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German Pages 202 [205] Year 1964
DEUTSCHE
AKADEMIE
DER
WISSENSCHAFTEN
ZU
BERLIN
SCHRIFTEN DER SEKTION FÜR ALTERTUMSWISSENSCHAFT 38
SEMANTICA, RHETORICA, ETHICA
VON FRIEDRICH
ZUCKER
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1963
Friedrich Zucker ist Mitglied der Sektion für Altertumswissenschaft
Redaktor der Reihe: Johannes Irmscher Redaktor dieses Bandes: Dankwart Rahnenführer
E r s c h i e n e n i m A k a d e m i e - V e r l a g G m b H , B e r l i n W 8 , Leipziger S t r a ß e 3 — 4 C o p y r i g h t 1963 b y A k a d e m i e - V e r l a g G m b H , B e r l i n L i z e n z n u m m e r : 202 . 100/89/63 Gesamtberstellung: Druckhaus „Maxim Gorki", Altenburg B e s t e l l n u m m e r : 2067/38 . E S 7 M • P r e i s : D M 34,50
Inhalt I. Exkurs über EvgrjaiXoyslv, EVQrjoiÄoyia I I . Bd&og
1 10
¿XEVMQIOV
I I I . 'Avrj&oTioirjrog. Eine semasiologisohe Untersuchung aus der Rhetorik und Ethik
antiken 33
IV. Verbundenheit von Erkenntnis und Wille im griechischen Spraehbewußtsein beleuchtet durch Erscheinungen aus der Bedeutungsentwicklung von äyvoia, ayvoelv, äyv6r)fia V. Verantwortung in Denken und Sprache der Griechen und Römer
. . .
48 56
VI. Formen gesteigert affektischer Rede in Sprechversen der griechischen Tragödie
72
V I I . Der Stil des Gorgias nach seiner inneren Form. Mit Erörterungen über vorisokratische Periodik
85
V I I I . Syneidesis — Conscientia. Ein Versuch zur Geschichte des sittlichen Bewußtseins im griechischen und im griechisch-römischen Altertum . . I X . Plinius, Epist. V I I I 24 — ein Denkmal antiker H u m a n i t ä t X. Socia unanimans
96 118 137
X I . Freundschaftsbewährung in der neuen attischen Komödie. Ein Kapitel hellenistischer Ethik und H u m a n i t ä t 156 Indices
1*
181
I.
Exkurs über evQrjothoyeiv,
evQrjOiÄoyia1
Bei der Wichtigkeit der Stelle Philod. IJegl noirj[idrv V col. XIV 24—32 ist es vielleicht nicht ungerechtfertigt, den übrigens an sich interessanten Worten eine etwas eingehendere Untersuchung zuteil werden zu lassen. Das Folgende macht nicht auf Vollständigkeit Anspruch, das gesammelte Material scheint mir aber zur Klarstellung hinreichend. Zunächst die Orthographie 2 . Die Papyrusurkunden, die das Substantivum seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. in einer mehrfach variierten, sehr häufigen Vertragsformel bieten, schreiben es nach Ausweis von Preisigkes WB in ptolemäischer und römischer Zeit durchweg mit — r] —, in byzantinischer mit — e —. Damit stimmt überein, daß Philod. De rhet. I p. 207 Sudh. — Jensen hat auf diesen Beleg nicht hingewiesen — £vor/[ai]Aoy£[iv steht, wonach wir hier in II. noirj/j,. — der Buchstabe ist in der Lücke verschwunden — die gleiche Schreibung herzustellen haben. Mit dem Befund der Papyri steht die mittelalterliche Überlieferung der literarischen Belege in Einklang. Ihre Prüfung ergibt, daß Dindorf, der eine geringere Anzahl von Belegen heranzog und über weniger zuverlässige Überlieferungsangaben verfügte, recht hatte, im Thesaurus s. v. -eco die Schreibung mit — rj — für besser beglaubigt zu erklären und ihre Herstellung bei den älteren Autoren zu verlangen. Ganz klar ist die Sachlage bei Polybios, der ältesten literarischen Quelle mit einer größeren Zahl von Belegen, wo die gute alte Überlieferung fast ausschließlich — rj — erhalten hat. Für Philon ist trotz Schwankens die Schreibung mit — r) — als die besser beglaubigte anzusehen; leider ist in dem eben erschienenen ersten Band des unschätzbaren Index die jüngere Schreibung vorgezogen worden. Was die Überlieferung in Plutarchs Moralia betrifft, so muß De aud. poet. 11 p. 31 E die Schreibung mit — rj — überliefert sein, da die neue Ausgabe von Paton-Wegehaupt im Apparat nichts bemerkt; über die drei aus den Quaest. conv. zu zitierenden Stellen erfahre ich durch freundliche Auskunft von K. Hubert, daß sie in den Partien stehen, für die der Archetypus aller vorhandenen Hss., Vindob. 148, erhalten ist, und daß dieser 625 C und 682 B evQead —, 656 A evgt]aik — hat. In den Hss. des Sextus findet sich nur die jüngere Schreibung mit 1 2
Zuerst veröffentlicht in: Philologus 82, 1927, 2 5 6 - 2 6 7 . Über den Wortbildungstyp vgl. H. Hirt, Handb. d. griech. Laut- und Formenl. 2 , Heidelberg 1912, 463. (Schwyzer, Gr. Gr. I 443.)
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Exkurs über evQrjOikoyeiv, evQr\aiXoyia
— e —, u n d zwar sowohl evQeaiXoyia als evoeaio/.oyia bzw. -Xoyelv. Man braucht kein Wort darüber zu verlieren, d a ß diese letztere Form, die, vereinzelt auch bei Plutarch u n d Diog. Laert. überliefert, in späteren Quellen häufiger zu begegnen scheint, u n d die Lobeck ad P h r y n . 446 als vitiosa abgewiesen hat, nicht mit J . A. Fabricius ad Sext. E m p . X I 7 p. 592 durch Hinweis auf (pvaiokoyia gestützt werden kann, wenn auch die E n t s t e h u n g der Form evQeaiokoyia auf diese Analogie zurückzuführen ist. Bei Diog. Laert. h a t nach freundlicher Mitteilung von P . von der Mühll die meist die beste Überlieferung vertretende Hs. B die echte Schreibung mit — 7] — bewahrt. Was die Überlieferung bei den Autoren betrifft, bei denen sich die Worte nur vereinzelt finden, überwiegt auch bei diesen die echte Schreibung. Dieses Ergebnis f ü r die vorbyzantinischen Autoren wird bestätigt durch die Schreibung des Titels einer Komödie des Diphilos AigrjoireixriG (Ath. 496 e und f = fr. 5) 1 u n d durch den Namen EvQrjoißiog, der in der Kaiserzeit in mehreren Familien in Olbia vorzukommen scheint (CIG2076.2077 = I . P o n t . E u x . I 64, dazu I V 19.20.). Mit der Analogie des in älterer Zeit nur dichterisch gebrauchten seltenen evQrjaiemji; ist wenig geholfen; Pind. O. I X 90 ist, trotzdem — r) — durch das Metrum gesichert ist, — e — eingedrungen (Ambr. cum plerisque codd. Vaticanae recensionis). I n den späten Lexika ist die Schreibung fast ausnahmslos die der byzantinischen Papyri. Wer den chronologisch geordneten Überblick im letzten Teil dieser Darlegung betrachtet, der die Verwendung von svQrjaikoyia, -Xoyelv, -Xoyoq bei den die Worte häufiger gebrauchenden Autoren erkennen läßt, wird es als begründet ansehen, daß der H a u p t t e i l der Untersuchung begrifflich gruppierend, nicht geschichtlich entwickelnd vorgeht. Gerade f ü r geschichtliche Festlegung des Ausgangspunktes gewinnt m a n aus dem Belegmaterial keine Sicherheit, u n d auch über den Ausgangspunkt hinaus gibt die Verwendung der im Grunde nur geringen Bedeutungsumfang zeigenden Worte bei den einzelnen Autoren bedeutungsgeschichtlich sehr wenig her. Die begriffliche Gruppierung bleibt bestehen, auch wenn sich das E n t stehungsverhältnis der beiden Hauptverwendungen anders herausstellen sollte als nach der begrifflichen Untersuchung wahrscheinlich gemacht werden k a n n . Bei geschichtlicher Wertung des Materials ist übrigens zu beachten, d a ß Philon und Plutarch, die außer Polybios die Worte am häufigsten gebrauchen, sich jedenfalls in der einen Hauptverwendung gewiß a n die Terminologie philosophischer Literatur der hellenistischen Zeit anschließen, des Gebietes, aus dem uns Originalbelege fehlen. I n den Kompositionen evQrjaiXoyia, evn'qaikoyelv, evQtjoiXoyog (letztere am seltensten) erscheint löyog (/.¿yot) einerseits im Sinn des L a t . ratio, andrerseits im 1
Leider fehlt bei diesem Titel in dem inschriftlich erhaltenen Bücherkatalog IG II 992 (II/III 2 2363), 7 sq. gerade das vordere Kompositionselement.
Exkurs über EVQrjaikoyelv, evQTjOiÄoyta
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Sinn von „leere Worte", „grundloses Gerede", „Ausflüchte". E s ist leicht, wie wir gleich sehen werden, begrifflich die letztere Verwendung der Komposita aus der ersteren abzuleiten; aber geschichtlich läßt sich der Beweis mit dem vorhandenen Material nicht führen, und m a n muß mindestens die Möglichkeit zugeben, daß beim Aufkommen der Komposita an die verschiedenen Verwendungen von Äöyog (Aoyoi) angeknüpft wurde. Untersuchen wir die erste Hauptverwendung: Xoyog bedeutet da, enger gefaßt, den auf rationalem Weg zu findenden „Grund", sei es im Bereich der physikalischen, sei es in dem der Geisteswelt; weiter gefaßt das, was einem Sachverhalt zugrunde liegt oder innewohnt und was wir mit verschiedenen Ausdrücken bezeichnen: „(geistiges oder moralisches) Prinzip", „Gehalt", „Sinn", „Gedanke", „Theorie" — mit verdeutlichendem Partizip nennt der Grieche das ol ¿VOVTEQ Äoyoi, was bei Polyb. X I I 25i 5 (vgl. auch X X X V I 1,2) und Philod. De rhet. I p. 108 Sudh. gerade im Zusammenhang mit evgrjcnXoyeTv erscheint. Für das Verständnis des Gebrauchs der drei Komposita ist es wichtig, sich a n die Unterscheidungen zu erinnern, die Philodem 1. c. p. 208 ss. im Laufe der Erörterung über das Auffinden der EVOVTEQ Xoyoi aufstellt: dvayxalot — ¿vöexoftevoi (col. X X V I a 17—19), alrj&elg — ipeväelg xal ¡xaxaioi (col. X X V I I a 13—14), xal äXrj&rj xal Svvarä xal dvayxala — xai rä Tn&avorrjj' e'/ovra. Die letztgenannte Gruppe ist geradezu ein wesentliches Element des Bedeutungsgehaltes der drei Komposita: das Finden der ¿vövreg Aöyoi oder eines „Grundes" im engeren Sinn bewegt sich überwiegend in der Richtung des ni&avöv, nicht etwa in der einer andere Möglichkeiten ausschließenden Kausalität, und mehrfach wird evQrjoiXoyelv ausdrücklich mit dem Begriff des ni&avov (oder des Gegenteils) verbunden. evgrjaiXoyia, -Xoyelv ist das „Finden der ratio", der evovreq Xoyoi. J e nach dem Zusammenhang treten das Subjektive oder das Objektive und die verschiedenen im Verbalbegriff liegenden Kategorien der Handlung hervor: „Fähigkeit zu finden", „Erfindsamkeit im Aufsuchen von EVOVTEQ Xoyoi" — „Möglichkeit des Findens" — die Tätigkeit des Findens entweder durativ: „Aufsuchen", „Bemühung um das Auffinden", oder perfektiv: „Räsonnement", „rationelle Begründung". Die vorhin dargelegte Bedeutung des zweiten Kompositionselements läßt sich ohne eine irgendwie erzwungene Hineindeutung auch in solchen Fällen erkennen, wo an sich andere Bedeutungen möglich wären. Das gilt vor allem von der Verwendung der drei Komposita in tadelndem Sinn, die, außerordentlich häufig, im ganzen genommen vielleicht die häufigste ist, auch ohne Einrechnung der formelhaften Urkundenklausel. Substantiv und Verb bezeichnen häufig „Eristik", „Rabulistik", das Auffinden von „Gründen", von evovreg Xoyoi, statt zur Erzielung positiver Resultate, als Selbstzweck oder zum Zweck rechthaberischen Behauptens des eigenen Standpunktes; sie bedeuten manchmal im Rahmen dialektischer Auseinandersetzung „Ausflüchte, Einwände machen", u m sich Folgerungen zu entziehen. S t a t t auf Gründe kann sich das Bemühen auf Scheingründe, auf ?Myoi ipsvdelg xal,adrettoi richten.
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Exkurs über Evgrjadoyelv, evQtjodoyia
Wenn nun „Einwände erheben", „Ausreden, Ausflüchte machen" nicht darauf abzielt, sich dialektischen Folgerungen, sondern darauf, sich Verpflichtungen, insbesondere rechtlicher Natur, zu entziehen, so ergibt sich jene Verwendung von evQrjoiXoyia, die einen festen Bestandteil einer von der ptolemäischen bis zur byzantinischen Zeit häufigen Vertragsformel bildet. Endlich verallgemeinert sich die Bedeutung tadelnden Inhalts manchmal zu „leerer Wortmacherei", „(in)haltloses Gerede" od. dgl. Man sieht, daß die Verwendungsgruppen tadelnden Inhalts ohne Schwierigkeit aus der einen Bedeutung „Auffinden der ratio", der evövxeg Xoyoi. abgeleitet werden können. Aber es muß wiederholt werden, daß das älteste Belegmaterial, in dem die beiden Hauptverwendungen ziemlich gleichzeitig erscheinen, nicht den geschichtlichen Beweis dafür erlaubt, und daß vielleicht von vornherein die verschiedenen Bedeutungen des selbständigen Wortes Aoyoi in der Komposition maßgebend waren. Jedenfalls wird im alltäglichen formelhaften Gebrauch und auch sonst vielfach bei der Verwendung tadelnden Inhalts jene einheitliche Grundbedeutung dem Bewußtsein völlig entschwunden gewesen sein, wenn sie geschichtlich wirklich am Anfang stand. Ich gebe jetzt das Belegmaterial in der vorhin entwickelten begrifflichen Gruppierung, indem ich bei den einzelnen Gruppen die charakteristischen Zeugnisse kurz interpretiere, die übrigen nur aufzähle. Es scheint mir, es befindet sich eine Anzahl Stellen darunter, die zu interpretieren sich lohnt. A. Auffinden des (plausiblen) Grundes (I) und der evövxeg Xoyoi (II). I. Plut. Qu. conv. I I I 7 (diä xiyXevxog ijxiaxa¡ue&voxei): In § 1 p. 655 F Plutarchs V a t e r xolg (pü.oaocpovai jueioaxiotg /is&'^fiwv ngovßaXe ^r/xelv Xoyov, v ovx emneaövxeg Idicov evnÖQrjoav ¿m%eiQr]/u,dTWV, ENEL xd ys jiQoyeioa xal gadia Xaßeiv xxX. Der Erfolg des ^r/xelv Xoyov ist die evg^aiXoyia: magna lande excepimus causas ab adulescentibus feliciter inventas.
