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German Pages 211 [214] Year 2018
Dana StrauSS
Sensitivität und Performanz Geographie-Machen nach dem cultural turn
Sozialgeographische Bibliothek Band 19 Franz Steiner Verlag
Dana Strauß Sensitivität und Performanz
SozialgeographiSche BiBliothek Herausgegeben von Benno Werlen Wissenschaftlicher Beirat: Matthew Hannah / Peter Meusburger † / Peter Weichhart Band 19
Dana StrauSS
Sensitivität und Performanz Geographie-Machen nach dem cultural turn
Franz Steiner Verlag
Umschlagabbildung: © iStock.com/ RapidEye Stock-Fotografie-ID:516875925 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2018 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11460-8 (Print) ISBN 978-3-515-11515-5 (E-Book)
Inhalt
Vorwort Einleitung
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Über Entdeckungszusammenhänge Aufbau der Arbeit
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Theoretischer Kontext
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Gesellschaftliche Raumverhältnisse Performativität und Performanz Non-representational theory Spatial turn
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Erkenntnistheoretische Grundlegung
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Über die Notwendigkeit erkenntnistheoretischer Überlegungen in der Geographie Gottfried Gabriel und das Spektrum der Erkenntnisformen Geographie und Ästhetik Entwicklung einer modernen Ästhetik Die Paradigmen der Zeit Baumgartens neuer Weg und dessen Rezeption Aisthetik statt Ästhetik? Baumgartens Ästhetik Emanzipation des ‚unteren‘ Erkenntnisvermögens Cognitio sensitiva: Das Zusammenwirken von Wahrnehmung, Emotion und Verstand Darstellung Kritik an Baumgarten Zwischenresümee I: Erkenntnistheoretische Grundlegung
24 26 31 34 37 41 44 45 46 51 53 55 57
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Inhalt
Das Prinzip der Sensitivität: Erleben, Emotionalität und Multisensualität
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Erleben Kulturtheoretische Wende und ‚Leben‘ Das Problem der Ganzheitlichkeit Diltheys ‚Philosophie des Lebens‘ Ausdruck Verstehen Kritik an Dilthey Diltheys Lebensphilosophie als Ideengeber für die Sozialwissenschaften Parallelwelten und Schnittpunkte: die Geographie zu Zeiten Baumgartens und Diltheys und die heutige Geographie Emotionalität Emotionalität und Geographie Die Neurowissenschaften und der emotional turn Emotionen und Gefühle Kritische Anmerkungen zur Bedeutung der Neurowissenschaften Multisensualität Humangeographische Ansätze zur Multisensualität Hören Riechen Sehen Schmecken Tasten Zwischenresümee II: Erleben, Emotionalität und Multisensualität
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Dimensionen des Performativen
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Geographien des Performativen Performanz und Performativität in der angelsächsischen Geographie Performanz und Performativität in der deutschsprachigen Geographie Zugänge zum Performativen Sprechen ist Tun: Austin Zitat und Iterabilität: Derrida Kulturwissenschaften I: Butler und die Macht des Diskurses Kulturwissenschaften II: Goffman und das alltägliche Theater Performance Studies: Turner, Schechner, Conquergood und Theatralität als Universalbegriff SFB 447 „Kulturen des Performativen“
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Inhalt
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Performanz in Relation Präsenz, Sinn und performatives Verstehen Sprache und Performanz Sprache-Sprechen: Die Bedeutung des Nonverbalen Performanz und Narration Performanz und Handeln Zwischenresümee III: Dimensionen des Performativen
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Fazit: Sensitivität und Performanz – Impulse zur theoretischen Konzeptionalisierung des Geographie-Machens nach dem cultural turn
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Siglen-Verzeichnis und Literatur
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Vorwort
Dieses Buch konnte nur durch mein insgesamt 12-jähriges Assoziiert-Sein sowohl als Studentin als auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Sozialgeographie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena entstehen. Bei Benno Werlen lernte ich eine Geographie kennen, die so ganz anders war als das, was in der Schule auf dem Lehrplan stand. Die ursprüngliche Absicht mit meinem Geographiestudium etwas über „fremde Menschen und exotische Länder“ zu lernen, wurde bald zum freudigen Unterfangen dem handelnden Akteur als Keimzelle der sozialen Welt theoretisch wie empirisch nachzuspüren. Damit einher ging der Aha-Moment, dass ich mit Geographie nicht (nur) von ‚oben‘ herab beschreiben und darstellen, sondern auch von ‚unten‘ verstehen kann, wie das gemacht wird, was als Identität oder räumliche Struktur beschrieben wird. Dieser erleuchtende Aufenthalt ‚unten‘ war es schließlich auch, die ein weiteres Hinabsteigen in das erkenntnistheoretische Kellergeschoss und die Suche nach Impulsen für die Geographie ermöglichte. Als Geographin wanderte ich zumeist inkognito durch die Philosophie. Besonders die Vorlesungen Gottfried Gabriels waren es, die mir die Möglichkeiten eines ästhetischen Zugangs zur Konzeptualisierung des Geographie-Machens aufzeigten. Vor allem aber machten sie deutlich, dass die Überlegungen zunächst den (Geographie-) Machenden gelten müssen und erst daraus abgeleitet ihr Machen bestimmt werden kann. Michael Weingarten, Professor für Philosophie an der Universität Marburg, prüfte den philosophischen Teil der Strecke und gab, sehr zu meiner Freude, grünes Licht. Meinen zurückgelegten Weg schließlich aufzuschreiben und aufzuzeigen, verdanke ich auch der sanften, aber bestimmten Zusprache Mirka Dickels. *** Während man ein Buch schreibt, passiert das Leben. Manchmal, ganz unvermittelt, sogar recht viel davon. Vor seinem bisweilen eisigen Wind kann uns jedoch keine noch so ausgefeilte Theorie schützen. Und so danke ich allen Mitarbeitern der Kinderkrebsstation, der Onkologisch-/Hämatologischen Ambulanz der Kinderklinik sowie der Elterninitiative für krebskranke Kinder in Jena für ihre gewissenhafte Arbeit an jedem einzelnen Tag. Ich danke ihnen für ihr Aufrecht-Stehen, das ich mir in den zwei Therapiejahren oft zum Vorbild genommen habe, ihr Lachen und ihren Humor, der einen für Kinder und Eltern undenkbaren Ort in einen verwandelt, in dem Hoffnung zu schöpfen möglich ist.
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Vorwort
Es ist ein Privileg, dass dieses Buch erscheinen kann, nachdem der eisige Wind seine Kraft hoffentlich für immer verloren hat. Es ist mein größtes Glück, dass meine Kinder da sind und sich nach wie vor erfrischend wenig für erkenntnistheoretische Impulse zur Konzeptualisierung des Geographie-Machens interessieren. Dieses Buch widme ich Alexander Strauß, der bei allen Reisen an meiner Seite war. Jena im Juli 2017
Dana Strauß
Einleitung
Das gegenwärtige konstruktivistische Paradigma in der Sozial- und Neuen Kulturgeographie besagt, dass Geographie nicht das Ablesen von in den Erdraum eingeschriebenen Informationen ist, sondern dass Geographien durch die alltägliche Praxis der Subjekte hergestellt werden. Mit dieser durch den social und cultural turn initiierten Denkweise wurde ein Paradigma abgelöst, das den Raum als verhaltensdeterminierenden Faktor ansieht. Mit der Inthronisierung des Subjekts verschiebt sich der Fokus von der deskriptiven Analyse von Raumstrukturen zur konstruktivistischen Analyse der alltäglichen Praxis der Subjekte. Schlagwort dieser Wende ist das „Geographie-Machen“, das erstmals von Wolfgang Hartke und in der Folge besonders von Benno Werlen stark gemacht wurde (1995, 1997, 2010). Wenn es das Ziel ist, „Geographie des eigenen Lebens“ (Daum & Werlen 2002) zu erforschen, muss Geographie vom Menschen aus gedacht werden. Die Aufgabe der Geographie als Wissenschaft ist es dann, die Praktiken der Welt- und Identitätskonstruktion zu untersuchen. Geographie ist als eine Wissenschaft zu betreiben, die nicht (nur) die Vermessung von Welt, sondern (auch) das Verstehen von Sichtweisen auf Welt zur Aufgabe hat. Dabei hängt das, was unter ‚Machen‘ verstanden wird, von dem jeweils zugrundeliegenden Menschenbild ab. Was zeichnet die Geographie-Machenden aus? Die Beantwortung dieser Frage ist Gegenstand einer Debatte in der Geographie (Hasse & Helbrecht 2003). Übereinstimmend wird der rein rational operierende homo scientificus abgelehnt. Diskutiert wird hingegen die Frage nach der Bedeutung von Körperlichkeit und Materialität, von Intentionalität, Emotionalität und Erleben. Wissenschaftler sollten in einer solchen Diskussion darüber Auskunft geben können, was sie oder er als unter Geographie-Machen und Geographie-Machenden versteht; welche Art von Wissen, Geschehen, Phänomen in der wissenschaftlichen Analyse Berücksichtigung findet; welche Weltbilder zugrunde liegen; was die Geographie-Machenden auszeichnet. (Un-)Berechenbarkeit? Verstand? Gefühl? Zweckgerichtetheit? Was ist die Welt? Ein Text? Ein Schauspiel? Ein System? Dabei kann es nicht darum gehen, diese Fragen endgültig zu beantworten, sondern darum, die eigenen Annahmen transparent zu machen und sachlich zu begründen – also offenzulegen, was man gelten lässt, und die Konsequenzen für die Forschung zu durchmessen. Vor diesem Spannungsfeld ist die vorliegende Arbeit zu betrachten. Das Paradigma des Geographie-Machens stellt auch hier den Ausgangspunkt dar. Es soll erneut gefragt werden: Was heißt Geographie-Machen? Und was zeichnet die Geo-
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Einleitung
graphie-Machenden aus? Ziel dieses Infragestellens ist es nicht, das Paradigma und das, wofür es steht, nämlich die Emanzipation von einem geodeterministischen Denken, anzuzweifeln. Vielmehr geht es darum zu überlegen, wie das Machen und die Machenden auch noch gedacht werden können. Ziel ist es, einen Beitrag zur aktuellen sozialgeographischen Theoriedebatte zu leisten, indem Sensitivität als Eigenschaft der Subjekte und Performanz als Eigenschaft ihres Geographie-Machens herausgearbeitet werden. Kern eines solchen Beitrags ist die Forderung, Geographie vom Menschen aus zu denken. Dies geht mit der Selbstverpflichtung einher, die eigenen Annahmen zur Verfasstheit und Relation von Mensch und Welt nachvollziehbar zu machen und die Konsequenzen für die geographische Theorie deutlich herauszustellen. Ganz grundlegend kann die vorliegende Arbeit als Versuch verstanden werden, das durch den social und cultural turn initiierte Paradigma des Geographie-Machens erkenntnistheoretisch zu rekapitulieren und so theoretisch-konzeptionellen ‚Landgewinn‘ zu ermöglichen – oder anders: die Bedingungen und Eigenschaften des Machens und der Machenden unter Hinzuziehung anderer (als sozialtheoretischer) Argumentationswege abzuschreiten. Der ‚Landgewinn‘ bezieht sich auf das Herausarbeiten und Erörtern von Begriffen, die mit dem Einbezug erkenntnistheoretischer Argumentationen (v. a. von Gottfried Gabriel und Alexander Baumgarten) stark werden: (Er)Leben, Emotionalität, Multisensualität, Performanz. Diese Begriffe werden unter Bezugnahme auf ästhetische, neurowissenschaftliche bzw. lebensphilosophisch-hermeneutische Argumentationslinien geschärft und ihre Besonderheiten herausgestellt. Damit stehen Konzepte im Mittelpunkt, die in einer auf Texte, Zeichen, Diskurs und Symbole ausgerichteten Geographie eher marginal diskutiert werden. Mit dieser Betonung könnte die Arbeit in Opposition zu einer stark auf Diskurs, Intentionalität und Rationalität abzielenden Geographie gesehen werden. Ein zeitweises Übergewicht der einen Waagschale – jetzt also der sensitiven und performativen – mag, wo es darum geht, das umgekehrte Ungleichgewicht zu beseitigen, durchaus angebracht sein. Insgesamt aber geht es nicht darum, eine neue Dominanz zu behaupten, sondern vielmehr, eine Perspektive zu entwerfen, die andere Begriffe zur Analyse des Geographie-Machens heranzieht. Insofern ist die Arbeit als ergänzender Beitrag zur aktuellen theoretischen Debatte in der Geographie zu verstehen. Als eine wesentliche Aufgabe der Geographie sieht Werlen die Untersuchung der Herstellung von „Welt-Bindungen“1 (2010, 352). Diesen Gedanken nehme ich auf und wende ihn erkenntnistheoretisch, d. h., ich postuliere Machen zunächst als das Knüpfen von Weltbindungen. Diese sehr offene Lesart von Machen stellt die Frage in den Mittelpunkt, durch welches Wissen und welche Beziehungen der Mensch mit sich selbst und Welt in Kontakt tritt. Sie beschreibt das Vermögen des Menschen, nicht nur über Fakten und Begriffe Sinn und Bedeutung zu konstituieren und Welt-Bindungen einzugehen, sondern auch emotional und sinnlich; das Vermögen, zu erleben und dies auf vielfältige Weise zum Ausdruck zu bringen. Die1
Die Werlen als adäquate, zeitgemäße Nachfolge des Begriffs der „Regionalisierung“ ansieht (2010, 30).
Über Entdeckungszusammenhänge
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ses Erkenntnisvermögen ist, wie zu zeigen sein wird, ein ästhetisches. Erkenntnis oder Erkennen ist dabei im weitestmöglichen Sinne zu verstehen, d. h. als „Tätigkeit, in der wir uns eine ‚Welt‘ in ihrer charakteristischen Gestaltung, in ihrer Ordnung und ihrem ‚So-Sein‘, aufbauen“, so Cassirer (1983, 208). Mit einer gründlichen theoretischen Fundierung soll dem Vorwurf vorgebeugt werden, den auch Kazig (2007, 179) schon zu entkräften versucht hat, dass es sich bei dem Einbezug von Ästhetik in die geographische Theorie um die Wiederbelebung eines geodeterministischen Denkens handelt. Denn an dieses anzuknüpfen hieße tatsächlich, die letzten 40 Jahre geographischen Diskurses zu ignorieren. Auch Geographie, wie sie hier verstanden wird, erforscht die Konstitution von Welten, Weltbildern und Identitäten. Ausgangspunkt ist ebenfalls das Subjekt, das als Geographie-Machender angesehen wird. Die erkenntnistheoretisch fundierte Wiederaufnahme der Frage, was Geographie-Machen heißt, soll zur Diskussion stellen, was es unter jenen erkenntnistheoretischen Annahmen, die das analogisch-ästhetische Erkenntnisvermögen des Menschen betonen, heißt, Geographie zu machen, und mit welchen Eigenschaften die Machenden dabei ausgestattet werden. Es ist zu prüfen, welche Eigenschaften und Beziehungen des Subjekts bedeutsam werden, wenn eine erkenntnistheoretische Argumentationsbasis gewählt wird, und welche Konsequenzen dies für die Konzeption des Machens hat. Die These ist, dass die Geographie-Machenden als sensitiv und ihr Geographie-Machen als performativ verstanden werden kann. Die Geographie-Machenden kommen mit ihrem Erleben, ihrer Emotionalität, ihrer Multisensualität, ihrer Darstellung in den Blick. Mit der Betonung von ‚Machen‘ als performatives Vollzugsgeschehen ist es möglich, die von Werlen geforderte Dynamisierung der geographischen Perspektive stringent weiter fortzuführen: vom Raum zur Handlung, von der Handlung zum Handeln, vom Handeln zur Performanz. Die Frage ist dann, wie ‚Machen gemacht‘ wird. Bei der Diskussion dieser Frage hilft ein performativer Ansatz. Im Konzept der Performanz kommen zentrale, in der erkenntnistheoretischen Grundlegung herausgestellte Begriffe zum Tragen. Performanz ist als ein Vorschlag zu verstehen, das Machen in Geographie-Machen zu interpretieren, die erkenntnistheoretischen Einsichten in die ästhetische Erkenntnisform, in die Emotionalität, das Erleben und die Multisensualität des Menschen zu berücksichtigen. Über Entdeckungszusammenhänge Der Entdeckungszusammenhang gibt die intellektuelle Reise wieder, auf der man Ideen, Theorien, Texten, Diskussionspartnern begegnet ist und die letztlich die Einsichten ermöglichte, die der eigenen Argumentation Gestalt gegeben haben. Andere historische oder institutionelle Settings, andere gelesene Bücher, andere Vorträge und Tagungsgespräche und ein anderer biographischer Rucksack hätten zu einer anderen Reiseroute und damit zu einer anderen Argumentation geführt. Diese Reise ist durch zwei – produktive – Sackgassen geprägt, die zum Umlenken, ja zu einer Rückkehr zum Ausgangspunkt und einen neuen Anlauf geführt haben. Das Gefühl, hier nicht weiter zu kommen, stellte sich an zwei Stellen ein: Eine erste zeigte sich
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Einleitung
bei der Gegenüberstellung des linguistic turns in der anglistischen Sprachwissenschaft mit dem linguistic turn in der Geographie. Hier fällt auf geographischer Seite das weitgehende Ausblenden eines ganzen Themenbereichs, nämlich des Nonverbalen, auf. Das Nonverbale leistet Enormes: Mithilfe von Gestik, Mimik und Prosodie wird ein vergangener Ort, werden Personen und ein früheres Ich lebendig, werden Emotionen zum Ausdruck gebracht und Stimmungen erzeugt. Die Erforschung des Nonverbalen ist in der Sprachwissenschaft ein etabliertes Forschungsfeld. Der linguistic turn in der Geographie erscheint vor diesem Hintergrund zwar unbedingt begrüßenswert, doch die Konzentration auf den geschriebenen Text, der Wegfall aller performativen, körperbezogenen Elemente ließ ihn auch unvollständig erscheinen, geradezu leblos. Wissenschaft und Alltag kommen ohne Text, Sprache, Lesen sicherlich nicht voran, vernachlässigt wird dabei jedoch die Multisensualität unserer Kommunikation, die Ausdrucksmodi von Emotionalität und (Er)Leben sowie der Vollzugscharakter von Kommunikation. Eine andere Sackgasse tat sich in der Feldforschung auf. Das ‚eigentliche‘ Thema des vorliegenden Buches sollte es sein, den Journalisten Peter Scholl-Latour, genauer die von ihm oder unter seinem Namen medial verbreiteten Weltbilder zu untersuchen. Dazu sollten Bücher und TV-Dokumentationen analysiert und die sprachliche bzw. bildliche Konstruktionen von ‚Europa‘, ‚dem Westen‘, ‚dem Osten‘, ‚den Asiaten‘ etc.; also von ‚Uns‘ und den ‚Anderen‘ durch den ‚Weltenkenner‘ Scholl-Latour analysiert und hinsichtlich ihrer (problematischen) Implikationen untersucht werden. Wenn man sich mit Peter Scholl-Latour beschäftigt, wird schnell klar, dass er ein sehr erfolgreicher Autor und gefragter Experte in der Deutung aktuellen gesellschaftlichen Geschehens war. Besonders auffällig war dabei der Grad an Zuneigung, die ihm entgegengebracht wurde und – nach nach seinem Tod – immer noch wird. Damit sind nicht (in erster Linie) die Verkaufszahlen seiner Bücher gemeint oder die politische Anerkennung durch das Verleihen des Bundesverdienstkreuzes, sondern die Äußerungen seiner Leser und Zuschauer. So wird der Scholl-Latour kritische Sammelband Das Schwert des ‚Experten‘ (1993), herausgegeben von Klemm und Hörner, bei Amazon mit – für ein wissenschaftliches Buch – ausnehmend vielen Kritiken bedacht. Diese fallen fast durchweg vernichtend aus. Bemerkenswert ist, dass regelrechte Verteidigungsreden für Scholl-Latour gehalten wurden. Auch während des Besuchs einer seiner Auftritte in Weimar konnte ich die emotionale Involviertheit, oder besser: Faszination der Zuschauer, beobachten. Eine Besucherin, die sich vor der Lesung eher verhalten gezeigt hatte, wurde danach abermals interviewt. ‚Berauscht‘ wäre wohl das richtige Wort, um ihre und die Stimmung vieler anderer Besucher zu beschreiben; berauscht vom Charisma eines Peter SchollLatour, restlos überzeugt von seinen Weltbildern und Gegenwartsdiagnosen und sich wünschend, dass mehr Politiker so wie er wären. Es zeigte sich: Die Person Peter Scholl-Latour hatte eine gewaltige Aura, einen hohen Authentizitätsgrad, und nur dadurch, so könnte man behaupten, erhielten seine Weltbilder überhaupt erst einen so großen Zuspruch. Es erscheint demnach angebracht, neben den textlich verfassten Weltbildern auch die alltägliche Rezeption zu untersuchen. Ferner wäre die medial aufgezeichnete Performance von Scholl-Latour, das verkörperte Aufführen von Weltbildern, der Vollzug des Geo-
Aufbau der Arbeit
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graphie-Machens, in den sozialgeographischen Blick zu nehmen. Hier tauchte nun die zweite Sackgasse auf. Denn die Begriffe, die zum Beschreiben des Phänomens sinnvoll erscheinen – Erleben, Emotionalität, Performanz – werden in der gegenwärtigen sozialgeographischen Diskussion zwar punktuell (Hasse zum Erleben, Dirksmeier & Helbrecht, sowie Berndt & Boeckler zu Performanz), jedoch nicht im Zusammenhang und kaum systematisch verhandelt. Es stellt sich also die Frage, wie die Begriffe mit Blick auf das Paradigma des Geographie-Machens jeweils verstanden werden können und ob und in welchem Verhältnis sie zueinanderstehen. Mit diesen Begriffen, so die Vermutung wird ein anderer Argumentationsfaden aufgenommen als ihn eine auf Text und Diskurs ausgerichtete Sozialgeographie gesponnen hat. Gemeinsam ist ihnen jedoch der Fokus auf die Frage wie Subjekte Weltbindungen eingehen. Die vorliegende Arbeit ist als Beitrag zu verstehen, diese Begriffe systematisch zu erarbeiten und in einen ordnenden Zusammenhang zu bringen. Aufbau der Arbeit Ist das Anliegen klar – es geht um die Darlegung der erkenntnistheoretischen Grundlagen des Geographie-Machens und die damit verknüpfte Aufwertung von Sensitivität und Performanz –, und ist das Missverständnis abgewehrt, dass dies eine Vorherrschaft dieser Begriffe intendiere, so sind nun die Parameter einer solchen Interpretation des Geographie-Machens auszuführen. Die Arbeit umfasst drei Teile. Im ersten Teil erfolgt die erkenntnistheoretische Grundlegung. Hier werden die Arten der Weltbindung, genauer: das Spektrum der Erkenntnisformen vorgestellt. Es wird gezeigt, welche Eigenarten die Erkenntnispole jeweils aufweisen und mit welchen Darstellungsweisen (Sagen und Zeigen) sie jeweils verbunden sind. Die These ist, dass Geographie-Machen zu einem bedeutenden Teil über das analogisch-ästhetische Erkenntnisvermögen abläuft. Konsequenterweise müssen wir, um die Implikationen dieser Zuweisung zu begreifen, gerade im geographischen Kontext deutlich machen, was unter ‚ästhetisch‘ verstanden wird. Geographie und Ästhetik zusammenzubringen, ist kein neues Unterfangen, und so gilt es zunächst, auf bestehende Ansätze einzugehen. Danach wird eine Konzeption von Ästhetik vorgestellt, die als fruchtbarer Input für die Diskussion um das Geographie-Machen und die Geographie-Machenden angesehen wird: die Ästhetik von Alexander Gottlieb Baumgarten und seine Präzisierung des Erkenntnisvermögens als sensitiv. Als zentrale Säulen des sensitiven Erkennens werden Erleben, Emotionalität und Multisensualität hergeleitet. Im zweiten Teil der Arbeit werden diese Begriffe präzisiert. Erleben wird geisteswissenschaftlich mit Wilhelm Dilthey ausgeführt. Dilthey prägt zwei zentrale Dreiklänge: zum einen den von Erleben – Ausdruck – Verstehen und zum anderen den vom ‚wollend fühlend vorstellenden‘ Menschen. Beides hilft uns bei der Frage danach, was Machen in alltäglichem wie wissenschaftlichem Geographie-Machen auch noch heißen könnte und was diejenigen, die da machen, auszeichnet. In der Besprechung von Emotionalität wird die Argumentation auf die gerade boomende neurowissenschaftliche Forschung gestützt. Dabei werden nicht nur die Erkennt-
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Einleitung
nisse, insbesondere von António Damásio, dargelegt, sondern auch die Grenzen neurowissenschaftlicher Einsichten diskutiert. Das folgende Kapitel zur Multisensualität thematisiert die Vielfalt unseres sinnlichen Eingebundenseins und zeigt Beispiele geographischer Forschung. Dabei wird deutlich, dass die Geographie längst auf dem Weg zu einer ‚sensous geography‘ (Rodaway 1994) ist. Im dritten Teil steht Performanz im Fokus. Im Begriff der Performanz werden zentrale Begriffe der erkenntnistheoretischen Grundlegungen des ersten Teils und der Begriffspräzisierungen im zweiten Teil wiederaufgenommen: Fragen des Vollzugs, der Präsenz, der Darstellung, des Ausdrucks, der Bedeutung von Sprache und Nonverbalem. Performanz, so die These, trägt so zu einem erkenntnistheoretisch informierten Verständnis des Machens von Geographien bei. Es werden verschiedene performative Ansätze vorgestellt und der Zusammenhang von Performanz mit Sprache, Handeln oder Sinn wird beleuchtet.
1 Theoretischer Kontext
Der social und cultural turn hat die Sozialgeographie unwiderruflich gewendet. In der deutschsprachigen Sozialgeographie stehen seit den späten 1980er Jahren die Akteure und ihr Tun, oder genauer: „Signifikationsprozesse und Deutungsschemata“ (Lossau 2014, 26) im Mittelpunkt der Forschung. Diese Wende weg von der Beschreibung und Erklärung von Raumstrukturen hin zur Analyse des Handelns, ermöglicht Einblicke in die Konstitution „gesellschaftlicher Raumverhältnisse“ (Werlen 2010b, 321 ff., 2013a, 3), in deren Kontext die vorliegende Arbeit in kritischer Auseinandersetzung situiert ist. Gesellschaftliche Raumverhältnisse „Gesellschaftliche Raumverhältnisse“ bezeichnen nach Werlen „das – über den historischen Werdegang – gesellschaftlich geschaffene Möglichkeitsfeld der Bezugnahme auf die aktuell räumlich getrennt vorgegebene[n], handlungsrelevanten Gegebenheiten“ (2013a, § 89). Dabei werden die subjektive und die soziale Perspektive als komplementär angesehen. (2013a, § 35). Anliegen des Buches ist es auch, zu reflektieren, was die für die Konstitution gesellschaftlicher Raumverhältnisse zentrale subjektive Perspektive kennzeichnet. Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist Werlens Konzept der „Welt-Bindung“ (2007, 421), d. h. „die Frage nach der Art und Weise, wie Handelnde ‚Welt‘ zu sich bringen, an ihr Tätigsein binden und sich somit zu eigen machen“ (Werlen 2010b, 325). Im Rahmen dieser Arbeit wird ‚Welt-Bindung‘ erkenntnistheoretisch interpretiert, d. h., als das In-Beziehung-Treten von Subjekt und Welt, als Erkennen verstanden. Damit tritt die Frage in den Mittelpunkt, durch welches Wissen und welche Beziehungen der Mensch mit sich selbst und Welt in Kontakt tritt. Die Ausrichtung auf Erkennen als analytisch eigenständige Operation wird auch im Projekt der ‚gesellschaftlichen Raumverhältnisse‘ angenommen, denn auch hier spricht Werlen vom „erkennende[n] und handelnde[n] Subjekt“ (Werlen 2013a, § 46). Erkenntnistheorie und Sozialgeographie teilen das Interesse an der schöpferischen Fähigkeit der Subjekte sich (ihre) Welt aufzubauen. An erkenntnistheoretische Überlegungen anzuknüpfen, bedeutet für die Sozialgeographie einen Zugewinn an Einsichten zur Verfassung und den Eigenschaften der Subjekte, was für eine konsequente Umset-
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Theoretischer Kontext
zung der selbstgesteckten Aufgabe, Geographie vom Menschen aus verstehen zu wollen, angemessen scheint. Beim Aufbau von Welt-Bindungen kommt der „Aneignung“, genauer der „symbolisch-emotionalen Aneignung“ (Werlen 2007, 346 f.), eine zentrale Rolle zu. Hier ergibt sich ein weiterer Anknüpfungspunkt, denn so wird ‚emotional‘ zwar als ein bestimmendes Attribut genannt, die weiteren Ausführungen konzentrieren sich jedoch auf den symbolischen Teil. Als Konsequenz verschwindet das Attribut ‚emotional‘ in der weiterführenden Argumentation und es wird nur noch von „Geographien symbolischer Aneignung“ (ebd., 346) gesprochen. Es besteht also der Bedarf, das augenscheinlich wichtige Phänomen der ‚Emotionalität‘ gesondert in den Blick zu nehmen. Ein Vorschlag, ‚Emotionalität‘ als conditio humana herzuleiten, wird im Rahmen dieser Arbeit unterbreitet. Mit der Betonung des Symbolischen-Signifikativen wurde der Analysefokus von Aneignungen auf Sprachhandeln gelegt (Schlottmann 2005, Felgenhauer 2007a, 2009). Hier finden wir die Metapher von Kommunikation und Praxis als Text, die für die Betrachtung der symbolisch-signifikativen Ebene legitim sind: „Signifikative Regionalisierungen sind Formen von Texten, die als Bestandteile der Kommunikation anhand interpretativer Schemen – häufig auch in institutionalisierten Praktiken – ‚gelesen‘, gedeutet und gelegentlich auch neu geschrieben werden“ (ebd., 373). Die Aufgabe Interaktionen, Kommunikation und Praktiken verstehen zu wollen, macht es auch nötig über den Text hinaus zu gehen und die Körperlichkeit und Leiblichkeit der Subjekte mit einzubeziehen. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit eine theoretische Öffnung zur Sensitivität und Performanz angestrebt. Sie alle gründen im sensitiven Erkenntnisvermögen des Menschen und umfassen damit nicht nur diskursives Wissen, sondern auch das tacit knowledge, d. h. Wissen, das gewusst und gespürt, aber nicht immer verbal-sprachlich widergegeben werden kann. Damit werden in der Arbeit Begriffe in den Mittelpunkt gestellt, die an die praxiszentrierte Sozialgeographie anschließen und diese in eine Richtung ergänzen, die auch in der Diskussion von Werlens ‚gesellschaftlichen Raumverhältnissen‘ in Erwägen Wissen Ethik (2013) vorgeschlagen wird: Neben der Explikation von Körperlichkeit, so regen die Kritiker an (Werlen 2013b, § 72, Fischer §§ 1–3, Wöhler §§ 7, 8, Zibell § 5, Marquard §§ 10, 12), sollte auch die Leiblichkeit in der sozialgeographischen Diskussion berücksichtigt werden. Lange sagt mit Verweis auf Hasse (2003, 19) explizit, dass „Subjekte als nicht nur sinnstrukturierende, sondern auch als erlebende Wesen“ (2013, § 14) verstanden werden können. Körper ist dann neben „physiologisch-biologische[r] Gegebenheit“ (Werlen 2013a, 28) auch Leib und somit sozial gerahmtes „Zentrum unmittelbarer Erfahrung“ (ebd., § 30). Werlen hält fest, dass Leiblichkeit aus den Erfahrungen der Subjekte erwächst und kein a priori-Begriff ist. Mit dem Begriff der Erfahrung – oder man könnte auch von Erleben sprechen – ist ein Schlüsselbegriff zum Verstehen von Leiblichkeit genannt, dieser wird jedoch nicht weiter ausgeführt (siehe auch die Kritik von Geiselhart 2013, § 7). Entsprechend wird in dieser Arbeit, der Leiblichkeit der Subjekte Rechnung getragen, in dem Erleben, Emotionalität und Multisensualität menschlichen
Gesellschaftliche Raumverhältnisse
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Daseins thematisiert werden. Damit wird neben dem Grad des Vermögens über Distanz zu handeln, auch die emotionale Involviertheit fernab metrischer Einheiten interessant. Dies schließt an die Debatte um das Menschbild in der Sozial- und Neuen Kulturgeographie an. Das Paradigma vom Mensch als Akteur erfährt in der Geographie in den letzten Jahren deutliche Kritik, u. a. von Ilse Helbrecht und Jürgen Hasse. Der Akteur als zielgerichtet agierendes Wesen stellt für Hasse eine Reduktion des Menschen dar, da der Einfluss des Unbewussten größtenteils vernachlässigt werde. Ein solches Menschenbild könne, so Hasse, nur eine Funktion erfüllen: den WissenschaftlerInnen die Beherrschbarkeit ihres Forschungsgegenstandes suggerieren. Auch Helbrecht fordert eine stärker geisteswissenschaftliche Orientierung in der Geographie. „Den Menschen nur als sozialen Akteur zu sehen“, so Helbrecht „ist aber grobschlächtig; da wird weder gelacht, gesungen noch geweint“ (Helbrecht 2003, 172). Es geht um den Einbezug dessen, was ‚nicht denkend‘ ist. Ohne die Anerkennung dieser ‚menschlichen Parameter‘ versagt sich die Geographie nicht nur der konsequenten Analyse der „Geographien des eigenen Lebens“ (Daum & Werlen 2002), sondern auch einer kritischen Selbstreflexion als Wissenschaft. Wenngleich, so muss zur Korrektur eingefügt werden, der Akteur in der handlungszentrierten Sozialgeographie keineswegs als mechanisches ‚Wollen-Planen-Machen-Wesen‘ gedacht wird, kann festgehalten werden, dass eine systematische Auseinandersetzung mit Sensitivität und Performanz notwendig scheint, wenn Sozialgeographie als Erforschung von Geographie-Machen betrieben werden soll. Durch den Einbezug erkenntnistheoretischer Überlegungen wird ein geisteswissenschaftlicher Blick auf diejenigen geworfen ‚die‘ (‚wir‘) da alltäglich Geographie-Machen. Zur Vertiefung der subjektiven Perspektive gehört auch die Auseinandersetzung mit Emotionalität. Einleitend zu ihrem Sammelband Emotional Geographies bemerken Liz Bondi, Joyce Davidson und Mick Smith die mangelnde Reflexion von Emotionalität in der geographischen Forschung: sowohl hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes als auch der eigenen Tätigkeit als WissenschaftlerInnen (Davidson, Bondi & Smith 2007, 1). Sie teilen damit die Kritik vieler angelsächsischer Autoren (Thrift 2004b, 2005; Anderson 2006; Smith et al. 2009), die die verstärkte Einbindung von Emotionalität in die geographische Forschung fordern. In der deutschsprachigen Geographie hat Hasse mit Bezug auf die Neue Phänomenologie bereits vor mehr als zehn Jahren die Berücksichtigung von Emotionen gefordert (Hasse 1999, 2003). Trotz dieser Bemühungen steht eine ausführliche Diskussion von Emotionalität in der Geographie noch am Anfang. In meiner Arbeit werde ich die Notwendigkeit der geographischen Beschäftigung mit Emotionalität erkenntnistheoretisch herleiten und anschließend aus einer (nicht-deterministisch argumentierenden) neurowissenschaftlichen Perspektive genauer anschauen. Diese gibt Impulse zur Ableitungen möglicher empirischer Methoden.
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Theoretischer Kontext
Performativität und Performanz Die performative Wende Ende der 1990er Jahre war mit der Aufforderung an die Geographie verbunden, sich differenziert mit Vollzug, Erleben, Körperlichkeit, Leiblichkeit und den Konsequenzen für die Vorstellung von ‚Raum‘ für das alltägliche wie wissenschaftliche Geographie-Machen auseinanderzusetzen. In der angelsächsischen Debatte ist dem performative turn eine umfassende Diskussion des Konzepts ‚Körper‘ vorausgegangen, das als das zuvor ausgeschlossene Andere wieder zurück in die geographische Theoriebildung geholt wurde (u. a. Pile & Thrift 1995; Longhurst 1997; Nast & Pile 1998; Parr 2002; Dyck 2002; Hansen & Philo 2006). In der deutschsprachigen Debatte laufen unter dem Label ‚performativ‘ z. B. die sprachpragmatische Sozialgeographie (Schlottmann 2005, 2007, Zierhofer 2002), die kulturellen Geographien der Ökonomie (Berndt und Boeckler 2007), die Urbanitätsforschung (Dirksmeiers und Helbrecht 2008, 2010) oder Untersuchungen zum Thema Sport und Stadt (Strüver 2011a). Gemeinsam ist allen performativen Ansätzen, dass Raum, Identitäten, Kulturen (oder Wissenschaft) nicht als statisch und feststehend, der Performanz vorgängig vorgestellt werden, sondern als erst durch sie hergestellt. Die Zuwendung zum Performativen ist auch Symptom einer anhaltenden Unzufriedenheit mit einer als einseitig verstandenen Ausrichtung auf Text-/Diskursanalyse und der Forderung nach einer stärkeren Reflexion der Verkörperungsbedingungen alltäglichen Tuns. Performanz zeichnet sich durch Eigenschaften aus, die weder das Semiotische noch das Symbolische besitzen: den Moment der Präsenz. Es geht um den Vollzug. Performanz als präsentisches Geschehen zu verstehen, betont den Vollzugscharakter von alltäglichem und wissenschaftlichem Geographie-Machen. Dies stellt die empirische Forschung vor Herausforderungen. So kann sich jede Untersuchung nur auf ein vergangenes performatives Ereignis beziehen. Zugleich muss dieses Ereignis auch als autonome performative Praxis in ihrem Vollzug und ihren Präsenzeffekten erforscht werden. Der performative Ansatz hat – zumindest in der Geographie – gegenüber dem sprachlich-konstruktivistischen Nachholbedarf in Sachen theoretischer Explikation und empirischer Forschung. Die vorliegende Arbeit möchte einen Beitrag zu ersterem leisten. Dafür gilt es zunächst eine Bestandsaufnahme bestehender Ansätze zu machen, die unter die Überschrift ‚Performativität/Performanz‘ gestellt sind, denn keineswegs werden darunter feststehende Begriffe verhandelt. Dafür werden sowohl ausgewählte geographische Ansätze als auch die theoretischen Anleihen dieser Überlegungen vorgestellt, die von der Sprachphilosophie Austins bis zu den performance studies reichen. So kann eine Bestandsaufnahme der Lesarten von ‚Performativität‘ und schließlich auch ‚Performanz‘ geleistet werden. Es wird eine eigene Interpretation von Performanz vorgenommen, die auf den Einsichten in die sensitive Verfasstheit der Subjekte aufbaut und sich damit schließlich der Frage nach dem Machen in Geographie-Machen nähert. Mit den Überlegungen zu Performanz wird die „Dynamisierung der geographischen Weltsicht“ (Werlen 2010b, 323) weiter vorangetrieben.
Non-representational theory
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Weiterhin wird sich dem Besonderen und zugleich auch dem (aus methodologischer und methodischer Hinsicht) Schwierigen der Performanz gewidmet, dem Phänomen der Präsenz, das so Mersch, „keine Apotheose naiver Unmittelbarkeitsfrömmigkeit“ (Mersch 2005, 254) darstellt, sondern den Versuch, sich dem zu nähern, was innerlich klar empfunden, aber begrifflich schwer fassbar ist. Was passiert, wenn etwas geschieht, wird auch bei Zahnen (2011) auf das Wissenschafts-Machen selbst angewendet. Hier werden auch Fragen der empirischen Einholbarkeit adressiert. Non-representational theory Die non-representational theory untersucht wie sich Leben durch Erfahrungen, Begegnungen, Bewegungen, Routinen, Emotionen, Interaktionen formiert, oder kurz: Leben als Praxis (Lorimer 2005, 84, Harrison 2000, 499). Dabei wird das körpergebundene Entfalten von Beziehungen und Identitäten betont, was als „Coproducing“ (Thrift 2000b, 5; Dewsbury et al. 2002, 437 f.; Latham 2003; Whatmore 2008) bezeichnet wird. Im Mittelpunkt der Analyse steht das als singulär, aber doch sozial verstandene Aufführen von Welt, das von WissenschaftlerInnen in seiner Prozesshaftigkeit beobachtet oder ‚bezeugt‘ (Dewsbury 2003, 1923) werden muss. Derart soll auch die Entstehung und der Vollzug von Repräsentationen untersucht werden (Anderson & Harrison 2010, 14 f.). Mehr als eine konkrete Theorie steht die non-representational theory für einen Denkstil, der sich dem Präkognitiven, dem „more-than-human, more-than-textual“ widmet und dabei die emotionale und multisensuale Verfasstheit des Menschen besonders berücksichtigt (Lorimer 2005, 83, Thrift 2007, 12). Die grundsätzliche Ausrichtung auf die gelebte Praxis mit all ihren Verwicklungen, die eine Ausdifferenzierung und weitere Vertiefung des Begriffs der ‚Praxis‘ ernöglicht, umfasst auch ein geteiltes Problembewusstsein, darüber, wie schwierig es ist, in Worte zu fassen, was ‚unbeschreiblich‘ scheint. Dennoch besteht in meinem Zugang im Vergleich zur non-representational theory oder zur Akteur-Netzwerk-Theorie ein deutliches Zögern gegenüber des Einbezugs des „more-than-human“. Wie auch Werlen bemerkt, ist ein gewisses Zögern bzw. Skepsis angebracht, ob eine auf das Subjekt ausgerichtete handlungstheoretische Sozialgeographie mit einem derart ‚belebten‘ Objektverständnis operieren kann, muss oder sollte (Werlen 2013, § 77). Spatial turn Fragen zu ‚Raum‘ bewegen seit den späten 1990er Jahren im sogenannten spatial turn die Sozial- und Kulturwissenschaften. Edward Soja, prägt den Begriff ‚spatial turn‘ in seinem Buch Postmodern Geographies im Jahr 1989. Damals und heute kann darunter keine einzelne, konsistente Theorie gefasst werden. Die Lesarten des spatial turn sind so unterschiedlich wie die Disziplinen, in denen dieser ausgerufen wird: z. B. in der Soziologie (Löw 2011, Schroer 2005), in der Geschichtswissen-
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Theoretischer Kontext
schaft (Schlögel 2002, 2003), in der Literaturwissenschaft (Hallet & Neumann 2009) oder der Medienwissenschaft (Günzel 2007). So begrüßenswert die Hinwendung zu humangeographischen Ideen ist, so gibt es doch ein Problem. Die Sozial- und Kulturwissenschaften wenden sich, so die Diagnose von Döring und Thielmann, den humangeographischen Ideen mit der Absicht zu, ihre Disziplinen auf den wortwörtlich genommenen Boden der Tatsachen zurück zu bringen „Sie mobilisieren gerade jene (Komplexität reduzierende, kontingenzunterbrechende, Naturzwang prätendierende, jedenfalls:) heillos reduktive Raumsemantik, um dem von der time-space compression angedrohten Raumverschwinden etwas beglückend Physisches, Versammelndes und Integrierendes gegenüberzustellen“ (Döring & Thielmann 2008, 38). Es sind die Verlockungen der Materialität, des vermeintlich einfach Verortbaren, des Ablesens, kurz: der „geographische Reflex“ (Miggelbrink 2008, 104), dem zu widerstehen die Sozialgeographie jedoch als Bedingung für eine angemessene Theoriebildung stellt (Werlen 1987, 1995, 1997, 2010a, b, 2013a, b). Die Sozialgeographie steht also vor dem Dilemma, dass zwar unter der Überschrift des spatial turn die Tür für eine Auseinandersetzung mit und um Raum geöffnet ist, durch diese werden allerdings – quasi an den Augen der zeitgenössischen Sozialgeographen vorbei – die als überholt geltenden Ideen aus den Hinterzimmern und Kellern gezerrt. Als Beispiel hierfür sei Schlögel angeführt, der seinen Buchtitel „Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik“ einem Ratzel-Zitat entlehnt (Döring & Thielmann 2008, 22). Natürlich propagiert Schlögel keine Geopolitik à la Haushofer und distanziert sich ausdrücklich von dieser Art der Geopolitik. Wer jedoch in einer Haltung als ‚Raumleser‘ Soziales verräumlicht und „Regionen und Raumcontainer nicht zugleich auf die Kontingenz und Funktionalität von Grenzziehungen hin befragt und als Konstrukt sozialer Operationen [erkennt]“ (Redepenning 2013, 23), muss sich im Klaren darüber sein, dass dies von sozialgeographischer Seite Protest hervorrufen wird. Dieser „sorglos-uninformierte[n] Umgang von Nicht-Geographen mit Alt-Beständen der eigenen Fachgeschichte“ (Döring & Thielmann 2008, 34) lässt die Anstrengungen der Sozialgeographie verpuffen, durch eine sozialtheoretische Fundierung diese ‚räumelnden‘ Argumentationslinien in den vergangenen drei Jahrzehnten zu überwinden. Man dürfe sich, so Jureit (2008), „nicht länger aus der geographischen Rumpelkammer bedien[en]“. Nun kann und sollte die Sozialgeographie kein Türsteher sein und nicht jeder nicht-(sozial-)geographische Ansatz in der Debatte um Raum fortan unter dem Generalverdacht stehen, in letzter Konsequenz doch wieder geodeterministisch zu argumentieren. Es geht nicht darum zu behaupten, die Sozialgeographie (nach Werlen) würde den einzig richtigen Ansatz propagieren. Dies könnte zu Recht als „ärgerlich“ (Löw 2013, § 3) angesehen werden. Vielmehr sollte transdisziplinär (Werlen 2013b, §§ 17–31, Lange 2013), d. h. über Disziplingrenzen hinweg an oder über gemeinsame(n) Fragestellungen nachgedacht und trotz gelegentlichem Dissens sachlich debattiert werden. Nur so kann für die Bewältigung der dringenden gesellschaftlichen Aufgaben unserer Zeit ein Beitrag geliefert werden. Die vorliegenden Überlegungen mögen als Beitrag dazu verstanden werden.
Spatial turn
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Zusammengefasst ist es das Anliegen der vorliegenden Arbeit, das Paradigma der Sozialgeographie, das Geographie-Machen, um eine erkenntnistheoretisch informierte Reflexion des ‚Subjekts‘ und seines Machens zu erweitern. Um sich dem ‚Machen‘ anzunähern, so die These, ist es notwendig, sich zunächst mit denjenigen auseinander zu setzen, die da machen. Was zeichnet die Subjekte aus? Wie treten sie mit Welt in Beziehung? Erst wenn wir darüber nachgedacht haben, können Vermutungen über ihr Machen angestellt werden. Oder anders gesagt: Das, was wir unter Machen verstehen, ist davon abhängig, wie wir die Protagonisten der sozialgeographischen Theorie verstehen. Wir müssen zunächst fragen, wie die sind, die da machen, bevor wir verstehen können, was und wie da gemacht wird. Eine systematische Herleitung und Reflexion der Begriffe der Sensitivität und der Performanz soll die subjektive Perspektive genauer verstehen helfen und somit die sozial- und erkenntnistheoretische Wende weiter vollziehen.
2 Erkenntnistheoretische Grundlegung
Im zweiten Teil der Arbeit wird der Begriff der ‚Welt-Bindung‘ als zentrales Moment des Geographie-Machens erkenntnistheoretisch gewendet. Mit Erkenntnistheorie wird das Verhältnis von Mensch und Welt untersucht. Hierdurch soll eine Basis geschaffen werden, von der aus die Eigenschaften der Subjekte in den Blick genommen werden können. Ziel ist es, das Erkennen der Subjekte als wichtige (Teil-)Operation alltäglichen Geographie-Machens zu bestimmen; immerhin werden Subjekte als ‚erkennend und handelnd‘ (Werlen 2013a, § 46) charakterisiert. Es ist in der sozialgeographischen Debatte bisher keinesfalls hinreichend diskutiert worden, wodurch sich Erkenntnisprozesse auszeichnen. Dies erscheint aber dringend geboten, schließlich ist das ‚Subjekt‘ erklärter Protagonist sozialgeographischer Theorie und der subjektive Aspekt, neben dem physisch-materiellen und dem sozialen, ein wesentlicher Pfeiler der Konstitution alltäglichen und wissenschaftlichen Tuns. Eine erkenntnistheoretische Grundlegung arbeitet Sensitivität als wesentliches Merkmal der Subjekte heraus und erweitert damit eine auf Text und Diskurs ausgerichtete Geographie, um Erleben, Emotionalität und Multisensualität. 2.1 Über die Notwendigkeit erkenntnistheoretischer Überlegungen in der Geographie „Mich dünkt, es sei mehr als allzu gewiß, daß nicht die Leichtigkeit, sondern die Nützlichkeit den Werth einer Sache bestimmen müsse, und daß, wie ein sinnreicher Schriftsteller sich ausdrückt, die Stoppeln ohne Mühe oben fließend gefunden werden, wer aber Perlen suchen will, in die Tiefe herabsteigen müsse“ (Kant AA I, 503).
Eine geographische Arbeit mit einer ausführlichen erkenntnistheoretischen Grundlegung zu beginnen, ist eher ungewöhnlich. Im Vordergrund steht meist die Analyse eines konkreten empirischen Forschungsgegenstandes. Die skeptische Frage, ob man denn in der Geographie unbedingt einen erkenntnistheoretischen Rahmen brauche, muss dennoch unbedingt bejaht werden. Erkenntnistheorie stellt den Versuch dar, die Beziehungen zu beschreiben, die sich zwischen Mensch und Welt aufspannen: Je nach Art des Erfassens und des Verstehens nimmt das Verhältnis von Mensch und Welt ganz unterschiedliche Gestalt an. Erkenntnis oder Erkennen ist dabei im weitestmöglichen Sinne zu verstehen, d. h., es bezeichnet „nicht nur […]
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den Akt des wissenschaftlichen Begreifens und des theoretischen Erklärens, sondern […] jede geistige Tätigkeit, in der wir uns eine ‚Welt‘ in ihrer charakteristischen Gestaltung, in ihrer Ordnung und ihrem ‚So-Sein‘, aufbauen“ (Cassirer 1983, 208). Eine Geographie, die sich dem Menschen und seinem Tun verschrieben hat, verfolgt ein ähnliches Anliegen. Auch sie untersucht den Akt und die Ergebnisse der Konstitution und Ordnung von Welten, von Identitäten. Insofern teilen Erkenntnistheorie (als Teilbereich der Philosophie) und Geographie das Interesse am schöpferisch-konstruktiven Vermögen des Menschen zur Erzeugung seines Selbst und seiner Welt. Dieser Schnittpunkt macht auch erkenntnistheoretische Überlegungen für die geographische Fachdiskussion relevant. Kants im Eingangszitat formulierte Einladung zum ‚Herabsteigen in die Tiefe‘ werden wir daher in diesem ersten Teil gern folgen. Die sensiblen Punkte des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses liegen nicht allein in der Wahl dieser oder jener Forschungsdesigns oder Analysemodelle, sondern auch in der Kant’schen Frage: Was kann ich wissen? Oder anders: Welche Art von Erkenntnis lasse ich in meiner Forschung gelten? Geht es um Erkenntnis durch Faktenwissen, um Wissen, dass etwas der Fall ist, um die Formulierung von Gesetzen und die Definition von Begriffen? Oder gestehe ich darüber hinaus zu, dass Erkenntnis auch jenseits konkreter Definitionen und Begriffe möglich ist: über sinnliche Wahrnehmung, über Emotion? Und: Welcher Stellenwert wird all diesen Begriffen zugewiesen? Wenn wir eine Vorstellung davon besitzen, was Erkennen für unsere im vorliegenden Fall geographische Sache bedeutet, d. h., welche Art von Erkenntnis in die geographische Forschung einbezogen wird, können wir zeigen, welcher Art das mitgedachte menschliche Weltverhältnis ist und mit welchen Begriffen ein solches Verhältnis beschrieben werden kann. Nur wenn klar ist, was in der vorliegenden Arbeit unter dem Erkenntnisbegriff verstanden wird, d. h., was als erkenntniskonstitutiv angesehen wird, kann die Spannweite einer geisteswissenschaftlichen Geographie verstanden werden. Die deduktive Herleitung und logische ‚Verankerung‘ soll von vornherein die Vorwürfe entschärfen, dass die Thematisierung von Emotionalität, Erleben, Multisensualität und Performanz entweder das Ergebnis eines forscherseitigen Hangs zu ‚weichen‘ und ‚diffusen‘ Themen ist oder aber der Versuch, möglichst vielen aktuellen (performative, somatic, emotional etc.) turns gleichzeitig zu folgen. Es gilt, das Besondere einer Geographie vom Menschen aus zu begründen und deren wissenschaftliche Daseinsberechtigung theoretisch abzusichern. Das Kapitel ist dreigeteilt. Zur Einführung in die verschiedenen Erkenntnisformen, also in die je unterschiedlichen Arten, über das Mensch-Welt-Verhältnis nachzudenken, erweisen sich, erstens, Gottfried Gabriels Ausführungen zu den propositionalen logisch-wissenschaftlichen und den nicht propositionalen analogischästhetischen Weltauffassung als besonders hilfreich. In einer kurzen Gesamtschau wird hier zunächst das Spektrum der Erkenntnisformen vorgestellt – jenes Spektrum, das uns je verschiedene Konzepte, Begriffe und Vorstellungen an die Hand gibt, um in davon abhängiger Weise über das Verhältnis von Mensch und Welt nachzudenken. Zur weiteren Begründung der erkenntnistheoretischen Grundlegung ist zweitens eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der Ästhetik notwendig. Dazu
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Erkenntnistheoretische Grundlegung
wird der Ansatz von Alexander Gottlieb Baumgarten vorgestellt, der Sinnlichkeit als ebenso erkenntniskonstitutiv anerkennt wie den Verstand. Sinnlichkeit erfährt unter dem Begriff cognitio sensitiva eine Begriffserweiterung, die neben der sinnlichen Wahrnehmung auch die emotionale und kognitive Wahrnehmung umfasst. Drittens werden die Ergebnisse der erkenntnistheoretischen Grundlegung festgehalten. Gottfried Gabriel und das Spektrum der Erkenntnisformen Wenn wir bestimmen wollen, welche Art der Erkenntnis für das hier verfolgte Anliegen relevant ist, müssen wir uns zunächst einen Überblick über das „Spektrum von Erkenntnismöglichkeiten“ (Gabriel 1991, VII) verschaffen. Dieses Spektrum ist zwischen zwei Polen aufgespannt, die mithilfe verschiedener Dichotomien bezeichnet werden (Gabriel 1991, 1996, 1997): propositionale logisches wissenschaftliche
versus versus versus
nicht propositionale Erkenntnis analogisches Denken ästhetische Weltauffassung
Gabriel erläutert die Genese dieser Dichotomie(n) folgendermaßen: die Polarisierung der Erkenntnisformen ist zurückzuführen auf die Trennung von Logik und Rhetorik (1997, 10). Die Logik, zu deren prominenten Vertretern Aristoteles, René Descartes und Gottlob Frege zählen, beschäftigt sich mit der Aufstellung von Regeln, „mit deren Hilfe aus wahren Urteilen (den Prämissen) wahre Urteile (die Konklusionen) gewonnen werden können“ (Gabriel 1997, 19). Die Konklusionen müssen in Form eines Aussagesatzes formuliert sein (aussageartig = propositional) und eindeutig als wahr oder falsch beurteilt werden können. Urteile oder Sätze, die keinen Aussagecharakter haben, sind nicht wahrheitsfähig. Die Aussage „Der Himmel ist blau“ kann in ihrem Wahrheitsgehalt (je nach Tageszeit und Wetterverhältnissen) bestätigt oder verworfen werden. Der performative Akt des gemeinsamen Singens der Nationalhymne zu Fußball-Länderspielen und das dabei emotional erlebte momenthafte Wirklich-Werden der ‚imagined community‘ lässt sich zwar beschreiben und hinsichtlich seines Gelingens oder Nicht-Gelingens beurteilen, nicht jedoch hinsichtlich seiner Wahrheit. Während logische Erkenntnis also ein Denken mit Begriffen und in Konklusionen ist, bezeichnet analogisch-ästhetische Erkenntnis Lebensäußerungen, die „sich der Übergänge bedien[en] und die begrifflichen Grenzen durchlässig oder ‚porös’ [halten]“ (Gabriel 1997, 25). Mit anderen Worten: der Grad von Liminalität und begrifflicher Kontingenz unterscheiden die logische „Weltauffassung“ und die analogisch-ästhetische „Weltauffassung“ (ebd., 47). Zur Klärung der Eigenart jedes Erkenntnispols und dessen Bedeutung schlägt Gabriel einen Kompromiss vor. Dafür ist zwischen Wahrheit und Erkenntnis zu trennen. Erkenntniskonstitutiv sind sowohl der analogisch-ästhetische als auch der logische Erkenntnispol. Sie sind als gleichberechtigte und gleichwertige Modi der Erkenntnis anzuerkennen. Wahrheitsfähig ist jedoch nur der logische. Der Wahrheitsbegriff wird also, ganz im Sinne der Logiker, enger gefasst. Einen analogisch-ästhetischen Wahrheitsbegriff gibt es demnach nicht. Nicht zu wahrheitsfähigen Konklusionen, wohl aber zu Urteilen ist die analogisch-ästhetische Seite dennoch fähig.
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Geurteilt wird hier nicht über wahr oder falsch, sondern über Geschmack, also über Gefallen oder Nicht-Gefallen; nicht über Wahrheit, sondern über Wahrhaftigkeit. Der eigene Gusto ist das Urteil des Analogisch-Ästhetischen. Propositionale, logische Erkenntnis Schauen wir uns Beispiele für die Erkenntnisformen an. Als prototypisch für propositionale, logische Erkenntnis steht bei Gabriel die Wissenschaft. In der Wissenschaft werden Aussagen getroffen, die als wahr oder falsch beurteilt werden können. Im Mittelpunkt steht die logische Herleitung von Erklärungen und Explikationen, Begriffen, Denkfiguren und Definitionen. Wissenschaft ist aber nicht deckungsgleich mit dem propositionalen, logischen Erkenntnispol. Auch wissenschaftliche Arbeiten sind durchzogen von Metaphern und Analogien, hinterlegt von Vorstellungen, Vorurteilen und Emotionen. Bei mangelhafter Reflexion können Analogien beispielsweise einen Als-ob-Charakter erhalten. Man tut so, als sei die Welt tatsächlich so und nur so wie die Analogie (die Welt als Bühne, die Welt als Theater, die Stadt als Organismus, Völker und Kulturen als monolithische Einheiten) – mit den bekannten problematischen Implikationen z. B. geodeterministischer, biologistischer, kulturalistischer oder szientistischer Diskurse, denen allen ein Nichtbeachten des Analogiecharakters bzw. der Grenzen der Analogie gemein ist. Für die Philosophie behauptet Gabriel dementsprechend, dass sie durch die Ausrichtung nicht auf die „Tatsachen in der Welt, sondern auf Sichtweisen von Welt“ viel „näher an die Dichtung heran [rücke] als mancher wahrhaben möchte“ (Gabriel 1991, 223). Wissenschaft sitzt also keinesfalls nur auf der einen Seite der Erkenntniswaage. Wenn Gabriel damit für die Philosophie recht hat, dann müsste auch in der handlungszentrierten Geographie das wissenschaftliche Dichter-Dasein reflektiert werden, denn das Erforschen von Sichtweisen auf Welt ist ja gerade auch ihr Anliegen. Es gilt, die eigene erkenntnistheoretische Situiertheit zu reflektieren und zu erkennen, dass auch wissenschaftliche Erkenntnis über einen analogisch-ästhetischen Weltzugang zustande kommt. Das gilt nicht nur für die sozial- und geisteswissenschaftlich ausgerichteten Disziplinen, sondern in zunehmendem Maße auch für die Naturwissenschaften – hier allerdings nicht in Form der Dichtung (obwohl Kant, wie Aissen-Crewett [2000] betont, Mathematik als „reine Dichtung“ versteht), sondern in der des Bildes. Bilder als analogisch-ästhetische Erkenntnisformen sind im Zentrum vieler Naturwissenschaften angekommen bzw. bilden deren Kern: Man denke an medizinische Bilder wie Röntgenaufnahmen, MRT- und CT-Aufnahmen, an Simulationen und Modellierungen geomorphologischer Prozesse oder an Satellitenbilder. Nur durch sie lassen sich die gewaltigen Datenmengen beherrschen. Denn aus den Zahlen selbst kann nicht gesehen werden, was das Diagramm oder die Simulation zeigt (Boehm 2008, 51). Dazu braucht man die Interpretation. Damit einher geht die Notwendigkeit, die „Logik der Bilder“ (ebd., 34) und deren zugewiesenen Status innerhalb der Disziplinen zu reflektieren.
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Nicht propositionale, analogisch-ästhetische Erkenntnis All jene Inhalte, die keinen Aussagecharakter aufweisen (also nicht propositional sind), stuft die Logik als „folgerungsneutral“ (Gabriel 1997, 21) und damit als irrelevant für Erkenntnisprozesse ein. Was damit jedoch ausgeschlossen wird, ist ein enormer Bereich menschlicher Daseinsäußerungen: das „Vermögen des Fühlens, der Phantasie, der sensitiven Aufmerksamkeit und schließlich der produktiven Gestaltung, des Ausdrucks“ (Groß 2001, 246). Diese von der Logik als nicht wahrheitsfähig und damit als nicht erkenntnisrelevant eingestuften Elemente werden in ein „Rhetorik-Reservat abgedrängt, wo sie ihr nicht-propositionales Dasein fristen dürfen“ (ebd., 20). Rhetorik ist der historische Gegenspieler der Logik. Ihr kommen die Funktionen des (kognitiven) Belehrens, des (affektiven) Bewegens und des (emotiven) Erfreuens zu; Funktionen also, die die Beziehung zwischen Autor und Sprecher bzw. das Leser-Hörer-Verhältnis betonen (ebd., 9). In der logikdominierten Lesart zählt diese kommunikative Bedeutung der Rhetorik jedoch nicht. Rhetorik wird hier reduziert auf schmückendes Redebeiwerk, das vielleicht Emotionen zu wecken imstande ist, aber keine Erkenntnisse zu vermitteln vermag; dies können nur kognitive Inhalte. Dieser bevormundende „Emotivismus“ (Gabriel 1991, 208) unterschätzt zum einen die Bedeutung von Emotionen als vernachlässigbare Zugabe. Zum anderen unterstellt er, dass Form und Inhalt einer Sache getrennt werden können. Rhetorik wird als arbiträre Form der Darstellung verstanden, von der man zur Feststellung des ‚Kerngedankens‘ bedenkenlos absehen kann. Dies impliziert „die Möglichkeit der Trennung von Gedanken (res) und Sprache (verbum), von Dargestelltem und Darstellung, in der Weise, daß die Form der Darstellung zum dargestellten Inhalt als etwas Äußerliches hinzutritt“ (Gabriel 1997, 9). Wäre dies der Fall, könnte man bei jedweder Artikulation Form und Inhalt trennen, ohne dass dies zu einem Erkenntnis- oder Wissensverlust führen würde. Das ist, so unterstreicht Gabriel (ebd.), dann unmöglich, wenn man die Erforschung der Weltauffassung als programmatisches Ziel hat. Weltauffassungen zu analysieren, heißt: „Wir haben es mit einer Darstellungsform der Dinge zu tun. Dies bedeutet, daß sie eine Sache unserer Sichtweise ist und nicht durch die Dinge selbst erzwungen wird. Wir könnten die Dinge also auch anders sehen“ (ebd., 47, Hervhbg. i. Orig.). Diese Überlegungen könnten, obwohl von einem Philosophen verfasst, auch in einer aktuellen humangeographischen Publikation, die einen Kern des zeitgenössischen geographischen Paradigmas zu beschreiben versucht, stehen, ohne Irritationen zu verursachen. Die Beschäftigung mit Weltauffassungen bildet den bereits eingangs erwähnten Schnittpunkt von Erkenntnistheorie und Geographie. Die Analogien beider Sichtweisen sind frappant. Beide betonen die Perspektivität und Kontingenz der (individuellen und sozialen) Konstitution von Welt und Selbst. Was Gabriel mit seinen Ausführungen zeigt, ist die Legitimität und Fruchtbarkeit beider Erkenntnispole. Insofern verteidigt er die jeweilige Erkenntnisform vor der radikalen Kritik der Gegenseite. Es wird ersichtlich, dass eine dogmatische Trennung des propositionalen, logischen und des nicht propositionalen, analogisch-ästhetischen Erkenntnispols vermieden werden muss. Insofern ist es auch als
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schwierig zu betrachten, dass Gabriel, wie am Beginn des Kapitels ersichtlich, die begriffliche Zwangsehe von logisch und wissenschaftlich forciert, obwohl er selbst den Status von Wissenschaft als nicht eindeutig und nicht ausschließlich logisch und propositional bestimmt. Ihm ist an einem „komplementären Pluralismus“ (ebd., 202) von logischer und analogisch-ästhetischer Weltauffassung gelegen. Komplementär deshalb, weil sich nie eine durch die andere Weltauffassung ohne Verlust substituieren ließe. Auch Kant bemerkt in der Verhältnisbestimmung von (logischer) Vernunft und (ästhetischer) Einbildungskraft: „So wie an einer Vernunftidee die Einbildungskraft mit ihren Anschauungen den gegebenen Begriff nicht erreicht: so erreicht bei einer ästhetischen Idee der Verstand durch seine Begriffe nie die ganze innere Anschauung der Einbildungskraft, welche sie mit einer gegebenen Vorstellung verbindet“ (KrdU, § 57 Anm. 1). Für die weitere Argumentation ergibt sich die Konsequenz, die Eigenschaften der analogisch-ästhetischen Erkenntnisform weiter zu bestimmen, da ihre Kenntnis ein besseres Verständnis für die Konstitution von Weltauffassungen verspricht, die sich Philosophie wie Geographie gleichermaßen als Forschungsgegenstand gewählt haben. Sagen und Zeigen Akzeptiert man nun die erkenntniskonstitutive Bedeutung von Mensch-Welt-Verhältnissen jenseits des logischen Zuschnitts, ist eine absichtsvolle und vorsätzliche Beschäftigung mit Darstellungsfragen unausweichlich. Gabriel (1991, 216) weist auf die formale Differenzierung des Wortes ‚Darstellung‘ hin: das Darstellen von Weltauffassungen geschieht im Modus des Sagens, das Darstellen von Weltauffassungen im Modus des Zeigens. Auf der logischen Seite wird Welt behauptet, auf der analogisch-ästhetischen Seite werden Sichtweisen vergegenwärtigt (Gabriel 1991, 215 f.). Die Frage der Darstellung wird, wie bereits am Beispiel der Rhetorik illustriert wurde, in der logikorientierten Wissenschaft oftmals vernachlässigt. Man tut so, als sei Wissenschaft, oftmals mit der Betonung auf Naturwissenschaft, eine reine Sammlung und Wiedergabe von Wahrheiten. Von ‚bloßer‘ Wissensvermittlung kann allerdings kaum die Rede sein, vielmehr ist die hoch persuasive Kraft sachlich-nüchterner Darstellung zu reflektieren. Wie Gabriel versteht auch Gottfried Boehm, einer der meistzitierten zeitgenössischen Kunsttheoretiker, das Zeigen als logos sui generis (Boehm 2008, 20). Zeigen ist als etwas Eigenständiges und nicht als bloß illustrative Erweiterung oder Ergänzung zum Sagen zu verstehen. Zu behaupten, „das Zeigen sei ein blosses Supplement des Sagens – ein trüber Mond, der uns nur deshalb leuchtet, weil ihm die Sonne der Sprache von ihrem Licht geliehen hat – ist ein folgenreicher, ein historischer Fehlschluss“ (ebd., 19 f.). Zeigen ist nicht propositional, d. h. nicht aussageartig, und kann somit nicht verlustfrei in Begriffen ‚aufgefangen‘ werden. Zeigen geht nicht im Sagen auf. Eine Korrektur des bekannten Sprichworts muss daher lauten: ‚Ein Bild zeigt mehr als 1.000 Worte sagen können‘. Zeigen ist also mehr und etwas Anderes als Sagen. Zeigen ist „vergegenwärtigende Darstellung“ (Gabriel 1991, 215). Vergegenwärtigen meint hier ein kognitives und emotionales Wieder-gegenwärtig-Machen, ein inneres (mitunter auch leiblich spürbares) Aufsteigen von Gedan-
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ken, Erleben, Erinnerung. Vergegenwärtigen ist ein Nachvollzug, mit dem Ziel, „den Gegenstand gleichsam in uns (wieder) entstehen zu lassen“ (ebd.). Während Gabriel den analogisch-ästhetischen Erkenntnispol anhand der Dichtung exemplifiziert, stellt Boehm das Bild in das Zentrum seines Denkens (Boehm 2005, 2007, 2008). Bilder gehören zu den „zeigende[n] Medien“ (Mersch 2003, 17). Die Beschäftigung mit dem Bild trifft den (Seh-)Nerv der Spätmoderne. Wir leben in einer visuellen Gesellschaft und das blickende Tun ist zu einem (anthropologischen) Grundmoment des Alltags geworden. (Medien-)Bilder sind allgegenwärtig und damit nicht länger exklusiver Gegenstand der Kunst und Kunstwissenschaft. Relevant werden Bilder auch als Mittel und Ausdruck alltäglichen Geographie-Machens. Das Wesentliche des Bildes liegt, laut Boehm, im Zeigen. Das Zeigen macht aus dem materiellen Sachverhalt ‚Bild‘ etwas Sinnhaftes und bringt den Dialog mit dem Auge in Gang: Wir machen uns ein Bild. Anblick ist etwas, das sich entwickelt und in der Entfaltung Sinn erzeugt. Er ist „blickende[s] Tun“ (2008, 100). Bilder beruhen auf einem doppelten Zeigen: etwas zeigen und sich zeigen. Erst wenn das, was sich und etwas zeigt, gesehen wird, erst im Anblick vollendet sich die Bildwerdung. Während Ersteres einen deiktischen Akt darstellt, ist Letzteres ein Verweis auf die eigene Bildlichkeit2 (Boehm 2008, 19). Beispielsweise zeigt ein klassisches gerahmtes Gemälde ‚etwas‘, das sogenannte Motiv. Gleichzeitig zeigt sich der Bildgrund selbst als „tragende[r] Ort“ (ebd., 29) in seiner Materialität, seiner Pastosität, Leuchtkraft und seiner Textur. Diese ist nicht Zeichen für etwas, keine bloße Repräsentation von etwas. „Sich-zeigen erschöpft sich nicht darin, etwas zu zeigen, etwas, dem ein bestimmtes Wort, eine sagbare Bedeutung zugeschrieben werden kann“ (ebd., 27). Es ist nicht intentional, nicht linear dechiffrierbar oder in Worte fassbar. Das Sich-Zeigen beschreibt Elemente jenes unbestimmten ‚Etwas‘, das das Atmosphärische ausmacht. Es ist „Überzeugungskraft, Suggestivität, Evidenz, Luzidität, Aura“ (ebd., 16). Kurzum: Die analogisch-ästhetische Erkenntnisform wird über das Zeigen dargestellt. Dieses Zeigen geht nicht im Sagen auf. Über das Zeigen wird ein Vergegenwärtigen, ein Nachvollzug von emotionalen Zuständen, Erinnerungen, Gedanken erreicht. Zeigen kann in Etwas- und Sich-Zeigen unterteilt werden. Das macht deutlich, dass es nicht nur um den Gegenstand, das Was des Zeigens geht, sondern auch um die Darstellungsart, das Wie. Das betrifft den Farbauftrag bei Gemälden oder die gewählte Perspektive in Fotografien, ebenso wie die Rhetorik einer Äußerung oder die Tonalität der Stimme und die Körperhaltung beim Sprechen. Wenn wir uns im Folgenden näher mit den Eigenschaften des analogisch-ästhetischen Erkenntnisvermögens auseinandersetzen wollen, müssen wir zunächst unseren Fokus klarstellen und eine Einschränkung vornehmen. Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen ist das Ästhetische. Während das Analogische die sprachliche Dimension des Erkenntnisvermögens beschreibt, d. h. Metaphern, sprachliche Bilder u. Ä., bezeichnet das Ästhetische die zeigenden Medien wie Bild, Ton, Geruch, Geschmack. Infolge des linguistic turn ist die analogische, sprachliche 2
Wir denken hier ergänzend andere ‚zeigende Medien‘ mit: Körperlichkeit, Tonalität, aber natürlich auch Sprachlichkeit.
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Ebene gut und ausführlich erörtert worden (u. a. Schlottmann 2005; Felgenhauer 2007a, 2009, Glasze, Mattissek & Pütz 2009). Die Untersuchung des Ästhetischen beschränkt sich zumeist auf das Herausgreifen einzelner Medien, etwa des Bildes (vgl. Kap. 3.3). Damit stehen wir vor der Aufgabe, uns die Disziplin der Ästhetik zu erschließen – eine, wie nun zu zeigen ist, in Anbetracht der fachgeschichtlichen Verwendung von Ästhetik nicht einfache Aufgabe. Geographie und Ästhetik Wollen wir uns einen umfassenderen Zugang zum Verständnis von Weltauffassungen verschaffen, müssen wir uns bei der weiteren Charakterisierung der (analogisch)-ästhetischen Erkenntnisform einem Problem stellen: der Vieldeutigkeit des Attributs ‚ästhetisch‘ und dessen Problemhaftigkeit in der geographischen Theoriediskussion. Dabei gilt es, sich ausdrücklich von irreführenden und für die Entwicklung der Human bzw. Sozialgeographie hinderlichen Verwendungsweisen zu distanzieren, die schon Gerhard Hard im Sinne von Gaston Bachelard als obstacle épistémologique identifiziert hat (Hard 1995, 56). Länderkundliches Paradigma Die Idee, eine Verbindung zwischen Ästhetik und Geographie herzustellen, ist keineswegs neu. Im Gegenteil, Ästhetik prägt zunächst ein ganzes fachspezifisches Paradigma, nämlich das landschaftsgeographische. Landschaft als künstlerisches Motiv hat sich bis zur frühen Neuzeit etabliert (Trepl 2012, 40) und erlebt während der Aufklärung seinen Höhepunkt (ebd., 65). Die geographische Landschaftsbeschreibung ist seit dem 18. Jahrhundert an der künstlerischen Landschaftsdarstellung orientiert: die visuelle Erfassung eines mit bloßem Auge sichtbaren Horizonts, oftmals von einer kleinen Anhöhe aus eine in der Ferne liegende Landmarke fokussierend. Die Landschaftsgemälde der Romantik sind als Gegenreaktion zur rational(istisch) en Aufklärung zu verstehen. Der aufklärerische Zweifel bestimmt seit Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmend den wissenschaftlichen und vor allem den gesellschaftlich-politischen Diskurs. Mit der rationalen Außerkraftsetzung einer Gottgegebenheit der Dinge und der Inthronisierung des Verstandes beginnt der Prozess der Emanzipation des Subjekts, d. h. der „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant 1784, 491). Gleichzeitig beginnt ein sprachund bildgewaltig artikuliertes Sehnen nach dem Anderen des Verstandes: der Seele. Das Beschäftigen mit der Seele wird zum bevorzugten Sujet romantischer Dichter und Maler. Auch die Natur wird dabei als in besonderer Weise beseelt dargestellt. Kants Begriff der „Erhabenheit“ (KrdU, § 37) beschreibt sehr gut, welches Attribut der Naturseele dabei zugeschrieben wurde. Die Bilder Caspar David Friedrichs sind visuelle Interpretationen einer als erhaben und beseelt empfundenen Natur. Literarisch knüpft Karl May an diese psychologisierenden Aufladungen von ‚Natur‘ an. In seinen „Geographische[n] Predigten“ interpretiert May (1958 [1876]) Landschaften als einmalige, morphogenetische Verbindung zwischen Mensch und Natur:
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Erkenntnistheoretische Grundlegung „Und wie der einzelne Mann, so auch das ganze Volk nach seiner Art, seinem Charakter und seiner Geschichte. Fast alle jene großen weltgeschichtlichen Aufgaben, deren Lösung ein rasches, begeistertes, alle Hindernisse überschäumendes Handeln bedurfte, wurden von dem weisen Geschick in die Hände von Völkern gelegt, die zwischen himmelanstrebenden Bergen geboren, sich gleich einem Wasserfall von ihren Höhen herabstürzen, um durch diese Bewegung den Erdkreis mit der Macht einer lebensvollen Idee zu überfluten. Galt es aber einem Gedanken, dessen Ausführung einer steten, durch Jahrhunderte gehenden und unverrückbaren Entwicklung bedurfte, so wurde seine Lösung in das Wappen derjenigen Völker gegraben, die infolge der physikalischen Beschaffenheit ihres heimischen Bodens die dazu nötige ausdauernde Kraft besaßen“ (May [1876] 1958, 52, eig. Hervhbg.).
Die Seinsweise der Menschen und auch der als unveränderlich angesehene Lauf der Geschichte werden direkt aus erdräumlichen Merkmalen abgeleitet.3 Dieses idiographisch-morphogenetische Vorgehen wird im länderkundlichen Schema zum wissenschaftlichen Forschungsparadigma erhoben. Landschaften werden als urwüchsige Verbindungen von Erdausschnitten mit einzelnen Menschen oder Menschengruppen (in Form von Stämmen, Ethnien, Religionen, Kulturen) verstanden. Das Wesen der humanen Komponente wird dabei durch die erdräumliche determiniert. Hards Kritik Gerhard Hard hat die Brisanz dieser speziellen Verknüpfung von Natur und Mensch reflektiert. Hard nimmt die vom Philosophen Martin Seel identifizierten drei Formen ästhetischer Erfahrung – kontemplativ, korresponsiv und imaginativ (Seel 1996, 132 f.) – in kritischer Absicht auf: 1. Kontemplativ beschreibt die Oberflächenwahrnehmung, d. h. die „phänomenale Botschaft […] als eine Konfiguration z. B. von Formen und Farben in ihrer sinnentlasteten Phänomenalität und in ihrer befreienden Distanz von pragmatischen Bedeutungen und praktischen Lebensvollzügen“ (Hard 1995, 46). 2. Korresponsiv umschreibt die Sehnsucht nach dem Anderen, d. h. „mit wunschvollem, begehrlichem Blick den Nach- oder Vorschein eines idealen Lebens (oder den Vor- und Nachschein einer unserer lebendigen Ideen)“ (ebd., 47) wahrzunehmen. Dazu zählen z. B. „exemplarische Orte einer Lebensform, die uns ungleich sinnvoller und sinnerfüllter zu sein scheint als die alltägliche eigene“ (ebd., 46). Zusammengefasst findet sich das in dem Spruch: Das Paradies ist immer woanders. 3. Imaginativ meint eine Wahrnehmung der Natur oder Lebenswelt so, als ob sie Kunst wäre, d. h. „mit historisch und künstlerisch vorgebildetem […] Auge einen Kunstschein in der Natur“ wahrzunehmen (ebd., 47). Hards Schlussfolgerung lautet, dass eine solche landschaftsgeographische Ästhetisierung wissenschaftlichen Kriterien nicht genügen kann. Beobachtungen erster und zweiter Ordnung, oder anders: szientifische und ästhetische Zugangsweisen, 3
Dass dieses landschaftsgeographische Paradigma nach wie vor als Denkfigur aktuell ist, zeigt nicht zuletzt die Sendereihe von arte mit dem Titel: „Wie das Land, so der Mensch“.
