Selbstkreuzigung : Der Fall Matteo Lovat 3923646038

Aus dem Französischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Julius Heinrich Gottlieb Schlegel. Cesare Ruggieri (1

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Selbstkreuzigung : Der Fall Matteo Lovat
 3923646038

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Cesare Ruggieri

Selbstkreuzigung Der Fall Matteo Lovat

Cesare Ruggieri

Selbstkreuzigung Der Fall Matteo Lovat

belleville

Der Verlag dankt der Bayerischen Staatsbibliothek, München, die das Original des Buches kur diesen Faksimiledruck freundlicherweise zur Verfügung stellte.

Alle Rechte Vorbehalten. © 1984 edition belleville, Amaliensrr. 32, 8000 München 40. Gesamrhersrellung: Friihmorgen & Holzmann, München. ISBN 3-923646-03-8.

Geschichte der durch

Mathieu Lovat iu Venedig im I. 18°5 an sich selbst

vollzogenen Krenziznnß bekannt gemacht

von

D.

Eefar

Ruggieri

Professor der chirurgischen Klinik iu Venedig.

Aus dem Französischen übersetzt und mit Anmerkungen

versehen von

Illitus Heinrich Gottlieb Schlegel der Arlneiwiffenschaft und

Wundarlnelknnst Doctor,

Herlogs. Sachs.

Weimar. Amts, und Stadt, Physrkus tu glnienau, orattn'cvem Arzte daselbst und ordentlichem Mttgliede der mineralogischen Gesellschaft zu Iena.

Rudolstadt,

in der Klügerschen Buchhandlung. 1807.

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£

4

Dem

Herrn

D.

Ji

ff.

F.

Scherf

Hochs. Lippeschem Hofrathe, Leibarzte, Medielnalrathe, Physlkus 1(.

zu

Detmold

und

Dem

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n

David van Gesscher Lektor der theoretischen Ehirnrgle te. le.

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mit der i

Amsterdam

nigsten .Hochachtung

gewidmet

Vorerinnerung des

uebersetzers.

Gegenwärtige Geschichte erhielt ich am 17ten Map 1807 aus Venedig, begleitet von einem den 2ten Mal)

1807 datirten Briefe, her unter andern die Bemerkung

enthielt, baß sie erst vor einigen Tagen, in 4. gebrückt, allsgegeben worden seh; er (derEinsender)habe nicht

nöthig mir die Aechtheit dieser unerhörten Geschichte der Kreuzigung —für beten schnelle, gütige Mittheilunß ich demselben öffentlich Hierdurch meinen vers

bindtichsten Dank abstatte — zu bezeugen t

allen

Einwohnern Venedigs, so wie ihm selbst, seh das Faktum noch in frischem Andenken.

Das Original fährt den titelt II ist 01x6 da

cru^ifiement execute sur fa propre performs par Mathieu

Lovar communique

au public

dans

vi

Qgoretlnnerunß bes Herausgebers.

dans une lettre de Cesar Ruggieri Docteur en Medicine et Professeur de Chirurgie Clyni-

qne ä Venise.

A un Metlec.in son Ami. XXIV

Seiten in 8. mit 2 von T. Mattani gezeichneten

Und von G. Rosa spina gestochenen Kupfern.

Ilmenau, den 3osten Mal) 1807♦

3. H. S. Schlegel.

Get

Geschichte her Kreuzigung

Matbien Lovats. Ein ®rief des Prost

D.

«xuggleri

an eineu Arzt seinen Freund.

Sch hatte Wort, mein weither Freund, indem ich Ihn neu hier die Kreuzigung beschreibe, welche Mathieu Los vat, Mart's Sohn, 47 I. alt, mit dem Beinahmen

Casale— von seinem Geburtsorte, einem zum Kirchs spiele Soldo gehörenden Dörfchen, im Bezirke von Bel, tune — am Morgen des 1F Julius ißoF. an sich selbst vollzogen hak. Bevor ich mich in eine nähere Schilderung dieser

seltsamen, wahnsinnigen Handlung einlasse, ist es nö‫״‬ ehig vorläufig Ihnen einige — Licht Aber den förpedlichen und moralischen Zustand des hier in Frage stehenden

Menschen verbreitende — Umstände darzulegen.

Bon

8

Geschichte der Kreuzigung Bon armen mit den gröbsten Arbeiten des Acker-

haues beschäftigten Ellern erzeugt, in einer, fo zu fas gen , fast von aller menschlichen Gesellschaft abgeschnittenen Lage, kann man sich vorstellen, was für eine Er, ziedung er gehabt haben mag; in seiner Einbildung ward es ihm allfftllend zu sehen, daß der Pfarrer und

sei.l Btcar die einzigen waren, welche keineswegs das Feld bearbeiteten, und daß sie in ihren Personen alles veretnten, was die kleine Welt, in der er lebte, ihm an Macht und Anlehn vorspiegelte. Dleß zusammen er, wekte, aus Nachahmung, in ihm den Gedanken, Pries ster werden zu wollen.

In dieser Absicht unterwarf er

sich dem Unterrichte des und ein wenig schreiben Familie, die sie ausser austusetztn, zwang ihn

Blears, von welchem er lesen lernte. Allein die Noth seiner Stand setzte ihm ein Erbtheil ganz und gar aufs Studieren

Verzicht zu thult,

und ec entschloß sich das Schumaß

cherhandwerk zu erlernen. DleBerleugnung seines eignen Willens in der ®Jah(

eines Standes, der die Geschicke des Lebens bestimmt, hat stete auch den stärksten Geist empört und mehrere Male die traurigsten Folgen hot vorgebracht. Denken Sie sich, wie dieses Hindertllß in seinen ersten Ideen an das Hirn des armen Mathieu iovat gewaltsam anschlagen mußte! Dieß war der erste Grund, der Au, fang des Uebets (Hine prlnas mali labes) :

