, weil außerhalb von 7
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Spinoza wendet daher große Mühe darauf zu verdeutlichen, weshalb der Wille diese Rolle, die man ihm zugedacht hat, gar nicht erfüllen kann; ja: Es gibt ohnehin keine Scheidung verschiedener Vermögen „im“ Menschen, weil es nun einmal nur den (einzelnen) Menschen gibt, der leidet, handelt, denkt, fühlt, will, erkennt. Der Wille ist ein gewisser Modus des Denkens, und als solcher untersteht er dem Gesetz der Kausalität wie alles andere auch. Er kann daher eben nicht als eine freie Ursache gelten (Ip32 und IIp48). Grundsätzlich will Spinoza unter dem Willen nicht das Begehren, sondern das „Vermögen“ des Bejahens und Verneinen verstehen; vor allem aber gibt es gar keine Vermögen, sondern nur die einzelnen Akte des Geistes, in denen sich Erkennen, Bejahen, Wollen, Begehren, Lieben nur abstraktiv unterscheiden lassen (IIp48s). Spinoza geht gar noch weiter: Eine jede Idee fordert von sich aus, gedacht zu werden. In der Bejahung einer Idee liegt nichts weiter als eben die Bejahungskraft, die von der Idee selbst ausgeht (IIp49). 9 Wir werden über die hier herrschenden Verhältnisse dadurch getäuscht, dass wir von abstrakten Situationen geleitet werden: Wir stellen ständig fest, dass wir sehr wohl dazu in der Lage sind, Ideen zu verneinen. Es ist nur so, dass wir uns, verführt von den Vorurteilen der Freiheit und des souveränen Subjekts, einreden, diese Fähigkeit zur Verneinung ginge irgendwie von uns aus, sei etwa ein Proprium unseres Geistes. Es stimmt zwar, dass man einen Geist zum Verneinen braucht, und das wohl auch nicht jeder dazu in der Lage ist; die Verneinung liegt aber gerade nicht an der Souveränität des Geistes, sondern an der Vielfalt seiner Ideen: Eine Idee wird verneint, nur dadurch, dass andere Ideen die Setzung dieser Idee verhindern. Dass die Verhältnisse, die hier herrschen, alles andere als einfach sind, zeigen solche Phänomene wie die krankhafte Eifersucht. In ihr unterliegt der Geist der Potentia einer Idee, deren Setzung er nichts entgegenzusetzen weiß – nämlich keine wirkungsvollen entgegengesetzten Ideen. Der Vierte Teil der Ethik ist in weiten Teilen einer detaillierten Axiomatik der Ideen gewidmet: Welche Ideen (von Gegenwärtigem, Künftigem, Möglichem, Kontingentem, Ewigen, Notwendigem, Freien) haben welche Kraft in unserem Denken, welche davon schlagen welche anderen aus dem Feld? Nicht einmal die Urteilsenthaltung steht in unserer Macht: Noch für sie müssen Gründe,
Raum und Zeit, auch nicht vergänglich, vielmehr ewig ist, hat denn auch jede individuelle Unsterblichkeit hinter sich gelassen.) Wenn es um unsere Unsterblichkeit geht, dann verwenden wir den schillernden Begriff der Seele, der zudem den Vorteil hat, dass in ihm die Verbindung zur Volksfrömmigkeit und -philosophie nicht abgerissen ist. Dabei sollte es doch bereits misstrauisch stimmen, wenn man gleich zwei verschiedene Zentren des Unberührbaren im Menschen finden will, je nach der Frage, mit der man an diesen Menschen herantritt. 9 Das wurde im vorigen Kapitel ausgeführt und belegt, so wie überhaupt hier manches aus der ‚Geisterkunde‘ wiederkehren muss.
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d.h. andere Ideen wirken, die die Enthaltung in einer bestimmten Hinsicht und für eine bestimmte Dauer fordern.10 Der Schluss aus alledem ergibt sich von alleine: Zwischen Verstand und Wille lässt sich kein Unterschied feststellen (IIp49c). Für die Freiheit ist einfach deswegen hier kein Platz, weil es den Träger einer solchen Freiheit, genannt: Wille, nicht gibt. Es ist, als wolle die Philosophie unbedingt die glatte Oberfläche des Seins reliefieren, in jeder Figur einen Kreis in der Mitte des Herzens oder des Kopfes einrücken und damit aus der Unmittelbarkeit der Berührung mit dem Wirklichen hinausschieben. Das gelingt aber nicht, nicht deshalb, weil wir radikal determiniert wären im Sinn der Fremdbestimmung, sondern weil dieser Versuch selbst der Ontologie widerspricht: Wir denken, handeln, lieben und hassen immer vollständig, ohne dass es ein Zentrum oder einen Kern oder eine letzte Instanz dafür gäbe. In Freiheit wie in Unfreiheit sind wir voll involviert, ohne Ausreden, und das als Körper und als Geist. „Dies alles zeigt in der Tat klar, dass beide, die Entscheidung oder der Trieb des Geistes und die Bestimmung des Körpers, der Natur nach zusammen bestehen oder vielmehr ein und dieselbe Sache sind […].“11 Deshalb ist auch die Zuflucht zu irgendwelchen geistigen Entitäten, die unsere Freiheit garantieren sollen, vergebens, diese Zerfällung der einen ungeteilten Realität unseres Seins würde doch nur wieder Phantasmen und Fiktionen generieren – und deshalb auch nur eine fiktive Freiheit. Wenn Spinoza deshalb erklärt – und man meint zu hören, welche jahrelange bittere Erfahrung und Gärung in den wenigen Worten zusammengedrängt ist –, dass die Menschen nichts weniger in ihrer Gewalt haben als ihre eigene Zunge, 12 dann ist das nicht das Bild einer verworfenen Menschheit, die jedem augenblicklichen Impuls ausgesetzt ist; sondern vielmehr das Bild eines Wesens, das wie alle anderen Wesen auch keine Instanz der Entscheidung jenseits des Fungierens der Ideen im Geiste hat. Wenn er erklärt, wieder sehr richtig, dass selbst Erinnern und Vergessen, diese doch allem Anschein nach „rein geistigen Aktivitäten“, ebenso wenig
Besonders eindringlich sind diesen Themen entwickelt in IIp49s. Es ist sicher kein Zufall, dass die Philosophien, die am prominentesten mit der Methode der Urteilsenthaltung verbunden sind – die Stoiker und Descartes – auch diejenigen sind, deren Freiheitskonzeption in der Vorrede zum Fünften Teil im Fokus der Kritik steht. Beides zehrt von denselben Voraussetzungen. 11 „Quae omnia profecto clare ostendunt mentis tam decretum quam appetitum et corporis determinationem simul esse natura, vel potius unam eademque rem […].“ (IIIp2s) 12 „At experientia satis superque docet, homines nihil minus in potestate habere, quam linguam, nec minus posse, quam appetitus moderari suos […].“ „Aber die Erfahrung lehrt genug und übergenug, dass die die Menschen nichts weniger in ihrer Gewalt haben als ihre Zunge und nichts weniger können als ihre Triebe beherrschen.“ (IIIp2s) 10
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unserer Macht unterstehen,13 dann ist das kein Argument für eine angebliche Schwäche des Menschen und Anlass für moralisierende oder resignative Betrachtungen; wieder geht es nur darum, die Konzeption zu belegen, wonach es in allem Ernst eine Tendenz der Ideen selbst zum Gedachtwerden gibt, wonach die Aktivität des Geistes von der Aktivierung durch die Ideen nicht zu trennen ist. Die Freiheit im naiven, im schlechten metaphysischen Sinn, erst recht „der freie Wille“ basieren also auf massiven Missverständnissen der Natur des Menschen und seines Erkennens, Urteilens und Handelns. Dieses Missverständnis findet treffenden Ausdruck in einer Verdopplung: Dann gibt es irgendwo „im“ Menschen das Eigentliche, Wesentliche, das, was uns zu Menschen und uns erst der moralischen Beurteilung oder der vernünftigen Diskussion würdig macht. Einer der Gründe, weshalb die Verdopplung in der Philosophie immer die Alarmglocken schrillen lassen sollte, ist der, dass damit der ursprüngliche Gegenstand der Untersuchung automatisch verlassen wird: Man wollte etwas über den Menschen erfahren, also über mich und dich; stattdessen lernt man etwas über das transzendentale Subjekt, den freien Willen, das Vernunftwesen, die Seele – also über etwas anderes. Das erste Ziel ist damit die Destruktion der Verdoppelungen (Mensch – Wille etc.), das Stopfen von ontologischen Löchern (eine Freiheit ohne Grund) und die Aufhebung transzendenter Setzungen allgemein (die Freiheit hinter den Handlungen). Hinter dem Menschen steht nichts, und die Wirklichkeit der Welt steht nicht hinter ihr, sondern diese Welt ist ihre eigene Wirklichkeit, in allem Ernst und aller Einfachheit. Anti-Dämonologie. Die zweite Etappe packt die Problematik von der anderen Seite aus an. Sobald Mensch und Gott im Blickfeld der Freiheit miteinander in Konjunktion treten, entsteht das Sternbild der Vorherbestimmung und des Vorherwissens: Großer und Kleiner Bär der spekulativen Theologie. Und wie für das Erkennen der Sternbilder braucht man auch für diese Chimären einige Phantasie, um sie zu sehen. In der Tat, sobald der Determinismus der Natur von einem Standpunkt aus betrachtet wird, der sich jenseits dieser Natur selbst stellt, um sie in einem Blick zu umgreifen; der sich jenseits der Zeit stellt und auf die Gesamtheit der Zeit wie von außen blickt – ist für menschliche Freiheit kein Platz. Ein Beobachter, der nicht nur vor den Handelnden weiß oder wissen kann, was sie tun werden, sondern der sogar vor aller Zeit, von Ewigkeit her weiß, wer wann wie und wieso handeln wird, ist die durchgeführte Liquidierung aller menschlichen Freiheit. Dann rollt Wirklichkeit ab wie ein Film, der längst gedreht ist. Die Menschen sind nicht freier als die auf „Deinde in libera Mentis potestate non est rei alicujus recordari, vel ejusdem oblivisci.“ „Und es steht nicht in der freien Gewalt des Geistes, sich eines Dinges zu erinnern oder es zu vergessen.“ (IIIp2s/235) 13
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Zelluloid festgebannten Bilder. Und überhaupt ist Wirklichkeit dann nichts als eine reine Phantasie, ein Traum. Es hat nicht an Autoren gefehlt, die diesen Schluss gezogen haben. Wollte man hingegen Vorherbestimmung und Vorherwissen Gottes mit der menschlichen Freiheit vereinigen, so gab es darauf im Grunde nur eine ehrliche Antwort: dass man hier an ein Mysterium stößt, das die Grenzen des menschlichen Geistes weit überschreite. Das ist die Antwort, die Descartes gibt,14 und Spinoza spricht den Gedanken in den Cogitata Metaphysica nach,15 einem Text freilich, der sich wegen seiner Vermischung von Referat und Selbstpositionierung nicht vorbehaltlos als Quelle für Spinozas Denken zitieren lässt. Bekanntlich hat Laplace diesem Gedanken den kanonischen Ausdruck gegeben: Eine unendliche Intelligenz könnte, wüsste sie nur die Verhältnisse der Körper zueinander in einem gegebenen Augenblick und die auf sie wirkenden Kräfte, die gesamte Geschichte der Welt extrapolieren. 16 Wo es eine Intelligenz, ein Subjekt, einen Gott oder einen Dämon gibt, der alles weiß, da steht alles bereits fest, da existiert am Ende auch die Zeit nur als Variable in einer Gleichung, da ist mein Morgen längst geschehen, da ist meine Zukunft in genau demselben Sinn vorbei wie meine Vergangenheit, oder noch genauer: da sind Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit Kategorien, die in der objektiven Wahrheit gar keinen Platz haben. Alles, was ist, ist immer schon gewesen, „gleichzeitig“, d.h. ohne alle Zeit. Freiheit, in jedem Sinn des Wortes, den die Philosophie diskutieren kann, ist nichts weiter als ein riesiges Missverständnis, und am Ende: eine optische Illusion. Nur mit einem Schwert kann man diesen Knoten lösen. Oder eine Säge. Der ganze Witz ist doch, dass für Spinoza dieses Problem deshalb nicht besteht, weil Gott bei ihm nicht der Name für ein Subjekt ist. Es gibt zwar eine Idee Gottes, ausdrücklich eine Idee, die Gott von sich hat; es gibt auch einen unendlichen Intellekt; was es bei Spinoza aber nicht gibt, ist ein Subjekt, das die Idee Gottes auch denken würde, oder einen Träger des unendlichen Intellekts. Die Idee Gottes wird als Idee Gottes von keinem gedacht und der unendliche Intellekt ist niemandes Intellekt. Es gibt deshalb keine Instanz, die vorher wüsste, was ich morgen tun werde, und die deshalb meine Freiheit rettungslos untergraben hätte. Bei aller Betonung der Ewigkeit und ihres absoluten Primats vor der Dauer (und erst recht vor der Zeit) findet sich bei Spinoza kein Satz, mit dem angedeutet wäre, dass mein künftiges Handeln schon irgendwie feststünde und deshalb (mit letzter In den §§ 40 f. der Principia erklärt Descartes, dass der schiere Umstand, dass mit Gott das Unendliche in diese Fragestellung eintritt, uns von der Verpflichtung dispensiert, sie zu klären: einem endlichen Verstand ist so eine Klärung nun einmal nicht möglich (AT VIII. 20). 15 Cogitata Metaphysica. I. Kapitel 3. TO. 548 f. 16 Laplace: Essai philosophique sur les probabilités. 32 f. 14
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metaphysischer Strenge gesprochen) bereits geschehen wäre. Auch findet man keine Sätze, die erklären, dass meine Zukunft bereits in irgendeiner Weise in mir angelegt wäre. Solche Probleme, die Leibniz immer wieder aufs Neue wälzen wird, eben weil es bei ihm durchaus einen allwissenden Gott gibt, der die Summe der Zeiten wie von außen überblickt, haben bei Spinoza gar keinen Ort. Man ist deshalb nicht einmal berechtigt zu sagen, dass im Hinblick auf die Idee Gottes zumindest „objektiv“ die Zukunft bereits entschieden wäre, wenn es auch kein Subjekt gibt, das dieses Wissen aktualisieren würde. Sowohl der Sache nach wie dem Erkennen nach steht die Zukunft nicht fest; mein Handeln bleibt das Abenteuer, das es für mich ist. Es gibt universalen Determinismus, aber keine Prädetermination, weil das Wirkliche nun einmal in allem Ernst seinen eigenen Vollzug fordert. Andernfalls wäre es genauso vage, und zwar seiner ontologischen Natur nach genauso vage, wie die unendlich vielen möglichen, aber nicht wirklichen Linien, die man in einen Kreis einzeichnen kann. Etwas, das nur als in einem Attribut enthalten gedacht wird, entbehrt aller Kontur, Konkretion, Wirklichkeit. (IIp8s) In einem Brief an Lodewijk Meyer gelangt Spinoza sogar zu einer ausdrücklichen Zurückweisung der Idee, die Natur ließe sich erschöpfend berechnen. Denn Zeit, Zahl und Maß sind für Spinoza nur Instrumente der Imagination und damit grundsätzlich der nur durch die Vernunft erfassbaren Seinsweise der ausgedehnten Substanz (die, wie schon gezeigt, nicht aus ihren Teilen zusammengesetzt ist) unangemessen. Die gesamte Konzeption einer absoluten Bestimmtheit des Wirklichen, dem eine Berechnung durch den Dämon korrespondieren würde, vergreift sich demnach im Register und nimmt für das Wirkliche, was nur ein abstraktives Schema ist. […] wollte jemand alle Bewegungen der Materie, die es bislang gegeben hat, d.h. die Bewegungen selbst und ihre Dauer, auf eine bestimmte Zeit und eine bestimmte Zahl zurückführen, wird er genau dies machen: körperlicher Substanz, die wir nur als existierend begreifen können, ihre Affektionen nehmen und bewerkstelligen, dass sie die Natur, die sie hat, nicht hat.17
Zwar spricht Spinoza davon, dass „Gott sich selbst erkennt“ („seipsum intelligit“, IIp3s); doch diese „Selbsterkenntnis“ ist nur eine andere Schreibweise für die Bildung („formare“) einer Idee, die in sich alles begreift, was aus Gott und seinen Attributen notwendig folgt – und diese Bildung selbst geschieht notwendig. (Im selben Scholium kritisiert Spinoza auch noch einmal jede anthropomorphisierende Vorstellung Gottes, mit gutem Grund, wie man sieht.) Vor allem aber wird diese „Selbsterkenntnis“ dadurch präzisiert, dass Spinoza bemerkt, dass die Idee Gottes von Gott gebildet wird, insofern er res cogitans ist und nicht insofern er sich selbst 17
Ep12. Dt. 48. TO. 1862.
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zum Gegenstand nimmt („non ex eo, quod sit suae ideae objectum“, IIp5dem). Es ist also nicht nur Gott kein Subjekt, weshalb die Konzeption einer göttlichen Erkenntnis oder Selbsterkenntnis bereits ad absurdum geführt ist; das, worin man geneigt wäre, diese Selbsterkenntnis zu verorten, wird selbst auf eine notwendige Weise produziert, nur aus dem Attribut der Cogitatio heraus, also gerade nicht im Sinn einer Abgleichung mit einer vorangegangenen Realität, in der Tat ohne irgendeine Abgleichung (IIp6c). Das Denken ist hier wie immer ganz selbstgenügsam. Spinoza ist ein Meister der Subversion hergebrachter Philosopheme: Er nimmt einen Gedanken auf, bekräftigt mit Nachdruck, dass er ihn teile – und macht sich dann an eine Umformulierung, die von dem herkömmlichen Gehalt dieses Gedankens nichts mehr übriglässt. 18 So geht er in der Ethik mit dem Begriff von Gott vor (und dem der Essenz), so geht er im Tractatus theologico-politicus mit den Begriffen der Prophezeiung und des Propheten vor. Letzteres ist aufschlussreich, denn was Spinoza von der Prophetie übriglässt, ist nur dies: Propheten sind Menschen, die besonders vernünftig sind, im Sinn, den Spinoza dem Begriff gibt. Sie erkennen die Zusammenhänge der Wirklichkeit, und in ihnen vor allem auch die Zusammenhänge der Affekte und Handlungen mit dem Glück der Menschen und dem Gelingen ihres Zusammenlebens. Sie sprechen diese Zusammenhänge aus, indem sie sie, der Fassungskraft des Volkes angeglichen, mit einigen Bildern und Vergleichen aufpeppen, die aber dem Kern der Sache äußerlich sind. Und wenn sie sich, was gelegentlich geschieht und auch sinnvoll sein kann, dazu hinreißen lassen, Voraussagen über die Zukunft zu treffen, dann sind sie nicht von der Art esoterischen Wissens, so wie jemand, der es vermöchte, die Lottozahlen zu erraten; nein, sie stützen sich auf ihre ganz natürliche Erkenntnis und sagen Sätze von der Art: „Wenn Ihr euch weiter so verhaltet, wird das böse enden“, dabei lediglich dem Ausdruck gebend, was ein gewisses Maß an Lebenserfahrung nahelegt. 19 Nach Spinoza haben die Propheten also prophetisches Wissen, nur dass dieses keinerlei Ähnlichkeit mit dem geforderten, angeblich nur Gott voll verfügbaren Wissen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hat. Deshalb kann von dieser Seite auch keine Reduktion menschlicher Handlung auf die Ausführung einer Rolle in einem längst geschriebenen Stück
Wie erfolgreich diese Strategie im Sinn des Selbstschutzes gewesen ist, kann man in Frage stellen angesichts der heftigen Reaktionen, die Spinozas Werke von Anfang an hervorgerufen haben. Vielleicht ging es eher darum, gemäß dem erkenntnistheoretischen Schema die falschen Ideen wieder in den Kontext zurückversetzen, der ihre Falschheit liquidiert. Oder aber, wer wollte das entscheiden, Spinoza hat ganz im Gegensatz zur erstgenannten Erklärung in dieser Strategie, die doch oft sehr durchsichtig war, eine Lust zur Provokation ausgelebt, mit der Unschuldsmiene des Lausbuben. Tatsache ist, dass er sich mehrfach dieses Mittels bedient. 19 Vgl. TTP. Kap. 1-3. 18
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Legitimität erheischen. Das wird vollends deutlich, wenn man liest, wie Spinoza in der Kurzen Abhandlung sich desselben Themas entledigt: Wieder erklärt er mit nonchalanter Selbstverständlichkeit die Vorsehung für eine reale Sache, nein, er lässt die Frage ihrer Realität nicht einmal aufkommen. Stattdessen deutet er sie ohne Zögern um, und zwar in das, was in der Ethik Conatus heißen wird. Die zweite Eigenschaft, die wir ihm eigen nennen, ist die Vorsehung, die für uns nichts anderes ist als das Streben, das wir in der ganzen Natur und in den besonderen Wesen zur Erhaltung und Bewahrung ihres Seins finden. […] Daher nehmen wir entsprechend dieser Definition eine allgemeine und eine besondre Vorsehung an. Die allgemeine Vorsehung ist die, durch die jedes Ding hervorgebracht und erhalten wird, sofern es ein Teil der ganzen Natur ist. Die besondre Vorsehung ist das Streben, das jedes besondere Ding zum Bewahren seines Seins hat, sofern es nicht als ein Teil der Natur, sondern als ein Ganzes betrachtet wird.20
Spinoza schafft es sogar, in die theologische Spitzfindigkeit einer allgemeinen und einer besonderen Vorsehung seine eigene, grundlegende Unterscheidung der beiden Aspekte von Natur hineinzulegen, offenkundig ohne jeden Respekt vor der gesamten Fragestellung, die die theologische Unterscheidung trägt. Damit Gott die Funktion eines alles wissenden, vorwissenden, vorausbestimmenden Subjekts erfüllen könnte, müsste er nun einmal etwas sein, was er bei Spinoza definitorisch nicht ist: etwas jenseits der Natur. Nur für ein Wesen, das übergehende („transiens“) und nicht innerliche („immanens“) Ursache des Seins ist (Ip18), könnten all die Aporien gelten, die die Metaphysik zwischen Gott und der menschlichen Freiheit klassischerweise aufgetan hat.21 Da Gott aber nicht der Natur gegenüber transzendent ist; da er kein Subjekt ist; da seine Idee produziert wird wie alles Sein – fällt diese Problematik in sich zusammen. Die Dämonologie ist keine Disziplin der Philosophie. Marionettentheater. Die dritte Front, an der Spinoza seine Konzeption des Determinismus so von gegnerischen abgrenzt, dass sie den Raum für eine KA. Erster Teil. 5. Kapitel. 43 f. Das folgende Kapitel operiert dieselbe Umdrehung am Begriff der Vorherbestimmung, die zum Synonym der ausnahmslosen Notwendigkeit wird. 21 In den Cogitata Metaphysica (II. Kapitel 3. TO 568 f.) findet Spinoza dafür das richtige Bild: Nach einem ganz unspinozistischen Rekurs auf die Unerklärlichkeit der göttlichen Allgegenwart (die ja nur solange unerklärlich ist, als man sie von der Gegenwart der Dinge selbst meint unterscheiden zu können), weist er die Idee zurück, wonach Gott sich zur Wirklichkeit wie ein Zuschauer zum Theater verhalte – eine der typischen Verwechslungen der Eigenschaften Gottes mit denen der Menschen. 20
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wahrhaft menschliche Freiheit gerade umfasst und fordert, ist die Radikalisierung eines Problems, das in der vorigen Etappe auf einer anderen Ebene begegnet war. Wenn das Vorherwissen Gottes mein Leben und meine Handlungen zur Ausführung einer längst geschriebenen Rolle werden lässt, dann bliebe den Menschen immerhin noch die (in Wahrheit wenig beruhigende) Gewissheit, dass sie immerhin als Schauspieler ihrer selbst wortwörtlich eine Rolle haben. Nach dem klassischen Wort von Epiktet geht es dann noch darum, diese Rolle gut zu spielen.22 Es gibt aber eine viel weitergehende Destruktion der menschlichen Handlungsfähigkeit, die ihn nicht zu dem Schauspieler einer Rolle, sondern zu einer Marionette fremder Kräfte degradiert. Ist die vorige Analogie mit der Problematik eines allwissenden Gottes verknüpft, so verweist diese an die unendliche kausale Interaktion, der sich kein Wesen entziehen kann und die alle Einzelnen und vor allem alle Menschen zu den Spielbällen der übrigen Mächte der Natur erniedrigt. Es ist dies die Vorstellung, die ein sehr naiver Determinismus, gestützt auf ein noch naiveres Bild von Wissenschaft gepflegt hat: Der Mensch ist den Kräften der Natur ausweglos unterworfen. Wie die Borg sagt die Natur dem Menschen: „Widerstand zwecklos.“ Solange sich die Naturwissenschaften vor allem von der Physik her verstanden, war dieser Determinismus leicht zu durchschauen, denn er war gezwungen, alle spezifisch menschlichen oder geistigen Dimensionen radikal zu leugnen und/oder restlos zu reduzieren auf Bewegungen im Körper, vor allem im Gehirn. Als sich aber die Wissenschaften vom Leben, von der Evolution und von der Psyche entwickelten und eigene Standfestigkeit gewannen, konnte der Idee der Marionette eine neue Plausibilität untergeschoben werden: Das Leben mit seinen angeblichen Grundbedürfnissen, Grundinstinkten und Urängsten; die Evolution mit ihrer Logik des Überlebens um jeden Preis und mit der Selbsterhaltung als einem Imperativ, der unmittelbar von der Natur in jedes Lebewesen und jede Zelle eingesenkt ist; 23 die Seele mit
„Bedenke: Du bist Darsteller eines Stücks, dessen Charakter der Autor bestimmt, und zwar eines kurzen, wenn er es kurz, eines langen, wenn er es lang wünscht. Will er, dass du einen Bettler darstellst, so spiele auch diesen einfühlend; ein Gleiches gilt für einen Krüppel, einen Herrscher oder einen gewöhnlichen Menschen. Deine Aufgabe ist es nur, die dir zugeteilte Rolle gut zu spielen; sie auszuwählen, steht einem anderen zu.“ (Epiktet: Handbüchlein der Moral. § 17. 25) Die Kurze Abhandlung verrät noch hie und da einen stoischen Einfluss, der aber zur Ethik hin transformiert werden wird. So klingt die These von der graduellen Natur von Aktivität und Passivität dort noch an die strikte Unterscheidung in jenes, was in unserer Macht steht, und jenes, worauf wir keinen Einfluss haben, an (69); auch wird dort ein Vernunftbegriff ins Feld geführt, der die Vernunft (statt als konkrete und gelebte Einheit von Aktivität, Erkennen und Affekt) als eine souveräne Instanz des Urteilens betrachtet, die den konkreten Erlebnissen und Ereignissen entzogen ist (70 f.). 23 Dass man nicht so genau wusste, ja oft nicht mal richtig fragte, ob es denn nun das Individuum oder die Art oder Gattung sei, die als Träger dieses Selbsterhaltungstriebes 22
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ihren Trieben, Wünschen, Begierden, deren Träger ein jeder Einzelne nur ist, die er also auszuführen hat, und hätte er auch noch so hehre Vorstellungen von seiner Bestimmung – solche Hinzudichtungen haben mehrere Implikationen: Erstens sind sie so billig wie alle Dichtung: Was als letzter oder erster Impuls, Trieb, Streben, Bedürfnis, Angst, Imperativ… gelten soll, ist in den Grenzen gröbster Glaubwürdigkeit in das Belieben der Dichter gestellt. Zweitens wird so unversehens die Natur zu einer Entität, die nicht nur deshalb im Singular ausgesagt werden muss, weil es nun einmal nur eine gibt, wie bei Spinoza; sondern die wie ein Individuum oder gar wie ein Subjekt agiert, Aufträge erteilt, Zwecke hat – eine reine Chimäre. Drittens sind sie als Verdopplungen der realen Menschen wieder Operatoren der Entwirklichung und der Enteignung des Menschen: Er wird seiner selbst enteignet, sobald er als Spielfeld oder bestenfalls als Kampfplatz widerstrebender Kräfte verstanden wird. Für diesen Determinismus gilt, was die Gegner Spinozas fälschlicherweise bei diesem finden wollte: dass es keinen Unterschied mehr gibt zwischen einem Menschen, der sich aufrichtig um die anderen, um sich, um die Gemeinschaft bemüht, und einem skrupellosen Verbrecher. Ja, diese Dichtungen sind sogar häufig zum Vorwand und zur Entschuldigung von Rücksichtslosigkeiten aller Art geworden; besonders prominent in der Linie, die den Sozialdarwinismus mit den verschiedenen Rassismen verbindet, und in der Rechtfertigung eines enthemmten Kapitalismus über die Behauptung, die ganze Welt funktioniere nun einmal nach dem Gesetz einer Vorteilsmaximierung aller Einzelnen, der Egoismus sei daher die eigentliche Übereinstimmung mit der Natur. Das letzte Argument zeigt die eigenartige Schieflage auf, in die man hier schon auf der theoretischen Ebene gerät. Denn der Egoismus hat dort gerade nichts mehr mit mir zu tun: Er ist selbst eine unpersönliche Forderung, ein Gesetz, eine Kraft, die ohnehin stärker ist als ich. Mein Egoismus, der meine Existenz erhält, ist zwar mir selbst zuträglich und (so geht die Mär) auch allen anderen, er ist aber letztlich eine fremde Macht in mir. Diese theoretische Situation ist praktisch natürlich kein Nachteil, geht doch die Exkulpation seiner selbst nur umso geschmeidiger von der Hand. Es ist aber bezeichnend, dass es sich wieder um eine Verdopplung des Menschen handelt, bei dem dieser letztlich verloren geht, zumindest als eine selbst aktive Größe, wenn nicht sogar in der ihm einzig möglichen Realität. Im Grunde ist der Irrtum, auf dem all diese Figuren beruhen, so augenfällig, dass es schon einer besonderen Tücke des Denkens bedarf, um ihn unsichtbar zu machen. Der Irrtum besteht einfach darin, die gesamte Wirklichkeit aus Kräften zusammenzusetzen – und nur den armen Menschen bei der Distribution der Kräfte zu übergehen! Man konstruiert so
fungiere – was keineswegs auf dasselbe hinausläuft –, ist nur eine Randnotiz in dieser mit lauter Unklarheiten und unverdauten Großideen bestückten Geschichte.
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eine Welt, in der alles wirkt und drängt, stößt und mahlt, und in der einzig der Mensch den Ort markiert, der aller eigenen Aktivität beraubt ist: pure Passivität, bloßer Kreuzungspunkt fremder Mächte. Woher diese Ausnahmestellung des Menschen kommen soll, das weiß man nicht, das fragt man auch gar nicht. Offenbar aber bereitet die idealistische Ausnahme des Menschen ihre eigene resignative Umdeutung vor – was auch impliziert, dass der offensiv vertretene Materialismus, der oft mit diesen Theorien menschlicher Ohnmacht verbunden wird, in Wahrheit auch nur ein umgekehrter Idealismus ist. Die eigentliche Tücke liegt aber in einem anderen Punkt: Der Widersinn, in einer Welt voller Kräfte, Ursachen und Wirkungen einzig den Menschen zur reinen Wirkung zu degradieren, fällt deshalb nicht auf, weil man, wie schon angedeutet, die wirkenden Mächte von den Wirklichkeiten entkoppelt hatte, die man beobachten kann. Anstatt reale Wirkungen und ihre realen Ursachen zu betrachten, wechselt man die Ebene und statuiert Naturgesetze und Naturkräfte, die von anderer Art, von anderer Seinsweise sind als die realen Dinge (Menschen eingeschlossen), in denen sie sich instanziieren. Die physikalischen Naturgesetze, die Imperative „der Natur“ und „des Lebens“, die Triebe der Seele: Sie und ihre Konsorten sind kategorial anders als Menschen, Libellen, Murmeln. Und wenn man jenen, den realen Kausalverhältnissen, die eigentliche Wirklichkeit abgesprochen und diese kategoriale Unterschiedenheit bemerkt hat, bleibt fast kein anderer Weg, als jede eigene Wirkungsmacht der endlichen Seienden, die den Gesetzen und Kräften unterstehen, zu leugnen. Ein Skorpion ist, wie die beliebte reaktionäre Fabel erklärt, eben das Wesen, das selbst noch die helfende Hand sticht, und sei es um den Preis des eigenen Lebens. 24 Glas zerspringt. Der Mensch sucht immer nach seinem Vorteil. Dieser Determinismus ist metaphysisch grundfalsch. Dabei ist er getragen von einer richtigen Einsicht, die am Anfang aller Reflexionen stehen muss, der philosophischen wie der politischen. 25 Diese Einsicht lautet: Es Natürlich ist die bekannte Geschichte nicht reaktionär, weil sie dem Skorpion Unrecht täte. Sie ist es, weil sie das Bild einer unveränderlichen, feststehenden und vor allen Dingen auch bekannten und in zwei Sätzen aussagbaren Natur einer jeden Spezies oder auch mancher Einzelwesen propagiert und diese Natur, das unveränderliche, geschichtslose, metaphysische Wesen wenig verhohlen zur Rechtfertigung einer reaktionären politischen Agenda gebraucht. 25 Und es ist ein Unglück, dass die emanzipatorische Reflexion nicht selten der Versuchung erlag, diese Einsicht – die sie mit ihrer reaktionären Perversion verwechselte – abzuschütteln. Dann glaubte sie, es sei möglich und schließlich sogar geboten, die Wirklichkeit im Guten neu zu erfinden und in allen Stücken aufzubauen. Das hat manchmal harmlose und kuriose Effekte, etwa wenn manche besonders Korrekte behaupten, das Geschlecht sei eine Sache, die völlig ins freie Verfügen der Menschen gestellt sei; das hat aber auch Konsequenzen gehabt, deren Brutalität und Irrsinn jede menschliche Fassungskraft herausfordern: im „Großen Sprung nach Vorn“ etwa oder in der von den 24
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gibt absolute Grenzen der Macht, die der Mensch in der und über die Natur erwerben kann. Ein paar davon lassen sich benennen, weil sie unmittelbar aus der Struktur von Wirklichkeit überhaupt fließen: So wird keine noch so fortschrittliche Medizin den Tod besiegen können. Wie lange, wie wirkungsvoll er aber in Schach gehalten werden kann, wie weitgehend seine Vorboten und Cousins, die Krankheiten, Schwächungen, Behinderungen, heruntergedrückt werden können, das kann nur der Versuch zeigen. Aber es gilt immer: „Es ist unmöglich, dass der Mensch kein Teil der Natur wäre und bloß solche Veränderungen erleiden könnte, die durch seine eigene Natur allein eingesehen werden können und deren adäquate Ursache er ist.“ (IVp4)26 Die Kraft („vis“) der Menschen ist begrenzt; die Macht („potentia“) der äußeren Ursachen wird sie immer unendlich übersteigen (IVp3). Deshalb muss die Kraft einer Leidenschaft („passio“), also letztlich eines Affekts mit passiver Richtung (= der mich passiv macht), als die Differenz zwischen der äußeren Macht und unserer Macht begriffen werden (IVp5). Es ist daher wahr, dass es eine absolute Grenze unserer Macht gibt. Der Versuch, sich gegen die ganze Natur zu erheben, wird, ob lächerlich, heroisch oder verheerend, immer scheitern. In der Begründung dieses unvermeidlichen Scheiterns ist aber schon die gesamte Grenzziehung zu dem falschen Determinismus enthalten: Denn wir werden scheitern, weil die Mächte, denen wir begegnen, in Summe immer größer sein werden als unsere Macht, was aber zweierlei impliziert: Die äußeren Mächte, denen wir unterliegen werden, sind von gleicher Art wie unsere Kraft, andernfalls ließen sie sich ja gar nicht miteinander verrechnen. Es geht um die Macht, in der sich einerseits die Kommunikation der Teile meines Körpers ausdrückt, und um die, mit der sich ein Virus dem Zugriff der Abwehrkräfte zu entwinden versteht. Es geht um die Macht, die wir den verführerischen Vereinfachungen entgegenzusetzen haben, auch wenn die Ehrlichkeit, die von uns gefordert wird, schmerzhaft sein mag. Es geht um mich und um das Auto, dessen Fahrer mich nicht gesehen hat. Es geht um die reale Interaktion, Interferenz und Konkurrenz realer, gleichartiger Kräfte. So muss der Mensch nicht mehr verloren haben, bevor die Auseinandersetzung begonnen hat, denn die Kräfte, mit denen er zu tun hat, sind immerhin kommensurabel mit seinen. Wir nutzen ja nicht zuletzt auch die Kräfte der Natur, die wir in unserem Sinn umlenken, um gegen die Angriffe derselben Natur gewappnet zu sein: Nichts anderes ist z.B. eine Impfung.
Roten Khmer ausgegebenen Parole, dass man zur Errichtung von Staudämmen keine Ingenieurkenntnisse, sondern nur der richtigen politischen Schulung bedürfe. Vgl. Stéphane Courtois et al.: Das Schwarzbuch des Kommunismus. 667. 26 „Fieri non potest, ut homo non sit Naturae pars, et ut nullas possit pati mutationes, nisi, quae per solam suam naturam possint intelligi, quarumque adaequata sit causa.“
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Zweitens impliziert diese ganze Argumentationslinie die ausdrückliche Anerkennung und Artikulation einer ebenfalls ganz trivialen Tatsache, die aber im falschen Determinismus unter den Tisch fällt: dass unsere Macht zwar begrenzt sein mag, aber nicht gleich Null. Wir haben eine Macht, eine endliche Macht, aber immerhin eine Macht. Wir können mit ihr deshalb auch rechnen, im doppelten Sinn: sie zählen und auf sie zählen. Natürlich ist meine Macht endlich, begrenzt. Ein Wesen, an der Grenze von Leben und Leblosem, mikroskopisch klein, kann mein Leben beenden. Ich habe aber Macht. Und vor allem liegt es in unserer Macht, nein: tendiert unsere Macht von sich aus dahin, sich mit anderen, ähnlichen Mächten zusammenzuschließen. Der Expansionismus des Conatus führt automatisch darauf, dass dieser Conatus (der dasselbe ist wie unsere Potentia, IIIp7) sich in den engen Grenzen, die ihm gezogen wären, würde sich ein jeder nur auf sich verlassen, nicht halten lässt. Von sich aus streben die Conatus über sich selbst hinaus und hin auf die Verbindung mit anderen. Erst in der gegenseitigen Bekräftigung und Verstärkung der Conatus werden die Menschen zu dem Grad ihrer Autonomie, Freiheit, Macht gelangen, der ihnen möglich ist. Mit anderen Worten: Das Leben in Gemeinschaft ist der eigentliche Ort menschlicher Existenz. Sie ist dem Leben in Einsamkeit unbedingt vorzuziehen (IVp35s). In ihr lassen sich die Potentiae der Einzelnen summieren, um der Übermacht der Natur einen Fußbreit mehr abzuringen. Kein Einzelner hätte je eine Impfung entwickeln können oder auch nur einen Deich bauen. Nichts ist dem Menschen nützlicher als der Mensch,27 und diese Nützlichkeit hat für Spinoza ganz entschieden pragmatischen Sinn, sie geht aber weit über alle Pragmatik hinaus. Dass die Macht der Menschen gegenüber der Natur nicht gleich Null ist, geht in Wahrheit schon aus der Natur der Affektion hervor: „Alle Weisen, in denen ein Körper von einem anderen affiziert werden, ergeben sich aus dem Zusammen der Natur des affizierten Körpers und der Natur des affizierenden Körpers […]“ (IIa1, nach Lemma 3).28 Auf dieser Zweiseitigkeit beruht die gesamte folgende Konzeption der Affektion des Körpers (IIp16 und IIp16c), der selbst wieder natürlichen Grenzen der Transparenz, die unserer Körper für uns erlangen kann (IIp28) und die in der Folge der menschliche Geist für uns erlangen kann (IIp28s), und des Affekts, dessen Begriff von dem der Affektion abhängig ist (IIIdef3). Man darf dabei die konstitutive Intransparenz nicht mit einer Falschheit oder einer prinzipiellen Unerkennbarkeit verwechseln. Vielmehr erkenne und erfahre ich meinen Körper, so wie er ist (IIp13c und IIp17s). Und da es zwischen den Körpern keine prinzipielle Unterscheidung gibt, folgt daraus, dass ich auch die anderen Körper so erkenne und erfahre, wie „Homini igitur nihil homine utilius […].“ (IVp18s) „Omnes modi, quibus corpus aliquod ab alio afficitur corpore, ex natura corporis affecti et simul ex natura corporis afficientis sequuntur […].“ 27 28
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sie sind. In der Tat ist diese unmittelbare Berührung mit dem Wirklichen gerade in der Kombination der Kräfte begründet, die Spinoza Affektion nennt: Die Affektion ist der Ort, an dem in einer echten Zwischenzone das Fremde und das Eigene aufeinander wirken und ineinandergreifen, so aber, dass jede Wahrnehmung (IIp16 und Folgesätze), Erkenntnis und noch die Unterscheidung ins Fremde und Eigene von hier aus ihren Anfang nehmen. Wenn der Dritte Teil dann die Theorie der Affekte entfaltet, wird deutlich, dass die partielle, aber nichtsdestoweniger reale Aktivität, die Handlungsmacht („agendi potentia“) nicht nur von Spinoza nicht übersehen, sondern im Gegenteil ins Zentrum der gesamten Philosophie gerückt wird. Nein, wir werden ein Erdbeben nicht aufhalten. Und ja, es kann sein, dass wir z.B. durch den Tod unserer Lieben eine solche Wunde erleiden, dass wir uns von ihr nicht mehr erholen werden. Aber das heißt nicht, dass wir immer und grundsätzlich ohnmächtig sind. Wir sind mächtig, wir sind selbst Ursache im Gewebe der Welt und nicht nur Wirkung, Faktor und nicht nur Funktion. Unsere Macht mag endlich sein, aber wir können sie steigern: durch Zusammenarbeit mit anderen Menschen und durch die ethische Selbstkultivierung, von dem Spinozas Buch handelt. Ein Widerspruch zwischen Determinismus und Freiheit kann nur bestehen, wenn man mindestens einen der Termini falsch versteht, und meistens werden sie gleich beide missverstanden. In Spinozas Philosophie aber ist, gerade dadurch, dass jede grundsätzliche Trennung zwischen Mensch und Natur eingerissen wurde und dass alle hinter- und überweltlichen Entitäten als Projektion aus der Immanenz entlarvt sind, das endliche Maß menschlicher Handlungsmacht und Freiheit ein integraler Bestandteil dessen, was die Geschlossenheit der Wirklichkeit ausmacht. Wir sind eben keine Marionetten fremder Kräfte. Die universale Determination ist auch auf mich angewiesen, sie braucht meinen Mitvollzug, ohne dass dabei irgendetwas hinter meinem Rücken abliefe. Der Determinismus Spinozas ist kein Fatalismus. Dieser letztere ist es, den Martin Buber „Verhängnis“ nennt, und nur von ihm gilt sein unwiderleglicher Satz: „Das einzige, was dem Menschen zum Verhängnis werden kann, ist der Glaube an das Verhängnis; er hält die Bewegung der Umkehr nieder.“29 Der Sinn des Determinismus. Dass diese Welt, in der wir leben, ein Gewebe von Ursachen und Wirkungen ist; dass nichts aus nichts entsteht, dass alles in bestimmter Weise operiert, und dass sowohl das Operieren wie seine bestimmte Weise bestimmt sind von dem, was diesem Operieren im Ding oder an Einwirkungen auf das Ding vorhergeht – dass diese Welt deterministisch organisiert ist, um diesen Slogan der Philosophiegeschichte zu gebrauchen: das ist für Spinoza eine so fundamentale Gewissheit, dass er noch 29
Buber: Ich und Du. 55 f.
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nicht einmal viel Zeit damit zubringt, sie zu belegen oder auszuführen. Sie bildet den Grundton der gesamten Entwicklung der Ethik, bis hin zu der Möglichkeit des Buches selbst. Wenn einmal der Schutt der Naivitäten und Fehldeutungen abgetragen ist und man nicht mehr von den Abirrungen betroffen ist, die sich mit dem Schlagwort verbunden haben, lässt sich endlich der positive Sinn des Determinismus einsehen. Spinozas Determinismus ist keine blinde Grundüberzeugung, kein Glaubensartikel; noch weniger geht Spinoza dabei der Suggestionskraft der Begriffe auf den Leim, die eine ausnahmslose Anwendung der Kategorien von Ursache und Wirkung suggerieren. Es geht beim Determinismus in Wahrheit um nichts anderes als um die Integrität der Wirklichkeit selbst. Und diese Integrität trägt auch erst ihre Erkennbarkeit. Eine Wirklichkeit, die ausnahmslos von dem Gesetz von Ursache und Wirkung beherrscht wird:30 wie ist die ausgezeichnet? Sie ist lückenlos. Sie ist erkennbar. Sie ist manipulierbar. Sie hat weder Lücken noch Leerstellen, es mangelt ihr nichts und es gibt keine Bresche, in die das Nichts einsickern oder aus der die Fülle abfließen könnte. Sie ist weder unvollkommen noch ist sie auseinandergerissen in verschiedene Bereiche des Seins, die nicht mehr miteinander in Kontakt gebracht werden könnten. Die Wirklichkeit, die sich von einem Ende zum anderen in Ursache und Wirkung aufgliedert, ist reine Fülle und sie ist Zusammenhang. Hier steht alles und selbst noch das Disparate mit allem anderen in einem unmittelbaren Zusammenhang, es herrscht reale Interaktion, eine Interaktion, deren Chiffre eben das Schema von Ursache und Wirkung ist. Der Determinismus besorgt also in dieser ersten Hinsicht mit einem Handstreich die Reduktion aller Transzendenzen, alles „ganz anders als“ und die Zusammenschnürung des Wirklichen, d.h. die Dichte der Immanenzebene. Deshalb ist diese Wirklichkeit auch erkennbar. Ein jedes Wirkliche verweist auf andere Wirkliche und auf das Gesamt der Wirklichkeit. An keinem Punkt aber kann oder darf man sich auf eine absolute Andersartigkeit, eine radikale Transzendenz, eine inkommensurable Höhe berufen, die in
So sehr, dass diese Begriffe noch einmal auf die Wirklichkeit als Wirklichkeit Anwendung finden können müssen – und da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder gibt es noch einmal eine Ursache der Wirklichkeit oder nicht. Nur der letztere Fall ist für Spinoza in seiner Konstruktion einer Immanenzebene (der Ausdruck ist von Deleuze und Guattari, die ihn gerade in Qu’est-ce que la philosophie? auf Spinoza anwenden, vgl. dort Kap. I, 2) akzeptabel. Und dann ist er zu jener atemberaubenden Wendung gezwungen, in der die Wirklichkeit zugleich ihre eigene Ursache und ihre eigene Wirkung ist: causa sui. Das ist die Wendung, in der letzten Endes die gesamte Denkfigur des Schillerns der Natur bereits angelegt ist. 30
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das Gewebe der Regelmäßigkeit der Welt, das diese erkennbar macht, ein Loch einfügt, durch das die Willkür des Erfindens Eintritt findet. Das „ignorantiae asylum“ (Iapp) ist sowohl Resignation und Kapitulation wie es andererseits der Vorwand noch für jedes Hirngespinst ist; das lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, dass, ist erst einmal anerkannt, dass Gott mit bestimmten Individuen bevorzugt spricht, diese sich grundsätzlich keine Fragen bzgl. der Wahrheit oder nur des Sinns ihrer Verkündigungen mehr stellen müssen. Nur die ontologische Lückenlosigkeit des Seins verbürgt die epistemologische, indem sie diese zugleich als Anspruch von aller Erkenntnis fordert.31 Und nur eine solche Welt, die lückenlos ist, sowohl ontologisch wie epistemologisch, die regelmäßig und daher auch verlässlich ist, ist eine Welt, in der ich produktiv agieren kann. Wäre das Gewebe der Wirklichkeit nicht dergestalt integer, so müsste ich, zumindest prinzipiell, bei all meinen Anstrengungen mit einer Frustration rechnen, die aus einer absoluten, aber auch absolut willkürlichen Grenzziehung entspringt: Plötzlich geschieht etwas ganz anderes. Ein unverständliches Außen hat die Spielregeln verändert. Wunder, Gnade oder Strafe: es hat einen Bruch in der Kontinuität der Welt gegeben, ein Bruch, der nicht nur meine Bemühungen in diesem Fall zunichte gemacht hat, sondern sie in jedem Anlauf einem Zufall ausliefert, der sie aller realen Wirkungsmacht berauben muss. Natürlich: Wir können nicht alles ändern, all unsere Anstrengungen sind der Möglichkeit der Frustration ausgesetzt. Aber wenn uns der Erfolg verwehrt bleibt, können und müssen wir nachforschen, warum. Und wir werden dann auf neue Flecken im Gewebe der Wirklichkeit stoßen, deren Musterung beim nächsten Versuch mit ins Design unserer Handlungen einfließen kann. Und natürlich: „Verständlich“ ist nicht gleich „verständlich“. Verlieren wir durch einen Autounfall unsere Familie, so wird uns das auch in einem fundamentalen, existenziellen Sinn unverständlich bleiben müssen: Warum, fragen wir dann, hat es uns getroffen, warum unsere Es ist sicher inzwischen deutlich geworden, dass diese Lückenlosigkeit der Erklärung nicht mit ihrer Vollständigkeit verwechselt werden darf. Wir werden niemals die Wirklichkeit oder auch nur einen Teil aus ihr restlos, vollständig erklären können. Das aber verweist nur auf eine Endlichkeit, die mit dem Unendlichen homogen ist, die also nur dem Mehr oder Weniger nach durch dieses überstiegen wird. Das „nicht können“ in „Wir können nicht alles erkennen“ meint nur, dass wir die kausalen Verhältnisse wegen ihrer Überkomplexität und ihrer gegenseitigen Durchdringung nicht vollständig erkennen können. Es gibt aber nichts darin, was sich grundsätzlich nicht erkennen ließe von einem Verstand wie dem unsrigen, weil es von anderer Art wäre o.ä. Cook (The Idea) hat die Präsenz der Idee Gottes in unserem Geist als Grundlage und Bedingung aller Erkenntnis im Sinn der beschriebenen Bestimmtheit und Notwendigkeit konzise thematisiert. Ich wäre allerdings mit der Verwendung des Begriffs der Naturgesetze in Bezug zu Spinoza zurückhaltender: Mir scheint dieser Begriff durch seine sehr spezifische Verwendung in der Gegenwart tendenziell den Blick auf die Notwendigkeit bei Spinoza zu verengen. 31
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Familie? Diese Frage ist nicht zu beantworten, denn sie fragt nach einer Absicht oder einem höheren Sinn in einer Verkettung von Ursachen, die, halten wir uns strikt im Rahmen der wirkenden Ursachen selbst, nichts Mysteriöses hat: Unsere Familie war auf dem Weg zu Verwandten, um eine Feier zu begehen; der andre Fahrer hat sich nach einem Streit betrunken hinters Steuer gesetzt usw. Die Unverständlichkeit entsteht nicht durch die Anwendung der Frage „Warum?“, sondern durch ihre falsche Orientierung. Diese Einsicht, das ist klar, wird sie nicht so ohne Weiteres ihrer Macht über uns entkleiden. Ohne diese Einsicht aber wird ihre Macht absolut bleiben, genauso wie unsere Trauer. Es ist also die allseitig verkettete, verknüpfte, kausal determinierte Welt, die überhaupt die Idee einer (zwar begrenzten, aber dafür umso realeren) Interaktion, die Idee menschlichen Eingreifens, des Einwirkens, einer Handlung im engen Sinn möglich macht. Und so zeigt sich, dass der Determinismus für Spinoza nicht nur nicht das Ende der menschlichen Freiheit markiert, sondern diese überhaupt erst möglich macht. 32 Mit einem anderen Schlagwort aus der Geschichte der Philosophie belegt man Spinoza ebenfalls gern, indem man ihn einen Rationalisten nennt. Dieser dreifache Konnex, der den Sinn des Determinismus ausmacht, ist wahrscheinlich der Ort, an dem dieses Schlagwort am besten passt. Das erhellt am deutlichsten im Ausgang vom zweiten Aspekt des Sinnes des Determinismus. Denn die „ratio“ als die Erkenntnisweise, die geduldig den Verknüpfungen des Seins nachgeht, als zweite, diskursive Erkenntnisgattung (IIp40s2) hat überhaupt nur einen Platz in einer Welt, die auch diese Verknüpfungen durchhält. Andernfalls bliebe sie pure Behauptung, und der Abgrund wäre wieder eröffnet zwischen dem Erkennen des Menschen und einer Wirklichkeit, die sich ins Unerkennbare zurückgezogen hat. Spinoza ist aber nicht bereit, diesen Abgrund zuzugeben: Erkennen trifft unmittelbar das Wahre. Das ist für Spinoza genauso wenig diskutierbar wie die allseitige kausale Verknüpfung des Seins. Dass die „ratio“ die ontologische Wahrheit einer lückenlosen und vollkommenen Welt berührt und Ein Vergleich mit Epikur zeigt erstaunliche Parallelen auf. Dessen ‚Brief an Herodot‘ setzt mit drei metaphysischen Grundsätzen ein, die eine ganz ähnliche Funktion erfüllen wie der Determinismus bei Spinoza: 1) Nichts entsteht aus nichts: d.h. die Wirklichkeit ist regelmäßig und damit erkennbar. 2) Nichts vergeht in nichts: d.h. die Wirklichkeit genügt sich selbst und bedarf keines transzendenten Garanten. 3) Das All bleibt sich immer gleich: d.h. es gibt nichts und niemanden jenseits der Wirklichkeit, denn allein von dort könnte es zu einer Veränderung des Alls kommen (Briefe, Sprüche, Werkfragmente. 6 f.). Der ‚Brief Menoikeus‘ endet mit einer Polemik gegen die Schicksalshörigkeit mancher Naturphilosophen (ebd. 50 f.). Spinoza wie Epikur bemühen sich um eine Rekonstruktion einer rein immanenten Wirklichkeit, in der es nicht nur Raum für die Handlungsmacht der Menschen gibt, sondern in der dieser Raum auch methodisch vergrößert werden kann, wenn auch nicht endlos. Und für beide ist diese Vergrößerung selbst das Glück und die eigentliche Tugend. 32
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nachzeichnet, wird auch dadurch deutlich, dass sie, ebenso wie die dritte Erkenntnisgattung, dazu in der Lage ist, den Brennpunkt herbeizuführen, in dem sich die Erkenntnis wieder ganz unmittelbar als absolute Liebe zu einer Natur enthüllt, die nichts außerhalb ihrer hat und der nichts mangelt (Vp1-20; vgl. auch das letzte Kapitel dieser Studie). Und schließlich ist die „ratio“ der Zugriff auf das Wirkliche, der dieses als notwendig (IIp44) und ewig (IIp44c2) betrachtet: Die Notwendigkeit schließt von sich aus alle Willkür und alles Eindringen eines Fremden aus; die Ewigkeit, genauer: die Betrachtung unter einer gewissen Ewigkeitshinsicht greift vor und vollzieht die Fülle, die uns per definitionem übersteigt und die wir deshalb nur in diesem Vorgriff haben können. Auf der anderen Seite ist die aufgeklärte ethische Handlung in der Welt eine, die von der Vernunft geleitet ist, wie vor allem der Vierte Teil nicht müde wird zu betonen: Aus der Tugend handeln ist dasselbe wie aus Vernunft handeln, in der Suche nach dem, was uns wahrhaft nützlich ist (IVp24). Erkenntnis, Selbstbewahrung, Nützlichkeit sind in der Vernunft eines (IVp26). Zugleich ist das höchste Gut unknapp (IVp36), weshalb auch niemand einem Menschen nützlicher ist, als ein Mensch, der aus Vernunft lebt (IVp35c1); so einer erstrebt, dass das Gut, das er genießt, von allen anderen auch genossen wird (IVp37). Und es ist die Vernunft, die am Ende in die Richtung einer immer weitergehenden gegenseitigen Verbindung der Einzelnen weist, in der Gewissheit, dass in dieser Zusammenfassung ein jeder und eine jede am meisten Handlungsmacht erlangen können (IVp18s). Ein Leben aus der Vernunft gelingt gemeinsam besser als in Einsamkeit (IVp73). Die Vernunft („ratio“) trägt also in der Tat den gesamten Sinn des Determinismus in seinen drei Aspekten: als lückenlose, zusammenhängende Fülle des Seins; als Erkennbarkeit der Welt; und als Wegweiser zum Ausschöpfen der Potenz an Handlungsmacht, die uns zugeteilt ist. Determinismus ist bei Spinoza das glatte Gegenteil einer trübsinnigen Ergebung ins Unveränderliche: Er markiert vielmehr die rationale Bedingung einer heiteren Bearbeitung seiner selbst und der Wirklichkeit. Er ist nicht die Leugnung von Freiheit, sondern die Ermöglichung der Freiheit, die für ein Wesen, das nicht allein in der Welt ist, Wirklichkeit werden kann, und zwar genau dann, wenn es dazu in der Lage ist, diese Freiheit selbst ins Werk zu setzen. Notwendigkeit und Freiheit bezeichnen wiederum das Flirren der Natur: den Horizont, wo Meer und Himmel nicht mehr zu unterscheiden sind.
