Spiel nicht mit den Schmuddelkindern? Eine multiskalare Analyse von Effekten der sozialen Komposition auf die Bildungswahlentscheidung am Ende der Grundschulzeit [1. ed.] 9783756004188, 9783748936695


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1. Einleitung
2. Theoretischer Rahmen
2.1 Das föderale deutsche Schulsystem und Bildungsübergänge
2.2 Haushaltsinterne Bildungswahlentscheidung und differierende Bildungsbeteiligung
2.3 Der sozialräumliche Kontext und die Bildungswahlentscheidung
2.4 Forschungsstand: Empirische Evidenz zu Effekten des sozialräumlichen Kontextes
2.5 Forschungsstand: Empirische Evidenz zur schicht- bzw. bildungsgruppenspezifischen Bildungswahlentscheidung in Deutschland
2.6 Explikation und Hypothesen
3. Analysestrategie
3.1 Das kontrafaktische Modell zur Kausalität
3.2 Propensity-Score-Matching
3.3 Directed-Acyclic-Graphs
3.3.1 DAG – Anteil statusniedriger und statushoher Haushalte
3.4 Effekt- und Treatmentidentifikation
4. Datengrundlage
4.1 Daten des Sozio-oekonomischen Panels
4.2 100x100-Meter-Gitterdaten des Zensus 2011
4.3 microm-Daten
4.4 Geokoordinaten aller Schulen in Deutschland
4.5 Bundeslandzuordnung
5. Operationalisierung
5.1 Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes
5.1.1 Schulsprengel und Distance-Decay-Funktion
5.2 Operationalisierung der Befragungsdaten
6. Ergebnisse
6.1 Deskriptive Darstellung des Analysesamples
6.2 Beispielhafte Darstellung aller Berechnungsschritte für zwei ausgewählte Schwellenwerte und Skalierungen
6.3 Ergebnisse der Berechnungen der nicht nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen
6.3.1 Sensitivitätsanalysen für die nicht nach Bildungsgruppen differenzierten Berechnungen
6.3.2 Inhaltliche Einordnung der nicht nach Bildungsgruppen differenzierten Effekte mit Rückbezug auf die Hypothesen eins bis 5.1
6.4 Ergebnisse der Berechnungen der nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen
6.4.1 Sensitivitätsanalysen für die nach Bildungsgruppen differenzierten Berechnungen
6.4.2 Inhaltliche Einordnung der nach Bildungsgruppen differenzierten Effekte mit Rückbezug auf die Hypothesen sechs bis acht
6.5 Zusammenfassung der Ergebnisse
7. Fazit
7.1 Reflexion des methodischen Vorgehens
7.2 Praxisbezogene Schlussfolgerungen
8. Literaturverzeichnis
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Spiel nicht mit den Schmuddelkindern? Eine multiskalare Analyse von Effekten der sozialen Komposition auf die Bildungswahlentscheidung am Ende der Grundschulzeit [1. ed.]
 9783756004188, 9783748936695

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Bildungsforschung | Educational Research herausgegeben von | edited by Prof. Dr. Janna Teltemann, Universität Hildesheim

Band 7 | Volume 7

Hinrich Wildfang

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern? Eine multiskalare Analyse von Effekten der sozialen Komposition auf die Bildungswahlentscheidung am Ende der Grundschulzeit

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 2022 ISBN 978-3-7560-0418-8 (Print) ISBN 978-3-7489-3669-5 (ePDF)

1. Auflage 2022 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2022. Gesamtverantwortung für Druck und Herstellung bei der Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Danksagung Mein Dank gilt zunächst meiner Betreuerin, Prof. Dr. Stefanie Kley, die jederzeit für inhaltliche Fragen und Diskussionen zur Verfügung stand und mir einen hohen Grad der Freiheit bei der Umsetzung dieser Dissertation eingeräumt hat, welcher stets als Ausdruck des Vertrauens geschätzt wurde. Ein ganz besonderer Dank gilt Dorit Fiedler, die mich durch die Höhen und Tiefen des gesamten Prozesses der Erstellung dieser Dissertation begleitet hat und die mich immer, wenn nötig, aufgebaut hat und viele hilfreiche Impulse gegeben hat. Weiter möchte dem gesamten Team des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) in Berlin danken, die mich bei meinen diversen Gastaufenthalten immer unterstützt haben. Darüber hinaus danke ich auch meinen Kollegin­ nen Dr. Thordis Reimer und Alicia Dunker sowie Tetiana Dovbischuk für zahlreiche hilfreiche Anmerkungen im Rahmen unserer ArbeitsgruppenKolloquien. Besonderer Dank geht an Anna Braun (ehem. Stenpaß) für die vielen konstruktiven Gespräche über den Gang und beim Mittagessen, die sowohl motivierend als auch inhaltlich wertvoll waren. Auch Prof. Dr. Janna Teltemann gilt mein Dank für die konstruktiven Anmerkungen zu einem geplanten Beitrag zu einem Sammelband. Des Weiteren möchte ich den unzähligen und deshalb nicht namentlich benannten Menschen danken, mit denen anregende und kritische Gesprä­ che in der Teeküche des DIW oder während der diversen Konferenzen geführt wurden. Diese informellen und teilweise sehr kurzen Gespräche wa­ ren eine wahre Bereicherung – auf motivationaler wie auch auf inhaltlicher Ebene.

Zusammenfassung Ziel dieser Arbeit ist die Überprüfung der Existenz kausal wirkender Effekte der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu be­ suchen. Diese Überprüfung wird auf Basis unterschiedlich skalierter, klein­ sträumiger Operationalisierungen des sozialräumlichen Kontextes sowie de­ taillierten kind- und haushaltsspezifischen Informationen, welche aus dem Sozio-oekonomischen Panel stammen, durchgeführt. Die aufwendigen Auf­ arbeitungen und geografischen Überlagerungen der verschiedenen Daten­ sätze und die anschließende Operationalisierung der sozialräumlichen Zu­ schnitte, welche unabhängig von administrativen Grenzziehungen und stark theoriegeleitet erfolgt, stellt ein Novum in der deutschen Nachbarschaftsbzw. Kompositionseffektforschung dar. In Kombination mit dem großen Analysepotenzial des Sozio-oekonomischen Panels, welches weitestgehend ausgeschöpft wird, ist so eine sehr umfassende Darstellung relevanter kindund haushaltsspezifischer sowie räumlicher und kompositioneller Faktoren möglich. Die Machbarkeit der kleinsträumigen Operationalisierung sozialräumli­ cher Kontexte mit bestehenden Daten für den deutschen Kontext wird in dieser Arbeit aufgezeigt und detailliert beschrieben, um hierauf aufbauend die Existenz und generelle Tendenz möglicher Effekte der sozialen Kompo­ sition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes zu überprüfen. Es wird somit die Abhängigkeit individuellen Handelns von der sozialen Umwelt überprüft, womit deutlich wird, dass nichts anderes als eines der Kernthe­ men der Soziologie behandelt wird. Es geht damit letztendlich um die Frage, ob der Wohnort und damit die mit diesem verbundene soziale Kom­ position der Nachbarschaft bzw. des relevanten sozialräumlichen Kontextes einen kausalen Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, hat. Formale Bildung kann als die Schlüssel­ ressource für eine ganze Reihe positiver Lebenschancen und Möglichkeiten verstanden werden, so dass eine systematische Variation bei der Bildungsbe­ teiligung in Abhängigkeit der sozialen Komposition eines relevanten sozi­ alräumlichen Kontextes als ein soziale Ungleichheiten verstärkender oder auch kompensierender Faktor verstanden werden muss. Den theoretischen Rahmen der Analysen bilden unter anderem die mikrosoziologische Theorie zur Bildungswahlentscheidung von Boudon (1974), das Subjectiv-Expected-Utility-Modell von Esser (1999), die Kapital­ theorie Bourdieus (1983, 1973; 1971) sowie die Theorie der differentiellen

8

Zusammenfassung

Assoziation von Sutherland und Cressey (1978, 1966). Diese Theorien wer­ den in ihrer Reichweite teilweise über das Subjekt hinausgehend erweitert gedacht und so um sozialräumliche Faktoren argumentativ erweitert. Hier­ auf aufbauend werden zwei explizite Wirkketten herausgearbeitet, welche die kausalen Beziehungen der sozialen Komposition eines relevanten sozi­ alräumlichen Kontextes und der haushaltsinternen Bildungswahlentschei­ dung beschreiben. Diese können jedoch aufgrund der Datenlage nicht separat voneinander analysiert werden. Es können jedoch argumentative Rückschlüsse auf deren Relevanz formuliert werden. Die Analysen werden mithilfe des Propensity-Score-Matching-Verfahrens (PSM) durchgeführt. Das PSM-Verfahren kann als direkte Umsetzung der Logik des kontrafaktischen Ansatzes der Kausalanalyse, welches den Rahmen der Analysen bildet, verstanden werden. Die Effektidentifikation erfolgt mithilfe von DirectedAcyclic-Graphs (DAGs). Die Existenz eigenständiger und kausal interpretierbarer Effekte der sozialen Komposition auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, können aufgezeigt werden. Die differenzierten Analyseergebnisse verweisen sodann darauf, dass es nicht den einen Effekt der sozialen Komposition gibt. Die Effekte variieren in Abhängigkeit soziodemografischer Eigenschaften der Haushalte, der Art der Operationali­ sierung des sozialräumlichen Kontextes, der Höhe der gewählten Schwellen­ werte und in Abhängigkeit der betrachteten Statusgruppe innerhalb des sozialräumlichen Kontextes. Eine hohe Konzentration statusniedriger Haushalte innerhalb eines re­ levanten sozialräumlichen Kontextes (konzentrierte Armut) weist lediglich für die Gruppe der Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung einen eindeutigen negativen Effekt auf. Bei allen anderen Bildungsgruppen ist lediglich eine Tendenz zu erkennen. Eine hohe Konzentration statushoher Haushalte innerhalb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes hingegen weist deutliche positive Effekte auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grund­ schule das Gymnasium zu besuchen, für die Gruppe der Haushalte mit einer mittleren und hohen formalen Bildung auf. Die Ergebnisse verweisen auf die besondere Rolle der Gruppe der Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung und auf die Bedeutung von lokal gebundener Normen, Werte und Informationen, welche die Grundlage für eine der beiden heraus­ gearbeiteten Wirkketten darstellen. Die Ergebnisse einer Sensitivitätsanalyse zeigt auf, dass die Ergebnisse weitest gehenden robust gegen Verzerrungen (Bias) durch eventuell nicht berücksichtigte Faktoren sind. Unabhängig von der Relevanz für den Forschungsgenstand dieser Arbeit verweisen die Ergeb­ nisse auf eine hohe Relevanz für eine Vielzahl anderer soziologischer und sozialwissenschaftlicher Forschungsgegenstände. Die Berücksichtigung der

Zusammenfassung

9

sozialräumlichen Einbettung und besonders der Effekte lokal gebundener Normen, Werte und Informationen kann potenziell zu einem erweiterten Verständnis bzw. exakteren Analyseergebnissen führen.

Abstract This research contribution investigates the existence of causal effects of the social composition of a relevant socio-spatial context on the probability of attending high school after primary school. This analysis is based on differently scaled, small-scale operationalization of the socio-spatial context as well as detailed child- and household-specific information from the German Socio-Economic Panel (SOEP). The elaborate processing and geographical overlays of various data sets and the subsequent operationalization of the socio-spatial contexts, which are independent of administrative boundaries and strongly theory-based, represent a novelty in German neighborhood effect research. The potential for analysis of the Socio-Economic Panel is largely exhausted. Thus a very comprehensive representation of relevant child- and household-specific as well as spatial and compositional factors is possible. The feasibility of such small-scale operationalization of socio-spatial contexts with existing data for the German context is shown and described in detail in this research contribution. It forms the base in order to examine the existence and general tendency of possible effects of the social com­ position of a relevant socio-spatial context. The dependence of individual actions on the social environment is thus examined, which makes it clear that one of the core topics of sociology is being dealt with. Ultimately, the question is whether the place of residence and the associated social composition of the neighborhood or the relevant socio-spatial context have a causal effect on the probability to attend high school after primary school. Formal education can be understood as the key resource for a whole range of positive life chances and opportunities, so that a systematic variation in educational participation depending on the social composition of a relevant socio-spatial context must be understood as a factor that reinforces social inequalities. The theoretical framework of the analyses are based on Boudon’s (1974) microsociological theory of educational choices, Esser’s (1999) subjective expected utility model, Bourdieu’s (1983, 1973; 1971) theory of capital, and one general argument from the theory of differential association (Sutherland; Cressey (1978, 1966)). The scope of these theories are thought to be extended beyond the subject, and thus argumentatively expanded to include socio-spatial factors. Based on this, two mechanisms are elaborated, which describe the causal relationships of the social composition of a rele­ vant socio-spatial context and the household-internal educational choice.

12

Abstract

Due to the limited access and availability of adequate data in Germany, these two mechanisms cannot be analyzed separately. However, argumenta­ tive conclusions about their relevance can be formulated. The analyses are carried out using propensity-score matching procedures (PSM). The PSMprocedure can be understood as a direct implementation of the logic of the counterfactual approach of causal analysis, which forms the framework of the analyses. Directed-Acyclic-Graphs (DAGs) are utilized to identify the causal effect. The existence of causal effects of the social composition of a relevant socio-spatial context on the probability to attend high school after primary school can be shown. The results indicate that there is not one effect of the social composition. The effects vary depending on the sociode­ mographic characteristics of the households, the type of operationalization of the socio-spatial context, the level of the selected threshold values and on the status group under consideration within the socio-spatial context. A high concentration of low-status households within a relevant sociospatial context (concentrated poverty) has only a negative effect on the group of households with an average level of formal education. For all other educational groups, only a tendency can be discerned. A high concentration of high-status households within a relevant socio-spatial context, on the other hand, has clear positive effects on the probability of attending high school after primary school for the group of households with an average and high level of formal education. The results refer to the special role of the group of households with an average level of formal education and to the importance of locally bound norms, values and information, which represent the basis for one of the two mechanisms elaborated. Using a new method for sensitivity analysis, these effects are shown to be robust to selection bias. Regardless of the relevance for the research subject of this work, the results indicate a high relevance for a variety of other sociological and social science research subjects. Taking into account the socio-spatial embedding and especially the effects of locally bound norms, values and information can potentially lead to an expanded understanding or analyses that are more precise.

Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis

15

Tabellenverzeichnis

19

Abkürzungsverzeichnis

21

Online-Anhang

23

1. Einleitung

25

2. Theoretischer Rahmen

31

2.1 Das föderale deutsche Schulsystem und Bildungsübergänge

37

2.2 Haushaltsinterne Bildungswahlentscheidung und differierende Bildungsbeteiligung

42

2.3 Der sozialräumliche Kontext und die Bildungswahlentscheidung

50

2.4 Forschungsstand: Empirische Evidenz zu Effekten des sozialräumlichen Kontextes

63

2.5 Forschungsstand: Empirische Evidenz zur schicht- bzw. bildungsgruppenspezifischen Bildungswahlentscheidung in Deutschland

71

2.6 Explikation und Hypothesen

76

3. Analysestrategie 3.1 Das kontrafaktische Modell zur Kausalität

95 96

3.2 Propensity-Score-Matching

101

3.3 Directed-Acyclic-Graphs

108

3.3.1 DAG – Anteil statusniedriger und statushoher Haushalte 3.4 Effekt- und Treatmentidentifikation 4. Datengrundlage 4.1 Daten des Sozio-oekonomischen Panels

113 117 121 121

14

Inhaltsverzeichnis

4.2 100x100-Meter-Gitterdaten des Zensus 2011

122

4.3 microm-Daten

122

4.4 Geokoordinaten aller Schulen in Deutschland

124

4.5 Bundeslandzuordnung

125

5. Operationalisierung 5.1 Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes 5.1.1 Schulsprengel und Distance-Decay-Funktion 5.2 Operationalisierung der Befragungsdaten 6. Ergebnisse

127 127 135 138 145

6.1 Deskriptive Darstellung des Analysesamples

146

6.2 Beispielhafte Darstellung aller Berechnungsschritte für zwei ausgewählte Schwellenwerte und Skalierungen

158

6.3 Ergebnisse der Berechnungen der nicht nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen

168

6.3.1 Sensitivitätsanalysen für die nicht nach Bildungsgruppen differenzierten Berechnungen

179

6.3.2 Inhaltliche Einordnung der nicht nach Bildungsgruppen differenzierten Effekte mit Rückbezug auf die Hypothesen eins bis 5.1

185

6.4 Ergebnisse der Berechnungen der nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen

199

6.4.1 Sensitivitätsanalysen für die nach Bildungsgruppen differenzierten Berechnungen

208

6.4.2 Inhaltliche Einordnung der nach Bildungsgruppen differenzierten Effekte mit Rückbezug auf die Hypothesen sechs bis acht

210

6.5 Zusammenfassung der Ergebnisse 7. Fazit

227 237

7.1 Reflexion des methodischen Vorgehens

243

7.2 Praxisbezogene Schlussfolgerungen

246

8. Literaturverzeichnis

251

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1:

Erweitertes Makro-Mikro-Makro-Modell

33

Abbildung 2:

Schachbrettproblem und das Problem der Über- und Unterschätzung von Distanzen

55

Abbildung 3:

Schemata der Logik des kontrafaktischen Modells

97

Abbildung 4:

Logik des gewählten Matching-Algorithmus inkl. Common-Support

107

Abbildung 5:

Beispiel für einen Directed-Acyclic-Graph (DAG)

111

Abbildung 6:

DAG zur Identifikation des Effektes eines oberhalb eines Schwellenwertes liegenden Anteils statusniedriger Haushalte innerhalb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes

116

Abbildung 7:

Definition des Treatments und die resultierenden Einschränkungen

119

Abbildung 8:

Verbesserte räumlichen Auflösung durch die Überlagerung der microm-PLZ8-Gebiete und der 100x100-Meter-Gitterdaten des Zensus 2011 am Beispiel der Stadt Hamburg

130

Abbildung 9:

Operationalisierung der räumlichen Daten und der Berechnung der Anteile statushoher und statusniedriger Haushalte auf Basis der k-Nächsten-Nachbar-Methode

134

Abbildung 10:

Visuelle Überprüfung der Angemessenheit einer Annäherung der Grundschulsprengel mittels Voronoi-Flächen

136

Abbildung 11:

Verwendete Distance-Decay-Funktion

137

Abbildung 12:

Distanz zur nächsten öffentlichen Grundschule; Differenziert nach Bildungsgruppen

151

Abbildung 13:

Distanz zum nächsten öffentlichen Gymnasium; Differenziert nach Bildungsgruppen

152

Abbildung 14:

Durchschnittliche Anteile an statushohen und statusniedrigen Haushalten in den elf berücksichtigten Skalierungen des sozialräumlichen Kontextes; Differenziert nach Bildungsgruppen

153

Abbildung 15:

Verteilung des PS über die Treatment- und Kontrollgruppe für den Anteil statushoher Haushalte in k = 400; ( 9 %)

162

16

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 16:

Beispieldarstellung einer Ergebnisgrafik; ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher Haushalte für alle überprüften Skalierungen; ( 9 %)

165

Abbildung 17:

ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher Haushalte für alle überprüften Schwellenwerte und Skalierungen (undifferenziert)

171

Abbildung 18:

ATT in Abhängigkeit des Anteils statusniedriger Haushalte für alle überprüften Schwellenwerte und Skalierungen (undifferenziert)

173

Abbildung 19:

ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher Haushalte für den Schwellenwert von zwölf Prozent in Abhängigkeit der Wohndauer (undifferenziert)

176

ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher Haushalte für den Schwellenwert von neun Prozent in Abhängigkeit der Wohndauer (undifferenziert)

177

ATT in Abhängigkeit des Anteils statusniedriger Haushalte für den Schwellenwert von zwölf Prozent in Abhängigkeit der Wohndauer (undifferenziert)

178

ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher und statusniedriger Haushalte für alle überprüften Schwellenwerte und Skalierungen (undifferenziert)

188

Abbildung 23:

ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher und statusniedriger Haushalte über alle Schwellenwerte; Differenziert nach Skalierung

194

Abbildung 24:

ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher und statusniedriger Haushalte; undifferenziert; Differenziert nach Wohndauer für k = 400 bis k = 1.600 und Voronoi-Flächen; ( 9 %)

197

ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher Haushalte für alle überprüften Schwellenwerte und Skalierungen; Differenziert nach Bildungsgruppen

200

ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher Haushalte über alle Schwellenwerte für die Operationalisierung mittels VoronoiFlächen mit einer distanzabhängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte; Differenziert nach Bildungsgruppen

202

ATT in Abhängigkeit des Anteils statusniedriger Haushalte für alle überprüften Schwellenwerte und Skalierungen; Differenziert nach Bildungsgruppen

205

ATT in Abhängigkeit des Anteils statusniedriger Haushalte über alle Schwellenwerte für die Operationalisierung mittels VoronoiFlächen mit einer distanzabhängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte; Differenziert nach Bildungsgruppen

207

Abbildung 20:

Abbildung 21:

Abbildung 22:

Abbildung 25:

Abbildung 26:

Abbildung 27:

Abbildung 28:

Abbildungsverzeichnis Abbildung 29:

Abbildung 30:

Abbildung 31:

17

ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher und statusniedriger Haushalte für alle berücksichtigten Skalierungen und alle Schwellenwerte; Differenziert nach Bildungsgruppen

212

ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher und statusniedriger Haushalte über alle Schwellenwerte für die Operationalisierung mittels Voronoi-Flächen mit einer distanzabhängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte; Differenziert nach Bildungsgruppen

218

ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher und statusniedriger Haushalte innerhalb der Voronoi-Flächen mit einer distanzabhängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte; Differenziert nach Bildungsgruppen; ( c(-SV)

3 Gymnasium wählen Ja Nein 0 0 0 0 3 0,3 9 -8,1 0 EU(𝐴 𝐺𝑦𝑚)

Entscheidung unter Berücksichtigung der gewichteten primären Herkunftseffekte (höchster Wert) Primäre Herkunftseffekte Bildungsförderliche Ressourcen Sekundäre Herkunftseffekte nach SEU (Esser 1999) Haushalte mit mittlerer formaler Bildung

Wahrscheinlichkeit des Statusverlustes (c) Kosten eines Statusverlustes (-SV) Ertrag durch höhere Bildung (U) Wahrscheinlichkeit des Erfolges (p) auf dem Gym Kosten zusätzlicher Bildung (C) (werden relativ bewertet) Bildungsmotivation: pU + (1-p)c(-SV) - C > c(-SV)

EU(𝐴𝐴)

-5,33

0,75

6 Gymnasium wählen Ja Nein 0 0,5 6 5 6 0,6 6 -3,4 -2,5

EU(𝐴 𝐺𝑦𝑚)

Entscheidung unter Berücksichtigung der gewichteten primären Herkunftseffekte (höchster Wert) Primäre Herkunftseffekte Bildungsförderliche Ressourcen Sekundäre Herkunftseffekte nach SEU (Esser 1999) Haushalte mit hoher formaler Bildung

Wahrscheinlichkeit des Statusverlustes (c) Kosten eines Statusverlustes (-SV) Ertrag durch höhere Bildung (U) Wahrscheinlichkeit des Erfolges (p) auf dem Gym Kosten zusätzlicher Bildung (C) (werden relativ bewertet) Bildungsmotivation: pU + (1-p)c(-SV) - C > c(-SV)

-0,38

9 Gymnasium wählen Ja Nein 0 1 10 10 9 0,9 3 4,1 -10 EU(𝐴 𝐺𝑦𝑚)

Entscheidung unter Berücksichtigung der gewichteten primären Herkunftseffekte (höchster Wert)

EU(𝐴𝐴)

-1,05

5,33

EU(𝐴𝐴)

-5,25

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Esser (1999: 269)

Boudon (1974: 29 ff.) folgend werden die Kosten anders als in Essers Beispiel (vgl. Esser 1999: 269) nicht konstant für alle Bildungsgruppen angenom­ men. Diese mögen zwar quantitativ konstant sein, doch wird unterstellt,

48

2. Theoretischer Rahmen

dass bildungsferne Gruppen im Vergleich zu bildungsnahen Gruppen im Durchschnitt über ein geringeres Einkommen verfügen25, und somit die ob­ jektiv konstanten Kosten relativ betrachtet variieren (vgl. Kristen 1999: 23). Zudem fallen Kosten wie etwa Lohnausfall durch den Verbleib im Bildungs­ wesen und der eventuelle Verbleib im Elternhaus als mögliche zusätzliche Kosten an, welche von bildungsnäheren Gruppen, mit unterstelltem höhe­ ren Einkommen, im Vergleich zu bildungsfernen Gruppen weniger stark ins Gewicht fallen. Auch der Ertrag in Kombination mit der Wahrscheinlich­ keit des Eintretens bzw. Einlösens dieses Ertrages, der durch einen Verbleib im Bildungssystem erwartet wird, wird als bildungsgruppenvariierend ange­ nommen26. Angewandt auf die drei Bildungsgruppen ergibt sich das Bild einer subjektiv rationalen Bildungswahlentscheidung, welche sich auch in empiri­ schen Studien bzw. deskriptiven Darstellungen widerspiegelt (vgl. Abschnitt 2.5). Die Werte der Tabelle können nicht in ihrer Quantität beurteilt wer­ den, sondern lediglich in ihrer relativen Größe zur jeweils anderen Hand­ lungsoption. Somit ist ein Vergleich der Kennzahlen über die Bildungsgrup­ pen hinaus nicht möglich bzw. nicht sinnvoll. Für Haushalte mit einer niedrigen formalen Bildung erscheint es rational, sich gegen einen Besuch des Gymnasiums zu entscheiden, da bei Nichtbesuch kein Statusverlust erwartet werden muss und damit keinerlei Kosten entstehen. Zudem wer­ den die Erfolgsaussichten, auf dem Gymnasium zu bestehen und damit einen Ertrag zu realisieren, als sehr gering und die subjektiv bewerteten Kosten, die bei einem Besuch des Gymnasiums entstehen würden, als relativ hoch eingeschätzt, während die erwarteten Erträge relativ niedrig bewertet werden. Auch die geringe Ausstattung mit bildungsrelevanten Ressourcen, welche einen Effekt auf die schulischen Leistungen haben, dürfte diese Entscheidung nicht ändern. Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung weisen aufgrund der sehr geringen Differenz der beiden EU-Gewichte EU(AGym) (-3,4) und EU(AA) (-2,5) und der gesamtgewichteten Kennzahlen für die Bildungsent­ scheidung (-1,05 bzw. -0,375) keine klare Tendenz zur Wahl auf, während sich bildungsnahe Haushalte aufgrund des hohen andernfalls zu erwarten­ den Statusverlustes deutlich für einen Besuch des Gymnasiums entscheiden. Weniger stark formalisiert und auf eine Kurzformel gebracht kann das Entscheidungsverhalten wie folgt dargestellt werden: „Versuche Dich vor­ zugsweise an solchen Handlungen, deren Folgen nicht nur wahrscheinlich, 25 Dies zeigt sich auch im verwendeten Analysesample (vgl. Abschnitt 6.1). 26 Auch bei einem konstanten Ertrag verändert sich die substantielle Interpretation der Kenn­ zahlen des subjektiv rationalen Entscheidungsmodells nicht.

2.2 Haushaltsinterne Bildungswahlentscheidung und differierende Bildungsbeteiligung 49

sondern Dir gleichzeitig auch etwas wert sind! Und meide ein Handeln, das schädlich bzw. zu aufwendig für Dich ist und/oder für Dein Wohlbefinden keine Wirkung hat“ (Esser 1999: 248). Wie im vorherigen Abschnitt beschrieben (vgl. Abschnitt 2.1) struktu­ rieren institutionelle Vorgaben den Entscheidungsspielraum der Eltern bei der Bildungswahlentscheidung am Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule (vgl. Becker; Lauterbach 2016b: 13). Diese Makrobe­ dingungen wirken über institutionalisierte bzw. rechtliche Mechanismen auf den handelnden Akteur (den Herkunftshaushalt) wie auch auf die Mesoebene, also andere Haushalte innerhalb des als relevant definierten sozialräumlichen Kontextes. Schulrechtliche Regelungen stellen somit einen wichtigen Einflussfaktor im Kontext des SEU-Modells von Esser (1999) dar, da diese unter anderem den Entscheidungsspielraum, die Kosten und die Einschätzung von Erfolgswahrscheinlichkeiten beeinflussen (vgl. Helbig; Nikolai 2015: 30 ff.). Eine zentrale Modellannahme des SEU-Modells ist das Vorhandensein von Handlungsalternativen (vgl. Esser 1999: 248). Im Falle von strikt bin­ denden Schulempfehlungen ohne eine Möglichkeit der Intervention bzw. Veränderung, erscheint eine Anwendung des SEU-Modells nach Esser (1999) nicht sinnvoll bzw. möglich. Wie im Abschnitt 2.1 dargestellt, variiert der bindende Charakter der Schulempfehlung nach der vierten oder sechsten Klasse je nach Bundesland. Jedoch gibt es in allen Bundesländern die Mög­ lichkeit, auf Initiative der Eltern eine Schulempfehlung zu übergehen, meist nach zusätzlicher Beratung, der erfolgreichen Teilnahme an zusätzlichen Leistungstests oder dem Unterricht auf Probe (vgl. KMK 2015; Neugebauer 2010: 212; Tabelle 23). Womit das generelle Vorhandensein von Handlungs­ alternativen für alle Haushalte unterstellt werden kann und somit die An­ wendung des SEU-Modells angemessen erscheint. Zudem kann das Überge­ hen von Grundschulempfehlungen als spezielle Form der sekundären Her­ kunftseffekte verstanden werden (vgl. Lohmann; Groh-Samberg 2010: 488), denn diese variieren abhängig vom Status der Eltern (vgl. Harazd; van Ophuysen 2008). Die Akzeptanz der Schulempfehlung ist also abermals als schichtspezifisch zu verstehen. Primäre und sekundäre Herkunftseffekte beschreiben somit zwei ad­ ditiv wirkende Mechanismen innerhalb des Herkunftshaushaltes, die zu einer ungleichen Bildungsbeteiligung auf Grundlage von Eigenschaften des Herkunftshaushaltes führen. Ihre relative Bedeutung variiert je nach empirischer Studie (vgl. Müller-Krätzschmar 2014; Neugebauer et al. 2013; Relikowski et al. 2010; Stocké 2008, 2007b) und der Operationalisierung des Differenzierungskriteriums (vgl. Kartsonaki et al. 2013). Dabei wird den sekundären Herkunftseffekten eine größere Relevanz zugeschrieben bzw. in

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2. Theoretischer Rahmen

quantitativen empirischen Studien aufgezeigt (vgl. Combet 2013; Karlson; Holm 2011; Boudon 1974). Die von Becker und Lauterbach (2016b: 14) festgestellte nicht abschließende Nachweisbarkeit dieser beiden Mechanis­ men bzw. deren genaue Ausformulierung wird, dem Fokus dieser Arbeit folgend, zum Teil in der Nichtberücksichtigung des sozialräumlichen Kon­ textes gesehen. Denn individuelle Handlungen, zu denen Bildungswahlent­ scheidungen der Eltern aber auch das Verhalten des Kindes gehören, sind nie unabhängig von den sozialen, räumlichen und sozialräumlichen Bedin­ gungen (vgl. Abschnitte 2.3 & 2.6). Bei der beispielhaften Darstellung in Tabelle eins zeigen sich bereits eine Vielzahl an Faktoren, welche durch äußere Bedingungen beeinflusst werden können. Eine veränderte Kostenoder Ertragszuweisung durch zusätzliche oder fehlende Informationen, nor­ mative Einflüsse, die den Entscheidungsmodus verändern, oder zusätzliche, innerhalb des sozialräumlichen Kontextes vorhandene und zugängliche bil­ dungsrelevante Ressourcen, die einen Einfluss auf die Schulleistung haben, können bereits an dieser Stelle beispielhaft genannt werden. Mögliche Ef­ fekte der sozialen Komposition und der räumlichen Opportunitätsstruktur werden im folgenden Abschnitt beschrieben. 2.3 Der sozialräumliche Kontext und die Bildungswahlentscheidung Aus einer sozialökologischen Perspektive kann der wohnortnahe sozial­ räumliche Kontext eines Haushaltes als Opportunitätsstruktur verstanden werden (vgl. Löw 2012: 172 ff.; Schuchart et al. 2011: 3; Völker et al. 2007; Elliott et al. 2006; Galster; Killen 1995), welcher durch Opportunitäten, aber auch Restriktionen, den Handlungsrahmen zum Teil konstituiert. Dieser Handlungsrahmen mit seiner inhärenten sozialen Komposition an benach­ barten Haushalten, den in ihm vorgefundenen Institutionen und Einrich­ tungen sowie anderen Ressourcen, kann als ein Teil der von Gambetta (1998: 102) benannten „certain conditions K“, welche sich auf der Meso­ ebene des erweiterten Makro-Mikro-Makro-Modells von Coleman (1986) befinden (vgl. Abbildung 1), verstanden werden (vgl. Petrović et al. 2021; Friedrichs 2016). Einer generellen Argumentation der Segregationsforschung folgend, ist mit einer Ungleichverteilung von Gruppen mit gleichen oder ähnlichen identifizierbaren Eigenschaften im Raum27 auch eine Ungleichverteilung materieller und immaterieller Ressourcen verbunden (vgl. Alisch 2018; 27 Was als Segregation verstanden werden kann (vgl. Farwick 2012: 381; Friedrichs 2000: 174).

2.3 Der sozialräumliche Kontext und die Bildungswahlentscheidung

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Hauf 2006: 45; Häußermann; Siebel 2005). Diese Ungleichverteilung soll­ te, der Theorie konzentrierter Benachteiligung folgend, besonders deutlich bei einer Ungleichverteilung von Gruppen der oberen oder unteren Rän­ ge einer Statusverteilung sein und so zu systematisch differierenden Hand­ lungskontexten führen, so dass sich besonders hier Effekte des sozialräum­ lichen Kontextes zeigen (vgl. Galster 2012; Wodtke et al. 2012; Sampson et al. 1999). Denn sowohl die Qualität wie auch die Quantität bildungsre­ levanter Ressourcen sollte systematisch mit der sozialen Komposition des sozialräumlichen Kontextes variieren. Diese Feststellung ist sodann im Kon­ text einer wiederholt festgestellten Zunahme der sozialen Segregation in den letzten Jahren in vielen deutschen (vgl. Helbig; Jähnen 2018; Goebel; Hopp 2015) und auch europäischen Städten (vgl. Tammaru et al. 2016) zu verstehen, welche häufig mit einer weiteren räumlichen Konzentration von ressourcenreichen und ressourcenarmen Haushalten einhergeht. Es gilt jedoch die Frage zu klären, über welche Mechanismen und über welche Merkmale innerhalb des sozialräumlichen Kontextes28 ein Ef­ fekt aufgrund von ungleich verteilten materiellen und immateriellen Res­ sourcen auf die Bildungswahlentscheidung erwartet werden kann. Bei den Merkmalen kann nach globalen Merkmalen, die ohne Rückgriff auf die aggregierten Eigenschaften der innerhalb des sozialräumlichen Kontextes vorgefundenen Individuen existieren, und analytischen Merkmalen, welche eine Aggregation der Eigenschaften relevanter Merkmale der Mitglieder des jeweiligen Kontextes darstellen, unterschieden werden (vgl. Lazarsfeld; Menzel 1969: 174 ff.)29. Dem Fokus dieser Arbeit – der Analyse von Kompo­ sitionseffekten – folgend, werden analytische Merkmale hinsichtlich ihrer Effekte auf die erste Bildungswahlentscheidung berücksichtigt30. Es werden die Anteile statushoher und statusniedriger Haushalte in definierten sozial­ räumlichen Kontexten sowie die Distanz zum nächsten öffentlichen Gym­ 28 Es ist jedoch kritisch anzumerken, dass die Festlegung auf eine Skalierung, die als relevant gilt unter Missachtung weiterer möglicher Skalierungen, eine starke Vereinfachung ist. Aus diesem Grund werden diverse Skalierungen hinsichtlich ihres Effektes überprüft (vgl. Abschnitt 5.1). Denn ein Haushalt ist immer zeitgleich Mitglied in ganz unterschiedlich skalierten sozialräumlichen Kontexten, in welchen ganz unterschiedliche Mechanismen wirken (vgl. Petrović et al. 2021). Eine simultane Berücksichtigung mehrerer Skalierungen, bspw. mithilfe von Mehrebenenmodellen, wäre wünschenswert, kann jedoch in dieser Arbeit nicht umgesetzt werden (vgl. Abschnitt 7.1). 29 Weiter stellt Lazarsfeld und Menzel (1969: 176 f.) strukturelle Merkmale dar, welche die Beziehungen der Mitglieder des Kontextes zueinander zeigen. 30 Es werden zudem strukturelle und geografische bzw. globale Merkmale im Wortlaut Lazarsfeld und Menzel (1969: 176 f.) – die Distanz zum nächsten Gymnasium – berück­ sichtigt, jedoch wird der Effekt nicht explizit analysiert.

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2. Theoretischer Rahmen

nasium berücksichtigt (vgl. Abschnitt 5). Womit deutlich wird, dass nicht der individuelle Nachbarhaushalt, sondern die Nachbarschaft als Ganzes in ihrer räumlichen Ausdehnung, sozialen Komposition und mit ihren inhä­ renten Institutionen mit jeweils eigenen Ressourcenausstattungen entschei­ dend ist (vgl. Mayer; Jencks 1989: 1442). In Bezug auf die unterliegenden Mechanismen, über welche die ana­ lytischen Merkmale einen Effekt haben sollten, konnte eine Vielzahl an möglichen Mechanismen theoretisch benannt und teilweise empirisch auf­ gezeigt werden (vgl. Ditton 2013; Friedrichs 2013; Galster 2012; Barnes et al. 2006; Jencks; Mayer 1990). Mit Mechanismus ist ein sozialer oder kultureller Prozess gemeint, der eine Verbindung in Form einer Brücken­ hypothese zwischen der Komposition des sozialräumlichen Kontextes und der Bildungswahlentscheidung herstellt (vgl. Harding et al. 2010: 1 ff.; Hedström; Swedberg 1996: 299). Galster (2012) identifiziert in seinem Übersichtsartikel 15 Mechanismen, welche sich in die vier Hauptrubriken sozial-interaktive, Umwelt-, geografische und institutionelle Mechanismen differenzieren lassen (vgl. Galster 2012: 24 ff.). Wichtig ist hierbei, dass diese differenziert benannten Mechanismen als sich gegenseitig ergänzend und nicht sich gegenseitig ausschließend gedacht werden sollten (vgl. Ditton 2013: 181). Den sozial-interaktiven und geografischen Mechanismen wird die größte Bedeutung im Kontext der ersten Bildungswahlentscheidung zugesprochen. Sozial-interaktive Mechanismen, die dem sozialen Lernen zugeschrieben werden können (vgl. Friedrichs; Blasius 2003: 809), gehen unter anderem von der Wirkung des sozialräumlichen Kontextes durch die Übernahme vorgelebter Rollenmodelle31 im Zuge einer gemeinsamen Sozialisation (vgl. Galster 2012; Ainsworth 2002; Brooks-Gunn et al. 1993), Ansteckung durch Peers und Effekte der sozialen Kohäsion und des Infor­ mationsaustausches innerhalb sozialer Netzwerke und Institutionen aus32 (vgl. Galster 2012; Friedrichs; Nonnenmacher 2010: 476; Barnes et al. 2006; Jencks; Mayer 1990) und erfahren eine breite empirische Unterstützung (vgl. Minh et al.: 166; Nieuwenhuis; Hooimeijer 2016; Galster 2012: 31; Dietz 2002).

31 "Eine Rolle ist ein Satz von Aktivitäten und Beziehungen, die von einer Person in einer bestimmten Gesellschaftsstellung und von anderen ihr gegenüber erwartet werden“ (Bronfenbrenner 1981: 97). 32 Soziale Ansteckung geht im Unterschied zur kollektiven Sozialisation von einem eher indirekt wirkenden Effekt der sozialen Umwelt auf die intrinsisch motivierte Übernahme von Normen und Verhaltensweisen aus, während die kollektive Sozialisation den direkten Effekt durch soziale Interaktionen fokussiert (vgl. Zangger 2015: 294 ff.; Galster 2012).

2.3 Der sozialräumliche Kontext und die Bildungswahlentscheidung

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Sozial-interaktive Mechanismen basieren damit auf verschiedenen theo­ retischen Erklärungsmodellen, welche simultan wirkend gedacht werden. Unter anderem findet sich die soziale Isolationstheorie hier wieder, welche den negativen Effekt auf den Bildungserfolg und die Bildungsbeteiligung durch das Fehlen positiver Rollenvorbilder erklärt, welche Bildung als wert­ volles und wichtiges Gut betonen (vgl. Wodtke et al. 2011; Barnes et al. 2006: 13 ff.; Jencks; Mayer 1990; Mayer; Jencks 1989; Wilson 1987). Soziale Desorganisationstheorien stellen auf die fehlende Fähigkeit informelle sozia­ le Kontrolle durchzusetzen ab, was zu einem Rückgang von kollektivem Vertrauen führt und so einen Einfluss auf die emotionale Entwicklung von Kindern haben kann (vgl. Wodtke et al. 2011; Barnes et al. 2006: 24 ff.; Sampson et al. 2002a). Zudem wird das Fehlen der Möglichkeit oder Fä­ higkeit zur Beaufsichtigung von Kindern unterstellt, was sich negativ auf die Einstellung und das Verhalten innerhalb des Schulkontextes auswirken kann (vgl. Wodtke et al. 2011; Leventhal; Brooks-Gunn 2000). Die Ressour­ centheorie (vgl. Wodtke et al. 2011; Wilson 1987) geht davon aus, dass armen Nachbarschaften wichtige institutionelle Ressourcen fehlen, die eine positive Entwicklung von Kindern unterstützen. Hierzu kann unter ande­ rem die Schulqualität zählen. Besonders die Ressourcentheorie (vgl. Wilson 1987) wird im Kontext dieser Arbeit erweitert gedacht. Nicht nur institu­ tionelle Ressourcen spielen eine Rolle, sondern auch die Ressourcen, die innerhalb der potenziellen sozialen Netzwerke in der sozialen Komposition vorzufinden sind und über soziale Interaktion zugänglich gemacht werden, sollten von großer Bedeutung sein. Weiter wird die kollektive Sozialisation besonders in Hinblick auf Bildungsleistungen als relevant angenommen (vgl. Ainsworth 2002; Brooks-Gunn et al. 1993). Sozialisation ist hierbei „als Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit eines In­ dividuums in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermit­ telten, sozialen und materiellen Umwelt zu verstehen“ (vgl. Niederbacher; Zimmermann 2011: 15). Sozialisationseffekte entstehen somit aus Eigen­ schaften der sozialen Komposition und der Verfügbarkeit von Ressourcen, der geteilten Nachbarschaft während der Kindheit und Jugend, welche einen gemeinsamen Bezugsrahmen bilden und unter anderem die Arten von Rollenmodellen beeinflussen, welche als Orientierung dienen können (vgl. Wilson 1997, 1991). Wie bereits von Jencks und Mayer (1990) in ihrer Rezension dargestellt, lassen sich neben der Annahme der additiven Wirkung sozialräumlicher Kontexte (wie bspw. bei Wilson (1987)) auch alternative Annahmen theoretisch schlüssig aufstellen (vgl. Wheaton; Clarke 2003). Es wird also klar, dass es nicht den einen Effekt der sozialen Komposi­ tion eines relevanten sozialräumlichen Kontextes gibt, der für alle gleich ist. Vielmehr verweisen aktuelle Ergebnisse darauf, dass von eigenständigen Ef­

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2. Theoretischer Rahmen

fekten der sozialen Komposition des sozialräumlichen Kontextes in Interak­ tion mit demografischen Merkmalen des Herkunftshaushaltes ausgegangen werden muss33 (vgl. Wodtke et al. 2016; Sharkey; Faber 2014; Wodtke et al. 2012). Eine Nichtbeachtung dieser möglichen Effektheterogenität kann zu verzerrten Ergebnissen und falschen Schlussfolgerungen führen (vgl. Bolger et al. 2019; Morgan; Winship 2014). Unabhängig von der erwarteten Effektheterogenität ist davon auszuge­ hen, dass sozial-interaktive Mechanismen, da diese soziale Interaktion oder gar Kontakt voraussetzen, in kleinräumigen Einheiten wirkmächtig sind, die in vielen Fällen kleiner sind als administrative Einheiten (vgl. Petrović et al. 2021: 3). Somit muss die Operationalisierung der sozialräumlichen Kontexte eine bestmögliche Annäherung an die räumliche Formation der verschiedenen Akteure zueinander anstreben. Häufig werden aggregierte Informationen auf Stadtteil-, Postleitzahl- oder Zensustrack-Basis verwendet, um den sozialräumlichen Kontext des betreffenden Haushaltes bzw. Indivi­ duums zu beschreiben. Diese unter anderem von Dietz (2002) und Elliott et al. (2006) kritisierte und auch im Forschungsstand (vgl. Abschnitt 2.4) dargestellte Uneinheitlichkeit der Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes führt zu einer ganzen Reihe von Herausforderungen und Proble­ men. Zum einen sind Ergebnisse schwer miteinander zu vergleichen, wenn diese auf sehr unterschiedlich skalierten räumlichen Zuschnitten beruhen (vgl. Petrović et al. 2021: 2). Zum anderen verletzen großräumige, nicht egozentrierte Nachbarschaftskonstruktionen häufig theoretische Annahmen zur Wirkung von Kompositionseffekten auf Grundlage von räumlicher Nä­ he (vgl. Coulton et al. 2001). Besonders die Über- bzw. Unterschätzung von Distanzen, welche mit einer starken räumlichen Aggregation bzw. einer großflächigen Operationalisierung verbunden ist (vgl. Petrović et al. 2021; Logan 2012; Dubin 1992: 435), erscheint hier als schwerwiegend, da Distanz meist als Annäherung an die Wahrscheinlichkeit für soziale Interaktionen verwendet wird. Denn selbst in Großstädten gibt es unbewohnte Flächen (bspw. Parks, Gewässer und Gewerbeflächen), welche bei einer großräumi­ gen Operationalisierung nicht berücksichtigt werden, wodurch Distanzen falsch in die Analysen einfließen. Haushalte, die sich zwar in derselben Rau­ meinheit, jedoch auf unterschiedlichen Seiten derselben befinden, werden 33 Es können grundsätzlich drei Arten von möglichen Effekten des sozialräumlichen Kon­ textes erwartet werden: (1) rein kontextuelle Effekte, hierbei sind Effekte aufgrund von individuellen Charakteristika bedeutungslos, (2) rein individuelle Effekte, womit dem sozi­ alräumlichen Kontext keine weitere Bedeutung zukommt, oder (3) Interaktionseffekte aus beiden (vgl. Esser 1999: 432 ff.). Angenommen werden Effekte auf Basis von Interaktionen (vgl. Abschnitt 2.6).

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behandelt, als hätten sie eine sehr geringe räumliche Distanz zueinander (siehe Abbildung 2 – grüner und lila Punkt), während Haushalte, die in un­ terschiedlichen Raumeinheiten situiert sind, jedoch eine sehr geringe räum­ liche Distanz zueinander aufweisen (siehe Abbildung 2 - oranger und grü­ ner Punkt), als klar getrennt voneinander behandelt werden (vgl. Wildfang 2019: 480; Logan 2012). Abbildung 2: Schachbrettproblem und das Problem der Über- und Unterschätzung von Distanzen

Quelle: Eigene Darstellung

Starke Ungleichverteilungen innerhalb von großräumigen Gebietseinheiten (Stadtteil / PLZ-Gebiet oder Kreis) können zu Problemen führen, welche in der Segregationsforschung als Schachbrettprobleme bezeichnet werden (vgl. Bömermann 2011; Janßen 2004; Abbildung 2 (links)). Beispielswei­ se werden Stadtteile mit einer heterogenen Bewohnerschaft zu homoge­ nen Einheiten zusammengefasst bzw. gemittelt dargestellt (vgl. Blasius; Friedrichs 2007). Besonders im Hinblick auf die meistens nicht homogene räumliche Verteilung einzelner sozialer Gruppen innerhalb administrativer Einheiten zeigt sich die besondere Relevanz einer kleinräumigen Operatio­ nalisierung. Viele der Probleme, welche bei der Bestimmung von Effekten eines sozialräumlichen Kontextes bei einer großräumigen Operationalisie­ rung desselben entstehen und die Relevanz der Skalierung werden unter

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2. Theoretischer Rahmen

anderem in der Segregationsforschung seit langem diskutiert und auch adressiert (vgl. Petrović et al. 2018; Östh et al. 2015; Brattbakk 2014; Andersson; Musterd 2010; Reardon; O'Sullivan 2004). Zudem wird mit einem solchen Vorgehen den administrativen Grenzen eine hohe inhaltli­ che und handlungsstrukturierende Relevanz für das Individuum unterstellt. In einer Vielzahl der Fälle wird dies für eine nicht valide Annahme gehal­ ten. Anstelle von großräumigen Zuschnitten auf Basis von administrativen Grenzziehungen, welche den oben beschriebenen Ansprüchen meistens nicht gerecht werden (vgl. Petrović et al. 2021: 2 ff.), sollten egozentrierte Kontexte (vgl. Hipp; Boessen 2013) auf Basis von Radien (vgl. Lee et al. 2008) oder der k-Nächsten-Nachbarn-Methode (kNN) (vgl. Petrović et al. 2021; Hennerdal; Nielsen 2017; Östh et al. 2015; Helmers; Patnam 2014) stehen, welche die alltäglichen Interaktionen von Akteuren besser annähern (vgl. Petrović et al. 2021). Alternativ kann auf inhaltlich relevante Skalierungen bzw. Zuschnitte des sozialräumlichen Kontextes zurückgegriffen werden. Eine kleinräumige und theoriegeleitete Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes kann in jedem Fall besser Sozial- und Interaktionsräume abbilden bzw. annähern und zudem bekannte Probleme wie etwa das Modifieable-ArealUnit-Problem (MAUP) (vgl. Openshaw 1984) oder das Schachbrettproblem (vgl. Bömermann 2011; White 1983) adressieren. Spielman und Yoo (2009) sowie Spielman et al. (2013) können auf Basis einer Simulationsstudie eine systematische Variation der Effekte sozialräumlicher Kontexte in Abhängig­ keit der Skalierung und der urbanen Struktur aufzeigen. Die unterschiedli­ chen Effekte oder Nicht-Effekte in unterschiedlichen Skalierungen verwei­ sen sodann auf unterschiedliche Mechanismen. Diese Tatsache wird unter anderem von Petrović et al. (2021) explizit auf Basis von unterschiedlichen Radien für die sozialräumlichen Kontexte, im niederländischen Kontext untersucht. Damit zeichnet sich ab, dass mit einem solchen Vorgehen die Herausforderung der Wahl einer für den Forschungsgegenstand rele­ vanten Skalierung verbunden ist, wobei zu bedenken ist, dass es sich um eine Fehlannahme handelt, von der einen richtigen Skalierung auszugehen (vgl. Petrović et al. 2021; Spielman et al. 2013; Spielman; Yoo 2009). Im Kontext von egozentrierten Operationalisierungen auf Basis definierter Radien, wird meist, aufbauend auf Toblers (1970) erstem Gesetz der Geo­ grafie34, mit Distance-Decay-Funktionen zur distanzabhängigen Gewichtung

34 Toblers erstes Gesetz der Geografie besagt, “everything is related to everything else, but near things are more related than distant things” (Tobler 1970: 236).

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der Relevanz der Haushalte gearbeitet35 (vgl. Petrović et al. 2021; Goebel; Hopp 2015). Eine Operationalisierung auf Basis der Anzahl der k-NächstenNachbarhaushalte hingegen macht ein solches Vorgehen aus theoretischer Sicht überflüssig, da ein Effekt aufgrund der Emergenz der gesamten sozia­ len Komposition erwartet wird. Ein Vorschlag für unterschiedliche Werte k-skalierter sozialräumlicher Kontexte mit einer inhaltlichen Einordnung stammt von Östh et al. (2014) für den schwedischen Kontext, dessen Werte und Abstufungen sich in einigen Studien wiederfinden (vgl. Rogne et al. 2020; Hennerdal; Nielsen 2017)36. Damit variieren Operationalisierungen des sozialräumlichen Kontextes auf Basis der k-Nächste-Nachbarn-Methode nicht in der Anzahl der Nachbarn, wohl aber in der räumlichen Ausdeh­ nung (vgl. Rogne et al. 2020: 74). Die Vorteile einer besseren Vergleichbar­ keit der Ergebnisse, die auf Basis der Anwendung einer solchen Methode erhalten werden können, sind groß, doch birgt ein solches Vorgehen auch Nachteile, da es auf der Annahme basiert, dass sich der Aktions- und Inter­ aktionsraum in Form von konzentrischen Kreisen um den Haushalt herum konstituiert. Jedoch kann auch plausibel argumentiert werden, dass die Identifikation mit oder die Mitgliedschaft in Gruppen oder Organisationen den Aktions- und Interaktionsraum maßgeblich beeinflusst bzw. definiert (vgl. Abschnitt 2.1). Damit kämen die räumlichen Grenzziehungen einer solchen relevanten Organisation, Institution oder Gruppe aufgrund ihres soziale Interaktionen strukturierenden Charakters auch als mögliche Operationalisierung des rele­ vanten sozialräumlichen Kontextes in Betracht. Eine relevante Institution, in der alle Haushalte Mitglied sind, ist die Grundschule, über die die sozia­ len Interaktionen des Kindes und auf direkte und indirekte Weise auch die der Eltern zum Teil strukturiert werden, womit das Schuleinzugsgebiet bzw. der Schulsprengel eine solche nicht egozentrierte und dennoch hoch relevante Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes darstellt. Auf­ grund der nicht vorhandenen Egozentrierung und der unterschiedlichen Größen in Bezug auf die Anzahl der Haushalte, die in jedem Schulsprengel 35 Hillmert (2019) folgend sollte in vielen Fällen die generelle Anwendung von Distance-De­ cay-Funktionen überdacht werden, da mit einer Vergrößerung des Radius der Einfluss schwinden mag, jedoch die Anzahl der potenziell einflussreichen Haushalte ansteigt, so dass immer mehr Haushalte vorhanden sind, deren Relevanz jedoch sinkt. Dies sollte zu einem konstanten Effekt über verschiedene Radien führen. Die Ergebnisse von Petrović et al. (2021) verweisen hier jedoch auf eine andere Schlussfolgerung. 36 Für die Operationalisierung mittels der k-Nächste-Nachbarn-Methode gibt es nach aktuel­ lem Wissensstand keine eigenständigen Studien für den deutschsprachigen Kontext, die sich explizit mit der Skalierung auseinandergesetzt haben.

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2. Theoretischer Rahmen

vorzufinden sind, ist eine distanzabhängige Gewichtung der Relevanz der Haushalte in diesem Falle angemessen, um eine Vergleichbarkeit der Ergeb­ nisse herzustellen. Jedoch treten mit einer solchen Operationalisierung die oben beschriebenen Herausforderungen der Über- und Unterschätzung von Distanzen auf. Die Wahl der Skalierung muss also als Trade-off zwischen ver­ schiedenen Aspekten der inhaltlichen Passgenauigkeit mit dem Forschungs­ gegenstand und methodischen Einschränkungen getroffen werden. Effekte von engen oder losen sozialen Netzwerken, welche sich auf­ grund räumlicher Nähe und Ähnlichkeit (vgl. Abschnitt 2.6) innerhalb eines sozialräumlichen Kontextes bilden, sind unter anderem durch den Austausch bzw. den Zugang zu Informationen und Ressourcen in Anleh­ nung an Granovetters Theorie zu starken und schwachen Bindungen zu erwarten (vgl. Hipp; Perrin 2009; Lin et al. 1981; Granovetter 1973). Starke und schwache soziale Beziehungen (vgl. Granovetter 1973) innerhalb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes bieten die Möglichkeit für den Zu­ gang zu nicht redundanten oder auch bestärkenden Informationen, welche in direkter Weise in die haushaltsinterne Kosten-Nutzen-Kalkulation zur Schulwahlentscheidung einfließen (vgl. Abschnitt 2.2) und so die Gewich­ tung einzelner Faktoren und damit der gesamten Kalkulation verändern können. Gleiches gilt für normative Einflüsse, welche aufgrund der sozia­ len Beziehungen wirken können. So kann Vincent et al. (2010) auf Basis von Interviews herausarbeiten, dass Haushalte der Working Class auf lokale Netzwerke bei der Wahl der Grundschule zurückgreifen, bei denen Infor­ mationsaustausch sowie Normkonformität im Zentrum stehen. Besonders schwache Netzwerke (weak ties), die häufig durch eine geringere Ähnlich­ keit der Netzwerkmitglieder geprägt sind, enthalten mehr nicht redundante Informationen bzw. Ressourcen, womit diese von besonderer Bedeutung sind. Starke Bindungen (Strong Ties) auf der anderen Seite, erhöhen den Konformitätsdruck in der eigenen Statuslage (vgl. Granovetter 1973). Damit kann die soziale Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes im Sinne von Burt (2000, 1995) als Brücke für soziales Kapital gesehen werden37. Auch im Hinblick auf die Bildungswahlentscheidung sollten diese Netzwerke durch ihren Zugang zu weiterreichenden bzw. anderen Informationen und Ressourcen einen Effekt auf die Bildungswahlentschei­ dung haben. Denn Informationen und deren subjektive Verarbeitung bzw. Bewertung fließen in direkter Weise in die haushaltsinterne Kosten-NutzenKalkulation ein und verändern potenziell die Gewichtung einzelner Fakto­ 37 Unter der Voraussetzung, dass es eine zu überbrückende Differenz zwischen dem eigenen Status bzw. Bildungshintergrund und dem durchschnittlichen Status bzw. Bildungshinter­ grund der sozialen Komposition des relevanten sozialräumlichen Kontextes gibt.

2.3 Der sozialräumliche Kontext und die Bildungswahlentscheidung

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ren oder Erfolgswahrscheinlichkeiten (vgl. Abschnitt 2.2). Die räumliche Erreichbarkeit und Zugänglichkeit38 von Bildungseinrichtungen als Indika­ tor für geografische Mechanismen (vgl. Galster 2012; Sampson et al. 2002b; Jencks; Mayer 1990)39 sollte außerdem einen schichtspezifischen Einfluss auf die Bildungswahlentscheidung haben, da diese einer der wichtigsten Entscheidungsfaktoren40 bei der Einzelschulwahl ist (vgl. Schwarz et al. 2018; Riedel 2010; Clausen 2006; Hastings et al. 2005) und deren Bedeutung in diversen empirischen Analysen aufgezeigt wurde (vgl. Sixt 2018; Bayer et al. 2018; Nieszery 2014: 109 f.; Sixt 2010; Hastings et al. 2006). Das Investie­ ren von zusätzlicher Zeit für die alleinige oder begleitete Fahrt des Kindes zur Schule kann als ein schichtspezifisch konstruierter Kostenfaktor inner­ halb des SEU-Modells (vgl. Abschnitt 2.2) verstanden werden (vgl. Riedel 2010: 108 f.). Schulformen, deren Erreichen einen zu hohen Aufwand (Zeit und Distanz = Kosten) verursachen, werden wahrscheinlich weniger gewählt werden (vgl. Meusburger 1998: 291). Die angenommene Abhängigkeit des Zugangs zu bildungsrelevanten Ressourcen innerhalb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes von der räumlichen Nähe und der sozialen Ähnlichkeit sowie die subjektive Bewer­ tung von Kostenfaktoren (Distanz) verweist abermals auf die Herausforde­ rung bzw. Notwendigkeit der Adressierung von Effektheterogenität. Einer Argumentation der Raumsoziologie von Löw (2012) folgend, kann derselbe Ort einen anderen Raum in Abhängigkeit haushaltspezifischer oder demo­ grafischer Merkmale konstituieren und so unterschiedliche Effekte hervor­ bringen. Verhalten kann mit dieser Argumentation und in Anlehnung an die Feldtheorie von Lewin et al. (2012 (1963)) als eine Funktion aus Eigen­ 38 Häufig wird die Luftliniendistanz zu einem Ort von Interesse gewählt. Diese Form der Operationalisierung berücksichtigt keine eventuell vorhandenen physikalischen Hinder­ nisse und stellt damit zwar eine objektiv vergleichbare aber nicht immer inhaltlich sinn­ volle Operationalisierung dar. Berechnungen von Laufwegen auf Basis von routenfähigem Kartenmaterial wären hier besser geeignet, doch ist eine solche Operationalisierung we­ sentlich anspruchsvoller und häufig nicht mit dem Datenschutz vereinbar. Zudem ist die reine Distanz eine reine Annäherung, da der Modus des Transportes nicht bekannt ist. Eine Strecke von zehn Kilometern mag sehr viel sein, wenn es weder Bus noch Bahn gibt. Doch fährt der Metro Schnellbus alle zehn Minuten diese Strecke, fallen sie kaum ins Gewicht. 39 Geografische Mechanismen beschreiben Mechanismen, welche aufgrund der geografischen Position und der um diese Position vorgefundenen Verteilung und Zugänglichkeit von Institutionen und Ressourcen wirken (vgl. Galster 2012: 26). 40 Weitere Faktoren sind die Qualität der Schule, das pädagogische Konzept sowie der Ruf der Schule, wobei es auch hier schichtspezifische bzw. bildungsstandspezifische Unter­ schiede gibt (vgl. Schwarz et al. 2018; Clausen 2006).