Schuma,

cher geworden mit Gewalt, konnte er nie dazu gelangen weder

Mathieu tövat

9

weder delieak, noch sehr arbeitsam zu sehn, was immer denen widerfährt, die gegen ihre Neigung handeln. Die sitzende Lebensart *),

das Stillschweigen, zu weit

chtm *) Jedes Handwerk äussert !war einen entschiedenen Einfluß auf den Organismus und die Gemütdsstimmung dessen, der sich ihm gewidmet hat, so daß man ein Zunft, Temperament, wie eine den Subjekten jeder Zunft im Durchschnitt, zu, komtnrnde körperliche Constitution annehmen könnte; uoverkennbarer durfte dies aber weh! nicht leicht seyn, als uo. ter andern beim Schumacherhandwerk. Der Schuster per, fällt 1. B. meistens in eine Krümmung des Rückgrates, die vorzüglich in dem hohen Alter, wo sich ohnehin das Rückgrat unter der Last der Jahre beugt, sehr merklich ist. (Vergl. A d e l m a n 0 s yortresiiches Buch über die Kunstler und Handwerker). --- Den Nachthell einer sitzenden Lebensart, Hypochondrie je. bat der Schumacher mit dem Gelehrten ganz genuin, ja er ist ihnen noch weit mehr unterworfen, weil sein Körper noch dazu immer in einer gezwungenen Lage sich befindet, die durch das Haodweek selbst nothwendig gemacht wird. Durch vieles Sitzen, sagt Zimm er mann, wird auch der Bauer hypochoodrisch, was vielleicht eben so unbekannt ist, als daß in der Schweiz ein großer, reicher-Ort existirt, in welchem kein Haus bekindlich ist, das nicht einen Selhstmorder auflntveisen hätte. Das lange Sitzen an und für sich schwächt schon die ®erdanungskrafte, iu Verbindung aber mit schwerer, rodet Nahrung und erschlassendea Getränken müssen die Nach(heile nicht tu berechnen seyn. Der Schuller setzt sich uomittelbar nach Tisch wieder an die Arbeit in einer gebürten rage des Körpers. Die vorwärts gebeugte Brust und die straffen einwärts gezogenen Bauchmuskeln hindern die Vordanung. .Qualität und .Quantität des Nahrungssaftes leiden, Anlage zu direkter Asthenie entspringt hieraus und geht bei Einwirkung anderer Schädlichkeiten in ausgebilbete

io

Geschichte her Kreuzigung

chem die Lehrlinge in den Werkstätten ihrer Meister der, urtheilt sind, gewöhnten ihn zum Nachdenken, machten

ihn duster und verschlossen. Mit den Iahten ward er im Frühlinge betäubender *Schwere im Kopfe und fiechs unartigen Ausschlägen im Gesicht und an. den Händen

unter, Bete Krankheit über. Gei jener Richtung des Körpers werden die Eingeweide des unterleides gegen das Zwerchfell gepreßt, dadurch die Brusthöle verenget, das Athmeu beschwerlich, weil die Lungen sich nicht gehörig ausdehnen können. Daß Erweiterungen des Herzens und der großen Gefäße desselben, Hämorrhoiden, ®lutspeyen, Brustwassersuchte Knoten und Lungensucht, Entzündung durch den beständig» Druck des Leistens gegen die Brust, eine Richtuns deslBntstbetns nach einwärts tc. entstehen müssen, ledren die Beobachtungen eines Motgogni, iXamalzini, Laneifl u. s. w.

Obgleich auch noch andere Schädlichkeiten mit «erschien denen Folgen auf den Schuster etnwlrkea, 1. B. die wenigfleos zur Winterszeit bei geschlossenen Tburen und Fenstern von ihrem eigenen Dunstkreise Je. offenbar verdorbene ruft; fs möchte die Gewohnheit: fitzend und in gebogner Lage zu arbeiten, als die wichtigste ,Quelle der oben erwähnten und anderer Kraakheitsformen angesehen werden können, und eben deshalb das Beispiel des englischen Schnmachers Holden zu Settleworth bei Pethworth in Sussex, mehr, als seither geschehen zu seyn scheint, Beherzigung verdienen, der 20 Iahte hindurch kränkelte, vergebens die zweckmäßigsten Arzneien brauchte, bis er eine maschine erfand, auf welcher er seine Schumacher ar, beit im Stehen verrichtete und seitdem ein gesunder Mann geworden ist. S. Neue Erfindung für Schn, machet Je. von H o l d e n. Mit ‫ ו‬Kupfer, ate Auflage.

S.

Mathieu iovat.

ii

unterworfen. Wird mir es ertaubt sehn den Verdacht zu änssern, diese Uebel für das Produkt einer pellagrit scheu Sonstitution zu halten? *) Sie wissen, mein

werther und gelehrter Freund, daß dlefl die Symptome dieser grausamen Krankheit find t deren Daseyn sich in mehrere unserer Landschaften, durch die Berheerungen,

welche sie anrichkek, mehr als zu sehr bestätiget hak, nach und nach, ohne daß man es gewahr wird ( lenürn fine tensu), und ich beobachtete in der Thal an dem in Frage befindlichen Menschen, als ich ihn behandelte, daß seine Fuße von flechtenartigen Schuppen entstellt

waren, die sich durchs Reiben in weissen und mehltchten Stückchen absonderten«

Bis zum Monat Julius des Jahres 1ßo2. (hat Mathieu iovat nichts ungewöhnliches. Eine or, deutliche Lebensart, einfache und seinem Stande angel messen( Sitten, nichts zeichnete ihn aus, als eine über,

triebene Frömmigkeit. Er sprach von nichts, als von Fast- und Fest «Tagen, von Predigten, von Heiligem

Aber *) Die neuesten Ansichten oom Pellagra, nebst beigefugter Literatur uher diese in .Ober-Italien endemische Krankheit, habe ich, aus Briefen einiger »)letzte tu Ita, lien aus dem Italienischen übersetzt, dem Puhls, kum io meinen Materialien für die Staatsarie aeiwisseoschaft und praktische Heilkunde. N. I. Sammlung VH. Ieua 1307 des eöpfeedt mjtgetheslt.

S.

Geschichte her Kreuzigung

12

Aber in diesem Zeitraume, wo er eines Tages sich in seine Stube eingeschlossen hatte, nahm er an sich mite leist eines scharfen Schumacherinstrumenks (un xnaurai outi! de cordonnier) eine allgemeine gänzliche Am,

putatlon (derZeugungstheile *) vor und warf alle Theile, deren er sich eben beraubt hatte, zum Fenster hinaus auf die Straße. Man hat nie genau den Beweggrund erfahren können, der ihn zu differ grausamen Handlung verleitete.

