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German Pages 344 Year 1977
Linguistische Arbeiten
50
Herausgegeben von Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner
Semantik und Pragmatik Akten des 11. LinguistischenKolloquiums Aachen 1976 Band 2 Herausgegeben von Konrad Sprengel, Wolf-Dietrich Bald und Heinz Werner Viethen
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1977
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Linguistisches Kolloquium Akten des 11. [Elften] Linguistischen Kolloquiums Aachen 1976 [neunzehnhundertsechsundsiebzig]. - Tübingen : Niemeyer. (Linguistische Arbeiten ;. ..) Bd. 2. ->·Semantik und Pragmatik Semantik und Pragmatik / hrsg. von Konrad Sprengel... - 1. Aufl. - Tübingen : Niemeyer, 1977. (Akten des 11. Linguistischen Kolloquiums Aachen 1976 ;Bd. 2) (Linguistische Arbeiten ; 50) ISBN 3-*84-10275-6 NE: Sprengel, Konrad [Hrsg.]
ISBN 3-484-10275-6 Max Niemeyer Verlag Tübingen 1977 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany
INHALTSVERZEICHNIS
1.
SEMANTIK
WERNER ABRAHAM: Noch und schon als polare Satz3 funktoren JOACHIM BALLWEG: Vorgänge und Vorgangsverben . . . . 21 ISTVÄN BÄTORI: Psycholinguistische Informationsverarbeitung 31 HELMUT FROSCH: Zur Behandlung von Reflexivkonstruktionen in der Montague-Grammatik 43 ROBERT THOMAS KING: Meaning postulates and semantic representation 55 EKKEHARD KÖNIG: Zur Syntax und Semantik von Gradpartikeln . 63 MANFRED PINKAL: Zur Semantik ad-adjektivischer Phrasen 71 1 FRANCOISE POURADIER DUTEIL: Un essai d application de l'analyse actantielle a la description de la nominalisation en Francais moderne 81 BURGHARD RIEGER: Vagheit als Problem der linguistischen Semantik 91 MANFRED VON RONCADOR: Zur Linguistik der intensivierenden Ausrufe 1O3 MARIE-THERESE SCHEPPING: Semantische Analyse der
Verben der optischen Wahrnehmung am Französischen . KONRAD SPRENGEL: Semantische Merkmale und Universalien am Beispiel der Verwandtschaftswörter
115 135
HEINZ W. VIETHEN: All, any, each, every und generisches a 147 MONIKA WESEMANN: Einige Bemerkungen zum dänischen SPassiv 157 RAINER WIMMER: Einige Thesen zur Unterscheidung von Semantik und Pragmatik 165 MAGDALENA ZOEPPRITZ: Kasuserkennung 175 2.
PRAGMATIK
ERNST APELTAUER: Drohen WOLFRAM BUBLITZ: Deutsch aber als Konjunktion und als Modalpartikel
187 199
PETER DENGEL / ULRICH SCHECK: Linguistische Aspekte des Verkaufsgesprächs
211
VI
RUDOLF EHRET / JÜRGEN WALTHER: Rhetorische Strategien und Redetechniken 221 HARTWIG FRANKENBERG: Verbale Interaktion als Interferenz von praktischen Schlüssen 233 AXEL HÜBLER: Analyse und alles über and all und alles 243 HUBERTÜS OPALKA: Zum Verhältnis von Intonation und Abtönungspartikeln 255 FOLKER SIEGERT: Argumentationsanalyse 267 WILLY VANDEWEGHE: Fragen und ihre Funktionen 277 REINHARD WONNEBERGER: Relokution, negativer Sprechakt und wo der Römerbrief anfängt 287 DIETMAR ZAEFFERER / HANS-GEORG FRENZ: Kindliches Sprechhandeln in relevanten Situationen 297 WERNER ZILLIG: Bewerten und Bewertungsdialog 309 ALBERTO ZULUAGA: Pragmatisch fixierte Ausdrücke 319 VERZEICHNIS DER AUTOREN
331
INHALTSVERZEICHNIS
ZU BAND 1
Vorwort 1.
THEORIE
PETER FINKE: Eine Sneed-Matrix für die Linguistik . . FRANZ JOSEF HAUSMANN: Strukturalismus in der Lexikographie des 18. und 19. Jahrhunderts GÜNTHER ÖHLSCHLÄGER: Regel - Regelformulierung Regelbeschreibung SVEN FREDERIK SAGER: Zur Empirie in der Linguistik . RUDIGER SCHREYER: Missing links 2.
IX 3 15 27 37 49
PHONOLOGIE UND MORPHOLOGIE
JÜRGEN ESSER: Zur expliziten Darstellung von Wortstellung und Intonation . . . . . FRITZ PASIERBSKY: Amorphe Strukturen im deutschen Sprachbau DIETER STEIN: Intrakorpuskulare Diachronie ALFRED WOLLMANN: Präferenzregeln in der englischen Phonologic
59 69 79 89
3.
SYNTAX HANS ALTMANN: Wortstellungstypen des Deutschen und Kontrastierung 99 JOHN F. DAVIS: Subject-object-verb concord in Luiseno 111 GÜNTHER DEIMER: If-Antworten auf WH-Fragen 119 JÜRGEN LENERZ: Zum Einfluß des "Agens" auf die Wortstellung des Deutschen 133 JESUS PEREZ-ALONSO: Numerus und Deixis 143 RÜDIGER ZIMMERMANN: Perzeptuelle Vereinfachung als Quelle sekundärer Subjektivierung 151
4.
SPRACHVARIANTEN UND KONTRASTIVE LINGUISTIK
BARBARA ENGELS: Der steigende Einfluß des amerikanischen Englisch auf die deutsche Zeitungssprache in "Die Welt" (1954 / 1964) COLIN FOSKETT: Valency theory and contrastive linguistics CHRISTOPHER HABEL: Ein formales Modell zur Beschreibung von Sprachvariationen
165 175 183
VIII
MATTHIAS HARTIG: Soziolinguistik und Sprachwandel . . 195 KRYSTYNA PISARKOWA: Abweichung und Kreativität in der Umgangssprache 2O7 ULRICH PliSCHEL: Bemerkungen zum Objektbereich einer Theorie des Sprachwandels 215 FRITJOF WERNER: Zur statistischen Beschreibung der Sprachvariation . . . . . 227 5.
SPRACHERWERB UND SPRACHUNTERRICHT
HELGA ANDRESEN: Selektionsfunktion von Sprachnormen in der Schule am Beispiel der Rechtschreibung . . . . 237 WOLFGANG HERRMANN: Paradoxien des Unterrichts . . . . 247 LUDGER HOFFMANN: Aspekte einer Untersuchung der Sprache von Kindern im Vorschulalter 257 ERIKA HÜLTENSCHMIDT: Genetische Psychologie, Linguistik und Fremdsprachenunterricht 265 MEINERT A. MEYER: Beziehungen zwischen Sprachphilosophie und Sprachdidaktik 279 JOCHEN PLEINES: Kasusgrammatik und Fremdsprachenunterricht? 289 INGEBORG SINGENDONK-HEUBLEIN: Zur Grammatik frühkindlichen Sprechens 3O1 WOLFGANG SUCHAROWSKI: Syntaxmodelle und GrammatikUnterricht 313 6.
NEUROLINGUISTIK
KARL GLONING: Untersuchungen zur Lexikonorganisation an Aphatikern 327 CLAUS HEESCHEN: Aspekte der Lateralisierung von Syntax und Semantik 331 WALTER HUBER: Lexikalische Performanz bei Aphasie . . 341 GÜNTER PEUSER / ANGELA FRIEDERICI: "Fehlerindex" und "ESPA"-Analyse ,
357
HARTMUT POTT: Linguistische Aspekte zu aphasischen Syndromen 367 FRANZ J. STACHOWIAK: Störungen der semantischen Organisation des Lexikons bei Aphasie . . . . . . . . 377 DOROTHEA WENIGER / WALTER HUBER: Der Einfluß von lexikalischer Spezifität auf die Konstruktion von Sätzen bei Aphasie 389 VERZEICHNIS DER AUTOREN
4O1
1.
SEMANTIK
NOCH
UND
SCHON ALS POLARE SATZFUNKTOREN
Werner Abraham
1.
Die folgende Vortragsfassung ist aus einer größeren Untersuchung über die
(nicht nur temporale) Verwendung von noch, schon, erst, bis und bevor (ehe) zusammengestellt. Ich beschränke mich liier auf die temporale Verwendung von noch und schon als
Satzfunktoren.
Zu noch und schon liegt vor allem die Arbeit von Doherty (DOHERTY 1973) vor, die auf der Grundlage der generativen Semantik arbeitet und in die Analyse vor allem den klassischen Präsuppositionsbegriff zur Beschreibung dieser Satzpartikel verwendet. Daß diese Thematik aufs neue aufgegriffen wird, rechtfertigt sich vor allem aus der Überzeugung, daß der von Doherty eingeschlagene Beschreibungsmodus unbefriedigend ist:
so vor allem deswegen, weil in die
Graphen, die die semantische Struktur von Sätzen mit noch und schon beschreiben sollen, sowohl Assertions- wie auch Präsuppositionsteil in nicht deutlich zu scheidender
Weise aufgenommen werden. Daneben bleiben die prinzipiellen
Schwierigkeiten mit den semantisch-syntaktisehen Repräsentationen
etwa
Lakoffscher Prägung bestehen, solange keine Interpretation im Sinne der Modelltheorie dazugefügt wird. Darüber hinaus gilt aber für Dohertys Arbeit,wie ich noch zeigen werde, der Einwand, daß nur zum Teil eine befriedigende Beschreibungsadäquatheit mit ihrer Arbeit vorliegt. 2.
Was sind die Bedingungen für die Verwendung von noch und schon? Wählen
wir zur Verdeutlichung folgende Situation: A. fährt mit dem Auto von Oberösterreich (00) über Salzburg (s) nach Norden. Im Blickpunkt steht die unmittelbare Umgebung des Grenzübertritts zwischen den Bundesländern.
Situation A:
S
Situation A kann adäquat durch folgende Sätze beschrieben werden: (l)
A. ist schon in Salzburg.
(2)
A. ist (gerade) nicht mehr in öberösterreich.
Situation B:
(3)
A. ist (gerade) noch in Oberösterreich.
(4)
A. ist noch nicht in Salzburg.
Diese Beschreibungsformen lassen sich mithilfe der Negation noch erweitern, worauf ich später zurückkomme. Wesentlich ist die Präge, wie der Beitrag von noch - auf das ich mich zuerst konzentrieren will — und schon zur Bedeutung eines Satzes zu fassen ist.
Diese Präge will ich so umformulieren: Was sind
die Bedingungen, unter denen ein Satz wie ( 1 ) wahr ist? Als Prüfstein dieser Bedingungen gilt mir der Vergleich mit dem entsprechenden Satz ohne noch. (5)
Der Wagen von A. ist noch nicht in Salzburg.
(6)
Der Wagen von A. ist nicht in Salzburg.
Sicherlich gelten für beide Sätze eine bestimmte Menge gleicher Wahrheitsbedingungen: Die beiden Sätze sind wahr genau dann, wenn der Wagen von A. zum Referenzzeitpunkt tatsächlich nicht in Salzburg ist.
Sie sind unter jeder an-
deren, dieser einen widersprechenden Bedingung falsch. Die in ( l ) implizierte oder suggerierte Erwartung, nämlich daß der Wagen von A. in kurzer Zeit in Salzburg sein wird (oder eigentlich bereits dort hätte sein sollen), ist nicht Teil der
W a h r h e i t s b e d i n g u n g e n von noch, da ein Satz wie
(5) und der Ausdruck über die gegenteilige Erwartung zu (5) intuitiv keine Kontradiktion ergeben. Vgl. (?)· (7)
Der Wagen von A. ist noch nicht in Salzburg, und er wird auch gar nicht so weit kommen.
(8)
Der Wagen von A. ist noch nicht in Salzburg, und es gibt wohl niemanden, der ihn dort schon erwartet hätte.
Vergleiche dazu auch (9) bzw. (10) und (11). (9) (10)
Hans ist noch müde. Hans ist noch müde, und er wird immer müde sein, denn er i.st blut-
arm.
(11)
Hans ist noch müde,, und es wurde auch nicht erwartet, daß er uns jetzt schon helfen könnte.
Man vergleiche speziell zu ( 9 ) t was nicht in einem Atemzug gesagt werden kann, ohne daß man sich dem Vorwurf des Widerspruchs aussetzt. (12) Hans war eben nicht mehr müde, aber jetzt ist er noch müde. /(13)\ * Bis zum Abendessen war Hans nicht müde, aber seither ist er noch immer müde. Wir müssen also zwei Sorten von Anwendungsbedingungen von noch unterscheiden: solche der Gegenerwartung — die Textheuristik weist aus, daß es s i b e l
u n p l a u-
wäre, noch ohne Vorliegen solcher Implikaturen zu verwenden. Zu
einer anderen Sorte von Anwendungsbedingung führt der Kontradiktionstest: hier werden
i m p l i z i e r t e
T a t s a c h e n b e d i n g u n g e n
her-
ausgeschält. Für die Beschreibungszwecke hier, bei denen wir uns auf die Semantik beschränken, möchte ich die eher flüchtig pragmatische Information der skizzierten Sorte ausklammern. Damit soll nicht gesagt werden, daß diese Teile der Verwendungsbedingungen von noch uninteressant wären; sie können vielmehr innerhalb des komplexen Handlungsmusters, das durch jede Äußerung für alle Diskursteilnehmer neu ausgelegt wird, wesentliche Teile der Anwendungsbedingungen von Sätzen wie (7) und (9) darstellen. Die Frage ist
nur,
wieweit diese Bedingungen von noch alleine diktiert sind, d.h. wie global sie in die Semantik von noch einzugehen haben und mit welchem Grad von Verbindlichkeit sie Handlungskonsequenzen zu Äußerungstypen mit noch charakterisieren. (7) - (13) geben einen Hinweis darauf, daß ein bedeutender Unterschied zwischen den Kontradiktionstests über die Erwartung und über die tischen Ereignisse vor der Referenzzeit
fak-
in den noch-Sätzen besteht. Ich
möchte mich deshalb bei der Beschreibung dieser Bedingungskomplexe auf diese wahrheitsfunktionalen Konsequenzen beschränken, die einklagbar sind im Sinne der logischen Kontradiktion. Wir haben mit den Wahrheitsbedingungen oben noch keine gültige Unterscheidung der eigenständigen Bedeutung von noch herausarbeiten können. Sehen wir uns zu diesem Zwecke noch weitere Sätze, nämlich (14) und (15) (14)
Irene wird den See noch überqueren.
(15)
Der Jockey]"
an
·
[noch ein größeres Rennen gewinnen.
l ICcLllIll
(.muß J Zu den Verwendungsbedingungen von (14) gehört, daß es zu einem zukünftigen Zeitpunkt (wahrscheinlich) der Fall sein wird, daß Irene die Seeüberquerung schafft; ähnlich gehört zu den Verwendungsbedingungen von ( 1 5 ) » daß es möglich ist,
daß der Jockey ein größeres Rennen gewinnt. Wenn wir nun die
ent-
sprechenden Sätze zu (14) und (150 ohne noch ansehen, nämlich (16) und (1?), dann sind die weiteren Wahrheitsbedingungen auszumachen. (16)
Irene wird den See überqueren.
(17)
Der Jockey muß ein größeres Rennen gewinnen.
Was (14) von (16) unterscheidet ist, daß (18) nicht gleichzeitig mit (14) behauptet werden kann, daß (14) und (18) kontradiktorisch sind; (16) und (18) hingegen sind durchaus (18)
nicht widerspruchlich
zueinander. n Irene hat schon (einmal) den See überquert.
Ähnliches gilt für (15) und (1?)· Da im Gegensatz zu noch der Satzoperator wieder eine Feststellung wie die in (18) notwendig impliziert, verbietet sich die Kookkurrenz von wieder und noch so wie in (19)· (19)
Irene wird den See noch wieder (/wieder noch) überqueren.
Was also noch in Sätzen wie (14) und (15) an Wahrheitsbedingungen zu den Verwendungsbedingungen noch hinzufügt, ist, daß für eine Zeitdauer bis zum referierten Zeitpunkt des beschriebenen Ereignisses etwas nicht der Fall gewesen ist. Ein Satz wie (14) ist demnach vor allem dann falsch, wenn Irene vor diesem Zeitpunkt den See bereits einmal überquert hat. Ähnlich ist
(15) unter der
Bedingung falsch, daß der Jockey ein größeres Rennen bereits gewonnen hat, und (5) ist
falsch, wenn der Wagen von A. zum Zeitpunkt der Referenz schon
in Salzburg ist. Daraus ergibt sich, daß zu den relevanten Verwendungsbedingungen von noch in den Sätzen ( 5 ) , ( 1 4 ) und(l5) gehört, daß die beschriebene Handlung zu jedem einzelnen Zeitpunkt, die vor der Referenzzeit liegt, nicht eingetreten ist. Für (9) dagegen gilt, daß die beschriebene Handlung zu jedem Zeitpunkt bis zum Referenzzeit punkt eingetreten war. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die nach den Sätzen ( l ) - ( 5 ) , ( 9 ) , (14) und (15) i n die semantische Repräsentation von noch in diesen Verwendungen eingehen müssen, können wir in den folgenden Graphiken noch einmal veranschaulichen (t
.....
Zeitpunkt des Sprechakts; t 1 ....
durch das Satztempus referiert wird.) für ( 9 ) : Hans ist noch müde.
für
(14)*
für (20):
Zeitpunkt, auf den ^
p
"^ _P "***
t' ='to P "V
Irene wird den See noch über-
f
queren.
t ...
t _P ~^20_ "
t ...
to
Peter kommt noch.
.
t' P 20
für (5)5
Der Wagen von A. ist noch nicht in Salzburg.
für (21):
t...
t' = t
t...
t' = t
Es regnet noch nicht.
für ( 2 2 ) : Um Mitternacht war der erwartete Gast noch nicht eingetroffen.
t
o
—r 22 *~7>
t ...
Es liegen nach den verschiedenen Zeitlinienrepräsentationen
t'
t
oberflächlich ge-
sehen 3 Typen von no ch-Ve rwendungen vor: Typus 1 vertreten durch (9): ähnelt Typus 3f nur ohne Negation; nennen wir diesen Typus noch.. Typus 2 vertreten durch (14) und (20): nennen wir diesen Typus noch,.,. Typus 3 vertreten durch (5),
(21) und (22) [mit Negation; vgl. Typus 1],
Es sei nun _g eine Übersetzung in die formale Semantik spräche, 0 ein Satzoperator und ~~ P die Proposition derart, daß gilt: er =,del"™" „OP. -— Noch — (g) ist die Ubersetzung jener Sätze des Deutschen in die Semantiksprache, die durch noch modifiziert werden. (23) ist dann ein Bedeutungspostulat für die Modifizierungsoperation noch(q), hier spezieller in der Verwendung für (14) und (20) [Typus 2: noch,, "|. (23)
(¥t')(¥t:t < t ' ) ( 3 t : t
S t ' ) [ n o c h2 ( q ( t ' )) « (
Datei gilt: t * ist jener Referenzpunkt, der bestimmt ist durch das Tempus des durch noch modifizierten Satzes·, t^
ist die Sprechaktzeit. N o c h ( q ( t ' ) ) ist zu
denken als Punktion, die Propositionen (zum Beispiel q ( t ' ) ) auf Propositionen (z.B.
noch(q(t ' ) ) ) abbildet. Diese Punktion hat den Wahrheitswert wahr nur
dann, wenn für alle Zeitpunkte früher als t/ gilt: _£[, und wenn ferner C[ gilt zum Zeitpunkt t/. In allen anderen Fällen ist der Wahrheitswert der Punktion n o c h ( q ( t ' ) ) falsch. Prüfen wir jetzt die Erweiterungsmöglichkeiten dieses Bedeutungspostulats auf Sätze mit dem Puturum als Instantiierung für _0. Konkrete Vorlage dazu sei Satz (14) (mit den beiden in Anm. 2 diskutierten Lesarten). (14)
Irene wird den See noch überqueren.
Wenn wir das Zeitauxiliar für _0 instant i ieren, so gilt folgendes Postulat. (24)
( ¥ t ' ) ( V t : t < t ' X a V ^ o S t ' )fnoch 2 (wird(P(t ' ) ) « (-^(t)
P(t'))]
Die Wahrheitsbedingungen für dieses Postulat bzw. die Wahrheitsbedingungen dafür, daß noch Satzskopus über einen mit wird modifizierten Satz hat, sind die: (9) ist wahr genau dann, wenn für alle Zeitpunkte früher als t/ nicht der Fall gewesen ist, daß P, und wenn zum Zeitpunkt t/ der Fall ist oder sein
8 wird, daß P. Wenn wir alle Variablen durch die entsprechenden Teile der Äußerung in (14) ersetzen, erhalten wir (25). (25)
( ¥ t ' ) ( ¥ t : t < t ' ) ( 3 t o s t o S t')[noch 2 (lrene wird den See überqueren ( " t ' ) ) » (-,(Irene hat den See überquert(t))
A
(Irene hat den See über-
3
quert(t'))] Im Falle von (15) müssen die entsprechenden (epistemischen oder deontischen) Modalausdrücke statt wird eingesetzt werden. Prüfen wir nun das Aussehen dieses Bedeutungspostulats für einen Fall mit Satznegation. Dazu kann uns Satz (5) dienen, der zu Typ 1 gehört. (5)
Der. Wagen von A. ist noch nicht in' Salzburg.
Die semantische Übersetzung ist
(26). Dem Unterschied zum Typus in (23) ist
im unterschiedlichen Subskript von noch, nämlich noch. Rechnung getragen. (Man vergleiche die Zeitliniendarstellung oben!) (26) ( V t ' X v t i t *. t ' ) ( 3 t o : t Q * t ' ) [noch., (nicht q ( t ' ) ) „ (nicht P ( t )
A
A nicht(P(t')))1 Oder mit den passenden Ersetzungen: (27) ( ¥ t ' ) ( ¥ t : t ^ t ' H g t :t a t ' )[noch(nicht(der Wagen von A ist in
S. ( t 1 ) ) o (nicht(der Wagen von A. ist in S . ( t ' ) )
nicht(der Wagen
von A. ist in S . ( t ' ) ) ) ] (27) sagt also nicht mehr und nicht weniger, als daß der Wagen von A. in der Vergangenheit (unmittelbar vor dem Referenzpunkt) nicht in Salzburg war und im Moment auch nicht ist
— der formale Ausdruck stimmt mit unserer Intuition
über die Semantik von Sätzen wie (5) überein. Noch-Verwendungen vom Typ 3 schließlich sind in Übereinstimmung mit (26) geregelt insofern, als die beiden Konjunkte im rechten Teil des Bikonditionals positiv assertiert sind. Man vergleiche dazu ( 9 ) » Hans ist noch müde. (20) ( V t ' ) ( V t : t ^ f ) ( g t o : t o = t ' ) [ n o c h 1 ( q ( t ' ) ) „ ( P ( t ) A P ( t · ) ) ] (29)
( V t ' ) ( V t : t & t')(3t o :t o = t')[(noch(Hans ist müde(t')) o ((Hans ist müde (t)·)
A
(Hans ist m ü d e ( t ' ) ) ) ]
Als Schibboleth für die noch-Verwendungen des Typs 1 und 3 kann noch immer, für jene vom Typ 2 noch einmal, letztlich noch, letztlich doch noch gewählt werden. Damit läßt sich die Mehrzahl der Lesarten, die oft in Polysemie bei einer einzigen phonetischen Form eines Satzes vorliegen, deutlich erkennbar machen. (30)
Franz wird noch in der Wiener Oper singen.
(31)
Franz wird noch, immer in der Wiener Oper singen.
(32)
Franz wird noch? einmal (/schließlich (doch) noch») in der Wiener Oper singen.
Die Unterscheidung von zwei noch-Bedeutungen wird hier, soweit ich sehe, das erste Mal vorgeschlagen. So geht die ausführliche Diskussion von Doherty (DOHERTY 1973 ) von einem einzigen Lexem noch aus, ebenso K*dnig (KONIG 1976; 1977)· Sie ist offenbar innerhalb der diachronischen Entwicklung nicht zu motivieren. Vielmehr ist eine einzige Wurzel des Adverbs anzunehmen, zurückgehend auf got. nauh "noch" aus nu "jetzt" + -h, zu lat. -qae "und, auch". Die Grundbedeutung war demnach immer "auch jetzt", durchaus entsprechend der in allen Beispielen einsetzbaren Erweiterung von noch., nämlich noch immer. Sie erweist sich demnach intuitiv — und wie noch zu zeigen wäre, auch aufgrund des Bedeutungspostulats von auch — in Übereinstimmung mit der semantischen Repräsentation. Man kann dies noch einmal anhand der Paraphrasen verfolgen, die schließlich zur Formulierung des Postulats geführt haben. Eine in den frühen Stadien bereits entwickelte noch^-Bedeutung ist hingegen nicht zu finden, und noch viel weniger läßt sich eine spätere Entwicklung von noch? aus noch., aufgrund der Anwendungsbedingungen nach (23) bzw. (28) erschließen. Es besteht nach diesen Gesichtspunkten keinerlei JChnlichkeit. Daß noch
sich
dennoch als späte Spaltung aus noch... unter bestimmten Bedingungen erklären läßt, diskutiere ich an anderer Stelle (ABRAHAM 1977)· 3.
Negationssyntax
Zuerst die Skopusfolge — nicht ,noch; „, . (33a) Irene wird nicht noch schwimmen. (33b)
Irene wird nicht doch noch schwimmen.
(33c)
Irene wird nicht noch immer schwimmen.
Ich habe Zweifel, ob man (33a) jemals so verwenden wird, d.h. ob man nicht eher Irene wird nicht mehr schwimmen sagen wird. Die Tatsache, daß die Umformung von (33a) im Sinne von (33b) und (33c) gelingt, spricht für eine zugrundeliegende Verstehbarkeit und Wohlgeformtheit von (33a). Akzeptabel sind hingegen für mich (33b) mit der Paraphrase mit nicht noch einmal, (33c) mit der Paraphrase mit nicht immer weiter. (33b) und (33c) können wie gesagt gemeinsam paraphrasiert werden mit nicht mehr. (34a)
Irene wird nicht noch kommen.
(34b)
Irene wird nicht doch noch kommen, (s.v.w. nicht mehr)
(34c)
Irene wird nicht noch immer kommen,
(iterativ!)
(34c)
mit dem perfektiven kommen ist nur iterativ zu verstehen, und zwar wie
(34b)
in der nicht-mehr-Version.
Man vgl. dagegen die entsprechenden Sätze mit dem imperfektiven schwimmen.
10 «p
(35a)
'Irene ist nicht noch geschwommen.
(35b)
Irene ist nicht doch noch geschwommen.
(nicht mehr)
(35°) (36a)
Irene ist nicht noch immer geschwommen, *? 'Irene ist nicht noch gekommen.
(nicht mehr) -
(36b)
Irene ist nicht doch noch gekommen.
(nicht mehr)
(3.6c)
Irene ist nicht noch immer gekommen.
(nicht mehr)
(36c) kann nur iterativ verstanden werden und hat ohne Bedeutungseinbuße auch die nicht-mehr-Paraphrase.
Negation mit der Skopusordnung noch nicht; (37a)
Irene wird nich nicht schwimmen.
(37b)
Irene wird letztlich doch noch nicht schwimmen.
(s.v.w. noch immer nicht)
(37c)
Irene wird noch immer nicht schwimmen.
(noch immer nicht)
(38a)
Irene wird noOh nicht kommen.
(38b)
Irene wird letztlich doch noch nicht kommen,
(380)
Irene wird noch immer nicht kommen.
(39a)
Irene ist noch nicht geschwommen,
(39*>)
Irene ist
(39c)
Irene ist noch immer nicht geschwommen.
(40a)
Irene ist noch nicht gekommen.
(40b)
Irene ist letztlich doch noch nicht gekommen,
(40c)
Irene ist noch immer nicht gekommen.
(noch immer nicht)
letztlich doch noch nicht geschwommen,
Was dazu auffällt ist,
(noch immer nicht)
(noch immer nicht)
daß es zu den analytischeren Paraphrasen der beiden
noch-Bedeutungen — in den jeweiligen (b)- bzw- (c)-Versionen (die übrigens jeweils voll akzeptabel sind) — gleicherweise nicht-mehr-Paraphrasen gibt, und zwar bei der Skopusstruktur nicht noch. Bei der Skopusstruktur noch nicht ergeben sich für die analytischeren Versionen jeweils die gemeinsamen Paraphrasen mit noch immer nicht. Diese
Beobachtung mag zu der ersten oberfläch-
lichen Generalisierung führen, daß sowohl für die nicht noch-Syntax wie für die noch nicht-Syntax ohne Unterschied, ob noch, oder noch,., verwendet wird, jeweils eine gemeinsame diskrete Interpretation vorliegt, nämlich im ersten Fall nicht mehr und im zweiten Pali noch immer nicht. Dieser Eindruck nährt sich vor allem,wenn man die noch immer nicht-Strukturen näher untersucht: sehen wir uns dazu einmal die Serie (37) an. (37b) kann grob so dargestellt werden: -,q(t)
A_,q(t')>
und dasselbe gilt für (37c). Bei der anderen Skopus-
struktur jedoch geht diese Prüfung nicht auf. Vergleichen wir dazu (34)!
11
(34b) muß übersetzt werden mit -,q(t) A —,q( t ' ) , (34c) hingegen mit q ( t )A ^ _ , q ( t ' ) , also unterschiedlich. Nicht mehr in (33) - (36) ist also homonym aufzufassen mit den beiden Lesarten, die jeweils in den (b) und (c)-Versionen dargestellt sind und mit den logisch verschiedenen Repräsentationen, wie sie eben dargestellt wurden. Hingegen ist die noch immer nicht-Lesart durchaus eindeutig, jedenfalls im Sinne der wahrheitsfunktionalen Repräsentation, und die (b) und (c)-Versionen von (37) - (40) sind in diesem Sinne synonym. Wahrheitsfunktional betrachtet besteht weiterhin Synonymie zwischen den (b)-Versionen von (33) - (36) und den (b)- und (c)-Versionen von (37) - (40), nämlich —,q(t) ^-^(t 1 )· Dieses läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: bei Negation innerhalb der Domäne von noch? ebenso wie bei noch innerhalb der Domäne der Negation geraten wir in den Definitionsbereich von noch.. ... (b)-Versionen (41) n o c h g ( n i c h t ( q ( t ' ) ) ) nicht(noch 2 (q(t'))) noch.(nicht(q(t'))) ~™^"^^~ l ™^^™^^^^
(Vt:t s
(c)-Versionen präsentiert sich also in einer asymmetrischen Verwendung. Positiv verwendet hat es eine von noch, verschiedene Semantik, negiert jedoch verschmelzen die wahrheitsfunktionalen Anwendungsbedingungen. Man könnte auch sagen, daß noch- eine Verwendung hat, die von der Hauptsemantik von noch, nur in einer ganz bestimmten Distribution abweicht, in anderen dagegen in die Semantik von noch, zurückschmilzt und daher eine eigene Lexemausbildung diachronisch nicht gerechtfertigt hat. Ich möchte hier nicht mehr als die Annahme aussprechen, daß die noch?-Verwendung später entstanden ist oder daß sich ev. diese Verwendungsmöglichkeit in jüngster Zeit entwickelt hat. Dies muß sich im Englischen — das zeigt die deutliche Trennung der Semantiken von yet und still — prinzipiell anders entwickelt haben. Die verschiedenen noch-Verwendungen unter Einfluß von Satznegation werden in (23) und (42)-(46) unten noch einmal zusammengestellt. (23)
^
noch2 ( q ( t ' ) )
»
(»tit < t ' )[-fl(t)
< (*')]
(42) _1noch2 ( q ( t ' ) )
o
(»t :t g t ' )[_,q(t)
noch^-flit·))
»
(Vt:t ^
(46) _£och1 ( q ( t · ) )
«
(gttt < f ) [ q(t) AHq(t')]
A
-^(t' )]
(43) (44) (45)
Nicht mehr läßt sich unter Bezug auf diese Bedeutungspostulate dann ebenfalls desambiguieren. Es gibt ein nicht mehr im Sinne von (42) (man könnte es auch das nicht nochp—nicht mehr nennen),und es gibt ein nicht mehr im Sinne von
12
(46) (das (47) (48)
nicht noch..-nicht mehr) ·. nicht mehr 2 (g(t')) nicht mehret·))
„ «,
(?t:t * -t')G-fl(t) ( 3 t:t < t ' ) [ q(t)
- ?(*')] -,q(t')];
vgl. (42) vgl. (46)
4· Die Bedeutung von schon 4·1·
Gehen wir von den folgenden Sätzen aus:
(l)
A. ist schon in Salzburg.
(4)
A. ist noch nicht in Salzburg.
(51)
Peter hat den Film schon gesehen.
(52)
Peter hat den Film noch nicht gesehen.
Zu den Wahrheitsbedingungen von (4) und (52) gehört, wie wir gesehen haben, daß zu allen Zeitpunkten einer Zeitdauer in der (für diesen Text relevanten) Vergangenheit bis zur und unter Einschließung der Gegenwart A. nicht in Salzburg war bzw. Peter den Film nicht gesehen hat. Im Gegensatz dazu sagen (1) und (51) offenbar, daß nicnt für alle Momente in der Vergangenheit bis zur Gegenwart gilt, daß Peter den Film nicht gesehen hat. Dies wird bestätigt etwa durch die Paraphrase zu ( 5 1 ) » nämlich (53). (53)
Es ist nicht mehr der Fall, daß Peter den Film nicht (= nie) gesehen hat.
Oder zu (1): (54)
A. ist nicht mehr nicht in Salzburg.
(Vgl. Situationsskizzen A und C)
Die Paraphrase, die also zur eigentlichen Bedeutungsrepräsentation von (51) in der Semantikspräche führt, muß offenbar folgendermaßen lauten: (55)
Es gibt einen Zeitpunkt in der Vergangenheit, zu dem Peter den Film gesehen hat, und es gibt mindestens einen anderen früheren Zeitpunkt, zu dem er den Film nicht gesehen hat. _P
P
1
t
t'
to
Betrachten wir dazu noch einmal die Wahrheitsbedingungen für (51) und den entsprechenden Satz ohne schon. (56)
Peter hat den Film gesehen.
Während (56) offenbar kompatibel ist mit (57)t gilt dies für (51) sicher nicht. Die Unvereinbarkeit tritt deutlich zutage, wenn wir (51) noch etwas
13 deutlicher formulieren, nämlich Peter hat den Film schon früher (einmal) gesehen. (57)
Peter hat den Film (damals = zum Zeitpunkt des referierten Aktes) zum ersten Mal gesehen. (für alle t:t < t 1 ) (Peter hat den Film nicht gesehen (t)
Peter
hat den Film gesehen ( t ' ) ) Dies kommt auch heraus in den folgenden Vergleichen: mit nur einmal wird offenbar eine mit schon unverträgliche Spezifizierung indiziert. (58) (59)
Peter hat den Film nur/erst einmal gesehen. Peter hat den Film schon nur/erst einmal gesehen.
Ohne nur-Einschränkung ist
schon wohl verträglich mit der
Angabe von Malen
dieser EreignisCharakteristik. (60)
Peter hat vorher den Film gesehen und hat ihn dann wieder gesehen.
(61)
Peter hat vorher den Film gesehen und hat ihn dann schon wieder gesehen.
Vergleichen wir, um sicher zu gehen, noch andere Tempusverwendungen. (62) (62)
ist, (63)
Peter hat schon geschlafen. genau betrachtet, zweideutig mit den folgenden Lesungen: Peter ist schon wach s.v.w. die Zeit seines Schlafens ist schon vorbei.
(64)
Peter war schon eingeschlafen s.v.w. der Zustand seines Schlafens war schon eingetreten.
für beide Lesarten gilt jedoch gleichermaßen — und dies bestätigt das bisherige Ergebriszu schon —, daß der in (63) und (64) beschriebene Zustand vor dem Referenzzeitpunkt begonnen hat. Wenn wir als Propositionsvariable für beide Lesarten _P_ verwenden, dann ergibt also sich wieder, daß die Verwendung von schon in Sätzen wie (62) inkompatibel
ist mit (65).
(65)
(Vt:t < t ' ) P ( t )
Dieselbe Bedingung, die zur Konstitution der Wahrheitsbedingung führt, gilt für die folgenden Sätze (man vergleiche dabei jeweils die Versionen ohne schon). (66)
Er schläft schon.
(67)
Er schlief schon.
Für die bisher exemplifizierten Verwendungen von schon läßt sich also die folgende Verwendungsbedingung als Bedeutungspostulat festlegen. (68)
(Vt')(3t:t < t')(3t o :t o * t ' ) [ s c h p n ( q ( t ' ) ) «* (-,P(t)
A
14 Die Semantik für den speziellen Satz (51) folgt dann folgendermaßen: (69)
(¥t)( 3 t:t < t ' X g t :t
Ä t')rschon(Peter hat den Film gesehen(t')) «*
o [(Peter hat den Film nicht gesehen(t))
(Peter hat den'.Film ge-
sehen(t'))] Die Bedeutung ist nur definiert für Fälle, in denen 0 ersetzt werden kann durch Satzoperatoren wie PERFEKT, nicht aber durch FUTURUM, epistem./deont. Modal oder NEG (daher in (68) P_ und nicht c[). D.h. (68) ist
Undefiniert
für
die folgenden Sätze. ?? (70) ''Es ist schon so, daß Peter den Film nicht gesehen hat. (71) (72)
??
SCHON(NICHT(P))
'Es ist
??
schon so, daß Peter auf dem Weg nach Luzern sein wird.
SCHON(WIRD(P))
' ' E s ist schon der Fall, daß Peter nach Luzern aufgebrochen sein dürfte.
SCHON(DURFTE(P)) Schon hat in all diesen Fällen hier nicht die zeitliche Bedeutung, von der wir hier ausgegangen sind, sondern eine im Sinne eines gegenbehauptenden Kontrastakzent setzenden Elements, und zwar gegenüber einer vorher gemachten gegenteiligen Behauptung. Hingegen sind die entsprechenden Versionen mit schon innerhalb des Skopus dieser Satzoperatoren akzeptabel. (73)
Es ist nicht so, daß Peter den Film schon gesehen hat. 1TICHT(SCHON(P))
(74)
Es wird (morgen) so sein, daß Peter schon auf dem Weg nach Luzern
WIRD(SCHON(P)) (75)
Es dürfte so sein, daß Peter schon nach Luzern aufgebrochen
ist.
DÜRFTE(SCHON(P)) Man vergleiche nun die nur schwer akzeptable, aber verständliche Version (76) — die engl. Entsprechung ist durchaus akzeptabel! — mit der gebräuchlichen in (78).
(76)
Es schüttet draußen nicht noch (immer).
(77)
It isn't still raining cats and dogs.
(78)
Es schüttet draußen nicht mehr.
"Es ist nicht mehr der Fall, daß es draußen schüttet"(für (78)) hat aber auch die folgende Entsprechung: "Es hat draußen schon aufgehört zu schütten". Demnach muß die Semantik für (76) und (77) äo^iivalent sein mit der Semantik von schon bzw. already. Der Zusammenhang bestätigt sich auch durch Vergleich der Bedeutungsp ostulate. (79)
nicht mehr(cr(t·)) « ( 3 t:t < t ' ) [ q ( t )
A
ist.
15
(79) ist identisch mit (48)1 also nicht mehr,, und mit (68), der (wahrheitsfunktionalen) Gebrauohsbedingung von schon. 5«
über den Zusammenhang zwischen noch und schon
In der Arbeit von Doherty (DOHERTY 1973) fehlt ein formal bewertbarer Nachweis der Zusammenhänge zwischen noch und schon, vor allem deswegen weil die unterschiedlichen Syntaxen, die mit dem Skopus von Satzoperatoren bzw. noch und schon zusammenhängen, nur durch einen ungenügenden Testapparat zur Diskussion gekommen sind. Bei König (KONIG 1977: 17f«)»der explizit ebensowenig auf diese Polaritätsbeziehungen eingeht, sind m.E. diese linguistischen Zusammenhänge deswegen nicht in die Kalkülsprache übertragbar, weil die Anwendungsbedingung für schon über Zeitpunkte n a c h dem Referenzzeitpunkt definiert wird [vergleichbar bei uns: ( g t ' t t < t')(gt":t" Ä t')]· Für noch (ausschließlich noch.!) hingegen werden wie in meiner Analyse vor dem Referenzzeitpunkt liegende Zeitpunkte charakterisiert. Eine Beziehung ist somit formal kaum denkbar. Hier läßt sich offenbar das folgende nachholen. Betrachten wir die Sätze (80) und (81): (8 ) Ich bin überrascht, daß A. nicht schon in Salzburg ist. (81) Ich bin überrascht, daß A. noch nicht in Salzburg ist. Anhand der Paraphrasen (82) und (83) lassen sich die jeweiligen Geltungsbereiche von noch und schon inbezug auf die Negation in (80) und (8l) feststellen. (80&) Ich bin überrascht, daß es nicht der Fall ist, daß A. schon in Salzburg ist. (31 a) Ich bin Überrascht, daß es noch (immer) so ist, daß A. nicht in Salzburg ist. (82) hingegen scheidet offenbar aus. /nn\
(82;
??
''Ich bin überrascht, daß es schon der Pali ist, daß A. nicht in Salzburg ist.
Nun gilt jedenfalls Synonymie zwischen (8 ) und (8l). Die semantische Übersetzung für (80) und (81) ist gleichermaßen: (8öb)
nicht schon(p(t')) „ (gt 1 :^ = t')(*t:t & ±'){-f>(-t)
A_,P(t
f
)]
(8lb; noch1 nicht(P(t')) ·» (·&'** = t')(»t:t * t')[-nP(-t) A-?(*')] Dies kommt auch gut dadurch zum Ausdruck, daß beide Sätze gleichermaßen für das englische (83) stehen können. (83) I am surprised that Peter isn't (as) yet in Salzburg.
16
Die jeweiligen Übersetzungen von (80) und (8l),^80b) und (81>), in die Semantiksprache rechtfertigen dann das folgende Bedeutungspostulat. (84)
-,schon(P(t')) o noch1 -.(p(tQ)
Aus (84) kann formal (85) abgeleitet werden. (85)
schon(P(t')) »-joch^-jCtO)
Die Gültigkeit von (85) wird durch die sprachliche Intuition bestätigt. (86) (87)
Das Glas ist schon ausgetrunken = Das Glas ist nicht noch immer unA. ist schon in Salzburg
ausgetrunken. = A. ist nicht noch immer in 00.
Dieselben zwei Beziehungen gelten zwischen yet und already. Man vergleiche die Version mit already, die (83) entspricht. (88)
I am surprised that A. isn't in Salzburg already.
Eine Zusammenfassung dieser Beziehungen stellt Tab. 0 dar. Nur anspielen will ich auf die Erfahrung, daß unter Studenten z.B. des Ungarischen Verwirrung darüber entsteht, daß die Entsprechungen von "noch" und "schon" scheinbar austauschbar sind. Dies ist natürlich nicht der Fall;vielmehr macht diese Sprache lexikalisch gerechtfertigt von den Bedeutungsbeziehungen Gebrauch, die ich im Deutschen zwischen noch und schon aufgezeigt habe. Man vergleiche ungar. mär "schon" : mär nem "nicht mehr" (noch heißt m6g!). RUSS, jej&o "noch; schon" trennt, wenn ich dies richtig sehe, nach Aspekt und Tempusgesichtspunkten. Dies ist im Deutschen ebenfalls ein Beschreibungsgesichtspunkt (ich gehe jedoch darauf hier nicht ein (ABRAHAM in Vorb.)X Ferner gilt das folgende Bedeutungspostulat. (89)
schon(nicht m e h r ( P ( t ' ) ) ) * nicht mehr (noch immer(P(t')))
Dieses Postulat sowie (84) und (85) werden auf Grund der folgenden Paraphrasen plausibel. Ich gehe aus von zwei Gegensatzpaaren, nämlich schlafen gegenüber wach sein sowie schütten gegenüber nicht-schütten. (90) Er ist schon nicht mehr wach = Er ist nicht mehr immer noch wach *p
(91)
Er hat schon begonnen (ein) zu schlafen
·? (92) 'Er hat schon aufgehört wach
zu sein (bleiben)
= 'Er hat aufgehört immer noch nicht (ein) zu schlafen
? = 'Er hat begonnen nicht mehr immer
noch wach zu sein (bleiben)
(Mit dem hochgestellten Fragezeichen signalisiere ich "ungewohnte Formulierung, aber verstehbar bei analytischem Bemühen"). Es zeigt sich in den Beziehungen zwischen (90) - (92), daß der Zeitoperator nicht mehr in enger inkorporierbarer Beziehung steht zu ingressive>n bzw. egressiven Verbalen.
17 Tabelle C 3 Charakterisierungstypen (1)| ι
...
(2)Π
... Faktischheit des Ereignisses in der Zeit;
(3)
Erwartung zum Ereigniseintritt;
Proximit t/Distalit t der EreignisCharakteristik inbezug auf den Zielpunkt
quivalenzen sind ablesbar zwischen: 1-5 vgl. (89), (8lb); 2-4 vgl. (79)» (46),(48); 3-5 vgl. (80b),(8lb),(84); 3-7 vgl. (41).
τ -\
LJ
2: SCHON ALREADY
1: NOCH. STILL (28), (44)
,
3:
(68)
,;
,/
NICHT SCHON NOT ALREADY (80b),(84)
I I NOCH1 NICHT NOT YET STILL NOT (26), (41), (45) (8lb)
ι
ι
U-J
4: NICHT NOCH., NOT STILL (46)
t"
6: NICHT MEHR (NICHT NOCH,) NO LONGER NOT ANYMORE (48)
Tabelle C
NICHT MEHR (NICHT NOCHj (NOCH» NICHT) NIE MEHR NIMMER MEHR (41),(42), (43),(47)
NOCH2 YET (23)
18
Anmerkungen 1
Ich lege an anderer Stelle (ABRAHAM 1377) dar, daß der Bedeutungsanteil, der der Implikatur der Gegenerwartung bei der noch-Verwendung ztkommen kann, wahrscheinlich zur spezifischen nocju-Bedeutung des heutigen Deutsch geführt hat. Es gilt also auf jeden Fall, aie über verschiedene Testserien herausschälbaren Bedeutungskonstitutiven in die Beschreibung miteinzubeziehen, aber gut zu differenzieren zwischen den Graden und Sorten von Verpflichtungen, die sich an die Konstitutiven knüpfen (konkret oben zwischen P l a u s i b i l i t ä t s a n s p r u c h u n d einem T a t s a c h e n a n s p r u c h ). Siehe dagegen die nichtdifferenzierende Behandlung bei König (KONIG 1976 und 1977)· 2 Nach einer bestimmten Interpretation ist (14) mit (18) allerdings wohl unwidersprüchlich: Man stelle sich (14) als Kommentar vor, während sich Irene gerade schwimmend auf dem See befindet und offenbar allen Ernstes den Versuch macht, das andere Ende zu erreichen. Wie später gezeigt wird, erfüllt dieser Sachverhalt die Interpretationsbedingungen von noch ebenso wie die Lesart, an die primär bei den Beispielsätzen (14) und (18) gedacht wurde: nämlich daß der Versuch der Seeüberquerung erst begonnen wird. Beide Lesarten - sie unterscheiden sich dadurch, wie die Ereignisse im Zeitablauf betrachtet werden: als ganze, integrale Eigenschaften von Zeitpunkten auf der Zeitlinie oder als zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Teile der Gesamtereignischarakteristik erfüllend -genügen der Bedingung, daß bis zum Zeitpunkt der Tempusrei'erenz die Ereigniseigenschaft, daß Irene den See überquert hat, noch nicht wahr ist. Deutlich ist dabei der betrachtete relevante Zeitraum entscheidend: bei der nicht-integralen Lesart von (14) seit Beginn dieses bestimmten Ereignisses, bei der integralen Lesart ohne diese Einschränkung der Zeitlinie. Vgl. (15) zu den Bedeutungsbedingungen von (14)· 3 noch ist unabhängig von allen anderen SkopusbeZiehungen stets in der Domäne des PAST-Operators: PAST(noch(q(t')))· Man vergleiche die folgenden Beziehungen: (1) Irene wird das noch_ schaffen = Irene wird das noch geschafft haben. (2) Irene wird noch immer Karussell fahren = Irene wird noch immer Karussell gefahren sein. Die anderen Tempusfälle machen dies völlig evident. Man denke in diesem Zusammenhang auch an die Etymologie von noch aus nu + —h"and jetzt (auch)", was deutlich Gültigkeit der beschriebenen Handlung vor dem Jetzt impliziert.
