Sendschreiben an den Herrn Verfasser des in der Evangel. Kirchenzeitung No. 97 seqq. 1829 enthaltenen Sendschreibens über Schleiermacher 9783111669625, 9783111284941


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Sendschreiben an den Herrn Verfasser des in der Cvangel. Kirchcnzcitung No. 97. seqq. 1829 enthaltenen Sendschreibens über Schleiermacher
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Sendschreiben an den Herrn Verfasser des in der Evangel. Kirchenzeitung No. 97 seqq. 1829 enthaltenen Sendschreibens über Schleiermacher
 9783111669625, 9783111284941

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Sendschreiben an den Herrn Verfasser des in derCvangcl. Kirchcnzcitung No. 97. seqq. 1829 enthaltenen

Sendschreibens über Schleiermacher.

Berlin, 18 30. Gedruckt und verlegt

bei G. Reimer.

(S>ie bemerken in Ihrem Sendschreiben über Schleier» wacher (Evangel. Kirch. Z. Nr. 97 seqq. 1829) sehr richtig, derselbe sei nach seinem eigenen Geständnisse im zweiten Sendschreiben an Lücke (Theolog. Sind, und Krit. 2. D. 3. H.) lange schwankend gewesen, ob er den einzelnen Haupttheilen seiner Glaubenslehre die Stellung geben sollte, die sie gegenwärtig haben, oder ob er sie sollte in umgekehrter Folge darstellen. Sie bemerken ferner sehr richtig, daß er in demselben Send» schreiben an Lücke die Dortheile der Umstellung sehr hervorhebt, und dennoch Gründe darzulegen sucht, die ihn bestimmen, für die zweite Auflage seiner Glau, benslehre in dieser Hinsicht nichts zu ändern. Auf diese Gründe wollen Sie in Ihrem Sendschreiben über ihn eingehen, und zwar so, daß Sie seine ekgS, nen Aeußerungen dazu benuhen und, soweit Gott die Gnade der Erkenntniß gebe, mit dem Lichte des heili» gen Geiste-, der alles richtet, beleuchten. Daß Sie nun Ihre Kunst, Schleiermachers Aeußerungen zu be« nutzen und mit dem Lichte des heiligen Geistes zu be» A

4 leuchten, in der Evangelischen Klrchenzeltung ausge, stellt haben, darüber will ich nicht mehr mit Ihnen rechten.

Unser verehrter Neander hat sich ja in die,

ser Beziehung Ihrer schon so angenommen, daß enicht seine Schuld ist, wenn Sie jetzt nicht schwerer athmen, al- selbst bei der Abfassung Ihres Sendschrei, be«S.

Der Dienst aber, welchen er Ihnen hat lei,

sten wollen, scheint mir noch nicht umfassend genug, erlauben Sie also, daß ich sein Werk zu ergänzen und von dem Orte der Ausstellung Ihren Blick auch auf die ausgestellte Kunst selbst zu richten suche. Sie haben durchaus Recht, zu behaupten, Schleier, macher nenne die Ursachen, aus welchen er die Haupt, theile seiner Glaubenslehre nicht anders geordnet habe, als er sie geordnet hat, eine Grille und eine Unfähig, feit, denn so nennt er sie wirklich.

Auch das will ich

nicht leugnen, daß Ein Gemeinsames für beide Gründe in Schleiermacher werde nachzuweisen sein, und daß dieses in ihm nicht wohl etwa« andere- sein könne, al- wenn auch nicht gerade der Gemüth-zustand selbst, welcher seiner ganzen Dogmatik zur Grundlage dient und sich darin überall in charakteristischen Zügen ab, drückt, doch auf jeden Fall etwas, was sich gar wohl mit demselben verträgt.

Dieser Gemüthszustand aber

sagen Sie werde am besten bezeichnet als Unglaube im Glaubenwolle«.

Die Formel iß nicht sehr deut.

s lich, besonders mit

der

Erklärung,

dl«

€f«

ihr

den, man findet aber leicht den Sinn, welchen

mitge,

sie

bei

Ihnen hat» wenn man Ausdrücke hinzunimmt, deren Sie sich später bedienen.

Nimmt man $. B. nur,

um nicht lange zu suchen, die bald folgende Wendung: Die Rationalisten, „deren Name allein dem Christ, gläubigen, wie seinem Herrn, ein Abscheu ist," „die, wenn sie," wie sie einmal sind, „dem Gewissen und Rechtsgefühle Folge leisten »ritten., sich von der Kir, chengemeinschaft des für uns gekreuzigten Messias los, sagen müßten," die Rationalisten sind Schleiermachers „eigenes Fleisch," so ist schon klar genug, daß Sie nicht mehr und nicht weniger sagen wollen, als die, ses: Schleiermacher ist kein Christ.

Wie nun aber

begründen Sie Ihr Urtheil? Aus der „Grille" wol, len Sie eS herleiten.

Welche aber ist denn diese?

Schleiermacher bezeichnet mit dem Ausdrucke auf seine bescheidene

und

launig« Weise

seinen künstlerischen

Sinn, seine Abneigung gegen da- Fortschreiten eines Werkes in einem Antikkimax. seiner Antipathie gegen

Aber wie doch? wegen

den Antiklimar wollen Sie

ihn für einen Ungläubigen erklären? Allerdings. Ihr« Leser mögen sich dagegen sträuben, so sehr sie avollen, sie müssen es eingestehen, denn so lauten Ihre Worte: „Im Allgemeinen stellt sich uns hier das, was ich als Unglauben bezeichnen muß, vorzugsweise in demjeni.

6

geil dar, das bet Verfasser seine Grille heißt." Auf den Beweis nun war ich sehr gespannt, «der er fin« bet sich leider in Ihrem Sendschreiben nicht, denn w» es gilt, Ihr Urtheil versprochenermaßen „auch im Einzelnen handgreiflich" zu -begründen, argumetiren Sie ja nicht aus btt Grille, sondern aus demjenigen, was Schleiermacher als Grund anführt., daß er, ungeachtet so Bedeutendes dagegen sprach, seine Grille glücklich durchgesetzt habe. Doch ich tröste mich und fasse ohne Verzug diese Ihre Argumentationen inS Auge. Was Schleiermacher dazu bewogen hat, seine Grille durchzusetzen, ist dieses: Er meint, daß nach ei« «er vollständigen Darstellung der Lehre von der Erlö­ sung und dem Reiche Gottes es ihm kaum anders würde möglich gewesen sein, als alle Lehrstücke des jetzigen ersten Theils seiner Dogmatik sehr kurz zu be­ handeln, was er aber wegen der gegenwärtigen Be­ dürfnisse unserer Kirche nicht über sich vermögt habe. Denn es komme jetzt alles darauf an zu zeigen, daß jedes Dogma, welches wirklich ein Element unseres christlichen Bewußtseins repräsentire, auch so gefaßt werden könne, daß es uns unverwickelt lasse mit der Wissenschaft. Ganz besonder- sei dies seine Aufgabe gewesen bei der Bearbeitung der Lehre von der Schö­ pfung und Erhaltung, auf welche letztere sich denn auch seine Darstellung der Wunder gründe, denn, wie

7 dieft Lehren gewöhnlich construirt würde«, könnten ske wohl bei dem gegenwärtigen Stande der Naturwissen, schaft nicht mehr fortbestehen. zeige«

Und gerade dieses zu

scheine ihm keine Anordnung günstiger zu sein,

als fi< sein Werk eben habe.