Einige behaupteten, es seh aus 'Berdruß

über eine nicht erwiedert gefundene Neigung, die er zu einem jungen Mädchen hatte, geschehen; ist es aber in Betreff des bekannten CharakterJ dieses Menschen nicht

ungleich vernünftiger zugtauben, daß sein furchtsames Gewissen, indem es sich vor dem Kampfe der Fleisches« lüste gegen den Geist fürchtete, ihn zu dem Entschluß gebracht habe, sich auf einmal und auf immer von einem höchst furchtbaren Feinde zu befreien ? Indeß er an seinem eigenen Körper eine graufame

)Operation vorzunehmen gedachte, hatte er auch dafür ßeforgt, sich wieder zu heilen; gequetschte und klein gee hackte

*) Auch lu Stamsordham in Noedhumberland schnitt sich ein 75 jähriger Mann io einem Anfalle von Melanchelie die Zeugungsthetle weg, ohne große gusalle dadurch in erregen. Nach 7 Wochen war er vollkommen geheilt. BJergl. l)r. Will. Schott in Medical Communications. Vvl. 11. 7. London >790. 6.

S.

Mathieu tovat.

13

hackte Kräuter, die die Bauern seines Dorfs zum Blute stillen geeignet staubten, bereit gehatten, so wie Stucke

alter ieiitweand, um Gebrauch davon zu machen; und dlefe schwachen Mittel wirkten mit so großem Erfolge, daß in kurzem die vollkommenste Heilung dadurch erreicht wurde, ohne daß er davon die geringste Unbequemlichkeit behalten hätte, ohne eine Harnunenthaltsamkeit davon zu tragen, oder die mindeste Beschwerde beim Urintassen.

Es war nicht wohl möglich,

daß eine Thal der

Art verborgen bliebe. Das ganze Dorf sprach von nichts, als von Mathieu, und man erstaunte über

seine schnelle, ohne alle kunstmäßige Hülfe eines Mans nes vom Fach erfolgte, HeilungEr selbst hatte aber die Art von Ruhm nicht vor,

ausgesehen, den ihm die Entdeckung feiner -Operation verschaffen mußte, und ausser Stand, die bittern Scher, ze, womit ihn alle Bewohner des Dorfs, und vor al-

lem die Iugend, überhäufte, zu ertragen, hielt er sich in seinem Hause verschlossen, aus dem er nie gieng, selbst zur Messe nicht. Endlich entschloß er sich am 13ten November desselben Iahres nach !Venedig zu feinem

langem Bruder, Namens Angelo, zu kommen, wel, cher in der Goldbrennerel des Hauses Palatini in Biel, in der Straße dei (fordo ni arbeitete. Die, ser, der kein Onanier für ihn hatte, führte feinen

Bruder zu der fosenanuten Osgualda) der, auch in

14

Geschichte der Kreuzigung

in BI elder Straße della Bld a Num. 5775. wdht nenden, Wittwe eines gewissen Andrea, bet dem die Herberge war. Bei dieser Frau wohnte Mathieu Los vat bis zum sisten September des folgenden Iahres,

invest er bei einem Schumacher, (einem Nachbar des

iospitaletto) und zwar ohne ein Zeichen von ©errückte heil an den Tag zu legen, fleissig arbeitete. Sils er «her diesen Tag versuchte sich mitten auf der Straße della croce diBlrl zu kreuzigen, an einem Kreuze, das er aus seinem Bettstollen gearbeitet hatte, (wovon er aber durch Leute, die ihn in dem Augenblicke Uber, rasch ten, als er sich einen Nagel durch den linken Fuß

schlagen wollte, verhindert wurde), schifte ihn die Frau Dsgualda von sich fort, indem stehen Ausbruch lr-

send 'einer andern Xhoeheit befärchtete. Auf wiederholte Fragen über den Beweggrund, warum er sich habe kreuzigen wollen, antwortete er nie, wanden; nur feinem Bruder sagte er im Berlrauen,

dieser Tag seh das Fest des heiligen Mathäi, seines Patrons, und weiter könne er nichts davon sagen. Eil nige Tage nach dieser Handlung reiste er in seine Hei» math, wo er einige Zeitlang blieb, in der Folge aber nach Venedig wieder zurückkam, und zu dem Schumacher Martin Murzani, ohnweit der Ssti Slpostott zog. Im Monat May igoz vertauschte er seine Werk,

stätte mit einer andern dos Lorenzo della Mora in der Straße della Stnja Saint Martilian; und

15

Snathleu iobat.

und um der Gegend, in welcher er arhelkeke, wieder näher zu kommen, mtekhete er sich in den ersten Tagen des folgenden Julius eine Stube tm 3len Stock eines elnem gewissen Slate nt tu Lu ec beta gehörenden bei Saint Alvise in der Straße della Monache

Nurn. 2888. gelegenen Hauses, und bis zu diesem Ztiks raume blieb er vollkommen ruhig. Allein kaum war er in hieß neue Logis eingejogen, als auch schon seine alten Ideen, sich zu kreuzigen, wieder hie Oberhand bekamen; er anfieng alle Tage allmählich an seinem Marterinstrument zu arbeiten (»an sehe die Platte) und sich die ihm nhthigen Mates riatien, als Nägel, die Dornenkrone, Stricke, Bin-

der verschaffte. Bits er voraussah, daß es ihm nicht wohl möglich seyn würde sich selbst hinlängtich ans Kreuz

zu befestigen, fiel ihm ein, ein weites Netz von Stri * den zu verfertigen, das im Stande wart ihn aufrecht zu erhalten, falls die übrigen Banden ihn fallen liessen *). Er

·) Auch hieraus leuchtet jene Wahrheit hervor (welche ich «inst schon in elnem Gutachten über einen intendirten Selbstmord in meinen o. angef. Materialien Samml. J. @. 39. äußerte und auch in dem, Samml. 2. geschilderten, Selbstmorde eines Schumachers sich wieder stader): daß Menschen, von heroischen Leidenschaften gefesselt, alle Besinnungs, kraft auf einen Punkt coneenteiren, daß sich ihre Freiheit nicht bei der Fassung des oaupteotschlusses, sondern nur des der Wahl bet Mittel dazu zeigen könne.

e.