Literatur ABRAHAM, Werner (1977): "Temporales noch; woher stammt noch ?" Akten des 3. Dsterr. Ling. Kolloquiums, Klagenfurt Okt. 1976: Joh. Heyn Verlag. DOHERTY, Monika (1973): '"Noch" and "schon" and their presuppositions', KIEFER/RUWET (eds.): 154-177. KIEPER, Perenc/RUWET, Nicolas (eds.) (1973): Generative Grammar in Europe. Dordrecht: Reidel.
19 KONIG, Ekkehard (1976): "Semantische Analyse von noch und schon". Löwen und Sprachtiger. Akten des 8.Ling.Koll., Löwen 19·-22.9.1973, hersg. von R. Kern. Louvain: Editions Peeters. (1977): "Temporal and Non-Temporal Uses of 'Noch' and 'Schon'". Linguistics and Philosophy 1. [Seitenzitate beziehen sich auf die maschinschriftliche Vorlage].
VORGÄNGE UND VORGANGSVERBEN Joachim Ballweg 0. Der vorliegende Aufsatz kritisiert zunächst die Behandlung der Semantik von Vorgangsverben, wie sie in der Generativen Semantik üblich ist; auch ein Vorschlag von DOWTY 1975 im Rahmen einer Erweiterung von Montagues PTQ wird als inadäquat verworfen. Im Anschluß daran wird ein Zeitlogiksystem vorgestellt, das eine Vereinfachung von ÄQVIST/GÜNTHNER 1976 ist, in dem sich Vorgänge adäquat als allmähliche, nicht kontinuierliche Übergänge zwischen Zuständen darstellen lassen. 1.1. Die übliche Behandlung von Vorgangsverben in der Generativen Semantik besteht darin, ein sogenanntes "atomares Prädikat" anzusetzen, das den Übergang zu einem (End-)Zustand bezeichnen soll; es wird meist als BECOME oder als COME ABOUT notiert. Eine Darstellung von z . B . einschlafen wäre dann:
V BECOME
An dieser Art von Strukturen ist von vielen Seiten Kritik geübt worden, am prägnantesten wohl von LEWIS 1972, der diese Strukturen als "Markerese" bezeichnet, da sie ihrerseits ja nicht interpretiert sind; somit läuft das Verfahren der Generativen Semantik darauf hinaus, die Einheiten der zu analysierenden Sprache in die Kunstsprache Markerese zu übersetzen, die jedoch ihrerseits semantisch nicht analysiert wird. Das kann, wie LEWIS meint, höchstens ein Substitut für eine wirkliche semantische Interpretation sein. 1.2. Noch im Rahmen der Generativen Semantik hat deshalb'David DOWTY versucht, eine modelltheoretische Interpretation dieses übergangsoperators anzugeben, die sich anlehnt an die Arbeiten
22
VON WRIGHTS und BECOME analysiert mit Hilfe des "and NEXT-Operators", dessen Wahrheitsbedingungen grob so angegeben werden, daß für zwei Zustandsbezeichnungssätze A und B gilt: N < A , B > ist relativ zu einer Diskurswelt w wahr genau dann, wenn an einem Zeitpunkt t1 A relativ zu w wahr ist, und wenn am n ä c h s t e n Zeitpunkt t 2 B relativ zu w wahr ist. BECOME (X) als einstelliger Operator über zustandsbeschreibenden Sätzen kann aus N nun einfach abgeleitet werden: BECOME (X) = df N < _ , X , x > . 2 1.2.1. Bei genauerer Prüfung macht diese zunächst intuitiv recht einleuchtende Definition allerdings erhebliche Schwierigkeiten: um nämlich die unmittelbare Abfolge von t., und t~ formal streng auszudrücken, müßte man in eine ausführliche Definition von N eine Klausel aufnehmen wie —,(3t A (t,l —it X «=.t£»0 )) , wobei—r=^die vorher-nachher-Ordnung zwischen Zeitpunkten ausdrücken soll. Dies scheint recht plausibel, steht jedoch in Widerspruch zu der Auffassung von Zeit als Kontinuum, die ebenfalls intuitiv einleuchtend ist. Faßt man Zeit aber so a u f , so muß man sie formal als dichte Menge von Zeitpunkten konstruieren, wobei die Bedingung der Dichte lautet: für alle t ^ t . gilt: wenn ^-=. t . , dann gibt es ein t 1 , so daß t.-=. t'-= t . . Dieses Dichtheitsaxiom widerspricht aber klar der oben als Teil einer Definition von "and NEXT" formulierten Klausel. 1.2.1.1. Damit stehen wir vor folgendem Dilemma: entweder wir lassen das Dichtheitsaxiom fallen und können dann "and NEXT" wie oben skizziert definieren, oder aber wir halten an diesem Axiom fest und ersetzen "and NEXT" durch eine andere Art von Ubergangsoperator. Die erste Alternative scheint in einfacher Weise zunächst sehr kontraintuitiv, denn das Wegfallen des Dichtheitsaxioms würde bedeuten, daß Zeit als nicht-dichte Menge von Zeitpunkten aufgefaßt wird, d.h. die Zeit hätte "Löcher", was sehr unbefriedigend ist. Ein Ausweg böte sich allerdings noch in der Form an, daß man die Zeit zwar als dichte Menge von Zeitpunkten beibehält, jedoch in einem nächsten Schritt eine Unterteilung in so etwas wie "wahrnehmbare Zeiträume" vornähme, für die dann keine Dichtheitsforderung mehr zu stellen wäre, wonach der "and NEXT"-Definition nach der oben skizzierten Art nichts mehr im Wege stünde.
23
1.2.1.2. Die zweite Alternative wäre, statt "and NEXT" zur Definition von BECOME zu benutzen, eine andere, sophistiziertere Definition zu geben, wie dies DOWTY 76 tut: BECOME (X) ist relativ zu einer Welt wahr genau dann, wenn es ein t. gibt und wenn es ein t . gibt und wenn t.^ t. und wenn wahr ist.3 für t.J. und für alle t X :t.^.t ^.t J. , und wenn X wahr ist X X für t.. Diese Analyse vermeidet den Nachteil einer Es stellt sich jedoch die Frage nach ihrer siert man mit diesem so definierten BECOME fen-Beispiel, so kann man das Ergebnis mit phik folgendermaßen darstellen: /
/
, t, nichtschlaf
/
i:
nicht-dichten Zeit. Korrektheit. Analyetwa unser einschlaeiner Zeitstrahlgra-
s
schlaf
Wie man an dieser Graphik sieht, analysieren wir einschlafen mit dem so definierten BECOME-Operator sozusagen als plötzliches, punktuelles Umkippen von einem Zustand in einen anderen. Ein Blick auf Beispiele vom Typ Wenn ich gestreßt bin, brauche ich immer mindestens eine halbe Stunde zum Einschlafen. zeigt jedoch, daß eine solche Analyse inadäquat ist, denn sie wird nicht nur den Gegebenheiten nicht gerecht, sondern sie verhindert auch die Kombination von Vorgangsverben mit Zeitdauerangaben. Anstelle des oben definierten BECOME muß also eine Analyse treten, die es erlaubt, Übergänge zwischen Zuständen als allmähliche zu beschreiben. Unser nächster Schritt wird darin bestehen, ein Modell zur Interpretation anzugeben, relativ zu dem eine solche Analyse möglich ist. Wir verwenden dabei ein Zeitlogiksystem, das eine vereinfachte Version der ÄQVIST/GÜNTHNERschen Zeitlogik ist. 4
24
2.1. Modell
2.1.1. w ist die jeweilige Diskurswelt, d.h. die Welt, in deren Individuendomäne Sprecher und Hörer des jeweiligen Diskurses sind. "Welt" darf in diesem Zusammenhang nicht ontologisch überinterpretiert werden; eine "Welt" ist zunächst nichts anderes als ein Mengensystem über einem endlichen Repertoire von Individuen; jedes dieser Mengensysteme ist bestimmt - durch sein Repertoire von Individuen D *s=L D - durch seine Struktur, d.h. durch seine Unterteilung in Mengen von Individuen, Paaren und Folgen von Individuen. 2 . 1 . 2 . D ist die Domäne der Individuen; es gilt: (i)
D
(ü)
D^U D W j U D^U
(iü)
D W 1 U D w 2 U ...
w—
D
... D^
Dwn
-D = Dw
Die "Individuen" sollen hier lediglich durch Identität gekennzeichnete Entitäten sein und dürfen nicht etwa im Sinne eines psychologischen Individuenbegriffes verstanden werden. .D, kann man verstehen als das Grundrepertoire, über dem das Gesamtmengensystem "Modell" konstruiert ist und aus dem die Teilmengensysteme, die wir "Welten" nennen, ihrerseits ihr Grundrepertoire beziehen. 2.1.3. Menge der möglichen Welten W ist die Menge der möglichen Welten, 'deren Elemente mit WQ in der Zugänglichkeits-Relation R stehen. 2.1.4. Zeit Das geordnete Quintupel
ist ein Zeitrahmen, der in 2. ausführlich eingeführt wird. 2.1.5. V ist die Evaluationsfunktion, die Designatoren Individuen,
25
Prädikaten Klassen und Sätzen Wahrheitswerte zuordnet. 2 . 2 . Zeitrahmen 2 . 2 . 1 . Die Dimension Zeit T können wir definieren als eine dichte Menge von Zeitpunkten. Dies können wir formal dadurch ausdrücken, daß wir eine Ordnung über T, der Menge der Zeitpunkte, definieren: < T,-=>
T ^ 0; T ist dabei eine nicht-leere Menge von Zeitpunkten; •^ist eine strikte, lineare, dichte Ordnung über T, die als "vor" zu interpretieren ist, so daß für beliebige t, t 1 , t" in T gilt: (a) t -)£= t (-=ist irreflexiv) (b) wenn t - = t ' und t 1 —= t", dann t—^ t" (—= ist transitiv) (c) t-=rt' oder t 1 — = t oder t = t 1 (-=cist bezüglich t konnex ) (d) wenn t-e^t', dann gibt es ein t", so daß gilt: t-c=rt" und t"-=rt' (-=rist bezüglich T dicht) (e) - für jedes t in T gibt es ein t 1 in T, so daß t«=rt' - für jedes t in T gibt es ein t", so daß t"-=i t Die Bedingungen (c) und (d) reflektieren den Charakter der Dich, te, (e) stellt sicher, daß T in beiden Richtungen unendlich ist. (Von einem noch einzuführenden Sprechzeitraum aus also in Richtung "Vergangenheit" und " Z u k u n f t " . ) 2 . 2 . 2 . Zeitraum
Mit Hilfe von T und der darüber definierten Ordnung-^ können wir die Menge der möglichen Zeiträume T definieren als genau diejenige Untermenge der Potenzmenge über T, deren Elemente t das oben .unter (d) eingeführte Dichtheitsaxiom erfüllen. Unter den Zeiträumen gebe es zusätzlich für jedes Modell einen ausgezeichneten, den Sprechzeitraum, den wir durch t bezeichnen. Damit haben wir jetzt die Möglichkeit, uns bei der Definition von Vorgängen und Zuständen auf Zeiträume zu beziehen.
26
2 . 2 . 2 . 1 . Zwischen Zeiträumen definieren wir die folgenden offensichtlichen Relationen für t
t
iff
l
J
Vt€t (Vt'£f t1
t' iff
t"'))
3t€t ( 3 t ' e t T ( t < t ' ) ) A 3 t " € t steht für: t ist von t 1 distinkt und vor t 1 steht f ü r : t ist von t' nicht distinkt und vor t 1 steht f ü r : entweder -^3 oder 2.2.3.
sei eine Menge von über T definierte Halbordnungen;
t1
ist dabei zu verstehen als "zu t ist P mindestens genau so stark realisiert wie zu t 1 "
Die Relation
hat folgende Eigenschaften:
Für alle t, t 1 , t" in T gilt: (a) t
ist
t ( d . h . -, "M HP II
fcl und £l
(b) wenn t t"
(
IIP
(c) entweder t
I\P HM
(d) wenn t
II p II
ist
reflexiv in T)
üTp^11' dann ist in T transitiv)
i|pHM
t 1 oder t'
llp»M
t oder beides
in T konnex)
1 | M t dann t'
-^r-
H>IIM
M
(e) wenn t
r t « und
M
P, dann
(f)
wenn [
M
27
_
P
und
P, dann
kw,t>
t'
Aufbauend darauf können wir nun folgende Relationen für alle t, t 1 definieren: (D
t1
(2)
(3)
t1
iff
?'
(4)
t'
iff
t
„
„ M·
HP|I
t 1 und t 1 -
Diese vier Relationen sollen heißen, daß zum Zeitraum t in M (1) mehr (2) weniger (3) höchstens eben so sehr (4) genau so sehr realisiert ist wie im Zeitraum t 1 . 2 . 2 . 4 . Relativ zu dem erweiterten Zeitrahmen ,
definieren, wobei W die Menge der möglichen Welten, U einen Individuenbereich, D den Bereich möglicher Denotationen ("Bedeutungen i . e . S . ' ) spezifiziert. £ ist die Menge möglicher Kontexte, wobei ein Kontext € £ jf eine abzählbare Folge der Form f =
< a, b, t,
l, M, x 1 , x 2 , x 3 , . . . >
ist, deren erste fünf Elemente z . B . Sprecher, Adressat, Ort, Zeit und Vergleichsgröße spezifizieren; im weiteren können Angaben unter anderem über die "letzte im Vorkontext übermittelte Information", über den Beruf des Sprechers und über die Artzugehörigkeit des referierten Individuums folgen. V ist eine Wertzuweisungsfunktion, die lexikalischen Ausdrükken «i der Sprache Bedeutungen i.w.S., d . h . Funktionen von Kontexten in Bedeutungen i.e.S. von -H) . Drohen kann demgegenüber als negativ intendierte, hypothetische 'HA' beschrieben werden, bedingt durch das im Vorderteil des Konditional eingeführte Aliokommitment, dessen Nichterfüllung notwendige und hinreichende Bedingung für die Ausführung der angekündigten Sanktionshandlung (Autokommitment) ist. Damit wird unterstellt, daß die Normalform der Äußerungen, mit denen 'DROH' realisiert wird, der Konditionalsatz ist. ( 1 3 ) Wehe, wenn du H machst, dann kannst du was erleben. ( 1 4 ) Wenn du H machst, dann mache ich H' i 'VERSP' bedeutet demnach, 'sich selbst auf eine (H) festzulegen (Autokommitment), die jemandem anderen zugute kommt', 'DROH 1 'sich selbst auf eine (H) festzulegen, falls jemand (H) bzw. (-H) tut (Aliokommitment) 1 , d . h . das mit 'DROH 1 eingeführte Autokommitment gilt für A nur, wenn das Aliokommitment von B nicht erfüllt wird. Mit dem Aliokommitment überträgt A die Verantwortung für die angekündigte Sanktionshandlung B, da dieser nun weiß, daß die Unterlassung der erwarteten Handlung, zu der A B durch die Drohung aufgefordert hat, die angekündigte Sanktion nach sich zieht. Unter diesem spezifischen Aspekt zeigen sich Parallelen zu ' W A R N 1 . Beschreibt man 'WARN 1 als 'AUFF 1 , etwas zu unterlassen (bzw. zu tun), da ansonsten mit bestimmten negativen Konsequenzen zu rechnen ist, so könnte man 'DROH' als Spezialfall beschreiben, bei dem eine negativ bewertete Konsequenz durch A selbst herbeigeführt wird. Es soll auf diesen Zu-
192
sammenhang jedoch nicht weiter eingegangen werden. Festzuhalten ist, daß 'DROH' sich aus zwei Handlungsgrundmustern zusammensetzt, aus 'AUFF 1 und hypothetischer '. Äußerungsformen, mit denen 'DROH' realisiert wird, sind Konditionalsätze, in deren Vorderteil die Aufforderung steht und mit derem zweiten Teil die bedingte Handlung angekündigt wird, die bei Nichterfüllung der durch das Aliokommitment aufgebauten Erwartung, realisiert wird. Dabei geht A davon aus, daß B H genauso negativ bewertet, wie er sie intendiert. 3. Definiert man Handlungen mit v.Wright 1 s Zustandslogik, so lassen sich folgende Typen unterscheiden: 1. A will einen Zustand bewahren (pTp) heißt, der normale Situationsverlauf wäre (pl-p). 2. A will einen Zustand verändern tuationsverlauf wäre ( p l p ) .
(pT-p) heißt, der normale Si-
3. A will einen Zustand hervorbringen (-pTp) heißt, der gewünschte Zustand existiert noch nicht und wird auch nicht entstehen, wenn A nicht durch eine Handlung eingreift (-pl-p). 4. A will einen Zustand unterdrücken
(-pT-p) heißt, es ist
da-
mit zu rechnen, daß, wenn A nicht eingreift, ein bestimmter Zustand entsteht ( - p l p ) . Wright leitet daraus insgesamt 8 Elementarhandlungen ab, 4 sind mit dem 'd-Operator 1 verbunden und bezeichnen ( H ) , 4 mit dem 'f-Operator' (f=forbear) und bezeichnen (-H= Unterlassungen). Da 'DROH 1 immer eine aktive Komponente beinhaltet, werde ich im weiteren nur auf die 'd-Handlungen' eingehen. Nehmen wir an, A sitzt in seiner Badewanne. B hat den Ablauf geöffnet, so daß sie leer läuft. A will, daß die Wanne voll bleibt und droht darum B, damit er den Ablauf wieder schließt. (15) Mach bloß den Ablauf dicht, sonst schlag ich dich! Das entspricht pTp / pl-p. Der Ausdruck ist folgendermaßen zu lesen: A macht, daß B etwas tut, so daß p (Ergebnis), vorausgesetzt, aufgrund des natürlichen Situationsablaufs oder durch
193
das Eingreifen von B, würde -p eintreten. Den erwartbaren Situationsablauf
werde ich künftig als normalen Situationsverlauf
bezeichnen. Aus den situativen Grundbedingungen (plp/ pl-p/ -plpf -pI~P) und den verschiedenen Zielvorstellungen ( (pT-p) , (pTp) , (-pT-p) , (-pTp) von A sind 4 Typen von ' D R O H ' , die ich als Untermuster (UM) bezeichne, ableitbar: UM 1 : 'DROH', um einen Zustand zu bewahren: pTp / pl-p UM 2 : UM 3 : UM 4 :
'DROH 1 , um einen Zustand zu verändern: pT-p / plp ' D R O H 1 , damit ein Zustand nicht entsteht: -pT-p / -plp ' D R O H ' , damit ein Zustand entsteht: -pTp / -pl-p
In einer anderen Situation, die der oberen annähernd entspricht, will B gerade den Ablauf ö f f n e n . A droht, damit B (H) nicht macht (Verbot) , so daß der Zustand (p) bewahrt bleibt. (16) Laß das, sonst schlag ich dich! Handlungsziel ist in beiden Fällen die Bewahrung eines Zustande ( p ) . Je nach Ausgangssituation wird im einen Fall ein 'DROHGEBOT 1 , im anderen Fall ein 'DROHVERBOT' realisiert. 4. Es sollen nun am Beispiel von UM 1 einmal Äußerungs formen zusammengestellt werden, mit denen 'DROHVERBOT 1 und 'DROHGEBOT 1 realisiert werden. Ich möchte dazu von folgenden Beispielsätzen ausgehen. ( 1 7 ) Pumpe weiter, sonst schlag ich dich! (18)
Pumpe /·?*
t weiter, sonst schlag ich dich!
(19) (20) (21) (22)
Du wirst weiter pumpen, sonst erschieß ich dich! Pumpst du (wohl) weiter, sonst schlag ich dich! Wenn du nicht weiter pumpst, (dann) schlag ich dich. Wehe (dir) , wenn du nicht weiterpumpst, dann schlag ich dich. (23) Ich rate dir, pumpe ( j a ) weiter, sonst schlag ich dich.
(24)
Ich warne dich, wenn du nicht weiter pumpst, schlage ich dich.
(25)
Ich verspreche dir, wenn du nicht weiter pumpst, schlag ich dich! 12
(26)
Falls du nicht weiter pumpst, schlag ich dich!
194
(27) Entweder du pumpst weiter oder ich schlage dich l (28) Du pumpst weiter oder ich schlage dich! (29) ? Du kannst aufhören zu pumpen. Aber du mußt dann akzeptieren, daß ich dich schlage. (30) Du kannst aufhören zu pumpen. Doch dann werde ich dich schlagen! Schematisch lassen sich diese Äußerungsformen folgendermaßen darstellen: » (1) entweder du x-t oder/ sonst (2)
l mach [ja Ibloß /
(3)
x-e
(4) (5) (6) (7) (8)
du wirst x-en wirst du wohl x-en x-t du wohl ich rate dir, x-e 13 ich warne dich, x-e
/ja weiter l bloß i
sonst
DROHGEBOTS /0. (9)
/wenn 1 , ( f a l l s j dU (10) wehe, wenn du nicht x-t dann ( 1 1 ) ich warne dich, wenn du nicht x-i (12) Ich verspreche dir, wenn du nicht x-t 1
x 1 ist
eine Handlungsvariable, deren Ersetzung durch Konstan-
ten zu Realisierungen von Handlungstypen führt. Die Anordnung zeigt, daß 'DROHGEBOTE 1 mit ' sons_t-Ergänzungen' einfacher sind als 'DROHGEBOTE' mit 'dann-Ergänzungen', da letztere jeweils noch zusätzlich Negationsworte enthalten. Andererseits enthalten Formen mit 'sonst-Ergänzung 1 ein Negationswort, wenn sie gebraucht werden, um ein 'DROHVERBOT' zu realisieren. Es liegt daher der Schluß nahe, daß Formen mit 'sonst-Ergänzung' Gebote, diejenigen mit 'dann-Ergänzungen' Verbote sind. Eine gewisse Sonderstellung nimmt Form ( 1 ) ein. Das einleitende entweder verlangt eine 'Oder-Ergänzung'. Fehlt der Einleitungsteil, kann auch eine 'sonst-Ergänzung' folgen. Mit 'DROHGEBOT 1 können alle UM realisiert werden, wenn man eine
195 von den 12 Äußerungsformen wählt. Für 'DROHVERBOT1 ergibt sich eine gewisse Komplementarität. Negationsworte stehen nun bei den ' sonst-Ergänzungen' . Zudem gibt es zwei Formen, die elliptisch gebraucht werden und darum aus dem Rahmen fallen: 'Untersteh dich!1 und 'wehe dir 1 . Sie werden hier gesondert angeführt, um ihren Status als vollwertige Äußerungs formen, mit denen 'DROH 1 realisiert werden kann, zu unterstreichen, (11)
entweder
( 2 1 ) mach
*-
(vgl. ( 1 O 1 ) und ( 1 1 ' ) oder
du x-t nicht nicht nicht
weiter
( 4 1 ) du wirst nicht x-en ( 5 1 ) wirst du wohl nicht x-en
sonst
1
( 6 ) x-t du wohl nicht ( 7 1 ) untersteht dich zu x-en (8' ) ich rate dir, x-e nicht DROHVERBOT,,
( 9 1 ) ich warne dich, x-e nicht ( 1 0 1 ) untersteh dich ( 1 1 ' ) wehe dir
( 1 3 ' ) ich warne dich, ( 1 4 ' ) ich verspreche dir,
du x-t du x-t
dann
du x
~t
( 1 5 ' ) wehe, wenn du x-t Die Interaktionsbedingungen für 'DROH 1 lassen sich nun folgendermaßen zusammenfassen: 1. Es gibt eine Situation (p) und einen antizipierbaren Verlauf: pl-p v plp v -plp v -pl-p 2. Es gibt zwei (oder mehrere) Agenten (A, B, . . . ) 3. Je nach zu erwartendem Situationsverlauf will A durch 'DROH 1 eine Situation (p) bewahren, verändern, hervorbringen oder unterdrücken.
196
4. Der zu erwartende Situationsverlauf wird direkt (H) oder indirekt (-H) durch B herbeigeführt. 5. A bewertet diesen Verlauf negativ und präferiert einen anderen, zu dem er durch die Drohung gelangen will. 6. A weiß oder nimmt an, daß B lieber den in 4 angesprochenen Zustand herbeiführen will (konverse Präferenz), so daß A mit Widerstand gegen seine Aufforderung rechnen muß. 7. A weiß oder nimmt an, daß ein Handlungsergebnis, das er herbeiführen kann, von B so negativ bewertet wird, daß eine Präferenzhierarchie entsteht, derart, daß B lieber auf seine ursprüngliche Präferenz verzichtet. 8. Darum kündigt A eine Sanktionshandlung an, für den Fall, daß B der Aufforderung nicht nachkommt. 9. Mit HA legt sich A auf die Ausführung der Sanktionshandlung fest, falls B A 1 s Erwartungen bezüglich H enttäuscht. 10. Es ist für B besser, der Aufforderung Folge zu leisten, als sie zu ignorieren, d.h. B übernimmt kurzfristig A ' s Präferenzen.
Anmerkungen Zu danken habe ich D.Christ, H.Frankenberg, G.Hindelang und M.Stocks, die mit mir frühere Fassungen dieses Papiers diskutierten. 1 steht für Handlungsankündigungen, 'AUFF' für Aufforderungen, 'BEFEHL' für Befehl, 'WARN' für Warnung, 'DROH' für Drohung. Gemeint sind immer Handlungstypen. Den Ausdruck übernehme ich von Wunderlich ( 1 9 7 6 ) . Er kontrastiert Konformitätsbedingungen mit Handlungsbedingungen. Im Gegensatz zu ihm bin ich der Meinung, daß Konformitätsbedingungen Handlungsbedingungen spezifischer Art sind (vgl. dazu auch HAMBLIN (197O) Kap.8). Damit werden Formen wie 'mit dem großen Bruder drohen 1 ausgeschlossen. Sie fallen nach meiner Analyse unter 'WARN 1 . Zum 'Stafkton-ja', mit dem 'DROH 1 realisiert werden kann, vgl. BÜBLITZ/RONCADOR (1975), S.164 f., die allerdings den umgekehrten Weg gewählt haben. Indem sie von den Partikeln ausgehen, stellen sie zwar fest, in welchen Handlungszusammenhängen 2£ vorkommt. Es fehlen jedoch genauere handlungstheoretische Ana-
197
5 6
lysen, durch die die jeweilige kommunikative Funktion der Handlungstypen geklärt werden. vgl. Tedeschi (70) und Schelling ( 6 O ) , Kap.3. Präferenzen sind Ordnungsrelationen zwischen einem Subjekt und möglichen Weltzuständen. Wenn ein Agent A zwischen zwei Objekten (u und v) auswählen soll und u wählt, so gilt für ihn die Präferenz ( u « > v ) , was bedeutet, daß A u v vorzieht. Das Präferierte ist also das höher Bewertete. Die konverse Präferenz zu u - > v wäre v> u. 'nicht H 1 .
7
-H steht für
8
Analysen zu 'VERSP 1 liegen vor von WRIGHT ( 1 9 6 2 ) , HARRISON
9
10
11
12
13
( 1 9 6 2 ) , PRICHARD ( 1 9 6 8 ) , SEARLE ( 1 9 6 5 ) , (1969) und HUNDSNURSCHER ( 1 9 7 6 ) . Einen Versuch, 'DROH' über 'WARN 1 zu explizieren, hat WUNDERLICH ( 1 9 7 6 ) unternommen. Hat er ( 1 9 7 2 ) 'DROH' noch als eine Form von 'BEFEHL 1 aufgefaßt, so entwickelt er in dieser neueren Arbeit den Begriff von 'WARN' aus. Seine Vermischung von Handlungstypen und Handlungsrealisierung trägt hier jedoch nicht zur Klärung bei. "Da mindestens implizit eine zukünftige Handlung des Sprechers ausgedrückt wird (mindestens in dem Sinne, daß er andere Personen zu einer Sanktion veranlaßt) kann die Drohung auch unter Verwendung einer Form für das Versprechen realisiert werden." ( S . 2 8 O ) . Wright's Zustandslogik ('logic of change') basiert auf dem Gedanken, daß (H) beschrieben werden können, indem man den Zustand vor und den Zustand nach (H) angibt. Gegen diesen Vorschlag wurden Einwände vorgebracht (vgl. DAVIDSON ( 1 9 6 9 ) , HERINGER ( 1 9 7 4 ) ) , da verschiedene (H) zum selben Ergebnis führen können. Ich werde jedoch aus beschreibungstechnischen Gründen Wright's Ansatz beibehalten. Wright's Zustandslogik ist eine Aussagenlogik, die mit bestimmten Operatoren (T für 'and next* und I für 'Situationsverlauf ohne Eingreifen eines Agenten (hier von A ) ' angereichert ist. ' p 1 steht für Proposition. An dieser Form zeigt sich die Schwäche der performativen Analyse. Daß es sich hier um ein Versprechen handelt, wird kein Sprecher des Deutschen behaupten (vgl. auch AUSTIN ( 1 9 6 2 ) , S.144 f f . ) . (7) könnte sowohl betont (bzw. laut) als auch unbetont verwendet werden. Im letzteren Falle wäre auch eine 'dann-Ergänzung' möglich. Im Englischen gibt es Formen, die nur leise geäußert werden dürfen: ' I advise you to do x otherwise (or) I'll do y . 1 (Diesen Hinweis verdanke ich Karen Kossuth). Ich konnte auf den Zusammenhang zwischen Äußerungsformen und Intonation jedoch nicht weiter eingehen.
198
L i t e r a t u r AUSTIN, J.L. ( 1 9 6 2 ) : How to do things with words. Oxford BUBLITZ, M. / RONCADOR, M.v. ( 1 9 7 5 ) : "über die deutschen Partikel ' j a 1 . BATORI, I. / PUSCH, L.F. / LEVIN, J.L. (eds.) ( 1 9 7 5 ) : Syntaktische und semantische Studien zur Koordination. Tübingen. DAVIDSON, D. ( 1 9 6 9 ) : "The logical form of action sentences". RESCHER, N. (ed.): The logic of decision and action. Pittsburgh. HAMBLIN, C.L. ( 1 9 7 0 ) : Fallacies. London. HARRISON, J. ( 1 9 6 2 ) : "Knowing and Promising". Mind 71: 443-457. HERINGER, H.J. ( 1 9 7 4 ) : Praktische Semantik. Stuttgart. HUNDSNURSCHER, F. ( 1 9 7 6 ) : Versprechungen (unveröffentlicht). KUTSCHERA, F. v. ( 1 9 7 3 ) : Einführung in die Logik der Normen, Werte und Entscheidungen. Freiburg. PRICHARD, H.A. ( 1 9 6 8 ) : Moral Obligation, Duty and Interest. Oxford. SCHELLING, T.C. (1960): The Strategy of Conflict. Cambridge/Mass. SEARLE, J.R. ( 1 9 6 5 ) : "What is a speech act?". SCHIRN, M. (ed.) ( 1 9 7 4 ) : Sprechhandlung, Existenz, Wahrheit, Hauptthemen der sprachanalytischen Philosophie. Stuttgart. ( 1 9 6 9 ) : Speech Acts. An essay in the philosophy of language . C ambridge. TEDESCHI, J.T. (19707: "Threats and Promises". SWINGLE, P. ( e d . ) : The structure of conflict. New York. WUNDERLICH, D. ( 1 9 7 2 ) : "Zur Konventionalität von Sprechhandlungen" Ders. (ed.): Linguistische Pragmatik. Frankfurt. ( 1 9 7 6 ) : "Behauptungen, konditionale Sprechakte und praktische Schlüsse". Studien zur Sprechakttheorie. Frankfurt. WRIGHT, G.H.v. ( 1 9 6 2 ) : "On Promises". Theoria 28: 277-297. ( 1 9 6 3 ) : Norm and Action. London. ( 1 9 6 8 ) : An Essay on Deontic Logic and the General Theory Theory of Action. Amsterdam.
199 DEUTSCH ABER ALS KONJUNKTION UND ALS MODALPARTIKEL Wolfram Bublitz
0.
Betrachtet man die Beispiele ( 1 ) und ( 2 ) , (1a) Fritz wohnt in der Burbekstraße, aber Dankwart (wohnt) nicht (in der Burbekstraße). (1b)
Er kommt aus Trier, ist
aber evangelisch.
(2) Oh, dji hast aber einen Bart! so ist auf den ersten Blick ein Zusammenhang zwischen der Konjunktion aber in ( 1 ) und der Modalpartikel aber in (2) nicht ohne weiteres ersichtlich, der beispielsweise in einer weitgehenden Identität der jeweils zugrundeliegenden Strukturen bestehen könnte. Daß es einen solchen Zusammenhang jedoch gibt und welcher Art er ist, werde ich in diesem Vortrag zu zeigen versuchen. 1. Zunächst gehe ich auf die Konjunktion aber ein. In der Literatur wird häufig zwischen zwei Arten der Koordination mit aber unterschieden; zwischen der sogenannten einfachen Koordination wie in (1a) und der komplexen wie in ( 1 b ) . Beide drückten einen Gegensatz aus. Die Struktur der beiden Teilsätze der einfachen Koordination, unterschiedliche lexikalische Belegung einer Konstituente (hier der Subjekts-NP) und Negation einer zweiten, lexikalisch gleich belegten Konstituente in einem der beiden Teilsätze, lasse bereits erkennen, worin dieser Gegensatz bestehe. Zu seinem Verständnis sei, anders als bei der komplexen Koordination, keine Kenntnis impliziter, aber mitverstandener Sätze notwendig ( c f . BELLERT 1972: 3 4 6 f . ) . ABRAHAM (1975: 1 1 8 f f . ) weist diese strikte Trennung zwischen einfacher (auf semantischer Opposition beruhender) und komplexer (auf Sprecher-Erwartung beruhender) Koordination mit aber zurück. In der Tat kann man argumentieren, daß der Gegensatz in (1a) nicht aus der Kenntnis der inhärenten semantischen Merkmale der betroffenen Lexeme allein verständlich ist, sondern daß auch im Fall dieser einfachen Koordination mit dem zweiten Teilsatz der Annahme des Angesprochenen widersprochen wird, Dankwart wohne ebenso wie Fritz
200
in der Burbekstraße (cf. eine ähnliche Argumentation bei VOGEL 1975). Bei der Interpretation der einfachen Koordination mit aber scheinen also implizite, mitverstandene Sätze ebenso eine Rolle zu spielen wie bei der komplexen Koordination, der ich 2 mich nun zuwende. PUSCH (1975: 56) hat gezeigt, daß aber einen Widerspruch (oder eine negative Behauptung) einleitet, mit der die Wahrheit des vorangegangenen Satzes nur teilweise zurückgewiesen wird. Untersucht werden soll nun, wogegen sich der einschränkende Widerspruch in (1b) und (3) - (7) richtet: (3) Heute morgen war ich in der neuen Konditorei an der Ecke, aber sie hatten keine Brötchen. (4) Bonn ist Hauptstadt, aber klein. (5) Er ist CDU-Mitglied, aber recht nett. (6) Er ist zwar Privatpatient, wurde aber trotzdem erst nach uns (Kassenpatienten) aufgerufen. (7) Sie ist neuen Weltrekord geschwommen, hat aber (trotzdem) eine gute Figur. G. LAKOFF (1971: 66) hat ein entsprechendes Beispiel "It is June, but it is snowing." so erklärt: Es werde festgestellt (asserted), daß es Juni sei u n d daß es schneie, und es werde präsupponiert, daß man nicht erwarte, daß es im Juni schneie. Mit aber wird demnach bei LAKOFF einer präsupponierten Erwartung ("Im Juni schneit es nicht.") widersprochen. Diesem Sprachgebrauch folgen auch andere Autoren ( z . B. R. LAKOFF 1971: 131 f f . ; GREEN 1968: 2 9 f . ) , während daneben Ausdrücke wie Handlungspräsuppositionen (EHLICH/REHBEIN 1972: 1 O 4 f f . ) , Erwartungsnormen, Erfahrungs- oder Allgemeinsätze gebräuchlich oder denkbar sind. Entsprechend lassen sich die impliziten Sätze umschreiben mit "Im allgemeinen (Normalerweise; Es ist die Norm) gilt für Konditoreien, daß man dort Brötchen kaufen kann." oder "Man sagt, daß (Normalerweise werden . . . ) Privatpatienten Kassenpatienten vorgezogen." Bereits an diesen möglichen Umschreibungen läßt sich erkennen, daß der Begriff Erwartung nicht als semantisches Primitiv aufzufassen ist, sondern komplexerer Natur zu sein scheint, wie dies auch von G. LAKOFF vermutet wird.
201
Ich bin der Meinung, daß ein Sprecher mit einem durch aber eingeleiteten Satz n i c h t einer Erwartung(snorm) widerspricht, sondern einem Schluß von dieser Erwartung(snorm) auf den vorliegenden Einzelfall. Den komplexen Vorgang, der den Widerspruch auslöst, möchte ich in Anlehnung an TOULMIN (1958: 1O9) als Quasi-Syllogismus auffassen, der komplexer ist als die in der Logik gebräuchlichen Syllogismen, deren restringierte Form für die Beschreibung bestimmter Phänomene der natürlichen Sprache nicht ausreicht. Für das Beispiel (4) ergibt sich folgender Quasi-Syllogismus: (I) A: Bonn ist Hauptstadt. /'normalerweise ") B: Hauptstädte sind 4 im allgemeinen r groß. Lwahrscheinlich j Anormale rwe i se *} Also C: Bonn ist \ im allgemeinen f groß. ( wahrscheinlich J Die Major-Prämisse (TOULMINS warrant (proposition)(Rechtfertigungssatz) , 1958: 9 7 f f . ) gibt die vom Sprecher vorausgesetzte, unterstellte Erwartungsnorm an, die sich ihrerseits auf Fakten stützt, die in diesem Fall als statistische Berechnung aufgefaßt werden kann; "Der Anteil der Hauptstädte, die groß sind (z. B. mehr als 500.OOO Einwohner zählen) liegt über 8O % . " Die MajorPrämisse kann sich nicht auf eine ausnahmslos geltende empirische Wahrheit (statistisch mit 1OO % angebbar) stützen. Daher muß mit Hilfe eines epistemischen Operators (oder eines anderen Modifikators) auf die eingeschränkte Gültigkeit der Erwartungsnorm) , der Konklusion und des schließenden Übergangs von (A) und (B) zur Konklusion hingewiesen werden. Ein Sprecher kann weder die Wahrheit einer von ihm unterstellten Erwartung(snorm), noch den Schluß auf die Konklusion als grundsätzlich von allen Sprechern der Sprachgemeinschaft akzeptiert ansehen. Dennoch ändert sich an der subjektiven Gültigkeit dieses Quasi-Syllogismus tatsächlich nichts. Mit aber in "Aber ( D : ) Bonn ist
nicht groß." wird nun weder
der Minor-Prämisse ( A ) , noch der Erwartung(snorm) ( B ) , noch der Konklusion (C) widersprochen, sondern der Gültigkeit der Übertragung des Schlusses (von (A) und (B) auf ( C ) ) auf den vorlie-
202
genden Einzelfall. Die Paraphrase lautet nicht "Aber Bonn ist wahrscheinlich/normalerweise/im allgemeinen nicht groß.",sondern "[A] und [B], also gilt auch für Bonn, daß es wahrscheinlich/ normalerweise/im allgemeinen groß ist, aber für Bonn gilt nicht, daß es wahrscheinlich/normalerweise/im allgemeinen groß ist." Der Sprecher geht davon aus, daß der Hörer die Erwartungsnorm teilt, daß sie zum gemeinsamen und für die Kommunikation notwendigen pragmatic universe of discourse im Sinne KEMPSONs (1975: 1 6 7 f f . ) gehört, daß die Gültigkeit der Norm erhalten bleibt und daß der Hörer den Schluß tatsächlich vollzieht. Auch ohne eine offensichtliche Verletzung der in einer Sprachgemeinschaft geltenden Gesprächsregeln ist ein Hörer ja immer darauf eingestellt, eine Äußerung über ihren wörtlichen Gehalt hinaus nach Präsuppositionen, Erwartungen, Implikationen und generell nach Mitverstandenem zu hinterfragen ( c f . dazu auch BOEDER 1972: 7 3 f . ) . Das Erschließen des komplexen Argumentationsvorgangs mit den dazugehörenden Erwartungsnormen wird durch den Gegensatz ausgelöst, der mit aber ausgedrückt wird und den man entweder als inhärentes semantisches Merkmal dieser Partikel oder als eine jederzeitige Folge des Gebrauchs von aber, also als konventionell impliziert (im Sinne von GRICE 1 9 7 5 ) , beschreiben kann. Aus dem bisher Gesagten geht hervor, daß der Verstehensprozeß, der durch die Verwendung der Konjunktion aber in Gang gesetzt wird, komplexer ist als bislang angenommen. Die Aussage, mit aber werde einer präsupponierten Erwartung widersprochen, muß also erheblich differenziert werden.
2. In den folgenden Ausrufen und in (2) wird aber nicht konjunktional, sondern als Modalpartikel verwendet: (8) Bist du aber gewachsen! (9) Findest du nicht auch, daß er etwas freundlicher hätte sein können? - Na, du währst aber auch frech! Neben Unterschieden, die sich auf die Distribution und die Intoo nation beziehen, fällt a u f , daß aber als Modalpartikel intensiQ vierend wirkt. RONCADOR ( 1 9 7 5 ) hat vorgeschlagen, ein inhärentes Merkmal [GRAD] anzunehmen, das nicht beim Intensifikator zu
203
lokalisieren sei, sondern bei den zu intensivierenden Kategorien (Nomen, Adjektiv, Adverb, V e r b ) . Die Modalpartikel aber aktiviere sozusagen das Merkmal [GRAD], auch in der Umgebung von nicht [+GRAD] markierten Wörtern wie lebendig oder Arzt ("Du bist aber lebendig!"; "Du bist aber ein A r z t ! " ) . Die Konjunktion aber wirkt nicht in dieser Weise. Mit der Intensivierung steht auch die der Modalpartikel aber zugrundeliegende Erwartung(snorm) in Verbindung. Die mit ihr, dem vorliegenden Einzelfall und der Konklusion zusammenhängenden Schlüsse, ausgelöst durch den ebenfalls adversativen Charakter der Partikel, sind denen gleich, die beim Gebrauch der Konjunktion auftreten. Für (2) läßt sich z. B. folgender Quasi-Syllogismus anführen: (II) A: Du hast einen Bart. fnormalerweise "} B: Barte sind 4 im allgemeinen l ungefärbt. V wahrscheinlich^ fnormalerweise "J Also C: Dein Bart ist 4 im allgemeinen / ungefärbt. lwahrscheinlich\ Es folgt der Widerspruch mit aber; "Aber ( D : ) dein Bart ist nicht ungefärbt (ist g e f ä r b t ) . " Die Konjunktion aber und die Modalpartikel aber haben nicht nur die gleiche linguistische Bedeutung (im Sinne von KEMPSON 1975; beide sind semantisch äquivalent mit und und implizieren zusätzlich konventionell einen Gegensatz) , sondern sie lösen auch Schlüsse der Hörer auf die gleichen komplexen Argumentationsvorgänge aus. Die unterschiedlichen Funktionen als Konjunktion und als Modalpartikel kommen durch folgende Eigenschaften zustande. Zum einen wirkt die Modalpartikel intensivierend, die Konjunktion dagegen nicht. Zum anderen werden jeweils andere der zugrundeliegenden Sätze des Quasi-Syllogismus geäußert und zum dritten sind für das Verständnis der Äußerungen mit der Modalpartikel noch zusätzliche Implikaturen notwendig. Zur Erläuterung des zweiten Punkts soll noch einmal der Quasi-Syllogismus (I) für (4) herangezogen werden. Geäußert werden in diesem Fall "A - aber - D". Wird der erste Teilsatz nicht vom Sprecher selbst gesagt, sondern vom Hörer, oder wird er aus der Situation erschlossen (z. B.: Zwei Wanderer kommen völlig durchnäßt
204
nach Hause; der eine meint beim Eintreten: "Aber morgen (Morgen aber ...) nehmen wir Regenzeug m i t . " ) , so wird nur "aber - D" oder "D -l- aber" realisiert, wobei im letzten Fall die Konjunktion, die sonst an der Nahtstelle der beiden Konjunkte auftritt, in das Innere des zweiten Satzes rutscht. Im Gegensatz zur konjunktionalen Verwendung in (4) wird bei der modalen Verwendung in (2) grundsätzlich nur der erste Teilsatz (das erste Konjunkt, also die Minor-Prämisse) geäußert, in den aber transportiert worden ist: "A + aber" ( c f . Quasi-Syllogismus ( I I ) ) . Das zweite Konjunkt ist stets implizit. Der Hörer vermag zwar den zweiten Teil der Koordination (den mitverstandenen Nachfolgersatz " D " ) als Widerspruch gegen die Gültigkeit des Schlusses von der allgemeinen Major-Prämisse auf den vorliegenden Einzelfall/i zu interpretieren, weiß damit jedoch noch nicht, welcher Art die Abweichung ist, i^_e. welche Eigenschaften seines Bartes in welchem Grad der Norm des Sprechers nicht genügen. (2) ist unbestimmt und kann interpretiert werden als "Du hast einen Bart, aber er ist außergewöhnlich lang (gekräuselter als normal) (gefärbt) (atypisch geschnitten)." Diese Spezifizierung des Skopus von aber ist eine weitere Unterscheidung der Konjunktion und der Modalpartikel, da sie bei der Konjunktion mit geäußert wird, z. B. "Warum gefällt dir sein Bart nicht? Er ist doch so schön voll." - "Das stimmt, aber er ist viel zu lang." Der Gebrauch der Modalpartikel aber zieht also für den Hörer einen weiteren Schluß nach sich, den man als konversationeile Implikatur im Sinne von GRICE (1975: 5O) bezeichnen könnte. Diese ist a) von der Beachtung der Gesprächsmaximen abhängig, hier von der Nicht-Berücksichtigung der Quantitätsmaxime (cf. GRICE 1975: 45 und die Erweiterung bei KEMPSON 1975: 1 6 6 f f . ) , der der Hörer jedoch die Annahme entgegensetzt, der Sprecher wolle weiterhin kooperieren; b) sie ist nicht Teil der wörtlichen, konventionellen Bedeutung des Lexems aber; c) der Gesprächsschluß ist u. a. abhängig von der Sprechsituation und von den Erfahrungen und Annahmen, die der Hörer mit dem Sprecher zu teilen glaubt; d) sie ist deshalb auch weder vorhersagbar unaufhebbar, noch ist sie die einzig mögliche Interpretation,
205
Es kommt daher durchaus vor, daß der Hörer einen falschen Schluß zieht und vom Sprecher korrigiert wird: "Du hast aber einen Bart!" - "Wieso, ist er zu lang?" - "Nein, zu struppig." 3. Ein Charakteristikum des konjunktionalen wie des modalen aber ist die Tatsache, daß durch den Widerspruch gegen den Schluß auf den Einzelfall die Erwartungsnorm (die Gültigkeit der Major-Prämisse) für den Sprecher nicht aufgehoben wird. Obwohl Bonn klein ist, wird er auch weiterhin annehmen, daß Hauptstädte im allgemeinen nicht klein sind. Dies schließt nicht aus, daß er bestimmte Normen zum pragmatic universe of discourse rechnet, die der Hörer zwar erkennt (und die der Sprecher ihm auf diese Weise indirekt mitteilen k a n n ) , deren Verbindlichkeit er jedoch für sich selber ablehnt. Die gelegentliche Subjektivität der Erwartungsnorm wird bei (5) deutlich. Auch das sich ständig wandelnde Alltagswissen ist von erheblicher Bedeutung bei der Interpretation von Koordinationen mit aber; (7) wäre vor einigen Jahren aufgrund des fehlenden Gegensatzes zwischen Schwimmsport und äußerem Erscheinungsbild der Schwimmerin nicht verständlich gewesen. Die Aussage über die Unveränderlichkeit der Erwartungsnormen bei Äußerungen mit aber muß also differenziert werden. Es läßt sich hier ein Gegensatz zu der Art von Erwartungsnorm beim Gebrauch der Modalpartikel denn (in Fragesätzen) aufzeigen. Beispielsweise bezieht sich denn in "Vergiß deinen Schirm nicht!" - "Regnet es denn?" auf einen mitverstandenen Satz wie "Es regnet." und weist darauf hin, daß die Wahrheit dieses Satzes der Erwartungsnorm des Sprechers zuwiderläuft. Im Unterschied zu aber liegt hier jedoch kein allgemeiner, durch mögliche statistische Berechnungen gestützter, Erfahrungssatz zugrunde, dessen Verbindlichkeit der Sprecher auch für den Hörer voraussetzt. Stattdessen beschränkt sich die Erwartung auf den vorliegenden Einzelfall; ihre Gültigkeit wird durch die Bestätigung des kontrafaktischen Sachverhalts durch den Hörer (oder durch Augenschein) aufgehoben. Selbst eine Äußerung wie "Brennen Steine denn?" (ein geeigneter Kontext vorausgesetzt) zeigt die Bereitschaft des Sprechers, seine Annahmen über die semantischen
206
Merkmale des Nomens gegebenenfalls zu verändern, was eine Begriff serweiterung für ihn nach sich ziehen würde. 4. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Modalpartikel aber als ein Sonderfall der Konjunktion aber angesehen werden kann. Von der intensivierenden Wirkung abgesehen, unterscheiden sich beide im wesentlichen nur in der Art der Oberflächenstrukturen, in denen sie vorkommen (und die auch für die unterschiedlichen Schlüsse, die der Hörer zieht, mitverantwortlich sind). Dadurch wird die These bestätigt, daß ein enger Zusammenhang (auf einer zugrundeliegenden Ebene) zwischen Modalpartikeln wie aber, auch, bloß, denn, doch, eben, etwa, ja, nur, schon, vielleicht und wohl und den homophonen Konjunktionen, Gradpartikeln, Modalwör13 tern oder Adverbien besteht. Dieser ist allerdings bei manchen Partikeln kaum noch erkennbar, beispielsweise bei vielleicht, wo sich Modalwort und Modalpartikel im Laufe der Sprachgeschichte stark auseinanderentwickelt haben. Gewöhnlich ergibt sich die Funktion einer Partikel als Konjunktion, Gradpartikel, Adverb oder Modalpartikel aus der Oberflächenstruktur (Stellung, Intonation, Satztyp); in Zweifelsfällen muß der Kontext herangezogen werden. Ein zusätzlicher, den Modalpartikeln eigener, pragmatischer Aspekt sei abschließend noch erwähnt. Modalpartikeln ;werden in teilweise stark idiosynkratischer Weise als Ausdrucksmittel der Abschwächung bzw. Milderung (einer Aufforderung), der Überraschung, der (Un-)Höflichkeit und anderer oft emotionaler Funktionen verwendet. Diese müßten möglicherweise auf einer über die bekannte pragmatische Beschreibungsebene hinausgehenden Stufe berücksichtigt werden.
Anmerkungen Cf.
z.
B. BELLERT 1972; R. LAKOFF 1971; PUSCH 1975.
Zu den einfachen Koordinationen zählt BELLERT ( 1 9 7 2 : 3 4 9 ) auch Antonyme wie in "Max ist groß, aber Moritz ist klein.", wobei jedoch für das Verständnis der Schluß auf einen impliziten Satz wie "Peter ist nicht groß." notwendig sei. Ähnliches könne bei einer anderen Gruppe von Koordinationen mit aber beobachtet werden. Beispielsweise müsse der Gegensatz
207
3
in "Jürgens Boot ist schnell, aber (es ist) zerbrechlich." auf einen Vorteil-Nachteil-Gegensatz zurückgeführt werden. Es ergäbe sich dann folgende Umschreibung: "Jürgens Boot ist schnell, und das ist ein Vorteil, aber es ist zerbrechlich, und das ist kein Vorteil (i. e. ist ein Nachteil)." Diese Paraphrasierung entspricht in ihrer Form der einfachen Koordination wie in ( 1 a ) ; cf. BELLERT ( 1 9 7 2 : 3 5 1 f . ) . Eine ähnliche Analyse haben später R. LAKOFF ( 1 9 7 1 : 132 f f . ) und andere Linguisten vorgenommen. Darauf weisen auch gebräuchliche Paraphrasen wie "Zwar ... (Vordersatz), aber ... (Nachfolgersatz)" hin. Der im folgenden untersuchte Typ von Koordination mit aber wird von R. LAKOFF denial-of-expectation-but genannt ( 1 9 7 1 : 1 3 3 f f . ) .
4
Cf. G. LAKOFF 1971: 66, der die Überlegung anstellt, daß man statt von Erwartung von "a belief on the part of the speaker that, according to some general rule, S1 should entail A » S 2 " sprechen solle.
5
Den Hinweis auf TOULMIN und die Nützlichkeit seines Konzepts der Quasi-Syllogismen für die Erklärung von aber verdanke ich Winfried Boeder, Oldenburg; auch VOGEL 1975 macht von TOULMINS Ansatz Gebrauch bei der Behandlung von Einwänden. KRIVONOSOV(1963b: 5 3 6 f . ) geht bei der Analyse der Modalpartikel schon in bestimmten Umgebungen ebenfalls von zugrundeliegenden "Syllogismen" aus. Beispielsweise handle es sich bei der "dialogischen Einheit" "Du bist ein Parasit. Was hast du schon für mich getan?" um einen unvollständigen Syllogismus, dessen 1. Prämisse "Wer nichts tut, ist ein Parasit." fehle. Dies sei möglich, da sie für Sprecher und Hörer als "Ergebnis der Lebenserfahrung, der Erfahrungen der früheren Generationen selbstverständlich ist und eine bewiesene und unbestreitbare Wahrheit darstellt." ( p . 5 3 6 ) Die Parallele zu den von mir in Anlehnung an TOULMIN angenommenen "Allgemein-Sätzen" ( c f . Satz B in ( D ) ist augenfällig.
6
TOULMIN (1958: 103) nennt diese Sätze, die die als MajorPrämissen auftretenden warrants unterstützen, backings.
7
KEMPSON ( 1 9 7 5 : 57; 1 7 4 f . ; 2 1 6 ) ist ebenso wie einige andere Linguisten (wie z. B. Lakoff 1 9 7 1 : 1 3 6 ) der Ansicht, daß aber mit 'und + Kontrast' paraphrasiert werden könne, die Konjunktionen aber und und also semantisch äquivalent seien, da sich der Wahrheitswert der Konjunkte bei einem Austausch der Konjunktionen nicht ändere. Somit sei der Gegensatz bei aber semantisch nicht vorhersagbar und in der von KEMPSON zugrundegelegten semantischen Komponente des Grammatikmodells, die auf zweiwertigen logischen Wahrheitsbedingungen aufbaut, nicht erfaßbar. Stattdessen sei der Gegensatz, wie erwähnt, eine Folge des Gebrauchs von aber und werde konventionell impliziert. Zu den konventionellen (im Gegensatz zu den konversationeilen) Implikaturen cf. GRICE (1975: 4 4 f . et passim) und KEMPSON (1975: 1 3 7 f f . ) . Manfred von Roncador, Groningen,macht mich darauf aufmerksam, daß WILSON, Deirdre ( 1 9 7 5 ) : Presuppositions and nontruth-conditional semantics. London etc.: Academic Press.) die Unhaltbarkeit der Gleichsetzung von und und aber ge-
208
8
9
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11
12
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zeigt habe. Beispielsweise kann aber als Modalpartikel nicht satzeinleitend stehen und keinen Primärakzent tragen; cf. ausführlich zu den Modalpartikeln im allgemeinen und zu aber im besonderen KRIVONOSOV ( 1 9 6 3 a ) ; WEYDT ( 1 9 6 9 ) und BÜBLITZ ( 1 9 7 5 ) . Die Ausarbeitung der Unterscheidung zwischen intensivierender und identifizierender Funktion nach BOLINGER, Dwight ( ( 1 9 7 2 ) : Degree words. The Hague/Paris.) geht auf RONCADOR (1975) zurück, der auch darauf hinweist, daß mit dem Vorkommen der Modalpartikel aber in intensivierender Umgebung und in Ausrufen die Restriktion zusammenhängt, daß dort keine Negation möglich ist. Um eine größere Allgemeingültigkeit zu erreichen, kann man in den Allgemeinsätzen (B) der Quasi-Syllogismen (I) und (II) Variablen einsetzen: (I) (B) Hauptstädte haben normalerweise/ etc. die Eigenschaften X« (= groß, bekannt, beherbergen die Volksvertretung, die Regierung etc., haben einen Flughafen e t c . ) ; (II) (B) Barte haben normalerweise/etc. die Eigenschaften X, (= ungefärbt, nicht gelockt, ein bis fünfzehn cm lang, meh? als soundsoviel Haare, im Gesicht lokalisiert e t c . ) . Eine ähnliche Analyse ist auch für auch nicht möglich, wobei auch nicht und aber als komplementär angesehen werden können: "Er ist CSU-Mitglied und auch nicht evangelisch." - Erwartungsnorm: "CSU-Mitglieder sind nicht evangelisch." - Dem Schluß von dieser Erwartungsnorm auf den Einzelfall wird z u g e s t i m m t ; " E r i s t CSU-Mitglied, aber evangelisch." - Erwartungsnorm: (wie oben). - Dem Schluß von dieser Erwartungsnorm auf den Einzelfall wird w i d e r s p r o c h e n . An dieser Stelle kann ich nur auf einen Aspekt des Gebrauchs und der Herleitung der Modalpartikel denn kurz eingehen; cf. ausführlicher KRIVONOSOV (1963a: 7 4 f f . ) ; WEYDT ( 1 9 6 9 ) und BÜBLITZ (1975: 9 7 f f . ) . Cf. dazu im allgemeinen BÜBLITZ (1975) und zu den Gradpartikeln im besonderen ALTMANN ( 1 9 7 6 ) .
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209
BELLERT, Irena ( 1 9 7 2 ) : "On certain syntactical properties of the English connectives and and but". PLÖTZ, Senta (ed.) ( 1 9 7 2 ) : Transformationelle Analyse. Frankfurt: Athenäum: 327-356. Zuerst ( 1 9 6 6 ) . University of Pennsylvania. BOEDER, Winfried ( 1 9 7 2 ) : "Syntaktische Metonymie". Syntax, Semantik und Pragmatik natürlicher Sprachen. 7. Linguistisches Kolloquium in Rendsburg v. 3.-5.11 .1972. Kiel: Universität ( v e r v i e l f . ) : 62-81. BUBLITZ, Wolfram ( 1 9 7 5 ) : Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung im Deutschen und Englischen. (Masch. Diss. Hamburg). - Demnächst in "Linguistische Arbeiten". Tübingen: Niemeyer. EHLICH, Konrad / REHBEIN, Jochen ( 1 9 7 2 ) : "Erwarten". WUNDERLICH, Dieter ( e d . ) ( 1 9 7 2 ) : Linguistische Pragmatik. Frankfurt: Athenäum: 99-115. FILLMORE, Charles J. / LANGENDOEN, D. Terence (eds.) ( 1 9 7 1 ) : Studies in linguistic semantics. New York: Holt. GRICE, Paul H. ( 1 9 7 5 ) : "Logic and conversation". COLE, Peter / MORGAN, Jerry L. (eds.) ( 1 9 7 5 ) : Syntax and semantics, Volume 3: Speech acts. New York etc.: Academic: 41-58. KEMPSON, Ruth M. ( 1 9 7 5 ) : Presupposition semantics. Cambridge: University.
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KRIVONOSOV, Alexej ( 1 9 6 3 a ) : Die modalen Partikeln in der deutschen Gegenwartssprache. (Masch. Diss. Berlin). ( 1 9 6 3 b ) : "Die modale Partikel schon und die logische Wechselbeziehung zwischen den umgangssprachlichen Sätzen". Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 12: 531-540. LAKOFF, George ( 1 9 7 1 ) : "The role of deduction in grammar". FILLMORE / LANGENDOEN ( e d s . ) : 62-70. LAKOFF, Robin ( 1 9 7 1 ) : "It's, and 1 s, and b u t ' s about conjunction". FILLMORE / LANGENDOEN ( e d s . ) : 114-15O. PUSCH, Luise F. ( 1 9 7 5 ) : "Über den Unterschied zwischen aber und sondern oder die Kunst des Widersprechens 11 . BATORI et al.: 45-62. RONCADOR, Manfred von ( 1 9 7 5 ) : Semantische und syntaktische Eigentümlichkeiten des Ausrufesatzes im Rahmen der allgemeinen Grammatiktheorie. (Unveröffentl. Magisterarbeit. Hamburg). Demnächst in "Studien zur deutschen Grammatik". Tübingen: Narr. TOULMIN, Stephen E. ( 1 9 5 8 ) : The uses of argument. Cambridge: University Press. VOGEL, Bodo ( 1 9 7 5 ) : Der sprachliche Ausdruck des Einwands im Deutschen. (Unveröffentl. Magisterarbeit. Hamburg). WEYDT, Harald ( 1 9 6 9 ) : Abtönungspartikel. Die deutschen Modalwörter und ihre französischen Entsprechungen. Bad Homburg etc.: Gehlen.
LINGUISTISCHE ASPEKTE DES VERKAUFSGESPRÄCHS Peter Dengel/Ulrich Scheck
1.
Problemstellungen und Zielsetzung
Wir wollen die Textsorte "Verkaufsgespräch" (YKG) hinsichtlich dreier Probleme betrachten: (a) hinsichtlich ihrer deflatorischen Bestimmung und der Abgrenzung zur Textsorte "Kaufdialog" (GROSSE 1974); (b) hinsichtlich der pragmatischen Analyse Terbaler Interaktion im VKG unter Berücksichtigung zielgerichteten Redeverhaltens ; (c) hinsichtlich des Einsatzes linguistischer Verfahren bei der Konstruktion von Standarderwiderungen. Unsere Zielsetzung ist dabei rhetorisch-technologischer Art t unser Ausgangspunkt ein linguistischer: wir wollen durch linguistische Analyse von Gesprächstexten zu Anweisungen für optimales Redeverhalten in zielgerichteten Gesprächstypen gelangen. Baß für solche Anweisungen linguistische Mittel a l l e i n nicht hinreichen, versteht sich von selbst; daß sie aber eine gewichtige Rolle spielen, dürfte nicht zu bestreiten sein. Das YKG bietet sich als Untersuchungsgegenstand besonders aus drei Gründen an: (a) die Zielsetzung zumindest der Verkäuferpartei ist klar vorgegeben; (b) das YKG ist ein relativ klar strukturierter und "standardisierter'1 Gesprächstyp **· (c) von praktischer Seite wird das VKG oft behandelt, so daß eine Pulle von Material dazu vorliegt. 2.
Zur Bestimmung der Textsorte VKG
In seiner umfassenden Klassifikation von Textsorten führt Grosse im Bereich der Situationen "Verkauf/Kauf den Begriff "Kaufdialog" ein (GROSSE 1974: 497 ff). Bei der Bestimmung dieses Begriffs geht er von der Intention des Kunden (bzw. der Kundenpartei) aus, nämlich der Absicht der Kundenpartei, eine bestimmte
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Ware käuflich zu erwerben; in Grosses Symbolsprache: Ich VOI : Ich Haben 5 Diese Charakterisierung bietet den Vorteil einer recht genauen Abgrenzung von Texten des Typs "Kaufdialog", insbesondere dann, wenn die Kundenpartei ihren Kaufwunsch gleich deutlich macht oder der situative Kontext auf das Vorliegen eines Kaufwunsches schließen läßt, etwa in der Standardsituation "Verkauf am Ladentisch". Auf der anderen Seite hat die Bestimmung Grosses den Nachteil, daß ein weiter Teil der Gespräche, die mit der Absicht des Kaufs und Verkaufs geführt werden, von ihr nicht betroffen werden. In einem Großteil dieser Gespräche steht die Weckung eines noch nicht vorhandenen Kaufwunschs, d, i. die Behebung der "primären Dissonanz", durch die Verkäuferpartei im Vordergrund. Um auch diese Dialoge zu erfassen, setzen wir die aus naheliegenden Gründen stets vorhandene Intention der Verkäuferpartei als das wesentlich zugrundeliegende Kennzeichen des Verkaufsgesprächs an. Das VKG läßt sich so als ein Dialog zwischen Kundenpartei und Verkäuferpartei definieren, in dem die Verkäuferpartei durch ihre Handlungen und Äußerungen versucht, die Kundenpartei zu einem Kaufabschluß zu bewegen. Linguistisch gesehen ist es bei dieser Bestimmung nachteilig, daß mit den vorhandenen Mitteln wohl kaum eindeutig festgestellt werden kann, wo innerhalb eines Textkontinuums der eigentliche Text des VKG beginnt und wo er endet, da die Verkäuferpartei ihre Intention meist nicht von Anfang an deutlich macht und in vielen Fällen auch nicht situative Indikatoren für die Intention der Verkäuferpartei vorliegen. Wir treffen, um diese Schwierigkeiten zu beheben und eine möglichst präzise Abgrenzung des Materials zu erhalten, folgende Pestsetzungen: (1) Ein Text der Textsorte VKG beginnt mit der ersten durchgeführten Äußerungssequenz von Kundenpartei und Verkäuferpartei und endet mit der Äußerung der Kundenpartei zur Einwilligung in den Kauf. (2) Liegt eine solche Einwilligungsäußerung der Kundenpartei nicht vor, so endet ein Text der Textsorte VKG mit:
213
a) derjenigen Äußerung der Verkäuferpartei, mit der sie das Nichterreichen Ihres Ziels zugibt oder die auf das Nichterreichen ihres Ziels schließen läßt, oder b) falls 2a nicht vorliegt, mit der Verabschiedung von Verkäuferpartei und Kundenpartei. (3) Nachherige Äußerungen und/oder Äußerungssequenzen bezeichnen wir als Posttext. Sie können von Wichtigkeit sein, etwa wenn ein Zusatzverkauf erfolgt oder eine Verabredung für ein neues VKG getroffen wird. (Einige Autoren rechnen den Posttext noch zum VKG. Wir folgen ihnen darin nicht, da das Ziel der Verkäuferpartei bereits erreicht ist und eine andere Zielsetzung vorliegt.) Die hier gegebenen Festsetzungen decken sich weitgehend mit den von Praktikern gemachten Festlegungen, besonders was die Tatsache betrifft, daß die Verkäuferpartei schon in ihren ersten Äusserungen hinsichtlich ihres Gesprächsziele agiert, wie wir im folgenden zeigen wollen. 3.
Zur Analyse
Normalerweise verfolgt die Verkäuferpartei ihr Endziel über bestimmte Teilziele, was sich auch in den bei Verkaufstrainern beliebten Mastern wie AIDA, BEDAZA usw. ausdrückt. Aus den Phaseneinteilungen, die von verschiedenen Autoren gegeben werden, lassen sich unter dem Aspekt der Zielsetzung drei Grundphasen extrahieren; (1) Die Phase der Kontaktaufnahme. Die Verkäuferpartei verfolgt hier die Ziele: a) die Gesprächs- und Aufnahmebereitschaft der Kundenpartei zu wecken, b) das Interesse der Kundenpartei zu wecken, c) Gemeinsamkeiten von Kundenpartei und Verkäuferpartei zu finden. Das Gespräch hat nicht den Charakter eines Sachgesprächs; der Beziehungsaspekt dominiert über den Inhaltsaspekt, was sich u.a. an der Häufigkeit von Kontaktformeln (Gruß, Anrede) zeigt. (2) Die Phase des Oberzeugens. Die Verkäuferpartei versucht
214
hier, a) den Kaufwunsch der Kundenpartei herbeizuführen, b) für ihr Produkt zu argumentieren, c) Einwände der Kundenpartei zu erforschen und zu beheben. Der Inhaltsaspekt dominiert hier über den Beziehungsaspekt* (3) Die Phase des Verkaufsabschlusses. Die Zielsetzung der Verkäuferpartei ist hier, a) zum Kaufabschluß zu motivieren, b) den Kaufabschluß der Kundenpartei herbeizuführen. Wir wollen nun anhand der Analyse eines Textbeispiels aus der Kontaktphase zeigen, wie die Verkäuferpartei schon zu Beginn auf ihr Endziel hinarbeitet und wie sie sich dabei Normen, die für die betreffende Standardsituation gelten, zunutze macht. 3.1.
Kontaktphase und Konsens
Die folgenden Textbeispiele·5 stammen aus der Kontaktphase von Verkaufsgesprächen, wie sie in den Standardsituationen "Verkauf an der Haustür"/"Verkauf auf der Straße" stattfinden. Die Normstrukturen, welche die beiden Situationen bestimmen, sind sich ähnlich. Text I: VEP: Guten Tag, mein Name ist Schmitt, spreche ich mit Herrn Kohl? KUP: Ja, bitte? VEP: Herr Kohl, darf ich Ihnen diese Zeitschrift schenken? (überreicht Zeitung) KUP: (überrascht) VEP: Herr Kohl, Sie lesen doch sicherlich auch regelmäßig Zeitung? KUP: Ja. VEP: Dürfte ich fragen, welche Zeitung Sie lesen? KUP: Ja; die "Philosophischen Blätter" und "Essen und Trinken". VEP: Und Sie holen sich Ihre Zeitschriften sicher am Kiosk? KUP: Ja. Text II: (Bettelmönch in orangefarbenem Kaftan, Schallplatten unter dem Arm, versucht Passanten anzusprechen) VEP: Darf ich Dir diese Platte schenken? (überreicht Schallplatte) KUP: (zeigt Verwirrung) VEP: Wir sind eine Sekte von Bettelmönchen und möchten
215
mit dieser Platte für den Frieden in der Welt werben. Du bist doch auch für den Frieden? KUP: Ja! VEP: Wir wollen in Nepal eine Stadt des Friedens bauen und haben zu diesem Zweck diese Platte herausgegeben ... In beiden Situationen kann davon ausgegangen werden, daß ein Kaufwunsch der Kundenpartei von vornherein nicht besteht. Des weiteren ist anzunehmen, daß die Kundenpartei auch nicht bereit ist, in ein Verkaufsgespräch einzutreten. Beide Gesprächseröffnungen haben gemeinsam, daß die VEP jede ihrer Äußerungen mit einer Frage abschließt bzw. die Äußerungen die Form eines Fragesatzes haben. Die Fragen sind durchweg Entscheidungsfragen, wenn man von der etwas zweifelhaften Form der vierten VEP-Äußerung in Text I absieht, die eine W-Frage enthält und Insgesamt den Charakter einer Aufforderung hat, diese W-Frage zu beantworten. Sämtliche Entscheidungsfragen sind in positiver Form gegeben und dadurch schon im Hinblick auf die Ja-Antwort gebahnt. Die Bahnung wird verstärkt durch (1) Zurücknahme der Inversion, (2) Verwendung von Abtönungspartikeln, und zwar: a) Abtönungspartikel mit zustimmungserheischender Funktion "sicherlich", "doch", b) Abtönungspartikel solidaritätserheischender Funktion "auch". Hinzukommt, daß der Inhalt einiger Fragen so gehalten ist, daß aufgrund sozialer Regeln und Verpflichtungen keine Nein-Antwort möglich erscheint. Auf die Frage "Bist Du für den Frieden?" kann man nicht mit "Nein" antworten, ohne die allgemein anerkannte soziale Verpflichtung der Friedensbejahung zu verletzen. Der massive Einsatz sprachlicher Mittel, die auf soziale Normen verweisen, haben den Zweck, die KUP (1) durch Fragen zu einer Fortsetzung des Gesprächs zu zwingen - es gilt als eine Verpflichtung, auf eine gestellte Frage entweder zu antworten oder sein Nichtantworten zu erklären -, (2) durch Einsatz von Bahnungsmitteln zu einer Ja-Antwort zu zwingen. Dies läßt sich hinsichtlich der Zielsetzung so interpretieren: die Verkäuferpartei versucht zur Erzeugung einer "positiven
216
Grundstimmungn (FELDMANN 1973) der Kundenpartei beizutragen, indem sie mittels suggestiver Fragen eine Konsenssituation mit der Kundenpartei herzustellen bemüht ist. Der Konsens besteht darin, daß die KUP - durch soziale Regeln gezwungen und/oder durch Bahnung beeinflußt - den durch die Frage implizierten Erwartungshaltungen der VEP in der Antwort entspricht oder entsprechen muß. Es versteht sich von selbst, daß eine Konsenssituation eher dazu geeignet ist, eine "positive Grundstimmung11 (was immer darunter zu verstehen ist) zu erzeugen als eine Dissenssituation. Hier liegt eine besondere Technik zur Herstellung einer Konsenssituation vor, die durch folgende Anweisungen charakterisiert werden kann: (1) Täfige nur Äußerungen, die die KUP zu einer Gegenrede verpflichten. (2) Tätige bevorzugt Fragen (Entscheidungsfragen). (3) Fasse die Fragen inhaltlich so, daß die KUP aufgrund von sozialen Regeln nicht mit "Nein" antworten kann. ( 4 ) Versuche die Fragen so zu formulieren, daß die positive Antwort durch explizite oder implizite Kundgebungen von bestimmten Erwartungshaltungen und Solidaritätserheischungen in bezug auf die positive Antwort verstärkt gebahnt werden. 4. 4.1.
Modell der Standarderwiderung Konzeption des Modells
In der zweiten Phase des VKG, der Phase des Überzeugens, versucht die VEP, die möglichen Einwände der KUP zu erforschen und zu beheben. Wir haben für diese Phase ein Modell der Einwanderwiderung entwickelt, das, praktisch angewendet, der Aufrechterhaltung einer einmal erzeugten Konsenssituation dienlich ist. Das Modell soll Techniken der Einwanderwiderung in einem einheitlichen Konzept zusammenfassen und so variabel sein, daß es nicht nur sogenannte typische Gesprächssituationen erfaßt. Es baut auf der rhetorischen Figur des "dialektischen Ftinfsatzes" auf (GEISSNER 1968).
217
4.2.
Alternative Einwanderwiderungen in der Standardform
Einwand (A): oder: Erwiderung zu (A)
Der Preis, den Sie für sehr hoch. ist mir zu teuer. (1) (2) (3) (5) (4)
oder:
fordern, erscheint mir
Es ist richtig, daß der Preis unseres im Vergleich mit einigen Konkurrenzartikeln etwas höher liegt. Wenn Sie den geforderten Preis jedoch in Relation zur Qualität betrachten, glauben Sie dann nicht auch, daß sich hier eine einmalige etwas höhere Geldanlage auf die Dauer betrachtet als Ersparnis herausstellt?
(1) (2) (3)
Es stimmt, daß nicht billig ist. Bedenken Sie aber bitte, daß dafür die Vorteile a, b, c bietet, (4/5)Finden Sie so gesehen nicht eigentlich recht preiswert?
Einwand (B): Ich bin Stammkunde bei der Firma y, der ich treu bleiben möchte. Erwiderung zu (B)
oder:
(1)
Die Firma y ist ohne Frage eine seriöse Firma, (2) bei der Sie als Stammkunde vielleicht sogar eine gewisse Bevorzugung genießen. (3) Fraglos werden Sie aber ein wirklich besseres Angebot nicht abschlagen. (4/5)Wenn wir Ihnen nun dieses bessere Angebot machen können, so wird uns Ihre Zusage doch gewiß sicher sein? (1) Es ist nichts dagegen einzuwenden, (2) daß Sie der Firma y treu bleiben wollen. (3/4)Nun liegt es aber doch in Ihrem Interesse, sich die Möglichkeiten der Auswahl offen zu halten, um dann beim besseren Angebot zuzugreifen. (5) Ist es nicht so?
Die einzelnen Glieder des Fünfsatzes haben auf der syntagmatischen Ebene folgenden Verlauf: Mit (1) ist die einleitende Partnerbestätigung, mit (2) die Paraphrase des Einwands, mit (3) das
218
Gegenargument, mit (4) die Schlußfolgerung und mit (5) die partnerbezogene Wendung gekennzeichnet. Diesen einzelnen Gliedern auf der syntagmatischen Ebene entsprechen auf der paradigmatischen Ebene bestimmte, von der Strategie abhängige Techniken. So sind etwa Komplimente oder Zustimmung Techniken der Partnerbestätigung, Die Paraphrasierung des Einwandes kann durch Wiederholen oder Umschreiben des Einwände geschehen, das Gegenargument wird z.B. mittels Relativierung und Sie-Standpunkt-Argu7 mentation' aufgebaut. Schlußfolgerung und partnerbezogene Wendung werden von bahnenden Prägen und zustimmungserheischenden Wendungen bestimmt. In der ersten Erwiderung zu Einwand (A) finden wir als Partnerbestätigung (1) eine direkte Zustimmung zum gemachten Einwand. Die Paraphrasierung (2) hat bereits stark abschwächenden Charakter, indem sie den Einwand in eine neue Beziehung setzt. Die Relativierung des Einwände wird im Gegenargument (3) vollends auf die Spitze getrieben und durch die Kombination von Schlußfolgerung (4) mit partnerbezogener Wendung (5) der KÜP als Erwartungshaltung suggeriert, (1) bis (3) hat im ganzen die Form der bedingten Beistimmung, die dadurch gekennzeichnet ist, daß der von der KUP gemachte Einwand zunächst scheinbar angenommen, dann aber von der VEP relativiert wird. Die "bedingte Beistimmung11 wirkt partnerbestätigend und hilft der VEP, die eigene Pro-Argumentation partnerbezogen und nicht kontrastiv aufzubauen. 4,3.
Vorteile des Modells
Das von uns vorgeschlagene Modell der Standarderwiderung hat den Vorteil, die von verschiedenen Autoren erwähnten Redetechniken in einem überschaubaren und einheitlichen Konzept zusammenzufassen. Es bleibt zu untersuchen, inwieweit das Modell dar« überhinaus auch für andere Gesprächstypen, in denen ein Konsens bestätigt und erneuert werden soll, relevant ist. 5,
Zus ammenf as sung p
Geht man davon aus, daß die in den einzelnen Grundphasen von der VEP zu erreichenden Teilziele dem Endziel Kaufabschluß die-
219
, so ist für die VEP wohl nur ein auf Konsens gerichtetes Redeverhalten angebracht. Die VEP hat somit - will sie erfolgreich sein - nicht die Wahl, die ein Sprecher normalerweise in einer dialogischen Kommunikationssituation hat; nämlich die Wahl zwischen einem partnerbezogenen und einem selbstbezogenen Redeverhalten. Ein auf Konsens gerichtetes Redeverhalten ist untrennbar mit partnerbezogenem Redeverhalten verbunden. Letzteres zeichnet sich dadurch aus, daß die YEP der KUP möglichst oft Gelegenheit zum Sprechen gibt. Dies wirkt grundsätzlich partnerbestätigend und ermöglicht der VEP die bessere Einschätzung des Gesprächspartners. Entsprechend gilt dies wohl für alle auf Konsens gerichteten Kommunikationssituationen. Haben wir eingangs die Intention der VEP als die Erzielung eines Kaufabschlusses definiert, so wollen wir die Definition nun um die Erzielung von Konsens zwischen VEP und KUP erweitern. Die in der von uns beschriebenen Struktur einer Standarderwiderung aufgeführten Techniken sind Mittel, die der VEP zur Aufrechterhaltung der von ihr gewünschten Konsenssituation verhelfen. 6.
Schlußbemerkung
Es ist selbstverständlich, daß eine Analyse des VKG allein unter linguistischen Gesichtspunkten nicht ausreichend ist. Psychologische und soziologische Aspekte müssen in eine vollständige Beschreibung des Texttyps VKG eingehen. Dennoch glauben wir, daß eine eingehende Betrachtung des Gesprächsverhaltens aus linguistischer Sicht für eine umfassendere Analyse des Gesprächstyps fruchtbar ist.
Anmerkungen 1
Die Probleme einer solchen Zielsetzung sind uns bekannt; wir wollen hier jedoch auf ihre Diskussion verzichten.
2
vgl. HERRMANN 1976: 197 - 2o6.
3 vgl. GROSSE 1974: 497 ff. 4 vgl. FELDMANN 1973: 84 f. 5 Die Textbeispiele sind Nachschriften von VKG, die uns zur
220
Verfügung standen. In den Beispielen wird die Verkäuferpartei abgekürzt als VEP, die Kundenpartei abgekürzt als KUP. 6 Da das Modell eine Abstraktion des Erwiderungsverhaltens der VEP in zahlreichen erfolgreichen, von uns analysierten VKG darstellt, läßt sich wohl vermuten, daß es nicht nur bestimmte Gesprächssituationen erfaßt. 7 Die "Sie-Standpunkt-Argumentation" vermeidet Personalpronomina der ersten Person. 8 Die Abschlußphase haben wir hier nicht näher analysiert, da in ihr im Wesentlichen alle bereits genannten Redetechniken auftauchen. Sie ist lediglich dadurch besonders charakterisiert, daß Fragetechniken in den Hintergrund treten und die VEP indikativische Satzkonstruktionen bevorzugt.
Literatur FELDMANN, Paul (1973): Verkauf s training. München: Heyne. GEISSNER, Hellmut (1968): 11 "Der Fünfsatz. Ein Kapitel Redetheorie und Redepädagogik . Wirkendes Wort 4: 258 - 278. GOLDMANN, Heinz W. (1971): Wie man Kunden gewinnt. Essen: Girardet. GROSSE, Ernst Ulrich (1974): Texttypen. Linguistik gegenwärtiger Kommunikationsakte. Stuttgart: Kohlhammer. HERRMANN, Wolf gang (1976): n Standardsituationen. Thesen und Beispiele". WEBER, Heinrich / WEYDT, Harald (eds.): Sprachtheorie und Pragmatik. Akten des 1o. Linguistischen Kolloquiums. Band 1. Tübingen: Niemeyer. KIRCHHOFF, Heinz (1968): Leichter, schneller, mehr verkaufen. Düsseldorf: Econ.
RHETORISCHE STRATEGIEN UDO REDETECHITIKEN Rudolf Ehret/Jürgen Walther
1.
Einleitung und Problemstellung
In den letzten Jahren hat sich, teilweise bedingt durch eine stärkere Berücksichtigung der pragmatischen Komponente innerhalb der Sprachtheorie, das Untersuchungsgebiet der Linguistik erheblich erweitert. Man ist über die Satzgrenze hinaus zur linguistischen Betrachtung größerer Texteinheiten übergegangen, man beschäftigt sich nicht mehr ausschließlich mit der Beschreibung von Einzeläußerungen, sondern auch mit der Beschreibung von ÄußerungsSequenzen verschiedener Sprecher, und schließlich hat die Analyse von Sprechhandlungen als sozialer Interaktion zunehmend an Beachtung gewonnen. Das Resultat dieser Erweiterungen des linguistischen Arbeitsfeldes war eine Fülle neuer Ansätze und Problemstellungen, die unter anderem dazu führten, daß sich das Interesse an einer sprachwissenschaftlichen Rhetorik verstärkte. Bezüglich des Verhältnisses von Linguistik und Rhetorik ergeben sich folgende Prägen: (a) Was kann die Linguistik zur adäquaten Beschreibung rhetorischer Vorgänge leisten? (b) Wie kann man - von linguistischen Beschreibungsmethoden ausgehend - zur sprachwissenschaftlichen Rhetorik übergehen? Im folgenden soll versucht werden, einen Beitrag zur Beantwortung dieser Prägen zu leisten. Im ersten Teil werden wir die Begriffe 'rhetorische Strategie* und 'Redetechnik1 kurz umreißen. Im zweiten Teil wollen wir anhand der Analyse eines Beispieltextes die Beziehung von linguistischer Analyse und Rhetorik näher beleuchten. 2.
Rhetorische Strategien und Redetechniken
Der Begriff der 'rhetorischen Strategie1 oder der 'persuasiven Strategie1 wird zwar des öfteren in der Literatur zur Rhetorik
222
verwendet, aber selten näher geklärt oder erläutert. Daß jedoch eine Klärung des Begriffes notwendig ist, ergibt sich schon daraus, daß der Begriff 'Strategie1 in den Wissenschaften in 2 verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird. Um keine Verwirrung zu stiften, wollen wir uns in unserer Arbeit an folgende ArbeitsbeStimmung halten. Unter einer rhetorischen Strategie verstehen wir einen Handlungsplan, der die Abfolge von Äußerungshandlungen, sowie deren Form und inhaltliche Struktur, bestimmt. Wir orientieren uns dabei an den Untersuchungen von MILLER/GALANTER/PRIBRAM (1973), die Verhalten "als ein geplantes und strukturiertes Gefüge von zielgerichteten Operationen" (MILLER et al. 1973: 8) begreifen. Eine vollständige Verhaltensbeschreibung sollte demnach "die Charakteristiken eines Plans haben, der die vorgeschriebene Reihe von Handlungen so steuert, daß sie in der richtigen Reihenfolge ausgeführt werden" (MILLER et al. 1973: 25). Daß es der Rhetorik um die Beschreibung zielgerichteten sprachlichen Verhaltens unter dem Gesichtspunkt der Planung geht, kann wohl kaum bestritten werden. Ebensowenig kann bestritten werden, daß bei einer solchen Beschreibung linguistische Kategorien und Analyseverfahren von Bedeutung sind. In enger Beziehung zum Begriff 'rhetorische Strategie1 verwenden wir den Begriff 'Redetechnik', In Anlehnung an ECKER et al. (erscheint 1977) verstehen wir unter Redetechnik sprachliche und parasprachliche Muster, die von den Beteiligten in der Kommunikation zur konkreten Durchführung ihrer Strategie benutzt werden. Wir gehen dabei von folgender Überlegung aus. Eine bloße Strukturbeschreibung von Äußerungshandlungen und Sprechaktsequenzen ermöglicht zwar unter Umständen die Generierung von Texten derselben Struktur, trifft aber das tatsächliche Sprecherverhalten unseres Erachtens nicht adäquat. Denn ein Sprecher denkt nicht von den Strukturen der Äußerungshandlungen her, sondern orientiert sich an einem Ziel und organisiert demgemäß seine Sprechhandlungen. Die durch linguistische Analyse von Äusserungshandlungen und Äußerungssequenzen ermittelten Teztstruk-
223
turen lassen sich jedoch unter Einbeziehung des strategischen Aspekts als Techniken interpretieren, die der Sprecher zur Durchsetzung seiner Ziele benutzt. 3.0.
Analyse eines Beispieltextes
3.1.
Zur Textauswahl
Wir wollen am folgenden Beispieltext aufzuzeigen versuchen, wie die linguistische Analyse für die Ermittlung rhetorischer Strategien und Redetechniken fruchtbar gemacht werden kann. Es handelt sich um den Text eines Hypnotiseurs, der versucht, einem Patienten Schlaf zu suggerieren. Wir haben diesen Text vor allem aus drei Gründen ausgewählt: (1) Das Redeziel des Sprechers ist klar vorgegeben. (2) Der Text hat eine relativ einfache Sprachstruktur. (3) Hypnose stellt einen Grenzfall der Suggestion dar;·' es ist deshalb anzunehmen, daß man durch eine Analyse dieses Textes allgemeine Hinweise auf suggestive Redetechniken erhalten kann. BEISPIELTEXT:
(1) Ich halte Ihnen einen Gegenstand vor die Augen. (2) Sie richten den Blick auf diesen Gegenstand. (3) Sie hören meine Stimme. (4) Wenn sich Ihr Blick abwendet, richten Sie ihn wieder auf den Gegenstand und belassen ihn darauf. (5) Entspannen Sie sich und hären Sie auf meine Stimme. (6; Ich möchte, daß Sie sich entspannen. (7) Sie spüren in Ihrem ganzen Körper die Entspannung. (8) Sie entspannen sich immer mehr. (9; Während Sie den Gegenstand fixieren und meine Stimme hören, fühlen Sie sich immer entspannter. (10) Die Muskeln Ihrer Füße sind entspannt, die Maskeln Ihrer Beine, Ihrer Arme, Ihrer Hände sind entspannt, Ihr ganzer Körper ist entspannt. (11) Sie spüren auch, daß Sie schläfrig werden. (12) Sie werden immer schläfriger. (13) Hören Sie gut auf meine Stimme. (14) Und nun kommt eine Schwere über Sie, Ihr Körper wird schwer. (15) Ihre Füße, Ihre Beine, Ihr ganzer Körper, sie werden schwer, schwer, schwer. (16) Eine angenehme Wärme durchdringt Ihren Körper. (17) Sie denken an Schlaf. (18) Eine angenehme Wärme durchdringt Sie, wie beim Einschlafen. (19) Ihre Augenlider werden schwer. (20) Sie sind schlaftrunken, Ihre Lider werden schwer, schwer, schwer. (21) Denken Sie an Schlaf und nichts1 anderes. (22) Sie können die Augen nicht mehr offen halten, Ihre Lider werden immer schwerer. (23) Sie haben das Bedürfnis zu schlafen, ein immer stärkeres Bedürfnis zu schlafen, Ihr Blick trübt sich, Ihre Augen brennen, sie tränen (in dem Augenblick zu sagen, da man
224
konstatiert, daß sie feucht werden). (24) Atmen Sie tief und langsam. (25) Mit jedem Atemzug wird Ihr Schlaf tiefer, Ihre Augen haben sich nun geschlossen. (26) Sie schlafen ein, Sie schlafen, schlafen! (CHERTOK 1973: 156) 3.2.
Erste Auswertung
Legt man die vorgegebene Zeichensetzung zugrunde, so besteht der Gesamttext aus 26 Sätzen (insgesamt 234 Worten). Einige der Sätze lassen sich weiter zerlegen in Basissätze der Struktur S->NP^,VP oder analog einfache Satzmuster, nämlich 4 (4a, 4b, 4c), 5 (5a, 5b), 9 (9a, 9b, 9c), 10 (10a, 10b, 10c), 14 (14a, Hb), 20 (20a, 20b), 22 (22a, 22b), 23 (23a, 23b, 23c, 23d) 25 (25a, 25b), 26 (26a, 26b). Durch das verwendete Teilsatzverfahren erweitert sich die Menge der Sätze auf 41, deren durchschnittliche Länge recht gering ist (etwa 6 Worte pro Satz). Rein syntaktisch gesehen, kommen folgende Satzarten vor: 35 Aussagesätze, 5 Befehlsätze (5a, 5b, 13, 20, 24); zu den letzteren zählen wir noch die explizite Aufforderung in Satz (6): "Ich möchte, daß Sie sich entspannen.". Formen von Fragesätzen kommen im Beispieltext nicht vor, was auch für andere von uns untersuchte Texte der gleichen Art nicht der Fall ist. Das legt die allgemeine Vermutung nahe, daß Fragesätze und wahrscheinlich auch Fragen, Mittel sind, die suggestives Sprechen nicht begünstigen , bzw. sogar behindern. Des weiteren läßt sich aufgrund der Häufigkeit von Aussagesätzen vermuten, daß insbesondere Aussagesätze die Suggestion fördern. Auf eine syntaktische Feinanalyse wollen wir hier aus Raumgründen verzichten. Auch bei nur flüchtiger Lektüre fallen die zahlreichen Parallelismen syntaktischer Art auf, etwa 23 a - d und 26 a/b. 3.3.
Zur Makrostruktur des Textes
Betrachtet man den Text hinsichtlich der semantischen Beziehungen der Sätze untereinander, so fällt auf, daß sich zahlreiche Sätze semantisch nahestehen, zum Teil miteinander äquivalent sind oder der eine den anderen impliziert. Es lassen sich vier 'Ketten 1 solcher Sätze finden, die wir nach dem Kernmotiv kenn-
225
zeichnen: (1) STIMME: 3 - 5b - 9b - 13 (2) ENTSPANNUNG: 5a - 6 - 7 - 8 - 9c - 10a - 10b - 10c (3) SCHWERE: Ha - 14b - 15 - 19 - 20b - 22b (4) SCHIAP: 11 - 12 - 17 - (18) - 21 - 23a - 23b - 25a - 26a 26b Die Ketten setzen verschieden ein: bis Satz (14), also etwa der Hälfte des Gesamttextes stehen die Ketten STIMME und ENTSPANNUNG im Vordergrund, in der zweiten Texthälfte SCHIAP - SCHWERE SCHLAF. Untersucht man noch einmal den Text hinsichtlich der in ihm vorkommenden Satzarten, so entdeckt man, daß die Befehlsätze vor allem in der ersten Texthälfte gehäuft vorkommen (4 Befehlsätze gegen 2 in der zweiten Texthälfte). In Bezug auf das Redeziel lassen sich die bisherigen Analyseergebnisse folgendermaßen interpretieren: (1) Der Redner versucht sein Endziel über Teilziele zu erreichen, diese sind sukzessiv: (a) Erweckung der Konzentration auf die Stimme, (b) Suggerierung des Gefühls der Entspannung, (c) Suggerierung des Gefühls der Schwere, (d) Suggerierung des Schlafs. (2) Im Anfang verwendet er häufiger Befehlsätze, vermutlich um eine stärkere Konzentration des Rezipienten zu erzwingen. (3) Er verwendet Techniken der semantischen Parallelisierung, speziell Wiederholungen und Steigerungen, etwa "Sie spüren in Ihrem ganzen Körper die Entspannung. Sie entspannen sich immer mehr.11 oder "Sie haben das Bedürfnis zu schlafen, ein immer stärkeres Bedürfnis zu schlafen." Gerade die letztgenannten Techniken scheinen für das suggestive 7 Reden typisch zu sein. 3.4. 3.4.1.
Zum Charakter suggestiver Aussagen Zur Aussagenabfolge im Text
Wir wollen nun den besonderen Charakter der Aussagen des Textes innerhalb der Hypnotisiersituation näher betrachten. Alle Einzelaussagen des Beispieltextes haben die Eigenschaft, daß sie von Rezipienten innerhalb der Situation, in der sie getätigt werden, sofort und unmittelbar mitvollzogen und verifiziert/fal-
226
sifiziert werden können oder könnten, beispielsweise: (1) "Ich halte Ihnen einen Gegenstand vor die Augen." (2) "Sie richten den Blick auf diesen Gegenstand." (3) "Sie hören meine Stimme." Sieht man von dem Problem ab, ob es stets eindeutig zu entscheiden 1st, ob es sich bei den einzelnen Äußerungen in Aussagesatzform um Behauptungen oder (indirekte) Aufforderungen handelt, so ist auffällig, daß in einigen Fällen der Vollzug der Aufforderung bzw. die Verifikation und die Wahrheit der Behauptung eine Präsupposition für die folgende Äußerung bzw. deren Gültigkeit darstellt. Ein Beispiel: die Verifikation der Aussage (1) geschieht durch den in (2) geschilderten Vorgang. Ähnlich ist es bei (2) und (3), wobei (3) einen Sonderfall darstellt, oder bei 14 a - c. Einige der in (3.3.) festgestellten semantischen Beziehungen zwischen den Einzelaussagen des Textes können so pragmatisch erklärt werden. Von uns vorgenommene Analysen anderer Texte aus demselben Bereich haben ergeben, daß das dargelegte Phänomen recht häufig auftritt, vor allem in der Eröffnungsphase. Man kann, so meinen wir, hier von einer Redetechnik sprechen, die für suggestives Reden typisch ist, und die sich durch folgende Anweisungen für einen Sprecher charakterisieren läßt: (a) Tätige nur Äußerungen (Aussagen), die innerhalb der Situation direkt und unmittelbar verifiziert oder - sofern es sich um Aufforderungen handelt, direkt und unmittelbar vollzogen werden können, (b) Versuche die Äußerungsfolgen so zu halten, daß die Wahrheit, die Verifikation oder der Vollzug einer Äußerung Präsupposition zu einer der Folgerungsäußerungen ist. Diese Technik kann mit den in (3.3.) erwähnten Techniken der semantischen Parallelisierung und Steigerung verbunden werden. Bei differenzierterer Betrachtung, als wir sie hier vornehmen, wird man die Anweisungen entsprechend modifizieren und erweitern können. 3.4.2.
Suggestivaussagen und egologische Aussagen
Untersucht man die im Text vorkommenden Aussagen näher, so lassen sich drei Typen feststellen:
227
(a) (b)
(c)
Aussagen über Gegenstände der 'äußeren' Wahrnehmung. Aussagen über 'innere* Wahrnehmungen des Rezipienten, in denen die Wahrnehmungsweise des Rezipienten spezifiziert wird. Diese Aussagen lassen sich in folgende Grundform fassen: ipüren fühlen hören sehen * • / wobei für X Eigennamen oder Personalpronomina einzusetzen wären, für ein Satz, der ein Wahrnehmungsfaktum bezeichnet, für Z Nomina mit Nominalphrasen. Aussagen über 'innere* Wahrnehmungen des Rezipienten, in denen die Wahrnehmungsweise nicht spezifiziert wird, etwa: "Eine angenehme Wärme durchdringt Ihren Körper." oder "Ihr Körper wird schwer.". Diese Aussagen können unseres Erachtens in Aussagen des Typs (b) übergeführt werden. Eine Aussage wie "Eine angenehme Wärme durchdringt Ihren Körper*1 ist bedeutungsgleich mit "Sie spüren, daß eine angenehme Wärme Ihren Körper durchdringt", denn es ist unsinnig zu sagen "Mein Körper wird von einer angenehmen Wärme durchdrungen, aber ich spüre es nicht", ebenso wie es unsinnig ist zu sagen: "Ich spüre, daß mein Körper von einer angenehmen Wärme durchdrungen wird, aber er wird nicht von einer angenehmen Wärme durchdrungen.".
Wir wollen uns deshalb nur mit Aussagen des Typs (b) näher befassen. Aussagen des Typs (b) weisen eine enge Verwandtschaft zu den sogenannten e g o l o g i s c h e n Aussagen auf. Unter egologischen Aussagen wollen wir mit DELIUS (1974) verstehen: Aussagen, in denen der jeweilige Sprecher von sich behauptet, daß er etwas sieht, hört, oder sonst sinnlich wahrnimmt (also Aussagen des Typus 'Ich sehe ein...', 'Ich sehe, daß...'). (DELIUS 1974: 39f.). ... es sind bestimmte Aussagen in der 1. Person singularls, denen unter bestimmten Umständen eine eigentümliche ·> nämlich eigentümlich unbezweifelbare oder 'evidente1 Wahrheit zukommt. (DELIUS 1974: 39).
228
In seiner Untersuchung zur Natur egologischer Aussagen gelangt Delius zu der Schlußfolgerung: Nur Wesen, die eine Sprache haben, aufgrund deren sie egologische Aussagen zu bilden vermögen, können ein Wissen von sich selbst, können Selbstbewußtsein haben (DELIUS 1974: 77). Mit anderen Worten: egologische Aussagen sind selbstbewußtseinskonstituierend. Die Aussagen des Typs (b) unterscheiden sich nun von egologischen Aussagen darin, daß sie nicht Aussagen einer Person A über die sinnlichen Wahrnehmungen von A sind, sondern Aussagen einer Person A über die sinnlichen Wahrnehmungen einer Person B, und zwar in einer Kommunikationssituation zwischen A und B. Es stellt sich die Präge, welchen Sprechakt A vollzieht, wenn er innerhalb einer Kommunikation zwischen A und B derartige Aussagen tätigt. Als mögliche Antworten auf diese Präge bieten sich sowohl die illokutionären Akte BEHAUPTEN als auch AUFFORDERN an. Wir wollen diese beiden Möglichkeiten kurz überprüfen. (1)
BEHAUPTEN: Paßt man Aussagen des Typs (b) als Behauptungen auf, so sind diese wahr oder falsch. Sind sie wahr, so ergeben sich zwei Möglichkeiten: entweder der durch diese Behauptung festgestellte Sachverhalt bestand schon bevor der Sprecher diese Aussage tätigte oder der Sachverhalt wird durch die Behauptung erst konstituiert. Bei der ersten Möglichkeit ergibt sich das Problem, warum der Sprecher überhaupt die Behauptung tätigt, da sein Redeziel, die Suggestion eines bestimmten psychischen Zustandes von B, bereits erreicht ist. Bei der zweiten Möglichkeit ergibt sich das Problem, wie durch die Tätigung einer solchen Behauptung der psychische Zustand von B überhaupt erreicht wird. Auch im Falle des Falschseins der Behauptung besteht das letztere Problem. Zudem ist - in dieser Kommunikationssituation - die zweite von Searle angeführte Einleitungsregel des illokutionären Aktes BEHAUPTEN nicht erfüllt.12
229
(2)
AUFFORDERN: gesetzt den Fall, es handele sich um indirekte Aufforderungen, die die Person A an B richtet, so ist festzustellen, daB eine explizite Ausfomulierung dieser Aufforderungen den Sinn des Textes verändert und die suggestive Wirkung weitgehend ausgeschaltet wird. Zudem liegen keinerlei Indikatoren vor, die es gestatten würden, Aussagen des Typs (b) als Aufforderungen eindeutig zu erkennen.
Beide Interpretationen sind also problematisch. Es ist fraglich, ob sich mit pragmalinguistischen Methoden allein feststellen läßt, worin die kommunikative Funktion dieser Aussagen besteht. Unbezweifelbar ist jedoch die hohe Suggestivkraft dieser Aussagen. 3.5.
Zusammenfassung der Analyseergebnisse
Die Analyseergebnisse können wie folgt interpretierend zusammengefaßt werden: A. Hinsichtlich der vom Sprecher verfolgten, bzw. - da es sich um einen Mastertext handelt - zu verfolgenden Strategie. (1) Der Sprecher versucht sein Ziel, einem Rezipienten Schlaf zu suggerieren,über die Teilziele: (a) Erweckung der Konzentration, (b) Suggerierung von Entspannung, (c) Suggerierung des Gefühls der Schwere, (d) Suggerierung des Gefühls der Schläfrigkeit zu erreichen. (2) Er versucht innerhalb der Phasen (b), (c), (d) eine Intensivierung der Suggestion zu erreichen. B. Hinsichtlich der Redetechniken, um sein Ziel zu erreichen, verwendet er u.a. folgende Techniken: (1) Zur Erweckung der Konzentration vor allem in der Eingangsphase Befehlsätze. (2) Der Sprecher tätigt bevorzugt Aussagen, die innerhalb der Situation vom Rezipienten und teilweise nur von diesem direkt und unmittelbar verifiziert/falsifiziert werden können. (3) Eine besondere Rolle spielen dabei Sätze des Typs (b) und (c). (4) Der Sprecher hat die Tendenz, seine Aussagen so aufeinan-
230
(5)
derfolgen zu lassen, daß sie in einem präsuppositlonalen Verhältnis zueinander stehen, Der Sprecher versucht die Intensivierung der Suggestion durch häufige Parallelismen syntaktischer und semantischer Art zu erreichen, oft durch steigernde Wiederholungen.
Es dürfte erkennbar sein, daß eine weitere Verfeinerung der Analyse unter strategisch-technischem Gesichtspunkt, verbunden mit einer Erweiterung des Korpus , es gestatten kann, einem Sprecher detaillierte Hinwelse und Anweisungen zu geben, wie er suggestives Sprechen planen und durchführen soll. 4.
Schlußbemerkung
Wir haben die Ausgangsfragen anhand eines Beispiels zu beleuchten versucht, da es beim gegenwärtigen Stand der Theorienbildung in Linguistik und Rhetorik noch nicht möglich scheint, die Prägen allgemein mit Sicherheit zu beantworten. Wir glauben dennoch, daß unsere Analyse eine fruchtbare Verbindung von Linguistik und Rhetorik zumindest nahelegt.
Anmerkungen 1 Vgl. etwa KOPPERSCHMIDT (1973: 150ff.) 2 Etwa in der Psychologie, der Kybernetik usw. 3 Es handelt sich um eine Arbeitsdefinition, nicht um eine ein für alle mal feststehende Definition. 4 Entnommen aus CHERTOK (1973: 156). Der Text stellt nicht die Mitschrift eines aktuellen Vorgangs dar, sondern ist ein Mustertext. Deshalb scheint er für unsere Zielsetzung besonders fruchtbar zu sein. 5 Vgl. dazu CHAÜCHARD (1971: 38f.) 6 Sogenannte suggestive Fragen wollen wir hier unberücksichtigt lassen. 7 Aufgrund der zahlreichen Parallelismen ist der Poetizitätsgrad des Textes recht hoch. 8 Wir unterscheiden zwischen Aussage und Behauptung. Unter 'Aussage1 wollen wir den propositionalen Kern oder Gehalt eines Satzes verstehen, unter 'Behauptung* eine Aussage, die
231
9 10
11 12 13 14
als wahr dargeboten wird. Die Termini 'äußere' und 'innere* Wahrnehmung sind umstritten. Wir denken dennoch, daß verständlich ist, was wir damit meinen. Es besteht ein Unterschied zwischen dem Verhältnis von (a) Ich spüre, daß eine angenehme Wärme meinen Körper durchdringt. (b) Eine angenehme Wärme durchdringt meinen Körper (innere Wahrnehmung) undL dem Verhältnis von UCI Ich spüre, daß jemand hinter mir steht. Jemand steht hinter mir (äußere Wahrnehmung). Auf den sehr ausführlichen und detaillierten Argumentationsgang von Delius können wir hier nicht eingehen. Vgl. SEARLE (1976: 1oof.) Selbst bei gesprochenen Texten läßt der Tonfall des Hypnotiseurs nicht auf Aufforderungen schließen. Wie schon mehrfach angeklungen, haben wir eine Erweiterung vorgenommen, die allerdings noch der genauen Auswertung bedarf.
(sl
Literatur CHAUCHAKD, Paul (1971): "L'hypnose". In: CARTON, Renee / CHAUCHARD, Paul et al, (1971): Savoir persuader. Paris: 38ff. CHERTOK, Leon (1973): Hypnose. Theorie, Praxis und Technik eines psychotherapeutischen Verfahrens. München. DELIUS, Harald (1974): "Zum Wahrheitscharakter egologischer Aussagen. In: BROEKMAN, Jan / HOPER, Gunter (eds.) (1974): Die Wirklichkeit des Unverständlichen. Den Haag: 38-77. ECKER, H.-P. / LANDWEHR, J. et al. (erscheint 1977): Textform Interview. Darstellung und Analyse eines Kommunikationsrituals. Düsseldorf. KOPPERSCHMIDT, Josef (1973): Rhetorik. Stuttgart. MILLER, G.A. / GALANTER, E. / PRIBRAM, Z.H. (1973): Strategien des Handelns. Pläne und Strukturen des Verhaltens. Stuttgart. SEARLE, John R. (1976): Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay. Frankfurt.
V E R B A L E I N T E R A K T I O N ALS I N T E R F E R E N Z VON P R A K T I S C H E N SCHLÜSSEN GEZEIGT AM BEISPIEL EINER UORUIURF-RECHTFERTIGUNGS-INTERAKTION Hartwig Frankenberg
Die f o l g e n d e n A u s f ü h r u n g e n
sind s o g e g l i e d e r t , daß z u n ä c h s t ein U n t e r -
suchungsbeispiel an folgendem Text dargestellt und erläutert wird: Vater:
Uarum hast d u h e u t e m o r g e n
(dffendent)
2
die Zeitung nicht geholt? Fritz:
H e u t e w a r doch Peter a n d e r R e i h e .
Peter:
A c h , das habe i c h v ö l l i g v / e r g e s s e n ,
(Defendent) (Defendent)
daß ich h e u t e d r a n war - tut mir l e i d . Bei e i n e m solchen Text e r g e b e n sich f o l g e n d e P r o b l e m e : 1. Wie k a n n der Z u s a m m e n h a n g dieser drei Ä u ß e r u n g e n e r k l ä r t w e r d e n ?
2 . W i e k ö n n e n diese
Ä u ß e r u n g e n a l s Folge v o n H a n d l u n g e n i n t e r p r e t i e r t w e r d e n ? lautet: Schlüssen
M e i n e These
E s i s t m ö g l i c h , diese Z u s a m m e n h ä n g e m i t H i l f e v o n p r a k t i s c h e n zu rekonstruieren.
Um d i e V e r k e t t u n g dieser d r e i Ä u ß e r u n g e n e r k l ä r e n z u k ö n n e n ,
benötigen
w i r V o r - u n d N a c h g e s c h i c h t e d e r I n t e r a k t i o n : Damit H e r r M e i e r schon z u m F r ü h s t ü c k d i e B i l d - Z e i t u n g lesen k a n n , f ü h l t e r sich a l s F a m i l i e n o b e r h a u p t d a z u b e r e c h t i g t , seine Söhne F r i t z u n d P e t e r d a r u m z u b i t t e n , d a ß sie ihm jeden M o r g e n , bevor sie zur Schule g e h e n , die Bild-Zeitung vom g e g e n ü b e r l i e g e n d e n K i o s k h o l e n , i n d e m sie sich a b w e c h s e l n . E r b e g r ü n d e t seine B i t t e d a m i t , daß er d a n n mit e i n e r s p ä t e r e n S t r a ß e n b a h n zu s e i n e r A r b e i t f a h r e n k ö n n e . F r i t z u n d P e t e r sind u n t e r d e r d u r c h d i e e l t e r l i c h e E r z i e h u n g i n t e r n a l i s i e r t e n g e n e r e l l e n B e r e i t s c h a f t , alle B i t t e n d e r E l t e r n a l s A u f f o r d e r u n g e n a u f z u f a s s e n u n d z u b e f o l g e n g e w i l l t , die A u f f o r d e r u n g ihres V a t e r s i m Sinne eines G e b o t e s m i t n o r m a t i v e m C h a r a k t e r z u e r f ü l l e n . N a c h d e m etwa eine Uloche lang diese A b m a c h u n g t ä g l i c h e i n g e h a l t e n w o r d e n ist,
f e h l t eines M o r g e n s d i e Z e i t u n g . F r i t z u n d P e t e r sind
n i c h t a n w e s e n d , so daß der Vater sie sich selbst b e s o r g t , d a d u r c h aber die S t r a ß e n b a h n v e r p a ß t . Als er abends nach H a u s e k o m m t , f r a g t er F r i t z , d e r g e r a d e a n w e s e n d ist:
'Idarum hast du heute morgen die Zeitung nicht
g e h o l t ? ' . Darauf e r w i d e r t F r i t z : ' H e u t e war doch Peter an der R e i h e . 1
234 Nach e i n e r Ueile k o m m t P e t e r h i n z u , d e m d e r V a t e r dieselbe F r a g e stellt. D a r a u f a n t u o r t e t P e t e r : ' A c h , d a s habe i c h v ö l l i g v e r g e s s e n , daß i c h h e u te dran war - tut mir l e i d . 1 . Wir haben hier die Vor- und Nachgeschichte einer Handlungssequenz, sowie d e n B e g i n n e i n e r a s y m m e t r i s c h e n V o r w u r f s - I n t e r a k t i o n .
An anderer
Stelle h a t t e i c h diesen I n t e r a k t i o n s t y p ' R e c h t f e r t i g u n g d u r c h N i c h t z u 4 ständigkeitserklärung' genannt. 0 drückt mit seinem V o r w u r f f o l g e n d e s (1)
aus:
0 b e h a u p t e t , daß DF eine A b s p r a c h e n i c h t e i n g e h a l t e n und die
In-
t e g r i t ä t ( R o l l e n i d e n t i t ä t ) von 0 - die g e w i c h t i g e V a t e r r o l l e dadurch verletzt (2)
hat.
Bis zum Z e i t p u n k t dieser speziellen V o r u u r f - R e c h t f e r t i g u n g s I n t e r a k t i o n war 0 v o n der G e l t u n g dieser A b s p r a c h e ü b e r z e u g t .
(3)
0 b e w e r t e t das E r e i g n i s n e g a t i v . E r g e h t d a v o n a u s ,
daß die Be-
w e r t u n g auch f ü r D F a u f g r u n d der g e t r o f f e n e n A b s p r a c h e g i l t . (4)
D s e t z t v o r a u s , daß DF A l t e r n a t i v h a n d l u n g e n im Falle e i n e r H a n d lungsverhinderung kennt, die seinen Vorwurf bzw. die Normverletzung nicht ausgelöst h ä t t e . Damit nimmt D an,
den Handlungsspiel-
r a u m von DF zu k e n n e n . (5)
0 f o r d e r t von DF eine S t e l l u n g n a h m e ( A c c o u n t )
zu seiner Unter-
lassungshandlung und erwartet von ihm die Behebung der Interakt i o n s s t ö r u n g , die in diesem Beispiel zu unterstellen
ist.
Wir k e n n e n i n u n s e r e m B e i s p i e l v i e r v e r s c h i e d e n e Ä u ß e r u n g e n : U o r u i u r f (l/F) des Vaters,
Rechtfertigung ( R F ) von Fritz, Entschuldigung ( E N )von
P e t e r , F o r m u l i e r u n g eines G e b o t e s ( G E ) d u r c h d e n V a t e r . Anstelle
der D - Ä * u ß e r u n g ' W a r u m h a s t d u h e u t e m o r g e n d i e Z e i t u n g n i c h t 7 geholt?' wären z.B. andere Realisierungsvarianten möglich: (1)
U)o ist
meine Z e i t u n g ?
(2)
Darum ist
(3)
Uir h a t t e n doch a u s g e m a c h t , d a ß F r i t z u n d P e t e r d i e Z e i t u n g h o l e n
(4)
H a t t e n w i r n i c h t a u s g e m a c h t , d a ß F . oder P . d i e Z e i t u n g h o l t ?
(5)
Uer war d e n n h e u t e d r a n m i t d e m Z e i t u n g h o l e n ?
(6)
Ich d a c h t e , ich k a n n mich auf euch verlassen.
meine Zeitung nicht d a ?
235 (7)
I c h h a t t e e u c h doch g e b e t e n ,
die Z e i t u n g zu holen.
(8)
Heute morgen habe ich meine Straßenbahn verpaßt.
Alle diese R e a l i s i e r u n g V a r i a n t e n v/on 0 lassen sich auf d r e i G r u n d formen reduzieren: Typ 1:
W a r u m ist —
?
( ' p ' : Z e i t u n g b e f i n d e t sich im W a h r n e h m u n g s k o n t e x t won 0)
Typ 2:
Wer m u ß t e H t u n , so daß p ? (
1
: H a n d l u n g des Z e i t u n g h o l e n s durchführen)
Typ 3:
W a r u m hat DF n i c h t H g e t a n ,
damit p ?
In Typ 1 w i r d l e d i g l i c h p r ä s u p p o n i e r t , daß GE v/on 0 n i c h t e r f ü l l t w u r d e . O d e r s c h w ä c h e r : 0 d r ü c k t a u s , d a ß sein a u g e n b l i c k l i c h e r
Wahr-
nehmungskontext nicht mit seiner Erwartung übereinstimmt. Realisierungsvarianten
(1) und (2).
In Typ 2 wird nach der V e r a n t w o r t l i c h k e i t b z w . nach dem v e r a n t w o r t lichen A g e n t e n gefragt. Realisierungsvarianten
Die N i c h t e r f ü l l u n g von GE wird präsupponiert. (3), (4) und (5).
In Typ 3 wird die V e r a n t w o r t l i c h k e i t p r ä s u p p o n i e r t , d . h . der verantwortliche Agent gilt als i d e n t i f i z i e r t , b z w . die I d e n t i f i z i e r u n g wird von 0 b e h a u p t e t . D F w i r d a u f g e f o r d e r t z u s e i n e r V e r a n t w o r t l i c h k e i t ( H a n d lungsunterlassung) Stellung zu nehmen. RealisierungsVarianten (6) u. ( ? ) . B e i d i e s e n d r e i A r t e n v o n Ä u ß e r u n g e n h a n d e l t e s sich u m V o r w ü r f e m i t u n t e r s c h i e d l i c h e r S p e z i f i z i e r u n g . B e i e i n e m V F w i r d also i m m e r i m p l i z i t oder explizit auf eine Norm - GE von G- Bezug g e n o m m e n , b z w . auf eine N o r m v e r l e t z u n g hingewiesen. Ein VF besteht dann analytisch aus zwei Behauptungen und einer A u f f o r d e r u n g : (1)
D b e h a u p t e t , daß eine A b s p r a c h e , G e b o t mit n o r m a t i v e m C h a r a k t e r , verletzt worden
(2)
0 b e h a u p t e t , d a ß e i n b e s t i m m t e r A g e n t ( D e f e n d e n t ) diese M o r m v e r letzung begangen
(3)
ist. hat.
D f o r d e r t den i d e n t i f i z i e r t e n oder vermeintlichen Agenten a u f , zu s e i n e r / s e i n e n B e h a u p t u n g e n - ( 1 ) u n d / o d e r ( 2 ) - S t e l l u n g z u nehmen.
236 Ich komme nun zur Interpretation der Defendenten-Äußerungen: DF:
H e u t e war doch P e t e r an der R e i h e .
DP:
A c h , das habe ich v ö l l i g v e r g e s s e n , daß ich h a u t e an der R e i h e war - tut m i r leid.
Bei der Ä u ß e r u n g w o n OF h a n d e l t GS sich um eine R e c h t f e r t i g u n g , n a u e r : um eine RF durch N i c h t z u s t ä n d i g k e i t s e r k l ä r u n g ,
ge-
und bei der Ä u ß e r -
ung von DP um eine EN. Beide S p r e c h h a n d l u n g e n lassen sich k o n t r a s t i v dep
finieren: Rechtfertigung: Die kognitive Inkonsistenz zwischen den Interaktionsp a r t n e r n w i r d d a d u r c h b e h o b e n , d a ß d i e n e g a t i v e B e w e r t u n g einer H a n d l u n g oder H a n d l u n g s k o n s e q u s n z von D erfolgreich neutralisiert werden k a n n , so daß 0 eine V e r l e t z u n g s e i n e r I n t e g r i t ä t s z o n e als n i c h t m e h r gegeben hält. Entschuldigung: Die kognitive Inkonsistenz zwischen den Interaktionsp a r t n e r n w i r d d a d u r c h b e h o b e n , daß D die n e g a t i v e B e w e r t u n g e i n e r H a n d lung
oder H a n d l u n g s k o n s e q u e n z b e s t ä t i g t u n d a k z e p t i e r t . G l e i c h z e i t i g
g i b t er ü zu v e r s t e h e n , daß er n i c h t g e w i l l t ist,
0 n o c h m a l s in die La-
g e z u b r i n g e n , eine b e s t i m m t e H a n d l u n g a l s s p e z i f i s c h e N o r m v e r f e h l u n g zu b e w e r t e n .
Im U n t e r s c h i e d zu e i n e r RF ist
bei e i n e r EN die n e g a t i v e
H a n d l u n g s b e w e r t u n g - j e nach S c h w e r e d e r V e r f e h l u n g u n d d e m H ä u f i g k e i t s g r a d der W i e d e r h o l u n g - n u r b e s c h r ä n k t
neutralisierbar.
Da h i e r d i e Z u s a m m e n h ä n g e z w i s c h e n V F - R F u n d VF-EN m i t h i l f e d e s p r a k tischen Schlusses r e k o n s t r u i e r t werden sollen, ist
zunächst zu begründen
welche Rolle der praktische Schluß in der Linguistik haben kann. Das K o n z e p t des praktischen Schlusses wird zur R e k o n s t r u k t i o n von g H a n d l u n g s z u s a m m e n h ä n g e n v e r w e n d e t . G e n e r e l l läßt sich jedoch feststellen, daß der praktische Schluß die R e k o n s t r u k t i o n oder A n t i z i p a t i o n ein e s H a n d l u n g s e n t s c h l u s s e s b z w . eines H a n d l u n g s e r g e b n i s s e s d a r s t e l l t . E i n PS w i r d d e m n a c h a l s a n a l y t i s c h e r B e s t a n d t e i l e i n e r j e d e n i n t e n t i o n a l e n H a n d l u n g , die a l s p r a k t i s c h e s P r o b l e m l ö s u n g s v e r f a h r e n z u v e r s t e h e n aufgefaßt.
ist,
237 Schema des PS: 1
A beabsichtigt, p h e r b e i z u f ü h r e n .
(Intention: Absichtsprämisse)
2
A glaubt,
(Kognition: kognitive
daß er p nur d a n n h e r b e i -
f ü h r e n k a n n , wenn er h tut. ::
3
Prä-
misse)
F o l g l i c h m a c h t sich A d a r a n ,
(Aktion:Handlungsentschluß,
h zu t u n .
Handlung)
Die k o g n i t i v e P r ä m i s s e s t e l l t s o z i a l e s u n d f a k t i s c h e s W i s s e n d a r ,
so-
wie deren n o r m a t i v e I m p l i k a t i o n e n . Die k o g n i t i v e Prämisse enthält immer eine Aussage von k o n d i t i o n a l e r S t r u k t u r . Die H a n d l u n g s t h e o r i e b e s c h r e i b t m i t d e m P S a l s
Rekonstruktionsmittel
Handlungen als monologische Handlungen. Die S p r e c h h a n d l u n g s t h e o r i e geht jedoch grundsätzlich von dem dialogischen Charakter der Sprechhandlungen aus. Es muß deshalb möglich sein, auch dialogische S p r e c h h a n d l u n g e n m i t h i l f e v o n PS z u b e s c h r e i b e n
b z w . zu r e k o n s t r u i e r e n .
Beispiel: A gibt B einen Ratschlag:
10
' T u doch x'.
Diese Ä u ß e r u n g läßt
sich a l s A u s s a g e m i t k o n d i t i o n a l e r S t r u k t u r b e s c h r e i b e n : reichen willst, dann tu doch
'.
'Wenn du p er-
v e r s u c h t also, B d a z u z u ü b e r r e d e n ,
b e i seinem ( B ) H a n d l u n g s e n t s c h l u ß seine ( A ) e i g e n e k o g n i t i v e P r ä m i s s e zu ü b e r n e h m e n . V e r e i n f a c h t g e s p r o c h e n : A g r e i f t i n d e n P r o z e ß d e s p r a k t i s c h e n S c h l i e Q e n s von B e i n .
Dieses I n e i n a n d e r g r e i f e n von PS der
teraktionspartner bezeichne ich als
In-
' I n t e r f e r e n z von p r a k t i s c h e n Schlüs-
1
sen : (1)
Die K o n z e p t i o n der I n t e r f e r e n z von p r a k t i s c h e n Schlüssen dient
(2)
zur Erklärung zwischenmenschlicher Verständigungen. 12 Sie e r m ö g l i c h t d i e S i c h e r u n g d e r s i n n v o l l e n (konventionellen) Aufeinanderfolge von Handlungen.
(3)
Sie b i e t e t d i e E x p l i k a t i o n d e s s o z i a l e n u n d f a k t i s c h e n W i s s e n s mit ihren normativen Implikationen.
(4)
S i e e r l a u b t d i e D e f i n i t i o n eines s p r e c h h a n d l u n g s t h e o r e t i s c h e n Interaktionsbegriffes.
Es i s t
d a v o n a u s z u g e h e n , d a ß alle Ä u ß e r u n g e n d e s o b e n b e s c h r i e b e n e n
Beispiels ' Z e i t u n g h o l e n 1 je als K o n k l u s i o n e n von PS zu beschreiben sind.
238 V e r e i n f a c h t l a u t e t also m e i n e These: Der Z u s a m m e n h a n g v o n a l l e n S p r e c h h a n d l u n g s s e q u e n z e n - n i c h t n u r V/F-RF und V F - E N - k o n s t i t u i e r t sich d u r c h eine I n t e r f e r e n z v o n P S . In unserem Beispiel geht es dann um folgendes: Fritz bzw. Peter rekonstruiert
a u s der U F - Ä u Q e r u n g d e n P S d e s V a t e r s ,
der zu dem VF g e f ü h r t hat und v e r w e n d e t die K o n k l u s i o n dieses PS als
Prä-
misse f ü r s e i n e n e i g e n e n P S , d u r c h d e n seine R e a k t i o n s ä u ß e r u n g f e s t g e legt w i r d . R e k o n s t r u k t i o n des PS des D ( V o r w u r f - des V a t e r s ) d u r c h DF ( F r i t z ) : P.
Wer i s t
der verantwortliche A g e n t ?
P
W e n n GE e r f ü l l t w e r d e n soll, dann muß F r i t z oder Peter die Z e i t u n g holen.
::
Warum ist
GE nicht e r f ü l l t w o r d e n ?
DF i n t e r p r e t i e r t also d i e Ä u ß e r u n g v o n 0 ' W a r u m h a s t d u h e u t e m o r g e n d i e Z e i t u n g n i c h t g e h o l t ? 1 als:
'Warum ist
GE nicht erfüllt worden?'.
Wir h a t t e n s c h o n w e i t e r o b e n g e s e h e n , d a ß sich d i e m ö g l i c h e n Realis i e r u n g s v a r i a n t e n von 0 - in diesem B e i s p i e l - auf d r e i G r u n d f o r m e n red u z i e r e n lassen: (1)
Wo ist
die Z e i t u n g ?
(2)
Wer mußte die Zeitung holen?
(3)
Warum hast du die Z e i t u n g nicht g e h o l t ?
Diese d r e i G r u n d f o r m e n s t e l l e n d r e i m ö g l i c h e p r a g m a t i s c h e D e u t u n g e n der Ä u ß e r u n g 'Warum hast du heute morgen die Zeitung nicht geholt?1
dar.
Diese u n t e r s c h i e d l i c h e n A u f f a s s u n g e n s i n d f ü r D F v o n e r h e b l i c h e r B e d e u t u n g . S i e sind V o r a u s s e t z u n g f ü r seine I n t e r a k t i o n s r e k o n s t r u k t i o n u n d I n t e r a k t i o n s p l a n u n g . D F m u ß also p r ü f e n , w e l c h e d e r d r e i D e u t u n g e n f ü r ihn gültig sind. In 'Uo ist tet.
die Z e i t u n g ? 1 w i r d von 0 die N i c h t e r f ü l l u n g von GE b e h a u p -
H i e r b i e t e t sich dem DF als e r f o r d e r l i c h e R e a k t i o n die RF als Re-
konstruktion von faktischen Bedingungen. I n ' W e r m u ß t e d i e Z e i t u n g h o l e n ? ' f r a g t 0 nach d e r V e r a n t w o r t l i c h k e i t d e r f ü r d i e G e b o t s e r f ü l l u n g z u s t ä n d i g e P e r s o n ( F r i t z oder P e t e r ) . F ü r D F
239 b e d e u t e t dies die N o t w e n d i g k e i t , d i e n o r m a t i v e n B e d i n g u n g e n z u r e k o n struieren . I n ' U a r u m hast d u d i e Z e i t u n g n i c h t g e h o l t ? ' g i l t d e r v e r a n t w o r t l i c h e Agent als i d e n t i f i z i e r t . DF hat hier die Möglichkeit, die I d e n t i f i z i e r ung zu akzeptieren oder z u r ü c k z u w e i s e n . D a s G e b o t ' F r i t z o d e r P e t e r h o l e n z u einem b e s t i m m t e n Z e i t p u n k t d i e 13 Z e i t u n g ' l ä ß t sich g e n a u e r e x p l i z i e r e n : F r i t z h o l t d i e Z e i t u n g : t-··-- t^ l
P e t e r h o l t die Z e i t u n g :
1
O
t-
(t = m o n t a g s
O
t-
l
1,
t ^ d i e ni s ttaacg s
etc) a t
(1)
Gt
-
J
1 1 »
3
'
5
'°b ' 2 , 4 , 6
Frage (Peter) (2)
-,G t
> 1 3 5
' '
oruurf (Peter) |
D i e Formeln ( l ) > ( 2 ) , ( 3 ) werden folgendermaßen gelesen: (1)
D a s G e b o t gilt d a n n a l s e r f ü l l t , w e n n F r i t z m o n t a g s , m i t t w o c h s , freitags und Peter dienstags,
d o n n e r s t a g s , samstags die Z e i t u n g
zu einem b e s t i m m t e n Z e i t p u n k t h o l e n . (2)
LJenn d a s G e b o t m o n t a g s , m i t t w o c h s , f r e i t a g s n i c h t e r f ü l l t w o r d e n ist,
dann wird die Ä u ß e r u n g von Q von Peter als Frage und von
Fritz als Vorwurf verstanden. (3)
Uenn das Gebot dienstags, donnerstags, samstags nicht e r f ü l l t w o r d e n ist, d a n n w i r d d i e Ä u ß e r u n g v o n G v o n F r i t z a l s F r a g e u n d von P e t e r a l s U o r w u r f v e r s t a n d e n .
240 (1)
Rechtfertigung als Rekonstruktion von faktischen Bedingungen:
'Uo ist 1)
2)
die Z e i t u n g ?'
G —»· H J t 1 3 5 Da H H —>< ' ' \ u n [ ^ 2 , 4 , 6 b ^J
3) —iG
( H a n d l u n g s e r g e b n i s , das von einem bes t i m m t e n A g e n t e n zu einer b e s t i m m t e n Zeit e r r e i c h t w i r d . ) (Frage des 0)
4)
B y K
(t_)
5)
P e t e r ist
(Faktische Bedingungen)
v e r a n t w o r t l i c h ( a u f g r u n d von 1), 2) und 4) )
A n t w o r t : ' H e u t e war doch P e t e r a n d e r R e i h e ' Offendent:
'Warum?'
D e f e n d e n t : 'Weil h e u t e t ? i s t . 1 ( P r ä m i s s e 4) ) O f f e n d e n t : Nimmt Faktenvergleich vor. (2)
Rechtfertigung als Rekonstruktion von normativen Bedingungen:
'Wer mußte die Zeitung holen?1 kann unterschiedlich aufgefaßt werden: (a)
als F r a g e nach der U e r a n t w o r t l i c h k e i t . Es g e h t d a n n um die Gült i g k e i t d e r P r ä m i s s e 2 ) , also u m d i e R e k o n s t r u k t i o n d e r n o r m a tiven Bedingungen des Gebotes;
(b)
es geht um die F r a g e nach dem g ü l t i g e n D a t u m : ' W e l c h e r Tag ist h e u t e ? ' . Bei dieser A u f f a s s u n g g e h t es dann n a c h (1) um die Rek o n s t r u k t i o n von faktischen Bedingungen.
(3)
Direkter Voruiurf: 0 p r ä s u p p o n i e r t h i e r die G ü l t i g k e i t
der P r ä m i s s e n 2) und 4 ) :
'Ularum h a s t du GE n i c h t e r f ü l l t ? ' . P r ä m i s s e 3) e n t f ä l l t : 1)
G -» H
2)
t,-=» l 9Jf
4)
B
V
K
5) —»H-> 6)
-,G (a)
(t,)
241 Anmerkungen 1
F ü r A n r e g u n g e n u n d k o n s t r u k t i v e K r i t i k d a n k e ich E r n s t A p e l t a u e r . Auch D i e t e r W u n d e r l i c h b i n i c h z u Dank v e r p f l i c h t e t , d a diese u n d andere A u s f ü h r u n g e n ohne K e n n t n i s seiner S c h r i f t e n und ohne seine F ö r d e r u n g nicht möglich gewesen w ä r e n .
2
U n t e r ' Q f f e n d e n t 1 verstehe ich einen I n t e r a k t i o n s p a r t n e r , der einen V o r u u r f , B e s c h u l d i g u n g , K r i t i k etc. ä u O e r t . A b k ü r z u n g : '. U n t e r ' D e f e n d e n t ' v / e r s t e h e i c h e i n e n I n t e r a k t i o n s p a r t n e r , der a u f e i n e n V o r u i u r f , B e s c h u l d i g u n g , K r i t i k etc. v e r b a l r e a g i e r t m i t h i l f e e i n e r R e c h t f e r t i g u n g , E n t s c h u l d i g u n g etc.. A b k ü r z u n g : ' D 1 . Defendent F r i t z : 'DF', Defendent Peter: 'DP1. Weitere platzsparende Abkürzungen: ' V F ' f ü r ' V o r u u r f 'RF1 für 'Rechtfertigung« 'GE' für 'Gebot',
3
Die B e g r i f f e ' H a n d l u n g s s e q u e n z 1 und ' S p r e c h h a n d l u n g s s e q u e n z ' verwende i c h i m Sinne v o n k o n v e n t i o n e l l e n A b f o l g e s c h e m a t a j v g l . : WUNDERLICH (72), S. 25 ff.
4
FRANKENBERG (75),
5
Die P u n k t e (1) bis (5) s t e l l e n die H a n d l u n g s p r ä s u p p o s i t i o n e n des O f f e n d e n t e n dar.
6
Zum B e g r i f f
7
Alls I n t o n a t i o n s m e r k m a l e v o n Ä u ß e r u n g e n b l e i b e n u n b e r ü c k s i c h t i g t ,
' A c c o u n t 1 v g l . : SCOTT/LYMAN (6
Zu den B e g r i f f e n 9
S. 61 .
).
' und ' R F ' v g l . : R E H B E I N (72)
Abkürzung für 'praktischer Schluß1: ' P S ' . Literatur zum PS: URIGHT (63), (74), GAUTHIER (63), ARISTOTELES
(75),
1G
Vgl.: WUNDERLICH (76), S. 2BO ff.
11
H i e r b e i w i r d u n t e r s t e l l t , daß B den A mit e i n e r v o r a u s g e h e n d e n H a n d lung a u f g e f o r d e r t hat, ihm einen Rat zu geben.
12
V g l . : SCHÜTZ ( 7 4 ) , S. 42 f f .
13
D ' i s t e i n H a n d l u n g s o p e r a t o r nach P Ö R N ( 7 0 ) . H' steht f ü r : 'Jemand holt die Z e i t u n g ' a« " » 'Fritz1 b' " » 'Peter' c1 " » 'Vater' G1 " " 'Das G e b o t g i l t als e r f ü l l t * .
242 Literatur ARISTOTELES (75): Die Nikomachiscbe E t h i k . Übersetzt und herausgegeben von Olof G i g o n , M ü n c h e n 1975 . F R A N K E N B E R G , H . ( 7 5 ) : U o r u e r f e n u n d R e c h t f e r t i g e n a l s v e r b a l e Teils t r a t e g i e n d e r i n n e r f a m i l i a l e n I n t e r a k t i o n , Diss. D ü s s e l d o r f 1975. G A U T H I E R , D . P . ( 6 3 ) : Practical Reasoning, Oxford PORN, I . ( 7 0 ) : The Logic of Pouer, O x f o r d
1963.
1970.
REHBEIN, 3.(72): Entschuldigungen und Rechtfertigungen, in:UUNDERLICH(72), S C H Ü T Z , A . ( 7 4 ) : Der s i n n h a f t e A u f b a u der sozialen Welt, F r a n k f u r t SCOTT, H . B . / L Y M A N , S . ( 6 8 ) : A c c o u n t s , i n :
1974.
A m e r i c a n Sociological R e v i e w , 33, 1968.
WRIGHT, G . H . .(63): The Varieties of Goodness, London
1963.
(74): Erklären und Werstehen, F r a n k f u r t
1974.
WUNDERLICH, D . ( 7 2 ) ( H r s g ) : Linguistische Pragmatik,
Frankfurt
1972.
( 7 6 ) : S t u d i e n z u r S p r e c h a k t t h e o r i e , F r a n k f u r t 1976.
ANALYSE UND ALLES ÜBER 'AND ALL 1 UND ALLES
Zu Kompletivformeln in umgangssprachlichen Äußerungen Axel Hübler
O.
Einleitung: Intensifier und Kompletivformel
Das Thema des Vertrages entzündete sich ursprünglich an einem besonderen sprachlichen Charakteristikum des jugendlichen Erzählers in J . D . Salingers 'The Catcher in the Rye'. Mit auffallender Häufigkeit verwendet er für die Darstellung seines jeweiligen Erzählgegenstandes Formeln wie and all , _or anything oder just . Eine der Hauptfunktionen solcher Formeln liegt sicherlich darin, der betreffenden Aussage Nachdruck zu verleihen. Quirk et al. ( 1 9 7 2 ) nennen Formen dieser Art Intensifiers und untergliedern sie in drei Gruppen, die Emphasizers, Amplifiers und Downtoners ( 8 . 1 9 ) . Dieser Einteilung zufolge würde and all (wenngleich von den Autoren vermutlich als zu umgangssprachliche Erscheinung unberücksichtigt gelassen) wohl zu dem Amplifiers, just zu den Emphasizers gezählt werden müssen. Als Beispiele hierfür könnten etwa die folgenden Äußerungen aus dem 'Catcher' angesehen werden. ( 1 ) He was thinking and all. (2) I just quit. In Beispiel (3) John is a trouble-maker, that's what he is. ist die unterstrichene Phrase nur eine Paraphrase von just Neben oder zusätzlich zu der Funktion der Intensivierung scheint mir bei den genannten Formeln aber auch noch ein anderes Moment, das der Vollständigkeit, eine wichtige Rolle zu spielen. Auf diesen Aspekt werden sich die nachstehenden Ausführungen im 2 wesentlichen beschränken und die Formeln dementsprechend als Kompletivformeln behandeln, soweit eine solche Dominanz gegeben zu sein scheint. Dabei wären in einer ausführlichen Darstellung die Kompletivformeln sicherlich im Rahmen zweier miteinander zwar vermittelter, systematisch aber zunächst unabhängiger Dimensionen zu behandeln, der inhaltlichen, informativen und der in-
244
terpersonellen. Im Rahmen dieses Vertrages werde ich mich im wesentlichen auf die erstgenannte Dimension beschränken und letztere nur so weit berühren, als sie unmittelbar aus jener ableitbar ist. Folgende Äußerungen aus dem 'Catcher 1 sollen (wenigstens optional) in diesem Sinne interpretiert und als Explikationsmaterial für meine Darstellung herangezogen werden. (4) Surrounded by dead guys and tombstones and all. (5) I ' m not going to tell you my whole goddam autobiography or anything. (6) Old Stradlater started taking off his coat and tie and all. (7) Then we shook hands. And all that crap. (8) I left all the foils and equipment and stuff. (9) They all worked and all in Seattle. (10) It was just that we were too much on opposite sides of the pole, that's all. Bei Salingers Erzähler ist das Phänomen formelhafter Vollständigkeit besonders augenfällig und in dieser Häufung sicherlich idiosynkratisch. Nichtsdestoweniger findet es sich aber auch sehr häufig in natürlicher Alltagskommunikation, der folgende ergänzende Varianten entnommen sind: ( 1 1 ) And then he kissed her and everything. ( 1 2 ) I'll just have to make a phone-call before we leave. ( 1 3 ) All I did was go out of the room. 1.
Zur Klassifikation der Kompletivformeln
1.1.
Typenbestimmung
Abgesehen von der normalen Aussage, die ohne jeden formelhaften Zusatz betreffs Vollständigkeit auskommt, z.B. im Vergleich zu (11) (11a) And then he kissed her.,
hat ein Sprecher grundsätzlich zwei Möglichkeiten, seine Verbalisierung, in und mit der er allein auf Gegenstände oder Sachverhalte Bezug nehmen kann , als komplett zu charakterisieren. Er kann dem von ihm Explizierten das Etikett 'vollständig' geben und so jede substantielle Ergänzbarkeit ausschließen, oder er kann ausdrücklich auf die Ergänzungsbedürftigkeit hinweisen und gerade damit seine Aussage de facto in einem pragmatischen Sinn
245
als vollständig markieren. Daß trotz aller Unterschiedlichkeit bei beiden Typen Vollständigkeit zum Ausdruck kommt, läßt sich daraus ersehen, daß nach einer solchen Äußerung nie die Frage aufkommen kann: "And something else?" In der Normalform der Aussage dagegen ist dies durchaus möglich. Beiden Typen ist gemeinsam, daß sie Alternativformulierungen qua Ausschluß (negierte Ergänzbarkeit) bzw. qua Einschluß (affirmierte Ergänzbarkeit) implizieren. Diese implizierten Alternativformulierungen stellen sich nun freilich nicht so dar, als ob sie aus einer vermeintlich unsprachlichen Bezugnahme auf einen realen Gegenstand oder Sachverhalt ableitbar wären, sie sind vielmehr nur zu denken in einer möglichen synonymen Sinnrelation untereinander, die sich darin konstituiert, daß für beide Formulierungen (neben anderen) gleiche Identifizierungs- und Verifikationsregeln gelten, mittels derer sie als auf ein und denselben Gegenstand oder Sachverhalt Bezug nehmend ausgewiesen werden 4 können. Wiewohl die Kompletivformeln also letztlich nur im Rahmen der Gesamtaussage behandelt werden können, sind ihre unmittelbare Domäne die Klassifikationsausdrücke, d.h. die Begriffe bzw. Prädikate (i.e. die Lexeme einer Sprache), in denen im Verbund mit dem singulären Terminus, dem pronominalen Ausdruck X ( ' e t w a s ' ) und seiner Kennzeichnung auf einen realen Gegenstand oder Sachverhalt Bezug genommen wird. Formeln, die das explizit Gemachte als in sich vollständig und damit als nicht weiter ergänzbar markieren, sollen als n e g a t i v e Kompletivformeln bezeichnet werden. Beispiele dafür sind just , simply , that's all oder auch that's what he is mit seinen kontextbedingten Allophrasen. In Communicative Grammar of English' von Leech und Svartvik (1975) findet sich eine analoge Klasse, die die Autoren als "restriktiv" bezeichnen. Restriktiv ist ihnen zufolge jedes Element dieser Art "in that it combines negative meaning with the idea of exception" ( 2 4 1 ) . Was hier als exzeptionell charakterisiert wird, ist aber eigentlich nur Vollständigkeitsmarkierung. P o s i t i v e Kompletivformeln ergänzen e i n j e Expliziertes additiv pro forma um jenen Teil, um den das de facto Explizierte gegenüber möglichen umfangreicheren Darstellungen kürzer greift. Beispiele hierfür sind neben and all , and everything ,
246
and stuff auch and so on und etc . Quirk et al. sprechen in ihrer "Grammar of Contemporary English 1 von Quasi-Koordinatoren und charakterisieren sie as an abbreviating device at the end of a series of conjoined phrases to indicate that the series has not been exhaustively given ( 9 . 1 2 9 ) . Diese Charakterisierung scheint mir den eigentlichen Befund nicht voll zu erfassen. Wenn diese Ausdrücke auch eine (Teil-) Äußerung als unvollständig charakterisieren, hat ihre Benutzung in Kompletivfunktion durch einen Sprecher doch zumindest zur Voraussetzung, daß dem Sprecher bewußt ist, daß eine vollständigere Formulierung gewählt werden könnte, die auf den gleichen Sachverhalt oder Gegenstand verweist. Genau diese Möglichkeit bringt er ein, wenn er mit positiven Kompletivformeln arbeitet. Wenn es aber grundsätzlich möglich ist, auf einen Gegenstand oder Sachverhalt mit einem Set expliziter (Teil-)Äußerungen Bezug zu nehmen, so kann die stattdessen benutzte Kompletivformel als nicht-anaphorische Pro-Form angesehen werden für jenen komplementären Teilset, der zusammen mit den expliziten Äußerungsteilen die Gesamtmenge bildet, in der ein Sprecher Bezug auf etwas nimmt. Eine positive Kompletivformel verbürgt also gerade die Vollständigkeit. 1.2.
Begriff der Ergänzbarkeit
Beide Arten der in diesen Formeln hinterlegten Vollständigkeit sind an den Begriff der Ergänzbarkeit gebunden; sie wird in einem Fall bejaht, im anderen verneint und charakterisiert damit den betreffenden realen Gegenstand oder Sachverhalt einmal als komplex, zum anderen Mal als einfach. Die Ergänzbarkeit soll hier nicht nur quantitativ (was sie auch immer ist), sondern primär qualitativ gefaßt werden, und zwar in dem Sinn, daß das Ergänzbare als das im Explizierten Nicht-Inbegriffene aufgefaßt wird. Auf diese Weise werden bei beiden Arten von Kompletivformeln nur solche zusätzlichen (der Konjunktenrestriktion gehorchenden) Klassifikationsausdrücke als möglich in Betracht gezogen, die nicht unter die de facto explizit gegebenen Klassifikationsausdrücke subsumiert werden können und gleichwohl einzig so verwendet sind, daß die (regelgeleitete) Verifikation der Formu-
247 lierung mit expliziter Ergänzung und die der Formulierung mit Kompletivformel die jeweils gemeinten Gegenstände oder Sachverhalte als gleich (bei positiver Kompletivformel) bzw. verschieden (bei negativer Kompletivformel) ausweisen. 1.3.
Verhältnis von Kompletivformel und Intensifier unter dem Gesichtspunkt der Ergänzbarkeit
Die nicht-inbegriffene Ergänzbarkeit, vor deren Hintergrund die Kompletivformeln wirken, könnte vielleicht auch mit ein Kriterium dafür abgeben, inwieweit Phrasen wie and all oder just als Kompletivformel und inwieweit sie als Intensifier zu bewerten sind. Dabei kommt es auf den Inhalt der Ergänzbarkeit (die die Formeln bejahen bzw. verneinen, indem sie das Explizierte als unvollständig bzw. vollständig charakterisieren) an, der wiederum von den expliziten Elementen des jeweiligen Kontextes abhängt. Formeln positiver Ergänzbarkeit sind kompletiv nur dann, wenn sie Pro-Form für solche möglichen Klassifikationsausdrücke sind, die zu den expliziten in einer anderen als einer hyponymen Sinnrelation stehen. Andernfalls gewinnen sie rein intensivierende Funktion. Zumindest erklärt diese Unterscheidung die Bedeutungsdifferenzen in Beispielen wie (6) Old Stradlater started taking off his coat and tie and all einerseits und ( 1 4 ) He is my brother and all. (15) I t ' s only his body and all that's in the cemetery, andererseits. Aufgrund der besonderen Bedeutungskomplexität der Lexeme brother und body im Kontext der Äußerung ( 1 4 ) und (15) würde die Substitution der jeweiligen Pro-Form durch Klassifikationsausdrücke mit großer Wahrscheinlichkeit hyponyme Sinnrelationen ergeben. Die Formeln, die eine nicht-inbegriffene Ergänzbarkeit verneinen, sind nach diesen Beurteilungsmaßstäben ambiger Natur. Das veranschaulicht die oben benutzte Formulierung der Vollständigkeitsmarkierung von just : die negative Kompletivformel intensiviert das explizit Gesagte nur und einzig durch den Hinweis, daß mit dem explizit Gesagten alles gesagt ist. So gesehen ist die eingangs vorgenommene Charakterisierung des just im
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Beispiel (2) I just quit. als Intensifier insofern nicht erschöpfend, als die Bedingung dafür, die nicht-inbegriffene Nicht-Ergänzbarkeit, unberücksichg tigt geblieben war. 2. 2.1.
Konversationelle Verwendungsbedingungen Beschreibungen
Äußerungen m i t p o s i t i v e n Kompletivformeln können i n ihrem Bezug auf einen realen (komplexen) Gegenstand oder Sachverhalt als vollständig gelten, wenn die Kompletivformel durch explizite Klassifikationsausdrücke, die den gleichen Sach- oder Gegenstandsbezug ermöglichen, ersetzt werden kann, und wenn der Sprecher zu solcher Substitution in der Lage ist. Daß der Sprecher stattdessen zur Pro-Form greift, könnte er auf Befragen einmal damit rechtfertigen, daß er die in der Pro-Form hinterlegten Klassifikationsausdrücke für nicht sonderlich relevant halte und ihre Explizierung deshalb nur eine unnötige Ablenkung vom Wesentlichen bedeuten würde und/oder zum anderen damit, daß er den Hörer so einschätze, daß dieser, sofern er an einer Füllung der q Pro-Form interessiert sei, das selbst zu tun in der Lage sei. Eine Äußerung wie ( 1 1 ) And then he kissed her and everything. ist also in der Interpretation der Formel als kompletive wahr, wenn das, was vorging, mit dem Klassifikationsausdruck kiss allein nicht ausreichend wiedergegeben ist oder, anders gesagt, wenn die Formulierung mit der Pro-Form and everything , die für nicht-inbegriffene ergänzende Klassifikationsausdrücke Raum gibt, nicht so wie (11 a) And then he kissed her. verifizierbar ist. Wenn die entsprechende Substitution darüber hinaus auch für den Hörer möglich erscheint, (und der Leser dieses Artikels mag das selbst an sich testen!) und/oder wenn der Fokus des Interesses auf Seiten des Sprechers und/oder des Hörers durch kiss abgedeckt erscheint, dürfte die Formel in der notwendigen Äußerung auch konversationell richtig verwendet worden sein. In allen diesen Fällen erübrigt sich dann auch eine
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Rückfrage des Hörers. Bei Äußerungen mit n e g a t i v e n Kompletivformeln wie in ( 1 2 ) I'll just have to make a phone-call before we leave. (13) All I did was go out of the room. kann man im Nonnalfall davon ausgehen, daß der Sprecher (bei einem Streit etwa) wirklich nur aus dem Zimmer ging und nicht etwa noch vorher handgreiflich oder laut wurde, bzw. daß er wirklich glaubt, nur einen Anruf und nicht etwa noch verschiedenes andere erledigen zu müssen, bevor er aufzubrechen in der Lage ist. Dabei kalkuliert der Sprecher aber auch zugleich zumindest die Möglichkeit ein, daß auf selten des Hörers der Eindruck besteht, es könnte außer dem explizierten Vorgang auch anderes vorgefallen sein bzw. anstehen. Eben zur Vermeidung solcher Unklarheiten, deren Beilegung durch Rückfrage und Antwort aufwendiger werden könnte, kann eine der negativen Kompletivformeln benutzt werden. Eine zweite grundsätzliche Konstellation demonstriert die Interpretation einer Äußerung wie (3) John is a trouble-maker. That's what he is. Trotz der intensivierenden Ausschließlichkeit der Charakterisierung Johns als Störenfried weiß der Sprecher natürlich, daß auch andere Charakteristika auf John zutreffen, und da er guten Glaubens sein kann, daß auch der Hörer dies weiß, ist in der gegebenen Situation unter der besonderen Gesprächsperspektive eine solche Vereinseitigung zugunsten einer Konzentration statthaft. 2.2.
Konversationelle Postulate
Aus den letzten Analysen sind Vorstellungen zu extrahieren, die über den Rahmen der Kompletivformeln hinaus für jedwede Kommunikation und deren Erfolg oder Mißerfolg von Bedeutung sind. Es sind dies Vorstellungen von kommunikativem Wohlverhalten, die H.P. Grice (1968) - zumindest für unsere westliche Kultur - als konversationelle Bedingungen und Prinzipien gewissermaßen sozialethisch institutionalisiert hat. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Kooperationsprinzip, dem neben den Kategorien der Qualität (Wahrheit), der Relation (Relevanz) und der Art (Klarheit) auch die der Quantität zugeordnet ist; letztere ist ja, vor allen anderen, für unsere Untersuchung von thematischer Be-
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deutung. Obwohl Grice sein Kooperationsprinzip für ein sehr streng utilitaristisches, auf Informationsaustausch gerichtetes Konversationskonzept entwickelt hat, dürfte es grundsätzlich auch auf das lockerer geartete Konzept einer Alltagskommunikation, wie es diesem Beitrag zugrundeliegt, applikabel sein. In Anlehnung an Gordon/Lakoff ( 1 9 7 1 ) sollen deshalb für die anstehenden Kompletivformeln entsprechende Konversationspostulate auf der Basis der voraufgegangenen Analysen gegeben werden, die auch als pragmatische Verwendungsbedingungen angesehen werden können, unter Verzicht auf logische Formalisierungen en detail könnten sie, wenn folgende Abkürzungen gelten, a = Sprecher b = Hörer Q = Menge der expliziten Klassifikationsausdrücke JUST = Negative Kompletivformel in ihren verschiedenen Realisationen AND ALL = Positive Kompletivformel in ihren verschiedenen Realisationen P = Substantielle Ergänzbarkeit um die Klassifikationsausdrücke, die von der negativen Kompletivformel ausgeschlossen, von der positiven mit eingeschlossen werden, etwa so formuliert werden: 1. Wenn a zu b "JUST Q" sagt und a kooperativ ist, dann gilt als Norm: a nimmt nicht an, daß Q durch P ergänzbar ist und a rechnet aber mit der Möglichkeit, b könnte annehmen, daß Q durch P ergänzbar ist, oder a nimmt an, daß Q durch P ergänzbar ist, und a rechnet damit, daß auch für b Q durch P ergänzbar ist, und a kann die Limitierung vornehmen, ohne gegen andere Konversationsmaximen zu verstoßen. 2. Wenn a zu b "Q AND ALL" sagt und a kooperativ ist, dann gilt als Norm a nimmt an, daß Q durch P ergänzbar ist, und a nimmt an, - entweder daß P für a und/oder b nicht relevant ist - oder daß mit "Q AND ALL" auch die Bedeutung von P für b hinreichend übermittelt wirdDie vorstehenden Postulate konstituieren die kommunikative Wohlgeformtheit von Äußerungen mit Kompletivformeln. Wenn bei
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einer Äußerung eines der Teilglieder der jeweils geltenden Norm nicht z u t r i f f t , dann muß, sofern die Postulate an sich richtig sind, eines der beiden Glieder des Konditionalsatzes falsch sein. Da die Ausdrücke mit KompletivformeIn aber immer gültig sind, insofern sie ja als gegeben thematisiert werden, kann in einem solchen Fall nur das Kooperationsprinzip verletzt sein. Ein Verletzen des Kooperationsprinzips in nur einer seiner Kategorien zeitigt auch im Falle der Kompletivformeln ein kommunikatives Fehlverhalten. Um wenigstens für die Wahrheitskategorie zwei Beispiele anzudeuten. Ein Sprecher, der die Pro-Form and all oder ein Äquivalent gebraucht, ohne die Bedingung erfüllen zu können, sie durch Klassifikationsausdrücke zu substituieren, "täuscht" seinen Hörer ebenso wie jemand, der die negative Kompletivformel just benutzt.obwohl eine Formulierung am Platz wäre, die für nicht-inbegriffene Ergänzungen Raum gibt. Die für die Kompletivformeln hier aufgestellten Postulate haben indes kaum die Verbindlichkeit und Gewichtigkeit wie die, die Gordon/Lakoff im Anschluß an Grice aufgestellt haben; das liegt einfach daran, daß sie nicht eigentlich auf die elementare, reine Form des Informationsaustausches abzielen, sondern nur vermittelte Formen des Alltags betreffen. Regelwidrigkeiten wirken sich bei ihnen meist nicht so aus, daß dadurch das Kooperationsprinzip essentiell gefährdet werden könnte, sie sind viel eher oft nur "Kavaliersdelikte". 2.3.
Konversationelle Implikationen und Konsequenzen
Wenn die Postulate in der dargestellten Form auch nur annähernd zutreffen und ihre Befolgung als Gebrauchsnorm für Kompletivformeln angesetzt werden darf, so ergibt sich daraus eine Konsequenz für den Hörer: Er darf im Normalfall nicht ohne weiteres eine wie auch immer geartete Rückfrage halten, die etwa bei positiver Kompletivformel um Explikation des P bäte oder bei negativer Kompletivformel das Nicht-vorhanden-sein des P anzweifelte. Wenn diese Konsequenz aber bereits im Gebrauch von Kompletivformeln - zumindest für unseren Kulturraum - einprogrammiert erscheint, so kann man in bezug auf den Sprecher den Schluß ziehen, daß er mit der Benutzung der Kompletivformel zugleich eine Aufforderung an den Hörer subkommuniziert, ihm die Ange-
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messenheit der betreffenden FormelVerwendung mit ihrer analysierten Funktion abzunehmen und deshalb keine Rückfragen mehr zu stellen. Daß eine solche Aufforderung impliziert zu sein scheint, erhellt daraus: Wenn der Hörer Rückfragen stellt, ohne gewisse Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, wie sie gleich noch angedeutet werden sollen, wird er dafür meist in der einen oder anderen Weise negativ sanktioniert werden. Trotz seiner Ausklammerung bei dem von Sack et al. ( 1 9 7 4 ) vorgenommenen Systematisierungsversuch des Turn-Takings scheint der thematische Aspekt dabei doch nicht ganz ohne Relevanz zu sein. Zwar gelten auch im Kontext der Kompletivformeln die von ihnen aufgestellten Bedingungen für die Möglichkeit einer Konversationsübernahme als solche uneingeschränkt, wohl aber wird hier der thematische Bewegungsraum solchen Turn-Takings, wenn nicht grundsätzlich beschnitten, so doch zumindest beeinträchtigt. Unter diesem Aspekt möchte ich gewisse Dialogkonnektoren interpretiert sehen, die einen Gegensatz beinhalten, welchen ich nur im Kontext der Nicht-Erfüllung einer gestellten Norm sinnvoll finden kann; und diese Norm wäre durch die Kompletivformel mit ihrer thematischen Restriktion beim Turn-Taking gegeben. So könnte z.B. auf (12) I ' l l just have to make a phone-call before we leave ein Hörer je nach Situation nur entgegnen (12a) Ok., But, please ... (12b) Excuse me, but is that really all now? und auf (6) Old Stradlater started taking off his coat and tie and all. (6a) Excuse me, but I ' d like to know the exact details. Ohne solche Konnektoren wie excuse me but bzw. einfach but , die für die restriktionsbrechende Entgegnung eine Art Abtönungsfunktion ausüben, wären die Äußerungen auf die Vorgaben konversationell defizient. 1 2
Anmerkungen 1
Boston: Little, Brown & Company 1951,
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Meines Wissens wird das Phänomen der Vollständigkeit zwar in der Rhetorik und ihrer modernen Variante, der Theorie der persuasiven Kommunikation, partiell auch in der Konversationsanalyse, behandelt, die Ansätze aber sind dadurch gekennzeichnet, daß sie Vollständigkeit als formal und inhaltlich deckungsgleich im Sinne der Normalform des Satzes berücksichtigen. Und gerade um die geht es hier ja nicht. Wie aus den oben angeführten Beispielen und der soeben verwendeten Formulierung ersichtlich, ist die Untersuchung auf Aussagen, genauer auf ihren propositionalen Teil, beschränkt. Daß indes auch der illokutionäre Teil einer Aussage oder allgemeiner einer Äußerung in bestimmter Weise formelhaft komplettiert werden kann, zeigen folgende Beispiele (a) I won't have you smoking in my house, and that's that. (b) Get it done, period. Der Kompletivcharakter dieser Phrasen wäre über den Begriff der Argumentation aufzuzeigen. Cf. E. Tugendhat ( 1 9 7 6 ) . Eine solche Interpretation übersieht meines Erachtens das dem Wesen des Satzes systematisch innewohnende Komplementärverhältnis von Position und Negation. Cf. Tugendhat, p. 518. In Formeln wie and stuff , and so on , etc. ist die hier angeführte Lesart sicherlich nicht verbindlich; sie sind wohl eher ambig, denn sie können auch die Bedeutung haben, daß die Explizierung um das eine o d e r andere Teil ergänzbar wäre. Aus diesem Unterschied könnte die ohnehin latente Beziehung der Kompletivformel zur Bedeutung des definiten Artikels systematisch angegangen werden. Verknüpfbar sind nur Konjunkte, die in einem logischen symmetrischen oder asymmetrischen und quasi konsekutiven Verhältnis zueinander stehen. Nur eine nicht-inbegriffene Nicht-Ergänzbarkeit für möglich anzusetzen, scheint mir absurd, da dies jede hyponyme Bedeutung, um deren Explikation es ja dann gehen müsse, ausschlösse, obwohl sie immer miteingeschlossen ist. In einigen Fällen t r i f f t diese Charakterisierung allerdings nicht zu. Es handelt sich dann um besonders raffinierte Stile einer letztlich auf Explizitheit angelegten Informationsvermittlung, die spielerisch auf eine interpersonelle Spannung abheben. Sie sind der Domäne des Flirts und der Koketterie im weitesten Sinne zuzuordnen und gehören damit nicht mehr eigentlich in den Bereich der hier behandelten Alltagskommunikation. Die Bedingung für die Möglichkeit solcher Ergänzbarkeit ist sehr oft von kulturspezifischen Strukturen, bspw. in diesem Fall von Handlungsfolgen etc. abhängig. Die Relevanz als Komponente des Kooperationsprinzips ist im Gegensatz zur Wahrheitskategorie schon sehr viel schwieriger zu fassen, da sie nur eine relative Norm ist, für die eine Definition auf die Textsorte Alltagsgespräch sehr prekär sein dürfte. Cf. meinen Vortrag bei der G.A.L. in Trier 1976.
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Eine Ausnahme bilden wiederum die Spielformen des Flirts und der Koketterie. Bei diesem schon in Anm. 9 angesprochenen Gesprächstyp werden sich gerade nicht diese Konnektoren finden lassen, da hier die Formeln Ja geradezu Aufforderungscharakter zum Nachfragen haben.
Literatur GORDON, David / LAKOFF, George (1971): "Conversational postulates". Papers from the 7th regional meeting of the Chicago Linguistic Society: 63-84. GRICE, H. Peter (1969): Logic and conversation. Berkeley (ver— vielf.). LEECH, Geoffrey / SVARTVIK, Jan (1975): A communicative grammar of English. London etc.: Longman. QUIRK, Randolph / GREENBAUM, Sidney / LEECH, Geoffrey / SVARTVIK, Jan (1972): A grammar of contemporary English. London etc.: Longman. SACKS, Harvey / SCHEGLOFF, Emmanuel A. / JEFFERSON, Gail (1974): "A simplest systematics for the organisation of turntaking for conversation". Language 50: 696-735. TUGENDHAT, Ernst (1976): Vorlesungen zur Einführung in die analytische Sprachphilosophie. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
ZUM VERHÄLTNIS VON INTONATION UND ABTÖNUNGSPARTIKELN Hubertus Opalka
1.
Vorbemerkungen
1.1. Es besteht allgemein konsens darüber, daß bei der bedeutungsZuordnung für abtönungspartikeln (im folgenden APn) weder die wortsemantik noch die satzsemantik ausreichend ist, sondern erst die pragmalinguistische analyse der einzig richtige ausgangspunkt ist. Es wird weiter anerkannt, daß APn primär in der gesprochenen Umgangssprache anzutreffen sind, dennoch tragen die meisten Untersuchungen dieser tatsache überhaupt nicht oder nur in unzureichendem maße rechnung. Konkret gesprochen heißt das: Obwohl jeder, der sich mit der analyse von APn im deutschen beschäftigt, weiß, daß ein direktes Verhältnis besteht zwischen den in konkreten kommunikationssituationen geäußerten satzspezifischen APn und bestimmten intonationsmustern, wird dennoch diesem Verhältnis kaum die ihm gebührende beachtung geschenkt l Wie eng aber das Verhältnis von kommunikationssituation, darin verwendetem intonationsmuster und einer bestimmten AP anzusetzen ist, möchte ich am beispiel zweier autoren demonstrieren, die, stellvertretend für viele andere, genau diesen Zusammenhang bei ihrer analyse von APn vernachlässigen. Doch zuvor einige bemerkungen zur bezeichnung "intonation". 2.
Spezifikation von "intonation"
2 . 1 . Die bezeichnungen für die lautstruktur im deutschen sind in der literatur alles andere als einheitlich geregelt. So verwenden hierfür z.b. BIERWISCH (1971) oder ISA£ENKO/SCHÄDLICH (1971) die bezeichnung "satzintonation", andere sprechen von "satzmelodie" (z.b. VON ESSEN (1956) oder BERGSVEINSSON ( 1 9 6 9 ) ) . Häufig wird auch nur die bezeichnung "intonation" zugrunde gelegt und im konkreten einzelfall werden dann Spezifikationen hinzugenommen wie "frageintonation", "befehlsintonation", "neutrale intonation" usw. (vgl. DUDEN-grammatik 1973). Eine reihe anderer autoren verwendet anstatt "intonation" bzw. "satzintonation" die bezeichnung
256 "betonung" bzw. "Satzbetonung" (vgl. z.b. ERBEN ( 1 9 7 2 ) , JUNG (1973) oder SCHMIDT ( 1 9 6 7 ) ) . Dieses begriffliche durcheinander erklärt sich zum großen teil dadurch, daß zum einen nicht genau genug zwischen äußerungsebene und der durch abstraktion gewonnenen analyseebene unterschieden wird. Zum anderen werden die im engeren sinne kommunikativ bedingten analysebereiche - also sprecherbezogener bereich : kanalbezogener bereich : hörerbezogener bereich - nicht immer auseinandergehalten. So wird die analysesituation des linguisten, wenn er die lautstruktur von äußerungen untersucht, durch die konkrete äußerungssituation bestimmt, und dies hat natürlich für die durch abstraktion zu erstellenden analyseebenen, als auch deren einteilung in bereiche, theoretische konsequenzen, die sich in der begriffsbildung niederschlagen müssen. Die oben beschriebene begrifflich desolate situation ist daher zum nicht geringen teil das resultat von ungenügender differenzierung vor allem in den analysebereichen einer spezifischen analyseebene! Eine schematische darstellung lautstruktureller analyseprozesse auf der basis sprachlicher kommunikationszüge (hier bewußt grob vereinfacht!) soll folgendes schaubild verdeutlichen: analysebereich
analysebereich
analysebereich
LINGUIST
PHONETIK
artik. phon.
(sätz)intonation
Satzbetonung
satzbeschallung
gatzmelodie
geäußertes sprachsignal (satz) äußerungsbereich
äußerungsbereich
äußerungsbereich
257 Aus dem schaubild wird deutlich, daß die bezeichnungen "Satzbetonung" und "satzmelodie" konstitutiv für die beschreibung spezifischer äußerungsbereiche sind, die ihrerseits kommunikationstheoretisch abgeleitet werden. Hierdurch soll zum ausdruck gebracht werden, daß die bezeichnung "Satzbetonung" sprecherspezifisch und die bezeichnung "satzmelodie" hörerspezifisch ausgelegt ist. Mit "satzbeschallung" sind jene faktoren gemeint, die auf der analyseebene im bereich der experimentellen phonetik durch elektro-akustische messungen belegt werden. Für die Untersuchungen gesprochener u n d geschriebener spräche ist es nun von entscheidender bedeutung, da in der regel der linguist als "native speaker" auftritt, daß er die beiden äußeren bereiche auf der äußerungsebene in betracht ziehen muß, wenn es um eine begriffliche klärung seines gegenstandsbereichs geht. Aufgrund der Zuordnungsrelationen - angedeutet durch die pfeile - wird sofort einsichtig, daß die bezeichnung "satzintonation" der umfassend analytische begriff zur beschreibung der lautstruktur ist. Er ist sozusagen der dialektische umschlagplatz von konkretem zu abstraktem: Denn einerseits sind alle drei analysebereiche - konkretisiert durch die einzelnen phonetikzweige an der konstituierung des abstrakten Objekts "satzintonation" beteiligt; andererseits ist die materielle grundlage dieses abstrakten Objekts nur in der konkreten Sprechsituation anzusiedeln. Dies kommt am deutlichsten durch die satzbeschallung zum ausdruck, denn hier haben wir es mit physikalischen prozessen zu tun, die direkt auf der analytischen ebene beschrieben werden können. Der einfluß, den Satzbetonung und satzmelodie hinsichtlich der satzintonation ausüben, ist wesentlich indirekter, weil hier auf psychische, physiologische und soziale faktoren eingegangen werden muß, die sich nicht einfach nur durch messungen erzielen lassen, sondern die vielfach nur über interpretative verfahren angegeben werden können. Daher können sie erst über diesen 1 umweg 1 zur konstituierung von Satzintonationen beitragen.
258
2.2.
Faktoren der satzintonation
2.2.1. Die bezeichnung "satzintonation" in der linguistischen literatur ist also immer schon mehrdeutig, denn Schallereignisse können - wie es das schaubild zeigt - in der phonetik unter drei aspekten untersucht werden: dem artikulatorisehen, dem akustischen und dem auditiven. Zur konstituierung von satzintonationen auf der artikulatorisehen seite gibt es noch keine Untersuchungen, denn man beschränkte sich bisher auf die lautproduktion, allerhöchstens noch auf die Wortproduktion. Relevant für satzintonationen im akustischen bereich sind vor allem die grundfrequenzen. Aber auch amplitudeneigenschaften und Zeitverhältnisse spielen eine große rolle. Bei auditiver betrachtung von satzintonationen entsprechen den grundfrequenzen relative tonhöhen, der amplitude die lautheit des gehörten schallsignals und der dauer die tonlänge. Ein weiterer konstitutiver faktor von satzintonationen sind pausen« Man unterscheidet allgemein sprechpausen ("pauses in speech") und verzögerungspausen ("hesitation pauses")· vgl. GOLDMAN-EISLER (1968). HENDERSON et al. ( 1 9 6 6 ) kommen zu folgendem ergebnis: In the spontaneous speech only 55% of pauses ... occurred at grammatical junctures, while 45% of all pauses occurred in non-grammatical places, (zitiert nach GOLDMAN-EISLER 1968 : 1 4 > Aus diesem ergebnis zieht GOLDMAN-EISLER das fazlt: What seems clear is that a large proportion of pauses in spontaneous speech does not fit in with the linguistic structure and does not seem to serve communication ... (op.cit.) Welche bedeutung den sprechpausen bei der analyse der lautstruktur zufällt, kann man an der tatsache ablesen, daß oft 40 bis 50% der gesamten Sprechzeit eines kommunikanten durch pausen abgedeckt werden, (nach GOLDMAN-EISLER; a.a.O.) Hinsichtlich der pausenklassifikation bei der analyse gesprochener spräche werde ich die folgende einteilung vornehmen: Ich unterscheide erst einmal redepause und sprechpause voneinander. Redepausen gliedern verschiedene Sprecheräußerungen, sprechpausen dagegen Sinneinheiten i n äußerungen. Sprechpausen ihrerseits werden unterschieden in 'gefüllte* bzw. 'ungefüllte'. Gefüllte sprechpausen entsprechen dem, was z.b. bei GOLDMAN-EISLER mit "hesitation pause" bezeichnet
259
wird, also einheiten, die in der transkription durch zeichen wie "hrahm" oder "öhm" wiedergegeben werden. 'Ungefüllte 1 sprechpausen können modifikationen wie "sehr kurz", "lang" usw. aufweisen. Ein weiterer konstitutiver faktor für Satzintonationen sind akzente. Doch auch hierzu finden sich unterschiedliche auffassungen in der literatur. Zum einen wird die meinung vertreten, daß akzente satzintonationen m o d i f i z i e r e n u n d damit v o n letzteren zu unterscheiden sind; zum anderen existiert die meinung, d a ß akzente b e s t a n d t e i l e v o n satzintonationen sind. Zu allem kommt noch hinzu, daß man sich nicht einig ist, wie man akzente klassifizieren soll: D . h . welche bedingungen sollen für den sog. 'normalen 1 , den kontrastiven und den emphatischen akzent gelten? Das hat u . a . zur konsequenz, daß völlig unterschiedliche ausgangspunkte für die festsetzung sog. 'normaler' satzintonationen gewählt werden. Argumentiert man syntaktisch, d . h . hinsichtlich bestimmter syntaktischer konstruktionen, dann wird auf anfangs- oder endakzentuierung bezug genommen (vgl. z.b. KIPARSKY ( 1 9 7 1 ) ) . Was hierbei die Spezifikation 'normal 1 bedeutet, bleibt aber weiterhin im dunkeln. Eine andere Richtung kommunikationsorientiert - geht vom relativen neuigkeits- bzw. mitteilungswert der Sprachelemente aus und nimmt hierfür distributionen an wie: elemente mit dem höchsten mitteilungswert bei sog. 'normaler' satzintonation erhalten endakzentuierung (vgl. DANES ( 1 9 6 7 ) ) . Fassen wir noch einmal zusammen: für die beschreibung der 2 lautstruktur im deutschen ist zu unterscheiden: a) die Satzbetonung b) die satzbeschallung \ auf der äußerungsebene c) die satzmelodie d) die satzintonation auf der analyseebene Für die analyse von satzintonationen im auditiven bereich müssen folgende faktoren berücksichtigt werden: d1) (relative) tonhöhenverhältnisse d2) akzentverhältnisse d3) pausenverhältnisse d4) lautheit d5) tonlänge d6) klangfarbe
j
260
Aus den bisherigen darlegungen läßt sich nun folgende annähme ableiten: Bei auditiver auffassung sind satzintonationen abstraktionen von Schallereignissen. Es läßt sich in anlehnung an LIEB (1976) dann folgende festsetzung treffen: Satzintonationen stellen eine relation zwischen möglichen äußerungen und einem sprecher dar. Soweit einige Überlegungen zur bezeichnung "satzintonation11 und wie ich sie für analysen von APn vorschlagen möchte. 3.
APn-analysen ohne systematische einbeziehung von satzintonationen 4 3.1. Anmerkungen zu IWASAKIs analyse von "noch"
3.1.1. Meine forderung nach systematischer einbeziehung der satzintonation bei Untersuchungen von APn soll zuerst am beispiel von IWASAKI verdeutlicht werden. Er bemüht sich um eine analyse der AP noch. Obwohl sein material aus Publikationen moderner klassischer autoren wie BORCHERT und GRASS entnommen wurde, sind seine allgemeinen analysen recht willkürlich. So untersucht er die beiden fragen (1) wie hieß er ? ( 2 ) wie hieß er noch? und macht dann hierzu folgende ausführungen: Wenn wir die beiden Formulierungen vergleichen, hat mancher von uns sicher den Eindruck, daß die Formulierung mit noch plausibler ist als die ohne noch. Hier ist noch sozusagen Signal für diesen sehr spezifischen monologischen Fragesatz, wo der Sprecher gern etwas in sein Gedächtnis zurückrufen möchte. (IWASAKI 1977: 6) Läßt sich IWASAKIs angäbe eines "monologhaften Fragesatzes" ohne satzintonatorische angaben überhaupt machen? Ich glaube kauml Und ob "sich etwas in sein Gedächtnis zurückrufen" nun gerade aus einem fragesatz mit noch ableiten läßt, scheint ebenso willkürlich, denn es steht wohl dem nichts im wege, eine solche annähme auch aus einem fragesatz o h n e noch abzuleiten, selbstverständlich nur unter bezugnahme auf eine bestimmte satzintonation: (3)
wil/hieß er7 2 1 O
261
Wie eng bestimmte satzintonationen ihrerseits auf bestimmte kontexte verweisen, mag an den folgenden beiden annahmen über satzin tonation für wie hieß er noch? zum ausdruck kommen: (4)
wife hieß er*noch? 1 5 l Ö
* hieß ' & wie er noch ? "l 2 1 Ö (4) erhielte folgende satzintonatorische angaben: tonhöhenverhältnisse: die silbe hieß trägt das maximum akzentverhältnisse: ausgeprägter anfangsakzent mit hauptakzent auf hieß Pausenverhältnisse: sehr kurze 'ungefüllte 1 sprechpause "&" zwischen gedehntem hieß und unbetontem er lautheit: gering tonlänge: dehnung der ersten beiden Silben ":" "::" klangfarbe: gedämpft
(5)
Satzintonatorische besonderheiten liegen insofern vor, als es sich zwar um eine frageintonation handelt "?", aber die typische frageintonation (maximum auf der letzten konstituente) bereits bei hieß erreicht ist und die tonhöhe danach stetig abnimmt. Eine solche satzintonation würde ungefähr der intention IWASAKIs entsprechen, um einen 'monologisch' geäußerten fragesatz annehmen zu können. Aber stattdessen finden wir bei ihm keinen einzigen hinweis auf intonationsmerkmale, sondern es wird gleich interpretiert - selbstverständlich das bewußtsein des deutschen "native speaker" voraussetzend. Was den situativen bezug angeht, so könnte man bei (4) z . b . zwei völlig verschiedene angaben machen: (a) der Sprecher von (4) ist allein - z . b . mit irgendeiner arbeit beschäftigt - und stellt sich die frage selber, (b) der Sprecher von (4) kommuniziert mit mehreren partnern, wobei z.b. über eine nicht anwesende person gesprochen wird, die aber allen kommunikationsteilnehmern bekannt ist. Ferner nimmt der Sprecher von (4) an, daß alle außer ihm den namen der in rede stehenden person wissen. Um die kommunikation nicht zu unterbrechen, stellt er mehr beiläufig die frage.
262 Die satzintonatorischen angaben für (5) wären die folgenden: tonhöhenverhältnisse: die Silbe hieß liegt wiederum im maximum akzentverhältnisse: nebenakzent "*" auf wie , hauptakzent"'" auf hieß Pausenverhältnisse: sehr kurze 'ungefüllte' sprechpause "&" zwischen schnell gesprochenem hieß und unbetontem er lautheit: etwas verstärkt tonlänge: sehr kurzes hieß klangfarbe: hell Satzintonatorische besonderheiten liegen ebenfalls vor, denn durch das relativ schnelle betonen kommt auch hier nicht der typische frageton zum ausdruck, sondern eher eine explizite aufforderung bzw. bitte. Eine mögliche Situationsangabe wäre die folgende: A und B unterhalten sich über eine person £. A möchte nun auch noch gern den namen des C erfahren. Er nimmt an, daß B den namen von C kennt. In bezug auf weitere situative und satzintonatorische spezifika könnte man nun schließen, ob A den B durch das äußern von (5) entweder auffordert oder bittet, den namen von C zu nennen. Es ist also nicht nur die von IWASAKI angegebene interpretation denkbar, sondern noch plus satzintonation läßt verschiedene sprechakte zu. Gerade dies ist ja eine wesentliche funktion der APn - die IWASAKI mit seiner interpretation unterschlägt - daß nämlich APn in Verbindung mit satzintonationen gerade nicht auf einen spezifischen sprechakt referieren, sondern eher ein 'sprechaktangebot 1 signalisieren, das bei Zurückweisung den Sprecher in keine große bedrängnis bringt, denn durch die abtönung erhält das kommunikationsangebot eher freibleibenden als verpflichtenden Charakter. 3.2.
Anmerkungen zu KÖNIGS analyse von
denn
3.2.1. In seinem aufsatz "Modalpartikeln in Fragesätzen" untersucht KÖNIG u.a. die AP denn. Diese analyse baut auf einem von ihm konstruierten dialog auf, wobei wiederum satzintonatorische angaben fehlen: A: Soll ich dir helfen? - B: Hast du denn genügend zeit? - A: Ja. KÖNIG gibt hierzu folgende erklärung:
263
In diesem Dialog kommt denn in einer Entscheidungsfrage vor. In dem Dialog reagiert B auf das Angebot von A mit einer Frage, die auf die Voraussetzungen des Angebots abzielt. (a.a.O.: 6) Als zugrunde liegende funktion vermutet KÖNIG,"daß denn in bestimmten Situationen verwendet wird, die an Sprechhandlungen des Gesprächspartners anknüpfen". ( a . a . O . ) Ich bin nun der meinung, daß in bestimmten Situationen, in denen A äußert soll ich dir helfen? bereits angelegt ist, ob B mit einer gegenfrage reagiert, in der dann z.b. die AP denn auftreten kann,oder ob er gleich mit ja bzw. nein antwortet. D . h . ausgehend von einer bestimmten situation wird Sprecher A dazu veranlaßt, auf eine bestimmte art und weise die frage zu stellen. Hierzu zwei beispiele. Gegeben sei folgende situation: A sieht B, den er beim schulaufgabenmachen beaufsichtigt, wie er mit den aufgaben nicht weiterkommt und fragt ihn: (6)
A: soll & ich dir helfen 7 1 Ö 2 " B: ja"
Die gleiche situation und A fragt wieder: (7)
A: soll 1 0 * B: hast ~~2
ich dir helfen 7 1 2 Ö 2 ~ · . ·? du denn genügend zeit' 1 Ö 1 2 1 T ~ 2
A:
Im beispiel (6) betont A seine frage so, daß man schließen kann/ daß für B kein zweifei besteht, daß A die Schwierigkeiten von B bemerkt hat, und außerdem will A dem B augenblicklich zuhilfe kommen. Aus dem verhalten von A besteht für B kein zweifei daran, daß A ihm helfen will. Was die satzintonation von (6) betrifft, so muß beachtet werden, daß der typische tonhöhenverlauf für entscheidungsfragen bereits bei der durch hauptakzent spezifizierten silbe 'beendet' ist, obwohl die satzintonation noch nicht beendet ist. Das beispiel (7) zeigt in der frage von A einen gänzlich anderen verlauf der satzintonation. Erstens wird die eingangsfrage langsamer und mit dehnung produziert, im gegensatz zu ( 6 ) , wo A
264
relativ schnell gesprochen haben muß. Zweitens liegen andere akzentverhältnisse vor. In erster annäherung könnte man die fragesatzbetonung von A so interpretieren, daß eine gewisse Unsicherheit von A aus ihr dahingehend zum ausdruck kommt, daß 1. A sich nicht sicher ist, ob B bereits hilfe braucht, oder 2 . ob A den B erst noch eine weile probieren lassen soll, oder 3. A ist sich nicht sicher, ob B seine hilfe überhaupt in anspruch nehmen will und schließlich 4. A ist sich nicht sicher, ob er imstande ist, B behilflich zu sein. B kann nun seinerseits aus wenigstens den folgenden gründen die frage von A mit einer gegenfrage beantworten: (8) B ist erstaunt, daß A ihm behilflich sein will. Um sein erstaunen aber nun nicht offen zu zeigen, erfindet er einen formalen grund: hast du denn genügend ~2 l Ö 1 2 1 (9) B möchte die hilfe von A zwar gern in anspruch nehmen, aber B vermutet, daß A nicht weiß, daß dessen hilfe sich über einen längeren Zeitraum erstrecken müßte :
* * ·· ? hast du denn genügend zeit ~~2 l 0 1 2 1 ~ (10) B könnte aus irgendeinem grund dem angebet von A mißtrauen. B steht aber nun in dem konflikt, einerseits hilfe zu benötigen, andererseits aber hilfe nur von dem erwarten zu können, dem er mißtraut. Da B unter handlungszwang steht, möchte er sich vergewissern, ob er in diesem fall nicht doch dem A vertrauen schenken kann: ·· ? hast du denn genügend zeit ~~2
l
1 2 1
TT~
Ich glaube, auch aus der diskussion des beispiels bei KÖNIG wird deutlich, daß selbst konstruktionen von dialogen für die analyse von APn auf satzintonationen nicht verzichten können. In gewisser hinsieht bildet geschriebenes konkretes analysematerial eine ausnahme, aber dann reicht es nicht aus, einzelne sätze zu analysieren, in denen die AP vorkommt, sondern längere textpassagen oder dialogsequenzen müssen herangezogen werden.
265
4.
Abschließende bemerkungen
4.1. Die analyse von APn hat auf zwei ebenen zu erfolgen. Zum einen ist zu fragen, welche pragmatischen bedeutungselemente sind an sie gekoppelt? Zum ändern, auf welche weise fungieren APn als Stützelemente bei der Sprechtätigkeit? In dieser funktion korrespondieren sie mit dem,was ich 'gefüllte 1 sprechpause genannt habe. Analysen von APn sind prinzipiell unter Zuhilfenahme von Satzintonationen vorzunehmen, es sei denn, man hat geschriebene texte vor sich. Das konstruieren von am Schreibtisch erdachten beispielsätzen kann zwar zu einzelnen richtigen ergebnissen führen, wird aber dann nicht der pragmatischen funktion der APn gerecht.
Anmerkungen 1
2
3 4 5
6
Die in diesem schaubild zum ausdruck kommenden bedingungen können ebenfalls für eine theoretische begründung von transkriptionen herangezogen werden. Zu einem früheren Zeitpunkt vertrat ich hinsichtlich der begrifflichen Unterscheidungen bei Satzintonationen einen anderen Standpunkt: Vgl. OPALKA ( 1 9 7 4 ) . Ich gehe hier bewußt nicht auf den bereich von wortintonationen ein, weil er hier nicht relevant wird. Dieser aufsatz wird im sammelband von WEYDT (1977) erscheinen. Es gelten für die obere zeile die folgenden Symbole: "'" = hauptakzent, "*" = nebenakzent, ":" = dehnung, ":" = 'längere dehnung', "/" = 'ungefüllte 1 sprechpause, "&" = 'sehr kurze ungefüllte 1 sprechpause. Die untere Zahlenreihe symbolisiert die relative tonhöhendifferenz, nicht die relative tonhöhe! Vgl. zur Stellung der satzintonation bei der analyse von APn OPALKA ( 1 9 7 7 ) . Vgl. anmerkung 4.
266
Literatur BERGVEINSSON, S. (1969):"über die Bedeutung und die Auswertung der Satzmelodie.1 Ein phonometrischer Beitrag zur allgemeinen Satzphonetik .1.In: Phonometrie III: 257-3O2. BIERWISCH, Manfred ( 1 9 7 1 ) : "Regeln für die Intonation deutscher Sätze". In: Studia grammatica VII: 99-2O1. Berlin: Akademie Verlag. v DANES, F. (196O): "Sentence intonation from a functional point of view". Word 16: 34-54. DUDEN-Grammatik ( 1 9 7 3 ) , 3. A u f l . , Bd. 4. ERBEN, Johannes ( 1 9 7 2 ) : Deutsche Grammatik. Ein Abriss. München: Hueber. GOLDMAN-EISLER, F. ( 1 9 6 8 ) : Psycholinguistics. Experiments in spontaneous speech. London etc.: Academic Press. HENDERSON/GOLDMAN-EISLER/SKARBEK ( 1 9 6 6 ) : "Sequential temporal patterns in spontaneous speech". Language and Speech 9: 207-216. ISACENKO, Alexander V. / SCHÄDLICH, Hans-Joachim ( 1 9 7 1 ) : "Untersuchungen über die deutsche Satzintonation". In: Studia grammatica VII: 7-64. Berlin: Akademie-Verlag. IWASAKI, E. (1977) (vervielf.): Aspekte der Modalpartikel, erscheint in: H. Weydt ( e d . ) : Tübingen: Niemeyer. JUNG, Walter ( 1 9 7 3 ) : Grammatik der Deutschen Sprache. Leipzig: VEB Bibliographisches Institut. KIPARSKY, Paul '(1971): "über den deutschen Akzent". In: Studia grammatica VII: 69-98. Berlin: Akademie-Verlag. KÖNIG, E. (1977):(vervielf.): Aspekte der Modalpartikel. erscheint in: H. Weydt ( e d . ; : Tübingen: Niemeyer. LIEB, Hans-Heinrich ( 1 9 7 6 ) : "Intonation als Mittel verbaler Kommunikation". Vortrag gehalten auf dem Semiotik-Kolloquium in Wien, 1976 (vervielf.). OPALKA, Hubertus (1974): "Untersuchung zur syntax deutscher abtönungspartikeln". Berlin, (unveröffentl. Magister Arbeit). (1976) : "Zum syntaktischen verhalten der abtönungspartikeIn 'aber, ja und vielleicht 1 in Satzkonstruktionen mit prädikativen ergänzungen". (vervielf.), erscheint in: H. Weydt (ed.) Aspekte der Modalpartikel. Tübingen: Niemeyer SCHMIDT, Wilhelm ( 1 9 6 7 ) : Grundfragen der Deutschen Grammatik. Eine Einführung in die funktionale Sprachlehre. Berlin: Volk und Wissen.