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schaften der Person bzw. des Haushalts und der Umwelt verstanden werden, womit Effekte erst in Interaktion aus demografischen oder haushaltsspezifischen Charakteristika41 und der Komposition eines relevanten sozialräumli­ chen Kontextes sichtbar werden (vgl. Wodtke et al. 2016; Löw 2012: 244 ff.; Crowder; South 2003: 660). Hiermit wird nochmals die Bedeutung des sozialräumlichen Kontextes für Handeln, Verhalten und Entscheidungen42 deutlich, da diese immer abhängig vom sozialräumlichen Kontext sind in dem das Individuum bzw. der Haushalt43 eingebettet ist (vgl. Löw 2012; Sixt 2010: 68; Friedrichs; Triemer 2009: 17; Galster; Killen 1995). Effekte des sozialräumlichen Kontextes sind jedoch nur unter bestimm­ ten Voraussetzungen zu erwarten (vgl. Hedman et al. 2015; Galster 2012; Quillian 2003) und sollten, wie oben dargestellt, in Interaktion mit Eigen­ schaften des Haushaltes sowie der Wohndauer differieren (vgl. Wodtke et al. 2016; Löw 2012; Harding et al. 2010; Hipp; Perrin 2009). Grundvoraus­ setzung für das Wirken von sozial-interaktiven Mechanismen ist die potenzi­ elle, direkte oder indirekte soziale Interaktion (Beobachten vs. Interaktion). Räumliche Nähe ist hierbei als Annäherung an die Wahrscheinlichkeit für direkte oder indirekte soziale Interaktion zu verstehen (vgl. Hipp; Perrin 2009; McPherson et al. 2001) und damit unter anderem für die Wahr­ scheinlichkeit des Wirkens sozial-interaktiver Mechanismen (vgl. Galster 2012; Jencks; Mayer 1990) und der Verstetigung lokaler sozialer Beziehun­ gen (vgl. Goebel; Hopp 2015: 19). Dies geschieht immer außerhalb des Herkunftshaushalts. Die direkte oder indirekte Übernahme von Sprachsti­ len, Verhaltensweisen, Rollen und Aspirationen von Vorbildern und Peers (vgl. Crowder; South 2003), mit welchen im engeren oder erweiterten sozi­ alräumlichen Kontext interagiert wird, hat einen tiefgreifenden Einfluss auf das Leben bzw. Entscheidungen, welche im Lebenslauf getroffen werden (vgl. Hedman et al. 2017: 5). Galster (2012) nutzt zur weiteren Beschreibung von Voraussetzungen für das Wirken von sozialräumlichen Kontexten die Metapher der Do­ sierung eines Medikamentes. Häufigkeit, Dauer, Intensität, Konsistenz, 41 Schicht und Geschlecht (vgl. Löw 2012: 178) aber auch der Migrationshintergrund bzw. die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit (vgl. Wodtke et al. 2011) können solche Merkmale darstellen. 42 Die Ausdrücke werden hier synonym verwendet, da das aktive Handeln genauso gemeint ist, wie ein habituelles Verhalten und damit auch immer Entscheidungen verbunden sind. 43 In diesem Beitrag wird ein Effekt auf die Bildungswahlentscheidung am Ende der Grund­ schulzeit analysiert. Es wird nicht davon ausgegangen, dass das Kind diese Entscheidung trifft, ebenso wird nicht davon ausgegangen, dass ein möglicher Effekt nur auf das Kind wirkt, sondern über diverse Rückkopplungen in den Sozialraum auch auf den Herkunftshaushalt.

2.3 Der sozialräumliche Kontext und die Bildungswahlentscheidung

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die räumliche Ausdehnung, der Faktor, ob ein Effekt auch ohne eine aktive Handlung eintritt und ob der Effekt ggf. auch indirekt (bspw. mediiert über das Elternhaus) wirkt, stellen die Kernkomponenten der Metapher dar (vgl. Galster 2012: 27 ff.). Besonders die Berücksichtigung bzw. Festlegung einer Mindestwohndauer vor dem analysierten potenzi­ ellen Effekt (vgl. Chetty et al. 2016; Wodtke et al. 2011; Andersson; Subramanian 2006) sowie die Bedeutung von Schwellenwerten hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung bzw. empirischer Evidenz gewon­ nen (vgl. Goebel; Hopp 2015; Sharkey; Faber 2014; Galster 2012: 28; Friedrichs; Nonnenmacher 2010: 478 ff.; Galster 2007; Galster et al. 2000; Crane 1991: 1227; Wilson 1987). Die von Galster (2012) in seiner Meta­ pher genannten Voraussetzungen werden bei Kindern im Grundschulal­ ter und ihren Herkunftshaushalten, mit einer ausreichend langen Wohn­ dauer, als ausreichend erfüllt angesehen44. Der Sozialraum von Kindern konstituiert sich als eine kleinräumige Erweiterung des Wohnstandortes (vgl. Bronfenbrenner 1981; Pfeil 1965), in welchem aufgrund von meist eingeschränkter autonomer Mobilität (vgl. Ahrend 2002: 26) eine Vielzahl alltäglicher Interaktionen stattfinden. Damit wird angenommen, dass Kin­ der sich ihren Sozialraum ausgehend vom eigenen Wohnstandort, ungeach­ tet des Grades der Verstädterung, aneignen. Die ambivalent erscheinende Gegenthese der verinselten Lebensräume (vgl. Zeiher 1983), welche als die zutreffendere auf die moderne Gesellschaft angesehen wird, verliert ihre Ambivalenz, wenn diese als schichtspezifisches Verhalten verstanden wird und somit zu einem Faktor für die Erklärung der schicht- bzw. bildungssta­ tusspezifischen Effektheterogenität des sozialräumlichen Kontextes wird. Kinder befinden sich zudem in einer kritischen Phase der Sozialisati­ on (vgl. Entwisle 2007: 693), womit diese Lebensphase eine besondere Bedeutung bei der Betrachtung von Kompositions- und Nachbarschaftseffekten hat (vgl. Wodtke et al. 2016; Duncan et al. 1998; Sutherland; Cressey 1978: 397). Aufgrund diverser Rückkopplungen45 durch soziale Beziehungen der Eltern mit anderen Haushalten und Institutionen inner­ halb des relevanten sozialräumlichen Kontextes, gelten die oben beschriebe­ 44 Vorherige Wohnorte und damit auch Erfahrungen aus anderen sozialräumlichen Kontex­ ten mit einer differierenden sozialen Komposition können auch über den Verbleib in dieser hinaus eine Wirkung haben. Dies setzt jedoch ein längsschnittliches Design voraus (vgl. Wodtke et al. 2016; 2011). 45 Die Rückkoppelungen ergeben sich aufgrund der (nicht) institutionellen Anbindung des Kindes (Kita, Hort, Grundschule, Jugendzentrum, Sportverein, Freunde usw.) und daraus resultierenden Kontakten des Herkunftshaushaltes zu anderen Haushalten bzw. Institutio­ nen.

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2. Theoretischer Rahmen

nen Mechanismen und die daraus resultierenden Effekte auch in Teilen für den Herkunftshaushalt bzw. die Eltern46 selber (vgl. Galster 2012: 45; Leventhal; Brooks-Gunn 2000) (Mediation). Der Theorie konzentrierter Benachteiligung folgend, sollte die Überrepräsentation einer Gruppe am oberen oder unteren Ende einer Statusskala zu nachweisbaren Effekten führen (vgl. Galster 2012; Wodtke et al. 2012; Sampson et al. 1999), da eine solche Ungleichverteilung zu einer systematischen Veränderung der Quantität und Qualität der zur Verfügung stehenden materiellen und im­ materiellen Ressourcen innerhalb des relevanten sozialräumlichen Kontext führen sollte. Weiter kann davon ausgegangen werden, dass die Konzentra­ tion einer Gruppe innerhalb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes einen Schwellenwert überschreiten muss (vgl. Goebel; Hopp 2015; Galster 2012: 28; Friedrichs; Nonnenmacher 2010: 478 ff.; Galster 2007; Galster et al. 2000; Crane 1991: 1227; Wilson 1987), damit diese Gruppe potenziell wirkmächtig innerhalb des sozialräumlichen Kontextes wird und einen Ef­ fekt in Abhängigkeit von Charakteristika des Haushaltes sichtbar wird. Je höher der Anteil einer Gruppe innerhalb eines definierten sozialräumlichen Kontextes ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit des direkten oder indi­ rekten Kontaktes, womit die Wahrscheinlichkeit für das Wirken von den oben beschriebenen Mechanismen steigt. Aufgrund der unterschiedlichen Analyseziele und Operationalisierung wichtiger Indikatoren in anderen Studien, besonders im Hinblick auf die Indikatoren zur Beschreibung der Eigenschaften des sozialräumlichen Kontextes, ist ein Vergleich von relevanten Schwellenwerten nur bedingt möglich (vgl. Friedrichs; Nonnenmacher 2010: 478; Galster et al. 2000). Ungeachtet der exakten Bestimmung von relevanten Schwellenwerten zeigt sich, dass mit nicht linearen Effekten gerechnet werden muss, wobei sogar zwei Schwellenwerte von Bedeutung sein können. Ein erster, ab dem ein Effekt sichtbar wird, und ein zweiter, ab dem eine gewisse Sättigung eintritt (vgl. Friedrichs 2014: 292 ff.; Galster 2003: 901 ff.; Galster et al. 2000). Der beschriebene theoretische Rahmen zur Erklärung der Bildungs­ wahlentscheidung in Abhängigkeit von bzw. in Interaktion mit den Cha­ rakteristika des Herkunftshaushaltes und der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes zeigt auf den ersten Blick eine große Nähe zum Wisconsin-Modell (vgl. Sewell et al. 1969). Das Wisconsin-Modell 46 Die Eltern treffen diese frühe Bildungswahlentscheidung (vgl. Henz; Maas 1995: 610). Dies tun sie unter Berücksichtigung der Schulleistungen und des Statuserhaltmotives unter den Bedingungen des sie umgebenden sozialräumlichen Kontextes. Diese Effekte werden als indirekte Effekte des sozialräumlichen Kontextes oder Mediationseffekte beschrieben (vgl. Galster 2012: 45; Wodtke et al. 2012).

2.4 Forschungsstand: Empirische Evidenz zu Effekten des sozialräumlichen Kontextes

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(vgl. Sewell 1969) kann als klassisches Sozialisationsmodell verstanden wer­ den, welches die Bildungsaspirationen des Kindes als maßgebende Deter­ minante für den Bildungs- und späteren Berufserfolg versteht. Diese wird maßgeblich von significant others (vgl. ebd. 1969: 84) über normative Ein­ flüsse geprägt, so dass die Bildungswahl kein Ergebnis eines rationalen Ent­ scheidungsprozesses ist (vgl. Hoenig 2019: 83; Sewell et al. 1969: 87)47. Es wird jedoch argumentiert, dass im Anschluss an Boudon (1974) und Esser (1999) die Bildungswahl eine subjektiv rationale Entscheidung ist und keine Disposition. Zudem bezieht sich die Anwendbarkeit des Wisconsin-Modells vorrangig auf ältere Schüler (durchschnittlich 17 Jahre), deren Bildungser­ folg stärker von den eigenen Aspirationen abhängt, womit die Anwendbar­ keit auf den Forschungsgegenstand dieser Arbeit – die erste notwendige Bil­ dungswahlentscheidung – im stark stratifizierten deutschen Schulkontext48 (vgl. Buchmann; Park 2009) nicht gegeben ist. Im den folgenden Abschnitten werden weitere aktuelle empirische Ergebnisse zu Kompositionseffekten und der systematisch variierenden Bil­ dungsbeteiligung dargestellt, welche in Teilen die Grundlage der Variablen­ auswahl für die Berechnungsmodelle bzw. der Effektidentifikation mittels der Directed-Acyclic-Graphs (DAGs) bilden (vgl. Abschnitte 3.3.1 & 6.2). 2.4 Forschungsstand: Empirische Evidenz zu Effekten des sozialräumlichen Kontextes Es gibt eine lange nationale und internationale Tradition der Erforschung von Kontext- und Kompositionseffekten, die eine Vielzahl von Nachweisen für die generelle Existenz und die Relevanz dieser Effekte auf eine Vielzahl individueller Faktoren aufzeigen kann (vgl. Minh et al. 2017; Nieuwenhuis; Hooimeijer 2016; van Ham et al. 2012b; Galster 2012; Friedrichs et al. 2003; Dietz 2002; Sampson et al. 2002b). Aufgrund verschiedener Fokusse, variie­ render nationaler Kontexte, der unterschiedlichen Operationalisierung von Schlüsselkonzepten (sozialräumlicher Kontext, unabhängige und abhängi­ 47 Unter anderem Morgan (1998) hat ein Modell der rationalen Bildungswahlentscheidung unter Einbeziehung der Aspirationen signifikanter Anderer entwickelt, indem diese bei­ den Komponenten komplementär gedacht sind (vgl. Hartung; Hillmert 2019). An diesem Modell bzw. einigen Ideen dieses Modells wird sich in Teilen orientiert. 48 Unter anderem Stocké (2009) hat das Wisconsin-Modell auf den Übergang von der Grund­ schule auf die Sekundarstufe I im deutschen Kontext mit detaillierten Netzwerkinforma­ tionen umgesetzt und kann sein angepasstes Modell weitestgehend bestätigen. Zentral sind hier jedoch die Bildungsaspirationen.

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2. Theoretischer Rahmen

ge Variablen) und variierender theoretischer Annahmen der Studien, sind die Ergebnisse und Schlussfolgerungen dieser Studien teilweise nur einge­ schränkt miteinander vergleichbar (vgl. Petrović et al. 2021: 4; Nieuwenhuis; Hooimeijer 2016). Die unterliegenden Mechanismen, welche den Zusam­ menhang zwischen der sozialen Komposition und dem Ergebnis bzw. dem Forschungsgegenstand erklären, sind jedoch weitestgehend unabhängig vom nationalen Kontext und der Operationalisierung, so dass besonders im Hinblick auf die Mechanismen alle Studienergebnisse relevant sind. Jedoch ist zu vermuten, dass die Relevanz verschiedener Mechanismen in Abhän­ gigkeit des nationalen Kontextes variiert. Insbesondere Erkenntnisse zu den Voraussetzungen für das Wirken der sozialen Komposition sozialräumlicher Kontexte auf verschiedene individuelle oder haushaltsspezifische Faktoren, wie sie etwa ausführlich von Galster (2012) und Barnes et al. (2006: 13 ff.) beschrieben und zusammengefasst wurden, sind hierbei von größter Bedeu­ tung. Unterschiedliche nationale Kontexte gehen mit unterschiedlichen So­ zial- und Schulsystemen einher, so dass die gegebenen Makro-Strukturen andere Handlungsrahmen für das Individuum konstituieren, womit auch unter ansonsten identischen Bedingungen (Forschungsgegenstand, Opera­ tionalisierung, Analysemethode etc.) dennoch unterschiedliche Ergebnisse zu erwarten sind. Diese Unterschiede bei den Ergebnissen sind zudem auf das unterschiedliche Ausmaß sozialräumlicher Segregation zurückzuführen, welche sich deutlich im Vergleich der sozialräumlichen Segregation der USA und europäischer Länder zeigen (vgl. Helbig; Jähnen 2018; Helbig 2010; Iceland et al. 2002). Aufgrund differierender politischer Bemühungen zur Vermeidung einer Verschärfung von sozialräumlichen Disparitäten und einer Verfestigung von Segregation in Europa (vgl. Quillian; Lagrange 2016) sollten mögliche Effekte des sozialräumlichen Kontextes weniger stark sein als in den US-amerikanischen Studien aufgezeigt wurde (vgl. Hartung; Hillmert 2019: 2) oder gar kein eigenständiger Effekt feststellbar sein (vgl. Sykes; Musterd 2011; Brattbakk 2014). Eine der bekanntesten Studien zum Effekt der Nachbarschaft bzw. des sozialräumlichen Kontextes stellt die randomisierte Kontrollstudie49 auf Ba­ sis des Moving to Opportunities (MTO) Projektes dar (vgl. Briggs, Xavier, de Souza et al. 2010; Orr et al. 2003; Goering; Feins 2003). Benachteiligten ar­ men Familien aus benachteiligten Stadtteilen wurde randomisiert die Mög­ lichkeit gegeben, in bessere Nachbarschaften umzuziehen. Derartige Studi­ 49 Eine randomisierte Kontrollstudie bzw. Randomized-Controlled-Trial (RCT) bietet eine Mög­ lichkeit, kausale Effekte zu bestimmen, da sie durch ihr Design eine Reihe von Herausfor­ derungen bei der Bestimmung kausaler Effekte adressieren kann (vgl. Hernán; Robins 2020: 13 ff.).

2.4 Forschungsstand: Empirische Evidenz zu Effekten des sozialräumlichen Kontextes

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en sind mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden und damit nur in seltenen Fällen umsetzbar und am Ende auch nicht frei von Kritik50. Da es sich hier um ein Experiment handelt, kann die randomisierte Zuordnung der Haushalte per Design erreicht werden, so dass Probleme mit Endogeni­ tät überwunden werden können. Die Herausforderung jedoch bleibt beste­ hen, das kontrafaktische Ergebnis zu schätzen, um so den kausalen Effekt des Treatments zu erhalten. Denn auch im optimalen Fall eines RandomizedControlled-Trials (RCT) kann nur ein Zustand beobachtet werden, der andere ist immer kontrafaktisch (vgl. Abschnitt 3.1). Zudem ergibt sich abermals das theoretische Problem der Relevanz der Art der Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes (vgl. Abschnitt 2.3). Aggregierte Informationen auf Basis der Zenustracks und Block Groups wurden im Kontext des MTOProjektes als relevante sozialräumliche Kontexte bzw. Indikatoren für die soziale Komposition definiert (vgl. Orr et al. 2003: 19). Erste Auswertungen der MTO-Daten konnten einen Effekt der sozialen Komposition des sozial­ räumlichen Kontextes auf eine Reihe von Faktoren51 aufzeigen (vgl. Ludwig et al. 2001; Ladd; Ludwig 1997), während spätere Analysen nach vier bis sieben Jahren, diese Effekte nicht bestätigen konnten (vgl. Ludwig et al. 2008). Jedoch konnte eine Reanalyse der MTO-Daten durch Chetty et al. (2016), unter Berücksichtigung des Faktors der Verweildauer in den sozial­ räumlichen Kontexten, einen Effekt aufzeigen. Der nicht beachtete Faktor war hierbei die Verweildauer und die Tatsache, dass viele der Familien nach kurzer Zeit wieder umgezogen sind. Die Daten und Erkenntnisse aus dem MTO-Programm sowie weiteren experimentellen und quasi-experimentellen Studien leisten einen grundlegenden Beitrag zu vielen Aspekten der Analyse von Kontext- und Kompositionseffekten (vgl. Friedrichs 2014: 308), auf wel­ che in weniger komplexen Studiendesigns aufgebaut werden kann. Ebenfalls für den US-amerikanischen Kontext und auf Basis eines kontrafaktischen Ansatzes unter Verwendung des längsschnittlichen Panel Study of Income Dynamics (PSID) Datensatzes, können Wodtke et al. (2016, 2011) unter Adressierung der Herausforderung der Endogenität bei Nach­ barschaftseffektanalysen die Relevanz der Verweildauer in einer benachtei­

50 Keine Randomisierung der Nachbarschaftsqualität (vgl. Sampson 2008; Clampet‐ Lundquist; Massey 2008). Die nur kurze Verweildauer in den neuen Nachbarschaften führt zu nicht nachweisbaren Effekten (vgl. Chetty et al. 2016), da die Voraussetzungen für das Wirken von Effekten des sozialräumlichen Kontextes nicht erfüllt sind. 51 Beispielsweise konnten Effekte auf Testergebnisse kognitiver Leistungstests, Verhaltenspro­ bleme und die mentale Gesundheit aufgezeigt werden.

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2. Theoretischer Rahmen

ligten52 Nachbarschaft aufzeigen. Diese hat einen negativen Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, einen High-School-Abschluss zu erlangen. Der Effekt ist für Kinder aus armen Familien nochmals stärker. So können Wodtke et al. (2011) unter Verwendung von Zensustrack-Informationen und einem longitudinalen Design die Nachbarschaft von 2.093 Kinder für einen Zeit­ raum von 17 Jahren abbilden. Heterogene Effekte auf Basis von demografischen Merkmalen werden hierbei deutlich. So reduziert ein Aufwachsen in einer stark benachteiligten Nachbarschaft53 die Chance, die High-School erfolgreich zu beenden, um 20 Prozentpunkt für die Gruppe der schwarzen Kinder, während der Effekt für die Gruppe der weißen Kinder nur acht Prozentpunkte beträgt. Andersson und Subramanian (2006) haben auf Basis geokodierter lon­ gitudinaler Individualdaten mithilfe von Mehrebenenanalysen für drei Ge­ meinden in Schweden zeigen können, dass ein Zusammenhang zwischen dem nachbarschaftlichen soziokulturellen Kapital54 und dem Bildungser­ folg55 festzustellen ist, wenn die Individuen mindestens zwei bis drei Jah­ re in der entsprechenden Nachbarschaft gelebt haben. Der Effekt bleibt auch unter Kontrolle individueller, haushalts-, gemeinde- und kreisspezifischer Indikatoren bestehen, wobei individuelle Faktoren bereits 94 bis 98 Prozent der Variation der abhängigen Variable erklären (vgl. Andersson; Subramanian 2006: 2022). Hicks et al. (2018) kann zudem auf Basis der Analysen des Effektes einer benachteiligten Nachbarschaft auf Mathematikund Lesekompetenzen aufzeigen, dass neben der Dauer auch der Zeitpunkt und die Aktualität (Recency) relevant sind, was in besonderem Maße für den in dieser Arbeit analysierten Forschungsgegenstand relevant erscheint und berücksichtigt wird. Brattbakk (2014) hat auf Basis longitudinaler Daten aus Oslo den Bil­ dungserfolg (gemessen als Universitätsabschluss im Alter von 29), in Abhän­ gigkeit von der sozialen Komposition des sozialräumlichen Kontextes zu Kinder- und Jugendzeiten (14-18 Jahre), mithilfe von Mehrebenenmodellen 52 Benachteiligung wird nicht eindimensional gemessen sondern basiert auf einem von Wodtke et al. (2011) vorgeschlagenem Verfahren zur Erstellung eines multidimensionalen Index, der mithilfe einer Faktorenanalyse gebildet wird. 53 Benachteiligte Nachbarschaften werden auf Basis eines hohen Anteils an Arbeitslosen, Sozialleistungsbeziehern, Frauen geführten Haushalten und Haushalte mit einer niedrigen formalen Bildung definiert (vgl. Wodtke et al. 2011). 54 Der Anteil der Bevölkerung mit Universitätsabschluss, Anteil der Arbeiter/Angestellten, sowie Durchschnitt der Bevölkerung die soziale Unterstützung erhalten (vgl. Andersson; Subramanian 2006: 2021). 55 Bildungserfolg wird als Anzahl der Bildungsjahre im Jahr 2000 operationalisiert (vgl. Andersson; Subramanian 2006: 2017).

2.4 Forschungsstand: Empirische Evidenz zu Effekten des sozialräumlichen Kontextes

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analysiert. Sie stellt fest, dass es kleine aber signifikante Effekte der Nachbar­ schaft auf den Bildungserfolg bei allen der acht getesteten demografischen und deprivationsrelevanten Variablen56 gibt. Dies gilt besonders für größe­ re sozialräumliche Kontexte57, was den Ergebnissen anderer Studien wider­ spricht (vgl. Brattbakk 2014: 121). Der Anteil niedriggebildeter Haushalte in der Nachbarschaft hat hierbei den stärksten negativen Effekt auf den Bildungserfolg (vgl. ebd. 2014: 119). In Bezug auf die Frage der Skalierung des relevanten sozialräumlichen Kontextes haben Petrović et al. (2021) für den niederländischen Kontext mithilfe eines multiskalaren und egozentrierten Vorgehens auf Basis klein­ räumiger (100x100-Meter-Gitterzellen) und longitudinaler Daten der Sociaal Statistisch Bestand (vgl. Bakker, F. M., Bart et al. 2014), für ein Analysesamp­ le bestehend aus erwerbstätigen Männern im Alter von 20 bis 65 Jahren, unter Verwendung von Fixed-Effects-Modellen aufgezeigt, das die Stärke der Effekte von der Skalierung abhängig sind. Der Anteil der Haushalte mit einem niedrigen Einkommen in den 101 ego-zentrierten Nachbarschaften hat einen kleinen, signifikant negativen Effekt auf das persönliche Einkom­ men, wobei die kleinsten Skalierungen nicht immer die stärksten Effekte aufwiesen. Unter Nutzung einer Distance-Decay-Funktion kann ein anfäng­ lich dargestellter stärker werdender Effekt mit einer Vergrößerung der Ska­ lierung korrigiert werden, der als ein Artefakt der niedrigen Varianz in den größeren Skalierungen interpretiert wird (vgl. Petrović et al. 2021: 12 f.). Ebenfalls für den niederländischen Kontext haben Sykes und Kuyper (2009) auf Basis der Daten des Voortgezet Onderwijs Cohort Leerlingen (vgl. CBS 2009) und ebenfalls kleinräumiger geografischer Informationen58 mithilfe von Mehrebenenregressionen gezeigt, dass es einen Zusammen­ hang zwischen verschiedenen Dimensionen des sozialräumlichen Kontextes

56 Es wird der Anteil der Personen berechnet, welche die folgenden Eigenschaften aufweisen bzw. im Bezug der Leistung sind: Menschen mit einer Behinderung, Rentner, Arbeitslo­ se, Menschen in einer Rehabilitationsmaßnahme, Sozialleistungsempfänger, Nutzer von sozialen Hilfen, Alleinerziehende, niedriges formales Bildungsniveau, niedriges Einkom­ mensniveau und Migrationshintergrund (vgl. Brattbakk 2014: 119). 57 Das Distriktlevel mit durchschnittlich 12.278 Personen im arbeitsfähigen Alter hat im Vergleich zum Blocklevel mit durchschnittlich 1.070 Personen im arbeitsfähigen Alter einen stärkeren Effekt (vgl. Brattbakk 2014: 113). 58 Als Analyseeinheit wurde der buurt verwendet, welcher die kleinräumigste Analyseeinheit in den Niederlanden darstellt. Im Jahr 1999 gab es 10.737 solcher Einheiten mit einer durchschnittlichen Bewohnerschaft von 1.468 Haushalten (vgl. Sykes; Kuyper 2009: 2423).

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2. Theoretischer Rahmen

und dem Bildungserfolg59 gibt. Negative Effekte des sozialräumlichen Kon­ textes ergeben sich nur für autochthone Jugendliche. Kinder aus Familien mit einem hohen sozioökonomischen Status scheinen weniger durch ihren sozialräumlichen Kontext beeinflusst zu sein. Dies gilt sowohl für wohlha­ bende wie auch benachteiligte sozialräumliche Kontexte. Zu einem ähnli­ chen Ergebnis kommt auch Quillian (2014) bei der Analyse der Effekte von ethnischer Segregation auf den Bildungserfolg in den USA. Zangger (2015) konnte anhand eigener Daten für die Stadt Zürich mit einem Instrumental­ variablen-Ansatz60 den Einfluss der Nachbarschaft (als Stadtteil operationali­ siert) auf die Mathematiknote in der fünften und sechsten Klasse aufzeigen. Mit Verweis auf die geringe Samplegröße und den kurzen Zeitraum, in dem die Effekte auftreten, stellt Zangger (2015) fest, dass der Effekt der Nachbarschaft für Kinder aus der untersten EGP-Klasse signifikant negativ ist, wenn der Anteil der statushohen Haushalte in der Nachbarschaft an­ steigt. Positive Effekte ergeben sich für Kinder aus statushohen Haushalten in ähnlichen sozialräumlichen Kontexten. Effekte der sozialen Komposition sozialräumlicher Kontexte scheinen zudem durch die soziale Integration in lokale Peer-Netzwerke mediiert zu werden und variieren in Abhängigkeit des Geschlechts und der Schichtzugehörigkeit (vgl. ebd. 2015). Auf Basis der Daten des National Child Development Study zeigt Gibbons (2002), dass auch unter Kontrolle der Familiencharakteristika und unter An­ wendung verschiedener empirischer Strategien, welche für die Selbstselekti­ on in die Nachbarschaft kontrollieren, ein robuster Effekt der Nachbarschaft vorhanden ist. Dieser Effekt basiert auf der Analyse des Anteils der hochqua­ lifizierten Personen in der Nachbarschaft während der Jugend bzw. Kindheit und dem erreichten Bildungsstand im Alter von 33 Jahren. Kinder und Jugendliche, die in einem Wohngebiet lebten, das zu den obersten zehn Pro­ zent der Wohngebiete mit dem höchsten Anteil an Bewohnern mit hohen Schulabschlüssen zählten, haben im Vergleich zu Kindern/Jugendlichen, die in den untersten zehn Prozent der Wohngebiete lebten, eine fünf bis sechs Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit, einen hohen Schulabschluss zu erzielen. Es kommt zudem zu einer Kompensation von Effekten einer sta­ tusniedrigen Nachbarschaft auf den Bildungserfolg durch höher gebildete Eltern. Kinder aus bildungsnahen Haushalten erfahren keine negativen Ef­ fekte durch eine statusniedrige Nachbarschaft (vgl. Gibbons 2002). 59 Bildungserfolg wird über das Testergebnis eines standardisierten Tests des Dutch Institute for Educational Testing (CITO Groep), welcher im ersten Jahr der Sekundarstufe I durchge­ führt wird, operationalisiert (vgl. Sykes; Kuyper 2009: 2422). 60 Als Instrument wird die Anzahl der Wohnungen mit mehr als fünf Zimmern verwendet (vgl. Zangger 2015: 300).

2.4 Forschungsstand: Empirische Evidenz zu Effekten des sozialräumlichen Kontextes

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Für den deutschen Kontext gibt es nur wenige Versuche einer Quantifizierung direkter Effekte des sozialräumlichen Kontextes auf die zu treffende bzw. realisierte Bildungswahlentscheidung oder die schulischen Leistungen. Ein Grund hierfür sind die hohen Voraussetzungen für eine empirische Analyse mit Bezug auf die Datengrundlage (vgl. Bayer et al. 2018: 11), wel­ che für Deutschland als nicht ausreichend zu bezeichnen ist (vgl. RatSWD 2012b, 2012a). Dies führt dazu, dass Analysen auf dem Niveau wie etwa in Schweden oder den Niederlanden für den deutschen Kontext nahezu unmöglich sind. Die empirische Analyse von Kontexteffekten ist in Deutsch­ land dennoch nichts Neues. Die bekannte Kunstfigur des katholischen Ar­ beiter Mädchens vom Lande, welche Dahrendorf (1965: 48) zugeschrieben wird, beschreibt schon sehr früh die Mehrdimensionalität sowie die regiona­ len Disparitäten der Bildungsbeteiligung. Unterschiede in der Bildungsbe­ teiligung und im Bildungserfolg konnten in der Folge unter anderem auf Ebene der Bundesländer, der Städte und Kreise aufgezeigt werden (vgl. Au­ torengruppe Bildungsberichterstattung 2016; Helbig 2010; Sixt 2010; Hauf 2007, 2006; Kramer 2000). Unter Verwendung eines sehr ähnlichen theore­ tischen Rahmens bzw. einer sehr ähnlichen theoretischen Argumentation, wie diese Arbeit sie vornimmt, kann Dang (2015) für den deutschen Kon­ text unter Verwendung der Daten des SOEP (vgl. SOEP v29 2013) einen Effekt der sozialen Komposition61 auf die Wahrscheinlichkeit, übergewich­ tig zu sein, aufzeigen. Es wird argumentiert, dass die “spillover effects of local human capital stock emerge as an indirect consequence of aggregate education on individual obesity through peer effects, social norms or social networks” (Dang 2015: 3). Eine Erhöhung des Anteils der Nachbarhaushalte mit Hochschulbildung verringert die Wahrscheinlichkeit, übergewichtig zu sein, um 0,77 Prozentpunkte. Der Effekt ist nochmals deutlicher für die Subgruppe derer, die selber über eine hohe Bildung verfügen. Bügelmayer und Schnitzlein (2018) analysieren den spezifischen Ein­ fluss des direkten sozialräumlichen Kontextes auf Basis einer kleinräumi­ geren Operationalisierung62 des sozialräumlichen Kontextes, in welchem Mechanismen wie etwa gemeinsame Sozialisation, die Übernahme von Werten und Normen oder die generelle Einstellung zu Bildung und die damit verbunden Bildungsaspirationen wirken. Auf Basis der SOEP-Daten (vgl. SOEP v31.1 2016) und der Daten des DIW-IAB-RWI-Nachbarschaftspanels der Jahre 2004 bis 2010 (vgl. Bügelmeyer et al. 2016), können sie mit­ hilfe von Geschwisterkinder- und Nachbarschaftskorrelationen die generelle 61 Gemessen als Anteil an Nachbarhaushalten mit einer Hochschulbildung innerhalb des Postleizahlengebietes. 62 Die feinste räumliche Skalierung ist das Postleitzahlengebiet.

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2. Theoretischer Rahmen

Bedeutung der Nachbarschaft für die kognitiven Fähigkeiten und die psychi­ sche Gesundheit aufzeigen. Hierzu stellen sie fest, “[…] it is mostly the family that influences adolescent outcomes, with a minor share attributable to the neighborhood. Notably, for cognitive ability and mental health, the influence of the neighborhood is stronger” (Bügelmayer; Schnitzlein 2018: 384). Auf Basis der Berliner ELEMENT-Studie (vgl. Lehmann 2008) kann Helbig (2010) einen Effekt von Nachbarschaftscharakteristika63 auf die Lese- und Mathematikkompetenzen Berliner Grundschüler (4. und 6. Klasse) aufzeigen. Bildungsungleichheiten werden durch die Nachbarschaf­ ten in dem Sinne verstärkt, dass günstigere sozialstrukturelle Bedingungen die Kompetenzentwicklung fördern. Ein negativer Effekt von ungünstigeren Bedingungen konnte nicht festgestellt werden. Hartung und Hillmert (2019) haben unter Nutzung der Daten des SOEP (vgl. SOEP v30 2015) und microm-Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015) ebenfalls für den deutschen Kontext einen Zusammenhang zwischen dem Anteil an Personen mit einem Universitätsabschluss, die älter als 25 Jahre sind, und der Bildungsaspiration aufzeigen können. Hierbei haben sie ebenfalls eine egozentrierte Operationalisierung des sozialräumli­ chen Kontextes auf Basis der PLZ8-Gebiete (vgl. microm 2021, 2019) vorge­ nommen. Es zeigt sich ein signifikanter positiver Effekt für Kinder, deren Eltern keinen Universitätsabschluss besitzen und keinen Migrationshinter­ grund haben, während dieser Effekt seine Signifikanz für Kinder mit Eltern mit Universitätsabschluss oder Migrationshintergrund verliert. Die Bedeutung von Schwellenwerten wird in verschiedenen Analy­ sen hervorgehoben, wobei die Ergebnisse aufgrund der Unterschiedlich­ keit der Analyseziele und Operationalisierung stark variieren und sich teilweise nochmals nach Individual- und Haushaltsmerkmalen differenzieren (vgl. Friedrichs; Nonnenmacher 2010: 478 ff.; Galster 2003; Crane 1991: 1236 ff.). Es bleibt ungeklärt, ab welchen Konzentrationsschwellen im deutschen Kontext mit Effekten zu rechnen ist (vgl. Goebel; Hopp 2015: 27). Ein Hinweis auf die mögliche Höhe relevanter Schwellenwerte für den deutschen Kontext gibt die Analyse von Oberwittler (2007). Bei seiner Untersuchung von Schülern in Freiburg und Köln kann Oberwittler (2007) einen Effekt der Konzentration des Anteils der Sozialhilfeempfänger in der Nachbarschaft auf das Ausmaß der von Jugendlichen berichteten relativen wahrgenommen Deprivation und Delinquenz aufzeigen. Jedoch beschränkt sich die Interpretation der Schwellen auf die visuelle Darstel­ 63 Als Nachbarschaft wird die Verkehrszelle der Grundschule verwendet. Es wird argumen­ tiert, dass meist die wohnortnächste Grundschule gewählt wird, womit die Verkehrszelle der Schule dann auch das Wohnumfeld der Kinder widerspiegelt (vgl. Helbig 2010: 663).

2.5 Forschungsstand: Empirische Evidenz in Deutschland

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lung. Diese werden nicht explizit in den Mehrebenenanalysen getestet. Die Konzentration des Anteils der Sozialhilfeempfänger liegt zwischen < 3 und > 24,5 Prozent und der Effekt steigt in der Tendenz mit einem höheren Anteil. Die stärksten Effekte sind hierbei nicht immer in den höchsten Kon­ zentrationen zu finden. Auch variieren die Ergebnisse nach Geschlecht und bei Vorliegen eines Migrationshintergrundes. Goebel und Hopp (2015) ver­ weisen in ihren Analysen zum Ausmaß und Trend der sozialräumlichen Se­ gregation auf einen Schwellenwert von 20 Prozent als relevant und kommen zu dem Ergebnis, dass heterogene Effekte (Haushalte mit Migrationshin­ tergrund vs. Haushalte ohne Migrationshintergrund) auf die Armutsrisiko­ quote bzw. die Persistenz von Armutserfahrungen feststellbar sind. Zudem kommen sie zu dem Schluss, dass die Annahme der Nicht-Linearität von Nachbarschaftseffekten mithilfe der vorliegenden Daten bestätigt werden kann und das unterschiedliche Skalierungen in Abhängigkeit des Differenzierungskriteriums des Migrationshintergrundes relevant sind. In allen nationalen und internationalen Studien wird die Größe der identifizierten Effekte meistens als klein aber nicht vernachlässigbar be­ schrieben. Meist erklären Kontexteffekte nur wenige Prozent der Varianz (vgl. Friedrichs 2013: 36; Andersson; Subramanian 2006: 2022). In dieser kurzen und keinesfalls umfassenden Darstellung des For­ schungsstandes zum Einfluss des sozialräumlichen Kontextes auf verschiede­ ne individuelle oder haushaltsspezifische Merkmale zeigt sich, dass neben der abhängigen Variable auch die Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes stark variiert. Mit einer gewissen Generalisierung lassen sich die verschiedenen Operationalisierungen der abhängigen Variablen inhaltlich vergleichen, wobei dies bei der Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes nur schwer möglich ist, da die Skalierung und der Zuschnitt bereits eine inhaltliche Festlegung darstellen und zu unterschiedlichen Ef­ fekten führen (vgl. Petrović et al. 2021; Spielman; Yoo 2009). 2.5 Forschungsstand: Empirische Evidenz zur schicht- bzw. bildungsgruppenspezifischen Bildungswahlentscheidung in Deutschland Die Analyse des Übergangs von der Grundschule in die Sekundarstufe I stellt einen Schwerpunkt in der neueren empirischen Bildungs- und Sozi­ alforschung dar (vgl. Maaz et al. 2010b: 18), da es sich hier um eine weitreichende und nachhaltig wirkende Weichenstellung im weiteren Bil­ dungsverlauf handelt (vgl. Becker; Lauterbach 2016a; Esser 1999: 289). Die

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2. Theoretischer Rahmen

Abhängigkeit des Zugangs zu bzw. der Beteiligung an höherer Bildung und der in vielen Fällen daraus resultierenden späteren beruflichen Positio­ nierung von der sozialen Herkunft kann zeitlich relativ konstant für die letzten Jahrzehnte aufgezeigt werden (vgl. Autorengruppe Bildungsbericht­ erstattung 2020; 2014, 2012, 2010; Becker; Lauterbach 2016a; Krüger et al. 2010; Maaz et al. 2010a; Ditton; Maaz 2011; Harazd; van Ophuysen 2008; Müller-Benedict 2007; Ditton; Krüsken 2006; Shavit; Blossfeld 1993; Peisert 1967; Dahrendorf 1965). Dieses zeitlich konstante Muster der ungleichen Bildungsbeteiligung verschiedener soziökonomischer Schichten beim Wahlverhalten der Schul­ form am Ende der Grundschulzeit im Übergang in die Sekundarstufe I sowie das schichtspezifische Korrekturverhalten innerhalb des weiteren Bil­ dungsverlaufs werden unter anderem im aktuellen Bildungsbericht (vgl. Au­ torengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 116) auf Basis der NEPS-Da­ ten (vgl. Artelt; NEPS, National Educational Panel Study, Bamberg 2021) in grafischer Form dargestellt. Mit 27 Prozent wird das Gymnasium von den Haushalten mit einem niedrigen sozioökonomischen Status am wenigsten von allen drei Statusgruppen gewählt (50 % und 79 %). Nach sechs Jahren im Bildungssystem zeigt sich eine Tendenz der stärkeren Aufwärtsmobilität für die Gruppen der Kinder aus Haushalten mit einem niedrigen oder mittleren soziökonomischen Status64, wobei die anteilige Verteilung der Gruppen auf dem Gymnasium relativ konstant bleibt. Die festgestellte hohe Aufwärtsmobilität der beiden Gruppe ist jedoch mit Blick auf die hohen Hauptschul- und Realschulquoten wenig überraschend. Weiter weisen die Gruppen der Kinder aus Haushalten mit einem niedrigen oder mittleren sozioökonomischen Status einen deutlich höheren Anteil an Schulabbrü­ chen und den Übergang in eine Ausbildung auf und somit das vorläufige Ausscheiden aus dem Bildungssystem. Der festgestellte niedrige Anteil der Schüler, die in niedriger qualifizierende Schularten wechseln, ist vor allem für die Gruppe der Schüler aus Haushalten mit einem hohen sozioökonomi­ schen Status bemerkenswert (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 115 f.). Die hohe Persistenz der Bildungsverläufe in Kombination mit der initialen schichtspezifischen, ungleichen Bildungsbeteiligung auf den verschiedenen Schulformen, verweist nochmals auf die immanente Bedeu­ tung dieser ersten Bildungswahlentscheidung als langfristige Weichenstel­ lung. Disparitäten der Schulleistungen (primäre Herkunftseffekte) auf Basis der Status- oder Bildungsgruppenzugehörigkeit des Herkunftshaushaltes 64 Die Autoren verweisen darauf, dass dieses Ergebnis sich von denen anderer empirischer Analysen unterscheidet (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 115 f.).

2.5 Forschungsstand: Empirische Evidenz in Deutschland

73

können regelmäßig in verschiedenen Alterskohorten auf Basis von Schul­ leistungstests wie etwa TIMSS65 (vgl. Schwippert et al. 2020), IGLU66 (vgl. Hussmann et al. 2017) oder Pisa67 (vgl. Reiss et al. 2016) aufgezeigt werden. Kinder aus Haushalten der unteren Status- oder Bildungsgruppen weisen in der Regel einen niedrigeren Testscore auf als Kinder der höheren Status- oder Bildungsgruppen, was auf die Relevanz primärer Herkunftseffekte verweist. Damit stellt sich die Frage nach der Relevanz sekundärer Herkunftseffekte. Diese Frage kann mithilfe von verschiedenen Verfahren zur Dekomposi­ tion des herkunftsbedingten Effektes berechnet werden und die relative Be­ deutung der beiden von Boudon (1974) herausgearbeiteten Mechanismen68 aufgezeigt werden. Mit einem solchen Vorgehen kann dargestellt werden, welchen Anteil eine systematisch variierende Ausstattung mit materiellen und immateriellen Ressourcen, welche zu systematischen Veränderungen in den Schulleistungen führt (primäre Herkunftseffekte) und das schicht­ spezifische Entscheidungsverhalten auf Basis der haushaltsinternen KostenNutzen-Kalkulation (sekundäre Herkunftseffekte), an dem Gesamteffekt der schichtspezifischen Bildungswahlentscheidung hat. Auf Basis der Daten des BiKS69 8-12 (vgl. Maurice et al. 2007) können Relikowski et al. (2010) bei der Analyse des Übergangs von der Primarstufe in die Sekundarstufe I aufzeigen, dass die Bedeutung bzw. die jeweilige Ge­ wichtung der Relevanz der primären und sekundären Herkunftseffekte im Zusammenhang mit dem Migrationsstatus und der Schichtzugehörigkeit des Haushaltes variiert. Es zeigen sich für die Gruppe der autochthonen Schüler die Relevanz der primären als auch der sekundären Herkunftseffekte, während für die Gruppe der Kinder mit Migrationshintergrund die primären Herkunftseffekte eine hohe Relevanz haben und die sekundären Herkunftseffekte keinen Effekt aufweisen. Der Anteil sekundärer Herkunftseffekte beträgt in Abhängigkeit der betrachteten Gruppe (Autochthone vs. Migranten) und Art der Differenzierung (soziale Klassen vs. Bildungsgrup­ pen) zwischen ein und 46 Prozent70. 65 66 67 68 69

Trends in International Mathematics and Science Study Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung Programme for International Student Assessment Primäre und sekundäre Herkunftseffekte (vgl. Abschnitt 2.2) Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Formation von Selektionsentscheidungen im Vor- und Grundschulalter (BiKS) 70 Autochthone auf Basis der Differenzierung nach sozialen Klassen (33 % bis 46 %). Migran­ ten auf Basis der Differenzierung nach sozialen Klassen (1 % bis 10 %). Autochthone auf Basis der Differenzierung nach Bildungsgruppen (34 % bis 53 %). Migranten auf Basis der Differenzierung nach Bildungsgruppen (32 % bis 38 %) (vgl. Relikowski et al. 2010).

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2. Theoretischer Rahmen

Auf Basis der Daten des DJI-Kinderpanels (vgl. Betz et al. 2006) kann Neugebauer (2010) mithilfe einer Dekomposition des gesamten Herkunftseffektes den Anteil der sekundären Herkunftseffekte auf 59 Prozent bezif­ fern. Zudem kann gezeigt werden, dass die relative Bedeutung der sekundä­ ren Herkunftseffekte größer wird, wenn die Schulwahl frei ist. Ebenfalls wird festgestellt, dass bei mittelmäßigen Schülern, bezogen auf die Schul­ leistung, die sekundären Herkunftseffekte besonders relevant sind. Combet (2013) kommt bei ihrer Analyse bzw. Dekomposition der Herkunftseffekte für den Schweizer Kontext mithilfe der KHB-Methode (vgl. Breen et al. 2013; Karlson; Holm 2011) zu dem Ergebnis, dass 23 Prozent der herkunftsbedingten Effekte auf die primären Herkunftseffekte entfallen71. Dieses Ergebnis entspricht der generellen Feststellung, dass die sekundären Herkunftseffekte die größere Relevanz beim Übergang von der Primarstufe in die Sekundarstufe I haben. Zudem zeigt eine von Combet (2013: 450) erstellte Übersicht nationaler und internationaler Forschungsergebnisse, welche eine Dekomposition der Herkunftseffekte vorgenommen haben, dass mit einem Fortschreiten der Bildungskarriere die Relevanz der primä­ ren Herkunftseffekte noch weiter zurückgeht. Der prozentuale Anteil der primären Herkunftseffekte variiert in Abhängigkeit des gewählten Dekom­ positionsverfahrens und des Differenzierungskriteriums meistens zwischen 30 und 40 Prozent. So wird klar, dass den sekundären Herkunftseffekten bei dieser frühen Bildungswahlentscheidung eine hohe Relevanz zukommt, welche sich im Verlauf der Bildungskarriere weiter erhöht. Damit ist die Emergenz der Herkunftseffekte zwar nicht vollends erwie­ sen (vgl. Becker; Lauterbach 2016b: 14), da bspw. die genauen Mechanismen der intergenerationalen Transmission von Kenntnissen und Fertigkeiten, die zu systematisch variierenden Bildungsentscheidungen führen, nicht aus­ reichend erforscht sind. Jedoch verweisen die konsistenten quantitativen, empirischen Ergebnisse auf eine hohe Validität des theoretischen Modells. Die soziale Herkunft und hier besonders die sekundären Herkunftseffekte bei der frühen Bildungsentscheidung stellen einen wesentlichen, jedoch nicht den einzigen erklärenden Faktor im Kontext von Bildungserfolg und Bildungsentscheidung dar. So kann eine Vielzahl weiterer Faktoren, die im Zusammenhang mit einer ungleichen Bildungsbeteiligung stehen, benannt werden. Diese wurden in Teilen auch in den Analyse- bzw. Dekompositi­ onsmodellen aus den oben genannten Studien als Kontrollvariablen berück­ sichtigt. Auf Basis der Daten des Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) (vgl. SOEP v30 2015) kann Grätz (2015) die Relevanz einer intakten Kernfamilie bzw. 71 Dies ist der Fall beim Vergleich der niedrigsten mit der höchsten Bildungsgruppe.

2.5 Forschungsstand: Empirische Evidenz in Deutschland

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die negativen Folgen einer Trennung auf die Bildungswahlentscheidung auf­ zeigen. Hierbei variieren die Effekte in Abhängigkeit der Bildungsgruppen­ zugehörigkeit der Herkunftshaushalte. Kindern aus Haushalten mit einer niedrigen formalen Bildung, deren Eltern sich getrennt haben, erfahren einen negativen Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, während kein bedeutender Effekt für Kinder aus Haushalten mit einer hohen formalen Bildung durch eine Trennung der Eltern aufgezeigt werden kann. Zudem liegen für alleinerziehende Haushal­ te wesentlich häufiger als für Paarfamilien eine (59 % vs. 23 %) oder mehrere Risikolagen (11 % vs. 3 %) vor, welche in einem direkten Zusammenhang mit der Schulleistung und damit der Bildungswahlentscheidung stehen (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 41 ff.). Das Vorhandensein eines Migrationshintergrundes steht auf deskripti­ ver Basis in einem deutlichen Zusammenhang mit einer geringeren Betei­ ligung an höherer Bildung in Deutschland. Dieser Befund wird häufig über die festgestellten persistenten Leistungs- und Kompetenzunterschiede (vgl. Schwippert et al. 2020) über die Schullaufbahn erklärt (vgl. Dollmann 2016: 253 f.). Die Leistungs- und Kompetenzunterschiede im Vergleich zu Haushalten ohne Migrationshintergrund werden auf die unterschiedliche Ausstattung mit bildungsrelevanten Ressourcen innerhalb der Herkunftsfamilie zurückgeführt (vgl. ebd. 2016: 253). Bei multivariaten Analysen ver­ liert dieser Zusammenhang an Deutlichkeit (vgl. Dumont et al. 2014: 9 f.). Die Bedeutung der primären Herkunftseffekte bleibt bestehen (vgl. Gresch 2012; Relikowski et al. 2010), jedoch führt eine vermutete gesteigerte Bil­ dungsaspiration einzelner Migrantengruppen zu teilweise höheren Über­ gangsraten auf das Gymnasium als bei autochthonen Kindern, wenn eine ausreichende Komplexität des Analysemodells vorliegt (vgl. Kristen; Dollmann 2009; Ditton et al. 2005). Bei aller Ambivalenz zeigt sich somit dennoch die hohe Relevanz des Faktors des Migrationshintergrundes. Der Gender Datenreport aus dem Jahr 2005 (vgl. DJI; DeStatis 2005: 30) verweist auf ein anteilsmäßiges Überholen der Mädchen im Vergleich zu den Jungen beim Besuch höherer Bildungsgänge in den letzten Jahren. Die­ ses leicht ungleiche Verhältnis der Geschlechter beim Besuch höherer Bil­ dungsgänge ist auch auf Basis aktueller Daten nachzuweisen (vgl. DeStatis 2022; Schwippert et al. 2020: 224). Nationale Leistungstests verweisen meist auf einen Vorsprung der Mädchen bei der Lesekompetenz, während Jungen häufig bei den naturwissenschaftlichen Kompetenzen einen durchschnittli­ chen Vorsprung aufweisen, wobei die Unterschiede besonders im Grund­ schulbereich häufig jedoch klein und nicht signifikant sind (vgl. Schwippert et al. 2020: 223 ff.; Hussmann et al. 2017: 177 ff.). Die unterschiedlichen Leistungen in den verschiedenen Kompetenzbereichen, welche über eine

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2. Theoretischer Rahmen

Vielzahl an Ansätzen erklärt werden72 (vgl. Schwippert et al. 2020: 227 ff.), können als ein Faktor für die unterschiedliche Bildungsbeteiligung verstan­ den werden. Doch verweist die Entwicklung des anteiligen Angelichs und des Überholens beim Besuch höherer Bildungsgänge der Mädchen im Ver­ hältnis zu den Jungen auf den Prozess der Bildungsexpansion und einen Wandel der Rolle der Frau innerhalb der Gesellschaft (vgl. Helbig 2013; Geißler 2008a). Ein denkbares Zusammentreffen mehrerer benachteiligender oder vor­ teilhafter Faktoren im Sinne der im Bildungsbericht genannten Risikolagen (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 40 ff.) in Kombination mit den identifizierten regionalen Disparitäten in Bezug auf die Angebots­ struktur (vgl. Sixt et al. 2018; Freytag et al. 2018; Terpoorten 2014; Sixt 2010; Maaz et al. 2010a) verweisen somit auf eine mögliche Aktualisierung der Dahrendorf (1965: 45 ff.) zugeschriebenen Kunstfigur des katholischen Arbeitermädchens vom Lande und der weitreichenden Konsequenzen für die Bildungs- und Berufskarriere eines solchen Zusammentreffens verschiedener Faktoren. 2.6 Explikation und Hypothesen Es werden nun alle drei Stränge aus dem föderalen Bildungssystem (vgl. Abschnitt 2.1), dem mikrosoziologischen Modell zur Bildungswahlentschei­ dung (vgl. Abschnitt 2.2) und dem theoretischen Rahmen zum potenziellen Effekt des sozialräumlichen Kontextes (vgl. Abschnitt 2.3) durch sozial-in­ teraktive Mechanismen auf die haushaltsinterne Bildungswahlentscheidung unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes (vgl. Abschnitte 2.4 & 2.5) zusammengebracht und vor allem zusammengedacht. Diese zu­ sätzliche Zusammenführung der drei Stränge und Ausformulierung der an­ genommenen kausalen Ketten aufeinanderfolgender Hypothesen (vgl. Opp 2004: 362 ff.) soll der Kritik von unter anderem Minh et al. (2017) entge­ genwirken, dass nur ein kleiner Teil der Nachbarschaftseffektstudien dar­ stellt, welche theoretischen Annahmen ihren Modellen zu Grunde liegen und damit das Warum und Wie möglicher Effekte darstellen. Sharkey und Faber (2014) interpretieren diese Situation als einen Mangel an empirischen Ergebnissen zu wirkmächtigen Mechanismen und Wirkketten, durch wel­ che die Nachbarschaft bzw. die soziale Komposition eines relevanten sozial­ räumlichen Kontextes wirkt. Eine Zielsetzung dieser Arbeit ist es, diesem 72 Biologische Faktoren, Persönlichkeitsmerkmale und die generelle Einstellung zu und das Interesse an Bildung werden genannt (vgl. Schwippert et al. 2020: 227 ff.).

2.6 Explikation und Hypothesen

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Mangel durch eine weitere theoretische Fundierung und anschließende em­ pirische Überprüfung entgegenzuwirken. Der Effekt der sozialen Komposi­ tion eines relevanten sozialräumlichen Kontextes auf die erste notwendige Bildungswahlentscheidung wird hierbei nicht isoliert auf das Kind gedacht, sondern als simultan bzw. mediiert auf das Kind und bzw. durch die Eltern wirkende Mechanismen und deren gegenseitiges Wechselspiel (vgl. Galster 2012: 38 ff.; Leventhal; Brooks-Gunn 2000). Die aus der Zusammenführung der drei Stränge bzw. der theoretischen Rahmen resultierenden Konsequen­ zen werden sodann als empirisch überprüfbare Hypothesen formuliert. Es wird nicht weiter auf das föderale Bildungssystem in Deutschland als Makrostruktur eingegangen, welches den generellen Handlungsrahmen in Form von schulrechtlichen Regelungen und angebotenen Schulformen in jedem Bundesland regelt (vgl. Abschnitt 2.1). Diese werden als latente Strukturen in den Hintergrund treten, ohne dass jedoch deren Relevanz für die Bildungsbeteiligung in Abrede gestellt werden soll. Wichtig ist noch­ mals festzustellen, dass das Gymnasium die einzige Schulform ist, die in allen Bundesländern als eigenständige Schulform existiert und dass dieses im Vergleich zum Besuch einer Gesamtschule73, welche auch zum Abitur führen kann, dennoch Unterschiede aufweist. Damit weist der Besuch der eigenständigen Schulform des Gymnasiums sowohl objektiv differierende Lernzuwächse (vgl. Köller; Baumert 2001) als auch unterschiedliche schuli­ sche Sozialisationsmilieus auf (vgl. Becker et al. 2020: 983), so dass die Ent­ scheidung für das Gymnasium subjektiv für die wählende Familie und für die weitere berufliche Laufbahn (vgl. Sawert 2016) eine Wahl der eigenen Art darstellt. Hiervon ist auszugehen, auch wenn es kaum Studien zur Be­ deutung der Schulform im Vergleich zum Zertifikat bzw. des Schulabschlus­ ses mit Bezug auf den späteren sozioökonomischen Erfolg gibt (vgl. Becker et al. 2020: 981). Theoretisch und empirisch kann die ungleiche Bildungsbeteiligung ver­ schiedener Schichten mithilfe der mikrosoziologischen Theorie von Boudon (1974) und der Erweiterung bzw. Formalisierung des subjektiv rationalen Entscheidungsverhaltens (sekundäre Herkunftseffekte) durch das SEU-Mo­ dell Essers (1999: 266 ff.) als rein durch haushaltsspezifische Eigenschaften beeinflusste Entscheidung, zu großen Teilen erklärt werden (vgl. Abschnitte 2.2 & 2.5). Der generellen Logik dieses in der quantitativen empirischen Sozialforschung etablierten (vgl. Schimpl-Neimanns 2000: 640; Kristen 73 In Abhängigkeit vom Bundesland werden diese Schultypen auch integrierte oder koopera­ tive Schulen oder Schulen besonderer Art genannt. Es ist aber auch festzustellen, dass nicht alle diese Schulformen über die integrierte Möglichkeit verfügen, das Abitur zu absolvieren.

