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German Pages 518 [520] Year 2012
SÄMTLICHE WERKE DES FREIHERRN JOSEPH VON EICHENDORFF
VII/1 SATIRISCHE DRAMEN UND DRAMENFRAGMENTE
SÄMTLICHE WERKE DES FREIHERRN
VON
JOSEPH EICHENDORFF HISTORISCH-KRITISCHE AUSGABE
BEGRÜNDET VON WILHELM KOSCH UND AUGUST SAUER FORTGEFÜHRT UND HERAUSGEGEBEN VON HERMANN KUNISCH (†) UND HELMUT KOOPMANN
DE GRUYTER
BAND VII/1
VON
JOSEPH EICHENDORFF
SATIRISCHE DRAMEN UND DRAMENFRAGMENTE TEXTE
HERAUSGEGEBEN VON HARRY FRÖHLICH
DE GRUYTER
ISBN 978-3-11-028174-3 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. %LEOLRJUDÀVFKH,QIRUPDWLRQGHU'HXWVFKHQ1DWLRQDOELEOLRWKHN Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen 1DWLRQDOELEOLRJUDÀHGHWDLOOLHUWHELEOLRJUDÀVFKH'DWHQVLQGLP,QWHUQHW über http://dnb.d-nb.de abrufbar. :DOWHUGH*UX\WHU*PE+ &R.*%HUOLQ%RVWRQ *HVDPWKHUVWHOOXQJ+XEHUW &R*PE+ &R.**|WWLQJHQ *HGUXFNWDXI VlXUHIUHLHP3DSLHU 3ULQWHGLQ*HUPDQ\ ZZZGHJUX\WHUFRP
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Krieg den Philistern! Dramatisches Mährchen.
Te x t g r u n d l a g e : D 2 ( 1 8 2 4 )
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Und doch – den Morgen seh’ ich scheinen, Viel’ Ströme gehn im grünen Grund. Frisch auf denn! und die’s ehrlich meinen, Die grüß’ ich all’ aus Herzensgrund.
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Krie g de n P h il istern ! E rstes A b en th eu e r.
E r s t e s A b e n t h e u e r.
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Kri eg d en P h il istern ! E rstes A b e n t h e u e r.
Hier kommen die Poeten zu Lande über’s Meer, Die Philister trinken Kaffee und erschrecken sehr.
Krie g de n P h il istern ! E rstes A b en th eu e r.
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(Große Sandfläche. Ein ungeheures Schiff auf künstlichen Walzen liegt vor Anker. Morgendämmerung. Mehrere Soldaten von den Poetischen sitzen beieinander auf dem Verdeck, man hört von Zeit zu Zeit das Rufen der Wachen.) 5
Soldaten. Godofred (klopft sich die Pfeife aus.)
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Nein, sagt was Ihr wollt, aber ich war doch wohler in meiner Haut, als ich noch Gottfried schlechtweg hieß und zu Hause hinter meinem Webestuhl saß, und meinen warmen Ofen hatte und mein Glas Bier und zu essen vollauf. Was soll denn nun am Ende der ganze Specktakel hier? warum wollen wir denn eigentlich die Philister mit Krieg überziehen? Mir haben sie mein Lebtag nichts Böses angethan. Ringulf. Ihr bleibt doch ewig ein rechter Leinweber, ein Himmelsfechter! Hugo (aus träumerischen Gedanken auffahrend.)
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Entweiht nur nicht den Namen Himmelsfechter! Himmelsfechter sind wir alle. Wie – oder achtet Ihr’s für nichts, entnommen Dem niedern Treiben, kräftig mit zu weben In göttlicher Gewerbe-Freiheit hier Am Webestuhl der riesengroßen Zeit?
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H e g e s a (eine Marketenderin.) Als vor der Scheere mörderischem Stahle Dahinsank meiner goldnen Locken Schmuck, Auf den Altar des Vaterlands, ein Scherflein Zu Thauen, Seegeln – Göttlicher Moment!
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Kri eg d en P h il istern ! E rstes A b e n t h e u e r.
Ja labend noch erhebt der Trost-Gedanke Den Busen mich, daß dieser holde Schmuck Um solchen Zweck mich fehle! – Hugo. 5
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Hohe Seele! Ringulf. Nein, Meister Godofred, Ihr wißt, wir waren zu Hause immer gute Freunde, aber der Herr Hugo hat da Recht, das ist mit dem Kriege da ein ganz andres Ding, der Patriotismus, seht Ihr, die Volkskraft, die große Zeit. – Hugo. Schämt, Edle Krieger Euch, sprecht doch in Versen!
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Ringulf. Ach, ja so! nun, nun – die große Zeit, sag’ ich – Mit neuen Erfindungen mich plag’ ich, Die Philister sitzen ruhig in ihrem Lande Und fragen wenig nach unserm Verstande, Die Soldaten tragen noch immer dicke Zöpfe, Die Bauern sitzen um ihre Fleischtöpfe Und kochen, und braten, und trinken Wein, Wir müssen mit Schnaps zufrieden seyn. Dann möchten sie uns noch gar Gesichter schneiden – Sapperment! wollen wir das leiden? Godofred. Man merkts doch gleich, Du warst ein Schneider, Hast noch immer so was vom Hungerleider, Mit der Elle wollt’s zu Hause niemals recht fort, Drum willst Du nun gern ins Unermeßne fort, Drum bist Du – ach hol’ der Teufel die Verse, Das ist ja eine wahre Pferdearbeit, wenn man’s nicht gewohnt ist!
Krie g de n P h il istern ! E rstes A b en th eu e r.
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Hugo. Kurage, Godofred, es wird schon gehn!
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Godofred. Ja, Ihr erst gar, Ihr habt mich eben Aus meinen vier Pfählen herausgeschwätzt Und so mitten in den Krieg hineingesetzt, Nun ist mir ganz kurios hier bei dem Leben, Ich weiß nicht mehr, sitzen wir auf dem Wasser oder auf dem Sand, – Ihr bringt mich noch wahrlich um den Verstand. (Er fängt an zu weinen.)
R i n g u l f (wetzt den Säbel.) Kaum zwing’ ich noch die kriegerische Rage, Philister ’raus! He! Blut, Mord, Brand, Kurage! 15
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T h e u d e r i c h (der Rottenmeister.) (Tritt in vollständiger altdeutscher Rüstung aus dem unteren Schiffsraum und faßt den Ringulf an der Brust.) Ho, Hermanns-Enkel! bänd’ge Deine Schlachtwuth! Nicht Bruderblut soll dieses Eisen lecken, Bis Menschenfressend draußen kracht die Mannsschlacht! R i n g u l f (steckt den Säbel ein.) He, he, he, he! Ihr seht ganz neckisch aus In Eurem Harnisch, ornd’tlich zum Erschrecken, Nur guckt dort noch das Chemisett heraus, Auch die Lorgnette müßt Ihr noch verstecken, Und wie Euch Wamms und Koller prächtig passen! Bei welchem Schneider habt Ihr’s machen lassen?
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Kri eg d en P h il istern ! E rstes A b e n t h e u e r.
T h e u d e r i c h (vertraulich.) Nicht wahr, es steht mir ganz artig zu Gesichte? und welche kräftige Haltung in dem Beine, wenn ich es so stolz ein wenig vorstrecke, oder auch wenn ich so ganz schlicht und grade da stehe, wie die alten Ritterbilder, oder auch so – (Ringulf befühlt das Wamms mit Kennermienen.)
Und das Zeuch zu dem Wamms, sag’ ich Dir, nein Freundchen, das ist ein Zeuch! (Die Sonne fängt eben an aufzugehn.) 10
H u g o (sich erhebend.) Gegrüßt Du Licht, durchbrich die dunkeln Schranken! Geuß in die Welt Dich aus, Born ewiger Gedanken! Theuderich (geht auf ihn los und schüttelt ihm die Hand.)
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Ha, wie durchzucken mich die wilden Flammen! O sänk’ die Welt in dieser Gluth zusammen! Hegesa. Wie wird mich? Wolken heben mir zum Licht. (Sie nimmt die Haube ab.)
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Hugo (in Begeisterung auf sie hinzeigend.)
Nein, Würd’geres bescheint die Sonne nicht, Als diesen kahlen Kopf! 25
(Er küßt sie auf die Stirn. Feierliche Stille. Während deß steigen aus dem Grunde: der Schiffsregent, der Philosoph, der Narr, als Passagiere, und hinter ihm ein langer Zug von Beamten, welche sogleich hinter ihren Pulten Platz nehmen.)
Regent (zu sämmtlicher Mannschaft gewendet.) 30
Es hebt der Sonnenball sich aus den Fluthen, Ein Bildniß unsres rastlos regen Geistes, Der durch das Weltall sendet seine Strahlen. (Alles klatscht. Der Philosoph verneigt sich dankend. Regent fährt fort:)
Krie g de n P h il istern ! E rstes A b en th eu e r.
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So fahret denn nur rühmlich fort, Ihr Brüder, Frei spielen mögen meines Volkes Kräfte, In Staatswirthschaft, Mechanik, Industrie, Gewerbe, Kunst und hoher Wissenschaft, Ein beispielloses Volksthum neu gestaltend! Das Schiffsvolk. Wer ist denn aber unter uns eigentlich das Volk? Die Soldaten. Welche dumme Frage!
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Die Beamten. Nun wir sollen’s doch nicht etwa seyn? Wir bearbeiten ja eben das Volk. Wir machen den Staat aus. Regent. Ihr wißt, wie ich bei Tag und Nacht bemüht, Der Menschheit Privilegien und Urrecht, Die heimlich stille Saat, zu Tag’ zu fördern, Die Kerne hör’ ich fast im Boden keimen. – Jahrhunderte des Aberglaubens haben Den Schatz uns überschlämmt, und auf dem Schlamm Führt der Philister ungeschlachtes Volk Dreifelder-Wirthschaft noch, Gewohnheitsseelig, Cultur mit zäher Dummheit niederhaltend. Das muß nun anders werden, edle Streiter, Das träge Volk, wir wollen’s kühn vertreiben Und selber dann mit Intelligenz rajolen Das heil’ge Land zur neuen Menschheits-Saat. Frisch! jeder denn zu seinem Federkiele! Die Sonne steigt, bald sind wir an dem Ziele! (Ein Rumor und verworrenes Durcheinanderrufen: I n d u s t r i e , V a t e r l a n d , I n t e l l i g e n z , K o p p e l w i r t h s c h a f t ! Alles begiebt sich an seine Arbeit. Der Philosoph klettert zu dem Mastkorbe hinauf. Der Regent sezt sich an ein kleines Meßtischchen zum Regieren zurecht, der Narr neben ihn.)
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Kri eg d en P h il istern ! E rstes A b e n t h e u e r.
Regent. Fleißig, Ihr, des Ganzen Glieder! Immer zu nur, rührt Euch munter, An den Masten rauf und runter Da und dort und hin und wieder Kappt den Thau, die Anker lichtet, Seile spannt, die Seegel richtet – Wie die da in langen Reihen Sitzen, bald sich ernst bedenken, Rascher bald die Feder schwenken, Daß die weißen Blätter schreien! Wie das klippt und klappt und schwirbelt, Trommel oft dazwischen wirbelt, All’ zum Ganzen sich formiren, O der Wonne, zu regieren! Narr. Hör’ Regent, so oft ich in eine Mühle trat, dachte ich immer: wie viel Lärmens um das liebe Brodt! und wenn ich dann das Tosen und Pfeifen und Reiben hörte, und das Sausen des Sturmes und des Stromes dazwischen, und wie die Schwalben jauchzend sich kreuzten in dem Gebraus und wieder hinausstrichen ins Himmelblau, da hat mich oft eine rechte tiefe Angst überfallen, als wären eben die verteufelten Schwalben da meine eignen Gedanken und flögen mir alle davon, und draußen wäre dann alles auf einmal still und weit und ganz anders, als wir es uns hier in der Mühle gedacht, ich plötzlich gesund und gescheut, und Ihr alle verrückt. – R e g e n t (lacht.) Ihr glücklicher Mensch! Euch bleibt noch Zeit zu Scherz und müßigen Gedanken! Ja, ja, wir anderen haben ein mühsames, ernsteres Geschäft und alle Hände voll zu thun. (Er mißt auf seinem Tischchen.)
Ei die Nadel weicht nach Osten, Hier ein Strich, und einer hier,
Krie g de n P h il istern ! E rstes A b en th eu e r.
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Eins und zwei und eins macht vier – Das wird etwas Mühe kosten, Denn ein Hügel liegt dazwischen, Doch darüber müssen wir, Hind’rung mag den Muth erfrischen! Heda! Ostwärts seegelt mir! Dort auf jenes Ungeheuer Starrer Brandung lenkt das Steuer! Zwei, zwei, vier – Chor der Beamten. Papier, Papier, Papier! Narr. Die Zeit braucht viel Papier, Papier braucht Lumpen, o lumpige Zeit!
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Regent. Mit dem ungeschlachten Winde! Roher Trieb des Elements! Was ich sinnreich auch erfinde: Immer bläst er grad’ hinaus, Scheert sich nichts um Kant und Kraus, Ohne alle Intelligenz! – He, die Seegel dreht geschwind! Narr. Heisa, frisch! Wind gegen Wind!
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C h o r d e s Vo l k s (an der Maschine, die das Schiff fortbewegt.)
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Weh! was soll das endlich geben, Ach, wir schwingen, schwitzen, heben: Über dieses Hügels Rücken Können wir das Schiff nicht rücken.
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Kri eg d en P h il istern ! E rstes A b e n t h e u e r.
Regent. Das gilt mir ganz einerlei, Dorthin zeigt die Nadel treu. Meine Schlüsse sind ganz richtig, Jener Hügel nur ist nichtig. Fort denn nach dem höhern Licht, Kracht es gleich, so bricht’s doch nicht! C h o r d e s Vo l k e s . Jeder hat so sein’n Verstand, Will’s uns wahrlich doch gemuthen, Schaun wir recht in diese Fluthen, Als wär’ alles purer Sand. Nein, wir werden auch gescheuter Und wir wollen nicht mehr weiter! Regent. Weh! was soll das, weh! was hör’ ich? Meine nächt’ge Ruhe stör’ ich. Habe diesen rohen Klumpen Mühsam kaum so weit gebracht, Und nun will er wieder plumpen In die alte dicke Nacht! Nein ich platze schier – Chor der Beamten. Papier, Papier, Papier!
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Regent. Ach jetzt laßt mich ungeschoren, Andres hab’ ich zu besorgen! – Höret, Bürger, ich belehr’ Euch! Hört nur diesmal, ich beschwör’ Euch, Denn Ihr möget klagen, schrein, Glücklich müßt und sollt Ihr seyn, Wandelnd in dem ew’gen Urlicht.
Krie g de n P h il istern ! E rstes A b en th eu e r.
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C h o r d e s Vo l k s . Nein, nein, nein, wir wollen nicht!
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Chor der Soldaten. Kriech’, kracht kraftreich die Kartaune, Weibsinn in sein Schneckenhaus! Das Gebrüll der Schlachtposaune Reißt ihn doch ans Licht heraus; Und wer nicht kann den Flammberg schwingen, Muß über des Flammbergs Klinge springen! Vo l k . Ja, Ihr Großmäuler, Ihr habt gut singen, wir müssen Euch mit unserer verteufelten Maschine eben so mit fortschleppen. Wir wollen nicht glücklich seyn, und nicht gebildet seyn, und auch nicht mehr in Versen sprechen! He, Schnaps her, Fleisch, Freiheit, trallallerallera! (Sie laufen alle durcheinander, einige Schiffsjungen schießen Burzelbäume in dem Getümmel, der Philosoph schimpft aus dem Mastkorbe herunter, man versteht ihn aber wegen der Höhe nicht, die Beamten schreien immerfort dazwischen um Papier.)
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R e g e n t (außer sich.) Ach, mein liebster Herr Narr, Sie haben noch immer den meisten Einfluß auf das Volk, ich bitte Sie, retten Sie uns, halten Sie eine Rede an das Volk! Narr. Aber ich bitte Sie, bedenken Sie doch, ich, der ich mir niemals die Freiheit herausnehme, gescheut zu seyn – Regent. Thut nichts, thut nichts! Ach, beim Olymp, ich habe noch so viele schöne philantropische Ideen auszuführen! Ich bitte Sie, eilen Sie nur, eh’ das Volk ganz toll wird.
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Kri eg d en P h il istern ! E rstes A b e n t h e u e r.
Narr. Nun, wenn Sie denn durchaus wollen. (er besteigt einen Stuhl.) Hochzuverehrendes Volk! Verzeihen Sie gütigst, daß ich so frei bin, Sie in Ihrem Vergnügen zu unterbrechen. Aber ich weiß, Sie sind viel zu gesittet, um mir nicht für einige Augenblicke Gehör geben zu wollen – Vo l k . Hört, hört, hört!
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Narr. Vor allem, und ehe ich auf den Hauptpunkt unserer heutigen freundschaftlichen Unterhaltung komme, muß ich Sie, verehrtes Volk, ergebenst ersuchen, sich der Wichtigkeit unseres gemeinsamen Unternehmens und Ihrer eigenen außerordentlichen Vortrefflichkeit zu erinnern. Belieben Sie zu bemerken: Sie lagen ehedem gleichsam als ungeschrotenes Malz in bewußtloser Selbstgenügsamkeit von dem Schöpfer so auf die Erde dahin geschüttet. Aber schon damals konnten Sie es nicht lassen, geistreich zu seyn, es war ein Quellen, Aufblähen und Meischen offenbar zu verspüren. Man kam Ihrem Wunsche zuvor, man schüttete Sie in die Destillir-Blase des Staates. Sie wissen, die Zünfte sind aufgehoben, und ein jeder hatte also das Recht, dazu berufen zu seyn, Sie zu destilliren. Der liebe Gott wird sich schon die diesfällige Auflösungssteuer und Blasenzins einfordern. Regent. Zur Ordnung, Herr Narr! Narr. Ich sage also, hinsichtlich der Steuern können Sie sich lediglich beruhigen. Sie beliebten aber vorhin zu äußern, daß Sie viel schwitzten dabei. Ey, das ist ja eben ganz recht! Aus diesem Dampf und Brodem eben gehen Sie immer geläuterter, farb- und geruchloser, als ächter Spiritus aus dem Destil-
Krie g de n P h il istern ! E rstes A b en th eu e r.
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lirschnabel hervor. Sie wissen, ich habe, als bloßer Passagier, noch nicht lange die Ehre, unter Ihnen zu leben, ich weiß also noch nicht, wie nahe Sie der Vollendung, ob Sie nicht vielleicht noch ein wenig fuseln, und wie oft Sie abgezogen sind. 5
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Vo l k . Ach was, Wein, Wein! Wir wollen keinen Brantwein mehr, wir wollen nicht abgezogen seyn! Narr. Ich bitte Sie, verstehn Sie mich nur! Sie zerreißen mir da die mühsam gezogenen Linien meiner künstlichen Vergleichungen. Sie zerschmeißen mir die Branntweinblase meines Witzes. Ich weiß auch gar nicht, wie Sie auf einmal in eine solche Ungenügsamkeit hineingekommen sind. Sagen Sie doch nur selbst, was geht Ihnen eigentlich ab? Sie müssen unbedenklich gestehen: viel Denken ist bedenklich, denn es stört die Verdauung. (auf den Regenten weisend) Sehen Sie daher hier den patriotischen Mann, der sich für uns alle abdenkt. Regent (drückt ihm zärtlich die Hand.)
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Sie sind sehr gütig. Narr. Bitte gehorsamst! ich kenne meine Schuldigkeit. (zum Volk) Also ad vocem denken, so werden Sie gleichfalls den obersten Satz zugeben müssen: Ich bin ich!
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Vo l k . Ja, ja, dagegen ist nichts einzuwenden. N a r r (schnellsprechend.) Nun, Ich bin Ich, das heißt in der angewandten Philosophie nichts andres, als der Herr Regent dort ist der Herr Regent. Wenn es nun aber unumstößlich wahr ist, daß Ich
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Kri eg d en P h il istern ! E rstes A b e n t h e u e r.
gleich Ich, oder, was dasselbe, Er gleich Er, das heißt gleich dem Herrn Regenten ist, so ist folglich das Ich des Herrn Regenten wahr. (Das P u b l i k u m knurrt heimlich.) Wenn es aber Pflicht ist, das Wahre zu verbreiten, so ist hinwiederum dieses Ich des Herrn Regenten ohne weiteres möglichst unter die Leute zu bringen. Also aus der Vielheit die Wurzel ausgezogen, damit diese Ichheit multiplizirt, das giebt zuletzt einen großen, großen Hut. Vo l k . Wie denn? einen großen Hut? – Narr. Ja, ich sage, einen großen Hut, der jedem passen wird, er mag dickköpfig seyn, oder einen dünnen Verstand haben.
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Vo l k . Ja, wenn das so ist, da hat er ganz recht. Das wird gar nicht übel seyn, so ein gemeinschaftlicher Hut, da braucht man keinen eignen zu kaufen. Narr. Nun denn, lieben Freunde, so laßt uns uns’re Hüte, so lange jeder noch seinen eignen hat, fröhlich schwingen. V o l k (die Hüte schwingend.) Vivat hoch!
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Publikum. Nein, das ist nicht auszuhalten! Solcher Unsinn! Herunter mit dem Narren! Narr. Was hör’ ich, hochzuverehrendes Publikum, Sie versetzen mich in Erstaunen! welche seltsame Wahlverwandtschaften! Ich sprach ja nicht zu Ihnen. Ich kenne meinen Verfasser per-
Krie g de n P h il istern ! E rstes A b en th eu e r.
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sönlich, ich wußte aber nicht, daß er beim Entwurf des Stückes auf Ihre gütige Mitwirkung gerechnet hätte. Vielmehr pflegte er öfters zu sagen, Sie seyen eine allzu prosaische Person. 5
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V e r f a s s e r (hinter der Scene.) Um Gotteswillen, plaudern Sie doch nicht alles aus! Publikum. Ach, was geht uns der Verfasser an! Wir wollen uns für unser Geld nicht solche unlogische Sätze aufheften lassen. Was war das vorhin für eine Art zu beweisen! Welche Ungründlichkeit in den Schlüssen! O wir kennen hier Kant und Fichte so gut, wie irgend ein Narr in der Welt. So müssen Sie uns nicht kommen! Wir verlangen philosophischen Genuß! herab mit ihm! Narr. Aber um Himmelswillen, bedenken Sie doch die Illusion! Ve r f a s s e r. Ich werde Ihre Ungezogenheit mit abdrucken lassen!
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Vo l k . Untersteht Euch nur, hier herauf zu kommen! Wer unsern Narren anrührt, der hat’s mit uns andern zu thun. Alle für Einen! Publikum. Das wollen wir doch wohl sehen, ob ein philosophisches Publikum nicht so ein Stück von den Brettern bringen kann.
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(Das Publikum stürmt die Bühne und geräth mit dem Volk ins Handgemenge. Großes Getümmel und Pfeifen. Da ruft der Philosoph oben aus dem Mastkorbe auf einmal aus allen Kräften: L a n d , L a n d , L a n d ! Alle stehen wie verzaubert still, man sieht zwischen den sich theilenden NebeIn in der Ferne einen grünen Streifen über der Sandfläche. Das Volk eilt neubelebt an die gewohnte Arbeit.)
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Kri eg d en P h il istern ! E rstes A b e n t h e u e r.
Publikum. Ruhig! es kommt eine neue Decoration!
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(Grüner von Bäumen beschatteter Platz vor einem Kaffeehause am Ausgange einer weiten Sandebene. In einiger Entfernung sieht man die Thürme einer großen Stadt. Viele Philister sitzen im Freien an den Tischen umher oder promeniren. Ein blinder Harfner singt.)
Jemand (der mit seiner Familie am Tische sitzt.) 10
Es ist allerliebst hier. O liebe Frau, schenk mir noch ein. Ich kenne mir doch wirklich kein schöneres Vergnügen, als so eine gute Tasse Kaffe im Freien, und eine Stange Zigaro dazu. Frau. Wenn es Dir nur nicht schadet, lieber Mann, der Kaffee ist etwas stark und macht Dir wieder Wallungen.
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Jemand. Sey unbesorgt, Du gute Seele! Hausfreund. Es wird heute viel Gesellschaft herauskommen, das Wetter ist gar zu schön.
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Frau. Ach, ich wünschte, sie blieben alle drin in der Stadt bei ihren rauschenden Vergnügungen. Es geht doch nichts über den stillen ungestörten Genuß der schönen Natur. Hausfreund. O dafür lassen Sie mich Ihre Hand küssen! Frau. Sehen Sie nur jenen duftigen Schmelz der Wiesen, hören Sie, wie die Nachtigall schwärmerisch flötet. –
Krie g de n P h il istern ! E rstes A b en th eu e r.
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Jemand. Es scheint mir doch, liebe Frau, als wäre das der Judenjunge mit dem Pfeifchen im Maule. (Die Frau wirft ihm einen verächtlichen Blick zu.) 5
Frau. Ein gefühlvolles Herz ist doch recht schlimm dran in der Welt, wer versteht seine leisen Regungen? Ach, ich möchte einmal Wochenlang im rauschenden Haine, am murmelnden Bache liegen, fern von der lärmenden Stadt, so ganz allein. –
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H a u s f r e u n d (leise.) Und ich zu Deinen Füßen, nicht wahr, schönes Weibchen? Frau (freundlich nach ihm schlagend.)
Loser Schwätzer! 15
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I h r e K i n d e r (machen Knixe.) Mama, wir bitten gehorsamst um Zuckerbrödchen zum Kaffee. Hausfreund. Es ist nur E i n e in der Welt, die so holde Geschöpfe erziehen konnte! (Er will das eine kleine Mädchen küssen.) M ä d c h e n (sich entwindend.) O ich bitte Sie, mein Herr, Sie sind ein bischen gar zu dreist!
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Hausfreund. Der Engel! (für sich) Der Balg hat mir mit seinen fetten Butterschnitt-Fingern meine neue Weste beschmutzt.
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Kri eg d en P h il istern ! E rstes A b e n t h e u e r.
Frau. Sehn Sie nur, die lieben Kinderchen spielen schon Gesellschaft. Elise, zieh doch die Achseln besser zurück. Selma den Kopf hübsch in die Höh’! 5
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F r e m d e r H e r r (ruft.) Marqueur, Marqueur! welch’ eine erbärmliche Bedienung hier zu Lande! (der Kellner kommt) Was ist das für schlechter Wein, den Er mir da gegeben hat. Geschwind eine Flasche für’n Dukaten. (Kellner geht) Marqueur! (Kellner kommt) Vom besten Wein, den Ihr hier habt, versteht Er mich? (Kellner geht) Marqueur, Marqueur! (Kellner kommt) Und die Gläser sind voller Schmutz, was ist denn das für eine Art, da, nehm Er! (Kellner geht.)
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Jemand. Das scheint ein vornehmer Herr zu seyn, er sieht so unzufrieden aus. Frau. Eine edle Physiognomie!
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Hausfreund. Es ist, wo ich nicht irre, ein reisender englischer Lord. Frau. Das sieht man doch gleich! – Ich weiß nicht, so ein reisender Lord ist doch immer so was hohes, so was erhabnes. – Z w e i E l e g a n t s (treten auf.)
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Erster. Viel schöne Welt! Ich hätte nicht geglaubt, daß es heute hier so angenehm werden würde.
Krie g de n P h il istern ! E rstes A b en th eu e r.
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Zweiter. Ich weiß nicht, wo meine schöne Wittwe bleibt, ich kann sie nirgends erblicken. 5
Erster. Ich glaube gar, Du denkst an den Ehestand. Zweiter. Nun wie Fortuna will. Sie ist reich.
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Erster. Pfui, schäm’ Dich, da nimm Dir ein Beispiel an mir, immer wie ein Schmetterling, von einer zu der andern, toujours fleur volant!
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Zweiter. Hör’ Brüderchen, Deine Schmetterlingszeit wird aber nicht lange mehr dauern, nimm Dich in Acht, Du bekommst seit einiger Zeit einen dicken Bauch und dünne Beine.
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Erster. Ach damit hat es keine Noth, ich bin noch ein frischer Kerl. (er macht einen zierlichen Balletsprung und streift dabei an dem fremden Herrn am Tische vorüber) Was Teufel ist das für ein konfiscirtes Gesicht, ich bin ordentlich erschrocken. Zweiter. In der That, ein seltsamer Kautz! (sie lachen) Nun laßt ihn sitzen und Grillen fangen. Du weißt, wir haben heut’ keine Zeit zu verlieren, wir haben noch fünf Gärten zu besuchen.
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Erster. Ei, in dem Gange dort sitzen recht viel hübsche Gesichter, geh Du dort herum, ich will jenen Gang einschlagen.
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Kri eg d en P h il istern ! E rstes A b e n t h e u e r.
Zweiter. Gute Geschäfte denn! Heut Abend kommen wir doch bei Kommerzien-Raths zum Thee zusammen? 5
Erster. Ich werde nicht fehlen. – Nein, über den Sauertopf da, der uns bald fürchten gemacht hätte! Ha, ha, ha! (Sie gehen beide lachend und lorgnirend nach verschiedenen Seiten ab.)
Harfenist (singt zwischen dem Sprechen und Wirren:) 10
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Sey nur weise, liebe Jugend, Weiche nie vom Pfad der Tugend, Reichthum, Schönheit muß vergehn, Nur die Tugend macht uns schön. Wandelst Du so ohne Wanken, Ach, wie wird dann der Gedanken, Tugendhaft gelebt zu haben, Dich in Deinem Alter laben!
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Frau. Es ist wahr, die Aufklärung erstreckt sich doch schon bis auf die unteren Volksklassen; man kann jetzt dreist an alle öffentlichen Orte gehen, ohne befürchten zu dürfen, ein unanständiges Lied zu hören.
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Hausfreund. Ja, man braucht sich wahrhaftig nicht die unnütze Mühe zu machen, in die Kirche zu gehn, man kann sich jetzt überall erbauen, (leise, mit einem zärtlichen Blick) besonders wenn man so schöne Augen anbetet.
Krie g de n P h il istern ! E rstes A b en th eu e r.
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Jemand. Das könnt’ ich just nicht sagen, daß mir solche Lieder gefielen. So was Lustiges zum Lachen hab’ ich gern, von Blumauer zum Beispiel, auch so etwas von Liebe dabei, daß die Mädchen die Augen niederschlagen müssen, wie’s sonst Mode war, da kriegte man Muth und Gelegenheit, einen galanten Diskurs anzuknüpfen, nun, Du weißt ja, liebe Frau – Frau. Ach trink doch Deine Tasse aus, lieber Mann, der Kaffee wird ganz kalt. Blumenmädchen (mit einem Körbchen voll Kränze und Sträuße, ein altes Weib an ihrer Seite, kömmt zu Jemand.)
Befehlen Sie ganz frische, schöne Blumen? Jemand
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(kneipt sie schmunzelnd in die Wange.)
Selber Blume! M ä d c h e n (schnippisch.) Die ist nicht zum Verkauf. 20
Jemand. Pst, nicht so laut doch, Du kleine Wetterhexe! B l u m e n m ä d c h e n (zum Hausfreund.) Kaufen Sie von den Blumen, schöner Herr, ich habe eine alte schwache Mutter zu ernähren.
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Jemand (boshaft zum Hausfreund.)
Ei, Herr Doctor, Sie botanisiren ja recht die Rosen auf den Wangen und die Vergißmeinnichts in den Augen. Nun, nun, es ist ein hübsches Ding!
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Kri eg d en P h il istern ! E rstes A b e n t h e u e r.
Hausfreund. Das ich eben nicht wüßte, ich wollte nur für Ihre Frau Gemahlin –
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F r a u (empfindlich.) Geben Sie sich keine Mühe! Geht nur weiter, Ihr Leute, mit Eurer unverschämten Bettelei, wir haben Blumen genug in unserm Garten. (Jemand lacht schadenfroh in sich.) A l t e s We i b (mit dem Mädchen fortgehend.)
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Nun, die denkt sich auch was recht’s, als wenn man’s nicht besser wüßte! Fremder Herr. Mir ist so recht wohl hier, wie zu Hause. Der Frühlingssonnenschein und das tugendliche Harfengeklimper zwischen den halb nackt herumspazierenden Weiblein und dem Hinund Herkomplimentiren und liederlichen Gesumse, schleicht mir recht lieblich und hochzeitlich durch alle Glieder, ich muß ordentlich die Beine von mir strecken und mich dehnen vor Wohlbehagen. Zoten, Zoten, ich hab’ ein rechtes Gelüst hier nach guten Zoten! A l t e s We i b (kommt mit dem Mädchen.)
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Ach Zuckerkind! der hat rechte Brillantringe auf den Fingern, wie das köstlich funkelt in der Sonne, daß es einem ordentlich in der Seele kitzelt! – Ih, Schwerenoth, ich glaube gar – gnädiger Herr, sind Sie auch da? Wir haben uns schon recht lange nicht gesehen, vergangene Walpurgis ist’s grade ein Jahr. – Fremder Herr. Halt’s Maul, alter Rumpeltopf! Verstehst Du nicht mehr Respekt und Anstand? Hier ist nicht der Ort. –
Krie g de n P h il istern ! E rstes A b en th eu e r.
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A l t e s We i b . Ach, Töchterchen, da schütte geschwind dem gnädigen Herrn alle Blumen aus, die Du hast! alle, geschwind, geschwind, ach du liebe Lust! Fremder Herr
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(das Mädchen umfassend.)
Ist d i e unser? M ä d c h e n (sieht ihn starr an.) Herr Jesus! (sie entwindet sich erschrocken und entläuft.) 10
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A l t e s W e i b (ihr nach.) Du abscheulicher Nickel, bist Du denn ganz toll! Mädchen. Ne, Mutter – ach, ich kann mich noch nicht erholen – hättest Du’s nur gesehn, Du weißt ich fürchte mich sonst nicht vor den Männern, aber wie ich dem so recht in die wilden Augen blickte, da sah’n mich auf einmal zwei ordentliche Bocksgesichter draus an, die lachten so schief und grinsend auf mich. –
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A l t e s We i b . Du bist ein Kind! Aber ’s ist schon gut, sitz’ Du nur immer droben auf Deiner Bodenkammer, und knispre an einer alten erbettelten Brodrinde, zieh’ meinetwegen künftig in zusammengeflickten Lumpen herum, wenn die andern Mädchen hübsch aufgeputzt zum Tanzboden gehen – ich werde mich gar nicht mehr um Dich bekümmern.
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M ä d c h e n (weint.) Und auch Du sahst so ganz anders aus, als wir zu dem Herrn kamen. Du hast ja ordentlich angefangen zu tanzen und mit dem Gesichte zu zucken. Die Augen funkeln Dir noch so sonderbar. – Wenn’s nicht noch heller Tag wäre, und
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so viele Menschen um uns herum, möcht’ ich mich fürchten vor Dir. – (Sie verlieren sich im Gedränge.) Fremder Herr (ihnen nachlachend.) 5
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Die hat eine verflucht feine Nase! – Aber die Zeit fängt mir bei alle dem an lang zu werden. Ich will mich nun zu jenen da wenden. (auf Jemand und seine Frau deutend) Das Weibchen da gefällt mir schon lange, wie sie so zierlich Kaffee einzuschenken versteht und über die Kanne nach allen Seiten schlau umblickt und parlirt und das rothe Mäulchen so niedlich dazu spitzt. Die merken mich wohl nicht. – (Er geht zu ihrem Tische und ist, mit seinen Ringen blitzend, bald in ein artiges Gespräch mit der Frau verwickelt, die ihm, als einem fremden Kavalier, mit außerordentlicher Freundlichkeit entgegen kommt, während der Hausfreund sich mißvergnügt neben ihr auf dem Stuhle schaukelt. Unterdeß gehn vorüber:)
Ein junger Mann (für sich.) 20
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Meine heutigen Geschäfte sind zur Zufriedenheit meiner Vorgesetzten abgethan, der Herr Präsident klopfte mir selbst auf die Achseln und sagte: fahren Sie so fort, junger Mann, so werden Sie dereinst ein brauchbarer Staatsbürger. – Ich kann mich nun auch um desto angenehmer ein wenig hier ergehen und erholen. Man begegnet hier wohl manchem merkwürdigen Fremden, manchem angesehenen Mann von Einfluß, man läßt sich bescheiden in ein vernünftiges Gespräch ein, und kann so, indem man sich erholt, noch nützliche Kenntnisse sammeln. Wie dank’ ich doch meinem Gott, daß ich nicht geworden bin, wie so viele andere meiner ehemaligen Schulkameraden! Zum Beispiel dieser da, der mitten in der guten Gesellschaft dort allein auf der Bank in einem Buche liest, der hat nun nichts als Verse im Kopfe. O, ich verschmäh’ es auch nicht, nach erfüllter Berufspflicht zur Erholung manchmal einen guten klassischen Dichter zur Hand zu nehmen, oder
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zur Geburtsfeier oder am Hochzeitstage eines Vorgesetzten ein artiges Gelegenheitsgedicht zu verfertigen, aber – eine solide Beschäftigung, ein solides Brod! – Die Empfehlungsschreiben für mich müssen nun auch schon bei Hofraths angelangt seyn. Seine Tochter ist ein äußerst gebildetes Mädchen. Ja, eine wohl überlegte, vernünftige Parthie, das soll mich bald weiter fördern. Ach meine Amalie! Wie sie mich gestern, als ich sie mit meiner Flöte zum Flügel accompagnirte, zärtlich anblickte! Es ist nur schlimm, daß man beim Flöteblasen immer den Mund so gespitzt halten muß; ich wollte sie auch wieder recht zärtlich anlächeln, und darüber kam ich fast aus dem Takte. – Wahrhaftig da kommen sie eben dort die Allee herauf. Ich muß ihnen doch gleich mein Kompliment machen. Hofrath. Sieh’ da, unser junger Herr Referendarius. To c h t e r . Er geht ganz allein, er mischt sich nicht gern in die rauschenden Vergnügungen der andern jungen Leute.
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Hofrath. Ein solider hoffnungsvoller Jüngling! (sie bekomplimentiren sich, und wandeln zusammen weiter.)
Unglücklicher Liebhaber (kommt mit verschränkten Armen und einem Buche in der Hand.) 25
Amalie, Amalie! Da schwebt sie hin und läßt mich dem ungeheuren Schmerz zum Raube einsam in der Volksbewegten Öde. Ha, wie die geschäftige Alltagswelt hohnlachend und hohl herein braust in die wirbelnden Flammen meines Busens, wie –
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Marqueur (kommt mit Gefrornem.)
Befehlen Sie einen Arlechino? 5
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Liebhaber. Gemeines Volk, mit seinen irdischen Zumuthungen! – Als ich gestern im vertosenden Abend unter ihrem Fenster stand, und sie so über das Fortepiano hinbrauste, wie mir das in das Herz schmetterte, ich hörte das Brausen des Weltbaues über mich dahin orgeln, meine Seele zuckte am Thore der Ewigkeit, ich – Ein Bürger. He, Herr Nachbar! Ihre Tasche ist umgekehrt. Sie werden ’was verlieren.
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Liebhaber. Hetzt mich denn heut’ alles? Das Alltagsgesicht hat mich ganz aus den Accorden der Begeisterung herausgebracht. Ich muß von neuem wieder stimmen. (Er schlägt Schillers Gedichte auf und geht lesend weiter.)
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(geht mit dem Blumenmädchen vorüber.)
Du meine Zeit! So hübsches junges Blut, und so fromm. Liebhaber. Ich glaube, die Leute meinen gar, ich bete! Nein, das wär’ entsetzlich! (er geht entrüstet in den Wald hinein.) 25
Zwei Bürger (an einem Tische neben Jemand und seiner Familie, blättern in den Zeitungen.)
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E r s t e r B ü r g e r (liest.) Und sämmtliche Mannschaft wurde auf dem Pegasus eingeschifft. Die Stimmung war die beste, und man verspricht sich die glänzendsten Resultate und die wichtigsten Entdekkungen für Völker- und Länderkunde. Noch hat man keine zuverläßige Nachrichten über die Richtung und den eigentlichen Zweck dieser kühnen Expedition. (er legt die Zeitung hin) Nein ein Schiff zu Lande! – Es ist doch erstaunlich, wie weit es der menschliche Geist gebracht hat! da waren doch unsre Vorfahren alle nur so gute dumme Leute gegen uns. Zweiter Bürger. Ich lese erstaunlich gern so was von neuen Erfindungen, Revolutionen, neuen Entdeckungen und Scharmützeln, wo es recht drunter und drüber geht, man fühlt sich dann immer noch eins so wohl, daß man, Gott sey Dank, so ruhig und sicher daheim sitzen kann. Erster Bürger. Ja, ja, wenn der Pegasus nur nicht etwa auch hier anlandet, man kann immer nicht wissen.
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Zweiter Bürger. Wie? – Ach, Spaß! ich denke ja wir sind schon längst entdeckt. Erster Bürger. Nun, nun, wir sind eine respektable Macht, und brauchen uns schlimmsten Falls wahrhaftig vor einer Handvoll Korsaren nicht zu fürchten! es geht doch nichts über einen wohlgenährten Staat, der so recht breit auf den Beinen steht. Den mag der Zeitgeist anrennen wie er will, das rührt und rückt nicht.
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J e m a n d (für sich.) Die muß ich doch ein wenig ins Bockshorn jagen. (laut) Meine Herren, ich muß Ihnen nur im Vertrauen sagen, ich habe erst gestern Briefe von einem Freunde erhalten, – es ist ganz sicher, der Kaper hat richtig seine Richtung hieher genommen. Erster Bürger (leise zu dem andern.)
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Der will immer mehr wissen, als andre Leute. Wenn er sich lieber bekümmerte, wohin seine Frau mit dem fremden Korsaren da ihre Richtung genommen hat. Z w e i t e r B ü r g e r (laut.) O, es hat keine Noth mit der Expedition, wir sind eine respektable Macht, auch liegen wir ja grade von unsrer Seite recht hübsch versandet. Erster Bürger. Wir haben ohnedem Kaper genug hier und gute Prisen, die sich entern lassen, wie eine Dose von Papiermaché.
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Jemand. Der Kerl ist selber ein Dosenmacher. Die liebe Armuth ist in ihrer Dummheit manchmal verflucht pfiffig. Zweiter Bürger. Was ist denn das? ich sehe schon lange hin, ich kann es nur vor der Sonne nicht recht – hab’ ich doch mein Lebtag da draußen auf dem Sande kein Haus gesehn. Erster Bürger. Meiner Treu’ – so ein Haus schießt doch nicht wie ein Pilz aus der Erde! es wackelt auch ordentlich, wie es scheint.
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Zweiter Bürger. Bin ich denn verrückt? – das Ding sieht ja wahrhaftig aus wie eine ungeheure dicke Spinne, die auf dem Rücken liegt, und mit den vielen dünnen Beinen am Firmament fort kriecht. 5
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Erster Bürger. Es wird immer größer. Hör’, das sind Masten und keine Beine – es ist wahrhaftig ein Schiff! J e m a n d (legt den Zigarren weg.) Gott sei bei uns! erschreckt eins nur nicht so, Ihr dummen Leute! Ihr habt gut plaudern, Ihr habt nichts zu verlieren. – Zweiter Bürger. Hör’ nur, und es kommt ordentlich ein Sausen und Klappern und Gesumse von dort herüber, wie nach dem Takte.
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(Alles verläßt seine Plätze und drängt sich in ängstlicher Neugier an den Ausgang der Sandfläche. In einem entlegenen Bogengange der Promenade spazieren der fremde Herr und Jemands Frau allein auf und nieder.)
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Fremder Herr. Im Mai zu Wien im Prater, zu London im Vauxhall, Dann im Palais Royal – ich sah der Schönen Viele – Doch blieb ich ungerührt beim eitlen Sinnenspiele, Ich sucht’ ein fühlend Herz, dem Tugend kein leerer Schall. – (für sich) Ich muß dazu ein Gesicht machen, wie die Katze, wenn sie in die Sonne sieht.
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Frau. So edle Sentiments sind heut zu Tage selten. Nur Jugend, Schönheit sind’s, die bei den Herren gelten, Die Tugend wohnt wie Perl’n im schlichten, stillen Haus, Wer nimmt die Mühe sich und sucht sie dort heraus?
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Fremder Herr. Doch sind die rohen Perl’n aus schmuz’ger Haft befreit, Um lilienzarten Hals zu sitt’gem Schmuck gereiht, Da mag ein edler Mann bewundernd stille stehn, Ja, s o l c h e m Doppelreiz kann keiner widerstehn! (für sich) So eine Liebhaberei in der Liebe ohne Liebe ist doch eine prächtige komode Sache! Man geht so Schritt vor Schritt zum Ziele und kann dabei seinen Vortheil ordentlich absehn. Frau. Und doch, welch schmerzlich Loos um eine sanfte Frau! Der Wehmuth Zähre rinnt, wie nächt’ger Blumen Thau – Da geht der rohe Tag zerstörend drüber hin, Und Sehnsucht nur bleibt uns nach gleichgestimmten Sinn, Nach einem Freunde, ach! der, wie ich selber bin, Von Sinnenfesseln frei, Belehrung mir verheißt, Der nur das Herz in mir, den zart verwandten Geist Nur liebt, und gern mit mir in höher’n Sphären kreist. F r e m d e r H e r r (für sich.) Ich fürcht’ mich nicht, diese Tugend ist eine Schau-Festung, oben Kartaunen auf den Bastionen, seitwärts ein heimliches Hinterpförtchen, offen zum Kapituliren. (laut) Ich kenne Sie, Madam, die himmlisch hohe Seele, Nun fühl’ ich’s erst so tief, was meinem Herzen fehle! Wie steh’ ich so allein auf weitem Erdenrund, (stürzt auf die Knie.)
O! laß’ uns schließen, Weib, der Freundschaft reinen Bund. Frau. Sie überraschen mich – wie wird mir – ach mein Lord! 30
Fremder Herr. O komm auf jene Bank, von kalten Menschen fort! (Man hört ein verworrenes Getöse vom Kaffeehaus herüber.)
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Frau. Welch ungewohnter Lärm?
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Fremder Herr. Wie! schlägt die rohe Welle Bis hier an unser’s Bund’s geweihte stille Schwelle? (für sich)
Verdammte Störung! (Man hört Jemand nach seiner Frau rufen.)
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Frau. Man ruft mich, gehn Sie Lord – was muß es dort nur geben? Wir sehn Sie doch bei uns? – F r e m d e r H e r r (ihr die Hand küssend.) Wie sollt’ ich sonst noch leben? (sie kommen auf den freien Platz vor dem Kaffeehause.)
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Jemand. Gott sey Dank, daß ich Dich noch finde, liebe Frau. Wo ist der Wagen, meine Zigarobüchse, mein Stock, geschwind, nur fort, fort! Frau. Aber was hast Du denn, was ist denn hier geschehn? Jemand. Du frägst auch noch! Siehst Du denn nicht, die Korsaren, die Poeten, seegeln grade auf uns los, unser Hausfreund ist schon lange voraus in die Stadt.
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(er zerrt sie mit sich weiter.)
Frau. Schäm’ Dich, ein Mann, und so furchtsam! Die fremden Herren werden uns auch nicht gleich fressen. (beide ab. Alles 30
ergreift, unordentlich durcheinander rennend, zu Pferde, Wagen und zu Fuß die Flucht. Es wird immer einsamer, bis endlich nur noch umgewor-
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fene Stühle, Flaschen, verlorene Hüte und Tücher einzeln auf dem öden Platze umherliegen.)
Fremder Herr 5
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(ganz allein, hebt einen blutrothen Shawl, den Jemands Frau verlohren, vom Boden auf und wickelt sich ihn um den Arm, wild lachend.)
O, ’s braucht so viel nicht, nur ein einzig Haar, Dich dran zu fassen, und mein bist Du ganz! – Hei, wie das quikert, rennt und wirrt und schreit! Lauf’ zu, du Pack! es lohnt sich nicht der Mühe; Und drückt’ ich all’ die lump’ge Teufeley Von jedem Einzelnen in Eins zusammen, ’S wird doch kein tücht’ger Teufel draus – lauft nur! Wie ist mir doch – wie’s hier auf einmal nun So still geworden ist, so still – von Ferne Nur braust die Stadt wie ein gewalt’ger Strom, Ist’s doch, als graust’ mir vor mir selber hier In dieser Einsamkeit. – (man hört Lärm von dem herannahenden Schiffe der Poetischen, er fährt auf.)
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Was giebt’s? – O Plunder! Was regt sich da für neuer Aberwitz? Die Thorheit bleibt und wechselt nur die Mode – Weh mir, ein Kreuz steht auf des Schiffes Höhe, Strengleuchtend in der Abendgluth wie Feuer! Ich seh’ vor Blendung nichts – ich w i l l dich ansehn! Was ist’s denn nun? – ein Klumpe roh Metall, Von einem Narren kindisch ausgemeißelt – Du lebst ja nicht, die Augen sind von Erz, Du hast kein Leben, sag’ ich! – lange nicht So sengend nach mir mit den Flammenspitzen! Ich mag nicht fort hier – weh! verbrenn’ mich nicht! (Er läuft heulend ab. Alles leer. Man hört die Poetischen vom Schiffe singen:)
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Voran Harfe, donnernde Göttertochter! Voran ströme deinen tönenden Himmelsstrom!
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Harfe, Harfe, Harfe, In den Hain der Philisterschaar, Hin deinen Donnergesang!!! 5
(Einige versteckt gewesene Philister stecken neugierig die Köpfe zwischen dem Gesträuch hervor.)
Erster Philister. Die haben einen schönen Baß! Zweiter Philister. Ich wag’s und trete heraus, was meinst Du? 10
Erster Philister. Freilich, sie schießen ja nicht. (sie kommen alle hervor.) Journalissimus der Poetischen (auf dem Schiff.)
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Ihr Kampfgenossen, seyd auf Eurer Hut! Es regt Verrath sich, schlüpfet hier und da Hervor aus grüner Bucht, der ganze Hain Rührt sich – das ist der Wald von Birmingham! Erster Philister. Bitte um Entschuldigung, mein Herr, dieser Wald wird die große Promenade genannt. Regent. So werfet denn die Anker! Land, Land, Land! Zweiter Philister (zu einem Matrosen.)
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Heda, Landsmann! was klettert Ihr denn da auf den Seilen herum? kommt doch bald herunter, ’s ist ja lange pur Land hier!
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Matrose. Ach, was geht mich das an! ich erfülle meine Bürgerpflichten zum Besten des Staates. 5
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Zweiter Philister. Nein, hab’ ich mein Lebtag so etwas gesehen! Sagt, was martert Ihr Euch denn erst so ab, warum kommt Ihr nicht lieber zu Fuß hergegangen? Theuderich der Rottenmeister. Gemeines Volk, das, was es nicht begreift, In seinen Alltagskreis hinabziehn möchte! Fort, hebt Euch! ich verachte Euch unsäglich. Dritter Philister. I Herr Jemine! das ist wahrhaftig da Thaddädl, der ist bei mir in die Schule gegangen, als ich noch Schulmeister war, er hat aber niemals viel getaugt. Journalissimus. Ruhig, Gewürm! (zum Regenten) Erlaube, Fürst, daß ich Durch leeren Schall die Staubgeburt verscheuche! (Regent winkt, es fallen Schüsse.)
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Erster Philister. Nun so schießt doch nicht hierher! Seht Ihr denn nicht, daß hier Leute stehen? (Neue Salve.) Philister (laufen davon und schreien verwirrt durcheinander.)
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Nein, das ist zu toll! In unserer eigenen Promenade. Zu Hülfe! Polizey, Polizey!
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Regent (der unterdeß mit sämmtlicher Mannschaft das Land betreten, eine Fahne in den Boden pflanzend.) 5
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So nehm’ ich denn Besitz von diesem fetten Erdstrich, im Namen unsres Geistes! – Brüder, Beamte, Krieger, braves Schiffsvolk, Narr! So hoch erstaunenswürdiges, wir haben Es stark vollbracht durch unsres Geistes Kraft, Den uns bewundernd laßt fortan verehren! Chor. Ja, laßt bewundernd selber uns verehren! (Sie verneigen sich feierlich einer vor dem andern.)
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Krieg den P h il istern ! Z w eites A b en th eu e r.
Z w e i t e s A b e n t h e u e r.
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Krie g d en P h il istern ! Z w eites A b e n t h e u e r.
Mit Würde hier hält man Seßion, Die Malkontenten machen Konfusion.
Krieg den P h il istern ! Z w eites A b en th eu e r.
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(Großer Rathsaal der Philister. Mehrere Rathsherrn in Amtskleidung und mit Perücken treten herein, begrüßen einander feierlich und setzen sich um den grünen Tisch, an dessen obern Ende der Bürgermeister, in ähnlichem Kostüm, Platz nimmt. Hinter ihm sein Doppelgänger, welcher auf der linken, dem Bürgermeister zugekehrten, Seite wie dieser, auf der rechten aber als Harlekin mit Schellenkappe gekleidet ist, und allen Bewegungen des Bürgermeisters folgt. Unter den sich versammelnden Unterbeamten hat auch der Narr der Poetischen sich eingeschlichen.)
N a r r (für sich.) Aus Lieb’ zur Statistik, Erfahrungs-SeelenKund’ und um auch fürs Ganze mich zu quälen, Hab’ ich das Ämtchen als Spion genommen. Herein wär’ ich denn glücklich nun gekommen. Ganz respektabel, seh’ ich, sieht’s hier aus, Wär’ ich mit heiler Haut auch wieder ’raus! B ü r g e r m e i s t e r (sich erhebend.) Hochweiser Rath, geehrte Kollegen! Bevor wir uns heut aufs Rathen legen Bitt’ ich erst reiflich zu erwägen: Ob wir vielleicht, um Zeit zu gewinnen, Heut sogleich mit dem Rathen beginnen, Oder ob wir erst proponiren müssen, Was uns versammelt und was wir alle wissen? – Ich muß pflichtmäßig voranschicken hierbei, Daß die Art der Geschäfte zweierlei sei: Die einen sind die eiligen, Die andern die langweiligen. Auf jene pfleg’ ich Cito zu schreiben, Die andern können liegen bleiben. Die Liegenden aber, geehrte Brüder, Zerfallen in wicht’ge und in höchstwicht’ge wieder. Bei jenen – nun – man wird verwegen, Man schreibt nach amtlichem Überlegen
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More solito hier, und dort ad acta, Die Diener rennen, man flucht, verpakt da, Der Staat florirt und bleibt im Takt da. Doch werden die Zeiten so ungeschliffen, Wild umzuspringen mit den Begriffen, Kommt gar, wie heute, ein Fall, der eilig Und doch höchstwichtig zugleich – dann freilich Muß man von neuen unterscheiden: Ob er mehr eilig oder mehr wichtig. – Ich bitte, meine Herrn, verstehn Sie mich richtig! Der Punkt ist von Einfluß. Denn wir vermeiden Die species facti, wie billig, sofort, Find’t sich der Fall mehr eilig als liegend. Ist aber das Wichtige überwiegend, Wäre die Eile am unrechten Ort. Ein Rath. Ein feiner Kopf in Distinktionen! Ein anderer. Eine rechte Kunst! er kann sich schonen.
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Ein anderer. Die Frage scheint mir bedeutungsvoll. Ein anderer. Man weiß nicht was man sagen soll.
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Bürgermeister. Meine Herrn, Sie haben nun die Prämißen, Sie werden den Beschluß zu finden wissen. (Alles setzt sich zum Nachdenken zurecht.)
Doppelgänger. (sich auf dem Stuhle streckend.) 30
Nun laß’t sie denken! ich ruhe aus.
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Narr. Wunderbares Wesen! schon lange staun’ ich Dich an. Wer bist Du? 5
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Doppelgänger. Ich? – ich bin der Doppelgänger des Herrn Bürgermeisters, sein eigentliches Ich. Narr. Wahrhaftig, diese grauenhafte Familienähnlichkeit! – Sie verzeihen wenn ich mich in der That ein wenig vor Ihnen entsetze. Doppelgänger. Ist gar nicht nöthig, mein Bester. Seh’n Sie, ein Jeder hat eigentlich einen solchen geheimen Kämmerer, wie ich die Ehre habe zu sein. Aber weil mein Herr eine öffentliche Person ist, so mache ich mir’s kommode, und erscheine auch zuweilen öffentlich und sonne mich behaglich spinnend wie der Kater auf dem Dache seines Hauses. Aber treten Sie doch näher, wir wollen etwas plaudern, es fällt mir gar schwer, eine Zeitlang so zu thun, als ob ich nachdächte. Narr. Aber um’s Himmelswillen, sagen Sie mir – ich bin ganz verwirrt – auf welchem Fuße stehen Sie denn eigentlich mit dem Herrn Bürgermeister? Doppelgänger. Auf dem besten von der Welt, oder vielmehr ganz auf demselben wie Er. Ach Gott! der Gute liebt mich zärtlich, und ist immer zufrieden mit mir! Mit welchem unaussprechlichen Wohlgefallen blickt er mich an und plaudert vertraulich mit mir, wenn wir allein sind! O, der seeligen Stunden der Freundschaft! Freilich, man hat zuweilen auch seine besonderen Anfälle! ich kann es manchmal nicht lassen, wenn
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der Herr Bürgermeister eine Rede hält, oder sonst eine recht wichtige Miene vor den Leuten anthut, vor innerem Wohlbehagen mit meiner fatalen Schelle heimlich zu klingeln, oder gar, wenn bei Andern einer meiner Kameraden die Kappe vorstreckt, ihm zuzunicken – da kneipen mich denn freilich der Herr Bürgermeister zuweilen heimlich wüthend in die Seiten, aber außerdem wüßt’ ich kein beß’res Brodt zu wünschen weit und breit. – Wo sind denn Sie angestellt? Narr. Ach! mein Theurer, Sie haben mich ganz konfus gemacht, ich glaube gar, ich bin der Doppelgänger aller menschlichen Thorheiten. Doppelgänger. Ach, das ist schlimm! Ein undankbares saures Stück Brodt! Doch still nun, man räuspert sich schon, ich muß wieder ernsthaft aussehen! E r s t e r R a t h (leise.) Mein Herr Kollege! mir fällt nichts ein. Zweiter Rath.
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Mir auch nicht. Dritter Rath. Sie werden doch toll nicht sein! Sie sind der Jüngste, Sie stimmen zuvor, Auf Sie verläßt sich das ganze Corps. Ja Ihnen muß durchaus was einfallen. (Ein Bote stürzt herein.)
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Bote. Dreimal gegrüßt, ehrwürdige Hallen! Ein edler Rath, in Sorgen verloren, Neige mir günstig die hohen Ohren!
Krieg den P h il istern ! Z w eites A b en th eu e r.
Bürgermeister. Wer ist so verwegen, uns jetzt zu stören? Bote. Aber ich bitte. – 5
Erster Rath. Wir wollen nicht hören! Zweiter Rath. Ach, alle unsre schönen Prämißen!
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Dritter Rath. Allons! den Kerl herausgeschmißen! Bote. Sie mögen nun wollen oder nicht, Zu reden gebietet mir Bürgerpflicht.
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Erster Rath. Der Kerl kommt mir heut ganz absonderlich vor. Zweiter Rath. Spricht auf einmal so vornehm wie ein griechischer Chor.
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Bote. Einen Transport der fettesten Ochsen hat Uns abgeschnitten der Poetischen Menge. Ein edler Rath kommt gewiß ins Gedränge. Bürgermeister. Sei Er ruhig, Bester, das ist Pommade! Es giebt noch Ochsen genug in der Stadt.
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Bote. Der Feind lagert draußen auf der Promenade, Da geht es lustig mit Musiciren, Essen und Trinken und Trommeln rühren, Ja unsre Soldaten selbst auf den Schanzen, Anstatt vernünftig zu vigiliren, Fangen sie ordentlich an zu tanzen Und ließen sich gerne selbst verführen. Das macht, sie riechen draußen die Braten. Auch die Mädchen gukken – sie möchten heirathen. – Und die Zelte bunt auf dem grünen Rasen – Die Waffen blitzen, Trompeten blasen, Dazwischen Heerführer mit Adlernasen, Ein Singen, Turnieren, Guitarre spielen – Da mag noch der Mensch ein Mensch sich fühlen! Bürgermeister. Er spricht ja, daß es einem selber bald schmeckt, Ich glaub’ der Kerl ist schon mit angesteckt. Bote
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(in steigender Begeisterung.)
Es flattern die Fahnen wie kühne Gedanken, Es tritt die Geschichte aus ihren Schranken. Über der Menschen Nied’re Geschlechter, Unerforschlich, Gewitterstill, Wandelt das Schicksal, Das Ewige – Plötzlich kracht’s, Schlängelnder Blitz Öffnet durch Wolken Himmlischen Blick. –
Krieg den P h il istern ! Z w eites A b en th eu e r.
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E r s t e r R a t h (aufspringend.) Hinauf, ach hinauf, Ha, Silberblick, frei, hoch, weit! Zweiter Rath 5
(ihn in die Seite stoßend.)
Herr Kollege! sind Sie gescheut? Sie haben wohl auch so’n poetischen Stich?
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Erster Rath. Wie! wo bin ich? – meynen Sie mich? – Ach, Verzeihung! ich hab’ mich vergessen, Bin auf das Fatum recht wie versessen Dank, Herr Kollege! ’s ist wieder vorüber. (er setzt sich wieder.)
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Bote. Wie aus einem Fieber Reckt sich und streckt sich Und stellt keck auf sich selbst sich Der Mensch – Bürgermeister. Na, Silentium! wir haben nicht Zeit –
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Bote. Ha, Zeit, Zeit, Zeit! Er wirft sie weg Und greift nach der Ewigkeit! Nicht abwärts mehr treibend, Himmelanstäubend Kehrt sich der Lauf. Über die gezakten Gipfel hinauf Steigen die Katarakten Wie in göttlichen Jamben –
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Ein Rath. Zu Hülfe! er spricht schon in Dithyramben! Ein Anderer. Er scheint einigermaßen rasend im Kopf. 5
Bürgermeister. Er wird Poetisch – greift ihn beim Schopf! (der Bote wird geknebelt.)
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N a r r (zu ihm tretend.) Mein Gott, Sie machen das Spiel verloren! Mühsam hatt’ ich Sie auserkohren, Um Ihre Landsleute heimlich und fein Für’s Poetische zu interessiren – Und nun fallen Sie mit Angeln und Thüren Der Länge nach mir ins Haus herein! Edler! o wenn Sie geschwiegen hätten! Bote. Ich beiße mit Stolz in die Sklavenketten.
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Narr. Nun, beißen Sie zu! ich will Sie retten! Sie sind ein wenig übergeschnappt, Die haben wir immer am liebsten gehabt. (Bote wird abgeführt.)
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B ü r g e r m e i s t e r (sehr wüthend.) Stadt, Rath, Dekorum und Usance, Alles wackelt und kommt aus der Balance, Der Staat wippt um – wir müssen mit Kontenance Unsre Rücken dagegen stemmen, Die Poetische Pest gewaltsam hemmen! Was hat der Kerl, wie rasend, zu schreien? Sollen wir leben wie die Hottentotten,
Krieg den P h il istern ! Z w eites A b en th eu e r.
So in die konfuse Natur hinein? – Wir müssen die Poesie ganz ausrotten! Doch – Herr Schulrath – was sagen Sie dazu? 5
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S c h u l r a t h (räuspert sich.) Die Griechen hatten einen großen Schuh – Kothurn genannt – darauf spazierten Die guten Leute zuweilen, verführten Einen Lärm oft, der uns billig verwundert. – Wir nun, als das gebildete Jahrhundert, Wählen verständig, wie reiche Erben, Was uns behagt, aus der Zeiten Scherben. Aus den Klassikern lernen wir dekliniren Aus den Poeten richtig skandiren. Doch das Träumen, poetische Walten – Nein, das Zeug läßt sich jetzt nicht mehr halten. Bürgermeister. Gottlob, wir haben nie drauf gehalten! Doch da, wie wir gesehen so eben, Poetische Symptome auch hier sich erheben, Die Zeit sich reckt aus allen Gelenken: So lassen Sie uns reiflich nun bedenken, Wie wir den Staatskörper wieder einrenken. Schulrath. Um hier zum gewünschten Ziel zu gelangen, Müssen wir gleichsam ab ove anfangen. Der Frühling, behaupt’ ich, der heckt zumeist Poeten, Insekten, und was da juckt und beißt. Die Jungen, anstatt ihr Pensum zu schreiben, Sieht man im Felde umher sich treiben. Besonders scheinen die Lerchen gefährlich, Wenn sie den Lenz aussingen alljährlich – Zudem ist der Vogel ein schmackhaft Essen –
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Plenum. An den Spieß gesteckt und aufgefressen!
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Schulrath. Auf den Luxus nun komm’ ich weiter: Die Blumen, das Unkraut nützlicher Kräuter. Die Erde wohl hielte man für gescheuter, So alt! und mit Blumen sich noch zu schmücken, Um Alt und Jung mit Glanz zu berücken! Zu was das soll, das möchte ich wissen! Plenum. Mit den Zwiebeln alle herausgerissen! – Bürgermeister. Halt! hier rath’ ich, mit Vorsicht zu pflücken. Es giebt darunter diverse Flächse, Handels- Küchen- und Futter-Gewächse. Manche treiben gar nahrhafte Knollen, Da weiß man doch, was die Blumen sollen. – Schulrath. Dann auch gar oft von den Bergeshöhen Hört man Waldsrauschen herüberwehen, ’S ist weder Takt noch Verstand darin, Verrückt doch manchen gesunden Sinn; Wir wollen den Wind bei den Mühlen anstellen, Da überklappert er Wald und Quellen, Bläst hinführo doch mit Verstand, Schafft uns beinebst noch Proviant. Plenum. Ja, die Mühlen, die soll er drehen, Da wird ihm das müßige Rauschen vergehen!
Krieg den P h il istern ! Z w eites A b en th eu e r.
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Bürgermeister. Meine Herr’n! von uns ist das Nöth’ge geschehn, Wir können nun ruhig nach Hause gehn. Die Rohheit selbst der verworrnen Natur Wir richten sie ab zur bequemen Kultur. Und mag es ringsum Ideen regnen, Uns kann nichts besonderes eben begegnen. O, hält man nur recht vernünftig Haus: Man glaubt’s kaum, man kommt mit gar wenigem aus! Und die Poetischen draußen, wir hungern sie aus Mit Langerweile – sie stehn und stehn, Und wenn sie an uns sich nichts ersehn, Werden sie endlich auch weiter gehn, Und alles bleibt ruhig beim Alten! P l e n u m (entzückt.) Ja alles bleibt ruhig beim Alten! (Alles bricht auf.)
Der Doppelgänger des Bürgermeisters (zum Narren.) 20
Nun, das heißt gearbeitet, gedacht und geseßen! Adieu, mein Bester! nun gehts zum Essen. Suchen Sie doch ein Amt, appliciren Sie sich! Sie können’s auch noch so gut haben wie ich. Erster Rath
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(mit dem Bürgermeister in der Thüre komplimentirend.)
O! bitte, o, Ehre, wem Ehre gebührt! Wär’ der Geck nicht, könnt’ ich selbst Dirigens sein, Gäb’ gern ihm noch heut so’n Tränkchen ein.
(für sich)
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Krie g d en P h il istern ! Z w eites A b e n t h e u e r.
Z w e i t e r R a t h (zum ersten Rath.) An Ihnen den Philosophen man stets verspürt, Den eitle Würde und Pracht nicht rührt! (leise) Der Neidhard! hypochondrisch, gelb, lang und schmal, Ihm ist alle Welt, und er mir fatal!
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D r i t t e r R a t h (zum zweiten.) Heda, Herr Bruder, wir wollen nicht fackeln, Nun sollen die Kinnbacken knacken und wackeln! (leise) Der wäre mir recht! verträgt kein Glas Wein, Das kommt vom Studiren und Superklugsein!
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S c h u l r a t h (zum dritten.) Der Herr Kollege sind stets jovial! (leise) Der Grobian ist mir besonders zur Qual. Wie steh’ ich allein doch in diesem Schwalle! Ein Unglück, klüger zu sein, als alle! (Alle ab.)
Narr. Hier einer dem andern die Ehr’ abbeißt, Der letzt’ sie all’ mit einander verspeist. 20
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H a u s k n e c h t (kommt.) Geschlossen nun – Narr. Ja, so bleiben Sie doch, Ich hab’ ja hier zu sprechen noch! Ich bin ja der Spion, sie müssen mich nicht sehn. (Hausknecht eilig wieder ab.)
Ve r f a s s e r (hinter der Koulisse.) 30
Na, das wird wieder sauber gehn! Giebt keiner auf das Stichwort Acht.
Krieg den P h il istern ! Z w eites A b en th eu e r.
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Narr. Der Kerl hat mich ganz aus der Rolle gebracht. Da steh’ ich nun hier, mutterseelen-allein, Sollt’ spioniren für das poetische Korps Und weiß doch nun eben so viel, als zuvor, Greif’ auch in die Handlung nirgends recht ein – Ich weiß nicht was der Autor sich denkt, Hat mich ganz umsonst hierher gesprengt! Ve r f a s s e r
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(hinter der Koulisse.)
Sie Überlästiger, mit ihrem Extemporiren! Da soll ich auch noch das Publikum rühren!
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Narr. Was haben Sie mich denn immer anzuschnarren? Kommen Sie einmal heraus, machen Sie selbst den Narren! Publikum. Weiß Gott, das Stück wackelt ganz hin und her, Zur Ordnung da droben!
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Narr. Ich eile sehr, Den Herren da unten trau’ ich nicht mehr. (ab.) Hausknecht. Da nimmt der Narr so eben Reißaus, Das ist wohl das Stichwort – nun tret’ ich heraus. Sentenzen soll ich zum Schluß noch einschalten, Damit die Leute vom Autor ’was halten. – (er stäubt mit einem Kehrwisch Tisch und Seßel ab.)
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Geschlossen nun ist die Seßion, Und wieder deckt alles gemeiner Staub. Das ist des Schicksals durchbohrender Hohn: Das Hohe, es wird dem Gemeinen zum Raub. –
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Nimmer beneid’ ich der Gewaltigen Loos, Der Sturm, er faßt sie, und läßt sie nicht los. Wer kühn auf die Höhe der See sich gestellt: Groß ist d e r Mann, ihm gehört die Welt, Doch die tückische Woge, sie steigt – und sie fällt – Bescheidener Sinn auf der Trekschuyt’ sich hält. Der Zeit sinnig Bild bist D u mir, o Besen! Sie brauset, wie Du, in strengem Gerichte Hin über die Tafel der Weltgeschichte, Und sei’s noch so köstlich und auserlesen: Was auf Erden vorhanden von sterblichen Wesen, Es keimt und blüht und – ist gewesen! (ab.) P u b l i k u m klatscht unmäßig.
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(Nacht. Zinne eines Thurms in der Philisterstadt. Ein alter Mann mit langem weißen Bart, in Damastenem Schlafrock und Nachthaube, mit einer langen Tabakspfeife sitzt auf einer Steinbank oben. Narr schleicht behutsam auf der äußeren Wendeltreppe hinauf und bleibt, plötzlich, auf die Zinne hinaustretend, erschrocken stehen.)
Narr. Wer bist Du, schmauchend Nachtgebild’ im Schlafrock! Alter. Ich bin der Wächter dieser guten Stadt. Ich sitze wie der Propfen auf der Flasche, Und laß’ die Tabakswölkchen vor mir kräuseln Und sitz’ und lächle still und hüt’ die Ruhe. – Doch was führt Dich hierher in nächt’ger Stund’? Narr. Ich schlendert’ müßig durch die stillen Gassen. Da hat die Nacht die Thorheit fest geknebelt, Doch unverseh’ns hat der verborgne Narr,
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Der unwillig Tagüber niederduckt, Sich frei gemacht und seine Spielkam’raden Aus allen Ecken, Winkeln losgelassen. Als Katzen schlüpfen hin und her die Träume Von Dieb’s- und Lieb’s-Gelüst, aus dunklen Luken, Lichtscheu’ Gedanken, weder Maus noch Vogel, Durchstreichen pfeifend die erschroknen Lüfte, Und wie ich geh’ voll gründlicher Verachtung: Da weisen plötzlich Dächer, Giebel, Krane, Mit langen Nasen auf mich, Käutzchen lacht Und zischelt all’ Gesindel: Du bist selbst ja Der losgebundne Narr in deinem Hochmuth! So flücht’ ich, wie im Wahnsinn, vor mir selber, Und such’ die Höh’, den Himmel, freie Luft! Wächter. Mein Sohn! laß’ Egel setzen Dir am Steiß, Das führt gelinde ab die Phantasieen; Zu meiner Zeit kannt’ man solch’ Grillen nicht. Nach abgemachter Arbeit, Ruhe – Ruhe, Vernünftigen Diskurs bei’m Pfeifchen Tabak, Ein Gläschen Wein – auch wohl ein hübsches Mädchen – Komm, setz’ Dich her, wir wollen etwas plaudern – Zu meiner Zeit – Narr. Wie singt der Wind entsetzlich Um Dach und Thurm, recht wie die Resonanz Von allem tiefen Weh der Welt! Wächter. Nicht doch! Es ist das Schnarchen unten in der Stadt, Das kommt vom Bier und wackern Lungenflügeln.
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Narr. Wer schleicht dort heimlich durch die öden Gassen Und grinst in alle Fenster? – Glüh’nde Strahlen, Wie grünlich goldne Schlangen, züngeln irre Aus seinen schiefen Augen durch die Nacht. Wächter. So reflektir’ doch nur! ’S ist der Reflex Von der Latern’!
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Narr. Ein unerforschlich Meer Ist die verworr’ne Nacht, wo Ungeheuer Auftauchen aus dem Grund, den Niemand kennt. Ihr Blick zeugt Wahnsinn und zieht mit hinab. – Siehst Du, der Kerl scharrt mit ’nem Pferdefuß. – Wächter. Was denkst Du von mir? – Solcher Aberglaube! Den lief ich ab an meinen Kinderschuh’n. Was sollt’s denn sein? Ein irrender Verliebter, Der seiner Dulcinea Haus verfehlt. – Zu meiner Zeit ging’s eben auch nicht besser, Ja, ja, ich selbst war gar ein lock’rer Zeisig. – Narr. Du? – Pfui! hast so’n alt schlabrig Maul! hüt’ Dich, Daß ich Dich nicht vom Thurme hier ’runter schleudre! Längst überreif, faul, breit gemächlich sitz’st Du Inmitten auf dem Lebensbaum und spürst nicht, Wie er in Frühlingsschauern treibt und rauscht In allen Zweigen frisch. – Ich sag’ es Dir, Der Sturm der Zeit wird Dich herunter schütteln!
Krieg den P h il istern ! Z w eites A b en th eu e r.
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Wächter. Ach, Flausen! Was da Zeit? Phantasterey! Die Thurmuhr zieh’ ich regelmäßig auf, Beöl’ die Räder klug, flick’ da und dort – Laß’ dann die Zeit kobolden wie sie will: Was meine Uhr weist, d a s ist’s an der Zeit. (er gähnt.) Du machst mich ord’ntlich wirr mit Deinem Reden. Ich glaub’, da guckt schon heller Morgenschein – Ein’ üble Unart, daß mich immer schauert Zur Morgenzeit – das kommt vom nüchtern’ Magen. Narr. Gespenstisch, wetterschwül ist diese Dämm’rung. In lust’gen Blitzen spielt von fern die Luft; Rings um die Stadt, wie eine glüh’nde Schlange, Schlingt durch die Nacht sich der Wachtfeuer Kreis Stets näher, dichter dort, mit blauen Flammen Aus dem vulkan’schen Boden luftig schlagend, Und lauernd schleicht der Teufel durch das Zwielicht Und späht umher, was es da geben soll – (zum Wächter) Was wackelst Du so seltsam mit dem Kopf? W ä c h t e r (halb im Schlaf.) Ich? – O, ich höre schon – ein schönes Mährchen, Erzähl’ nur fort – fort – fort – Papperlepapp –
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Narr. Da schläft er ein, der alte kind’sche Wicht! Todtbleich im Wiederschein der fernen Blitze, Als hätten sie versengend ihn berührt. Weh mir! er selbst ist wohl nur ein Phantom, Das vor dem Hahnenruf zusammen schauert. Ists doch, als stände Uhr und Welt und Zeit – Mir graut in der zermalm’nden, schwülen Stille. – Frisch auf! schon witt’r’ ich kühle Morgenluft, Frisch auf, brich wieder lustig aus, Komödie! –
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Den Boten aus dem Thurm hier wollt’ ich holen, An’s Werk! Der Alte schläft, jetzt ist es Zeit. In Dithyramben soll der Kerl mir brausen, So brech’ ich seine Haft und er mein Grausen. 5
(geht durch eine innere Thür in den Thurm.)
(Noch Nacht. Freier Platz am Fuß des Thurms. Der Schneider Fasel kommt.)
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Fasel. Es ist keine Gerechtigkeit mehr in der Welt! Ich hab’ spintisirt, meine Kunden geprellt, Ich bekam die Prügel und sie behielten’s Geld. Sind das unsre Privilegien und Urkunden? – Beim Bürgermeister hatt’ ich jüngst was zu flicken, Da stichelt’ ich drauf ganz unumwunden. Was sagt’ er da? – Er schüttelt’ mit der Perücken: „Mein Freund, ihm juckt wohl wieder der Rücken!“ Ich: „thut nicht noth.“ Er: „’S könnt’ sich doch schicken.“ Ich: „Sapperment!“ Er: „Flegel!“ ich: „Vieh!“ So kam ich aus dem Hause, ich weiß nicht wie. Heißt das Humanität und Menschenbeglücken? Sind wir nicht Brüder all’ in der Runde? – Gott! geh’ ich vom Weinhaus in nächt’ger Stunde, Ich möchte die Menschheit an’s Herze drücken! Bin ein hiesiges Kind, ein Bürgerblut, Kann Bürgermeister werden eben so gut, Und Schöpp’ und Rathsherr – das ist meine Philosophie. – Der Herr Spion da von der Poesie, Das ist ein Mann noch von Grundsätzen. Mein Bester, sagt’ er mir, ein Genie Muß sich frischweg über die Stadtmauer setzen, Und ist ein geborner Bürger der Welt. – Hier ist der Thurm – hier hat er uns her bestellt.
Krieg den P h il istern ! Z w eites A b en th eu e r.