Nun freilich, hierin

giebt Schleiermacher offenbaren Unglauben zu erken, neu, aber nur Unglauben in Beziehung auf die ge, wöhnliche Construction der Lehre von der Schöpfung und Erhaltung, und in Beziehung auf die gewöhnliche Darstellung der Wunder, weswegen ihm jedoch kein anderer, als Sie, den christlichen Glauben, oder die Gemeinschaft mit dem Herrn absprechen wird. Achten Sie aber wohl darauf, wie Sie dabei zu Werke ge, hen.

Sie thun, als ob Schleiermacher den Begriff

der Schöpfung überhaupt angriffe.

Aber es ist ja

offenbqr, er greift nur den alten Schöpfung-begriff an, den Schöpfungsbegriff, wie er gewöhnlich construirt wird.

Gewöhnlich aber wird er so construirt, daß er

sich nicht in den Begriff der Erhaltung auflösen läßt, oder umgekehrt nicht zugiebt, daß der Begriff der Er, Haltung in ihm aufgelöst werde, und ein solcher Schö, pfungsbegriff meint

Schleiermacher werde sich nicht

wehr halten können gegen künde, aus

unsere umfaffende Welt,

Dann behaupten Sie, daß Schleiermacher die

wissenschaftliche« Combinationen gebildete gßeit,

anschauung zur Richterin setze über den Glauben. Die,

ses aber nennen Sie Rationalismus, der Ihnen eben so auch identisch ist mit Unglauben, Unchristenthum und Antichristenthum, und so würde denn allerdings folgen, Schleiermacher sei ein Ungläubiger, oder kein Ehrist. Aber Ihre Ansicht vom Rationalismus bei Seite gelassen, woraus schließen Sie denn, Schleier« wacher bestelle die Wissenschaft zur Richterin über den Glauben? Daraus zu Ihrer Ehre nicht, daß Schleier» wacher alles abstreiten will, was in den Dogmen nicht einfacher und reiner Ausdruck des christlichen Selbst, bewiißtseins ist, sondern Ausdruck einer nnzureichcn, den, oder auch einer jeden andern, nur nicht religib, sen, Weltbetrachtung, denn daraus ist nichts zu fol, gern, als daß et voraussetzt, daß das christliche Be, wußtsein und die Wissenschaft in keinem direkten Zu» fammenhangt untereinander stehen, also nichts, als die vollständige Negation dessen, was Sie ihn behaupten lassen. Auch nicht daraus, daß er, nicht um.etwas der Dogmatik Wesentliches, sondern um eine unserer Zeit nicht überflüssige apologetisch, polemische Zugabe darzureichen, eine Anordnung der Theile seines Wer, keS zu treffen sich bemüht hat, die es ihm nicht er, schwerte, die Gläubigen, die zugleich ein« umfassende Weltkunde suchen, den Glauben und die Weltkundi, gen, die zugleich dem Glauben leben, die Wettkunde ungefährdet stehen zu lassen, denn daraus läßt sich nur

dieses folgern, daß er einen reellen Widerspruch zwi, schen den reinen Aussagen der Frömmigkeit und den Resultaten der aus richtigen wissenschaftlichen Combi, Nationen richtig möglich hält. Satze:

gebildeten Weltanschauung für un,

Dieser aber ist etwas, was mit jenem

Religion und Wissenschaft

tttm einander,

sind

unabhängig

sehr wohl zusammen besteht.

Denn

tritt irgendwo und irgendwann ein Widerspruch zwi, schen religiösen und wissenschaftlichen Aussagen her, vor, so find entweder beide unrichtig gefaßt, oder auch nur die auf der einen, oder die auf der anderen Seite. In allen Fällen kann dann aber der Kanon immer, hin gelten, daß jede Art der beiderlei Aussagen ihre Correction, oder auch den Beweis ihrer Richtigkeit nie in der andern, sondern nur in sich selbst finden müsse. Nun, woraus schließen Sie es denn? Lediglich, aber keineswegeS zu Ihrer Ehre, au- der Aeußerung Schleier, macher-,

daß der alte Schöpfongsbegriff sich

nicht

werde halten können gegen die Gewalt einer au- un, verwerflichen, wissenschaftlichen Combinationen gebilde, ten Weltanschauung.

Was heißt das aber bei Schleier,

macher? Es heißt nach dem eben Mitgetheilten: So gewiß Glaube und Wissenschaft nicht direct zusammen, hangen, so gewiß dürfen sie sich doch auch nicht wi, versprechen.

Nun ist die Wissenschaft in Beziehung

auf den Begriff der Schöpfung zu Resultaten gekom,

10

Wen, denen sich fein wissenschaftlicher Mann entziehen sann und die mit der allen dogmatischen Schöpfung-, theorie streiten, folglich wird die Dogmatik zwar nicht etwa- aus der Naturwissenschaft zu entlehnen haben, aber sie wird veranlaßt sein, ihren Schöpfungsbegriff, wie er bisher gefaßt wurden einer Revision zu unter, werfen, und finden, daß sie ihn vpn ihrem eigenen Standpunkte aus so nicht langer dürfe fortbestehen kaffen. Was Sie also aus Schleiermachers Aeuße, nmg hatten folgern dürfen, ist nur dieses, die Wissen, schaff könne Veranlassung werden, daß die Dogmatik sich selbst richte, das auf keine Weise, daß die letztere von der ersteren gerichtet werden solle, oder könne. Und somit hat Ihr Schluß, Schleiermacher bestelle die auS wissenschaftlichen Combinationen gebildete Weltan­ schauung zur Richterin über den Glauben, aus wel­ chem Sie dann weiter schließen, er sei kein Christ, seine Begründung nicht in Schlejeynacher, sondern nur in „Ihrem besten Permögen z» urtheilen," oder mit andern Worte«: in Ihrer fruchtbaren Phantasie. So, geehttrster, steht ei mit Ihrer Kunst, Schleier, macherS Aeußerungen zu benutzen und ihm seinen Un, glauben handgreiflich daraus nachzuweisen. Doch wei­ ter. Sie kommen auf seinen Angriff gegen den alten Wunderbegriff und der Schwung Ihrer ikarisch ge, flügeltcn Worte steigert sich. Sie nehmen sich zwar

41 zusammen, um nicht Ihrem Unwillen freien Lauf zu lassen, enthalten sich aber nicht, wie Sie sagen, au« guten Gründen öffentlich zu spotten über die umfas, sende Weltkunde, die sich die Miene geben solle, den alten Wunderbegriff au- dem Weg« zu räumen. Ihre merkwürdigen Worte sind diese: Aber dessen will ich mich, au« guten Gründen, nicht enthalten, öffentlich zu spotten über die von der Zukunft erwartete, oder selbst schon miMche „umfassendeWeltkunde," die sich die Miene geben soll, de« alten Wunderbegriff au« dem Wege räumen zu wollen, zu spotten über diese ihre Anmaßung, als über eine der lächerlichsten und ungereimtesten, die je auf die Bahn gebracht worden sind." Welche ist denn nun aber Schleiermacher« Behauptung, die Sie zum Spotte reizt? Diese, daß der Begriff'de« Wunders« wie er bisher gefaßt sei, nicht werd« fortbestehen könne«. Und wie ist der Be, griff des Wunders bisher gefaßt? So, daß Wunder, bares dem Natürlichen absolut entgegengestellt wird. Die Annahme eines absoluten Gegensatzes aber zwi, schen Ucbernatürlichcm und Natürlichen hält Schleier, mache«, wa« mit dem religiösen, so auch unverträglich mit dem wissenschaftlichen Interesse, das alles, was geschehen ist und geschieht, a priori innerhalb der Grenzen der Forschung annehme, also kein Factum für natürlich unmöglich erkläre. Positiv dann erklärt

12 tt slch über den ihm haltbar erscheinenden Begriff der

Wunders S. 532 des von Ihnen mit dem Lichte des heiligen Geistes beleuchteten Sendschreibens in dieser Weise: „Wo Uebcrnatürliches bei mir vorkommt, da ist es immer ein erstes, es wird aber ein Natürliches als zweites. So ist die Schöpfung übernatürlich, aber sie wird hernach Naturzusammenhang, so ist Christus übernatürlich seinem Anfange nach, aber er wird na, türlich als rein menschliche Person, und eben so ist es mit dem heiligen Geiste und der christlichen Kir« che." Welches nun, mit dem Obigen in Verbindung gebracht, so zu verstehen ist: Jedes Uebernatürliche ist zugleich auch ein Natürliches, und umgekehrt. In welchem Sinne eine Thatsache als ein erstes, d. h. als Anfang einer neuen Entwicklungsreihe, angesehen wer, den muß, in dem Sinne ist sie ein Wunder, in wel, chcm Sinne sie dagegen als alles Seiende bedingend und selbst von demselben bedingt angesehen werden muß, in dem Sinne ist sie natürlich. Es kommt aber keiner Thatsache zu, allein auf die eine, oder auf die andere Weise, sondern jeder Thatsache kommt zu, auf beide Weisen zugleich angesehen zu werden. Folglich giebt es keine Thatsache, die nicht von der einen Seite angesehen, innerhalb der Natur, oder innerhalb der Reihe aller Thatsachen läge, und sofern denn etwas innerhalb der Natur geworden ist, sofern muß eS

13 auch Analogien in der Natur finden, d. h. sofern muß es allem Natürlichen, als solchem, gleich sein. So, denke ich, ist Schleiermachers: „sofern die Wun, der wenigstens in der Natur geworden sind" sehr ver, standlich, so daß auch nicht der mindeste Zweifel darü« der obwalten kann, „ was er eigentlich damit will." Doch Sie bekennen, daß Sie cs darum zurückweisen müssen, weil Sie es nicht verstehen, worin mich die« ses unbeschreiblich freut, daß Sie doch endlich einmal etwas aus Schlciermachers Sendschreiben von sich weisen, was Sie nicht verstehen. Sie sind aber so freigebig, in Ihrem Gespötts, diesem Donner ohne Blitz, einen Wundcrbegriff aufzustellen, von welchem Sie glauben, er sei der alte und vor der umfassenden Weltknnde vollkommen sicher. Das Letztere gebe ich zu, das Erstere aber meine ich ist mitten im Gespötts „über eine der lächerlichsten und ungereimtesten An, maßungen, die je auf die Bahn gebracht worden sind," mitten im Gespötts über die Bestrebungen, den alten Wundcrbegriff, den Wundcrbegriff, wie er gewöhnlich construirt wird, als unhaltbar darzustellen, für alle, die Theil an Ihnen nehmen, ein recht ärgerlicher Um« stand. Sie geben nämlich, daß ich es Ihnen nur gleich gerade heraussage, keinen andern Wunderbegriff für den alten und vor aller Kritik sichern aus, als — wie Sie auch selbst schon dunkel geahnt haben — den

14

jüngsten, nämlich den Schleierinacherschen, und darum Ist es denn auch kein Wunder, daß Sie den von Schleiermacher angegriffenen alten Wnnderbegriff, der auf der Annahme eines absoluten Gegensatzes zwischen Natürlichem und Uebernatürlichem beruht, so vollständig verwerfen, als der, dessen Sie der Verwerfung wegen „aus guten Gründen" spotten. Denn wenn Sie zuerst bemerken: ein Wunder wird eigentlich nicht so, wohl in der Natur, als in die Natur hinein, so ist das ja nichts anders, als das Schlcicrmachcrsche: wo Ucbernatürlichcs bei mir vorkommt, da ist cs immer ein erstes. Wenn Sie dann weiter bemerken: das fertige, das gewordene Wunder ist fortan ein völlig Natürliches und allem Natürlichen in dieser Beziehung gänzlich gleich, so ist das ja nichts anderes, als daS Schleiermachcrsche: es wird aber hernach ein natür, liches als zweites. Und wenn Sie zuletzt noch dazu die ganze Welt in einer Beziehung ein Wunder nen< ncn, in anderer ein Natürliches, so nennen Sic doch recht bestimmt ein und dasselbe ein Wunder und ein Natürliches. Was Ihnen aber zu einem und dem, selben gehört, das kann Ihnen doch nicht scheinen ei, ncn absoluten Gegensatz in sich zu tragen, sondern, falls sie überhaupt einen Gegensatz wahrnehmen, nur einen relativen, folglich leugnen Sie den absoluten Gegensatz zwischen Wunderbarem und Natürlichem,

15

welches beides Sie ja einem und demselben beilegen, so vollständig, als nur Schlciermachcr ihn leugnen kann. Steht es nun aber so, machen Sie mit Schleier« macher vollkommen gemeinsame Sache in dem Angriff gegen den Wundcrbegriff, wie derselbe bisher con, struirt wurde, nun, so hören Sie doch nicht nur auf, des armen Mannes zu spotten, sondern auch sich zu strauben, mit ihm der Wissenschaft frei zu lassen, alle »ns interessirenden Thatsachen in ihren Tiegel zu neh­ men und zu sehen, was für Analogien sie dazu findet, denn welche Analogien auch aufgefunden werden möch­ ten, Schleiermachcrs und Ihre Wunder bleiben doch Wunder, und wie wenig auch Analogien zu entdecken waren bei dem gegenwärtigen Standpuncte der Wis, senschaft, Schleiermachers und Ihre Wunder bleiben doch natürlich und allem Natürlichen, als solchem, völlig gleich. Nicht eben erfreulicher, als bei diesem Puncte, entfaltet sich Ihre kritische Kunst da, wo Sie sich ge­ gen das richten, was Schlciermachcr, nicht sowohl um die von ihm gewählte Anordnung der Haupttheile sei, ner Glaubenslehre, als um die seiner Dogmatik eigen« thümliche Stellung und Behandlung der Lehre von der Schrift zu rechtfertigen, über die unsern Kanon betreffende Geschichtsforschung und Kritik zu erkennen giebt. Fassen wir das Wesentliche kur; zusammen.

16

ivaS er in dieser Beziehung ausspricht, so leugnet er beides, daß die Schrift der Grund unseres Glaubensei, und daß das Alte Testament für die Gläubigen dieselbe Dignität habe, die das Neue hat. Aber hal« ten Sie denn die Schrift für den Grund unsereGlaubens an den Herrn und Heiland Jesus Christus? Das Alle Testament halten Sie nicht dafür, wenig, stens da nicht, wo Sie ausdrücklich erklären, weil wir an Christum glaubten, darum glaubten wir an die Göttlichkeit des Alten Testaments, das Umgekehrte aber könne nur mit gänzlicher Umkehrung der Wahrheit gesagt werden. Was also das Alte Testament betrifft, so sind Sie hier wieder, zur Hälfte wenigstens, der, selben alten dogmatischen Theorie entwischt, für die Sie zu streiten meinen, und schlciermacherisch, denn nicht gegen Schlciermacher, wie Sie mit großem Pa, thos glauben machen wollen, sondern mit ihm bchaup, ten Sie, daß unser Glaube an Christum nicht auf dem Anschn des Alten Testaments beruht. Aber be, ruht er Ihnen etwa auf dem Ansehn des Neuen Te, stamentes? Bejahen Sie die Frage, so widersprechen Sie Ihrer Lehre von der gleichen Dignität der beiden Testamente, verneinen Sie, so sind Sie auch hierin der alten Orthodoxie entgegen und schlciermacherisch. Aber auch zur andern Hälfte ist denn kein Unterschied zwischen Schleiermacher und Ihnen, denn das ist eben

17 auch Schleiermachcrs Lehre,

daß da- eigenthümliche

Ansetzn des Kanons auf dem Glauben an Christum beruht, wie Eie sich leicht überzeugen können, wenn Sic einen Blick

in seine Dogmatik werfen.

Dieses

Ansetzn des Kanons mögen Sie nun aber fassen, wie Sie wollen, den Grund unseres Glaubens an Chri­ stum kann cs 2tz»c» nicht mehr abgeben, und auch

Joh. 5,45 können Sie nicht mehr so erklären, als ob daselbst gelehrt würde, der Glaube an Moses sei der Grund

des

Glaubens an

Christum.

Dennoch

scheinen Sie die Stelle so zu erklären, und hin und her behaupten Sic

in Ihrem Sendschreiben bald in,

direct, bald direct, die Schrift sei der Grund unsereGlaubens an den Erlöser.

Sehen Sic nun selbst zu,

wie Sie sich mit sich selbst in Uebereinstimmung brin­ gen, vermögen Sie es aber nicht, so gestehen Sie sich, daß die bedeutendste Differenz zwischen Ihnen und Schlcicrmachcr zunächst diese ist, daß Schleier, machcr weiß, was er will, und sich selbst gleich bleibt. Eie aber nicht wissen, was Sic wollen, und voller Widersprüche sind.

Was aber das Verhältniß

des

Alten Testaments zum Neuen betrifft, so ist gewiß, daß Sie darüber Schlcicrmachcrs Anschauung nicht theilen.

Dieser nämlich glaubt, daß das Neue Testa«

ment die Norm unsers Glaubens ist, dem Alten Te, stamcnte dagegen gesteht er manchen Werth zu, nur B

Nicht diesen.

Daß er aber so über die Testamente

urtheilt, kann Ihnen keinen Augenblick verborgen blei­ ben, wenn Sie seine Dogmatik ansehen, und mir we­ nigstens ist unbekannt, daß er in seinem Sendschrei­ ben an Lücke anders urtheilt.

Denn wenn er auch

fragt: was wird uns die Kritik noch bringen in Be­ zug auf unsern Ncutcstamentischen Kanon? wenn et auch darauf gefaßt ist, daß über die Verfasser der hei­ ligen Schriften und über die Inspiration als eine be­ sondere Wirkung in Bezug auf den Kanon sich das Urtheil noch ganz anders stellt in unserer Kirche, alt es sich bisher festgestellt hat, so ist doch nicht einzuse­ hen, wie ihn dieses hindern müßte, die Ncutcstamcntischen Bücher für das Regulativ aller unserer Glau­ benslehren zu halten.

Aber warum hält er nun da«

Alte Testament nicht auch für die Norm des christli­ chen Glaubens? Zuerst ohne Zweifel, weil seine exe­ getisch-kritischen Studien ihn gelehrt haben, daß de, christliche Glaube im Alten Testamente nicht enthalten ist, daß dasselbe also auch nicht die Norm sein kann für den christlichen Glauben.

Sodann ohne Zweifel,

weil das Neue Testament, die Norm auch seines Glau­ bens an den Herrn, ihm den Resultaten seiner das Alte Testament betreffenden Studien nicht nur nicht widerspricht, sondern sie sogar bestätigt.

Denn was

das Gesetz anlangt, so erklärt das Nene Testament

cS

für etwas

Zwischcneingeschobenes,

Gnade und der Wahrheit,

das

mit der

die in dem Herrn erschie,

ncn sind, nichts gemein habe,

von den Propheten

aber wird es doch gewiß nicht mehr sagen, als es von demjenigen sagt, der mehr war, denn ein Prophet, nämlich daß der Kleinste im Himmelreiche größer sei, denn er, oder daß er von dem, was das Eigenthümlieh-Christliche ausmacht, auch nicht das mindeste habe. Zuletzt ohne Zweifel, weil es, auch abgesehen von sei­ nem Verständnisse des Alten Testamentes

und abge­

sehen von den Belehrungen des Neuen Testanicntes über das

Alte,

seiner ganzen Auffassungsweise des

Christenthums schlechthin widerspricht, eine Norm des Christlichen vor dem Christenthume auch nur für mög­ lich zu halten. anderer

Sie, mein sehr geehrter Herr, sind

Meinung.

Ihnen

ist

das

Alte Testament

ewig das Nene und das Neue zugleich auch das 2(1(6 und beide sind Ihnen auf gleiche Weise Richtschnur des christlichen Glaubens.

Warum?

Zuerst,

weil

wenn auch nicht Ihre, doch Hengstenbergs exegetischkritische Studien Sie lehren, daß der christliche Glaube im Alten Testamente enthalten sei, sodann, weil Chri­ stus und die Apostel nach Ihrer Exegese das Alte Te­ stament als Norm

des

christlichen Glaubens aufstel­

len, zuletzt, weil nach Ihrer ganzen Weise, das Chri­ stenthum aufzufassen, es Ihnen keine Schwierigkeiten

B?

20 haben mag,

eine Norm des Christlichen

Christenthume anzunehmen.

vor

dem

also

mit

Sie stehen

Schleiermacher auf demselben

Grund

und

Boden,

und wenn Sie beide doch nicht übereinstimmen, so liegt der Grund nicht im Principe, sondern nur in der verschiedenen Fähigkeit, dem Principe gemäß die christ­ liche -ehre zu

entwickeln.

Sie schließen beide auS

Christi und der Apostel Lehre, aus der Anschauung dessen, was das Alte Testament enthält, und aus der Analogie des Glaubens.

Wo also hier ein Grund­

fehler in der Schleiermachcrschen Theologie sein sollte, der in der Ihrigen nicht wäre, will mir nicht deutlich werden. Wenn Sie den vermeinten Grundfehler aber gar Unglauben an Gottes Wort nennen, so wird von selbst vollkommen klar, daß Sie in den Tag hinein mit ganz unbegründeten Beschuldigungen tapfer um sich werfen.

Doch das ist Leuten von Ihrer Fröm­

migkeit wohl schon öfter begegnet, seltener, Gott sei Dank, ist die Art und Weise, wie Sie Ihren Be­ schuldigungen einen recht grellen Anstrich bemüht sind.

zu geben

Sagen Sie mir, warum bringen Sie

Schleiermachers Frage an Lücke und dessen Altersge­ nossen hierher, da er sie doch macht, wo er von dem Derhältnisse des alten SchöpfungS« und Wunder-Be­ griffe« zum gegenwärtigen Stande der Naturwissen­ schaft redet? Wie schief schon dadurch alles gestellt

21

wird, >vas Schkeiermacher gesagt hat, fühlt und sieht jeder. Und nun erst die offenbaren Verdrehungen in der sonst bloß recht angenehm, schauerlich klingenden bombastischen Tirade von Schleiermacher „Erwachen vor dem aus' Geschichtsforschung und Kritik zusam, mengesetzlen Thiere des Abgrunde-!" Schleiermacher spricht kein Wort von einem Blokirtwerden in der Feste des ewigen Wortes, sondern nur von einem Blokirtwerden hinter einem alten, nicht mehr Stich haltenden Schöpfungs, und Wunder, Begriffe, er spricht kein Wort von einer Aushungerung vom «n, verweslichen LebenSbrodte, sondern nur von einer Aus, hungcrung von aller Wissenschaft, er hat vielmehr kei« nen andern Zweck, als den Gläubigen nachzuweisen, daß sie im Besitze de- unverweslichen LebeuSbrodtes und in der Feste de- ewigen Worte- vollkommen sicher find vor allen Angriffen, und daß es darum wunder, lich wäre, wenn sie sich noch mit alten philosophisch, dogmatischen Formeln alS mit Bollwerken umgeben wollten, die sie bei dem leichtesten Angriffe von Sei, ten der Wissenschaft, wie dieselbe in unserer Zeit sich ausgebildet hat, doch sogleich würden räumen müssen, worauf dann leider schwerlich etwas anderes würde erfolgen sönnen, als daß sie, sich feindlich aller Wis, senschaft gegenüberstellend, zwischen dem Glauben und der Wissenschaft einen Riß machten, der leicht die

22 Gläubigen in die Barbarei und die Wissenden in den Unglauben verführen könnte.

Sagen Sie also, wie

in aller Welt kamen Sie dazu, auf die gehässigste Weise seine Worte und seinen Sinn zu verschieben und zu verdrehen?

Gewiß nicht in dem Lichte des

heiligen Geistes, dessen Sie sich rühmen, sondern ent« weder einen gemeinen Fechterstreich übermüthig füh« rend, oder nothgedrungen sich ein schlechtes Mittel ge­ stattend zu einem freilich des Mittels würdigen Zwecke, nämlich die Ankündigung zu

stützen:

Nun

endlich

werden seine Schüler, Anhänger und anderweitigen Verehrer objectiv gezwungen werden, entweder mit der evangelischen oder der unevangelischen Theologie offen zu brechen! Ich fürchte aber fast, Sie weissagen hier, wie KaiphaS, der desselben Jahres, als Christus ge­ kreuzigt wurde, Hoherpriestcr war, denn es ist schwer, nicht mit einer Theologie zu brechen, die, so gern man sie sonst kann ihren Weg gehen lassen, doch der ernstlichsten Zurechtweisung zu bedürfen scheint, wenn sie weder sich, noch anderen verstehend sich auf den Rich­ terstuhl setzen will.

Ja gewiß, sollte jemand wegen

Ihrer Beschuldigung, Schleiermacher glaube nicht an Gottes Wort, mit irgend jemanden brechen, so bricht er mit Ihnen, und das sicherlich noch viel eher in Beziehung auf Ihre andere Anklage, Schleiermacher glaube nicht an Christum als den schlechthin sündlosen

23 und irthuinsfreien. Anklage?

Denn worauf gründen Sie Ihre

Auf nicht- anderes, als auf eine Frage

Schlciermachers, mit welcher Sie ganz andere Vor« stellungen verbinden, als er.

Denn wenn er fragt,

ob Vorstellungen Jesu nicht religiösen Gehalte- eben so von dem Sein Gottes in ihm afficirt seien, als die religiösen Gehaltes, so will er, wie er sich aus« drücklich darüber erklärt, die Frage nicht darauf ge« richtet wissen, ob es auch irrige Vorstellungen im Er« löser gegeben, sondern darauf, ob angenommen werden müsse, daß Christus über alles eben so, wie über Re« ligiöses, Vorstellungen als absolute Ueberzeugung ge« habt habe.

Schleiermachers Ansicht aber ist, daß Chri«

stus in absoluter Fülle nur alles dasjenige habe und gewähre, was zur Seeligkeit gehört, das Uebrige aber nicht, daß er dieses Uebrige aber auch eben so wenig habe gewahren sollen, als gewahren wollen, und daß er deshalb gar keine Veranlassung gehabt habe, sich darauf zu richten und es sich zu erwerben.

So leug«

net er, daß Christus ein Philosoph gewesen, oder eia Meister in irgend einer der positiven Wissenschaften, oder in irgend einer Kunst im engeren Sinne, und daß er noch irgend etwas anderes geübt und verstau« den habe, als das, was sich unmittelbar auf die Er, weckung der Menschen vom Tode in der Sünde in das Leben der Kindschaft mit Gott bezieht, so daß

24

wenn jemand ein Philosoph werden wolle, er sich zu den Philosophen, wenn ein Historiker, zu den Historlkern, wenn ein Geograph, zu den Geographen, wenn ein Astronom, zu den Astronomen, wenn ein Maler, zu den Malern, wenn ein Poet, zu den Poeten, wenn aber ein begnadigtes Kind Gottes voller Friede und Freude in dem heiligen Geiste, dann zu Christo, dem Herrn und Heilande, halten müsse; wiefern man aber ln keinem Verhältnisse auch nur anfangen kann, tüchtig zu werden, wenn nicht die Gesinnung rein ist, so« fern sei Christus für alle in allen Verhältnissen, und ln alle Ewigkeit der Anfänger und der Vollender aller rechten und wahren Erkenntniß und Thätigkeit. War nun Christus nur dazu berufen, auf dem religiösen Gebiete, auf anderen Gebieten aber nicht, unmittelbar lehrend und bildend thätig zu sein, ist er wirklich nur auf dem religiösen Gebiete unmittelbar lehrend und bildend thätig gewesen, und ist er auf diesem Gebiete absolut der Weg, die Wahrheit und das Leben, ist darum auch jetzt noch und in alle Ewigkeit nichtunprotestantischer und wie ich meine auch nichts un­ christlicher, als wenn ein Gläubiger, als solcher, oder wenn die Gemeine der Gläubigen, als solche, die Philosophen lehren will philosophiren, oder die Bau­ meister bauen, oder die Dichter dichten, oder sonst ei­ nen andern, der auf irgend einem besonderen Lebens-

25 gebiete thätig ist, das nicht unmittelbar dem Leben in Gott durch Christum angehört, wie er seine Thätigkeit einrichten, oder worauf er sie richten müsse, wie soll denn, ich bitte Sie, ein Widerspruch damit gesetzt sein gegen den christlichen Grundsatz, daß Christus ohne Sünde ist und ohne Jrthum? Der Widerspruch wäre nur vorhanden, wenn zugleich behauptet würde und gezeigt werden könnte, zum Freisein von Sünde und Jrthum gehöre aber auch das, durchaus in allen Be« Ziehungen absolut ein Meister zu sein.

Das aber be«

hauptet Schleiermacher eben nicht, und daß ihm könnte die Nothwendigkeit, es zu behaupten, von irgend ei« nem haltbaren Puncte aus demonstrirt werden, glaube ich wenigstens nicht.

Bis Sie uns nun diese Noth«

wendigkcil werden nachgewiesen haben, wollen wir ru« hig dabei bleiben,

daß Jesus im

biblischen Sinne

Gottes Sohn ist und die Kindschast mit Gott alle» Gläubigen giebt, daß er in allen übrigen Beziehungen aber eben so wenig etwas Irriges hat behaupten kön, nen, als etwas Wahres, weil er eben gar nichts darin behauptet hat und hat behaupten wollen, und daß eS deshalb ein tiefes und Alles verwirrendes Mißverständ« niß ist, wenn man Vorstellungen des gewöhnlichen Le« bens, die der Erlöser nicht anders, denn nur als solche gehabt hat und hat haben wollen, und deren er sich niemals ihrer selbst wegen bedient hat, sondern nur

26 dazu, wozu er alles hatte und gebrauchte, für Rcsul, täte seiner absoluten Ueberzeugung, und also für et­ was halten will, das auf seinem eigenen Grund und Boden man sich auch wissenschaftlich aneignen müßte, falls man nicht Christo allen Glauben aufsagen wollte. Und in Beziehung auf Sie besonders

wollen

wir

demnach, bis Sie vns jene Nothwendigkeit werden Nachgewiesen haben, Ihre Behauptung, wir setzten ir< «ge Vorstellungen kosmologischer, oder anderer Natur in Christo, für eine unbegründete, und darum auch Ihr Raisonnement, wer Christo in kosmologischen, oder irgend anderen Dingen einen Jrthum zuschreibe, müsse ihn auch in religiösen Dingen irren lassen, oder für irthumsfähig halten, für ein solches erklären, das auf uns gar keine Anwendung findet.

Ihrer ersten

Frage aber, auf die Sie stolz zu sein scheinen,

setze

ich nun billig diese entgegen: wissen Sie irgend einen Ausspruch Jesu in allen Evangelien aufzutreiben, der irgend eine kosmologische, physikalische, oder sonst eine Vorstellung nicht religiösen Gehaltes erweislich als eine wahre oder falsche

zum Bewußtsein

bringen will?

Dann Ihrer Behauptung, auf welche Eie sehr stolz zu sein scheinen, setze ich nun billig diese entgegen: Die Exegese mögte ich doch sehen, die uns darthun ttnntc, Jesus habe des Teufels und der Engel in solchen Ausdrücken erwähnt, daß aus diesen selbst klar

27 hervorginge, er habe damit eine andere, als eine kos, mologische VoHellnng des gewöhnlichen Lebens aus, drücken wollen, eine solche, die wir genöthigt seien, durch don Glauben an ihn und seine Wahrhaftigkeit in unsere wissenschaftliche Ueberzeugung aufzunehmen, oder die wir wohl gar mit seiner Religionslehre in Verbindung setzen dürften.

Von der zweiten Frage

aber, auf welche Sie am meisten stolz zu sein schei, nen, und deren „Beantwortung Ihnen nicht nur daS Unwissenschaftliche der Schleiermacherschen Tendenz, Al, les dem Subjecte zu überlassen, sondern auch zugleich Schleicrmachcrs Unglauben nicht nur an die ganze heilige Schrift, sondern ganz besonders auch an die Aussprüche Jesu" scheint darthun zu müssen, die Sie sich also ganz besonders für Schleiermacher ausgedacht haben, von dieser Frage erwarten Sie augenscheinlich nicht etwa nur viel zu viel, sondern alles zu viel. Denn wenn nun ein Gläubiger in Verlegenheit darü, ber käme, wo er in den Reden des Herrn die Grenz« etwa des zum Ackerbau und zur Gärtnerei Gehörigen, oder des Grammatischen, oder des Physikalischen und Kosmologischen auf der einen und des Religiösen auf ver andern Seite suchen sollte, und Bedenken trüge, sich den Aussprüchen der Kenner, oder seiner eigenen Beurtheilung anzuvertrauen, so würde das objective Kriterium ihm doch niemals fehlen, da es. für ihn in

Christo enthalten ist.

Nämlich wo der Herr irgend

etwas eigentlich lehrend abhandelt, da wird dieses ge­ wiß etwas Religiöses sein, was er aber niemals di­ daktisch behandelt und was nicht aus dem von ihm didaktisch Gegebenen mit Nothwendigkeit folgt, das wird auch gewiß nichts Religiöses sein, weil alle-, waS zur Religion gehört, entweder geradezu von Christo gelehrt, oder nothwendig aus seinen direkten Lehren zu folgern sein muß für jeden, der an ihn glaubt als an den einigen Heiland und Seeligmacher aller derer, die da feelig werden.

Und rein aus diesem Kriterium

behandelt Schleicrmacher in seiner Dogmatik auch die Lehre von dem Teufel und den Engeln.

Hoffentlich

werden Sie dasselbe aber für ein objectives Kriterium in dem Sinne müssen gelten lassen, daß es nichts dem Subjecte überläßt sondern alles dem Herrn. Ich bitte Sie, sehen Sie nun doch Ihre unge­ heuren Behauptungen noch einmal an, sehen Sie an die Art und Weise, wie Sie zur Rechtfertigung der­ selben Schleiermachers eigene Aeußerungen benutzt und mit dem Lichte des heiligen Geistes beleuchtet haben. Wahrlich, ich für meine Person würde zweifeln, ob Ihre bis

hieher

anschaulich

SchleiermachcrS Aeußerungen

gemachte Kunst,

au«

„handgreiflich nachzu­

weisen," was Sie einmal „nach Ihrem besten Ver­ mögen zu urtheilen rücksichtslos herausgesagt haben,"

29 einer Erhöhung fähig wäre, wenn Sie selbst mich nicht lehrten, daß Sie selbst sich noch zu übertreffen im Stande sind.

Denn wo Sie nun über Schleier-

machers „Unfähigkeit" reden,

gehen Sie so weit,

Ihre Beschuldigung, Schleiermachcr betrachte das ganze Christenthum, den Begriff des Glaubens, der Erlö­ sung, der Kirche als etwas, das ganz in seiner Hand stehe und nach seinem Begehren sich ins Unendliche ausdehnen lasse, „handgreiflich" daraus herzuleiten, daß er, wo er die Rationalisten zur christlichen Kirchengemeinschaft rechnet, sich der Wendungen bedient: „ich mögte gern zeigen" — „ich wollte recht-viel Raum machen." — Dieser Nachweis, höchstgcehrtcr Herr, macht Ihnen höchst wenig Ehre, denn Schleier­ machers „ich mögte gern" „ich wollte" bezieht sich offenbar nicht auf das Christenthum, sondern auf die Fähigkeit, dasselbe darzustellen, wie es eben ist, und so lange eine feste und klare Ueberzeugung und die Kunst, eine solche Ueberzeugung klar auszusprechen, nicht absolut einerlei sind, so lange wird sich jeder über jede Richtung, die ihm christlich zu sein scheint, unbedenklich eben so äußern können, als Schleierma­ cher über die rationalistische sich geäußert hat, er wird unbedenklich sagen können: dies und das gehört zum Christlichen, ich mögte auch gern zeigen, daß es wirk­ lich dazu gehört u. s. w., ohne damit sich, oder an«

30 deren, die geringste Willkür in der Bestimmung dessen, was christlich ist, zu gestatten.

Nicht wahr?

sehr

handgreiflich ist der Mißgriff, den Sie gemacht haben, wie Sie auch, nur leider unkrästig, selbst scheinen ge« fühlt zu haben.

Die Beschuldigung selbst aber macht

Ihnen auch keine Ehre, denn

streng so genommen,

wie Sie sie geben, ist sie, einem Manne gemacht, der irgend weiß, was ein Begriff ist, ganz sinnlos, was ich Ihnen billig nicht erst auseinandersetze.

Indessen

wollen Sie auch, wenn ich Sie recht verstehe,

sich

nur auf Ihre Weise recht stark zuerst dagegen äußern, daß Schleiermacher den Begriff des Christlichen wci« 1er faßt, als Sie, indem er den Rationalismus unter denselben subsumirt.

Aber so lange es kein Frevel

gegen die Wahrheit ist, wenn man nicht mit Ihnen übereinstimmt, so lange sollten Sie doch Ihrem Zorne Zügel und Gebiß anlegen, und lieber ruhig den De, «eis versuchen, daß Christenthum und Rationalismus sich feindlich gegenüberstehen, als mit polternden Re« denSarten dareinschlagen, bewiescn wird.

wodurch bekanntlich nichts

Auf dem Standpuncte, den Sie in

Ihrem Sendschreiben einnehmen — sonst aber kenne ich nichts von Ihnen — ist aber schwerlich mit Jh« nen über die Sache zu sprechen.

Sie nennen näm«

sich Rationalismus, mag es nun unter sich selbst Zu« sammenhang haben, oder nicht, alles dasjenige, was

31

Ihnen entgegen ist, und unterscheiden sich so sittlich und wissenschaftlich nicht im geringsten von denjenigen, die auf einer anderen Seite alles, was nicht in ihren winzigen Kram paßt, mit fanatischer Wuth als My« sticisrnus verwerfen und verfolgen. Mit diesen über den Mystieisrnus und mit Ihnen über den Rationa« lisrnus reden, so lange Sie nicht beide einen höheren sittlichen und wissenschaftlichen Standpunct in dieser Beziehung einnehmen, wäre das Leerste und Vergeb, lichste, was ich zu denken vermag. Und so scheine ich mir hier an dieser Stelle vollkommen genug zu thun, wenn ich Ihnen vorhalte, daß nach Schleiermachers Sendschreiben derjenige ein Glied der christlichen Kirche mit gutem Rechte zu nennen ist, der den Glauben hat an Christum, älS an seinen und der ganzen Welt Erlöser und Seeligmacher, und in diesem Glauben des Herrn Willen thut, nicht derjenige, der eine Fer, tigkeit hat, theologische Formeln zu bilden und zu eombiniren, und wenn ich Ihnen bemerke, daß nach meiner Meinung diese Erklärung den Rationalisten aU lerdingS sehr günstig ist, günstiger aber Ihnen und allen, die mit Ihnen dieselbe Stufe der theologischen Bildung innehalten. Sodann aber scheinen Sie sich gar nicht darein finden zu können, daß Schleicrma« cher für nothwendig hält, in einer Dogmatik den De, griff der Erlösung so lange im weitesten Sinne »u

32 fassen, bis die ©teile kommt, an welcher klar gemacht werden kann, in welche Grenzen er wolle eingeschlos­ sen werden.

Diese Methode billige ich sehr,

denn

sie läßt nicht zu, daß man über irgend eine theologi­ sche Richtung im Voraus den Stab breche, aber ich will es Ihnen doch nicht zu hoch anrechnen, daß Sie dieselbe

nicht auch

billigen.

Daß Sie aber,

wo

Schleiermacher es beklagt, daß er seiner Methode zu­ wider schon in der Einleitung seiner Dogmatik den Begriff der Erlösung viel enger zusammengezogen habe, als nöthig gewesen wäre, wo er auf eine, jedem an, deren, als Ihnen, gewiß ganz unverfängliche Weis« zu erkennen giebt, er sei in diesen Fehler nur ver, fallen, weil er sich zu sehr mitten im christlichen Grund, gefühl gehalten,

wo

er mehr hätte

über demselben

stehen sollen, daß Sie daraus für ihn die merkwürdi, gen Folgerungen machen, er bekenne unverhohlen, das Christliche finde sich nur deswegen in seiner Dogma­ tik, weil ihn der Heidelberger Katechismus zu fest ge­ halten habe, und

er erkenne an, daß er nur gegen

seinen Willen und gegen sein Gefühl sich der Wahr­ heit genähert habe,

daß Sie also, was lediglich von

der Methode zugestanden ist, auf den Inhalt transponiren, dieses mögen Sie sich selbst zu gut halten, wenn Sie können, ich für meine Person kann Sie nicht dabei unterstützen, selbst dann nicht, wenn Sie

33 auch nachträglich noch recht deutlich erklären wollten. Sie hätten fa hier so wenig, wie sonst anderwärts, das Christliche und die Wahrheit auf der einen Seite und Ihren individuellen Standpunct zu beiden auf der andern Seite für irgend verschieden zu halten im Sinne gehabt.

Am wenigsten aber kann ich unge,

rügt lassen, daß Sie zum Schlüsse Ihres Sendschrei­ bens mit einer gar sehr kleinen Dosis fleischlicher Er­ regung, die sogst Gottes Sache so gern zur eignen mache, und mit einer bedeutend größer» Dosis falscher Bedenklichkeit und Nücksichtsnahme, in die Sie durch Ihre und auch »»derer geistliche Schwachheit verführt seien, renommiren.

Ja, renommiren, sage ich, denn

waS Sie sich in Wahrheit hätten zuschreiben können, ist dieses, daß Sie die eigxne Sache in die göttliche metamorphosirt und ohne alle christlicher Liebe und Weisheit wesentliche Bedenklichkeit und Rncksichtsnahme bis aufs äußerste geschmäht haben. Doch genug.

Ich fasse Ihnen nur noch meine

Meinung von Ihrem Sendschreiben kurz zusammen. Sie haben längst, Gott weiß woher, vorausgesetzt, Schleiermacher sei ein Ungläubiger, und hätten Ihr« VvmuSsetzung längst gern „zu Handen aller Gläubi­ gen" ausgesprochen.

Wie »her hätten Sie ei aus­

führen tzillen? Etwa Schleicrmachers Predigten rettn* flrend? oder sein« Dogmatik? Nun so wäre es auch

§

34

möglich gewesen bei Ihrer Kunst, Schleiermachcrs Aeußerungen zu benutzen und mit dem Lichte des hei­ ligen Geistes zu beleuchten, aber doch nicht ohne eigen­ thümliche Schwierigkeiten, die Sie vielleicht noch lange nicht würden überwunden haben. Da nun erschienen die Sendschreiben an Lücke und Ihr Entschluß war gefaßt. Wie hätten Sie auch ertragen sollen, daß Schleiermacher im vollen Bewußtsein seiner Ueberle« gkkheit diejenigen seiner Gegner, die auch die Ihrigen find, mit so liebenswürdiger Milde zurechtweist, und daß er so scharf diejenigen zeichnet, die ihm von der andern Seite auch nicht scheinen zu Hütern des hei­ ligen Grabes auscrsehen zu sein! Wie hatten Sie es unbenutzt lassen sollen, daß et feine Dogmatik zugleich rechtfertigt und Preis giebt durch «in und dasselbe, durch die Dorzeichnung der vollkommneren Dogmatik, die nach der seinigen und durch die seinige an das Licht kommen wird! Also die Sendschreiben maßten Sie Ihren Absichten dienstbar zu machen suchen. Aber Sie haben nur bewähren können, daß auch die kühnste Ungeschicklichkeit nicht kann, was der kühnsten Kunst unmöglich ist. Sie haben nur bewahren können, daß sich aus einer Rede dadurch nichts herausholen läßt, daß man frisch darauf los etwas ihr Fremd« in fir hineinlegt, und so ist und bleibt Ihr ganz« Send­ schreiben Ihre gerechte Strafe, ein« gegen Sie zen-

35 gende und Schleiermacher

unberührt lassende Reihe

grober Mißverständnisse, oder ungeheurer Uebertreibung gen.

Schlimm ist,

daß Ihnen ein solches Opus

möglich war, schlimmer, daß Sie, während Sie sich #o einer Rede Ihres Nächsten, die Sie gar selbst als plan und allgemein verständlich rühmen, so arg ver, sündigen, sich ohne alle geziemende Bedenklichkeit und Rücksichtsnahme ein Bewegtsein vom heiligen Geiste zuschreiben.

Und damit Gott befohlen!

Schweriusburg bei Anclam im Juni 1S30.

Ludwig Jonas evangelischer Prediger.