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Zusätze, Vorworte, Potenzen der Sätze: Bemerkungen zur Struktur der Ethik Die Teile und ihre Zusatzteile. Spricht man von der Ethik, drängt sich wie von selbst das Bild eines architektonischen Meisterwerkes auf, das den demonstrativen Rationalismus, den es vertritt, in der Stringenz der Durchführung demonstriert und im Aufbau der Beweise aufeinander sichtbar werden lässt. Das Buch ist dabei schön säuberlich in fünf Teile gegliedert, deren Überschriften sehr zuverlässig Aufschluss über den Inhalt geben und die alle zusammen eine Denkbewegung ins Werk setzen, die nicht so sehr zwingend in einem allzu logischen Sinn ist, als vielmehr mitreißend, so wie ein Roman oder Film mitreißend sind. Die Denkbewegung der Ethik ist selbst Manifestation der Potentia dieses Denkens, ja, sie ist diese Potentia selbst, und ihre Kraft, der Sog, den sie entfaltet, zeugt von der Überfülle und der Expansivität, die für alle reale Potentia charakteristisch ist. (Einschränkungen entstehen immer nur aus der Interferenz verschiedener Potentiae.) Fünf Teile also, mit fünf klar identifizierten Themen: Metaphysik der Substanz, ihrer Attribute und Modi; Theorie des menschlichen Geistes und Körpers; Affektlehre; Rückbindung der Affektlehre an die Theorie der Natur, wodurch sowohl die Gründe erkennbar werden, warum die Menschen meist ihren Affekten unterworfen sind, als auch die Bedingungen, unter denen eine Freiheit auftreten kann; Ethik der menschlichen Freiheit. Das alles zusammengehalten durch die Figur der Natur, die in sich schillert zwischen der naturierenden und der naturierten, zwischen dem Prinzip und dem Prinzipiierten, zwischen Substanz und Modus, zwischen dem Ganzen und seinen Teilen. Das alles lässt sich sofort erkennen, und Spinoza gilt nicht zu Unrecht als einer der besonders aufgeräumten Köpfe in der philosophischen Tradition. Aber es fällt doch auf, dass die offenkundige Gleichförmigkeit des Aufbaus durchgehend gestört ist. Es ist schon eigenartig, dass Spinoza jedem einzelnen der fünf Teile eine strukturelle Besonderheit inkorporiert hat, die als Symmetriebrecherin dient. Denn jeder dieser Sonderteile hat eine andere Struktur und Position in Bezug auf den eigentlichen Korpus des betroffenen Teils. Im Fall des Ersten Teils ist die Sachlage noch halbwegs klar zu benennen. Nachdem Spinoza im Ersten Teil die Natur Gottes erörtert hatte, hängt er dieser Ausführung noch eine Ergänzung an, einen Appendix, Anhang, in dem er sich gegen irrige Konzepte Gottes und der Natur wendet und deren verheerende Konsequenzen für das Denken aufzeigt. Solche Irrtümer liegen vor allem in der Annahme einer teleologischen Ordnung der Natur, zu der noch die Idee einer Personalisierung Gottes sowie, als
Höhepunkt des Aberglaubens, der Möglichkeit, mit Gott zu verhandeln oder ihn zu bestechen, tritt. Wird die strenge Ordnung der Natur von einer kausalen in eine zweckmäßige umgedeutet, dann wird die einfache Oberfläche des Seins auseinandergerissen, es entstehen genau die Schründe, aus denen alle möglichen Gespenster nach oben steigen können. Und das „alle möglichen“ ist wörtlich gemeint: Diese Korruption der Oberfläche des Seins schafft die einsinnige Verstehbarkeit ab, hebt das Kriterium der Rationalität auf und führt stattdessen die reine Willkür in der Erfindung von Erklärungsgründen ein. Das ist das zurecht berühmte „ignorantiae asylum“. Der Zusatzteil zum ersten Teil ist also nicht nur dem Namen, sondern auch der Sache nach ein Anhang, der eine wertvolle Ergänzung bietet und zugleich die Ausführungen des Hauptteils noch klarer werden lassen, der aber schön säuberlich vom Hauptteil abgetrennt ist und ihm nachfolgt. Die Sache steht nun aber beim Zweiten Teil ganz anders. Dessen Sonderteil ist nicht angehängt und abgegrenzt. Vielmehr haben wir da den erstaunlichen Vorgang vor uns, dass Spinoza seine Verkettung der Beweise unterbricht, 1 um noch einmal neu anzusetzen: Nach dem Lehrsatz 13 wird die übliche Abfolge von Sätzen, Beweisen, Folgesätzen und Scholien ausgesetzt, und eine neue Serie von Axiomen, Lemmata und Postulaten entfaltet die allgemeinsten Grundlagen dessen, was man als die spinozistische Physik bezeichnen kann. Dieser Umweg war nötig geworden, weil sich nicht nur die unbedingte Parallelität von Körper und Geist erwiesen hatte (IIp7), so dass die Mutmaßung berechtigt ist, dass sich aus dem Studium der Körper auch einiges über die Natur des Geistes ergeben würde. Noch entscheidender war aber der Schritt – der einzige, der Körper und Geist direkt aufeinander bezieht – zu erkennen, dass der menschliche Geist durch einen Gegenstand konstituiert wird, nämlich durch den Gegenstand, wovon dieser Geist Idee ist. Und dieser Gegenstand ist eben der wirkliche existierende Körper, „und nichts anderes“ (IIp13). Ist das erwiesen, dann kann nicht nur, sondern dann muss die Erörterung des Geistes durch eine des Körpers ergänzt werden. Die Psychologie braucht zwingend die Physik. Und der Einschub im Zweiten Teil liefert deren Grundzüge nach. Anders als im Ersten Teil ist der Zusatzteil also nicht angehängt. Er ist aber ebenso wie dort klar abgegrenzt: Er ist eben das, was zwischen den Lehrsätzen 13 und 14 eingefügt ist. Der Zusatz- oder Sonderteil befindet sich abgeschlossen mitten im Hauptteil. Der Dritte und der Vierte Teil scheinen die Struktur des Ersten zu wiederholen. Aber von dieser äußeren Form sollte man sich nicht täuschen Eine solche Unterbrechung ist aber nicht ohne Vorbild oder Wiederholung. Mindestens zwei analoge Situationen fallen ein: Zum einen bricht auch die Argumentationskette zwischen Ip23 und Ip24 ab, da von den unendlichen zu den endlichen Modi kein Übergang führt. Zum anderen setzt auch der Fünfte Teil zweimal an und inszeniert folgerichtig einen Bruch, wie gleich noch zu sehen sein wird. 1
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lassen. Dem Dritten Teil ist eine Auflistung der Definitionen der Affekte angehängt. Sie beginnt mit der Definition der Begierde (Cupiditas) und besteht aus insgesamt 48 Punkten, die am Ende durch eine allgemeine Definition der Affekte abgerundet werden. Diese Definitionen sind teilweise fast wortgleich zu den Definitionen, wie sie sich in den Scholien des Dritten Teils finden, teilweise weichen sie leicht davon ab. Entscheidend ist jedenfalls, dass dieser Sonderteil den Rahm der Scholien abschöpft, also seine hauptsächliche Quelle genau in jenen Passagen des Hauptteils hat, die bereits ihrerseits von dem strengen Gang der Beweise als „Anmerkungen“ abgehoben sind. Dieser Überschuss wird noch einmal gesammelt im Ergänzungsteil. Ganz ähnlich scheint der Vierte Teil zu verfahren. Auch dort ist ein Teil angehängt, der noch einmal wichtige Punkte eines bestimmten Themas, das verstreut („disperse“) im Hauptteil schon ausgeführt wurde, konzentriert sammelt. In 32 Hauptsätzen („capita“) trägt dieser Anhang (diesen Namen trägt der Sonderteil ausdrücklich, darin dem Sonderteil des Ersten Teils gleich) das zusammen, was im Hauptteil über die rechte Art zu leben („de recta vivendi ratione“) gesagt wurde, was sich dort aber gemäß der Beweisordnung auf verschiedene Sätze aufteilte. Schon thematisch grenzt sich dieser Anhang von dem in der Überschrift erklärten Thema des Vierten Teils ab, denn dies sollte die menschliche Knechtschaft und die korrelative Macht der Affekte sein; die Hauptsätze des Anhangs aber fassen noch einmal zusammen, was bereits hinsichtlich der Überwindung dieser Knechtschaft ausgeführt wurde. Thematisch leitet er also in den Fünften Teil über, wobei er aber, anders als dieser, großes Gewicht auf die soziale Dimension der menschlichen Befreiung legt. (Die Hauptsätze 9-26, 28 und 29 sind ganz offensichtlich solche, in denen die Verwirklichung der Vernunft im Sinn einer gemeinschaftlichen Aufgabe im Vordergrund steht.) Formal ähnelt er dem Sonderteil des Dritten Teils: Hier wie dort sind noch einmal wichtige Punkte in nummerierter Folge zusammengefasst. Der Fünfte Teil fällt auf den ersten Blick aus dem Schema. Er hat keinen Extrateil. Er ist, so scheint es also, der kompakteste – was für den Schlussstein einer so selbstbewusst auftretenden Metaphysik ja nicht abwegig ist. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Man kann und muss auch im Fünften Teil eine solche Zäsur identifizieren, so aber, dass man nicht mehr klar sagen kann, welcher der beiden Teile der Hauptteil und welcher die Ergänzung oder der Anhang oder der Sonderteil ist. Denn die 42 Lehrsätze dieses Teils sind in zwei fast gleichgroße Hälften geteilt: Vp1-20 einerseits und Vp21-42 andererseits. Ich werde auf die Bedeutung und den Sinn dieses doppelten Einsatzes im Fünften Teil noch näher eingehen. Für den Augenblick soll es genügen zu sagen, dass hier eine selbst wieder schillernde, phasenverschobene Spiegelung vorliegt. Die beiden Hälften des Fünften Teils
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sagen fast dasselbe, aber eben so, dass ihre Abweichung zueinander erst die ganze Wahrheit dessen, was sie zu sagen sich bemühen, voll macht. Zunächst einmal muss das alles nicht viel bedeuten. Es kann ja sein, dass Spinoza z.B. beim Verfassen des Ersten Teils spürte, dass die genaue Artikulation dessen, was er unter Gott und der Wirklichkeit versteht, nicht ohne eine Kritik am teleologischen Denken auskommen kann, einfach weil diese Denkweise so ungeheuer mächtig und weit verbreitet ist. Es kann sein, dass er ebenso beim Abfassen der Teile Drei und Vier merkte, dass vieles Wertvolle, was er dort ausführte, im Gang der Beweisführung unterzugehen drohte, so dass er zur Bequemlichkeit des Lesers, zur Erhöhung der Wirksamkeit oder auch zur systematischeren Ordnung für sich selbst diese Teile noch einmal gesondert herausheben wollte. Der Sonderteil des Zweiten Teils ist sogar besonders und besonders auffällig sperrig; er wirkt in der Tat wie etwas, was Spinoza noch eingefallen ist und was dann gerade noch rechtzeitig reingequetscht wurde. Das ist sicher richtig, keine dieser Sonderteile und Anhänge braucht, zu seiner Erklärung, irgendeine tiefsinnige Idee. Doch wenn es eine Überzeugung gibt, die spinozistisches Denken auf den Punkt bringt, dann eben die, dass nichts zufällig geschieht. Und mag sich auch für jeden einzelnen Teil eine ganz unverdächtige und unaufgeregte Erklärung anbieten: Der systematische Symmetriebruch, der erstaunlicherweise unsystematisch und asymmetrisch bleibt – denn die Sonderteile unterscheiden sich in Stellung, Form und Namen voneinander –, ist doch merkwürdig in einem Werk, das bereits im Titel Anspruch auf die höchste systematische Ordnung erhebt. Man kann eine solche Erklärung finden, die nicht nur den einzelnen Sonderteilen mit Blick auf einzelne und jeweils spezielle Bedürfnisse einen guten Grund gibt, sondern die gesamte Anlage in ihrer Entwicklung im Blick behält. Man muss dazu die Grungedanken der Ethik auf diese selbst anwenden. So paradox das klingen mag: Eine stringente, logische Beweisführung ist dem spinozistischen Denken im Innersten fremd. Erinnert man sich der fundamentalen Grundintuition Spinozas, wird das unmittelbar deutlich: die absolute Überfülle des Seins, in die wir uns versetzt finden und die uns nur im Schillern der beiden Aspekte von Natur halbwegs fasslich wird. Wie sollte man also glauben, dass diese Überfülle angemessen in die Form einer gemächlich fortschreitenden und Schritt um Schritt die Wahrheit enthüllenden Argumentation eingehen könnte. Alle logische Beweisführung hat als ein grundlegendes Erfordernis die Ökonomie: In keinem Schritt darf mehr als nur das Nötigste eingebracht werden, das allein schon deshalb, weil sonst die Gefahr einer Vermengung und mannigfacher Irrtümer entsteht. Reduktion aufs Wesentliche, dies aber im Sinn des Nötigen, unter Ausschluss alles anderen, ist die Voraussetzung, die eine wirklich logische, oder wie Spinoza es nennt: geometrische Methode auszeichnen würde. Spinozas Anwendung der geometrischen Methode ist einerseits
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ohne Zweifel Ausdruck seines Vertrauens in die Vernunft: Wirklichkeit ist geordnet, damit erkennbar, und die Strukturen von Ordnung, Erkennbarkeit und Vernunft fallen zusammen. Die geometrische Methode aktiviert diese Struktur des Wirklichen, um es nicht nur im Grundsatz erfassbar, sondern auch tatsächlich erfasst zu machen. Andererseits ist die geometrische Methode aber auch ein Notbehelf, und das ohne jeden Widerspruch zum Vorigen: Angesichts der unendlichen Überfülle des Wirklichen, die sich in einer Denkfigur verdichtet, die keinerlei geometrischen Ausdruck mehr finden kann, verhilft uns die geometrische Methode mit ihrer Strenge und eben auch Reduktion zu einer Sichtung oder Orientierung: dem Auslichten eines in alle Richtungen wuchernden Baumbestandes vergleichbar. Die geometrische Methode schlägt Schneisen in die Überfülle des Wirklichen. Sie ist deshalb im selben Sinn die Methode, die der rationalen Struktur von Wirklichkeit angemessen ist, und die, die sich der Wirklichkeit doch nicht anzumessen vermag, so dass sie in ihren Streichungen und Vereinfachungen ex negativo Zeugnis von der Fülle einer Wirklichkeit ablegt, die in keinen Text einzugehen vermag. Was die Ethik also im Wesentlichen darstellt, ist das Skelett des Wirklichen. In einer bestimmten Optik ist das Skelett das Innerste, und das, was dem Lebewesen dank seiner Härte Beständigkeit und Widerstandskraft verleiht. In dieser Optik – die wie alle unzureichend ist – lässt sich das Lebewesen vom Skelett her denken, nämlich als die sukzessive Hinzufügung immer neuer Schichten von Muskeln, Nerven, Fett und so weiter. Man kann und muss die Optik aber mit demselben Recht auch umdrehen: Dann entsteht, so wie das Ich aus den Affektionen, auch das Skelett aus dem Fleisch; d.h. das Skelett bildet sich von außen her. Im Überwuchern der Wirklichkeiten entwinden sich Fluchtlinien, die, für sich genommen, als die Struktur des Wirklichen selbst angesprochen werden und in einem Buch niedergelegt werden können. Was hier im Grunde nur umständlich ausgesprochen ist, ist die Tatsache, dass das Schillern von Natura naturans und Natura naturata noch auf die Ethik selbst angewandt werden muss. Die Ethik, gerade in den Teilen ihres Textes, die zur Beweiskette im engen Sinn gehören (also Lehrsätze und Beweise, dazu Axiome, Definitionen und Postulate), fasst einerseits das Ganze des Wirklichen zusammen. Die Scholien und ebenso die Vorworte und die Anhänge und sonstigen Sonderteile sind Hinzufügungen zu diesem Wesentlichen, die der eilige Leser im Zweifelsfall weglassen könnte. In ihnen kündigt sich das Naturierte an, das von den Prinzipien abhängig ist und mit diesen also virtuell bereits erfasst wäre. Andererseits würde dieser hypothetische eilige Leser fast nichts von der Affektlehre kennenlernen, die im Wesentlichen in den Scholien und im Sonderteil des Dritten Teils niedergelegt ist. Das, was über die geometrische Beweiskette als solche hinausgeht, ist nicht nur Dreingabe, nicht das
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Unwesentliche, das sich aus den Prinzipien noch weiter ableiten lässt. Es ist vielmehr das, was eigentlich erst die Fülle, die Realität und letzten Endes die Existenz sowohl der Natur als solcher als auch dessen, was dem oberflächlichen Blick als Prinzip erscheint, begründet. Die Sonderteile sind daher in einer Hinsicht draußen, Unwesentliches, Hinzufügung, nur um in der anderen, der komplementären Hinsicht als das zu erscheinen, was das Wesentliche noch begründet. Sie markieren den Überschuss des Wirklichen – Überschuss noch über das „Wesentliche“ hinaus –, der allein das Wirkliche wirklich werden lässt. Ohne dies wäre das „Wirkliche“ nur das Hirngespinst eines mittelmäßigen Philosophen. Und sie sind zugleich der Raum, der Zwischenraum, in dem das Buch, das alles umfasst, mit dem kommuniziert, was es nicht umfassen kann: nämlich ebenfalls alles. Die Ethik enthält alles, die gesamte Natur, nichts bleibt ihr äußerlich – außer die Natur selbst. So wie sich zwei Körper in der Affektion einen Raum schaffen, der weder dem einen noch dem anderen gehört und in dem sich, alle Versuche eines reduktiven Kalküls herausfordernd, das Werk der Ursache ansiedelt – so sind die Sonderteile der Zwischenraum, in dem der vernünftig, allzu vernünftige Diskurs der Beweise mit dem Immensen des Wirklichen in Austausch tritt. Ist das erkannt, dann versteht man auch die Funktion der Sonderteile, und man versteht zugleich die Dramaturgie, die ihre Abfolge bestimmt. Im Ersten Teil markiert eine unübersehbare Zäsur den Einsatz des Sonderteils: Der Überschuss (des Theoretischen über sich selbst und erst recht des Wirklichen über das Theoretische) ist klar abgegrenzt: drinnen und draußen. Im Zweiten Teil wandert dieses andere, abgeschlossen wir ein Fremdkörper, wie ein Einschluss, in den Hauptkörper hinein: Die Unterscheidung funktioniert ebenso eindeutig wie im Ersten Teil, nur dass das Äußere ins Innere hineingewandert ist. Etwas sichtlich anderes geschieht bereits im Dritten Teil, wo der Sonderteil das Überschüssige – das dort mehr als in irgendeinem der anderen Teile eben dieser Zwischenbereich ist, der nach dem Modell der Affektion gedacht werden muss: recht passend für einen Teil, in dem es um die Affektion und den Affekt geht – aus dem Verlauf der Beweisführung abhebt. Es ist hier also die klare Scheidung zwischen Hauptteil und Sonderteil einerseits aufrechterhalten, andererseits aufgehoben: aufrechterhalten, denn der Sonderteil (der nicht „Anhang“ genannt wird) folgt faktisch als Anhang an den Hauptteil, anders als beim Zweiten Teil. Aufgehoben ist diese Trennung aber, insofern der Sonderteil das Saliente des Hauptteils sammelt, Blütenlese betreibt. Das Überschüssige über das nur Wesentliche entsteht in dem und aus dem Wesentlichen heraus, und der Sonderteil schöpft den Rahm ab, der sich oben bildet. Es ist dabei bemerkenswert, dass die Reihenfolge der Definitionen des Sonderteils in etwa der Reihenfolge der Ableitung im Hauptteil folgt: Zwar ist die Abfolge keineswegs identisch; so folgen, um nur dieses Beispiel zu nennen, auf die
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Definition der Begierde („cupiditas“) sowie von Freude und Traurigkeit die der Bewunderung („admiratio“) und Geringschätzung („contemptus“), die im Hauptteil erst viel später auftauchen (IIIp52s). Erst danach treten in den Definitionen die von Liebe und Hass auf. Spinoza folgt hier also einer etwas anderen Ordnung, aber eben keiner vollkommen anderen. Es blieb z.B. keine andere Wahl als mit den drei Grundaffekten Begierde, Freude, Traurigkeit anzufangen. Der Hauptteil führt die Affekte in der Reihenfolge auf, in der sie sich aus ihrer sukzessiven Ableitung via der Operatoren der Deduktion ergeben. Der Sonderteil hingegen ordnet sie nach Gesichtspunkten der inneren Verwandtschaft, wie es scheint –eine Auskunft über das Kriterium der Anordnung gibt Spinoza nicht. Aber der genetische und der systematische Gesichtspunkt sind in einer Philosophie wie der Spinozas so eng verbunden, dass die Reihung der Affekte im Haupt- und im Sonderteil zwar nicht dieselbe ist, aber immerhin einer Bewegung folgt. Der Überschuss wächst kontinuierlich aus dem Gang des Wesentlichen. Noch eine andere Logik aber herrscht beim Vierten Teil. Das Erstaunliche ist ja eben, dass der Sonderteil (der dort wieder „Anhang“ heißt) erneut klar abgegrenzt ist und ähnlich wie beim Dritten Teil, eine Sammlung von Gesichtspunkten darstellt, die zumindest in weiten Teilen bereits im Hauptteil ausgesprochen worden sind. Und doch geschieht hier etwas ganz anderes. Während Haupt- und Sonderteil beim Dritten Teil ein und derselben Bewegung folgen, hebt der Anhang des Vierten Teils exakt die Gegenbewegung heraus, die sich schon im Hauptteil selbst ankündigt und die zum Fünften Teil überleitet, die aber dem erklärten Thema des Vierten Teils dem Anschein nach widerspricht. Der Vierte Teil hat mit der Unterwerfung der Menschen unter die Macht der Affekte zu tun. Er setzt geradezu ein mit dem ernüchternden Zugeständnis, dass wir in dieser Realität nicht zu hoffen brauchen, mit unserer kleinen Macht gegen die Übermacht der Natur und all der vielen anderen Seienden uns durchsetzen zu können. Das ist unbedingt ernstzunehmen. Eine Ethik im vollen Sinn des Wortes ist jenseits dieser Einsicht nicht zu denken. Gleichwohl kündigt sich genau in der Durchführung dieses Gedankens eine Einsicht an, die der ersten scheinbar gegenläufig ist und die doch aus denselben Quellen geschöpft ist: die nämlich, dass ie Vernunft und Freiheit dennoch keine Illusionen zu sein brauchen, sondern realen Gehalt haben, weil die Natur, der wir unterworfen sind, kein blindes Schicksal und kein launiger Gott ist, sondern eben Natur, d.h. geordnet und von derselben Art wie wir auch. Hier also, im Vierten Teil, ist der Überschuss noch einmal einer, der anders gelagert ist: Er ist einerseits disparat zum Thema des Teiles – aber nicht zu seinem Verlauf, denn der Durchgang durch den Hauptteil hat ja schon reichlich Gelegenheit zur Berücksichtigung der Potentiale der Befreiung geboten. Deshalb aber ist er von einem anderen Standpunkt aus gesehen nur umso intimer mit diesem Thema verbunden. Vor allem sind die Aspekte, die der
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Anhang zusammenfasst, noch mehr Sammlung als beim Dritten Teil. Er legt von der Dispersion des Vernünftigen (der guten Lebensführung) an einer intrikaten Vielzahl von Schwellen des Vernünftigen Rechenschaft ab. Der Anhang zum Vierten Teil ist der einzige der Sonderteile, der damit eine Überleitungsfunktion erfüllen kann (nicht muss: schon der Hauptteil führt ja auf den Fünften Teil). Er ist sicher ebenfalls das, was sich vom Argumentationsgang abschöpfen lässt. Aber er ist eine disparate Sammlung, er ist eine scheinbar konträre Sammlung, er ist eine überleitende Sammlung – und in all diesen Aspekten ist er der Hinweis darauf, dass das Außen des Vierten Teils nicht mehr nur irgendein theoretischer Überschuss ist – sondern der Fünfte Teil. Der Fünfte Teil ist in einem gewissen Sinn im Vierten schon enthalten, so dass wieder die spinozistische Struktur der Verschränkung des Bedingenden und des Bedingten, das Früheren und des Späteren, des Wesentlichen und des Unwesentlichen erfüllt ist. Diese Antizipation, bis hin zur Umkehrung der Reihenfolge, gilt für keinen anderen der Teile der Ethik. Der Fünfte Teil schließlich hat keinen Sonderteil. Er hat ihn aber doch. Er ist selbst in zwei Hälften geteilt, von denen unterschiedslos der eine als Haupt-, der andre als Sonderteil gelesen werden kann. Im Fünften Teil kommt damit die Bewegung der Ethik zu ihrem Ziel. Doch das ist ungenau, denn die Bewegung der Ethik besteht gerade darin, nicht zu einem Ziel kommen zu können, wenn man darunter die Ruhe versteht (also die Aufhebung der Bewegung). In Wahrheit kommt diese Bewegung im Fünften Teil in ihr Eigenstes: Die gesamte Anlage der Ethik mit ihrer Verbindung von Hauptteilen und Sonderteilen ist eine einzige sukzessive Hineinziehung alles Äußeren ins Innere. Alles, was anders ist, draußen ist, unwesentlich oder überschüssig, wird nach und nach hineingenommen ins Wesentliche und Dichte der Metaphysik – so aber, dass es gerade nicht zu einer grauen Gleichförmigkeit kommt, sondern so, dass am Ende (wenn die Ethik ein Ende im engen Sinn haben kann) ein Schillern des Innen ohne Außen steht. Ein Schillern, in dem alles Außen, alles Jenseits des Textes wie der Argumentation, alles Fremde oder Unwesentliche, jeder Überschuss eingeholt ist, ohne dass sein Anderssein oder seine Überfülle dabei geleugnet oder plattgemacht werden. Das ist denn der Grund, weshalb der Fünfte Teil als einziger keinen Sonderteil hat: Weil seine Struktur exakt das Schillern von Natura naturans und Natura naturata vorführt. So exakt eben, wie ein einfacher Text eines endlichen Schreibers das kann. Es geht bei den Sonderteilen also darum, die paradoxe Aufgabenstellung zu bewältigen, dass der Text einerseits alles zu sagen hat und andererseits seiner eigenen Beschränkung bewusst bleiben muss. Deshalb sind die Sonderteile in einer Hinsicht Ausblicke auf das, was jenseits des Textes ist (sowohl im Sinn anderer theoretischer Probleme als auch im Sinn der nicht theoretischen Wirklichkeit), und sie sind andererseits Eingemeindungen
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dieses Jenseitigen, doch ohne sich der Respektlosigkeit oder Gleichgültigkeit ihm gegenüber schuldig zu machen. Es geht darum, das Außen einzufangen, in einer Metaphysik, die kein Außen zulässt, die aber doch erkennen muss, dass kein Text jeweils die Vollkommenheit, d.h. Abgeschlossenheit, Vollständigkeit und Totalität der Substanz erreichen wird. Es sind Öffnungen, Durchsichten, ohne die die Ethik zwar erschöpfender wäre und runder – aber nicht wahrer. Vorworte. Die Vorworte erfüllen eine ähnliche Funktion. Oft sind sie Gelegenheit für Spinoza, seine eigene Position und seine Methode zu konturieren, indem er sich gegen die Missverständnisse abgrenzt, die mit vielen wichtigen Konzepten in anderen Theorien verknüpft sind, seien es solche, die sich deutlich bestimmten Autoritäten zuschreiben lassen (z.B. Descartes oder die Stoiker), seien es solche, die längst eine anonyme Wirksamkeit ausgebildet haben. Dergestalt legen auch die Vorworte Zeugnis von so einem Außen in einem sehr spezifischen Sinn ab, das sich diesmal aber nicht so sehr ins Innen hineinziehen lassen soll; vielmehr muss es in seiner Falschheit erkannt werden, d.h. für Spinoza: in dem, was in seinen Ideen unausgeführt, abgerissen, verstümmelt ist. Es kann draußen bleiben, was nur falsch ist; nichts ist nur falsch, und so ebnen die Vorworte – soweit sie sich mit anderen Theorien und Begriffsverwendungen beschäftigen – den Weg zu einer Integration der falschen Theorien in die eine wahre. Da kann man dann wirklich von Integration sprechen, denn das Falsche als solches hat bei dem Schillern der Naturen keine eigene Rolle. Es muss als Falsches aufgelöst werden, gerade damit die Fülle und der Reichtum der Natur zum Tragen kommen kann. Man könnte die Funktion der Vorworte sicher noch näher ins Auge nehmen.2 Für uns genügt, dass sie auf ihre Weise eine Aufgabe erfüllen, die der der Sonderteile vergleichbar ist: die Rückführung des Außen ins Innen. Alle Teile habe solche Vorworte. Alle – außer dem Ersten. Weshalb der Erste Teil und damit das ganze Buch kein solches Vorwort hat, ist aber vollkommen klar. Denn wie sollte es anders sein? Es würde ja suggerieren, dass man in Spinozas Metaphysik irgendwie eintreten könnte oder müsste, als ob man in irgendeiner Weise erst zu ihr hingeführt werden müsste.
Der Erste Teil hat kein Vorwort. Das Vorwort des Zweiten ist nur eine knappe Hinführung von fünf Zeilen. Das des Dritten wendet sich auf eineinhalb Seiten eindrucksvoll gegen die Entkopplung des Menschen aus der Natur, inklusive des daraus entstehenden Irrtums der Ansetzung einer absoluten Freiheit. Das Vorwort des Vierten Teils – die erste, die auch explizit mit „Vorwort“ oder „Vorrede“ („praefatio“) überschrieben ist – ist auf etwa vier Seiten der Destruktion der Missverständnisse gewidmet, die gemeinhin mit den Begriffen von Vollkommenheit/Unvollkommenheit und gut/schlecht verbunden sind. Das Vorwort des Fünften Teils (etwa dreieinhalb Seiten) setzt noch einmal bei der Idee absoluter Freiheit an und wendet sich dann einer längeren Descartes-Kritik zu. 2
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Nichts könnte dieser Metaphysik aber ferner liegen. Denn in Wahrheit sind wir längst in ihr drin, ist sie doch nichts als das Wahre selbst. Man muss ja auch nicht in die Wirklichkeit erst eintreten, und müsste man es, so würde das nie geschehen – denn wo sollte so etwas Rätselhaftes, ja: diese Epitome des Rätselhaften denn herkommen? Man muss weder zur Wirklichkeit noch zu ihrer Erkenntnis erst einen mühsamen Weg finden. Es gibt eine Methode des Erkennens, aber keine, um ins Wahre zu gelangen. Wir sind schon längst dort, im Wirklichen wie im Wahren. Im selben Sinn gilt: Man kann alles bevorworten, außer den Anfang. Denn der ist längst geschehen, jeder Anfang z.B. eines Buches hat nur den einen Sinn, uns daran zu erinnern. Deswegen vollzieht die Ethik in ihrem Anfang genau das, was unser Sein von allem Anfang an kennzeichnet; ja, diese Kennzeichnung ist ganz eigentlich der Name unseres Seins selbst: medias in res. Potente Sätze und impotente Sätze. Die Form der Ethik selbst, mit ihrer „geometrischen“ Anordnung der Beweise, legt eine Frage nahe, die von einer ihrer Kernaussagen, der Behauptung einer eigenen Potentia alles Seienden, nur noch unterstrichen wird: Lässt sich etwas über die Kraft oder Bedeutung der verschiedenen Lehrsätze sagen? Muss die Unterscheidung der potentiae nicht auch auf die Lehrsätze Anwendung finden, und wenn ja, was für Ergebnisse lassen sich daraus ziehen? Ich habe zu diesem Zweck die gesamte Beweiskette der Ethik nach dem Gesichtspunkt der Potenz der Sätze ins Auge gefasst. Ich habe für jeden einzelnen Satz notiert, in welchen nachfolgenden Beweisen er verwendet wird. Die Hypothese, von der ich mich leiten ließ, war: Genau das, die Häufigkeit, mit der sich andere Beweise auf einen Lehrsatz stützen, ist das Maß seiner Potenz. Hierzu sind noch einige Präzisierungen vorwegzuschicken. Erstens ist diese Potenz keine absolute. Es ist einzig und allein die Potenz innerhalb des Beweisganges der Ethik gemeint. Wir werden daher auf Sätze stoßen, deren Potenz in diesem begrenzten Sinn sehr gering ist, die aber an metaphysischer Bedeutsamkeit kaum zu übertreffen sind. Zweitens habe ich in meiner Auflistung streng unterschieden zwischen den Beweisen der Lehrsätze und den Scholien. Es versteht sich, dass dem nicht etwa die Idee zugrunde liegt, dass die Scholien in irgendeinem Sinn weniger wichtig wären als die Lehrsätze. Sie haben ihre eigene, unverzichtbare Funktion, und etwa im Dritten Teil sind in den Scholien die Definitionen der einzelnen Affekte niedergelegt, ohne die dieser Teil – um einen freilich unpassenden Ausdruck zu gebrauchen – seiner Substanz beraubt erschiene. Allerdings gilt es die Unterscheidung als solche zu respektieren. Spinoza konstruiert nun einmal die Lehrsätze als das Gerüst, von dem die Scholien, zumindest in einem herkömmlichen Verständnis, abhängig sind.
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Die Bemessung der Potenz der Sätze bezieht sich also ausschließlich auf ihre Potenz in Bezug auf die Lehrsätze. Drittens gilt es eine sehr triviale Tatsache zu berücksichtigen: Ab einem gewissen Punkt muss die Potenz der Sätze wohl abnehmen, einfach weil nicht mehr genug weitere Sätze nachfolgen, die sich auf die früheren stützen könnten. So finden sich im Fünften Teil keine potenten Sätze; allerdings im Vierten Teil immerhin noch zwei sehr starke. Viertens muss man natürlich immer beachten, was genau die jeweiligen Sätze, sollten sie potent sein, so attraktiv macht. So werden wir sehen, dass ein besonders potenter Satz IIIp13s ist, und das ganz einfach deshalb, weil er die Definitionen von Liebe und Hass enthält, so dass er immer erwähnt wird, wenn diese Begriffe fallen. Er bildet also ein wichtiges Scharnier, markiert aber nicht unbedingt noch einmal selbst einen neuen Erkenntnisschritt, insofern er eben die Definitionen und nicht einmal die Funktionsweise von Liebe und Hass einführt; letztere wurden in IIIp12 und IIIp13 erklärt, die ihrerseits bei weitem nicht so stark sind wie IIIp13s. Die Betrachtung der Potenz der Sätze muss also immer behutsam und voller Bedacht erfolgen; andernfalls wird man wenig aussagekräftige Ergebnisse erlangen. Man sieht an diesem Beispiel im Übrigen, dass ich mich zwar auf die Potenz in Bezug auf die Lehrsätze beschränkt habe, nicht aber auf die Potenz der Lehrsätze. Wenn, wie hier, ein Scholium potent ist, d.h. häufig in Beweisen von Lehrsätzen auftaucht, dann ist das natürlich im selben Sinn zu vermerken wie ein Lehrsatz, der oft aufgerufen wird. Man kann nun an diese Analyse der Potenzen eine ganze Reihe von Fragen stellen. Die offensichtlichsten sind diese: Welche Sätze sind besonders potent, welche finden gar keine weitere Nennung? Welche von diesen gänzlich impotenten Sätze hätte man in dieser Kategorie nicht erwartet? Welche Aufgaben haben die besonders potenten Sätze? Was bedeutet es hingegen, wenn Definitionen, Postulate, Axiome oder Lemmata ohne Bezug bleiben? Dies sind vor allem die Fragen, die ich wenigstens kursorisch beantworten will. Daneben könnte man noch andere Fragen stellen, die eine noch genauere Analyse erfordern würden. So etwa: Gibt es Bezugsbündel, d.h. verschiedene Sätze, die oft gleichzeitig aufgerufen werden? Haben manche Sätze eine besonders große Streuung in ihrer Potenz? Oder begründen sie vielmehr clusterartig im Gang der Beweise, d.h. in einer Serie von nahe aufeinanderfolgenden Sätzen? Auf der anderen Seite: Zeichnen sich bestimmte Sätze durch eine besondere Konzentration von bestimmten Sätzen aus, zum Beispiel indem in ihnen gerade die besonders starken Sätze aufgerufen werden? Gerade solche Fragen müsste man wiederum mit einer Sensibilität für die inhaltlichen Zusammenhänge klären, und nicht in blindem Vertrauen auf die numerische Nähe gewisser Lehrsätze.
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Ich will mit der Erörterung der besonders potenten Sätze anfangen. Ich habe dazu eine untere Grenze gezogen, unterhalb derer ich die Sätze nicht mehr berücksichtigt habe. Diese Grenze liegt bei sechs Bezügen. Das war eine relativ intuitive Setzung, die sich aber bewährt hat. Ich fand eine relativ große Zahl von Sätzen mit sechs Bezügen (19), schon mit sieben Bezügen sank die Zahl deutlich ab (9). Ich liste zunächst die Ergebnisse auf: Zahl der Bezüge 27 24 23 20 16 15 14 13 12 11 10 9 8 7 6
Sätze IIIp11s. IIIp7. IIIp13s. IIIp3. Ip15. IIp11c. IIp13. Ip16; IIp17. Idef6; IIp7; IIp40s2; IIIdef2; IIIp27. IIp11; IIp16. Idef5; Ip11; IIp12; IIIdefgenaff (allgemeine Definition der Affekte); IVp26. Idef3; Iax4; Ip25c; IIIp6; IIIp9s; IIIp12; IIIp28; IIIdefaff1; IVp37. Ip28; IIp17s; IVdef8. Ip21; Ip29; IIIdef1; IIIp1; IIIp4; IIIp13; IIIp37; IIIp39; IVp8; IVp27. Idef4; Ia1; Ip5; IIp3; IIp6; IIp7c; IIp8c; IIdef’; IIp23; IIp41; IIp43; IIIp11; IIIp59; IIIdefaff6; IVp5; IVp24; IVp30; IVp38.
Es wäre wenig aufschlussreich, nun jeden einzelnen Satz zu kommentieren. Ein paar Schlaglichter sollen genügen. Beginnen wir mit einer ganz allgemeinen Bemerkung. In meiner Liste sind 61 Sätze aufgeführt. Davon gehören 21 dem Dritten Teil (darunter die vier stärksten), 17 dem Zweiten Teil, 14 dem Ersten Teil, 9 dem Vierten Teil. Der Fünfte Teil hat keinem Satz, der sechs oder mehr Bezüge hat, was aber, wie gesagt, auch nicht vollkommen überraschend ist. (Der stärkste Satz im Fünften Teil ist Vp29 mit fünf Bezügen.) Die Verhältnisse bestätigen sich, wenn man die absolute Zahl der Bezugnahmen vergleicht. Insgesamt kommen die Sätze mit sechs oder mehr Bezügen auf 580 solcher Nennungen in folgenden Beweisen. Davon entfallen 233 auf Sätze aus dem Dritten Teil, 154 auf Sätze aus dem Zweiten Teil, 128 auf Sätze aus dem Ersten Teil und 65 auf Sätze aus dem Vierten Teil.
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Die absoluten Zahlen akzentuieren also nur die Tendenz, die sich in der Zählung der potenten Sätze abzeichnete. Der Vierte Teil ist abgeschlagen, was wiederum mit Blick auf seine Position erwartbar war. Es überrascht aber vielleicht doch, dass der Dritte Teil eine solche Prominenz hat. Andererseits ist er der Teil, der im engen Sinn in die Thematik überführt, die dem Buch seinen Titel eingebracht hat. Die Affektlehre ist ja ohne Zweifel die Grundlage aller folgenden Erwägungen. Aber betrachten wir lieber ein wenig die einzelnen Sätze, die solcherart herausgehoben sind. Diese Untersuchung wird sehr viel konkreter über die Bedeutung solcher Zahlen Aufschluss geben können als Trivialitäten über die Ethik. Der stärkste Satz ist IIIp11s. In diesem Scholium werden die Affekte der Freude und der Traurigkeit eingeführt und definiert. Der Satz, der dem Scholium vorhergeht, etabliert die systematische Grundlage von solchen Prozessen, die dann in einer psychologischen Terminologie als Freude oder Traurigkeit bezeichnet werden können: Was die Wirkmächtigkeit („agendi potentia“) unseres Körpers vergrößert oder verringert, dessen Idee vergrößert bzw. verringert auch die Denkmächtigkeit („cogitandi potentia“) unseres Geistes. Die substantielle Identität und attributive Verschiedenheit von Körper und Geist wird hier mit der prozesshaften Entfaltung von Potentia zusammengeführt. Diese Zusammenführung ist für alles Weitere bestimmend, denn an der Vergrößerung oder Verringerung der Potentia wird sich der Erfolg eines Lebens bemessen müssen, ein Erfolg, der sich uns als Freiheit und Liebe zu Gott kundtut. Freude und Traurigkeit sind deshalb eben nicht Gegenstände der Psychologie, sondern die beiden Richtungen, in die sich ein prozessuales Sein entwickeln kann. Viel grundlegender kann eine theoretische Entscheidung nicht sein. Aber etwas grundlegender schon: Dasselbe Scholium führt Freude und Traurigkeit mit der „cupiditas“ zusammen, der Begierde: Diese ist der Conatus von Körper und Geist zugleich, und zwar so, dass sich der Geist seiner bewusst ist. So ein Conatus existiert aber eben nicht nackt, neutral, einfach so, sondern gerade in der Bewegung seiner Verengung oder seiner Weitung, die sich als Traurigkeit oder als Freude bemerkbar machen. Wir werden also zurückgeführt auf den Conatus, und es ist sicher kein Zufall, dass der zweitstärkste Satz eben der ist, der ihn einführt: IIIp7. Die Selbstbekräftigung und -bewahrung des Seienden, die Handlungstendenz (die von außen durch anderes gehindert werden muss) und die Konvertibilität von prozesshafter Existenz und aktueller Essenz: Diese Aspekte werden dort ausgesprochen und sie werden, gemeinsam mit den schrittweisen Konkretisierungen des Conatus durch Cupiditas und Freude/Traurigkeit, die gesamte Ausführung der Teile III bis V bestimmen. Ein weiterer wichtiger Schritt ist dann getan, wenn Freude und Traurigkeit mit den Ideen verknüpft werden, die ihre präsumtiven Ursachen vorstellen. Dann entstehen Liebe und Hass. Dieser Schritt ist deshalb so
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entscheidend, weil er eine der Operationen darstellt, in denen sich der Kreis dessen nach und nach erweitert, was Spinoza in seiner Affektlehre berücksichtigen und einbinden kann. Die Beziehung auf die angenommenen Ursachen unserer Affekte ist eine einfache theoretische Bewegung, um sich das unsaubere Feld der Affekte zu ordnen und der Realität Rechnung zu tragen, die, anders als die philosophischen Theorien, keine im Subjekt eingeschlossenen Affekte kennt. Das ist die Rolle des drittstärksten Satzes IIIp13s. Der vierstärkste Satz ist IIIp3, wonach die Handlungen des Geistes allein aus adäquaten Ideen entstehen können, seine Passivität hingegen allein den inadäquaten entstammt. Dieser Satz ist vor allem für den Vierten Teil von Bedeutung.3 In ihm ist etwa die Identität von Aktivität, Vernünftigkeit und Selbstbewahrung als Tugend vorgezeichnet (IVp24) sowie die Gleichsetzung der Erkenntnis Gottes mit dem höchsten Gut des Geistes (IVp28). Es ist auch kein Zufall, dass er in dem wichtigen Satz IVp35 zitiert wird, in dem bewiesen wird, dass die Menschen, insoweit sie aus der Leitung der Vernunft leben, miteinander in Übereinstimmung gelangen. Auch im mindestens ebenso wichtigen Folgesatz 2 zu diesem Lehrsatz taucht IIIp3 im Beweis auf: In diesem Folgesatz wird bewiesen, dass die Menschen einander umso nützlicher sind, umso mehr ein jeder das ihm selbst Nützliche verfolgt. Der Satz ist also in sich betrachtet wohl unscheinbarer als seine Nachbarn auf der Rangleiter; gleichwohl ist seine architektonische Bedeutung nicht zu unterschätzen. Das wird dadurch bestätigt, dass er auch Vp18 stützt: Niemand kann Gott hassen. Und nicht zuletzt ist es nicht ohne Belang, dass IIIp3 noch im Beweis des allerletzten Satzes auftaucht. Der fünftstärkste Satz (zugleich der erste starke Satz, der nicht aus dem Anfang des Dritten Teils stammt) ist Ip15: Alles, was ist, ist in Gott, und ohne Gott kann nichts sein und nichts begriffen werden. Dass dieser Satz eine wichtige Säule der Ethik darstellt, muss kaum ausgeführt werden. Zugleich deutet sich in der Liste dieser Bezugnahmen eine Zäsur innerhalb der Ethik an, die freilich schon der bloße Augenschein nahelegt: Dieser für die Metaphysik so grundlegende Satz wird von den 16 Bezugnahmen nur dreimal jenseits des Zweiten Teils zitiert (davon auch in dem Satz IVp28 über das höchste Gut des Geistes, der sich ebenfalls auf IIIp3 bezieht). Die „Ontologie“ der ersten zwei Bücher steht also deutlich von der „Ethik“ der folgenden drei ab. Ich breche die Erörterung der starken Sätze an dieser Stelle ab. Sie lehrt uns wenig Überraschendes, bestätigt vielmehr die Einschätzungen, die wir wohl meist auch ohne eine solche Analyse der Referenzen getroffen hätten.
Seine Bezugsstellen sind: IIIp9; IIIp56; IIIaffgendef; IVp15; IVp24; IVp28; IVp35; IVp35c2; IVp51; IVp52; IVp59; IVp61; IVp63; IVp64; Vp3; Vp18; Vp36; Vp40; Vp40c; Vp42. 3
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Ich will deshalb auf das entgegengesetzte Thema eingehen, nämlich auf die besonders schwachen Sätze, noch genauer: auf die ganz folgenlosen Sätze. Auf den ersten Blick ist das kein interessantes Thema. Es versteht sich ja von selbst, dass in der Anlage der Ethik nicht aus jedem Satz gleichermaßen etwas folgen kann. Oder etwa doch? Denn in einer gewissen Hinsicht müsste doch wohl das Gegenteil der Fall sein: Da für Spinoza Existenz und Wirkkraft radikal identisch sind, so dass es nichts gibt, aus dessen Natur nicht irgendeine Wirkung folgt (Ip36), muss man doch konsequent annehmen, dass auch aus jedem Satz etwas folgen muss. In der Tat, aus jedem Satz muss etwas folgen. Es kann nicht anders sein. Was aber müsste entstehen, wenn diese Einsicht beim Wort genommen wird? Es entstünde ein Buch, das nicht mehr nur die schwierige Aufgabe hätte, einer radikal immanenten Natur einen adäquaten Ausdruck zu verschaffen, sondern das sich die absolut unmögliche Aufgabe stellte, von sich aus so zu expandieren, sich auszubreiten, bis es nicht nur Abbild oder Ausdruck der unendlichen Wirklichkeit ist, sondern diese selbst! Hier ist die Grenze zwischen der Philosophie als Wissenschaft, wie sie Spinoza vorschwebt, und der Philosophie als Phantastik, wie sie Borges so reizvoll immer und immer wieder inszeniert hat: das Spiel der Gedanken, das zum Labyrinth wird, sobald man vergisst, dass nicht einmal der wahrste Gedanke das Ganze des Seins erfassen kann. Nicht ohne Ironie überschreibt Borgs eine seiner Versionen dieser wundersamen Monstrosität ‚Von der Strenge der Wissenschaft‘: … In jenem Reich erlangte die Kunst der Kartographie eine solche Vollkommenheit, dass die Karte einer einzigen Provinz eine ganze Stadt einnahm und die Karte des Reiches eine ganze Provinz. Mit der Zeit befriedigten diese Maßlosen Karten nicht länger, und die Kollegs der Kartographen erstellten eine Karte des Reichs, die die Größe des Reichs besaß und sich mit ihm in jedem Punkt deckte. Die nachfolgenden Geschlechter, dem Studium der Kartographie minder ergeben, hielten diese ausgedehnte Karte für unnütz und überließen sie, nicht ohne Ruchlosigkeit, den Unbilden der Sonne und der Winter. In den Wüsten des Westens überdauern zerstückelte Ruinen der Karte, behaust von Tieren und Bettlern; im ganzen Land gibt es keine andere Reliquie der Geographischen Disziplinen. Suárez Miranda: Viajes de varones prudentes, IV. Buch, Kapitel XLV, Lérida, 1658.4
Die Grenze zwischen Science und Fiction in diesem Sinn ist also die Begrenzung des Diskurses selbst: Er bricht ab, nicht um anderes, Wahreres ahnen zu lassen, das noch gesagt werden könnte, sondern im Respekt vor einer Wirklichkeit, die zwar nicht prinzipiell unsagbar ist, die aber niemand Jorge Luis Borges: Borges und Ich (El hacedor). 131. Es versteht sich, dass der zitierte Autor und sein Buch selbst fiktiv sind. Kein Wunder, bei einem, der „Miranda“ heißt: der (oder vielmehr die) Wunderbare. 4
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ganz sagen kann – und die, selbst als „Inhalt“ der Idee oder der Rede Gottes, nicht in dieser Idee oder Rede aufgehen würde. Es ist der Respekt vor der Wirklichkeit als solcher. Es ist dieser Respekt, der sowohl das Abfassen eines philosophischen Buches erst möglich macht (das also nicht das AllBuch sein kann und will) und der es notwendig mit sich bringt, dass faktisch nicht jeder Satz eine Folge haben wird, innerhalb dieses Buches nämlich. Es ist demnach nicht grundsätzlich verwunderlich, dass einige Sätze, vielleicht sogar viele folgenlos bleiben, und das wird aus verständlichen Gründen umso wahrscheinlicher, je weiter der Text fortschreitet. Das heißt nicht zwangsläufig, dass sie an sich genommen folgenlos sind. Was aber bedeuten solche folgenlosen Sätze genau in der Ökonomie einer Metaphysik, deren Text der widersprüchlichen Aufgabe gewachsen sein muss, sowohl der unbedingten Positivität und Affirmation von Wirklichkeit, ihrer Expansion und Unendlichkeit Rechnung zu tragen als auch die eigene Abständigkeit zu dieser Natur zu bezeugen? Was kann ein solcher philosophischer Text denn überhaupt sein? Eine erste Antwort ist offensichtlich: Die Ethik ist selbst ein Stück Natur, ein Teil der Natur, endlich wie so viele andere endliche Modi auch. Deshalb ist das Buch, indem es wirkt. Auch darin liegt wenig Überraschendes. Wie aber wirkt es? Gemäß Spinozas Philosophie sollte es eine Freisetzung und zugleich eine Vereinigung der menschlichen Potentiae begünstigen. Wenn der Philosophie das gelingt, dann deshalb, weil sie selbst ein besonders genauer Ausschnitt aus der Idee Gottes ist, in dem die Stellen, wo die Verbindungen nicht weiter ausgeführt werden, immerhin eine eindeutige Indikation enthalten, in welche Richtung die Folgen führen müssten, die sich hier oder dort anschließen würden. Diese Indikation kann entweder durch die Struktur des Ganzen (d.h. durch die allgemeinen Grundsätze) oder durch den spezifischen Gehalt der Anschlussstelle nahegelegt werden. Soweit, so gut. Doch auch das würde in Wahrheit für jedes gute Buch Philosophie gelten. Man darf auch nicht den Fehler machen und etwa das Schillern der Natur in besonders trivialisierender Weise als eine Art Vorwegnahme des hermeneutischen Zirkels in den Text zurückzuprojizieren. Das würde kaum interessante Ergebnisse generieren. Wie also steht das Schillern der Natur mit den folgenlosen Sätzen in Beziehung? Es gibt sicher einige folgenlose Sätze, die ganz einfach, im eben angeführten Sinn, anschlussfähig sind, deren Anschluss aber nicht durchgeführt wird. Das stellt keine Schwierigkeit dar. Vielleicht aber gibt es auch Sätze, die eine andere Rolle spielen: Kann es Sätze geben, die gerade dadurch, dass sie keine direkte Folge, keine sichtbare Wirkung im Gewebe der Ethik entfalten, Zeugnis ablegen für die Durchdringung und das Schillern der Natur, für die Umkehrbewegung, die Wesentliches und Tatsächliches, Unbedingtes und Bedingtes, Grund und Folge miteinander verbindet?