ARGUMENTATIONSANALYSE Folker Siegert
1. Ist die Analyse argumentativer Texte Angelegenheit der Linguistik? Genauer gefragt, ist die Analyse des Argumentativen a n Texten mit linguistischen Mitteln möglich? Erzähltexte genießen schon seit 50 Jahren die Aufmerksamkeit der Linguisten. Sollte nach den Erfolgen der "narrativen Analyse" nicht eines Tages auch eine "argumentative Analyse" zu erwarten sein? Angeregt von Chomsky, hat Jürgen Habermas eine Theorie der "kommunikativen Kompetenz" entworfen; von ihm wiederum wurde Josef Kopperschmidt dazu angeregt, eine "persuasive Kompetenz" zu postulieren, ja eine "persuasive langue" (KOPPERSCHMIDT 1973= 24·). - Wahrscheinlich geht er aber in die falsche Richtung. Eine persuasive langue wäre ein Widerspruch in sich (so SPILLNER 1974-: 119)· Wohl können par öle-Äußerungen überzeugend sein (nicht an sich, aber gewissen Partnern gegenüber), nicht aber eine Sprache i. S. v. langue. Lassen wir lieber den Terminus langue aus dem Spiel. Argumentation ist, wie sich bald zeigen wird, eine Sache nicht nur der Sprach-, sondern der Kommunikationswissenschaft. In diese Richtung weist auch - unfreiwillig - das Referat "Aspects of a Theory of Argumentation", das Werner KUMMER (1972) auf dem Bielefelder Kolloquium "Differenzierungskriterien für Textsorten" gehalten hat. Er liefert Ansätze zu einer Handlungstheorie der Argumentation, aber gerade nicht, was man nach dem Thema des Kolloquiums erwarten könnte, die Bestimmung einer Textsorte "Argumentation". Mir scheint, Argumentation ist (bzw. erzeugt) überhaupt keine spezifische Textsorte. Das dürfte schon daraus erhellen, daß Argumente in sehr verschiedenartigen Texten vorkommen, in Erzählungen, ja selbst in Gedichten. Was ist nun Argumentation? 2. Chaim PERELMAN und Lucie OLBRECHTS-TYTECA (1958 / 2.A. 1970) gehen davon aus, daß Argumentieren etwas anderes ist als Bewei-
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sen. Es findet kein logischer Zwang statt, 1 sondern eine Darstellung von Sachverhalten, die mehr oder weniger eindringlich um Angängerschaft (adherence) für bestimmte Thesen oder bestimmte Werte wirbt. Darum heißt der Traite de l'Argumentation auch mit Untertitel La nouvelle rhetorique. (Nouvelle wohl deshalb, weil die traditionelle Rhetorikforschung sich mehr mit der ästhetischen und weniger mit der argumentativen Seite der Beredsamkeit beschäftigt hat.) Das Buch von Perelman und OlbrechtsTyteca ist weithin eine Art Linne der Argumentation: eine ungemein reiche, aufgefächerte Typologie (nur nicht so systematisch). Ernst Blochs Wort: "Tausend Jahre Unrecht machen noch keine Stunde Recht" wäre analysierbar als die Benützung eines argumentativen Topos (§ 21 f f . ) , nämlich dessen der Quantität (tausend - eine; Jahr - Stunde) und zugleich die Opposition gegen einen anderen Topos, nämlich den der Präzedenz und des Alther-
p gebrachten. Außerdem haben wir hier ein argument par les contraires (§ 53) (viel Unrecht ist immer noch kein bißchen Recht) und eine Anspielung an das Absurde vorliegen (§ 49). Solche und Dutzende anderer Mittel, über die die natürliche Sprache und erst recht die der Rhetoren verfügt, lehrt der Traite de l'Ar7. gumentation finden und erörtert ihre Wirkungsweise. Freilich bleibt unklar, wo die Verfasser die Grenze zwischen Argumentation und nicht-Argumentation ansetzen würden.
3. Um diese Präge bemüht sich sehr ausführlich KOPPERSCHMIDTS Allgemeine Rhetorik (1973). Sie gibt nicht, wie die Postulierung einer "persuasiven langue" am Anfang erwarten lassen könnte, eine Grammatik der Argumentation, sondern eine Sprechakttheorie der Argumentation. Kopperschmidt definiert Argumentation als eine bestimmte Art von sprachlichem Handeln. Er macht es sich zum Anliegen, "die Persuasive Kommunikation aus d e r Handlungssituation aufzuhellen, deren spezifische Bewältigung sie darstellt" (67); und zwar handelt es sich - ihm zufolge um die Situation, wo Kommunikationspartner "einen Konsens zwischen ihnen über ihre handlungsleitenden Normen" erzielen wollen (44). An diesem Ansatz möchte ich hervorheben, daß er Argumentation konsequent als Dialog auffaßt, und daß er als Gegenstand der
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Argumentation nicht Informationen ansieht, sondern Normen. Das heißt: auch wenn Informationen gegeben werden, sind es stets Informationen mit Relevanz, und um der Relevanz willen geschieht die Argumentation. Kopperschmidt gibt, in Anlehnung an Searle, sieben Regeln des "persuasiven Sprechaktes" (KOPPERSCHMIDT 1973= 8? f f . ) , die beinhalten, daß die Teilnehmer in der Lage und willens sind, miteinander als gleichberechtigte Partner zu interagieren, daß der Gegenstand des Gesprächs so beschaffen sein muß, daß man über ihn verschiedener Meinung sein kann, weiterhin, daß der Argumentierende sich für seine Äußerungen selbst verbürgt und daß der Konsens, sollte einer erzielt werden, für beide Seiten verbindlich ist, einschließlich der praktischen Konsequenzen. Die Einhaltung dieser Regeln gewährleistet das "Gelingen" des Kommunikationsaktes, daß nämlich argumentiert wird, nicht jedoch schon den "Erfolg", der darin bestünde, daß die Partner zu einer gemeinsamen Meinung über den strittigen Gegenstand gelangen (78. 83). Nun ist sich KopperSchmidt darüber im klaren, daß er idealisiert, wenn er jede Sorte von Zwang - situativen Zwang, Ungleichheit der Rollen u. a. - aus dem Kommunikationsakt der Argumentation ausschließen will. Hierin erweist sich seine Definition als normativ und nicht als deskriptiv (wie in der Linguistik üblich wäre). Ein gegebener Dialog wird nur in dem Maße als Argumentation anerkannt, in dem die "Regeln des persuasiven Sprechakts" eingehalten werden. War es nötig, den Argumentationsbegriff auf diese normative, in der Konsequenz sogar politische Art zu definieren, als einen "Vorgriff auf die "ideale Sprechsituation1 und ihre Verankerung in einer entsprechenden 'idealen Lebensform'? (135)? Mit dem Autor b i n i c h dieser Ansicht; denn d i e U m s t ä n d e a r g u m e n t i e r e n m i t . Argumentation wäre nicht richtig erfaßt, wenn man auf die sprechenden Personen abstrahierte, und diese wiederum auf ihr bloßes, von aller Vergangenheit und allen sozialen Titeln entkleidetes Ich (vom Abstrahieren auf die bloßen Äußerungen zu schweigen). Hier zeigt sich, daß und warum Historie und Soziologie in die Argumentationsanalyse mit hereinspielen.
270
4. Für die Sprechakttheorie verbleibt noch das Problem, inwieweit Argumentieren ein mit dem Bitten, Versprechen, Drohen, Behaupten usw. vergleichbarer Sprechakt ist. Es können nämlich alle möglichen Sprechakte innerhalb der Argumentation vorkommen rhetorische Fragen, Versicherungen, Wünsche u. a. m. Offenbar liegen nicht alle Sprechhandlungen auf gleicher Ebene. In diesem Dilemma scheint es mir hilfreich, die Sprechakttheorie in den allgemeineren Rahmen einer Handlungstheorie einzuhängen, wie es - nach KUMMER (1972) und m. E. mit geschickteren Mitteln - Hans Jürgen HERINGER (1974) getan hat. Heringer geht aus von der Beobachtung, daß die Verben, mit denen wir umgangssprachlich Handlungen bezeichnen, sich nicht nur auf je konkrete Einzelhandlungen, sondern - sogar in erster Linie auf Handlungsschemata beziehen (nämlich auf die in der betreffenden Sprachgemeinschaft üblichen Handlungsschemata). Er gibt eine Theorie der "Erzeugung" von Handlungen, wobei er "Erzeugung" nicht im historischen oder psychologischen oder sonstwie diachronen Sinn auffaßt, sondern als bloße theoretische Konstruktion - so wie in der Mathematik eine Funktion ihre Werte "erzeugt". Jede sprachliche Äußerung ist das Endglied einer Kette von Handlungsmustern, an deren Beginn eine Absicht steht und deren Verlauf die Wahl der Mittel spezifiziert. Z. B. stelle ich meine Ansichten über die Theorie der Argumentation zur Diskussion, indem ich referiere, indem ich eine Reihe von Behauptungen usw. miteinander verbinde und diese Behauptungen jetzt erst kommt die Diachronie ins Spiel - in einer gewissen Reihenfolge äußere. Perlokution "erzeugt" also die Illokution (147); d. h. für unseren Fall: das Handlungsmuster ÜBERZEUGEN generiert den Überzeugungsversuch mit seinen verschiedenen sprachlichen und nichtsprachlichen - Mitteln. Dazu ein hübsches Beispiel. Konrad Adenauer wurde auf einer Pressekonferenz im Jahre 1949, als gerade die Vorgespräche zur Gründung der BRD zu Ende gingen, gefragt, ob das Gerücht wahr sei, daß bei einer Besprechung in seinem Haus in Rhöndorf ein Abgesandter des Papstes zugegen gewesen sei. Seine Antwort: Ich habe den Herrn bis heute weder gesehen noch kennengelernt. Von Mitgliedern meiner Familie wurde mir gesagt, daß er keine Strümpfe getragen habe. Ich konnte mir nicht gut vorstellen, daß Vertreter des Papstes ohne Strümpfe kommen. (ZEIT-Magazin 9.1.1976, S. 17 Sp. 1)
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An diesem Text - der auch, seinerzeit Heiterkeit auslöste kann man durchprobieren, was die diversen Argumentationstheorien leisten. PERELMAN und OLBRECHTS-TYTECA würden sagen, hier handle es sich um ein argument du prestige (§ 70), nämlich den Gebrauch der Ich-Autorität als eines Beweismittels, und um das Mittel des Lächerlichen, des ridicule (§ 4-9)· Philosophen wie OLSON (1969) würden die fallacy of arguing beside the point konstatieren können (185). KOPPERSCHMIDT schließlich könnte die meisten seiner Regeln, wenn nicht alle, verletzt sehen, so schon die erste, daß der Argumentierende willens sein muß, mit seinem Kommunikationspartner als gleichberechtigtem Partner zu interagieren" (87). Was aber in der Philosophie ein Fehlschluß oder ein Fehlargument und in der idealen Sprechakttheorie vielleicht gar kein Argument mehr ist, gibt sich durchaus wie ein Argument und erfüllt vor allem erfolgreich dessen Funktion. Was hier genau vor sich geht, können wir am besten sichtbar machen mit Heringer. f|
[FRAG, (ob si)
1
VERDACHT,-M PRÄSUPP, (daß S1)|—»AUS, (Ist es wahr, daß S1_?) ) [iMPLIZ^daß S2) J BEH,(dafi S3) v .rABSTREIT,(S1) X ABLENK a (S2) [LÄCHERLICH^ ( Frager , Frage )_
VERS ICH» (daß 35)
IMPLIZ 2 (daß nicht S4-)
/ÄUS t (S3)\ ·( AUS. (S4) ) \ÄUS*(S5)/
V
l
JMPLIZ a (daß nicht SI ) EEH a (daß S4)-- x / PRlSUPPj (daß
l
LACH.
51 : Ein Abgesandter des Papstes war . . . zugegen. 52 (erschlossen): Adenauer kooperiert heimlich mit der Kurie. S3-S5 = Adenauer-Zitat Zeichen: £ ~\ zugleich ausgeführte Handlungsmuster s/ ^nacheinander ausgeführte Handlungsmuster Sprecherindexe (i=Frager; a =Adenauer) Die Frage ist so gestellt, daß sie auf eine positive Antwort abzielt. Dieser Sachverhalt wurde hier als Präsupposition wiedergegeben (verkürzend, denn es handelt sich um eine ganze Strategie). Die Folgerung, die jeder Informierte aus einer bejahenden Antwort ziehen würde, lasse ich (gleichfalls verein-
272
fachend) in der Frage als Implikation erscheinen. Die Präsupposition geht in die Formulierung der Frage ein ("Ist es wahr, d a ß . . . ? " ) ; die Implikation hingegen ist nur gedacht, aber allen Teilnehmern der Situation bewußt. Sie wird indirekt in der Frage aktualisiert. Die drei Sätze, aus denen Adenauers Antwort "besteht, lassen sich nun in ihrer Funktion und in ihrer jeweiligen Beziehung zu den Bestandteilen der Frage studieren. Was auch zutage tritt, ist ihre Widersprüchlichkeit (gestrichelte Linien). Diese Antwort ist ein logisches Unding - das dürfte mit zu ihrem komischen Effekt beitragen. Sie gibt sich als Argumentationskette, in der die Unwahrscheinlichkeit der vom Frager geäußerten Annahme nachgewiesen wird; tatsächlich dürfte aber ihr Mittelsatz (S4-) alles andere als ein Faktum, sondern eine freie adhoc-Erfindung Adenauers sein. So haben wir denn weder Logik noch Fakten vor uns, sondern die Pragmatik, bloßer Worte, geäußert von einer Autoritätsperson. Man kann sich streiten, ob das noch Argumentation ist. Ich habe dieses (für die Theorie) problematische Beispiel gewählt, weil ich meine, daß Analysemethoden bis zu den Grenzfällen hin einsetzbar sein sollten. Daneben wird es immer eines der Ergebnisse einer guten Argumentationsanalyse sein, klarzulegen, worin der gegebene Text von der in dem anspruchsvollen Begriff 'Argumentation 1 implizierten Handlungsnorm abweicht. 5. Vielleicht ist dem Leser aufgefallen, daß in dem oben gegebenen Schema ein eigenes Handlungsmuster ARGUMENTIEREN" gar nicht auftritt. Man hätte es vielleicht eintragen können, aber das käme mir pleonastisch vor. Meine These ist, daß Argumentieren in anderen Handlungsmustern sozusagen "aufgeht", daß man Sprechhandlungen a l s Argumentation interpretiert, und daß Argumentieren tatsächlich nicht mit Behaupten, Befehlen, Auffordern, Anklagen, Danken usw. auf einer Ebene liegt.-7 Daher würde ich vorschlagen, nicht vom "Sprechakt der Argumentation" zu reden, sondern vorsichtiger und allgemeiner von einer 'Sprechhandlung1 der Argumentation. Denn es handelt sich in der Regel um eine 7 Kette von jeweils schon anders spezifizierten Sprechakten.'
273
6. Zum Schluß will ich auf den Punkt der historischen und soziologischen Komponenten der Argumentationsanalyse zurückkommen. Ich stimme Gerhard Voigt zu, der in der Zeitschrift "Das Argument" folgende Ansicht vertritt: Die Einsichten in den Bau von Sprachen, die die strukturalistische Linguistik hat erzielen können, sind mit einer Auffassung ihres Gegenstandes "bezahlt worden, die die Sprache von den gesellschaftlichen Beziehungen, in denen sie gebraucht wird, isoliert. Die Sprache ist dann auch häufig als die grundlegende gesellschaftliche Synthesis angesehen worden, hinter die nicht zurückgegangen werden könne. Diese Reduktionen zu beseitigen und Gebrauch wie Aufbau der Sprache von ihrer gesellschaftlichen Funktion her zu untersuchen, ist Aufgabe einer als Gesellschaftswissenschaft verstandenen Linguistik. (VOIGT 1976: 7) Han wird sich darüber streiten können, ob Linguistik eine Gesellschaftswissenschaft sein könne/müsse oder nicht; aber von der Argumentationstheorie würde ich das auf jeden Fall verlangen. Mag sein, daß sie darin die Grenzen "reiner" Sprachwissenschaft überschreitet; das hängt von der Definiton ab. Übrigens gibt es ja auch das Problem des Veraltens von Argumenten. Bei der Untersuchung mittelalterlicher oder antiker Texte spielt es eine erhebliche Rolle. Aber man braucht nicht so weit zurückzugehen: Auch zu unseren Zeiten leben Leute, die anders als wir argumentieren, weil sie unter anderen Bedingungen leben. Nicht als erster hat Wittgenstein diese Beobachtung in seinem Theorem von den "Sprachspielen" festgehalten. Vorgeschichte, Situation, Rollen usw. legen den Sprechern Auswahlrestriktionen auf und entscheiden mit über Zulässigkeit und Gewicht der Argumente. Entsprechend verbindet sich in der Argumentationsanalyse - ich glaube, in glücklicher Weise - unhistorische, abstrahierende Linguistik mit historischen Disziplinen, auch mit unserem eigenen Wissen um Fakten und unserer eigenen Überzeugung von Werten. Anmerkungen 1
Wie wenig zwingend die Logik von Argumenten sein kann und^ wie sehr sie mit Wahrscheinlichkeiten (statt mit Sicherheit) operiert, lehren die Untersuchungen von TOULMHi (1958) und OLSON (1969).
274
2
Zur Topik: Nach PERELMAN und OLBRECHTS-TYTECA - die sich hierin auf Aristoteles berufen können - ist zu unterscheiden zwischen lieux communs, formalen Gemeinplätzen wie den eben genannten, und lieux particuliers, speziellen örtern, worunter man sich traditionelle check lists mit den zur Erörterung eines bestimmten Themas relevanten Gesichtspunkten vorzustellen hat. "Topoi" i. S. v. Ernst Robert Curtius sind allenfalls lieux particuliers, sofern sie nicht überhaupt in die Stilistik gehören, weil sie mit Argumentation nichts mehr zu tun haben. 3 Ähnliches versucht, jedoch weniger umfassend, BRANDT 1970. 4- Ich denke, daß auch Chomsky diesen Begriff von 'Erzeugung 1 seiner Theorie zugrundelegte und nicht denjenigen, mit dem KOPPERSCHMIDT (1973: 23) arbeitet, wenn er der generativen Sprachtheorie die "Klärung des Erzeugungsprozesses sprachlicher Äußerungen" zuschreibt. 5 Wohl kann das engl. to argue auch als performatives Verb unmittelbar eine Proposition regieren: "I am arguing that ...". Für to argue in diesem engen Sinne gibt SEARLS (196~6: 66) ein paar Regeln. Aber was mit 'Argumentation' im vollen Sinne - wohl auch im Englischen - gemeint ist, ist mehr als das. 6 Wie es KOPPERSCHMIDT (1973) zunächst tut - nicht ohne sich im Verlaufe seines Buches zu korrigieren (99)7 Der HandlungsZusammenhang entscheidet auch darüber, welchen Charakter die Argumentation annimmt - ob es lehrende, explizierende oder steuernde, agitierende Argumentation ist. In beiden Fällen kann sie vom Handlungsmuster ÜBERZEUGEN generiert sein (muß sogar), vom Handlungsmuster ÜBERREDEN jedoch nur im zweiten Fall.
Literatur BRANDT, William J. (1970): The rhetoric of argumentation. Indianapolis etc.: Bobbs-Merrill. HERINGER, H. J. (1974): Praktische Semantik. Stuttgart: Klett. KOPPERSCHMIDT, Josef (1973): Allgemeine Rhetorik. Einführung in die Theorie der Persuasiven Kommunikation. Stuttgart etc.: Kohlhammer. KUMMER, Werner (1972): "Aspects of a theory of argumentation". GÜLICH, Elisabeth / RAIBLE, Wolfgang (eds.) (1972): Textsorten. Differenzierungskriterien aus linguist- Sicht. Sicht. Frankfurt/M.: Athenäum: 25-49 (Diskussion 50-58). OLSON, Robert G. (1969): Meaning and argument. Elements of logic. New York etc.: Harcourt, Brace & World. PERELMAN, Chaim / OLBRECHTS-TYTECA, Lucie (1958): Traite de l r argumentation. La nouvelle rhetorique. Paris: Presses Universitaires de France. 2.A. Bruxelles: Institut de Socio-
275
logie, Universit& Libre de Bruxelles, 1970. (Engl. Übers, der 1.A.: The new rhetoric. A treatise on argumentation. Notre Dame, Indiana etc.: Notre Dame Press 1969.) SEAELE, John R. (1969): Speech acts. An essay in the philosophy of language. Cambridge: University Press 1969. SPILLNER, Bernd (1974·): Linguistik und Literaturwissenschaft. Stilforschung, Rhetorik, Textlinguistik. Stuttgart: Kohlhammer. TOULMIN, Stephen E. (1958): The uses of argument. Cambridge: University Press. VOIGT, Gerhart (1976): "Editorial". Das Argument 95: 6-8.
FRAGEN UND IHRE FUNKTIONEN
Versuch einer Typologie auf pragmatischer Basis Willy Vandeweghe
1.
Vorbereitende Ueberlegungen
1.1. Mit dem Terminus "Frage" ist im Nachfolgenden eine formale Kategorie gemeint. Er bezeichnet also alle Sprechakte, die mittels eines Fragesatzes zustande gebracht werden, z.B. auch den Sprechakt, der auf Deutsch mit "Bitte" bezeichnet wird. Unter die wichtigsten formalen Unterscheidungskriterien zählen wir : die fragende Intonation, in der geschriebenen Sprache von einem Fragezeichen repräsentiert, und, je nach dem Fall, Spitzenstellung des Finitums, ein Fragewort am Anfang des Satzes, der Gebrauch gewisser Adverbien, etc. 1.2. Meistens werden aufgrund formaler und/oder semantischer Kriterien Typologien von Fragen aufgestellt. Am allgemeinsten akzeptiert ist wohl die Unterscheidung aufgrund der Wortwahl und Wortstellung: 1° Fragesätze, die mit einem Fragewort anfangen (wer, wo,wie, wann, etc.) 2° Fragesätze mit Spitzenstellung des Finitums Beispiele: (1) Hoe heeft hij dat klaargespeeld? (Wie hat er das geschafft?) (1°) (2) Heeft hij het klaargespeeld? (Hat er es geschafft?) ( 2 ° ) Mit dieser rein formalen Unterscheidung hängt ein semantischer Unterschied zusammen, der meistens zum Ausdruck gebracht wird durch Termini wie : 1° leemtevragen ( = Lückefragen), Ergänzungsfragen, intensionelle Fragen, w-Fragen 2° twijfelvragen ( = Zweifelfragen), Entscheidungsfragen, extensionelle Fragen, Nexusfragen 1.3. Die - man könnte fast sagen "kanonisierte" - Einteilung der Fragen auf formaler und semantischer Basis hat aber auch
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ihre Schwächen : 1.3.1. Auf bloss formaler Basis ist es möglich, viel mehr Typen aufzuführen. So haben wir u.a. 2 - die Nachziehfragen (Eng. tag questions), die im Niederländischen als besonderen Subtyp die he-Frage haben. Ein Aussagesatz geht ihnen voran. Einige Beispiele : (3) Je körnt toch naar het feest,nietwaar? (Du kommst doch zur Party, nicht?) (4) Hij is niet erg snugger, is het wel? (Er ist nicht sehr klug, wie?) (5) Je bent op je teentjes getrapt, he? (Du fühlst dich auf die Füsse getreten, nicht?) 1 'He entspricht etwa : 'ist es nicht w a h r ? ' . - die 'toch'-, 'zeker'- usw. -Fragen : sie haben die Wortstellung eines Aussagesatzes. Beispiele : (6) Je gaat toch niet de hele nacht blijven doorwerken? (Du wirst doch nicht die ganze Nacht arbeiten, oder?) (7a) Je bent zeker niet goed snik? (Bist du verrückt?) 'Zeker' kommt auch als Nachziehfrage vor : (7b) Je bent niet goed snik, zeker? - elliptische Fragen, zuweilen eingeleitet mit 'en' (kontextund situationsbezogene Fragen).Beispiele : (8) En Hans? (Und Hans?) Man kann etwa hinzudenken : 'was soll d6r machen? 1 , oder ähnliches. (9) Moe? (Müde?) 1.3.2. Sobald man die relativ sichere, rein-formale Ebene verlassen hat, beginnen schon die Definitionsschwierigkeiten oder -Vagheiten. Hundsnurscher zum Beispiel äussert in seinem Aufsatz "Semantik der Fragen" (HUNDSNURSCHER 1975), seine Unzufriedenheit mit der traditionellen Definition von "entscheidungsfragen, die einen sachverhalt klären wollen". Dieser Definition schreibt er unscharfe Formulierung zu : "Wie verhält es sich? ist eine frage, die einen sachverhalt klären will, jedoch keine entscheidungsfrage." (HUNDSNURSCHER 1975 : 2 ) . Ausserdem stellt sich heraus, dass man, sobald man inhaltliche
279
statt rein formaler Kriterien verwendet, auch einer Kategorie Rechnung tragen muss, die nicht ohne weiteres umrissen werden kann mit Wortstellungs- oder Wortwahlkriterien : die sg. "rhetorische frage, die der sprechende nur stellt, um den gesprächspartner zur annähme einer bereits vorhandenen meinung zu bewegen." (HUNDSNURSCHER 1975: 2 ) . Hier ist die Formulierung schon stark funktioneil geworden, indem sie eine Antwort liefert auf die Frage : was hat der Sprechende (S) mit dieser Art von Fragen vor, was will er beim Hörenden (H.) erreichen? 1.3.3. Wenn man auf pragmatischer Basis zu einer Typologie der Fragen gelangen will, dann ist es konsequent letztere Frage, die als Kriterium des Unterschieds zentral stehen muss. Stillschweigend würde man es dabei natürlich vorziehen, wenn die auf dieser Basis erhaltenen Kategorien auch formal unterschieden werden könnten, aber der Zweifel ist zumindest gerechtfertigt, ob das überhaupt möglich sei. Im Nachfolgenden werde ich versuchen, näher vorzurücken in der Richtung einer solchen pragmatischen Klassifikation der Fragesorten, weiterbauend auf die vorhandenen Ergebnisse der Sprechakttheorie. 2.
Die grosse Gliederung
Die Skala von Funktionen, die Fragen haben können, ist ziemlich breit; dasjenige also, was der Fragende mit seiner Frage vorhat, kann sehr verschiedenartig sein. Was alle die Arten von Fragen gemein hätten, ist nach verschiedenen Autoren, wie auch Hundsnurscher, d e r A u f f o r d e r u n g s Charakter M i r scheint aber das pragmatische oder sprechakttheoretische Primitiv, das allen Fragen gemeinsam sein sollte, angemessener bezeichnet mit dem Ausdruck " A p p e l l - Charakter", eben weil viele Fragen, wie z . B . die rhetorischen, nicht im eigentlichen Sinne als "Aufforderungen" betrachtet werden können. Mit seiner Frage macht der Sprechende S einen Appell an den Hörenden H, und er stellt so eine interpersonale Beziehung her. Wozu vom Sprechenden appelliert wird, hängt vom Typus der Frage ab, und eben hier muss meines Erachtens das grundlegende Kriterium für eine Typologie der Fragen gesucht werden. Zumal da mit der Verschiedenartigkeit des Appells auch verschiedene Möglich-
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keiten der (verbalen oder nicht-verbalen) Reaktion zusammenhängen. Einen blossen Appell, im richtigen Sinne des Wortes, haben wir z.B. in (10) A (= S) : Karl? (mit eventueller Reaktion von B: Ja?) Aber dabei bleibt es normalerweise nicht, und es ergeben sich die folgenden drei Hauptmöglichkeiten : (1°) Die Ausserung von S ist inhaltsbezogen, und der Appell, den er an H richtet, kann als deutung-suchend charakterisiert werden : deutung-suchende Frage. ( 2 ° ) Die Ausserung von S ist auf die Handlung bezogen, die im Inhalt thematisiert wird; der Appell wird mit der Absicht gemacht, eine Handlung von S oder H einzuleiten - meistens nach Vollendung einer Frage-AntwortSequenz : handlungsgebundene Frage. (3°) Die Ausserung von S ist weder deutung-suchend, noch handlungsgebunden, sondern S appelliert mit seiner Frage an die Inferenzkapazität des Hörenden, namentlich an seine Kapazität, um aus Ausserung, Situation und Kontext zu schliessen, dass nicht etwas von ihm gefragt oder erbeten wird, sondern dass S ihm etwas andeuten will, das vor allem auf der Beziehungsebene situiert ist ; rhetorische ("beziehungs-bezogene") Frage. Bemerken wir zu diesen Kategorien noch, dass, ähnlich wie in WATZLAWICK / BEAVIN / JACKSON (1967), in der Ausserung zwischen einer Inhalts- und einer Beziehungsebene unterschieden wird.Auf der Inhaltsebene ist relevant/ was Searle den 'prepositional content 1 nennt, also alles, was in der Ausserung an Gegenstände und Sachverhalte referiert; mit 'Beziehungsebene 1 ist alles das angedeutet, was in der Kommunikation mit den Beziehungen zwischen den Interaktanten zusammenhängt : ironisieren, spotten, Erstaunen zeigen, beleidigen, usw. 3. 3.1.
Funktion und Thema der Haupttypen Deutung-suchende Fragen
3.1.1. Der am meisten vorkommende, am meisten vertraute, und vielleicht grundlegende Typus der Fragen ist die deutung-suchen-
281
de Frage. Wir sagen, dass ein
Sprechender mit seiner Frage Deu-
tung sucht, wenn er, aus irgendeinem psychologischen Grund,eine Lücke in seinem Kenntnissystem spürt, derart dass er nicht alle Bedingungen zum Deuten dessen, was sich seiner Wahrnehmung aufdrängt, erfüllt sieht. Um dennoch eine möglichst harmonische Deutung zu ermöglichen, versucht er, diese Lücke mittels Information von anderen auszufüllen. Oft ist es seine Absicht, sein eigenes zukünftiges Verhalten in dieser Weise "zuzusteuern". Bei dieser Art der Fragen ist es nicht die Absicht von S, irgendeine Handlung nahezulegen, die in der Verlängerung der Frage-Antwort-Sequenz liegen würde. In dieser Weise ist diese Art von Fragen also "direkt" (im Searleschen Sinne), im Gegensatz zu den anderen Typen. Mit all dem soll aber nicht gesagt sein, dass S nicht eine Reaktion von Seiten des H erwarten würde. Diese ist meistens verbal, in der Form einer Antworthandlung. Sie schliesst sich aber unmittelbar der Frage an und hat in ihrer Verlängerung keine Handlungsverpflichtungen . Beispiele : (1) und (2) (11) Waar woont hij? (Wo wohnt er?) 3.1.2. Die Deutung, die der Sprechende mit einer Informationsfrage sucht, betrifft normalerweise (a) den sprachlichen Interaktionsprozess als solchen (Verständigungsfragen) (b) die Wirklichkeit (die Gegenstände und Sachverhalte) im Allgemeinen. Einige Beispiele von Verständigungsfragen : (12) [nach einer Frage] Waarom? (Warum [fragst du mich
das] ?) (13) [nach einer Mitteilung] Hoe bedoel Je? (Wie meinst du?) (14) [nach einer Mitteilung] Heb ik je wel goed verstaan? (Hab 1 ich dich wohl richtig verstanden?) Auch die E c h o -frage, also die Frage, die wie ein Echo wiederholt, was im Vorigen gesagt wurde, kann hier als Beispiel angeführt werden. (15) A : Nou? (Na und?) B : Nou? ( = Echo-frage)
282
Die Fragen, in denen man zur Wirklichkeit im Allgemeinen etwas fragt, kommen in der Alltagskonversation vielleicht am meisten vor. Beispiele : (1), ( 2 ) , (11) und (16) Denk je dat Daan verliefd op mij is? (Denkst du, dass Daan in mich verliebt ist?)
In (16) wird nach dem Urteil des Hörenden über einen Sachverhalt gefragt. 3.1.3. Bemerken wir noch, dass durch Hinzufügung von 'niet' (nicht) oder 'wel' (wohl), diese Fragen einen suggestiven Charakter bekommen. Erstere legt eine positive Antwortalternative nahe, letztere eine negative, also eine Zustimmung bzw. Ablehnung. Man spricht hier manchmal von V e r g e w i s s e r u n g s fragen. Einige Beispiele: (17a) Is dat niet de man van Gloria? (Ist das nicht der Mann von Gloria?) (18a) Is dat wel de man van Gloria? (Ist das wohl der Mann von Gloria?) Derselbe Effekt wird durch eine entsprechende Nachziehfrage erreicht : (17b) Dat is (toch) de man van Gloria, is het niet? (Das ist (doch) der Mann von Gloria, nicht?) (18b) Dat is de man van Gloria niet, (is het) wel? (Das ist nicht der Mann von Gloria, wie?) 3 . 2 . Handlungsgebundene Fragen 3.2.1. Dieser Typus der Fragen ist schon indirekter, umfasst also eine abgeleitete Art von Fragen. Diese Fragen sind in dorn Sinne von den deutung-suchenden unterschieden, dass der Sprechende mit ihnen nicht beabsichtigt, eine Lücke in seinem Kenntnissystem auszufüllen. Die Handlung, die in der Qualifikation "handlungsgebunden" gemeint ist, ist nicht die unmittelbar in der Verlängerung der Frage liegende mögliche Antwort, sondern genau diejenige Handlung, die im propositionalen Gehalt der Frage thematisiert wird. Bei einer gelungenen Vollziehung der Fragehandlung, der eventuell eine positive Antwort folgt, wird sie normal erwartet in der Verlängerung der Fragehandlung, bzw. der
283
Frage-Antwort-Sequenz. Es kann sich um eine Handlung von S handeln, und in diesem Fall hat die Frage einen kommissiven Charakter; wenn es sich um eine Handlung von H handelt, hat die Frage einen direktiven Charakter. Ein Beispiel für jede Art : (19) Zal ik je soep maar al uitscheppen? (Soll ich schon die Suppe ausschenken?) (20)
= k o m m i s s i v e Frage Kun je me net zout eens doorgeven? das Salz reichen?)
=
d i r e k t i v e
(Kannst du mir mal
Frage
Man kann gegen die bisherige Klassifikation einwenden, dass bestimmte handlungsgebundene Fragen genau wie die deutung-suchende die Absicht haben, das zukünftige Verhalten von S zu "steuern". Das ist vor allem der Fall bei den kommissiven Fragen, in denen S H 1 s Präferenz-System abtastet, um zu erfahren, ob er (= S) die von ihm thematisierte Handlung ausführen soll. Dies
ist
im Beispiel (19) exemplifiziert. Natürlich ist hier auch eine negative Antwort von Seiten des Hörenden denkbar, und in diesem Falle unterbleibt (normalerweise) die Handlung.Wir können aber allerdings sagen, dass es dem Sprechenden nicht nur um Kenntnis bezüglich des Präferenz-Systems von H geht. Die Frage wäre völlig "pointless", wenn nicht eine (mögliche) Handlung damit verbunden wäre, was nicht der Fall ist bei den deutung-suchenden Fragen, z . B . in ( 2 ) . 3 . 2 . 2 . Zum Thema können wir also sagen, dass mit dem thematischen Unterschied auch eine Differenz in illokutiver Kraft zusammenhängt : - ist das Thema eine zukünftige Handlung von H, dann geht es um eine direktive Sprechhandlung, die schwanken kann zwischen einer Einladung und einer (manchmal ganz dringenden) Bitte. (21) Hebt u vuur, a.u.b.? (Haben Sie Feuer, bitte?) ( 2 2 ) Krijg ik ook thee? (Buchstäblich : bekomme ich auch Tee?) (23) Vind je het erg om ons alleen te laten? (Findest du es schlimm, uns allein zu lassen?) Die Beispiele illustrieren, dass die Handlung von H auch sehr 4 INdirekt thematisiert werden kann, wie (21) und ( 2 3 ) zeigen. In ( 2 2 ) wird die illokutive Wirkung erreicht mit einem Verb,
284
das semantisch komplementär ist zum Handlungsverb, 'geben', 1 schenken*. - wenn eine zukünftige Handlung von S thematisiert wird, ist die Sprechhandlung vielmehr kommissiver Art, in dem Sinne, dass S sich dazu verpflichtet, die thematisierte Handlung, falls H es will, auch auszuführen; es ist hier also die Rede von einem A n g e b o t . Beispiele (24) Zal ik naar je toekomen? (Soll ich zu dir kommen?) ( 2 5 ) Wil je koffie? (Willst du Kaffee?) 3.3.
Rhetorische ("beziehungs-bezogene") Fragen
3.3.1. Schliesslich kommen wir zu einem dritten Typus, wieder eine abgeleitete Art von Fragen, für die der Terminus "rhetorische Frage" am geläufigsten ist. Hier hat der Sprechende gar nicht die Absicht, für seine Deutung Information von H zu bekommen. Oft wird er eine derartige Frage unmittelbar selbst beantworten (vor allem in monologischen Texten), oder sonst ist es (meistens im dialogischen Textzusammenhang) deutlich genug, dass S von H gar keine Antwort erwartet. Und dies geht nicht nur aus der Frage selber hervor, sondern u.a. - und vor allem - aus der Sprechsituation. Diese Frage hat keinen verpflichtenden oder bindenden Charakter in Bezug auf weitere Handlungen von S oder H. Wohl appelliert S mit solchen Fragen an die Inferenzkapazität von H, derart dass dieser aus Kontext und Situation, Intonation und Ahnlichem, schliessen können soll, dass S von ihm keine Antwort oder andere Reaktion erwartet, sondern dass er selbst seine Schlussfolgerungen in Bezug auf das von S Gemeinte ziehen soll. Keine Information wird also mit diesen Fragen erwünscht, das Inhaltliche der Frage tritt sozusagen in den Hintergrund, und der Aspekt der interpersonalen Beziehung, der in allen Typen von Fragen zu erblicken ist, tritt bei derartigen Fragen ausgeprägt in den Vordergrund. Falls wir also den mehr aus der Stilistik herstammenden Terminus "rhetorisch" ersetzen wollen, wäre vielleicht ein Ausdruck, der die erwähnte Charakteristik hervorhebt, angebracht. Ich schlage vor, von "beziehungsbezogenen" Fragen zu reden, aber bin gerne bereit, diesen Terminus für einen
285
besseren zu tauschen. (26) A: Wat je daar gedaan hebt, is beneden alle peil. B ( = S ) : Hoe kon ik anders ? (Was konnte ich sonst machen?) = Ablehnung des Vorwurfes. (27) zeg/ weet je 't al ? Die van hiernaast hebben een nieuwe auto gekocht. (Weisst du 's schon?) = Erregung der Neugier 3.3.2. Der Fächer der Funktionen derartiger Fragen ist sehr breit, und vor allem stilistisch relevant. Es fällt zum Beispiel in die Augen, dass es einen Unterschied gibt zwischen Fragen mit einer hauptsächlich exjares^iven (Beispiele 28 und 29) , und solchen mit einer hauptsächlich suggestiven (30 und 3l) Funktion. (28) Wat zeg je me d55r nu !? (Was du mir jetzt sagst i ) (29) Waarom zeg je dat dan niet ? (Warum sagst du mir das denn nicht ?) (30) Hoe speel je het toch klaar altijd zo netjes gekleed te gaan ? (Wie schaffst du 's, immer so anständig gekleidet zu sein ?) Suggestion: du bist immer so anständig gekleidet. (31) Zie je mij al in zoiets gekleed lopen ? (Kannst du dir mich in solchen Kleidern vorstellen ?) Suggestion: solche Kleider sind doch gar nichts für mich. Es ist hier nicht der Ort, eine eingehende Analyse oder Taxonomie der Vielfalt von rhetorischen Fragen zu geben. Es sei nur noch bemerkt, dass die beziehungsbezogenen Fragen meistens dadurch gekennzeichnet sind, dass sie positiv oder negativ gerichtet sind, je nachdem sie in einem kooperativen bzw. konfliktuellen Interaktionsrahmen situiert sind. So kann ( 2 8 ) ein Ausdruck des Erstaunens sein, obwohl S nicht die Glaubwürdigkeit von H in Frage stellt, während ( 3 2 ) gerade einen Aspekt von H kritisiert. (30) kann als eine Artigkeit verstanden werden, (31) ist eine Ablehnung. 3.3.3. Bemerken wir schliesslich noch, dass nach Thema und Form die rhetorischen Fragen grösstenteils mit den deutung-suchenden identisch sind. Der Unterschied liegt eigentlich nur darin,
286
dass es Andeutungen für den Hörenden gibt, oder geben soll, dass der Sprechende von ihm keine informative Antwort erwartet. 4. Hiermit sind meiner Ansicht nach die wichtigsten Typen der Fragen vorgeführt. Die hier skizzierte Typologie gibt selbstverständlich nur den Rahmen, in den die Verschiedenheit der Fragefunktionen möglicherweise gefasst werden kann. Weitere Kriterien sind notwendig, um die Analyse und Einteilung zu verfeinern. Expliziter soll auch die Frage hervorgehoben werden, inwieweit diese Kategorien mit denjenigen zusammenfallen, die nach formalen syntaktischen und/oder semantischen Kriterien unterschieden werden können.
Anmerkungen 1 Die Beispiele sind niederländischem Material entnommen. 2 Für diesen Terminus: vgl. W. ABRAHAM et al. (1974: 128). 3 Die Termini "direktiv" und "kommissiv" sind verwendet wie in dem Aufsatz von SEARLE über die Taxonomie der illokutiven Akte (unveröffentl. Paper). 4 Für ausführliche Erörterungen zum Thema der Indirektheit verweise ich auf SEARLE (1975).
Literatur ABRAHAM, Werner et al, (1974) : Terminologie zur neueren Linguistik. Tübingen: Niemeyer. HUNDSNURSCHER, Franz (1975) : "Semantik der Fragen". Zeitschrift für Germanistische Linguistik 3: 1-14. SEARLE, John R. (1975) : "Indirect Speech Acts". In: COLE, Peter/ MORGAN, Jerry L . ( e d s . ) : Syntax and Semantics. Vol. 3: Speech Acts: 59-82. New York etc. : Academic Press. SEARLE, John R . : "A Classification of Illocutionary Acts". Unveröffentl. Paper. WATZLAWICK, Paul / BEAVIN, Janet H. / JACKSON, Don D. (1967) : Pragmatics of Human Communication. N.York: Norton & Co.
RELOKUTION, NEGATIVER SPRECHAKT UND WO DER RÖMERBRIEF ANFÄNGT Reinhard Wonneberger
1.
Sprechaktermittlung
über konkrete Sprechakte können wir nur dann reden, wenn wir sie auch beim Namen nennen können. Manchmal tut das der Autor selbst, durch ein performatives Verb oder durch ein entsprechendes Nomen. Indem Paulus äußert: ich ermahne euch (R 12,1), ermahnt er; indem er sich auf die zuvor zitierten Worte Davids mit dem Ausdruck Seligpreisung (R 4 ,-6.9) bezieht, kennzeichnet er sie als Seligpreisung.
Leider fallen
aber die so bestimmbaren Sprechakte gegenüber dem Rest des Textes kaum ins Gewicht. Weitere Sprechakte lassen sich benennen, wenn der verstehende Leser die Benennung selbst beigeben darf. Der historische Wandel 2 der Sprechakte mahnt aber zur Vorsicht. Denn geschichtlich sachgerecht werden Sprechakte nur verstanden, wenn wir ihren "Sitz im Leben" kennen. Wenn über ihn keine sonstigen Zeugnisse erhalten sind, muß er aus dem Text selbst rekonstruiert werden; die Forschung steht vor einem Zirkel. Die Sprechaktforschung geht häufig von Dialogen aus, weil der Sprecherwechsel die Abgrenzung der einzelnen Sprechakte gegeneinander erleichtert. In einem gewöhnlichen Brief wechselt der Sprecher nicht. Paulus wechselt aber die Person, auf die sich das Gespräch bezieht. Die Bezugsperson wird durch die Person i.S. der Syntax angezeigt: ich (R 1,8) du (R 2 , 1 ) wir (R 2 , 2 ) ihr (R 1 2 , 2 ) Die 3.pers. wird hier nicht betrachtet. Solche Indizien helfen sicher den Sprechakt abgrenzen, aber ein Indiz macht noch keinen Sprechakt. Denn in der Paränese beginnt Paulus mit
ich
(R 12,1)
288
fährt aber unmittelbar darauf mit ihr (R 1 2 , 2 ) fort. Offenbar ist der Sprechakt beidemal der gleiche, erst performativ gesprochen, dann nicht-performativ. Und doch, ist es auch derselbe? Wirkt nicht die performative Form den ganzen langen Abschnitt fort, während die nicht-performative Form nicht über sich selbst hinausweist? Uns ist also die Frage aufgegeben: wie stehen Sprechakte zueinander, und wie sieht es in ihrem Inneren aus? Diese Fragen blenden die Situationsseite der Sprechakttheorie aus; sie richten sich auf die Textseite. Über Glückensbedingungen kann auch dann gesprochen werden, wenn die sprachliche Ausgestaltung des Sprechaktes unbekannt ist. über Sprechakte in vorgegebenen Texten kann nur dann gesprochen werden, wenn sie zuvor identifiziert sind. 2.
Vom Gruß zur Relokution
Antike Briefpräskripte sind nach folgendem Muster aufgebaut: der Absender dem Empfänger einen Gruß Der Terminus "Präskript" faßt die formale Seite der Sache in den Blick. Er drückt weiter aus, daß dieses Element nicht zum Briefinhalt selbst gehört. Würden sich beide Partner von Angesicht gegenüberstehen, so könnten zwar die Elemente "Absender" und "Empfänger" entfallen, der Gruß würde aber auch dann ausgesprochen. Wie die Formelhaftigkeit fast allen Grüßens zeigt, liegt der Hauptsinn des Grüßens nicht in einer bestimmten Mitteilung, sondern in der Etablierung des Kommunikationskanals. Soweit alternative Grußformeln zur Verfügung stehen, werden dadurch alternative Relationen zwischen beiden Partnern definiert. Klassisches Beispiel: der Chef hat mit seiner Sekretärin ein Verhältnis, begrüßt sie aber vor den Mitarbeitern mit "guten Morgen". Dieses Problem hat in der Sprechakttheorie bisher wenig Beachtung gefunden. Ein solcher Sprechakt hat zwar auch einen performativen Aspekt, da der Sprecher die Verpflichtung eingeht, ein Gespräch zu führen oder einem entsprechenden Wunsch des Partners offenzustehen, oder er entsprechendes beim Partner anstrebt. Dadurch wird jedoch nicht ausreichend beschrieben, daß gleich-
289
zeitig eine bestimmte Beziehung definiert wird, die man als Kommunikationsrahmen bezeichnen könnte, und daß entsprechend die Rollen der beiden Partner festgelegt, ihre Äußerungsmöglichkeiten beschränkt werden. Es erscheint mir daher angebracht, einen vierten Sprechakt-Aspekt einzuführen, den ich als "relokutiven Aspekt" bezeichne. Er sei wie folgt charakterisiert: Der relokutive Aspekt bezeichnet die bei einem Sprechakt mitgesetzte Möglichkeit für den Hörer, implizit oder explizit Annahmen über die Art der Kommunikation, die Partner, ihre Rollen oder den Sitz im Leben herzuleiten, also auf die Regeln und Umstände rückzuschließen, die den Sprechakt geprägt und veranlaßt haben. Diese Definition soll umreißen, worauf wir jetzt zu achten haben. Denn obgleich die Relokution in den Rahmen der Sprechakttheorie eingepaßt ist, soll in diesem Beitrag nicht ihre Stellung innerhalb der Theorie bestimmt werden, sondern sie soll in der praktischen Anwendung am Text vorgestellt werden. 3.