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2. Theoretischer Rahmen

1999: 25 ff.) theoretischen Rahmens folgend, wird es um sozialräumliche Faktoren erweitert, welche einen Einfluss auf die insgesamt zur Verfügung stehenden bildungsrelevanten Ressourcen (sozialräumliche primäre Effekte) sowie die schichtspezifische, subjektiv rationale Kosten-Nutzen-Entschei­ dung (sozialräumliche sekundäre Effekte) haben. Die sozialräumlichen Bedingungen konstituieren einen Teil des Hand­ lungsrahmens der Haushalte bzw. deren Mitglieder (vgl. Abbildung 1) und beeinflussen durch Optionen und Restriktionen die Einstellungen und das Verhalten (vgl. Löw 2012; Sixt 2010: 68; Friedrichs; Triemer 2009: 17; Galster; Killen 1995; Boudon 1974). Als Optionen und Restriktionen wer­ den unter anderem die außerhalb des Herkunftshaushaltes existierenden unterschiedlichen Quantitäten und Qualitäten an bildungsrelevanten mate­ riellen und immateriellen Ressourcen verstanden, welche sich unter ande­ rem innerhalb der sozialen Komposition des sozialräumlichen Kontextes wiederfinden (vgl. Galster 2012; Wodtke et al. 2012; Sampson et al. 1999). Es wird somit einer generellen Argumentation der Segregationsforschung gefolgt, wonach mit einer Ungleichverteilung von Haushalten der oberen und unteren Ränge einer Statusskala auch eine Ungleichverteilung materiel­ ler und immaterieller Ressourcen innerhalb des entsprechenden räumlichen Kontextes verbunden ist (vgl. Lee et al. 2008; Hauf 2006: 45; Häußermann; Siebel 2005; Wilson 1987). Diesen Ressourcen wird ein Effekt auf die Schul­ leistung (vgl. Goux; Maurin 2007) sowie die haushaltsinterne Kosten-Nut­ zen-Kalkulation und in der Konsequenz auf die Bildungswahlentscheidung unterstellt, da diese als zusätzliche Faktoren (Mesoebene) auf die beiden simultan wirkenden haushaltsinternen Herkunftseffekte (vgl. Esser 1999; Boudon 1974) wirken (Mikroebene; vgl. Abbildung 1). Damit lautet die grundlegende Annahme, dass Haushalte mit einer gewissen Wahrscheinlich­ keit andere Bildungswahlentscheidungen – in Bezug auf die Wahl des Gym­ nasiums – treffen würden, wenn sie in einem sozialräumlichen Kontext situiert wären, der durch eine andere soziale Komposition geprägt wäre, da dieser einen veränderten Handlungsrahmen darstellen würde (kontrafak­ tische Annahme; vgl. Abschnitt 3.1). Dies sollte insbesondere bei Ungleich­ verteilungen am oberen oder unteren Ende einer Statusskala der Fall sein. Verschiedene theoretische Modelle (vgl. Abschnitt 2.3) kommen zur Erklärung von Effekten der sozialen Komposition des sozialräumlichen Kontextes jeweils zu unterschiedlichen erwarteten Effekten und diese theo­ retischen Rahmen wurden unter Verwendung unterschiedlicher Zielgrup­ pen und Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes erarbeitet (vgl. Petrović et al. 2021: 4). Deshalb wird sich, der Forderung Harding et al. (2010) folgend, an vorhandenen theoretischen Rahmen und empiri­ schen Ergebnissen orientiert, um einen eigenen, auf den Gegenstand der

2.6 Explikation und Hypothesen

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Analyse zugeschnittenen und dem nationalen Kontext angepassten theo­ retischen Erklärungsrahmen zu entwickeln. Die familiären (Mikroebene) und sozialräumlichen Bedingungen (Mesoebene) des Aufwachsens bis zur Bildungswahlentscheidung sollten diese beeinflussen und sich im Ergeb­ nis (der Bildungswahlentscheidung) manifestieren. Eine Differenzierung zwischen Effekten des sozialräumlichen Kontextes und Schuleffekten wird nicht vorgenommen, da einer breiten Nachbarschaftsdefinition gefolgt wird (vgl. Jencks; Mayer 1990: 112)74. Versuche einer Differenzierung weisen zudem keine klaren Ergebnisse auf. In einigen Analysen bleibt der Effekt des sozialräumlichen Kontextes auch unter Kontrolle der Schulkompositi­ on bestehen (vgl. Bowen; Bowen 1999), in anderen verschwindet dieser (vgl. Sykes 2011; Kauppinen 2008). Da es sich um Grundschulkinder han­ delt, wird angenommen, dass selbst die kleinsten Skalierungen des k-skalier­ ten sozialräumlichen Kontextes (vgl. Abschnitt 5.1), die soziale Kompositi­ on der Schule zu großen Teilen oder komplett beinhalten, da Kinder im Grundschulalter in Deutschland meist die wohnortnächste Schule besuchen (vgl. Horr 2016: 404; KMK 2015 (1970); Helbig 2010: 663 f.) (vgl. Abschnitt 2.1). Im Falle der Operationalisierung auf Basis einer Annäherung an den Schulsprengel ist die Überlappung zwischen wohnortnahen sozialräumli­ chen Kontext und Schulkomposition selbstevident. Grundschulen können somit in beiden Fällen als Spiegel der sozialen Komposition der Nachbarschaft gesehen werden und sollten, wenn es um Kompositionseffekte geht, nicht losgelöst von dieser betrachtet werden, da dies aus der Perspektive der Lebenswirklichkeit der Kinder bzw. der Her­ kunftshaushalte eine unzutreffende Annahme darstellen würde. So konnten unter anderem Kruse et al. (2016) für Jugendliche mit Bezug auf Freund­ schaftsnetzwerke zeigen, dass räumliche Nähe der Wohnorte letztendlich dazu führt, dass Schulfreundschaften geschlossen werden, was abermals die hohe Relevanz der räumlichen Nähe der Wohnorte hervorhebt und die An­ wendung einer distanzabhängigen Gewichtung der Relevanz der Haushalte, im Falle der Operationalisierung des relevanten sozialräumlichen Kontex­ tes mittels einer Annäherung an den Schulsprengel, als inhaltlich richtig erscheinen lässt. Auch Oberwittler (2007) kommt zu dem Schluss, dass diese beiden Kontexte simultan wirkend gedacht werden sollten und Boterman (2019) kann für den niederländischen Kontext aufzeigen, dass selbst bei einer hypothetischen freien Schulwahl die soziale Komposition der Schu­ le zu großen Teilen durch die soziale Komposition des sie umgebenen 74 “Our definition of a ''neighborhood'' is very broad. We include elementary school atten­ dance areas, which usually coincide fairly closely with what people mean by a neighbor­ hood (hence the term "neighborhood school")” (Jencks; Mayer 1990: 112).

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2. Theoretischer Rahmen

sozialräumlichen Kontextes bestimmt wird. In Erweiterung der Argumen­ tation in Abschnitt 2.3 und 2.2 zur Operationalisierung des relevanten so­ zialräumlichen Kontextes mittels der k-Nächste-Nachbarn-Methode stellen auch Schulsprengel, welche für die meisten Grundschulen in Deutschland existieren (vgl. Tabelle 23), einen potenziell relevanten sozialräumlichen Zuschnitt bei der Analyse von Kompositionseffekten dar. Dieser räumliche Zuschnitt kann aus der Perspektive der Haushalte und Kinder als ein Faktor verstanden werden, der soziale Interaktion stark strukturiert (vgl. Becker; Lauterbach 2016a: 13 f.). Es werden zwei verschiedene Kanäle beschrieben, über die ein Einfluss der Mesoebene auf die Mikroebene angenommen wird. Damit wird die dritte Brückenhypothese aus dem erweiterten Makro-Mikro-Makro-Modell beschrieben (vgl. Abbildung 1). Eine Annahme hierbei lautet, dass identifizierbare Haushalte mit gleichen oder ähnlichen Eigenschaften oder Charak­ teristika (bspw. Bildungsstand/Statuszuweisung) auch über eine qualitative und quantitative ähnliche oder gleiche Ausstattung mit materiellen und immateriellen Ressourcen sowie Werten und Normen in Bezug auf Bildung ausgestattet sind. Besonders Gruppen der oberen und unteren Ränge einer Statusverteilung unterscheiden sich hierbei maßgeblich und systematisch in der Qualität und Quantität an materiellen und immateriellen Ressourcen (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020; 2014; Wodtke et al. 2012; Sampson et al. 1999), womit eine hohe Konzentration dieser Gruppen innerhalb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes auch zu unterschied­ lichen Handlungsrahmen auf der Mesoebene führt. Dem erweiterten Makro-Mikro-Makro-Modell folgend (vgl. Abbil­ dung 1), ergibt sich die Quantität und Qualität der potenziellen bildungs­ relevanten Ressourcen innerhalb eines sozialräumlichen Kontextes unter Verwendung einer der einfachsten Aggregationsregeln (Addition75). Hierbei sind nicht die Ressourcen des einzelnen Haushaltes innerhalb eines relevan­ ten sozialräumlichen Kontextes relevant (ansonsten wäre es eine Netzwerk­ analyse), sondern ein emergentes Ergebnis, welches sich aus einer solchen sozialen Komposition ergibt. Dieser Annahme folgend erhöhen sich die materiellen und immateriellen Ressourcen mit Relevanz für die Schulleis­ tungen und die Bildungswahlentscheidung in einem sozialräumlichen Kon­ text mit einem hohen Anteil statushoher Haushalte, während sie geringer in sozialräumlichen Kontexten mit einem hohen Anteil an statusniedrigen Haushalten sind. In sozialräumlichen Kontexten mit einem hohen Anteil an statushohen Haushalten wird davon ausgegangen, dass (1) mehr und 75 Dennoch kommt am Ende mehr oder weniger als die Summe der Einzelteile heraus (vgl. Esser 1999: 413 ff.).

2.6 Explikation und Hypothesen

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relevantere bildungsrelevante Ressourcen potenziell über sozial-interaktive Mechanismen zur Verfügung stehen und (2), dass die generelle Norm in Richtung eines Gymnasialbesuches tendiert, bildungsförderliches Verhalten positiv bewertet und gefördert wird, dass das Vorhandensein von positiven Rollenvorbildern oder das generelle Signal, dass sozialer Aufstieg durch Bil­ dung möglich ist, sich positiv auf die Bewertung der Erträge durch Bildung auswirken (vgl. Wodtke et al. 2016; Carter 2005; Jencks; Mayer 1990). In sozialräumlichen Kontexten mit einem hohen Anteil statusniedriger Haus­ halte wird Gegenteiliges angenommen: eine durchschnittlich schlechtere Ausstattung mit bildungsrelevanten Ressourcen, weniger Signale, dass Auf­ stieg durch Bildung möglich ist, und eine weniger positive Norm in Bezug auf den Gymnasialbesuch. Die potenziellen materiellen und immateriellen Ressourcen, welche innerhalb der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kon­ textes vorhanden sind, können für die Kinder bzw. deren Elternhaushalte unter anderem durch soziale Interaktion und Kontakt zugänglich werden. Zudem sind Mediationseffekte über die Eltern selber (vgl. Galster 2012: 45; Leventhal; Brooks-Gunn 2000) und Effekte von indirekten Kontakten oder Interaktionen in einem solchen Prozess möglich. Durch indirekte Kontakte und Interaktionen sollte auch die Beobachtung von Verhalten das eigene Handeln beeinflussen können (vgl. Friedrichs; Nonnenmacher 2010: 476 f.). Am Beispiel von Gangs kann verdeutlicht werden, wie über eine wirkmäch­ tige Gruppe innerhalb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes, zu der zwar kein direkter Kontakt besteht, die aber über ihr Verhalten Normen definiert, ein indirekter Einfluss auf das eigene Verhalten/Handeln entsteht (vgl. Carson; Esbensen 2019; Harding 2010). Erweiterter Zugang zu haushaltsexternen bildungsrelevanten Ressour­ cen kann einen Einfluss auf die schulischen Leistungen oder die Wahrneh­ mung durch Lehrkräfte haben (primäre sozialräumliche Effekte). Zusätzli­ che Informationen oder bestehende Normen können die subjektiv rationale Kosten-Nutzen-Kalkulation beeinflussen und so einen Einfluss auf die Bil­ dungswahlentscheidung haben (sekundäre sozialräumliche Effekte). In Be­ zug auf den Effekt, den Normen auf die Bildungswahlentscheidung haben können, wird in Anlehnung an die Theorie der differentiellen Assoziation (TDA) (vgl. Sutherland; Cressey 1978) argumentiert, welche der Denkrich­ tung der Chicago School der Soziologie (vgl. Park 1915) zugeschrieben wer­ den kann.

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2. Theoretischer Rahmen

Danach kann neben kriminellem Handeln76 auch bildungsrelevantes Handeln und die Legitimation hierfür in einem sozialen Lernprozess über­ nommen werden (vgl. Harding 2010; Sutherland; Cressey 1978). Bezogen auf das Kind wird angenommen, dass ein Verhalten, welches bildungsför­ derlich oder nicht ist, von einer wirkmächtigen Gruppe übernommen wird, als Ergebnis der Identifikation mit der Gruppe oder als Abgrenzung zu der Gruppe, was wiederum einen Effekt auf die Schulleistungen und die Wahrnehmung durch Lehrkraft und damit letztendlich auf die Benotung und die Schulempfehlung am Ende der Grundschule hat (vgl. Abschnitte 2.1 & 2.5). So können unter anderem Friedrichs und Blasius (2003) einen Effekt des sozialräumlichen Kontextes bzw. der sozialen Komposition auf die Ak­ zeptanz für deviantes Verhalten aufzeigen. Mit Bezug auf konkrete Hand­ lungen können Fordham und Ogbu (1986) sowie Ogbu (2004)77 für den USamerikanischen Kontext empirisch/ethnografisch aufzeigen, dass in benach­ teiligten, vorwiegend schwarzen Nachbarschaften das Verhalten, welches auf Bildungserfolg zielt, wie etwa regelmäßig Hausaufgaben zu machen, Mainstream Englisch zu sprechen und sich zu engagieren, als Acting White definiert und somit diskreditiert bzw. sozial sanktioniert wird. Was im Ge­ genzug zu einer Anpassung des Verhaltens aufgrund von soziale Normen und wahrscheinlich der sukzessiven Verinnerlichung des Rationals führt und so zu einem Faktor wird, der zu durchschnittlich schlechteren Schulno­ ten der schwarzen Schüler in derartigen sozialräumlichen Kontexten führt. Dieser Mechanismus wird in beide Richtungen wirkend angenommen. Verstärkend bei einer Identifikation mit der angenommenen wirkmächti­ gen Gruppe und negierend bei einer vermuteten Abgrenzung aufgrund von mangelndem Zugang zur jeweiligen Gruppe. Wenn innerhalb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes eine wirkmächtige Gruppe existiert, welche Verhaltensnormen maßgeblich beeinflusst, können auch indirekte Interaktionen und Kontakte zu einer Veränderung des Verhaltens führen (vgl. Carson; Esbensen 2019; Harding 2010). Diese beiden Mechanismen wirken jedoch nicht alleinig auf das Kind, sondern es ist zu erwarten, dass sie ebenso wirkmächtig für den gesamten Haushalt sind. Mit Bezug auf einen disproportionalen bzw. über einem Schwellenwert liegenden Anteil statushoher oder statusniedriger Haushalte innerhalb eines 76 Die Theorie der differentiellen Assoziation basiert auf neun Thesen zur Erklärung krimi­ nellen Handelns. Die wichtigste These im Kontext dieser Arbeit lautet, dass neben den Praktiken auch die Legitimation für diese Handlungen erlernt werden (vgl. Sutherland; Cressey 1978, 1966). 77 Als Klarstellung zu diverser Kritik und Fehlinterpretationen an dem originalen Artikel.

2.6 Explikation und Hypothesen

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relevanten sozialräumlichen Kontextes kann somit die Annahme auf Ebene des Kindes formuliert werden, dass die Identifikation mit einer wirkmächti­ gen Gruppe in Abhängigkeit der jeweiligen Gruppen bildungsförderliches Verhalten unterstützt oder sanktionieren kann, was im Weiteren die Wahr­ scheinlichkeit für bessere schulische Leistungen oder eine positivere Wahr­ nehmung durch die Lehrkräfte erhöht oder senkt und damit auf die Über­ gangswahrscheinlichkeit auf das Gymnasium wirkt. Abgrenzungsverhalten zu genau dieser Gruppe kann im Extremfall zu einem gegenteiligen Effekt führen. Abgrenzungsverhalten wird aufgrund eines Nichtzuganges zu der jeweiligen Gruppe angenommen. Auf Ebene des Herkunftshaushaltes bzw. der Eltern können ähnliche Effekte der Identifikation und Abgrenzung erwartet werden, welche einen direkten Effekt auf die haushaltsinterne Kosten-Nutzen-Kalkulation haben. Zum einen kann dies durch erweiterte Informationen geschehen, welche die Gewichtung der einzelnen Faktoren innerhalb der haushaltsinternen Kosten-Nutzen-Kalkulation beeinflussen, und zum anderen durch Konformitätsdruck, wie er von Meulmann (1985) beschrieben und von Fordham und Ogbu (1986) aufgezeigt wurde, welcher zu einem veränderten Entscheidungsverhalten bzw. den Wechsel des Ent­ scheidungsmodus führen kann (vgl. Esser 1999: 284 ff.). Wilsons (1987) Ressourcentheorie folgend, welche erweitert auf die in­ nerhalb der sozialen Komposition gebundenen materiellen und immateri­ ellen Ressourcen gedacht wird, wird bei einer undifferenzierten Analyse (keine Differenzierung und Kontrolle auf mögliche Effektheterogenität) möglicher Zusammenhänge von einem additiv wirkenden Effekt in Ab­ hängigkeit der sozialen Komposition ausgegangen. Womit ein genereller Fahrstuhleffekt in Abhängigkeit der sozialen Komposition des relevanten sozialräumlichen Kontextes vermutet wird. Das kann bspw. ein genereller positiver Effekt auf die Wahrscheinlichkeit sein, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen – für alle Haushalte, die innerhalb eines sozialräumlichen Kontexts verortet sind, dessen soziale Komposition einen hohen Anteil (oberhalb eines Schwellenwertes) an statushohen Haushalten aufweist und einen generellen negativen Effekt für alle Haushalte in sozial­ räumlichen Kontexten mit einer sozialen Komposition mit einem hohen Anteil statusniedriger Haushalte. Es wird damit unterstellt, dass die Ausstat­ tung des sozialräumlichen Kontextes mit bildungsrelevanten materiellen und immateriellen Ressourcen aufgrund seiner sozialen Komposition für alle gleichermaßen zur Verfügung stehen würde und diese eine gleiche oder zu mindestens ähnliche Wirkung hätte. Die Überprüfung einer solchen Hy­ pothese zielt auf das generelle Vorhandensein von Kompositionseffekten ab, wobei eine vorhandene Effektheterogenität eine solch undifferenzierte Be­

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2. Theoretischer Rahmen

trachtung bzw. die Interpretation der Ergebnisse verzerren kann (vgl. Bolger et al. 2019; Morgan; Winship 2014). H1: Auch unter Kontrolle bundeslandspezifischer und damit schulrechtlicher Re­ gelungen sowie räumlicher, haushalts- und kindspezifischer Faktoren, ist ein eigenständiger Effekt der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumli­ chen Kontextes auf die Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium nach der Grund­ schule zu besuchen, feststellbar. H2: Der Effekt der sozialen Komposition auf die Wahrscheinlichkeit, das Gymna­ sium nach der Grundschule zu besuchen, variiert systematisch in Abhängig­ keit des betrachteten Anteils der Statushaushalte innerhalb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes. H2.1 Bei einem hohen Anteil an statusniedrigen Haushalten innerhalb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes wird ein tendenziell ne­ gativer Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium nach der Grundschule zu besuchen, erwartet. H2.2 Bei einem hohen Anteil an statushohen Haushalten innerhalb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes wird ein tendenziell positiver Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium nach der Grund­ schule zu besuchen, erwartet. Dem theoretischen Rahmen folgend sollten sich Variationen bei der Stärke der Effekte in Abhängigkeit verschiedener Schwellenwerte und der Skalie­ rung des sozialräumlichen Kontextes zeigen. Effekte sollten erst ab einem gewissen Schwellenwert sichtbar werden und stärker werden, wenn die Kon­ zentration der relevanten Gruppe innerhalb eines relevanten sozialräumli­ chen Kontextes steigt, da ein höherer Schwellenwert zu einer höheren Wahr­ scheinlichkeit der Interaktion führt bzw. sich die zahlenmäßige Dominanz der Statusgruppe innerhalb des sozialräumlichen Kontextes erhöht. H3: Der Effekt der sozialen Komposition auf die Wahrscheinlichkeit, das Gymna­ sium nach der Grundschule zu besuchen, variiert systematisch in Abhängig­ keit der Konzentration (Schwellenwerte) der relevanten Statusgruppe inner­ halb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes. H3.1 Es wird mit (inversen) u-förmigen Verläufen der Effekte in Abhängig­ keit der Konzentration (Schwellenwerte) der beiden Statusgruppen innerhalb des relevanten sozialräumlichen Kontextes gerechnet. In unterschiedlichen Skalierungen des sozialräumlichen Kontextes sollten zudem unterschiedliche Mechanismen wirken, so dass mit unterschied­ lichen Effektstärken und Mustern in Abhängigkeit der Skalierung und

2.6 Explikation und Hypothesen

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Schwellenwerte gerechnet wird (vgl. Petrović et al. 2021). Diese Unterschie­ de sollten sodann einen Hinweis auf die mögliche Relevanz der Skalierung geben. Aufgrund fehlender empirischer Ergebnisse auf Basis von kleinsträu­ migen und egozentrierten Operationalisierungen relevanter sozialräumli­ cher Kontexte in Deutschland sind feinere Hypothesen vorerst nicht mög­ lich. Die Voraussetzungen für das Wirken sozial-interaktiver Mechanismen sind jedoch am ehesten innerhalb der kleinsten Skalierungen und besonders bei der Annäherung an den Schulsprengel erfüllt, da hier der zusätzliche Aspekt der Strukturierung sozialer Interaktionen durch eine Institution be­ rücksichtigt wird. H4: Die Stärke der Effekte der sozialen Komposition auf die Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium nach der Grundschule zu besuchen, variieren in Abhängig­ keit der Skalierung des sozialräumlichen Kontextes. Dies gilt sowohl für den Anteil statushoher Haushalte als auch für den Anteil statusniedriger Haushalte innerhalb des relevanten sozialräumlichen Kontextes. H4.1 Die kleinste Skalierung (k = 400) sowie die Annäherung an den Schulsprengel der Grundschule weisen die stärksten Effekte auf. Die Wohndauer innerhalb eines sozialräumlichen Kontextes sollte einen systematischen Effekt in Kombination mit dem Schwellenwert und der Ska­ lierung auf die Wahrscheinlichkeit des Besuchs des Gymnasiums aufweisen. Denn Grundvoraussetzung für das Wirken der sozialen Komposition des sozialräumlichen Kontextes ist das Ausgesetzt-sein (vgl. Hedman et al. 2015; Galster 2012; Hipp; Perrin 2009; Quillian 2003), so dass erst mit einer gewis­ sen Wohn- oder Verweildauer innerhalb des spezifischen sozialräumlichen Kontextes mit Effekten zu rechnen ist. Wie bei den Schwellenwerten auch (vgl. Friedrichs 2014: 292 ff.; Galster 2003: 901 ff.) wird von zwei Werten ausgegangen, die relevant sind: eine Wohndauer, ab der mit Effekten gerech­ net werden kann, und eine, ab der ggf. mit einem Rückgang der Effektstärke zu rechnen ist. Dies basiert auf der Annahme, dass soziale Netzwerke über die Zeit dazu tendieren, geschlossener, kleiner und homogener zu werden (Homophilie), wodurch der Anteil redundanter und bestätigender Ressourcen und Normen mit der Zeit zunimmt (vgl. McPherson et al. 2001; Granovetter 1973), so dass mit keinem zusätzlichen Effekt der sozialen Komposition mehr zu rechnen ist. H5: Die Stärke der Effekte der sozialen Komposition eines relevanten sozialräum­ lichen Kontextes auf die Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium nach der Grundschule zu besuchen, variieren systematisch in Abhängigkeit der Wohn­ dauer.

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2. Theoretischer Rahmen

H5.1 Ein Effekt der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes sollte erst ab einer bestimmten Wohndauer sichtbar werden und ab einer gewissen Wohndauer erneut schwächer werden. Diese Annahme gilt für beide betrachteten Statusgruppen innerhalb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes. Diese ersten zehn Hypothesen und Unterhypothesen basieren auf der un­ differenzierten Analyse der Effekte der sozialen Komposition auf die Wahr­ scheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, mittels derer das generelle Vorhandensein von Effekten überprüft werden kann. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Merkmale des Herkunftshaushaltes dazu führen, dass mit unterschiedlichen sozialen Gruppen innerhalb des sozialräumlichen Kontextes interagiert wird und auch ein unterschiedliches Anpassungsverhalten der Kinder bzw. des Herkunftshaushaltes im Umgang mit dem sozialräumlichen Kontext stattfindet. Aus diesem Grund ist von heterogenen Effekten der sozialen Komposition auszugehen (vgl. Wodtke et al. 2016; Sharkey; Faber 2014; Wodtke et al. 2012; Harding et al. 2010; Crowder; South 2003). Effektheterogenität kann erwartet werden, da status­ hohen Haushalten eher die Möglichkeit unterstellt wird, die direkte Nach­ barschaft zu umgehen (vgl. Wodtke et al. 2012: 8 f.), wenn diese nicht als vorteilhaft erachtet wird, als statusniedrigen Haushalten, da diese weniger Möglichkeiten der Mitigation haben. Es handelt sich somit um imposed en­ vironments im Gegensatz zu selected environments (vgl. Sharkey 2006: 626 f.)78. Diese Feststellung macht die Formulierung von exakten Hypothesen jedoch schwierig, da das genaue Anpassungsverhalten nicht bekannt ist und auch die genauen Wirkzusammenhänge je nach theoretischer Annahme zu unter­ schiedlichen Ergebnissen kommen. Es kann argumentiert werden, dass das Leben in einem sozialräumlichen Kontext, welcher von einem hohen Anteil statushoher Haushalte geprägt ist, negative Effekte auf die Bildungsentschei­ dung ressourcenschwacher (statusniedriger oder bildungsferner) Haushalte bzw. deren Kinder hat, da sich diese in einem nicht zu gewinnenden Prozess des Wettkampfes und des Vergleiches mit anderen befinden (vgl. Galster 2012: 37 ff.; Crosnoe 2009; Jencks; Mayer 1990). Auf der anderen Seite könn­ ten diese Haushalte/Kinder durch den Zugang zu erweiterten Ressourcen außerhalb der Herkunftsfamilie, auf welche sie angewiesen sind (vgl. Carter 2005: 142), zugreifen und hierüber positive Effekte auf die Bildungswahlent­ scheidung erfahren (vgl. Wodtke et al. 2016; Sharkey; Faber 2014; Wodtke et al. 2012; Hou; Myles 2004; Jencks; Mayer 1990; Wilson 1987). Auch ande­ re Kombinationen aus Haushaltseigenschaft (hohe vs. niedrige formale Bil­ 78 Sharkey (2006) übernimmt dieses Konzept von Bandura (1997).

2.6 Explikation und Hypothesen

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dung) und Eigenschaften der Komposition des sozialräumlichen Kontextes (hoher Anteil statushoher vs. statusniedriger Haushalte) lassen sich ähnlich ambivalent beschreiben. Somit sind sowohl Matthäus-Effekte (vgl. Diprete; Eirich 2006) in der Form von kumulativ wirkenden Vor- und Nachteilen wie auch Kompensationseffekte denkbar (vgl. Ditton 2013: 187). Besonders im Hinblick auf das erwartete und nicht zu überprüfende Mitigationsverhalten ressourcenreicher Haushalte (vgl. Sharkey 2006) sind jedoch auch Null-Ef­ fekte denkbar. Dies zeigt, dass das genaue Anpassungs- und Interaktionsverhalten der Kinder bzw. der Haushalte in Interaktion mit dem sozialräumlichen Kon­ text nur angenommen werden kann, da theoretische Modelle wie auch die Ergebnislage empirischer Studien durchaus ambivalent sind. Aus diesem Grund wird vereinfachend angenommen, dass neben räumlicher Nähe als Voraussetzung für das Wirken sozial-interaktiver Mechanismen, welche die Wahrscheinlichkeit von Interkation und Kontakt erhöhen zudem soziale Ähnlichkeit eine weitere Voraussetzung darstellt, da diese die Wahrschein­ lichkeit erhöht, dass die Interaktion und der Kontakt positive Folgen haben (vgl. Hipp; Perrin 2009; McPherson et al. 2001). Es wird von einem instru­ mentellen Handeln ausgegangen, bei dem die Kinder bzw. die Haushalte mit anderen Kindern und Haushalten mit ähnlichen individuellen Merkma­ len interagieren und so den Ressourcen bzw. Statuserhalt sicherstellen, da die eigene Position hierdurch verstärkt wird. Homophilie schließt hierbei eine Ähnlichkeit auf Basis von demografischen Merkmalen wie auch auf Grund von Verhalten und Einstellungen ein (vgl. McPherson et al. 2001). Homophilie führt im Umkehrschluss auch zur Vermeidung von Kontakten mit nicht ähnlichen Gruppen (vgl. McPherson et al. 2001; Schelling 1978, 1969). Wie bereits argumentiert wurde, wird angenommen, dass es systema­ tische Variationen bei der Ressourcenausstattung, den Normen und dem Verhalten in Bezug auf Bildung bei verschiedenen Bildungsgruppen gibt. Unabhängig vom Grad der Vereinfachung wird jedoch abermals die Rele­ vanz der Berücksichtigung heterogener Effekte im Kontext bei der Analyse von Effekten der sozialen Komposition auf die Bildungswahlentscheidung sowie anderer Forschungsgegenstände deutlich (vgl. Wodtke et al. 2016; Sharkey; Faber 2014; Wodtke et al. 2012). Eine Nichtbeachtung möglicher Effektheterogenität kann zu verzerrten Ergebnissen und falschen Schlussfol­ gerungen führen (vgl. Bolger et al. 2019; Morgan; Winship 2014). Eine Differenzierung des Effektes der sozialen Komposition des so­ zialräumlichen Kontextes auf die erste Bildungswahlentscheidung wird auf Basis des höchsten erreichten Bildungsabschlusses des Herkunftshaushaltes vorgenommen (vgl. Abschnitt 5.2). Im Falle einer ausreichenden räumlichen Nähe, sozialer Ähnlichkeit und anderer Voraussetzungen

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2. Theoretischer Rahmen

(vgl. Hedman et al. 2015; Galster 2012; Quillian 2003) kann auf die ansons­ ten nur haushaltsintern verfügbaren bildungsrelevanten Kapitalien anderer Haushalte zum Teil zugegriffen werden bzw. es findet eine Beeinflussung durch diese statt. Dies geschieht über soziale Interaktion. Ein positiver Effekt ist jedoch nur anzunehmen, wenn die externen Kapitalien gleichoder höherwertig sind als die eigenen. In Bezug auf die Übernahme von Verhalten durch Normen, also die Orientierung der eigenen Handlung an den vorherrschenden Verhaltensweisen innerhalb des sozialräumlichen Kontextes (vgl. Axelrod 1986: 1097), kann ein unterstellter Mechanismus in Anlehnung an Friedrichs und Nonnenmacher (2010: 476 f.) wie folgt lauten: Personen der Gruppe A mit dem Verhalten V(A) interagieren aufgrund von gegenseitig wahrgenommener Ähnlichkeit und räumlicher Nähe mit Personen der Gruppe B mit dem Verhalten V(B). Es wird sich mit der Grup­ pe B identifiziert. Das Verhalten von Gruppe B wird als abweichend vom eigenen Verhalten wahrgenommen und positiv bewertet oder ähnlich zum eigenen Verhalten und damit verstärkend wahrgenommen. Zudem erhalten Personen der Gruppe A über die soziale Interaktion teilweise Zugang zu materiellen und immateriellen Ressourcen der Gruppe B (und umgekehrt, da Interaktion Reziprozität mit sich bringt). Diese positive Bewertung führt bei Personen der Gruppe A nun dazu, eher das Verhalten V(B) als das Ver­ halten V(A) auszuführen. Dieser Mechanismus gilt sodann für das Verhalten des Kindes, was das Verhalten in Bezug auf schulische Leistungen verändern kann, wie auch für den Haushalt, dessen Gewichtung einzelner Faktoren sich innerhalb der rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulation verändert. Liegt keine ausreichende Ähnlichkeit vor, stellt sich der unterstellte Mechanismus wie folgt dar: Personen der Gruppe A mit dem Verhalten V(A) sehen Personen der Gruppe B mit dem Verhalten V(B). Aufgrund der geringen gegenseitigen wahrgenommenen Ähnlichkeit interagieren die Gruppen nicht oder nur wenig miteinander und es findet keine Identifikation mit der Gruppe B und dem Verhalten V(B) statt. Das Verhalten von Gruppe B wird als abwei­ chend vom eigenen Verhalten wahrgenommen und aufgrund der fehlenden Interaktion eher als subjektiv negativ bewertet. Diese negative Bewertung bewegt Personen der Gruppe A nun dazu, sich vom Verhalten der Gruppe B abzugrenzen. Personen der Gruppe A und B haben keinen Zugang zu materiellen oder immateriellen Ressourcen der anderen Gruppen. Sind diese notwendigen (räumliche Nähe) und hinreichenden (soziale Ähnlichkeit) Voraussetzungen gegeben, sollten sich sodann bildungsgrup­ pespezifische Unterschiede in den Effekten der sozialen Komposition des

2.6 Explikation und Hypothesen

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sozialräumlichen Kontextes zeigen79. Hinzu kommt jedoch noch der von Galster (2012: 37 ff.) beschriebene Mechanismus der Competition um knap­ pe Ressourcen. Bei den wohnortnah verfügbaren Plätzen auf dem Gymnasi­ um handelt es sich letztendlich um eine knappe bzw. limitierte Ressource, womit der positive oder negative Effekt auf die eine Gruppe immer auch Auswirkungen auf die Verfügbarkeit dieser Ressource für alle anderen hat. Diese Tatsache, die auf eine Vielzahl von Analysen zutrifft, hat sodann me­ thodische Konsequenzen (vgl. Abschnitt 7.1). Ein Ausweichen auf weiter entfernte Gymnasien erhöht abermals die Kosten und hat hierdurch einen direkten Eingang in die schichtspezifische, subjektiv rationale Bildungs­ wahlentscheidung. Dies weist nochmals auf die unterschiedlichen Möglich­ keiten der Mitigation des sozialräumlichen Kontextes hin (vgl. Sharkey 2006). Auf Basis der obigen Argumentation wird von systematisch variierenden Effekten auf Basis der Bildungsgruppenzugehörigkeit des Herkunftshaushaltes ausgegangen. H6: Der Effekt der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kon­ textes auf die Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium nach der Grundschule zu besuchen, variiert systematisch in Abhängigkeit des höchsten formalen Bildungsstandes innerhalb des Herkunftshaushaltes. Weiter differenziert stellt Tabelle zwei die vermuteten Zusammenhänge zwischen den Bildungsgruppen und der sozialen Komposition des sozial­ räumlichen Kontextes auf Basis von Ähnlichkeit und den Bedingungen des Wettkampfes (vgl. Galster 2012: 37 ff.), einer ausreichenden räumlichen Nähe und Wohndauer sowie dem Überschreiten eines Schwellenwertes dar (vgl. Hedman et al. 2015; Galster 2012; Quillian 2003).

79 Auch wenn hier sehr pauschale Annahmen getroffen werden, soll betont sein, dass damit keine Wertung in irgendeiner Form verbunden ist. Es sind lediglich Annahmen, die auf persistenten, deskriptiven und multivariaten empirischen Ergebnissen basieren, und die zur Darstellung der Mechanismen notwendig sind. Auch bildungsferne Haushalte können ihren Kindern eine bildungsförderliche Umgebung schaffen, doch kann aufgezeigt wer­ den, dass dies die Ausnahme und nicht die Regel ist. Ökologische Fehlschlüsse sind an dieser Stelle also dringend zu vermeiden.

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2. Theoretischer Rahmen

Tabelle 2: Erwartete Effektrichtungen der sozialen Komposition; Differenziert nach Bildungsgruppen

Quelle: Eigene Darstellung

Hierbei handelt es sich um eine Vereinfachung der ersten Tabelle (vgl. Tabelle 1) aus Abschnitt 2.2, bei der lediglich die erwartete Richtung der Effekte dargestellt wird, ohne jedoch die einzelnen haushaltsinternen Kom­ ponenten (primäre und sekundäre Effekte mit ihren eigenständigen Fakto­ ren) detailliert aufzulisten. Es sollte aus den obigen Ausführungen sowie der Argumentation aus Abschnitt 2.2 und 2.3 klar geworden sein, dass die zwei Wirkketten an unterschiedlichen Stellen des mikrosoziologischen Modells Boudons (1974) anknüpfen und so zu einer veränderten Schulleistung und zu einem veränderten Entscheidungsverhalten führen können. Für sozial­ räumliche Kontexte, deren soziale Komposition durch einen hohen Anteil an statushohen Haushalten geprägt ist, wird ein negativer Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, für Kinder aus Haushalten mit einer niedrigen formalen Bildung erwartet, da diese keinen oder nur sehr eingeschränkten Zugang zu den materiellen und immateriellen Ressourcen der wirkmächtigen Gruppe innerhalb des so­ zialräumlichen Kontextes haben und eher von Abgrenzungsverhalten ausge­ gangen wird. Allerdings wäre besonders diese Gruppe auf haushaltsexterne Ressourcen angewiesen, um einen positiven Effekt zu erzielen (vgl. Carter 2005: 142). Durch den gleichzeitig erwarteten neutralen bis positiven Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besu­ chen, auf Kinder aus Haushalten mit einer mittleren formalen Bildung ver­ ändert sich zudem die Anzahl der wohnortnahen zur Verfügung stehenden Schulplätze am Gymnasium. Womit der Mechanismus der Competition an Relevanz gewinnen sollte (vgl. Galster 2012: 37 ff.). Die Gruppe der Haus­ halte mit einer mittleren formalen Bildung sollte aufgrund der gegebenen größeren sozialen Ähnlichkeit mit der wirkmächtigen Statusgruppe inner­

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halb des sozialräumlichen Kontextes einen leicht positiven Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, erfahren. Der teilweise Zugang zu erweiterten Ressourcen außerhalb des Herkunftshaushaltes erhöht potenziell die Schulleistung (bessere Noten oder positivere Wahrnehmung durch die Lehrkräfte) und verändert durch zusätzliche Informationen oder durch die Identifikation mit der wirkmäch­ tigen Gruppe den Konformitätsdruck und andere Faktoren der haushaltsin­ ternen subjektiv rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulation, so dass von einem positiven Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, auszugehen ist. Der Effekt für Haushalte mit einer hohen formalen Bildung sollte nochmals deutlicher sein, da hier eine noch größere soziale Ähnlichkeit zu den statushöchsten Haushalten inner­ halb des relevanten sozialräumlichen Kontextes angenommen werden kann. Aufgrund des Prinzips der Homophilie (vgl. Lin 2002; McPherson et al. 2001) hat diese Gruppe mit höherer Wahrscheinlichkeit direkten positiven Kontakt mit der Gruppe der statushohen Haushalten innerhalb des relevan­ ten sozialräumlichen Kontextes und damit einen teilweisen Zugriff auf die materiellen und immateriellen Ressourcen dieser Gruppe. Zudem können sie aufgrund ihrer eigenen hohen Ressourcenausstattung mehr Kapital in Pflege und Ausbau von sozialem Kapital investieren (vgl. Lin 2002: insb. Kap. 4 & 5). Die größere soziale Ähnlichkeit führt zu einem starken Konfor­ mitätsdruck und erhöht die Wahrscheinlichkeit für positive Interaktionen. Dies sollte in der Konsequenz zu einem deutlich positiven Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, führen80. Da die ohnehin schon leistungsstarken Haushalte eher von einem sol­ chen sozialräumlichen Kontext profitieren, es sich aber bei Schulplätzen am wohnortnahen Gymnasium81 um eine knappe Ressource handelt, kommt der Mechanismus der Competition (vgl. Galster 2012: 37 ff.; Jencks; Mayer 1990) zum Tragen, welcher den negativen Effekt auf die Gruppe der Haus­ halte mit einer niedrigen formalen Bildung und den schwachen Effekt auf die Gruppe der Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung erklärt. 80 Es können auch indirekte Effekte, wie diese bspw. von Rumberger und Palardy (2005: 2007) im Kontext der Analyse von Effekten des speziellen Kontextes der Schule dargestellt wurden, angenommen werden. So kann argumentiert werden, dass das Motiva­ tions- und Qualifikationsniveau der Lehrerschaft höher ist an Schulen, die in ressourcen­ reichen sozialräumlichen Kontexten verortet sind, während diese Faktoren niedriger in ressourcenschwachen Kontexten ausfallen. 81 Zum Effekt der Opportunitätsstruktur auf Basis des Zusammenhangs der Anzahl der Gymnasien und der Bildungsbeteiligung an diesen siehe unter anderem Sixt (2018, 2013).

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2. Theoretischer Rahmen

Denn die Kinder aus Haushalten mit einer niedrigen formalen Bildung befinden sich im Wettkampf mit der mittleren und oberen Bildungsgrup­ pe um die knappen Plätze an den Gymnasien, bei dem sie schlechtere Ausgangsvoraussetzungen haben. Zudem wird aufgrund der einfachen Mo­ dellannahmen von Abgrenzungsverhalten von Kindern aus Haushalten mit einer niedrigen formalen Bildung ausgegangen, da diese (so die Annahme) keinen Zugang zu dem Netzwerk der statushohen Haushalte innerhalb des relevanten sozialräumlichen Kontextes aufgrund von nicht vorhandener sozialer Ähnlichkeit haben. H6.1 Bei einem hohen Anteil statushoher Haushalte innerhalb eines relevan­ ten sozialräumlichen Kontextes wird für Kinder aus Haushalten mit einer niedrigen formalen Bildung mit einem negativen Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, gerechnet. H6.2 Bei einem hohen Anteil statushoher Haushalte innerhalb eines relevan­ ten sozialräumlichen Kontextes wird für Kinder aus Haushalten mit einer mittleren formalen Bildung mit einem neutralen bis leicht positi­ ven Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gym­ nasium zu besuchen, gerechnet. H6.3 Bei einem hohen Anteil statushoher Haushalte innerhalb eines relevan­ ten sozialräumlichen Kontextes wird für Kinder aus Haushalten mit einer hohen formalen Bildung mit einem deutlich positiven Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besu­ chen, gerechnet. Ist ein bildungsferner Haushalt innerhalb eines sozialräumlichen Kontextes verortet, dessen soziale Komposition durch einen hohen Anteil statusnied­ riger Haushalte geprägt ist, wird aufgrund des Prinzips der Homophilie (vgl. Lin 2002; McPherson et al. 2001) erwartet, dass die Wahrscheinlichkeit für Interaktionen mit dieser Gruppe steigt. Die stärkere Identifikation mit dieser Gruppe führt zu einer Verstärkung des Effektes der Wahl niedriger qualifizierender Bildungsgänge, aufgrund des gesteigerten Konformitätsdru­ ckes. Zudem verfügen die potenziellen sozialen Netzwerke innerhalb des relevanten sozialräumlichen Kontextes über keine oder wenige zusätzliche bildungsrelevante materielle und immaterielle Ressourcen, da sie sich in einer ähnlichen Statuslage befinden, so dass hierüber kein positiver Effekt auf die Schulleistung erwartet werden kann. Besonders die Kinder aus der Gruppe der Haushalte mit einer niedrigen formalen Bildung würden von haushaltsexternen, zusätzlichen bildungsrelevanten Ressourcen profitieren (vgl. Carter 2005: 142).

2.6 Explikation und Hypothesen

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Den Haushalten aus der mittleren Bildungsschicht kommt abermals eine besondere Position zu, da sie als Grenzgänger zwischen den Statusgrup­ pen innerhalb des relevanten sozialräumlichen Kontextes, aufgrund ihrer höheren sozialen Ähnlichkeit, in Teilen Zugang zu den Ressourcen beider Gruppen haben bzw. von beiden beeinflusst werden. Sind diese Haushalte innerhalb eines sozialräumlichen Kontextes verortet, dessen soziale Kompo­ sition durch einen hohen Anteil an statusniedrigen Haushalten geprägt ist, kann nicht mit einem Zugriff auf erweiterte bildungsförderliche Res­ sourcen gerechnet werden. Jedoch kann aufgrund der teilweisen Identifikation mit der Gruppe und dem damit einhergehenden Konformitätsdruck die Bildungswahlentscheidung negativ (niedrigere Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium zu besuchen) beeinflusst werden. Es wird kein Effekt eines hohen Anteils statusniedriger Haushalte inner­ halb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes auf die Wahrscheinlich­ keit, das Gymnasium zu besuchen, für Kinder aus Haushalten mit einer hohen formalen Bildung erwartet, da keine Identifikation mit der Gruppe der statusniedrigen Haushalte stattfindet und genügend haushaltsinterne materielle und immaterielle Ressourcen vorhanden sind. Würde ein klares Abgrenzungsverhalten der Haushalte mit einer hohen formalen Bildung gegenüber der Gruppe der statusniedrigen Haushalte auftreten, könnt dies zu leicht positiven Effekten führen. Haushalte mit einer hohen formalen Bildung können die externen Einflüsse eines relevanten sozialräumlichen Kontextes, wenn diese als negativ wahrgenommen werden, durch ihre ho­ hen Ausstattung mit materiellen und immateriellen Ressourcen kompensie­ ren oder dem sozialräumlichen Kontext durch Ressourceneinsatz gänzlich ausweichen (vgl. Sharkey 2006). H6.4 Bei einem hohen Anteil statusniedriger Haushalte innerhalb eines rele­ vanten sozialräumlichen Kontextes wird für Kinder aus Haushalten mit einer niedrigen formalen Bildung mit einem negativen Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, gerechnet. H6.5 Bei einem hohen Anteil statusniedriger Haushalte innerhalb eines rele­ vanten sozialräumlichen Kontextes wird für Kinder aus Haushalten mit einer mittleren formalen Bildung mit einem leicht negativen Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besu­ chen, gerechnet. H6.6 Bei einem hohen Anteil statusniedriger Haushalte innerhalb eines rele­ vanten sozialräumlichen Kontextes wird für Kinder aus Haushalten mit

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2. Theoretischer Rahmen

einer hohen formalen Bildung mit keinem Effekt auf die Wahrscheinlich­ keit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, gerechnet. Im Hinblick auf die Skalierung des betrachteten sozialräumlichen Kontextes sollte die kleinste Skalierung die stärksten Effekte aufweisen, da hier die Voraussetzung der räumlichen Nähe am wahrscheinlichsten gegeben ist. H7: Unabhängig von der betrachteten Statusgruppe weisen die kleinsten Skalie­ rungen (k = 400 und Voronoi-Flächen) die stärksten Effekte auf die Wahr­ scheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, auf. Die Annäherung an den Grundschulsprengel verfeinert aus theoretischer Perspektive den Zuschnitt des relevanten sozialräumlichen Kontextes noch­ mals. Die Effekte für diese Skalierung sollten ähnlich bzw. noch deutlicher sein als für die kleinste Skalierung auf Basis der k-skalierten sozialräumli­ chen Kontexte, da das interaktionsstrukturierende Moment der Institution der Grundschule berücksichtigt wird. Es wird erwartet, dass der Effekt ähn­ lich stark wie in der kleinsten Skalierung der k-skalierten sozialräumlichen Kontexte ist. H7.1 Unabhängig von der betrachteten Statusgruppe weist die soziale Kompo­ sition der Annäherung an die räumliche Ausdehnung des Schulsprengels der Grundschule (Voronoi-Fläche) ähnlich starke oder noch stärkere Ef­ fekte als die kleinste Skalierung (k = 400) auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, auf. Wie auch bei der undifferenzierten Betrachtung der Effekte der sozialen Komposition auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gym­ nasium zu besuchen, sollten sich auch bei der differenzierten Betrachtung systematische Variationen bei der Effektstärke im Zusammenhang mit den gewählten Schwellenwerten zeigen. H8: Auch bei der nach Bildungsgruppen differenzierten Analyse variiert die Stär­ ke der Effekte der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, systematisch in Abhängigkeit der Konzentration der jeweiligen Statusgruppe innerhalb des sozialräumlichen Kontextes (Schwellenwerte). Die nach Bildungsgruppen differenzierte Betrachtung der Wohndauer ist aufgrund einer zu niedrigen Fallzahl nicht möglich bzw. nicht sinnvoll. Die 17 Hypothesen und Unterhypothesen werden systematisch in Abschnitt sechs überprüft. Im Folgenden Abschnitt (vgl. Abschnitt 3) werden die Ana­ lysestrategie sowie die verwendete Analysemethode im Detail dargestellt.

3. Analysestrategie Die Bestimmung von kausal interpretierbaren Effekten der sozialen Kompo­ sition unterschiedlich skalierter sozialräumlicher Kontexte unter Kontrolle von haushalts- und kindspezifischen Eigenschaften auf die Wahrscheinlich­ keit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, macht ein spezifisches Vorgehen notwendig (vgl. Hernán 2018; Shmueli 2010). Hierbei wird der Argumentation von Hernán (2018) gefolgt, wonach selbst bei einer kau­ salen Zielsetzung der Analyse die unterliegenden Berechnungen abermals korrelativ sind. Erst das auf kausale Interpretation ausgelegte Vorgehen und die gewählten Methoden sollen am Ende eine ausreichend große Sicherheit geben, die aufgezeigten Zusammenhänge kausal zu interpretieren (vgl. ebd. 2018). Das methodische Vorgehen findet sich innerhalb des kontrafaktischen Ansatzes zur Kausalität wieder (Counterfactual Approach to Causality oder auch Potential Outcome Framework) (vgl. Hernán; Robins 2020: 4 f.; Morgan; Winship 2014: 4 ff.). Dieser sieht ganz allgemein einen Vergleich der Er­ gebnisse (Outcome) zwischen zwei Gruppen vor, welche sich lediglich in der sozialen Komposition des sozialräumlichen Kontextes (Treatment)82 un­ terscheiden (vgl. Hernán; Robins 2020: 3 ff.; Gangl 2014: 251). Es wird also der Frage nachgegangen, ob ein Haushalt eine andere Bildungswahlent­ scheidung getroffen hätte, würde dieser in einem anderen sozialräumlichen Kontext mit einer anderen sozialen Komposition leben (kontrafaktische Annahme). Dieser generelle theoretische Rahmen der Kausalanalyse wird im ersten Abschnitt beschrieben83. Zur Berechnung des kontrafaktischen Ergebnisses wird auf das Propensity-Score-Matching-Verfahren (PSM) zurück­ gegriffen (vgl. Rosenbaum; Rubin 1983). Matchingverfahren finden in den letzten Jahren vermehrt Anwendung, wenn die Zielsetzung kausale Inferenz auf Basis von Beobachtungsdaten ist (vgl. Morgan; Winship 2014; Pearl 2010: 114; Ho et al. 2007). Matchingverfahren können als eine direkte Um­ setzung der Logik des kontrafaktischen Ansatzes zur Kausalität verstanden werden (vgl. Gangl 2014: 251), so dass die gewählte Methode, welche auf die Kontrolle von beobachteten bzw. berücksichtigten Variablen beruht, im zweiten Abschnitt dargestellt wird. Für dieses Vorhaben werden unter 82 In den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, der Epidemiologie sowie Statistik wird eine untersuchte Ursache für einen Effekt oft als Intervention, Exposition oder eben Treatment beschreiben (vgl. Hernán; Robins 2020: 3). 83 Ein ähnliches Vorgehen inkl. einer Sensitivitätsanalyse findet sich unter anderem bei Harding (2003).

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3. Analysestrategie

anderem Querschnittsdaten des Sozio-oekonomischen Panels (vgl. SOEP v35 2018) verwendet (vgl. Abschnitt 4.1). Mit der Nutzung querschnittli­ cher Beobachtungsdaten sind einige Herausforderungen verbunden, die die Interpretation der Analyseergebnisse in ihrer Reichweite ein Stück weit begrenzen (vgl. Hernán; Robins 2020: 25 ff.; Friedrichs 2014: 308; Morgan; Winship 2014: 437 ff.). Auf Basis dieser fundamentalen Herausforderungen sollte jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass eine kausale Interpreta­ tion der Ergebnisse unmöglich ist. Was unmöglich ist, ist kausale Effekte zu identifizieren bzw. zu schätzen, ohne untestbare Annahmen zu treffen (vgl. Holland 1986: 959). Diese Feststellung trifft jedoch auf alle Versuche der Bestimmung kausaler Effekte zu, unabhängig von der Disziplin, Daten­ grundlage und gewählten Methode84. Die Auswahl der Kontrollvariablen erfolgt auf Basis der von Pearl (2000) formalisierten grafischen Darstellung von Directed-Acyclic-Graphs (DAGs), welche sodann zur korrekten, theoriegeleiteten Spezifikation der Analyse­ modelle, unter Vermeidung von verschiedenen Formen des Bias verwendet werden (vgl. Grätz 2022; Morgan; Winship 2014: 55 ff.; Elwert; Winship 2014). Diese Darstellungsform bildet zudem auf transparente Weise die auf Basis des theoretischen Rahmens und der Literaturrecherche vermuteten kausalen Beziehungen der einzelnen Faktoren untereinander ab. Die DAGs werden im Abschnitt 3.3 dargestellt und beschrieben, ohne jedoch umfas­ send auf die theoretischen und mathematischen Grundlagen dieser einzuge­ hen. 3.1 Das kontrafaktische Modell zur Kausalität Die grundlegende Annahme des kontrafaktischen Ansatzes zur Kausalität (vgl. Hernán; Robins 2020: 4 f.; Morgan; Winship 2014: 4 ff.) besteht darin, dass jede Analyse- bzw. Beobachtungseinheit potenzielle Ergebnisse unter jeder Ausprägung des Treatments besitzt. Jedoch lässt sich immer nur das Ergebnis der realisierten Ausprägung des Treatments beobachten. Bei allen weiteren Status des Treatments handelt es sich um potenzielle oder kontraf­ aktische Ergebnisse. Es können also niemals beide bzw. alle Ergebnisse – mit und ohne Treatment – unter sonst identischen Bedingungen beobach­ tet werden (vgl. Hernán; Robins 2020; Morgan; Winship 2014: 4; Gangl; Diprete 2004: 5; Holland 1986). Diese Feststellung hat zur Folge, dass indi­ 84 Selbst ein physikalisches Experiment mit zwei exakt identischen Versuchsaufbauten, trifft eine Homogenitätsannahme, welche nicht überprüfbar ist. Minimale Abweichungen im Versuchsaufbau könnten jedoch das Ergebnis beeinflussen (vgl. Holland 1986: 947).

97

3.1 Das kontrafaktische Modell zur Kausalität

viduelle kausale Effekte nicht zu berechnen sind, wohl aber durchschnittli­ che kausale Effekte des Treatments (vgl. Morgan; Winship 2014: 45). Bei einem bivariaten Treatment ist der kausale Effekt die Differenz zwischen dem durchschnittlichen Ergebnis bei Erhalt des Treatments und dem durch­ schnittlichen Ergebnis bei Nichterhalt das Treatments, unter sonst identi­ schen Rahmenbedingungen zum selben Zeitpunkt. Unter diesen Bedingun­ gen kann argumentiert werden, dass die Veränderung im Ergebnis alleinig auf das Treatment (T) zurückzuführen ist. Damit wird deutlich, dass es sich bei der Analyse von kausalen Effekten um die Analyse von Reaktionsfunk­ tionen (vgl. Gangl; Diprete 2004: 5) oder um Was wäre wenn?-Fragen in kontrafaktischen Welten handelt (vgl. Hernán; Robins 2020: 12; Morgan; Winship 2014). Abbildung 3: Schemata der Logik des kontrafaktischen Modells

Yi0

Yi1

Ti=0

Beobachtbar (faktisch)

Unbeobachtbar (kontrafaktisch)

Ti=1

Unbeobachtbar (kontrafaktisch)

Beobachtbar (faktisch)

Baseline Bias Quelle: Eigene Darstellung Quelle: Eigene Darstellung

ATT Naiver Schätzer

Folgende Darstellung verdeutlicht diese Annahme mit der Darstellung der Ergebnisse (Y) für ein bivariates Treatment (T) für eine Beobachtungseinheit i. Anhand dieser Darstellung kann im Weiteren auch die Eingrenzung bzw. Spezifizierung des kausalen Effektes verdeutlicht werden. Bezogen auf diese Arbeit kann die dritte Abbildung (vgl. Abbildung 3) dahingehend interpre­ tiert werden, dass ein Haushalt entweder in einem sozialräumlichen Kontext verortet ist, der eine soziale Komposition mit der als relevant betrachte­ ten sozialen Gruppe oberhalb eines definierten Schwellenwertes aufweist (Ti = 1), oder in einem sozialräumlichen Kontext verortet ist, dessen Anteil der als relevant betrachteten sozialen Gruppe unterhalb des festgelegten Schwellenwertes liegt (Ti = 0). In Abhängigkeit des Treatmentstatus (T) kann dann das realisierte Ergebnis beobachtet werden, während das kontrafakti­ sche bzw. potenzielle Ergebnis unbeobachtet und vor allem unbeobachtbar bleibt. Wären wir in der Lage, beide Zustände zum gleichen Zeitpunkt zu

98

3. Analysestrategie

beobachten, dann wäre die Differenz aus Yi1 und Yi0 der gesuchte kausale Effekt des Treatments (T) auf (Y) für die Beobachtungseinheit i. Da dies jedoch nicht möglich ist, muss sich die Frage gestellt werden „Was wäre wenn?“. Diese Frage muss dann sogleich auf Basis inhaltlicher Argumentati­ on und unter Nutzung angemessener statistischer Methoden beantwortet werden. Ein naiver Schätzer für den durchschnittlichen kausalen Effekt des Treatments (T) auf (Y) ist der Mittelwertvergleich des Ergebnisses (Y) der Beobachtungseinheiten, die das Treatment (T) erhalten haben (Mittelwert aller Yi1), und derer, die es nicht erhalten haben (Mittelwert aller Yi0). Mit diesem Vorgehen wäre dann jedoch die Annahme verbunden, dass andere Faktoren keinen Einfluss auf (Y) und/oder die Selektion in (T) hätten (vgl. Morgan; Winship 2014: 54 ff.). Da davon auszugehen ist, dass die Treatment- und Kontrollgruppe sich neben dem Treatmentstatus auch in anderen Eigenschaften unterscheiden, besteht hier die Gefahr der Verzer­ rung (vgl. Abbildung 3 – Baseline Bias – blau). Handelt es sich, wie in dieser Arbeit, um Beobachtungsdaten, kann diese Verzerrung systematisch erfolgen bspw. aufgrund der Selbstselektion in das Treatment (den sozial­ räumlichen Kontext mit spezifischen Eigenschaften) (vgl. Hernán; Robins 2020: 99 ff.; Friedrichs 2014: 304 f.; van Ham et al. 2012b, 2012a; Harding et al. 2010: 18 ff.), was eine Herausforderung bei der Arbeit mit Beobachtungs­ daten darstellt. Mithilfe von experimentellen Designs, mit welchen die randomisierte Zuordnung zur Treatment- und Kontrollgruppe gesteuert werden kann, kann die potenzielle Verzerrung durch die nicht zufällige Zuordnung zu einer dieser Gruppen auf Basis unbeobachteter Faktoren adressiert werden (vgl. Hernán; Robins 2020: 13 ff.; Morgan; Winship 2014: 118 ff.). Dies ist beispielsweise bei dem Randomized-Controlled-Trial (RCT) Programm Moving to Oppertunity (MTO) der Fall (vgl. Abschnitt 2.4). Der Selektionsfehler verschwindet auch bei experimentellen Designs nicht vollständig, es kann jedoch mit einer ausreichend großen Fallzahl davon ausgegangen werden, dass die Treatment- und Kontrollgruppen ausbalanciert sind und sich, was die Selektion betrifft, kausale Effekte schätzen lassen (vgl. Heckman; Smith 1995: 89 f.). Die Herausforderung, das kontrafaktische Ergebnis zu schätzen, ist auch bei randomisierten, experimentellen Designs vorhanden, da auch hier nur ein mögliches Ergebnis des Treatments beobachtet werden kann und es sich um korrelative Zusammenhänge handelt, welche aufgrund des Vertrauens in das Studiendesign kausal interpretiert werden können (vgl. Hernán 2018). Meistens stehen die Möglichkeiten für derart komple­ xe und aufwendige Studiendesigns nicht zur Verfügung oder sind aus ethi­ schen Gründen nicht machbar, so dass auf Beobachtungsdaten in längs-

3.1 Das kontrafaktische Modell zur Kausalität

99

oder querschnittlichen Formaten zurückgegriffen wird und die damit ein­ hergehenden Methoden (vgl. Angrist; Pischke 2015). Diese Methoden stehen damit vor der doppelten Herausforderung, den Selektionsprozess zu berücksichtigen, um möglichst85 unverzerrte Ergebnis­ se zu erhalten, und das kontrafaktische Ergebnis zu berechnen sowie den kausalen Effekt zu schätzen. Solange die Haushalte, die das Treatment er­ fahren haben, sich nicht deshalb in der Treatmentgruppe befinden, weil de­ ren Kinder häufiger oder weniger häufig das Gymnasium besuchen, liegt keine Konfundierung vor und die Effekte können unverzerrt geschätzt werden. Die Bedingung, welche vorgibt, dass Unterschiede in den Ergeb­ nissen zwischen Treatment- und Vergleichsgruppe unabhängig von Selekti­ onsprozessen sein müssen, also ausschließlich auf das Treatment zurückge­ führt werden können, wird als Conditional Independence Assumption (CIA) (vgl. Rosenbaum; Rubin 1983) bezeichnet (vgl. Müller 2012: 5). Diese starke Annahme verlangt, dass bei ihrer Erfüllung alle Kovariaten kontrolliert oder konstant gehalten werden müssen, die sowohl die Interventionsteilnahme als auch das Ergebnis beeinflussen86. Ziel ist die Erfüllung der konditionalen Unabhängigkeitsannahme (CIA), welche für alle Vorgehen erfüllt sein muss (oder schwächere Versio­ nen davon), die die Schätzung kausaler Effekte auf Basis beobachteter Varia­ blen vornehmen. Die Annahme bedeutet nichts anderes, als dass nach Kon­ trolle der relevanten pre-Treatment-Variablen die Verteilung der Einheiten in Treatment- und Kontrollgruppe im Hinblick auf das Ergebnis (Outcome) nahezu zufällig ist (vgl. Hernán; Robins 2020: 73 ff.; Morgan; Winship 2014: 53 f.; Müller 2012; Gangl; Diprete 2004: 6 f.). Ist diese Annahme nicht erfüllt, können die geschätzten Effekte teilweise oder vollständig durch unbeobachtete Konfundierungsfaktoren hervorgerufen werden, womit die Effekte des Treatments über- oder unterschätzt werden (vgl. Reinowski 2006). Die Identifikation des kausalen Effektes verlangt neben der Kontrolle rele­ vanter Variablen vor allem die Kontrolle der richtigen Variablen (vgl. Grätz 2022; Elwert; Winship 2014; Cole; Hernán 2008). Abkömmlinge des Treat­ ments (Mediatoren) sowie Collider sollten nicht ohne genaue Begründung 85 Es wird bewusst zurückhaltend formuliert, da es letztendlich unmöglich ist, den wahren kausalen Effekt zu bestimmen. Es bleibt immer „an air of uncertainty“ (vgl. Holland 1986: 959) und die Annahmen und Modelle müssen für richtig befunden werden, um der kausalen Interpretation der Ergebnisse zuzustimmen. 86 Müller (2012) hat einen kurzen Leitfaden zur quasiexperimentellen Wirkungsevaluation mit Propensity-Score-Matching-Verfahren geschrieben, in dem die Voraussetzungen sowie die notwendigen Schritte zur Anwendung des Verfahrens zusammengefasst und anwendungs­ nah beschrieben werden.