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Sätze also, die nur als Folgen auftreten, aber so, dass genau darin offenbar wird, dass sie selbst ihre Gründe begründen? Oder Sätze, die weder als Gründe noch als Folgen noch mit Folgen auftreten (und deshalb sind sie nicht Gründe im engen Sinn), die aber genau dadurch von der Selbstsetzung des Wirklichen Zeugnis ablegen? Wenn das so ist, dann bilden solche folgenlosen Sätze nicht einfach einen Punkt, an dem die Argumentation aus diesen oder jenen kontingenten Erwägungen abbricht. Sie bilden im Gegenteil eine Art inneren Saum: den Bereich, in dem die Natur in sich selbst umgeschlagen wird, wie den Stoff am Ärmel oder Kragen (und auch der Stoff ist ein Text, so sagt es jedenfalls das Lateinische). Aber eben einen inneren Saum, das heißt eine solche Zone des Umschlagens mitten im Geflecht der Verkettungen, für die die Ethik doch eigentlich berühmt ist. Verdickungen, Knötchen, Pillings. Aber solche, die den Stoff nur schöner machen können. Es sind also zwei verschiedene Arten von folgenlosen Sätzen, die wir erwarten müssen. Fangen wir mit der scheinbar einfacheren Variante an. Dann gibt es also Sätze, die selbst Folgen sind, aber keine haben. Nach meiner eben geäußerten Hypothese sind das Sätze, die genau hierdurch die Struktur des Schillerns ausdrücken, und zwar so, dass ihr Auftreten als Folgen und zugleich die massive Verdichtung von Wirklichkeit in ihnen eine Umkehr, einen Umschlag der Verkettung bewirken, so dass sie selbst als Gründe ihrer Gründe erkennbar werden. In ihnen verwirklicht sich die Zerstreuung des Schillerns der Naturen in der Skandierung und partiellen Durchbrechung der Abfolge der Verkettung der Sätze, die den sinnenfälligsten Charakter der Ethik ausmachen. Ganz einfach formuliert, kommen hierfür nur Lehrsätze in Frage. Ich habe daher nach Lehrsätzen gesucht, deren Bedeutung oder Konzentration sie dazu prädestiniert hätte, zum Träger so mancher Deduktion zu werden – die aber entgegen aller Erwartung keine weiteren Folgen hatten. Heißt das, dass meine Einschätzung falsch war und sie vielleicht doch nicht so wichtig waren, wie sie mir schienen? Oder verrät sich da ein anderer, tieferer Sinn? Ich musste nicht lange suchen. Schon im Ersten Teil habe ich zwei Lehrsätze gefunden, die mir jedenfalls kaum grundlegender scheinen könnten. In Ip18 wird die für Spinozas Philosophie so absolut grundlegende Einsicht ausgesprochen, dass Gott die immanente Ursache aller Dinge ist, nicht aber ihre „causa transiens“, wobei rein sprachlich dieses „transiens“ sowohl transzendent bedeuten kann (im metaphysischen Sinn) als auch „vorübergehend“:5 Im letzteren Fall könnte man damit meinen, dass Gott die Wirklichkeit nicht irgendwann einmal geschaffen hat und seitdem
Die Übersetzung von Blumenstock verwendet „vorübergehend“, ohne weitere Erläuterung freilich. 5
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nichts mehr mit ihr zu tun hat. Hier läge die Betonung auf der Permanenz der Verursachung. Diese Deutung ist nicht geradehin falsch, sie scheint mir aber deutlich der anderen, der metaphysischen nachgeordnet zu sein, wofür auch die Anlage des Beweises zu diesem Satz spricht. Das Faszinierende ist aber nun, dass eben die sprachliche Gestalt dieses Satzes – eine Ausdrucksform, die nicht wieder aufgenommen wird – genau den Umschlag vollzieht, von dem ich spreche. Der Beweis hebt, wie billig, darauf ab, dass alles, was ist, in Gott ist, und dass es außerhalb von ihm nichts gibt. Die Dinge sind in Gott, als in ihrer Ursache. Wenn man aber Gott als die immanente Ursache anspricht, dann kehrt man doch sichtlich die Verhältnisse eben um: Das Innebleiben, Drinnenbleiben betrifft jetzt eben nicht die Dinge, sondern eben Gott, d.h. ihre Ursache. 6 Erklärte der Beweis also, dass die Dinge in Gott sind, so nimmt er seinen Ausgang von und führt wieder zu einem Lehrsatz, der im scheinbaren Widerspruch dazu besagt, dass Gott in den Dingen ist! Kant benutzt einmal die schöne Übersetzung von „einheimisch“ für das lateinische „immanens“. 7 Dem Sinn des Beweises nach sind die Dinge in Gott einheimisch, dem Lehrsatz gemäß aber ist Gott in den Dingen einheimisch. Dieser Satz ohne Folgen verdichtet auf kleinstem Raum und mit minimalem theoretischem Aufwand das Schillern der Natur selbst: Wozu sollte so ein Satz noch Folgen haben? Vielleicht ahnt man schon, welcher andere kapitale Satz im Ersten Teil das Schicksal mit Ip18 teilt. Es ist in der Tat kein geringerer als das Scholium zu Ip29, jener knappe Text also, in dem genau die Unterscheidung einmal ausgeführt wird, die im Zentrum meiner Interpretation steht: die Unterscheidung in Identität von Natura naturans und Natura naturata. Einmal und nie wieder wird diese Unterscheidung ausgeführt, und kein anderer Satz des gesamten Buches wird noch einmal Bezug nehmen auf dieses Scholium. Das aber gerade nicht, weil sein Inhalt nebensächlich wäre, sondern ganz einfach, weil er allgegenwärtig ist. Das Schillern der Natur wird einmal ausgesprochen und in allen anderen Sätzen der Ethik ausgeführt, vorgeführt, durchexerziert, zur Wirklichkeit gebracht. Man könnte die Vermutung wagen, dass entgegen aller idealisierender Vorurteile die besondere Stärke der Philosophie gegenüber dem Rest der Welt nicht darin besteht, dass sie deren Wahrheit ausspricht, sondern dass sich genau hierdurch die Distanz der Philosophie zur Wahrheit bemerkbar macht: ihr „Mangel“, wenn man sich mit solchen Begriffen noch aufhalten will. Was die Wirklichkeit unbeschwert macht, d.h. vollzieht, in einer bodenlosen Das Wort scheint im klassischen Latein kaum gebraucht zu sein, und auch dort nur als Verb. Der Neue Georges gibt nur drei Stellen an, alle aus christlichen Texten. Der Wortsinn ist aber eindeutig genug, setzt sich das Wort doch zusammen aus der Vorsilbe „in“ und dem Verb „manere“, „bleiben“. 7 KrV. B 671. 6
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Praxis, das zieht die Philosophie ans Licht, trennt es heraus und wägt es ab: Doch das Herz kann man dem Patienten nur nach dem Tode herausschneiden. Will man wissen, worin die Distanz und Ferne der Philosophie zu dem Wirklichen, von dem sie Zeugnis ablegt, besteht, wird man paradoxerweise auf genau die Formeln verwiesen, die das Innerste des Wirklichen aussprechen. Denn ausgesprochen ist es eben im Wirklichen nicht, sonst wäre es nicht deren Innerstes. Vielleicht muss man sich daher auch nicht wundern, dass genau dieses Scholium keine Folge hat, markiert es doch exakt den Punkt, an dem die Mechanik des Wirklichen auf eine gefährliche Weise herausgehoben wird. Gefährlich, nicht für das Wirkliche, sondern nur für die Theorie, die sich vergriffe, glaubte sie, sich mit dieser Formel begnügen zu können. Das Wahre muss durchgeführt werden, muss selbst das Wirkliche mit vollziehen, dessen Ausdruck es ist. Das versucht die Ethik, und wo ihr die Wahrheit über das Schillern der Natur entgleitet, muss sie sich wieder zurücknehmen, nicht weil es da ein esoterisches Wissen gäbe, sondern weil Philosophie der Durchgang durch und Vollzug von Wirklichkeit ist, und nicht ihre Erledigung in einer Formel. 8 In einem ganz anderen Sinn scheinen zwei spätere Sätze sich über die Natur zu äußern, die ebenfalls folgenlos bleiben. IVp2 und IVp4 konstatieren die Tatsache, die für jede wahrhaft menschliche Ethik grundlegend ist, dass wir nämlich nur leiden, insofern wir Teil einer umfassenden Natur sind, der ohne all die anderen Teile nicht gedacht werden kann, und dass es nun einmal unmöglich ist, dass wir nicht solcherart Teil der Natur wären: Es gibt keine absolute Aktivität oder Mächtigkeit des Menschen, schlicht und ergreifend weil er endlicher Teil der unendlichen Natur ist, von allen Seiten von anderen solchen Teilen begrenzt. Wie gesagt, ohne diese Grundlage wird sich Ethik in eine Überforderung versteigen, die dem Menschen gegenüber nicht anders als grausam sein kann. Aber hier scheint doch die klassische Rangordnung gewahrt: Da gibt es die umfassende und
Der Einwand liegt nahe: Ist das nicht genau, was ich tue, wenn ich ein Buch über das Schillern der Natur bei Spinoza schreibe? Das kann sehr wohl sein. Nur ist das vielleicht einer der Momente, in denen man „Primärliteratur“ und „Sekundärliteratur“ tatsächlich gut unterscheiden kann. Denn hier spreche ich ja nicht direkt von der Natur, sondern von Spinoza, der von der Natur spricht – egal wie stark meine Sympathien sind. Lässt Spinoza das Prinzip der schillernden Natur durch die vielen Sätze seiner Ethik hindurch wirksam werden, wobei es ihm reicht, es ein einziges Mal ausgesprochen zu haben, und jedes weitere Mal hätte zu oft sein können – so lasse ich diese Formel ihrerseits wirksam werden, diesmal aber nicht im Durchgang durch die Natur, so wie sie sich der Philosophie reiner Immanenz darbietet, sondern im Durchgang durch den Text, der von dieser Natur Zeugnis ablegt. Sekundär ist meine Literatur daher, weil sie auf die Natur vermittelt über den Text Bezug nimmt. So wenig wie bei Spinoza aber darf auch hier das Prinzip der schillernden Natur als Formel Geltung beanspruchen. Löst sie sich von ihrer Durchführung, egal ob durch die Natur oder durch den Text, wird so eine Formel zum Buchstaben, der bekanntlich tot ist und tötet. 8
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grundlegende Natur, und dann die Teile, die von ihr abhängig sind, und die zudem einander noch begrenzen. Der Satz IVp3, der erklärt, dass die Kraft unserer Selbstbewahrung von all den anderen äußeren Ursachen unendlich übertroffen wird, ist immerhin fünf Mal Gegenstand von Bezugnahmen in folgenden Beweisen.9 Er bestätigt, was in den Sätzen IVp2 und IVp4 angelegt ist: Dass sowohl zwischen der Natur und dem einzelnen Menschen als auch zwischen den vielen und machtvollen Dingen und einem einzelnen Menschen Unverhältnismäßigkeit besteht. Die Zurechtweisung, die in diesen Sätzen steckt, ist fundamental: Bilde dir nicht ein, das Ganze des Seins zu sein, noch auch sein Zentrum! Erst ist die Natur da, dann ihre Teile, und diese sind von jener abhängig. Wäre es anders, dann dürfte jeder Mensch sich Hoffnungen auf göttlichen Rang machen, wie es der Beweis von IVp4 ausführt. Und es ist nur konsequent, wenn dann auch IVp4c folgenlos bleibt, obwohl er dieselbe grundlegende Wahrheit ausspricht: „Hieraus folgt, dass der Mensch notwendigerweise immer Formen des Erleidens unterworfen ist, dass er der gemeinsamen Ordnung der Natur folgt und gehorcht und dass er sich ihr in dem Maße anpasst, wie die Natur der Dinge es verlangt.“ 10 Damit ist dieser Folgesatz im Grunde nur die etwas längere Fassung des Titels des Viertens Teils ‚Von der menschlichen Knechtschaft oder von den Mächten der Affekte‘. Ohne diese Grundlage, habe ich gesagt, ist eine menschliche Ethik unmöglich. Bliebe man aber hierbei stehen, ist eine menschliche Ethik unmöglich: Denn dann gäbe es nur den einen Weg, der darin bestünde, die eigene Unfreiheit zu akzeptieren. Diese unsinnige „Ethik“ hat man mit einigen hochgestochenen Formeln zu adeln gesucht, aber sie ist doch letztlich nicht zu retten. Eine Ethik im vollen Sinn gibt es nur, wenn es die Möglichkeit zu Aktivität und Wirken gibt. Dass das bei Spinoza der Fall ist, ist klar und wurde bereits erläutert. Der Witz ist nun aber, dass genau so eine Sicht, in der das Ganze der Natur eben nicht auf mich und mein Zutun verzichten kann, die Bedingungen wieder umkehrt, die Natura naturata zur Natura naturans befördernd. Und nichts anderes macht nun eben der Rest des Buches von Spinoza! Die Sätze IVp2, IVp4 und IVp4c sind also deshalb folgenlos, weil sie in einem präzisen Sinn die Schwelle markieren, an der der Umschlag ansetzen muss, die Falte des Gewebes, den inneren Saum eben. In diesem Sinn sind sie nicht folgenlos, sie sind aber auch nicht in dem Sinn Verdichtungen des Schillerns der Natur wie Ip18 und Ip29s, weil nicht in ihnen dieses Schillern auf maximale Geschwindigkeit beschleunigt wird, im engen Kreis von ein paar Zeilen Text, sondern weil sie die Stelle des In: IVp4; IVp6; IVp15; IVp43; IVp69. „Hinc sequitur hominem necessario passionibus esse semper obnoxium communemque naturae ordinem sequi et eidem parere seseque eidem, quantum rerum natura exigit, accommodare.“ 9
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Umschlags im Text bezeichnen. Von hier nimmt genau die Bewegung ihren Ausgang, die schon im Vierten Teil die Richtung des Fünften vorwegnimmt und damit den Titel des Viertens Teils bereits in diesem dementiert. In einem ganz ähnlichen Sinn ist auch das Scholium von IVp18 zwar in einem oberflächlichen Sinn folgenlos, aber nur, weil es selbst so einen Umschlag initiiert, der in den folgenden Sätzen im Einzelnen ausgeführt wird. Dieses Scholium ist insofern zentral, als sich in ihm der Schritt ankündigt, der den Rest des Teils bestimmen wird. Es wird dort vorexerziert, wie die größtmögliche Zentrierung des Seienden auf sich selbst dieses zwangsläufig auf den anderen öffnet, wie also – um eine neue Variante des Schillern der Naturen zu präsentieren – die selbstbestimmte Existenz des vernünftigen Menschen gerade durch ihre Selbstbestimmtheit die Angewiesenheit auf die anderen Menschen entdeckt: auf die anderen ganz allgemein und grundsätzlich, nicht so, dass sich der Weise wohltuend von der Masse der Uneinsichtigen abheben kann, sondern so, dass jeder andere ein unerschöpflicher Schatz werden kann und vor allem eine wahrhaft freie, menschliche Existenz ohne die anderen nicht möglich ist. So kehrt sich die Selbstbestimmung in sich in das Bewusstsein einer fundamentalen Angewiesenheit auf andere um, das Wesentliche der eigenen Existenz in ihrer Selbstzentriertheit dreht sich ins Zufällige der Begegnungen und Abhängigkeiten. Denn der erste Teil des Scholium fasst lehrbuchmäßig die „Gebote der Vernunft“ („rationis dictamina“) zusammen, und die sprechen alle davon, dass ein jeder sich selbst lieben und sein Nützliches zu suchen hat. Die, die den ultimativen Akt des Ungehorsams gegenüber diesen Geboten vollbringen, sind die Selbstmörder: Sie sind geistig schwach („animo esse impotentes“) und sind von äußeren Ursachen, die ihrer Natur widerstrebten, schlussendlich besiegt worden. So wie jeder Einzelne ganz auf sich selbst konzentriert ist und nur in sich seinen „Sinn“ findet (wie wir Spätere gerne sagen), so ist auch die Tugend („virtus“) ganz in sich zentriert: Tugend, Nutzen, Selbstbewahrung, das ist alles dasselbe. Bliebe Spinoza da stehen, wäre seine Ethik in einem wichtigen Sinn unvollständig und auch deutlicher weniger überzeugend, denn alle Tugend, alles Gute, alles Glück, auch alle sozialen Errungenschaften und Vorteile wären so auf eine bloße Selbsterhaltung reduziert. Ein solches Fundament im Egoismus hat noch nie weit gereicht. 11 In der Tat aber kehrt die zweite Hälfte des Scholiums den Gedanken in der uns nun schon wohlbekannten Weise um: Ein menschlicher Geist, der allein ist, muss unvollkommener Dieser Irrweg wird wenigstens teilweise von Epikur bestritten, dessen Ethik sonst so große Nähen zur spinozistischen aufweist. Epikur verrät ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Leben in einer größeren Gemeinschaft und eine eigenartige Abscheu gegenüber den Vielen („oi polloi“), die mit den egalitären Prinzipien des Kepos so wenig übereinzustimmen scheint. Wahrscheinlich steht dahinter auch ein Pessimismus, der von den politischen Umständen der Zeit bestimmt ist. 11
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sein, als der, der in Gesellschaft lebt. Die Gemeinschaft mit anderen ist uns schon als solche von „Nutzen“, sie ist es erst, die uns alle Vollkommenheit aufschließt, zu der wir fähig sind. Wir brauchen die anderen, nicht nur zum schieren Überleben oder zu unserem Schutz oder zur Versorgung mit dem Nötigsten; wir brauchen sie vielmehr als Seiende, die auf ihre höchste Vollkommenheit aus sind, und zwar auch und gerade die geistige. Gerade insofern wir Selbstbewahrende sind (eben nicht im herkömmlichen Sinn Egoisten), sind wir weit davon entfernt, nur für uns den Vorteil zu suchen, sondern erkennen die ursprüngliche Verwobenheit mit den anderen. Der scheinbare Egoismus schlägt auf seinem Höhepunkt in eine Ethik um, die für alle das Beste sucht, und zwar genauso ursprünglich, wie ein jeder für sich das Beste sucht. Von solchen Menschen gilt, dass sie auf der einen Seite maximal selbstzentriert sind, zugleich aber auch, „dass sie mithin gerecht, zuverlässig und anständig sind“,12 und das ohne jede Reduktion des einen auf das andere. Man muss auch dieses Schillern aushalten. Es ist dieses Schillern, das in einem anderen Satz ohne Folgen auf den Punkt gebracht ist: „Wenn ein jeder Mensch im höchsten Maße seinen eigenen Vorteil sucht, dann sind sich Menschen im höchsten Maße wechselseitig nützlich.“13 Ich will diese Erörterung damit schließen, dass ich noch drei weitere Beispiele für folgenlose Sätze anspreche, bei denen die Folgenlosigkeit aber einen jeweils anderen Sinn hat. So hatte ich mich gewundert zu sehen, dass IIp39c ohne Folgen geblieben ist. Dieser Satz besagt, dass der Geist umso fähiger ist, vieles auf adäquate Weise wahrzunehmen, je mehr sein Körper mit anderen Körpern gemein hat. Ich hatte mich darüber gewundert und tue es noch, scheint mir doch dieser Satz eine ungenutzte Ressource zu sein: Mit seiner Hilfe hätte sich genau der Punkt, den ich eben bei der Diskussion von IVp18s und IVp35c2 besprochen hatte, auf eine noch präzisere und weniger reduktionistischen Missverständnissen Vorschub leistende Weise formulieren lassen. Dann ist es eine grundsätzliche natürliche Verwandtschaft – die wie immer nur ungefähr benannt werden kann – mit allen anderen Menschen, die als Operator der gegenseitigen Durchdringung wie Vervollkommnung dient. Ich denke, dass in diesem Fall die weitere
„[…] adeo eosdem justos, fidos atque honestos esse.“ (IVp18s) „Cum maxime unusquisque homo suum sibi utile quarit, tum maxime homines sunt sibi invicem utiles.“ (IVp35c2). Ich werde gleich noch, diese Deutung aufnehmend, zeigen, warum dieser Satz eben nicht als die platte Rechtfertigung des jungen Kapitalismus verstanden werden darf, der sich dort seine Ideologie des aufgeklärten Eigennutzes erfände. Dies wäre eine Fehldeutung, die dem Schillern nicht gerecht wird und stattdessen die Reduktion allen Handelns auf den Egoismus betreibt. Diese ontologisch falsche wie ethisch verheerende Konzeption reicht von Hobbes und Mandeville bis hin zu der von Selbstüberschätzung strotzenden wie handelnden „Philosophie“ einer Ayn Rand. 12 13
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Nutzung des Satzes einen guten Sinn erfüllt hätte – dass man das aber nachreichen kann. Ganz anders ist der Satz, der droht, die gesamte Systematik der Affektlehre zu erschüttern, und der doch nur eine jener Distanzierungen ist, in denen sich der philosophische Text seiner eigenen Begrenztheit bewusst wird und werden muss: IIIp56 erklärt, dass die Affekte in Wahrheit unendlich differenziert sind, sie sind nämlich ganz genau so zahlreich und unterschiedlich wie es Arten von Gegenständen gibt, die uns affizieren. Es ist klar, dass man mit diesem Satz zwar viel anfangen kann; dass er aber genau durch seine universale Gültigkeit droht, alle philosophischen Versuche der Ordnung und Differenzierung zuschanden zu machen. Es droht, Beliebigkeit und Willkür Einzug zu halten, die sich immer melden, wenn man sich dem Relativismus anvertraut: Der Relativismus (selbstverständlich immer in einem strengen Sinn genommen) ist ja wahr, aber genau deshalb muss ihm die Systematik und die Ordnung abgerungen werden. Dieser Satz ist also insofern systematisch mit Schwierigkeiten behaftet, die seine Folgenlosigkeit erklären. Er ist aber eben auch unverzichtbar in dem Maße, in dem er anzeigt, wie die Realität kategorisch den philosophischen Text überschreitet. Schließlich gibt es einen Satz, der ganz besonders eindrucksvoll eine der Konsequenzen aus den Prämissen dieser Ethik zieht, und auf den ebenfalls nicht mehr Bezug genommen wird: „Ein freier Mensch denkt an nichts weniger als an den Tod; und seine Weisheit ist ein Nachdenken über das Leben, nicht über den Tod.“14 Impotent ist dieser Satz wahrhaft nur im rein formalen Sinn. Seine Kraft ist aber eine, die zugleich seine Folgenlosigkeit erklärt. Denn es ist die Kraft der Bejahung. Eigentlich, so könnte man Spinoza fast als Gedanken unterstellen, ist schon mit diesem Satz zu viel gesagt, spricht man doch von etwas, was so nicht existiert: Erstens weil es, wie der Fünfte Teil zeigen wird, eine Art von Ewigkeit gibt, die uns zukommt; zweitens aber auch, weil es meinen Tod eben nicht für sich genommen gibt. Jede Hypostasierung des Todes ist die Installierung einer falschen Idee, denn eine falsche Idee ist die, die mangels richtiger Erkenntnis etwas Abgeschnittenes, Verstümmeltes präsentiert (IIp35). Und man könnte durchaus dafür argumentieren, dass schon die Rede von meinem Tod, geschweige denn das Nachdenken darüber der erste Schritt in Richtung auf eine solche Verstümmelung ist: So entsteht ein Gespenst, das sowohl von meinem Leben eigentümlich losgelöst ist, anstatt nur von ihm aus, als sein Ende eben, verstanden zu werden, als auch von den anderen Seienden, denen mein Leben wie mein Tod, im Guten wie im Schlechten, mit unlöslichen Banden verwoben ist. Eine Philosophie wie die Heideggers
„Homo liber de nulla re minus quam de morte cogitat, et ejus sapientia non mortis, sed vitae meditatio est.“ (IVp67) 14
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wäre für Spinoza eine paradigmatische Form von Verwirrung, Verstümmelung, Falschheit. Man kann bei dem Thema des Todes, das die Menschen zu allerlei Tiefsinnigkeiten verlockt, offenbar nur zu viel sagen. Tief ist das alles, was die Heideggers darüber zu sagen haben. Aber so, wie die labyrinthischen Höhlen des Grotesken in der Tiefe liegen. Setzungen ohne Folgen. Das ist also die erste Art der Folgenlosigkeit von Sätzen, die zu bemerken ist: Sätze, die zwar Folgen sind, aber selbst keine haben. Ich habe versucht zu zeigen, wie einige dieser Sätze exakt in ihrer formalen Impotenz von einer Potenz anderer Art, nämlich von der Natur in ihrem unvergleichlichen Schillern Zeugnis ablegen. Einige Sätze, aber eben nicht andere, denn der Gründe für die Folgenlosigkeit sind viele, und ihr erster ist die Differenz zwischen dem Text und der Wirklichkeit, von der jener ein endlicher Teil ist. Es gibt aber noch eine andere Art von Sätzen, die unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das sind solche, die ebenfalls keine Folgen haben, die aber auch selbst nicht im engen Sinn als Folgen angesprochen werden können. Es ist klar, dass hier die Lehrsätze selbst nicht in Frage kommen, bis auf den allerersten vielleicht. Es gibt aber noch eine Reihe anderer Satzarten in der Ethik, und es ist einigermaßen erstaunlich, dass ein paar davon keinerlei weitere Bezugnahme aufzuweisen haben. Denn die Definitionen, Axiome, Postulate und Lemmata haben doch eigentlich Sinn nur in Hinblick auf die Arbeit der Deduktion. Ich muss jetzt schon einräumen, dass die Ergebnisse dieser Sichtung weniger weitreichend sind als die entsprechenden in Bezug auf die Sätze ohne Folgen; sie sind vor allem auch weniger eindrucksvoll, als ich es ursprünglich erwartet hatte. Wenn ich sie dennoch wenigstens in Grundzügen anführe, dann nur, weil manchmal auch die Einsicht, dass es an einer bestimmten Stelle kaum etwas zu sehen gibt, eine Erkenntnis sein kann. Darüber hinaus ist dieser relative Fehlschlag zugleich charakteristisch für so manche wissenschaftliche Untersuchungen, in denen man, während man einer bestimmten Richtung folgte, plötzlich in ganz anderen Arealen etwas findet. Ich werde das weiter unten näher ausführen. Es stellt eine eigene Schwierigkeit dar, dass Spinoza nicht erklärt, wie genau er diese vier Satztypen versteht und vor allem wie er sie voneinander abgrenzt.15 Natürlich bestimmen die Definitionen einen Sprachgebrauch, In Ep9 deutet Spinoza eine Unterscheidung an. Er erklärt dort, dass man zwischen verschiedenen Arten von Definitionen unterscheiden muss. Die eine Art ist auf ein Ding außerhalb des Denkens bezogen; sie kann deshalb wahr oder falsch sein. Z.B. kann ich einen richtigen oder falschen Begriff des Petersdoms haben. (Spinozas Beispiel ist der Salomonische Tempel, was insofern ein problematisches Beispiel ist, als ich meinen Begriff von ihm nur noch anhand von Quellen und nicht mehr an der Wirklichkeit selbst überprüfen kann.) Die andere Art von Definition bezieht sich auf etwas rein Denkbares; 15
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aber es wäre, im Rahmen einer Philosophie wie der Spinozas, ganz verfehlt, darin nur eine Sprachregelung zu sehen. Es kann ja beispielsweise gar kein Zweifel daran bestehen, dass die Definitionen des Ersten Teils viel mehr sind als nur Festlegungen, wie dieser oder jener Terminus verstanden werden soll; im Gegenteil nehmen sie zentrale Thesen und Theoreme der Metaphysik vorweg, deren systematischer Ort und Gültigkeit dann im Laufe des Beweisganges näher bestimmt werden. Genauso sind die Axiome zwar sicherlich „Grundsätze“, die für den Beweisgang vorausgesetzt werden müssen. Aber genau in diesem „Müssen“ liegt ja das Problem: Sind die Axiome dann etwa nur zum Zwecke der folgenden Beweise erfunden? Wenn man etwa auf die Axiome des Ersten Teils blickt, dann ist z.B. das erste einer jener Sätze, die (wenn man bestimmte Voraussetzungen als unbezweifelbar akzeptiert) eine formale Notwendigkeit haben. Alles, was ist, ist entweder in sich oder in einem anderen. Nun gut. Solche und ähnliche Sätze könnte man mit einigem Wohlwollen als Variationen des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten betrachten. Das sechste Axiom des Ersten Teils hingegen bringt eine sehr spezifische erkenntnistheoretische Position zum Ausdruck (die im Übrigen im weiteren Gang der Ethik durch eine andere, mehr „kohärenztheoretische“ korrigiert werden wird): Die wahre Idee muss mit ihrem Gegenstand übereinstimmen. Auch damit wird man sich abfinden können, aber man ist sichtlich auf einer ganz anderen Ebene als in Iax1. Wenn man schließlich auf Iax4 blickt, dann ändert sich das Bild noch einmal voll und ganz: Dass die Erkenntnis der Wirkung von der Erkenntnis der Ursache abhängt, ist sicherlich ein bedenkenswerter Satz, es ist aber keine von sich aus einleuchtende Wahrheit oder ähnliches. Es ist, wie es die moderne Idee der Axiomatik unumwunden zugibt, einfach eine Setzung. Diese Setzung ist für Spinoza insofern wichtig, als sie den Sprung erlaubt, der meine endliche Existenz unmittelbar mit der Allursache, nämlich mit Gott verbindet; sie gibt also die Basis dafür, dass die dritte Erkenntnisgattung konkret (d.h. in Hinsicht auf jeden endlichen Körper oder allgemein jedes endliche Ding) möglich ist: So kann jedes Ding Gottes unendliche Essenz beinhalten (IIp45) und in Gott ist notwendigerweise eine Idee sie kann nicht wahr oder falsch, wohl aber verständlich oder unverständlich sein. Spinoza fügt hinzu, dass beide Arten von Definitionen zwar von Axiomen oder Lehrsätzen verschieden sind, aber nur der Hinsicht nach: Die erste Art insofern, als sie sich auf die Essenz eines Dinges bezieht, wohingegen sich ein Axiom oder ein Lehrsatz auch auf ewige Wahrheiten beziehen kann. Die zweite Art von Definition ist von Axiomen und Lehrsätzen auf dieselbe Weise unterschieden wie von der ersten: dadurch, dass sie nicht auf extramentales Wahres bezogen ist. Diese sehr frühe Auskunft (vom März 1663) lässt mehr Fragen offen, als sie beantwortet. Ihr zufolge scheint „Definition“ ein Überbegriff zu sein, von dem sich Axiome oder Lehrsätze nur der Hinsicht nach unterscheiden; zwischen Axiomen und Lehrsätzen wird weiterhin gar nicht mehr unterschieden. Der Brief an de Vries kann also keinen abschließenden Aufschluss geben und belässt die Fragen im Wesentlichen ungelöst.
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enthalten, die die Essenz dieses oder jenes Körpers „sub specie aeternitatis“ ausdrückt (Vp22) – beide Sätze zitieren das Axiom. Wie auch immer es also um die Axiome steht, man gewinnt den Eindruck, dass sie vor allem dazu da sind, um die Deduktion an den Start bringen zu können, und dass sie durchaus mit Blick auf die Beweisziele ausgesucht sind. Kompromittiert das Spinozas Projekt? Der Zweite und der Dritte Teil kennen auch noch Postulate, deren Status nicht klarer ist. IIIpost1 wird gar im Kommentar ausdrücklich als „Postulat oder Axiom“ bezeichnet. Offenbar ist die Unterscheidung nicht sonderlich klar. Im Zweiten Teil kommen dann noch die Lemmata hinzu, die, wie die Postulate des Zweitens Teils auch, allein auf die Physik bezogen sind. Man kann allgemein festhalten, dass alle Postulate der Ethik (IIpost16 und IIIpost1-2) vom „menschlichen Körper“ handeln und dass alle Lemmata (IIl1-7) der Klärung des Wesens der Körper gewidmet sind. Freilich, dass Postulate und Lemmata durch ihren Gegenstand voneinander und vielleicht auch dann noch von den Axiomen unterschieden wären, das scheint nun ganz und gar der Idee der geometrischen Ordnung unangemessen zu sein. Wir haben also neben den Lehrsätzen im engen Sinn und den Sonderteilen (inklusive der Vorworte) Definitionen, Axiome, Postulate und Lemmata, wobei es mir jedenfalls schwerfällt, ein eindeutiges Abgrenzungskriterium dieser verschiedenen Typen von Sätzen anzugeben. Ich will das hier auch nicht weiterverfolgen, weil diese Abgrenzung nicht meine Frage ist. Ich nehme vielmehr für alle diese Sätze an, was eben bereits für die Axiome behauptet und problematisiert wurde: dass sie mit Blick auf die Beweisabsicht aufgestellt sind. Das ist in einem pragmatischen Sinn kein Problem: wofür sollte man einen Satz schreiben, der nicht mit dem Beweisgang in Zusammenhang steht? Das ist auch mit Blick auf die alles dominierende Idee des Schillerns der Natur kein Problem, denn dann ist die Unterscheidung in das Frühere und das Spätere zwar im einen Sinn essentiell, im anderen aber immer der Umkehrung anheimgegeben: Es wird sich das Spätere als das Frühere entpuppen, das Faktum als das Wesen. Und in der Tat führt die Dramaturgie der Ethik im Fünften Teil auf solche Einsichten, die allem, was vorangeht, allererst den Boden und die Wirklichkeit geben. Es kann nicht anders sein. Nun sind diese Sondersatzformen aber natürlich auch nicht willkürlich. Sie sollen in einer gewissen Ordnung den Gang des Denkens erlauben. Sie kompromittieren die Philosophie nicht durch ihre zweckmäßige Auswahl und gezielte Anordnung, sondern sie machen sie erst möglich. Es ist ja nicht irgendwas, was Spinoza da von sich gibt. Dass einiges erst plausibel wird im Licht des Folgenden und dass der genaue Sinn von allen diesen Sätzen erst im Durchgang klar wird, widerspricht dem nicht, sondern bestätigt das nur. Man kann also sagen, dass der Zweck dieser Sondersätze
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darin besteht, eine gewisse Konstellation herzustellen, einen denkerischen Ort zu umgrenzen, von dem das Philosophieren seinen Ausgang nehmen kann. Oder um es anders zu formulieren: Was die Definitionen und Axiome, und in geringerem Maß die Postulate und die Lemmata machen, ist die Nachstellung der Situation selbst, nämlich der fundamentalen Situiertheit des Menschen und seines Denkens. Die eigenartige Sachlage ist nämlich die, dass man, um wie Spinoza medias in res ansetzen zu können, nicht einführen darf, aber immerhin die Referenzpunkte des Mittendrinseins wenn auch nur schematisch rekonstruieren muss. Einfach von sich aus und mit nichts anfangen kann ein Descartes. Spinoza aber sieht jedes Ding und damit auch das Denken in eine Landschaft des Seins gesetzt, die ihm vorhergeht und seine Orientierung ermöglicht. Es ist so eine Seinslandschaft, dessen Skizze er in den Definitionen und Axiomen liefert, jenen reduzierten chinesischen Landschaftsmalereien gleich, die mit ein paar auf die Leinwand geworfenen Strichen eine ganze Welt evozieren. Wenn das aber stimmt, dann wäre es einigermaßen verwunderlich, wenn es solche Sondersätze (Definitionen, Axiome, Postulate, Lemmata) gäbe, die im weiteren Verlauf der Demonstration keine Verwendung mehr erfahren: Wenn sie doch alle mit Blick auf den Beweisgang hingestellt wurden, weshalb dann einen solchen Satz einführen, der dann nicht gebraucht wird? Aber genau das ist der Fall. Wie kann das sein? Am einfachsten steht es wohl mit den Lemmata. Die Lemmata des Zweiten Teils sind unverzichtbare Elemente der dort umrissenen Theorie der Körper. Diese Theorie ist im Kontext des Zweiten Teils einerseits essentiell, nachdem der Satz IIp13 festgestellt hatte, dass der Gegenstand der Idee meines Geistes mein Körper ist. Somit bildet die Theorie der Körper eine Art Scharnier zwischen den Attributen – wenn es so etwas in einem strikten Sinn geben könnte. Andererseits ist auch klar, dass das Detail dieser Korrespondenz im Folgenden nicht mehr aufgerufen werden muss, um die Grundzüge einer Metaphysik und Ethik im Sinn Spinozas zu entwickeln. Es genügt, dass sie einmal in aller Knappheit dargestellt wurden. Daher ist es kaum verwunderlich, dass die Lemmata allgemein wenig spätere Bezüge aufweisen und zwei davon ganz ohne Folgen bleiben. 16 Man hat es hier
Dies ist die Liste der Folgen in Beweisen: IIl1: IIl3; IIl4; IIl5. IIl2: IIp38c; Vp4. IIl3: –. (IIl3c: –.) IIl4: IIp24. IIl5: IIIpost1. IIl6: –. IIl7: IIIpost1. 16
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wohl eher mit dem Versuch einer zugleich maximal verdichteten und doch einigermaßen vollständigen Theorie körperlicher Realität zu tun, so dass das Erfordernis systematischer „Vollständigkeit“ einen Satz verlangen mag, der danach im Rahmen der Ethik jedenfalls keine Folgen mehr haben wird. Auch die Postulate sind, wie erwähnt, mit der Natur der Körper, genauer, des menschlichen Körpers befasst. Sie sind damit aus dem gleichen Grund wie die Lemmata zwar wichtig, aber in ihrem Detail nicht zwangsläufig grundlegend. Dass einige Teile des menschlichen Körpers flüssig, andre weich und wieder andre hart sind (IIpost2), mag für die Medizinerin interessant sein; es mag sogar philosophische Gründe geben, weshalb das relevant wird, etwa in der Theorie der körperlichen Grundlage der Erinnerung und Gewohnheit (IIpost5; ohne Referenz auf IIpost2). Aber die Ethik braucht das nicht mehr in dieser Ausführlichkeit, weshalb IIpost2 (offiziell) ohne Folge bleibt. Ich schreibe „offiziell“, weil IIpost2 die Voraussetzung für IIpost5 ist, wie eben gesagt; hinzukommt, dass das andere impotente Postulat der Ethik, IIIpost2, auf IIpost5 Bezug nimmt, um zu erklären, dass ein menschlicher Körper vielerlei Veränderungen erfahren und zugleich Spuren und Eindrücke einmal wahrgenommener Gegenstände bewahren kann. Insofern kann man argumentieren, dass IIpost2 implizit auch in IIIpost2 fortwirkt. Auch von den Definitionen bleiben einige ohne Folgen. Es sind dies die Definitionen der Idee (IIdef3), der Dauer („duratio“; IIdef5), der Einzeldinge („res singulares“; IIdef7), der einander entgegengesetzten Affekte (IVdef5), der Affekte gegen künftige, gegenwärtige und vergangene Dinge (IVdef6)17 und des Zweckes (IVdef7). Man sieht, dass auch hier der Eindruck, der durch die bloße Auflistung der Sätze mit und ohne Folge entsteht, täuscht: Diese Definitionen mögen in der Folge nicht mehr explizit aufgerufen werden, da aber die definierten Begriffe allerorten auftreten, handelt es sich im Gegenteil um faktisch höchst potente Sätze. Bleiben also die Axiome. Die Ethik weist insgesamt 20 Axiome auf: sieben im Ersten Teil, zehn im Zweiten Teil, keines im Dritten, eines im Vierten und zwei im Fünften. Fünf davon werden im weiteren Verlauf des Textes nicht wieder aufgenommen. Scheiden wir sofort wieder zwei davon aus unserer Betrachtung aus, und zwar das zweite Axiom der zweiten Axiomserie aus dem Zweiten Teil (direkt nach Lehrsatz 13) und das dritte Axiom der dritten Axiomserie aus dem Zweiten Teil (nach den ersten drei Lemmata). Wir können diese beiden ausscheiden, weil für sie dasselbe gilt, wie für die eben betrachteten Postulate und Lemmata: Sie bestimmen im Wesentlichen nur die grundlegenden Eigenschaften der Körper näher, weshalb sie auf dieses Thema
In Wahrheit erklärt IVdef6, dass diese Definition schon geliefert wurde, nämlich in IIIp18s1 und IIIp18s2. 17
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eingeschränkt bleiben; außerdem gibt es sehr wohl Bezugnahmen auf sie, wenn auch implizit. Das erste genannte Axiom erklärt, dass ein jeder Körper sich bald schneller, bald langsamer bewegt. Das zweite genannte Axiom erklärt, was unter den (von IIpost2) benutzten Begriffen „hart“, „weich“ und „flüssig“ zu verstehen ist. Man braucht auf diese Axiome und ihre scheinbare Impotenz also nicht viel geben. Bleiben drei solcher unbenutzter Axiome: Iax2, Iax7 und Vax2. Die theoretische Ausbeute ist bei ihnen immerhin ein wenig besser. Die sieben Axiome des Ersten Teils lassen eine klare inhaltliche Zentrierung erkennen: Es sind die grundsätzlichen Referenzpunkte des Verhältnisses von Denken und Sein, die dort geklärt werden, wenn auch dieses Verhältnis selbst noch nicht Gegenstand sein kann. So bestimmt Iax1, dass alles entweder in sich oder in einem anderen ist; IIax2 gibt davon gewissermaßen die Wendung ins Erkenntnistheoretische, und zugleich die Umkehrung: Das, was nicht durch ein anderes erfasst („concipi“) werden kann, muss durch sich selbst erfasst werden. Natürlich wird ja gerade die ganze Beweisabsicht der Ethik darin bestehen zu zeigen, dass „beides“ ineinander verschränkt und in einer gewissen, ganz strengen Hinsicht dasselbe ist: das, was in anderem ist und durch anderes erfasst wird, und das, was in sich ist und durch sich erfasst wird. Die Axiome stellen ein grobes Schema, eine Art Koordinatensystem für das Denken auf. Das ist der Grund, weshalb nicht jedes einzelne unbedingt noch einmal genutzt werden muss. Die Aufgabe besteht eben nicht darin, das Material für die Untersuchung zu erbringen oder die Voraussetzung; vielmehr ist die Pointe ja, dass solches Material nie herbeigeschafft werden muss, weil es immer schon da ist in Form einer sich selbst setzenden Natur. Die Aufgabe der Axiome besteht vielmehr darin, diese Selbstsetzung zum Zweck einer Situierung nachzustellen, von der aus der Verstand anfangen kann. Denn irgendwo muss man anfangen. Nur in Wahrheit nicht irgendwo, sondern bereits in der Wahrheit. Es ist so, als bräuchte man eine Reihe von Koordinaten, nicht um die Wahrheit bereits festzustellen, wohl aber um von ihnen aus den Punkt zu bestimmen, an dem sich die Linien schneiden oder die Figur ihren Mittelpunkt hat. Wir sind ja stets situiert, und wir sind immer mitten in der Realität situiert. Es ist diese Situierung, die uns zugleich in unmittelbaren Kontakt mit dem Wahren bringt und die, wissen wir nicht mit ihr umzugehen, unsere Irrtümer bis hin zum Aberglauben ermöglicht. Dieser Umstand, dass es Axiome gibt ohne Folgen, hatte mich in der Analyse der Satzstruktur zu Beginn am allermeisten fasziniert. Da war, so konnte ich mir sicher sein, ein Schatz zu heben. Ein weiterer Beweis für die Fruchtbarkeit meiner Hypothese von der Zentralität des schillernden Naturbegriffs würde sich dort auftun. Immerhin, im Verlauf der Erörterung der impotenten Lehrsätze – auf die ich anfangs weniger Hoffnung gesetzt hatte – hatte sich ja genau das bestätigt. Einer ersten Vermutung zufolge
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würden die impotenten Lehrsätze Verdichtungen und Manifestationen der schillernden Natur sein, die impotenten Axiome dagegen Verdichtungen und Manifestationen der Selbstsetzung von Natur. Eine Berührung mit der allgemeineren Frage, wie man mit dem Philosophieren anfangen könne – die zu Beginn des Tractatus de intellectus emendatione eine berühmte Behandlung erfahren hat – tat sich da auf. Allerdings, die Durchführung hat in diesem Fall darauf geführt, dass sich diese Vermutung nicht durchhalten ließ. Ich mutete dem Umstand der Folgenlosigkeit der Axiome (und der anderen Satzarten neben den Lehrsätzen) einfach zu viel zu. Ich musste mir schließlich eingestehen, dass die Folgenlosigkeit der Axiome etc. philosophisch sehr viel weniger bedeutsam ist, als ich zuerst vermutet hatte. Freilich, ganz ohne Gewinn ist ihre Erörterung nicht, und sei es nur der zu sehen, dass da weniger zu finden ist, als man (oder besser: ich) gesucht hatte. Im Allgemeinen sieht man, dass diese Folgenlosigkeit entweder auf eine Art lokale Vollständigkeit bezogen ist oder aber eine nur scheinbare ist: Entweder ist es der Kontext eines Themas, der Spinoza dazu motiviert, einige Setzungen zu vollziehen, die später nicht mehr gebraucht werden, oder aber es gibt sehr wohl Bezugnahmen auf die scheinbar folgenlosen Axiome, sie bleiben nur implizit, deshalb aber nicht weniger rekonstruierbar. Nicht selten gehen auch beide Aspekte ineinander über. Ein Text wie die Ethik ist ein Stück Natur, muss deshalb an derselben Essenz teilhaben, muss selbst bewahrend und expansiv sein, über sich hinausreichen, sich ins Unendliche verästeln, tausend und abertausend Anknüpfungen haben, die von einem endlichen Intellekt nicht mehr alle ausgeführt werden können. Er bleibt aber nichtsdestoweniger endlich, er bleibt immer nur Teil. Niemals darf man den Text mit der Wahrheit tout court verwechseln. Für einen wie Spinoza muss das Unvollständige, das Lückenhafte seines Textes einerseits besonders schmerzlich spürbar gewesen sein, andererseits ist das der Schmerz der Verstümmelung: der Phantomschmerz sozusagen, der dort ist, wo einem etwas fehlt. Und insofern ist dieser Schmerz gerade Beweis dafür, dass man noch auf dem richtigen Weg ist, und nicht den Fehler gemacht hat, einen Satz – und sei es noch so grundlegend – für die Sache selbst zu nehmen. Die Lücke im Text, der Riss im Gewebe sind so brutal: Ihre Brutalität ist die der heilsamen Erinnerung an die Unendlichkeit und Unbeherrschbarkeit des Wirklichen. Das Attentat. Ein anderes Gewebe, ein anderer Riss. Und doch nicht so anders. Es kursiert eine Geschichte über Spinoza, die nicht zufällig die Leser*innen gepackt hat, scheint in ihr doch das Wagnis, das Spinoza offenbar einzugehen bereit war, dramatisch verdichtet. Eines Tages, noch vor seinem Ausschluss aus der Amsterdamer Jüdischen Gemeinde, sei Spinoza aus dem Theater (oder der Synagoge) getreten, als plötzlich ein Jude mit einem
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Dolch auf ihn eindrang. Spinoza konnte dem Angriff knapp ausweichen. Er wurde nur leicht verletzt. In der Tat kann man über den Wahrheitsgehalt dieser Geschichte nicht vollständig sicher sein. Sie erscheint zum ersten Mal in Bayles Dictionnaire historique et critique, 20 Jahre nach Spinozas Tod. Einige Jahre später wird sie von einem weniger bekannten Schriftsteller noch einmal aufgenommen, nämlich von Johannes Colerus. Dieser letztere kopiert sie aber nicht einfach aus Bayle. Er hat vielmehr den unschätzbaren Vorteil, Zeugen zwar nicht des Ereignisses selbst, wohl aber seines Berichts durch Spinoza befragen zu können, ist er doch Lutherischer Pfarrer in der Amsterdamer Gemeinde, zu deren Mitgliedern auch der langjährige Vermieter Spinozas und dessen Frau zählen. Von diesem habe er, so Colerus, die Geschichte so gehört, wie sie Spinoza ihnen selbst erzählt hat. Wie gesagt, man kann nicht sicher sein, dass sich dieses Ereignis wirklich zugetragen hat; die Tatsache aber, dass Bayles Bericht von einem Ortsansässigen sowohl wiederholt wie auch korrigiert wird, der zudem in direktem Kontakt zu engen Bekannten Spinozas stand (Spinoza wohnte von 1670 bis zu seinem Tod 1677 bei den Van der Spijks), gibt der Überlieferung aber einiges Gewicht. Sie ist auch in sich selbst nicht unplausibel. Colerus korrigiert die Geschichte: Laut Bayle fand der Angriff vor dem Theater statt, Colerus hingegen erklärt, der Anschlag habe sich vor der Synagoge ereignet, aus der Spinoza gerade trat. Einig sind sie sich immerhin darin, dass dieser Vorfall vor Spinozas Ausschluss aus der Jüdischen Gemeinde stattgefunden hat, also vor Juli 1656. Es ist eine spannende Frage, wer Spinoza da zu töten versuchte. Weder Bayle noch Colerus erwähnen ein Motiv für den Mordversuch (denn um einen solchen handelte es sich offenbar). Die nahezu ausnahmslos herrschende Auffassung – die man offenbar ganz selbstverständlich aus den beiden kurzen Schilderungen gezogen hatte, die diesen Schluss aber keineswegs enthalten – war die, dass Spinoza durch seine Philosophie den Hass eines religiösen Fanatikers auf sich gezogen hat.18 Während das keineswegs Bei Bayle ist die Episode als Teil der Geschichte der Entfremdung Spinozas von der jüdischen Gemeinde aufgefasst. Es sei bereits eine Distanzierung zwischen Spinoza und der Synagoge vorausgegangen, doch vielleicht hätte sich Spinoza noch länger zu einer Rücksichtnahme auf deren Befindlichkeiten entschließen können, wenn dieser Angriff ihm nicht alle diesbezüglichen Illusionen genommen hätte: Direkte Folge des Anschlags sei ein Bruch gewesen, der von Spinoza ausgegangen und von den Juden durch den Cherem bestätigt worden sei (Bayle: Dictionnaire historique et critique. 416; zu Beginn des Artikels ‚Spinoza‘). In dieser Rekonstruktion – ihre historische Genauigkeit dahingestellt – wird also nicht behauptet, der Angreifer habe Spinoza aus religiösem Eifer töten wollen. Es wird aber immerhin unterstellt, dass Spinoza das dachte, zumindest aber, dass Spinoza einen Zusammenhang zwischen den Spannungen mit der Synagoge und dem Mordanschlag sah. Bei Colerus wird die Sache noch weniger durchsichtig, denn die Episode wird auch bei ihm im Kontext der Bemühungen um eine gütliche Einigung 18
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per se ausgeschlossen ist, hat Nadler kürzlich eine ganz andere, zwar weniger pathetische, aber nicht weniger dramatische Deutung vorgeschlagen: 19 Nadler rekonstruiert die Schwierigkeiten, die Spinoza, als er noch gemeinsam mit seinem Bruder das vom Vater ererbte Unternehmen führte, mit drei Brüdern namens Alvares hatte. Diese verdingten sich als Juwelenhändler, scheinen aber vom Ideal des ehrbaren Kaufmanns denkbar weit entfernt gewesen zu sein und weder vor Betrug noch vor dem Einsatz physischer Gewalt zurückgeschreckt zu haben. Spinoza hatte 1655 nachdrücklich versucht, eine Schuld von 500 Gulden, die Anthonij Alvares bei ihm hatte, einzutreiben, und das auch unter Anrufung der Justiz. Das führte zu teils gewalttätigen Szenen: Mindestens zwei der Brüder schlugen im Verlauf dieser Ereignisse auf Spinoza ein. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass der Anschlag auf Spinozas Leben vielleicht der Versuch der Alvares war, sich an Spinoza – der durch die Einschaltung der Justiz den Ruf der Brüder beschädigt hatte – zu rächen oder auch (eine Möglichkeit, die Nadler eigenartigerweise nicht erwähnt) der Rückzahlung der Schuld zu entgehen. Denn es ist offen, ob Spinoza seine 500 Gulden je gesehen hat.20 Ich halte das für eine wichtige Korrektur zumindest der Perspektive, wenn auch die Hintergründe der Sache (wenn sie denn überhaupt stattgefunden hat) heute nicht mehr mit Sicherheit festzustellen sind. Es ist eine Korrektur der Perspektive aber, denn so eindrucksvoll uns Spinozas Person in seinen Schriften entgegentritt: Die für ihn so eigentümliche Mischung aus Nüchternheit, Heiterkeit, Gelassenheit und Emphase ist jedenfalls den trivialeren Formen des Pathos so fern wie nur etwas. Solches Pathos hat seinen Reiz, und wenn wir uns die Szene vorstellen: der Große Philosoph, zwischen Synagoge und Spinoza erwähnt (die von den Ältesten angebotene Pension, mit der Spinozas unauffälliges und unanstößiges Verhalten belohnt werden sollte, die auch Bayle erwähnt, wird hier sehr ausführlich geschildert; Das Leben. 18 f.); es ist aber erkennbar, dass Colerus auf die Geschichte kommt, weil ihm in diesem Zusammenhang eben die Schilderung von Bayle in den Sinn kommt, die er bei dieser Gelegenheit korrigieren möchte. Eine eigenständige Bestimmung des Zusammenhangs des Anschlags mit den Streitigkeiten gibt Colerus daher nicht, auch wenn dieser Zusammenhang wohl auch bei ihm als sich von selbst verstehend mitschwingt – zumindest ist das der natürliche Eindruck, der bei der Lektüre entsteht. 19 Nadler: Who Tried to Kill Spinoza? Ich stütze mich in diesem ganzen Abschnitt auf die Darstellung Nadlers, der auch die beiden Schilderungen bei Bayle und Colerus wiedergibt. In seiner umfangreichen Spinoza-Biographie, deren zweite Auflage kurz vor diesem Artikel erschien, machte Nadler noch ganz selbstverständlich die traditionelle Verbindung zwischen den Spannungen mit der Synagoge und dem Mordanschlag, wobei er diesem gegenüber aber skeptisch bleibt, vgl. Nadler: Spinoza. 129. 20 Wahrscheinlich wäre beim Tod Spinozas der Schuldschein auf dessen Bruder übergegangen. Aber abgesehen davon, dass nicht jeder Verbrecher ein Mastermind ist, das vier Schritte vorausdenkt, könnte das Kalkül für diesen Fall gewesen sein, dass Gabriel Spinoza durch den gewaltsamen Tod seines Bruders genügend eingeschüchtert gewesen wäre.
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der von der personifizierten Intoleranz und Unwissenheit mit dem Dolche angesprungen wird, dann mag uns ein erhebendes Gefühl bestreichen. Doch viele Dramen haben sehr viel banalere Gründe, und sogar die, die die großen Philosophen treffen. Was mich hier aber interessiert, ist in Wahrheit eine weitere Abweichung zwischen den beiden Schilderungen des Attentats. Bayle zufolge wurde Spinoza leicht verletzt (in Colerus‘ Wiederholung der Schilderung von Bayle: im Gesicht). Bei Colerus aber konnte Spinoza rechtzeitig ausweichen: Der Dolch verfehlte seinen Körper und ging stattdessen nur durch das Gewand, das er trug – ein Gewand, das Spinoza hinfort als bleibende Erinnerung an dieses Ereignis aufbewahrte. „Er habe annoch damals den durch diesen Stich durchlöcherten Rock, zum Gedächtnis dieser Begebenheit, aufgehoben.“21 Noch einmal muss man gestehen, dass uns nichts versichern kann, dass sich das alles überhaupt und erst recht nicht: genau so zugetragen hat. Natürlich befriedigt auch dieses letzte Detail eine gewisse Lust am Dramatischen und Symbolhaften. Es scheint mir aber, dass sich dieses Stücklein in das Bild einfügt, das wir bis hierher von Spinoza gewinnen konnten: Wie im Gewebe des Textes die Leerstellen und Lücken, die Orte, wo der Gang abreißt oder plötzlich stehenbleibt, hindeutet einerseits auf die Fortsetzung des Textes, die im Prinzip immer erfolgen kann, aber faktisch ihre Grenzen hat, und andererseits auf die Realität, die eben nicht Text ist, sondern von diesem – wenn er auch selbst Teil der Realität ist – grundsätzlich geschieden bleibt; wie also mit einem Wort die Endlichkeit der Ethik und damit ihre Distanz zum unendlichen Intellekt nicht ihre Unwahrheit, sondern ihre Wahrheit als Philosophie verbürgt22 – so braucht auch der Riss im Mantel, in den der Dolch gestoßen war, nicht genäht werden. In einem gewissen Sinn darf er nicht genäht werden. Seine Brutalität und scharfe Abhebung gegen das Gewebe ist eben das, was ihn wertvoll macht. Dieser Riss im Gewebe ist der sichtbare Ausdruck und die niemals veraltende Mahnung, den Text nicht für die Sache zu halten, ihn auf die Wirklichkeit offen zu halten, die Theorie nicht zu überschätzen. Die Theorie ist nur so gut, wie sie sich, in ihren Rissen und Spalten, offenhält für das Wirkliche, von dem sie Teil ist und das – gemäß einer schwindelerregenden Topologie – in sie
Colerus: Das Leben. 19. Das ist nicht trivial. Für so viele andere Metaphysiker ist gerade die Endlichkeit des denkenden Beginnens der unwiderlegliche Beweis seiner nicht tilgbaren Unwahrheit, die nur durch das kategorial Andere überwunden werden kann: durch einen Gott (oder ein Analogon), der sich nach seiner Laune kundtut oder auch nicht. Dagegen ist bei Spinoza das kategorial Andere nie vollständig anders und es liegt immer und immer wieder vor aller Augen: das Wirkliche. Es liegt vor aller Augen. Aber es ist eben nicht erschöpflich. 21 22
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eingehen soll.23 Es ist dieses Wirkliche, an dem sich alles entscheidet. In ihm begegnet das Gnadenlose und das Rücksichtslose: die Gierigen, Verblendeten, Blutrünstigen, gerade weil keine höhere Macht begütigend die Härten abfedert. Aber nur in diesem Wirklichen, mit dessen wahlloser Zerstörungskraft immer gerechnet werden muss, ist Befreiung möglich, individuelle wie kollektive.