Man kann das Wort auch in subjektivem Sinn nehmen: sollertiam in causis inveniendis
exhibitam.
— I b i d . I 7 (did ri fx&XXov äxoaxq) yaioovaiv
ol yegovxsg):
in
p. 625 A wird die zuerst gegebene Begründung abgelehnt mit den Worten: efpaivovxo xoivov xi xal nqöyEinov, ovy ixavdv de jzgog xrjv alxiav ovTI ¿am(7) naoa TÜJV ajiodoßevcov ri rfp> XPV/RJV EJIETZOV&EI ; xal yäg ei /J,RJ ¿^eXdÄrjoe rore tö nagaaräv na&og, äXXä rovroig vnoxvcpofievw xal ^omvgovjuevq) ndvrcog ra evTog ¿xaiero, ßa&el d' oficog ¿¡frei tprjolv XTX., worauf die Erzählung § 170 fortfährt: xal o fiev Toiavj aneikriaag öaa TOJ öoxelv, asnqXkäxxexo.
v7ioß?.e7i6/ievog
xal
ßapeiag
oqyfjg
deiy/uma
nagao/tov,
Und in spätester Zeit wird von Eunapios in der Chronographie (fr. 63 FHG IV 42), wie die Verbindung mit xgvipivovg zeigt, das ursprünglich solcher Verwendung ganz fernstehende dichterische Kompositum ßa&vyvwficov im Sinn von „listig", „hinterhältig" gebraucht: Suda Povg avviaxaa&ai. Mit Recht hat Schenkl die Überlieferung nd&og xal evvoiav ßa&vxegav unverändert beibehalten. nd&og bedeutet „Gefühl", „Empfindung" wie in X I I 30,6: ov dieigyexai ro xoivcovixöv na&og, und e. ß.: „tiefer dringendes Verständnis". — xar'
äyvoiav
Tiaganaíovai
r f / g ÁKRJ&EÍag
didóvai
avyyvo)fir¡v,
rolg
dé
xará
TIQO-
Vgl. XVI 14,7; 20,8—9. Handeln auf Grund verfehlter Einsicht: Isoer. Ep. ad Archid. 14 (wenn echt, wofür K . J . Beloch, Griechische Geschichte 3, 2. Auflage, Berlin-Leipzig 1922, 1,523, eintritt, ca. 356 v. Chr. verfaßt) in der Beurteilung der Politik des Agesilaos, der zwei miteinander unvereinbare Bestrebungen verfolgt habe: EX TÖJV áyvorj&évTcov xar' EXEÍVOV TOV XQOVOV gádiov xaraua&Elv xxX. (bezogen auf § 12 row ovx ÖQ&wg V7t avrov yvoocr&évTOJV, vgl. auch § 14)2. Plut. Ages. 8,7: ÁXX' EOIXS xavTÖ> jzá&ei (i. e. r f j (piXori/uia) /nrjx' exelvog (Lysandros) äg%ovxog ¿iovaíav yvcövai ¡ur¡&' ovrog (Agesilaos) äyvoiav éveyxEiv avvrj&ovg — d. h. Lysandros verkennt die Machtbefugnis eines Oberbefehlshabers, will sagen, er hält gegenüber dieser Machtbefugnis seine Grenzen nicht ein, und dieses Verhalten, diese Handlungsweise ist seine äyvota, die Agesilaos nicht verträgt. Urteilslosigkeit in Entschlüssen und Handlungen: Demosth. Ep. 2,11 (an Rat und Volk von Athen, zwischen Mitte Mai und Anfang August 323 v. Chr.) 3 : man muß in Betracht ziehen — rov ETI svvoia NEOL OJV äv áyvorjxE émri/jirjoovra. 19: nvwv — imxifiäv v f i l v xi 7i£iQ0)/i£vaiv r f j xax' éfié áyvoía (er meint mit der „urteilslosen aÍQEOiv
1 2
3
axaraXXáxroig
U%EIV.
[fr. 21 Erbse]. Mit wenigen Veränderungen derselbe Wortlaut im Sendschreiben an Philipp 87f.; ist also das an Archidamos echt, so hat Isokrates seine Formulierung 10 Jahre später wieder verwendet. Echtheit erwiesen von H. Saehsenweger, De Demosthenis epistulis, Diss. Leipzig 1935.
Verbundenheit von Erkenntnis und Wille
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Handlungsweise in bezug auf mich" die gegen ihn ausgesprochene Verurteilung 1 ). Vgl. Polyb. V 51,5. Religiös-sittliche Unkenntnis (in Einheit mit der Disposition zu entsprechendem Handeln): Plat. Theaetet. 176c (voraus geht der berühmte Satz von der o/ioimaig &ecp mit der Feststellung, daß die Gottheit den höchstmöglichen Grad von Gerechtigkeit darstellt und daß ihr am ähnlichsten ist-, wer so gerecht als möglich) rj fiev yäg xovxov yv&aig aofpia xai ägsxrj äXrj&rig, f ) de ayvoia ä/ia&ia xai xaxia
¿vagyrjg.
Hier ist interessant und wichtig, wie die zwei nächstverwandten geistig-sittlichen Begriffe auf Grund des Sprachgebrauches gegeneinander abgegrenzt sind: ayvoia wird zahllose Male im rein intellektuellen Sinn verwendet, so auch hier; dagegen überwiegt bei ä/ia&ia der sittliche Bedeutungsgehalt, daher hier „Unfähigkeit zum sittlichen Handeln", verbunden mit xaxia „unsittlicher Charakter". (Ents p r e c h e n d äfia&aiveiv P l a t . L e g . 8 6 3 c: orav afia&aivrj rig ¡xr\ fiövov ayvoia
owexo/tevog.)
Im christlichen Schriftum ist ayvoia die Unkenntnis der Offenbarung in Christus. Acta 17,30 xovg JUEV ovv ygovovg xfjg äyvoiag imeoidojv o &E6Q xrX. Eph. 4 , 1 8 v o n d e n H e i d e n : ioxoxco/xevoi r f j diavoia ovxeg ajirjXXoxgimfisvoi xf/g £coijg xov •&eov diä vfjv äyvoiav r?)v ovoav iv avxolg. 1. P e t r . 1 , 1 4 ; 1. K o r . 1 5 , 3 4 (wo ayvcoaia
statt ayvoia). Bultmann in Kittels Theolog. Wörterb. l,119f. findet hier Einfluß stoisch-jüdischen Sprachgebrauches, hält aber auch für „möglich, daß dualistisch-gnostischer Sprachgebrauch zugrunde liegt", den er mit der Formulierung „Mangel des zum Heil der Seele notwendigen Wissens" wiedergibt. Sehr merkwürdig ist der Gebrauch von ayvor\(ia beim erstmaligen Vorkommen des Wortes in Gorgias' Helena 19, wo es sich um die Beurteilung von Helenas Flucht mit Paris handelt; zum Verständnis hat mir J . Sykutris, Gnomon 4, 1928, 1 5 f . v e r h o l f e n . et ÄFJ,agxrj/J,a
¡AE/ITIXEOV,
laxiv (sc. egtog) äv&gdmivov voorj/xa xai ipvyrjg äyvor/jua, ov% (hg äXX' tbg äxvyrj/ia vo/iiaxiov. fjX&B yäg OJQ fjX&E (Subj. Helena),
ipvxfjg (codd., von Sykutris gehalten gegen Reiskes rv%rjg) aygev/iaaiv, ov yvw/irjg ßovXev/uaai, xai egcoxog aväyxaig,
ov xeyvrjg nagaoxevaig.
Der Sinn der vorausgehen-
den Argumentation ist, daß durch starke Eindrücke des Auges das Verstandesmäßige ausgeschaltet wird (s. besonders 17 ovxcog äjieaßsoe xai eirjXaaev o q>6ßog TO vörjfia), und so könnte man zunächst meinen, das erste ipvyrj sei als vorjfia zu verstehen. Aber ipv%fjg aygevfiaoi zeigt, daß ipvyr) im umfassenden Sinn gemeint ist, und in beiden Fällen darf ayv6r\jxa nicht als eine auf Mangel an Verstehen beruhende Handlung aufgefaßt werden: die ipvxtf weiß überhaupt nichts von dem, was mit ihr vorgeht, hat kein Bewußtsein davon. Die Unterscheidung zwischen d/xagxrjfia und axvyr\iia ist eine Vorstufe zu der bei Aristoteles Eth. Nie. 1135b l l f f . äfiagxrjfia — äxvyr\fia — äöixrjßa, aber er würde der Helena nicht die Kategorie axvyel
1 2
ö' orav sica&ev, sc. r\ xfjg aixiag agyr), z u e r k e n n e n 2 .
Man könnte vielleicht auch,, Undankbarkeit" übersetzen (ayvoia „fehlende Anerkennung"). In der Rhetorik des Anaximenes c. 4, wo ebenfalls die dreifache Unterscheidung erscheint, wird die äxvxia verallgemeinert: ftrjdev inixEkelv xwv ßovXev&evxwv xaXmg.
52
Verbundenheit von Erkenntnis und Wille
Es ist hervorzuheben, daß in der Zurechnungslehre des Aristoteles 1 — hauptsächlichste Erörterung Eth. Nie. 1110bl8— l l l l a 2 1 — äyvoiaundàyvoeiv (dyvorjßa kommt bei ihm nicht vor) nicht ein Handeln aus Unkenntnis oder Irrtum, sondern Unkenntnis oder Irrtum selbst bezeichnen, woraus eine Handlungsweise hervorgeht. Und zwar einerseits Unkenntnis der relevanten Tatumstände oder Irrtum in bezug darauf, wodurch ein Handeln als àxovaiov qualifiziert wird. 1111 a l ö f f . negt ndvxa òr] ravra xrjg àyvoiag ovarjg èv olg FJ ngä^ig, o XOVXOJV TI àyvorfaag äxiov èoxel 7i£jiQa%évai xal ¡idhaxa èv xolg xvgiojxdxoiq. xvgidrtaxa ò' eìvai òoxel èv olg rj ngä£ig xal ov evexa (vgl. E t h . E u d . 1 2 2 5 b 6 f . xò òè di äyvoiav xal o xal q> xal ov). A m v o l l s t ä n d i g s t e n E t h . N i e . 1 1 3 5 b l l f f . xgiwv Òr/ ova&v ßXaß&v xàtv èv xaìg xoivcoviaig rà fisv fiex' àyvoiag àfiagTraxaxà èaxiv, óxav ¡ur/xe ov ¡ir\xe o /XÌJTS (JJ [irjxe ov evexa vnekaße ngdirj. Z w i s c h e n òi äyvoiav Jigdxxeiv u n d àyvoovvxa ngdxxuv m a c h t A r i s t o t e l e s
1110b24f. einen Unterschied: beim Handeln in Trunkenheit oder im Affekt geschieht die Handlung nicht aus Ursache der Unkenntnis, aber in Unkenntnis. Andrerseits geht nicht auf die Tatumstände, sondern auf die ethischen Forderungen und Verbote die Unkenntnis beim /.io%&rjgóg, dem wesenhaft Unsittlichen. E t h . N i e . 1110 b 28ff. àyvoel (lèv ovv näg ò fio/ßr/gog a dei ngàxxeiv xal wv cupexxéov xal òià xavxrjv xoiavxr/v àfjtagx'iav aòixoi xal ó'Acog xaxol yivovxai. Gleich d a r a u f w i r d
diese Unkenntnis als rj èv x f j ngoaigéaei äyvoia bezeichnet. Hier scheint allerdings àyvoeìv an der Grenze des Wissens- und des Willensmäßigen zu stehen, und doch wäre es wohl nicht richtig àyvoel mit „er ignoriert" zu übersetzen, denn der folgende Ausdruck trennt formal die äyvoia vom Willensmäßigen, das in diesem Fall sie begründet. I n hellenistischer Amtssprache erscheint eine Formulierung, deren Bedeutung und deren Verhältnis zu Anschauung und Ausdrucksweise der vorausgehenden Zeit zu prüfen ist. Mehrere (pddv&gcona, Gnadenerlasse, des zweiten (und ersten) J h . v. Chr. enthalten eine so gut wie übereinstimmende Aufzählung von Straftaten, für die es genüge als Beispiel den Eingang des Gnadenerlasses des Ptolemaios Euergetes I I . vom Jahre 118 v.Chr. anzuführen: P. Tebt. 1 5 ( = P . M . Meyer, Juristische Papyri Nr. 69) Z. 2—4: a] ävev&vvd eaxi, xä ö' ogyfjg xai xificogiag ccfia.
1
Vgl. Cic. De har. resp. 1: cum (P. Clodius) — — P. Tullioni Syro navaret operarti atque ei sese, cui totus venierat, etiam vobis inspectantibus venditaret. — Das Schol. zu Aischin. 170 hat das Wort nicht richtig verstanden: insidi] 6 ¡lèv /nÓQxvg /¿CÌQTVQWV vnevdwog iyéVEXO, ó òè awrjyogog fióvov naqaxakim vnéq xivog ovòèv inaaxsv (bei Aischin. geht vorher — — xaXei — — — 0a>xi(ova — firpim aw^yoQov — — — àXX' — ).
Verantwortung in Denken und Sprache der Griechen und Römer
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Wir hatten bereits gegenüber der Verwendung von vnev&vvog festgestellt, daß die Verantwortung des Täters einer vollzogenen Einzeltat kausal gekennzeichnet wird durch alxiog, auf den Täter bezogen, oder in bestimmten Ausdrucksweisen durch alxia, und hatten bereits an die berühmte Formulierung Piatons erinnert. Aus dem berüchtigten Prozeß gegen die siegreichen Flottenführer nach der Schlacht bei den Arginusen (Xen. Hell. I 7, 18) elxa vvv xrjv alxiav xoivrjv e%ovaiv ¿xeivojv Idia äfiaoxövrmv. Die Konstatierung der Kausalität als Ausdruck der Verantwortung wird sogleich bei der Darlegung der Entwicklung des Verantwortungsbegriffs begegnen. Nur mußte an dieser Stelle nach Beendigung der Erörterungen über vnev&vvog der Tatbestand festgestellt werden. Eine Ausdrucksweise darf als Beleg nicht fehlen. Harp. ävcupooäv xö ävarpeoeiv xrjv alxiav TCÖV afiaQxrj&evxcov in ä)J.ovQ. Arjßoa&svriQ vjiep Kxtjaupöjvxog (219, wo absoluter Gebrauch von avacpooa); in der Erklärung Harpokrations wörtlich zu übersetzen: „das Abwälzen der Verantwortung für die Verfehlungen auf andere". Antiph. 5, 89 = 6, 6: xovxo ovx laxiv o7ioi äv xig äveveyxdjv xi)v alxiav änokvaaixo. Lys. 22, 8: ineidrj yap ovxoi (sc. ol aixo7iä>Xai) xrjv alxiav elg bisivovg (sc. xovg aq%ovxag) ävetpegov. 3. Wenn mir ein rasches Selbstzitat erlaubt ist, so darf ich auf einen Satz in meiner Rezension des wichtigen Buches von Maschke, Die Willenslehre im griechischen Recht, Berlin 1926, das mir samt meiner Rezension im folgenden zur Grundlage dienen wird 1 , zurückkommen. Dort (Gnomon 9 , 1 9 3 3 , 1 9 2 ) hatte ich imZusammenhang der Kennzeichnung der Probleme, die die Erforschung der geistig-sittlichen Struktur der frühen und der klassischen Zeit aufwirft, gefragt: I n welcher Form kommen Begriffe wie Verantwortung und Zurechnung zur Erscheinung? Wann also und in welcher Form kommt das auf, was wir eben Verantwortung nennen, d. h. die Erkenntnis, daß der Mensch selbst aus „wissendem Willen" Urheber seines Tuns und seiner Taten ist und die Folgen davon zu tragen hat? Natürlicherweise ist diese Erkenntnis zuerst an Straftaten aufgegangen. I n einem der jüngsten Bestandteile der Odyssee, im 1. Gesang v. 32ff. erklärt Zeus, daß die Menschen immer den Göttern Schuld geben an allem Unheil, daß sie aber durch ihre eigenen Frevel Schmerzen haben, wie jetzt Aigisthos die Gattin des Agamemnon sich in Buhlschaft genommen und ihn selbst getötet hat, obwohl er das Verderben kannte, da die Götter ihn durch Hermes vor beidem warnen und ihm die Rache des Agamemnonsohnes voraussagen ließen. Aber er verwarf den R a t und mußte alles büßen. Überlegte Handlungen sind die Übertretungen der Satzungen der Dike, vor denen Hesiod warnt („überlegt" durch noorpQmv ausgedrückt). 1
Für die geschichtliche Betrachtung von Verursachung und Verschuldung in den verschiedenen Rechten verweist auch W. Kunkel, Römisches Privatrecht, Berlin 1935 2 , 172 Anm. 2 für das griechische Recht auf Maschke.