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müssen streng voneinander getrennt werden. Es muss anerkannt werden, dass „der horizon aestheticus sich vom horizon logicus, der Himmel und die Rose der Poeten sich vom Himmel der Astrophysiker und der Rose des Biologen (ja schon des Vegetationskundlers) getrennt“ (Hard 1995, 60) hat. Geschieht dies nicht, steht Wissenschaft nicht für rationalen Erkenntnisgewinn, sondern für eine psychologisierende Innenschau des Autors (ebd., 56). Wir erfahren unkommentiert und unreflektiert, welche Gefühle, Sehnsüchte, Erinnerungen bei ihm in der Betrachtung einer Landschaft wachgerufen werden. Kommuniziert wird es allerdings so, als beschreibe man damit das ‚Wesen‘ der Landschaft selbst. Kritische Wissenschaft ist demzufolge in Hinblick auf diese „Rêverien“ (ebd., 52), diese Träume und Projektionen hin zu prüfen. Hard plädiert konsequenterweise für eine grundsätzliche Loslösung von ästhetisierender Landschaftsbetrachtung als geographischem Paradigma (ebd.). Ist dieser Schritt getan, d. h. ist erkannt, dass eine so verstandene ästhetische Perspektive nichts über einen naturräumlichen Ausschnitt, wohl aber etwas über den Träumer aussagt, kann dieses Wissen wieder der wissenschaftlichen Betrachtung der träumenden Akteure, inklusive der Selbstreflexion des immer auch ein wenig mitträumenden Forschers, zugänglich gemacht werden. Ästhetisches Erleben kann so zum lohnenden Thema szientifischer Diskurse werden. Aus wissenschaftstheoretischer Perspektive erscheint folglich eine komplementäre Betrachtung von szientifischen und ästhetischen Erfahrungshorizont sinnvoll. So kann gewährleistet werden, dass sich beide Horizonte ergänzen und gegenseitig begrenzen können (ebd.). Die Rückkehr der Ästhetik in den sozialgeographischen Diskurs Mit der disziplinhistorischen Wachablösung Anfang der 1960er Jahre, in deren Ergebnis das landschaftsgeographische Paradigma von einer raumwissenschaftlichen Logik abgelöst wird, rücken Überlegungen zur Ästhetik der Geographie zunächst aus dem Fokus. Erst mit Jürgen Hasse (1993, 1994, 1998, 1999, 2001, 2005) kehrt die Ästhetik in den geographischen Diskurs zurück. Eingebettet ist diese Neuthematisierung in „eine phänomenologische Revision alltäglichen Lebens“, wie es im Untertitel zu Hasses 2005 erschienenem Buch Fundsachen der Sinne heißt.4 Zentrales Anliegen ist es, die Bedeutung von Sinnlichkeit, Leiblichkeit, Erfahren und Erleben für die geographische Theoriebildung, Empirie und Didaktik aufzuzeigen. Er schließt sich der von Baumgarten geäußerten Kritik an, dass der Sinnlichkeit ein prominenter Platz in theoretischen Debatten eingeräumt werden müsse. Auch Rainer Kazig zielt auf eine „Geographie des Ästhetischen“ (Kazig 2009), die alltäg4
Bei Hasses Fundsachen der Sinne (2005) fällt zunächst auf, dass das Buch von der Gesellschaft für Neue Phänomenologie herausgegeben wurde und nicht in einer geographischen Reihe. Weiterhin ist zu bemerken, dass die Zahl der von Hasse zitierten Geographen mit jeder Publikation (Ästhetische Rationalität und Geographie, 1993; Vom Spaß zur Erfahrung, 1994 und Mediale Räume, 1997) schwindet und sich in den Fundsachen der Sinne schließlich nur noch auf kurze Verweise (z. B. kritischer Bezug zu Zierhofer und der Akteur-Netzwerk-Theorie sowie zur handlungstheoretischen Sozialgeographie 2005, 140 f.) beschränkt. Wünschenswert wäre es allerdings, wenn dieser Diskurs in Zukunft auch wieder verstärkt in der (sich den [neuen] phänomenologischen Argumenten öffnenden) Geographie geführt würde.
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liches ästhetisches Erleben in verschiedenen Lebenszusammenhängen analysieren möchte. Barbara Zahnen (2008) betrachtet das Betreiben von Physischer Geographie als einen ästhetischen Prozess. Nach der Bedeutung von Ästhetik im Rahmen geographischer Bildungsprozesse fragen Jürgen Hasse (1998, 2001, 2007) und Mirka Dickel (2011). Für Dickel zeichnen sich Bildungsprozesse nicht durch das Erreichen eines vorher festgelegten Zieles aus, sondern durch eine (ergebnisoffene) Begegnung zwischen einem Subjekt (Schüler) und einem Gegenstand (einem Text, einer Exkursion etc.). Das sich während dieser Begegnung entwickelnde ‚etwas‘ ist es, was als „ästhetische Erfahrung“ (Dickel 2011, 39) in Lernprozessen berücksichtigt werden sollte: die Erfahrung, von etwas fasziniert zu sein, von ihm getroffen zu werden, einen „Eigen-Sinn“ (ebd., 45) für die Dinge zu entwickeln. Hasse bestärkt in diesem Kontext die Rolle der sinnlichen Wahrnehmung und plädiert für ein ausgewogenes Verhältnis von begrifflichem und sinnlichem Lernen, für eine „Verschränkung von Wahrnehmungs- und Denkvermögen“ (2001, 1). Das bedeutet, dass das sinnliche Erleben (z. B. von Natur) nicht isoliert und unreflektiert bleibt, sondern in Verbindung gesetzt wird mit ethischen und auch begrifflichen Fragen (Hasse ebd., 7). Sinnlich-ästhetische Wahrnehmung ist dann als ein Erkenntniszugang neben anderen zu begreifen. Die Stärkung dieses Zugangs steht gegenwärtig unter dem Stichwort der ‚ästhetischen Erziehung‘ oder ‚ästhetischen Bildung‘ auf der bildungspolitischen Agenda (Polzin, Duderstadt & Kelterborn 2005) Wir stellen fest, dass Ästhetik in der geographischen Diskussion einen durchaus prominenten Stellenwert hatte und hat, und auch, dass die Unternehmungen, die im Namen der Ästhetik unternommen wurden und werden, sehr unterschiedlich motiviert und begründet sind. Das dabei jeweils angebrachte Verständnis von Ästhetik im Kontext der geographischen Theoriebildung muss kritisch betrachtet werden. Auch im Rahmen der vorliegenden Argumentation wird im Folgenden die Lesart von Ästhetik detailliert ausgeführt. Es geht keinesfalls um die Reaktivierung eines unreflektierten theoretischen Zugriffs auf ‚schöne‘ Landschaften, der, so Hard weiter, gemäldeartige Raumausschnitte in ihrer „sinnentlasteten Phänomenalität“ (Hard 1995, 47) durchmisst.5 Es geht auch nicht um die bessere theoretische Fassbarkeit einer als ‚ästhetisiert‘ begriffenen postmodernen Landschaft (vgl. die Kritik an Hasse in Gelinsky 2005). Umso wichtiger ist es, für eine erneute Aktivierung der Verbindung zwischen Ästhetik und Geographie die Möglichkeiten und Grenzen des Konzepts der Ästhetik für die Geographie zu klären. 2.2 Entwicklung einer modernen Ästhetik Theoretischer Wegbereiter ist dabei Alexander Gottlieb Baumgarten, der die Ästhetik Mitte des 18. Jahrhunderts als Disziplin (wieder-)begründete. Baumgarten erweitert die Erkenntnistheorie, verstanden als jene Disziplin, die sich mit dem Mensch-Welt-Verhältnis auseinandersetzt, um den gewichtigen Faktor ‚Sinnlich5
Oder: „mit langem blöden Blick“, wie es Hard gleich darauf zugespitzt paraphrasiert (Hard 1995, 47).
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keit‘. Indem er dies tut, multiplizieren sich auch die Möglichkeiten der Ausgestaltung dieses Verhältnisses. Mit der Ästhetik entwirft er einen Wissenschaftsbereich, der sich explizit mit dem „Eigenrecht“ und der „Eigenart“ (Kaehler 2008, 123, Hervhbg. i. Orig.) sinnlicher Erkenntnis beschäftigt. Mit Baumgarten kehren wir jedoch keinesfalls zu einer Art ‚Ursprung‘ zurück. Vielmehr handelt es sich bei seinem Ansatz um eine Wiederaufnahme des ästhetischen Diskurses in der Neuzeit. Wir wollen, wenngleich nur für einen in Anbetracht der voluminösen Ideengeschichte des Begriffes ‚Ästhetik‘ relativ kurzen Moment, die damit verbundenen Ideen und Rezeptionen verfolgen. Das Spektrum der theoretischen Ansätze ist gewaltig: In der Antike wird αἰσθητικόν (aisthitikón) von Aristoteles in einer eigenen Wahrnehmungstheorie als Beginn allen Wissens, ja als Beginn allen Sinns beschrieben (Welsch 1987). Im Mittelalter ist Sinnlichkeit gleichbedeutend mit Sündhaftigkeit und wird als das unterdrückte Andere der Scholastik negiert (Bernhard 2008, 21). Die Entwicklung setzt sich in der Neuzeit fort, in der, beginnend mit Francis Bacon, die Scholastik mit der Rethematisierung das Sinnliche ins Leben zurückholt und dieses in der Folge eine enorme theoretische Diversifizierung erfährt (ebd., 22): vom Empirismus durch John Locke, David Hume und George Berkeley als Letztbegründungsinstanz auf den Thron der Erkenntnis gestellt, von dort vom (szientifischen) Rationalismus eines René Descartes und von Gottfried Wilhelm Leibniz wieder heruntergestoßen und schließlich von Kant mit der Klärung von ‚Begriff ‘ und ‚Anschauung‘ als gleichbedeutende Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis vorläufig versöhnt (ebd., 22). Kants Überlegung wirft dabei eine bis in die Gegenwart immer wieder diskutierte Frage auf: Welcher Art ist die Beziehung zwischen Begriffen und Wahrnehmung? Ist sie eine deterministische, in dem Sinne, dass der Mensch nur das wahrnimmt, wofür er Begriffe hat? Dass er Dinge als etwas wahrnimmt? Oder ist sie eine lockere, zufällige, in dem Sinne, dass Begriffe zwar einen Teil der Wahrnehmungen verbal fixieren, es jedoch immer mehr und jenseits von Sprache Wahrnehm- und Mitteilbares gibt. In der Folge von Kant nimmt sich die Sinnesphysiologie und -psychologie um Johannes Müller, Hermann von Helmholtz und Wilhelm Wundt dieser Fragen nicht an, sondern konzentriert sich auf die naturwissenschaftliche Inventarisierung physikalischer Wahrnehmungsqualitäten. Fast 100 Jahre später thematisiert die Gestalttheorie Wahrnehmung als die „unreduzierbare[n] Ganzheiten“ (ebd., 23). Der radikale Konstruktivismus Ernst von Glaserfelds postuliert den subjektiv-konstruktiven Charakter von Wahrnehmung und disqualifiziert damit ein bloßes Abbildungsverhältnis von Welt-Wahrnehmung (ebd., 23). In seinem Sinne ist auch nachfolgend die kunstorientierte Rezeptionsästhetik zu verstehen, die sich im Gegensatz zur Werk- oder Produktionsästhetik nicht mit dem (Herstellen des) Kunstwerk(es) selbst beschäftigt, sondern mit „ästhetischer Erfahrung“, einer elaborierten Form von Wahrnehmung (ebd., 31). Darunter fallen zwei verschiedene Perspektiven: Die eine betont den ästhetischen Charakter der Erfahrung an sich, also unabhängig von einem Erlebnis‚objekt‘, die andere meint die „gewöhnliche Erfahrung“ (ebd.) ästhetischer Dinge. Erwin Straus nun bezieht sowohl das Erleben, als auch das Erlebnis‚objekt‘ in sein Denken
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mit ein, wenn er dem „gnostischen“ Was des Gegebenen das „pathische“ Wie des Erlebens zur Seite stellt (ebd., 30). Das Wahrgenommene ist somit eine temperierte Mischung aus Was und Wie und wird unter dem Begriff der ‚Atmosphäre‘ gefasst (ebd.; vgl. auch Böhme 2001; in der Geographie v. a. Kazig 2007). In seiner Ästhesiologie des Geistes nimmt sich Helmuth Plessner explizit des Wies, der Sinnlichkeit an und versucht diese auszubuchstabieren, indem er in einer Art „Hermeneutik der Sinne“ (Lessing & Lembeck 1998) die Bedingungen „sinnlich vermittelter Sinngebung“ (Bernhard 2008, 27) untersucht. In der Gegenwart ist vor allem Wolfgang Welsch zu nennen, der die Ästhetik bzw. das „ästhetische Denken“ (2003, 7) als im besonderen Maße für das Begreifen unserer (gegenwärtigen) Welt geeignet hält. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass seit der Antike das (wissenschaftliche) Interesse, das Andere des Verstandes konzeptionell zu fassen, nicht erloschen ist. In zustimmender oder ablehnender Weise nehmen alle diese Ansätze Stellung zur Rolle der Sinnlichkeit im Erkenntnisprozess. Wären also auch andere Autoren als Baumgarten im Rahmen dieser Arbeit denkbar gewesen? Gewiss. Die Relevanz anderer, prominenterer oder modernerer Ästhetik-Ansätze soll mit der Auswahl Baumgartens nicht geleugnet werden. Ihr Potenzial ist für eine weiterführende Diskussion von Ästhetik im Kontext der Geographie unbedingt zu nutzen. Für die Wahl Baumgartens gibt es indes gute Gründe. Baumgarten ist der erste Wissenschaftler der Neuzeit, der versucht, dieses Andere, nämlich die Sinnlichkeit, als gleichberechtigt neben dem Verstand zu thematisieren. Dabei geht es ihm um eine Revision des traditionellen logikbetonten Erkenntnisverständnisses oder, wie Welsch anerkennt, um nicht weniger als „eine ästhetische Uminterpretation des Erkennens“ (Welsch 1995, 488). Baumgarten tut dies vor einem besonderen gesellschaftlichen wie disziplinhistorischen Hintergrund. Das historische Setting ist das der Aufklärung mit seiner gesellschaftlichen und ideellen Emanzipation. Disziplinhistorisch stehen die etablierten Paradigmen des Rationalismus und Empirismus zunehmend auf dem Prüfstand. Auf gesellschaftlicher wie auf wissenschaftlicher Ebene wird Inventur gemacht, ausgemustert, neu geordnet. Es ist die Widerspiegelung dieser grundsätzlichen Neuorientierung und der beginnenden Kritik am bisher unhinterfragt Bestehenden, was den Ansatz von Baumgarten so reizvoll macht. Die prinzipielle Revision des eigenen gesellschaftlichen wie fachlichen Selbstverständnisses steht auch bei Baumgarten im Mittelpunkt seiner Ausführungen. Wenn Baumgarten nun in einer sozialgeographischen Arbeit angeführt wird, dann geschieht dies mit der Absicht das Geographie-Machen und die Geographie-Machenden aus geisteswissenschaftlicher Perspektive (weiter) zu charakterisieren. Dazu werden die Erkenntnisse aus Baumgartens Ästhetik dargelegt. Entsprechend wird im Folgenden gezeigt, dass 1. Ästhetik als Lehre der sinnlichen Erkenntnis und der sinnlichen Darstellung zu verstehen ist, 2. Sinnlichkeit als geistige Sinnlichkeit oder Sensitivität verstanden wird und damit als Ergebnis des Zusammenspiels von sensus internus und sensus externus,
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3. Ästhetik als Kunstlehre oder Lehre des Schönen eine einseitig verengende Lesart darstellt, 4. Ästhetik als Begriff für jenes Vermögen des Menschen in den Blick kommt, das über die Begriffe Emotionalität, Erleben und Multisensualität definiert wird. Im ersten Teil des Kapitels wird Baumgartens Ansatz historisch-gesellschaftlich wie fachlich kontextualisiert. Die beiden zu seiner Zeit dominanten Paradigmen werden detailliert vorgestellt: der Rationalismus nach Descartes sowie der Empirismus nach Locke, Hume und Berkeley. Dies ist aus zwei Gründen lohnend: Zum einen wird so das ideengeschichtliche Spektrum ersichtlich, vor dessen Hintergrund und in dessen Abgrenzung Baumgarten seine Argumentation entfaltet. Zum anderen kann schrittweise nachvollzogen werden, was heute – auch in der geographischen Fachdebatte – meist nur schlagwortartig als historischer Tatbestand mit problematischen Implikationen genannt wird: die Trennung von Körper und Geist durch Descartes. Gerade die erneute Revision des sensualistischen/empiristischen Paradigmas erscheint im Kontext einer aktuellen geographischen Diskussion, in der der Stellenwert von Sinnlichkeit und Wahrnehmung thematisiert wird, durchaus sinnvoll. Im zweiten Teil wird der Frage nachgegangen, weshalb Baumgartens Ästhetik eine eher randständige Rolle innerhalb der Ästhetik-Theorien zugewiesen wird und welche Gründe eine angemessene Rezeption verhindert haben. Hier werden wir auch darauf zu sprechen kommen, dass der Begriff der Ästhetik eine Engführung erfahren hat, die nicht von Baumgarten intendiert war, sich aber trotzdem als Common-Sense-Bedeutung durchgesetzt hat. Ob angesichts dieser heute etablierten Engführung von Ästhetik nicht besser der alternative Begriff der Aisthetik gewählt werden sollte, um damit die mit dem Begriff der Ästhetik verbundenen problematischen Implikationen zu verringern, wird kurz im dritten Punkt beantwortet. Der vierte Teil stellt die zentrale Auseinandersetzung mit der Theorie Baumgartens dar. Beleuchtet werden dabei die Argumente für eine Emanzipation des ‚unteren‘ (sinnlichen) Erkenntnisvermögens und für die Einführung einer neuen Kategorie der Erkenntnis als clara confusa und vor allem als cognitio sensitiva, mit der sinnliche Erkenntnis als Sensitivität, als sinnlich und geistig begründet werden kann. Die bei Gabriel aufgeworfenen Darstellungsfragen werden bereits bei Baumgarten thematisiert und als poietisch-praktische Verfahren der Weltkonstitution begriffen. Die Kritikpunkte am Ansatz Baumgartens werden ebenfalls im vierten Teil besprochen. Die Paradigmen der Zeit Vergegenwärtigen wir uns zum Auftakt zunächst das Mitte des 18. Jahrhunderts in Deutschland bzw. Europa herrschende gesellschaftliche und intellektuelle Setting. Es ist das Zeitalter der Aufklärung; eine Bewegung, deren reformerische Ideen alle Bereiche der Gesellschaft berühren (Müller 2002, 3). Auf der Suche nach neuen Prinzipien wendet man sich an die Naturwissenschaften und versucht mit ihrer Hilfe einen Neustart der philosophischen Erkenntnistheorie. Die zwei großen geltenden Paradigmen der Zeit sind Rationalismus und Empirismus (Schneiders
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1992, 5).6 Eine differenzierte Darstellung dieser Paradigmen scheint nicht zuletzt deshalb angebracht, weil nicht selten – und gerade in der gegenwärtigen Geographie – der kartesische Körper-Geist-Dualismus nur als (negativ konnotiertes) Schlagwort verwendet wird, als Folie dessen, was es zu überwinden gilt. Eine substanzielle Auseinandersetzung mit den Überlegungen Descartes’ findet indes selten statt (eine Ausnahme ist Werlen 1995, 152 ff.). Es ist jedoch ratsam, zunächst das zu verstehen, was man zu überkommen versucht. Descartes’ Rationalismus Mit dem Philosophen und Mathematiker René Descartes (1596–1650) hält der Rationalismus Einzug ins philosophische Theoriegebäude. Den philosophischen Zweifel zur obersten Methode erhoben, will er das vorherrschende philosophische Theoriegebäude neu errichten. Dabei wirft er all jene Begriffe, Konzepte, Kategorien über Bord, die dem radikalen Zweifel nicht standhalten, die täuschen und irreführend sein könnten. Rationales Denken wird zum Gradmesser für Wahrheit und Erkenntnis. Die oft zitierte Schlüsselstelle aus seinen Prinzipien der Philosophie (Descartes 1870) „ego cogito, ergo sum“ identifiziert das denkende Ich als einziges nicht weiter bezweifelbares Element und damit als einzige Säule der Erkenntnis. Descartes schreibt über die ‚Prinzipien menschlicher Erkenntnis‘ (ebd., Abs. 7): „Indem wir so Alles nur irgend Zweifelhafte zurückweisen und für falsch gelten lassen, können wir leicht annehmen, dass es keinen Gott, keinen Himmel, keinen Körper gibt; dass wir selbst weder Hände noch Füße, überhaupt keinen Körper haben; aber wir können nicht annehmen, dass wir, die wir solches denken, nichts sind; denn es ist ein Widerspruch, dass das, was denkt, in dem Zeitpunkt, wo es denkt, nicht bestehe. Deshalb ist die Erkenntnis: ‚Ich denke, also bin ich‘, von allen die erste und gewisseste, welche bei einem ordnungsmässigen Philosophieren hervortritt.“
Wenn nur das denkende Selbst sicher sein kann, wie steht es dann um Wahrnehmung, Sinnlichkeit und um die vom Ich unterschiedene Welt? Wie Descartes in den Untersuchungen über die Grundlagen der Philosophie ausführt, sind sie trügerisch. Konsequenterweise müssen sie in Zweifel gezogen aus und aus dem Theoriegebäude ausgesondert werden. Dies betrifft die „kognitive Grundlage“, den „kognitiven Zustand“ und die „kognitive Autonomie“ (Perler 2006, 74). Im ersten Abschnitt von „Über das, was in Zweifel gezogen werden kann“ führt er alles sinnlich Vermittelte oder die „kognitive Grundlage“ (ebd.) an: „Alles nämlich, was ich bis heute für das Allerwahrste hingenommen habe, empfing ich unmittelbar oder mittelbar von den Sinnen; diese aber habe ich bisweilen auf Täuschungen ertappt, und es ist eine Klugheitsregel, niemals denen volles Vertrauen zu schenken, die uns auch nur ein einziges Mal getäuscht haben“ (Descartes 1870, Abs. 15) 6
Wobei ausdrücklich auf die Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit hingewiesen werden muss, von der Aufklärung, dem Rationalismus oder dem Empirismus zu sprechen. Die kritische Unterscheidung zwischen „dogmatische[m] deutschen“, „skeptische[m] französischen“ Rationalismus und „skeptischem englischen“ Empirismus sowie „skeptischer“, „dogmatischer,“ „emanzipatorischer“, „relativer“, „absoluter“ Aufklärung kann hier aber nur zur Kenntnis genommen werden (vgl. Schneiders 1992, 5 f.).
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Allerdings, so fährt er fort, würde ein andauernder, existenzieller Zweifel an den Sinneseindrücken zwangsläufig zu einem Verrücktwerden führen. Für ein ‚normales‘ Leben müssen bestimmte Sinneseindrücke daher (unbezweifelt) gelten können: „[…] z. B. die Wahrnehmung, daß ich hier bin, am Ofen sitze, meinen Winterrock anhabe, dies Papier hier mit den Händen berühre u. dgl. Wie könnte ich leugnen, daß diese Hände, dieser ganze Körper mein sind? – ich müßte mich denn mit gewissen Verrückten vergleichen“ (ebd.).
Diese Selbstverständlichkeit des Körpers und der Sinneseindrücke zerspringt allerdings mit dem zweiten Zweifel. Denn, so Descartes, woher weiß ich, dass es nicht Träumereien sind, die mir diese Sinneseindrücke nur vorgaukeln? Woher will ich wissen, dass der Geist, der diese Eindrücke erfasst, ein wacher ist? Bezweifelt wird, mit anderen Worten, der „kognitive Zustand“ (Perler 2006, 74): „Ja, aber erinnere ich mich denn nicht, daß ich auch schon von ähnlichen Gedanken in Träumen getäuscht worden bin? – Während ich aufmerksamer hierüber nachdenke, wird mir ganz klar, daß ich nie durch sichere Merkmale den Schlaf vom Wachen unterscheiden kann, und dies macht mich so stutzig, daß ich gerade dadurch fast in der Meinung bestärkt werde, daß ich schlafe“ (Descartes 1870, Abs. 15).
Als Konsequenz benennt Descartes die Mathematik als einzige Wissenschaft, die gegenüber diesem Zweifel resistent ist, denn sie behandelt jene Elemente, die im Traum wie in der Realität gleichermaßen gelten. Der dritte Zweifel betrifft die göttliche Schöpfung, oder viel eher die beunruhigende Vorstellung eines Trugbilder produzierenden Gottes. Descartes bezweifelt damit die „kognitive Autonomie“ (Perler 2006, 74) des Menschen. Den Einfluss dieses später nach seinem Urheber benannten ‚Descartes’schen Dämons‘ versucht Descartes zu erkennen und zu unterbinden, indem er übungsweise davon ausgeht, alles Wahrnehmbare sei bloße Täuschung. Er will damit Falsches von Wahrem zu unterscheiden lernen. Wenngleich er selbst die Schwierigkeit seines Unternehmens erkennt, seine prinzipielle Aussage ist klar: Außer dem denkenden Geist kann nichts als sicher gelten, auch nicht die göttliche Schöpfung. Nur mit diesem radikalen Zweifel und der Wende zum Ich kann es gelingen, ein überholtes Weltbild, das den Menschen in eine passive Position des Gesteuert-Werdens drängt, im Sinne der Aufklärung zu reformieren. Fassen wir zusammen: Mit Descartes’ Rationalismus ist Mitte des 18. Jahrhundert eine Schule etabliert worden, die a) das Kalkül und die rationale Vernunft als einzig möglichen Gegenstand wahrer Erkenntnis versteht, b) Sinnlichkeit und Welt aufgrund der Anfälligkeit für Täuschungen als irrational versteht und c) nur die Mathematik in der Lage sieht, klare und deutliche und damit dem Rationalitätsprinzip entsprechende Regeln und Gesetzmäßigkeiten – kurz: Erkenntnisse – zu liefern.7 Nach Descartes haben Leibniz (1646–1716) und Wolff (1679–1754), der als Baumgartens geistiger Vorvater angesehen wird, ihre jeweilige Lehre auf dem Rationalismus aufgebaut. Trotz einiger Unterschiede ist ihnen gemein, dass sie sich um die Logik als Methode zur Sicherung philosophischer Erkenntnis bemühen (Gab7
Carnap (1931) versuchte seinerseits mit einer an der Physik orientierten Einheitssprache, der sogenannten „Protokollsprache“ (ebd., 437), das Vokabular für eine Kommunikation über die Disziplingrenzen hinweg zur Verfügung zu stellen – ohne Erfolg, wie wir heute wissen.
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riel 1997, 16) und das sogenannte „untere Erkenntnisvermögen“ (ME, § 533), d. h. Sinnlichkeit, Gefühle, Erinnerungen und Vorstellungsvermögen, gegenüber der als Logik verstandenen ratio als vernachlässigbar einschätzen. Damit wird die viel zitierte Kluft zwischen Geist und Welt/Materie/Körper eröffnet. Empirismus Dem Rationalismus steht der Empirismus gegenüber. Dessen Begründer John Locke, David Hume und George Berkeley sind gleichzeitig die politisch aktiven Vordenker der britischen Aufklärung. Locke (1632–1704) entwickelt einen Ansatz, der reziprok zu dem von Descartes argumentiert. Nicht der Verstand sitzt auf dem Thron der Erkenntnis, sondern die sinnliche Erfahrung. In seinem Werk An Essay Concerning Humane Understanding (1690) beschreibt er die Schritte, die der Verstand auf dem Weg zur Erkenntnis gehen muss. Am Anfang stehen hier die Sinne. Locke stellt sich den Geist als „empty cabinet“ (ebd.), als einen durch die Sinneseindrücke zu füllenden Behälter vor – der Mensch als tabula rasa. Nach und nach gewöhnt sich der Geist an die Eindrücke – Locke spricht von Ideen – und beginnt Erinnerungen anzulegen. Bezeichnungen ordnen sich den Ideen zu, und der Geist gelangt nach und nach durch Abstraktion zu allgemeinen Begriffen, die er seinen weiteren Operationen zugrunde legt. Locke bestreitet damit, dass Begriffe angeboren und vor der sinnlichen Wahrnehmung gegeben sein sollen. Er führt Kinder als Beweis an: „For a child knows as certainly before it can speak the difference between the ideas of sweet and bitter (i. e. that sweet is not bitter), as it knows afterwards (when it comes to speak) that wormwood and sugarplums are not the same thing“ (ebd.).
Auch wenn Kinder also noch nicht über die Begriffe verfügen, sind sie genauso in der Lage, zwischen der Idee von süß und der von bitter zu unterscheiden, wie sie, da sie reden können, zwischen Wermut und kandierten Früchten zu unterscheiden in der Lage sind. Als Konsequenz stellen empirische Erfahrungen wie Beobachtung und Experiment im Empirismus die zentralen Methoden der Erkenntnisgewinnung dar. Eine Zuspitzung des Empirismus ist der Sensualismus. Mit ihm wird die individuelle Sinnesabhängigkeit aller Erkenntnis behauptet. George Berkeley (1685– 1753) geht in seinen Abhandlungen über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis (1869)8 sogar so weit zu sagen, dass die Existenz aller Dinge von der Sinneswahrnehmung abhängt. Zusammenfassend wird das empiristisch-sensualistische Paradigma auf die Formel „Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen gewesen wäre“ gebracht. Wir haben also konträr zum Rationalismus den Sinneseindruck als Quelle zur Erkenntnis – jener Eindruck, den Descartes als zu trügerisch aus den Quellen der Erkenntnis ausgeschlossen hat. Damit haben wir einen Überblick über die dominanten Paradigmen Mitte des 18. Jahrhunderts gewonnen und den intellektuellen Horizont aufgespannt, vor dem 8
Für die bessere Verständlichkeit wurde die altdeutsche Schreibweise der deutschen Übersetzung modernisiert.
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Baumgarten seine Überlegungen entwickelt. Die prinzipielle Unvereinbarkeit und Widersprüchlichkeit der beiden wissenschaftlichen Leitbilder ist auch in Baumgartens Ansatz und Biographie zu spüren. Einerseits steht er aufgrund seiner wissenschaftlichen Sozialisation und seiner institutionellen Zugehörigkeit eindeutig in einer Linie mit dem Rationalismus und der Logik, andererseits stellt er mit der Sinnlichkeit ein Konzept in den Mittelpunkt, welches zunächst zutiefst sensualistisch anmutet. Doch mit welchen Argumenten und Zielen entwickelt Baumgarten nun seine Ästhetik? Baumgartens neuer Weg und dessen Rezeption Baumgarten baut sein Projekt ‚Ästhetik‘ in drei Hauptwerken auf: in den Meditationes (1735), der Metaphysica9 (1739) und schließlich der zweibändigen Aesthetica10 (1750/58). Letztere bleibt unvollendet. Baumgarten stirbt früh, mit 48 Jahren, und so wird die Heuristik zwar fertiggestellt, Methodenlehre und Empirie bleiben jedoch ungeschrieben. Ergänzt werden seine Ausführungen u. a. durch die philosophische Wochenschrift Aletheophilus11 (1741) sowie, posthum, die Philosophia Generalis12 (1770). In diesen Publikationen strebt Baumgarten eine Neugliederung des Erkenntnisvermögens an, genauer: Er will für das von Descartes ausgeschlossene „untere Erkenntnisvermögen“ (ME, § 533) das leisten, was für das ‚obere‘, logischverstandesmäßige bereits geleistet worden ist: eine Herleitung ihrer erkenntnistheoretischen Bedeutung und ihrer Eigenschaften. Mit der Begründung der Ästhetik löst er diese erkenntnistheoretischen Forderungen ein. Bereits in der Metaphysica definiert Baumgarten Ästhetik als „scientia sensitiva cognoscendi et proponendi“ (ME, § 533)13, als Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis und als Theorie der sinnlichen Darstellung. Baumgarten trägt also das Konzept der Sinnlichkeit in ‚seine‘ wissenschaftliche Community, in die rationalistische Philosophie. Damit seine Theorie dort überhaupt als relevant angesehen wird, nimmt Baumgarten in der Einleitung der Aesthetica mögliche Vorwürfe gegen seine Arbeit vorweg und stellt klar: „Unsrer Wissenschaft könnte […] entgegengehalten werden: 4) sinnliche Empfindungen, Einbildungen, Erdichtungen alle die Wirrnisse der Gefühle und Leidenschaften seien eines Philosophen unwürdig und lägen unter seinem Horizont. Meine Antwort: a) Der Philosoph ist ein Mensch unter anderen Menschen, und es ist nicht gut, wenn er glaubt ein so bedeutender Teil der menschlichen Erkenntnis vertrage sich nicht mit seiner Würde“ (AE, § 6).
Baumgarten sieht ‚Empfindungen, Einbildungen und Leidenschaften‘ nicht als Erkenntnishindernis an, wie es Descartes tut, sondern als integralen Bestandteil 9 10 11 12 13
Sigle: ME. Sigle: AE. Sigle: Alet. Sigle: PhG. Im ersten Paragraphen der später erschienenen Aesthetica schmilzt die Definition zusammen auf „scientia cognitionis sensitivae“ (§ 1); auch ungenannt, ist der Darstellungsaspekt weiterhin in der Definition von ‚sensitiv‘ inbegriffen.
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menschlicher Erkenntnis. Gleichzeitig geht er jedoch nicht so weit zu behaupten, sinnliche Erkenntnis sei die oberste Erkenntnisinstanz. Groß (2011, 262) spricht vom „ästhetischen Rationalitätstypus“, um zu verdeutlichen, dass Baumgarten zwar einen dogmatischen szientifischen Rationalismus, der mit Descartes „den Blinden zum Modell des wissenschaftlich korrekt Sehenden erklärt“ (Welsch 1995, 487), ablehnt, Rationalität hingegen als zentrales Prinzip auch in Baumgartens Denken gilt. Es geht ihm um eine Öffnung der auf die traditionelle kartesische Logik beschränkten ratio (Vernunft) und schließlich um cognitio (Erkenntnis). Zu unterstellen, ein ästhetischer Zugriff würde irrationale Züge aufweisen und die ästhetische Kontemplation um den Preis der Vernunft erkaufen, wäre folglich falsch. Ästhetik ist bei Baumgarten weder denk- noch vernunftbefreit.14 Vielmehr geht es gegen eine Verbannung der Sinnlichkeit aus dem philosophischen Diskurs: „Nicht Vernichtung, sondern Beherrschung des Gebiets bildet daher die eigentliche Aufgabe; nicht die tyrannische Unterdrückung der sinnlichen Faktoren, sondern ihre Zurückführung auf ein inneres Maß und eine ihnen selbst immanente Regel“ (Cassirer 1994, 77).
Nicht viele Wissenschaftler sind seinerzeit bereit gewesen, diese intellektuelle Herausforderung anzunehmen und Baumgarten auf seinem Weg zur theoretischen Beherrschung der Sinnlichkeit zu folgen. Während Baumgarten selbst ein gefeierter Philosoph, beliebter Dozent und ausgezeichneter Redner gewesen zu sein scheint (Mirbach 2007, XIXf.), bleibt sein Ästhetik-Projekt randständig und weitestgehend unbeachtet. Dies hat drei wesentliche Gründe: Erstens passte sein Konzept weder in eine rationalistische noch in eine empiristisch-sensualistische Schule. Dazu fehlt es am klaren Bekenntnis zur Vernunft einerseits bzw. zur sinnlichen Erfahrung als oberster Voraussetzung für Erkenntnis andererseits. Entsprechend erklärt Tedesco (2008, 138), dass „Baumgartens Stellung im Rahmen der Aufklärung immer zugleich ein ‚zu viel‘ und ein ‚zu wenig‘ ist“: zu viel Sinnlichkeit auf der einen, zu viel Verstand auf der anderen Seite.15 Entsprechend konnte Baumgartens Ansatz nicht eingeordnet werden, was dafür sorgte, dass eine Auseinandersetzung wenn überhaupt nur zögerlich stattfand. Zweitens wurde Baumgartens Ästhetik nicht durch ihn selbst, sondern durch seinen Schüler bekannt, was sehr zu Baumgartens Nachteil ausfiel. Der Baumgarten-Schüler Georg Friedrich Meier kam mit der Veröffentlichung seines Werkes Anfangsgründe aller schönen Künste und Wissenschaften (1748/50) der Aesthetica seines Lehrers um zwei Jahre zuvor und konnte somit die Lesart des Begriffes Ästhetik 14
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Dies hat die radikale Konsequenz, dass nach Baumgarten nicht länger von dem Rationalismus gesprochen werden kann. Vielmehr wird von ihm eine Pluralisierung des Rationalitätsbegriffes angestoßen, der nun mit szientifischer Rationalität und ästhetischer Rationalität zwei ganz unterschiedliche Facetten aufweist (Groß 2001, 246 ff.). Das Innovationspotenzial dieser Pluralisierung ist, zumal im 18. Jahrhundert, enorm, und Groß mag in Anbetracht der Rezeptionsgeschichte Baumgartens recht haben, wenn er sagt, dass die Tragweite von Baumgartens Vorschlag erst im 20. Jahrhundert angemessen erkannt werde, in einer Zeit also, deren Paradigma genau die fortwährende ‚Entdeckung‘ von Pluralitäten darstellt. Gabriel positioniert Baumgarten in der rationalistischen Traditionslinie seiner Lehrer Leibniz und Wolff (Gabriel 2008, 63), wobei dann aber betont werden muss, dass er diese Linie durch seine Neuausrichtung gehörig durcheinanderbringt.
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maßgeblich prägen – mit einschneidenden Konsequenzen. Meier verengt den von Baumgarten sehr breit angelegten Ästhetikbegriff auf einen speziellen Fall, nämlich auf das ‚schöne‘ Denken und die ‚schönen‘ Künste. Dies hatte sinnentstellende Verschiebungen zur Folge. Ästhetik ist demnach nicht, wie Baumgarten es andeutet, Wissenschaft der allgemeinen sinnlichen Erkenntnis und die Theorie sinnlicher Darstellung, sondern eine, die sich dem ‚Schönen‘ im engsten Geschmackssinne widmet und auf dieses das eigene Tun ausrichtet. Davon distanziert sich Baumgarten zwar ausdrücklich: „Abermals warne ich: Ich bin nicht jemand, der mir oder anderen einen anmutigen Geist im Allgemeinen oder gar im besonderen einen lobenswerten Redner, Dichter, Musiker usw. erdichtete, der mit Hilfe der ästhetischen Wissenschaft gleichsam in jeder Hinsicht vollkommen wäre“ (AE, § 61). Die von Beginn an skeptischen Rationalisten fragen nun jedoch zu Recht: „Soll der Logicus nun zum Schöngeist werden?“ (Bahr 2004, 13). Nein, natürlich nicht, hieße Baumgartens Antwort. Bei ihm geht es nicht darum, die Wissenschaft schöner zu machen, etwa durch eine blumigere Ausdrucksweise, gefälligere Abbildungen oder attraktivere WissenschaftlerInnen. Wissenschaftliche Analysen sind überprüfbare, logische Argumentationen und sollen es auch bleiben. Baumgarten selbst versteht die Ästhetik als „Logik des unteren Erkenntnisvermögens“ (ME, § 533, eig. Hervhbg.). Der Kurzschluss zwischen ‚ästhetisch‘ und ‚schön‘ ist infolge der Meier’schen Abhandlung dennoch hergestellt, er verfestigt sich bei Herder, Lessing oder Mendelsohn (Bahr 2004, 12) und hält sich bis in den gegenwärtigen Sprachgebrauch. Hier wird Ästhetik definiert als „1. Lehre von den Gesetzmäßigkeiten und Grundlagen des Schönen und des Harmonischen in Natur und Kunst 2. Schönheitssinn 3. das (stilvoll) Schöne, das Harmonische“ (Langenscheidt Fremdwörterbuch). Gerade mit Blick auf die erste Bedeutung des Naturschönen ist nochmals zu betonen, dass die Ästhetik von Baumgarten, so wie sie hier für die geographische Forschung eingespannt wird, ausdrücklich nicht in diesem Sinne angelegt ist. Es gilt vielmehr, was Martin Seel knapp 250 Jahre später formuliert: „Ästhetische Wahrnehmung kann sich vielfältig an Gegenständen und bei Gelegenheiten entzünden, die weder von Natur noch durch Kunst gegeben sind. Das Ästhetische […] geht in überhaupt keiner Einheit auf “ (Seel 1996, 236). Wir stehen mit anderen Worten vor dem Problem, dass Baumgarten nur noch der Namensgeber der neuzeitlichen ‚Ästhetik‘ ist, seine eigene Theorie jedoch weitestgehend unbeachtet bleibt. Mehr noch: Das, was unter dem Label ‚Ästhetik‘ gefasst wird, hat schon bald nur noch wenig mit Baumgartens Theorie zu tun. „Der erkenntnistheoretische Impuls ist gefühlspsychologisch stranguliert worden“ (Groß 2001, 115 f.). Drittens bewirkt die starke Nutzung des Begriffes Ästhetik in der verengten Meier’schen Lesart im 18. Jahrhundert eine weitere Aushöhlung der Intention Baumgartens. Noch schlimmer: ‚Ästhetisch‘ wird zum Modewort (Schweizer 1983, VIII); die Disziplin der Ästhetik zur „Karrieredisziplin […]. Sie rückt innerhalb weniger Jahrzehnte vom Aschenputtel zur Herrin der Epistemologie auf “ (Welsch 1995, 488). ‚Ästhetiker‘ nennt sich, meist als schmeichelnde Selbstbeschreibungsformel, wer sich selbst seiner besonderen Feinsinnigkeit rühmt; als ‚ästhetisch‘ gilt, wofür das Attribut ‚schön‘ fortan zu profan erscheint. ‚Ästhetik‘ ist als ernst zu neh-
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mendes Modell für eine kritisch-konstruktive Weiterführung erkenntnistheoretischer Überlegungen in der Philosophie oder anderswo unbrauchbar geworden.16 Baumgartens Ideen erfahren erst posthum Anerkennung, z. B. durch Immanuel Kant, der Baumgartens Rezeption der sinnlichen Erkenntnis in seiner Kritik der Urteilskraft (1790) einfließen lässt, oder durch Ernst Cassirer, der von Baumgarten maßgebliche Impulse für seine Philosophie symbolischer Formen (1923–1929) erhält. Dessen ungeachtet wird Baumgarten nach wie vor eher abseits des wissenschaftlichen Mainstreams diskutiert (Bahr 2004, 18). Erläuterungen zu seinem Werk beschränken sich meist auf das Vorwort zu lateinisch-deutschen Übersetzungen. Erst in jüngster Zeit kann eine Reaktivierung Baumgarten’schen Gedankenguts in der Philosophie beobachtet werden (Aichele & Mirbach 2008) und liegt auch seine Metaphysica erstmals in vollständiger Übersetzung vor (2011 von Gawlick und Kreimendahl herausgegeben). Auch in anderen Disziplinen versucht man Baumgartens Ideen in die eigene erkenntnistheoretische Grundlegung einfließen zu lassen.17 Zu nennen sind hier vor allem die religionswissenschaftlichen Arbeiten von Petra Bahr (2004) und die kulturwissenschaftlichen Publikationen von Steffen W. Groß (2001, 2011). Dabei ist es nicht Groß’ Anliegen, eine gleichsam ‚tiefenphilosophische‘ Rekonstruktion von Baumgartens ‚Ästhetik‘ zu verfassen (wie es etwa die Philosophen in Aichele & Mirbach 2008 tun), sondern mit breiterem Pinselstrich Baumgarten als Impulsgeber für eine, wie er immer wieder nachdrücklich betont, gewinnbringende Grundlage einer „Philosophie der Kulturwissenschaften“ (2001, 58; 2011, 6) ins Spiel zu bringen.18 Aisthetik statt Ästhetik? Angesichts der Rezeptionsgeschichte, die den Begriff der Ästhetik mehr geprägt hat, als Baumgarten es selbst vermochte, gibt es Überlegungen, den Begriff der ‚Ästhetik‘ aufzugeben. Auf diese Weise soll der eigentliche erkenntnistheoretische Impuls des Ansatzes wieder stärker betont werden und eine Distanzierung von der auf die ‚schöne‘ Kunst ausgerichteten, verengten Lesart von Ästhetik zum Ausdruck kommen. Ersetzt werden soll ‚Ästhetik‘ durch den antiken Begriff der Aisthesis oder der Aisthetik (vgl. z. B. Barck et al. 1990; Groß 2001; Böhme 1995, 2001). Auch der Philosoph Wolfgang Welsch will die kunstfixierte Engführung von Ästhetik lösen – zu16
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Darüber hinaus behindert die Tatsache, dass Baumgarten, anders als Meier, in Latein schreibt, wo sich doch das Schreiben in der Nationalsprache Deutsch als Zeichen frühaufklärerischer Emanzipation vom allzu introvertiert-abgehobenen Gelehrtengestus gerade durchzusetzen beginnt, zusätzlich eine breitere Rezeption seiner Ideen (Bahr 2004, 11). Dabei verströmen die geführte Debatte um Baumgarten (u. a. Groß 2001, 2011; Bahr 2004; Aichele & Mirbach 2008) bisweilen den Geist einer wissenschaftlichen Goldgräberstimmung, in der man nun vermeint, ‚den‘ Baumgarten ‚auszugraben‘. Dafür nimmt er Baumgarten als Ausgangspunkt, geht in seinen Auslegungen aber über ihn hinaus und kaschiert mit seinen eigenen weiterführenden Gedanken einige kritische Momente der Baumgarten’schen Philosophie selbst. Wo Groß also Baumgarten als Urheber angibt, ist es häufig eher Groß selbst, (im engeren oder weiteren Sinne) inspiriert von Baumgarten, der als Autor angegeben werden muss.
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gunsten einer breiteren Aisthetik „als Thematisierungen von Wahrnehmungen aller Art, sinnenhaften ebenso wie geistigen, alltäglichen wie sublimen, lebensweltlichen wie künstlerischen“ (Welsch 2003, 9 f., Hervhbg. i. Orig.). Das Problem ist also folgendes: Der Begriff ‚Ästhetik‘ ist zwar etabliert, man ist aber dazu angehalten, die Common Sense und damit die kaum vermeidbare Engführung des Begriffes außer Kraft zu setzen. Verwendet man hingegen das Wort ‚Aisthetik‘, um dieser begrifflichen Last zu entkommen, hat man definitorische Freiheiten und die Hoffnung auf eine unbefangenere und unvoreingenommene Rezeption und Diskussion. Außerdem kann man argumentieren, dass Baumgartens Ästhetik als Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis und als Theorie der sinnlichen Darstellung selbst mehr Ähnlichkeit mit Welschs Fassung aufweist als mit der seiner Nachfolger. Ich möchte im Folgenden nichtsdestoweniger am Begriff Ästhetik festhalten, da sich nur so ein Diskurs über die verschiedenen Lesarten des Begriffes anregen lässt, sich nur so Unterschiede herausarbeiten und Perspektiven vergleichen lassen. Gerade in der Geographie, in der zwar der Begriff der Ästhetik, nicht jedoch der der Aisthesis Verwendung gefunden hat, scheint ein solcher komparativer Ansatz sinnvoll zu sein.19 2.3 Baumgartens Ästhetik Schauen wir uns Baumgartens Ästhetik nun im Detail an. Wie bereits gezeigt, geht es Baumgarten um den rechten Platz für die Sinnlichkeit in der Erkenntnistheorie. ‚Rechter‘ Platz bedeutet: nicht negiert wie in der rationalen Logik und nicht isoliert herrschend wie im Sensualismus. Baumgarten versucht, nachdem die logische Ordnung große akademische Zuwendung erfahren hatte, nun die ästhetische Ordnung zu fassen. Dabei treibt Baumgarten das Gefühl, dass die Logik der Fülle und Komplexität menschlicher Erkenntnisse nur unzureichend gerecht wird, dass da mehr ist, als sich mittels logischer Ordnungsschemata erfassen ließe. Baumgarten schreibt dazu im Aletheophilus, in seinem zweiten philosophischen Brief (über sich selbst in der dritten Person): „[S]o scheint ihm die Logik mehr zu versprechen, als sie halte, wenn sie unserer Erkenntnis überhaupt zu verbessern sich anheischig macht, und nachher nur mit der deutlichen Einsicht und deren Zurechtweisung beschäftigt ist“ (Alet, 69). Dieses Mehr findet Baumgarten im sogenannten „unteren Erkenntnisvermögen“ (ME, § 520). Emanzipation des ‚unteren‘ Erkenntnisvermögens Die Unterscheidung zwischen oberem und unterem Erkenntnisvermögen ist eine der traditionellen Unterscheidungen in der Erkenntnistheorie und wurde schon 19
Ähnliches macht auch Werlen, indem er am Begriff der ‚Regionalisierung‘ festhält und seine Lesart der ‚alltäglichen Regionalisierungen‘ (1997) bewusst den raumwissenschaftlichen ‚wissenschaftlichen Regionalisierungen‘ gegenübergestellt, um die Neuorientierung und Neuinterpretation gegenüber dem Etablierten zu betonen.
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von Leibniz und Wolff benutzt. An die Positionierungen ‚oben‘ und ‚unten‘ ist eine deutliche Bewertung geknüpft. Bildlich gesprochen, sitzt nach Sichtweise der Rationalisten (Wolff 1743, 6) der Verstand auf dem Gipfel des Erkenntnisberges (Abb. 1). Dort haben sich die Wolken verzogen und die Sonne (der Erkenntnis) kann ungetrübt scheinen: „Non perturbatur in alto“ – „Keine Störung in der Höhe“. Am Fuße des Berges hingegen tobt das Wetter, die Sicht ist schlecht und die Landschaft ist nur an wenigen Stellen klar erkennbar. Analog bringt die Logik Wahrheit und Erkenntnis. Alles Sinnliche bleibt unklar und undeutlich und steigt nicht zur wahren Erkenntnis auf.
Abb. 1: Vernünftige Gedanken von der Menschen Thun und Lassen (Wolff 1743, 6).
Baumgarten unterscheidet in seiner Metaphysik ebenfalls das obere und untere Erkenntnisvermögen. Jedoch wird durch den jeweiligen Umfang der Kapitel deutlich, dass er die damit verbundene Hierarchisierung nicht teilt. Während dem oberen Erkenntnisvermögen 26 Paragraphen gewidmet werden, wird das untere Erkenntnisvermögen in 104 Paragraphen ausgeführt. Liest man dann jedoch die Paragraphen, scheint Baumgarten zunächst die rationalistische Meinung zu bestätigen, wenn er sagt:
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„Also ist unter gleichen Umständen eine klare Erkenntnis größer als eine dunkle. Folglich ist Dunkelheit ein geringerer, Klarheit ein größerer Grad der Erkenntnis und aus demselben Grund die Verworrenheit ein geringerer oder niederer Grad der Erkenntnis, die Unterscheidung ein höherer Grad“ (ME, § 520).
Klarheit und Unterscheidung schaffen höhere Erkenntnis, Dunkelheit und Verworrenheit geringere Erkenntnis. Wenn der Erkenntnisgewinn so klein ist, weshalb sollte man sich dann mit dem unteren Erkenntnisvermögen beschäftigen? Handelt es sich bei dem Verworrenen nicht vielmehr um einen vernachlässigbaren Rest, ein überhörbares Hintergrundrauschen, ja sogar um eine stete Quelle des Irrtums? Baumgarten begegnet den Einwänden zunächst metaphorisch, indem er zwischen Licht und Dunkelheit eine Dämmerzone ausmacht: „a) [S]ie [die Verworrenheit, D. S.] ist eine unerläßliche Voraussetzung für die Entdeckung der Wahrheit, da die Natur keinen Sprung macht aus der Dunkelheit in die Klarheit des Denkens. Aus der Nacht führt der Weg nur über die Morgenröte zum Mittag [Ex nocte per auroram meridies]. b) Gerade deshalb muß man sich um die verworrene Erkenntnis bemühen, damit daraus keine Irrtümer entstehen, wie sie in großer Zahl und in weitem Umfang bei denen auftreten, die sich nicht darum bekümmern. c) Es wird nicht das verworrene Denken empfohlen, sondern es geht darum, die Erkenntnis überhaupt zu verbessern, soweit ihr notwendigerweise ein Rest verworrenen Denkens anhaftet“ (AE, § 7).
Verworrenheit ist also eine Eigenschaft jedweder Erkenntnis und damit ein Grundmoment der conditio humana.20 Bei Baumgarten ist das obere Erkenntnisvermögen nun nicht deckungsgleich mit Klarheit, das untere nicht deckungsgleich mit Verworrenheit. Baumgarten entwirft einen neuen Typus, nämlich das Klar-Verworrene (clara-confusa). Das untere Erkenntnisvermögen ist für ihn klar und verworren. Es zeichnet sich dadurch aus, dass klare Unterscheidungen von Dingen, Zuständen etc. sinnlich, nicht jedoch begrifflich möglich sind. Somit kann auch das Klar-Verworrene zu Erkenntnis führen, da die Kriterien der Klarheit und Unterscheidung erfüllt sind. Menschliche Erkenntnis ist unauflösbar immer auch in sinnlichen Erkenntnisund Darstellungsvollzügen gebunden. Das untere Erkenntnisvermögen ermöglicht und organisiert das Erkennen durch die Sinnlichkeit (ME, § 521). Diese Auffassung von Sinnlichkeit übersteigt eine sensualistische bei Weitem. Baumgartens Sinnlichkeit, die wir im weiteren Verlauf als „cognitio sensitiva“ (AE, § 17) konkretisieren werden, ist viel umfassender: „Baumgarten [gibt] dem erkenntnisrelevante Tiefenschärfe, was vorher – wie Wahrnehmung, Gefühl, Geschmack, Einbildungskraft, und Bezeichnungsvermögen – als Welterschließungsformen ausschließlich privativ und defizitär bestimmt wurde“ (Bahr 2004, 17). Zum unteren Erkenntnisvermögen zählen nicht nur sinnliche Wahrnehmungen, sondern außerdem der Sinn (das Vermögen, etwas zu empfinden; die Fähigkeit, Empfindungen zu haben), die Einbildungskraft, die Feinsinnigkeit, das Gedächtnis, das Dichtungsvermögen, die Vor-
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Gemäß den Baumgarten-Interpreten ist es angemessener, das lateinische Original von Verworrenheit, confusa, positiv konnotiert als ‚Komplexität‘ zu übersetzen (Bahr 2004, 78; Groß 2001, 98).
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hersehung, das Urteilsvermögen (Geschmack), das Erwartungs- und Vorahnungsvermögen und das Bezeichnungsvermögen (ME, §§ 534–623).21 Sinnlichkeit als Erkenntnisprinzip Ausgangspunkt der Überlegungen Baumgartens ist die dämmernde Einsicht, dass nicht alles, was Erkenntnis bringt, begrifflich klar und logisch-deutlich fassbar sein muss. Das sinnliche Erkenntnisvermögen zeichnet sich durch Verworrenheit und 21
a) Der Sinn: Die Definition von Sinn läuft über Empfindungen: „Ich denke meinen gegenwärtigen Zustand. Also stelle ich mir meinen gegenwärtigen Zustand vor, d. h. ICH EMPFINDE. Die Vorstellungen meines gegenwärtigen Zustands oder die EMPFINDUNGEN (Erscheinungen) sind Vorstellungen des gegenwärtigen Zustands der Welt“ (ME, § 534). „Ich habe das Vermögen zu empfinden, d. h. den SINN“ (ME, § 535). Die Einbildungskraft zielt darauf ab, sich des vergangenen Zustands des Ichs und der Welt zu vergegenwärtigen (ME, § 557). „Ich habe das Vermögen Einbildungen hervorzubringen oder die EINBILDUNGSKRAFT. Und da meine Einbildungen Vorstellungen von Dingen sind, die früher gegenwärtig waren, sind sie Vorstellungen von Empfundenem, das während der Einbildung abwesend ist“ (ME, § 558). Die Feinsinnigkeit: „Ich nehme die Übereinstimmungen und Verschiedenheiten der Dinge wahr. Also habe ich das Vermögen, Übereinstimmungen und Verschiedenheiten wahrzunehmen“ (ME, § 572). Das Gedächtnis: „Eine wiederholte Vorstellung nehme ich als dieselbe wahr, die ich früher hervorgebracht hatte, d. h. ICH ERKENNE SIE WIEDER (ich erinnere mich). Also habe ich das Vermögen, wiederholte Vorstellungen wiederzuerkennen oder das GEDÄCHTNIS, und das entweder als sinnliches oder ein intellektuelles“ (ME, § 579). Die Vorhersehung: „Ich bin mir meines, folglich auch der Welt zukünftigen Zustands bewußt. Die Vorstellung des zukünftigen Zustands der Welt, folglich auch meines zukünftigen Zustands, ist VORHERSEHUNG. Ich sehe vorher, also habe ich das Vermögen vorherzusehen, das von der Kraft der Seele, das Universum gemäß der Stelle meines Leibes vorzustellen, verwirklicht werden muss“ (ME, § 595). Das Urteilsvermögen: „Ich nehme die Vollkommenheit und Unvollkommenheit der Dinge wahr, d. h. ICH BEURTEILE sie. Also habe ich das Beurteilungsvermögen“ (ME, § 606). „Das Gesetz des Beurteilungsvermögens lautet: Wenn die verschiedenen Merkmale einer Sache als zusammenstimmend oder nicht zusammenstimmend wahrgenommen werden, wird ihre Vollkommenheit oder Unvollkommenheit wahrgenommen. Da dies entweder deutlich oder undeutlich geschieht, wird das Beurteilungsvermögen, folglich auch das Urteilsvermögen entweder sinnlich oder intellektuell sein. Das sinnliche Urteilsvermögen ist der GESCHMACK IN WEITERER BEDEUTUNG (Geschmack, Gaumen, Nase). KRITIK IN WEITESTER BEDEUTUNG ist die Kunst des Beurteilens“ (ME, § 607). Das Erwartungs- und Vorahnungsvermögen: „Wer eine vorhergesehene Wahrnehmung als dieselbe wie eine später wahrzunehmende vorstellt, ERWARTET ETWAS, hat also das Vermögen, etwas zu erwarten oder das ERWARTUNGSVERMÖGEN IN WEITERER BEDEUTUNG“ (ME, § 610). „Wie sich also das Gedächtnis zur Einbildung verhält, so verhält sich die Vorahnung zur Vorhersehung“ (ME, § 611). „Die sinnliche Vorahnung ist die ERWARTUNG ÄHNLICHER FÄLLE“ (ME, § 612). Das Bezeichnungsvermögen: „Ich nehme Zeichen zusammen mit dem Bezeichneten wahr; also habe ich das Vermögen, Zeichen und Bezeichnetes in der Vorstellung zu verbinden; dieses kann das BEZEICHNUNGSVERMÖGEN genannt werden. […] Der Bezeichnungszusammenhang wird entweder deutlich oder undeutlich erkannt, folglich wird das Bezeichnungsvermögen entweder sinnlich oder intellektuell sein“ (ME, § 619).
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Klarheit gleichzeitig aus. ‚Verworren‘ bedeutet hierbei allerdings nicht minderwertig, wie es noch bei Descartes oder auch Leibniz der Fall war. Baumgarten gibt dieses unwegsame Feld der Erkenntnis nicht auf, „wenn [es] auch nicht bis zur Deutlichkeit in genauester Bedeutung aufsteigen sollte“ (Alet, 69). Sinnliche Erkenntnis ist für ihn, wie wir gesehen haben, nicht einfach Dunkelheit, sondern die „Morgenröte“. Auch wenn ihr aus rationalistischer Perspektive etwas fehlt – in der Metapher ist es Licht –, so ist Sinnlichkeit doch erkenntniskonstitutiv. Ja, Baumgarten würde sogar darauf bestehen, zu sagen, weil ihr etwas fehlt, kann mit ihr Welt erschlossen werden. Damit erhebt er den Mangel zum Prinzip. Der Grund ist, dass (logische) Bestimmtheitsgewinnung (sinnlichen) Unbestimmtheitsverlust bedeutet. Zur Verdeutlichung führt Baumgarten das Gleichnis vom Marmorblock an (ME, § 560): Um aus einem Marmorblock eine Figur, z. B. eine Kugel, zu schlagen, muss man den Verlust an Material in Kauf nehmen. Im unbehauenen Marmorblock stecken unendlich viele potenzielle Figuren und Möglichkeiten. Die Entscheidung für eine davon bedeutet eine Entscheidung gegen andere. Die Vereindeutigung des Unbestimmten löst Kontingenz und Komplexität auf. „Ich meine in der Tat, daß es den Philosophen nunmehr in höchstem Maße offenkundig sein kann, daß in der Vorstellung und in der logischen Wahrheit nur mit einem Verlust von vieler und großer materialer Vollkommenheit zurechtzubringen war, was auch immer ihnen an materialer Vollkommenheit innewohnt. Denn was ist die Absonderung, wenn nicht ein Verlust? Ebenso brächtest du aus einem Marmor an unregelmäßiger Form keine Marmorkugel heraus, wenn nicht durch wenigstens soviel Einbuße an Material, in welchem Maße sie der höhere Wert der Rundheit verlangen wird“ (ME, § 560).
Die Kugel steht dabei sinnbildlich für die von Unregelmäßigkeiten bereinigten Allgemeinbegriffe, der Marmorblock für das Individuell-Besondere. Somit ist nicht die ideale Kugel das Sinnbild der (als kontingent und komplex vorgestellten) Welt, sondern der unbearbeitete Block in der Fülle seiner Möglichkeiten. Die Kugel ist eine dieser vielen Möglichkeiten. Unbestimmtheit ist nicht verworren, sondern potent. Die Eigenart des Sinnlichen darf nicht, wie Gabriel (2008, 70) nachdrücklich betont, als ein „logischer Mangel“, sondern muss als „ästhetischer Reichtum“ begriffen werden. Insofern befördert Baumgarten die Unbestimmtheit und Verworrenheit von einer „anthropologischen Beschränktheit“ (Bahr 2004, 94) zu einer „anthropologischen Bedingtheit“ (ebd.). Abbildung 2 zeigt die Erkenntnisformen in der Übersicht: Erkennen kann prinzipiell dunkel (obscura) oder klar (clara) sein. Auf das Dunkle haben wir keinen Zugriff, es bleibt vorbewusst und spielt auch bei Baumgarten als Erkenntnisform keine weitere Rolle. Das Besondere sind die zwei gleichberechtigten Formen der Klarheit: klar und deutlich (clara distincta) sowie klar und konfus (clara confusa). Wie bereits gezeigt wurde, stellt diese Idee einen Bruch mit der kartesischen Tradition des Erkenntnisbegriffs dar, nach der nur Erkenntnis bringen kann, was klar und deutlich ist. Sinnliche Erkenntnis aber ist klar und konfus: sinnlich klar, aber begrifflich konfus. Verworren mag es sich anhören, wenn man versucht, sinnliche Erkenntnis (Gefühle, Geschmacksurteile, Erinnerungen, Einbildungskraft) verbal-begrifflich fassen zu wollen. Eine logische Herleitung scheitert ganz. Ineffabilität, die Unaussprechlichkeit, oder genauer: die begriffliche Unfassbarkeit, ist eine zentrale Eigenschaft
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des sinnlichen Erkenntnisvermögens. Das bedeutet aber nicht, dass das Empfinden an sich unscharf sei. Im Gegenteil, ‚innerlich‘ ist ganz klar, was gemeint ist, nur das Vehikel der Sprache ächzt unter der Anstrengung, das Empfundene zum Ausdruck zu bringen. Baumgarten bestimmt die clara confusa, die er auch als das ‚extensive Klare‘ bezeichnet (ME, §§ XV–XVIII), über ihre ‚Lebendigkeit‘, d. h. hinsichtlich ihres Vermögens zur anschaulichen Vergegenwärtigung und damit schließlich zur Erkenntnis. Diese ‚Lebendigkeit‘ ist der logischen Schlussfolgerung, der intensiven Klarheit, ebenbürtig: „Beide Arten von Klarheit machen die Verständlichkeit aus. Folglich ist die Verständlichkeit entweder lebhaft oder intellektuell oder beides. […] Je klarer, je lebhafter, je deutlicher und je gewisser eine Erkenntnis ist, desto größer ist sie“ (ME, § 531). Abbildung 2 zeigt die verschiedenen Arten des Erkenntnisvermögens: Erkenntnisvermögen
obscura (dunkel)
clara (klar)
MED, § 13, kaum Wiedererkennbarkeit und Unterscheidbarkeit gegeben, da nicht genügend Merkmale in der Vorstellung enthalten sind
MED, § 13, Wiedererkennbarkeit und Unterscheidbarkeit gegeben, genügend Merkmale enthalten
distincta
confusa
MED, § 14, klar und deutlich, begrifflich fassbar, analytisch zergliederbar
MED, § 16–18, in besonderem Maße sinnlich, Klarheit ob der Mannigfaltigkeit und des Zusammenhangs der vorgestellten Merkmale
Abb. 2: Einteilung des Erkenntnisvermögens (verändert nach Groß 2001, 75).
Kehren wir zurück zum Gleichnis des Marmorblocks. Nun anzunehmen, das Sinnliche sei gleichzusetzen mit dem Marmorblock und das Logische mit der klar definierten Kugel, hieße abermals, Dichotomien heraufzubeschwören. Auch das auf Komplexität ausgerichtete untere Erkenntnisvermögen unterscheidet, abstrahiert, verdichtet – es ist konfus und klar. Unterscheidungen werden bereits beim Aufmerken auf die Dinge getroffen. Aus diesem Grund spricht Baumgarten eben nicht vom Sensualen, sondern, wie nun gleich auszuführen ist, vom Sensitiven als der „geistige[n] Sinnlichkeit“ (Groß 2001, 78, Hervhbg. i. Orig.). Folglich ist er auch nicht dem Sensualismus zuzurechnen. Das Gleichnis des Marmorblocks macht zusammengefasst deutlich, dass wir es mit Abstufungen des Weltzugangs zu tun haben, die sich in unterschiedlicher Weise zum Sinnbild des Marmorblockes oder der Kugel positionieren, zum Komplexen und zum Definitiven, zur Kontingenz und zur Bestimmung. Unbestimmtheit ist als Moment jeden Erkennens auszuhalten und – vielleicht sogar positiv – als Quelle von noch nicht bestimmten Möglichkeiten zu deuten.
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Cognitio sensitiva: Das Zusammenwirken von Wahrnehmung, Emotion und Verstand Gehen wir nun genauer auf Baumgartens Begriff des Sinnlichen ein. Um klar zu machen, dass es ihm nicht um ein Entweder-oder geht – entweder der rationalistische Verstand oder die sensualistischen Sinne –, führt Baumgarten den Begriff des Sensitiven22 ein. Als vermittelnde Einheit von Wahrnehmung und Verstand ist die „cognitio sensitiva“ (AE, § 17) als „geistige Sinnlichkeit“ (Groß 2001, 78, Hervhbg. i. Orig.) zu verstehen. Die Vorstellung von Sinnlichkeit erfährt hierbei eine enorme Erweiterung. Das Sensitive versetzt uns in die Lage, geistig-sinnliche Vorstellungen zu bilden. Es umfasst zwei Arten von Sinnlichkeit: sensus externus (äußerer Sinn) und sensus internus (innerer Sinn): „Ich habe das Vermögen zu empfinden, d. h. den SINN. Der Sinn stellt entweder einen Zustand meiner Seele vor – der INNERE SINN – oder den Zustand meines Körpers – ein ÄUSSERER SINN. Folglich ist die EMPFINDUNG entweder eine INNERE durch den inneren Sinn (das Bewußtsein in engerer Bedeutung) oder eine ÄUSSERE, die durch einen äußeren Sinn verwirklicht wird“ (ME, § 535).
Der sensus externus umfasst die Sinnesorgane oder „Werkzeuge der Sinne“, d. h. „die Körperteile, mit deren passender Bewegung eine äußere Empfindung koexistiert“ (ME, § 536): Hören, Riechen, Sehen, Schmecken, Tasten. Sensus internus bezeichnet das geistige Vermögen, analog zu den Sinnesorganen innere Wahrnehmungen hervorzubringen. Sie umfassen die Empfindung, die Einbildungskraft, die Feinsinnigkeit, das Gedächtnis, das Dichtungsvermögen, die Vorhersehung, das Urteilsvermögen, das Erwartungs- und Vorahnungsvermögen und das Bezeichnungsvermögen (ME, §§ 534–623).23 Sensus externus und sensus internus sind zusammen „die wahrsten Empfindungen der ganzen Welt“ (ME, § 546). Sie stehen nicht, wie bereits betont wurde, außerhalb des Verstandes. Die Sinneseindrücke füllen also nicht einfach einen leeren Behälter, wie es die Sensualisten behaupten. Vielmehr verbinden sich sinnliche Eindrücke und kognitive Konstrukte in einer als ästhetisch verstandenen Wahrnehmung und ermöglichen so sensitives Erfassen, Urteilen und Gestalten. Sie leisten das sinn(en)hafte Schaffen und Verstehen von Welt. Oder anders: Sinn ist nur über Sensitivität zu erreichen. Derart ist „Wahrnehmung als erkennende Verbindung zur Welt“ bei Baumgarten, so Groß, „ein aktives In-Beziehung setzen zur Welt, eine sinnhafte Gestaltungsleistung, und nichts, was einfach nur da ist“ (2001, 133). Durch das Zusammenspiel von sensus internus und sensus externus werden Vorstellungen, die repraesentatio sensitiva (MED, § II; ME, § 521) konstituiert. Sie umfassen, so die Analyse von Bahr (2004, 57 ff.), zwei Dimensionen: die piktorale und die performante Dimension. Die piktorale Dimension zielt auf die Erzeugung 22
23
‚Sensitiv‘ im lateinischen Original, ‚sinnlich‘ in der deutschen (auch in der von Baumgarten selbst vorgenommenen) Übersetzung (Mirbach 2007, XXVII). Ursprünglich wurde der Begriff von Wolff zur Beschreibung des (unteren) Begehrungsvermögens eingeführt (Groß 2001, 110). Zur besseren Abgrenzung gegenüber dem Sensualismus wird die lateinische Originalbezeichnung beibehalten. Vgl. den Verweis in FN 21.
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Erkenntnistheoretische Grundlegung
innerer Bilder, Vergegenwärtigungen oder Vorstellungen. Die performante Dimension hingegen betont die Darstellung. In ihr verbinden sich Poiesis und Praxis, Hervorbringen und Vollzug. Mit dieser In-Macht-Setzung des Performativen revidiert Baumgarten den platonischen und logischen Ansatz der Imitatio-Lehre, nach der Darstellungen lediglich den Versuch der möglichst minutiösen, streng kalkulierten Einholung einer (göttlichen) Vorlage darstellen, diese aber nie einzuholen vermögen und deshalb letztlich immer defizitär bleiben müssen (ebd.). Baumgarten bestimmt z. B. die Wirkung einer dichterischen Darstellung nicht über die Nähe oder Ferne zu einem göttlichen Original oder über den Deckungsgrad mit einer Regelpoetik, die die zur Anwendung zu bringenden Schemata vorgibt, sondern über die Performanz, die im Vollzug ihren (mimischen, gestischen, prosodischen etc.) Ausdruck findet. Diese Idee wird nun im sogenannten performative turn in den Kulturwissenschaften über 200 Jahre nach Baumgarten zentral (vgl. Bell 2008; Hamera 2006a). Die Qualitäten sensitiver Vorstellungen liegen in ihrem Reichtum (ubertas), ihrer Größe (magnitudo), ihrer Wahrheit (veritas), ihrer Klarheit (claritas), ihrer Gewissheit (certitudo) und in ihrer Lebendigkeit (vita) (AE, § 22). Dies sind zeigende Eigenschaften in dem Sinne, wie wir sie einleitend mit Gabriel herausgearbeitet haben. Sensitive Vorstellungen gehen nicht im Sagen auf: „Sie erzeugen ein Bild, das seine Bildhaftigkeit im Moment der unmittelbar einleuchtenden Imponierung – jenem zündenden ‚Aha-Erlebnis‘, das im Kurzschluß des Heterogenen liegt – vielleicht vergessen lassen mag, das aber schon einen Augenblick später zu immer weiteren Bildern ins Unendliche prozediert, weil die Übertragung nicht als Substitution von etwas durchgesetzt wird, was man auch anders sagen könnte“ (Bahr 2004, 112).
Diese Eigenschaften sind für Baumgarten entscheidend, zeigen sie doch an, worum es ihm geht: das Potenzial des Sensitiven als aktives, sinnlich-kognitives Erkenntnisvermögen, als cognitio sensitiva deutlich zu machen (AE, § 17). Das Wahrgenommene soll in seiner Komplexität und seinen Zusammenhängen erfasst werden (AE, § 752). Ein Denken, das ein solches Erfassen leistet, ist bei Baumgarten „schönes Denken“ (ars pulchre cogitandi; ME, § 533; AE, § 1). Schönheit definiert sich bei Baumgarten demnach nicht über die Übereinstimmung mit einem bestimmten Kriterienkatalog des Wohltemperierten, sondern über die Fähigkeit, Zusammenhänge zwischen logischer und analogisch-ästhetischer Erkenntnisform herstellen zu können. Weg von der Oberfläche Die Basis des sensitiven Erkennens liegt für Baumgarten nicht an der Oberfläche der Dinge, sondern speist ihr Vermögen aus dem ‚Grund der Seele‘ (fundus animae; ME, § 511). Forschungsgegenstand der Ästhetik können folglich nicht physische Oberflächenphänomene sein. Eine Beschränkung der Ästhetik in diesem Sinne würde sich in bloßer „Oberflächenästhetisierung“ (Groß 2001, 100) erschöpfen. Dieser Problematik muss sich auch eine Geographie immer wieder stellen, die versucht, die ‚materielle Welt in der Humangeographie‘ (Berichte zur deutschen Landeskunde 2009) zu thematisieren. Während auf der einen (traditionellen, landschaftsgeographischen) Seite die Oberflächenästhetisierung und die Reifizierung
Baumgartens Ästhetik
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des auf der Oberfläche Befindlichen zur unleidlichen Perfektion gebracht wurde, ist auf der anderen (praxeologischen, systemtheoretischen, pragmatischen, atmosphären- und akteurnetzwerktheoretischen usw.) Seite ein wesentlich reflektierterer Umgang mit Materialitäten zu konstatieren. Dort wird versucht, nicht bei den Oberflächen stehen zu bleiben, sondern die inneren Prozesse des Erlebens, der Sinn- und Bedeutungskonstitution und nicht zuletzt auch des Diskurses darüber mit einzubeziehen. In diesem Sinne soll auch der ästhetische Ansatz, wie er hier vorgelegt wird, verstanden werden. Ästhetik thematisiert die Konstitution von Weltauffassungen über Multisensualität, Emotionalität und Erleben. Der Mensch erfährt und vergegenwärtigt sich sein Selbst und die Welt sensitiv, d. h. sinnlich und kognitiv. Auf diese Weise schafft er aktiv Bedeutungen und Sinn und nimmt gleichzeitig bestehende Deutungen auf. Dabei sind Sinn, Deuten, Verstehen immer dynamisch; werden durch Um- und Neuinterpretationen ständig gewandelt. Das ist ein Grund, warum Baumgarten das Individuell-Besondere als Gegenstand der ästhetischen Untersuchung bevorzugt. Es soll also nicht deduktiv vom Allgemeinen auf das Besondere geschlossen werden wie in der rationalistischen Logik. „Sinnliche Erkenntnis schaut sich gern Einzeldinge an (Dinge, Personen und Ereignisse)“ (AE, § 752), operiert also eher induktiv. Was Baumgarten damit anmahnt, ist, trotz aller Notwendigkeit der Abstraktion und Generalisierung den Forschungsgegenstand nicht zu de-personalisieren und zu de-kontextualisieren: „Ich möchte geraten haben, die Natur des Stoffes nicht nur im Allgemeinen und, wie man sagt, abgesondert, nur in gewisser Bestimmung betrachtet, zu bedenken, […] z. B. an welchem Ort, in welcher Zeit er zu denken sei […]“ (AE, § 667). Das Individuell-Besondere zu betrachten, bedeutet also nicht den Untersuchungsgegenstand zu isolieren, sondern ihn in seinem als einmalig verstandenen individuellen und soziokulturellen Kontext einzubetten. Darstellung Am Beginn der erkenntnistheoretischen Grundlegung haben wir in Auseinandersetzung mit dem Spektrum der Erkenntnisformen bei Gabriel den Begriff der ‚Darstellung‘ als wesentlich für die analogisch-ästhetische Erkenntnisform identifiziert: „Wir haben es mit einer Darstellungsform der Dinge zu tun. Dies bedeutet, daß sie eine Sache unserer Sichtweise ist und nicht durch die Dinge selbst erzwungen wird. Wir könnten die Dinge also auch anders sehen“ (Gabriel 1997, 47, Hervhbg. i. Orig.). Auch bei Baumgarten erhält ‚Darstellung‘ eine zentrale Position. Der Begriff wurde von ihm bereits in seiner Metaphysik als Bestandteil des Ästhetikbegriffs benutzt: „Scientia sensitive cognoscendi et proponendi est AESTHETICA“ – Die Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis und Darstellung ist die Ästhetik (ME, § 533, eig. Hervhbg.)24. Sensitive Darstellung ist ein Modus, in dem Identitäten und Weltbilder erzeugt werden. 24
Dass er in einer späteren Definition nur noch von der Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis spricht und den Darstellungsteil weglässt, erklärt Baumgarten damit, dass für ihn die Darstel-
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Erkenntnistheoretische Grundlegung
Baumgarten selbst benennt bestimmte (Lebens-)Bereiche, die in besonderem Maße über sensitive Darstellung hervorgebracht werden: „Musik, Malerei und Drama, aber auch niedrigschwellige Künste, die in Alltagsvollzügen gebundenen Formen poietischer Ausdrucksgestalten, die Semiotik der Affekte und die lingua corporis“ (Bahr 2004, 51). Im Repertoire des Über-die-Darstellung-zur-Geltung-Gebrachten finden sich also sowohl klassische wie ‚niedrigschwellige‘ Künste, alltägliche Ausdrucksweisen, Emotionsmarker und Körpersprache. Wir wollen zunächst die Künste und den Alltag von Körpersprache und Emotionsmarkern getrennt betrachten. Um das Gemeinsame der ‚künstlerischen‘ Lebensbereiche zu bestimmen, hilft es, den ethymologischen Ursprung des Begriffs ‚Kunst‘ vom lateinischen ars oder griechischen technē zu berücksichtigen.25 Sie werden als Fertigkeiten und Verfahren verstanden, die die Hervorbringung [Poiesis] und Praxis menschlichen Tuns bedingen und ermöglichen. In dieser Lesart lassen sich auch alltägliche Ausdrucksweisen verstehen. Wir schließen hier nun wieder an Gabriel und seine Forderung an, die unterschiedlichen Darstellungsformen von logischen und analogisch-ästhetischen Weltzugängen zu berücksichtigen. Mit der Einbettung von Darstellungsformen in das erkenntnistheoretische Fundament der Ästhetik nimmt die „Epistemisierung der technē“ (Bahr 2004, 47) ihren Anfang; oder ganz einfach gesprochen: mit Baumgarten beginnt die erkenntnistheoretische Aufarbeitung des Wie. Dass sich diese poietisch-praktischen Verfahren nicht auf ein rein geistiges Können beschränken, sondern multisensual sind, wird mit der lingua corporis und der ‚Semiotik der Affekte‘ unterstrichen. Diese stellen Ausdrucksmomente des Körperlichen dar, die an den Darstellungsvollzug gebunden sind bzw. diesen bedingen und gestalten. Baumgarten führt – ebenso wie Gabriel nach ihm – seine Argumentation am Beispiel der Rhetorik aus. Die Rhetorik wird zu Baumgartens Zeit gegenüber ihrer klassischen ‚Schwester‘, der Logik, unterschätzt (AE, § 13). Ihre Funktion sah man lediglich als „ästhetischen Aufputz“ (AE, §§ 704–729; vgl. Gabriel 1991, 208). Baumgarten revitalisiert die Rhetorik – jedoch mit einer neuen Pointe. Es geht ihm eben nicht um die Aufführung vorher festgelegter Stilelemente, sondern um die Eigenschaften und die Wirkung einer Darstellungsform als einer Weise „praktisch-poietischer Weltgestaltung“ (Bahr 2004, 5). Rhetorik wird damit zum heuristischen Prinzip der Rhetorizität, das die bewegende Kraft sinnlicher Repräsentationen und „die erfreuende und erschütternde Wirkung auf den Hörer“ (AE, § 565) zu verstehen hilft. Rhetorizität wird also im Sinne einer technē des ‚Lebendig-vor-Augen-Stellens‘ gedacht, genauer: als das bildgebende, figurative Verfahren und die affektive Bewegung der ars inveniendi oder der ars imaginandi. Ihre Kernbegriffe ‚Lebendigkeit‘ (vividitas) und ‚Prägnanz‘ (praegnans) können z. B. sprachlich durch anschauliche Metaphern eingelöst werden, sind aber keinesfalls nur auf Sprache beschränkt. Vielmehr umschließen sie alles Nonverbale (Mimik, Gestik, Prosodie),
25
lung inhärenter Bestandteil der sinnlichen Erkenntnis ist und somit nicht extra ausgeführt werden muss (Bahr 2004, 16). Zur Bedeutungsfülle des Begriffs siehe Löbl (1997, 2003, 2008). Zusammenfassend beschreibt Löbl die antike Auffassung von technē als eine „geistige Leistung, die sich im Können äußert“ (Löbl 2003, 272).