So’ne Verschwörung ein eigen Ding doch ist, Wenn’s nur nicht immer in der Nacht sein müßt’! ’S ist eine Schand’, ich fürcht’ mich beinah. (Der Patrizier Pastinak kommt von der andern Seite.) 5
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Fasel. Wer rennt denn da? er ist schon ganz nah – Courage! ich kann mich nicht mehr verstecken. (er schreit) Wer da! Wer da! ’Raus mit der Sprache frei! Pastinak. Um Gotteswillen, machen sie doch kein solch Geschrei! Man könnt’ ja den Tod gleich haben vor Schrecken. Fasel. Ach, Sie sind’s, verehrt’ster Herr von Pastinak!
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Pastinak. Fort mit dem: von, dem eitlen Schnack! (für sich) Vor solcher Kanaille muß man herab sich lassen, Man kann sie dann um desto besser fassen. (laut) ’S ist mir lieb, daß wir noch allein auf den Gassen. Hab’ mir die Verschwörung in allen Punkten So überdacht, die mich wichtig bedunkten. – Sie sind doch damit ganz einverstanden: Wir retten die Stadt von des Bürgermeisters Banden. – Ich sah Sie letzthin von seinen Stiegen Mit einiger Eile herunter fliegen. – Fasel. Ja – ich hatt’ mich ein wenig da an den Thüren Mit den Füßen verwickelt beim Komplimentiren. –
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Pastinak. Na – Tod des Bürgermeisters Regiment! Fasel. Ja, dazu bin ich ja eben hier malkontent. 5
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Pastinak. Nun gut. Doch Sie müssen mir nur gestehen, Mit den Poeten wird’s auch nicht gehen. Wir wollen uns stellen, als ob wir sie lieben, Bis sie den Bürgermeister uns vertrieben. Dann lassen wir die Gimpel auch weiter fliegen. – So’n Poet ist leicht zu betrügen, Sieht nach den Sternen immer im Gehen, Stolpert und tritt den Leuten auf die Zehen; Man hält ihm einen Stock ganz sacht vor die Beine, Da fällt der Kerl, weiß sich nicht zu helfen alleine. – Ja, ja, das lassen Sie mich nur machen, Schlau muß man sein in allen Sachen! Wer weiß, wie dann sich noch alles endet, Wer Bürgermeister wird – eh’ man die Hand umwendet. – Nun – Sie können rechnen auf Protektion – Wir sind unter uns – Sie versteh’n mich schon. – Fasel. Ach das ist ganz nach meinem Geschmack, Laß’ Dich umarmen, Bruder Pastinak!
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(indem sie einander umarmen, erblicken sie eine weiße Gestalt in der Ferne, und fahren erschrocken aus einander.)
Pastinak. Was ist denn das? dort naht es sich! (Lina weiß gekleidet, mit einer großen Schachtel unter’m Arm, kommt 30
von der entgegengesezten Seite. Pastinak retirirt, und verbirgt sich am Eingange zum Thurme.)
Krieg den P h il istern ! Z w eites A b en th eu e r.
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F a s e l (ihm folgend.) Aber Bester, laufen wir jetzt davon, So wird ja nichts aus der Rebellion. 5
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Pastinak. Hol’ der Henker die Stadt! Erst salvir’ ich m i c h ! Lina. Tirann’scher Vater! „Du kriegst ihn nicht!“ Das war Dein letztes zerschmetterndes Wort. Da ging ich, zartes Mädchen, fort, Von Thränen lebend, bis das Herz mir bricht. Hier sitzt der theure Jüngling gefangen, Ach, und Morgen schon sollt’ er hangen! Wie hab’ ich mich schon im Stillen gefreut: Am Grabeshügel bei mondheller Zeit Der Zähren, die ich ihm da hätt’ geweiht! Nun wird nichts daraus – er wird befreit. F a s e l (für sich.) Ein Gespenst mit Schachteln, Dormeusen und Chemisen? –
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P a s t i n a k (eben so.) So’n Geist hat manchmal besondere Capricen. L i n a (die Schachtel ans Herz drückend.) Nicht Gold enthältst Du, o süße Last! Was braucht ein Liebender solchen Ballast? Eine Hütte ja gnügt, Moos, Mondschein und Bach – Das Köstlichste birgst Du mir, Schachtel, ach! Die zärtlichen Pfänder, die Briefe, o! Die er heimlich mir schrieb auf dem Büreau.
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Fasel. Das ist Mamsell Lina, mit dem Kleid von drap d’eau! Das Kleid hab’ ich gemacht, ich kenn’ jedes Fädchen. 5
Pastinak. Sagt’ ich’s doch gleich! – Ein schmuckes Mädchen! – (Während sie sich aus ihrem Versteck erheben wollen, eilt der Bote mit fliegendem Haar und ausgebreiteten Armen hinter ihnen aus der Thür des Thurmes, rennt sie beide um, und stürzt selbst über sie hin. Der Narr folgt ihm eilig.)
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N a r r (zu Lina.) O, große Noth! da stehn wir nun selbander, Die Verschwörung die kollert all’ über einander! Kaum hatt’ ich Ihrem Liebsten die Fesseln erschlossen, Da hat er begeistert sich abgeschossen Wie der Kork aus der Flasche sich mächtig reißt. Ach, Theuerste, das ist ein Feuergeist! P a s t i n a k (aufstehend für sich.) Da hab’ ich eine Kontusion erwischt, So geht’s wenn man unter den Pöbel sich mischt.
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F a s e l (sich rasch aufraffend.) Ich schweig’, und wenn er mir ’ne Rippe bricht, Der Kerl ist massiv, dem trau ich nicht! Lina (zum Boten, der in Extase den Boden mit beiden Armen umfaßt hält.)
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O, mein Alex! – B o t e (aufspringend.) Schmeichelnder Flötenton! Hinweg! Nicht Dein Alex mehr! der Freiheit Sohn, Den wild erfaßt der Thatensturm.
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(zu Fasel und Pastinak)
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Seht Ihr den alten grauen Thurm? Er flüstert: was ist der Mensch? ein Wurm Ohn’ Freiheit, frei ein Gott! – so schwör’t! Fasel und Pastinak. 5
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Wir schwören! Bote. Eh’ soll das Feuer das Meer versehren, Das Eingeweid’ der Erde sich umkehren, Eh’ soll die Welt zu seyn aufhören! – Ha, freie Männer! schwört! Fasel und Pastinak. Wir schwören!
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Narr. Schon gukt der Tag durch’s Schlüsselloch, Macht rasch, denn sonst erwischen sie uns noch! Bote. Es bricht die Freiheit durch die Nacht. (feierlich) Führ’ uns ins Lager – es ist vollbracht!
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(Fasel und Pastinak nehmen Lina in die Mitte, vor ihnen schreitet der Bote langsam mit verschränkten Armen. Narr zieht eine Geige aus dem Rock, marschirt spielend allen voraus und singt:)
Juchheißa! und ich führ’ den Zug Hopp über Feld und Graben. Des alten Plunders ist genug, Wir wollen neuen haben. Was! wir gering? Ihr vornehm, reich? Planirend schwirrt die Scheere, Seid Lumps’ wie wir, so sind wir gleich, Hübsch breit wird die Misere!
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Krie g d en P h il istern ! Z w eites A b e n t h e u e r.
Das alte Lied das spiel’ ich neu, Da tanzen alle Leute, Das ist die Vaterländerei, O Herr, mach’ uns gescheute! – (Alle ab.)
Krieg den P h i li stern ! Dri ttes A b en th eue r.
D r i t t e s A b e n t h e u e r.
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Krieg d en P h i li stern ! Dri ttes A be n t h e u e r.
Der Philister gar possierlich ist, Zumal wenn er vom Nektar frißt.
Krieg den P h i li stern ! Dri ttes A b en th eue r.
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(Morgendämmerung, aus welcher sich in der Ferne allmählig die Thürme der Philisterstadt erheben. Man sieht eine lange Kette von Wachtfeuern lodern. Einige Soldaten der Poetischen liegen um ein Feuer und singen.) 5
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Gurgum, Gurgelum, Gurgey, Es schlägt die Flamme frei In’s Firmament hinein, Möcht’ gerne droben sein. Hurrah! des Muthes Lust Flammt aus der jungen Brust, Hußah! frisch drauf und drein Sind Erd’ und Himmel dein! Ein Soldat. Ein schönes Lied! Geht recht durch Mark und Beine!
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Ein Anderer. Seht da, da kommt er eben, der’s gemacht. F e l d d i c h t e r (zu ihnen tretend.) Hurrah, Kamm’raden! So recht, nur gesungen, Das lockert Brust und Herz, das ist volksthümlich! Doch Jungens, warum liegt ihr hier wie Därme Zerzottelt auf dem Boden? Hab’t Ihr Hunger? Fuchtelt die Bauern durch, da habt Ihr Gänse Und Bier und Wein und allen Gottesseegen! Soldat. Ach, wir sind müde. Ihr habt ausgeschlafen! Felddichter. Was müde! Ein Soldat darf nicht tuckmäusern! Den Busch durchkleppert, hinter’m Zaun gelauert,
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Krieg d en P h i li stern ! Dri ttes A be n t h e u e r.
Und steckt so’n Stadthund wo die Schnautze vor, Frisch auf den Wasserkopf ihm drauf geknallt, Daß sein’ Frau Liebste dann die Scherben lese! Ja, soll der Wein uns munden gut, So sei er lustigroth wie Blut! Soldat. Juchhe! – Doch sagt, warum seid Ihr nicht selbst Bei uns, und nehmt die Büchse, wie die andern?
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Felddichter. Ich? – Wie Ihr das versteht! – Nicht jeden haben Die Götter zum gemeinen Dienst geschaffen. Doch nein! das ist’s nicht! (er schlenkert mit dem Fuß) das verfluchte B e i n ! Marschir’ ich so’ne Meile fort, so hink’ ich, Und der Tornister macht mir kurzen Athem – Dafür nun dicht’ ich tüchtig, blas’ Euch auf, Und schüttle die Begeist’rung aus dem Ärmel. Nun, guten Morgen, Bursch’! (Er wendet sich weiter.) Soldat. Ein prächt’ger Kerl! Recht wie ein Schnaps, wenn einem manchmal flau wird. F e l d d i c h t e r (im Abgehen für sich.) Nichts über’n Krieg! das kecke, knoll’ge Leben! Und wenn die Lagerfeuer Nachts dann lodern, Rings Vieh brüllt, Dörfer brennen, und dazwischen Der Donner der Kanonen recht von Ferne – Wie noch die Menschen Frieden wünschen können! ’S ist nur zu wenig Unglück noch und Blut, Um diese Bestien aus dem Schlaf zu wecken. In Brand möcht’ ich einmal den Erdkreis stecken, Dann dichten so im Wiederschein der Glut! (ab.)
Krieg den P h i li stern ! Dri ttes A b en th eue r.
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Erster Soldat. Ein schöner Morgen! Stern’ und Feu’r verlöschen. Fern aus den Dörfern über’s stille Feld Kräh’n schon die Hähne rings, und Lerchen singen In klarer Luft, und wissen nichts vom Krieg. Wie Heimweh fassen mich die alten Töne. – Krieg ist ein Meer von Blut und Langerweile, Schämt’ ich mich nicht, ich lief’ in alle Welt. Zweiter Soldat. Die Sanftmuth mußt Du ganz Dir abgewöhnen. Das macht, Du liest den Göthe, Sternbald, Tasso, Da ist von Heimath, Sehnsucht noch so’n Wesen. – Ja, lieber Gott! Das ist nun aus der Mode. Es tost die münd’ge Zeit, da braucht es andrer Musik mit obligaten Paukenschlägen, Um sie zu überschrein. Für meinen Theil, Ich schreite mit der Zeit durch Dick und Dünn Stramm fort. – Soll mir die Poesie behagen, Muß sie ’was burschikos sein, mit uns turnen. Dritter Soldat. Mir thut’s nur leid um meine Humaniora, Ich war durch alle Klassen schon recht klassisch. Bleibt ein’ge Zeit die Zeit so burschikos, So wird sie relegirt noch, und es sitzt Die Welt am Ende wieder in Sekunda. Erster Soldat. Seht was bewegt sich von der Stadt dorther? Sie schreiten wacker durch den Morgenduft.
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Zweiter Soldat. Es wirrt und schwirrt wie eine Bauern-Hochzeit.
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Dritter Soldat. Sie kommen g’rad hierher – da sind sie schon! (Die Soldaten springen auf. Pastinak, Fasel und Lina treten auf, der Narr voran, geigend und singend:) Das alte Lied das spiel’ ich neu, Da tanzen alle Leute, Das ist die Vaterländerei, O Herr, mach’ uns gescheute! Erster Soldat. O, Narr was machst Du wieder da für Streiche! Narr. Ich führ’ ’nen langen Zug, ’nen langen, langen – Wie wir so strichen durch das Dämmerlicht, Da reiht’ sich’s hinten, immer wachsend, an Durch’s graue Mittelalter fort bis fern In’s alte Testament, ’ne Perspektive Von Kameradschaft: Fiesko, Katilina, Und andres Volk mit ant’quität’schen Bärten Und wunderlichen Sprüngen nachvagirend. Ich wagt’ es manchmal rückwärts umzublicken, Da wall’t’s und rauscht’s im Nebel hinten drein – So rannt’ ich fort und strich voll Wuth die Geige. Zweiter Soldat. Ach Narr, man sieht ja nichts! Narr.
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Nichts? – Mir auch recht! Zweiter Soldat. Hier ist nicht Scherzes Zeit – wir sind im Dienst, Steh’ ernsthaft Rede: wer sind diese Fremden?
Krieg den P h i li stern ! Dri ttes A b en th eue r.
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Narr. Greifst Du mich so martial, so sag’ ich’s ehrlich: Es sind leibhaftig unsre Doppelgänger, Fideles Volk, nur mit ’nem Überwurf Noch von anständiger Philisterei. Wir andern haben vom damast’nen Schlafpelz, Mit dem wir alle uns elendig schleppen, Den alten Zeuch nach Innen umgewandt Und ’s Rauche ’rausgekehrt. – So oder so, ’S ist alles Einerlei, ’s bleibt doch ein Schlafpelz! E r s t e r S o l d a t (zu Lina.) Traun, hübsche Mädchen und Poeten sind Heimlich alliirt in allen Regionen, So wirf’st Du Deinen Überwurf nur ab, Den Reifrock breiter, falt’ger Angewöhnung! Wir lieben hier die nakte Kindlichkeit. Lina. O, ich erröthe, ach! – (für sich) Charmante Leute! Bei Männern, welche Liebe fühlen, Fehlt auch ein edles Herze nie. Bote (auf den ersten Soldaten losgehend.)
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Weihe, meinte ich wohl, müßt’ aus Olympos Höh’n Euch, und zarterer Sinn, der Charitinnen Schaar Lächlen! – Wild doch durchbrecht hier meines Paphos, ha! Rosenduft’ges Gehege Ihr! Zweiter Soldat. Halt ein! Was meckerst Du da her? Du brichst Die Zunge Dir im tollen Sylbenfall.
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Pastinak. Bitt’ um Entschuld’gung! das war ganz horazisch.
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Krieg d en P h i li stern ! Dri ttes A be n t h e u e r.
Dritter Soldat. Ey, was Horaz! das war ein saub’rer Kerl! Ließ in der Schlacht sein Schild, und nahm Reißaus Auf allen hundert Füßen seiner Metrik. 5
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Bote. Fürchte – höhnest Du frech – fürchte Apollon’s, des Fernhintreffenden Gott’s, Racheglühenden Speer! Dritter Soldat. Ich fürcht’ mich gar nicht! Seht so’n Heidenvolk! Wir halten’s jetzt mit Wodan, Thor und Freya. Bote. Er sei mein Freund nicht, welcher die göttliche – F a s e l (zum Boten.) Um Gott! changiren Sie doch Ihren Glauben!
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Bote. Da hast, Barbar! (giebt Faseln eine Ohrfeige.) Fasel. Zu Hülfe, zu Hülfe! (sie gerathen an einander.)
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Bote. Du mich weihen? ich Dir? stygische Furie. – Zweiter Soldat (zum Boten.)
Schweigst Du nicht flugs, den antiquar’schen Kopf Zerschlag’ ich Dir und zech’ aus Deinem Schädel! 25
(Die Soldaten fallen über die Philister her. Allgemeines Getümmel. Fasel sucht zu entwischen, prellt aber erschrocken zurück, denn es kommt der Regent zu Pferde, neben ihn auf einem schön geschmückten Zelter, Bertha in Jagdkleidung, einen Falken auf der Hand. Alle fahren auseinander.)
Krieg den P h i li stern ! Dri ttes A b en th eue r.
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Regent. Um was hier rauf’t Ihr? Narr. Um Horatius Flakkus. 5
Regent. Brav! das ist ideal, (zum Narren) ich sah von fern Mit dem Philisterfähnlein da Dich nahen. (rasch auf die Philister ansprengend.)
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Frei ihr Canaillen soll’t ihr sein! Doch nicht nach e u r e m S i n n e , Blinde, Befangen von des Irrd’schen Schein! Nein, so wie ich’s für dienlich finde. F a s e l (leise.) Der weiß zu imponiren, Sapperment! Bin ganz verblüfft. P a s t i n a k , B o t e und F a s e l (sich tief vor dem Regenten verneigend.)
Es leb’ die Freiheit, hoch!
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R e g e n t (zu Bertha.) Mit Falkenblicken mustert Ihr die Fremden, Was meinet Bertha – sind sie perfektibel? Bertha. Hm, kein rechter Wellenschlag, Wenig Tiefe – Pulverfutter!
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(auf den Boten deutend)
Aber hab’t Ihr d e n geseh’n, Als sie an der Kehl’ ihn faßten: Dieser stolze Muskelbau, Mit halbvorgebeugtem Leibe, Und das kräft’ge Bein gestreckt,
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Krieg d en P h i li stern ! Dri ttes A be n t h e u e r.
Wie der Fechter von Borghese, ’S wär’ ein int’ressant’ Tableau. (zu Lina) Gute, welchen Dichter haben Sie vor allen sich ersehen? Shak’spears tiefen Zaubergrund, Calderones sonn’ge Höhen, Oder Dantes Sehermund? Lina. Hand in Hand mit dem Geschmack Schritt ich fort von Tag zu Tag, Von dem Kotzebue zum Iffland, Vom Iffland zum Kotzebue, Der uns rührend führt zur Tu – B e r t h a (auflachend.) Also eine Tugendusin! – Ob des Lebens Strom auch rausche Heimlich in dem tiefsten Grund – Gänschen schwimmt gelassen drüber. Regent
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(zu den Soldaten.)
Führt die Fremden nun ins Lager, Daß ihr Sinn am großen Leben Sich erkräft’ge und gesunde! (zum Narren) Du hast kein Departement. Dir vertrau’ ich ihre Bildung. (Soldaten, Philister und Narr ab.)
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R e g e n t (zu Bertha.) Doch – es scheint, daß der Borghese – – – Ganz versenkt in objektivem Schauen stehet Bertha da. –
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Bertha. Und Euch bläst wohl aus der Stadt dort Der Sirokko trocken an, Daß Ihr schmäht die Lust am Schönen! 5
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(sie läßt ihren Falken fliegen.)
Kühner Vogel! bist mein Bild! Dehn’ die Flügel! schrankenlos Stürz’ Dich in das Meer der Lüfte, Unter Dir das flache Feld, Schlag’ die Wolken, bis verschwindet Das Gemeine, das Dich bindet! Dem Genie gehört die Welt, Und von alles Schönen Düften Lebt es in den freien Lüften! Regent. Viel’ Ideen sind im Schwunge Dieser Tage konsumirt. Morgenwind ja führt Gedanken; Schwing’ Dich Falke meines Geistes, Dessen Reich so weit es tagt, Auf denn zur Ideen-Jagd! (er sprengt mit Bertha querfeldein.)
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(Promenade im Lager der Poetischen. Große Theegesellschaft unter den Bäumen im Halbkreise sitzend. Bertha als Wirthin, schenkt Thee ein etc.)
Fromme Gräfin. Nein, nein, nein! Göthe ist verloren. Dieser mangelnde Glaube an Tugend, hohe Weiblichkeit und schöne Seelen –. Hat er es doch nicht lassen können, mich selbst mit heidnischer Schadenfreude durch Wilhelm Meisters bekannte Mummerei vor aller Welt zu kompromittiren.
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Altdeutscher Jüngling. Zu verzweideutigen, wollen Sie sagen.
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Fromme Gräfin. Und hätt’ ich nicht noch in Quedlinburg Gelegenheit gefunden, mich gegen Hr. Meister weitläufig zu expektoriren – Altdeutscher Jüngling. Auszubrusten, meinen Sie.
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F r o m m e G r ä f i n (zu Bertha leise.) C’est insupportable! Der junge Mann hat keine gehörige Education! (laut) Ich sage, ohne Quedlinburg könnte die Welt in der That denken –
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Bertha. Beste Gräfin, die Welt wird immer denken, was ihr beliebt. Aber Göthe ist und bleibt unstreitig die potenzirte Vitalität, die in dem Umschwunge ihrer universellen Polarität den Reflex aller Zeiten und Religionen im Centrum objectivirt, wobei es denn begreiflich auf einige schöne Seelen eben nicht ankommen kann.
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Enthusiast. Göttlich! göttlich, hohe Frau! Erlauben Sie, daß ich Sie anbete! Bertha. Sehr gern.
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Anonymus. Dürfte es einem Fremden aus Quedlinburg vergönnt sein, bei Gelegenheit der christlichen Andeutungen der unvergleichlichen frommen Gräfin seine eigenen Grund-Ansichten hier auseinander zu breiten? Ich wollte nur bemerken, meine Verehrungswürdigen, daß Sie alle eigentlich keinen Charak-
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ter haben, daß ich die Deutschen Dichter nach dem Maaßstabe, den mir meine Idee von Poesie geliehen, noch bei weitem zu klein finde, daß es überhaupt noch keine Dichter, noch keine ächte Poesie gebe, die ich so eben erst einzuführen mir die Ehre geben will, daß – Bertha. Ich bitte – ein andermal – es dürfte uns hier zu weit führen.
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Anonymus. Mit nichten, Verehrteste! (er zieht ein dickes Tagebuch aus der Tasche) Wenn Sie mir hier nur etwa sechs bis acht Stunden Gehör gönnen wollen, so – Delitio. Nicht doch – hier, im Würzgarten zarten Frauenflors!
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Florismene. Wo heitre Genien an der Tassen Lippen wippen. A l l e (durch einander sprechend.) Die sozialen Verhältnisse – die erforderliche wechselseitige Hochachtung und Bewunderung. – Es geht nicht an – Ich weiß gar nicht, was der Mann sich denkt – aus Quedlinburg? – ein obskurer Ort! – B e r t h a (zum Einsiedler.) Was werden wir morgen für Wetter haben?
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Einsiedler. Als heut die ersten Morgenlichter begunnten zu schimmern, zog ich das Glöklein meiner Klause, und blätterte dabei mit einfältigem Gemüth in Jakob Böhme, hatt’ auch ein saubres Pergament bei mir liegen, auf dem ich die Gedanken, so mir beifielen, abzuschildern versuchte – da wurden die Ne-
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bel wie mit tanzenden Strahlen beseitiget und es schien eine dauernde Klarheit zu erstehen.
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Bertha. Glückliche Seele! Ach, des wilden Welttreibens: Heute wie gestern und morgen wie heute – nichts Neues überall! – o, ich möchte mich auch einmal ganz in die Wogen der grünen Einsamkeit stürzen! Enthusiast. O, ich fühle all’ die kühnen Schauer dieses himmlischen Sturzes! Einsiedler. Sie können das, Gnädigste, ganz bequem auf der nächsten Jagdparthie abmachen. O, Sie müssen meine grüne Klause durchaus sehen! Ich habe in der gottseeligen Freudigkeit meines kindlichen Gemüths alles auf das Beste ausgezieret. Die gemalten Fenster, die alten Gebetbücher mit bunter Mönchsschrift – und gestern erhielt ich noch von einem frommen Bruder die große sixtinische Madonna auf einer kleinen Glasscheibe, ich habe sie sogleich an dem Fenster gegen Orient befestigt – Diese Glorie! Dieses tirilirende Musiziren der Farben! Franziska. Ach, das muß ich sehen, ich liebe die Religion bis zur Leidenschaft!
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Starker Mann. Nein, ich sitze hier auf meiner höhern Bildung, wie auf Kohlen. Welche Rückschritte! Nun endlich gar – ich schäme mich fast das Wort auszusprechen, – nun gar wieder Möncherei! – Ich beschwöre Sie, meine Herren und Damen, Ideen! nur Ideen!
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Altdeutscher Jüngling. Ganz recht! ja wir verlangen Ideen!
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Anonymus. Sie entschuldigen, wenn wir die Geschichte überblicken, so finden wir doch – Starker Mann. Geschichte! Sie machen mich lachen. – Wir können aus der Geschichte nur mit einigem Lächeln und großer Selbstgenügsamkeit ersehen: wie das Kind, Menschheit genannt, allmählig aufgepäppelt wird, bis es nach und nach sich aus den Windeln von Täuschung und Aberglauben endlich hervor arbeitet und wächst – Bertha (mit einem Blick auf dem altdeutschen Jüngling.)
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So sind wir vielleicht eben bei den Flegeljahren angelangt? Starker Mann. Ja, die Zeit ist endlich mündig geworden. Die ganze Vergangenheit ist im Zuschnitt verdorben, wir streichen sie aus, und fangen die Geschichte von vorn an – wir sind endlich Männer! Altdeutscher Jüngling. Ja, wir sind Männer.
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Adelgunde. Das kann nur ein Frauenherz so ganz empfinden. Ihr kühnen Kämpfer, Ihr! Ach, wir können Euch ja nur mit Wünschen und Blicken folgen, und fromme Eichenkränze winden – aber alles gilt Dir, du starkmüthige Jugend!
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Altdeutscher Jüngling. Da habt Ihr auch alle Ursach dazu. Es läßt sich nicht läugnen, wir sind ganz voll von Tugend und Mannheit. Weh! wo wir hinsehen, nichts als entteutschtes Franzthum! Auf uns kommt es nun doch an, seid nur ganz ruhig, wir wollen und werden Euch retten! Delitio (leise und unbekümmert um der Anderen Gespräch zu Florismene.)
Und die Echos Antwort geben. 10
F l o r i s m e n e (eben so.) Und durch Gras bläst linde Luft. Delitio. Fort will’s da den Schäfer heben.
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Florismene. Und das Leben wird ein Schweben. Delitio. Und die Erde farb’ger Duft. (Das Wechselgespräch rieselt sacht’ fort.)
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Alterthümler. Aber wir können doch unmöglich gelassen zusehen, wenn Sie uns die ganze Geschichte wegrücken, in die wir uns eben mit unsäglicher Mühe zurück arbeiten, daß man uns kaum noch die Rockschöße sieht, – alle die unübertrefflichen Institutionen der Kirche, des Ritterthums. Starker Mann. Das ist ja eben der Punkt! Die Kirche, die Kreuzzüge, das Mittelalter, alles ist ja nur erfunden von und für die Aristokratie. Karl der Große, Richard Löwenherz – alles heimliche Jesuiten! O, ich habe da eine feine Nase!
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Fromme Gräfin. Aber die ritterliche Galanterie war doch gar zu schön! Franziska. Die zarten Minnehöfe! 5
Einsiedler. Die Gottbegeisterte, sich selbst opfernde, Andacht! (zu Franziska) Man kann ja immer weglassen, was einem unbequem ist. Sehn Sie, meine Kutte ist auch nur von Tafft, und das Cölibat – nun Sie wissen. – Franziska
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(ihn mit dem Fächer schlagend.)
Aimable roué!
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A n o n y m u s (zum starken Mann.) Aber ein Herrschen durch Ideen müssen Sie doch zugeben, folglich eine Aristokratie der Idealen. Starker Mann. Ach das versteht sich von selbst, da sind Sie auf dem rechten Punkt, wir die wir Ideen haben – ja, das versteht sich von selbst!
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Alterthümler. Nun, so wären wir in der Hauptsache ja ganz einig. Einsiedler. Ganz ohne Zweifel. Das kann nicht fehlen. – E i n Strahl des Ewigen –
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Bertha. Nur am Prisma des Zeitlichen in verschiedene Farben gebrochen.
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Anonymus. Es läßt sich allerdings gar nicht verkennen, daß in der letzten Zeit, ich meine seit 1821 – Starker Mann. 5
Die Ideen – D e l i t i o (zu Florismene.) Träumend bei der stillen Hürde – Altdeutscher Jüngling. Das Turnen –
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F l o r i s m e n e (zu Delitio.) Mit der süßen Liebschaftsbürde. – Franziska. Das wonneseelige Magnetisiren –
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Starker Mann. Die Vernunftreligion – Einsiedler. Und die unvernünftige – Anonymus. Die Zeit beflügelt –
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Enthusiast. O, sagen Sie überflügelt! Anonymus. Ja, wir dürfen es einander hier wohl eingestehen –
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Starker Mann. Daß eben wir geradezu berufen sind –
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Alle durcheinander. Als die Seltenen – Vortrefflichsten – Tugendhaftesten – Gottbegabten u. s. w. (Narr nähert sich mit Pastinak, dem Boten, Fasel und Lina.) 5
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Fasel. Was ist denn das für ein verwirrtes Gesumse? Narr. Das sind die Stimmen der Zeit – Gott erbarm’ sich, da sind wir schön angekommen! Es ist wahrhaftig so eben ästhetischer Thee. Nur die Ohren angedrückt, Liebwertheste, und geschwind vorüber, denn das sind lauter Schriftsteller! Pastinak. Nun Sie denken wirklich sonderbar von mir – man hat auch seine Studien und braucht sein Licht eben nicht unter den Scheffel zu stellen. – Einige aus der Theegesellschaft. Wer sind die Fremden? Meine Herren, was haben Sie geschrieben?
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Pastinak. Ich? – ich habe bis jetzt noch kein Werkchen edirt. Die ganze Theegesellschaft. Nichts geschrieben?? – (Allgemeines Gezisch und Gehöhn. Die Philister nehmen ganz verblüfft Reißaus. Narr folgt ihnen mit Entrechats und Pirouetten.)
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(Andere Seite derselben Promenade mit verschiedenen Werkstätten, Turnplätzen und Conditoreien der Poetischen. Viele Poetische spazierengehend. Narr, Pastinak, Bote und Lina kommen gelaufen.)
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Narr. Sagt’ ich’s Ihnen doch gleich, daß es so kommen wird. Bote. Ich weiß nicht, welch’ panischer Schreck mich urplötzlich erfaßt’ da!
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Pastinak. Die Herrn da wiesen mir ja ordentlich die Zähne. Lina. Und haben geschnappt nach mir. – (sich umsehend) Ach! aber, das ist einmal schön hier! C h o r d e r Wa f f e n s c h m i e d e
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(singt.)
Bist zum künft’gen Holmgang Nun gehämmert, Nordmann! Schlängelt sich im Todkampf Gluthroth einst dein Schwerdtblitz – Sehr weint da die Heldbraut – Denk! der Waffenmeister Hammert, singet! Ist’s auch Ungereimt, so klappt’s doch! Pastinak. Was sind denn das für nervöse rußige Kerls, die da um das Feuer handthieren? Narr. Das sind die Skandinavier, die Grobschmiede, die machen einen grausamen Lärm, sind aber sonst aimable Leute. Sehn Sie, da haben sie eben wieder einen fertig gemacht.
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Junger Seekönig
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(kommt ganz in altnordischer Rüstung von der Werkstatt, sich streckend und reckend.) Ach, das ist doch verflucht unkommode (er erblickt die Fremden und naht sich lorgnirend der Lina) Fürchte Dich nicht, schönes
Frauenbild, wir Seekönige sind freilich etwas ungeschickt auf dem Lande, aber sehr ehrlich – Naturkinder – und außerordentlich naiv. 10
Lina. Ach, Ew. Majestät, Natürlichkeit, das ist eben auch mein Fach. Seekönig. O scharmant!
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M i n n e s ä n g e r (kommt lustwandelnd zum Seekönig.) Brüderchen, Brüderchen! Du stehst ja in der dritten Position, Dir steckt noch immer so etwas von unserm eleganten Säculum in den Knochen. S e e k ö n i g (sich dem Minnesänger in den Arm hängend.) Aber sag’ Du mir lieber, wie Du noch immer in der verschoßenen, abgeschabten Troubadourtracht herumziehen kannst! Viel zu süßlich! das ist ja alles auch schon längst wieder aus der Mode. Sei klug! Siehst Du, zwischen einem Seekönig und einem altdeutschen Jüngling, da ist eben kein sonderlicher Unterschied, Mannheit, schlichte herunterhängende Haare – ich kann mich stündlich noch resolviren wie ich will. Minnesänger. Laß’ mich nur, ich hab mich einmal in die Minnesängerkleidung so hereingewöhnt und bin über die besten Jahre weg. Die Minne, denk’ ich, soll wohl immer in der Mode bleiben.
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Seekönig. Es schwärmen Heut’ hier recht viel schöne Frauenbilder. Komm, komm auf Abentheu’r! (beide ab.)
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Chor der Schneider. Nur vom Ganzen frisch gerissen, Eh’ die Waare ganz verschlissen, Hier ein uralt gülden Stück, Giebt so’n gewissen frommen Blick, Hier ein bunter welscher Flick, Drauf ein Stück Hausleinewand, Macht das Welsche erst pikant, Hie ’nen Fetzen Bärenhaut, Daß man auch das Teutsche schaut, Drüber einen span’schen Kragen, Das Erhab’ne wird behagen, Frisch gestichelt, fein zum Werke, Und wird auch nichts Ganzes draus, Sieht es doch gar niedlich aus! F a s e l (außer sich.) Kameraden! da sind Kameraden! (Er eilt zur Werkstatt der Schneider. Die letzteren springen auf, und umgeben ihn sogleich von allen Seiten.)
Ein Schneider. Faß’t ihn! macht ’nen Bruder draus! 25
Ein anderer. Sieht jetzt noch so schofel aus. Ein anderer. Die Gestalt ist fein und luftig.
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Ein anderer. Reich’t den Schleier her ganz duftig! Ein anderer. Flügel ihm an Arm und Fuß – 5
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Ein anderer. ’S wird ein prächt’ger Genius! Lina. Ach, mein weiches, fühlendes Herz! Ich kann es nicht länger mit ansehen, der arme Fasel! Seh’n Sie nur, wie sie ihn umringt haben, wie sie ihn verarbeiten! Er springt immer Ellen-hoch zwischen ihnen empor, und kann doch nicht mehr heraus. Narr. Beruhigen Sie sich, schönste Seele – das sind die feinsten Köpfe, Herr Fasel ist da in den besten Händen von der Welt, es kann noch ’was aus ihm werden. Wohl ihm! C o n d i t o r (in seiner Boutique.) Wem beliebt von neusten Gebäcke? Prätzel, Brustkuchen, Kartoffeln in der Schaale, Lauter verdauliche gute Geschmäcke, Freimüthig servirt auf grüne und fahle Morgen- und andere elegante Blätter, Je schwärzer sich draußen thürmen die Wetter Je dichter flattern im Sturm die Blätter. Sie haben die Wahl von keuscher Führung, Hier Frauenherzen voll erlaubter Rührung, Von vernünft’ger Religion eine große Verspürung – Von Teutschthum hier wieder knollige Bißen, Hat sich schon mancher ’s Maul d’ran gerißen, Hier ein Sortiment noch verleg’ner Sonette –
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Lina. Ach, die lieben kleinen Dinger! so niedlich, so nette!
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Narr. He, ein Glas Nektar, Herr Zuckerbäcker! (er trinkt und reicht dem Pastinak) Probiren Sie einmal. P a s t i n a k (trinkend.) Ach, das schmeckt lecker! B o t e (trinkend.) Träufle nur, träufle, Wonnenwecker!
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Lina. Wir Mädchen nehmen nur einen kleinen Schluck, Wir vertragen nicht viel, haben bald genug. (trinkt.) P a s t i n a k (zum Narrn.) Herr Konfrater, das geht in’s Blut, Mir ist auf einmal ganz jung zu Muth. B o t e (geheimnißvoll.) Gilt’s Tyrannenketten – für’s Vaterland, Rechnen Sie auf mich – da ist meine Männerhand!
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L i n a (für sich kichernd.) Ich war zu Hause immer so betrübt, Jetzt weiß ich wo’s fehlt – ich bin verliebt. Narr. Meine Herrn und Damen ich glaube gar – ’S war doch nur ’n Tröpfchen – vom schlecht’sten fürwahr.
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Pastinak. Nein, das ist göttlich hier! Die grünen Gänge, Aus allen Büschen schallen Gesänge, Man weiß nicht wohin vor Freudengedränge! 5
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Wa l d h o r n - E c h o . Es tönet der Wälder Mund Und, Wie das Getöne verhallt, hallt, Wieder Herz, Höhe und Grund rund, Ja, thust mir grüne Gewalt, Wald! Pastinak. O diese Läufer! bald leise bald derb! Diese Übergänge! Süperb, süperb! (Er rennt in Extase nach dem Wäldchen.)
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Narr. Herr Pastinak! so laßen sie ihn doch blasen! Da fährt er hin, er fängt an zu rasen. Stimme (Aus dem Gebüsch, zur Guitarre singt.)
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Mohrenritter, Mohrenritter! Hier gefangen auf dem Schloße, Steh’ ich einsam an dem Gitter, Warte wohl der süßen Rosen, Schau’ in’s Thal beim Klang der Zitter; Ob Du nah’st im Glanz des Morgens, – Doch geschlossen bleibt das Gitter, Und es fliegen Stunden, Wolken – Mohrenritter, Mohrenritter! Und es sinken Lenz und Rosen –
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Bote. Ha, unterdrückte Unschuld! Vehme und Burgverließ, Ja, ich komme! das kenn’ ich noch alles aus dem Spieß. (eilt fort.) 5
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Narr. Mein Gott, das ist ja hier unser Paradies! Was wollen Sie da mit Ihren verrosteten Spieß? Unsichtbare Stimme. Willst Du unter den grünen Hallen nicht wallen? Die Bächlein über Kiesel fallen mit Schallen, Es wird Dir bei uns gefallen wie Allen, Aus allen grünen Hallen allen schallen wir Nachtigallen. Lina. Ich laß’ mich nichts merken, geh’ sacht’ fort und gehe, – Sing’t Ihr nur weiter! – o ich verstehe! –
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(sie wendet sich gleichfalls nach dem Gebüsch.)
Narr. Ich kann die Phantasten nicht lassen allein, Ein betrunk’ner Philister ist ein armer Tropf; Da laufen sie mir all’ in die Poesie hinein. Das bischen Nektar! war so viel Wasser drein – So’n Philister hat doch ’nen schwachen Kopf!(ab.) (Feld. Pastinak kommt eilig, so daß er den Hut verliert.) Pastinak. Ach unglückseelige Lieb’! was hast Du angerichtet? Das ist ein Rumor und ein Spektakel in meinem Herzen! O Bertha, Bertha! Da wuscht sie hin, wie die sternflammende Königinn in der Zauberflöte! Nein, diese Schönheit ist gar nicht auszuhalten! Die veilchenblauen Wangen – wollt’ sagen: rosenrothen Augen – Die Korallen-Nase – wollt’ sagen: Adlerlippe – O Du Engel in menschlicher Gestalt, in welche Schwermuth versetzest Du meine Seele!
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Narr (kommt athemlos gerannt.)
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Halt! Halt! – Aber um des Himmelswillen, bester Herr von Pastinak, was ist Ihnen denn auf einmal geschehen? Sie überkollern sich ja ordentlich, Sie laufen ganz aus dem Stücke heraus! Und wie Sie derangirt aussehen – ohne Hut – Die Halsbinde ganz zerzottelt! – Pastinak (setzt den Hut auf, den ihm der Narr reicht, und singt eine Baßarie.)
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Aria. O Liebe! Leiterin der Herzen! Jetzt fühl’ ich Deine herbe Pein, Jetzt fühl’ ich Deine heißen Schmerzen, Ja, Dir nur leb’ ich ganz allein! Du reichest an der Gottheit Frieden, Du machst die Erde uns hienieden Zum seel’gen Götter-Aufenthalt. Das Leben ohne Dich ist ka – Ka – ka – ka, a – a – a – ka – kalt! Narr.
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Sind Sie fertig? Pastinak (sich den Schweiß abwischend.)
Ja, mein Bester. Das war eine verteufelt schwierige Paßage! 25
Narr. Aber sagen Sie, reden Sie doch nur! was ist Ihnen denn widerfahren? wie ist Ihnen denn eigentlich?
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Pastinak. Ach, ganz flau – ich bin so verliebt in das Fräulein Bertha, ich bin ganz herunter, die verdammte Bravour-Arie! O, Bertha! Bertha! 5
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Narr. Aber ich bitte Sie, nehmen Sie doch nur Raison an! das ist ja platterdings unmöglich, das liegt gar nicht in Ihrem Charakter. Sie stellen ja das prosaische Prinzip vor in dem Stücke. Pastinak. Das kann doch aber alles einmal nichts helfen, warum hat mir die Natur ein so weiches Herz gegeben? Narr. Ach, Narrenspossen! allons; scheren Sie sich zurück hinter die Koulissen, und machen Sie hier nicht unnützen Aufenthalt und Konfusion! (er drängt den Pastinak mit Gewalt fort.) Immer fort, wieder in das Stück herein! Pastinak. Das will ich doch sehen! Was! spielt man so mit menschlichen Gefühlen? – Barbaren! – Soll ich mich schämen, ein Mensch zu sein? – Bertha! o Bertha! – (er entreißt sich dem Narren, der ihm eilig nachsetzt.)
(Rosengebüsch. Bertha, in malerischer Stellung mit der Guitarre auf der Rasenbank hingestreckt, singt.) 25
Mohrenritter, Mohrenritter! Fühlst Du nicht der Düfte Wogen In des Haines Laubgezitter? Fühlst Du – (man hört Geräusch im Gebüsch.)
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B e r t h a (auffahrend.) Welch’ Caliban dringt grad’ hier durch die Hecke, Zerstampft mir Zweig’ und Rasen mit dem Klumpfuß? Ach, der Athlete ist’s! – Geschwind zur Ordnung! 5
(sie wirft sich wieder in die vorige Stellung.)
B o t e (kommt hastig.) Hier bin ich, jedem Frevel zu begegnen, Wie’s einem edelmüth’gen Mann geziemt! 10
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Bertha. O, nicht doch! – treten Sie ein wenig rückwärts! So nah’ verlieren Sie den vollen Anblick: Das stolz Nachläß’ge, Sinn’ge meiner Haltung, Wie hier sich zwischen dunkler Locken Ringen Die frischen Rosenzweige schmeichelnd schlingen. – Bote. Sind Sie denn nicht gefangen hier, mein Fräulein? Bertha. Ich?! – Doch! – Und, böser Mann, Du kannst noch fragen? – Geheime Wünsch’ mit lindem Flügelschlagen, Blick’, Gegenblicke säuseln ja gleich Tauben, Und weben durch die Lüfte hin und wieder Ein goldnes Netz, uns hold zu überlauben, Das schlingt sich eng’ und enger um die Glieder Und zieht die Seel’ auf Abendblumen nieder. (sie zieht den Boten zu sich auf die Bank.) (für sich) Doch, das kommt ihm wohl etwas spanisch (laut) Kennst Du den Calderon, den Gries?
Bote. Den Wiener? –
vor!
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B e r t h a (hält ihm den Mund zu.) Genug! Still, still! – (für sich) In solchem kräft’gen Körper Voll Ebenmaaß, muß doch auch Wohllaut wohnen! Ich muß nur erst die rechte Saite rühren. (sie setzt sich vor ihm auf den Rasen, an seine Kniee gelehnt.)
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Nun erzähl’ mir, starker Mann, Sprich von Deinem Leben, Lieben, Während ich in’s Aug’ Dir schaue; Laß’ uns hier vertraulich plaudern, Will Dein frommes Klärchen sein! Bote. Nicht Klärchen! Lina heißt sie – meine Lina! Pastinak
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(guckt in einiger Entfernung lauschend durchs Gebüsch.)
Ha Bertha! – wie sie kosen, traulich scherzen. Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen!
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B o t e (erzählend.) Ja, nicht Unrühmlich’s läßt sich da vermelden: Wie ich mein Volk aufrief zu Heldenthaten, Selbst einem Pastinak – dem alterschwachen – Auf seines Herzens ausgebrannten Heerd Die heil’ge Flamme mächtig wußt’ zu schleudern – Pastinak. Zu lauschen ziemt nicht. – Doch Du sollst mir’s büßen. (entfernt sich wüthend.)
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B o t e (fortfahrend.) Wie ich den Rath, den Bürgermeister selbst Mit meiner Rede Feuerstrom durchbohrt, Daß Staunen erst durch alle Herzen rieselt, Und ich im Saale da steh’ – stolz wie Brutus –
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B e r t h a (aufspringend.) Nein, so gehts auch nicht. Du bist ennüyant: Sag’, Menschenkind! wie hier in allen Thalen Im Glutenmeer von Düften und von Strahlen All’ Wellen klingen, jauchzen Liebesflammen: Schlägt nicht dies Meer auch über Dir zusammen? B o t e (sich mit Würde erhebend.) Ich bin ein Mann, der muß Charakter haben! O Lina! Dir bleibt dieses Herz geweiht Fest, unerweicht, und wenn der Weltenbau In Nichts zerstiebt – Bertha. Kennst Du der Liebe Haß! Der Blicke Gluten, und der Augen Naß! Der Rache Wahnsinn und des Wahnsinns Dichten, Das Liebste und sich selbst kühn zu vernichten? Bote. Ich fürchte mich vor ihr – mit langen Schritten, Doch würdevoll, mit Anstand geh’ ich fort.
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(er schreitet, sich einigemal furchtsam umsehend, ab.)
Bertha. Klotzake! nein, Klotz aus Teutoniens Urwald, Nein, aus dem Chaos noch vor der Erschaffung. 25
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(sie bricht plötzlich in ein lautes Lachen aus, nimmt rasch die Guitarre, greift einige Akkorde und singt, von der andern Seite in das Gebüsch abgehend.)
Niemals ward ein edler Bote So bedient von Damen süß, Als d e r plumpe Don Quixote, Da er seine Heimath ließ.
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Lina en enfant frisirt, tritt rasch auf, Seekönig folgt ihr.)
(Andere Gegend der Promenade.
Seekönig. So raste doch! was fliehst Du, flüchtig Rehlein? 5
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Lina. Ich armes Kind! – Ihr habt mich recht erschreckt, Mit Eurer Waffen erzenem Getön! Ei, wie das glänzt! – doch Lina fürchtet sich. (für sich) Ich schick’ mich schon recht gut in den bon ton hier. Seekönig. Mußt mir hübsch artig sein, mein Frauenbild, Nicht zürnen gleich! sonst muß ich traurig sein! – Sieh, wir Waräger sind nun einmal schon Recht kühne Seegler; Sturm auf See und Land. (er umarmt und küßt sie.)
Lina. Ei, böser Rittersmann!
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B o t e (der sich inzwischen genähert.) Fest, unbesiegt Schreit’ ich als Mann – (er erblickt die Umarmung.) Versteinernd Haupt Medusens! Seekönig. Wer ist der fahl’ Strandläufer da?
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Lina. Gespiele Der Jugend mein. – Geht nur voran, Herr Ritter, Ich folge gleich, will nur den Mann bedeuten. S e e k ö n i g (lachend.) Nun, nun, genir’ Dich nicht, doch komm bald nach. (ab.)
Krieg den P h i li stern ! Dri ttes A b en th eue r.
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Lina (dem Boten das Kinn streichelnd.)
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Nicht böse sein, hörst Du? nicht bös’, Alexchen! Was that die arme Lina böses denn? Lina ist unbefangen, kindlich – Bote. Schlange! Die mit zischelnder List, ha! aus des Redestroms Honigseime voll Gift auftaucht und heimlich sticht!
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Lina. Wenn Du mich wieder mit Deinem alten antiken Metrum anmeckern willst, so sag’ ich Dir’s rund heraus: ich muß endlich auf meine Zukunft bedacht sein, ich komme auch in die Jahre, und werde mir Deinetwegen keine glänzende Parthie verschlagen, und damit Basta! (ab.) Bote (nachdem er lange Zeit stumm und mit verschränkten Armen der Lina nachgesehen.)
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Nein, aber jetzt fängt mich die Sache erst recht an zu ärgern. Dieser Affront! Wie soll ich mich dabei nehmen. Düstere Rache brüten? – Melankolie? – Ja, ich will melankolisch sein! das hab’ ich mir schon lang’ einmal gewünscht, konnt’ aber immer vor Geschäften nicht dazu kommen. – O, Menschheit in Nichtsdurchbohrendem Gefühle, ich will Deinen Staub von den Schuhen schütteln und unter Hohngelächter fliehen! Dort sind die Berge, hinter den Bergen sollen auch noch Leute wohnen, die laß’ ich rechts liegen, so komme ich in den alten Sagen-Wald, wo es noch bisweilen spuken soll. Ha, umsäuselt mich, Schatten der Vorwelt! fort, fort in die graue Wildniß! (er rennt in der Hast den Minnesänger, der eben von der andern Seite ankommt, über den Haufen und eilt davon.)
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Krieg d en P h i li stern ! Dri ttes A be n t h e u e r.
Pastinak (kommt eilig mit einem Degen an der Seite und einer Pistole vorn im Rock.)
Da läuft der Verräther, ihm nach! ihm nach! Minnesänger
5
(der sich unterdeß aufgerafft hat.)
Verdammte Wirthschaft und Ungezogenheit! heraus mit der Klinge! (er zieht seinen Galanterie-Degen, und dringt auf Pastinak ein.) 10
Pastinak (gleichfalls ziehend und sich vertheidigend.)
Was ist das für eine Konfusion? Wie komm’ i c h denn dazu? Minnesänger 15
(im Fechten die Tempos zählend.)
Eins, zwei, drei – da, eine Finte al casco! –
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P a s t i n a k (fechtend.) Was soll denn aber das? Gott, welcher Aufenthalt für mich! Da seh’ ich den Verräther schon fern auf einer Felsenspitze – hohnlachend – ohne Hut – Minnesänger. Eins, zwei – eine Volte al subito!
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Pastinak. Wenn Sie mich nicht gleich hier durchlassen, so schieß’ ich dies Pistol – Minnesänger. Sie werden doch nicht des Teufels sein! (er macht einen Sprung auf die Seite. Pastinak eilt fort.)
Krieg den P h i li stern ! Dri ttes A b en th eue r.
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N a r r (in großer Hast.) Haben Sie nicht – Aber was ist vorgefallen? Sie sind ganz erhitzt – mit bloßem Degen. Minnesänger 5
(seinen Degen einsteckend.)
Eine kleine réparation d’honneur! Narr. So? nun, ein andermal davon! Doch, sagen Sie, haben Sie nicht die beiden fremden Herrn gesehen? 10
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Minnesänger. Das ist es ja grade, ich habe den einen so eben in die Flucht geschlagen. Narr. In die Flucht? – Unglückseeliger! das ganze Stück geräth in’s Stocken. Ich hab’ keine Mühe und Gefahr gescheut, diese fremden Elemente herbeizuholen, um nur einige vernünftige Intrigue in das Stück herein zu bringen, und nun intriguiren die Kerls selbst gegen das Stück. Der unglückliche Nektar! er hat ihnen auf einmal recht das Inwendige herausgekehrt, und ist das bischen Verstand ersoffen, so ist an so einem Philister gar nichts mehr dran. Minnesänger. Ja, ja, Gewohnheit – wir andern sind den Trank einmal gewöhnt.
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Narr. Ich beschwör’ Sie, bester Herr Minnesänger, Sie sind sonst immer ein guter Mann, helfen Sie mir nur diesmal die Flüchtlinge wieder einfangen! Das Stück muß doch einmal ausspielen, wir müssen die Leute aufsuchen, und sollten wir ihnen bis an’s Ende der Welt folgen.
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Krieg d en P h i li stern ! Dri ttes A be n t h e u e r.
Minnesänger. Sehr gern, auch noch weiter, wenn es sein muß. Ich will im Vorbeigehen nur noch einigen Mundproviant in meine Zitter einpacken. Dann fort, ihnen nach! (beide ab.)
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
Vi e r t e s A b e n t h e u e r.
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Krieg d en P h i li stern ! Vi ertes A b e n t h e u e r.
Galante, Ur-, Ritter- und andere Zeiten Hier durcheinander schreiten und streiten.
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
(Ländliches von Bergen eingeschloßnes Thal. Ein Hirt, ein und Angela, Blumenkränze windend.)
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Hirt. Wenn sich der Sommermorgen still erhebt, Kein Wölkchen in den blauen Lüften schwebt, Mit Wonneschauern naht das Licht der Welt, Daß sich die Ährenfelder leise neigen, Da sink’ ich auf die Knie im stillen Feld. Und bete wenn noch alle Stimmen schweigen. Jäger. Doch Keiner athmet s o den Strom von Lüften, Als wie der Jäger in den grünen Klüften! Wo Euch der Athem schwindelnd schon vergangen, Hat seine rechte Lust erst angefangen, Wenn tief das Thal auffunkelt durch die Bäume Der Aar sich aufschwingt in die klaren Räume. Hirt. Und sinkt der Mittag müde auf die Matten, Rast’ ich am Bächlein in den kühlsten Schatten, Ein leises Flüstern geht in allen Bäumen, Das Bächlein plaudert wirre wie in Träumen, Die Erde säuselt kaum, als ob sie schliefe, Und mit den Wolken in den stillen Räumen Schiff’ ich still fort zur unbekannten Tiefe. Jäger. Und wenn die Tiefe schwül und träumend ruh’t, Steh’ ich am Berg’ wie auf des Landes Hut, Seh’ fern am Horizont die Wetter steigen, Und durch die Wipfel, die sich leise neigen, Rauscht droben schwellend ein gewaltig Lied, Das ewig frisch mir durch die Seele zieht.
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Jäger
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Krieg d en P h i li stern ! Vi ertes A b e n t h e u e r.
Hirt. Es blitzt von fern, die Heimchen Ständchen bringen, Und unter Blüthen, die im Wind sich rühren, Die Mädchen plaudernd sitzen vor den Thüren; Da laß’ ich meine Flöte drein erklingen, Daß ringsum durch die laue Sommernacht In Fels und Brust der Wiederhall erwacht. Jäger. Doch wenn die Thäler unten längst schon dunkeln, Seh’ ich vom Berge noch die Sonne funkeln, Der Adler stürzt sich jauchzend in die Gluten, Es bricht der Strom mit feuertrunk’nen Fluten Durch’s enge Steingeklüft, wie er sich rette Zum ew’gen Meer – ach, wer da Flügel hätte! Hirt. Was frommt der Wettstreit? Wie zwei Nachtigallen, Die übersingend sich, vom Baume fallen. Sprich endlich, Angela, wen von uns beiden Hast Du gewählt? Jäger.
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Ja, sag’s nur frei heraus! Angela. Mit einem Liedchen laß’t mich Antwort geben. 25
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Wenn von den Auen Die Flöte singt, Aus Waldesrauschen Das Horn erklingt, Da steh’ ich sinnend Im Morgenlicht – Wem ich soll folgen, Ich weiß es nicht.
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
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Doch kehrt ihr beide Im letzten Strahl Der Sonne wieder Zurück ins Thal, Schaut mir so freudig In’s Angesicht: Da weiß ich’s plötzlich – Doch sag’ ich’s nicht. Hirt.
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Ach, Angela! Jäger. Du sollst! –
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Angela. Still, Ungestüm! – Wer nahet schleppend dort in grauem Mantel Schwerseufzend, lang, dünn, wie ein Nebelstreif? B o t e (tritt auf.) Durch die starrende Wildniß, begränzt von der Wieg’ und dem Sarge, Ebnen mit göttlicher Huld Liebe und Freundschaft den Pfad. (wild auflachend) Ha, ha! gelogen, Poet unter Deiner Pinien Gesäusel! Ha, Liebe und Freundschaft – Lina und Pastinak! Es war ein schöner Traum! – Angela. Der Mann ist wirr im Kopf. Redet ihm zu! Hirt. Besänft’ge Fremdling, Dich, laß das Vergangne! Versöhnung bringt die Zeit, sind wir versöhnlich.
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Krieg d en P h i li stern ! Vi ertes A b e n t h e u e r.
B o t e (die Landleute erblickend.) Gegrüßt, seid mir gegrüßt, ihr unverdorbnen Kinder der Natur! O ihr versteht mich noch, euch lehrt das Murmeln des Bachs, die flötende Nachtigall und ach, der rauschende Hain, die sanften Akkorde zarter Melankolie. Jäger. Ja, ja, vertrau’ nur mir! Dort geht ein Strom Tief, klar und kühl im Felsengrund, Kopf über Stürz’ ich Dich drein – ich bin ein guter Schwimmer – Und tauch’ Dich drei bis viermal tüchtig unter, Glaub’ mir, ’s wird gleich Dir besser – Bote (ihn mit Verachtung von sich stoßend.)
Fort, Barbar! 15
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H i r t (zum Boten.) Folg’ ihm, du Armer! Auf, besinn’ Dich nur! All’ das vergang’ne Unglück, dem Du schauernd Entrinnen möchtest in vergebner Flucht, Was ist es gegen den endlosen Jammer Verbrannten Wahnsinns? – Blick’ um Dich, es blühen Rings Lenz und Lust – und wahrlich auch für Dich! B o t e (für sich.) Dummes Bauernvolk! das möchte nur immer glücklich sein. Ohne Zartsinn, ohne alle gefühlvolle Bildung! (laut) Ihr guten gemeinen Leute, ich bitte nur Eins, weist mich ein wenig zurecht, wo ich mich hier am besten verirren könnte. – Ist das nicht dort der Sagenwald?
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
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Angela. Um Gott, geht nicht dort hin! Ein Riese wohnt In diesem Forst, zwar freundlich uns gesinnt, Als seinen Stammverwandten, doch mit Fremden Gar unverträglich, wild und übellaunisch. Bote. Dahin, dahin, wo Gefahren lauren! Ha Lina, Du sollst von mir hören. Die Welt soll sagen: es war ein Mann!
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Angela. Vertraut uns doch, was treibt Euch denn so rastlos? Bote. Sag’ an, weißt Du, was Liebe sei? Angela. Ach ja!
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Bote. Nun denn, so weißt Du alles – lebet wohl! (ab nach dem Walde.)
Angela. Lauft ihm doch nach, er rennt in sein Verderben! 20
Pastinak (kommt ganz erhitzt mit Degen und Pistole, und wirft sich ermattet auf die Rasenbank.)
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Landsmann! Bier! Käse, Wurst, was ihr habt! nur her, geschwinde her! ich bin halb todt. Verteufelter Marsch! Ihr habt keine Wegepolizey hier im Lande, nichts als Steine und Wasserfälle! Und das abgeschmackte Klima! treibt alles ohne Maaß und Ziel, die Blumen wachsen einem überall zwischen die Beine, daß man sich bei jedem Schritte verwickelt und zu keiner vernünftigen Meditation kommen kann.
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Krieg d en P h i li stern ! Vi ertes A b e n t h e u e r.
Angela (ihn erstaunt betrachtend, reicht ihm aus einiger Entfernung ein Körbchen mit Obst und Weinflaschen.)
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Pastinak. So, so ist’s recht, (mit vollen Backen eßend.) Apropos, ist hier nicht vor kurzem ein langbeinigter Schlingel durchpaßirt? Jäger. Ja, lange Beine hatt’ er allerdings.
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Hirt. Sprach mit sich selbst und focht mit leeren Lüften. Pastinak. Ganz recht, ganz recht, das ist er! Wo hat er sich hingewendet?
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Jäger. Dort in den dunkelgrünen Sagenwald. Pastinak. Ach, was dunkelgrün! Jeder Wald ist dunkelgrün. Also der Sagenwald heißt diese Haide? (er zieht eine Schreibtafel hervor und notirt etwas.) Seht Leute, ein gebildeter Mann benutzt auch auf einer Geschäftsreise jede Gelegenheit, um sich zu unterrichten, und den Kreis seiner Kenntnisse zu erweitern. – Nun, sobald ich mich hier wieder ein wenig gestärkt, suche ich den Patron da im Sagenwalde auf. Hirt. Das wird schwer angeh’n, denn noch unberührt Von Menschenhand, wölbt viel Jahrhundert’ fort Der Wald dort seine kühn verschlung’nen Bogen.
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
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Pastinak. Mangel an Kultur! Ihr müßt Alleen aushauen, ordentliche Haue anlegen. – Was gilt das Holz hier? 5
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Jäger. Zum mind’sten blut’ge Kronen – denn es hütet Der Riese Grobianus diesen Gau. Pastinak. Grobianus? bloß eine lateinische Endung, die Wurzel ist deutsch. (er notirt wieder in die Schreibtafel.) Herr v. Grob ist Besitzer dieser wohlbewachsenen Forste. (die Schreibtafel einstekkend, und wieder begierig essend, für sich) Aber die Leute sehen mich alle so verblüfft an, ich glaube, sie fürchten sich vor meinen Waffen, ich muß mich ein wenig in Respekt setzen. (laut) Ja, dem besagten Schlingel setze ich so eben unaufhaltsam nach bei Tag und bei Nacht. So ’nen Kerl freß’ ich mit Haut und Haar. A n g e l a (lachend.) Du bist possierlich, Alter. Pastinak.
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Ich? – wie so? Hirt. Er glüht und glänzt bis an die Nasenspitze.
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Jäger. Hm, wie das kaut, und schnalzt, und schmazt! – das schmeckt. Pastinak. Ach, Ihr seid nicht gescheut! Wie soll man denn speisen? – Doch: sapienti sat! ich muß nun weiter. (er steht auf.)
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Krieg d en P h i li stern ! Vi ertes A b e n t h e u e r.
Angela. Bleib bei uns, Alterchen! wir füttern Dich Auf beide Backen. 5
Hirt. Ja fürwahr, wir haben So närrsche Käutze nicht im ganzen Thal hier. Jäger. Sollst über’n Stock dann springen, Burtzelbäume –
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Pastinak. Ach, Ihr seid nicht gescheut. Warum nicht gar! Ich weiß gar nicht was es hier zu lachen giebt. Per risum multum cognoscimus stultum – Doch das Hornvieh versteht kein Latein. – Laßt mich in Frieden! (eilig nach dem Walde ab.) Die Landleute
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(vergnügt in die Hände klatschend und lachend.)
He, wackle nicht so! Fall’ nicht! Komm bald wieder! (Von Narr, Minnesänger und Kritikus.)
der andern Seite kommen
Narr. He! hier geht’s lustig her! bin auch dabei! 20
Jäger. Wer sind nun die schon wieder? Narr. Lieben Leute, Habt Ihr nicht die Philister hier geschaut? Hirt.
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Philister?
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
Narr. Ja, denkt Euch die Noth: so eben Wird nah von hier Komödie gespielt. 5
Angela. Was denn? Komödie? Narr. Und die Kerle laufen Uns aus der Handlung ’raus – Hirt.
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Wie? wo? – Narr. Es scharrt Das Publikum entsetzlich –
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Angela. Wir versteh’n nicht – Narr. Ja, der geneigte Leser selbst, sind wir Gedruckt erst, – Angela.
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Wie gedruckt? – Narr. Und nett gebunden, – Er überschlägt uns all’ – Jäger.
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Das woll’n wir seh’n!
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Krieg d en P h i li stern ! Vi ertes A b e n t h e u e r.
Narr. Und dringt mit Zorneswuth zur letzten Scene. Angela. Mir wird ganz Angst. Hirt.
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Sag’t nur – Narr. Hilft nichts! wir werden Wild überblättert hier, dort ausgepfiffen! 10
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Kritikus. Um Gott, halt’ ein! Mir schwindelt schon, als ginge ’Ne Windmühl’ mir im Kopf. Narr. Hat nichts zu sagen, Um desto besser kannst Du fegen, klappern, Zermalm’n und Mehlstaub in die Augen streun. Wir aber müss’n mit Händen und Füßen dringen, Um aus der Konfusion hier ’raus zu kommen. Kritikus. ’S ist Euer Glück, daß ich mit Euch gegangen; Der Sänger schlendert immer grade fort, Du schweifst bald rechts bald links – ich nahm für beide Gesichtspunkt’ mir – so kommt man – Narr.
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Ab vom Ziele. – Kritikus. Was kümmert mich da Euer schlechtes Stück, Ob’s durchfällt oder nicht! Mich kränkt’s allein,
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
5
Daß dieser Pastinak, der Bote – wie’n Spuk Der längst von uns erdrosselten Verbildung, Ganz fremde Elemente unsrer Zeit, Zu existiren sich noch dreist erlauben. Wir müssen ihn’n beweisen, daß sie todt! Hirt. Zwar ich versteh’ noch nichts vom ganzen Handel, Doch sag’t uns nur, wie Euch zu helfen, rathen?
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Narr. Es ist der langen Rede kurzer Sinn: Sind hier zwei Fremd’ spazieret und wohin? Hirt. Sie rannten beide dort zum Sagenwald.
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Jäger. Der ein’ ein Narr, der andre nicht recht klug. Kritikus. Charmant! Sarkastisch! – Doch wie? Sagenwald? – Ich wüßte nicht. – Meint ihr den Dichterwald?
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Jäger. Den Wald dort, wo der alte Riese wohnt. Kritikus. O göttlich! Riese? – Ja, der Riesengeist Der Poesie! hör’, Narr, wie diese Leute Tiefbildlich sprechen – noch ein wackres Urvolk! Das ist ganz int’ressant, (er lorgnirt die Landleute.) Recht edle Bildung! Das Mädchen da – der Busen – ganz antik. Ihr seht selbst sagenhaft! – Ist’s weit zum Walde?
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Krieg d en P h i li stern ! Vi ertes A b e n t h e u e r.
Hirt. Eh’ ihr dahin dringt, trefft ihr noch auf manche Geschlechter, Unterthan’ der Zeit, geschieden Durch Sitt’ und Neigung. – Wir, als die Zeitlosen, Umwohnen Alle, wie ein heitrer Kranz. Narr. Ich wittre Abentheuer, da braucht’s Feuer. Gebt Wein! ich seh’ dort Flaschen golden blinken, Hier trinkt’s sich kühl im Grün auf luft’gem Rasen.
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Minnesänger (der unterdeß, unbekümmert um das Gespräch, mit der Guitarre auf und abgegangen, nähert sich singend.)
15
Blauer Himmel, blaue Augen, Schöne Rosen, rother Mund! In den Himmel will ich tauchen, Rosen pflücken von dem Mund. – (er verneigt sich mit einem zierlichen Pas vor Angela, und stolpert dabei bedeutend.)
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A n g e l a (lachend.) Mein Gott, du fällst! Wer ist der lust’ge Mann? Kritikus. Ein Sänger, der der Minne fröhnt.
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Angela. Der Minne? Ihr scherz’t – so diklich, rund und wohlbehaglich? – Minnesänger. Das ist das Loos des Schönen auf der Erde. (er setzt sich zum Narrn, ißt und trinkt.)
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Ganz prächt’ger Wein! – Ach diese kühlen Schatten Wie in Arkadien – Deliziöse Pfirsich! – Und der romant’sche Platz – o diese Pflaumen! –
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
Kritikus (nimmt die Flasche, riecht vorher prüfend daran, und kostet.)
Der Wein ist gut. 5
Narr. Freund! mich hat er erlabt, Eh’ Du entschieden, daß er schmecken dürfte. – Doch ’s wird nun spät – (die Flasche ergreifend, zu den Landleuten)
10
15
Noch diesen Gruß zum Danke, Ihr guten Junggesellen hier und Bräute! Wie wir’s hier treiben, leben viele Leute, Der Butzemann geht um, fräg’t nicht viel drum! Erhalt’ der Herr Euch lang’ erklecklich dumm, Behüt’ die Blüten vor Geschmeiß und Maden, Mayfrösten, Türken- und Philister-Schaden! Angela. Ihr sprechet von Philistern stets, wer sind die?
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Narr. Du bist vorwitzig, Kind. – Sieh, ein Philister – Das ist Dir so’n Vieh illustre, Gar nichts versteht er und viel lies’t er, Spottwenig trinkt er und viel ißt er, Kurz: so ein schofler, fahler, trister – Doch still, ’ne Fabel fällt mir eben ein, Ein saub’res Lied: V o n E n g e l n u n d v o n B e n g e l n . (er singt.) Im Frühling auf grünem Hügel Da saßen viel’ Engelein, Die putzten sich ihre Flügel Und spielten im Sonnenschein.
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Krieg d en P h i li stern ! Vi ertes A b e n t h e u e r.
Da kamen Störche gezogen, Und jeder sich eines nahm, Und ist damit fortgeflogen, Bis daß er zu Menschen kam. 5
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Und wo er anklopft’ bescheiden Der kluge Adebar, Da war das Haus voller Freuden – So geht es noch alle Jahr. Die Engel weinten und lachten Und wußten nicht, wie ihn’n gescheh’n. – Die einen doch bald sich bedachten Und meinten: das wird wohl geh’n! Die machten bald wichtige Mienen Und wurden erstaunlich klug, Die Flügel gar unnütz ihn’n schienen, Sie schämten sich deren genug. Und mit dem Flügelkleide Sie ließen den Flügelschnack, Das war keine kleine Freude: Nun stattlich in Hosen und Frack! So wurden sie immer gescheuter Und applizirten sich recht – Das wurden ansehnliche Leute, Befanden sich gar nicht schlecht.
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Den ander’n war’s, wenn die Aue Noch dämmert’ im Frühlingsschein, Als zöge ein Engel durch’s Blaue Und rief’ die Gesellen sein.
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
Die suchten den alten Hügel, Der lag so hoch und weit – Und dehnten sehnsüchtig die Flügel, Mit jeder Frühlingszeit. 5
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Die Flügeldecken zersprangen, Weit, morgenschön strahlt’ die Welt, Und über’s Grün sie sich schwangen Bis an das Himmelszelt. Das fanden sie droben verschlossen, Versäumten unten die Zeit – So irrten die kühnen Genossen Verlassen in Lust und Leid. Und als es nun kam zum Sterben, Gott Vater zur Erden trat, Seine Kinder wieder zu werben, Die der Storch vertragen hat. Die einen konnten nicht fliegen, So wohlleibig, träg’ und schwer, Die mußt’ Er da laßen liegen, Das that ihm leid so sehr. Die andern streckten die Schwingen In den Morgenglanz hinaus, Und hörten die Engel singen, Und flogen jauchzend nach Haus! Angela.
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Nun – und? Narr. Unschuldchen! nun – und die Philister Das sind die Bengel, – wir – wir sind – Poeten.
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Kritikus. Und Du bist einer von den Liebes-Engeln (er will Angela küssen, und bekömmt eine Ohrfeige.)
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Narr. Jetzt sind wir expedirt. – Und nun frisch auf! Den Autor seh’ ich fern die Hände ringen, Hußah, daß wir das Stück zu Ende bringen. (Narr, Minnesänger und Kritikus ab, nach dem Walde.)
Angela 10
(nachdem sie ihnen lange sinnend nachgesehen, zum Hirten.)
Und nun komm’ mit zur Laube vor die Thür, Und sing’ mein liebstes Lied nur recht von Herzen! Mir ist so weh – ich fürcht’ mich fast –. 15
20
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Hirt. Ja komm’! Und laß die Fremden zieh’n wie wirr Gewölke Fort über’s stille Thal! – blitzt es auch zuckend – Es kühlt die Luft sich nur und bleibt doch klar. Jäger. Und ich geh’ in den allertiefsten Wald Und blas’ mein letztes Lied, zerschmeiß mein Horn dann Im Felsengrund – ’s ist doch zu nichts mehr nütze! – Angela. Du bist so wild wie’n Wetter in der Nacht, Schaudert man auch, man muß doch immer hinseh’n. – Geh’ heut nicht fort! – Jäger. Ach, Angela, Du zitterst –
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
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Angela. Schon dunkelt’s abendlich im stillen Thal, Es blitzt von fern, und Ström’ und Wälder rauschen – Viel anders wohl ist’s draußen in der Welt, Als ich mir’s sonst gedacht – wer weiß, wer störend Noch von den Bergen zu uns niedersteigt, Ich wohn’ so ganz verlassen hier im Thale – Ach! ich bin wirr heut, weiß nicht was ich plaudre – Geh’ heut nicht fort, bleib’ bei mir – Jäger.
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Heut nur? – Angela. Ewig! – 15
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Jäger. Nun funkelt der Abend erst, rauscht der Hain! (zum Hirten) Du sei auch fröhlich, liebster Bruder mein! Nein, Abend nicht! leuchtendes Morgenroth, Und fröhliche Treue bis in den Tod!
(Altfranzösischer Garten mit Statuen, Alleen von verschnittenen Buxbäumen, künstlichen Blumenparterres von bunten Kieseln, Wasserkünsten ec. Amarillis, in analoger Tracht mit hoher Frisur, Reifrock ec., sitzt in einer Laube und spielt Joujou. Narr, Minnesänger und Kritikus kommen an der Gartenmauer an.)
Narr 25
(sich auf die Gartenmauer schwingend und umschauend.)
Voilà Ludwig des Vierzehnten siècle! Minnesänger. Fürwahr, da ist’s schon! wir sind gut marschirt.
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Narr. Wie artig da die Wasserkapriolen! Sanft ringsum die Natur frisirt im Reifrock, Daß selbst die Vögel rings sich scheu’n und schweigen; Nur von den Bergen drüben rauscht der Wald Hernieder in die Einsamkeit – mich schaudert! Kritikus. Ach Poßen! Euch fehlt ganz der krit’sche Sinn. Nur durch! zum Sagenwald teuton’scher Urzeit! Wir müssen uns historisch durcharbeiten. Minnesänger. Ei, eine Dame dort – halb abgewendet – Wir müssen hin! Es schmückt gewiß ein Zug Noch alter cheval’rie die holde Schöne.
15
Narr. Wenn nur nicht die verdammten Nasen da Von Buxbaum – das versteinert’ Götterpack – Ich fürcht’ mich wirklich – Nun, in Gottes Namen! (sie klettern alle über die Mauer in den Garten.)
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Amarillis (mit versteckten Seitenblicken, ohne sich in ihrem Spiele stören zu lassen.)
Jetzt steigen sie herab, den Garten zu durchstreichen, – Ich mach’, als säh’ ich’s nicht und thue nichts dergleichen. 25
N a r r (sich ihr nahend.) Charmanteste Person! es wagen Unbekannte – Amarillis Ach, welchen Schreck! ach, ach! Zu Hülfe! Gouvernante! (sie fällt in Ohnmacht.)
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Narr. Was fangen wir nun an? Minnesänger. Ob wir um Hülfe schrei’n? – 5
Amarillis (während der Ohnmacht, heimlich mit den Augen blinzelnd, für sich.)
Ein schöner Kavalier – welch’ elegantes Bein! Narr. Syrenchen fein, im Meer von Seide und Pomade! 10
A m a r i l l i s (laut, sich erhebend.) Ach; ach! wie ist mir denn! – (für sich) hat ’ne süperbe Wade! Kritikus (zu Amarillis auf den Narren deutend.)
15
Verzeihung, wenn zu dreist hier unser Sachverwalter – Wir suchen nur allhier den Weg zum Mittelalter – A m a r i l l i s (das Näschen rümpfend.) Vous badinés! wer möcht’ nach diesem Wege fragen? Den Stallknecht frag’t danach, der kann’s vielleicht euch sagen.
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Kritikus. Wie! jene große Zeit – Sie achten sie so wenig? Wo jeder Ritter frei auf seiner Burg ein König – Amarillis. Jetzt steht er chapeau bas am goldnen Königssitze, Der Pöbel staunt von fern und zieht devot die Mütze.
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Minnesänger. Wo Troubadours noch geh’n, der süßen Minne froh –
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Amarillis. Ha, ha, die armen Narr’n! die würde Boileau! –
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Narr. O hören Sie nicht drauf! (auf den Kritikus und Minnesänger deutend) das spricht so in den Tag, Ganz ohne Takt – bon sens – gebildeten Geschmack! Die möchten nichts, als Wald und rohen Hörnerschall – Wie anders streicht gelind ein sanftes Madrigal! Sie wollen Shak’spear nur, der grob mit Rind’ und Blättern, Den ganzen Lebensbaum hervortreibt aus den Brettern; Sie möchten mit Natur gern all’ beau monde verderben. – Ma foi! so kleiner Fuß auf Blumenau’n von Scherben, Was braucht’s da Wald und Horn und Shak’spear und Natur? Amarillis. Wir haben ja Racine, Corneille – Narr. Und Grécourt. Amarillis (mit dem Fächer nach ihm schlagend.)
20
Sie loser Schwätzer Sie! –
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Narr. Geschätzte Demoiselle, Es wird auf einmal mir so aufgeklärt, so helle. Ich fühl’s, wir sind d’accord – die Herzen überfließen – Laß’t ein erlaubt plaisir mit Anstand uns genießen. (er zieht seine Geige unter dem Rock hervor, und führt mit Amarillis, die Geige spielend, eine Menuett auf. Während des Tanzes singen beide abwechselnd wie folgt:)
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Narr. ’s Bein geschweift erst, dann auf Zehen.
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
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Amarillis. Runde Waden läßt man sehen. Narr. Flüstern im Vorüberstreifen. 5
Amarillis. Sei ’s so leis noch – wir begreifen. – Narr. ’s Leben faß’t mit Fingerspitzen!
10
Amarillis. Können tief das Herz doch ritzen. Narr. So schlingt sich’s galant fort – Coridon
15
(ein junger Kavalier mit Haarbeutel etc., plötzlich mit gezucktem Stahldegen aus dem Gebüsch dringend.)
O, Eifersucht! zerreiß’ mein Herz mit glüh’ndem Dolche. Par bleu! Wuth, Blut und Kampf! ha, sterbet, gift’ge Molche!
20
N a r r (mit dem Fidelbogen parirend.) Mordjo! nun geht es los! Wenn sie uns hier erschlagen, Was wird das Publikum und der Verfasser sagen! K r i t i k u s (gleichfalls vom Leder ziehend.) Kam’raden, frisch hindurch! es gilt das Mittelalter! Minnesänger (dringt mit seinem Stoßdegen kunstreich auf Coridon ein.)
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Wenn er nicht anders will, ein’ Quinte denn erhalt’ er!
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Krieg d en P h i li stern ! Vi ertes A b e n t h e u e r.