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Verantwortung in Denken und Sprache der Griechen und Römer
Aber noch die älteren Lyriker kennen die Selbstverantwortung nicht, wie R. Pfeiffer, Philol. 84, 1928/29, 146ff. nachgewiesen hat. Nur Solon, Sapphos und Alkaios' Zeitgenosse, griff den Gedanken des Odysseeanfangs auf und hielt seinen Mitbürgern in zwei Gedichten vor, das eine Mal, fr. 3 (Eunomia), 1—8D. 3 , daß sie selbst durch ihr Verhalten, nicht die Götter, Unheil für den Staat heraufführen werden, das andere Mal (fr. 8D. 3 ), daß sie selbst, nicht die Götter, Knechtschaft heraufgeführt haben (W. Jaeger, Solons Eunomie, Sitz.-Ber. Akad. Berlin 1926, 72ff., unabhängig davon R. Pfeiffer a. 0.). Simonides nimmt nach Solon den Gedanken nur zur Hälfte auf in der Feststellung (fr. 4,20D. 2 ), der Mensch sei von sich aus nur imstande, mit Willen, exwv, nichts Schändliches zu tun. So ist die gewollte Tat Grundlage der Beurteilung menschlichen Handelns geworden. Dies war schon vorher angebahnt worden durch die Unterscheidung von Totschlag und Mord, die der delphische Apollon durch das Gebot der Blutrache für den Mord bis zur letzten Polgerung verwirklichte, während sie nach der ursprünglichen Geltung der Erfolgshaftung auch für Totschlag geübt wurde. Nach Aufhebung der Blutrache durch das ordentliche staatliche Gericht, die doch schon vor Solon liegt, hat die Unterscheidung, die im Gesetz zum ersten Mal im Wortlaut des drakontischen.Gesetzes xal eä¡JL [«]e 'x \n]novo[La]q [x]r[evei rig nva (Syll.3 111, 11) zum Ausdruck kommt, die Teilung der Rechtsprechung für vorsätzliche und für unvorsätzliche 1 Tötung zur Folge, wie eben das drakontische Gesetz zeigt. Den nächsten wichtigen Fortschritt, einen Fortschritt von größter Bedeutung, sehen wir in den unter dem Namen des Antiphon gehenden Tetralogien vollzogen, nämlich durch die wohl aus sophistischer Literatur geschöpfte 2 Erkenntnis der Schuldform der Fahrlässigkeit 3 , und zwar erscheint sie, wie Maschke 78 ausführt, unter der Denkfigur einer Unterbrechung der Kausalität durch konkurrierendes Verschulden. Die zurechenbare Kausalität wird in den Tetralogien durch airia bezeichnet. Die Differenzierung der Verantwortung schreitet weiter fort zum Gegensatz zwischen ßovXevoig — diese in der drakontischen Inschrift wohl jüngerer Zusatz (Maschke 50f.) — und körperlichem Vollzug; ßov?xvaiq, das vorbedachte Beschließen und überlegte Nachdenken über die Ausführung ist ohne Vollzug der Handlung straffrei. Dagegen erklärt Demokrit fr. 89 allgemein: ¿x&ßög ov% 6 ädixeojv dXXä o ßovköfievog, f r . 68 döxifiog &vi]Q xal ädoxifiog ovx e | OJV noaaaei [lövov, aXXä
xal ef OJV ßovlexai, und verlegt so das für die Beurteilung des Menschen Entscheidende in den Willen. 1
2
Über das gegenseitige Verhältnis der Ausdrücke ixmv, ¿x nnovoiag, axcav und ihre Entwicklung s. Maschke, Kap. 2 § 8. So vermutet Kunkel. äfpuXa^ia (Tetral. B Ö 7) ist kein rechtlicher term. techn. geworden. Fahrlässigkeit sonst äfieÄeia.
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Bei den Affekthandlungen wird die im Affekt vorsätzlich und überlegt vorsätzliche Handlung unterschieden, aber beides dem ¿xovaiov zugerechnet. Bezeichnend für das fortschreitende Bemühen u m die Differenzierung der Verantwortung ist die Unterscheidung dessen, der ÖL äyvoiav, und dessen, der äyvo&v handelt, bei Aristoteles. I m ersten Fall ist die Unkenntnis kausal für die Tat, d. h. diese wäre unterlassen worden, wenn die Unkenntnis nicht bestanden hätte. I m zweiten Fall liegt die causa in etwas anderem, wodurch die Unkenntnis herbeigeführt wird. I m ersten Fall ist die Tat ein äxovatov, im zweiten nur dann, wenn die Ursache des ayvoelv nicht im Täter selbst liegt. Die ganze Zurechnungslehre des Aristoteles 1 darf wohl der Höhepunkt der Differenzierung der Verantwortung genannt werden; er kennt auch die Kausalität der Unterlassung. Einen einheitlichen Begriff der Kausalität für die Rechtsordnung hat Piaton aufgestellt, wie Maschke a. 0 . 90ff. gezeigt hat. Die in einigen Momenten angedeutete Erkenntnisentwicklung schafft, nicht erst vom Höhepunkt ab, sondern schon in ihren Stufen die Voraussetzungen, u m im praktischen Leben den Menschen Verantwortungen zuzumuten und innerhalb der Masse wenigstens einzelnen die Möglichkeiten bewußter und willensmäßiger Entfaltung dessen, was wir Verantwortung nennen, zugeben. Eben diesen Möglichkeiten sollen wir, meine ich, von der sprachlichen Entfaltung im Deutschen her auswahlweise nachgehen. Vorausschicken m u ß man grundsätzliche Überlegungen, die von der zu Anfang angestellten Prüfung der Ausdrücke „verantwortlich" und ,,vnev&woq" ausgehen. Wir fanden das Wort weitgehend dem Deutschen adäquat, aber ein bedeutsames Defizit blieb, und das wird sich erweitern außerhalb des Geltungsbereiches von VTIEV&VVOQ. Wir gebrauchen „Verantwortung" vielfach im Sinn von cpQovtis, ¿izi/ieheia, emTQOTiri — cura, causa, nicht selten auch bloß phraseologisch, jedenfalls in äußerlichem, rein gegenständlichem Sinn. Aber das Wort hat ja einen viel gewichtigeren und tieferen Inhalt, und der haftet auch jener rein gegenständlichen Verwendung an; m a n spürt immer ein gewisses subjektives Element mit, zunächst unbestimmt gesprochen. Verantwortung, wenn ich versuchen darf, den Inhalt des Wortes einigermaßen zu fassen, ist ein im Gewissen verankertes Bewußtsein der Aufgabe, andere und die Güter, materielle, geistige, sittliche, anderer zu wahren und in deren Interesse zu handeln, andererseits sein eigenes Innere, sein Wesen zu wahren. Auch wenn man den Ausdruck in jenem flacheren Sinn braucht, empfindet m a n den darin liegenden Begriff als etwas, was den Persönlichkeitswert angeht. Demgegenüber bleiben die griechischen und lateinischen Ausdrucksweisen zurück. Es ist nun unsere Aufgabe, eine Anzahl, die nur sehr klein sein kann, deutscher Ausdrucksweisen auszuwählen und zu überlegen, welche Ausdrucksweisen, zunächst im Griechischen, mit möglichster Annäherung entsprechen, welche Mög1
R. Loening, Die Zurechnungslehre des Aristoteles 1, Jena 1903. Maschke, Kap. 6 des genannten Buches.
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lichkeiten der Entsprechung vorhanden sind. Geht es um Verantwortung im konkreten Sinn, so bieten sich (poovrlg, em/LieXeia, innnonri, ahia (dieses im Sinn von causa) an, wobei freilich, wie zu vnev&vvog ausgeführt, das subjektive Element und jener fordernde Anruf des Gegenüber fehlen. Jedoch kann das subjektive Element in gewissen Verbalverbindungen gut zur Geltung kommen, so in ävaöe%ecr&cu em/ieP^eiav ohne oder mit eig oder ¿, ngoAeinw- ?.verai de /IOV fiehr]. d> &vynreo. ärpai /urjrgog, exreivov %£Qa, Sog • ¡ii] /.LJtrjq /x' änaLÖ'. änmXofirjv, rpi/.ai — &g trjv Adxaivav avyyovov AIOOXOQOIV 'EXevrjv iöoifii • öiä xak&v yag ofifidrcov ata'/Lara Tgoiav eile xrjv evdaijuova.
N a c h d e n Abschiedsworten der Polyxena, die in heroischer F a s s u n g Odysseus auffordert, sie zur Opferung zu f ü h r e n , verzweiflungsvolle Ausrufe der H e k a b e in den zwei K u r z s ä t z e n des v. 438; verzweiflungsvoll r u f t sie vier asyndetische I m p e r a t i v e der Tochter n a c h ; d a n n hält sie inne, der Tochter nachsehend, u n d bricht z u s a m m e n : a.ncoAö/j.rjv, cpilai —. Sich wieder fassend schleudert sie haßerfüllt eine Verwünschung gegen Helena, der sie in ruhiger B e s i n n u n g die Begründ u n g nachfolgen läßt. G. H e r m a n n wollte diese drei letzten vv. d e m Chor geben 2 : es bedarf keiner Worte, wieviel wirkungsvoller sie im Mund der eben aus Verzweiflung wieder zu sich k o m m e n d e n H e k a b e sind. Obwohl von Affekt gefüllt, von einem a n d e r e n Affekt als die vorausgehenden vv., kehren sie schon äußerlich in n o r m a l e n Sätzen gegenüber den kurzen K o l a 438—440 mehr zur B e s i n n u n g zurück, u n d das entspricht der W e n d u n g v o m entsetzensvollen Affekt zur Reflexion, die wir bei der rqocpdg im H i p p o l y t o s 350—361 b e o b a c h t e t h a b e n . E i n e Auflösung, i m 1. F u ß 439, in den 6 v v . (im ganzen Stück durchschnittlich eine auf 5,03 vv.). E i n e besondere B e w a n d t n i s h a t es m i t den A s y n d e t a in der Qrjaig der H e k a b e , in der sie Odysseus u m das L e b e n der Polyxena b i t t e t : 273 n a c h äxovaov die Beg r ü n d u n g , wie so o f t (vgl. im I n d e x von Pearsons Sophoklesfragmenten B d . I I I s. v. a s y n d e t o n : „ e x p l a n a t o r y " ) asyndetisch einsetzend: rjipo), d a n n wirkungsvoll 1
2
Die Auseinandersetzung über ftvfiog und ßovXevfiara 198 ist mindestens unvollständig, da ßovhEvjuara v. 1044, 1048 nicht berücksichtigt wird, und ich halte es auch nicht für richtig, ßovÄevßara in v. 1079 als „den natürlichen Instinkt der Mutter" zu bezeichnen. Härtung wollte die drei vv. athetieren.
Formen gesteigert affektischer Rede
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adversativ-asyndetisch 275 äv&anxofiai aov. Hierauf mit ansteigendem Affekt anaphorisch xaitxrj ysyrj&a — rjd' dvri noXlmv 279f., endlich affektische asyndetische enumeratio 281. Anderen Charakters als die bisher behandelten Euripidesstellen, dem Gesamteindruck nach mehr dem Rhetorischen, freilich einer natürlichen Rhetorik sich nähernd, sind die zwei Qtjaeig des Philoktet in Sophokles' gleichnamigem Stück, 468—506 und 927—962, schon dem Umfang nach von jenen Belegen verschieden. Nachdem Philoktet und Neoptolemos sich gegenseitig mit ihren Schicksalen bekannt gemacht haben, wendet sich Neoptolemos ohne weiteres mit einem Abschiedswort zum Gehen. Philoktet bestürmt ihn mit flehentlichen Bitten, ihn mitzunehmen. TIQOQ vvv ae naxgog TTQOQ xe /itjXQÖg, a> xexvov, Tinos x' EI xi aoi xax' olxov eaxi nooaquMg, 470 Ixexrjg1 ixvovfiai, fif) Mnrjg f i ovreo fiövov, sQfjfiov ev xaxolai xolaö' oioig ogäg öaoiai x' E^rjxovaag evvaiovxa fie. alV ¿v naoEpyq) &ov LIE. dvaysosia fiev, eioida, TzoXXfj xovde xov (pogr/fiaxog • 475 Ö/MOQ de T?SFDI • xolai yevvaioiai TOI
ala%gov ¿X&QOV xai TO %grjaxov EVXXEEQ. aoi £cüi> ngög Ohaiav yßöva. 480 Xéyu>, àvaxlaiofiai nagovoi roìg elto&óoiv,1 ol' egy' 6 naie, f i eògaoev ovi; 'A%tAAécog. ó/ióaag ànà£eiv oìxaò' èg Tgoiav f i ayeinQocr&eig re %eiQa Òeljiàv rà TÓ£a fiov ieoà Xaßrhv rov Zrjvòg ' HgaxMovg è%ei xal rolaiv 'Anyeioiai (prjvaa&ai délu, mg avÒQ éXwv f i ia%vgòv ex ßiag äyei, xovx old' èvalfloìv vexoàv fj xanvov axiàv, elòwlov aXXmg. ov yàg äv a&évovTa ye eU.év f i . ènei ovò' äv 5>ò' é%ovt' el fir\ ÒóÀw. vvv aca/iaxi, ä).X fjv xi xaivöv, g nalg nxA. durch Setzung eines Kommas statt eines Punktes nach Aeywv als e i n Satzgebilde zu gestalten sind. Gewiß ist bei Festhalten an der üblichen Interpunktion alles gerechtfertigt: die Mischkonstruktion ae det oncog — exxAexpeig durch Parallelstellen [s. Jebb und Radermacher z. d. St., Bruhn's „Anhang" § 227], das Asyndeton als Beginn der Einzelausführung, der Inf. in imperativischer Funktion. Alle drei Erscheinungen fallen bei meinem Vorschlag weg: zwischen del als regierendes Verb des Hauptsatzes und den davon abhängigen Infinitiv, der so isoliert wird, ist ein Finalsatz 2 und unmittelbar anschließend ein Temporalsatz, von dem ein Fragesatz 2. Grades abhängt, eingeschoben. Zu diesem Charakter des Satzbaus stimmt die Einschiebung von ae del zwischen das regierende Substantiv und sein Genetivattribut 3 und das damit verbundene Enjambement. Keine Auflösung.)