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Baumgartens Ästhetik
Musische, Bildhafte, eben jenes, was sich im Zeigen, nicht im Sagen konstituiert. Darstellungen sind multisensual und performativ. Sie konstituieren nicht nur die klassischen Künste, sondern auch den alltäglichen Lebensvollzug bzw. unser Tun als WissenschaftlerInnen.26 Wir können zusammenfassend festhalten, dass es sich bei dem ästhetischen Ansatz im hier vorgeführten Verständnis um eine besondere Betrachtungs- und Herangehensweise an Forschung (und Alltag) handelt, die zunächst keinen ‚neuen‘ Forschungsgegenstand umreißt, sondern die unhintergehbare Eingebundenheit aller Forschungsgegenstände in sensitive Erkenntnis- und Darstellungsprozesse thematisiert. Dieser ausdrückliche Verweis auf die Sensitivität unseres Erkennens hat jedoch Konsequenzen für die Art, wie, d. h. mit welchen Begriffen wir über Geographie-Machen nachdenken und sprechen können und welche Aspekte dabei ins Zentrum der wissenschaftlichen Untersuchung treten. Erkenntnis instanz
Kriterien
Erkenntnisform
Modus der Darstellung
logisches Erkenntnisvermögen cognitio intellectualis
Verstand
Analysierbarkeit Abstraktion Deduktion
intensive Klarheit (klar-deutlich)
Sagen Nachahmung
sensuales Erkenntnisvermögen
Sinnesreize
Sinneseindrücke Induktion
intensive Klarheit (klar-deutlich)
Sagen Beobachtung
sensitives Erkenntnisvermögen cognitio sensitiva
geistige Sinnlichkeit
IndividuellBesonderes Komplexität Kontingenz
extensive Klarheit (klar-verworren)
Zeigen Nachvollzug
Erkenntnisform Rationalismus
Empirismus, Sensualismus Ästhetik
Abb. 3: Übersicht über die Paradigmen Rationalismus, Sensualismus/Empirismus und Ästhetik (eigene Darstellung)
Kritik an Baumgarten Baumgartens Ästhetik bleibt nicht unwidersprochen und hat Kritik hervorgerufen. Sie umfasst im Wesentlichen zwei Punkte. Zum einen wird Baumgartens metaphysischer Rahmen in Frage gestellt (Bahr 2004; Piselli 2008), zum anderen wird ihm vorgeworfen, er gehe mit der Selbstbestimmung der Ästhetik nicht weit genug und untermaure mit seinem ästhetischen Rationalitätstypus nur den universellen Geltungsanspruch des Rationalismus (Welsch 1987) – wir erinnern uns, dass Baumgarten einen dogmatischen Rationalismus ablehnt, an Rationalität jedoch festhält.
26
Siehe Zahnens (2011) Ausführungen zur Darstellungsfrage und dem Darstellungsprozess in der Physischen Geographie.
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Erkenntnistheoretische Grundlegung
Zum ersten Kritikpunkt: Baumgarten hat ein metaphysisches Wahrheitskonzept. Die metaphysische Wahrheit ist unveränderbar. Sie zu erfassen, übersteigt das Vermögen eines Einzelnen (AE, § 440). Die eine Wahrheit ist unveränderlich, ewig und uneinholbar. Auch in der Frühaufklärung ist noch eine göttliche Gestalt präsent, die bei Descartes als potenzieller Dämon gleich am Anfang seiner Überlegungen verjagt wurde. Bei Baumgarten hingegen wird die Welt vollkommen und sinnvoll nur in Gott repräsentiert. Jede individuelle poietische Weltrepräsentation ist gleichsam von einer (als wahr verstandenen) Metarepräsentation umschlossen. Diese Konstellation muss, wie Bahr (2004, 58) feststellt, als Paradoxon beschrieben werden, werden doch potenziell die unendliche Kontingenz und die ‚eine Wahrheit‘ gleichermaßen und gleichzeitig für gültig erklärt. Am angemessensten kann daher wohl zusammenfassend von „schöpferische Nachahmung“ (ebd.) gesprochen werden, wobei es sicherlich im Sinne Baumgartens ist, das Schöpferische, Hervorbringende gegenüber der Nachahmung zu betonen. Schärfere Kritik übt Kaehler, der Baumgarten zwar einerseits bescheinigt, durch eine Rehabilitation der Sinnlichkeit den kartesischen Rationalismus zu überwinden, ihm andererseits aber vorwirft, einem der Sache unangemessenen metaphysischen Rahmen verhaftet zu bleiben, der eine wirkliche Befreiung und Eigentätigkeit des Subjekts verhindert (Kaehler 2008, 130 ff.). Diese Befreiung vermag erst die kantische Wende. Piselli äußert sich ebenso grundsätzlich kritisch zur Rolle der Metaphysik für die Ästhetik. „Alles Metaphysische schadet der Ästhetik, weil es versucht, sie in Zwang zu nehmen […]. Die Metaphysik hat – auch und gerade in Bezug auf die Ästhetik – ausgedient“ (Piselli 2008, 102). Er behauptet jedoch weiter, dass Baumgartens Ästhetik zwar im Zusammenhang mit der Metaphysik entwickelt werde, aber mit ihr „formal nichts zu tun“ (ebd.) habe. Baumgartens Metaphysik scheint also auf ein geteiltes Echo zu stoßen. Während sie für Kaehler Baumgartens Arbeit disqualifiziert, stellt sie Bahrs (religionswissenschaftlicher) Analyse zufolge eine Art moderaten religiösen Rahmen dar. Nach Piselli bleibt dies aber ohne weitere formale Auswirkungen auf sein Ästhetik-Projekt. Inwiefern der metaphysische Rahmen nun ein ‚Problem‘ darstellt, liegt demnach wesentlich in der Offenheit des Interpreten: Während es für einige das unproblematische Glaubensbekenntnis eines Wissenschaftlers darstellt, kann es für andere der unverzeihliche Rückgriff auf eine irrationale Geisteshaltung sein. Es ist aber weder an uns noch in der Person Baumgartens zu entscheiden, welche Interpretation hier die ‚richtige‘ ist. Für unsere Zwecke kann lediglich gesagt werden, dass der innovative Charakter seiner Arbeit und die Betonung des sinnlichen darstellenden Vermögens höher wiegt als eine mitschwingende Religiosität, die zudem Baumgartens Arbeit auch nicht grundsätzlich durchzieht, sondern in ihr nur punktuell aufscheint. Oder mit anderen Worten: Baumgartens Bemühungen um die Ästhetik aufgrund seines durchschimmernden religiösen Verständnisses gänzlich abzulehnen, hieße, den Baumgarten mit dem metaphysischen Bade auszuschütten. Zum zweiten Kritikpunkt: Welsch behauptet, dass Baumgarten Sinnlichkeit nur für eine ästhetische Rationalität instrumentalisiert, um den Allmachtsanspruch des Rationalismus zu untermauern (Welsch 1987, 22). Wie wir in der Auseinandersetzung mit Baumgarten immer wieder gesehen haben, bezieht Baumgarten explizit
Zwischenresümee I: Erkenntnistheoretische Grundlegung
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Stellung gegen einen dogmatisch gewordenen szientifischen Rationalismus. Indem er das Konzept der sensitiven Erkenntnis als analogon rationis einführt, untergräbt er genau den Allmachtsanspruch eines solchen Rationalismus, der nur das vom Verstande Hervorgebrachte als wahr erachtet. Mit dieser Kritik gibt Baumgarten jedoch nicht die ratio preis: Sensitivität wird als geistige Sinnlichkeit verstanden. Es handelt sich also nicht um einen Sensualismus, sondern um eine cognitio sensitiva – um ein sinnliches und geistiges Erkennen. Baumgarten erweitert mit seiner ästhetischen Rationalität das Konzept von ‚Rationalismus‘ und übersteigt die auf Descartes basierende kognitive Version durch die Begründung eines eigenen Paradigmas: der Ästhetik. Dies geht Welsch jedoch nicht weit genug. Die „Originarität“ (Welsch 1987, 23) des Sinnlichen werde mit dem grundsätzlichen Bezug zur ästhetisch verstandenen Rationalität beschnitten: „Denn so war das Sinnliche, das man herbeirief, ja von vornherein kein anderes als eben das klassische Gegenspieler-Sinnliche des Rationalen, war also gar nicht originär vom Sinnlichen her erfahren und geortet, sondern seinem ganzen Zuschnitt und seiner Verfassung wie seinen Grenzen und seinem Sinn nach aus der Perspektive des Rationalen bestimmt und limitiert“ (ebd.). Nun muss man erkennen, dass Baumgarten den vernunftdeterminierten Rationalismus tatsächlich als Folie für seine eigenen Ideen benutzt hat. Ein vollständiges Unterwerfen, wie Welsch es hier skizziert, findet m. E. jedoch nicht statt. Die Idee des Sensitiven verweist nur zu einem Teil auf die ratio, der andere ist mit allen Eigenarten und allen Konsequenzen sinnlich. Es mag sein, dass sich andere Autoren mehr auf diese Eigenarten konzentriert haben, Baumgartens Anliegen ist es jedoch, die Idee eines sensitiven Erkennens überhaupt in die Erkenntnistheorie einzuführen – ein Unternehmen, das in Anbetracht der damals vorherrschenden Paradigmen des szientifischen Rationalismus und des Sensualismus bzw. Empirismus durchaus schwierig war. Sein Ästhetik-Verständnis mag für den gegenwärtigen zeitgenössischen Diskussionsstand zu schüchtern ausfallen, vor dem Hintergrund des skizzierten Zeitgeistes (‚Der Blinde als der wahrhaft Sehende‘) fällt Baumgartens Projekt vergleichsweise radikal aus. Schließlich erkennt auch Welsch resümierend an, „daß er [Baumgarten] mit seiner Idee ästhetischer Erkenntnis einen Sprengsatz in die Philosophie eingeführt hat, der sukzessiv zur Zündung gelangte“ (Welsch 1995, 489). 2.4 Zwischenresümee I: Erkenntnistheoretische Grundlegung Mit der erkenntnistheoretischen Grundlegung wird der Fokus auf die Erkenntnistätigkeit der Subjekte als wichtige (Teil-)Operation alltäglichen Geographie-Machens gelegt. Wie im ersten Kapitel dargelegt, hat der erkennende Aspekt im Vergleich zum handelnden Nachholbedarf in Sachen theoretischer Explikation. Mit erkenntnistheoretischen Überlegungen zur Sensitivität kann das Verständnis des Subjekts als Hauptdarsteller sozialgeographischer Theorie vertieft werden. Für die Geographie liegt die Relevanz erkenntnistheoretischer Überlegungen in ihrer eigenen Ausrichtung auf Weltauffassungen. Einer Geographie nach dem social und cultural turn geht es darum zu rekapitulieren, wie Raumvorstellungen, Bedeutungen, Identitäten
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Erkenntnistheoretische Grundlegung
konstruiert werden. Es geht nicht um die ‚Freilegung‘ essenzialistischer Charaktereigenschaften von Nationen, Ethnien oder Städten, sondern um Sichtweisen und ihre soziale Wirkmacht; mithin um das Machen von Geographie. Wie diese Geographie ausfällt, ist abhängig von der eingenommenen Perspektive. Es ist immer möglich, die Dinge anders zu sehen und entsprechend anders darzustellen. Das bedeutet, dass die Art und Weise des Erkennens und der Darstellung entscheidend wird. Sie zeigt die Weltauffassung an. Dies alles, so ist zu betonen, disqualifiziert nicht den Wert der propositionalen, logischen Erkenntnis. Es scheint jedoch sinnvoll, sich vor dem Hintergrund einer derart auf Weltauffassungen ausgerichteten Humangeographie bewusst und ausdrücklich mit der analogisch-ästhetischen Erkenntnisform auseinanderzusetzen, da sie den Kern des kontingenten, perspektivenabhängigen Mensch-Welt-Verhältnisses beschreibt. Eine Betrachtung der Erkenntnistheorie bietet den Rahmen, um bereits vor den Erwägungen zu konkreten Forschungsmethoden und Analysedesigns ganz grundsätzliche Fragen zur Ausrichtung und zum Anliegen der Forschung stellen zu können. Diese Fragen betreffen das Verhältnis von Mensch und Welt und die Art der Erkenntnis, die in der Forschung Beachtung findet. Das Erkenntnisspektrum spannt sich zwischen propositionaler, logischer und nicht propositionaler, analogisch-ästhetischer Erkenntnisform auf (Gabriel 1991, 1996, 1997). Alternativ kann man auch sagen: logische „Weltauffassung“ und analogische „Weltauffassung“ (Gabriel 1997, 47). Die Eigenschaft der Propositionalität besagt, ob sich etwas in einer satzförmigen Aussage formulieren lässt, die für wahr oder falsch befunden werden kann. Dies ist bei propositionalem, logischem Faktenwissen möglich, bei analogisch-ästhetischen Sichtweisen hingegen nicht. Unsere Sichtweisen auf die Welt sind keine Frage der Wahrheit, sondern eine Frage von Urteilen. Die Eigenart der analogisch-ästhetischen Erkenntnisform zu ergründen und ihr Eigenrecht anzuerkennen, sind Anliegen historischer (Baumgarten) wie aktueller (Gabriel) Philosophie. Zur weiteren Problementfaltung wurde die Rhetorik als klassische Verkörperung der analogisch-ästhetischen Erkenntnisform angeführt. An ihrem Beispiel erkennt man einerseits die Wirkmacht des Analogisch-Ästhetischen, andererseits die ihr entgegengebrachten Vorurteile. So wurde die Rhetorik reduziert auf schmückendes Beiwerk, das zwar Emotionen zu wecken, aber keine Erkenntnisse zu liefern vermag. Das impliziert erstens, dass Emotionen keine Erkenntnisformen sind, und zweitens, dass man das ‚schmückende Beiwerk‘ quasi abstreifen kann und muss, um den ‚wahren‘ kognitiven Inhalt zu erfassen. Eine solche Trennung von Form und Inhalt ist jedoch nicht möglich (Gabriel 1997, 9) – umso weniger dort, wo es um die Darstellung von Sichtweisen geht. Gabriel unterscheidet zwei Arten der ‚Darstellung‘: Das Darstellen von Welt passiert im Modus des Sagens, das Darstellen von Sichtweisen im Modus des Zeigens (Gabriel 1991, 216). Im Sagen wird Welt behauptet, im Zeigen wird Welt vergegenwärtigt (ebd., 215 f.). Behauptungen werden in Form von Thesen, Begriffen und Gesetzen formuliert. Vergegenwärtigungen können sprachlich z. B. durch Rhetorik erzeugt werden. Diese vermag Dinge lebendig und prägnant vor Augen zu stellen, innerlich zu bewegen, Erinnerungen wachzurufen und Assoziationen anklingen zu lassen. Daher ist das analogisch-ästhetische Erkennen dem logisch-begrifflichen gleichzustellen.
Zwischenresümee I: Erkenntnistheoretische Grundlegung
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Nicht einfach ist es jedoch, das Attribut ‚ästhetisch‘ angesichts seines schweren biographischen Rucksacks – seiner mehr als zwei Jahrtausende währenden Begriffsgeschichte – und seiner nicht unkritisiert gebliebenen Verwendung in der Geographie vernünftig zu fassen. Hard hat in seiner Analyse des Begriffs ‚Landschaft‘ gezeigt, dass eine Geographie, die ihre Forschungsgegenstände unreflektiert ästhetisiert, wissenschaftlichen Kriterien nicht genügen kann (Hard 1995, 56). Szientifische und ästhetische Zugangsweisen müssen streng voneinander getrennt werden. WissenschaftlerInnen sind Beobachter zweiter Ordnung; Platz für „Rêverien“ gibt es daher nicht (ebd., 52). Um Missverständnisse zu vermeiden, war es daher dringend geboten, darzulegen, was im Rahmen dieser Arbeit mit ‚ästhetisch‘ gemeint ist und weshalb eine Auseinandersetzung mit Ästhetik angesichts der Kritik überhaupt als gewinnbringend angesehen wird. Die Darlegung des Erkenntnisspektrums zwischen logisch und analogischästhetisch zeigt uns erstens ganz allgemein die Formen auf, die das Mensch-Welt-Verhältnis annehmen kann. Dieses Wissen nutzen wir, um ein Verständnis für die Konstitution von Weltauffassungen zu entwickeln. Wenn der sozialgeographische Forschungsgegenstand alltägliches Geographie-Machen ist, dann sollten die in diesem Forschungsparadigma steckenden Denkfiguren der Weltauffassungen und Sichtweisen schärfer, d. h. erkenntnistheoretisch, in den Blick genommen werden. Zu schauen ist dann, inwiefern die theoretische Sensibilisierung für die analogisch-ästhetische Erkenntnisform neue bzw. andere Begriffe und Konzepte zur Analyse alltäglichen Geographie-Machens in den Fokus rückt. Ästhetik wird damit als Denkfigur zweiter Ordnung verstanden. Gleichzeitig jedoch stellt sie zweitens für den Beobachter zweiter Ordnung, d. h. für die WissenschaftlerInnen, auch einen Reflexionsanlass bezüglich der eigenen Eingebundenheit und Positioniertheit in der Lebenswelt dar. WissenschaftlerInnen sind immer auch Akteure erster Ordnung. Mit dem Wissen um die analogisch-ästhetischen Erkenntnisanteile, von denen sich auch WissenschaftlerInnen nicht ‚befreien‘ können, lassen sich eigene alltägliche wie wissenschaftliche Praktiken auf ihre Konstitution hin befragen. Drittens können Überlegungen zur Ästhetik, die sich wesentlich mit Darstellungsfragen und deren Wirkung auseinandersetzen, Impulse für eine Weiterentwicklung von Methodologie und Methoden geben. Für die Explikation des Attributs ‚ästhetisch‘ wurde mit Alexander Gottlieb Baumgartens Ästhetik ein konkreter Ansatz aus dem Angebot ästhetischer Theorien ausgewählt. Andere, z. B. aktuellere oder populärere Ansätze wären ebenfalls denkbar gewesen. Dass Baumgartens Beitrag zur ästhetischen Theoriebildung bis in die jüngste Vergangenheit vergleichsweise unentdeckt und undiskutiert geblieben ist, sollte jedoch kein Ausschlusskriterium darstellen. Die Entscheidung für Baumgarten ist zudem bewusst und vorsätzlich gefallen. Sie begründet sich in der besonderen historischen wie fachgeschichtlichen Situation, in der Baumgarten wirkte. Der gesellschaftliche Umbruch der Aufklärung so wie der Versuch der Emanzipation vom Paradigma des Rationalismus und der Logik prägten das Schaffen Baumgartens. In seinem Ansatz werden diese bestehenden Theorien rekapituliert, Kritik daran formuliert und Vorschläge zur Korrektur angebracht. Seine Überlegungen stellen den Versuch eines Neuanfangs dar, und es sind gerade die in einer solchen
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Situation geäußerten grundsätzlichen Überlegungen, die Baumgarten auch im Kontext einer geographischen Arbeit so interessant machen. Baumgarten definiert Ästhetik als „scientia cognitionis sensitivae“ (AE, § 1), als Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis und als Theorie der sinnlichen Darstellung. Die Verbindung von Darstellen und Erkennen ist bereits in den erkenntnistheoretischen Ausführungen von Gabriel als wesentlich für das nicht propositionale Erkennen herausgestellt worden. Baumgarten identifiziert neben den klassischen Künsten auch alltägliche Lebensbereiche, die wesentlich über Darstellung funktionieren. Es trifft zu, dass die Ästhetik wegen ihrer Ausrichtung auf die poietisch-praktische Weltgestaltung in ihrem Vollzug ein höchst geeigneter Ansatz für die Analyse künstlerischen Schaffens ist. Diese stellt allerdings einen speziellen Anwendungsfall dar und schließt andere, alltägliche Lebensbereiche keinesfalls aus. Das Ästhetische ist eine Seite des Lebens, kein eigener Lebensbereich. Ästhetik ist keine normative Geschmackslehre, die vorgibt, was ‚schön‘ und ‚gut‘ zu sein hat. Geographischer Forschung, die sich mit Ästhetik beschäftigt, geht es daher nicht um die Beteuerung des Naturschönen, sondern darum, Sensitivität als unhintergehbare Bedingung und Möglichkeit des Machens von Geographie anzuerkennen. Die vorgenommene Ausdifferenzierung der Erkenntnisformen soll dabei eine Analyse des GeographieMachens für die Vielfalt der Erkenntnismöglichkeiten und speziell für die Eigenarten der analogisch-ästhetischen Erkenntnis sensibilisieren. Die Spezifik ästhetischer Erkenntnis ist, dass sie nicht zwangsläufig in klaren Begriffen aufgeht. Nach Descartes entwertet sie das als Erkenntnisform: Erkenntnis bringt einzig, was begrifflich fassbar ist. Baumgarten widerspricht dem folgendermaßen: Prinzipiell kann Erkennen dunkel (obscura) oder klar (clara) sein. Auf das Dunkle haben wir keinen Zugriff, es bleibt vorbewusst und spielt auch bei Baumgarten als Erkenntnisform keine weitere Rolle. Das Besondere ist nun, dass Baumgarten zwei gleichberechtigte Formen der Klarheit postuliert: klar und (begrifflich) deutlich (clara distincta) sowie klar und (begrifflich) konfus (clara confusa). Ästhetische Erkenntnis oder ästhetische Rationalität ist also klar und konfus: innerlich klar, aber begrifflich konfus. Es wird gespürt, gefühlt, gerochen, gesehen, geschmeckt, vage erinnert, aufgerufen – ein eindeutiges sprachliches Label muss diesen inneren und äußeren Wahrnehmungen jedoch nicht angeheftet werden können. Diese sprachliche Unbestimmtheit wertet Baumgarten nicht als Mangel, sondern als Vorteil. Am Beispiel des Marmorblocks, aus dem eine Kugel herausgearbeitet wird, zeigt er auf, dass der Marmorblock Kontingenz und Komplexität verkörpert. Die Festlegung auf die Form der Kugel ist somit auch ein Verlust anderer Möglichkeiten. Wenn man nun Baumgarten folgt und zustimmt, dass Erkenntnis auch sensitive Erkenntnis bedeuten kann und dass Sinn maßgeblich über Sensitivität konstituiert wird, dann muss dies auch von einer Theorie des Geographie-Machens berücksichtigt werden. Das bedeutet, Subjekte hinsichtlich ihres Erlebens, verstanden als Modus der Konstition von Welt-Bindung, zu befragen. Es bedeutet, Emotionalität als unverzichtbaren Aspekt alltäglichen Geographie-Machens anzuerkennen und das Wahrnehmen und Tun mit allen Sinnen zu berücksichtigen. Baumgarten will die sensitive Erkenntnis als analogon rationis, als das der Vernunft Analoge begründen. Dazu distanziert er sich von den geltenden Paradigmen
Zwischenresümee I: Erkenntnistheoretische Grundlegung
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seiner Zeit. Ihm geht es weder um den rationalistischen Verstand noch um die sensualistischen Sinne. Als vermittelnde Einheit von Wahrnehmung und Verstand führt Baumgarten stattdessen den Begriff des Sensitiven, der „geistigen Sinnlichkeit“ (Groß 2001, 78) ein. Das Sensitive besteht aus dem Sensus externus und dem Sensus internus. Sensus externus umfasst die Sinnesorgane oder „Werkzeuge der Sinne“ (ME, § 536) oder etwas drastischer die „Waffen der Sinne und deren Werkzeuge […], durch welche wir klar zu empfinden in Stand gesetzt werden, was uns sonst nur dunkel geblieben wäre“ (PhG, zitiert nach Schweizer 1983, 72): Hören, Riechen, Sehen, Schmecken, Tasten – die Multisensualität. Sensus internus bezeichnet das Vermögen, Erinnerungen, Imaginationen, Urteile und – ganz zentral – Emotionen hervorbringen zu können (ME, §§ 534–623). Sensus internus und sensus externus umfassen innere Vorstellungen sowie äußere Darstellungen: sich entfaltendes Tun und Erleben. Kurz gesagt: Als erkenntnistheoretische Hintergrundtheorie verstanden, begründet Baumgartens Ästhetik die Bedeutung von Emotionalität, Erleben und Multisensualität als Parameter von Erkenntnis und umreißt die Bedeutung und Ausgestaltung von Vor- und Darstellungsprozessen. Im Folgenden zweiten Teil der Arbeit wird das Verständnis der Begriffe ‚Emotionalität‘, ‚Erleben‘ und ‚Multisensualität‘, verstanden als die zentralen Säulen der analogisch-ästhetischen Erkenntnis, weiter vertieft. Die Begriffe beschreiben den Kern sensitiver Erkenntnis und damit einer analogisch-ästhetischen Weltauffassung. Hinter Baumgartens Ausführungen zeichnet sich darüber hinaus der Begriff der ‚Performanz‘ ab, der dann im dritten Teil der Arbeit im Mittelpunkt stehen wird. Performanz fokussiert a) den Vollzug des multisensualen und emotionalen Tuns und Erlebens und fragt b) nach dem Wie der Praxis von Welt- und Selbstaufführung, d. h. nach den technai, den poietisch-praktischen Verfahren der Weltgestaltung. Die performative Betrachtung schließt somit an die ästhetische an. Kurz gesagt: Ästhetik verstanden als erkenntnistheoretische Hintergrundtheorie begründet die Bedeutung von Emotionalität, Erleben und Multisensualität als Parameter von Erkenntnis und umreißt die Bedeutung und Ausgestaltung von Darstellungsprozessen. Performanz ist als ein möglicher ‚Vollstrecker‘ dieser erkenntnistheoretischen Herleitung zu sehen.
3 Das Prinzip der Sensitivität: Erleben, Emotionalität und Multisensualität
Wie einleitend ausgeführt, ist es das Anliegen der Arbeit, die subjektive Komponente zu vertiefen, die neben der physisch-materiellen und der sozialen eine Säule der Konstitution alltäglichen und wissenschaftlichen Tuns ist. Die Notwendigkeit leitet sich aus der These ab, dass das Verständnis von Geographie-Machen von der Konzeption des Protagonisten der sozialgeographischen Theorie, dem Subjekt, abhängt. Entsprechend wird in der Sozial- und Neuen Kulturgeographie eine Debatte um das geltende Menschenbild geführt (Hasse & Helbrecht 2003). Dabei geht es um die Frage, welche Bedeutung dem Mehr-als-Repräsentationalen, dem Nicht-Denkenden, oder wie bereits mit Baumgarten präzisiert, dem Sensitiven zukommt. Wie eingangs dargelegt, wird Emotionalität, Multisensualität und Erleben in der Sozialgeographie zwar zentral erwähnt, jedoch besteht Bedarf an einer weiterführenden systematischen Aufarbeitung. Mit ‚Erleben‘ wird ein Modus der Welt-Bindung eingeführt, der die leibliche, hier verstanden als emotionale und multisensuale, Verfasstheit der Subjekte berücksichtigt und sich damit ihrem alltäglichen Leben als ‚Gegenstand‘ sozialgeographischer Forschung weiter annähert. Mit ‚Emotionalität‘ wird ein konstitutiver Aspekt alltäglichen Geographie-Machens benannt, dem, wie die Kritik von Hasse oder den Vertretern des angelsächsischen emotional turns (Davidson, Bondi & Smith 2007, 1) deutlich macht, bisher in der humangeographischen Forschung zu wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde. Als conditio humana menschlichen Daseins scheint die systematische Auseinandersetzung mit Emotionalität für die sozialgeographische Forschung zukünftig unverzichtbar. Mit ‚Multisensualität‘ wird eine Öffnung von einer rein textzentrierten Sozialgeographie hin zu einer ‚sensuous geography‘ (Rodaway 1994) vorgeschlagen. Neben der Leiblichkeit, die mit Erleben und Emotionalität adressiert wird, soll mit Multisensualität auch die Körperlichkeit der Subjekte verhandelt werden – obgleich angemerkt werden muss, dass es sich hierbei um eine rein analytische Trennung handelt. Sinnliche Wahrnehmung und sinnliches Tun, Emotionalität und Erleben sind im Vollzug untrennbar miteinander verwoben. Im folgenden Kapitel werden diese drei Begriffe unter Zuhilfenahme anderer als der bisher besprochenenen erkenntnistheoretischen Ansätze ausdifferenziert. Es gilt Sensitivität als Eigenschaft der Subjekte näher zu bestimmen und Implikationen für das Verständnis ihres Tuns abzuleiten. Die erkenntnistheoretische Grundlegung mit Gabriels Betonung der analogisch-ästhetischen Erkenntnisform und Baumgartens Ausdifferenzierung der Äs-
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thetik als Theorie der sensitiven Erkenntnis und als Wissenschaft der multisensualen Darstellung haben die Bedeutung und Eigenart der Erforschung von Weltauffassungen aufgezeigt und begründet. Sichtweisen auf Selbst und Welt zu untersuchen bedeutet, kognitives wie sinnliches Erkennen, sensus externus wie sensus internus gleichermaßen anzuerkennen. Dieses Erkennen wird durch drei Begriffe charakterisiert: Erleben, Emotionalität und Multisensualität. Eine nur erkenntnistheoretische Behandlung dieser Begriffe ist jedoch nicht ausreichend. Vertiefend werden im zweiten Teil der Arbeit daher Ansätze vorgestellt, die sich mit je einem dieser Begriffe näher auseinandersetzen. Als Erstes wird Erleben über den lebensphilosophischen Ansatz Wilhelm Diltheys ausgeführt, als Zweites folgt eine neurowissenschaftliche Bestimmung von Emotionalität – eine Idee, die im gerade aktuellen emotional turn eine bedeutende transdisziplinäre Rolle spielt. Als Drittes werden Forschungsansätze zur Multisensualität vorgestellt, die die einzelnen Sinne und ihre Bedeutung für soziale Praktiken herausarbeiten. 3.1 Erleben Mit der Kritik am Geltungsanspruch des rational-logischen Denkens geht eine Aufwertung aller analogisch-ästhetischen Erkenntnisvorgänge einher. Erleben kommt dabei als selbstständiger Modus des Erkennens in den Blick. Erleben ist subjektiv, aber zugleich überschreitet es den Bereich des rein Subjektiven: Erleben vermag Welt in (die) Erfahrung zu bringen. Wilhelm Dilthey (1833–1911), ist einer derjenigen, die dem Begriff des Erlebens eine Schlüsselposition in ihrer Theorie zuweisen. Dilthey ist ein Autor, der das Erleben als unhintergehbare Basis geisteswissenschaftlichen Überlegens und als Basis für die Analyse der „geschichtlich-gesellschaftliche[n] Wirklichkeit“ (GS I, 35) ansieht. ‚Erleben‘ steht dabei jedoch keinesfalls allein. Zentral für Diltheys Ansatz ist der postulierte Dreiklang aus Erleben, Ausdruck und Verstehen. Sie werden als Grundmomente des menschlichen Daseins verstanden und bilden die Säulen seines geisteswissenschaftlichen Paradigmas. Bevor wir den Dreiklang aus Erleben, Ausdruck und Verstehen näher ausführen, wollen wir einen Blick auf das ideengeschichtliche Setting werfen, in dem Dilthey seine Überlegungen entwirft. Dieses ist geprägt durch das Bestreben, die Geisteswissenschaften als selbstständigen Wissenschaftszweig zu begründen. Damit stellt sich die Frage, was das genuin Geisteswissenschaftliche an den Geisteswissenschaften ist und welche Konsequenzen, d. h. welche Menschenbilder, Annahmen, Begriffe und Verfahren damit verbunden sind. „Leben“ (und in der Folge Erleben) erhält in dieser kulturtheoretischen Wende eine wichtige Rolle. Nach der Klärung des historisch-intellektuellen Feldes wird anschließend detailliert auf Diltheys Philosophie des Lebens eingegangen und die Argumentation nachvollzogen, durch die Erleben, Ausdruck und Verstehen als Schlüsselkategorien seiner Theorie begründet werden.
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Kulturtheoretische Wende und ‚Leben‘ Diltheys Wirken fällt in eine große wissenschaftliche Umbruchphase (vgl. Werlen 2003, 38). Wie es Diltheys Kritik an der Bezeichnung ‚Geisteswissenschaft‘ bereits andeutet, beginnt mit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Suche nach einem neuen geisteswissenschaftlichen Leitbegriff, der die Nachfolge von ‚Geist‘ antreten kann. Eine Wachablösung scheint infolge der wissenschaftstheoretischen „Hinwendung zur Wirklichkeit“ (Koselleck 1991, 123) notwendig geworden zu sein. Die Begriffe des Erlebens, der Erfahrung oder gar des Lebens erscheinen noch Philosophen wie Descartes oder Kant zu problematisch und zu unzuverlässig, als dass auf ihnen eine Wissenschaft begründet werden könnte (ebd.). In ihrem Wissenschaftsbegriff gelten Erfahrung und Erleben als nicht verallgemeinerbar und daher als nicht wissenschaftsrelevant. Spätestens seit Descartes’ Trennung von res cogitans und res extensa, d. h. seit seinem Zweifel an allem außer dem sich im Denken selbst gewiss seienden Ich, ist Sinnlichkeit für die Geisteswissenschaft ein Tabu (vgl. Kapitel 1.2). Daran hat auch Baumgartens Ästhetik nichts ändern können. Es ist aber genau der Begriff des ‚Lebens‘, der Ende des 19. Jahrhunderts als neuer Leitbegriff auftaucht (Šuber 2008, 103). Ein Konsens kommt allerdings nicht zustande; eher kann man wohl von ‚Leben‘ als „Kampfbegriff “ (ebd., 106) der Debatte um die Bedeutung vorwissenschaftlicher Erfahrung sprechen, an dem sich die Gemüter entzünden. Der größte Befürworter des Begriffes ist Wilhelm Dilthey. Er ist derjenige, der auf dem Lebensbegriff eine ganze theoretische Schule begründet: die Lebensphilosophie. Die Erforschung des Lebens soll im Mittelpunkt einer zur Lebenswirklichkeit gewendeten Wissenschaft stehen. Von der Geographie zu Zeiten Diltheys, wurde, wie Werlen bemerkt, die kulturtheoretische Wende jedoch nicht vollzogen. Die Einsicht, „dass das Verstehen für die Erforschung aller von Menschen hervorgebrachten Äußerungen das angemessene Verfahren der Sinnerschließung ist“ (Werlen 2003, 38), wurde von einer Geographie, die auf die Beschreibung von Erdräumen ausgerichtet war, nicht geteilt. Vorherrschend war hier die Sichtweise von Kulturen als einmalige räumlich verankerte Container, dessen Eigenschaften aus den natürlichen Bedingungen abgeleitet werden können. Als Aufgabe der Geographie wurde die Beschreibung dieser Container, so etwa in Vidal de la Blaches Possibilismus oder der traditionellen, länderkundlichen Geographie (ebd., 40) angesehen. Kurz gesagt: Genau wie die Geisteswissenschaften lehnte auch die Geographie eine Geographie nach naturwissenschaftlichem Vorbild ab; anders als in den Geisteswissenschaften wurden jedoch als Konsequenz der kulturtheoretischen Wende nicht die Menschen, ihr Erleben und ihre Lebensäußerungen zu verstehen versucht, sondern stattdessen räumlich verankerte ‚Kulturräume‘ beschrieben. Erst seit den späten 1980er Jahren werden die Menschen und ihr Tun als Forschungsschwerpunkt der Sozialgeographie bestimmt. Auch das Schlagwort ‚Leben‘ wird prominent verwendet: etwa in Daums und Werlens Aufsatz der Geographie des eigenen Lebens (2002). Auch Barbara Zahnen (2011, 58) spricht von „gelebte[r], lebendige[r] Praxis“ und führt das Erleben (in herme-
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neutischer Tradition nach Heidegger und Gadamer) als einen zentralen Begriff in ihren Ausführungen an (ebd., 17; Zahnen 2006, 239).27 Den Begründern der Soziologie Max Weber, Georg Simmel, Emile Durkheim und anderen wird zumeist eine eher ablehnende Haltung zum Lebensbegriff nachgesagt (Šuber 2008, 111) – und das obwohl ihre Disziplin ja gerade die Institutionalisierung der kulturtheoretischen Wende darstellt. Das Stadium des Erlebens müsse in der wissenschaftlichen Analyse hinter sich gelassen werden. Dennoch findet man auch bei den Klassikern der Soziologie, deren Wurzeln, so Šuber (ebd.), gemeinhin bei Kant verortet werden, implizite Anleihen der von Dilthey wesentlich geprägten Lebensphilosophie. Diesen Einfluss aufzuzeigen verspricht neue Impulse nicht nur für die soziologische, sondern auch für die geographische Debatte; ist es doch jene klassische Soziologie, die als Theoriegeberin entscheidenden Anteil an der Formulierung vieler sozialgeographischer Forschungsperspektiven hatte und noch hat. Umso lohnender erscheint es also, die Lebensphilosophie Diltheys vorzustellen, die ‚Leben‘ als den „Zusammenhang von Erleben, Ausdruck, Verstehen“ (GS VII, 86) postuliert. Dilthey ist mit seiner Philosophie des Lebens (1946) keineswegs der einzige Vertreter der Lebensphilosophie: auch Henri Bergson, Friedrich Nietzsche und, seltener, Georg Simmel28 können zu den Autoren der Lebensphilosophie gezählt werden. Vordenker der philosophischen Strömung ist Friedrich Schlegel mit seinen bereits 1828 in Wien gehaltenen gleichnamigen Vorlesungen zur Philosophie des Lebens. In diesen beklagt er die Methode der Philosophie als eine „der Mathematik nachgeäfften Form“ (Schlegel 1828, 11), während die Philosophie doch „eine ganz andere, mehr geistige und durchaus innere Methode […] eher aus dem Leben“ (ebd.) erfordere. Das verbindende Element der lebensphilosophischen Strömung ist, wie sich bei Schlegel bereits andeutet, zunächst ein geteilter Konsens darüber, was ‚Leben‘ nicht bezeichnet. ‚Leben‘ steht als Kurzformel dafür, wie nicht gedacht werden soll: nicht rationalistisch, nicht intellektualistisch, nicht szientifisch, nicht mechanistisch, nicht naturwissenschaftlich (Röd 2002, 113). Was mit ‚Leben‘ aber positiv gemeint sein kann, werden wir uns nun bei Dilthey anschauen. Diltheys Überlegungen nehmen einen wichtigen Platz in der kulturtheoretischen Wende und in der Debatte um die Frage ein, wie man die Philosophie im Spe27
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Dies ist ein spannendes Unterfangen, umso mehr, da auch das leibliche Spüren in Zahnens Erlebens- und Erfahrungsbegriff inbegriffen ist und sie dieses z. B. im Bereich der physischen Geographie als eine „Grundbedingung“ (Zahnen 2011, 21) wissenschaftlichen Arbeitens definiert. Somatisches Spüren ist als fundamentaler wissenschaftlicher Vorgang zu verstehen: „Nicht die sich in Wiederholungen niederschlagende, sondern die öffnende, ins Bild kommen lassende, das heißt welterschließende Dimension der leiblichen Erfahrenheit eines Wissenschaftlers ist das, was es eigentlich zu verstehen gilt“ (ebd.). Was Zahnen hier für die physische Geographie und die Arbeit im Gelände formuliert, kann man durchaus auch auf die Theoriearbeit in der Humangeographe übertragen. ‚Leben‘ ist für Simmel etwas, das begrifflich nicht fassbar ist – deshalb spricht er auch von „Mehr-(als)-Leben“ (Röd 2002, 148). Dieses Mehr resultiert a) aus der Tendenz, im Erleben die Gegenwart zu überschreiten und auch Vergangenes und Zukünftiges mitzuführen, und b) daraus, dass bestehende Formen des Lebens durch andere Sinnzuschreibungen und neue Inhalte beständig verändert werden (ebd.).
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ziellen und die Geisteswissenschaften im Allgemeinen anders konzipieren könnte. Auch er kritisiert vehement die Verwendung naturwissenschaftlicher Konzepte und Methoden in den Geisteswissenschaften (GS VIII, 131 ff.). Gleichzeitig widerspricht er dem seinerzeit verbreiteten Menschenbild eines Descartes oder Kant, indem er die Begrenzung des Subjekts auf induktive Denktätigkeit in Frage stellt. Er möchte die von ihm als „Geschichte der isolierten Intelligenz“ (GS XIX, 89) verstandene philosophische Tradition nicht fortschreiben. Die Vorstellung einer ‚Ganzheitlichkeit‘ soll diese Isolation aufbrechen. Mit diesem Begriff wird die „Totalität der Menschennatur“ (GS I, 6) bzw. die „Totalität des Seelenlebens“ (GS VII, 269) beschrieben.29 Das Problem der Ganzheitlichkeit Um Missverständnisse zu vermeiden, müssen wir uns gleich zu Beginn der Aufarbeitung des Dilthey’schen Ansatzes von der verabsolutierenden Formel der ‚Ganzheitlichkeit‘ distanzieren. Entgegen Diltheys Formulierungen ist zu betonen, dass ich weder weiß noch zu wissen behaupte, was den Menschen, die Seele oder das Leben in Gänze ausmacht.30 Es können nur Perspektiven und ausgewählte Aspekte beobachtet und, falls sinnvoll, eine komplementäre Betrachtung dieser gefordert werden. Je nach Forschungsgegenstand bieten sich dabei geistes- oder/und naturwissenschaftliche Begründungen an. Endgültige Gewissheiten über ‚die‘ Menschennatur aber gibt es nicht. Diltheys Dogma der Ganzheitlichkeit ergibt nur Sinn, wenn man den ideengeschichtlichen Kontext der Äußerung betrachtet. Die Naturwissenschaften als ‚exakte‘ Wissenschaften galten als Vorbild für den Entwurf der Geisteswissenschaften. Als Konsequenz hielten naturwissenschaftliche Denkfiguren und Methoden Einzug in die geisteswissenschaftliche Forschung – ein Zustand, den Dilthey scharf kritisierte. Die Formulierung einer „Totalität“ kann demnach als rhetorisches Mittel verstanden werden, die Besonderheit der Geisteswissenschaften gegenüber den Naturwissenschaften herauszustellen. Während Letztere gesetzmäßige Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge aufdeckt und alle mit der rationalen Logik nicht 29
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Dilthey ist nicht der Einzige, der das ‚Ganze‘ bearbeiten will; auch in der Geographie wurde und wird der Begriff verwendet. In den 1920er Jahren war die holistische Betrachtung von Landschaft als einheitliches Ganzes gemeinsamer Nenner einer Reihe von Autoren, die eine Geographie nach Hettner ablehnten (Schultz 1980, 187–197). In der heutigen Zeit gibt die Deutsche Gesellschaft für Humanökologie beispielsweise in ihrer Selbstbeschreibung an, dass die Besonderheit ihrer Perspektive „eine ganzheitliche Betrachtungsweise [ist], die physische, kulturelle, wirtschaftliche und politische Aspekte einbezieht“ (Deutsche Gesellschaft für Humanökologie, o. J., eig. Hervhbg.). Auch Jürgen Hasse fordert „ganzheitlich [zu] denken“ (Hasse 2005, 278) und meint damit den untrennbaren Zusammenhang von Sinnlichkeit, Leiblichkeit, Kognition und Emotion. In der Geographiedidaktik reflektiert Vilsmeier den Gebrauch des Begriffs der ‚Ganzheit‘ (Vilsmeier 2012, 20–22). Damit nehme ich eine skeptischere Haltung ein als einige Neurowissenschaftler, die behaupten, Geist, Bewusstsein oder Seele ‚entschlüsselt‘ zu haben, wie z. B. Crick mit Was die Seele wirklich ist (1997) oder Dennet in Consciousness Explained (1991).
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erfassbaren Elemente ausschließt, sollen die Geisteswissenschaften sich gerade auch dieser ausgeblendeten Elemente annehmen, um die Analyse der „gesellschaftlich-geschichtliche[n] Wirklichkeit“ (GS I, 35) zu leisten. Nur unter deren Einbezug ist für Dilthey eine geisteswissenschaftliche Analyse sinnvoll. Mit anderen Worten: Dilthey fordert eine eigene erkenntnistheoretische Grundlage für die Gesellschaftsanalyse und nicht die Übertragung naturwissenschaftlicher Begriffe und Methoden auf geisteswissenschaftliche Disziplinen.31 Diltheys Betonung der „Totalität“ und der „vollen Realität“ (GS I, 124) kann in diesem Sinne als Kritik an einer als Verkürzung verstandenen naturwissenschaftlichen Perspektive und damit als Zurückweisung eines allumfassenden Geltungsanspruchs der Naturwissenschaften verstanden werden. Dies allerdings geschieht um den Preis, dass er einen solchen unhaltbaren Allmachtsanspruch nun für die Geisteswissenschaften suggeriert. Es scheint, als befänden sich die Wissenschaften in einem Wettstreit, und Dilthey bescheinigt den Geisteswissenschaften, die ‚bessere‘ Wissenschaft zu sein. Dieser Schuss geht gewissermaßen nach vorn und hinten gleichermaßen los. Zwar hat Dilthey Recht, wenn er für die Analyse der „geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit“ andere als naturwissenschaftliche Theorien anfordert. Diese anderen Theorien dann aber per se als überlegen zu bezeichnen, führt die Geschichte der Trugschlüsse nur mit umgekehrten Vorzeichen fort. Aller Rhetorik zum Trotz dürfte sich dessen letztlich auch Dilthey bewusst gewesen sein, wenn er sagt: „Die Wirklichkeit kann nur durch Aussonderung einzelner Teilinhalte sowie durch die abgesonderte Erkenntnis derselben dem Gedanken unterworfen werden; denn in der komplexen Form ist sie für denselben nicht anfaßbar“ (GS I, 145). Insofern distanzieren wir uns in der weiteren Argumentation von der Annahme einer ‚Ganzheitlichkeit‘ und der Erfassung einer ‚Totalität‘, sehen diese Formulierungen aber vor allem als rhetorische Mittel zur Stärkung eines eigenen geisteswissenschaftlichen Programms, das uns, da von Dilthey selbstkritisch relativiert, nicht davon abhalten soll, ihm weiter auf seinem Argumentationsweg zu folgen. Sinnvollerweise brechen wir dazu im Folgenden den Begriff der ‚Ganzheitlichkeit‘ auf. Diltheys ‚Philosophie des Lebens‘ Für Dilthey sind zwei wesentliche Punkte mit ‚Ganzheitlichkeit‘ verbunden: Statt eines rein kognitiv erkennenden Subjekts ist ein ‚wollend fühlend vorstellendes‘ Subjekt, statt Zeitlosigkeit ein sich fortlaufend verändernder historischer Kontext zu setzen:
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Mit dieser Problematik hatte auch die Geographie zu kämpfen, die im Zuge des Kieler Geographentages zu Recht eine fundierte wissenschaftliche Basis für das Fach forderte, diese aber in den Naturwissenschaften zu finden glaubte und damit den Weg ebnete für eine stark mathematisierte und quantifizierende Analyse auch sozialer Prozesse. Gegen diese als unangemessen verstandene Ausrichtung des Faches auf die Aufdeckung von ‚Raumgesetzen‘ regt sich seit Mitte 1980 und Anfang 1990 Kritik, und die Forderung wird laut, die Geographie auf eine sozialtheoretische Basis zu stellen (Sedlacek 1979; Eisel 1980, Bahrenberg 1987; Werlen 1987).
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Das Prinzip der Sensitivität „In den Adern des erkennenden Subjekts, das Locke, Hume und Kant konstruierten, rinnt nicht wirkliches Blut, sondern der verdünnte Saft von Vernunft als bloßer Denktätigkeit. Mich aber führt historische wie psychologische Beschäftigung mit dem ganzen Menschen dahin, diesen in der Mannigfaltigkeit seiner Kräfte, dies wollend fühlend vorstellende Wesen auch der Erklärung der Erkenntnis und ihrer Begriffe (wie Außenwelt, Zeit, Substanz, Ursache) zugrunde zu legen“ (GS I, XVIII, eig. Hervhbg.).
Diese Setzung des Menschen als ‚wollend fühlend vorstellend‘ erklärt „die wichtigsten Bestandteile unseres Bildes und unserer Erkenntnis der Wirklichkeit, wie eben persönliche Lebenseinheit, Außenwelt, Individuen außer uns, ihr Leben in der Zeit und ihre Wechselwirkung“ (ebd.). Im Zitat sehen wir, dass Dilthey die Partizipien ‚wollend fühlend vorstellend‘ nicht durch Kommata voneinander abgrenzt, sondern sie bewusst als gleichberechtigte Einheit nebeneinanderstellt. Damit macht er darauf aufmerksam, dass Erkennen nicht in gestaffelten Phasen abläuft, in denen erst das Empfinden und dann das Denken stattfinden, sondern dass er diese als immer schon strukturell verbunden ansieht (Riedel 1990, 61). Die Forderung nach Berücksichtigung der historischen Situiertheit resultiert aus der Einsicht, dass die Veränderung unseres Willens, unserer Gefühle und unserer Vorstellung über die Zeit auch zu veränderten Erkenntnissen führt. Statt der Annahme eines a priori festgelegten Erkenntnisvermögens, wie Kant es postuliert, räumt Dilthey die Möglichkeit zur Entwicklung und Veränderung ein (ebd.). Das Potenzial erwächst aus der Konstituiertheit des Menschen als ‚wollend fühlend vorstellend‘. Mit der Identifikation dieser psychologischen und historischen Zusammenhänge von Wollen Fühlen Vorstellen als (für die geisteswissenschaftliche Analyse) relevante Daseinsartikulationen und der Berücksichtigung des historischen Kontexts haben wir bereits zwei wesentliche Eckpfeiler von Diltheys ‚Philosophie des Lebens‘ benannt. Ein dritter ergibt sich aus der Frage nach „Ursprung und Recht unserer Überzeugung von der Realität der Außenwelt“ (GS I, XVIIIf.), die für Dilthey das „hartnäckigste aller Rätsel“ (ebd.) darstellt. Mit anderen Worten: Weshalb ist unsere Welt für uns real? Was macht uns so sicher, dass das, dessen wir gewahr werden, nicht einer beständigen Täuschung unterliegt, einem Descartes’schen Dämon (vgl. Kap. 2.2), der uns Trugbilder vorgaukelt? Die Beantwortung dieser Frage führt Dilthey direkt zum Begriff des Erlebens. Realität ist, nach Dilthey, nicht etwas, auf das anhand registrierter Wirkungen geschlossen werden muss. Realität wird vielmehr im Erleben als Bewusstseinstatsache real (GS I, XIX). Damit ist nun mitnichten ein simpler Realismus gemeint, sondern eher, wie Riedel betont, die Konstitution der ‚Lebenswelt‘: „Es handelt sich hier gar nicht mehr um das Problem der ‚Außenwelt‘, sondern um die Welt, in der wir leben, die – später so genannte – ‚Lebenswelt‘, die hinter der Bewußseinsphilosophie wie in einem Schattenriß sichtbar wird“ (Riedel 1990, 44). Die ‚Lebenswelt‘ beschreibt den nicht weiter in Frage gestellten alltäglichen Kontext der Menschen. Aufgabe der Geisteswissenschaften ist, diese ‚Lebenswelt‘ zu erforschen. Der Schlüssel zum Verstehen dieser ‚Lebenswelt‘ liegt im Verstehen der Erfahrungen: „Alle Wissenschaft ist Erfahrungswissenschaft“ (GS I, XVII). Erfahren und Erleben konstituieren Selbst und Welt:
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„Da nun, was für uns da ist, vermöge dieser inneren Erfahrung besteht, was für uns Wert hat oder Zweck ist, nur in dem Erlebnis unseres Gefühls und unseres Willens uns so gegeben ist: so liegen in dieser Wissenschaft die Prinzipien unseres Erkennens, welche darüber bestimmen, wiefern Natur für uns existieren kann, die Prinzipien unseres Handelns, welche das Vorhandensein von Zwecken, Gütern, Werten erklären, in dem aller praktische Verkehr mit der Natur gegründet ist“ (GS I, 9).
Erleben und Erfahren sollen folglich die gemeinsame Basis aller Geisteswissenschaften bilden (ebd.). Sie bleiben dabei, wie bereits angedeutet, nicht isoliert stehen. Diltheys zentrales Anliegen ist es, die Artikulation und Objektivation des Erlebten im Ausdruck sowie in dessen Verstehen zu untersuchen. Nachdem nun die Eckpunkte seiner Philosophie benannt sind, können wir in einem weiteren Schritt die Herleitung seiner Argumentation verfolgen. Wir beginnen dabei mit jenem Postulat, das für Dilthey den Ausgangpunkt aller Überlegungen darstellt: dem Satz der Phänomenalität. Satz der Phänomenalität Alle Wirklichkeit, so Dilthey, ist „Tatsache des Bewußtseins“ (GS VII, 60). Lebenswelt, Körper und Geist werden nicht wie bei Descartes getrennt, sondern gleichermaßen als Bewusstseinstatsache behandelt. Das bedeutet, dass auf die Existenz von Außenwelt und Körper nicht kausal geschlossen werden muss: „[A]ll diese Gegenstände, selbst die Personen mit inbegriffen, mit denen ich in Beziehung stehe, sind für mich nur da als Tatsachen meines Bewußtseins: Bewußtseinstatsachen sind das einzige Material, aus welchem die Objekte aufgebaut sind. Bewußtseinstatsachen ist der Widerstand, den sie üben, der Raum, welchen sie einnehmen, ihr schmerzhaft empfundener Anprall, wie ihre wohltätige Berührung“ (GS XIX, 58).
Hiermit sagt Dilthey zunächst nichts über die Qualität oder Grade der Bewusstheit aus, sondern stellt nur formal fest, dass Welt und Geist als Bewusstseinstatsache existieren. Erleben wird dabei als der Modus verstanden, in dem diese Bewusstseinstatsachen geschaffen werden, in welchem sich Bewusstsein vollzieht (ebd., 62). Diese Einsicht ist in dem ‚Satz der Phänomenalität‘ auf den Punkt gebracht: „Dieser hier entwickelte Tatbestand, welchem gemäß Gegenstände so gut als Willensakte, ja die ganze unermeßliche Außenwelt so gut als mein Selbst, welches sich von ihr unterscheidet, Erlebnis in meinem Bewußtsein (ich nenne das Tatsache des Bewußtseins) sind, enthält die allgemeinste Aussage, welche über Dinge wie Gedanken oder Gefühle ausgesprochen werden kann“ (ebd., 59, eig. Hervhbg.).
Dabei sagt der Satz der Phänomenalität nichts darüber aus, wie die Tatsachen im Bewusstsein gegeben sind. So ist die Bewusstseinstatsache ‚Gefühl‘ von anderer Qualität als die Bewusstseinstatsache ‚Gegenstand‘ (ebd., 66). Der Unterschied liegt in den zugrundeliegenden Operationen: Innewerden und Vorstellen (wobei Letzteres die äußere Wahrnehmung miteinschließt). Wenn Dilthey nun behauptet, dass alles als Bewusstseinstatsache vorliegt, dann hat dies wichtige Konsequenzen für den Untersuchungsgegenstand der Geisteswissenschaften. Es kann nicht das Studium der ‚Dinge‘ oder der ‚Außenwelt‘ per se sein, sondern das Verstehen und Artikulieren von Bewusstseinserlebnissen. Die Behaup-
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tung, dass alles für die Geisteswissenschaften Relevante als Bewusstseinstatsache vorliege, bedeutet nun aber nicht, dass außerhalb davon nichts existiert. Behauptete man dies, entzöge man ja den Naturwissenschaften die Basis. Dilthey illustriert dies am Beispiel der Musik. Musikhören und Musikempfinden werden als Bewusstseinstatsachen klassifiziert, der Ton hingegen steht außerhalb derselben: „Das Hören und die Freude am Ton werden als Zustände des Subjektes selber, welches ihrer inne wird, erlebt. Dagegen der Ton tritt in dem Bewußtsein als eine vom Selbst unterschiedene und von ihm unabhängige Tatsache auf; er steht ihm als Objekt gegenüber. So wird im Zusammenhang des psychischen Lebens das Hören und die Freude an ihm zu einem Bestandteil des Selbst, welches gewahr wird und erlebt, der Ton dagegen zu einem Bestandteil der Außenwelt, welche dem Subjekt des Hörens als ein von ihm Verschiedenes gegenübertritt“ (ebd., 67).
Damit ist klar: die physikalische Deskription wie die Erfassung von Frequenz, Amplitude oder Schalldruck ist Gegenstand naturwissenschaftlicher Betrachtung. Nur das, was in dem und durch das Erleben im Bewusstsein erscheint, ist Gegenstand geisteswissenschaftlicher Forschung. Wie schon bei Baumgarten bedeutet dies, dass materiale Aspekte, beispielsweise die architektonische und bauingenieurliche Dimension eines Gebäudes, nur insofern bedeutsam werden, wie sie Handlungen ermöglichen oder behindern, wie sie als ‚imposant‘, ‚steril‘, ‚heimelig‘ oder ‚abweisend‘ erlebt werden. Wir können unsere Faszination von einem Bauwerk ebenso wenig aus der verwendeten Betonmischung herleiten, wie wir als Humangeographen nach dem cultural turn behaupten würden, dass uns ein bestimmter Bodentyp in freudige Stimmung versetzt. Das Erleben und Erfahren ist von den „Bedingungen des Bewußtseins“ (ebd., 60) abhängig. Mit anderen Worten: Auf das Subjekt kommt es an. Mit der Installation von ‚Erleben‘ als Modus, in dem Ich und Welt als Bewusstseinstatsachen gleichermaßen realisiert werden, gelingt es ihm, die kartesische Dichotomie von Ich und Welt aufzuheben. Welt wird im Ich erlebt und damit wirklich. Bewusstsein Die zentrale Stellung, die Dilthey damit dem Bewusstsein zuschreibt, führt zur Frage, welche Vorstellung Dilthey von ‚Bewusstsein‘ hat und welcher Zusammenhang zum Erleben besteht. Bewusstsein erstreckt sich von verbalisierbaren Bewusstseinsinhalten bis zu solchen, die nicht sprachlich fassbar, aber dennoch als Emotionen, Wünsche, Intuition wirksam sind. Entsprechend dieser Bewusstseinsinhalte nimmt auch Erleben ganz unterschiedliche Formen an. Dilthey betont zum einen den bewussten Charakter von Erleben, wenn er sagt: „Das Erleben schließt in sich die elementaren Denkleistungen. Ich habe dies als eine Intellektualität bezeichnet. Mit der Steigerung der Bewußtheit treten sie auf “ (GS VII, 241). Den Kontrapunkt zum bewussten Erleben bildet zum anderen ein Erleben, das „auch in das hinabreicht, das nicht unterschieden besessen wird“ (ebd., 285), das also unbewusst bleibt. Aus Diltheys Ausführungen können vier Eigenschaften von Bewusstsein zusammengefasst werden:
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1. Bewusstsein ist die Einheit von Erkennen (Vorstellen), Bewerten (Fühlen) und Handeln (Wollen). 2. Bewusstsein ist nicht a priori bestimmt. Bewusstsein entwickelt sich in Abhängigkeit der Erfahrung, der Persönlichkeit und der Zeitgeschichte. 3. Bewusstsein kann nicht endgültig geklärt werden. 4. Bewusstsein ist selbstreflexiv. Durch „Selbstbesinnung“ (GS XIX., 79) kann die Bedingtheit von Bewusstsein reflektiert werden. Die ersten beiden Punkte haben wir bereits im Hinblick auf die Eckpfeiler der Philosophie des Lebens ausgeführt. Der dritte Punkt ist ein Zugeständnis an die Komplexität des Bewusstseins, die eine schattenlose Erhellung unmöglich macht. Obwohl Dilthey vor der Freud’schen ‚Entdeckung‘ des Unbewussten schreibt, wusste er von der „Annahme von unbewußten psychischen Inhalten, ja unbewußten psychischen Vorgängen“ (ebd., 121). Damit zeigt er nicht nur einmal mehr die Grenzen seines Ganzheitlichkeitsparadigmas, sondern auch die der empirischen Einholbarkeit seiner Postulate. Ein ‚totales‘ Erfassen und empirisches Durchdringen von Erleben ist nicht möglich. Das heißt jedoch im Umkehrschluss nicht, dass überhaupt kein Erfassen möglich ist. Diltheys Vorschlag, ‚Erleben‘ zu begreifen, führt über den Begriff des ‚Ausdrucks‘. Der vierte Punkt bezieht sich auf das Vermögen des Menschen zur Selbstreflexion. Subjekte können Erlebtes rekapitulieren, bewerten und als bewusste wie unbewusste Spuren in sich tragen. Außerdem sind sie in der Lage, die Entstehensbedingungen von Bewusstsein zu identifizieren, d. h. sie wissen, dass es verschiedene Arten von Bewusstsein gibt und, dass ein begrenzter Zugriff auf diese auf unterschiedliche Weise möglich ist. Erleben nach Dilthey Wie konzipiert Dilthey nun jenen Modus, der Bewusstseinstatsachen schafft? Was ist unter ‚Erleben‘ zu verstehen? Dilthey will ‚Leben‘ (und damit auch ‚Erleben‘) als Schlüsselbegriff nicht nur seiner Philosophie des Lebens, sondern der gesamten Geisteswissenschaften etablieren. Um den Begriff erkenntnistheoretisch abzusichern, muss er sich mit „den Dogmen der Empfindung und des Vorstellens [und] auch mit jenem Dogmatismus des Denkens und seinem totalen Vermittlungsanspruch auseinandersetzen“ (Riedel 1990, 39). Es gilt auszutarieren, wie weit die bestehenden Paradigmen eine solche Hinwendung ermöglichen und wo neue Wege beschritten werden müssen. Dabei stellt er fest, dass vorwissenschaftliche Erfahrung und Erleben in den gängigen Paradigmen seiner Zeit keine bzw. eine untergeordnete Rolle spielen; etwa bei Kant, der Erleben als überspringbare Vorstufe des ‚Vorstellens‘ sieht. In einer kulturtheoretischen Hinwendung zur Wirklichkeit war für Dilthey ein solches Übergehen unmöglich geworden: „Zwischen Sensation und Reflexion, Empfindung und Vorstellung, Sinnlichkeit und Verstand klafft eine Lücke, die geschlossen werden muss“ (Riedel 1990, 35). Dilthey opponiert damit wie Baumgarten gegen einen einzig verstandesmäßig determinierten Geist. Wissenschaft wird als aus dem Leben hervorgehend betrachtet. Als Konsequenz muss Wissenschaft jene Bedingungen, die ‚Leben‘ bestimmen,
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als Prämissen in ihre Theoriebildung mit aufnehmen. Um eines ganz klar zu machen: Erleben bezeichnet nicht unartikuliertes Staunen unter Ausschaltung des Verstandes. Erleben ist der „Modus des Für-Mich-Daseins von Bewußtseinsinhalten“ (ebd., 34). Das ‚Für-mich-Dasein‘ geschieht durch das Bemerken und Beurteilen einer Änderung meines bewusstseinsmäßigen, d. h. kognitiven wie somatischen Zustandes. Das Registrieren der Veränderungen des inneren (Erlebens-)Zustandes befähigt zum bewussten Feststellen von Unterschieden. Je bewusster eine Sache erlebt wird, desto bewusster werden Veränderungen im und durch das Erleben aufgenommen. Erleben bildet bei Dilthey den Ausgangspunkt jeder (geistes-)wissenschaftlichen Analyse (GS I, 9). Indem Dilthey fordert, das Verstehen des Erlebens zur Aufgabe der Geisteswissenschaften zu machen, vollzieht er eine „hermeneutische Wendung“ (Riedel 1990, 44). Das bedeutet, dass nicht länger ausschließlich die Eigenschaften der äußeren Gegenstände wissenschaftlich relevant sind, sondern das subjektive Erleben. Als Beispiel dafür, was diese Neuausrichtung umfasst, führt Dilthey die Analyse des Gemeinschaftsgefühls an (GS I, 67). Eine Analyse sollte, anders als es zu seiner Zeit in Geschichte und Staatswissenschaft getan wurde, den Zusammenhang zwischen einem erlebten Gemeinschaftsgefühl und der äußeren Gesellschaftsordnung sichtbar machen. Ausgangspunkt dieser Überlegung ist die Beobachtung, dass der Beschreibung der „äußere[n] Organisation des Menschen“ (ebd., 68) Begriffe zugrunde liegen, die „psychophysische Tatsachen“ (ebd.) bezeichnen: „Gemeingefühl, Gefühl des Fürsichseins […], Herrschaft, Abhängigkeit, Freiheit, Zwang“ (ebd.). Anders formuliert: Zur Beschreibung von Gesellschaft werden Begrifflichkeiten herangezogen, die individuelles und soziales Erleben beschreiben. Nach der ‚hermeneutischen Wende‘ sollte nun jenes Erleben integraler Bestandteil der geisteswissenschaftlichen Analyse sein. Eine bloße Deskription der Strukturen der Gesellschaftsordnung sei nicht ausreichend, um die ‚geschichtlich-gesellschaftliche Wirklichkeit‘ verstehen zu können: „Jeder Kunst der Analyse spottet nun die außerordentliche Mannigfaltigkeit, die Feinheit der Unterschiede, in welcher dies für das geschichtlich-gesellschaftliche Leben so wichtige Gefühl die äußere Organisation der Menschheit durchzittert und mit seiner Innigkeit belebt“ (GS I, 67).
Das Verstehen des Gemeinschaftsgefühls ist also für die Analyse der gesellschaftlichen Organisation des Menschen unverzichtbar. Ein Beispiel zur Illustration: Nehmen wir den Nationalstaat Deutschland. Man kann die äußere Organisation untersuchen, d. h., wie der Staat konstituiert ist, wie Regierungen gebildet, Gesetze erlassen und Parteien gegründet werden, wie die Innen- und Außenpolitik gestaltet ist, welche geschichtlichen Ereignisse als große Zäsuren gewirkt haben. Aber das, so Diltheys These, wird uns nichts über das Gemeinschaftsgefühl sagen – ein Gefühl immerhin, das als konstitutiv für eine Nation angesehen wird. Andersons viel zitierte Definition der Nation als „imagined community“ (Anderson 1987, 15), als vorgestellte Gemeinschaft, sieht eine „deep, horizontal comradeship“ (ebd.) als wichtiges Prinzip an. Um so etwas wie Nationalstolz oder nationales Gemeinschaftsgefühl verstehen zu können, ist es nun unabdingbar zu fragen, wie diese ‚tief gehende, gleichberechtigte Kameradschaft‘ entsteht. Wie wird sie erzeugt? Wie wird
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sie aufrechterhalten? Was bewirkt sie? Wie wird sie geäußert? Ohne Berücksichtigung des emotionalen Erlebens, verknüpft mit Fragen zur Selbst- und Fremdwahrnehmung, können diese Fragen nicht beantwortet werden. Ein Beispiel: Nehmen wir zum deutschen Nationalstaat einen weiteren Protagonisten hinzu: den Fußball. Schon an dem Label ‚Nationalsport‘ wird deutlich, dass es hier um mehr als um zwei Mannschaften, zwei Tore und einen Ball geht. Im Fußballsport wird ein nationales Gemeinschaftsgefühl erzeugt und erlebt (Sprunk 2010a, 16). Der Erfolg von Sportlern aus dem eigenen Land wird zum Erfolg für die ganze ‚imagined community‘. Während der WM fragten sich die Menschen, gegen wen ‚wir‘ denn im Halbfinale antreten würden, sie trafen sich zum Public Viewing, um ‚Deutschland‘ anzufeuern, sangen die Nationalhymne mit, schwenkten Fahnen und waren schließlich am Boden zerstört, als ‚Deutschland‘ verloren hatte. Kurzum: Eine Nation wird nicht nur durch die legislativen, judikativen und exekutiven Strukturen charakterisiert, sondern auch und wesentlich durch ihr Dasein als vorgestellte Gemeinschaft. Diese vorgestellte Gemeinschaft definiert sich maßgeblich über ein Gemeinschaftsgefühl. Am Beispiel von Fußball kann nachvollzogen werden, wie ein solches Gefühl der Verbundenheit als stellvertretende Identifikation mit einer Mannschaft entsteht und wie es über Farben, Gesänge, Rituale ausgedrückt wird; wie ‚Nation‘ mit Emotionen aufgeladen und im Erleben wirklich wird. Das ist es, was Dilthey als „die äußere Organisation der Menschheit durchzitternd und mit seiner Innigkeit belebend“ (GS I, 67) versteht und was er als Erlebensdimension in der Analyse der ‚geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit‘ berücksichtigen will. ‚Etwas‘ erleben Wenn man nun berücksichtigt, dass ‚erleben‘ ein transitives Verb ist, d. h. dass es syntaktisch eines Objekts bedarf, man also immer etwas erlebt, dann eröffnen sich zwei Richtungen: Die eine Lesart von ‚etwas‘ entspricht der eben genannten: Man erlebt eine Veränderung des inneren Zustands, man erlebt sich selbst. Die andere Lesart von ‚etwas‘ bezieht sich auf die Dinge: Man erlebt einen Ort, ein Gebäude, einen Film. Dilthey führt aus: „Jeder äußere, auf Gegenstände gerichtete oder durch sie affizierte kognitive Akt bzw. Aktbestandteil […] enthält eine ‚innere Seite‘, die sich aus emotiven und evaluativen Vorgängen zusammensetzt“ (GS XIX, 114). Damit stellt Dilthey eine Verbindung zwischen intentionalem, d. h. gerichtetem Gegenstandserkennen und Erleben her. Diese Verbindung bedeutet, dass bestimmte Qualitäten der Gegenstände für das Erleben bedeutsam werden können: „An das Erleben schließen sich die Urteile über das Erlebte, in welchem dieses gegenständlich wird“ (GS VII, 241). Erleben wird bewertet, und diese Bewertung wird an ‚das Erlebte‘ adressiert. Oder anders: Nicht der Akt des Erlebens wird bewertet, sondern das, was erlebt wird. Ein zweites Beispiel macht die Rolle von Erlebensurteilen und den ‚Objekten‘ des Erlebens deutlich: ‚Erschütternd‘ oder ‚bewegend‘, mag man beispielsweise sagen, wenn man inmitten des Denkmals für die ermordeten Juden Europas steht.
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Damit meint man (in diesem Fall sogar wörtlich), dass sich in der Begegnung mit dem Denkmal etwas am inneren Zustand ändert: „Ich bin bewegt.“ Es passiert etwas mit mir: emotional, kognitiv, leiblich. Diese Änderung wird verbal zu fassen versucht, in diesem Fall mit dem Wort ‚bewegend‘. Dieses ‚Bewegt-Sein‘ wird in einem nächsten Schritt oftmals von dem Erleben abgelöst und dem Denkmal als Eigenschaft zugeschrieben. „Das ist bewegend“, sagt man dann. Problematisch wird diese Aussage, wenn man ausblendet, dass ‚Bewegt-Sein‘ ein Zustand des Menschen ist und keine Objekteigenschaft. Unterstellt man dem Denkmal nun, per se ‚bewegend‘ zu sein, fällt man in einen Determinismus, der das Erleben als abhängig von Objekten ansieht. Wenn ich zwischen den Stelen des Denkmals stehe, so die Logik, kann ich gar nicht anders als ‚bewegt‘ zu sein. Dies ist aber unzulässig. Denn fehlt mir das Wissen über die Bedeutung und den Anlass des Denkmals, werde ich kaum ‚bewegt‘ sein beim Anblick der 2.711 Stelen (was nicht heißt, dass mich die Architektur nicht auch ganz ohne Kontextwissen ‚beeindrucken‘ kann). Bin ich aber mit Vorwissen und einem gewissen Maß an Empathie ausgestattet, dann unterscheidet sich auch das Erleben. Dann werde ich durch die Begegnung mit dem Denkmal mit diesem Vorwissen und meiner Empathie konfrontiert. Betroffenheit, Ohnmacht, Unfassbarkeit werden also nicht durch das Denkmal in die Person transferiert, sondern entscheidend sind kognitive und emotionale Dispositionen und das Wissen um Bedeutungen. Erinnern ist nicht nur das Abrufen von Informationen, sondern auch das Vergegenwärtigen und das Wieder-Erleben von emotionalen Zuständen. Das Gleiche gilt für die Erzeugung von Atmosphären. Atmosphären sind keine Eigenschaften der Dinge, wie es Höhe, Breite und Länge sind, die es vermögen, ein Erleben in mich ‚hineinzupflanzen‘, sondern entstehen erst durch mein Erleben. Die architektonische Gestaltung mag manche Vermutung in Bezug auf die Atmosphäre und das Erleben zulassen. Die Form der Stelen und ihre Anordnung wurden vom Architekten Peter Eisenmann bewusst gewählt, um bestimmte atmosphärische Qualitäten (beengt, bedrückend, einsam, überwältigend) zu erzeugen. Die physisch-materielle Installation des Denkmals schafft einen Ort des Gedenkens und damit die Möglichkeit, das ‚Bewegt-Sein‘ jetzt und später zu erleben. Das Denkmal erhält so einen „Wirkungswert“ (GS VII, 248). Dilthey macht klar, dass damit nur die Befähigung verbunden ist, „das Auftreten eines Wertes an einer späteren Stelle des Zeitverlaufs möglich zu machen“ (ebd., 248 f.). Mit ‚Wert‘ wird hier eine bestimmte Form des Erlebnisurteils bezeichnet. In unserem Fall ist dies das ‚Bewegt-Sein‘. Eine Garantie, dass dieser Wert schließlich auch so erlebt wird, gibt es nicht. Dilthey macht deutlich, dass es keine Gesetzmäßigkeit des Erlebens gibt, „nur die Berechtigung zu einem irgendwie abgegrenzten Grad von Erwartung in dem neuen Fall“ (ebd., 271). Wenn wir also untersuchen wollen, wie der Erinnerungsort ‚Holocaust-Denkmal‘ erlebt wird, dann haben wir einen bestimmten Fall erwartbarer Praxis im Kopf: „Die Besucher werden betroffen sein und mit ernstem Gesicht schweigend die Stelen entlanglaufen.“ Dieses sollten wir keinesfalls als gesetzt, sondern als tentativ ansehen, als eine im höchsten Maße zu überprüfende These. Denn die Untersuchungen könnten aufzeigen, dass die Praxis ganz mannigfaltige Formen annimmt, die keinesfalls alle mit den erwartbaren Praktiken an einem Erinnerungsort identisch sind. Denn wir sehen, auch zwischen
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der bedrückenden Architektur eines Ortes, der an so Ungeheures zu erinnern versucht, wird gelacht, Verstecken gespielt, es wird geklatscht und getratscht, es wird für lustige Fotos posiert – der Ort in seiner Bedeutung als ‚Erinnerungsort‘ spielt keine Rolle, die vermeintlich ‚bedrückende‘ Architektur wird nicht wahrgenommen. Und gleichzeitig und parallel dazu wird das Denkmal doch auch als ein solcher Erinnerungsort erlebt und hervorgebracht. Es wird innegehalten, getrauert, erinnert. Was, kurz gesagt, bei der Thematisierung von Erleben berücksichtigt werden muss, ist, dass im Erleben ganz verschiedene „Klassen des Wissens“ (Riedel 1990, 62) zusammenspielen: „wollend fühlend vorstellend“ (GS I, XVIII) sind die Kernbegriffe jeder Analyse von Erleben. Emotionen werden dabei ebenso als Wissensklasse angesehen wie das Wissen über Handlungsabläufe oder diskursive Deutungsschemata. Erleben können nur Subjekte. Es ist ihre Verfasstheit, die die Art des Erlebens, die Art der Praxis und auch die Bewertung von Atmosphären als ‚faszinierend‘, ‚beeindruckend‘, ‚gewaltig‘ etc. bestimmt. Diese Urteile des Erlebens, z. B. die sprachliche Etikettierung eines Erlebens als ‚faszinierend‘ oder ‚beeindruckend‘, führen uns zu dem zweiten Kernbegriff des Dilthey’schen Dreiklangs aus Erleben, Ausdruck und Verstehen. Der Ausdruck gibt dem Erlebten eine kommunikative Form. Bevor wir jedoch zum Ausdruck kommen, wollen wir in einem kurzen Exkurs die Begriffe ‚Erleben‘ und ‚Erfahrung‘ einander gegenüberstellen – auch um die Dimensionen von Diltheys Erlebenskonzept besser begreifen zu können. Erleben und Erfahrung Dilthey macht keinen expliziten Unterschied zwischen Erleben und Erfahren. Bei ihm ist Erleben der Metabegriff, der auch Erfahrung miteinschließt. Eine andere, geläufigere Abgrenzung finden wir bei Hasse. Er hält fest: „Ästhetische Erfahrung ist nicht gleichbedeutend mit ästhetischem Erleben. Erfahrung verlangt die reflexive Durchdringung von ästhetischem Erleben bzw. ästhetischen Eindrücken“ (Hasse 2007, 5). In der Erfahrung wird das Erlebte verstandesgemäß überstiegen. Erleben bildet die Grundlage von Erfahrung, bleibt jedoch nicht auf diese beschränkt. Vielmehr begreift Hasse Erfahrung als eine „Passage“ (ebd.), in der denkende und fühlende Seite in Beziehung gesetzt werden. Im Denken wird reflektiert, wie a) Atmosphären absichtsvoll oder ungeplant erzeugt werden und b) wie diese auf einen selbst wirken. Dabei ist beim ersten Punkt den soziokulturellen Implikationen der strategischen Erzeugung solcher Atmosphären und beim zweiten Punkt den Anstrengungen der Artikulation des eigenen Befindens Rechnung zu tragen (ebd., 6). Ästhetische Erfahrungen weisen somit immer einen Selbst- und einen Weltbezug auf (ebd.). Hierin stimmt Hasses Ausführung zum Begriff der Erfahrung mit Diltheys Begriff des Erlebens überein, denn auch Dilthey will, wenn auch etwas weiter gefasst, die historische Situiertheit des Menschen sowie sein Dasein als ‚fühlend wollend vorstellendes‘ Wesen reflektieren. Dilthey versteht Erleben also nicht im engen (rein gefühlsmäßigen), sondern im weiten (soziokulturell kontextualisierten und reflektierten) Sinne. Dieser weite Sinn wird bei anderen Autoren wie Hasse als Erfahrung bezeichnet. In Abbildung 4 ist das Verhältnis von Erleben, Erlebnis, Erfahren und Leben grafisch dargestellt. Um den Verlauf des Lebens entspinnt sich
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das ‚Er-leben‘, das sich in bestimmten Erlebnissen (quasi) konzentriert. In größerer Distanz und in größerer ‚Ent-Wicklung‘ dazu findet sich das ‚Er-fahren‘, das sich um das (Er-)Leben windet.