Narr. Du bist so rund und fix – er sticht ihn in die Wade! Coridon (sich zierlich vor Amarillis auf ein Knie niederlaßend.) 5
Ich blut’, ich sterbe – ach! Amarillis. Ach Gott, das wär’ doch Schade! (sie löst ihr Strumpfband, reicht es dem Coridon zum Verbande, und fällt dann wiederum in Ohnmacht. – Narr, Minnesänger und Kritikus schwingen sich von der, dem
10
Eingange zum Garten entgegengesetzten, Seite über die Gartenmauer hinaus, und kommen, noch immer mit gezückten Waffen, in einen Wald, über welchen man, in einiger Entfernung, eine Burg erblickt.)
Narr. Juchhe! wir sind im grünen grünen Wald! 15
Minnesänger. Das galt! wir haben brav uns durchgeschlagen. Kritikus. Frisch vorwärts! Hu, ich bin noch so voll Rage! Ein Ritter
20
(plötzlich mit bloßem Schwerdt aus dem Walde hervortretend.)
Ho, ho! M e i n Fisch! Wo hab’t Ihr ’s frei Geleite? (er schlägt ihnen mit Einem Streich Fidelbogen und Waffen aus den Händen.)
25
Minnesänger. Ich glaub’ wir sind hier schon im Mittelalter. Narr. Bei Gott, das ist so ’n flämscher Kerl von Ritter!
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
127
Kritikus. Wer, edler Rittersmann, giebt Euch das Recht? –
5
Ritter. Recht? – Nun, nach Eurem Aufzug schätz’ ich Euch Für sarazen’sche Kaufleut’ aus Hispanien. Narr. Der Mann ist recht zurück in der Historie! Kritikus. O, o, – wo wären Sarazenen noch?! –
10
15
Ritter. Ach, alles Eins! – Nur ’raus mit Euerm Plunder! Narr. Faustrecht, dein Sitz ist in der rechten Faust! (er zieht Papiere hervor) Hier meine Rolle aus: Krieg den Philistern. Kritikus. Hier meine Rezensionen dieses Stücks. – Minnesänger. Und hier der schöne Musenalmanach von –
20
Ritter. Ach Schund! das gebt an Pfaffen ab, die haben Sonst nichts zu thun, verstehn sich auf Geschrieb’nes. Ritterfräulein (kommt auf einem Zelter mit dem Jagdspieß.)
25
He, Bruder, giebts da goldne Kettlein? Mir her!
128
Krieg d en P h i li stern ! Vi ertes A b e n t h e u e r.
Ritter. Gott grüß Dich Schwesterlein! Laß die nur ziehn; ’s ist armes Lumpenvolk, ’s lohnt keines Hiebes. (er streckt sich auf den Rasen hin.) 5
M i n n e s ä n g e r (zum Fräulein.) Holdseel’ges Fräulein, Deine schöne Augen Sind wie zwei Falken auf der grünen Haid, Die nehmen mir mein Herz im raschen Fluge – Ich will Dein Sänger sein, Du süße Maid!
10
Fräulein. Ein Sänger Du? Ei, ei! – weißt was? laß Dir Für mich, wie Lichtenstein, die Lefze schneiden, ’nen Zeh’ abhakken, oder sonst dergleichen. Und nächstens ist Turnier zu meinem Preis, Magst Du da Lanzen brav und Rippen brechen.
15
Minnesänger. Verzeiht! ich bin nicht stark – Fräulein. Ach, bist ein Narr! 20
25
K r i t i k u s (zum Ritter und Fräulein.) Ich kann nur staunen – welch’ ein grobes Thun! Kein Wort von Minne – keine Eleganz! Und fromm – fromm müßt Ihr sein, das ist durchaus In allen unsern neuern Ritterbüchern Streng vorgeschrieben – Ritter. Ach!, mir scheint, Ihr habt Zur Hölle, wie zum Himmel kein’ Courage. –
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
129
Kritikus. Und das Costüm nicht richtig – alles loddrig – Ritter. Ah, bah! laßt mich in Frieden! 5
10
15
Kritikus. Auch Ihr, Fräulein! Was soll der lange, unästhet’sche Spieß? Ein’n Falken auf die Hand, wie unsre Bertha! – Fräulein. Ihr seid langweil’ge Leute. Schütz’ euch Gott! (fortsprengend und singend) Es stürzt der Strom, es rauscht der Wald, Viel kühle, freie Bergesluft! Aus fernem Thal das Horn erschallt – Es ist der Liebste, der da ruft! (ab.) Minnesänger. Sie läßt uns stehn. Narr. Ein grobes Säculum.
20
Kritikus. Es ist zu arg! Gar keine Attention! Narr. Der Ritter da ist gar nun eingeschlafen. –
25
Kritikus. Laß’t uns verachtend geh’n! – Nun frisch zurück Bis zur teuton’schen Urzeit nun gedrängt!
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Krieg d en P h i li stern ! Vi ertes A b e n t h e u e r.
Narr. Mit Knie’n, Ellbogen stemm’ ich mich nach Kräften. Der Ritter und die Burg versinkt allmählig, Und immer höher, dichter wird der Wald. – 5
Minnesänger. Kaum faß’ ich mich! – es saus’t der Wald so eigen. Die Seele hebt sich rasch im kühner’m Schwunge, Und braust als Lied mit in den grünen Zweigen. (er singt) Natur! du wunderbare, ewig junge! Echo.
10
Junge! M i n n e s ä n g e r (singt.) Was soll ich thun? – kann’s sagen nicht, noch schweigen – Echo. 15
Schweigen! Minnesänger. Du roher Wiederhall, grob wie die Steine Worin Du wohnst!
20
25
Narr. Zank’ doch nicht mit der Luft! Sieh’ lieber nach dem Fels hin – ’s freut mich lange – Wie dort Bergmännlein seltsamlich kobolden, Dickbäuchig, bucklig und mit Spinnenbeinchen, Kopf über springend von der Felsenwand – Die muß ich näher seh’n!
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
5
10
131
Kritikus. Sey klug! ich seh’ nichts, Als Felsen, die bedenklich Mienen machen, – Da gähnt der ungeschliffne Stein, als wollt’ er Uns all’ verschlingen – der dort strekt ’ne Nase Wie spitz und lang! – ein kritisches Gesicht! – Nachteule. Uhu! uhu! Hab’ Augen wie Flammen, Mit den Flügeln zusammen Schlag’ ich dazu! Publikum. O, die Nachteule aus dem Freischützen! bravo, bravo! (Ungeheurer Applaus.)
15
Narr. Vergebens, liebes Publikum! erreichst Uns nicht mehr – (man hört sie immer ferner und ferner sprechen.)
20
25
Minnesänger. Wunderlich! wie sich’s verschlingt, Baum fest im Baum, da ist kein Ende – Narr. Sturmwind, Sing’ ornd’tlich, wie ein Mensch singt, oder laß’ es Ganz sein! – Das wild verworr’ne Lied macht mich Wahnsinnig noch – Kritikus. Platz, Steine! weiter – weiter – (sie verlieren sich im Sagenwalde.)
30
(Andere Gegend desselben Waldes. Man hört zwei Stimmen von verschiedenen Seiten einander zurufen.)
132
Krieg d en P h i li stern ! Vi ertes A b e n t h e u e r.
P a s t i n a k (tritt rasch auf.) Von dorther kam die Stimme. – hup, hup! – Ach Gott,! ich hab’ mich verirrt, ich hab’ mich verirrt! (er schreit aus Leibeskräften) hup, hup! 5
10
15
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25
B o t e (kommt von der andern Seite.) Seh’ ich recht? Herr v. Pastinak! ich fliege in Ihre Arme! Pastinak. O Wonne des Wiedersehens! – Aber können Sie mir verzeihen, edler Mensch? Ich habe Sie verkannt, sehr verkannt! – Wer weiß, ob wir die lieben Unsrigen noch jemals wiedersehen. – Kein Wegweiser rings umher – die Nacht – Räuber, Wölfe. – O versöhnen wir uns, so lange es noch Zeit ist. Ja, lassen Sie es uns eingestehen. Die verblümten Redensarten des poetischen Emißairs, dann der verdammte feurige Nektar, er hat uns beide aus unserm gewohnten Anstand herausgesezt, der Kopf ging mir gänzlich um und um. – Aber die Noth lehrt beten. – Gottlob, ich fühle mich jetzt wieder vollkommen nüchtern und vernünftig, ich habe mich selbst wiedergefunden. Bote. Auch ich, mein Werthester, bin gänzlich von der Poesie zurückgekommen, wir haben gesehen, wohin sie zuletzt führt. – Aber einen fatalen Katzenjammer habe ich noch. Pastinak. Laßen Sie uns jetzt nur mit vereinten Kräften trachten, aus diesem abscheulichen Walde herauszukommen, wir können uns dann wohl bei einem Apotheker ein wenig restauriren. Und dann wollen wir uns unverzüglich an den Poetischen rächen, und unsre liebe gute Vaterstadt von ihnen befreien.
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
133
Bote. Ja, das wollen wir! Ach, ich habe ein rechtes Heimweh nach unsern lieben Mauern! 5
Pastinak. Wieder einmal auf der Börse Zeitungen lesen und eine vernünftige Pfeif’ Tabak rauchen. – Bote. Oder bei der hübschen Kaffeesiederinn an der Ecke – Sie wissen ja wohl.
10
15
20
Pastinak. Was sollt’ ich nicht! Ja, ja, Sie waren immer so ein loser Vogel. – Aber hören Sie, Liebster, mir fällt’s eben ein: was doch eine erhitzte, ungeregelte Phantasie – kam mirs doch vorhin, als ich mich noch in dem verzükten Zustande befand, manchmal wirklich vor, als lachte es über mir in den Wipfeln, oder schnarchte unter mir im Erdboden – jetzt muß man über so etwas lächeln. Bote. Mir ging es nicht besser, ha, ha, ha! – Doch still, ich höre Stimmen von ferne. Pastinak. Ich dächte, wir verbergen uns und warten ab, wer da kommt. Weit vom Schuß – Sie verstehn –
25
Bote. O ja. – Ich bitte. – (Sie komplimentiren, wer von ihnen voran hinter den Strauch gehen soll, hinter den sich endlich beide verstecken.)
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Krieg d en P h i li stern ! Vi ertes A b e n t h e u e r. (Narr,
5
10
15
Minnesänger und Kritikus kommen.)
Narr. Ho, ho, wie sich die Klüfte da formiren! Wie ’ne wunderbare, umgestürtzte Burg Ist hier die wilde Gegend rings umher. Seht nur im Felsen da die Fensterbogen, Die alten Pfeiler dort, – das ist ein Saal! Wo Eichen kühn gestreckt als Arabesken, Der ew’ge Himmel drüber als Gewölbe. – M i n n e s ä n g e r (stolpert.) Das Herz bleibt jung, die Füße werden alt. O seh’t, ’s war so’ne weitgestreckte Wurzel – Narr. Was Wurzel! ’s ist ein ungeheures Bein, Das unterm Moos hervorlangt, überwachsen Von Gras und wild verflochtenem Gesträuche. – Kritikus (plötzlich die Philister erblickend und auf sie losgehend.)
20
Ha, hab’ ich Euch! ’raus aus der Weltgeschichte! Wer nicht das Leben faßt, hat auch kein Recht d’rauf. B o t e (heimlich zum Pastinak.) Sie haben Waffen bei sich, retten Sie uns!
25
P a s t i n a k (auch leise.) Wo denken Sie hin? Zwei gegen Drei! – (er fällt auf die Knie, laut) Sehen Sie, meine Herren, hier einen armen, würdigen Greis, der um Gnade fleht, und um Ehrfurcht vor seinem Silberhaar. Kritikus. Ein schöner Kniff! Du bist ja nur gepudert. –
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
135
Bote. Ja, wir bitten um Gnade. Ihr großer Schiller sagt ja selbst: Auch die Todten sollen leben! 5
Kritikus. Ach, das war nur so ’ne manière de parler. – Hab’ ich Euch in Journalen nicht, Museen, Und andern Blättern, tausendmal erschlagen? Und immer wieder schieß’t Ihr schwammig nach, Wie fette Warzen auf dem luft’gen Grün.
10
Narr. Sei ruhig Kritikus! Ich bin nur froh, Daß wir sie eingeholt. Nun fort, rasch fort In’s Stück zurück, eh’ noch das Publikum Gewahr wird, daß wir hier extemporiren!
15
D i e P h i l i s t e r (mit den Füßen zerrend.) Ich weiß nicht – wo wir hier hingerathen sind. – Wir haben uns mit den Füßen ganz verwickelt – wir können gar nicht heraus – verteufelte Vegetation! –
20
Narr. Ein wunderlich Geflecht! Doch seh’ ich recht! – Das ist ein schlechtgehalt’ner, strupp’ger Bart! Die Philister (sich mit Gewalt losreißend, und zu den Poetischen herüber springend.)
Hu, und zwei große entsetzliche Augen dort im Grase! 25
Narr. Bei Gott! da ist auch das Gesicht zum Barte! – Der Riese Gobianus (hebt sich, zwischen Steinen und Schutt, mit großem Gekrach die über ihn fortgewachsenen Äste zerbrechend, mit halbem Leibe empor und gähnt.)
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Krieg d en P h i li stern ! Vi ertes A b e n t h e u e r.
Kritikus. Wie! ’s giebt doch Riesen noch? –
5
Narr. Das ist ein Rachen! – Da kann man ’reinschau’n tief bis in den Schlund, Wie d’rin die Zunge breit behaglich liegt! – Minnesänger. Mir graut ein wenig –
10
15
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Narr. Wenn d e r nach uns schnappt, Der schlingt uns wahrlich, ohne blau zu werden, Mit Haut und mit Schmierstiefeln all’ hinunter! G r o b i a n u s (sich die Augen auswischend.) Wo bin ich? Welch’ Gesumse und Getrappel War das um meinen Bart? – Ei, da ihr Zwerglein! Wo kommt ihr her, bringt ihr mir einen Gruß Aus Teutoburg? – wohl gar von Chriemhilden? – Kritikus. Besinnt Euch nur! Chriemhilden giebt’s nicht mehr, Noch Teutoburg – verwandelt ist seitdem Die Erde rings. – Ihr habt wohl lang’ geschlafen? Grobianus (nachdem er sich nach allen Seiten umgesehn.)
25
Verfluchte Bärenhaut! Sie war so weich Und frisch mit Öl geschmiert – da hab’ ich alles Verschlafen drauf! Kritikus. Das sinn’ge Mittelalter –
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
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Grobianus. Auch die Gesellen mein seh’ ich nicht mehr, Das war’n so starke Kerls. Minnesänger. 5
Den Minnesang – Grobianus. Und oh! mein Methhorn ist auch fort! Pastinak.
10
Aufklärung Und Toleranz – Grobianus. Dort stand das Faß – oh, oh! (er flennt.)
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Narr. Dein Schmerz ist ganz gerecht, – doch heul’ nicht so, Machst gar zu’n flämisches Gesicht dazu! P a s t i n a k (leise zum Boten.) Ich glaube zwar nicht an Riesen, da es aber einmal nicht anders ist, so wollen wir hier die gute Gelegenheit benützen. Der Mann scheint gewißermaßen dumm, es ist mit ihm etwas anzufangen. (laut zum Grobianus) Großmächtigster! Es ist sattsam bekannt, wie es von jeher das unabläßige ritterliche und höchst preiswürdige Bemühen der Herren Riesen gewesen ist, der unterdrückten Unschuld, wo sich solche blicken ließ, menschenfreundlich beizuspringen – Grobianus. Wer sagt’ Dir das? – das wüßt’ ich eben nicht! –
138
Krieg d en P h i li stern ! Vi ertes A b e n t h e u e r.
Pastinak. O ich bitte – Bescheidenheit! zu große Bescheidenheit! G r o b i a n u s (lacht unmäßig.) Du närr’scher Kerl! Du bist ein Lustigmacher. 5
10
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P a s t i n a k (sich verneigend.) Gnädiger Scherz, den ich mit gebührender Hochachtung zu schätzen weiß – Grobianus. Mach’ noch ’nen Bückling! nochmal – so – so – so – Hör’, Du gefällst mir, kannst um mein’ Person Hier bleiben; wenn ich eben gut gelaunt, Magst Du im Bart mir krau’n und schwadroniren. P a s t i n a k (zwingt sich zum lachen.) O, ein schlagender Einfall! Allerliebst! äußerst witzig! Aber erlauben Sie jetzt – um auf meine vorige Unschuld zurück zu kommen – wir (auf den Boten deutend) wir beide hier melden uns eben als eine solche arme, von den Poetischen belagerte und verfolgte Unschuld. Wir begeben uns mit kindlichem Vertrauen unter Dero hohen Schutz, ja wir flüchten an Ihr, gewiß eben so bied’res, als großes Herz, und flehen um geneigten Beistand für unsre Stadt gegen das Belagrungscorps der Poetischen. Grobianus. Was denn? Wie? wo? – Giebt’s was zu raufen da?
25
Kritikus. Vergönn’, daß ich des Falschen Rede kreutze, Die, Schlangen gleich, Dein treues Herz umflicht.
Krieg den P h i li stern ! Vi ertes A b en th eu e r.
Narr. Der Stamm, dem jene Feigen angehören, Ist ewig dürr, wie der im Evange – 5
Kritikus. Ach, Narr! davon weiß ja der Heide nichts. Minnesänger. Bei Saitenklang wird ihn’n die Zeit zu lang. Narr. Sie singen nur – und schlecht – wenn sie betrunken.
10
Grobianus. Nun, nun, das pfleg’ ich selbst wohl so zu halten. – Doch das ist nun ein schwer verworr’ner Fall! Ich weiß nicht, wer da Recht hat und wer Unrecht, Was ich da thun soll –. Rathet! – ich weiß gar nichts.
15
Kritikus. Wenn die mich nur zu Worte kommen ließen! – Ja sieh, der Waldgeist altgerman’schen Volksthums Er rauscht noch fort in u n s e r n treuen Herzen, In uns lebt noch die Sehnsucht und das Heimweh, Nach altteuton’scher Urzeit – Mannheit – Freiheit! – Du bist so stark in jener Zeit bewandert – Komm mit, und laß’ vereint uns alle Gauen Teutonisiren! –
20
Grobianus 25
(sich rasch erhebend.)
Ja, hast Recht! ich geh’; Ja, alles wieder auf teuton’schen Fuß!
139
140
5
Krieg d en P h i li stern ! Vi ertes A b e n t h e u e r.
Narr. O, Pein! o Noth! o unverhoffte Wendung! Verzweifeln wird der Autor ohn’ Bedenken, Wenn wir ihm gar noch diesen Tölpel bringen. Der Kerl ist schwer – er fällt ganz sicher durch, Reißt uns all’ mit im ungeheuern Durchfall. O Gott, ich seh’ kein End’! Es nimmt am Ende, Die Konfusion da bis zum End’ kein Ende! (alle ab.)
Krie g de n P h i li stern ! F ü n f tes A b en th eue r.
F ü n f t e s A b e n t h e u e r.
141
142
Krie g d en P h i li stern ! F ü n f tes A be n t h e u e r.
Hier gehen die Ideen aus, Es platzt ein Thurm, und das Stück ist aus.
Krie g de n P h i li stern ! F ü n f tes A b en th eue r.
143
(Lager der Poetischen, welche zwischen den Zelten zerstreut umher liegen. Hin und wieder flakkern noch einige Wachtfeuer verlöschend auf. Man hört überall von Zeit zu Zeit gähnen.)
5
10
Erster Soldat. Woran nur liegt es, daß das Stück nicht rückt? Zweiter Soldat. Das will ich Dir vertrau’n. Der Bot’ ist fort, Den Boten jagt der Pastinak, der Narr Der jagt den Pastinak – den Narren jagt Der Pastinak – Nein, nein – wie ist das doch? – Den Autor jagt der – Auch nicht! – (er schlummert ein.)
15
E r s t e r S o l d a t (gähnend.) Ja, so geht’s – Hier sitz’ ich nun – das dient mir nicht, ich bin Vollblütig, esse gut – da werd’ ich dick – Ja dick – und ’s giebt auch gar nichts Neues mehr – (schläft gleichfalls.)
Dritter Soldat 20
(schreit halbschlafend auf.)
Frisch auf, Kameraden, auf’s Pferd auf’s Pferd! – Vi e r t e r S o l d a t (sich auf die andere Seite wendend.)
Ein abgenutztes Lied. He, n e u e Lieder! 25
D r i t t e r S o l d a t (wie oben.) In’s Feld, in die Freiheit gezogen! Fünfter Soldat. Was schreist Du denn so mörd’risch wie ein Trunkner?
144
5
Krie g d en P h i li stern ! F ü n f tes A be n t h e u e r.
Dritter Soldat. Wie ’n halbertrunkner, der noch einmal auftaucht. Im Meer der großen Zeit treib’ ich auf Trümmern Gestrandeter Systeme und Gedanken, Ich patsche desperat dahin, dorthin – Umsonst, ’s hält nichts! – Ganz windstill ist ’s – ich sinke – (er schlummert ein.)
10
Fünfter Soldat. Wenn mir nur die Begeist’rung nicht entwischte! Ich klemm’ die Zähn’ zusammen, denk’ an Brutus Und an die eignen wunderbaren Thaten. – Hilft gar nichts mehr: kneip’ ich mich in die Waden. F e l d a r z t (kommt.) Wie geht es, Landmann? Ihr seht etwas matt.
15
Fünfter Soldat. Ach miserabel, Doktor, miserabel! Es geht und geht die Zeit – und geht nicht fort. Arzt. Das ist die Langeweile. – Fünfter Soldat.
20
Ohne Zweifel.
25
Arzt. Seht, das kommt daher, Freund, wenn die Gedanken Zu kurz sind, und die Zeit sehr lang. Versteht Ihr? Das letzt’ ist scheinbar nur – Fünfter Soldat. Ganz recht, ganz recht – (schläft ein.)
Krie g de n P h i li stern ! F ü n f tes A b en th eue r.
5
145
A r z t (sich setzend.) Wie still! Es steht der Puls der Poesie. – Und durch die Schwüle zieht’s wie zwischen Leichen Stumm, langsam, unsichtbar – nur heimlich rauschen Hört man’s mit weiten schleppenden Gewändern. Wer ’s ist und was es birgt in seinen Falten – Wer weiß es?! – Auch kein Mittagslüftchen rührt sich, Nur die Gewänder rauschen – schauerlich –. (er schlummert ein.) (Im Parterre.)
10
Ein Zuschauer. Das ist scharmant, nun schläft das Stück gar ein! E i n a n d e r e r (gähnend.) Das steckt an. Ich weiß nicht mehr, ob ich wache oder träume. 15
Ein Dritter. Dort schnarchen schon Einige. Ich glaube wahrhaftig, der Autor hat sich gänzlich verfahren, weiß weder aus noch ein mehr, und will uns nun einschläfern, um über den Schluß hinwegzukommen.
20
Vi e r t e r. Das wäre maliziös. Laßen Sie uns auf der Hut sein! Da nehmen Sie eine Prise, das hält wach.
25
Fünfter. Ja, wir beharren durchaus auf einen vernünftigen Schluß, wir halten aus. Wir wollen doch sehen, wer langweiliger ist, der Autor oder wir? (man hört überall niesen, gähnen, scharren und pochen.)
146
Krie g d en P h i li stern ! F ü n f tes A be n t h e u e r.
(Freies Feld.
5
10
15
Regent kömmt rasch zu Pferde, den Falken auf der Faust.)
Regent. Gedanken neue! einen einz’gen nur! Schmachvolle, grause, ungeheu’re Noth! Feld, Wald durchflieg’ ich schäumend auf dem Roß, Meer, Himmel, mit dem Blick – mir fällt nichts ein! Vergriffen, abgenutzt sind die Gedanken, Die alles trieben, schnurrend stockt das Werk, Es steht die Zeit auf einmal furchtbar still, Rings an der eigenen Langweiligkeit Verstirbt das Volk – und mir fällt doch nichts ein! Weh, weh! bin ich verhext denn? überreich sonst Kehrt’ ich stets heim von der Gedankenjagd! Falk, Falk, mein Falk, schwing’ Dich noch einmal auf, Nur diesmal noch aus tiefster Herzensangst! Hurrah, frisch fort! – Mein Pferd für ’ne Idee! (er sprengt weiter.) (Marktplatz in der Philisterstadt. Volk und welche der Bote ordnet.)
20
Truppen,
Eine Frau. Ist denn Dein Mann auch mit dabei?
25
Eine andere. Ach Gott ja, der arme Schlucker! er hat nicht einmal ordentlich frühstücken können, da trag’ ich ihm eben die Kaffeekanne unter der Schürze nach.
30
Erste. Der Meinige sagte: Lebewohl, Evchen! ich möchte gern bei Dir zu Hause bleiben, aber das Vaterland ist in Gefahr, das Vaterland ruft! und wenn ich wo desertiren kann, so schreib’ ich Dir, da komm’ bald nach.
Krie g de n P h i li stern ! F ü n f tes A b en th eue r.
147
Die andere. Dein Mann ist ein Schneider, der kommt überall durch.
5
Erste. Freilich, er hat seine gute Nahrung, er hat’s eben nicht nöthig, patriotisch zu sein. Aber Du weißt, unser Korporal versteht keinen Spaß. Die andere. Hör’, das wär’ doch kurios, wenn wir nun poetische Einquartirung bekämen.
10
15
20
25
Erste. Nun man kann nicht wißen. Ich möcht’ gern einmal einen Poeten in der Nähe sehen. Sie haben hübschere Montirungen als unsre Leute. Ein Bürger. Da kommt der Herr von Pastinak mit dem Herrn Bürgermeister! Was es nur geben mag? es wird alles ganz geheim gehalten. Zweiter Bürger. Heut Nacht traf der Herr v. Pastinak in aller Eile hier ein. Er ist, wie man sagt, von einer geheimen Sendung zurückgekommen, und hat sehr wichtige Depeschen mitgebracht. Aber es bleibt unter uns. – Erster Bürger. Versteht sich – Sieh’ nur, man sieht es so einem Staatsmann doch gleich an, das Geheimnißvolle – so ein gewisses etwas – Die Nase hängt ihm fast bis auf die Unterlippe herab, das kommt vom vielen Nachdenken. Und wie er nach allen Seiten herablaßend grüßt – ein wahrer Patriot.
148
Krie g d en P h i li stern ! F ü n f tes A be n t h e u e r. (Bürgermeister und Pastinak kommen im Gespräch.)
5
Pastinak. Wie ich Ihnen sage, jetzt ist es Zeit einen Ausfall zu wagen. Das ganze poetische Heer schläft, ich habe es im Vorbeigehen selbst gesehen. Bürgermeister. Aber sagen Sie mir nur, wie konnten Sie dem Riesen entrinnen? Ein Riese hat doch, so zu sagen, lange Beine.
10
15
Pastinak. Kleinigkeit, lieber Herr Bürgermeister, Kleinigkeit! man muß sich zu helfen wissen. Seh’n Sie, der Riese ist ein Mensch ohne alle Erfahrung und Konduite. Vor jedem Wirthshause steht er still und verwundert sich. Besonders das Flaschenbier schmeckt ihm außerordentlich. Da trinkt er sich voll, dann schläft er wieder ein paar Stunden, so bin ich entkommen. – Und nun Bürgermeisterchen, was sagen Sie zu meinem Einfall mit dem Ausfall? Aber Eile, nur Eile, ehe der Riese bei den Poetischen zum Sukkurs anlangt! (sie gehen weiter, um die Truppen zu mustern.)
20
25
Erster Soldat. Das dauert heute verdammt lange. Hätt’ ich das vorausgewußt, ich hätte noch ruhig meine dritte Tasse Kaffee ausgetunkt. Zweiter Soldat. Wißt Ihr’s nicht, weshalb sind wir denn hier? Warum und gegen wen geht es denn nun eigentlich los? Dritter Soldat. Was geht das uns an? Ein in der Vaterlandsliebe grau gewordener Patriot, wie ich, fragt den Teufel darnach!
Krie g de n P h i li stern ! F ü n f tes A b en th eue r.
149
Zweiter Soldat. Aber man muß doch wissen –
5
Offizier. Was! Du willst noch raisonniren? (man hört von fern Vivat rufen.) Wem wird denn da das Vivat gebracht? Nun, ’s ist gleichviel. (zu den Soldaten) Gebt Acht: Vivat hoch! Einige Soldaten. Wem zu Ehren soll es denn sein?
10
Offizier. Fangt ihr schon wieder an zu grübeln? Ihr verfluchten Kerls! keiner paßt auf. Wollt ihr wohl schreien! Nach Kommando: Eins! D i e Tr u p p e n . Vivat hoch! Offizier.
15
Zwei! Tr u p p e n . Abermals hoch! Offizier. 20
Drei! Tr u p p e n . Und nochmals hoch! Offizier. Das Maul in Ruh!
150
5
Krie g d en P h i li stern ! F ü n f tes A be n t h e u e r.
B ü r g e r m e i s t e r (sich nähernd.) Ich gestehe, ich bin gerührt. Ich danke Euch für diese ungeheuchelten Ausdrücke Eurer Treue, die übrigens, wie sich von selbst versteht, Eure verfluchte Schuldigkeit ist. Doch nun zur Hauptsache! Allons, Parademarsch! Erster Bürger. Illuminationen, Vivatrufen, militairische Evolutionen – das ist schon meine größte Freude!
10
Zweiter Bürger. Und die gewichsten Schnurrbärte! das ist, als hingen sie bei den Nasen alle an Einer Schnur. Dritter Bürger. Da sollen einmal die Poeten herankommen, wenn sie Lust haben!
15
20
Bürgermeister. Es geht doch nichts über den Patriotismus, wenn er gut einexerzirt ist! O noch einmal den Parademarsch, dann wieder und noch einmal! (während die Truppen, unaufhörlich im Kreise wiederkehrend, vorbei defiliren.)
Offizier. Balance! Distance! Den Bauch an den Rückgrad! Die Augen besser aus dem Kopfe geworfen! Es ist kein Gleichfuß im Bataillon! 25
Bürger. Prächtig, prächtig, man kann sich nicht satt sehn! Bürgermeister. So recht! – Ein und zwanzig, zwei und zwanzig! –
Krie g de n P h i li stern ! F ü n f tes A b en th eue r.
151
Vo l k . Vivat hoch! – etc. etc. in infinitum. –
5
10
15
(Freies Feld zwischen dem Lager der Poetischen und der Philister-Stadt. Über die Mauern der letzteren sehen zuweilen bewaffnete Philister herüber, und ducken schnell wieder unter. Vom Lager der Poetischen her hört man ein verworrnes Getöse. Regent, sein Meßtischchen in der einen, Zirkel und Fernrohr in der andern Hand, tritt eilig auf.)
Regent. Wo rett’ ich mich vor dem verworrnen Toben, Das wachsend mich verfolgt? herauf beschworen Ist nun der Riesengeist altteutscher Kraft Und geht strengwaltend durch des Lagers Reihen. Das Volk erkennt den Urahn und sich selbst Und bricht erschrocken die schmachvolle Stille. Rumore, weck’ nur! – ich organisire. – Wie ’s rings sich streckt und reckt und zischend gährt! So wollt’ ich’s längst! – Sei noch so klein der Wicht: Doch an dem Riesen will sich jeder messen! (er stellt sein Tischchen auf.)
20
Hier ist ein ruhig Plätzchen zum Regieren. Das edle Roß steht bäumend auf den Heßen, Jetzt gilt’s! laß’ es den klugen Reiter spüren! (er mißt und zirkelt.)
Bürgermeister 25
(innerhalb der Ringmauern der Philisterstadt.)
30
Meine geehrten Herren Kollegen und getreue Bürgerschaft! Helft nun mit gemeinen Kräften, stemmt euch alle von hinten an die Truppen, Rücken gegen Rücken! wir müssen die Kerls mit Gewalt herausdrücken, sonst wird aus den ganzen Ausfall nichts. C h o r d e r B ü r g e r u n d Tr u p p e n . Vorwärts – rückwärts – wogt’s im Schwunge, Wohin neigt der Wage Zunge?
152
Krie g d en P h i li stern ! F ü n f tes A be n t h e u e r.
Bürgermeister. Meine Herren Kollegen, sein Sie nur vorsichtig, moderiren Sie sich ein wenig, sonst fliegen wir, wenn das Thor plötzlich aufgehen sollte, alle selbst mit zu Felde hinaus. 5
10
Die Herren Kollegen. Lassen Sie uns nur, wir sind einmal in der Wuth, dem Staate nützlich zu sein. (sie nehmen einen neuen Anlauf.) Chor. Halt’t euch vorn! – Jetzt stemmt euch all’! Weh, das Thor kracht! welch ein Knall! (sie kommen plötzlich alle übereinander zum Thore herausgefallen.)
15
20
Regent. Ein Ausfall dort? und welche Vehemenz! – Ah bah! es kann nicht sein! das weiß ich besser. Wart’, ich krieg’ es gleich heraus! Das, was nicht sein kann, ist nicht. – Diesen Satz schick’ ich voraus. Nun ist’s klar: das sind Philister, Denn sie stürzten dort hinaus. Weiter: feige sind Philister, Doch nur Tapf’re fallen aus – Folglich – Chor der poetischen Soldaten (von der Seite des Lagers her.)
25
Strek’ aus, strek’ blutroth aus Dich, teutsche Zunge. Wie’ne weit hinweh’nde Fahne über Alt und Junge! Ha, wie über kühngeschwungene Knüppelbrücken – Und gieng’ die Zung’ auch drüber in Stücken – Stürzt sich kraftwiehernd des teutschen Manns Entzücken!
Krie g de n P h i li stern ! F ü n f tes A b en th eue r.
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Regent. Stets näher wälzt und näher sich das Tosen Entsetzlich her vom auferstand’nen Lager! Wie rett’ ich meinen Kompas in der Brandung? – 5
(Die Poetischen dringen einzeln von allen Seiten auf das Feld hervor.)
Privatisirender Gelehrter (zu Delitio.)
Was zieh’st so abentheuerlich einher? Delitio 10
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(mit Krone und langem Purpurmantel.)
Ich lächelt’ wohl, müßt’ ich Dich nicht bedauern! – Du ahnst nicht, was dem Sitt’gen hoch beschieden. Sieh, den Karfunkel schaut’ ich in der Kluft, Sein Licht erlös’ ich aus der alten Gruft. Metallfürst bin ich, leuchtend auserkohren – Sprich nicht dagegen erst, ’s ist rein verloren! – Den Stab hier brech ich aus Hollunder-Hecken, Als Thyrsus unverblüht der schlanke Stecken, Und wie ich trunken hoch den Thyrsus schwinge, Wird er zum Kreuz und zieht geweihte Ringe. – Gelehrter. Du sprichst verwirrt! – Doch das wirst Du nie läugnen, Daß in dem Centro das endlose Werden, Das seine Radien ausstreckt nach dem Zirkel, Die wieder sich als bloßes Seyn ausmunden. – Und beugt einmal das Werden diese Radien, Gleichwie Polypenarm’, rückwärts zum Mund, So frißt das Sein des Werdens großer Schlund – Denn Seyn möcht’ ewig seyn, doch’s rasche Werden Jagt’s, rastlos nach ihm schnappend, um die Erden – Ich greife göttlich in des Zirkels Speichen, Und sollt’ das Werden je das Seyn erreichen –
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Krie g d en P h i li stern ! F ü n f tes A be n t h e u e r.
Delitio. Bemüh’ Dich nicht, denn ich versteh’ Dich nicht.
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Starker Mann. Und ich Euch beide nicht, denn ’s ist doch klar: Vor allem müssen auf uns selbst wir kühn uns setzen Und ohne weit’res frischweg ’s Teutschthum treiben Auf eigne Hand aus purer Wissenschaft; Wer anders denkt, dem fehlt des Denkens Kraft. Gelehrter.
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Ich weiß nicht recht – Starker Mann. Und ich begreife nicht – Gelehrter. So hör’ doch nur! wenn potenzirt das Werden –
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Starker Mann. Ihr denkt, ihr sprecht, und ihr versteht kein Teutsch! Delitio. Welch’ Konfusion, man kann sich nicht verständ’gen –
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Mehrere Deutschthümler. He, aufgeschaut! Wir sind’s – und Platz gemacht! Wir gehn hübsch breit und treten gar nicht sacht. Regent. Weh des Lärmens, weh der Irrung! Babylon’sche Sprachverwirrung! Jeder möcht’ für sich stolz wandern, Keiner mehr versteht den andern. (er blättert eifrig in seinen Papieren.)
Eins und Drei und Eins – ist Vier –
Krie g de n P h i li stern ! F ü n f tes A b en th eue r.
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Helfen soll ich, wer hilft mir? Sturmwind wühlt in allen Blättern, Weh, ich kann die Zauberlettern, Die die Geister wieder binden, In der Todesangst nicht finden! E i n S o l d a t (zum andern.) Was rennst Du denn so athemlos?
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Zweiter Soldat. Mein Stichwort Hab’ ich vergessen. Erster Soldat. Und ich auch das meine.
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Mehrere Soldaten. Wir auch, wir auch! nun klappt nichts mehr zusammen. Hurrah, nun geht’s frisch weiter aus dem Stegreif! (sie laufen weiter.)
Die Marketenderin Hegäsa. So hab’ ich’s gern, und schrei’ vor Lust zum bersten!
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Delitio. Welch gellendes Gekreisch, welch’ roh Gedränge! Die Kron’ sitzt schief, den Mantel fast verlier’ ich. Kritikus
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Zu
(sich mit einer großen Scheere durchdrängend, schneidet dem Delitio eine Ecke des Mantels ab.) schleppend ist Dein Kleid – (zu einem Soldaten) Dein
Kinn zu spitz! –
Heut geht es frisch! die Blöden bell’ ich an, Und nach den Kecken schnapp’ ich – (zu Hegäsa) Tolles Weib! Hör’ auf! Du singst um ’n halben Ton zu hoch.
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Krie g d en P h i li stern ! F ü n f tes A be n t h e u e r.
Hegäsa. Wie! die Begeist’rung woll’t Ihr mir verbieten? Und grad’ zum Trotz Euch schrei’ ich, Zeter, Zeter! 5
Mehrere Soldaten. Ist der noch da? Der hat uns lang’ geschoren. Wir sind nun mündig – packt ihn bei den Ohren! Kritikus (indem er fortgerissen wird.)
Freu’, Autor, Dich! Die Kritik ist verloren! – 10
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Regent. Nun auf Leben gilt’s und Tod! Grobianus, Ungeheuer! In der Grabesstille Noth Rief’ ich Dich, das Geistes-Feuer Mannlich wieder anzufachen. Und nun aus dem Höllenrachen Bläs’st Du rasend immer fort, Funken, Asche, Geist und Wort Wilde durch einander fegend –. Im tollen Kräusel sich regend, Rennt krachend Kopf an Kopf, Sich selbst beim Schopf Faßt jeder kühn, aus sich selber heraus Sich schleudernd über die Schranken, In’s Nichts hinaus! – Umsonst blitz’ ich Gedanken auf Gedanken In des Wahnsinns Gebraus! – Stimmen von fern. Fangt auf, fangt auf! dem Recken Rottenmeister Ist’s Roß scheu worden vor des Riesen Gruß!
Krie g de n P h i li stern ! F ü n f tes A b en th eue r.
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Regent. Ruhig, Wirbelwind der Geister! – Taub ist dieses wüth’ge Meer. Weh, der tolle Rottenmeister Sprengt entsetzlich grad’ hierher! Theuderich (der Rottenmeister, zu Pferd, rennt die Menge über den Haufen, die übrigen vor sich her drängend.)
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Im Sturme flattern Schärpe, Busch und Zügel, Der Helm erquetscht mich – ich verlier’ die Bügel! R e g e n t (wird fort gedrängt.) Steht! – Volksthum – Koppelwirthschaft – Intelligenz – Teutschland, – verdammt! Dein größter Sohn geht unter!
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(er wird, sammt dem Meßtischchen, vom Strom der Menge umgerissen. Der Haufen, vom Rottenmeister unaufhaltsam gedrängt, wirft sich verworren auf die am Thor aufgestellten Philister. Schlachtgetümmel, Janitscharen-Musik, die Philisterstadt brennt. Grobianus tritt plötzlich mit fliegenden Haaren, verstörtem Gesicht und bloßem Schwerte auf. Der Verfasser und Narr folgen ihm eilig.)
Grobianus. Hui! wie das auszieht, Wo es mein Schwerdt sieht! Ve r f a s s e r. Um Gotteswillen halt! was hast Du vor? Ein Lustspiel ist’s ja! – höchstens leichte Rührung – Und nun unmotivirt stürz’st Du hervor Zornbleich mit allen tragischen Effekten, Den Schwank verwildernd mir zum Trauerspiel! Narr. Hör’ mein’ Raison an, sei nicht ungezogen!
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G r o b i a n u s (auf das Schlachtgetümmel deutend.) Doch besser, als so schmählich ausgezogen! Was neckt und weckt ihr mich – und kennt mich nicht? Einrichten soll ich euch auf alten Fuß, Und hab’t nun keinen Rumpf für solchen Fuß! Wie Kinder, möchtet ihr gern Geister sehn, Und Wahnsinn faßt euch nun, da ihr mich schaut, – Sucht euch ’nen Bildner mit ’ner andern Faust! Wo ich hinpack’, da weicht es mir wie Brei, Dringt in die Luft aus allen Fugen frei, Und bläht und bläst sich auf in lauter Narrethei – Wird euch die Haut zu eng’ – mög’t ihr draus fahren! Ich helf’ euch aus den Balg wohl bei den Haaren! Narr. Hast Recht! nicht jedem Korn frommt jeder Flegel. Du bist uns ein zu derber Pädagog, Doch, was giebts da für Noth? Find’st Du’s bei uns Auch eben noch nicht sonderlich teutonisch – Mein Gott, so sei kein Narr – und nimm’s ironisch! Ve r f a s s e r. Ja, wenn er das erst könnt’! – Mich ärgert nur Das ganz verfluchte malitiöse Lächeln, Als wären meine Helden eben nichts – Der schadenfrohe Zug um’s breite Maul! Ei seht doch! Was bild’st Du Dir ein? bist ja So’n Hirngespinst nur – ’ne Allegorie – Und obendrein noch eine ungeschickte. Grobianus (unverwandt in das Schlachtgewühl schauend.)
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Hetzoh, nur besser drauf! so, da setzt’s Püffe! Nichts geht doch über recht rechtschaffne Prügel!
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Narr. Ich bitt’, mach’ kein’n Exceß! –
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Ve r f a s s e r. O, laß’ ihn sehen! Ich bin ganz matt von heimlicher Verzweiflung. N a r r (leise.) Nicht doch! das Publikum laß’ uns gewinnen! (laut zum Riesen)
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Ich sag’s, mach’ kein’n Exceß! besinn’ Dich nur: Da sitzen ringsum in die Läng’ und Breite Geehrte, wohlgezog’ne Herrn und Leute – Publikum. Bravo!
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Narr. Die heischen Lebensart, Humanität – Willst doch nicht gar noch den Philistern helfen? Grobianus. Ach, das ist einerlei! viel Wahl macht Qual, (auf die Philister und Poetischen deutend)
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Die da sind dumm, die andern gar fatal, Vertilgen will ich die und jene Brut, Fort! ich gerath’ in die Berserkerwuth! (er stürzt sich in das Schlachtgewimmel.)
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Publikum. Gott sei Dank, daß er sich nicht zu uns gewendet hat, man konnte gar nicht wissen, – das hätte übel ablaufen können! Ve r f a s s e r. Da rast er, um sich mähend, hin wie Sturm. Weh, er dringt grade nach dem Pulverthurm! –
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Narr. Laß’ doch! was wünsch’st Du mehr? – ’ne große Trumm, Ein Pulverthurm der platzt – im Schlachtgewimmel, – Fünf schwere Akte samt dem Publikum Sprengt so ein Thurm bis in den dritten Himmel! (beide ab.)
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(D e r R i e s e G r o b i a n u s haut Philister und Poetische ohne Unterschied nieder, und streift mit dem Schwerte die Eisenthür des Pulverthurms. Es giebt Funken, der Thurm fliegt mit ungeheurem Gekrach in die Luft und begräbt die Stadt, den Riesen und beide Heere unter seinen Trümmern.) (Stimmen im Parterre.)
Baß. Göttlich, göttlich! welch’ ein tragischer Effekt! 15
Sopran. Ich habe zwar von dem ganzen Stücke nichts verstanden, aber diese letzte erschütternde Scene hat mich völlig wieder ausgesöhnt. So ein unverhoffter Knall erhebt uns über uns selbst.
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Fistel. Ich halte mich nur an die Sticheleien und feinen Anspielungen. Haben Sie bemerkt? Der Burgermeister, – unser Präsident, wie er leibt und lebt! –
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Alt. Was sagen Sie aber zu dem Riesen, dem vergeltenden Fatum? Wie fein hat der Autor das gewaltige Schicksal in die Tragödie hereingebracht! –
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Baß. Man bringt es doch immer weiter mit dem Trauerspiel! Sonst war man froh, wenn Einer vergiftet oder hinter der Gardine geköpft wurde. Hier sind leicht an die Tausend Mann auf dem Theater gestorben. Ve r f a s s e r (tritt rasch und voll Bestürzung auf.)
Es ist gescheh’n! – 10
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Publikum. Was soll denn das? das Stück ist ja aus! Ve r f a s s e r. Ich bitte sehr um Verzeihung – der Riese, der Grobian, hat mich ganz aus dem Concept gebracht! Jetzt sollten noch die poetisch-Poetischen am Saume des Sagenwaldes, als drittes Element, versöhnend auftreten. – Publikum. Nicht doch, gehn Sie doch fort! Die Handlung ist einmal abgeschloßen, stören Sie nicht den tragischen Eindruck!
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Ve r f a s s e r. Aber der Schlußchor der Poetischen ist bereits fertig, die Poetischen sind schon draußen angezogen – es gehört zur Trilogie des Stücks – Publikum. Ach, das müssen wir besser verstehn! Den Vorhang herunter, Vorhang herunter! (Narr guckt zwischen den Koulissen vor.) V e r f a s s e r (um sich schauend.) Da liegen alle meine Personen verstümmelt umher, ich und der Narr sind allein übrig geblieben! Wie wird mir denn auf einmal so unheimlich zu Muthe? – Die Thüren klappen
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auf und zu, der Kronleuchter geht schnurrend in die Höh’, unbekannte Zuschauer bewegen sich unten verworren, wie Larven, in der geheimnißvollen Dämmerung! (er erblickt den Narren.) Narr, mein Herzens-Narr! – Doch was ist denn das? Ich hab’ so vertraulich mit Dir handthiert – und nun ich Dir in dieser schauerlichen Einsamkeit plötzlich so recht in die Augen blicke – weh! Du bist mein leibhaftiger Doppelgänger! – (er eilt entsetzt fort.) N a r r (hervortretend zum Publikum.) Nun denn! der Narr behält das letzte Wort ’S ist spät – ich denk’, wir gehn nun alle fort. Und sollt’ der Pulverthurm zu sehr Euch rühren, So laßt vernünftig Euch zu Herzen führen: Es war ein Spiel nur, und die hier gestorben, Stehn alle wieder auf, ganz unverdorben, Und treiben’s nun zu Hause ruhig weiter In andern Kleidern nur, und etwas breiter. Ihr seid so gut wohl, thut dasselb’ zu Haus, So spielet fort das Stück und spielt nie aus. Ende.
Lie b e v ersteh t k ein en S p aß .
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Einige Scenen aus dem noch ungedruckten Lustspiele:
Liebe versteht keinen Spaß, v o n J o s . F r e i h e r r n v. E i c h e n d o r f f . Teildruck von !Wider Willen."
Te x t g r u n d l a g e : D ( 1 8 2 2 ) , k o r r i g i e r t n a c h H
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L ieb e v ersteh t k ei n en S p a ß .
Lie b e v ersteh t k ein en S p aß .
Erste Scene. Wa l t e r. (Sitzt im Garten an einem Tischchen, worauf Papiere. Die Feder weglegend.) 5
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Was der Graf heut lange bleibt! Füchse, Reh’ und Hasen treibt Früh und spät er durch die Klüfte; Im Gekose milder Lüfte Sitz’ ich hier derweil und dichte. – Eine saubere Geschichte! Wie zwei reisende Scholaren Sind wir alle Welt umfahren, Und nun liegt allhier am Strande Unser Schifflein quer im Sande. – Nun, das nennt man: „auf dem Lande.“ – Es ist wahr, die alten Rüster Über mir da, sie erweisen Sich recht artig mit Geflüster, Ziemlich grün, ich muß bekennen, Ist der Rasen hier zu nennen, Der Salat recht zum verspeisen, Diese Lerche singt passabel. – Mir ist doch ganz miserabel! Langsam rieselt Langeweile, Wie ich hier Tragödien zimmer’, Mir vom Scheitel bis zur Ferse. ’S ist, als dehnt’ sich jede Zeile, Immer dünner, immer dümmer Mir unendlich zum Streckverse, Ja, als wüchsen, so alleine Auf der teuflisch harten Bank, Sammt den Stiefeln mir die Beine Unterm Tisch weg, lang, lang, lang. – (Er streckt sich gähnend.)
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L ieb e v ersteh t k ei n en S p a ß .
Zweite Scene. (W i l d r u n g in Jagdkleidung mit einem geöffneten Briefe.)
Wa l t e r. Sieh, da kommt der Graf. Willkommen! 5
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Wi l d r u n g . Eben ist ein Brief gekommen, Nein, das sind mir schöne Sachen, Die der gute Onkel schreibt! Treiben soll ich’s, wie er’s treibt; Hör’ nur, ’s ist fürwahr zum Lachen. (Er liest den Brief laut.)
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„Lieber Neffe. Sorgenvoll Muß ich da und dort vernehmen, Daß du, immer noch der Alte, Auf dein reiches Erbe trotzend, Dich umhertreibst ohne Zweck, Ohne Amt und ernstes Wirken.“ Wa l t e r. Was! wenn alles auf der Bühne Mit rumorte und agirte, Wer blieb’ drunten, den es rührte? – Wenn die Herr’n mit ernster Miene Vor dem Heerd des eignen Licht’s Ihre Reverenzen machen: Sind w i r ’ s nicht die unten lachen, Klatschen, schimpfen? Ist das nichts? Wi l d r u n g . (Liest weiter.)
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„Fasse, stärke, sammle dich, Und vor allen nur entferne Von dir deinen wilden Freund,
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Der, bahnlos wie ein Komet, Deine würd’gen Bahnen kreuzt, Dem das Schönste nur behagt, Wenn er’s auf den Kopf gestellt, Diesen Musensohn, den Walter.“ – Wa l t e r. Menschheit unterm Sternenzelt, Schnöder Undank ist dein Name! Weh’, daß wir auf diese Welt, Um sie einzurenken, kamen. Wi l d r u n g . Still, Prinz Hamlet! (er liest:) „Ruheloser! Sieh, die Segnungen des Friedens, Den du selber mit erfochten, Rauschen nun an dir vorüber Ohne Friede. – Geh’ in dich, Werde endlich auch solide!“ Wa l t e r. Wie ein übertriebner Gaul, Wird er alt, so hängt er’s Maul. Wi l d r u n g . (Liest weiter.)
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„Nicht gar weit von deiner Heimath, Die dir selber fremd geblieben, Weil du nur das Ferne liebst, Wohnt die Gräfin Rosamunde Einsam zwischen schönen Bergen. Junge, unabhäng’ge Erbin Grossen Reichthums, geistreich, schön, Zieht sie einen Zauberkreis Wunderlichen Haushalts sich Um die stillen Berg’ und Thäler,
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L ieb e v ersteh t k ei n en S p a ß .
Stolz mit jungfräulichen Launen Alle Freier von sich scheuchend. In der Obhut eines Oheims, Den ihr Mitleid nährt und pflegt, Lebt die Stolze nur den Musen, Künstler gern um sich versammelnd, Um die freie Einsamkeit Sich phantastisch auszuschmücken. Seltsam ist sie fast wie du – Und ihr würdet, irr’ ich nicht, Beide für einander taugen. Prüfe sorgsam –“ Wa l t e r. Nun was stockst du? Wi l d r u n g .
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(Den Brief zusammenlegend.)
Bruderherz – wir müssen hin! Wa l t e r. Bist Du toll? 20
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Wi l d r u n g . Soll sich mein Sinn In den Wäldern hier erlaben, Muß ich gründlich Ruhe haben Vor des Oheims Heirathsplänen, Häuslichkeit, Familienthränen – Wa l t e r. Nun, und? –
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Wi l d r u n g . Darum dieser Fey Müssen wir uns keck gestellen,
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Alle hohe Trefflichkeit In uns unter’n Scheffel stellen, Und dagegen frank und frei Was in uns nicht recht gescheut, Und wir werden dessen finden – Recht von allen Stricken binden, In dem schönsten Gallakleid Unsern Narren, dessen Schellen Wir oft heimlich in uns spüren, Vor der Huldin produzieren. Kommt sie uns mit Poesie: Nehmen’s Maul wir voll wie Posa, Ist sie süß, weiß selbst nicht wie: Wir ersäufen sie in Prosa. Solcher Eifer muß sie rühren, Denn sie hat, scheint’s, guten Tackt; Erst find’t sie uns abgeschmackt, Dann verrucht, ganz unausstehlich – Und der Oheim preist sich seelig, Wenn wir, ledig wie wir sind, Wieder nur von dannen ziehn. Wa l t e r. Läßt sich hören – etwas kühn! – Aber wie vor allen Dingen Woll’n wir zu dem schönen Kind, Wildfremd, ohne Oheim, dringen? Wi l d r u n g . Das mag uns der Brief selbst weisen. Hat der Oheim doch geschrieben Daß sie dort die Künstler lieben, Wohl, als fremde Künstler reisen –
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Wa l t e r. Ha ha ha! Nur zu beklagen, Daß man glaubt dann, was wir sagen! Und, im Ernst dann unerkannt, Machen wir auf eigne Hand Ganz vergeblich dort die Narren. Wi l d r u n g . Das ist wahr – o Unverstand! – Du verfährst mir ganz den Karren. (sich besinnend.) Halt! nun hab’ ich’s! – Ja es geht! Ich entsinn’ mich, längst besteht Zwischen meinem Ohm und ihren Ein uralt Korrespondiren Von Kanaster, guten Weinen – Eiligst schreib’ ich nun dem meinen: Wie wir mit Bedacht beschlossen Um romantischer zu schweben, Uns als K ü n s t l e r unverdrossen Auf die Heirath zu begeben, Und zwar ich – nun ich als Maler, Aber du? – das ist fataler, Du kannst keine Profession – Nun wohlan, als – Kenner du! – Eh’ noch dieser Tag entflohn, Wett’ ich, meld’t der Oheim schon Seinem Freunde die Geschichte Und d e r stekt’s dem Nichtchen zu. So ist alles in der Richte Und wir haben den Profit Des Incognito’s dabei, Denn die blöde Narrheit sieht Freier aus erborgter Kappe; Hinter meiner Zeichen=Mappe Ist mir alles einerlei.
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Wa l t e r. Bruder, laß dich embrassiren, Ja, ich folge, du magst führen! Wi l d r u n g . 5
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(Sich die Stirn wischend.)
Welche Noth und Konfusion Mit so einer ersten Scene, Überall ein Notabene! Aus der Exposition Sind wir glücklich nun heraus, Jetzt, Kommedie, brich aus! – Wa l t e r. (Die Papiere lustig vom Tischchen werfend.)
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Und ihr, fliegt in allen Lüften! Andre Götter nun regieren. Köstlich neue Abentheuer, Zauberfräulein, tolle Freier – Seh’ ich leise sich formiren Aus den frischen Morgendüften. (Beide ab.)
Dritter Auftritt. (Waldige Gebirgsgegend. U e b e r s c h n u r , ein Maler; später W i n d e , ein Poet.)
Ueberschnur. (Kommt langsam und tiefsinnig mit verschränkten Armen hervor.) 25
Majestätische Natur – Wi n d e . (Hinter der Scene rufend.)
Ho, ha, ho! Herr Ueberschnur!
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L ieb e v ersteh t k ei n en S p a ß .
Ueberschnur. Hier nur immer her, mein Theurer! (Wie oben.) 5
Riesenbau, du ungeheu’rer, Würdig ernste Wandelbahn, Hier fühlt sich der Mann ein Mann! – Wi n d e . (Hinter der Scene.)
Ho, huphup! 10
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Ueberschnur. Vandal’scher Schrei! Mit dem brausenden Gefieder Der Begeist’rung ist’s vorbei! Nun, wo sind Sie denn? – (Winde erscheint zagend auf einem Felsenabhange.)
Was seh’ ich! Wi n d e . Bester Ueberschnur, hier steh’ ich, Kann herauf nicht, noch hernieder. 20
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Ueberschnur. Edler, wie in aller Welt? – Wi n d e . Lassen wir das, wenn’s gefällt. – Helfen Sie nur jetzt hier oben Mir aus dem Gestein, dem groben. Ueberschnur. Wollen Sie gefälligst fassen. (Er reicht ihm das andre Ende seines Wanderstabes, an dem Winde mühsam herunter gleitet.)
Lie b e v ersteh t k ein en S p aß .
Wi n d e . (Sich sogleich sorgfältig abstäubend.)
Ganz gemeine Felsengassen! Abgeschmacktes Wetterdach! 5
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Ueberschnur. Sagen Sie, wie ging das zu? Klettern ist sonst nicht Ihr Fach. Wi n d e . Sehn Sie nur, mein Bester, ach! Seit so nah wir Rosamunden, Bin ich fern von Rast und Ruh, Bluten alle Liebeswunden, Nur i h r Bild blüht aus dem Grunde, Rosamunde hallt die Runde – Nun Sie wissen, wie wir Dichter Sorglos, unbefangen sind, Dort die bunten Wunderlichter, Hier ein Blümlein schwankt im Wind – Während Sie ganz ohne Schranken Fernab schreiten in Gedanken. Ueberschnur. (Selbstgefällig.)
Ja, das ist so meine Art.
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Wi n d e . Wandle ich in sinn’ger Lust, Meines Weges unbewußt, Wie ein harmlos spielend Kind. Von den Wundern süß beklommen, Wein’ ich lächelnd, hasch’ ich, dicht’ ich – Bin so dort hinauf gekommen Und weiß selbst nicht wie – (Zieht die Lorgnette hervor und besieht seine Kleidung.)
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L ieb e v ersteh t k ei n en S p a ß .
Die Farth Bringt mich um! Sehn Sie den schönen Neuen Frack – nichts sitzt mehr richtig. Fühlen Sie! welch Zeuch, wie zart! – 5
Ueberschnur. Ei, das ist ja alles nichtig! Wie doch in der Welt des Schönen Mögen Sie der Mode fröhnen! Wi n d e .
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(Empfindlich, ihn durch’s Glas musternd.)
Nun, ich muß Ihn’n offen sagen, Daß vor Gräfin Rosamunde Heut gleich in der ersten Stunde Sie s o aufzutreten wagen – Däucht mir nicht sehr angemessen. Dieser Schnitt ist längst vergessen – Und der Rock da von Kalmuck! – Ueberschnur. Einfach sey des Mannes Schmuck! Es verschmähet Seelenwürde, Selbst sich gnügend, eitle Bürde. Wi n d e . Nun, wir wollen jetzt nicht streiten; Liebesnetz soll um uns spreiten Dieses Tages Herrlichkeit! Sagten Sie nicht, daß wir heut Noch der Gräfin Schloß erreichen? Ueberschnur. Ja, und würdigen Genuß Hoff’ ich mir von der Bekanntschaft. Manches, ihr zu überreichen,
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Liegt bereit hier im Beschluß: Ein Schiffbruch, antike Skizzen, Und vor allen eine Landschaft, Wo der Sturm braust durch die Wipfel Und ich selbst am Felsengipfel Unerschüttert steh’ in Blitzen – Wi n d e . Gleichwie unter blüh’nden Bäumen Rauschend von prophet’schen Träumen Will ich Rosamunden betten. ’S ist ein Cyklus von Sonetten: Wie der göttliche Karfunkel Brünst’ge Flammen schickt durch’s Dunkel, Wie ihn Kobold will verschachten, Wilder Kräfte starr Umnachten, Und dazwischen wieder Schmachten, Girrend Zagen, Liebesklagen, Was nur Nachtigall kann sagen – Bis das Funkeln durchgedrungen, Alle Finsterniß bezwungen, Und von Lieb die Erd’ durchklungen. – Ueberschnur. Freund! und ich – ich will nicht prahlen – Doch nicht jeder kann s o malen. Aus des Lebens engen Thalen Zu der Welt des Idealen Schwingt sich kühn mein Genius. Das Erhabne, das ist’s eben. – Wer den Geist nicht kann erretten Aus des Aberglaubens Ketten, Ha! der Frömmeley Gewinsel – Nun, in Pfaffen-Banden schmacht’ er! Dem gebildeten Betrachter Will i c h was zu d e n k e n geben.
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Das ist klassischer Genuß, Daß der Kenner rufen muß: Welch ein philosophscher Pinsel! 5
Wi n d e . O mein Bester – diese Stimmung – Licht und Nacht hier in Verschwimmung, Nichts umher, was uns mag stören: Nein, Sie müssen jetzt was hören! (Er zieht ein Paket Papiere aus der Tasche.)
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Ueberschnur. Theurer, nein um Gotteswillen, Ich will die Begierde stillen Bis wir auf dem Schlosse sind. Wi n d e . O das thut nichts, nur geschwind! Daß wir keine Zeit verlieren, Les’ ich, während wir spazieren. Fort so wandernd wie in Träumen, Wird das Gehn melod’sches Tanzen. – Hier gleich spanische Romanzen: (Er liest, während beide weiter gehn.)
„Abderame, Abderame“ – Ueberschnur. Welch’ ein unästhet’scher Name! 25
Wi n d e . Ach, Sie müssen nicht drauf reimen! Sind ja blosse Assonantzen. (Liest.)
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„Abderame, Abderame, Laß dein krummes Heerschild hallen“ (Er stolpert.)
Lie b e v ersteh t k ein en S p aß .
Ueberschnur. Gott, Sie werden mir noch fallen! Wi n d e . (Liest.) 5
„Denn schon wehen Christenfahnen“ – (Beide lesend und schimpfend ab.)
Vi e r t e r A u f t r i t t . 10
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(Garten. Gräfin R o s a m u n d e sitzt, in einem Buche lesend, auf einer Rasenbank. M a r i e geht vor ihr mit einer Guitarre auf und ab, und singt.)
Läuten kaum die Maienglocken Leise durch den lauen Wind: Hebt ein Knabe, froh erschrocken, Aus dem Grase sich geschwind, Schüttelt in den Blüthenflocken Seine reichen braunen Locken, Schelmisch sinnend wie ein Kind. Und nun wehen Lerchenlieder Und es schlägt die Nachtigall, Waldhorn irret auf und nieder, Weckt den frohen Wiederhall, Rings im Wald rauscht bunt Gefieder, Frühling, Frühling ist es wieder Und ein Jauchzen überall! Und den Knaben sieht man schwirren, Goldne Fäden zart und lind Durch die Lüfte künstlich wirren – Und ein süsser Krieg beginnt: Suchen, Fliehen, schmachtend Irren,
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Bis sich alle hold verwirren – O beglücktes Labyrinth!
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Wenn die Lichter dann vergehen, Kommt das Kind: „O laß mich ein! Kalte Winde draussen wehen Und ich fürcht’ mich so allein In der dunklen Nacht zu stehen.“ – Ach, er kann so rührend flehen, Laß’ ich wohl den Schalk herein? – (Seufzend.) Ja, das ist wohl zum Besinnen! – Fort, Gedanken! Fliegt von hinnen Lose Töne, böse Laute! (Die Guitarre weglegend.)
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Doch du hörst nicht, Rosamunde!
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Rosamunde. Weil ich nicht vom Blatte schaute? Wenn die Worte auch verhallen, Lausch’ ich doch im Herzensgrunde, Denn die süssen Klänge fallen Wie verwandte Zauberlichter In das Buch, und wunderbar Macht Musik mir alles klar; So versteh’ ich erst den Dichter. –
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(Das Buch weglegend.)
Ach Marie, warum vergönnt Uns der milde Himmel nie, Wie die edlen Frau’ngestalten Hier im Buch, der Poesie Ewig heit’res Firmament, Diese stille Sonnenblume In des Herzens Heiligthume Klar im L e b e n zu entfalten?
Lie b e v ersteh t k ein en S p aß .
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Marie. Sieh, zu ernsthaft nimmst du’s eben! Gar viel Klang ist in dem Leben. Wenn die ersten Blüthen ranken, Wenn das Blau voll Lerchen hängt – Was ein fröhlich Herz da denkt! – Rosamunde. Bleibt doch ewig nur Gedanke. Mitten in dem schönen Trug Will uns Wehmuth oft bezwingen, Und sehn wir der Störche Zug Kreisen über Thal und Hügel, Wünschen wir vergeblich Flügel, Uns den Freien nachzuschwingen In das Land der Poesie. Marie. Ich gesteh’s, das fühlt ich nie. Aber ohne Flügel reisen Möcht’ ich – wenn die lust’gen Weisen Posthorn sendet durch die Luft, Rasch im Wechsel bunter Stunden Feld und Wald vorüberfliegen, Unbekannt im Morgenduft Seitwärts weite Thäler liegen, Zwischen Burgen, Weingehängen, Wiederhallend von Gesängen, Heitre Strassen ferngewunden – (In sich lachend.)
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Rosamunde. Nun, Marie? –
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Marie. Und plötzlich dann Aus der dunkelgrünen Haide, Angeglüht vom Morgenlicht, Bricht ein schöner Jägersmann, Von dem schlanken Rößlein, wild Und doch sittig, grüssend – Rosamunde. Schweige!
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Marie. (Vor Rosamunden niederknieend.)
Liebe, Liebe, zürne nicht, Wenn ich mich so kindisch zeige!
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Rosamunde. Rechte Kinder sind wir beide. (Marien auf die Stirn küssend.)
O du frisches Lebensbild!
Fünfter Auftritt. Junker Hans, der Oheim. 20
(Ankommend.)
Das ist weise, auch im Küssen Euch im Voraus einzuüben! Immer gut! – man kann nicht wissen. – 25
Rosamunde. Vetter, wie du wieder glühst! Marie. Wie der volle Mond im Trüben.
Lie b e v ersteh t k ein en S p aß .
Hans. Gott sey Dank, ja wie du siehst, Geht’s ganz leidlich. – Gottes Seegen! 5
Rosamunde. Schäm’ dich doch nur m e i n e t w e g e n . Ganz verworren noch die Haare! Hans. Der verdammte Morgenwind!
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Marie. Hat dir Federn drein geweht. Hans. Federn sagst du? – Ei bewahre, Ganz wahrscheinlich Blüthenflocken, Wenn man so spazieren geht –
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Marie. (Nach der Melodie des vorigen Liedes singend.)
„Schüttelt in den Blüthenflocken Seine reichen braunen Locken Gott Amour, das schöne Kind!“ 20
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Hans. Apropos, ja vom Verlieben! Bei dem alten Wildrung drüben War ich heute und wir hatten In Diskurse uns verstrickt: Von der Zärtlichkeit der Gatten, Was ein sanftes Herz beglückt – Marie. Ungerwein, welscher Salat –
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Hans. Kind, ganz recht! Wir meinten grad: Leben gleiche dem Salat. Fisch, Kartoffeln, alles fad’, – Liebe nur sey wie die Zwiebel, Beißt du drein, ’s rührt dich zu Zähren, Aber laß das nur gewähren, Eingeschnitten, frisch gerührt: Wird Pikantes gleich verspürt. Marie. Das Recept ist gar nicht übel. Hans. Seht, ich möchte um euch weinen.
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Marie. Ach, das kommt nur so von Weinen. – Rosamunde. Hören wir ihm länger zu? (Zu Hans.)
Unjungfräulich’ Wesen du! 20
Hans. Jungfrauschaft? – Nun just deswegen! Sieh’, die muß sich endlich legen, Denn die Waar’ ist bald verlegen, Ja, wir alle sind verlegen –
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Marie. Leg’ dich schlafen, leg’ dich schlafen!
Lie b e v ersteh t k ein en S p aß .
Hans. Wie in weiter, öder Nacht Gleicht ihr zwei verirrten Schaafen, Ich dem Mond’, der euch bewacht. 5
Rosamunde. Nein, er ist heut ganz herunter! Hans. Hütet euch, ein Wolf ist munter. Marie.
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(Ihn fortdrängend.)
Guter Mond, geh doch schon unter! Hans. Nun, so laß’ ich euch im Dunkeln, Wo zwei Freiersaugen funkeln. 15
Marie. Was giebt’s da vom Frei’n zu munkeln? Hans. Ja, ich geh’ schon auf mein Zimmer, Mag der junge Wildrung immer –
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Marie. (Ihn festhaltend.)
Junker, sei nicht unausstehlich! Hast gewiß was zu verrathen. 25
Hans. Morgen dann vielleicht erzähl’ ich, Mich ja wird er nicht heirathen! –
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Rosamunde. Von Graf Wildrung sprachst du eben, Der, so viel ich weiß, auf Reisen.
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Hans. Ja, auf Reisen grad’ hierher. Rosamunde. Was, zu uns hin? Nimmermehr!
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Hans. Sein Freund Walter auch daneben, Auf dem Rücken ein Felleisen – Ja, der Troß ist nicht weit her. Rosamunde. Vetter, wann wirst du genesen Von dem garst’gen Rausch? –
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Hans. Gelesen Hab’ ich alles schwarz auf weiß, Was er seinem Oheim schreibt: Wie sein Genius – zu Fuß –
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Marie. Wie, ein Genius, nicht zu Wagen? Hans. Ja, ein lump’ger Genius! Nun, er schreibt, um’s kurz zu sagen: Wie sein Genius, und wer weiß Was sonst noch, ihn zu uns treibt Im Inkognito – zu Fuß – Er als Maler, der auf Reisen,
Lie b e v ersteh t k ein en S p aß .
Und sein Freund als Kritikus, Um den Maler gleich zu preisen. Marie. Doch wozu das? 5
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Hans. Er beginnt Wie ein Kaufmann klug gesinnt: Erst uns heimlich zu belauschen, Dann – wenn wir hübsch artig sind, Herz und Ringlein einzutauschen. Marie. Auch mit Dir? –
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Rosamunde. Der stolze Thor! Meine unbewachte Lust An der Künste Blumenflor So zum frechen Spiel zu machen! Mit des wilden Lebens Wust, Eitlem Schwatzen, tollen Lachen, Im studentschen Übermuth In die Stille hier zu brechen! Hans. Ha, ich bin ganz in der Wuth!
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Rosamunde. Wüßt’ ich nur, wie wir uns rächen, Dieser Spott, mit Winkelzügen Hier sich künstlich einzulügen! – Marie. Rosamunde, darf ich sprechen?
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Hans. Rede! Rosamunde. ’S möcht das Herz mir brechen! 5
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Marie. Laß die Herren doch nur kommen, Niemand kann uns ja verwehren, Das Gewaff, das sie genommen, Gegen sie nun selbst zu kehren. Trug für Trug, List gegen List! Rosamunde. Wie du immer sinnreich bist! Sprich, was giebt’s für Hülfe hier?
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Marie. Willst du deinen Namen mir Zu ’nem Lustspiel einmal leihen, Manchen Schwank voraus verzeihen? Rosamunde. Sag’ erst, was die Künste sollen.
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Marie. Nun, wir wechseln nur die Rollen, Ich bin Gräfin, du Marie, Wir gerächt, betrogen sie. – Hans. Ja das geht, ich laß mich hängen, O zum Küssen (Er will sie umarmen.)
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Marie (Ihn abwehrend.)
Nein, erst hängen. – Rosamunde 5
(Zu Marien.)
Alles Unheil ist dir recht, Bloß um’s witzig zu umtreiben! Auch dein Einfall trifft nicht schlecht, Und doch ist’s – als sollt’ ich nicht. 10
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Marie. O, kein so betrübt Gesicht! Sollen wir denn müssig bleiben, Selbst, uns zu betrügen, dienen? Denk’ dir nur die weisen Mienen, Wenn sie m i c h umstell’n, d i c h meinen, Für m i c h schmachten und d i c h wollen, Wenn umsonst sie, wie die Tollen, Ganz entlarvt en Masqu’ erscheinen, Und mit allen Liebesnetzen, Allen Künsten, allen Müh’n, Aus dem lust’gen Strom der Lügen, Während du auf trocknem Lande, Höchst erstaunt ein’ unbekannte Nixe dann ans Ufer ziehn. – Sieh, ich wette, das Entsetzen Heilt auf immer sie vom Lügen. – (Zu Hans.)
Aber Junker, reinen Mund!
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Hans. Wie ein Weinfaß fest verspund’t. – Und Du, Nichtchen, überleg’s Rasch nun, denn, wie mir bewußt, Ist der Graf schon unterwegs.
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Rosamunde. Ihr verstört mir ganz die Brust, Weiß nicht, was zu thun, zu meiden. –
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Marie. Nichts, als rasch uns umzukleiden, (Rosamunden am Arm nehmend.)
Folg’ Marie! – Jetzt herrsche i c h .
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Rosamunde. Lust’ges Kind! halb zwingst du mich, Halb treibt eigner Rache Lust. (Sie gehen beide ab.)
Hans. (Allein.) 15
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Ja, das fehlt! ein Herr Gemahl! – ’S wär das erst’: „Wo, cher Cousin, Sind die Schlüssel denn zum Keller?“ – Wollen wir? – „’s hat keine Eile –“ „Nur den einz’gen Muskateller! – „Brav“ – Noch ein’s. – „Ein andermal.“ – Herr! er wird vor Langerweile Drunten ganz bemoost und schal, Nur noch die – die – immer schneller! – „Halt, Cousin!“ – Was halt! – Enfin So ein Gatte wär’ fatal! – O, du goldene Marie! Irrung pfropft sie klug auf Irrung, ’S trägt ’ne närr’sche Kompagnie Lauter Masken, daß zuletzt Keiner mehr sich selber kennt, In der Rage der Verwirrung Einer an den andern rennt – Frisch gejagt, geprellt, gehetzt! – Doch vor allem nun gesetzt. –
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’S ist, als hätt’ zu eifrig schier Ich den Franz’schen nachgesetzt: Bei Johannisberg über’n Rhein, Mosler dort, Pikarden hier – Schloß la Fite war schon mein, Hurrah drauf! – Doch die Burgunder Thaten plötzlich heute Wunder, Und nun gings an die Retraiten, Domdechant konnt’ nicht mehr retten, Alle Franken in den Flanken, Fort durch’s ganze römsche Reich, Bis in Ungarn ungern Franken Und Gedanken uns ertranken. – (Er streckt sich auf die Rasenbank.)
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Frieden stift’ ich jetzt im Reich. – Schau’ ich grade an der Nase Ernsthaft so ein Weilchen ’runter, Gehn gleich alle Weinberg’ unter.
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Recht behaglich hier im Grase – In dem kühlen Sommerhaus Summen Bienen ein und aus. – ’S ist fürwahr, als gieng ganz fern Flüstern – Rauschen um und um – Ach, das ist das Publikum. – Nun, Geduld, Ihr Damen und Herr’n, Nur ein Weilchen rast’ ich aus – Will’s Gott, geht’s dann noch viel bunter, Vorhang, geh’ indessen unter! –
(Einschlummernd.)
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!Wi d e r Wi l l e n . " Lesefassung
Te x t g r u n d l a g e : H , K o r r e k t u r s c h i c h t (ca. 1822–1826)
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193 Erste Scene. Walter |:in nachläßiger, etwas studentischer, aber nicht altdeutscher, Tracht sizt im Garten an einem Tischchen, worauf Papiere. Die Feder weglegend:|. 5
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Was der Graf heut lange bleibt! Füchse, Reh’ u. Hasen treibt Früh u. spät Er durch die Klüfte; Im Gekose milder Lüfte Sitz’ ich hier derweil u. dichte. – Eine saubere Geschichte! Wie zwei reisende Scholaren Sind wir alle Welt umfahren, Und nun liegt allhier am Strande Unser Schifflein quer im Sande. – Nun, das nennt man: „auf dem Lande“. – Es ist wahr, die alten Rüster Ueber mir da, sie erweisen Sich recht artig mit Geflüster, Ziemlich grün, ich muß bekennen, Ist der Rasen hier zu nennen, Der Sallat recht zum verspeisen, Diese Lerche singt paßabel – Mir ist doch gantz miserabel. Langsam rieselt Langeweile, Wie ich hier Tragödien zimmer’, Mir vom Scheitel bis zur Ferse. ’S ist, als dehnt’ sich jede Zeile, Immer dünner, immer dümmer, Mir unendlich zum Strekverse, Ja, als wüchsen, so alleine Auf der teuflisch harten Bank, Sammt den Stiefeln mir die Beine Unterm Tisch weg, lang, lang, lang. – |:er strekt sich gähnend:|.
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!Wid er Wi ll en . " L e se fa ss ung
Zweite Scene. |:Wildrung in Jagdkleidung mit einem geöffneten Briefe:|
Walther. Sieh, da kommt der Graf. Willkommen! 5
Wildrung Eben ist ein Brief gekommen. Nein, das sind mir schöne Sachen, Die der gute Onkel schreibt! Treiben soll ich’s, wie Er’s treibt; Hör’ nur, ’s ist fürwahr zum Lachen. |:er liest den Brief laut:|
„Lieber Neffe. Sorgenvoll Muß ich da u. dort vernehmen, Daß du, immer noch der Alte, Auf dein reiches Erbe trotzend, Dich umhertreibst ohne Zweck, Ohne Amt und ernstes Wirken.“
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Walter.
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Was! Wenn alles auf der Bühne Mitrumorte und agirte, Wer blieb’ drunten, den es rührte? – Wenn die Herr’n mit ernster Miene Vor dem Heerd des eignen Lichts Ihre Reverenzen machen: Sind wir’s nicht, die unten lachen, Klatschen, schimpfen? – Ist das nichts?
Wildrung |:liest weiter:| „Faße, stärke, sammle Dich, Und vor allem nur entferne Von Dir Deinen wilden Freund, Der, bahnlos wie ein Komet, Deine würd’gen Bahnen kreuzt, Dem das Schönste nur behagt Wenn er’s auf den Kopf gestellt, Diesen Musensohn, den Walter. –“
!Wid er Wi ll en . " L e se fa ss u n g
2. Walter.
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Menschheit unter’m Sternenzelt, Schnöder Undank ist dein Namen! Weh’, daß wir auf diese Welt, Um sie einzurenken, kamen!