Der Vergleich mit einem anderen Kleidungsstück ist voller Aussagekraft für die metaphysischen Fragen, die hier auf dem Spiel stehen, und für grundverschiedene Richtungen, in denen eine Antwort gesucht wird. Als Blaise Pascal gestorben war, bemerkte man bei der Sichtung seiner Hinterlassenschaften zufällig, dass in seiner Weste eine dicke, steife Stelle war. Man löste die Naht und fand das „Mémorial“, das berühmte Zeugnis jener Nacht im Jahr 1654, in der Pascal für einige Stunden unmittelbar die Gegenwart Gottes erfuhr. Man fand es nicht nur einmal, sondern doppelt: die erste Aufzeichnung und eine spätere Reinschrift. Pascal empfand die erfahrbare Wirklichkeit als zutiefst mangelhaft, ontologisch bodenlos. Es fehlt ihr etwas. Wenn er später an seine Weste griff und unter dem Stoff die beiden dicken, gefalteten Bögen Papier fühlte, dann musste sich das wie die Dichte und Verlässlichkeit des Wirklichen selbst anfühlen. Sein Gewand wurde ihm durch die Verdickung zur nötigen Ergänzung des Wirklichen, dem die Wirklichkeit von sich aus fehlt. Das Gegenteil ist bei Spinoza der Fall: Seine Welterfahrung ist gerade die der Vollkommenheit. Dem Wirklichen mangelt nichts. Die Löcher, der Mangel, die Lücken: Sie müssen gewaltsam hergestellt werden. Es ist das Fehlen, was später kommt, nicht wie bei Pascal die Versicherung des Wirklichen. Gewalt ist vielleicht genau das: die Herstellung einer Leerstelle. Das sind im Rahmen einer immanenten Metaphysik aber immer lokale, begrenzte Leerstellen (gerade nicht die globalen, pauschal diffamierenden Leerstellen des ganzen Seins), sie entstehen wie alles andere auch natürlich, was aber nicht heißt, dass sie notwendig geschehen, d.h. dass sie gar nicht anders gedacht werden können. Wer auch immer Spinoza angegriffen hat, musste das tun, insofern er eben war, wer er war etc.; aber es muss eben nicht grundsätzlich sein, dass jemand Spinoza mit dem Messer an den Kragen will. Diese letztere Notwendigkeit gibt es nicht. Will ich darüber entscheiden, situiere ich mich wieder in die Perspektive außerhalb der Welt und in die Anmaßung, die Wirklichkeit ließe sich kalkulieren, kurz gesagt: in den Fatalismus, den Spinoza unentwegt kritisiert. Zu Pascal vgl. auch vom Verfasser: Die drei Leben des Blaise Pascal. 23
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Affektdramaturgie
Un-Zahl des Conatus. Die Theorie der Affekte im Dritten Teil der Ethik hat eine wichtige Aufgabe zu erfüllen: Nicht nur muss dort der Nachweis geführt werden, dass die Metaphysik, die dieses Buch vorlegt, mehr als abgehobene Spekulation ist, dass sie, obgleich sie keinen privilegierten Platz für den Menschen vorsieht, dennoch Platz hat für die ganze Breite menschlicher Wirklichkeit. Viel entscheidender ist aber das Wie dieses Nachweises. Wenn im Dritten Teil systematisch die Affekte der Menschen deduziert werden, dann muss diese Deduktion den strengsten Ansprüchen genügen. Erstens muss es eine schrittweise Herausführung aus dem schon Bekannten sein, also eine wirkliche Deduktion. Es dürfen keine anderen, der Ontologie fremden Eigenschaften eingeführt werden. Zwar liefern die Scholien pünktlich die „Anwendung“ auf das Lebensweltliche, ihre psychologische Terminologie darf aber nicht täuschen: Die Theorie der Affekte ist keine Psychologie, so wie es bei Spinoza grundsätzlich keine geben kann. Zweitens aber und noch wichtiger wird sich die Fruchtbarkeit und der Erfolg der Metaphysik Spinozas nur darin erweisen können, dass es ihm gelingt, die Vielfalt und noch die Widersprüchlichkeit des Affektlebens durchsichtig zu machen, ohne zusätzliche Grundsätze einzuführen. Die große Aufgabe einer Metaphysik, die sich vorgenommen hat, in der Ebene bloßer Immanenz zu bleiben, lässt sich so formulieren: Wie ist es möglich, Vielfalt und Inkongruenz des Wirklichen aus „einem Prinzip“ abzuleiten? Müsste dann nicht wieder alles eines und harmonisch werden? Oder müsste irgendwo ein Bruch vorliegen, der die ursprüngliche Einheit und Harmonie zerschlägt und an ihre Stelle die Zersplitterung und die Zwietracht setzt: Sündenfall, religiös, mythisch oder spekulativ? Spinoza tut einen Schritt und kann schon sicher sein, in solche Sackgassen nicht zu geraten. Mag den andren die Welt wie ein Labyrinth erscheinen, und das Denken als eines höherer Ordnung – Spinozas erstes Wort in diesem Dritten Teil hat den Boden verlassen, auf dem man Labyrinthe baut. Er setzt ganz einfach dies: Es gibt ein und nur ein „Prinzip“ des endlichen Seins (wie des unendlichen). Dieses Prinzip ist keines, wenn man darunter etwas Statisches, Zugrundeliegendes oder Transzendentes versteht. Es ist nichts als der Motor der Entfaltung des Seins und der Prozess dieser Entfaltung selbst, ohne jeden Unterschied, es sei denn wieder nur die Unterscheidung in die flirrende Natur. Dieses Erste ist der Conatus: eine reine Aktivität alles Seins, in dem jedes Seiende seine Existenz bejaht und zu erhalten sucht. Bliebe man hier stehen, müsste man wieder allerlei komplizierte Verrenkungen machen, um die vielen Phänomene zu beschreiben, die wir tagtäglich beobachten und von denen nicht wenige das genaue Gegenteil zu
beweisen scheinen. So müsste man etwa, wenn man die Fähigkeit einer Mutter oder eines Vaters, sich für ihr oder sein Kind zu opfern (die man auch bei Tieren findet), erklären wollte, eine Aufblähung des Bezugs des Conatus unterstellen: „Gegenstand“ der Selbsterhaltung wäre dann das Selbst plus die eigene Nachkommenschaft, vielleicht sogar die eigene Spezies. Man würde sich tausend Schwierigkeiten einhandeln, aber vielleicht ließe sich dieses Beispiel noch mit Mühen integrieren. Doch spätestens die Möglichkeit des Selbstmords müsste uns endgültig die Idee des Conatus aufgeben lassen. Aber nur, wenn man den Conatus als eine individuelle Sache missversteht. Er ist auch keine kollektive Sache. So wie er ist, ist er immer zugleich die Selbstbejahung eines individuellen Wesens, das aber erst in dieser Selbstbejahung individuell wird. Im Vollzug des Conatus konstituiert sich erst das „Individuum“, um das es darin geht. Er ist aber nur eine solche Selbstbejahung, insofern und in dem Maße, in dem er zugleich Bejahung des anderen ist. So sehr der Conatus der Keim ist, an dem sich die Kristallisation eines Individuums vollzieht, so sehr ist er selbst nicht individuell. Er ist aber auch nicht allgemein. Noch weniger ist er eine Form oder ein Prinzip in einem gängigen metaphysischen Sinn. Er ist das Sein betrachtet unter der Perspektive seiner Dynamik, seiner Wirkmacht, gewissermaßen seiner energetischen Bedingungen. Und als solches ist er seinem Wesen nach ebenfalls ins Flirren gestellt: Ursprung wie Werk eines Einzeldinges zu sein und zugleich das, worin dieses Einzelding substantiell dasselbe ist wie alle anderen Einzeldinge, „Prinzip“ der Individuation wie der realen Zusammengehörigkeit (real, nicht etwa im Sinn einer „höheren Wahrheit“). Der Conatus ist in diesem Sinn die Oberfläche, an der aus einem homogenen Milieu eine Strukturierung ausbricht, die Fläche, an der der Kristall unbegrenzt wächst.1 Es gibt nur einen Conatus, doch nicht in einem numerischen Sinn, sondern seiner Natur nach. Die Frage, ob es einen Conatus für alle Wesen oder eines für jedes gibt, ist einfach sinnlos. Denn der Conatus ist zugleich das, worin und wodurch ein jedes es selbst wird und worin und wodurch eines jedes mit allen anderen kommuniziert und ihnen gleicht. Das ist nur solange schwer zu denken, als man die Sachlage als eine statische, als einen Zustand betrachtet. Genau das schließt der Begriff des Conatus
Das Beispiel der Kristallbildung wie auch die Referenz auf die energetischen Bedingungen beziehen sich auf Gilbert Simondons Arbeit L’individu et sa genèse physico-biologique, die manche Berührungen mit Spinoza aufweist. So ist etwa auch dort der Gedanke der Verschränkung der beiden Aspekte von Natur auf den Punkt gebracht: „L’information exprime l’immanence de l’ensemble en chacun des sous-ensembles et l’existence de l’ensemble comme groupe de sous-ensembles, incorporant réellement la quiddité de chacun, ce qui est la réciproque de l’immanence de l’ensemble à chacun des sous-ensembles. S’il y a en effet une dépendance de chaque sous-ensemble par rapport à l’ensemble, il y a aussi une dépendance de l’ensemble par rapport aux sous-ensembles.“ (290) 1
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aber formell aus. Auch der Conatus flirrt: Er ist meiner und er ist derselbe in allen anderen Dingen und in der Gesamtheit der Natur. Und diese Extreme des Flirrens bedingen sich gegenseitig. So bleibt die Rede von meinem Conatus, so nackt und ohne Zusammenhang, abstrakt, leer, nicht weniger als die von dem Conatus des Seins im Ganzen. Wie alles, was real ist, ist auch der Conatus nichts, was sich zählen lässt, er ist etwas, was Dimensionsbegriffe erfordert, die nicht nur zwischen, sondern jenseits der Zahlen liegen. (Es ist wahr, Spinoza spricht nicht von einem Conatus der Natur als ganzer/Gottes. Da aber Conatus laut IIIp7dem ein Synonym für Potentia ist, und es sehr wohl eine Potentia Gottes gibt, rückt man hier automatisch wieder in die systematische Position des Flirrens.) Der Conatus ist also die Bewegung und Dynamik der Selbstbejahung und Selbstentfaltung. Er ist nicht in mir, sondern an der Oberfläche meines Seins, er ist an der Schicht, an der sich mein Sein und das der anderen durchdringt. Er ist nichts in mir, weder in einem biologischen noch in einem tiefen- oder sonstigen psychologischen Sinn. Ich habe überhaupt keine Innerlichkeit. Was Spinoza im Dritten Teil der Ethik so beeindruckend entwickelt, wird man deshalb keinesfalls als eine Psychologie missverstehen dürfen – wenn man den modernen Begriff der Psychologie zugrunde legt, wonach meine Gedanken und Gefühle irgendwie in mir drinnen sind. Das moderne westliche Denken und seine Psychologie zehren von einem Individualismus, der für Spinoza nur ein unselbständiger Teil der wahren Verhältnisse ist. An-Archie. Mit dieser Konzeption des Conatus als eines und vieler, als meiner und Kommunikation mit dem anderen, löst sich für Spinoza ein Problem, an dem die klassische Metaphysik regelmäßig gescheitert ist. Denn rein architektonisch ist es nicht begreiflich, wie aus einem Prinzip eine Vielheit und noch dazu die Existenz von Widerstrebendem erklärt werden kann. Man braucht da allerlei Vermittlungen und Emanationsstufen, oder aber man nimmt irgendeinen, selbst aber wieder nicht erklärbaren Bruch an. Nicht viel besser ist es auch, wenn man verschiedene Prinzipien annimmt. Hat man selbst die Frage beantwortet, wie viele man haben möchte – am besten nämlich zwei, das hat eine gewisse theoretische Übersichtlichkeit, wirkt aufgeräumt, und hat zudem den Vorteil, dem Ausufern der Prinzipien von vornherein eine klare Grenze zu setzen –, dann kann man zwar anhand der Interaktionen, Verstärkungen und Interferenzen der beiden Prinzipien allerlei Verschiedenes erklären. Man hat zwar den widerstrebenden Forderungen der Einheitlichkeit der Erklärung und der Erklärung der Vielheit Rechnung getragen. Aber man hat sich die Prinzipien auch wieder schon fertig gegeben. Sie müssen außerdem jetzt, anders als im reinen Monismus wenigstens ein Minimum an Bestimmtheit tragen, was sie den Anwürfen aussetzt, sie seien eigentlich willkürlich. Woher solche Prinzipien kommen,
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warum es überhaupt welche geben muss, was ihre Natur, ihr ontologischer Status ist – das bleibt rätselhaft. Eine wirkmächtige Gestalt eines solchen Prinzipiendualismus ist Freud, dessen Trieblehre gar in zwei aufeinanderfolgenden Gestalten auftritt. Ein weiteres Problem wird gerade bei Freud deutlich: So ein allgemein gehaltener Dualismus, in dem „mythische Wesen“ miteinander ringen,2 muss sich dem Vorwurf der Beliebigkeit aussetzen, wenn er nicht in der Lage ist, klare Gesetzmäßigkeiten dieses Ringens zu definieren. Dann ist es eben mal die eine, mal die andre Seite, die sich durchgesetzt hat, je nach dem Bedarf der Erklärung. 3 Bei Spinoza stellen sich diese architektonischen Probleme nicht. Da das „Prinzip“ weder Prinzip (und damit einer anderen Seinsebene angehörig ist als das von ihm Prinzipiierte) noch eines ist, auch nicht in mir oder in der Natur, sondern nur in den Berührungen, Durchdringungen, Einwirkungen der Seienden aufeinander, gelingt ihm mühelos und elegant, was der notwendige Ausweis der Produktivität einer jeden Theorie ist: die strenge, geregelte Ableitung des Vielen aus dem Einen. Das genau ist der Gegenstand des Dritten Teils der Ethik. Scharniere. Ich werde hier nicht jeden einzelnen Schritt dieser Ableitung nachverfolgen. Ich glaube vielmehr, dass sich in dieser Ableitung ein paar zentrale Momente ausmachen lassen, die ihr ihre konkrete Gestalt und Weite geben. Ich nenne sie die Operatoren der Ableitung der Affekte. Halten wir noch einmal knapp die Grundlage fest: Der Conatus ist gemäß seiner Definition (IIIp7) identisch mit der „potentia“ und der „actualis essentia“ eines Wesens. Das heißt, dass die „potentia“ nichts mit einer Möglichkeit gemein hat (da der Conatus immer aktiv ist) und dass die Essenz nicht mit einer Wesenheit gemein hat, die verschiedenen Einzeldingen zukommt, wie etwa das „Mensch-Sein“. Wie der Conatus und die Freud: Neue Folge der Vorlesungen. 101. Dieser Vorwurf ist zweifellos gerechtfertigt in Bezug auf Freud, zumindest solange man seine Theorie betrachtet. Man darf freilich nie vergessen, dass diese Theorie nur ein Aspekt und noch dazu der abhängige Aspekt einer Arbeit ist, die ihre ganze Kraft aus einer therapeutischen Praxis zieht, dergestalt dass alle nur theoretischen Vorwürfe auch nicht den Kern der Sache treffen können. Wenn Lukrez zu Beginn seines Gedichts erst die Venus, dann den Mars anruft, klingt das wie eine Vorwegnahme der zweiten Triebtheorie Freuds. In Wahrheit ist dem nicht so, denn Lukrez bleibt Monist: Die einzige Gottheit ist und bleibt Venus; Mars ist bald ihr Unterworfener, bald ihr Agent. Man kann sehr wohl aus Liebe töten. Und noch richtiger ist Lukrez auch kein Monist: Für einen Atomisten gibt es das Prinzip weder im Singular noch in einem abzählbaren Plural, sondern nur als die überwältigende Unendlichkeit der Atome. Epikur selbst spricht im ‚Brief an Herodot‘ davon, dass die Atome die „archai“ seien (Briefe. 8 f.). Wenn er bald darauf (10 f.) erklärt, dass es keinen Ursprung („arché“) der Bewegungen im All gebe und dass die Atome selbst die Ursachen („aitiai“) dieser Bewegungen seien, dann muss man diesen Gegensatz zwischen der „arché“ im Plural und im Singular systematisch ernstnehmen. 2 3
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„potentia“ ist auch die Essenz immer eine individuelle, immer meine – soweit das eben bei Spinoza möglich ist. Sie ist jedenfalls keine allgemeine (den Universalien und den Transzendentalien kommt keine ontologische Validität zu), und auch als „meine“ Essenz darf man sie nicht als eine feststehende Größe oder als eine fixe Wesenheit missverstehen. Weiterhin ist der Conatus zwar – dafür ist dieser Ausdruck ja nur die Abkürzung – das Bestreben, das ein jedes Seiende hat, in seinem Sein zu verharren. Dieses Bestreben ist aber mit dem Ausdruck der „Selbsterhaltung“ nur sehr unzureichend übersetzt: Der Conatus ist weder primär egoistisch; gemäß seiner Ontologie kann es Egoismus, die Beschränkung aller Sorge auf das einzelne, je eigene Ich, für Spinoza nur als ein Missverständnis geben, dessen Absichten zum Scheitern verurteilt sind. In den Conatus sind von Anfang an die anderen eingeschrieben, wie der Vierte Teil ausführlich zeigen wird. Zweitens ist der Conatus nicht rein konservativ, sondern expansiv und dynamisch: Er will seine eigene Erhaltung nur, indem er zugleich die eigene Vergrößerung will. Ich verwende deshalb als eine Übersetzung für den Conatus den Ausdruck der Selbstbewahrung, um eine terminologische Abgrenzung zur egoistischen und konservativen Selbsterhaltung zu ermöglichen.4 Der Conatus ist immer im Übergang, und zwar in dem Übergang, der mit der Bewegung der Weitung oder Verengung der Interaktion verbunden ist. Dieser Übergang kommt dem Conatus nicht noch nachträglich zu. Wenn man den Conatus mit der Essenz gleichsetzt, dann nur um zu bekräftigen, dass weder der eine noch die andre eine feste, unveränderliche Grundlage für irgendetwas wäre, sondern dass Conatus, Essenz, Potenz die Modifikation und Modulation notwendig und ihrem Wesen nach immer zukommen. Es gibt zwei mögliche Richtungen dieser Modulation. Die Vergrößerung der Möglichkeiten des Affizierens und Affiziertwerdens wird vom Geist als Freude („laetitia“) erfahren („Übergang zu höherer Vollkommenheit“); die Verringerung dieser Möglichkeiten wird vom Geist als Traurigkeit („tristitia“) erfahren („Übergang zu geringerer Vollkommenheit“) (IIIp11s). Affekt ist also kein Zustand, sondern eine Zustandsänderung. Es gibt nur zwei Grundaffekte. Weil der Conatus aber nur im Übergang ist, muss das Gleiten des Conatus in einen der beiden und ihr Dieser egoistische und konservative Begriff findet sich etwa bei Hobbes. Gerade in ihren Ontologien sind sich Hobbes und Spinoza oft sehr nahe. Es sind die kleinen Unterschiede, die die großen Abweichungen verraten und ankündigen. So auch hier: Der Ontologisierung des Egoismus entspricht zwangsläufig eine Affektlehre, in der die Angst ins Zentrum rücken muss. Spinoza hätte Hobbes das sagen können. Wobei es in der Realität wohl eher die Angst ist, die die philosophische Theorie als eine ihr angemessene bestimmt. Vgl. zu Hobbes und zu seinem Verhältnis zu Spinoza auch meine Studie Thomas Hobbes und der diskrete Charme der Großinquisition. 4
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Schwanken nicht noch einmal erklärt werden. Es gibt keinen reinen Conatus, er ist immer Conatus in Freude oder in Traurigkeit. Bemerkenswert ist im Übrigen, dass Spinoza zwar erklärt, dass die Traurigkeit ein Übergang in weniger Aktivität ist, dass sie die Weise ist, in der der Geist sein Passiv-Werden erfährt. Man muss aber zweierlei „Passivität“ unterscheiden: Die Vergrößerung meiner Vollkommenheit = meine Freude besteht nämlich nicht nur aus einem Zuwachs an Fähigkeit, anderes zu affizieren, also an Macht oder Wirkungskraft in einem engen Sinn. Nein, diese Vergrößerung besteht genauso darin, von immer mehr affiziert werden zu können, also in einem gewissen Sinn in einer Ausweitung meiner Passivität. Die Aktivität („agendi potentia“) ist eine Bewegung, in der Affizieren und Affiziertwerden Hand in Hand gehen und meine Vollkommenheit begründen. Um die Konstitution einer souveränen Selbstheit, rein aus sich heraus, kann es Spinoza nicht gehen; alle Annäherungen z.B. an die Stoa, die sich an manchen Stellen anzubieten scheinen, finden hier ihre Grenze. Der tiefere Grund für diese nur scheinbare Widersprüchlichkeit in Spinozas Konzept der Aktivität wird später erörtert werden – dann auch wird sich erweisen, inwiefern man dort auf einen der zentralsten Punkte in Spinozas Metaphysik stößt. Eine erste Modifikation der Grundaffekte von Freude und Traurigkeit wird bereits durch die ausnahmslose Geltung der Kausalität möglich: Wo Freude, wo Traurigkeit mit ihrer (vermeintlichen oder wahren) Ursache verbunden erscheinen, da wandeln sie sich in Liebe bzw. in Hass (IIIp13s). Ich neige deshalb dazu, diese Modifikation noch nicht als Ergebnis einer eigenen Operation zu interpretieren, weil aus Spinozas Perspektive im Grunde die Heraushebung eines selbstgenügsamen Conatus bzw. seiner ersten Differenzierung in die Grundrichtungen eine Abstraktion darstellen muss. Denn die Cogitandi Modi wie Liebe und Hass setzen zugleich die Idee des geliebten bzw. gehassten Dinges voraus und setzen es ins Werk; dagegen kann man die Idee eines Dinges haben, ohne solche (wie Husserl sagen würde) „höherstufigen“ Modi Cogitandi (IIa3). Somit hat man eigentlich erst mit der Theorie von Liebe und Hass die konkrete Realität des Affektiven erreicht. Wenn nun diese Konzeption der Vorstellung eines Dings als (realer oder systematischer) Voraussetzung für seine affektive Überformung recht formalistisch wirken mag, wird sie zugleich aus zwei Richtungen korrigiert. Denn realiter sind wir eben nie affektfrei: Die Konstruktion eines reinen Denkens, dem die Affekte wie nachträglich zukämen, ist für Spinoza eine ganz chimärische Idee, und noch dazu eine, die uns in falsche, weil einem endlichen Wesen unmögliche ethische Forderungen drängt: Denn wenn ein reines oder zumindest ganz distanziertes Denken möglich ist, liegt der Schluss nicht mehr fern, dass es auch verwirklicht werden soll und dass darin vielleicht das Rechte besteht. Das eine wie das andre ist für Spinoza
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undenkbar: Ignoranz unserer ontologischen Natur gegenüber: „Hieraus folgt, dass der Mensch notwendigerweise immer Formen des Erleidens unterworfen ist […].“ 5 (IVp4c) Unser Leben ist grundlegend, immer, notwendigerweise ein affektives Leben, und nicht nur das: Es ist eines, aus dessen Affekten die Passivität (auch im „negativen“ Sinn) niemals ganz gestrichen werden kann. (Womit schon klar ist, dass eine Ethik der Affekttilgung für Spinoza nicht in Frage kommt. Er würde sie für unnatürlich und damit unmenschlich halten, in einem strikten ontologischen Sinn – und er hätte recht, im ontologischen wie im ethischen Sinn.) Wir können vielleicht auch manchmal Dinge vorstellen, ohne dass sie in Affekte eingebunden erscheinen; und diese Möglichkeit muss von der Theorie respektiert werden. Wichtiger ist aber, dass Affekte sich nun einmal auf Dinge beziehen, dass sie – zumindest in vielen Fällen, aber nicht in allen, nicht einmal in den wichtigsten – intentional sind, wie die Phänomenologie sagt. Affektivität und Intentionalität gegeneinander auszuspielen, wäre letztlich eine leere und sterile Übung. Sie gehören nun einmal zusammen, und in dieser grundsätzlichen und sehr allgemeinen Zusammengehörigkeit gibt es dann auch noch Momente, in denen sie sich tendenziell oder lokal voneinander ablösen. Die zweite Richtung, in der der scheinbare Formalismus der Analyse (Dinge – Affekte) überwunden wird, ist die, in der die materiale Beschaffenheit sowohl der Dinge als auch meiner selbst, als des empfindenden und affizierten Dings, in Rechnung gestellt werden muss. Denn faktisch affizieren mich nicht irgendwelche Dinge, und es affizieren mich vor allem keine allgemeinen Dinge – weil es die nun einmal nicht gibt. Wenn ich mich verliebe, dann ja nicht in „die Frau“, sondern in diese Frau. Wenn mich etwas empört, dann nicht „die Ungerechtigkeit“, sondern dieses rücksichtlose und unverfrorene, undankbare, gewissenlose Handeln. Nun ist aber jeder Affekt die Resultante der Natur des affizierenden und des affizierten Körpers (IIp16). Das heißt aber auch, dass es am Ende gar keine allgemeine Theorie der Affekte geben kann, denn keine zwei Menschen sind sich vollkommen gleich und auch derselbe Mensch bleibt sich über die Dauer seiner Existenz nicht gleich – was schon darin liegt, dass sich sein Körper nicht gleichbleiben kann (IIIp51). Und auf der anderen Seite sind sich keine zwei Dinge, auf die sich meine Affekte richten, ganz gleich, und seien sie einander auch noch so ähnlich. Damit ergibt sich eine unendliche Differenzierung der Affekte (IIIp56, IIIp56dem, IIIp57). Wieder beweist Spinoza seine unbedingte Wertschätzung des unzähmbaren Reichtums der Wirklichkeit. Zudem scheint darin eine wertvolle Mahnung zu liegen: nicht unsere Liebe, unseren Hass, unsere Sehnsucht für die aller anderen zu halten, und zwar nicht nur hinsichtlich ihrer 5
„Hinc sequitur hominem necessario passionibus esse semper obnoxium […].“
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„Objekte“, sondern noch hinsichtlich ihres Seins. Ja, wahrscheinlich ist es wahr, jeder und jede bringt „Glück“, „Liebe“, „Verzweiflung“ auf neue Art hervor, und ganz eitel ist die Frage, wessen Liebe denn nun die richtige oder die wahre sei. Es gibt alle Affekte nur in ihrer unendlichen Abwandlung und Auslenkung durch die Einzelnen, die ihre Orte sind. Es ist aber auch klar, dass dieser Standpunkt keine Handhabe mehr zu einer systematischen Theorie der Affekte bietet. Es bliebe bei einem blanken Verweis auf die Vielfalt der Realität, der zumindest philosophisch nicht mehr weitergeführt werden kann. Es gelingt Spinoza nun aber, zwischen dem Formalismus der Analyse und der unendlichen Differenzierung einen Weg der „Deduktion“ der Affekte zu erschließen, der die „Individualität“ des Affektlebens nicht reduzieren muss und der zugleich einer systematischen Entwicklung zugänglich ist. Das gelingt, indem man von der Natur der beteiligten Körper als solcher absieht und sich rein auf die Verknüpfung und geradezu die Mechanik der Affekte in ihrer Form stützt. Die Form tritt nun als die volle Form auf, wo zwischen Affekt und Gegenstand höchstens noch abstraktiv oder bei Gelegenheit unterschieden wird, wo aber von Spekulationen über ihre gegenseitige Priorität ganz abgesehen werden kann. Weil hier also nur Operationen und Mechanismen von Interesse sind, braucht man auch nicht zu fürchten, zu einem Essentialismus der Affekte zurückzukehren. Die Form der Affekte kann deren „Essenz“ nicht enthüllen, weil sie sich in einem anderen Register befindet, weil sie als Form schräg steht zu allen Allgemeinheiten oder „Essenzen“. Und „Essenz“ ist im vorigen Satz, die Anführungszeichen deuten es an, nicht in einem spinozistischen Sinn genommen, sondern in einem platonisierenden. Solche nach platonischem Vorbild gedachten, allgemeinen Essenzen gibt es eben für Spinoza nicht, nicht für Dinge und nicht für Affekte. Für Spinoza nun verwirklicht sich diese Form der Affekte in fünf Operationen oder Operatoren. Bei jedem dieser Operatoren lassen sich die Verfahrensweise, ein etwaiger zugehöriger Affekt und die Bedeutung für die Theorie insgesamt unterscheiden. 1. Die (Kontiguitäts-)Assoziation (IIIp14). Ein Affekt wird mit einer Vorstellung verknüpft, die nicht ursächlich mit dem Affekt zusammenhängt, sondern nur zufälligerweise zugleich mit der wahren Ursache vorgestellt worden war. Diesem Operator gehört kein eigener Affekt zu, weil er vielmehr mit jedem Affekt verknüpft werden kann. Seine Bedeutung liegt vor allem darin, dass in ihm eine der möglichen Täuschungen in Bezug auf das eigene Affektleben begründet liegt, die eine philosophisch informierte Therapie zu beheben hat (Vp2, Vp4s, kulminierend in Vp20s). Dieser erste Operator ist sicher der unscheinbarste, in ihm bleibt Spinoza dem Diskurs verpflichtet, der sich in seinen verschiedenen (rationalistischen wie empiristischen) Varianten zu jener Zeit konstituiert: Die
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Theorie der Assoziation lässt sich problemlos psychologisch lesen. Sie wird daher von sich aus nichts Spezifisches über Spinoza verraten können. 2. Translation (IIIp21, IIIp22). Die Freude eines geliebten Dinges verursacht auch mir Freude. Ihre Liebe lenkt meine Liebe auf denselben Gegenstand. Die Affekte, die der Translation geschuldet sind, sind das Mitleid („commiseratio“), die Mitfreude (für die es im Lateinischen nach Spinoza keinen Namen gibt), die Gunst („favor“) und die Entrüstung („indignatio“) (IIIp22s). Gunst ist Liebe zu dem, der einem anderen Gutes erwiesen hat; Entrüstung ist Hass auf den, der einem anderen Schaden zugefügt hat. Die Bedeutung dieser Operation besteht darin, dass in ihr Affekte zweiter Ordnung begründet werden, die rein aus der Verkettung der Seienden als solcher geschöpft sind. Vor allem aber bringt schon diese Operation den Conatus in seiner ganzen Zweideutigkeit ins Spiel. Sie lässt sich daher auch nicht psychologisch interpretieren. Spinozas Affektlehre ist Ontologie, keine Psychologie. Wenn man noch einen anderen Namen dafür sucht, dann müsste man sie vielleicht eine Physik oder Dynamik nennen (so wie Leibniz den Begriff der Dynamik als eine Physik gegründet auf den Kraftbegriff versteht). Denn wenn Liebe die Beförderung meines Conatus ist, verbunden mit der Vorstellung einer Ursache dieser Beförderung; wenn dann wiederum das geliebte Ding in seiner Existenz, seinem Conatus befördert wird durch ein drittes; dann findet da eine veritable Translation der Kräfte statt, wie in einem komplizierten Gefüge aus Zahnädern oder Seilzügen. Kraft stützt, fördert, bekräftigt Kraft, Conatus treibt Conatus an. Oder aber: Eine Interferenz der Kräfte lässt die Maschinerie stocken, hindert an verschiedenen, benennbaren Punkten die Übertragung der Kräfte. 6 Und das alles funktioniert eben nur, weil der Conatus zugleich meiner ist und der aller; weil – dasselbe auf eine andere Weise gesagt – die anderen Dinge der Welt andere sind und doch unmittelbar und wirksam in mich eingreifen; weil ein jedes es selbst ist und doch nie isoliert gedacht werden kann: weil das Getriebe der Wirklichkeit aus Dingen gefertigt ist, deren Bejahung und Vollzug des eigenen Seins sich herschreibt von und sich fortschreibt in die Bejahung der anderen Seienden, so dass jedes flirrt wie die Natur im Ganzen, nur dass diese ausschließlich innere Beziehungen kennt, die Einzeldinge jedoch ausschließlich äußerliche. Und man merkt, dass die ganze Pointe des Flirrens Man sollte Spinoza auch nicht die Naivität unterstellen, dass es deshalb darum ginge, die Interferenz möglichst vollständig zu reduzieren und die Translation möglichst verlustfrei zu verwirklichen. Es ist wahr, dass die Organisation unserer Gemeinwesen dies zum Ziel haben muss; darin besteht Spinozas „Liberalismus“. Aber die schlichteste Betrachtung der Ontologie enthüllt, dass man auch aus dieser Zielvorgabe keinen Fetisch machen darf, denn sie ist aufgrund der puren Pluralität und Divergenz der Conatus nicht zu realisieren – und die Erfahrung wiederum lehrt, dass weniges so brutale Effekte hat wie die Forderung, das Unmögliche um jeden Preis zu verwirklichen. 6
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der Natur wie ihrer Elemente darin besteht, dass das Flirren genau die Unterscheidung in Innen und Außen ununterbrochen unscharf werden lässt, ohne sie je zu verneinen. 3. Ähnlichkeit und Imitation (IIIp23s, IIIp27). Das uns Ähnliche veranlasst automatisch bei uns Affekte, die denen des Ähnlichen entsprechen – und das selbst dann, wenn wir dem Ähnlichen vordem „neutral“ (also ohne Affekt, soweit das möglich ist) gegenüberstanden. Spinoza gibt dieser Operation und ihrem Ergebnis den einzig passenden Namen: Es handelt sich um eine Affektimitation. Hierher gehört noch einmal das Mitleid („commiseratio“), aber auch der Wetteifer („aemulatio“): die Begierde nach einem Ding, die in uns dadurch provoziert wird, dass wir andere, uns Ähnliche als dieses Ding begehrend vorstellen (IIIp27s).7 So spricht Spinoza der Sache nach eine Wahrheit aus, für die 300 Jahre später Lacan berühmt wird: das Begehren ist das Begehren des Anderen.8 Ebenso gehört in diese Geschichte aber auch Tarde: Dessen Theorie des Sozialen stützt sich auf die Idee, dass wir die sozialen Phänomene – Repetition, Opposition, Adaptation – als Resultanten unendlich vieler kleiner und kleinster Interaktionen zwischen Individuen und sogar innerhalb derselben aufzufassen haben. Damit entsteht das Bild einer Welt, die sich gerade nicht in großen Blöcken, sondern im Infinitesimalen der kleinen Begegnungen konstituiert; und nicht nur spielt dabei die Imitation die Schlüsselrolle, sondern wie bei Spinoza bedarf es auch bei Tarde keiner weiteren Vermittlung der „Teile“ dieser sozialen Welt.9 In der Tat wischt Spinoza alle Vermittlungen zwischen den Einzeldingen fort, und zwar vor allem solche, die von „übergeordneter“, transzendenter Natur sind oder behaupten, es zu sein. Die Einzelnen wirken unmittelbar aufeinander, und zwar nach Maßgabe ihrer Nähe und Ferne, in Raum, Zeit und konkreter körperlicher Disposition (Ähnlichkeit). Sie wirken unmittelbar aufeinander und entspinnen so ein Gefüge spontaner
In der Kurzen Abhandlung (62) sind noch zwei andere, sehr handfeste und folgenreiche Erscheinungsweisen der Affektimitation erwähnt. Es gibt nämlich auch eine Liebe und einen Hass „vom Hörensagen“, der sich gewissermaßen von den Eltern aufs Kind „vererbt“. So lieben die Menschen auch ihr Vaterland und so hassen sie vor allem die Menschen anderer Völker, denen sie nie begegnet sind. 8 „[…] il faut poser que, fait d’un animal en proie au langage, le désir de l’homme est le désir de l’Autre.“ (Lacan: La direction de la cure. 106) Unnötig zu erwähnen, dass Spinoza und Lacan es nicht auf dieselbe Weise verstehen. Weder spielt bei Spinoza die Sprache eine prominente Rolle noch kennt er die Unterscheidung in den kleinen und den großen Anderen noch wird das Begehren auf dieselbe Weise verstanden – und man kann sagen, dass in all diesen Punkten Spinoza der radikalere Denker ist, der, der die Erblasten der traditionellen Metaphysik mit entschlossener Geste abschüttelt. In all diesen drei Punkten findet man die Kritik an Lacan (und allgemein der Psychoanalyse) aus einer spinozistischen Perspektive im Anti-Ödipus. 9 Vgl. Tarde: Les lois sociales. 7
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Selbstorganisation in dem einen Feld, der einen Oberfläche der Wirklichkeit. Das Zusammenwirken der Einzelnen und ihre Organisation müssen nicht erst mühsam hervorgebracht werden, geschweige denn nur durch Druck, Gewalt oder Drohung. Die Einzelnen wirken unmittelbar aufeinander, weil sie ineinandergreifen, weil sie einander ähneln, weil sie immer nur vorläufig voneinander getrennt sind, weil ihre Seinsweise das Schillern selbst ist zwischen Selbstsein und Veräußerlichung, zwischen der Identität des Endlichen, die als „Material“ erst die Wirklichkeit des Wirklichen begründet, ohne die nichts wäre, alles nichts wäre – und andererseits der Einreihung in die unendliche Ursachenkette, ohne die das Einzelne nicht wäre, die es von allen Seiten übersteigt, es relativiert, es schließlich auslöscht und so dem Vergessen anheimgibt. Beides zusammen erst macht die Wirklichkeit der Wirklichkeit wie die der Einzelnen aus. Man hat das Schillern der Natur selbst vor sich, nur diesmal von der Seite der Endlichen aus betrachtet. Daher kann Spinoza der ganzen Breite menschlicher Handlungen Rechnung tragen, ohne sich in eine doktrinäre Position zu versteifen. Spinoza ist weder Optimist noch Pessimist, er beklagt weder das Schlechte im Menschen noch bekräftigt er dessen ursprüngliche Güte; dies aber nicht, weil er sich über die menschliche Natur nicht sicher ist, sondern weil er sicher ist, dass es sie gar nicht gibt. Es gibt nur die eine Natur, und es ist die unendliche Verwickelung der Interaktionen einerseits und die Ambivalenz aller Interaktion (die sich im Doppelsinn des Wortes „Konkurrenz“ gut ausgedrückt findet), 10 gemäß der eigentümlichen Natur des Conatus (der meiner ist und im selben Sinn der aller anderen), die alle heilsamen wie desaströsen Folgen hervorbringt, die man beobachten kann. (Im Übrigen folgt daraus wahrscheinlich auch, dass die Welt nicht schlechter wird, aber auch nicht besser werden kann. Einer emanzipatorischen Politik ist damit eine Grenze angewiesen.) Die Formel, dass wir begehren, was wir andere begehren sehen oder vorstellen, bringt in präziser Weise die ontologische Situation zum Ausdruck: Das ist die konkrete Form, in der sich die konstitutive Überlappung der Conatus ereignet. Eine unendliche Anzahl von endlichen Wesen, die auf einer Oberfläche des Seins sich übereinanderlegen und so noch die Frage vereiteln, ob es nun einen oder viele Conatus gebe. Die Conatus sind eine Bewegung, die nur als Vielheit existieren kann (wie die Natur selbst Das „Zusammenlaufen“ kann die gemeinsame Anstrengung meinen, in der wir unsere Kräfte vereinigen; in diesem Sinn tritt es noch im Englischen auf, wenn jemand sagt: „I concur.“ Oder es kann den Streit meinen, der daraus entsteht, dass wir gleichzeitig zum selben Objekt laufen, weil wir es alle haben wollen. Man sieht, dass sich dieser Streit nur einstellen kann, wenn das Objekt knapp ist. Ist es aber unknapp, wie die Liebe zu Gott, dann muss sich die Konkurrenz in eine gegenseitige Förderung transformieren, wie es Spinoza beschreibt. 10
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eben), und sie lehnen sich, gemäß ihrer Verquickung als diese eine Bewegung, aneinander an, folgen einander, stützen einander und interferieren miteinander. Die Natur schillert, hier in Gestalt des Conatus (oder, was dasselbe ist, der „agendi potentia“); und mein Sein schillert, indem es mein Begehren ist und eines, das von den unzähligen anderen herkommt. Und beides ist dasselbe. In einem schlichteren, direkt auf die Affektlehre und ihre ethischen Folgen bezogenen Sinn liegt die Bedeutung dieses Operators darin, dass er ein unmittelbares Mitschwingen mit den anderen Wesen nach der Maßgabe ihrer ontologischen Nähe zu mir etabliert. Die Menschen sind mir ontologisch am nächsten – so dass sich Sozialität immer und von alleine ergibt. Sie muss eben nicht erzwungen werden, sondern liegt im Modus der Affektimitation am Grund unseres Seins. Ja, man braucht noch nicht einmal ein besonderes Theorem über die „soziale Natur“ oder das „politische Lebewesen“, das der Mensch angeblich ist. Man muss nämlich gar keine Verdopplungen in Gestalt von den Erscheinungen zugrundeliegenden Naturen oder von dem Menschen zugrundeliegenden Wesenheiten einführen. Es ist die eine Ontologie, die die Sozialität aus sich entlässt. 4. Reflexive Imagination (IIIp30). Die Vorstellung des eigenen Handelns als eines solchen, das Freude bei anderen produziert, produziert auch Freude in der Selbstbetrachtung – und ebenso mit der Traurigkeit. Die hierher gehörigen Affekte sind Ruhm („gloria“), Scham („pudor“), Selbstzufriedenheit („acquiescientia in se ipso“) und Reue („poenitentia“). Der Unterschied zwischen den ersten beiden und den letzten beiden besteht darin, dass jene in ihrer Charakteristik von der Vermittlung durch andere abhängig sind (d.h. von der Vorstellung, gelobt oder getadelt zu werden), während diese davon frei sind. Die Bedeutung dieses Operators liegt darin, dass er der These, die Spinoza bereits im Zweiten Teil vorgelegt hatte, ihre ganze konkrete Fülle und Lebendigkeit gibt: Schon dort nämlich (IIp19, IIp22 und IIp23) hatte er erklärt, dass alles Wissen, das wir von uns haben können, von der Begegnung mit anderem abhängig ist. Der Geist weiß vom Körper nichts, es sei denn über die Affektionen, denen er unterliegt (und die bekanntlich immer zusammengesetzt sind aus der Natur des affizierten und des affizierenden Körpers). Der Geist kennt aber nicht nur die Affektionen, sondern auch die Ideen der Affektionen. Und diese Ideen sind es, in denen alles Wissen, das der Geist von sich haben kann, gründet. Mit anderen Worten: Alles Wissen, das der Geist von sich haben kann, ist seinerseits gegründet in den Begegnungen seines Körpers mit anderen Körpern, so dass in diesem Wissen von sich immer und automatisch ein Anteil des Nicht-Zugehörigen mitwirkt. Es sind genau diese Verhältnisse, die nun aus der kognitivistischen Beschränkung herausgeführt werden, der sie in der Argumentation des
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Zweiten Teils tendenziell noch unterliegen. Denn das Geschehen ist keines, das primär als eines des Wissens beschrieben werden kann. Vielmehr handelt es sich um nichts Geringeres als um die Herstellung eines vollen, umfassenden, eines vor allem praktischen und ethischen, aber daher nur umso schwerwiegenderen Begriffs, das ein Selbst sich von sich bildet. Es geht nicht nur um das, was ich von mir wissen kann, sondern vor allem um das, was ich an mir schätzen und verachten kann, ob und wie ich mich an mir erfreuen, mich selbst wertschätzen, achten kann, ob und wie ich Ruhe und Freiheit an und in mir finden kann – Freiheit, die darin besteht, in der Ruhe der Selbstzufriedenheit frei zu werden für anderes, für andere: nicht an mir hängen zu müssen. Es geht genau um das Verständnis oder Bild, das wir uns von uns selbst bilden und das viel grundlegender als alles distanzierte Wissen ist, weil es doch um nichts anderes als darum geht, ob ich mit mir selbst leben kann. Eigenartigerweise ist den Philosoph*innen die Wichtigkeit dieses Bildes oder Selbstverständnisses nicht immer aufgegangen, sei es, weil sie in ihrer natürlichen Neigung zum Theoretisieren und zu kognitivistischen Fehldeutungen die praktische Dimension unterschätzten, sei es, weil sie in berechtigter oder unberechtigter Selbstzufriedenheit die Probleme nicht kannten, die manch andre schon hemmen, bevor sie nur beginnen konnten. Wie dem auch sei, bei Spinoza jedenfalls tritt ein dezidiert praktischer, ethischer, unausdrücklicher „Begriff“ des Ich auf den Plan. Und das Entscheidende ist eben, dass dieser „Begriff“ ganz wesentlich gespeist ist aus der Interaktion mit anderen. Mehr noch: Wie das Wissen von uns selbst so stammt auch unsere Selbstschätzung aus jenen Grenzbezirken, in denen sich die Unterscheidung in Ich und andre nicht gültig ziehen lässt. Das Schillern des Ich ist in striktester Weise in die Textur des Ich schon dank seiner Genese eingeschrieben: Ich lerne nun einmal nur über andere, wer ich bin und was ich wert bin. Der Begriff des Ich wächst gleichsam von außen nach innen, so wie das Ich auch. 5. Konversion (IIIp39s). Der Hass strebt nach der Schädigung des gehassten Dings, es sei denn die Angst vor einer eigenen Schädigung hält uns davon ab. Der hierher gehörige Affekt ist die Angst („timor“), insofern der Mensch dazu gebracht wird, ein künftiges Übel durch ein kleineres gegenwärtiges zu vermeiden. Die Bedeutung dieses Operators kann kaum unterschätzt werden, und das aus ethischen, politischen und metaphysischen Gründen. Die Angst nämlich erreicht, einmal hervorgebracht, etwas, was eigentlich unmöglich ist: dass man nämlich will, was man nicht will, und nicht will, was man will.11 Sie wird dadurch zum Ort der Umkehrung aller Verhältnisse, zum Hebel
„hic affectus, quo homo ita disponitur, ut id, quod vult, nolit, vel ut id, quod non vult, velit […].“ (IIIp39s) 11
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einer möglichen Perversion des Conatus. So werden ethisch zumindest im Prinzip auch die Phänomene erklärbar, die der unbedingten Selbstbewahrung zu widersprechen scheinen wie etwa der Selbstmord (den Spinoza konsequent als Wahnsinn oder äußeren Zwang betrachtet, IIp49s und IVp20s). Auch politisch ist dieser Mechanismus von der allergrößten Bedeutung, denn in ihm artikuliert sich die Frage, vor die sich alles emanzipatorische Denken spätestens nach der Entzauberung der ersten Naivität gestellt sieht: wie es sein kann, dass die Menschen so oft für ihre eigene Unterdrückung kämpfen, als ginge es um ihr Glück. Diese prägnante Formulierung, die bis heute nichts von ihrer Dringlichkeit verloren hat, gibt Spinoza dem Problem in der Vorrede des Tractatus theologico-politicus, wo auch ausdrücklich auf die Furcht („metus“) als Machtinstrument Bezug genommen wird.12 Schließlich gewinnt das Schillern des Conatus in der Konversion der Affekte eine neue Gestalt, womit auch in metaphysischer Hinsicht diesem Operator eine besondere Bedeutung zukommt. Der Conatus ist, das wurde schon erwähnt und wird noch näher belegt werden, eine expansive (statt nur konservative) und eine übergreifende (statt nur egoistische) Dynamik. Er ist aber zugleich eine entschieden eindeutige Strebung: Er sucht ohne Umschweife das, was der Bewahrung (wirklich) dienlich ist. (Dass diese Qualifizierung „wirklich“ nicht so harmlos ist, wie sie scheint, werden wir ebenfalls noch sehen.) Nun aber ist ein Punkt erreicht, an dem es mit Spinoza möglich wird zu denken, dass der Conatus Dinge anstreben kann, die nicht nur einfach schlecht sind, so dass es sich um eine Art von Fehlurteil handelt, sondern die er in Wahrheit nicht anstreben will. Eine tiefe, eine radikale affektive Ambivalenz tritt auf den Plan. Nicht nur erscheint etwas (z.B. unter verschiedenen Hinsichten) zugleich gut und schlecht. Nein, hier greift die Ambivalenz viel tiefer, denn etwas wird, indem es gut ist (d.h. vom Conatus erstrebt wird) zugleich und dadurch schlecht (d.h. der Conatus wendet sich davon ab). D.h. hier wird die Ambivalenz in das Wirken des Conatus unmittelbar eingelassen. Dies erfordert wie gesehen einen Eingriff von außen, der diesmal nicht einfach als eine weitere Modifikation des Conatus wirkt oder als Leitfaden, als Vorbild, das er nachahmt, sondern als eine so tiefgreifende Veränderung, dass der Conatus wider seine eigene Essenz gewendet erscheint. Nicht mehr nur eine Refraktion, sondern eine „[…] ut pro servitio tanquam pro salute pungent […].“ (Tractatus theologico-politicus. 10) Unter anderem nehmen Deleuze und Guattari im Anti-Ödipus immer wieder auf diesen Satz Bezug (prominent etwa 36 f.). Arno Bühler präsentiert in einem leidenschaftlichen Text Spinoza und Nietzsche als Vorkämpfer einer Befreiung von Menschen als konstitutiv körperlicher Wesen, und es ist kein Zufall, dass auch dort die Frage politischer Unterdrückung und das Problem des Selbstmords wichtige Rollen spielen (Wissen wir, was ein Körper kann?). Cook (Der Conatus. 167 f.) ignoriert diese vollkommen naheliegende Erklärung für die „Widernatürlichkeit“ des Selbstmordes. 12
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Brechung, ein Abbruch, ein Rückstoß. Die Drohung und die daraus entstehende Angst wirken als Flächen, die keinerlei Eindringen mehr zulassen, als maximal dichte Grenzen, die alle Kraft des Conatus abprallen lassen. Es kommt hier gerade nicht zur Durchdringung, nicht zur Herstellung eines Bezirks der Vermengung. Andererseits würde das der Definition der Affektion selbst widersprechen. Was also ist geschehen? In Wahrheit ist die undurchdringliche Oberfläche der Drohung und der Angst als solche in mich eingedrungen, sinkt wie das Fundament einer unüberwindlichen Mauer in mich ein. Deshalb ist es auch ganz richtig, in einem Atemzug von der Drohung und der Angst vor ihr zu sprechen, denn beide sind konkret dasselbe, sind die beiden Seiten, als die das Schillern – das nun nicht mehr als die abenteuerliche Durchdringung von mir und anderem wirken kann – in mir noch auftritt. Das Schillern wirft dann das gleißende Licht des Conatus in seiner Reinform zurück. Hier und nur hier begegne ich dem Conatus als solchem. Ich erlebe dort eine unpersönliche Macht, die niemandem gehört (selbst dann, wenn die Drohung von einem Menschen ausgesprochen wird – als Drohung, die in der Lage ist, meinen Conatus abprallen zu lassen). Und es gibt nun einmal nur eine Macht wie es auch nur eine Natur gibt. Eine Macht, die sich verzweigt und vereinigt, zersplittert oder zu einem komplizierten Gefüge wird. Oder die kalt und abstrakt (nämlich abstrahiert von allem Gut, allem Erstrebenswertem) als reine Negation wirkt und dann meinen Conatus bis zu seiner Perversion und Selbstaufgabe treiben kann. Wohlgemerkt, kein Conatus kann in Wirklichkeit diese Abstraktion vom Guten erreichen, es gibt keine reine Negation. Es gibt aber eine Brutalisierung, die zugleich ein „Missverständnis“ des Conatus ist (weil sie meint, es ginge um meinen Conatus und meine Erhaltung), die in den anderen fällt wie ein Senkblei der Angst.13 Heißt das vielleicht auch,
Es ist Nietzsche, der diese Konversion des Conatus in seiner Theorie des Ressentiments, wie sie vor allem in Zur Genealogie der Moral entwickelt wird, wieder aufnimmt. In dieser Hinsicht ist die Übereinstimmung zwischen den beiden Autoren fast vollständig. Das wird auch durch die Kritik belegt, der Spinoza den Moralismus immer wieder unterwirft: Es gibt gewissermaßen ein Kriterium, das eine richtige, d.h. von der Vernunft, der Tugend, der wahren Einsicht geleitete Kritik an der Schwäche, den Dummheiten und Grausamkeiten der Menschen von deren pervertierter, vom Ressentiment motivierter Form zu unterscheiden erlaubt: Die letztere findet nämlich ihr wahres Ziel und ihren Genuss genau in der Schilderung und Denunziation der Schlechtigkeiten, es ist eine Lust am Übel der anderen und an der eigenen Überlegenheit, unter dem Deckmantel der Sorge um das Wahre und Gute. Sie suhlt sich nur in der immer neuen, immer vulgäreren Darstellung der Niedertracht der anderen und in der immer erneuerten Bestätigung der eigenen Illusionslosigkeit. Nirgends geht es ihr darum, was sie doch immerhin gelegentlich noch zu erstreben vorgibt: die Besserung der Menschen. Es ist eine fast schon quantitative Analyse, die dieses Urteil erlaubt: Solche Moralisten schreiben nämlich nur vom Schlechten statt von dem, woraufhin es zu überwinden ist. Sie kultivieren ununterbrochen negative Affekte. Vgl. z.B. IVp35s, IVp45s. 13
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dass die Innerlichkeit, als Konzept wie als Realität, vor allem ein Produkt der Angst ist? Dies sind die Operatoren, die in Spinozas Ableitung der Affekte leitend sind. Alle einzelnen Ableitungen lassen sich als Fortführungen oder Kombinationen dieser fünf deuten. Damit gelingt ihm der Entwurf einer Theorie der Affekte, die aus sich heraus die Differenzierungen derselben rechtfertigt, ohne dafür irgendein „Prinzip“ jenseits der Seinsbewegung und ihrer Komplikationen annehmen zu müssen, geschweige denn mehrere Prinzipien (wie etwa Freud mit seinen verschiedenen „Trieben“). Die Komplikationen der Seinsbewegung ergeben sich allein daraus, dass wir in einer Natur mit unendlich vielen Einzeldingen leben, die aber an derselben Natur nicht nur irgendwie konstitutiv oder genetisch, sondern essentiell teilhaben, indem wir alle einen Conatus „teilen“. Und die mathematisch nicht mehr darstellbare Verquickung von Einzigkeit und Pluralität des Conatus besorgt die Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Phänomene des Affektiven, so wie diese auf Schritt und Tritt das Schillern der Natur auf je neue Weise aktualisiert – bis hin zur Todesmacht der Angst.
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Conatus im Kontrapunkt
Das Gute und die Güter. Gut und schlecht sind, das hatte Spinoza bereits im Anhang zum Ersten Teil ausgeführt, rein relative Begriffe: Sie bezeichnen nichts in den Dingen schlechthin, sondern lediglich deren Beziehung auf uns, die wir über sie urteilen. Der Vierte Teil hat nun die Aufgabe, eine Theorie des Guten zu entwerfen, die aller transzendenten Begründung ledig bliebt und jede Realisierung des Guten als solchen vermeidet. Er setzt entsprechend mit der Definition des Guten ein, die besagt: „Unter gut werde ich das verstehen, wovon wir mit Sicherheit wissen, dass es uns nützlich ist.“1 Das Gute wird somit von Anfang an mit dem Nützlichen gleichgesetzt, ja: dieses ist der wahre Name des Guten. Es gilt aber, sich des genauen Sinnes dieser Ersetzung zu versichern, um nicht in Fehldeutungen zu verfallen. Ob hier eine Theorie vorgeschlagen wird, die der von Hobbes verwandt ist oder die die von Mandeville vorwegnimmt oder die gar als „utilitaristisch“ avant la lettre zu gelten hat – schließlich ist das Nützliche ja das zentrale Kriterium –, oder ob hier ein ganz anderes Verständnis von menschlicher wie nicht-menschlicher Gemeinschaft entwickelt wird: es hängt alles an der Frage, die die gesamte metaphysischen Konstruktion bei Spinoza durchzieht: ob nämlich mein Conatus, ob meine Existenz als „individuell“ und ontologisch selbstgenügsam auch nur gedacht werden kann. Auf einer ersten, systematischen Ebene erschließt sich die Ersetzung des Guten durch das Nützliche mühelos durch eine doppelte Operation: Einerseits erklärt Spinoza immer wieder, dass das Gute keinen objektiven, transzendenten Maßstab abgibt, an den sich unsere Urteile angleichen oder von dem sie sich (im Irrtum) entfernen können; solche objektiven Begriffe (Universalien) gibt es nicht. Zum anderen wird diese Lücke dann fast von selbst durch das Fungieren des Conatus gefüllt: Die Bejahung des eigenen Seins, das Streben, in ihm zu verharren, ist das (dynamische) Wesen jedes Seienden, so dass unter dieser „Zielvorgabe“ sich je und je das Nützliche als das Gute erweist. Das Gute muss dann nicht mehr als eine Essenz begriffen werden, die dem Wirklichen als Ganzem transzendent oder den Handlungen der Einzelwesen gegenüber normativ wäre. Es folgt ganz einfach aus der Aktivität und der besonderen körperlichen Verfassung der Einzelwesen und ist damit relativ auf sie.2 Soweit scheint Spinoza noch einen konzeptuellen Rahmen zu spannen, der sich von dem eines Hobbes höchstens den Bezeichnungen nach leicht „Per bonum id intelligam, quod certo scimus nobis esse utile.“ (IVdef1) Die Beziehung auf die körperliche Verfassung, spezifisch wie individuell, ist nicht ohne Bedeutung. So sind einige Beeren für Vögel gut, nicht aber für Menschen, und diese wiederum können an Allergien oder Unverträglichkeiten leiden, die ihnen sonst sehr zuträgliche Nahrung unbekömmlich werden lassen. 1 2
unterscheidet. Er geht sogar so weit, scheinbar ganz im Gegensatz zu seiner sonstigen Zurückhaltung in Bezug auf vorgebliche natürliche Normativitäten, „Gebote der Vernunft“ („dictamina rationis“) zu benennen, die sich wiederum dem ersten Anschein nach gut mit individualistischen, egoistischen Ethiken vertragen. Man muss zuerst den Sinn dieser „Gebote“ klären, indem man die Herleitung ihrer Vernünftigkeit nachzeichnet. Die Vernunft – das wird spätestens klar, wenn Spinoza erläutert, worin ihre Gebote bestehen – ist nichts anderes als eine Aufklärung, die der Conatus sich über sich selbst gibt. In Anknüpfung an die Unterscheidung der Erkenntnisgattungen in II40s2 muss man in der Vernunft („ratio“) eine Erkenntnisweise sehen, die diskursiv adäquate Ideen der Eigenschaften der Dinge, vor allem im Sinn der „notiones communes“, miteinander verbindet. Nun setzt aber bei Spinoza nichts im Leeren an, und auch die Erkenntnis kann das nicht. Ihre Voraussetzung ist daher immer schon der Conatus: das Streben, das eigene Sein zu erhalten und zu vergrößern, zu immer höherer Vollkommenheit und damit zu größerer Freude überzugehen – und alle diese Kennzeichnungen sagen für Spinoza einfach dasselbe. Diese Forderung ist die Voraussetzung, die Hypothese, wenn man so möchte, um die Gebote richtig zu begreifen. Denn die Natur fordert und gebietet nichts in irgendeinem naiven Sinn. Niemand zwingt uns dazu, uns selbst zu erhalten. Vielmehr ist das eine Charakteristik unseres Seins selbst. Forderung und Sein lassen sich nicht gegeneinander ausspielen. Es ist allerdings möglich, dass dieser Conatus durch gewisse Umstände so pervertiert wird, dass sein Dementi möglich wird – wir haben das im Fungieren des Konversionsoperators sehen können. Aber noch dort leiht sich die Selbstzerstörung ihre Kraft von der Selbsterhaltung, die sich in der Gereiztheit der Angst gegen sich selbst gekehrt hat. Doch für die „Gebote der Vernunft“ ist der Conatus die Voraussetzung, und dann meint das Gebotensein hier nichts anderes als dies: Um die Selbsterhaltung und die maximale Entfaltung meiner Potentia zu erreichen, muss ich dies und das beachten. Philosophisch ungenau, aber dafür anschaulich lässt sich der Zusammenhang so ausdrücken: Wenn man die größtmögliche Vollkommenheit und Aktivität erreichen will, dann … Insofern sind die Gebote geboten: Sie fließen aus der Setzung des Conatus, der Selbstsetzung des Seienden ist. Spinoza zählt vier solcher Gebote auf, wobei sie alle nur Aspekte ein und derselben Bewegung sind und das vierte die übrigen zugleich gründet und zusammenfasst: „Die Vernunft fordert nichts gegen die Natur; sie fordert deshalb, dass jedermann sich selbst liebt, [das für ihn Nützliche, das wahrhaft nützlich ist, sucht], und nach all dem verlangt, was einen Menschen wirklich zu größerer Vollkommenheit führt; generell gesprochen, dass jedermann streben sollte, sein Sein [, soweit er es vermag,] zu
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erhalten.“3 Der erste und der letzte Punkt beziehen sich auf die Selbstsetzung und Entfaltung des Conatus selbst, wobei offenkundig wird, dass diese ontologische Grundbewegung zugleich eine affektive Bewegung ist: Natürlich, so Spinoza, ist es, sich selbst zu lieben. Man kann ergänzen, dass Abscheu oder gar Hass gegen sich selbst erst hervorgebracht werden müssen beim Menschen. Es ist für Spinoza keineswegs so, dass das Ich schon grundsätzlich hassenswert ist;4 auf so einen Gedanken kann man vielmehr nur kommen, wenn man einerseits einer Kultur von Angst unterlegen ist, und (oder) wenn man andererseits dieses Ich absolut setzen wollte. Das (unthematische) Selbst hingegen ist Ort meiner Verwirklichung, ist die Verdichtung von Wirklichem, die ich bin; das Sein vorbehaltlos lieben und mich selbst lieben, bedingen dann einander mühelos. Es wird in diesem Vierten Teil aber vor allem um den anderen Aspekt gehen, der im zweiten und dritten Gebot angesprochen ist: die Beziehung zum anderen. Entscheidend ist in diesen beiden Geboten die Qualifizierung: beide Male taucht das „revera“ auf, das den Leser mahnt, das Nützliche und die Vollkommenheit nicht mit dem Erstbesten und vor allem nicht mit dem Bequemsten oder mit dem nur Egoistischen zu verwechseln. Der gesamte Rest des Vierten Teils hat fast keinen anderen Inhalt als diese Qualifizierung genauer zu explizieren, also zu erklären, was tatsächlich und wahrhaft gut und nützlich für uns ist. Es zeigt sich dabei, dass in Spinozas Selbstbewahrung, ganz im Gegensatz zur Selbsterhaltung eines Hobbes, die anderen Menschen als unverzichtbare Teile von Anfang an eingeschrieben sind. Für Hobbes, der das Zusammenleben der Menschen nicht anders als einem Krieg abgerungen denken kann, dem daher aller Friede als seine tiefere und unauslöschliche Wahrheit verbunden bleibt, sind die anderen nur als Hindernisse oder als Instrumente meiner Selbsterhaltung zu denken. Freilich ist ihm die Düsternis dieser Vision sehr wohl bewusst. Der Staat, als jene Zwangsanstalt, die die Feindschaft der Menschen gegeneinander eindämmt, mag daher wenigstens teilweise auch andere, nicht derartig kalte oder zynische Beziehungen zwischen Menschen möglich machen. Es bleibt aber für ihn dabei: In der Wahrheit der Sache sind die Menschen einander Feind; alle Kooperation muss ihnen abgezwungen werden. Dem entspricht, dass Hobbes von
„Cum ratio nihil contra naturam postulet, postulat ergo ipsa, ut unusquisque seipsum amet, suum utile, quod revera utile est, quaerat, et id omne, quod hominem ad maiorem perfectionem revera ducit, appetat, et absolute, ut unusquisque suum esse, quantum in se est, conservare conetur.“ (IVp18s) Bartuschats Übersetzung wird hier eigenartig ungenau. Ich habe sie durch eine ersetzt, die wortgetreuer ist. 4 „Le moi est haïssable.“ Pascal: Pensées. L. 597. 3
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isolierten Personen ausgeht, die schon ontologisch streng voneinander abgegrenzt sind.5 Nicht so bei Spinoza. Mit vermeintlicher Naivität oder „Gutmenschentum“ braucht man da nicht zu kommen, um Spinozas Sichtweise zu diskreditieren. Seine Erfahrungen haben ihn dazu prädestiniert, einen unverstellten, nichts beschönigenden Blick auf die Menschen zu werfen. Vielmehr ist es klar, dass Hass, Krieg, Feindschaft eine beständige Möglichkeit im Zusammenleben der Menschen sind. Und doch kennt Spinoza die Versuchung dieser schlichten Antwort nicht, die stets bemüht ist, sich als besonders mutig und abgeklärt auszugeben: dass die Menschen schlecht seien, auf ihren eigenen Vorteil bedacht, dass ihnen nicht zu trauen sei. Für Spinoza steht am Anfang immer eine „nicht-allergische Beziehung“6 zu den anderen Menschen, und das wiederum aus ontologischen Gründen. Natürlich kennt auch Spinoza den rein pragmatischen Aspekt. Wenn sie zusammenarbeiten, können die Menschen viel einfacher für ihre Bedürfnisse Vorsorge leisten und sich gegen Gefahren verteidigen (IVp35s). Aber Spinoza bleibt nie bei diesen Argumenten stehen, denn, folgt man nur ihnen, bliebe man bei einem sowohl statischen als auch egoistischen Begriff der „conservatio“ (den ich deshalb terminologisch als Selbsterhaltung von der nicht-egoistischen und expansiven Selbstbewahrung unterschieden habe). Vielmehr verwirklicht sich die Natur des Menschen als solche erst in der Gemeinschaft mit anderen, weshalb Spinoza an dieser Stelle die Definition des Menschen als eines „animal sociale“ mit unverkennbarer Sympathie zitiert. Was genau heißt das nun aber? Nur in der Gemeinschaft mit anderen Menschen, einer Gemeinschaft, in der nicht jeder stumpf auf seinen eigenen, persönlichen Vorteil gerichtet ist, kann sich die Tendenz des Conatus eines jeden: Vergrößerung von Aktivität=Freude wahrhaft aktualisieren. Ein einsamer Intellekt ist immer unvollkommener als einer in Kommunikation mit anderen (IVp18s), was im Übrigen schon impliziert, dass ich gar nicht vollkommener werden kann, wenn es die anderen nicht auch werden. Menschliche Gemeinschaft ist immer besser als Einsamkeit, bei allen Nachteilen, die jene auch mit sich bringen muss (IVp35s). Und ganz grundsätzlich formuliert: Nichts ist dem Menschen nützlicher als der Mensch, „Homini igitur nihil homine utilius“ (IVp18s). Das ist die Grundthese, die Spinoza in diesem Teil entwickelt. Anders als die „Powers“ der Einzelnen bei Hobbes setzen sich die Conatus bei Allerdings ist das kein abstrakter Individualismus, weil man mit guten Gründen annehmen kann, dass die „Individuen“, an die Hobbes denkt, in andere, in nicht-politische Gemeinschaften nach dem Vorbild von lokalen familiären Gruppen eingebunden sind. Zu Hobbes allgemein siehe mein Thomas Hobbes und der diskrete Charme der Großinquisition. 6 Levinas: Totalité et infini. 38. 5
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Spinoza von sich aus, spontan zusammen, kombinieren sich miteinander, komponieren. Und erst in dieser Komposition erreicht jeder einzelne so viel, wie er erreichen kann. Um aber das eigene Maximum zu erreichen, muss ein jeder Conatus, so paradox das klingen mag, gerade von der eigenen Maximierung absehen können. Die Nützlichkeit des anderen ist eigenartigerweise eine, die umso nützlicher ist, als sie nicht nur mir, in einem exklusiven, gierigen Sinn, nützlich ist. Und manchmal ist diese Nützlichkeit sogar eine, die all meinen Interessen zu widersprechen scheint – dann nämlich, wenn ich mir von meinen Interessen ein Bild mache, in dem sie mein Vorankommen auf Kosten der anderen fordern. Dieser Zusammenhang lässt sich einerseits in ökonomischen Termini formulieren. Der pessimistischen These des Kampfes aller gegen alle liegt dann die Voraussetzung zugrunde, dass es nur knappe Güter gibt. Was ich für mich erstrebe, muss ich zwangläufig den anderen wegnehmen, und umgekehrt. Die Güter werden in Besitz genommen und aufgezehrt. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um materielle Güter wie Reichtum oder um „ideelle“ wie den Ruhm handelt. Diese Zusammenhänge sind wohl bekannt, und auch Spinoza formuliert sie (IVp34s) indem er die Konsequenzen sofort im Sinn seiner Affektlehre bestimmt: Wenn ich ein Gut begehre, dann strebe ich automatisch danach, dass andre es auch begehren (IIIp31c). Das folgt einfach aus der Natur der Affekte selbst, die sich im Widerschein der anderen verstärken. Wenn ich aber ein knappes Gut begehre, dann folgt daraus nicht zuerst und sofort ein Streit zwischen den Menschen; erste Konsequenz ist vielmehr ein innerer Widerstreit in mir: Ich begehre, dass andre dasselbe Gut lieben, und ich fürchte genau den Erfolg dieses Begehrens, weil dann meiner Bemächtigung Hindernisse entstehen können (IVp37c1). Entscheidend für die Konzeption eines nicht-allergischen Lebens der Menschen miteinander ist daher die Existenz unknapper Güter. Sie sind die, die mit den Namen der Vernunft, der Tugend und der Liebe zu Gott angesprochen sind. Sie sind die Orte, an denen sich für mich, in meiner Affektökonomie vollzieht, was ontologisch längst Realität ist (und daher ist es auch nachvollziehbar, dass der Widerstreit in mir sich verringert): dass es keine scharfe Begrenzung zwischen mir und den anderen gibt. So wie der Conatus meiner ist und der aller anderen Wesen, so ist das höchste Gut meines und das aller anderen Menschen. Es wird nicht weniger, wenn ich es habe, es wird mir von keinem anderen weggenommen, es kann nicht aufgezehrt werden. Diese Idee eines höchsten Gutes, das seiner Natur nach nicht knapp ist, ist keine Neuheit. Es ist aber wieder die Wendung, die Spinoza dieser Idee gibt, die ihn in seiner Konsequenz auszeichnet. Erstens wird dieses unknappe Gut zwar mit dem klassischen Namen des „Amor Dei“ belegt, und dieser Name ist wörtlich zu nehmen. Aber da Gott keine transzendente Entität mehr ist, muss noch diese Liebe zu Gott in die Welt