Abb. 4: Leben als Prozess des (in Erlebnissen episodenhaft verdichteten) Erlebens und reflektierenden Erfahrens (Hasse 2007, 5; Entwurf: Gudrun Salz)
Ausdruck Die Erforschung des Ausdrucks oder synonym der „Lebensäußerungen“ (GS VII, 252) sollte nach Dilthey ein zentrales Anliegen der Geisteswissenschaften sein. Ausdruck bildet die Grundlage für subjektives wie intersubjektives ‚Verstehen‘: „Im Erleben war uns das eigene Selbst weder in der Form seines Abflusses, noch in der Tiefe dessen, was es einschließt, erfaßbar. Denn wie eine Insel erhebt sich aus unzugänglichen Tiefen der kleine Umkreis des bewußten Lebens. Aber der Ausdruck hebt aus diesen Tiefen heraus. Er ist schaffend. Und so wird uns im Verstehen das Leben selber zugänglich, zugänglich durch ein Nachbilden des Schaffens“ (ebd.).
Dilthey macht hier vier wesentliche Aspekte deutlich: Erstens betont er nochmals, dass Erleben und Selbst auch in die ‚Tiefen des Unbewussten‘ hineinreichen, welches nicht gefasst werden kann, dass zugleich aber die ‚Insel des Bewussten‘ nur einen Teil des (Er-)Lebens ausmacht. Bewusstes wie Unbewusstes spielen zweitens auch im Ausdruck zusammen. Dies verdeutlicht Dilthey an anderer Stelle, wenn er sagt: „Ich verstehe hier unter Lebensäußerung nicht nur die Ausdrücke, die etwas meinen oder bedeuten (wollen), sondern ebenso diejenigen, die ohne solche Absicht als Ausdruck eines Geistigen ein solches für uns verständlich machen“ (ebd.). Lebensäußerungen umfassen also ebenso absichtsvolle wie unbeabsichtigte Ausdrucksformen. Das bedeutet auch, dass etwas zum Ausdruck gebracht werden kann, dessen man sich nicht bewusst ist. Drittens benennt Dilthey den Ausdruck als ‚schaffend‘ und beschreibt damit das Potenzial, über das Subjekte verfügen, um ihr ‚wollend fühlend vorstellendes‘ Selbst qua Lebensäußerungen hervorzubringen. Dieses Schaffen nachzuvollziehen, sieht Dilthey viertens als Weg, ‚das Leben selber‘ zu verstehen. Der Ausdruck wird so zum Mittler zwischen subjektivem Erleben und
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intersubjektivem Verstehen. Durch ihn ist „der so geschaffene Wert auch für andere da“ (GS I, 18). Der Ausdruck kann dabei sehr unterschiedliche Formen annehmen. Dilthey versteht unter Lebensäußerungen so Diverses wie Gebärden, Mimik, Sprache, Kunstwerke, Musikstücke, Biographien, Handwerkstechniken oder wissenschaftliche Theorien und Begriffe (GS VII, 252 ff.). Die allgemeinste Eigenschaft von Lebensäußerungen ist, das sie „in der Sinnenwelt“ auftreten (GS VII, 252). Mit anderen Worten: Ausdruck ist in multisensuale Darstellung gebrachtes Erleben. Entsprechend umfassen Lebensäußerungen verschiedene Darstellungsmodi: bildliche, sprachliche, musische, klangliche, mimische, gestische, haptische oder auch olfaktorische. Dilthey selbst beschäftigt sich vor allem mit sprachlichen (literarischen) und musischen Lebensäußerungen.32 Objektiver Geist Dilthey postuliert, dass jeder Ausdruck, egal, ob eine bestimmte Geste oder eine wissenschaftliche Theorie, einen „objektiven Geist“ (GS VII, 256) gleichermaßen in sich trägt, diesen mitkonstituiert und durch ihn hervorgebracht wird. Dieser ‚objektive Geist‘ ist „das Medium, in welchem sich das Verständnis anderer Personen und ihrer Lebensäußerung vollzieht“ (ebd.). Der ‚objektive Geist‘ beschreibt den geteilten Hintergrund aller Lebensäußerungen. Dilthey führt aus: „Ich verstehe unter ihm die mannigfachen Formen, in denen die zwischen den Individuen bestehende Gemeinsamkeit sich in der Sinneswelt objektiviert hat. In diesem objektiven Geist ist die Vergangenheit dauernde beständige Gegenwart für uns. Sein Gebiet reicht von dem Stil des Lebens, den Formen des Verkehrs zum Zusammenhang der Zwecke, den die Gesellschaft sich gebildet hat, zu Sitte, Recht, Staat, Religion, Kunst, Wissenschaft und Philosophie“ (ebd.).
Eine Lebensäußerung ist also keine rein private oder individualistische Angelegenheit, sondern immer erfüllt von einem Wissen um das „dem Ich und dem Du Ge32
Eine besonders interessante Form sprachlicher Lebensäußerungen stellen für Dilthey Autobiographien dar. Hier ist zunächst derjenige, der sein ‚Leben‘ retrospektiv verstehen will, mit demjenigen identisch, der es hervorgebracht hat (ebd., 246). Sie stellen für ihn folglich die konsequenteste Form der „Selbstbesinnung“ dar, wie sie als Eigenschaft der Selbstreflexivität des Bewusstseins vorgestellt wurde (GS VII, 244). Diltheys Frage bei der Lektüre der Autobiographien lautet: Wie wird der Zusammenhang der verschiedenen Phasen des eigenen Lebensverlaufes narrativ hergestellt? Dilthey untersucht Autobiographien verschiedener historischer Persönlichkeiten und bestimmt die in ihnen zum Ausdruck gebrachten sinnstiftenden Kategorien, oder genauer: die geäußerten Überlegungen zum Sinn des Lebens. Rousseaus Autobiographie beispielsweise lese sich, so Dilthey, als Versuch, „das Recht seiner individuellen Existenz zur Anerkennung [zu] bringen“ (GS VII, 246). Als zentrale Kategorien benennt er „Wert, Zweck, Sinn, Bedeutung“ (ebd.). In Goethes Autobiographie hingegen nehmen die Motive der „Gestaltung“ und „Entwicklung“ (ebd.) die lebensbestimmende Rolle ein; von diesen her werde retrospektiv das ganze Leben gedeutet. Mit anderen Worten: Jeder Moment, jedes Erlebnis wird für sich selbst und im Hinblick auf Kategorien bewertet, die jeder selbst als die sinnstiftenden identifiziert hat. Dilthey resümiert: „Jedes Leben hat einen eigenen Sinn. Er liegt in einem Bedeutungszusammenhang, in welchem jede erinnerbare Gegenwart einen Eigenwert besitzt, doch zugleich im Zusammenhang der Erinnerung eine Beziehung zu einem Sinn des Ganzen hat“ (ebd.).
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meinsame“ (ebd., 257). Die Objektivation des Geistes entsteht durch Fixierungen von Lebensäußerungen etwa durch Materialisierungen, Verschriftlichungen, Institutionalisierungen, Habitualisierungen. Es handelt sich um das gesellschaftlich geteilte Hintergrundwissen über die Ausprägung von Lebensstilen, von moralischen, juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen und philosophischen Beziehungen in Form von „Staaten, Kirchen, Institutionen, Sitten, Bücher[n], Kunstwerke[n]“ (ebd., 233). Gesellschaftliche Normen, Werte und Bedeutungen werden in der Art transportiert und fixiert, dass ‚Leben‘ nicht jeden Tag als tabula rasa neu beginnt. Damit beschreibt der ‚objektive Geist‘ zentrale Säulen von Gesellschaftlichkeit. Lebensäußerungen nehmen immer auf einen vorgefundenen gesellschaftlichen und historischen Kontext Bezug und sind in Beziehung zu diesem zu verstehen. Durch jede Bezugnahme wird dieser Kontext (mit Änderungen) wiederum hervorgebracht. Das Wissen um einen geteilten historischen gesellschaftlichen Kontext liefert für jedwede Lebensäußerung den Bezugsrahmen, innerhalb dessen Verständigung möglich ist. Kein Ausdruck kann außerhalb dieses Rahmens stehen, zumindest nicht, wenn er verstanden werden soll. Erst durch das Wissen um ihn ist Verstehen überhaupt möglich. Eine Annäherung an das Erleben kann also nur mittelbar über Lebensäußerungen erfolgen. Hier sieht Dilthey den kleinsten gemeinsamen Nenner, der Verstehen und Kommunikation möglich macht. Eine ähnlich umfassende Konzeption von Erleben, genauer von Erfahrung, entwickelt der Geograph Yi-Fu Tuan. Erfahrung stellt für ihn, ebenso wie für Dilthey Erleben, den Ausgangspunkt seiner Überlegungen dar (Tuan 2003, v). Durch Erfahrung wird Welt und Selbst konstituiert. Sie umfasst Sinneseindrücke, vage Gefühle ebenso wie konkrete Konzepte (ebd., 8). Tuan zeigt auf, dass Erfahrung in variierender Stärke immer von Emotionen und Gedanken durchdrungen ist (Abb. 5). Jede Erfahrung ist sowohl emotional als auch kognitiv.33
Experience sensation, perception, conception EMOTION
emotion
thought
THOUGHT
Abb. 5: Dimensionen von Erfahrung (nach Tuan 2003, 8).
Auch David Lowenthal hat in seinem 1961 erschienenen Aufsatz den Zusammenhang von „[g]eography, experience, and imagination“ herausgearbeitet. Er stellt fest, dass „[e]very image and idea about the world is compounded, then, of personal experience, learning, imagination, and memory“ (Lowenthal 1961, 260). Die persönliche Erfahrung ist auch für ihn der unhintergehbare Ausgangspunkt aller „Weltauffassungen“ (Gabriel 1997, 47). Erfahrungen beeinflussen unser Weltbild 33
Der bedeutenden Rolle von Emotionalität werden wir uns im nächsten Kapitel unter Bezugnahme auf neurowissenschaftliche Erkenntnisse widmen.
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und den Umgang mit neuen Informationen. Und auch er betont den Einfluss von Emotionalität auf unsere Weltaneignung, indem er sagt, dass alle Informationen, die wir aufnehmen, „inspired, edited, and distorted by feeling“ (Lowenthal 1961, 257) sind. Das gilt auch für die Darstellung von Welt: Während Weltdarstellungen über Faktenwissen als trocken und lebensfern angesehen werden, gilt eine ‚farbenfrohe‘ Darstellung über Emotionen als ‚echt‘ und wirklichkeitsnah (ebd., 258). Um Lebensäußerungen und auch den ‚objektiven Geist‘ darstellen zu können, bedarf es gewisser Ausdrucksmittel (GS VII, 232). Erfahrungen in Worte zu fassen, ist schwierig, aber nicht unmöglich. Lebensäußerungen manifestieren sich in symbolischen Formen wie Sprache und Schrift oder Materialisationen und ermöglichen so deren „Re-Präsentation“ und „Wiedervergegenwärtigung“ (ebd., 234). Deshalb müssen sowohl ihre Merkmale als Medium als auch ihre gesellschaftliche Verwendung geklärt werden. Was zeichnet Sprache, Schrift, aber auch Bild oder Musik jeweils als Medium (im Modus des Zeigens – Vgl. Kap. 2) aus? Welche alltäglichen und wissenschaftlichen Praktiken hängen mit ihm zusammen? Welche Kulturgeschichte kann über die Medien geschrieben werden? Diltheys Leistung besteht darin, diese Fragen zur Verknüpfung von Erleben, Medialität und Gesellschaftlichkeit überhaupt erst einmal zu formulieren. Er zeigt auf, dass „jede geistige Leistung eine mediale Leistung und darin eine kulturelle [ist], weil sie in und durch die kulturelle Umgebung, die geistig-kulturelle Vorleistung, erst möglich, sichtbar und verstehbar machen“ kann (ebd., 234). In der Fortführung des von ihm angestoßenen Problemkreises werden wir uns in Kapitel 3.3 ausführlich mit der Multisensualität, d. h. mit den Eigenarten der einzelnen Sinne und ihrer gesellschaftlichen Eingebundenheit beschäftigen. Verstehen Die Notwendigkeit zum Verstehen entspringt, laut Dilthey, dem praktischen Leben: „Einer muß wissen, was der andere will“ (GS VII, 255). Zu verstehen, was der andere will, ist nun weder aussichtslos noch trivial: „Die Auslegung wäre unmöglich, wenn die Lebensäußerungen gänzlich fremd wären. Sie wäre unnötig, wenn in ihnen nichts fremd wäre“ (ebd., 278). Ein fundamentales Problem des Verstehens ist, dass das, was beobachtet und verstanden werden soll, in ständiger Veränderung begriffen ist. Leben ist nicht stationär. Es kann nicht einfach ein für alle Mal ‚abgelesen‘ werden. Das Leben ist, analog zu Heraklits verdichteter Phrase vom Werden und Vergehen des Lebens (panta rhei = alles fließt), als ständig strömender Fluss zu verstehen, den niemand fassen kann (GS VII, 239 f.). Leben verstehen zu wollen, ist kein letzthin definitives Identifizieren, sondern ein vorläufiges Schauen und Rätseln, das durch weiteres Schauen und Rätseln jederzeit verändert werden kann. Das Gleichnis des Flusses verweist auf ein weiteres Problem. Der verstehenden Beobachtung ist es nicht möglich, ‚Leben‘ im Prozess des Erlebens zu erfassen. Sie kann jedoch in und durch Lebensäußerungen eine Momentaufnahme des (Er-)Lebensflusses anfertigen (ebd., 240). Dies führt zu der von Heidegger geübten Kritik, dass Erleben im wissenschaftlichen Zugriff nur noch ein Rudiment, ein „Ent-leben“
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(Heidegger 1993, 77) ist. Dieses ‚Ent-leben‘, so Heidegger weiter, ist jedoch unvermeidbar, wenn wir Erleben wissenschaftlich fassen wollen und zu diesem Zwecke ein Erlebnis aus dem Fluss des (Er-)Lebens herausgreifen und reflektieren. Dies bleibt jedoch nicht ohne Konsequenzen: „Lebenswelten werden durch die Wissenschaft in eine Tendenz der Entlebung genommen und damit das faktische Leben gerade der eigentlichen lebendigen Möglichkeit seines faktisch lebendigen Vollzugs beraubt“ (ebd., Hervhbg. i. Orig.).
Jede gerichtete wissenschaftliche Aufmerksamkeit macht aus dem ‚Erleben‘ ein ‚Erblicken‘ und fixiert einen bestimmten Aspekt, der dann verstehend gedeutet werden kann. Im Verstehen stecken zweierlei Fixierungen: Zum einen wird durch das Beobachten ein bestimmter Erlebensmoment isoliert, zum anderen geht es in diesem Erlebensmoment um eine bestimmte Lebensäußerung. In diesem Kontext gibt Dilthey zu bedenken, dass der Fluss des Lebens, jede (wissenschaftliche) Fixierung und damit auch jedes Verstehen zeit- und perspektivabhängig ist. Es kann also keine endgültigen Interpretationen geben. Der historisch-gesellschaftliche Kontext beeinflusst die Deutung ebenso wie die Person des Interpreten. Sie ist eine von einer Person mit spezifischer Biographie und unter bestimmten historisch-gesellschaftlichen Bedingungen vorgenommene vorläufige Deutung einer von einer anderen Person mit ebenso spezifischer Biographie unter ebenso bestimmten Bedingungen hervorgebrachten Lebensäußerung. Die Weise der Lebensäußerungen hängen wie die Ausrichtung der Interpretation von persönlichen Interessen und Zielstellungen ab. Denn es geht schließlich nicht einfach darum, zu entschlüsseln, was uns der Hervorbringende einer Lebensäußerung mitteilen will, sondern auch darum, was man selbst in eine Lebensäußerung und damit in die Interpretation hineinträgt. Dilthey schreibt: „Wenn nun so aus der Stellung der Verständnisaufgabe die Präsenz des eigen erlebten seelischen Zusammenhangs folgt, so bezeichnet man das auch als Übertragung des eigenen Selbst in einen gegebenen Inbegriff von Lebensäußerungen“ (ebd., 264). Diesen Vorgang des Hineinversetzens nennt Dilthey „Transposition“ (ebd.). Er besagt, dass an jedem Verstehensvorgang der Verstehende auch persönlich und nicht als bloße Interpretationsmaschine beteiligt ist. Jede Interpretation, so die Konsequenz aus Diltheys Darlegung, muss diese Zusammenhänge reflektieren, um nicht dem Trugschluss zu unterliegen, bei der eigenen Interpretation handle es sich um omnipotentes Wissen. In der verstehenden Annäherung an die Lebensäußerung geht es nicht darum, Erleben psychologisch zu erklären. Dilthey schlägt die Hermeneutik als Verfahren vor, das „das kunstmäßige Verstehen dauernd fixierter Lebensäußerungen“ (ebd., 267) anstrebt. Dilthey, der die Hermeneutik durch sein Werk maßgeblich mitbegründet hat, sieht sie als genuin geisteswissenschaftliche Theorie, die die Emanzipation der Geisteswissenschaften von naturwissenschaftlichen Theorien und Methoden ermöglichen soll: „[W]ir erklären durch rein intellektuelle Prozesse, aber wir verstehen durch das Zusammenwirken aller Gemütskräfte in der Auffassung“ (GS XXII, 280). Die Hermeneutik soll dieses Zusammenwirken untersuchen. Verstehen bezeichnet keine naturwissenschaftlichen Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge. Im geistes- und sozialwissenschaftlichen Kontext gibt es keine Wirkungsdeterminismen, auch wenn ein solcher Zusammenhang in einigen Fällen noch so
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plausibel und naheliegend erscheinen mag. Es gibt kein Gesetz, das besagt, dass eine Gondelfahrt in Venedig als ‚romantisch‘ erlebt werden muss: „[S]o ist der Übergang aus jenem [Gondelfahrt] in dieses [romantisches Gefühl] gleichsam immer vor der Tür: aber es braucht nicht einzutreten“ (GS VII, 255; Bsp. in Klammern D. S.). Es gibt mit anderen Worten keine Garantie, dass ein bestimmtes Erleben auftritt. Das Verstehen ist als Konsequenz aus Diltheys Forderung zu begreifen, dass es nicht Aufgabe der Geisteswissenschaften ist, Anleitung zur Lebensbewältigung zu geben, sondern das Leben zuallererst zu „begreifen“ (GS I, 5). Nacherleben und Nachdenken als Formen des Verstehens Die unterschiedlichen Qualitäten der von Dilthey identifizierten Lebensäußerungen – von theoretischen Denkfiguren über Handlungen zum Erlebnisausdruck – führen nun dazu, dass auch ihr Verstehen sehr unterschiedliche Dimensionen umfasst: von Nachdenken zu Nacherleben (GS VII, 265 ff.). ‚Verstehen‘ kann sowohl rational-logisch als auch sensitiv sein. Eine einseitige Konzentration entweder auf Nacherleben oder auf Nachdenken hält Dilthey für reduktionistisch. Damit wehrt er sich gegen die allzu populistische Verkürzung von Verstehen auf ein rührseliges Umarmen der Welt: ‚Verstehen‘ setzt keine „mystische Einfühlungs- oder Identifikationshypothese“ (Riedel 1990, 72) voraus. Wir wollen uns im Folgenden auf das Nacherleben konzentrieren. Die Möglichkeiten, die Dilthey im Nacherleben sieht, möchte er nicht psychologisch erklären, sondern als „Leistung“ für die „Aneignung der geistigen Welt“ (GS VII, 265) in Anschlag bringen. Diese ‚Leistung‘ besteht in zweifacher Hinsicht: 1. Nacherleben erzeugt Stimmungen: Durch die „lebhafte Vergegenwärtigung eines Milieus“ (ebd.) lassen wir uns ‚in Stimmung‘ versetzen. 2. Nacherleben eröffnet Imaginationsspielräume: Der Mensch selber ist in seinem Lebenszusammenhang immer gewissen Grenzen und Beschränkungen unterworfen, im Nacherleben aber ist er frei, auch jenes vorzustellen, was außerhalb seiner Möglichkeiten liegt. „So kann der von innen determinierte Mensch in der Imagination viele andere Existenzen erleben. Vor dem durch die Umstände Beschränkten tun sich fremde Schönheiten der Welt auf und Gegenden des Lebens, die er nie erreichen kann“ (ebd., 267). Nacherleben ist, kurz gesagt, eine bedeutende Weise der Aneignung von Welt. Und damit eine bedeutende Form des Geographie-Machens. Beide ‚Leistungen‘ des Nacherlebens lassen sich am Beispiel des Urlaubs illustrieren. Das Erzeugen von Stimmungen wird durch das retrospektive Nacherleben ermöglicht. Durch das Anschauen alter Urlaubsfotos beispielweise kann man sich schnell in Urlaubsstimmung wiederfinden. Man vergegenwärtigt sich die Erlebnisse, fängt an zu erzählen, die Erinnerungen werden lebendiger, Details fallen einem wieder ein, Emotionen werden für einen kurzen Moment wieder wach. Man lässt eine Stimmung durch die Vergegenwärtigung wieder lebendig werden. Geschlossen wird ein solches Nacherleben oft durch ein zusammenfassendes Seufzen und ein
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nachfolgendes „Schön war’s“. Ähnliche Stimmungen versuchen auch die Beschreibungen und Bilder in Urlaubskatalogen zu erzeugen. Durch die Lektüre des Textes und das Anschauen der Bilder soll der potenzielle Kunde in ein sehnsüchtiges Fernweh versetzt werden. Er reist in Gedanken an den porträtierten Ort, imaginiert, was er dort wohl tun würde, und vielleicht auch, wie er sich dabei fühlen würde, was er anzieht oder wen er mitnimmt usw. Diese Reise im Kopf und, falls ein Entspannungsgefühl oder ein Gefühl der Aufregung eintritt, auch mit dem ganzen Leib, eröffnet Imaginationsspielräume. Diese Imagination versucht man durch das Buchen der Reise Wirklichkeit werden zu lassen – oftmals nur mit mäßigem Erfolg. Die vor allem für die Tourismusgeographie bedeutsame Verbindung von geographischen Imaginationen und touristischer Vermarktung hat Kurt Tucholsky in Schloß Gripsholm wunderbar pointiert in Szene gesetzt: „[…] Finnste die Natur hier? – ‚Etwas dünn, um die Wahrheit zu sagen. Wenn man nicht wüßte, daß es Dänemark ist und wir gleich nach Schweden hinüberfahren‘ – Und da hatte sie nun recht. Denn nichts lenkt den Menschen so von seinem gesunden Urteil ab wie geographische Ortsnamen, geladen mit alter Sehnsucht und bepackt mit tausend Gedankenverbindungen, und wenn er dann hinkommt, ist es alles halb so schön. Aber wer traut sich denn, das zu sagen --!“ (Tucholsky 1956, Kap. 1, Abs. 4).
Der Einbezug von Erleben ist nicht nur bei touristischen Praktiken, sondern auch für die Tourismuswissenschaft relevant. Franklin und Crang (2001) machen dort gegenwärtig eine regelrechte Scheu aus, die Erlebnisqualitäten von Tourismus zu thematisieren. Gerade diese machen aber einen wichtigen Aspekt für die Bedeutung des Tourismus aus. Aus Angst vor Trivialisierung (oder als Resultat professioneller Betriebsblindheit) herrsche in wissenschaftlichen Darstellungen oft ein „desperately earnest tone“, so Franklin und Crang (2001, 4): „Reading the literature it would be hard to get a real sense that perhaps a central feather of tourism is pleasure, fun and enjoyment. We lack a language that can speak to the enjoyment and pleasure of tourism … through to academic writing whose subjectless passive prose denudes life from experiences, we engage in the social reproduction of seriousness“ (ebd.).
Mit anderen Worten: Die Tourismuswissenschaft ist ohne Berücksichtigung der Erlebnisqualitäten unzureichend. Sie muss eine neue Sprache finden, andere Möglichkeiten des Ausdrucks dieser Qualitäten, ohne dabei Wissenschaftlichkeit auf der einen und Lebensweltbezug auf der anderen Seite aufzugeben. Mit Blick auf die Geschichte gibt Dilthey ein Beispiel für die Verschränktheit von Nachdenken und Nacherleben. Sein erklärtes Ziel ist ja, wie wir bereits gesehen haben, die ‚gesellschaftlich-geschichtliche Wirklichkeit‘ (GS I, 35) mit geisteswissenschaftlichen Begriffen und Methoden zu fassen. Dazu gehören auch geschichtliche Analysen. Um nun etwa die Rolle und den Einfluss Bismarcks zu untersuchen, muss man, so Dilthey, sich keinesfalls in Bismarck einfühlen und von da aus die geschichtlichen Ereignisse deuten. Ebenso wenig ist es aber damit getan, die Eckdaten der Gründung des Deutschen Reiches zu nennen oder das Amt des Kanzlers zu definieren. Nein, hier kommt es, laut Dilthey, darauf an, eine Synthese aus systematisch-erklärenden und historisch-beschreibenden Zugängen zu wählen (GS VII, 71). Es gilt also, Fakten zur inneren und äußeren Organisation des Staates und des Gesellschaftssystems zusammen zu lesen mit Schilderungen von Zeitzeugen über den
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Alltag während der Herrschaft Bismarcks und ergänzt um eigene Aufzeichnungen Bismarcks, etwa seine Autobiographie. Beim Verstehen geht es Dilthey darum, die Dimensionen des ‚Wollens Fühlens Vorstellens‘ zu berücksichtigen. Entsprechend müssen die zum Verstehen einer zeitgeschichtlichen Situation, Person etc. herangezogenen Quellen (als Form der Lebensäußerung) auf diese drei Dimensionen hin gelesen werden bzw. muss die Art der Quellen erweitert werden. Ein Beispiel hierfür ist die Hinwendung der Geschichtswissenschaft zur sogenannten oral history, die ihren Schwerpunkt auf das erzählte Einzelschicksal legt und mit oder gegen die ‚großen‘ zeitgeschichtlichen Erzählungen gelesen bzw. interpretiert werden kann. Der Einbezug all dieser Formen des Erlebens, Ausdrückens und Verstehens macht schnell klar: Dem Verstehen sind Grenzen gesetzt. ‚Totales‘ Verstehen ist nicht möglich. Erleben ist zu individuell, um es in allen Facetten nachvollziehen zu können. Verstehen ist immer vorläufig und nur aus einer bestimmten Position heraus möglich. Das zu Verstehende wird beständig auf den vorläufig identifizierten Sinn zurückbezogen. Kann man unter diesem Sinn einen Teil des zu Verstehenden nicht verstehen, muss der vermeintliche Sinn revidiert werden, bis auch dieser Teil Sinn macht. Dieses kontinuierliche Aufeinanderbeziehen und Revidieren wird als hermeneutischer Zirkel bezeichnet. Er charakterisiert alle Verstehensleistungen.34 Dies hat Auswirkungen auf die weitere Interpretation, denn ein verändertes Vorverstehen erzeugt auch andere Interpretationen. Eine ‚endgültige‘ oder ‚richtige‘ Interpretation kann es daher nicht geben, sondern nur auf den eigenen Prämissen aufbauende Annäherungen an den Sinn einer Äußerung. Der englische Ausdruck ‚subject to change‘ ist eine gelungene Bezeichnung für die subjektabhängige Gestaltung und Änderung des Verstehensprozesses. Verstehen ist in diesem Sinne nie abgeschlossen, weil neue Interpreten neue Perspektiven einbringen können, weil neue Erkenntnisse bisher unbeachtete Sinnzusammenhänge ins Spiel bringen können etc. Das Erlebnisrepertoire des Interpreten beeinflusst also nicht nur maßgeblich die Einzelfallanalyse des elementaren Verstehens, sondern es ist auch dasjenige, was höheres Verstehen erst möglich macht. Als elementares Verstehen bestimmt Dilthey die Interpretation einer einzelnen Lebensäußerung. Sie „sind wie Buchstaben, deren Zusammensetzung höhere Formen 34
Die philosophische Hermeneutik wurde von Hans-Georg Gadamer in Wahrheit und Methode entscheidend weiterentwickelt. Er sieht die Hermeneutik nicht als bloße Methodenfrage, sondern als Bestimmung der Ontologie des eigentlichen Verstehensprozesses, der im „hermeneutischen Zirkel“ seinen Ausdruck findet (Gadamer 1990, 277). Ausgangspunkt der Interpretation ist die Ergriffenheit beim Leser. Das Ziel ist, „dass wir begreifen, was uns ergreift“ (Staiger 1953, 11). Oder wie es Gadamer selbst formuliert, dass wir verstehen, „was über unser Wollen und Tun hinaus mit uns geschieht“ (Gadamer 1990, XIV). Der hermeneutische Zirkel macht darauf aufmerksam, dass Verstehen immer ein Näherungsprozess zwischen dem zu Verstehenden und dem Interpreten ist. Keine Interpretation kann mit der Intention des Urhebers des zu Verstehenden deckungsgleich sein. Die Figur des Zirkels verdeutlicht, dass Verstehen kein linearer Prozess ist, bei dem die ‚Message‘ vom Urheber zum Interpreten geschoben und immer gleich entschlüsselt wird, sondern sich viel eher spiralförmig verhält. Das heißt, dass Verstehen an das eigene Vorwissen und Bewertungsschema, die eigenen Erwartungen und Annahmen geknüpft ist, die sich infolge einer ersten annähernden Interpretation verändern können und die – insofern eine Offenheit dafür besteht – revidiert und aktualisiert werden können.
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desselben möglich macht“ (GS VII, 255). Diese einzelnen Lebensäußerungen in Beziehung zueinander und zu einem gesellschaftlich-historischen Kontext zu setzen, um (allgemeinere) Aussagen über die Gesellschaft ableiten zu können, bezeichnet Dilthey als das höhere Verstehen (ebd., 258). Beim höheren Verstehen wird induktiv von „in einem Werk oder Leben Gegebenen auf den Zusammenhang in einem Werk oder einer Person, einem Lebensverhältnis“ (ebd., 261) geschlossen. Diese Ableitung von einem Einzelfall auf einen allgemeineren Zusammenhang ist nur durch den Einbezug des eigenen Erlebens möglich. „Die Stellung, die das höhere Verstehen seinem Gegenstande gegenüber einnimmt, ist bestimmt durch seine Aufgabe, einen Lebenszusammenhang im Gegebenen aufzufinden. Dies ist nur möglich, indem der Zusammenhang, der im eigenen Erleben besteht und in unzähligen Fällen erfahren ist, mit all den in ihm liegenden Möglichkeiten immer gegenwärtig und bereit ist“ (ebd., 263).
Nur durch die Rückbindung an eigene Erfahrungen und die daraus erwachsene Fähigkeit zur Abschätzung des zulässigen Grads an Verallgemeinerbarkeit eines Einzelfalls wird im geisteswissenschaftlichen Bereich so etwas wie induktives Schließen überhaupt möglich. Zumindest stellt diese (oftmals auch unbewusste) Rückbindung einen ersten Schritt zur Beantwortung der Frage dar, ob und was an einem Einzelfall etwas über einen Lebenszusammenhang aussagt. Denn es sind die Erlebnisse und die sich daraus entwickelnde (auch theoretische) Perspektive, die überhaupt erst bestimmen, was als Lebenszusammenhang gilt. Je nach Sichtweise (oder Fachdisziplin) werden einige Aspekte betont, andere tauchen gar nicht auf. Entsprechend wird auch ein Einzelfall bedeutsam oder eben nicht. Die Perspektive des Interpreten steht also zwischen dem Einzelfall und einer daraus induktiv erschlossenen, allgemeineren Aussage über Lebenszusammenhänge. Sie entscheidet wesentlich über den ‚Effekt‘ des induktiven Schließens. In diesem Sinne ist auch Diltheys Aussage zu verstehen, „daß der, welcher die Geschichte erforscht, derselbe ist, der die Geschichte macht“ (ebd., 278). Nicht nur, dass er durch seine Art der Lebensführung immer auch Geschichte (und wir können für uns hinzufügen: Geographie) macht, er fixiert auch durch sein Forschen eine Interpretation geschichtlicher Ereignisse und macht auf diese Weise ebenfalls ‚Geschichte‘. Die Geschichtswissenschaft ist ebenso wenig eine deskriptive Disziplin wie die Geographie, wenngleich sie beide oft dafür gehalten werden. Kritisch ist Diltheys Behauptung zu betrachten, dass Lebensäußerungen im höheren Verstehen als „Repräsentation eines Allgemeinen“ (ebd., 270) betrachtet werden können. Dies setzt voraus, dass es eine allgemeingültige Vorstellung vom Allgemeinen gibt, welches dann auch noch in einem Einzelfall quasi mimetisch abgebildet werden kann. Diltheys eigene Argumentation ernst nehmend, sollte eher davon gesprochen werden, dass ein Einzelfall exemplarisch für einen ausschnitthaften Lebenszusammenhang anzusehen ist, der von einer Gruppe von Menschen als ‚allgemein‘ betrachtet wird. Da es Dilthey als Aufgabe der Geisteswissenschaft verstanden hat, das Leben zu begreifen und nicht meistern zu wollen, ist mit dem Verstehen nun aber auch die Fähigkeit verbunden, als Forscher von seinen eigenen Erfahrungen zurückzutreten und sich auf die Erlebenswelt der Subjekte einzulassen. Die damit verbundene Verständnisaufgabe nennt Dilthey „Sichhineinverset-
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zen“ (ebd.). Nur so ist es möglich, sich der Bedeutung eines einzelnen Werkes, einer Person, eines Ortes, eines Datums, einer Situation für die Subjekte und nicht für den Forscher selbst zu nähern. Kritik an Dilthey Ein so umfassendes Wissenschaftsprojekt, wie es Dilthey betrieben hat, ist nicht unkritisiert geblieben. Die Kritik betrifft verschiedene Ebenen. Zunächst macht die grundsätzliche Kritik an der Lebensphilosophie zweierlei deutlich: Zum einen besteht die Angst, mit der Lebensphilosophie unwissenschaftlich zu werden und so die Stellung der Philosophie zu schmälern; damit geht die Befürchtung einher, „Leben“ könnte als Kategorie und Ausgangspunkt der Geisteswissenschaften zu trivial sein. Zum anderen findet sich eine grundsätzliche Unsicherheit darüber, was das Anliegen der Geisteswissenschaft im Allgemeinen sein soll: Was sollen die Geisteswissenschaften leisten können? Das Leben zu verstehen, wie es Dilthey fordert? Wenn ja, wie? Oder ist dieses Anliegen zu weit gefasst und damit zum Scheitern verurteilt? Es muss bei aller Begeisterung für das Konzept des Erlebens immer bedacht werden, dass jenes nur einen Modus der Erkenntniskonstitution neben anderen darstellt. Man muss offenbleiben für andere, auch komplementäre Formen des Weltbezugs. Durch die Thematisierung von Erleben soll für unsere Zwecke der Ausdifferenzierung des alltäglichen Geographie-Machens ein vernachlässigter Aspekt zeitgenössischer sozial- und geisteswissenschaftlicher Theorie betont und keine neue Universaltheorie postuliert werden. Insofern unterscheidet sich unser Anliegen von dem Diltheys. In der detaillierten Auseinandersetzung mit Diltheys Ansatz geht es dann um Diltheys Vorstellung einer wie auch immer gearteten ‚Ganzheitlichkeit‘, die wir bereits eingangs kritisch kommentiert haben. Zudem wurde Dilthey seine Betonung von Geschichtlichkeit in Abgrenzung zu allgemeingültigen Gesetzen als „willkürliche[r] Relativismus“ (Schmidt 2005, 18) ausgelegt – eine Kritik, die wohl weder in der Philosophie noch in der Geschichte oder der Geographie nach dem cultural turn heute geteilt wird. Besondere kritische Aufmerksamkeit erlangt Diltheys Verständnis der Formen von Lebensäußerungen. Wie wir uns erinnern, zeigt er ein sehr breites Spektrum von Lebensäußerungen auf: von der wissenschaftlichen Theorie bis zur Affektartikulation. Offen bleibt, in welchem Verhältnis Diltheys ‚objektiver Geist‘, den er als das in und durch Lebensäußerungen realisierte Gemeinsame jeden Ausdrucks ansieht, zur individuellen Lebensäußerung steht. Mit anderen Worten: „Trägt das Individuelle die soziale Ordnung in sich oder läuft es ihr zuwider?“ (Junge, Šuber & Gerber 2008b, 11) Kann man die Heterogenität der individuellen Lebensäußerung ersetzen durch die Analyse des ‚objektiven Geistes‘ und daraus gleichzeitig Rückschlüsse auf das Individuelle ziehen? Diese Kritik zielt noch weiter, denn es bleibe unklar, was genau Gegenstand geisteswissenschaftlicher Analysen sein soll, welche Art von Lebensäußerungen oder welche Facette des ‚objektiven Geistes‘ relevant sei. Diese Leerstelle in der Theorie ist sicher auch dem Umstand geschuldet, dass nicht eine methodologische Umsetzung, sondern die prinzipielle
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(erkenntnistheoretische) Installation der Geisteswissenschaften als eigene Wissenschaft Ziel von Diltheys Arbeit war. Dies wird jedoch als nicht ausreichend kritisiert: Er habe mit seiner Arbeit ‚nur‘ die erkenntnistheoretischen Grundlagen der Geisteswissenschaft gelegt, jedoch keine spezielle Wissenschaftstheorie z. B. für die Geschichtswissenschaft ausgearbeitet und keine Vorschläge zur methodologischen Umsetzung geliefert. Dieser Kritik soll hier nicht widersprochen – sie kann jedoch relativiert werden. Denn auch in Diltheys erkenntnistheoretischen Ausführungen finden sich Hinweise darauf, wie er sich eine auf lebensphilosophischen Prämissen aufbauende empirische Forschung vorstellt. Schon allein die zahlreichen Beispiele, mit denen er seine theoretischen Ausführungen illustriert, deuten dies an. Seine umfangreichen Arbeiten (neben der Einleitung in das Studium der Geisteswissenschaften), wie etwa die Biographien von Schleiermacher und Hegel oder die Studien zur Zeitgeschichte des 15. und 18. Jahrhunderts, machen deutlich: Der hermeneutische Untersuchungsgegenstand soll Sprache, sollen Texte sein: „Da nun das geistige Leben nur in der Sprache seinen vollständigen, erschöpfenden und darum eine objektive Auffassung ermöglichenden Ausdruck findet, so vollendet sich die Auslegung in der Interpretation der in der Schrift enthaltenen Reste menschlichen Daseins“ (GS VII, 217).
Diese Aussage gilt es genauer zu untersuchen, denn sie ist durchaus ambivalent und macht auf ein Problem aufmerksam. Unmissverständlich sagt Dilthey, dass es nur der Sprache gelingt, das geistige Dasein ‚vollständig, erschöpfend und objektiv‘ zum Ausdruck zu bringen, und dass es nur die verschriftlichte Form dieses Ausdrucks sein kann, die zur Interpretation ansteht. Diese Ausrichtung auf den Diskurs ist es, die in der Konsensauffassung von Hermeneutik zum Tragen kommt: „Das explizite Kenntlichmachen unseres Erlebens, unserer Gefühle, Erfahrungen oder erlittenen Enttäuschungen ist dabei auf ganz bestimmte kommunikative Formate angewiesen. Eines der prominentesten Formate ist das Erzählen von Geschichten. Viele Kulturwissenschaftler sind heute geneigt, die identitätskonstitutive Synthese unserer Erlebnisse und Erfahrungen und damit die Konstitution unseres ‚Selbst‘ als eine narrative Leistung zu begreifen“ (Junge, Šuber & Gerber 2008c, 19 f.)
Die Bedeutung von Sprache, Diskurs und Narration soll auch im Vorliegenden nicht bestritten werden. Jedoch bringt Dilthey auch eine deutliche Einschränkung an der Bedeutungsmacht von Sprache zum Ausdruck, wenn er sagt, dass in der Schrift nur die „Reste menschlichen Daseins“ (GS VII, 217) zu finden seien. Dilthey ist sich also durchaus bewusst, dass menschliche Ausdrucksmöglichkeiten vielfältig sind und über das sprachlich Fassbare hinausgehen. Dies bringt er nicht zuletzt mit der von ihm selbst angeführten Spannbreite von Lebensäußerungen zum Ausdruck, die so diverses wie Gebärden, Mimik, Sprache, Kunstwerke, Musikstücke, Biographien, Handwerkstechniken oder wissenschaftliche Denkgebilde umfasst (GS VII, 252 ff.; Riedel 1990, 63). Außerdem konnte der Aspekt der Multisensualität als ein wesentliches Merkmal von ‚Ausdruck‘ identifiziert werden. Ausdruck ist in multisensuale Darstellung gebrachtes Erleben (GS VII, 252). Damit, so die Konsequenz, umfassen Lebensäußerungen verschiedene Modi: körperlich, klanglich, olfaktorisch, haptisch, bildlich, sprachlich, musisch. Das Sprachliche ist somit wohl eine wichtige,
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jedoch nicht die einzige Ausdrucksmöglichkeit. Die Behauptung, dass Sprache ‚vollständig, erschöpfend und objektiv‘ sei, kann also mit Dilthey selbst (und mit Bezug auf Baumgarten) widerlegt werden. Angemessener erscheint es, davon auszugehen, dass jeder Ausdrucksmodus nur einen Ausschnitt, nie die ‚Totalität‘ des menschlichen Daseins artikuliert.35 An dieser Stelle ist wiederum auf den rund 100 Jahre vor Dilthey lebenden Baumgarten zu verweisen, der diesem widersprüchlichen Punkt in Diltheys Argumentation mit seiner Ästhetik ein alternatives erkenntnistheoretisches Fundament geboten hätte. Baumgartens Konzept des sensus externus mit der Betonung der multisensualen Wahrnehmung und Gestaltung kann einer Verengung der Ausdrucksformen auf nur Sprachliches bei Dilthey entgegengesetzt werden. Auch Diltheys Schluss, dass „in allem Verstehen ein Irrationales [ist], wie das Leben selber ein solches ist, es kann durch keine Formeln logischer Leistung repräsentiert werden“ (ebd., 269), kann mit Baumgarten begrifflich dahin korrigiert werden, dass sich nicht einfach Rationales und Irrationales gegenüberstehen, sondern dass sich hier eine sensitive oder ästhetische Rationalität einreiht. Ein weiterer Kritikpunkt wurde von der Neuen Phänomenologie angeführt. Die leibliche Dimension des Erlebens bleibt bei Dilthey außen vor: „Unter den phänomenal gegebenen Körpern findet sich der menschliche, und mit ihm ist hier in einer nicht weiter angebbaren Weise das Erleben verbunden“ (ebd., 241). Dilthey ist sich also der Körpergebundenheit von Empfindung nicht im Klaren bzw. negiert dies um jeden Preis, um die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit der Geisteswissenschaften, die er ja gerade beweisen möchte, nicht zu untergraben. Dilthey thematisiert also körperliches Empfinden nicht weiter, wie es etwa Schmitz macht, weil er Physisches nicht als determinierend ansieht. Es geht jedoch, so kann man im Namen der Neuen Phänomenologie argumentieren, nicht um das Determiniert-Werden, sondern um die Bedingungen und Möglichkeiten unserer Erkenntnis; dazu gehört auch das leibliche Erleben. Hier liegt nun die Expertise der Neuen Phänomenologie, die mit Schmitz eine begriffliche Schärfung dessen anstrebt, was uns leiblich widerfährt (Schmitz 2005, 250 ff.). Diltheys Lebensphilosophie als Ideengeber für die Sozialwissenschaften Eine explizite Weiterentwicklung von Diltheys Lebensphilosophie findet sich nur in wenigen Ansätzen. Die Prämissen der Lebensphilosophie sind implizit jedoch 35
Dieselbe Kritik trifft letztlich auch eine Geographie, die einzig Sprache als den Modus des Geographie-Machens bestimmt, ohne die Grenzen dieses Totalitätsanspruchs kritisch zu hinterfragen. Natürlich bleibt dann die Frage, welche Bedeutung die verschiedenen Ausdrucksmodi (körperlich, bildlich, sprachlich, musisch etc.) in der Forschungsarbeit jeweils erhalten bzw. wie sie empirisch einzuholen sind. Die theoretischen Grundlagen der Bearbeitung jedes einzelnen Modus sind grundverschieden. Während für die Sprache bereits verschiedene Theorien zur Verfügung stehen, mit denen sprachliches Geographie-Machen untersucht werden kann, besteht hinsichtlich der anderen Modi deutlicher Nachholbedarf. Aber auch hier gibt es Ansätze, die diese von Sprache verschiedenen Ausdrucksmodi aufgreifen. Eine vertiefende Diskussion des Aspekts der Multisensualität wird in Kapitel 2.3 geführt.
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von vielen Ansätzen aufgenommen und weiterentwickelt worden. Diltheys Behauptung, dass keine Wissenschaft hinter (Er-)Leben zurückgehen könne und die gelebte gesellschaftlich-historische Wirklichkeit folglich Forschungsgegenstand, Ausgangsund Bezugspunkt jeder Wissenschaft sein soll, ist sowohl in der deutschsprachigen als auch in der französischen und angelsächsischen Entwicklungslinie aufgenommen worden. Allerdings wird in den meisten Zusammenhängen von Erfahrung und nicht von Erleben gesprochen. In der deutschsprachigen Debatte stellt Šuber fest, dass Alfred Schütz’ Interpretation von ‚Lebenswelt‘ eher die Einlösung Dilthey’scher lebensphilosophischer Prämissen darstellt als derjenigen Husserls (Šuber 2008, 111 f.). Entsprechend lohnend sei es daher, Schütz’ Annahmen zur vorwissenschaftlichen, unhinterfragten Alltagswelt mit einer lebensphilosophischen ‚Forschungsbrille‘ erneut zu lesen (ebd.). Auch bei Max Weber finden sich Anleihen Dilthey’schen Denkens. Bei Weber wird ‚Erfahrung‘ als das Unhintergehbare der sozialwissenschaftlichen Erkenntnis gewertet (1968, 115). Erfahrung wird sozialwissenschaftlich in zweifacher Hinsicht bedeutsam: erstens bei der Auswahl des Forschungsgegenstandes, zweitens bei der Evaluation der Ergebnisse wissenschaftlichen Arbeitens. So gilt die Übereinstimmung mit „Erfahrungswissen“ (Šuber 2008, 113) als Kriterium der Gültigkeit einer sozialwissenschaftlichen Deutung. In diesem Sinne kann es nur „Erfahrungswahrheiten“ geben (ebd.). Auch Simmel sieht Erleben als „einen ursprünglichen Akt, welcher die Wissenskonstitution anleitet“ (ebd.; vgl. Simmel 2000, 312 f.). Allerdings folgen weder bei Weber noch bei Simmel auf diese erkenntnistheoretischen Überlegungen Konsequenzen für die Soziologie (Šuber 2008, 113). In der französischen Entwicklungslinie hat Pierre Bourdieu seine Theorie der Praxis auf den Begriff der Erfahrung gestützt. In der angelsächsischen Debatte spielt der Begriff der Erfahrung bei John Dewey und seiner Pädagogik eine zentrale Rolle (Die Notwendigkeit einer Selbsterneuerung der Philosophie, 1917). Lernen baut auf Erfahrungen auf. Erfahrung ist immer subjektiv und sinnlich. Mit Bezug auf Dilthey und Dewey entwickelt Victor Turner seine ‚Anthropology of Experience‘ (1986). In fast wortwörtlicher Übernahme des Dilthey’schen ‚wollend fühlend vorstellend‘ formuliert Turner als Anliegen seiner Studien die Erforschung des „human repertoire of thinking, willing, desiring, and feeling“ (Turner 1986, 35). Diesen Ansatz kombinierte er mit seinen ethnographischen Beobachtungen zu seinem sozialdramaturgischen Ansatz, der maßgeblich für die Entwicklung der heutigen Performance Studies war. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Diltheys Arbeit, obwohl sie in den wenigsten Fällen explizit genannt wird, einen wichtigen Impuls für die Entwicklung der Geistes- und Sozialwissenschaften gegeben hat. Mit seinen Überlegungen hat er die Tür geöffnet für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem alltäglichen (Er-) Leben. Somit stellt Dilthey auch einen kleinsten gemeinsamen Nenner der aktuellen praxiszentrierten Theorien dar. Mit der Besinnung auf diesen Ideengeber werden auch Begriffe (re-)aktiviert, die in der aktuellen geographischen Debatte eher in den Hintergrund getreten sind: Erleben, Ausdruck, aber auch prominentere Konzepte wie das Verstehen und die Hermeneutik.
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Parallelwelten und Schnittpunkte: die Geographie zu Zeiten Baumgartens und Diltheys und die heutige Geographie Ein Kennzeichen der heutigen Wissenschaftslandschaft sind die umfassenden trans- und interdisziplinären Vernetzungen. Sichtbar werden diese etwa durch institutionelle Zusammenschlüsse, durch gemeinsame Forschungsprojekte und -cluster und nicht zuletzt durch sogenannte turns, die als theoretischer Wind quer durch die Disziplinen wehen. Die Geographie hat mit dem social and cultural turn eine maßgebliche Wende vollzogen. Erst durch die Öffnung hin zu sozialwissenschaftlichen Theorien und damit in Abgrenzung von einer traditionellen länderkundlichen Geographie ist eine Sozialgeographie oder Neue Kulturgeographie, wie wir sie heute betreiben, möglich geworden. Erst seit Ende des 20. Jahrhunderts werden soziologische oder philosophische Überlegungen in der Geographie diskutiert. Dies wäre zu den Entstehungszeiten der Ästhetik Baumgartens und der Lebensphilosophie Diltheys undenkbar gewesen, denn anders als in der Gegenwart ist eine transdisziplinäre Reflexion über Kernbegriffe nicht Gegenstand der Geographie des 18. und 19. Jahrhunderts. Geistes- und später sozialwissenschaftliche Argumentationen haben für die damalige Anthropogeographie ganz offensichtlich kaum eine Rolle gespielt. Natürlich ist die Geographie zwischen Mitte des 18. und 19. Jahrhunderts keine homogene Angelegenheit. Die Begründer der wissenschaftlichen Geographie Alexander von Humboldt und Carl Ritter betrieben gewiss eine andere Geographie als nach ihnen Friedrich Ratzel oder Alfred Hettner. Gerade bei Letzteren lässt sich jedoch ein persistierendes geographisches Paradigma identifizieren: das länderkundliche Schema. Der Verdacht, die geistes- und sozialwissenschaftlichen Debatten nicht zur Kenntnis genommen zu haben, liegt nahe, wenn man sich anschaut, mit welcher Denkfigur im länderkundlichen Schema gearbeitet wird: die reifizierte Einheit von Menschentypen und Boden. Die maßgeblich von Friedrich Ratzel begründete Aufgabe der Geographie wird in der allgemeinen und regionalspezifischen Erklärung, zuvorderst aber in der Beschreibung aller auf der Erdoberfläche vorkommenden Phänomene gesehen (Werlen 2008, 85). Ratzel ist derjenige, der die wissenschaftliche Beschäftigung mit der „Anthroposphäre“ (ebd.) vorantreibt. Dabei werden natürliche Geofaktoren als maßgeblich für die Handlungen der Menschen angenommen. Der Mensch steht unter dem Diktat der Natur. Die Möglichkeiten und Grenzen der Seinsweise eines Menschen, ja eines ganzen Volkes sind demnach bereits dem Boden bzw. der ‚Landschaft‘ eingeschrieben.36 Die Aufdeckung und Beschreibung dieser Zusammenhänge ist Gegenstand der Regionalen Geographie, die mit der Länderkunde den Kern der traditionellen Geographie bildet (ebd., 87). Welch’ ein Kontrast ist dies zur Perspektive ihrer Zeitgenossen Dilthey und Baumgarten! Eine solche Fremdbestimmung ist weder bei Dilthey noch bei Baumgarten zu finden. Der Mensch wird als schöpferisch tätiges, erlebendes, wollendes, 36
Literarisch auf den Punkt bringt dies Karl May in seinen Geographischen Predigten, der in determinierender Analogie den „Bergbewohner“ beschreibt: „Kühn wie die Zacken seiner Felsen, rasch und beweglich wie die Wasser seiner Fälle, Sturz- und Gießbäche, leicht erregbar wie die Lawine und der Sturm, der um die Firne braust, gleicht der gewandte, heitere, lebenslustige und
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vorstellendes und verstehendes Wesen verstanden. Er bringt Wille, Vorstellung, Handlung und Emotion hervor. Diese Attribute hat ein ‚Subjekt‘ im länderkundlichen Ansatz schon aus dem Grunde nicht, weil es in diesem Ansatz keine ‚Subjekte‘ gibt. Das Individuum wird als eine Miniaturversion einer regions- und/oder rassenspezifischen Völkergruppe gesehen. Es verfügt nicht über Emotionen, die Fähigkeit zum Erleben und Handeln und auch nicht über die Kompetenz, sich und die Welt auf verschiedenem Wege zur Darstellung zu bringen. Dass sowohl Baumgarten als auch Dilthey in ihren Argumentationen festhalten, der Mensch könne in letzter Klarheit nicht wissenschaftlich ‚durchleuchtet‘ und erfasst werden, bedeutet nicht, die Autonomie des Menschen in Frage zu stellen. Der Einbezug dessen, „das nicht unterschieden besessen wird“ (GS VII, 277), öffnet einer Fremdbestimmung keine Tür. Sie durchdenken vielmehr die Konsequenz der Erkenntnis, dass der Mensch kein homo rationalis ist. In diesem Sinne geht es ihnen um die im Menschen angelegte Möglichkeit des gestaltenden Tuns und des Erlebens, Zum-Ausdruck-Bringens und Verstehens. Dilthey geht es darüber hinaus darum, diesen Ausdruck vor einem spezifischen gesellschaftlich-historischen Hintergrund zu verstehen. An keiner Stelle jedoch wird der Einbezug von Erleben als etwas verstanden, dem man sich nicht entziehen kann, das die Menschen in ihrem Sein gesetzmäßig bestimmt. In der Geographie bedurfte es erst der Befreiung von den fachlichen ‚Altlasten‘, um eine angemessene zeitgemäße Geographie betreiben zu können. In diesem Zusammenhang kommen nun die philosophischen Autoren wie Dilthey und Baumgarten ins Spiel. Sie zeigen Facetten dieses Subjekts und seines Machens auf. Sie können uns Auskunft darüber geben, wie dieses Subjekt konstituiert ist und welche Formen der Weltbindung identifiziert werden können. Derart geben sie unseren Überlegungen zum Geographie-Machen und zu den Geographie-Machenden wichtige Impulse. Erst mit dem cultural turn, so könnte man sagen, ist die Geographie bereit für diese ‚alten‘ philosophischen Überlegungen. Jetzt, da Übereinstimmung darüber herrscht, dass Geographie gemacht wird, kann danach gefragt werden, wer sie wie macht. 3.2 Emotionalität Emotionalität, so hat das Eingangskapitel gezeigt, scheint in der sozialgeographischen Theoriedebatte durchaus einen wichtigen Stellenwert zu haben – immerhin spricht Werlen von der „symbolisch-emotionalen Aneignung“ (Werlen 2007, 346 f.). Eine systematische Aufarbeitung, so auch die Kritik der angelsächsischen Vertreter des emotional turns (Thrift 2004b, 2005; Anderson 2006; Davidson, Bondi & Smith 2007, 1; Smith et al. 2009) bzw. der deutschsprachigen Debatte um das Menschenbild in der Geographie (Hasse & Helbrecht 2003) steht jedoch aus. Dabei sind Fragen zur Bedeutung von Emotionalität zentral für die Frage, wie die Geograleidenschaftliche Bergbewohner mit seinen scharfgeschnittenen Zügen, hochgeschwungenen Brauen und sehnenkräftigen, schlanken Gliedmaßen dem Landschaftsbild, das ihn umgibt“ (1958, 52).
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phie-Machenden und damit schließlich auch Geographie-Machen konstituiert ist. Mit dem folgenden Kapitel soll ein Beitrag dazu geliefert werden. Durch die Darlegung von Baumgartens Ästhetik konnte Emotionalität als eine wichtige Säule sensitiver Erkenntnis ausgewiesen werden. Emotionen wurden in der auf Rationalität ausgerichteten Wissenschaft lange als irrelevant eingestuft. Wie wir bereits bei Baumgarten gesehen haben, galt der (gesunde) Mensch seit der Antike als animal rationale – als allein durch den Verstand bestimmt. Der Rest verschwand im Dunkeln. Dieses Dunkel wurde nur dann thematisiert, wenn Emotionen als negative Eigenschaften des gestörten Menschen für die Gemeinschaft unübersehbar wurden. Den Ansatz, Emotionen als etwas dem Verstand Gleichwertiges (analogon rationis) zu verstehen, wie es Baumgarten tat, und auf diese Weise die Monopolstellung des Verstandes argumentativ zu erschüttern, gab es nur in historisch und fachlich engen Grenzen: innerhalb der Strömung der ‚Empfindsamkeit‘ während der Aufklärung und später in Freuds Psychoanalyse. Emotionalität hat ihre wissenschaftliche Exzellenz jüngst im Zusammenhang mit der neurowissenschaftlichen Forschung (wieder-)gewonnen. Durch den von dieser maßgeblich initiierten emotional turn findet gegenwärtig eine systematische Berücksichtigung von Emotionalität in vielen Disziplinen statt. Emotionalität hat breiten Eingang in die Debatten der Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften gefunden.37 Der neurowissenschaftliche Nachweis der unauflöslichen Verbindung von Wahrnehmung, Emotion und Verstand löste eine Welle aus, die sich in der vermehrten Präfixierung der Wissenschaften mit der Silbe ‚Neuro-‘ auch in jenen Bereichen zeigt, die ihre Analysen sonst fern eines Positronen-Emissions-Tomographen durchführen: Neurophilosophie, Neuroethik, Neurolinguistik, Neurosoziologie, Neurotheologie oder auch – mit kritischer Pointe – „Neuro-Kulturgeographie“ (Korff 2012, 146). Schon lange nicht mehr hatten Erkenntnisse aus den Naturwissenschaften einen so großen transdisziplinären Einfluss auch innerhalb der Geisteswissenschaften. Überlegungen zur Emotionalität sind in die theoretisch-konzeptionelle Debatte der Geistes-und Sozialwissenschaften und auch der Geographie eingeflossen (Korff 2012) und haben neue Momente empirischer Forschung geprägt. Dies ist Grund genug, kritisch zu beleuchten, welche Paradigmen es in der neurowissenschaftlichen Forschung gibt und welche Konsequenzen im Hinblick auf die Konstitution des Selbst, die Subjektivität des Erlebens, die Ideen des freien Willens und die Seele damit jeweils verbunden sind. Im Speziellen werden wir uns mit Hanna und António Damásio und ihren Erkenntnissen zum Verhältnis von Emotionalität und Rationalität befassen. Beleuchtet wird, welche Rolle die Begegnung 37
Der emotional turn ist in den Literaturwissenschaften, der Medienwissenschaft, der Psychologie sowie der Soziologie außerordentlich erfolgreich. Die Leitfrage ist, was das, was wir wahrnehmen, mit uns macht; nicht minder wichtig ist die Frage, ob und wie man dieses Etwas steuern kann. Innerhalb von fünfzehn Jahren ist eine enorme Anzahl von Publikationen zum Thema erschienen: z. B. Smith: The Felt Meanings of the World (1986); Chodorow: The Power of Feelings (1999); Wollheim: Emotionen: Eine Philosophie der Gefühle (2001); Ahmed: The Cultural Politics of Emotion (2004); Kochinka: Emotionstheorien: Begriffliche Arbeit am Gefühl (2004); Schützeichel: Emotionen und Sozialtheorie (2006); Schwarz-Friesel: Sprache und Emotion (2006); Angerer: Vom Begehren nach dem Affekt (2007).
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zwischen einem ‚Objekt‘ und einem ‚Organismus‘ bei der Entstehung des Bewusstseins spielt und welche Rückschlüsse sich für die Thematisierung des Materiellen in der Geographie ableiten lassen. Angesichts der enormen wissenschaftlichen und öffentlichen Resonanz der Neurowissenschaften und eines auch in der Geographie dämmernden emotional turns werden wir anschließend den Einfluss der Neurowissenschaften kritisch prüfen. Bevor jedoch die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse vorgestellt werden, wird im Folgenden zunächst eine Übersicht über den Stand der Forschung von Emotionalität in der Geographie gegeben. Dabei wird deutlich, dass die dezidierte Auseinandersetzung mit der Rolle von Emotionalität für das Geographie-Machen eine dringende Aufgabe darstellt. Emotionalität und Geographie In ihrer Einleitung zum Sammelband Emotional Geographies beklagen Liz Bondi, Joyce Davidson und Mick Smith die mangelnde Reflexion von Emotionalität in der geographischen Forschung: sowohl hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes als auch der eigenen Tätigkeit als WissenschaftlerInn (Davidson, Bondi & Smith 2007, 1). Sie teilen damit die Kritik vieler angelsächsischer Autoren (Thrift 2004b, 2005; Anderson 2006; Smith et al. 2009), die die verstärkte Einbindung von Emotionalität in die geographische Forschung fordern. Dieser Forderung wurde seitdem in vielfacher Weise nachgekommen. So wurde beispielsweise 2008 die ‚Society for the Study of Emotion, Affect and Space‘ gegründet sowie das Journal Emotion, Space and Society. Ein Multiplikator dieser Forschung ist auch die Konferenzreihe der „Emotional Geographies“. Auch die gestiegene Zahl an Publikationen zeigt, dass im angelsächsischen Kontext verstärkt zu Emotionalität und Geographie geforscht wird (Pile 2011, Bondi 2014, Olson 2015). In der deutschsprachigen Geographie hat Hasse mit Bezug auf die Neue Phänomenologie bereits vor mehr als zehn Jahren die Berücksichtigung von Emotionen gefordert (Hasse 1999, 2003). So wird zum Beispiel „emotionalen Ortsbezügen“ eine zentrale Rolle zuteil – nicht nur in der Werlen’schen „symbolischen Aneignung“ (Werlen 2000, 337), sondern auch in der Sozial- und Neuen Kulturgeographie. Jedwede Heimatgefühle (und deren Mobilisierung durch Stadt- und Regionsmarketing), Prozesse der politischen und normativen Inklusion und Exklusion, Orte der Erinnerung oder Orte der Faszination oder auch Fragen des als ‚moralisch‘ verstandenen Konsums konstituieren sich grundlegend über eine emotionale Ebene. Heiko Schmid thematisiert in seiner Economy of Fascination (2009) explizit ein Gefühl, nämlich das der Faszination, und analysiert dies in einem semiotischen Bezugsrahmen. Las Vegas stellt für ihn beispielsweise eine „emotional experience“ (ebd., 202) dar, bei der man von sozialen Zwängen und Konventionen befreit ist. Diese emotionale Erfahrung wird (trotz der semiotischen Rahmung) als leiblich und multisensual begriffen: „It takes strong stimuli to produce feelings and fascination. Enriched by numerous visual effects, as well as by acoustic stimuli, fragrances and smells, a complete world of experience is generated“ (ebd., 7). Marina Richter untersucht Fragen der Differenz und Zugehörigkeit über die Analyse von Emotionen.
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In Interviews mit (erwachsenen) Kindern spanischer Auswanderer in der Schweiz wird deutlich, dass Erfahrungen immer verkörperte Emotionen sind (2015, 144). Diese sozialräumlich situierten Erfahrungen können im Rahmen einer „corporeal geography“ (ebd.) untersucht werden. Auch um die emotionalen Geographien von Kindern hat sich eine eigene Forschungsrichtung entsponnen (Hadfield-Hill & Horton 2013, Blazek & Windram-Geddes 2013, 3). Auch hier werden Emotionen als maßgebliches Element gelebter Erfahrungen und des Geographie-Machens angesehen und untersucht. Emotionalität als conditio humana ist eine Bedingung des alltäglichen wie wissenschaftlichen Geographie-Machens. Umso dringender erscheint es, die Rolle von Emotionalität anzuerkennen und ihr die theoretische Aufmerksamkeit im Rahmen einer „Geographie des Menschen“ (Helbrecht 2003, 179) zukommen zu lassen. Damit befinden wir uns mitten in der Diskussion um die Frage, inwiefern beobachtete Akteure und WissenschaftlerInnen als rational konzipiert werden können und welche Bedeutung dem sogenannten Irrationalen in der Analyse zukommt bzw. zukommen sollte (Hasse 2006; Lippuner 2005, 90 f.). Wie wir bereits bei Baumgarten gesehen haben, ist Irrationales in der klassischen rationalen Philosophie aus dem Fokus der Wissenschaft gerückt. Oder anders: Müssen wir das geographische Subjekt nun unbedingt auch noch mit Gefühlen ausstatten? Ja, unbedingt. Das Subjekt in den Mittelpunkt sozialgeographischer Theorie zu stellen, erfordert eine differenzierte Auseinandersetzung mit seinen Eigenschaften. Emotionalität stellt, ganz entscheidend, eine solche dar. Eine Sozialgeographie, die, wie hier vorgeschlagen, eine Vertiefung der subjektiven Perspektive anstrebt, sollte folglich Emotionalität als Begründungszusammenhang in die Analyse miteinbeziehen. Emotionalität in den wissenschaftlichen Blick zu nehmen, bedeutet nicht, die wissenschaftliche Analyse emotional zu führen. Es bedeutet, diese conditio humana als integrale Facette alltäglichen Geographie-Machens zu berücksichtigen. Die Ausrichtung der Sozialgeographie auf das Tun der Subjekte, ihr Machen, bezieht auch das intersubjektive, soziale Zusammenleben mit ein. Auch hier gilt es, die emotionale Facette stärker zu beleuchten. Gefühle sind in politische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen eingebunden. Die Annahme emotionsloser Äußerungsformen würde der Lebenswirklichkeit nicht gerecht werden. Die Berücksichtigung von Emotionalität auch in der Geographie ist somit weder eine sentimentale noch eine psychopathologische Angelegenheit, sondern eine Konsequenz aus den erkenntnistheoretischen und den neurowissenschaftlichen Erkenntnissen. Daraus ergibt sich ein Menschenbild, das den Menschen als ein in historisch-gesellschaftliche Zusammenhänge eingebundenes, fühlendes, denkendes, leibliches Ich ausweist. Die ersten Schritte dieses Weges wurden bereits mit der Disqualifizierung des homo oeconomicus als einzig adäquates Menschenbild für die geographische Forschung beschritten: Der Mensch ist keine rein rationale Zweck-MittelRelations-Rechenmaschine. Man braucht nun nicht so weit zu gehen wie Hasse, der das Akteursparadigma als „rationalistische Obsession“ (Hasse 2006) bezeichnet, um Emotionalität als konstitutives Element in das derzeit gängige Menschenbild zu integrieren. Dazu ist nur die Annahme zu verwerfen, Akteure würden ständig plan- und absichtsvoll handeln, wie es etwa mit dem Modell des homo oeconomi-
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cus postuliert wird. Die Fähigkeit zur Intentionalität darf nicht mit der Determiniertheit der Intentionalität verwechselt werden. Wenn Geographie-Machen nicht nur intentionales Handeln beschreibt, sondern auch Erleben, dann könnte dieser bedeutende Teil des menschlichen Erkenntnisvermögens konsequent einbezogen werden. Je mehr Geographien im Sinne von Dilthey als ‚gelebt‘ vorgestellt werden, desto notwendiger wird die grundsätzliche Integration der emotionalen Ebene infragegestellt. Emotionalität ist Teil des Menschen, ist Teil seines Tuns und damit auch Teil seines Geographie-Machens. Die Neurowissenschaften und der emotional turn „Nichts an emotionalen Reaktionen ist verschwommen, geheimnisvoll oder unspezifisch“ (Damásio 2004, 339).
Das Gehirn und seine Leistung stehen im Zentrum wissenschaftlicher Debatten, in denen sich Neurowissenschaften und Geisteswissenschaften bisweilen recht leidenschaftlich begegnen. Die Erkenntnisse der Neurowissenschaften sind längst in den öffentlichen Diskurs und von dort in den Alltag der Menschen eingeflossen. Der entstandene Kult ums Gehirn äußert sich in spielerischen Versuchen, durch ‚Gehirnjogging‘ sein biologisches Alter möglichst nah an jenem eines Abiturienten zu halten, durch ernsthafte Versuche des Gehirndopings seine Leistungen zu maximieren oder mittels der Fähigkeiten eines „Gehirnflüsterers“ (Dutton 2011) sein eigenes Anliegen durchzusetzen. Wenn George Bush und die amerikanische Regierung die 1990er Jahre schon zur „decade of the brain“ (Bush 1990) erklärt haben, dann müsste die Gegenwart wohl als ‚the very decade of the brain‘ bezeichnet oder gleich als das „Jahrhundert der Hirnforschung“ (Könneker 2004, 3) ausgerufen werden. Die zwei Wege der Neurowissenschaften Die zentralen Fragen der neurowissenschaftlichen Forschung drehen sich um das Verhältnis von Physis und Psyche – ausgedrückt im Bewusstsein, den Emotionen, der „Seele“, der Sprache und dem freien Willen. Es können zwei Wege der neurowissenschaftlichen Forschung unterschieden werden: Vertreter des ersten Weges wie Wolf Singer, Gerhard Roth, Francis Crick oder Daniel Dennett sehen den Menschen als „homo cerebralis“ (Hagner 2008) oder „homo neurobiologicus“ (Roth 2003, 560): „Die subjektiv empfundene Freiheit des Wünschens, Planens und Wollens sowie des aktuellen Willenaktes ist eine Illusion“ (ebd., 452). Das Gehirn determiniert die Persönlichkeit, das Handeln und das Erleben eines jeden Menschen. Francis Crick, der zu zeigen vermeint, Was die Seele wirklich ist (1997), formuliert es radikal: „Sie, Ihre Freuden und Leiden, Ihre Erinnerungen, Ihre Ziele, Ihr Sinn für Ihre eigene Identität und Willensfreiheit – bei alledem handelt es sich in Wirklichkeit nur um das Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen und dazugehörigen Molekülen. Lewis Carrols Alice aus dem Wunderland hätte es vielleicht so gesagt: ‚Sie sind nichts weiter als ein Haufen Neurone‘“ (1997, 17).
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Auch Roth scheint, gleichwohl er Cricks Reduktionismus wohl in der Schärfe nicht teilt, ausgemacht zu haben, Wie das Gehirn die Seele macht (so der Titel seines Plenarvortrags im Rahmen der 51. Lindauer Psychotherapiewochen; s. Roth 2001) und bezeichnet Geist, Bewusstsein und Willen als „besondere physikalische Zustände“ (Roth 2003, 562). Die entsprechende Schlussfolgerung lautet, dass es keinen freien Willen geben kann. Daher fordert Singer in einem Artikel: „Wir sollten aufhören, von Freiheit zu reden“, denn: „Keiner kann anders, als er ist“ (Singer 2004, 33). Entsprechend ist es nach Meinung dieser Wissenschaftler möglich, allein mit Blick auf die Hirnaktivitäten das (Er-)Leben eines Menschen vollständig zu erfassen. Die Vertreter des ersten Weges behaupten, dass so etwas wie ein subjektives Selbst nicht existiert. Dem Selbst fehlt zur Anerkennung ein neuronales Echo. Was nicht gemessen und quantifiziert werden kann, existiert nicht, so die positivistische Argumentation. Entsprechend wird mit dem Nachweis der Nichtexistenz eines exklusiv für Wissen, Erkenntnis und Sein zuständigen Bereichs im Gehirn (der Idee des Homunkulus) auch die Idee eines Selbst an sich in Frage gestellt (Damásio 1997, 138 f.; 2004, 230 f.). Richtungsweisend für den zweiten Weg sind die Arbeiten der Neurobiologen António und Hanna Damásio, Gründer des einflussreichen Brain and Creativity Institute in Los Angeles.38 Anders als ihre Kollegen gehen sie davon aus, dass ein subjektives Selbst existiert, das nicht ausschließlich auf physikalische Hirnprozesse zurückgeführt werden kann. Es wird eine Black Box – oder eine „Erklärungslücke“, wie es Damásio (2004, 21) selbst bezeichnet – zwischen messbarer neuronaler Aktivität, subjektivem Sein und subjektivem Erleben eingeräumt. Diese Black Box betrifft sowohl die Subjektivität des Erlebens als auch die Subjektivität des eigenen Selbst (Schlicht 2008, 337). Mit anderen Worten: Eine Messung von Hirnströmen durch einen Forscher, also aus einer 3.-Person-Perspektive, kann nicht identisch sein mit der Subjektivität einer 1.-Person-Perspektive (ebd., 338). António Damásio führt zur Veranschaulichung die Metapher des „Film[s]-imGehirn“ (2004, 20) an. Vertreter des ersten wie des zweiten Weges interessieren sich für das Auftauchen, die Art und das Zusammenspiel neuronaler Muster, also dafür, wie der Film entsteht, wer mitspielt und worum es in ihm geht. Die Inhalte des Films sind die Qualia, „die Vorstellungen von einem Objekt“ (ebd.). Unter Objekt versteht man so Verschiedenes, wie „einen Menschen, einen Ort, eine Melodie, einen Zahnschmerz, einen Zustand der Glücksseligkeit“ (ebd.). Es macht also keinen Unterschied, wie etwas beschaffen ist, wichtig ist allein die Erregung der Synapsen und die neuronale Aktivität, die das Gehirn erfasst.39 Unter Vorstellung wird das durch sie erzeugte „mentale Muster“ verstanden (ebd., 381). Dieses Muster wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst: von der sinnlichen Verfasstheit des Ob38
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Wenn auf Damásios Forschung verwiesen wird, muss ausdrücklich betont werden, dass diese in Zusammenarbeit mit seiner Frau Hanna Damásio entstanden ist. Da die Publikationen allein unter António Damásios Namen veröffentlicht wurden, verwende ich im Verweis auf die Literatur den Singular – wohl wissend, dass diese ohne die gemeinsame Arbeit nicht entstanden wäre. Das erinnert an Diltheys ‚Satz der Phänomenalität‘, nach dem alles als Bewusstseinstatsache gegeben ist.
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jekts (Wie hört/fühlt etc. es sich an?), der entgegengebrachten Wertschätzung (Abneigung, Wertschätzung, Bedrohung etc.) und der Verbindung dieses Objektes zu anderen neuronal repräsentierten Objekten (erinnerte Ähnlichkeiten etc.) (ebd., 20). Die Erzeugung von Vorstellungen geschieht im Erleben. Erleben ist also nicht auf Subjekt- oder Objektqualitäten reduzierbar, sondern besteht in der Interaktion zwischen Wahrnehmenden/Denkenden/Erinnernden und Wahrgenommenem/Gedachtem/Erinnertem. Der Kognitionsphilosoph Tobias Schlicht sieht die Erlebensqualitäten ebenfalls nicht durch Eigenschaften des Objekts determiniert, sondern betont, dass sie sich erst im vollziehenden Erleben entfalten: „Qualia sind keine frei flottierenden Entitäten, sondern Merkmale der bewussten Erfahrung eines Erlebnissubjekts“ (Schlicht 2008, 339). Die Bedeutung der ‚Innenperspektive‘ Hier nun ist erkennbar, dass es nicht reicht, Aufbau und Inhalt des Films zu verstehen, sondern dass die Fragen weiter gehen müssen: Es ist danach zu fragen, wer sich diesen ‚Film-im-Gehirn‘ eigentlich anschaut und wie er/sie ihn erlebt. Es sind die Fragen nach der Subjektivität des Erlebens und der Subjektivität des Selbst – genau diejenigen also, die von den Vertretern des ersten Weges als irrelevant eingestuft werden. Für Damásio jedoch sind sie zentral. Es mache sehr wohl einen Unterschied, ob zur Erklärung meines Erlebens meine Neuronensalven von einem MRT aufgezeichnet und von einem Forscher interpretiert werden oder ob ICH es bin, der dies fühlt, der diese Gefühle als seine eigenen begreift und der sich in dieser Erfahrung als fühlendes Selbst erkennt und artikuliert. So hebt auch Das Manifest – eine aufgrund ihres stellenweise absoluten Tones (z. B. durch Fuchs 2006, 4) kritisierte Aktionsschrift einer Gruppe NeurowissenschaftlerInnen zur Bedeutung ihrer Disziplin – selbstkritisch hervor, dass „[s]elbst wenn wir irgendwann einmal sämtliche neuronalen Vorgänge aufgeklärt haben sollten, die dem Mitgefühl beim Menschen, seinem Verliebtsein oder seiner moralischen Verantwortung zu Grunde liegen, so bleibt die Eigenständigkeit dieser ‚Innenperspektive‘ dennoch erhalten. Denn auch eine Fuge von Bach verliert nichts von ihrer Faszination, wenn man genau verstanden hat, wie sie aufgebaut ist“ (Elger et al. 2004, 37).