Wildr:
Still, Prinz Hamlet! |:er liest:| „Ruheloser! Sieh’, die Seegnungen des Friedens, Den Du selber mit erfochten, Rauschen nun an Dir vorüber Ohne Friede. – Geh’ in Dich, Werde endlich auch solide!“
Walter.
Wie ein übertriebner Gaul, Wird er alt, so hängt er’s Maul.
Wildr:
|:liest weiter:| „Nicht gar weit von Deiner Heimath, Die Dir selber fremd geblieben, Weil Du nur das Ferne liebst, Wohnt die Gräfin Rosamunde Einsam zwischen schönen Bergen. Junge, unabhäng’ge Erbin Großen Reichthums, geistreich, schön, Zieht sie einen Zauberkreis Wunderlichen Haushalts sich Um die stillen Berg’ u. Thäler, Stolz mit jungfräulichen Launen Alle Freyer von sich scheuchend. In der Obhut eines Oheims, Den ihr Mitleid nährt u. pflegt, Lebt die Stolze nur den Musen, Künstler gern um sich versammelnd, Um die freie Einsamkeit Sich phantastisch auszuschmücken. Seltsam ist sie fast wie Du – Und Ihr würdet, irr’ ich nicht, Beide für einander taugen. Prüfe sorgsam –“
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!Wid er Wi ll en . " L e se fa ss ung
Nun, was stokst Du? |:den Brief zusammenlegend:| Bruderherz –
wir müssen hin! Walter.
Bist Du toll!
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Wildr:
Soll sich mein Sinn In den Wäldern hier erlaben, Muß ich gründlich Ruhe haben Vor des Oncle’s Heirathsplänen, Häuslichkeit, Familienthränen –
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Walter.
Nun, und? –
Wildr:
Darum dieser Fey Müßen wir uns kek gestellen, Alle hohe Trefflichkeit In uns unter’n Scheffel stellen Und dagegen frank u. frei Was in uns nicht recht gescheut, – Und wir werden deßen finden – Recht von allen Stricken binden, In dem schönsten Gallakleid Unsern Narren, deßen Schellen Wir oft heimlich in uns spüren, Vor der Huldin produciren. Kommt sie uns mit Poesie: Nehmen ’s Maul wir voll wie Posa, Ist sie süß, weiß selbst nicht wie: Wir ersäufen sie mit Prosa. Solcher Eifer muß sie rühren, Denn sie hat, scheint’s, guten Takt; Erst find’t sie uns abgeschmakt, Dann verrucht, ganz unausstehlich – Und der Onkel preißt sich seelig, Wenn wir, ledig wie wir sind, Wieder nur von dannen ziehn.
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!Wid er Wi ll en . " L e se fa ss u n g
Walter.
Läßt sich hören – etwas kühn! – Aber wie vor allen Dingen Woll’n wir zu dem schönen Kind Wildfremd, ohne Onkel, dringen?
Wildr:
Das mag uns der Brief selbst weisen. Hat der Onkel doch geschrieben Daß sie dort die Künstler lieben, Wohl, als fremde Künstler reisen –
Walter.
Hahaha! Nur zu beklagen, Daß man glaubt dann, was wir sagen! Und, im Ernst dann unerkannt, Machen wir auf eigne Hand Ganz vergeblich dort die Narren.
Wildr:
Das ist wahr – o Unverstand! – Du verfährst mir ganz den Karren. |:sich besinnend:| Halt, nun hab’ ich’s! – Ja, es geht! Ich entsinn’ mich, längst besteht Zwischen meinem Ohm u. ihren Ein uralt Korrespondiren Von Kanaster, guten Weinen – Eiligst schreib’ ich nun dem meinen: Wie wir mit Bedacht beschloßen Um romantischer zu schweben, Uns als Künstler unverdroßen Auf die Heirath zu begeben, Und zwar ich – nun ich als Maler, Aber Du? – das ist fataler, Du kannst keine Profeßion – Nun, wohlan, als – Kenner Du! – Eh’ noch dieser Tag entflohn, Wett’ ich, meld’t der Onkel schon Seinem Freunde die Geschichte Und der stekt’s dem Nichtchen zu. So ist alles in der Richte
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Und wir haben den Profit Des Inkognito’s dabei, Denn die blöde Narrheit sieht Freier aus erborgter Kappe; Hinter meiner Zeichen=Mappe Ist mir alles einerley.
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5. Walter. Wildr:
Bruder, laß Dich embraßiren, Ja, ich folge, Du magst führen! |:sich die Stirn wischend:|
Welche Noth und Konfusion Mit so einer ersten Szene, Ueberall ein Notabene! Aus der Exposition Sind wir glücklich nun heraus, Jetzt, Kommödie, brich aus! –
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Walter.
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!Wid er Wi ll en . " L e se fa ss ung
|:die Papiere lustig vom Tischchen werfend:|.
Und ihr, fliegt in allen Lüften! And’re Götter nun regieren. Köstlich’ neue Abentheuer, Zauberfräulein, tolle Freyer – Seh’ ich leise sich formiren Aus den frischen Morgendüften. |:beide ab:|
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Dritter Auftritt. |:Waldige Gebirgsgegend. Ueberschnur, ein Maler. Später Linde, ein Poet:| 5
Ueberschnur. |:kommt langsam u. tiefsinnig mit verschränkten Armen hervor:| Majestätische Natur – Linde
|:hinter der Szene rufend:| Ho, hoho! Herr Ueber-
schnur! Uebersch: Hier! Nur immer her, mein Theurer! 10
|:wie oben:| Riesenbau, du ungeheu’rer,
Würdig ernste Wandelbahn, Hier fühlt sich der Mann ein Mann! – Linde 15
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|:noch hinter der Scene:| Ho, Huphup!
Uebersch: Vandal’scher Schrey! Mit dem brausenden Gefieder Der Begeist’rung ist’s vorbei! – Nun, wo sind Sie denn? – |:Linde, sehr elegant gekleidet, erscheint zagend auf einem Felsenabhange:| Was seh’ ich! Linde.
Bester Ueberschnur, hier steh’ ich, Kann herauf nicht, noch hernieder.
Uebersch: Edler, wie in aller Welt? – Linde. 25
Laßen wir das, wenn’s gefällt. – Helfen Sie nur jezt hier oben Mir aus dem Gestein, dem groben.
3 Linde] Winde H, dann bis Bl. 8 Linde mit W zu Winde überschrieben. Für den Rest des Textes dann nur noch Linde. Die von Eichendorff offenbar für den Teildruck (vgl. „Liebe versteht keinen Spaß“) spät vorgenommene Änderung wird hier nicht umgesetzt, um nicht zwei Namen für eine Figur wiederzugeben.
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6. Uebersch: Wollen Sie gefälligst faßen. |:er reicht ihm das andere Ende seines Wanderstabes, an dem Linde mühsam heruntergleitet.:| Linde.
|:sich sogleich sorgfältig abstaubend:|
Ganz gemeine Felsengaßen, Abgeschmaktes Wetterdach!
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Uebersch: Sagen Sie, wie gieng das zu? Klettern ist sonst nicht Ihr Fach! Linde. 10
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Seh’n Sie nur, mein Bester, ach! Seit so nah’ wir Rosamunden, Bin ich fern von Rast u. Ruh. – Während Sie begeistert stunden, Trieb mich’s fort durch Wald und Trümmer, Plötzlich da von fern im Thal Seh’ ich bunte Tücher schimmern, Ach! u. süßer Blicke Stral! Nun, Sie wißen, wie wir Dichter Kindlich, unbefangen sind – Ich will hin – doch immer dichter Wird der Busch, es faßt der Wind Mir den Hut, ich mach ’ne rasche Wendung, stolpre, aus der Tasche So im kühnen Sprunge schwippte Mir mein Bündel Manuskripte, Rings nun in dem Sturm, o Götter, Flattren die kostbaren Blätter, Und ich ringe, rette, hasche Hut, Gedichte – |:zieht die Lorgnette hervor u. besieht seine Kleidung:| Nein die Farth Bringt mich um! Sehn Sie den schönen Neuen Frak – nichts sizt mehr richtig – Fühlen Sie! welch Zeuch, wie zart!
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Uebersch: Ey, das ist ja alles nichtig! Wie doch in der Welt des Schönen Mögen Sie der Mode fröhnen! Linde.
|:empfindlich, ihn durch’s Glas musternd:|
Nun, ich muß Ihn’n offen sagen, Daß vor Gräfin Rosamunde Heut gleich in der ersten Stunde Sie so aufzutreten wagen – Däucht mir nicht sehr angemeßen. Dieser Schnitt ist längst vergeßen – Und der Rok da von Kalmuck!
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Uebersch: Einfach sey des Mannes Schmuck! Es verschmähet Seelenwürde, Selbst sich gnügend, eitle Bürde. 15
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Uebersch. Ja, und würdigen Genuß Hoff’ ich mir von der Bekanntschaft. Manches, Ihr zu überreichen, Liegt bereit hier im Beschluß: Ein Schiffbruch, antike Skizzen, Und vor allen eine Landschaft, Wo der Sturm braust durch die Wipfel Und ich selbst am Felsengipfel Unerschüttert steh’ in Blitzen –
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Nun, wir wollen jezt nicht streiten; Liebesnetz soll um uns spreiten Dieses Tages Herrlichkeit! Sagten Sie nicht, daß wir heut Noch der Gräfin Schloß erreichen?
Gleichwie unter blüh’nden Bäumen Rauschend von prophet’schen Träumen Will ich Rosamunden betten. ’S ist ein Cyklus von Sonetten: Wie der göttliche Karfunkel
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Brünst’ge Flammen schikt durch’s Dunkel, Wie ihn Kobold will verschachten, Wilder Kräfte starr’ Umnachten, Und dazwischen wieder Schmachten Girrend Zagen, Liebesklagen, Was nur Nachtigall kann sagen – Bis das Funkeln durchgedrungen, Alle Finsterniß bezwungen, Und von Lieb’ die Erd’ durchklungen. –
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Uebersch: Freund! und ich – ich will nicht prahlen – Doch nicht jeder kann so malen. 8. Aus des Lebens engen Thalen Zu der Welt des Idealen Schwingt sich kühn mein Genius. Das Erhabne, das ist’s eben. – Wer den Geist nicht kann erretten Aus des Aberglaubens Ketten, Ha! der Frömmeley Gewinsel – Nun, in Pfaffen=Banden schmacht’ er! Dem gebildeten Betrachter Will ich was zu denken geben. Das ist klaßischer Genuß! Daß der Kenner rufen muß: Welch ein philosoph’scher Pinsel!
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Linde.
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Uebersch: Theu’rer, nein um Gotteswillen, Ich will die Begierde stillen Bis wir auf dem Schloße sind. Linde.
O mein Bester – diese Stimmung – Licht und Nacht hier in Verschwimmung, Nichts umher, was uns mag stören: Nein, Sie müßen jezt was hören! |:er zieht ein Paket Papiere aus der Tasche.:|
O das thut nichts, nur geschwind! Daß wir keine Zeit verlieren,
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Les’ ich, während wir spazieren. Fort so wandernd wie in Träumen, Wird das Gehn melod’sches Tanzen. – Hier gleich spanische Romanzen: |:er liest, während beide weitergehen:| „Abderame, Abderame“ –
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Uebersch: Welch’ ein unästhet’scher Name! Linde. 10
Ach, Sie müssen nicht drauf reimen, ’S sind ja bloße Aßonantzen. |:liest:| „Abderame, Abderame, Laß Dein krummes Heerschild hallen“ |:er stolpert:|
Uebersch. Gott, Sie werden mir noch fallen. Linde |:liest:| „Denn schon wehen Christenfahnen“ – |:u. s. w: Beide respective lesend u. schimpfend ab:|
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Vierter Auftritt. |:Garten. Gräfin Rosamunde sizt, in einem Buche lesend, auf einer Rasenbank. Marie geht vor ihr mit einer Guitarre auf u. ab u. singt:|
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Läuten kaum die Maienglocken Leise durch den lauen Wind: Hebt ein Knabe froherschrocken Aus dem Grase sich geschwind, Schüttelt in den Blüthenflocken Seine reichen braunen Locken, Schelmisch sinnend wie ein Kind. Und nun wehen Lerchenlieder Und es schlägt die Nachtigall, Waldhorn irret auf u. nieder,
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Wekt den frohen Wiederhall, Rings im Wald rauscht bunt Gefieder: Frühling, Frühling ist es wieder Und ein Jauchzen überall! 5
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Und den Knaben sieht man schwirren, Goldne Fäden zart u. lind Durch die Lüfte künstlich wirren – Und ein süßer Krieg beginnt: Suchen, Fliehen, schmachtend Irren, Bis sich alle hold verwirren – O beglüktes Labirynth! Wenn die Lichter dann vergehen, Kommt das Kind: „O laß mich ein! Kalte Winde draußen wehen Und ich fürcht’ mich so allein In der dunklen Nacht zu stehen.“ – Ach, er kann so rührend flehen, Laß’ ich wohl den Schalk herein? – |:seufzend:| Ja, das ist wohl zum besinnen! –
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Fort, Gedanken! Fliegt von hinnen Lose Töne, böse Laute! |:die Guitarre weglegend:| Doch Du hörst nicht, Rosamunde! Rosamunde. Weil ich nicht vom Blatte schaute? Wenn die Worte auch verhallen, Lausch’ ich doch im Hertzensgrunde, Denn die hellen Klänge fallen Wie verwandte Zauberlichter In das Buch, und wunderbar Macht Musik mir alles klar; So versteh’ ich erst den Dichter. – |:das Buch weglegend:| Ach, Marie, ’s ist doch recht dumm! – Blik’ einmal um Dich herum! Wie ein Strom von Morgenschein
!Wid er Wi ll en . " L e se fa ss u n g
Geht’s melodisch durch die Welt, Kühn stürzt sich der Jüngling drein – Und wir armen, falben Weesen Wagen’s kaum des Schiffleins Bande, Das bewimpelt lockt, zu lösen, Schleppen uns im Ufersande Uns begnügend, blöd’ zu lauschen, Wie die Wogen ferne rauschen.
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Marie.
Sieh, zu ernsthaft nimmst Du’s eben! Gar viel Klang ist in dem Leben. Wenn die ersten Blüthen ranken, Wenn das Blau voll Lerchen hängt – Was ein fröhlich Hertz da denkt! –
Rosam:
Doch durchblizt ein höh’rer Muth Diese Dämm’rung der Gedanken, Aufgescheucht in irrem Flug Möcht’ die Seele weiter dringen Und will volle Morgengluth. Sehn wir dann der Störche Zug Kreisen über Thal u. Hügel, Wünschen wir vergeblich Flügel, Uns den Freien nachzuschwingen In das Land der Poesie.
Marie.
Ich gesteh’s, das fühlt’ ich nie. Aber ohne Flügel reisen Möcht’ ich – wenn die lust’gen Weisen Posthorn sendet durch die Luft, Rasch im Wechsel bunter Stunden Feld u. Wald vorüberfliegen, Unbekannt im Morgenduft Seitwärts weite Thäler liegen, Zwischen Bergen, Weingehängen, Wiederhallend von Gesängen, Heitre Straßen ferngewunden – |:sie lacht in sich:|
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Rosam:
Nun, Marie? –
Marie.
Und plötzlich dann Aus der dunkelgrünen Haide, Angeglüht vom Morgenlicht, Bricht ein schöner Jägersmann, Von dem schlanken Rößlein, wild Und doch sittig, grüßend –
Rosam:
Schweige!
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Marie |:vor Rosamunden niederknieend:| Liebe, Liebe, zürne nicht,
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Wenn ich mich so kindisch zeige! Rosam:
Rechte Kinder sind wir beide.
|:Marie’n auf die Stirn küßend:| O, du frisches Lebensbild!
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Junker Hanns, der Oheim |:ankommend:| Das ist weise, auch im Küßen Euch im voraus einzuüben. Immer gut! – Man kann nicht wißen. – Rosam:
Vetter, wie Du wieder glühst!
Marie.
Wie der volle Mond im Trüben.
Hanns.
Gott sey Dank, ja wie du siehst Geht’s ganz leidlich –. Gottes Seegen!
Rosam:
Schäm Dich doch nur meinetwegen. Ganz verworren noch die Haare!
Hanns.
Der verdammte Morgenwind!
Marie.
Hat Dir Federn dreingeweht.
Hanns.
Federn sagst Du? – Ey bewahre, Ganz wahrscheinlich Blüthenflocken, Wenn man so spazierengeht –
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Marie. |:nach der Melodie des vorigen Liedes singend:| „Schüttelnd in den Blüthenflocken Seine reichen braunen Locken Gott Amour, das schöne Kind!“ Hanns. 5 Apropos, ja vom Verlieben! 12. Bei dem alten Wildrung drüben War ich heute, und wir hatten In Diskurse uns verstrikt: Von der Zärtlichkeit der Gatten, Was ein sanftes Hertz beglükt – 10 Marie. Ungarwein, welscher Sallat – Kind, ganz recht! Wir meynten grad: Hanns. Leben gleiche dem Sallat. Fisch, Kartoffeln, alles fad’, – Liebe nur sey wie die Zwiebel, 15 Beißt Du drein, ’s rührt Dich zu Zähren; Aber laß das nur gewähren, Eingeschnitten, frisch gerührt: Wird Pikantes gleich verspürt. Marie. Das Recept ist gar nicht übel. 20 Seht, ich möchte um Euch weinen. Hanns. Ach, das kommt nur so von Weinen. – Marie. Rosam: Hören wir ihm länger zu? |:zu Hans:| Unjungfräulich’ Weesen Du! Jungfrauschaft? – Nun just deswegen! Hans. 25 Sieh, die muß sich endlich legen, Denn die Waar’ ist bald verlegen, Ja, wir alle sind verlegen – Marie Leg’ Dich schlafen, leg’ dich schlafen! Wie in weiter, öder Nacht Hanns. 30 Gleicht Ihr zwei verirrten Schaafen, Ich dem Mond’, der Euch bewacht.
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Rosam:
Nein, er ist heut ganz herunter!
Hans.
Hütet Euch, ein Wolf ist munter.
Marie |:ihn fortdrängend:| Guter Mond, geh doch schon unter! Hans.
Nun, so laß’ ich Euch im Dunkeln, Wo zwei Freyersaugen funkeln.
Marie.
Was giebt’s da vom Frey’n zu munkeln?
Hans.
Ja, ich geh’ schon auf mein Zimmer, Mag der junge Wildrung immer –
5
13. Marie |:ihn festhaltend:| Junker, sey nicht unausstehlich! Hast gewiß was zu verrathen.
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Hans.
Morgen dann vielleicht erzähl’ ich, Mich ja wird Er nicht heirathen! –
Rosam:
Von Graf Wildrung sprachst Du eben, Der, so viel ich weiß, auf Reisen.
Hans.
Ja, auf Reisen grad hierher.
Rosam:
Was, zu uns her? Nimmermehr!
Hans.
Sein Freund Walter auch daneben, Auf dem Rüken ein Felleisen – Ja, der Troß ist nicht weit her.
Rosam:
Vetter, wann wirst Du genesen Von dem garstgen Rausch – ?
Hans.
Gelesen Hab’ ich alles schwarz auf weiß, Was er seinem Onkel schreibt: Wie sein Genius – zu Fuß –
Marie.
Wie! ein Genius, nicht zu Wagen?
Hans.
Ja, ein lump’ger Genius! Nun, er schreibt, um’s kurz zu sagen:
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Marie. Hanns. 10
Marie. 14. Rosam: 15
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Hans. Rosam: 25
Marie. Hanns. Rosam: Marie. 30
Wie sein Genius, und wer weiß Was sonst noch, ihn zu uns treibt Im Inkognito – zu Fuß – Er als Maler, der auf Reisen, Und sein Freund als Kritikus, Um den Maler gleich zu preisen. Doch wozu das? Er beginnt Wie ein Kaufmann kluggesinnt: Erst uns heimlich zu belauschen, Dann – wenn wir hübsch artig sind, Herz und Ringlein auszutauschen. Auch mit Dir? – Der stoltze Thor! Meine unbewachte Lust An der Künste Blumenflor, So zum frechen Spiel zu machen! Mit des wilden Lebens Wust, Eitlem Schwatzen, tollem Lachen, In student’schem Uebermuth In die Stille hier zu brechen! Ha, ich bin ganz in der Wuth! Wüßt’ ich nur, wie wir uns rächen. Dieser Spott, mit Winkelzügen Hier sich künstlich einzulügen! – Rosamunde, darf ich sprechen? Rede! ’S möcht’ das Hertz mir brechen! Laß die Herren doch nur kommen, Niemand kann uns ja verwehren, Das Gewaff, das sie genommen,
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Gegen sie nun selbst zu kehren. Trug für Trug, List gegen List!
5
Rosam:
Wie Du immer sinnreich bist! Sprich, was giebt’s für Hülfe hier?
Marie.
Willst Du Deinen Namen mir Zu ’nem Lustspiel einmal leihen, Manchen Schwank voraus verzeihen?
Rosam:
Sag’ erst, was die Künste sollen.
Marie.
Nun, wir wechseln nur die Rollen, Ich bin Gräfin, Du Marie, Wir gerächt, betrogen sie. –
Hans.
Ja das geht, ich laß mich hängen, O zum Küßen – |:er will sie umarmen:|
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Marie. |:ihn abwehrend:| Nein, erst hängen. – 15
Rosam: |:zu Marie’n:| Alles Unheil ist Dir recht, Bloß um’s witzig zu umtreiben! Auch Dein Einfall trifft nicht schlecht, Und doch ist’s – als sollt’ ich nicht. Marie.
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15. 25
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O, kein so betrübt Gesicht! Sollen wir denn müßig bleiben, Selbst, uns zu betrügen, dienen? Denk’ Dir nur die weisen Mienen, Wenn sie mich umstell’n, Dich meynen, Für mich schmachten und Dich wollen, Wenn umsonst sie, wie die Tollen, Ganz entlarvt en masque erscheinen, Und mit allen Liebesnetzen, Allen Künsten, allen Müh’n, Aus dem lust’gen Strom der Lügen, Während Du auf trocknem Lande, Höchsterstaunt ein’ unbekannte Nixe dann ans Ufer ziehn. –
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Sieh, ich wette, das Entsetzen Heilt auf immer sie vom Lügen. – |:zu Hans:| Aber Junker, reinen Mund. Hans.
Wie ein Weinfaß, festverspund’t. – Und du, Nichtchen, überleg’s Rasch nun, denn, wie mir bewußt, Ist der Graf schon unterwegs.
Rosam:
Ihr verstört mir ganz die Brust, Weiß nicht, was zu thun, zu meiden. –
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Nichts, als rasch uns umzukleiden, Marie. |:Rosamunden am Arm nehmend:| Folg’ Marie! – Jezt herrsche ich. Rosam:
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Lust’ges Kind! halb zwingst Du mich, Halb treibt eigner Rache Lust. |:sie gehen beide ab:| Hanns |:allein:| Ja, das fehlt! – Ein Herr Gemahl! – ’S wär das erst’: „Wo, cher cousin, Sind die Schlüßel denn zum Keller?“ – Wollen wir? – „’S hat keine Eile.“ – Nur den eintz’gen Muskateller! – „Brav“. – Noch ein’s. – „Ein andermal.“ – Herr, er wird vor Langerweile Drunten ganz bemoost und schal, Nur noch die – die – immer schneller! – „Halt, Cousin!“ – Was Halt! – Enfin So ein Gatte wär’ fatal! – O, du goldene Marie! Irrung pfropft sie klug auf Irrung, ’S trägt ’ne närr’sche Kompagnie, Lauter Masken, daß zulezt Keiner mehr sich selber kennt, In der Rage der Verwirrung Einer an den andern rennt –
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Frisch gejagt, geprellt, gehezt! – Doch vor allem nun gesezt – . ’S ist, als hätt’ zu eifrig schier Ich den Franzschen nachgesezt: Bei Johannisberg über’n Rhein, Mosler dort, Pikarden hier – Schloß la Fite war schon mein, Hurrah drauf! – Doch die Burgunder Thaten plötzlich heute Wunder, Und nun gieng’s an die Retraiten, Domdechant konnt’ nicht mehr retten, Alle Franken in den Flanken, Fort durch’s ganze römsche Reich, Bis in Ungarn ungern Franken Und Gedanken uns ertranken. – |:er strekt sich auf die Rasenbank:| Frieden stift’ ich jezt im Reich. – Schau’ ich grade an der Nase Ernsthaft so ein Weilchen ’runter, Gehn gleich alle Weinberg’ unter. – |:einschlummernd:| Recht behaglich hier im Grase –. In dem kühlen Sommerhaus Summen Bienen ein und aus. – ’Sist fürwahr, als gieng ganz fern Flüstern – Rauschen um und um – Ach, das ist das Publikum. – Nun, Geduld, ihr Damen und Herr’n, Nur ein Weilchen rast’ ich aus – Will’s Gott, geht’s dann noch viel bunter, Vorhang, geh’ indeßen unter! –
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|:Zweiter Aufzug:| |:(Garten, wie zu Ende des ersten Aufzugs) Hanns schläft noch auf der Rasenbank, von Zweigen zum Theil verdekt. Ueberschnur kommt eilig seitwärts aus dem Hintergrunde, wie auf der Flucht vor Linde, der ihm, ein Papier in der Hand, nachfolgt.:|.
Linde |:noch im Hintergrunde:| Wie Sie wieder fürbaß schreiten! 10
Ueberschnur. O, ich wollt’, ich könnte reiten! Der mit seinen Spaniern, Mohren! – Hab’ Verstand und Weg verloren, Ach, ich bin ganz außer Athem! |:sich umsehend:| Doch, wo sind wir hingerathen? – Linde.
Nun noch Abdulamma’s Thaten! –
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Uebersch: Halt! – Vor ihren bärt’gen Reken Bin ich sinnlos fort durch Heken Ueber Zaun und Stein geschritten Grad in eines Parkes Mitten. – Ganz gewiß der Gräfin Garten! –
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Linde. |:den Hanns gewahrend:| St! St! – Sehn Sie dort die zarten Glieder, von Jasmin umblüht? – Uebersch: Ja – wie’s scheint, im Jagdhabit. – Linde.
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Fächle, lauer Maiwind, fächle, Daß der Mund im Träumen lächle Dieser Rosamund –
1 Zweiter Aufzug.] vgl. aber auch hier S. 223. Eichendorff war sich unsicher, wie weit der erste Aufzug reichen sollte (s. dazu HKA VII/2).
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Uebersch: Nur sacht, Bis ich der Gewänder Faltung, Dieser Glieder edle Haltung Flüchtig zu Papier gebracht! |:er zieht Pergament u. Bleistift hervor:|. Wenn nur die fatalen Aeste – Sie verdeken mir das Beste – Und tret’ ich Ihr allzunah, Wacht Sie auf – Nur hurtig! –
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|:Hanns erhebt sich, plötzlich erwachend, mit halbem Leibe:|
Alle Drei |:erschroken:| Ah! – – Uebersch: |:sein Zeichen=Apparat grimmig einstekend, für sich:| Rohen Zufalls plumpe Tüke! Linde |:den Junker d!urch" die Lorgnette betrachtend, für sich:| Einer von den feur’gen Drachen, 18. Die den Faffnerhort bewachen! –
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Hanns. |:leise:| Ah, der Graf u. Compagnie! Am verleg’nen Wurf der Blicke Kennt man gleich das Wo und Wie, Keiner weiß recht, wie es scheint, Was er soll für Lügen sagen. |:laut:| Dürft’ ich wohl die Frage wagen, Als der Gräfin Ohm u. Freund, Was uns hier verschafft die Ehre? – Uebersch: Sie verzeihn! – Vom balt’schen Meere Bis gen Roma schallt die Kunde: Wie im vaterländschen Haine Hier die Gräfin Rosamunde Klaßisch in gediegnem Sinn, Das Alltägliche, Gemeine Mit dem ewigen Urschönen
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Durch die Kunst strebt zu versöhnen. – Da ich nun ein Maler bin – Hanns. Also Sie der Maler, Sie? – Uebersch: |:empfindlich:| Nun ja, ja! 5 Hans |:zu Linde:| Und Sie? – Kunstrichter? – Wie ’s sich ziemt für einen Dichter. Linde. In geheimer Sympathie Sind wir beide nun erschienen, Linde ich – Herr Ueberschnur –, Um auf still romant’scher Flur 10 Hier der Herrin fromm zu dienen. Hanns. Prächtig! – Linde? – – Uebersch: Und Ueberschnur! Ja, mein Name ist bekannt. – Hanns |:leise:| Er thut ordentlich arrogant! 15 Wart’, ich geb’ ihm zum Willkomen Gleich ein’n kleinen Todesschreken. – |:laut zu Uebersch:| Nun, Sie sind ganz recht gekommen, Um mit Ruhm sich zu bedeken. Meine Nichte wünscht seit Jahren 20 Sich ein ungeheu’res Bild, 19. Aus der Zeit – der – – ja, der Kreutzfarth: Links unzähl’ge Christenschaaren, Kaiser Friedrich vorn ganz wild Mit ’nem langen rothen Bart, 25 Von dem die Beleuchtung ausgeht. – Uebersch: Von dem Bart? – Ey nimmermehr! Hanns. Ja, ein allegor’scher Bart. – Rechts sodann das türk’sche Heer, Wo Achmet tiefsinnig steht, 30 Auf den Säbel bleich gestüzt, Und das Auge donnert und blizt,
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Und er starrt den Boden an, Inhaltsschwer, als wollt’ er eben Rufen: Ha! was bist du, Leben! – Uebersch: Herrlich! 5
Hanns.
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Ja, ein Mann! Mann! Mann! – Rings dann – wie’s bei Türken zugeht: Sultanin auf grünem Plan, Sultan streicht den Bart und lacht, Mohrin, die ihm Kühlung zuweht, Wird schamröthlich. – Janitscharen Musizieren daß es kracht. Ferne brennt ein Christennest, Frankenfräulein rauft die Haare, Viel’ Kameele, etwas Pest –
Uebersch: |:ungeduldig:| Aber wie? – Hanns.
Ganz hinten fahren, Wo das Meer sich sehen läßt, Ich, die Gräfin, unsre Gärtnerin –
Uebersch: Da wär’ alle Täuschung hin – 20
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Hanns.
Ah bah! – Nun – der Himmel dann, – Der ist gänzlich aufgethan: In die Länge, Breite, Tiefe Lauter Köpfe ohne End’, Die gelokten und die kahlen, ’S ganze alte Testament Endlich in der Perspektive Bis zur Eva mit der Schlange. –
20. Uebersch: Nein, das kann kein Maler malen! 30
Hanns. |:leise:| Ah, es zieht! ’S wird ihm schon bange. – |:laut, die Achsel zukend:|. Ja, die Nichte ist ganz eigen, Hat das Bild sich eingebild’t. – Nun, ein Meister kann sich zeigen,
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Freilich: Uebung – feste Hand – Studium – Topp, die Probe gilt! Uebersch: |:verbeugt sich mit kalter Verachtung, dann seitwärts wüthig:| Schariwari! Unverstand! Linde. |:zieht die Lorgnette hervor u. betrachtet Hanns:| Freundchen, Sie sind intreßant. Diese Fleisch= u. Witzes=Mischung, Diese shakspear’sche Verwischung In den kaliban’schen Zügen Zeugt von kühnen Geistesflügen. Ja, das Bild, das Sie gewandt Vor dem Geist uns ausgespannt, O es reißt mich gantz von hinnen, Die Erfindung groß, poetisch! In der That. – Ja, das ersinnen Hanns. Wir des Abends so am Theetisch. Ueberschnur |:der schon lange vergeblich zu Wort zu kommen getrachtet:| Dürften wir es jezt wohl wagen, Bei der Gräfin anzufragen? Wenn Sie wünschen, mein Herr Graf – Hanns. |:sich auf’s Maul schlagend:| Ueberschnur! – Ach, die Begeist’rung! – Ich bin noch konfus vom Schlaf. – Linde |:noch in Extase:| Ja, in dunkelnder Bemeist’rung Reißt im Schlaf der Traum uns fort, Und geöffnet ist der Port, Und die Seele, heimgewand’t, Schaut weit in’s gelobte Land. – Das gelobte Land, wahrhaftig! Hanns. Und die beiden Kerls leibhaftig Sah ich mit gebüktem Kragen
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Die enorme Traube tragen. – Linde! was ich da empfand! – Rosamunde und Marie |:erstere einfach, leztere altdeutsch u. prächtig gekleidet:| 5
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Marie.
Sieh nun, Junker! – |:sie stuzt, da sie die Fremden bemerkt:|
Hanns.
|:rasch, auf Marie’n weisend:| Meine Nichte! Hier Herr Ueberschnur, |:sehr betont:| ein Maler –
|:leise:|
21. Rosam:
Ja, so ein recht fataler: „Ha, die Tugend ist kein Wahn!“ – Nun, du weißt schon – |:zu Marie:| Mach’ geschwinde, Allerliebstes Schelmgesichte!
Marie.
Meine Herren, stoltzerfreut, Wie es ziemt den teutschen Frauen, Seh’ ich in der blöden Zeit Gern zu meiner Väter Hallen Ernste teutsche Künstler wallen, Die, noch teutsch auf teutschen Gauen, Teutschem Sinne kühn vertrauen, Nicht in fremden Zungen lallen.
Linde.
Der Sonette hold’ Getön Däucht mich doch –
Marie.
Mein Herr, recht schön! Doch unteutsch. – Kaum hört im Sand Jemand noch so sacht’ Geriesel. – Lauter, daß das Mark erdröhn’, Kling’, was teutsches Hertz erfrischt: Heldensang von Vaterland,
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30
Der? –
Hanns. 15
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Und sein Freund, der Dichter Linde. ’S ist der Graf und sein Kumpan.
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Mannheit – wie von jäher Wand Ueber Knüppel, Felsblök’, Kiesel, Himmelstäubend zorn’gen Gischt, Strom dahinkracht, rollt und zischt! 5
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Hanns. |:leise:| Kind, Du wirst die Zunge brechen. Uebersch: Frei geziemt’s dem Mann zu sprechen! – Ehr’ ich, Gräfin, gleich den Geist, Den erhabnen, den Sie künden: Kunst doch, aus den Regionen Höh’rer Welten, mag nicht wohnen Hie und da in niedern Gründen, Ob es teutsch, ob Welschland heißt, – Ueber alle Nationen Schwingt sie stoltz sich, wie ein Stral, Hoch und unergreifbar hin, Denn ihr Nam’ ist – Ideal! – Hanns.
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22. 25
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Ha, Sie sprachen Männerwort! Doch Sie Stoltzer! wär’n im Stande, Ließen sich den feinen Stral Ungesehen fort und fort Schwingen aus dem irrd’schen Lande. Nein, das geht Ihn’n so nicht hin! O, gepakt und festgehalten! Hier am Ort, im Schloß, im Saal Laßen Sie das stolze Schemen Bitte!, sich zu uns bequemen Recht in handfesten Gestalten. – Ja, ja, zieren Sie Sich nicht, Wir sind einmal drauf erpicht, Bester, o! Ihr Ideal! – |:er verwikelt sich mit Uebersch: in lebhaften Diskurs. Unterdeß:|
Rosam: |:leise zu Marie:| Geht, ihr macht noch Bilder, Lieder, Deutsch’ und undeutsch’, mir zuwider.
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5
Marie.
Eil’, Marie, voraus zum Saal, Einen Imbiß zu bereiten.
Hanns.
Und vergiß nicht den Pokal! |:Rosam: ab:|
Linde. |:der fortwährend in Rosamunden’s Anblik versunken war, zu Hanns:| Wer war jener stille Stern, Der so milde strahlt’ von fern? Hanns.
Weit verwandt, – ’ne liebe Seele! Sanft und weich und bleich wie Saane. Spricht nicht viel, nur so zu Zeiten Etwas lispelnd und ganz ganz fein. Linde! aber eine Kehle! Auf dem See allein im Kahne Singt sie oft bei Mondenschein, Daß es Steine möchte rühren. – Nein, sie muß, bei meiner Seele, Ihre Lieder komponiren! Zwar sie läßt sich gerne bitten, Doch nur fleißig nachgeschritten! –
Linde.
Mayenweesen!
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Hanns |:leise:| Nun, ich wette, Der schifft bald mit O und Ach, Alle Taschen voll Sonette, Diesem milden Sterne nach. 2523.
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Marie.
Fremde Künstler, die im Wandern So sich treffen: ’s erstemal, Eh’ sie prüfend sich erkannten, Sind fürwahr wie Musikanten: Jeder seine Geige nimmt, Streicht, und lauscht, und kneipt u. stimmt Der herab und der herunter, Lauscht dann wieder nach dem andern, Und von Mißlaut schwirrt der Saal,
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Bis sie endlich ’rausgefunden, Was sie alle hält verbunden, Und nun hallt und schallt es munter. – So auch, scheint’s, ergeht’s uns heut. – Doch im Freyen wird’s leicht bunter: Wind, der Muthwill, mischt sich drein, Stimmt bald da, bald dort mit ein, Blättert rasch durch alle Blätter – Man wend’t um, man wird zerstreut, Einer spielt des Andern Noten – Nun, da wißen denn die Götter, Wie das enden soll! – |:sich besinnend:| Auch wir Werden den Akkord doch finden, Den der Gott in uns geboten, Was uns alle muß beschäft’gen: Unser teutsches Volk zu kräft’gen! – O, Sie finden vieles hier, Was die Thatkraft mag entzünden: Schwartze Röke, goldne Heftchen, Fußparthie’n bei schlechtem Wetter – Alle Abend turnt mein Vetter. –
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Hanns.
Ja, das ist so meine Rage, Auf der schwanken Takelage Hurtig auf und ab zu klettern, Man fühlt sich so nah den Göttern!
Marie.
Feig ist Pulver! – Armbrust, Bolze! Roße dann von saubrem Holtze, Tauwerk, Maste auf dem Lande – Ja, wir trachten jezt, im Sande Einen Schwimmplatz anzulegen.
Hanns.
Ja, da schwimmt sich’s so verwegen. Ueberschnur, ich freu’ mich schon –
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24. Uebersch: Doch des ernsten Mannes Würde –
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222 Hanns.
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Ignoriren Sie die Bürde! O, sie müßen! –
Linde. |:seitwärts, ohne Theilnahme, über einem Gedicht sinnend:| Bist entflohn, Fern o weh, Stern am See! Hanns.
Voltigiren, springen, schwingen!
Marie.
Unter’m Eichbaum Sturmsang singen!
Linde. |:wie oben für sich murmelnd:| Und süß’ Träumen fühl’ ich keimen – Falscher Reim! – Marie.
Vor allen Dingen Nun zum Imbiß!
Hanns.
Und das Ringen! – Sehn Sie – Faust so über’n Magen |:er will’s an Linde versuchen:|
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Linde |:ganz zerstreut:| Was denn? – Hanns. 20
Ohne viel zu fragen, Mit dem Fuße dann geschlagen In die Kniekehl’n –
Uebersch: Aber –
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Linde
Wo? –
Hanns.
Müßen rüklings überschlagen.
Marie.
|:in’s Schloß nöthigend:| Bitte, bitte! –
Uebersch: Ih! Linde.
Ah!
Hanns.
Oh! – |:alle eilig ab:|.
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Zweiter Aufzug. |:Garten. Rosamunde und Marie:|
Rosam:
Wie gesagt, – vor dem Geschwirre Eures Schwanks, der Park und Schloß Wild durchschwärmt in toller Irre, Flüchtet’ ich mich auf mein Roß, Mich im Freyen auszutauschen. Golden glänzten Feld und Bäume, Und das abendliche Rauschen Und der Thäler stille Pracht, Blaue Berge fern wie Träume, Die im Abendroth versanken –: Alles übt’ die alte Macht, Und so ritt ich in Gedanken Durch der Wälder grüne Nacht. Plötzlich hör’ ich Tritte hallen Durch den einsam stillen Grund, Stimmen immer näher schallen, Eine seltne Furcht befällt Schnell mich, – ich lenk’ aus dem Wege, In dem steinigen Gehege Fehlt mein Rößlein, schwankt und fällt.
Marie.
Gott! – Säh’ ich nicht jedenfalls Dich hier vor mir ganz gesund –
Rosam:
Halb auf meines Rößleins Hals, Den ich in der Angst umfaßte, War ich sanft hinabgesunken, Gleich als ob wir beide rasten Wollten auf der blum’gen Rund’. – Doch eh’ ich, vom Schrek ganz trunken, Aus dem faltigen Gewand
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25. 15
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30
1 Zweiter Aufzug.] vgl. hier Anm. zu S. 213.
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Noch mich selber wiederfand, Fühl’ ich plötzlich einen Mund Brennendheiß auf meiner Hand. Marie.
Ey, sieh doch! Ich dachte gar Schon an Räuber.
Rosam:
Räuber? – – Nein, Doch ein junger, fremder Mann Kniet vor mir, hält mich umfangen, Schaut mir unter’m Hut herein In das glühende Gesicht, Streicht dann, eh ich mich besann, Mein ganz losgelaßnes Haar Lächelnd mir aus Stirn und Wangen. –
Marie.
Ach, er wollte nur die Augen! – Aber frug er, sprach er nicht?
Rosam:
Weiß ich’s? – Kaum mir selbst bewußt, Hatt’ er mich aufs Pferd gehoben, Und mit stillgesenkten Augen, Aber tief bewegt die Brust, Saß ich unbeweglich oben, Während er mit fert’ger Hand Dort den Zaum, die Bügel hier Zierlich ordnet’, dann vor mir Auf des Rößleins Hals gelehnt, Zu mir aufsah unverwandt: „O du lieblich Frauenbild!“ Sagt’ er drauf, – und ließ mich frei; Und nun ohne Auffenthalt, Wie ein aufgescheuchtes Wild, Das noch lang’ verfolgt sich wähnt, Flog ich heimwärts durch den Wald.
Marie.
Frugst Du denn nicht, wer er sey?
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Rosam:
Ach, ich war so ganz verwirrt. Was er von mir denken wird! Sieh, ich dankt’ ihm nicht einmal! –
Marie.
Und er war so hülfreich Dir!
Rosam:
Fern wohl ist er schon von hier. Ach, die Welt ist ja so weit! – Und die stille Einsamkeit In dem engumschloßnen Thal, Die Gestalt, die helle Stimme – Alles gieng wohl nun auf immer Mit der Abendröthe unter. – |:sie steht in Gedanken:|
Marie.
Und Du selbst scheinst mit versunken. –
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Rosam: |:erschroken:| Ich? – O nein! ich bin ja munter! – |:heftig:| Komm’ Marie, schaff’ lust’gen Rath, Laß uns zu den Fremden gehn! Recht in tausendfarb’gen Funken Laß des Witzes Feuerrad Lustig sprühen und sich drehn! Ja, ihr sollt mich fröhlich sehn! |:beide ab:|
|:Entlegner Theil von Rosamundens Park, rechts ein Zaun. Graf Wildrung schwingt sich über den Zaun und sieht sich nach allen Seiten um, während man Walter’n noch hinter der Szene singen hört:| Fliegt der erste Morgenstral Durch das stille Nebelthal, Rauscht erwachend Wald und Hügel: Wer da fliegen kann, nimmt Flügel!
Und sein Hütlein in die Luft Wirft der Mensch vor Lust und ruft:
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Hat Gesang doch auch noch Schwingen, Nun so will ich fröhlich singen! |:Walter, in altdeutscher Tracht, erscheint während der lezten Strophe auch auf dem Zaune.:| 5
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Wildrung. |:in’s Thal hinabschauend:| Wie die Tiefe da zu mir Aufrauscht! – Hurrah, schöne Welt! Wo der Blik hinunterfällt: Städte, Wälder, buntes Feld, Ströme schlängelnd wie von Gold – Unermeßlich Lustrevier Schwindelnd vor mir aufgerollt! Ueberschnur |:der während der lezten Worte (Wildrungs), von Wildrung unbemerkt, hervorgetreten u. mit verschränkten Armen dagestanden, diesem plötzlich um den Hals fallend:| Wer Du seyst, verwandte Seele! Sey an’s Bruderhertz gedrükt! Wildrung. Teufel auch! – Sind Sie verrükt?
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Uebersch: Aus dem heil’gen Bund sich stehle Weinend – wen’s nicht hoch beglükt, Aus des Lebens faden Schertzen Einen Bruder aufzufinden, Dem der Weihe Ueberschwang Noch die Pulse peitscht zum Hertzen Wenn der hehre Orgelklang Dieser heiligen Natur Hinbraust durch des Eichwalds Gründe! – Wildrung. Herr, verzeih mir meine Sünde! – Doch wer? – Uebersch: Maler Ueberschnur. Wildr:
Maler?! –
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28. Walter. |:rasch vom Zaune springend, auf dem er bis jetzt, ganz verwundert geseßen:| Ist das nicht der Garten Rosamundens? 5
Uebersch: Aufzuwarten. Walter.
Und wann langten Sie hier an?
Uebersch: Gestern. Wildr: |:heftig lachend:| Das fängt lustig an! Walter. 10
O, ich wittre ungeheu’re Babylon’sche Konfusion! |:lacht gleichfalls:|
Uebersch: Was soll der gemeine Hohn, Wo Begeisterung ein Herz, Wie im Sturm, trägt himmelwärts? 15
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Wildr:
Wie ich auch zum Ernst hinsteu’re – |:lacht wieder:|
Walter.
Nirgends Land! Süd=Nord=West=Ostwärts, Bester! – lauter Konfusion! |:beide lachen fort:|
Linde |:kommt unterdeß, ohne jemanden zu bemerken, langsam aus dem Hintergrunde, für sich rezitirend und in eine Schreibtafel aufzeichnend:| O Lenz hier! Bist nur Lenz mir, um mit Rosen Und Tausendschön die Lieblichste zu kränzen. – Wildr:
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Sind’s Kobolde, die hier neken? ’S wächst ja frisch aus allen Heken!
Linde |:wie oben:| Doch wend’t Sie von uns Ihres Auges Glänzen: Lenz, das entlenzt so Dich wie mich, Freudlosen! – Walter. |:stürzt auf Linde’n los, ihn umhalsend:| Sey an’s Hertz gedrükt, College! Ja, Sie sind’s, Sie sind ein Dichter! Auch ich bin von dem Gelichter. –
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Linde |:ganz giftig:| Sie ein Dichter? – Ein Barbar! In des Busens still’ Gehege, Leis durchweht von duft’gem Singen, Grade so hineinzuspringen, Zarter Sangesblumen Schaar Wie mit Stiefeln einzustampfen! – Hanns |:hinter der Szene:| Heda! Linde! Ueberschnur! |:er tritt auf:| Uebersch: Wie gerufen. –
10
1529.
Linde.
Ha, fürwahr! –
Hanns.
Laßen Sie mich nur verdampfen! Lauf’ ich doch auf Ihrer Spur Durch die herrliche Natur – |:er erblikt die Fremden:|
Linde.
Unterdeß, wie ich hier wandle –
Uebersch. Ernstes mit mir selbst verhandle –
20
25
Wildr:
Stürzt der Herr mir in die Arme.
Walter.
Während ich den da umarme.
Hanns.
Aber – ich versteh kein Wort!
Uebersch: Lachen beide immerfort. Linde.
Lachen, toben. – O, ein Dichter! –
Hanns.
Wie denn? Wer denn?
Linde.
Ja, so spricht er.
Walter. |:zu Hans:| Künstler lieben, sich zu weisen. Da wir hier vorüberreisen, Wollten wir auf eine Stunde Bei der Gräfin Rosamunde – Hanns.
Also Künstler?
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5
Walter.
Doch wir sehen Schon die Gräfin reichversehen. – Nun, es führt ein andermal Uns die Fahrt wohl durch dies Thal.
Hanns.
Nicht doch! Nichtchen wird’s nicht leiden, Daß Sie so von uns hier scheiden. Laßen Sie sich nur nicht stören! Mit der Künstlerschaft der Beiden Hat’s so seinen eignen Kniff. –
|:leise:|
10
15
229
Walter |:rasch Wildrungen bei Seite ziehend:| Deutlich können wir’s nun hören: Da uns die zuvorgekommen, Hat man sie für uns genommen. An dem unverhofften Riff Scheitert unser Narren=Schiff.
20
Wildrung |:ebenfalls leise:| Um die Welt! nur treiben laßen, Was der Zufall hier erdacht! Spielen sie doch wider Willen Mich und Dich mit seltner Pracht! Solch toll’ Zeug, wie die verpraßen, Hätten wir kaum aufgebracht. Jezt uns selbst nur klug verhüllen, Daß sie Graf und Walter bleiben, Bis wir sie von hier vertreiben! –
25
Hanns.
Meine Herr’n, Sie überlegen –
Wildrung. Ja – man ist so überladen, Dahin, dorthin eingeladen, Jede Stunde ist gemeßen – Da wird man denn oft verlegen, 3030. Keinem thut man gerne weh – Hanns. |:für sich:| Ah, die Herrn verstehn’s schon beßer, Ja, die sind vom metièr!
230
5
10
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Wildr:
Meine seltne Fertigkeit Im beliebten Lautenspielen. –
Walter.
Ach, und Zaubertöne leiht Er des Dichters Hochgefühlen!
Hanns.
Componist und Virtuos! – O, wir laßen Sie nicht los, Und es soll Sie nicht gereuen –
Uebersch: |:halblaut:| Alles Ernste zu zerstreuen, Jagt die Welt nach flücht’gen Tönen. Doch des ewigen Urschönen Zielpunkt ist Unsterblichkeit! Wildr:
15
Gilt’s, die Gräfin zu erfreuen, Opfern wir gern Müh und Zeit. – Zwar die Mienen des Herrn Grafen – |:auf Uebersch: deutend:|
Uebersch: Grafen? Hanns.
Kennen Sie einander?
Wildr:
Wie’s denn so ergeht im Wandern! Mit den beiden Herren trafen Wir in Schwytz einmal zusammen.
Linde.
Wie?
20
Uebersch: Sie irren sich, ich reise Nimmermehr mit – Musikanten. Wildr:
O, ich seh’ Sie noch entflammen, Wie wir auf dem Rütli standen In dem heiligen Gebraus! –
Walter.
Ja, Sie machten lange Schritte, Stolz und edel wie ein Britte –
Wildr:
Doch so glatt war’s auf dem Eise, Und Sie glitschten rüklings aus. –
25
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231
Uebersch: |:zu Hanns:| Die sind hier nicht recht zu Haus! |:auf den Kopf deutend:| Hanns.
Ey! Ey! –
Walter.
Seinen Freund zu halten, Eilt’ der Herr da, |:auf Linde weisend:| – aus der Tasche So im raschen Sprunge schwippte Ihm ein Bündel Manuscripte.
Linde.
Kaum weiß ich mich noch zu halten!
Hanns.
Ey! Ey! –
Wildr:
Und im Wind’, o Götter! Flatterten die luft’gen Blätter.
5
10
Linde. Walter.
Aber – Und ich rette, hasche 15 Grafen, Blätter, – aber Gott! 31. Damals trug ich noch so ’nen langen Modisch englischen Kapott, Bleib’ an allen Heken hangen – Wildr: Ja, Du that’st ein’n garstgen Sturtz. 20 Walter. Seitdem trag’ ich mich so kurtz. – |:auf seinen altdeutschen Rok deutend:| Uebersch: Ha, ich bin ganz außer mir! Wildr: Sehr viel Ehre! – Ja, auch wir Sind entzükt, – dieß Wiederseh’n! – 25 Scheint ganz unverhofft geschehn. Hanns. Linde. O, ich kenne mich nicht mehr! Walter. Glaub’s, ’s ist ziemlich lange her. – Uebersch: Wenn ich Ihnen aber sage: Ich, der Maler –
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Wildr: |:lachend:| O Sie schertzen! Maler? – Freilich, keine Frage, Mit dem gluterfüllten Herzen – Ihre Reisen – 5
Uebersch: Wie? Was? schertzen? – Linde.
Komm’ ich doch hier in’s Gedränge! –
Hanns |:für sich:| Brächt’ ich’s nur zum Handgemenge! Nun, man kann denn doch nicht wißen. –
|:laut:|
Linde. 10
Wie? Ich werd’ doch wißen müßen –
Uebersch: Und ich sehe gar nicht ein, Warum ich nicht ich soll seyn! Wildr:
Aber diese Aversion! –
Uebersch: Lügen! 15
20
Walter.
Was!
Linde.
Ja, nichts, als Hohn!
Hanns.
Meine Herr’n, ich muß Ihn’n sagen – Sie verstehn sich doch auf’s Schlagen? –
Wildr:
Aber –
Linde.
Satisfakzion!
Hanns.
Prächt’ge Händel!
Walter.
Konfusion!
Wildr:
Aber darf man denn nicht fragen? –
25
Uebersch: Nichts da! Linde.
Satisfaktion!
⎫ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ |:Muß rasch durch⎪ ⎬ einander ge⎪ sprochen werden:| ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎭
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|:Rosamunde, von Marie’n gefolgt, tritt rasch auf. Die Streitenden theilen sich so, daß Wildrung und Walter von den anderen gedekt werden:|
Rosamunde. Ist denn alle Zucht entflohn? Jeder streitet gegen Alle, Von dem widerwärt’gen Schalle Werden durch den gantzen Garten Alle wilden Echo’s wach. 32. Mehr Achtung durft’ ich erwarten |:sich besinnend u. auf Marie weisend:| 10 Vor der milden Gräfin – |:indem Sie Wildrung plözlich erblikt, sich an Marie lehnend:| Ach! – 5
Marie. 15
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Was geschieht Dir?
Rosam: |:sich aufrichtend:| Nichts, o nichts. – Wildr: |:leise zu Walter, auf Rosam: deutend:| Nun, Gott weiß, das ist die Schöne, Die im Schein des Abendlichts Mit dem Zelter niedersank. – Marie. Noch steh’ ich verwundert – bang, Erst verworr’ner Stimmen Klang, Rings nun glühende Gesichter – So verstört, – zwei Unbekante. – Hanns. Lauter werthe Kunstverwandte: Hier ein Meister holder Töne, Und hier – noch ein zweiter Dichter. Wildr: Gräfin, wir steh’n schüchtern fern – So in lautem Ringen, Schwingen In die Stille hier zu dringen! – Ja, die wollen nicht gestehen, Hanns. Daß sie mit den beiden Herr’n In der Schweitz sich schon gesehen. So? – Marie.
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Uebersch: Pur’ Irrthum! Linde.
Loser Schwank!
Uebersch: War zwar dort – Marie. 5
So?
Wildr: |:für sich:| Gott sey Dank! |:laut, aushorchend:| Nun, Sie denken doch der Hütte, Simpel, wie sie Geßner giebt? – Drinn das jungfräuliche Weesen, Was unschuldig, sehr verliebt, – So naiv – und o belesen! – Das kommt von den reisenden Britten – Eine wahre Mimili! –
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Hanns |:zu Uebersch:| Ey sieh doch, Sie Loser Sie! Uebersch: |:heimlich zu Wildrung:| Möglich, daß wir uns gesehen! 15 Aber still nur, ich muß bitten, – 33. Nichts mehr von dem Strebeflug Dieser holden Sympathie, Die mich zu den Sternen trug! – ’S schikt sich hier nicht, – Sie verstehen. – 20 Wildr: |:leise:| Gut getroffen! Hanns |:desgl:| Gantz verwandelt! – Marie |:leise zu Rosamunde:| Wie er heimlich unterhandelt. – Rosam: |:zerstreut:| Gott! Er wird sich doch nicht schlagen? – 25
Marie.
Wer denn?
Wildr: |:ziemlich laut zu Uebersch:| Taubstumm tragen Will ich’s in der tiefsten Brust. Walter. |:sich Marie’n nähernd u. auf ihre beiderseitige altdeutsche Kleidung deutend:|
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Dürft’ ich wagen, zu vergleichen: Dünkt es mich ein freundlich Zeichen –
5
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Marie. |:etwas betreten:| Nur ein Spiel – ’ne flücht’ge Lust. – |:für sich:| Gott! ich weiß nicht was ich sage! – Dieser Kunstbesuch gehört Ganz und gar nicht mit zum Plane, Und verwirrt nun und gestört, Find’ ich nicht den rechten Ton. Wildrung. |:zu Rosamunden:| Still und scheu, gleich einem Schwane Nach der Heimath stillen Seen, Sind Sie gestern uns entflohn. Rosam: |:verlegen:| Soviel’ Dank bin ich Ihn’n schuldig. – Wildr:
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Und der Gläub’ger, wie Sie sehen, Ist ein wenig ungeduldig, Kommt bald selber nach, zu mahnen.
Marie |:die unterdeß mit Waltern gesprochen, für sich:| Nein, ich muß nur schnell beenden, Daß sich die Gedanken wenden! – |:laut:| Laßt uns nach dem Schloße gehen! Sie bedürfen wohl der Ruh. Dekt doch Nacht mit ihren Schleyern Rings bald Thal und Höhen zu; Nun, da soll der Mensch auch feyern, Von der Erde, die so still, Selber still zum Himmel sehen. – |:zu Ueberschnur:| Doch Sie sind uns das Idyll Ihrer Reisen – von der feinen Hirtin – schuldig noch geblieben. Morgen mehr denn! – O Sie scheinen Das Incognito zu lieben! – |:geht mit Rosamunde ab:|
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34. Wildr: |:nachfolgend für sich:| Lieben oder nicht verlieben – Ja das ist die große Frage! Hanns. |:im Abgehn:| Der scheint mir von luft’gem Schlage, Spricht bisweilen wie ein Buch. – 5
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Walter. |:ebenfalls nachfolgend:| Ein recht tücht’ger Narrenzug Schlängelt dem sich durchs Gesicht. Linde |:im Abgehen Walter d!urch" die Lorgnette musternd:| So ein Taschenbücher=Wicht Ahnt nicht des Karfunkels Glanz! – Uebersch: |:allein, allen Abgehenden in stoltzer Stellung nachschauend:|. Summ’t nur hin, wie Mükentanz, Der am niedern Boden kreist, Während fort zu sonn’ger Höhe Meiner Götter Gunst mich reißt! – O ja, Gräfin, ich verstehe! – – Nicht beachtet Sie den Sänger, Dem der Würde Schmuk gebricht; Was im Hause auch geschehn: Stets auf mich nur, den verwegnen Kühnen Götterliebling weist Dieses Hauses edler Geist Mit geheimnißvollem Finger. – Und die räthselhaften Blike, Wenn Sie mit mir selbst dann spricht! O, ich kenne diese Brüke, Wo die Geister sich begegnen! – Auch die Gluth jezt im Gesicht, O, ich hab’ Sie wohl verstanden! Eifersucht! – Sie scheint zu meynen, Daß mich in unwürd’gen Banden Jene Hirtenmagd noch hält, Mich – ha, dem zu klein die Welt! –
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|:er geht stoltz auf und ab:|
Fein, recht fein gesagt: „Sie scheinen Das Incognito zu lieben. –“ Ja, nun wird mir’s plötzlich klar, Was ich längst hätt’ merken können: 5 Das Verwechseln und Verkennen, Das der Zufall sonderbar Hier mit mir scheint zu belieben, Will mit Absicht Sie verbreiten, Man soll lauschen, zweifeln, deuten, 10 Heimlich soll ich vor den Leuten, Würd’ger Ihr, als Graf erscheinen. – O, es sey denn! – Nicht verneinen 35. Will ich’s mehr. – Frägt man mich eben, Will ich halbe Antwort geben, 15 Mit dem Schnupftuch zierlich fächeln, – Vornehm niken – heimlich lächeln. – Muß ich’s selber doch bekennen: Meiner Rede Kunstgestaltung, Mein Geschmak – die edle Haltung – 20 |:plötzlich in Extase:| O Du! – wie soll ich Dich nennen? – Glutbeschwingter Hertzerheber, Hoher Amor, Wonnegeber, O entrüke kühn den Deinen Diesem Thal’ – zu Papho’s Hainen! 25 |:Wildrung und Walter kommen.:|
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Walter.
Nun, das heißt sich durchgelogen! Gut nur, daß die Damen heut Sich so früh zurükgezogen.
Wildr:
Ich bin noch so wach, zerstreut. Laß uns noch im Freyen hausen.
Walter. |:den Uebersch: bemerkend:| Ey sieh da! Sie auch noch draußen?
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Uebersch: Ja, ich promenir’ ein wenig. Wildr:
Man hat drinnen Sie vermißt. –
Uebersch: Hat man? – |:schmunzelnd:| Ja, ha, ha, man ist Hier sehr gütig gegen mich. – 5
Walter.|:leise:| Jemine! wie brüst’t er sich! Uebersch: |:vornehm:| Nun, meine Herren, es gefällt Doch bei uns? – Wildr:
10
Wie einem König’, Der incognito auf Reisen! Und noch beßer, – denn da hält Bürde heimlichen Gewichts Auf den altgewohnten Gleisen Noch den Halbbekannten nieder. –
Uebersch: |:leise:| Ach, da meynt er mich schon wieder. – Doch ich hab’ schon frei’re Hand, Bin, wie aus ’nem Prunkgewand, Gleichsam aus mir selbst gefahren, Ich bin ich nicht – ich bin nichts! –
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Wildr:
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Uebersch: Nun, Sie sind noch nicht bei Jahren, Können auch noch etwas werden. Wildr:
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O, ich werde so verkannt! –
Uebersch: Nicht verzweifeln soll der Mann! Wenn ich Ihnen dienen kann: – Mein Verkehr mit den Behörden – Manche wicht’ge Konekzionen – Ja selbst hier giebt es Personen, Wo ich gelte. – –
36. Walter. |:heimlich zu Wildr:| Legionen Narren scheinen da zu wohnen! 30 Er spielt den Mäzen. –
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Wildr. |:zu Uebersch:| Viel Dank! Ohne Zweifel – schon Ihr Rang –
5
Uebersch: Wie? – O – nein. – Nun, wie Sie wollen! – Apropos! Sie werden morgen Doch von Ihren Künstlergaben Etwas uns zum Besten geben? – Walter. |:für sich:| Richtiger: zum Besten haben! –
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Uebersch: Und schon etwas uns besorgen Wie wir’s lieben –: was im vollen Sphärenklang uns mag erheben. O, ich freue mich recht sehr! – Doch ’s ist spät – Adieu, mon chèr! |:mit Anstand ab:| Wildr: |:ihm erstaunt nachsehend:| Der wird doch so toll nicht seyn! – Hält sich wahrlich selbst für mich! Walter.
Und die Gräfin obendrein, Scheint es, für verliebt in sich. –
Wildr:
So ein kalekuttscher Hahn! – Wie man auch in Ernst verloren: ’S ficht ein’n unwillkührlich an, Einen Esel ihm zu bohren.
Walter.
Seinen saubern Liebesplan Müßen wir gleich weiter spinnen! Erst so was, wie aus Versehn, Von der Gräfin fallen laßen: – Wie Sie heimlich möcht’ verblaßen, Angenagt vom Minnezahn –. Wenn Sie nur wollt’ Spaß verstehn! – ’S will mir alles noch nicht paßen. – Liebster, laß uns einmal sinnen!
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240 Wildr:
Ruf’ Du mich, gilt’s lust’ge That! Doch zu so vernünft’gem Rath Bin ich heute viel zu fröhlich, Fröhlich recht in tiefster Brust! Eine lang entbehrte Lust, Wie aus stiller Frühlingsferne, |:o Wie wenn Frühling naht von ferne,:| Ist bei mir neu eingezogen. Nun, so will ich auch glükseelig In den monderhellten Büschen Einmal recht aus hellem, frischen Hertzen singen durch die Nacht, Daß Frau Nachtigall erwacht!
Walter.
Daß nicht Amor mit erwacht! – Scheint es doch: zwei schöne Sterne Stehn an Deinem Himmelsbogen. – Bruderhertz, nimm Dich in Acht! –
Wildr:
Wer hat je sein Glük bedacht?! – |:beide ab:|
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37.
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|:Rosamunden’s Garten u. Schloß. Zu dem Eingange des Schloßes führen mehrere steinerne Stufen, von beiden Seiten mit Orangerie und Blumen besezt. Auf der obersten Stufe der Teraße sizt Rosamunde, ihr zu Füßen: Marie:|.
Rosam:
Von des Tages wirrem Thun Laß uns hier ein Weilchen ruhn, Wie auf weitem, stillem Meer. –
Marie.
Leise kommt die Luft daher, Daß die Wipfel säuselnd zittern. Fernab an des Himmels Saume Leuchten schweifende Gewitter.
Rosam:
Schweigt der Menschen laute Lust, Rauscht die Erde wie im Traume, Was dem Hertzen kaum bewußt:
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Wunderbar verworr’ne Klänge, Alte Zeiten, linde Trauer, Und es schweifen leise Schauer Wetterleuchtend durch die Brust. 5
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|:Man hört in der Ferne einige Akkorde auf der Guitarre angeben:|
Rosam:
Was ist das?
Marie.
Der fremde Sänger Macht wohl tönend seine Runde.
Rosam:
Der, meynst Du? – zu dieser Stunde? –
|:Man hört Wildrungen hinter der Szene in einiger Entfernung die erste Abtheilung meines Liedchens aus meiner Gedichte=Sammlung: „Euch, Wolken, beneid’ ich p.“ singen. (NB: Dieß Lied hier in margine hineinschreiben! –) Da er aufhört zu singen: :|.
Rosam:
Wieder still die nächt’ge Runde! Nur im mondbeglänzten Grunde Rührt der Wald sich, rauscht der Fluß. –
Marie.
Wie die Klänge dieser Zitter Schmachtend durch den Garten hallten! War’s doch wie ein Liebesgruß!
Rosam:
Zwischen diesem Blumengitter Ist’s so heimlich ja – es halten Lilien rings verschwiegne Wacht, So vertraulich ist die Nacht, Warum sollt’ ich Dir’s nicht sagen: – Dieser fremde Sänger war es,
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Oder vielmehr wohl das Gedicht aus meiner Gedichte= Sammlung: worin vorkommt = „Ich hab’ ein Roß mit Flügeln p.“ – u. welches schließt: = „Wir fliegen heut davon!“ – das wohl auch wird zu theilen gehen. –
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Der im stillen Waldesgrunde Auf mein Rößlein mich getragen. – 38. Marie. 5
10
15
Dieser?! –
Rosam: |:ihr Gesicht an Marie’s Hals verbergend:| O, ich kannt’ sein klares Auge, schlug ich mein’s auch nieder, Gleich im tiefsten Hertzen wieder. – Und mir ist seit jener Stunde, Wie mein müdes Hertz auch ringt, Als hielt’ dieser Fremde immer Noch den Arm um mich geschlagen, Und die Welt |:o Der Wald das Thal:| läg’ noch voll Schimmer, Und Er hätt’ mich fortgetragen Weit und weiter – horch, er singt! – |:Sie bleibt in ihrer Stellung:| |:Wildrung singt von ferne die 2te Abtheilung obigen Liedchens bis zu Ende:|
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Rosam: |:sich plötzlich aufrichtend:| Gehn wir! Ich bin überwacht. – So verlokend weht die Nacht, Wie entfernten Meeres Rauschen, Wo Syren’n im Mondenschein Irre Töne leis verhauchen, Singend wieder untertauchen, Und im tiefverschwiegnen Lauschen Zieht’s die Seele mit hinein, Ach, wie in ein Meer von Wemuth. – Marie.
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O, wie lieblich kannst Du seyn! Und wie kleidet Dich so schön Diese mädchenhafte Demuth. –
Wildrung. |:erscheint auf der einen Seite:| Sind Sie’s nicht, die droben stehn? –
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Dieser Lüfte süß Gekose: Lokt’s Dich auch, du weiße Rose? |:er bleibt in der Ferne an einen Baum gelehnt:| Rosam:
Vieles, was ich sonst gelesen – Seit den Sänger ich gesehn, Lern’ ich’s überrascht verstehn, Und ich muß mich oft besinnen: Wie es ehedem gewesen? –
Wildr:
Hauch’ nur traulich alle Düfte In der Nacht verschwiegne Lüfte!
Rosam:
Zieht Er wieder einst von hinnen: Weiß ich doch nicht, wie ich’s trage. –
Marie.
Bist Du fröhlich: laß die Frage: Was die Zukunft noch mag bringen? |:o das Morgenroth wird bringen?:|
Rosam:
Fröhlich? – horch, es schweigt das Singen. – O, ich weiß nicht, was ich sage! – Mich verwirrt der laue Wind Und ich plaudre, wie ein Kind. Komm, komm! Weilen wir nicht länger!
Marie.
Armes Hertz! Glükseel’ger Sänger! – |:beide gehn ins Schloß:|
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Wildrung.|:rasch hervortretend:| Nun, Guitarre, brich in Stüken! 25 Denn dein blödes Girren hält 39. Keinen Klang für das Entzüken. – Hertz, was freut nun, was betrübt dich Weiter noch auf dieser Welt?! O, Sie liebt mich ja, Sie liebt mich!
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Dritter Aufzug.
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|:Gartenplatz vor Rosamundens Schloß mit einigen Rasensitzen, rechts eine Staffeley mit Malergeräthschaften. Hanns und Walter:| Hanns. Ueberschnur! Du Graf voll Tüke! Darum also diese Blike, Heimlicher Verzükung Spuren – Diese Kraft=Kolloraturen In der Rede! – Walter. Ja, er hält Schon die Gräfin für die Seine. – Hanns |:auf die Staffeley deutend:| Alles ist schon aufgestellt. Bald wird er nun selbst erscheinen, Um die Nichte hier im Freyen, Wie Sie’s wünscht, zu konterfeyen. Haben Sie was aufgesezt? Walter. |:einen Zettel hervorziehend:| Nur mit Bleistift schnell geschrieben, Etwas schief, wie’s Frauen lieben. |:er liest:| „Heute in der Dämmer=Stunde Winkt im Park an der Rotunde Reiher=Strauß am türk’schen Bunde. –“ Dann ein C und R zulezt, Heißt: Comteße Rosamunde. Könnt’ auch heißen: Carolina Und dann hinterdrein: Regina. – Hanns. Herrlich! Rasch nun angestekt! |:Walter heftet den Zettel mit einer Nadel an die Staffeley:| Wenn Er es nur gleich auch fände! – Nun, wir bleiben hier verstekt, Daß nicht unberufne Hände – Walter. Und an Ihre Toilette Haben Sie doch wohl gedacht?
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Hanns.
O wie Ninon! und ich wette Selbst ein Klüg’rer kennt mich nicht. Falsche Loken, einen Sammthut, Von dem reiche Schleyer wallen Schmachtend über’s Angesicht, Eines seidnen Mantels Pracht Birgt die nicht gar schlanke Taille. Dann die zaubrische Emaille Einer holden Mondennacht! O, wir wißen’s ja wohl alle, Was da leiser Druk der Hand thut! – Bei der Nachtigallen Chor, Etwa um die zehnte Stunde Harr’ ich so an der Rotunde, Kommt Er, schweb’ ich sacht hervor.
Walter.
Nur den Damen nichts verrathen!
Hanns.
O, für diese Meister=Thaten Sollen die uns bald noch danken! Denn laß’ ich erst meinen Schleyer Lose in den Lüften wehn, Treibt den überläst’gen Freyer Das Entsetzen aus den Schranken Wohl auf Nimmerwiedersehn.
Walter.
Fort! Ich höre jemand gehen. |:sie versteken sich hinter ein Gebüsch:|
5
1040.
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Ueberschnur. |:kommt:| Gräfin! – Wie! noch niemand hier? – War’s doch, als ob ein Gewand Rauschend durch’s Gebüsch sich wand. |:er tritt an die Staffeley:| Was ist da? – ein zart Papier! |:er nimmt den Zettel u. liest ihn:| R o R! – ja, Rosamunde! – Ja, von zager Scham vertrieben, War Sie’s wohl, die hier entschwand. –
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|:In Extase, immer dazwischen wieder in den Zettel blikend:|
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O, Aufklärung! Zeitgeist! Liebe! „Heute in der Dämmerstunde –“ Rang ist dir ein schnöder Tand! „Reiherstrauß an türk’schem Bunde –“ Nieder schmetterst du die Wand! „In dem Park an der Rotunde –“ |:den Zettel einstekend, in erhabner Stellung:| Großes soll Dir noch gelingen! Hanns |:hervorgukend, leise:|. Was spricht der, wie wirr im Kopf? Walter. |:desgl:| O, er kriegt sich selbst beim Schopf, Um sich aus sich selbst zu schwingen. Hanns.
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Still! Marie – |:verbeßernd:| die Gräfin kommt. |:sie verbergen sich:|
Marie |:tritt auf:| Ey, schon hier, Herr Ueberschnur? Nun ich meyne, beßer frommt Ihrer Kunst es, mir und Ihnen, Statt im düstern Ahnensaale, Zwischen Blumen hier, im Grünen Freundlich heiterer Natur, Ein recht freundlich Bild zu malen. Uebersch: |:bedeutungsvoll:| Musen werden alle Horen: Folgt der Künstler so Auroren, Die mit stillgeheimer Gluth Schüchtern noch in Osten ruht. – Marie.
Brav, daß Sie so guten Muth
!41."–!52." !Textverlust" !41."–!52." !Textverlust" 53. Linde. 30
Wie! Entführen? – Ungeheuer! Tiefgeheime dunkle Saaten Nachtverschlungner Abentheuer
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Brütet hier die Einsamkeit. Kehrst du wieder, alte Zeit Kräft’ger, ritterlicher Thaten? – Unbewaffnet hier zu weilen Dünkt mich eben nicht gerathen. – Hätt’ ich meine Terzerolen! – Ja, zum Schloße will ich eilen, Will sie laden, will sie holen! |:eilt ab:| |:Hans, in einem Damenmantel mit Turban, Straußfeder u. Schleyer, u. Walter kommen an. Marie verbirgt sich seitwärts hinter das Gebüsch:| Walter Athemlos muß ich erliegen Ach, vor Laufen u. vor Lachen! |:zu Hanns:| Zephyrettchen, Du kannst fliegen, Daß rings Strauch u. Aeste krachen. | Hans. :heimlich umherspähend, für sich:| Hier muß doch Marie wo steken. |:er entdekt sie:| Ah dort! – Wart, die will ich neken! |:zu Walter:| Kontinuiren Sie nur die Liebe, Daß ich mich ein wenig übe! Walter. O, wie könnt’ ich anders, Holde! Laß das jungfräuliche Bangen, Edles Schwartzwild, bist gefangen Hier im Liebesnetz von Golde; Da hilft nun kein Brüllen, Kreischen, Hohes Weib, ergieb Dich mir! |:oder = o liebe mir!:| Marie. |:in ihrem Verstek:| Ey, ein saubrer Paßagier! Läßt sich wahrlich selber täuschen! Freilich, so im Mondenschein Eine Dame gantz allein, Wer möcht’ da galant nicht seyn! – Jede ist ihm eben recht, Nein, fürwahr, das ist recht schlecht!
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Hanns |:zu Walter, mit verstellter, feiner Stimme:| O, Sie wißen so zu rühren! Wollen wir nicht promeniren? – |:er wandelt in die Gegend, wo Marie verstekt ist:| 5
Walter.
Ja, ich folge Dir! Es dreht Nach der Lieb’, wie zum Magnet Sich des Mannes Eisenhertz. Und o hier noch obendrein Solche Maße von Magnet! –
10
Hanns.
O, Sie Loser! – ach, mein Hertz! – Doch wer weiß, in welchem Hain Nun ein armes Mädchen irrt, Dem Sie Liebe vorgegirrt; Wie ihr weh nun, wehe wird Bei dem Lied der Philomele – Ob’s vielleicht nicht eben brach Das verlaß’ne Hertz – ach, ach! –
Walter.
O, wie wird Dir, schöne Seele! |:er unterstüzt den sich auf ihn lehnenden Hanns:|
Marie.
O, daß ich nicht lachen kann! Der Treulose! –
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Hans |:sich zusammenraffend:| Theu’rer Mann, Nun geschwinde fort, ich bitte, Denn ich höre Heldentritte! 25
|:Walter verbirgt sich rasch im Gebüsch. Ueberschnur kommt:|
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Ueberschnur. Hehre Mutter, o Natur, Streue Düfte! – es gefällt Deinem Liebling, hier zu wandeln. – O verhülle seine Spur Vor der rohen Alltagswelt! |:Hanns hustet leise:|
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Ueberschn: |:ihn bemerkend:| Ha, Beherrscherin der Flur!
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Hanns |:dieß u. alles Folgende mit verstellter Stimme:| Ach, ich bin so recht erschroken! – Weil die Nachtigallen loken, Gieng ich in den Wald hinaus, Blümchen pflükt’ ich mich zum Strauß – Dachte nicht – – Uebersch: |:gantz entzükt:| Ja, Reiherstrauß An der türkischen Rotunde, Winkt der Park Dir an dem Bunde! – Hanns.
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Bitte! bitte! – Rosamunde Muß sonst schamroth gehn u. weinen. –
Uebersch: Unschuld! laß Dein göttlich Roth, Dieses Morgenroth mir scheinen! |:er will den Schleyer des Hanns heben:| Hanns.
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Nein, nein, nein, nein, Schwerenoth! |:da Ueberschnur stuzt, einlenkend:| Ei, du loser Mondenschein, Schlau mit Blumen du verkehrst! Rosamundens Wang’ u. Kinn Sollst du, Schmeichler, nicht entweihn! |:zu Uebersch:| O nicht wahr, du Starker ehrst Scheuer Jungfrau zarten Sinn? Uebersch: Tugend! hoher Klang aus Sphären! – Doch hier kann uns niemand stören, Sieh, gebunden liegt der Tag – Hanns.
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O, daß sie nicht dauern mag, Süße Nacht, aus Duft gewoben! Wieder bricht des Tages Glantz In die stille Welt herein, Ach, mit seinem Lärmen, Toben Und mit seinem Vetter Hanns! –
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Wer ahnt da, was Jungfrau sinnt? Und so steh’ ich, Zarte, gantz Unverstanden und allein. – Ach, ich armes, armes Kind! –
55. 5
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!Wid er Wi ll en . " L e se fa ss ung
Uebersch: Flücht’ an kühne Mannesbrust! Niederkämpf’ ich Deine Schmertzen, Ha! wär’s gegen eine Welt! – Nur den kühnen Heldenseelen, Wie die Griechen uns erzählen, Hat sich Eros gern gesellt, Lohnend sie mit würd’ger Lust. Nicht verschmäh’n gigant’sche Hertzen Auch zuweilen hold zu schertzen. Walter.
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Innerlich zu hüpfen an Fangt nunmehr der kühne Mann.