Geschichte der Kreuzigung

16

Er band es einer Selks, indtm er es zusammenfaßke, an den untersten Theil des senkrechten Kreuzstammes,

unterhalb der zur Stütze seiner Füße bestimmten Leiste fest, und andrer Seite an die beiden Enden der LluerHölzer, welche die Arme des Kreuzes bildeten, so daß hieß Netz einem kegelförmig umgekehrten Beutel glich. Bon der Mitte des obren äussersten Thtiles des so de, festigten Netzes tief ein starkes Seit hervor, welches so,

daß ein zweites Sell von derselben Stärke durch das eine Ende mit dem vereinigenden Punkte der beiden das Kreuz bildenden Querhölzer verbunden, sich alle beide mittelst des andern Endes wieder vereinigten, und sehr

stark an einen im Innern des Zimmers befindlichen Bal, lens über dem mit einer sehr niedrigen Brustlehne versehe, neu Fenster befestiget waren. Die Länge dieser beiden Seile war hinreichend, daß das Kreuz horizontal auf

hem Boden des Zimmers ruhte.

Nachdem diese grausamen Borbereitungen beendigt

waren, krönte sich Ma thieu'Soval mit Dornen, von

denen drei oder vier durch die die Stirn bedeckende Haut drangen. Mit einem weissen mit Faden an seinen Hufe ten und Schenkeln befestigten Taschentuche, bedefte er die Gegend,

welche ehemals jene Theite einnahmen,

deren er sich beraubt halle; hierauf, entblößt am ganzen übrigen Körper, seine Schenket zwischen dem Netze und dem Kreuze, auf dem er sich fitzend erhielt, nahm er einen der für die Hände bestimmten sehr glatten und spitzst

Mathieu iovat.

spitzigen Naget,

17

und stach ihn sich mitten durch die

innere Fläche der rechten Hand, indem er sie nach dem Kopfe des Nagels zu so lange stieß, bis dieser dadurch über die Hälfte aus dem Rucken der Hand hervorragte. Endlich legte er seine Fuße über die zur Aufnahme der) selben verfertigte Querleiste, den rechten über den linken.

Durch den Rucken des obersten schlug er die Spitze eines ebenfalls glatten und gut zugespitzten fünfzehn Zoll und fünf Linien Pariser Maas langen Nagels, und so,

bald feine linke Hand den Naget in die vertieale Rich, rung gebracht hatte, durchbohrt er sie mittelst der Schlät

ge eines Hammers, den er in der rechten Hand hielt, bis er durch beide Fuße bis in das Loch gedrungen war, womit er die Leiste verfehen hatte. Das durchbohrende Eifen war hinlänglich durchgegangen 1 um daselbst fest genug zu halten. Hierauf war er darauf bedacht —

nachdem er den dritten Naget durch feine linke Hand geschlagen, was er durch die rechte bewerkstelligte, und sobald er sich mittelst eines Strickes f den er vorrathtg und zu Unterst ausgebreitet, über der Mitte feines Kör,

pers fest au des Kreuzes Stamm angebunden hatte _ sich in der Seite mit einem Kneif (Coureau de Cordonnier), den er zu dieser Operation zu sich genommen

hatte , eine Wunde beizubringen.

Allein er war in dem

Augenblicke, als er sie sich beibrach'e, nicht bet sich, um zu begreifen) daß die Wunde die reate und nicht die linke Seite treffen und zwar in die Brosthole, und nicht

in den Unterleib dringen müsse.

B

Er verwundete sich

schräg

18

Geschichte her Kreuzigung

schräg zwei Zoll unter dem linken Hypochondrium gegen den tnnern Winkel der Bauchhöte zu, doch ohne die |n derselben enthaltenen Theite zu verletzen, ®ar es Furche, oder hatte er die Intention gehabt das Instrument recht tief einzustoßen, indem er die harten widerstehenden Theile vermied, oder bemerkte er in der Nähe der sIBun, den mehrere Querritze, — er hatte kaum die .Haut geritzt. Meine Meinung ist, daß er sie sich beibrachte.

Indem er mit der Spitze eine Stelle aufsuchte, welche leinen Widerstand dem Instrumente darbot, das für Mathieu Lovatbei dieser Gelegenheit die Stelle des Speers heim Leiden Ehrtstt vertreten sollte.

Nach Beendigung dieser blutigen Operationen, war es zur vollkommenen Bollziehung des gefaßten Bor«

satzes nöthig, daß Mathieu Loyal vor den Augen des Publikums sich gekreuzigt zeige. Man höre nun, wie er sich dabei benahm: das Kreuz ruhte horizontal mit dem Fußboden, sein unterstes Ende am Erker auf der Brustlehne des Fensters, das ich schon mehrere Mate als sehr niedrig schilderte. Indem er sich auf den Rjl, cken der ersten Fingergtieder einer jeden Hand stark ausstützte (die Nägel, die sie durch und durch durchbohrten, hinderten ihn daran sich auf die offene oder

{«gemachte Hand zu stützen), richtete er sich zu verfchie, denen Maten auf und hob somit das Kreuz und seinen Körper, der daran fest gemacht war; jeder Schwung

trieb einen srhßern Shell des Kreuzes vor das Fenster hinaus

Mathieu tovat.

’9

hinaus welker fort, bis es aussen au den Erker gelangte und durch seine Schwere den noch darinnen befind! cheu Theil herabzog. Der Gekreuzigte schurrte nun vor das Fenn ster, unter welchem sie zusammen mittelst zweier Stricke hangend erhalten wurdent von denen wir sagten, daß

sie durch das eine Ende hoher gehalten würden, das eine am obern Ende des Netzes, das andere queer ums Kreuz und alle beide durch das andere Ende an dem im Innern der Stube befindlichen Balten. In diesem Ja,

stande hob Mathieu Lovat seine beiden Arme in die Höhe und ein wenig nach hinten, um sie gegen die seine Haube durchstechenden Nägel und gegen die an beiden Enden des Queerholzes am Kreuze vorher gemachten Löcher zu fuhren. Allein entweder, daß es ihm unniöge lich wurde daselbst seine beiden Hände überein zu befesttgen, oder daß er sich genöthtgt fand sich der ,rechten Hand zu einer der letzten !Verrichtungen zu bedienen, kurz es ist faktisch richtig, daß, sobald er von den die Straße passtrenden Leuten bemerkt wurde, man ihn an

das Kreuz befestiget unter dem Fenster hängend, nur mse der linken Hand dergestalt angenagett sah, daß die rechte Hand sammt dem Arme dem Körper entlang und ans« serhalb dem Netze herabhieug. Es war damals früh acht uhr. _ Sobald man Ihn sah, eilten dienstfertige