Die Bedeutung dieser ‚Innenperspektive‘ ist es, die die Damásios untersuchen. Ihre Erkenntnisse ziehen Hanna und António Damásio aus der Diagnose historischer und aktueller Krankheitsfälle. Allen Fällen gemein ist eine funktionelle neurologische Störung der Patienten, die sich in einer wesentlichen Beeinträchtigung des Sozialverhaltens und der Entscheidungsfindung sowie einer generellen Gefühlsarmut äußert. Bei gleichzeitig intakter Motorik, Sprache, Gedächtnis, Aufmerksamkeit und (logischer) Intelligenz waren und sind die Patienten dennoch nicht in der Lage, ein selbstbestimmtes Leben zu führen (Damásio 1997: die Fallbeispiele Phineas P. Gage 25–63 und Elliot 64–85). Damásio fand heraus, dass die unfall- bzw. krankheitsbedingte Schädigung des präfrontalen Cortex die Ursache für mangelnde Emotionalität ist. Entgegen der allgemeinen Annahme, dass nur ein Zuviel an Emotionen das Denken stören würde, kann Damásio zeigen, dass es gerade ein Zuwenig ist, das die Defizite im rationalen Handeln der Patienten verursachte (ebd., 86). Die
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Untersuchungen führen zu der These, dass Emotionalität eine integrale Kategorie des menschlichen Daseins ist und nicht etwas Zusätzliches oder Optionales, das zum Denken hinzukommt: „Subjectivity and the ability to feel are interdependent. On the one hand, feeling is not possible without subjectivity, without a subject of feeling. On the other, a subject, a lived self, exists for itself only as an ongoing feeling“ (Rudrauf & Damásio 2006, 423, eig. Hervhbg.). Indem sie dies behaupten, kann ihre Arbeit nicht auf das Gehirn begrenzt bleiben. Sie muss den ganzen Körper miteinbeziehen, denn Emotionen sind (auch) körperlich. Damásio geht sogar so weit, eine Hierarchisierung vorzunehmen, in der das Gehirn „das aufmerksame Publikum des Körpers“ (Damásio 1997, 219) darstellt. Emotionen sind durch chemische und neurologische Erregung erzeugte Körperzustandsänderungen (Herzrasen, Muskelkontraktionen im Gesicht, trockener Mund, Erweiterung oder Verengung der Blutgefäße, Rötung/Erblassen der Haut; vgl. ebd., 188). Viel zu oft, so Damásios Kritik, werde in neurowissenschaftlicher Berufsblindheit vergessen, dass Menschen eben nicht wandelnde Gehirne seien, sondern Organismen, die eine „Hirn-Körper-Partnerschaft“ (ebd., 130) darstellen und nur als solche mit der Umwelt in Interaktion treten. Niemand kann nur als Hirn oder nur als Körper agieren (vgl. ebd., 132 ff.).40 Das sei schon durch die komplexen biochemischen und neuronalen Verbindungen zwischen den ‚Partnern‘ nicht möglich (ebd., 129). Konsequenterweise will António Damásio mit seinem Buch, wie bereits im Titel: Descartes’ Irrtum – Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn angedeutet, die Postulate René Descartes’ widerlegen, die eine Trennung von Körper und Geist vorsehen (siehe Kap. 2.2). Er führt aus, „dass die Vernunft möglicherweise nicht so rein ist, wie die meisten Menschen denken oder wünschen, dass Gefühle und Empfindungen vielleicht keine Eindringlinge im Reich der Vernunft sind, sondern, zu unserem Nach- und Vorteil, in ihre Netze verflochten sein könnten“ (Damásio 1997, 12). Der deutsche Titel von Damásios 200041 erschienenem Buch klingt ebenfalls wie eine korrigierende Erwiderung auf Descartes’ bekannte Kurzformel: Ich fühle, also bin ich (mit dem effekthascherischen deutschen Untertitel: Die Entschlüsselung des Bewusstseins; im englischen Original lautet der komplette Titel wesentlich unprätentiöser und gleichzeitig genauer: Body and Emotion in the Making of Consciousness). Emotionen und Gefühle Unter Emotionalität werden in Damásios Sinne drei Sachverhalte thematisiert: eine Emotion, das Fühlen einer Emotion und das Erkennen, dass ich diese Emotion fühle. Emotionen bezeichnen physiologische Körperzustandsänderungen (Erregungszustände). Die Bündelung chemischer und neuronaler Prozesse ist, evolutionär gesehen, ein wirkungsvolles Instrument der Entscheidungsfindung. Zentral an der Emotion ist, dass man reagiert, ohne zu denken. Emotionen gehen dem be40 41
Zumindest nicht in einem selbstbestimmten Leben. Hier in der 5. Auflage von 2004 verwendet.
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wussten Denken zeitlich voraus, „[u]nd da das, was zuerst da ist, ein Bezugssystem für das liefert, was danach kommt, bestimmen Empfindungen nicht unwesentlich, wie der Rest des Gehirns und die Kognition ihre Aufgaben wahrnehmen“ (Damásio 1997, 219). Dies sichert, evolutionär gesehen, das Überleben. Emotionen sind spontan und angeboren. Sie bewirken eine automatische Reaktion, über die man nur begrenzt Kontrolle hat. So kann man wohl in seiner Gestik und Mimik die Emotion unterdrücken, die durch die Emotion ausgelöste hormonelle Änderung oder die Zu- bzw. Abnahme der Pulsfrequenz lässt sich jedoch nicht steuern. Wer beim Überqueren einer Straße plötzlich ein Auto auf sich zurasen sieht und Herzflattern und Adrenalinschübe bekommt, hätte demnach eine Emotion in Damásios Sinne. Die unbewusst ablaufenden chemisch-biologischen Reaktionen dienen der Lebenserhaltung des Organismus. Das Fühlen dieser Emotion, genauer: das Gewahrwerden der Körperzustandsänderungen, bezeichnet Damásio als Gefühle. Die Repräsentationen der Erregungszustände liegen im Hirn in Form neuronaler Muster vor. Diese wiederum werden von anderen Hirnzentren interpretiert, so dass ein neuronales Muster zweiter Ordnung entsteht, das wiederum auf den Körper zurückwirkt – und das Damásio ein Gefühl nennt. Gefühle entstehen, wie es Damásio ausdrückt, aus „ständiger Zeugenschaft“ (ebd., 200; Damásio 2004, 339) meines Körpers, gepaart mit den Gedanken, die mir durch den Kopf gehen.42 So lernt der Mensch im Laufe seiner Entwicklung beispielsweise, den Körperzustand, der mit der reflexartigen Flucht vor einer Gefahr verbunden ist, als ein bewusstes Gefühl, als Angst, wahrzunehmen. Während Emotionen angeboren sind und ein von außen beobachtbares körperliches Verhalten produzieren, beruhen Gefühle auf Erfahrungen. Gefühle umschließen auch die Erkenntnis, dass ich es bin, der fühlt. Hier kommen Denkprozesse, Wissen und Logik zum Tragen. Gefühle beruhen auf der Erfahrung von sozialen Spielregeln und erlauben eine willentlich konstruierte Antwort, die sich von der emotionalen Reaktion unterscheiden kann. Nicht in jeder Situation, die uns Angst macht, nehmen wir Reißaus. Damit wird klar, dass Gefühle zwar an Körperlichkeit gebunden, keinesfalls aber darauf beschränkt sind. Gefühle sind immer auch kognitiv. Gefühle sind, kurz gesagt, die von mir als meine eigenen erkannten, kombinierten körperlichen und kognitiven Zustandsänderungen. Die körperlichen Änderungen sind chemischer (Blutkreislauf), neuronaler (Nervenbahn) und muskulärer (Muskelkontraktionen) Art. Die kognitiven Veränderungen (Ausschüttung von Neuromodulatoren) bewirken 1. das Auslösen bestimmter Verhaltensweisen (z. B. Fürsorge), 2. eine veränderte Wahrnehmung des Körpers (z. B. überbetonte unangenehme Wahrnehmung des eigenen Herzschlags) und 3. eine veränderte kognitive Verarbeitung (z. B. Freude/Hochstimmung) (Damásio 2004, 338). Kritiker aus dem nicht neurowissenschaftlichen Feld der Philosophie werfen Damásio vor, die Intentionalität von Emotionen unberücksichtigt zu lassen: Er vergesse, dass Emotionen auf etwas gerichtet sind – eine Person, eine Situation oder ein Objekt (Schlicht 2008, 351). Damásio postuliere, dass sich ein Gefühl beim Regis42
Eine Ausnahme stellen hierbei emotionale Als-ob-Reaktionen dar, bei denen im Hirn eine Veränderung des Körpers angezeigt wird, ohne dass sich dieser tatsächlich verändert (Damásio 1997, 214 f.; 2004, 337 f.).
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trieren einer bestimmten emotionalen Körperzustandsveränderung einstelle. Das impliziere eine falsche Gerichtetheit (Schlicht 2008, 351): Wir freuen uns nicht über die physiologischen Prozesse in uns, sondern über etwas Bestimmtes in unserer Wahrnehmung oder Erinnerung. Wir freuen uns nicht, weil wir registrieren, dass unser Herz schneller schlägt, sich unsere Gesichtszüge zu einem Lächeln formen und sich unser Zwerchfell für einen herzhaften Lacher anspannt, sondern weil wir unsere Aufmerksamkeit auf ein kleines Kind gerichtet haben, das gerade dabei ist, erste Laufversuche auf seinen noch sehr wackligen Beinen zu unternehmen. Diese Intentionalität deutet Damásio, der sich offensichtlich der Bedeutung von ‚Intentionalität‘ für Philosophen bewusst ist (Damásio 2004, 229 f.), an anderer Stelle an, wenn er davon spricht, dass Bestandteil einer jedes Gefühls auch eine „kognitive Bewertung der Inhalte des Ereignisses“ (Damásio 1997, 189, auch: 193) ist. An anderer Stelle benennt Damásio (2004, 339) die „Inanspruchnahme des Organismus durch einen Emotionsauslöser“ als den ersten Schritt „von der Emotion zum bewussten Gefühl“ (ebd.). Diese Aussagen lassen sich als Indiz dafür nehmen, dass Damásio nicht auf die neuronalen und physiologischen Vorgänge beschränkt bleibt, sondern auch eine Lebenswelt annimmt, auf die sich die Wahrnehmung richtet. Begegnungen Gefühle wirken an der Entstehung des Bewusstseins mit. Bewusstsein ist, nach Damásio, ein Prozess des Erkennens (man müsste genauer von einem beständigen Bewusstwerden sprechen), in dem wir uns als Selbst finden (Damásio 2004, 204), d. h. uns als individuelle Existenz, als Besitzer eigener Gedanken, Gefühle, eines eigenen Körper begreifen. Ich bin mir ebenso bewusst, dass ich es bin, die ich diese Zeilen schreibe, wie Sie sich bewusst sind, dass Sie und kein anderer es sind, der sie liest. (Kern-)Bewusstsein43 entwickelt sich aus der Begegnung zwischen ‚Objekt‘ und ‚Organismus‘. ‚Objekt‘ ist, wie wir bereits gesehen haben, nicht misszuverstehen als ausschließlich konkret und materiell. Damásio bezeichnet mit ‚Objekt‘ so Diverses wie Schmerzen (im Körper), Gesichter (aus der Erinnerung) oder Landschaften (in der Außenwelt) (ebd., 204). Als ‚Organismus‘ bezeichnet Damásio den als Hirn-Körper-Partnerschaft vorgestellten Menschen (ebd.). Über die Begegnung von ‚Organismus‘ und ‚Objekt‘ wird im Gehirn eine „Erzählung“ (ebd.) angefertigt. Diese Erzählung besteht aus a) dem Zustand des Organismus vor der Begegnung, b) dem Auftauchen des Objekts und c) dem durch die Begegnung veränderten Zustand des Organismus (ebd.). Die Erzählung ist innerlich vorgestellt und nichtsprachlich dargeboten (ebd.). Sie umfasst die multisensuale Wahrnehmung (Geruch, Klang, Farbe etc.) als auch unsere eigenen körperlichen und kognitiven Zustandsänderungen. Beides wird beim Erinnern wieder abgerufen (ebd., 222). Bewusstsein entsteht, so Damásio, in dem Moment, in dem die Erzählung über die Begegnung neuronal repräsentiert ist, wenn das Gehirn also die Entwicklung dieses Wechselspiels zwischen Kopf und Körper dokumentiert und beginnt, „eine 43
Damásio unterscheidet verschiedene Bewusstseinsstufen (Kernbewusstsein und erweitertes Bewusstsein) (Damásio 1997, 371) und verschiedene Stufen des Selbst (Proto-Selbst, Kernselbst, autobiographisches Selbst) (ebd., 28 ff.).
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Geschichte ohne Worte“ (ebd., 46) zu erzählen.44 Oder mit anderen Worten: Wenn ich registriere, dass und wie sich mein Organismus infolge der Begegnung mit einem Objekt oder besser mit den Vorstellungen eines Objektes verändert, dann schält sich ein Gefühl der subjektiven Perspektive des Erlebens, der Urheberschaft des Denkens und des eigenen Handlungssinns heraus (ebd., 222). Damit klärt sich die Frage, wer den Film im Gehirn anschaut: das sich in dieser Begegnung konstituierende Selbst, das durch biographische Kontinuität das Erlebte immer wieder auf ein bestehendes Selbst beziehen kann. Das Selbst wird durch diesen Prozess erst geboren. Bewusstsein ist nicht etwas, was sich in einer Hirnregion kartieren lässt, sondern etwas, das im Vollzug der Begegnung, im Vollzug des Erlebens geschieht. Materialität und Erleben Diese Idee der Begegnung zwischen Objekt und Organismus hat wichtige Konsequenzen für Überlegungen zur Rolle des Materiellen in der sozialgeographischen Theorie. Denn sie besagt, dass es nicht ein (diesmal als konkret und materiell verstandenes) Objekt allein vermag, Gefühle in den Menschen auszulösen, sondern dass dies erst in der Begegnung zwischen Organismus und Objekt geschieht. Damit es überhaupt zu einer Begegnung kommen kann, müssen auf beiden Seiten gewisse Bedingungen erfüllt sein. Ganz wesentlich muss die Aufmerksamkeit des Menschen auf ein Objekt gerichtet sein. Damásio spricht von „fokussierter Aufmerksamkeit“ (Damásio 2004, 221, Hervrhbg. i. Orig.).45 Das bedeutet nun nicht ein Anstarren der Dinge, wohl aber ein Hinsehen oder Hinhören, kurz: ein gerichtetes sinnliches Hinwenden. Ein Ding kann durch materiale Aspekte der Objekte auffallen. Doch weder Sinneseindrücke noch Wahrnehmung oder Erleben werden allein durch das Objekt bestimmt. Es ist das Zusammenspiel von Sinneseindrücken und innerer Wahrnehmung oder, mit Baumgarten gesprochen, von sensus internus und sensus externus (ME, § 536), das die Erlebensqualitäten bestimmt. Wenn der Mensch keine(n) Sinn(e) dafür (frei) hat und seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes richtet, findet ein anderes Erleben statt: Eile ich als Notarzt in eine Kirche, werde ich nicht beim Betreten des Gebäudes von der Erhabenheit der Architektur übermannt, sondern konzentriere mich auf den Menschen, der meine Hilfe benötigt. Materiale Aspekte können jedoch bewusst gewählt und mit dem Ziel eingesetzt werden, ein bestimmtes Erleben nahezulegen. Die Hinwendung zum Gestalten von Erleben und zum Erleben-Wollen ist laut Schulzes (1992) Diagnose ein Symptom der „Erlebnisgesellschaft“. Erleben, und nicht Überleben ist das Kennzeichen der zeitgenössischen Gesellschaft (ebd., 55). Mit diesem Wandel zur „Innenorientierung“ (ebd., 32 ff.) wird das Anregen subjektiv ‚schönen‘ Erlebens zu einem primären Ziel des Lebens. Die Maxime lautet: „Erlebe dein Leben“ (ebd., 33). Konsequenz ist die Ausdifferenzierung unterschiedlicher Erlebnismilieus und ein stark wachsender Erlebnismarkt sowie die Herausbildung eines Erlebnisdienstleistungssektors. In 44 45
Damásio (2004, 51) spricht von bewusst gefühlten Gefühlen; Gefühle können aber auch unbewusst bleiben. Waldenfels (2004, 68) geht einen Schritt weiter und spricht vom Zusammenspiel aus ‚Aufmerken‘ und ‚Auffallen‘: Ein Ding fällt auf, ein Mensch merkt auf.
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diesem Kontext sieht Lehnert (2011, 12) auch das Entstehen von „Erlebnisräumen“, die durch die bewusste und strategische Ausstattung mit Gefühlsqualitäten hergestellt werden. Dies trifft auf das Museum ebenso zu wie auf Shoppingcenter oder ganze Städte wie Las Vegas oder Kitzbühel (ebd., 9). Diese raum- und situationsbezogenen Gefühle werden in der Neuen Phänomenologie, der Philosophie und der Sozial- und Neuen Kulturgeographie unter dem Begriff der ‚Atmosphäre‘ verhandelt (Schmitz 1992, 141; Böhme 1995; Hasse 2002a, 2002b, 2008; Kazig 2007, 2008; Busch 2013). Ohne an dieser Stelle eine ausführliche Erörterung des Begriffs und seiner unterschiedlichen Konzeptualisierungen leisten zu wollen (siehe hierfür Busch 2013), kann als gemeinsamer Nenner aller Näherungen festgehalten werden, dass Atmosphären ein Ergebnis der Begegnung von Organismus und Objekt sind. Atmosphären stellen Erlebens-, keine Objektqualitäten dar. Daher kann die Bezeichnung des material turn in der Geographie irreführen, insofern dieser Begriff dahingehend missinterpretiert werden kann, dass Atmosphären als Ergebnis des Einflusses von Materialitäten verstanden werden. Treffender wäre es, das Erlebnis zu fokussieren, das sich in der Begegnung vollzieht, z. B. als experiental turn. Atmosphären sind keine Eigenschaften des Raumes, sondern entfalten sich im Vollzug der Begegnung. So macht es nur Sinn, materielle Aspekte etwa im Rahmen der geographischen Stadtforschung bei der Analyse städtischer Erlebnisräume oder Konsumarchitekturen miteinzubeziehen, wenn neben der Objekt- gleichzeitig auch die Erlebensseite einbezogen wird. Kritische Anmerkungen zur Bedeutung der Neurowissenschaften Wenn sich die Geographie nun im Rahmen des emotional turn auf die Neurowissenschaften beruft, sollte dies überlegt und selektiv geschehen und nicht mit einem einfachen Fingerzeig. Die ungeheure Resonanz, auf die die Neurowissenschaften derzeit in der Wissenschaft und im öffentlichen Diskurs stoßen, hat nicht minder große Kritiken ausgelöst. Dabei wird nicht der emotional turn als solcher in Frage gestellt, sondern die allzu euphorische Hingabe an neurowissenschaftliche Forschungsergebnisse unter Preisgabe alternativer Erkenntniswege (vgl. Sturma 2006, 9 ff.; Angerer 2007, 37; Fuchs 2006). Einleitend zu diesem Kapitel wurde von den zwei Wegen gesprochen, auf denen Hirnforscher wandeln: Die einen erklären den Menschen allein aus seinen Hirnaktivitäten, die anderen räumen Black Boxes hinsichtlich der Subjektivität des Erlebens und des Selbst ein. Wenngleich sich neurowissenschaftliche Forschung nicht einfach in diese beiden Lager aufspalten lässt (oftmals treffen, kreuzen oder verzweigen sich die Wege untereinander), so kennzeichnen sie doch die wesentlichen derzeitigen Paradigmen der Neurowissenschaften. Während Vertreter des ersten Weges wie Wolf Singer das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen bekommen, werden die Werke António Damásios, eines Vertreters des zweiten Weges, in über 30 Sprachen übersetzt. Für den Einbezug neurowissenschaftlicher Erkenntnisse in die geographische Debatte ist es unverzichtbar zu kennzeichnen, welchem neurowissenschaftlichen Weg man zu folgen bereit ist. Zur Entscheidungsfindung ist es hilfreich, sich die
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weiteren Implikationen der jeweiligen Argumentationswege vor Augen zu führen. Eine Sozialgeographie, die die Praxis der Subjekte, ihr Handeln, ihr Erleben, ihre Emotionalität fokussiert, hat ja gerade ‚Subjektivität‘ als eine ihrer Grundannahmen – jenes Konzept also, das auch bei den Neurowissenschaften zur Diskussion steht. Während auf der einen Seite WissenschaftlerInnen wie Damásio Subjektivität als etwas verstehen, das in der Begegnung, im Werden des Bewusstseins entsteht und durch neurowissenschaftliche Erklärungsansätze nicht abschließend erfasst werden kann, wird letztere auf der anderen Seite von WissenschaftlerInnen wie Roth oder Singer doch behauptet. Thomas Fuchs, Psychiater und Psychotherapeut, führt in seinem Aufsatz „Neuromythologien. Mutmaßungen über die Bewegkräfte der Hirnforschung“ (2006) vorwiegend letztgenannte Vertreter an, die aufgrund der fehlenden neurowissenschaftlichen Belegbarkeit von der Nichtexistenz des Selbst oder des freien Willens überzeugt sind. Seine Kritik richtet sich vor allem gegen jene NeurowissenschaftlerInnen, die vermeinen, den menschlichen Geist ‚entschlüsselt‘ zu haben. Im Gestus des Entzaubern-Wollens reduzieren sie Sein, Seele, Freiheit oder Wille auf eine quantifizierbare neurologisch-materielle Grundlage (Fuchs 2006, 3, 16). Derart ermächtigt, „nimmt das Gehirn nicht nur die Stelle des Subjekts, sondern letztlich die Leerstelle Gottes ein“ (ebd., 17). Damit wird das Hirn zum einzigen Stellvertreter des menschlichen wie göttlichen Ganzen.46 Mit dem Außerkraftsetzen ideeller Konzepte geht eine Disqualifikation all jener Wissenschaftsbereiche einher, die sich bisher auf ihre Art mit diesen Konzepten beschäftigt haben (u. a. Psychologie, Philosophie, Religion, Soziologie). Es geht mit anderen Worten um Deutungsmacht (ebd., 6, 16). Die Inthronisation des Hirns zur alleinigen Begründungsinstanz macht die Hirnforscher zu den Einzigen, die sagen können, wie der Mensch ‚wirklich‘ ist. Würde dies gelten, bestünde für die anderen Wissenschaften nur ein Weg, ihre Existenz zu legitimieren: Sie müssten ihre Paradigmen fortan exklusiv aus den Neurowissenschaften beziehen. Mit der Vorsilbe ‚Neuro-‘ versehen, würden sie auf (vermeintlich richtige) neurowissenschaftliche Fundamente gestellt. Es ist zu vermuten, dass sich die wenigsten Geographen wie auch Geistes-, Sozial- und KulturwissenschaftlerInnen mit der Reduktion ihres Fachbereiches auf Hirnströme abfinden würden; die mit viel Engagement geführten Debatten sind Zeugen des Widerstandes (u. a. in den Sammelbänden mit den Titeln Philosophie und Neurowissenschaften, herausgegeben von Sturma 2006, und Neurowissenschaften und Philosophie, einmal herausgegeben von Pauen und Roth 2001 und mit gleichem Titel von Bennett et al. 2010). 46
Zur Problematik der Idee von ‚Ganzheitlichkeit‘ siehe Kap 2.1. Ein weiteres Motiv, das die Hirnforschung antreibt, so Fuchs, betrifft ihre Verwertung, genauer: die Kontrolle des Menschen. Wenn alle neuronalen Verschaltungen ‚entschlüsselt‘ sind, kann auf das Hirn und damit auf den Menschen nach Belieben Einfluss genommen werden (Fuchs 2006, 11). Fuchs spricht analog zum genetic engineering vom brain engineering. Neben therapeutischen Anwendungsfeldern, werden hier militärische Interessen deutlich (ebd., 12; Angerer 2007, 83). Damit wäre der Weg frei in eine von Fuchs heraufbeschworene dystopische Zukunft, in der ein unbedingtes, restloses Ausleuchten des Menschen, ein „Gedankenlesen“ (Fuchs 2006, 10) möglich ist. Zusätzlich enthebt der Rückbezug auf ein „Ich kann nicht anders, ich bin so verschaltet“, wie es Roth (2003) und Singer (2004) postulieren, der ethisch-moralischen Verantwortung für das eigene Tun.
Emotionalität
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Roth selbst distanziert sich zwar von einem allzu simplen reduktionistischen Physikalismus, räumt aber ein, dass selbst der, u. a. von ihm vertretene, nicht reduktionistische Physikalismus vielen GeisteswissenschaftlerInnen als grobe Reduzierung des Menschen vorkommen muss (Roth 2003, 562). Auch Singer weiß um die Vorbehalte gegen die neurowissenschaftliche Forschung. So wirft man ihr vor, „sie banalisiere unser Menschenbild, zerstöre metaphysische Dimensionen und degradiere Tier und Mensch zu Maschinen unterschiedlicher Komplexität. Sie erzeuge eine Weltsicht, in der für Freiheit, Intentionalität, Moral und Religion kein Platz mehr sei“ (Singer 2009, 84). Angesichts dieser Bedenken schlägt Roth (2003, 562) vor, Brücken zwischen den Wissenschaften zu schlagen. Gleichberechtigte Ebenen scheint diese Brücke aber nicht zu verbinden, wenn Roth auf die Frage, ob der Mensch ein im Grunde soziales oder neurobiologisches Wesen sei, doch eine klare Antwort gibt: „Die gesellschaftliche Natur des Menschen ergibt sich aus seiner biologischen Natur und nicht umgekehrt“ (ebd., 555). Die sozialgeographische Einsicht in die Komplexität der subjektiven Perspektive schließt eine solche monokausale Ableitung von ‚Subjektivität‘ aus. Den Menschen nur aus seiner Biologie verstehen zu wollen, negiert die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis. Oder mit anderen Worten: Subjektivität, so die These, ist mehr als die Summe neuronaler Aktivitäten; sie ist vielmehr der ständig werdende und vergehende Moment des Selbst-Bewusstseins, der von einer Fülle von Faktoren wie der sozialen, geistigen und körperlichen Verfasstheit der Subjekte beeinflusst wird. Das soll nicht heißen, dass nicht all diese Dinge in irgendeiner Form ein neuronales Echo haben und dieses gemessen werden könnte, aber es ist nicht dieses Echo, was für die sozialgeographische Forschung bedeutsam ist, sondern das Subjekt, für das diese Dinge bedeutsam werden, das sich in der Begegnung mit ihnen konstituiert. Das in der Auseinandersetzung gewordene Selbst ist Protagonist der sozialgeographischen Theorie. Zu fragen ist dann, nach den in diesen Auseinandersetzungen zum Ausruck kommenden bzw. sich konstituierenden „gesellschaftliche[n] Raumverhältnisse[n]“ (Werlen 2013, 3). Viel eher als für eine Vormachtstellung der Neurowissenschaft, kann daher für einen Austausch mit NeurowissenschaftlerInnen plädiert werden. Ein gleichberechtigter Dialog unter autonomen, selbstbewussten WissenschaftlerInnen birgt das Potenzial der Einsichtnahme in die Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen menschlichen Daseins und seiner wissenschaftlichen Erfassbarkeit. In diesem Sinne gibt es bereits erste fruchtbare Begegnungen zwischen Neurowissenschaften und Geisteswissenschaften auf Augenhöhe. Für die Zusammenarbeit von „Neuroscience and the Humanities“47 haben in den letzten Jahren Vertreter beider Richtungen das Gespräch und gemeinsame Forschungsthemen gesucht. Eine konkrete Form hat die Kooperation z. B. im Exzellenzcluster „Languages of Emotion“48 erhalten. Hier wird Emotionalität unter Berücksichtigung von u. a. Ethnologie der Emotion, Soziologie der Emotion, Philosophie der Emotion, Emotionspsychologie und affektive Neuro47 48
Titel eines Podiumsgesprächs am 12.11.2011 in Berlin, das die Zusammenarbeit der Wissenschaften reflektierte; vgl. ww.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/geschaeftsstelle/dfg_praesenz_ ausland/nordamerika/flyer_neuroscience_humanities.pdf [Zugriff am 10.11.11]. Initiiert von der Freien Universität Berlin (www.languages-of-emotion.de).
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wissenschaften zum wirklich transdisziplinären Themenfeld (ebd.). Die Basis der Behandlung von Emotionalität darf, so lautet die Botschaft dieses Clusters, nicht allein auf den Erkenntnissen der Neurowissenschaften gründen. Es gilt offenzubleiben für andere, z. B. psychoanalytische oder phänomenologische Konzeptionen von Emotionalität. 3.3 Multisensualität Die Rolle der Multisensualität stark zu machen, kann (auch) als eine kritische Reaktion auf die (Über-)Betonung des Diskursiven infolge des linguistic turn verstanden werden. Mit dieser Kritik geht die Inblicknahme von multisensualen Ein- und Ausdrucksmöglichkeiten einher, von Fragen nach dem Wie, von Darstellungsarten jenseits des Textes. Diese „sensual revolution“ (Howes 2005, 1) jedoch nur als bloße Gegenbewegung der unmittelbaren Gegenwart zu sehen, würde, wie schon mit Blick auf den Mitte des 18. Jahrhunderts lebenden Baumgarten oder auf Simmels Abhandlungen im beginnenden 20. Jahrhundert deutlich wird, bedeutende Werke der Sinnesforschung ausblenden: etwa Merleau-Pontys Phänomenologie der Wahrnehmung (1966), in der die Wahrnehmung des gelebten Körpers als Grundlage unseres Weltverständnisses angenommen wird, Helmut Plessners Anthropologie der Sinne (Ersterscheinung 1945), der nach der Verbindung von Körper, sinnlichem Erscheinen und geistigem Sinneseindruck fragt, oder die auf Hermann Schmitz gründende Neue Phänomenologie (10 Bände: System der Philosophie 1964–1980)49, die das ‚leibhaftige Spüren‘ in den Mittelpunkt stellt. Inhalt des folgenden Kapitels soll es nicht sein, diese Klassiker zu rekapitulieren (die in der erkenntnistheoretischen Grundlegung herangezogenen Zeugen sollen für den Moment genügen). Vielmehr soll ein kursorischer Überblick über die verschiedenen um die einzelnen Sinne entstandenen Forschungsrichtungen gegeben und dadurch aufgezeigt werden, ob bzw. wie diese in der Geographie thematisiert werden. Dabei soll eines deutlich werden: Die Geographie ist auf dem Weg zu einer multisensualen Disziplin, einer „sensuous geography“ (Rodaway 1994), oder anders gesagt: zu einer im wahrsten Sinne des Wortes sinn-vollen Disziplin. Je nach Sinn finden wir hier etablierte (Sehen, Hören) wie experimentelle Forschungsfelder (Schmecken, Riechen, Tasten) vor. Die Bemühungen, die Sinn(en)haftigkeit des menschlichen Daseins in die geographische Forschung einzubeziehen, neue theoretische wie empirische Wege zu gehen und neue ‚Handwerkstechniken‘ zu lernen, sind unübersehbar.50
49 50
Zwischen 1964 und 1980 erschien Schmitz’ zehnbändiges Werk zum System der Philosophie. Wie es leitmotivisch etwa das Anliegen des Workshops „Experimenting with geography: See, hear, make and do“ an der Edinburgh University vom 3. bis 7. Mai 2010 war.
Multisensualität
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Humangeographische Ansätze zur Multisensualität Multisensualität in der sozialgeographischen Theorie zu thematisieren, ist auch hier nicht allein ein zeitgenössisches Unterfangen, sondern reicht zurück bis zum Beginn des letzten Jahrhunderts. Ab etwa 1900 wird die Geographie zur Landschaftskunde. Damit bildet die Erforschung und Beschreibung von erdräumlichen Einheiten das Ziel der Disziplin (Werlen 2008, 90). Die Einheiten werden als naturgegeben und als mit dem Auge erfassbar angesehen. Schon hier wird die Bedeutung eines Sinns, des Sehsinns, deutlich: das subjektive visuelle Erblicken wird als Abgrenzungsmethode verstanden, als Operation, mittels derer der zentrale Forschungsgegenstand ‚Landschaft‘ gewonnen wird. Die „ästhetische[n] [Landschafts-, D. S.] Geographie“ (Schultz 1980, 108) geht noch über den Sehsinn hinaus: „Es spielen im landschaftlichen Eindruck alle Sinneswahrnehmungen […] eine Rolle, vornehmlich aber die Gesichtswahrnehmung, die Formen und Farben. Doch auch die Geräusche und Töne beleben die Landschaft. Die Temperaturempfindungen fließen ebenfalls in den Gesamteindruck ein“ (Häntsch 1904, 35 f. zit. in Schultz 1980, 116). Ergänzt werden diese (oft literarisch anmutenden) Beschreibungen mit den Schilderungen der durch die Sinneseindrücke ausgelösten Empfindungen. Eine Reflexion, dass mit dem Sehen (Hören, Riechen, Schmecken), ‚Landschaft‘ ja überhaupt erst hervorgebracht wird, findet indes nicht statt. Sehen (Hören, Riechen, Schmecken) sei vielmehr die objektive Aufnahme einer objektiv gegebenen räumlichen Einheit. Das Ausblenden der konstitutiven Rolle des Forschers führte, wie Werlen festhält, zu einem unauflösbaren Dissens über das „richtige Begrenzungsverfahren“ (ebd.). Unauflösbar, weil es eben keine Frage des Verfahrens, oder ‚richtigeren‘ Sehens ist, sondern eine Frage der Perspektivität (und Macht) von Forschung und deren Reflexion. Die gleiche Kritik ist auch an den Ansatz des finnischen Geographen Johannes Gabriel Granö zu richten, der in den späten 1920er Jahren Multisensualität in die sozialgeographische Theoriebildung zu integrieren versuchte. In seinem Werk „Reine Geographie“ (1929) versucht er die Begriffe der ‚Landschaft‘ und des „‚geographische[n] Individuum[s]“ (1929, 1) zu bestimmen. Diese sieht er in der Landschaftskunde nicht hinreichend geklärt. Die Wendung „reine Geographie“ stammt aus „Das harmonische Landschaftsbild“ von Gradmann, in dem er argumentiert, es sei Ziel „reine Geographie um ihrer selbst willen zu treiben, mustergültige, knappe, klassisch abgerundete Bilder natürlicher Landschaften zu geben“ (1924, 146 zitiert in Winkler 1995, 13). Bilder von Landschaften zu vermitteln, ist auch Granös Anliegen. Bei ihm wird die Landschaftsbeschreibung (ebenso wie etwa bei Humboldt) zu einer Art Kunstform (Buttimer 2010, 12). Mit einer ‚geopoetischen Sprache‘ (ebd.) wird die subjektive Wahrnehmung der nächsten Umgebung zum Ausdruck gebracht und so ‚Landschaft‘ konstituiert. Grundsätzlich unterscheidet Granö „die erlebte und die gemessene“ Sphäre (1935, 298). Beide sind gleich bedeutsam. Die erlebte Sphäre, oder der „Wahrnehmungsraum“ (1929, 18) wird in „größere Landschaft“ und „kleinere Nähe“ unterschieden. Erstere ist nur visuell, letztere mit allen Sinnen erfahrbar (ebd.). Obwohl der Beobachter bzw. der Wahrnehmende einen so zentralen Stellenwert einnimmt
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und in seiner Bedeutung hervorgehoben wird, schreibt Granö letztlich, dass das „eigentliche Ziel“ (ebd., 61) der Geographie „die Bestimmung der regionalen, nicht an den Beobachter gebundenen Ganzheiten ist“ (ebd.). Mit einer solchen Zielsetzung wird die Bedeutung der subjektiven Perspektive für eine weiterführende Diskussion negiert. Damit bleibt er bei dem gleichen Problem stecken wie die Landschaftsgeographen. Trotzdem ist es als Granös Verdienst anzusehen, die sinnliche Wahrnehmung explizit in die geographische Debatte eingeführt zu haben. Wenngleich Granös Ansatz zu seiner Zeit ein „isoliertes Werk“ (Winkler 1995, 12) war, so wurde seine Argumentation doch mit der Einführung phänomenologischen Gedankenguts in der Geographie in den frühen 1970er Jahren stellenweise wieder aufgegriffen (Buttimer 2010, 21 f.). Die behavioral geography ist eine weitere Strömung innerhalb der Geographie, bei der Sinnlichkeit thematisiert wird. Die behavioral geography entstand aus der Kritik am Fehlen eines Subjekts in der Geographie nach der quantitativen Revolution in den späten 1950er Jahren (Jacobson 2006, 17). Sinnliche Wahrnehmung wird im Zuge der Genese einer subjektiven Sicht bedeutsam: „The individual receives visual, auditory, tactile, or other information from an external environment. And he or she codes, records, and uses this information to constrain or modify potential behaviors“ (Golledge & Stimson 1997, 200). Die Sinne sind also für die Raumwahrnehmung und, darauf aufbauend, die Modifikation des Verhaltens wichtig. Bedingt werden diese Prozesse durch die soziale und physische Position des Subjekts, die darüber entscheidet, welche Stimuli überhaupt Aufmerksamkeit erregen und wahrgenommen werden (ebd., 194). Durch diese Rahmung und Kontextualisierung des Subjekts wird ein allzu reduktionistisches Reiz-Reaktion-Schema vermieden, nach dem bestimmte Sinnesreize zu immer gleichem Verhalten veranlassen. Die behavioral geography versucht durch die Untersuchung der Wahrnehmung und der Kognition das Verhalten der Subjekte, ihre Entscheidungen, Ein- und Vorstellungen und Orientierung im und zum ‚Raum‘ zu erklären. ‚Raum‘ wird dabei recht eindimensional als ‚Umwelt‘ verstanden und in seiner sozialen und gesellschaftlichen Dimension nicht erfasst, was den Ansatz für die Erforschung der gesellschaftlichen Raumverhältnisse disqualifiziert. Nichtsdestotrotz ist es als Erfolg der behavioral geography anzusehen, in einer Zeit, in der das quantitative Paradigma in der Humangeographie vorherrschte, den Fokus konsequent auf das Subjekt gerichtet und eine theoretisch begründete Ausdifferenzierung des subjektiven Verhaltens vorgenommen zu haben. Im Folgenden werden die um die einzelnen Sinne entstandenen Forschungen vorgestellt. Multisensualität, das Wahrnehmen und Darstellen über die fünf Sinne, ist sowohl von Baumgarten als auch von Dilthey und Damásio als Bedingung und Möglichkeit menschlicher Existenz hervorgehoben worden. Unser Tun und Erleben ist aufs Engste mit unserer Sinnestätigkeit verknüpft. Über das Hören, Sehen, Schmecken, Riechen, Tasten werden Welt-Bindungen vollzogen: „Wie wir Menschen als Sinneswesen mit unseren Sinnen umgehen, wirkt sich auch auf unser übriges Selbstsein und unser Weltverhalten insgesamt aus“ (Welsch 2006, 30). Dilthey fordert: „[W]ir müssen von der Sinnesempfindung zu dem Gewahrwerden innerer Zustände übergehen“ (GS I, 10). Mit anderen Worten, es geht nicht allein um den
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physiologischen Vorgang des Riechens, Schmeckens, Hörens, Tastens oder Sehens, es geht um die dadurch angeregten ‚inneren Zustände‘. Diese umfassen eine Bewertung und Einordnung der Sinnesempfindungen und sind somit immer auch kognitiv. Diese von Baumgarten als cognitio sensitiva bezeichnete geistige Sinnlichkeit, diese Multisensualität, ist somit nicht ein Forschungsfeld neben anderen, sondern ein grundlegender Modus der Konstitution von Gesellschaft und damit eine Voraussetzung dafür, wie wir uns überhaupt Forschungsfelder aneignen (Howes 2005, 4). Wir müssen uns be-sinnen – aber nicht um den Preis des Verlustes unseres Verstandes. Auch Simmel bemerkt in seiner Soziologie der Sinne, dass in alltäglicher Kommunikation nicht nur Wortbedeutungen und Diskursinhalte bedeutsam werden, sondern auch die Art und Weise, wie wir sinnlich aufeinander wirken (Simmel 1993, 292 ff.). Diese Sinnlichkeiten sind für ihn „die zarten, unscheinbaren Fäden, die sich zwischen Mensch und Mensch spinnen“ (ebd., 292). Sie „wird man nicht länger der Beachtung für unwert halten dürfen, wenn man das Gewebe der Gesellschaft […] begreifen will“ (ebd.).51 Die Beschäftigung mit Multisensualität ist eine logische Konsequenz aus der Einsicht in die unauflösliche Verbindung kognitiver und sinnlicher Prozesse, die von Baumgarten als cognitio sensitiva bezeichnet und von Damásio neurowissenschaftlich nachgewiesen wurde. Der Einbezug der Sinne wird nicht als illustrative Ergänzung, sondern als eine Bedingung für akkurate wissenschaftliche Theoriebildung verstanden. Die Erkenntnis der unauflöslichen Verbindung von Geist und Körper hat Konsequenzen für die Konzeptualisierung der Forschenden: Sie werden nicht als neutrale außenstehende Beobachter begriffen, sondern als eingelassen in (sensitive) Verbindungen zum Forschungsgegenstand (Okely 2007, 65). Durch unser Erleben nehmen wir uns selbst und andere nicht nur wahr, sondern erzeugen und teilen mit ihnen soziale Welten. Als Forscher können wir nicht isoliert stehen. Insofern ist es unsere Aufgabe, für unsere eigene „Medialität“, um es mit Zahnens Begriff (2011, 60) zu sagen, offenzubleiben oder es zu werden. Hören Dem Sehsinn kommt die größte wissenschaftliche Aufmerksamkeit zu. Er wird oftmals zur Charakterisierung unserer westlichen, spätmodernen Gesellschaft herangezogen (‚visuelles Zeitalter‘). Wolfgang Welsch behauptet jedoch, dass die abendländische Kultur eigentlich keine „Kultur des Sehens“, sondern bis zum antiken ‚visual turn‘ im 4. Jahrhundert vor Christi eine „Kultur des Hörens“ (Welsch 2006, 31) war und sie sich langsam auch wieder zu einer solchen entwickelt. Welsch (2006) opponiert gegen den iconic turn, indem er den Hör- und nicht den Sehsinn zur Ausgangsbasis seiner wissenschaftlichen Überlegungen macht. Die Entscheidung für den Hörsinn resultiert aus der Beobachtung eines derzeit stattfindenden grundlegenden Paradigmenwechsels: „Der Übergang von der Bewußtseinsphilosophie zum 51
Diese gesponnenen Fäden aufzuzeigen ist seit 2006 u. a. Gegenstand des Journals The Senses and Society.
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Paradigma der Kommunikation […] bedeutet jedesmal auch einen Übergang von der traditionellen Favorisierung des Sehens zu einer neuen Betonung des Hörens“ (ebd., 34). Im Kommunikations- und Medienzeitalter kommt dem Hören, so die These, zunehmend Bedeutung zu. Eine Fokussierung des Hörsinns bedeutet – auch für die Geographie –, sich Praktiken des Hörens und Zuhörens zuzuwenden. Die Erforschung des Auditiven ist Angelegenheit verschiedener Fachrichtungen. Musik, Klänge, Töne, Geräusche, Stimmen sind neben der Musikwissenschaft u. a. auch Forschungsgegenstände der Philosophie, der Soundscape Studies, der Kultur-, Sprach-, Kommunikations- und Theaterwissenschaften, der Soziologie und der Ästhetik, der Technischen Akustik und Psychoakustik sowie auch der Geographie. Je nach Disziplin werden dabei ganz unterschiedliche Klangereignisse betrachtet: Die Sprach- und Kommunikationswissenschaften haben ihre Expertise in der Untersuchung der Stimme (Hübler 2001), ebenso die Theaterwissenschaft (Kolesch & Krämer 2006). Die Film- und Medienwissenschaft analysiert Geräusche, Töne, Klänge, Stimmen und beschreibt deren affektive Wirkung (Flückiger 2007). Darüber hinaus kommt der (Film-)Musik eine bedeutende Rolle zu (Prendergast 1992; Bullerjahn 2001). Soziologie und Kulturwissenschaft fragen nach Entwicklung und sozialer Bedeutung der auditiven Wahrnehmung im Alltag (Erlmann 2004; Bull 2006; Schrage 2011) und nach der Art der mit der Musik verbundenen Machtverhältnisse (Said 1991). Die Geographie widmet sich der Rolle von Musik bei der Ausbildung von Identitäten, Machtbeziehungen und Regionsbedeutungen (Pratt 1990; Smith 1994; Mager 2007, 2009) sowie der Erforschung von Klangumwelten als Teil der Stadtplanung (Yang & Kang 2005; Henshaw 2013) und der Kulturgeographie (Winkler 1999, 2002, 2006). ‚Soundscapes‘ Zentraler transdisziplinärer Begriff der Erforschung des Hörens ist der Begriff der ‚Soundscapes‘. Dieser wurde erstmals von Richard Murray Schafer, seines Zeichens Komponist, Künstler und Wissenschaftler, in seinem 1977 erschienen Buch The Soundscape. Our Environment and the Tuning of the World eingeführt. ‚Soundscapes‘ (in deutscher Übersetzung meist ‚Klanglandschaft‘ oder ‚Lautumgebung‘) sind akustische Momentaufnahmen, zusammengesetzt aus Eigengeräuschen des menschlichen Körpers, Sprache, Motoren- oder Naturgeräuschen und anderen Musik- oder Klangelementen. Schafer hat mit seinen theoretischen und künstlerischen Arbeiten zur Frage, welchen Einfluss Klänge auf das menschliche Verhalten haben, einen wesentlichen Beitrag zur wissenschaftlichen Erforschung des Auditiven geleistet. Soundscape-Forschung endet jedoch nicht mit der ‚Kartierung‘ von Geräuschen. Vielmehr soll weiterführend nach den ästhetischen, sozialen und politischen Beziehungen der Menschen gefragt werden. Die Überlegungen münden in der Begründung der „akustischen Ökologie“ (Schafer 1996, 210) oder Klangökologie, die sich mit der Analyse (der Veränderung) der Beziehung des Menschen zu seiner Geräuschumwelt beschäftigt. Als internationale Kooperationsplattform wurde 1993 das World Forum for Acoustic Ecology mit dessen Publikationsorgan Scoundscape. The Journal of Acoustic Ecology gegründet.
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Ein Geograph, der sich explizit der Erforschung von Soundscapes verschrieben hat, ist der Schweizer Kulturgeograph Justin Winkler. In der Klanglandschaftsforschung, so macht Winkler klar, gehe es „nicht darum […], entlegene, kosmisch harmonische Strukturen zu suchen“, sondern „um sehr lebensnahe und alltägliche Dinge“ (Winkler 1999, 8). Es gehe um das Verstehen von Imaginationen und Emotionen in der Konstruktion und Auseinandersetzung mit verschiedenen Umwelten (Winkler 2006, 154). Diese Umwelten werden nicht als objektiver Realraum, sondern als subjektives und gesellschaftliches Konstrukt – in Anlehnung an Gerhard Hard – als sogenanntes „Psychomilieu“ verstanden (Lorenz 1999, 35). Klang sei nicht nur erlebbares akustisches Phänomen, Klang sei auch „Kulturträger“ (Winkler 1999, 6). Am Beispiel ländlicher Orte in der Schweiz untersucht Winkler Soundscapes und Landschaftswahrnehmung. Er ist sich dabei der „relative[n] Exotik“ (Winkler 2002, 58) seines Fallbeispiels voll bewusst und merkt an: „[U]m hier der Gefahr des Romantisierens vorzubeugen, die ich mit dem aus der Peripherie der Hochalpen gewählten Beispiele angelegt habe: In jeder gegenwärtigen banalen, alltäglichen Umgebung ereignet sich dasselbe“ (ebd., 62). Das, was sich ereignet und was wissenschaftlichen Überlegungen zugeführt werden soll, sind das Hören, das Zuhören und das Verstehen. Hören ist nicht einfach ein passiver Vorgang der Schallverarbeitung. Hören ist ein aktiver, von Erwartungen geprägter Prozess (Winkler 1999, 3). Schwerpunkt von Winklers Forschung ist die Erprobung qualitativer Methoden, z. B. des Hörspaziergangs (Winkler 2006, 155). Ziel ist das Üben bewussten Zuhörens.52 Zur Erforschung der Soundscapes sind das eigene Hören sowie die technisch unterstützte Aufnahme der Soundscapes unumgänglich, da es, so Winkler, keine angemessenen klanglichen Notationsverfahren gibt und „das Hören nicht in visuellen Darstellungen zum Stillstand“ (Winkler 1999, 5) gebracht werden soll. Tonaufnahmen hingegen gelänge es, „präsentische Imagination“ zu erzeugen (Winkler 2002, 61). Die von Schafer eingeführten und von Winkler und anderen (etwa Finn & Lukinbeal 2009, 127, die eine „Musical Cartography“ vorschlagen) für die Geographie erprobten Methoden des Hörspaziergangs und des Aufnehmens und Katalogisierens von Tönen ist nicht unkritisiert geblieben. Lorenz etwa merkt an, dass das Aufnehmen von Klängen allein lediglich „musealen Zwecken“ (Lorenz 1999, 34) diene. Auch der Hörspaziergang könne nicht so recht überzeugen: Es sei ein unkoordiniertes Sammeln von Eindrücken, ein „methodisches Vakuum“ (ebd.). Soundwalks verfälschten Ergebnisse, weil sie das bewusstmachen, was ja gerade in seiner (unbewussten) Alltäglichkeit beforscht werden soll (ebd., 37). Winkler verteidigt die Methode des Hörspaziergangs, indem er betont, dass genau dies ihr Anliegen sei: Im Vollzug des Spaziergehens Hören bewusst zu machen und nicht etwa positivistisch das zu bestätigen, worauf man vorher hingewiesen wurde. Dennoch bleibt der Befund bestehen, dass den ‚Soundscape Studies‘ und den sich an ihr orien52
Ein Hörspaziergang umfasst vier Phasen: vom orientierenden („Gesamtambiente“) über den Einzelheiten erfassenden („Klangereignisse“) hin zum bestätigenden Hören („Ablauf der Klangszene“) und zur Imagination des (eigenen) Lebenszusammenhangs (Winkler 2002, 61). Maximal zehn Teilnehmer pro Gruppe sollen in einer zuvor festgelegten Zeit bewusst hören und sich anschließend über das Erlebte austauschen.
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tierenden Wissenschaften eine grundlegende sozial- (und geistes-)wissenschaftliche Fundierung fehlt (Lorenz 1999, 33). Dass es sich lohnt, Klang, Geräusch, Musik in die Überlegungen zu der Beziehung zwischen Mensch und Welt mit einzubeziehen, wird damit nicht in Frage gestellt, es sollten jedoch die Begriffe und Werkzeuge sozialtheoretisch und geisteswissenschaftlich geschärft werden. Geographien des Auditiven Über das Hören werden Welt-Bindungen vollzogen. Entsprechend modifiziert das Einbeziehen von Musik, von Klangerleben allgemein, das Verständnis des Daseins, der alltäglichen Praktiken der Identitätsbildung, der Weltanschauung und der emotional-symbolischen Weltaneignung. In der Geographie hat ein grundsätzliches Anerkennen der Bedeutung des Hörsinns bereits begonnen. Ansätze, wie eine solche „Musikgeographie“ („music geography“ im engl. Original; Carney 1998, 1) aussehen kann, liefern im Wesentlichen die angelsächsische Debatte, aber auch einige wenige deutschsprachige Autoren.53 Musik wird dabei nach dem cultural turn nicht als ‚Verortungsobjekt‘ verstanden, d. h., es ist nicht das Anliegen, Musik nach ihrem Entstehungs- oder Aufführungsort zu kartieren. Erforscht wird in der gegenwärtigen Geographie vor allem der Aspekt der gesellschaftlichen Bedeutung von Musik: In Sozialgeographie, Politischer Geographie und Neuer Kulturgeographie geht es um die Rekonstruktion des signifikativ-symbolischen Gehalts von Musik und um deren Funktion als Aushandlungsort von Identitäten und Raumbedeutungen. Viele Arbeiten, die das Geographie-Machen untersuchen, blenden die auditive Dimension aus: Die Konstruktion von ‚Schottland‘ etwa wurde auf literarischer (Paterson 1965), bildlicher (Pringle 1988) und filmischer Ebene (Aitkin 1991) untersucht, die auditiv-musikalische Ebene hingegen blieb außen vor (Smith 1994, 234). Die Betonung von Text, von Lesen und Schreiben führte im Zuge des linguistic turn zum Paradigma der „Writing Worlds“ (Barnes & Duncan 1992) und damit zur Vernachlässigung nicht sprachlicher Modi (vgl. Kap. 4.2). Musik ist jedoch, so die These, als ein Schlüsselelement geographischer Imaginationen zu verstehen. Sie evoziert und transportiert Vorstellungen der ‚imagined community‘, d. h. Vorstellungen von den ‚Anderen‘, Vorstellungen von einem ‚Wir‘ und Vorstellungen vom eigenen Selbst. Die Vorstellungen einer ‚imagined community‘ wird z. B. durch die öffentliche Zelebrierung und Demonstration von Macht begründet. Musik spielt dabei eine große Rolle. (National-)Hymnen, Märsche, aber auch Opern, wie Edward Said (1991) am Beispiel von Aida zeigt, rufen Emotionen hervor und verbinden diese 53
Unter anderem mit den Sammelbänden Ethnicity, Identity and Music: The Musical Construction of Place (Herausgeber: Stokes, 1997) oder Brazilian Popular Music and Globalization (Herausgeber: Perrone & Dunn, 2002), den Untersuchungen in The Place of Music, herausgegeben von Leyshon, Matless & Revill (1998), und in Music, Space and Place: Popular Music and Cultural Identity, herausgegeben von Whiteley, Bennett & Hawkins (2004), sowie den Special Issues der Social and Cultural Geography (2005) oder des GeoJournals (2008). In der deutschsprachigen Debatte ist die Musikgeographie wesentlich unprominenter. Ausnahmen stellen etwa Christoph Magers HipHop und die Artikulation von Geographie (2007) und Bernd Adamek-Schymas Flüssiger Raum? Zugänge zu den Geographien der Musik (2008) dar.
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mit geopolitischen Leitbildern. Mithilfe einer Oper wird hier imperiale Autorität demonstriert, werden die ‚imagined communities‘ ‚Europa‘ und ‚Orient‘ konstituiert. Said führt in seiner Musical Elaborations (1991, 58) aus: „The closer one looks at the geography of Western culture and at music’s place in it, the more compromised, the more socially involved and active music seems“. Musik ist nicht nur die Hintergrundmusik zum Geographie-Machen – Musik ist die hörbare Artikulation von Geographie. Sie ist auditives Geographie-Machen. Über Musik werden lokale, regionale, nationale und auch globale Identitäten ausgedrückt (Hudson 2006, 626): populär etwa durch Wettbewerbe wie den Nationenvergleich im Rahmen des Eurovision Song Contest und den damit einhergehenden nationalen Sympathiebekundungen. Globale Events wie „Band Aid“ oder „Live 8“ in den Jahren 1985, 1989 und 2004 nehmen das öffentliche Aufführen von Musik zum Anlass, einen Sinn für die (problemhaften) globalen Verflechtungen zu erzeugen. Ob dadurch allerdings tatsächlich ein nachhaltiges politisches Umdenken angeregt oder (nur) ein augenblickliches Betroffen-Sein generiert wird, bleibt offen. Musik und Musikevents sind keine Heile-Welt-Generatoren. Gerade die Welt- und Selbstverständnisse, die in Musikprojekten wie „USA for Africa“ mit dem Lied We are the World oder bei „Band Aid“ mit dem Weihnachtslied Do they know it’s Christmas? (Wer ist ‚they‘?) zum Ausdruck kommen, sind eher stereotype Reproduktionen von kolonialzeitliche, imperialistische Weltbildern. Nicht nur Nationalhymnen, sondern auch Lieder der Populärkultur können eine große identitätsstiftende Wirkung haben (Johansson & Bell 2009). Der Politikwissenschaftler Ray Pratt berichtet von einem Konzert von Bruce Springsteen, bei dem 70.000 Zuschauer inbrünstig Born in the USA mitsangen (Pratt 1990, 2) – ein patriotisierender Effekt, den sich in der folgenden Präsidentschaftswahl der demokratische, aber auch der republikanische Kandidat (Walter Mondale und Ronald Reagan) für ihre Zwecke sichern wollten (ebd., 3). Die „imaginative geographies“ (Gregory 1995, 447), die sich über Musik mit Städte- oder Ländernamen verbinden, haben sowohl symbolische als auch emotionale Bedeutung. Letztere nimmt nicht selten die Form einer (Hass-)Liebe an. So ist New York etwa eine beliebte viel besungene Projektionsfläche für Fantasien und Träume quer über alle Genregrenzen hinweg: Man denke an Frank Sinatras New York New York, R. E. M.s Leaving New York, Englishman in New York von Sting, Ballad of N. Y. C. von den Fun Lovin’ Criminals, Drop Me Off in Harlem von Duke Ellington, Alice Coopers Big Apple Dreamin’, Blue Belles O’ Harlem von Duke Ellington oder Empire State of Mind von Alicia Keys und Jay-Z. Diese Lieder adressieren ihre Träume, Wünsche, Emotionen an die geographische Imagination ‚New York‘, statten sie mit zahlreichen ‚Wesensmerkmalen‘ aus und schaffen so einen Kult, einen Mythos, eine Sehnsucht. Auch einzelne Stadtviertel und Straßenzüge (Harlem, Brooklyn, Manhattan, Broadway, Queens) sind wiederkehrende Themen von Liedern, die eine besondere Verbundenheit oder auch Abneigung und somit eine raumbezogene Identifizierung zum Ausdruck bringen. Die musikalische Hommage ist jedoch keine rein großstädtische Angelegenheit. Herbert Grönemeyer besingt seine Liebe zu Bochum, Lotto King Karl schwärmt Hamburg meine Perle, und Freddie Mercury und Montserrat Caballe singen im Duett über Barcelona. Eine ganze Branche, die Volksmusik, profiliert sich über die
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besungene Zuneigung zur ‚Heimat‘: zu bestimmten Bergen, Alpbächen und Gebirgspflanzen ebenso wie zu Küstenlandschaften, Wellen und Wind. Die gemeinschaftsbildende Kraft von Musik und deren identitätsstiftende Wirkung untersucht Christoph Mager in seiner Arbeit HipHop, Musik und die Artikulation von Geographie (2007). Das Beispiel von HipHop zeigt darüber hinaus: Nicht nur hegemoniale Vorstellungen werden über Musik ausgedrückt, sondern auch der Widerstand der Subalternen (Pratt 1990). Musik ist eine maßgebliche Artikulationsweise von Protest und von politischem Aktivismus (Jackiewicz & Craine 2009, 33 ff.). Man denke hier nur an generations- oder genrespezifische Widerstandsbewegungen, die sich maßgeblich über Musik definierten (Punk, Gothic, Hippie, Rock’n’Roll), oder an die Auflehnung gegen gesellschaftliche Missstände, die mit dem (ob seiner stereoptypisierenden Kategorisierung zu kritisierenden) Schlagwort der ‚schwarzen Musik‘ verknüpft ist. Die Analyse von Musik stellt eine Möglichkeit dar, Popkultur mit geographischen Forschungsinteressen zu verbinden (Kong 1995, 183 ff.). Musik trägt, kurz gesagt, zur Erzeugung populärkultureller, geographischer Imaginationen bei. Zum Verständnis des auditiven Geographie-Machens sind sowohl die Liedtexte und die Melodien als auch die Inszenierung der Künstler und Musikstücke über Videos, Konzerte, Plattencover etc. relevant. Eine geographische Analyse von Medienerzeugnissen sollte neben der visuellen auch die akustische Dimension umfassen. Es gilt sowohl das emotionale Erleben der Musik-, Klang- und Geräuschhörenden als auch den (eventuellen) symbolischen Gehalt und die Sound-Architektur nachzuvollziehen. Dabei muss immer berücksichtigt werden, dass der Sound eines Medienerzeugnisses niemals zufällig ist. Wir haben es nicht mit Klangeffekten zu tun, sondern mit absichtlich geplanten „Klangobjekten“ (Flückiger 2007, 100). Klangobjekte sind „aktiver Bestandteil in der Beschreibung von Orten und Zeiten“ (ebd., 317); sie haben eine „narrative Funktion“ (ebd., 298 ff.). Klangobjekte müssen hinsichtlich ihrer Funktion als Bedeutungsträger untersucht werden. ‚Bedeutung‘ erstreckt sich hierbei von der Rolle des Klangobjekts im Kontext der Gesamtkomposition über den symbolischen Gehalt bis zum Erleben der Rezipienten und beschreibt die Macht eines Klanges, die Zuhörer in verschiedene emotionale Zustände versetzen zu können. Das gilt für die Inszenierung von Schauplätzen in (‚großen‘) Filmproduktionen genauso wie für die Analyse kleinerer Imagespots für Wirtschaftsregionen oder Werbespots für touristische Destinationen. Analog zu den Produktionen, die einen Stab an Tontechnikern und Musikern auffahren und oftmals sogar einen eigenen Komponisten haben, hat sich in der Werbebranche die „akustische Markenführung“ herausgebildet.54 Jedes beworbene Produkt, ob Versicherung, Rasierer oder Urlaubsregion, soll ihren eigenen, unverwechselbaren Sound bekommen: „Strategische akustische Markenführung ist der strukturierte Prozess, der die Marke und ihre Identität über das Gehör inszeniert, erlebbar macht und nachhaltig stärkt“ (ebd.). Die zugrundeliegende akustische Leitmotivik sowohl in Werbe- wie in Kino- und Fernsehfilmen zu untersuchen, ist somit für die geographische Medienanalyse interessant.
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Vorgestellt z. B. auf der Homepage von www.acoustic-branding.com.
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Riechen Um die soziologische Erforschung des Geruchssinns haben sich die Olfactory Studies gebildet (z. B. Burdach 1987, Classen, Howes & Synnot 1994). Das geteilte Argument der Olfactory Studies ist es, dass Geruch mehr ist als nur eine unbedeutende dekorative Beigabe bzw. ein belästigender Umstand. Geruch ist wesentlich für sozialen Status, persönliche Identität, Sexualität und Kommunikation. Geruch dient der Erzeugung einer bestimmten Stimmung, eines bestimmten Images. Für die Geographie stecken in der Untersuchung des Geruchs (mindestens) zwei interessante Forschungsfelder: „Environmental Fragrancing“ (Damian & Damian 2006, 148) und die „Smellscape“ (Porteous 1985, 356). Geographien des Olfaktorischen Erwähnenswert ist die Analyse von Werner Bischoff zu den „nicht-visuellen Dimensionen des Städtischen“ (2007). Gerüche sind, auch wenn sie ‚unsichtbar‘ sind, doch, so Bischoff, ein wichtiger Faktor emotionalen Raumerlebens. Seine Untersuchungen stellen, genau wie es in Diltheys Dreiklang angelegt ist, den Versuch dar, das zum sprachlichen Ausdruck gebrachte alltägliche Erleben seiner Interviewpartner zu verstehen und im Kontext bestehender sozialer Zuschreibungen zu den Orten (Frankfurter Ost und Westend) zu interpretieren. Die Frage ist schließlich, welche Atmopshäre auf diesem Wege geschaffen wird. Unter der Überschrift „Environmental Fragrancing“ untersuchen Peter und Kate Damian, wie Gerüche gezielt als emotional wirksames Mittel der Lebensraumgestaltung eingesetzt werden. Geruch wird z. B. von Konsumarchitekturen neben Licht oder Musik als zu regulierende Steuergröße im Gesamtdesign begriffen (Damian & Damian 2006, 154). Die Forschungen von Hanna und António Damásio haben gezeigt, dass Gerüche eng mit Erinnerungen verbunden sind. Erinnerungen werden als Erzählungen abgespeichert, die sowohl die multisensuale Wahrnehmung (Geruch, Klang, Farbe etc.) als auch unsere körperlichen und kognitiven Zustandsänderungen (also wie wir uns zum Zeitpunkt des Erlebens gefühlt haben) umfassen. Beides wird beim Erinnern wieder abgerufen (Damásio 2004, 222). Ein Geruch kann also bestimmte Erinnerungen und damit auch Erinnerungen über unseren damaligen Zustand aufrufen. Kurz gesagt: Gerüche versetzen uns (virtuell) in Zeit und Raum und sind in der Lage, Emotionen zu wecken. Der zweite geographierelevante Aspekt des Riechens wird unter dem Schlagwort der „Smellscapes“ (Porteous 1985, 356) diskutiert. Dieser erstmals vom Geographen J. Douglas Porteous geprägte Begriff wird genutzt, um den Beitrag des Geruchs zur Mensch-Umwelt-Beziehung zu beschreiben. Geruch soll dabei hinsichtlich seines Potenzials zur Erzeugung von Raumvorstellungen betrachtet werden. Porteous’ These lautet: „[S]mell and other apparently ‚non-spatial‘ senses provide considerable enrichment of our sense of space and the character of place“ (ebd., 360). Auf Porteous’ Überlegungen bauen eine Reihe weiterer Untersuchungen auf. Dann und Jacobsen (2003) stellen beispielsweise Urrys „tourist gaze“ (1990) die „tourism smellscapes“ gegenüber. Zentrale Fragen einer derart ausgerichteten Forschung lau-
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ten: Wie kommen diese Geschmacksurteile zu Stande? Welchen Einfluss haben ästhetische Urteile auf Raumvorstellungen und Planungsprozesse? Welchen Einfluss haben Literatur, Kunst, Sinneseindrücke, aber auch gesellschaftliche Policy-Prozesse auf die Ausgestaltung von Mensch-Umwelt-Beziehungen? Es erscheint interessant, genauer zu ergründen, wie Sinneseindrücke zur Konstitution von Raumvorstellungen verwendet und welche Machtverhältnisse und Weltanschauungen in ihnen zum Ausdruck gebracht werden. Sehen Dem Sehen ist bisher die größte wissenschaftliche Aufmerksamkeit zugekommen. Es steht im Mittelpunkt der Diagnose der Gegenwart als „visuelle[m] Zeitalter“ (Glotz 1994, 38). Die Macht der Bilder wirkt durch Filme und Fotografien in den Massenmedien, aber auch durch die zunehmende Rolle der bildgebenden Verfahren und Simulationen in Wissenschaft und Medizin. Sehen gilt als grundlegende Art und Weise der Welterschließung. Wenn wir etwas verstehen wollen, nehmen wir es ‚in den Blick‘. Wenn wir es durchdrungen haben, meinen wir, wir wären ‚im Bilde‘. ‚Seeing is believing‘ – der Mensch versichert „sich seiner selbst, der anderen und der Welt wesentlich über Bilder“ (Wulf & Zirfas 2005, 20). Bilder sind immer Ausdruck von Machtverhältnissen und existieren nicht unabhängig von den „inneren Bildern“ (ebd., 17) des Betrachtenden. Bilder sind performativ: Durch sie „werden Erinnerungsspuren kanalisiert, verdrängt, vergessen, Wahrnehmungen strukturiert und zukünftige Entwürfe präfiguriert“ (ebd., 16). Sie erzeugen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die gesellschaftliche Beschäftigung mit Bildern und Sehen wurde und wird in der Wissenschaft unter dem Begriff des „imagic turn“ (Fellmann 1991, 26), des „pictorial turn“ (Mitchell 1992, 89) oder des „iconic turn“ (Boehm 1994, 13) diskutiert. Allen gemein ist, dass sie eine Emanzipation des Bildes gegenüber der Sprache anvisieren, um so ihrer Bedeutung im massenmedialen Zeitalter gerecht zu werden. Durch die Massenmedien sind die Bilder mobil geworden (Wulf & Zirfas 2005, 17), ihr Einfluss ist zunehmend global, nicht zuletzt durch die technischen Möglichkeiten webbasierter Kommunikation via Videoplattform, Blog, Livestream u. Ä. Doch so einschneidend die cineastische und digitale Zäsur auch sein mag, das Interesse am Visuellen ist gewiss kein Phänomen der Spätmoderne. Bereits in der Antike wurde erstmals eine Theorie zur Erklärung des Sehvorgangs formuliert: Sehstrahlen werden ausgesendet und von einem Betrachter empfangen (Loenhoff 1998, 262). In den folgenden knapp zweieinhalbtausend Jahren haben sich die Theorien zum Sehen, zur Natur der visuellen Wahrnehmung sowie zur Praxis des Sehens immer wieder verändert. Maßgeblich für die Veränderungen waren und sind immer wieder technische Neuerungen. Erfindungen wie das Mikro- oder das Teleskop, die Filmkamera oder der Film sowie bildgebende Verfahren wie das Röntgen veränderten die Sehgewohnheiten und den Bereich des Sichtbaren grundlegend. Foucaults Analyse zeigt, wie sehr das Sehen in Form des „hierarchischen Blicks“ (1994, 220) als Mittel der Kontrolle und Disziplinierung verankert
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wurde. Technischer Ausdruck dieses Prozesses ist die Entwicklung von Überwachungskameras. Geographie als visuelle Disziplin und Geographie-Machen als visuelle Praxis Die Geographie ist eine visuelle Disziplin: Karten, Globen, GIS sind ebenso relevant wie Fotografien, Filme und Kunstwerke. Antje Schlottmann und Judith Miggelbrink stellen Visualisierungen gar als „fachspezifischen Habitus“ (2015, 17) dar, d. h. die Geographie ist ihrer Fachlogik seit jeher in Fragen der Visualität eingebunden – erst seit dem cultural turn jedoch werden diese Verwicklungen kritisch reflektiert. Diese Entwicklung führt zu einer Herausdifferenzierung einer „bildwissenschaftlichen Geographie“ (ebd., 13) bzw. „Geographie als bildende Praxis“ (ebd., 25), die sich Bildern als „Teil des alltäglichen Geographie-Machens und als Praktiken der Konstitution alltäglicher Wirklichkeit(en)“ (ebd., 17) theoretisch-konzeptionell und empirisch annimmt. Nach Hellmut Fröhlich wurde die Bedeutung des Visuellen in der Geographie bisher auf drei Ebenen reflektiert (Fröhlich 2007, 94): Sehen als Dokumentation realweltlicher Phänomene im Sinne des Lesens von Karten und Satellitenbildern etc. II. Sehen als Metapher zur Charakterisierung der Geographie: „geography as looking glass“ (Sui 2000, 322 zitiert nach Fröhlich 2007, 94) III. Sehen als wissenschaftliche und alltägliche Praxis I.
Für die aktuelle humangeographische Forschung ist vor allem der dritte Punkt interessant. Sehen als alltägliche Praxis zu betrachten, bedeutet, sich in reflexiv-kritischer Absicht mit den im Fach angeführten Theorien, Methodologien und Methoden zum Umgang mit dem Visuellen auseinanderzusetzen (vgl. Schlottmann & Miggelbrink 2006). Es bedeutet auch, die als genuin ‚geographisch‘ verstandene Erzeugung ‚objektiver‘ wissenschaftlicher Bilder zu hinterfragen: Kartographie oder GIS sind dann z. B. nicht länger reine Dokumentation realweltlicher Phänomene, sondern kommen als machtvolle und suggestive Praktik der Welterzeugung ebenso in den Blick wie die Verwendung von Fotos in Reportagen über geopolitische Ereignisse (Cosgrove 2008; Reuber 2002). Seit Eugen Wirths Behauptung, dass Filme die Realität ‚falsch‘ wiedergeben (Siehl 2010, 4), hat sich hinsichtlich der (kritischen) Bewertung des Einflusses von Bildern auf die Raumvorstellungen einiges getan. Die geographische Analyse bewertet nicht mehr den Grad an ‚Authentizität‘ eines Bildes, denn das hieße einem objektivistischen Verständnis aufzusitzen, das Bilder als bloße (Zerr-)Spiegel einer gegebenen Welt betrachtet (Fröhlich 2007, 90). Gillian Rose bemerkt dazu: „[T]his rendering, even by photographs, is never innocent. These images are never transparent windows onto the world. They interpret the world“ (Rose 2007, 2). Bilder werden folglich von einer Geographie nach dem cultural turn als Mittel und Ausdruck des Geographie-Machens angesehen, als sozial und subjektiv konstruierte visuelle sights, nicht als Abbildung einer realweltlichen site (Roberts 2012, 391). Bilder
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formen Weltbilder, sie sind „Orte der Erfahrung“ (Dickel 2012b). Sie sind performativ. Sehen als wissenschaftliche Praxis wird von Barbara Zahnen (2006, 236) reflektiert. Zahnen analysiert die Rolle des Sehens für den Vollzug von wissenschaftlichem Erkennen. Um ihren Punkt deutlich zu machen, unterscheidet sie zwischen Sehen und Blicken. Blicken ist wiedererkennend, Blicken umfasst einen Abgleich von bereits Bekanntem und bereits Benanntem. Es erfordert, wie Zahnen betont, kein aktives, intentionales Selbst, sondern (lediglich) ein Ich (ebd.). Sehen hingegen ist entdeckend (ebd.). Es ist offen und verlangt vom Forscher – ganz im Sinne Baumgartens – in einen sensitiven Dialog mit dem Angesehenen zu treten. Sehen ist somit ein präsentisches Geschehen (ebd.). Es ist nichts, dessen Ausgang bereits feststeht und das bereits begrifflich gefasst ist; es ist kein neutrales Registrieren von ‚Dingen‘. Es eröffnet eine Auseinandersetzung mit dem Gesehenen, die bewegt. Es geht mit anderen Worten darum, zu erkennen, wie das Wie des Sehens, das Was des Blickens bestimmt (ebd., 232); nicht darum, über Distanz Dinge wiedererkennend als solche zu identifizieren, sondern darum, den Prozess des Erkennens im wahrsten Sinne des Wortes in den Blick zu nehmen. Folglich kann es auch kein ‚richtiges‘ oder ‚falsches‘ Sehen geben (ebd., 241). Dies beinhaltet, sensibel zu sein für das Entstehen der Deutung im eigenen Erleben, in der eigenen Positioniertheit und in den eigenen Grenzen. Dazu gehört auch, das tacit knowledge ernster zu nehmen (ebd., 243) – oder, wie es in der vorliegenden Arbeit hergeleitet wurde, das sensitive oder analogisch-ästhetische Erkenntnispotenzial (vgl. Kap. 2.1 und Kap. 2.3). Geographien des Visuellen Als besonders populärer Teilbereich der Erforschung des Visuellen hat sich die Filmgeographie etabliert.55 Sie gilt als Teilbereich einer neuen Wahrnehmungsgeographie (Escher 2006, 307). Wie lassen sich mittels einer geographischen Filminterpretation die Wirkungsweisen von Filmbildern nachvollziehen? Wie werden Filmbilder in die alltäglichen Raumvorstellungen integriert? Beliebter Forschungsgegenstand ist die filmische Konstitution der „cinematic cities“ (Clark 2005), von ‚New York‘ und ‚Paris‘ über ‚Kairo‘ und ‚Marrakesch‘ bis ‚Münster‘: „Unter einer cinematic city kann also das komplexe Gefüge an Raumbedeutungen verstanden werden, das durch filmische Inszenierungen geschaffen wird und das vom Betrachter als diegetischer Raum zu einem Stadtraum mit einem eigenen historisch-geographischen Hintergrund zusammengefügt wird“ (Fröhlich 2007, 124). Bilder spielen als Teil und Ausdruck der „geographical imaginations“ (Gregory 1993) auch in geographischen Forschungsfeldern jenseits der Filmgeographie eine entscheidende Rolle. Den Zusammenhang von „Seeing, Imagining and Represent55
Vertreter der Filmgeographie sind etwa Lynch (1960), Burgess und Gold (1985), Kennedy und Lukinbeal (1997), Aitken und Zonn (1994), Aitken und Lukinbeal (1998), Donald (1999), Escher (2006, 2012), Escher, Riempp und Wüst (2008), Escher und Zimmermann (2004, 2005a, b, c, 2006, 2009), Fröhlich (2007), Bitter und Fröhlich (2007), Lukinbeal (2005), Lukinbeal und Zimmermann (2006a, b), Fletchall, Lukinbeal und McHugh (2012) sowie auch Hörschelmann (2001), Bollhöfer und Strüver (2005) oder Siehl (2010).
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ing the Worlds“ (Cosgrove 2008) aufzuzeigen, ist integraler Bestandteil der Kritischen Geopolitik und der Kritischen Kartographie. So fordert Reuber explizit, Bilder in die Analyse geopolitischer Leitbilder und in die Interpretation (geo-)politischer Ereignisse einzubeziehen (Reuber 2002, 7; auch Campbell 2003, 2007; Crang 2010a). Welche globale Bedeutung Bilder bekommen können, ist an den Streitfällen der ‚Mohammed-Karikaturen‘ im dänischen Jyllands-Posten im Jahr 2005 zu erkennen, in deren Folge es zu weitreichenden gewalttätigen Protesten kam. Die Auseinandersetzungen um die Frage, wie oder ob überhaupt ‚andere‘ Religionen und deren Propheten dargestellt werden (dürfen), forderte nicht nur die diplomatischen Beziehungen heraus, sondern löste auch eine grundlegende Debatte über die Presse- und Meinungsfreiheit aus. Eine kritische geopolitische Analyse umfasst die „Offenlegung“ (Reuber 2002, 7) der Intentionen und Strategien sowie des Machtpotenzials, das hinter scheinbar objektiven Fotografien, Filmen und Karten steckt. Die „Kritische Kartographie“ (im Überblick Glasze 2009) untersucht die Funktionen, die alltägliche Nutzung und die didaktischen Verwendungsmöglichkeiten von Karten – auch unter spezieller Berücksichtigung der Möglichkeiten des Web 2.0 (Gryl, Nehrdich & Vogler 2013; Gryl & Kanwischer 2012; Kanwischer & Gryl 2012). Wer stellt welche Karten in welcher Art mit welchen sozialen Implikationen her? Welche Machtverhältnisse kommen in den Karten zum Ausdruck? In der Analyse müssen die unterschiedlichen (massenmedial) präsentierten Sichtweisen auf Welt unterschieden und ihre jeweiligen sozialen Implikationen kritisch reflektiert werden (Rose 2007, 5). Zusätzlich zur Analyse des Sehens von massenmedialen Filmen, Fotos oder Karten kommt die Analyse des Sehens von Kunst zunehmend in den geographischen Blick (Tolia-Kelly 2012). Die Grenze zwischen sogenannter Hoch- und Trivialkultur löst sich zugunsten eines breiten Bildbegriffes auf. Kunst wird, wie andere Lebensbereiche auch, als situierte Praxis verstanden (Roberts 2012, 392). Geographie-Machen über Kunst umfasst so Vielfältiges wie Kunst im öffentlichen Raum (Lossau 2006a, b, 2008, 2009), Stadtilluminationen (Hasse 2004), Land Art oder „earth works“ (Housefield 2007), Konsum- und politische Architekturen (Fleischmann 2008, 2013; Fleischmann & Trosthoff 2009; Kazig 2013), Landschaftsgemälde (Crouch & Toogood 1999 in Roberts 2012, 6), aber auch Performances (Hand 2005). Die Kunstwerke werden in ihrer Rolle als raum- und atmosphärenkonstituierend untersucht. Eine auf Kunst ausgerichtete geographische Forschung fragt: Welche soziale, politische oder wirtschaftliche Funktion haben Kunstwerke? Worauf machen sie aufmerksam? Haben sie eine ‚Botschaft‘? Welches Erleben sollen sie anregen? Welche Erfahrungen bringen sie zum Ausdruck? Welche Rolle spielen sie z. B. für die Vorstellung und das Erleben von ‚Urbanität‘?
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Innere Bilder Eine Thematisierung von Sehen und Bildern kann sich nicht auf ‚äußere‘ Bilder beschränken.56 Simmel spricht von einer Doppelbewegung des Sinneseindrucks. Er erläutert dies anhand der Begegnung mit einem Mitmenschen. Wenn ich einen Menschen erblicke, dann erkenne ich nicht nur seine äußere Gestalt, sondern es werden auch Gefühle in mir ausgelöst, „Gefühle von Lust und Unlust […], von eigner Gesteigertheit oder Herabgesetztheit, von Erregung oder Beruhigung“ (Simmel 1993, 278). Das Sehen „wirkt“ also in mich „hinein“ (ebd.) und evoziert Emotionen. In der Gegenbewegung wirken diese Emotionen auch in den anderen hinein, nämlich dann, wenn ich meinen Sinneseindruck und mein Gefühl in ihn zurückprojiziere: „[W]as ich von ihm sehe, höre, fühle, ist jetzt nur die Brücke, über die ich zu ihm als zu meinem Objekt gelange“ (ebd., 279). Die Innerlichkeit der Imaginationen wird in dem Moment sozial wirksam, in dem ich sie über die Brücke an den Anderen/das Andere herantrage, in dem ich ihn/es damit auflade. Gerade wenn es um das Verstehen von geographical imaginations geht, spielen innere Bilder eine entscheidende Rolle. Denn nicht nur Mitmenschen sind Thema unserer inneren Bilder, sondern auch Orte, Regionen, Städte, Länder, Straßen etc. Der/die/das Andere wird, mit anderen Worten, zur Projektionsfläche, zur Verkörperung meiner eigenen Emotionen, meiner eigenen inneren Bilder.57 Mit derart erzeugten Menschen- und Weltbildern gehen nicht zuletzt auch normative Bewertungen einher: „[T]he geographical visions of landscape, place and peoples have mapped, measured and promoted ideas of the good, the true and the beautiful, without averting the eye from unnoticed aspects and unintended consequences that might be quite the opposite“ (Cosgrove 2008, 9). Innere Bilder sind mit Vorstellungen von gut und böse, hässlich und schön, wahr und falsch verbunden, mit denen der/die/das Andere verglichen und anhand derer er/sie/es auch bewertet wird. Imagination leitet sich vom lateinischen imaginatio (Bild) ab und bezeichnet „Fantasie, Einbildungskraft, bildhaftes Denken“ (Duden Online 2013). Imagination ist mit Emotionen verknüpft und „stifte[t] Sein“ (Bachelard 2007, 91). Siehl fragt in seiner Analyse von „Filmen, die beflügeln“, welche Gefühle und Vorstellungen bestimmte Filme im Hinblick auf eine Destination auslösen (Siehl 2010, 296). Gaston Bachelard nähert sich in seiner Poetik des Raumes (2007, französisches Original La poétique de l’espace, 1957) den Imaginationen über bildhafte Raumsprache. Er fragt, worin die Macht des Bildes begründet liegt. Über sprachliche Bilder werden emotionale und kognitive Seinszustände ausgedrückt: Wir wohnen in unserem seelischen Haus mit Türen und verborgenen Zimmern, wir bewahren oder verstecken Erinnerungen in „Schubladen“, „Truhen“, „Schränken“, wir ziehen uns in „Bilder der Intimität“ (ebd., 90), in „Nester“ und „Muscheln“ zurück und sehen uns gleichzeitig 56 57
So lautet auch das Thema der Tagung „Visuelle Geographien – Von inneren und äußeren Bildern der Welt“, die vom 12.–14. Juli an der Universität Flensburg stattgefunden hat (http://www. uni-flensburg.de/geographie/tagung-visuelle-geographien/). Setzte man anstelle eines anderen Menschen nun einen Ort oder eine Region, wäre dies ein Fall von Reifizierung, der Projektion emotional-symbolischer Aufladungen auf nicht belebte Objekte.