1 2
3
Bitten 1271 — 1274 und die ävnXaßai am Schluß 1438 — 1443 bezeichnet (1. nach e8e—; ferner z.B. 9,2,3;9,11,3. „Verzahnung" fehlt aber z. B. in dem in „natürlichen Perioden" (ohne Zwischenschaltung) verlaufenden G e s p r ä c h zwischen Xerxes und Demaratos (7, 101 bis 104; außer in dem erzählenden Einleitungssatz) oder in dem B e r i c h t über die äthiopische Expedition des Kambyses, der ebenfalls in natürlichen Perioden gehalten ist 2 . Ich hatte gesagt (o. S. 90), die Beurteilung der Periodenbildung Herodots scheine mir vielfach unzutreffend, mindestens unvollständig. Man müßte deutlich 1 2
Der statistische Befund verbindet Trachinierinnen mit Antigone und Aias. Fehlt auch in der ganzen Erzählung zwischen den zwei soeben ausgeschriebenen Stellen, aus 1, 59 und 1, 64.
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die von mir besprochene Unterscheidung hervorheben. Jener entwickelten Stufe der X. elQo/j,svrj, also der natürlichen periodisierten Rede, dem beherrschenden Stil bei Herodot, der trotz gewisser anhaftender Parataktik (o. S. 91) keinesfalls, nach unserer Weise zu reden, der Parataktik zugerechnet werden kann, gehört Ciceros Lob „sine ullis salebris quasi sedatus amnis"; Norden, Kunstprosa l 3 , 49 meint mit der „lebensvollen Natürlichkeit der ionischen Prosa", deren „größter Meister Herodot", eben diesen Stil, und diesem gilt überhaupt der Preis der Erzählungskunst Herodots. Natürliche Periodik. Die Natürlichkeit von Herodots Sprache hebt allgemein hervor Dionysios von Halikarnass, Ep. ad Pomp. Gem. 3 p, 240, 8 sqq. Us.-R. : Tfjg (òè) (pQiiaea)g {TWV évofidrcav}1 rò [lèv narà (pvaiv 'Hgodorog urne, rò òè òeivòv 0ovxvòiòr]Q. Der Satz deckt sich im wesentlichen mit dem S. 91f. besprochenen von Cicero. Nochmals heißt es bei Dionys. Hai. De imit. p. 207,19 sq. : rä> {ärpeÄei} avro(pvel {aßaaaviarq)} fiay.oqj òieveyxóvra ròv 'Hqóòorov SVQÌOXO/MV (die Athetesen treffen offenbare Glossen). Bei den Beurteilungen von Herodots Periodenbildung meint man Periode offenbar nur im Sinn der Strukturperiode, und da glaube ich, daß man den Nachdruck viel zu sehr auf die vorhandenen Un Vollkommenheiten legt 2 . Wenn Diels (Hermes 22, 1887, 424) hervorhebt: „oft scharfgespitzte Antithesen und die Periodenzirkelei der gleichzeitigen Sophistik, die freilich dem biederen Halikarnassier anfänglich noch sauer wird", so scheint mir nicht ganz klar zu sein, was mit „ P e r i o d e n z i r k e l e i der gleichzeitigen Sophistik" gemeint ist. Auch in Nordens Gesamtbeurteilung, der die vorstehende Äußerung von Diels zitiert, ist das über Periodenbau Gesagte unvollständig, und geradezu irreführend einseitig dacobys Formulierung (RE Supp. 2, 498): „nicht seltene, aber selten gut gelungene Versuche in periodisierender Rede", sowie die von Wendland in GerckeNorden l 3 , 193: ,,. . . die Satzfügung, die selbst hinter der fortgeschrittenen Periodenbildung der späteren epischen Dichtung oft zurückbleibt"; auch er zitiert Diels' Äußerung. Daß aber Herodot den fortgeschrittenen Periodenbau mit Zwischenschaltung untergeordneter Sätze verschiedenen Abhängigkeitsgrades in der Tat beherrscht, sollen einige Beispiele einwandfrei gebauter Perioden zeigen, die sehr beträchtlich vermehrt werden könnten. Dabei darf nicht vergessen werden, daß eine Folge von Partizipien verschiedenen Abhängigkeitsgrades vom l o g i s c h e n Gesichtspunkt aus als gleichwertig mit Nebensätzen verschiedenen Grades beurteilt werden muß, und ein solcher Satz mache den Anfang. 1
2
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Die Athetese notwendig, weil es sich eben nicht um die ovößara handelt, wie der Gegensatz zeigt und das Vorhergehende, wo von fjdovri, Tisiß-d), ri(npiq die Rede ist. Übrigens würde ich statt (de) lieber (oirv) einfügen. Außer den im Text zitierten Äußerungen s. Stein, Komm. Ausg. I p. X L I X und das Verzeichnis von „Entgleisungen der Konstruktion" bei W. Schmid-O. Stählin, Gesch. d. griech. Lit. 2, München 1934, 648 Anm. 8. Friedrich Zucker
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1 , 6 0 , 4 : Tavvrjv rtjv yvvalxa axevdaavxeg navonXirj eg äg/ia eaßißaaavreg xal ngodeHavTeg a'/fj/J,a olöv ri e/ieXXe evngeneaTaxov (paveea&ai exovoa, rjXavvov eg ro äarv jiQOÖQÖfiovg ngonefixpavTeg, ol rä EVTBTaXfieva rjyögevov anixofievoi eg ro äoTv XeyovxEg Toidde. axeväoavTeg untergeordnet den zwei folgenden Partizipien; vom Objekt des zweiten abhängig Relativsatz; dann verb. finit 1 . 1,62,2: 'A&F]vaimv de oi ex TOV äareog, ewg UEV IleioioTQaTog rä xQWara ¿iyeine xal /LiEzavrig wg eaye Maga&wva, Xoyov ovdeva efyov: 2 parallele Temporalsätze zwischen Subjekt und Prädikat eingeschaltet. Die durch 3 kausale Parenthesen überlange Periode 1,77,1—3 ist allerdings ein Anakoluth, aber bemerkenswert für die augenblicklich verfolgte Beispielkategorie das erste Periodenstück: Kgolaog de fiefi) äveorrjxvir) Tfj X^Qll dygöv ev e^egyaofibov, äneyqäxpovTO To ovvofia TOV deonoxew TOV äygov. die^eXdaavreg (Wiederaufnahme von die^iövxeg) de näoav r?)v '/upr/v xal onaviwg evgövTeg Tomovg, mg Ta/jara xaxeßrjoav eg TÖ äarv, äXtrjv noirjüdfievoi änedeijav Tomovg fiev T?)V noXiv vefieiv, TWV evgov Tovg ägyovg ev e^egyaofievovg. I m 1. Satz eingeschalteter Temporalsatz, im 2. Satz zwei parallele Partizipien untergeordnet einem zwischengeschalteten Temporalsatz, der seinerseits einem Partizip untergeordnet ist. 5,32: o ¡j,ev dt] ' Agiarayogrjg wg Tama ijxovoe, negiyagr)g ecbv anijie eg Mihr¡TOV, 6 de 'Agratpgevijg wg ol nefitpavTi eg Uovaa xal vneg&EVTI TOL ex TOV 'Agiorayogew Xeyöfieva avvEjiaivog xal avrog Aagelog eyevero, nageoxevaoaro fiev dirjxooiag Toir/geag, noXXöv de xänra O/MXOV üeQOewv re xal TWV äXXwv ovfifiaxwv, argazr/yov de änedelje Meyaßazrjv ävdga Uegorjv TWV ' Axaifievidewv, ¿WVTOV re xal Aageiov aveipiöv, TOV üavaavtrjg o KXeofißgoTov Aaxedai/xöviog, ei ärj ab]§ijg ye SOTI o Xoyog, vaxegw %govw TOVTWV rjg/j,6aaro §vyaTega, egwxa ayßjv rfjg 'EXXddog rvgavvog yevea&ai. Auch hier trifft auf den schließenden Relativsatz das zu 5,25,1 Gesagte zu; ein längerer und ein kürzerer zwischengeschalteter Satz; wg rjxovoe xama kann nicht als solcher gelten. 1
'Verzahnung' nicht in Parataxe getrennter Sätze, sondern im Verhältnis Hauptsatz—Nebensatz: ¿g ro äarv — noone^ipavTEg, oi — amxofievoi eg to äarv — — . [Korr. Zus.]
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5,33,4 ó Òè (sc. Meyaßdrr/g) &v/io)&elg rovrotat, £ ¿yEVETO, EJIE/JME èg Nd£ov 7c)iolcp avònag (podaovxag rotai Na^ioiai navra rà TtaoEÓvxa acpi nor/y/iaxa. 8,140 a3 (Angebot des Mardonios, durch Alexandros von Makedonien übermittelt) nvv&dvEa&E òè xal rfjv vvv naq ¿/noi èovaav òvvajutv ¿JOTE xal r/v rjfiéag VTIEQßaXrja&e xal vtxrjorjre, rov JIEO vfj.lv ovòejxia è).nlg ei Tieg e$ cpgovèere, akXrj naoéarai noU.anXr/aif]. In Nebensatz 1. Grades eingeschaltet je ein Nebensatz 2., 3. und 4. Grades aufeinanderfolgend. 8,141,1: Aaxeòatfióviot òè nv&ófievoi rjxeiv 'A/x^avòpov ¿q 'A&rjvag èg ó/ioXoyirjv ä£ovra rw ßagßagm 'A&rjvaiovg àva^vqa&évxEg zójv Àoyiow A>g atpsag /geóv BOTI äfia rotai àh?.oiai Acogtevai èxninretv èx Helo7tovvr\aov vnò Mrjòojv re xal ' A&ìjvaionv, xagra re èòeiaav, (ir) ófioXoyr\ao)at reo flegar) 'A&rjvalot, avrixa ré arpi èòo^e ìiéfineiv dyyéhovg. 2 Aor. Partizipien, das erste dem zweiten untergeordnet, vom Objekt des zweiten Deklarativsatz abhängig, dann übergeordneter Satz. 8,144,3 (Antwort der Athener an die Lakedaimonier) èmaraa&é re ovreo, ei fir\ xal TiQcjTEQov èxvyy/ivexe èmara/ievot, lax äv xal elg negifj 'A&rjvaicov, /irjÒauà ófioXoyrjoéovrag i)/jtéag Ség^rj. 2 eingeschaltete Nebensätze, der erste dem verb. finit. des Hauptsatzes, der zweite dem vom regierenden Verb abhängigen Partizip untergeordnet. 9,7 ß (Rede der Athener in Sparta nach Ablehnung des zweiten Angebots des Mardonios) vfielg òè èg näaav dggoòirjv róre àriixófievoi (ir) ófiokoyrjowfiev rw lièo ari, E7I E ix E ¿¡¡e/id&e re rò rjfiéregov cpgóvrjfia aaipécog, ori ovòafià ngoÒojaofiEv XÌ)V ' EXXdòa, xal òtórt reiyog v/iiv òià rov 'la&fiov èlavvófievov èv réAei èaxt, xal òr) Àóyov ovòéva rùv 'A&rjvaiow JIOIBEO&E aw&éfievot re r/fiiv {ròv IJégarjv] àvrimaea&at èg rrjv Botmrirjv ngoòeòmxare negteiòeré re eaßakovxa èg rrjv 'Arrixi)v ròv ßagßagov. Nach Partizip, von dem Nebensatz abhängt, eingeschaltet Temporalsatz, von dem Deklarativsatz abhängt, dann dem Temporalsatz koordiniert Kausalsatz; Hauptsatz, eingeleitet durch xal òrj (xal òr) in apodosi, Denniston, Greek particles 253). Stellen wir nochmals ausdrücklich fest, daß Herodot den fortgeschrittenen Periodenbau mit Zwischenschaltung untergeordneter Sätze verschiedenen Abhängigkeitsgrades, bzw. mit Partizipien verschiedenen Abhängigkeitsgrades, korrekt beherrscht, ein Tatbestand, der durch das Vorhandensein von Anakoluthen nicht verdunkelt werden darf.
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VIII. Syneidesis — Conscientia Ein Versuch zur Geschichte des sittlichen Bewußtseins im griechischen und im griechisch-römischen Altertum 1
Hochansehnliche Versammlung! Hochverehrte Herren Kollegen! Liebe Kommilitonen! Die Erforschung des griechischen u n d römischen Altertums ist in allerneuester Zeit mit besonderer Anstrengung bemüht, in das innerste Wesen der Menschen der Antike einzudringen, die tiefsten Grundlagen in den verschiedenen Bereichen des geistigen u n d sittlichen Lebens bloßzulegen u n d so zugleich angesichts der tausendfältigen Verknüpfung der neueren Zeiten u n d unseres heutigen Daseins mit der Antike unser Verhältnis zu ihr immer schärfer und eindringender zu erfassen. Es ergibt sich dabei einerseits, daß die Verflechtung unseres heutigen Daseins mit der Antike viel stärker u n d enger ist, vor allem in entscheidenden Dingen, als m a n es sich vielleicht noch vor kurzer Zeit vorgestellt h a t ; andererseits sehen wir, daß in grundlegenden Fragen, in Fragen, bei denen m a n ohne weiteres Übereinstimmung vorauszusetzen geneigt sein würde, eine tiefe Fremdheit zwischen der Antike u n d uns besteht, eine vollkommene Artverschiedenheit geistiger u n d sittlicher Haltung. Sollte es nötig sein, sich gegen die Befürchtung zu wenden, daß die Erkenntnis solcher Fremdheit etwa zu E n t f r e m d u n g f ü h r e n könnte? Auf tiefgreifende Fremdheit wie auf naheste Übereinstimmung werden wir auch bei dem Problem geführt, f ü r das ich mir heute Ihre Aufmerksamkeit erbitte. Durch Martin Luther ist das autonome Gewissen die Grundlage alles sittlichen Daseins geworden. Formulieren wir es rein weltlich mit Goethe in seinem „Vermächtnis": Sofort n u n wende dich nach innen, Das Zentrum findest du da drinnen, Woran kein Edler zweifeln mag. Wirst keine Regel da vermissen; Denn das selbständige Gewissen I s t Sonne deinem Sittentag. 1
Rede gehalten zur Feier der akademischen Preisverteilung am 16. Juni 1928 im Volkshaus zu Jena. Zuerst veröffentlicht in: Jenaer akademische Reden, Heft 6, Jena 1928. Korr. Zus.: Die Ausführungen über die vorhellenistische Zeit zu lesen mit der Kritik von B. Snell, Gnomon 6, 1930, 21 ff. und mit O. Seel, Zur Vorgeschichte des Gewissens-Begriffs
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Für denjenigen, der weiß, wie tief die Wurzeln unserer sittlichen Anschauungen in die Antike hineinreichen, und der andrerseits gelernt hat, welche Wesensverschiedenheiten zwischen antiker und heutiger Sittlichkeit bestehen, für den drängt sich bei diesem entscheidenden Punkt die Frage auf: Wie verhält sich die Antike in bezug auf den Grundfaktor des sittlichen Lebens, den wir „Gewissen" nennen? Von vornherein möchte ich dem Mißverständnis vorbeugen, als ob damit an die Antike eine Fragestellung herangebracht werde, die ihrer Wesensart nicht gemäß sei. Die Frage ist für uns eine heuristische Methode, um die antike Eigenart möglichst scharf zu erkennen, um uns über die Art des sittlichen Bewußtseins der Antike mit Hilfe eines uns vertrauten Begriffes klar zu werden. Wichtig ist dabei, sich von Anfang an gegenwärtig zu halten, daß die Frage nicht einfach der Genealogie der Moral angehört, sondern zugleich unmittelbar der Erkenntnis des antiken Typus oder vielmehr der antiken Typen der menschlichen Individualität zu dienen bestimmt ist. Um Ihnen die richtige Basis für das Verständnis der folgenden Ausführungen zu geben, stelle ich an den Anfang zwei Äußerungen eines der vorzüglichsten unter den heutigen Piatonforschern, Julius Stenzel, über den Typus der Individualität in der klassischen Zeit des Griechentums und über das Wesen des sittlichen Bewußtseins bei Piaton. „Alles griechische Wesen beruht auf stark wirkenden Individuen, nirgends gab es mehr bedeutende Individualität, aber sie wurde nie in ihrem Verhältnis zu sich selbst, sondern in ihrer Wirkung nach außen und deshalb im Zusammenwirken mit anderen aufgefaßt, und faßte sich selbst so auf. Das scheint mir einerseits die Stärke der wirkenden Individualität zu erklären und andererseits das Fehlen jener personalen Sphäre, das sich im theoretischen Philosophieren und in der Sprache und in der Kunst bemerken läßt. Darin spricht sich natürlich ein ganz anderer Menschenbegriff aus und eine andere Form, in der das Ich sich selber als Mensch begreift; und diese Art des Selbstbewußtseins ist dem heutigen . . . irgendwie entgegengesetzt" 1 . Und zum anderen: „Die Erleuchtung über gut und böse bedeutet für Piaton Erkenntnis der Welt durch sachlichste Wissenschaft; sie ist nicht Regung des verantwortlichen Gewissens, keine Erlösung durch göttliche Gnade, keine Leitung durch einen mit einem Charisma begnadeten Führer. Diejenige Ichvorstellung, die in den ebengenannten Begriffen beschlossen ist, fehlt dem Griechen, sie fehlt auch Piaton" 2 . Nun ist es noch lange nicht an dem, daß ich Ihnen über das vorhin formulierte Problem eine Zusammenfassung von Resultaten vortragen könnte, die Untersuchung steht vielmehr erst in ihren Anfängen, und ich habe mir die Aufgabe gestellt, Sie mit einer Reihe von Tatsachen, Schlüssen und Erwägungen bekannt
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im altgriechischen Denken, Pestschrift F. Dornseiff, Leipzig 1953, 291 ff. und Seels weitausgreifenden Darlegungen. Die Antike 4, 1928, 45. Vgl. auch v. Wilamowitz' Vortrag „Erkenne dich selbst", Reden und Vorträge 2 4 , Berlin 1926, 171 ff. Die Antike 2, 1926, 257. S. jetzt Stenzel, Piaton der Erzieher, Leipzig 1928, 278f., 281.