Leute ihn vom Krenje loszumachen und brochlen ihn

in sein Bett. Ein in der Nahe befindlicher Wundarzt wurde gerufen. Er ließ ihm beide Fuße ins Wasser see tzen, brachte Werst anstatt der Sharpie In hie Wunoen

B 3

des

Geschichte der KreUjsßllnß

20

des Hypochondriums, von der er gleich vorher sagte, daß sie nicht bis in die Bauchhöte dringe, und gierig dann, nachdem er ihm etwas Herzstärkendes verschrie-

hen, weg. Zufälligerweise befand ich mich Ja dem Augenblicke

in der Nähe, wohin einige auf mein Geschäft Bezug

habende Personen mich hatten rufen taffen; und sobald ich davon, was sich eben zugekragen hakte, sprechen

hörte, begab ich mich an ort und Stelle, um die Wahr, heit einer ausserordentlichen That zu bestätigen, von welcher die einzelnen Umstände mir unglaublich schienen. Als ich in Mathieu L o v a t' s Stube mit dem mich begleitenden Wundarzte Paganoni angekommen war, sah ich ihn wirklich so verwundet, - als ich es eben beschrieb; er hatte die Fähe noch im Wasser, in welchem er nur eine unbeträchtliche Menge Blut verloren hatte. Seine Augen waren geschlossen, er antwortete auf keine

Frage; den Puts fand ich eonvutstvisch, das Athemholen behindert. Sein Zustand ersordetle schleunige Hülse. In der Fotge liest ich den Berwundeten mit Genehmst gung des Potieeidireelors vom Eanal regio, der an,

wesend war, um sich von dem Borgange zu überzeugen,

zu Wasser in die meiner Leitung anvertraute, im Hospital de Saint Giovanni e Paolo, etabtirte kaiserliche klinische Schute bringen. Während der Ueber, fahrt sagte er zu seinem Bruder An get o, der ihn in

die Barke begleitete und Aber sein vergehen klagte, »etter

Mathieu iovat.

ar

ker nichts, als die Worte: Ach! ich hin sehr unglstck, lich! Als er ins Hospital gebracht war, bestätigte eine neue Untersuchung der Wunden alles, wie ich es er» zählt habe- Man überzeugte sich vollkommen, daß die in den Händen steckenden Nägel durch die hohle Hand

gedrungen und am Rucken derselben zwischen den Kno,

chen der Mittelhand, ohne jene zu verletzen, wieder her, ausgegangen waren, daß der Naget, welcher die Fuße verwundet halte, zunächst den rechten zwischen dem zwei, ten und dritten Miktetfllßfnochen nach ihren hintersten Enden zu, durchbohrt hatte, sodann den linken zwischen dem ersten und zweiten derselben Knoche», letzterer so,

bald er durch den nämlichen Nagel gestreift und verletzt war; daß die Wunde des Hypochondriums bis an den Punkt der Höle drang, welche ich oben bestimmte; und hieß war die Schilderung, welche ich davon den obrigseitlichen Behörden zusttllle.

Die Wunde des Hypochondriums wurde durch die Methode der geschwinden Bereinigung behandelt, ohne

unsre Zuflucht zur Bauchnath nehmen zu muffen. Ich sand es hinreichend dem Berwundeten eine zweckmäßige Lage zu geben, der späterhin täglich ruhiger wurde und alles, was ich ihm vorschrieh, mit der größten Folgsam,

leit that. Die Wunden seiner Gliedmaßen behändeste man, wie

es die äusserste Empfindlichkeit der verletzten Theite erfow derte.

22

Geschichte der Kreuzigung

derte, mit erweichenden, schmerzstillenden Mitteln. In der Folgt wandt' ich weiter nichts, als ein wenig ganz frisches -Oe! von Jaß-n Mandeln und einen ganz einfach heretketen Breiun fetaog aus Brodktume und Mitch an,

welchen ich um die Fuße, einen großen Theil der Schen-

fei, um die Hände und fast die Hälfte der Borderarme legen und täglich mehrere Mate erneuern ließ. Einige Unzen von der Mixtura cardiaca opiata

nach und nach genommen, und eine sehr schwache Liknde node, waren die einlljien Matel, die ich ihm innerlich in den ersten 6 Tagen nehmen ließ.

Die Diät war,

selbst während der ersten Tage, nicht sehr streng; und ein unbedeutendes Aufschwellen des Unterleibes, das bald trokncn Bähungen wtch, abgerechnet, kam kein auch nur einigermaßen bedeutender Zufklll während des ganzen

©erlaufe der Krankheit hmzu: am fünften Tage eiterten die Wunden an den Gliedmaßen mit ein wenig Rotte an den Rändern und am achten Tage hakte sich die im Hypochondrium völlig geschlossen. Der Kran, le sprach mit niemanden. Immer duster und in sich get kehrt, waren seine Augen fast stets geschlossen. Mehrere

Male frug ich ihn um die Ursache seiner Kreuzigung, und jedesmal gab er mir zur Antwort: der Stolz der

Menschen müsse gez sichtige( werden und am Kreuze endigen.

Besorgt, er thue sich, der Anwesenheit meiner Schäl ler wegen t Zwang an , (hat ich Sanz allein wiederholt jene

Mathieu iobat.

23

jene Frage an ihn, erhielt aber immer dieselbe Antwort. Er hatte sich dermaßen überredet, daß der Wille des Höch, sten ihm die Verbindlichkeit am Kreuze zu sterben aufer, legt hätte, daß er die Gerichtsbehörde von der Bestlm, mung unterrichten wollte, die er zu erfüllen Habe, und dem Verdacht zuvorkommen, daß sein Tod das Werk ei, nes andern, als seiner selbst seyn könne. In dieser Ans

ficht und tange vor seinem Mirtyrerlod schrieb er seine Gedanken auf einen Zettet nieder, den ich noch allstes wahre. Er ist von ihm eigenhändig geschrieben in einem Style und mit Buchstaben, wie man sie bei seine0

literarischen Erziehung und der Verwirrung seines Kopfes sich denken kann. In den ersten Tagen klagte er über gar keinen Schmerz. Uber am Morgen des achten, als ich ibn fragte, ob er in der Nacht geschlafen habe, verneinte er es; er habe dagegen in der linken Hand und

in beiden Füßen die heftigsten Schmerzen empfunden und leide noch sehr daran. Ich that noch andre Fragen an ihn, die ergänz gescheut beantwortete.