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der Unermesslichkeit (des Alls) gegenübergestellt. Bachelard behauptet, dass diese poetischen Raumbilder Vorstellungen anregen, die „Innerlichkeitserlebnisse“ (ebd., 214) auslösen und emotionalen Nachvollzug ermöglichen. Die Untersuchung dieser Bilder nennt er „Topophilie“ (ebd., 25) oder „Topo-Analyse“ (ebd., 35). Die Poetik biete im Gegensatz zur Geometrie den Vorzug, dass sie nicht auf absoluten Relationen und der kartesischen Ordnung basiert, sondern einen Möglichkeitsraum bietet, der nur den Grenzen der Fantasie unterworfen ist. Entsprechend fordert Bachelard eine „Phänomenologie der Einbildungskraft“ (ebd., 9). Methodologie und Methoden Um diese Forschungen rund um das Visuelle angemessen bewältigen zu können, braucht die Geographie eine kritische visuelle Methodologie, denn „very little is about the geographer practicing or doing the visual“ (Tolia-Kelly 2012, 137; vgl. auch Rose 2007; Crang 2010b). Das umfasst zum einen eine grundlegende Informiertheit über filmwissenschaftliche Begriffe und Theorien. So ist es für das Verständnis von Filmen unentbehrlich, sich einen Überblick über filmische Stilelemente und deren Effekt auf den Zuschauer zu verschaffen (Siehl 2010, 11). Gerade der Effekt auf den Zuschauer oder, etwas breiter gefasst, die Emotionen sind bisher in den filmgeographischen Untersuchungen zwar oft als elementar erwähnt, jedoch eher randständig systematisch diskutiert worden. Zum anderen müsste sich die Erkenntnis der Multisensualität auch in den Forschungsmethoden und in der Präsentation der Forschungsergebnisse als „‚creative‘ qualitative research“ (Barnes 2012, 69) niederschlagen. So schlägt Crang vor, Wege auch jenseits der konventionellen sprachlichen Darstellung zu suchen: „[W]e might use visual methods to unpack visuality“ (Crang 2003b, 242). Visuelles mit Visuellem zu präsentieren, umfasst z. B. Foto- und Videotagebücher bzw. -essays (Latham 2003; Laurier & Philo 2006; Frers 2007; Watts 2008; Bissell 2009; Brandner & Vilsmeier 2013), Foto-Novels (Yusoff 2007), visuelle „Geo-Narrative“ (Kwan & Ding 2008, 443), die die Zeitgeographie in neuer GIS-Technologie wiederauferstehen lassen, sowie neue grafische Formen und Buchgestaltungen wie die „map books“ (Barnes 2012, 77) (vgl. Abb. 6) oder die Graffiti-Karten (Barnes 2007, 140). Alison Barnes möchte mit ihrer Arbeit eine enge Zusammenarbeit von Grafikdesignern und Humangeographen anregen. Anliegen der ‚map books‘ ist, das Erleben einer Stadt durch die Lektüre des Buches zu vergegenwärtigen. Dazu wird nicht einfach ein Text gelesen, sondern das Buch soll ebenso entdeckt werden wie eine Stadt: „for example, turning corners, looking beneath or behind things, changing positions to get a different view or recording and collecting elements that offer insights into everyday life in a place“ (Barnes 2012, 81). Das Buch ist nicht länger nur Aufbewahrungsort von Texten, sondern wird performativ. Es werden Mikro-Situationen erzeugt, die das Erleben (in) einer Stadt nachvollziehbar und nacherlebbar machen sollen. Mit ihrer Arbeit zeigt Barnes eine Möglichkeit auf, die klassischen Medien des Buches und der Grafik für eine Analyse performativen Geographie-Machens sensitiver Subjekte (wieder) zu gewinnen – unter Berücksichtigung der Paradigmen der Emotionalität, des Erlebens und der Multisensualität.
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Abb. 6: Old Town Book Edinburgh – Map Book. Impressionen Edinburgh. Einige Textstellen sind nur durch Fenster in den Seiten lesbar. Es sind nur Fragmente sichtbar. An den Seitenrändern können, so gewünscht, die Seiten aufgetrennt und der ganze Text gelesen werden (Barnes 2010).
Schmecken Schmecken und Geschmack sind aufgeladen mit Erinnerungen und Gefühlen. Schmecken wird zumeist über Essen und Trinken praktiziert. Dadurch halten wir nicht nur unseren Organismus am Leben, wir gehen vielfältige soziale Beziehungen ein, vollziehen Identitäten, Weltanschauungen und Weltbindungen. Wir sind kulinarische Touristen: Wir gehen auf die Suche nach ‚authentischer afrikanischer Küche‘, kaufen den ‚Geschmack Italiens‘, suchen die unmittelbare Nähe zur Natur in ‚ursprünglichen, unverfälschten Geschmackserlebnissen‘.58 Wir sind kulinarische Patrioten: Wir essen nur die Thüringer, nicht aber die Nürnberger Bratwurst, kaufen unsere Eier nur von regionalen Bauern, weil die besser schmecken (die Eier), wir bevorzugen die Alpenmilchschokolade. Wir sind kulinarische Gewohnheitstiere: Wir sind globale Fastfood-Konsumenten – an der heimischen Autobahnauffahrt wie im Urlaub in Spanien. Feiertage ohne Gans, Würstchen, Glühwein, Sekt, ohne Hochzeitstorte, ohne Häppchen und Fingerfood, ohne Kuchen sind unvollständig. Wir sind kulinarische Pioniere: Wir verleiben uns ‚das Fremde‘ ein und essen Käfer am Spieß, kochen Jamie Olivers TV-Gerichte nach, wir bauen unser Gemüse auch 58
Alison Barnes schreibt in ihrem Blog über den kulinarischen Aspekt eines Forschungsaufenthaltes in London: „Over the course of eight weeks last summer I ate and drank my way from one end of Hackney to the other, and in doing so, took a culinary journey from one side of the world to the other. I chewed the fat with Brazilian football fans and chewed fat with Ethiopians; I shopped before Shabbat and ate breakfast at the start of Ramadan; and, I learnt more than I could have imagined about Hackney, kosher food, legal highs, and countless other things. I have found food not only to be central to social identity and to creating bonds with friends and family, but I have also found it central to the complex network of local and global connections that make place. The consumption of a fifty pence Polish chocolate bar produced by a brand that, in turn, has been bought and sold by British, American and Asian companies, instantly highlights the far reaching nature of such a seemingly inconsequential item“ (Barnes 2011b).
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in der Großstadt in urbanen Gärten an. Wir sind unsicher: Wir halten Diät, stopfen in uns hinein, hungern, trinken exzessiv, essen heimlich. Kurzum: Essen und Trinken sind wesentlich für die Identifizierung und Darstellung des eigenen Selbst, für die Regulation und Disziplinierung des eigenen Körpers, für den Vollzug sozialer Beziehungen und für das Gelingen kultureller Praktiken. Geographien des Gustatorischen Der Geschmackssinn wird in der Geographie über die Thematisierung von Essen angesprochen. Allerdings geschieht dies zumeist nicht in seinem Erlebnischarakter, sondern in der Etikettierung von Essen mit Regionallabeln oder der Sichtbarmachung von Produktionsweisen. In der Geographie hat sich Yi-Fu Tuan mit den Pleasures of the Proximate Senses: Eating, Taste, and Culture (2005a) generell für eine stärkere Berücksichtigung dieses Sinns eingesetzt. Amy Trubeks The Taste of Place (2008) und Lisa Heldkes But Is It Authentic? Culinary travel and the search for the „genuine article“ (2005) verweisen auf die wichtige Rolle der symbolischen Aufladung von Essen. Die Vermarktung des Essens über eine Region wurde etwa in Ulrich Ermanns Regionalprodukte: Vernetzungen und Grenzziehungen bei der Regionalisierung von Lebensmitteln (2005) gezeigt. Tilo Felgenhauer untersucht die Regionenbezogene Konsumtion und Marketingkommunikation am Beispiel ‚Original Thüringer Qualität‘ (2007b). Ähnlich gelagert ist die Untersuchung von Eva Gelinsky (2005, 125) zur Frage „Wie das Emmental in den Emmentaler Käse kommt“ bzw. ob man „Landschaften essen“ kann. Die oftmals vermarktungsstrategisch konstruierten Verbindungen zwischen Essen und Herkunftsregion werden als Fragen der symbolischen Bedeutung behandelt. Diese symbolische Aufladung beeinflusst auch die Geschmackserwartung der Konsumenten („Bio schmeckt besser“): Aufschlussreich sind dann jene Experimente des ‚Blindessens‘, bei denen die Probanden Lebensmittel gereicht bekommen, ohne dass die Herkunft bzw. die Marke genannt wird. Die vormals so klare Einteilung ist dann nicht immer aufrechtzuerhalten.59 Tasten Der Tastsinn wurde von der sozialwissenschaftlichen Forschung bislang vergleichsweise wenig beachtet. Populäre Ausnahme sind Mark Paterson mit seinem Buch The Senses of Touch: Haptics, Affects and Technologies (2007) und Constance Classen, Autorin von The Deepest Sense: A Cultural History of Touch (2012) und Herausgeberin von The Book of Touch (2005). Mit Tasten und Berühren sind Vorstellungen über einen Kraft- oder Energieaustausch verbunden. Berührungen stellen einen Kontakt her, sie etablieren nicht nur Nähe, sondern Einigkeit (Tuan 1998, 57). Wir berühren also nicht nur, sondern wir werden berührt – körperlich wie metaphorisch. Berüh59
Ein kleiner Geschmackstest im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaft (Institut für Geographie, Jena, November 2009) ergab, dass der Unterschied zwischen ‚normalen‘ und Bio-Äpfeln nicht signifikant erkannt wurde, d. h., die Testesser konnten keinen Unterschied schmecken.
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rungen sind ein wesentlicher Faktor bei der Etablierung sozialer Beziehungen. Sie drücken Machtbeziehungen aus und suggerieren damit Vertrautheit und Zuneigung oder Distanziertheit und Statusunterschiede. Über Berührungen, die Wohlgefallen auslösen, wie Händeschütteln, Umarmen, Schulterklopfen, wird Vertrauen aufgebaut. Auch im Sport wird Einheit und Verbundenheit körperlich ausgedrückt. Bei der Fußball-WM 2006 legten sich die Spieler der deutschen Nationalmannschaft während der Nationalhymne gegenseitig die Arme auf die Schultern, um Zusammengehörigkeit zu demonstrieren (Sprunk 2010, 25). Verbundenheit wird auch in der Politik nicht nur sprachlich (‚sich nahestehen‘, ‚Schulter an Schulter stehen‘, ‚in schwierigen Zeiten enger zusammenrücken‘), sondern auch in ganz körperlichem Sinne demonstriert. Berührungen hinterlassen durchaus auch unangenehme Spuren – auf der Oberfläche in Form von Fingerabdrücken, Schmutz, Abnutzungen und in der Psyche in Form von Unwohlsein oder sogar Schmerz. Geographien des Taktilen oder Neuseeland berühren Der Drang, mit Dingen und Orten in Berührung zu kommen, ist, so Bell (2007a) und Bell und Lyall (2005), an touristischen Destinationen besonders groß. Das Anfassen dient dazu, sich der ‚Echtheit‘ des Unbekannten zu versichern: „To touch is to form a tactile relationship with the environment; to verify its actuality, its authenticity; to elicit confirmation; to destroy the gap between that which is seen and the subjective human body; to surmount distance. Feeling the object extends what one feels about the object; the physical and emotional connect“ (Bell 2007a, 2).
Bell hat in Untersuchungen der Expo-Ausstellung festgestellt, dass sich die Nationen in ihren Pavillons über eine bestimmte (als ‚national‘ etikettierte) Tastqualität inszenieren und gezielt Tasterlebnisse anbieten, um den Besuchern über das Betasten das Gefühl eines ‚echten‘ Kontakts zu vermitteln (Bell 2007a, 2). So präsentierten sich Finnland, die Schweiz, Ungarn, Litauen oder Lettland auf der Expo über ihre ‚Natur‘, in diesem Falle durch eine Auswahl heimischer Hölzer, die ausdrücklich zum Ertasten bereitgestellt wurden. Die Besucher leisteten dieser Aufforderung nur zu gern Folge (ebd.). Während der Expo 2005 in Japan untersuchte Bell das Verhalten der Besucher des neuseeländischen Pavillons, in dessen Mitte ein aus Neuseeland eingeflogener großer Jadestein lag (ebd., 3 ff.). Die meisten Besucher wollten den Stein anfassen und nahmen für den Reiz, ein ‚Stück Neuseeland‘ (stellvertretend für ‚Neuseeland‘) berühren zu können, sogar in Kauf, anstehen zu müssen: „To touch this rock was to perform perhaps a memorable act to feel one was actually had one’s hands on a bit of New Zealand“ (ebd., 6). Ein Stück von der anderen Welt festhalten zu können – ein Motiv, das auch für viele Muschelsammler und Souvenierjäger ein zentrales Motiv ihrer Aktivitäten ist. Als Konsequenz für die Tourismusgeographie folgt, dass neben dem „tourist gaze“ (Urry 1990) auch Berührungen, Gerüche, Geräusche, Geschmack für das Verständnis touristischen Erlebens bedeutsam werden und in die Analyse eingeschlossen werden sollten.
Zwischenresümee II: Erleben, Emotionalität und Multisensualität
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‚Tactile technologies‘ Schon 2004 prohezeite Nigel Thrift eine neue Kultur der Berührungen. Er postuliert in seinen Movement-Spaces ein neues Zeitalter der „qualculations“ (2004a, 582), das sich wesentlich durch eine Zunahme der Zahl an Gegenständen auszeichnet, die durch Berührung steuerbar sind (ebd., 598 f.). Die Sinnlichkeit physisch materieller Objekte im Allgemeinen und der Tastsinn im Speziellen würden in ihrer Relevanz steigen (ebd.). Dabei hebt er besonders die Bedeutung der Hand (ebd., 597) – hervor, die bei der Etablierung einer neuen Kultur der Berührungen eine zentrale Rolle spielen werde. Die Reichweite der Hand vergrößere sich und die Starrheit physisch-materieller Objekte werde durch interaktive Benutzeroberflächen abgelöst (ebd., 584). Beispiele für die „tactile technologies“ (Classen 2005, 401) oder das „haptic engineering (Thrift 2004a, 598) sind Smartphones, Tabloid-PCs, Fahrkarten- und Kassenautomaten und andere auf Berührungen basierende Technologien, die durch die eigenen Finger und nicht (mehr) durch externe Eingabemechanismen (Tastatur, Maus, Stift etc.) gesteuert werden. Der Tastsinn entwickelt sich so zunehmend zu einem wichtigen Aspekt des Produktdesigns. Ziel ist es, das Produkt nach diesen Vorlieben zu modifizieren und das Tastgefühl als Erlebnisqualität des technischen Geräts zu verkaufen. Konträr dazu wird aus Angst vor globalen Epidemien (SARS, Schweine-, Vogelgrippe etc.) die Entwicklung berührungsloser Technologien ebenfalls vorangetrieben. So können wir nicht nur an Flughäfen, sondern auch in Shoppingcentern, Bürohäusern, Universitäten, Kliniken und Restaurants überall da, wo es zum Austausch von Keimen und Bakterien kommen kann, berührungslos agieren: Türen öffnen sich automatisch, Wasser fängt an, aus Wasserhähnen und Toilettenspülungen zu fließen, und heiße Luft wirbelt in Händetrocknern, wenn wir uns annähern. Je nach Einsatzfeld steht also die Zunahme berührungsintensiver oder berührungsloser Technologien auf dem Programm. Wir entledigen uns unangenehmer Berührungen durch technische Möglichkeiten und schaffen gleichzeitig neue Berührungssphären.60 Die technische Entwicklung bleibt – aller Virtualität und Digitalität zum Trotz – auf das Engste mit unseren Körpern verbunden. 3.4 Zwischenresümee II: Erleben, Emotionalität und Multisensualität Erleben, Emotionalität und Multisensualität sind in der erkenntnistheoretischen Herleitung als Säulen analogisch-ästhetischer Erkenntnis herausgearbeitet worden. Sie beschreiben den Kern der cognitio sensitiva (AE, § 17). Alle drei Begriffe sind mit Bezug auf verschiedene Autoren präzisiert worden. Zur Klärung des Erlebensbegriffs wurde Diltheys Lebensphilosophie herangezogen, zur Analyse der Rolle von Emotionalität die neuere neurowissenschaftliche Forschung, besonders jene von António und Hanna Damásio, und zur Ausdifferenzierung von Multisensualität
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Die Abschaffung der Berührungsnotwendigkeit einiger Geräte kann auch zu Irritationen und dem gesteigerten Wunsch nach ‚richtigem‘ Kontakt, nach nostalgischen Technologien führen.
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wurden verschiedene Ansätze vorgestellt, die sich um die Erforschung der einzelnen Sinne gebildet haben. Zu Erleben Der Begriff des (Er-)Lebens galt in der Philosophie vor Dilthey, etwa bei Descartes oder Kant, als zu problematisch, als dass auf ihn eine Wissenschaft aufgebaut werden konnte. Dies ändert sich mit einer wissenschaftstheoretischen Zäsur Ende des 19. Jahrhunderts, bei der, im Zuge der Emanzipation der Geisteswissenschaft von den Naturwissenschaften, der Begriff des Lebens als „Kampfbegriff “ (Šuber 2008, 106) eingeführt wird. Diltheys Philosophie des Lebens (1946) postuliert, dass keine Erkenntnis hinter das (Er-)Leben zurückgehen kann. Erleben ist somit auch unhintergehbare Basis jeder geisteswissenschaftlichen Analyse, deren Hauptgegenstand Dilthey in der Analyse der „geschichtlich-gesellschaftliche[n] Wirklichkeit“ (Dilthey 1946, 35) sieht. Der zentrale Dreischritt in Diltheys Ansatz lautet: Erleben – Ausdruck – Verstehen. Zusammen bilden sie den Gegenstand geisteswissenschaftlicher Analyse. Das bei dieser Analyse im Mittelpunkt stehende Subjekt wird als ‚fühlend wollend vorstellend‘ entworfen. Diese Attribute machen für Dilthey die ‚Ganzheitlichkeit‘ des Menschen aus – ein Begriff und eine Vorstellung, die wir in der vorliegenden Arbeit nicht teilen. Wir belassen es vielmehr bei der Aufzählung der Attribute, ohne zu entscheiden, ob diese nun ein ‚Ganzes‘ ausmachen oder nicht. Mit der behaupteten Konstitution des Menschen als ‚wollend fühlend vorstellend‘ geht die Fokussierung auf Handeln, Bewerten und Erkennen einher. Damit eröffnen sich neben dem Handeln neue sinnkonstituierende Operationen. Die Konsequenz aus Diltheys Darlegung ist, dass jede Interpretation des Geographie-Machens diese Bedingungen und Operationen reflektieren muss, um sich der Vielgestaltigkeit menschlichen Tuns, Fühlens, kurz: des menschlichen Seins zu nähern. Es wurde gezeigt, dass die Fokussierung auf ‚Handeln‘ einen instrumentellen Zugriff darstellt und somit gewisse Aspekte ausblendet (bzw. ausblenden muss). Eine Möglichkeit, dieses Ausgeblendete zu thematisieren, stellt der Begriff des Erlebens dar. Den Ausgangspunkt von Diltheys Argumentation bildet der „Satz der Phänomenalität“ (GS XIX, 62). Er besagt, dass Welt und Selbst als Erlebnisse des Bewusstseins existieren. Erleben ist dann als Modus zu verstehen, der Bewusstseinstatsachen schafft. Erleben betont die emotionale und bewertende Seite eines sensitiven Erkenntnisaktes. Es kann also nicht das Studium der ‚Dinge‘ oder der ‚Außenwelt‘ an sich sein, das den Gegenstand geisteswissenschaftlicher Untersuchung bildet, sondern die Artikulation und das Verstehen dieser Bewusstseinserlebnisse. Hier finden wir eine Analogie zu Gabriels in der erkenntnistheoretischen Grundlegung vorgestellten These, dass wir es bei der analogisch-ästhetischen Erkenntnisform mit Sichtweisen auf Welt und Selbst, mit Weltauffassungen zu tun haben. Es geht nicht mehr länger (nur) um die Vermessung der Welt, sondern um das Verstehen von Welt- und Selbstbildern. Der Begriff des Ausdrucks (oder synonym: der Lebensäußerung) beschreibt multisensual zur Darstellung gebrachtes Erleben. Eine Annäherung an das Erleben kann also nie ‚direkt‘, sondern nur über Lebensäußerungen erfolgen. Lebensäuße-
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rungen können absichtsvoll oder unbeabsichtigt sein. Sie umfassen ein breites Spektrum, das von Gebärden, Sprache, Kunstwerken, Handwerkstechniken bis hin zu wissenschaftlichen Theorien reicht. Sie werden individuell hervorgebracht, stehen jedoch nicht isoliert. In jedem Ausdruck kommt es zur Manifestation eines ‚objektiven Geistes‘ – über Materialisierung, Verschriftlichung, Institutionalisierung, Habitualisierung. Dieser Geist resultiert aus der Einbettung des Menschen in einen historisch-gesellschaftlichen Kontext. Er bezeichnet das geteilte Hintergrundwissen einer Lebenswelt über die gesellschaftliche Verfasstheit, d. h. die moralischen, juristischen, politischen, religiösen, kulturellen etc. Einstellungen, und stellt die Voraussetzung dafür dar, dass Lebensäußerungen überhaupt verstanden werden können. Durch das Verstehen versuchen wir Lebensäußerungen Sinn zu verleihen. Verstehen bildet eine, wenn nicht die grundlegende geisteswissenschaftliche Operation. Dieses Sinn-Machen kann sowohl ein rational-logisches Nachdenken als auch ein emotional-imaginatives Nacherleben sein. Als verstehende Operation begreift Dilthey die Hermeneutik. Auch wenn Dilthey selbst den Schwerpunkt auf die hermeneutische Analyse von Texten und Musik legt, öffnet er doch die Theorie für weitere Formen von Lebensäußerungen. Kurz gesagt, Diltheys Forderung, dass eine angemessene Geisteswissenschaft, die das alltägliche Dasein der Menschen verstehen will, den Menschen als ‚wollend fühlend vorstellend‘ konzipieren, Erleben als unhintergehbare Basis annehmen und den historisch-gesellschaftlichen Kontext berücksichtigen müsse, kann wichtige Impulse auch für die Theorie(n) des alltäglichen Geographie-Machens liefern. Die These, die mit dem Einbezug lebensphilosophischer Überlegungen verbunden ist, lautet, dass Geographie-Machen mehr umfasst als intentionales Tun. Alltägliches Dasein ist nicht allein die Summe geplanter Handlungen, sondern auch das Ergebnis von „Erleben, Erleiden, Erfahren“ (Junge, Šuber & Gerber 2008a). Was hier in den Blick kommt, ist „die Konstitution sozialen Sinns jenseits instrumenteller Vernunft“ (ebd.) – nicht die fordistisch anmutende ‚Produktion‘ von Identitäten, Bedeutungen oder Raumvorstellungen, sondern deren ‚Erzeugung‘. Mit anderen Worten: Erleben wird als Konzept verstanden, dass zur Auffächerung der Dimensionen des Geographie-Machens beiträgt und somit die Konzepte des Handelns und der Praxis ergänzt. Eine geisteswissenschaftliche Perspektive erweitert somit den größtenteils sozialtheoretisch informierten geographischen Blick. Zu Emotionalität Der emotional turn ist ein von den Neurowissenschaften ausgehender gegenwärtig bedeutender Impuls in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Neurowissenschaften sind keineswegs die ersten und einzigen, die sich mit Emotionalität beschäftigen. Der von ihrer Forschung ausgelöste emotional turn ist jedoch in seiner Wirkmacht und Aktualität anzuerkennen und für die geographische Forschung kritisch-konstruktiv zu beleuchten. Unterschieden wurden zwei Prämissen der Reichweite neurowissenschaftlicher Erklärungen: Die eine geht davon aus, dass das Selbst, der freie Willen, das Erleben allein aus neuronalen Prozessen zu erklären ist. Die andere räumt eine Black Box ein, die sowohl die Konstitution dessen, was
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als Selbst bezeichnet wird, betrifft als auch die Subjektivität des Erlebens. Unabhängig von den jeweiligen Prämissen ist eine Kernaussage neurowissenschaftlicher Forschung, dass Emotionalität ein nicht subtrahierbarer Teil menschlichen Daseins darstellt. Zu dieser Erkenntnis hat auch die Arbeit von Hanna und António Damásio beigetragen, die wir dem zweiten Paradigma zuordnen können. Damásios Forschung macht deutlich, dass (pathologisch) fehlende Emotionalität nicht zu einem schärferen Verstand führt, sondern im Gegenteil Defizite im rationalen Handeln bewirkt. Ihre Schlussfolgerung, dass Rationalität untrennbar mit Emotionalität verbunden ist, weist nicht nur die Vorstellung des homo oeconomicus endgültig als unhaltbar zurück, sondern fordert auch jede Disziplin, die den Menschen oder – wie die Geographie – sein Machen in den Mittelpunkt stellt, auf, die Konsequenzen dieser Einsicht für sich zu durchdenken. Der Einbezug von Emotionalität öffnet dabei nicht die Tür für Irrationalitäten, sondern nur für andere als rational-logische Rationalitäten. Der Einfluss von Emotionalität muss reflektiert werden. Dazu ist es zwar sinnvoll, jedoch nicht ausreichend, sich mit den Ergebnissen neurowissenschaftlicher Forschung zu befassen. Damásios Metapher vom „Film-im-Gehirn“ macht die Möglichkeiten und Grenzen neurowissenschaftlicher Forschung deutlich. So vermag sie es, den Inhalt des Films – die neuronalen Muster – aufzuzeigen, wer diesen Film aber anschaut und welche subjektiven Erlebnisqualitäten für diesen jemand damit verbunden sind, kann von der Neurowissenschaft nicht hinreichend beantwortet werden. Die Entstehung einer „Innenperspektive“ (Elger et al. 2004, 37) ist allein mit einem neurowissenschaftlichen Zugang nur unzureichend erfasst. Dies ist schließlich auch ein zentraler Kritikpunkt am neurowissenschaftlichen emotional turn: die teils massive Herabsetzung sozial- und geisteswissenschaftlicher Ansätze durch eine Neurowissenschaft, die sich nicht öffnet, die die Kompetenz anderer Wissenschaften zur Erklärung und zum Verstehen von Selbst nicht anerkennt. Die Eigenlogik der Geistes- und Sozialwissenschaften kann nicht aufgehoben und einer neurowissenschaftlichen untergeordnet werden. Drei zentrale Thesen konnten wir in Damásios Arbeit ausmachen. Erstens wird der Mensch als ein „Organismus“ begriffen, der sich durch eine „Hirn-Körper-Partnerschaft“ auszeichnet. Der Mensch wird nicht auf sein Hirn beschränkt. Durch diese Partnerschaft werden Emotionen geistig wie leiblich spürbar. Zweitens wird zwischen Emotionen und Gefühl unterschieden. Emotionen beschreiben die Änderung physiologischer Erregungszustände, Gefühle das Gewahrwerden dieser Änderungen bzw. das Gewahrwerden dieser Änderungen als meine Gefühle. Drittens stellt sich heraus, dass Emotionalität, genauer Gefühle, eine wichtige Rolle für die Entstehung des Bewusstseins spielt: „a subject, a lived self, exists for itself only as an ongoing feeling“ (Rudrauf & Damásio 2006, 423, eig. Hervhbg.). Bewusstsein entsteht im Erleben, oder genauer, und hier erfolgt eine neurowissenschaftliche Konkretisierung der Dilthey’schen Überlegungen, in der Begegnung zwischen dem ‚Organismus‘ und einem ‚Objekt‘. Objekt ist hier nicht auf Materialitäten beschränkt, sondern bezeichnet alles, was im Bewusstsein auftaucht, Wahrgenommenes ebenso wie Gefühltes oder Erinnertes. Die Begegnung besteht aus drei Phasen: dem Zustand des Organismus vor der Begegnung, dem Auftauchen des Objekts und dem
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dadurch veränderten Zustand. Über diese Begegnung wird eine Erzählung angefertigt, die die sinnlichen Eindrücke ebenso wie die körperlichen und geistigen, also auch emotionalen Zustände umfasst. Im Registrieren dieser Erzählung entwickelt sich die subjektive Perspektive, der Sinn für das eigene Erleben, Handeln und Denken. Hier entsteht mit anderen Worten der Zuschauer, der den ‚Film-im-Gehirn‘ anschaut: das sich in der Begegnung konstituierende Selbst. Die Konsequenz für Materialitäten lautet: Nicht von den Dingen geht deterministisch etwas aus, sondern erst in der Begegnung werden Stimmungen, Atmosphären erzeugt. Atmosphären sind Erlebens-, keine Objektqualitäten. Die Bezeichnung als material turn ist daher irreführend, denn es erfolgt ja keine (Rück-)Wende zur Beschäftigung mit Physisch-Materiellem per se, sondern nur in dem Rahmen, wie es für Handeln und Erleben relevant wird. In der geographischen, speziell der deutschsprachigen Debatte wird die Bedeutung von Emotionalität zunehmend diskutiert. Gefühle sind ein wesentliches Moment des Geographie-Machens, etwa in der Verhandlung emotionaler Ortsbezüge. Die erkenntnistheoretischen wie die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse legen die Berücksichtigung der Emotionalität des Menschen als conditio humana nahe. Als solche muss sie Eingang finden in die Analyse alltäglichen wie wissenschaftlichen Geographie-Machens. Gerade wenn der Fokus auf die Lebenswelt bzw. das Gelebt-Werden von Geographien gerichtet wird, wie in der aktuellen Humangeographie, ist Emotionalität als eine Dimension des Mensch-Seins und des Lebens anzuerkennen. Dabei geht es darum zu verstehen, welche Rolle Gefühle für die eigene Identifikation und das Identifizieren spielen, und auch, wie Emotionalität in soziokulturellen Beziehungen zum Ausdruck kommt und zu steuern versucht wird. Der geographische Fokus auf die verschiedenen Spielarten emotionaler Ortsbezüge lässt eine ausdrückliche Betrachtung der emotionalen Seite von Welt-Bindungen sinnvoll erscheinen. Wenn die Analyse von Geographie-Machen es auch umfasst, zu verstehen, wie Bedeutungen konstituiert werden und Sinn erzeugt wird, dann muss diese Seite berücksichtigt werden. Zu Multisensualität Multisensualität zieht in der neueren sozial-, kultur- und geisteswissenschaftlichen Diskussion verstärkte Aufmerksamkeit auf sich. Die These lautet, dass über die Sinne Weltbindungen vollzogen werden. Multisensualität ist ein Aspekt von Darstellung, sie ist an der Konstitution von Sinn und Bedeutung beteiligt. Die Fokussierung der einzelnen Sinne ist als Folge der breiten Akzeptanz der Embodiment-These zu verstehen, nach der der Mensch nicht nur Geist ist, sondern immer als Verbindung aus Körper und Geist, als ‚embodied mind‘ und ‚mindful body‘ zu sehen ist. Die Anerkennung der grundsätzlichen Körperlichkeit des Menschen hat Konsequenzen für die Stellung von Emotionalität und Erleben, wie in Kap. 3.1 und 3.2 ausgeführt wurde, sowie für die Bedeutung von Multisensualität. Deutlich wird, dass die Erforschung der Multisensualität keine sensualistische/empiristische Beschreibung von Wahrnehmungsvorgängen ist (wie es etwa von Berkeley oder Locke beschrieben wurde; vgl. Kap. 2.2), sondern das sensitive, also das geistig-sinnliche
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Erleben nach Baumgarten in den Mittelpunkt stellt. Der sinnliche Anteil ergibt sich aus dem Bewegt-Sein, dem emotionalen Affekt: Was erregt meine Aufmerksamkeit? Was erschüttert mich? Was empfinde ich z. B. als dunkel, traurig und schwer; was als dynamisch, leuchtend, belebend? Zum geistigen Anteil gehören (Geschmacks-) Urteile, die sozial geprägt sind und sozial wirksam werden: Was wird als angenehm, wohlklingend empfunden; was als störend, ekelerregend und hässlich? Welche sozialen, politischen, wirtschaftlichen Implikationen haben diese Urteile? Die Praktiken des Sehens, Riechens, Schmeckens, Tastens und Hörens sind immer kulturell kontextualisiert, d. h., sie werden sozial geteilt und haben einen historischen und politischen Bezugsrahmen. Der Einblick in diese Zusammenhänge wird bewusst für die Gestaltung unserer Lebenswelten genutzt: Für Städte werden Konzepte zum Sounddesign entworfen; für Produkte wird ein unverwechselbarer Sound, eine akustische Marke gestaltet; Gerüche zur Leistungssteigerung werden komponiert und in Büros verströmt; die haptische Qualität von Objekten wird so forciert, dass ein Drang nach Berührung entsteht; gleichzeitig werden soziale Beziehungen in berührungslose Bahnen gelenkt; in den Massenmedien werden Musik, Klänge, Bilder, Kameraperspektiven, Schnitttechniken genutzt, um Emotionen beim Zuschauer zu wecken. Auch in der Geographie haben sich um die Erforschung einzelner Sinne eigene Forschungsrichtungen gebildet. Am etabliertesten ist die Erforschung des Sehsinns. Speziell die Filmgeographie, die Kritische Kartographie, aber auch die Politische Geographie haben sich dem Visuellen und den Praktiken des Sehens verschrieben. Bilder sind ein grundlegender Reflexionsgegenstand der Humangeographie geworden.61 Ihre Analyse erfolgt im Hinblick auf zum Ausdruck gebrachte Machtverhältnisse und die Praktiken der Konstitution von Raumvorstellungen oder kurz gesagt: im Hinblick auf das mediale Geographie-Machen. Das gleiche Ziel verfolgen auch Arbeiten zum Schmecken, Hören und Tasten. Hier wird ebenfalls der Einsatz der Sinne im Rahmen der Erzeugung von raumbezogenen Emotionen, Images und Machtverhältnissen untersucht, etwa durch einzelne identitätsstiftende Lieder oder globale Musikevents wie Live Aid, durch das Zelebrieren ‚regionalen‘ Geschmacks, durch das bewusste Riechen der ‚exotischen‘ Fremde oder das Kennzeichnen eines Tasterlebnisses als nationales Kulturgut wie auf der Expo 2000/2005, wo das Befühlen eines Stücks Stein oder Holz stellvertretend für den Kontakt mit einer Nation steht. Interessant sind jeweils die sinnesspezifischen Qualitäten, die entscheidend für das Erleben, die Bewertung dieses Erlebens und den strategischen Einsatz dieser Empfindungen sind: Über das Tasten wird Nähe erzeugt, die Vorstellung eines direkten Austauschs; Gerüche sind intensiv an dem Aufrufen von Erinnerungen beteiligt; über das Hören werden besonders Gefühle angesprochen; beim Schmecken verleiben wir uns etwas ein – nicht nur das physische Nahrungsmittel, sondern auch die Vorstellung und das Image von ‚Natürlichkeit‘, ‚Nähe‘ und ‚Ferne‘. Das Sehen hat Evidenzcharakter – ‚etwas mit eigenen Augen gesehen haben‘ erzeugt Authentizität, gleichzeitig verführt es, denn es gibt keine ‚Abbilder der Realität‘. Zusammengefasst 61
Auch die Physische Geographie, die Bodenkunde, die Geoinformatik oder die Fernerkundung definieren sich heutzutage wesentlich über bildgebende Verfahren. Eine Reflexion dieser Eingebundenheit steht jedoch noch aus.
Zwischenresümee II: Erleben, Emotionalität und Multisensualität
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wird mit dem Einbezug von Multisensualität in die geographische Forschung das Sinn-Machen, wird der „sense of place“ (Howes 2005, 7) wörtlich genommen. Die Erforschung der Multisensualität ist untrennbar mit einer Auseinandersetzung um angemessene Methodologien und Methoden im Fach verbunden. Wie können Sinne erforscht, wie sinnliches Erleben dokumentiert werden? Wie kann einem Leser wissenschaftlicher Arbeiten der Nachvollzug eines solchen Erlebens ermöglicht werden, ohne den Anspruch der Wissenschaftlichkeit zu verlieren? Eines jedoch scheint klar: Die Öffnung der Disziplin für andere Darstellungsformen, wie sie z. B. Barnes mit ihren zwischen Grafikdesign und Humangeographie angesiedelten Arbeiten vormacht, muss keinesfalls auf eine Erosion der Wissenschaftlichkeit hinauslaufen. Nicht die Produktion von Omnipotenz durch scheinbar objektive Sachsprache ist Zeichen von Wissenschaft, sondern Logik und Stringenz, Nachvollziehbarkeit und Verständlichkeit, Ehrlichkeit und Originalität (DFG 1998). Erkenntnis, auch wissenschaftliche Erkenntnis, so haben wir es in der einleitenden Grundlegung festgehalten, spielt sich innerhalb eines Kontinuums von begrifflich-logischen und analogisch-ästhetischen Erkenntnisformen ab. Es gilt nun, die analogisch-ästhetischen Erkenntnisformen nicht nur in der theoretischen Arbeit, sondern deren Potenzial auch in Überlegungen zur Methodologie und zu den Methoden zu berücksichtigen und zu reflektieren. Dabei geht es nicht darum, um jeden Preis (vermeintlich) ‚kreativ‘ zu sein, sondern, an geeigneten Stellen mit geeigneten Methoden Multisensualität, Emotion und Erleben nachvollziehbar zu machen.
4 Dimensionen des Performativen
In den vorhergehenden Kapiteln hat uns erstens die erkenntnistheoretische Grundlegung die gleichberechtigte Bedeutung der logischen und der analogisch-ästhetischen Erkenntnisform gezeigt. Am Ansatz von Alexander Gottlieb Baumgarten (siehe Kapitel 1.3) wurde dargelegt, was eine Lesart von Ästhetik für die Geographie sein kann, die sich nicht in schöngeistiger Landschaftsträumerei verliert, sondern einen theoretischen Rahmen für die Erforschung des sensitiven Erkenntnisvermögens und der Darstellungsformen bietet. Aus der erkenntnistheoretischen Grundlegung haben wir drei zentrale Begriffe für die weitere Argumentation abgeleitet: Emotionalität, Erleben und Multisensualität. Diese Begriffe wurden in einem zweiten Schritt näher bestimmt. António und Hanna Damásio machten die Rolle von Emotionen als conditio humana deutlich, Wilhelm Dilthey zeigte auf, dass (Er-)Leben als unhintergehbarer Grund aller Wissenschaften anzusehen ist und dass das Verstehen von Lebensäußerungen den Mittelpunkt einer geisteswissenschaftlich orientierten Forschung bildet, und die vielfältigen Forschungsansätze rund um die Multisensualität verwiesen auf die große Bedeutung der „schöpferischen geistig-sinnlichen Leistungen“ (Groß 2001, 65) als Konsequenz aus der Einsicht in die sinnliche Verkörpertheit des Menschen. In einem dritten Schritt sollen diese Begriffe und Einsichten nun als Elemente eines weiteren Begriffs Berücksichtigung finden, der, so die These, abermals spezifiziert, was Geographie-Machen (auch) umfasst: Die Rede ist vom Begriff der Performanz. Performanz ist die Einlösung der erkenntnistheoretischen Einsicht, dass es beim sensitiven Erkennen nicht um Weltauffassungen geht, sondern um Weltauffassungen. Es geht nicht um das Konstatieren und Abgleichen von Fakten, nicht um wahr oder falsch, sondern darum, ob die sinnstiftende Praxis gelingt oder nicht, ob sie individuell erlebt und sozial wirksam wird. Performanz wird im Folgenden als revidierter Begriff des Machens vorgeschlagen, der die erkenntnistheoretischen Einsichten der Multisensualität, der Emotionalität, des Erlebens berücksichtigt. Mit dieser Revision wenden wir uns jenen Aspekten des Geographie-Machens zu, die oftmals und zunehmend angerissen, jedoch nicht immer systematisch ausgeführt und begründet werden: das leibhaftige Tun, das emotionale Erleben, die Geschehensdimension geographischer Praxis. Mit dem Begriff der Performanz werden die von Gabriel, Baumgarten und Dilthey angeführten Fragen der Darstellung und des Hervorbringens von Lebensäußerungen konkretisiert. Genauer als Diltheys Begriff des ‚Ausdrucks‘, beschreibt der Begriff der Performanz das körpergebundene, mul-
Dimensionen des Performativen
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tisensitive, emotionale Tun und Erleben. In einer performativen Perspektive werden Raum, Materialitäten, Identitäten als durch ein Tun hervorgebracht verstanden; sie gehen ihm nicht voraus. Performanz fragt danach, wie dieses Hervorbringen vonstattengeht, und betont damit die inszenatorische Seite kultureller Praxis. Performanz beschäftigt sich mit dem Wie des Aufführens und hebt die Medialität dieses Tuns hervor. In den Blick kommt die Fähigkeit des Menschen zum gefühlsmäßigen leiblichen Erleben und zum multisensualen Ausdruck über Bild, Musik, Sprache, Tanz, Körper. So ist Performanz als wissenschaftlicher Ansatz wesentlich von der performance art inspiriert, rückt jedoch in der Folge nicht nur künstlerisches, sondern auch alltägliches Tun in den Fokus. Ein Ziel des social und cultural turns war und ist die „Dynamisierung der geographischen Weltsicht“ (Werlen 2010b, 323). Mit Performativität/Performanz wird im folgenden Kapitel ein Begriff vorgestellt, diese Dynamisierung zu forcieren und Geographie-Machen als sich vollziehendes Tun zu verstehen. Dabei hat sich, wie einleitend dargelegt, in der sozialgeographischen Theorie ‚Performativität‘ als ein zentrales Schlagwort etabliert, dessen systematische Aufarbreitung gegenüber sprachzentrierten Ansätzen Nachholbedarf in Sachen theoretischer Explikation hat. Dazu ist es notwendig, zu zeigen was genau unter dem Attribut ‚performativ‘ in den verschiedenen geographischen sowie sozial- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen jeweils verhandelt wird, ist dabei allerdings keinesfalls konsistent. Es ist zu zeigen, welche Ansätze in der Geographie derzeit das Label ‚performativ‘ tragen und auf welche Theorietradition – von der Sprachphilosophie Austins bis zu den performance studies – diese jeweils zurückzuführen ist. Ergänzend zu den bestehenden performativen Ansätzen wird im folgenden Kapitel mit dem Begriff der ‚Performanz‘ eine bestimmte Lesart von Performativität angeführt, erkenntnistheoretisch erörterte Sensitivität der Subjekte berücksichtigt. Damit verbunden ist die These, dass ‚gesellschaftliche Raumverhältnisse‘ performativ hergestellt werden, oder kurz gesagt, Geographie-Machende sind sensitiv, ihr Geographie-Machen ist performativ. Die Bedeutung des Wortes Performanz kann von dem lateinischen performare abgeleitet werden: formare „formen, gestalten“ und per-, welches als betonendes Präfix eine Intensivierung des Gesagten anzeigt („gänzlich, vollständig, vollkommen“) (Geißner 1985, 31). Performare bezeichnet also „den Prozeß, etwas vollständig oder vollkommen zu formen oder zu gestalten“ (ebd.). Die geläufigere Ableitung des Begriffes, verwendet etwa von Victor Turner und in der Folge auch von Dwight Conquergood (1985a, 12), bezieht sich auf das altfranzösische parfournir – par- mit der Bedeutung „sorgfältig“ und fournir mit der Bedeutung „ausstatten, möblieren“ (Geißner 1985, 31). Performanz verweist auf Poiesis als den Akt des Hervorbringens und auf Praxis als den Akt des Vollzugs. Insofern hat sie das gleiche Ziel wie die von Giddens vorgeschlagene Substitution von ‚Handlung‘ durch ‚Handeln‘: Handeln wie Performanz betonen den Vollzug des Tuns und tragen so zur „Dynamisierung der geographischen Weltsicht“ (Werlen 2010b, 323) bei. Roland Barthes beschreibt diesen Perspektivenwechsel vom Produkt zum Prozess interessanterweise an einem Gegenstand, der eigentlich der Prototyp eines ‚Produktes‘ zu sein scheint: der Text.
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Dimensionen des Performativen „Text heißt Gewebe, aber während man dieses Gewebe bisher immer als Produkt, als einen fertigen Schleier aufgefaßt hat, hinter dem sich, mehr oder weniger verborgen, der Sinn (die Wahrheit) aufhält, betonen wir jetzt bei dem Gewebe die generative Vorstellung, daß der Text durch ein ständiges Flechten entsteht und sich selbst bearbeitet“ (Barthes 1996, 94).
Es geht um die Auflösung eines starren Produktgedankens zugunsten der Vorstellung eines offenen, dynamischen, kontingenten Herstellens, eines ‚Flechtens‘, wie Barthes es nennt. Betont wird damit der Vollzug des Tuns gegenüber dem Ergebnis des Tuns. Handeln und Performanz betonen unterschiedliche Aspekte des Vollzugs: ‚Handeln‘ beschreibt die Phasen des Tuns vom Handlungsentwurf bis zur Umsetzung und die daraus resultierenden beabsichtigten wie unbeabsichtigten Handlungsfolgen (Werlen 1987, 13). Der Begriff ‚Performance‘ tritt in den angelsächsischen Sozial- und Kulturwissenschaften erstmals mit der Öffnung des wissenschaftlichen Forschungsfeldes in Richtung ‚Alltag‘ auf (Taylor 2007, 385). Deshalb scheint es nur konsequent, den Begriff auch in der Sozialgeographie prominenter zu führen, einer Disziplin, die sich dem alltäglichen Geographie-Machen verschrieben hat. 4.1 Geographien des Performativen Performanz und Performativität in der angelsächsischen Geographie Der geographische Blick richtete sich vor rund zehn Jahren auf Performativität und Performanz (Nash 2000; Gregson & Rose 2000; Turnbull 2002; Larsen 2005; Thrift 2007; Holt 2008). Vorausgegangen war in der angelsächsischen Debatte eine umfassende Diskussion des Konzepts ‚Körper‘ – oft in Verbindung mit Disability and Health Issues (u. a. Pile & Thrift 1995; Longhurst 1997; Nast & Pile 1998; Parr 2002; Dyck 2002; Hansen & Philo 2006). Dem kartesischen Dualismus von Körper und Geist folgend, hat sich die geographische Diskussion lange Zeit einer Thematisierung von Körper entzogen. Folglich wurde und wird Körper als das Andere der theoretischen Betrachtungen ausgeblendet. Dies hatte und hat Konsequenzen für das Spektrum des geographischen Forschungskanons: Aspekte wie Gender, Behinderung, Alter, Sexualität oder Armut blieben unbeachtet (Sprunk 2010, 288). Diese Ausgrenzung von Körper haben verschiedene Theorieströmungen innerhalb der Geographie zu beenden versucht: Feministische (gendered body), ethnomethodologische (dramaturic body) oder strukturalistische (discursive body) Ansätze haben auf je eigene Weise die Bedeutung von Körper im Sinne einer verkörperten Geographie in Diskurs und Interaktion herauszustellen versucht (ebd. 288 ff.). Hervorzuheben sind hierbei die feministischen Geographinnen, die besonders nachdrücklich auf den Zusammenhang von Raum, Macht und Körper zur Produktion von Geographien hingewiesen haben (u. a. Rose 1993; Massey 1994; McDowell 1999; Gregson & Rose 2000; Dyck 2002; Bauriedl, Schier & Strüver, 2010; Strüver 2011b). Für die angelsächsische Debatte entscheidend ist der auf diesen bodily/somatic turn Mitte der 1990er Jahre folgende performative turn (Sprunk 2010, 289). Die Auseinandersetzungen sind dabei so divers wie die jeweils referierten Lesarten des Performativen, die im nachfolgenden Kapitel vorgestellt werden. Gemeinsam ist al-
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len Ansätzen, dass Raum nicht als feststehend, der Performanz vorgängig vorgestellt wird, sondern erst durch sie hergestellt wird. Die Zuwendung zum Performativen in der Geographie ist auch Symptom einer anhaltenden Unzufriedenheit mit der einseitigen Ausrichtung auf Text-/Diskursanalyse und der Forderung nach einer stärkeren Reflexion der Verkörperungsbedingungen alltäglichen Tuns. Neben den Arbeiten, die ethnomethodologische, strukturalistische, feministische und auch handlungstheoretische Ansätze mit einer geographischen Perspektive verknüpfen möchten, steht eine Theorie, die sich ebenfalls explizit gegen eine Überbetonung von Text und Diskurs richtet und für eine stärkere performative Ausrichtung geographischer Theoriebildung plädiert, dies jedoch auf anderem Weg versucht: die maßgeblich von Nigel Thrift geprägte non-representational theory, die innerhalb der Geographie viele Diskussionen und Kontroversen hervorgerufen hat. Ihre Darlegung soll im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen. Non-representational theory Nigel Thrift führt den Begriff der non-representational theory erstmals 1996 in seinen Spatial Formations ein. Nach Thrift ist es das Anliegen des nicht repräsentationalen Ansatzes, „mundane everyday practices that shape the conduct of human beings towards others and themselves in particular sites“ (Thrift 1997, 142) zu beschreiben.62 Der Fokus liegt dabei auf körperlichen Praktiken, auf Performances, auf Vorführungen, die den Rahmen des Repräsentationalen übersteigen und einer anderen Logik folgen als symbolische Bedeutungszuweisungen. Hayden Lorimer, ein Anhänger und zugleich Kritiker der Thrift’schen Idee, fasst dies folgendermaßen zusammen: Die non-representational theory betrachtet, „how life takes shape and gains expression in shared experiences, everyday routines, fleeting encounters, embodied movements, precognitive triggers, practical skills, affective intensities, enduring urges, unexceptional interactions and sensuous dispositions […] [which] offer an escape from the established academic habit of striving to uncover meanings and values that apparently await our discovery, interpretation, judgment and ultimate representation“ (Lorimer 2005, 84).
Die non-representational theory wurde Mitte der 1990er Jahre in der Geographie vorwiegend durch die Arbeiten Nigel Thrifts (u. a. 1996, 1997, 1999, 2000a, b, 2003, 2007), aber auch die seiner Mitarbeiter und betreuten Doktoranden (Dewsbury 2000, 2003; Dewsbury et al. 2002; Harrison 2007; Wylie 2002, 2006) und anderer Wissenschaftler (Anderson 2006; Laurier & Philo 2006; Lorimer 2005, 2008) bekannt. Wovon wollte sich die nicht repräsentationale Perspektive abgrenzen? Im Zuge des social und cultural turn ab Mitte/Ende der 1980er Jahre wurde eine Vielzahl neuer qualitativer Ansätzen und Methoden in das Fach eingeführt und nicht zuletzt in der Begründung der New Cultural Geography institutionalisiert. Diese an und für sich sehr begrüßenswerte Entwicklung hatte für Thrift jedoch einen Haken: die Überbetonung der Repräsentation und des Symbolischen gegen62
Damit ist Thrift keinesfalls der Erste. Die Ausrichtung auf alltägliche Praktiken hatte bereits Werlen 1987 und 1995 in seinem Konzept einer ‚handlungszentrierten Sozialgeographie‘ gefordert.
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über der Praxis (Thrift 2000a, 223). Er sah darin „the inability of knowledge in social analysis to do anything other than hold onto, produce, represent, the fixed and the dead; a failure to apprehend the lived present as an open-ended and generative process; as practice“ (Harrison 2000, 499). Für Thrift und andere (z. B. Whatmore 2002; Anderson & Harrison 2010, 4) war eine einzig auf die Analyse symbolischer Repräsentation und Bedeutung ausgerichtete Geographie eine ‚tote Geographie‘. Entsprechend titeln Thrift und Dewsbury Dead geographies – and how to make them live (2000). Um dieser „embalming obsession“ (Dewsbury et al. 2002, 438) entgegenzutreten, wurde eine Perspektive entwickelt, die das ‚co-producing‘ von Welt stark macht (Thrift 2000b, 5; Dewsbury et al. 2002, 437 f.; Latham 2003; Whatmore 2008). Co-producing heißt hier: das körpergebundene Entfalten von Beziehungen und Identitäten, das singuläre, aber doch soziale Aufführen von Welt, das von WissenschaftlerInnen in seiner Prozesshaftigkeit zunächst einmal beobachtet oder ‚bezeugt‘ (Dewsbury 2003, 1923) werden muss. Theoretische Anleihen findet die non-representational theory bei der Zeitgeographie (Hägerstrand 1973, 1982; Pred 1977; Latham 2003), feministischen Arbeiten zu Performativität (Gregson & Rose 2000; Nash 2000), Erving Goffmans Analogie von sozialer Interaktion als theatrales Geschehen (Thrift 1983) sowie Harold Garfinkels Ethnomethodologie (Laurier 2010). Weiterhin zeigt sich Thrift offen für Einflüsse aus den performing arts (Thrift 2007, 12, 133), die als eine Auflockerung eingefahrener wissenschaftlicher Les- und Interpretationsweisen angesehen werden und den Sozialwissenschaften die Last des Alles-erklären-Müssens nehmen sollen (ebd., 12). Im Austausch soll der Disziplin durch ein eher experimentelles Vorgehen ein ‚Staunen‘ und ‚Wundern‘ wiedergegeben werden – „inject a note of wonder back into a social science which, too often, assumes that it must explain everything“ (ebd.). Mit dieser anderen Sichtweise kommen neue Akteure, Kräfteverhältnisse und Dinge in den Blick, die als Vervielfachung der ‚signs of existence‘ gedeutet werden (Anderson & Harrison 2010, 2). Nach nunmehr 15 Jahren der nicht repräsentationalen Theorieentwicklung ist es schwer bzw. unmöglich, die eine Argumentationslinie zu identifizieren (e. g. Thrift & Dewsbury 2000; Gregson & Rose 2000; Dewsbury et al. 2002; Whatmore 2002). Vielmehr könnte man die Beschäftigung mit dem ‚Nicht-‘ oder, wie Lorimer (2005) korrigiert, ‚Mehr-als-Repräsentationalen‘ eher als einen Denkstil denn als eine Theorie verstehen. Die non-representational theory ist kein abgeschlossenes Theoriegebäude; aus eben diesem Grund verwenden Anderson und Harrison (2010) als Titel ihres Sammelbandes auch den Plural: Non-Representational Theories. Die Bezeichnung der nicht repräsentationalen Theorie wird so eher zu einem Sammelbecken von Argumentationen ähnlicher Stoßrichtung, einem „umbrella term for diverse work that seeks to better cope with our self-evidently more-than-human, more-than-textual, multisensual worlds“ (Lorimer 2005, 83). Im Folgenden sollen die zentralen Thesen eines solchen nicht repräsentationalen Denkens vorgestellt werden. Der nicht repräsentationale Ansatz geht von keinen festen Entitäten und somit auch von keinem feststehenden Subjekt aus. Stattdessen wird das beständige Machen oder Werden von Subjekten postuliert, das als „practices of subjectification“ (Thrift 1997, 128) bezeichnet wird. Diese ‚subjectification‘ ist stark relational und
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speist sich aus Begegnungen – mit Menschen und Dingen, mit Organisationen und Medien, mit Organismen und Texten (Thrift 2007, 8; Thrift 1997, 130 ff.). Machen, oder besser: Erzeugen und Werden sind eng mit dem Begriff der performance verknüpft. Nach Thrift bezeichnet Performance „the art of producing the now“ (Thrift 2000c, 577) oder auch ein „engineering of the moment“ (Thrift 2003, 2021). Dies betont die Ereignishaftigkeit, Ephemeralität und Kontingenz der sozialen Welt. Latham (2003, 1993) sieht soziale und kulturelle Performances nicht nur als Forschungsgegenstand der Humangeographie, sondern begreift die Disziplin selbst als Performance. Dies erlaube, so Latham, „a more experimental and more flexible attitude towards both the production and interpretation of research evidence“ (ebd.). Forschung selbst wird also nicht auf die Verkündung von So-ist-es-Feststellungen reduziert, sondern als komplexer Prozess des Erkenntnisversuchs betrachtet, der weder immer geradlinig noch per se erfolgreich sein muss. Thrift hält fest, dass uns eine solche Sichtweise daran erinnert, dass Wissenschaft nicht alles erklären kann und muss. Dies ist laut Thrift nicht als anti-emanzipatorisch zu verstehen, sondern trägt dem Umstand Rechnung, dass Theorien und Modelle letztlich immer nur Annäherungen an die soziale Welt sein können – als ein Versuch zu verstehen – und keine naturwissenschaftlichen Kausalfolgerungen sind (Thrift 2007, 12). Wenn der nicht repräsentationale Ansatz davon ausgeht, dass Identitäten performativ im Moment hergestellt werden und ihrer Erzeugung nicht vorausgehen können, ist die Frage zu stellen, wie Konzepte wie ‚Gesellschaft‘ oder ‚Kultur‘ in diesem Ansatz überhaupt gedacht werden können. In die gleiche Richtung geht die Bemerkung von Gregson, die Thrifts Proklamation bezüglich der Zukunft der Geographie hinterfragt: Wenn auch Geographie performativ im Thrift’schen Sinne ist, d. h. erst und nur im Moment des Tuns besteht, wie kann dann eine ‚Zukunft‘ oder ein ‚Kernanliegen‘ des Faches identifiziert werden (Gregson 2003, 7)? Mit dem Begriff des Performativen soll der des Repräsentationalen weder aufgehoben noch ersetzt werden. Es ist vielmehr zu fragen, wie das Verhältnis der beiden beschaffen ist, genauer: Kann das Performative repräsentiert werden? Ist das Repräsentationale performativ? Entgegen ihrem eigenen Theorienamen und ihrer früheren Positionierung (Thrift 1997) ist festzustellen, dass auch die non-representational theory Repräsentationen ernst nimmt, jedoch nicht verstanden als „code to be broken or as a illusion to be dispelled“ (Dewsbury et al., 2002, 438), sondern als performatives Geschehen. Kritisiert wird ein als übertrieben verstandener Repräsentationalismus, der „framed, fixed and rendered inert all that ought to be most lively“ (Lorimer 2005, 84 f.). Entsprechend sollen nicht etwa feststehende Bedeutungen aufgedeckt, sondern die Entstehung und der Vollzug von Repräsentationen untersucht werden (Anderson & Harrison 2010, 14 f.). Der nicht repräsentationale Ansatz wird als „resolutely anti-biographical and pre-individual“ (ebd., 7) konzipiert. Das bedeutet mit anderen Worten, dass a) die Vorstellung eines eine Einheit bildenden, kontinuierlich voranschreitenden Lebens abgelehnt wird und b) die für den nicht repräsentationalen Ansatz relevanten Wahrnehmungsmodi nicht als subjektabhängig, sondern als überindividuell verstanden werden. Der nicht repräsentationale Ansatz lehnt ein Menschenbild ab, das diesen Menschen als vollständig intentional und rational begreift (Thrift 2007, 14). Betont
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wird stattdessen, wie Thrift am Beispiel des Tanzes deutlich macht, das Potenzial von Sinnlichkeit, Körperlichkeit, Gestik und Bewegung, das Erzeugen von Performances, von Ausdruck jenseits von Bedeutung, von Intuition als „thinking-inmovement“ (ebd.) sowie die zentrale Rolle kognitiver Prozesse wie Imitation und Suggestion und auch des Spielens für Verstehensprozesse (ebd., 7). Allgemein gesprochen geht es im nicht repräsentationalen Ansatz um die Anerkennung des Präkognitiven, das als ‚Background‘ vernachlässigt wurde. Mit dem Explizit-Machen dieses Hintergrundes kommen neue Forschungsfelder in den Blick, die die strategische Nutzung ebenjener präkognitiven, d. h. kinästhetischen oder affektiv-emotionalen Dimension untersuchen (Thrift 2007). Zu denken ist hierbei an die Erzeugung von Atmosphären und Images, die Rolle von Architektur, multimedialer Kommunikation und (non)verbaler Interaktion (Hübler 2001; Kühn 2002; Massumi 2002; McNeill 2005). Dabei sind sich die Vertreter des nicht repräsentationalen Ansatzes im Klaren darüber, dass das Präkognitive der bewussten Reflexivität nicht ohne Weiteres, ohne Brüche und Unschärfe zugänglich ist. Dies jedoch, so ihre Argumentation, ist kein Grund, das Präkognitive aus der Forschung gänzlich auszuschließen (Anderson & Harrison 2010, 11). Im Gegenteil, Thrift weist gerade auch auf die Beschränktheit des Bewussten hin, wenn er dieses als „narrow window of perception“ (Thrift 2007, 6) bezeichnet. Er möchte jedoch die Bedeutung bewusster Kognition, wie er in selbstkritischer Distanz zu einigen seiner früheren Werke hinzufügt, nicht leugnen, sondern ergänzen (ebd.) Wenn die Bedeutung des Präkognitiven nicht geleugnet werden kann, dann stellen sich neue Herausforderungen in der Operationalisierung, Methodologie und Untersuchungsmethodik. Die neue Methodologie verfügt dabei keinesfalls über einen etablierten Methodenkanon, sondern befindet sich viel eher in einer beständigen Findungs- und Testphase. Den angewandten Methoden gemein ist das Bestreben, in einer Art experimentellem ethnografischen Ansatz soziale Praktiken auch jenseits von Sprache zu erforschen (Thrift 2007, 12). Im Mittelpunkt der angewandten Methoden stehen Videoaufzeichnungen von Konversationen (Laurier & Philo 2006), Video/Foto-Tagebücher (Latham 2003; Watts 2008; Bissell 2009) oder audiovisuelle, ethnographische Dokumentationen von Erleben (Frers 2007), die das Visuelle und auch das Akustische für die humangeographische Forschung gewinnen. Auch die Beschäftigung mit Tanz, Theater und Musik und die Analyse von ‚Mikro-Geographien‘ (Blunt 2009, 78) stehen auf der nicht repräsentational ausgerichteten Forschungsagenda (Thrift 1997, 1999). Doch damit nicht genug. Anderson und Harrison machen mit ihrer Aufzählung die extreme Breite und Diversität nicht repräsentationaler Forschungsgegenstände deutlich: „[…] beliefs, atmospheres, sensations, ideas, toys, music, ghosts, dance therapies, footpaths, pained bodies, trance music, reindeer, plants, boredom, fat, anxieties, vampires, cars, enchantment, nanotechnologies, water voles, GM Foods, landscapes, drugs, money, racialised bodies, political demonstrations“ (Anderson & Harrison 2010, 14).
Es ist also offen, welche Zustände, Haltungen, Dinge, Settings – „beings“ in Andersons und Harrisons Vokabular (ebd.) – Praktiken ausmachen. Das Untersuchungsrepertoire der non-representational theory beinhaltet auch bisher von der geographischen Analyse eher nur am Rande oder gar nicht berück-
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sichtigte Sachverhalte. Mit der Inblicknahme dieser vermeintlich ‚kleinen‘ Themen kritisiert Thrift die „total occupation of the Western academic psyche“ (Thrift 2007, vii) mit Post-9/11, Afghanistan, Irak, Kapitalismus oder der globalen Erwärmung. Über die Behandlung gesellschaftlicher ‚Großthemen‘ werde leicht vergessen, dass die soziale Welt nicht nur im Sinne von (simplifizierenden) Problemdiskursen verstanden werden kann, sondern dass es weitaus komplexere Mechanismen zu verstehen gilt, die eben nicht erst oder nur in großem politischen, ökonomischen oder ökologischen Maßstab auftreten, sondern viel subtiler bereits in alltäglichen Praktiken zu finden sind. In der Vorwegnahme der Kritik63 formuliert Thrift sein Anliegen wie folgt: „Of course, all of this is very easy to misread, especially if you want – even need – to do so. Surely we should all be concentrating our attention on the millions without food and water, the terrible wars, the multiple oppressions that characterize so many people’s lives. But this kind of linearization of intent, classically associated with those who want to configure a centre that thinks radical practices (Colectivo Situaciones 2005), too often elides the complex, emergent world in which we live, in which it is by no means clear that everyone could or should reach a point of clarity and unanimity about means and ends, yet alone a state of compassion“ (Thrift 2007, viii).
Entsprechend dieser Positionierung ist auch der Untertitel zu Thrifts 2007 erschienener zusammenfassender Darlegung der Non-Representational Theory zu verstehen: space, politics und affect stehen hier als Aufzählung nebeneinander. Die ‚große‘ Politik soll also keinesfalls ignoriert oder ausgegrenzt, sondern mit emotionalen Mikro-Geographien in Beziehung gesetzt bzw. als deren Ergebnis verstanden werden. Zentral für die nicht repräsentationale Lesart von Praxis ist die Betonung von Materialität. Die theoretische und empirische Näherung an ‚things‘ und ‚bodies‘ stellt einen vitalen Punkt nicht repräsentationaler Praxis-Forschung dar. ‚Körper‘ wird dabei als Adressat symbolischer Zuschreibungen, als dreidimensionaler interagierender Organismus sowie als Erzeuger affektiver Regungen verstanden. Im Sinne der eigenen Forschungsagenda – der Konzentration auf das Nicht-Repräsentationale – erfährt der erste Punkt geringere Zuwendung als die anderen beiden. Den Körper als Erzeuger affektiver Regungen zu thematisieren, verweist auf den Anspruch der non-representational theory, „to get in touch with the full range of registers of thought by stressing affect and sensation“ (Thrift 2007, 12). Die These, die Analyse kognitiver Prozesse durch die Berücksichtigung von Affekt und Sinneseindruck erweitern zu können, ist eine Konsequenz aus der Berücksichtigung der Verkörperung und Leiblichkeit des Menschen (vgl. Johnson & Rohrer 2007) in der geographischen Theorie und des daraus resultierenden Verständnisses des humangeographischen Protagonisten als körperliches und leibliches Wesen. Problematisch wird hingegen die Behauptung verstanden, das Somatisch-Affektive hätte Vorrang oder eine Vormachtstellung gegenüber dem Kognitiven, da die körperlichen Reaktionen schneller ablaufen (Korff 2012, 146 ff.). Mit Baumgarten kann hier gezeigt 63
Kritik, wie sie z. B. von Simon Batterbury in Reaktion auf die Thrift’sche Argumentation vorgetragen wird: „I remain underwhelmed, as do many people in human geography, with Thrift’s ‚affect‘ language. Does work in this area really serve any purpose at all? Does it help us deal with environmental threats and issues, social injustices, etc?“ (Batterbury 2010).
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werden, dass Erkennen sensitiv abläuft, d. h. sinnlich und kognitiv. Eine Dominanz des einen gegenüber dem anderen scheint in die eine wie die andere Richtung reduktionistisch. Der dreidimensionale Körper wird zum einen als Organismus mit vorbewussten neuronalen Entscheidungsvorgängen (Thrift 2007, 7) und zum anderen als räumlich ausgedehnte sensitive Einheit verstanden, die 1.) die Eigenschaft der Dinglichkeit mit den in Praxisvollzügen benutzten Objekten teilt und 2.) mit diesen in Interaktion tritt. Die Handlungskompetenz der Dinge und die Bedeutung der Interaktion von Menschen und Dingen werden in der angelsächsischen Geographie parallel zu Thrift vor allem von Sarah Whatmore und ihrer These der „Hybrid Geographies“ (1999, 2002, 2008) sowie von Jonathan Murdoch (Towards a geography of heterogeneous associations, 1997) betont. Außerhalb der Geographie ist dieser Ansatz der integrativen Betrachtung von Menschen und Nicht-Menschen zunächst von der Akteur-Netzwerk-Theorie entwickelt worden (u. a. Callon 2006; Latour 2008). Anliegen ist es, zu zeigen, dass das Soziale nicht allein immateriell ist, sondern in materielle Beziehungen eingebunden bzw. durch diese hervorgebracht wird. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die Interaktion zwischen Dingen und Körpern gelegt, d. h. auf „the way in which the human body interacts with other things. I do not want to count the body as separate from the thing world. Indeed, I think it could be argued that the human body is what it is because of its unparalleled ability to co-evolve with things, taking them in and adding them to different parts of the biological body to produce something which, if we could but see it, would resemble a constantly evolving distribution of different hybrids with different reaches“ (Thrift 2007, 10).
Mit Latour argumentiert der nicht repräsentationale Ansatz, dass das Soziale nicht als etwas Gegebenes, sondern als etwas zu Klärendes anzusehen ist. Sich ‚dem‘ Sozialen zu nähern, rückt das Materielle, die Relationalität und die Affekte in den Mittelpunkt: „a commitment to an expanded social including all manner of material bodies, an attention to relations and being-in-relation, and sensitivity to ‚almost-not quite‘ entities such as affects“ (Anderson & Harrison 2010, 18). Zugegebenermaßen stellt sich hier ein gewisses Unbehagen ein, ob der Ermächtigung der Dinge. Dies müsste weiter geklärt werden. Zusammengefasst haben die non-representational theories neue Sichtweisen auf Körper, Praxis und Performanz in die humangeographische Debatte eingeführt und dadurch eine andere Facette alltäglichen Geographie-Machens aufgezeigt. Anderson und Harrison (2010, 25) nennen „Life“ (mit großem L im Original) als Fokus der non-representational theories. Und in der Tat sollte der Begriff des Lebens nicht einfach einer biologi(sti)schen Lesart überlassen werden, die alles Dasein einzig in einer physiologischen Determiniertheit begreift. „Life“ – mit großem L – stellt zumindest im angelsächsischen Sprachraum eine Möglichkeit dar, am Begriff des Lebens für sozialwissenschaftliche Untersuchungen festzuhalten und sich gleichzeitig (durch die Großschreibung) von einer allzu kausalistischen Deutung abzugrenzen – ganz so wie es Dilthey mit seiner Lebensphilosophie versuchte. Die Betonung des Präkognitiven in Prozess und Praxis stellt die non-representational theories aber auch vor ein Problem: „finding a language to describe what normally
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lies above or below the level of language“ (Adams 2009, 212). Das Bewusstsein über diese Sprachlosigkeit wird in der vorliegenden Arbeit geteilt. Die Verbundenheit der Wissenschaft mit den Medien Sprache und Schrift ist stark, und die Implementierung anderer Methodologien und Methoden bedarf nach wie vor neuer Ideen und überzeugender theoretischer Herleitungen. Die erkenntnistheoretischen wie die neurowissenschaftlichen Einsichten über die Rolle des Erlebens, der Bildhaftigkeit kognitiver Prozesse, der nicht wegrationalisierbaren Rolle der Emotionalität und der leiblichen Verfasstheit des Menschen sollten jedoch Ansporn sein, sich dieser schwierigen Aufgabe zu stellen. Performanz und Performativität in der deutschsprachigen Geographie In jüngerer Zeit ist der performative turn auch in der deutschsprachigen Geographie zunehmend prominent. Performanz und Performativität werden in der Sozial- und Neuen Kulturgeographie zunehmend in den Korpus zeitgenössischer Schlagwörter aufgenommen64. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die differenzierte Bedeutungsexplikation von Performanz und Performativität sowie die Diskussion der Anschlussfähigkeit an andere in der Geographie diskutierte ‚Großtheorien‘, ganz zu schweigen von Fragen der Operationalisierung und Methodologie, in ihren Anfängen stecken. Mit anderen Worten: Es kann im Folgenden nicht darum gehen, eine Theorietradition und Entwicklungsgeschichte des Performativen in der deutschsprachigen Geographie nachzuzeichnen, sondern es sollen die bisherigen Überlegungen einzelner Autoren und ihre Version der Integration von Performanz/Performativität in das Feld der Humangeographie vorgestellt werden. Vier empirisch ganz unterschiedlich ausgerichtete Vorschläge der geographischen ‚Nutzbarmachung‘ des Performativen werden im Folgenden vorgestellt: Anke Strüvers (2011a) Überlegungen zu Verkörperung und Performativität anhand der ‚Versportung‘ städtischer Räume, Antje Schlottmanns (2005, 2007) und Wolfgang Zierhofers (2002) sprachpragmatische Sozialgeographie, Berndts und Boecklers (2007) kulturelle Geographien der Ökonomie sowie Dirksmeiers und Helbrechts (2008, 2010) Urbanitätsforschung. Anke Strüver nähert sich dem Paradigma der Performativität auf strukturalistischem Wege über Foucault und Butler. Unter dem Motto „Der Konstruktivismus lernt laufen“ konstatiert Strüver, dass, anders als bei Kindern, die erst laufen und dann sprechen lernen, beim konstruktivistischen Paradigma die Sprache immer an erster Stelle steht (Strüver 2011a, 1). Mit den Entwicklungen im bodily und performative turn sieht sie diese als einseitig verstandene Ausrichtung durch die Integration von Verkörperung, Materialisierung sowie Dynamisierung des Geographie-Machens korrigiert (ebd.). Es geht um das „doing more-than-representational 64
Sichtbar etwa an der expliziten Nennung in Tagungsschwerpunkten, z. B. auf der „Tagung Neue Kulturgeographie VI: Geographien nach dem Cultural Turn 2009“ in Osnabrück oder dem Workshop „Geographien des Performativen“ 2010 in Berlin oder dem gesonderten Kapitel „Geographien des Performativen“ in einem Lehrbuch zur Geographie (Boeckler & Strüver 2011, 663).
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geography“ (ebd.). In ihrer Arbeit konzentriert sich Strüver auf ein theoretisches Abschreiten des Konzepts des Körpers, das Identitäten und Geographien leibhaftig zutage treten lässt. Körper wird dabei als raumerlebend wie raumkonstituierend angesehen (ebd., 2). Am Beispiel der zeitgenössischen, westlichen körperfetischisierenden Gesellschaft zeigt Strüver, welche Rolle die öffentliche Zurschaustellung und Formung des Körpers spielt und wie diese als Form des Geographie-Machens verstanden werden kann. Ein besonderes Interesse gilt dabei den Prozessen der Verkörperung und der Materialisierungen, d. h., Körper wird nicht als etwas Gesetztes betrachtet, sondern als etwas, das durch Diskurse und Praktiken hervorgebracht wird (ebd., 2 ff.; Strüver & Wucherpfennig 2009, 119). Die Diskursebene wird unter Bezugnahme auf Foucault und Butler und den durch diese Autoren vorgegebenen Fokus auf Machtverhältnisse beschrieben. Die Verkörperungen werden einerseits als Reproduktion gesellschaftlicher Normen angesehen, andererseits als subtiler oder radikaler Widerstand gegen diese. Die Ebene der Praktiken wird mit Nigel Thrifts mikroskalig angelegter non-representational theory adressiert (Strüver 2011a, 8; Strüver & Wucherpfennig 2009, 121). Um diese unterschiedlichen Ebenen von Subjekt, Struktur und Repräsentation bewältigen zu können, schlägt Strüver den „intersektionalen Mehrebenen-Ansatz“ nach Degele und Winker vor (Strüver 2011a, 9). Hierbei bildet das narrativ-biographische Interview den Startpunkt, indem den Befragten zunächst selbst die Möglichkeit gegeben wird, sich zu identifizieren. Um Reifizierungen zu vermeiden, findet das Hinzuziehen von und das Abgleichen mit „Sozialstrukturdaten“ (ebd.) sowie das Konstruieren sozialer und räumlicher Ordnungen nachfolgend statt – es soll die Möglichkeit der Äußerung einer individuellen Positionierung aber nicht ersetzen. Die Ebene der Repräsentation soll anschließend durch die Analyse von machtgeladenen Mediendiskursen und den in ihnen transportierten Normen und Normalitätsvorstellungen berücksichtigt werden, wobei Strüver daran erinnert, dass solche Repräsentationen immer an das performative Inkorporieren der Vorstellungen gebunden sind und ebenso auch anders gedacht und gemacht werden können (ebd.). Einen sprachphilosophischen Blick auf das Performative bieten Wolfgang Zierhofer (2002) und Antje Schlottmann (2003, 2005, 2007), die in Anlehnung an die Theorietradition um Austin und Searle die Möglichkeiten und Grenzen der Sprechakttheorie diskutieren. Schlottmann wählt einen sprachpragmatischen Zugang, um in ihrer RaumSprache (Schlottmann 2005) auf den sich performativ äußernden Widerspruch zwischen wissenschaftlich behaupteten Gesellschaftsdiagnosen und alltäglichen Praktiken aufmerksam zu machen (ebd., 249). Die Sprechakttheorie John Searles mit der Einteilung der Sprechakte in lokutionäre, illokutionäre und perlokutionäre Akte nutzt Schlottmann, um die Beziehung zwischen Sprache/Sprechen und Raum/Gesellschaft zu untersuchen (Schlottmann 2007, 5). Searles Sprechakttheorie ermöglicht die Analyse der emotionalen Aufladung von Sprache, der Erzeugung von Erwartungshaltungen und somit der Konstitution von Raumvorstellungen. Aus sozialgeographischer Perspektive kritisiert Schlottmann die mangelnde Berücksichtigung sozial- und gesellschaftstheoretischer Fragestellungen des Ansatzes und schlägt die Diskursanalyse als komplementierendes Instrument vor (ebd., 20). Aber auch jenseits von Sprache, in der Untersuchung von Bildern als geographiemachen-
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dem Medium, unterstellen Miggelbrink & Schlottmann auch bildlichen Äußerungen ein bedeutungsproduzierendes Potenzial (2009, 13 ff.). Um diese nicht sprachlichen Äußerungen zu untersuchen, bedarf es nun einer weiter gehenden grundsätzlichen Reflexion der Körper/Leib-Debatte, des Sehens, der Eigenart des Visuellen, des Verarbeitens und Verstehens von Bildern. Die vorliegende Arbeit versteht sich als Beitrag zu der wesentlich von Miggelbrink und Schlottmann (2009) angestoßenen und durch Peter Dirksmeier (2007) sowie Mirka Dickel (2011, 2012a, b; Dickel & Hoffmann 2012) fortgeführten Analyse und Reflexion der Besonderheiten des Visuellen bzw. des performativen Tuns an sich. Christian Berndt und Marc Boeckler machen das Konzept des Performativen für die Wirtschaftsgeographie nutzbar. Sie legen mit ihren Ausführungen zu den kulturellen Geographien der Ökonomie (Boeckler & Berndt 2005; Berndt & Boeckler 2007) ein überzeugendes Konzept der Anwendung einer performativen Perspektive auf die Analyse ökonomischer Praktiken vor, in der es darum geht, zu verstehen, „wie mit ökonomischen Praktiken Räume und Orte performativ hergestellt werden“ (Berndt & Boeckler 2007, 227). In ihrem Entwurf weisen sie Performativität, Performation und Performanz als die für ihre Untersuchungen zentralen, je unterschiedliche Aspekte des Performativen fokussierenden Begriffe aus (ebd., 222 ff.). Performativität bezieht sich in ihrem Verständnis auf die sprach- und kulturwissenschaftlich reflektierte Macht von Sprache und Diskurs, Wirklichkeit hervorzubringen. So muss beispielsweise bei der Analyse ökonomischer Prozesse der Einfluss des vorherrschenden (konservativen) ökonomischen Paradigmas bei der Ausrichtung und Ausgestaltung von ‚Ökonomie‘ berücksichtigt werden. Eine wichtige Rolle für dieses Paradigma spielt auch die Wissenschaft, die Ökonomik: Durch die Ausbildung zukünftiger Ökonomen erlangt es einen großen Selbstverständlichkeitsgrad (ebd.). Eine Analyse der Performativität stellt den ökonomischen Diskurs und seine Wirkungen in den Mittelpunkt. Performation bezeichnet das, was wir bereits mit Goffman ausgeführt haben und was Berndt und Boeckler (ebd., 225) mit Bezug auf Michel Callon bekräftigen: die Theatralität sozialer Wirklichkeit. Märkte werden in dieser Perspektive als Theaterstücke betrachtet, die auf einer Bühne von Rollen verkörpernden Schauspielern mit Requisiten entlang eines Plots unter Berücksichtigung von Interaktionsregeln aufgeführt werden. Eine Analyse der Performation nimmt folglich das für das Vollzugshandeln konstitutive Netzwerk aus menschlichen und nicht menschlichen Akteuren in den Blick und versucht, Thesen zur Entstehung von Märkten und Grenzregimen, von Normen und Standards aufzustellen (ebd., 243). Performanz schließlich betrachtet die gelebte In-Welt-Setzung oder, in Berndt und Boecklers Worten, die „‚performaktive‘ Vollzugswirklichkeit“ der „inszenierte[n] Ökonomie“ (ebd., 226). Berndt und Boeckler referieren in ihren Ausführungen auf Autoren wie Turner, Goffman und auch Fischer-Lichte, also auf jene, die die Bedeutung ethnomethodologischer oder theaterwissenschaftlicher Interaktions(mikro)analysen herausgestellt haben. Die Analyse beinhaltet dann z. B. Fragen nach der Erzeugung von (geschäftsförderndem) Vertrauen und in diesem Zusammenhang nach der Bedeutung von Nähe, von Präsent-Sein und der Zurschaustellung eines bestimmten Images und der Gestaltung des Settings (Besprechungszimmer, Verkaufsraum) (ebd., 244).