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selbst hineingeführt werden. Sie hat ihre Grundlage und natürlichen Ort nicht jenseits der Welt, sondern allein in ihr. Welche Konsequenzen daraus für den „Amor Dei“ folgen, werden wir noch sehen. Zweitens teilt dieser „Amor Dei“ damit die Eigenschaften aller anderen Realitäten dieser Welt, denn auch er ist einer Dynamik unterworfen, er kann wachsen oder schwinden, er kennt Schwankungen und Verschränkungen, die alle Messtechnik übersteigen. Konkret formuliert kann er befördert oder gehindert werden, und das Handeln jedes Einzelnen hat darauf Einfluss. Das ist eben dann wichtig, wenn die Liebe keine transzendente Grundlage mehr hat: Dann gehört unsere Mitwirkung an ihr zu ihrem Wesen. Sie ist unknapp, aber nicht, weil ein jenseitiger unendlicher Gott ihre Quelle und ihre Grundlage ist, sondern weil sie wächst, je mehr sie ins Werk gesetzt wird. Diese Ökonomie folgt nicht aus der Unendlichkeit der Liebe, sondern sie bringt sie erst hervor. Die ökonomische Charakteristik kommt der Liebe nicht nachträglich zu, wenn sie nämlich in Bezug auf endliche Wesen betrachtet wird, sondern ihre ökonomische Produktion ist ihr Wesen. Wieder stehen wir vor der Umkehrung der klassischen Verhältnisse, wieder ist es die Natura naturata, die die Natura naturans bedingt, so wie diese jene. Auch dieses Gut flirrt, weil es mehr wird, je mehr es in Anspruch genommen wird, und weil es umso mehr allen gehört, je mehr ein jeder es erstrebt. Und das muss in allem Ernst getan werden. Einem transzendenten Gott ist es in seiner schöpferischen Liebe „egal“ (in einem ontologischen Sinn natürlich), ob die Menschen diese Liebe annehmen und wirksam werden lassen. Seine Liebe ist immer gleich groß, nämlich unendlich. Dasselbe gilt hier eben nicht: Die unendliche Liebe braucht die Mitwirkung der Liebenden; ohne sie ist sie nichts. Das ist die ontologische Grundlage der Ausführungen über das Streben, das aus Vernunft geschieht: Insofern die Menschen von der Vernunft geleitet leben, stimmen sie notwendig miteinander überein (IVp35). „Das höchste Gut derer, die den Weg der Tugend gehen, ist allen gemeinsam, und an ihm können sich alle gleichermaßen […] erfreuen.“ 7 „Das Gut, nach dem ein jeder, der den Weg der Tugend geht, für sich selbst verlangt, wird er auch für andere Menschen begehren und umso mehr, je größer seine Erkenntnis Gottes ist.“8 Es sind dies die Effekte, die aus der Verschränkung der Conatus entstehen: Ich liebe, was Ursache meiner Freude ist. Das Merkwürdige ist nur, dass am Ende die Frage, was genau meine Freude verursacht, nicht mehr wirklich entscheidend ist. Die möglichen Antworten hierauf gehen „Summum bonum eorum, qui virtutem sectantur, omnibus commune est, eoque omnes aeque gaudere possunt.“ (IVp36) Ich habe aus Bartuschats Übersetzung das überflüssige Wort „innerlich“ gestrichen. 8 „Bonum, quod unusquisque, qui sectatur virtutem, sibi appétit, reliquis hominibus etiam cupiet, et eo magis, quo majorem Dei habuerit cognitionem.“ (IVp37) 7
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ineinander über: ich selbst (als Erkennender), Gott (als Ursache allen Seins), die andre (deren Einsicht und Aktivität meine befördert), eine dritte (die auf die eben genannte genauso wirkt). Man merkt, dass letztlich diese verschiedenen Antworten nur die abstrakten Momente eines Prozesses ist, der sich seiner immanenten Tendenz nach endlos selbst verstärkt. Ein unendliches Gewebe sirrender Kraft, die alle spekulative Thermodynamik der Lüge zeiht. Eine Selbstverstärkung und Selbstorganisation, eine Zusammensetzung ohne übergeordnete Instanz, eine Komposition ohne Komponist, wundersames Werk ohne Autor, beständig im Prozess des Geschriebenwerdens. Freilich, in der Wirklichkeit ist dieser Prozess eben nur insofern selbstverstärkend wie er sich immer auch selbst hindert. Aber nicht, weil die Wirklichkeit dem Ideal nicht genügt, denn es gibt hier kein Ideal. Es ist ein und derselbe Prozess und ein und dieselbe Struktur dieses Prozesses, die sowohl für die eine wie für die andre Richtung, für die verstärkenden, aktiven, wie die hemmenden Phänomene sorgen. Und das führt wieder ins Herz der metaphysischen Problematik: Insofern die Seienden sich gegenseitig befördern, ihre durch keine transzendente Instanz oder Ordnung vorgeschriebene Organisation verwirklichen, je und je, unvorhersehbar, aktualisieren sie ihre Potentia, und zwar genau in dem Maß, in dem sie nicht darauf insistieren, dass es die ihrige ist, die da aktualisiert wird. Die Natur des Conatus, der nicht gezählt werden kann (weil er der eine und der aller zugleich ist), gibt sich in diesen Phänomenen den weitesten Ausdruck. Das aber ist nur möglich, weil wirklich und allen Ernstes ein jedes Seiende auch schon von sich aus ist, sein Conatus seiner ist und seine Bewahrung sich auf sich selbst bezieht – so dass die Möglichkeit und sogar die gelegentliche Unvermeidlichkeit, sich für die Weite des Conatus und die Rechte der andren zu verschließen, ontologisch angelegt ist. Es ist nun einmal schlicht und ergreifend genau der Doppelsinn des Conatus, seine doppelte Natur, seine Doppeldeutigkeit als Natura naturans und Natura naturata, die das erzwingt: Als Natura naturans betrachtet, ist der Conatus einer, es ist die eine Tendenz und Kraft, der Vektor des Seins selbst. Aber es gibt diesen Vektor des Seins nur, insofern und in dem Maße, wie jedes einzelne Seiende ihn an seiner Stelle aktualisiert, also dadurch, dass er sich als Natura naturata gibt. Es ersteht so das Bild einer Welt, die ein überkomplexes Gefüge unendlicher Verstärkungs- und Hemmungslinien bildet, von Stützung, Förderung, Gleichgültigkeit, Rekurrenzen, unwahrscheinlichen Allianzen, Interferenzen, die ganze Entwicklungen abbrechen lassen können oder ungeahnte Pfade eröffnen: eine Komposition irgendwo zwischen
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Gregorianischem Choral und Luigi Nono, und alle Zeit das gesamte Intervall durchmessend.9 Für Spinoza ist jedenfalls klar, dass die Nützlichkeit dort, wo sie „wahrhaft“ („revera“) verwirklicht wird, in ihrer Nützlichkeit für mich weit über diese Nützlichkeit nur für mich hinausgeht. Deshalb kann er schreiben: „Wenn jeder Mensch im höchsten Maße [das ihm Nützliche] sucht, dann sind sich Menschen im höchsten Maße gegenseitig nützlich.“ 10 Das Gemeinsame und die Unterschiede. Derselbe Sachverhalt lässt sich noch einmal auf eine andre Weise erläutern, und Spinoza schlägt auch diesen Weg im Vierten Teil der Ethik ein. Ein wichtiger Faktor, der bereits im Dritten Teil eingeführt wurde, ist die Ähnlichkeit. Ähnlich sind sich solche, die einander aufgrund einer vergleichbaren Disposition (wie immer auch ganz schlicht körperlich gemeint) unmittelbar ihre Affektionsweisen weiterzugeben vermögen. Es ist klar, dass hier kein essentialistischer Begriff von Ähnlichkeit bemüht wird. Zwei Menschen sind sich nicht ähnlich dadurch, dass sie irgendein vergleichbares Verhältnis zur Idee oder Natur oder dem Wesen „des“ Menschen hätten, denn so ein Wesen – das dann als Nullpunkt der Abweichung = differenzlose Identität jeder Ähnlichkeit das Maß vorgeben würde – gibt es nicht. Es gibt nur Abweichungen, ohne ein transzendentes Maß. Nicht haben Menschen eine gewisse natürliche Ähnlichkeit zueinander, sondern wir nennen „Menschen“ bestimmte Wesen, die eine gewisse, aufzeigbare Ähnlichkeit in ihrer körperlichen wie geistigen Konstitution haben. Ob dabei immer unsere biologischen Kategorien die Linien sind, an denen sich das Sein entlang hangelt, ist keineswegs sicher. Bekanntlich hat Deleuze Spinozas Theorie dadurch erläutert, dass er erklärte, die Ähnlichkeit zwischen einem Ackergaul und einem Rind sei größer als die zwischen einem Rennpferd und einem Ackergaul, denn was die Natur einer Sache ausmacht, sind nun einmal die ihr zugänglichen Affektionen. 11
Wenn es noch nötig sein sollte, es auszusprechen: Dieser Vergleich soll nicht den Gregorianischen Choral der „guten“ Seite des Seins, die postserielle Musik Nonos seiner destruktiven Seite zusprechen. Die Einstimmigkeit der frühen Kirchengesänge verzichtet auf die Macht (Potentia), die einzig aus dem Gegeneinander der vielen Stimmen entbunden werden kann. Nonos Zerbrechen der Musik bis in die Bereiche der Stille hinein, bis dahin, wo Musik fortklingt, indem sie aufhört, lotet in seiner Kompromisslosigkeit Möglichkeiten der Interaktion aus, deren Prekarität eben ihre Bedeutsamkeit stiftet. Es stehen sich hier nicht Ordnung und Chaos gegenüber (beides sind nur abstrakte Begriffe), sondern verschiedene Ökonomien von Ordnung. 10 „Cum maxime unusquisque homo suum sibi utile quaerit, tum maxime homines sunt sibi invicem utiles.“ (IVp35c2) 11 Deleuze: Spinoza. Philosophie pratique. 163: „C’est parce que le cheval de course et cheval de labour n’ont pas les mêmes affects ni le même pouvoir d’être affecté; le cheval de labour a plutôt des affects communs avec le bœuf.“ 9
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Im Dritten Teil war die Ähnlichkeit als ein Faktor in der Entstehung und Propagation von Affekten aufgetreten – denn um eine quasi-physische Propagation handelt es sich da immer. Affekte sind ontologische Realitäten, nicht psychische. Eine Psyche, verstanden als Innerlichkeit, als etwas, was „in mir“ stattfände, gibt es in Wahrheit für Spinoza nicht, oder bestenfalls als den letzten Ausläufer eines Prozesses, in dem sich das Ich von außen, von den Affektionen her bildet. Die Ähnlichkeit bezeichnet dann eine Verwandtschaft in der Konstitution, die sich dadurch bemerkbar macht, dass sich der Affekt des einen Dings selbst dann in das andere fortschreibt, wenn dieses gegenüber dem ersten zuvor keinerlei ausgesprochen positiven Affekt, also noch keinen Ansatz von Liebe hegte (IIIp27). Die Ähnlichkeit sorgt so für eine ursprüngliche, gewissermaßen vor-ethische, rein ontologische Sympathie, und das im Wortsinn: ein Mit-Leiden, Mit-Fühlen mit den Affekten des ähnlichen Dings. 12 Auch von dieser Warte aus gesehen muss die Idee, die erste, die natürliche Beziehung der Menschen zueinander sei der Kampf, der Streit, der Krieg, als eine gewaltsame Verkürzung, ja, als eine folgenreiche Verfälschung erscheinen. In der Ähnlichkeit wäre hingegen eine ontologische Grundlegung nicht nur einer nicht-allergischen, sondern gar einer sympathetischen Beziehung zu den anderen gestiftet. Natürlich können die Menschen miteinander im Streit liegen. Die Erfahrung belehrt darüber zur Genüge, und mehr als zur Genüge. Sicherlich hätte man das Spinoza nicht auseinanderlegen müssen. Die einzige Frage ist, ob dieser Streit die ontologische Wahrheit der Beziehung der Menschen zueinander ist oder eine Möglichkeit, die in der Struktur des Wirklichen mit angelegt ist. Spinozas Antwort ist eindeutig: Da wir nun einmal Teil der Natur sind, und nicht kein Teil von ihr sein können (IVp4), da wir weiterhin genau in dem Maße passiv sind, wie wir nur Teil der Natur sind (IVp2), kann es gar nicht anders sein: Wir Menschen sind, mit allen anderen Teilen der Natur, einer unaufhebbaren Passivität unterworfen (IVp4c). Keine Anstrengung kann alle Passivität aus unserer Existenz streichen – was nicht heißt, dass alle Anstrengung von Anfang an vergebens wäre. Diese Passivität aber wird uns immer wieder mit anderen in Konflikt bringen (IVp34) – keine Aufklärung und keine Revolution, keine Utopie und kein Philosophenkönig werden ein gemeinschaftliches Leben herstellen, in dem die Menschen friedlich, ohne Hass und Hinterlist miteinander leben und streben. Und noch einmal: Daraus folgt genau nicht – wie es die reaktionäre „Moral“ immer eilig hatte zu erklären –, dass es keine Unterschiede zwischen den Gesellschaften gebe und dass jede Hierher gehört der Lehrsatz IIp39c, der als nicht genutzte Ressource für die gegenseitige Durchdringung und Nützlichkeit der Menschen fungieren könnte. (Ich hatte den Satz in diesem Sinn bereits im Kapitel zur Struktur der Ethik erwähnt.) Er bereitet den Boden für eine konsequent ontologische Rechtfertigung des Umschlags des „Egoismus“ in das Wohlwollen den anderen gegenüber. 12
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Bemühung um Änderung, um Verbesserung vergebne Müh‘ wäre. Der wahre Ort, an dem die „faule Vernunft“ die Herrschaft antritt, ist im Politischen; im Privatleben trifft man nur selten ihre Folgen an. Sie ist deshalb nur umso falscher. Denn es kommt ja im Gegenteil darauf an, eine Gestaltung des Zusammenlebens zu finden, in der die Propagationen und Transduktionen möglichst frei fließen können, um die Effekte der Selbstverstärkung zu begünstigen. Die Streichung der Vollkommenheitsutopie führt in Wahrheit nur dazu, die Möglichkeiten, die dem realen Einwirken offenstehen, umso ernster zu nehmen. Es lohnt sich, noch einmal einen Blick auf die Herleitung zu werfen, die Spinoza in den Sätzen 29-34 des Vierten Teils vorlegt, bevor wir zu der Konzeption kommen, die diesen Argumentationsstrang der Ähnlichkeit krönt – und die man wiederum nicht als eine Utopie oder ein Ideal missverstehen sollte. Was mit unserer Natur überhaupt nicht übereinstimmt, kann uns weder fördern noch einschränken; soll eine Einwirkung im guten wie im schlechten Sinn möglich sein, muss ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit („commune aliquid“) vorliegen (IVp29). Natürlich liegt ein solches Gemeinsames mit allem Wirklichen längst vor, denn alle Seienden sind wortwörtlich von derselben Natur wie ich, wofür terminologisch vor allem der Conatus steht. Es gibt in dieser Welt keine totale Unähnlichkeit, keinen vollständigen Mangel an Gemeinsamkeit. Der Satz sollte daher vor allem in einem graduellen Sinn verstanden werden. Kein Ding kann durch das, was es mit uns gemeinsam hat, für uns schlecht sein; insofern es schlecht ist, ist es uns entgegengesetzt („contraria“) (IVp30). Die Kontrarietät des Schlechten ist nichts anderes als die Hinderung oder Verringerung meiner Wirkmacht („agendi potentia“). Das heißt, dass das Gute für die verschiedenen betrachteten Dinge, für mich und die anderen, dasselbe ist. „Insofern ein Ding mit unserer Natur übereinstimmt, ist es zwangsläufig gut.“13 Es sind die Züge, die seiner Erhaltung ebenso dienen wie meiner, die uns beiden gemeinsam sind. Das heißt nicht, dass alles Einzelne, was für ein anderes förderlich ist, auch mir förderlich ist. Vielmehr ist dies eben abhängig vom Grad der Gemeinsamkeit. Aber gerade dann tritt doch wieder der pessimistische Einwand auf den Plan: Wenn das Gute für mich und für die anderen dasselbe ist – müssen wir dann nicht erbittert darum streiten? Ist dann nicht die Setzung eines ursprünglichen Krieges unvermeidlich? Nein, denn der Streit um eine Sache, die mehr als einem Menschen förderlich wäre, aber nur einem dienen kann, ist ein Phänomen, dessen Analyse bis zum Ende gebracht werden muss. Und dann ergibt sich, dass der Konflikt eben nicht aus dem
„Quatenus res aliqua cum nostra natura convenit, eatenus necessario bona est.“ (IVp31). 13
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entsteht, was zweien gemein ist, sondern aus dem, worin sie sich voneinander abwenden. Beide lieben dasselbe. Das ist die Gemeinsamkeit, und sie hat ihre förderlichen Effekte, denn die Liebe der beiden verstärkt sich gegenseitig. Sie unterscheiden sich aber darin, dass Peter die Sache als seinen Besitz betrachtet, Paul aber als seinen Verlust. Darin sind sie sich nicht einig, finden sie keine Gemeinsamkeit (IVp34s). Überhaupt ist jede Liebe, die einen Wunsch auf alleinigen Genuss des Geliebten involviert, in sich widersprüchlich (IVp37c1). Selbst wenn man also nicht wüsste, dass das höchste Gut seiner Natur nach unknapp sein muss, wird man dahin geführt zu erkennen, dass das Höchstmaß an Potentia = das größte Glück dort zu suchen ist, wo die Menschen miteinander übereinstimmen („convenire“). Das klingt wie eine liberale Trivialität.14 Man muss aber auch das wieder ganz „physisch“, ontologisch lesen: Es geht um eine Formation oder auch Transformation der Menschen, so dass sie Übergänge bilden, Überschneidungen, teilweise Deckungen miteinander, aber nicht befohlen, vermittelt oder vorgeschrieben durch eine höhere Instanz, sondern in ihrer unmittelbaren Interaktion. Sie können aufeinander zugehen und miteinander aufs selbe hingehen, und sie können sich darin einander angleichen, können ein selbst wieder materielles Gewebe bilden, das nirgends gleich, unterschiedslos wäre – wie es eine gewisse politische Propaganda immer unterstellte. Wieder gilt: diese meine Realität ist nicht zu streichen, und zu ihr gehört unaufhebbar die Passivität, das, worin sie der Natur als einer ganzen unterworfen bleibt. Damit muss sich niemand sorgen machen, dass Spinoza die Menschen in identische Automaten umwandeln wollte. Vor allen Dingen aber darf man den Status der „Vernunft“ nicht missverstehen. Sie tritt hier, vor allem dann ab Satz 35 als das auf, worin die Menschen übereinkommen können, das also, was ihre Gemeinsamkeiten und ihre Glücksmöglichkeiten stiftet. Das klingt, so knapp zusammengefasst, doch Selbst wenn man diese These nicht weiter ausführen würde: Eine Trivialität wäre sie dennoch nicht, wie die reaktionäre Schwäche für den Kampf und den Krieg zeigt. Fragt man die Reaktionäre und Faschisten – die nicht immer wissen, dass sie welche sind – dann ist es der Krieg, der nicht bloß Vater aller Dinge, sondern vor allem Erzwinger der wahren menschlichen Leistungen ist; dann ist jede Errungenschaft dem mannhaften Schwerterkreuzen verdankt, und wenn man gerade nicht gegen andre Völker Krieg führt, dann gegen „das Schicksal“ oder dergleichen. Es ist nicht die unwichtigste Pointe in dem an Pointen wahrlich nicht armen Anti-Ödipus, wie Deleuze und Guattari dort konsequent die Flucht und das Fliehenlassen zum Modell des ontologischen wie des wahrhaft ethischen Prozesses erklären. Die Psychologie der Reaktion wird dabei automatisch aufgerufen und verworfen, noch bevor sie sich bemerkbar machen konnte: eine brillante Taktik, die sich zurecht auf Spinoza berufen kann: „Einem freien Menschen wird also eine Flucht zur rechten Zeit als ebenso großes Selbstvertrauen angerechnet wie das Sicheinlassen in ein Gefecht; anders formuliert, ein freier Mensch wählt die Flucht mit demselben Selbstvertrauen wie den Kampf.“ „Homini igitur libero aeque magnae animositati fuga in tempore ac pugna ducitur; sive homo liber eadem animositate seu animi praestantia qua certamen fuga eligit.“ (IVp69c) 14
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wieder nach einer transzendenten, zumindest einer nicht-empirischen Instanz, die die Koordinationen und Kompositionen der Conatus regulierte. Das aber wäre ein grobes Missverständnis, das sowohl den metaphysischen wie den ethischen Sinn der Theorie kompromittieren würde. Es ist gerade deie relative Formalität und vor allem die doppelte Qualifizierung („revera“) der „Gebote der Vernunft“, die auf den richtigen Weg bringen: Es ist nicht so, dass irgendeine allgemeine, objektive, hypostasierte Vernunft Leitfaden der Ethik wäre. Vielmehr nennen wir vernünftig diejenigen, die es vermögen, den formalen „Geboten“ Genüge zu tun, und das heißt: die eine Praxis der Nützlichkeit, der gegenseitigen, vorbehaltlosen, nicht aufrechnenden, großzügigen, wohlwollenden Förderung ins Werk setzen. Die sind die Vernünftigen. Natürlich, nichts garantiert, dass eine Vernünftige auch tatsächlich „entlohnt“ wird, also die Sorge und Liebe wieder auf sie zurückkommt, die sie verschenkt. Aber erstens wusste sie das immer schon, wenn sie wirklich vernünftig war. Zweitens besteht die Vernünftigkeit oder Weisheit oder Freiheit ja eben darin, nicht nur die Grenzen des eigenen Seins, sondern auf der anderen Seite seine potentielle Grenzenlosigkeit durch das Überschieben mit den anderen zu erkennen. Die Dankbarkeit, die mir entgegengebracht wird, wird in dieser Perspektive immer unwichtiger, weil ihr Adressat seine ontologische Autonomie als optische Täuschung durchschaut. Und drittens, mag auch das Tagwerk der Vernunft in einigen, vielleicht sogar vielen Fällen mit Undank und Verfolgung quittiert werden: Das ändert nichts daran, dass der, der verbissen auf seinen Vorteil, sein Glück, sein Vorankommen schaut, alle anderen ausschließend oder sogar opfernd, grundsätzlich und dauerhaft von allen Glücksmöglichkeiten ausgeschlossen bleibt. „Insofern Menschen von Affekten, die Leidenschaften sind, bedrängt werden, können sie einander entgegengesetzt sind.“15 Es ist eine eigenartige Paradoxie, dass Freiheit, Glück und Erfüllung des Conatus genau dadurch gelingen, dass das eigene Sein zu einem Raum der Durchdringungen und Überschiebungen wird – während die am wenigsten miteinander übereinstimmen (also zumindest scheinbar am individuellsten sind und sicher ihre Individualität besonders borniert reinzuhalten bemüht sind),16 die am meisten von der Natur (also gerade dem, was sie nicht sind) dominiert werden (vgl. IVp32). Das große Individuum. Damit sind wir an dem Punkt, an dem die Theorie der Ähnlichkeit wie die der Gemeinsamkeit kulminieren. Um diesen Scheitelpunkt des Ethischen – in dem Rahmen, in dem es im Vierten Teil
„Quatenus homines affectibus, qui passiones sunt, conflictantur, possunt invicem esse contrarii.“ (IVp34) 16 „Individuum“ hier genau nicht im Sinn von Spinoza. 15
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präsentiert wird17 – richtig einschätzen zu können, muss man sich einige Ergebnisse des bisher Entwickelten in Erinnerung rufen. Erstens: Ähnlichkeit und Gemeinsamkeit, wie sie hier auftreten, sind keine statischen Größen. Sie dürfen unter keinen Umständen als Vorgegebenheiten im Sinn eines Essentialismus missverstanden werden. Sie sind in Teilen vorgegeben, durch die schiere körperliche Disposition, die jedes Seiende ist. Dies ist der Punkt, an dem Spinoza durchaus „materialistisch“ ist, von aller idealistischen Schwärmerei, wonach der Wunsch oder der Wille oder das Bewusstsein das Sein bestimme oder per Dekret verändern könne, getrennt. Doch so eine Disposition ist niemals fertig, abgeschlossen, feststehend. Die Natur meines Körpers ist im gleichen Maße ein Anfang im wie das Beiprodukt des Prozesses, der die Natur selbst ist (im Sinn von Spinozas Substanz). Und somit sind auch die Grade der Ähnlichkeit und Gemeinsamkeit Ergebnisse dieses selben Prozesses: nicht im Sinn einer „Erkenntnis“, zumindest nicht in erster Linie, sondern im Sinn einer unmittelbaren Interaktion. Zweitens ist das ein Prozess, der keinerlei Regelung von außen hat. Keine Instanz, sei sie menschlich oder göttlich, regiert über diese Verwicklungen und Verschränkungen und Abstoßungen, auch nicht die Vernunft, deren einzige „Forderung“ in Wahrheit nur die ist: Nimm‘ Anteil an der doppelten, schillernden Natur, in der alles als das Ganze und ein jedes Einzelne sein Sein vollzieht und in dem beides nur sein kann, indem das jeweils andre ist; bewahre dein Sein und schenke es her; beharre auf deinem Conatus, indem du ihn durchlässig machst und zu mehr als nur zu deinem eigenen machst. Das Gebot der Vernunft ist also nichts anderes als der Prozess des Schillerns selbst und nicht eine Regel, die über ihm stünde. Sie zeigt lediglich an, in welcher Richtung eine solche Kultivierung des Seins zu suchen ist, dass die Conatus möglichst ungehemmt fließen. Die Natur kennt aber keine Regeln, und sie braucht auch keine. Ja, hätte sie welche, dann könnte sie in Wahrheit nichts hervorbringen. Große Teile der philosophischen Tradition haben es immer genau verkehrt herum angefasst: Der Natur muss keine Intelligenz unterstellt werden, um ihre Werke zu erklären; im Gegenteil: Denkt man die Werke der Natur wie der Menschen als Dieser Rahmen ist weder der einer Theorie des Politischen, wie sie der Tractatus theologico-politicus liefert, noch der eines metaphysischen Überstiegs, auf den der Fünfte Teil hinzielt. Vielmehr scheint der Vierte Teil der Ethik eine insofern ganz kapitale Stufe zu präsentieren, als er die ontologischen Grundzüge des Lebens in Gemeinschaft und ihre ethischen Implikationen ausführt. Auf sie muss sich jede Politik, die ihrer Aufgabe gewachsen sein will, stützen – ohne dass man deshalb auf so einfache Oppositionen wie „Gesellschaft vs. Politik“ oder „Gemeinschaft vs. Gesellschaft“ zurückgreifen sollte. Die Ausführungen des Viertens Teils liefern eine Analyse der Mechanismen menschlichen Zusammenlebens, die immer wirksam sind, gleichgültig welche politische Form sich ihrer zu bemächtigen sucht. Sie sind deshalb aber weder un- noch vorpolitisch, und sei es nur deshalb, weil wir keinen vorpolitischen Zustand mehr kennen. 17
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Verwirklichungen von gedachten Plänen, unter dem Primat des Reflexiven also, dann würde jede Realität unmöglich werden. Wie wir schafft auch die Natur immer nur in herrlicher Kopflosigkeit.18 Drittens ist das eben ein Prozess, in dem sich die verschiedenen Seienden nicht einfach nur gegenseitig „beeinflussen“, „verändern“, „bestimmen“. Es ist ein Prozess, der jede Integrität und Autonomie der einzelnen Seienden beständig in Frage stellt – und das schon deshalb, weil es Integrität und Autonomie ontologisch auf der Ebene der Endlichen nicht gibt. In diesem Prozess wirken die Dinge aufeinander, indem sie einander durchdringen, sich ineinanderschieben, übereinanderlegen, sich an ihren Grenzen und Oberflächen durchlässig machen, so dass noch die Unterscheidung in Eigenes und Fremdes eine oft ganz abstrakte ist. In Wahrheit wissen wir das: Gerade bei dem, was am wichtigsten ist, bei den stärksten Affekten, den erschütterndsten Wechselfällen des Lebens, den tiefsten Gedanken, die wachsend wie ein Kristall bald unsere gesamte Textur in eine bestimmte Richtung drehen und festhalten, können wir nicht mehr sagen, ob das von uns oder von jemand anderem kommt, denn diese Unterscheidung löst sich auf – nie ganz, aber unverkennbar und in einem Maß, dessen Grenzen sich a priori nun einmal nicht bestimmen lassen.19
Diese Einsicht – die besonders in Bergson und Wittgenstein prominente Vertreter findet – werde ich in meinem bald erscheinenden Von der Natur ausführlich begründen. Vgl. auch meine Aufsätze zu Bergson: Walzer und Löwenzahn; bzw.: Wissen ohne Vorstellungen. 19 Ein Brief an Peter Balling, der letzte an diesen Freund, bestätigt das in einer dramatischen und überraschenden Weise. Balling hatte im Juni 1664 seinen kleinen Sohn verloren, der wahrscheinlich an der damals grassierenden Pest gestorben ist; der Vater wird ihm noch vor Ablauf des Jahres folgen (vgl. Nader: Spinoza. 250). Spinoza schreibt Peter Balling am 20. Juni 1664, wobei er ihm einerseits sein Beileid ausspricht, er andererseits auf Vorahnungen Bezug nimmt, die der Vater von dem Tod des Sohnes gehabt zu haben erklärt. Spinoza bietet zuerst eine sehr rationale Theorie an, so wie man sie erwarten würde (ungehindertes Wirken der Imagination). Dann aber äußert er einen Gedanken, der sich nur auf der Grundlage der gegenseitigen Durchdringung aller endlichen Seienden kohärent formulieren lässt: Ein Vater kann seinen Sohn so sehr lieben, „dass er und der geliebte Sohn gleichsam ein und dieselbe Person sind“ (Ep17. Briefwechsel. 67. TO. 1890: „ut is, et dilectus filius quasi unus, idemque sint“). Spinoza fährt fort, dass dementsprechend auch zwischen den Ideen des Vaters und des Sohnes partielle Deckungsgleichheit besteht. Die Übereinanderschiebung zweier endlicher Dinge und die Kennzeichnung dieses Geschehens als Liebe decken die fundamentalen metaphysischen Einsätze auf, um die es bei Spinoza geht und die von einer traditionelleren Lektüre Spinozas leicht übersehen werden. Es ist aussagekräftig, dass ein Spinoza-Kenner wie Bartuschat sichtlich irritiert von diesem Brief ist und seine theoretische Tragweite herunterzuspielen sucht, indem er mutmaßt, Spinoza habe sich hier die Feder von dem Wunsch führen lassen, dem trauernden Vater Trost zu spenden (vgl. Briefwechsel. 300 f.). Dagegen lässt sich in von mir vorgeschlagenen Perspektive dieser Brief in aller Strenge lesen und dem Gefüge von Spinozas Metaphysik eingliedern. 18
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Wir sind damit vorbereitet für die letzte Pointe dieses Vierten Teils. Sie ist in diesen Sätzen ausgesprochen: Wenn nämlich z.B. zwei Individuen von ganz derselben Natur sich miteinander verbinden, dann bilden sie ein Individuum, das doppelt so mächtig ist, wie jedes einzelne für sich. Dem Menschen ist also nichts nützlicher als der Mensch; nichts Geeigneteres, sage ich, können sich Menschen zur Erhaltung ihres Seins wünschen, als dass alle in allem so übereinstimmten, dass die Geister und Körper von allen zusammen gleichsam einen einzigen Geist und einen einzigen Körper bilden, dass alle zusammen, soviel sie können, strebten, ihr Sein zu erhalten, und dass alle zusammen für sich selbst den gemeinsamen Nutzen aller suchten.20
Wir stoßen also auf die Idee, so alt wie naiv, die Menschen so zusammenzufügen, dass sie ein großes Lebewesen bilden. Menenius Agrippa hätte es nicht schöner sagen können. Und in abgewandelter Form ist dieselbe Idee in dem zurecht berühmten Frontispiz von Hobbes‘ Leviathan ausgedrückt. Um genau zu sein, lassen uns diese beiden Versionen ziemlich exakt den Abstand von einer klassischen, konservativen und einer modernen, illusionslosen, resignativen Vision menschlicher Gemeinschaft ermessen: Während in den klassischen Konzeptionen ein jeder an seinem Platz ist, damit eine jeweils spezifische Aufgabe erfüllend, für die er gemacht sind, wofür in der Fabel die verschiedenen Körperteile und Organe stehen 21 – hat die Moderne das Vertrauen in die natürliche Verortung so weit verloren, dass sie durch eine beliebige Kombination, eine Ballung der Vielen ersetzt werden muss, die ihre Einheit nicht mehr in einer Organisation, sondern nur mehr in der Unterordnung unter die eine Einheit des Staates findet. Ob im Frontispiz ein Menschlein im Arm oder in der Brust auftaucht, macht keinen Unterschied mehr. Wichtig ist nur, dass alle dem Souverän unterworfen sind. Gemeinsam ist freilich beiden Bildern die Voraussetzung, dass nur und einzig in einer hierarchischen Struktur die Vielen zu einer Einheit zusammengefügt werden können; der Zwang, der darin liegt, kann nicht sinnvoll kritisiert werden. „Si enim duo ex. gr. ejusdem prorsus naturae individua invicem junguntur, individuum componunt singulo duplo potentius. Homini igitur nihil homine utilius; nihil, inquam, homines praestantius ad suum esse conservandum optare possunt, quam quod omnes in omnibus ita conveniant, ut omnium mentes et corpora unam quasi mentem unumque corpus componant et omnes simul, quantum possunt, suum esse conservare conentur omnesque simul omnium commune utile sibi quaerant […]. “ (IVp18s) 21 Ich hatte hier ursprünglich neben die männliche immer noch die weibliche Form gestellt: ein jeder und eine jede… Allerdings, es gibt Momente, in denen das Gendern geradezu falsch wird, denn eine solche Formulierung würde suggerieren, dass z.B. jemand wie Menenius Agrippa Frauen im Politischen irgendwie vorgesehen hätte. Das aber ist sicher nicht der Fall gewesen. Die antike Optik aufs Politische ist fast ausschließlich männerzentriert. 20
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Wenn wir nun alles, was wir bis hierher festgestellt haben, noch einmal aufrufen, dann wird sofort klar, dass Spinozas Rede von der Herstellung eines großen und immer größeren Individuums nichts zu tun hat mit der Idee, für die hier stellvertretend für viele andere Autoren Menenius Agrippa und Hobbes stehen. Zwar sind die Ausführungen über das Individuum im physikalischen Einschub des Zweiten Teils vor allem mit den Bedingungen beschäftigt, unter denen ein Individuum seine Natur beibehält; doch zielt das sichtlich auf die Ausweitung des Begriffs des Individuums auf das Gesamte der ausgedehnten Natur, mit der diese Diskussion endet. Es ist hingegen zweifelsohne die Definition des Individuums, die Spinozas Referenz an dieser Stelle des Vierten Teils motiviert: Wenn mehrere Körper, von derselben Größe oder auch von verschiedener Größe, von anderen Körpern so zusammengedrängt werden, dass sie aneinanderliegen, oder wenn sie, mit demselben Grad oder auch mit verschiedenen Graden von Geschwindigkeit, sich so bewegen, dass sie ihre Bewegungen nach einer bestimmten Regel untereinander verknüpfen, dann wollen wir sagen, dass diese Körper miteinander vereinigt sind und dass sie alle zusammen einen einzigen Körper oder ein Individuum bilden, das sich von anderen durch die beschriebene Vereinigung der Körper unterscheidet. 22
Natürlich muss man einerseits von der Beschränkung auf die bloße Körperlichkeit absehen. Andererseits scheint die zuerst aufgerufene Bedingung, der Druck von außen, formell meiner Deutung zu widersprechen – und sie ist doch nur der treue Ausdruck eben der physikalischen Voraussetzungen, unter denen Spinoza operiert und operieren muss. Die gesamte Physik des 17.Jhs. behandelt, eben aus ihrem mechanistischen Gründungsgedanken heraus, den Stoß, die unmittelbare Berührung und Impulsweitergabe, als das paradigmatische Gesetz körperlicher Bewegungen. Wichtiger ist dagegen, dass die einzelnen Seienden im Individuum aneinander liegen („incumbant“) und sich gegenseitig ihre Bewegungen und Geschwindigkeiten kommunizieren – und in dieser zweiten Formulierung ist dann von einem Zwang von außen keine Rede mehr. Worauf das also führt, ist die Konzeption einer menschlichen Gemeinschaft, in der ein Individuum in allem Ernst hergestellt wird. Und das nicht durch die Gründungstat eines Vertrages oder einer Unterwerfung; sondern lateral, transduktiv, 23 durch das unmittelbare Wirken der Einzelnen „Cum corpora aliquot ejusdem aut diversae magnitudinis a reliquis ita coercentur, ut invicem incumbent, vel si eodem aut diversis celeritatis gradibus moventur, ut motus suos invicem certa quadam ratione communicent, illa corpora invicem unita dicimus, et omnia simul unum corpus sive individuum componere, quod a reliquis per hanc corporum unionem distinguitur.“ (IIdef’ [nach IIp13]) 23 Der Ausdruck stammt von Gilbert Simondon, der ihn für Prozesse der Ausweitung einer Struktur verwendet, die sich nicht als Durchsetzung von oben interpretieren lassen, 22
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aufeinander, so dass sie einander durchdringen und verändern und an den Rändern und Oberflächen Zonen der Ununterscheidbarkeit schaffen. Ist im Konzept der natürlichen Orte der verschiedenen Menschen ebenso wie im Staatsmonismus à la Hobbes jeder Einzelne radikal ersetzbar, so gilt das bei Spinoza gerade nicht. Denn jede Einzelne stiftet ja in ihrer Weise erst die Realität der Gemeinschaft mit, indem sie ihre „Bewegungen“ kommuniziert und sich den „Bewegungen“ der anderen öffnet oder eben verschließt. Wenn es nicht mehr die übergeordnete Einheit ist, die einseitig das Gemeinwesen stiftet (als großer Körper, als Staat, als Nation), sondern diese Einheit nur ihre Realität haben kann, insoweit die Einzelnen die Herstellung des Gemeinsamen besorgen, dann gibt es eben ontologisch keine Ersetzbarkeit. Ersetzbarkeit kann es nur dort geben, wo die Seienden voneinander getrennt sind, isoliert, wo sie „Individuen“ im Sinn einer scharfen Vereinzelung sind. Und genau das ist es, was Spinozas Theorie der Komposition der Conatus systematisch unterläuft. Was Spinoza in seiner Theorie des menschlichen Zusammenlebens also entwirft, ist ein Kommunismus im engsten Sinn des Wortes: eine transduktive, in verschiedenste Richtungen ausstrahlende, unvorhersehbare Herstellung von Gemeinsamkeit und damit: von gegenseitiger Nützlichkeit. Freilich: Der Staat ist auch nicht nichts. Und er ist etwas anderes, vielleicht „mehr“ als die Einzelwesen, die „in ihm“ leben. Sonst wäre es zu der eigenartigen Idee, dass der Staat „über“ den Menschen stünde und ihnen allein die Gemeinschaft schenken könne, nie gekommen. In der in einem engeren Sinn politischen Philosophie, die Spinoza im Tractatus theologicopoliticus vorlegt, ist deshalb vom Staat und der „summa potestas“ ausführlich die Rede.24 Wir treffen hier wieder auf das Schillern der Wirklichkeit, deren Glanz Spinoza zu kommunizieren trachtet. Denn politisch betrachtet steht die „summa potestas“ in der Tat über den Einzelnen; rein ontologisch sondern nur als eine Transformation des jeweils Nächstgelegenen („de proche en proche“, wie es im Französischen dann heißt). Dass das keineswegs in der Ermüdung enden muss, dass diese Prozesse nicht sofort – wenn man schon politisch spricht – von der Durchschlagskraft einer staatlichen Macht überholt werden müssen, zeigt das Beispiel des Kristalls: Dessen Wachstum geschieht immer nur an der Oberfläche; aber diese Oberfläche und damit der Körper des Kristalls dehnt sich beständig aus. D.h. der ursprüngliche Keim regt die Transformation nicht nur von einem Molekül an, sondern von mehreren um ihn liegenden, und dasselbe gilt für die dann transformierten Moleküle, so dass sich eine Kaskade der Transformation ergibt, die im Fall des Kristalls immerhin klar orientiert und durch benennbare Bedingungen begrenzt ist. 24 Noch systematischer fasst dieses Thema der unvollendet gebliebene Politische Traktat an, indem er eine Lehre von den Rechten und Formen des Staates entwirft. Es ist bitter, dass die letzten Zeilen, die Spinoza geschrieben hat, ausgerechnet einer pseudo-rationalen Rechtfertigung des Ausschlusses der Frauen aus dem Feld des Politischen gewidmet sind; es ist vor allem deshalb bitter, weil es in Spinozas Metaphysik gar keinen Platz gibt für die pauschale Herabwürdigung von Frauen: Das nämlich würde Universalia voraussetzen, die Spinoza nicht zulässt.
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aber wird sie neben ihnen produziert, als eine weitere, wenn auch stark und systematisch vernetzte Einzelheit. (Und zwar wohlgemerkt nicht die Person, die das Amt ausfüllt, sondern die Struktur von Amt und Macht selbst.) Nur ist die Konzentration auf den Staat und selbst noch auf die „Gesellschaft“ irreführend, weil damit eine statische (oder statisch gedachte) Einheit gesetzt wird, die hierarchisch organisiert ist und die als Ganzes den Teilen vorhergeht oder aber, was nicht weniger schwierig zu verstehen ist, aus ihnen per Vertrag entsteht. Ontologisch grundlegend ist ein Prozess, in dem sich die Conatus miteinander kombinieren, einander verstärken oder hemmen. Staatliche, gesellschaftliche, kulturelle Faktoren gehören da hinein. Sie kommen nicht etwa nachträglich zu einem Zusammenleben hinzu, das man auch für sich denken könnte. Es geht also nicht darum, irgendeine ursprüngliche Ebene zu finden, die durch die Staatlichkeit überdeckt, vielleicht sogar verfälscht wäre. So eine Denkweise des Falschen ist Spinoza vollkommen fremd. Mit der Konzeption eines großen Individuums, zu dem die Menschen sich zusammenfinden, ist vielmehr ein Begriff gefunden, in dem man zwischen unmittelbaren, nachbarschaftlichen Kontakten, staatlichen Institutionen, gesellschaftlichen Tendenzen usw. gar nicht mehr unterscheiden muss. Sie alle fließen mit gleichem Recht in die Komposition des Individuums ein. Und dann lässt sich wieder sagen, was wir von Anfang an als die Grundidee Spinozas kennengelernt hatten: dass nämlich das Ganze ebenso sehr Voraussetzung und Grundlage der Einzelnen ist, wie diese jenes erst wirklich machen. Allerdings merkt man, dass das Schillern hier einen weniger grundsätzlichen Aspekt hat als etwa in der kanonischen Formulierung von Natura naturans und Natura naturata. Das liegt einfach daran, dass die Kontingenz, die Veränderlichkeit, in einem gewissen Sinn: die Künstlichkeit der jeweiligen vorweisbaren Gemeinschaftsgebilde ganz zu ihrer Charakteristik dazugehören. Wenn Spinoza daher eine weitere Variante der Vertragstheorie vorlegt, dann projiziert er folgerichtig ins Politische dieses Übergewicht der Einzelnen vor dem Ganzen, das hier gilt. Das große Individuum ist immer nur antizipativ, inchoativ, im Ausgriff; allein real sind die Einzelnen, die sich hier und jetzt auf diese Weise verbinden, und die Kraftlinien, um die sich diese Verbindung gruppiert. Nie aber erreicht die Kraftlinie oder die Tendenz, die sich der Komposition entwindet, den Status, Gesetz und Wahrheit einer Ganzheit zu sein – auch wenn sie oft mit genau diesem Anspruch auftritt. Es gibt nun einmal keine Ganzheit, zu der sich auch nur eine begrenzte Zahl von Menschen verbindet. 25 Daher ist der Begriff des großen Individuums auch nur ein
In einem vergleichbaren Sinn haben Deleuze und Guattari geschrieben: „Wir glauben nur an Randtotalitäten. Und sollten wir auf eine solche Totalität neben den Teilen stoßen, so wissen wir, dass es sich um ein Ganzes aus diesen Teilen handelt, das diese aber nicht totalisiert, eine Einheit aus diesen Teilen, die diese aber nicht vereinigt, sondern 25
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Grenzbegriff, den man nie für die Sache selbst halten darf. Die altväterliche Herablassung eines Menenius Agrippa, der humanistische Zynismus eines Thomas Hobbes hingegen meinen diese Ganzheit zu kennen: als organische Einheit eines letztlich archaisch gedachten Volkes, als kompromisslos gesetzte Macht einer souveränen Regierung. Die Wahrheit menschlichen Zusammenlebens bei Spinoza ist aber die Vorläufigkeit einer Komposition von Conatus, von der niemand wissen kann, in welche Tonarten sie sich modulieren wird. Es ist dabei die gegenseitige Durchdringung, das Durchlässigwerden der Conatus, das die Komposition erst möglich macht und Obertöne zum Klingen bringt, die isoliert genommene Klänge nicht hätten generieren können.26 Eine Ethik des Kapitalismus? Zwei kritische Nachfragen stellen sich von hier aus. Die erste lässt sich nach dem Ausgeführten leicht beantworten: Ist die Formel, in der sich die Ethik der Gemeinschaft zusammenfassen lässt, nicht eine klassische Rechtfertigung des Kapitalismus, eine, die wahrscheinlich auch im 17.Jh. nicht weit von einem brutalen Zynismus war? Spinoza schreibt: Je mehr ein jeder Mensch sein Nützliches sucht, desto nützlicher sind die Menschen einander (IVp35c2). Nimmt man das geradehin und ohne weitere Präzisierung, ist das die spätestens seit Mandeville klassische Rechtfertigung kapitalistischen Wirtschaftens. Wenn nur alle nach ihrem Vorteil suchen, dann entsteht daraus etwas, was, selbst noch entgegen der Absichten der Einzelnen, hinter ihrem Rücken gewissermaßen, für alle das Vorteilhafteste ist. vielmehr sich ihnen wie ein neues, gesondert zusammengefügtes Teil angliedert.“ Deleuze und Guattari: Anti-Ödipus. 54. Anti-Œdipe. 50 f. 26 Auch die Ausführungen, in denen Spinoza die Resultate des Vierten Teils noch einmal systematisch rekapituliert, belegen diese Sichtweise. Der Kern der Ethik in Gemeinschaft ist unter dem Hauptsatz 12 ausgesprochen: „Den Menschen ist besonders nützlich, Verbindungen einzugehen [wörtlich: ihre Gewohnheiten miteinander zu verbinden, „consuetudines jungere“] und sich mit solchen Banden zusammenzuschließen, die aus ihnen allen am ehesten eine Einheit [unum] machen, also ausnahmslos das zu tun, was der Festigung von Freundschaft dient.“ Von einer übergeordneten Instanz, die die Menschen zusammenfügen muss, ist keine Rede. Gleichwohl ist diese „Vereinigung“ harte Arbeit, sie erfordert „Fertigkeit und Wachsamkeit“ („ars et vigilantia“) (IVcap13). Nur weil die Menschen immer schon aufeinander bezogen sind und ihre Vollkommenheit nur gemeinsam erreichen, heißt das noch lange nicht, dass man einfach nur zwei Leute in einen Raum sperren muss, damit eine Einheit, Eintracht („concordia“) daraus entsteht. Eintracht entsteht vielmehr aus eben den Verhaltensweisen, die den freien Menschen auszeichnen: Gerechtigkeit, Billigkeit, Anständigkeit (IVcap15). Und ganz ausdrücklich gegen Hobbes: „In der Regel ist es so, dass Eintracht häufig aus Furcht erwächst, wobei ihr dann aber das Vertrauen fehlt.“ (IVcap16) Von mir zu dir, und von dir zum nächsten, so entsteht Gemeinschaft, Eintracht, Vertrauen („fides“). Und das setzt bei uns allen die Bereitschaft voraus, uns voneinander verwandeln zu lassen, statt um jeden Preis an uns oder unserer Überlegenheit festzuhalten.
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Es ist aber offensichtlich, dass das mit den metaphysischen Voraussetzungen von Spinoza nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Zwar ist es natürlich wahr, dass für Spinoza die Verbindung von wirtschaftlicher und ziviler Freiheit eine gewisse Selbstverständlichkeit hat. Es steht außer Zweifel, dass Spinoza ein Denker ist, der in die Geschichte des frühen Kapitalismus hineingehört. Doch erstens haben wir gesehen, dass der Begriff der Nützlichkeit bei Spinoza ein ganz anderer ist als der, den Mandeville einsetzt: Es geht gerade nicht um reinen Egoismus, um Selbstbezogenheit, Eigeninteresse, sondern um eine Praxis, in der die Zentrierung auf das selbst in Frage gezogen wird. Zweitens fordert die wirkliche Nützlichkeit als ihr Korrelat deshalb ein Gut, das, in formellem Gegensatz zur kapitalistischen Organisation von Gütern, nicht knapp ist. Und drittens gibt es für Spinoza nun einmal nichts, was sich hinter dem Rücken der Menschen abspielte. Natürlich erkennen und verstehen wir nicht alles. Das ist mehr als nur eine Selbstverständlichkeit, es ist in Wahrheit eine hochbedeutsame metaphysische Konstatierung. Diese Bedeutsamkeit zeigt sich gerade hier, denn diese spekulativen Spielereien, in denen der Philosoph durchschaut, was sich ohne das Wissen der Menschen abspielt, ja: was sich derer niederen Neigungen und Trieben bedient, um sich zu verwirklichen: diese Spekulationen behaupten doch, dass man (nämlich der Philosoph) doch erkennen kann, was man (nämlich die breite Masse) nicht sieht. Es ist nur eine weitere Variante der uralten Verschränkung von vorgeblicher Bescheidenheit und tatsächlicher Arroganz, in der Philosophen aller Richtungen und Zeiten außerordentlich geschickt sind. Spinoza ist radikaler: Nicht nur ist die Erkenntnis der Menschen und auch des Philosophen begrenzt. Es gibt vor allem auch nichts, was sich da unbemerkt von den Absichten der Menschen im Großen abspielt. Es gibt da nichts zu wissen. Das ist die wahre Bescheidenheit: diese Unmöglichkeit zu konstatieren; denn nur sie belässt unser Denken ganz im Reich des wirklich Erfahrbaren und Denkbaren, in der „Immanenzebene“ (Deleuze/Guattari), wohingegen jede Spekulation über solche verborgenen Gesetze der Geschichte Entitäten erfinden muss, die keinerlei ontologische Grundlage haben. Eine Ethik der Starken? Schwerwiegender ist dieser zweite Einwand: Kann es sein, dass Spinozas Ethik in ihrer letzten Konsequenz auf eine Härte führt, die ganz im Widerspruch zur eigentümlichen Menschlichkeit und Milde steht,27 die seine Philosophie sonst auszeichnet? Das Schwache, der Hilflose, die Ohnmächtige, die, die keine Aktivität erringen können, sind
Eine eigentümliche Menschlichkeit ist das, weil sie dem Menschen gerade keine besondere Auszeichnung zugesteht und dennoch oder deshalb eine besondere Zärtlichkeit für ihn verrät. Mild ist sie, weil sie Strenge nur gegen die selbstzufriedene Strenge gegen die Menschen kennt. 27
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sie nicht aus dem Spiel der Verstärkung und Vergrößerung, der Ausdehnung und Förderung ausgeschlossen? Das Problem stellt sich vor allen Dingen vor dem Hintergrund von Spinozas „Nominalismus“. Es gibt für ihn keinerlei Realität von Allgemeinbegriffen wie Gattungen und Arten. Das heißt, dass die Ähnlichkeit zwischen zwei Wesen immer konkret bewahrheitet wird. Niemand ist mir allein dadurch ähnlich, dass er oder sie „Mensch“ ist, weil vielmehr der Begriff des Menschen von der Ähnlichkeit abhängig ist. Die anderen Menschen sind mir nützlich, insofern sie mir ähnlich sind. Über Tiere habe ich andererseits alle Rechte, weil sie mir eben unähnlich sind (IVp37s1). Schon hier könnte man einhaken, allerdings um den Preis eines gewissen Anachronismus: Sicher ist die Frage nach den moralischen Pflichten, die wir Tieren gegenüber haben, keine, die sich so ohne Weiteres einem Menschen des 17.Jhs. gestellt hätte. Man kann aber die Schwierigkeit auch ohne Bezug zu den möglichen Rechten von Tieren formulieren, und sie gewinnt in Wahrheit auch dann allen Nachdruck. Denn was ist mit solchen Menschen (in einem biologischen Sinn), die mir radikal unähnlich sind und die aufgrund einer massiven Einschränkung ihrer Potentia auch keinerlei sichtbare Nützlichkeit (d.h. Beförderung meiner Potentia) aufweisen: Komapatienten, Verrückte, Babys, Katatoniker, Schwerkranke, Demente…? Sowohl nach dem Kriterium möglicher Nützlichkeit als auch aufgrund der höchst mangelhaften Entfaltung der Potentia – bei manchen ohne Hoffnung auf eine Besserung – fallen solche Menschen aus dem Raster von Spinozas Metaphysik und Ethik. Kann man denn im Ernst davon sprechen, dass sich mein Conatus mit dem eines Komapatienten, der nie wieder aufwachen wird, verbindet? Dass hier eine Öffnung und Durchdringung stattfinden kann, wenn doch nichts vom anderen zurückkommen kann? Ich mag etwas empfinden, auch etwas, was einer gewissen Verantwortung ähnelt, einen Appell, der mich in die Pflicht nimmt; mit Levinas ließe sich so eine Begegnung sehr wohl beschreiben. Aber mit Spinoza? Natürlich, man kann immer Wege finden, irgendein Problem doch noch in einen theoretischen Rahmen einzupassen. Bezeichnenderweise gibt es bei solchen Integrationen aber eine schwer bestimmbare, aber unbezweifelbare kritische Grenze, jenseits derer die Zusammenstimmung nur mehr verbal, eben rein theoretisch geleistet werden kann. Man fühlt, dass man zu weit gegangen ist, sich zu weit von den Grundlagen einer Metaphysik entfernt, zu tief in die Verästelungen bloßer Argumentation verloren hat, um noch eine überzeugende Antwort zu liefern. Die Kraft, die Impuls und Intuition einer Philosophie gestiftet hatten, ist erschöpft, was bleibt, ist nur mehr die Erinnerung, dass da mal was war. So ist es wohl auch hier. Es ist klar, dass Spinoza den radikal, den konstitutiv Schwachen gegenüber nicht Gleichgültigkeit oder gar Grausamkeit
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propagieren würde; vielleicht ließe sich auch ein Weg finden, die Verantwortung ihnen gegenüber in Spinozas System einzubinden – es bleibt aber dabei, dass Spinoza die moralische Forderung, die das absolut Schwache an mich stellen kann, wahrscheinlich nicht angemessen zu würdigen imstande ist. Diese Forderung kann bei Spinoza nur unter dem Namen des Mitleids auftauchen. Dieses ist ein Affekt, der zu großen Teilen aus Traurigkeit besteht, nämlich aus der Traurigkeit, die aus der Idee eines Übels entstanden ist, die einem uns ähnlichen Wesen zugestoßen ist (IIIdefaff18). Und deshalb ist solches Mitleid in einem Menschen, der aus der Vernunft lebt, schlecht und nutzlos (IVp50). Allzu oft trägt das Mitleid stolz den Schein von Moralität („pietas“) vor sich her, während echte Moralität sich eben nur im Verfahren der Vernunft ergibt (IVcap16). Spinoza hat größtes Misstrauen gegenüber dem Mitleid. Mehrfach taucht auch der pejorative Ausdruck des „weibischen Mitgefühls“ („muliebris misericordia“) auf (IIp49s, IVp37s). Und wahrscheinlich ist seine Skepsis nicht unbegründet: Eine Ethik, eine Politik, die sich auf das Mitleid verlassen, schließen sich in eine widersprüchliche Position ein, indem sie das Leid der anderen zum Antrieb eines Handelns machen, das dieses Leid aufheben soll – und damit auch das Handeln. Die anderen sind zuerst und vielleicht grundsätzlich Opfer, wie kann aus dieser Position her ein Übergang zu einer echten Ermächtigung dieser Opfer möglich sein? Dem entspricht auch, dass das Handeln aus Mitleid leicht in eine wohlwollende Bevormundung kippt, die ihr behauptetes Ziel – den anderen zu helfen – grundsätzlich nicht erreichen kann. Dieses Handeln muss die Bemitleideten in Abhängigkeit halten. Und schließlich gibt es auch eine verräterische Lust am Mitleid, die wohlige Bestätigung der eigenen moralischen Überlegenheit, für die das Leid der anderen und also diese selbst nur der Hebel sind. Solche und ähnliche Gründe lassen es auch aus einer Perspektive, die sich von Spinozas Methode freimacht, geraten erscheinen, das Mitleid nur mit großer Vorsicht zur Regel des Handelns zu erheben. Aber kann man auf das Mitleid ganz verzichten? Oder zumindest auf Affekte, die sich in einer analogen Weise aus der Begegnung mit einer radikalen Schwäche speisen? Läuft eine Ethik, die nur Conatus, Potentiae, Expansion, Selbstbewahrung zulässt, nicht Gefahr, einseitig zu werden: aus einer Ethik der (ontologischen) Stärke in ein Recht des Starken zu degenerieren? Deleuze hat bekanntlich die beiden Konzeptionen praktischer Philosophie unter den Namen von Moral und Ethik einander gegenübergestellt. 28 Die Moral ist befasst mit dem Negativen, mit der Angst, dem
Deleuze: Sur la différence de l’Éthique avec une morale. In: Spinoza. Philosophie pratique. 27-42. 28
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Verbot, dem Eingriff einer transzendenten Macht, dem Mangel, der Freiheit oder der Unfreiheit, dem prekären Subjekt, dem Guten und Bösen und dem schlechten Gewissen. Die Ethik hingegen ist das Feld reiner Positivität, sie kennt Angst und schlechtes Gewissen, aber als Effekte einer Einschränkung der Kraft, als eine Hemmung der Ströme; und es sind Kräfte und Ströme, die an die Stelle eines Subjekts treten, dessen Freiheit oder Unfreiheit Gegenstand selbst wieder moralisierender Debatten ohne Ende und Ziel ist; hingegen entfaltet die Ethik die Immanenz der Conatus, deren lokale Konfrontationen gut oder schlecht, nützlich oder schädlich, nicht aber gut oder böse sein können: ein Spiel, das aus sich heraus alle Werte kreiert, aber keinem Gesetz untersteht. Ihr einziges Ziel: die Herstellung eines Maximums an freudigen Affekten. Das ist außerordentlich eindrucksvoll und überzeugend. Und doch lässt sich nun einmal nicht von der Hand weisen, dass darin eine Gefahr liegt: die Schwäche des Schwachen, unter dem Vorwand, dass sie selbst wieder strategisch benutzt werden kann und auch benutzt wird, grundsätzlich aus der Betrachtung auszuschließen. Damit gibt man der Ethik eine offene Flanke, in die wilde Horden hineinstoßen können, nicht um die Ethik zu zerschlagen, sondern um ihre Stoßrichtung zu ändern: hin auf eine Verharmlosung der Brutalität. Man wird das bei Spinoza selbst kaum bemerken; und auch Deleuze ist sichtlich zu, tja, mitfühlend gewesen, um ein solches Eindringen in seine Theorie zuzulassen, ja: auch nur für möglich zu halten (was nicht ausschließt, dass ihm dies bei konkreten historischen Gelegenheiten unterlaufen ist).29 Die Wahrheit dieser Gefahr aber wird in aller Deutlichkeit von dem Autor ausgesprochen, der mit vollem Recht als der legitime Nachfolger Spinozas auf dem Gebiet dieser Ethik sowie der Kritik der Moral gilt: von Nietzsche.30 Nietzsches brillante Analyse des Ressentiments, vor allem in Zur Genealogie der Moral kann als Ausführung von Spinozas richtiger Einsicht begriffen werden, dass mit einer Moral, die Schwäche zu einer Tugend und Glück zu einer Sünde erklärt, etwas grundlegend nicht stimmt. Aber das ist Aus einer streng marxistischen Perspektive hat Michel Clouscard schon kurz nach Veröffentlichung des Anti-Ödipus eine kraftvolle Kritik des Buches vorgelegt. Die ist manchmal vorwiegend polemisch und ab und zu nachgerade platt. Allerdings lässt sich nicht von der Hand weisen, dass Clouscard einen wunden Punkt trifft: Diese Ethik der Ströme ist in der Gefahr, zur Ideologie einer neuen Schicht von Kulturprofessionellen zu werden, die sich selbst und anderen glauben machen, eine Avantgarde zu sein, während sie in Wahrheit doch nur die Propagandisten der herrschenden Minderheit sind. „Cet esthétisme, de voleur de folie et de … parasitisme social, est par lui-même, objectivement, mépris de l’autre. C’est le luxe que le libéralisme peut offrir comme contestation, comme prétendue opposition.“ (Néo-fascisme. 114) 30 Kein Wunder also, dass Nietzsche der einzige andere Autor ist, der im eben angeführten Text von Deleuze zitiert wird, ebd. 34. 29
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eben auch derselbe Text, in dem, nur ein paar Seiten weiter, die „blonde Bestie“ auftritt und die „frohlockende[n] Ungeheuer“, die nicht nur ohne Bedenken, sondern sogar mit Stolz alles unterwerfen, vergewaltigen, ausbeuten, unterjochen, was schwächer ist.31 Und es ist derselbe Text, in dem das Recht der Raubtier-Menschen gegen die Idee einer Gleichheit (der Rechte) aller verteidigt wird, abgeschmeckt mit einigen Nuancen, deren antisemitischer Ton nicht weginterpretiert werden kann. Natürlich, das ist eine echte Schreibtischbrutalität. So stellt sich ein verkopfter Zivilisationsmensch die Gewalt vor. Gerade diese Passagen verraten weniger Nietzsches Genie als einige seiner spätpubertären Phantasien. Und natürlich, Nietzsche hat nicht wissen können, was kommt, er hat die Nazis nicht vorweggenommen und er ist nicht für die verantwortlich. 32 Aber wir wissen es nun einmal, was gekommen ist. Und wenn Nietzsche sicher nicht für die Nazis verantwortlich ist; für seine leichtfertigen, verführerischen Parolen ist er es doch. Die unbedachte Verherrlichung von Gewalt, die merklich davon lebt, dass Nietzsche wohl kaum echte Gewalt kannte und sie deshalb so erfolgreich „ästhetisieren“ konnte, ist die letzte Konsequenz einer Ethik der Macht. Wohlgemerkt, sie ist nicht die Konsequenz, in die sie auslaufen muss, und man findet denn auch weder bei Spinoza noch bei Deleuze etwas Vergleichbares. 33 Sicher ist aber: Etwas
Nietzsche: Zur Genealogie der Moral. In: Werke II. 761-900. 786. Auch wenn mancher Altnazi sich im Nachhinein dadurch von Hitler „distanzieren“ zu können glaubte, dass er möglichst verschwurbelt Nietzsche die Schuld an Hitler zuschob (Gehlen: Moral und Hypermoral. 116.). Hier erreicht die Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, wahrlich neue Tiefen. Vgl. auch vom Verfasser: Strategien reaktionärer Unaufrichtigkeit. 33 Man kann sich vielleicht wundern, dass Deleuze und einige seiner Zeitgenossen, die zutiefst vom Antifaschismus angetrieben waren, so sorglos hinsichtlich der unübersehbar problematischen Seiten Nietzsches sein konnten. Eine Antwort zumindest liegt darin, dass gerade in Frankreich nach dem Krieg der Versuch unternommen wurde, Nietzsche eben aus seiner Umarmung durch die Faschisten zu lösen und ihn für eine emanzipatorische Philosophie und Politik fruchtbar zu machen, genau in dem Sinn einer bedingungslosen Affirmation, als Philosophie der Freude, der Freude an der eigenen Macht, als ein Philosoph, der, ebenso wie Spinoza, dem Bemühen um eine Befreiung der Menschen eine unvermischt positive Zielrichtung geben konnte. Das ist uns zu einem Teil unverständlich geworden, denn spätestens nach dem Ende des „Systemgegensatzes“ hatte sich „linke“ Politik ganz im Gegenteil auf die andere Seite verlegt: auf den moralischen (!) Anspruch, den die Opfer, als Opfer, stellen dürfen, und nicht selten ist sie dabei in die Falle getappt und hat das Opfersein und die Schwäche hypostasiert, sich damit in nicht zu lösende Widersprüche verstrickt – und außerdem ihre ganze Kraft aus einer rein negativen Motivation schöpfen wollen. Diese metaphysischen Irrtümer gehören zu den Gründen, die zum fast vollständigen Glaubwürdigkeitsverlust linker Politik beigetragen haben; es gibt aber auch noch andere Gründe (vgl. dazu vom Verf.: Die Empörung der Anständigen und der Hass der Verratenen). Eben dieser Niedergang der Linken und der korrelative Aufstieg neuer alter Faschismen hat viele auf brutale Weise 31 32
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fehlt der Ethik der Mächte, Conatus, Ströme. Ihre berechtigte Kritik an der Umdeutung von Glück in Bosheit und Schwäche in Tugend und an der Lebensfeindlichkeit einer Moral, die von der Angst, dem schlechten Gewissen und dem unterstellten Mangel abhängig ist, kann nicht ausräumen, dass im Anspruch der Schwäche etwas steckt, was weder wegzudeuten noch auf etwas anderes zurückzuführen ist. Eine Ethik allein kann dem, was von uns gefordert ist, um ein „richtiges“ Leben zu führen, nicht gerecht werden, so wenig wie eine Moral das kann. Wenigstens auf eines kann auch eine Ethik keinen Verzicht leisten: auf die Verantwortung, auch und gerade den Schwachen gegenüber – wobei weder Verantwortung noch Schwäche für sich selbst genommen und glorifiziert werden dürfen. In Wahrheit ist schon meine eben gewählte Formulierung aus der Warte der Ethik schwer zu begründen, aber eben auch nicht von der Hand zu weisen: etwas ist von uns gefordert, und das hat zu schaffen mit dem „richtigen“, mit einem „guten“ Leben. Eine Normativität des Lebens und Zusammenlebens ist hier ausgesprochen. In ihrem Bekenntnis zur Immanenz hatten die Philosophen der Ethik immer ihre Schwierigkeiten mit solchen Normativitäten: Woher sollte in einer Welt reiner Immanenz eine Normativität kommen? Nun, die Aufgabe wäre es, eben die Herkunft von Anspruch und Verantwortung rein aus der Immanenz dieser Welt aufzuweisen, doch ohne diesen Aufweis einer Entstehung mit dem Beweis völliger Kontingenz und Relativität aller Wertungen zu verwechseln. Diese Aufgabe kann hier nicht erfüllt werden. Es genügt, darauf hingewiesen zu haben, dass die Ethik der Conatus eine echte, intrinsische Grenze hat. Ihre Tragweite erschöpft sich, und will man sie jenseits ihrer Grenzen noch anwenden, kehrt sie sich um. Sie kippt. Das Schicksal noch des besten Weines.34
wachgerüttelt. Vielleicht tut eine Wiederentdeckung der politischen Potentiale der ethischen Metaphysik eines Spinoza oder Nietzsche heute wieder Not. 34 Ist es möglich, eine einheitliche „praktische Philosophie“ zu errichten, die gleichermaßen den berechtigten Ansprüchen der Ethik wie der Moral gerecht wird? Vielleicht – wenn man darunter versteht, ob man irgendwie die verschiedenen Teile zu einem theoretischen Gebäude zurechtzimmern kann. Denn das geht immer. In der Theorie gilt ganz eigentlich der Satz über das, was passt, und das, was passend gemacht wird, der den Handwerkern nur mit begrenztem Recht zugeschrieben werden kann. Als eine im engen Sinn philosophische Arbeit scheint mir diese Flickschusterei aber witzlos. Ich werde an anderer Stelle versuchen zu zeigen, dass der ehrlichste Umgang mit diesem Problem darin besteht, die Inkommensurabilität der beiden Konzeptionen, deren jede zugleich ein unabweisbares Recht geltend machen kann, schlicht und ergreifend als solche anzuerkennen.
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Essenz und Ewigkeit
Zwei Rätselworte. Die Überschrift dieses Kapitels nennt zwei Begriffe, die Spinoza der metaphysischen Tradition entlehnt, um sie, wie immer, wenn er das macht, gehörig gegen den Strich zu bürsten. Wie solche Begriffe aber genau Eingang in eine Metaphysik der Immanenz finden können, was ihre positive Charakteristik dann noch sein kann, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. In der Tat lassen sich die Fragen, die dabei begegnen, anhand zweier Sätze aus der Ethik verdeutlichen, die den Rahmen dieses Kapitels bilden sollen. Der Sinn des zweiten, wonach wir fühlen, dass wir ewig sind (Vp23s), wird uns später beschäftigen. Ich beginne mit der Definition der Essenz: Zur Essenz irgendeines Dinges gehört meinem Verständnis nach das, mit dessen Gegebensein das Ding notwendigerweise gesetzt und mit dessen Aufhebung das Ding notwendigerweise aufgehoben wird; anders formuliert dasjenige, ohne das das Ding weder sein noch begriffen werden kann, und das seinerseits ohne das Ding weder sein noch begriffen werden kann.1 Bevor wir darauf eingehen, muss immerhin erwähnt werden, dass diese Definition eigenartig spät auftaucht, hatte der Begriff der Essenz doch schon im Ersten Teil eine gewisse Rolle gespielt, z.B. (aber nicht nur) im Satz 34, wonach in Gott Potentia und Essenz zusammenfallen. Wir werden sehen, dass das nicht ohne Bedeutung ist, dass die Definition erst zu Beginn des Zweiten Teils auftaucht. Betrachtet man den Wortlaut der Definition, dann ist an ihm nichts Auffälliges – wenn der letzte Halbsatz fehlen würde. Die Essenz ist das, ohne das das Ding nicht gedacht werden und nicht sein kann: Das überrascht nicht. Es überrascht aber sehr wohl, dass auch die Essenz ohne das Ding nicht gedacht werden und sein können soll. Noch mehr überrascht, dass beides zugleich gelten soll, der Ausweg in einen schlichten, empiristisch fundierten Nominalismus also ausgeschlossen ist. Keine Frage, wir finden hier wie überall das Schillern wieder, das sich als die Grundfigur von Spinozas Denkens erwiesen hat: Auch zwischen Essenz und Existenz schillern die Bedingungsverhältnisse, wie zwischen der Natur in ihren beiden Blickrichtungen. Das ist so richtig und wichtig, wie
„Ad essentiam alicujus rei id pertinere dico, quo dato res necessario ponitur et quo sublato res necessario tollitur; vel id, sine quo res et vice versa quod sine re nec esse nec concipi potest.“ (IIdef2) 1
es zu kurz greift, denn damit ist noch keine Antwort darauf gegeben, was denn nun die Essenz ist. Man kann sogleich zwei andere Deutungen der Essenz abweisen: Sie ist erstens nichts Gattungsmäßiges, nichts Allgemeines. Sie ist nicht die Verdichtung dessen, was „den Menschen“ z.B. ausmacht. Sie hat damit nicht paradigmatischen oder normativen Charakter, wie die platonischen Ideen; sie ist nicht Ideal oder die vollkommene Verwirklichung einer hienieden immer nur näherungsweise zu erreichenden Form. Sie steht nicht jenseits von Wirklichkeit und Zeit, und das allein schon aus dem Grund, dass es für Spinoza solche Allgemeinheiten gar nicht gibt, es sei denn als Abstraktionen des Geistes. Freilich, nicht lange nach Spinoza wird Leibniz eine Konzeption individueller Essenzen vorlegen, die gerade insofern Ähnlichkeit mit der Essenz bei Spinoza haben könnte. Im Discours de métaphysique (§§ 8, 9, 13) legt Leibniz die Idee eines „vollständigen Begriffs“ vor („notion complète“), der jedem Einzelding zukommt. Es ist offenkundig, dass Leibniz dort vor allem an Menschen denkt: Um ihre ontologische Substantialität und ihre Handlungsmacht zu etablieren, gerade in Bezug auf und Abgrenzung von den göttlichen Handlungen, wird dieser vollständige Begriff eingeführt. (Die Überschrift des § 13 spricht ausdrücklich von dem Begriff von Personen.) Wie der Name es schon nahelegt, wird der vollständige Begriff nach logischen Standards konzipiert: In ihm sind, wie die Prädikate im Subjekt, alle Eigenschaften und Geschehnisse enthalten, die dem Seienden in seiner Existenz zustoßen – und in Ausweitung davon auch alles, was vor und nach seiner Existenz Beziehung auf es hat, also letztlich alles. Der vollständige Begriff ist damit der frühe, logisch artikulierte und noch auf Personen eingeschränkte Versuch, die Substantialität der Endlichen zu retten – ein Versuch, der bald darauf in die Konzeption der Monaden münden wird.2 Nun macht aber schon der letzte Satz klar, dass man Spinoza auch mit dieser Konzeption von individuellen Substanzen nicht kommen braucht: Wenn es wie bei Leibniz darum ginge, die Substantialität der endlichen Dinge zu retten, dann würde Spinoza bereits abwinken. Auch bleibt Leibniz deutlich im idealistischen Fahrwasser, insofern er den vollständigen Begriff als eine logische Entität begreift, die auch tatsächlich gedacht werden kann. Bei Leibniz denkt und erkennt Gott sehr wohl, anders als bei Spinoza, und er denkt nicht zuletzt, vielmehr: er denkt zuerst die endlichen Substanzen. Noch genauer: Er schafft die endlichen Substanzen als Aktualisierungsformen eines „Blickes“, den er auf das Universum wirft. 3 Es ist für Laut Michel Fichant gewinnt Leibniz im an den Discours anschließenden Briefwechsel mit Arnauld die nötige Klarheit über die spekulativen Einsätze, die ihn zu der radikalen Lösung der Monadenlehre veranlasst; vgl. zur Rekontruktion der Entwicklung des Leibniz’schen Denkens Fichant: Introduction. In: Leibniz: Discours de métaphysique. 7-140. 3 Discours. § 14. 2
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Leibniz daher sehr vernünftig so zu sprechen, dass Gott den vollständigen Begriff eines Menschen erkennt und dass er in und durch diesen Begriff die Welt erkennt, zu der dieser Mensch gehört. Hätte Judas Jesus nicht verraten, dann wäre es ein anderer Mensch gewesen, ein anderer „Judas“, der vieles mit dem uns bekannten gemein haben mag, aber trotzdem eine völlig andere Person ist. Nicht zuletzt, weil er einer völlig anderen Welt angehörte. 4 Der vollständige Begriff, als Essenz betrachtet (im § 16 werden „notion individuelle“ und „essence“ ausdrücklich als Synonyme aneinandergereiht), ist demnach die Sublimierung unseres Seins im Reich des Intelligiblen. Auch das kann Spinoza unter keinen Umständen meinen, wenn er von Essenz spricht. So eine Verdopplung im Idealen würde der gesamten Theorie der Idee Gottes widerstreiten, denn die wird ja gerade von niemandem gedacht. Außerdem ist es schwer einsichtig zu machen, wie sich die gegenseitige Bedingung von Essenz und Existenz, die in der Definition der Essenz ausgesprochen ist, mit einer solchen klassisch-idealistischen Konzeption in Übereinstimmung bringen ließe. Spinoza muss also andere Wege gehen. Aber welche? Äquivalenzreihen. Ich werde in drei Schritten vorgehen, um den Begriff der Essenz bei Spinoza zu klären. Ich werde zuerst einige Textstellen anführen, in denen zumindest begrifflich Aufschluss über die Essenz gegeben wird. Dann werde ich die Essenz im Sinn der Autonomie diskutieren, wie sie etwa im Vierten Teil eine prominente Rolle spielt. Schließlich werde ich auf ein paar Stellen eingehen, die meiner Deutung Schwierigkeiten zu machen scheinen. Einige Male gibt Spinoza im Kontext von Lehrsätzen Hinweise, wie die Essenz zu verstehen ist. Es entstehen dabei die für Spinozas Denken so charakteristischen Äquivalenzreihen. So stellt Ip34 bekanntlich fest, dass bei Gott Essenz und Potentia zusammenfallen. Der Beweis setzt die Notwendigkeit, mit der alles aus Gottes Essenz folgt, mit der Wirkmacht Gottes gleich. Von Ip20 her war schon die Identität von Gottes Essenz und Existenz bekannt. Ip36dem fügt dieser Äquivalenz noch den Begriff von Natur hinzu, so dass sich ergibt: Gottes Natur = Gottes Essenz = Gottes Existenz = Gottes Potentia. Nun hat man hier wie billig die ontologische Distanz zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen zu beachten; nur weil diese Gleichsetzung für Gott funktioniert, muss sie nicht unbedingt gleichermaßen für die endlichen Dinge gelten. Bei diesen muss vielmehr von einer Divergenz zwischen Existenz und Essenz ausgegangen werden (Ip24). Umgekehrt wird das dadurch bestätigt, dass die Essenz des Menschen nicht das Substanz4
Discours. § 30.
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Sein beinhaltet (IIp10). Bis hierher hat man noch nicht viel gehört, was Vertreter einer klassischen Metaphysik schockieren würde, man hat aber auch noch nicht viel Positives über die Essenz von Menschen gelernt. Eine auf das Attribut Denken beschränkte Auskunft erhält man zu Beginn des Dritten Teils. Das, was die Essenz des menschlichen Geistes ausmacht, ist die Idee eines existierenden Körpers (IIIp3dem). Der Beweis stützt sich auf IIp11, wo statt von der Essenz des menschlichen Geistes von seinem „Sein“ („esse“) die Rede war. Man bemerkt die eigenartige Verschränkung, die Sein und Essenz offenkundig gleichsetzt, und beide (mit Blick auf den Geist) abhängig macht von einem existierenden Ding. Schon hier wird sichtbar, dass man die Essenz nicht als ideale Verdopplung, als sozusagen zeitlose Zusammenfassung im Reich des Intelligiblen betrachten darf; dazu wäre man nur berechtigt, wenn nicht nur die Essenz des Geistes die Idee eines existierenden Körpers wäre, sondern wenn auch die Essenz des Körpers seine Idee wäre. Diese Verwechslung könnte naheliegen, und sie würde eine klassische Konzeption von Essenz wiederherstellen: Dann wäre der Körper in der Idee aufgehoben (nach dem Hegel’schen Gebrauch des Wortes, der hier aber stellvertretend für eine ganze Tradition stehen kann). In diesem Fall aber müsste sich Spinoza zu der Konzeption verstehen, die seiner Philosophie als ganzer widerstreitet: dass es nämlich eine Art von Hierarchie und Schichtung der Seinsebenen gibt, so dass die Wahrheit, die Essenz der einen Ebene sich in einer anderen befände. Die Oberfläche der Immanenz wäre damit durchstoßen. Man muss diese kleine, aber entscheidende Differenz demgegenüber betonen: Die Idee des Körpers ist nicht die Essenz des Körpers, sondern nur die Essenz des Geistes. Daraus folgt aber auch, dass in die Idee, als Essenz des Geistes, die Existenz des Körpers grundlegend eingeschrieben bleibt. Mag sein, dass bei endlichen Dingen Essenz und Existenz nicht zusammenzufallen vermögen; man erreicht mit der Essenz aber auch nicht einfach einen Bereich, aus dem die Existenz und mit ihr die Dauer, der Prozess des Seins, gewichen wären. Essenz und Existenz/Dauer lassen sich nicht gegeneinander ausspielen. Es ist vor allem IIIp7, der dem Begriff der Essenz eine klarere Kontur gibt: In diesem Lehrsatz und seinem Beweis legt Spinoza eine Äquivalenzreihe auch für die endlichen Dinge vor, wonach die „aktuale Essenz“ („essentia actualis“) eines Dinges mit seinem Conatus, im Sein zu verharren, und seiner Potentia identisch ist. Wie oft bei Äquivalenzen von Begriffen ist damit vielleicht noch keine klare Aufklärung über die genaue Gestalt der Essenz gegeben; es sind aber schon einige Aspekte ins Licht gerückt. So bestätigt sich auch von dieser Seite, dass man die Essenz bei Spinoza keinesfalls als eine der Dauer entrückte intelligible Größe missverstehen darf: Die Essenz ist der Conatus ist die Potentia, und für Conatus und Potentia gilt, dass sie nur dynamisch gedacht werden können. Ganz analog fasst die
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Definition der Begierde („cupiditas“) am Ende des Dritten Teils diese als die Essenz eines Menschen, insofern dieser als zu einer bestimmten Handlung bestimmt gedacht wird; die Erklärung der Definition fügt als weitere Äquivalenz noch den Trieb („appetitus“) hinzu. Ein Satz aus dem Vorwort zum Vierten Teil scheint dieser dynamisierenden Sichtweise zu widersprechen. Es heißt dort, indem neue Elemente der Äquivalenzreihe hinzugefügt werden: „Schließlich, unter Vollkommenheit im Allgemeinen werde ich, wie schon gesagt, Realität verstehen, d.h. die Essenz eines jeden Dinges, insofern es in bestimmter Weise existiert und etwas bewirkt, ohne dass dabei seine Dauer eine Rolle spielt.“5 Allerdings muss die Beweisabsicht beachtet werden: Es geht in diesem Vorwort hauptsächlich darum, die Macht zur Irreführung solcher Begriffe wie „Vollkommenheit“ zu brechen. Vollkommenheit ist dann eben einfach Realität, und diese selbst steht nicht ein für allemal fest; Vollkommenheit ist immer im Übergang zu mehr oder weniger Vollkommenheit – ganz wie der Conatus: Beide bilden sichtlich zwei Glieder einer Äquivalenzkette. Dass in der Betrachtung der Vollkommenheit von der Dauer abstrahiert wird, heißt dann nur: Es lässt sich aus der faktischen Dauer meiner Existenz kein Aufschluss über das Maß meines Conatus ableiten, und nur weil einer länger gelebt hat, war sein Leben deshalb nicht schon vollkommener. („Dauer“ meint bei Spinoza nicht einfach nur eine zeitliche Ausdehnung, sondern führt vielmehr den Gedanken an ihre Begrenzung mit sich.) Conatus und Potentia (ebenso Begierde und Trieb) sind Begriffe, die die Idee einer dem Vollzug des Seins vor- oder nachgelagerter Statik eines Gehaltes gar nicht zulassen, und daher muss für die Essenz dasselbe gelten. Die Essenz ist damit, in einer ersten Näherung, das dynamische Differential in jedem Moment der Existenz. Es ist diese Existenz selbst, in ihrer dynamischen Natur betrachtet, als Differenz von Kräften. Zu diesen Kräften zählen immer auch die der umgebenden Dinge, so dass klar ist, dass die Essenz von Anfang an verwiesen ist an das, was das betreffende Ding nicht ist. Damit ist schließlich klar, warum Essenz und Existenz einander bedingen – sind es doch die beiden unselbständigen Aspekte der einen und selben Realität: der Vollzug von Existenz und die Aktivität, die diesen Vollzug begründen soll. Aktivität und Passivität. Das führt auf den zweiten Schritt. Denn offenbar spielen bei Spinoza zwei verschiedene Begriffe von Aktivität eine Rolle. Wir wirken permanent in die uns umgebende Welt hinein („operari“); zugleich ist nicht jedes Tun eine Aktivität im engen Sinn. Oder umgekehrt: Aktivität wird von Spinoza definiert als die Fähigkeit des Körpers, möglichst viele „Denique per perfectionem in genere realitatem, uti dixi, intelligam, hoc est rei cujuscunque essentiam, quatenus certo modo existit et operatur, nulla ipsius durationis habita ratione.“ 5
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andere Körper zu affizieren und von möglichst vielen affiziert zu werden; dem entspricht das höhere Vermögen des Geistes, anders zu erfassen („percipere“) (IIp14). Das ist es, was uns zurecht als gut oder nützlich gilt (IVp38). In der Aktivität als solcher ist die Passivität demnach mit vorgesehen: Die befreiende und beglückende Handlungsmacht des Menschen ist nicht eine autistische, rücksichtslose Durchsetzung des Eigenen, sondern die Bereitschaft, sich vom anderen affizieren zu lassen. Man muss freilich achtgeben, dass man nicht versucht, eine grundlegende Schicht oder Art und Weise der Aktivität gegen eine vorgeblich abgeleitete (in der es dann auch noch Affiziertwerden gäbe) ausspielen zu wollen. So eine Hypostasierung der „wesentlichen“ Aktivität ist ganz unspinozistisch, sie würde doch wieder nur in leere Verdopplungen führen. Wie verhält sich nun diese gewissermaßen grammatikalische Passivität zu der ontologischen Aktivität, so sehr, dass letztere diese nicht nur fordert, sondern ein immer größeres Maß von ihr sucht? Wieder ist das Flirren die entscheidende Figur, ein Flirren, in dem sich eine Grenze unbestimmt ausweitet. Was Spinoza hier im Blick hat, ist eine Bewegung, in der ich immer weiter hinausgreife ins Sein, in die Welt, auf andere Menschen – und in der ich zulasse und einwillige, dass Sein, Welt, Menschen immer weiter in mich eingreifen, in mich einwirken. Was eine Grenze zwischen mir und anderen war, weitet sich, wird breit, durchlässig, behält sicher eine dichte Stelle, die sich etwa dort ansiedelt, wo mal die Grenze war, doch das Gebiet der Ununterscheidbarkeit dehnt sich immer weiter aus, bis mein Sein und das der Welt übereinandergelegt und ineinandergeschoben sind, bis „ich“ ebenso sehr Territorium der Welt bin, bis die anderen auf meiner Seele spazieren gehen, wie die Welt mein Garten, das Denken und Fühlen der anderen meine Angelegenheit in einem ganz strengen (und zunächst rein ontologischen) Sinn ist. Was ist dagegen die ontologische Passivität? Sicher darf man den Unterschied nicht darin vermuten, dass ich im einen Fall eine Einwirkung freiwillig erleide, während ich im anderen gegen meinen Willen derselben unterworfen werde. Das hieße, wieder eine transzendente Instanz namens Subjekt einzuführen, die über ihren Erlebnissen schwebt und wie der Richter über Recht und Unrecht entscheidet. Das hieße aber vor allem, Grund und Folge zu verkehren: Denn die Freiwilligkeit, Freiheit, Bereitschaft, sich zum Feld des Wirkens allen Seins zu machen, ist ja eben das Produkt der Freude oder vielleicht noch diese selbst; sie ist aber nicht ihre Bedingung – so wie man bei Spinoza ohnehin vergebens nach „Bedingungen“ sucht. Ebenso ist meine Unfreiheit Produkt der Einwirkung der Natur auf mich, nicht die Bedingung oder Lenkung dieser Einwirkung. Man muss diesen Unterschied radikal physisch lesen: Je verhärteter ich bin, je verbissener ich glaube, mein Eigenes schützen, bewahren, und als Eigenes ausdehnen zu müssen, je mehr meine Haut einem Panzer gleicht, desto weniger bin ich frei – desto weniger handle ich aus den Gesetzen
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meiner Natur heraus. Das scheint erstmal dem Wortlaut der Ethik zu widersprechen, denn dort wird immer die Identität von Freiheit mit einer möglichst weitgehenden Unabhängigkeit von anderem betont. Aber in Wahrheit ist das die einzige sinnvolle Deutung dieser Identität, wie ich gleich zeigen will. Dafür spricht zum einen die Tatsache, dass meine individuelle „Essenz“ nur dynamisch, im Vollzug denkbar ist. Zum anderen bin ich doch überall verbunden mit der Natur. Ich bin wortwörtlich von gleicher Natur wie alles andere auch. Die Gesetze meiner Natur, deren Befolgung meine Freiheit einläutet, können sich nicht grundlegend von den Gesetzen alles anderen Seins unterscheiden. Es wirkt überall dieselbe Natur – auch wenn sie, im Conatus, in ihrer Selbigkeit gerade die (relative) Abtrennung impliziert. Drittens ist der moderne, in Wahrheit postmoderne Gedanke irgendeines inneren Kerns des Einzelnen Spinoza so fremd, dass er nicht einmal auf die Idee verfallen wäre, ihn zu widerlegen. Sich selbst zu entwickeln oder zu entfalten, meint gerade nicht, einen vorliegenden Keim oder eine private Essenz gegen alle Widerstände in die Realität zu überführen. All das lässt keinen anderen Schluss zu, als dass die Freiheit und die Autonomie des Einzelnen in einer paradoxen Konjunktion des allen Gemeinsamen und der je einmaligen Modifizierung dieses Gemeinsamen im individuellen (und individualisierenden) Conatus besteht. „Autonomie“ habe ich eben geschrieben, und das ist in der Tat nur eine Kurzschrift für ein wichtiges Syntagma: Es begegnet bei Spinoza immer wieder die Formel, dass, was frei ist, nur aus den Gesetzen der eigenen Natur handelt. Wir müssen einige dieser Stellen näher betrachten, um den Sinn dieser Autonomie genauer zu erfassen. „Adäquat nenne ich die Ursache, deren Wirkung durch sie klar und deutlich wahrgenommen werden kann. Inadäquat oder partial nenne ich dagegen diejenige, deren Wirkung nicht durch sie allein eingesehen werden kann.“6 Hier spricht Spinoza noch recht allgemein: Er klärt den Begriff der Ursache durch eine Unterscheidung. Dabei geht es weniger um die Ursache als solche, als vielmehr um ihre Erkenntniseffekte: Letztlich hat man hier, dem Status einer Definition ganz angemessen, nur die Festlegung einer Sprechweise vor sich. Im Übrigen fällt schon eines auf: Eine adäquate Ursache im engen Sinn gibt es nur einmal: nämlich Gott bzw. die Natur selbst. Abgesehen von Gott gibt es keine adäquaten Ursachen – es sei denn, man darf den Begriff graduell verwenden, als mehr oder weniger adäquate. In diese Richtung wird Spinoza denn auch gehen, und das ist hier mit der Gleichsetzung von „inadäquat“ mit „partiell“ schon vorbereitet.
„Causam adaequatam appello eam, cujus effectus potest clare et distincte per eandem percipi. Inadaequatam autem seu partialem illam voco, cujus effectus per ipsam solam intelligi nequit.“ (IIIdef1) 6
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Ich sage, wir sind aktiv, wenn etwas in uns oder außer uns geschieht, dessen adäquate Ursache wir sind, d.h. (nach voriger Definition), wenn aus unserer Natur etwas in uns oder außer uns folgt, das durch sie allein klar und deutlich eingesehen werden kann. Dagegen, sage ich, erleiden wir etwas, wenn in uns etwas geschieht oder aus unserer Natur etwas folgt, wovon wir nur eine partielle Ursache sind.7
Wieder ist klar, dass man auf eine adäquate Ursächlichkeit bei einem endlichen Wesen nicht zu hoffen braucht. Das ist bei Spinoza gerade nicht Ausdruck irgendeiner Resignation. Es wäre ganz einfach widersinnig, etwas anderes von endlichen Wesen zu erwarten. Es gibt in der Natur immer etwas, was noch größer ist, und nichts kann nicht Teil der Natur sein (IVp2-4). Aktivität kann also ebenso wie Passivität immer nur ein relativer Begriff sein. Hier ist aber nun endlich davon die Rede, dass etwas „aus unserer Natur folgt“. Genau das ist der springende Punkt. Was ist das, diese Natur von mir oder uns, aus der etwas folgen kann? Worin besteht die? Wie muss man sich die denken? Man kann ja vermuten, dass diese meine Natur in meinem Conatus zur Selbstbewahrung besteht. Übersetzt hieße das dann, dass ich immer dort aktiv bin, d.h. aus meiner Natur heraus handle, wo ich mein Sein in der von Spinoza propagierten Weise zu bewahren trachte (d.h. expansiv und nicht-egoistisch). Man kann sich fragen, ob damit viel gewonnen ist, denn diese Selbstbewahrung ist in Wahrheit so anspruchsvoll, dass man ebenso gut sagen könnte: Wir sind dort aktiv, wo wir ethisch richtig handeln. Das Ganze hängt an der charakteristischen Uneindeutigkeit des zentralen Syntagmas. Denn wenn „aus meiner Natur etwas folgt“ und wenn diese Natur, aus der etwas folgt, mein Conatus ist – inwiefern ist das dann meine Natur? Der Conatus ist das, was ich mit allen anderen Seienden gemeinsam habe. Er ist auch, kein Zweifel, genau das, was mich in dieser Gemeinsamkeit aussondert, besonders macht, meine „Individualität“ begründet. Er hat also gewissermaßen zwei Seiten. Der Conatus flirrt nicht weniger als die Natur selbst. Und doch stellt sich die Frage: Wenn der Conatus meine Natur ist, folgt dann das, was aus meiner Natur folgt, aus dem Conatus, insofern er meiner ist oder insofern er mir nicht mehr und nicht weniger zukommt als allen anderen Wesen? Die Äquivalenzreihe geht noch weiter. Unter Tugend und Macht verstehe ich dasselbe; d.h. (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils): Tugend, bezogen auf den Menschen, ist genau des „Nos tum agere dico, cum aliquid in nobis aut extra nos fit, cujus adaequata sumus causa, hoc est (per defin. praeced.), cum ex nostra natura aliquid in nobis aut extra nos sequitur, quod per eandem solam potest clare et distincte intelligi. At contra nos pati dico, cum in nobis aliquid fit vel ex nostra natura aliquid sequitur, cujus nos non nisi partialis sumus causa.“ (IIIdef2) 7
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Menschen Essenz oder Natur, insofern es in seiner Gewalt steht, etwas zuwege zu bringen, das durch die Gesetze seiner Natur allein eingesehen werden kann.8
Solche Formulierungen scheinen Spinoza endgültig einem stoischen Ideal anzunähern: der Forderung nämlich, sich einen Bereich echter Autonomie zu schaffen, Macht und Tugend im engen Umkreis dessen, worüber allein man Kontrolle hat, auch bis ins Letzte zu verwirklichen. Das ist ebenfalls ein Schluss, den man aus dem Eingeständnis der Endlichkeit und der Ohnmacht angesichts der Kräfte des Universums ziehen kann: sich diesem Kampf, den man doch nur verlieren kann, gar nicht stellen und stattdessen eine Art sicheres Territorium aufsuchen, eine Heimat, eine biedere Privatwohnung, in der man immerhin selbst bestimmt. Wollte Miltons Satan lieber in der Hölle herrschen als im Himmel dienen,9 so will diese Ethik draußen gehorchen, aber immerhin drinnen, im Innersten, Intimsten, bestimmen, wo der Plüschelefant steht. Das ist nicht nur eine entschieden apolitische Ethik. Sie ist nicht nur von einer gewissen Brutalität, weil sie all das Maß an Kontrolle, Herrschaft, all die Lust am Gebieten und Mittun, die man sich draußen endgültig versagt hat, nach drinnen verlegt, so dass man meint, wirklich einen inneren, geschützten Bereich der vollen Autonomie gefunden zu haben, in dem man sich aber auch als ihrer würdig erweisen muss – so sehr, dass nicht der rechte Gebrauch der Affekte, sondern ihre Bezwingung und letztlich kognitiv geleitete Auslöschung das Ziel ist. 10 Es scheint also irgendwo eine kritische Schwelle zu geben zwischen dem Innen und dem Außen, zwischen dem, was ich beherrschen und kontrollieren kann und deshalb auch soll, und dem, dem ich unheilbar unterworfen bin. Draußen bin ich also – wieder ganz im Gegensatz zu Spinoza – radikal ohnmächtig (womit die Stoiker die Tatsache, dass ich von allen möglichen Ursachen übertrumpft oder gar vernichtet werden kann, mit meiner tatsächlichen Nichtigkeit gleichsetzen). Diese Ethik verbindet sich mit einer Methode des Durchspielens aller möglichen negativen Aspekte und Ausgänge meiner Handlungen, vorgeblich um mich gegen die Angriffe auf meine seelische Ruhe zu sicher. Und auch das widerspricht nicht nur der modernen Psychologie – denn diese „praemeditatio malorum“ ist genau nicht Kennzeichen einer ausgeprägten psychischen Gesundheit, sondern im Gegenteil ein hervorstechendes Merkmal von Neurose und Zwangskrankheit. Es steht auch im Gegensatz zu Spinozas Hinweisen, der nicht müde wird zu
„Per virtutem et potentiam idem intelligo, hoc est (per prop. 7 p. 3), virtus, quatenus ad hominem refertur, est ipsa hominis essentia seu natura, quatenus potestatem habet, quaedam efficiendi, quae per solas ipsius naturae leges possunt intelligi.“ (IVdef8) 9 Vgl. Milton: Paradise Lost. I. 263. 10 Man vergleiche etwa die wahrhaft unmenschlichen Tipps eines Epiktet, wie man mit dem Tod seines Kindes umgehen sollte; Handbüchlein. 9. 17. 8
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betonen, dass überall dort, wo eine unbillige Konzentration auf das Negative stattfindet, noch kein volles Bewusstsein für die im Ethischen wirksamen Mechanismen zu erwarten ist, denn die Konzentration auf das Negative perpetuiert dieses, in mir und dann in meinen Wirkungen auf andere. Vor allem aber muss diese stoische Theorie (und Praxis), mit der man Spinoza ab und zu verwechseln konnte (unter anderem in Anlehnung an die eben zitierte Definition), dann ein Subjekt, eine Vernunft, ein Denken als eine transzendente Instanz ansetzen, nach dessen Freiheit schließlich gefragt wird. Von einem Menschen sind wir dabei meilenwert entfernt. Wieder ist die Einheit, sowohl des Menschen als auch die von Mensch und Natur, entzweigerissen.11 Wenn das also nicht der Sinn dieser Definition sein kann: Wie genau müssen wir sie dann verstehen? Wenn es nicht um ein Eigenes geht, das sich durchzusetzen hat gegen den Rest des Seins, was ist dann die Natur oder Essenz, die nur aus ihren Gesetzen heraus eine Wirkung hervorbringt? Was genau heißt das: eigene Gesetze zu haben, aus einer Natur oder Essenz zu folgen, nur durch diese erklärbar zu sein? Wenn es nicht bedeutet, dass mir etwas exklusiv zukommt, es sei denn der Conatus, der mir auf paradoxe Weise exklusiv zukommt, indem er allen Seienden zukommt – was kann dann noch damit gemeint sein? Es kann wohl nur dies bedeuten: dass ich mein Sein so ausweite, mich so durchdringen lasse vom Sein der ganzen Natur um mich herum, dass ich genau in dieser Gegen- und Übereinanderschiebung meine Natur finde. Eine Natur, die zwar meine ist, denn die Natur als ganze ist auf jedes einzelne Sein angewiesen, jedes bleibt unersetzbar. Eine Natur aber, die nichts Exklusives an sich hat: die sich nicht abschließt. Eine Natur, in der vor allem keine mysteriösen eigenen, individuellen Gesetze, kein Abgrund einer unnennbaren individuellen Autonomie mehr steckt. Wir haben es dann mit einem Begriff von Natur oder Wesen zu tun, der sowohl unveräußerlich ist als auch in Kommunikation und der seinem Wesen nach dynamisch sein muss, denn er bezeichnet das Maß meiner Einsicht = das Maß, in dem ich mich selbst zum Ort einer Überblendung, Überschiebung mache – ohne aber mich selbst darin aufzugeben. Letzteres wäre für Spinoza schlichtweg absurd.12 Das passt zu den anderen Passagen, in denen Spinoza diesen Begriff der eigenen Natur in Anschlag bringt: „Einheit des Menschen“ heißt hier nicht Einfachheit oder (innere) Harmonie, sondern die Abwesenheit metaphysisch heterogener Teile („Lebewesen“/„Vernunft“, „Körper/„Seele“, „Mechanismus“/„Freiheit“, „Erscheinung“/„Ding an sich“ usw.). „Einheit von Mensch und Natur“ heißt gerade nicht Auflösung und Vermengung und auch nicht das sanfte Gesetz der Teile der Natur, sondern schlicht die Zusammengehörigkeit allen Seins in einer Oberfläche. 12 Man kann deshalb daran festhalten, dass es gewisse „Gesetze meiner Natur“ gibt, d.h. eine Strukturierung meines Conatus, die für mich charakteristisch ist und die ich in gewisser Weise bin. Man darf nur nicht vergessen, dass diese Strukturierung Produkt einer Genese von außen her ist, dass sie ununterbrochen der Interaktion mit der übrigen 11
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„Ein jeder verlangt nach den Gesetzen seiner eigenen Natur notwendigerweise nach dem, was er für gut hält, und verschmäht das, was er für schlecht hält.“13 Meine Natur ist mein Conatus. Dieser ist aber nicht nur äußerlich mit dem Prozess meiner Erkenntnis verbunden, wie das z.B. bei Hobbes der Fall ist. Natürlich kann ich mich täuschen, kann ich meinen oder mir einreden, der Schnaps wecke meine Lebensgeister. Das ist banal, doch so banal bleibt es bei Spinoza deshalb nicht, weil in den Conatus die Bewegung der Erkenntnis = die Bewegung der Überschiebung eingeschrieben ist. In einer egoistischen Konzeption – die ontologisch egoistisch ist, bevor sie es ethisch ist – ist die Erkenntnis rein instrumentell: Es gilt, mein Leben zu erhalten, und was ich an Erkenntnissen sammle und verinnerliche, die mir dazu dienen können, ist eine Ressource dieser Selbsterhaltung. Hier aber geschieht etwas ganz anderes. Das Ziel ist eben nicht die pure Selbsterhaltung, sondern die Erfüllung eines ontologischen Potentials, das genau so sehr mein Potential ist wie es das des Seins selbst ist, und das genau in der Einsicht in diese Identität aktualisiert wird, und zwar einer Identität, die beides fordert (die also weder durch meinen Egoismus noch durch meine Selbstaufgabe verwirklicht werden kann). Dem entspricht auch, dass für einen Hobbes der einzige mögliche „Glücksbegriff“ (zumindest sofern er philosophisch relevant werden kann) negativer Natur ist: die Etablierung einer Sicherheit, die es mir erlaubt, mich von einer selbst ontologisch begründeten Angst freizumachen. Hobbes denkt die Menschen mit harten Grenzen, wo andre Haut fühlen, stößt er nur auf einen Panzer, und Panzer sind zum Durchstoßen da. Durchdringung kann für einen wie Hobbes nur als Akt der Gewalt existieren. Bei Spinoza aber wirkt ein Begriff von Freude, der seine und unsre Endlichkeit nicht verleugnet, der aber zugleich eine echte positive Orientierung ist: dort, wo die Sonne aufgeht. Wenn also die Erkenntnis nicht Mittel zum Zweck der Selbsterhaltung ist, wenn nicht jede Erkenntnis relevant ist für den Conatus (so wie jede Erkenntnis instrumentellen Charakter haben kann), sondern nur die eine, aber alles andere begründende, nämlich die philosophische, die metaphysische selbst – dann ist es klar, dass die Unterschiede in der Erkenntnis, die der zitierte Satz impliziert, dem Conatus = der Bewegung der Überschiebung nicht äußerlich sind, sondern tief in ihn eingelassen. Er selbst, damit unsere Natur oder Essenz sind ja dynamisch, denn sie bestehen genau in der Art und Weise und in dem Maß, in dem diese Überschiebung uns glückt. Wirklichkeit unterworfen bleibt und dass sie sich daher in fortwährender Veränderung befindet. Sein ist von mir aus, ich bin wesentlicher und unverzichtbarer Knoten des Seins – aber eines Seins, von dem her ich zugleich mein Sein und mein So-Sein habe. Wieder müssen beide scheinbar unvereinbaren Blickrichtungen zusammengehalten werden. 13 „Id unusquisque ex legibus suae naturae necessario appetit vel aversatur, quod bonum vel malum esse judicat.“ (IVp19)
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Die Unterschiede im Urteilen über Gut und Schlecht sind die Wegmarken, die Etappen und zugleich die Aktualisierungen dieser Bewegung – ihr Vollzug selbst. (Im Übrigen eine Bewegung, für die es keine Garantie gibt, die keiner graden Linie folgt und keiner folgen muss, die sich beständig dem Glück annähern oder wie in einer Spirale hinabstürzen kann, in die Verzweiflung, die darin besteht, immer nur wieder sich selbst zu finden; die viel öfter aber all den Capricen unterworfen ist, die alles Menschliche bestimmen, und die deshalb einer Linie gleicht, für die es keine mathematische Formel gibt.) Um das abzuschließen, muss ich noch gestehen, dass die letzten Ausführungen, und zwar insofern sie meine Deutung hätten infrage stellen können, auf einer Unterstellung beruhten, die keineswegs selbstverständlich ist: dass Spinoza nämlich die Begriffe „essentia“ und „natura“ in etwa synonym verwendet. Nur dann hätten die Probleme für meine Deutung entstehen können, die zu entkräften ich mich bemüht habe. In der Tat aber zeigt eine Durchsicht der Ethik, dass Spinoza die beiden Begriffe (die durchaus miteinander verbunden sind) in unterschiedliche Richtungen wendet: Während die Essenz an die Begriffe von Potentia und Conatus angeschlossen wird, um das Differential meiner Existenz zu bezeichnen, nähert sich sein Gebrauch von „Natur“ einerseits mehr einem klassischen Essenzbegriff an, um ihn andererseits zu erden: Wenn „Natur“ nicht die Gesamtheit des Seins und dessen konkrete Einrichtung bezeichnet, dann meint sie die konkrete Art und Weise, wie ein Einzelding organisiert und disponiert ist. Will ich z.B. über meine Natur Aufschluss geben, dann werde ich anfangen müssen, von mir und meiner körperlichen Konstitution zu berichten. Aber selbst wenn man diesen Natur-Begriff zugrunde legt, ist klar, dass es hier keine scharfen Individualitäten gibt: Alle Eigenschaften, die mir zukommen, und selbst eine, die nur ich allein vorweisen könnte, müssen in unlösbarem Zusammenhang mit dem übrigen Sein gedacht werden. Hätte ich die seltenste Allergie der Welt, es wäre doch eine Eigenschaft, die sich aus meiner körperlichen (physischen, biologischen, chemischen) Organisation ergibt und die genau insofern auch Beziehung hat zu allen anderen Wesen, auch denen, die keine Allergien haben. Überhaupt, die Möglichkeit, Wissenschaften zu entwerfen, die unterschiedslos von allen Seienden gelten oder von allem Sein, betrachtet als chemisch zusammengesetzt etc., beweist, dass noch das Individuellste meiner Natur in graduell wechselnden Überschneidungen mit der Natur der anderen Seienden und der Natur im Ganzen steht. (Aus diesem letzten Grund besteht zwischen der Natur als Gesamtheit des Seins und „meiner“ Natur bei Spinoza auch keine Äquivokation; die Spannweite ist unvermeidlich und in der Sache selbst angelegt.)
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Zwei Gegenbeispiele. Um diesen Punkt zu beschließen, muss ich noch zwei Passagen aus dem Ersten Teil erwähnen, die dem Anschein nach ganz im Gegensatz zu meinen Ausführungen ein sehr klassisches Verständnis von Essenz mobilisieren. In Ip17s wird der Gedanke vorgebracht, dass sich das Verursachte in dem von der Ursache unterscheidet, was es von der Ursache hat. Zum Beispiel wird ein Mensch von Menschen hervorgebracht. Die Hervorbringung bezieht sich aber nur auf die Existenz, nicht auf die Essenz. Diese sei eine ewige Wahrheit und deshalb (so heißt es da: „ideo“) könnten die verschiedenen Menschen in ihr übereinkommen. Auch spricht Spinoza dann ganz klassisch, indem er sagt, die Zerstörung der Existenz des einen Menschen impliziert nicht die des anderen; würde aber die Essenz des einen vernichtet, dann zwangsläufig auch die des anderen. Das passt freilich gar nicht zu dem, was ich eben vertreten habe. Ganz ähnlich bemüht auch Ip24c ein klassisches Konzept von Essenz. Ob eine Sache nun existiert oder nicht, jedenfalls kann man auf die Essenz blicken und feststellen, dass sie nicht die Ursache der Existenz oder Dauer eines Dinges ist. Es scheint also wieder, als sei die Essenz irgendeine ätherische Sache, die jenseits der Dinge und ihrer Existenz steht, als etwas, das diesen in irgendeiner nicht näher geklärten Weise vorhergeht oder von ihnen unabhängig ist. Der Widerspruch klärt sich aber leicht auf: In beiden Fällen muss die Beweisabsicht im Auge behalten werden. Nicht jeder Satz darf da unbesehen für Spinozas eigene Position genommen werden, was schon dadurch erhellt, dass die Essenz eben erst im Zweiten Teil definiert wird. Wenn sie hier gleichwohl ein paar frühe Auftritte macht, dann muss man diesen eine strategische Funktion zuschreiben. Es ist wie so oft bei Spinoza: Er nimmt überkommene Theoreme an, integriert sie, aber nur, um sie gegen den Strich zu bürsten. Im ersten Fall, dem von Ip17s, geht es nicht um die Essenz, sondern (ganz negativ) um den Nachweis, dass es den göttlichen Verstand, so wie er in Metaphysik und Theologie meist vorgestellt wird, nicht gibt; und dass er, gäbe es ihn, jedenfalls radikal von unserem Verstand unterschieden sein müsste. Das ist der systematisch authentische Kern des Textstücks; das Übrige, vor allem die Verwendung des Gegensatzpaares von Essenz und Existenz, erweist sich als eine strategische Anleihe, die, jenseits des Scholiums, nicht festgehalten werden darf. Analog lässt sich der Fall von Ip24c aufschlüsseln: Es geht im Lehrsatz wie im Folgesatz lediglich um die begriffliche Hinführung zu den endlichen Modi, und für die gilt nun mal die Abweichung von Essenz und Existenz, will heißen: Anders als bei Gott selbst und den unendlichen Modi lässt sich bei den endlichen Modi die Essenz nicht als Ursache der Existenz oder als einfach deckungsgleich mit ihr betrachten. Damit soll gerade nicht
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behauptet werden, dass irgendeine Essenz nach meinem Leben weiterexistieren würde, und sei es im Reich der logischen Entitäten. Es heißt lediglich, dass ich, blicke ich auf die Essenz, nicht sagen kann, wie lange etwas existieren wird – und das ist der eine Unterschied zum Unendlichen, den Spinoza hier im Auge hat: denn bei diesem impliziert die Essenz die ewige Existenz. Mehr lässt sich aus diesen beiden Verwendungen des Begriffs der Essenz nicht ableiten. Essenz und Existenz schillern umeinander, weil sie zwei Betrachtungsweisen für ein und dasselbe sind. Der Witz ist nur, dass die Selbigkeit des Selben sich für Spinoza nur in dieser Doppelung der Betrachtungsweisen eröffnet. Was in der Definition der Essenz (IIpdef2) schon ausgesprochen ist, bestätigt sich so im Durchgang durch das Verhältnis von Essenz und Existenz.14 Meine Ewigkeit. Diese Konzeption der Essenz von Einzeldingen macht mit einem Schlag deutlich, dass von einer irgendwie statisch vorgestellten Ewigkeit von endlichen Dingen keine Rede sein kann. Das ist schon dadurch ausgeschlossen, dass Spinozas Metaphysik keinen spekulativen Ort für eine solche ewige Vorhandenheit vorsieht. Es geht aber eben auch deshalb nicht, weil meine Essenz oder auch einfach mein Geist (oder, wie andere sagen würden, „meine Seele“) nicht die Form haben, die sie zur Besiedelung der reinen Reiche der Ewigkeit geeignet machen würde. Diese Form ist entweder eine logische oder die eines letzten rein geistigen Kerns meiner Person. Beides hat bei Spinoza keinen Platz. Und doch fallen diese Worte: Wir „empfinden und erfahren […], dass wir ewig sind.“15 Was kann das in einer Metaphysik wie der spinozistischen genau bedeuten? Ich werde eine Deutung vorschlagen, die von allen wohlmeinenden Philosoph*innen akzeptiert werden kann, d.h. die in einem gewissen Sinn ganz „vernünftig“ erscheint. Mit anderen Worten: die niemandem wehtut. Das wird es erlauben, den Ausführungen Spinozas ihre Kohärenz und Diese Bestätigung ist insofern wertvoll, als es eine rein systematische Rechtfertigung des Passus in der Definition gibt, der durch die Umkehrung der Verhältnisse irritiert: In IIp10s erklärt Spinoza, er habe sich nicht mit der zu erwartenden Formulierung begnügt („das gehört zur Essenz eines Dinges, ohne das dieses nicht sein und nicht gedacht werden kann“), weil in dieser Redeweise Gott unmittelbar in die Essenz jedes Einzeldinges hineingehören müsste. In der Tat gehört Gottes Natur nicht zu meiner Essenz („pertinere“), weshalb diese Formulierung wortwörtlich falsch ist. Die Essenz des Menschen besteht vielmehr in einer Modifikation der göttlichen Attribute (IIp10c). Wieder zeigt die Entgegensetzung, wie Spinoza an allen neuralgischen Punkten eine statische durch eine dynamische Sichtweise ersetzt und eine, in der scharfe Grenzen und Zugehörigkeiten herrschen, durch eine, in der ein Außen (der endliche Modus im Vergleich zum „bloßen“ Attribut) entsteht, indem ein Innen modifiziert wird. 15 „[…] sentimus experimurque nos aeternos esse.“ (Vp23s) 14
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Stringenz im Sinn des für einen philosophischen Diskurs Geforderten zurückzuerstatten. Und doch gelangt man hier an einen Punkt, an dem die „vernünftige“ Auslegung eines Gedankens, ohne dass sie ihre Richtigkeit einbüßt, unvollständig bleibt. So wie etwas von unserem Geist „bleibt“, so bleibt auch etwas in der These von der Ewigkeit der Einzeldinge durch das Erkennen, was gegen die Integration in so einen Diskurs widerspenstig ist. Es bleibt eine Provokation, denn ich bin nach Spinoza wortwörtlich ewig und ich empfinde und erfahre das auch. Diese Provokation kann ich nicht mehr auflösen, und ich würde Spinoza Unrecht tun, würde ich es versuchen. Sie muss, da sie auf den Punkt hinweist, der nur noch der „scientia intuitiva“ zugänglich ist, als Scheitelpunkt der Anstrengung stehenbleiben, die die Ethik ist. An diesem Scheitel ist die Ethik gewissermaßen aufgehängt, aber nicht wie an einem archimedischen Punkt, sondern in einer Topologie, die uns nur durch ihre Karikatur durch den Baron Münchhausen vertraut ist, der sich bekanntlich selbst am Schopf aus dem Sumpf gezogen hat. Lächerlich ist das nur, weil sich da ein endliches Sein selbst hochzieht; streicht man die Endlichkeit, steht man mitten in Spinozas Denken. Was ist nun die „vernünftige“ Interpretation unserer Ewigkeit? Sie ist durch die vorigen Ausführungen schon hinreichend vorbereitet. Meine Essenz, sagten wir, ist die Bewegung einer Überschiebung zwischen mir und dem Rest des Seins sowie mit der Natur als ganzer. Sie ist also ebensowohl meine Essenz, wie sie die Aufgabe jedes Anspruchs ist, dass diese Essenz mir allein zugehört. Oder aber sie ist, im misslingenden Fall, wirklich nur meine Essenz: im unsinnigen Versuch, an mir selbst festzuhalten und mir selbst alle Rechte anzumaßen: Herstellung einer Reinheit, die ist wie alle Reinheit: steril.16 Meine Essenz ist dynamisch, insofern sie Ausdruck der Bewegung ist, die meine Existenz selbst ist und meine Existenz gefasst als Einsicht ins Metaphysische, und dadurch die Prozessualität meines Glücks und Elends. Sie ist zugleich das Maß dieser Bewegung, das, worin sie sich ablesen lässt – denn diese Bewegung hat, wie das Wahre, kein Maß außerhalb ihrer selbst. Meine Essenz ist das Differential, die unendlich kleine Neigung der Vektoren meiner Existenz, die mir in jedem gegebenen Moment meines Lebens die Richtung der Übergänge anzeigt, in denen ich mich befinde. Meine Essenz ist deshalb meine Form, denn sie ist mein Conatus, in der Paradoxie, dass der Conatus genau in dem Maß und Sinn meiner ist und mich zu einem Individuum macht, wie er allen zukommt, alle zu Individuen macht – womit die Durchdringung, um die es dort geht, also schon eine begriffliche (aber noch statische und abstrakte) Seite erhält. Und es ist diese Essenz, in der sich unsere Ewigkeit konstituiert. Wie schon ausgeführt, ließe sich das auch anhand der „Gesetze meiner Natur“ zeigen, denen ich dort, wo ich aktiv bin, folge. Denn dass das Gesetze wären, die nur mir allein zugehören, ist ein zutiefst unspinozistischer Gedanke. So wie ich mit dem ganzen Sein verwandt und verbunden bin, so auch meine „Gesetze“ mit denen des übrigen Seins. 16
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Ewig ist, nach Vp23s, ein gewisser Denkmodus, der die Essenz des Körpers „sub specie aeternitatis“ ausdrückt und der seinerseits zur Essenz des Geistes gehört („pertinet“). Spinoza führt damit in diesem Scholium die Ewigkeit mit der Essenz des Körpers und der des Geistes eng. Wir erinnern uns nicht, vor unserem Körper existiert zu haben, da es ja im Körper keine dahindeutenden Spuren („vestigia“) gibt, und wenn der Geist die Idee des Körpers ist, wird er nichts denken können, wovon dieser ihm keinerlei Meldung gibt. Doch in der Transformation des Geistes im Licht der Verstandeseinsicht („intelligendo“) wird Ewigkeit erfahren, und zwar nicht nur allgemein und als „intentionales Objekt“, sondern die Ewigkeit des Geistes, der so erkennt, selbst. Was diese Ewigkeit sicher nicht ist: eine persönliche Unsterblichkeit. Eine besonders frappierende Pointe von Spinozas Philosophie besteht eben darin, dass der, der nur er selbst sein will, der um jeden Preis an seinem Sein festhält, auf ewig nur er selbst ist – und als solchen ereilt ihn eigenartigerweise der Tod nur umso gnadenloser.17 Wir alle sterben, und ein Leben nach dem Tod gibt es nicht. Wer sich also der Bewegung der Überschiebung und Durchdringung (in beide Richtungen) verweigert hat, immer nur er selbst geblieben ist, hart geworden ist, einen Panzer hatte, wo andre Haut und Poren haben, nichts einlassen und nichts abgeben wollte – der wird unwiderruflich verlorengehen, dessen Tod nimmt alles von ihm mit. Wer hingegen sich offen und freigemacht hat, sich verausgabt hat, hergeschenkt und zugleich jedes Geschenk von einem Sein, das seiner Natur nach freigiebig ist, angenommen hat, freudig, dankbar, doch ohne Besitzansprüche, der wird umso „ewiger“, dessen größter Teil wird ewig werden, weil er, ohne zu vergessen, dass er nicht alles und nicht das andre ist, dennoch überall sich und in sich alles entdeckt. Ewigkeit heißt nicht Unsterblichkeit. Dies wäre die Verwechslung zweier inkommensurabler Begriffe, nämlich der Ewigkeit mit einer endlosen Dauer (Vp34s). Ewigkeit und Dauer aber haben keinerlei Beziehung zueinander (Vp23s).18 Auch findet man bei Spinoza keine Konzeption einer Unsterblichkeit qua Erinnertwerden; eine solche Idee muss Spinoza ganz primitiv vorgekommen sein, zumal da in ihr ebenfalls dieselbe Vermengung von unbegrenzter (aber sicher nicht endloser) Dauer und Ewigkeit wirksam bliebe. Ewigkeit kann auch nicht in dem Sinn verstanden In der Auslegung des Romans Pincher Martin von Golding gelangt Terry Eagleton zu einer lupenrein spinozistischen Formel: „Die Hölle sind nicht die anderen, wie Jean-Paul Sartre behauptet. Es ist genau umgekehrt: In der Hölle zu sein heißt, auf alle Ewigkeit an die trostloseste, langweiligste Gesellschaft überhaupt gefesselt zu sein: an sich selbst.“ (Das Böse. 34) 18 Noch genauer bringt es Moreau auf den Punkt: „On observera de ce point de vue que Spinoza ne dit nulle part que l’éternité n’a aucun rapport avec la durée; il dit seulement qu’elle ne se définit pas par la durée, ce qui est assez différent. C’est avec le temps qu’elle n’a aucun rapport […].“ (Spinoza. 507) 17
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werden, dass wir bzw. unsere Wirkungen irgendwie ewig in der Welt wirksam blieben. Da wäre vieles reine Behauptung, denn wie viel hätte ein Tischler im alten Mesopotamien in der Welt gewirkt? Könnte man denn ernsthaft behaupten, dass seine Wirkungen sich bis heute erstrecken? Man könnte das sicher behaupten, aber diese Wirksamkeit müsste sich doch so weit verwässert haben, dass aus dem Begriff alles Substantielle gewichen wäre, das ihn befähigen könnte, die Last der Ewigkeit zu tragen. Und das selbst dann, wenn man auch hier das Problem ignorieren würde, dass diese indefinite Dauer keine Ewigkeit konstituieren könnte. Man muss zudem beachten, dass Wirken und Handeln nicht dasselbe ist. Sein ist Wirken, daran besteht für Spinoza kein Zweifel (Ip36). Und sicher wirken manche Dinge mehr als andere. Aber wenn man Wirken mit Handeln im engen Sinn verwechselt – der Sinn, in dem das Handeln identisch ist mit der Erkenntnis und mit dem größten dem Menschen erreichbaren Glück, mit Freiheit und Heiterkeit –, dann wäre man zu der These gezwungen, dass die Menschen, die am meisten gewirkt haben, auch die weisesten, glücklichsten und den anderen Menschen nützlichsten gewesen wären. Eine These, die sich angesichts von Sokrates, Buddha, Konfuzius sicher gut begründen ließe, nicht aber angesichts der Beispiele maximaler Wirkung aus dem Bereich der Politik: Hitler, Stalin, Mao wären dann die Paradigmen des freien Menschen, Bilder des spinozistischen Ideals, so wie auch Trump, Putin, Cäsar: letztere nicht im selben Grad Kurzschrift für die Katastrophe alles Menschlichen, doch sicher auch nicht geeignet, das Ziel einer philosophischen Ethik abzugeben. Ewigkeit muss also etwas anderes meinen, und es muss etwas meinen, was – so paradox das klingen mag – hier und jetzt stattfindet. Was bleibt. Die Ausführungen am Ende des Fünften Teils erlauben es uns, nach der Vorbereitung durch die Diskussion dessen, was wohl unser Eigenes in unserer Natur oder Essenz sein kann, auf die Frage der Ewigkeit eine Antwort zu geben. Das Ewige – das, was bleibt („remanet“) – ist etwas vom Geist, ein gewisser „cogitandi modus“ (Vp23 und Vp23s). Es geschieht hier also etwas, was in der Tat das Attribut des Denkens auszeichnet (zumindest in einer Hinsicht) und was keine direkte Analogie im Körperlichen hat. (Sie hat in Wahrheit natürlich doch eine, da mein Handeln eben ein anderes ist, nach der Maßgabe meiner Ewigkeit.) Es gibt aber, davon weicht Spinoza keinen Deut ab, keine Existenz des Geistes unabhängig von der Existenz des Körpers. Bezieht sich der Satz Vp21 nur auf die Funktion des bildhaften Vorstellens („imaginatio“), so dass man meinen könnte, es gebe eine Art intellektuale Geistfunktion, die mir irgendein Überleben nach dem Vergehen meines Körpers zusichere, dann wird man bei einer aufmerksamen Lektüre der folgenden Sätze eines Besseren belehrt. So spricht etwa der Satz
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Vp29 keineswegs davon, dass wir den Körper unter der Hinsicht der Ewigkeit erkennen würden, nachdem er hingegangen ist oder in einer beliebigen Zeit, ob mit oder ohne Körper. Der Satz Vp31 hingegen scheint nun ganz ausdrücklich von einer Ewigkeit meines Geistes zu sprechen und damit der Idee einer wenigstens fast persönlichen Unsterblichkeit das Wort zu reden: „Die dritte Erkenntnisgattung beruht auf dem Geist als auf einer Ursache, die selbst etwas ist, insofern der Geist selbst ewig ist.“ 19 Eine irgendwie faktische Ewigkeit des Geistes scheint hier ausgesprochen, eine solche, die den Geist über die Grenzen der endlichen Existenz des Körpers hinaus fortbestehen lässt, ihn unabhängig macht vom Körper. Das ist aber nicht gemeint. Eine solche Unabhängigkeit „des Geistes“ lässt sich nur dann mit Spinozas Metaphysik vereinbaren, wenn man entschieden erklärt, dass „der Geist“, um den es da geht, eben nicht mehr meiner oder deiner sein kann, sondern ein selbst unpersönlicher, subjektloser „Geist“. Die Ausführungen zum unendlichen Verstand, von dem mein Geist ein Teil sei (IIp11, Vp36), gehen genau in diese Richtung. Dann aber ist der oben angeführte Satz von Spinoza nicht mehr zu verteidigen, wonach wir spüren und erfahren, dass wir ewig sind (Vp23s) – denn es sind nicht mehr „wir“, die ewig sind, sondern eine vielleicht nicht abstrakte, aber sicher radikal unpersönliche Funktion des Erkennens. Schließlich erklärt Spinoza selbst, entgegen aller Spekulation über eine überzeitliche Existenz meines Geistes: „Wer einen Körper hat, der zu sehr vielem befähigt ist, hat einen Geist, dessen größter Teil ewig ist.“20 Von einer Entkopplung des ewigen Geistes von dem vergänglichen Körper kann also keine Rede sein. Die Lösung auf dieses Problem lässt sich jetzt aber endlich ausdrücken: Die Ewigkeit meines Geistes vollzieht sich in seiner Dauer, die zugleich die Dauer seines Körpers ist. Der Geist dauert nicht länger, sondern in seiner Dauer geschieht Ewigkeit. In den Beweisen, die die „Augen des Geistes“ sind, durch die er sieht und betrachtet, bricht die Ewigkeit ins Denken ein (Vp23s) – aber wohl nicht nur durch sie, denn die Beweise sind noch das Werk der zweiten Erkenntnisgattung. Die dritte ist eine schwindelerregende Annäherung an die Ewigkeit, wobei die Vermittlung der Beweise übersprungen wird. Dass es keinen Widerspruch darin gibt, dass sich die Ewigkeit in der Dauer vollziehen soll, ist durch die Definition der beiden Begriffe schon längst garantiert: Wenn Ewigkeit und Dauer gar nichts gemein haben, jene nicht die unendliche Verlängerung von dieser ist, sondern „Tertium cognitionis genus pendet a mente, tanquam a formali causa, quatenus mens ipsa aeterna est.“ Bartuschats etwas umständliche Übersetzung von „causa formalis“ bringt diesen schulmäßigen Ausdruck immerhin auf seine Bedeutungsabsicht zurück: Die „causa formalis“ ist das, was Ursache ist durch sein eigenes Sein, aus seiner eigenen „Natur“ her. 20 „Qui corpus ad plurima aptum habet, is mentem habet, cujus maxima pars est aeterna.“ (Vp39) 19
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ihr Anderes21 – wie sollte dann in der Konstitution des Ewigen in der endlichen Dauer ein Widerspruch bestehen? Nun, vielleicht besteht ja der Widerspruch nicht mit der Dauer als solcher, aber einen Widerspruch gibt es doch, wie es scheint. Denn wie sollte das Ewige „konstituiert“ werden, wie ich eben geschrieben habe? Das muss doch der schieren Definition des Ewigen widersprechen. Das Ewige kann seinem Begriff nach nicht anfangen, wie es scheint. Entweder sind wir ewig oder wir werden es nie. Spinoza selbst geht auf diesen Einwand ein, und er dekliniert seine Entkräftung in nicht weniger als drei Anläufen durch. Es muss nun nicht mehr überraschen, dass seine Antwort wiederum die beiden Seiten aktiviert, die im Schillern und Flirren der Natur selbst angelegt sind. Setzt man an diesem Schillern an, dann kann zwischen der Ewigkeit als solcher und ihrem Beginnen und Wachsen kein Widerspruch mehr bestehen. Es sind doch nur die beiden Seiten eben des Prozesses, in dem Ewigkeit geschieht. Spinozas Begriff der Ewigkeit fordert also positiv ihre Aktualisierung, das Ewig-Werden, und das selbst dann, wenn wir schon längst ewig sind. Wir sind es nämlich vielleicht in einem abstrakten Verstande, abstrakt, insofern darin paradoxerweise (und diesmal wirklich in Paradoxie) von uns abstrahiert worden ist. Dann können wir sagen: Die Wirklichkeit ist in ihrem Geschehen notwendig, daher überschreitet sich jedes Seiende – ob es davon „weiß“ oder nicht – in die Ewigkeit des Notwendigen. Diese Argumentationsweise hat einiges für sich, und sie kann sich vor allen Dingen auf die Substitution der Ewigkeit durch die Notwendigkeit stützen, die Spinoza überall ins Werk setzt.22 Sie handelt dann aber eben nicht mehr von mir. Es ist nicht mehr meine Ewigkeit, von der dort die Rede ist, sondern die eines unpersönlichen Weltlaufs. Wäre das das letzte Wort, hätte man den Determinismus doch wieder in einen Fatalismus kippen lassen. Da aber jedes Seiende in Spinozas Sicht unerlässlich ist, um das Ganze ins Sein zu bringen, da er also keine Gleichgültigkeit oder Ersetzbarkeit und auch keine Autarkie des Ganzen kennt, sondern Natur und Dinge, Gott und Modi einander gegenseitig brauchen, kann man da nicht stehen bleiben. Die abstrakte Sicht auf die Ewigkeit – die gewissermaßen die Sicht Gottes wäre, wenn er denn etwas sähe – muss sich ergänzen lassen durch eine Sicht auf die Ewigkeit, die in den Endlichen ihren Ausgang nimmt, von diesen aus
Noch einmal kann ich zur weiteren Differenzierung auf die Ausführungen von Moreau verweisen, der (a.a.O. 502 ff.) die unterschiedlichen Aspekte und Richtungen, in die sich der Ewigkeitsbegriff entfaltet, diskutiert. 22 Maximal verdichtet ist diese Substitution in IIp44c2 und seinem Beweis: Das „sub quadam aeternitatis specie“ des Folgesatzes wird in seinem Beweis als eine Ewigkeitssicht qua Notwendigkeit interpretiert. Und schon in Ip10s wird „Notwendigkeit“ sogleich in „Ewigkeit und Unendlichkeit“ auseinandergelegt (vermittelt über ein „sive“). 21
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expandiert, sie aber niemals verrät. Und genau das geschieht in den Sätzen des Fünften Teils. Der schon zitierte Satz Vp31 führt dahin: Der Geist bereitet der dritten Erkenntnisgattung den Weg, insofern er ewig ist. Insofern er ewig ist, hat er die adäquate Erkenntnis Gottes. Doch ist diese Erkenntnis eben ein Prozess, sonst wäre sie keine Erkenntnis. Stünde sie auch mit einem Schlag vor mir oder in mir, sie hätte einen Anfang gehabt. Es ist also die Verewigung des Geistes in der Dauer, die die dritte Erkenntnisgattung vorantreibt – so wie auch diese wieder die Verewigung des Geistes befördert. (Dagegen kann diese Verewigung auch aus der zweiten Erkenntnisgattung stammen, Vp28.) Spinoza geht auf dieses Problem sogleich ein: Die Ewigkeit selbst schillert ihrer Natur nach zwischen Ewig-Sein und Verewigung.23 Ihrer Natur nach, d.h.: Entsprechend der Ordnung einer Natur, die nichts ist als das Schillern und Flirren zwischen dem unendlichen Ganzen und den unendlich vielen Endlichen. Das Scholium zum Satz Vp31 setzt beide Seiten ungerührt nebeneinander; es mahnt zwar zur Vorsicht, dementiert aber mit keinem Wort die Konstatierung, mit der es einsetzt, wonach man Gott immer mehr und besser erkennen könne (= immer mehr Ewigkeit erreichen könne): Je weiter es also ein jeder in dieser Erkenntnisgattung zu bringen vermag, desto besser ist er sich seiner selbst und Gottes bewusst, d.h. desto vollkommener und glückseliger ist er, was noch klarer aus dem Folgenden zu Tage treten wird. Doch sollte hier angemerkt werden: Obgleich wir nunmehr Gewissheit haben, dass der Geist ewig ist, insofern er Dinge unter einem Aspekt von Ewigkeit begreift, werden wir ihn für eine leichtere Erläuterung und ein besseres Verständnis dessen, was wir zeigen wollen, doch betrachten, als ob er erst jetzt anfinge zu sein und erst jetzt anfinge, Dinge unter einem Aspekt von Ewigkeit zu begreifen, wie wir es bisher getan haben. Das dürfen wir ohne irgendeine Gefahr von Irrtum tun, wenn wir nur darauf achten, unsere Schlüsse allein aus evidenten Prämissen zu ziehen. 24 Daher kann die Ewigkeit, sofern sie durch die Notwendigkeit ersetzt werden kann, nicht deckungsgleich sein mit der Ewigkeit, die in der dritten Erkenntnisgattung unvermittelt ins Endliche einbricht, und zwar sowohl ins erkannte wie ins erkennende Endliche. Nicht dass hier zweierlei Ewigkeit bestünde oder dass der zweite Aspekt von Ewigkeit mit der Notwendigkeit nichts zu tun hätte. Aber die Ausrichtung ist eine andere: Einmal sind die Seienden in einem notwendigen Konnex miteinander verkettet und erheben sich so zur Ewigkeit des Seins; das andre Mal geschieht Ewigkeit in der unmittelbaren Präsenz der Natur in einem einzelnen Seienden. 24 „Quo igitur unusquisque hoc cognitionis genere plus pollet, eo melius sui et Dei conscius est, hoc est eo est perfectior et beatior, quod adhuc clarius ex seqq. Patebit. Sed hic notandum, quod, tametsi jam certi sumus mentem aeternam esse, quatenus res sub aeternitatis specie concipit, nos tamen, ut ea, quae ostendere volumus, facilius explicentur et melius intelligantur, ipsam, tanquam jam inciperet esse et res sub aeternitatis specie intelligere jam inciperet, considerabimus, ut huc usque fecimus; quod nobis absque ullo 23
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Dieses Schillern der Ewigkeit findet, es kann nicht anders sein, seine Entsprechung im Schillern der Aktualität. Dinge werden von uns in zwei Weisen als wirklich [actuales] begriffen: entweder insofern wir sie als existierend in Beziehung auf eine gewisse Zeit und einen gewissen Raum begreifen oder insofern wir sie als in Gott enthalten und aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur folgend begreifen.25
Auch das Aktuelle kann und muss in zwei Hinsichten begriffen werden: als die Aktualität einer gegenwärtigen Existenz und als die Essenz, insofern sie in Gott steht. Man wird das nur verstehen, wenn man nicht irrtümlich meint, Spinoza führe diese Unterscheidung ein, um eine Trennung, einen realen Unterschied zu markieren. Es ist immer ein und dieselbe Aktualität, nur unter den zwei Hinsichten betrachtet. Man findet nirgends auch nur einen Hinweis darauf, dass Spinoza behaupten würde, so eine Erkenntnis wäre möglich oder auch nur denkbar ohne eine aktuelle, wirkliche Existenz meines Körpers in Zeit und Raum. Die Verewigung und die Einreihung in die göttliche Notwendigkeit mag so weit getrieben werden, wie es nur geht: Immer setzt sie konkret die Existenz eines endlichen Körpers voraus. Unendliches und Endliches bedingen sich gegenseitig. Die Möglichkeit aber dieser Verschiebung des Blicks, auch auf meine eigene Existenz, auf die meines Körpers, provoziert eine Distanzierung oder besser eine Entrückung in Bezug auf das eigene Sein. „Intellectus“ ist der Name der Distanz, die der Geist zum Körper in der Ewigkeitssicht einnimmt (Vp39s, Vp40c).26 Ich bin und ich bin nicht der unverzichtbare Knoten dieser Welt. Dabei ist es nun einmal so, dass genau diese Entrückung von meiner Existenz die letzte ontologische Wahrheit ist: „Unser Geist hat, insofern er sich und den Körper unter einem Aspekt von Ewigkeit erkennt, notwendigerweise Erkenntnis von Gott und weiß, dass er in Gott ist und durch Gott begriffen wird.“27 Ich schillere, wie alles andere auch.
erroris periculo facere licet, modo nobis cautio sit nihil concludere nisi ex perspicuis praemissis.“ (Vp31s) 25 „Res duobus modis a nobis ut actuales concipiuntur, vel quatenus easdem cum relatione ad certum tempus et locum existere, vel quatenus ipsas in Deo contineri et ex naturae divinae necessitate consequi concipimus.“ (Vp29s) 26 Keinesfalls darf man ihn als ein Vermögen vorstellen, sonst führt Vp40c geradewegs in einen Widersinn, nach dem dann der Intellekt allein weiterbestehen kann, nachdem die Imagination vernichtet wurde. Der Intellekt ist eine Funktion des Geistes, oder noch genauer: der Geist betrachtet in einem bestimmten Vollzug, nämlich der Vollzug, der hier und jetzt Ewigkeit herstellt (so dass ich den Tod nicht mehr fürchte, Vp38, weil alles, was mir an Vergänglichem noch zugehört, verschwindend gering wird gegen das, was mich mit dem Rest des Seins, mit der Natur identifiziert, Vp38s, Vp39s). 27 „Mens nostra, quatenus se et corpus sub aeternitatis specie cognoscit, eatenus Dei cognitionem necessario habet scitque se in Deo esse et per Deum concipi.“ (Vp30)
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Die dritte Gestalt dieses selben Schillerns begegnet schließlich noch einmal in der intellektualen Liebe zu Gott. Auch das ist nur folgerichtig: Betraf die erste Gestalt die Ewigkeit, artikulierte das Schillern also gewissermaßen von Gott her; betraf die zweite Gestalt den Begriff der Aktualität oder Wirklichkeit, der sich von der Existenz endlicher Wesen nicht freimachen kann; so drückt diese dritte Gestalt nun noch einmal das aus, was in den beiden vorigen längst enthalten war, ja: worin ihr ganzer Kern bestand: ihre unscheidbare Zusammengehörigkeit. Womit zugleich geklärt ist, dass es nur drei verschiedene Weisen sind, dasselbe zu sagen. Obwohl diese Liebe zu Gott keinen Anfang gehabt hat (nach diesem Lehrsatz), hat sie doch alle Vollkommenheiten von Liebe, ganz als wäre sie so entstanden, wie wir in dem Folgesatz zum vorigen Lehrsatz unterstellt haben. Hier gibt es keinen Unterschied, außer dass der Geist dieselben Vollkommenheiten, von denen wir unterstellt haben, dass er sie jetzt erlangt, als ewige immer schon gehabt hat und zwar unter Begleitung der Idee Gottes als einer Ursache, die ewig ist.28
Und der Folgesatz, auf den Spinoza hier Bezug nimmt, spricht es ganz selbstverständlich aus: „Der dritten Erkenntnisgattung entspringt notwendigerweise eine geistige Gottesliebe.“29 Kein Wunder auch, wenn noch der Affekt selbst schillert: „Wenn Freude in dem Übergang zu einer größeren Vollkommenheit besteht, dann muss Glückseligkeit fürwahr darin bestehen, dass der Geist mit Vollkommenheit immer schon versehen ist.“30 Auch das muss man ernstnehmen: Der Affekt, den diese Liebe generiert, schillert in sich, seiner Natur nach zwischen Freude und Glückseligkeit, zwischen einem Anwachsen der Vollkommenheit und einem Genuss, der mir erscheint als der Genuss einer Vollkommenheit, die immer schon total war, zwischen Dauer und Ewigkeit. Das ist der Charakter dieses Affekts selbst, seine unverwechselbare Physiognomie. Was heißt es dann also, dass von meinem Geist etwas „bleibt“ oder „zurückbleibt“ („remanet“)? Es ist eben nicht gemeint, dass mein Geist weiterbesteht, wenn mein Körper untergegangen ist. Dass das nicht möglich ist für Spinoza, wurde schon gezeigt. Nein, wenn Spinoza schreibt, dass „Quamvis hic erga Deum amor principium non habuerit (per prop. praes.), habet tamen omnes amoris perfectiones, perinde ac si ortus fuisset, sicut in coroll. prop. praec. finximus. Nec ulla hic est differentia, nisi quod mens easdem has perfectiones, quas eidem jam accedere finximus, aeternas habuerit idque concomitante idea Dei tanquam causa aeterna.“ (Vp33s) 29 „Ex tertio cognitionis genere oritur necessario amor Dei intellectualis.“ (Vp32c. Meine Hervorhehung.) 30 „Quod si laetitia in transitione ad majorem perfectionem consistit, beatitudo sane in eo consitere debet, quod mens ipsa perfectione sit praedita.“ (Vp33s) 28
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in der zweiten und dritten Erkenntnisgattung mehr von einem Geist bleibt (Vp38), dann ist das ganz wörtlich zu nehmen: Er ist in diesen Erkenntnisweisen nämlich nicht mehr auf sich selbst zurückgeworfen. Ein Geist, der nur in sich ist, wie ein Körper, der nur mit sich identisch ist: das ist die Beschreibung der kleinsten Ausdehnung. Ein Geist, der auf sich allein zurückgeworfen ist, von dem bleibt nicht viel, weil das eben nicht viel ist, worauf er ruht. Im Gegenteil vollziehen die klaren und distinkten Erkenntnisweisen genau die Expansion des Geistes über seine eigenen Grenzen hinaus, die unmittelbar mit dem Rest des Seins verbinden, nie ganz, aber in einer immerhin klar orientierten Bewegung. Je weiter sich mein Geist über das andere Sein erstreckt und legt, desto mehr bleibt von ihm, desto ewiger ist er.31 Wenn Spinoza erklärt: „Wer einen Körper hat, der zu sehr vielem befähigt ist, hat einen Geist, dessen größter Teil ewig ist“, 32 dann ist das kein Wunder mehr. Denn dieses Fähigsein ist doch nur Kurzschrift für: mehr affizieren können und mehr affiziert werden können, was nichts anderes heißt als: mehr Überschiebung praktizieren. Die wird hier folgerichtig mit der Verewigung des Geistes identifiziert. 33
Das gilt auch schon in einem methodischen Sinn, denn die „notiones communes“ sind ja ihrer Definition gemäß solche Überschiebungen, in denen sich der Unterschied zwischen Ich und anderem verwischt, ohne aber dass er geradehin aufgehoben sein könnte. 32 „Qui corpus ad plurima aptum habet, is mentem habet, cujus maxima pars est aeterna.“ (Vp39) 33 Moreaus Arbeit über die Erfahrung der Ewigkeit ist reich und wertvoll. So gibt er eine elegante Lösung auf die Frage, wie denn der „Parallelismus“ von Körper und Geist aufrechterhalten werden kann, wenn der Geist sich als ewig erweisen sollte: Es heißt in IIIp7 ja nur, dass die Verknüpfung von Ideen und Dingen gleich ist, d.h. die Verbindungen, die eine Idee mit einer anderen und den entsprechenden Körper mit dem entsprechenden anderen verknüpfen. Es ist nichts darüber gesagt, dass die Mechanismen der Verknüpfungen in beiden Attributen gleich wären, und daher ist auch nicht ausgeschlossen, dass „dieselbe“ Verknüpfung aufseiten des Denkens eine ewige Entität hervorbringt (a.a.O. 514). Moreau selbst interpretiert die Erfahrung der Ewigkeit als die Reibung, die entsteht, wenn die Erfassung des Ewigen (dank der „Augen des Geistes“, der Beweise) sich auf dem Hintergrund der Endlichkeit unseres Seins abhebt (ebd. 543 ff.). Das ist ebenfalls sehr reizvoll, schon allein dadurch, dass Moreau hiermit unserer endlichen Existenz, der Erfahrung unserer Endlichkeit und dem in ihr liegenden Impetus zur Verunendlichung das ganze Gewicht zurückerstattet, das in einer allzu hoffnungsvollen Lektüre Spinozas verlorenzugehen droht. Ich kann Moreau am Ende aber nicht zustimmen: Er neigt dazu, „meine“ Ewigkeit zu stark abzuschwächen, zu rational zu lesen, und aus ihr vor allem eine allgemeine Fähigkeit des Erkennens zu machen, die nur durch meine inadäquaten Erkenntnisse und meine unverstandenen Erfahrungen individualisiert wird. Man gelangt damit unbeabsichtigt in die Nähe averroistischer Lehren, die bei Spinoza nicht gemeint sein können. Zudem kann Moreau dem, „was bleibt“, nicht Rechnung tragen: Es ist bezeichnend, dass gerade dieser Satz in seiner sonst so erschöpfenden Studie keine Erklärung erhält. 31
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Spitze des Fingers. Die Erkenntnis kann nichts aufdecken, was nicht schon da ist. Deshalb wird es nicht genügen, die Ewigkeit zu einer Funktion des richtigen Erkennens zu machen. Die Pointe ist letztlich noch grundlegender: Das Endliche ist als solches ewig. Die Verschränkung von Ewigkeit und Endlichkeit ist nicht nur allgemein, mit Blick auf die Attribute gesichert. 34 Sie muss auch, wie billig in einer Philosophie absoluten Flirrens, von der Seite der endlichen Modi gedacht werden. Sie ist ins Sein des Endlichen selbst eingeschrieben. Das ist es, was Spinoza am Ende erklärt: Wir spüren und erfahren doch, dass wir ewig sind. Unsere Endlichkeit, unser endgültiges Vergehen kann nicht das letzte Wort sein. Das aber nicht aus psychologischen Gründen, weil wir das etwa nicht aushalten könnten oder weil wir der Grausamkeit der Tatsachen nichts in Auge schauen wollten. Es sind ontologische Gründe, die unser Wissen von unserer Ewigkeit motivieren – auch wenn wir es gewöhnlich falsch deuten, nämlich dann, wenn wir an eine individuelle Unsterblichkeit denken.35 Ich, wie jedes endliche Seiende, bin aber nur, insofern mein Sein weder ganz mir selbst noch ganz dem Universum angehört. Es ist dieses endliche Sein, das allein sich verewigen kann. „Meine“ Existenz in der Natur und in der Idee Gottes – d.h. in der absoluten, vollständigen Verkettung aller Ideen alles Seienden nach der Maßgabe des Seins selbst – ist zugleich meine und nicht meine, sie ist nicht einfach nur angekoppelt an die nächste Idee des nächsten Dings, sondern vermengt sich an allen Grenzen mit den Ideen der anderen Dinge, wird von ihnen durchdrungen und durchdringt sie. Auch für die Idee Gottes müssen wir uns vom Atomismus der Dinge und Ideen freimachen: Dinge und Ideen stehen nicht fest abgegrenzt nebeneinander, undurchdringlich und individuell, sondern nach der Totalität der Natur durchdringen sie einander, die Außengrenzen, von denen aus sich erst das Innen bildet, und sei es das Innen des Ichs, sind notorisch Höchst umständlich versucht Kopper (Einige Bemerkungen) dieser Verschränkung Rechnung zu tragen; der komplizierte und, wie mir scheint, vom Deutschen Idealismus geprägte Begriffsapparat, den er dazu einsetzt, erweist sich dabei als besonders hinderlich. 35 Die Kurze Abhandlung lässt die Möglichkeit einer „Unsterblichkeit“ noch offen, zumindest dem Schlagwort nach (KA. 83). In der Ethik ist davon keine Spur mehr. Ich kann deshalb auch Matherons Deutung (Bemerkungen) in keiner Weise zustimmen, die sowohl den Geist als auch den Buchstaben des Texts Spinozas missachtet: Matheron versucht, eine „Unsterblichkeit der Seele“ bei Spinoza nachzuweisen. Wenn diese auch differenziert dargestellt wird, ändert das nichts daran, dass beide Worte bei Spinoza nicht einmal auftauchen! Es kommt hinzu, dass Matheron ganz freihändig mit dem bei Spinoza sehr schwierigen Begriff des Wesens operiert und von irgendwelchen zur Existenz hinstrebenden Wesenheiten phantasiert: Das ist ein für Spinoza gänzlich unsinniger Gedanke. Auch dass Matheron Spinoza das Ideal einer ganz aus mir selbst bestimmten Existenz unterschiebt, scheint mir (wie schon ausgeführt) angesichts der Übermacht der Natur unspinozistisch. Schließlich tritt bei Matheron Gott als denkendes Subjekt auf. In allen entscheidenden Punkten steht meine Lesart konträr zu der Matherons. Vgl. dagegen die präzise Darstellung bei Zourabichvili: Spinoza. 185-200. 34
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durchlässig. Weniger Grenzzäune als Freihandelsgebiete mit Sonderstatus und -statuten.36 Der Punkt ist deshalb, dass meine Ewigkeit nur deshalb Ewigkeit sein wird, weil ihre Meinigkeit schillert. Die Ewigkeit selbst wird dadurch zu einem Flirren der Natur, in der die große Natur alles und nichts, in der meine kleine Existenz nichts und unverzichtbar wird. Wenn Spinoza regelmäßig zwischen den beiden Betrachtungsweisen unterscheidet, in der wir die Existenz, die Aktualität ins Auge fassen können (Vp29s), dann bringt er genau zum Ausdruck, dass wir das eine nicht gegen das andre ausspielen können und dass noch die Einbettung ins Ewige abhängt von der Dauer in Raum und Zeit. Es ist unsere konkrete und unheilbare Endlichkeit, die erst unsre Ewigkeit möglich macht und sogar erzwingt. Martin Buber hat dafür einen glücklichen Ausdruck gefunden: Der Mensch ist „triviale Unersetzlichkeit“.37 Konsequent spinozistisch müssen wir sagen, dass das nicht nur für den Menschen gilt.38 Meine Essenz ist mein Conatus. Der ist meiner. Er ist aber nur, indem er sich auseinandersetzt mit allem, was ihn umgibt. Der Conatus ist eben weder Innerlichkeit noch vorhergehende individuelle Kraft. Er ist Aktivität im Zusammen- und Widerspiel mit dem Rest des Seins. Und nichts anderes. So wie Gott seinen Dekreten nicht vorhergeht und nichts außer ihnen ist, so bin auch ich nichts vor oder außer meinen Interaktionen mit den Dingen, die in eben diesem Maß in meinen Körper, meinen Geist, meine Existenz und meine Essenz hineinspielen: Das Äußere ist im Innern, zwar als Außen und mehr an den Grenzbezirken, aber dennoch. Innen und Außen, Eigenes und Fremdes, Ich und Welt bilden zuerst eine Indifferenzzone, und es ist von dieser Indifferenzzone her, dass die Genese des Ich und seine Formung ausgeht: In ihr lebt das Ich ganz vordringlich. Ewigkeit und Endlichkeit sind über die Notwendigkeit des Seins miteinander verschränkt. Dies einzusehen ist Aufgabe der Philosoph*innen, und zwar eine, die ihren eigenen Lohn mit sich führt. Wohin der Finger weist. Soweit reicht wohl eine rationalistische Rekonstruktion der erschütternden Behauptung: Wir fühlen, dass wir ewig sind. Es bleibt aber unzweifelhaft, dass die Gewalt dieser Behauptung nicht abzumildern ist – und ohne diese Gewalt wäre sie nichts wert. Nicht nur gibt es damit eine Erfahrung des Ewigen, die diesseits der Mystik steht, weil sie nie das Endliche für etwas anderes als es aufzugeben bereit ist. In dem Merkwürdig genug, stülpt sich mancher „politische Körper“ in sich ein, so dass diese Sonderverwaltungszonen in ihm, ja, in seinem Herzen entstehen: Washington D.C. 37 Buber: Zwiesprache. In: Das dialogische Prinzip. 137-194. 188. 38 In Vp29 wird der Körper selbst, meiner wie der andre, zum Kreuzungspunkt der beiden Blickrichtungen; er gerät selbst ins Schillern, ins Oszillieren – und erlangt erst darin seinen vollen Begriff. 36
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Moment und insofern, als ich das Sein in dieser metaphysischen Weise liebe, erscheint es mir eingerückt in den Horizont des Ewigen, und vielleicht ist das die einzige, dann aber wirklich legitime und volle, wahre Erfahrung von Ewigkeit. Jeder Begriff von Ewigkeit, der von dieser Beziehung zum Endlichen abstrahieren wollte, muss zwangsläufig in Widersprüche und Absurditäten führen. Das Ewige ist ein ganz besonderes Produkt des Endlichen, das es seinerseits wieder verändert – in einer unerhörten und unvorhersehbaren Weise. Diese Erfahrung lässt sich an jedem einzelnen Punkt des Seins machen. Es gibt im strengsten Sinn nichts, was nicht in dieser Weise an der Ewigkeit und damit an der höchsten ontologischen Würde partizipierte. Es liegt nur an uns, uns dieser Tatsache selbst würdig zu erweisen. Denkt man noch einmal an die Magd bei Vermeer, die vor dem hohen Fenster stehend Milch in eine Schüssel gießt, dann wird deutlich, dass die Malerei hier in der Tat einen metaphysischen Akt vollzieht: Sie bannt auf Leinwand, was nach Spinoza die Arbeit der dritten Erkenntnisgattung ist: Mit einem Blick („uno intuito“, IIp40s2) steht das Endliche als Ewiges, der Teil im Ganzen vor uns.39 Die „scientia intuitiva“ ist ein Kurzschluss im engen Sinn, eine spekulative Abkürzung, wenn man das „spekulativ“ wörtlich hält. Sie ist die direkte Verbindung zwischen Ding und Natur, die im Prinzip immer möglich sein muss. Allerdings, das menschliche Denken, weil es wie jedes Denken endliches ist, ist nicht immer und gewöhnlich nicht ohne Vorbereitung auf der Höhe dieses Kurzschlusses. Sofern uns dieses Schlaglicht des Ewigen nicht ohne Weiteres zur Verfügung steht, müssen wir uns auf den beschwerlichen, aber immerhin methodischen Weg der Beweise machen. Die Beweise sind die Augen des Geistes (Vp23s). Sie sind aber auch ein längerer Weg. Die Kurze Abhandlung gibt der Unterscheidung in die drei Erkenntnisgattungen eine etwas andere Gestalt, die auf diesen „Nachteil“ der Beweise (oder Gründe, wie es dort heißt) mehr Gewicht legt als die Ethik. Die drei Gattungen heißen dort Meinung, Überzeugung und Wissen. Die Meinung findet in mir statt, noch genauer: In ihr bin ich mit mir beschäftigt, bin auf mich selbst zurückgeworfen, ohne Berührung zum Wirklichen. Das Wissen (entspricht der „scientia intuitiva“ der Ethik) ist hingegen eine Vereinigung mit der Sache selbst (was ja bei der Liebe zu Gott besonders relevant wird, nämlich im strengsten ontologischen Sinn). In der Überzeugung hingegen berührt das Denken das Sein, aber in Differenz, umwegig. Die
Freilich, Spinoza würde Einspruch erheben, kann doch nichts, was der „imaginatio“ angehört Anspruch auf Gültigkeit im Reich philosophischen Erkennens erheben, und es müsste schwerfallen, ausgerechnet der Malerei ihre Natur als Werk der und für die „imaginatio“ abzusprechen. Aber manchmal hat vielleicht nicht mal Spinoza alles gesehen. 39
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Differenz, das sind die Gründe.40 Es bleibt hier noch manches unklar und implizit einem mehr mystisch geprägten Paradigma verhaftet; auch wird dem verstandesmäßigen Erkennen offenbar nicht derselbe Erkenntnisrang wie dem Wissen beigelegt (in der Ethik sind die beiden nicht durch ihren Gegenstand oder ihre Gewissheit unterschieden): So sind die Gründe z.B. die Differenz zwischen „müssen“ und „sein“: der Unterschied zwischen dem, was das Ding sein muss, und dem, was es ist. Die Betonung der Umwegigkeit der intellektuellen Erkenntnis zeigt etwas an, was auch für die Ethik noch gilt: dass es im Erkennen eine immanente Ausrichtung auf eine intuitive Erfassung gibt.41 Die Aufgabe ist also, hinzuführen auf die unmittelbare Erfassung der Unmittelbarkeit der gegenseitigen Verschränkung von Endlichem und Ewigem, von Mensch und Gott, Ding und Natur. Spinoza wird das im Fünften Teil angehen, und es ist bezeichnend für seine Radikalität, dass er den Weg dorthin nicht als Sprung in einen anderen Bereich der Wahrheit fasst, sondern als die maximale, die selbst unendlich schnelle Überdrehung eben der Bewegung, die sein ganzes Denken ausmacht.
KA. 58-60. 64. Das lässt sich auch durch die Analogien der Sinnesorgane belegen: Der Ethik zufolge sind die Beweise die Augen der Seele. Im frühen Text wird aber die Berührung in den Vordergrund gerückt: Es ist von einer „unmittelbaren Vereinigung mit dem Ding selbst“ die Rede, zu der zwar das Wissen, nie aber die Überzeugung fähig ist (KA. 64). Hingegen heißt es vom Wissen: „Klare Erkenntnis aber nennen wir das, was nicht durch vernunftgemäße Überzeugung, sondern durch ein Fühlen und Genießen der Sache selbst entsteht, und diese geht weit über die andren.“ (KA. 60) 40 41
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Scherben im Morgenlicht
2mal Fünfter Teil. Die Theorie der drei Erkenntnisgattungen ist wohlbekannt: Spinoza unterscheidet (IIp40s2) zwischen der Vorstellung („imaginatio“), der Vernunft („ratio“) und der intuitiven Erkenntnis („scientia intuitiva“). Unter der ersten versteht Spinoza alle Kenntnisse, die aus den zufälligen Erfahrungen meines Lebens stammen, willkürliche Assoziationen, Verknüpfungen, die nur durch die Tatsache begründet sind, dass mir einmal zwei Dinge gleichzeitig oder im gleichen Zusammenhang begegnet sind. Hier ist keine sichere Erkenntnis möglich; die „imaginatio“ scheidet für die Begründung philosophischer Einsicht aus. Hingegen können sowohl Vernunft als auch intuitive Erkenntnis gleichermaßen Anspruch auf sichere und wohlgegründete Einsicht erheben. Mit „Vernunft“ bezeichnet Spinoza die Erkenntnis auf der Grundlage adäquater Ideen bzw. von Gemeinbegriffen („notiones communes“). Diese Erkenntnisgattung ist diskursiv, sie schreitet vom einen zum anderen fort. Damit ist zweifelsohne auch die wissenschaftliche Methode der Ethik ausgesprochen: Begriffe werden miteinander nach Maßgabe ihrer wahren Zusammengehörigkeit verknüpft. Dagegen springt die „scientia intuitiva“ aus der adäquaten Idee der formalen Essenz eines Attributs auf die adäquate Erkenntnis der Essenz der Dinge: ein Schlaglicht, das vom Unendlichen aufs Endliche fällt. Hier ist keine Verkettung von Einsichten möglich; die Erkenntnis ist aber insofern mächtiger, als sie der natürlichen Ordnung folgt: von der Substanz auf die Modi. Es ist entscheidend, dass man die zweite und die dritte Gattung nicht gegeneinander auszuspielen sucht. Es ist wahr, dass der Fünfte Teil die dritte Erkenntnisgattung als das immanente Ziel der zweiten präsentiert, auf das hin diese sich selbst überschreitet (Vp28); dass es dort die intuitive Erkenntnis ist, in der der Geist den höchsten Grad seines Conatus und seiner Tugend („virtus“) erreicht (Vp25); dass aus ihr die größte Zufriedenheit und die größte Vollkommenheit für den Menschen entsteht (Vp27, Vp27dem). Das ist richtig, und das Thema dieses Kapitels wird es sein, diese Formeln zu erläutern. Das ändert aber nichts daran, dass z.B. die Forderung, nur auf der Grundlage der dritten Gattung zu erkennen und zu leben, unsinnig wäre – so eine Forderung würde uns in die Nähe von mystischen Vorstellungen bringen, denn damit wäre die Fülle des Wirklichen unzulässig zugunsten einer abstrakten Ganzheit übersprungen. Man kann es auch so formulieren: Die zweite Erkenntnisgattung entspricht der unendlichen Verkettung der Einzeldinge, ohne die die Totalität leer wäre; die dritte Erkenntnisgattung entspricht der unmittelbaren Beziehung jedes Einzeldinges zur Totalität, ohne die die Verkettung
auseinanderfiele. Daher können die zweite und dritte Erkenntnisgattung nur gemeinsam die ganze Potentia des Erkennens ausschöpfen: die zweite macht differenzierte und schrittweise, verknüpfende Einsichten möglich; die dritte setzt unmittelbar den Primat des Ganzen, des Unendlichen vor den Einzeldingen. Die Theorie der zweiten und dritten Erkenntnisgattung ist die Systematisierung der beiden Blickrichtungen auf ein und dieselbe, einzige Wirklichkeit: die Wiederholung des Schillerns der Natur in der Erkenntnis. Dort, wo die reale Aktualisierung, der Vollzug, die Verwirklichung, die Performanz der Erkenntnis Gottes (identisch mit der Liebe zu Gott) verhandelt werden, muss diese Doppelung im Selben wiederkehren. Sie kehrt wieder als die Zweiteilung des letzten Teils der Ethik: Die erste Hälfte (Vp1-Vp20) entspricht der zweiten Gattung, während die zweite Hälfte (Vp21-Vp42) sich mehr und mehr in Richtung auf die dritte Gattung bewegt. Daher verhandeln beide Hälften „dasselbe“, aber in merklichen Abweichungen, die aus der anderen Richtung des Blickes herrührt. Noch einmal zeigt sich, wie radikal das Schillern aller Wirklichkeit mit Spinoza zu verstehen ist: Die Selbigkeit eines Wirklichen, und erst recht die Selbigkeit der Natur selbst, fordert die Verdopplung in zwei Blickrichtungen, die – ganz gleich, wie weit sie einander angenähert werden – nicht zur Deckung kommen können. Es ist wie die Räumlichkeit des Sehens, die auf die kleine Abweichung der beiden Augen angewiesen ist. Zum Ort einer gleißenden Liebe. Die eigentümliche Bewegung des Fünften Teils der Ethik trägt dieses Schillern in das Einzelding genannt Mensch hinein. (Vorzugsweise in dieses, aber, wie Vp39s klarmacht, nicht nur in dieses: Hier wie immer gilt keine ontologische Ausnahme für den Menschen.) Dieses Schillern ist die Art und Weise, in der das Ewige seinen Ort im Endlichen, Vergänglichen, Dauernden einnimmt. Die Einsicht nach der dritten Erkenntnisgattung bedeutet dann: sich selbst zugleich als dauernd und als ewig sehen, absolut zugleich. Mein Geist ist die Idee meines Körpers. Ich weiß von meinem Körper, eben dadurch, dass er real ist. Es ist seine Wirklichkeit, die wirkliches Denken möglich macht (IIp8s). Ohne das bliebe nur die Unendlichkeit der Attribute, in denen zwar alles irgendwie „enthalten“ ist; doch in einer Weise, die das Enthaltensein wie die Bestimmtheit des Enthaltenen zwangsläufig im Abstrakten, im Leeren belässt. Aber dieses Reale, das mein Körper ist, ist zugleich hineingehalten, geschöpft aus einem Unendlichen, das wie immer selbst eine doppelte Charakteristik haben muss: das Unendliche der Attribute, gewissermaßen „abstrakt“ betrachtet; und die unendliche Verknüpfung der Kausalreihe (wenn man so will „vertikal“ bzw. „horizontal“). Das Frappierende ist aber, dass sich das Denken meines Körpers nicht darin erschöpft, ihn als real zu denken. Ich muss darüber hinaus. Ich werde
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vom Wirklichen selbst hinauskatapultiert in eine Sicht auf das Wirkliche, in der sich mir dieses gebrochen gibt: nicht gebrochen im Sinn des falschen Pathos, sondern ganz wortwörtlich: wie das Licht im Regenbogen. Ich muss meinen Körper einreihen in eine Ewigkeitsordnung, die allem einzelnen Sein die substantielle Grundlage gibt, die es von sich alleine aus nicht leisten könnte. Unter einer gewissen Hinsicht der Ewigkeit erkennen: nicht meinen Körper erkennen, insofern er aktuell existiert, sondern insofern ich ihn unter einer Hinsicht der Ewigkeit erkenne (Vp29). Das Schillern, die Zweiseitigkeit, die Disparität, der Richtungsunterschied, so inkommensurabel wie der zwischen rechts und links, wird hineingetragen bis in meinen Körper und (folglich) meinen Geist. Spinoza spricht es letztlich selbst aus (Vp29s): Es gibt zwei Arten, die aktuelle Existenz eines Körpers zu denken: mit Bezug auf einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit oder, insofern er in Gott enthalten ist. Man muss sich eines vergegenwärtigen: Für Spinoza ist nicht die zweite Sicht die wahre. Der volle Begriff der Existenz eines Dinges ist der, der von diesen beiden Sichtweisen gebildet wird. Damit ist eine Bewegung skizziert, in der in schwindelerregender Überdrehung das Oszillieren so schnell wird, bis es vom ewigen Stillstand fast nicht mehr zu unterscheiden ist. In dieser Paradoxie und im minimalen Aufschub des „fast“ liegt dabei der ganze Witz dieser unerhörten metaphysischen Bewegung. Das ist genau der Punkt, auf den der Fünfte Teil zusteuert, und deshalb ist diese Bewegung so zweideutig. Denn das eigentliche Ziel dieser Kaskade von Sätzen (Deleuze war derjenige, der die Beschleunigung des Tempos in diesen letzten Sätzen hervorgehoben hat) 1 ist der Punkt, an dem das Schillern so schnell wird, dass es kein Schillern mehr ist, sondern dass es endlich in eine Identität übergeht – eine Identität, die alles Schillern in sich aufgenommen hat, das die Natur ausmacht. Es muss der Ort gefunden werden, der die wirkliche, die wörtliche, nicht nur scheinbare oder metaphorische oder „hinsichtliche“ („quatenus“) Identität beider „Naturen“ verwirklicht – eine Identität, die, der Sache nach immer schon bestanden hat. 2 Es gilt also den Ort zu finden, wo die undenkbare Verschränkung des Unendlichen und des Endlichen tatsächlich und in allem Ernst vollzogen ist. Und dieser Ort ist der menschliche Geist in der intellektualen Liebe Gottes.3 Vgl. Deleuze: Spinoza. Philosophie pratique. 148. Es findet sich im selben Zusammenhang (ebd. 155) auch die Bemerkung, dass der Satz 21 des Fünften Teils den Beweisgang von der zweiten Erkenntnisgattung zur dritten verschiebt, so dass also eine kritische Schwelle der Demonstration innerhalb des Fünften Teils liegt. 2 Man merkt, dass der Begriff der Identität hier bis zum Zerreißen ausgespannt wird. Das liegt nun eben in der paradoxen Natur der Natur selbst. 3 Bartuschat übersetzt „intellectualis“ mit „geistig“. Das ist lexikalisch ganz richtig. Ich ziehe „intellektual“ vor, weil damit 1) eine Abgrenzung zum Geist („mens“) möglich 1
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Erster Anlauf. Die ersten 20 Sätze des Fünften Teils bilden höchst verständige und besonnene Wegmarken, bei deren Befolgung eine Befreiung von den passiven Affekten in Aussicht steht. Das ist nicht sarkastisch gemeint, es deutet sich aber sehr wohl schon an, dass es damit nicht sein Bewenden haben kann. Spinoza spricht hier nach Maßgabe der zweiten Erkenntnisgattung, diskursiv und rational. Dass hier noch nicht das letzte Worte gesprochen ist, wird auch dadurch wahrscheinlich, dass Spinoza die Ergebnisse der ersten Hälfte in Vp20s unter dem vorwiegend negativen Titel der Heilmittel gegen die passiven Affekte („affectuum remedia“) präsentieren kann. Eines ist von Anfang an klar: Eine absolute Souveränität gegenüber den Affekten ist unmöglich; Freiheit ist ein gradueller Begriff und in der Wirklichkeit ein Prozess; Freiheit ist immer begrenzt von der absoluten Übermacht der Natur (Vpraef und IVp4). Es gibt aber Strategien zur Vergrößerung menschlicher Aktivität; fünf solcher Strategien lassen sich unterscheiden, vor allem unter Bezugnahme auf Vp20s: Erkenntnis der Affekte: Erkenntnis ist intrinsisch Aktivität und daher Freude. Die Erkenntnis setzt folglich einen Prozess der Umformung des passiven Affekts in einen aktiven in Gang (Vp3). Ein erkannter Affekt ist offenkundig nicht mehr derselbe; Erkenntnis ist genau deshalb aber nichts dem Affekt Fremdes und Transzendentes, sondern als weiterer Faktor in dieselbe Seinsebene eingelassen, in der der erkannte Affekt wirkt. Erkenntnis ist damit nicht nur definitorisch Freude, sondern eine inhärent affektive Angelegenheit: Sie ist differenzierte und differenzierende Auseinandersetzung mit meiner eigenen affektiven Wirklichkeit. (Wenn man bedenkt, dass sich mein Sein und mein Selbst in dieser affektiven Wirklichkeit, vermöge der Affektionen, konstituiert, wird klar, wie tief die Erkenntnis in meine Wirklichkeit eingeschrieben ist. Sie ist zentraler Faktor meiner ununterbrochenen Produktion als genau dieses Wesen, das ich bin.) Ablösung der Affekte von ihren verworren vorgestellten Ursachen: Die Berichtigung der Ursachendiagnose bzgl. der Affekte macht sie einer wirkungsvollen Veränderung zugänglich (Vp2; Vp4; Vp4s). Ethik wird zur Kappung falscher Verbindung und zur Herstellung wahrer Verknüpfungen: Weil erstere Werk der „imaginatio“ sind und weil die „imaginatio“ primär auf meinen Erfahrungen und Assoziationen, und zwar vermöge ihrer Zufälligkeit beruhen, ist es kein Wunder, wenn die Wege der falschen Verbindungen am Ende immer wieder nur zu mir selbst führen. Eigenartig genug, gibt es kein Labyrinth, in das der Geist sich zu verlieren vermag, als nur die Schleichwege, die scheinbar zwingend in diesen Geist zurück, anstatt aus wird (Bartuschats Übersetzung von Vp36 zeigt, dass das sinnvoll ist) und 2) durch die leicht entfremdete Gestalt des Wortes das Befremdliche des Konzepts angemessenen Ausdruck erhält. Es ist ja nicht die Liebe des Intellekts oder eine intellektuelle, sondern es ist Liebe und zugleich Einsicht, Erkennen, Intellektion – und umgekehrt.
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ihm herausführen.4 Zum Labyrinth wird der individuelle Geist, wenn er in sich nach einem Ausweg sucht. Spiel auf Zeit: Auf Dauer gesehen sind die aktiven Affekte mächtiger als die passiven: Diese beziehen sich auf Dinge, die sich ändern und aufgehoben werden können; jene aber beziehen sich nur auf das, was sich immer gleichbleibt, nämlich auf die „notiones communes“. Im Ringen der Affekte haben die aktiven auf die Dauer einen Vorteil (Vp7). Vielzahl der Ursachen der aktiven Affekte: Diese begegnen überall (eben als „notiones communes“), die der passiven sind in Wahrheit immer partikular (Vp8, Vp11, Vp12). Im Grunde ist das dasselbe Argument wie zuvor, diesmal aber nicht bezogen auf die Zeit, sondern auf die Allgegenwart der Anlässe zu aktiven Affekten. Allerdings, ganz von alleine wirken diese Anlässe nicht. Daher formuliert Spinoza noch ein weiteres Heilmittel: Selbstkultur: Es gilt dann, einen Lebenswandel herzustellen, d.h. ein Bündel von denkerischen und körperlichen Gewohnheiten, die die Begegnung mit passiven Affekten von vornherein verringern und ihnen, wenn sie doch auftreten, etwas entgegenzusetzen vermögen. Das ist eindrücklich ausgeführt in Vp10s.5 Epikur nennt diese Labyrinthe, die der Geist sich selbst schafft „táraxos“, und auch bei ihm besteht eine wichtige Funktion der Ethik darin, dass mit ihrer Hilfe falsche Verbindungen gekappt und richtige hergestellt werden; nur dazu ist bei Epikur die Naturforschung („physiologia“) notwendig; vgl. Brief an Herodot, Abschnitte 79-82. (Briefe. Sprüche. Werkfragmente. 36-39). 5 Dasselbe Scholium endet in einer jener starken Passagen, in denen Spinoza eine systematische Abgrenzung seiner philosophischen Position von einer selbstzweckhaft-kritischen oder noch genauer: von bloßem Ressentiment geleiteten vollzieht: Man erkennt die letztere daran, dass sich ihre Vertreter*innen nicht genug daran tun können, das vermeintlich Falsche zu geißeln und die ihm verfallenen Menschen zu denunzieren. Der Arme, der nicht aufhört, über seine Armut zu schimpfen und über die Verkommenheit der Reichen, beweist damit, dass er noch nicht zu einer reifen Position dem Problem gegenüber gelangt ist: „womit er nichts bewirkt, als sich selbst zu quälen, und anderen zeigt, dass er nicht nur die eigene Armut, sondern auch den Reichtum anderer nicht mit Gleichmut tragen kann.“ („quo nihil aliud efficit, quam se afflictare et aliis ostendere se non tantum paupertatem suam, sed etiam aliorum divitias iniquo animo ferre.“) Darin liegt gerade keine Anmaßung und keine zynische Bagatellisierung der Armut; vielmehr ist die These ja, dass so ein Armer selbst und gerade dann nicht in einem emphatischen Sinn frei und damit glücklich werden wird, wenn er auch (aus was für Gründen auch immer) zu Geld käme. Es gibt für das Elend der Vielen keine Rechtfertigung; ihre systematische Erhebung zu Wohlstand wird aber alleine nicht ausreichen, eine menschliche Existenz in anspruchsvollem Sinn zu verwirklichen. Diese Unterscheidung ist kapital für eine philosophische Ethik ganz wie für eine philosophisch gegründete Erörterung des Politischen: „Wer darauf aus ist, seine Affekte und Triebe allein aus Liebe zur Freiheit zu mäßigen, wird also, soviel er kann, danach trachten, die Tugenden und ihre Ursachen kennenzulernen und das Gemüt mit jenem Frohgefühl zu erfüllen, das ihrer wahren Erkenntnis entspringt, keineswegs aber bei der Betrachtung menschlicher Laster zu verweilen oder Menschen herabzusetzen und sich eines falschen Scheins von Freiheit zu 4
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Ratschläge zur gelingenden Lebensführung können diese Heilmittel auch sein. Sie gewinnen ihren Sinn und ihre Wirksamkeit aber erst aus dem ethischen und metaphysischen Kontext. Und da vollzieht Spinoza eine folgenreiche Umkehrung der Perspektive, indem seine Ethik dem Intellektualismus aus Grundsätzen entgeht. Als Ratschläge blieben diese Heilmittel nämlich wirkungslos, denn: Nur ein Affekt kann einen Affekt bezwingen (IVp7).6 Es geht daher um die Herstellung eines neuen Affekts. Nur durch sie wird das Werk der Befreiung, das sich hier und da auf Strategien und Überlegungen stützen kann, zur Verwirklichung gebracht. Dieser neue Affekt ist der „intellectualis Amor Dei“ (Vp15-20), in der charakteristischen Vieldeutigkeit des Genitivs, die noch wichtig werden wird. Für die erste Hinführung genügt es, ganz schematisch zu sprechen; die innere Textur dieser Liebe wird gleich noch klarer werden. Übersetzen wir vorerst mit „Liebe zu Gott“. In der Liebe zu Gott findet die Befreiung von den passiven Affekten ihre positive Kraft, so wie in ihr auch die „Ratschläge“ ihre Wurzel haben. Die Liebe zu Gott ist intrinsisch Freude und (=) Aktivität und (=) Erkenntnis. Sie ist das höchste Gut, das nicht knapp ist und das im Gegenteil dadurch, dass andere es haben, nur verstärkt wird (Vp20). Wie kann es zur Liebe zu Gott kommen? Sie beruht darauf, dass es erstens außerhalb von Gott, d.h. der Wirklichkeit, so wie wir sie erfahren, nichts gibt; und dass zweitens dieser Wirklichkeit eben hierdurch absolute Vollkommenheit zukommt: Es gibt radikal nur diese Welt – und daraus erwächst ihr absoluter Wert. Jedes Einzelwesen und die notwendige Verkettung aller sind Ausdruck der Vollkommenheit Gottes (Ip33 und Ip33s2). Damit kann ich aber, ist die richtige Sichtweise einmal eingeübt, von der Erkenntnis jedes einzelnen Dinges zur Vollkommenheit Gottes übergehen (Vp16): Dank der „notiones communes“ ist eine klare und deutliche Erkenntnis immer möglich, auch bei meinen Affekten – und diese klare und deutliche Erkenntnis ist Vollzug der Liebe zu Gott (Vp15). Die ethischen „Regeln“, die man ableiten kann, schöpfen also all ihre Kraft aus einem aktiven, freudigen Affekt, und nur aus ihm. Isolierte Lebensregeln müssen wirkungslos bleiben. Eine rigoristische, disziplinierende Moral hingegen, in der Einengung und Selbstzucht dominieren, kann niemals aus der Versklavung an die passiven Affekte befreien, weil sie selbst von ihnen zehrt (IVp45s). erfreuen.“ („Qui itaque suos affectus et appetitus ex solo libertatis amore moderari studet, is, quantum potest, nitetur virtutes earumque causas noscere et animum gaudio, quod ex earum vera cognitione oritur, implere, at minime hominum vitia contemplari hominesque obtrectare et falsa libertatis specie gaudere.“ 6 Perlers Kritik an einem angeblichen „therapeutischen Rationalismus“, also einer intellektualistischen Ethik verfehlt die Sache daher (Das Problem des Nezessitarismus. 7779).
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So kann man in wenigen Sätzen die Gedanken der ersten Hälfte des Fünften Teils zusammenfassen: Wie versprochen ist das alles sehr verständig und nachvollziehbar. Solche Thesen werden, auch wenn man sie nicht teilen sollte, kaum Verwunderung oder gar Irritation erregen. Sie liegen in der Konsequenz des rationalistischen Denkmodells, das Spinoza überall vorexerziert. Man muss nur akzeptiert haben, dass Spinoza unter „Gott“ die Wirklichkeit als solche versteht, die Natur, die daher keinerlei personale Struktur aufweist. Darum gilt: „Gott ist ohne jedes Erleiden und wird mit keinem Affekt der Freude oder der Trauer affiziert.“ 7 Nicht nur ist es unmöglich, Gott zu hassen, sondern die Liebe zu Gott impliziert wesentlich den Verzicht auf alle Gegenliebe durch Gott: Wer wünscht, von Gott geliebt zu werden, wünscht zugleich, dass Gott nicht Gott ist, was widersinnig ist (Vp19, Vp19dem). Denn: „Streng genommen liebt Gott niemanden und hasst niemanden.“8 Wenn Gott die Natur selbst ist, ist das nur folgerichtig. Ein feines Surren. All das ist ganz einleuchtend. Und dann schreibt Spinoza so einen Satz: „Gott liebt sich selbst mit einer unendlichen [intellektualen] Liebe.“9 Aber wie soll das gemeint sein, schließlich hat Spinoza doch lange Seiten darauf verwendet klarzustellen, dass Gott keine Person ist, dass er keine Affekte im engen Sinn hat, dass ihm kein Wille zukommt (Ip17; Ip17c2; Ip17s), dass sein unendlicher Verstand auch nicht das souveräne geistige Tun eines Subjekts bezeichnet, sondern im Gegenteil in Notwendigkeit aus seinem Wesen fließt (Ip32c1 und c2; Ip33s2)?10 Und erst kurz zuvor (Vp17) hatte Spinoza erklärt, dass Gott keiner Leidenschaft („passio“) unterliegen und dass er keine Freude und keine Traurigkeit kennen kann. Das erstere ist ohnehin klar. Und das zweite folgt einfach daraus, dass Freude und Traurigkeit Übergänge sind: zu mehr oder weniger Vollkommenheit. Nun ist Gott ja schon vollkommen: Wie sollten ihm noch Übergänge zu mehr Vollkommenheit zukommen. Wenn aber Liebe Freude mit der Idee der Ursache ist (IIp13s), müsste doch Gott, wenn er sich selbst lieben kann, einen solchen Übergang „erleben“ können. Wie soll das also zusammenkommen?
„Deus expers est passionum nec ullo laetitiae aut tristitiae affectu afficitur.“ (Vp17) „Deus proprie loquendo neminem amat neque odio habet.“ (Vp17c) 9 „Deus se ipsum amore intellectuali infinito amat.“ (Vp35) 10 In Wahrheit muss diese Beziehung zwischen Gott und seinem Verstand als Vorbild für die Beziehung zwischen uns und unserem Verstand genommen werden: Es ist nicht so, dass unser Verstand oder unsere Beziehung zu ihm anders wäre als bei Gott, dass aus diesem Grund eine Nicht-Übertragbarkeit bestünde; vielmehr liegt der Fehler schon in dem Bild, das wir uns von unserem Geist machen und in dem sich die falsche Idee getrennter Vermögen mit der ebenso falschen Idee irgendeiner souveränen Freiheit vermengt. 7 8
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Man merkt, dass das nur dann der Fall sein kann, wenn Gott nicht als Gott, nicht in Abstraktheit oder in seiner Erhabenheit sich selbst liebt. Für das Ganze der Substanz gilt, dass sie keine Freude kennen kann. Erstens, wie gesagt, kann das Vollkommene nicht in Vollkommeneres übergehen; zweitens – und das ist wohl dasselbe in anderen Worten – ist es nicht von der Art, dass es affiziert werden könnte, diesmal im Sinn: dass es etwas „erleben“ könnte. So kann man von Gott nicht sprechen. Wie also liebt sich Gott? Indem die Menschen ihn lieben. Des Geistes geistige Liebe zu Gott ist genau die Liebe Gottes, mit der sich Gott selbst liebt, nicht insofern er unendlich ist, sondern insofern er durch die unter einem Aspekt von Ewigkeit betrachtete Essenz des menschlichen Geistes ausgedrückt werden kann, d.h. des Geistes geistige Liebe zu Gott ist Teil der unendlichen Liebe, mit der Gott sich selbst liebt.11
Es hängt hier alles daran zu verstehen, dass die Liebe der Menschen zu Gott nicht eine nachkommende Möglichkeit ist, nicht ein Luxus, nicht etwas Hinzukommendes, was von Gottes Selbstliebe auch nur begrifflich getrennt werden könnte: Gottes Liebe zu sich selbst ist nur und ausschließlich in der Liebe der Menschen zu ihm. Sie wird daraus konkret aufgebaut. Die Lieben der Menschen sind die Teile der Liebe Gottes zu sich, aber eben reale Teile: Wo es keine Teile gibt, gibt es kein Ganzes. Allerdings scheint solch eine Argumentationsweise den Gedanken im Ersten Teil zu widerstreiten. Dort (Ip15s) geht Spinoza auf die Probleme ein, die manch einer mit seiner Konzeption der Attribute haben könnte: Wird damit Gott nicht, so mutmaßt der Kritiker, die Ausdehnung zugeschrieben? Und damit die Teilbarkeit, die Passivität also? Und ist ein ausgedehnter Gott nicht eine Konzeption des Göttlichen, die sich sofort selbst disqualifiziert? Spinoza macht klar, dass die Behauptung, es sei Gottes unwürdig („indignam“), eine ausgedehnte Substanz zu sein, eine rein verbale Sache ist: Warum sollte das denn unwürdig sein? Aber das ist nicht das eigentliche Argument. Spinoza fordert vielmehr dazu auf, zwischen der imaginativ repräsentierten und der intellektuell gedachten Quantität zu unterscheiden. Die nur vorgestellte Quantität (und „vorgestellt“ meint hier nicht zwangsläufig „phantasiert“, sondern „nach Maßgabe der sinnlichen Vorstellung gefasst“) ist unendlich teilbar und anders herum aus ihren Teilen auch wieder zusammengesetzt. Hingegen ist die gedachte Quantität, etwa die der körperlichen Substanz, unendlich, einzig und unteilbar: Zu meinen, sie sei „Mentis amor intellectualis erga Deum est ipse Dei amor, quo Deus se ipsum amat, non quatenus infinitus est, sed quatenus per essentiam humanae mentis, sub specie aeternitatis consideratam, explicari potest, hoc est, mentis erga Deum amor intellectualis pars est infiniti amoris, quo Deus se ipsum amat.“ (Vp36) 11
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aus Teilkörpern zusammengesetzt, ist ebenso absurd, als meine man, die Oberflächen seien aus Linien und diese aus Punkten zusammengesetzt. Offenbar, so impliziert dieser Analogie, herrscht hier eine Trennung verschiedener Dimension, eine echte Spaltung im Sein: hier das Endliche, das man vorstellen kann („imaginari“); dort das Unendliche, das man nur denken („intelligere“) kann. Jede Vermengung der beiden muss in Irrtümer und Scheinprobleme führen. Geht man von dieser Argumentationsstrategie aus, ist die oben angeführte Auslegung von Vp36 in der Tat zweifelhaft. Diese Argumentationsstrategie, die man als das Totalitätsargument bezeichnen kann, begegnet vor allem im Ersten Teil immer wieder: Ohne die Univozität des Seins zu verraten, legt hier Spinoza immer wieder Gewicht auf den, für ihn fundamentalen Umstand, dass sich vom Ganzen, von der Totalität des Seins, von der Substanz als solcher, bzw. mindestens in ihren unendlichen Modifikationen, gewisse Fragen gar nicht mehr stellen lassen (oder dass sich gewisse Argumente, z.B. Ip9, nur auf sie anwenden lassen). Sie ist nichts Transzendentes, wohl aber eben das Ganze, das seinen Teilen vorhergeht. Und das ist auch ganz in der Logik der Ethik selbst begründet: So sehr der Erste Teil bereits das große Schillern der Wirklichkeit einführt, das die Optik, das Rauschen, das den Klang dieser Welt ausmacht – so sehr hat er sich schon auf eine Seite gestellt, und das bereits mit der Überschrift: Er nimmt seinen Ausgang vom Ganzen, von der Natura naturans, und kommt erst später, und immer aus dieser Perspektive auf die Natura naturata zu sprechen. Insofern die Ethik einen Anfang im Spekulativen hat, ist sie der Blickrichtung vom Unendlichen zum Endlichen verpflichtet. Es ist die Amplitude, die sich verkürzt, im Verlauf des Buches, bis hin zu diesem Triller, der Kammerton werden will. Aber es sind nicht in erster Linie Erwägungen hinsichtlich der Gedankenführung und „Pädagogik“ der Ethik, die Spinozas Kritik der Idee einer Zusammensetzung des Unendlichen durch das Endliche als nicht anwendbar auf unsere These erweisen. Es ist vielmehr der voll und ganz geänderte Zusammenhang des Fünften Teils: Erstens geht es dort nicht mehr um eine Quantität. Das scheint trivial, ist aber von größter Wichtigkeit. Denn nur in Bezug auf Quantitäten kann man sich überhaupt naiven Problemstellungen von Teilbarkeit oder Unteilbarkeit, von Zusammensetzung oder monolithischer Vollkommenheit gegenübersehen. Diese Formulierungen verlieren aber unmittelbar allen Sinn, wenn man vom unendlichen Intellekt Gottes spricht (wovon der menschliche Geist ein „Teil“ sei, IIp11c) oder von der Liebe Gottes. Zweitens, grundlegender, ist hier ja eben der Indifferenzpunkt gefunden, an dem alle diese Unterscheidungen nicht mehr greifen. Die Liebe Gottes – belassen wir sie für den Augenblick in der vielsagenden Uneindeutigkeit – ist der konkrete Vollzug der realen Identität von Natura naturans und Natura naturata, so aber, dass nun zwischen diesen
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Blickrichtungen, zwischen den beiden letzten Aspekten von Wirklichkeit nicht einmal mehr begrifflich eine Trennung eingeführt werden kann, bzw., wenn sie doch eingeführt wird, muss sie sofort zurückgenommen werden. Ob hier noch irgendetwas irgendwie „zusammengesetzt“ ist – das erübrigt sich in dem Moment, wo das „Zusammengesetzte“ mit seinen „Teilen“ absolut identisch ist. Dass um diese Deutung kein Weg herum geht, zeigt sich an dem Satz, der als der eigentliche Zielpunkt der Ethik fungiert, zumindest insofern es ihre spekulative Bewegungsenergie betrifft: den Folgesatz zu Lehrsatz 36 des Fünften Teils. Wenn die Ethik ein Pfeil ist – dieser Satz ist seine Spitze; was dann noch folgt: nur noch das Erbeben der Luft. Er lautet: „Hieraus folgt, dass Gott, insofern er sich selbst liebt, Menschen liebt, und folglich dass Gottes Liebe zu den Menschen und des Geistes [intellektuale] Liebe zu Gott ein und dasselbe sind.“12 Spinoza stellt hier eine Gleichung auf, in der der Genitiv der Liebe Gottes seine volle Breite als expliziten Gehalt zurückerstattet bekommt: Die Liebe Gottes zu den Menschen ist identisch mit der Liebe Gottes zu sich selbst ist identisch mit der Liebe der Menschen zu Gott.13 Diese eigenartige Stelle scheint so gar nicht zu Spinozas Temperament zu passen – ist sie doch das Nächste zu einer Mystik, was man bei dem notorisch un-esoterischen Spinoza finden kann. Nein, mehr noch: Sie scheint noch nicht einmal zu manchen expliziten Stellungnahmen zu passen: Spinoza hatte (wie schon mehrfach erinnert) eben noch erklärt (Vp17), dass Gott keine Leidenschaften kennt und nicht von Freude oder Traurigkeit affiziert werden kann. Und doch wird sogleich erklärt, dass Gott immerhin sich selbst liebt (Vp35). Noch eklatanter: Gott liebt und hasst niemanden (Vp17c). Wie kann Spinoza nun in allem Gleichmut davon sprechen, dass Gottes Liebe zu sich selbst identisch mit der Liebe der Menschen zu ihm und seiner Liebe zu den Menschen sei? Diese Rede muss als der offenkundigste Widerspruch erscheinen, etwas, was in keinem philosophischen Werk in ähnlicher Weise verheerend wirken kann, wie in der Ethik, und was dem Autor zudem an exponiertester Stelle unterläuft. Oder etwas ist passiert in der Zwischenzeit, zwischen dem 17. und dem 35. Lehrsatz. Was passiert ist, ist nicht nur, dass sich der Blick verschoben hat, von der zweiten zur dritten Erkenntnisgattung, von der Natura naturata zur Natura naturans. Sondern dass diese Verschiebung zugleich so forciert wurde, dass sie den goldenen Faden offenlegt: den Strang, „Hinc sequitur, quod Deus, quatenus seipsum amat, homines amat, et consequener quod amor Dei erga homines, et Mentis erga Deum Amor intellectualis unum et idem sit.“ 13 Diese Identität wird auch durch die Terminologie angezeigt: Es ist hier nur noch von „explicari“, nicht mehr von „exprimere“ die Rede, welches letztere der Idee einer Unterschiedenheit, eines Herausgesetztseins aus einem Ursprünglichen Vorschub leistet. 12
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an dem die beiden Aspekte koinzidieren. Zwischen den Lehrsätzen 20 und 21 klappt der Fünfte Teil der Ethik gewissermaßen in sich selbst um, er sagt zweimal dasselbe, das aber nur in dieser Verdopplung, die zugleich eine Verschiebung fordert, sich als dasselbe präsentieren kann – da, überhaupt nur als das, was es ist. Hier gelangt die Konstruktion des Textes (der seiner Natur nach diskursiv sein muss) so nah wie irgend möglich an die Struktur der Natur, die er zu transportieren sucht: das Schillern von etwas, was aus seiner eigenen Überfülle nur als Schillern sein kann und das seine Selbigkeit, sein So-Sein, seine „Natur“ nur in einer Wiederholung erreicht, die nicht mehr reduziert werden kann. Das ist die innere Schwelle des Fünften Teils, die mehr ist als Übergang zu dritten Erkenntnisgattung, nämlich unausweichliche Nachahmung der Struktur dessen, was zum Ausdruck gebracht oder besser: ausgewickelt werden soll. Dann aber kann es hier keinen Widerspruch mehr geben. Denn die Liebe Gottes zu sich selbst und zu den Menschen ist kein Anthropomorphismus, keine reuige Zuschreibung von Personalität zu Gott. Gott, als Substanz genommen, in seiner Unendlichkeit (also inklusive der unendlichen Modi), kann sich nicht selbst lieben, noch viel weniger die Menschen. Die Menschen sind in dieser Hinsicht keine ausgezeichnete Gattung im Universum. Ich bin der Natur nicht „wichtiger“ als die Fruchtfliege, die sich auf meinen Schreibtisch verirrt hat. Die Liebe Gottes zu sich selbst und zu den Menschen existiert nur und ausschließlich in der Liebe der Menschen zu Gott und – zueinander. Eigenartig, dass diese letzte an dieser Stelle nicht auftaucht. Und doch folgerichtig: Als Verknüpfung von Einzeldingen miteinander gehört sie nicht hierher, in den theoretischen Kontext, der das Schillern der Wirklichkeit von der Seite der Substanz her bis ins Extrem überdreht, bis dorthin, wo maximale Bewegung und totale Ruhe nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind. Es ist die zweite Erkenntnisgattung, die die Einzeldinge in ihrer Verbindung zueinander untersuchen kann, die deshalb eine diskursive Erkenntnis darstellt und Wissenschaft in einem engen Sinn möglich macht. Die dritte Erkenntnisgattung, von deren Warte aus die letzten Lehrsätze geschrieben sind, fällt wie ein Laserstrahl vom Absoluten aufs Einzelne, beleuchtet dieses, bringt es zum Glühen, lässt im Endlichen unmittelbar das Unendliche aufscheinen – aber eben nicht in den endlosen Reihen der Kopplungen, Interaktionen und Wirkungen. 14 Die Liebe der Menschen
So ist es nur folgerichtig, dass, zwischen der Erklärung, dass wir uns als ewig erfahren, und der Evokation der dritten Erkenntnisgattung, dieser Satz eingeflochten ist, in dem sich diese Verdichtung Gottes im Einzelding für uns ausdrückt: „Je mehr wir Einzeldinge einsehen, desto mehr sehen wir Gott ein.“ „Quo magis res singulares intelligimus, eo magis Deum intelligimus.“ (Vp24) Dass sich hier ein Kreis schließt oder vielmehr das Schillern auf engsten Raum zusammengedrängt wird, lässt sich auch daran ersehen, dass 14
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zueinander: Sie ist der konkrete Vollzug der Liebe zu Gott wie der Liebe Gottes zu sich selbst wie seiner Liebe zu den Menschen – und doch muss sie exakt an dem Punkt, an dem diese Liebe zum sirrenden Strahl wird, der die Welt erhellt, unscheinbar bleiben.15 In der Tat, näher kommt man mit Spinoza nicht an einen mystischen Gedanken heran. Sowohl die Konzeption einer Liebe Gottes, die im charakteristischen Doppelsinn des Genitivs die Unterschiede zwischen Gott und Kreatur einebnet, als auch die Unterscheidung zweier Erkenntnisweisen (oder Erkenntnisvermögen), einer diskursiven, wissenschaftlichen, aber eben auch prosaischen, irdischen, und einer intuitiven, schlaglichtartigen, dafür jedoch himmlischen, sind zentrale Elemente mystischen Denkens und Fühlens. Und doch werden beide Elemente bei Spinoza gegen den Strich gebürstet: Während für die Mystik in der unio mystica und im Doppelblick der visio beatifica (meine Schau Gottes und seine Schau in mich) immer der Primat des (transzendent gedachten) Gottes erhalten bleibt, senkt sich bei Spinoza diese scientia intuitiva tief ins Endliche ein, das sich allerdings im Licht des Unendlichen erst in seiner ganzen Schönheit zeigt. Im Endlichen verwirklicht sich das Unendliche, nicht wird das Endliche ins und im Unendliche(n) aufgehoben. Und während die Vermögen von Verstand und Vernunft, von Logos und Nus in mystischer Sichtweise eine ontologische Rangordnung nachbilden, sind die beiden verlässlichen Erkenntnisgattungen nicht nur keine Vermögen, sondern vor allem die beiden einander ergänzenden und gleichwertigen Operationen eines Geistes, der Teil einer sich selbst differenzierenden einen Substanz ist. 16 Von der Mystik, an die diese Motive also anklingen, bleibt nichts übrig – außer der
Spinoza zum Beweis des Satzes nur auf Ip25c verweisen muss: Die Einzeldinge sind nichts als die Affektionen Gottes. 15 Bergson ist es in seinem Text über die ‚Intuition philosophique‘ gelungen, die tiefe und grundlegende Einsicht, die an der Wurzel von Spinozas Denken steht, in wenigen Sätzen zusammenzufassen: „Disons, pour nous contenter d’une approximation, que c’est le sentiment d’une coïncidence entre l’acte par lequel notre esprit connaît parfaitement la vérité et l’opération par laquelle Dieu l’engendre, l’idée que la ‚conversion‘ des Alexandrins, quand elle devient complète, ne fait plus qu’un avec leur ‚procession‘, et que lorsque l’homme, sorti de la divinité, arrive à renter en elle, il n’aperçoit plus qu’un mouvement unique là où il avait vu d’abord les deux mouvements inverses d’aller et de retour, – l’expérience morale se chargeant ici de résoudre une contradiction logique et de faire, par une brusque suppression du Temps, que le retour soit un aller.“ (L’intuition philosophique. 124) 16 Die Frage, wo ein solches besonderes Vermögen menschlicher Vernunft herkommen solle, würde völlig die Sachlage verfehlen: Es ist kein Vermögen, es ist nichts Menschliches; es ist einfach ein Denken, das seinerseits („formal“, wie Spinoza den Begriff verwendet, also dem eigenen Sein nach) aus dieser ontologischen Doppelstrukturierung heraus existiert und das diese Doppelung nur wieder denkt, nur wiederholen muss („objektiv“, wie Spinoza den Begriff verwendet, bzgl. des „Bewusstseinsgehalts“).
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tiefempfundenen Gewissheit, wohin man sich auch wendet, allezeit Göttliches zu finden. So endet die Ethik in einer Beschleunigung der Beweise und einer Verdichtung der Begriffe und Hinsichten, die sich immer unwiderstehlicher ineinanderschieben. Es wird damit keine ursprüngliche und ungebrochene Einheit wiedergefunden, weil es die nie gab: Noch die Einheit der Substanz erzwingt ihre eigene Ausdifferenzierung in Inkommensurables. Nur die maximale Beschleunigung und die rücksichtslose Verschränkung der Hinsichten, in die die Natur sich allenthalben aufspaltet, kann ein Bild eben dieser Natur geben: als grelles Schillern in unbeherrschbarer Überfülle und Übermacht; als das feine Surren des Laserstrahls, der jedes Ding zum Glühen bringt. Die intellektuale Liebe ist die Art und Weise, wie sich die Intensität dieses Schillerns spürbar macht, sobald klar wird (daher „intellektuale“ Liebe), dass jedes Ding aus diesem Schillern stammt, und nicht noch nachträglich ihm irgendwie unterläge. Sie ist der quasi-physische Effekt, der sich aus der maximalen Zusammendrängung der „Termini“ des Schillerns in ein einzelnes, endliches Ding ergibt, auch und gerade, wenn ich dieses betreffende Ding bin. Dann erfahre ich Wirklichkeit als bis zum Bersten gespannt, ineinandergeschoben und auseinandertreibend, und doch als die eine Wirklichkeit, die allein für sich einsteht: eine Ewigkeit, die sich im Endlichen verdichtet. Das ist die Erfahrung der intellektualen Liebe selbst. Es ist die Intensität des Wirklichen als solchen. Jeden Morgen erscheint, ungeheuer groß, am Horizont die Sonne und macht sich auf, die Schrecken der Nacht zu verscheuchen und uns die Wirklichkeit in immer ewiger Jugend zu zeigen: als wären die Dinge gerade erst entstanden und noch von niemandem berührt worden. Selbst die Dosen und Scherben der Nacht sehen im Morgenlicht anders aus. Betroffen blinzeln wir sie an. Die Paradoxie einer alltäglich sich erneuernden Jugend, Frische, Jungfräulichkeit der Welt gibt nur ein Bild für die Macht eines Denkens, das in der Dienstmagd, in der Scherbe, in der Libelle und der Distel die atemberaubende Verschränkung von Endlichem und Ewigkeit zu gewahren versteht und zu wahren strebt. Das ist ein anspruchsvolles Denken, nicht zuletzt, weil es mehr ist als nur Denken, sondern ebenso auch ein Empfinden, ein Affekt. Es gelingt nicht einfach so, sich auf seine Höhe zu begeben.17 Auch ist damit nicht jeder Unterschied eingeebnet: Die Scherben der Nacht bleiben, was sie sind: die Reste von etwas, was zu Bruch gegangen ist. Im Politischen wie im Affektiven bricht sich das Licht der Sonne allzu häufig in zerschlagenen Prismen, niemand weiß das besser als Es ist wichtig daran zu erinnern, dass es hier nicht um eine Neubelebung der „vita contemplativa“ geht: Die Liebe zu Gott ist nicht eine Betrachtungsweise der Welt wie von außen; das ist entschieden nicht möglich. Dieser Affekt muss zugleich Erkenntnis und Handeln sein: Er ist nichts, wenn er nicht mindestens bereit und fähig ist, sich tätig in die Welt zu begeben, anstatt sie nur wie ein Spektakel zu beschauen. 17
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Spinoza. Es gilt nur, noch dieses Werk der Zerstörung als Wirkung natürlicher Mechanismen zu verstehen, und sich zu erinnern, dass es immer noch andere solche Mechanismen gibt. Die Unfreiheit ist real, sie ist verheerend, sie ist aber kein Verhängnis.18 Die Erbitterung, mit der man Spinoza begegnete, hat vielleicht auch damit zu tun: mit seiner Aufforderung, die Welt im Licht der aufgehenden Sonne zu sehen: als grandioses Schillern, an dem wir mitwirken, und mit der Zumutung, dass wir das auch können.19 Solange wir daran scheitern, solange wir betrübt und bekümmert oder zornig und verzweifelt sind, weil wir im Angesicht aller Widerstände die Aufforderung Spinozas nicht mit Leben erfüllen können, steckt uns dieses Denken wir ein Dorn im Fleisch. Befreiung beginnt dort, wo wir nach diesem Dorn tasten und spüren, dass er der Einschluss des Ewigen in unserer Endlichkeit ist.
Nach der mystischen Lehre des Isaak Luria ist die Schöpfung der Prozess, in dem das göttliche Licht sich als zu mächtig gegen die Gefäße erweist, in die es sich ergießen sollte. Sie zerbrechen und bringen so unsere Welt hervor. Auch diese Vorstellung versteht das Zerbrechen als Verhängnis, dem es zugleich eine kathartische Deutung beigesellt: Der Bruch der Gefäße soll zuletzt die Sammlung der zerstreuten Funken des göttlichen Lichts vorbereiten. Es ist klar, dass Spinozas ganz rationale und anti-teleologische Sicht dieser mystischen entschieden fernsteht. Und doch lassen sich untergründige Linien erahnen, die beide Konzeptionen über ihre massiven Differenzen hinweg miteinander in Verbindung bringen können. Zu Luria vgl. Scholem: Die jüdische Mystik. 267-314. 19 Freilich, ein Dogma kann man daraus eben nicht machen, und Spinoza tut das auch nicht: Uns unser Glück aufzutragen, wäre schiere Unmenschlichkeit. Dem Elend würde so noch der Hohn auf das Elend hinzugefügt, und die Unglücklichen müssten sich erklären lassen, dass sie an ihrem eigenen Unglück selbst schuld sind. Allerdings ist von Schuld bei Spinoza mit gutem Grund keine Rede. Für Zynismus ist dort kein Platz. 18
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Anhang: Aufstellung der Bezugnahmen innerhalb der Ethik Die folgende Zusammenstellung führt für alle Sätze (p), Folgesätze (c), Scholien (s), Definitionen (def), Axiome (ax), Postulate (post) und Lemmata (lem) [erste Spalte] diejenigen Lehrsätze auf, die sich in ihren Beweisen auf sie beziehen [zweite Spalte]. In Klammern ist dazu die Zahl der Bezugnahmen angegeben; es sind in dieser Liste nur die expliziten Bezugnahmen aufgenommen; wenn ein Beweis implizit Gebrauch von einem vorangegangenen Satz macht, so wird das hier nicht berücksichtigt. Getrennt davon sind die Bezugnahmen auf Sätze etc. aufgeführt, die sich in den Scholien finden [dritte Spalte]. Dieser Trennung liegt die Überzeugung zugrunde, dass Lehrsätze und Scholien einen unterschiedlichen Status innerhalb der Ethik haben und dass jene das Gerüst des Gebäudes tragen, ohne dass sich sagen ließe, dass die Scholien weniger wichtig oder essentiell wären (vgl. dazu auch die Bemerkungen im entsprechenden Kapitel). Auch hier ist die Zahl der Bezugnahmen mit angegeben. Ich habe Nennungen in Vorworten und Anhängen mit in die erste Kategorie aufgenommen. Das könnte Widerspruch erregen (man könnte etwa argumentieren, dass die Anhänge, z.B. der zum Dritten Teil, nur Wiederholungen sind). Es waren letztlich pragmatische Erwägungen, die mich dazu bewogen haben: Erstens ändert das am Gesamtbild nicht viel, zweitens und wichtiger bleibt dadurch der besondere Status der Scholien gewahrt.1
Ich habe eine ähnliche Analyse im Internet gefunden: Lucian Wischik präsentiert auf seiner Seite eine sehr methodensichere Skizze einer numerischen Analyse der Ethik. Mit liegt nur dieser Abriss vor, offenkundig hat Wischik (bereits 1997) eine sehr detaillierte computergestützte Analyse der Verbindungen der Sätze der Ethik unternommen. (Er verspricht auf seiner Seite, dass die vollständigen Ergebnisse auf Nachfrage mitgeteilt werden können; leider habe ich auf meine Mail keine Antwort erhalten.) Darin werden die Bedeutung der Sätze (d.h. ihre direkten und indirekten Folgen), die Schwierigkeit der Sätze (d.h. die Zahl der für einen Satzbeweis erforderlichen Prämissen) und das „tight coupling“ untersucht, d.h. das regelmäßige Auftreten zweier oder mehrerer Sätze in denselben Beweiszusammenhängen. Verglichen damit ist meine Analyse simpler; die Ergebnisse des Kapitels über die Struktur der Ethik zeigen hoffentlich, dass aber schon aus dieser begrenzteren Methode einige wichtige Schlüsse gezogen werden können – und dass der numerischen Analyse selbst grundlegend Schranken gesetzt sind. 1
Idef1 Idef2 Idef3 Idef4 Idef5 Idef6
Idef7 Idef8 Iax1 Iax2 Iax3 Iax4 Iax5 Iax6 Iax7 Ip1 Ip2 Ip3 Ip4 Ip5
Erster Teil Ip7. Ip24. Vp35. (3) Ip8. Ip21. Ip22. (3) Ip1. Ip2. Ip4. Ip5. Ip6c. Ip10. Ip15. Ip18. Ip28. (9) Ip4. Ip9. Ip10. Ip12. Ip19. Ip20. (6) Ip1. Ip4. Ip6c. Ip15. Ip23. Ip25c. Ip28. Ip31. IIp1. IIp2. (10) Ip11. Ip14. Ip14c1. Ip16. Ip19. Ip23. Ip31. IIp1. IIp2. IIp45. IVp28. Vp35. (12) Ip11. Ip17c2. Ip32. IIIp49. (4) Ip19. Ip20. Ip23. Vp29. Vp30. (5) Ip4. Ip6c. Ip11. Ip14c2. Ip15. Ip28. (6)
Ip10s. Ip11s. IIp1s. (3) Ip33s2. IIp17s. (2)
Ip5. Ip27. Vp33. (3) Ip3. Ip6c. Ip25. IIp5. IIp6. IIp7. IIp16. IIp45. Vp22. (9) Ip3. (1) Ip30. IIp29. IIp32. IIp44. IIp44c2. (5) Ip5. (1) Ip6. Ip11. Ip12. (3) Ip6. (1) Ip5. (1) Ip6. Ip8. Ip12. Ip13. Ip14. IIlem1. (6)
Ip6 Ip6c Ip7
Ip6c. Ip12. (2) Ip7. (1) Ip8. Ip11. Ip12. Ip19. IIp10. (5)
Ip8 Ip8s1 Ip8s2 Ip9 Ip10 Ip10s
Ip12. IIlem1. (2)
216
IIp1s. (1)
Ip15s. IIp10s [alternativer Beweis zu IIp10]. (2) Ip15s. (1) Ip8s1. [Kommentar in] Ip8s2. (2) Ip13s. Ip15s. (2) Ip15s. (1)
Ip12. IIp5. IIp6. (3) Ip14c1. (1)
Ip11 Ip11s Ip12 Ip13 Ip13c Ip13s Ip14 Ip14c1 Ip14c2 Ip15
Ip15s Ip16
Ip16c1 Ip16c2 Ip16c3 Ip17 Ip17c1 Ip17c2 Ip17s Ip18 Ip19 Ip19s Ip20 Ip20c1 Ip20c2 Ip21 Ip22 Ip23 Ip24 Ip24c Ip25
Ip13. Ip14. Ip17c2. Ip19. Ip21. Ip22. Ip29. Ip33. Ip34. Vp35. (10)
Ip19s. (1)
Ip15s. (1) Ip15s. (1) Ip15. Ip18. (2) Ip17c2. Ip24. Ip30. Ip33. IIp4. (5)
Ip15s. (1) Ip29s. (1)
Ip17. Ip18. Ip23. Ip25. Ip25c. Ip29. Ip30. Ip31. IIp3. IIp10c. IIp33. IIp36. IIp45. IVp28. IVp37. Vp14. (16) IIlem1. (1) Ip17. Ip26. Ip29. Ip33. Ip34. Ip36. IIp3. IIp44c2. Iapp. IIpraef. IVpraef. IVp4. Vp22. (13) Ip18. Ip34. (2)
Ip28s. Vp36s. (2)
Ip17s. Ip25s [alternativer Beweis zu Ip25]. IIp3s. (3) Ip17s. (1)
Ip17c2. (1) IIp48. (1)
Ip29s. (1) Ip33s2.2 (1)
Ip20. Ip23. (2) Ip20c2. (1) Ip21. Ip22. Vp17. (3) Ip23. Ip28. Ip29. Iapp. IIp11. IIp30. IVp4. (7) Ip23. Ip28. Iapp. IIp11. (4) Ip32. Iapp. (2) Ip28. Ip29. IVp4. (3) Ip26. Vp22. (2)
Vp40s. (1)
Ip28s. IIp45s. (2)
Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie behutsam man bei solcher formaler Analyse vorgehen muss: In Ip33s2 weist Spinoza auf Ip17s hin, doch nur um zu sagen, dass es unnötig ist, noch einmal das zu wiederholen, was dort verhandelt wurde. 2
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Ip25s Ip25c Ip26 Ip27 Ip28 Ip28s Ip29 Ip29s Ip30 Ip31 Ip31s Ip32 Ip32c1 Ip32c2 Ip33 Ip33s1 Ip33s2 Ip34 Ip35 Ip36 Iapp
Ip28. (1) Ip36. IIdef1. IIp1. IIp2. IIp5. IIp10c. IIIp6. Vp24. Vp36. (9) Ip28. Ip29. (2) Ip29. (1) Ip32. IIp9. IIlem3. IIp30. IIp31. IIp48. IVp29. Vp6. (8) Ip31. Ip32c2. Ip33. IIp31c. IIp44. IIIp7. Vp6. (7) IIp4. (1)
Iapp. (1) Iapp. (1)
IIp3s. (1) IIp3s. (1)
IIp31c. IVdef4. IVp11. (3) Ip35. Ip36. IIIp6. IVp4. (4) IIp3. (1) IIp13. IIIp1. IIIp7. (3) IIp16c2. IVpraef. (2)
IIp3s. (1) Vp4s. (1) IIp48s. IVp37s2. (2)
Zweiter Teil IIpraef IIdef1 IIdef2 IIdef3 IIdef3ex IIdef4 IIdef4ex IIdef5 IIdef5ex IIdef6 IIdef7 IIax1 IIax2 IIax3 IIax4 IIax5
218
IIlem2. IIlem3. IIIp2. (3) IIp10. IIp37. IIp49. (3) IIp48s IVp62. Vp17. (2)
IVpraef. Vp35. Vp40. (3) IIp10. IIp11. IIp30. (3) IIp11. (1) IIp11. IIp49. (2) IIp13. (1) IIp13. (1)
IIp1 IIp1s IIp2 IIp3 IIp4 IIp5 IIp6 IIp6c IIp7
IIp7c IIp7s
IIp8 IIp8c IIp8s IIp9 IIp9c IIp10 IIp10s IIp10c IIp10cs IIp11
IIp11c
IIp11s IIp12
IIp3. IIp20. (2)
IIp5. IIp9c. IIp20. IIp24. Vp22. Vp35. (6)
IIp9. IIlem3. IIp45. IIIp2. IVp7. IVp29. (6) IIp36. Vp1. (2) IIp8. IIp9. IIp9c. IIp15. IIp19. IIp20. IIp24. IIp25. IIp26. IIIp11. IIIp12. Vp1. (12) IIp32. IIp36. IIp38. IIp39. IIIp28. Vp1. (6) IIp8. (1)
IIp9c. (1) IIp9. IIp11. IIp15. IIp45. Vp21. Vp23. (6) IIp9. (1) IIp19. IIp20. IIp24. IIp25. IIIp1. (5) IIp12. IIp13. IIp30. IIIp10. (4) IIp10c. (1)
IIIp11s. (1)
IIIp2s. (1)
IIp12s [alternativer Beweis zu IIp12]. (1) IIIp11s. (1) IIIp11s. (1) IIIp11s. (1)
IIp11. IVp29. (2) IIp12. IIp13. IIp20. IIp48. IIIp2. IIIp3. IIIp10. IIIdefgenaff. IVp37. Vp9. Vp38. (11) IIp12. IIp13. IIp19. IIp22. IIp23. IIp24. IIp30. IIp34. IIp38. IIp39. IIp40. IIp43. IIIp1. IIIp28. Vp36. (15) IIp13. IIp14. IIp17. IIp17c. IIp19. IIp21. IIp22. IIp38. IVp7. Vp4. (10)
IIp43s. (1)
IIIp2s. (1)
IIp12s
219
IIp13
IIp13c IIp13s IIax1’ IIax2’ IIlem1 IIlem2 IIlem3 IIlem3c IIax1’’ IIax2’’ IIdef’ IIax3’’ IIlem4 IIlem5 IIIlem6 IIlem7 IIlem7s IIpost1 IIpost2 IIpost3 IIpost4 IIpost5 IIpost6 IIp14 IIp15 IIp16
IIp16c1 IIp16c2 IIp17
220
IIp15. IIp19. IIp21. IIp23. IIp24. IIp26. IIp29. IIp38. IIp39. IIIp3. IIIp10. IIIdefgenaff. Vp23. Vp29. (14)
IIp21s. (1)
IIp17s. (1) IIlem3. (1) IIlem3. IIlem4. IIlem5. (3) IIp38c. Vp4. (2)
IIp16. IIp24. IIIp51. IIIp57. (4) IIp17c. (1) IIlem4. IIlem5. IIlem6. IIlem7. IIp24. IVp39. (6)
IIIp17s. (1)
IIp24. (1) IIIpost1. (1) IIIpost1. (1)
IIlem7s. (1)
IIp15. IIp24. IIIpost1. (3)
IIIp17s. (1)
IIp14. IIp28. IIIp51. IVp39. (4) IIp19. IVp39. (2) IIp17c. IIIpost2. (2) IIp14. IVp39. (2) IIIp11. IVp38. (2) IIIp3. (1) IIp17. IIp19. IIp23. IIp25. IIp26. IIp27. IIp28. IIp38. IIp39. IIIp27. IVp5. (11) IIp17. IIp26. IIp47. (3) IIIp14. IIIp18. IIIdefgenaff. IVp9. Vp34. (5) IIp17c. IIp19. IIp47. IIIp12. IIIp13. IIIp18. IIIp19. IIIp25. IIIp26. IIIp28. IIIp56. IVp9. Vp7. (13)
IVp18s. (1)
IIp18s. (1)
IIp17s. IVp1s. (2) IIp44s. IIIp11s. IIIp18s1. IVp1s. (4)
IIp17c
IIp18. IIIp18. IIIp25. IIIp26. IVp13. (5)
IIp17s
IIp26c. IIIpost2. IIIp12. IIIp27. IIIp56. IVp9. Vp21. Vp34. (8) IIIp14. IIIp52. IVp13. Vp1. Vp13. (5) IIIp52. IIIaffdef4. IVp13. Vp21. (4) IIp23. IIp29c. IIp47. IIIp30. IIIp53. (5) IIp23. IIp43. (2) IIp22. IVp8. Vp3. (3) IVp8. Vp3. (2) IIp23. IIp47. IVp8. (3) IIp29c. IIp47. IIIp9. IIIp30. IIIp53. IIIaffdef1. (6) IIp28. IIp36. (2) IIp26c. IIp27. IIp28. IIp29c. IIp38. (5) IIp26c. IIp29c. Vp21. Vp29. (4)
IIp18 IIp18s IIp19 IIp20 IIp21 IIp21s IIp22 IIp23 IIp24 IIp25 IIp26 IIp26c IIp27 IIp28 IIp28s IIp29 IIp29c IIp29s IIp30 IIp31 IIp31c IIp32 IIp33 IIp34 IIp35 IIp35s
IIp29. IIp29c. IIp38. (3) IIp29c. IIp36. (2) IIp29c. (1) IIp29c. IVp64. (2) IIIp3. (1)
IIp31c. (1) IIIaffdef15. (1) IIp33. IIp34. IIp36. IVp1. Vp17. (5) IIp35. IVp1. (2) IIp41. IIp43. (2) IIp41. IVp1. (2) IIIaffdef27. Vp5. (2)
IIp17s. IIp49s. IIIp30s. IIIp47s. (4) IIp40s1. IIp49s. IIIp11s. (3) IIp17s. IIp44s. Vp10s. (3) IIp40s2. IIIp11s. (2) IIp43s.3 (1) IIp43s. (1) IIp43s. (1) IIp43s. (1) IIp43s. (1) IIp43s. (1) IIp43s. (1) IIp43s. (1) IIp43s. (1) IIp43s. (1) IIp43s. (1) IIp43s. (1) IIp43s. (1) IIp43s. (1) IIp40s2. IIp43s. (2) IIp43s. (1) IIp43s. (1) IIp43s. IVp62s. (2) IIp43s. (1) IIp43s. (1) IIp43s. (1) IIp43s. (1) IIp43s. (1) IIp43s. IIp49s. IVp1s. (3)
IIp43s erklärt, dass die Ursachen der Falschheit in den Sätzen 19 bis 35, einschließlich des Scholiums von 35, ausgeführt worden sei. Ich werte das als Bezugnahme auf jeden einzelnen Satz in dieser Sequenz (auch wenn IIp21s noch einmal einzeln erwähnt ist). 3
221
IIp36 IIp37 IIp38 IIp38c IIp39 IIp39c IIp40 IIp40s1 IIp40s2
IIp41 IIp42 IIp43 IIp43s IIp44 IIp44c1 IIp44s
IIp44c2. (2) IIp38c. IIp44c2. IIp46. Vp4. Vp7. (5) IIIp3. (1)
IVp26. IVp52. Vp31. (3) IIp42. IIIp1. 4 IIIp56. IIIp58. IVp26. IVp27. Vp7. Vp10. Vp12. Vp25. Vp28. Vp31. (12) IIp44. IIp44c2. IIIp1. IVp27. IVp35. IVp62. (6)
IIp40s2. (1) IIp40s2. (1) IIp40s2. (1) IIp40s2. Vp4s. (2) IIIp55s (=s1). (1) IIp47s. Vp36s. (2)
IIIp58. IVp27. IVp52. IVp56. IVp62. Vp27. (6) IVp27. IVp62. (2) IIp44c2. (1)
IIp49s. (1)
IIIp18. (1)
IIp49s. IIIp18s1. (4)
IIp44c2 IIp45 IIp45s IIp46 IIp47 IIp47s
IVp62. Vp29. (2) IIp46. IIp47. (2)
IIp48 IIp48s IIp49 IIp49c IIp49s
IIp49c. IIIaffdef6. (2) IIp49. IIp49c. (2) IIp49c. (1)
IIp47. Vp18. Vp31. (3) IVp36. IVp37. Vp18. (3) IVp36. Vp10. (2)
IIp49s. (1)
IIIp17s. IVp62s.
Vp20s. Vp29s. (2) Vp29s. (1) IVp36s. (1) IIp49s. Vp20s. Vp36s. (3)
IIp49s. IIIp2s. (2)
IIIaffdef15. (1) Dritter Teil
IIIpraef Spinoza spricht im Beweis von IIIp1 nur von dem Scholium zu IIp40. Er macht also nicht klar, welches von beiden Scholien er meint. Da die Referenz zudem nur in Abkürzungen angegeben ist, ist sogar denkbar, dass er sich auf beiden Scholien beziehen will. Sollte nur eines von beiden gemeint sein, dann scheint mir das zweite der bessere Kandidat zu sein, auch wenn die Referenz inhaltlich auf beide Scholien bezogen sein könnte. 4
222
IIIdef1 IIIdef2
IIIpost1 IIIpost2 IIIp1 IIIp1c IIIp2 IIIp2s IIIp3
IIIp3s IIIp4 IIIp5 IIIp6 IIIp7
IIIp8 IIIp9 IIIp9s
IIIp10 IIIp11 IIIp11s
IIIdef2. IIIp1. IVp2. IVp5. IVp23. IVp33. Vp31. (7) IIIp1. IVp8. IVp5. IVp15. IVp23. IVp33. IVp35. IVp35c1. IVp52. IVp59. IVp61. IVp64. (12) IIIp15. IIIp50. (2) IIIp3. IIIp12. IIIp56. IIIp58. IIIp59. IVp23. IVp28. (7)
Vp20s. (1)
Vp1. (1)
IIIp11s.
IIIp9. IIIp56. IIIdefgenaff. IVp15. IVp24. IVp28. IVp35. IVp35c2. IVp51. IVp52. IVp59. IVp61. IVp63. IVp64. Vp3. Vp18. Vp36. Vp40. Vp40c. Vp42. (20) IVp32. IVp59. Vp40. (3) IIIp5. IIIp6. IIIp8. IVp1. IVp4. IVp20. IVp30. (7) IIIp6. IIIp10. IIIp37. IVp7. IVp30. (5) IIIp7. IIIp12. IVp4. IVp20. IVp25. IVp26. IVp31. IVp60. IVp64. (9) IIIp9. IIIp10. IIIp37. IIIp54. IVdef8. IVp4. IVp5. IVp8. IVp15. IVp18. IVp20. IVp21. IVp22. IVp25. IVp26. IVp32. IVp33. IVp53. IVp60. IVp64. Vax2. Vp8. Vp9. Vp25. (24) IIIp9. (1) IIIp12. IIIp13. IIIp37. IIIp58. (4) IIIp27c3. IIIp28. IIIp55c (=c2). IIIp56. IIIp57. IIIp58. IIIaffdef1. IVp19. IVp26. (9)
Vp4s. Vp20s. (2)
IVp18s. (1)
IIIp44s. (1) IVp18s. (1)
IIIp39s. (1)
IIIp11s. IVp20s. (2) IIIp12. IIIp34. IIIp57. IVp41. IVp42. (6) IIIp15. IIIp15c. IIIp19. IIIp21. IIIp23. IIIp34. IIIp37. IIIp38. IIIp50. IIIp55. IIIp55c (=c2).
IIIp59. IIIp20. IIIp35. IIIp53. IIIp56.
223
IIIp12
IIIp13 IIIp13c IIIp13s
IIIp14 IIIp15 IIIp15c IIIp15s IIIp16 IIIp17 IIIp17s IIIp18 IIIp18s1 IIIp18s2 IIIp19 IIIp20 IIIp21 IIIp22 IIIp22s IIIp23 IIIp23s IIIp24 IIIp24s
224
IIIp57. IIIp59. IIIaffdef3. IIIaffdef4. IVp18. IVp29. IVp30. IVp41. IVp42. IVp43. IVp44. IVp51. (27) IIIp13. IIIp15c. IIIp19. IIIp25. IIIp26. IIIp28. IIIp33. IIIp42. IVp60. (9) IIIp20. IIIp23. IIIp25. IIIp26. IIIp27c3. IIIp28. IIIaffdef29. (7) IIIp15c. IIIp38. (2) IIIp15c. IIIp17. IIIp19. IIIp20. IIIp22. IIIp24. IIIp28. IIIp29. IIIp33. IIIp34. IIIp35. IIIp38. IIIp39. IIIp40. IIIp41. IIIp44. IIIp45. IIIp48. IIIp49. IIIp55c (=c2). IIIaffdef7. IVp8. IVp57. (23) IIIp15c. IIIp16. (2) IIIp16. IIIp36. (2) IIIp16. IIIp35. IIIp41. (3)
IIIp52s. (1)
IIIp30s. (1)
IIIp52s. (1) IIIp35s. IIIp50s. IIIp52s. (3)
IIIaffdef9. (1) IIIp17. IIIp41. IIIp46. IVp34. (4) IIIp31. (1) IVp12. (1) IVdef6. (1) IIIaffdef13. IVdef6. (2) IIIp21. IIIp36c. IIIp42. IIIaffdef13. Vp19. (5) IIIp23. IIIp28. IIIaffdef11. IIIaffdef13. (4) IIIp22. IIIp24. IIIp25. IIIp38. IIIp45. (5) IIIaffdef18. IIIaffdef20. (2)
IVp9s. (1) IIIp50s. (1)
IIIp22s. (1)
IIIp27s. IIIp27c3s. (2)
IIIp26. IIIp27. IIIp27c2. IIIp35. IIIp38. (5)
IIIp55c (=c2). IIIaffdef24. (2)
IIIp35s. (1) IIIp55cs (=s1). (1)
IIIp25
IVp49. (1)
IIIp26 IIIp26s IIIp27
IIIp40c2. IIIp43. (2) IIIaffdef22. IIIaffdef28 (2) IIIp27c1. IIIp27c3. IIIp29. IIIp30. IIIp31. IIIp32. IIIp40. IIIp41. IIIp47. IIIp53c. IIIaffdef33. IIIaffdef44. (12) IIIaffdef18. IIIaffdef33. IIIaffdef35. (3) IIIp32. IIIaffdef20. (2)
IIIp27s IIIp27c1 IIIp27c2 IIIp27c3 IIIp27c3s IIIp28
IIIp29. IIIp31c. IIIp32. IIIp35. IIIp36. IIIp38. IIIp39. IVp19. Vp19. (9) IIIp33. IIIp43. (2) IIIp53c. IIIaffdef48. (2)
IIIp30
IIIp34. IIIp43. (2)
IIIp30s
IIIp34. IIIp35. IIIp42. IIIaffdef29. IIIaffdef31. (5) IIIp35. IIIaffdef44. IVp37. Vp20. (4) IVp37. IVcap19. (2)
IIIp31c IIIp31s IIIp32 IIIp32s IIIp33 IIIp34 IIIp35 IIIp35s IIIp36 IIIp36c IIIp36s IIIp37
IIIp49s. IIIp52s. IVp50s. IVp68s. (2)
IVp50. (1)
IIIp29 IIIp29s
IIIp31
IIIp30s. IIIp40s. IIIp41s. (3)
IIIaffdef33. IVp34. (2) IIIaffdef24. IIIaffdef33. IVp34. (3) IIIp34. IIIp38. IIIp42. (3) IIIp35. IIIp42. (2)
IIIp39s. IIIp50s. IIIp51s. IIIp55cs (= s1). IVp37s2. (5) IIIp31s. IVp37s2. (2) IIIp40s. IIIp41s. (2) IIIp40s. IIIp41s. (2) IVp34s. (1) Vp4s. (1) IIIp32s. IIIp55cs (= s1). (1)
IIIp49s. (1)
Vp20. (1) IIIp36c. (1)
IIIp38. IIIp39. IIIp43. IIIp44. IVp15. IVp37. IVp44. (7)
IIIp38
225
IIIp39
IIIp39s IIIp40 IIIp40s IIIp40c1 IIIp40c2 IIIp40cs IIIp41 IIIp41s IIIp41c IIIp41cs IIIp42 IIIp43 IIIp44 IIIp44s IIIp45 IIIp46 IIIp47 IIIp47s IIIp48 IIIp49 IIIp49s IIIp50 IIIp50s IIIp51 IIIp51s IIIp52 IIIp52s IIIp53 IIIp53c IIIp54 IIIp55 IIIp55c (= c1)
226
IIIp40c2. IIIaffdef34. IIIaffdef36. IVp34. IVp45. IVp45c1. IVp45c2. (7) IIIaffdef39. IIIaffdef42. IVp70. (3) IIIp40c1. IIIp40c2. IIIp43. IIIp45. IVp34. (5) IVp34. (1)
IIIp40s. IIIp41s. IVp37s2. (3)
IIIaffdef37. (1)
IVp37s2. (1)
IIIp43. IVp49. (2). IIIaffdef34. (1)
IVp57s. (1)
IVp70. (1) IVp46. (1) IVp46. (1)
IIIaffdef11. IIIaffdef32. (2) IIIp49. Vp6. Vp9. (3) Vp5. (1)
IVp33. (1) IIIaffdef27. IIIaffdef42. (2) IIIaffdef4. IIIaffdef10. (2) IIIaffdef4. IIIaffdef5. IIIaffdef11. IIIaffdef42. (4) IIIp58. IIIaffdef27. IVp33. Vp15. (4) IIIp55c (= c1). (1) IIIp55. IIIaffdef27. IIIaffdef29. (3) IIIaffdef27. IVp53. (2)
IIIp51s. (1) IIIp49s. (1) IIIp41s. (1)
IIIp49s. (1)
IIIp51s. (1)
IIIp55cs (= s2). (1) IIIp55cs (= s2). (1) IIIp55cs (= s1). (1) IVp52s.
IIIp55cs (= s1) IIIp55c (= c2) IIIp55cs (= s2) IIIp56 IIIp56s IIIp57 IIIp57s IIIp58 IIIp59 IIIp59s IIIaffdef1
IIIaffdef2 IIIaffdef3 IIIaffdef4 IIIaffdef5 IIIaffdef6 IIIaffdef7 IIIaffdef8 IIIaffdef9 IIIaffdef10 IIIaffdef11 IIIaffdef12 IIIaffdef13 IIIaffdef14 IIIaffdef15 IIIaffdef16 IIIaffdef17 IIIaffdef18 IIIaffdef19 IIIaffdef20 IIIaffdef21 IIIaffdef22 IIIaffdef23 IIIaffdef24 IIIaffdef25
IVp34. (1)
IVp57s. (1) IVp52s. (1)
IIIp56s. (1) IIIaffdef48. (1) IVp37s1. (1) IIIp59. (1) IVp34. IVp51. IVp63. IVp63c. Vp18. Vp42. (6) IVp46. IVp69. (2) IVp15. IVp18. IVp19. IVp21. IVp37. IVp59. IVp61. Vp26. Vp28. (9) Vp17. Vp27. (2) IVp64. Vp17. (2) IVp59. (1) IVp44. IVp57. Vp2. Vp15. Vp17c. Vp32c. (6) IVp34. Vp2. Vp17c. Vp18. (4)
Vp10s. Vp18s. (2) IVp69s. IVp73s. (2)
IVp34s. (1)
IVp47. (1) IVp47. IVp63. (2)
IVp50. (1) IVp51. (1) IVp51s. (1) IVp48. (1) IVp48. (1) Vp20. (1) IVp52. Vp27. Vp32. (3)
Vp36s. (1)
227
IIIaffdef26 IIIaffdef27 IIIaffdef28 IIIaffdef29 IIIaffdef30 IIIaffdef31 IIIaffdef32 IIIaffdef33 IIIaffdef34 IIIaffdef35 IIIaffdef36 IIIaffdef37 IIIaffdef38 IIIaffdef39 IIIaffdef40 IIIaffdef41 IIIaffdef42 IIIaffdef43 IIIaffdef44 IIIaffdef45 IIIaffdef46 IIIaffdef47 IIIaffdef48 IIIaffgendef
IVpraef IVdef1 IVdef2 IVdef3 IVdef4 IVdef5 IVdef6 IVdef7 IVdef8 IVax IVp1 IVp1s IVp2
228
IVp53. (1) IVp54. (1) IVp49. IVp55. IVp57. (3) IVp55. (1) IVp49. IVp58. (2)
Vp36s. (1)
IVp71. (1)
IVp69. (1) IVp69. (1)
IVp7. IVp7c. IVp8. IVp9. IVp14. Vp3. Vp4c. Vp17. Vp34. Vp40c. (10) Vierter Teil IVdef2. IVp39. IVp59. IVp65. (4) IVp8. IVp26. IVp28. (3) IVp8. (1) IVp12. IVp13. (2) IVp12. (1) IVp10s. (1) IVp20. IVp22. IVp23. IVp24. IVp35c2. IVp56. Vp25. Vp42. (8) IVp3. IVp7. (2) IVp14. (1)
IVp18s. (1)
IVp3 IVp4 IVp4c IVp5 IVp6 IVp7 IVp7c IVp8 IVp9 IVp9s IVp9c IVp10 IVp10s IVp11 IVp12 IVp12c IVp13 IVp14 IVp15 IVp16 IVp17 IVp17s IVp18 IVp18s IVp19 IVp20 IVp20s IVp21 IVp22 IVp22c IVp23 IVp24 IVp25 IVp26
IVp4. IVp6. IVp15. IVp43. IVp69. (5)
IVp6. IVp7. IVp15. IVp43. IVp69. Vp8. (6) IVp43. IVp44. IVp60. Vp7. (4) IVp7c. IVp14. IVp15. IVp69. (4)
IVp68s. (1) IVp37s2. (1) Vp20s. (1) IVp37s2. (1) IVp37s2. (1)
IVp14. IVp15. IVp19. IVp29. IVp30. IVp63c. IVp64. (7) IVp11. IVp13. Vp7. (3) IVp10. IVp12c. IVp16. (3) IVp12c. (1)
IVp60s. (1)
Vp5. (1) IVp12c. (1) IVp17. (1)
IVp16. IVp17. (2) IVp62s. (1) IVp37s2. (1) IVp56s. (1) IVp35. IVp37. IVp46. IVp59. (4) IVp35c2. (1)
IVp37s2. (1) IVp37s2. (1)
IVp22c. (1) IVp24. IVp25. IVp26. IVp56. Vp41. (5) IVp28. (1) IVp36. IVp37. IVp56. IVp67. IVp72. Vp41. (6) IVp26. (1) IVp27. IVp28. IVp36. IVp37. IVp38. IVp40. IVp48. IVp53. Vp9. Vp10. (10)
IVp52s. (1)
229
IVp27 IVp28 IVp29 IVp30 IVp31 IVp31c IVp32 IVp32s IVp33 IVp34 IVp34s IVp35 IVp35c1 IVp35c2 IVp35s IVp36 IVp36s IVp37
IVp37s1 IVp37s2 IVp38 IVp39 IVp39s IVp40 IVp41 IVp42 IVp43 IVp44 IVp44s
IVp28. IVp38. IVp40. IVp48. IVp50. Vp9. Vp10. (7) IVp36. Vp20. Vp25. Vp27. (4) IVp31c. (1) IVp31. IVp31c. IVp34. Vp10. Vp38. Vp39. (6) 5
IVp34s. (1) IVp34s. (1)
IVp35. IVp35c1. IVp72. (3)
IVp35. (1) IVp35. (1)
IVp37s2. (1) IVp36s. IVp37s2. (2)
IVp35c1. IVp35c2. IVp40. IVp71. (4) IVp35c2. IVp37. IVp71. (3)
IVp36s. (1) IVp37s2. (1) IVp37s2. (1)
IVp37. Vp20. (2) IVp45. IVp45c1. IVp46. IVp50. IVp51. IVp70. IVp71. IVp73. Vp20. (9) IVp45c2. IVp58. IVcap15. IVcap25. (4) IVp73. IVcap15. (2) IVp39. IVp41. IVp42. IVp43. IVcap27. Vp39. (6) IVp42. IVcap27. (2)
IVp68s. Vp4s. (3)
IVp73s.
Vp4s. (1)
Vp38s. (1) IVp43. IVp47. IVp50. IVp59. (4)
IVp45cs. (1)
IVp44. IVp47. IVp59. (3) IVcap30. (1)
IVp58s. IVp60s. (2)
Der Beweis des Satzes erwähnt ein „Axiom 3 dieses Teils“. Das gibt es freilich nicht. Das einzige Axiom des Vierten Teils kann jedenfalls nicht gemeint sein. Bartuschat vermutet (Seite 424 seiner Ausgabe): „vielleicht Bezug auf ein später von Spinoza gestrichenes Axiom“. Die Herausgeber der italienischen Sämtlichen Werke kommentieren diese Stelle nicht. Bartuschats Konjektur ist plausibel. 5
230
IVp45 IVp45s IVp45c1 IVp45c2 IVp45cs IVp46 IVp46s IVp47 IVp47s IVp48 IVp49 IVp50 IVp50c IVp50s IVp51 IVp51s IVp52 IVp52s IVp53 IVp54 IVp54s IVp55 IVp56 IVp56c IVp56s IVp57 IVp57s IVp58 IVp58s IVp59 IVp59s IVp60 IVp60s IVp61 IVp62 IVp62s IVp63 IVp63s IVp63c IVp63cs IVp64 IVp64c
IVp51s. (1) IVcap31. (1) IVp46. IVp59. (2)
IVp45cs. (1)
IVcap15. (1)
IVp73s. Vp10s. (2) Vp10s. (1)
IVp73s. (1)
Vp10s. (1) IVp58s. (1)
IVp56. (1)
IVcap22. (1)
Vp4s. (1)
IVcap30. (1) IVp63c. (1) IVp66. (1)
Vp4s. (1)
IVp67. IVp73. (2) IVp65. IVp65c. IVp67. (3)
Vp10s. (1)
IVp68. (1)
231
IVp65 IVp65c IVp66 IVP66c IVp66s IVp67 IVp68 IVp68s IVp69 IVp69c IVp69s IVp70 IVp70s IVp71 IVp71s IVp72 IVp72s IVp73 IVp73s IVcap1 IVcap2 IVcap3 IVcap4 IVcap5 IVcap6 IVcap7 IVcap8 IVcap9 IVcap10 IVcap11 IVcap12 IVcap13 IVcap14 IVcap15 IVcap16 IVcap17 IVcap18 IVcap19 IVcap20 IVcap21 IVcap22 IVcap23
232
IVp66. (1)
IVp73. (1)
IVcap18. (1) IVcap18. (1)
IVcap15. (1)
IVcap9. (1)
IVcap24 IVcap25 IVcap26 IVcap27 IVcap28 IVcap29 IVcap30 IVcap31 IVcap32 Fünfter Teil Vpraef Vax1 Vax2 Vp1 Vp2 Vp3 Vp3c Vp4 Vp4c Vp4s Vp5 Vp6 Vp6s Vp7 Vp8 Vp8s Vp9 Vp10 Vp10s. Vp11 Vp12 Vp13 Vp14 Vp15 Vp16 Vp17 Vp17c Vp18 Vp18c Vp18s Vp19 Vp20
Vp7. (1) Vp8s. (1) Vp10. (1) Vp4s. Vp20s. (2) Vp18s. Vp20s. (2) Vp42 Vp4c. Vp14. (2) Vp20s. (1) Vp6. (1) Vp10s. (1)
Vp11. (1)
Vp10s. Vp20s. (2) Vp10s. (1)
Vp39. (1)
Vp20s. (1) Vp20s. (1)
Vp12. Vp16. (2)
Vp15. Vp16. Vp39. (3) Vp16. Vp39. (2) Vp39. (1) Vp17c. (1) Vp19. (1) Vp20. (1)
Vp20s. (1) Vp20s. (1) Vp20s. (1) Vp20s. (1) Vp20s. (1) Vp20s. (1)
233
Vp20s Vp21 Vp22 Vp23 Vp23s Vp24 Vp25 Vp26 Vp27 Vp28 Vp29 Vp29s Vp30 Vp31 Vp32 Vp32c Vp33 Vp33s Vp34 Vp34c Vp34s Vp35 Vp36 Vp36c Vp36s Vp37 Vp37s Vp38 Vp38s Vp39 Vp39s Vp40 Vp40c Vp40s Vp41 Vp41s Vp42 Vp42s
234
Vp29. Vp31. Vp34. Vp40c. (4) Vp23. (1) Vp29. Vp31. Vp38. Vp40c. (4)
Vp38s. (1)
Vp25. Vp27. (2) Vp27. (1) Vp32. (1)
Vp36s. Vp38s. (2)
Vp31. Vp32c. Vp37. Vp38. Vp40c. (5) Vp31. Vp32. (2) Vp33. (1) Vp32c. Vp36. Vp42. (3) Vp35. Vp36. Vp42. (3) Vp37. Vp39. (2)
Vp36. (1) Vp42. (1) Vp42. (1) Vp38. (1) Vp42. (1)
Vp40c. (1)
Vp33s. (1)
Vp36s. (1)
Literaturverzeichnis
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