Am folgenden Tage war er wieder In seine Phanlat fiten zuruckgefallen, so daß ich Muhe hatte ein Ia auf die Frage, oh er die Nacht geschlafen habe, und oh seine Schmerzen vorilher waren, zu erhalten. Ich beobachtete hestindsg und machte auch meine Schüler darauf aufmerksam, daß, sobald der Kranke bet fonllene, helle Zwischenräume hatte, er die Stellen, mo er

24

Geschichte der Kfelliigunß

ec verwundet gewesen war, untersuchte, ob sie gleich schon geheilt waren, er auch die mehrten oder mindern deftis gen Schmerzen, nach Maasgabe der affieirten Theile, empfand. Dieß waren die Augenblicke, welche ich dazu benutzte, um von ihm jene Aufschlüsse über feine Kreu,

ligung herauszubringtn, wie Sie sie eben gelesen haben.

Kaum waren feine Hände im Stande ein Pfund an Gewicht zu halten, als er fein Gebetbuch zur Hand nahm

und den ganzen Tag darinnen las. In den ersten Sa, gen des Augusts fand man alle feine Wunden vollkommen geheilt, ohne daß es ihm im mindesten schwer wurde fei,

ne Fuße und Hände zu bewegen, und ohne die geringste schmerzhafte Empfindung beim Bewegen derfelben, wollte

er das .Hospital verlassen, um, wie er sagte, kein Brod

zu essen, ohne etwas dafür zu thun. Als ihm das Anse gehen verboten ward, brachte er einen ganzen Tag, ohne etwas zu sich zu nehmen, zu; und als er sah, daß man ihm seine Kleider vorenthielt, lies er an einem Nachmit, tage aus dem Hospitale im Hemde davon; allein er wur, de durch die Krankenwärter aufgefangen. Die GeneralPoliceidirection, von der Heilung der Wunden dieses Unk glücklichen unterrichtet, verordnete weislich: ihn indas

Hospital für Wahnsinnige zu Saint Servolo zlt

schassen. Die Schnelligkeit und der Erfolg der Heilung dieses Menschen, selbst seine Beharrlichkeit mit dem Borhaben sich

Mathieu iovat.

25

sich zu kreuzigen zu vereinigen und seine Standhaftigkeit es selbst zu vollziehen, konnten nur schlechterdings in dem Zustande von Berrückthelt statt finden, in welchen er tief versunken war. Sie wissen, mein werkher und gelehrter Freund, daß Wahnsinnige sehr unempfindlich, sehr reiz-

los werden, was der Fall 1st, sobald ihr Geist immer nur auf eine, oder nur aufeine kleine Anzahl Ideen beschränkt, von keinen andern Eindrücken, die er von andern Gegen» ständen erhalten könnte, gerührt wird; in der Folge von der Unvollkommenheit ihrer Nerven ; und endlich, wenn ich mich so ausdrucken darf, von einem Fehler derNervenstlifsigkeik, welche in ihnen eireuliren sollte. Dieß ohngesähr ist die

Meinung fast aller Physiologen über diesen Gegenstand, selbst ohne den scharfsichtigen Darwin auszunehmen, der ihnen die uuverflätbare Standhaftigkeit zuschreibt, mit welchen diese große Anzahl Märtyrer aller verfolgten Re,

llgionen die Martern und Ouaten überwunden haben, dem zufolge ihre Empfindungsfählgkeit nur sur die Bee erachtung der ihnen versprochenen himmlischen Guter ♦)

verwendet wurde.

Ausserdem schien mir M a t h l e u L 0,

d a t mit dem Pellagra behaftet zu seyn.

Ich bin es

überzeugt, daß dies) in der Thal der Fall war; und daß man dieser Krankheit den größten Theil seiner Fühllosigkeit luschreiben muß. Man weiß, daß die damit Behafteten

die Anwendung der Brenneylinder und andere Dualen, denen man sie unterzog, um sie aus ihrem fchlaffüchtigen

Zustande herauszureissen, mit Gleichgültigkeit ertrugen. Es ’) Darwin Maladies de Volition Sec. XXXIV.

t6

Geschichte her Kreuzigung Es ist endlich bekannt, wie ich schon oben bemerkte,

daß jedesmal wenn dieser Mensch jene eingewurzelte Idee von sich verscheuchen konnte, und vernünftig sprach, er für Schmerzen Empfindung zeigte. Hieraus kann man

schließen, daß in diesem Augenblicke das Nervensystem die ihm eigenen Funktionen verrichtete, und daß es dem Hirn

alle in seinen kleinsten Thellen empfangenen Eindrücke zu, führte-

Daß Mathieu Sovak sich ums Leben bringen wollte, ist eben nichts wunderbares; aber vielists, daß er die Berrückkbeit hatte, sich, bevor er sich das Leben

nehmen wollte, so grausam zu martern. Man weiß, daß alle Selbstmörder darauf bedacht sind, sich den möge llchst schnellsten Tod zu bewerkstelligen, weil sie den

Schmerz furchten. Der Gedanke des Leidens muß dem M as

thieuiovat, unmittelbar nach jenem der Kreuzigung, nicht in den Sinn gekommen seyn, oder er mag geglaubt haben, sich vor seinem Tode zum wirklichen Märtyrer

machen zu muffen. Mathieu Sovaks ®eschschte würde unvollständig seyn,

mein theurer Freund, wenn ich Sie nicht auch mit einem

Briefe bekannt machen wollte, den R. P. Louis Por * talupl, Drdensgeistlicher vom Orden des heiligen Io, hannes, Gottes, berühmter Arzt und geschickter Wund-

arzt des Hospitals von Saint Servo to, die Güte hatte an mich zu der Zelt zu schreiben, als er sich daselbst aast

Mathieu iovak.

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aufhielk, wetcherl seiner Kurze ohngeachlek. Sie mit allen auf diesen sonderbaren Wlhnstnnigen Bezug habenden De1

tails, bis zum Augenblick seines Todes, bekannt machen

wird.