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Die komplementäre Überschneidung der drei Begriffe in der Analyse ermöglicht die Betrachtung mehrerer Maßstabsebenen – von der gesellschaftlichen Ebene diskursiven Sprachhandelns bis zur Ebene der einzelnen Interaktion und des individuellen Image-Managements – und schafft somit ein relationales Verständnis von Praktiken und Raum. Derart greift eine geläufige Kritik am performativen Ansatz ins Leere, der zufolge sich dieser nur auf die Mikroebene konzentriere und an sozial- und gesellschaftswissenschaftliche Fragestellungen nicht anschlussfähig sei. Fraglich bleibt jedoch, ob die Analyse performativer Prozesse, so wie es Berndt und Boeckler tun, als „verborgene“ (ebd., 219) oder „versteckte“ (ebd., 220) Herstellungsleistungen zu begreifen sind. Die Inblicknahme performativer Prozesse hat eher mit einer Differenzierung des erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Blicks zu tun als mit einem von den Autoren viel bemühten „Lüften des Schleiers“ (ebd., 218). Auch ein performativer Fokus schaut nicht ‚hinter‘ die Dinge. Wenn mit Schleier jedoch eine (normative oder ideologische) Begrenzung der Wissenschaften gemeint ist, die sich nun für andere Sichtweisen öffnet, dann handelt es sich in der Tat nicht nur um ein Lüften, sondern um einen ordentlichen Durchzug. Unabhängig davon, wie man diese Formulierungen nun interpretiert: Berndts und Boecklers performativer Zugang zu kulturellen Ökonomien stellt für die deutschsprachige Geographie einen theoretisch gut fundierten und im empirischen Ausblick überzeugenden Ansatz dar, der sich für eine Übertragung auf andere Themenfelder problemlos eignet. Peter Dirksmeier und Ilse Helbrecht (2008, 2010; auch Dirksmeier 2009) erarbeiten ihren Vorschlag zur geographischen Implikation einer performativen Einstellung im Bereich der new urban geography. Performativität, so ihre Prognose, „will become one of the very key concepts in cultural urban geography in the near future“ (Dirksmeier & Helbrecht 2010, 42.). Im Fokus steht dabei die Untersuchung von interkultureller Interaktion im urbanen Kontext, verstanden als situational space (ebd., 44). ‚Situational space‘ beschreibt den durch die Interaktion errichteten Raum, d. h., dieser ist in seiner Existenz an die Performance gebunden. Ihr Ziel ist es, die Beziehung zwischen körperlichen Praktiken, Routinen und Stadt zu beleuchten, wobei Performance als Bindeglied zwischen Kultur, Interaktion und Raum begriffen wird (ebd., 42, 46). Das dabei gezeigte Verständnis von ‚Performance‘ ist zwischen Goffman und Thrift angesiedelt. Von Goffman wird die Analogie des Bühnencharakters der Interaktion und der Selbstdarstellung übernommen, von Thrift die Überlegungen zum nicht repräsentationalen Charakter von Performance, denen zufolge die Betonung der Prozesshaftigkeit und Iterabilität jeder Performance einer einseitigen Konzentration auf Symbolgehalte entgegenwirken soll (ebd., 41, 46). Dies darf jedoch nicht ohne Reflexion der die Interaktion rahmenden Machtverhältnisse stattfinden. Dirksmeier und Helbrecht wollen mit ihrer Untersuchung interkultureller Interaktionen die angelsächsische Forschung ergänzen, die sich bisher eher auf die Routinen spezieller Körper (‚disabled‘, ‚pregnant‘) konzentriert hat (ebd., 42)
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4.2 Zugänge zum Performativen Performativität und Performanz haben, wie deutlich wurde, innerhalb der Geographie unterschiedliche Bedeutungen. Performance als Schlüsselbegriff wird in der Wirtschaftswissenschaft ebenso genutzt wie in der Ethnologie, wenngleich sehr unterschiedliche Dinge damit gemeint sind. Die Beschäftigung mit Fragen zum Verhältnis von Körper, Inszenierung und Identität, wie sie von den Begriffen der Performanz/Performativität adressiert werden, sind jedoch keineswegs eine rein spätmoderne Angelegenheit, sondern eine Tradition mit antiken Wurzeln. Mit Platon beginnt eine bis in die Gegenwart andauernde Auseinandersetzung mit Fragen des Sich-Aufführens und des Zur-Aufführung-Bringens (Bell 2008, 12 ff.). Im Folgenden soll ein Überblick über die in humangeographischern Ansätzen referierten performanztheoretischen Argumentationslinien gegeben werden, die aus Sprachphilosophie, Kulturwissenschaften sowie Theaterwissenschaften stammen. Dabei werden die wichtigsten Stationen der Begriffsgeschichte des Performativen aufgezeigt, die von 1) der Sprachphilosophie John Langshaw Austins und John Rogers Searles über 2) den Poststrukturalismus Jacques Derridas zu 3) den Kulturwissenschaften Judith Butlers und 4) Erving Goffmans, 5) den Performance Studies eines Victor Turners, Richard Schechners und Dwight Conquergoods und 6) dem Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“ der Berliner TheaterwissenschaftlerInnen um Erika Fischer-Lichte reichen. Dabei soll der Werdegang einer Lesart von Performativität nachvollzogen werden, die performative Akte als etwas versteht, das soziale Wirklichkeit erzeugt. Diese Lesart von Performativität konzentriert sich im Begriff der Performanz, der im Anschluss expliziert wird. Anschließend wird dieser in Beziehung gesetzt zu Präsenz, zu Sinn und Bedeutung, zu Sprache und Nonverbalem, zu Narration, zu Handlung. Sprechen ist Tun: Austin Austin ist einer der ersten Vertreter der Ordinary Language Philosophy, einer Initiative, die das ‚normale‘ alltägliche Sprechen als Forschungsgegenstand der Sprachphilosophie etablieren möchte.65 Er prägte die Bezeichnung „performative utterances“ (Austin 1994, 5), die besagt, dass gewisse Handlungen durch den Vollzug einer Äußerung realisiert werden. In der Vorlesungsreihe How to do things with words, die Austin 1955 in Harvard hielt (und die später publiziert wurde), postuliert er: „[T]he issuing of the utterance is the performing of an action“ (ebd., 6). Indem man etwas sagt, tut man etwas. Die Beispiele, die dabei oftmals angebracht werden, sind stark konventionalisiert: „Ich nehme dich hiermit zum Mann.“ „Ich taufe dieses Schiff auf den Namen Rosamunde.“ 65
Austins Überlegungen wurden in der Folge von John Searle weitergeführt, in der Darstellung der ersten sprachphilosophischen Verwendungen des Attributes ‚performativ‘ soll jedoch eine Konzentration auf Austin genügen.
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Konventionalisiert heißt in diesem Kontext, dass bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine performative Äußerung gelingen kann: Es muss bspw. ein konventionalisiertes Verfahren etabliert sein, das die Umstände, Abläufe und Verhaltensweisen festlegt, die vorfindbar sein bzw. korrekt ausgeführt werden müssen, um eine performative Äußerung gelingen zu lassen. Werden etwa im Rahmen eines Theaterstückes oder beim Spiel unter Kindern die Worte: „Ich erkläre euch hiermit zu Mann und Frau“ geäußert, wird keine Eheschließung vollzogen. Die performative Äußerung misslingt, da keine Handlung vollzogen wird. Aus dieser sprachphilosophischen Einsicht Austins, dass Sprechen nicht nur Gegenstände benennen, sondern auch soziale Tatsachen hervorbringen kann, resultiert die Einführung des Begriffes ‚performativ‘. Performative Äußerungen sind weder beschreibend noch berichtend, und doch sind sie wirksam (Fermandois 2000, 93). Dabei geht es Austin weniger um den einzelnen realisierten Sprechakt, sondern um die allgemeinen Gelingensbedingungen und die universalisierbaren Regeln des Sprechens (Krämer, 2004, 15). Zu diesen zählen u. a.: „(A. 1) There must be an accepted conventional procedure having a certain conventional effect, that procedure to include the uttering of certain words by certain persons in certain circumstances, and further, (A. 2) the particular persons and circumstances in a given case must be appropriate for the invocation of the particular procedure invoked. […] (B. 1) The procedure must be executed by all participants both correctly and […] (C. 2) completely“ (Austin 1988, 15).
Man spricht daher bei diesem Verständnis des Performativen auch von universalisierbarer Performativität (Krämer 2004, 14). Austin stellt den performativen Äußerungen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie gelingen können oder eben nicht, zunächst die konstativen Äußerungen gegenüber, die ihrerseits wahr oder falsch sein können. Er verwirft diese Trennung jedoch, als er erkennt, dass in jeder Äußerung ein Sagen und ein Tun zusammentreffen (Fermandois 2000, 95), und entwickelt aus dieser Erkenntnis seine Theorie der Sprechakte, die zwischen lokutionären (Akt des Sagens), illokutionären (Akt der Sprachhandlung) und perlokutionären Akten (Akt der Wirkung) unterscheidet (8.–12. Vorlesung How to do things with words). Austins Sprechakttheorie ist in der Geographie z. B. von Antje Schlottmann (2005) in ihrer sprachwissenschaftlich orientierten Analyse der RaumSprache verfolgt worden. Auch Eric Laurier verweist bei seinen Analysen auf Austin und titelt gewollt kontradiktorisch zu Austins How to do things with words: „How to feel things with words“ (Laurier 2010, 131). Sprachphilosophie und Linguistik als dominante Wissenschaftsdiskurse der 1960er Jahre haben den Begriff ‚performativ‘ in der Folge für viele weitere Disziplinen (Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte, Medienästhetik, Literaturwissenschaft, Ethnologie, Gender Studies) aufgeschlossen und so die Initialzündung für den performative turn gelegt.
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Zitat und Iterabilität: Derrida Derrida formulierte in Reaktion und Abgrenzung auf die sprachphilosophische Tradition Austins seine Überlegungen zum Begriff des Performativen. Diese waren später Gegenstand einer kritischen Auseinandersetzung mit Searle, der Derridas Ansatz ablehnte. In Übereinstimmung mit Austin (und Searle) behauptet Derrida, dass performative Äußerungen Wirkungen und Veränderungen in der sozialen Welt erzielen können. Er widerspricht jedoch den von Austin angeführten allgemeinen Gelingensbedingungen, nach denen immer gleiche performative Äußerungen mit den gleichen Effekten hervorgebracht werden können. Derrida betont hingegen die Individualität eines jeden Sprechaktes, die er in Signatur Ereignis Kontext (Derrida 1999, 325 ff.) beschreibt. Er bezweifelt nicht, dass der allgemeine Sprachgebrauch erst durch das wiederholte Ausführen sprachlicher Äußerungen zustande kommt; betont jedoch, dass diese Wiederholungen nicht identisch sind, sondern immer die Möglichkeit einer Umdeutung oder Bedeutungsverschiebung beinhalten. Sprache ist zwar ein Spiel, aber keines, das durchweg kontrollier- und vorhersehbar wäre. Derrida möchte folglich auch solche ‚unernsten‘ oder ‚aufgezwungenen‘ Äußerungen berücksichtigen, die Austin (zur besseren Berechenbarkeit des Sprachspiels) aus dem Kreis performativer Äußerungen ausschließt (z. B. Hochzeitszeremonien auf einer Theaterbühne) (Posselt 2005, 57). Derrida macht deutlich, dass es sich bei diesen Fällen nicht um ‚unreine‘ Fälle handelt, die das Prinzip des Performativen in Frage stellen, sondern dass es gerade eine bemerkenswerte Eigenschaft von Sprache ist, in immer neuen Kontexten (‚Aufpropfen‘) und mit veränderten Bedeutungen aufzutreten. Dieses Potenzial der abwandelnden Zitationen wird als „Iterabilität der Zeichen“ bezeichnet (ebd.) und der entsprechende Ansatz von Performativität analog iterabilisierende Performativität genannt (Krämer 2004, 14). Iterabilität ist für Derrida eine Bedingung des Gelingens von performativen Äußerungen, denn „wenn ihre Formulierung nicht eine ‚codierte‘ oder iterierbare Äußerung wiederholte […] wenn sie also nicht in gewisser Weise als ‚Zitat‘ identifizierbar wäre“ (Derrida 1999, 346), dann würde die Äußerung nicht erkannt werden und misslingen. Kommunikation entspricht für Derrida somit eben keinem einfach übermittelbaren Begriff, der durch einen klar definierten Kontext eine eindeutige Bedeutung erhält. Einen solchen absoluten Kontext kann es nach Derrida nicht geben, da Äußerungen in immer neue Kontexte eingeführt werden bzw. diese erzeugen (ebd., 340). Kulturwissenschaften I: Butler und die Macht des Diskurses Derridas Konzept der Performativität hatte großen Einfluss auf die Überlegungen von Judith Butler. In ihrem Buch Excitable Speech – a politics of the performative (1997) (dt.: Haß spricht – Zur Politik des Performativen, 1998) untersucht Butler am Beispiel der Diskussion um ‚hate speech‘ die Performativität politischer Diskurse. Sie gelangt zu der Erkenntnis, dass Sprechen immer durch einen gesellschaftlichen Kontext definiert wird, dass es aber im Sprechen auch möglich ist, diesen Kontext, oder besser: den dominierenden Diskurs subversiv zu unterwandern bzw. mit ihm
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zu brechen. Butlers Performativitätsbegriff bezieht sich wie derjenige Austins und Derridas vornehmlich auf Sprache, auf die Macht des Diskurses sowie ihm entgegengesetzte oder widerständige Tendenzen. Diese Macht kann, wie Butler betont, nie eine absolute sein: „[S]peech is always in some ways out of our control“ (Butler 1997, 15). Sie konstituiert Subjekte. Wiederholtes Sprechen in einer bestimmten Weise, die Verwendung und, ganz wichtig, das Zitieren bestimmter Labels kennzeichnen ein Subjekt als ‚Jemanden‘ oder ‚Niemanden‘, als ‚Weißen‘ oder ‚Schwarzen‘, ‚Frau‘ oder ‚Mann‘, ‚Ossi‘ oder ‚Wessi‘, ‚Landei‘ oder ‚Stadtmensch‘. Sprache kann stigmatisieren, zerstören und überhöhen. Sie kann verletzen oder befreien. Diskurse erzeugen das, was sie benennen. Ein Verständnis von (Gender-)Identitäten als performative Akte soll den Status von vermeintlich feststehenden sozialen Kategorien wie ‚Frau‘ und ‚Mann‘ als reifizierend und naturalisierend aufdecken und die Möglichkeit einer anderen Identitätskonstitution aufzeigen (Butler 1988, 520). Butlers Ansatz wurde in zahlreichen, meist – aber nicht ausschließlich – feministisch orientierten, geographischen Arbeiten verfolgt bzw. weiterentwickelt (z. B. Bell & Valentine 1995; Gregson & Rose 2000; Bauriedel, Schier & Strüver 2010; Strüver & Wucherpfennig 2009). In ihren Werken Gender Troubles (1990) (dt. Das Unbehagen der Geschlechter, 1991), Bodies That Matter (1993) (dt. Körper von Gewicht, 1995) und Excitable Speech (1997) (dt. Haß spricht, 1998) macht Butler deutlich, dass performative Akte zwar auf der Sprachebene stattfinden, ihre Effekte sich jedoch materialisieren, indem sie sich in die Körper einschreiben und über die Körper inszeniert werden. Performativität heißt somit nicht nur Wiederholung und Zitation, sondern auch Verkörperung (Hülk 2005, 13). Butler untersucht, wie Gender, das sogenannte soziale Geschlecht, geschaffen und aufrechterhalten und welches Machtpotenzial dadurch ausgedrückt wird: „Hinter den Äußerungen der Geschlechtsidentität (gender) liegt keine geschlechtlich bestimmte Identität (gender identity). Vielmehr wird diese Identität gerade performativ durch diese ‚Äußerungen‘ konstituiert, die angeblich ihr Resultat sind“ (Butler 1991, 49). Mit diesem Ansatz erweitert Butler den von Austin vorgestellten rein linguistischen Rahmen auf spezifische Identitätsbildungsprozesse. Die Einteilung der Menschen in bestimmte Geschlechter ist ein Ausdruck von Macht (ebd., 9). Gender wird dabei nicht als biologisch gegeben betrachtet, sondern als gesellschaftlich verhandelt und konstruiert. Gender überlagert nach Butler nun jedoch nicht einfach das ‚echte‘ biologische Geschlecht, vielmehr, so ihre These, ist auch die ‚Natürlichkeit‘ des biologischen Geschlechts nur eine fiktive (Butler 1988, 520; 1991, 37 ff.; 1995, 21). Die Konstruktion von Geschlecht wird allerdings auch nicht als so beliebig verstanden wie ein Kleidungsstück, das man jeden Morgen neu wählen kann, sondern sie unterliegt bestimmten Zwängen und Normen. Der „Prozess der Materialisierung“ (Butler 1995, 9) kann, so Gumbrecht, als Gegenentwurf eines konstruktivistischen Verständnisses gelesen werden, nach dem nur Bewusstseinsinhalte Realität schaffen (Gumbrecht 2004, 80). Die Materialität des Körpers kann nicht beliebig – allein durch Diskurs – verändert werden, dazu bedarf es immer der Performanz, der wiederholenden körpergebundenen Praktiken (ebd.). Sie erzeugen die Welt wieder und wieder.
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Die Konstituierung und Naturalisierung von Gender geschieht durch wiederholte, rituelle Sprechakte, die eine normative Wirkung entfalten. Beispielsweise beginnt mit der oft vorgeburtlichen Feststellung „Es wird ein Junge bzw. Mädchen!“ eine genderspezifische Einkaufskaskade, im Laufe derer man oftmals nur die Wahl hat zwischen (hell-)blauen Feuerwehr-/Rennwagen-/Dinosauriermotiven auf der einen und rosaroten Blumen- und Kätzchenmotiven auf der anderen Seite – bis hin zur Frage in der Apotheke, ob das Fieberthermometer rosa oder hellblau sein solle. Die Inkorporierung und Festigung bestimmter Geschlechtsvorstellungen geschieht performativ, als eine sich „ständig wiederholende und zitierende Praxis, durch die der Diskurs die Wirkungen erzeugt, die er benennt“ (Butler 1995, 22). Geschlechtsidentität entsteht für Butler durch einen „Akt“ (Butler 1991, 206), genauer: „die stilisierte Wiederholung der Akte“ (ebd., Hervhbg. i. Orig.). Auch die Gestaltung und Formung von Körpern ist somit als Effekt von Machtdiskursen zu verstehen. Performativität bezeichnet, mit anderen Worten, die repetitive und iterabilisierende Praxis des Vollzugs von Sprechakten, die sich in körperbezogenen Materialisierungen ausdrückt. Um eine restriktive binäre Geschlechtereinordnung zu unterlaufen, sollte laut Butler die Möglichkeit der Resignifikation, der subversiven Bedeutungsverschiebung, als bewusste, auch politisch einsetzbare Strategie genutzt werden. Eine gänzliche Abschaffung von Geschlecht scheint nicht möglich, wohl aber eine Brechung der jeweils zugeschriebenen stereotypen Geschlechternormen und -erwartungen. Denn, so hält Butler fest, Machtdiskurse sind keine Auswirkungen anonymer Mächte ‚da oben‘, sondern immer in und durch Subjektbeziehungen konstituiert und aufgehoben. Insofern können sie durch ein Brechen mit bestehenden Konventionen auch immer umgeschrieben werden. Butler selbst beschreibt die „Geschlechter-Parodie“ (Butler 1991, 203). Darunter versteht sie eine „Reihe von parodistischen Praktiken, […] die die Kategorien des Körpers, des Geschlechts, der Geschlechtsidentität und der Sexualität stören und ihre subversive Resignifikation und Vervielfältigung jenseits des binären Rahmens hervorrufen“ (ebd., 12). Dabei geht es nicht darum, ein ‚Original‘ zu parodieren, sondern die Vorstellung, dass es überhaupt ein Original gibt (ebd., 203). Als Beispiel nennt sie Travestie, Kleidertausch oder Butch/FemmeIdentitäten in lesbischen Beziehungen, die alle einen Widerspruch zwischen Anatomie und äußerer Geschlechts-Stilisierung gemeinsam haben (ebd., 202). Ziel ist immer, die performative Gemachtheit von Gender offenzulegen, die nicht nur bei parodistischen Praktiken stehen bleibt, sondern deren Offenlegung zugleich auf politischer Ebene eine „Ent-Naturalisierung der Geschlechtsidentität“ (ebd., 218) erwirken kann. Diana Taylor, eine Vertreterin der Performance Studies, kritisiert, dass Performativität in der Butler’schen Lesart trotz des Einbezugs von Materialität im Sinne der Einschreibung von Normen in die Körper derart diskursiv determiniert ist, dass ‚performativ‘ eher eine Eigenschaft von Diskursen zu sein scheint als das Attribut eines eigenständigen Bereichs des Performativen (Taylor 2007, 383). Zu kritisieren ist dann, dass der von ihr angeführte Begriff der Performativität und das weitere Ausbuchstabieren der Materialisierung und Inkorporierung mit diesem diskurszentrierten Ansatz nur zum Teil erfasst werden können. Butlers Ansatz zu Performativi-
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tät konzentriert sich auf die Wirkung von Sprache. Es bedarf anderer theoretischer Zugriffe, um auch den „nondiscursive realm of performance“ (ebd.) in den Blick nehmen zu können. Hier kommt nun Erving Goffmans dramaturgischer Ansatz ins Spiel, der den Aufführungscharakter von Performativität in den Fokus rückt. Kulturwissenschaften II: Goffman und das alltägliche Theater Erving Goffmans Theorie handelt ganz allgemein davon, wie wir in sozialer Interaktion, speziell in Face-to-Face-Kontakten, agieren. Sein erstes Buch ist gleich sein erfolgreichstes: The Presentation of Self in Everyday Life (1959) (dt. Wir alle spielen Theater, 1983) wurde in über zehn Sprachen übersetzt. Goffman geht davon aus, dass jeder Mensch – wissend um die Aufmerksamkeit für die eigene Person – in der Interaktion bestrebt ist, ein bestimmtes Bild von sich zu erzeugen. Goffmans Vokabular – Inszenierung, Rollen, Bühne, Requisiten, Dramaturgie, Ensemblemitglieder – ist aus seiner zugrundeliegenden Theatermetapher abgeleitet. Theater und Schauspiel stellen die Kernideen und -begriffe zur Verfügung, ohne dass jedoch die Realität selbst als ‚echtes‘ Schauspiel angesehen wird. Würde man dies tun, würde man die Analogie ‚life as theatre‘ als ‚life is theatre‘ interpretieren und an der Stelle scheitern, an der es um die Einstellung der Akteure geht, die ihr Leben selbst eben nicht als ‚Schauspiel‘, sondern als ‚Realität‘ mit ‚echten‘ Konsequenzen wahrnehmen. Goffman selbst versteht diese Analogie keineswegs als allumfassend (Goffman 1981, 4). Er nutzt die Theatermetapher vielmehr analytisch, um den Aufführungscharakter von Interaktionsprozessen – die Inszenierung eines Selbst auf einer sozialen Bühne – deutlich zu machen. Zentral bei dem Gedanken der Aufführung ist „the body’s appearance, acting, and doing“ (Bell 2008, 179). Goffmans Interpretation trägt also den Gedanken der körperbezogenen Performance – der Darstellung – in die Debatte um Performativität ein. Damit erweitert er die bisher vor allem sprach-und diskursbezogenen Überlegungen Austins, Derridas oder Butlers um den Aspekt der Theatralität und Inszenierung. ‚Darstellung‘ (performance) ist für Goffman in diesem Zusammenhang die „Bezeichnung des Gesamtverhaltens eines Einzelnen […], das er in Gegenwart einer bestimmten Gruppe von Zuschauern zeigt und das Einfluß auf diese Zuschauer hat“ (Goffman 2007, 23). Akteure wählen bewusst wie unbewusst bestimmte Strategien und Techniken der Darstellung, um einen bestimmten Eindruck beim Gegenüber zu erwecken. Goffman bezeichnet dies als „impression management“ (ebd., 210).66 66
Der englische Originalbegriff impression management wird im Folgenden vorgezogen, da ‚Management‘ neutraler und sachlicher klingt als ‚Manipulation‘. Prinzipiell ist bei der Übersetzung Goffmans ins Deutsche festzustellen, dass viele Begriffe einen bestimmten ‚Effet‘ im Sinne von Wertung mitbekommen haben; nicht nur wird das sachliche ‚management‘ zur ‚Manipulation‘, auch die neutrale ‚personal front‘ wird zu ‚persönlicher Fassade‘ (Goffman 2007, 25). Der ohnehin existierende Vorwurf an Goffman (z. B. Geertz 1980, 170), Performances als fake, als Masken und alltägliche Interaktion als chronisch misslingend zu behandeln, wird durch diese Übersetzung nicht gerade entschärft. Aus diesem Grund wird an ausgewiesenen Stellen der englische Originalbegriffe beibehalten und die deutschsprachige Übersetzung bei der erstmaligen Benutzung in Klammern angeführt.
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Das impression management umfasst die Gestaltung und strategische Nutzung des expressive equipments („Ausdrucksrepertoires“) (Goffman 2007, 23), d. h. bestimmter szenischer, gestischer, mimischer & prosodischer Komponenten, die ein Akteur bewusst oder unbewusst während seiner Performance einsetzt, um eine bestimmte personal front („Fassade“) zu erzeugen (ebd., 25). Es wird versucht, den Eindruck, den man auf andere machen möchte, durch die performativen Elemente Setting, Erscheinung und Verhalten zu steuern. Im Folgenden werden diese Aspekte genauer untersucht. Die erste Komponente ist das Setting („Bühnenbild“) (ebd.). Dieses umfasst die Kulisse und die Requisiten (ebd.). Das Setting ist entscheidend bei der Herstellung eines gewünschten Ambientes oder Milieus, bei der Materialisierung eines bestimmten Stils sowie für die Rahmung einer Performance (ebd., 24). Oftmals kann diese erst dann beginnen, wenn die Darsteller einen bestimmten Platz eingenommen oder bestimmte Requisiten in Benutzung genommen haben (ebd.). Die zweite Komponente ist die Erscheinung. Das individuelle Erscheinungsbild beinhaltet Faktoren, die Auskunft über den Sozialstatus etc. geben. Es umfasst unveränderliche oder nur mit erhöhtem Aufwand manipulierbare Faktoren wie Alter, Geschlecht, Rasse, aber auch leichter veränderbare Faktoren wie Kleidung, Rangabzeichen, Markenlogos, die Auskunft über den Sozialstatus und die gegenwärtige Alltagssituation geben (ebd.). Die dritte Komponente ist das Verhalten. Es bezeichnet momentane Faktoren wie Gestik, Mimik, Prosodie, Wortwahl und Sprachstil (ebd.). Das Verhalten zeigt die Rolle an, die jemand in der jeweiligen sozialen Interaktion einzunehmen beabsichtigt (ebd.). Durch die bewusste wie unbewusste Steuerung von Setting, Erscheinung und Verhalten versucht jeder Akteur, so Goffman, Fassaden zu konstituieren, mit denen und durch die er oder sie verschiedene (soziale) Rollen verkörpern kann (ebd., 73 ff.). Ziel einer Performanceanalyse nach Goffman kann also die Identifikation, Interpretation und Kategorisierung bestimmter „Techniken der Imagepflege“ (Goffman 1986, 10) sein: Ein bestimmtes Setting wie ausgewählte Requisiten, ein spezieller Redestil, die Verwendung vieler Fremdworte, eine kräftige Stimme, eine aufrechte Haltung, kaum Blickkontakt kann zum Beispiel als „Mystifikation“ gedeutet werden (ebd., 62 ff.). Ergebnis der Selbstdarstellung ist die Genese eines bestimmten Images. Dieses Image ist immer auch an Gefühle gekoppelt bzw. bringt diese hervor. Das Image eines (mystifizierten) abgeklärten Weltenkenners etwa kann das Gefühl der Ehrfurcht oder der Bewunderung, aber auch der Ablehnung und Abscheu hervorbringen. Entsprechend betont Goffman den sozialen Charakter von Images: „Image ist ein in Termini sozial anerkannter Eigenschaften umschriebenes Selbstbild – ein Bild, das die anderen übernehmen können“ (Goffman 1986, 10). Ein Image ist vor allen Dingen in der Interaktion so wichtig, weil sich die Interaktionspartner zunächst fremd sind und sich erst ein ‚Bild‘ von ihrem Gegenüber machen müssen. Images sind daher erste Boten bei der Kontaktaufnahme und entscheidend für das kommende gemeinsame Handeln (Goffman 2007, 14). Die Darsteller sind bei ihren Performances nicht durchgängig auf der zur Schau gestellten Seite einer Bühne aktiv. Eine in der Humangeographie oft zitierte Unterscheidung trifft Goffman mit der Differenzierung von vorder- und rückseitigen Regionen und einem jeweiligen „ortsbestimmte[n] Verhalten“ (Goffman 2007, 99 ff.;
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vgl. dazu die Auseinandersetzung mit Goffman bei Giddens 1997, 177 ff.). Die Regionen unterscheiden sich hinsichtlich der jeweils gezeigten Performance, genauer: in Normen des Verhaltens („Höflichkeitsregeln“; Goffman 2007, 100) und des Anstandes: Ersteres bezieht sich auf die Art der Behandlung des Publikums (höflich, zuvorkommend, anbiedernd), Letzteres auf die Art des Sich-Gebens außerhalb der direkten Kommunikation, jedoch nach wie vor in Hör- und Sichtweite (streng, beschäftigt, konzentriert, entspannt) (ebd.). Besonders aufschlussreich ist der Moment, in dem die Rollen zwischen vorderund rückseitiger Region getauscht werden (ebd., 112). Die Hinterbühne dient der Verarbeitung und dem Rückzug, dem Ordnen der Requisiten, dem Einstudieren und Üben von Handlungen. Die Vorderbühne stellt demgegenüber den ‚Ernst‘, das ‚Jetzt-gilt-es‘ dar. Jedoch, so betont Goffman, ist eine „Tätigkeit in einer konkreten Situation immer ein Kompromiss zwischen dem formellen und informellen Stil“ (ebd., 119). Doch nicht nur die Darstellung kann zwischen Vorder- und Hinterbühne variieren, auch die Qualität der Einrichtung und Dekoration unterscheidet sich (ebd., 114). Orte können je nach Situation in Vorder- und Hinterbühnen umgewandelt werden (ebd., 118). Eine Gemeinsamkeit beider performativen Situationen ist das Bestreben, peinliche Situationen möglichst zu vermeiden und das ‚Gesicht zu wahren‘ (ebd., 16). Werlen mahnt jedoch zu Recht an, die Einteilung vorderseitig/rückseitig nicht auf „Bewusstseinsinhalte“ (1997, 176) zu übertragen. Das wäre eine unzulässige Verräumlichung mentaler Aspekte. Körperpositionierungen werden nur im Tun bedeutsam, sie sind es nicht per se. Eine Unterteilung, die die vorderseitige (oder auch öffentliche) Region mit dem strategischen Ausblenden bestimmter Persönlichkeitsmerkmale und die rückseitige (oder auch private) mit dem Zurschaustellen derselben gleichsetzt, unterschätzt die Komplexität und Wirkmächtigkeit der durch diese Regionalisierung zum Ausdruck gebrachten Macht-, Sinn- und Normgefüge (Giddens 1997, 178). Ein weiterer wichtiger von Goffman geprägter Begriff ist der des framing, den er 1974 in seinem Buch Frame Analysis: An Essay on the Organization of Experience (dt. Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen, 1980) auszuführen versucht. Ein frame (Rahmen) ermöglicht und begrenzt die Interpretation. Er ermöglicht zu erfassen: „What is it that’s going on here“ (Goffman 1974, 8). Die Vorstellung eines Rahmens ist metakommunikativ und versucht sich der Frage zu nähern, wie in einer bestimmten Situation kommuniziert wird. Dieses Wie wird verstanden als „ways of organizing, understanding, and interpreting experiences in social interaction“ (Bell 2008, 35). Mit anderen Worten: Frames organisieren unsere alltäglichen Interaktionserfahrungen und leiten deren Interpretation an. Ein Rahmen wird durch Konventionen errichtet und kann durch (absichtliche) Missachtung der Konventionen gebrochen werden. Verantwortlich für die Art des Rahmens ist das sogenannte keying. Unter keying versteht Goffman bestimmte Codes, d. h. eine spezielle Sprache, bestimmte Formulierungen oder performative Marker, die jeweils eine andere Art Rahmen erzeugen67 (Goffman 1974, 48). 67
Goffman unterscheidet vier durch das keying errichtete Hauptrahmen: make-believes, contests, ceremonials, technical re-doings (Goffman 1974, 48).
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Bell kritisiert, dass Goffman aufgrund des Mikromaßstabs seiner Untersuchung auf diese strukturelle Eingebundenheit nicht eingeht, sondern den Eindruck individueller Autonomie und Kontrolle erweckt (Bell 2008, 52). Sie wirft ihm die fehlende Thematisierung gesellschaftlicher Stigmatisierungen vor, die etwa durch das Ausblenden von Themenbereichen deutlich wird, denen sich die disability studies widmen (Bell 2008, 171). Dass Goffman die Genealogie und Wirkung dieser Konventionen nicht unter extensivem Einbezug der makrostrukturellen Machtkomponente analysiert, liegt wohl an seinem selbst gewählten Fokus auf Face-to-Face-Interaktionen. Goffman hinsichtlich des fehlenden Einbezugs einer gesellschaftlichen Metaebene zu kritisieren, ist sicherlich nicht falsch, man darf dabei jedoch nicht ignorieren, dass er durch seine Konzentration auf die Mikroebene einen wesentlichen Aspekt sozialen Miteinanders der wissenschaftlichen Behandlung zugeführt hat, der bis dato von eben jenem makroperspektivischen Blick auf ‚gesamtgesellschaftliche Verhältnisse‘ eher verschluckt wurde. Gerade in dieser Mikroperspektive wird das subtile Wirken von Macht insbesondere über und in Interaktionen deutlich. Es wäre ja Unsinn anzunehmen, Macht wirke nur in ‚großen‘ gesellschaftlichen Systemen. Macht ist nicht das ‚Wirken‘ politischer, ökonomischer oder kultureller ‚Kräfte‘, sondern beschreibt ein Beziehungsverhältnis. Dieses wird auch in alltäglichen Interaktionen sichtbar: Auch das Etablieren und Aufrechterhalten eines bestimmten Images oder einer Situationsdefinition ist eine Frage der Machtverhältnisse. Dass indes die Anschlussfähigkeit von Goffmans Theorie an solche eher gesellschaftswissenschaftlich ausgerichteten Ansätze deutlich gemacht werden muss, steht außer Frage. Der Gewinn von Goffmans Darlegungen betrifft jedoch gerade die sensible Aufarbeitung alltäglicher Interaktionen als maßgeblichen und wissenschaftlich lohnenswerten Untersuchungsgegenstand. Die Komplexität dieser Interaktionen zu beschreiben und Begriffe für ihre Analyse bereitzustellen, ist die Errungenschaft Goffmans. Jede nach dem Erscheinen seiner Werke vorgenommene Gesprächstranskription, die diese Dimensionen nicht im Mindesten reflektiert, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ein reduktionistisches Kommunikationsmodell (Sender-Botschaft-Empfänger) zugrunde zu legen. Der letzte Punkt, dem wir uns in der Darstellung von Goffmans Ansatz widmen wollen, bricht mit einer einfachen Unterscheidung zwischen Sprecher und Hörer bzw. zwischen Gespräch und Nicht-Gespräch und macht stattdessen die Vielgestaltigkeit der Rollen in Interaktionen, verstanden als „social encounter“ (Goffman 1981, 130), deutlich. Die Rede ist von Goffmans Konzept des footing. Es stellt in erster Linie einen Versuch dar, das traditionelle Konzept von ‚Gespräch‘ herauszufordern. Im Gegensatz zum traditionellen Verständnis lehnt Goffman die vorgeblich klare Trennung zwischen Redner und Zuhörer und die dazugehörige Vorstellung einer in einem pingpongesken Frage-Antwort-Schema dahingleitenden Konversation als „too gros“ (Goffman 1979, 6) ab. Konkrete Interaktionen sind immer Teil einer „social situation“, die den gesamten physischen Raum umfasst, in der sich die anwesenden Personen in Sicht- und Hörweite befinden (Goffman 1981, 136). Das heißt auch, dass auch Personen inkludiert sind, die gar nicht Teil des direkten Gesprächs sind, als „bystander“ (ebd., 131 f.) jedoch auch zur sozialen Situation beitragen. Man denke etwa an das Wartezimmer beim Arzt, wo man als wartender Patient, ob man
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will oder nicht, einiges über die Krankheitsgeschichten unbekannter Menschen erfährt. In Zeiten öffentlich geführter Telefongespräche, in denen die Privatsphäre nur durch Benutzung einer seltenen Fremdsprache erreicht werden kann, nimmt das ungewollte Bystander-Sein deutlich zu. Nach Goffman wäre es passender, sich den ‚Hörer‘ nicht als homogenen, einzig face-to-face zum Sprecher stehenden Menschen vorzustellen, sondern als ein heterogenes Interaktantenkonzept, das unterschiedliche Realisationsformen annehmen kann (1979, 8). So kann man z. B. inoffiziell ein Gespräch beiläufig überhören, offiziell verbal partizipieren oder nonverbal rückmelden. Im Kontext der Performance sind die ‚Hörer‘ oder ‚Zuschauer‘ nicht einfach eine stumme Adresse, sondern tragen durch ihr eigenes Auftreten zum Gelingen oder Scheitern der Performance bei. Analog ersetzt Goffman den traditionellen Begriff des Sprechers durch eine „talking machine, a body engaged in acoustic activity, or, if you will, an individual active in the role of utterance production“ (ebd., 144). Je nach Situation wird sich ein ‚Sprecher‘ in seiner Rolle anpassen. Deshalb ist es entscheidend, die soziale Situation und den Kontext in der Analyse mitzuberücksichtigen und nicht allein den reinen Sprechvorgang (ebd., 144). Footing bezeichnet in diesem Zusammenhang nun die Beziehung des ‚Sprechers‘ zu seiner Aussage. Genauer ist footing als eine Theorie zu begreifen, die die Alternationen in der Performance aufzeichnet und diese in Bezug auf das Selbstverständnis eines Akteurs und dessen soziale Beziehungen interpretiert. Mit dem Konzept des footing will Goffman die verschiedenen Images und Rollenbilder der Gesprächsteilnehmer in verschiedenen sozialen Situationen untersuchen. Das Selbst ist in Goffmans Theorie dabei immer an die Aufführung gebunden und daher fluid. Die Fluidität des Selbst kann am Wechsel des footing eingefangen werden. Es wird dann das Hinein- und Herausshiften in und aus bestimmten ‚Tonarten‘ und sprachlichen Konventionen sichtbar, die den Wechsel zwischen offiziellen und inoffiziellen Performancemodi (Vorder- und Hinterbühne) bzw. zwischen verschiedenen Rollen markieren. Footing-Wechsel können dabei sehr subtil ablaufen. Oftmals ist es nur das Senken der Stimme, das deutlich macht, dass das, was gerade gesagt wird, vom davor Gesagten abzugrenzen ist, etwa als persönlicher Kommentar. Eine Rückkehr auf die Sachebene wird dann meist durch ein Anheben der Lautstärke und Tonhöhe markiert. Fluidität kann demnach verstanden werden als „alternation in the social capacities in which the person claims to be active“ (ebd., 3). Mit anderen Worten: ein Wechsel des footing verweist auf die mentale Repräsentation der Sprecher von sich selbst und den anderen, der sozialen Situation sowie der unterschwelligen Strukturierung der Konversation. Wenn man den Wechsel im footing untersuchen will, werden die körperliche Orientierung, prosodische, gestische, mimische, syntaktische Elemente, aber auch der Einbezug bestimmter Requisiten bedeutend. Hier ist es erforderlich, sich zu Analysezwecken (zumindest komplementierend) der Videoanalyse zuzuwenden, um auch die konstitutiven nonverbalen Gesprächsanteile untersuchen zu können. Zusammenfassend macht Goffman deutlich, dass Performances von allen Menschen täglich ausgeführt werden. Durch Performances stellt man sich selbst in sei-
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nen verschiedenen Rollen und seinen Beziehungen zu anderen dar. Indem Goffman zeigt, was an performativen Elementen für das Aufführen und Gelingen dieser Performances eingesetzt wird, macht er deutlich, dass die (multisensuale) Darstellungsform für das Gelingen von sozialen Interaktionen wesentlich ist. Diese Elemente umfassen verbale (Syntax, Wortwahl), nonverbale (Gestik, Mimik, Prosodie), situative (Vorder- und Hinterbühne) sowie materielle (Requisiten, Kleiderwahl) Aspekte. Diese Elemente konstituieren ein Image, das von anderen (auch gefühlsmäßig) übernommen werden kann. Ferner wird deutlich, dass performative Interaktionen in einem bestimmten Rahmen stattfinden, der die Sinnstiftung organisiert und leitet. Performances entstehen erst im Zusammenspiel von verschiedenen Akteuren. Ein fluides Selbst nimmt in seiner Performance beständig neue Beziehung zu sich selbst und zu anderen auf und bringt verschiedene Images, Facetten und Rollen seines Selbst zur Darstellung. Goffmans Impuls steht in einer Linie mit ähnlichen Ansätzen in der Ethnologie und den Kulturwissenschaften. Hier konnte ein regelrechter „dramatical turn“ (Bell 2008, 85) verzeichnet werden, dessen Ziel es war, gegen vorherrschende Menschenbildparadigmen des ‚Menschen als Maschine‘ bzw. ‚Menschen als Tier‘ anzuschreiben: Kenneth Burke spricht von ‚dramatism‘, Victor Turner vom ‚social drama‘, und bei Erving Goffman wird das Leben, wie gesehen, „dramaturgical“ (ebd.). Turner ist eine der zentralen Figuren moderner Ethnologie, Mitinitiator des cultural turn in den Kulturwissenschaften und vor allem Vordenker der Performance Studies, deren Verständnis von Performativität/Performanz wir uns im Folgenden widmen wollen. Performance Studies: Turner, Schechner, Conquergood und Theatralität als Universalbegriff Mit seinem Modell des homo performans (Turner 1987, 81) forderte Turner, dass die menschliche Performance Gegenstand kulturwissenschaftlicher Forschung sein sollte. Das zugrundeliegende Paradigma verschiebt sich damit von der Goffman’schen Analogie des Lebens als Theater zu einer Betrachtung von Leben als Performance (Thrift 2000a, 225). Eine auf diesem Paradigma aufbauende Kulturwissenschaft betrachtet „process, play, poetics, power“ (Bell 2008, 132). Process versteht Kultur als dynamisch. Play thematisiert das vom Alltag Verschiedene, das spielerisch Karnevaleske. Poetics im Sinne von Poiesis verdeutlicht die Gemachtheit von kulturellem Leben. Beliebte ethnologische Forschungsobjekte sind dabei Zeremonien und Rituale, die die performative Gemachtheit von Kulturen und Gesellschaft verdeutlichen. Power weist darauf hin, dass jede verkörperte Performance immer auch Ausdruck herrschender Machtstrukturen ist (ebd.). Für Turner sind Performances der Schlüssel zur Analyse von Kulturen: Versteht man die Performances, versteht man die Gesellschaft, so die These. Turners Überlegungen waren für die Konstitution der Performance Studies entscheidend. Ebenso die von Richard Schechner, dessen Wirken die Ergiebigkeit der Grenzgänge zwischen Wissenschaft und Kunst eindrucksvoll illustriert. Nach Schechner tauchen Performances in den verschiedensten alltäglichen Lebensbereichen mit je spezifischen Kommunikations-
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und Interaktionsformen und Verhaltensweisen auf. Die Dimensionen von ‚Performance‘ illustriert Schechner als Fächer (‚fan‘), die mit der Analyse von Performances befassten Forschungsfelder als Netz (‚web‘) (Abb. 7). Es wird deutlich, dass Schechners Vorstellung von Performances noch deutlich von der ethnografischen Erforschung von Ritualen, wie sie Victor Turner betrieben hat, und von der Beschäftigung mit künstlerischen (theatralen) Prozessen geprägt ist. Diese beiden Säulen kennzeichnen auch Schechners Schaffen, das sich der Dokumentation von (Stammes-)Ritualen einerseits und dem theoretischen und prak-
Abb. 7: Dimension und Forschungsfelder der Performance Studies (nach Schechner 1988, xii)
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tischen Wirken von Theater andererseits widmet. Erkennbar ist an der Abbildung aber auch, dass der ‚Einzugsbereich‘ von Performances über die Rituale und das Theatrale hinaus auch auf die alltäglichen Performances in der Politik, im Sport, in der Wirtschaft, im Spiel, beim Sex, in der Unterhaltungsindustrie erweitert wird (Schechner 1973, 3). Allerdings gibt es kein all diesen Formen von Performances innewohnendes Schlüsselelement, keine Performance „universals“ (Schechner 1988, 251). Sie zeichnen sich vielmehr durch folgende Parameter aus: a) bestimmte Strukturierung der Zeit, b) besondere Bedeutung einzelner Objekte, c) keine Güter herstellend, d) Regeln, e) unter Nutzung bestimmter (ungewöhnlicher) Orte68 (ebd., 6). Den ‚art-making process‘, der auch in seinem Dimensionsfächer auftaucht, betrachtet Schechner von beiden Seiten. Parallel zu seiner Tätigkeit als Professor für Performance Studies an der „New York Tisch School of the Arts“ leitete Schechner zwischen 1967 und 1980 seine eigene experimentelle Theatergruppe „The Performance Group“, die auch heute noch, wenngleich unter neuer Leitung und neuem Namen („The Wooster Group“), in der „Performing Garage“ in Soho, New York auftritt (Müller 2006, 117). Schechner selbst nimmt neben Lehraufträgen auch immer noch Inszenierungsangebote an. Er überschreitet somit den ‚klassischen‘ akademischen Kontext in Richtung Kunst. Künstlerisch-wissenschaftliche Begegnungen gibt es auch in geographisch relevanten Themenfelder. Beispielhaft ist das Projekt die urbanauten in München, das unter aktiver Beteiligung von SozialgeographInnen, Aktionen im öffentlichen Raum („Kulturstrand“, „Wanderkino“, „Corso Leopold“ usw.) mit wissenschaftlicher Begleitung und Vorbereitung sowie Tagungen („Revolution im Zwischenraum. Revolution, Teilhabe und Diskurs zwischen digitalen und urbanen öffentlichen Räumen“, März 2012) anbietet. Dwight Conquergood, einer der einflussreichsten Vertreter der Performance Studies der jüngeren Vergangenheit (Conquergood 1985a, b, 1986, 1988, 1991, 1995, 2002), schlägt entsprechend als deren Agenda ein Überwinden institutioneller Grenzen vor: Künstlerisch-praktisches Schaffen, wissenschaftliche Analyse und Kommunikation mit der sozialen Gemeinschaft sollen zusammen Gegenstand der Performance Studies als akademischer Disziplin sein (Conquergood 2002, 153): „If we go the one-way street of abstraction, then we cut ourselves off from the nourishing ground of participatory experience. If we go the one-way street of practice, then we drive ourselves into an isolated cul-de-sac, a practitioner’s workshop or artist’s colony. Our radical move is to turn, and return, insistently, to the crossroads“ (Conquergood 2002, 154).
Conquergood selbst überschreitet wie Schechner bei weitem den gewohnten Rahmen universitärer Tätigkeit und versteht das Performative nicht nur als Theorie seiner Arbeit, sondern als Aufforderung und Lebensaufgabe. Er lebte in Flüchtlingslagern in Thailand (Conquergood 1985b, 1988) und im Gazastreifen sowie in verarmten Chicagoer Stadtvierteln und veröffentlichte seine Erfahrungen in wissenschaftlichen Artikeln, aber auch in Fernsehdokumentationen (Between Two Worlds: The Hmong Shaman in America, 1985; The Heart Broken in Half, 1990). Eine 68
Diese Orte unterteilt er in „sacred space“, „secular space“, „found space“, „transformed space“, „indoor space“, „outdoor space“, „single space“, „multi space“ (Schechner 1988, 252 f.)
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Grenzüberschreitung zwischen Kunst und Wissenschaft regen u. a. auch Gabrys und Yusoff (2012, 1) an, die „art-sciences“ als Möglichkeit sehen, wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel zu kommunizieren und Handlungsaufforderungen zu formulieren. Das programmatische Ziel der Performance Studies fasst Conquergood in drei Begriffsalliterationen: den drei is: imagination, inquiry, intervention; den drei as: artistry, analysis, activism; den drei cs: creativity, critique, citizenship: „We can think of performance (1) as a work of imagination, as an object of study; (2) as a pragmatics of inquiry (both as model and method), as an optic and operator of research; (3) as a tactics of intervention, an alternative space of struggle. Speaking from my home department at Northwestern, we often refer to the three a’s of performance studies: artistry, analysis, activism. Or to change the alliteration, a commitment to the three c ’s of performance studies: creativity, critique, citizenship (civic struggles for social justice)“ (Conquergood 2002, 152).
Zusammenfassend gesprochen behandeln die Performance Studies 1.) das Hervorbringen von Kunst und Kultur unter Berücksichtigung des praktischen Bewusstseins, des verkörperten knowing how, 2.) die Interpretation von Kunst und Kultur mithilfe von Performances, 3.) Performances als Instrument der Kritiknahme und des politischen Engagements (ebd.). Performances werden also nicht als theatrale Form der Unterhaltung oder Show verstanden, sondern als Weise des In-die-WeltBringens und In-der-Welt-Seins, als Analyseinstrument und als Mittel politischer Intervention (Madison & Hamera 2006, xii). Konzepte, die den Begriff der Performance zu fassen versuchen, lassen sich in drei Betrachtungsweisen unterteilen: Performance als Mimesis, Poiesis und Kinesis (ebd., 12 ff.). 1. Mimesis (griech. Nachahmung) wird dabei als faking verstanden (ebd., 12). Diese Lesart ist stark an Platons Auffassung von Kunst angelehnt. Platon geht in seiner Politeia davon aus, dass nur die von Gott geschaffenen Ideen das wahrhaft Seiende sind. Performances sind in dieser Lesart bloße Masken: künstlich und aufgesetzt. Erving Goffman wurde von Clifford Geertz hinsichtlich der Reduktion seiner Beschreibungen menschlicher Performances auf diese Maskenhaftigkeit kritisiert. Gesellschaft, so kritisiert Geertz weiter, ist für Goffman größtenteils fake, „an unbroken stream of gambits, ploys, artifices, bluffs, disguises, conspiracies, and outright impostures as individuals and coalitions of individuals struggle“ (1980, 25). Er bezeichnet Goffmans Auffassung von Interaktion als „ping-pong in masks“ (ebd., 24). 2. Performances als Poiesis zu sehen, stellt den konstruktiven Charakter von Performances heraus. Bell spricht hier von making (Bell 2008, 13). Performances werden nicht nur als ‚Gattung‘ betrachtet, sondern (auch) als eine Realisationsoperation, ein schaffender Instantiierungsmoment aller sozial-kulturellen Äußerungen. Der grundlegende Schritt von Mimesis zu Poiesis wurde von Victor Turner initiiert, der Aufführungen nicht als bloße Nachahmung der Wirklichkeit, sondern als Wirklichkeit für sich betrachtete (Hamera 2006b, 4). Performances konstituieren Gesellschaft und werden durch sie konstituiert. Diese
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Annahme über den Charakter von Performances ist es auch, die für die vorliegende Arbeit grundlegend ist: Geographie wird über performative Akte gemacht. Die Performance Studies erweisen sich hier als durchaus anschlussfähig. Bell etwa betont, dass neben class oder gender auch Raum im Sinne geopolitischer Regionen durch Performances gemacht wird: „[G]eopolitical region [is] known to self and others through performances that comply with as well as defy expectations“ (Bell 2008, 19). Man denke hier nicht nur an ‚regionstypische‘ Tänze, Kostümierungen oder Gesänge vor zahlenden Touristen – die Performance Studies wollen ja gerade die Engführung des Begriffes ‚Performance‘ auf Show oder theatralische Aufführung aufbrechen –, sondern auch an die alltägliche Aufführung eines bestimmten Habitus. Die Vertreter der Performance Studies sind sich der raummachenden Dimension von Performanz durchaus bewusst. Das Raumverständnis wird hierbei von der kritischen Kommunikations- und Kulturwissenschaft übernommen: „[S]pace is not simply an inert context, a barren stage waiting for actors to show up. On the contrary, it is itself an actor, produced by and, in turn, producing communicative possibilities materialized by embodied subjects“ (Hamera 2006d, 76). Hamera bemerkt, dass sich gerade Performances zur Beschreibung des Raummachens anbieten, da es ja, wie wir mit Austin gesehen haben, gerade die wesentliche Eigenschaft von Performativem ist, soziale Tatsachen herzustellen (ebd., 77). Hamera merkt an, dass ein solch performativer Ansatz zur Untersuchung der Konstruktion von Raum die affektive Seite des Hervorbringens betont. 3. Mit Kinesis wird auf das Potenzial von Performances verwiesen, bestehende (Macht-) Strukturen zu ändern. Bell spricht hier von breaking (Bell 2008, 14). ‚Kinesis‘ im nicht-naturwissenschaftlichen Sinne stammt aus dem aristotelischen Wortschatz und bedeutet Veränderungsvorgang (Liske 1991, 161).69 Gesellschaft wird durch Performances reproduziert, indem sie frühere Akte wiederholt, aber auch verändert. In diesem Sinne sind Performances traditionell und transformierend zugleich (Bell 2008, 16). Damit verbunden ist die Möglichkeit, Protest, Widerstand oder allgemein Kritik am gesellschaftlichen Status quo auszudrücken und durch radikale oder subtile Veränderungen in den Performances einen Wechsel herbeizuführen. Bell spricht hier etwas verschwörungstheoretisch von „hidden forces“ (Bell 2008, 24) im Untergrund, die es aufzuspüren gelte. Auch weniger dramatisch bieten Performances das Potenzial der Reflexion von Machtbeziehungen. SFB 447 „Kulturen des Performativen“ Die Kunst- und Theaterwissenschaften haben ihre Kompetenzen in einer Aufarbeitung der von Baumgarten als cognitio sensitiva bezeichneten geistigen Sinnlichkeit und der Darstellungslehre (vgl. Kap. 2.2), und zwar nicht (nur) im Sinne einer 69
Liske weist in seinem Aufsatz auf die Schwierigkeiten der Übersetzung des Begriffs hin. Für unsere Zwecke ist eine Translation als Veränderungsprozess oder -vorgang jedoch ausreichend.
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wahrnehmungs- oder zeichentheoretischen Analyse, sondern auch in der Reflexion darstellerischer Leistungen, die in den Medien Bild, Musik, Sprache und Körper geschaffen werden (Brandstätter 2008). Wenn sich die Geographie, wie aus der erkenntnistheoretischen Grundlegung hergeleitet, nun den analogisch-ästhetischen Erkenntnis- und Ausdrucksformen widmen möchte, kann sie von diesen Disziplinen durchaus lernen. Dies gilt umso mehr, als es ein verbindendes theoretisches Feld gibt: das Performative. Herausragendes Beispiel für das Engagement der Kunst- und Theaterwissenschaften auf dem Feld des Performativen ist der Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“70, der nach zwölf Forschungsjahren Ende 2010 beendet wurde. Federführend waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität Berlin. Sprecherin des SFB war die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte, die mit Monographien wie Ästhetik des Performativen (2004) oder Ästhetische Erfahrung – Das Semiotische und das Performative (2001) disziplinübergreifenden Einfluss ausübt. Zentral für den SFB war die Annahme, dass Wirklichkeit performativ konstituiert und transformiert wird. Performative Prozesse wurden als „Zusammenspiel von intendiertem Handeln und Emergenz, von Planung und Kontingenz“ gesehen (http://www.sfb-performativ.de). In interdisziplinärer Perspektive behandelten die einzelnen Teilprojekte u. a. Themen wie Verfremdung, Differenzierung, Dynamisierung von Symbolsystemen und Räumen, Verräumlichung, soziale Produktion von Raum, symbolische oder atmosphärische Aufladung, Einverleibung, Identitätskonstitution und Identitätswechsel (ebd.). Dies sind Themen, die auch in geographischen Untersuchungen behandelt werden bzw. sich durchaus dafür eignen würden. Ein besonderes Augenmerk des SFB galt dem Ende des letzten Jahrhunderts innerhalb der Sozial-, Geistes-, Sprach- und Kulturwissenschaften stattgefundenen Paradigmenwechsel von „Kultur als Text“ zu „Kultur als Performanz“ (ebd.), der Kultur/Sprache/Identitäten in ihrem Vollzugs- und Ereignischarakter thematisiert. Dabei geht es vor allem um den Doppelcharakter von Performanz. Performanz ist sowohl Erzeugen als auch Geschehen-Lassen bzw. Widerfahren. Performanz erzeugt das, was durch sie in Erscheinung tritt. Bestehendes wird nicht einfach kopiert und repräsentiert, sondern immer auch transformiert und im Derrida’schen Sinne iteriert. Performanz ist in diesem Sinne ein generativer Prozess und ein Geschehen-Lassen. Was hier zum Tragen kommt, ist die Ereignishaftigkeit, Ephemeralität und Emergenz performativer Prozesse. Performanz ist gerade keine in allen Einzelheiten einseh- und steuerbare Produktion von etwas, schon gar nicht von Sinn und Bedeutung.
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Der SFB hat über zehn internationale Konferenzen und eine Vielzahl von Workshops organisiert, deren Ergebnisse und Einsichten in Publikationsform weitergetragen werden (u. a. Fischer-Lichte et al. 2003, 2004, 2006, 2007; Fischer-Lichte, Horn & Warstat 2001; Fischer-Lichte, Schaub & Suthor (2005); Fischer-Lichte & Wulf 2001, 2004; Schwarte & Wulf 2003; Wulf & Zirfas 2004, 2005, 2007; Wulf 2005; Hüppauf & Wulf 2006; Audehm & Velten 2007; Brandstetter & Wulf 2007).
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Bekenntnisse Wenn wir nun von dieser kurzen Reise durch die Entwicklungsstationen des Performativen zurückkehren zum humangeographischen Forschungsgegenstand des Geographie-Machens, wird deutlich, dass mit dessen Fokus auf Herstellungsprozesse auch verschiedene Perspektiven von Performativität relevant werden. Austins Performativitätsverständnis ist dabei je nach Forschungsfrage ebenso fruchtbar wie die Perspektive Butlers, Goffmans oder der Performance Studies und der Theaterwissenschaften. Die vorliegende Arbeit, die die analogisch-ästhetische Erkenntnisform und folglich die Bedeutung des Sensitiven stark macht und sich dem performativen Machen von Geographien widmen möchte, nimmt zwangsläufig Phänomene in den Blick, die außerhalb einer rational-diskursiven Betrachtung der Konstruktion und Produktion von Geographien liegen. Am ehesten auf einer Linie mit dieser Ausrichtung der vorliegenden Arbeit liegt die Lesart von (korporalisierender) Performativität als ‚Performanz‘. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Einsichten einer universalisierenden oder iterabilisierenden Performativität als unwichtig erachtet werden. Auch ihnen kommt große Bedeutung zu. Performanz liegt immer zwischen Sprache und Praxis und kann und will somit die Bedeutung linguistischer und diskurstheoretischer Prinzipien nicht negieren. Simple Frontlinien und Ausgrenzungen werden der Komplexität alltäglichen performativen Geographie-Machens nicht gerecht. 4.3 Performanz in Relation „In jeder Unterscheidung ist eine Eingrenzung mit einer Ausgrenzung verbunden. Daher tut man gut daran, das Ausgegrenzte zum Eingegrenzten hinzuzudenken, nicht nur, damit die ‚Begrenztheit‘ der Unterscheidung im Bewußtsein bleibt, sondern auch deshalb, um sich davor zu schützen, daß das Ausgegrenzte als unbewältigter ‚Rest‘ über das Eingegrenzte hereinbricht.“ (Gabriel 1997, 42)
Nachdem nun wichtige Zugänge zu Performativität vorgestellt wurden, geht es im folgenden Kapitel detaillierter um die spannungsreichen Beziehungen, die sich um Performanz entspinnen. Es geht um die Klärung von Ein- und scheinbaren Ausgrenzungen, um Kompromisse, um die Auflösung einfacher Antagonismen. Das Ausgegrenzte zum Eingegrenzten dazuzudenken, erfordert, sich dem anzunähern, von dem man sich gerade in emanzipatorischer Absicht abzusetzen versucht hat. Zum Beispiel ist die Betonung der Multisensualität ein Versuch, das Monopol von Text und Diskurs in Frage zu stellen. Sich nun die Frage zu stellen, welche Bedeutung Text und Sprache in einer performativen Einstellung überhaupt haben können, ermöglicht eine neue Kontaktaufnahme zwischen den vermeintlichen Antagonisten und einen erneuten Aufschluss sowie eine Nutzung von Sprache als performative Ressource für die empirische Forschung. Im Folgenden soll Performanz erstens in Relation zu Sinn, Bedeutung und Interpretation besprochen werden, zweites in Relation zu Sprache und Nicht-Sprache und drittens zu Narration.
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Präsenz, Sinn und performatives Verstehen Performanz zeichnet sich durch Eigenschaften aus, die weder das Semiotische noch das Symbolische besitzen. Bestimmend für Performanz ist der Vollzug, das leibliche Jetzt-und-Hier-Sein. Performanz als präsentisches Geschehen zu verstehen, betont den Vollzugscharakter auch von alltäglichem und wissenschaftlichem Geographie-Machen.71 Simmel schreibt dazu: „Die höchst lebendige Wechselwirkung […], in die der Blick von Auge in Auge die Menschen verwebt, kristallisiert zu keinerlei objektivem Gebilde, die Einheit, die er zwischen ihnen stiftet, bleibt unmittelbar in das Geschehen […] aufgelöst“ (Simmel 1993, 280). Dieses Phänomen ist von verschiedenen Autoren mit unterschiedlichen Konzepten zu fassen versucht worden. Hans-Ulrich Gumbrecht spricht von „Präsenz“ (Gumbrecht 2004; auch Mersch 2002a), Martin Seel vom „Erscheinen“ als „Modus des sinnlichen Gegebensein von etwas“ (Seel 2000, 47), Dieter Mersch von dem Zusammenhang von „Ereignis und Aura“ (Mersch 2002b). Gemeinsam ist ihnen die Suche nach dem, was sich nicht nur über Symbole und Interpretation zeigt: „In diesem Sinne haben wir es mit einer epistemologischen Operation entlang von Sinn und Nicht-Sinn zu tun, die nicht von vornherein den Nicht-Sinn zum Unsinn erklärt und dem Sinn seinen Gegenbegriff verwehrt“ (Mersch 2005, 255). Auch Susan Sontag kritisiert die Fetischisierung von ‚Sinn‘ und ‚Bedeutung‘: Es gehe nicht darum, die ‚eigentliche‘ Bedeutung von Texten oder Kunstwerken, den Subtext hinter dem Text oder Bild zu suchen, sondern deren Erlebniswert zu verstehen (Sontag 1966). In ihrem polemischen Essay „Against Interpretation“ versteht Sontag Interpretation als ‚Rache des Intellekts an der Welt‘ (ebd., § 4). Mit dieser Abwertung von Interpretation als ‚Verarmung‘ geht eine Aufwertung der Sinnlichkeit beziehungsweise im Baumgarten’schen Sinne der Sensitivität einher: „What is important now is to recover our senses. We must learn to see more, to hear more, to feel more“ (ebd., § 9). Präsenz Hans-Ulrich Gumbrecht widmet sich diesen Fragen in seinem viel diskutierten Buch Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz (2004, engl. Originaltitel Production of Presence – What Meaning Cannot Convey). Gumbrecht möchte hier – absichtlich polarisierend – einen nicht hermeneutischen Zugang zur Welt formulieren (vgl. auch Gumbrecht 1994). Gumbrechts Überlegungen kristallisieren sich im Begriff der Präsenz. Präsenz bezieht sich „auf ein räumliches Verhältnis zur Welt und zu deren Gegenständen“ (Gumbrecht 2004, 11). Die „Produktion von Präsenz“ leitet Gumbrecht vom lateinischen Wort producere (vorführen) her und meint damit „alle möglichen Ereignisse und Prozesse, bei denen die Wirkung ‚präsenter‘ Gegenstände auf menschliche Körper ausgelöst oder intensiviert wird“ (ebd.). Die Frage nach der Wirkung von materieller Präsenz wird in dieser Lesart der Frage nach dem Sinn, die immer jenseits der materiellen Präsenz gesucht wird, 71
Zum Vollzug der Physischen Geographie und der Bedeutung des Vollzugs für des „evolutiven Tuns“ siehe Zahnen (2011, 51).
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vorgezogen. So ist auch der Titel seines Buches zu verstehen: Diesseits der Hermeneutik ist etwas, das uns sinnlich berührt und nicht mit Konzepten von Sinn und Interpretation gefasst werden kann. Dies heißt nun im Umkehrschluss nicht, dass Sinn und Bedeutung in einer Gumbrecht’schen Auslegung fortan disqualifiziert oder „verteufelt“ (ebd., 12) wären, aber sie werden als scheinbar einzig gültiges Paradigma der Geisteswissenschaften angezweifelt. Mit anderen Worten: Gumbrecht will Phänomene der Präsenz in den Blick nehmen, deren Ausblenden er als Mangel in den neueren Geisteswissenschaften versteht und von deren Inblicknahme er sich neue Einsichten in das Mensch-Welt-Verhältnis verspricht. Ein Schlüsselbegriff in seiner Argumentation ist wie bei Dilthey das ‚Erleben‘, das er als komplementär zum Verstehen begreift. Um dieses Erleben auf die wissenschaftliche Agenda zu setzen, fehlt es in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Debatte an Begriffen. Diesen Mangel zu beseitigen und Erleben wissenschaftlicher Bearbeitung zuzuführen, ist das Anliegen Gumbrechts, aber auch weiterer Autoren wie Dieter Mersch, Martin Seel, Erika Fischer-Lichte und anderen. Sie fordern, „daß man Begriffe ausprobiert und entwickelt, die uns in den Geisteswissenschaften die Möglichkeit geben könnten, zur Welt in ein Verhältnis zu treten, das komplexer ist als die Interpretation allein, komplexer als die bloße weltbezogene Sinnzuschreibung […]. Die Mühe, die es uns kosten würde, zusätzlich zu den hermeneutischen Begriffen nichtinterpretative Begriffe zu entwickeln, würde sich daher gegen die Konsequenzen und Tabus richten, die von der Inthronisierung der Interpretation als des alleinigen Kernverfahrens der Geisteswissenschaften herrühren“ (Gumbrecht 2004, 71).
Gleichzeitig stellt Gumbrecht fest, dass diesem Unterfangen in den Wissenschaften häufig kritisch begegnet wird: „Ja, der Glaube an die Möglichkeit einer anders als durch Sinn bewerkstelligten Bezugnahme auf die Welt ist mittlerweile gleichbedeutend mit dem höchsten Grad an philosophischer Naivität, und bis vor ganz kurzer Zeit haben nur wenige Geisteswissenschaftler den Mut aufgebracht, diese potentiell verheerende und peinlich berührende Kritik mit Absicht auf sich zu lenken“ (ebd.)72
Jedoch, so Mersch, ist die Beschäftigung mit „Präsenz“, „Erscheinen“, „Aura“ keine „Apotheose naiver Unmittelbarkeitsfrömmigkeit“ (Mersch 2005, 254), sondern der Versuch, sich dem begrifflich zu nähern, was sich nach Baumgarten als „klar-verworrene Erkenntnis“ (MED, § 16–18), d. h. als innerlich klar, aber begrifflich schwer fassbar darstellt. Realität wird nicht ausschließlich als Leistung des Geistes angesehen, sondern auch als körperlich vermittelt. Für eine Differenzierung von auf Körperlichkeit bzw. Interpretation ausgerichteten Zusammenhänge schlägt Gumbrecht (2004, 99) die (Ideal-)Typen der „Präsenzkultur“ bzw. „Sinnkulturen“ vor. Aus der Fokussierung des Körpers in ‚Präsenzkulturen‘ leitet Gumbrecht die Definition und Bedeutung von Raum ab. Raum ist demnach jene Dimension, die sich im Umkreis des Körpers konstituiert als „urei72
Dass in der Geographie Jürgen Hasse seine Überlegungen nach z. T. harscher Kritik zum Erleben nicht länger in sozialgeographischen Publikationsorganen, sondern bei der Gesellschaft für Neue Phänomenologie veröffentlichte, könnte als eine solche Verurteilung und Vertreibung angesehen werden.
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genster Bereich, in dem das Verhältnis zwischen den Menschen und den Dingen ausgehandelt“ wird (ebd., 103). Im Erleben wird die „Dinglichkeit der Welt“ bewusst körperlich spürbar (ebd., 83). Während Erfahrung immer mit einer Interpretation einhergeht, bezeichnet Erleben ganz im phänomenologischen Sinne das gerichtete, gestimmte Betrachten bestimmter Gegenstände (ebd., 120). Erleben liegt somit zwischen Wahrnehmung und Erfahrung. Mit einem konstruktivistischen Verständnis von ‚Raum‘ ist diese Lesart freilich nicht identisch. Wenn man jedoch der Idee der zwei Idealtypen von Sinn- und Präsenzkulturen folgt, könnten analog auch zwei Idealtypen von Raumvorstellungen unterschieden werden: das konstruktivistische Raumverständnis auf der einen und das erlebnisbezogene auf der anderen Seite.73 Gumbrecht gesteht ein, dass es manchmal überaus schwierig sei, keinen Sinn zuzuschreiben (ebd., 127). Folglich behauptet er, dass Sinn und Präsenz oszillieren (ebd., 128). Für Gumbrecht gibt es kein Sowohl-als-auch, nur ein Entweder-oder. Dies widerspricht der von Baumgarten vertretenen These, dass sich das Erkenntnisvermögen des Menschen komplementär und nicht oszillierend aus den kognitiven und sinnlichen Erkenntnisformen zusammensetzt. Als Beispiel für seine Überzeugung führt Gumbrecht die argentinische Volksweisheit an, dass man zu keinem Tango tanzen kann, der einen gesungenen Text hat. Zum Tanzen ist ein Fallenlassen, ein Aufgehen in der Musik nötig, dies wird durch eine Konzentration auf den gesungenen Text verhindert (ebd., 128). Entsprechend verwehrt sich Gumbrecht gegen einen Metabegriff, der Semiotisches und Nicht-Semiotisches zu verbinden sucht (ebd., 130). Um den Widerspruch zwischen Gumbrecht und Baumgarten aufzulösen, könnte man sagen, dass sich Gumbrecht mit ‚Sinn‘ und ‚Präsenz‘ auf verschiedene Modi des Weltbezugs bezieht: den Modus der Interpretation und den Modus des Erlebens. Baumgarten argumentiert auf erkenntnistheoretischer Ebene, wenn er beide als gleichberechtigte Erkenntnisformen ansieht. Auch die abgeleiteten Raumtypen sind hier komplementär, überlappend und nur analytisch trennbar. Mit ihnen kommen auch je unterschiedliche Aspekte des Geographie-Machens in den Blick. Die erlebnis- und körperbetonte Dimension hat dabei Nachholbedarf in Sachen theoretischer Explikation gegenüber der sprachlich-konstruktivistischen, da sie, in elaborierter Fassung, erst seit Kürzerem – oft unter dem Schlagwort ‚Performativität‘ – thematisiert wird. Diese analytische Trennung ist folglich mit der Aufforderung an die Geographie verbunden, sich differenziert mit Erleben, Körperlichkeit, Leiblichkeit und den Konsequenzen für die Vorstellung von ‚Raum‘ und für das alltägliche wie wissenschaftliche Geographie-Machen auseinanderzusetzen. Für Letzteres liefert Barbara Zahnen einen wichtigen Beitrag. Sie macht die Bedeutung des Forschungsvollzugs und des dabei generierten evolutiven Wissens für die Entdeckung von neuen Erkenntnissen deutlich (Zahnen 2011). Forschung evolutiv zu vollziehen, bedeutet nicht schon vorauszusetzen, was doch erst erforscht werden soll (ebd., 53–55). Es bedeutet, sich taktvoll mit einem Phänomen auseinanderzusetzen, es zu umrunden, seine Grenzen und Parameter in Erfahrung zu 73
Die Unterscheidung erfolgt wohl wissend, dass diese beiden Typen in sich keinesfalls homogen sind. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass sich die prinzipiellen Annahmen über die Seinsweise von ‚Raum‘ zumindest in der je grundsätzlichen Argumentationsrichtung ähneln.
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bringen (ebd., 54). Taktvolle WissenschaftlerInnen zeichnen sich für Zahnen dadurch aus, bei diesen Auseinandersetzungen ein besonderes Gespür für das bisher Vernachlässigte oder Übersehene zu haben, dafür, dass da etwas ist, was man vielleicht sprachlich noch nicht richtig fassen, leiblich aber spüren kann (ebd.).74 Diese „welterschließende Dimensionen der leiblichen Erfahrenheit eines Wissenschaftlers ist das, was es eigentlich zu verstehen gilt“ (ebd., Hervorhbg. i. Org.). Kurzum: Was wir tun, was wir erleben, wenn wir forschen, d. h. Wissenschaft vollziehen, ist es, was künftig auf der geographischen Forschungsagenda stehen sollte. Performatives Verstehen als Kompromiss Einen Kompromiss um die Auseinandersetzung um Sinn, Nicht-Sinn, Bedeutung und Interpretation bietet uns der Philosoph Matthias Vogel. Er prägt den Begriff des „performativen Verstehens“ (Vogel 2008, 234). Dafür führt er eine Differenzierung zwischen sprachlicher Bedeutung und performativem Sinn ein. Während die sprachliche Bedeutung die informative Angabe der Bedeutung darstellt, ist der performative Sinn nur durch und in der Aufführung zugänglich (ebd., 235). Aufführen wird als Form des Verstehens gedeutet (ebd., 236). Für das performative Verstehen ist es nachrangig, die Absicht des ‚Künstlers‘ zu ergründen. Der performative Sinn erschließt sich durch inneren Nach- und Mitvollzug. Rezipienten sind hierbei nicht bloß passive Empfänger, sondern werden in der Vergegenwärtigung, z. B. im ‚Berührt-Werden‘, innerlich tätig. Sie integrieren „die mit der Aufführung verbundenen Wahrnehmungen nachvollziehend zu einer Erfahrung“ (ebd., 242). Voraussetzung dafür, dass Aufführungen strukturiert wahrgenommen und auch verbalisiert werden können, sind eine geteilte kulturelle Sozialisation und eine geteilte körperliche Ausstattung (die Ausdrücke wie „wie ein kalter Windhauch“ verstehbar macht) (ebd., 241). Die zeitliche Unmittelbarkeit als Charakteristikum von Performanz („one-timeonly“; Phelan 1993, 146) wirft die Frage nach der Konservierung und Übersetzung von performativen Praktiken auf. Die Gebundenheit an die Aufführung stellt die empirische Forschung vor Herausforderungen. So kann sich jede Untersuchung nur auf ein vergangenes performatives Ereignis beziehen. Zugleich muss dieses Ereignis jedoch als autonome performative Praxis in ihrem Vollzug und ihren Präsenzeffekten thematisiert werden. Mit dieser Betonung des aktuellen Vollzugs soll die Fehlannahme der genetic fallacy verhindert werden, d. h. das Betrachten von sozialem Geschehen als Ritual, das seine Bedeutung einzig im geschichtlichen Werden, im historischen Sein, nicht im aktuellen Seienden gewinnt (Dirksmeier & Helbrecht 2008). Performative Praktiken der wissenschaftlichen Analyse zugänglich zu machen, erfordert, wie bereits gesehen, den stärkeren Einbezug multisensualer Aufnahmemodi. Wichtig ist dabei die Frage, wie das Erleben eingeholt werden kann. Die 74
Zahnen (2011, 20) spricht vom physisch-geographischen Takt und von Gelände- und Laborsituationen. Analog kann auch ein humangeographischer Takt in der Auseinandersetzung mit Feldforschung und Theoriegebäuden ausgemacht werden.