Marie |:auf Walter deutend:| Ließe der doch alle Gloßen! Beides würdige Genoßen! –
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Uebersch: |:der indeß einen Eichenzweig gebrochen, ihn um Hans Stirne windend:| Nimm’ aus Deines Freundes Hand Dieser Stunde Unterpfand, Deutscher Frauen Schmuk u. Helm Ist dieß Kraftlaub – Hans.
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Kleiner Schelm! |:sich vergeßend, mit natürlicher Stimme:| Ueberschnur, o liebst Du mir?
Uebersch: |:tritt erstaunt zurük:| Hans. 30
Hat nichts zu bedeuten, Lieber, Heiserkeit – so kühl ist’s hier, Da schnappt oft die Stimme über.
!Wid er Wi ll en . " L e se fa ss u n g
5
Uebersch: |:der sich wieder gesammelt hat:| Ob ich liebe? – Frage wieder Wenn die Welten stürtzen nieder, Wenn verrauscht der Strom der Tage! An der Zeiten Sarkophage: Meine Lieb’ – u. Ewigkeit! Walter.
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Sey es frühe, sei es spat: Auerhahn schlägt stoltz sein Rad.
Hanns. |:zu Uebersch:| Thust dir gar noch was zu Leid! Mußt mir nicht so wilde seyn, Ey, hübsch artig, still u. fein! Komm’ tuktuk! – laß’ uns hier sitzen. |:auf eine Rasenbank deutend:| Uebersch: Da ists gantz von Thaue naß. –
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Hans.
O, das ist für mich nur Spaß! |:sezt sich, Ueberschnuren nöthigend:| Bitte!
Uebersch: Aber – Hans. 20
Kann nichts nützen! |:Ueberschnur sezt sich widerwillig. Sie sprechen leise fort:|
|:Von der anderen Seite der Bühne kommen Rosamunde u. Wildrung:|
Wildrung. Flieh’ nicht! weile! Sieh, es warten Meine Pferde dort am Garten, Nur Ein Wink, ein fröhlich Wagen 25 Und in sonn’ge Freiheit tragen Sie geflügelt uns hinaus, Und wir bauen unser Haus 56. Wo die Alpen uns beschirmen, Oder an den Blütenstrand, 30
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!Wid er Wi ll en . " L e se fa ss ung
Den die trunknen, sonnentbrannten Meereswogen ewigrauschend Wie in Liebeswuth bestürmen. 5
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Walter.
Wie? Noch andre Kommödianten? –
Marie.
Es verdoppelt die Gestalten. Nein, es graut mir, hier die Wacht Länger einsam noch zu halten!
Rosamunde. |:die in Gedanken gestanden hat:| Glaub’ nicht, weil ich schweigend säume, Daß ich’s prüfend überdacht, Was Du wie im Wahnsinn sprichst. Anders hatt’ ich’s mir gedacht! – Nun Du in die stillen Träume Wie ein Trunkner frevelnd brichst: Bin ich plötzlich aufgewacht, Und die Zauber rauschen nieder – Und Du siehst mich niemals wieder! Wildrung. |:ihre Hand festhaltend:| Nein, so dürfen wir nicht scheiden! S’ war so wild ja nicht gemeynt. Hat die Kirch’ uns erst vereint, Was kann dann Dich noch erschreken? Sag’ doch selbst, ist’s denn zu leiden: Erst bei Basen künstlich werben, Dann Verlobung, Ehepakten, Wer den andern soll beerben, Nachricht dann ins Wochenblatt – Ach, da wird man ja todtmatt! – Doch – mein Gott! – Du hast geweint. – Rosam:
O, wär’ ich weit, weit verborgen! Laß mich gehn. –
Wildr:
Und morgen – morgen? –
!Wid er Wi ll en . " L e se fa ss u n g
Rosam:
Ach ich weiß, ich weiß ja nicht! –
Wildr:
O verbirg’ nicht Dein Gesicht! In der Welt an keinem Orte Hast Du einen treuer’n Freund. Mit dem stillverweinten Blik Darfst Du nicht ins Schloß zurük. Laß’ ein Weilchen erst die Wellen Kühler Lüfte, linder Worte Dir die Aeuglein wieder hellen! |:er zieht sie zu sich auf eine Steinbank:|
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|:Von der anderen Seite auf dem Rasensitz:|
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Uebersch: Doch, willst Deinen Ueberschnur Halten Du auf stiller Flur: So verbanne ohn’ Verzug Johann, den unwürd’gen Vetter, Aus dem Auffenthalt der Götter! Hanns.
57. 20
25
Wie mein Liebster! sind Sie klug? Hanns, den vielgeliebten Vetter, Den ich zu den Seltnen zähle, Diesen immer treu gewesnen Höchstverständ’gen, sehr beles’nen Liebenswürd’gen jungen Mann? – O, man sieht’s ihm nur nicht an, Der verkannten edlen Seele!
Uebersch: Eh’ mag Feu’r und Fluth sich einen, Als das Hohe dem Gemeinen! Gräfin! solch’ ein Kaliban – Hanns.
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Herr! Sehn Sie mich nicht so an! – Ich will den Kousin nicht preisen, Doch er ist gescheuter, als – Auch wohl stärker allenfalls –
Uebersch. |:sehr verwundert:| Wie? –
254 Hanns.
5
Das könnt’ er bald beweisen. O ich unglüklichste der Weiber, Daß ich jezt nicht –
Linde. |:der während der lezten Worte, mit Pistolen u. einem Reisesäbel bewaffnet, herangeschlichen u. auf Marie’n gestoßen ist, faßt diese plötzlich scherzend:| Jungfraunräuber! Marie.
Herr Gott!
Linde.
Ritterliche Wahl: Hier Pistolen oder Stahl!
Marie.
Ach, Sie kommen recht fatal! Still nur! Hier ist nicht der Ort – Gott! wär’ ich nur dießmal fort! |:sie giebt ihm einen Stoß u. entflieht:|
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Linde. |:ihr mit gezogenem Säbel nachsetzend:| Ha, vergebens wirst Du flüchtig! Marie. |:sich in Walter’s Arme stürtzend:| Rette mich, er ist mondsüchtig! Walter.
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|:für sich:| Was beginn’ ich mit dem Kinde? – |:Linde’n abhaltend:| Linde, werde wieder linde! |:zu Marie’n:| Doch, mein Herr, ich muß gestehn –
Nach dem allen was geschehn, Werden Sie Sich müßen schlagen.
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Linde.
Solche Frevelthat zu wagen!
Marie.
Aber hört mich doch nur an! Ach, ich schein’ ja nur ein Mann.
Walter.
Ja, das könnte mancher sagen.
Marie.
Welche unglükseel’ge Stunde! Wüßt’ ich nur, wo Rosamunde –
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Walter.
|:erstaunt:| Wie, die Gräfin? – Sind Sie’s nicht? –
Marie.
Sehn Sie mir nur ins Gesicht, Ich bin Ich, ich bin Marie.
Walter.
So! so! – Wirklich? Also Sie? –
Marie.
Gott, das hab’ ich gut gemacht! – Nun, Verstellung, gute Nacht, Wie das jezt noch enden wird!
Linde.
Staunend steh’ ich, ganz verwirrt –
58. Marie. |:verdrießlich:| Ach, mit Ihrem Ritterthum! 10
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Ueberschnur. |:zu Hanns:| Schone Deines Namens Ruhm! Lauscher rings auf allen Gaßen. |:er entflieht:| Hanns |:müht sich vergeblich, ihn festzuhalten:| Weh Dir Ungetreuer, weh! Könntest Du mich jezt verlaßen Hier in solchem Demelée! |:Man hört hinter der Szene:| Halt! halt! hier kommt niemand
fort!
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|:Mehrere Bediente mit Windlichtern, welche plötzlich die gantze Gruppe vorn beleuchten, treten im Hintergrunde auf, Ueberschnur’n in ihrer Mitte:|
Uebersch: Ha, bedenket, was ihr wagt! Laß’ mich los, du grober Knoll! Bediente. Ach, was grob! hier ist der Ort, Wo der Räuber steken soll. 25
Andrer Bediente. Ja, Herr Linde hat’s gesagt. Rosamunde. |:die bisher alles erstaunt beobachtet hat, tritt hervor:| Welch’ Getümmel muß ich hören! Wer ist hier so wild vermeßen, Aller Sitte zu vergeßen,
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Und mit tollen Fastnachtsstreichen Selbst die Nächte zu verstören? Bediente. Ach, verzeiht – Herr Linde – Rosam: 5
Der?
Bediente. Ja, Herr Linde rief uns her, Einen Fremden sah er schleichen, Hört’ ihn von Entführung sprechen. – Wildrung. Uns belauscht’ der Mondschein=Wicht. Rosam: |:für sich:| Wo verberg’ ich mein Gesicht!
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Linde. |:auf Marie’n weisend:| Dieser war es, den ich sah, Deßen Unbill ich wollt’ rächen. Rosam.
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Wie? Marie, auch Du bist da? Sieh’, das Wort versagt dem Munde, Du – vermummt – in dieser Stunde –
Marie.
Liebe, Gute, zürne nicht! Nur ein Weilchen noch Geduld! Ach, mich trifft ein hart Gericht. Alles will ich ja bekennen, Doch vor allem muß ich’s nennen, Was an allem Unglük Schuld: |:auf Uebersch: deutend:| Dieser fremde Herr da war’s, Die Intrigue dieses Paars –
Uebersch. |:stoltz:| Nicht vergönnt ist’s mir zu sprechen, Doch die Zeit wird alles lösen. – Ja, ich selber bin’s gewesen. Heißes Blut ist mein Verbrechen! Hanns.
Ja, ich selbst – ich muß gestehn – |:er nimmt Turban u. Schleyer ab:|
Uebersch: Ha, Verrath! was muß ich sehn! 30
Rosam:
Dacht’ ich’s doch – wie künstlich auch
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Sich der Torheit lange Kette Tausendfach verschlungen hätte: Du bist stets ihr erster Ring!
59.
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Uebersch: Ja, das ist der Welt Gebrauch: Hohes wird des Niedern Raub. Genius! ich versteh’ den Wink: Von den Schuh’n schüttl’ ich den Staub, Wendend mich aus flachem Thal Zu des Eichenhorsts Umnachtung, Und Euch strafe allzumal Meine gründliche Verachtung! |:er geht ab:| Hans.
Nun, der wäre expedirt!
Rosam.
Aber sagt, welch’ Zauberey Hat euch all’ hierhergeführt? Hanns, was soll die Mummerey?
Hanns.
Kind! ich konnt’s nicht anders machen. Rings des Ritterthums Turney, Ein Don Karlos, Schwung u. Sehnen – Narrheit steket an wie’s Lachen. Doch laß’ nur! sind wir erst künftig Alle wieder hübsch vernünftig, Will ich wieder mit euch – gähnen.
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!Wid er Wi ll en . " L e se fa ss ung
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
M e i e r b e t h ’s Glück und Ende. Tr a g ö d i e m i t G e s a n g u n d Ta n z von J o s e p h F r e i h e r r n v. E i c h e n d o r f f .
Te x t g r u n d l a g e : D 2 ( 1 8 2 8 )
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Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
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Erste Scene.
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(Schottisches Hochland, im Hintergrunde Felsen, Wasserfälle, Leuchtthürme, verfallene Burgen, Meeresbrausen u. s. w. Im Vordergrunde das Lager des g r o ß e n U n b e k a n n t e n . D i e k l e i n e n B e k a n n t e n in verschiedenen Trachten, theils im Freien um Tische und Feuer gelagert, theils so eben von mehreren Seiten vom Gebirge herab steigend.)
B e r l i n e r i n (erscheint auf einer Felsenspitze). O Jott! hätt’ ich mich nur vorstellen können, daß das Hochland so hoch ist, ich wär’ man lieber im Platten geblieben. Was das für eklige Berge sind! Nun wird mich flau, ganz schwindlicht – zu Hülfe, zu Hülfe! G a l a n t e r H e r r (unten). Ma foi, Madame, wie sey’n Sie gerathen in solches malheur? Sie werden kommen zu Falle.
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Berlinerin. Pfuy, aus meinen Augen, Sie Ausverschämter! Galanter Herr. Wenn ick nur könnte elfen dazu! – Rutschen Sie herab da.
20
Berlinerin. Giebt es denn gar keine andere Gelegenheit? – Nun denn, so sehen Sie ein wenig auf die andere Seite. – Frisch! (Sie rutscht den Abhang herab.)
G a l a n t e r H e r r (sie lorgnirend). Ça, ça, superb, oh superb! 25
B e r l i n e r i n (unten sich aufrichtend und umher schauend). Das ist also Schottland! (zu dem galanten Herrn) Reisen Sie auch auf’s Romantische?
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Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
G a l a n t e r H e r r (vornehm). Ick speis’ heut bei dem grand inconnu zu Nackt. –
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Berlinerin. E i n Knie? Nein, b e i d e Knie zu nackt. – Das ist’s man eben bei den Hochländern – ich bin so moralisch! Galanter Herr. O, da müssen Sie lesen in unsern neuen romantischen Poesies die chevaliers mit die große Sentiments und airs heroiques, und doch voll plaisanterie! – Vous autres habt keine Elegance. Die deutschen Poeten wollen gleich fahren aus der Aut, wann sie sey’n verliebt, und marschir alleweil auf die große Trampelfuß. Wir haben auch übergesetzt eure auteurs celebres, um zu zeigen der Welt, wie sie hätten sollen schreiben die pucelle d’Orleans par Goethe und den Freischütz von Veit Weber und den Titan von Schiller, und –. Berlinerin. Von Jean Paul, wollen Sie sagen. Galanter Herr. Eh bien! Jean Paul, que vous adorés, er ist auk ein Franzos.
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Berlinerin. Ein edler Teutscher, mein Herr, aus Wunsiedel, nach Döring. Galanter Herr. Voilà, wie die Deutschen sey’n pedantisch! C’est tout égal: de Wunsiedel oder de Döring! – Voyons! (Er reicht ihr mit einem
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Entrechat den Arm.)
Mehrere Schmuggler (welche unterdeß gelandet, brechen plötzlich aus ihrem Hinterhalt hervor).
Halloh! Hierher! Umzingelt sie, fangt sie!
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
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Galanter Herr. Ick nehm am liebsten Reißaus vor den barbares du nord. (Er läuft fort.)
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Berlinerin. Nun, und was soll denn das schon wieder sind? Seht doch! – Ihr englisirten Seekälber ihr! – Kaum sind wir armen Jungfrauen von der einen Seite die maurischen Seeräuber los, so kommen schon wieder die Schmuggler von der andern! – Aber wie wird mich denn? Sind Sie nicht der Herr Doctor – bei Hofjägers – Erster Schmuggler. Ruhig, Kameraden! – Wahrhaftig, Mamsell, jetzt erkenn’ ich Sie auch! Aber warum haben Sie auch den gewürfelten Plaid da über Ihr Kleid geworfen! Wir hielten Sie für eine junge angefangene Schottin, die sich aus den ersten Capiteln hier verlaufen, eh’ sie ganz fertig war; da wollten wir Sie sogleich nach Deutschland übersetzen. Junger Mann (tritt über dem Lärm rasch hinzu).
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Die Schmuggler. Ach! – (Sie entfernen sich mit respektvollen Bücklingen.) J u n g e r M a n n (zu der Berlinerin). Entschuldigen Sie, Miß, diese unangenehme Störung. Ich bin der Baronet Wawerley und habe die Ehre, in Abwesenheit unseres Verfassers, als ältester Sohn, hier die Honneurs zu machen. Ist es nicht gefällig, mir zu der Gesellschaft zu folgen? Meine Flora spielt zwar dort eben am Wasserfall die Harfe, aber Sie finden mehrere Bekannte.
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Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
Berlinerin. Ach, wie freue ich mich, Ihre Bekanntschaft zu machen und endlich alle die Lady’s und Master’s selbst zu sehen! Ich habe schon als Kind immer am liebsten Eccosaise getanzt. (Sie ver5
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lieren sich in dem Wawerley-Gewimmel. Währenddeß erhebt sich ein allgemeines Jubelgeschrei von Berg zu Berg, mit schönen Echo’s vom Continent. Alles drängt sich auf einen freien Platz, wo der g r o ß e U n b e k a n n t e plötzlich hervor tritt.)
Großer Unbekannter. Ich nah’ gerührt, betroffen, überrascht, Und nehm’ den Jubel nur als eine Schuld, Die ich abzahlen will dem achtbar’n Freunde, Dem’s gilt und den ich liebe, wie mich selbst. Millionen. Hurrah! Vive! Viva! Vivat hoch! for ever! Donald. Er will noch reden. – Tod, wer’s Maul nicht hält!
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G r o ß e r U n b e k a n n t e r (der ein Felsstück bestiegen). Mein Schottland, Engelland, Europa, Welt! Ihr wiß’t, wie ich durch’s Hochgebirg gedrungen; Was da von Helden schafft die dunkle Sage: Ich hab’ sie all’, die stärksten Kerls, gezwungen, In Goldschnitt liegen artig sie zu Tage. Nur einer frei noch durch die Wildniß geht, Unbändig, kühn – der grimme Meierbeth! Mein Flügelpferd steigt wiehernd auf die Hessen, Preßbengel her! – Grob-Cicero und Mittel! Jedwedes Härchen von ihm ein Capitel! Frisch, Novellisten! Auf zum Heldenpressen! (Großes Getümmel. Alle sich bewaffnend und in einzelne Clans vertheilend ab in die Schlüfte.)
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
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Zweite Scene. (Öde Haide. Nacht, Sturm, Blitz und Donner.)
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E i n Z i g e u n e r (gräbt mit einem Spaten und singt dabei). Blut eines Jungfrau’n-Herzen, Das ihr der Liebst’ ausriß, Und ihrem falschen Buhlen An’s Hirn hohnlachend schmiß. Dann rothe Helden-Leber, Gedörrt bei Blitzesschein, Mit todten Bruder’s Schädel, Zerstampft vom Mörder sein. – Das brav gerührt, giebt einen wilden Trank, An dem Tragöden sich zu Helden zechen. – (Er singt wieder.)
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Zwei Brüder sonst hier hausten: Herr Ott kämpft ritterlich, Derweil Herr Hugh, der falsche, Zu des Bruders Liebchen schlich. Herr Ott erschlug sein Liebchen, Warf dem ihr Herz an’s Hirn, Herr Hugh erschlug den Bruder Mit blutbespritzter Stirn. D’rauf aus des Bruders Leber Und aus der Liebsten Blut Braut er das starke Tränklein, Zu trinken frischen Muth. Und als er trank, da fiel er In wilden Wahnsinn’s Macht, Verbrannte seine Schlösser, Ließ Kindlein, Roß und Pracht. Und Nachts im Felde scharrt’ er – Der Blitz nur leucht’t dazu – Scharrt in sein Grab sich selber, Den Zaubertrank dazu. –
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Es wuchert Sünde, blutig einst gesä’t, Still fort im Boden und will frisches Blut. – Es wühlt das Fläschlein mit dem Frevel-Trank Sich nächtlich aus dem Grund und wirft im Mondglanz Todtbleichen Schein durch’s Blachfeld – zu verderben Des blut’gen Hugh’s Geschlecht zu rechter Stunde. – Das ist das Feld, der Stein, das wüste Grab, Des Mörders rothe Hand langt aus dem Grase – Weh mir! – verfehlte ich die rechte Stunde: Schließt sich die Hand und zieht mich mit hinab! (Er gräbt wieder eifriger und singt mit immer steigender Spannung und Angst.)
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Hugh aber war der Vater Vom tapfern Meierbeth, Der sein Geschlecht nicht kennend, Kühn auf sich selber steht. Der unaufhaltsam – (Er ergreift plötzlich mit einem entsetzlichen Schrei ein Fläschchen vom Boden, und hält es hoch in die Luft. Blitz und Donner.)
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Z i g e u n e r (ermattet, aber das Fläschchen noch immer krampfhaft emporhaltend im Abgehn).
Das ist’s – das ist’s – das ist’s! –
Dritte Scene. 25
(Freier, von Wald umgebener Platz. Zersprengte L i t e r a t o r e n , theils auf dem Rasen rastend, theils einzeln aus dem Walde kommend.)
E r s t e r (draußen). Hup, hup! – Mir war’s doch, als hört’ ich hier schellen.
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
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Zweiter. Hier! – seyd Ihr von uns? Parole! – E r s t e r (hervortretend). Novellen! 5
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Zweiter. Gut! – Aber, mein Lieber, wie seh’n Sie aus! Ohne Hut, das Hemd hängt zum Ärmel heraus. Erster. Recensenten traf ich auf meinem Wege, Ein Wort gab das andre, das andre Schläge: So rauften wir ein wenig um meine Gedichte – Das ist, mein Bester, die ganze Geschichte. Recensent (mit Köcher und Pfeil rasch vortretend).
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Ha, Meierbeth! – Wo ist er? wo sengt er, verheert er? Zweiter. Heda, nicht weiter! Parole! R e c e n s e n t (stolz). Gelehrter!
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(Er stößt die ihn Umringenden auseinander, setzt sich, von den Andern abgesondert, unter einen Baum und prüft seinen Pfeil.)
E r s t e r (leise zu den Andern). Dem traut nicht, sonst sind wir verloren: Der war’s, der hatt’ mich im Wald bei den Ohren. 25
Zweiter. Verdammt, und ich hab’ grade ein Werk in der Presse! (Er naht sich höflich dem Recensenten.)
Verehrter! Sie sitzen hier in der Nässe –
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Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
Verwandte Seelen sind bald vertraut, Nehmen Sie vorlieb mit meiner Eselshaut Dort unter der Eiche grüner Umnachtung – Herr Je! wie er mich ansieht, voller Verachtung! 5
Dritter. Wenn wir ihn könnten besoffen machen! Dann lassen wir drucken geschwind unsre Sachen Und loben einander mit großem Geschrei. (Mit einer Flasche zum Recensenten.)
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Der Morgen ist so kühl, ich bin so frei – . Recensent (trinkt Alles aus, wirft ihm die leere Flasche an den Kopf).
Nicht Gluth drinn, nicht Duft, kein göttlicher Geist! 15
D r i t t e r (zu den Andern). Nun halt’ mich! O Unglück, ein Autor zu seyn! Den Kerl sonst hackt’ ich jetzt kurz und klein! Z w e i t e r (ihn nebst vielen Andern am Rockschoß haltend). Um Gotteswillen, still, augenblicklich! Sie, Unbänd’ger, machen uns Alle unglücklich.
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V i e r t e r (kommt mit einer Guitarre im Arm). O Friede doch! – Seht dort die duftigen Weiten, Die Lerchen schwirren – und Ihr mög’t streiten? (Er spielt und singt.)
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Waltet Haß in Sängers Busen, Wird das alte Chaos frei, Und es wandeln alle Musen Sich entsetzlich in Medusen, Mißklang bricht die Welt entzwei!
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
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Dritter. Sieh da! Seyd Ihr auch dem Brande entkommen? – Doch Ihr seht so schäbig, habt abgenommen. Ja, ja, die Lieder geh’n jetzo flau. – Wo habt Ihr denn Eure liebe Frau? V i e r t e r (sich vor die Stirn schlagend). Herr Gott! die hab’ ich zu Hause vergessen, Wer kann in dem Jammer auch Alles ermessen! Denkt Euch: eine Sommernacht, still und warm – Ich steh’ am Fenster, die Laute im Arm – Draußen erst fernher Bellen der Hunde, Dann einzelne Stimmen, verworrene Kunde, Meierbeth! plötzlich von Mund zu Munde; Sich wälzend wächst es aus dunkelm Grunde, Soldaten jagen, die Uhren schlagen die letzte Stunde, Lohen erleuchten die furchtbare Runde – (Er greift rasch in die Saiten und singt.)
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Und wo verzagend, vor dem tiefen Grauen, Schweigt aller Wesen Mund, Ja, da erschließt sich göttlichem Vertrauen Des Sängers Herzensgrund! Und wo – (F ü n f t e r kommt mit großem Geräusch und Grüßen aus dem Walde.)
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Und wo – verdammte Störung! – Und wo – Und – Fünfter. Prosit, Ihr Herren! – das war eine Nacht! Der Himmel borst und der Erdball kracht’; Dort Flücht’ge die Luft mit Geheul erfüllen, Dort wieder der Helden entsetzliches Brüllen – Mir stand zu Berg’, was ich noch hatte von Haaren. So kam der Meierbeth durch’s Land gefahren, Sturm seine Stimme, Feuer sein Odem, Und wo er auftrat, spritzt Blut aus dem Boden,
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Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
Und überspritzt ihn vom Kopf bis zur Zehe! – Und klagend ich durch die Verwüstung gehe, Und tief in der Zukunft Schooß ich sehe, Und Wehe ruf’ ich, und abermal Wehe! 5
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Zweiter. Aber so schrei’n Sie doch nicht so unbändig! Was meinen Sie? reden Sie doch verständig. Fünfter. Verstand ist für Lumpen! ich schrei’, weil ich muß, Denn also treibt mich mein Genius! Und ich schrei’s immer lauter: die Republik Der Dichter, sie bricht ihr ehrwürd’ges Genick! Wie soll man regieren das Kriegsgeschick, Kann man nicht Christen und Juden und Heiden An den Montirungen mehr unterscheiden? Dort wandeln Perser in seid’nen Talaren, Mit langen Bärten und kurzen Sprüchen; Hier wollen Alle aus den Hosen ’rausfahren, Als Hochländer rasen in Wäldern und Brüchen: Die schreiten in Togen noch auf altclassisch, Die tragen sich spanisch, die serbisch, die sassisch, Die Andern wechseln die Farben ironisch – So wirrt’s durcheinander da babylonisch! Derweil bringt Meierbeth Tod und Verderben – Wir zählen unsre Häupter – und sie sind Scherben! (Mit Würde einige Schritte vortretend, nach einer Pause.)
Frei ist die Kunst – und frei zu sterben, Lasset es, wie die hochachtbaren Alten, In der entsetzlichen Kriegsnoth uns halten: 30
(Mit größtem Nachdruck.)
Einen Diktator für die Zeit der Gefahr! –
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
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Erster (der über den plötzlichen Schrei zurück gesprungen).
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Verzeih’n Sie, ich war ein wenig erschrocken, Nun steh’ ich schon wieder fest auf den Socken – Wie aus meiner Seele gesprochen, fürwahr! Aber Diktator-Seelen sind rar, So’n Diktator muß sein Publikum kennen – Nun, ich mag mich nicht rühmen – will Niemanden nennen. Ja, ja, ich bin so ein Tausendsassa: Ein Schmätzchen für Julchen, Moral für Mama, Verteufelt viel Großmuth, dann Mädchen verführen, Bald etwas kitzeln, bald etwas rühren – So lieg’ ich auf Schulbänken, Spiel- und Putztischen, Die Bedienten mich lesen bei’m Messer-Abwischen. Zweiter. Pfuy! wer mag durchwintern in solcher Misere? Sie zeigt die Natur nur von hinten – auf Ehre! Die Muse sie wohnt nur in Licht-Regionen, Mein Genius greift nach den höchsten Kronen! Was wär’ an der lumpigen Welt auch gelegen, Wär’ sie nicht da, unsrer Ideen wegen! Zwei, drei Ideen erst stell’ ich in die Luft, Darnach dann reck’ ich Jungfrau’n aus Duft Und Helden aus Nordland in’s Blaue hinein, Und ob da auch krachen Arm und Bein, Und ob es historisch, ob schief, ob natürlich: Sie reden doch vornehm stets und manierlich; Jetzt mit der Menschheit göttlichen Kränzen Schmück’ ich sie kühn in Jamb’schen Sentenzen! – Kurz, ideal erst, mein Guter, ideal, Dann kann’s was werden mit der Diktator-Wahl. Dritter. Sie nehmen die Backen immer recht voll, Sie werden noch einmal das Maul sich zerreißen!
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Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
Wie geberdet doch jetzt die Jugend sich toll Mit Liebe und Lust und Herzen-Zerschmeißen! Jagt’ sonst auch mit – laß’ sie blasen anjetzt Und hab’ mich mit meiner Muse gesetzt; Da geht mir’s über Kunst, über Religion, Ueber dies und das in dem Kopfe herum, Und will ich’s los werden an’s Publikum, So greif’ ich mir Micheln, ’nen Hofrath, Baron, Und häng’ ihn’n meine Diskurse zum Halse heraus, Sie plaudern – zuletzt wird eine Novelle daraus; Sie plaudern laut, schreit man nach Entführung, Mord, Sie plaudern still weiter – der Leser schlägt um, Zwei, drei, vier Seiten – sie plaudern noch fort; Da wird es dem Leser im Kopfe so dumm, Sie glauben mir Alles aus Desperation – So bin ich ihr geborner Diktator schon! Erster. Sie Loser, das ist man wieder so Ironie!
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Zweiter. Sie sprechen immer albern, o sprächen Sie nie! Dritter. Entfern’t Euch, Ihr Herrn, Ihr seyd mir zu gemein. Z w e i t e r (auf ihn zutretend). Und just nicht! – Wer will Diktator hier seyn? –
25
Fünfter. Lang’ wackelt meine Geduld, nun bricht sie ein! I c h bin Diktator! – ich kann von den Brettern Seelen vergöttern und Seelen zerschmettern, Fahr’ in das Volk mit Donnern und Wettern!
30
(Er packt die Andern, allgemeine Prügelei.)
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
273
Sechster (ängstlich in dem Getümmel hin und her irrend).
Ich saß so bescheiden – dacht’s gleich mir – die Prahler! Ein Hund hat es besser als ein Neutraler! 5
Vi e r t e r (der unterdeß gelustwandelt, kommt muthig geschritten, greift begeistert in die Saiten und singt).
10
Nicht um der Kronen ird’schen Besitz – Hell um der Himmlischen Freuden und Schmerzen Zündet der Blitz Göttliche Herzen! Sechster. Wie Canarien-Vögel Ihr Sänger seyd, Je größer der Lärm, je ärger Ihr schreit!
15
Vi e r t e r (dringt mit Wuth, immerfort spielend und singend, auf den Sechsten ein, der entrüstet vor ihm weicht).
20
In eitlem Aberwitze – Wurm! Schmähst Du des Dichters Träumen? So weh’ Dich der Begeist’rung Sturm Herab von Edens Bäumen! Sechster. Zu Hülfe, zu Hülfe! Er singt mich zu Grunde!
25
30
V i e r t e r (wie oben). Und flöh’st Du mit Passat und Sturm Rings um des Erdballs Runde, Ich folge und zertret’ Dich, Wurm! Gemeines vor die Hunde! (F l ü c h t l i n g e eilen plötzlich über die Bühne und schreien: „Meierbeth kommt! Meierbeth kommt!“ Der Knäuel der Raufenden entwirrt sich, Alles entflieht, bis auf den Recensenten.)
274
Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
R e c e n s e n t (sich majestätisch aufrichtend). Der Sturm verweht den Staub – ich steh’ allein. O langersehnter Augenblick! – Nun gilt’s! Ich hör’ ihn nah’n – schnell hinter diesen Felsen! 5
(Er verbirgt sich.) (Trompetentusch mit türkischer Musik. M e i e r b e t h mit Gefolge tritt auf.)
Meierbeth. Hier ist der Meierbeth! – Wer regt sich noch?! 10
(Todtenstille. Nach einer Pause.)
Marschall! die Kronen her, die wir erbeutet! (Der Marschall schleppt mühsam einen Korb voll Kronen herbei.)
Nun, wird’s nicht bald? Soll ich Dir Beine machen? (Er giebt dem Marschall eine Ohrfeige.) 15
20
M a r s c h a l l (mit Würde). Mein königlicher Herr! an diesen Kronen Hängt mancher Tropfen Bluts von mir – nicht dacht’ es Mein alter, grauer Kopf, daß er mit Thränen Die Tropfen einst wegwaschen sollt’ – (lndem er sich mit seiner Silberlocke eine Thräne abwischt.)
Seht da!
25
Meierbeth. Nun, Alter, mußt kein Narr seyn und mit Helden So streng’ abrechnen wie mit andern Lumps! Ein Held ist wie ein Wassertopf am Feuer, Kocht leichtlich auf, und wer ihn stößt, verbrüht sich. (Den Marschall an der Hand fassend und ihn mit Anstand den Andern vorstellend.)
30
Herzog von Glenfarquhar-Cruikskanks fortan! Und nicht entfernter meinem Thron und Herzen, Als seine Wange meiner tapfern Hand! –
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
275
Alle. Vivat der edelmüth’ge Meierbeth! M e i e r b e t h (an den Kronenkorb tretend). Und nun laßt sehn den Plunder! 5
10
(Er langt eine Krone nach der andern heraus.)
Die verlor Der tolle Lear von seiner Glatze, als Ich ihm den Kopf zurecht gesetzt. – Ha, die Riß ich dem Macbeth selbst vom frechen Haupte! Er tobt’ und flucht’ und schrie, ich flucht’ noch besser, Er ohne Mantel, Krone, ich ihm nach Durch Dick und Dünn, und vor dem Dröhnen, Brüllen Entfärbt’ sich Malcolm, Fleance und Birnams-Wald. (Er wühlt wieder in dem Korbe.)
15
Noch mehr des Zeugs? (Eine Krone aufhebend) Die da – nun die – Ey, wer Merkt’ all die Kön’ge sich, die ich geworfen! – Die scheint mir wohl zu passen. Wie das schillert Und blitzt und schielt und funkt von böhm’schen Steinen!
20
(Er wirft rasch den Korb mit dem Fuße um, setzt sich die Krone auf’s Haupt, und tritt einige Schritte vor.)
Wer königlich, mag königlich erscheinen! (Es schwirrt plötzlich ein Pfeil aus dem Gebüsch, prallt aber von seiner Brust ab.) 25
Ha, Hölle siedet und spritzt Gischt umher! Gefolge (bringt den Recensenten hinter dem Felsen hervor).
Da ist der Schütz! er zielte anonym!
30
M e i e r b e t h (zum Recensenten). Prost Mahlzeit! schön geprellt! – Recensent. Mann ha, das gilt nicht! Du hast ein heimlich Wamms von Büffelleder!
276
Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
Meierbeth. Was Ledern, Büffel! – Jetzt verantwort’ Dich! Nur kurz, ich bin kein Freund von vielen Punkten. 5
10
15
20
R e c e n s e n t (mit freiem Anstande). Verantwort’ Du Dich erst vor mir, Verweg’ner! Wer von uns, sprich! erlaubte Dir, die Marken Der ewigen Natur zu überspringen? Was seyd Ihr denn, lhr Helden? – Meierbeth. Kurz, nur kurz! R e c e n s e n t (verächtlich). I h r Helden, Dichter! – Leichtes, junges Blut, Unphilosophisch, blind in Liebeswuth, Jagt, Thoren Ihr, den selbstgemachten Dunst. W i r nur sind frei – weil ledig aller Brunst, Besonnener Eunuchen kühle Schaar, Wir Schönheit hüthen, die uns selbst nichts nütze. Ihr da bleibt draußen, die Ihr nicht ein Haar Von unserm Bassa habt, den Allah schütze! – Wer seyd Ihr Dichter, Helden denn? – Meierbeth (fortwährend, dicht vor dem Recensenten, mit beiden Armen auf sein Schwerdt gestützt).
Bah! – Hängt ihn! 25
Recensent. Nun dieses: Bah! – es ist nicht zu ertragen! – Nicht allegorisch, nicht ironisch – M e i e r b e t h (wie oben). Hängt ihn!
30
(Mehrere Soldaten drängen den Recensenten, der noch immer sprechen will, zu einer, an einen Baum gelehnten Leiter.)
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
277
R e c e n s e n t (auf der Leiter sehr eifrig). Und hier die Sprossen! warum sind die unter’n Nicht oben, und grad’ unten? – 5
Erster Soldat. Was beliebt? Recensent. Narr, wie Du aussiehst! Gar nichts Mährchenhaftes! Die Unterlippe hängt –
10
Erster Soldat. Noch nicht, Herr! Recensent. Was? Zweiter Soldat. ’S ist von der Tabackspfeife.
15
Erster Soldat. Was? Zweiter Soldat. Die Lippe.
20
Erster Soldat. Ey was! er macht uns ganz confus. Schnür zu! Recensent. Nicht tragisch – ist – der Knoten da – geschürzt – (Er stirbt.)
25
Meierbeth. Nun, das war abgemacht! – Der Unbekannte – Ihr kennt ihn – will’s mit Meierbeth versuchen; Schon steigt Gewölk unglaublich an der Zahl,
278
5
Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
Gewitterstill ringsum, – bald folgt der Schlag! O laßt vorher mich – stolz, ein Mensch zu seyn – Noch einmal fühlen menschliches Entzücken! Ich starrte finster in die Nacht hinauf, Ha, da ging S i e , ein Sternenbild, mir auf! Wie! dürften Helden nicht auch Sterne pflücken? – Zu Ihr! – Mit Strahlen-Anmuth soll erglänzen Der Stern der Liebe in des Siegers Kränzen! (Türkische Musik. Alle ab.)
Vi e r t e S c e n e .
10
(Garten. S e l m a , eine Laute im Arm, auf einer Rasenbank sitzend. R ü p e l , ihr Diener, auf einem Baume.)
Selma. Siehst Du was? Rüpel.
15
Ja. Selma. O verkünde! 20
25
R ü p e l (vergeblich nach einem Apfel langend). Wahrlich rechte Schand’ und Sünde! Durch die Zweige schimmert’s helle, Und doch rückt’s nicht von der Stelle! Selma. Meierbeth! hätt’st Du Gedanken, Wie sie Selma denkt: herauf Flögst Du durch des Waldes Ranken! – Doch der Männer Helden-Lauf Stürzt in markenlose Räume;
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
Ach, was frägt der Sturm im März, Ob er breche zarte Keime? – Arme Selma, armes Herz! Rüpel. 5
Halt, da ist er! Selma. Wo? Rüpel. Gefallen!
10
Selma. Weh! auf tück’schen Steines Grund? Rüpel. Nein, auf einen weichen Mund.
15
Selma. Wie! – Sag’, sprich! in Waldeshallen? – Jung, schön, roth? – Rüpel. Traun, wie Korallen, Eine saub’re Kreatur!
20
25
Selma. Schweig’! zu schmähen Helden-Spur, Ist Gemeines immer munter! Rüpel. Hab’ es selbst doch hören schmatzen. So – nun ist er ganz herunter!
279
280
5
10
Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
Selma. Red’ nicht weiter! – Ha, die Tatzen Finstern Unheils, grimmer Schrecken Aus der Liebe Rosenhecken Seh’ ich nun sich heimlich strecken! Laß mich melancholisch seyn! – H i e r war’s – solchen Abendschein – Saß mit meiner Laut’ allein, Still in ahnungsvollem Grauen: Da naht’s plötzlich wunderbar, Funkelnd schwarz von Aug’ und Haar, Ein Zigeuner an zu schauen – (Sie faßt die Laute und singt)
15
20
Und er ergriff mich bei beiden Händen Und prophezeite unserm Haus Mit einer Stimme – das Herz zu wenden: „Aus Liebe Graus!“ Und wie er nun fortschritt schweigend wieder, So eigen es ringsum rauscht’, Die Fledermäuse durchschwirren den Flieder, Das Käutzchen – (Plötzliche Paukenschläge draußen, sie wirft mit einem lauten Schrei die Laute weg, Rüpel kommt erschrocken vom Baume herab.)
25
30
Selma. Lauf nicht! – Es ist Meierbeth! Sieh, dort aus des Wald’s Umnachtung, Wie er einsam in Betrachtung Wandelnd naht – bald rascher geht, Und bald sinnend wieder steht. – O, der süße Bösewicht! – Rüpel, stören wir ihn nicht! (Sie tritt hinter einen Baum.)
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
281
R ü p e l (sich der Länge unter einen Strauch streckend). So – hier schliefe sich’s nicht dumm – Komm’ wer will – scheer’ mich nichts d’rum. (Er legt sich schlafen.) 5
Meierbeth (schreitet, ohne Selma und Rüpel zu bemerken, feierlich hervor. Er hat die Krone auf dem Kopfe und zwei Kesselpauken umgehängt, auf denen er seinen Monolog accompagnirt).
10
15
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Von der Wiege bis zur Bahre Schafft die Hoffnung auf und ab, Pflanzt dem Greis im Silberhaare Palmen noch auf’s off’ne Grab. – Von der Wiege bis zur Bahre! – – Was von Allem wird bestehn? – Hell glänzt Krone und Tiare Und beglücken ist so schön! Ruhm die Seinen herrlich kränzet Auf des Lebens heitern Höh’n – Über Alles, was da glänzet, Was erblüht und was zerstoben, Leuchtet L i e b e , die von oben! – (Große Intrade.)
S e l m a (leise). Welche edle, schöne Sprache! – 25
30
M e i e r b e t h (schwärmerisch). Wie an Liebchens Schlafgemache Rings der Welten Bau vertost! Mund, wo fändest du noch Sprache, Wenn die ganze Seele kos’t? – (Gedämpfter Wirbel.)
Mond, gedankenvolle Scheibe, Führ’ mich zu dem hohen Weibe! (Er schreitet in Begeisterung rasch vor und fällt plötzlich über den Rüpel, Pauken und Schlägel verlierend.)
282
Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
Meierbeth (noch auf der Erde, den Rüpel mit grimmigen Blicken messend).
Nun? – R ü p e l (eben so). 5
Nun? – Meierbeth. Elender Vasall!
10
15
Rüpel. Was ist denn das für ein Knall Und Spektakel da? – Warum Geh’n Sie mit der großen Trumm Wie der Butzemann hier um? – Ganz verwickelt lauter Beine – Meierbeth. Vorsicht! jeder nimm das Seine! (Er erblickt Selma, sich schnell aufraffend.)
Ha! Erhab’ne! Süße! Eine! S e l m a (ihm den Rücken wendend). Geh’n Sie nur, woher Sie kamen! 20
25
M e i e r b e t h (erstaunt, nach einer Pause). Selma! – Ist denn das Dein Namen? – Bin ich Meierbeth noch? – Wie! Selma – dieses kalte: Sie! – Selma. Mann! – o, Sie sind tief gefallen! – Meierbeth. Ja, und schwer –
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
S e l m a (empfindlich). In grünen Hallen Zielet leicht ein zarter Mund. 5
Meierbeth. Zart? – Nein, Bart stach mich fast wund. R ü p e l (leise). Ja, ich rieb’s ihm in die Nasen.
10
Selma. O, es ruht so süß auf Rasen Sich im Netz von seid’nen Locken. – Meierbeth. Wie verworr’ner Flachs am Rocken! R ü p e l (für sich). Einen Strick Dir draus zu drehen!
15
M e i e r b e t h (stolz). Doch was soll das, ihr Verweg’nen! – Fall ist Zufall tück’scher Zehen, Jedem Plumpsack kann’s begegnen – Ja, Madam, ich kann ja gehen. –
20
S e l m a (für sich). Muß den Nacken zu ihm drehen Mit den kleinen Ringellöckchen, Zupfend, so für mich am Röckchen –
25
Geh’ nur, wer bat Dich zu warten? – Ob der armen Selma Garten, Stiller Wünsche Blumenflor Welkend Duft und Glanz verlor – Nun, was geht es Dich auch an!
(Indem sie thut, wie sie eben gesagt, laut)
283
284
Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
Meierbeth. O, das: Du! – der Zauberbann! Selma (noch immer abgewendet, sich die Thränen trocknend). 5
Geh’ nur, wilder böser Mann! Geh’ nur, Selma muß sonst weinen. Meierbeth (sich hinter ihr auf die Knie werfend).
10
Wend’ Dein Aug’, vor dessen Scheinen Herzen heiß erblüh’n in Steinen! Selma (ihr Gesicht halb nach ihm zurück gewendet). (mit der Hand an ihr Herz fassend.)
Loser! – Ach, ich armes Kind! 15
M e i e r b e t h (sich erhebend, begeistert). Selma, horch! – war das nicht Wind? S e l m a (sich schnell nach ihm umwendend). Was?
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Meierbeth. Nein, S t u r m ist’s, mir im Busen! Ja, als sängen alle Musen, Hebt’s mich zu dem Sternenzelt, Wo ergraute Potentaten Die Geschicke still berathen – Selma m e i n – und D e i n die Welt! (Er bleibt in verzückter Stellung stehen.)
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
285
S e l m a (ängstlich und leise). Guter Rüpel, bleib’ ihm nah’! Von dem Bischen Liebe da Wird er mir schon wieder trunken. – 5
Rüpel. Pah! Lass’t nur sein: O! und Ha! Bin ein starker Lümmel ja. Meierbeth
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(in wachsender Begeisterung auf und nieder schreitend, während ihn Rüpel, bewachend, auf jedem Schritte begleitet).
Was gemein, es ist versunken In der Liebsten Thränen-Fluth, Bäumt euch, Wogen, wilder! schnarche, Sturmwind, fort in blinder Wuth! – Hoher Liebe heil’ge Arche, Auf den Fluthen tanzend schwebt sie, Und melodisch steigt und fällt Brandender Thränen Schwall und hebt sie Auf den Gipfel der Welt! – Rüpel. Auf den – wie wird mir denn? – steigt und fällt – Nun bollert’s mir auch schon so inwendig, Halte dich, Rüpel, ich bitt’ dich inständig! M e i e r b e t h (zu Selma gewendet). Bist Du – Ha, ich wache doch! – Engel? – Oder weilst Du noch Unter Lebenden lebendig? R ü p e l (zu Selma). Ha, das sag’ uns eigenhändig!
286
Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
Selma. Gott! derweil der trunken plauscht, Wird nun der auch Lieb’ berauscht! (zu Meierbeth.) 5
Trat’st mir tüchtig auf die Zeh’ – Geh’ schon, Meierbethchen, geh’! Meierbeth. Ja, leb’ wohl nun – Meierbethen Rufen fernab Kriegsdrometen!
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Rüpel. Sieh’ noch einmal recht mich an, Fass’ Dich, Selma – sey ein Mann! Meierbeth. Sieh’, Aurora! – Nein, tiefröther – Blut der Feinde – Rüpel. Schwerenöther!
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Meierbeth. Schlägt! ich schlag’ noch ba – ba – baß! Flamberg Du! – nein: Himmelsleiter! Nein, Nachtblitz! – Rüpel. Nein, Lumpen!
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Meierbeth. Was? Rüpel. Wie denn, sagtet Ihr was? –
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
287
Meierbeth. Dies und das – und – und – so weiter – (Beide torkelnd ab.)
5
10
S e l m a (sinnend nach einer Pause). Strom der Liebe, wie allmächtig Reiß’t Du Hoh’ und Nied’re fort! Donnerst früh und murmelst nächtig: Wiedersehen (zum Himmel blickend) dort – dort – dort! (Sie macht auf dem Abhange eine malerische Stellung mit ihren Shawl, den sie mit beiden Armen hoch über dem Haupte hält, dem Geliebten noch aus der Ferne zuwinkend.)
Fünfte Scene. (Wald. Der M a r s c h a l l T r e u g o l d und C a n n e g l i o kommen, später E d e l r e i c h , sämmtlich von Meierbeth’s Gefolge.)
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20
T r e u g o l d (weinend). Oh, oh! – müssen das meine grauen Haare noch erleben! ach, mein lieber, guter Herr! Verloren! – Wohin kann er nur gerathen seyn? – Canneglio. Ja, in der That verwunderlich! es wäre wenigstens das erste Mal, daß er gerathen wäre. Ich habe schon hin und her gerathen – Tr e u g o l d . Oh, oh, das giebt mir vor meinem Lebensende den Tod!
25
Canneglio. Gebt Euch zu gute, alter ehrlicher Diener; nehmt Vernunft an, und spart Euer Wasser, edler Greis; Ihr wißt, Ihr braucht immer viel Thränen in den Stücken.
288
Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
Tr e u g o l d . Ja, wenn ich Euch nur trauen dürfte – Ihr seyd ja der Bösewicht. 5
10
15
20
Canneglio. Kränkt mich nicht, gute Seele! – Seh’t nur, wie in der „Zauberflöte“ ausgestopfte Löwen und Tyger seyn müssen, in denen oft die besten Jungens stecken, so müssen wiederum im Trauerspiele falsche Minister, große Banditen und dergleichen vorkommen, um das Spiel traurig zu machen. Irgend Jemand muß nun doch die Bestien spielen. – Nun war ich noch so ein kleiner unschuldiger Bengel, da kochte einmal meine Mutter Pflaumenmuß, das brodelte so appetitlich; ich stand am Kessel und wollte lecken, da glitt ich vorn über und stürzte mit dem ganzen Kopfe hinein. – Davon hab’ ich die blauen Flecke, als hätt’ mir der Teufel Pulver in’s Gesicht gebrannt, und die rothe tyrannische Stirn, und muß immerfort mit den Augen zwinkern. Ja, lieber Marschall, daher schreibt sich mein ganzes Unglück, da muß ich mich nun schon mit meinem Gesichte aufopfern zu den Bösewichten. – Ach, und was ist mein Lohn? (er trocknet sich eine Thräne) – überall verkannt zu werden! – T r e u g o l d (gerührt). Und ich glaubte doch bis dato, daß Ihr wahrhaftig – (in Weinen ausbrechend) edler Mensch! (sie weinen Beide.)
25
Edelreich (in glänzender Rüstung rasch auftretend).
Hussah! wo bist Du, Degen Meierbeth? Gestirn Du meiner frischen Helden-Jugend! 30
Canneglio. Na, na, na, rennt uns nur nicht um! Ihr seht ja doch, wir sind hier unter uns.
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
289
Tr e u g o l d . Ja, braver Herr Kamerad, laßt’s immer jetzt gut seyn mit den Jamben; wir diskuriren so eben hier ein wenig miteinander, um uns von den Versen aus zu ruhen. 5
10
Edelreich. So, so! – (sich streckend) Vermaledeites Hunde-Leben mit uns Helden-Jünglingen! Da soll ja der Teufel drein schlagen! Tag für Tag, Jahr aus Jahr ein nichts als immer tugendhaft und tapfer, und vornehm und charmant, und wenn sie uns auch klopfen, daß Einem zuweilen die Seele zum Ellbogen heraus hängt. Nun ist gar auch noch die langschmächtige Frömmigkeit dazu gekommen! Tr e u g o l d . Ja, Gott besser’s! (er zieht eine Dose hervor und präsentirt Schnupfta-
15
back.)
Edelreich (nach allen Seiten umschauend).
Aber sind wir auch sicher, daß uns hier keine Dame sieht? Sie können das Schnupfen nicht leiden. 20
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Tr e u g o l d . Seht doch der Wildfang der, hat nichts als Courschneiden im Kopf! – Nun, nun, lieber Canneglio, als wir auch noch jung waren – nun Ihr wißt ja wohl – ha, ha, ha! Canneglio. Hi, hi, hi! (Sie schnupfen alle Drei.) Canneglio. So – nun aber mit frischen Kräften wieder in den Dienst, unsern verschwundenen Herrn auf zu suchen. Wir verlieren sonst am Ende gar unsere Anstellung.
290
Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
Tr e u g o l d . Ach, daß Gott erbarm, mein sicheres Stückchen Brodt, wenn ich’s auch manchmal mit Thränen verzehren muß! 5
Edelreich. Und meine güldenen Sporen, und den Federbusch und die schöne Schärpe! Alle. Hup! hup! Hussa! (Gehen suchend ab.)
Sechste Scene. 10
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(Bivouac der kleinen Bekannten, von Felsen umgeben. M e i e r b e t h , mit Krone und Scepter, schläft auf dem Rasen. In einem weiten Kreise um ihn D a m e n und H e r r e n , die Ersteren an Spinnrädern, die Andern emsig die gesponnenen Faden einander zureichend und weiter ausspinnend. Außerhalb des Kreises sitzt R ü p e l auf der Erde, neben ihm C l e i s h b o t h a m .)
Rüpel. Mein Kopf ist mir so wüst wie ein Tanzboden am frühen Morgen, wenn die Musikanten nach Hause gehen und die Lichter ausbrennen und die Sonne durch die zerbrochenen Fensterscheiben herein sieht. Wenn ich nur wüßte, wie ich eigentlich hierher gekommen bin! Cleishbotham. Da kann ich Euch belehren, guter Freund. Es war schon gegen Abend – Herr Gott! das war ein Halloh und Geschrei und Spektakel im Walde, immer näher und lauter und näher! – Erst fuhren die Eulen und anderes scheues Gevögel auf von dem Rumor, dann kamen Rehe und Hasen einzeln auf der Flucht aus dem Walde geschlüpft und machten Männerchen und horchten furchtsam zurück; zuletzt, wie es gar zu arg
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
5
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wurde, brachen die wilden Eber schnaubend und schäumend aus dem Dickigt, und endlich Ihr und Euer Herr hinterdrein und immer noch Halloh und Halloh! Da kamt Ihr aber Beide in’s Stolpern und aus dem Stolpern in’s Fallen, und kollertet hier zu unserer großen Verwunderung übereinander. – Seitdem habt Ihr recht wacker geschlafen. Rüpel. Aber zu was mögen wir nur so geschrieen haben? mir ist der Hals noch ganz rauh. (Er erblickt Meierbeth) Ach wahrhaftig, da ist ja auch mein Herr! Er schnarcht recht majestätisch, und in vollem Ornat, als wenn er auf dem Throne läge. Cleishbotham. Still, still! nun geht’s schon los! –
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Chor der Damen. Schnurre, Rädchen, schnurre! Winde, Fädchen, winde! Saub’re Fädchen nett und fein, Dreht auch was Begeist’rung d’rein, Aber nur gelinde! (Sie spinnen fleißig weiter.)
Rüpel. Ach, das war schön! sie singen so dünne. – Aber was spinnen sie denn da? Der Faden kommt ja von dem Felsen dort, als wär’ es ein Wocken. – Herr Je! das hat ja ordentlich Arm und Beine, wie ein entsetzlicher alter Mann, der sich hingesetzt hat und in Gedanken eingeschlafen ist. Cleishbotham. Mein guter Freund, was Du da für einen Berg hältst, ist weder ein Felsen noch ein Wocken, sondern ein verzauberter Riese, so ein eingeduselter Phantast, dem sie den Bart abspinnen. Es giebt viele solche wunderliche Gesellen hier im Gebirge,
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Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
gute, vor Alter kindische Leute, die nun schon seit vielen hundert Jahren so da sitzen und schlafen. Zur Nachtzeit, wenn das ganze Gebirge still und einsam ist, spielt der Sturm mit ihren Bärten und weiten Mänteln, und auf dem Meere tauchen dann manchmal seltsame Figuren auf, die mit ihnen reden. Aber glotzt ihn nicht so an, guter Rüpel, es ist nicht gut, lange hin zu sehen. Rüpel. Mir graut ordentlich. – Aber dulden sie es denn, daß Ihr ihnen die Bärte abspinnt, wachen sie denn nicht auf? – Cleishbotham. Ach Gott, so flämische Kerls haben auch einen flämischen Schlaf, das macht sich nichts aus dem Bischen Schnurren und Singen. Es giebt nur wenige Menschen in der Welt, die den rechten Zauberspruch und Klang wissen, auf den sie sich aufrichten und Red’ und Antwort stehen; das soll aber auch durch Mark und Bein dringen – Gott behüth’ uns davor! Ein großer Mann
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(in Schlafrock und Pantoffeln tritt in den Kreis, betrachtet Meierbeth, das Gespinnst u. s. w., und singt ein R e c i t a t i v ).
Ha, ich bin mit Euch zufrieden! Fast schon wie englisch Fabrikat! Langweilig ist der Anfang stets hienieden, So applicirt Euch denn nur früh und spat! 25
(Auf Meierbeth deutend)
Mit dem da werdet ohne mich Ihr fertig, Ich gehe – Eures Sieg’s gewärtig! (Ab.) Rüpel. Wer war denn der stattliche Herr da? 30
C l e i s h b o t h a m (leise). St! Das darf ich nicht verrathen, das ist ein Geheimniß.
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
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Rüpel. Was –
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Cleishbotham. Ihr seyd doch aber auch ein rechter Dummrian, daß Ihr das noch nicht einmal wißt! – Chor der Herren (die unterdeß den Meierbeth in rythmischem Tanze feierlich umschreiten und mit den Fäden umspinnen).
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Laß Dich nicht vom bösen Feind bethören, Ein Genie zu seyn auf eig’ne Hand, Deine Kühnheit möchte Dich versehren, Wie ein wild erglühn’der Feuerbrand. Horche immer auf der Menge Lehren, Viele Köpfe haben viel Verstand. Daß die Damen sich nicht von Dir kehren, Zeig’ Dich angenehmer und charmant. Liebe mäßig, trinke, fluche, schwöre Mehr nicht als sich paßt für Deinen Stand. Weshalb die zufried’ne Welt verstören Mit der Leidenschaften wildem Brand? Rühre billig, und es fallen Zähren Dankbar Dir auf die berühmte Hand. – Und so schlingt denn, Brüder, immer enger Rings die Fäden, dahin dorthin, auf und nieder, zieht, schiebt länger, immer länger! Rüpel. Tausend, die haben einen langen Athem! Aber was machen sie denn da eigentlich mit meinem Herrn?
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Cleishbotham. Sie haben ihn so eben eingekapitelt.
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Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
Rüpel. Sie halten ihn ja ordentlich in Stricken wie einen Tanzbär.
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Cleishbotham. Nun besser doch ein Tanzbär, als ein Bär, der nicht einmal tanzt! Meierbeth (erwacht und blickt um sich, nach einer Pause).
Zu trinken! – ich habe höllischen Durst! 10
S e e r ä u b e r (ihm einen Krug reichend). Hier ist vom neuesten Whisky – auf gute Kameradschaft! (Sie trinken Beide.)
R ü p e l (will aufstehen). Da wollen wir mit hin! 15
C l e i s h b o t h a m (ihn niederduckend). Um Gotteswillen, das ist ja schon die Novelle dort. Rüpel. Aber ich habe auch höllischen Durst!
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Cleishbotham. Bleib’, sag ich, wir dürfen da nicht hinein, wir sind ja die Vorrede. Rüpel. Wenn ich nun aber hier eben sage – Cleishbotham. Wieder Vorrede, Alles bloße Vorrede! –
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
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E i n S c h u l m e i s t e r (im Kreise). Das breite, weitschweifige Land, welches man Deutschland heißt, weil dort Alles verdeutscht wird, was das Ausland von sich giebt, läuft bekanntlich – 5
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E i n e N o r n e (tritt in den Kreis). Höre mich, Meierbeth! – höre mich, Clan Meierbeth! Du bist zu Hohem bestimmt. – Erhebe Dich, ehe der Mond über den Felsen von Foulah aufgeht und den Ring an meiner Hand anglüht, welcher aus dem Galgeneisen des grausamen Lords Hugh, der seinen Bruder ermordet hat, geformt wurde. Meierbeth. Ich will nur ein Paar Bissen essen, ich bin vom Schlafen hungrig geworden, dann begleit’ ich Dich, gute Mutter! Die Bäche sind wahrscheinlich ausgetreten und der Weg ist gefährlich. Ruhe indeß hier ein wenig, ich will Dir trockene Blätter unter das Haupt legen. Norne. Ich brauche kein Lager, meine Augen schließen sich nicht, und meine Seele horcht auf die nahenden Fußtritte Deines Schicksals, das wie ein versessener Sturmwind heimlich durch die Eingeweide des Gebirges geht. Eile, ehe es aufsteigt, eile, Meierbeth! – Denn das sind die letzten Worte, welche Du die Norne hast sprechen hören, und das sind die letzten Zeichen, die sie beschrieben hat in den gesegneten Lüften von FilfutHead! – (Geht feierlich mit seltsamen Geberden ab.) Schulmeister. Also Deutschland, sag’ ich, läuft bekanntlich in seiner erhabensten Spitze in eine etwas dicke, aber schauerliche Burg aus, von welcher vorlängst die trockenen Winde, die das aufgeklärte Wetter brachten, den Dachstuhl abgehoben haben, während die von der andern Seite herstreichende melancholische feuchte Luft selbst die fühllosen Felsenklumpen dieses
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Bauwerk’s rührte, und sie mit Epheu und Vergißmeinnicht überkleidete. – Dieses ist die Stammburg der Meierbeth’s. – Hier haus’te zuerst – 5
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Meierbeth. Wenn ich nur wüßte – mir ist so – ich kann mich gar nicht recht besinnen. Schulmeister. – haus’te zuerst Herr Ritter Benno von der Elsenburg mit seinen zahlreichen Spießgesellen, dem seine Nachkommen jetzt gar spanisch vorkommen würden. Denn das war damals ein knolliges, prügelseliges, aber ungenirtes lustiges Leben auf der Burg. Im Kellergeschoß ruhten noch die zwölf schlafenden Jungfrauen, die nun auch aufgewacht und recht gebildete, artige Kinder geworden sind. Der Bruder Elias, der jetzt als gottseliger Klausner privatisirt, leerte noch seinen Humpen – Mehrere Stimmen. Plaçe à Monseigneur! Der Prätendent (eine D a m e in Amazonen-Kleidung an der Hand, zu Meierbeth).
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Ah voila, mein Herr sauvage Ecossais! ich habe Sie überall gesucht. Haben Sie die Güte, arrangés vous – meine Freundin hier wird Ihnen weiter expliziren. Dame. Der Prinz, der hier vor uns zu stehen geruht, wünscht eine Krone. – Doch Se. Hoheit sind ein Feind von roher Schlägerei, Sie wollen nur Glück in Ihrem Lande – das Bivouacquiren, der Dienst – nun, Sie verstehen – ist ennüyant –
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Schulmeister. Darauf nahm das Haus immer mehr zu an Glanz und vornehmem Air. Es folgte in ehelicher Abkunft Marc Aurel, der sogar das Glück hatte, römischer Kaiser zu werden. 5
Meierbeth. Mein Fräulein, es wird mir zur besondern Ehre gereichen, wenn ich – Wie! wer sprach denn da aus mir? – wenn ich mit meinen geringen Kräften etwas dazu beitragen kann, nun – dunkel kommt mir eine Erinnerung! –
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Prätendent. Was sagt er? Mais voyez donc, ma belle, quelles accoutrements! er hat selber etwas Krone. Dame. Und, wie ich glaube, etwas in der Krone. –
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Schulmeister. Auch erzählen die Chroniken von einigen natürlichen Söhnen, Genie’s, welche die großen Geschlechter des Rinaldini und Abällino aufbrachten und – D a m e (zu Meierbeth). So hat der Prinz vor Vielen Sie erlesen zum Aide de Camp, zu Ihnen sich versehend, daß Sie, gleich einem Stier, sich stürzen werden in feindliche Phalange, Sr. Hoheit Platz machend auf dem Gange zum Thron, zur Krone! – Meierbeth. Ich schmeichle mir, daß – aber – wie ist mir denn eigentlich? – nein, nun halt’ ich mich nicht länger – Seht doch, Kronen! blut’ge Kronen Säe ich – und rings wird bleich Was den Erdkreis mag umwohnen, Jeder Hieb ein Königreich!
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Chor der Herren und Damen (herbei eilend).
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Weh! er bekommt seinen Raptus wieder, er spricht schon in Versen! – Da sind Sie schuld, Fräulein, Sie haben ihn mit Ihren verschämten Jamben auf die Sprünge gebracht! – O Gott! er ist schon verlegt, halb abgedruckt, honorirt! – Zieht die Stränge fester! – Meierbeth. Plötzlich seh’ ich’s sich erhellen: Vor Begeist’rung festgerennt Hab’ ich mich hier in Novellen. Diese Frau, der Prätendent, Ha, mit seinen Prätensionen, Sind nicht wirklich, nur Personen. Rüpel, bist denn Du lebendig, Oder auch nur so erdacht? – Was da athmet, stirbt elendig! Durch! durch! Meierbeth erwacht! – (Er stürzt sich in den Haufen und schlägt mit dem Scepter um sich. Geschrei und Verwirrung; der Setzer will ihm ein Bein untersetzen, der Verleger steht verlegen, Rüpel springt, seinem Herrn zu Hülfe, aus der Vorrede in die Capitel hinein, Alles entflieht, gräßliches Blutbad. – M e i e r b e t h und R ü p e l allein auf der einsamen Haide. Es wird Nacht, Sturm heult, Donner und Blitz.)
Meierbeth. Vollbracht! – Rings still, nur einzelne Glieder zucken Zerstreut im Gras bei’m Wiederschein der Blitze. – (Er schreitet auf und ab, und stolpert.)
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Sieh da, Schulmeisters Kopf! noch zum Erzählen Der Mund gespitzt – Fort! sonst beginnt er wieder!
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Ob’s recht – wo kühn der Mann sein Ziel erkannt – Gleich wie ein Ochs die Heldenbahn durchlaufen Und was im Weg, auf seine Hörner nehmen? – Wie – oder Furchen ziehen mit dem Pflug,
(Er versinkt in Nachsinnen.)
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Zufrieden mit dem Mundvoll Heu, das kärglich Des Bauers Hand reicht, am Gehörne krauend? – (Er schaudert.) 5
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War das der Mond, der durch die Wolken brach? – Nein, ein Gesicht – Richard des Dritten Antlitz, Den ich erwürgt! – O grins’ mich nicht so an! Verhüll’ ihn, Sturm! Sturm! Nein, Wehklagen ist’s Rings der Erschlag’nen! – Still – still – still – ein Schwerdt Blank in derLuft – jetzt da – nun dort – (plötzlich wild auflachend) Ha, ha, ha, ha! Laß’t seh’n, ihr Elemente, wer hier stärker Von uns! – Heul’, Sturm! überschrei dich doch! He, Rüpel! Rüpel! Rüpel. Gleich, Herr, gleich! Meierbeth. Was thust Du?
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R ü p e l (mit angeschwollenen Taschen). Die Manuscripte aus der Todten Schubsack Hab’ ich geplündert – Selmchen soll sich freu’n! Sie liest am liebsten stets das Allerneu’ste. Meierbeth. Gut, doch nun hilf mir schrei’n.
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Rüpel. Schon wieder schrei’n? M e i e r b e t h (schreit). Hoho, hoho! – So blas’ Du und der Teufel! – Jetzt Beid’ auf einmal, frisch!
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Beide. Hoho! hoho! (Blitz und Donner. Der Z i g e u n e r steht plötzlich vor ihnen.)
Zigeuner. 5
Was riefst Du mich? Meierbeth. Ich – Dich? – Rüpel. Heißt Du: Hoho?
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Zigeuner. Geweckt hast Du durch ungeheu’ren Schrei Die finstern Mächte, die im Abgrund schlummern; Herausgetreten bist Du aus dem Kreis Des Menschlichen in frevlem Übermuthe Und hast Gewalt gegeben über Dich Der blut’gen Hand, die still aus Wettern langt. – Meierbeth. Fort, blick’ hinweg! mir graus’t, wenn Du mich ansiehst.
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Zigeuner. Held Meierbeth! Held Meierbeth! Hör’, höre! Mord, Raufen, Jammer, Greul stehn Dir bevor – Hüth’ Dich! – Hier ist ein wunderkräft’ger Trank, Da nimm davon, wenn Dir zuweilen schwach wird. (Das Fläschchen hoch emporhaltend.)
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Sieh, wie’s blutroth bei’m Wetterleuchten funkelt. Rüpel. Hast Du noch eines? –
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Zigeuner. Schweig, Barbar! Rüpel. 5
Nun, nun – Ich fürcht’ mich gar nicht vor so lump’gem Kerl. Meierbeth (der währenddeß vor sich hinstarrend dagestanden, plötzlich die Flasche ergreifend).
Mir her den wunderbaren Trank! – – Fort, fort! 10
(Blitz und Donner. Alle ab.)
Siebente Scene. (Garten. S e l m a kommt in Reisekleidern, ein Schwerdt an der Seite, einen Helm auf dem Haupt und eine Schachtel unter dem Arme.)
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Selma. Sagen gehen hier und da: Meierbeth gefangen – wund, Oder gar – o Gott! – erschla – Sprich’s nicht aus, leichtsinn’ger Mund! – Ha, nun wird mir’s furchtbar kund Was Tragödien mit sich führen, O es heißt, es heißt: v e r l i e r e n ! Und der ganzen Hölle Graus Sinnt nichts Grauenhaft’res aus – Weh, besitzen und verlieren, Ja, besitzen und verlieren! – – Horch – Nu, Selma rief es dort, Ey, und Selma ist mein Namen – Nicht doch – Alles wieder fort, Lüfte, die durch’s Schilf herkamen. – (Plötzlich entschlossen vortretend)
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Selma, sey ein Stern der Damen! Steht auf deiner off’nen Stirne, Doch der stolze Name: M e n s c h ! Fort mit Nadel und dem Zwirne, Zu des Krieges Leichenschmaus, Wo die Männer, Hirn an Hirne, Die Geschicke fechten aus, In die Feldschlacht mit hinaus! Arie. Ha, hört Ihr draußen die Trompeten schmettern Und stöhnen der Geschichte Mark? Die Wetter schreiben rings in feur’gen Lettern: Auf, Jungfrau’n, auf, und werdet stark! Leb’ wohl – wo ich im Clauren pflegt’ zu blättern – Du Kiosk, Rutschberg, feiner Park! – (M e i e r b e t h stürzt plötzlich bleich und mit bloßem Schwerdte herein, wie auf wilder Flucht vor dem Z i g e u n e r , der ihm langsam folgt.)
Selma 20
(den Meierbeth von fern mit der Hand abwehrend, singt weiter).
Denn Selma geht und kehret Euch den Rücken, Und wird Ma – ma – Maßlieb hier nimmer pflücken! – (Großer Applaus der Zuschauer.)
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(macht einen Knix gegen das Parterre, sodann mit Grazie zu Meierbeth gewendet).
O mein Leben, süßes Gut! Meierbeth. Hör’, und siedend koch’ Dein Blut! 30
(Auf den im Hintergrunde stehenden Zigeuner zeigend.)
Siehst Du ihn dort – starr, bleich, groß? Weh’, ich werd’ ihn nimmer los! – Sprang durch Gräben, querfeldein,
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Aber über Hügeln, Matten, Langhin, wie mein grauser Schatten, Streckt er hinter mir sich drein! 5
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Selma. Wie doch ist er zu Dir kommen? Meierbeth. Aus dem Sack hat er genommen Eine Flasche Aquavit, – Nun, es soll mir wohl bekommen – Seltsam Werk! Wie lebend sieht Mich da von des Bechers Schild An des eig’nen Vaters Bild, Dessen Namen ich nicht kannte, Den ich – ach, der früh Verbannte! – Kindlich dämmernd nur als Knabe, Dann nie mehr gesehen habe. Selma (den Zigeuner betrachtend, schauert plötzlich).
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Ha, nun wird mir selber bange, Denn es ist derselbe lange Braune Kerl, der unserm Haus Einst voraussagt’ all’ den Graus! Zigeuner (noch immer starr im Hintergrunde wurzelnd, feierlich).
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Ja – ich bin’s, der zwingt zum Flennen, Bin’s, den die Theater kennen, Der dem Helden hilft zum Tod Und den Dichtern aus der Noth, Ja, ich bin’s – hör’ und versteiner’ – Bin der furchtbare Zigeuner, Bin – das S c h i c k s a l ! – weh! weh! weh!
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M e i e r b e t h (sehr erbost). Nun geschehe, was gescheh’, Eh’ ich mich so sehr genire Faß’ ich Herz und revoltire! Kurz und gut, ich mag kein Fatum! Was! – erstechen brave Leute, Und um Mitternacht genau, Weil’s just das fatale Datum, Oder weil es prophezeite Eine alte Ahnenfrau. – Just – dem alten Weib zum Tort, Just nicht! Selma (sich dem Zigeuner nähernd und ihm das Kinn streichelnd).
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Hebe Dich schon fort, Schicksalchen, ich nah’ voll Grausen – Laß schon einmal Deine Flausen, Wollst uns keinen Esel bohren; Laß nur diesmal uns betrübte Unglückselige Verliebte Tugendhaft und ungeschoren, Ach, das Ungeheure wende! Sind beisammen hier so froh – ’S ist ja Alles doch am Ende Ganz egal, so oder so. Selma bittet, läßt nicht Ruh, Hörst Du, kleines Schicksal, Du? Z i g e u n e r (für sich). Mir wird selbst ganz flau zu Muth, Ach, sie ist so sanft und gut! Ob ich gar ein Küßchen krieg’? – Nein, das wäre nicht antik! (vortretend laut)
Wiß’t, das Publikum heischt Thränen,
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Freuet sich mit stillem Sehnen Auf die Gräu’l der letzten Scenen. Ha, daß es nicht werd’ geprellt, Dazu bin ich angestellt! 5
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Meierbeth. Gold’ne Selma, sey so gut, Halt’ mich an des Mantels Zipfel, Denn nun komm’ ich in die Wuth. Schwindelnd ha! auf zack’gem Gipfel Grimmen Zornes schwankt mein Geist, Und hinab der Sturm ihn reißt Zu der Kampfes-Wogen Schrecken, Die, sich bäumend, nach mir lecken! Z i g e u n e r (für sich). Wär’ ich diesmal nur mit Ehre Aus der kritischen Affaire! Selma (den gewaltsam vorstrebenden Meierbeth am Mantel festhaltend).
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Keine Übereilung, Guter! ’S ist ein Mann von Connexion! Meierbeth (sich mit zerrissenem Mantel losringend).
Sieh, ganz pretiös noch thut er! Wär’ Dein Name: Legion! – (Stürzt auf den Zigeuner.) 25
Zigeuner. Du! – Du! – wirst doch nicht – Herr Je! (Er entflieht; Meierbeth ihm nach.)
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Selma. Hei, wie stürzt das von der Höh! Kaum noch um die Ecke wehen
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Kann ich ihre Schöße sehen. – ’S ist nur um sein Renomee, Ohne Schicksal, Blut und Weh – Nein, es thut’s halt nimmermehr! – Ob ich schlichte? – ich befeu’re? – Selma, nach! das Ungeheure Zu verhüthen, nach zum Heer! (Sie eilt fort.)
Achte Scene. 10
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(Bivouac wie in der sechsten Scene; die Leichen der k l e i n e n B e k a n n t e n liegen noch umher. Der Z i g e u n e r stürzt herein, M e i e r b e t h verfolgt ihn. Beide bleiben während der folgenden Gespräche und Verwandlungen fortwährend im Laufen.)
Zigeuner. Aber wo soll denn das am Ende hinaus? Meierbeth. Nein, am Anfange hinaus! Rückwärts durch alle Scenen jag’ ich Dich heraus!
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Zigeuner. Seyd doch nur gescheidt! Da wickelt sich ja das ganze Stück wieder mit ab, und wir müssen Alles noch einmal durchmachen. Meierbeth. Ach was, immer durch!
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Zigeuner. Da – hab’ ich’s Ihnen nicht vorausgesagt?
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Die erschlagenen Damen (erwachen und singen wie im Traume).
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Schnurre – nickt nicht wieder ein! Schöner grüner Jungfernkranz – Schnurr’, Begeist’rung, nett und fein – Veilchenblaue Seide – Schulmeister (sich mit halben Leibe erhebend).
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Und dieses große Banditen-Gesicht hieb und stach und biß um sich, daß nur so die Fetzen und Lumpen umher flogen. Meierbeth. Hurtig, hurtig, Schicksal, machen Sie, daß wir weiter kommen! (Die Bühne verwandelt sich in den Wald der fünften Scene.)
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M e i e r b e t h ’ s G e f o l g e (draußen). Hup! hup! Hussah! Zigeuner. O Gott, wir sind hier wahrhaftig auf einem Tret-Rade; wir treten und treten und kommen doch nicht vom Fleck, während wir das ganze Stück um uns zurück drehen. Meierbeth. Ja, ich fange auch schon an, gelinde zu transpiriren.
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Zigeuner. Wer heißt Sie so lang ausschreiten! Wir können es uns ja commode machen, wir werden noch an die Bäume anrennen. G e f o l g e (draußen). Hup, hup, hup!
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Meierbeth. Ja, da hilft nun nichts, ich habe jetzt nicht Zeit, mich finden zu lassen. Gott befohlen, Brüder, in der ersten Scene wieder! – Tr e u g o l d , C a n n e g l i o u n d E d e l r e i c h 5
(im Hintergrunde aus dem Walde tretend).
Da ist Er! Geschwinde noch eine Prise – nun nach, sonst holen wir ihn nicht ein! (Sie schließen sich, hinter Meierbeth laufend, mit an.)
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Meierbeth. Da, schon wieder eine neue Dekoration! (Freier, von Wald umgebener Platz mit den z e r s t r e u t e n L i t e r a t o r e n , die sich wieder gesammelt haben.)
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M a s c h i n i s t (stürzt herein). Um Gotteswillen, geschwind die Coulissen wieder zurecht gerückt, den Recensenten wieder aufgehängt! Nein, Gott sey Dank, der hängt noch! – Wer hätte sich auch träumen lassen – Alles geht wieder zurück! Die Literatoren (in tiefer Erschütterung aufspringend).
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Alles – wieder – zurück? Maschinist. Ja, sehen Sie doch nur! da kommt eben der Zigeuner wieder vom Wald hergelaufen, und Herr Meierbeth hinterdrein.
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Erster Literator. O aberwitziges Schicksal! Wir haben unser eigenes Talg daran gesetzt, um Dir ein Licht an zu stecken, und nun wendest Du Dich wieder zurück in die alte Finsterniß, wo die Lampen längst ausgeputzt sind, und reißest unaufhaltsam den armen verblendeten Haufen mit Dir fort! Seht nur, wie sie eilig folgen – o undankbare Menschheit!
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Zweiter. Ich bitte Sie, sehen Sie einmal recht genau hin, sind das nicht Jesuiten dort im Gefolge? 5
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Dritter. Hm, verkappte Jesuiten wenigstens, ohne allen Zweifel! Dieser Canneglio – ich hab’ ihm niemals recht getraut. O Nicolai, seliger Nicolai! – Vi e r t e r. Ja, ich bin liberal, und es ist der Stolz meiner Menschenwürde, daß ich so liberal bin, aber wenn ich wüßte – ja, Alle verbrennen und sodann lebendig schinden und –. Fünfter. Wart, ich habe da noch einen guten Vorrath von neuen Constitutionen in der Tasche, ich will ihnen einige im Vorüberlaufen zwischen die Beine werfen. Der gehängte Recensent (zappelt und fällt vom Baum).
Ach, ich habe mich so zum Bersten geärgert, daß der Strang geplatzt ist! Meierbeth
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(athemlos mit dem Gefolge ankommend).
Platz da, Platz da!