Das Präskript
Durch den relokutiven Aspekt wird insbesondere auch gesteuert, welche Sprechakte im weiteren Verlauf zu erwarten sind, oder von welchem Typ die Konversation sein wird, so unterscheidet sich der Gruß in den Paulusbriefen vom antiken Briefformular dadurch, daß Gott und Christus schon hier thematisiert werden. Der Brief wird also als christliche Kommunikation definiert. Entsprechend werden die Elemente "Absender" und "Empfänger" durch Appositionen ausgeweitet. Beim Empfänger geht dies kaum über eine bloße Referenzierung hinaus. Anders beim Absender. Im Präskript des Römerbriefes, dem Extremfall der paulinischen Präskripte, vollzieht Paulus im Rahmen der Appositionen schon einen ersten Argumentationsgang, der ihn als Apostel und speziell als Apostel der Diaspora ausweist, die Autorisierung dazu auf Christus zurückführt und dessen Autorisierung ihrerseits dadurch untermauert, daß er ihn in die jüdische Heilsgeschichte einzeichnet. Dadurch werden drei Fragen aufgeworfen: Wie ist die Binnenstruktur dieser Argumentation beschaffen? Was leistet die Argumentation für den Brief? Was folgt daraus für die Situation?
29p
3.1.
Die Binnenstruktur
Läßt man die appositioneile Gestalt der Argumentation einmal beiseite, dann ergibt sich folgender Ablauf: 4 Beanspruchung der Berufung zum Apostel (V.1) Angabe des Auftrages Qualifizierung des Auftrages (V.2) Inhalt des Auftrages (V.3) Auftrag für die Diaspora (V.5) Einschluß der Empfänger (V.6) Diese Argumentation läuft i.W. auf zwei Punkte hinaus. Paulus beansprucht apostolische Autorität, und sie soll auch gegenüber den Empfängern etabliert werden. Eine wichtige Wendung in der Argumentation wird durch die Apposition Jesu Christi, unseres Herren ( V . 4 ) und den anschließenden Relativsatz vollzogen. War nämlich vorher über Christus als Inhalt des Evangeliums gesprochen worden, so wird er jetzt selbst zum Handelnden, und d.h. hier auch: zum Autorisierenden . 3.2.
Was leistet diese Struktur für den Brief?
Untersucht man die Glückensbedingungen späterer Sprechakte des Briefes, so z.B. der Paränese (R 1 2 f f ) , so zeigt sich als Anforderung, daß der Redende eine Autorisierung zumindest als Lehrer hat. Andere Aussagen des Briefes setzen eine noch weitergehende Autorisierung voraus, die der prophetischen entspricht, also nur durch Gott selbst gegeben werden kann. Das Präskript versucht diese Autorität zu etablieren. Es sagt dem Leser klar, was ihn erwartet: von Gott autorisierte Apostelrede. Wenn er diese Rolle des Absenders nicht akzeptiert, braucht er gar nicht erst weiterzulesen. Die Argumentation im Präskript etabliert also eine wesentliche Glückensbedingung für den ganzen Brief. Formulierungen wie: damit ich unter euch ... Frucht gewinne (R 1,13) wären ohne diese Voraussetzung ungedeckt. 5 3.3
Was folgt daraus für die Situation?
In den beiden Korinther-Präskripten begnügt sich Paulus mit einer titularischen Rollendefinition. Dem entspricht, daß der Apostel zur Gemeinde schon ein persönliches Verhältnis hat. Im Galater-
291
Präskript wird vorab eine Grundfrage des Streites mit der Gemeinde und damit des Briefes polemisch geklärt, die Bezweiflung der apostolischen Autorität des Paulus. Im Philipper-Präskript wählt der Apostel dem innigen Verhältnis zur Gemeinde entsprechend einen Demutstitel: Dienstleute Jesu Christi (Philipper 1 , 1 ) Im Römer-Präskript wird die apostolische Autorität explizit begründet. Der relokutive Rückschluß führt darauf, daß sie zuvor noch nicht etabliert war, mithin noch kein Verhältnis zur Gemeinde bestanden hat. Wir sind in der glücklichen Lage, dies anderweitig bestätigen zu können; denn aus den Aussagen des Apostels über seine Reisepläne läßt sich erschließen, daß die Gemeinde tatsächlich Neuland für ihn war. Trotzdem steht aber die Etablierung seiner apostolischen Autorität nicht unter missionarischen Absichten gegenüber Rom, denn der relokutive Aspekt von Aussagen wie: mitgetröstet zu werden unter euch durch den gemeinsamen Glauben von euch und mir (R 1 , 1 1 ) von euch dorthin (nach Spanien) ausgesandt zu werden (R 1 5 , 2 4 ) schließt eine Missionierungsrelation aus. Vielmehr verrät der relokutive Aspekt gerade der letzten Aussage, daß der Gemeinde die Rolle einer Operationsbasis für die Mission im Westen zugedacht ist. Als Gemeinde der Reichshauptstadt bringt sie die nötigen Voraussetzungen mit, z . B . die Querverbindungen zu den jüdischen Diaspora-Gemeinden des Westens. 4.
Negative Sprechakte
Wenn es z u t r i f f t , daß der Brief stützung wirbt, dann zeigt sich lus sogleich zu lösen hatte: es ihm und der Gemeinde, an den er 4.1.
in Rom um Vertrauen und Unterdamit auch ein Problem, das Paugibt dann keinen Vorgang zwischen hätte anknüpfen können.
Vorgang und Präsupposition
Im 1.Korintherbrief gibt es diesen Vorgang; Paulus nimmt sogleich zu konkreten Fragen Stellung, teils in Form der Paränese, teils in Form einer Antwort auf Fragen der Gemeinde. Im Römerbrief hingegen muß der Autor sein Thema von sich aus einführen. Er bedient sich dazu negativer Sprechakte. Darunter verstehe ich
292
solche Sprechakte, die von der einfachen Version durch eine doppelte Verneinung abgehoben sind: ich will nicht, daß ihr in Unkenntnis bleibt (R 1 , 1 2 ) ich schäme mich des Evangeliums nicht (R 1,16) Negiert werden Ausdrücke des Mangels oder Nachteils wie nicht wissen sich schämen Dadurch wird eine entsprechende Präsupposition angestoßen. Sie könnte bei "nicht wissen" ungefähr lauten: ihr wißt es nicht, es wäre aber für euch wichtig, es zu wissen Der zweite Teil dieser Präsupposition, also daß die Nachricht für den Hörer wissenswert und wichtig ist, kommt dem Autor zugute; denn sie schafft ihm einen Grund, sich zu äußern. Dieser Grund ist über ein bloßes Wollen des Autors hinausgehoben, gewissermaßen objektiviert, dem Hörer zugeordnet. Bei einer positiven Aussage wäre das anders. So würde die Formulierung ich will euch folgendes mitteilen weder präsupponieren, daß die Mitteilung für den Hörer einen Mangel behebt, noch würde sie einen quasi objektiven Anlaß liefern. Vielmehr läge die gesamte Verantwortung beim Autor. Dies t r i f f t bei Paulus z.B. für den Philipperbrief zu, wo Paulus durch die Wendung ich will euch aber wissen lassen (Phil 1,12) eine positive, als Trost gemeinte Wertung seiner Gefangenschaft einleitet. Es ist sicher kein Zufall, daß diese Wendung in dem sehr persönlich gehaltenen Philipperbrief steht. Es wäre daher zu prüfen, ob Sprechakt-Form und Briefsituation generell zusammenhängen, ob also z.B. die positive Form mit biographischen Ing halten assoziiert ist, die negative Form hingegen mit Lehräußerungen. 4.2.
Litotes
Negative Sprechakte sind in der Stilistik unter dem Begriff g
"Litotes" erfaßt worden. Die Annahme einer Litotes für unser Beispiel ich schäme mich des Evangeliums nicht (R 1,16) ist in der exegetischen Literatur bestritten worden, allerdings ohne stichhaltige Argumente. Aber Litotes und negativer Sprech-
293
akt decken sich ohnehin nicht, weil die Litotes auch Wendungen wie nicht unwahrscheinlich umfaßt, die keine Sprechakte sind, sie also eine semantische Kategorie ist. Umgekehrt reicht die von der Stilistik für die Litotes angenommene Funktion der Verstärkung oder Betonung nicht aus, um die argumentativen Abläufe bei negativen Sprechakten zu beschreiben. Dies wird besonders deutlich in dem Abschnitt: ich will nicht, ihr Brüder, daß ihr in Unkenntnis seid über dieses Geheimnis (R 11,25) weil dabei auf die Präsupposition des Wissens Bezug genommen wird, indem eine unerwünschte Folge des Nichtwissens genannt wird: damit ihr nicht stolz seid (R 11,25) 4.3
Funktion
Daß solches Nichtwissen auch am Briefeingang unerwünscht ist, zeigt der Kontext. Paulus hatte zuvor seine Sehnsucht betont, die Gemeinde zu sehen. Wüßte die Gemeinde nichts von Hinderungsgründen, dann müßte sie die Aufrichtigkeit dieser Versicherung wohl in Zweifel ziehen. Der Sprechakt soll also offenbar auch die Aufrichtigkeitsbedingung für die vorangegangene Versicherung absichern. Daraus folgt methodisch, daß bei der Analyse von Sprechaktsequenzen besonders darauf zu achten ist, ob und wie im Text Glückensbedingungen abgesichert werden. Das Ende der traditionell als "Danksagung" bezeichneten Passage ist damit erreicht. Sie vertritt im christlichen Brief die captatio benevolentiae. Paulus versichert in ihr die Gemeinde seiner positiven Einstellung ihr gegenüber, wie sie vor allem in seiner Reiseabsicht zum Ausdruck kommt. 5.
Wo der Römerbrief anfängt
Die folgenden Sätze gehören nicht mehr zur Danksagung. Dies wird zunächst durch die Stichwort-Anapher - noch dazu im selben Kasus zwischen bei den übrigen Heiden (V.13) und den Griechen und Barbaren (V.14)
294
verschleiert. Aber es fehlt von jetzt ( V . 1 4 ) an der Bezug auf die Adressaten. Der Bruch zeigt sich aber auch formal: die Satzverbindung ist asyndetisch. Dies ist um so bemerkenswerter, als gerade im Römerbrief die syndetische Verbindung der Regelfall ist. So begegnet die nächste asyndetische Reihung erst in 9 , 1 . Nun war auch bisher schon unumstritten, daß in R 9,1 ein neuer Hauptteil des Briefes einsetzt. Anders am Anfang: hier wird der Einschnitt in der Regel bei V.18 gelegt. Zwar wird in V.18 in der Tat ein neues Thema (Zorn Gottes) zur Sprache gebracht. Themen allein haben aber nicht den Charakter von Textgliederungssignalen, und dieses Thema zumal steht in semantischer Opposition zu dem vorangehenden (der Gerechte wird leben). Außerdem wird es durch "denn" ausdrücklich in einen Begründungszusammenhang mit dem vorangehenden gestellt. Damit ist nun gezeigt, daß der erste Hauptteil des Briefes in R 1 , 1 4 beginnt. Textgliederungssignale sind ebenso zur Begründung herangezogen worden wie der relokutive Aspekt der behandel12 ten Sprechakte und Sprechaktsequenzen.
Anmerkungen 1 2 3 4 5
6 7 8 9
SCHLIEBEN-LANGE (1976) 1 1 4 . Siehe dazu SCHLIEBEN-LANGE (1976). Vgl dazu den bei WATZLAWICK/BEAVIN/JACKSON (1969) entwickelten Beziehungsaspekt. Z . B . Jeremia 1 , 4 f f ; Ezechiel 1 , 1 f f ; vgl HABEL ( 1 9 6 5 ) . Deshalb ist auch zu erwägen, ob nicht die Empfänger Subjekt der Infinitivkonstruktion "mitgetröstet zu werden" (R 1,11) sind. Gegen die Parteiungen (1.Korinther 1 , 1 0 f f ) . 1.Korinther 7,1 und öfter. Mit "damit" (2.Korinther 2 , 4 . 9 ) ; mit Imperativ (2.Korinther 8,9; Galater 3 , 7 ) ; "hoffen" (2.Korinther 1 3 , 6 ) . Vgl PALM (1955) 153-156.
10 11
HEROLD ( 1 9 7 3 ) . Siehe dazu WONNEBERGER (1976a) 3O6f.
12
Der Beitrag steht im Zusammenhang mit folgenden früheren
295
Arbeiten: WONNEBERGER ( 1 9 7 6 a ) , ( 1 9 7 6 b ) , (1976c)
Literatur HABEL, N. ( 1 9 6 5 ) : "The Form and Signification of the Call Narratives". ZAW 77: 297-323. HEROLD, G. ( 1 9 7 3 ) : Zorn und Gerechtigkeit Gottes bei Paulus. Eine Untersuchung zu Rom. 1,16-18. Bern / Frankfurt. PALM, J. (1955): über Sprache und Stil des Doidorus von Sizilien. Ein Beitrag zur Beleuchtung der hellenistischen Prosa. SCHLIEBEN-LANGE, B. ( 1 9 7 6 ) : "Für eine historische Analyse von Sprechakten". In: WEBER, H. / WEYDT, H. (eds.) (1976): Akten des 10. Linguistischen Kolloquiums. Tübingen 1975. Bd.I: Sprachtheorie und Pragmatik. Tübingen: Niemeyer: 113119. WATZLAWICK, P. / BEAVIN, J.H. / JACKSON, D . D . ( 1 9 6 9 ) : Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Bern / Stuttgart: Huber. WONNEBERGER, R. ( 1 9 7 6 a ) : "Textgliederung bei Paulus. Eine Problemskizze am Beispiel von Römer 3 , 2 1 , 1.Korinther 13 und Römer 51. In: WEBER, H. / WEYDT, H. ( 1 9 7 6 ) : Akten des 1O. Linguistischen Kolloquiums. Tübingen 1975. Bd.I: Sprachtheorie und Pragmatik. Tübingen: Niemeyer: 3O5-314. (1976b): "Ansätze zu einer textlinguistischen Beschreibung der Argumentation bei Paulus". In MEID, W. / HELLER, K. (eds.) ( 1 9 7 6 ) : Textlinguistik und Semantik. Akten der 4. Arbeitstagung österreichischer Linguisten. Innsbruck 1975. Demnächst in: Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft. Bd.17. Innsbruck. ( 1 9 7 6 c ) : "Überlegungen zur Argumentation bei Paulus". In: SCHECKER, M. ( e d . ) ( 1 9 7 6 ) : Theorie der Argumentation. Tübingen.
KINDLICHES SPRECHHANDELN IN RELEVANTEN SITUATIONEN Ergebnisse einer empirischen Untersuchung Dietmar Zaefferer / Hans-Georg Frenz
1.
Zielsetzung
Ziel der Untersuchung, aus der hier einige Ergebnisse referiert werden sollen , war es, empirische Daten zu sammeln, die Schlüsse auf den durchschnittlichen Entwicklungsstand der sprachlichen Handlungsfähigkeit bei 4-6jährigen Kindern zulassen. Während für dieses Alter phonologischer, lexikalischer und syntaktischer Aspekt der Sprachentwicklung bereits Gegenstand zahlreicher Untersuchungen waren, betritt der Erforscher des sprachlichen Handelns von Kindern weitgehend Neuland. Auf die daraus resultierenden theoretischen und praktischen Schwierigkeiten kann in diesem Rahmen allerdings nicht eingegangen werden. 2. 2.1.
Vorarbeiten Entwicklung des Kategoriensystems STIK
Um eine normierte Beschreibung kindlichen Sprechhandelns zu ermöglichen, wurde ein eigenes Kategoriensystem entwickelt, das "Sprechhandlungstypen-Inventar für Kinder" ( S T I K ) . Ausgangspunkt dabei war die Annahme, daß ein Sprechhandlungstyp bestimmbar ist als eine Klasse von Handlungen, bei denen eine bestimmte Vorsituation mittels der Produktion eines sprachlichen Ausdrucks bestimmten Inhalts in eine bestimmte Nachsituation überführt wird. Er ist beschreibbar mithilfe des Inhalts des fraglichen Ausdrucks sowie der relevanten Annahmen, Intentionen und Obligationen von Sprecher und Adressat. Bei dem Versuch, die in den vorhandenen Ausprägungen der Sprechakttheorie enthaltenen Klassifikationen auf beobachtetes Sprachverhalten von Kindern anzuwenden, erwiesen sich die Vorschläge von AUSTIN ( 1 9 6 2 ) und HABERMAS ( 1 9 7 1 ) als unbrauchbar; die meisten Anregungen erhielten wir durch SEARLEs (1975) "Taxonomy of Illocutionary Acts", deren 5 Grobkategorien gewisse Ähnlichkeiten mit den Gruppen 1 - 5 in unserem System aufweisen. Das aufgrund der Voruntersuchungen
298
(vgl. LINDNER / ZAEFFERER 1976) erstellte endgültige Kategoriensystem umfaßt 58 auf 8 Gruppen verteilte Sprechakttypen (vgl. Anhang I ) . Die nähere Bestimmung der einzelnen STIK-Typen erfolgt durch eine Beschreibung, die aus folgenden vier Teilen besteht: einer kurzen Charakterisierung der Funktion des jeweiligen Sprechaktes, Angaben über relevante Merkmale von Vor- und Nachsituation, Standardbeispielen sowie Verweisen auf leicht zu verwechselnde andere Typen. An diese Beschreibung muß sich der Beurteiler, der die protokollierten Äußerungen Sprechakttypen zuordnet, halten. 2.2.
Bestimmung der Beobachtungssituationen
Eine zentrale Hypothese unserer Untersuchung ist die Annahme, daß sprachliches Handeln wesentlich bestimmt ist durch die in der jeweiligen Situation vorherrschende Intention der betreffenden Person. Wir haben daher, um das Sprachverhalten der beobachteten Kinder vergleichbar zu machen, einen entsprechenden Rahmen entworfen, innerhalb dessen das Verhalten der Partner beobachtet, protokolliert und ausgewertet werden sollte. Ein solcher Beobachtungsrahmen ist durch eine Ausgangs- und eine Endsituation definiert, die ihrerseits wie folgt bestimmt sind: Eine A u s g a n g s s i t u a t i o n i s t eine Situation, i n d e r eine bestimmte kommunikativ erfüllbare Intention einer Person deutlich wird. Eine E n d s i t u a t i o n i s t eine Situation, in der diese Intention erfüllt oder aufgegeben bzw. auf nicht absehbare Zeit verschoben wurde. Dieser abstrakte Rahmen wurde mit den folgenden drei für Vorschulkinder relevanten Si2 tuationen konkretisiert: In der Situation S i t 1 besteht die definierende Intention darin, daß das fokussierte Kind mit einem ihm unbekannten Kind Kontakt haben will, in S i t 2 möchte es ein Spielzeug von einem anderen Kind haben, in S i t 3 möchte es gemeinsam mit zwei ihm bekannten Partnern einen Kaufladen einrichten. 3. 3.1.
Durchführung Auswahl der Probanden
Alle Beobachtungen wurden in Großstadtkindergärten durchgeführt.
299
Bei den beobachteten Kindern wurde nach den Dimensionen Geschlecht, Alter ( 4 - 5 1 / 2 , 5 1/2-6 Jahre) und Schicht
(Unter-
schicht, Mittelschicht) unterschieden. Die sich so ergebenden 8 Gruppen wurden mit jeweils 3 Kindern besetzt, so daß insgesamt 24 Kinder i m Beobachtungsfokus standen ( i h r e
Intentionen
definierten die Situation). Zusammmen mit den jeweiligen Partnern ergab sich eine Gesamtzahl von 100 beobachteten Kindern. 3.2.
Beobachtungsverfahren und Rohdaten
Die Beobachter arrangierten Situationen, die das Auftreten einer Ausgangssituation in hohem Maße wahrscheinlich machten. Ergab sich tatsächlich die gewünschte Situation, so hielten sie
ver-
bales Verhalten per Tonband und nonverbales Verhalten handschriftlich fest. Beide Arten von Daten wurden anschließend in einem Protokoll festgehalten, das als Ausgangspunkt für die Kategorisierung diente. 3.3.
Kategorisierung nach STIK und Gewinnung der Enddaten
Die protokollierten Äußerungen wurden von zwei Beurteilern kategorisiert, Beurteilungsdifferenzen unter Rückgriff auf STIK entschieden. Die interpretierten Protokolle enthielten 4 0 2 3 Handlungen insgesamt, davon 2904 (72 % ) Sprechakte; von diesen wiederum waren etwa 10 % Beobachteräußerungen, so daß die Datenbasis 2608 interpretierte Kinderäußerungen u m f a ß t . 4. 4.1.
Ergebnisse Allgemeine Übersicht
Eine Übersicht über die Häufigkeitsverteilung der protokollierten Äußerungen auf die STIK-Typen ergibt folgendes Bild: Ohne Vorkommnis blieben die Typen der bedingten Drohung (DROH..), die rollenlöschenden
Sprechakte ZURÜCKTRET und ABSETZ sowie die Ent-
schuldigungen. Die größte Häufigkeit wiesen die Feststellungen auf, gefolgt von Fragen, Behauptungen und Aufforderungen sowie, vielleicht nicht ganz so erwartet, den Bekräftigungen. Interessant ist
vielleicht noch, daß solche Lieblingskinder der lingui-
stischen Pragmatik wie Versprechen - in beiden Formen, der bedingten (VERSPRECHE wie der unbedingten (VERSPRECH 2 ) - , Dro-
3OO
hen, Vorwerfen, Entschuldigen, Rechtfertigen, Raten, Warnen sämtlich nur recht selten gebraucht wurden. 4.2.
Situationsvergleich (vgl. Anhang II)
Die in den Entwurf der Untersuchung eingegangene Annahme, daß der Gebrauch von Sprechakten in den drei von uns arrangierten Situationen differiert, kann nach den Daten als bestätigt gelten, wenn auch die meisten Unterschiede nicht sehr markant sind. S i t 1 ist gekennzeichnet durch einen relativ - verglichen mit den anderen Situationen - hohen Anteil der Typen MITTEIL, BEST.APPELL, ABSICHT ÄU. Dennoch schien es uns problematisch, diese Tatsache direkt auf Situationelle Gegebenheiten zurückzuführen und etwa auf bestimmte Strategien der Kontaktaufnahme schließen zu wollen. Anders bei S i t 2 , wo sich eine verhältnismäßig hohe Anzahl von Äußerungen der Typen AUFF, BITT, BEKRÄFTIG, ANRED und UNMUT ÄU feststellen ließ. Dies steht in Einklang mit dem, was die Definition des Beobachtungsrahmens erwarten läßt: Aufforderungen und Bitten bringen die situationsspezifische Intention des Haben-Wollens zum Ausdruck, deren Nichterfüllung häufig ein Nachhaken oder entsprechende Gefühlsäußerungen provoziert. S i t 3 ist vor allem durch den hohen Prozentsatz von aufmerksamkeitswerbenden Äußerungen (AUF.LENK, ANRED) und von sprecherbindenden Sprechhandlungen (VORSCHLAG, AKZEPTIER) gekennzeichnet. Ersteres ist durch die größere Anzahl der möglichen Adressaten (3 statt 2 Kinder) erklärbar, letzeres durch die Notwendigkeit der Koordination der Einzelbeiträge zu dem gemeinsamen Vorhaben "Kaufladenbau". 4.3.
Altersvergleich (vgl. Anhang I I I )
Die im Rahmen der allgemeinen Sprachentwicklung zu erwartenden altersspezifischen Unterschiede im sprachlichen Handeln erwiesen sich global gesehen als nicht frappierend. Statistisch signifi4 kant waren sie in den folgenden Punkten: Erstaunensäußerungen und Wunschäußerungen nehmen in dem fraglichen Alterszeitraum ab, Absichtäußerungen dagegen zu, was in Verbindung zu bringen ist mit abnehmender Impulsivität bei wachsender Soziozentrizität (Berücksichtigung der Partnerinteressen). Mit fortschreitendem Alter nehmen auch Behauptungen (mit anzweifelbarem Wahrheitsge-
301
halt)ab; darin könnte sich eine zunehmend realistische Einschätzung der Umwelt widerspiegeln. Zugleich werden die sprachlichen Äußerungen zunehmend partnerorientiert: der Anteil von VORSCHLAG und EMPF.BEST steigt signifikant an (von 1 , 9 7 auf 3 , 4 6 % bzw. von 0 , 3 4 auf 1,55 %;zum Vergleich: bei den Beobachteräußerungen betrug der Anteil von EMPF.BEST 7,78 % , der von VORSCHLAG
5,74 %) . 4.4.
Geschlechtsunterschiede
Auch im Geschlechtervergleich waren Unterschiede im Gebrauch bestimmter Sprechakttypen zu beobachten. So machten z . B . die Mädchen signifikant m e h r Äußerungen der Typen MITTEIL, VERMUT, AKZEPTIER, u n d signifikant w e n i g e r Äußerungen d e s Typs BITT. Der Typ SELBSTERNENN wurde ausschließlich von Jungen gebraucht. Die sich hier abzeichnende Tendenz wird beim zusammenfassenden Vergleich von Gruppen von Sprechakten bestätigt: Die Direktiva AUFF, BITT, BEF werden häufiger von Jungen verwendet (8,08 % gegenüber 5 , 6 9 % bei Mädchen), während Mädchen eindeutig mehr Sprechakte gebrauchen, die äußere Sachverhalte darstellen (Gruppe 1; 3 1 , 6 2 % gegenüber 2 4 , 7 8 % bei Jungen).Diese Daten stehen zumindest nicht in Widerspruch zu der Annahme, daß bereits im sprachlichen Handeln von Vorschulkindern bestimmte Geschlechtsrollenmerkmale wie größere Vorsicht und geringere Initiative bei Mädchen (bei Jungen umgekehrt) zum Ausdruck kommen. 4.5.
Schichtunterschiede
Schichtenspezifische Unterschiede in verschiedenen Aspekten des Sprachverhaltens haben ein ergiebiges Untersuchungsfeld für die soziolinguistische Forschung abgegeben . Wir hatten deshalb auch mit schichtenspezifischen Unterschieden in der Wahl der Sprechakttypen gerechnet. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch nur wenige auffällige Differenzen an. Am deutlichsten unterscheiden sich die beiden Gruppen in dem jeweiligen Anteil der kommunikationsbezogenen Sprechhandlungen (Gruppe 0) an der Gesamtmenge der Äußerungen: 2 6 , 1 8 % bei Mittelschichtskindern und 2 0 , 7 8 % bei Unterschichtskindern. Erstaunlicherweise entsprechen die schichtenspezifischen Muster der Häufigkeitsverteilung in den Gruppen 0 und 1 des Kategoriensystems zu einem beträchtlichen
302
Teil den altersspezifischen - und zwar derart, daß Unterschichtskinder dem Sprechaktgebrauch der älteren Kinder und Mittelschichtskinder demjenigen der jüngeren Kinder nahekommen. Dies gilt insbesondere für FESTSTELL und EMPF.BEST (jeweils höherer Anteil bei Unterschichts- und älteren Kindern) sowie BEH, BEST.APPELL, BEKRÄFTIG und EXPLIZIER (jeweils höherer Anteil bei Mittelschichts- und jüngeren Kindern). Sollten Unterschichtskinder bezüglich dieses Aspekts des Sprachgebrauchs ein "reiferes" Verhalten aufweisen als Mittelschichtskinder? Die Hypothese ließe sich aufstellen, bedürfte zur Erhärtung aber noch weiterer stützender Daten. Ganz allgemein gilt natürlich der Vorbehalt, daß alle unsere Ergebnisse und interpretatorischen Schlußfolgerungen erst dann ein größeres Vertrauen verdienen, wenn sie durch weitere Untersuchungen mit anderen Kindern und gegebenenfalls mit zusätzlicher Variation der situativen Bedingungen bestätigt worden sind. 5.
Überlegungen zur Entwicklung der sprachlichen Handlungsfähigkeit
Abschließend wollen wir noch einige Überlegungen anstellen zur Entwicklung der sprachlichen Handlungsfähigkeit. Wir meinen, daß die Ergebnisse unserer Untersuchung sehr viel an Interesse gewinnen könnten, wenn Vergleichsdaten von späteren wie früheren Altersstufen zur Verfügung ständen. Für die früheren wäre dabei insbesondere auf die nonverbalen Entsprechungen und Vorläufer der frühen Sprechakte zu achten. Dann könnte die abstrakte Annahme einer zunehmenden Verbalisierung des kommunikativen Handelns, wie sie etwa MOERCK ( 1 9 7 4 ) formuliert, mit konkretem Inhalt gefüllt werden. Um eine gewisse Vorstellung davon zu geben, wie eine solche Darstellung der ontogenetischen Entfaltung des sprachlichen Handlungsrepertoires aussehen könnte, haben wir in der im Anhang III wiedergegebenen Tabelle versucht, unsere Daten, 4-6ährige betreffend, in Beziehung zu setzen zu Daten über etwa 1 1/2-jährige, die wir der Untersuchung von DORE ( 1 9 7 4 ) entnommen haben. Der Vergleich ist allerdings mit allergrößten Vorbehalten zu betrachten, da Dore (a) nur zwei Kinder beobachtete, (b) einen anderen Beobachtungsrahmen hatte und (c) die Übereinstimmung seiner Sprechakttypen mit den unseren nur eine
303
sehr ungefähre ist.
Immerhin ist
soviel zu sehen, daß Mitglieder
der Gruppen der sprecherbindenden, der rollenbezogenen, der normativen und der kooperativen Sprechakte offenbar erst relativ spät auftreten. Das Fehlen von verbalen Gefühls- und Einstellungsäußerungen dürfte dagegen eher auf eine Lücke in Dores System zurückzuführen sein. Interessant wäre nun zu verfolgen, in welchem Alter die einzelnen Sprechhandlungstypen zum erstenmal auftauchen. Hier ist noch eine Menge Arbeit zu tun, bis die Lücke in diesem Bereich der Spracherwerbsforschung als halbwegs geschlossen gelten kann. Wir glauben jedenfalls gezeigt zu haben, daß eine passend modifizierte Sprechakttheorie, wie sie sich in dem Kategoriensystem STIK niederschlägt, dazu einen wertvollen Beitrag leisten kann.
Anmerkungen 1
2
3
4 5 6
Die Untersuchung fand statt im Rahmen des Projekts "Anregungsprogramme zur Förderung der sprachlich-kognitiven Funktionen bei Vorschulkindern und Schulanfängern", gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus 1/14-2/163139 - und vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft - B 3061 - und durchgeführt von der Projektgruppe elementares Sprechhandeln ( P e S h ) . Für einen ausführlicheren Bericht über Untersuchungsanlage, Kategoriensystem und weitere Ergebnisse vgl. ZAEFFERER/FRENZ (demnächst). "Relevanz" wurde hier verstanden im Sinne (a) der Wichtigkeit der Bewältigung vergleichbarer Situationen im Rahmen der Entwicklung der kindlichen Interaktionsfähigkeit, (b) der Häufigkeit des Auftretens vergleichbarer Situationen im Tagesablauf eines durchschnittlichen Vorschulkindes. Für die ersten beiden Situationen finden sich enge Entsprechungen im Material einer in der gleichen Projektgruppe durchgeführten Untersuchung (v.HAUFF/WETTER/ZELTNER demnächst). Danach wurden diese Situationen als wichtig bis sehr wichtig eingestuft, die Entsprechung zur zweiten Situation überdies als durchschnittlich etwa einmal pro Tag vorkommend. Diejenigen Sprechakte, die in unserer Untersuchung ohne Vorkommnis blieben, sind in den Anhängen II und III nicht mehr aufgeführt. Zur Prüfung der statistischen Signifikanz der Differenz zweier relativer Häufigkeiten vgl. SACHS ( 1 9 7 4 : 2 6 2 f . ) . Vgl., um nur einen Titel als Beispiel zu nennen, NEULAND ( 1 9 7 5 ) . Dort finden sich auch weitere Literaturverweise. Vgl. z . B . BRUNER ( 1 9 7 5 ) und BATES/CAMAIONI/VOLTERRA ( 1 9 7 5 ) .
304
Literatur AUSTIN, John L. ( 1 9 6 2 ) : How to do things with words. Oxford: university Press. BATES, Elizabeth / CAMAIONI., Luigia / VOLTERRA, Virginia ( 1 9 7 5 ) : "The acquisition of performatives prior to speech". Merrill-Palmer Quarterly 21: 205-226. BRÜNER, Jerome S. ( 1 9 7 5 ) : "From communication to language - A psychological perspective". Gognition 3: 255-287. DORE, John ( 1 9 7 4 ) : "A pragmatic description of early language development". Journal of Psycholinguistic Research 3:343350. HABERMAS, Jürgen ( 1 9 7 1 ) : "Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz". In: HABERMAS, Jürgen / LÜHMANN, Niklas: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung? Frankfurt am Main: Suhrkamp. HAUFF, Roswita von / WETTER, Heide / ZELTNER, Wolfgang (demnächst): Relevante Sitationen im Alltag 4-7jähriger Kinder. LINDNER, Katrin / ZAEFFERER, Dietmar ( 1 9 7 6 ) : "Zur sprachlichen Handlungsfähigkeit 4-6jähriger Kinder: Entwurf einer empirischen Untersuchung." In: DRACHMAN, Gabereil ( e d . ) : Akten des 1. Salzburger Kolloquiums über Kindersprache. Tübingen: Narr. MOERCK, Ernst L. ( 1 9 7 4 ) : "A design for multivariate analysis of language behaviour and language development". Language and Speech 17: 240-254. NEULAND, Eva ( 1 9 7 5 ) : Sprachbarrieren oder Klassensprache? Untersuchungen zum Sprachverhalten im Vorschulalter. Frankfurt am Main: S.Fischer. SACHS, Lothar ( 1 9 7 4 ) : Angewandte Statistik. Planung und Auswertung, Methoden und Modelle. Berlin etc.: Springer. SEARLE, John R. ( 1 9 7 5 ) : "A taxonomy of illocutionary acts". In: GUNDERSON, Keith ( e d . ) : Minnesota studies in the philosophy of science VII. Minneapolis: University of Minnesota Press. ZAEFFERER, Dietmar / FRENZ, Hans-Georg (demnächst): "Sprechakte bei Kindern. Eine empirische Untersuchung zum Entwicklungsstand der sprachlichen Handlungsfähigkeit im Vorschulalter". Voraussichtlich in: Linguistik und Didaktik.
305
Anhang I: Übersicht über das Kategoriensystem STIK Gruppe 0: Konununikationsbezogene Sprechhandlungen
EMPF.BEST ( . . . )
(Empfangsbestätigung)
BEGRÜSS VERABSCHIED AUF.LENK (Aufmerksamkeit ANRED lenken)
RÜCKFRAG ( . . . ) EXPLIZIER ( . . . ) KORRIGIER ( . . . )
REF NENN DANK( )
BEKRÄFTIG(...) BEST.APPELL(...) GS
(Referieren)
(Bestätigungsappell) (GliederungssiL^ial)
Gruppe 1: Sprechhandlungen, die äußere Sachverhalte darstellen MITTEIL FESTSTELL (Behaupten) BEH VERMUT
BESTÄTIG(...) BESTREIT(...) ANTW(...)
Gruppe 2; Adressaten-bindende Sprechhandlungen BEF (Befehlen) FRAG (Auffordern) DROH.. (bedingte Drohung) AUFF BITT VERSPRECH (bedingtes Versprechen) 1 Gruppe 3; Sprecher-bindende Sprechhandlungen DROH VERSPRECH, (unbedingtes (unbedingte Drohung) Versprechen) A K Z E P T I E R ( . . . ) VORSCHLAG' ERLAUB
ABLEHN ( . . . )
Gruppe 4: Sprechhandlungen, die gegenwärtige und -einstellungen ausdrücken FREUDE Ä U ( ) ZUNEIG ÄU UNMUT Ä U ( ) ABNEIG ÄU BESCHIMPF SPOTT
TRIUMPH ÄU ERSTAUN Ä U ( SCHMERZ ÄU ABSICHT ÄU WUNSCH ÄU
Gruppe 5: Rollenzuschreibende SELBSTERNENN FREMDERNENN
Sprechergefühle
und -löschende Sprechhandlungen
ZURÜCKTRET ABSETZ
Gruppe 6; Normenbezogene Sprechhandlungen LOB( ) TADEL( ) VORWERF(
ENTSCHULDIG ( . . . ) RECHTFERTIG(...) DRITTVORWERF
Gruppe 7; Kooperative Sprechhandlungen RAT WARN
BEGRÜND( ERKLÄR( )
(sich beschweren)
306
Anhang II: Sprechaktverteilung im Situationsvergleich 1 BEGRÜSS VERABSCHIED AUF.LENK ANRED REF NENN DANK EMPF.BEST RUCKFRAG EXPLIZIER KORRIGIER BEKRÄFTIG BEST.APPELL GS MITTEIL FESTSTELL BEH VERMUT BESTÄTIG BESTREIT ANTW FRAG AUFF BITT BEF VERSPRECH, 1 VERSPRECH VORSCHLAG ERLAUB DROH,, AKZEPTIER ABLEHN FREUDE ÄU ZUNEIG ÄU UNMUT ÄU ABNEIG ÄU BESCHIMPF SPOTT TRIUMPH ÄU ERSTAUN ÄU SCHMERZ ÄU ABSICHT ÄU WUNSCH ÄU SELBSTERNENN FREMDERNENN LOB TADEL VORWERF RECHTFERTIG DRITTVORWERF RAT WARN BEGRÜND ERKLÄR
f . . . .V
307
Anhang III:
Sprechaktverteilung im Altersvergleich 1:5 Jahre (PORE 1974) 4 ; 9 Jahre
BEGRÜSS VERABSCHIED AUF.LENK ANRED REF NENN DANK EMPF.BEST RÜCKFRAG EXPLIZIER KORRIGIER BEKRÄFTIG BEST.APPELL GS MITTEIL FESTSTELL BEH VERMUT BESTÄTIG BESTREIT ANTW FRAG AUFF BITT BEF VERSPRECH, 1 VERSPRECH VORSCHLAG ERLAUB DROH„ AKZEPTIER ABLEHN FREUDE ÄU ZUNEIG ÄU UNMUT ÄU ABNEIG ÄU BESCHIMPF SPOTT TRIUMPH ÄU ERSTAUN ÄU SCHMERZ ÄU ABSICHT ÄU WUNSCH ÄU SELBSTERNENN FREMDERNENN LOB TADEL VORWERF RECHTFERTIG DRITTVORWERF RAT WARN BEGRÜND ERKLÄR
6 ; 2 Jahre
BEWERTEN UND BEWERTUNGSDIALOG Werner Zillig
1.
Festlegung und Eingrenzung des Analysebereichs
1.1. Institutionelle/nicht-institutionelle Bewertungen Austin hat in seiner Einteilung der Sprechakte unter dem Begriff "verdiktive Äußerungen" Beispiele wie beurteilen, auslegen, freisprechen, schuldig sprechen usw. angeführt (AUSTIN 1962: 1 5 2 ) . Von diesen Beispielen soll nur ein Teil hier erörtert werden. Die Unterscheidungslinie verläuft dort, wo auf der einen Seite, sagen wir: institutionelle Bewertungen gemacht werden. (Das ist dort der Fall, wo ein Gericht ein Urteil fällt oder ein Schiedsrichter in einem Spiel Entscheidungen t r i f f t . ) Auf der anderen Seite gibt es nicht-institutionelle, alltägliche Bewertungen, wenn z.B. in einem Gespräch jemand sagt, was er von irgendeinem anderen hält. Auf der Ebene der Äußerungsformen zeigt sich der Unterschied darin, daß letztere häufig mit Einleitungen wie ich finde, daß, meiner Meinung nach oder ich glaube, daß versehen werden; bei institutionellen Bewertungen sind solche Einleitungsformeln nicht möglich. Institutionelle Bewertungen haben darüberhinaus festgelegte Konsequenzen, und Widerspruch gegen sie kann nur im Rahmen (wiederum institutionell) gegebener Regeln vorgebracht werden. Alltägliche Bewertungen kennen solche Festlegungen nicht. Ich werde mich hier mit der Analyse von alltäglichen Bewertungen beschäftigen. 1.2. Objekte des Bewertens Wir können Gegenstände, Sachverhalte, Ereignisse, Handlungen, Handlungsmodalitäten usw. bewerten. Ich werde meine Beispiele so wählen, daß in ihnen sprachliche Äußerungen nach Form und Inhalt bewertet werden. Sprachliche Äußerungen als Gegenstand von Bewertungen kürze ich mit "HS" ( f ü r "sprachliches Handeln") ab. 1.3. Konstellationen zwischen Personen Die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, daß man die Konstel-
310 lationen zwischen den Personen, die Bewertungen machen, beschreibt, sind vielfältig. Ich gehe davon aus,
daß ein Sprecher
(ich werde ihn im folgenden A nennen) gegenüber einem anderen (im folgenden B genannt) eine HS eines nicht anwesenden dritten ( C ) bewertet. Die letztgenannte Einschränkung ist deshalb wichtig, weil die Anwesenheit der Person, deren Äußerung bewertet wird, dazu führt, daß A und B ihre Bewertung dieser Äusserung in anderer Form vornehmen. Zuhörer, die durch Parteinahme vielleicht Einfluß auf die Bewertung nehmen könnten, werde ich nicht einbeziehen. 1.4. "Bewerten" und "Beschreiben" Was andere Sprechakte angeht, so soll im vorliegenden Zusammenhang vor allem die Frage erörtert werden, ob zwischen einer Handlung des Bewertens und einer Handlung des Beschreibens zu unterscheiden ist.
Heringer ist davon ausgegangen,
Unterscheidung nicht begründet ist"
"daß diese
(HERINGER o.J.: 1 ) . Die
Auffassung Heringers bleibt allerdings unklar, weil er fortfährt, daß man eine Unterscheidung durchaus begründen könnte, sie dadurch aber auch verändern würde (was, so wie es da steht, für mich einigermaßen kryptisch k l i n g t ) . Außerdem besteht Heringers Versuch vor allem darin, zu zeigen, daß es eine eigene "Logik bewertender Sätze und des Bewertens" (HERINGER o.J.: 6) gibt, was unter der Voraussetzung, daß gar keine grundlegenden Unterschiede zwischen einer Beschreibung und einer Bewer2 tung bestehen, sinnlos bleibt. Bewerten als eine gemäß gewisser Bedingungen und Regularitäten vorgenommene sprachliche Handlung kürze ich mit BEWERT ab. 2.
BEWERT und Bewertungs-Dialog
In seinen "Überlegungen zur Sprechakt-Theorie" hat Hundsnurscher den Ansatz von Searle kritisiert und darauf verwiesen, daß dort "die Hörerseite nur als Folie der Kommunikation" (HUNDSNURSCHER 1975:
190) mit in die Analyse einbezogen wird. Hundsnurscher
kommt zu dem Schluß, daß das Auftreten von Äußerungen als
Rede
und Gegenrede im Gespräch die entscheidenden Hinweise auf Bedingungen, Regeln und Intentionen, die diesen Äußerungen zuzu-
311
ordnen sind, zu liefern vermag. Erst aus den Reaktionen ergeben sich Aufschlüsse darüber, welcher Status der singulären Äußerung zukommt. 2.1. Das "ich-finde-nicht"-Kriterium Unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts läßt sich eine Abgrenzung zwischen BEWERT und anderen verwandten sprachlichen Handlungen mit Hilfe einer einfachen und,wie ich meine,hinreichend genauen Festlegung angeben. Wir prüfen eine gegebene Äußerung von A darauf hin,
ob B antworten könnte: Das finde
ich
(aber) nicht. Die Möglichkeit dieser Replik und einige zusätzliche Bedingungen zeigen, ob eine gegebene Äußerung zu BEWERT gerechnet werden k a n n oder nicht. Beispiel 1: (1) A: C hat wieder einmal viel zu lange gesprochen. (2) B: Das finde ich aber gar nicht. Beispiel 2: (3) A: C hat 1O Minuten gesprochen. (4a) B: *Das finde ich überhaupt nicht. Beispiel 3: (5) A: C sollte in Zukunft lauter und deutlicher sprechen, wenn er sich zu Wort meldet. (6a) B: Ich finde das nicht nötig. Ich konnte ihn sehr gut verstehen. (6b) B: Das finde ich nicht. Ich konnte ihn sehr gut verstehen. Beispiel 4: (7) A: C lispelt doch ziemlich stark. (8) B: Das finde ich nicht. In Beispiel 1 bewertet A eine HS von C. Die (mögliche) Antwort von B mit (2) macht das deutlich. (3) stellt eine Aussage dar. Die gewöhnliche Antwort
ist
(4b) B: Ich denke, da irrst du dich. Selbst dort, wo über zusätzliche Prämissen/Präsuppositionen und durch andere Mittel ( z . B . durch eine spezifische Intonation) (3) zu BEWERT gerechnet werden kann, muß die Antwort von B dies erläutern, etwa durch (4c) B: Was meinst du? Was hat dir denn daran nicht gefallen?
312 Beispiel 3 schließlich fordert, damit die Genauigkeit der Abgrenzung erhalten bleibt, eine Zusatzbedingung. Zwar ist
es mög-
lich, mit (6b) zu antworten, der Unterschied zu Beispiel 1 und 2 liegt nun aber darin, daß jetzt von etwas Zukünftigem gesprochen wird. Die Bedingung lautet also: BEWERT b e t r i f f t vergangene oder gegenwärtige Objekte. Für den vorliegenden Fall, d.h. für die Prämisse Objekt = HS gehe ich davon aus, daß BEWERT immer die Bedingung einschließt, daß die HS vom Zeitpunkt der Bewertung aus gesehen zurückliegt. Daß das "ich-finde-nicht"-Kriterium nicht völlig unproblematisch ist, zeigt Beispiel 4, denn wir können (7) als Beschreibung auffassen. Ich gehe allerdings davon aus, daß hier ein Handlungsschema DEUT ( f ü r : X als deuten) vorliegt, das in einer grundlegend wichtigen Beziehung zu BEWERT steht. Ich will die Diskussion dieses Punktes hier aber ausklammern. Die Einführung der nun erläuterten Probe ermöglicht eine Abgrenzung zwischen Bewertungen und Beschreibungen und ergibt eine Erweiterung des Begriffs der Bewertung z . B . gegenüber HARE (1952: 111 f f . ) . Wir können Hares Beispiel Diese Erdbeere ist süß, (bei Hare Paradigma für Beschreibungen) mit Das finde ich nicht, verbinden, wenn wir die hierzu notwendigen Präsuppositio4 nen formulieren. Bewertungen, die über Präsuppositionen Bedingungen für andere Sprechakte bilden (beispielsweise wird bei einem Akt des Versprechens präsupponiert, daß der Gegenstand des Versprechens vom Adressaten positiv bewertet wird) können w i r a l s i m p l i z i t e Bewertungen auffassen u n d gesondert behandeln. 2.2.