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Bearbeitung dieser Frage führt uns mitten hinein in das Spannungsfeld zwischen Sprache und Performanz. Sprache und Performanz Eine ästhetisch und performanztheoretisch informierte Arbeit setzt sich bewusst und mit emanzipatorischer Absicht von einer sprach- und diskurszentrierten Betrachtungsweise ab. Diese Absetzung ist nicht ideologisch, sondern zunächst einmal heuristisch. Die Distanzierung hilft, aus dem Schatten der Sprache zu treten und das Potenzial einer performanztheoretischen Sichtweise zu entfalten. Das Anerkennen der Besonderheiten von Performanz entbindet uns aber nicht von der Frage nach der Beziehung von Performanz und Sprache. Hier nun gilt es den heuristischen Abstandhalter zu entfernen und beide Zugangsweisen in ihrem Neben-, Mit-, Über- und Gegeneinander zu betrachten. Damit soll auch eine einfache Dichotomie von Performanz und Sprache vermieden werden. Denn es geht, wie Gabriel (1991, 202 ff.) bereits betont, um einen komplementären Pluralismus. Es geht darum, die Über- oder Unterordnung zugunsten einer spannungsvollen Beziehung aufzulösen. Jenseits von Sprache Als Wissenschaftlerin, die eine traditionelle wissenschaftliche Abhandlung verfasst, bin ich fest im Rahmen der Sprache verankert. Auch wenn ich Performanz analysiere, komme ich doch wieder auf Sprache zurück, will ich meine Beobachtungen kommunizieren. Ein analytisches ‚Draußen‘ erscheint schwer vorstellbar. Als Kronzeuge wird hier gern Derridas (1974, 274) Behauptung, „ein Text-Äußeres gibt es nicht („il n’y a pas un en-dehors-texte“), angeführt. Sie besagt, dass es auch für außersprachliche Phänomene keinen anderen als einen sprachlichen Zugang gibt. Schon allein, um dieses Andere oder ‚Außen‘ bestimmen und zum ‚Außen‘ erklären zu können, bedarf es der Sprache. Bedeutet das nun aber, dass es sinnlos ist, sich mit Nicht-Sprachlichem zu beschäftigen, weil wir doch nur wieder da angelangen, wo wir ohnehin schon standen: bei Textinterpretation und Diskursanalyse? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst unser Verständnis von ‚Sprache‘ darlegen. Sprache ist nicht nur langue, sondern eben auch parole. Sprache ist hochgradig performativ. Sie ist Teil des analogisch-ästhetischen Erkenntnispols. Nicht umsonst nehmen sowohl Gabriel als auch Baumgarten Gedichte als Beispiel analogischästhetischen Erkennens (Gabriel 1991; Baumgarten in MED). Austin und Derrida zeigen uns die Macht von Sprache zur Schaffung und Veränderung sozialer Tatsachen, Butler zeigt uns, dass auch Diskurse performativ sind. So gesehen, ist die Beschäftigung mit dem Performativen zunächst einmal nicht als Einführung eines neuen Forschungsgegenstandes neben anderen zu sehen, sondern als eine Perspektive, die bislang weniger beachtete, sich um die Schlagworte ‚Emotionalität‘, ‚Erleben‘, ‚Körperlichkeit‘, ‚Multisensualität‘ und ‚Vollzug‘ entspinnende Zusammenhänge beleuchtet. Texte sind nicht einfach da, sie werden geschrieben und gelesen. Sprache
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wird auf verschiedene Weise zur Aufführung gebracht. Sprache und Performanz sind keine Gegenspieler. Es kann also nicht Anliegen einer performanztheoretischen Überlegung sein, Sprache, Text und Diskurs fortan in die Bedeutungslosigkeit zu verbannen. Sie sollen vielmehr auch in ihren performativen Aspekten betrachtet werden. Wir haben es also mit einer Auffächerung theoretischer Bezugnahmen zu tun. Entsprechend ist es nicht das Ziel einer performanztheoretischen Forschung, die Bedeutung von Texten herabzustufen, sondern vielmehr, der wissenschaftlichen Überbetonung von Textualität eine überzeugende Alternative gegenüberzustellen: „Textocentrism – not texts – is the problem“ (Conquergood 2002, 151). Eine solche Überbetonung wird nun von den Performance Studies, von Philosophen wie Gabriel, Mersch, Seel oder Gumbrecht für die neuere und neueste geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung diagnostiziert. ‚Welt‘ ausschließlich als Text zu verstehen, birgt einen nicht zu unterschätzenden Reduktionismus in sich: „Aussagen wie ‚alles ist sprachlich‘ und ‚alles ist Text‘ […] werden häufig so vorgebracht, als formulierten sie nicht nur Bedingungen des Soseins, sondern auch Bedingungen des Daseins der Dinge. Unmerklich geht die Behauptung der sprachlichen Verfaßtheit aller Objekte in die Behauptung über, daß alle Objekte selber sprachlicher Natur sind. Man spricht so, als ob es keinen Unterschied gäbe zwischen dem Wort ‚Stuhl‘ und dem Gegenstand ‚Stuhl‘“ (Gabriel 1997, 17).
Die erkenntnistheoretische Herleitung hat deutlich gemacht, dass die Anerkennung der Macht von Sprache im Umkehrschluss nicht heißen kann, dass nur dieser Sinn zugesprochen werden kann: „Die Helligkeit der Vernunft reicht jedenfalls weiter als das Wort“ (Boehm 2008, 15). Der Platonismus, dessen Credo sich in wissenschaftlichen Arbeiten bis in die Gegenwart finden lässt, verneint einen Sinn jenseits von Sprache. Nicht-Sprachliches sei immer durch konkretere Sprache ersetzbar (ebd., 41). „Sein […] ist Gesagtsein“; an dessen „Rändern […] setzt das Gestammel ein“ (ebd., 14). Doch diese Sichtweise unterschätzt, was sich nicht sprachlich zeigt. Neben dem Sprachlichen können noch andere erkenntniskonstitutive Praktiken und deren Kondensate ausgemacht werden: Sehen – Bild; Hören – Musik/Klang/Ton; Bewegen – Tanz/Gestik/Mimik; Riechen – Geruch/Duft; Schmecken – Geschmack; Sprechen – Stimme etc.: „Jenseits der Sprache existieren gewaltige Räume von Sinn, ungeahnte Räume der Visualität, des Klanges, der Geste, der Mimik und der Bewegung. Sie benötigen keine Nachbesserung oder nachträgliche Rechtfertigung durch das Wort. Der Logos ist eben nicht nur die Prädikation, die Verbalität und die Sprache. Sein Umkreis ist bedeutend weiter. Es gilt, ihn zu kultivieren“ (ebd., 53).
Sinnhaftigkeit endet also keineswegs, so die These, an der Grenze zum Sagbaren. Um jedoch das jenseits der Sprache Befindliche bestimmen zu können, müssen wir den von Gabriel angesprochenen Darstellungsformen Rechnung tragen: auf der propositionalen, logischen Seite wird Welt behauptet, auf der nicht propositionalen, analogisch-ästhetischen Seite wird sie vergegenwärtigt (Gabriel 1991, 215 f.). Performative Praktiken sind vergegenwärtigende, zeigende Praktiken. Sie zu untersuchen, bedeutet, nicht allein das Wort und seine Bedeutung als sinnstiftend anzusehen, sondern auch andere analogisch-ästhetische Erkenntnismodi als Weisen des Erzeugens von Bedeutung anzuerkennen.
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Wissenschaft und wissenschaftliches Schreiben verlangen unbestritten nach Sprache. Die Alleingültigkeit von Sprache und Text zu kritisieren, heißt demnach nicht, den Code zu untergraben, auf dem Wissenschaft aufbaut, sondern nur, dass diese begriffliche Klarheit nicht auch vom Alltag erwartet werden kann oder muss.75 Die gibt es nicht. Wir müssen also geistige Räume der Irreduzibilität menschlichen Daseins erhalten, oder besser, sie in einem größeren Ausmaß eröffnen. Und wir müssen versuchen zu verstehen, was es ist, das wir nur schwer oder gar nicht in Worte fassen können, und dürfen nicht so tun, als wäre nur das, was in Worte fassbar ist, schon die ganze Welt. Goethe äußerte sich 1785 in einem Brief an seinen Sekretär Merck eher zurückhaltend über die wissenschaftliche Inblicknahme des Multisensualen: „Einem Gelehrten traue ich zu, dass er seine fünf Sinne ableugnet. Es ist ihnen selten um einen lebendigen Begriff der Sache zu tun“ (Marschall & Liptay 2006, 11). Polemisch zugespitzt formuliert dies Conquergood in einem vor allem bei Vertretern der Performance Studies viel zitierten Satz: „Only middle-class academics could blithely assume that all the world is a text because reading and writing are central to their everyday lives and occupational security“ (Conquergood 2002, 147). Mit anderen Worten: Nur, weil wir als WissenschaftlerInnen vornehmlich Sprache verwenden, heißt das nicht, dass sich die Welt in Worten erschöpft. So widmet auch de Certeau sein Buch Kunst des Handelns dem „gemeine[n] Mann“ und bemerkt: „Zu allen Zeiten geht er den Texten voraus“ (de Certau 1988, 9). Wir sollten versuchen, auch das Unaussprechliche zu denken. Sich mit diesen analogisch-ästhetischen Erkenntnisformen auseinanderzusetzen, heißt zunächst einmal ihren Geltungsanspruch ernst zu nehmen und die Konsequenzen zu durchdenken. Es heißt nicht, die Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens, d. h. die begrifflich-logische Entwicklung von Argumentationen, aufzugeben. Wissenschaft soll nicht aus getanzten Kolloquiumsvorträgen und gemalten Publikationen bestehen. Es sollen aber die Erkenntnismöglichkeiten des Analogisch-Ästhetischen im Alltag und damit für dessen wissenschaftliche Analyse sowie für die Wissenschaft selbst ernsthaft reflektiert werden. Nur durch diese Reflexion neuer und unbekannter Ansätze im Kontext des jeweiligen Faches lassen sich wissenschaftliche Monokulturen verhindern, auf deren Problem die Volksweisheit „Wer als einziges Werkzeug einen Hammer hat, meint, jedes Problem sei ein Nagel“ verweist. Unser wissenschaftliches Tun ist immer auch Bestandteil der zu beschreibenden Wirklichkeit (Groß 2001, 213). Die Einführung einer performativen Perspektive kann in diesem Sinne auch die Performing Science, d. h. Geographie als Wissenschaft machen, untersuchen. Wenn sich Wissenschaft durch die Reflexion performativer Ansätze verändert, dann hoffentlich noch mehr in jene Richtung, die die Vorläufigkeit und Positioniertheit jeder Analyse deutlich macht, die den Forschenden nicht als omnipotenten und omnipräsenten Geist erscheinen lässt und die Offenheit und auch den Respekt gegenüber dem Tun und Erleben der Forschenden wie Beforschten zeigt.
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Es heißt aber auch, dass es letzte begriffliche Klarheit auch in der Wissenschaft nicht gibt.
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Die Notwendigkeit dieser Reflexion wird umso deutlicher, wenn die mit der Konzentration auf Sprache und Text einhergehende wissenschaftliche Ignoranz des alltäglichen Erlebens, Tuns und Wissens betrachtet wird: „What gets squeezed out by this epistemic violence is the whole realm of complex, finely nuanced meaning that is embodied, tacit, intoned, gestured, improvised, coexperienced, covert – and all the more deeply meaningful because of its refusal to be spelled out“ (Conquergood 2002, 146).
An Sprache, Text und Performanz sind immer auch Fragen der Macht gebunden. Wer kann lesen, wer schreiben? Wer wird gehört? Wer darf sprechen? Heißt weder lesen noch schreiben zu können auch, über keine sonstigen Ausdrucksmöglichkeiten zu verfügen? Heißt kein offizielles Rederecht zu haben auch, dass man stumm und ungehört bleibt? Die Betrachtung performativer Praktiken nimmt sich der Breite der Ausdrucksmöglichkeiten des Subalternen und der Inszenierung des Subversiven an, z. B. Lieder oder Kleidungspraktiken. Dies bedeutet jedoch nicht, Text mit Dominanz und Performanz mit Befreiung gleichzusetzen. Es ist nicht das Ziel, einen Zentrismus durch den anderen zu ersetzen, also die „authority of the text“ durch die „romance of performance“ (ebd., 151). Beide Ebenen ergänzen, überlappen einander bzw. fließen ineinander. Das wird spätestens mit der These deutlich, dass Worte nicht nur für Vorstellungen von Gegenständen stehen, sondern „verdichtete Erfahrungen“ sind (Junge, Šuber & Gerber 2008c, 25). Hat die Humangeographie nach dem cultural turn den Fokus also auf das Alltägliche gerichtet und dieses zum Paradigma bestimmt, muss sie dieses Versprechen auch mit allen Konsequenzen umsetzen. Das kann nur gelingen, wenn die verschiedenen Ausdrucksformen menschlichen Daseins gleichberechtigt betrachtet werden. Natürlich kann das Forschungsobjekt dann nicht mehr ausschließlich der transkribierte Text sein. Die Deutlichkeit von Schlagwortsuche und Lexikometrie muss ergänzt werden um die Uneindeutigkeit von Emotionen und Erleben. Denn mit einem selbstbewussten und absichtlichen „Verzicht auf letzte Deutlichkeit“ (Groß 2001, 69), was sich für manchen wohl so unbefriedigend anfühlt wie eine Bruchrechnung mit Rest, kommt man dem viel näher, was man zu erforschen erhofft: dem Alltag der Menschen in der Mannigfaltigkeit seiner Erscheinungs- und Erkenntnisformen. Natürlich kann das nicht heißen, die Pluralität der Erkenntnisformen in jedem Forschungsschritt umfassend zu berücksichtigen, denn „ein solcher Universalismus ist heute unmöglich geworden“, wie Gabriel sagt, „aber eine gewisse ‚Bandbreite‘ sollten wir uns doch zumuten“ (1991, XII/XIII). Sprache-Sprechen: Die Bedeutung des Nonverbalen Dieses erkenntnistheoretische Postulat hat Konsequenzen für den Umgang mit ‚Sprache‘ im Kontext empirischer Forschung. Auch in humangeographischen Arbeiten geht es nicht nur darum, bereits bestehende Texte zu analysieren, sondern es werden auch Interviews geführt, Dialoge aufgezeichnet, kurz: Interaktionen dokumentiert. Was damit theoretisch und empirisch in den Blick kommt, ist der Modus der Mündlichkeit, die Betrachtung von Kommunikation als den ganzen Körper be-
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treffendes, interaktionales Geschehen der Bedeutungskonstitution. Sprechen ist eine Vollzugsweise von Sprache (Vgl. Werlen 1997, 355). In Situationen der Ko-Präsenz spielt Körper als Ausdrucksfeld eine zentrale Rolle bei der Formung regionaler und kultureller Identitäten (Werlen 1993, 305, 1995, 70, 2013b, § 33) sowie als „unmittelbare[] Überprüfungsmöglichkeit subjektiver Sinngebungen“ (Werlen 2007, 394). Im Unterschied zur Diskurs- und Narrationsanalyse werden hier die Verkörperungsbedingungen von SpracheSprechen zumindest theoretisch miteinbezogen. Hierbei ist allerdings festzustellen, dass die Marker, die das Geschehen als ‚live‘ kennzeichnen, unsichtbar gemacht werden. Sehr selten nur werden Hesitatoren im Transkript belassen, Pausen/Schweigen markiert oder die gestische und mimische Ebene notiert. Es ist festzustellen, dass das sogenannte ‚Nonverbale‘ theoretisch durchaus berücksichtigt wird (z. B. Werlen 1997, 394), methodologisch jedoch kaum Beachtung findet. Die Inblicknahme der nonverbalen Kommunikation erlaubt es, die sonst aus dem Analyseraster der Diskursanalyse fallenden performativen Elemente (wie Intonation, Körperhaltung, Mimik und Gestik, Schweigen) und ihre Bedeutung für Kommunikationsprozesse zu berücksichtigen.76 In der Transkription eines Interviews werden Eigenheiten des Mündlichen, oftmals als Störungen der ‚richtigen‘ Sprache empfunden, durch das Transkribieren von Texten zumeist ausgeschaltet oder zumindest geglättet. „The [written] record is usually but a fragment of the expression (as the written word omits all tellable record of gesture and tonality; and not only may our ‚literacy‘ keep us from missing the omissions, it may blunt us to the appreciation of tone and gesture, so that even when we witness the full expression, we note only those aspects of it that can be written down)“ (Burke 1969, 185 in Conquergood 2002, 146 f.).
Diese Reibungsverluste ergeben sich, wenn der Modus der Mündlichkeit in den der Schriftlichkeit umgewandelt wird. Je nach Forschungsanliegen ist dies durchaus legitim – zum Beispiel, wenn man die inferielle Setzung oder Häufigkeit bestimmter Begriffe untersuchen möchte. Wenn man nun aber in performativer Einstellung berücksichtigt, dass Sprache auch im Sprechen realisiert wird und dass Sprechen eine verkörperte, dialogische, prozessuale Praxis ist, dann wird das Wie dieser Praxis interessant. Das kann nicht heißen, dass für jede analytische Fragestellung stets alle Dimensionen des Nonverbalen in voller Breite berücksichtigt werden müssen. Dennoch ist „ein Gespräch […] stets das komplexe Zusammenspiel unterschiedlichster Aktivitäten des Körpers, die gleichzeitig bzw. in Verschränkung mit der verbalen Lautsprache eine im wahrsten Sinne des Wortes bedeutende Rolle für die Kommunikation spielen“ (Sager & Bührig 2005, 5). Das Verbale und das Nonverbale sollen, so die Sprachwissenschaftlerin Kühn (2002), dabei nicht als in irgendeiner Weise hierarchisch gereiht, sondern als zwei gleichberechtigte bedeutungskonstitutive Dimensionen angesehen werden, die von den Gesprächspartnern immer im Zusammenhang realisiert und verstanden werden. Mit der Betonung der Aufführung von 76
So bemerkt etwa Annika Mattissek in ihrer diskurstheoretischen Arbeit in einer Fußnote: „Ich verwende Sprechen und Schreiben äquivalent“ (Mattissek 2007, 85). Genau hierbei einen qualitativen Unterschied zu machen, einen Unterschied zwischen Schreiben und Sprechen, das Wie des Erzeugens zu reflektieren, ist das Anliegen eines performativen Ansatzes.
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Sprache kommen nonverbale Parameter wie „Mimik, Gestik und Körperpathos in den Blick, über Metrik und Audition der Rhythmus und die Musik und über die Figurentheorien piktorale Muster aller Art, die die grundlegende Rolle von inneren und äußeren Bildern thematisieren, welche nicht in Sprachvollzüge überführbar sind“ (Bahr 2004, 5). Dabei ist zu beachten, dass das Zusammenwirken von sprachlichen wie nicht sprachlichen Ausdrucksformen in der Hervorbringung von Bedeutungen und Emotionen selbst in der Linguistik noch keinesfalls ein etabliertes Forschungsfeld ist. Eine erste empirische Behandlung nonverbaler Kommunikation, nämlich der Mimik, finden wir bereits bei Darwins 1872 erschienener Arbeit über den „Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren“, so der Titel der deutschen Übersetzung. Dabei ging es um die Frage, ob menschliches (nonverbales) Verhalten angeboren oder erworben sei – eine Diskussion, die in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts besonders heftig im Kontext der sogenannte Nature-Nurture-Debatte geführt wurde. Weitere Arbeiten auf diesem Gebiet hatten vor allem kulturvergleichende Absichten: Efron (1972) untersuchte die Gestik von osteuropäischen Juden und süditalienischen Einwanderern in New York City. Aufbauend auf dieser Arbeit entwickeln vor allem Ekman und Friesen (1969) ein Klassifikationssystem von Gesten (Facial Action Coding System). Neuere Ansätze, wie Kühns Arbeit Körper – Sprache. Elemente einer sprachwissenschaftlichen Explikation non-verbaler Kommunikation (2002) versuchen nicht länger Körperlichkeit als vermeintlich kulturdeterminiertes, physiognomisches Prinzip festzulegen, sondern mit dem Einbezug des Nonverbalen einen Beitrag zur Überwindung der Dichotomie von Körper und Sprache zu liefern (Kühn 2002, 15). Auch Axel Hübler liefert mit seiner ideengeschichtlichen Darstellung unter dem Titel Das Konzept ‚Körper‘ in den Sprach-und Kulturwissenschaften (2001) einen wertvollen Beitrag zur Untersuchung des Nicht-Sprachlichen. Die Beschäftigung mit dem Nonverbalen blickt zwar durchaus auf eine längere Geschichte zurück, Vorschläge, das multimodale Sprechen als bedeutungskonstitutiv zu verstehen, stehen hingegen erst seit Ende des 20. Jahrhunderts auf der sprachwissenschaftlichen Forschungsagenda. Entsprechend besteht bei der Beschreibung der Beziehung von sprachlichen zu nicht sprachlichen (visuellen, auditiven, mimisch-gestischen) Ausdrucksformen noch weiterer Klärungsbedarf. Dies gilt auch für das Zusammenspiel der verschiedenen Ausdrucksmodalitäten in der Erzeugung und dem Ausdruck von Emotionen. Die einseitige Betonung kognitiver Vorgänge beim Verstehen von Sprache und die seit der Aufklärung damit einhergehende Ausblendung von Körperlichkeit müssen, wie im Blick auf die erkenntnistheoretische Herleitung erkennbar wird, aufgegeben werden zugunsten einer multimodalen (oder multisensualen), die Verkörperungsbedingungen anerkennenden Untersuchung von Sprache.
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Performanz und Narration Eine weitere Frage, die sich im Spannungsfeld von Sprache und Performanz ergibt, ist die nach der Dokumentation des Erlebens. Performanz zeichnet sich, wie wir gesehen haben, durch eine Art Doppelstruktur aus. Sie ist sowohl bewusstes multisensuales Tun als auch emergentes Erleben und Widerfahrnis. Die intentionale Seite von Performanz umfasst z. B. die Inszenierung von Personen und Orten; das Signalisieren von Intellektualität, (Non-)Konformität, Andersartigkeit, Coolness, Authentizität, Kompetenz, (Anti-)Autorität, Weltbürgertum, Gruppenzugehörigkeit durch entsprechende Kleiderordnung, Sprachwahl, Gesten; den Konsum bestimmter Lebensmittel, das Zurschaustellen von Statussymbolen und Requisiten wie Autos, Uhren, Sonnenbrillen, Kinderwagen, Fahrrädern, Laptops, Flaggen; die mediale Inszenierung von Welt wie die bewusste Wahl von Kameraperspektiven, Effekten, Tönen bei der filmischen oder bildlichen Inszenierung von Orten, die Perspektiven und Metaphern in Erzählungen; die Verquickung all dieser Elemente in performativen Praktiken: Einkaufen auf dem Wochen- oder Biomarkt, der Besuch des Strandcafés, das laute Musikhören und Biertrinken jugendlicher Punks, der Landausflug bei einer Kreuzfahrt, das Besuchen von und Posieren an Sehenswürdigkeiten, das Sitzen im Kaffee mit Milchkaffee und Laptop, das Public Viewing während der WM, Großstadtgärtnern und Cross Golf, Erasmustreffen und Heimatverein, die Reportagen zum Zustand der Welt, die Inszenierung von ‚Paris‘ und ‚New York‘ in zahlreichen Filmen, Liedern und Erzählungen usw. usf. Wie aber ist die Erlebensseite analytisch einzuholen? Wie nähern wir uns dem Performativen? Dass es nicht im Sagen aufgeht, hat die erkenntnistheoretische Grundlegung gezeigt. Und doch wollen wir es ja zum Bestandteil unserer geographischen Untersuchung werden lassen. Sprechen-Können Wenn wir die Menschen hinsichtlich ihres Erlebens befragen, kommt ein weiteres Problem ins Spiel: das des „Sprechen-Können[s]“ (Hasse 2005, 280). Wir haben mit Baumgarten gesehen, dass Erleben zwar innerlich klar ist, sich aber einer festen begrifflichen Form oftmals entzieht (ME, §§ XV–XVIII). Im Versuch, das Erlebte zu erzählen, stößt man dabei nicht selten auf die Grenze des Sagbaren und äußert sich ausweichend: „Das kann man nicht erzählen, man muss dabei gewesen sein“, oder: „Ohne Worte“. Das Ringen um Worte ist nicht allein Gegenstand der Dichtkunst, sondern ein alltägliches Geschehen. Sprechen-Können schlägt eine Brücke zwischen Erleben und Ausdruck. Je nach individueller Konstitution gelingt dieses Sprechen-Können mehr oder weniger gut. Das Vermögen, sprechen zu können, ist an die ‚sensible‘ Wahrnehmung und die Fähigkeit gebunden, einen ästhetischen Eindruck in einen begrifflichen Ausdruck übersetzen zu können. „Sprechen-Können über sinnliche Eindrücke, Gefühle, Empfindungen und leibliches Befinden [ist] eine Frage der Ausbildung von Sensibilität wie der Differenzierung eines transversalen Denkvermögens […], das zwischen Fühlen und Denken, Ästhetischem/Aisthetischem und begrifflich Rationalem sprechende Verbindungen herzustellen vermag“ (Hasse 2005, 280).
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Gelingt dies, kann Erleben mittels Sprache nachvollzogen und sich selbst und anderen vergegenwärtigt werden. Was so initiiert wird, ist „performatives Verstehen“ (Vogel 2008, 234). Der performative Sinn erschließt sich durch inneren Nachvollzug. Die Integration des Erlebten im Sprechen gleicht einem „imaginativen Erklingen“ (ebd., 249). Rezipienten sind hierbei nicht bloß passive Empfänger, sondern werden in der Vergegenwärtigung innerlich tätig (sie werden berührt, sind fasziniert, abgeschreckt etc.). Performatives Verstehen bedeutet Nachvollziehen. Dieses Nachvollziehen ist an die Aufführung gebunden. Etwas zur Sprache zu bringen, bedeutet auch, etwas aufzuführen. Auch sprachliche Aufführung ist eine „vergegenwärtigende Darstellung“ (Gabriel 1991, 215). Sprache in einem performanztheoretisch informierten Verständnis zu betrachten, betont ihr Potenzial, Erleben vergegenwärtigen zu können: „Wörter reproduzieren Gegenstände oder Vorstellungen nicht als ein Stück Wirklichkeit mit angeheftetem Namensschildchen, vielmehr sind sie der Versuch, Erfahrungen einzufangen und zu ‚re-präsentieren‘ (im wörtlichen Sinne sie möglichst lebendig zu machen): das, was Menschen tatsächlich durchgemacht und erlebt haben“ (Szakolczai 2008, 74).
Worte sind nicht nur als Signifikat zu verstehen, sondern auch als Kondensat von Erleben, welches das Potenzial hat, dieses Erleben im Lesen, Sprechen oder Hören wieder zu vergegenwärtigen und bestimmte Stimmungen zu erzeugen. Gumbrecht plädiert im Zusammenhang mit Literatur für das „Lesen von Stimmungen“ (Gumbrecht 2011, 7), d. h. dafür, Literatur nicht allein auf Figurenkonstellation und Plotstruktur zu reduzieren, sondern die Lesart zu wechseln und sich auf die erzeugte Stimmung, das innere Berührt-Werden als eine wesentliche Dimension der „Wirklichkeit von Literatur“ (ebd.) einzulassen. Eine Möglichkeit der sprachlichen – im wahrsten Sinne des Wortes – Ent-Wicklung des Erlebens, auch des Berüht-Seins durch Literatur, ist die Narration. Dieser Vorschlag mag nun auf den ersten Blick überraschend wie enttäuschend gleichermaßen anmuten: Narration als Zugang zum Erleben? Wir befinden uns hier in einem Zwiespalt: Auf der einen Seite haben wir die Bedeutung des Sensitiven und des Multisensualen hergeleitet und für eine Erweiterung des auf den Text fixierten Blickes plädiert. Wir stellten fest: „[W]ords alone can never do justice to experience“ (Jackson 1995, 160). Die Analyse des Geographie-Machens umfasst auch die multisensualen Ausdrucksformen und geht somit über den klassischen geschriebenen Text hinaus. Erleben zum Ausdruck zu bringen geschieht auf weit mehr Ebenen als nur auf der verbal-sprachlichen: „Es geht um das In-Form-Gießen der ästhetischen Erfahrung, die Übersetzung des sinnlichen Erlebens in einen kommunikativen Erfahrungsraum“ (Dickel & Jahnke 2012, 243). Andererseits sind wir als WissenschaftlerInnen auf die Textproduktion und -rezeption verwiesen, wenn es darum geht, unsere Überlegungen nachvollziehbar darzustellen. Und Erzählungen – und das ist wohl der wichtigere Punkt – sind eine umfangreiche Quelle des Studiums alltäglichen Geographie-Machens. Deshalb kann es in der vorliegenden Arbeit nicht darum gehen, Diskurs, Text und Sprache zu verabschieden. Doch wir treten mit einem erkenntnistheoretisch informierten Blick an Sprache heran. Mit den Einsichten aus der erkenntnistheoretischen Grundlegung über die Gleichberechtigung analogisch-ästhetischer und logischer Erkenntnisformen und
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der Bedeutung des (Er-)Lebens, mit den Ergebnissen aus der neurowissenschaftlichen Forschung zur Bedeutung von Emotionalität und zur Speicherung von Erleben in Form von Erzählungen (vgl. Kap. 3.2; Damásio 2004, 204) sowie mit dem Bewusstsein über die Bedeutung des Nonverbalen im Erzählen treten wir mit neuen Bedingungen und Ansprüchen an den Diskurs heran. Die Variation von Diskurs, die diesen Bedingungen und Forderungen am angemessensten zu begegnen scheint, ist die Narration. „Weil wir keinen unmittelbaren Zugang zum Erleben Anderer, ja vielleicht nicht einmal zum eigenen Erleben haben, sind wir auf den Diskurs darüber verwiesen. Das explizite Kenntlichmachen unseres Erlebens, unserer Gefühle, Erfahrungen oder erlittenen Enttäuschungen ist dabei auf ganz bestimmte kommunikative Formate angewiesen. Eines der prominentesten Formate ist das Erzählen von Geschichten“ (Junge, Šuber & Gerber 2008c, 19 f.).
Weder ist Erleben als unbeabsichtigte Handlungsfolge zu verstehen, noch ist das Erzählen über das Erlebte die simple Wiedergabe von Ereignissequenzen. Es ist anderes und mehr als das. Das Überführen von Erleben in Erzählen ist ein identitätsstiftendes Moment und die Konstitution von Identität eine „narrative Leistung“ (ebd., 20) – eine Leistung deshalb, weil sich Narrationen entwickeln und verändern. Sie ‚sind‘ nicht einfach. Ihre Konstitution ist ein Prozess der „Entdifferenzierung“ (Szakolczai 2008, 74): „Eine Erfahrung, die verdichtet war und in einer undifferenzierten Einheit vielschichtige und miteinander verbundene Wahrnehmungen und Impulse kombinierte, wird getrennt und auf ihre konstituierenden Teile und Sinnnuancen herunter gebrochen, was nicht nur einen Gewinn, sondern auch einen gewissen Verlust an Genauigkeit mit sich bringt“ (Szakolczai 2008, 74 f.).
Durch die Versprachlichung wird ferner eine Linearität erzeugt, die in der Gleichzeitigkeit des Erlebens und der Erfahrung nicht gegeben ist (Kauppert 2010, 289). Das Geschehen muss in eine Ordnung gebracht werden. Dem Gewinn des Sprechen-Könnens steht also der Verlust der Komplexität gegenüber – ganz wie es Baumgarten mit seiner Metapher des Marmorblocks festgehalten hat: Das Herausbilden einer begrifflichen Form bedeutet Klarheit, aber auch den Verlust der anderen Formen, die auch aus dem Block hätten geschlagen werden können. Der Gewinn einer performativen Perspektive auf Narration ist, dass das Sinn-Machen, das Herausschlagen der Form, um weiter im Bilde zu bleiben, bewusst gemacht wird77. 77
Wesentlich für das Entdifferenzieren einer Narration kann der Dialog sein. Gerade dann, wenn das In-Worte-Fassen als problematisch empfunden wird, kann der Dialog als ‚Geburtshelfer‘ der Narration dienen. Fragen können Erzählungen initiieren und den Erzähler dazu befähigen, sich selbst und dem eigenen Tun auf reflexiver Ebene zu begegnen. Was durch Erzählungen geleistet werden kann, ist „Selbstversicherung“ (ebd., 286) und „Weltvertrautheit“ (ebd., 12). Erzählen kann in schriftlicher und mündlicher Form erfolgen. Dem Schreiben kommt in einer solchen Lesart eine neue Rolle als Methode der entdifferenzierenden Selbst-Befragung und Selbsterkenntnis zu (Richardson & St. Pierre 2005, 959 ff.). Dickel und Schneider (2013) beleuchten dieses Potenzial beim Gespräch. Zahnen steigt mit ein, bringt Gadamers Verständnis von ‚Gespräch‘ ins Spiel und erinnert daran, dass dieses ein „Seinsgeschehen“ (ebd.) ist, das mehr ist als nur Informationsaustausch über eine Sache. Die Möglichkeiten des Dialogs sind nicht zuletzt für didaktische Fragestellungen und Methoden relevant (Dickel & Schneider 2013).
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Narrationen sind Versuche, aus dem Gesehenen, Gelesenen oder Erlebten Sinn zu machen. Sie sind Austragungsort der Reibung zwischen etablierten und neuen, irritierenden Sichtweisen, die es kognitiv wie emotional zu bewältigen gilt. Die Idee einer narrativen Geographie wird von Tilman Rhode-Jüchtern (2003) starkgemacht. Während in der Wissenschaft Aussagen getroffen werden, die als wahr oder falsch befunden werden können, ist dies bei der Dichtung nicht möglich. Das bedeutet allerdings nicht, dass literarische Werke nicht auch Erkenntnis liefern können. Rosamunde Pilcher oder Peter Scholl-Latour haben wohl manch einen zu mehr Erkenntnissen über das Leben geführt als die Lektüre von Hegel oder Humboldt. In diesem Sinne zitiert auch Rhode-Jüchtern die Vertreter des Fachbereichs Entwicklungsarbeit, die mit Blick auf ihr Themenfeld feststellen: „Trotz einer regelmäßigen Produktion von akademischen Studien, Expertenberichten und strategisch motivierten Positionspapieren leisten Romanautoren vermutlich ebenso gute – wenn nicht bessere – Arbeit, wenn es um die Darstellung und Vermittlung von Tatsachen der internationalen Entwicklung geht“ (Rhode-Jüchtern 2012, 8). Die Bewertung der Qualität der ‚Vermittlungsarbeit‘ von Literatur indes, also die Frage, ob diese ‚gut‘ ist, oder ein Vergleich mit wissenschaftlichen Ausführungen, d. h., ob sie ‚besser‘ ist, fällt meiner Meinung nach erst in zweiter Runde in den Kompetenz- und Interessensbereich wissenschaftlicher Urteilsbildung. In erster Runde ist es als WissenschaftlerIn hinderlich, ein Urteil über ‚gut‘ oder ‚besser‘ abzugeben. Denn es verhindert, sich dessen anzunehmen, was bei den Akteuren als glaubwürdig gilt, was als eingängig betrachtet wird und ein nachhaltiges Echo erzielt. Es wäre natürlich fatal zu sagen, dass Scholl-Latours literarische Expeditionen zu den geopolitisch brisanten Schauplätzen der Gegenwart ‚besser‘ sind als etwa Paul Reubers Analysen, in denen er sich auf die Critical Geopolitics bezieht. Dass aber Scholl-Latour die Bestseller schreibt und das Bundesverdienstkreuz erster Klasse erhält, dass er in extenso als ‚Experte‘ im Fernsehen befragt und in Zeitungen interviewt wird und eben nicht (jedenfalls nicht in dem Maße) Paul Reuber, ist zunächst das eigentlich Interessante, wenn man die Geographien des Alltags untersuchen will. Eine Analyse von Scholl-Latours Büchern und Auftritten zeigt, welche schwerwiegenden Implikationen sein naturalistisches, biologistisches und rassistisches Weltbild hat und wie wenig dies mit einer aufgeklärten Geographie zu vereinbaren ist. Annegret Harendt etwa verwendet in ihrer Analyse (2011) ein von Willy Viehöver entlehntes Konzept von Narrationen als Erzählmuster, über welche Raumordnungen und Raumvorstellungen konstituiert werden. Diese werden erstens von ihr identifiziert und zweitens interpretiert. Solcherlei Untersuchungen helfen uns, den Wert von Scholl-Latours Werken entsprechend der Kriterien und Paradigmen unseres Faches einzuordnen und die Besonderheiten (und Defizite) dieser Art von Erzählung zu erkennen. Sie ermöglichen zu differenzieren, was in den öffentlichen Diskurs hineingetragen wird, was zirkuliert und was rezipiert wird. Performanz hilft uns, so die These, die alltägliche Faszination für Scholl-Latour zu verstehen. Dazu müssen wir das Erleben der Zuschauer und Leser (Faszination ist eine Form emotionalen Erlebens) und auch das Erleben der WissenschaftlerInnen verstehen, die sich mit der Tatsache konfrontiert sehen, dass die Ausführun-
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gen Scholl-Latours in der breiten Öffentlichkeit ihren Analysen vorgezogen werden (auch Widerstand und Ärger sind Formen emotionalen Erlebens). Es geht darum, das Erleben vor jeder wissenschaftlichen Bewertung ernst zu nehmen. Das bedeutet nicht, dass man sich einer solchen Bewertung entziehen soll. Will man aber den Alltag der Menschen und ihre Weltbindungen verstehen, muss man sich darauf einlassen, was die Welt für sie bedeutet. Performanz und Handeln Infolge der Loslösung vom raumzentrierten, geodeterministischen Denken kommt dem Subjekt und seiner Intentionalität die entscheidende Rolle zu. Die Befähigung zur Intentionalität ist es nämlich, die deutlich macht, dass der Mensch sein Tun selbst bestimmt und nicht von einem bestimmten Raumausschnitt determiniert wird. Er selbst trifft Entscheidungen und verfolgt Ziele. Um eine Neuausrichtung der Geographie zu ermöglichen und den Einfluss ‚des Raumes‘ theoretisch zu unterbinden, muss der Mensch als starker, autonomer Akteur entworfen werden. Intentionales Handeln wird dabei zur paradigmatischen Operation, durch die das Subjekt sich ‚Welt‘ aneignet. Das ist ein logischer Schritt, mit dem die ontologische Kompetenz aus ‚dem Raum‘ abgezogen und in das Subjekt verlagert wird. Damit wird die Selbstbestimmung des Subjekts gegenüber einer vermeintlichen Fremdbestimmung durch ‚den Raum‘ durchgesetzt. Die Intentionsfähigkeit des Subjekts soll auch von einem performanztheoretischen Ansatz nicht in Frage gestellt werden. Jedoch, so der Einwand, darf Intentionsfähigkeit nicht mit Intentionsdeterminiertheit verwechselt werden. Dass intentionales Handeln stattfindet und dass dieses für die Konzeptionierung von Geographie-Machen entscheidend ist, bleibt unbestritten. Dies betont die Macht des Subjekts, selbst sein Tun zu bestimmen. Schlottmann macht nun aber darauf aufmerksam, dass alltägliches Handeln nicht immer und durchweg intentionales, i. S. von geplantes Handeln sein kann. Von einer solchen „apodiktischen Konzeption durchgängig kompetenter Akteure“ (Schlottmann 2005, 109) kann nicht ausgegangen werden. Nicht jede Handlung ist immer im Voraus absichtlich geplant und wird entsprechend eines zuvor festgelegten Layouts ausgeführt. Wäre dem so, könnte es keine spontanen Handlungen geben. Schlottmann nimmt zur Korrektur die von Searle vorgeschlagene Differenzierung von Intention und Intentionalität auf. Während Intention die vorlaufende Zielgerichtetheit des Handelns bezeichnet, bezieht sich Intentionalität nur auf die Gerichtetheit des Bewusstseins auf einen Gegenstand (ebd., 110). Diese Unterscheidung ermöglicht die Unterscheidung zwischen vorausgehender Absicht und Handlungsabsicht. Auch spontanes Handeln ist absichtliches Handeln – „keine Handlung ohne Handlungsabsicht“ (ebd., 111) –, das bedeutet allerdings nicht, dass dieses Handeln im Voraus bewusst entworfen und geplant sein muss. An der These der wirklichkeitskonstituierenden Wirkung von Handeln ändert die Annahme von Intentionalität statt Intention indes nichts. Intentionalität statt Intention zu postulieren, öffnet die geographische Analyse auch für Bewusstseinsdimensionen jenseits der intentionalen ratio. Zwar fehlen
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Erleben und Emotionalität nicht unbedingt in einer auf Intention ausgerichteten Humangeographie, sie müssen jedoch unweigerlich eine untergeordnete Rolle spielen, da sie sich dem Paradigma der Intention gegenüber notwendigerweise widerspenstig verhalten müssen. Bei Werlen wird Emotionalität mehrfach als ein Aspekt benannt, der im Handeln, speziell im verständigungsorientierten Handeln von Bedeutung ist. Werlen prägt den Begriff der „symbolisch-emotionalen Aneignung“ (Werlen 2007, 346 f.). In der Darstellung dieser Aneignung steht jedoch der symbolische Part im Mittelpunkt, Emotionalität wird nicht systematisch behandelt. Als Konsequenz verschwindet das Attribut ‚emotional‘ in der weiterführenden Argumentation und es wird nur noch von „Geographien symbolischer Aneignung“ (ebd., 346) gesprochen. Symbolische Aneignung beruht auf „sinnhaften Interpretationen räumlicher Handlungskontexte, die je nach Handlungszusammenhang spezifiziert und differenziert werden“ (ebd., 365). Die Analyse der ‚sinnhaften Interpretationen‘ und Bedeutungszuweisungen erfolgt mittels Diskursanalyse. Diskurse sind Teil eines Typus alltäglicher Regionalisierungen: der informativ-signifikativen Regionalisierung. „Signifikative Regionalisierungen sind Formen von Texten, die als Bestandteile der Kommunikation anhand interpretativer Schemen – häufig auch in institutionalisierten Praktiken – ‚gelesen‘, gedeutet und gelegentlich auch neu geschrieben werden“ (ebd., 373). Hier finden wir die Metapher von Kommunikation und Praxis als Text, die für die Betrachtung der signifikativen Ebene legitim, für den Einbezug multisensualer Parameter von Kommunikation jedoch zu kurzgefasst ist. Eine Konsequenz der Annahme von Intention ist die Beschränkung der signifikativen Regionalisierung auf das diskursive Bewusstsein. Sie ist „Bestandteil der reflexiven Steuerung des Handelns in Kommunikation“ (ebd., eig. Hervhbg.). Kommunikation, so Werlen, besteht größtenteils in der Interpretation von Codebedeutungen. Diese müssen nach bestimmten Deutungsschemata interpretiert werden, d. h. nach einem „Set semantischer Regeln in der Strukturierungsdimension der Signifikation“ (ebd., 367). Die Betonung der intentionalen, reflexiven Steuerung symbolisch-signifikativer Praxis ist legitim und im Hinblick auf die fachgeschichtlichen Hintergründe als äußerst gewinnbringend zu bezeichnen. Die Frage bleibt aber, was jenseits von Intention und instrumenteller Vernunft existiert und welche Rolle es für das Geographie-Machen einnimmt. Geographie als Performanz zu verstehen, kann daher als Vorschlag angesehen werden, die leitende Forderung Werlens, Geographien vom Menschen aus zu denken, mit anderer Schwerpunktsetzung, nämlich der Frage nach dem Wie, einzulösen. Dabei ist Werlens Konzept der Welt-Bindung, d. h. „die Frage nach der Art und Weise, wie Handelnde ‚Welt‘ zu sich bringen, an ihr Tätigsein binden und sich somit zu eigen machen“ (Werlen 2010b, 325), auch Ausgangspunkt meiner Überlegungen. Welt-Bindung wird im Rahmen dieser Arbeit, wie in Kapitel 1.1 gezeigt, zunächst erkenntnistheoretisch interpretiert. Die Frage „Wie bringen Handelnde ‚Welt‘ zu sich?“ thematisiert in erkenntnistheoretischer Hinsicht ganz grundsätzlich das Verhältnis von Mensch und Welt. Die erkenntnistheoretische Grundlegung ist es auch, die einen Vorschlag zur Beantwortung der Frage liefert, was jenseits instrumenteller Vernunft als bedeutsam für Erkenntnis- und damit auch Welt-Bindungsprozesse anzusehen ist. Die Aufwertung des analogisch-ästhe-
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tischen Erkenntnisvermögens nimmt auch nicht instrumentelle Erkenntnisformen als erkenntniskonstitutiv und damit als wesentlich für die Frage an, wie unsere Sichtweise auf Welt beschaffen ist, wie Mensch-Welt-Beziehungen entstehen. Mit der Aufwertung verbunden ist die These, dass sich Gesellschaft nur ungenügend als „Aggregation einzelner Handlungen“ (Junge, Šuber & Gerber 2008b, 12) verstehen lässt. Erleben als eine Säule performativen Erkennens kann weder auf eine „nicht-intendierte Folge sozialen Handelns“ reduziert werden, noch entspricht es einer „kognitiven, emotionalen oder motivationalen Voraussetzung sozialen Handelns“ (ebd., 11). Eine Definition von Erleben über das Vokabular der Handlungstheorien ist nicht möglich und wäre hochgradig ‚handlungszentristisch‘, da sie den Eigenwert des Erlebensbegriffes negieren würde. Menschenbilder Mit der Diskussion um Intention, Intentionalität, Handeln und Erleben wird eine grundsätzliche Debatte um das in der Humangeographie vorherrschende Menschenbild eröffnet. Den Menschen als Akteur zu sehen, als homo agens, wie ihn Ludwig von Mises in seiner Praxeologie entworfen hat (Mises 1933, 30 f.), zielt, wie wir gesehen haben, auf sein intentionales Tun ab: „Das Denken arbeitet dem Handeln vor“ (Mises 1980, 15). Jedem Handeln geht ein „Vorbedenken künftigen eigenen oder fremden Handelns und Nachbedenken vergangenen (eigenen oder fremden) Handelns“ (ebd.) voraus. Das Paradigma vom Mensch als Akteur erfährt in der Geographie in den letzten Jahren deutliche Kritik u. a. von Ilse Helbrecht und Jürgen Hasse. Diese Kritik soll im Folgenden kurz skizziert werden. Der Akteur als zielgerichtet agierendes Wesen stellt für Hasse eine Reduktion des Menschen dar. Dieser Kritik muss man zunächst erwidern, dass ein Modell, so auch ein Menschbildparadigma, immer nur durch Abstraktion zu haben ist. Auch bei Mises, Giddens oder Werlen ist der Akteur nicht als lineares ‚Wollen-Planen-Machen-Wesen‘ gedacht. Unbeabsichtigte Handlungsfolgen haben unabsehbare Konsequenzen für weiteres Handeln, Bewusstsein wird als dreistufig („Unbewusstsein“, „praktisches Bewusstsein“, „diskursives Bewusstsein“) und keinesfalls nur diskursiv vorgestellt (Giddens 1997, 57), und Emotionalität wird bei Werlen, wenngleich nicht systematisch ausgeführt, so doch zumindest im Kontext der „symbolisch-emotionalen Aneignung“ (Werlen 2007, 346 f.) erwähnt. Auch Hasse geht es nicht darum, den Akteur gänzlich abzulehnen; er erkennt ihn als „eine Erzählung“ an, „die durch weitere zu bereichern ist“ (Hasse 2006, 478). Er will zeigen, wo seine Grenzen liegen und was jenseits dieser Grenzen zum Vorschein kommt. Hasse lehnt die Vorstellung von „in Gänze handelnde[n] Individuen“ (ebd., 2), die er in der Akteurvorstellung der Gidden’schen Handlungstheorie zu erkennen glaubt, ab. Zwar kommt das Unbewusste bei Giddens Stufenmodell des Bewusstseins vor, sein Einfluss sei aber, so Hasse, zu streng limitiert. Hasse behauptet daher, dass ein solches Menschenbild vor allem eine Funktion erfüllt: den WissenschaftlerIn78
Bei der Quelle handelt es sich um ein Internetdokument, so dass es genau genommen keine Seitenzahlen gibt. Die hier verwendeten Seitenzahlen beziehen sich auf das ausgedruckte Dokument und werden der Übersichtlichkeit und besseren Referenzierbarkeit wegen verwendet.
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nen die Beherrschbarkeit ihres Forschungsgegenstandes zu suggerieren. Es werde szientifisch argumentiert und jedwede emotionale Verwicklung der untersuchten Akteure und der untersuchenden WissenschaftlerInnen geleugnet – für Hasse eine „rationalistische Obsession“ (ebd., 17). Was dem Akteursparadigma fehlt, ist die differenzierte Auseinandersetzung mit Leib, Sinnlichkeit und Emotion (ebd., 1). Auch Helbrecht fordert eine stärker geisteswissenschaftliche Orientierung in der Geographie. „Den Menschen nur als sozialen Akteur zu sehen“, so Helbrecht „ist aber grobschlächtig; da wird weder gelacht, gesungen noch geweint“ (Helbrecht 2003, 172). Es geht mit anderen Worten um den Einbezug dessen, was ‚nicht denkend‘ ist, in das Menschenbildparadigma: die Betrachtung des Menschen als leibliches, sensitives, denkendes, fühlendes Wesen. Ohne die Anerkennung dieser ‚menschlichen Parameter‘ versagt sich die Geographie nicht nur der konsequenten Analyse der „Geographien des eigenen Lebens“ (Daum & Werlen 2002), sondern auch einer kritischen Selbstreflexion, denn auch wissenschaftliches Tun ist mit Emotionen verquickt. Wenngleich Hasses Darstellung des auf Rationalität ausgerichteten Akteurs diesen ein wenig holzschnittartig auf den homo oeconomicus zusammenznurren lässt (vor allem Hasses Betonung der Dominanz quantitativer Methoden im Akteursparadigma und die alleinige Ausrichtung auf Zweck-Mittel-Relationen entsprechen genau nicht den Annahmen einer handlungstheoretischen Sozialgeographie!), ist seiner Kritik an dem Punkt zuzustimmen, da sie die Berücksichtigung der aktuellen Theoriedebatten in den Geistes- und Sozialwissenschaften und, wie hinzuzufügen ist, auch (in ausgewähltem Maße) in den Neurowissenschaften fordert (Hasse 2006, 4). Dies betrifft gerade die im Zuge des emotional turn stark betonte Reflexion der Gefühlsdimension. Was kann nun das Andere zum Akteur sein? Muss zwangsläufig von der Idee des Akteurs Abschied genommen werden? Und wenn wir an ihm festhalten, wie müssten Modifikationen aussehen? Immerhin darf nicht vergessen werden, dass es die theoretische Inthronisierung des Akteurs war, die der Geographie endgültig den Ausgang aus einer raumzentristischen Logik ermöglicht hat. Dies anerkennend, hält auch Hasse am Paradigma des Akteurs fest, spezifiziert dieses aber (ohne dass es von ihm selbst so bezeichnet wird) performanztheoretisch. Hasse führt den „(em)phatischen Akteur“, den „spielende[n] Akteur“ (ebd., 3) ein, der auf der Bühne der Welt agiert. Auch der Begriff der Handlung wird beibehalten und performanztheoretisch gewendet: „[I]m Begriff der Bühnen-Handlung steckt das Ganze menschlicher Präsenz, das Ganze einer szenisch darzustellenden Situation“ (ebd., 3, Hervhbg. i. Orig.).79 Was wir hier (wieder-)finden, sind wesentliche Elemente einer performanztheoretischen Perspektive: die Goffman’sche Bühnenmetapher, die Gumbrecht’sche Präsenz, die Betonung von Situationen und Begegnung statt ‚Räumen‘, die erkenntnistheoretische Figur der Darstellung, der Multisensualität und Emotionalität. Insofern erinnern Hasses Ausführungen stark an die Darlegungen Victor Turners zum homo performans (Turner 1987, 81). Turner, eine der zentralen 79
Von der Idee einer wie auch immer gearteten ‚Ganzheitlichkeit‘ habe ich mich bereits bei der Darlegung der Dilthey’schen Lebensphilosophie distanziert (Kap. 3.1).
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Dimensionen des Performativen
Figuren moderner Ethnologie und Mitinitiator des cultural turn in den Kulturwissenschaften, versteht den Menschen als ein Wesen, das seine Identität über Aufführungen definiert.80 Fragen des praktischen Vollzugs bleiben in den Handlungstheorien weitgehend unbeachtet. Böhle plädiert für eine Modifikation der Handlungstheorien, die den praktischen Vollzug weder als „durch vorgängige Entscheidungen bestimmt, noch lediglich als Routine oder präreflexives Geschehen begreift“ (2009, 203). Dazu integriert er die Einsichten in die Bedeutung von Emotionalität und Erleben in eine Handlungstheorie zu seinem Vorschlag des „erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Handelns“ (ebd., 203 ff.).81 ‚Erfahrungsgeleitet‘ umfasst das kognitive wie sinnliche Machen von Erfahrungen im Unterschied zu Erfahrung als akkumulierte ‚Wissensdaten‘. ‚Subjektivierend‘ verweist auf die individuellen Faktoren des Empfindens, Erlebens und Positionierens in der Welt (ebd., 220). Entscheidend bei der Ablehnung der Vorstellung von Handeln als rationale Zweck-Mittel-Entscheidung ist die Annahme einer „Bounded Rationality“ (ebd.), d. h. der Begrenztheit der rationalen Einsichtnahme, die es immer auch nötig macht, intuitiv zu agieren oder zu improvisieren. Der praktische Vollzug des Handelns ist somit weder rationale Ziel-Mittel-Wahl noch unmotiviertes ‚Sich-Treiben-Lassen‘ (ebd., 210), sondern „explorativ-entdeckendes Vorgehen, empfindend-spürende Wahrnehmung und bildhaft-assoziatives Denken“ (ebd., 218). Handeln ist gerichtet-intentional, aber nicht teleologisch-intentional. Anthony Giddens’ (1997) und stärker Pierre Bourdieus (1982, 1998) Präzisierungen des praktischen Vollzugs und die daraus hervorgegangenen ‚Theories of Practice‘ (Reckwitz 2000, 2003; Schatzki 1996) konzentrieren sich auf die alltäglichen routinisierten und habitualisierten Praktiken. Neben kognitiven und sprachlichen Hervorbringungsmodi spielen dabei auch Materialität und Körperlichkeit eine zentrale Rolle. Zwar werden die Praktiken nicht als reflexhafte Abläufe verstanden, doch, so kritisiert Böhle, werden sie als „prä-reflexiv“ (Böhle 2009, 206) eingestuft. Das ‚Leibliche-zur-Welt-Sein‘ wird nur unzureichend berücksichtigt. Leiblichkeit, so die Kritik, besteht nicht nur in nicht kontrollierbaren körperlichen Regungen wie Lachen oder Weinen und in den Körper ‚eingesunkenen‘ sozialen Praktiken. Leiblichkeit, so lautet das Argument von Böhle, das er in Anlehnung an Merleau-Ponty (1966) oder Schmitz (2007) formuliert, bezeichnet nicht allein die Einschreibung gesellschaftlicher Normen, Werte und Regelungen in die verkörperten Routinen der Subjekte, sondern auch die Möglichkeit, sich im und durch leibliches Spüren (also durch Emotionen) aktiv mit der Welt in Beziehung zu setzen und dieses In-Beziehung-Setzen im Handeln wirksam werden zu lassen – eben so wie
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Der homo performans liegt damit ‚quer‘ zu den von Werlen in seiner Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen angebrachten drei Modellen des homo rationalis für zweckrationales Handeln, homo sociologicus für normorientiertes Handeln und homo communicans für verständigungsorientiertes Handeln. Die Betonung liegt hierbei auf Vorschlag. Das erfahrungsgeleitete-subjektivierende Handeln ist keine ausformulierte Theorie, vielmehr eine Diskussionsanregung.
Zwischenresümee III: Dimensionen des Performativen
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es Baumgarten mit seiner Ästhetik und der daraus folgenden Gleichberechtigung analogisch-ästhetischer Erkenntnisformen beschreibt (MED, § 16–18). 4.4 Zwischenresümee III: Dimensionen des Performativen Der Abriss der Begriffsverwendung des Performativen hat gezeigt, dass jede der vorgestellten Lesarten einen genuinen und äußerst produktiven Input für die Aushandlung des Performativen geleistet hat. Jeder der Ansätze liefert in Auseinandersetzung mit dem je eigenen Forschungsgegenstand wesentliche Einsichten in das, was unter dem Label der ‚Performativität‘ verhandelt wird. Zusammengefasst kann in der Begriffsgeschichte des Performativen idealtypisch zwischen drei Lesarten unterschieden werden: universalisierende, iterabilisierende und korporalisierende Performativität (Krämer 2004, 14). Diese drei zentralen Lesarten stellen gleichzeitig eine zeitliche Abfolge der jeweils dominierenden Perspektive dar. Mit Austins Sprechakttheorie hat sich ein Ansatz etabliert, der die Eigenschaft von Sprache beleuchtet, im und mit dem Sagen das Besagte zu vollziehen. Auf diese Weise wird die Wirklichkeit konstituierende Kraft von Sprache erstmals auf einen Begriff gebracht: performativ. Diese erste linguistisch-sprachphilosophische Annäherung wird auch als universalisierende Performativität bezeichnet. Die folgenden sich auf Austin (und Searle) beziehenden Autoren tragen das Prinzip der Performativität aus der Sprachwissenschaft in andere Disziplinen hinein. Derrida erforscht die diskursive Herstellung des Sozialen und eröffnet mit dem Einbezug des Konzepts der Performativität die Möglichkeit der Reproduktion, vor allem aber der Iterabilität, d. h. die Möglichkeit, die Veränderungen und Bedeutungsverschiebungen des Diskurses zu thematisieren. Dies wird entsprechend mit dem Typus der iterabilisierenden Performativität bezeichnet. Mit Butler wird in der Folge eine fundamental neue Kategorie im Feld des Performativen etabliert: Körperlichkeit. Sie untersucht, wie normative Diskurse bestimmte (Geschlechts-)Identitäten und Körper hervorbringen, aber auch, wie man diese Diskurse durch die eigene performative Praxis unterwandern und verändern kann. Soziale Kategorien werden nicht als feststehend verstanden, sondern sind in ihrem Dasein und in ihrer Gültigkeit auf den Vollzug, d. h. auf die performative Praxis verwiesen. Butlers Theorien bilden somit ein Scharnier zwischen iterabilisierender und korporalisierender Performativität. Den Gedanken der Körperlichkeit und die Bedeutung des Körpers für die alltägliche Interaktion macht Goffman zum Mittelpunkt seiner Überlegungen. Die körperlichen Bedingungen und Möglichkeiten der Inszenierung des Selbst vor einem Publikum werden von ihm anhand der Metapher ‚life as theatre‘ ebenso ausdifferenziert wie die bis dahin gültigen Vorstellungen der Rollen von ‚Sprecher‘ und ‚Hörer‘ bzw. ‚Zuschauer‘. Die Performance Studies und eng verknüpft mit ihnen die theaterwissenschaftlichen Ansätze radikalisieren schließlich den performativen Gedanken, indem sie Performativität in ihrem Vollzug, in ihrem Erlebens- und Widerfahrnischarakter thematisieren. Körperlichkeit wird als sinnliches Potenzial verstanden, das die Medien des Wahrnehmens und des Tuns umfasst. Inspiriert von der künstlerischen Performance wird eine solche korporalisierende Performativi-
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Dimensionen des Performativen
tät als ‚Performanz‘ (Posselt 2008) bezeichnet. Mit dieser Perspektive einher geht die Betonung des Erlebens, der Flüchtigkeit, Ereignishaftigkeit und Einmaligkeit performativer Geschehnisse. Menschliches Tun kann in einer solchen Lesart nicht länger als bloße Realisierung eines zuvor gefassten Planes und Handlungsentwurfes angesehen werden. Im Vollzug geschieht Unvorhersehbares und Unerwartetes – und das nicht nur im Sinne unerwarteter Handlungsfolgen. Mit anderen Worten: Tun lässt sich nicht additiv und prospektiv durch Bestimmung der einzelnen Elemente vorhersagen oder verstehen. Das Tun besteht im Vollzug. Performanz ist im hier verstandenen Sinne als Konzept zu verstehen, das den dynamischen Aufführungscharakter der sozialen Welt betont. Performanz betont die inszenatorische Seite kultureller Praxis und trägt unter einem anderen als dem diskurstheoretischen Paradigma die Momente von Körperlichkeit, Materialität, Einmaligkeit, Ereignishaftigkeit und Emergenz in die geographische Debatte ein. Performanz ist eine Lesart des Geographie-Machens, die die erkenntnistheoretischen Einsichten der Multisensualität, der Emotionalität, des Verlaufscharakters berücksichtigt. Bei Performanz geht es nicht darum, ob etwas richtig oder falsch ist, sondern darum, ob das sinnstiftende Tun gelingt. Insofern betrachtet Performanz die gelebte In-Welt-Setzung. Performative Prozesse sind weder durchweg intentional noch durchweg rational, noch bis ins Letzte vorherseh-, kontrollier- oder planbar. Sie gehen in ihrem gegenwärtigen, flüchtigen Vollzug auf. Das heißt jedoch nicht, dass ihre Wirkung auf diese flüchtige Gegenwart beschränkt bleibt. Denn das performative Darstellen ist zugleich ein Erzeugen von Identitäten, von Raum oder von Zeit. Geographie als Performanz zu verstehen, bedeutet zu fragen: Wie werden Geographien erzeugt? So können neue Fragen hinsichtlich der strategischen Nutzung ebenjener sensitiven Dimensionen entwickelt werden. Dabei ist die Bedeutung des Jetzt-Seins, des livehaftigen Geschehens anzuerkennen, jedoch nicht überzubewerten. Die Bedeutung des Moments zu betonen, enthebt nicht von der Notwendigkeit einer gesellschaftstheoretischen und historischen Kontextualisierung. Darauf hat bereits Dilthey explizit hingewiesen (Kap. 3.1). Es ist schließlich die Betrachtung mehrerer Maßstabsebenen, die ein relationales Verstehen von Raum und performativen Praktiken ermöglicht. Performanz in Relation Sich mit Performanz zu beschäftigen, bedeutet eine Reihe brisanter Themenfelder und Fragestellungen zu berühren: die Frage nach Sinn, Bedeutung und Interpretation, nach dem Phänomen der ‚Präsenz‘, nach dem Verhältnis von Sprache und Performanz und, damit eng verknüpft, nach dem wissenschaftlichen Zugang zu Performanz, zu emotionalem und multisensualem Erleben und Tun. Fünf Punkte können zusammenfassend festgehalten werden: 1. Die Frage nach der Bedeutung von Sinn, Bedeutung und Interpretation sowie die nach ‚Präsenz‘ weist auf eine Dimension der Performanz hin, die sich der semiotischen Interpretation entzieht. Die als ‚Präsenz‘ oder ‚Erscheinen‘ bezeichneten Phänomene zielen auf eine Erlebnisbeschreibung ab, die mehr als
Zwischenresümee III: Dimensionen des Performativen
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das Signifikative umfasst: das leibliche Spüren, das Fühlen, die Wirkung multisensualer Ausdrucksformen. Das performative Verstehen und der performative Sinn sind als Kompromiss zu verstehen, die Bedeutung von ‚Präsenz‘ als Charakteristikum von Performanz ist nicht zu unterschlagen, und es gilt, für das performative Vollzugsgeschehen ein Verständnis und einen Sinn zu entwickeln. Mit anderen Worten: Präsenz, Sinn und Verstehen schließen einander nicht aus. Es ist analytisch ein je spezifisches Verständnis von Verstehen, Bedeutung und Sinn zu unterscheiden. Der performative Sinn ergibt sich aus dem Zeigen, nicht allein aus dem Sagen einer ‚Botschaft‘. (Performativer) Sinn ist auch jenseits von Sprache zu finden. Sein ist mehr als Gesagt-Sein. Tun ist mehr als Sagen. Das infolge der unterschiedlichen wissenschaftlichen Beachtung und Popularität unter dem Verdacht des Antagonismus stehende Verhältnis von Sprache und Performanz muss differenziert werden. Die Relation von Sprache und Performanz ist nicht synonym mit derjenigen von Sprache und Nicht-Sprache. Wenngleich Performanz sich auch maßgeblich über die nicht sprachlichen Modi identifiziert, so ist Sprache keinesfalls ausgeschlossen. Sprache ist langue und parole. Mit Sprache kann nicht nur gesagt, sondern auch gezeigt werden: Sprache wird aufgeführt, bezieht Gestisch-Mimisches, Klangliches, Visuelles (‚Nonverbales‘) mit ein. Sprache wird im Sprechen, Schreiben, Lesen vollzogen. Sie ist performativ. Eine performative Einstellung schließt sich der Kritik an der Überbetonung von Textualität an und plädiert für eine Öffnung hin zu Vollzugs- und Darstellungsweisen, hin zu Bildlichkeit, Körperlichkeit (Leiblichkeit), Tonalität etc. Dies impliziert im Umkehrschluss nicht, dass Wissenschaft sich von Begriff und Text verabschieden soll. Wissenschaftliches Schreiben verlangt unbezweifelt nach Sprache. Die Möglichkeiten von Performanz als Forschungsmethode sind jedoch weiter auszuprobieren bzw. zu reflektieren. Die Betrachtung von Sprache als performativ ermöglicht es uns, Sprache für die Annäherung an Erleben zu nutzen. Narrationen sind eine Möglichkeit, Diskurse auch für performative Fragestellungen zu nutzen und Erleben zugänglich zu machen. Diese narrativen Geographien gilt es weiter zu spezifizieren. Handeln zeichnet sich nicht (zwangsläufig oder ausschließlich) durch Intention, sondern durch Intentionalität aus. Intentionalität statt Intention als Eigenschaft von Handeln anzunehmen, ermöglicht die Öffnung der Handlungstheorien in Richtung analogisch-ästhetischer Erkenntnisformen und damit in Richtung Performanz. Dies hat Konsequenzen sowohl auf das Menschenbildparadigma in der Geographie als auch auf die Konzeption von Handeln.
5 Fazit: Sensitivität und Performanz – Impulse zur theoretischen Konzeptionalisierung des Geographie-Machens nach dem cultural turn
Geographie nach dem cultural turn stellt den Akteur mit seinen Handlungen, seinem Geographie-Machen, in den Mittelpunkt der Forschung. Der Beitrag der vorliegenden Überlegungen war dieses Machen zunächst nicht als Handeln, sondern als Knüpfen von Weltbindungen zu interpretieren. Die Frage nach den Weltbindungen führte in das Feld der Erkenntnistheorie, die fragt, welcher Art diese Beziehungen sind. Damit wird ein geisteswissenschaftlicher Zugang zu geographischen Fragestellungen eröffnet. In den vorliegenden Überlegungen spannte sich die Argumentation zwischen erkenntnistheoretischen, ästhetischen und performanztheoretischen Theoriepfeilern. Die These dabei lautete, dass die Geographie-Machenden als sensitiv, das Geographie-Machen als performativ verstanden werden kann. Im Zentrum der Frage nach den Weltbindungen standen die Formen des Erkenntnisvermögens, d. h. die Art und Weise Erkenntnisse über Welt zu gewinnen und eine Beziehung zwischen Mensch und Welt aufzubauen. Es wurde deutlich, dass der Mensch nicht nur durch rational-logische Verfahren und Begriffe Erkenntnisse über sich und Welt gewinnt, sondern auch ästhetische Welt-Bindungen eingeht. Folglich umfasst auch Geographie-Machen mehr als nur das logische Erkenntnisvermögen. Das analogisch-ästhetische Erkenntnisvermögen zeichnet sich dadurch aus, dass es Sichtweisen auf und Darstellungsfragen von Welt erzeugt und reflektiert. Wir haben es, wie Gabriel (1997, 47) festhält, mit „Weltauffassungen“ statt „Weltauffassungen“ zu tun. Das Auftauchen von Ästhetik in der erkenntnistheoretischen Herleitung erforderte die Klärung des Begriffes. Dies erschien schon deshalb notwendig, um Verwechslungen mit anderen fachgeschichtlichen Verwendungen zu vermeiden. Im Rahmen dieser Arbeit wurde die Ästhetik von Alexander Gottlieb Baumgarten favorisiert. Sein Anliegen ist es, die jenseits der logischen Vernunft liegenden Erkenntnis- und Ausdrucksmöglichkeiten des Menschen erstens anzuerkennen und zweitens genauer zu analysieren. Dabei wird eine andere Klasse des Wissens als die logikbasierte eingeführt – ein Wissen, das nicht immer in letzte sprachliche Deutlichkeit aufsteigen muss, aber auch unausgesprochen, sozusagen als tacit knowledge, in uns wirksam ist. Nach Baumgarten ist das menschliche Erkenntnisvermögen sowohl sinnlich als auch geistig. Er spricht von der cognitio sensitiva, der geistigen Sinnlichkeit. Diese konstituiert sich durch das Zusammenwirken von sensus exter-
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nus und sensus internus. Mit anderen Worten, sensitive Erkenntnis stellt die erlebte Verbindung von Wahrnehmung und Empfindung, Bewertung oder Vorstellung dar. Als Säulen der sensitiven Erkenntnis wurden zusammenfassend Erleben, Emotionalität und Multisensualität ausgewiesen. Im zweiten Teil sind diese Säulen der sensitiven Erkenntnis nacheinander genauer ausgeführt worden. In Kapitel 2.1 wurde ‚Erleben‘ mit Dilthey als unhintergehbarer Grund aller wissenschaftlichen Analysen postuliert. Erleben wird als Modus verstanden, der Bewusstseinstatsachen und somit, so die These, auch Geographien schafft. Erleben ist, kurzum, eine Weise des alltäglichen Geographie-Machens. Diltheys Dreiklang aus Erleben, Ausdruck und Verstehen hilft, diese Form des Geographie-Machens in den wissenschaftlichen Blick zu bekommen. Erleben wird zum (multisensualen) Ausdruck gebracht und dieser wird von anderen zu verstehen versucht. Damit verbunden ist ein Menschenbild, das das Subjekt als ‚fühlend wollend vorstellend‘ konzeptionalisiert. Diese Definition bekräftigt Baumgartens These der cognitio sensitiva, der Bestimmung des Menschen als sensitiv. In Kapitel 3.2 wurde ‚Emotionalität‘ mit Damásio als conditio humana fundamentiert. Gefühle sind an der Entstehung von Bewusstsein beteiligt. Ein rein rationales Dasein im Sinne eines emotionsfreien Daseins kann es daher nicht geben. Damásio bestätigt damit neurowissenschaftlich, was Baumgarten und Dilthey bereits geisteswissenschaftlich postuliert haben. Grund für die prinzipielle emotionale Konstitutiertheit der Menschen ist ihre Verbindung aus Hirn und Körper. Niemand ist nur Geist oder nur Verstand. Vielmehr sind wir „embodied minds“ (Varela, Thompson & Rosch 1993) oder „mindful bod[ies]“ (Scheper-Hughes & Lock 1987, 6). Weiterhin wurde die Bedeutung von Begegnungen zwischen Organismus, wie Damásio die menschliche Körper-Hirn-Symbiose nennt, und Objekten, wie Damásio alle Erscheinungen vom wahrgenommenen Gegenüber über erinnerte Begebenheiten bis zum Zahnschmerz bezeichnet, deutlich (Damásio 2004, 204). In der Begegnung wird Bewusstsein ausgebildet: ein Gefühl des eigenen Selbst. Es ist die Begegnung, die den Menschen verändert, bewegt, berührt, fasziniert, einschüchtert, nie das Objekt allein. Dies sollte in geographischen Diskussionen zur Rolle des Materiellen berücksichtigt werden. Als dritte Säule sensitiver Erkenntnis wurde die Multisensualität benannt. Das Ziel von Kapitel 3.3 war es, zu zeigen, in welcher Art und welchem Maße menschliches Tun und folglich auch Geographie-Machen multisensual ist. Der Bedeutung der Sinne für die alltägliche Praxis nachzuspüren, ergibt sich aus der Einsicht in die Verkörperung der Menschen und damit aus der Einsicht in die multisensuale Verfasstheit menschlichen Erkennens, Ausdrückens und Verstehens. Subjekte sind konsequenterweise nicht (länger) (nur) als geistige Diskursproduzenten anzusehen. Wenngleich die Forschungen zur multisensualen Praxis teilweise noch in ihren Anfangsphasen stecken, konnte doch gezeigt werden, dass sich die Geographie auf dem Weg zu einer „sensuous geography“ (Rodaway 1994) befindet. Besonders prominent wird der Sehsinn behandelt, der in Filmgeographie, neuer Kartographie, Sozial- und Neuer Kulturgeographie erforscht wird. Im ersten und zweiten Teil der Arbeit wurden somit ausgehend von der Frage nach den aufgenommenen Weltbindungen die sensitiven Eigenschaften der Geo-
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graphie-Machenden betont. Der dritte Teil hat nun diese Erkenntnisse aufgenommen und das Geographie-Machen als performativ interpretiert. Erst im Machen, verstanden als sich vollziehendes Tun und Erleben, manifestiert sich Selbst, manifestieren sich Identitäten, Weltbilder und Geographien. Welt geht der gelebten performativen Praxis nicht voraus. Phänomene der sich vollziehenden Wirklichkeit werden durch Theorien des Performativen analysiert. In Kapitel 3.1 wurden drei Ansätze zum Performativen unterschieden: universalisierende, iterabilisierende und korporalisierende Performativität, die jeweils eine Weise der performativen Erzeugung und Veränderung von Wirklichkeit beschreiben. Anschließend wurde das Konzept der Performanz eingeführt, das im Unterschied zu sprachzentrierten Lesarten von Performativität die erkenntnistheoretischen Einsichten in die Emotionalität, das Erleben und die Multisensualität des Menschen aufnimmt. Performanz umschließt sowohl die Körperlichkeit also auch die gesellschaftlichen Konventionen des Zum-Ausdruck-Bringens. Im Vollzug liegt noch eine weitere Besonderheit: der Moment des Zum-Erscheinen-Bringens. Dieser wurde als Präsenzeffekt oder Erscheinen bezeichnet. Dabei geht es darum, dass sich im Machen etwas ereignet, das nicht als bloße Realisation eines vorher gefassten Handlungsplanes verstanden werden kann. Mit Performanz wird Gabriels Forderung nachgekommen, sich verstärkt den Darstellungsweisen, oder anders formuliert: dem Wie der Praxis zu widmen. Das Darstellen wird in performativer Perspektive als Aufführung verstanden. Performanz ist, kurz gesagt, als ein Vorschlag zu verstehen, den Vollzug des Machens, das Hervorbringen von Geographien zu interpretieren. Performanz bezeichnet dann das emotionale und multisensuale Erleben und Tun oder, mit anderen Worten, das performative Geographie-Machen sensitiver Subjekte. Die Betonung der Multisensualität ist auch als Argument gegen eine allzu textaffine Geographie zu verstehen. Die Betonung der Performanz warf weiterhin Fragen nach den Beziehungen zu anderen, in der Geographie aktuellen Begriffen und Konzepten auf: prominent z. B. zur Sprache. Sprache wurde dabei nicht als das Andere zu Performanz verstanden. Sprache ist im höchsten Maße performativ. Unter Berücksichtigung der erkenntnistheoretischen Annahmen wird Sprache, d. h. Erzählung und Dialog, dann interessant, wenn Erleben zum Ausdruck gebracht werden soll. Damit wird deutlich, dass es bei einer performativen Lesart des Geographie-Machens nicht um die Verabschiedung des Textes geht, sondern um das Zum-Ausdruck-Bringen von Erleben, das auch (aber eben, wie gezeigt wurde, nicht nur) sprachlich verfasst sein kann. In den Überlegungen wurde für ein Menschenbild plädiert, das dem analogisch-ästhetischen Charakter von Erkenntnis entspricht und den Protagonisten der geographischen Analyse, wie es Dilthey formuliert hat, als fühlend wahrnehmend vorstellend annimmt. Sensitivität als Eigenschaft der Subjekte bestimmt ihr als Performanz verstandenes Machen. Das performative Aufführen ist ein Erzeugen von Identitäten, von Raum, von Zeit. Nicht zuletzt ist, wie bereits bemerkt wurde, auch der Forschungsprozess selbst performativ. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden nicht aus einer neutralen, omnipotenten Position heraus einfach produziert oder abgerufen. Forschende sind mit Leib und Seele an einem Vorgang mit nicht selten
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ungewissem Ende beteiligt. Auch wissenschaftliche Arbeiten konstituieren sich erst im Vollzug. Aus diesem Grund gilt es, die eigene Involviertheit kritisch zu reflektieren – etwa bei der Formulierung des eigenen Selbstverständnisses als WissenschaftlerIn, bei der Auswahl des eigenen Forschungsthemas, bei der Begegnung mit Interviewpartnern oder bei der Interpretation der Ergebnisse. Es gilt, die Fragen nach dem Geographie-Machen und denjenigen, die da machen, immer wieder neu zu stellen und den Horizont für andere Antworten oder gar andere Fragen offen zu halten.
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sozialgeographische bibliothek Herausgegeben von Benno Werlen. Wissenschaftlicher Beirat: Matthew Hannah, Peter Meusburger und Peter Weichhart.
Franz Steiner Verlag
5.
ISSN 1860–3955
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2009. 247 S. mit 7 Abb., kt. ISBN 9783515094016 12. Annette Voigt Die Konstruktion der Natur Ökologische Theorien und politische Philosophien der Vergesellschaftung 2009. 269 S., kt. ISBN 9783515094115 13. Stefan Körner Amerikanische Landschaften J. B. Jackson in der deutschen Rezeption 2010. 111 S. mit 5 Abb., kt. ISBN 9783515096652 14. Christiane Marxhausen Identität – Repräsentation – Diskurs Eine handlungsorientierte linguistische Diskursanalyse zur Erfassung raumbezogener Identitätsangebote 2010. 353 S., kt. ISBN 9783515096843 15. Tobias Federwisch Metropolregion 2.0 Konsequenzen einer neoliberalen Raumentwicklungspolitik 2012. 256 S. mit 48 Abb., kt. ISBN 9783515100038 16. Heiko Schmid / Karsten Gäbler (Hg.) Perspektiven sozialwissenschaftlicher Konsumforschung 2013. 236 S. mit 22 Abb., kt. ISBN 9783515102230 17. Karsten Gäbler Gesellschaftlicher Klimawandel Eine Sozialgeographie der ökologischen Transformation 2015. 189 S., kt. ISBN 9783515104807 18. Janine Wintzer Geographien erzählen Wissenschaftliche Narrationen von Ge schlecht und Raum 2014. 309 S. mit 26 Abb., 9 Tab., kt. ISBN 9783515108324
Emotionen und Erleben sind im Zuge
Dana Strauß unternimmt in diesem
der Aufklärung als das unberechen-
Band eine erkenntnistheoretische Re-
bare „Andere“ aus der wissenschaft-
kapitulation des sozialgeographischen
lichen Debatte ausgeschlossen wor-
Paradigmas des Geographie-Machens.
den. Dies führt bis heute – auch in der
In Auseinandersetzung mit der Äs-
Geographie – zu problematischen Im-
thetik Alexander Baumgartens liegt
plikationen in Bezug auf das vorherr-
der theoretisch-konzeptuelle „Land-
schende Verständnis vom Menschen,
gewinn“ dabei im systematischen
dessen Erkenntnisvermögen und
Herausarbeiten eben jener Begriffe
dessen Tun. Mit der Überbetonung
und Zusammenhänge, die mit dem
des Verstandes wird die Fähigkeit des
Einbezug des ästhetischen Erkenntnis-
Menschen zur ästhetischen Weltbin-
vermögens bedeutsam werden: (Er)
dung ausgeblendet. Eine Geographie,
Leben, Emotionalität, Multisensuali-
welche die Mensch-Welt-Beziehung
tät, Performanz. Dies eröffnet ein Ver-
untersucht, z.B. in Form raumbezoge-
ständnis der Geographie-Machenden
ner Identifikationsprozesse, benötigt
als sensitiv und ihres Geographie-
jedoch eine präzise Reflexion dieser
Machens als performativ.
ästhetischen Dimension des Seins und des Tuns.
ISBN 978-3-515-11460-8
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag