124 28 70MB
German Pages 638 Year 1995
WOLFF HEINTSCHEL VON HEINEGG
Seekriegsrecht und Neutralität im Seekrieg
Schriften zum Völkerrecht Band 119
Seekriegsrecht und Neutralität im Seekrieg Von Prof. Dr. Wolff Heintschel von Heinegg
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Heintschel von Heinegg, WollT:
Seekriegsrecht und Neutralität im Seekrieg I von Wolff Heintschel von Heinegg. - Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zum Völkerrecht; Bd. 119) Zugl.: Bochum, Univ., HabiL-Sehr., 1994 ISBN 3-428-08417-9 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten . © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-08417-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8
Vorwort Seekriegsrecht und Neutralität im Seekrieg scheinen auf den ersten Blick völkerrechtliche Randbereiche zu sein, die zwar für die zur Zeit einzige große Seemacht- die Vereinigten Staaten von Amerika-, nicht aber für die Bundesrepublik Deutschland von aktuellem Interesse sind. Überhaupt wird maritimen Belangen hier eine nur vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit zuteil. Soweit das im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbare Völkerrecht betroffen ist, mag dies darin begründet sein, daß bis zum Ende der achtziger Jahre aufgrund der geopolitischen Lage der Bundesrepublik Deutschland andere Aspekte zu Recht im Vordergrund standen. Spätestens der Iran-Irak-Konflikt (1980-1988) hat indes deutlich vor Augen gefiihrt, daß ein von Exporten und damit von freien Seeverbindungen abhängiges Land gegenüber dem Seevölkerrecht auch nicht insoweit indifferent sein darf, als das im internationalen bewaffneten Konflikt zur See anwendbare Recht betroffen ist. Da jedoch dieser Bereich des Völkerrechts in internationalen Übereinkommen geregelt ist, die mehrheitlich aus dem Jahre 1907 datieren, ist es umso dringlicher, der Frage nach dem aktuellen Stand des Seekriegsrechts und maritimen Neutralitätsrechts nachzugehen. Diese Arbeit wurde im Frühjahr 1994 von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Habilitationsschrift auf Grund der Gutachten der Professoren Dr. Dr. h.c. mult. Knut Ipsen, Dr. Hans. D. Jarass und Dr. Tono Eitel angenommen. Ich danke meinem Lehrer, Professor Dr. Dr. h.c. mult. Knut Ipsen, der mich bereits als Student fiir das Völkerrecht begeistert und mir als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl und am Institut ftlr Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht die Gelegenheit gegeben hat, diese Arbeit fertigzustellen. Ohne seine Betreuung und vielfaltigen Anregungen wäre dies nicht gelungen. Danken möchte ich auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft für das mir bewilligte Habilitationsstipendium sowie dem Auswärtigen Amt für einen Druckkostenzuschuß, ohne den die Veröffentlichung der Arbeit in der vorliegenden Form nicht möglich gewesen wäre. Ein ganz besonderer Dank gebührt schließlich meiner Familie für ihre Geduld und für ihre Anteilnahme an meiner Arbeit. Essen-Kettwig, März 1995
WolfJ HeinischeI v. Heinegg
Inhaltsverzeichnis Einleitung
23
A. Zum Nachweis ungeschriebener Normen des maritimen ius in bello B. Zum Gang der Untersuchung 0000000000
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27 42
1. Kapitel
Der Einfluß der Charta der Vereinten Nationen auf das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts/Kriegsvölkerrecht A. Die These vom ausschließlichen Vorrang des ius in bello
44
oo . . oooo . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . oooo . . . . . .. . . . . . . . . . . . oooooooooo
B. Die These von der urunittelbaren Geltung des ius ad bellum im internationalen bewaffheten
Konflikt..........................................................................................................................................
oo
I. Konsequenzen fiir die Rechtsbeziehungen zwischen den Konfliktparteien ............................. II. Konsequenzen fiir die Rechtsbeziehungen zwischen den Konfliktparteien und dritten (neutralen) Staaten ...............................................................................
oo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . oo oo . . . . . . . . . oo
III. Kritik ..................................................................................................... 00 .......... 00..................... 1. Das Rechtsverhältnis der Konfliktparteien ............
oo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . oooooo . . . . . . . . . . oooo . . . . oooooooo
2. Das Rechtsverhältnis der Konfliktparteien zu Dritten .......... a) Hinfälligkeit des Neutralitätsrechts? ..............
oo oooo oooooooooo . . . . . . . . . . oooooo . . oo oo . .. . oo oo ·
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b) Quantitative und/oder qualitative Modifikation des Neutralitätsrechts durch die Grundsätze der Erforderlichkeil und Verhältnismäßigkeit?
oo oo . . . . oooo . . . . . . . . . . oo . . . . . . . . . . oooo.... .
c) Nichtkriegfllhrung? .......................................................................... C. Eine zeitgemäße Charakterisierung des Kriegsvölkerrechts ..