100

3. Analysestrategie

kontrolliert werden (vgl. Hernán; Robins 2020: 226 f.), da dies potenziell zu Verzerrungen aufgrund von Overcontroll Bias oder das Öffnen eines BackDoor-Path führt (vgl. Elwert; Winship 2014) (vgl. Abschnitt 3.3). Auch kann die Kontrolle zu vieler Variablen bei begrenzter Fallzahl zu einem Finite Sample Bias führen (vgl. Cole; Hernán 2008: 657). Es gilt noch weiter zu spezifizieren, welcher kausale Effekt im Weiteren analysiert und interpretiert werden soll, denn es existieren mehrere Spezi­ fizierungen von kausalen Effekten. In der Darstellung der Ergebnisse der Analysen (vgl. Abschnitt 6) werden die durchschnittlichen Effekte für das Subsample des Analysesamples derer dargestellt, die das Treatment auch wirklich erhalten haben – Average Treatment Effect on Treated (ATT oder auch ATET; vgl. Abbildung 3 - grün). Der ATT entspricht konzeptionell dem durchschnittlichen Effekt von T auf Y für eine zufällig gezogene Unter­ suchungseinheit aus der Gruppe, die das Treatment erhalten hat (T = 1). Im Falle des ATT muss nur das kontrafaktische Ergebnis in Abwesenheit des Treatments bestimmt werden (vgl. Morgan; Winship 2014: 46 ff.; Ho et al. 2007: 204). Der Average Treatment Effect (ATE) hingegen entspricht dem erwarteten Effekt von T auf Y für eine zufällig aus der Gesamtpopulation bzw. dem gesamten Analysesample gezogene Untersuchungseinheit und da­ mit der typischen Folge von T auf Y in der untersuchten Population (gesam­ tes Sample) (vgl. Morgan; Winship 2014: 46 ff.; Gangl 2010: 30 ff.; Gangl; Diprete 2004: 8 f.). Im Falle des ATE muss das kontrafaktische Ergebnis für die Untersuchungseinheiten bestimmt werden, die das Treatment erhalten haben, und für diejenigen, die es nicht erhalten haben. Aus diesem Grund müssen zur Berechnung des ATE etwas höhere Voraussetzungen erfüllt sein, als für den ATT (vgl. Gangl 2014: 253; Morgan; Winship 2014: 268 f.). Damit einher geht zudem die Annahme der Homogenität der Effekte (Differential Treatment Effect Bias) sowie die Annahme, dass beide Gruppen sich auch in Abwesenheit des Treatments nicht unterscheiden (Baseline Bias) (vgl. Morgan; Winship 2014: 58 ff.). Beim ATE wird also davon ausgegangen, dass es keinen Baselineunter­ schied zwischen den Gruppen derer gibt, die das Treatment erhalten haben (T = 1), und derer, die es nicht erhalten haben (T = 0), welche eine Aus­ wirkung auf den Effekt des Treatments haben könnte. Zudem wird davon ausgegangen, dass das Treatment denselben Effekt auf beide Gruppen (T = 1 und T = 0) hat. Das sind starke Annahmen, welche bei Analysen mit Be­ obachtungsdaten häufig nicht zutreffen, so dass der ATE und ATT nicht identisch sind. Der ATE kann unter den ggf. unrealistischen Annahmen, dass die Wohnstandortwahl völlig randomisiert erfolgt und das Treatment denselben Effekt auf alle hat, als durchschnittlicher Effekt auf das gesamte Sample angesehen werden. In einem Randomized-Controlled-Trial (RCT) sind

3.2 Propensity-Score-Matching

101

ATE und ATT im Idealfall identisch, da keine (un)beobachteten Faktoren einen systematischen Effekt haben sollten. Weiter kann nach einem konditionalen und unkonditionalen ATT bzw. ATE differenziert werden. Erster stellt die Berechnung des ATT für eine Subgruppe dar, was im weiteren Verlauf der Analysen für drei Bildungs­ gruppen umgesetzt wird (vgl. Gangl; Diprete 2004: 20) (vgl. Abschnitt 6), während der unkonditionale ATT den durchschnittlichen Effekt für alle innerhalb des Analysesamples darstellt, die dem Treatment ausgesetzt sind (vgl. Morgan; Winship 2014: 28; Gangl; Diprete 2004: 20). Morgan und Winship (2014: 55) stellen den ATT bereits als konditionalen durchschnittli­ chen Effekt des ATE dar. Von der Systematik her ist die Argumentation in dieser Arbeit identisch, doch wird als Ausgangspunkt der ATT oder ATE gewählt, von diesem ausgehend werden Subpopulationen gebildet und auf deren Basis konditionale Effekte berechnet. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird, wenn nicht anders beschrieben, der ATT dargestellt und interpretiert87. Der ATT erscheint als inhaltlich und methodisch besser geeignet, den Effekt der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, darzustellen, da weniger starke Annahmen getroffen werden müssen (vgl. ebd. 2014: 268 f.) und es sich um den Effekt der wirklich beobachteten sozialen Komposition handelt und nicht um eine ggf. unrealistische kontrafaktische Annahme. Es kann argu­ mentiert werden, dass es unlogisch wäre, davon auszugehen, dass Effekte für diejenigen erwartet werden sollten, die das Treatment nicht erhalten haben, wenn bereits keine Effekte auf diejenigen nachweisbar sind, die das Treat­ ment erhalten haben (vgl. Morgan; Winship 2014: 55). Ein nachweisbarer Effekt des Treatments auf Basis des ATT kann zudem in konkrete Handlungs­ empfehlungen für die entsprechenden Haushalte bzw. die sie umgebenden sozialräumlichen Kontexte übersetzt werden (vgl. Abschnitt 7.2). 3.2 Propensity-Score-Matching Matchingverfahren können als direkte Umsetzung des kontrafaktischen An­ satzes zur Kausalanalyse verstanden werden (vgl. Gangl 2014: 251) und haben gegenüber Regressionsverfahren, welche ebenso zur Schätzung kau­ saler Effekte verwendet werden können, einige konzeptionelle und metho­ 87 Im Anhang befinden sich zudem ausgewählte Darstellungen der Ergebnisse auf Basis des ATE. Auf die konkreten Darstellungen wird im sechsten Abschnitt (vgl. Abschnitt 6) verwiesen.

102

3. Analysestrategie

dische Vorteile88 (vgl. Gangl 2014; Legewie 2012)89. Beim Propensity-ScoreMatching (PSM) wird der mehrdimensionale Vergleichsvektor, welcher sich aus den ausgewählten Kontrollvariablen ergibt, in einen eindimensionalen Vektor – den Propensity-Score (PS) bzw. die Wahrscheinlichkeit, zur Treat­ mentgruppe zu gehören – transformiert (vgl. Hernán; Robins 2020: 185 ff.; Morgan; Winship 2014: 140 ff.; Dehejia; Wahba 2002; Rosenbaum; Rubin 1984, 1983). Der Propensity-Score wird auch als Balancing-Score (vgl. Austin 2011a: 402; Rosenbaum; Rubin 1983: 43) verstanden, da zwischen Fällen mit einem identischen PS der Status des Treatments konditional unabhängig von dem gewählten Kovariatenvektor ist (vgl. Rosenbaum; Rubin 1983) und der PS damit einen Weg darstellt, eine quasi-Randomisierung in Bezug auf das Treatment zu erreichen. Um Schätzungen basierend auf PSM-Verfahren machen zu können, bzw. damit die erhaltenen Ergebnisse möglichst frei von Verzerrungen sind, müs­ sen vier Annahmen betreffend der Consistency, Exchangeability, Positivity und No Misspecification des Propensity-Scores erfüllt sein (vgl. Hernán; Robins 2020: 25 ff.; Austin; Stuart 2015: 3664). Eine weitere Annahme, auf die unter anderem Hernán und Robins (2020) und Pan und Bai (2015) hinwei­ sen, welche bei der Analyse von kausalen Effekten auf Basis von Beobach­ tungsdaten erfüllt sein sollte, ist die Stable-Unit-Treatment-Value-Assumption (vgl. Rubin 1980). Diese Annahme besagt, dass “the observation on one unit should be unaffected by the particular assignment of treatments to the other units” (Cox 1992: 19 f.). Diese Annahme ist interessanterweise in vielen sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Studien nicht erfüllt, da das 88 Beide Verfahren basieren auf der Kontrolle von beobachtbaren und berücksichtigten Varia­ blen (vgl. Angrist; Pischke 2015). Im Vergleich zu Regressionsmethoden beruht Matching auf keiner funktionalen Form. Es werden meist nur Beobachtungen zur Schätzung der Effekte verwendet, die auch zwischen der Treatment- und Kontrollgruppe vergleichbar sind (Overlap, Common Support). Regressionen beziehen hingegen alle Beobachtungen in die Analyse ein. Zudem erlauben Matchingverfahren die Anwendung von Sensitivitätsana­ lysen im Hinblick auf den möglichen Einfluss von unbeobachteten Variablen (vgl. Gangl; Diprete 2004). Zudem zwingen Matchingverfahren den Anwender dazu, sich inhaltlich explizit mit dem Selektionsprozess auseinanderzusetzen. 89 Allerdings ist das PSM-Verfahren nicht frei von Kritik. So stellen bspw. King und Nielsen (2019) die schlechte Performance von Propensity-Score-Matching im Vergleich zu dem von ihnen entwickelten Coarsend-Exact-Matching dar. Jann (2017) hat jedoch aufgezeigt, dass diese in Teilen gerechtfertigte Kritik nicht in der Tragweite, die King und Nielsen (2019) suggerieren, haltbar ist. Zudem muss bei der Frage nach der richtigen Methode zur Schät­ zung kausaler Effekte festgehalten werden, dass „causal effect is a theoretical quantity, defined independently of any empirical method that might be used to estimate it from real data“ (Ho et al. 2007: 202).

3.2 Propensity-Score-Matching

103

Ergebnis des einen (bspw. Schulbesuch oder das Finden eines Arbeitsplat­ zes) zwangsläufig einen minimalen Effekt auf die anderen Einheiten haben sollte, da es sich immer um begrenzte Ressourcen oder Angebote handelt (Gleichgewichtseffekte). Diese Tatsache wurde explizit mit in den theoreti­ schen Rahmen (vgl. Abschnitte 2 & 2.6) in der Form des Mechanismus des Wettkampfes aufgenommen, kann jedoch nicht auf quantitativ empirischer Basis adressiert werden. Consistency bedeutet, dass das potenzielle Ergebnis (Outcome), das eine Einheit bei Anwendung des Treatments erreichen würde, identisch ist mit dem beobachteten Ergebnis (vgl. Hernán; Robins 2020: 31 ff.; Austin; Stuart 2015: 3664). Dies bedeutet zum einen, dass alle Faktoren, die den Selek­ tionsprozess in das Treatment beeinflussen, im Modell enthalten sein müs­ sen (vgl. Rosenbaum; Rubin 1983) und zum anderen, dass das Treatment möglichst genau definiert sein muss (vgl. Abschnitt 3.4) und es einen kla­ ren theoretischen Zusammenhang zwischen Treatment und Outcome gibt (vgl. Hernán; Robins 2020: 35 ff.). Eine zu vage Definition des Treatments, bei der verschiedene Versionen des Treatments existieren können, welche dann zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würden, würde der Voraus­ setzung der Consistency entgegenstehen (vgl. ebd. 2020: 35 ff.). Die Exchangeability zwischen dem Treatment (T) und dem Outcome (Y) basierend auf dem PS ist eine untestbare (vgl. Cole; Hernán 2008: 657) Voraussetzung zur Anwendung des PSM-Verfahrens und zur anschließenden kausalen Interpretation der Ergebnisse (vgl. Hernán; Robins 2020: 14 f. & 185 ff.; Caliendo; Kopeinig 2008: 35 f.). Vereinfacht gesagt wird vorausge­ setzt, dass alle relevanten Kovariaten (X) beobachtet und im Modell zur Berechnung des PS berücksichtigt werden, es also keine systematischen pre-Treatment-Unterschiede zwischen der Treatment- und Kontrollgruppe mit Bezug auf das Ergebnis (Y) und der Zuweisung zum Treatment (T) gibt. Dies hätte zur Folge, dass man, würde man die Gruppe der Einheiten, die das Treatment erfahren, und derer, die es nicht erfahren haben, vertauschen, zu dem selben durchschnittlichen Effekt des Treatments kommt (vgl. Hernán; Robins 2020: 27 f.). Diese Annahme gilt jedoch nicht alleinig für PSM-Ver­ fahren, sondern allgemein für alle Methoden, die auf die Schätzung von kausalen Effekten auf Basis von beobachteten Variablen beruhen (vgl. Ali et al. 2014: 1075 ff.) und die jeweils veränderte bzw. schwächere Version in Abhängigkeit des definierten kausalen Effekts (ATE vs. ATT). Die Validität der Ergebnisse beruht damit auf der Berücksichtigung aller relevanten Va­ riablen, die einen Einfluss auf das Ergebnis (Y) und die Zuweisung zum Treatment (T) haben (vgl. Abschnitt 3.3). Positivity bedeutet, dass alle Untersuchungseinheiten eine Wahrschein­ lichkeit größer null und kleiner eins aufweisen, das Treatment zu erhalten.

104

3. Analysestrategie

Wenn es Einheiten gibt, die systematisch (also auf Basis von Eigenschaf­ ten der Einheiten) immer oder nie das Treatment erhalten würden, wäre diese Annahme verletzt (vgl. Hernán; Robins 2020: 30 ff.). Eine perfekte Prädiktion der Zuweisung zum Treatment durch einzelne Kontrollvariablen oder Kombinationen aus diesen würde dazu führen, dass das PSM-Verfah­ ren nicht ohne weitere Überlegungen angewendet werden kann, da die Common-Support-Voraussetzung zur Anwendung des PSM-Verfahrens nicht erfüllt wäre (vgl. Austin; Stuart 2015: 3664; Caliendo; Kopeinig 2008: 35). Um das PSM-Verfahren anwenden zu können, ist eine gewisse Zufälligkeit notwendig, was bedeutet, dass jede Untersuchungseinheit potenziell in allen Status des Treatments beobachtet werden kann (vgl. Heckman et al. 1998). Das generelle Ziel des PSM-Verfahrens ist das Auffinden statistischer Zwillinge, welche sich lediglich im Status des Treatments unterscheiden, so dass die durchschnittliche Differenz zwischen Treatment- und Kontrollgrup­ pe im Ergebnis theoretisch auf das Treatment zurückgeführt werden kann (vgl. Hernán; Robins 2020: 185 ff.; Caliendo; Kopeinig 2008; Rosenbaum; Rubin 1983). Als erstes90 muss beim PSM-Verfahren die Wahrscheinlichkeit, der Zugehörigkeit zur Treatmentgruppe (Propensity-Score) mithilfe einer logis­ tischen oder probit-Regression berechnet werden. Dieser Schritt ist notwen­ dig, da im Unterschied zu einem Randomized-Controlled-Trial (RCT), die Wahrscheinlichkeit zur Treatmentgruppe zu gehören bzw. dieser nach Studi­ endesign zugewiesen zu werden, nicht bekannt ist (vgl. Hernán; Robins 2020: 185 f.; Ho et al. 2007: 218). Diese Schätzung erfolgt auf Basis der relevanten pre-Treatment-Variablen, welche im Zusammenhang mit dem Er­ gebnis und dem Treatment oder nur dem Ergebnis stehen (vgl. Caliendo; Kopeinig 2008; Brookhart et al. 2006; Rubin; Neal 1996). Variablen, die einen starken Zusammenhang zum Treatment, nicht aber zum Ergebnis aufweisen, sollen vermieden werden (vgl. Brookhart et al. 2006). Die Ziel­ setzung ist nicht, eine möglichst perfekte Prädiktion der Zuweisung in das Treatment zu erreichen, sondern eine sparsame und theoriegeleitete Spezifikation des Analysemodells (vgl. Bergstra et al. 2019: 1 f.; Austin 2011a; Caliendo; Kopeinig 2008; Ho et al. 2007; Brookhart et al. 2006). Die Zielsetzung einer möglichst hohen prädiktiven Leistung des Modells kann sich besonders bei kleinen Datensätzen negativ auswirken, da zu viele 90 Die nun folgende Beschreibung stellt nur eine generelle Beschreibung des Vorgehens dar. In der einschlägigen Literatur finden sich detailliertere Beschreibungen der verschiedenen Schritte, die teilweise mehrmals durchlaufen werden müssen, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Das generelle Vorgehen bei der Anwendung des PSM-Verfahrens wird anhand von sechs Schritten kurz dargestellt (vgl. Bergstra et al. 2019; Garrido et al. 2014; Caliendo; Kopeinig 2008).

3.2 Propensity-Score-Matching

105

Kovariaten erneut zu Verzerrungen führen können (bspw. Finite Sample Bias, Structural Zeros)91 (vgl. Gangl 2014; Cole; Hernán 2008: 658; Caliendo; Kopeinig 2008: 37; Brookhart et al. 2006). Auch darf nicht auf Variablen kontrolliert werden, die dem Treatment zeitlich nicht eindeutig vorgelagert sind (vgl. Angrist; Pischke 2009: 64 ff. bzw. Kap 3.3). Um derartige Verzer­ rungen (Bias) des zu schätzenden Effektes durch die Verwendung schlechter Kontrollvariablen und nicht geschlossene Back-Door-Paths (vgl. Grätz 2022; Morgan; Winship 2014: Kapitel 1.5, 3 & 4.2; Elwert; Winship 2014) zu verhindern, wird auf Directed-Acyclic-Graphs (DAGs) zurückgegriffen. DAGs sind ein hilfreiches Werkzeug zur Visualisierung kontrafaktischen Denkens und der theoretischen Modellannahmen (vgl. Hernán; Robins 2020: 69 ff.; Elwert; Winship 2014). Sie machen die transparente Diskussion theoreti­ scher Annahmen auf intuitive Weise möglich, wie dies bspw. von Breen (2018) im Kontext der Analyseintergenerationaler Mobilität umgesetzt wird. Die Erfüllung des Back-Door-Criterion ist zudem gleichbedeutend mit der zu­ mindest theoretischen Erfüllung der nicht überprüfbaren Voraussetzung der konditionalen Unabhängigkeit (CIA) (vgl. Pearl 2000: 18 ff.) und damit auch der Exchangeability-Annahme im Rahmen der Anwendung des PSM-Verfah­ rens. In dieser Arbeit wird die Wahrscheinlichkeit, das Treatment zu erhalten (Propensity-Score), auf Basis einer logistischen Regression und einer probitRegression92 unter Nutzung des Stata Ado psmatch2 (vgl. Leuven; Sianesi 2003 (2018)) berechnet. Bei dem Treatment handelt es sich um die Beob­ achtung, dass ein Haushalt innerhalb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes situiert ist, welcher eine definierte Ausdehnung von k-Nächs­ ten-Nachbarhaushalten oder eine Annäherung an den Schulsprengel der Grundschule mittels Voronoi-Flächen hat und dessen soziale Komposition einer Gruppe am oberen oder unteren Ende der microm-Statusverteilung oberhalb eines definierten Schwellenwertes liegt (vgl. Abschnitt 5.1). Bei der 91 Die Gefahr einer starken Verzerrung der Ergebnisse aufgrund einer zu geringen Fall­ zahl im Verhältnis zur Anzahl der Kontrollvariablen zeigt sich auch mit Blick auf die Performance logistischer Regressionen sowie probit-Regressionen auf Basis des MaximumLikelihood-Verfahrens. Eine ausreichende Performance dieser Verfahren wird ab einer Fall­ zahl von mindestens zehn Fällen pro Kategorie angenommen (vgl. Pirracchio et al. 2012; Long 1997). 92 Bei der Berechnung des PS und der anschließenden Beurteilung der Balance hat sich in Abhängigkeit der betrachteten Statusgruppe ein kleiner Unterschied in der erreichten Balance gezeigt (vgl. Tabelle 24), so dass die Berechnungen des PS für den Anteil status­ hoher Haushalte mittels einer logistischen Regression durchgeführt wird, während für den Anteil statusniedriger Haushalte der PS mit einer probit-Regression berechnet wird. Insgesamt kann jedoch festgestellt werden, dass die Auswahl der Linkfunktion (logit oder probit) nur geringfügige Unterschiede aufzeigt (vgl. Caliendo; Kopeinig 2008: 36).

106

3. Analysestrategie

Auswahl des Matching-Algorithmus wird in einem iterativen Verfahren der­ jenige Algorithmus ausgewählt, welcher die Balance der Kontrollvariablen zwischen Treatment- und Kontrollgruppe optimiert (vgl. Garrido et al. 2014; Morgan; Winship 2014: 168 ff.; Austin 2013, 2011a; Caliendo; Kopeinig 2008: 54), da die Auswahl des Matching-Algorithmus immer als ein Trade-off zwischen Bias und Varianz (vgl. Caliendo; Kopeinig 2008: 43) zu verstehen ist. Nach einigen Überprüfungen verschiedenster Matching-Algorithmen (vgl. Austin 2013; Caliendo; Kopeinig 2008)93 und deren Optimierungen wird sich für ein Kernel-Matching-Verfahren auf Basis des Gausschen Kern­ dichteschätzers mithilfe logistischer sowie probit-Regressionen mit der Stan­ dard (Default) Bandbreite von 0,0694 und der Durchsetzung des CommonSupports (vgl. Leuven; Sianesi 2003 (2018)) entschieden. Dieser Algorithmus hat in den meisten Fällen die beste durchschnittliche Balance erreicht (vgl. Tabelle 24). Alle Berechnungen werden mit Zurücklegen durchgeführt, was dazu führen könnte, dass ein Kontrollfall für mehrere Fälle als statistischer Zwilling verwendet wird, welcher das Treatment erhalten hat und damit ggf. sehr einflussreich wird. Die generelle Logik des gewählten Matching-Al­ gorithmus ist in der vierten Abbildung (vgl. Abbildung 4) dargestellt. Die Qualität des Matches bzw. die erreichte Balance zwischen den Kontrollvariablen wird mithilfe des Paketes pstest (vgl. ebd. 2003 (2018)) berechnet und in die grafische Darstellung der Ergebnisse integriert (vgl. Abschnitt 6.2). Hierbei wird auf die Angabe des durchschnittlichen Absolute Standardized Bias (ASB) (vgl. ebd. 2003 (2018)) zurückgegriffen. Der ASB sollte unterhalb des Schwellenwertes von fünf Prozent liegen, um von einer ausreichend guten Balance der Kontrollvariablen zwischen Treatment- und Kontrollgruppe auszugehen (vgl. Caliendo; Kopeinig 2008: 48 f.). Betrach­ tet wird die durchschnittliche Verzerrung (ASB) auf Basis aller Kontroll­ variablen. Hierbei weisen teilweise einzelne Kontrollvariablen in einigen Berechnungen eine höhere Imbalance auf, wie etwa bei der kategorialen Bundeslandvariable. pstest (vgl. Leuven; Sianesi 2003 (2018)) gibt zudem

93 Es werden unter anderem k-Nearest-Neighbour (kNN) Matching-Algorithmen mit unter­ schiedlicher Anzahl an nächsten Nachbarn, Kernel-Matching mit unterschiedlichen Kerneln unter Berücksichtigung des Common-Supports sowie, Dehejia und Wahba (2002) folgend auch Radius-Matchingverfahren mit einem Caliper (vgl. Austin 2011b) und unter Berück­ sichtigung der maximal zehn nächsten Nachbarn berechnet und hinsichtlich ihrer erreich­ ten Balance überprüft (vgl. Tabelle 24). 94 Mit einer zu groß gewählten Bandbreite ist die Gefahr eines größeren Bias verbunden (vgl. Müller 2012: 13).

107

3.2 Propensity-Score-Matching

eine Vielzahl an weiteren Balance-Statistiken aus, welche sich in den meis­ ten Fällen in ihrer substanziellen Interpretation ähneln95. Abbildung 4: Logik des gewählten Matching-Algorithmus inkl. Common-Support Haushalt der das Treatment erfahren hat und für den in der Kontrollgruppe statistische Zwillinge gesucht werden, deren Relevanz in Abhängigkeit des PS gewichtet wird.

Fälle aus der Treatmentgruppe werden nicht berücksichtigt, wenn ihr PS größer oder kleiner ist als das Minimum oder Maximum des PS in der Kontrollgruppe.

Treatmentgruppe 1

0 PropensityScore

Kontrollgruppe

Bereich des Common-Support

Gewichtung der Relevanz der statistischen Zwillinge innerhalb der Kontrollgruppe und des Common-Supports auf Basis des Gausschen Kerndichteschätzers mit einer Bandbreite von 0,06.

Quelle: Eigene Darstellung

Der Selektionsprozess, welcher die Zuordnung der Haushalte/Kinder zu Treatment- und Kontrollgruppe und simultan auch das Ergebnis (Wahl des Gymnasiums vs. alle anderen Schulformen) beeinflusst, stellt eine große Herausforderung für die Kausalanalyse im Allgemeinen und bei der Ver­ wendung von Beobachtungsdaten im Speziellen dar. Am Ende beruht die kausale Interpretation der Ergebnisse auf nicht testbaren Annahmen über die Vollständigkeit der Modelle (vgl. Hernán; Robins 2020; Cole; Hernán 2008: 657; Holland 1986: 959). Aus diesem Grund wird mithilfe eines Verfahrens, das auf Rosenbaum Bounds (vgl. Rosenbaum 2002) basiert, eine Sensitivitätsanalyse durchgeführt. Mithilfe von Rosenbaum Bounds kann ab­ geschätzt werden, wie stark ein nicht berücksichtigter Faktor (Hidden Bias – vergessene oder unbeobachtete Variable), welcher das Ergebnis und die Selektion beeinflusst, sein müsste, um die Interpretation der geschätzten Effekte substanziell zu verändern (vgl. Müller 2012: 16 f.; Rosenbaum 2002). Dafür wird das Stata Ado mhbounds (vgl. Becker; Caliendo 2007) verwendet. Das Vorgehen basiert auf der Simulation von verschiedenen Szenarien auf Basis von veränderten Chancenverhältnissen, in die Treatment- oder Kon­ trollgruppe selektiert zu werden, und einer anschließenden Evaluation der entstandenen Verzerrung. 95 Dies trifft bspw. auf Rubins`B zu (vgl. Rubin 2001).

108

3. Analysestrategie

Mit diesem Vorgehen kann die nicht überprüfbare konditionale Unab­ hängigkeitsannahme (CIA) weiterhin nicht überprüft werden, doch gibt sie einen Hinweis darauf, wie folgenschwer eine Verletzung sein könnte. Eine ähnliche Argumentation sowie ein ähnliches Vorgehen bei der Analyse von kausal zu interpretierenden Effekten der Nachbarschaft findet sich unter an­ derem bei Harding (2003). Die Standardfehler der Punktschätzer werden mittels des Verfahrens des Bootstrappings berechnet. Leuven und Sianesi (2003 (2018)) weisen auf die Möglichkeit des Bootstrappings zur Berechnung von Standardfehlern im Kontext der Nutzung ihres Ados hin96. Eine Simula­ tionsstudie von Bodory et al. (2020) hat gezeigt, dass das Bootstrapping Ver­ fahren bessere Ergebnisse erzielt als analytisch berechnete Standardfehler97. Die Konfidenzintervalle geben Aufschluss über die Güte des Punktschätzers bzw. dessen mögliche Signifikanz und die Eindeutigkeit der Richtung der identifizierten Effekte. 3.3 Directed-Acyclic-Graphs Die von Pearl (2000) auf Basis der langen Tradition98 der grafischen Darstel­ lung von kausalen Modellen entwickelten und mathematisch bewiesenen Directed-Acyclic-Graphs (DAGs) werden im folgenden Abschnitt dargestellt, ohne jedoch auf die anspruchsvollen und umfangreichen logischen und mathematischen Grundlagen (vgl. Pearl 2000; Hernán; Robins 2020: 69 ff.; Morgan; Winship 2014) im Detail einzugehen, da dies den Rahmen dieser Arbeit übersteigen würde. Ein DAG ist eine grafische Darstellung gerichteter Pfade (Edges oder Links)99 zwischen Variablen (Vertices oder Nodes), welche direkte kausale Beziehungen darstellen, wobei weder Annahmen über die Stärke noch die funktionale Form der kausalen Beziehungen gemacht oder dargestellt werden. Ein Pfad ist eine Sequenz von Verbindungen zwischen Variablen, 96 Zeitgleich verweisen sie auch darauf, dass Unsicherheit darüber besteht, ob die Anwen­ dung von Bootstrapping in diesem Kontext valide Ergebnisse bringt (vgl. Leuven; Sianesi 2003 (2018)). 97 Verschiedene Möglichkeiten zur Bestimmung von Standardfehlern und ihre Vor- und Nachteile werden unter anderem von Caliendo und Kopeinig (2008) dargestellt. 98 Die grafische Darstellung von kausalen Modellen ist keineswegs neu, wie etwa die lange Geschichte der Pfadanalyse und Structural Equation Models (SEMs) zeigt (vgl. Arnold et al. 2019). Pearl (2000) selbst stellt diese Grundlagen im ersten Teil seines Buches Causality dar. 99 Es wird weitestgehend auf eine deutsche Beschreibung bzw. Benennung der einzelnen Komponenten der DAGs verwiesen. Die englischen Bezeichnungen finden sich jeweils in Klammern dahinter, diese stammen aus Pearl (2000).

3.3 Directed-Acyclic-Graphs

109

unabhängig von der dargestellten kausalen Wirkrichtung. Ein kausaler Pfad ist ein gerichteter (Directed) Pfad, in dem alle Pfeile in eine Richtung zeigen und nicht auf den Ausgangspunkt zurückführen (Acyclic-Path) (vgl. Hernán; Robins 2020: 69 ff.; Pearl 2000). DAGs können somit als Repräsentation eines Systems von durch gerichtete Pfeile (Pfade) verbundenen Variablen (endogene und exogene) beschrieben werden, die den angenommenen datengenerierenden Prozess abbilden (vgl. Arnold et al. 2019: 245; Pearl 2000: 12 ff.). DAGs stellen damit ein komplementäres Werkzeug zum kon­ trafaktischen Ansatz dar, das den Modellbau und die Auswahl der richtigen Variablen unterstützt, indem diese die kontrafaktische Logik der Schätzung von kausalen Effekten durch klare Regeln und Algorithmen formalisieren (vgl. Arnold et al. 2019: 246 f.; Pearl 2000). Zudem können die meistens implizit gemachten Simplifikationen beim Modellbau, welche in der empi­ rischen Wissenschaft nahezu immer nötig sind, mit der Hilfe von DAGs explizit und damit transparent dargestellt werden (vgl. Fleischer; Diez-Roux 2008: 842). Pearl (2000) formuliert zwei Strategien zur Identifizierung kausa­ ler Effekte – das Back-Door-Criterion (vgl. Morgan; Winship 2014: 109; Pearl 2000: 79 ff.) und das Front-Door-Criterion100 (vgl. Morgan; Winship 2014: 330 ff.; Pearl 2000: 81 ff.). Das Back-Door-Criterion zielt auf einen Ausschluss möglicher alternativer Effekte als durch das Treatment (T), auf das Ergebnis (Y) ab, während beim Front-Door-Criterion der kausale Effekt des Treatments (T) auf das Ergebnis (Y) direkt gemessen wird. Mit BackDoor-Path sind Korrelationen gemeint, die eine statistische Abhängigkeit zwischen dem Outcome (Y) und dem Treatment (T) entstehen lassen kön­ nen und so zu verzerrten Ergebnissen bei der Schätzung der Effekte führen, wenn diese nicht geschlossen werden. Ziel ist also die Kontrolle relevanter Variablen, um alternative Wirkzusammenhänge auszuschließen, während kausale Pfade offengelassen werden (vgl. Hillmert 2019: 8; Pearl 2000: 79 ff.). Mithilfe eines vollständigen101 DAGs können die notwendigen Varia­ blen bestimmt werden, welche kontrolliert werden müssen, um auf theoreti­ scher Ebene die nicht überprüfbare konditionale Unabhängigkeitsannahme (CIA) zu erfüllen und damit in der Lage zu sein, die kontrafaktischen (potenziellen) Ergebnisse zu schätzen (vgl. Arnold et al. 2019: 246; Pearl 2000). Ein vollständiges DAG setzt sodann ein umfassendes Wissen über den 100 Zu den Identifikationsstrategien kann man auch die Strategie instrumenteller Variablen zählen (Morgan; Winship 2014: 26 f.). 101 Das ist eine nicht überprüfbare Annahme. Das DAG basiert auf dem Wissensstand und den angenommenen gerichteten und ungerichteten Beziehungen zwischen den verschie­ denen Faktoren bzw. Variablen.

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3. Analysestrategie

datengenerierenden Prozess und damit über die angenommenen sozialen Mechanismen und kausalen Zusammenhänge in ihrer zeitlichen Reihenfol­ ge voraus (vgl. Angrist; Pischke 2009: 64 ff. bzw. Kap 3.3; Pearl 2000: u. a. Kap. 7.5.2). Zudem können mithilfe des DAGs schlechte Kontrollvariablen identifiziert werden (vgl. Cinelli et al. 2021; Angrist; Pischke 2015: 214 ff.). Zu den schlechten Kontrollvariablen zählen unter anderem Collider oder Abkömmlinge des Treatments, welche auf einem kausalen Pfad liegen (vgl. Hernán; Robins 2020: 226 f.; Morgan; Winship 2014: 113; Elwert; Winship 2014). Eine unüberlegte Kontrolle auf derartige Variablen kann eine nicht abzuschätzende Verzerrung zur Folge haben (vgl. Elwert; Winship 2014; Pearl 2000). Weniger offensichtlich aber genauso folgenschwer ist die Verzerrung, die bereits durch die Stratifizierung des Analysesamples entstehen kann, da dies einer Kontrolle der jeweiligen Variable gleicht (vgl. Elwert; Winship 2014). Die Nichtberücksichtigung relevanter Hinter­ grundvariablen kann zu Confounding Bias oder Omitted Variable Bias führen, wobei das Ausmaß der Verzerrungen im Vorfeld nicht abzuschätzen ist (vgl. ebd. 2014). Mittels der Anwendung des Back-Door oder Front-Door-Cri­ terion (vgl. Pearl 2000) kann die Identifikation des kausalen Effektes gelin­ gen und das Set an notwendigen, zu kontrollierenden Variablen bestimmt werden. Anhand von folgendem DAG, welches inhaltlich losgelöst vom Ziel die­ ser Arbeit und in Anlehnung an Morgan und Winship (2014: 337) erstellt ist, können die generelle Logik, einige Regeln der grafischen Repräsentation sowie das Front-Door- und Back-Door-Criterion verdeutlicht werden. (T) stellt das Treatment dar, dessen Effekt auf das Ergebnis (Y) bestimmt werden soll. Die Variablen B, C, D und E stellen beobachtete Variablen dar, wäh­ rend A unbeobachtet ist und E durch die Sampleauswahl stratifiziert bzw. kontrolliert wurde. Die gerichteten Pfeile zeigen eine auf theoretischem Vor­ wissen basierende, angenommene kausale und damit gerichtete Beziehung zwischen den Variablen an. T hat einen kausalen Effekt auf B. B wiederum hat einen kausalen Effekt auf Y. Da alle Pfeile in die gleiche Richtung zeigen ist hier eine kausale Beziehung von T auf Y über B dargestellt. Ein weiterer kausaler Pfad geht über die unbeobachtete Variable A. Als gängige Konvention hat sich etabliert, dass ausgefüllte Punkte beobachtete Variablen darstellen, während Kreise (leere Punkte) unbeobachtete Variablen darstel­ len, welche somit nicht direkt kontrolliert werden können (vgl. Hernán; Robins 2020: 69 ff.; Morgan; Winship 2014: 115 f.) Das Quadrat um die Variable E zeigt an, dass diese Variable bereits durch die Auswahl des Analy­ sesamples (Stratifizierung) kontrolliert wird (vgl. Elwert; Winship 2014). Mit der Zielsetzung der Bestimmung des Effektes von T auf Y auch geschrieben

111

3.3 Directed-Acyclic-Graphs

als (T→Y) kann nun der Versuch unternommen werden, die beiden Strate­ gien Back-Door- und Front-Door-Criterion anzuwenden. Abbildung 5: Beispiel für einen Directed-Acyclic-Graph (DAG)

D

C E

B T

Y

A Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Morgan und Winship (2014: 337)

Das Back-Door-Criterion besagt, dass die Kausalbeziehung von T nach Y identifiziert ist, wenn es keinen ungeöffneten Back-Door-Path zwischen T und Y gibt (vgl. Hillmert 2019: 8; Pearl 2000: 79 ff.). Dies alles ist nur unter der nicht testbaren Annahme und Voraussetzung möglich, dass es sich um ein vollständiges DAG handelt (vgl. Hernán; Robins 2020: 28 f.). Pfade können durch Konditionierung 102 (Kontrolle oder Stratifizierung) dieser Va­ riablen geblockt werden oder sind dies bereits durch Collider-Variablen. Ein Pfad ist eine Sequenz von Pfeilen, ungeachtet der Pfeilrichtung, die zwei Variablen miteinander verbinden. Ein Back-Door-Path ist ein Pfad zwischen zwei sequenziell geordneten Variablen (Y und T im obigen Beispiel), der mit einem Pfeil auf das Treatment (T) beginnt und einen Pfad zu Y bildet (vgl. Morgan; Winship 2014: 79 ff. & 106 ff.; Elwert; Winship 2014; Pearl 2000: 79 ff.). In diesem Beispiel gibt es demnach einen Back-Door-Path (rot gekennzeichnet). Um den totalen kausalen Effekt von T auf Y zu identifi102 Elwert und Winship (2014: 35) beschreiben Konditionierung als „introducing informa­ tion about a variable into the analysis by some means“.

112

3. Analysestrategie

zieren, muss dieser beispielsweise durch die Kontrolle auf C geschlossen werden. Eine zusätzliche Kontrolle auf D, die beobachtete Collider-Variable, ist problematisch, da so eine Korrelation zwischen C und T entstehen kann, die wiederum das Ergebnis der Schätzung des Effektes von T auf Y auf unbekannte Weise verzerren kann. Hierbei geht es um konditionale Infor­ mationen in D, die Informationen über die Werte von T und C beinhalten, was ein Phänomen darstellt, welches in den letzten Jahren vermehrte Auf­ merksamkeit erhalten hat (vgl. Hernán; Robins 2020: 69 ff.; Elwert; Winship 2014; Greenland 2003). Beim Front-Door-Criterion müssen die einzelnen Mechanismen bzw. Schritte identifizierbar sein, welche ein substanzielles Wissen über die unterliegenden sozialen Prozesse voraussetzten (vgl. Morgan; Winship 2014: 330 ff.). Der Effekt wird nach dem Schließen aller Back-Door-Paths abschnittsweise (T→B und T→A sowie A→Y und B→Y) berechnet und am Ende zusammengerechnet (vgl. Morgan; Winship 2014: 330 ff.; Pearl 2000: 82 ff.). Für jede einzelne abschnittsweise Berechnung müssen ande­ re Wirkzusammenhänge ausgeschlossen werden (vgl. Morgan; Winship 2014: 333 f.). Da die Variable A jedoch unbeobachtet ist und diese kausal von T beeinflusst wird und zudem B kausal beeinflusst, ist eine Identifikation mittels des Front-Door-Criterion für den Abschnitt T→B nicht möglich. Wäre A eine beobachtete Variable, würde eine Kontrolle auf A ausreichen, um den kausalen Effekt von T→B zu identifizieren, da das Back-Door-Criteri­ on aufgrund des Colliders Y damit erfüllt wäre. Die beiden Identifikationsstrategien funktionieren nur unter der An­ nahme eines vollständigen DAGs und geben keine Auskunft über die Schät­ zung eines Effektes. Sie geben jedoch Auskunft darüber, welche Variablen kontrolliert werden müssen (Minimal Sufficient Adjustment Set) (vgl. Textor et al. 2016; Glymour; Greenland 2008; Lauritzen et al. 1990), damit der kausale Effekt nicht parametrisch identifiziert ist. Die Bestimmung von Back-Door-Paths erscheint relativ übersichtlich, wenn es sich um simple Bei­ spiele wie das obige (vgl. Abbildung 5) handelt, wird jedoch sehr komplex bei einer Vielzahl an Variablen, womit die Fehleranfälligkeit durch überse­ hene Pfade steigt. Aus diesem Grund wird das webbasierte Tool DAGitty103 (vgl. Textor et al. 2016) zur Identifikation des Minimal Sufficiente Adjustment Sets genutzt (vgl. Lauritzen et al. 1990). Hierbei handelt es sich um die minimale Anzahl an Variablen, welche alle verzerrenden Pfade schließt, während die kausalen Pfade offenbleiben – Erfüllung des Back-Door-Criteri­ on (vgl. Hillmert 2019: 8; Pearl 2000: 79 ff.). Unter dieser Bedingung kann 103 Online zu finden unter: http://www.dagitty.net/dags.html. Die verwendeten Algorithmen des R-Paketes sind identisch mit der webbasierten Version (vgl. Textor et al. 2016).

3.3 Directed-Acyclic-Graphs

113

ein unverzerrter Effekt identifiziert bzw. geschätzt werden, aber es handelt sich nicht zwangsläufig um das Modell mit dem niedrigsten Standardfeh­ lern. Weng et al. (2009) haben in ihrer Simulationsstudie zudem aufzeigen können, dass eine theoriegeleitete Variablenauswahl auf Basis eines DAGs besser oder zu mindestens gleich gut ist im Vergleich mit Modellen, welche andere Verfahren zur Variablenauswahl verwendet haben104. Auf Basis der eben dargestellten grundlegenden Logik von DAGs wer­ den im folgenden zwei DAGs dargestellt, welche die Identifikation der Effekte der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontex­ tes in Abhängigkeit des Anteils statushoher und statusniedriger Haushalte ermöglichen. Die direkte Überprüfung der beiden im zweiten Abschnitt aufgezeigten Wirkketten kann aufgrund einer zu geringen Fallzahl und unbeobachteter Variablen nicht sinnvoll vorgenommen werden, so dass die im zweiten Abschnitt (vgl. Abschnitt 2) dargestellten Mechanismen nicht direkt überprüft werden können. Dennoch kann der totale Effekt mittels des Back-Door-Criterion identifiziert und in der Folge geschätzt werden. 3.3.1 DAG – Anteil statusniedriger und statushoher Haushalte Das DAG kann als Zusammenfassung des Forschungsstandes unter Berück­ sichtigung der kausalen Beziehung der einzelnen Faktoren untereinander verstanden werden. Es werden im Folgenden nicht alle Pfade innerhalb der beiden DAGs beschreiben, sondern lediglich die beiden in Abschnitt zwei (vgl. Abschnitt 2) und insbesondere Abschnitt 2.4 herausgearbeiteten Wirkketten, über welche die soziale Komposition eines relevanten sozial­ räumlichen Kontextes einen Effekt auf die Wahrscheinlichkeit haben sollte, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen. Aufgrund der nicht beobachteten Schulempfehlung und einer stark reduzierten Fallzahl, wenn die Schulnoten mit in die Analyse einbezogen werden, kann das Front-DoorCriterion zur direkten Überprüfung der beiden angenommen Wirkketten nicht angewendet werden. Es wird deshalb der totale Effekt der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes identifiziert und im sechsten Abschnitt (vgl. Abschnitt 6) analysiert bzw. die Ergebnisse der Analyse dargestellt. Der oberhalb eines definierten Schwellenwertes liegende Anteil status­ hoher oder statusniedriger Haushalte innerhalb eines relevanten sozialräum­ 104 Die Performance der Modelle, welche auf unterschiedlichen Vorgehensweisen bei der Variablenauswahl beruhen, werden anhand von “standard error, bias, square root of the mean-squared error, and 95% confidence interval coverage” (Weng et al. 2009: 1182) bewertet.

114

3. Analysestrategie

lichen Kontextes (Treatment), bietet auf Basis von räumlicher Nähe und sozialer Ähnlichkeit einen systematisch variierenden Zugang zu haushalts­ externen, materiellen und immateriellen bildungsrelevanten Ressourcen. Dies geschieht über direkte oder indirekte Interaktionen des Kindes mit anderen innerhalb des relevanten sozialräumlichen Kontexts oder innerhalb der Grundschule, welche aufgrund ihres strukturierenden Charakters nicht losgelöst vom sozialräumlichen Kontext betrachtet wird (vgl. Abschnitt 2.1). Diese haben sodann einen Effekt auf die Durchschnittsnote am Ende der vierten bzw. dritten Klasse und damit auf die Schulempfehlung, die Wahr­ nehmung durch Lehrkräfte, die haushaltsinterne subjektive Kosten-NutzenKalkulation und damit schlussendlich auf die Wahrscheinlichkeit, die Schul­ form des Gymnasiums zu besuchen. Der Anteil der statushohen und statusniedrigen Haushalte innerhalb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes bietet auf Basis von räumli­ cher Nähe und sozialer Ähnlichkeit zudem einen systematisch variierenden Zugang zu haushaltsexternen Informationen sowie variierenden sozialen Normen, welche sodann als eigenständige Faktoren in die subjektive Kos­ ten-Nutzen-Kalkulation der haushaltsinternen Bildungswahlentscheidung einfließen oder die Gewichtung einzelner Faktoren verändern. Wie innerhalb des theoretischen Rahmens (vgl. Abschnitt 2) dargestellt, wird die Bildungswahlentscheidung von einer Vielzahl von Faktoren beein­ flusst, welche es gilt mit ihren kausalen Zusammenhängen in das DAG zu integrieren bzw. diese darzustellen. Auch Voraussetzungen zur Wirkung der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes sowie weitere Charakteristika des sozialräumlichen Kontextes müssen berücksich­ tigt werden. Abbildung sechs (vgl. Abbildung 6) stellt das komplette105 DAG für die Identifikation der kausalen Effekte eines oberhalb eines Schwellen­ wertes liegenden Anteils statusniedriger Haushalte auf die Wahrscheinlich­ keit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, dar. Das DAG zur Identifikation des kausalen Effektes eines oberhalb eines Schwellenwertes liegenden Anteils statushoher Haushalte innerhalb eines relevanten sozial­ räumlichen Kontextes, auf die Wahrscheinlichkeit nach der Grundschule 105 Mit Blick auf die Argumentation im zweiten Abschnitt (vgl. Abschnitt 2) wird deut­ lich, dass weit mehr Faktoren berücksichtigt oder zumindest dargestellt hätten werden können. Die Berücksichtigung weiterer Faktoren, wäre zwar wünschenswert, da es die späteren Schätzungen vermutlich exakter gemacht hätte, jedoch spiegelt das DAG die em­ pirische Machbarkeit unter den gegebenen Bedingungen der Datenverfügbarkeit wider. Bei dem dargestellten DAG handelt es sich um das Minimal Sufficient Adjustment Set, welches eine unverzerrte Identifikation des kausalen Effektes erlaubt, womit aus dieser Perspektive auch keine umfänglichere Darstellung nötig ist.

3.3 Directed-Acyclic-Graphs

115

das Gymnasium zu besuchen, ist bis auf die Definition des Treatments iden­ tisch (vgl. Abbildung 32 im Anhang). Auf eine Beschreibung aller Pfade wird aufgrund der transparenten Darstellung mittels des DAGs, der intuiti­ ven Interpretierbarkeit und einer damit verbundenen Redundanz zu den Inhalten des zweiten Abschnittes verzichtet.

Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 6: DAG zur Identifikation des Effektes eines oberhalb eines Schwellenwertes liegenden Anteils statusniedriger Haushalte innerhalb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes

116 3. Analysestrategie

3.4 Effekt- und Treatmentidentifikation

117

3.4 Effekt- und Treatmentidentifikation Um den ätiologischen Effekt schätzen zu können, muss dieser so präzise wie möglich definiert sein, wobei auch hier die Präzision nicht testbar ist, sondern nur argumentativ bzw. theoriegeleitet hergestellt werden kann (vgl. Hernán; Robins 2020: 34 ff.). Zielsetzung dieser Arbeit ist es, den Effekt der sozialen Komposition auf Basis der beiden Extrempole der microm-Statusverteilung – oberes und unteres Dezil (vgl. Abschnitt 4.3) – innerhalb eines relevanten sozialräum­ lichen Kontextes auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, zu schätzen. Die kontrafaktische Annahme lautet, dass Haushalte im Durchschnitt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine andere Bildungswahlentscheidung in Bezug auf die Wahl des Gymnasiums treffen würden, wenn sie in einem sozialräumlichen Kontext verortet wären, der durch eine andere soziale Komposition mit Bezug auf den Anteil sta­ tusniedriger oder statushoher Haushalte geprägt wäre. Hierzu werden die durchschnittlichen Effekte des Treatments für diejenigen berechnet, welche das Treatment auch erfahren haben (ATT). Die Analysen werden nur für Fäl­ le durchgeführt, für welche vollständige Informationen vorliegen, und die mindestens zwei Jahre vor dem letzten beobachteten Grundschuljahr des Kindes am Wohnort der Befragung gelebt haben. Zudem werden nur Kin­ der in Kernfamilien berücksichtigt. Kinder, die in Anstalten untergebracht sind, werden von der Analyse ausgeschlossen (vgl. Abschnitt 5.2). Es handelt sich also ausschließlich um Familien, die mindestens ein Kind haben, wel­ ches von einer öffentlichen Grundschule auf eine öffentliche weiterführende Schule wechselt. Zudem werden die Informationen zum Haushalt, dem Kind und dem sozialräumlichen Kontext zeitlich vorgelagert zur realisierten Bildungswahlentscheidung erhoben, womit aus einer zeitlichen Perspektive ein kausaler Zusammenhang überhaupt erst möglich ist (vgl. Abschnitt 3.1). Das Treatment konstituiert sich als oberhalb eines Schwellenwertes lie­ gende soziale Komposition von statushohen oder statusniedrigen Haushal­ ten, die sich innerhalb einer relevanten Skalierung des sozialräumlichen Kontextes befinden. Es wird jeweils ein binäres Treatment für verschiede­ ne Schwellenwerte für jede Skalierung definiert. Ein Treatment mit einem Schwellenwert von beispielsweise neun Prozent definiert alle Haushalte, die innerhalb ihres relevanten sozialräumlichen Kontexts mindestens neun Prozent der jeweiligen Statusgruppe aufweisen als T = 1 (Treatment erfah­ ren) und vergleicht diese mit der ansonsten identischen bzw. sehr ähnli­ chen Kontrollgruppe. Die Kontrollgruppe konstituiert sich für nahezu alle Schwellenwerte als die Gruppe an Haushalten, die weniger oder gleich drei Prozent der jeweiligen Statusgruppe innerhalb ihres sozialräumlichen Kon­

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3. Analysestrategie

textes aufweisen (T = 0). Die Schwellenwerte werden im weiteren Verlauf häufig wie folgt dargestellt (9 %). Die Entscheidung die Kontroll­ gruppe auf Basis einer Drei-Prozent-Schwelle festzulegen, kann inhaltlich sowie datentechnisch begründet werden. Es ist kaum ein Effekt bei dieser Schwelle festzustellen (vgl. Goebel; Hopp 2015; Oberwittler 2007), wobei jedoch eine große Anzahl an Haushalten in diese Gruppe fallen, so dass eine ausreichend große Kontrollgruppe zum Matchen vorhanden ist (vgl. Abschnitt 6). Damit ist die Definition des Treatments noch nicht optimal, entspricht jedoch der Annahme der Theorie konzentrierter Benachteiligung, wonach besonders Gruppen der oberen und unteren Ränge einer Statusverteilung sich maßgeblich und systematisch in der Qualität und Quantität an mate­ riellen und immateriellen Ressourcen unterscheiden sollten (vgl. Autoren­ gruppe Bildungsberichterstattung 2020; 2014; Wodtke et al. 2012; Sampson et al. 1999), so dass eine hohe Konzentration dieser Gruppen innerhalb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes auch zu unterschiedlichen Handlungsrahmen und damit deutlichen Effekten führen sollte. Der Grup­ pe an Haushalten der mittleren Ränge der Statusskala wird damit wenig Bedeutung zugesprochen. Da von heterogenen Effekten des Treatments aus­ gegangen wird, wird im weiteren Verlauf der Analyse eine Stratifikation des Analysesamples auf Basis von Bildungsgruppen vorgenommen (vgl. Abschnitt 5.2). Somit sind die Bedingungen zum Auftreten von Effekten der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes auf die Bildungswahlentscheidung weit genug eingegrenzt und es kann trotz einiger Einschränkungen mit konsistenten Effekten gerechnet werden. Nicht optimal ist die Definition des Treatments, da in einem sozialräum­ lichen Kontext in dem sich drei Prozent statushohe oder niedrige Haushalte (oberstes oder unterstes Dezil der microm-Statusverteilung) befinden, auch davon ausgegangen werden kann, dass sich eine gewisse Anzahl an Haushal­ ten im neunten oder zweiten Dezil befinden, welche sich nur geringfügig von Haushalten des obersten bzw. untersten Dezil der microm-Statusvertei­ lung (vgl. Abschnitte 4.3 & 5.1) unterscheiden sollten. Somit können auch diese Gruppen als wirkmächtig angesehen werden. Die verwendeten Daten lassen eine vollständige Darstellung der sozialen Komposition des sozial­ räumlichen Kontextes und damit eine genauere Definition des Treatments je­ doch nicht zu. Damit bleibt eine gewisse Vagheit, da potenziell verschiedene Versionen des Treatments zusammengefasst werden bzw. nicht ausreichend differenziert werden (vgl. Hernán; Robins 2020: 36 f.). Zur Verdeutlichung kann auf das Bild einer Tablette als Treatment, wie es aus der medizinischen Sprache ja letztendlich entliehen wurde und auch von Galster (2012) ver­ wendet wird, zurückgegriffen werden. Die gesamte Zusammensetzung des

3.4 Effekt- und Treatmentidentifikation

119

Treatments (soziale Komposition des sozialräumlichen Kontextes) ist nicht bekannt. Es bleibt ein Graubereich. Wird beispielsweise der Effekt der so­ zialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes berechnet, welche einen Anteil von mehr als 20 Prozent statushoher Haushalten auf­ weist, wird zeitgleich der Anteil der statusniedrigen Haushalte im selben sozialräumlichen Kontext kontrolliert. In Abhängigkeit des Anteils der sta­ tusniedrigen Haushalte ergibt sich somit ein Graubereich zwischen null und 80 Prozent. Abbildung 7: Definition des Treatments und die resultierenden Einschränkungen Gesamte soziale Komposition des relevanten sozialräumlichen Kontextes

Unbekannter Status der Haushalte Anteil statusniedriger Anteil statushoher Haushalte (hierauf Haushalte wird konditioniert)

Quelle: Eigene Darstellung

4. Datengrundlage Die Komplexität der Analyse von Effekten der sozialen Komposition klein­ räumig definierter und relevanter sozialräumlicher Kontexte, unter Kontrol­ le einer Vielzahl haushalts- und kindspezifischer Faktoren, auf die Wahr­ scheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, macht die simultane Nutzung unterschiedlicher Datensätze notwendig. Zudem müssen die Daten teilweise aufwendig zusammengetragen und aufgearbei­ tet werden, um diese nutzen zu können, da sie nicht als fertige Datensätze zur Verfügung stehen (vgl. Abschnitt 4.4). Bei dem Vorhaben wird das große Analysepotenzial des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) beinahe vollständig ausgenutzt (vgl. Giesselmann et al. 2019; SOEP v35 2018). Alle verwendeten Daten werden in den folgenden Abschnitten kurz beschrieben. Die detaillierte Beschreibung der Operationalisierung der sozialräumlichen Kontexte auf Basis der k-Nächste-Nachbarn-Methode und der Voronoi-Dia­ gramme sowie der Operationalisierung der verschiedenen Variablen findet sich im fünften Abschnitt (vgl. Abschnitt 5). 4.1 Daten des Sozio-oekonomischen Panels Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) (vgl. Wagner et al. 2007) ist eine „der größten und am längsten laufenden multidisziplinären Panelstudien weltweit, für die derzeit jährlich etwa 30.000 Menschen in knapp 15.000 Haushalten befragt werden“ (DIW 2022). Für die vorliegenden Analysen wird das SOEP in der Version 35 mit dem letzten Interviewjahr 2018 ge­ nutzt (vgl. SOEP v35 2018). Das SOEP stellt für verschiedenste Disziplinen Mikrodaten bereit, welche im jährlichen Rhythmus seit 1984 mittels einer repräsentativen Wiederholungsbefragung privater Haushalte in Deutschland erhoben werden. Neben wechselnden Themenschwerpunkten wird jährlich ein feststehendes Kernfrageprogramm abgefragt, zu welchem unter ande­ rem detailreiche Fragen zu Bildungsstand und sozialer Herkunft gehören (vgl. SOEP Group 2020a; Wagner et al. 2007). Zu den erfragten Informa­ tionen gehören von Anfang an auch Angaben zu Kindern im Haushalt. Die Kinder werden nicht selbst befragt, sondern die Eltern geben Informa­ tionen über das Kind (vgl. SOEP Group 2020a; Bohlender et al. 2018). Erst ab einem Alter von zwölf Jahren findet eine direkte Befragung der Kinder statt. Die Möglichkeit der Verortung von Haushalten in Kontexten (zeitlichen, räumlichen und sozialen) (vgl. Giesselmann et al. 2019) und der

122

4. Datengrundlage

Detailreichtum des Datensatzes machen die vorliegende Analyse überhaupt erst möglich. Die Nutzung der Geokoordinaten der befragten SOEP-Haus­ halte macht einen Gastaufenthalt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zwingend erforderlich. Vor Ort werden weitere technische und inhaltliche Maßnahmen zur Gewährung des Datenschutzes getroffen (vgl. SOEP Group 2020a; Goebel; Pauer 2014). 4.2 100x100-Meter-Gitterdaten des Zensus 2011 Alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union erstellen im Abstand von zehn Jahren eine Volks-, Gebäude- und Wohnungszählung mit einem festge­ legten Umfang an Merkmalen (vgl. Destatis 2015: 7). Diese Erhebungsmerk­ male können seit 2013, in aggregierter Form und unter Wahrung des Daten­ schutzes, zu räumlichen Gittern unterschiedlicher Skalierung zugeordnet werden (vgl. Neutze 2015: 64). Die 100x100-Meter-Gitterdaten (vgl. Destatis 2018) stellen die feinste räumliche Skalierung der Zensus-2011-Daten dar. Diese bieten die Möglichkeit unabhängig von administrativen oder postali­ schen Grenzziehungen kleinsträumige Verteilungen von aggregierten Merk­ malen von Personen, Haushalten und Gebäuden im Raum zu betrachten (vgl. BKG 2017: 4). Aufgrund der INSPIRE (Infrastructure for Spatial Infor­ mation in Europe) (vgl. EK 2017) konformen Aufarbeitung, können die Gitterdaten zudem als Grundlage für ländervergleichende Studien auf eu­ ropäischer Ebene genutzt werden (vgl. Andersson et al. 2018; Costa; Valk 2018). Der Zensus 2021 wurde aufgrund der Corona-Pandemie und auf Basis des „Gesetz[es; Anmerk. Des. Verf.] zur Verschiebung des Zensus in das Jahr 2022 und zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes“ vom 3. Dezember 2020 auf das Jahr 2022 verschoben, so dass die aktuellsten Daten und damit besonders die Entwicklung des besiedelten Raumes in den Analysen keine Berücksichtigung finden. 4.3 microm-Daten Die flächendeckenden geografischen Informationen auf Ebene der Postleit­ zahl-8-Gebiete (PLZ8-Gebiete) stammen von der microm MicromarketingSysteme und Consult GmbH. Die Daten für den Zeitraum 2005 bis 2013 wurden im Zuge des Projektes „Ausmaß und Trends sozialräumlicher Segre­ gation in Deutschland“ (vgl. Goebel; Hopp 2015) verwendet und können im Zuge eines Gastaufenthaltes unter Wahrung des Datenschutzes am Deut­

4.3 microm-Daten

123

schen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) genutzt werden (vgl. Goebel; Pauer 2014). Die PLZ8-Gebiete stellen eine feinere Aufgliederung der be­ kannten Postleitzahlgebiete dar (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015: 31). Die Gebiete werden mithilfe eines Clusterverfahrens „hinsichtlich räumli­ cher Lagekriterien (zum Beispiel: Distanzen) und funktionaler- [sic], sied­ lungs- und bebauungsstruktureller Indikatoren (zum Beispiel: Haustypen, Branchen der in der PLZ8-Gebieten ansässigen Unternehmen“ (microm 2021) erstellt. Die am DIW verwendbaren Daten beinhalten Informationen über den Anteil und die absolute Anzahl der Haushalte, welche dem un­ tersten und dem obersten Dezil der microm-Statusverteilung angehören106, sowie den Anteil der Haushalte mit mindestens einer ausländischen Person für den Zeitraum von 2005 bis 2013 (vgl. Goebel; Hopp 2015). Die micromStatusverteilung ergibt sich aus verschiedenen statusbezogenen Informatio­ nen, welche in einer Variable statistisch verdichtet werden (vgl. microm 2020; Goebel; Hopp 2015: 32 f.). Der microm-Status, wie nahezu alle so­ zialen Statusklassifikationen, korreliert hierbei stark mit dem höchsten Bil­ dungsabschluss und dem Nettoeinkommen des Haushaltes (vgl. microm 2019: 70). Es liegt jedoch keine den wissenschaftlichen Standards genügende Dokumentation der Aufarbeitung der Daten vor, was als großer Nachteil gesehen wird (vgl. Goebel; Hopp 2015: 33). Da es sich lediglich um Infor­ mationen zum obersten und untersten Dezil der Statusverteilung handelt, wird auch deutlich, dass eine vollständige Beschreibung der sozialen Kom­ position innerhalb des PLZ8-Gebietes nicht möglich ist (vgl. Abschnitt 3.4). Für die Verwendung sprechen allerdings: der breite Einsatz der Daten, die enorme Datengrundlage, auf welche die microm GmbH zur Erstel­ lung der Indikatoren zurückgreift (vgl. microm 2019: 8 f.), die valide bzw. sinnhaft erscheinenden Ergebnisse verschiedener Studien (vgl. Hartung; Hillmert 2019; Goebel; Hopp 2015; Lersch 2013; Dittmann; Goebel 2010) und die Verwendung und Bereitstellung durch andere Forschungsdatenzen­ tren (bspw. sozioökonomische Daten auf Rasterebene (RWI-GEO-GRID) (vgl. Breidenbach; Eilers 2018) sowie die Verknüpfung mit anderen renom­ mierten Datensätzen wie etwa dem pairfam (vgl. Schmiedeberg 2015). Zusätzlich kann im Zuge eines Gastaufenthaltes auf Indikatoren der microm GmbH zurückgegriffen werden, welche dem jeweiligen Haushalt jährlich als zusätzliche Variablen angespielt werden. Bei diesen Informatio­ nen handelt es sich dann jedoch nicht um flächendeckende geografische Indikatoren, dementsprechend können diese in der vorliegenden Arbeit keine Verwendung finden. 106 In den Daten werden die Dezilschwellen auf das Jahr 2013 fixiert, da ansonsten die Dezile über die Jahre konstant wären (vgl. Goebel; Hopp 2015: 33).

124

4. Datengrundlage

4.4 Geokoordinaten aller Schulen in Deutschland Die Schuladressen aller Schulen107 aus ganz Deutschland108 für die Jahre 2010 bis 2017 wurden von den datenhaltenden Institutionen erworben bzw. bereitgestellt109, aufgearbeitet und mithilfe des Leibniz-Institut für Sozial­ wissenschaften (GESIS) unter Nutzung des Geocoders des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie (BKG) und damit unter Wahrung des Daten­ schutzes geocodiert (vgl. Müller et al. 2017). Neben den Adressen der Schu­ len enthalten alle Datensätze Informationen zur Schulform und größtenteils auch möglichen Schulabschlüssen. Diese Daten werden für alle Jahre und für alle 16 Bundesländer einheitlich aufgearbeitet, so dass für jedes Jahr, in dem eine Schule existiert, ein Fall erstellt wird (long Format), für den neben der Geokoordinate auch die Information über die Schulform vorliegt. Auf diese Weise können mit drei Nachkodierungsschritten durch die GESIS eine recht hohe und präzise Trefferquote erreicht werden (vgl. Tabelle 3). Insgesamt konnten 237.589 Schulen auf Hausebene, 1.304 Schulen auf Straßenebene, drei Schulen auf Ebene des Postleitzahlengebietes und 118 Schulen lediglich auf Ebene des Ortes über den gesamten Zeitraum von 2010 bis 2017 zugeordnet werden110. Für das Schuljahr 2017/2018 liegen nicht aus allen Bundesländern Informationen vor, da die datenhaltenden Institutionen diese (zum Zeitpunkt der Datensammlung – ab Mitte 2019) teilweise noch nicht aufgearbeitet haben. Aus diesem Grund werden bei der Berechnung der Distanzen und Voronoi-Diagramme (vgl. Abschnitt 4.1) 107 Die hohe Anzahl an Schulen pro Jahre erklärt sich dadurch, dass sich in den Daten teil­ weise auch Informationen zu Berufsschulen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung sowie Adressen zu Zweigstellen von Schulen befinden. 108 Für das Bundesland Berlin liegen lediglich die Informationen für Grundschulen und Gymnasien vor. 109 Die Schuladressen wurden von folgenden Institutionen bezogen: Amt für Statistik Ber­ lin-Brandenburg 2019; Bayerisches Landesamt für Statistik 2019; Hessisches Statistisches Landesamt 2019; Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2019; Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2019; Thüringer Landesamt für Statistik 2019; Behörde für Schule und Berufsbildung Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung 2019; Landesamt für Statistik Niedersachsen 2019; Information und Technik NordrheinWestfalen (IT.NRW) Statistisches Landesamt 2019; Senatorin für Kinder und Bildung 2019; Statistikamt Nord 2019; Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern 2019; Statis­ tisches Amt Saarland 2019; Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen 2019; Statisti­ sches Landesamt Rheinland-Pfalz 2019; Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt 2019. 110 Es wird vermutete, dass einige Adressen fehlerhaft sind, da statt der Adresse des Schul­ standortes eine Postanschrift der Verwaltung hinterlegt war, Straßen umbenannt wurden und somit nicht mehr vom Geocoder des BKG gefunden wurden oder neue Straßen entstanden sind, welche noch nicht im Geocoder hinterlegt waren.

125

4.5 Bundeslandzuordnung

für diese Jahre die Information aus dem Jahr 2016/2017 verwendet. Da im Vergleich der Jahre nur wenige Schulen neu entstehen oder wegfallen, sollte diese Annäherung nicht allzu sehr ins Gewicht fallen. Tabelle 3: Qualität und jährliche Fallzahlen der geokodierten Schuladressen Ebene der Zuordnung der Adresse Jahr

Haus

Strasse

PLZ

Ort

2010/2011

30.162

214

1

27

2011/2012

30.205

202

1

22

2012/2013

31.692

179

1

12

2013/2014

31.293

165

0

9

2014/2015

30.592

151

0

16

2015/2016

30.455

138

0

15

2016/2017

30.243

134

0

10

2017/2018

17.311

109

0

5

2018/2019

5.636

12

0

2

Gesamt

237.589

1.304

3

118

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der geokodierten Adressen aller Schulen108 in Deutschland durch die GESIS (vgl. Müller et al. 2017)

4.5 Bundeslandzuordnung Das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) stellt Shapefiles111 in unterschiedlichen Projektionen mit unterschiedlicher Auflösung innerhalb der Nomenclature des Unités territoriales statistiques (NUTS) Systematik auf seiner Webseite112 zur Verfügung. Es wird das Shapefile mit dem Stand vom 31.12.2018 auf der NUTS-1 Ebene an verschiedenen Stellen der Berechnun­ gen verwendet (vgl. BKG 2019). Das Shapefile beschreibt die Staats- und Bundeslandgrenzen. Auf der NUTS-1-Ebene gibt es relativ wenige Verände­ rungen über die Zeit, so dass die Aktualität hier nicht besonders wichtig ist, da bundeslandspezifische Grenzziehungen sich sehr selten verändern. Bei feineren Aufgliederungen, bspw. NUTS-2 oder NUTS-3, also bei geogra­ fischem Zuschnitt von Regierungsbezirken, Städten und Landkreisen, ist dagegen mit jährlichen Veränderungen zu rechnen. Die räumliche Zuord­

111 Format zum Speichern von geografischen/vektoriellen Informationen und einer Attribut­ zuweisung. 112 https://www.bkg.bund.de/DE/Home/home.html

126

4. Datengrundlage

nung zu oder Begrenzung durch Bundeslandgrenzen wird im Zuge der Distanzberechnung und der Erstellung der Voronoi-Diagramme verwendet.

5. Operationalisierung Die in dieser Arbeit genutzten Daten und die kleinsträumige Operationa­ lisierung des sozialräumlichen Kontextes mittels der k-Nächsten-NachbarnMethode (kNN) (vgl. Koch 2016: 20) in Anlehnung an das Vorgehen von Hennerdal und Nielsen (2017) und der Nutzung einer Annäherung der als relevant erachteten Schulsprengel der Grundschule, stellen ein Novum in der Nachbarschaftseffektforschung in Deutschland dar113. Die Arbeit mit den Geokoordinaten der SOEP-Haushalte sowie die Art der Operationali­ sierung des sozialräumlichen Kontextes macht ein separates Vorgehen zur Erstellung der räumlichen Indikatoren und der Operationalisierung der Be­ fragungsdaten (vgl. SOEP v35 2018) aus datenschutzrechtlichen Gründen notwendig (vgl. SOEP Group 2020a; Goebel; Pauer 2014). Dies beiden Schritte der Operationalisierung werden in den beiden nächsten Abschnit­ ten in der inhaltlich notwendigen Reihenfolge detailliert beschrieben. Bei der Operationalisierung der räumlichen Daten und Indikatoren wird detail­ liert beschrieben, wie die verschiedenen Datensätze räumlich und inhaltlich miteinander in Beziehung gebracht werden, während bei der Operationa­ lisierung der Befragungsdaten die Darstellung der exakten Operationalisie­ rung der verschiedenen Variablen im Vordergrund steht. 5.1 Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes Die Punktkoordinaten der Mittelpunkte der flächendeckenden114 100x100Meter-Gitterdaten des Zensus 2011 (vgl. Destatis 2018) mit den dazugehöri­ gen Informationen über die Anzahl der privaten Haushalte innerhalb der Gitterzelle dienen als Grundlage für die Generierung der sozialräumlichen Kontexte um den Wohnstandort der SOEP-Haushalte und als Referenzwert zur proportionalen Herunterskalierung der Informationen aus den micromPLZ8-Daten für die Jahre 2011 bis 2017. Das Minimum an Haushalten pro 100x100-Meter Zensus-Gitterzelle beträgt drei und das Maximum 723 113 Nach aktuellem Wissensstand sind bis jetzt keine Versuche einer so aufwendigen und kleinräumigen Operationalisierung sozialräumlicher Kontexte für Deutschland im Kon­ text der Nachbarschaftseffektforschung unternommen worden. 114 Flächendeckend ist die Datenbasis für alle besiedelten Gebiete für ganz Deutschland. Lediglich Gitterzellen mit einzelnen Haushalten werden wie Gitterzellen ohne Haushalte klassifiziert. Die Gitterzellen müssen mindestens mit drei Haushalten besetzt sein, um dargestellt bzw. veröffentlicht werden zu können (vgl. Destatis 2018).

128

5. Operationalisierung

Haushalte. Der Mittelwert liegt bei 14 Haushalten und der Median bei acht. Insgesamt gibt es 37.343.591 Haushalte, welche sich auf 2.665.595 Gitterzellen verteilen. Dies sind 227.628 Haushalte weniger als in der offiziellen Angabe des Zensus 2011 zum Stichtag (09.05.2011). Diese Abweichun­ gen von 0,6 Prozent entstehen vermutlich aufgrund der Anwendung des Verfahrens zur sicheren Anonymisierung für Einzeldaten (SAFE-Verfahren) (vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2014; Höhne 2011). Die 100x100-Meter-Gitterdaten des Zensus 2011 (vgl. Destatis 2018) werden vom Wide-Format ins Long-Format transformiert und dabei eingekürzt. Lediglich die Anzahl der Haushalte, die Angabe zur Datenqualität und die Geokoor­ dinate werden als Variablen behalten. Die Koordinaten der unteren linken Ecke der Zensusgitterzelle sind im Coordinate Reference System (CRS) 3035 gespeichert. Durch eine einfache Addition des Koordinatenwertes mit 50 (der Hälfte der Seitenlänge) wird die Koordinate des Gittermittelpunktes berechnet. Von den microm-Daten115 werden die Informationen über die absolute Anzahl der privaten Haushalte und der Anteil der Haushalte im obersten und untersten Dezil der microm-Statusverteilung in den jeweiligen PLZ8Gebieten (vgl. microm 2020) verwendet. Diese liegen für die Jahre 2005 bis 2013 vor. Es werden die Daten der Jahre 2009 bis 2013 verwendet. Im Jahr 2011 gibt es auf Basis der PLZ8-Daten 40.810.070 Haushalte, was knapp neun Prozent mehr Haushalte sind, als auf Basis der Gitterdaten des Zensus 2011 berechnet bzw. ausgezählt wurde (vgl. Destatis 2018). Die Abweichung kann aufgrund der fehlenden Dokumentation der microm-Da­ ten nicht nachvollzogen werden116. Im Jahr 2011 liegt das Minimum an Haushalten innerhalb eines PLZ8-Gebietes bei einem Haushalt, der Median bei 467 Haushalten, der Mittelwert bei 497,4 Haushalten und das Maximum bei 3.118 Haushalten. Zudem gibt es 688 PLZ8-Gebiete, zu denen keine Informationen vorliegen. Im Jahr 2011 gibt es insgesamt 82.732 bzw. 82.044 PLZ8-Gebiete (ohne fehlende Werte), wobei die Anzahl über die Jahre leicht schwankt (vgl. Goebel; Hopp 2015: 31).

115 Die microm-Daten sind mit dem CRS WGS84 abgelegt (vgl. Goebel; Hopp 2015), werden jedoch ebenfalls auf das CRS 3035 transformiert. 116 Es scheint sich jedoch um ein bekanntes Phänomen zu handeln, da diese Abweichung zwischen amtlicher Statistik und privatwirtschaftlichen Geomarketingunternehmen un­ ter anderem auf der 13. wissenschaftlichen Tagung des Bundesamtes für Statistik in Zusammenarbeit mit dem ADM Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsin­ stitute e.V. und der Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute e.V. (ASI) am 27. und 28. Juni 2019 in Wiesbaden mehrfach diskutiert wurde (vgl. Klumpe et al. 2020).

5.1 Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes

129

Zur Annäherung der Anteile der Haushalte im obersten und untersten Dezil sowie der Gesamtzahl der Haushalte innerhalb der PLZ8-Gebiete für die Jahre 2014 bis 2017 wird für jedes einzelne PLZ8-Gebiet eine lineare Regression auf Basis der Werte der Jahre 2009 bis 2013 gerechnet. Ein solches Vorgehen findet sich auch bei Wodtke et al. (2011) unter Verwen­ dung der Zensustracks im US-amerikanischen Kontext wieder. Damit wird eine lineare Entwicklung angenommen und der Verlauf in die Zukunft projiziert. Falls Prognosen für den Anteil statushoher oder statusniedriger Haushalte Werte über eins oder unter null ergeben, werden diese durch den Mittelwert der Werte für die Jahre 2009 bis 2013 ersetzt. Unter der Annahme der zeitlichen Trägheit von sozialräumlichen Veränderungen (ca. zehn Jahre) (vgl. Tammaru et al. 2017: 5; van Ham et al. 2016: 8), besonders mit Bezug auf die Verteilung von statushohen und statusniedrigen Haushal­ ten, erscheint ein linearer Verlauf mit Blick auf die festgestellte Zunahme sozio-ökonomischer Segregation in Deutschland (vgl. Helbig; Jähnen 2018) als hinreichende Annäherung gerechtfertigt. Wenn für weniger als drei Jahre Werte vorliegen oder es keine Verände­ rung über die Jahre gibt, wird der Mittelwert verwendet. Für den Anteil der statusniedrigen Haushalte trifft dies auf 53.300 PLZ8-Gebiete über alle fünf Jahre zu – was die Trägheit von räumlichen Veränderungen unterstreicht. Das durchschnittliche R-Quadrat der Regression beträgt 83,35 – mit allen Datenpunkten. Ohne die eingesetzten Mittelwerte, deren R-Quadrat auf eins gesetzt wird, beträgt das R-Quadrat noch 56,42. Über alle fünf Jahre wird in 45.145 PLZ8-Gebieten der Mittelwert für den Anteil der statushohen Haushalte verwendet, da für weniger als drei Jahre Werte vorliegen oder es keine Veränderung über die Jahre gibt. Das R-Quadrat der Regression be­ trägt 78,04 mit allen Datenpunkten und ohne die eingesetzten Mittelwerte 53,84 bei 37.587 PLZ8-Gebieten. Für die absolute Anzahl an Haushalten wird in 2.388 PLZ8-Gebieten der Mittelwert statt der Prognose durch die Regression verwendet. Das R-Quadrat beträgt 58,5 mit allen Datenpunkten und ohne die eingesetzten Mittelwerte beträgt das R-Quadrat noch 57,47 bei 80.394 PLZ8-Gebieten. Die Punktkoordinaten der Zensusgitter werden mit den microm-PLZ8Gebieten (vgl. microm 2020) räumlich überlagert, wobei die PLZ8-Gebiete so herunterskaliert werden, dass die Information über den Anteil der status­ hohen und statusniedrigen Haushalte sowie der Gesamtzahl der Haushalte aus den PLZ8-Gebieten auf die Punktkoordinaten der 100x100-Meter-Gitter proportional zum Stand von 2011 übertragen wird. Mit diesem Vorgehen werden keine Neubaugebiete oder anderweitig entstandenen oder weggefal­ lenen Wohngebiete über den Zeitraum von 2011 bis 2017 berücksichtigt. Die Siedlungsstruktur bleibt auf dem Stand der Zensusgitter aus dem

130

5. Operationalisierung

Jahr 2011. Mit diesem Vorgehen werden also keine neuen Informationen ge­ schaffen, jedoch wird die räumliche Auflösung der Daten verbessert. Dies wird in der achten Abbildung (vgl. Abbildung 8) deutlich, welche die PLZ8Gebiete für die Stadt Hamburg mit den überlagerten Zensuskacheln für den Anteil statushoher und statusniedriger Haushalte darstellt. Neben der un­ gleichen Verteilung von hohen Anteilen statushoher und statusniedriger Haushalte in Hamburg wird auch deutlich, dass große Flächen gar keine pri­ vaten Haushalte beinhalten. Das Hafengebiet, der Flughafen und Parks bil­ den hierbei nur einige gut erkennbare räumliche Strukturen, welche bei einer großräumigen Operationalisierung keine hinreichende Berücksichti­ gung finden würden. Nicht besiedelte Flächen werden damit nicht nur sichtbar, sondern Distanzen, welche als Annäherung an die Wahrscheinlich­ keit für soziale Interkation verwendet werden und damit die Voraussetzung für das Wirken von sozial-interaktiven Mechanismen sind (vgl. Hipp; Perrin 2009; McPherson et al. 2001), werden in ihrer Relevanz besser berücksich­ tigt. Es wird damit deutlich, dass die Annahme einer homogenen Verteilung innerhalb der PLZ8-Gebiete oder anderer noch großräumigerer Operationa­ lisierung von sozialräumlichen Kontexten zu Problemen führt (vgl. Ab­ schnitt 2.3). Die PLZ8-Gebiete werden zudem durch Überlagerung mit den NUTS-1-Gebieten (vgl. BKG 2019) einem Bundesland zugeordnet (vgl. Ab­ schnitt 4.1). Abbildung 8: Verbesserte räumlichen Auflösung durch die Überlagerung der microm-PLZ8Gebiete und der 100x100-Meter-Gitterdaten des Zensus 2011 am Beispiel der Stadt Hamburg

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der microm-Daten (PLZ8) (Goebel; Hopp 2015; microm 2020, 2019), der 100x100-Meter-Gitterdaten des Zensus 2011 (Destatis 2018) und der Daten des Bundesamt für Kartogra­ phie (BKG 2019)

5.1 Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes

131

Ausgehend von den Geokoordinaten der SOEP-Haushalte werden nun ego­ zentrierte sozialräumliche Kontexte in unterschiedlichen Skalierungen auf Basis der k-Nächsten-Nachbarn-Methode (kNN) (vgl. Koch 2016: 20) in An­ lehnung an das Vorgehen von Hennerdal und Nielsen (2017)117 geschaffen. Dabei werden auch die durch Überlagerung generierten flächendeckenden Daten für die Jahre 2010 bis 2017 berücksichtigt und schließlich der An­ teil der statushohen und statusniedrigen Haushalte in diesen Kontexten bestimmt118. Hierbei verhalten sich größere Skalierungen aufgrund der klei­ nen räumlichen Auflösung annähernd wie echte Punktdaten (vgl. Nielsen; Hennerdal 2017: 77 f.). Mithilfe der k-Nächsten-Nachbarn-Methode werden sozialräumliche Kontexte generiert, die mit Blick auf die Anzahl der sie beinhaltenden Haushalte, nicht aber mit Blick auf die geografische Ausdeh­ nung (Fläche) vergleichbar sind. Die Werte für den Skalierungsfaktor k werden in Anlehnung an Hennerdal und Nielsen (2017) auf Grundlage des ursprünglichen Vor­ schlags der inhaltlichen Zuordnung der Werte von Östh et al. (2014: 15) gewählt119. Wie in anderen Studien auch (vgl. Petrović et al. 2021; Goebel; Hopp 2015: 41) bleibt die Frage jedoch vorerst offen, ob es sich hier um die richtigen Skalierungen handelt.

117 Ohne jedoch die Segregation mittels der hypergeometrischen Verteilung aus Analyseund Referenzkontext zu berechnen (vgl. Hennerdal; Nielsen 2017). 118 In einem ersten Schritt werden die 17.000 nächsten Zensusgitter bestimmt und auf dieser Basis dann die jeweilige Anzahl der k-Nächsten-Nachbarhaushalte ausgezählt. Dieses Vorgehen erhöht die Geschwindigkeit der Berechnung. 119 Bei Östh et al. (2014) handelt es sich um die k-Nächsten-Nachbarn. In der Berechnung dieses Beitrags jedoch um die k-Nächsten-Nachbarhaushalte. Zur Anwendung der inhalt­ lichen Interpretation werden zwei Personen je Haushalt angenommen.

132

5. Operationalisierung

Tabelle 4: Mögliche inhaltliche Einordnung der Werte der k-skalierten sozialräumlichen Kontexte in Anlehnung an Östh et al. (2014)

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Östh et al. (2014) sowie Nielsen und Hennerdal (2017)

Zudem wird ausgehend von der Geokoordinate des SOEP-Haushaltes die Luftliniendistanz zum nächsten öffentlichen Gymnasium, welches im sel­ ben Bundesland wie der jeweilige SOEP-Haushalt liegt und im letzten Grundschuljahr existiert berechnet120. Bei der Luftliniendistanz werden kei­ nerlei Barrieren und Hindernisse (Gewässer, Straße etc.) berücksichtigt. Sämtliche Schritte der räumlichen Überlagerung der verschiedenen Daten sowie der iterativen Berechnung der k-Nächsten-Nachbarhaushalte für alle SOEP-Haushalte (bzw. deren Koordinaten) werden mithilfe von R (vgl. R Core Team 2021) und unter Verwendung diverser121 zusätzlicher Pakete in einem von den SOEP-Befragungsdaten getrenntem System durch­ geführt (vgl. SOEP Group 2020a; Goebel; Pauer 2014). Die Berechnungen müssen für alle SOEP-Koordinaten inkl. eingefügter Dummys zur Wahrung des Datenschutzes durchgeführt werden. Lediglich eine Selektion nach Er­ 120 Die Berechnung von Reisezeiten wäre an dieser Stelle besser geeignet ist jedoch aufgrund der datenschutzrechtlichen Bedingungen am DIW nicht möglich. 121 Folgende zusätzliche Pakete werden, jeweils in der zum Zeitpunkt der Berechnung ak­ tuellsten Version (12.06.2021 und 18.11.2021), neben R (vgl. R Core Team 2021) zur Berechnung und Überlagerung verwendet: readstata13 (vgl. Garbuszus; Jeworutzki 2018), RANN (vgl. Arya et al. 2021), dplyr (vgl. Wickham et al. 2021), tibble (vgl. Müller; Wickham 2021), data.table (vgl. Dowl; Srinivasan 2020), doParallel (vgl. Microsoft Corporation; Weston 2019) und foreach (vgl. Microsoft Corporation; Weston 2020).

5.1 Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes

133

hebungsjahr ist möglich, was die Fallzahl von 764.447 auf 461.556 Fälle reduziert. Hierbei wird zu großen Teilen parallel auf 18 Prozessoren gear­ beitet, um die Zeit der Berechnungen in einem vertretbaren Rahmen zu halten122. Die verschiedenen Schritte der Operationalisierung und die ver­ schiedenen Datenquellen sind in der neunten Abbildung (vgl. Abbildung 9) nochmals visuell zusammengefasst. Die Informationen zum Anteil der statushohen und statusniedrigen Haushalte innerhalb der verschiedenen Skalierungen der sozialräumlichen Kontexte und die Distanzen zum nächsten öffentlichen Gymnasium inner­ halb des Bundeslandes werden am Ende an das Analysesample des SOEPs unter Wahrung des Datenschutzes und der Geheimhaltung angespielt (vgl. SOEP Group 2020a; Goebel; Pauer 2014) und können dann als zusätz­ liche Variablen mit in die Analysen einfließen.

122 Die Berechnungen zur Generierung der flächendeckenden geografischen Grundlage und der anschließenden Berechnung der absoluten Anzahl sowie Anteile der Statushaushalte in den verschiedenen Skalierungen, dauert unter diesen Bedingungen etwa 24 Stunden.

Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 9: Operationalisierung der räumlichen Daten und der Berechnung der Anteile statushoher und statusniedriger Haushalte auf Basis der k-Nächsten-Nachbar-Methode

134 5. Operationalisierung

5.1 Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes

135

5.1.1 Schulsprengel und Distance-Decay-Funktion Aus der theoretischen Argumentation im zweiten Abschnitt (vgl. Abschnitte 2 & 2.6) wird deutlich, dass auch andere als kreisförmige, egozentrierte sozialräumliche Kontexte relevant sein können. Grundschulsprengel werden als potenziell stark strukturierende räumliche Zuschnitte verstanden, da diese die potenziellen sozialen Interaktionen des Kindes wie auch der Eltern beeinflussen können. Da es keine flächendeckenden geografischen Daten über die räumlichen Zuschnitte der Grundschulsprengel gibt123, werden diese mittels Voronoi-Diagrammen (vgl. Aurenhammer; Klein 2000) ange­ nähert. Dieses Vorgehen folgt der gleichen inhaltlichen Argumentation der Relevanz des Schulsprengels wie bspw. bei Helbig (2010), wird jedoch als exaktere Annäherung an die tatsächliche Ausdehnung des Schulsprengels verstanden. Denn das Vorgehen bei der Erstellung der jahresspezifischen und an den Landesgrenzen eines jeden Bundeslandes orientierten VoronoiFlächen für jede einzelne Grundschule erfüllt die theoretische Zielsetzung der Kultusministerkonferenz (KMK), die Grundschule als „möglichst wohn­ ortnahes Bildungsangebot“ (vgl. KMK 2015 (1970): 5) zu konzipieren besser. Abbildung zehn (vgl. Abbildung 10) stellt die Voronoi-Flächen für das Jahr 2016 für einen kleinen Ausschnitt des Bundeslandes Bayern dar. Zum Vergleich können die Schulsprengel der Grundschulen für das Jahr 2016 auf dem Geoportal Bayern eingesehen werden (vgl. Landesamt für Digitali­ sierung, Breitband und Vermessung 2022)124. Hierbei werden eine große Überlappung und geringe Abweichungen von der Operationalisierung mit­ tels der Voronoi-Diagramme deutlich.

123 Das Bundesland Bayern arbeitet an der Bereitstellung solcher Daten. 124 Die Nutzungsbedingungen des Geoportals Bayern und des BayernAtlas erlauben keine Darstellung von Auszügen.

136

5. Operationalisierung

Abbildung 10: Visuelle Überprüfung der Angemessenheit einer Annäherung der Grundschulsprengel mittels Voronoi-Flächen

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Geokoordinaten aller Grundschulen in Bayern (Bayerisches Landes­ amt für Statistik 2019) sowie der Bundeslandgrenzen (NUTS 1) (BKG 2019)

In einem ersten Schritt werden Voronoi-Diagramme auf Basis jeder Geoko­ ordinate einer öffentlichen Grundschule unter Berücksichtigung der Bun­ deslandgrenzen für jedes Jahr generiert. Die 16 bundeslandspezifischen Voronoi-Diagramme werden sodann jahresspezifisch zu separaten flächendeckenden Shapefiles zusammengefügt. Die entstehenden Voronoi-Flächen, welche die Annäherung an den Schulsprengel der jeweiligen Grundschu­ le darstellen, werden ausgehend von einem Zentrum (Geokoordinate einer Grundschule) so gebildet, dass alle Punkte innerhalb der VoronoiFlächen näher an diesem Zentrum liegen als an allen anderen Zentren (vgl. Aurenhammer; Klein 2000: 240 ff.). In einem zweiten Schritt wird jedem SOEP-Haushalt der Anteil der statushohen und statusniedrigen Haus­ halte der Voronoi-Fläche übergeben, in dessen Fläche sich der jeweilige SOEP-Haushalt im jeweiligen Jahr befindet. Bei dieser Art der Operationa­ lisierung variiert sowohl die räumliche Ausdehnung des sozialräumlichen

5.1 Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes

137

Kontextes als auch die Anzahl der sie beinhaltenden Haushalte. Aus diesem Grund wird, anders als bei der Operationalisierung der sozialräumlichen Kontexte, mittels einer kreisförmigen, egozentrierten Operationalisierung auf Basis der Anzahl der k-Nächsten-Nachbarhaushalte eine Distance-DecayFunktion angewandt, um so die Relevanz der räumlichen Nähe und die unterschiedliche Anzahl an Haushalten zu adressieren. Es wird somit auf­ bauend auf den Ergebnissen bzw. dem Vorgehen von Petrović et al. (2021) sowie Goebel und Hopp (2015) der Anteil der jeweiligen Statusgruppe mit einer Distance-Decay-Funktion, ausgehend von der Geokoordinate des jeweiligen SOEP-Haushaltes, gewichtet. Bei der Gewichtung der Fälle mit­ tels einer Distance-Decay-Funktion werden die Fälle in Abhängigkeit der Dis­ tanz unterschiedlich gewichtet, so dass Toblers erstem Gesetz der Geografie folgend nahe Dinge relevanter sind als entfernte (vgl. Tobler 1970: 236). Dieser Zusammenhang von Distanz und sozialer Interaktion wird auch von einigen Studien aufgezeigt (vgl. Kruse et al. 2016). Es wird eine Distance-Decay-Funktion auf Basis des Normalverteilungs­ kernels mit einer Standardabweichung von 500 verwendet. Dies scheint inhaltlich am sinnvollsten zu sein, da hier viele nahe Haushalte eine hohe Relevanz haben und die Relevanz erst ab einer gewissen Distanz stark ab­ nimmt (vgl. Hillmert 2018). Abbildung 11: Verwendete Distance-Decay-Funktion

Quelle: Eigene Darstellung

138

5. Operationalisierung

Die Relevanz der expliziten Berücksichtigung von Distance-Decay-Funktio­ nen bei der Berechnung von Effekten der sozialen Komposition eines rele­ vanten sozialräumlichen Kontextes soll mit diesem Vorgehen überprüft wer­ den. Denn es kann unter anderem der Argumentation von Hartung und Hillmert (2019) gefolgt werden, wonach mit Vergrößerung des Radius der Einfluss der einzelnen Einheiten schwinden mag, jedoch die Anzahl der Einheiten (durch die Vergrößerung der Fläche) ansteigt. Somit sind immer mehr Haushalte vorhanden, deren Relevanz sinkt jedoch. Das sollte zu einem konstanten Effekt über verschiedene Radien führen, so dass eine ex­ plizite Berücksichtigung nicht sinnhaft erscheint. Die Ergebnisse von Petrović et al. (2021) weisen hier jedoch in eine andere Richtung. 5.2 Operationalisierung der Befragungsdaten Basis der Analyse potenzieller Effekte der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes auf die Wahrscheinlichkeit, nach Grundschule das Gymnasium zu besuchen, sind die Daten des Sozio-oeko­ nomischen Panels der Jahre 2010 bis 2018 (vgl. SOEP v35 2018). Das Analysesample besteht aus allen Kindern, bei denen ein Übergang von der Grundschule in eine weiterführende Schulform in zwei konsekutiven Jahren im Zeitraum von 2010 bis 2018 beobachtet werden kann und zu denen alle benötigten Informationen vorliegen (Complete Case Analysis125). Berücksichtigt werden auch Beobachtungen, wenn zwischen den Beobach­ tungszeitpunkten eine Lücke von einem Jahr liegt. Entweder waren die Kinder zum Zeitpunkt der ersten Befragung noch in der dritten Klasse, haben die vierte Klasse wiederholt und wurden nicht befragt oder wurden erst wieder in der sechsten Klasse Teil der Befragung. Es handelt sich nicht um eine Panelanalyse, auch wenn Informationen von zwei Zeitpunkten (t1 = Ende der Grundschulzeit / t2 = realisierte Bildungswahlentscheidung Sekundarstufe I) verwendet werden. Es wird lediglich die Information über die realisierte Bildungswahlentscheidung an die Informationen im letzten Grundschuljahr angespielt. Die Fälle werden über den Zeitraum von 2010 bis 2018 gepoolt. Es wird keine Imputation fehlender Werte vorgenommen. 125 Einer solcher listenweise Ausschluss wäre erst dann problematisch, wenn das Fehlen einzelner Angaben in bestimmten Bevölkerungsgruppen überproportional häufig auftritt und so zu einer systematischen Verzerrung führen würde (vgl. Allison 2001). Eine Beob­ achtung hierbei ist, dass Familien mit einer niedrigen Bildung das Panel früher als andere Gruppen mit einer höheren Bildung verlassen (vgl. Siegers et al. 2020: 62 ff.). Eine solche Konstellation könnte zu einer leichten Überschätzung der Zusammenhänge führen.

5.2 Operationalisierung der Befragungsdaten

139

Die Kinder werden nicht selbst befragt, sondern die Eltern geben In­ formationen über das Kind (vgl. SOEP Group 2020a). Wenn von beiden Elternteilen Informationen zum Kind vorliegen, werden die Informationen, die durch die Mutter gegeben werden verwendet. Über das Zusammenfü­ gen der diversen Datensätze126 werden sowohl der beobachtete Übergang in die weiterführende Schule, Merkmale des Kindes und eine Vielzahl be­ schreibender Indikatoren des Herkunftshaushaltes im letzten beobachteten Grundschuljahr erhalten. Es werden alle Fälle ausgeschlossen, bei denen das Alter des Kindes auf einen nicht regulären Schulverlauf schließen lässt (Wiederholen oder Überspringen von Klassen). Damit werden alle Kinder ausgeschlossen, die älter als zwölf oder jünger als neun Jahre alt sind (201 Fälle). Ebenso werden Kinder, die in Anstaltshaushalten leben, von der weiteren Analyse ausgeschlossen, da diese Kinder aufgrund der besonderen Wohn- und Lebenssituation eine spezielle Berücksichtigung in den Analy­ sen benötigt hätten (104 Fälle). Weiter werden Fälle ausgeschlossen, die Inkonsistenzen bei der Angabe des Haushaltstyps aufweisen (17 Fälle). Es werden nur Kinder bzw. Fälle berücksichtigt, die auf eine öffentliche Grund­ schule sowie eine öffentliche weiterführende Schule gehen, da die theoreti­ sche Argumentation (vgl. Abschnitt 2) nur für diese Gruppe als zutreffend angesehen wird. Da die Frage zum rechtlichen Status der Schule nur alle zwei Jahre abgefragt wird, verbleibt hier eine gewisse Ungenauigkeit. Fälle, bei denen klar identifiziert werden kann, dass eine private, kirchliche oder gemeinnützige Grund- oder weiterführende Schule besucht wird, werden von der weiteren Analyse ausgeschlossen (542 Fälle). Fälle mit fehlenden Informationen werden jedoch behalten, da ein zu konservatives Vorgehen an dieser Stelle zu einem massiven Fallverlust führen würde. Aufgrund des Zeitraums (2010 bis 2018), in dem die Übergänge statt­ finden, ist die Nutzung von Hochrechnungsfaktoren schwierig, da die Grundgesamtheit mit jedem Jahr schwankt. Zudem handelt es sich um ein sehr selektives Sample, da die Informationen zum Kind, der realisier­ ten Bildungswahlentscheidung und Informationen zu den Eltern und dem gesamten Haushalt vorliegen müssen. Deshalb fällt die Entscheidung letzt­ endlich gegen eine Gewichtung mit Designgewichten und Hochrechnungs­ faktoren. Zudem finden sich nicht alle Ziehungssample des SOEP innerhalb dieses selektiven Samples wieder, womit die einfache Anwendung von De­ signgewichten nicht möglich erscheint. Die Sample sind zudem nicht über­ schneidungsfrei, so dass die sich daraus ergebenen veränderten Ziehungs­ 126 Folgende Datensätze wurden verwendet: ppathl.dta, kidlong.dta, hgen.dta, pequiv.dta, pgen.dta, microm.dta sowie die selbst generierten räumlichen Indikatoren, welche in R (vgl. R Core Team 2021) erstellt werden (vgl. Abschnitt 5.1).

140

5. Operationalisierung

wahrscheinlichkeiten erst in einer eigenen Anpassung an Randverteilungen korrigiert werden müsste (vgl. Kroh et al. 2015: 412 f.). Damit ist eine Verallgemeinerung der Ergebnisse (vgl. Abschnitt 6) auf die Grundgesamt­ heit nicht angemessen und die Aussagekraft beschränkt sich auf das Analy­ sesample selbst, jedoch können die Ergebnisse durchaus als Indikatoren für eine mögliche Tendenz innerhalb der Wohnbevölkerung in Deutschland dienen, ohne jedoch eine falsche Präzision oder Reichweite zu suggerieren. Die abhängige Variable stellt die beobachtete realisierte Bildungswahl­ entscheidung am Ende der Grundschulzeit im Übergang zur Sekundarstufe I dar und ist die einzige Variable, deren Wert sich auf die zweite Befragung (t2) bezieht. Alle weiteren erklärenden Variablen beziehen sich auf die erste Befragung, die vor der realisierten Bildungswahlentscheidung stattgefunden hat (t1). Die abhängige Variable wird dichotomisiert, wobei die Eins die Wahl der Schulform Gymnasium darstellt, während die Null die Wahl einer anderen Schulform darstellt. Anders als bspw. bei Neugebauer et al. (2013) werden uneindeutige127 Schulformen nicht von der Analyse ausgeschlossen. Dies ist für die kommenden Analysen nicht notwendig, da nicht die Ent­ scheidung hinsichtlich spezifischer Schulformen analysiert wird und nicht hinsichtlich vermeintlicher Bildungsziele, sondern der potenzielle Effekt, den die soziale Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule die eigenständige Schul­ form des Gymnasiums zu besuchen, hat. Die Kontrollvariablen, welche später in die verschiedenen Propensity-Score-Modelle eingehen, sind wie folgt operationalisiert: Das Bundesland wird als kategoriale Variable mit einbezogen und dient zur Kontrolle der bundeslandspezifischen Unterschiede bei den schulrechtli­ chen Regelungen (vgl. Abschnitt 2.1). Anders als in einigen anderen empiri­ scher Analysen zur Bildungswahlentscheidung (mit oder ohne räumlichen Bezug) wird nicht auf die Schichtklassifikation nach Erikson, Goldthrope und Portocarero (EGP-Klassen) (vgl. Erikson et al. 1979) zurückgegriffen. In den vorliegenden Analysen werden anstelle der EGP-Klassifikation einzel­ ne Komponenten dieser verwendet, um ein klareres Bild über die Zusam­ menhänge zu erhalten. Eine Verwendung der EGP-Klassen würde zudem zu einer weiteren Reduktion des Analysesamples führen, da nur Haushal­ ten, welche erwerbstätig sind, eine EGP-Klasse im SOEP zugewiesen wird. Es wird stattdessen die höchste formale Bildung innerhalb des Herkunftshaushaltes, auf Basis des Dominanzmodells aus Mutter und Vater/Partner (vgl. Korupp et al. 2002: 19 f.) auf Basis der CASMIN-Klassifikation (Com­ parative Analysis of Social Mobility in Industrial Nations) (vgl. Müller et 127 Schulformen wie Gesamt- und Gemeinschaftsschulen.

5.2 Operationalisierung der Befragungsdaten

141

al. 1989; Lüttinger; König 1988) verwendet. Die CASMIN-Klassifikation verfolgt das Ziel, eine Bildungsklassifikation zu entwickeln, die die unter­ schiedlichen Bildungsstufen als Selektionskriterium im Prozess der gesell­ schaftlichen Klassen- bzw. Schichtenbildung sowie der sozialen Mobilität darstellen kann (vgl. Brauns et al. 2003; Lüttinger; König 1988). Die neun­ stufige CASMIN-Klassifikation (vgl. Brauns et al. 2003: 223) wird zu einer dreistufigen Klassifikation zusammengefasst. Hierbei werden die drei aus­ differenzierten CASMIN-Klassifikationen eins, zwei und drei jeweils zusam­ mengeführt. Das gesamte Nettoeinkommen des Haushaltes (vgl. Grabka 2019: 37) wird inflationsbereinigt und bedarfsgewichtet128. Die Wohndauer am Wohnort wird als Anteil der Lebenszeit des Kindes, ausgehend vom Zeitpunkt des ersten Interviews (t1), berechnet. Das Geschlecht des Kindes fließt als dichotome Variable mit den Ausprägungen männlich (0) und weiblich (1) ein. Der Migrationshintergrund des Kindes ist als kategoria­ le Variable mit drei Ausprägungen operationalisiert und differenziert zwi­ schen direktem (1), indirektem (2) und keinem Migrationshintergrund (0) (vgl. SOEP Group 2020b: 29 f.). Der Haushaltstyp wird dichotomisiert und unterscheidet zwischen Paar- bzw. Familienhaushalten (1) und alleinerzie­ henden Haushalten (0). Die Anteile der statushohen und statusniedrigen Haushalte in den ver­ schiedenen Skalierungen des egozentrierten sozialräumlichen Kontextes so­ wie der Annäherung an die Grundschulsprengel mittels Voronoi-Flächen, deren Effekte in jeweils eigenen Modellen berechnet werden129, werden auf Basis von Schwellenwerten für jede Skalierung als separate dichotom operationalisierte Variable unter Kontrolle des jeweils anderen Anteils (me­ trisch) in das Modell mit aufgenommen. Die Anteilswerte beschreiben da­ mit die soziale Komposition des sozialräumlichen Kontextes zum Zeitpunkt der letzten Beobachtung des Besuchs der Grundschule (t1). Der theoreti­ schen Argumentation dieser Arbeit folgend (vgl. Abschnitt 2) sollten die familiären und sozialräumlichen Bedingungen des Aufwachsens bis zur Bil­ dungswahlentscheidung (Ursache) diese über verschiedene Mechanismen beeinflussen und sich im Ergebnis (der Bildungswahlentscheidung) mani­ festieren (Wirkung). Die sozialräumlichen Bedingungen des Aufwachsens 128 Auf Basis der Berechnung der modifizierten OECD-Äquivalenzgewichte. „Sets a single adult to be 1.0, each additional adult to be 0.5, and each child to be 0.3” (Grabka 2019: 37). 129 Es werden niemals mehrere Skalierungen der gleichen Statuskomposition mit in die Mo­ delle aufgenommen, sondern es werden eigene Modelle für jede Skalierung berechnet, da es ansonsten zu einem Multikollinearitätsproblem kommen würde, da die höhere Skalierung immer auch Teile der Information der kleineren Skalierung beinhaltet.

142

5. Operationalisierung

werden über einen Zeitpunkt angenähert. Empirische Analysen legen nahe, dass dieses Vorgehen angemessen ist (vgl. Kunz et al. 2003), da sozialräum­ liche Veränderungen stets langsame Prozesse sind, welche erst mit einem großen zeitlichen Versatz zu beobachten sind (vgl. Tammaru et al. 2017: 5; van Ham et al. 2016: 8). Im Kontext der sozial-interaktiven Mechanismen, welche als ursächliche Mechanismen zur Erklärung möglicher Effekte der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes auf die Bildungswahlentscheidung angenommen werden (vgl. Galster 2012; Jencks; Mayer 1990), ist zudem nicht davon auszugehen, dass ggf. plötzlich auftretende Veränderungen der sozialen Komposition innerhalb des relevanten sozialräumlichen Kontextes einen sofortigen Effekt haben. Die Entstehung von Unterkünften für geflüchtete Menschen ab ca. Mitte 2015, welche die soziale Komposition einzelner Gebiete stark verändert haben sollte, kann als eine solche plötzlich auftretende Veränderung angenommen werden. Dennoch bleibt diese Annäherung hinter der Forderung von bspw. Blossfeld und Müller (1996) zurück, die eine exakte Darlegung der Veränderung der strukturellen Bedingungen in Raum und Zeit fordern, um einen ein­ deutigen und systematischen Bezug zwischen sozialen Kontexten und Hand­ lungssituationen aufzuzeigen. Denn nicht nur momentane sozialräumliche Kontexte sind relevant, sondern auch zeitlich vorgelagerte (vgl. Wodtke et al. 2011) und auch andere vorgelagerte Institutionen wie bspw. der Besuch von Kindertageseinrichtungen (frühkindliche Angebote) spielen eine Rolle. Ab einem Alter von einem Jahr gewinnt deren Nutzung bei der Betreu­ ung der Kinder extrem an Bedeutung (vgl. Autorengruppe Bildungsbericht­ erstattung 2020: 86 ff.). Die hier erfahrene Prägung ist jedoch abermals maßgeblich durch die soziale Komposition des sozialräumlichen Kontextes bestimmt, da auch bzw. besonders frühkindliche Bildungsangebote häufig wohnortnah genutzt werden. Eventuelle Umzüge und damit veränderte Be­ dingungen können jedoch nicht berücksichtigt werden. Jeweils für den Anteil statushoher sowie statusniedriger Haushalte in­ nerhalb der jeweiligen Skalierung des sozialräumlichen Kontextes (inkl. Schulsprengel) werden dichotome Variablen mit den in Tabelle fünf (vgl. Tabelle 5) dargestellten Schwellenwerten gebildet. Diese Variable stellt so­ mit das Treatment dar, dessen Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, analysiert wird. Die Kontrollbzw. Referenzgruppe ist, bis auf den ersten Schwellenwert, immer identisch, so dass inhaltliche Vergleiche möglich sind. Für jede Skalierung des sozial­ räumlichen Kontextes bzw. dessen soziale Komposition werden die Effekte für alle Schwellenwerte berechnet, so dass sich aus der Kombination aus Skalierung und Schwellenwert die Anzahl der Berechnungen bzw. Ergebnis­

143

5.2 Operationalisierung der Befragungsdaten

se ergibt. Hinzu kommen 50 bis 100130 Bootstrap-Iterationen (vgl. Mooney; Duval 1993) zur Bestimmung der Konfidenzintervalle für jede Berechnung. Weitere Variablen, welche im DAG (vgl. Abschnitt 3.3.1) aufgezeigt sind, jedoch zur unverzerrten Schätzung des kausalen Effektes nach dem BackDoor-Criterion nicht notwendig sind, fließen nicht in die Analysen mit ein. Tabelle 5: Definierte Schwellenwerte der Anteile statushoher und statusniedriger Haushalte

Kontrollgruppe (T=0) 25 %

Quelle: Eigene Darstellung

Die Operationalisierung bleibt damit ein Stück hinter den Forderungen, welche im theoretischen Rahmen beschrieben werden, zurück. Doch spie­ gelt sie die empirische Machbarkeit auf Basis der zur Verfügung stehenden Daten im Kontext einer Dissertation wider. Das Fehlen von wichtigen Infor­ mationen bzw. Variablen führt dazu, dass lediglich der totale Effekt und nicht, wie eigentlich angestrebt, die einzelnen, im theoretischen Rahmen dargestellten Mechanismen (Pfade) überprüft werden. Sämtliche Schritte der Operationalisierung und auch der späteren Berechnungen mithilfe des PSM-Verfahrens werden mithilfe der Stata Version 17mp (vgl. StataCorp. 2021) unter Zuhilfenahme einiger Ados durchgeführt bzw. erstellt131. Um die Vielzahl an Schritten und die damit verbundene Menge an Stata-Code effizient und fehlerfrei zu handhaben, wird sich an Long (2009) orientiert. 130 Die Konfidenzintervalle der Punktschätzer der k-skalierten sozialräumlichen Kontexte werden mit 100 Bootstrapp-Iterationen berechnet, während die Konfidenzintervalle der Punktschätzer der Annäherung an den Schulsprengel mittels Voronoi-Flächen lediglich mit 50 Iterationen berechnet werden. 131 Folgende Stata Ados werden verwendet: estout, boxtid, psmatch2, fitstat, asdoc, mhbounds, rbounds.

6. Ergebnisse Der Zusammenhang der sozialen Komposition eines relevanten sozialräum­ lichen Kontextes mit der Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule die Schulform des Gymnasiums zu besuchen, wird in insgesamt elf Skalierun­ gen bzw. Operationalisierungen potenziell relevanter sozialräumlicher Kon­ texte, unter Berücksichtigung von acht Schwellenwerten (vgl. Tabelle 5), der Wohndauer und in Abhängigkeit des Anteils statushoher und status­ niedriger Haushalte unter Kontrolle des Anteils der jeweils anderen Status­ gruppe berechnet (vgl. Abschnitt 5.1). Zur Überprüfung der vermuteten heterogenen Effekte der sozialen Komposition werden die Analysen zusätz­ lich differenziert nach dem höchsten formalen Bildungsabschluss innerhalb des Herkunftshaushaltes durchgeführt. Hernán (2018) folgend wird bei der Ergebnisdarstellung und Beschreibung weitestgehend132 korrelative Sprache verwendet, da durchschnittliche Gruppenunterschiede zwischen Treatmentund Kontrollgruppe dargestellt werden (vgl. Abschnitt 3.1), welche erst im Zuge der inhaltlichen Einordnung aufgrund des Vertrauens in die Metho­ denwahl, die Auswahl der Kontrollvariablen, der erreichten Balance und der Sensitivitätsprüfung (vgl. Abschnitt 6.3.1) kausal interpretiert werden können. Hierbei bezieht sich die kausale Interpretation der Ergebnisse und die Reichweite der Aussagen erst einmal auf das Analysesample. Eine wei­ terreichende Interpretation bzw. die mögliche Inferenz der Ergebnisse auf die Gruppe aller Haushalte mit den spezifischen Eigenschaften innerhalb Deutschlands wird in der abschließenden Gesamtbetrachtung in den Ab­ schnitten 6.5 und sieben vorgenommen. Wie im theoretischen Rahmen (vgl. Abschnitt 2) ausgeführt, wird von zwei Wirkpfaden ausgegangen. Zum einen werden Effekte der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes auf Basis sozial­ räumlicher primärer Effekte erwartet. Diese führen zu einer Veränderung der Schulleistung in Abhängigkeit der sozialen Komposition aufgrund einer veränderten Ausstattung mit materiellen und immateriellen bildungsrele­ vanten Ressourcen innerhalb des relevanten sozialräumlichen Kontextes. Zum anderen werden sozialräumliche sekundäre Effekte erwartet, welche unter anderem über normative Einflüsse und Informationen die haushalts­ interne Kosten-Nutzen-Kalkulation beeinflussen und das Verhalten des Kin­ des in Bezug auf den Bildungserfolg verändern können. Diese beiden Pfa­ 132 In Fällen, in denen eine korrelative Sprache zu sehr umständlichen Sätzen führt, wird darauf verzichtet, um eine bessere Lesbarkeit zu erreichen.

146

6. Ergebnisse

de können aufgrund fehlender bzw. nicht beobachteter Variablen nicht dif­ ferenziert analysiert werden (vgl. Abschnitt 3.3), so dass es sich bei den dar­ gestellten Effekten um den totalen Effekt der sozialen Komposition eines re­ levanten sozialräumlichen Kontextes auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, handelt. Es wird zudem nur der Average Treatment Effect on the Treated (ATT) dargestellt und interpretiert (vgl. Abschnitt 3.1). Ausgewählte Ergebnisdarstellungen des Average Treat­ ment Effect (ATE) finden sich im Anhang (vgl. Abbildung 37, 38, 39 sowie Tabellen 27 & 28). Generell führt deren inhaltliche Interpretation bei einer leichten Variation der Größe der Unterschiede zwischen Treatment- und Kontrollgruppe zu substanziell ähnlichen Ergebnissen. Einer hierarchischen Logik folgend – vom Allgemeinen zum Speziel­ len – werden die Ergebnisse der Analysen in den nächsten Abschnitten dargestellt. In einem ersten Schritt wird das verwendete Analysesample de­ skriptiv in seiner Verteilung über die verschiedenen relevanten Variablen so­ wie differenziert nach dem höchsten formalen Bildungsabschluss innerhalb der Herkunftshaushalte dargestellt. Dem folgt eine detaillierte Darstellung aller Berechnungsschritte für eine ausgewählte Skalierung und einen ausge­ wählten Schwellenwert, um die spätere Einordnung der sehr kompakten Ergebnisdarstellung zu vereinfachen. Denn die Ergebnisse der Berechnun­ gen mittels des PSM-Verfahrens werden, um eine bessere Vergleichbarkeit und vor allem Übersichtlichkeit bei der Vielzahl der Analyseergebnisse zu erreichen, in visualisierter Form dargestellt. Diese Darstellungsform steht zudem im Einklang mit dem Ziel dieser Arbeit und den verwendeten Daten und Methoden, da keine falsche Präzision bei der Interpretation der Ergeb­ nisse durch die Angabe allzu exakter Punktschätzer suggeriert werden soll (vgl. Abschnitt 7.1). Die Darstellungsform verweist damit abermals auf die empirische Machbarkeit bei der gegebenen Datenlage. Als Erstes werden die Ergebnisse der nicht nach Bildungsgruppen dif­ ferenzierten Berechnung dargestellt. Diese werden dann einer Sensitivitäts­ analyse unterzogen und sodann mit Rückbezug auf die in Abschnitt 2.6 for­ mulierten Hypothesen inhaltlich eingeordnet. Demselben Schema folgend werden danach die nach Bildungsgruppen differenzierten Ergebnisse darge­ stellt. 6.1 Deskriptive Darstellung des Analysesamples Das Analysesample besteht aus Daten zu allen Kindern und deren Haushal­ ten aus dem SOEP (vgl. SOEP v35 2018), für welche im Zeitraum von 2010 bis 2018 ein Wechsel von der Grundschule (t1) auf eine weiterführen­

147

6.1 Deskriptive Darstellung des Analysesamples

de Schule (t2) in zwei konsekutiven Jahren (n = 4.093) oder mit einer Beob­ achtungslücke von einem Jahr (n = 291)133 beobachtet werden kann. Somit besteht das Analysesample unter Berücksichtigung der ausgeschlossenen Fälle (vgl. Abschnitt 5.2) aus N = 4.384 vollständigen Fällen. Von den 4.384 beobachteten Kindern haben 1.747 Kinder die Schulform Gymnasium und 2.637 Kinder eine andere Schulform (inkl. Gesamtschule) nach der Grundschule besucht. Hiervon besuchten 513 Kinder die Hauptschule, 1.150 die Realschule, 794 eine Gesamtschule und 180 eine Schulform mit sonstiger Ausrichtung. Tabelle 6: Besuchte Schulform in der Sekundarstufe I; Differenziert nach Bildungsgruppen

Niedrige formale Bildung Mittlere formale Bildung Hohe formale Bildung

Total

Hauptschule

Realschule

Gymnasium

Gesamtschule

sonstige Schulen

Total

236 25,4% 46,0% 246 10,9% 48,0% 31 2,6% 6,0% 513 11,7% 100,0%

287 30,9% 25,0% 703 31,2% 61,1% 160 13,3% 13,9% 1.150 26,2% 100,0%

124 13,3% 7,1% 774 34,4% 44,3% 849 70,7% 48,6% 1.747 39,8% 100,0%

205 22,0% 25,8% 452 20,1% 56,9% 137 11,4% 17,3% 794 18,1% 100,0%

78 8,4% 43,3% 78 3,5% 43,3% 24 2,0% 13,3% 180 4,1% 100,0%

930 100% 21,2% 2.253 100% 51% 1.201 100% 27,4% 4.384 100% 100,0%

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (n=4.384)

Der Zusammenhang zwischen Bildungshintergrund des Elternhauses und der Bildungswahlentscheidung zeigt sich, wie bereits in anderen Studien aufgezeigt (vgl. Abschnitt 2.5), auch im vorliegenden Analysesample. Wäh­ rend 70,7 Prozent der Kinder aus einem Haushalt mit einer hohen forma­ len Bildung das Gymnasium nach der Grundschule besuchen, beträgt der Anteil lediglich 13,3 Prozent bei Kindern aus Haushalten mit einer niedri­ gen formalen Bildung. Auch das Korrekturverhalten der initialen Bildungs­ wahlentscheidung zeigt den in anderen empirischen Studien aufgezeigten

133 Dies kann bedeuten, dass die Kinder entweder in der dritten Klasse das letzte Mal beobachtet wurden oder erst wieder in der sechsten Klasse (vgl. Abschnitt 5.2).

148

6. Ergebnisse

Zusammenhang134. Die eindeutige Zuordnung von Auf- und Abstiegen ist jedoch aufgrund der Inklusion der Gesamtschule und der sonstigen Schulen nicht ohne Weiteres möglich. Neben dem systematisch auf Basis der höchs­ ten formalen Bildung des Herkunftshaushaltes variierendem Anteil der Gymnasiasten (vgl. Tabelle 6) variiert auch die Konstanz der Bildungsverläu­ fe. Diese nimmt in Abhängigkeit des höchsten formalen Bildungsstandes ab. Fast ein Fünftel (18,3 %) der Kinder aus Haushalten mit einer niedrigen formalen Bildung und lediglich 5,8 Prozent der Kinder aus Haushalten mit einer hohen formalen Bildung wechseln die Schulform in den zwei Jahren nach der initialen Bildungswahlentscheidung. Zudem variiert der Anteil derer, die eine Korrektur von einer anderen Schulform auf ein Gymnasium oder andersherum vollziehen, abermals in Abhängigkeit der höchsten for­ malen Bildung innerhalb des Herkunftshaushaltes (vgl. Tabelle 7). Von allen Haushalten mit einer niedrigen formalen Bildung entschei­ den sich 13,3 Prozent zu einem direkten Wechsel auf das Gymnasium. Von den übrigen, die nicht direkt auf das Gymnasium wechseln, entscheiden sich in den zwei konsekutiven Jahren nach der initialen Bildungsentschei­ dung 1,1 Prozent für einen Wechsel auf das Gymnasium. Bei der Gruppe der Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung erhöht sich der Anteil der Wechsler auf 2,4 Prozent und bei der Gruppe der Haushalte mit einer hohen formalen Bildung auf 5,1 Prozent.

134 Dies ist für die Bearbeitung der Fragestellung nicht relevant, da der Einfluss der sozialen Komposition auf die erste notwendige Bildungswahlentscheidung analysiert wird. Jedoch soll hiermit das bereits in anderen empirischen Studien aufgezeigte schichtspezifische Korrekturverhalten dargestellt werden, da hieraus die Relevanz für die bearbeitete For­ schungsfrage ein Stück weit abgeleitet wird (vgl. Abschnitt 2). Zudem soll verdeutlich werden, dass es sich nicht um ein atypisches Analysesample handelt, was als Argument für eine mögliche Inferenz der Ergebnisse über das Analysesample hinaus verstanden wird.

149

6.1 Deskriptive Darstellung des Analysesamples

Tabelle 7: 7 Korrekturen innerhalb von zwei Jahren nach der initialen Bildungswahlent­ scheidung; Differenziert nach Bildungsgruppen Bildungswahlentscheidung; Differenziert nach Bildungsgruppen Direkter Wechsel auf das Gymnasium

Wechsel auf Wechsel auf das Gymnasium nach andere Schulform nach initialer initialer Entscheidung für Entscheidung das Gymnasium

Generelle Korrekturen im Bildungsverlauf

Gesamt Absolut Prozent Absolut Prozent Absolut Prozent Absolut Prozent Niedrige formale Bildung Mittlere formale Bildung Hohe formale Bildung Total

930

124

13,3%

9

1,1%

10

8,1%

170

18,3%

2.253

774

34,4%

36

2,4%

53

6,8%

343

15,2%

1.201

849

70,7%

18

5,1%

24

2,8%

70

5,8%

4.384

1.747

39,8%

63

2,4%

87

5,0%

583

13,3%

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung

Die Anteile derjenigen, die nach der initialen Entscheidung, das Gymna­ sium zu besuchen, in den folgenden Jahren auf eine andere Schulform wechseln, beträgt 8,1 Prozent für Kinder aus Haushalten mit einer niedrigen formalen Bildung, 6,8 Prozent für Kinder aus Haushalten mit einer mittle­ ren formalen Bildung und 2,8 Prozent für Kinder aus Haushalten mit einer hohen formalen Bildung. Das Analysesample weist eine ausgewogene Verteilung von Jungen (51,19 %) und Mädchen (48,81 %) auf. Diese gleichmäßige Verteilung findet sich auch innerhalb der drei Bildungsgruppen wieder135. Zum Zeitpunkt der ersten Befragung (t1) sind die Kinder zwischen neun und zwölf Jahre alt. Der Durchschnitt beträgt 10,3 Jahre. Unerwartet alte (> 12 Jahre) oder junge (< 9 Jahre) Kinder wurden bei der Erstellung des Analysesamples bereits von der Analyse ausgeschlossen (n = 207) (vgl. Abschnitt 5.2). Ins­ gesamt weisen 71,15 Prozent des Analysesamples keinen direkten oder indi­ rekten Migrationshintergrund auf und können der autochthonen Bevölke­ rung zugeordnet werden. Insgesamt 4,97 Prozent des Analysesamples weisen einen direkten und 23,88 Prozent einen indirekten Migrationshintergrund auf. Die Verteilung über die drei Bildungsgruppen ist ungleichmäßig. Haus­ halte mit einer niedrigen formalen Bildung weisen den höchsten Anteil mit einem direkten (8,60 %) oder indirekten (38,17 %) Migrationshintergrund auf. Dieser Anteil liegt bei der Gruppe der Haushalte mit einer mittleren 135 Niedrige formale Bildung (B1) = 53,01 % zu 46,99 % / Mittlere formale Bildung (B2) = 51,00 % zu 49,00 % / Hohe formale Bildung (B3) = 50,12 % zu 49,88 %

150

6. Ergebnisse

formalen Bildung bei 2,89 Prozent (direkt) bzw. 19,09 Prozent (indirekt), während er bei der Gruppe der Haushalte mit einer hohen formalen Bil­ dung bei 6,08 Prozent (direkt) bzw. 21,82 Prozent (indirekt) liegt. Haushalte mit einer niedrigen formalen Bildung stellen sich am häufigsten als alleiner­ ziehende Haushalte dar (29,03 %). Der Anteil der alleinerziehenden sinkt etwas für die Gruppe der Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung (23,30 %) und ist am niedrigsten für die Gruppe der Haushalte mit einer hohen formalen Bildung (12,07 %). Haushalte mit einer hohen formalen Bildung verfügen im Durchschnitt über ein inflationsbereinigtes bedarfsgewichtetes Nettohaushaltsjahresein­ kommen von 27.070 Euro, während Haushalte mit einer niedrigen formalen Bildung im Durchschnitt nur über 13.691 Euro im Jahr und Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung über 17.816 Euro im Jahr verfügen. Im Durchschnitt beträgt die Distanz zwischen dem Haushalt und der nächst­ gelegenen öffentlichen Grundschule innerhalb desselben Bundeslandes ca. 913 Meter. Eine sehr hohe Standardabweichung weist darauf hin, dass die Verteilung nicht normalverteilt ist136 (vgl. Abbildung 12137). Bei der durch­ schnittlichen Luftliniendistanz zur nächsten öffentlichen Grundschule gibt es lediglich minimale Unterschiede zwischen den Bildungsgruppen138. Es zeigt sich, dass die Grundschule häufig eine sehr wohnortnahe Schulform ist139.

136 Was auf die Tatsache verweist, dass die meisten Haushalte im urbanen Raum leben, einige jedoch auch im ländlichen Bereich. 137 Eine andere grafische Darstellung (bspw. Histogramm), welche die Dichte der Fälle in Ihrer Verteilung wiedergibt, ergibt ein substanziell identisches Bild. 138 Niedrige formale Bildung (B1) = 936 Meter / Mittlere formale Bildung (B2) = 906 Meter / Hohe formale Bildung (B3) = 910 Meter 139 In den Abschnitten 2.4 und 2.6 wurde argumentiert, dass keine Differenzierung zwischen Schul- und Kontexteffekt gemacht werden muss, da diese sich stark überlappen. Dieses Argument erfährt an dieser stelle empirische Unterstützung.

6.1 Deskriptive Darstellung des Analysesamples

151

Abbildung 12: Distanz zur nächsten öffentlichen Grundschule; Differenziert nach Bildungsgruppen

Quelle: Eigene Berechnungen und Darstellung auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (n=4.384)

In knapp 46,13 Prozent der Fälle befindet sich die nächstliegende öffentliche Grundschule innerhalb des eigenen Bundeslandes innerhalb des Radius, welcher benötigt wird, um mindestens 800 (k = 800) nächste Nachbarhaus­ halte zu realisieren140. Auch die durchschnittliche Distanz zum nächsten öffentlichen Gymnasium (3,42 Kilometer) variiert nur minimal zwischen den Bildungsgruppen141. Abermals weist die hohe Standardabweichung auf eine nicht normale Verteilung hin. Deutlich wird auch, dass Gymnasien im Durchschnitt wesentlich weiter entfernt liegen, als Grundschulen.

140 Diese Werte erscheinen im Abgleich mit aktuellen Berechnungen aus Baden-Württem­ berg als valide (vgl. Mantinger; Jäger 2021). 141 Niedrige formale Bildung (B1) = 3,52 / Mittlere formale Bildung (B2) = 3,37 / Hohe formale Bildung (B3) = 3,41

152

6. Ergebnisse

Abbildung 13: Distanz zum nächsten öffentlichen Gymnasium; Differenziert nach Bildungsgruppen

Quelle: Eigene Berechnungen und Darstellung auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (n=4.384)

Die drei Bildungsgruppen weisen eine unterschiedlich lange durchschnitt­ liche Wohndauer am Wohnstandort im letzten Grundschuljahr (t1) auf. Haushalte mit einer niedrigen formalen Bildung leben im Durchschnitt ca. 5,8 Jahre vor der Bildungswahlentscheidung am beobachteten Wohnort. Die durchschnittliche Wohndauer erhöht sich bei der Gruppe der Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung auf 6,8 Jahre und auf 7,2 Jahre für die Gruppe der Haushalte mit einer hohen formalen Bildung. Im Durchschnitt lebten die Haushalte 6,7 Jahre an dem beobachteten Wohnort vor der Bil­ dungswahlentscheidung. Die142 durchschnittlichen Anteile der statushohen und statusniedrigen Haushalte innerhalb der elf Operationalisierungen der sozialräumlichen 142 Die exakten Werte sind in Tabelle acht (vgl. Tabelle 8) sowie Tabelle 31 (vgl. Tabelle 31 im Anhang) zu finden.

6.1 Deskriptive Darstellung des Analysesamples

153

Kontexte werden in Abbildung 14 dargestellt.142 Haushalte mit einer hohen formalen Bildung weisen innerhalb ihrer 400 nächsten Nachbarhaushalte den durchschnittlich höchsten Anteil an statushohen Haushalten (15,4 %) und den durchschnittlich geringsten Anteil an statusniedrigen Haushalten (6,7 %) auf. Mit einer Vergrößerung der Skalierung nähern sich die Werte der Bildungsgruppen einander an. Abbildung 14: Durchschnittliche Anteile an statushohen und statusniedrigen Haushalten in den elf berücksichtigten Skalierungen des sozialräumlichen Kontextes; Differenziert nach Bildungsgruppen

154

6. Ergebnisse

Fortsetzung der Abbildung 14

Eigene Berechnungen und Darstellung auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (n=4.384)

Beim Anteil statusniedriger Haushalte ist diese Annäherung sehr deutlich und führt zu keinen durchschnittlichen Unterschiedenen zwischen den Bildungsgruppen bei sehr großen Skalierungen (k = 100.000). Bei der Betrachtung der durchschnittlichen Anteile statushoher Haushalte in den verschiedenen Skalierungen ist lediglich eine Tendenz zur Annäherung zu erkennen. Haushalte mit einer niedrigen formalen Bildung weisen den durchschnittlich höchsten Anteil an statusniedrigen Haushalten innerhalb ihrer 400 nächsten Nachbarhaushalte auf (15 %) und den durchschnittlich niedrigsten Anteil statushoher Haushalte (4,5 %). Haushalte mit einer mitt­ leren formalen Bildung verorten sich hier jeweils groben im Mittelfeld.

6.1 Deskriptive Darstellung des Analysesamples

155

Die durchschnittlichen Anteile der beiden Statusgruppen innerhalb der An­ näherung des Schulsprengels mittels einer Voronoi-Fläche weist eine große Ähnlichkeit mit den durchschnittlichen Anteilen der Statushaushalte inner­ halb der 400 (k = 400) nächsten Nachbarhaushalte auf. Mit Blick auf die Operationalisierung der egozentrierten sozialräumli­ chen Kontexte kann festgestellt werden, dass die gewählten Skalierungen distinkt voneinander sind. Bei zu klein gewählten Skalierungen besteht die Gefahr, dass es zu Überlappungen mit größeren Skalierungen kommt, was zu einer Verzerrung der Aussagen bei den Analysen führen würde. Mit den gewählten Skalierungen geschieht eine solche Überlappung lediglich in zwei Fällen bei k = 400 und k = 800, so dass von keiner systematischen Ver­ zerrung der Schätzung der Effekte ausgegangen wird. Tabelle acht143 stellt alle verwendeten Indikatoren mit einer Differenzierung nach dem höchsten formalen Bildungsstand innerhalb des Herkunftshaushaltes, in teilweise er­ weiterter Form, dar.

143 Die absolute Zahl an Haushalten, welche sich innerhalb der Voronoi-Fläche des jeweili­ gen SOEP-Haushaltes im jeweiligen Jahr befinden, kann aus Gründen des Datenschutzes und der Gefahr einer Reidentifikation nicht dargestellt werden.

Migrationshintergrund keinen direkt indirekt Geschlecht Männlich Weiblich Haushaltstyp Alleinerziehend Paar- oder Familienhauhalt Bundesland Baden-Württemberg Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen

Distanz zum nächsten öff. Gymnasium (1 Km) Distanz zur nächsten öff. Grundschule (1 Meter) Äquivalenzeinkommen HH - inflationsbereinigt Anteil der Lebenszeit am Wohnort (Kind) Radius um k=400 zu realisieren (1 Meter) Radius um k=800 zu realisieren (1 Meter) Radius um k=1.600 zu realisieren (1 Meter) Radius um k=3.200 zu realisieren (1 Meter) Radius um k=6.400 zu realisieren (1 Meter) Radius um k=12.800 zu realisieren (1 Meter) Radius um k=25.600 zu realisieren (1 Meter) Radius um k=50.000 zu realisieren (1 Meter) Radius um k=100.000 zu realisieren (1 Meter)

493 437 270 660 112 164 21 9 6 17 72 9 113 237 72 10 21 22 36 9

53,01% 46,99% 29,03% 70,97% 12,04% 17,63% 2,26% 0,97% 0,65% 1,83% 7,74% 0,97% 12,15% 25,48% 7,74% 1,08% 2,26% 2,37% 3,87% 0,97%

N 495 80 355

53,23% 8,60% 38,17%

Prozent

11,36% 15,67% 1,86% 3,51% 0,62% 1,29% 7,10% 2,62% 10,92% 20,28% 5,10% 0,58% 6,26% 3,73% 4,84% 4,26%

23,30% 76,70%

51,00% 49,00%

78,03% 2,89% 19,09%

Prozent

256 353 42 79 14 29 160 59 246 457 115 12 141 84 109 96

525 1.728

1.149 1.104

1.758 65 430

N

17,40% 16,49% 2,91% 2,33% 0,58% 1,67% 8,66% 1,33% 9,74% 19,98% 4,08% 0,50% 5,33% 2,83% 3,66% 2,50%

12,07% 87,93%

50,12% 49,88%

72,11% 6,08% 21,82%

Prozent

209 198 35 28 7 20 104 16 117 240 49 6 64 34 44 30

145 1.056

602 599

866 73 262

N

Höchster Bildungsabschluss im Herkunfftshaushalt Niedrige formale Bildung Mittlere formale Bildung Hohe formale Bildung Std. Std. Std. Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N Abweich. Abweich. Abweich. 3,52 3,98 930 3,37 3,73 2253 3,41 4,12 1.201,00 936,01 936,01 930 906,91 971,33 2253 910,21 937,72 1.201,00 13.691,57 6.081,33 930 17.816,54 7.956,04 2253 27.070,23 16.318,57 1.201,00 0,58 0,34 930 0,68 0,33 2253 0,72 0,31 1.201,00 457,86 562,45 930 627,62 720,32 2253 484,73 606,72 1.201,00 734,89 810,82 930 1.011,34 1.031,18 2253 750,63 839,81 1.201,00 1.201,82 1.189,30 930 1.557,76 1.416,65 2253 1.191,58 1.200,22 1.201,00 1.972,04 1.764,66 930 2.398,77 1.915,47 2253 1.853,13 1.720,98 1.201,00 3.145,25 2.479,93 930 3.631,80 2.594,82 2253 2.801,67 2.312,29 1.201,00 4.847,00 3.371,53 930 5.358,53 3.471,10 2253 4.187,58 3.101,06 1.201,00 7.194,43 4.564,77 930 7.784,60 4.617,20 2253 6.154,18 4.321,95 1.201,00 6.074,97 930 11.135,67 6.171,67 2253 8.831,10 5.913,43 1.201,00 10.347,17 14.903,74 8.178,52 930 15.964,93 8.338,31 2253 12.882,58 8.148,79 1.201,00

Tabelle 8: Deskriptive Darstellung des vollständigen Analysesamples

13,16% 16,31% 2,24% 2,65% 0,62% 1,51% 7,66% 1,92% 10,86% 21,30% 5,38% 0,66% 5,16% 3,19% 4,31% 3,08%

21,44% 78,56%

51,19% 48,81%

71,15% 4,97% 23,88%

Prozent

577 715 98 116 27 66 336 84 476 934 236 29 226 140 189 135

940 3.444

2.244 2.140

3.119 218 1.047

N

Alle Bildungsgruppen Total Std. Mittelwert N Abweich. 3,41 3,89 4384 913,99 987,49 4384 19.476,55 11.729,77 4384 0,67 0,33 4384 552,47 663,69 4384 881,27 946,94 4384 1.381,94 1.325,91 4384 2.158,77 1.848,97 4384 3.301,17 2.521,23 4384 4.929,23 3.388,17 4384 7.212,75 4.578,14 4384 10.337,06 6.157,60 4384 14.895,41 8.353,38 4384

156 6. Ergebnisse

0,083 0,034 0,084 0,083 0,082 0,082 0,083 0,085 0,088 0,091 0,094

Mittelwert. 0,096 0,046 0,103 0,104 0,104 0,104 0,104 0,104 0,103 0,102 0,101 0,021 0,006 0,014 0,016 0,019 0,023 0,029 0,034 0,041 0,049 0,055

Median 0,021 0,004 0,006 0,011 0,019 0,027 0,039 0,049 0,055 0,062 0,067 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,001

Min. 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,99 0,61 1,00 1,00 1,00 0,99 0,96 0,91 0,86 0,82 0,726

Max 0,99 0,84 1,00 1,00 1,00 0,99 0,98 0,95 0,92 0,89 0,75 4.384 4.384 4.384 4.384 4.384 4.384 4.384 4.384 4.384 4.384 4.384

N 4.384 4.384 4.384 4.384 4.384 4.384 4.384 4.384 4.384 4.384 4.384

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (n=4.384)

Anteil statushoher HH in Voronoi-Fläche Anteil statushoher HH in Voronoi-Fläche mit Distance-Decay Anteil statushoher HH in k=400 Anteil statushoher HH in k=800 Anteil statushoher HH in k=1.600 Anteil statushoher HH in k=3.200 Anteil statushoher HH in k=6.400 Anteil statushoher HH in k=12.800 Anteil statushoher HH in k=25.600 Anteil statushoher HH in k=50.000 Anteil statushoher HH in k=100.000

Anteil statusniedriger HH in Voronoi-Fläche Anteil statusniedriger HH in Voronoi-Fläche mit Distance-Decay Anteil statusniedriger HH in k=400 Anteil statusniedriger HH in k=800 Anteil statusniedriger HH in k=1.600 Anteil statusniedriger HH in k=3.200 Anteil statusniedriger HH in k=6.400 Anteil statusniedriger HH in k=12.800 Anteil statusniedriger HH in k=25.600 Anteil statusniedriger HH in k=50.000 Anteil statusniedriger HH in k=100.000

Fortsetzung der Tabelle 8 6.1 Deskriptive Darstellung des Analysesamples

157

158

6. Ergebnisse

6.2 Beispielhafte Darstellung aller Berechnungsschritte für zwei ausgewählte Schwellenwerte und Skalierungen Während in der Ergebnisdarstellung in den Abschnitten 6.3 und 6.4 ledig­ lich die geschätzten durchschnittlichen Unterschiede der Wahrscheinlich­ keit zwischen Treatment- und Kontrollgruppe, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, dargestellt werden, ohne alle Zwischenschritte detailliert aufzuzeigen, wird in diesem Abschnitt für die Skalierung k = 400 und einen Schwellenwert von neun Prozent ( 9 %) eine detail­ lierte Darstellung aller Berechnungsschritte vorgenommen. Es wird sowohl der Zusammenhang mit dem Anteil statushoher sowie statusniedriger Haus­ halte in der betreffenden Skalierung als auch dem gewählten Schwellenwert dargestellt. Eine derart detaillierte Darstellung für die Vielzahl der Berech­ nungen wäre in den Abschnitten 6.3 und 6.4 nicht zielführend und würde von der inhaltlichen Interpretation abhalten. Die beispielhafte Darstellung an dieser Stelle soll sodann bei der Interpretation der sehr kompakten und informationsreichen Ergebnisdarstellung in den nächsten Abschnitten behilflich sein. Im Folgenden werden die notwendigen Schritte bei der An­ wendung des PSM-Verfahrens dargestellt (vgl. Abschnitt 3.2) und am Ende um eine Sensitivitätsanalyse ergänzt. In einem ersten Schritt muss zur Berechnung des durchschnittlichen Unterschiedes der Wahrscheinlichkeit zwischen Treatment- und Kontroll­ gruppe, nach der Grundschule die Schulform des Gymnasiums zu be­ suchen, eine probit bzw. logistische Regression gerechnet werden, um die Wahrscheinlichkeit, in die Treatmentgruppe zu fallen, zu bestimmen. Die Kontrollvariablen werden auf Basis des Directed-Acyclic-Graphs (vgl. Ab­ schnitt 3.3.1) ausgewählt. Da es sich um Beobachtungsdaten und keine Daten aus einem Experiment handelt, ist die Wahrscheinlichkeit, das Treat­ ment zu erhalten, nicht bekannt, kann jedoch mit den oben genannten Verfahren geschätzt werden. In die Treatmentgruppe fallen alle, die einen An­ teil von mehr als neun Prozent statusniedriger oder statushoher Haushalte innerhalb ihrer mindestens 400 nächsten Nachbarhaushalte (k = 400) auf­ weisen. Die Kontrollgruppe besteht aus allen Haushalten, die drei Prozent oder weniger statusniedriger oder statushoher Haushalte in der gleichen Skalierung ihres egozentrierten, sozialräumlichen Kontextes aufweisen. Der nun für jeden Fall berechnet Propensity-Score wird verwendet, um die Fäl­ le aus der Treatmentgruppe mit Fällen aus der Kontrollgruppe zu matchen (vgl. Abbildung 4). Dies geschieht unter Verwendung des Gausschen Kern­ dichteschätzers mit einer Bandbreite von 0,06 und der Durchsetzung des Common-Supports (vgl. Leuven; Sianesi 2003 (2018)). Dieser Algorithmus hat in den allermeisten Fällen die beste durchschnittliche Balance erreicht

159

6.2 Beispielhafte Darstellung aller Berechnungsschritte

(vgl. Tabelle 24 im Anhang). psmatch2 (vgl. Leuven; Sianesi 2003 (2018)) berechnet sodann den ATT, ATU und ATE (vgl. Tabellen 10 & 11). Tabelle 9: Berechnung der Wahrscheinlichkeit in die Treatmentgruppe zu fallen auf Basis einer probit und logistischen Regression

Schwellenwert

Bildungsgruppe des HH Niedrige formale Bildung im HH (ref.) Mittlere formale Bildung im HH Hohe formale Bildung im HH Migrationshintergrund Kein Migrationshintergrund (ref.) Direkter Migrationshintergrund Indirekter Migrationshintergrund Geschlecht des Kindes Geschlecht Männlich (ref.) Geschlecht Weiblich Eigenschaften des Herkunftshaushaltes Äquivalenzeinkommen HH / inflat.bereinigt Haushaltstyp Alleinerziehend (ref.) Familie oder Mehrgenerationen HH Bundesland Baden-Württemberg Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen Räumliche Kontrollvariablen Distanz zum nächsten öff. Gymnasium (in km) Anteil statushoher HH in k=400 Anteil statusniedriger HH in k=400 _cons N pseudo R-sq * p|t| V(C) 1,860 0,063 . 0,820 0,413 . 7,880 0,000 . 0,820 0,410 . 4,780 0,000 . 1,770 0,077 . 3,260 0,001 . 1,390 0,163 . 0,370 0,709 . 0,730 0,465 . 1,150 0,251 1,40* 0,100 0,921 1,18* 12,750 0,000 0,46* 1,500 0,135 1,27* 10,030 0,000 . 0,410 0,679 . 7,910 0,000 . 2,360 0,019 . 8,050 0,000 . 0,180 0,853 . 5,280 0,000 . 1,240 0,215 . 1,120 0,261 . 0,010 0,994 . 4,690 0,000 . 0,260 0,796 . 7,950 0,000 . 0,570 0,570 . 1,630 0,103 . 0,560 0,576 . 5,810 0,000 . 1,020 0,308 . 4,630 0,000 . 0,320 0,747 . 2,530 0,011 . 0,280 0,779 . 0,990 0,323 . 0,370 0,712 . 9,460 0,000 . 0,230 0,819 . 1,990 0,047 . 0,050 0,957 . 1,860 0,063 . 0,270 0,788 . 8,100 0,000 . 0,320 0,747 . 15,570 0,000 0,02* 4,160 0,000 0,85*

Anteil statusniedriger Haushalte in k=400 Mean Treated Control 0,412 0,556 0,417 0,411 0,475 0,223 0,469 0,477 0,029 0,036 0,030 0,031 0,241 0,232 0,243 0,271 0,480 0,486 0,478 0,460 3,261 3,448 3,245 3,156 25.636,0 17.964,0 24.429,0 24.214,0 0,262 0,125 0,262 0,247 0,020 0,023 0,021 0,019 0,001 0,035 0,001 0,003 0,003 0,007 0,003 0,003 0,032 0,011 0,030 0,028 0,097 0,063 0,095 0,094 0,008 0,021 0,008 0,009 0,047 0,134 0,048 0,053 0,213 0,214 0,214 0,227 0,036 0,063 0,036 0,031 0,001 0,008 0,001 0,001 0,024 0,067 0,025 0,024 0,005 0,045 0,005 0,008 0,036 0,041 0,036 0,034 0,014 0,041 0,014 0,016 0,835 0,785 0,834 0,826

0,008 0,008

0,142 0,014

%bias - 29,0 1,3 54,9 - 1,8 - 3,6 - 0,7 2,1 - 6,7 - 1,2 3,6 - 4,9 2,3 60,2 1,7 35,2 3,9 - 1,7 1,0 - 25,3 - 1,6 - 6,7 - 0,1 14,6 1,3 12,7 0,3 - 11,5 - 1,2 - 30,5 - 1,6 - 0,3 - 3,0 - 12,7 2,5 - 10,0 - 0,1 - 20,5 0,1 - 25,6 - 1,8 - 2,8 1,4 - 16,6 - 1,0 12,6 2,1

- 78,7 - 3,2

%reduct |bias| 95,6 96,7 81,3 -225,5

-

-202,3 52,3 97,2 88,9 39,9 93,7 98,5

-

91,4 97,8 89,2 94,7 -885,3

-

80,5 99,1

-

99,5 93,1

-

50,6 93,8 83,7

95,9

-

t-test t p>|t| 7,060 0,000 0,250 0,802 14,050 0,000 0,330 0,742 0,860 0,388 0,140 0,891 0,500 0,614 1,280 0,200 0,290 0,773 0,700 0,481 1,170 0,242 0,500 0,620 17,510 0,000 0,360 0,722 9,270 0,000 0,690 0,492 0,410 0,680 0,210 0,833 5,070 0,000 0,850 0,394 1,470 0,142 0,030 0,978 4,120 0,000 0,210 0,832 3,260 0,001 0,050 0,960 2,510 0,012 0,320 0,752 6,700 0,000 0,410 0,679 0,070 0,941 0,580 0,561 2,900 0,004 0,580 0,559 2,070 0,039 0,030 0,974 4,500 0,000 0,030 0,978 5,260 0,000 0,660 0,507 0,660 0,510 0,280 0,780 3,610 0,000 0,270 0,788 3,000 0,003 0,420 0,673

- 15,670 - 2,890

0,000 0,004

V(T)/ V(C) . . . . . . . . . . 0,84* 1,12 3,65* 0,91 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

0,02* 0,83*

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (n=3.260 bzw. n=3.435)

In den Ergebnisdarstellungen im sechsten Abschnitt (vgl. Abschnitte 6.3 & 6.4) wird ebenfalls ein ausgegrauter Bericht dargestellt, dieser bezieht sich jedoch auf großräumige Skalierungen, welche nicht inhaltlich interpretiert werden. Bei der Analyse des Effektes eines über dem Schwellenwert liegenden Anteils statushoher Haushalte schneidet das 95-Prozent-Konfidenzintervall die Null nicht (vgl. Abbildung 16 oben), so dass von einem klar positiven Effekt von etwa sieben Prozentpunkten ausgegangen werden kann.

6.2 Beispielhafte Darstellung aller Berechnungsschritte

165

Abbildung 16: Beispieldarstellung einer Ergebnisgrafik; ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher Haushalte für alle überprüften Skalierungen; ( 9 %)

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (n=3.260 bzw. n=3.435)

166

6. Ergebnisse

Bei der Analyse eines über dem Schwellenwert liegenden Anteils statusnied­ riger Haushalte wird die Null hingegen knapp geschnitten, so dass die Bestimmung der Effektrichtung nur mit größerer Unsicherheit erfolgen kann. Eine Reduktion des Konfidenzniveaus auf 90 Prozent würde an die­ ser Stelle dazu führen, dass die Null nicht mehr geschnitten würde und unter der Bedingung der niedrigeren Sicherheit die Effektrichtung als nega­ tiv interpretiert werden könnte. Die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit das Gymnasium nach der Grundschule zu besuchen sinkt um etwa vier Prozentpunkte, wenn ein Haushalt einen Anteil von mehr als neun Prozent statusniedriger Haushalte innerhalb seiner 400 nächsten Nachbarhaushalte aufweist. Im Vergleich mit ansonsten identischen oder sehr ähnlichen Haus­ halten, welche lediglich einen Anteil von drei oder weniger Prozent status­ niedrigen Haushalten in derselben Skalierung aufweisen. Um einen weiteren Hinweis auf die Robustheit der Ergebnisse zu er­ halten, wird mithilfe von Rosenbaum Bounds (vgl. Becker; Caliendo 2007; Rosenbaum 2002) bzw. mit dem Stata Ado mhbounds (vgl. Becker; Caliendo 2007) eine Sensitivitätsanalyse durchgeführt. Das Vorgehen basiert auf der Simulation von verschiedenen Szenarien auf Basis von veränderten Chan­ cenverhältnissen, in die Treatment- oder Kontrollgruppe selektiert zu wer­ den, und einer anschließenden Evaluation der entstandenen Verzerrung (vgl. Abschnitt 6.3.1). Im Falle der Betrachtung des Schwellenwertes von neun Prozent ( 9 %) für den Anteil statushoher und statusniedri­ ger Haushalte in k = 400 ergibt sich folgendes Bild (vgl. Tabelle 16):

167

6.2 Beispielhafte Darstellung aller Berechnungsschritte

Anteil statusniedriger Haushalte in k=400 und einem Schwellenwert von 9%

Anteil statushoher Haushalte in k=400 und einem Schwellenwert von 9%

Tabelle 16: Sensitivitätsanalyse mithilfe von mhbounds für den Anteil statushoher und statusniedriger Haushalte in k = 400; ( 9 %) e_y 1 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 1,8 1,9 2 1 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 1,8 1,9 2

mhplus 10,656 9,510 8,469 7,518 6,642 5,830 5,072 4,363 3,695 3,065 2,468 4,851 6,013 7,077 8,062 8,977 9,834 10,639 11,400 12,120 12,805 13,458

mhminus 10,656 11,817 12,884 13,876 14,803 15,674 16,496 17,276 18,019 18,727 19,405 4,851 3,695 2,642 1,675 0,781 - 0,032 0,745 1,476 2,166 2,819 3,439

p_mhplus 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,001 0,007 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000

p_mhminus 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,004 0,047 0,217 0,513 0,228 0,070 0,015 0,002 0,000

Quelle: Eigene Berechnungen mithilfe des Stata Ados mhbounds (vgl. Becker; Caliendo 2007) auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (n=3.260 bzw. n=3.435)

Gäbe es eine positive Selektion in das Treatment (die soziale Komposition des sozialräumlichen Kontextes), also den Fall, dass diejenigen, die in einem solchen Kontext leben, auch diejenigen sind, die mit einer höheren Wahr­ scheinlichkeit auf das Gymnasium gehen, würde der Effekt des Treatments überschätzt werden. In diesem Fall muss mhplus sowie p_mphplus betrachtet werden. Es zeigt sich, dass selbst eine Nichtbeachtung eines Faktors, welcher das Chancen­ verhältnis der Selektion in das Treatment um den Faktor 2 (e_y oder Gam­ ma = 2) verändert, die substanzielle Interpretation der Ergebnisse gleichblei­ ben würde. Somit können die Ergebnisse als sehr robust gegen eventuelle Verzerrungen durch nicht beachtete Faktoren angesehen werden. Im Fall

168

6. Ergebnisse

der Effekte des Anteils statusniedriger Haushalte (vgl. Tabelle 16 unten) muss mhminus und p_mhminus betrachtet werden, da von einem generell negativen Effekt des Anteils ausgegangen wird. Es zeigt sich eine gewisse Ro­ bustheit, jedoch ist diese nicht so deutlich wie bei der Betrachtung des An­ teils statushoher Haushalte. Ein Faktor, der das Chancenverhältnis, in die Treatment- oder Kontrollgruppe selektiert zu werden, um 1,3 verändert, führt zu einem nicht mehr signifikanten Ergebnis144. 6.3 Ergebnisse der Berechnungen der nicht nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen Bei den Grafiken der Ergebnisdarstellungen handelt es sich um die Visua­ lisierung von bis zu 88145 geschätzten durchschnittlichen Unterschieden zwischen Treatment- und Kontrollgruppe in Bezug auf den Besuch des Gym­ nasiums nach der Grundschule. Diese werden in Abhängigkeit von acht Schwellenwerten (vgl. Abbildungen 17 & 18), der Wohndauer (vgl. Abbil­ dungen 19 & 20) und differenziert nach dem Anteil statushoher sowie sta­ tusniedriger Haushalte innerhalb des jeweiligen sozialräumlichen Kontextes berechnet. Eine Verallgemeinerung der Ergebnisse erscheint aufgrund der Selektivität des ungewichteten Samples (vgl. Abschnitt 4.1) nur bedingt angemessen. Bezogen auf das Analysesample sollte der wahre stochastische Wert (Un­ terschied der Wahrscheinlichkeit zwischen Treatment- und Kontrollgruppe in Prozentpunkten) mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb des 95-ProzentKonfidenzintervalls liegen. In einigen Fällen ist eine klare Bestimmung der Richtung bzw. der Frage, ob es sich um einen positiven oder negativen Unterschied zwischen Treatment- und Kontrollgruppe handelt, nur mit gro­ ßer Unsicherheit zu beantworten. Eine Verringerung des Konfidenzniveaus (bspw. auf 90 Prozent) und damit die Akzeptanz einer größeren Unsicher­

144 In einigen Fällen erreichen die Werte für p_mhminus oder p_mhplus ihre Signifikanz mit höheren Werten von Gamma bzw. e_y wieder (dies ist nicht dargestellt). Dies verweist darauf, dass hier eine Vorzeichenumkehrung der Effekte stattfindet (vgl. Becker; Caliendo 2007: 9 f.). 145 Es werden für jede der elf Skalierungen die Effekte für acht Schwellenwerte, jeweils in Abhängigkeit des Anteils statushoher und statusniedriger Haushalte, berechnet. Hin­ zu kommen 100 Bootstrap-Iterationen zur Berechnung der Konfidenzintervalle (vgl. Ab­ schnitt 3.2). Für die Berechnung der Konfidenzintervalle der Voronoi-Flächen werden 50 Bootstrap-Iterationen durchgeführt.

6.3 Ergebnisse der Berechnungen

169

heit würde in einigen Fällen Abhilfe schaffen146. In grenzwertig erschei­ nenden Fällen wird eine solche Reduktion des Konfidenzniveaus bei der Interpretation der Ergebnisse vorgenommen. Eine inhaltliche und kausale Einordnung der Ergebnisse wird im Abschnitt 6.3.2 vorgenommen. Da die Berechnungen auf dem Verfahren des Propensity-Score-Matching (PSM) beruhen und eine gute Balance der Kontrollvariablen zwischen Treatmentund Kontrollgruppe nach dem Matching eine Voraussetzung für ein mög­ lichst unverzerrtes Ergebnis ist, stellen die Symbole der Punktschätzer den durchschnittlichen Absolut-Standardized-Bias (ASB) nach dem Matching dar (vgl. Abschnitt 3.2). Fehlende Symbole verweisen darauf, dass kein Punkt­ schätzer berechnet werden kann. Besonders bei hohen Schwellenwerten, großen Skalierungen oder einer Kombination aus beiden kommt es vor, dass die Fallzahlen bei der Berechnung sehr niedrig sind, was zu sehr groben Schätzungen, großen Konfidenzintervallen und zu einer schlechten Balance nach dem Matching führt oder gar kein Punktschätzer geschätzt werden kann. Dies ist unter anderem bei dem Schwellenwert von 20 Prozent ( 20 %) bei der Betrachtung des Anteils statushoher Haushalte in k = 3.200 in Abbildung 17 ersichtlich. Ein durchschnittlicher ASB von unter fünf Prozent (dargestellt als ausgefüllter Punkt) wird als ausreichende Balance zwischen Treatment- und Kontrollgruppe angesehen (vgl. Caliendo; Kopeinig 2008: 46). Ein grenzwertiger durchschnittlicher ASB zwischen fünf und 6,5 Prozent wird als Kreis dargestellt, während ein durchschnittlicher ASB von über 6,5 Prozent als Dreieck dargestellt wird147. Bei der Ergeb­ nisdarstellung wie auch bei der späteren Interpretation wird sich auf die Skalierungen k = 400 bis k = 1.600 sowie der Voronoi-Flächen beschränkt, während anfänglich noch alle Skalierungen dargestellt werden. Die Skalie­ rungen k = 400 bis k = 1.600 sowie die Voronoi-Flächen als Annäherung an den Schulsprengel der Grundschule werden als relevante sozialräumliche Kontexte für Kinder und ihrer Herkunftshaushalte angesehen, da häufig so­ wohl die Grundschule wie auch die weiterführende Schule innerhalb dieser Kontexte verortet sind (vgl. Abschnitt 6.1). Wie im zweiten Abschnitt (vgl. Abschnitt 2) argumentiert wird, ist die Voraussetzung der räumlichen Nähe als Voraussetzung für soziale Interaktionen innerhalb dieser Skalierungen mit höherer Wahrscheinlichkeit gegeben. Mit Rückblick auf die theoreti­ 146 Auch könnte eine theoriegeleitete Hinzunahme weiterer relevanter Kontrollvariablen un­ ter Beachtung des Back-Door-Criterion die Schätzung der Unterschiede effizienter machen und damit die Konfidenzintervalle verkleinern, hierfür wäre jedoch eine höhere Fallzahl notwendig (vgl. Abschnitt 7.1). 147 Es wird sich für die Darstellung eines grenzwertigen durchschnittlichen ASB entschieden, um auch einen gewissen Graubereich abbilden zu können.

170

6. Ergebnisse

sche Argumentation im zweiten Abschnitt (vgl. Abschnitt 2) ist es offensichtlich, dass bspw. ein sozialräumlicher Kontext, welcher 12.800 Haushalte umfasst, kaum als ein relevanter sozialräumlicher Kontext eines Kindes und seines Herkunftshaushalts verstanden werden kann, indem sozial-interaktive Mechanismen primär wirkmächtig sind. Die ausgegrauten Bereiche für die Skalierung von k = 3.200 bis k = 100.000 werden nicht inhaltlich interpre­ tiert, sondern dienen der Darstellung der Abhängigkeit der durchschnittli­ chen Unterschiede zwischen Treatment- und Kontrollgruppe von der Skalie­ rung und können ggf. für weiterreichende Forschungen einen Anhalts- oder Referenzpunkt bilden. In Abbildung 17148 wird der durchschnittliche Un­ terschied der Wahrscheinlichkeit (in Prozentpunkten) zwischen Treatmentund Kontrollgruppe in Abhängigkeit von acht Schwellenwerten bezüglich des Anteils statushoher Haushalte innerhalb der definierten Skalierungen der sozialräumlichen Kontexte für diejenigen Haushalte dargestellt, welche in einem derartigen sozialräumlichen Kontexten beobachtet werden (ATT – vgl. Abschnitt 3.1). Hierbei wird das gesamte Analysesample (N = 4.384) ver­ wendet, ohne eine Differenzierung nach Bildungsgruppen vorzunehmen. Es werden nur Haushalte berücksichtigt, die mindestens zwei Jahre vor der Befragung (t1) am gleichen Wohnstandort gelebt haben (vgl. Abschnitt 4.1). Aufgrund der Durchsetzung der Common-Support-Bedingung variiert die Fallzahl, welche für die einzelnen Berechnungen unter Anwendung des PSM-Verfahrens verwendet wird, mit jeder Berechnung (vgl. Tabelle 25 im Anhang). Unter Kontrolle diverser kompositioneller, räumlicher sowie kind- und haushaltsspezifischer Faktoren (vgl. Abschnitte 2 & 5) beträgt der durch­ schnittliche Unterschied zwischen Treatment- und Kontrollgruppe sechs Pro­ zentpunkte (Exakte Werte finden sich in Tabelle 17), wenn innerhalb der 400 (k = 400) nächsten Nachbarhaushalte der Anteil der statushohen Haus­ halte über einem Prozent liegt. 148 Die auf den folgenden Seiten dargestellten Ergebnisse (hauptsächlich Abbildungen) ver­ weisen in ihren Titeln in der Regel lediglich in Kurzform auf den Inhalt der jeweiligen Darstellung. In der Regel wird auf den ATT in Abhängigkeit unterschiedlicher Differenzierungskriterien (Skalierung, Wohndauer, soziale Gruppe sowie formale Bildung des Haushaltes) verweisen. Bei jeder dieser Ergebnisdarstellungen handelt es sich um den durchschnittlichen Unterschied der Wahrscheinlichkeit, zwischen Treatment- und Kontrollgruppe, nach der Grundschule die eigenständige Schulform des Gymnasiums zu besuchen. Die Angabe erfolgt in Prozentpunkten. Dieser durchschnittliche Unter­ schied wird nur zwischen denjenigen Haushalten berechnet, die auch wirklich in einem den Differenzierungskriterien (Schwellenwert und soziale Gruppe) entsprechenden sozi­ alräumlichen Kotext beobachtet wurden – Average Treatment Effect on Treated (ATT oder auch ATET; vgl. Abbildung 3 - grün).

6.3 Ergebnisse der Berechnungen

171

Abbildung 17: ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher Haushalte für alle überprüften Schwellenwerte und Skalierungen (undifferenziert)

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (Die Fallzahl variiert mit jeder Berechnung)

Die Kontrollgruppe besteht aus sehr ähnlichen oder identischen Kindern bzw. Haushalten, welche in sozialräumlichen Kontexten verortet sind, de­ ren Anteil statushoher Haushalte innerhalb der 400 (k = 400) nächsten Nachbarhaushalte kleiner gleich ein Prozent ist. Bei einem Schwellenwert von sechs oder zwölf Prozent beträgt der durchschnittliche Unterschied neun bzw. zwölf Prozentpunkte. Diese generelle Tendenz der Erhöhung des durchschnittlichen Unterschiedes zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bei einer Erhöhung des Schwellenwertes zeigt sich in allen relevanten und berücksichtigten Skalierungen (k = 400 bis k = 1.600). Der Schwellenwert von einem Prozent ( 1 %) bildet jedoch eine Ausnahme. Die­ ser Schwellenwert weist einen höheren durchschnittlichen Unterschied zwi­ schen der Treatment- und Kontrollgruppe auf als der nächst größere Schwel­ lenwert. In allen Skalierungen und bei allen Schwellenwerten (k = 400 bis k = 1.600) wird die Null nicht von den 95-Prozent-Konfidenzintervallen ge­

172

6. Ergebnisse

schnitten, womit es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen positiven Unterschied handelt. Die Betrachtung der Punktschätzer für die verschiedenen Schwellen­ werte der Annäherung an den Schulsprengel der Grundschule zeigt keine kontinuierlich steigende Tendenz mit einer Erhöhung der Schwellenwerte. Bei der Betrachtung ohne eine Gewichtung der Relevanz der Statushaushal­ te auf Basis der Distanz ergibt sich ein eher kurvenförmiger Verlauf der Effekte der Schwellenwerte, mit einem Anstieg der Unterschiede zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bis zu einer Schwelle von neun Prozent und einer anschließenden Reduktion der durchschnittlichen Unterschiede. Dies geschieht auf einem etwas niedrigerem Niveau als bei den k-skalierten sozialräumlichen Kontexten. Unter Berücksichtigung einer distanzabhängi­ gen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte innerhalb der VoronoiFlächen zeigt sich ein ähnliches Bild wie in der Skalierung k = 400, jedoch auf einem höheren Niveau. Zudem kann bei der Berechnung der größeren Schwellenwerte lediglich eine grenzwertige Balance zwischen Treatmentund Kontrollgruppe erreicht werden (siehe Symbol der Punktschätzer). Innerhalb der potenziell relevanten Skalierungen der sozialräumlichen Kon­ texte (k = 400 bis k = 1.600) führt eine Veränderung der Skalierung zu keiner substanziellen Veränderung der Interpretation der Ergebnisse. Viele Punktschätzer fallen mit steigender Skalierung von k = 400, erreichen ihren Tiefpunkt bei k = 3.200 und steigen dann wieder leicht an. Die Variation der Unterschiede ist innerhalb der Schwellenwerte und über die Skalierun­ gen marginal (ca. 1,5 bis 3,3 Prozentpunkte). Wird die Annäherung an die Schulsprengel und besonders unter Berücksichtigung der Distanz mit einbezogen, nimmt die Variation stark zu, da sich besonders für die Opera­ tionalisierung mittels der distanzgewichteten Voronoi-Flächen große durch­ schnittliche Unterschiede zwischen Treatment- und Kontrollgruppe zeigen (vgl. Tabelle 17)149. Die durchschnittlichen Unterschiede zwischen Treatment- und Kontroll­ gruppe in Abhängigkeit des Anteils statusniedriger Haushalte in den ver­ schiedenen Skalierungen und unter Berücksichtigung der acht Schwellen­ werte ist in Abbildung 18 dargestellt.

149 In Tabelle 29 und Tabelle 30 (im Anhang) finden sich die exakten Werte der Punktschät­ zer für alle Kombinationen aus Skalierung, Schwellenwert, Bildungsgruppe und der betrachten Statusgruppe innerhalb des sozialräumlichen Kontextes.

6.3 Ergebnisse der Berechnungen

173

Abbildung 18: ATT in Abhängigkeit des Anteils statusniedriger Haushalte für alle überprüften Schwellenwerte und Skalierungen (undifferenziert)

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (Die Fallzahl variiert mit jeder Berechnung)

In sozialräumlichen Kontexten (k = 400), deren soziale Komposition durch einen Anteil von mindestens einem Prozent statusniedriger Haushalte ge­ prägt ist, beträgt der durchschnittliche Unterschied zwischen Treatment- und Kontrollgruppe minus drei Prozentpunkte. Eine Erhöhung des Schwellen­ wertes führt in der Skalierung k = 400 zu einer minimalen und unsystemati­ schen Veränderung der durchschnittlichen Unterschiede. In den Skalierungen k = 800 bis k = 1.600 und besonders in der Annä­ herung des Schulsprengels der Grundschule (mit und ohne einer distanzab­ hängigen Gewichtung) zeigt sich hingegen eine klare Tendenz. Je höher der Schwellenwert innerhalb dieser Skalierungen ist, desto größer ist der durchschnittliche Unterschied zur Referenzgruppe. Der durchschnittliche Unterschied zwischen Treatment- und Kontrollgruppe beträgt vier bis fünf Prozentpunkte, wenn innerhalb der 400 (k = 400) nächsten Nachbarhaushal­ te der Anteil statusniedriger Haushalte den Schwellenwert von drei bzw. sechs Prozent überschreitet.

174

6. Ergebnisse

Tabelle 17: Punktschätzer (ATT) für die Skalierungen k = 400 bis k = 1.600 und deren Mittelwert für den Anteil statushoher Haushalte je Schwellenwert k=400

k=800

k=1.600

Mittelwert

Schwellenwert 1%

0,063

0,079

0,092

0,078

Schwellenwert 3%

0,057

0,052

0,066

0,058

Schwellenwert 6%

0,091

0,081

0,089

0,087

Schwellenwert 9%

0,116

0,104

0,112

0,111

Schwellenwert 12%

0,123

0,115

0,120

0,119

Schwellenwert 15%

0,129

0,121

0,116

0,122

Schwellenwert 20%

0,136

0,116

0,133

0,128

Schwellenwert 25%

0,144

0,133

0,124

0,133

Quelle: Eigene Berechnung auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (Die Fallzahl variiert mit jeder Berechnung)

Ein größerer Unterschied findet sich innerhalb der Annäherung an den Schulsprengel der Grundschule bei einem Schwellenwert von 15 Prozent ( 15 %). Hier ergibt sich ein durchschnittlicher Unterschied von gut sechs Prozentpunkten zwischen Treatment- und Kontrollgruppe. Zudem wird eine ausreichende Balance erreicht und das Konfidenzintervall schnei­ det in diesem Fall die Null nicht. Anders als bei den Ergebnissen der Analy­ se der Zusammenhänge in Abhängigkeit des Anteils statushoher Haushalte innerhalb der unterschiedlich skalierten sozialräumlichen Kontexte und un­ ter Berücksichtigung der unterschiedlichen Schwellenwerte schneiden die 95-Prozent-Konfidenzintervalle mit einigen Ausnahmen in der Skalierung k = 400 und den Annäherungen an den Schulsprengel (Voronoi-Flächen) immer die Null, womit die Bestimmung des Vorzeichens des Unterschiedes mit großer Unsicherheit behaftet ist. Wird jedoch ein Konfidenzniveau von bspw. 90 Prozent akzeptiert, können die Unterschiede zwischen Treatmentund Kontrollgruppe auch in einigen momentan grenzwertig erscheinenden Kombinationen aus Skalierung und Schwellenwert als negativ identifiziert werden150. 150 Die Konfidenzintervalle wurde nicht erneut berechnet, da hierfür ein erneuter Gastauf­ enthalt am DIW notwendig gewesen wäre. Somit handelt es sich um eine subjektive Einschätzung der Veränderung der Größe der Konfidenzintervalle.

175

6.3 Ergebnisse der Berechnungen

Da nicht bekannt ist, bei welcher Skalierung es sich um die Skalierung mit der höchsten Relevanz handelt und falsche Skalierungen zu einer Ver­ zerrung führen können (vgl. Spielman et al. 2013; Spielman; Yoo 2009) wer­ den die Punktschätzer für die ersten drei Skalierungen (k = 400 bis K = 1.600) je Schwellenwert zu einem Mittelwert zusammengefasst. Dieses Vorgehen sollte etwaige Verzerrungen (Über- und Unterschätzungen) ein Stück weit kompensieren und vereinfacht die Interpretation, da nur noch ein durchschnittlicher Unterschied für den jeweiligen Schwellenwert ange­ geben wird. Nachteilig ist jedoch, dass nun keine Konfidenzintervalle zur Einschätzung der Sicherheit bei der Interpretation der Ergebnisse zur Verfü­ gung stehen. Abhängig von der analysierten Statusgruppe innerhalb des je­ weiligen sozialräumlichen Kontextes zeigen sich zwei klare Tendenzen. Mit einer Erhöhung des Schwellenwertes bei der Analyse des Anteils statushoher Haushalte innerhalb der sozialräumlichen Kontexte (Mittelwert aus k = 400 bis k = 1.600) erhöht sich der durchschnittliche Unterschied zwischen Treat­ ment- und Kontrollgruppe von 5,8 auf 13,3 Prozentpunkte (vgl. Tabelle 17). Tabelle 18: Punktschätzer (ATT) für die Skalierungen k = 400 bis k = 1.600 und deren Mittelwert für den Anteil statusniedriger Haushalte je Schwellenwert k=400

k=800

k=1.600

Mittelwert

Schwellenwert 1%

-0,032

-0,015

-0,039

-0,029

Schwellenwert 3%

-0,043

-0,026

-0,014

-0,027

Schwellenwert 6%

-0,050

-0,033

-0,023

-0,035

Schwellenwert 9%

-0,033

-0,027

-0,028

-0,030

Schwellenwert 12%

-0,039

-0,037

-0,034

-0,037

Schwellenwert 15%

-0,044

-0,042

-0,045

-0,044

Schwellenwert 20%

-0,039

-0,051

-0,050

-0,047

Schwellenwert 25%

-0,056

-0,051

(.)

-0,054

Quelle: Eigene Berechnung auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (Die Fallzahl variiert mit jeder Berechnung)

Eine höhere Konzentration statusniedriger Haushalte erhöht ebenfalls den durchschnittlichen Unterschied zwischen Treatment- und Kontrollgruppe von minus drei auf minus fünf Prozentpunkte (vgl. Tabelle 18). Hierbei wei­ sen die beiden Tendenzen eine sehr hohe Linearität auf (vgl. Abbildung 23).

176

6. Ergebnisse

Im Folgenden ist der durchschnittliche Unterschied zwischen Treatmentund Kontrollgruppe für die elf verschiedenen Skalierungen unter Berück­ sichtigung von vier Mindestwohnzeiträumen in Abhängigkeit des Anteils statusniedriger und statushoher Haushalte innerhalb des sozialräumlichen Kontextes dargestellt. Es werden lediglich die Schwellenwert von neun und zwölf Prozent ( 9 % und 12 %) dargestellt, da diese sich inhaltlich wie auch datentechnisch als besonders relevant wie auch robust gezeigt haben. Die Berechnungen werden jeweils für Subsample151 mit der entsprechenden Wohndauer unter Berücksichtigung der Skalierung und des jeweiligen Schwellenwertes durchgeführt. Abbildung 19: ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher Haushalte für den Schwellenwert von zwölf Prozent in Abhängigkeit der Wohndauer (undifferenziert)

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (Die Fallzahl variiert mit jeder Berechnung)

151 Es werden Haushalte mit gleicher Wohndauer und auch sonstigen gleichen oder sehr ähnlichen Charakteristika in unterschiedlichen Konzentrationen der entsprechenden Sta­ tusgruppe verglichen (soziale Komposition).