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Recensent. Da ras’t er dahin wie taub und blind. Ich reite Gedanken, erreich’ ihn geschwind! (Läuft nach.) Erster Literator. Es ist doch was Schönes so ein Schnellläufer, besonders so in voller Ritter-Rüstung, wie der Meierbeth da! –
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Zweiter. Ich weiß nicht, mir ist es selber in die Füße gefahren; ich stell’ mich schon die ganze Zeit über von einem Beine auf das andre – wie, was meinen Sie wohl? – 5
Dritter. Es ist ein gewisses Etwas – der Strom der Luft, den sie im Laufen machen. Vi e r t e r. Der Teufel mag gegen den Strom schwimmen!
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(Sie laufen Alle nach.)
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Zigeuner. Seht Euch einmal um, Meierbeth, was da Füße hinter uns drein wirren und schwirren. Ach, wir sind wie eine Lawine; je weiter, je schneller und größer wächst und wächst das und rafft im Umschwunge allen Straßen-Plunder mit auf. Meierbeth. Das ist die Art starker Geister!
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Zigeuner. Sie haben gut reden; aber ich bin der Erste, und wenn’s einmal an’s Fallen geht, so komme ich zu unterst zu liegen. (Öde Haide mit dem offenen Grab. Blitz und Donner.)
M e i e r b e t h (erschrocken). Was ist denn das für dummes Zeug?! 25
Zigeuner. Nein, nun aber auch keinen Schritt weiter! – O, Sie brauchen nicht so zu schreien, Herr Soufleur! – Da, das offene Grab, die verdeckten Lampen, Alles mahnt mich an meinen hohen Beruf. Hier ist die Catastrophe!
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Meierbeth. Aber was sind Sie denn auf einmal stätisch geworden? Ich tret’ Ihnen noch auf die Fersen; das Kolofonium von den Blitzen versengt mir den Schnauzbart. 5
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Zigeuner. Schnauze oder Bart! Ihr Innerstes muß sich jetzt heulend empören, Sie müssen Ihre geliebte Selma umbringen, und sodann mit ihr zusammen in dieses Grab gelegt werden. Meierbeth. Was! das will ich doch seh’n! – Eher schrei’ ich – Zigeuner. Um Gotteswillen, nur jetzt nicht wieder schrei’n! –
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Meierbeth. Eher schrei’ ich alle Elemente zusammen; ehe soll der Sturm, der wilde Reiter, das Meer spornen, daß es die Erde überbäumt – ehe soll der kreisenden Erde Bauch seine verborgenen Flammen ausspeien, daß der Verwüstung Gischt kochend himmelan spritzt – ehe soll das Weltall gähnen, und Meer und Flammen und mich und Dich verschlucken! – Zigeuner. Bravo, bravo! grade die rechte Stimmung! – Ja, da hilft Alles nichts, mein Lieber, es ist nun einmal heut der vier und zwanzigste Februar, oder auch der neun und zwanzigste! (Er läßt seine Taschen-Uhr repetiren) Ey, der Tausend, schon drei Viertel auf Zwölf! Noch eine Viertelstunde, dann muß sich das Entsetzliche begeben, dann – Meierbeth. Ho, ho, was ist denn das für eine Ungezogenheit da hinten! Die Kerls drängen so unvernünftig, daß ich ordentlich schon ganz blau bin vor Stemmen; besonders der vom Galgen gefal-
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lene Recensent bohrt mir da mit seinen spitzen Ellbogen ganz malitiös in die Seite.
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Mehrere Stimmen. Was ist denn das auf einmal für eine Verstopfung? Frisch drückt aus Leibeskräften, drückt zu! (Entsetzliches Gedränge, Blitz, Donner, Sturm, dazwischen Geschrei der Beschädigten.)
Neunte Scene. 10
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(Schottisches Hochland mit Felsen, Wasserfällen u. s. w. wie in der ersten Scene. Die M u s e , höchst elegant gekleidet, mit einem Kopfputz von Pfauenfedern und einer Guitarre im Arm. Mehrere D i l e t t a n t e n begleiten sie, von denen ihr Einer einen großen Toiletten-Spiegel vorträgt, Andere ihre Schleppe nachtragen.)
Muse. Ich will aber jetzt grade spazieren im Kühlen, Dich süße Natur, so ganz zu fühlen! (Sie singt)
O tanti palpiti! o tanti pene! 20
Erster Dilettant. Hören Sie die Läufer, diesen göttlichen Triller! Zweiter. O genug – nun schwellend, nun stiller – Meine Augen sind so kurios gespalten, Wenn ich gerührt bin, kann ich’s Wasser nicht halten!
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(Er weint.)
Muse (ist unterdeß vor den Spiegel getreten und mit ihrem Kopfputz beschäftigt, während sie dabei oft seitwärts nach dem Parterre äugelt). 30
Mein Verehrer da muß sich mit dem Spiegel recht bücken, Er merkt nicht, was wir treiben hinter seinem Rücken.
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Hier hänge nachlässig das Preciosa-Zöpfchen! (zum Parterre)
Wie gefällt Ihnen so mein Strudel-Köpfchen? – Voller Unschuld da die Locken à l’Euryanthe! (zum Parterre)
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Wir bleiben ja doch immer alte Bekannte – Die Federn hier müssen etwas spanischer nicken. (zum Parterre) 10
Müssen mich nicht so starr durch die Brille anblicken! Mein Kragen da steht schon ganz lose und krumm – (zum Parterre)
Ey, machen Sie sich keine Gedanken darum, Es war nur der schelmische Abendwind. – Erster Dilettant. 15
Der glückliche! M u s e (sich rasch zu ihm wendend). Da repariren Sie geschwind!
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Erster. Wie soll ich? – auf diesen Schnee – vor Blendung Glitschen meine Blicke bei jeder Wendung! M u s e (ihren Handschuh etwas abstreifend). So ruhen Sie aus! Erster. O, ich verstehe sehr! (Küßt ihren Arm.)
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D r i t t e r (kommt nachgehinkt). O könnt’ ich, wie einen Storchschnabel, vor mir her Vorschieben eilig meinen spitzigen Mund, Daß ich auch noch erreichte das alabasterne Rund!
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Z w e i t e r (weinend). Der Alte, sein Gesicht brennt wie Hochzeitfackeln, Der Bauch wird ihm sauer und die Füße schon wackeln. 5
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Muse. Nun wollen wir uns wieder niedersetzen, Ich hab’ es satt, mich an der Natur zu ergötzen. Die Vögel sich paaren in allen Hecken, Das kann eine Jungfrau vom Spazieren abschrecken; Und Blumen, Waldsrauschen so monoton, Das hatten wir Alles hundert Mal schon. Könnt ihr denn gar nichts Neues bringen Auf das langweil’ge alte Tapet? Ja, wenn einmal die Berge vom Himmel hingen, Mit Wäldern und Allem was darauf steht, Und wir auf den Köpfen hier unten gingen, In blauem Grund mit Sternen besä’t! D r i t t e r (vor sie hinkniend). O daß ich dann mit an den Bergen hinge!
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Muse. Sie Schalk! – Aber machen Sie sich keine Beschwerden, Sie sind schon zu altmodisch, das kann nichts werden. (Sie steht schnell auf.)
Jetzt wollen wir wieder spazieren gehen. 25
Dritter. Helft mir, ich kann nicht allein aufstehen. M u s e (zu den Andern). Probiren wir einmal die neuen Touren. (Sie macht Tanz-Stellungen.)
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Z w e i t e r (weinend). Grundgütiger Gott, wie sind Deine Spuren So schön doch in Deinen Kreaturen! 5
M u s e (in den Hintergrund schauend). Da kommt wohl die Jungfrau von Orleans gar, In Panzer und Helm, mit fliegendem Haar. – Selma (stürzt herein und thut einen Fußfall).
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Hilf, Muse! – Sie haben sich vorgenommen, Das Schicksal Scene für Scene zurück – Ich bin auf einem Umweg durch die Garderobe gekommen – Ich komm’ um mein Tragisches in dem Stück! Da hör’ ich sie fluchen schon, stoßen und traben – Jedes Mädchen will doch ihr Schicksal haben! Muse. Was giebts denn? Nur ruhig und deutlich gesprochen! Selma. Da kommen sie schon selber herein gebrochen.
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(Der Zigeuner, Meierbeth und der ganze Haufe stürzen plötzlich sammt einigen zerbrochenen Coulissen mit großer Vehemenz übereinander herein.)
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Muse. Was ist das für ein unanständiges Gelärme! Wie ein ausgeschütteter Korb voll Gedärme. – Wer liegt denn da unten? den würgen sie nicht schlecht, Er ist schon ganz blau – wie, seh’ ich recht? Das Schicksal – (Sie schreit plötzlich gewaltig.) Zu Hülfe! geschwinde herbei!
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Die Zuschauer. Beruhigen Sie sich, wir waren so frei Hier über’s Orchester herüber zu setzen.
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Wir wissen das ehrwürdige Schicksal zu schätzen, Denn edel stets sey die Tragödie – und groß! Herr Meierbeth, schämen Sie sich, lassen Sie los! 5
(Sie stürzen sich mit in das Handgemenge. Der Zigeuner wird endlich aus dem Getümmel hervor gezogen.)
Die Zuschauer. So brachten wir wieder das Schicksal auf die Beine, Nun spielt sich das Stück schon weiter alleine.
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Die Dilettanten. Jetzt fort! Der Effekt, das Donnern und Blitzen Macht besser da unten sich von den Sperrsitzen. (Zuschauer und Dilettanten ab.)
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Zigeuner. Der Tausend! wie waren wir diesmal verbissen! Ein Ohr haben sie mir schon abgerissen. Ich hab’ heut für immer den Rest bekommen, Doch eh’ ich verscheide, sey Rache genommen! (Er blickt den Meierbeth starr und unverwandt an, während die Andern um ihn, Meierbeth und Selma einen weiten Kreis bilden. Feierliche Stille. Man hört fern im Gebirge Zwölf schlagen.)
Meierbeth. Wie – daß ich so plötzlich stocke, Als wär’ jeder Klang ein Schwengel, Und mein eig’nes Herz die Glocke! – Selma, Du auch hier, mein Engel? – Und die Logen, Ritzen, Thüren, Ringsumher unzähl’ge Augen Auf mich starrend, gleich Vampiren, Die mein Herzblut wollen saugen. – Träum’ ich? bin ich dumm, gerührt, Oder nur zu fest geschnürt? – (Indem er seine Schärpe loser macht, fällt die darin bewahrte Schnapsflasche auf den Boden.)
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Selma. Weh! – Meierbeth. Was schrei’st Du, blickst so wild? 5
S e l m a (auf die Flasche deutend). Ist dies Deines Vaters Bild? Meierbeth. Sicherlich!
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Selma. O sage: Nein! Nein, es kann, es kann nicht seyn! Schwarze Ahnung – Wahnsinn wild! – Auf der Flasche dort im Moose – Das ist meines Vaters Bild! – Meierbeth. Aber – plötzlich farbenlose Schreckensbleiche weiße Rose – Zigeuner. Hört Ihr nun die finst’re Stunde, Wie sie durch die stille Runde Mit den Raben-Fitt’gen schlug? – Unheilsschwere grause Kunde Trägt ihr nächtig dunkler Flug. Selma, ja, es war kein Trug Deiner Ahnung leis’ Geflüster – Ja, Ihr seyd, Ihr seyd – G e s c h w i s t e r ! Meierbeth. Ha, das ist ja gottserbärmlich, Unsre Lieb’, wie wirst du ärmlich!
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Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
Selma. Da hilft – bitt’rer Schicksals-Hohn! – Auch nicht Dispensation. 5
Meierbeth. Ja, wir sind sehr übel d’ran, Sag’, was fangen wir nun an? S e l m a (feierlich). Sterben! nur im Tod ist Einung.
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Meierbeth. Ich bin ganz derselben Meinung! (Er ersticht sie.) Lebe wohl nun, dicker Broden, Dieser ungeschlachten Welt! Und die Flasche dort am Boden, Der’s zu stürzen mich gefällt, Leert sie auf mein Wohlergeh’n! – Nun ade! es darf ein Held Nicht so lang’ am Abgrund steh’n. (Er stürzt sich in sein Schwerdt.)
Zigeuner 20
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(in malerischer Stellung über die Leichen hingesunken).
Das wär’ glücklich abgethan. – Doch was ficht die Andern an? Weh! die Flasche, in die Runde Kreist sie dort von Mund zu Munde, Und von dieses Trank’s Gewalten Geht das Trauerspiel zu Grunde Noch zuletzt in Confusion! – Daß ich grade jetzt erhalten Mußt’ im Kampf die Contusion!
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
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T r e u g o l d (begeistert). Ihre Flügel –
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Z i g e u n e r (einfallend). Still, kein Wort! Todt sind Held und Heldin dort, Die Tragödie ist ja aus. T r e u g o l d (wie oben). Ihre Flügel –
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Zigeuner. Ruf’t hinaus, Daß der Vorhang niedergehe – Wehe, wehe, wehe, wehe! (Er stirbt.) T r e u g o l d (ausbrechend). Ihre Flügel fühl’ ich die Seele entfalten, Ich kann sie kaum mehr im Leibe erhalten; Der Trank thut mich über mich selber erheben, Ich mag meinen Herrn nicht überleben. – Canneglio. Ich kann die Gesinnung nur nobel nennen, Laßt Einer in des Andern Degen uns rennen! (Sie stellen sich einander gegenüber, die bloßen Schwerdter gegen einander.)
Tr e u g o l d . Ich zähl’ – geben Sie Acht nur – eins, zwei – drei! 25
(Er rennt in Canneglio’s Schwerdt.)
Canneglio. Da liegt er, ich lief an der Spitze vorbei.
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Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
Edelreich. Ich strotze zum Bersten von Edelmuth – Luft Muß ich mir machen an diesem Schuft! (Er haut dem Canneglio den Kopf ab.) 5
Erster Literator. Ein übertrieb’ner Charaktör! Und vigoureus! Lebt er, so heckt er noch mehr! (Er durchsticht ihn.)
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Zweiter. Vor Begeist’rung der immer will platzen schier, So fahr er aus seiner Haut denn allhier! (Er haut den Ersten nieder.)
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Dritter. Ich wag’ sonst von fern nur zu sticheln fein, Heut hab’ ich Courage, und steche d’rein! (Er ersticht den Zweiten.)
Vi e r t e r. Das wollt’ ich nur – so mordet Freund hier als Feind sich, Nun stech’ ich noch den da – so bleibe ich einzig! 20
(Er ersticht den Dritten.)
Recensent. Wie der sich da über sich selber verwundert, Daß er die einzige Null von dem Hundert – So streich’ ich sie aus denn, krit’sches Jahrhundert! 25
(Er haut ihn nieder, dann sich nach allen Seiten umsehend.)
Nun giebt es denn nichts mehr zu recensiren? – Da ruhen sie Alle auf allen Vieren. So will ich denn auch keine Zeit mehr verlieren, Ein neues Genie könnte sehr mich genieren. – 30
(Er erhängt sich an einem Baume.)
Meie rb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e.
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M u s e (die sich unterdeß versteckt hatte). Ja, ja, so geht’s den Phantasten und Dichtern! Ich nehm’ keinen Schluck, bleib’ alleweil nüchtern. Da liegen der stattlichen Helden recht viel; Es geht doch nichts über ein Trauerspiel! – Was kommt denn aber da für ein Thier vermessen, Wird keine Bestie doch seyn und mich fressen? L ö w e (tritt auf). Ich wollt’ sie erschrecken und stören im Streit, Nun steh’ ich hier voller Verlegenheit. – Da liegt der hochselige Meierbeth – O, o, wie mir das zu Herzen geht! (Er brüllt.) Muse. Der Löwe, wie’s scheint, hat ein gutes Herz, Er brüllt einen rechten beträchtlichen Schmerz. – Ich wag’s – präsentire mich ihm von weiten, Die Musen ja jetzt die Bestien zureiten. – Macht’ er nur nicht so ein greulich Gesicht Wenn er betrübt ist! – Schnappen Sie auch nicht?
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L ö w e (für sich). Ich trank, eh’ ich ausging, ein wenig zu schnell, Nun ist so rabiat mir in meinem Fell – Die kommt mir jetzt g’rade zur rechten Zeit, Mich zu stören in meiner Traurigkeit!
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Muse. Der torkelt ja niedlich – ich will doch nicht hoffen – Ich glaube wahrhaftig, der Löw’ ist besoffen.
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Löwe. Die Musen besonders ich gänzlich veracht’, Die haben Meierbeth so herunter gebracht. (Er tödtet die Muse.)
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Meierb eth ’s Gl ü ck u n d E n d e .
Der tausend – vor den Federn und Kragen und Plunder Erkenn’ ich sie jetzt erst – dacht’ ich doch Wunder! – Die Berliner Mamsell aus der ersten Scene! – (Nach dem Vordergrunde taumelnd.) 5
Was, Muse da, Schicksal oder Löwe oder Hyäne! (Er singt nach der bekannten Melodie.)
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Mir ist Alles Eins, mir ist Alles Eins, Ob wir’n Schicksal haben oder kein’s. So ein Schicksal möcht’ uns All’ kuranzen Und giebt’s kein’s, laß’t and’re Bestien tanzen! Mir ist Alles Eins u. s. w. (Während des Nachspiels macht er bestialische Sprünge und Wendungen.)
Rüpel 15
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(den Kopf aus dem Löwen-Rachen hervorstreckend, singt zum Parterre).
Das kam Ihnen wohl d’runten nicht in den Sinn, Daß ich selbst der Löwe bin? – Nun genug der alten Narretheie, Geh’n S’ nach Haus und machen S’ wieder neue, Daß hier droben ’s Spiel bald von Frischem geht! – Jetzt ’nen Sprung noch zum Valet! (Er fährt wieder in die Löwenhaut und mit Capriolen ab.)
D ie F reier
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D i e F r e i e r. Lustspiel in drei Aufzügen von Joseph Freiherrn von Eichendorff.
Te x t g r u n d l a g e : D ( 1 8 3 3 )
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D ie F reier
D ie F reier
Personen:
ieeoeep
Gräfin Adele. Flora, ihr Kammermädchen. Graf Leonard. Hofrath Fleder. Flitt, ein Schauspieler. Schlender, ein Musikant. Victor, Jäger, Im Dienste der Gräfin. Friedmann, Gärtner, Marie, Friedmanns Nichte. Knoll, ein Weinschenk. Ein Bote.
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D ie F reier
Di e F rei er. I, 1
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Erster Aufzug.
Erste Scene. (Studirstube, Akten liegen auf den Stühlen. H o f r a t h F l e d e r sitzt auf einem Reitsessel vor dem Pult und schreibt.) 5
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Fleder. Vorwärts! vorwärts! Morgenstunde ist die stille Saat-Zeit der Gedanken. (er schreibt) „Das Amt hat dem Mäusefraß mit Energie und gebührendem Ernste entgegenzutreten.“ – Ja, es ist des Mannes edelster Beruf, so unmittelbar in das Leben, in die Welt zu greifen. Vaterland – deutsches Vaterland – ein erhabener Gedanke! (er schreibt) „Mäusefallen aber sind nicht etatsmäßig, und können nicht passiren, wonach sich zu achten.“ – So, diese wichtige Angelegenheit wäre auch regulirt. Frisch weiter! was kommt nun? (er steht auf, und wühlt in den Akten) Das ist fertig – hier ebenfalls – das auch. Weiß Gott! ich habe Alles schon abgemacht! Ach, das ist ärgerlich, die kostbare Morgenzeit! Was fange ich nun an? – Nur nicht lange besonnen, die Zeit entflieht, man muß jede Minute benützen, sich menschlich auszubilden. Harmonie der Kräfte ist das erste Gesetz. (Er hat den Schreibesel mitten in die Stube gestellt und macht gymnastische Übungen. Während deß tritt ein Bote herein und bleibt verwundert stehen.)
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Bote. Ih, Herr Hofrath! was machen Sie denn da?
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F l e d e r (erschrocken). Ich? wahrhaftig – ei, so früh schon vom Bureau? –
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Bote. Ich habe in meinen jungen Jahren immer so viel vom Turniren gelesen – Fleder. Turnen, turnen heißt das, guter Mann.
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Bote. Wahrhaftig, wenn Sie nichts dawider hätten, ich möcht’ das Ding einmal selbst probiren. Fleder. Ich bitte Sie, thun Sie Ihrer edlen Aufwallung keinen Zwang an! Versuchen Sie, das Volk ist ja eben um dieser Gesittungsanstalten willen da.
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Bote. Nun, in Gottes Namen. (er springt) Hopp! Fleder. Ah – nicht doch diesen barbarischen Laut dazu! Das will mit Würde, mit geziemendem Ernst getrieben seyn. Sehn Sie, so – der Schwerpunkt ruht auf den beiden Ballen, der Körper bildet einen stumpfen Winkel – (er spingt). Bote. Nun treff’ ich’s auch (er macht einen Sprung und fällt jenseits nieder).
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F l e d e r (ihn aufhebend). Sie haben doch keinen Schaden genommen?
Di e F rei er. I, 1
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B o t e (aufstehend). Blos eine sanfte Empfindung hinten. – Es geschieht mir schon recht, das soll so ein alter Esel den Jungen überlassen. – Aber über dem Turniren da wäre ich bald returnirt, ohne – (er sucht in seinen Taschen) Ich soll – der Präsident – o er ist verloren! Fleder. Was, um Gotteswillen! verloren? Und das sagen Sie mir erst jetzt? was ist geschehen? wie verließen Sie ihn, wie sah er aus?
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Bote. Blau, mit einem eingekniffenen Eselsohr. Fleder. Blau! Liegt er? Bote. Nein, Gott sey Dank, er sitzt – Fleder.
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Fest? Bote. Ja, im Futter. Fleder. 20
Wer? Bote. Was? (er zieht einen Brief in blauem Umschlage hervor und übergibt ihn dem Fleder) Da ist er. Fleder.
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Aber ich begreife nicht –
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Bote. Na, na, ich hab’ nicht länger Zeit. Guten Morgen! (ab.)
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Fleder. Hat mich der einfältige Mensch doch erschreckt! er ist immer so dumm zu verstehen. – Das Schreiben ist vom Präsidenten selbst, seine gewöhnliche vergnügte Hand. (er erbricht den Brief) Ach – eine konfidentielle Mittheilung! Laß sehen, was gibt es da? (er liest)
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„Bester Hofrath Fleder! Sie kennen meinen alten Lieblingswunsch, daß mein Neffe, der junge Graf Leonard, der so eben von Reisen zurückgekehrt ist, endlich das ewige, zwecklose Umherschweifen lasse, sich vermähle und seine Kenntnisse und Talente der Welt zum Besten gebe.“ Gott, ja wohl, des Würdigen beut die ernste Zeit so viel! – „Ich habe daher meinem Neffen zugeredet, um die Hand der unabhängigen, liebenswürdigen und reichen Gräfin Adele zu werben. Sie lebt, wie Sie wissen, jetzt auf ihrem einsamen Waldschloß, weil ihr die Residenz zu langweilig ist. Er hat sich vor der Langweiligkeit der Welt in die Residenz geflüchtet, um unsere Kurzweil gründlich zu studiren. Sie verachtet die Männer, er die Weiber. Sie ist launisch, phantastisch; er verfolgt wüthend die Phantasten und ist doch selbst der größte – in Summa: die beiden passen zusammen, wie zwei scharfgezahnte Räder, wenn’s auch anfangs tüchtig knarrt. Das wäre nun Alles gut. Aber kaum erzähle ich ihm von allen diesen Kuriositäten der Gräfin, so springt er zerstreut vom Stuhle auf – ich füge noch hinzu, daß sie oft reisende Künstler auf ihrem Schlosse sieht – da greift er nach seinem Hut – daß sie sie aber immer am folgenden Morgen wieder fortjagt, weil sie ihr zu ordentlich sind – da ist der Narr schon zur Thüre hinaus. – Nun hör’ ich so eben, daß er gar schon hingereist ist, aber, wie ich von sicherer Hand weiß, wieder ganz auf seine Weise: er will nämlich – denken Sie nur! – unerkannt, als reisender Schauspieler das Schloß der Gräfin besuchen!“
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O irregeleiteter Jüngling! o armer, würdiger Oheim! – „Ich fürchte da wieder große Confusion und wünschte sehr, daß ein Dritter auf dem Schlosse ein wenig zum Rechten sähe, um im Falle sehr wahrscheinlicher dummer Streiche, Alles möglichst in’s Geleise zu bringen oder doch jedenfalls mich von dem Ausgange schnell in Kenntniß zu setzen; aber das müßte Jemand seyn, der Allen unbekannt ist, denn merken die lustigen Vögel etwas davon, so sitze ich mit meinem Kuppelpelz wie der Schuhu auf der Stange, sie stoßen alle nach mir. – Ich weiß, lieber Fleder, wie Sie immer recht erpicht sind auf Menschheits-Veredlung und nach nützlichen Thaten dürsten; hier gibt es einmal einen rechten Humpen für solchen Durst. – Die Gräfin Adele kennt Sie nicht persönlich, Leonard eben so wenig, Sie aber haben ihn schon einmal bei mir aus dem Kabinet gesehen und werden ihn leicht wiedererkennen. Daneben blasen Sie auch charmant die Flöte –“ In der That, wenn der seelenvolle Blick manches gebildeten weiblichen Wesens bei den schwierigen Passagen nicht log – „Wie wäre es, wenn Sie selbst sich nach dem Schlosse aufmachten, allenfalls unter erdichtetem Namen, als reisender Musikus, gleichsam so hingeblasen. – Aber was geschehen soll, geschehe schnell, recht schnell! Denn mein Neffe, wie gesagt, ist schon fort, darum wählte ich, der Kürze wegen, die schriftliche Mittheilung in der frühesten Morgenzeit. – Postscript: Sie haben die junge Gräfin noch niemals gesehen. Um des Himmels willen nehmen Sie sich in Acht, daß die Verwirrung nicht noch größer wird!“ In Acht? – Diese Nachschrift ist ein Dintenklecks auf die reine Seele des Präsidenten! Hält er mich für einen Jungfernknecht, wie den gemeinen Haufen? – (indem er den Brief schnell einsteckt) Nun, des Mannes Antwort ist die That! ich reise als Flötenspieler zur Gräfin, noch in dieser Stunde. Heilige Pflicht, zwei verwilderte Herzen für die allgemeine Sache der Menschheit zu erwärmen durch ernster Rede Kraft – die
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jüngste Regierungsrathsstelle wird nächstens erledigt – die gebührende Achtung vor der Familie meines würdigen Chefs – sie wirft jährlich tausend Thaler ab – ja, ein edler Vorwurf, so recht unmittelbar in das Leben hineinzunützen – und freie Wohnung nebstbei – fort, hinaus, zu Pferde! (eilig ab.)
Zweite Scene. (Das Innere einer Dorfschenke. F l i t t und S c h l e n d e r sitzen schlafend auf Stühlen.)
Flitt 10
(erwacht und sieht an sich herunter, nach einer Pause).
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Eine länglichte Ansicht, viel Einsicht, manche Durchsicht. – Ich glaube, ich werde von dem über Stühl und Bänke hängen immer länger und länger, wie ein Perspectiv, wo will das am Ende hinaus? – Laß sehn, ob meine Stimme über Nacht nicht erdurstet ist.
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Wenn die Nacht vor Alterschwächen Drückt ihr letztes Auge zu: Geht der Hirt den Tag anbrechen, Und bläst Tu, tu, tu, tu, tu –
(er singt schläfrig)
S c h l e n d e r (auffahrend). Was ist’s? Flitt. Ich weck’ nur das liebe Vieh auf.
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S c h l e n d e r (sich umsehend). Wahrhaftig, schon wieder Tag, und beißt auch gleich so in die Augen! Daß der Sonne auch nicht die Zeit lang wird so vom frühen Morgen bis in den späten Abend in ein solches Wirthshaus hinein zu scheinen. Flitt. Aurora musis amica. Sie weiß, daß dieses Sperlingstichige, gewesene Schindeldach zwei Künstler beherbergt, sie begrüßt das Handwerk. Aber wie geht’s Dir, alte Muse?
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Schlender. Es geht vielmehr noch gar nicht, es hängt noch Alles so miserabel an mir, mir thun alle Haare weh. Flitt. Geduld, guter Schlender, Geduld. Dein Wandel wird Dich, wie eine herzhafte Magd, bald so kahl scheuern, daß ich keinen Groschen für die leere Glatze geben möchte. Schlender. Groschen? – Sag, lieber Flitt, hast du noch was in der Tasche?
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Flitt. Bloß ein großes Loch – da, ich komme mit der ganzen Hand durch, und wenn sie zwanzig Finger hätte. Aber Du? untersuch’ doch einmal – Schlender (nach seiner Rocktasche greifend, erschrocken).
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Bei Gott, ich habe gar keine Tasche mehr! – F l i t t (lachend). Du warst außer Dir, Schlender, nun weißt Du’s nicht einmal. Ja, eine lustige Nacht! Aber aus dem guten Humor wurde ein böser Rumor, da rissen Dir die einen im Getümmel die Rock-
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schöße vom Leibe, und die andern flickten ihn wieder mit blauen Flecken. Schlender. Mir? aber weshalb denn? 5
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Flitt. Beim Spiele, Freundchen. Der Wein eröffnet das Herz, Du warst zu aufrichtig mit Deinen falschen Würfeln, und darüber entstand die lebhafteste Theilnahme in der ganzen Gesellschaft. Schlender (sich in seinem halben Frack von allen Seiten besehend).
Das ist Gott’serbärmlich, wie ich ausschau; – Nein, das muß anders werden, bei dem Leben kommt nichts heraus – 15
Flitt. Als der Ellbogen aus dem Ärmel. Schlender. Ich hab mir’s ernstlich überlegt –
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Flitt. Leg’ Dich noch einmal über, Schlender, und schlaf besser aus, Du bekommst schon wieder Deinen Katzenjammer. Schlender. Nein, guter Flitt, dießmal ist’s mein unerschütterlicher Vorsatz, ich mache einen neuen Absatz in meinem Leben!
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Flitt. Was! noch einen neuen Absatz an solchen alten, ausgetretenen Schuh?
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Schlender. Wir sind auf Umwegen zur Tugend begriffen – ich bin noch jung, talentvoll, schön gebaut – ich will mich ganz umwenden. 5
Flitt. Lohnt nicht, lohnt nicht, bist schon von beiden Seiten verteufelt abgetragen. – Frisch, laß uns lieber etwas auf Deinen neuen Absatz trinken. – Heda, Wirth, dicker Öhlgötze, schrote Dich heraus, altes Weinfaß!
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K n o l l (tritt ein). Bon schnur, Bestiö’s! was macht Ihr da schon wieder für Lärm, bei so frühem, nachtschwärmenden Tage?
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Flitt. Bon schnur? – Häng’ Dich daran, alter Galimathias! Vorher aber gieb uns noch von Deinem schlechten französischen Weine auf unser gutes deutsches Wort. Knoll. Paraßol d’honneur! ein Wort ist ein Wind, und ein Wind ist nichts, und auf nichts geb’ ich nichts mehr.
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Flitt. Oho, mein Wort und dein Wein sind einander gerade werth. Also Du willst wirklich nicht länger mehr auf mein ehrlich Gesicht? –
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Kupfer, eitel Kupfer!
Knoll. Flitt. Aber kostbares Kupfer, ich hätte eine Nase von Gold dafür haben können.
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Knoll. Ihr hättet sie doch wieder im Weinkruge sitzen lassen.
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Flitt. Hör’, Knoll, ich habe einen durstigen Einfall. Hör’ einmal, wenn Du durch Deinen Speck noch Vernunft hören kannst. Knoll. Nun, kretipleti, Bestiö’s?
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Flitt. Mein Kamerad da ist ein Virtuos auf der Geige, wie Du weißt, und ich bin ein reisender Schauspieler; meiner Treu, wir wollen unsere Talente hier nicht länger verschimmeln lassen! Knoll. Hat keine Noth wegen des Verschimmelns, sie haben Euch erst heute Nacht wieder tüchtig gescheuert.
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Flitt. Ich bitt’ Dich, schluck’ jetzt Deinen Witz hinunter, und wenn Du daran erwürgen solltest! – Also ich sage: ich und mein Kamerad da, wir haben beide einen devoranten guten Geschmack; was giebt’s nun hier in der Runde für Herrschaften, die auf ihre Ausbildung was daraufgehen lassen? Wer wohnt zum Beispiel in dem großen Schlosse, das man dort vom Berge sieht? Knoll. Die Gräfin Adele – wollt’ sagen: Krudele, denn sie stößt alle Liebhaber vor den Kopf, schlägt viel Geld todt, schlägt die Laute, schlägt Triller – Flitt. Genug des Gemetzels, Barbar! Da wollen wir hin und frisch mit dreinschlagen, ich denk’, es soll einen guten Silberklang
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geben. Schlender! – Der Kerl ist wahrhaftig vor Schwermuth wieder eingeschlafen. – Halt, da blitzt’s mir eben durch den ganzen Kopf! – Still, still, stör’ ihn nicht. – Sag’ mir einmal, Knoll, wie haben Dir heute Nacht seine Würfel gefallen? 5
Knoll. Sie sind gut gefallen, sie hatten alleweil so viele Augen, daß sie den feinsten Silberstich aus der tiefsten Tasche herauslasen. Flitt. Möchtest Du die Dinger wohl haben, mein Lieber? –
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Knoll. Quinten, pure Quinten! Was ist eigentlich Eure Intentation dabei? Flitt. Ich bin einmal so ein ehrlicher Bursche, daß ich’s niemals in der Welt zu etwas Rechtschaffenem bringen kann, ich möchte gern uns allen Dreien helfen, bevor Dich der Teufel ganz in Deinem Talg erstickt hat. – Sieh, erstens: mein College da hat beschlossen, sich ganz umzuwenden; wir wollen ihm helfen auf dem Wege der Besserung – erst die Taschen! (er wendet vorsichtig Schlenders Tasche um.) Er hat von seinen Nacht-Sünden Zahnschmerzen in den Haaren, wir wollen ihm die schadhaften Knochen ausziehen. – (Er bringt Würfel aus Schlenders Tasche hervor.) Da sind sie! – Nunmehr zweitens –
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Knoll. Eure Intentation! Eure Intentation!
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Flitt. Also zweitens: haben wir Dir unsre guten feinen Kleider zum Pfande gegeben, da wir mehr Durst als Geld hatten. Wie viel haben wir davon noch zu Gute, wenn Du die doppelten Kreidestriche abrechnest?
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Knoll. Jeder einen halben Ärmel etwa.
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Flitt. Eine lumpige Sicherheit! Sey kein Narr, gieb mir die Kleider heraus und Du sollst die Würfel haben. – Nun? – Knoll. Knifftheologie, lauter Knifftheologie! Pfiffe tragen Püffe! – Nein, behaltet Ihr Eure Knochen da auf neue Kleider, und ich behalte Eure neuen Kleider für meine eigene Knochen.
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Flitt. Bist Du gescheut! Unsere Kleider für Dich? – Einen Frack über den Bauch, den andern über den Rücken, in jede Pumphose einen Arm, da bleibt Dir nichts für die Beine; willst Du herum gehen, wie ein Bergschotte? – Aber mir auch recht, wie Du willst – eigentlich, – wie ich mir’s recht überlege. – Wie waren doch heut’ Nacht die beiden Hauptwürfe Schlenders? – Laß einmal sehen, (er wirft) Nummer Eins! K n o l l (gespannt zusehend, für sich). Sey kein Narr, – Knoll, ich bitt’ Dich, sey kein Narr. –
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F l i t t (wirft wieder). Nummero zwei: dix huit. Knoll. Nimm’s mit – nimm’s mit! (er geht zögernd in den Hintergrund und schließt einen Schrank auf.)
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F l i t t (für sich). Wahrhaftig, der Wallfisch beißt an, Gott gesegne seinen breiten Rücken! Jetzt geschwind gewechselt, die falschen Köder in die Tasche und meine aufrichtige ordinaire Würfel auf den Tisch (er steckt die falschen Würfel ein und legt andere hin). So – und
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dann rasch fort von hier, sonst bekomme ich noch Agio aufgezählt in dem Wechsel-Negoz.
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Knoll. Da ist der Plunder! (Er wirft einen Pack auf den Tisch, während er mit der andern Hand hastig die Würfel ergreift und einsteckt.) Nun weiß ich was ich habe und nieß’ Euch was auf Eure Pfiffe, ha ha ha. F l i t t (das Pack unter den Arm nehmend). Prosit! Ha ha ha!
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S c h l e n d e r (erwachend). Was ist denn das für ein Spektakel, daß man sein eig’nes Nachdenken nicht hören kann – Flitt. Munter, Schlender! Frischauf, zur Gräfin Fortuna! – Ha ha ha – Du schaust ja so bedenklich und verschoben wie ein Paraplü im Sturmwind. Schlender. Paraplü? – regnet’s schon wieder ein?
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Knoll. Muß doch, denn Ihr hängt ja nach allen Seiten über, wie eine nasse Pelzmütze. – Ha ha ha – die Ratten haben Euch über Nacht beknappert, Ihr seyd so ohne Umschweife. – S c h l e n d e r (springt wüthend auf). So darf mir Niemand kommen, und wenn er noch so dick wäre! Was! hab’ ich nicht Anno dreizehn den ganzen deutschen Patriotismus mitgemacht und bin als freiwilliger Janitschar vor dem Feinde ausgezogen und habe neben der Leipziger Schlacht die Becken geschlagen und bin –
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Knoll. Kaldauen, Katabomben und Sonaten!
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Schlender. O ich fürcht’ mich nicht, ich fürcht’ mich gar nicht! ich geb’ nicht so viel auf so ein Ochsenmaul voll Worte, es hat schon manch dickerer Kerl, als Du bist, mich durchgeprügelt – F l i t t (ihn nach der Thüre drängend). Ich bitt’ Dich, Schlender, sey doch vergnügt, wenn Du zur Thüre herausgeschmissen wirst. Willst Du hier sitzen und alle Striche bezahlen, die wir da an die Wand getrunken haben? Schlender. Betrunken? Was! – wer ist betrunken?
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F l i t t (schiebt ihn zur Thüre hinaus). Ach, frag’ nicht so viel! Fort! Knoll. Bon Pakage! Behüt’ Euch Gott, daß Ihr in Euren Unternehmungen nicht wieder zurück kommt!
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Flitt. Möchte uns unser Weg recht bald wieder weit an Dir vorbeiführen! (Alle ab.)
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Dritte Scene. (Wald. Man hört in weiter Ferne Waldhörner. G r a f L e o n a r d in etwas phantastischer Reisekleidung tritt auf.)
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Leonard. Halloh, poet’sche Wirthschaft da! Von allen Gipfeln Rings Hörnerklänge, und wie Meereswogen Hoch über mir frisch Rauschen in den Wipfeln, Als käm’ durch’s Holz geflogen Die Zauber-Gräfin auf phantast’schem Besen Hier zum Walpurgistanze des Parnasses. – Wer kein Genie ist, laß’ es! Mir aber schwillt mein Busen so verwogen! Wo kühn hin über das gemeine Wesen Ein Weib das Seil der Poesie gezogen, Um drauf mit keckem Schwung und Neigen Sich vor dem Volk zu zeigen: Da will mich der Bajazzo in mir zwingen, Mich mit auf’s Seil zu schwingen In Entrechats und unerhörten Sprüngen. Hopp! nochmals hopp! das Volk ist außer sich, Je höher die Gräfin, je höher ich – „Sie brechen den Hals mein Lieber!“ Hilft nichts! Dreimal noch in der Luft Kopf über Stürz’ ich zuletzt mich in’s Hurrah der Menge, Verschlüpfend wieder in’s gemeine Wesen, Und keiner im Gedränge Weiß, daß der Narr Graf Leonard gewesen. – Das ist das Flügelpferd mit Silberschellen, Das heitere Gesellen Empor hebt über Haidekraut und Klüfte, Daß durch den Strom der Lüfte, Die um den Reisehut melodisch pfeiffen, Des Ernst’s Gewalt und Thoren-Lärm der Schlüfte Als Frühlingsjauchzen nur die Brust mag streifen;
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Und so im Flug’ belauschen Des trunknen Lieder-Gottes rüst’ge Söhne, Wenn alle Höh’n und Thäler blüh’n und rauschen, Im Morgenbad des Lebens ew’ge Schöne, Die in dem Glanz erschrocken, Sie glühend anblickt aus den dunklen Locken. – So rauscht’ nur, Wälder, frisch! ich wand’re, D i e Schöne sey mein Lieb und keine and’re! (Er will weiter gehen, bleibt aber plötzlich, in die Ferne sehend, stehen.)
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Was giebt’s denn dort? – Ich glaub’, das Flügelpferd Hat eben zwei Genie’s da abgesetzt! Ein Roß, im Winde Mähn’ und Zügel flatternd, Fliegt lustig Waldwärts über’n grünen Grund, Zwei Herren hinterdrein – nun fällt der eine, Der and’re über ihn – das Pferd ist fort, Sie steh’n und wundern sich – (er ruft) Heda! Hup hup! Schlender (von der entgegengesetzten Seite hinter der Scene).
Hup hup! 20
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L e o n a r d (sich schnell umwendend). Was Tausend, noch ein Dritter! Die ich rief, hören mich nicht, und den ich höre, rief ich nicht. Hoho guter Freund, sind Sie bloß ein Echo? S c h l e n d e r (hinter der Scene). Laß die Narrenspossen und hilf mir lieber hier aus der Verwickelung! Hagebutten, Pfingstrosen, Stachelbeeren, alles niederträchtige Gewächs stichelt auf meine neue Kleidung. Leonard. Wie soll ich Ihnen helfen? ich sehe nichts von Ihnen als Ihre Stimme.
Di e F rei er. I, 3
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Schlender. (in eleganten Kleidern, eine Geige unter dem Arme, tritt auf).
Was! sind Sie nicht Flitt? –
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Leonard. Oh – ein Troubadour! bei Gott, ein Troubadour. Schlender (seine Geige in die Rocktasche steckend).
Erlauben Sie, mein Herr, haben Sie nicht ein gesatteltes Pferd gesehen? 10
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Leonard. Ja wohl, und zwei abgesattelte Herren hinterdrein. – Aber sagen Sie mir doch nur – Schlender. Die Landstürzer, die Schnappsackspringer die! – Man hat seine Noth mit vielen Domestiken, je mehr Gefolge, je weniger folgt es, je größer die Suite, je mehr Suiten werden gerissen. Leonard. Wie, und alle diese Suitiers ritten auf e i n e m Pferde?
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Schlender. O, das hätte noch zwanzig mehr ertragen! Was denken Sie? Es war recht mein Aug-Apfel-Schimmel! Leonard. Nein, wahrhaftig, es war ein Brauner.
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Schlender. Ja, oder mein Augen-Brauner. Tausend Dukaten, auf Ehre! dafür hätt’ ich ihn gegeben. Ich ritt einmal mit einem arabischen Lord, die bekanntlich die besten Pferde sind, um die Wette drauf – das hab’ ich nun verloren!
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Leonard. Meiner Treu, ich meine, das Pferd hat Sie verloren.
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Schlender. Ja, ich muß nun zu Fuß gehn, leider! Aber es thut nichts, besser schlecht gegangen, als gut gehangen, wer reitet, kann fallen, und wer zu Fuß geht, kann auch fallen, das ist mir Alles egal. Leonard
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(der unterdessen um ihn herumgegangen, und ihn mit Vergnügen betrachtet hat).
Bei Gott, wie eine Trödelbude! Der Frack zu lang, die Weste zu kurz – o, ein köstlicher Fund!
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Schlender. Fund? – Wie so, Fund? (für sich) Das ist eine gute Geschichte! ich glaube, der Kerl ist gar einer von den Glücksrittern, die allezeit finden, was andern ehrlichen Leuten verloren geht. Leonard. Wahrhaftig, ich laß’ Sie nicht wieder los.
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Schlender. Mich, mein Herr? Was wollen Sie von mir, mein Herr? Weil ich ein vornehmes Äußeres habe? Ja, gehorsamster Diener! Leonard. Ganz ergebenster! – Aber wie kamen Sie denn eigentlich in diesen Wald?
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Schlender. Ja, wüßt’ ich lieber, wie ich wieder herauskäme! – Aber das will ich Ihnen wohl sagen. Sehn Sie – treten Sie mir nur nicht so nahe, ich bin sehr empfindsam an den Hühneraugen – also: wir waren eben auf der Wanderschaft, und mein Kamerad
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Flitt lehrt mich unterwegs Galliarde springen und Pirouetten, kurz das ganze Solo mit den Füßen. – Aber bleiben Sie dort stehen, so – indem kommt ein fremder Herr zu Pferde des Weges daher. Ich denk’ an nichts und exercir’ mich so für mich fort in den Sprüngen, da kömmt’s mit einemmal dem Pferde auch in die Beine, ich sage Ihnen, wie ein Bock auf der grünen Wiese. Ich, nicht zu faul, streng mich an mit Sätzen, das Pferd aber immer noch höher, mein Kamerad schreit, der Herr schimpft, das war ein Spektakel, vier Pferdebeine, zwei Stiefel, ein paar Arme, Alles wie Windmühlflügel in der Luft durcheinander. Endlich kommt der Hut auf die Erde geflogen, und gleich darauf der ganze Herr, leider! Er aber geschwind wieder auf und lauft hinter dem Pferde drein, mein Kamerad hinter ihm, ich hinter meinem Kameraden – Leonard.
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Halt, halt wieder! –
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Schlender. Was Halt! da war kein Halten mehr! Die Beiden hatten gut rennen mit ihren vier Beinen, ich aber hatt’ nur zwei, da mag der Teufel nachkommen mit meiner Violine. So bin ich in diese Einsamkeit und Confusion gerathen und weiß nun nicht den Weg auf das Schloß der Gräfin Adele. Leonard. Wie, Sie wollen auf das Schloß der Gräfin?
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Schlender. Ja, das will ich! Haben Sie was an sie zu bestellen? Ich und mein Kamerad, der ein berühmter Schauspieler – Leonard. O auserlesene Wirthschaft! O kommen Sie geschwind, ich geh’ auch zur Gräfin!
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S c h l e n d e r (zögernd). Verzeihen Sie, mein Herr, wer sind Sie eigentlich?
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Leonard. Ja so! – eigentlich – Sagten Sie nicht vorhin, daß Ihr Kamerad ein Schauspieler? – (für sich) Zwei Komödianten, das könnte auffallen, ich muß die Farbe wechseln. (laut) Wer sind denn Sie? Schlender. Ich bin eigentlich ein Sänger, aber ich habe meine Gurgel viel strapazirt und unterwegens die Stimme verloren, da accompagnire ich jetzt meinen gewesenen Gesang auf der Violine. Leonard. Gut, so bin ich eigentlich bloß ein Violinspieler, der aber bloß singen kann, und Sie sollen mich begleiten. Mein Name ist – Florestin. Schlender. Also ein Sänger? – Nun wahrhaftig, dacht’ ich doch Wunder! (wieder keck vortretend) O, mein Herr Florestin, ich will nichts voraussagen, aber Sie werden mich schon kennen lernen –
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Leonard. Ist gar nicht nöthig, ich sah es Ihnen gleich an, Sie haben einen schönen Strich. Schlender. Ich sag’ Ihnen, in dem Hotel, wo ich heute über Nacht war, haben sie sich ordentlich um mich gerissen, das war ein Furore und ein Klatschen von allen Fäusten! Leonard. Das ist alles noch nichts, das soll noch besser kommen!
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Schlender. Nein, ich dank’ Ihnen sehr. –
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Leonard. Nachher, nachher! Jetzt nur fort zur Gräfin! Bei Gott, Sie sind gerade das rechte Accompagnement zu meiner Reise-Note. Frisch dort hinaus! Sie können sich unterwegs noch in Ihren Solo-Sprüngen üben. (Schlender in Pirouetten voraus.) So, sassa! (Beide ab.)
Vi e r t e S c e n e . 10
(Garten der Gräfin Adele. Rechts das Schloß, über dessen Thüre ein mit hohen Blumen besetzter Balkon. Auf der andern Seite ein Bassin mit einem Springbrunnen, im Hintergrunde ein zierlicher Gartenzaun.)
Flora 15
(in reicher Kleidung, steht, ihre Haarflechten zurechtsteckend, am Springbrunnen und singt).
Offen stehen Fenster, Thüren, Und ich bin im Schloß allein, Draußen sich die Bäume rühren Und der Abend rauscht herein. 20
Über’m Fluß, weit durch die Haine Ziehet draußen muntre Lieb’, Ruft mir zu: was stehst alleine? – Ja, wer da zu Hause blieb’! –
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Ich sehe doch hübsch aus in den prächtigen Kleidern. Wenn ich eine Prinzessin wäre, legte ich mich alle Abend zwischen
(Sie setzt sich auf den Rand des Bassins und besieht sich im Wasser.)
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die Blumen auf dem Balkon und sähe den Wolken zu, wenn die Wasserkünste unten im Garten rauschten, und so oft die Nachtigallen schwiegen, säng’ ich da oben, und wo der erste Stern herunterfiele, da käm’ mein Bräutigam her. – Vi c t o r
5
(von der andern Seite aus dem Gebüsch hervortretend).
Da sitzt das Singvögelchen und putzt sich die Federn. – Flora (ohne ihn zu bemerken, lacht für sich). 10
Ich fürchte mich ordentlich vor mir selbst im Wasser dort. – Wie eine Sirene – das sieht mich so starr an, als wollt’ mir’s in der Stille etwas erzählen. Vi c t o r
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(ist hinter ihr herangeschlichen und hält ihr mit den Händen beide Augen zu, Flora schreit laut auf).
Flora. Ach, Du bist’s ja doch wieder, Victor! Pfuy, Deine Finger riechen nach Tabackrauch, laß mich los, Du bist unausstehlich, Du verdirbst mir das schöne Kleid! 20
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Vi c t o r. Und soll ich denn lassen Deine Augen licht, so reich’ erst Dein Schnäblein – aber pick’ mich nicht! Flora. Ach, dummes Zeug, ich kann ja Deinen Mund nicht sehn. – Da, nun hast Du was Schönes angerichtet, meine schöne goldene Brustnadel ist in’s Wasser gefallen! V i c t o r (sie loslassend). Was? wo? –
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F l o r a (entspringend). Zisch aus, zisch aus! –
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V i c t o r (sie erstaunt betrachtend). Ei der Tausend! wie siehst Du heut aus? laß Dich doch besehn, Florchen, laß Dich besehn. Der Anzug ist passend für eine Jungfer, in lauter Spitzen gewickelt wie ein Igel. Wen willst Du eigentlich stacheln? Flora. Jeden Narren, der mir zu nah kommt. Willst Du mein Hofnarr seyn, Victor? Vi c t o r. Unbedenklich! der lebt von der Narrheit seines Hofes, da stünd’ ich hier in der besten Nahrung. – Wahrhaftig, Flora, wir beide sind doch r e i z e n d e Personen, wir können eins das andere nicht ansehn, ohne sogleich mit einander zu fechten. Flora. Ja, wirklich, von den vielen Gefechten ist Dein Witz schon ganz unscheinlich geworden. Ich bitt’ Dich, schone Dich, Du wirst ihn brauchen in diesen Tagen. Vi c t o r. Ja, ohne Dich zu schonen. Aber warum gerade in diesen Tagen?
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Flora. Ach Du kommst eben aus dem Walde, Du weißt wohl noch gar nicht – Noch heute treffen hier zwei fremde Herren ein, um die Gräfin zu freien, Graf Leonard, ein Neffe des Präsidenten, als reisender Schauspieler, und der Hofrath Fleder als Flötenspieler.
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Vi c t o r. Was? – Nein, wenn ihr hier anfangen wollt zu heirathen, so nehm’ ich meinen Abschied! Aber woher wißt ihr denn alles so genau? Haben sie einen Komödienzettel vorausgeschickt? 5
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Flora. Der Präsident vertraute es unter dem Siegel der Verschwiegenheit der Gräfin Jolante, und die versiegelte es noch einmal und schickte es an unsre Gräfin. Vi c t o r. Und was sagt denn die Gräfin zu der versiegelten Geschichte? Flora. Erst zerriß sie den Brief und wollte augenblicklich zu Pferde und in die Türkei reiten, wo es weder Grafen noch Präsidenten gäbe. Dann lachte sie aber auf einmal sehr und sagte, wir alle sollten uns stellen, als kennten wir die Fremden nicht, und wüßten nichts von der ganzen Maskerade; ich aber sollte mir ihre besten Kleider anziehen und mich, so lange die Gäste hier sind, für die Gräfin ausgeben, sie selbst will unterdeß die Jungfer spielen. Vi c t o r. O vortrefflich! – Aber ich möcht’ nicht Jungfer spielen in einem Lustspiele, sie bekommt im letzten Akt eine Haube weg, sie weiß nicht wie. Flora. Pfui, so ein Haubenstock! – Das ist’s ja eben, warum wir uns maskiren. Laß nur, ich will als Gräfin so viel dummes Zeug machen, daß sie lieber einer den andern heirathen möchten, als länger hier bleiben.
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Vi c t o r. Höre, Flora, das ist nicht anders, als hättest Du mir eine Prise Nießwurz gereicht, so licht und vergnügt wird mir’s auf einmal im Haupte! Nein, da frag’ ich nichts darnach, da mag draus werden was da will, ich spiel’ auch mit! Frisch, jeder auf seine eigene Hand, so weit sein Witz reicht, wir wollen sehn, wo das zuletzt zusammenklappt! Flora. Auf Deinem Rücken, hoffe ich.
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Friedmann (der unterdeß mit einem Blumenkörbchen eingetreten ist, bleibt unentschlossen stehen).
Der Victor! – ich möchte ihm lieber ausweichen, er ist ein Phantast und Händelmacher. 15
Vi c t o r (ihn erblickend, stürzt auf ihn los und umarmt ihn).
Gärtner! Maskerade, Confusion, Komödie! Ihr wißt doch schon? es geht bald los, mir spielt schon die ganze Ouverture im Kopfe mit erstaunlichen Fugen und Sätzen! 20
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F r i e d m a n n (sich entrüstet losmachend). Was ist denn das? lassen Sie mich ungeschoren mit Ihren Fugen! Ich habe keine Zeit, wie gewisse andere Leute, an solche Narrenspossen zu denken! Vi c t o r. Aber Mensch! wollt Ihr denn wirklich vor lauter Vernunft zerplatzen? Ficht’s Euch denn nicht auch einmal an, Euch auf den Kopf zu stellen und Vivat Friedmann! mit den Beinen in die Luft zu schreiben, oder auf der großen Gartenscheere über die Blumenbeete zu reiten, oder –
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Friedmann. Ach, Gott behüte, da müßt’ ich ja toll im Kopfe seyn! (er erblickt Flora) sieh da, Mamsell Florchen – ei, ei, das steht Ihnen allerliebst – 5
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Flora. Ja? – (in dem Blumenkorbe wühlend) aber was haben Sie da für schöne Blumen, Herr Friedmann, das möchte mich putzen! Friedmann. Gern, gern, mein Herzchen. – Hi, hi, hi, das flimmert einem recht vor den Augen da im Korbe, man weiß nicht, was Händchen sind, oder Blumen, eins so hübsch, wie das andere. Flora. Da, stecken Sie mir sie vor, hier an die Seite, aber nehmen Sie sich in Acht, ich habe Nadeln.
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Friedmann (indem er Blumen ordnet und sie ihr vorsteckt).
Ja, ja, je frischer das Röslein, je herzhafter sticht’s. – Flora. Sie sprechen ja ordentlich durch die Blume. 20
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Friedmann. Selber Blume, Florchen, selber Blume. Vi c t o r. Ihr habt ein recht angenehmes Lächeln unter der Nase, Gärtner, ich hätte nicht geglaubt, daß Ihr noch so lächerlich seyn könnt, Ihr alter Tausendsassa. Friedmann. Ich bitte Sie, Herr Victor, wenn Sie nur nicht immer solche gemeine Redensarten –
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Flora. Was macht denn die liebe Frau? Friedmann. Danke, danke – so, nun ist’s fest. 5
Vi c t o r. Sitzt Ihr noch alle Abend mit Eurer Familie in der Jelängerjelieber-Laube und denkt über das Vergnügen nach, Papa zu seyn?
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(wieder bei dem Bassin, sich die Blumen anders steckend).
Flora Und die lieben Kinderchens bringen Ihnen die Pantoffeln heraus und Ihre lange Pfeife.
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Friedmann. Ja, Florchen, so nach erfüllter Berufspflicht, mein Pfeifchen im Munde und ein zufriedenes Herz in der Brust! – Vi c t o r. Da seht, das kommt bei Eurem langweiligen Metier heraus! Blumen und Kohl, das wächst so still und wohlgezogen in den Tag hinein –
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Flora. Und Sie murmeln, als ein zufriedener Bach, zwischen lauter Veilchen und Vergißmeinnichts dahin. Friedmann. In der That, die rohen lärmenden Vergnügungen der Jagd sind niemals nach meinem Geschmack gewesen. – Aber ich habe mehr zu thun, als hier zu plaudern. (für sich) Die Narren sollen mich nicht aus meinen moralischen Grundsätzen herausdisputiren! (ab.) (Man hört Hörnerklänge.)
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Vi c t o r. Horch! da kommt die Gräfin von der Jagd zurück. Flora (springt zu dem Gartenzaun und sieht hinaus). 5
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Sieh nur, wie hoch und herrlich sie zu Pferde sitzt und zwischen den Abendlichtern da die Kastanienallee heraufkommt! – Sie steigt am Gartenpförtchen ab – wahrhaftig, sie kommt grad’ hier herauf. Vi c t o r. Es ist eine rechte Freude, einer solchen Gräfin Diana zu dienen! Gräfin Adele (in einem grünen Jagdkleide, eine Reitgerte in der Hand, tritt auf).
Nun, Fastnachtsbräutchen, sieh’ Dich vor – sie kommen! – Flora.
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Wo, wo? Adele. Wie ich den hohen Waldweg ritt, erblickte ich zwei Fremde fern im Grunde. Sie sind’s gewiß, ich sprengte schnell voraus. 20
(sie wirft ihr Jagdkleid ab und, nebst Gerte, dem Victor zu, in einfachem Hauskleide erscheinend.)
Da trag’ das fort, ich hoff’ auf kurze Frist. (Victor ab; zu Flora) 25
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Ich bitt’ Dich, Deine lustigsten Gedanken Nimm allzusammen nun! Des muntern Grafen Geheimnißvoll verschlung’ne Redeblumen Gesegne mit so vollem Maienschein Von Freundlichkeit, als, ohne zu erröthen, Ein Mädchen darf. Und wenn er dann, mich meinend, Dich schlau umstellt; mich will, Dich freit – was lachst Du?
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Flora. Und wenn er nun den Komödianten-Mantel Auf einmal aufschlägt und ein schöner Ritter – ? 5
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Adele. Ja, ja. Ich seh’ ihn vor mir stehn: mehr Milch Als Blut, von glattem Haar und blonder Seele, Ein guter Neffe so und schlechter Vogel, Der mitten in der Jugend frischer Zugzeit Vom Onkel sich aus seinem Reisehimmel Herunterschießen läßt und zahm sich stellen Auf den gemeinen Freiersfuß. – Doch hör’ nun, Wirst Du den Hofrath auch erkennen, Flora? Flora. Gewiß, obgleich er mich nicht kennt. Wie oft Sah ich ihn, wenn sie alle promenirten, In selbstgefälliger Glückseligkeit, Wie ein Weißfisch, schnalzen auf dem bunten Strom, Bald ernst, bald stolz, und immer sehr zufrieden Mit seinem neuen Frack – dort, dort! da sind sie! – Der dort am Halstuch rückt, das ist der Hofrath! Jetzt seh’n sie uns – ei, wie sie zierlich grüßen! (macht Verbeugungen.)
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Adele. Der Victor weis’t sie gradhierher zum Garten. Frisch denn, die lustige Rakete steigt! Flora. Nun weiß der Himmel, wem sie im Zerplatzen Den Bart versengen wird. – Still, still, sie kommen. –
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(F l i t t in eleganter, etwas theatralischer Kleidung, und F l e d e r treten auf.)
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Flitt (zu Adele, die ihnen bis in den Hintergrund entgegengegangen).
Sieh da, süßer, bescheidener Mond! Wir sind Adler, wir fliegen nach der Sonne – wo ist sie? 5
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A d e l e (auf Flora zeigend). Sie steht eben im ersten April, sie sticht heut ein wenig. Flitt. Unser Teint kann schon etwas vertragen, mein Kind, um so besser schlagen die Gedanken aus, um so besser schießt der Witz – ja, ich hoffe hier wieder ganz in Blüthe zu kommen. (sich Flora nähernd)
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Gnädigste Gräfin, wo eine Muse wohnt, ist der Parnaß, und dem Parnaß fliegt unaufhaltsam der Pegasus zu, und auf dem Pegasus reisen die Künstler – so folgten wir nur dem höhern Zuge, um unsere schuldige Ehrfurcht – Erlauben Sie, daß ich mir die Ehre gebe – (er will Fleder der Flora vorstellen). F l e d e r (mit Anstand vortretend). Arthur, ein Flötenspieler (mit einem verächtlichen Blick auf Flitt), welcher das Vergnügen hatte, erst heute durch einen Zufall die Bekanntschaft dieses Herrn zu machen. – Flitt. Bitte sehr! das Vergnügen war bei diesem Falle ganz auf meiner Seite. –
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A d e l e (leise zu Flora). Wie kunstreich sie einander vor uns verläugnen! F l o r a (ebenso). Ach der Graf ist eben auch gar nicht schön! (laut zu Flitt) Und Sie selbst, mein Herr? –
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Flitt. Flitt, ein unterthänigster reisender Bühnenkünstler.
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Flora. Flitt? – Also einer, der etwas anderes vorzustellen pflegt, als er ist? Nun, wir treiben diese Kunst hier auch zuweilen. – Flitt. O, Sie versetzen mich in Entzücken! Vortrefflich, so könnten wir hier vielleicht ein Liebhaber-Theater einrichten?
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Flora. Wahrhaftig, an närrischen Liebhabern wenigstens wird es nicht fehlen. In der That ein herrlicher Gedanke! ist’s mir doch, als wären wir alle schon mitten im ersten Akt. O meine Herren, Sie sind eine rechte Bereicherung unserer ländlichen Langenweile. – Kommen Sie, das muß mit mehr Muse verhandelt werden, lassen Sie uns hineingehen, einige Erfrischungen – Flitt. Erfrischungen? – Erlauben Sie – (er reicht Flora den Arm.)
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Flora. Ich denke, die ungewohnte Fußreise hat Sie ein wenig heruntergebracht, Sie bedürfen der Restauration. F l i t t (Flora fortführend). Kleinigkeit, Kleinigkeit, meine Gnädigste, wir haben’s wohl schlimmer gehabt. Seit ich das Flügelpferd reite, habe ich, außer dem Flügelschlag, noch manche andere Schläge – des Schicksals erfahren. (ab.) A d e l e (zu Fleder). Nun, Herr Arthur – ein schöner Name! – Sie werden doch mitspielen in der Komödie?
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Fleder. So weit es sich mit der Würde eines gebildeten Mannes verträgt. Das Komische, liebe Jungfer, war niemals mein Fach. – 5
Adele. Ei der Tausend! Sehn Sie wohl! Vortrefflich gleich zum Anfange, ganz vortrefflich! Fleder. Wie? was denn? –
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Adele. Ja, ja verstellen Sie sich nur nicht, Sie Loser! – O kommen Sie nur, Sie werden uns schon zu lachen geben. (beide ab.) M a r i e (tritt auf). Also das sind die Bräutigams, um die sie so viel Aufhebens und Heimlichkeiten machen? – Hm, wenn ich nicht einmal einen schöneren Bräutigam bekäme, das lohnte auch Jungfer zu seyn! Ob sie jetzt im Gartensaale seyn mögen? – Hier sieht mich niemand. – (sie steigt vorsichtig auf die Blumentöpfe und sieht in das Fenster des Schlosses.)
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V i c t o r (eintretend). Sieh da, Marie, des Gärtners Mühmchen, ich glaube, das Kätzchen ist eben auf der Lauer. (er nähert sich ihr leise und hebt sie dann plötzlich in die Höhe) Wart’, ich will dir’s bequemer machen, Kleine. Marie
25
(sich erzürnt von ihm losmachend).
O geben Sie sich keine Mühe, Herr Victor! – Kleine! Zur Klugheit hilft nicht lang seyn, sonst wären gewisse Personen verständiger.
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Vi c t o r. Gut, so laß einmal hören, ob Du so klug als kurz bist. Weißt Du, wie man die Rothkehlchen fängt? 5
Marie. Wie die Gimpel, mit rothen Beeren. Vi c t o r. Ganz recht – und da sind denn die kleinen Dinger vorwitzig –
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Marie. Ja, und die Gimpel sind gar nicht witzig, weder vor-, noch nachher. Vi c t o r. Ich bitte Dich, Mariechen, da Du noch, so zu sagen, die Eierschaalen auf dem Kopfe trägst, so benütze die Gelegenheit, wenn der Mund des reiferen Alters von guten Lehren überfließt und würdige Männer Erfahrungs-Sätze machen und einen Rath schlagen wollen. Marie. Gehn Sie, gehn Sie, Herr Victor, mit Ihren altmodischen Jagdspässen; die sind mir schon ganz langweilig. Und was ich Ihnen schon längst sagen wollte: ich komme nun auch gerade schon in die Jahre, daß Sie mich S i e nennen könnten. Vi c t o r. Gut. Also: sey Sie nicht so vorwitzig, und guck’ Sie nicht in die Fenster nach fremden jungen Herrn.
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Marie. Wenn Sie mich immer kränken wollen, Herr Victor, so ist es sehr schlecht von Ihnen, das kann ich Ihnen sagen, Herr Victor. Wahrhaftig, und da können Sie lange warten, eh’ Sie dasjenige von mir erlangen, weshalb Sie mich neulich so baten.
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Vi c t o r. Ich? –
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Marie. O ja, an dem schönen Sonntags-Morgen, wie ich allein am Springbrunnen stand und mir das Gesicht wusch, da sagten Sie: ich sey ein hübsches Mühmchen, Sie wollten mein lieber Vetter seyn, und ich sollte Ihnen ein Küßchen darauf geben. Vi c t o r. Still, still! da kommt Jemand auf den Balkon.
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Marie. Das haben wir von Ihren guten Lehren! nun kann ich noch in schlechten Ruf kommen mit Ihnen. Vi c t o r. Hör’ Sie, Mühmchen, wenn Du mir hier noch lange mit dem rothen Mündchen so vorparlir’st, so entschließ’ ich mich kurz und gebe Ihnen noch einen Kuß auf Borg zu Deinem zukünftigen Küßchen. Marie. Wenn Sie hübsch artig seyn wollen. –
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(Beide ab.) (G r ä f i n A d e l e und F l o r a treten oben auf den Balkon heraus. Man hört von Zeit zu Zeit Hörnerklang in der Ferne.)
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Adele. Nur einen Augenblick muß ich erathmen Hier in der Kühle! fast gereut mich schon Der fade Schwank. – Laß sie drinn schwatzen, Wir ruh’n indeß hier in der lauen Luft. – Der Harfe gleicht in solcher stillen Zeit Der Seele Grund, da haucht ein leises Tönen Durch alle Saiten in der Einsamkeit, Und Niemand weiß, woher, wohin es geht. –
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Flora. Die Jäger kehren heim schon von den Bergen, Wie lustig geht der Wiederhall durch’s Thal! 5
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Adele. Aus der Verwirrung dieser Töne taucht Ein langversunk’nes Bild mir wieder auf. – Denkst Du des Abends noch in Heidelberg? So standen auf dem Söller wir der Burg, Bis alles still, und nur die Wälder rauschten Noch über uns, und unter uns der Neckar. Da kam ein Schifflein auf dem Strom gezogen Mit Waldhornsklang und Fackelschein, der seltsam Sich spiegelt’ rings am Fels und in der Fluth – Flora. Und auf des Schiffes Spitze, über alle Hochragend, stand ein fröhlicher Gesell. Adele. Und als das Schiff vorüber rauscht’ am Schlosse, Da wandt’ er plötzlich sich und grüßt die Burg, Sein Windlicht schwingend, daß gleich einem Feuer Die herrliche Gestalt im Dunkel aufstieg. – So ist das wunderbare Bild uns schnell Erschienen und verschwunden, wie bei Nacht Ein schöner, wilder Grund im Wetterleuchten. Flora. Wir stiegen voll Gedanken drauf hinab, Wo alles wieder dunkel war und still – Und bei dem ersten Strahl sah’n wir schon weit Vom Reise-Wagen wieder Strom und Burg Im Morgenrothe hinter uns versinken. –
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A d e l e (nach einer Pause). Oft ist’s, als hätt’st Du Recht: es mag mehr Glück Und Lust da unten seyn, als ich hier oben Mir träumen ließ, wer sich nur d’ran gewöhnte – Was kümmert’s mich, ich bleibe auf der Höh’! – Horch, wer naht dort, so spät? – Flora. Es scheint ein Fremder. Graf Leonard
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(erscheint auf dem Gartenzaun, sich nach allen Seiten umsehend).
Hier also ist das Feenreich? – Nicht übel! Die Büsche flüstern heimlich mit einander Und Wasserkünste singen Zauberlieder – Auf lust’ger Höhe zwischen schlanken Wipfeln, Das ist ein guter Sitz für einen Sänger! Doch wo blieb mein Kumpan? He, Schlender, hier! A d e l e (zu Flora). Blick’ einmal recht ihn an – fällt Dir nichts ein? – Flora.
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Ich wüßte nicht – Adele. Und doch – nein! laß’ uns gehen, Verlockend weht die Abendluft herauf Und dieses Dämmerlicht verwirrt das Auge. –
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Flora. O bleiben wir – bei Gott, da kommt noch Einer! Schlender (gleichfalls auf den Zaun heraufsteigend).
Ich wollt’, wir fänden erst die Thür. –
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Leonard. Geduld, Sie werden sie uns bald genug wohl zeigen. (Er schwingt sich in den Garten, Schlender folgt zögernd.) 5
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A d e l e (zu Flora). Wie – sagt er nicht vorhin, er sey ein Sänger? Flora. Ja, so verstand ich. – Nun fürwahr, die haben Den rechten Schwung, zum mind’sten über Zäune, Die sind vom Metier, das sieht man gleich. Leonard. Horch, flüstert’ dort nicht was? Gewänder schimmern – Bei Gott, die Damen steh’n auf dem Balkon – Galantes Glück! ’S ist just die rechte Stunde Zu Serenaten – (zu Schlender) Frisch! heraus die Geige! Wir nah’n in Tönen. – So, hieher – nur näher. (Sie stellen sich in einiger Entfernung dem Balkon gegenüber.)
Leonard (singt, während Schlender accompagnirt). 20
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O Ihr Güt’gen und Charmanten! Auf der späten Wanderung Nehm’t der lust’gen Musikanten Ganz ergeb’ne Huldigung! Flora. Das ist unleidlich – (laut vom Balkon herab) Unverschämt Gesindel! Hier ist kein Wirthshaus, um den Durst zu löschen!
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D ie F reier. I, 4
L e o n a r d (singt, wie oben). Jeder schlürft und denkt die Seine, Und wer nichts besond’res weiß: Nun – der trinkt in’s Allgemeine Frisch zu aller Schönen Preis – Da bricht der schlaue Mond hervor – laß sehen, Was er bescheint. (Er tritt näher an den Balkon heran.)
Adele 10
(plötzlich an Flora’s Brust sinkend).
Das ist Er! – Fort, nur fort! – (Die Damen verschwinden oben.)
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L e o n a r d (singt). Ob sie schmäh’n, ob sie sich zieren: Musikanten spielen drein, Brechen so im Musiciren Kühn in Thür und Herzen ein! (Sie gehen singend und spielend in das Schloß.)
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Zweiter Aufzug.
Erste Scene. 5
(Garten der Gräfin, wie am Ende des ersten Aktes. L e o n a r d ruht, zum Theil von Zweigen verdeckt, schlummernd auf einer Bank, A d e l e tritt oben auf den Balkon heraus.)
Adele. Noch ist es einsam rings auf Thal und Höh’n, Und wie ein scheues Reh schweift nur die Dämm’rung Leis durch die thau’ge Stille – 10
L e o n a r d (erwachend). Horch, was klang So lieblich durch die Luft? – Schlief ich so lange? (Adele erblickend.)
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Wie! geht Aurora heut so zeitig auf, Eh’ noch die Stern’ am Firmament erblichen? – Was hat sie vor in dieser Einsamkeit? Laß’ sehn – ich thu’, als schlief’ ich. A d e l e (ohne ihn zu bemerken). Wie so anders Sah’n Berg’ und Garten aus bei dunkler Nacht! Ich lag im Fenster lange noch und schaute, Wie da der Mond durch finst’re Wipfel ging, Die flüsternd sich im leisen Winde neigten. Da war’s, als trät’ ein Fremder aus dem Schloß Und wandelt’ schweigend durch die stillen Gänge, Gleich wie in Ringen weit das Haus umkreisend.
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D ie F reier. II, 1
Mich schauerte und schnell trat ich zurück. – Doch durch die off’nen Fenster rauscht’s herauf Die ganze, schwüle Nacht, es blitzt’ von Ferne Und Nachtigallen schlugen – oft dazwischen War mir’s, als hörte ich fernab im Garten Den fremden Sänger singen – und so träumt’ ich Gar wunderbar, ich weiß nicht mehr wovon, Doch war es wie ein unermeßlich Glück Im Herzen mir, daß ich vor Lust erwachte. – Wohl sind die Träume nur ein Wiederhall Von himmlischer Musik, die wir nicht kennen Und die wie ferner Morgen-Glocken-Klang Im rothen Duft zerrinnt. – – Ja, rausch’ nur wieder Du morgenfrischer Grund mit allen Wipfeln – Ich komme! – Wer ist dort? – er scheint zu schlummern – Der fremde Sänger ist’s – ich geh’ hinein. (sie bleibt zögernd stehen.)
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Er schläft – nur einmal möcht’ ich recht ihn anseh’n – Ich kann es nicht, wenn er die Augen aufschlägt – Als ruhte träumend unter stillen Bäumen Der frische Morgen noch – Leonard. O süßes Plaudern! Wie früher Lerchen Lieder über mir, Weckst Du hell Morgenroth mir in der Seele! Adele. Er spricht im Schlafe – von was mag er träumen? – Nein, nein, ich weil’ nicht länger hier allein. (sie will gehen.)
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L e o n a r d (rasch aufspringend). Hör’, Mädchen, hör’ doch! bleib, nur auf ein Wort!
Di e F rei er. II, 1
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A d e l e (verwirrt). Ich? – Ich wollt’ nur – ich sah nur nach dem Gärtner – Was trieb so früh in’s Freie Sie hinaus?
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Leonard. Ich schlaf’ am liebsten unter’m Himmelsbette, Leicht mit dem Sternenmantel zugedeckt. Es ist so schwül im Schloß. – Komm auch herab!
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Adele. Hinab? – mich hütet eine strenge Herrin, Wenn i c h auch möcht’, die G r ä f i n möchte schelten. –
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Leonard. Die Gräfin, Jäger, Laufer, alle schlafen. Das ist die rechte Zeit just, wenn die Rehe Noch sorglos grasen in dem stillen Grund Und alle Wälder, wie in Träumen, rauschen. Adele (ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckend).
O, daß ein Mann so zu mir reden darf! –
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Leonard. Kind, nimm doch nur die Hände fort! – Die Augen Sind’s gerade, die ich meyne. Nur ein Weilchen Will ich dicht vor Dir stehen und hineinseh’n. – Wahrhaftig, dort steh’n Leitern an der Hecke – Bleib nur, ich hol’ mir eine schnell und steige Zu Dir hinauf! Adele. Eh stürzt’ ich beide uns Den Felsenhang hinab – zurück, Verweg’ner!
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(sie wendet sich rasch, bleibt aber plötzlich in der Thüre stehen und kehrt dann zurück.)
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D ie F reier. II, 1
Ich möchte nicht, daß wir im Zorne schieden – Es ist so meine heft’ge Art nur – ach, Ich weiß nicht, was ich spreche! – Leonard. Wär’ die Gräfin
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So süß wie Du! – Adele. Wie? – Leonard. Nichts. – Nenn mich auch: Du!
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Willst Du? – Adele (über das Geländer gebeugt, leise).
Leb’ wohl Du unbescheid’ner Mann! 15
Leonard (ihr in Gedanken nachsehend, nach einer Pause).
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Ich werd’ doch toll nicht seyn und mich verlieben? – – Dort schleicht der Komödiant, was will die Eule In diesem Frühlingsglanz? Ich prügelt’ ihn, Wär’s eben nicht so fröhlich mir im Herzen! (ab.) Flitt (kommt lauernd, mit leisen langen Schritten hervor).
Alles wieder still – wie Eydechsen fix entschlüpft in Laub und Ritzen vor dem Sonnenblick. 25
Vi c t o r (zwischen dem Gebüsch den Kopf vorstreckend).
Der schleicht um den Taubenschlag. Mir gerade recht! Ich kann keinen alten Fuchs sehen, ohne daß es mich gleich anficht ihn zu prellen.
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Di e F rei er. II, 1
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F l i t t (ohne Victor’n zu bemerken). Verliebte Kammerjungfern und Musikanten, kuriose Gräfinnen, heimliche Winke; Flüstern und Geheimnisse überall – gieb Acht, Flitt, gieb Acht, hier ist was zu machen – wenn ich nur erst wüßte, wo eigentlich Fortuna’s Haarzopf flattert in dieser Konfusion. Vi c t o r. Ich will kein Jäger seyn, wenn ich nicht alle diese mausigen Stoßvögel von Freiern an Einen Narrenspieß stecke, um sie langsam am Feuer der Liebe zu braten. F l i t t (wie oben). Diese falbe, nüchterne Morgenzeit ist mir die liebste für Gedanken, so an den stillen Erkern und Pfeilern hinzustreichen in der mausefarbenen Dämmerung. (Er will weiter gehen.)
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Vi c t o r. Nun frisch ans Werk, sonst geht er mir durch die Lappen! (hervortretend) Herr Flitt! Herr Schauspieldirekteur!