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zu machen, die sich mir für die Lösung des Problems als wichtig ergeben haben 1 . Es ist mir dabei eine besondere Freude zu sagen, daß die Aufgabe ihrer Art nach dem Kreis von Problemen verwandt ist, in dem sich mit Vorliebe und Erfolg der verehrte Mann bewegt hat, dessen dritter Nachfolger zu sein ich die Ehre habe, Rudolf Hirzel, und daß für einen Unterteil des ganzen Problems von wesentlicher Bedeutung die Untersuchungen über die Zurechnungslehre des Aristoteles sind, die einer der hervorragendsten unter den Lehrern unserer Universität in den letzten Jahren, Richard Loening, angestellt hat. Aus dieser Jenaer wissenschaftlichen Tradition nenne ich endlich die Untersuchung über das Gewissen von Heinrich Gerland, der als Jurist und Kriminalist das Problem vom psychologischen Standpunkt aus behandelt hat 2 . Unser Problem umschließt eine doppelte Frage. Erstens: welches ist die geschichtliche Entwicklung der genauen Begriffsinhalte des griechischen Wortes ovvetdrjatg und des lateinischen Wortes conscientia, denen das deutsche „Gewissen" nach Bedeutung des Wortstammes und nach ungefährem Begriffsinhalt entspricht 3 , sowie der bedeutungsmäßig zugeordneten Ausdrücke? Sobald diese Wortbedeutungsgeschichte ermittelt ist, beantwortet sich von selbst die Frage: deckt sich zu irgendeiner Zeit der Begriffsinhalt der genannten Wörter mit dem des „Gewissens", das der rationalen und der irrationalen Sphäre zugleich angehört, das als ständiger Begleiter des Menschen vor jeder Willensentschließung und T a t ihm sittliche Überlegung aufgibt und sittliche Einsicht eröffnet, ihn mahnt und warnt, ihn mit Zweifeln quält und nach jeder Willensentschließung und T a t ihn anerkennt oder richtet, verurteilt, peinigt. Zweitens: wie verhält sich außerhalb der genannten Begriffskreise das sittliche Bewußtsein des griechischen und des griechisch-römischen Altertums zu dem, was wir Gewissen nennen? Ich möchte versuchen, in der angekündigten Weise zu der Beantwortung beider Fragen beizutragen. Das Verbalsubstantivum avveidrjaig „Mitwissen" kommt dadurch zur Bedeutung „Bewußtsein" mit Beziehung auf intellektuelle und ethische Tatbestände und schließlich — unter Vorbehalt genauerer Begriffsbestimmung — zur Bedeutung „Gewissen", d a ß das Verbum avveidevai „mitwissen", „Mitwisser sein" besonders häufig erscheint in der Verbindung aweidevai r< eavrw „sich bewußt sein einer Sache" mit Beziehung auf intellektuelle oder ethische Tatbestände. Das Verbalsubstantiv und das oft dessen Stelle vertretende substantivierte Partizip to avveiöög sind also in der Bedeutung „Bewußtsein" und „Gewissen" Ver1
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Ich will nicht unterlassen, daraufhinzuweisen, daß nach der Mitteilung in Jacob Bernays' Gesammelten Abhandlungen 1, Berlin 1885, p. X X I I I , die Bonner Universitätsbibliothek unter Nr. 957 des handschriftlichen Nachlasses von Bernays aufbewahrt ein Notizheft von 95 Bl. (meist leer) 8°, „Conscientia", Notizen zur Geschichte ethischer Begriffe. „Das Gewissen", in: Der Gerichtssaal 65 (1905), H. 4/6. Über den „Zwang, das Vorbild der lat. conscientia nachzuahmen" in der Entwicklungsgeschichte von „gewi33en" s. Grimms Wörterbuch 4, 1. 3. Sp. 6219.
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kürzungen dieses verbalen Ausdrucks, der zuerst in der Sophistenzeit als etwas Gebräuchliches zu belegen ist. Wenn wir nun die rein lexikalische Feststellung machen, daß avveidrjaig1 in der Bedeutung „Gewissen" erst in hellenistischer Zeit, häufiger erst im 1. Jahrhundert vor und nach Christus auftritt, so fragen wir sofort: liegt da nur ein neuer Ausdruck für etwas schon vorhanden Gewesenes vor oder bedeutet das eine Veränderung in der Art des sittlichen Bewußtseins? Und welches ist der genaue Begriffsinhalt des Wortes? Ich glaube, wir gewinnen am besten einen Begriff von der Art des sittlichen Bewußtseins zunächst der vorhellenistischen Zeit, wenn wir, von unserer Art ausgehend, solche Momente betrachten, die wir als Gewissenssituationen und Gewissensentscheidungen bezeichnen würden. Ich wiederhole, daß wir mit dieser Betrachtungsweise nicht unsere Begriffe und unsere Werturteile in die Antike hineintragen, sondern ein heuristisches Prinzip anwenden, um möglichst scharf das fremde Wesen zu fassen. Eine Fülle schwerster Taten tritt uns in den Sagen der Griechen entgegen. Nirgends führt die Überlieferung der Zeiten vor der Tragödie auf eine Spur von Gewissensbedenken vor und von Gewissensqualen nach der Tat. Es ist entscheidend zu verstehen, daß die Erinyen nicht etwa Verkörperungen der Gewissensqualen sind, die die bildhafte Phantasie des mythischen Zeitalters geschaffen hätte. Die Erinyen sind ursprünglich die grollenden Seelen der Verstorbenen, die als mächtige Geister in der Tiefe hausen und das Blut der Mörder und Totschläger heischen. Zu göttlichen Mächten geworden, verkörpern sie zwar einen hohen sittlichen Gedanken, die Pflicht, vergossenes Blut zu sühnen, aber keine innerlichen Vorgänge sittlichen Bewußtseins; sie verkörpern die Folgen der Blutrache für den Mörder, aber nicht Gewissensqualen des Mörders. Ebensowenig sind die bekannten Büßergestalten der Unterwelt eine mythische Verobjektivierung der 1
Der erste Beleg für avveidrjmg: Demoer. fr. 297 D.: ivioi {hrjrfjg tpvoecog öiäXvaiv ovx eiööreg äv>jjjioi, avveiSrjaei öi rfjg ev rü> ßup xaxongayfioavvrjg, rov rrjg ßiorfjg XQOVOV ev xagaxalg XAI rpoßoig zaXamiDQEOvai yevöea TIEQI TOV FIERÄ rrjv TeXevrrjv ßV&onXaaTeovreg XQOVOV. Diels: ,,. . . die . . sich . . ihres schlechten Lebenswandels wohl bewußt sind". Die moralische Bedeutung von xaxongayfioovvr), durch den Zusammenhang gegeben, wird außerdem belegt durch [Demosth.] C. Aristog. A 101, durch xaxonQÖyfiwv Xen. Hell. V 2, 36 und Isoer. Antid. 224 sq. 236, sowie durch die Verwendung des Substantivs, des Adjektivs und des Verbs xanongayfioveiv bei Polyb. und Plut. Es wird also der Tatbestand der Beunruhigung durch das böse Gewissen beschrieben, wobei oweiSrjotg in der Bedeutung „Bewußtsein" gebraucht wird. Man bedenke, daß diese Beschreibung zeitlich nicht weit abliegen wird von der an der berühmten Stelle von Eur. Or. 396ff., die uns bald beschäftigen wird. — In der Beurteilung der Echtheit von Demokrits „Sittensprüchen" folge ich R. Philippson, Herrn. 59, 1924, 369ff. Der Index der Vorsokratiker gibt für avveidrjaig nur diesen einen, für avveiSevai eavrw gar keinen Nachweis. Leop. Schmidt, Griech. Ethik 1, Berlin 1882, 226 meinte, das Substantiv sei von den Stoikern geschaffen, während ro aweiSog schon vorher vorhanden sei. Für dieses scheint der älteste Beleg Demosth. De cor. 110 im Sinne von „Mitwissen". Offenbar ist avveidrjaig ionisch.
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Gewissensqualen, und ebensowenig dürfen, um das gleich in diesem Zusammenhang zu sagen, in Piatons großartigen, ewig erschütternden eschatologischen Mythen am Schluß des Gorgias und der Politeia die Bilder von der nackten Seele des Tyrannen mit ihren Striemen und Narben 1 verbrecherischen Tuns und von den Strafen der Hölle im Sinne von Gewissenszuständen ausgedeutet werden; Piaton verbildlicht da rein objektive sittliche Tatbestände. Was soeben von den Erinyen gesagt wurde, gilt auch für die Orestie des Aischylos, trotz des einen kurzen Moments des Schwankens bei Orestes vor der Erschlagung der Mutter und trotz der großartigen Vision des Orestes am Schluß der Choephoren, und überhaupt gilt das über die Sagenüberlieferung der Zeit vor der Tragödie Gesagte fast durchweg auch für die Tragödie. Das steht in dem größeren Zusammenhang eines tiefen Gegensatzes zwischen der Tragödie der Griechen und der Tragödie der neueren Zeiten. Aufs Ganze gesehen geht die griechische Tragödie darauf aus, den Verlauf eines schicksalhaften Geschehens, insbesondere die letzten Stadien der Ausführung einer schicksalhaften Handlung und die Folgen solchen Geschehens und die Wirkung auf die Beteiligten darzustellen. Dagegen was uns der Zentralpunkt tragischen Gestaltens ist, das Zustandekommen des Entschlusses, insbesondere das Erkämpfen eines Entschlusses im Hin und Her seelischer Konflikte, das ist für die antike Tragödie von durchaus untergeordneter Bedeutung, steht auch für den großen Neuerer Euripides durchaus nicht im Vordergrund. Gerade das Konfliktsmäßige im Seelischen, das überhaupt, wie wir noch sehen werden, für das optimistische Kraftbewußtsein antiken sittlichen Empfindens immer mit einer Art Makel behaftet ist, ist nur in beschränktem Ausmaß in den Gesichtskreis der Tragödie getreten. Treffend ist kürzlich von Wolfgang Schadewaldt über Sophokles gesagt worden: „Das Problem des inneren Zwiespalts, welches die Vorbedingung für die erwägende Selbstäußerung ist, hat im Boden der sophokleischen Kunst nicht Wurzel geschlagen und sich zur Gestalt auswachsen können" 2 . Nichts ist bezeichnender als die Durchführung der Gestaltung in seinem Philoktetes. Neoptolemos läßt sich seiner wahrhaftigen Natur entgegen zu betrügerischer Verstellung gegenüber Philoktetes überreden, aber im entscheidenden Moment zwingt ihn sein wahres Wesen, die Maske abzuwerfen und den Betrug zu offenbaren. Es ist diejenige unter allen erhaltenen antiken Tragödien, die unserem Begriff eines Gewissenskonfliktes am nächsten zu kommen scheint und die man unwillkürlich von dieser uns natürlichen und vertrauten Vorstellung aus interpretiert hat. Jedoch kann, wie Tycho v. Wilamowitz nachgewiesen hat3, in Wahrheit keine
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Offenbar unbewußt verändert durch Cic. De off. I I I 85 (über Caesar als Unterdrücker des römischen Volkes). Hunc tu quas conscientiae labes in animo censes habwisse, quae vulneral (Vgl. Sen. D e clem. I 13,3 stark entfernt in der Formulierung.) [Korr. Zus.]
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Monolog und Selbstgespräch, Berlin 1926, 91.
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Die dramatische Technik des Sophokles, Berlin 1917, 278ff.