6.3 Ergebnisse der Berechnungen

177

Die durchschnittlichen Unterschiede zwischen Treatment- und Kontrollgrup­ pe in Abhängigkeit eines Anteils statushoher Haushalte über zwölf Prozent zeigen die überwiegende Tendenz, dass eine längere Wohndauer zu einer Abnahme der Unterschiede führt (vgl. Abbildung 19). Besonders kurze Wohnzeiträume von zwei Jahren oder weniger weisen die größten durch­ schnittlichen Unterschiede auf, wobei hier auch die 95-Prozent-Konfidenzintervalle sehr groß sind. Dies kann unter anderem an der geringen Fallzahl liegen, worauf auch die grenzwertige Balance in k = 400 und einer Wohn­ dauer von zwei Jahren oder weniger hindeutet (vgl. Tabelle 25 im Anhang). Die Systematik bleibt substanziell identisch bei der Änderung des Schwel­ lenwertes auf neun Prozent (vgl. Abbildung 20). Abbildung 20: ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher Haushalte für den Schwellenwert von neun Prozent in Abhängigkeit der Wohndauer (undifferenziert)

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goe Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schul­ adresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (Die Fallzahl variiert mit jeder Berechnung)

Es gibt auch hier nur marginale Variationen und eine leichte Tendenz, dass die durchschnittlichen Unterschiede zwischen Treatment- und Kontrollgrup­ pe mit einer längeren Wohndauer geringer werden. Die Konfidenzintervalle

178

6. Ergebnisse

der Punktschätzer der geschätzten Unterschiede in Abhängigkeit der ver­ schiedenen Wohnzeiträume überlappen jedoch stark, so dass die Unterschie­ de nicht als signifikant verschieden voneinander bewertet werden können. Es handelt sich lediglich um minimale Tendenzen. Für den durchschnittlichen Unterschied zwischen Treatment- und Kon­ trollgruppe in Abhängigkeit eines Anteils statusniedriger Haushalte von zwölf Prozent oder mehr im Vergleich zur Kontrollgruppe zeigt sich eine ähnliche Tendenz der geringer werdenden Unterschiede in Abhängigkeit der Wohndauer (vgl. Abbildung 21). Die Variationen der Unterschiede mit einer Änderung der Wohndauer sind jedoch marginal. Die Interpretation bleibt substanziell identisch bei der Änderung des Schwellenwertes auf neun Prozent (vgl. Abbildung 33 im Anhang). Es gibt auch hier eine schwa­ che Systematik mit der Tendenz zur Reduktion der durchschnittlichen Unterschiede zwischen Treatment- und Kontrollgruppe mit einer längeren Wohndauer. Abbildung 21: ATT in Abhängigkeit des Anteils statusniedriger Haushalte für den Schwellenwert von zwölf Prozent in Abhängigkeit der Wohndauer (undifferenziert)

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (Die Fallzahl variiert mit jeder Berechnung)

6.3 Ergebnisse der Berechnungen

179

Bei dieser Betrachtung ohne weitere Differenzierung nach Bildungsgruppen oder sonstigen als relevant erachteten Merkmalen ist zu beachten, dass es sich um einen Durchschnittswert aller festgestellten Unterschiede zwischen Treatment- und Kontrollgruppe handelt. Wie im theoretischen Rahmen die­ ser Arbeit beschrieben (vgl. Abschnitt 2), wird jedoch von heterogenen Ef­ fekten in Abhängigkeit von den Eigenschaften des Herkunftshaushaltes aus­ gegangen. Wenn dies der Fall ist, kann das bedeuten, dass die eben darge­ stellten durchschnittlichen Unterschiede zwischen Treatment- und Kontroll­ gruppe nach der Differenzierung nach Haushaltseigenschaften (höchste for­ male Bildung im Herkunftshaushalt) unterschiedlich ausgeprägt sind. Wie bei jeder Form der Zusammenfassung würden also bei einer undifferenzierten Betrachtung (wie der obigen) ggf. relevante Informationen verloren ge­ hen, welche zu verzerrten Ergebnissen und falschen Schlussfolgerungen füh­ ren könnten (vgl. Bolger et al. 2019; Morgan; Winship 2014). Im nächsten Abschnitt werden die Ergebnisse einer Sensitivitätsanaly­ se unterzogen, um die Robustheit gegenüber möglicherweise nicht berück­ sichtigten Faktoren zu überprüfen. Anschließend werden die Ergebnisse der Analysen unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Sensitivitätsanalyse inhaltlich eingeordnet und mit Rückblick auf die in Abschnitt 2.6 aufge­ stellten Hypothesen interpretiert. 6.3.1 Sensitivitätsanalysen für die nicht nach Bildungsgruppen differenzierten Berechnungen Der Selektionsprozess, welcher die Zuordnung der Kinder bzw. Haushal­ te zur Treatment- und Kontrollgruppe und simultan auch das Ergebnis (Wahl des Gymnasiums vs. die Wahl einer anderen Schulform) beeinflusst, stellt eine große Herausforderung für die Kausalanalyse im Allgemeinen und bei der Verwendung von Beobachtungsdaten im Speziellen dar. Am Ende beruht die kausale Interpretation der Ergebnisse unter anderem auf nicht testbaren Annahmen über die Vollständigkeit der Modelle. Aus die­ sem Grund wird mithilfe eines Verfahrens, welches auf Rosenbaum Bounds (vgl. Rosenbaum 2002) basiert, eine Sensitivitätsanalyse durchgeführt. Mit­ hilfe der Rosenbaum Bounds kann abgeschätzt werden, wie stark ein nicht berücksichtigter Faktor (Hidden Bias – vergessener oder unbeobachteter Faktor), welcher das Ergebnis und die Selektion in das Treatment beein­ flusst, sein müsste, um die Schätzung der Effekte substanziell zu verändern (vgl. Müller 2012: 16 f.). Hierzu wird das Stata Ado mhbounds (vgl. Becker; Caliendo 2007) verwendet. Gangl (2004) hat ebenfalls ein Stata Ado ent­ wickelt, welches die von Rosenbaum entwickelten rbounds berechnet. Die­ ses ist jedoch für die Anwendung von kontinuierlichen abhängigen Varia­

180

6. Ergebnisse

blen entwickelt. mhbounds (vgl. Becker; Caliendo 2007) hingegen ist für die Anwendung bei binären bzw. kategorialen abhängigen Variablen, wie dies bereits von Rosenbaum (2002) gezeigt wurde, konzipiert. Jedoch führt mhbounds eine Sensitivitätsanalyse für den ATE auf Basis des k-NächstenNachbarn Matching-Algorithmus durch. Somit sollten die Ergebnisse der Sensitivitätsanalyse aufgrund der aufgezeigten schlechteren Performance dieses Matching-Algorithmus (vgl. Tabelle 24 im Anhang) und der höheren Anforderungen bei der Berechnung des ATE (vgl. Abschnitt 3.1) als eher konservative Aussagen hinsichtlich der Robustheit der Ergebnisse eingeord­ net werden152. Das Vorgehen basiert auf der Simulation von verschiedenen Szenarien auf Basis von veränderten Chancenverhältnissen, in die Treatment- oder Kon­ trollgruppe selektiert zu werden, und einer anschließenden Evaluation der entstandenen Verzerrung. Mit diesem Vorgehen kann die nicht überprüfbare konditionale Unabhängigkeitsannahme (CIA) weiterhin nicht überprüft werden, doch gibt sie einen Hinweis darauf, wie folgenschwer eine Verlet­ zung sein könnte. Für die acht analysierten Schwellenwerte und die ersten drei Skalierungen des sozialräumlichen Kontextes (k = 400 bis k = 1.600) so­ wie den beiden Annäherungen an den Schulsprengel der Grundschule mit­ tels Voronoi-Flächen ergibt sich folgendes Bild bei der Sensitivitätsanalyse: Gäbe es eine positive Selektion in das Treatment (die soziale Kompositi­ on des sozialräumlichen Kontextes), also den Fall, dass diejenigen, die in einem solchen Kontext leben, auch diejenigen sind, die mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auf das Gymnasium gehen, würde der Treatmenteffekt überschätzt werden. Somit muss mhplus sowie p_mphplus betrachtet werden (vgl. Tabelle 19). Es wird nur der höchste Wert für Gamma dargestellt, für den p_mhplus bzw. p_mhminus unter fünf Prozent bzw. unter 0,05 liegt153. Es zeigt sich, dass selbst eine Nichtbeachtung eines Faktors, welcher das Chancenverhältnis der Selektion in das Treatment um den Faktor 1,4 (e_y oder Gamma = 1,4) verändert, die substanzielle Interpretation gleich bleiben würde (für k = 400 bei einem Schwellenwert von 1 %). Der Faktor 1,2 stellt 152 Dies sollte auch dazu führen, dass die im Zuge der Sensitivitätsanalyse geschätzten Effekte bzw. Punktschätzer von den Punktschätzern innerhalb der Ergebnisgrafiken, unter der Bedingungen das Gamma gleich eins ist, leicht abweichen sollten. 153 Da die Sensitivitätsanalyse für jede einzelne Berechnung durchgeführt wird und hier­ bei jedes Mal zehn Szenarien getestet werden, wäre eine vollständige Darstellung aller Werte zu umfänglich und nicht zielführend. In einigen Fällen erreichen die Werte für p_mhminus oder p_mhplus ihre Signifikanz mit höheren Werten für Gamma wieder (dies ist nicht dargestellt). Dies verweist darauf, dass hier eine Vorzeichenumkehrung der Effekte stattfindet (vgl. Becker; Caliendo 2007: 9 f.).

6.3 Ergebnisse der Berechnungen

181

das Minimum dar, welches bei dem niedrigsten Schwellenwert zu finden ist. Die Robustheit der Schätzungen erhöht sich deutlich, wenn höhere Schwellenwerte betrachtet werden. Hinsichtlich der Bewertung des Robust­ heitsgrads gibt es keine klaren Grenzen. Aakvik (2001: 132 f.) bezeichnet einen Wert von Gamma von zwei, unter dem die Effekte des Treatments noch signifikant sind, als sehr groß. Ein Faktor, der das Chancenverhältnis in das Treatment selektiert zu werden um den Faktor zwei verschiebt, ist in der Tat als sehr groß zu bezeichnen, so dass bereits bei einem Wert von Gamma von 1,3 bis 1,5 von sehr robusten Ergebnissen ausgegangen wird, da auf alle notwendigen Faktoren bereits kontrolliert wird (vgl. Abschnitt 3.3.1) und es sich um eine eher konservative Schätzung der Robustheit durch mhbounds handelt, da der von mhbounds verwendete Algorithmus zum Matchen nicht optimal für das Analysesample ist (vgl. Becker; Caliendo 2007).

182

6. Ergebnisse

Tabelle 19: Sensitivitätsanalyse auf Basis von mhbounds für den durchschnittlichen Unter­ schied der Wahrscheinlichkeit zwischen Treatment- und Kontrollgruppe, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, für den Anteil statushoher Haushalte in k = 400 bis k = 1.600 sowie den Voronoi-Flächen Schwellenwert / Skalierung 1% / k=400 3% / k=400 6% / k=400 9% / k=400 12% / k=400 15% / k=400 20% / k=400 25% / k=400 1% / k=800 3% / k=800 6% / k=800 9% / k=800 12% / k=800 15% / k=800 20% / k=800 25% / k=800 1% / k=1.600 3% / k=1.600 6% / k=1.600 9% / k=1.600 12% / k=1.600 15% / k=1.600 20% / k=1.600 25% / k=1.600 1% / Schulsprengel 3% / Schulsprengel 6% / Schulsprengel 9% / Schulsprengel 12% / Schulsprengel 15% / Schulsprengel 20% / Schulsprengel 25% / Schulspren el 1% / Schulsprengel & Distance Decay 3% / Schulspren el & Distance Decay 6% / Schulsprengel & Distance Decay 9% / Schulsprengel & Distance Decay 12% / Schulsprengel & Distance Decay 15% / Schulsprengel & Distance Decay 20% / Schulsprengel & Distance Decay 25% / Schulsprengel & Distance Decay

e_y 1,4 1,5 1,8 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 1,4 1,4 1,8 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 1,4 1,4 1,8 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 1,2 1,4 1,6 1,8 1,9 2,0 2,0 2,0 1,5 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0

mhplus 2,107 1,863 2,048 2,468 3,168 3,841 3,958 4,277 2,128 2,231 1,929 1,748 3,153 3,506 3,526 4,418 1,826 2,463 1,820 2,341 3,443 3,555 4,188 3,780 2,723 2,290 2,408 2,164 2,088 1,758 2,228 2,963 1,856 2,032 3,210 3,471 4,245 4,332 4,333 3,988

mhminus 12,227 13,815 17,419 19,405 19,002 18,820 17,779 17,137 12,087 12,213 17,510 18,376 18,854 18,298 17,033 17,264 11,538 12,596 17,520 19,148 19,044 18,424 17,827 16,497 7,825 12,437 15,096 16,752 16,675 16,569 15,150 15,039 14,061 20,794 19,007 17,601 16,551 15,320 13,945 12,267

p_mhplus 0,018 0,031 0,020 0,007 0,001 0,000 0,000 0,000 0,017 0,013 0,027 0,040 0,001 0,000 0,000 0,000 0,034 0,007 0,034 0,010 0,000 0,000 0,000 0,000 0,003 0,011 0,008 0,015 0,018 0,039 0,013 0,002 0,032 0,021 0,001 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000

p_mhminus 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000

Quelle: Eigene Berechnungen mithilfe des Stata Ados mhbounds (vgl. Becker; Caliendo 2007) auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (Die Fallzahl variiert mit jeder Berechnung)

Im Fall der Effekte des Anteils statusniedriger Haushalte (vgl. Tabelle 20) muss mhminus und p_mhminus betrachtet werden, da von einem generell negativen Effekt des Anteils statusniedriger Haushalte ausgegangen wird. Es zeigt sich eine gewisse Robustheit. Die Robustheit der geschätzten Effekte scheint weniger vom Schwellenwert als von der Skalierung abzuhängen.

6.3 Ergebnisse der Berechnungen

183

Die kleineren Skalierungen k = 400 und k = 800 weisen besonders bei höheren Schwellenwerten eine generell größere Robustheit auf im Vergleich zu bspw. k = 1.600. Die Annäherung an den Schulsprengel der Grundschule mittels der Voronoi-Flächen und einer distanzabhängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte weist insgesamt (über alle Schwellenwerte) auch eine gute Robustheit auf. Im Durchschnitt beträgt diese 1,2. Eine Ver­ änderung des Chancenverhältnisses, in das Treatment selektiert zu werden, um einen Faktor größer als 1,2 würde jedoch in den meisten Fällen zu einer substanziellen Änderung der inhaltlichen Interpretation der Ergebnisse füh­ ren.

184

6. Ergebnisse

Tabelle 20: Sensitivitätsanalyse auf Basis von mhbounds für den durchschnittlichen Unter­ schied der Wahrscheinlichkeit zwischen Treatment- und Kontrollgruppe, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, für den Anteil statusniedriger Haushalte in k = 400 bis k = 1.600 sowie den Voronoi-Flächen Schwellenwert / Skalierung 1% / k=400 3% / k=400 6% / k=400 9% / k=400 12% / k=400 15% / k=400 20% / k=400 25% / k=400 1% / k=800 3% / k=800 6% / k=800 9% / k=800 12% / k=800 15% / k=800 20% / k=800 25% / k=800 1% / k=1.600 3% / k=1.600 6% / k=1.600 9% / k=1.600 12% / k=1.600 15% / k=1.600 20% / k=1.600 1% / Schulsprengel 3% / Schulsprengel 6% / Schulsprengel 9% / Schulspren el 12% / Schulsprengel 15% / Schulsprengel 20% / Schulsprengel 25% / Schulsprengel 1% / Schulsprengel & Distance Decay 3% / Schulsprengel & Distance Decay 6% / Schulsprengel & Distance Decay 9% / Schulspren el & Distance Decay 12% / Schulsprengel & Distance Decay 15% / Schulsprengel & Distance Decay 20% / Schulsprengel & Distance Decay 25% / Schulsprengel & Distance Decay

e_y 1,3 1,3 1,3 1,3 1,3 1,3 1,2 1,2 1,2 1,2 1,2 1,3 1,3 1,3 1,4 1,3 1,2 1,1 1,1 1,1 1,1 1,2 1,3 1,1 1,0 1,0 1,1 1,2 1,2 1,2 1,2 1,1 1,1 1,2 1,3 1,3 1,3 1,4 1,2

mhplus 9,694 8,984 9,181 8,062 8,097 7,863 5,580 5,718 7,512 6,870 7,417 8,180 8,176 7,996 8,767 7,000 6,977 4,372 4,369 4,735 4,824 6,306 7,141 5,102 2,770 2,762 4,553 6,016 5,692 5,422 5,545 4,860 4,794 5,755 7,423 6,876 6,305 6,799 4,080

mhminus 1,911 1,665 2,464 1,675 2,039 2,128 1,926 2,336 2,074 1,622 2,558 1,613 1,951 2,063 1,798 2,138 1,579 1,570 1,785 2,329 2,556 2,174 1,650 2,313 2,770 2,762 2,152 1,732 1,677 1,724 2,208 2,096 2,297 1,667 2,092 2,048 1,825 2,042 1,948

p_mhplus 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,003 0,003 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000

p_mhminus 0,028 0,048 0,007 0,047 0,021 0,017 0,027 0,010 0,019 0,052 0,005 0,053 0,026 0,020 0,036 0,016 0,057 0,058 0,037 0,010 0,005 0,015 0,050 0,010 0,003 0,003 0,016 0,042 0,047 0,042 0,014 0,018 0,011 0,048 0,018 0,020 0,034 0,021 0,026

Quelle: Eigene Berechnungen mithilfe des Stata Ados mhbounds (vgl. Becker; Caliendo 2007) auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (Die Fallzahl variiert mit jeder Berechnung)

Zu bedenken ist, dass ein relativ konservativer Wert von 0,05 an das Signi­ fikanzniveau (p_mhplus & p_mhminus) angelegt wird. Teilweise wird hier auch mit dem Wert 0,10 gearbeitet, was zu deutlich höheren Werten von Gamma führen würde (vgl. Müller 2012; Becker; Caliendo 2007). Weiter handelt es sich bei den simulierten Szenarien um Worst-Case-Szenarien. Ein

6.3 Ergebnisse der Berechnungen

185

niedriger Wert für Gamma bedeutet nicht, dass unbeobachtete Faktoren existieren oder dass es keinen Effekt des Treatments gibt. Die Ergebnisse der Sensitivitätsanalyse zeigen lediglich auf, dass bei einer gewissen Verschie­ bung des Chancenverhältnisses das 95-Prozent-Konfidenzintervall die Null inkludieren würde (vgl. Becker; Caliendo 2007: 11 f.). Insgesamt stellen sich die Ergebnisse der Berechnungen für die durchschnittlichen Unterschiede der Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasiums zu besuchen, zwischen Treatment- und Kontrollgruppe in Abhängigkeit des Anteils statushoher Haushalte somit wesentlich robuster im Vergleich zu den durchschnittlichen Unterschieden in Abhängigkeit des Anteils statusniedriger Haushalte dar. Insgesamt ist die Robustheit der Ergebnisse als ausreichend bis gut zu bewerten, da relativ stark verzerrende Faktoren nicht berücksichtigt hätten werden müssen, um die substanzielle Interpretation der Ergebnisse zu verändern. Zudem werden meist ausreichend bis gute Werte für Gamma erreicht, wenn der Schwellenwert groß genug ist, was sowohl datentechnisch wie auch inhaltlich als sinnvoll erscheint. 6.3.2 Inhaltliche Einordnung der nicht nach Bildungsgruppen differenzierten Effekte mit Rückbezug auf die Hypothesen eins bis 5.1 Die kausale Interpretation der durchschnittlichen Unterschiede zwischen den jeweiligen Treatment- und Kontrollgruppen in Abhängigkeit verschiede­ ner Schwellenwerte, der sozialen Komposition und Skalierungen der sozial­ räumlichen Kontexte wird in diesem Abschnitt unter Rückbezug auf die ers­ ten zehn Hypothesen und Unterhypothesen, welche in Abschnitt 2.6 formu­ liert wurden, vorgenommen. Aufgrund des methodischen Vorgehens (vgl. Abschnitt 3), der als ausreichend genau erachteten Definition des Treatments und der Identifikation des Effektes (vgl. Abschnitt 3.4), den zu großen Tei­ len robusten Ergebnissen der Sensitivitätsanalyse (vgl. Abschnitt 6.3.1) und unter Berücksichtigung der 95-Prozent-Konfidenzintervalle (vgl. Abschnitte 3.2 & 6.3) wird den Ergebnissen der Berechnungen eine ausreichende Si­ cherheit zugeschrieben, um diese kausal interpretieren zu können. Auch die Tatsache, dass sich in den relevanten Berechnungen der kausale Effekt, berechnet als ATT, und die zusätzlich berechneten durchschnittlichen Treat­ menteffekte (ATE) in ihrer substanziellen Interpretation kaum unterscheiden, wird als Indikator für die Qualität und Konsistenz der Schätzungen gewertet (vgl. Abschnitt 3.1 sowie Abbildung 35 & Tabellen 27 & 28 im Anhang). Die Effekte werden kausal für das Analysesample interpretiert. Um keine falsche Präzision bei der Interpretation der Ergebnisse zu suggerieren, wel­ che unter den Bedingungen der empirischen Machbarkeit bei gegebener

186

6. Ergebnisse

Datenlage nicht angemessen wäre, werden bei der Interpretation weniger die exakten Punktschätzer im Fokus der Interpretation stehen als die gene­ relle Tendenz und Stärke der Effekte. Am Ende bleibt „an air of uncertainty“ (Holland 1986: 959) und es muss den transparent dargestellten Modellen, Annahmen und Operationalisierungen zugestimmt werden, die im Laufe dieser Arbeit gemacht wurden, um dieser kausalen Interpretation und einer möglichen Verallgemeinerung zuzustimmen. Die ersten zehn Hypothesen dienen der generelle Überprüfung, ob Kompositionseffekte im deutschen Kontext im Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit, die Schulform des Gymnasiums nach der Grundschu­ le zu besuchen, aufgezeigt werden können (H1), ob diese systematisch in Abhängigkeit der betrachteten Statusgruppe (statushohe vs. statusniedrige Haushalte) innerhalb des relevanten sozialräumlichen Kontextes variieren (H2 & H2.1 & H2.2), der Relevanz von Schwellenwerten (H3 & H3.1) und Skalierung (H4 & H4.1) sowie der Wohndauer (H5 & H5.1). Die kontrafak­ tische Annahme hierbei lautet, dass Kinder im Durchschnitt eine veränderte Wahrscheinlichkeit aufweisen, die Schulform des Gymnasiums nach der Grundschule zu besuchen, wenn die soziale Komposition innerhalb ihres relevanten sozialräumlichen Kontextes eine andere Konzentration einer je­ weiligen Statusgruppe (in den meisten Fällen einen Anteil von drei oder weniger Prozent) oder im Fall der Hypothesen H5 und H5.1 eine veränder­ te Wohndauer aufweisen würde. Eine veränderte soziale Komposition am oberen oder unteren Ende der microm-Statusverteilung (vgl. microm 2020) sollte zu einem veränderten Handlungsrahmen führen und sodann über zwei explizit benannte Wirkketten (vgl. Abschnitt 2.6) einen Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium zu besuchen, haben. Eine Differenzierung der beiden Wirkketten bzw. Mechanismen ist auf Basis der Daten nicht möglich, so dass der totale Effekt ohne Differenzierung nach den einzelnen Mechanismen dargestellt und interpretiert wird. Die festgestellten Effekte werden in diesem Abschnitt noch nicht argumentativ einem der beiden Me­ chanismen zugeordnet, da dies auf Basis der nicht nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen als nicht sinnvoll erachtet wird. Dies wird jedoch bei der Interpretation der Effekte der nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen, soweit dies möglich und sinnvoll erscheint, getan (vgl. Abschnitt 6.4.2). Die Hypothesen werden exemplarisch auf Basis einer Skalierung überprüft und inhaltlich eingeordnet, so dass in einem ersten Schritt die

6.3 Ergebnisse der Berechnungen

187

vierte Hypothese (H4154) und ihre Unterhypothese (H4.1155) zur Identifikation einer relevanten Skalierung überprüft werden. Eine substanzielle Variation der Stärke der Effekte ist zwischen den als relevant definierten Skalierungen (k = 400 bis k = 1.600) bei einer un­ differenzierten Analyse auf Basis aller Schwellenwerte nicht zu erkennen (vgl. Abbildung 22). Die Effekte variieren über die drei Skalierungen in Abhängigkeit der Schwellenwerte zwischen 0,5 Prozentpunkten und 2,9 Prozentpunkten bei der Betrachtung des Anteils statusniedriger Haushalte und zwischen einem Prozentpunkt und 2,9 Prozentpunkten bei den Effekten für den Anteil statushoher Haushalte. Die Variation nimmt bedeutend zu, wenn die Annäherung an die Schulsprengel mittels der Voronoi-Flächen sowie die distanzgewichtete Analyse des Anteils der Haushalte innerhalb der Voronoi-Flächen berücksichtigt wird (vgl. Tabellen 17 & 18). Die erwar­ tete Systematik bei den Effektstärken in Abhängigkeit der Skalierung kann damit nicht in Bezug auf den Vergleich der k-skalierten sozialräumlichen Kontexte jedoch im Vergleich mit den Voronoi-Flächen aufgezeigt werden. Somit wird die vierte Hypothese (H4) angenommen.

154 H4: Die Stärke der Effekte der sozialen Komposition auf die Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium nach der Grundschule zu besuchen, variieren in Abhängigkeit der Skalie­ rung des sozialräumlichen Kontextes. Dies gilt sowohl für den Anteil statushoher Haus­ halte als auch für den Anteil statusniedriger Haushalte innerhalb des relevanten sozial­ räumlichen Kontextes. 155 H4.1: Die kleinste Skalierung (k = 400) sowie die Annäherung an den Schulsprengel der Grundschule weisen die stärksten Effekte auf.

188

6. Ergebnisse

Abbildung 22: ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher und statusniedriger Haushalte für alle überprüften Schwellenwerte und Skalierungen (undifferenziert)

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (Die Fallzahl variiert mit jeder Berechnung)

6.3 Ergebnisse der Berechnungen

189

Der Argumentation von Hartung und Hillmert (2019) folgend, erscheinen die relativ konstanten Effekte der k-skalierten sozialräumlichen Kontexte konsistent. Wenn beispielsweise in den 400 (k = 400) nächsten Nachbarhaus­ halten ein Anteil von neun Prozent statushoher Haushalte vorzufinden ist, wären dies 36 Haushalte. In k = 800 wären dies bereits 72 Haushalte. Es ist klar, dass die zusätzlichen 36 Haushalte in k = 800 mit dem jeweiligen Status weiter entfernt liegen und damit die Wahrscheinlichkeit für soziale Interaktionen aufgrund der größeren räumlichen Distanz abnimmt. Somit wird der relativ konstante Effekt innerhalb der Schwellenwerte über die Skalierungen (k = 400 bis k = 1.600) als implizit wirkende Distance-DecayFunktion auf individueller Ebene interpretiert. Die Anzahl der Haushalte nimmt mit einer Vergrößerung der Skalierung zu, die Relevanz der zusätz­ lichen Haushalte nimmt jedoch ab, da diese weiter entfernt sind (auf indi­ vidueller Ebene), womit sich am Ende ein konstanter Koeffizient für den durchschnittlichen Effekt ergibt (vgl. ebd. 2019). Innerhalb der k-skalierten sozialräumlichen Kontexte zeigen sich star­ ke Effekte von 14,4 Prozentpunkten (statushohe Haushalte) sowie minus 5,6 Prozentpunkten (statusniedrige Haushalte) innerhalb der kleinsten Ska­ lierung von k = 400 und einem Schwellenwert von 25 Prozent ( 25 %). Dieses Ergebnis erscheint konsistent, da in dieser Skalierung die grundlegende Voraussetzungen zum Wirken von sozial-interaktiven Me­ chanismen aufgrund von räumlicher Nähe als erfüllt angesehen werden kann (vgl. Abschnitt 2). Die soziale Komposition innerhalb der Annähe­ rung an den Schulsprengel der Grundschule mittels Voronoi-Flächen und unter Anwendung einer distanzabhängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte weist noch stärkere Effekte von minus 7,8 Prozentpunkten für den Anteil statusniedriger Haushalte und 20,5 Prozentpunkten für den Anteil statushoher Haushalte auf. Es wird jedoch nur noch eine grenzwer­ tige Balance zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bei der Anwendung des PSM-Verfahrens für die höheren Schwellenwerte bei der Analyse der Effekte des Anteils statushoher Haushalte erreicht. Beide Ergebnisse zeigen die große Relevanz räumlicher Nähe als Voraussetzung für das Wirken sozial-interaktiver Mechanismen, so dass Hypothese 4.1 (H4.1156) angenom­ men wird. Die vom Niveau stärkeren Effekte bei der Operationalisierung mittels Voronoi-Flächen mit der Anwendung einer distanzabhängigen Ge­ wichtung der Relevanz der Statushaushalte zeigen auch die hohe Relevanz der Art der Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes auf. Das höhere Niveau der Effekte bei einem gleichzeitigen sehr ähnlichen Muster 156 H4.1: Die kleinste Skalierung (k = 400) sowie die Annäherung an den Schulsprengel der Grundschule weisen die stärksten Effekte auf.

190

6. Ergebnisse

der Effekte in Abhängigkeit der Schwellenwerte wird als Indikator dafür gesehen, dass diese Form der Operationalisierung die relevantere Art der Operationalisierung bzw. Skalierung des sozialräumlichen Kontexts für die Analyse des Forschungsgegenstandes dieser Arbeit ist. Der soziale Interaktio­ nen strukturierende Charakter des Grundschulsprengels für Eltern wie auch für das Kind (vgl. Abschnitt 2) sowie die distanzabhängige Formation von Schulfreundschaften (vgl. Kruse et al. 2016) werden bei dieser Art der Ope­ rationalisierung annäherungsweise besser berücksichtigt und stellen damit auch besser den Aktionsraum und die Interaktionsmuster der Haushalte dar (vgl. Abschnitt 2)157. Gleichzeitig treten bei einer derartigen Operationalisierung einige der in Abschnitt 2.3 beschrieben Probleme der Über- bzw. Unterschätzung von Distanzen auf. Eine ringförmige Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes auf Basis der k-Nächsten-Nachbarhaushalte hat, besonders im Hinblick auf die Vergleichbarkeit mit Ergebnissen anderer Studien, enorme Vorteile. Diese missachtet jedoch potenziell wichtige soziale Interaktionen strukturierende Kontexte, in den der Haushalt und das Kind eingebettet sind. Interessanterweise zeigt sich ein tendenziell inverser u-förmiger Verlauf der Punktschätzer der verschiedenen Schwellenwerte innerhalb der Annähe­ rung an den Schulsprengel mittels Voronoi-Flächen bei der Betrachtung des Anteils statushoher Haushalte, nicht aber bei der Analyse des Anteils status­ niedriger Haushalte in derselben Skalierung. Hieraus lässt sich schließen, dass im Vergleich der beiden Ergebnisse miteinander, je nach betrachteter sozialer Statusgruppe, mit einer anderen Wirkung einer steigenden Konzen­ tration der betrachteten Statusgruppen gerechnet werden muss. Zudem wird deutlich, dass die Skalierung des sozialräumlichen Kontextes auf die Fragestellung bzw. den Forschungsgegenstand angepasst sein muss, denn verschiedene Skalierungen des sozialräumlichen Kontextes verweisen auf unterschiedlich wirkende Mechanismen (vgl. Petrović et al. 2021). Ohne die Berücksichtigung der Distanz der Haushalte zueinander zeigt das Ergebnis bei der Analyse der Effekte des Anteils statushoher Haushalte innerhalb der Voronoi-Flächen eine Art Sättigungseffekt auf (vgl. Galster 2003: 901 ff.), welcher eher auf den Mechanismus der Competition (vgl. Galster 2012: 37 ff.; Jencks; Mayer 1990) zurückzuführen ist. Für Analysen, welche die Effekte 157 Anzumerken ist, dass aus einer theoretischen Perspektive die Anwendung der DistanceDecay-Funktion in Bezug auf soziale Interaktionen sinnhaft erscheint, nicht jedoch in Bezug auf den Mechanismus des Wettkampfes. Denn bei den Plätzen an den wohnort­ nächsten Gymnasien spielt die absolute Anzahl an Kindern eine Rolle. Jedoch kann für weiter entfernte Kinder abermals ein anderes Gymnasium wohnortnäher sein, so dass der Effekt des Wettkampfes abgemildert wird.

6.3 Ergebnisse der Berechnungen

191

auf Basis dieses Mechanismus untersuchen wollen, wäre eine Operationali­ sierung des Schulsprengels des nächstgelegenen öffentlichen Gymnasiums eine noch bessere Annäherung, da diese Operationalisierung des sozial­ räumlichen Kontextes die räumliche Ausdehnung besser darstellen würde, innerhalb derer die umkämpfte Ressource (Schulplätze am Gymnasium) verfügbar ist. Mit der distanzabhängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaus­ halte stehen hingegen sozial-interaktive Mechanismen im Vordergrund, so dass diese Skalierung zur Überprüfung der Hypothesen, zur Interpretation und inhaltlichen Einordnung der Ergebnisse im Weiteren verwendet bzw. dargestellt wird. Nachteilig ist das erneute Auftreten des Problems der Überbzw. Unterschätzung von Distanzen, wenn es um Statushaushalte außerhalb der jeweiligen Voronoi-Fläche geht, sowie die unterschiedlichen räumlichen Ausdehnungen der sozialräumlichen Kontexte, die einen Vergleich ggf. er­ schweren könnten158. In Abhängigkeit der betrachteten Statusgruppe inner­ halb des relevanten sozialräumlichen Kontextes und auch in Abhängigkeit des jeweiligen Schwellenwertes weisen andere Skalierungen teilweise klarere Effekte auf. Aus den oben dargestellten inhaltlichen Gründen wird jedoch der Operationalisierung mittels der Annäherung an den Schulsprengel der Grundschule mit einer distanzabhängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte die größte Relevanz für die Bearbeitung der Fragestellung dieser Arbeit zugeschrieben. Die anderen Skalierungen werden dennoch dargestellt und können als Anhalts- oder Referenzpunkt für andere Studien genutzt werden159. Für das Analysesample zeigen sich unter Kontrolle einer Vielzahl kind- und haushaltsspezifischer sowie räumlicher Faktoren klare Ef­ fekte der sozialen Komposition auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grund­ schule die Schulform des Gymnasiums zu besuchen. Die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium zu besuchen, wenn mindestens zwei Jahre vor dem letzten beobachteten Grundschuljahr der distanzgewichtete 158 Eine Anpassung auf Basis einer veränderten Gewichtung für Haushalte innerhalb und außerhalb der Voronoi-Flächen wäre ggf. eine Möglichkeit, dieses Problem zu adressieren, was jedoch in dieser Arbeit nicht mehr umgesetzt werden konnte. Die unterschiedliche Ausdehnung der sozialräumlichen Kontexte und damit ihre unterschiedliche Anzahl an Haushalten wird erst dann ein Problem, wenn diese systematisch variieren und damit zu einem verzerrenden Faktor werden. Eine nicht dargestellte deskriptive Überprüfung gibt hierfür keine Anhaltspunkte. 159 Aufgrund der Unsicherheit in Bezug auf die Wahl der relevanten Skalierung bzw. Form der Operationalisierung werden die Hypothesen zusätzlich auf Basis der Skalierung k = 400 beantwortet. Dies geschieht jedoch nicht ausführlich, sondern lediglich in Form einer Zusammenfassung in Tabellenform (vgl. Tabelle 22), da die grundsätzliche inhaltli­ che Argumentation aus diesem Abschnitt weitestgehend übertragen werden kann.

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6. Ergebnisse

Anteil statushoher Haushalte innerhalb der Annäherung an den Schulspren­ gel der Grundschule mehr als neun Prozent beträgt, erhöht sich um 11,7 Prozentpunkte. Bei einem Anteil von mehr als zwölf Prozent statushoher Haushalte sogar um 15,5 Prozentpunkte im Vergleich zu, ansonsten glei­ chen Haushalten, die nur einem Anteil statushoher Haushalte von 1 % & 15 % und > 25 %) und Bildungsgruppe (niedrige formale Bildung) weisen höhere Werte von vier bzw. sechs Prozentpunkten und sechs bzw. acht Prozent­ punkten auf.

6.4 Ergebnisse der Berechnungen der nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen Abbildung 27: ATT in Abhängigkeit des Anteils statusniedriger Haushalte für alle überprüften Schwellenwerte und Skalierungen; Differenziert nach Bildungsgruppen

205

206

6. Ergebnisse

Fortsetzung der Abbildung 27

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (Die Fallzahl variiert mit jeder Berechnung)

Für Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung führt eine Erhöhung des Schwellenwerts des Anteils statusniedriger Haushalte zu einer durch­ schnittlichen Erhöhung der Unterschiede zwischen Treatment- und Kontroll­ gruppe in allen Skalierungen. Der Verlauf ist hierbei nahezu linear. Haus­ halte mit einer hohen formalen Bildung weisen eine nochmals andere Systematik in den verschiedenen Skalierungen und mit einer Veränderung der Schwellenwerte auf. Eine Erhöhung der Schwellenwerte führt zu einer minimalen und unsystematischen Veränderung der durchschnittlichen Un­ terschiede in k = 800 und k = 1.600 sowie den Voronoi-Flächen. In k = 400 zeigt sich eine Reduktion der durchschnittlichen Unterschiede mit einer Erhöhung des Schwellenwertes. Für die im vorherigen Abschnitt als rele­ vant identifizierte Skalierung der Annäherung an den Schulsprengel der Grundschule mit einer distanzabhängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte (vgl. Abschnitte 6.3 & 6.3.2) stellen sich die durchschnittli­ che Veränderung des Unterschiedes in Abhängigkeit der Schwellenwerte als wenig distinkt voneinander dar und weisen erst bei einem Schwellenwert

6.4 Ergebnisse der Berechnungen der nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen

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von 25 Prozent ( 25 %) eine tendenzielle Richtung bzw. stärkere Differenzierung zwischen den Bildungsgruppen auf (vgl. Abbildung 28). Abbildung 28: ATT in Abhängigkeit des Anteils statusniedriger Haushalte über alle Schwellenwerte für die Operationalisierung mittels Voronoi-Flächen mit einer distanzabhängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte; Differenziert nach Bildungsgruppen

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (Die Fallzahl variiert mit jeder Berechnung)

Insgesamt zeigt sich, dass auch unter einer möglichen Reduktion des Konfidenzniveaus auf 90 Prozent, die Vorzeichen der Unterschiede in den meisten Fällen nicht klar bestimmt werden können. Mit Ausnahme des Punktschät­ zers für die Gruppe der Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung bei einem Schwellenwert von 25 Prozent ( 25 %) schneiden alle Konfidenzintervalle in der betrachteten Operationalisierung des sozial­ räumlichen Kontextes die Null deutlich. Für die Gruppe der Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung könnte mit einer Reduktion des Kon­ fidenzniveaus auch der durchschnittliche Unterschied zwischen Treatment-

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6. Ergebnisse

und Kontrollgruppe bei einem Schwellenwert von sechs Prozent als negativ identifiziert werden. Im nächsten Abschnitt werden die Ergebnisse einer Sensitivitätsanaly­ se unterzogen, um die Robustheit gegenüber möglicherweise nicht berück­ sichtigten Faktoren zu überprüfen. Anschließend werden die Ergebnisse der Analysen unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Sensitivitätsanalyse inhaltlich eingeordnet und mit Rückblick auf die im Abschnitt 2.6 aufge­ stellten Hypothesen interpretiert. 6.4.1 Sensitivitätsanalysen für die nach Bildungsgruppen differenzierten Berechnungen Im Folgenden werden die Ergebnisse der Sensitivitätsanalyse mittels Rosenbaum Bounds (vgl. Rosenbaum 2002) unter Nutzung des Stata Ado mhbounds (vgl. Becker; Caliendo 2007) in gleicher Weise wie bereits bei der Sensitivitätsanalyse der undifferenzierten Effekte (vgl. Abschnitt 6.3.1) dargestellt und interpretiert. Für die acht analysierten Schwellenwerte und die ersten fünf Skalierungen des sozialräumlichen Kontextes (k = 400 bis k = 1.600 sowie die beiden Voronoi-Flächen) ergibt sich folgendes Bild bei der Sensitivitätsanalyse: Gäbe es eine positive Selektion in das Treatment (die soziale Kompositi­ on des sozialräumlichen Kontextes), also den Fall, dass diejenigen, die in einem solchen Kontext leben, auch diejenigen sind, die mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auf das Gymnasium gehen, würde der Treatmenteffekt überschätzt werden. Somit muss bei der Überprüfung der Robustheit der Effekte des Anteils statushoher Haushalte innerhalb der sozialräumlichen Kontexte mhplus sowie p_mphplus betrachtet werden, da hier von einem generellen positiven Effekt ausgegangen wird. Die einzelnen Werte sind im Anhang in Tabelle 26 zu finden. In der Tabelle wird lediglich der höchste Wert für Gamma dargestellt für den p_mhplus bzw. p_mhminus unter fünf Prozent bzw. unter 0,05 liegt173. Bei der Analyse der Robustheit der Schät­ zungen in Abhängigkeit der verschiedenen Schwellenwerte und des Anteils statushoher Haushalte innerhalb der verschiedenen Skalierungen und differenziert nach den Bildungsgruppen zeigt sich, dass die durchschnittliche Robustheit der Schätzung unabhängig von der Skalierung und Bildungs­ 173 Da die Sensitivitätsanalyse für jede einzelne Berechnung (Kombination aus Skalierung, Schwellenwert, Bildungsgruppe und betrachteter Gruppe innerhalb des sozialräumlichen Kontextes) durchgeführt wird und hierbei jedes Mal zehn Szenarien getestet werden (zehn unterschiedliche Werte für Gamma), ist eine vollständige Darstellung aller Werte zu umfänglich und nicht zielführend.

6.4 Ergebnisse der Berechnungen der nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen

209

gruppe mit einem höheren Schwellenwert leicht steigt. Zudem weisen die Ergebnisse für die Haushalte mit einer hohen formalen Bildung die höchs­ te durchschnittliche Robustheit innerhalb der Skalierungen auf. Gamma liegt im Durchschnitt zwischen 1,6 und 1,85, während die Ergebnisse für Haushalte mit einer niedrigen formalen Bildung eine wesentlich niedrige­ re durchschnittliche Robustheit aufweisen. Der durchschnittliche Wert für Gamma beträgt lediglich eins. Die durchschnittliche Robustheit der Ergeb­ nisse für Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung innerhalb der verschiedenen Skalierungen liegt zwischen eins und 1,1. Besonders die Ope­ rationalisierung des sozialräumlichen Kontextes mittels der Voronoi-Flächen und einer distanzabhängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte weist die höchste Robustheit über alle Skalierungen für die Gruppe der Haushalte mit einer hohen (Gamma = 1,85) und mittleren (Gamma = 1,16) formalen Bildung auf. Es zeigt sich für die Operationalisierung des sozial­ räumlichen Kontextes mittels der Voronoi-Flächen und einer distanzabhän­ gigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte, dass selbst eine Nicht­ beachtung eines Faktors, welcher das Chancenverhältnis der Selektion in das Treatment im Durchschnitt um den Faktor 1,8 (Gamma = 1,8) verändert, die substanzielle Interpretation der Ergebnisse für die Gruppe der Haushalte mit einer hohen formalen Bildung gleich bleiben würde. Bei der Gruppe der Haushalte mit einer niedrigen und mittleren formalen Bildung würden bereits wesentlich kleinere Veränderungen der Chancenverhältnisse zu sub­ stanziell anderen Ergebnissen führen. Zur Überprüfung der Robustheit der Effekte des Anteils statusniedriger Haushalte in den verschiedenen Kombi­ nationen aus Bildungsgruppe, Skalierung und Schwellenwert, wird mhminus und p_mhminus betrachtet, da von einem generell negativen Effekt ausge­ gangen wird. Es zeigt sich eine gewisse Robustheit, jedoch ist diese nicht so deutlich wie bei der Analyse der Effekte des Anteils statushoher Haushalte (vgl. Tabelle 26 im Anhang). Die Ergebnisse scheinen nicht gegen eventuelle Verschiebungen des Chancenverhältnisses der Selektion und damit unbeob­ achteter Faktoren, robust zu sein. Gamma beträgt in den meisten Fällen unabhängig von Bildungsgruppe, Skalierung oder Schwellenwert eins. Damit kann abschließend festgestellt werden, dass die geschätzten Un­ terschiede zwischen Treatment- und Kontrollgruppe in Abhängigkeit des Anteils statushoher Haushalte innerhalb der verschiedenen Skalierungen des sozialräumlichen Kontextes als robust gegen eventuelle Verzerrungen durch nicht beachtete Faktoren anzusehen sind. Dies gilt jedoch nicht für die geschätzten Unterschiede zwischen Treatment- und Kontrollgruppe in Abhängigkeit des Anteils statusniedriger Haushalte. Die Sensitivitätsanaly­ se soll jedoch lediglich als ein Indikator zur Absicherung der Ergebnisse verstanden werden, es gelten aber abermals die einschränkenden Hinweise

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6. Ergebnisse

betreffend der verwendeten Methode und der Reichweite der Aussagekraft der Sensitivitätsanalyse aus dem Abschnitt 6.3.1. 6.4.2 Inhaltliche Einordnung der nach Bildungsgruppen differenzierten Effekte mit Rückbezug auf die Hypothesen sechs bis acht Die kausale Interpretation der durchschnittlichen Unterschiede zwischen den jeweiligen Treatment- und Kontrollgruppen in Abhängigkeit verschiede­ ner Schwellenwerte, der sozialen Komposition, der Skalierungen des sozi­ alräumlichen Kontextes und einer weiteren Differenzierung nach drei Bil­ dungsgruppen wird in diesem Abschnitt unter Rückbezug auf die Hypothe­ sen sechs bis acht und ihre Unterhypothesen vorgenommen (vgl. Abschnitt 2.6). Aufgrund des methodischen Vorgehens (vgl. Abschnitt 3), der als aus­ reichend genau erachteten Definition des Treatments und der Identifikation des Effektes (vgl. Abschnitt 3.4), den in Teilen robusten Ergebnissen der Sensitivitätsanalyse (vgl. Abschnitt 6.4.1) und unter Berücksichtigung der zusätzlich berechneten 95-Prozent-Konfidenzintervalle, wird den Ergebnis­ sen eine ausreichende Sicherheit zugeschrieben, diese kausal interpretieren zu können. Auch die Tatsache, dass sich in den relevanten Berechnungen der kausale Effekt, berechnet als ATT, und die zusätzlich berechneten durch­ schnittlichen Treatmenteffekte (ATE) in ihrer substanziellen Interpretation kaum unterscheiden, wird als Indikator für die Qualität und Konsistenz der Schätzungen gewertet (vgl. Abschnitt 3.1 sowie Abbildungen 36, 37 & Tabellen 27, 28 im Anhang). Wie auch bei der inhaltlichen Einordnung der undifferenzierten Effekte (vgl. Abschnitt 6.3) werden bei der Interpretation weniger die exakten Punktschätzer im Fokus der Interpretation stehen als die generelle Tendenz und Stärke der Effekte. Am Ende bleibt „an air of uncertainty“ (Holland 1986: 959) und es muss abermals den transparent dargestellten Modellen, Annahmen und Operationalisierungen zugestimmt werden, die im Laufe dieser Arbeit erfolgt sind, um dieser kausalen Interpre­ tation und einer möglichen Verallgemeinerung zuzustimmen. Die Hypothesen sechs bis acht dienen der Überprüfung der erwarteten Effektheterogenität (H6) und der systematischen Variation der Effekte in Abhängigkeit der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes (statushohe vs. statusniedrige Haushalte) sowie der Bildungsgrup­ penzugehörigkeit (H6.1 bis H6.6). Zudem wird die Relevanz der Skalierung bzw. Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes (H7 & H7.1) so­ wie verschiedener Schwellenwerte (H8) unter Berücksichtigung der Differenzierung des Analysesamples nach Bildungsgruppen überprüft. Die kon­ trafaktische Annahme lautet ebenso wie bei den undifferenzierten Analy­ sen (vgl. Abschnitt 6.3.2), dass Kinder im Durchschnitt eine veränderte

6.4 Ergebnisse der Berechnungen der nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen

211

Wahrscheinlichkeit aufweisen, die Schulform des Gymnasiums nach der Grundschule zu besuchen, wenn deren soziale Komposition innerhalb ihres relevanten sozialräumlichen Kontextes eine andere Konzentration einer je­ weiligen Statusgruppe (in den meisten Fällen einen Anteil von drei oder weniger Prozent) aufweisen würde. Eine veränderte soziale Komposition am oberen oder unteren Ende der microm-Statusverteilung (vgl. microm 2020) sollte zu einem veränderten Handlungsrahmen führen und sodann über zwei explizit benannte Mechanismen (vgl. Abschnitt 2.6) einen Ef­ fekt auf die Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium nach der Grundschule zu besuchen, haben. Bei der Formulierung der Hypothesen für die nach Bildungsgruppen differenzierten Effekte wird die ergänzende theoretische Annahme formuliert, dass soziale Ähnlichkeit neben der räumlichen Nähe das Wirken über die beiden Mechanismen erklärt und es so zu heteroge­ nen Effekten kommt (vgl. Abschnitt 2.6). Eine Differenzierung der beiden Wirkketten bzw. Mechanismen ist auf Basis der Daten jedoch nicht mög­ lich, so dass der totale Effekt dargestellt und interpretiert wird. Soweit dies möglich ist, werden die festgestellten Effekte argumentativ im Zuge der Bearbeitung der sechsten Hypothese und ihrer Unterhypothesen einem der beiden in Abschnitt 2.6 dargestellten Mechanismen zugeordnet. Die Hypothesen werden exemplarisch auf Basis einer Skalierung überprüft und inhaltlich eingeordnet. In einem ersten Schritt wird die siebte Hypothese und ihre Unterhypothesen (H7 und H7.1) überprüft, um die Relevanz der Skalierung des sozialräumlichen Kontextes zu überprüfen. Darauf aufbauend wird überprüft, ob auch bei der nach Bildungsgruppen differenzierten Analyse der Effekte der sozialen Komposition die Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes mittels der Voronoi-Flächen mit einer distanz­ abhängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte innerhalb der Voronoi-Flächen, als Annäherung an den Schulsprengel der Grundschule, als relevanteste Skalierung identifiziert werden kann, wie dies bei der Hypo­ these H4.1 in Abschnitt 6.3.2 bei den undifferenzierten Analysen der Fall ist. Diese zusätzliche Überprüfung ist notwendig, da die Ergebnisse der undif­ ferenzierten Analyse im Falle des Vorhandenseins der erwarteten Effektheterogenität zu falschen Schlussfolgerungen führen würden (vgl. Bolger et al. 2019; Morgan; Winship 2014).

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6. Ergebnisse

Abbildung 29: ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher und statusniedriger Haushalte für alle berücksichtigten Skalierungen und alle Schwellenwerte; Differenziert nach Bildungsgruppen

6.4 Ergebnisse der Berechnungen der nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen

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Fortsetzung der Abbildung 29

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (Die Fallzahl variiert mit jeder Berechnung)

Bei der nach Bildungsgruppen differenzierten Analyse der Effekte der sozia­ len Komposition auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, ist keine substanzielle Variation der Stärke der Effekte innerhalb derselben Schwellenwerte und über die Skalierungen k = 400 bis k = 1.600 zu erkennen (vgl. Abbildung 29 & Tabellen 21, 29, 30 im Anhang). Der Durchschnitt der Variation der Effekte über die drei Skalierungen (k = 400 bis k = 1.600) innerhalb des jeweiligen Schwellen­ wertes beträgt, bei der Betrachtung des Anteils statushoher Haushalte, 4,1 Prozentpunkte für die Gruppe der Haushalte mit einer niedrigen formalen Bildung, 1,4 Prozentpunkte für die Gruppe der Haushalte mit einer mittle­ ren formalen Bildung und 2,7 Prozentpunkte für die Gruppe der Haushal­ te mit einer hohen formalen Bildung. Bei der Analyse der Effekte eines oberhalb eines Schwellenwertes liegenden Anteils statusniedriger Haushalte beträgt der Durchschnitt der Variation der Effekte der drei Skalierungen (k = 400 bis k = 1.600) 2,2 Prozentpunkte für die Gruppe der Haushalte mit einer niedrigen formalen Bildung, 2,8 Prozentpunkte für die Gruppe der Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung und 5,7 Prozentpunk­ te für die Gruppe der Haushalte mit einer hohen formalen Bildung. Die durchschnittliche Variation nimmt bedeutend zu, wenn die Annäherung

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6. Ergebnisse

an die Schulsprengel der Grundschule mittels der Voronoi-Flächen sowie die distanzabhängige Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte inner­ halb der Voronoi-Flächen berücksichtigt werden. Die kleinste Skalierung (k = 400) sowie die in ihrer Relevanz distanzgewichteten Statushaushalte innerhalb der Voronoi-Flächen, weisen mit Ausnahme des Schwellenwertes von einem Prozent ( 1 %) bei den Analysen der Effekte des Anteils statushoher Haushalte die stärksten Effekte auf, wobei die geschätz­ ten Effekte nicht immer eine optimale Balance bei der Anwendung des PSM-Verfahren aufweisen. Dies ist anhand der Symbole der Punktschätzer in Abbildung 29 zu erkennen. Bei der Betrachtung der Effekte eines ober­ halb eines Schwellenwertes liegenden Anteils statusniedriger Haushalte fällt das Ergebnis nicht so eindeutig aus. In 50 Prozent der Fälle (Kombination aus Skalierung und Schwellenwert) liegen die stärksten Effekte ebenfalls innerhalb der Skalierungen k = 400 oder der Voronoi-Flächen mit einer Dis­ tanzgewichtung der Relevanz der Statushaushalte (12 von 24). In weiteren 17 Prozent (4 von 24) der Fälle zeigen sich die stärksten Effekte innerhalb der einfachen Voronoi-Flächen und in 33 Prozent (8 von 24) der Fälle in den Skalierungen k = 800 oder k = 1.600. Werden jedoch nur die mit ho­ her Wahrscheinlichkeit signifikanten Ergebnisse betrachtet (95-Prozent-Kon­ fidenzintervall sowie eine angenommene Reduktion des Konfidenzniveaus auf 90 %), so liegen diese praktisch alle in den Skalierungen k = 400 sowie den Voronoi-Flächen vor. Mit diesem Ergebnis kann die siebte Hypothese (H7174) angenommen werden. Die Hypothese trifft auf einen oberhalb eines Schwellenwertes liegenden Anteil statushoher Haushalte voll zu (auch unter Beachtung der Signifikanzen bzw. der 95-Prozent-Konfidenzintervalle) sowie für die signifikanten Ergebnisse der Analyse eines oberhalb eines Schwel­ lenwertes liegenden Anteils statusniedriger Haushalte. Diese Ergebnisse wer­ den als klare Indikatoren für das Wirken sozial-interaktiver Mechanismen verstanden, was eine der Kernannahmen dieser Arbeit ist. Denn unter der Bedingung räumlicher Nähe, bei gleichzeitiger eingeschränkter autonomer Mobilität aufseiten der Kinder und einer institutionellen Verankerung der Kinder sowie deren Eltern über die Grundschule im sozialräumlichen Kon­ text, welche soziale Interaktionen ermöglicht wie auch strukturiert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass mit Haushalten aus den untersuchten Status­ gruppen direkte oder indirekte Interaktionen stattfinden, die einen kumula­ tiven und emergenten Effekt auf die Bildungswahlentscheidung haben (vgl. Abschnitt 2). Die abermals relativ konstanten Effekte über die k-skalierten 174 H7: Unabhängig von der betrachteten Statusgruppe weisen die kleinsten Skalierungen (k = 400 und Voronoi-Flächen) die stärksten Effekte auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, auf.

6.4 Ergebnisse der Berechnungen der nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen

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sozialräumlichen Kontexte und innerhalb der Bildungsgruppen erscheinen der Argumentation von Hartung und Hillmert (2019) folgend, abermals als sinnhaft (vgl. Abschnitt 6.3.2). Die relativ konstanten bildungsgruppenspe­ zifischen Effekte innerhalb der Schwellenwerte und über die Skalierungen (k = 400 bis k = 1.600) werden als implizit wirkende Distance-Decay-Funkti­ on auf individueller Ebene interpretiert. Die Anzahl der Haushalte nimmt mit einer Vergrößerung der Skalierung zu. Die Relevanz der zusätzlichen Haushalte nimmt jedoch ab, da diese weiter entfernt sind (auf individueller Ebene), womit sich am Ende ein nahezu konstanter Koeffizient für den durchschnittlichen Unterschied ergibt (vgl. ebd. 2019). Für die Gruppen der Haushalte mit einer mittleren oder hohen forma­ len Bildung zeigen sich deutliche positive Effekte, bei der Analyse eines oberhalb eines Schwellenwertes liegenden Anteils statushoher Haushalte innerhalb der Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes mittels der distanzabhängigen Gewichtung der Statushaushalte innerhalb der Voro­ noi-Flächen. In den anderen Skalierungen sind die Effekte entweder schwä­ cher oder die 95-Prozent-Konfidenzintervalle schneiden die Null, womit die Bestimmung einer Effektrichtung nur unter Akzeptanz einer größeren Unsicherheit oder gar nicht möglich wäre. Das höhere Niveau der Effekte bei einem gleichzeitigen substanziell identischen Muster der Effekte in Ab­ hängigkeit der Schwellenwerte wird als Indikator dafür gesehen, dass diese Form der Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes die relevante­ re Form der Operationalisierung für die Bearbeitung der hier vorliegenden Fragestellung ist. Der soziale Interaktionen strukturierende Charakter des Grundschulsprengels für Eltern wie auch für das Kind (vgl. Abschnitt 2) so­ wie die distanzabhängige Formation von Schulfreundschaften (vgl. Kruse et al. 2016) werden bei dieser Art der Operationalisierung annäherungsweise besser berücksichtigt und stellen damit besser der Aktionsraum und die Ak­ tionsmuster der Haushalte dar (vgl. Abschnitt 2)175. Bei der Analyse der Ef­ fekte des oberhalb eines Schwellenwertes liegenden Anteils statusniedriger Haushalte ergibt sich ein nicht so klares Bild, da die 95-Prozent-Konfidenzintervalle in nahezu allen Kombinationen aus Bildungsgruppe, Skalierung und Schwellenwert die Null schneiden. Die einzigen Ausnahmen finden sich bei der Gruppe der Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung. In 175 Anzumerken ist, dass aus einer theoretischen Perspektive die Anwendung der DistanceDecay-Funktion in Bezug auf soziale Interaktionen sinnhaft erscheint, nicht jedoch in Bezug auf den Mechanismus des Wettkampfes. Denn bei den Plätzen an den wohnort­ nächsten Gymnasien spielt die absolute Anzahl an Kindern eine Rolle. Jedoch kann für weiter entfernte Kinder abermals ein anderes Gymnasium wohnortnäher sein, so dass der Effekt des Wettkampfes abgemildert wird.

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6. Ergebnisse

drei Kombinationen aus Skalierung und einem sehr hohen Schwellenwert ( 25 %) wird die Null nicht geschnitten. Eine Skalierung davon ist die Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes mittels der dis­ tanzabhängigen Gewichtung der Statushaushalte innerhalb der Voronoi-Flä­ chen. Somit lassen die Ergebnisse die Annahme der Hypothese 7.1 (H7.1176) zu. Die Ergebnisse werden zudem als ausreichend starke Indikatoren für die bessere Annäherung an den Sozial- und Interaktionsraum der Haushal­ te und Kinder interpretiert, so dass die Überprüfung aller weiteren Hypo­ thesen anhand dieser Operationalisierung des sozialräumlichen Kontextes vorgenommen wird. Dieses Vorgehen hilft auch, bei der Vielzahl der Ergeb­ nisse eine gewisse Fokussierung zu erreichen und den Umfang der Interpre­ tation überschaubar zu halten. Aufgrund der Unsicherheit in Bezug auf die Wahl der relevantesten Skalierung bzw. der Form der Operationalisierung werden die Hypothesen, wie bereits im Abschnitt 6.3, zusätzlich auf Basis der Skalierung k = 400 überprüft. Dies wird in zusammengefasster tabella­ rischer Form im Abschnitt 6.5 getan. Die grundsätzliche inhaltliche Argu­ mentation in Bezug auf die Operationalisierung mittels der Voronoi-Flächen und einer distanzabhängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushal­ te in diesem Abschnitt kann weitestgehend auf die Skalierung k = 400 übertragen werden, so dass auf eine ausführliche Interpretation verzichtet wird. Der distanzabhängig gewichtete Anteil der statushohen Haushalte in­ nerhalb der Voronoi-Flächen weist einen durchschnittlich positiven Anstieg der Effektstärke mit einer Erhöhung der Schwellenwerte für die Gruppen der Haushalte mit einer mittleren und hohen formalen Bildung und einen stärker werdenden durchschnittlichen negativen Effekt auf die Gruppe der Haushalte mit einer niedrigen formalen Bildung auf (vgl. Abbildungen 28, 31 & 32). Die Systematik stellt sich bei der Analyse der Effekte in Abhängigkeit des Anteils statusniedriger Haushalte innerhalb derselben Skalierungen des sozialräumlichen Kontextes anders dar. Die Gruppen der Haushalte mit einer mittleren und hohen formalen Bildung erfahren einen durchschnitt­ lich negativen Anstieg der Effektstärken mit einer Erhöhung der Schwellen­ werte, währende die Gruppe der Haushalte mit einer niedrigen formalen Bildung nahezu unveränderte Effektstärken über alle Schwellenwerte auf­ weist. Ein höherer Anteil einer Gruppe innerhalb eines begrenzten sozial­ 176 H7.1: Unabhängig von der betrachteten Statusgruppe weist die soziale Komposition der Annäherung an die räumliche Ausdehnung des Schulsprengels der Grundschule (Voro­ noi-Fläche) ähnlich starke oder noch stärkere Effekte als die kleinste Skalierung (k = 400) auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, auf.