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F l i t t (erschrocken). Was macht Er denn da für einen unverhofften rasenden Lärm! Man könnte den Todt haben vor Schreck so auf nüchternen Magen. Vi c t o r. Desto besser, Herr Directeur, desto besser! Ich bringe eben einen Schnaps, der soll Ihnen wohl bekommen. Flitt. Schnaps? – Laß Er doch einmal sehen. – V i c t o r (sich nach allen Seiten umsehend). Es belauscht uns doch Niemand? –
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D ie F reier. II, 1
Flitt. Recht so! Er ist ein verständiger Mann, ich möcht nicht, daß uns die Damen dabei erwischten. Mädchen verstehn nichts vom Trinken – so einen Mund voll gemeines Wasser für den Durst, wie das liebe Vieh. – V i c t o r (heimlich). Sie haben doch gestern nach Mittag die Gräfin unter dem Balkon gesehen?
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Flitt. Schnapstrinken? – Nein, sie zeichnete mit der Reitgerte im Sande – Vi c t o r. Aber was zeichnete sie? – Lauter Fl’s, und einen Haufen Gedankenstriche dahinter! – Merken Sie etwas, Herr Flitt?
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Flitt. Ich glaube wahrhaftig, das soll da der ganze Schnaps seyn! – Vi c t o r. Ja, und als Sie hinzutraten, verwischte sie alles schnell wieder mit ihren Füßchen.
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Flitt. Ah pah! Ich hätte ihn auch für gescheiter gehalten. Mich deshalb in meinem Nachdenken aufzuhalten! In der Morgenstunde, mein Freund, da rekapitulir ich mir den ganzen kommenden Tag und übe mir ein wenig die Zukunft ein.
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Vi c t o r. Da hören Sie doch nur weiter! Die Gräfin weiß gar wohl, daß Sie alle Abend einsam dort an der letzten Laube des Gartens spazieren gehen.
Di e F rei er. II, 1
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Flitt. Sie weiß? – Fataler Streich! Die Damen im Schloß können den Tabakrauch nicht vertragen, da pflege ich denn dort Abends an der Laube meine Pfeife in’s Gesicht zu stecken, um die Mücken zu vertreiben. Vi c t o r. Aber die Liebes-Mücken sind gerade wie versessen auf Tabak. (leise) Die Gräfin – es bleibt unter uns – die Gräfin wird heute Abend um zehn Uhr, mit einem Schleyer über dem Gesicht und einen Nelkenstrauß an der Brust, allein an derselben letzten Laube lustwandeln. – Nun Sie verstehen mich – Flitt. So? – (mit einem durchdringenden Blick auf Victor, nach einer kurzen Pause): Hör’ Er, guter Mensch, Er sieht verteufelt pfiffig aus. –
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Vi c t o r. Bitte recht sehr! bloß als Futeral für die Ehrlichkeit, damit sie sich nicht so schnell abnutzt. Flitt. So? – Aber wie ist Er denn zu allen diesen Neuigkeiten gekommen? – V i c t o r (heimlich). Herr Flitt – aber verrathen Sie mich nicht, sprechen Sie kein Wort mit ihr darüber – die Kammerjungfer hat mir Alles vertraut.
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Flitt. Die? – In der That, das läßt sich hören. Sie ist eine Jungfer von Erfahrungen, ein vertrauliches Geschöpf. – Nun, mein Freund, (er sucht in den Taschen) Verschwiegenheit – also um zehn Uhr? – schuldige Dankbarkeit – ich werde unvergessen seyn. – (Er drückt dem Victor ein Geldstück in die Hand.)
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D ie F reier. II, 1
Vi c t o r (in die Hand blickend, für sich).
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Bei Gott, ein alter, abgescheuerter Kupferkreutzer! (laut) Nicht doch! was denken Sie von mir, Herr Flitt? nicht um schnöden Lohn – Flitt. Mache Er doch keine Umstände. Vi c t o r. Aber –
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F l i t t (ihn fortdrängend). Nur keinen weitläuftigen Dank! behalt’ Er doch nur, ich geb’ es gern, in der Freude des Herzens greift man auf’s Geradewohl in’s Volle und berechnet nicht erst lange. –
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Besser konnte ich den Knopf von meinem alten Rock nicht losschlagen, er wird denken, daß ich mich in der Wuth der Großmuth vergriffen habe! – (auf und niedergehend) Hm – Laube, Schleier, Nelkenstrauß – das giebt einen Vers, aber es reimt sich nicht. – Und doch – sie scheinen mich hier für einen andern zu halten; es ist das Loos großer Geister, verkannt zu werden! – Und diese Aufmerksamkeit der Gräfin gegen mich, diese heimlichen kurzen Blicke unter den langen Augenwimpern wie Schlagtriller. – Was ist denn das? bin ich denn so schön? Das hat mir doch noch Niemand nachgesagt. – Nun, Amor ist blind, so kann ich selbst wohl auch ein Auge zudrükken über meiner rothen Nase, und mit dem andern über meine schmalen Beine hinwegsehen, das ist Geschmackssache. – Ja – ich komme zu der angenehmen Laube! –
(Victor ab.)
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(Er will gehen, bleibt aber plötzlich erstaunt stehen.) 30
Was hat das zu bedeuten? Da steigt leibhaftig der Knoll auf wie ein Orkan! – Was ist das für ein fruchtbares Jahr, treibt unversehens solche fette Schwämme hier aus dem Boden! ich kann ihm nicht mehr entwischen, eher weicht man einer Windmühle aus. –
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Knoll (im Sonntagsstaate tritt mit Bücklingen auf).
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Flitt. Aber sag’ mir, Knoll, welches unverhoffte Wiedersehen – das ist ja ein Vergnügen zum Teufelholen! Knoll. Ich bitt’ um Excommunication – ich konnte nicht unterlassen, mich nach Ihrer gnädigen Gesundheit zu erkundigen.
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Flitt. Gesundheit? – Hm, man muß eben zufrieden seyn, schlaflose Nächte, eine gewisse Unlust zum Arbeiten, brennender Durst – das alte Übel. – Aber nun, allerliebstes kleines Spaßvögelchen, nur heraus, was willst Du eigentlich hier? brennen Dich die Würfel in der Talggrube Deiner Faust? bringst Du die Kreidetafel im Schubsack? – Knoll. Gott behüt’ mich! Solche Lumperei! Alles in den besten Händen!
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Flitt. In der That, Du bist ein höfliches, ein honnettes Ungeheuer. Knoll. O, ich möchte mich selbst in die Nase beißen, daß ich so ein Esel war, Sie für Meinesgleichen zu halten. – Aber das geringe Gefolge, Ihr ganzer Paraplü –
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Flitt. In Summa, Knoll, Du hast heute schon am frühesten Morgen zu schwer geladen, thue mir daher den Gefallen und schieß Dich hier bald wieder ab, alte Fleischbombe.
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Knoll. Geruhen Sie sich doch nicht länger mit Verstellung abzustrapatziren, ich weiß es ja doch. – Mein alter Freund, der Gärtner hier, hat mir Alles erzählt. 5
Flitt. So? – von mir? – der Gärtner? – Höre, guter Knoll, sag’ mir doch einmal aufrichtig, wie hat Dir denn der Gärtner eigentlich die ganze Geschichte erzählt? – Es interessirt mich, wie die Leute hier die Sache nehmen. –
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Knoll. Euer hochgräflichen Gnaden wollen unterthänigst verzeihen – ich darf nicht so viel aus der Schule schwatzen – Euer Gnaden wissen’s ja doch am besten.
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Flitt. Ja – leider wahrhaftig. – (vornehm) In der That, mein guter Knoll – ich sehe wohl – was soll ich’s länger läugnen – meine Stellung hier unter diesen Jungfrauen – Knoll. Will’s Gott, bald junge Frauen.
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Flitt. Ja – die Gräfin liebt mich. – Knoll. Der gute Gärtner sagte –
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F l i t t (rasch). Was sagt er? – (sich verbessernd) wollt’ sagen: in wie weit hat Dir der Gärtner auch über diesen Punkt nähere Mittheilung gemacht?
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Knoll. Der Gärtner sagte schon oft: es ist hier nicht länger mehr auszuhalten so unter uns Mädchen, es fehlt ein Herr, damit endlich auch auf dem Schlosse einmal eine soliderische Wirthschaft anfängt. Flitt. Man kann das dem Manne nicht verdenken – ja, es wäre eine schöne Wirthschaft! –
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Knoll. Der alte Gärtner kennt seine Gräfin, sie liebt das Rumorantische – er meint, wenn Ew. hochgräflichen Gnaden da schnell zufahren wollten wie der Ochs in’s Heubündel – so eine Überraschung, eine kleine Entführung – Flitt. Wahrhaftig, der Gärtner ist nicht so dumm wie er aussieht! (auf und nieder gehend, für sich) Laube, – hochgräfliche Gnaden – Nelkenstrauß – (laut zu Knoll) Hör’, Knoll, wir rechnen auf Deine Anhänglichkeit – Knoll. Wie Pech, gnädiger Herr. – Ich hoffe, Ew. Gnaden werden auch dann den armen ehrlichen Knoll nicht vergessen, wenn einmal – Flitt. Man wird Deine vergangenen Gefälligkeiten nach Deinen zukünftigen Diensten zu belohnen wissen. – Gold wie Treue, Knoll, aber vorher: treu wie Gold! – Knoll. Gold, Gold!
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Flitt. Gut also – kennst Du die letzte Laube dort an der Abendseite dieses Parks? 5
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Knoll. Ja, wo das kleine Pförtchen aus dem Garten in den Wald führt. Flitt. Ganz recht. (nachdem er sich nach allen Seiten umgesehen hat, leise) Dort wird die Gräfin heut’ Abend um zehn Uhr heimlich mit mir – Du versteh’st mich – Knoll. Versteh’, verstehe, ein heimliches bete a bete.
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Flitt. Der Platz ist einsam, abgelegen – auf was soll ich warten? Durch Verschieben kann leicht alles wieder verschoben werden. – Wenn Du um zehn Uhr im Walde Deine Pferde und Wagen bereit hieltest – Knoll. Und die Gräfin darauf gesetzt und zickzack mit ihr fort durch die Nacht und den Wald – Flitt. Nach Deinem Hotel, daß sie nicht weiß, wie und wo sie hingekommen! – Nun willst Du?
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Knoll. Parasol d’honneur, ich bin dabei! Solche lustige Einfälle und Fasanerien sind mir gerade recht bei Tag und bei Nacht! ich will am Pförtchen zum Signal wie ein Uhu pfeifen, oder wie eine Rohrdrommel – das soll einmal ein Jubiläum geben diese Nacht!
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Flitt. Still, um’s Himmelswillen still! – geheimer Anschlag steht auf hohlem Boden, da darf man nicht so massiv drauf herumtrampeln, sonst giebt es eine Resonanz. – Kurz: die Sache ist abgemacht, und nun gehe, sie dürfen uns hier nicht zusammen sehen. Knoll. Ich verstehe – Punkt zehn Uhr im Walde – empfehle mich in Ihre hohe Profession.
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(ab.)
Flitt. Das ist die Beutelschneiderei, denk’ ich; hat allerdings ein hohes Ziel, daß der längste Kerl mit den Fußspitzen den Boden nicht erreicht. – Aber wozu halten sie mich hier gerade für einen Grafen? und wozu will man mit aller Gewalt gerade diesen Grafen heirathen? – Gleichviel! wer viel grübelt, fällt zuletzt selbst in die Grube. Die Grafenkrone sitzt mir verdammt schief und wacklich, ich muß die Zeit benutzen, ehe der Wind umschlägt und sie mir wieder vom Kopfe reißt. – Was kann mir geschehen? Will mich die Gräfin wirklich, so ist es gut. Will sie mich nicht, so – ist es auch gut; so muß ich das geheime Rendezvous sammt der Entführung mit dem Mantel der Verschwiegenheit bedecken, wenn ich Lust habe; und dieser Mantel muß, wenn ich dazu Lust haben soll, so reich mit Gold gestickt und so ungeheuer weit seyn, daß ich mich und Knoll’s dicken Bauch bequem darein wickeln kann. – Aber nur sachte, Flitt, nur vorsichtig! diese vorwitzige, schnippische Kammerjungfer darf nicht in der Nähe seyn. Alle das müßige Gesindel, welches hier, wie die Fledermäuse, durch die Dämmerung schwärmt, muß ich um die zehnte Stunde auf die entgegengesetzte Seite dirigiren. – Laß sehen, da kommt gleich einer. –
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L e o n a r d (tritt auf). Flitt. Guten Morgen, Herr Florestin. Leonard. 5
Morgen, morgen! Flitt. Nein, guter Rath darf nie zu Morgen verschoben werden; noch ein Paar solche Morgen – wie vorhin da vom Balkon – geben sonst wahrhaftig gar bald eine gute Nacht. –
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Leonard. Also: gute Nacht! – wie Sie wollen. (er will gehen.) F l i t t (ihn zurückhaltend). Nicht doch, mein Bester! ich meine es wahrlich gut mit Ihnen und mein Rang, meine Verhältnisse berechtigen, ja verpflichten mich einigermaßen – doch, was rede ich da in meinem freundschaftlichen Eifer! – mein Herr, ich rechne auf Ihre Diskretion – L e o n a r d (für sich). Der Kerl ist wahrhaftig im Stande, sich selbst für mich zu halten! – (laut) Geniren Sie sich nicht, wenn Ihnen bei Ihrem Incognito die Haut zu enge wird, fahren Sie immer ein wenig mit dem Ellbogen heraus. Flitt (erschrocken nach seinem Ärmel sehend, für sich).
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Ellbogen heraus? – dacht’ ich doch wirklich schon wieder – (laut) Nun, ich wollte nur sagen, daß ich hier im Schlosse, wie Sie wissen, auf ziemlich gutem und festem Fuß stehe.
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Leonard. Ja, vor der Mahlzeit.
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Flitt. Wir haben uns da unverhofft ganz aus unserm ursprünglichen Diskurs herauskomplimentirt. – Was war es doch? – Ja – Sie unterhielten sich, wenn ich nicht irre, vorhin mit der Kammerjungfer. Schätzen Sie dieses Frauenzimmer? – Leonard. Nein, denn ich will sie nicht kaufen, wenn sie nicht umsonst mein Schatz werden mag. Flitt. Freundchen, seyn Sie auf Ihrer Hut, – Freundchen! Sie ist eine falsche Münze – entre nous – auf jeder Seite das Bild eines andern Potentaten. –
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Leonard. Entre nous? – Allerdings, wenn sie zwischen uns beiden steht – und bei dem einen, däucht mir, kommt schon das Kupfer aus der Nase. – Flitt. Möchten Sie nicht die Güte haben, mich gelassen anzuhören? und, wenn Sie mir nicht glauben, sich heut Abend um zehn Uhr gefälligst dort an die Morgenseite des Parks, unter die hohen Linden zu verfügen? – Leonard. Nun geschwind, was soll’s?
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Flitt. Was es nicht sollte. – Ich saß zufällig im Gebüsch – sie merkten mich nicht – da verabredete die Kammerjungfer auf heut Abend zehn Uhr ein Stelldichein unter jenen Linden mit dem Flötenspieler Arthur. Leonard (ihn an der Brust fassend).
Das lügst Du, feiger Schleicher!
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Flitt. Ei was der Tausend! Lassen Sie mich los, lassen Sie mich gleich los! – Und just! ich bleibe dabei, ich schrei’ es durch den ganzen Garten: sie hat ein gutes Herz, ein großes Herz, wie ein Wirthshaus! Leonard. Mensch, ich erwürge Dich, wenn Du nicht gleich auf Deinen Knieen bekennst, daß Du ein schimmlichter schäbiger Schuft bist. Flitt. Auf den Knieen? – Nimmermehr! Stehend – will ich – –
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Leonard. Nun möchtest Du wohl die Güte haben? – Flitt (noch immer von Leonard festgehalten, kniet nieder).
Ich bekenne, daß ich ein Schuft – 25
Leonard. Nein, ein schimmlichter – Flitt. Ein schimmlichter, schäbiger Schuft bin –
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L e o n a r d (ihn loslassend). Amen! denn da kommt eben Jemand – ich empfehle mich in Ihr gütiges Andenken! (ab.) 5
Flitt (aufspringend und hinter Leonard ein Schnippchen schlagend).
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Und er geht doch heut Abend unter die Linden! – Seht doch! – Ja schüttle nur, droßle nur, Du tapferer auf der Gurgel spielender Musikant, Du! – O ja, Tapferkeit! eine ochsige, eine stoßige Tugend, wenn’s Hirn in’s Horn geschossen ist! A d e l e (rasch auftretend). Was für ein wüster Lärm! ist alle Zucht denn hier entflohen? Von dem widerwärtigen Schalle werden rings die Echo’s wach, wie Janhagel, wenn Trunk’ne durch die Gassen zieh’n!
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Flitt. Nur zu! nur immer zu, mein muntrer Stier! – laß’ Sie mich jetzt, Jungfer, und menge Sie sich nicht drein. – O ich will Dir einen Popanz vorhalten von rother Liebe und gelber Eifersucht – stoß’ nur drauf zu, daß Dir Dein Notenkasten von Schädel wackelt!
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Adele. Aber, bester Herr Flitt, was ist Ihnen denn wiederfahren, warum sind Sie auf einmal so wüthend geworden? – Und wie Sie aussehn! Der Hut auf der Erde – was gibt es denn? Herr Florestin eilte eben ganz verstört von Ihnen.
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Flitt (sich sammelnd indem er den Hut aufsetzt).
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That er das? – Ich kann es ihm nicht verdenken, gar nicht, ja das kann eine schlimme Geschichte werden, aber ich frage nichts darnach.
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Adele. So sprechen Sie doch nur.
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Flitt. Man spricht nicht gern von so etwas, es ist nicht meine Art, zu prahlen. – Pah, eine Kleinigkeit – Herausforderung – Adele. Wie! mit Florestin? Flitt. Ja, er thut mir leid, aber er wollte es nicht besser haben.
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Adele. Aber was brachte Sie denn so an einander? Flitt. Aneinander? – Eine Jungfer darf nicht alles wissen. – Es wird sich Abends alles ausweisen, dort unter den hohen Linden – o ich wollte, die zehnte Stunde wäre schon da! Adele. Was, ein Duell um zehn Uhr! da ist es ja schon finster.
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Flitt. Finster oder nicht, mir alles gleich! Glaubt Sie denn, daß die Tapferkeit sich vor Gespenstern fürchtet? ich brauche nicht mehr Mondschein, als auf meiner Degenspitze Platz hat, um sie meinem Gegner in das Herz zu stoßen. – Es sind noch keine vier Wochen hin, denk’ ich, da hatte ich auch einen solchen Milchbart vor der Klinge, Locken an den Schläfen wie ein Merino und Ringe in den Ohren. – Auf Ehre, dachte ich, das lohnt nicht, so in Milch und Blut zu stoßen, das hält keinen Stich. – Es war im Walde, er legt sich in die Parade, er fällt aus, sticht rechts und links um sich. Ich lasse das gut seyn, vigilire immer fort auf sein Ohrläppchen, dränge ihn
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endlich an einen Baum und stoße plötzlich durch seinen Ohrring in den Baum hinein, daß die Degenspitze von der andern Seite des Stammes wieder herauskommt. – So spickte ich ihn an wie einen Schmetterling, und wenn ihn nicht jemand losgemacht hat, so hängt er noch heute. A d e l e (für sich). O ich wünschte, er hienge lieber selbst an beiden Ohren! (laut) aber Herr Flitt, das sind gewiß nur kleine Mißverständnisse mit dem Florestin, gibt es denn gar kein anderes Mittel? –
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Flitt. Zu spät, gute Jungfer, alles zu spät, auf Ehre, er hat einmal mein Wort! Blut will ich seh’n, Blut, sag’ ich, Blut! – Schade in der That um den jungen Menschen, er sähe nicht übel aus, wenn er nicht so einen gewißen sentimentalen, einfältig hängenden Zug am rechten Mundwinkel – A d e l e (rasch). Das habe ich nie bemerkt, Herr Flitt, das ist nicht wahr, das – (schlägt, plötzlich abbrechend, die Augen nieder.)
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Flitt. Nun, es kann auch vielleicht der linke Mundwinkel seyn. – Was geht denn aber Sie Herrn Florestin’s Mund an? Sie wird ja über und über roth. – Adele. Ich? – o nein – ich wollte nur – o Gott, ich weiß vor Verwirrung nicht mehr was ich rede! verwünschte Maskerade! (sie eilt fort.)
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Flitt. Na, die geht auch zu den Linden! Verliebte und Verrückte sind leicht zu betrügen, sie gehen beide gerade aus auf ihre fixirten Ideale los – dem Himmel sey Dank, ich bin niemals
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sonderlich verliebt gewesen! – Nun muß ich noch den Flötenspieler und den Schlender haranguiren, damit sie mir nicht etwa wie die wilden Gänse in mein Wachtelnetz hineinfliegen und mir die Maschen verwirren. (ab.) 5
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V i c t o r (tritt auf). Aha, da streicht der alte Fuchs hinter seiner spitzigen Nase her in’s Garn hinein. – Den Schlender hab’ ich auch schon um zehn Uhr zur Laube bestellt, und gleich darauf werfe ich die nämliche spanische Fliege dem Schreibesel Fleder hinter die langen Ohren, das zog vortrefflich, lauter philosophische Blasen. Ich sah ihn so eben voller Nachdenken vorüberschreiten. – „Aber der Auftrag, das Vertrauen des Herrn Präsidenten!“ sagte er zu sich selbst und blieb mit verschränkten Armen stehn, „wie, und ist es nicht des Mannes höchste, älteste Pflicht, sich Raum zu schaffen in der Welt zu edlem, großem Wirken?“ – Der kalekutische Hahn im nahen Hühnerhofe gollerte eben dazwischen – da schritt er stolz weiter, stand wieder still und sprach: „Warst du nicht eher Mensch, als Hofrath, Fleder? – Die Liebe kennt Präsidenten nicht, und ist sich selber König!“ – – Ja, Ew. Majestät, es werden noch ein Paar solche Monarchen im Dunkel eintreffen, und blutige Kronen dürften nicht rar seyn. (ab.)
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Zweite Scene. (Anderer Theil des gräflichen Gartens. F l i t t und S c h l e n d e r sitzen an einem Tisch, auf welchem Weinflaschen und Gläser stehen.)
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Flitt. Nunc est bibendum, nunc pede libero pulsanda tellus! – Aber Du verstehst nichts von der klassischen Litteratur, als bibendum. Schlender. Was heißt das andere zu deutsch?
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Flitt. Das heißt: wir sind bei Hofe hier, so müssen wir denn auch die Hof-Etikette beobachten und uns einen Haarbeutel anhängen. (er trinkt.) S c h l e n d e r (trinkend). Die sind hier wohlfeil. – Aber höre, Flitt, wenn Du so früh anfängst, siehst Du nachher den ganzen Tag aus wie ein feuriges Gewitter. Flitt. Desto besser! Du bist mein Blitzableiter, in den alle Witze einschlagen. – (trinkt) Hol’ der Teufel das vornehme Leben, die Langeweile trocknet aus und macht durstig; ich glaube, mir wachsen schon schnöde Pilze auf meinem guten Humor. Schlender. Ja, war das heut früh nicht ein Gekicher und Spektakel unter den Damen, als ich mein Kompliment machte und mir ein Paar lumpige Federn im Haar und Rock hiengen, weil ich mich gestern Abend aus Versehen im Frack zu Bett gelegt hatte!
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Flitt. Ja, und ist es nicht gescheuter, wenn Dir ein Bauer mit allen fünf Fingern durch den Schopf fährt und Dir den Rock am Leibe ausklopft, ohne sich erst lange nach einem Trinkgeld dafür umzusehen? Schlender. Ach, was Bauer! So ein Mensch ist ein Esel wie ich, da geht alles natürlich zu, aber so eine Dame –
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Flitt. Die sich schämt, ein Mensch zu seyn. – (er trinkt) Hol’s der Teufel! Nichts als Finten und Schwermuth in der Welt! (er singt)
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Einstens, da ich Lust bekam, Mir zu freien eine Dam – Wie geht es doch weiter? Stimme mit an, Schlender! Schlender. Ja, ja, das Lied von des guten Kerls Freierei! So ein Rundgesang muß recht vornehm klingen hier in dem Park. (B e i d e singen)
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Einstens, da ich Lust bekam, Mir zu freien eine Dam’, Und sie freundlich fragte, Ob ich ihr auch wohlgefiel; Wahrlich nicht besonders viel! Sie gar spöttisch sagte. F r i e d m a n n (eilig eintretend). Aber um Gotteswillen, meine Herren, wo denken Sie hin? So ein Spektakel, hier im Garten, bei hellem lichtem Tage!
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Flitt. Ei, ei, ei, Friedmann, das hätt’ ich nicht geglaubt von Euch. – Bei hellem Tage? – Wann soll man denn singen? – O nein, guter Gärtner, das Nachtschwärmen ist nicht für moralische junge Leute, laßt solche liederliche Gedanken, geht in Euch, alter Mann, geht in Euch! Schlender. Ja, geht!
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Friedmann. Wahrhaftig, ein ehrbarer Lebenswandel würde Sie besser kleiden. Flitt. Kleiden! Seht Ihr wohl, schon wieder! –
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Schlender. Ja in der That, schon wieder! Friedmann (rasch und empfindlich zu Schlender).
Was denn schon wieder, Herr Musikant? 20
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S c h l e n d e r (zusammenfahrend). Na, was weiß ich denn! – Erschreckt einen doch nicht so, unvernünftiger Mensch! Flitt. Ruhe, Ruhe da! – Besser kleiden, sagtet Ihr, Friedmann? Schämt Euch, eitler Greis! Ein Philosoph gibt nichts auf Kleider, große Männer haben große Blößen. Friedmann. Nun, ich will nicht prophezeih’n – aber wenn die Gräfin erfährt – sie könnte sich wohl besinnen –
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Flitt. Oho! (er singt) Daß im Wald finster ist, Das machen die Birken, Daß mich mein Schatz nicht mag, Das kann ich nicht merken. S c h l e n d e r (singt). Nein, das kann ich nicht merken!
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Friedmann. Das wird nun eine gute Geschichte, da kommt sie selbst dazu. A d e l e (rasch auftretend). Sie, Herr Flitt! – Ich dürfte wenigstens bei Ihnen mehr gute Lebensart voraussetzen.
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Flitt. Gute Lebensart? Wir leben hier ganz gut. (er singt, während Schlender wieder mit einstimmt)
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Ich sprach wieder: bin ich nicht Ein gut’ Kerle, gebt Bericht! Drauf fragt sie mich wieder: Was denn ein gut’ Kerle wär’? Ich sprach: Setzt Euch unbeschwert Etwas zu mir nieder. Adele. Ich mich noch zu Euch hinsetzen? Nein, wahrhaftig, ich weiß nun genau, was so ein guter Kerle ist, ich will ein Loblied auf ihn singen. Flitt. Ja, tunk’ da erst Dein Schnäbelchen mit ein, dann singe.
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Schlender. Ja, tunke Sie! A d e l e (zu Friedmann). Was fangen wir mit ihnen an? 5
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Friedmann. Ich habe die Herren schon gebeten, sich zu moderiren, aber – Adele. O, ich möchte lachen, wenn ich vor Ärger könnte! (zu Flitt) Nun, das ist wahrlich der Anfang vom Ende, es soll rasch alles klar werden! (ab, während Friedmann achselzuckend an ein Beet tritt und sich mit den Blumen beschäftigt.)
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F l i t t und S c h l e n d e r singen: Wollt Ihr nun, so ist es klar, Und wir werden bald ein Paar, Drauf spricht sie gar sachte: Ihr mögt mir nach allem Schein Gar ein guter Kerle seyn; Schmunzelt drauf und lachte. F l i t t (plötzlich aufspringend). Silentium! dort kommt wahrhaftig die Gräfin her! – Geschwind, decke die Batterie, Schlender, unterhalte die Gräfin, bis die Flaschen unter den Tisch gebracht sind! Schlender. Laß Du mich nur machen.
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(Er geht ab, während Flitt den Tisch abräumt, und kehrt dann mit Flora im Gespräch zurück.)
Flora. In der That, ich verstehe nicht recht was Sie meinen –
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Schlender. Ha, ich verstehe, ich verstehe! – Dort nahen kalte Menschen – o niemals soll das zudringliche Maul des Tages belauschen, was das plauderhafte, gefühlvolle Ohr der Nacht – Flora.
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Wie? – Fleder (tritt von der andern Seite auf). meine Gnädigste! (geheimnißvoll mit zärtlichem
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Guten Morgen, Nachdruck) O könnt’ ich guten Abend sagen schon!
Flora. Guten Abend schon? da fingen wir ja den Tag von hinten an.
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Fleder. Gleichviel, schöne Gräfin, gleichviel – es gibt keine Zeit, wo ein glückliches Herz schlägt. Schlender. Ja, da fängt die unsterbliche Ewigkeit an! Flora (welche beide verwundert angesehen, den Flitt bemerkend).
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O bester Herr Flitt, warum stellen Sie sich dort unter den Scheffel der Bescheidenheit? Ich bitte Sie, helfen Sie mir die beiden Herren hier aufhalten, sie nehmen eben einen Anlauf, über diesen Tag hinwegzusetzen. Flitt. So plumpsen sie jenseits in die Nacht. – Ich für meine Person begnüge mich, nur den Saum der Nacht leise umzuschlagen, wie ein Carbonaro seinen Mantel, wenn er auf heimliche Verbindungen ausgeht. –
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Flora. Wie, auch Sie? Aber weßhalb sind Sie denn alle gegen diesen Tag so erbost? 5
S c h l e n d e r (in Extase). Tag? – O der Tag, der zerstreuungsvolle Tag – er fährt – Flitt (dicht vor ihn tretend, leise).
Du bekommst wieder Deinen poetischen Stich, schweig, oder ich trete Dir die große Zehe platt. 10
15
S c h l e n d e r (wie oben). Laß mich! – Der verschwenderische Tag, er fährt mit seinem balsamischen Staubmantel über die thränenduftende Stirne der Nacht und läßt das Veilchen unzerknickt, weil noch das Lämpchen glüht, und wandle auf Tuberosen und Vergißmeinnichts! – Flora. Vortrefflich, wollen Sie sich nicht mit der Violine dazu accompagniren? Das ist ja wie aus einem Stammbuch, das der Wind durch einander blättert, von jedem Blatt eine Zeile.
20
F l i t t (leise zu Flora). Lassen Sie ihn schwatzen – ich puppe mich unterdeß in einen S c h l e i e r , bis mich der Mondschein ausbrütet, wie einen Nachtfalter.
25
Schleier? – was denn?
Flora. F l e d e r (heimlich zu Flora). Ich lege die Hand auf’s Herz und sage nichts, als – Nelke! –
392
D ie F reier. II, 2
Flora. Nelke? – (für sich) Träume ich denn, oder sind sie alle hier vor lauter Müßiggang toll geworden? 5
S c h l e n d e r (leise zu Flora). Ha meine Gedanken – alle steh’n in jenem grünen Holz! F l o r a (ihm furchtsam ausweichend). So lassen Sie sie nur stehen! (mit einer leichten Verbeugung gegen Alle) Der Herr behüte Sie auf Ihren Holzwegen! (ab.) Vi c t o r
10
(zwischen dem Gebüsch hervorsehend).
15
Ho, ho! hier ist, wie mir scheint, die Confusion so eben im besten Humor. Laß sehen, ob ich sie aneinander bringen kann. (er tritt vor) Was ist hier geschehen, meine Herren? So eben eilte die Gräfin fort und prustete und nießte, blickte in die Sonne und nießte noch einmal. Schlender. Ja, Gott helf’ ihr! es gibt nächtliche Tageszeiten, wo keine Sonne scheint, und im Finstern geht der tugendhafteste Mensch darauf los, wie blind!
20
25
Flitt. Aber, Schlenderchen, Schlenderchen, Du bist wahrhaftig zu voll, die Gedanken laufen Dir schon über. Schlender. Was! ich mach’ mir nicht so viel aus ein paar lumpigen Gedanken! – O meine Wege sind nicht die Deinigen! Flitt. Nein, also geh’ Du nur jetzt D e i n e r Wege.
Di e F rei er. II, 2
393
V i c t o r (leise zu Schlender). Wollen Sie das leiden? Er zeigt Ihnen –
5
Schlender. Was zeigt er mir? Das sagen Sie mir einmal! – Seht doch – ob ich leide oder nicht leide – und das geht Sie gar nichts an! (Er schreitet zornig über die Bühne auf und nieder.)
Flitt (sich vornehm zu Fleder wendend). 10
Apropos, mein Lieber, werden Sie uns nicht einmal auf Ihrer Flöte etwas zum Besten geben? Ich bin ein großer Gönner der Musik. Fleder. Ja, ich hoffe nächstens einen Ton anzugeben, der Sie in Erstaunen setzen dürfte. –
15
V i c t o r (leise zu Fleder). Besser, stärker angesetzt! blasen Sie die Backen auf wie auf der Drommete! – Friedmann (sich von seiner Arbeit aufrichtend, zu Victor).
20
Was ist denn das, wie sprechen denn die heute alle so verwirrt? V i c t o r (auf die Stirn deutend). Hier – wiss’t Ihr noch nicht? – manchmal Anfälle – Friedmann. Wie! eines unglücklichen Deliriums? –
25
Schlender (plötzlich vor Flitt stehen bleibend).
Und nun fängt es mich erst recht an zu wurmen – und wenn ich einmal in die Courage hineinkomme –
394
D ie F reier. II, 2
Flitt. Hör’ Schlender, bei der Gelegenheit muß es endlich heraus. Ja, dieser gemeine Ton – diese gewisse Familiarität zwischen uns, das muß künftig ganz aufhören. Schlender.
5
Was? Flitt. Es gibt Lagen in menschlichen Verhältnissen – wo man aus gebührender Rücksicht auf seine Familie – 10
15
Schlender. Ih Herr Jeh! lauter Bärenführer und Puppenspieler! – O ja, ich gehe, wer in Pech tritt, läßt leicht den Absatz drin stecken. Ich empfehle mich, Herr Don Tragödio dellas Comedias! (ab.) Flitt. Ich habe es lange prophezeiht, er wird so lange schnapsen, bis er überschnappt. – (zu Fleder) Wie gesagt, wenn ich Ihnen vielleicht dienen kann – es geschieht nichts weniger als gern – meine Reisen – bedeutende Connexionen – nun, wir sprechen weiter davon.
20
Fleder. O ja, ich bitte, wenn es beliebt, so spät und weit als möglich. (für sich) Ich fürchte mich vor ihm – ganz der gläserne Blick des stillen Wahnsinns –
25
Adieu, Gärtner! (ab.)
Flitt. Friedmann (mit einer tiefen Verbeugung).
Unterthänigsten guten Morgen! – Bei alledem doch ein recht humaner, herablassender Herr! –
Di e F rei er. II, 2
395
F l e d e r (erstaunt). Wie ist Ihnen denn, mein Guter? warum erweisen Sie diesem Manne so unverhoffte Ehrerbietung? 5
10
Friedmann. Ich – diesem Herren? Schauspieler, wollt’ ich sagen. – In der That: man kann bei solchen Schauspielern niemals aus dem ersten Auftritt ihren letzten Abtritt voraussehen – heute mitten unter uns, morgen über uns. – Fleder. Abtritt? über uns? (zu Victor leise) Was ist denn das? – Sie müssen den Mann ja genau kennen – ich hoffe doch nicht? – V i c t o r (ebenso). Wahrhaftig, ich kann nicht läugnen – sein Verstand fuselt bisweilen.
15
F l e d e r (zu Friedmann). Nun, nun, beruhigen Sie sich, schon gut, schon gut, es kann hier bald, ja über Nacht, manches anders werden, man wird gern Rücksicht nehmen – ich werde nie aufhören, Mensch zu seyn.
20
F r i e d m a n n (für sich). O Gott, er hat wahrhaftig so eben seinen Anfall! (laut) Möchten Sie nicht Ihre Flöte ein wenig vornehmen, vielleicht wird Ihnen besser? –
25
Besser? – Armer Mann!
Fleder. Friedmann. Ih! – Schade um den feinen Verstand! (beide, sich vor einander scheuend, von verschiedenen Seiten ab.)
396
D ie F reier. II, 2
Vi c t o r (ihnen mit dem Hute nachschwenkend).
5
Hetzoh, Hallali! das ist ein herrliches Jagdwetter heut! Und ist noch irgend Wahrheit in der Wahrscheinlichkeit, so erleben wir heut’ Abend die kostbarste Prügelei, wenn die drei bei der Laube unversehens zusammenstoßen! (ab.)
Di e F rei er. III, 1
397
Dritter Aufzug.
Erste Scene. (Zimmer im Hause des Gärtners. F l o r a , als Offizier verkleidet, sitzt auf einem Stuhl, M a r i e kniet vor ihr und schnallt ihr die Sporen an.) 5
10
15
20
Flora. Aber, Mühmchen, hast Du auch recht vernommen? Marie. Ich saß ja dicht hinter einem Strauch. Sie wollen alle zur Laube kommen, Graf Flitt und Schlender und Fleder auch, Sie bilden wahrhaftig sich ein, die Narren, Die Gräfin würd’ ihrer dort Abends harren. Pfui, das war ein Strecken und Bläh’n und Geschniegel – Nichts langweil’ger, als ein zärtlicher Mann! Flora. Ei nun, das kommt noch gar sehr drauf an, Verliebte Augen sind lustige Spiegel, Man sieht doch noch drin, daß man jung und schön. Marie. Hm – da brauch’ ich blos in den Brunnen zu seh’n. Flora. Aber hör’, mit dem Victor – wie war das doch?
398
5
10
D ie F reier. III, 1
Marie. Mit dem? – Nun ich saß in dem Strauche noch, Da schlich er durch den Garten ganz leise, leise Und lacht in sich und blickt im Kreise, Und ein Bündel trug er unter dem Arm, Hauben und Bänder und Mäntel von Seide, Als wollt’ er seine Braut zur Hochzeit kleiden, Alles zerknüllt, daß Gott erbarm! – F l o r a (rasch aufspringend). Es ist aber auch hier unausstehlich schwül! Marie. Ei, ’s ist gleich Nacht ja, es wird schon hübsch kühl. Flora (an das offene Fenster tretend).
15
20
Ich bitt’ Dich, Herzensmühmchen, so mach nur geschwind, Und putze mich aus auf’s allerbeste – Draußen rührt schon der Abendwind Vor dem Fenster die dunkeln Äste – Der Springbrunn rauscht, und die Sterne scheinen – Was mag er nur mit dem Brautstaat meinen? – M a r i e (mit Flora’s Anzug beschäftigt). Der Victor? – Das blitzt wie von Edelsteinen! Ein Offizier müßt’s seyn, wenn ich einmal freite, All’ andern seh’n aus wie gemeine Leute.
25
Flora. Ich weiß doch ein Mühmchen, die auch Jäger gern mag. Marie. Nein, die schmauchen mir gar zu viel Tabak!
Di e F rei er. III, 1
399
Flora. So wend’st Du das Näschen und reich’st ihm die Wange.
5
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15
Marie. Wenn’s der Victor just wär’ – ich besönn’ mich nicht lange, Er hat einen recht hübschen Schnitt um den Mund. Aber sein Schnurrbart spielt alle Farben, Das zeigt auf Falschheit im Herzensgrund, Ich möcht’ ihn nicht zum Liebhaber haben. Flora. Nun weiß ich doch, wo seine Feinde zu sprechen. Weil er kein Narrengesicht kann seh’n Ohne eine Nase daran zu dreh’n, So möchten sie ihn nun alle mit den Nasen erstechen – O, die ärgsten sind die Stillen im Lande, Die schleppen so schwer an ihrem Verstande, Daß sie nicht kommen zu Lust und Witz, Sie möchten gern donnern, aber es fehlt der Blitz – M a r i e (in Lachen ausbrechend). Gefangen! Zisch aus! – Du wirst ja ganz wilde. –
20
Flora. Ach! was nur führst Du da wieder im Schilde! Marie. Hm ich denke nur so was mir eben gefällt. – Flora.
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Du bist recht kindisch. – (sie schnallt den Degen um, und setzt den Hut auf.)
Nun frisch in’s Feld, Ich bin jetzt gerade im rechten Humor!
400
D ie F reier. III, 1
Marie. Aber was hast Du denn eigentlich da draußen vor?
5
10
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Flora. Rettung, Entlarvung, List, Händel, Rumor. – Erst stell’ ich mich heimlich hinter die Laube, Bis sich die Bande versammelt zum Raube, Dann brech’ ich als weitläuftiger Vetter vom Haus, Der eben von Reisen kommt, plötzlich heraus, Staun’, frage, drück’ in die Augen den Hut, Und wenn Alles konfus recht, ruf’ ich voll Wuth Diener und Fackeln – und spieße verwegen In der Luft so die Haube mit meinem Degen, Die über dem Scheitel der Gräfin thut zücken. Komm’ auch mit, lieb’ Mühmchen. Marie. Das möchte sich schicken! So unter Männern – in dem Gewirr! Flora. Hüt’ Dich! kluge Vögel werden am ersten kirr.
20
(Beide ab.)
Di e F rei er. III, 2
401
Zweite Scene. (Ein vom Schloß entlegener Theil des Gartens mit einer Laube zur Seite. Es ist schon dunkel. Die Gräfin A d e l e tritt rasch auf, sich nach allen Seiten umsehend.) 5
10
15
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Adele. Hier auch kein Laut rings – nur die Bäume rauschen; Das Schloß steht leer; wem ich ihm begegne, weicht Geheimnißvoll mir aus, und Büsch’ und Marmorbilder Seh’n in der Einsamkeit mich seltsam an, Als schauert’ Alles heimlich vor den Schatten, In die vielleicht ein fröhlich athmend Herz Auf ewig bald versinkt! – Dort an den Linden, Wo sie sich treffen wollten, ist’s todtstill. – Er täuschte mich wohl nur, um ungestört Ihn anderswo zu morden. – O, schon wächst Und wächst das Schweigen rings; was soll ich thun, Was lassen in der Noth! – Viel tausendmal Rief seinen Namen ich im Herzen leise, Und wag’s nicht, laut zu schreien, wie ich möcht’! O Nacht, verhülle ihn – und meine Schande! – (sie sinkt, das Gesicht verhüllend, auf einen Rasensitz, dann sich wieder aufrichtend)
25
30
Seit wann kenn’ ich die Angst? – Es ist vorüber! – Nie sag’ die Welt: die Tochter hoher Helden Sey so entartet aller Heldenhoheit, Daß sie verlernt, sich selbst zu überwinden. Jetzt gleich, eh’ blut’ges Unheil sich begibt, Brech’ ich die Räthsel dieser Mummerei, Die dem gemeinen Trieb der Welt mich gleichgestellt. – Noch einmal, als die f r e i e H e r r i n , tret’ ich Vor Florestin – und seh’ ihn nie mehr wieder! (ab.)
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D ie F reier. III, 2
Flora (als Offizier, tritt vorsichtig auf).
5
Horch – nein, es war der Wind im Laube. – Da schlägt es zehn im Dorfe unten. (sich schüttelnd) Es ist auch so entsetzlich still im ganzen Garten, daß man alle Bäche aus der Ferne rauschen hört. – Da – Fußtritte – es kömmt näher – geschwind in mein Versteck! (Sie verbirgt sich hinter der Laube.)
10
(V i c t o r führt den S c h l e n d e r an der Hand herein. Letzterer ist als Dame verkleidet, hat einen Schleier auf dem Hut und einen Nelkenstrauß an der Brust.)
F l o r a (leise). Was ist das? – Victor – mit einer Dame!
15
Schlender. Also die Gräfin wollte durchaus, daß ich als Frauenzimmer? – Vi c t o r. Scht, scht! Das versteht sich – und der Nelkenstrauß ist das Feldzeichen, damit sie Sie gleich erkennt.
20
Schlender. Aber die Gräfin selbst? Vi c t o r. Wie ich Ihnen schon sagte, sie kommt als Mann, ganz wie Herr Arthur gekleidet. Merken Sie wohl? – verdammt schlau!
25
Schlender. Ja wahrhaftig, verdammt pfiffig! Vi c t o r. Aber die Nacht hat lange Ohren – die Gräfin wird daher, um alles Aufsehen zu vermeiden, auch ganz die Stimme des Herrn Arthur nachahmen; lassen Sie sich dadurch nicht irre machen.
Di e F rei er. III, 2
403
Schlender. Ich! da kennen Sie mich schlecht – ich irre machen! da bin ich gerade der rechte Mann darnach. 5
10
15
Vi c t o r. Das mein’ ich selbst. Aber Sie müssen auch Ihre Stimme etwas dünner machen. Schlender. O, das versteh’ ich aus dem Grunde! wenn mir zuweilen auf meiner Geige die Quinte springt, spiel’ ich sie mit dem Munde durch die ganze Sonate weiter fort. Vi c t o r. Vortrefflich! So spielen Sie nur, Gott weiß, wer den Takt dazu schlagen wird. – Und nun geschwind den Schleier herab! (er bedeckt damit Schlender’s Gesicht) So – jetzt lasse ich Sie mit Ihrem Glück allein. (für sich) Ich muß nun das andere Wild stellen. (ab.)
20
Schlender. He, Herr Victor, bleiben Sie, bleiben Sie doch noch ein wenig! – da streicht er wie eine Fledermaus durch die Gebüsche. –
25
Flora. Wo sie nur so auf einmal hergelaufen ist? Wie ein in Gedanken stehen gebliebener Haubenstock! – O ein auserlesener Geschmack, den der Victor hat! – Ob ich ihr lieber gleich die Augen auskratze?
30
Schlender. Das ist das allerdümmste bei der Liebe, daß sie immer nachtwandeln will, wenn alle andern vernünftigen Creaturen schlafen. – Ich fürcht’ mich g’rade nicht – was regt sich da? – Ich will nur etwas singen, das zertheilt die Gedanken. (er singt)
404
D ie F reier. III, 2
Der Himmel ist so trübe, Es scheint nicht Mond noch – Heda, wer ist da? wer ist da? 5
F l e d e r (tritt auf, für sich). Das ist die Gräfin – der Schleier – der Nelkenstrauß – (laut zu Schlender) Wie! – Ich erstaune – hier in Nacht und Thau – Schlender (galant und immer mit verstellter Stimme).
10
O, es dürften wohl vielmehr die perlenden Thränen seyn, die mein gefühlvolles Herz so im Promenadiren verloren hat. F l o r a (für sich). Was! ihr Herz hat doch nicht Löcher? Nun, ich glaub’ es wohl, Amors Pfeile mögen es schon übel zugerichtet haben.
15
20
25
F l e d e r (zu Schlender). Ich würde nie gewagt haben, dieses stille Gedanken-Heiligthum zu betreten – aber jener kleine Nelkenstrauß – sein Duft zieht Zauberkreise durch den stillen Garten rings, ich taumelte berauscht – nun richten Sie, verdammen Sie, wenn ich zu kühn – Schlender. Au contraire! Ich bin Ihnen außerordentlich verbunden für Ihre lange Nase – wollt’ sagen wohlriechende Nase – wollt’ sagen: daß Sie so weit riechen können – Fleder. O, wie unwiderstehlich kleidet Sie dieser natürliche Schmuck süßen Gekoses! Schlender. Ja ich kann es nicht läugnen, mein Bau ist nicht übel, ich bin von jeher so ein dünner Schlankel gewesen.
Di e F rei er. III, 2
405
Fleder. Ja, das ist sie, das ist die Sprache der Liebe! –
5
Schlender. O, ich kann’s manchmal noch feiner, aber es greift die Lunge an. Fleder. Die Lunge? – So schweigen wir. Der Liebe Schweigen ist Gesang! – O, ich wüßte einen Mann, den ein einziger Druck dieses Händchens –
10
Schlender. Mann? – Nein, wahrhaftig, wenn ich jemanden drücken sollte, so wäre es nur eine Dame. – Fleder. Eine Dame? –
15
Schlender. Eine gewisse schöne Gräfin – Fleder. Die hier nicht weit ist –
20
Schlender. Ja, und deren kirschrothe Hand ich gern an meine LilienLippen – Fleder. Wie! Sie wollen sich selbst die Hand küssen?
25
Schlender. Mir selbst? – Das ist ja heute lauter Konfusion. Es ist auch so finster hier, daß man sein eigen Wort nicht versteht. – Aber es wundert mich nur, wie Sie so grob reden können.
406
D ie F reier. III, 2
Fleder. Ich – grob? – Schlender. Ja, wirklich ganz wie der Herr Arthur. 5
10
Fleder. Nun, das wäre eben keine große Kunst. Schlender. Nein, wahrhaftig nicht – so ein verlaufener Stadtpfeifer! – O werfen Sie diese Verstellung ab, wir sind unter uns, seyn Sie wieder, wie Sie die Natur geschaffen hat! Fleder. In der That, ich fühle mich wunderbar überrascht – ich kann nicht in Abrede stellen – es könnte seyn, daß hinter dieser bescheidenen Maske des armen Flötenspielers ein Mann –
15
20
Schlender. Schon wieder ein Mann? – Aber warum wollen Sie denn gerade ein Mann seyn? Fleder. Ich? – In der That – ich verstehe Sie nicht. – O lassen Sie uns diesen ernsten, heiligen Moment nicht in leichter Tändelei verscherzen! Schlender (in steigender Begeisterung nach und nach in seine natürliche Stimme übergehend und auf Fledern eindringend).
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30
Ja, ich will kein Narr seyn! – O diese pechschwarze Nacht, sie ist der Lichtpunkt in dem Silberblicke meines Seyn’s – oder nicht Seyn! – Ha, das ist keine Frage, daß mein Herz von dem nagenden Wurm der heimlichen Liebe zerfressen sey – aber ein tapferes Herz frägt nichts darnach, ob ihm die Seele zum Ellbogen heraushängt, wenn es in jene elysäischen Felder –
Di e F rei er. III, 2
407
Fleder (der währenddeß erstaunt vor Schlender zurückgewichen).
Au, meine Zehen! – Mein Gott! ich glaube gar – Sie sind – Schlender (zu Fleders Füßen sinkend).
5
Der seelige Schlender! Fleder. Ha, abscheulich! Jetzt seh’ ich – Schlender (aufspringend und sich rasch umsehend).
10
Wo? wen? Fleder. Verrath, heimtückischer Verrath! – 15
Schlender. In der That, ich sah’ ihn schon vorher dort hinter der Laube – F l e d e r (erschrocken). Wen? Schlender. Was? – Ich salvir’ mich!
20
Fleder. Wenn ich nur wüßte, was es giebt – mein Gott, mein guter Ruf – ich eile dort hinaus! Schlender. Und ich dorthin!
25
(Sie entlaufen nach verschiedenen Richtungen.)
408
D ie F reier. III, 2
Flora (die währenddeß, mit ihrem Säbel klirrend, rasch hervorgetreten ist).
Heda, halt, halt! – O liederliche Wirthschaft, Wie Spreu im Wind! Wer kommt denn da schon wieder? Leonard
5
(bewaffnet, bleibt im Hintergrunde, zurücksehend, stehen).
10
Die Kammerjungfer war’s, die dort entfloh – Auch nicht ein Mäuschen fand ich an der Linde. Hieher sah ich vorhin sie gehn – von hier Entwich sie jetzt. – Frisch auf! an jedem Strauch Und Zaune will ich rütteln! dann laß’ sehn, Wo der Galan die Hasen-Ohren andrückt! (Flora erblickend.)
15
Wer schleicht da? – Steh! ich denk’, Dich sucht’ ich eben! Warst Du hier mit der Gräfin Kammerjungfer? Flora. Gewiß. – Es wär’ unmöglich, uns zu trennen. Leonard. So liebt Ihr Euch?
20
25
Flora. Nicht sonderlich. Sie macht Viel Unruh’ mir, bei Nacht durch lose Träume, Und Abends wohl durch manchen dummen Streich! Leonard. Ei seht, wie klug und fein das Zünglein schwatzt. – Wer gab das Recht Dir, ohne rechte Liebe Mit güldner Sporn und glatter Worte Klang Ein fröhlich stilles Herz schnöd’ zu bethören?
409
Di e F rei er. III, 2
Flora. Fürwahr, gäb’s so ein Recht, ich hätt’s zunächst. Doch könnt’ das, glaub’ ich, Andern besser glücken. – 5
Leonard. Du schmäh’st sie noch! – Sieh, ich bin just kein Raufer, Doch rauft’s mich bei den Haaren recht dazu, Mit meinem Degen hier zu untersuchen, Ob Du auch Mann’s genug zu einem Freier. Flora.
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Ih, Gott behüt’ mich! Leonard. Ja, wie’s Gott gefällt. Ich weiß nicht, wer von uns der größte Narr hier – Doch sind Verliebte, wie man sagt, Genie’s, Die Hohes thun und Tolles, weil sie müssen! So genial ist eben mir zu Muthe – Kurz: zieh’ vom Leder, Fant, wehr’ Dich! Zieh’ aus! – Flora. Sehr gern. – (für sich) Ich kenn’ hier jeden Schlich. So’n Mannsbild Im tölp’schen Eifer stolpert tausendmal. – (Sie entflieht.)
25
Leonard. Heißa, bunt Vögelchen, entfliegst mir nicht! Ich spür’ so was vom Habicht heut’ in mir! (Ihr nach.)
410
D ie F reier. III, 3
Dritte Scene. (Einsamer Waldplatz. F l i t t tritt auf; sieht sich nach allen Seiten um und pfeift dann auf dem Finger. K n o l l erscheint im Hintergrunde und beantwortet das Signal auf dieselbe Weise.) 5
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Flitt. Bist Du toll! Wozu pfeifst Du erst, Hanswurst, wenn Du selber schon da bist? Knoll. Damegogen und Karbonaden! das ist der Komment so, wo’s was Verschworenes giebt. Flitt. Ich bitt’ Dich, liebstes Ungeheuer, möchtest Du nicht die Güte haben und hier Deinen Rachen ein wenig zähmen? Du kommst schon wieder wie ein Haifisch dahergefahren und schnappst nach den Trümmern Deiner in Tertia gestrandeten Gelehrsamkeit. – Sprich, alter bemooster Tertianer, sind die Pferde am Walde bereit? Knoll. Rosse und Karosse und alle Madrigalien nebst Impertinenzen sind zu der Entführung prädestenirt. Flitt. Ich glaube gar, Du hast Deine alte fliegende Kalesche mitgebracht, in der Du immer zum Ochsenmarkt fährst, mit Deinem Brustbild von gelben Zwecken an der Thür. Die rumpelt ja in der Nacht, daß man uns bis zum andern Morgen hört, und hängt von der einen Seite hinten über; ich hoffe, sie sollen Dich, wenn’s einmal flink über die Steine geht, draus verlieren wie einen Sack voll Kaldaunen.
Di e F rei er. III, 3
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Knoll. Labet egal! Es wird mich Niemand in die Tasche stecken. – Aber warum treten Ew. Gnaden hier Ihrem eigenen Schatten auf die Fersen im Mondscheine? Warum sind Sie nicht schon im Garten, auf dem Place de Grandefuß? Sie haben doch dort nicht etwa ein Haar drin gefunden? Flitt. Nein, sondern einen ganzen Schopf von Haaren; ich weiß nicht, welchem Querkopf er angehören mochte. Dort ist es nicht geheuer. Aber es thut nichts. Wir wollen die Gräfin h i e r erwarten, hier muß sie durchaus vorüberkommen, wenn sie zu dem verabredeten Platze geht. Gieb Acht! sobald sie kommt, stellst Du Dich als chinesisches Lusthaus oder umgestülpte Baumwurzel zur Seite – für den Nothfall – ich aber bringe die Gräfin über die Rosen und Vergißmeinnicht lieblicher Redensarten zu den Pferden, Du begleitest uns immer fort in einiger Entfernung wie eine Batterie von schweren Stücken und triffst mit uns zugleich am Wagen ein. – Gelingt es, Knoll, so will ich Dich mit kalekuttischen Hähnen und Rinderkeulen vollstopfen und dann in goldene Reifen schlagen – Knoll. Schlagen? – Ja, ich hoffe, wir sollen heute hier die schönsten Prügel bekommen. Aber es verschlägt nichts. So ein Spaß ist schon ein Dutzend Beulen und Rippenstöße werth; mir kommen sie nicht so leicht durch den Speck. Flitt. O Du gemeine Seele! – O Du sanguinische, materialistische Talggrube, in der der Teufel nichts thut, als Schmalz kochen, den er nächstens als Speckschwarte in seinem Schornstein aufhängen wird, den –
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D ie F reier. III, 3
Knoll. Silentium! da ist sie, da ist sie! Ich nehme meinen Abtritt. (Er tritt hinter die Koulissen.)
5
Flitt. Wahrhaftig, da kommt die Gräfin wie die bleiche Furcht dahergeflattert. Sie wird noch den Nelkenstrauß verlieren – wie der grüne Schleier im Winde fliegt! – Schlender
10
(noch in der vorigen Damenkleidung mit herabgelassenem Schleier, athemlos hereinstürzend).
Flitt – rette mich! – Verrathen – Officiere und zehn oder hundert Gemeine und blanke Schwerter und Dolche und alles hinter mir drein! – 15
Flitt. Wo? ich hoffe doch nicht gar. – Nun gilt es rasch seyn! Schnelle Pferde sind bereit, ergebene Treue denkt an alles. – Schlender. Was? –
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Flitt. Der starke Gott der Liebe steht voll Schwermuth uns zur Seite, und bei dem ersten Morgenstrahl beschirmt ein Strohdach zwei beglückte Herzen! Schlender. Wie?
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Flitt. Um Gotteswillen! nur keinen Laut jetzt, sonst sind wir alle verloren –
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Di e F rei er. III, 4
Schlender. Aber –
5
Flitt. Nur still, nur fort! – (Schlender’n mit einem Arm umfassend und fortführend, für sich) Süße Beute! Nun laß’ die Narren mit ihren Wünschelruthen angeln, ich hab’ den Schatz gehoben. – Schlau muß man seyn! (Ab mit Schlender.)
Knoll 10
(aus seinem Hinterhalte den andern rasch folgend).
Katabomben und Sonaten, ich deck das champs de cannaille! –
Vi e r t e S c e n e . 15
(Wieder der Theil des Gartens mit der Laube, wie in der zweiten Scene dieses Aufzugs. F l o r a tritt eilig auf, von L e o n a r d und V i c t o r von verschiedenen Seiten verfolgt.)
Flora. Was thu’ ich nur? Mondsüchtig sind sie alle. Verwünschte Hosen und verwunschner Victor! Wo nur ein Narr fehlt, ist er gleich zur Hand. 20
V i c t o r (für sich). Sie denkt, ich kenn’ sie nicht. – Die will ich ängst’gen! (laut)
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Halloh, trarrah! Mein Hirschlein, springst recht artig! Ist denn kein Zaun mehr, drüber wegzusetzen? – Ein leichtes Wild und liebt bei Nacht zu wechseln.
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D ie F reier. III, 4
Flora. Ich wünscht’, Du wärst ein Hirsch und hätt’st Geweihe So hoch, daß Du im Wald d’ran hängen bliebst!
5
Leonard. Nun, Bürschchen, hast Du Deinen Muth erjagt? Steh’ still und zieh! Die Hälfte Deines Schnurbarts Mäh’ ich Dir sauber ab – mehr will ich nicht. – Flora. Ich bitt’ Euch, seyd gescheut! Mit Zweien fechten! –
10
Vi c t o r. Mit ihm allein nähmst Du’s wohl auf? L e o n a r d (zu Victor). Geh’, halt’ die Scheide fest, hilf ihm herauszieh’n. Vi c t o r
15
(faßt das untere Ende von Flora’s Degen).
So – Nun beleidig’t ihn noch etwas wen’ges, Sonst kriegen wir ihn nicht heraus! – Flora (zieht den Degen, läßt ihn aber schnell wieder sinken).
Nein, nein,
20
Mir graut zu sehr! – Hör’t doch! – Vi c t o r. Nachher! Leonard. Den Bart!
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Flora. Ich bin kein Mann –
Di e F rei er. III, 4
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Leonard. Ach, das könnt’ jeder sagen! (sie fechten.) 5
(Die Gräfin A d e l e in veränderter, ihren Stand bezeichnender Kleidung, rasch auftretend.)
Adele. Von hier kam Waffenklang – (sie erblickt die Fechtenden und stürzt sich zwischen die Degen an Leonards Brust.) 10
15
Mein Florestin! – Leonard. Was ist Dir, scheues Kind? Welch’ prächt’ge Kleider! – Du hast Dich so verändert diesen Abend – Ich kenn’ Dich kaum mehr – nur der schöne Klang Der Stimme dringt wie ehmals noch zum Herzen Und weiß von Falschheit nicht. – Adele (sich von Leonards Brust erhebend, mit Hoheit).
20
Das falsche Spiel Komm ich zu enden. – (auf Flora deutend) Wer ist dieser Mann? Flora (vor der Gräfin niederknieend).
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Ach! Einer, der gern Federhut, Schwert, Schnurbart Und alle Manneswürde jetzt dahingäb’ Um einen einz’gen Weiberrock – ein Muthwill, Der seinen Willen eben hart gebüßt, Weil er den Muth dazu nicht konnt’ erschwingen. – Leonard (sich vor die Stirn schlagend).
30
O Thor! – ein Weib wollt’ ich zum Ritter schlagen! – (Man sieht in der Ferne den Wiederschein von Fackeln.)
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D ie F reier. III, 4
Adele (die bisher in Gedanken versunken da stand, plötzlich aufsehend).
Welch wilder Haufe naht dort? – was bedeutet Der Fackelschein? 5
L e o n a r d (freudig). Bei Gott, ich hoffe: Hochzeit! – Flora (die noch kniete, aufspringend).
10
Und Hochzeit: Freude, und wer froh, verzeiht gern. – O seyn Sie wieder meine gnäd’ge Gräfin! Leonard. Was ist denn das? – Sind Sie denn nicht? – Adele (Leonarden mit der Hand abwehrend.)
O fort,
15
Fort, eh’ die andern kommen! Leonard. Nein – um Gott! Wer von beiden ist die Gräfin? – 20
Adele. Ich! (Sie verbirgt ihr Gesicht an Flora’s Brust und bleibt in dieser Stellung. Unterdessen treten F r i e d m a n n und B e d i e n t e n mit Fackeln auf.)
25
F l o r a (zur Gräfin). Was ist gescheh’n? – Geh’n wir nach Haus – Sie weinen – Friedmann. Dem alten treuen Diener sey’s vergönnt – Ein Wort nur: – Wunderliche Reden kreuzten – Wie Fledermäuse, durch die Dämmerung,
Di e F rei er. III, 4
5
10
15
417
Ein Flüstern, Schlüpfen, heimlich her und hin – Auch Pferde wollt’ man sehn am Saum des Gartens Und einen fremden, furchtbar dicken Mann. – Ein treuer Diener vigilirt auf alles; Ja, rief ich, alter Gärtner, exponir’ dich! Was kann es kosten, als dein graues Haupt! – Ich rief sogleich die Burschen hier zusammen, Bei Fackelschein durchstreichen wir den Wald; Da hören wir’s noch fern im Grunde rumpeln, Dazwischen Stimmen zankend durch die Nacht, Dann alles wieder still. – Nur einen einz’gen Erwischten wir dort auf verdächt’ger Flucht; Ich fürchte sehr, sein Kopf sitzt ihm was schief – Er spricht ganz wirr: von Damen, die nicht Damen – Fleder (sich von den Dienern losmachend, tritt stolz hervor).
Ich sag’s Euch, hütet Euch vor meinem Zorn! Es träf’ sich leicht – die Gräfin hält mich hoch –
20
Friedmann. Schon wieder! – Ei, besinnen Sie sich doch! – Fleder. Fort, Mummerei! – Ich bin der Hofrath Fleder! – Friedmann. Oho! – Sanft, sanft! Gemach! – Nein, packt ihn nicht! –
25
F l e d e r (Leonarden bemerkend). Ein Wörtchen nur mit jenem Herren dort – Graf Leonard! – Adele (die sich bei diesen Worten aufgerichtet hat, Leonarden erstaunt ansehend).
30
Mein Gott! – Sie sind – ?
418
D ie F reier. III, 4
Leonard (sich vor ihr auf ein Knie senkend).
Der Graf. –
5
Fleder. Dem Präsidenten eil’ ich’s zu berichten, Wie hier sein Neffe, seines Hauses Stolz, Bei Nacht sich wegwirft an ein Kammermädchen, Die freilich lieber Gräfin wär’, als Jungfer. (ab.)
10
L e o n a r d (zu Adele). Mir träumte einst von einem süßen Kinde – O sprich noch einmal aus dem schönen Traum Zu Florestin: – Bedeutet’s Hochzeit? – Adele
15
(zögernd und leise).
Ja! – Leonard (rasch aufspringend und ihre Hand fassend). 20
25
Musik! Nun Jäger, laß’t die Hörner klingen! Voran die Fackeln! daß die Ström’ im Grunde Und alle Fenster in dem stillen Schloß Aufblitzen in dem lust’gen Wiederscheine! Tag soll es seyn – mir ist so licht im Herzen! (Er führt die Grafin schnell fort. Hörnerklang, nach und nach immer ferner und leiser.)
Vi c t o r. Da mag der Teufel Junggeselle bleiben! (Er hebt Flora hoch auf seinen Arm.) 30
Wild warst Du stets, und Wild gehört für Jäger! Hier ist der Jäger in das Wild geschossen, Ich bin just recht im Schuß – Hoch, lust’ge Braut! (Er trägt sie fort.)
Di e F rei er. III, 4
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F r i e d m a n n (schreit). Vivat! und Feuerwerk und Hochzeits-Carmen! (Alle ab.)
Ende.
420
D ie F reier. III, 4
Di e F rei er. III, 4
Das Incognito. Ein Puppenspiel. Lesefassungen
Te x t g r u n d l a g e : H ( 1 8 3 9 / 1 8 4 3 )
421
422
D ie F reier. III, 4
Di e F rei er. III, 4
Erste Fassung
423
424
D ie F reier. III, 4
425
54r/1.
Erste Scene. |: Freies Feld. König mit Krone u. Szepter, u. Narr treten rasch auf :|
5
König. Nimmt denn die Erde kein End’ einmal! Das Reisen ist mir schon gantz fatal. Giebt’s denn nichts Neues? kein Krieg, kein Kurier? Narr. Die Welt schmaucht ihr Pfeifchen beim Glase Bier.
10
15
König. Du wirst auch schon jetzo recht ennüyant, Jemehr du kommst zu Jahren u. Verstand. Narr. Das lohnte auch noch, ein Narr zu seyn, Pfuscht Jeder mir in’s Handwerk hinein. |: Man hört einen Knall in der Ferne :| König. Ha, Narr, sag’ an, was ist das gewesen?
20
25
Narr. Patriotismus, Gemeindeweesen, Sie können die Ehrerbietung nicht mehr halten, Und lösen den Böller von den Thürmen, den alten. König. Wahrhaftig, schon wieder eine Stadt! Ich wette, da giebt’s wieder die alte Geschichte: Weiße Mädchen u. schwartzer Magistrat,
426
5
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15
D as In co g n ito . E rst e F a ss ung
Gute Leute u. schlechte Gedichte – Das halt’ der Teufel aus, Gott’s Sapperment! Da werf’ ich von mir Kron’, Szepter u. Talar, Will auch ein Mensch seyn gantz u. gar, Laß’ die Chaußée gradaus immer laufen, Will im Wald vom Regieren verschnaufen. In diesen neuaquirirten Provintzen Sah noch Niemand den König u. die Printzen, Da sollen unschuldige Hirten Ungekannt ihren Herren bewirthen, Ich will auf Erden Um mein selbst geliebt u. geehret werden, Incognito schneiden in zarte Rinden Meinen Namen mit der Krone auf alle Linden, Daß einst die künft’gen Geschlechter lesen: Das ist ein philosophischer König gewesen, Ha Pomp, Leibjäger, Wagen, fahr’ hin! |: ab :|.
Narr. Da rennt er wahrhaftig durch Dick u. durch Dünn, Nun bin ich aufeinmal hier außer Brodt. – 20 So eß’ ich Semmel! es hat keine Noth, 54v/2. Da liegt noch Kron’, Szepter, das freut mich nicht wenig, Macht er den Narrn, so mach’ ich den König. |: er schiebt Kron u. Szepter in den Schubsack u. singt :| 25 O kluge, kluge Welt, wie fein Deine Schellenkappe klinget, Kluge, kluge Welt, sollst mein Hofnarr seyn, Fang’ an Deine lustigen Sprünge! |: ab :|.
Das In co g n i to . E rst e F a ss u n g
427
Zweite Scene. |: Platz am Thore einer kleinen Stadt, im Hintergrunde viel Volk durcheinanderrennend, Paphnutius, in Gallakleidung, geht mit dem Bürgermeister über den Platz :|. 5
10
15
20
25
Bürgermeister. Platz da! der Herr Kommerzienrath! Paphnutius. Laß’t sie nur – Wie gesagt, der Potentat Kommt incognito über Stock u. Stein Gleichsam zur Hinterthür in die Stadt herein, Wie ein guter Hirt unter den Rindern Zu den geliebten Landeskindern. Bürgermeister. Wie sollen wir dann aber Vivat schreyn? König u. nicht König, lederner Schleifstein, Als wär’ ich selber meine eigne Frau Schwester! Paphn: Das nennt man so diplomatisch, mein Bester: Der König lächelt gnädig ein wenig |: Der König nennt sich Graf u. lächelt ein wenig :| Und nennt sich Graf, wir verneigen uns unterthänig /Da verneigen wir uns gantz unterthänig/ Und lächeln u. thun, als ob wir’s glauben, Er thut, als glaubt’ er, daß wir’s glauben; Und so aus Lächeln u. solchem Glauben Und Gegenglauben, an den niemand glaubt, Bestehen die Staaten überhaupt. – Leb’t wohl, mein guter Bürgermeister! /Er ist etwas dümmlich, der gute Burgermeister!/
428
D as In co g n ito . E rst e F a ss ung
Bürgerm: Wenn der Geldsack zu voll ist, so zerreißt er.
5
Paphn: Ich entferne mich aus dem gemeinen Haufen, Um nicht im Pöbel zu ersaufen. |: er geht zum Thor hinaus :| !Textverlust"
55v/4.
10
Gymnasiast: Greif’ Dir im Fluge die Adler, die kreisen – Narr: Ha, den schwartzen, den rothen, den weißen! Gymnasiast: Auf zu den Sternen hier aus dem Engen! Narr: Es bleibt dir einer im Knopfloche hängen! Gymnasiast:
15
Ja, nicht vergebens – Narr: Freut euch des Lebens! Gymnasiast: 20
Manneskraft blüht!
6 !Textverlust"] Vgl. zur Ankunft des Narren die gestr. Passage in den Entwürfen Bl. 55v (HKA VII/2).
Das In co g n i to . E rst e F a ss u n g
5
10
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Narr: Wenn noch das Lämpchen glüht! |: Er faßt den Gymnasiasten begeistert bei der Hand :| Und für alle diese Tugend Will die edelmüth’ge Jugend Rührend nichts, als Brodt, Brodt, Brodt! Aber ich sage: wer auf Leben u. Tod Nur befolgt jene ewigen Lehren, Dem wird man auch Butter zum Brodt bescheeren, /Ha!/ Ja, schmiere nur, junges Blut, Im Alter schmeckt es gut! |: Unauslöschliches Hurrah :| Paphnutius. Woll’t Ihr mit hohem Fuß mein niedres Haus beglücken?
15
60v/!5."
Narr. Ja wohl, Paphnutius, ich möchte gern frühstücken. |: Alle ab :|
3te Scene. |: Garten, im Hintergrunde ein Schloß mit Balkon. Narr tritt mit Kron u. Szepter auf den Balkon :|
20
25
Das ist des Paphnutius Schloß u. Garten, Der neigt sich im Winde, mir aufzuwarten, Und das ist des Königs Szepter u. Kron’, So tret’ ich hinaus jetzt auf den Balkon, Um mich frühmorgens dem Lande zu zeigen. – Wer thut denn da so mühsam steigen Mit langem Bart u. Pilgerhut? /Aha/ Das ist der König, ich kenn’ ihn recht gut.
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5
D as In co g n ito . E rst e F a ss ung
König. |: im Garten :| Genug bin ich nun in die Hütten gekrochen, Da war es schmutzig u. hat übel gerochen, Nun will ich an die Palläste pochen. Da steht ja gleich einer. |: er pocht an die Schloßthür :|. Narr. Herein!
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15
20
König. Das wird wohl ein weitläufiger Vetter seyn. Die Reiche sind hier zu Lande so klein, Da bin ich in Gedanken gewiß in die Staaten Eines fremden Potentaten gerathen. Narr. Was ist das da unten für eine Art, Kommt man zu Hofe so mit zerzaustem Bart? König. Ich bin ein Weiser, der die Welt betrachtet Und ihre Eitelkeit verachtet. Aber sag’ – es wundert mich lange schon – Was zeigst du dem Volk dich auf dem Balkon, Wenn sie noch alle in den Federn liegen? Narr. Das ist so mein Privatvergnügen.
25
König. Mir scheint, du bist noch nicht recht gescheute Und brauchst bei Hofe weise Leute.
Das In co g n i to . E rst e F a ss u n g
5
431
Narr. Hab’ meinen Narrn weggejagt erst heute, Das war ein Mensch zum Entzücken! Du kannst nun in seine Stelle rücken. Da geh’ nur herein zum Paphnutius Und meld’ ihm meinen königlichen Beschluß. König |: in’s Schloß gehend :| Ich hab’ keinen Wechsel mehr – eine harte Nuß!
10
15
60r/6.
20
25
Narr: Was ist denn das da im Morgenschimmer? Wahrhaftig ein prächtiges Frauenzimmer! Heda, pst, pst, du Affengesicht, Dreh’ dich doch um – sie hört mich nicht. Hier schwebt Fortuna aus den Gebüschen, Ich muß nur schnell sie beim Haarzopf erwischen! |: ab :| Philis |: erscheint wandelnd im Garten :| Ach, ich kann es nimmer vergeßen, Daß ich den Kasper einst beseßen! Ich war noch in der Pension, Da pflegt’ er Nachts als Musensohn Unter’m Fenster die Laute zu schlagen, /ein Rad zu schlagen,/ Kam als Doctor mit Mantel u. Kragen, Wenn ich mir hatt’ verdorben den Magen, Schurrt’ kohlschwartz mit Besen u. Leiter Herab durch den Schornstein u. so weiter – Und jetzt ist er gantz verschollen Und mein Gesicht vom Weinen geschwollen. Paphnutius |: rasch hervortretend :| Hast du ihn gesehn? – jeder Zoll ein König!
30
Philis. Bester Herr Vormund, das kümmert mich wenig.
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5
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D as In co g n ito . E rst e F a ss ung
Paphnutius. Aber du hast ihm doch gefallen, Er winkte u. ließ sichtbar ein Ach erschallen, /u. hat sichtbar ein Ach gegackelt,/ Daß ihm die Krone vom Kopfe gefallen. /auf dem Kopfe gewackelt./ Kurtz: ich sage dir’s unverhohlen, Du sollst u. mußst den König lieben, Erst so mit Blicken halbverstohlen, Seinen Namenszug in die Luft geschrieben – Er ist die beste Parthie im Lande. Mit deinem Kasper, s’ ist eine Schande! Hat nicht ein Leutnantstraktament zu verzehren, Wer will euch da das Erhungern verwehren? Ich sah ihn nie, aber solchen Vagabunden Hat man in jedem Rinnstein gefunden. Philis. Eher soll man lebendig mich schinden, Als dem Kasper untreu befinden! |: ab :|.
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25
Paphnutius. Geh nur, ich zwing’ dich zu deinem eignen Lüstre, Dann werde ich selber Premier=Minister, Und kann für den König den Szepter schwingen. |: Narr tritt aus dem Schloße :| Da lauft er von selbst mir in die Schlingen! /thut in’s Garn mir springen!/ Narr. Da renn’ ich ja wie gerufen /recht à propos/ an die Nase Des Herren Vormunds der schönen Base!
30
Paphnutius. Aha, er schwärmt – von jeher beliebten So mit sich selbst zu reden die Verliebten.
Das In co g n i to . E rst e F a ss u n g
433
Narr. |: zu Paphnutius :| Das ist meine Lust, im Promeniren Mit Weisen vernünftig zu diskuriren. – Hab’t Ihr schon in der Zeitung gelesen, Wie der König beflißen gewesen, 5 61r/7. Den alten Sauerteig umzurühren Und die Aufklärung einzuführen, Runkelrüben u. Menschenbeglückung? 10
Paphnutius. Ja wohl, mit unterthän’ger Entzückung.
15
Narr. Die Liebe gehört auch so in das Fach: Ein murmelnder Bach, einer Hütte Dach /Ein Ach, ein Bach, einer Hütte Dach/ Und zweier zärtlicher Hertzen Vereinung – Paphnutius. Bin gantz derselben hohen Meinung.
20
Narr. Drum mach’ ich mir auch gar nichts draus, Daß ich ein armer Lump von Haus Und ohne Haus – Paphnutius. O, ich verstehe, Und in der Liebe auf’s Hertz nur sehe.
25
Narr. Was ist das Geld, wenn ich’s recht betrachte? /!/ Paphnutius. Ha, wie ich diesen Mammon verachte!
434
D as In co g n ito . E rst e F a ss ung
Narr. Kurtz: kann ich Euere Base kriegen? Paphnutius. Sie soll an’s klopfende Hertz Euch fliegen. 5
Narr. Laß’t Euch embraßiren, Schwiegerpapa! Paphnutius. Das geht ja gantz vortrefflich, Saßa! |: beide ab :|. IV.
10
15
20
25
|: Platz vor dem Schloß des Paphnutius, man hört drinn Hochzeitsmusik. Colombine |: i. e. Phylis :| mit einem Tamburin kommt aus der Schloßthür :|
Colombine. Wie sie zur Hochzeit drinn kochen u. braten! Ich soll den ledernen König heirathen, Im güldenem Mantel mit Szepter u. Krone, Da lacht’ ich halbtodt mich auf dem Throne; Unterthanen tantzen, die Fiedeln klingen, Bin noch so jung, will auch mit springen! Die Vögel singen u. die Linden blühn, Die Erde bleibt noch lange lange grün, Will in die weite weite Welt jetzt wandern, Find’ ich den Kasper nicht, find’ ich einen andern, Wo ist meine Braut? wird der König fragen, Die Waldvöglein wißen’s, die werden’s nicht sagen. |: Sie sieht sich um :| O wie schön die Kirschen im Sonnenschein! Das möcht’ so gerne gegeßen seyn. Da muß ich geschwind noch ein wenig naschen
Das In co g n i to . E rst e F a ss u n g
435
Und auf die Reise mir füllen die Taschen. |: sie steigt auf den Kirschbaum :| 61v/8. 5
|: Paphnutius mit sämmtlicher Dienerschaft stürtzt in voller Flucht aus dem Schloße :|
Erster Diener. Der Weltweise richtet mich gantz zu Grunde! Zweiter. Hängt ihm alleweil ein’ Sentenz aus dem Munde.
10
Dritter. Vor Langerweile sterbe ich schon! Vierter. O Gott, da hält er dir gewiß noch einen Leichensermon. Fünfter: Da kommt er schon wieder, wohin mich verstecken!
15
Sechster: Wie er seine Sprüche thut nach uns strecken! Paphnutius: Er jagt mir wahrhaftig das gantze Haus Mit seinen Sentenzen zum Hause heraus!
20
König |: heraustretend :| Nun aber wend’ ich mich !Textlücke" zum Schluß – Paphnutius. Wendet Euch nur dorthin, wenn’s schon durchaus seyn muß.
25
König. Integer vitae, sagen die Alten.
436
D as In co g n ito . E rst e F a ss ung
Alle. Das ist ja gar nicht auszuhalten! |: Colombine wirft sie vom Baume immerfort mit Kirschkernen :| 5
König. Sie sagen ferner – wer ist denn so ungezogen? Da ist mir ein Kirschkern in den Bart geflogen! Erster Diener. Schäm’t Euch, schimpft Andre, u. macht’s selbst nicht beßer.
10
Paphnutius. Mir auch – der war’s – den Respekt nicht vergeß’ Er! Zweiter. Jetzt hier – wirst du mich noch einmal schnellen, So geb’ ich dir eine tüchtge Maulschellen!
15
König. Schon wieder – beim Zeus, das wird nicht gut! Ich hab’ mich so lange zu faßen geruht, Jetzt überfällt mich tyrannische Wuth! |: Allgemeine Prügelei :|
20
Narr |: aus dem Schloß tretend :| Was ist denn das für eine Konfusion? |: Alle weichen schnell auseinander :|
Paphnutius. O Nichts, wir machen uns nur etwas Motion.
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Zweite Fassung
438
439
54r/1.
5
Das Incognito oder die lange Nase. Ein Puppenspiel. I. |: Freies Feld. König mit Krone u. Szepter, u. Narr treten rasch auf :|
10
König. Nimmt denn die Erde kein End’ einmal! Das Reisen ist mir schon gantz fatal. Giebt’s denn nichts Neues? kein Krieg, kein Kurier? Narr. Die Welt schmaucht ihr Pfeifchen beim Glase Bier.
15
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König. Du wirst auch schon jetzo recht ennüyant, Jemehr du kommst zu Jahren u. Verstand. Narr. Man hat nichts voraus mehr mit seinen Gaben, Seit alle Narren Gewerbfreiheit haben. |: Man hört einen Kanonenschuß in der Ferne :| König. Ha, Narr, sag’ an, was ist das gewesen?
440
Das In co g n i to . Z w e it e F a s s ung
Narr Vaterlandsliebe u. Gemeindeweesen, Sie können den Patriotismus nicht mehr halten, Sie sahen vom Thurme uns dort, u. knallten. 5
10
15
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25
König. Wahrhaftig, schon wieder eine Stadt! Ich wette, da giebt’s wieder die alte Geschichte: Weiße Mädchen u. schwartzer Magistrat, Gute Leute u. schlechte Gedichte, Entsetzlich’ Geschrei, das man Vivat nennt – Das halt’ der Teufel aus, Gott’s Sapperment! Da werf’ ich von mir Kron’, Szepter u. Talar, Will auch ein Mensch seyn gantz u. gar, Laß’ die Chaußée gradaus immer laufen, Will im Wald vom Regieren verschnaufen. In diesen neuaquirirten Provintzen Sah noch Niemand weder König noch Printzen, Da sollen unschuldige Hirten Ungekannt ihren Herren bewirthen, Ich will auf Erden Um mein selbst geliebt u. geehret werden, Incognito schneiden in zarte Rinden Meinen Namen mit der Krone auf alle Linden, Daß einst die künft’gen Geschlechter lesen: Das ist ein philosophischer König gewesen ! |: ab :|
Narr. Da ist er durch Strauch u. Neßeln gebrochen, Als hätt’ ihn eine Bremse /Wespe/ gestochen. 54v/2. Hier liegt noch Kron’, Szepter, das freut mich nicht wenig, Macht er den Narrn, so mach’ ich den König. 30 |: er schiebt Kron u. Szepter in den Schubsack u. singt :| O kluge, kluge Welt, wie fein Deine Schellenkappe klinget,
Da s In co g n i to . Z w ei te F a s su n g
441
Kluge Welt, sollst mein Hofnarr seyn, Fang’ an deine lustigen Sprünge! |: ab :|. II. 5
|: Platz am Thore einer kleinen Stadt, viel Volk durcheinander, Paphnutius, u. der Bürgermeister. :|.
Bürgermeister. Platz da! der Herr Kommerzienrath!
10
15
20
25
Paphnutius. Nun, wie ich Euch sage, der Potentat Kommen incognito in die Stadt Gleichwie ein Hirt unter seinen Rindern Zu den geliebten Landeskindern. Bürgermeister. Da wird man ja gantz im Kopfe verwirrt, Rinder, Hirt, König u. Hirt u. nicht Hirt, Als wär’ ich selber meine eigne Frau Schwester! Paphn: Das nennt man so diplomatisch, mein Bester: |: Der König nennt Graf sich u. lächelt ein wenig :| / Wir aber verneigen uns unterthänig/ Und lächeln u. thun, als ob wir’s glauben, Er thut, als glaubt’ er, daß wir’s glauben, Und so aus Lächeln u. solchem Glauben Und Gegenglauben, an den niemand glaubt, Bestehen die Staaten überhaupt. – !Textverlust"
442 55v/4.
Das In co g n i to . Z w e it e F a s s ung
Gymnasiast: Greif’ Dir im Fluge die Adler, sie reißen – Narr: Ha, den schwartzen, den rothen, den weißen!
5
Gymnasiast: Auf zu den Sternen dich aus dem Engen! Narr: Es bleibt dir einer im Knopfloche hängen! Gymnasiast:
10
Ja, nicht vergebens – Narr: Freut euch des Lebens! Gymnasiast: Manneskraft blüht!
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Narr: Wenn noch das Lämpchen glüht! |: Er faßt den Gymnasiasten begeistert bei der Hand :| Und für alle diese Tugend Will die edelmüth’ge Jugend Rührend nichts, als Brodt, Brodt, Brodt! Aber ich sage: wer auf Leben u. Tod Nur befolgt jene ewigen Lehren, Dem wird man auch Butter aufs Brodt bescheeren, Ha!, schmiere nur, junges Blut, Im Alter schmeckt es gut! |: Unauslöschliches Hurrah :| Paphnutius. Woll’t Ihr mit hohem Fuß mein niedres Haus beglücken?
Da s In co g n i to . Z w ei te F a s su n g
443
Narr. Ja wohl, Paphnutius, ich möchte gern frühstücken. |: Alle ab :| 56r/5. 5
10
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III. |: Rasenplatz vor einem Dorfe. Bauernhochzeit. Tantz u. Gesang :|
Reigen: Wir dampfen Im Stampfen, Und nimm es nicht krumm, Dein Bengel Mein Engel, Der schwenkt dich herum. König |: der sich lustwandelnd nähert :| Ach, ein buckolisches Vergnügen, Zwei Hertzen, die einander kriegen! |: Ein Bursch u. ein Mädchen treten rasch aus dem Tantz :| Er. Du sollst nicht nach den Burschen schaun!
20
Sie. Und du nicht nach den jungen Fraun! Er. Ich laß’ mich unter die Soldaten werben! Sie. Ich werd’ drum nicht als Jungfer sterben.
444
Das In co g n i to . Z w e it e F a s s ung
König. Die zanken ja recht grob u. laut, Wer bist du, holdes Kind? 5
Sie. Die Braut. König. Braut? Du? Ey, ey, – ha ich verstehe – Ein harter Vater – gezwungne Ehe – Du kannst den Jüngling dort nicht lieben?
10
15
Sie. Warum nicht? hat ’nen hübschen Hof da drüben, Drei bunte Küh u. ein fettes Schwein. König. Ach, das ist ja gantz gemein. Hymen, nur Seele an Seele reiht er – Sie. Da kommt der Vater, mit dem gakelt weiter. |: lauft fort :| König |: zum Vater :| Hört, aus der Parthie wird nichts, ihr Herrn!
20
Vater. Oho, ein fremder Lustigmacher, Die wittern den Hochzeitsbraten von fern. König. Zärtliche Hertzen, sie sind nicht zum Schacher.
56 25 v/6.
Vater. Zu schachern? Topp, Jude! heut kauf’ ich gern!
Da s In co g n i to . Z w ei te F a s su n g
König. Des Starrkopfs Tücken hier will ich wandeln. Ein Bauer. Wie? mit Kopfstücken will er handeln? 5
König. Ja, ich verlange höh’re Gesittung – Vater. Was! u. darüber verlangt er noch Quittung? König.
10
Hoch in der Luft – Bauer. Wo? König. Walten u. schlummern – Vater.
15
Wo siehst du Nummern? König. Was denn? – 20
Bauer. Bei Gott, da kommen sie an! Bauern u. Täntzer |: plötzlich nach allen Seiten auseinanderstiebend :| Die Nummernjäger! rett’ sich wer kann!
445
446
Das In co g n i to . Z w e it e F a s s ung
König. Was kommt denn da für ein entsetzlich Schnattern? Die Luft wird dunkel, Papiere flattern. |: Fliegende Hefte im Wind, hinterdrein die Nummern=Jagd :| 5
10
15
1ster Jäger. Das ist fürwahr jetzt ein unruhig Wetter, Der Wind verwirrt uns die zahmsten Blätter. Oberjägermeister. Das müßige Volk da hat auch noch Zeit Zu Narretheien u. Lustbarkeit! Nur zu, nicht rechts u. nicht links geblickt, Gestoßen, gehascht u. aufgespikt, Der hohen Bestimmung nicht vergeßen! 2t Jäger. Das ist einmal ein Acktenfreßen! 3t Jäger. Da seht, ein kapitales Stück, An die zweihundert Folien dick!
57r/7. 20
König. Halt, halt! ich seh’s an den Dintenfäßern, ’Sind meine Leut’, die die Welt verbeßern. Oberjägerm: Wer ist allhier denn so verwegen, Sich dem Geschäftsgang in den Weg zu legen?
25
1t Jäger. Gewiß ein Poet, so ein Allotrientreiber. Seyd nützlich, Mensch, engagirt euch als Schreiber.
Da s In co g n i to . Z w ei te F a s su n g
447
König. Aber so hör’t doch – ein Hertz bricht vor Leid, Ein tirannischer Vater, /Tyrannischer Zwang,/ der zum Himmel schreit – 5
10
Oberjägerm: Ach was da, wir haben keine Zeit! Die Andern. Platz hier, halt’ das Gemeinwohl nicht auf! Für König u. Vaterland, hurrah, frischdrauf! |: sie stürmen weiter :| Ein Bauer |: steckt den Kopf vorsichtig aus dem Gebüsch hervor :| Ich trau noch nicht recht, ist’s wieder vorüber?
15
König. Aber was war denn das eigentlich, mein Lieber? Das trampelt ja über Beete u. Saat –
20
Bauer. Man nennt das hier zu Lande den Staat, Das pflegt so manchmal heraufzurucken Wie Hagel u. andre Kalamität, Man muß sich eben ein wenig ducken, Und nur nicht mucken, es kommt u. geht, Und bleibt am Ende alles beim Alten.
25
König. Ich glaube, ihr seyd hier alle verdreht, Ich kann vor Verwundrung den Kopf noch nicht halten.
448
Das In co g n i to . Z w e it e F a s s ung
Reigen |: wieder hervorbrechend :| Jezt hampelt Und trampelt Von frischem herum! 5
10
57v/8. 15
20
25
König. Und auch der Tantz da, das wilde Schwenken, Gar keine Grazie in den Gelenken! Reigen. Wer schwatzt da? He Platz da! Wir rennen dich um! |: Der König wird tantzend von der Bühne gedrängt :| IV. |: Garten, im Hintergrunde ein Schloß mit Balkon, von dem Stufen herabführen. Narr tritt mit Kron u. Szepter auf den Balkon. :|
Narr. Sonne u. Könige laßen nicht warten. Das ist des Paphnutius Schloß u. Garten, Und das ist des Königs Szepter u. Kron’, So tret’ ich hinaus jetzt auf den Balkon, Um mich frühmorgens zu zeigen dem Lande. – Wer kommt denn da in weitem Gewande, Mit Pilgerhut u. langem Gesicht? Wahrhaftig, der König! – er erkennt mich nicht.
Da s In co g n i to . Z w ei te F a s su n g
5
König |: im Garten :| Genug bin ich nun in die Hütten gekrochen, Da war es schmutzig u. hat übel gerochen, Nun will ich an die Palläste pochen – Da steht ja gleich einer |: er klopft an die Schloßthür :| Narr. Herein.
10
15
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König. Das wird wohl ein weitläufiger Vetter seyn. Die Reiche sind hier zu Lande so klein, Da bin ich im Gedanken gewiß in die Staaten Eines fremden Potentaten gerathen. Narr. Was ist das da unten für eine Art! Kommt man zu Hof so mit langem Bart? König. Ich bin ein Weiser, der die Welt betrachtet Und ihre Eitelkeit verachtet. – Aber sag’t doch einmal, es wundert mich schon, Was zeigt Ihr dem Volk Euch auf dem Balkon Wenn sie noch alle in den Federn liegen? Narr. Das ist so mein Privatvergnügen.
25
König. Mir scheint, Ihr seyd hier nicht recht gescheute Und braucht bei Hofe weise Leute. Narr. Da will sich’s ja eben vortrefflich schicken, Dir hängt ein recht stattlicher Zopf im Rücken.
449
450
Das In co g n i to . Z w e it e F a s s ung
König. Was, mir? Zopf?
5
Narr. Sollst mein Hofphilosoph seyn, Da geh’ nur in den Pallast hinein Und meld’ dich beim Herrn Paphnutius. König. Schon wieder ein Thor, den ich heilen muß! |: geht in das Schloß :|
62 10 r/9.
15
Paphnutius. |: erscheint unten hinter einem Gebüsch :| Er wacht schon in Regierungs=Sorgen. Narr. Ha, wer mir könnt’ einen Tubus borgen! Dort schweift ein Mädchen durch den Morgen, Ich kann vor dem Gesträuch nichts sehn Als ihren Nacken, u. der ist schön.
25
Paphnutius. Schön? Nacken? – Ja bei Gott, meine Base Setzt promenirend ihn in Extase! – Da blitzt mir ein Gedanke durch den Sinn – Wie? wenn er – jetzt visirt er schon wieder hin – Die Garden präsentiren zum Hochzeitstanz, Ich Schwiegervater des Vaterlands – Gantz kirschbraun schon vor Begeisterung ist er – Elephantenorden – Premier=Minister! –
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Colombine |: tiefer im Garten singt :| Pensionsanstalt, wie liegst du so weit, Langweilige Zeit! Vor der Anstalt an der Linde Kräht’ mit jedem Morgenwinde
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Da ein Hahn mich aus dem Traume – S’ war mein Kasperl auf dem Baume.
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Narr. Diese Töne – mir wird, ich weiß nicht wie – Giek’, rück’, weiß’ Genick, giek’ – Kickeriki! Kiek’, Friedericke, Ricke, Kickeriki! Paphnutius. Was ist denn das? wahrhaftig, jetzt kräht Und reckt er den Hals als wie ein Hahn. Die Lieb’ hat ihm den Kopf verdreht, Das geht nicht gut, ich red’ ihn an. Colombine singt: Mit Rosinen u. Mandelkern, Die eß’ ich so gern, Warf vom Baum mich der Erwähnte, Wenn ich mich am Fenster dehnte – Und nun hat er sich verlaufen, Muß mir selbst die Mandeln kaufen. Narr. Ha! O! Bring’ mich nicht zum Flennen! /Ha! O! Sie ist es, nicht zu verkennen!/ Da muß ich nur gleich herunterrennen! |: Er stürtzt in den Garten hinab u. prallt mit Paphnutius zusammen :| Ha wie gerufen! – Sag’t auf Ehre u. Pflicht, Seyd ihr hier auch auf die Aufklärung erpicht, Runkelrüben u. Menschenbeglückung? – Paphnutius. Ja wohl, mit unterthän’ger Entzückung.
452 62v/!10."
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Narr. Nun gut, die Lieb’ gehört auch in dieß Fach: Ein Ach, ein Bach, einer Hütte Dach Und zweier zärtlicher Hertzen Vereinung – Paphnutius. Bin gantz derselben hohen Meinung. Narr. Drum mach’ ich mir auch gar nichts draus, Ob meine Braut aus einem alten Haus, Ob mir vom Freiersfuß die Zehe Aus dem Stiefel guckt – Paphnutius. O ich verstehe Und in der Lieb’ auf’s Hertz nur sehe!
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Narr. Was ist Geld, Hof, Rind, Kälber, wenn ich’s recht betrachte! Paphnutius. Ha, wie ich diesen Mammmon verachte!
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Narr. Kurtz: kann ich Euere Jungfer Base kriegen? Paphnutius. Sie soll an’s klopfende Hertz Euch fliegen. Narr. Laß’t Euch embraßiren, Schwiegerpapa!
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Paphnutius. Das geht ja gantz vortrefflich, Saßa! |: Beide unter heftigen Umarmungen ab :|
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V. |: Garten, in der Mitte ein Kirschbaum mit Hecken zu beiden Seiten. Colombine, eine Larve im Gürtel, sitzt auf dem Baume :|
Colombine. Die Kirschen äugeln im Sonnenschein, Das möcht’ so gern gegeßen seyn. Da muß ich geschwind noch ein wenig naschen Und auf die Reise mir füllen die Taschen. – Wie der Vormund sich streckt u. vornehm spricht, 10 Die Narren denken, ich merk’ es nicht: Zur Hochzeit sie drinnen kochen und braten, Ich soll den langweiligen König heirathen, Sitzen mit güldenem Mantel u. Krone, Da lacht’ ich halbtodt mich auf dem Throne. 15 Die Unterthanen tantzen, die Fiedeln klingen, Hab’ neue Schuh an, will auch mit springen! Die Vögel singen u. die Länder blühn, Die Erde bleibt noch lange lange grün, Will in die weite Welt jetzt wandern, 20 Find’ ich den Kasper nicht, find’ ich einen andern, 64r/!11." Draußen die Larve dann vor’s Gesicht, Nur die Waldvöglein wißen’s, die verrathen mich nicht. – O weh, da hat mich der Vormund entdeckt! – Was wollt Ihr? hab’t Ihr mich doch erschreckt! 25 5
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Paphnutius |: gantz außer Athem :| Der König – du geruhtest ihm zu gefallen – Er seufzt u. ließ sichtbar ein Ach erschallen, Die Krone wackelt ihm hin u. her, Da kommt er hergeflogen schon –
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Colombine. Der?! 5
|: für sich :| Herr Je! der Kasperl mit Stern u. Orden! Wie ist denn der aufeinmal König geworden?
Narr |: in der Ferne :| Hier sah ich schimmern ihres Röckleins Zipfel, Ich wett’, das Eichkätzchen sitzt im Wipfel. 10
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Paphnutius. Aha, er schwärmt – von jeher beliebten Mit sich selbst so zu reden die Verliebten. Colombine |: für sich :| Wie’n Kartenkönig! wart’, die will ich necken. |: laut zu Paphnutius :| Versteckt Euch geschwind dort hinter die Hecken, So hört Ihr, was wir mitsammen diskuriren, Könnt’s Euch gleich mit Bleistift notiren. Narr. Verzeihn Sie, wohnt hier nicht eine gewiße Colombine?
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Colomb: |: rasch die Larve vornehmend :| Das bin ich selber, Ew: Majestät zu dienen. Narr. Was? hast ja eine Nase wie eine Hexe!
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Col:. Man muß Gott danken für jedes Gewächse. |: sie wendet sich auf die andre Seite u. nimmt die Larve ab :| Herr Vormund, er mag mich nicht, wie er spricht, Denn Eure Nase gefällt ihm nicht.
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Paphnutius. Ach, das kann ja nicht seyn, geh, frag’ ihn nur weiter. Col: |: nach der andern Seite, die Larve vor :| Ihr könn’t wohl nicht klettern? hab’ keine Leiter. 5
Narr. Geh’, sprichst durch die Nase, mir wird gantz graulich. Col: |: nach der andern Seite, Larve ab :| Herr Vormund, er sagt, Eure Nase wär’ blaulich.
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Paphnutius. Was er mit meiner Nase hat, möcht’ ich nur wißen. Col: |: nach der andern Seite, Larve vor :| Ihr braucht mich ja nicht grade auf die Nase zu küßen. Narr. Küßen? das wär’ mir ein schöner Schmauß! Am besten, ich nehm’ allhier Reißaus. Paphnutius |: plötzlich mit gezücktem Degen hervorbrechend :| Ha Falscher! ihr Hertz erst brechen in Stücken Und dann vor den Scherben sich heimlich drücken? Steh’t, oder ich stech’ Euch in den treulosen Rücken! Jetzt müßt Ihr sie nehmen, ihre Ehr’ repariren! Narr. Mit der Pritsche will ich die Nase pariren! |: Er zieht seine Pritsche; beide jagen einander im Kreise herum. Währenddeß stürtzt die Dienerschaft des Paphnutius in voller Flucht aus dem Schloße hervor :|
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Erster Diener. Der Weltweise richtet uns gantz zu Grunde! Zweiter. Hängt ihm alleweil ein’ Sentenz aus dem Munde. 5
Dritter. Vor Langerweile sterbe ich schon! Vierter. O Gott! da hält er dir gewiß noch einen Leichensermon.
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Fünfter. Da kommt er schon wieder, wohin mich verstecken! Sechster. Wie er seine Sprüche thut nach uns strecken! König |: heraustretend :| Nun also wende ich mich zum Schluß –
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Erster. Wend’t Euch nur dorthin, wenn’s durchaus seyn muß. Paphnutius. Der König macht gantz besondre Kapriolen, Ich kann ihn schlechterdings nicht einholen.
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Narr. Ich theile in der Hitze des Gefechts Streiche im Fluge aus links u. rechts. Colombine. Fällt einer über des Andern Bein, Ich feure vom Baume mit Kirschkernen drein.
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Erster Diener. Wer schlägt denn da? das ist recht ungezogen! Zweiter. Da ist mir ein Kirschkern in den Bart geflogen. Dritter.
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Jetzt wieder – du warst’s. Vierter. Nein, der da. Fünfter. Gelogen!
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58r/13.
König. Integer vitae, sagen die Alten – Alle. Das ist ja gar nicht auszuhalten!
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|: Allgemeine Prügelei, während welcher dem Könige der Mund geknebelt wird. Plötzlich Trompetenstoß, alles steht aufeinmal still, u. General mit Soldaten tritt auf :|
General. Die bewaffnete Macht thut Gehör verlangen: Der König ist neulich verloren gegangen, Die hohen Behörden sind sehr erschrocken, Die Regierungsmaschine kommt gantz in’s Stocken, Da sandte das königliche Geschwister Mich aus, ihn aufzusuchen – das ist er! Alle. Was? wie? wo? welcher denn? der, der, der, der?
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General. Freilich. – Gebt Achtung, präsentirt das Gewehr!
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Narr. Die Garde wirft die Augen rechts, als müßt’ sie Den Kirschbaum salutiren dort – das ist sie! |: Er rennt vergnügt zu dem Kirschbaum, schüttelt u. singt :| Es schüttelt der Wind Vor !Textlücke" die Aeste, Bunt Vöglein, geschwind Zu Neste, zu Neste! |: Colombine gleitet vom Baume ihm in den Arm, er küßt sie :|
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Colombine |: ihm mit dem Pantoffel eins versetzend :| Aber so sei doch nicht so dumm, Es sieht’s ja das gantze Publikum! Paphnutius |: herzulaufend :| Ich glaube gar, das ist der Wicht – Colombine.
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|: nimmt rasch die lange Nase aus dem Gürtel u. steckt sie dem Paphnutius vor :|
Die steht ihm prächtig zu Gesicht, Und wem sie paßt der merkt sie nicht. 25
Narr |: Colombinen vor dem Könige niedersetzend :| Wir thun hier einen Fußfall jetzo, um – König. Hum, hum. Narr. – Anjetzo, um –
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König. Hum, hum.
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Narr. Ihr hab’t wohl Colombinens Nase verschluckt? – Macht einmal einen Sprung, vielleicht daß es ruckt, Damit ich kann meine Rede halten. König. |: macht ein Entrechat, dann plötzlich :|
Ruhr – Aufruhr, Spitzbuben – sagen die Alten, 5810v/14. Scelerisque purus, Hallunken – Narr. Gott’s Wunder! Das ist ja als riße ein Sack voll Plunder! 15
König |: sich den Schweiß trocknend :| Der Knebel hatt’ mir’s in der Kehle versetzt, Da fuhr alles aufeinmal heraus anjetzt. Narr. Ah so – nun, seid Ihr jetzt fertig?
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König. Ja wohl, u. deines Gesuches gewärtig. Narr |: thut mit Colombinen einen Fußfall :| So schrey ich denn allhier zum Throne: Ha, dem Verdienste seine Krone! Paphnutius da, bei dem ich wohne –
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König. Der hat eine absonderlich würdige Nase!
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Paphnutius. Schon wieder Nase –
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Narr. Ja, diese Base, In patriotischer Sympathie Für Deine veredelten Menschheits=Gedanken, Gab er sie mir aus Philosophie! Ich litt’s erst nicht u. wollte danken, Ich sagt’ ihm, ich wär’ nur ein Genie, So ein verlaufener Taugenichts, Landstürtzer, Lump – half alles nichts! Er verachtet’ Rang, Geld u. dergleichen Aberglauben Und thät’ ordentlich vor Aufklärung schnauben – Ja, ein Kuppelpeltz ziemt ihm, wie mir scheint. Paphnutius. Nein, glaubet ihm nicht – es war nur – ich meynt’ – König. Nicht doch, Deine Bescheidenheit acht’ ich sehr – Einen Ehrenpeltz mit Zymbeln her! |: Diener bringen den Peltz :| Den häng’ ich Dir um mit höchsteignem Arm, Knöpf’ dir ihn zu, so sitzst du hübsch warm. |: Des Narren u. Colombinens Hände zusammenfügend :| Da hab’t euch u. mehret euch jedes Jahr, Daß die Narren im Reich’ nicht werden rar. Musik, zu Ehren dem jungen Paar! |: Musik. Narr erwischt den Paphnutius, der General die Colombine; allgemeiner Tantz, während des Tantzes singen :| Colombine. Fort, Königskertzen u. Kaiserkronen! Will mit Kasperl unter Lavendel wohnen.
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Paphnutius. Ich muß vor Wuth entsetzlich springen, Daß der Peltz fliegt u. die Zimbeln klingen! 5
Narr |: zum Publikum :| Und dachtet ihr, s’ würd’ was Kluges /Klügres/ draus, So zieht mit langer Nas’ nach Haus! |: Der Vorhang fällt :|
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Dritte Fassung
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85r/a. Puppenspiel: |: Das Incognito, oder die mehreren Könige – oder Alt u. Neu :|. 54r/1.
!Erster Akt" I.
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|: Freies Feld. König mit Krone u. Szepter, u. Narr treten rasch auf :|
König. Nimmt denn die Erde kein End’ einmal! Das Reisen ist mir schon gantz fatal. Giebt’s denn nichts Neues? kein Krieg, kein Kurier? Narr. Die Welt schmaucht ihr Pfeifchen beim Glase Bier.
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König. Du wirst auch schon jetzo recht ennüyant, Jemehr du kommst zu Jahren u. Verstand. Narr. Man hat nichts voraus mehr mit seinen Gaben, Seit alle Narren Gewerbfreiheit haben. |: Man hört einen Kanonenschuß in der Ferne :|
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König. Ha, Narr, sag’ an, was ist das gewesen? Narr Vaterlandsliebe u. Gemeindeweesen, Sie können den Patriotismus nicht mehr halten, Sie sahen vom Thurme uns dort, u. knallten.
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König. Wahrhaftig, schon wieder eine Stadt! Ich wette, da giebt’s wieder die alte Geschichte: Weiße Mädchen u. schwartzer Magistrat, Gute Leute u. schlechte Gedichte, Entsetzlich’ Geschrei, das man Vivat nennt – Das halt’ der Teufel aus, Gott’s Sapperment! Da werf’ ich von mir Kron’, Szepter u. Talar, Will auch ein Mensch seyn gantz u. gar, Laß’ die Chaußée gradaus immer laufen, Will im Wald vom Regieren verschnaufen. In diesen neuaquirirten Provintzen Sah noch Niemand weder König noch Printzen, Da sollen unschuldige Hirten Ungekannt ihren Herren bewirthen, Ich will auf Erden Um mein selbst geliebt u. geehret werden, Incognito schneiden in zarte Rinden Meinen Namen mit der Krone auf alle Linden, Daß einst die künft’gen Geschlechter lesen: Das ist ein philosophischer König gewesen ! |: ab :|
Narr. Da ist er durch Strauch u. Neßeln gebrochen, Als hätt’ ihn eine Bremse /Wespe/ gestochen. 25 v/2. Hier liegt noch Kron’, Szepter, das freut mich nicht wenig, 54 Macht er den Narrn, so mach’ ich den König. |: er schiebt Kron u. Szepter in den Schubsack u. singt :| O kluge, kluge Welt, wie fein Deine Schellenkappe klinget, Kluge Welt, sollst mein Hofnarr seyn, 30 Fang’ an deine lustigen Sprünge! |: ab :|.
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II. |: Platz am Thore einer kleinen Stadt, viel Volk durcheinander, Paphnutius, u. der Bürgermeister. :|.
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Bürgermeister. Platz da! der Herr Kommerzienrath! Paphnutius. Nun, wie ich Euch sage, der Potentat Kommen incognito in die Stadt Gleichwie ein Hirt unter seinen Rindern Zu den geliebten Landeskindern. Bürgermeister. Da wird man ja gantz im Kopfe verwirrt, Rinder, Hirt, König u. Hirt u. nicht Hirt, Als wär’ ich selber meine eigne Frau Schwester!
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Paphn: Das nennt man so diplomatisch, mein Bester: |: Der König nennt Graf sich u. lächelt ein wenig :| / Wir aber verneigen uns unterthänig/ Und lächeln u. thun, als ob wir’s glauben, Er thut, als glaubt’ er, daß wir’s glauben, Und so aus Lächeln u. solchem Glauben Und Gegenglauben, an den niemand glaubt, Bestehen die Staaten überhaupt. – !Textverlust"
25 v/4. 55
Gymnasiast: Greif’ Dir im Fluge die Adler, sie reißen – Narr: Ha, den schwartzen, den rothen, den weißen!
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Gymnasiast: Auf zu den Sternen dich aus dem Engen! Narr: Es bleibt dir einer im Knopfloche hängen! Gymnasiast:
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Ja, nicht vergebens – Narr: Freut euch des Lebens! Gymnasiast: 10
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Manneskraft blüht! Narr: Wenn noch das Lämpchen glüht! |: Er faßt den Gymnasiasten begeistert bei der Hand :| Und für alle diese Tugend Will die edelmüth’ge Jugend Rührend nichts, als Brodt, Brodt, Brodt! Aber ich sage: wer auf Leben u. Tod Nur befolgt jene ewigen Lehren, Dem wird man auch Butter aufs Brodt bescheeren, Ha!, schmiere nur, junges Blut, Im Alter schmeckt es gut! |: Unauslöschliches Hurrah :| Paphnutius. Woll’t Ihr mit hohem Fuß mein niedres Haus beglücken?
25
Narr. Ja wohl, Paphnutius, ich möchte gern frühstücken. |: Alle ab :|
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56r/5.
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III. |: Rasenplatz vor einem Dorfe. Bauernhochzeit. Tantz u. Gesang :|
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Reigen: Wir dampfen Im Stampfen, Und nimm es nicht krumm, Dein Bengel Mein Engel, Der schwenkt dich herum. König |: der sich lustwandelnd nähert :| Ach, ein buckolisches Vergnügen, Zwei Hertzen, die einander kriegen! |: Ein Bursch u. ein Mädchen treten rasch aus dem Tantz :|
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Er. Du sollst nicht nach den Burschen schaun! Sie. Und du nicht nach den jungen Fraun!
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Er. Ich laß’ mich unter die Soldaten werben! Sie. Ich werd’ drum nicht als Jungfer sterben.
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König. Die zanken ja recht grob u. laut, Wer bist du, holdes Kind? Sie. Die Braut.
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Das In co g n i to . D rit te F a s s ung
König. Braut? Du? Ey, ey, – ha ich verstehe – Ein harter Vater – gezwungne Ehe – Du kannst den Jüngling dort nicht lieben? 5
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Sie. Warum nicht? hat ’nen hübschen Hof da drüben, Drei bunte Küh u. ein fettes Schwein. König. Ach, das ist ja gantz gemein. Hymen, nur Seele an Seele reiht er – Sie. Da kommt der Vater, mit dem gakelt weiter. |: lauft fort :| König |: zum Vater :| Hört, aus der Parthie wird nichts, ihr Herrn!
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Vater. Oho, ein fremder Lustigmacher, Die wittern den Hochzeitsbraten von fern. König. Zärtliche Hertzen, sie sind nicht zum Schacher.
56 20 v/6.
Vater. Zu schachern? Topp, Jude! heut kauf’ ich gern! König. Des Starrkopfs Tücken hier will ich wandeln.
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Ein Bauer. Wie? mit Kopfstücken will er handeln?
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König. Ja, ich verlange höh’re Gesittung – Vater. Was! u. darüber verlangt er noch Quittung? König.
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Hoch in der Luft – Bauer. Wo? König. Walten u. schlummern –
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Vater. Wo siehst du Nummern? König. Was denn? – 15
Bauer. Bei Gott, da kommen sie an! Bauern u. Täntzer |: plötzlich nach allen Seiten auseinanderstiebend :| Die Nummernjäger! rett’ sich wer kann!
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König. Was kommt denn da für ein entsetzlich Schnattern? Die Luft wird dunkel, Papiere flattern. |: Fliegende Hefte im Wind, hinterdrein die Nummern=Jagd :|
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Das In co g n i to . D rit te F a s s ung
1ster Jäger. Das ist fürwahr jetzt ein unruhig Wetter, Der Wind verwirrt uns die zahmsten Blätter. 5
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Oberjägermeister. Das müßige Volk da hat auch noch Zeit Zu Narretheien u. Lustbarkeit! Nur zu, nicht rechts u. nicht links geblickt, Gestoßen, gehascht u. aufgespikt, Der hohen Bestimmung nicht vergeßen! 2t Jäger. Das ist einmal ein Acktenfreßen! 3t Jäger. Da seht, ein kapitales Stück, An die zweihundert Folien dick!
57 15 r/7.
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König. Halt, halt! ich seh’s an den Dintenfäßern, ’Sind meine Leut’, die die Welt verbeßern. Oberjägerm: Wer ist allhier denn so verwegen, Sich dem Geschäftsgang in den Weg zu legen? 1t Jäger. Gewiß ein Poet, so ein Allotrientreiber. Seyd nützlich, Mensch, engagirt euch als Schreiber.
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König. Aber so hör’t doch – ein Hertz bricht vor Leid, Ein tirannischer Vater, /Tyrannischer Zwang,/ der zum Himmel schreit –
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Oberjägerm: Ach was da, wir haben keine Zeit!
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Die Andern. Platz hier, halt’ das Gemeinwohl nicht auf! Für König u. Vaterland, hurrah, frischdrauf! |: sie stürmen weiter :| Ein Bauer |: steckt den Kopf vorsichtig aus dem Gebüsch hervor :| Ich trau noch nicht recht, ist’s wieder vorüber?
10
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König. Aber was war denn das eigentlich, mein Lieber? Das trampelt ja über Beete u. Saat – Bauer. Man nennt das hier zu Lande den Staat, Das pflegt so manchmal heraufzurucken Wie Hagel u. andre Kalamität, Man muß sich eben ein wenig ducken, Und nur nicht mucken, es kommt u. geht, Und bleibt am Ende alles beim Alten. König. Ich glaube, ihr seyd hier alle verdreht, Ich kann vor Verwundrung den Kopf noch nicht halten. Reigen |: wieder hervorbrechend :| Jezt hampelt Und trampelt Von frischem herum! König. Und auch der Tantz da, das wilde Schwenken, Gar keine Grazie in den Gelenken!
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5
68r/a.
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Das In co g n i to . D rit te F a s s ung
Reigen. Wer schwatzt da? He Platz da! Wir rennen dich um! |: Der König wird tantzend von der Bühne gedrängt :| IV. |: Kirch!h"of. Vor Tagesanbruch, im Felde. Man hört aus der Ferne Getöse, Lärm, u. zuweilen dazwischen Gesang herübertönen. Währenddeß ruckt u. hebt sich hier u. da der Boden :|
Kriegs=Gesang |: draußen :| Licht! Licht! Licht! Licht! Wie der Geist d!urch"bricht! Dem Menschengeist Verehrung! Ha! Auf! auf, auf – Biester. |: sich ungeduldig herauswühlend, duckt plötzlich mit der Schlafmütze auf dem Kopfe empor u. schreit :|
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Aufklärung! – Ich weiß nicht, ist mir noch so wüst /kurios/ im Kopf, Als hätt mich Jemand plötzlich erwischt beim Zopf. |: Er sieht sich nach allen Seiten um :| S’ ist aber da noch recht eklich /abergläubisch/ finster, Das sind gewiß so Jesuiten=Gespinster. Nicolai. |: noch im Boden :| Jesuiten? Ey, die soll! – |: sich emporreckend :| Philosoph noch ein jeder Zoll!
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Biester. Ah, Herr College, auch schon wach?
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10
Nicolai. |: sich die Augen reibend :| Mir war’s, der Zeitgeist kräht’ vom Dach. Ich hört’ unsre Stichwörter d!urch" die Luft fliegen, Da mag der Teufel länger im Grab liegen. Biester Die Herren Romantiker sagen, Sie hätten uns alle todtgeschlagen, Ja gehorsamer Diener! – Sebaldus Nothanker. |: auch ebenfalls aufduckend :| Gantz ergebenster Knecht. Biester. /Ey,/ Ih, unser würdiger Herr Magister, seh’ ich recht.
68 15 v/b.
Nothanker Geht’s wieder los? hab’ schnell schon meine Perücke genommen. Hatt’ da mein gutes Unterkommen.
67r/1.
Gesang |: draußen :| Nationen p. – Tand! Welt, mein Vaterland!
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Biester. Schon wieder! was soll das nur bedeuten? Das sind gewiß von unsern Leuten.
18 gutes ] gutes nicht gestr., darunter ruhig H
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Nicolai. Wachtfeuer – seh’s Sie dort den Schimmer? Fort, fort, dem Lichte nach, wie immer! |: Alle ab :|
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V. |: Vor Tagesanbruch. Freies Feld. Ralf, Kuntz u. andre Sol-
daten liegen um Wachtfeuer. Ein Offizier steht gedankenvoll im Vordergrunde, auf seinen Regenschirm gestützt :|. 10
Ralf. Vom Tage noch immer keine Spur. Kuntz. Was Wunder! wir stehn ja hier auf der Vorhut der Kultur. Ralf. Nur Nachtvögel d!urch" den Nebel jagen.
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Kuntz. Sie wittern’s ihr letztes Stündlein hat geschlagen; Wären sie nie geboren, ihnen wäre wohl. Offizier |: halb für sich :| Außen morsch, pfuy, pfuy, u. innwendig hohl!
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Soldaten |: singen in der Ferne :| Von der Welt die Freiheit verschwunden ist! Offizier. Frägst du nach Religion zu dieser Frist: Man nennt dir Mahomedaner, Juden, Christ –
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Soldaten singen: Man sieht nichts als Herren u. Knechte!
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67v/2.
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Offizier. Ha, bin ich denn allein hier der Gerechte? Weh! warum muß ich von allem Wehe wißen, Das mich, wie tausend Morde, hat zerrißen? Die Erde bis in den tiefsten Kern zerspalten – O unglückseel’ger Atlas, sie zu halten! Und nun fängt’s gar noch an zu regnen, Ha, auch noch dieß muß mir begegnen! |: Indem er verzweifelt den Regenschirm aufspannt, kommen Nicolai, Biester, Nothanker p. Er stößt sie auf die Seite u. schreitet tiefsinnig weiter :|
Nicolai. Ei seh’t doch, trägt eine Brille der Fant, Und hätt’ uns doch fast umgerannt! Ralf. |: sie anrufend :| Halt! Wer da? Etwa gar romant – ?
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Nicolai. Ih, daß uns doch Zeus davor behüte! Biester. Warum nicht gar noch Jesuite! Nicolai. |: noch immer entrüstet dem Offizier nachschauend :| Aber was war denn der Herr Lieutenant so echauffirt?
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Kuntz. Das kommt so, wenn man sich übermarschirt, Er hat wieder seinen Anfall von Weltschmertz, Das ist so eine neue Art von Heldschertz.
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Aber jetzt macht euch nicht so breit hier! Parol’ u. Feldgeschrey! wer seid Ihr?
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Nicolai. Weltbürger. Hörten im Feld euer Geschrei, Schien uns viel Verstand dabei, Da nahmen wir geschwind unsere Perücken, Um euch brüderlich die Hand zu drücken. Ralf. Wer ist denn die? – aus dem Fräuleinstift?
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71r/3.
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Biester. Es ist unsre blaue Monathsschrift, Etwas verblüht schon u. zerlesen, Dünn u. verschoßen, das liebe Weesen. Kuntz. So mach’t ihr doch eine neue Ode, So von Rococo, das ist jetzt wieder Mode. Die Blaue |: pikirt :| Frag’ nach Oden-Schneidern nichts, noch Dichtern. Ralf. Die Mamsell ist gar nicht schüchtern. Biester. Ihr Herrn, wir schliefen da unter den Bäumen, Da fiengen wir an, bedenklich zu träumen Mit allerhand Visionen u. Gesichtern – Ich sehe hier die Kaffeekanne schäumen, Wenn’s erlaubt ist – das macht hüsch nüchtern. |: Sie setzen sich alle um das Feuer zu den Soldaten :|
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Nicolai. Aber sagen Sie doch, verehrliches Corps, Was haben sie allhier denn eigentlich vor? 5
Ralf. Seh’n Sie dort drüben die alte Stadt Sich finster in die Dämmrung thürmen?
71v/4.
Nicolai. Ja, etwas finsterlich u. platt.
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Die wollen wir stürmen!
Ralf Biester. Da rath’ ich doch, vorsichtig u. bedächtig. Ralf. Ei was! Der Fortschritt ist allmächtig. 15
Kuntz. Das Große schafft sich selber Bahn. Nicolai. Aber was hat Ihnen denn die Stadt gethan?
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Ralf. /Dort/ Drinn wohnt die alte gute Zeit, Wir denken, u. sie eßen – das thut uns leid. Sie sitzen gähnend um ihre Fleischtöpfe, S’ ist eine Schande, u. tragen noch Zöpfe, Wir haben nichts u. sie sind reich, Wir überfallen sie u. machen Alles gleich! 6 Sich finster in die Dämmerung ] var. (a) Sich grau in die Dämmerung (b) Sich schläfrig ins Graue H
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Kuntz. Hör’t Ihr die Nachtigallen schlagen? es rauschen Die Springbrunnen /Fontainen/ in den Gärten – da lauschen Hinter ihren seidenen Gardinen im Schlummer Die Aristokraten u. werden immer dummer. Ralf. Wir laßen in den Gärten die verschnittnen Hecken Nach allen Seiten sich in die Freiheit strecken, Die Waßerkünste sollen wieder vernünftig fließen, Das Vieh tränken u. überrieseln die Wiesen. Biester |: entzückt :| Jeder wieder frei des eignen Kohles warten. Nicolai. |: ebenso :| Ja, Alles Ein Welt=Gemüsegarten!
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Ralf: Horch’t, die Morgenglokken schon herüberschallen. Kuntz. Das ist des Mittelalters Lallen.
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Ralf. Wir machen Lokomotiven aus ihren Metallen. Kuntz. Die Vernunft liest Meße u. die Kirchen fallen!
25
Hier wird wohl Sebaldus Nothanker als philosophischer Emißair in die Stadt vorausgesendet, um dort das Volk zu stimmen. –
16 herüberschallen ] var. herüber hallen H
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Die Blaue. Himmel, diese Laute, Wie alte Vertraute – |: Zu Ralf, Kuntz u. den Andern :| 72r/ zu pag. 5 4 Sind Sie nicht aus der Residentz? Ralf. Ja, des Mir u. Mich. Blaue. Wo der viele Sand? Kuntz.
10
Und der große Verstand. Blaue. Ja, dieß Gefühl ist keine Lüge, Diese Familienzüge – Nicolai.
15
Diese kritischen Nasen – Biester. Die prächtigen Phrasen. 20
25
Blaue. An mein Hertz! Ihr seid meine Kinder u. da |: auf Nicolai deutend| Euer natürlicher Papa. Ralf. Das ist ja rührend, wir dachten immer, Wir hätten uns selber erschaffen. Blaue. Doch die Aufklärung – ohne Ehe.
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482
Das In co g n i to . D rit te F a s s ung
Kuntz Ich verstehe. Blaue Nennt mich nur Tante. 5
Nicolai. Doch wer stört da die Familienszene?
73r/5.
Ralf. Herr Onkel, ich höre wüthend sprechen, Es sind zwei Duellanten, die da den Tag anbrechen.
10
Freimund |: draußen :| Nicht weiter hier, nicht einen Fuß! Kuntz. Da hat gewiß unser Regimentsdichter wieder Verdruß.
15
|: Freimund u. Willibald stürtzen, miteinander fechtend, herein :|
Willibald. Wart’, jetzt streck’ ich doch, ich wette, Nieder dich mit dem Sonette! 20
25
Freimund. Der Jambe ist ein Dolch zum Streiten, Aus Begriffen Von beiden Seiten Scharf geschliffen, Die eine kritisch, Die andre politisch!
Da s In co g n ito . Dri tt e F a ss u n g
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Willibald.
5
Bah, das ist nix, Hier ein Spondäus fix! Da parir’ einmal Dieß Madrigal!
Freimund. Längst stumpf u. schaal! Mein Arm ist Stahl, Und Stein die Welt versunken, Hau’ drein, da giebt’s Funken 10 73v/6. Und Funken geben Licht Und jedes Gedicht Ein Weltgericht! 15
20
Ralf. Göttlich! wie ein antiker Heros ficht er! |: dazwischentretend, zu Freimund :| Aber genug nun des Gemetzels, Herr Regimentsdichter! Wo trafen Sie den fremden Mann? Freimund. Im Felde draußen, er sah die Sterne an; Ich rief ihm zu: er existir’ ja nicht mehr! Da meynt’ er frech, das glaub’ er schwer. Nicolai |: auf Willibald deutend :| Wer ist denn der mit der Helebarde?
25
Ralf. Einer von der alten romantischen Garde. Nicolai |: erschrocken zurücktretend :| Herr Je! bindet den Kerl! die schlagen Alles todt!
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5
Das In co g n i to . D rit te F a s s ung
Willibald. Aber so hör’t mich doch nur, Schwerenoth! Hab’ in meiner jungen Zeit In der Waldeinsamkeit Das Waldhorn geblasen. Aber vor eurem Schrein u. Rasen Die Rehe nicht mehr im Mondschein grasen, Um’s Waldhorn sich jetzt niemand mehr schiert, Da bin ich zu euch herüberdesertirt.
10
Ralf. Ja, in Ihrer Waldeinsamkeit Haben sie gantz versäumt die Zeit, Ich hoffe, Sie werden Sich noch appliziren. Sie müßen nur tüchtig nachexerziren.
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Biester. Ja, das kann den Herren nichts schaden, Lebten ins Blaue hinein, wie die Nomaden.
Kuntz. Na, stecken Sie jetzt Ihren Spieß in den Boden, 20 Setzen Sie sich zu uns u. holen Sie erst Odem; Dann geht’s mit Kriti= u. Suitisiren 74r/7. Unaufhaltsam fort an’s Emanzipiren: Juden, Fleisch, Weib, Nationen, Wo sie schachern, wo sie wohnen. 25
Willibald |: der sich zu ihnen an das Feuer gesetzt :| Doch ich habe zu Hause Kinder u. Frau Und die Romantik gieng jetzo flau, Wenn ich mich laße anwerben hier, Was geb’t ihr denn als Handgeld mir? 6 vor ] üdZ Variante bei H
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5
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Ralf. Wir pflegen nur in Papier zu zahlen, Ein preisender Artikel in unsern Journalen, Wo du philosophisch wirst entwickelt, Und bist du bei uns erst eingeartikelt, Dann lobst du uns wieder, So sind wir Brüder. Willibald |: sich unruhig umsehend :| Tout comme chez nous! – aber ich weiß nicht, hier um’s Feuer, Es ist mir da nicht gantz geheuer – Mitten unter uns sind todte Leut’! Nicolai |: erschrocken :| Sie sind wohl gar nicht recht gescheut! |: leise zu Biester :| Die Romantiker gleich jeden Spuk aufspüren. Biester |: ebenso :| Er wird uns hier noch kompromittiren.
20
Nicolai |: laut :| Mein Herr, Sie wollen uns nur schrauben, Sie werden doch nicht an Geister glauben? Biester. Ha wahrlich, das ist kolloßal!
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Ralf |: welcher beide genauer betrachtet :| Ihr schaut in der That ein wenig fahl. Woll’t Ihr mit uns fraternisiren, Müß’t Ihr euch nach dem Zeitgeist modernisiren. /qualifiziren./ Fort mit dem Zopf vom freien Rücken! Daß sie uns nicht die Gedanken erdrücken, Hängen wir jezt an’s Kinn die Perücken à la Gog, Magog –
486 74v/8.
5
Das In co g n i to . D rit te F a s s ung
Willibald. Demagog oder Ziegenbock. Alle |: plötzlich d!urch"einander gegen Willibald :| Nun abgeschabt ist auch schon Ihr altdeutscher Rock – Sieht noch durch gemalte Fenster – Des Mittelalters Hexen u. Gespenster – So ein rückwärts gewandter – Von der Zeit längst überrannter – Ritterlich galanter, hirnverbrannter – Ralf.
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Aber was giebt’s denn da? Draußen: Halleluja! Kuntz. 15
Ruhig jetzt allzumal – Unser Frau General! Freimund. Welt, lauschend harre!
20
|: Mathilde tritt rasch auf, zwei teutsche Jünglinge tragen ihre Schleppe. :|
Mathilde. Heda, eine Zigarre!
25
Die Schlepptragenden Jünglinge. Sie schwäntzelt soviel hin u. her, Wir müßen hinter ihr immer kreutz u. quer. Nicolai. |: leise zu Biester :| Wie ’ne alte Jungfer – etwas schofel.
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Biester |: ebenso :| Hat im Gürtel einen ungeheuern Pantofel. 75r/9. 5
10
Mathilde. Gegrüßt mein Volk, das mich emanzipirt! Schon glühn vom Morgenroth der Zeit die Wangen Des freien Weibes, das zum Sieg euch führt; Die gute alte Zeit u. was vergangen, – Die Jungfer hat mich heut zu fest geschnürt! – Es hat vor Langerweil’ sich selbst erhangen. Ein Orgelstrom von Stimmen fern u. nah, Die Nacht geht unter u. der Tag ist da! Draußen: Halleluja!
Mathilde. Sie glauben mir alles, wie sonst den Pfarren – Zum Sterben ennüyant mit den guten Narren! Auch die Zigarre brennt mich an die Nasen – Will Hirtin spielen hier auf dem Rasen. |: Sie setzt sich auf den Boden :| 7520v/10. Pfey, das Gras ist naß u. die Erde hart! |: zu Kuntz :| Da, breite mir unter deinen frisirten Bart. – Es schmekt doch nichts recht, wenn man von allem nascht, Die Welt hat nichts mehr, das mich überrascht. Was fang’ ich nun mit der langen Freiheit an? 25 Ich wünschte, Kuntz, du wärst ein Tyrann! Rück’ weiter her, sitz’ noch nicht recht – Die Männer sind doch ein recht ungeschicktes Geschlecht. 15
30
Kuntz. Bin etwas dick, das Bücken wird mir schwer.
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Das In co g n i to . D rit te F a s s ung
Mathilde |: aufspringend :| Nein so geht’s auch nicht – ein Sopha her! |: Es wird eilig gebracht. Sie setzt sich. Zu Ralf :| Neig’ dich als Schämel meinen Füßen. 5
Ralf |: sich vor ihr niederstreckend :| Laß’ mich begeistert deinen Pantoffel küßen, O freies Weib!
Mathilde. Schaff’t Zeitvertreib! 10 Soll ich euch hier kommandiren, Um mich so elend zu ennüyiren? 76v/11. Was wird denn heut in der Stadt gegeben?
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Freimund. Ein Spion brachte den Kommödienzettel eben: „Der Marschall Rückwärts, oder wer lacht zulezt?“ Ein altes Stück, nur neu besetzt, Die Baschkiren tantzen ein Menuett darin. Mathilde. Das will ich sehn, da muß ich hin!
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Kuntz. Aber wie willst du in die Loge kommen? Wir haben ja die Stadt noch nicht genommen. Mathilde. Ihr seyd ja Männer, das ist eure Sache, Berenn’t den Wall, überrenn’t die Wache, Ich will noch heute auf den Schantzen Mit dem Burgemeister tantzen.
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Ralf. Aber wenn man doch keine Leitern hat! Der Wall ist hoch, die Mauer glatt. 5
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Mathilde. Jetzt hab’ ich eure Flausen satt. So müß’t Ihr unterminiren die Stadt, Ich will, als Genius, durch die Trancheen Mit der Vernunftsfackel in’s Theater gehen. Viele Stimmen d!urch"einander: Punkt Sechs ja wird schon eröffnet die Kaße. So fix durchtunnelt man keine Gaße. Sie hat soviel Bücher in ihren Poschen. Da bleibt sie hängen in den Approschen. Wir ersticken noch alle in dem Gemüll – Mathilde |: ungeduldig mit dem Fuße stampfend :| Mir alles gleich – aber ich will, ich will! |:Man hört aufrührerisches Gemurmel. Währenddeß kommt der König im eifrigen Gespräche mit mehrern Soldaten eilig über das Feld daher:|
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7625v/12.
König. Laß’t mich nur erst ein wenig verschnaufen. Wie gesagt: Partikülier aus fernen Weiten, Ich habe mich schon gantz müde gelaufen, Um mit der Zeit recht fortzuschreiten. 1t Soldat: Da kommen Sie ja eben zurecht allhier. 2t Soldat. Das ist jetzt ihr neustes Hauptquartier.
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Das In co g n i to . D rit te F a s s ung
König. Die falsche Freiheit also, wollt’ ich sagen – 3t Sold: Ihr Regiment ist nicht mehr zu ertragen! 5
König. Zerbrodelt, was uns die Vorzeit ließ. 4t Sold: Behält sich den Braten u. zeigt uns den Spieß.
10
Ralf |: mit den Andern hinzutretend :| Als ob wir nicht selber Hunger hätten! König. Nur Muth! ich zerbreche ihre Ketten. Kuntz. Ja, Fortschritt ohne historische Krücken!
15
König. Juste Milieu u. Völkerbeglücken! 1t Soldat. Und freie Preße! 2t Sold:
20
Und deutsche Meße! 3t Sold: Jedes Maul ohne Gebiß! König. Aber so hör’t doch! Ihr versteht mich gantz miß.
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Ralf. Und emanzipirten Leib! Alle: Nieder mit dem freien Weib! 5
Mathilde. Das gantze Volk kommt plötzlich in Trab, Sie treten mir noch die Schleppe ab. König. So laß’t mich doch nur zu Worte kommen!
10
Alle: Sollst unser Führer sein! Frisch auf die Schultern genommen! |: Sie heben den sich sträubenden König auf ihren Schilden empor u. tragen ihn im Triumph fort :|
77r/13. 15
König. Aber ich bin ja hier incognito! Gesang: Ho Zeit, in steter Metarmopho – König. Laß’t mich herunter, ich krieg’ den Schwindel!
20
Gesang: Und aus der Windel Reckt sich u. wächst die Zeit Hinein in die Ewigkeit! |: Sie tragen den König fort :|
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Das In co g n i to . D rit te F a s s ung
Zweiter Act. |: Früher Morgen. Garten des Paphnutius, im Hintergrunde sein Schloß mit Balkon, von dem Stufen hinabführen! Paphnutius tritt auf :| 5
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Paphnutius. Wahrhaftig, da graut der Tag noch kaum. Ich konnt’ nicht schlafen auf meinem Kißen, Ich träumt’ u. träumt’ – das war ein Traum! Nun, nun, man kann nicht wißen, man kann nicht wißen – Die das Schicksal machen, die hohen Herrn, Sie sehen auch auf Schickseln gern. Der König war kaum angekommen, So hatt’ er schon die Lorgnette genommen: „Es haben mir hier Töchter zu seyn geschienen. –“ „Nur eine Base, Ew: Majestät zu dienen.“ |: Er blickt umher :| Der Morgen mich ordentlich in die Augen sticht. Ja, wer pries’ da Jehovahs Allmacht nicht! Die Blumen, die Bäume, Garten u. Wiesen Lauter Diamanten, Smaragden u. Türkisen, Der Himmel von Dukatengold, auch nicht schlecht – Mein! was hat er davon, s’ ist ja doch nicht ächt. Ja, im Traum erblickt’ ich mich voll Entzücken, Ich mußte mich vor mir selber bücken: Auf der Brust einen Stern von den reinsten Brillanten, So eine Art Hausorden von hohen Verwandten – Unsre Leut’ hatten all’ die Hüte abgenommen Und zischelten, ob da nicht der Meßias gekommen? Der Offizier, wie er mich so sieht promeniren,
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77v/14. /Schreit/ Ruft selbst: Heraus!, läßt die Trommel rühren, Ich nick’ ein wenig, die Wachen präsentiren – |: Er promenirt vorüber; währenddeß erscheint der Narr mit Kron u. Szepter auf dem Balkon :| 5
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Narr. Fürwahr, ich seh’ recht würdig aus. So tret’ ich freundlich denn hinaus, Mich dem entzückten Volk zu zeigen; So – rechts u. links mich huldvoll erst verneigen – Aber wer kommt denn dorther so verwegen, Als wär’ die Welt an ihm gelegen? Freimund |: im Garten :| Genug bin ich nun in die Hütten gekrochen, Da war es schmutzig u. hat übel gerochen, Nun will ich an die Palläste pochen – Da steht ja gleich einer. |: Er klopft an die Schloßthür :| Narr. Herein.
20
Freimund. Das scheint mir der König selbst zu seyn. Da komm’ ich ja eben wie gerufen Und trete keck an des Thrones Stufen.
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Narr. Guten Morgen, mein lieber Unterthan.
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Freimund |: in erhabener Stellung :| Es führt ein Gott hier einen freien Mann Zu Ihnen, Sir’, eh’ Sie der Tag verschachtet – Ich stand u. sann u. eine Thräne rann, Denn dunkel war es u. das Land umnachtet.
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O Sire, lösen Sie des Lichtes Bann, Wonach die Menschheit freiheitdürstend schmachtet Und Volkes Schrei wird orgelndes Entzücken! 5
Narr. Es hängt der Zopf recht stattlich dir im Rücken. Freimund |: erschrocken hinter sich sehend :| Zopf? – mir?
78r/15. 10
Narr. Und wenn ich dich dran hängen ließe? – Freimund. Und richtend Sie die Nachwelt: Henker Nero hieße? Narr |: mit über der Brust gekreutzten Armen :| Welt – Nachwelt – ha, papierne Knabendrachen.
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Freimund. O Sire, nicht dieß schneidend kalte Lachen! Narr. S’ ist so mein gähnendes Hyänen=Lächeln. – Mich lüstert recht, mit einem Herren Vetter Um der erschrocknen Gauen Loos zu knöcheln. Es fragt der Blitzstral nicht, wen er zerschmetter’, Und über !Textlücke" u. Völker=Röcheln Geht unbekümmert hin das Donnerwetter! – Reich’s schriftlich ein, ich will dich drauf bescheiden, Nun geh’ u. laß dir drinn den Zopf verschneiden.
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Freimund |: für sich :| Mir graut zwar nicht vor des Tyrannen Wink, Doch wende ich mich stoltz u. etwas flink. |: Er verneigt sich kalt u. springt dann hastig in die Schloßthür :| Narr. Ha, Marquis Posa, der da dithyrambte, Fandst deinen Philipp, der dich überjambte!
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Paphnutius |:wieder unten im Garten erscheinend u. den Narren erblickend :| Aha, er schwärmt – von jeher ja beliebten So mit sich selbst zu reden die Verliebten. Ich verstecke mich hier hinter die Ranken, Vielleicht spricht er wieder in Gedanken. |: er tritt hinter eine Laube :| Narr. Da schweift ein Mädchen schon so früh durch’s Grüne. Paphn: Ja, dacht’ ich’s doch – er sieht die Colombine.
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Narr. Ich seh’ nur Streifen des Gewands. Paphn: Ich, Schwiegervater des Vaterlands –
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Narr. Mein großer Tubus, ha, wo ist er? Paphn: Elephantenorden – Premier=Minister! –
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Colombine |: tiefer im Garten singt :| Pensionsanstalt, wie liegst du so weit, Langweilige Zeit! Vor der Anstalt an der Linde Saß u. strickt’ ich gantz verschneit Von den Blüten – nicht vom Winde, Denn der Abend athmet’ kaum, S’ war der Kasperl auf dem Baum. Narr. Kasperl? – ja so heiß’ ich – welcher Ton? Woher kennt mich die Person? Colombine |: singt wieder :| Rosinen u. Mandelkern, Die eß’ ich so gern! Warf er mir auf Schooß u. Nacken, Ja, da sah der Abendstern Mich so oft zufrieden knacken – Und nun hat er sich verlaufen, Muß mir selbst die Mandeln kaufen. Narr. Das ist richtig. Ja, sie ist es ohne Frage, Kenn’ die Nachtigall an ihrem Schlage! |: Er stürtzt in den Garten hinab u. prallt mit Paphnutius zusammen :| Ihr kommt ja grade zurecht, wie ein Wechsel auf Sicht! Ihr seid doch hier auch auf die Gleichheit erpicht, Runkelrüben u. Menschenbeglückung? Paphnutius. Ja wohl, mit unterthän’ger Entzückung.
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62v/17.
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Narr. Vortrefflich! die Lieb’ gehört auch in dieß Fach: Ein Ach, ein Bach, einer Hütte Dach Und zweier zärtlicher Hertzen Vereinung – Paphnutius. Bin gantz derselben hohen Meinung. Narr. Drum mach’ ich mir auch gar nichts draus, Ob meine Braut aus einem alten Haus, Es weiß ja keiner, wie’s ihm /mir/ morgen gehe. Paphnutius. O ich verstehe. – Narr. Was ist Rang, Geld, wenn ich’s recht betrachte!
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Paphnutius. Ha, wie ich diesen Mammon verachte! Narr. Kurtz: kann ich Euere Jungfer Tochter kriegen?
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Paphnutius. Sie soll an’s klopfende Hertz Euch fliegen. Narr. Laß’t Euch embraßiren, Schwiegerpapa!
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Paphnutius. Das geht ja gantz vortrefflich, Saßa! |: Beide unter heftigen Umarmungen ab:| |: Ein andrer Theil des Gartens vor dem Schloße, in der 5
Mitte ein Kirschbaum mit Hecken zu beiden Seiten. Colombine, eine Larve im Gürtel, sitzt auf dem Baume :|
Colombine. Die Kirschen äugeln im Sonnenschein, Das möcht’ so gern gegeßen seyn. 10 Da muß ich geschwind noch ein wenig naschen Und auf die Reise mir füllen die Taschen. – Wie der Vormund sich streckt u. vornehm spricht, Die Narren denken, ich merk’ es nicht: Zur Hochzeit sie drinnen kochen und braten, Ich soll den langweiligen König heirathen, 15 Sitzen mit güldenem Mantel u. Krone, Da lacht’ ich halbtodt mich auf dem Throne. Die Unterthanen tantzen, die Fiedeln klingen, Hab’ neue Schuh an, will auch mit springen! Die Vögel singen u. die Länder blühn, 20 Die Erde bleibt noch lange lange grün, Will in die weite Welt jetzt wandern, Find’ ich den Kasper nicht, find’ ich einen andern, 64r /18 So, jetzt die Larve vor’s Gesicht, Nur die Waldvöglein wißen’s, die verrathen mich nicht. – 25 |: Indem sie hinabsteigen will, kommt unten Paphnutius an; sie nimmt geschwind wieder die Larve ab u. bleibt auf dem Baume :| O weh, da hat mich der Vormund entdeckt! – Was wollt Ihr? hab’t Ihr mich doch erschreckt! 30 Paphnutius |: gantz außer Athem :| Der König – du geruhtest ihm zu gefallen – Er seufzt u. ließ sichtbar ein Ach erschallen,
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Die Krone wackelt ihm hin u. her, Da fliegt er schon selbst über’s Aurikelbeet – Colombine. Der?! 5
|: für sich :|
Herr Je! der Kasperl mit Stern u. Orden! Wie ist denn der aufeinmal König geworden?
10
15
Narr |: noch in der Ferne :| Dort schimmert ihres Röckleins Saum, Ich wett’, das Eichkätzchen sitzt im Baum. Colombine |: für sich :| Wie’n Kartenkönig! – wart’, den will ich necken. |: laut zu Paphnutius:| Versteckt Euch geschwind dort hinter die Hecken, So hört Ihr, was wir mitsammen diskuriren, Könnt’s Euch gleich mit Bleistift notiren. Narr. |: vor dem Baume anlangend :| Verzeihn Sie, wohnt hier nicht eine gewiße Colombine?
20
Colomb: |:die Larve vornehmend :| Das bin ich selber, Ew: Majestät zu dienen. Narr. Was? – hast ja eine Nase wie eine Hexe!
25
Col: Man muß Gott danken für jedes Gewächse. |: sie wendet sich auf die andre Seite u. nimmt die Larve ab :| Herr Vormund, er mag mich nicht, wie er spricht, Denn Eure Nase gefällt ihm nicht.
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Paphnutius. Ach, das kann ja nicht seyn, geh, frag’ ihn nur weiter. Col: |:nach der vorigen Seite, mit der Larve. :| Ihr könn’t wohl nicht klettern? hab’ keine Leiter. 5
Narr. Geh’, sprichst durch die Nase, mir wird gantz graulich. Col: |: nach der andern Seite, ohne Larve. :| Herr Vormund, er sagt, Euere Nase wär’ blaulich.
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Paphnutius. Was er mit meiner Nase hat, möcht’ ich nur wißen. Col: |: nach der andern Seite, Larve vor :| Ihr braucht mich ja nicht grade auf die Nase zu küßen. Narr. Küßen? da bin ich gut angekommen, Am besten hier Reißaus genommen! |: er entflieht :| Paphnutius |: plötzlich mit gezücktem Degen hervorbrechend :| Ha, Sire! ihr Hertz erst brechen in Stücken Und dann vor den Scherben sich heimlich drücken? Jezt müßt Ihr sie nehmen u. wechseln die Ringe! – Nein, was macht der für große Sprünge! |: er eilt ihm nach :| |: Die Dienerschaft des Paphnutius stürzt in voller Flucht aus dem Schloße hervor :|
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Erster Diener. Der Weltweise richtet uns gantz zu Grunde!
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Zweiter. Hängt ihm alleweil ein’ Sentenz aus dem Munde. Dritter. Vor Langerweile sterbe ich schon! 5
Vierter. O Gott! da hält er dir gewiß noch einen Leichensermon. Fünfter. Da kommt er schon wieder, wohin mich verstecken!
10
Sechster. Wie er seine Sprüche thut nach uns strecken! !Freimund" |: heraustretend :| Nun also wende ich mich zum Schluß – Erster. Wend’t Euch nur dorthin, wenn’s durchaus seyn muß.
65 15 r/b.
Freimund. Ihr überwacht es nicht – der Morgen bricht herein! Wächter. Na, was kann ich dafür! ich nickte ein.
20
Freimund. Und kreißend aus der Nacht gestalten – 1t Diener. Das ist ja gar nicht auszuhalten! Freimund. Die jungen Mächte sich zum Bund –
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2t Diener. Allons, das Maul ihm zugespundt! |: Sie umringen Alle den Regimentsdichter u. binden u. knebeln ihn :| 5
Freimund. Der Gedanke – u. sein Wort – ist – frei – Wächter. Da zischt’s noch immer nebenbei, Den Propfen fester zugeschnürt!
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1t Diener. So, der wär’ glücklich quieszirt; Da setz’ dich ruhig auf die Banken Und zerplatz’ meinetwegen vor Gedanken. Colombine |: vom Baume :| Herr Jeh! seht doch u. laß’t das Raufen, Da ist ein Schornstein fortgelaufen, Sie setzen ihm nach in vielen Wagen, Hei, das ist einmal ein lustig Jagen! Wächter |: in die Ferne hinaussehend :| Ein Irrlicht, Feuermann, Hirngespinste, Das sind so metaphysische Dünste. 1t Diener. Nein, das ist so eine Art von Drachen, Er speit ja Feuer aus dem Rachen.
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2t Diener. Und wie’s ihm gollert im Leibe, Ja sehe jeder, wo er bleibe!
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3t Diener. Jetzt hat sich’s bis zur Stadt gewunden, Ich wünscht’, ich wär’ von hier verschwunden! 5
|: Der Wächter tutet Feuerlärm; flüchtiges Landvolk stürtzt plötzlich herein :|
Einige. Zu Hülfe, !Textlücke" Brand! 65v/c.
Andre: Sie haben den Satan vorgespannt!
10
Andre: Nichts als Sengen !Textlücke" u. Morden! Stimmen |: draußen :| Weh’! die Lokomotive ist toll geworden!
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1t Diener. Nein, das ist doch impertinent, Jetzt kommt’s grad auf die Stadtmauer losgerennt! |: Ungeheures Krachen, darauf steigt eine Staubwolke auf. Als sie sich theilt, erblickt man die umgeworfene Locomotive u. zertrümmerte Wagons, der König, Ralf, Kuntz, Nicolai, Biester, die blaue Monatschrift p. treten hastig hervor :|
König. Nein, ich danke für solche Lebensart, Das war ja eine Teufelsfarth! 25
Ralf. Ha, welcher Effect in diesem Knall, Das nenn’ ich mir einen Ueberfall!
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König. Und die Stadtmauer umzurennen, Die Nachwelt wird Barbar mich nennen. 5
|: Trommelwirbel. Soldaten marschiren auf. Der General tritt vor :|
General. Hier scheint die Anarchie zu wohnen, Platz da, sonst setzt es Contusionen! 58r/13./20 Die bewaffnete Macht thut Gehör verlangen: 10 Der König ist neulich verloren gegangen, Die hohen Behörden sind sehr erschrocken, Die Regierungsmaschine kommt gantz in’s Stocken, Da sandte das königliche Geschwister Mich aus, ihn aufzusuchen – das ist er! 15
Alle. Was? wie? wo? welcher denn? der, der, der, der? General. Freilich. – Gebt Achtung, präsentirt das Gewehr!
65v/c. 20
Ralf |: für sich :| Ich dacht’ allein hier zu regieren, Nun fängt mich’s an zu ennüyiren. Kuntz |: ebenso :| Der Ralf hätt’ gern uns all’ geknecht’t, /Ja prosit!) Etsch, etsch! jetzt sitzt er, das geschieht ihm recht.
25
Willibald. |: leise :| So war nur Schnee die üpp’ge Blüte? Ich nehm’s ironisch denn als Mythe.
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Mathilde. |: für sich :| Da soll mich doch Gott davor behüten, Alle ihre Constitutionen auszubrüten. Will endlich auch unter die Haube kommen. 5
66r/d. 10
Ralf |: vor den König tretend :| Wir hatten uns längst schon vorgenommen – |: Die Truppen haben so martialische Gesichter :| – Graus, Mathilde. Aber konnten von dem Rumpeln nicht zu Worte kommen – |: Die Leutnants schaun ja wie junge Dichter haben ja Augen wie Lichter – :| – sehn recht artig aus. Kuntz. Es riß der Thaten Strom uns fort – |: Der Ralf führt immer das große Wort :|
15
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Willibald. Auch wollten wir das Incognito nicht brechen – |: Die möchten sich mit den Augen erstechen :| Ralf. Ja, Sire, wir erkannten Sie gleich Und führten Sie jubelnd in Ihr Reich! Der König. Der Dampf ist ein Allerwelt=Hans worden; Ich ernenn’ euch zu Rittern des Hans Dampfen=Orden. Freimund.
25
Hm, hm – Kuntz. Der Freimund!
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Freimund. Hum, hum, hum. König. Er sei Hofdemagog. 5
10
Ralf. Er ist ja stumm. König. Nun eben drum. |: zu Mathilde :| Und Ihr soll’t den reichen Paphnutius heirathen. Mathilde |: macht einen Knix :| Ringrazio, o Duca – Duca – Ducaten!
15
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Nicolai. Aus dieser retrograden Umnachtung Laß’t, Hochseelige, mit Verachtung Den Rücken uns wenden jenem Schwarm. |: zur blauen Monatsschrift :| Reichen Sie, Zarte, mir den Arm. Hier schleichen Jesuiten verkappt auf den Zeh’n – Wir wollen anderwärts spuken gehn. |: mit Biester, Nothanker p. ab :| |: Narr kommt eilig, Paphnutius hinter ihm drein :|
25
Paphnutius. Der König macht gantz besondre Kapriolen, Ich kann ihn schlechterdings nicht einholen. General. Verprustet, wir haben ihn schon gefunden.
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König. Solch’ Treu’ ist Balsam für die Wunden, Die uns die kalten Kronen drücken. 5
Paphnutius. Ich glaube gar – o welch Entzücken! Narr. |: plötzlich stutzend :| Der König u. die Garde? – das ist doch die Bühne? Der Platz, der Kirschbaum – da ist Colombine!
58r/13./ 10 20
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|: Er rennt vergnügt zu dem Kirschbaum, rüttelt u. singt :|
Es schüttelt der Wind Vor Freuden die Aeste, Bunt Vöglein, geschwind Zu Neste, zu Neste! |: Colombine gleitet vom Baume ihm in den Arm, er küßt sie :|
Colombine |: ihm mit dem Pantoffel eins versetzend :| Aber so sei doch nicht so dumm, Es sieht’s ja das gantze Publikum! 58v/14. 20
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Narr |: thut mit Colombinen einen Fußfall :| So schrey auch ich allhier zum Throne: Ha, dem Verdienste seine Krone! Paphnutius da, bei dem ich wohne, In patriotischer Sympathie Für Deine veredelten Menschheits=Gedanken, Gab er mir die Muhme aus Philosophie! Ich litt’s erst nicht u. wollte danken, Ich sagt’ ihm, ich wär’ nur ein Genie, Das seine Sach’ auf Nichts gestellt, S’ half alles nichts – er verachtet Geld, Rang, Gut u. solchen Aberglauben
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Das In co g n i to . D rit te F a s s ung
Und thät’ ordentlich vor Aufklärung schnauben – Ja, ein Kuppelpeltz ziemt ihm, wie mir scheint. Paphnutius. Nein, glaubet ihm nicht – es war nur – ich meynt’ – 5
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König. Nicht doch, Deine Bescheidenheit acht’ ich sehr – Einen Ehrenpeltz mit Zymbeln her! |: Diener bringen den Peltz :| Den häng’ ich Dir um mit höchsteignem Arm, Knöpf’ dir ihn zu, so sitzst du hübsch warm. |: Des Narren u. Colombinens Hände zusammenfügend :| Da hab’t euch u. mehret euch jedes Jahr, Daß die Narren im Reich’ nicht werden rar. Musik, zu Ehren dem jungen Paar! |: Musik. Narr erwischt den Paphnutius, der General reicht der Colombine den Arm; allgemeiner Tantz, während des Tantzes singen :| Colombine. Was Königskertzen u. Kaiserkronen! Will mit Kasperl unter Lavendel wohnen. Paphnutius. Ich muß vor Wuth entsetzlich springen, Daß der Peltz fliegt u. die Zimbeln klingen! Narr.
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Mein hochverehrtes Pu – Nun wirst du sicher fra – Und nimmer doch erra – Wen wir gemeint im Bu – Es giebt zu viele Na – Und klingen ihre Sche – So meint wohlweislich Je –
Da s In co g n ito . Dri tt e F a ss u n g
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Es sei des Andern Ka – Der weil geht durch die Ko – Der Ernst incognito. |: Ich bin gantz außer A – Und muß auch gleich heira – Drum wünsch’ ich wohl zu schla – :|
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E i n e Tr a g i k o m m ö d i e wie Arnims Halle u. Jerusalem. Entwurf
Te x t g r u n d l a g e : H ( u m 1 8 4 0 )
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513 c.) Eine Tragikommödie wie Arnims Halle u. Jerusalem.
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Nemlich = Commers in Heidelberg, der Held des Stücks ist Senior, hat einen Ekel an diesem dummen Zeuge u. stößt Alle vor den Kopf. /:S: den Anfang meines alten Heidelbergschen Studenten=Romans.!:/" – Da bricht der Krieg von 1813 aus. Der Held wird freiwilliger Jäger. Seine Großheit gegen die erbärmlichen Großsprecher, Philister p. unter den Jägern, es empört ihn die Hohlheit, die Gemeinheit p. Er ist tapfer, wird Offizier, bekommt das eiserne Kreutz p. /:Blücher kommt wie eine mythische, sagenhafte Person mit vor:/. Da bekommt der Held, da alles gut geht, einen solchen Ekel vor diesem Weesen, daß er plötzlich fortgeht. Er hat eine wahrhafte Liebe zu einem wunderbaren Mädchen, um das er aber geprellt wird. Er wird undankbar verhöhnt p. Da wird er Einsiedler voll tiefen Menschenhaßes, wie Shakspears Timon. So in seinem Hochmuth kommt ihm dort plötzlich die Erleuchtung des Glaubens, der Religion, niederschmetternd, wie ein Blitz – da stirbt er bekehrt u. seelig.