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Rede davon sein, daß Sophokles die „gebrochene" Situation des Inneren zur Darstellung gebracht hätte 1 . Nun hat das Denken derselben Sophistik, gegen deren moralzerstörende Lehren sich Sophokles im Philoktetes mit seiner Verherrlichung der fieyaXoipv%ia wendet, auf den Weg der Verinnerlichung der Ethik geführt. Euripides, der die Erkenntnisse und Probleme der Sophistik in die Tragödie überleitet, hat in seiner allerletzten Lebenszeit im Orestes (vorher Andr. u. El., s. u.) an einer im Altertum immer wieder zitierten Stelle die Wahnsinnsanfälle des von den Erinyen verfolgten Muttermörders ins Innerliche umgedeutet. Ich übersetze absichtlich ganz prosaisch, um den Gedankeninhalt möglichst scharf herauszubringen. Auf die Frage des Menelaos (v. 395): „Welche Krankheit arbeitet an deiner Vernichtung?" antwortet Orestes (v. 396): „Die Einsicht, weil ich mir nämlich bewußt bin, Furchtbares vollbracht zu haben." 'H ovveaiq, OTI ovvoiöa deiv s'iQyaa/xsvog2. Das Wort avveaig3 „Begreifen", „Einsicht", das in der damaligen Zeit, worauf Ulrich v. Wilamowitz 4 aufmerksam gemacht hat, auf die aufgeklärte, vorurteilslose Weltanschauung der Sophisten angewendet wird, ist hier in ungewöhnlicher Weise gebraucht. Das deutet Euripides selbst an, indem er im nächsten Vers (397) den Menelaos sagen läßt: „Wie meinst du? Verständig ist wahrhaftig das Deutliche, nicht das Undeutliche." Und nun erklärt Orestes v. 398 die avveaig als „seelische Qual, die mich vor allem zugrunde zu richten droht" und v. 400 als „Wahnsinnsanfälle, die das Blut der Mutter rächen wollen" 5 . Es ist höchst bemerkenswert, 1
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Vgl. auch die allgemeine Äußerung von O. Hey, 'Ajuagzia, Philol. 83, 1928, 162: „ E i n e bewußte, also dem Einspruch des Gewissens abgezwungene Überschreitung sittlicher Grenzen durch die tragische Person finden wir, so scheint mir, erst nach dem Wiederaufleben der Tragödie im christlichen Abendland". Henry Phillips, Ir. De vocis 'Afiagria vi et usu apud scriptores Graecos usque ad annum C C C a. Chr. n., Diss. Harvard Univ. 1932/33. [Letzteres Korr. Zus.] avvoida ohne iftavTÖ) offenbar in dichterischer Verkürzung des damals schon geläufigen Ausdrucks. (Eur. Andr. 805—807 (Hermione) nargög x' igrj/j,(o&slaa avvvoiu. äfia oiov deÖQaxev egyov 'AvdQOfidxrjV XTaveiv y.ai natda ßovkevaaaa, xar&avelv ß-etei. Dazu 814 f. v. Erffa, Alöttxg, Leipzig 1937, 159f. der außerdem Eur. El. 1201 — 1205 und die Orestes-Stelle heranzieht.) Piaton 1, 104 mit Anm. I. Wilamowitz' Wiedergabe des Verses: „die eigene Einsicht, daß er Unrecht getan hat" will keine Übersetzung sein, ort leitet hier keinen Deklarativ-, sondern einen epexegetischen Kausalsatz ein. v. 398: Avnrj fiähirsTri y' f j öiatpd-eiQovaä /.:.£• — v. 400: fiaviai re /xrjTQog al/.iarog ri/icogiai. — R u n d 100 Jahre später hat Menander, dem Euripides so viel gibt, an einer Stelle, wo er von den Qualen des bösen Gewissens redet, auch das Wort avveaig aufgegriffen. Men. fr. 632 K. = 522 Koe. ap. Stob. I I I p. 602 H. (in dem Exzerpten-Abschnitt IIEQI TOV avveiöoTog): o OVVIOTOQWV AVRÄ> RI xäv FI figdovrarog R/ avveaig avzov 0EIA.6TO.TOV elvai notei. Soviel ich sehe, k o m m t erst fast ein halbes Jahrtausend später ein Angehöriger der zweiten Sophistik an einer näher zu erörternden Stelle auf avveaig zurück, offenbar um das ionische avveidrjaig zu vermeiden. Für avveaig als philosophischen term. tech. weise ich auf Aristoteles hin, für den die avveaig als dianoetische Tugend zwischen aocpia und tpgövtjaig steht (Eth. Nie. A 1103a 5) und der in der Inhaltsbestimmung (ibid. Z 1142b
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d a ß hier m i t vollkommenster Deutlichkeit die „ E i n s i c h t " als etwas a u ß e r h a l b des R a t i o n a l e n Liegendes beschrieben wird. Menelaos f ü h r t v. 399 u n d 400 die Aussagen sofort wieder aus d e m Bereich des Innerlichen in die objektive m y t h i s c h religiöse Vorstellungswelt über, u n d Orestes folgt ihm d a r i n von v. 408 a b . Wollen wir nicht unterlassen, d a r a n zu denken, d a ß Euripides einige J a h r e vorher in der „Iphigenie bei den T a u r i e r n " im E i n k l a n g m i t der G e s a m t h a l t u n g dieses Stückes den W a h n s i n n des Orestes in der üblichen Sphäre belassen h a t t e . Von unserem S t a n d p u n k t aus gesehen würde m a n erwarten, d a ß d a s D e n k e n der Sophistik m i t Notwendigkeit h ä t t e dazu f ü h r e n müssen, den Begriff des Gewissens aufzustellen. Der philosophisch b e d e u t e n d s t e Vertreter der Sophistik, Protagoras, ist zu d e m Satz gelangt, d a ß das I n d i v i d u u m M a ß s t a b aller Dinge ist, ävOooiTwq /xexgov amavTcov, u n d die Konsequenz f ü r die E t h i k h a t Euripides in dem b e r ü h m t e n , von Aristophanes mutwillig v e r d r e h t e n Vers des Aiolos (fr. 19) ausgesprochen: zi d' aia%o6v i)v ui) rolai yniofievon; Öoxfj; „Was ist unmoralisch, w e n n der, der die H a n d l u n g begeht, sie nicht als solche e m p f i n d e t ? " 1 D a m i t ist die Sittlichkeit ins Innere, in die Gesinnung verlegt, aber nicht die A u f s p a l t u n g des sittlichen Bewußtseins gegeben, die in d e m Begriff Gewissen liegt. E r i n n e r n wir uns, d a ß E u r i p i d e s im Orestes von d e m Einzelfall eines T a t b e s t a n d e s redet, „sich böser T a t e n b e w u ß t sein", u n d ziehen wir die Ausdrucksweise u n d die zugehörigen Vorstellungen heran, die u n s Zeugnisse aus der Zeit des E u r i p i d e s selbst u n d der z u n ä c h s t folgenden Generationen bieten. Wiederholt t a u c h t in der Zeit der Sophistik der Ausdruck avveidevai n eavTÖ>, u n d zwar m i t Bezug auf moralische T a t b e s t ä n d e a u f 2 ; die Verkürzung bei Euripides zeigt, d a ß er in einer bereits eingebürgerten Vorstellungs- u n d Ausdrucksweise s t e h t . Wie bei i h m der T a t b e s t a n d des bösen Gewissens in v e r b a l e m Ausd r u c k begegnet, so in gleicher F o r m der T a t b e s t a n d des schuldlosen Gewissens im P r o ö m i u m v o n A n t i p h . De chor. 1: „ D a s Erfreulichste, meine H e r r e n Richter, ist f ü r einen Menschen, nie in eine Anklage verwickelt zu werden, in der es u m Leib u n d L e b e n geht, u n d wenn m a n etwas wünscht, wird m a n sich wohl das 34—1143 a 18) als ihren Gegenstand angibt TIEQL yao avrij TIQWXOV Iva fiij äAbjv Xiym, £vvoid' ißavrfi TioXXä öeivä. Nicht im Sinn eines Schuldbewußtseins, sondern „ich weiß von mir", hervorgerufen durch v. 474/75 ei dv rjßäv ij rata y.axä gvveiöwg (sc. Euripides) . . .
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wünschen; wenn man aber eben wirklich dazu gezwungen wird, eine solche Anklage zu bestehen, so ist es am erfreulichsten, wenn wenigstens das gegeben ist, was ich für das Wichtigste in einer solchen Angelegenheit halte, daß man sich nicht irgendeiner Verfehlung bewußt ist 1 , sondern, wenn wirklich ein ungünstiger Ausgang eintritt, er ohne Schuld und Schande eintritt, und mehr infolge einer Fügung des Geschicks, als infolge eines Vergehens." Wir hören also das, was uns in Horazens Prägung „nil conscire sibi, nulla pallescere culpa"2 vertraut ist, schon in attischen Gerichtshöfen der Zeit des peloponnesischen Krieges; wie U. v. Wilamowitz 3 nachgewiesen hat, sind §§ 1—6 der zitierten Rede aus einer Sammlung von Proömien des Antiphon genommen. Fügen wir gleich aus der Vulgärethik des 4. Jahrhunderts Belege hinzu für den Satz von dem reinen Gewissen — immer noch in verbalem Ausdruck gekleidet — als dem rjdiarov, als einer fjdovrj: Isoer. Nicocl. 59: „Nehmt euch nicht die zum Vorbild, die am meisten besitzen, sondern die, die sich keiner Schuld bewußt sind; denn mit einer solchen Seele kann man wohl am erfreulichsten das Leben verbringen." Und bei dem Komödiendichter Antiphanes 4 hieß es: „Sich keiner Schuld im Leben bewußt sein, bringt große Freude mit sich." Was in diesen Sätzen als Tatsache ausgesprochen ist, erscheint bei Demokrit, bei dem wir bereits dem Ausdruck „Bewußtsein bösen Tuns" und einer Beschreibung der damit verknüpften Beunruhigung begegnet sind, und wieder in der Vulgärethik des 4. Jahrhunderts als sittliche Forderung, und dem Bewußtsein der begangenen bösen Tat entspricht in solcher Forderung die Scheu vor sich selbst, indem so mit klarer Deutlichkeit ausgesprochen wird, daß der innere Tatbestand das Entscheidende ist 5 : Demoer. fr. 264D. 6 : „ U m nichts mehr soll man vor den Menschen sich schämen als vor sich und um nichts mehr Böses tun, wenn niemand es erfahren wird, als wenn es alle Leute (erfahren werden); sondern vor sich selbst soll man sich am meisten schämen." 7 Sodann in der unter Isokrates' 1 2 3 4
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Gleich nachher § 5: ov r' av avveiöcbg avrog avrvj egyov elgyaofiivog roiovxov. Epist. I 1, 61. „Conscire ist omaf Eigrjfibov, nach ovveid&ai" Heinze. Sitz.-Ber. Preuß. Akad. 1900, 411ff. Fab. inc. fr. 269 Kock. Vgl. auch Isoer. Phil. 79: äXXwg örav prjöev aavrä> avveiöfjg ösivöv. — Es ist kein Wunder, daß die der Vulgärethik des 4. Jahrhunderts geläufige Vorstellung später auch den Sieben Weisen untergeschoben wurde, wobei man sich des in der hellenistischen Zeit gebräuchlich gewordenen Verbalsubstantivs bediente. Stob. IIEQI TOV avveidoTog (III p. 603 H.) nr. 11: Biag EOAJTRJ&eig, ri av eh) TWV xara rov ßiov ärpoßov, elnsv• og&rj awsidrjaig. nr. 12: ÜEgiavÖQog ¿QWTrföeig, rt lariv ikev&egia, elnev äya&fi ovvelörjoig. Ebenso ist der Gedanke in die Apophthegmatik des Sokrates und des Diogenes übertragen worden. Stob. ibid. nr. 13: SoiXQdrrjg ¿QOjrrjdeig, riveg äroQdymg QWGIV, elnevol ptjäev iavrolg äronov (Unmoralisches) awetddrsg. nr. 14: Aioyevr/g- rig yä/j äv TJTTOV ipoßolro rt fj &aQaoirj fidhara fj OT^g2 verrät sie selbständige Kenntnis, aber wer würde wagen, den Wortlaut an beiden Stellen so zu pressen, um aus dem Fehlen von rfjg'A%aiag navTeXcog aneigmg exovrög aov negt UVTÖJV efivqadrjv, akV rjyovfievog Tag xoiavxag TiaoaxArjOEig3 rovg fiev ayvoovvxag jigoTgeneiv, rovg 8' eldozag nagoivveiv: hier entspricht ngoTgeneiv dem praecipere — beides gilt dem, der noch nicht weiß —, Tiagogvveiv dem admonere des Plinius, genauer dem excitare des Seneca — beides gilt dem, der schon weiß. Wenn man Plinius' Brief V I I 9 rein literarisch faßt, so bietet er in den Eingangsworten: Quaeris quemadmodum in secessu quo iamdiu fruerisputem te studere oportere, eine andere höfliche Form für die Einführung von praecepta. Ausnehmend fein handhabt Cicero diesen xönog in dem großen nagaiverwög an seinen Bruder, Ep. ad Qu. fr. I 1 vom Jahre 60 oder Anfang 59. Wenn Plinius, der, wie wir genauer sehen werden, an Ciceros Brief angeknüpft hat, demgegenüber plump erscheint, so muß man dabei berücksichtigen, daß es ihm in diesem Punkt durch den geringen Umfang des Briefes, den er sich zum Stilgesetz gemacht hat, erschwert war, mit Cicero zu konkurrieren 4 . Dreimal weist Cicero die Absicht, seinen Bruder belehren zu wollen, von sich, wobei er das zweite Mal ausdrücklich zugibt, gegen seinen Willen ins praecipere verfallen zu sein. § 8: atque haec nunc non ut facias, sed ut te facere et fecisse gaudeas scribo. § 18 sed nescio quo pacto ad praecipiendi rationem delapsa est oratio mea cum id mihi propositum initio non fuisset; quid enim ei praecipiam, quem ego in hoc praesertim genere intellegam non esse inferiorem quam me, usu vero etiam superioreml sed tarnen, si ad ea quae faceres auctoritas accederet mea, tibi ipsi illa putavi fore iucundiora. § 36 at ea quidem quae supra scripta sunt, non ut te instituerem scripsi — neque enim prudentia tua cuiusquam praecepta desiderat5 — sed me in scribendo commemoratio tuae virtutis delectavit. Also Cicero sagt einmal, er schreibt, damit sein Bruder sich freut, das andre Mal, weil es ihm selbst Freude macht 6 . 1
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Durch J. Bernays' lehrreiche Erörterungen über vno&sxixoi Xoyoi, Ges. Abh. 1, Berlin 1885, 266ff., wurde ich auf die Seneca-Stelle geführt. Paul Hartlich, De exhortationum a Graecis Romanisque scriptis historia, Leipz. Stud. 3 11, 222. Vgl. Hartlich ibid. Gegenüber ungerechten Beurteilungen des Pliniusbriefes wird dieser Gesichtspunkt auch von Allain a. O. 160f. treffend betont. Vgl. Plin. § 1: neque enim, praeceptore eges. Vgl. Plin. 1 X 5 an Calestrius Tiro: § 1 egregie facis — inquiro enim — et persevera quod iustitiam tuarn provincialibus multa humanitate commendas . . . (s. S. 132 Anm. 2). Nach einer Bemerkung über das verkehrte Verhalten der meisten Statthalter fährt er § 3 fort: a quo vitio tu longe recessisti, scio, sed temperare mihi non possurn quominus lau dem monenti similis.