Hier haben Sie die treue Eopie: »Mathieu ?oval, genannt Easate, war, als

man ihn in das Hospital der Wahnsinnigen zu St. Sers

void am :osten August igo? gebracht hatte, die ersten acht Tage hindurch ruhig und folgsam, nachdem aber wurde er in sich gekehrt, und siena an jede Art von Speise und Trank zu verweigern. Gewalt und Ueberredung wurden vergeblich angewendek: es war sechs Tage nacheinander unmöglich ihn dazu zu bringen, auch nur einen Tropfen Wasser heruntrrzuschlucken. Während dieses Zwischenraumes nahm man seine Zuflucht zu ernährenden

Jfiystieren, gegen welche er feinen Abscheu bezeigte. Am siebenden Tage gegen Morgen gewann eres über sich, in, dem ihm ein anderer Wahnsinniger es aufdrang, etwas Nahrung zu sich zu nehmen. Er fuhr nun fort ohngesähr fünfzehn rage hindurch zu essen, nach welchen er wieder zu fasten ansieng und seine Enthaltsamkeit bis jum eitften

Tag fortsetzte *).

Die nährenden Ktystlere wurden wie,

der

·) Eia, selbst vfrle Wochen anhaltendes, Fasten in Krankhet, een ist keine so große Seltenheit, als ein eine große Reibe von Tagen hindurch stakt findendes Enthalten aller Naheungs, mitte! in gesunden Tagen, von welcher Art ich im Iren St. des Slathgehers für alle Stände, hexauvgeged. den D. Collen-

Geschichte her Kreuzigung

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her von neuem angewandt; aber man konnte nur von einem täglich Gebrauch machen. Während des SJertaufs

dieser eilf Tage bemerkte er keine Ausleerung des Unter, leides, ein einziges Mal ließ er ohngefähr zwei Pfund Urin.

Mitten im Gange dieser Unordnung der ganzen

thierischen Einrichtung des Körpers schien feine Natur ganz und gar nicht gelitten zu haben; Kräfte und äusses

res Ausfehen waren, wie vorher. Diefe strengen Fasten wurden zu verschiedenen Ma, len mit demselben Erfolge wiederholt, und mehr, oder

weniger verlängert, ohne daß invest die längsten ,üben den zwölften Tag dauerten.

Im Ianuar 1806 zeigten sich an ihm Symptome der Schwindfucht. Sehr kleiner Puls, Abnahme der Kräfte, trokne Zunge te. t binnen sieben Tagen aber wich sie stärkenden Mitteln, die man ihm nehmen ließ. Gegen die Mitte des Februars bemerkte man, daß ihm das Gesicht gefchwoll, der .Harn sparsam abgieng; daß

er zuweiten Husten mit eitrigem Auswurf bekam. Man wandte die nach Umständen angezeigten Mittet an; er schien wieder hergestellt und wahrend dem ganzen Monat Marz bemerke

Collenbufch. Gotha 1799. S. Ig5 —1st einen merktvurdigen Fall unter der Aufschrift bekanat machte: ‫״‬Neuer Beweist, daß Menschen zehn Tage lang ohne alle.Nahrnng leben können.”

Mathieu iovat.

T9

bemerkte man kein Zeichen einer ®rustfrankhett mehr.

Man beobachtete an ihm eine eigene Art von Wahnsinn: die nämlich, wo der Kranke unbeweglich sich den brent nendsten Sonnenstraten aussetzt ), * so lange, *) Diels verrieth wohl weniger eine besondere Art einer Manie, als vielmehr das sicherste Kennzeichen des dumpfen Wahn, sinns, der Melancholia !attonita. in welchem die Unthätigkeit des Nervensystems den höchsten Grad erreicht bat, der Kranke gewöhnlich, wie eine Bildsäule, unbeweglich ist, auf einer Stelle steht, oder sitzt, weder Speise, noch Trank begehrt, oder diese, wenn man sie ihm bringt, ohne Besennenbeit verschlingt je: Nach Thom Barnes Ideen Uber die willkuhtliche Gewalt, welche unsre Seele über die Sensationen ansuben soll (in Memoiren ok literary und philosophical Society os Manchester. Vol. 11.) vermindern religiöse UeberteUgungen und Gefühle, die zuweilen ia Enthusiasmus und Schwärmerei ausarten, die Empfindsamkeit io hohem Grade, zumal bei nebeln und Markern, welche man um der Neliqisn willen zu dulden glaubt. — uebexbauet scheint die Empfindsamkeit der Nerven in dem Sultande des Wahnsinns zuweilen ganz aufiuhören. Daher die Wahnsinnigen oft gegen alle Verletzungen fühllos sind, und das Gefühl des Hungers, der Kälte und Hitze bei ivnew ans eine Seitlang unterdrilkt bleibt. Starke Einwirkung der Sonnenstralen,besonders auf den Kops, bewirkt, nach umständen, bald 1) gefährliche ja tödtlsche, bald aIwohlthätige Fol, gen. Dort, bei II, entsteht leicht eine übermäßig permehrte Hirnthätigkeit, unter dem Namen des Sonnenstichs bekannt. Die erst auf den höchsten Grad gestiegene Empfindlichkeit geht meistens in gänzlichen Vertust derselben über. Die ©onnenstralen äussern an dellen und solchen Tagen, wo die Sonne mit mehr Freiheit und Stärke und läne set auf unsre Athmofphäre wirken kann, ihren Einfluß auf das



Geschichte her Kreuzigung

lange, bis die Oberhaut des Gesichts sich ahschieferk; man mußte einige Mate Gewalt brauchen ihn jn den

Schatten zu tieheuSim bas Sensorium weit starker, als unter entgegengeseaten umBänden. So bemerkte Cbiarngi (della Pazzia in genere e in fpezic, rrarrnro wedico . arinlitico . con unu

Centuria di Oilervazioni, di Vincenzo Chinrugi. X). Μ. Profea; di Mrd. e cbinirg.

vel

Regio Spednlv

|u Florenz, daß zu der Seit der Ernte und in einer beständigen Jahresleit (.wie es un Anfange des Hei bikes im I. 1791 H. 1793 der Fall'war) die Bauern weit mehr, als alle andere Stände dem Wahnsinn unterworfen waren, dergleichen Fälle er in der 55sten und sesteu stiver ®robb, näher beschleicht. — Ungewöhnlich wohlthätige Folgen der stark, einwirkenden Seunenlkraleu (so w!e man sie nicht selten von der Anwendung der B r e n n e y l i n d e t :e. b e i m dumpfen ®ahn sinn, bei der Gefühllosigkeit und dem Stumpfsinn 1e. beobachten kann) wollen die ®enedictioer - Mönche ,im Kloster Ossiach (Ozzink) in cdem von mir durchreisten *) Hberkälntben von kristallenen Kugeln von der ©rlße einer Pcmeranie — die ihnen die H. Mutter Maria im I. '300 während der Messe auf den Altar legte — gesehen haben. Sie gebrauchten diese Kugeln bei Besessenen, Rasenden, Tauben, Stummen, s&liyden und bei heftigen HanptschnerlenBeim Sonnenschein mußten die Kranken vor der Kirche in einem Sessel sitzen/ an den sie angebunden wurden. Ein Priester nahm eine die, (er Kugeln, hielt sie gegen die Sonne, und brannte den Sitzendi Bonifacio.