Ableitung von Bedingungen für BEWERT aus dem Dialog
Wenn ich das Fragment, bestehend aus BEWERT und Replik, zum Dialog hin erweitern will, so muß ich zunächst einige Terme, die für die Argumentation jetzt wichtig werden, einführen. Mit BEWERT kann eine positive Aussage (POS) oder eine negative Aussage (NEG) über HS vorgenommen werden. Die Antwort kann in einer Zustimmung (ZUST) oder einer Ablehnung (WID) bestehen. Dargestellt an Beispiel 5: (9) A: Wie fandest du denn das,
was C so gesagt hat?
313
(1O) B: Ausgesprochen schwach! (11a) A: Ja, das fand ich auch. (12a) B: Vor allem völlig ungegliedert und wirr. (13a) A: Ja, und viel zu lang. Nach einer Aufforderung zur Abgabe einer Bewertung, die A mit (9) vornimmt, ergibt die Antwort ( 1 O ) , daß B die HS der Kategorie NEG zurechnet. Mit ( 1 1 a ) stimmt A dem zu ( Z U S T ) . Eine andere Möglichkeit ist Beispiel 6: (wie oben, Beispiel 5) (11b) A: Ach was! ich war davon sehr angetan. ( 1 2 b ) B: Aber was C gesagt hat, war doch völlig wirr. (13b) A: Das kann man doch nicht sagen. Mir ist das, was C gesagt hat, völlig klar geworden. ( 1 4 a ) B: Also ich glaube, daß da nichts klar geworden ist. Hier ergibt sich aus der abweichenden Bewertung A's in ( 1 1 b ) ein Widerspruch ( W I D ) , d . h . A ordnet die HS der Kategorie POS zu. 2.3.
BESTÄTIGUNG von ZUST, BEGRÜNDUNG von WID
In Beispiel 5 folgte für die Fortsetzung im Dialog aus ZUST eine (wechselseitige) Bestätigung der gemeinsamen Bewertung NEG. In Beispiel 6 hingegen, im Falle von WID, ergibt sich für B die Notwendigkeit der Begründung seiner Meinung. Diese Begründung hat die Form einer Behauptung über das Vorliegen eines Aspekts bei der HS so, daß dieser Aspekt diese der jeweiligen Bewertungskategorie zuordnet. Wenn A diese Begründung nicht akzeptiert und (wie in ( 1 3 b ) ) auf seiner Meinung beharrt, so kann der Dialog so ablaufen, daß die Dialogpartner immer neue Aspekte an der HS finden, die zur Begründung gemäß dem dargestellten Muster dienen können. Bei der getroffenen Einschränkung von BEWERT auf Alltagsbewertungen ist allerdings eine den Dialog beschließende Reaktion wahrscheinlich. Der Abschluß kann ein nicht mehr begründetes Beharren auf der gegebenen Bewertung sein ( z . B . durch eine bekräftigende Wiederholung der gegebenen Bewertung ohne weitere Begründung wie in ( 1 4 a ) ) . Oder es kommt zu einer Einigung auf die Bewertung von A oder B. Eine weitere Möglichkeit liegt darin, die Bewertung für irrelevant zu erklären und einen Themenwechsel einzuleiten.
314
(14b)
B: Ach na ja, ist ja auch egal. Gehst du zu dem nächsten Vortrag auch hin?
Mit ( 1 4 b ) signalisiert B, daß er kein Interesse daran hat, weiter um die Durchsetzung seiner Ansicht zu bemühen. 3.
sich
BEWERT und Beziehungsaspekt
3.1. Voraussetzungen, Neudefinition, Folgen Ich will mit Lorenz davon ausgehen, daß es bei einer Analyse von Gesprächen wichtig ist, "den Bezug zu den Gegenständen, über die geredet wird, u n d den Bezug zu den Personen, die miteinander reden"
(LORENZ 1972: 118 [Hervorhebung nicht im
Original]) zu beachten. Ich komme so vom Inhalt einer Bewertung zu der Ebene der Beziehung zwischen A und B. Bedingungen, die hier vorliegen, steuern die möglichen Alternativen und den Verlauf des Dialogs. Vor allem ein Beharren auf sich widersprechenden Bewertungen durch A und B führt zu Problemen in der Beziehung. Beispiel 7: ( 1 5 ) A: Ich meine, C spricht immer sehr besonnen. Er ist immer um Ausgleich bemüht. ( 1 6 ) B: Meinen Sie wirklich? Also ich finde, C redet nur jedem nach dem Munde. ( 1 7 ) A: Glauben Sie? (18) B: Ja natürlich, für mich ist C einfach nicht ehrlich. ( 1 9 ) A: Für Ihre Ansicht würde allerdings auch sprechen, daß C gestern dem D recht gegeben hat. Am Tag vorher hat er noch über D geschimpft. (20) B: Sehen Sie, das ist nur e i n Beispiel. Wenn wir ohne genauere Kenntnis der Beziehung A - B und nur gestützt auf diesen Dialog Rückschlüsse ziehen wollten, könnten wir zu der Hypothese kommen, daß B ein Vorgesetzter von A ist und daß deshalb A nicht zu widersprechen wagt. Es könnte sein, daß A h o f f t , daß eine Zustimmung ihm Vorteile bringt, oder daß er die Folgen eines Widerspruchs fürchtet. Damit habe ich bereits drei Dimensionen umrissen, innerhalb derer BEWERT die Beziehung zwischen A und B im Dialog reflektiert. BEWERT hat bestehende Voraussetzungen der Beziehung A - B als Prämissen. BEWERT definiert die Beziehung in einem Teilbereich neu.
315
BEWERT schafft Konsequenzen für das zukünftige Verhältnis. Innerhalb dieser Dimensionen kann ich mindestens drei Ebenen ansetzen, die beeinflußt werden. Institutionell oder privat festgelegte Machtverhältnisse Emotionale Verbindung Bekanntheitsgrad Diese Beeinflussung zeigt sich u.a. dort, wo die Beziehungsebene und d i e Inhaltsebene i n verändern.
e i n e m
Dialog sich wechselseitig
3 . 2 . BEWERT, Inhalt und Beziehung (Ebenenwechsel) Während ich für Beschreibungen davon ausgehe, daß die Beziehung A - B irrelevant ist (Probleme entstehen, wo Beschreibungen bewertet werden!), läßt sich für BEWERT kaum eine genaue Trennung zwischen inhaltlicher Aussage und gleichzeitiger, impliziter Aussage zur Beziehung angeben. Beispiel 8: ( 2 1 ) A: Die HS von C war hervorragend, nicht wahr? ( 2 2 ) B: So, findest du? Ich fand sie offen gesagt überhaupt nicht gut. (23) A: Das sagst du doch nur, weil i c h gesagt habe, daß ich sie gut fand. ( 2 4 ) B: Red1 keinen Quatsch. Das war doch wirklich nur ein sinnloses Genuschel über eine halbe Stunde hin. ( 2 5 ) A: Ach laß mich in Frieden! Du willst doch wieder nur beweisen, daß du recht behältst, wenn du willst. In diesem Beispiel wechselt mit ( 2 3 ) A die Ebenen. Er kommt zu einer Problematisierung auf der Beziehungsebene, indem er behauptet, B sei nicht aufrichtig und benutze die Bewertung nur, um sich als der Stärkere in einer Auseinandersetzung schließlich durchsetzen zu können. B will diese Vermutung zurückweisen, A jedoch akzeptiert den Vorschlag zu einer gegenseitigen Begründung (in ( 2 4 ) ) nicht, sondern bricht mit ( 2 5 ) das Gespräch ab. Die Kategorien ZUST und WID können im Gespräch über Bewertungen also prinzipiell zweifach gedeutet werden. ZUST kann auf der Ebene der Proposition angelegt sein (A und B sind tatsächlich einer Meinung). Oder der Grund für ZUST liegt nicht im Inhalt einer Bewertung, sondern bedeutet auf der Beziehungsebene
316
Konfliktvermeidung, Unterordnung oder eine gegenseitige Bestätigung zwischen A und B. Ob und gegebenenfalls wie bereits bei der einfachen Äußerung erschlossen werden kann, daß ZUST/ WID in diesem Sinne echt sind, ist mir bisher noch nicht klar,
4.
Zusammenfassung
BEWERT ist ein eigenständiges und grundlegendes sprachliches Handlungsschema, mit dem ein Sprecher A ein gegebenes Objekt den (hier unspezifizierten) Kategorien POS/NEG zuordnet. In Dialogen läßt sich über mögliche Antworten von B feststellen, ob eine Äußerung als zu BEWERT gehörig aufgefaßt werden kann. In konkreten Gesprächen gibt B mit seiner Antwort zu erkennen, ob er die Äußerung von A als Bewertung verstanden hat. In einem Dialog , der zwischen A und B über eine gegebene Bewertung geführt wird, sind die dialogischen Kategorien ZUST und WID zweifach interpretierbar; sie können eine Zustimmung/einen Widerspruch zu der in der Äußerung enthaltenen Proposition oder ein Mittel zur Beeinflussung der Beziehung zwischen A und B sein.*
Anmerkungen Zur Rolle der institutionellen Festlegung vgl. auch SEARLE (1976: 1 4 ) . Ein durchaus anderes Problem ist das von Searle, der nachzuweisen sucht, daß "eine Ableitung eines Sollens aus einem Sein" (SEARLE 1973: 2 6 4 ) direkt möglich ist. Ich klammere diese Frage aus. Zugrunde gelegt ist ein formaler Situationsbegriff, wie er bei WILSON (1973: 5 6 f . ) entwickelt wird. Ein Versuch, Bewertungen und Beschreibungen über mögliche Antworten eines Gesprächspartners zu unterscheiden bzw. nicht zu unterscheiden, findet sich auch bei HERINGER (o.J.: 2) . Er wird dort nicht ausgeführt. Zum Beziehungsaspekt vgl. WATZLAWICK et al. ( 1 9 6 9 ) . *W. Franke danke ich für die Diskussion über Voraussetzungen und Folgen von Bewertungen, E. Apeltauer für viele sehr hilfreiche Änderungsvorschläge und für den Hinweis, daß man nicht alles auf einmal sagen kann.
317
Literatur AUSTIN, John L. ( 1 9 6 2 ) : How to do things with words. Oxford: Clarendon. HARE, R . M . ( 1 9 5 2 ) : The language of morals. Oxford: Clarendon. HERINGER, Hans Jürgen ( o . J . ) : Bewerten, ( v e r v i e l f . ) . HUNDSNURSCHER, Franz ( 1 9 7 5 ) : "Überlegungen zur Sprechakt-Theorie". WERNER, Otmar/FRITZ, Gerd (eds.) ( 1 9 7 5 ) : Deutsch als Fremdsprache und neuere Linguistik. Referate eines Fortbildungskurses in Mannheim. München: Hueber: 184 - 201. LORENZ, Kuno ( 1 9 7 2 ) : "Der dialogische Wahrheitsbegriff". Neue Hefte für Philosophie 2: 111 - 123. SEARLE, John R. ( 1 9 7 3 ) : Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay. Frankfurt/M: Suhrkamp. (1976): "A classification of illocutionary acts". Language in Society 5: 1 - 23. WATZLAWICK, Paul/BEAVIN, Janet H./JACKSON, Don D. ( 1 9 6 9 ) : Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Bern etc.: Huber. WILSON, Thomas P. ( 1 9 7 3 ) : "Theorie der Interaktion und Modelle soziologischer Erklärung". Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen ( e d . ) ( 1 9 7 3 ) : Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit 1 . Symbolischer Interaktionismus und Ethnomethodologie. Reinbek: Rowohlt: 54 - 79 .
PRAGMATISCH FIXIERTE AUSDRÜCKE Alberto Zuluaga 0. Im folgenden möchte ich einige Bemerkungen über die linguistische und pragmatische Analyse der sogenannten sprachlichen Formeln (auch "Kontaktformeln", "pragmatische Idiome" oder "situationsgebundene Wendungen" genannt) zur Diskussion stellen. Bei den Formeln handelt es sich um Wörter bzw. Wortkombinationen, die im Sprechen als vorgefertigte Ausdrücke reproduziert werden und deren Gebrauch an bestimmte Situationen des sozialen Lebens gebunden ist, z.B. auf Wiedersehen. Tschüß. zum Wohl. (Dabei wird also unter Wort nicht nur die minimale freie Form verstanden, die für sich selbst eine vollständige Redeäußerung darstellen kann, wie z.B. Morgen, sondern auch alle übrigen Formen, die nach Auffassung des muttersprachlichen 2 Sprechers als Wörter anzusehen sind, insofern sie sich im Syntagma wie Lexeme kombinieren lassen, z.B. auf, bis). Weil das ganze Gebiet der Formeln ziemlich umfangreich und unerforscht ist, möchte ich mich hier auf ein Teilgebiet beschränken, und zwar hauptsächlich auf die Grußformeln, die bei der Begegnung bzw. Trennung von Sprachteilhabern ausgesprochen werden. Das auffallendste Merkmal der Formeln ist ihre Fixiertheit in zweifacher Hinsicht: zum einen Fixiertheit ihrer inneren Struktur, also eine formale, sprachliche Fixiertheit, und zum anderen Fixiertheit ihrer Verwendung in bestimmten Situationen des sozialen Handelns, also eine pragmatische Fixiertheit. 1. Für die Analyse der formalen Fixiertheit verfügen wir inzwischen über zahlreiche Beiträge, die im Rahmen der russischen Phraseologie, in der Idiom-Analyse der nordamerikanischen Linguistik und in den Feste-Redewendungen-Studien des europäischen Strukturalismus geleistet worden sind.-' Daher beschränke ich mich hier auf eine knappe Erwähnung dessen, was m.E. nötig ist, um die Struktur der Formeln zu kennzeichnen. Die formale Fixiertheit ist die Eigenschaft bestimmter Ausdrücke, in der Rede, also im sprachlichen Handeln, als vorge-
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fertigte Wendungen reproduziert zu werden. Weil die fixierten Ausdrücke nicht beim Sprechen unter Benutzung produktiver Regeln, die für die (freie) Kombinierung der sprachlichen Einheiten gelten, konstruiert werden, kann der Linguist die Fixiertheit auf eine Art Blockierung dieser Regeln zurückführen. Die fixierten Ausdrücke, also auch die Formeln, werden im Sprechen nicht eigentlich produziert (generiert), sondern -unverändertreproduziert (wiederholt). Sie gehören bereits zum Repertoire der Sprachgemeinschaft. Der Sprechende ist sich ihrer Fixiertheit 'bewußt 1 , so daß er, wenn man auf fixierte Ausdrücke Operationen anwendet, die für die freie Verwendung der Einheiten des Sprachsystems gelten (wie Umstellungen, Einsetzungen, Pronominalisierungen, grammatische Änderungen), andere Auswirkungen erkennt als bei den freien Ausdrücken. Diese Auswirkungen sind hauptsächlich: A) Assoziierung des fixierten Ausdrucks und, ganz im Sinne des russischen Formalismus, Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf die Formen selbst; B) Beseitigung oder Verfälschung des Sinnes eines fixierten Ausdrucks (s.u. Beispiele von 1.1 bis 1.4). Die Anwendung der vom Sprachsystem erlaubten Operationen auf die fixierten Ausdrücke zeigt auch die Erscheinungsformen der Fixiertheit. Folgende sind die häufigsten, zumindest im Spanischen. 1.1. Fixiertheit grammatischer Kategorien (wie des Tempus, des Numerus, usw.); so ist z.B. Guten Tag im Singular und Akkusativ fixiert, man sagt nicht Gute Tage als Grußformel; Mes condoleances ist im Plural fixiert, man sagt nicht Ma condoleance als Beileidsformel im Französischen. 1.2. Fixiertheit der Reihenfolge; z.B. ist die Formel Meine Damen und Herren in dieser Reihenfolge fixiert, man sagt nicht allgemein Meine Herren und Damen als Anredeformel. 1.3. Fixiertheit des Bestandes an Komponenten, d.h. die fixierten Ausdrücke erlauben normalerweise keine Einsetzungen von Bestimmungen einzelner ihrer Komponenten, keine Tilgung, keine Pronominalisierung, keinen Austausch der Komponenten gegen Äquivalente. So kann man bei der Formel Herzliches Beileid herzlich nicht durch freundlich substituieren, man sagt nicht Freundliches Beileid; die Formel Lebe wohl ändert man nicht in
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Lebe sehr wohl durch Bestimmung einer ihrer Komponenten. 1.4. Fixiertheit der syntaktischen Struktur; denkbare Transformationen sind also einfach blockiert. Hier habe ich kein gutes Beispiel unter den Grußformeln, vgl. aber folgende 'Transformationen' : blinder Passagier der Passagier ist blind, die Blindheit des Passagiers. ffEINREICH 1966 sprach hierbei von "transformational defectiveness". Daß jede Sprachgemeinschaft bei der formalen Fixiertheit Präferenzen aufweist, kann man auch anhand der Formeln aufzeigen. So scheint in einigen Bereichen das Spanische die Fixiertheit im Plural, das Deutsche dagegen die Fixiertheit im Singular vorzuziehen, buenas tardes. buenas noches, muchas gracias. felicidades. guten Abend, gute Nacht, vielen Dank, viel Glück. Festzuhalten bleibt also, daß jede Sprachgemeinschaft die Formeln auf eigene Weise fixiert. Dies schließt nicht aus, daß man gemeinsame Fixiertheitsarten in den Formeln verschiedener Sprachen feststellen kann, z . B . weisen im Spanischen, im Französischen und in anderen romanischen Sprachen die Formeln des Typs bonne nuit. .loyeux anniyersaire Fixiertheit der Reihenfolge Adj. + Subst. auf, obwohl den Sprachsystemen nach die umgekehrte Reihenfolge auch möglich wäre. Im Englischen, Deutschen und Spanischen sind die Formeln der Tageszeiten ( z . B . good afternoon) vorwiegend mit dem adjektivischen Lexem 'gut 1 fixiert, während die Formeln für besondere Anlässe des Jahresablaufs (z.B. happy Easter) vorwiegend mit den Adjektiven 'froh' und 'glücklich' fixiert sind. 2. Es ist aber die andere Art der Fixiertheit, die pragmatische Fixiertheit der Formeln, die mir am interessantesten erscheint; sie stellt nämlich das kennzeichnende Merkmal der Formeln dar. Deswegen können diese definiert werden als formal fixierte sprachliche Ausdrücke, deren Verwendung auf bestimmte Situationen des intersubjektiven Handelns festgelegt ist. LYONS (1968) hat dieses Merkmal der äußeren, der situationeilen Fixiertheit der Formeln treffend hervorgehoben: vorgefertigte Äußerungen wie how do you do?, thank you, rest in peace
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nennt er gelegentlich "ritual utterances" (S. 139), "sociallyprescribed utterances" (S. 416) und sogar auch "situationallybound expressions" (S. 177). Ferner bemerkt er (S. 177), daß sie einfach in der Weise erfaßt werden, daß man sie mit Angabe der Situationen, in denen sie gebraucht werden, und mit ihrem Sinn ins Wörterbuch einträgt. Die Situation stellt eine Art festen Rahmen (Kontext) dar, in dem eine Handlung vorkommen soll, und diese wird sprachlich, also durch Äußern der Formel ausgeführt. In der ihr entsprechenden Situation vollzieht die Äußerung Guten Morgen die Handlung des Begrüßens» was sich als Kontaktaufnahme und Eröffnung von Möglichkeiten weiterer Interaktion zwischen Sprecher und Angesprochenem paraphrasieren läßt. Da die Grußformel ausschließlich für diese kommunikative Funktion in ein und demselben immer wiederkehrenden Situationskontext verwendet wird, sagen wir, daß sie auch pragmatisch fixiert ist. Auf sie läßt sich 5 die Bemerkung von Searle nicht anwenden, nach der dieselbe Äußerung verschiedene kommunikative Funktionen ausüben kann. 2.1. Eine genauere Analyse des Formelgebrauchs müßte sich mit der Beschreibung jedes einzelnen Situationstyps beschäftigen. Ich begnüge mich hier mit der Aufzählung einiger Elemente, die in der Strukturierung der jeweiligen Situationen einmal relevant, einmal unwichtig sein können: (a) Typ des sozialen Ereignisses ( z . B . Begegnung, Trennung, Geburtstag), (b) Tageszeit, (c) Ort, (d) Beziehung zwischen den am Ereignis Teilnehmenden, (e) Deren soziale Stellung, (f) Verhältnis der Geschlechter, (g) Zahl der Angesprochenen, (h) Kommunikationskanal (mündlich, schriftlich, durch Telefon, etc.). Einige Beispiele: Es gibt Formeln des Alltags, die ausschließlich für die Begegnung ( z . B . Qufe tal?, und Formeln, die ausschließlich für das Auseinandergehen (z.B. Hasta luego) verwendet werden; relevant ist also dabei u.a. der Typ des Ereignisses. Es gibt aber auch Formeln, die bei beiden Typen von Ereignissen verwendet werden, wie z.B. Buenas noches, bonsoir; relevant ist dabei u.a. die Tageszeit. ('Relevant' ist hier im Sinne von regelhafter -konventioneller- Relevanz zu verstehen und nicht im funktionell distinktiven Sinn). Es gibt Formeln, die man ausschließlich in der
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gesprochenen Kommunikation verwendet ( z . B . Guten Tag, auf Wiedersehen) und Formeln, die ausschließlich der geschriebenen Kommunikation dienen ( z . B . sehr geehrte Herren, mit vorzüglicher Hochachtung); relevant ist also dabei das Kommunikationsmedium. Nebenbei gesagt manifestiert sich in der geschriebenen Sprache die pragmatische Fixiertheit dadurch, daß die Grußformeln einen festen Platz in der Gestaltung des Textes haben. Im Prinzip muß man davon ausgehen, daß in verschiedenen Sprachgemeinschaften der Situationskontext der Formeln auf eigene Weise abgegrenzt wird; die Elemente, die ihn konstituieren, sind also nicht dieselben bzw. spielen nicht dieselbe Rolle. Sogar sprachlich äquivalente Formeln, wie z.B. bon.lour - guten Tag, au revoir - auf Wiedersehen sind nicht unbedingt auf dieselben Situationstypen fixiert. (Vgl. BURGER: 1973 58-60) Der Beschreibung der Situationstypen, auf die die Formeln festgelegt sind, muß allerdings die Berücksichtigung der geo7 graphischen, soziokulturellen und sprachstilistischen Verschiedenheiten bzw. Varianten innerhalb einer historischen Sprache vorausgehen. Dies stellt den Ausgangspunkt jeder genaueren sprachwissenschaftlichen Analyse dar. Hier mögen einige Beispiele genügen: In Süddeutschland verwendet man neben Guten Morgen. Guten Tag, Guten Abend auch Grüß Gott in Situationen, in denen man in Norddeutschland nur Guten Morgen. Guten Tag oder Guten Abend sagt; Grüß Gott ist also eine geographische Variante dieser Formeln. In einigen bäuerlichen und populären spanischsprechenden Gesellschaftsschichten Kolumbiens sagt man mi sentido pesame (= 'herzliches Beileid 1 ), während in mittleren Schichten 1p (la> te) acompano en la pena und in gehobeneren Schichten mi sentida condolencia gesagt wird; diese Formeln können als äquivalent, aber soziokulturell verschieden angesehen werden. Die Abschiedsformeln Tschüß und Ade gehören zum familiären Sprachstil; sie sind daher sprachstilistisch (letztere auch geographisch) markierte Varianten von Auf Wiedersehen. 2.2. Das Verhältnis zwischen Formeln und entsprechender Verwendungssituation kann man ausdrücken, indem man von einer Art Solidarität spricht: Das Vorkommen der Formel setzt die Situation voraus, bzw. evoziert sie (etwa in literarischen Texten) und umgekehrt: Das Eintreffen der Situation ruft die Formel ins
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Gedächtnis, erlaubt eine zuverlässige Vorhersage ihres Vorkommens . Offensichtlich wegen der situationeilen Fixiertheit hat Lyons vorgeschlagen, die Verwendung der Formeln behavloristisch mechanisch zu erklären, also als "conditioned responses" auf die Situationen, in denen sie vorkommen; Lyons hat sogar dazu bemerkt, daß im Hinblick auf diesen Aspekt ihres Sprachgebrauchs sich die Menschen wie Tiere verhalten, deren 'KommunikationsSysteme' aus einer Reihe vorgefertigter Äußerungen bestehen, die in bestimmten Situationen gebraucht werden.(Vgl. LYONS 1968: 416). Dagegen sprechen, wie es mir scheint, folgende Fakten: A) Die Verwendung der Formeln kann prinzipiell bewußt gemacht werden. Ihre sprachliche Bedeutung wird oft tatsächlich aktualisiert, dies drückt sich durch die Betonung oder gar durch Hinzufügung von Bestimmungen aus, wie z.B. muy buenos dias. einen schönen guten Abend, toutes mes condoleances. B) Die Formel kann prinzipiell mit zusätzlicher Information beladen werden, dies ist aus ihren suprasegmentalen Zügen zu entnehmen. Mit anderen Worten: durch die Höhe, die Länge oder durch Intensitätsakzente beim Äußern der Formel kann man u.a. Sympathie, Freude, Überraschung, Ärger, Herabsetzung ausdrücken. C) Die Verwendung der Formel kann prinzipiell Produkt einer Wahl sein. Nach Eintreten der ihr entsprechenden Situation assoziiert man die Formel (wie schon gesagt, wegen ihrer pragmatischen Fixiertheit), aber deren tatsächliches Aussprechen kann ausbleiben. Der Sprachteilhaber kann anders als erwartet handeln, er kann die Formel pragmatisch ersetzen durch eine Geste wie Lächeln, Kopfnicken, Händedrücken oder er kann die Äußerung ganz und gar auslassen, was auch einen Sinn und auch Konsequenzen hat. Mit anderen Worten: die Grußformel kann in Opposition zu "interaktivem Schweigen" (s. hierüber BRUNEAU 1973) oder als verbale Variante von nichtverbalen Ausdrücken funktionieren. Auch in bezug auf Grußhandlungen muß man sagen, daß der Mensch über ein System von sozialen Regeln verfügt, p nicht aber daß er bestimmten Gesetzen unterworfen sei. Auch bei einer Grußhandlung können also Abweichungen, Auslassungen und Fehler erfolgen; der Mensch kann dabei ungebunden handeln, er muß nicht unbedingt nach einem starren Verhaltensschema re-
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agieren. Aus den angegebenen drei Gründen glaube ich nicht, daß man die Verwendung der Formeln, so mechanisch sie auch aussehen mag, behavioristisch im Sinne Lyons* erklären kann. Wie HERINGER (1973: 18) zu Recht bemerkt hat: "Sie (die behavioristische Bedeutungstheorie) hat den Unterschied zwischen Verhalten und Handeln ignoriert und konnte darum sprachliche Handlungen nicht erklären. Sprachliche Handlungen wie Lügen und Abweichen und Mißverstehen sind darum gar nicht in ihren Blick gekommen." 2.3. Die Grußformeln vermitteln manchmal kaum Information, aber es ist unzutreffend zu behaupten, daß es Grußhandlungen geben kann, "die keinerlei Konsequenzen für die zukünftigen Kommunikationen oder Handlungen haben" (WUNDERLICH 1974: 122). Für diese Behauptung gibt Wunderlich als Beispiel folgende Sprechhandlung: "Der Lehrling kommt in die Firma und sagt: 'Guten Morgen, Herr Werner'" und Wunderlich kommentiert: "keine weitere Konsequenz". Aber wir dürfen vermuten, daß das Grüßen nie ohne Konsequenzen bleiben kann, selbst wenn niemand darauf antwortet; eine pragmatische Analyse des Schweigens würde wahrscheinlich unsere Vermutung bestätigen. In bezug auf das zitierte Beispiel Wunderlichs denke ich, daß der Lehrling mit seinem Gruß das Unbehagen vermeidet, das sich breit machen würde, wenn er nicht gegrüßt hätte; Jedenfalls nimmt er dem Meister die Möglichkeit, ihn anzuschnauzen "Du könntest Ja wenigstens grüßen". Auch die Nichtbeantwortung des Grußes müßte Unmut schaffen, und dies ist auch als eine weitere Konsequenz der Grußhandlung anzusehen. Die Konsequenzen einer Sprechhandlung (vgl. HERINGER 1973: 30 u. 68) sind also prinzipiell nicht auf Reaktionen des Partners zu reduzieren. 3. Wenn wir die pragmatische Fixiertheit als das konstituierende Merkmal der Formeln betrachten, können wir noch einige sprachlichen Aspekte leicht erklären: 3-1. Zunächst die oft eintretende materielle Verminderung. Z. B. hört man nicht selten einfach Morgen für Guten Morgen, so wie Guten für Guten Appetit. Manchmal geht die phonische Verminderung in eine fast unverständliche Lautkette über, etwa /mo:yn/ für Guten Morgen. / n a : m t / für Guten Abend." Wegen der Fixiertheit schmälert die materielle Verminderung der Formel
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nicht im geringsten den Wert der mit ihr durchgeführten Handlung; deren Gelingen stellt man in den Konsequenzen, normalerweise in der komplementären Handlung, also der Antwort des Angesprochenen fest. 3.2. Die Abnutzung der Bedeutung. Dies wurde von BURGER (1973: 58-59) als das kennzeichnende Merkmal der Formeln hervorgehoben; diese sind - sagt er - "Ketten, die nicht primär eine (lexemoder satzäquivalente) Bedeutung haben, sondern vorwiegend als Signale in bestimmten pragmatischen Situationen fungieren". Burger spricht sogar von partiellem oder totalem Wegfall der Bedeutung zugunsten der pragmatischen Funktionalität. Ohne zu leugnen, daß bei der Verwendung mancher Formel kaum an deren Bedeutung gedacht wird, (umgangssprachlich wird sogar 'formelhaft' und 'bedeutungsleer' gleichgesetzt), ist hierzu folgendes zu bemerken: A) Wenn bei einer Grußhandlung der pragmatische Wert (illokutiver Akt) überwiegt, kann die eigentliche sprachliche Bedeutung (die sich durch den lokutiven Akt manifestiert) ziemlich unwichtig werden; aber die Erfüllung der pragmatischen Funktion wird nicht durch den Wegfall der Bedeutung des verwendeten Ausdrucks begünstigt. Wir haben bereits hervorgehoben, daß die Bedeutung der Formeln, selbst der verbrauchtesten, prinzipiell bei jeder Sprechhandlung aktualisiert werden kann, was nur zugunsten eben dieser Handlung geschieht. Die Entautomatisierung der Äußerung dient der Entautomatisierung der ganzen Sprechhandlung. B) Wie Burger selbst andeutet, kann man bei der (taxonomischen) Analyse der Formeln feststellen, daß ganze Sektionen derselben ähnlich wie kleinere lexikalische Paradigmen (Felder) gegliedert sind, z.B. au revoir / ä bientot / ä tout ä l'heure. Diese Bedeutungsoppositionen werden beim Gebrauch eingehalten. Mit beiden vorausgegangenen Bemerkungen möchten wir andeuten, daß der "Bedeutungswegfall" keine wesentliche Erscheinung für das Funktionieren der Formeln darstellt, daß er sich nicht bei allen Formeln manifestiert, und vor allem, daß er nicht zugunsten der pragmatischen Funktion eintritt. Diesen "Wegfall" (besser wäre es, von Abnutzung der Formeln zu sprechen) kann man vorwiegend auf das häufige Wiederholen und auf die formale Fixiertheit zurückführen. Deswegen ist er
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viel mehr bei den Formeln des Alltags, wie Grüß Gott, festzustellen als bei den Formeln für besondere Anlässe, die seltener wiederholt werden, wie Gutes Neues Jahr. Die formale Fixiertheit kann zu dieser Entfaltung der Formeln beitragen, denn, wie TRABANT (1970: 193) in einem anderen Zusammenhang bemerkt hat, die "Starre des Wortlauts stellt den Text außerhalb der Entwicklung der Sprache, bis mit den fixierten Lautformen kein Inhalt mehr verbunden wird". Die Abnutzung der sprachlichen Bedeutung ist für uns also kein funktioneller, sondern ein diachronischer Aspekt der Formeln (und der ritualisierten fixierten Texte -wie Gebet und Beschwörung- im allgemeinen) und wird eher durch die formale als durch die pragmatische Fixiertheit begünstigt. 4. Aus den vorigen einführenden Beobachtungen möchte ich resümierend folgendes betonen: (A) Bei den Formeln ist sowohl eine formale als auch eine pragmatische Fixiertheit festzustellen. (B) Pragmatische Fixiertheit bedeutet Festlegung auf eine in Jeder Sprachgemeinschaft eigens abgegrenzte Situation und zugleich Vorherrschen des pragmatischen (illokutiven) Wertes über den rein sprachlichen (lokutiven); letzteres zeigt sich besonders deutlich in den Fällen von phonetischer Verminderung und semantischer Abnutzung. (C) Prinzipiell ist die Verwendung der Formeln keineswegs behavioristisch mechanisch zu erklären. (D) In der Analyse der Sprechhandlungen muß auch das Schweigen als mögliche interaktive Ausdrucksform mitberücksichtigt werden. (E) Selbst unbeantwortete Grußhandlungen bleiben nicht ohne Konsequenzen; m . a . W . die Verwendung der Formeln, als ritualisierte soziale Handlung, hat an sich Folgen für die weitere Interaktion der Partner, wobei man sich den Unterschied zwischen Reaktionen und Konsequenzen vor Augen halten muß.
Anmerkungen 1
Bausinger (1968: 66), Wunderlich (1970: 26), Burger (1973: 58-60), Makkai (1970: 169-179), Lyons (1968: 177;. 2 Vgl. Gauger (1970) und Schulting (1962). 3 Demnächst erscheint meine Analyse fester Redewendungen im Spanischen. Zwischenergebnisse dieser Untersuchung sind Zuluaga (1975a) und Zuluaga (1975b).
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In seiner einleuchtenden Kritik an Austins Auffassung von "performatifs" kennzeichnet Benveniste (1963=1966: 271) gewisse Grußformeln als Reste von performativen Äußerungen: "On pourrait decouvrir, dans des formules plus banales encore, des residus d'enonces performatifs: bonjour, sous sa forme 1 complete: je vous souhaite le bonjour, est un performatif d intention magique, qui a perdu sa solennite et sa vertu primitives" . "one and the same utterance may constitute the performance of several different illocutionary acts" (Searle 1969: 70). Vgl. Heringer (1973: 21) und Searle (1969: 33ff). Vgl. Coseriu (1966: 198-203). Vgl. Maas (1974: 195) und Öhlschläger (1974). Vgl. Breal (1924: 319): "On a observe que lea locutions d'une teneur invariable: formules de politesse, commandements militaires, benedictions, jurons, aboutissent a des vocables qui defient toute regle de phonetique".
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VERZEICHNIS DER AUTOREN
ABRAHAM, Werner (Grote Kruisstr. 2, 8OO1 Groningen). Assistent in Wien, Assistant Professor an der Univ. of Illinois 1965-67. Akad. Rat in Tübingen 197O. Seit 1971 Professor für deutsche Sprachwissenschaft und Literatur des Mittelalters, Reichsuniversität Groningen. Hauptarbeitsgebiete: Syntax, Semantik in Synchronie und Diachronie, Stilfiguren, Interpretationstheorie. APELTAUER, Ernst (Johannisstr. 1-4, 44OO Münster). Assistent am Germanistischen Institut der Universität Münster. Hauptarbeitsgebiete: Semantik, Pragmatik, Gesprächsanalyse. BALLWEG, Joachim (Postfach 54O9, 68 Mannheim 1 ) . Studium der Philosophie, Germanistik und Romanistik in Mannheim. Seit 1973 Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Verbvalenz am IDS Mannheim. Z.Zt. Mitarbeiter an einem DFG-Projekt "Erarbeitung einer Verbvalenzgrammatik auf semantischer Basis." Hauptarbeitsgebiete: logische und linguistische Semantik, Kategorialsyntax, Verbvalenz. BÄTORI, Istvän (Ahornweg , 74 Tübingen). Studium der Slavistik und FinnoUgristik in Szeged, Oxford, London und Göttingen. Post-Doctoral Fellow am MIT. Von 1969-73 leitete er bei IBM-Deutschland DV-Grundlagenforschung eine Projektgruppe LIANA für automatische Sprachanalyse. Gleichzeitig Lehrauftrag an der Universität Göttingen (TG), dann Stuttgart (Automatische Sprachverarbeitung) . Z.Zt. DFG-Habilitationsstipendiat mit einer Arbeit über die prozessualen Aspekte der Sprache. BUBLITZ, Wolfram (Grawertstr. , 55 1 Pluwig). Studium der Anglistik, Germanistik und Allgemeinen Sprachwissenschaft in Hamburg und Edinburgh. Staatsexamen 1973. Promotion 1976. Wiss. Assistent für Anglistik/Linguistik des Fachbereichs Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität Trier. DENGEL, Peter (Turnerstr. 2O, 6751 Weilerbach). Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte in Mannheim. EHRET, Rudolf (Steinacherstr. 7, 68OO Mannheim 51). Studium der Philosophie, Germanistik und Anglistik in Mannheim. Z.Zt. im letzten Examen. FRANKENBERG, Hartwig (Cheruskerstr. 8O, 4OOO Düsseldorf 11). Wiss. Assistent an der Pädagogischen Hochschule Münster. Hauptarbeitsgebiete: Linguistische Pragmatik, Argumentationstheorie und Sprachdidaktik. FRENZ, Hans-Georg (Türkenstr. 8O, 80OO München 4 O ) . Diplom-Psychologe. 1966-1968 Forschungstätigkeit im Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München. 1969 Assistent an der Universität Regensburg. 197O-1973 Mitarbeit in der Projektgruppe "Schullaufbahnberatung", Universität München. 1975-1976 Mitarbeit in der Projektgruppe "Elementares Sprechhandeln", Universität München. Hauptarbeitsgebiete: Probleme der empirischen Methodologie, Diagnostik und Entwicklungspsychologie . FROSCH, Helmut (Prinzregentenstr. 93, 8OOO München). Verwalter einer wissenschaftlichen Assistentenstelle für Deutsche Sprachwissenschaft, Universität München. Hauptarbeitsgebiete: Logische Sprachanalyse, Kategorialgrammatik.
332 HÜBLER, Axel (Wilhelmstr. l, 41OO Duisburg 17). Studium der Germanistik und Anglistik in Bonn, Köln und Rochester, N.Y. (USA). Promotion 1973. Seit 1974 Wiss. Assistent im Fachbereich 3, Anglistik, an der Gesamthochschule Duisburg. Hauptarbeitsgebiete: Semantik, Pragmatik. KING, Robert Thomas (Kettenhofweg 130, 6OOO Frankfurt). Studium der Mathematik und Physik an der Rice University (Houston, Texas, USA). 1967 B.A. Seit 1972 Wiss. Mitarbeiter am Englischen Seminar der Universität Frankfurt. 1974 Ph.D. in Frankfurt. Hauptarbeitsgebiete: Semantik, Logik, Psycholinguistik. Z.Zt. Arbeit an einer Habilitationsschrift über Kausative. KÖNIG, Ekkehard (Walsroderstr. 199, 3O12 Langenhagen). Ordentlicher Professor für Englische Sprachwissenschaft an der TU Hannover. Hauptarbeitsgebiete: syntaktische und semantische Beschreibungen des Englischen und Deutschen. OPALKA, Hubertus (LiLi-Fakultät, Universität Bielefeld, 48OO Bielefeld 1). Assistent an der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft. Hauptarbeitsgebiete: Pragmatik, bes. Handlungstheorie und der Bereich der Soziolinguistik. PINKAL, Manfred (Schloßstr. 26, 7OOO Stuttgart). Studium der Linguistik, Germanistik, Philosophie, Informatik in Bochum und Stuttgart. Promotion 1976 über 'semantische Kontextabhängigkeit 1 . Wiss. Angestellter am Institut für Linguistik der Universität Stuttgart. Hauptarbeitsgebiete: formale Semantik und maschinelle Sprachanalyse. POURADIER DUTEIL, Francoise (Großbeerenstr. 14, 28OO Bremen 1). Assistenzprofessor für angewandte Sprachwissenschaft und französische Sprachlehre an der Universität Bremen. Im WS 1976/77 Vertretung für die Stelle eines Wiss. Rates und Professors für Sprachlehrforschung und Französischunterricht am Zentralen Fremdspracheninstitut der Universität Hamburg. Hauptarbeitsgebiete: Kasusgrammatik und deren Anwendung im Fremdsprachenunterricht sowie im Bereich der Lernpsychologie. RIEGER, Burghard (Germanistisches Institut der RWTH, 51OO Aachen). Studium der Germanistik, Anglistik, Philosophie, Kunstgeschichte in München, Erlangen; Lektorat in Nottingham/England; 1969 Promotion an der RWTH Aachen. Forschungsgruppe 'Textstatistik 1 am 1. Physikalischen Institut der RWTH Aachen. 1971 Institut für mathematisch-empirische Systemforschung (MESY). 1975 Habilitandenstipendium der DFG. Hauptarbeitsgebiete: Unscharfephänomene der natürlichen Sprache. Semantiktheorien, formale Modelle und Repräsentationssysteme, textlinguistische Analysemethoden und EDV. RONCADOR, Manfred v. (Roonstr. 34, 2OOO Hamburg). Wiss. Mitarbeiter am Germanistischen Institut der Universität Groningen, Hauptarbeitsgebiete: generative Grammatik und Pragmatik. SCHECK, Ulrich (Moltkestr. 8, 675O Kaiserslautern). Studium der Germanistik, Philosophie und Soziologie in Freiburg und Mannheim. SCHEPPING, Marie-Therese (Kirchgasse 7a, 775O Konstanz). Wiss. Angestellte auf einer Assistentenstelle im Fachbereich Sprachwissenschaft (Romanistik) der Universität Konstanz. Mitarbeiterin im Forschungsprojekt "Vergleichende Lexikologie" (Teilprojekt E des SFB 99), Leitung: Prof. Dr. Chr. Schwarze. Hauptarbeitsgebiete: Semantik, Sprachvergleich (deutsch-französisch), Lexikologie . SIEGERT, Folker (Haußerstr. 91, 74OO Tübingen). Studium der Theologie. Z.Zt. Wiss. Angestellter am Orientalischen Seminar Tübingen. Hauptarbeitsgebiete: koptisch-gnostische Texte. Arbeitet an einer Dissertation über Argumentation bei Paulus.
333 SPRENGEL, Konrad (Inst. f. Angl. der RWTH, 51OO Aachen). Studium der Anglistik und Geschichte in Hamburg und Tübingen. Wiss. Assistent an der RWTH Aachen,Promotion 1976. Hauptarbeitsgebiete: englische Phonologie, Morphologie, Syntax und Semantik, angewandte Linguistik, besonders Kontrastive Phonologie Deutsch-Englisch. VANDEWEGHE, Willy (Sint-Pietersnieuwstraat 42, 9OOO Gent, Belgien). Wiss. Assistent beim "Seminarie voor Nederlandse Taalkunde en Vlaamse Dialektologie" der Staatsuniversität Gent. Hauptarbeitsgebiete: Semantik/Pragmatik, besonders in Bezug auf Fragen und Fragesätze im Niederländischen. VIETHEN, Heinz W. (Inst. f. Angl. der RWTH, 51OO Aachen). Studium der Anglistik, Germanistik, Phonetik und Allgemeinen Sprachwissenschaft in Köln und Manchester. Promotion 1976 an der RWTH Aachen. Wiss. Assistent an der RWTH Aachen. Hauptarbeitsgebiete: Phonetik/Phonologie, Syntax/Semantik, Sprachtests, Bilingualismus, Kinderspräche. WALTHER, Jürgen (Spatenstr. 9, 67OO Ludwigshafen). Studium der Philosophie, Germanistik und Romanistik in Mannheim. Staatsexamen Frühjahr 1976. Doktorand im Fach Philosophie. WESEMANN, Monika (Vagtelvej 51, 2OOO Frederiksberg, D K ) . Studium der Anglistik, Germanistik und Sprachwissenschaft in Hamburg. Wiss. Rat am Institut for qermansk filoloqi in Kopenhagen. Hauptarbeitsgebiete: Kontrastive Linguistik, Soziolinguistik. WIMMER, Rainer (Am Fürstenweiher 1O/1, 69OO Heidelberg). Studium der Germanistik und Anglistik in Marburg und Heidelberq. Promotion 197O. Habilitation 1976. Assistent am Germanistischen Seminar in Heidelberg. Hauptarbeitsgebiete: Semantik, Sprachdidaktik, Sprache der Politik, Grundlagen der Linguistik. WONNEBERGER, Reinhard (Borsteis Ende l, 2OOO Hamburg 6 5 ) . Studium der Theologie in Erlangen, Basel und Heidelberg. Promotion 1975. Wiss. Mitarbeiter am Rechenzentrum der Universität Heidelberg. Hauptarbeitsgebiete: Textlinguistik, Argumentationstheorie, Syntax, neutestamentliche Exegese. ZAEFFERER, Dietmar (Wilhelmstr. 41, 8OOO München 4O). 1973 Staatsexamen in den Fächern Deutsch und Französisch. 1973 - 1976 Mitglied der "Projektgruppe elementares Sprechhandeln", z.Zt. Wiss. Mitarbeiter an dem DFG-Projekt "Zur Abhängigkeit der Benutzung einer Sprache von inhaltlichen Überzeugungen der Sprachteilnehmer" und Arbeit an einer Dissertation über Syntax, Semantik und Pragmatik von Fragen und Frageausdrücken im Deutschen. Hauptarbeitsgebiete: Beziehungen zwischen Semantik und Pragmatik natürlicher Sprachen. ZILLIG, Werner (Johannisstr. 1-4, 44OO Münster). Promoviert gegenwärtig über "Sprachliche Formen des Bewertens im Deutschen". Hauptarbeitsgebiete: Pragmatik/Semantik, Gesprächsanalyse, Ordinary Language Philosophy. ZOEPPRITZ, Magdalena (Wiss. Zentrum der IBM Deutschland, Tiergartenstr. 15, 69OO Heidelberg). Studium der Anglistik und Linguistik, Magister 1969. Hauptarbeitsgebiete: maschinelle Sprachanalyse (Frage-Antwort-Systeme) und Kaususgrammatik. ZULUAGA, Alberto (Schwärzlocherstr. 116, 74OO Tübingen). Licenciado in filologia der Universidade libre/Kolumbien. Mitarbeiter des Institute paro y cuervo, Bogota. Gegenwärtig Lektor für Iberoamerikanistik in Tübingen. Hauptarbeitsgebiet: Hispanistik.