Plinius, Epist. VIII 24 — ein Denkmal antiker Humanität
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Wie wir gesehen haben, entwickelt der erste Teil der Paränese des Plinius eine Reihe von Verpflichtungen, die aus der besonderen Aufgabe des Adressaten erwachsen, Verpflichtungen gegenüber den freien Nachkommen derer, die die menschliche Kultur geschaffen und den Römern die Kultur gebracht haben; der zweite Teil nimmt zwar am Anfang und Schluß ausdrücklich auf die besondere Situation Bezug, geht aber mehr ins Allgemeine, indem er die Grundsätze der Milde einschärft, die überhaupt für den Gebieter gegenüber den Beherrschten gelten, im dritten Teil werden dem Adressaten die Verpflichtungen in Erinnerung gebracht, die ihm selbst seine persönlichen Verhältnisse, sozusagen die augenblickliche moralische Situation seines Lebensganges auferlegt. Für die Auffassung jedenfalls eines großen Teils der Briefe des Plinius scheint mir die Betrachtung dieses Briefes lehrreich zu sein. Vom Sprachstil abgesehen erweisen sie sich bekanntlich als literarische Briefe vor allem dadurch, daß jeder Brief einen bestimmten einheitlichen Gegenstand behandelt unter Ausschluß der ungesuchten inhaltlichen Mannigfaltigkeit, die dem unliterarischen Brief so oft eigen ist; die Mannigfaltigkeit, die dem einzelnen Brief fehlt — Ausnahme z. B. VI 31 — bringt Plinius durch die Zusammenstellung der Briefbücher nach dem Muster hellenistischer Gedichtbücher zur Geltung 1 . Es ist weiterhin außerordentlich häufig in Plinius' Briefen, daß die Behandlung des Gegenstandes sich mehr oder minder vom individuellen und aktuellen Fall ablöst und ins Allgemeine geht. So ist h i e r ohne weiteres klar, daß dem Plinius die Hauptsache war, die Verpflichtungen eines römischen Beamten gegenüber freien Griechenstädten in knappster Zusammenfassung und wirkungsvollster rhetorischer Stilisierung vorzutragen, aus dem großen Bereich dessen, was Myoi TzaQaiveuxoi einem hohen Beamten der Provinzialverwaltung sagen konnten, eine einzelne begrenzte Gegebenheit in Briefform, in s e i n e r Briefform auszugestalten und so ein Musterstück eines koyoq TicuQaivsTixös zu schaffen — denn seine Briefsammlungen sind ja Inventare der verschiedensten literarischen Gattungen und als solche beabsichtigt. Es wäre aber völlig unrichtig, den Brief, um Plinius' eigene Worte aus Ep. I X 2, 3 zu gebrauchen, einfach als eine scholastica atque umbratica epistula, als eine kurze Abhandlung über das genannte Thema zu bezeichnen. Er ist seiner Veranlassung und Grundlage nach ein echter Brief, d. h. er ist zweifellos aus Anlaß der legatio an Maximus gerichtet worden, nur freilich von vornherein als kleines literarisches Kunstwerk gestaltet und von vornherein für die Öffentlichkeit bestimmt. Es ist genau so, wie wenn Plinius aus dem konkreten Anlaß seinem Freund ein Propemptikon gedichtet hätte, wie, um bei einem Beispiel aus Plinius' Zeit zu bleiben, etwa 1 x/2 Jahrzehnt vorher 2 Statius dem M. Maecius Celer ein Propemptikon in Hexametern dichtete (Silv. I I I 2), als dieser ins Feldlager nach Syrien ging (Praef. I I I 13f.). 1 2
W. Kroll, Studien zum Verständnis der röm. Literatur, Stuttgart 1924, 238. Die Charakteristik der Briefe als „Stilübungen in einer gehobenen Prosa" scheint mir zu einseitig. Friedlaender-Wissowa, Sittengesch. 4,294: vor Beendigung der i. Jahre 92 edierten Thebais.
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Gewiß denkt jeder bei der Lektüre des Briefes an das berühmte Beispiel derselben Gattung aus der klassischenZeit, das wir schon heranzuziehen Veranlassung hatten, Ciceros Brief an seinen Bruder Quintus (11). Schon einer der ältesten Editoren des Plinius, Joannes Maria Catanaeus (1. Ausgabe 1506, 2. Ausgabe 1518), hat in seinem Kommentar erkannt, daß Plinius diesen Brief benutzt hat 1 . Wir prüfen die Art der Benützung und nehmen gleich hinzu, daß auch eine Beziehung zu einem Passus von Cic. Pro Flacco 2 besteht. Plin. Ep. VIII 24
Cicero
1 neque enim praeceptore eges (vgl. S. 126 Anm. 5).
Ad Qu. fr. 1 1 , 3 6 : neque enim prudentia tua cuiusquam praecepta desiderai
2 cogita te missum Achaiam,
provinciam
Pro FI. 61 : (adspicite hunc florem legatorum laudatorumque Flacci)
illarn veram et meram Graeciam, in qua primum humanitas, litterae, etiam fruges inventae esse creduntur,
ex vera atque integra Oraecia (opp. Asiae!) — —
in
62 adsunt Athenienses, unde humanitas, doctrinae, religio, fruges, iura, leges ortae atque in omnes terras distributor putantur Ad Qu. fr. 1 1 27 cum vero ei generi hominum praesimus, non modo in quo ipsa sit, sed etiam a quo ad alios pervenisse putetur humanitas, certe iis eam potissimum tribuere debemus, a quibus accepimus
missum ad ordinandum statum liberarum civitatum, id est ad homines maxime homines, ad liberos maxime liberos 8 accedit quod tibi certamen est tecum (vgl. VI 33, 1 mihi satis est certare mecum)
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6 constat enim ea provincia (sc. Asia) primum ex eo genere sociorum, quod est ex hominum omni genere humanissimum 3 ac si te ipse vehementius ad omnes tes bene audiendi excitaris, non ut aliis, sed ut tecum iam ipse certes Hinblick auf die zwei ersten Jahre Verwaltung von Asia)
parcum (im der
Allain a. 0 . 1 7 6 deutet nur im allgemeinen auf wörtliche Anklänge hin: „cette fois encore, son culte cicéronien révèle, dans quelques passages, un sentiment trop vague du respect qu'exige la propriété littéraire (!)". Auch im übrigen berührt er bei der Heranziehung von Ciceros Brief das nicht, worum es sich hier handelt. Kurzer Hinweis darauf bei Merrill, Sei. letters, Einl. zu Nr. 60.
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Plinius hat also bei Abfassung seines Briefes den eine nächstverwandte Aufgabe behandelnden Brief Ciceros gelesen — oder teilweise im Kopf gehabt — und aus der Rede Pro Flacco die Sätze, in denen Cicero die Zeugen aus Achaia gegen die aus Kleinasien ausspielt und den Ruhm des griechischen Mutterlandes verkündet. Er setzt wohl voraus, daß der Adressat und die Leser die Worte Ciceros mehr oder weniger in Erinnerung haben oder sie nachlesen, wenn er einen pointierten Ausdruck einfach übernimmt (§8), andrerseits zweimal (§2) Cicero stilistisch zu übertrumpfen sucht, einmal durch Paronomasie in dem Attributenpaar (vera et mera), das andere Mal durch Steigerung sozusagen des Substantivs statt des Adjektivs (homines maxime homines) und durch Steigerung eines Adjektivs (iliberi maxime liberi), bei dem die Steigerung, jedenfalls im Superlativ, ungewöhnlich ist. Wegen der Gemeinsamkeit in der höflichen Abbiegung des Begriffs praecipere erinnere ich an das oben Gesagte. I n der Anlage besteht zwischen der konzentrierten Herausarbeitung einiger Grundgedanken bei Plinius und den breiten Ausführungen Ciceros keine Beziehung. Die Gesinnung aber ist die gleiche: Milde gegen die Provinzialen und insbesondere rücksichtsvolle Behandlung der Griechen, und abgesehen von den beiden dem Adressaten persönlich geltenden Wendungen (§ 1 und 8) hat Plinius, wie die Nebeneinanderstellung zeigt, an solchen Stellen auf Ciceros Wortlaut zurückgegriffen, an denen eben diese Gesinnung zum Ausdruck kommt. Plinius bewegt sich indes auf einem höheren Niveau der Forderung. Er redet gar nicht von dem, was Cicero seinem Bruder als fundamenta dignitatis tuae einschärft (§ 18): tua primurn integritas et continentia, deinde omnium qui tecum sunt pudor, delectus in familiaritatibus et provincialium hominum et Graecorum percautus et diligens, familiae gravis et constans disciplina. Dem Plinius geht es nur um die Imponderabilien in der Behandlung der freien Griechenstädte als solcher, wenn sich auch die Ausführungen des § 6 in die allgemeinen Grundsätze der (piXav&Qwnia verlieren 1 . Und was ist der spezifische Gehalt, die besondere Tönung der Gesinnung, die uns in diesem Brief entgegentritt? Das Wesentliche scheint mir folgendes zu sein. Wir finden bei Plinius nicht nur Anerkennung der Leistung der Griechen als der Kulturbringer, sondern ein innerliches Verhältnis zu ihnen, das Gefühl der Verpflichtung der Kulturempfänger gegen die Kulturbringer, „die Menschlichsten der Menschen". Aus diesem innerlichen Verhältnis entspringt die Forderung der Ehrfurcht vor den Leistungen des Griechenvolkes in der Vergangenheit, vor allem was sich an Denkmälern und Institutionen als Zeugnisse der Vergangenheit erhalten hat, und aus dieser Forderung ergibt sich die weitere der schonenden und rücksichtsvollen Behand1
Hartmann a. 0 . 261 ist, wie auch Groag bemerkt, auf einem Irrweg, wenn er meint, Plinius wolle den Maximus einschüchtern, der für die Griechen Gefühle nach Art des altenCato besessen zu haben scheine. Allain, Pline le Jeune 3, 149 hat den Ton des Briefes, wie mir scheint, völlig verkannt.
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hing der Nachkommen der alten Griechen und zuletzt, als höchste und feinste Steigerung des Gefühls der Verpflichtung gegenüber diesen Nachkommen, die Forderung der Nachsicht und Schonung auch gegenüber ihren Schwächen, gegenüber inhaltsleeren Formen, gegenüber dem Scheinwesen. Es kommt aber nicht nur das innerliche Verhältnis des dankbar Empfangenden, des verständnisvoll den Wert des Empfangenen Einschätzenden gegenüber dem, der gespendet hat, in Plinius' Worten zum Ausdruck, sondern es spielt auch die romantische Empfindung gegenüber dem Altehrwürdigen herein: § 3 reverere conditores deos et numina deorum, reverere gbriam veterem et hanc ipsam senectutem, quae in homine venerabilis, in urbibus sacra. sit apud te honor antiquitati et q. s. Es ist die Romantik, die sich besonders deutlich in der Ruinenromantik 1 zeigt, wie wir sie aus Epigrammen der griechischen und lateinischen Anthologie auf altberühmte Städte, wie wir sie aus den Besucherinschriften an Denkmälern kennen. Ganz leise klingt am Schluß des ersten Unterteiles in dem Wort ,,reliqua umbra et residuum libertatis nomen" das Gefühl der Trauer um die gefallene Größe an. Schön ist diese Trauer und die Ehrfurcht vor den Resten des Vergangenen in folgenden Versen der lateinischen Anthologie ausgedrückt, in denen Plinius gewiß sein eigenes Empfinden wiedergefunden hätte und die übrigens im Wortlaut stellenweise an seine Formulierungen erinnern (Anth. Lat. 447 De Graeciae ruina): Oraecia bellorum longa succisa ruina occidit immodice viribus usa suis. Fama manet, fortuna perit; cinis ipse iacentis visitur et tumulo est nunc quoque sacra suo. Exigua ingentis retinet vestigia famae et magnum infelix nil nisi nomen habet2. Dieser ganze Komplex von Empfindungen und Forderungen in der von Plinius gestalteten Formulierung ist das, was mir als eine der feinsten Blüten antiker Humanität erscheint. Ob die Forderung der Nachsicht auch gegenüber den Schwächen und dem Scheinwesen der Nachfahren sonst irgendwo ausgesprochen ist, ist mir nicht gelungen festzustellen. Sie hat ihre unmittelbare Vorstufe in jenen oben ausgeschriebenen Worten Ciceros, Ad Qu. fr. I 1,27 certe iis eam (sc. humanitatem) potissimum tribuere debemus, a quibus accepimus. Damit sind wir an der Quelle der Humanitätsgesinnung, die Plinius in seinem Brief zum Ausdruck bringt, nachdem wir vorhin die unmittelbaren literarischen Beziehungen zu Cicero ins Auge gefaßt hatten. Cicero selbst hat die Empfindung und Gesinnung, aus der jene Äußerungen geflossen sind, am schönsten in dem berühmten Prooemium zu De fin. V ausgesprochen, und 0 . Piasberg, Cicero in seinen Werken und 1
2
Vgl. A. Schulten, NJbb 1916, 155ff. Friedlaender-Wissowa, Sittengesch. 1, 409ff.
Vgl. Anth. Lat. 411, 8 magnarum rerurn magna sepulcra vides (De Athenis).
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Briefen, Leipzig 1926, 48f. hat treffend den Gehalt dieser wundervollen Worte bestimmt als „romantische Sehnsucht, an den Stätten, wo die großen Männer der Vergangenheit geweilt, den Hauch ihres Geistes zu spüren" und als „Ehrfurcht vor geistiger Größe, die über die nationalen Schranken hinaushebt". Lassen wir zunächst, um nicht von neuem zu unterbrechen, die Frage beiseite, inwieweit die an den genannten Stellen uns entgegentretende Gesinnung Ciceros einheitlich war. Fragen wir nach der Echtheit der Gesinnung, die Plinius in seinem Brief zum Ausdruck bringt. Die Übernahme der fremden Gedanken und Formulierungen spricht ebensowenig gegen die Echtheit der Gesinnung, als die kunstvolle, absichtsvolle Stilisierung des ganzen Briefes dagegen spricht. Gewiß, alles ist rhetorisch bis in die Fingerspitzen und die stilistische Kunst wird absichtlich zur Schau getragen, aber es ist doch wohl keine Täuschung, daß das Ganze von einem gewissen Schwung echter Gesinnung getragen wird. Wieviel Anteil die Rhetorik, wieviel Anteil die Herzensmeinung an der Gedankenprägung hat, wird niemand abschätzen wollen, denn dergleichen Faktoren sind keine meßbaren Quantitäten. Die Beurteiler werden sich nie völlig einig sein, sondern immer das Gewicht mehr oder weniger verschieden verteilen — wie bei Seneca, wenn man eine weit überlegene Persönlichkeit und einen so viel gewichtigeren Gedankenstoff zum Vergleich heranziehen darf. Aber so beherrschend bei beiden die Rhetorik hervortritt und so tief auch bei beiden ihr Einfluß hinabreicht, sie sollte nicht allzu mißtrauisch machen gegen die Anerkennung des Gesinnungsmäßigen. Und wie bei Seneca dürfen bei Plinius auch offenkundige moralische Schwächen nicht den Ausschlag dafür geben, jeden Glauben zu versagen, wenn wir Gesinnung verkündet hören, oder nur Zwiespältigkeit herauszuhören. Aus den chronologischen Untersuchungen von W. Otto 1 ergeben sich höchst ungünstige Folgerungen für Plinius' Charakter. Aber ich glaube, es würde ihm unrecht geschehen, wollte man ihn als einen im Grunde niedrigen Menschen abtun und das Bild seines Wesens, das seine Briefe im wesentlichen bestimmt, als unecht ansehen. Plinius ist allerdings eine schwache Natur, die Gefährdungen und starken Versuchungen nicht standhält. Er muß sich unter Domitian gefügig und schmeichlerisch gezeigt haben, sonst würde ihm nicht die bevorzugte Laufbahn zuteil geworden sein, die er nach Ottos Nachweis unter diesem Kaiser zurückgelegt hat; und unter Traian ist er der Versuchung erlegen, in die Verwünschungen gegen Domitian einzustimmen, wohl hauptsächlich um sich der Öffentlichkeit gegenüber eine gute Position zu sichern. So wenig dies überaus häßliche Verhalten beschönigt werden soll — können wir glauben, daß ein im Grunde niedrig gesinnter Mensch Gefallen daran gefunden habe, ständig in der Pose des Liebenswürdigen, Freundlichen, ja Milden, Gütigen zu erscheinen, in raffinierter Rhetorik hohe seelische Verfeinerung vorzutäuschen? Sollten wir nicht vielmehr einen Menschen vor uns haben von natürlicher Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit, von Natur der Milde und Güte zugewandt, mit 1