6.4 Ergebnisse der Berechnungen der nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen

217

räumlichen Kontextes erhöht die Kontakt- und Interaktionswahrscheinlich­ keit und damit die Wahrscheinlichkeit für das Wirken sozial-interaktiver Mechanismen. Bei gleichzeitiger räumlicher Nähe sind, wie sich in der Überprüfung der siebten Hypothese (H7 & H7.1) gezeigt hat, die Effekte dementsprechend stärker. Hypothese acht (H8177) kann somit angenommen werden. Es gibt eine systematische Variation der Stärke der Effekte in Ab­ hängigkeit der Schwellenwerte innerhalb der als relevant definierten Skalie­ rung des sozialräumlichen Kontextes178 (vgl. Abbildung 30). Dieser systematische Zusammenhang ist besonders deutlich bei der Gruppe der Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung, was konsistent mit der Argumentation aus Abschnitt 2.6 erscheint, da diese Gruppe als Grenzgänger zu beiden analysierten Statusgruppen innerhalb des sozialräum­ lichen Kontextes eine gewisse soziale Ähnlichkeit aufweisen sollten und damit potenziellen Zugang zu den bildungsrelevanten Ressourcen hat sowie von den vorherrschenden Normen dieser Statusgruppe beeinflusst wird.

177 H8: Auch bei der nach Bildungsgruppen differenzierten Analyse variiert die Stärke der Effekte der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, systematisch in Abhängigkeit der Konzentration der jeweiligen Statusgruppe innerhalb des sozialräumli­ chen Kontextes (Schwellenwerte). 178 Ein von der Tendenz her identisches Ergebnis zeigt sich bei der Betrachtung der Skalie­ rung k = 400 (vgl. Abschnitt 6.5).

218

6. Ergebnisse

Abbildung 30: ATT in Abhängigkeit des Anteils statushoher und statusniedriger Haushalte über alle Schwellenwerte für die Operationalisierung mittels Voronoi-Flächen mit einer distanzabhängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte; Differenziert nach Bildungsgruppen

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis der Daten des SOEP v35 (2018), der Zensus 2011 100x100 Meter Gitterdaten (vgl. Destatis 2018), der microm PLZ8 Daten (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015), der Daten zur räumlichen Ausdehnung der Bundesländer (vgl. BKG 2019) und aller Schuladresse aus ganz Deutschland (vgl. Abschnitt 4.4) (Die Fallzahl variiert mit jeder Berechnung)

Neben dem besonders hohen Schwellenwert von 25 Prozent ( 25 %), für welchen häufig keine ausreichende Balance bei der Anwendung des PSM-Verfahrens erreicht wird, erscheint der Schwellenwert von zwölf Prozent ( 12 %) als besonders relevant, da sich bei diesem Schwellenwert die generelle Tendenz des Verlaufes der Effekte zeigt. Zudem sind bei einem Anteil von mehr als zwölf Prozent die Effekte mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf zufällige Variationen in der Gruppe der nicht beobachteten Haushalte zurückzuführen (vgl. Abschnitt 3.4). Auch aus da­ tentechnischer Sicht ist dieser Schwellenwert gut geeignet, da es bei diesem in den meisten Fällen eine ausreichende Anzahl an Fällen für die Analyse gibt und eine gute Balance zwischen Treatment- und Kontrollgruppe erreicht

6.4 Ergebnisse der Berechnungen der nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen

219

wird. Zudem hat die Sensitivitätsanalyse in Abschnitt 6.4.1 gezeigt, dass bei der Analyse der Effekte des Anteils statushoher Haushalte bei diesem Schwellenwert die Robustheit für die Gruppe der Haushalte mit einer ho­ hen und mittleren formalen Bildung als gut angesehen werden kann179. Um bei der Vielzahl der Ergebnisse, die sich aus der Kombination aus der Skalierung, der Bildungsgruppe, dem Schwellenwert und der betrachte­ ten Statusgruppe innerhalb des sozialräumlichen Kontextes ergeben, eine Fokussierung zu erreichen, werden alle weiteren Hypothesen auf Grundlage der Annäherung an den Schulsprengel der Grundschule (Voronoi-Flächen) mit einer Distanzgewichtung der Relevanz der Statushaushalte unter Ver­ wendung des Schwellenwertes von zwölf Prozent ( 12 %) über­ prüft180. Dargestellt werden jedoch auch die Skalierungen von k = 400 bis k = 1.600 sowie die einfache Voronoi-Fläche. Mit der Differenzierung der Analysen nach Bildungsgruppen zeigen sich auch unter Kontrolle einer Vielzahl kind- und haushaltsspezifischer sowie räumlicher Faktoren leichte systematische Variationen der Effekte der sozialen Komposition auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule die Schulform des Gymnasiums zu besuchen. Die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit (über alle Bildungs­ gruppen – rotes Symbol der Punktschätzer in Abbildung 31), das Gymna­ sium nach der Grundschule zu besuchen, wenn mindestens zwei Jahre vor dem letzten beobachteten Grundschuljahr die distanzgewichtete soziale Komposition innerhalb der Annäherung an den Schulsprengel der Grund­ schule von mehr als zwölf Prozent statushoher Haushalte geprägt ist, erhöht sich um 15,5 Prozentpunkte im Vergleich zur Referenzgruppe, welche le­ diglich einen Anteil von = 1 % & 3 %) als stark, während ku­ mulierte Armut erst ab sehr hohen Schwellenwerten (> 25 %) klare Effekte aufweist.

230

6. Ergebnisse

Tabelle 22: Übersicht über die Ergebnisse der Hypothesenüberprüfung

Hypothesen

Voronoi-Flächen mit einer distanzabhängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte

k=400

H1

Angenommen

Angenommen

H2

Angenommen

Angenommen

H2.1

Angenommen

Angenommen

H2.2

Angenommen

Angenommen

H3

Angenommen

Angenommen

H3.1

Abgelehnt

Abgelehnt

H4

Angenommen

H4.1

Angenommen

H5

Angenommen

Angenommen

H5.1

Abgelehnt

Abgelehnt

Angenommen

H6

Angenommen

H6.1

Abgelehnt

Abgelehnt

H6.2

Angenommen

Angenommen

H6.3

Angenommen

Angenommen

H6.4

Abgelehnt

Abgelehnt

H6.5

Angenommen

Angenommen

H6.6

Angenommen

Angenommen

H7

Angenommen

H7.1

Angenommen

Angenommen

H8

Angenommen

Angenommen

Quelle: Eigene Darstellung

Es zeigt sich eine schwache Tendenz, dass längere Wohnzeiträume zu schwä­ cheren Effekten der sozialen Komposition des sozialräumlichen Kontextes führen. Dies gilt für die Analyse des Anteils statushoher wie auch status­ niedriger Haushalte bei der nicht nach Bildungsgruppen differenzierten Analyse. Die geringste Wohndauer von unter zwei Jahren stellt hier eine Ausnahme dar, wobei die Schätzungen der Effekte aufgrund der sehr gerin­ gen Fallzahl sehr grob sind, was sich in den sehr großen Konfidenzintervallen der Punktschätzer widerspiegelt. Dieses Ergebnis wird als Indikator für das Wirken des Prinzips der Homophilie innerhalb sozialer Netzwerke, welche sich in wohnortnahen sozialräumlichen Kontexten bilden sollten, verstanden und damit für die Relevanz sozial-interaktiver Mechanismen auf

6.5 Zusammenfassung der Ergebnisse

231

Basis von räumlicher Nähe und sozialer Ähnlichkeit. Mit zunehmender Wohndauer werden die sozialen Kontakte homogener und damit nimmt der Anteil nicht redundanter Einflüsse und Informationen ab. Somit sind keine weiteren Effekte der sozialen Komposition zu erwarten. Besonders neu zugezogenen Haushalten kann das Bedürfnis unterstellt werden, neue Netzwerke aufzubauen, was im besonderen Maße für Haushalte mit Kin­ dern gelten sollte. Dies führt wahrscheinlich anfänglich zu großen, losen und heterogenen Netzwerken und damit vielen nicht redundanten Einflüssen, womit die teilweise starken Effekte (auf Basis der Punktschätzer), wel­ che bei einer sehr kurzen Wohndauer aufgezeigt werden können, erklärt werden können. Jedoch können auch vorherige Nachbarschaftserfahrungen nachwirken und die geringe Fallzahl lässt eine genauere Schätzung nicht zu. Die oben beschriebene Tendenz der durchschnittlichen Reduktion der Effektstärke mit einer längeren Wohndauer ist jedoch deutlich zu erkennen, wobei die 95-Prozent-Konfidenzintervalle stark überlappend sind, so dass nicht von signifikant unterschiedlichen Effekten in Abhängigkeit der Wohn­ dauer ausgegangen werden kann (vgl. Abbildungen 19 & 20). Die Ergebnisse der nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen be­ stätigen in Bezug auf die Wahl der relevanten Skalierung und der generellen Tendenz eines stärkeren Effektes mit einem höheren Schwellenwert die Ergebnisse der undifferenzierten Analysen. Es können zudem heterogene Effekte, besonders im Vergleich der durchschnittlichen Effekte der Gruppen der Haushalte mit einer hohen und einer niedrigen formalen Bildung, auf­ gezeigt werden. Während die Gruppe der Haushalte mit einer hohen forma­ len Bildung im Durchschnitt einen positiven Effekt auf die Wahrscheinlich­ keit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, von einer sozialen Komposition von mehr als zwölf Prozent statushoher Haushalte innerhalb des relevanten sozialräumlichen Kontextes erfährt, ist dieser Effekt für die Gruppe der Haushalte mit einer niedrigen formalen Bildung tendenziell eher negativ bzw. kann die Effektrichtung aufgrund des Schnittes des 95Prozent-Konfidenzintervalls mit der Null nicht mit ausreichender Sicherheit bestimmt werden. Zudem liegt Effektheterogenität in Abhängigkeit der betrachteten Statusgruppe (Anteil statushoher vs. statusniedriger Haushalte) innerhalb des relevanten sozialräumlichen Kontextes vor. Für die Gruppe der Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung zeigt sich ein positiver Effekt, wenn sich ein relativ geringer Anteil statushoher Haushalte (> 3 %) innerhalb ihres relevanten sozialräumlichen Kontextes befindet und ein negativer Effekt bei einem relativ hohen Anteil statusniedriger Haushalte (> 25 %). Dieses Ergebnis wird als Indikator für die Validität der Annahme gewertet, dass neben räumlicher Nähe als Grundvoraussetzung für das Wir­ ken sozial-interaktiver Mechanismen soziale Ähnlichkeit ein Hauptfaktor

232

6. Ergebnisse

zur Erklärung heterogener Kompositionseffekte ist. Die Gruppe der Haus­ halte mit einer mittleren formalen Bildung erfährt in Abhängigkeit der sozialen Komposition systematisch unterschiedliche Effekte, da diese von beiden Statusgruppen aufgrund einer gewissen sozialen Ähnlichkeit beein­ flusst wird bzw. sich normkonform mit diesen verhält. In Erweiterung des mikrosoziologischen Modells von Boudon (1974) werden zwei theoretische Wirkketten (Mechanismen)191 der sozialen Kom­ position eines relevanten sozialräumlichen Kontextes auf die Bildungswahl­ entscheidung formuliert (vgl. Abschnitt 2), welche jedoch aufgrund der Datenlage nicht differenziert voneinander analysiert werden können. Die Ergebnisse der nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen und beson­ ders die Ergebnisse der Gruppen der Haushalte mit einer hohen und mittle­ ren formalen Bildung geben jedoch Anhaltspunkte dafür, dass sekundäre sozialräumliche Effekte für diese beiden Bildungsgruppen die höchste Rele­ vanz haben. Die Gruppe der Haushalte mit einer hohen formalen Bildung erfährt einen starken positiven Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, wenn sich innerhalb ihres re­ levanten sozialräumlichen Kontextes ein oberhalb eines Schwellenwertes liegender Anteil statushoher Haushalte (12 %) befindet. Aufgrund der ange­ nommenen, bereits vorhandenen hohen Ausstattung mit materiellen und immateriellen bildungsrelevanten Ressourcen innerhalb des Herkunftshaushaltes werden keine weiteren primäre sozialräumlichen Effekte erwartet (vgl. Abschnitt 2.6). Die Ergebnisse verweisen vielmehr darauf, dass sich mit vorherrschenden Normen in Bezug auf die Schulwahl konform verhalten wird. Erwartete soziale Sanktionen und dadurch subjektiv wahrgenommene Kosten, die bei einem Besuch einer anderen Schulform entstehen können, fließen sodann als Faktoren in die haushaltsinterne Kosten-Nutzen-Kalku­ lation ein und führen am Ende zu einem im Durchschnitt veränderten Ergebnis, welches häufiger zu Gunsten der eigenständigen Schulform des Gymnasiums ausfällt. Der Zugang zu erweiterten Informationen bspw. über die Reputation der Schule und bessere berufliche Chancen durch den Be­ such des Gymnasiums können simultan als verstärkende Faktoren in die Kosten-Nutzen-Kalkulation einfließen. Damit wird die deutliche Steigerung der Wahrscheinlichkeit, die Schulform des Gymnasiums zu besuchen, für die Gruppe der Haushalte mit einer hohen formalen Bildung als klarer 191 Primäre sozialräumliche Effekte stellen Faktoren dar, die das Verhalten des Kindes oder des Herkunftshaushaltes verändern und so zu besseren Schulleistungen oder einer verän­ derten Wahrnehmung der Lehrkräfte führen. Sekundäre sozialräumliche Effekte wirken auf die haushaltsinterne Kosten-Nutzen-Kalkulation ein und können sich beispielsweise in der Form von Informationen oder Normen auf diese auswirken.

6.5 Zusammenfassung der Ergebnisse

233

Verweis auf die Relevanz sekundärer sozialräumlicher Effekte verstanden. Tendenziell zeigt sich dieses Ergebnis auch bei der Analyse eines oberhalb eines Schwellenwertes liegenden Anteils statusniedriger Haushalte bei der Gruppe der Haushalte mit einer hohen formalen Bildung. Hier sinkt192 die Wahrscheinlichkeit, die eigenständige Schulform des Gymnasiums zu besu­ chen, tendenziell. Nun kann davon ausgegangen werden, dass die Schulleis­ tungen aufgrund des Umfeldes schlechter werden, doch sollte dieser Effekt die mittleren und niedrigen Bildungsgruppen ebenfalls treffen, so dass die Kinder aus Haushalten mit einer hohen formalen Bildung weiterhin relativ gesehen zu den leistungsstärkeren gehören sollten, zumal die Haushalte ihr haushaltsinternes bildungsrelevantes Kapital einsetzten können (vgl. Carter 2005: 142). Der negative Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule die eigenständige Schulform des Gymnasiums zu besuchen, wird damit erklärt, dass sich abermals normkonform verhalten wird bzw. die sozialen Kosten eines Wechsels auf das Gymnasium zu hoch sind (Freundeskreise werden zerbrochen). Mit dieser Entscheidung wird nicht das vermutete Bildungsziel der Haushalte des Abiturs verworfen. Für dieses Bildungsziel wird lediglich ein anderer Weg, bspw. der Besuch einer integrativen Schul­ form, die mehrere Bildungsziele anbietet, gewählt. Womit noch mal deut­ lich wird, dass es sich um die Effekte auf die Wahrscheinlichkeit handelt, nach der Grundschule die eigenständige Schulform des Gymnasiums zu be­ suchen und nicht um einen Effekt auf eventuelle Bildungsziele. Der Wechsel der Effektrichtung in Abhängigkeit der betrachteten Statusgruppe innerhalb des sozialräumlichen Kontextes bei der Analyse der Effekte für die Gruppe der Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung wird mit der sozialen Ähnlichkeit zu beiden Statusgruppen erklärt und ist zudem ein weiterer Indikator für die Relevanz sekundärer sozialräumlicher Effekte. Diese Er­ gebnisse zeigen sodann auf, dass neben räumlicher Nähe auch die soziale Ähnlichkeit ein relevanter Faktor bei der Analyse von Kompositionseffekten ist. Denn nur im Zusammenspiel beider Faktoren (Nähe und soziale Ähn­ lichkeit) ist eine ausreichende Interaktionswahrscheinlichkeit gegeben und damit die Voraussetzung geschaffen, dass über die sozialen Interaktionen Effekte erwartet werden können.

192 Das Konfidenzintervall schneidet die Null deutlich in der Skalierung des relevanten sozialräumlichen Kontextes auf Basis der Voronoi-Flächen mit einer distanzabhängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte. In den k-skalierten Kontexten kann ein ne­ gativer Effekt unter Akzeptanz eines niedrigeren Konfidenzniveaus (90 %) angenommen werden.

234

6. Ergebnisse

Insgesamt weisen die Ergebnisse der nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen auf die Notwendigkeit der Beachtung von Effektheterogenität bei der Analyse von Kompositionseffekten hin (vgl. Bolger et al. 2019; Morgan; Winship 2014). Die Tatsache, dass in Abhängigkeit der analysierten Statusgruppe innerhalb des relevanten sozialräumlichen Kontextes unter­ schiedliche Schwellenwerte relevant sind und unterschiedliche Effektstärken und Effektrichtungen beobachtet werden können, zeigt auf, dass nicht pau­ schal von homogenen Effekten der sozialen Komposition ausgegangen wer­ den kann. Die Stärke der aufgezeigten Effekte mag überraschen, da andere Studien wesentlich schwächere Effekte in vermeintlich stärker von Segrega­ tion betroffenen Ländern aufzeigen konnten (vgl. Abschnitte 2.4 & 2.3). Es muss jedoch bedacht werden, dass ein Vergleich häufig schwierig ist (vgl. Petrović et al. 2021). Die im Forschungsstand (vgl. Abschnitt 2.4) angesprochene schwere Vergleichbarkeit der umfangreichen Nachbarschaftseffektliteratur aufgrund stark variierender Operationalisierung von Kernva­ riablen, des räumlichen Zuschnittes, des nationalen Kontextes und unter­ schiedlichen Ergebnis- und Kontrollvariablen muss bei einem Vergleich der Stärke der Zusammenhänge berücksichtigt werden. In den vorliegenden Analysen handelt es sich um die statushöchsten bzw. statusniedrigsten zehn Prozent aller Haushalte in ganz Deutschland innerhalb eines kleinsträumi­ gen und in mehrfacher Weise inhaltlich relevanten Zuschnittes der Annähe­ rung an den Schulsprengel der Grundschule (Voronoi-Flächen) innerhalb derer die Statushaushalte in ihrer Relevanz distanzgewichtet wurden193 (vgl. Abschnitte 5.1 & 5.1.1). Die kleinsträumige Operationalisierung mit der distanzabhängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte stellt eine bessere Annäherung an theoretische Annahmen zur Wirkung von sozial-in­ teraktiven Mechanismen auf Basis von räumlicher Nähe als Annäherung an die Wahrscheinlichkeit des Wirkens dieser Mechanismen dar und integriert den soziale Interaktionen (für das Kind und den Haushalt) strukturierenden institutionellen Kontext der Grundschule. Zudem stellt die Auswahl der wirkmächtigen Gruppen innerhalb der relevanten sozialräumlichen Kon­ texte, welche sich am oberen und unteren Ende der microm-Statusskala befinden, zwei Extrempole dar, womit besonders hier aus theoretischer Per­ spektive von deutlichen Effekten ausgegangen werden kann (vgl. Wodtke et al. 2012; Galster 2012; Sampson et al. 1999). Weiter wurde deren absolute und anteilige Entwicklung linear für die Jahre 2014 bis 2017 prognostiziert, womit von einer linearen Entwicklung der Segregation in Deutschland aus­ gegangen wird. Diese Annahme basiert auf der festgestellten Zunahme der 193 Im Falle der k-skalierten Kontexte handelt es sich um kleinsträumige, egozentrierte sozial­ räumliche Kontexte auf Basis der k-nächsten-Nachbarn.

6.5 Zusammenfassung der Ergebnisse

235

sozialen Segregation in Deutschland in den letzten Jahren (vgl. Helbig; Jähnen 2018). In vielen anderen Studien werden schwächere Indikatoren für die wirkmächtige Gruppe verwendet, wie etwa die Arbeitslosenquote oder der Anteil an Akademikern innerhalb eines definierten sozialräumlichen Kontextes (vgl. Abschnitt 2.4). Weiter handelt es sich bei dem Forschungsgegenstand dieser Arbeit – den Besuch der eigenständigen Schulform des Gymnasiums – um eine Entscheidung, welche mit mehr als nur dem Ziel des Erreichens des Abiturs verbunden ist. Die Differenzierung zwischen Schulform und Bildungsziel ist hierbei wichtig, da in den Daten auch Kinder enthalten sind, die die uneindeutige Schulform der Gesamtschule gewählt haben, welche durchaus auch zum Bildungsziel des Abiturs führen kann. Wie in Abschnitt 2.1 dar­ gestellt, ist ein klassisches Gymnasium mit seiner hohen Leistungshomoge­ nität und dem eigenen Bildungs- und Sozialisationsmilieu durchaus eine Wahl der eigenen Art, da diese letztendlich auch zu weiteren subjektiv wahr­ genommenen und teilweise auch objektiv feststellbaren Vorteilen beiträgt (vgl. Abschnitte 2.1 & 2.2 & 2.5). Die Sensitivitätsanalysen weisen bei den undifferenzierten Analysen eine ausreichende Robustheit auf. Bei den nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen und Sensitivitätsanalysen zeigen sich klare Unterschiede bei der Robustheit zwischen den Bildungsgruppen. Robust sind die Er­ gebnisse für die Gruppen der Haushalte mit einer hohen und mittleren formalen Bildung, während sie für die Gruppe der Haushalte mit einer niedrigen formalen Bildung keine nennenswerte Robustheit aufweisen. Ins­ gesamt werden die aufgezeigten Effekte der sozialen Komposition auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, als kausal für das Analysesample zu interpretieren verstanden. Eine gewis­ se Verallgemeinerbarkeit auf die Haushalte in ähnlichen Konstellationen (Kinder, Wohndauer etc.) in Deutschland wird aufgrund der Fallzahl und des methodischen Vorgehens als angemessen eingeschätzt. Hierbei sollten jedoch abermals die generellen Tendenzen der Effektrichtungen und deren Magnitude im Fokus stehen und nicht die Bestimmung der exakten Größen der Punktschätzer.

7. Fazit In einem ersten Schritt wurde ein theoretischer Rahmen entwickelt, in wel­ chem zwei Mechanismen herausgearbeitet wurden, über welche die soziale Komposition einer relevanten Skalierung des sozialräumlichen Kontextes einen Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymna­ sium zu besuchen, hat. Hierbei wurde Essers Kurzformel für die Entwick­ lung von Modellen gefolgt, wonach ein Modell, das weniger Parameter benötigt, einem das komplexer ist, vorzuziehen ist (vgl. Esser 1991: 50). Zudem wurde die gängige Annahme, dass räumliche Nähe ausreichend sei, um einen Effekt auf Basis von sozial-interaktiven Mechanismen zu erwarten, um den Aspekt der sozialen Ähnlichkeit erweitert. Diese theoretische Erwei­ terung ermöglicht sodann die Erklärung heterogener Effekte der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes in Abhängigkeit der betrachteten Statusgruppe innerhalb des sozialräumlichen Kontextes und der Bildungsgruppenzugehörigkeit des Herkunftshaushaltes (Differenzierungskriterium). Ein Großteil der auf Basis dieses theoretischen Rahmens entwickelten Hypothesen konnte angenommen werden, was als ein positi­ ves Zeichen für die Validität des parameterarmen theoretischen Modells ver­ standen wird. Ein Grundgedanke der Arbeit ist es, eine möglichst transpa­ rente Darstellung aller Annahmen und Schritte der Operationalisierung zu geben, so dass Replikationen möglich sind, jedoch auch Kritik an konkre­ ten Annahmen vorgenommen werden kann. Positiv formuliert soll dieses Vorgehen dazu beitragen, den kausalen Interpretationen der Analyseergeb­ nisse aufgrund der Zustimmung zu den getroffenen Annahmen und den Schritten der Operationalisierung in gleicher Weise zuzustimmen, wie sie in Abschnitt sechs dargestellt wurden (vgl. Hernán; Robins 2020: 169). Es gilt, diese Ergebnisse und damit auch die einzelnen theoretischen Annahmen sowie die gesamte theoretische Fundierung weiter zu überprü­ fen. Das Ziel eines eigenen Beitrags zur weiteren theoretischen Fundierung der Erklärung von Kompositionseffekten wird an dieser Stelle als erreicht angesehen. Eine Differenzierung der beiden theoretisch benannten Mecha­ nismen kann aufgrund fehlender Daten nicht vorgenommen werden, so dass lediglich der totale Effekt der sozialen Komposition auf die Wahr­ scheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, darge­ stellt werden konnte. Eine konkrete Überprüfung der beiden Mechanismen sollte im Zentrum weiterer Forschung stehen, da auch hier davon auszuge­ hen ist, dass diese in Abhängigkeit der Bildungsgruppenzugehörigkeit oder

238

7. Fazit

eines anderen relevanten Differenzierungskriteriums systematisch in ihrer Relevanz variieren. Die Demonstration der Machbarkeit einer theoriegeleiteten und klein­ sträumigen Operationalisierung sozialräumlicher Kontexte mit bereits be­ stehenden Datenbeständen für den deutschen Kontext wurde mit erheblich mehr Aufwand als eingeplant erreicht. Die Rechenzeiten von weit mehr als 85 Stunden, die nötig waren, um sämtliche geografischen Überlage­ rungen, anteiligen Berechnungen und Distanzbestimmungen umzusetzen, konnten nur im Zuge von Gastaufenthalten am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) durchgeführt werden194. Die Corona-Pandemie hat diese Situation durch Reise- und Kontaktbeschränkungen nochmals verschärft. Die verwendeten Daten der microm Micromarketing-Systeme und Consult Gmbh (vgl. microm 2019; Goebel; Hopp 2015) stellen eine Kompromisslösung dar, da deren Erstellung nicht wissenschaftlichen Stan­ dards entsprechend transparent nachvollzogen werden kann (vgl. Goebel; Hopp 2015: 33). Dies verweist zugleich auch auf die Notwendigkeit, klein­ sträumige, georeferenzierte Daten für die wissenschaftliche Verwendung für den deutschen Kontext bspw. durch Forschungsdatenzentren oder andere öffentliche Einrichtungen zu generieren und bereitzustellen. Die durch die aufwendigen Überlagerungen der verschiedenen Daten­ sätze (vgl. Abschnitte 4 & 5) erzeugten flächendeckenden kleinsträumigen Informationen der sozialen Komposition in Deutschland bilden die essenzi­ elle Grundlage für die in dieser Arbeit durchgeführten Formen der stark theorie- und mechanismengeleiteten Operationalisierungen der relevanten sozialräumlichen Kontexte. Diese Art der Operationalisierung stellt nach aktuellem Wissensstand ein Novum in der Analyse von Kompositionseffekten in Deutschland dar. Besonders die Erreichung dieses notwendigen Zwi­ schenziels hat auch eine hohe methodische Relevanz für andere Bereiche der empirischen Sozialforschung, wie etwa die Segregationsforschung, da mit einem solchen Vorgehen Probleme, wie etwa MAUP (vgl. Openshaw 1984) oder das Schachbrettproblem (vgl. Bömermann 2011; Janßen 2004) besser adressiert werden können und so zu einer substanziellen Verbesse­ rung der Qualität von zukünftigen Analysen beigetragen werden kann. Auch bietet ein solches Vorgehen die Möglichkeit, die Operationalisierun­ gen von Analyse- und Referenzkontext (bspw. in der Segregationsforschung)

194 Diese Zeitangabe bezieht sich auf die finalen Rechnungen, denen diverse Versuche vor­ ausgingen, welche immer weiter verbessert und in inhaltlicher wie auch technischer und methodischer Hinsicht verbessert wurden, so dass insgesamt ein Vielfaches an reiner Rechenzeit benötigt wurde.

7. Fazit

239

stärker dem Forschungsgegenstand und den jeweiligen Analysezielen anzu­ passen. Die in dieser Arbeit verwendeten Arten der Operationalisierung195 der sozialräumlichen Kontexte stellen einen ersten Schritt in Richtung einer noch stärker theorie- und mechanismengeleiteten Operationalisierung so­ zialräumlicher Kontexte im Zuge der Analyse von Kompositionseffekten dar. Im Rahmen dieser Arbeit wurden die Operationalisierungen jedoch lediglich auf Basis der theoretischen Argumentation in Abschnitt zwei um­ gesetzt, da eigenständige Studien zur Relevanz der Skalierung bzw. des Zu­ schnittes des sozialräumlichen Kontextes für den deutschen Kontext fehlen. Es gilt nun dezidiert herauszuarbeiten, welche Skalierung des sozialräumli­ chen Kontextes für welchen Analysegegenstand unter Annahme welcher wirkmächtigen Mechanismen für welche Gruppen relevant ist. Hierbei gilt es abermals zu beachten, dass auch bei der Bestimmung relevanter Zuschnitte des sozialräumlichen Kontextes von heterogenen Konstitutions­ prozessen ausgegangen werden kann, da unterschiedliches Mitigations- und Anpassungsverhalten (vgl. Abschnitt 2.6) bzw. unterschiedliche Möglichkei­ ten der Mobilität in Abhängigkeit von Eigenschaften der Haushalte vermu­ tet werden können. Die übergreifende Forschungsfrage nach der Nachweisbarkeit eigenstän­ diger Effekte der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes auf die Wahrscheinlichkeit, die eigenständige Schulform des Gymnasiums nach der Grundschule zu besuchen, kann klar bejaht wer­ den. Auch unter Kontrolle einer Vielzahl kind- und haushaltspezifischer sowie räumlicher Indikatoren können Effekte der sozialen Komposition in unterschiedlichen Skalierungen des sozialräumlichen Kontextes und unter Berücksichtigung unterschiedlicher Schwellenwerte nachgewiesen werden. Jedoch ist als Erstes festzustellen, dass es nicht den einen Kompositionsef­ fekt gibt. Selbst die Ergebnisse der nicht nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen (vgl. Abschnitt 6.3) zeigen deutliche Variationen der Effektstärken in Abhängigkeit der Schwellenwerte (meist ein linearer Anstieg mit Erhöhung des Schwellenwertes) und unterschiedliche Effektrichtungen in Abhängigkeit der betrachteten Statusgruppe innerhalb des relevanten sozial­ räumlichen Kontextes. Es zeigen sich positive Effekte für einen oberhalb eines relevanten Schwellenwertes liegenden Anteils statushoher Haushalte 195 Es werden (1) k-skalierte, egozentrierte sozialräumliche Kontexte, (2) eine Annäherung an den Schulsprengel der Grundschule mithilfe von Voronoi-Diagrammen und (3) aus­ gehend von der geografischen Koordinate der SOEP-Haushalte, eine distanzabhängige Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte innerhalb der Voronoi-Flächen umgesetzt (vgl. Abschnitt 5.1).

240

7. Fazit

(1 %)196 und negative Effekte bei einen oberhalb eines relevan­ ten Schwellenwertes (20 %) liegenden Anteils statusniedriger Haushalte197. Zudem wird deutlich, dass in Abhängigkeit der analysierten Statusgruppe innerhalb des relevanten sozialräumlichen Kontextes die Höhe der Schwellenwerte, ab denen eindeutige Effekten nachweisbar sind, vari­ iert. Die nach Bildungsgruppen differenzierten Analysen unterstützen diese Feststellungen nochmals. Es zeigen sich heterogene Effekte in Abhängig­ keit der Bildungsgruppenzugehörigkeit des Herkunftshaushaltes (Differenzierungskriterium). Jedoch ist anzumerken, dass die Punktschätzer sich zwar häufig stark voneinander unterschieden, was besonders auf die Unterschiede zwischen den Gruppen der Haushalte mit einer hohen und einer niedrigen formalen Bildung zutrifft, die 95-Prozent-Konfidenzintervalle jedoch in vie­ len Fällen stark überlappend sind, womit in den meisten Fällen nicht davon ausgegangen werden kann, dass es sich um signifikante Unterschiede der Effekte zwischen den Bildungsgruppen handelt. Jedoch gibt es einzelne Kombinationen aus Bildungsgruppe, Skalierung und Schwellenwert bei der Analyse des Anteils der statushohen Haushalte innerhalb des relevanten sozialräumlichen Kontextes, die sich signifikant unterscheiden. Eine höhere Fallzahl, welche auch die Nutzung weiterer Kontrollvariablen erlaubt hätte, würde die Schätzungen effizienter machen und den Anteil der signifikanten Unterschiede mit hoher Wahrscheinlichkeit erhöhen. Die Gruppe der Haushalte mit einer niedrigen formalen Bildung er­ scheint relativ resilient gegenüber der sozialen Komposition des sozialräum­ lichen Kontextes. Diese können weder positive Externalitäten aus einem affluenten sozialräumlichen Kontext bzw. einer sozialen Komposition mit einem hohen Anteil statushoher Haushalte ziehen, noch werden sie nega­ tiv von einem deprivierten sozialräumlichen Kontext bzw. einer sozialen Komposition mit einem hohen Anteil statusniedriger Haushalte beeinflusst. Letzteres Ergebnis wird als Erfolg verschiedener Maßnahmen, welche genau auf jene sozialräumlichen Kontexte mit einem hohen Anteil statusniedriger Haushalte abzielen, wie bspw. das Bund-Länder-Programm Soziale Stadt bzw. Sozialer Zusammenhalt in ganz Deutschland (vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat 2021) oder der Sozialindex in Hamburg (vgl. Schulte et al. 2014), verstanden. Jedoch sind auch alternative Interpre­ 196 Dieser Schwellenwert ist für die Operationalisierung mittels der Annäherung an den Schulsprengel der Grundschule mithilfe von Voronoi-Diagrammen und einer distanzab­ hängigen Gewichtung der Relevanz der Statushaushalte gültig. 197 Bei der Betrachtung des Anteils statusniedriger Haushalte ist diese Aussage nur für die kleinsten Skalierungen und unter der Akzeptanz eines niedrigeren Konfidenzniveaus von 90 Prozent zutreffend.

7. Fazit

241

tationen möglich, womit nochmals auf die Notwendigkeit weiterer nach wirkmächtigen Mechanismen differenzierten Analysen verwiesen wird. So könnten die Kinder aus der Gruppe der Haushalte mit einer niedri­ gen formalen Bildung durchaus positive primäre sozialräumliche Effekte (Effekte auf die Schulleistung) durch eine direkte Nachbarschaft mit status­ hohen Haushalten erfahren. Da die Kinder aus den mittleren und oberen Bildungsgruppen aufgrund größerer sozialer Ähnlichkeit mit der Gruppe der Kinder mit einem hohen Status ebenfalls und wahrscheinlich noch deutlichere positive primäre sozialräumliche Effekte erfahren würden, ent­ steht so eine Art ungleicher Fahrstuhleffekt in Bezug auf die Schulleistun­ gen. In Kombination mit einer ähnlichen Wirkung der sekundären sozial­ räumlichen Effekte würde eine solche Situation letztendlich dazu führen, dass die Kinder aus der Gruppe der Haushalte mit einer mittleren und hohen formalen Bildung vermehrt die eigenständige Schulform des Gymna­ siums besuchen. Die Kinder aus der Gruppe der Haushalte mit einer niedri­ gen formalen Bildung hätten im Vergleich zu Kindern mit ansonsten identi­ schen persönlichen und haushaltsspezifischen Eigenschaften, welche jedoch in weniger affluenten sozialräumlichen Kontexten verortet sind, wahrschein­ lich bessere Schulleistungen und ggf. eine höhere Bildungsaspiration (die Kinder und der Herkunftshaushalt), können dies jedoch aufgrund der Wett­ kampfsituation mit den anderen beiden Bildungsgruppen nicht realisieren (vgl. Abschnitt 2.6)198. Ein Weg der Überprüfung dieser Annahme ist die Analyse der realisierten Bildungsabschlüsse in einem bestimmten Alter. Womit auch nochmals der Analysegegenstand dieser Arbeit in den Fokus rückt, den es gilt, immer deutlich vor dem geistigen Auge zu behalten. Es wird die Veränderung der Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium nach der Grundschule zu besuchen, in Abhängigkeit der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes untersucht. Damit steht der Effekt auf die erste notwendige Bildungswahlentscheidung im Zentrum und nicht das letztendliche Resultat derselben (Bildungszertifikat). Eine Analyse, die dieses zum Gegenstand nimmt, hätte im Kontext der Reproduktion sozialer Ungleichheit durch Bildung eine nochmals höhere Aussagekraft. Die Gruppe der Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung stellt bei den differenzierten Analysen eine hoch relevante Gruppe dar, da diese als Grenzgänger zwischen den analysierten Statusgruppen innerhalb des re­ levanten sozialräumlichen Kontextes von beiden deutlich beeinflusst wird. Dieses Ergebnis wird als deutlicher Indikator für das Wirken sozial-interak­ tiver Mechanismen auf Basis von räumlicher Nähe und der Tendenz zur 198 Diese Situation verweist sodann auf die methodische Herausforderung der Stable-UnitTreatment-Value-Assumption (SUTVA) (vgl. Abschnitte 3.2 & 7.1).

242

7. Fazit

Homophilie innerhalb sozialer Netzwerke verstanden (vgl. Abschnitt 2.6). Zudem werden die Ergebnisse für die Gruppe der Haushalte mit einer mittleren formalen Bildung als starke Indikatoren für die Validität der An­ nahme gesehen, dass heterogen Effekte der sozialen Komposition auf Basis sozialer Ähnlichkeit zu erwarten sind. Hier gilt es in weiteren Analysen zu überprüfen, ob andere Differenzierungskriterien als der höchste Bildungs­ stand ebenfalls relevant sind. Anhand der Ergebnisse für die Gruppe der Haushalte mit einer hohen formalen Bildung kann zudem argumentativ die hohe Relevanz der sekundären sozialräumlichen Effekte abgeleitet werden. Damit kann die Relevanz von sozialen Normen und Informationen, die innerhalb der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kon­ texts vorzufinden sind, und auf Basis von sozial-interaktiven Mechanismen, welche unter der Bedingung räumlicher Nähe und sozialer Ähnlichkeit mit höherer Wahrscheinlichkeit wirkmächtig werden, aufgezeigt werden. Das Aufzeigen eigenständiger Effekte der sozialen Komposition auf die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, hat zudem weitreichende Implikationen und eine hohe Relevanz für eine Vielzahl anderer soziologischer Fragestellungen bzw. empirischer Analysen, da hiermit eine stärkere Berücksichtigung der Lokalität und damit des sozi­ alräumlichen Kontextes gefordert werden muss. Wie mehrfach in dieser Ar­ beit herausgestellt, treffen Individuen bzw. Haushalte zu keinem Zeitpunkt Entscheidungen, welche unabhängig von den Optionen und Restriktionen ihrer Umwelt bzw. ihres Handlungsrahmens sind (vgl. Friedrichs; Nonnen­ macher 2010: 469). Für eine vollständigere Erklärung von Phänomenen muss somit auch der sozialräumliche Kontext, in dem etwas stattfindet oder beobachtet wird, unter Berücksichtigung relevanter Eigenschaften dieses Kontextes berücksichtigt werden. Damit kann abschließend festgestellt werden, dass auch für den deut­ schen Kontext auf Basis kleinsträumiger, relevanter sozialräumlicher Kontex­ te eigenständige, kausal interpretierbare Effekte der sozialen Komposition auf die Wahrscheinlichkeit, die eigenständige Schulform des Gymnasiums zu besuchen, aufgezeigt werden können. Die in dieser Arbeit aufgezeigte Machbarkeit von kleinsträumigen Analysen fordert jedoch sodann dazu auf, die Relevanz von unterschiedlichen Skalierungen und Schwellenwerten für verschiedene Forschungsgegenstände zu überprüfen und die Verfügbarkeit von kleinsträumigen georeferenzierten Daten für den deutschen Kontext schnellstmöglich zu verbessern.

7.1 Reflexion des methodischen Vorgehens

243

7.1 Reflexion des methodischen Vorgehens Der theoretische Rahmen, welcher eine räumliche Erweiterung des mikro­ soziologischen Modells von Boudon (1974) in Kombination mit der An­ nahme der Notwendigkeit räumlicher und sozialer Nähe zur Erklärung der heterogenen Wirkung der sozialen Komposition auf Basis sozial-inter­ aktiver Mechanismen darstellt (vgl. Abschnitt 2), trägt auf Grundlage der aus diesem abgeleiteten und auf Basis der Analyseergebnisse angenommen Hypothesen zur weiteren theoretischen Fundierung der Erforschung von Kompositionseffekten bei. Relevant ist dieser Beitrag, da er einer aktuellen Kritik entgegenwirkt, wonach nur ein kleiner Teil der Nachbarschaftseffektstudien überhaupt darstellt, welche theoretischen Annahmen ihren Model­ len zu Grunde liegen (vgl. Minh et al. 2017), und damit den von Galster und Sharkey (2017) vermuteten Mangel an empirischen Ergebnissen auch nicht adressieren. Der theoretische Rahmen sowie die hierauf aufbauenden Operationalisierungen bleiben jedoch hinter der Forderung von Blossfeld und Müller (1996) zurück, die eine exakte Darlegung der Veränderung der strukturellen Bedingungen in Raum und Zeit fordern, um einen ein­ deutigen und systematischen Bezug zwischen sozialen Kontexten und Hand­ lungssituationen aufzuzeigen. Die geringe Komplexität des entwickelten theoretischen Rahmens stellt hierbei eine bewusste Zielsetzung dar und spiegelt die empirische Machbarkeit unter den gegebenen Bedingungen der Datenverfügbarkeit wider. Die zur Analyse der Effekte bzw. der Schätzung der durchschnittlichen Gruppenunterscheide zwischen Treatment- und Kontrollgruppe verwendete Methode des Propensity-Score-Matching wird rückblickend als angemessen bewertet. Vor allem der intuitive Zugang zu dieser Methode aufgrund der direkten Umsetzung des kontrafaktischen Modells der Kausalanalyse stellt einen großen Vorteil im Vergleich zu regressionsbasierten Verfahren dar. Die Verwendung von Directed-Acyclic-Graphs (DAGs) zur Effektidentifikation und damit zur theoriegeleiteten Variablenselektion für die Analysemodelle hat sich, wenn auch in der grafischen Darstellung ggf. trivial wirkend, als enor­ me Bereicherung herausgestellt, da sie dazu zwingt, den datengenerierenden Prozess und damit die auf Basis empirischer Ergebnisse aufgezeigten kausa­ len Verbindungen unter den verschiedenen relevanten Faktoren intensiv zu durchdenken. Dieses Vorgehen führt jedoch schnell zu sehr großen und unübersichtlichen DAGs, welche nur noch mit Hilfsmitteln gehandhabt werden können. In dieser Arbeit wurde auf DAGitty (vgl. Textor et al. 2016) zurückgegriffen. Die Verwendung von DAGs führt jedoch auch dazu, stärker in Mechanismen zu denken, was abermals als enorme Bereicherung im Kontext der Erstellung dieser Arbeit verstanden wird.

244

7. Fazit

Die Analysen in dieser Arbeit basieren auf einer geringfügigen Erweite­ rung des Minimal Sufficient Adjustment Sets (vgl. Abschnitt 3.3), um einige weitere relevante Kontrollvariablen unter Beachtung des Back-Door-Criterion. Eine theoriegeleitete Hinzunahme weiterer Kontrollvariablen unter Beach­ tung des Back-Door-Criterion wäre möglich, welche die Schätzung der Unter­ schiede effizienter machen würden und damit die Konfidenzintervalle ver­ kleinern würden. Jedoch wäre hierfür ein bedeutend größeres Analysesamp­ le nötig. Dies wird besonders bei der Analyse der nach Bildungsgruppen differenzierten Effekte deutlich. Die Unterrepräsentation der Haushalte aus der Gruppe mit einer niedrigen formalen Bildung kann als eine häufig vor­ zufindende Tatsache in der qualitativen und quantitativen Sozialforschung gesehen werden (vgl. Siegers et al. 2020) und führt aufgrund der niedrigen Fallzahl zu teilweise sehr groben Schätzungen und großen Konfidenzintervallen. Eine Gewichtung, welche im Kontext dieser Arbeit aufgrund des sehr selektiven Analysesamples bewusst nicht durchgeführt wurde, könnte zumindest auf methodischer Ebene diese Situation etwas verbessern (vgl. Abschnitt 5.2). Aus methodischer Sicht kann die Definition des Treatments, welche auf Basis der Anteile der Haushalte im obersten oder untersten Dezil der microm-Statusverteilung (vgl. microm 2020) vorgenommen wurde, weiter verfeinert werden. Der große Graubereich, der bei der Definition des Treat­ ments bleibt, wird als nachteilige Einschränkung bei der Analyse verstanden (vgl. Abschnitt 3.4). So werden die zum Teil erst bei sehr hohen Schwellen­ werten sichtbaren Effekte mit genau dieser Ungenauigkeit erklärt, da mit den hohen Schwellenwerten der Graubereich proportional kleiner wird und damit die Definition des Treatments exakter. Die Nutzung der Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), des­ sen originäre Zielsetzung nicht die Bildungsforschung ist, stellt einen Kom­ promiss dar. Die Daten des National Educational Panel Study (NEPS) (vgl. Blossfeld; Roßbach 2019; Blossfeld; Maurice 2011) erscheinen auf den ersten Blick als inhaltlich naheliegendere Wahl, doch zu Beginn des Pro­ motionsvorhabens im Jahr 2017 standen noch nicht ausreichend Wellen im NEPS zur Verfügung und zudem sind die kleinsträumigen microm-Da­ ten, welche im Zuge des Armuts- und Reichtumsberichtes (vgl. Goebel; Hopp 2015) durch das DIW erstellt bzw. erworben wurden, nur am Deut­ schen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nutzbar. Diese Tatsache in Kombination mit dem enormen Analysepotenzial der Daten des SOEP (vgl. Giesselmann et al. 2019; Spieß et al. 2013; Hintze; Lakes 2009; Wagner et al. 2007) haben zur Wahl der Daten des SOEPs als Basis für die vorlie­ gende Arbeit geführt. Die Möglichkeit einer stärkeren Verknüpfung der

7.1 Reflexion des methodischen Vorgehens

245

Datenbestände über die verschiedenen Forschungsdatenzentren hätte diese Entscheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit anders ausfallen lassen. In Abschnitt 3.2 sowie Abschnitt sieben wurde auf die Stable-Unit-Treat­ ment-Value-Assumption (SUTVA) hingewiesen, welche erfüllt sein sollte, was jedoch in vielen Fällen nicht der Fall ist und auch im Kontext dieser Arbeit nicht zweifelsfrei angenommen werden kann. Ein methodischer Lösungs­ weg ist das Bilden von Clustern, für die die SUTVA erfüllt ist, oder eine di­ rekte Modellierung der Interaktionen (vgl. Imbens; Wooldridge 2009: 9 f.), womit Mehrebenenmodelle, welche sich häufig auch als gewählte Methode innerhalb des Forschungsstandes wiederfinden (vgl. Abschnitt 2.4), geeigne­ te alternative Methoden zur Analyse der Effekte der sozialen Komposition darstellen würden. Wie im theoretischen Rahmen dargestellt wird von einer inhärent hierarchischen Struktur der verschiedenen Ebenen (Makro-MesoMikro-Meso-Makro) ausgegangen (vgl. Abschnitt 2). Neben dem Herkunftshaushalt wären dann weitere zu berücksichtigende Ebenen mit ihren jeweils spezifischen relevanten Faktoren unter anderem die besuchte Grundschu­ le, der relevante sozialräumliche Kontext des Herkunftshaushaltes sowie das Bundesland. Eine kleinsträumige, theorie- und mechanismengeleitete Operationalisierung des relevanten sozialräumlichen Kontextes wäre damit weiterhin essenziell für die Durchführung. Die Berücksichtigung einer tem­ poralen Perspektive der verschiedenen Ebenen würde die Analysen und die Aussagekraft der Ergebnisse deutlich verbessern und eine theoriegeleitete und an der Überprüfung von Mechanismen orientierte soziologische Über­ prüfung ermöglichen. So wünschenswert ein solches Vorgehen erscheint, so unmöglich erscheint es in Anbetracht der Verfügbarkeit der benötigten längsschnittlichen, geografisch referenzierten und kleinsträumigen Daten. Das in dieser Arbeit verwendete Verfahren des Propensity-Score-Matchings bleibt hinter den methodischen und inhaltlichen Vorteilen des eben umriss­ artig beschriebenen Vorgehens unter Anwendung von Mehrebenenmodel­ len zurück und spiegelt die empirische Machbarkeit in Anbetracht der ver­ fügbaren Daten wider. An der kausalen Interpretation der Ergebnisse dieser Arbeit als Indikatoren für das wahre Ausmaß der Effekte der sozialen Kom­ position auf die Wahrscheinlichkeit nach der Grundschule das Gymnasium zu besuchen, wird weiterhin festgehalten. Jedoch sollten die Punktschätzer nicht anhand ihrer präzisen Zahlenwerte interpretiert werden, sondern in ihrer Tendenz.

246

7. Fazit

7.2 Praxisbezogene Schlussfolgerungen Das Aufzeigen kausal wirkender Effekte der sozialen Komposition eines relevanten sozialräumlichen Kontextes auf Basis sozial-interaktiver Mecha­ nismen, welche mit höherer Wahrscheinlichkeit bei Vorliegen räumlicher Nähe und sozialer Ähnlichkeit über sekundäre sozialräumliche Effekte wir­ ken, hebt die Positionierung dieser Arbeit innerhalb der Analyse des breite­ ren wissenschaftlichen Kontextes der Erforschung von sozialer Ungleichheit hervor und verweist sogleich auf eine große Bandbreite an gesellschaftlichen Themen, die berührt werden. Neben der Relevanz für die weitere sozialwis­ senschaftliche Forschung haben sich vor allem auf datentechnischer Ebene relevante Anknüpfungspunkte bzw. Empfehlungen gezeigt. Die hohe Relevanz des Forschungsgegenstandes selbst, wie dieser im ersten und zweiten Abschnitt der Arbeit dargestellt wurde, bleibt bestehen. Denn eine systematische Veränderung der Wahrscheinlichkeit, das Gymnasi­ um zu besuchen, in Abhängigkeit der sozialen Komposition, kann unter der Bedingung, dass diese Schulform weiterreichende Lernzuwächse und auch andere positive Effekte aufweist (vgl. Abschnitte 2 & 2.1), als ein soziale Ungleichheit verstärkender oder abschwächender Faktor verstanden werden. Dies gilt insbesondere für eine intergenerationelle Perspektive. Die festge­ stellte hohe Relevanz von sekundären sozialräumlichen Effekten, welche unter der Bedingung räumlicher Nähe und sozialer Ähnlichkeit mit höherer Wahrscheinlichkeit wirkmächtig werden, verweist sodann auf konkrete In­ terventionsmöglichkeiten und die Vielzahl anderer sozialwissenschaftlicher Themenfelder, die hiervon berührt werden. Interventionsmöglichkeiten für den Gegenstand dieser Arbeit ergeben sich aus einer gezielten Bereitstellung an relevanten Informationen über Möglichkeiten der Förderung (auch finanziell), der Chancen und Vorteile eines Gymnasialbesuchs speziell für die Gruppe der Haushalte mit einer mittleren und niedrigen formalen Bildung. Zudem kann die gezielte Schaf­ fung bzw. Förderung von Interaktionsgelegenheiten einen positiven Effekt auf die Gruppe der Haushalte mit einer niedrigen formalen Bildung haben. Dies kann bspw. über die Förderung von Vereinsmitgliedschaften jenseits des lokalen Fußballvereins199 geschehen. Denn unter der Bedingung, dass auch primäre sozialräumliche Effekte wirkmächtig sind, wären hiermit beide Mechanismen adressiert. Würden diese Intervention für alle Grup­ 199 Das Ziel sollte hierbei sein, eine möglichst hohe Diversität der Bildungsgruppen inner­ halb der Vereine zu erreichen. Der lokale Fußballverein wird hier stellvertretend für die bildungs- und schichtspezifische Präferenz oder Wahl bestimmter Vereine und Sportarten gewählt, welche sich innerhalb des relevanten sozialräumlichen Kontextes befinden.

7.2 Praxisbezogene Schlussfolgerungen

247

pen gleichermaßen durchgeführt werden, würde sich abermals eine Art Fahrstuhleffekt einstellen oder aufgrund einer unterschiedlichen Informati­ onsverarbeitung innerhalb der Bildungsgruppen sogar ein ungleicher Fahr­ stuhleffekt. Beide Szenarien hätten zur Folge, dass der Mechanismus des Wettkampfes an Bedeutung gewinnt, da nun mehr Haushalte sich für einen Gymnasialbesuch entscheiden würden. In dieser Situation ist davon auszu­ gehen, dass Haushalte mit einer niedrigen formalen Bildung trotz veränder­ ter Kosten-Nutzen-Kalkulation potenziell häufiger verlieren, da sie sich in einem Wettkampf mit potenziell leistungsstärkeren Haushalten befinden. Vorherrschende Normen führen damit zur Selbsteliminierung der unte­ ren Klassen auf den höheren Bildungslaufbahnen und nicht die Einstellung zur Bildung bzw. eine Disposition, wie dies etwa von Bourdieu angenom­ men wird (vgl. Bourdieu 1973; Bourdieu; Passeron 1971: 28 f.). Es handelt sich vielmehr um einen selbstverstärkenden Prozess. Normen sind hierbei lediglich im Durchschnitt oder im Normalfall ausgeführte Handlungen. Abweichungen bedürfen eines gewissen Kosteneinsatzes (eigene Recherche, Wechsel des Modus, soziale Kosten, Bruch mit Freundschaftsnetzwerken usw.). Die Strukturen der sozialen Ungleichheit, welche sich auch räumlich in Form von kumulierter Armut und Wohlstand widerspiegelt, bringen „die Menschen, gewissermaßen: hinter ihrem Rücken, gerade dann, wenn sie rational und situationsgerecht handeln, zu „freiwilligen“ Entscheidungen, die als aggregiertes Ergebnis just diese Strukturen der sozialen Ungleichheit immer wieder neu konstituieren“ (vgl. Esser 1999: 274 f.). Die Relevanz der in dieser Arbeit gemachten Feststellungen übersteigt jedoch den Forschungsgegenstand dieser Arbeit. Die Frage des Gymnasial­ besuchs verliert ihre Relevanz, wären hiermit nicht inhärente Vorteile und bei Nichtbesuch auch Nachteile verbunden. Dies verweist auf den Punkt, dass eine generelle Reform der Struktur des gegliederten Schulsystems benötigt wird, dessen Ziel es sein sollte, Schüler individuell so weit wie möglich zu fördern und die Entscheidung darüber, welche Potentiale ihnen zukünftig unterstellt werden, nicht an klar definierten Altersgrenzen oder Leistungen aus der Vergangenheit festgemacht werden sollten. Diese Dis­ kussion wird aktuell an vielen Stellen der Bildungsforschung geführt und spiegelt sich auch in den diversen Reformen der Schulsysteme der letzten Jahrzehnte wider (vgl. Helbig; Nikolai 2015). Es lässt sich jedoch auch vermuten, dass innerhalb der sozialen Kom­ position lokal gebundene und systematisch variierende Normen auch in Bezug auf eine Vielzahl anderer Themenfelder existieren, wenn es einen hohen Anteil einer oder mehrerer identifizierbarer Gruppen (in dieser Arbeit statushohe vs. statusniedrige Haushalte) innerhalb eines relevanten sozialräumlichen Kontextes gibt. Themen wie delinquentes Verhalten oder

248

7. Fazit

bspw. die Akzeptanz von staatlichen Maßnahmen wie etwa in der aktuellen Corona-Pandemie können somit durch die Berücksichtigung der Räumlich­ keit dieser Phänomene besser verstanden werden. Womit die Identifikation derlei sozialräumlicher Kontexte, der wirkmächtigen Mechanismen und der Zuschnitte dieser sozialräumlichen Kontexte notwendig ist. Vor einer allzu technokratischen Interventionspolitik auf Basis einer sol­ chen Empfehlung bzw. der Umsetzung dieser Empfehlung, wie dies bspw. mit dem Ghetto-Gesetz in Dänemark getan wird (vgl. Seemann 2021), ist jedoch zu warnen. Soziale Durchmischung soll nicht als ein Allheilmittel verstanden werden und kann auch zu Problemen führen (vgl. Legewie; Schaeffer 2016). Zudem sollte der Fokus nicht allein auf die Gruppen am unteren Ende einer Statusskala gelegt werden, wie dies beim Getto-Gesetzt der Fall ist. Es gilt vielmehr, eine soziale Durchmischung innerhalb einer gewissen Bandbreite zu erreichen, die die Entstehung von allzu verfestig­ ten Normen entgegenwirkt und das Gefühl, abgehängt zu sein, aber auch eines allzu selbstverständlichen Anspruchs auf die oberen Ränge einer Ge­ sellschaft zu verhindern. Damit liegt eine Interventionsmöglichkeit in der Wohnungs- und Wohnraumpolitik des Bundes, der Länder, Städte und Ge­ meinden. Diese müssen aktiv und prospektiv Segregationstendenzen auf Basis unterschiedlicher Faktoren frühzeitig adressieren. Eine starke soziale Ungleichheit in Verbindung mit einem hohen Grad der sozialräumlichen Segregation kann zu einem Kreislauf führen, der sowohl soziale wie auch räumliche Mobilität erschwert (vgl. Nieuwenhuis et al. 2017) und sie somit über Generationen verfestigt. Eine notwendige Grundlage zur weiteren theoriegeleiteten Bearbeitung der Wirkung der sozialen Komposition auf eine Vielzahl von Forschungs­ gegenständen stellt das Vorhandensein kleinsträumiger, detaillierter und geografisch referenzierter Daten dar. Hiermit sind zum einen die Daten zur Operationalisierung der relevanten sozialräumlichen Kontexte wie auch die Befragungsdaten – oder administrativen Daten – gemeint. Verschiedene Länder haben bereits Systeme der Datenverknüpfung und Bereitstellung entwickelt200, die diesen Forderungen gerecht werden, was sich sodann auch in der Reichweite der Ergebnisse von Studien auf Basis solcher Daten wider­ spiegelt (vgl. Petrović et al. 2021; Rogne et al. 2020; Hedman et al. 2017; van Ham et al. 2014; Wodtke et al. 2011). Eine klare Empfehlung aus den Erfahrungen der Erstellung dieser Arbeit besteht somit darin, am Aufbau ähnlicher Systeme der Datenverknüpfung und Bereitstellung für den deut­ schen Kontext zu arbeiten, um die Möglichkeit derartiger Analysen weiter zu verbessern und der deutschen Nachbarschaftseffekt- oder Kompositions­ 200 Oder befinden sich im Aufbau derartige Datenbanken (vgl. Guhn et al. 2016).

7.2 Praxisbezogene Schlussfolgerungen

249

effektforschung die Möglichkeit zu geben, in Bezug auf die verwendeten Daten auf Augenhöhe mit anderen Studien zu agieren.

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