Florenz.

1795 — 94.)

*)®."weise durch das mlttzgklche

Deutschland

uns

einen Dhell von Italien von 3. H. G. Schlegel. Mit Knpseln. Streite vermehrte Austage. Siegen u. Wetzlar bei Jra. sechs u. Wüster 1|07. 4JS e. in (.

e.

Mathieu iovak.

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Am zweiten April befand er sich übel;

die

Geschwulst im Gesicht und an den Gliedmaßen kehrte zurück; er wurde von häufigem Husten mit eitrigem Aus-

würfe angegriffen, der aber den fechsten Tag verschwand. In diesem Zeitraume bemerkte man nun empfindliches

Rasseln auf der Brust, der Puts fallt gänzlich .... mit einem Wort am Morgen des achten Tages gab er, nach

einem kurzen Todeskampfe, seinen Geist auf.” Sollten Ihnen noch einige Zweifel über die Ihnen von mir eben mitgetheiiten einzelnen Umstände von Mathieu iovats Kreuzigung übrig bleiben, so schreiben Sie es einzig und allein der mangelnden Klarheit meiner Darstellung zu. Die ungewöhnlichsten diefer Thatfachen find authentisch und stutzen sich auf zahlreiche und unver, werfliche Zeugnisse. Es wird hinreichend seyn Ihnen nut

das des Herrn Raths und Doetors Iran Piccioli

und des Herrn Doctors Francois Aglietti, Pro, lessors dermediechischen Klinik, anzufuhren. Aber was * sprech ich von Zweifeln? Nein: Sie werden, fo wie ich, überzeugt feyn, daß man Mathieu Sovaks Wahnsinn ganz von der Gattung Manie ahleiten kann, wo der Kranke

Sitzenden, bis er zu schreien ansieng, und dann sey er seiner Krankheit entledigt genes». Nur die, welche dem Bacchus oder der Venus opferten, bekamen Nüeksalle. Die Einfassung der Klrchthür enthält eine auf die Heilkräfte jener Kusein sich beziehende lateinische Inschrift.

S.

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Geschichte der Kreuzigung Mathieu tovat.

Kranke stets eine einzige fite Idee, höchstens nur für sehr wenige Gegenstände Sinn hat und von Kühnheit in den Unternehmungen des Willens begleitet wird, wel,

che Mich. E t t m u t t e r (Collegium, practlc. et medico, cbirurg. Franc. 17og. lol.) mit Delirium me.

linoholicum, Eapiv aeeio ‫ )״‬mit der Benens nung ‫״‬M aniacum audio” bezeichnete ♦♦). Ich bin Je. Je.

©enedig den Zostekr May 180ä.

*) Hieran. Capivaccii opera oinnin. Franc. 1603. Fol.

P. 29· ) * 4

Die Art Narrheit, wo die Narren nur in einem Punkt verrukt sind, nennt Erhard Morin melaneliolici.

Bei Männern Ist der Punkt, nm den sich die Narrheit grdß-

tentheils dreht, mehr Stoli, als Liebe. S.

Editionsnotiz Neben der in diesem Buch als Faksimile reproduzierten deutschen Übersetzung der Schrift von Cesare Ruggieri konnten noch weitere Ausgaben des Textes errnittelt werden: Storia della crocifissione di Matteo Lovat da se stesso eseguita, communicata in lettera da Cesare Ruggieri ad un medico suo amigo. In: Amoretti, Carlo: Nuova scelta d’opuscoli interessanti suite scienze e suite arti’tratti dagli atti delle accademie, e dalle altre collezioni filosofiche e letterarie, dalle opere piu recenti inglesi, tedesche, irancesi, latine, e itallane, e da rnanoscritti, originali, e inediti. Milano 1804-1807. Histoire du cmciefiement execute sur sa propre personne par Mathieu Lovat, communique au public dans une lettre de Cesar Ruggieri ä un meaecin son ami. Venise 1806. 24 S., 2 Abb.

Narrative of the crucifixion of Matthew Lovat, executed by his own hands, at Venice in the month of July, 1805. Originally communicated to the public by Cesar Ruggieri. Now first translated into Englisch. In: The Pamphleteer. London 1814. Bd. 3, S. 361-375. Storla della crocifissione di Matteo Lovat da se stesso eseguita, communicata in lettera da Cesare Ruggieri ad un medico suo amigo. Venezia: Fracasso 1814. 20 S., 2 Abb. Matheo von Casale. 1805. (Bearbeitete Fassung!) In: Der neue Pitaval. Eine Sammlung der interessantesten Criminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit. Herausgegeben vom Criminaldirektor Dr. J. E. Hitzig und Dr. W. Häring (W. Alexis). Sechster Theil. Mit einer lithographieren Tafel. Leipzig: F. A. Brockhaus 1844. S. 283—295. Die Selbstkreuzigung von Matteo Lovat. Bamberg 1914. 47 S. (= Volksschriften zur Umwälzung der Geister, Heft 111)

splitter Herausgegeben von Michael Farin

Band I

Leopold von Sacher-Masoch Souvenirs Autobiographische Prosa

Band 2

Aleister Crowley Gilles de Rais The banned lecture

Band 3

Cesare Ruggieri Selbstkreuzigung Der Fall Matteo Lovat

Band 4

Joris-Karl Huysmans Magie im Poitou Gilles de Rais

Band 5

Jules Janin Der Marquis von Sade und andere Anschuldigungen

edition belleville Amalienstr. 32

8000 München 40

Cesare ruggieri (1768 — 1828), venetianischer Arzt, berichtet in dieser Schrift über eine unglaubliche Begebenheit: die durch Matteo Lovat, auch Matteo von Casale genannt, zu Venedig am 19. Juli 1805 an sich selbst vollzogene Kreuzigung.

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