S. o. S. 120 Anm. 5, Sitz.-Ber. 1919, 10. Abh. 51ff., dazu 1923, 4. Abh. l l f f .
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einem verfeinerten Gefühlsleben, wie es aus solcher Naturanlage unter dem Einfluß einer hoch entwickelten Zivilisation erwächst — zugleich freilich einen Menschen, der starken moralischen Beanspruchungen nicht gewachsen ist? So kommt das, was uns an Gesinnung in Plinius' Briefen entgegentritt, zwar nicht aus reiner Quelle, doch es ist auch nicht ungenießbar, weil es verfälscht wäre; es ist genug echten Gehaltes darin, und so glauben wir auch den Brief V I I I 24 als Denkmal einer nicht nur übernommenen und nicht nur angenommenen Gesinnung würdigen zu dürfen. Die milde und rücksichtsvolle Behandlung, die Plinius hier seinem Freund ans Herz legt, steht im vollkommensten Einklang mit der eAofiet>og Evfidfhjv slg ¿XevdsQiav xrX. Wilamowitz erklärt treffend den „drolligen E f f e k t " der Worte des Syriskos aus dem starken Gegensatz des rhetorischen
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Als Smikrines mit der endgültigen Absicht, die Tochter zwangsweise zurückzuholen, vor dem Haus des Schwiegersohnes erscheint (704ff. K. 3 ), löst sich sein Vorhaben von vornherein in Gelächter auf. Im Gespräch mit Panegyris hatte die jüngere Schwester die ihnen beiden obliegende Pflicht ganz allgemein als solche festgestellt, sie durch die pietas, also auch durch Zugehörigkeit zu einem weiten Pflichtenkreis begründet und ganz allgemein pflichtmäßiges Handeln aus sittlicher Einsicht und Bildung abgeleitet. Jetzt in dem Liebenswürdigkeitsgeplänkel, das Vater und Töchter miteinander aufführen, begründet sie ihr und ihrer Schwester Verhalten aus dem W e s e n der Beziehung zu den Ehegatten: sie bezeichnet es durch das Wort socia (v. 101 qui nos socias sumpserunt sibi), so wie Pamphile in den Epitrepontes nach dem Zeugnis ihres Gatten ihrem Vater entgegengehalten hatte: xoivmvdg rjxeiv rov ßiov (v. 600 K. 3 ). Dann, in dem durch die angebliche Wiederverheiratungsabsicht des Vaters hervorgerufenen öidloyog ia'/rj/LiaTiaiJEvoq, gibt (Panegyris) 1 im Hinblick auf die konkrete Situation (xarä jteoiaraaiv), allerdings ohne Berücksichtigung des s c h u l d h a f t e n Verhaltens der Männer, die genaue Bestimmung der von ihnen beiden zu erfüllenden Pflicht, abstrakt formuliert entsprechend der Anlage des Frage- und Antwortspiels: auf die Frage des Vaters (123): quae tibi mulier videtur multo sapientissuma? antwortet sie (124f.): quae tarnen, quam res secundcte sunt, se poterit gnoscere, et illa, quae aequo animo patietur sibi esse peius quam. fuit. Die Sprecherin der §rjaig Didot stellt die Formulierung unter den Begriff der Gerechtigkeit und des Anstands im Verhältnis zum Geschick des Mannes (24ff.): r) nwg öixawv saxiv f j xakmg e%ov rwv ¡xb äya&ä>v [¿e ro fiegog av ¿I'/EV Xaßelv, rov avvanoQijdrjvai de (i-q Xaßelv fiegog; Pamphile wiederum in den Epitrepontes hat im unmittelbaren Anschluß an die soeben zitierten Worte xoivcovög rjxeiv rov ßiov die Folgerung gezogen: x]ov delv rärvxri/u,' avrrjv cpvyelv [ro ovjuß] eßrjxog. Die Nebeneinanderstellung dieser Äußerungen ist lehrreich dafür, wie der Dichter beim wiederholten Aufgreifen derselben auf dem Boden verfeinerter Ethik erwachsenen Begründung zu variieren weiß. Zu der ersten dieser Variationen darf hier noch bemerkt werden, daß Plautus' Wiedergabe in einer Einzelheit besonders deutlich
1
Charakters der gereimten Antithese zum komischen Stil (s. auch schon- Leo, Plaut. Forsch. 2 137 Anm. 1, der Cic. Verr. II 4,10 ereptionem, non emptionem vergleicht), aber sollte zu dem „drolligen Effekt" nicht auch beigetragen haben, daß Syriskos in der Erörterung einer Rechtsfrage einen term. tech. aus einem andern Rechtsgebiet verwendet? Übrigens könnte es sein, daß Wilamowitz mit dem Hinweis auf „die Redner" nur die eigentlich rhetorische Verwendung im Auge gehabt hat; dann ist aber der Ausdruck mindestens undeutlich. So Goetz-Schoell, Leo, Ernout. Sollte man die Antwort nicht lieber der Jüngeren zuweisen? So einst Ladewig, von Neueren Zuretti (Ausgabe 1916); Lindsay: im Text: Pan., im Apparat: „vel Pam". Ob „tibi" in der Frage des Vaters (123) im Sinne des dicere vicissim (115) zu verstehen ist, ist doch ganz unsicher, und nach dem Gesamtcharakter der Äußerungen der Jüngeren würde ich 124f. lieber aus ihrem Munde hören. Man beachte, daß ihr auch die entschiedene Äußerung v. 136 zufällt, tilgt man mit Leo 135.
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das griechische Original durchscheinen läßt, wenn das die mulier multo sapientissuma im Glück kennzeichnende Verhalten durch, ,se poterit gnoscere'' ausgedrückt ist: yvü>&i aeavrov — erkenne, daß du ein Mensch bist, den Bedingungen des Menschendaseins unterworfen. Wenn, wie soeben festgestellt, die Aufgabe, die den beiden Schwestern im Stichus durch die konkrete Situation auferlegt ist, in der abstrakten Formulierung eines Verhaltens ausgesprochen wird, (aequo animo patietur sibi esse peius quam fuit), das aus der allgemeinen Voraussetzung sittlicher Einsicht und Bildung (mulier multo sapientissuma) abgeleitet ist, so trifft das zugleich mit dem zusammen, was sich aus dem Wesen der ehelichen xoivmvia (nos socias sumpserunt sibi) als Forderung für die Situation ergibt, wie sie uns in der angeführten Schlußfolgerung der Pamphile in den Epitrepontes unmittelbar entgegentritt. Ehe wir der Beziehung der neuen Komödie zur sonstigen außerphilosophischen und zur philosophischen Ethik hinsichtlich des Gedankens der ehelichen xoivwvta nachgehen, soweit es für unsere Untersuchung notwendig ist, müssen wir nach der soeben festgestellten Gemeinsamkeit — in Variationen gebrachten Gemeinsamkeit — der Widerstandsbegründung noch kurz die Besonderheiten hervorheben, die gegenüber der Situation der Schwestern im Stichus der der Pamphile in den Epitrepontes und der Frau im Fragment Didot eigentümlich sind. Nachdem Smikrines die vermeintliche Tatsache erfahren hat, daß sein Schwiegersohn Charisios von der Hetäre Habrotonon Vater des Findelkindes geworden ist, begibt er sich zu seiner Tochter, um diese von ihrem liederlichen Gatten zu trennen und in sein Haus zurückzuführen1; über die Rechtsfrage ist o. S. 145ff. gehandelt. In Fortsetzung des im Haus geführten Gesprächs streiten Vater und Tochter im 4. Akt (510ff. K. 3 ), vor das Haus getreten, in einer lückenhaft erhaltenen Szene; Pamphile erklärt, wenn er Zwang ausüben wolle, so handle er nicht als Vater, sondern als deanörrjg (s. o. S. 145 Anm. 3; vgl. Stich. 13fF.). Smikrines bringt drei Gründe vor: Kostspieligkeit des „doppelten Haushalts", die zum Ruin führen müsse; die Vernachlässigung, die Pamphile drohe; (wahrscheinlich:) 2 die Vorzugsstellung, die Habrotonon als Mutter des Kindes haben werde. Pamphile bleibt bei ihrer Weigerung. Ihre Entgegnungen sind uns an dieser Stelle völlig verlorengegangen, so daß wir keine genaue Kenntnis der Behandlung des Motivs haben, aber nachträglich erfahren wir von ihrer festen und edlen Gesamthaltung aus dem Selbstgespräch ihres Gatten, der ihre Auseinandersetzung mit dem Vater an der Tür belauscht hatte, erfahren daraus auch von ihren Entgegnungen dasjenige, was wir soeben (S. 147f.) in Verbindung mit den Begründungen der Schwestern im Stichus und der Sprecherin der gfjaii; Didot vorgeführt haben. Nun ist der Tatbestand an sich dadurch kompliziert, daß Pamphile selbst, in Wahrheit freilich unschuldig, an dem Verhalten des Charisios schuld ist, über das 1 2
Nach Jensen, RhM 76, 1927, 6 will er ihr die Ehe mit einem reichen Mann vorschlagen. Nach Körte 3 p. X X I I sq.
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sein Schwiegervater sich empört: fünf Monate nach der Eheschließung hat sie während einer zeitweiligen Abwesenheit des Gatten ein Kind geboren, das sie aussetzen läßt; zurückgekehrt erfährt der Gatte davon durch seinen Sklaven. Keiner der Beteiligten ahnt den wahren Sachverhalt, daß eben der Gatte Vater des Kindes ist, da er bei einem Nachtfest eben dem Mädchen, das er etwa vier Monate später, weder es wiedererkennend noch von ihm wiedererkannt, heiratet, Gewalt angetan hat. Nun erhebt sich die Frage, ob der Dichter, so wie er den Charisios seine innere Zerknirschung und seine Selbstvorwürfe aussprechen läßt, auch die Pamphile ihrer inneren Bedrängnis hat Luft machen lassen: sie kann dem Vater ihr Geheimnis nicht offenbaren und muß vermuten 1 , daß es ihrem Gatten bekannt geworden und die Ursache seiner Trennung von ihr in dieser Kenntnis zu suchen ist. Im Zusammenhang solcher Äußerungen der Pamphile, die am Ende der etwa 93 vv. umfassenden Lücke zwischen v. 532 und 533 K. 3 anzusetzen wären, hätte fr. 8 K. 3 gestanden. Ich bekenne aber, nicht sicher zu sein, ob Menander der gebrochenen inneren Situation der Pamphile wirklich Ausdruck gegeben hat. Den größeren Teil der Lücke, in der zunächst der Schlußteil der Qfjaig des Smikrines (daraus fr. 7 K. 3 ) verlorengegangen ist, füllte jedenfalls eine sicher anzunehmende Antwort-g^OT? der Pamphile 2 , nur war dies, entgegen der Annahme von Robertson und Jensen, keinesfalls, wie ich mit Körte überzeugt bin, das Fragmentum Didotianum. Dieses zeigt die Gattentreue einer Frau wieder in andrer Weise auf die Probe gestellt bei aller nahen Berührung mit Stichus und Epitrepontes. Zu dem Drängen des Vaters, der die Tochter von ihrem in dürftige Verhältnisse geratenen Mann trennen und mit einem Reichen verheiraten will, tritt die Verlockung des Reichtums, und das scheint hier im Vordergrund zu stehen 3 . Zuerst erklärt die Tochter, wenn ihr Mann sich ihr gegenüber in stärkerer Weise verfehlt hätte, so stünde nicht ihr zu, ihn zu bestrafen. Sie versichert aber, nichts von einer Verfehlung bemerkt zu haben, und wenn das auch an ihrer Torheit liegen könnte, so sei andrerseits den Frauen doch in ihren eigenen Angelegenheiten vernünftige Einsicht zuzutrauen. Dem Grundgesetz der Ehe, ständiger Liebe des Mannes, Gehorsam der Frau, entsprächen sie beide. Nun ist aber, so geht die QfjatQ weiter, ihr braver Mann in Dürftigkeit geraten, und ihr Vater will sie durch Verheiratung an einen Reichen vor einem kummervollen Leben bewahren. Noch so viel Geld kann ihr nicht die Freude bringen wie das Leben mit dem Mann (vgl. Stich. 136). Und es ist ungerecht und unanständig, das Gute mit dem Mann zu teilen, aber die Armut nicht mit ihm teilen zu wollen. Wenn etwa der vom Vater in Aussicht genommene Reiche auch verarmt, wo soll die Begründung des Vaters hinführen? Und endlich: an ihren Mann ist sie doch vom Vater verheiratet worden 1 2 3
Robertson, Class. Rev. 36, 1922, 106; Hermes 61, 1926, 348. So richtig Jensen, RhM 76, 1927, 11 f. Über Jensens Vermutung in bezug auf Smikrines' Vorschlag an Pamphile s. vor. S. Anm. 1.
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(vgl. Stich. 98; 130f., dazu o. S. 144), und damit ist der Tochter ihre Aufgabe gegeben. Und so bittet sie, sie bei ihrem Mann zu lassen, erbittet es als %6.QIV dtxaiav xai
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Zu der Gestaltung des in Rede stehenden Motivs ist noch auf das Fragment eines unbekannten Dichters hinzuweisen, das jetzt bei 0 . Schroeder, Nov. com. fragm. pap. exceptis Menandreis unter Nr. 7 steht; dazu bemerkt aber Leo, NGG 1902, 390 gewiß mit Recht: „die in der Fremde bewiesene Bruderliebe wird eine größere Rolle gespielt haben, als die Treue der zurückgebliebenen Frauen" (16jährige Abwesenheit der zwei Brüder). Und nun nehmen wir die vorhin S. 148 zurückgestellte Betrachtung auf. Wilamowitz erinnert im Kommentar zu den Epitrepontes S. 100 daran, daß schon X e n . Oec. 3 , 1 5 s a g t : vofiiCco d f j yvvalxaxoiviovov
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elvai Tai avöoi eni ro äya&ov. Wenn er hervorhebt, daß Xenophon dabei nur an die Haushaltung denkt, so ist das zwar für diese Stelle und (die von Wilamowitz nicht genannten) 7,13; 30 dem unmittelbaren Zusammenhang nach richtig, aber die Innigkeit des Gesamttons zeigt doch, daß eine tiefere Auffassung der xoivcovia dahinter steht, und so wird man in 7,42, wo vorausgeht: ro Öe ndvzmv rjdiaTov, säv ßsXrimv ifiov (pavfji;, xai ¿¡ub abv &eqdnovxa noirjor} ( I s c h o m a c h o s zu s e i n e r F r a u ) ,
das efiol xoivmvoq vielleicht nicht nur auf den olxoq beziehen dürfen. Xenophon greift mit den im OIXOVO/MXÖQ vorgetragenen Gedanken über die Ehe auf den Dialog Aspasia des Aischines von Sphettos zurück, wie das in 3,13 durch Nennung der Aspasia angebrachte Kompliment zeigt. Sokrates' Anschauungen von der Gleichwertigkeit der Geschlechter (vgl. Xen. Oec. 3,15) waren in dem Dialog in alle Konsequenzen verfolgt, beiden Gatten war aufgegeben, ägiaroi zu werden, und so war die Auffassung der Ehe auf eine höhere Stufe gehoben und verinnerlicht 2 . Ob bei Aischines, dessen Dialog etwa um 386 verfaßt sein mag, diese Auffassung bereits als xoivwvLa formuliert war, läßt sich nicht sagen; bemerkenswert scheint mir, daß in dem durch Cic. De inv. I 51 ff. erhaltenen umfangreicheren Fragment nicht etwa von der