I. Anwendung des ius ad bellum ex-post? II. Das ius in bello als "Notordnung" ......
oo . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . oo
oo . . . . oo oooo . . . . . . oo . . oo oooo oooooooooooooooo oo oooooooo·
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1. Das ius in bello im engeren Sinne (das Rechtsverhältnis der Konfliktparteien)
2. Die Rechtsbeziehungen zwischen den Konfliktparteien und Dritten .. a) Zwischenstaatliche Rechtsbeziehungen .................
oo oooo . . . . oo.....
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b) Rechtsbeziehungen zwischen den Konfliktparteien und der Schiffalut nicht arn Konflikt beteiligter Staaten ..........
oooo•oo······ . . . . . . . . oo oo·• . . • oo oooo oo . . . . . . . . . . . . . . . . . oo ••• oo . . oooo • oo . . oooooo... .
49 56
57 64 72 73 86 86 98 100 120
123 125 126
139 140
145
8
lnhaltsverzeiclmis
2. Kapitel
Zum Anwendungsbereich des maritimen ius in bello
158
1. Abschnitt "Krieg" und intemaüonalel' bewaffneter Konflikt (sachliclter und zeitlicher Anwendungsbereich)
158
A Die Rechtslage bis 1949 ................................................................................................................ 158 B. Die Ersetzung des Kriegsbegriffs durch den "internationalen bewallheten Konflikt" ... ............... 162 I. Das humanitäre Völkerrecht und das Kriegfilhrungsrecht i.e.S. .............................................. 162 li. Das Prisen- und Beuterecht gegenüber gegnerischen Schiffen ................................................ 167 III. Das Neutralitätsrecht ................................................................................................................ 172 C. Die zeitliche Grenze der Anwendbarkeit des (maritimen) ius in bello und des (maritimen) Neutralitätsrechts ............................................................................................................................ 185 I. Das humanitäre Völkerrecht und das Recht der Methoden. Mittel und Objekte bewaffheter Schädigungshandlungen ........................................................................................................... 185 li. Das Recht des gegen gegnerisches Privateigentum gerichteten maritimen Wirtschaftskriegs 187 III. Das Neutralitätsrecht ................................................................................................................ 188 2. Absclmitt Das allgemeine Seekriegsgebiet (räumlichel' Anwendungsbereich)
191
A Das traditionelle Recht...................... ...........................................................................................
191
B. Das allgemeine Seekriegsgebiet heute ........................................................................................... 196
I. Die Pflicht zur Achtung neutraler Küstengewässer.................................................................. 196 1. Neutrales Küstenmeer ........ .................................................................................................. 197 2. Neutrale innere Gewässer, Basislinien ................................................................................ 204 3.Neutrale Archipelgewässer ................................................................................................... 208 li. Das Landgebiet, die inneren Gewässer, das Küstenmeer und die Archipelgewässer der Konfliktparteien ........................................................................................................................ 213 1. Partielle Beschränkungen in bezugauf Massenvernichtungswaffen ................................... 214 2. Internationale Meerengen ...... .................................... ........................................................... 217 3. Durchfahrt auf Archipelschilfahrtswegen ............................................................................ 225 III. Die Seegebiete jenseits der seewärtigen Grenze des Küstenmeeres......................................... 226 1. Beschränkung auf die Küstengewässer der Konfliktparteien? ............................................ 226 2. Neutrale Sicherheits- und Neutralitätszontn jenseits der seewärtigen Grenze des Küstenmeeres .................................................... ........................................ ......... .................. 237 3. Neutrale Ausschließliche Wirtschaftszonen (EEZ) ............................................................. 242 4. Neutraler Festlandsockel ...................................................................................................... 252
5. Partielle Beschränkungen auf der Hohen See ...................................................................... 254
Inhaltsverzeichnis
9
3. Kapitel
Die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien eines internationalen bewaffneten Konflikts zur See
258
I. Absclmitt Das Recht der KampDtandlungen
258
A Seekrieg und die Grundsätze des Kriegsvölkerrechts ................................................................... 258 I. Vorbemerkung .......................................................................................................................... 258
II. Die auf den Seekrieg anwendbaren Grundsätze des Kriegsvölkerrechts ................ ................. 260 I. Rechtsquellen ......................... ........................................... ..................................... .............. 260 2. Die im Seekrieg geltenden kriegsvölkerrechtlichen Grundsätze und die Definition des militärischen Ziels ......................................................... .............................. ............ .......... ... 262 a) Kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel und Methoden der Kriegfilhrung ... 262 b) Das Verbot, die Zivilbevölkerung als solche oder einzelne Zivilpersonen zum Ziel von Angriffen zu machen, und der Unterscheidungsgrundsatz im Seekriegsrecht ......... 269 c) Die Definition des "militärischen Ziels" im Seekrieg..................................................... 275 d) Menschlichkeit ................................................................................................................. 283 e) Perfidieverbot und Kriegslisten .............................................................. ......................... 287
f) Der Schutz der Umwelt im Seekrieg ................................................................................ 298 aa) Die Bestimmungen des ZP I ...................................................................................... 303 bb) Das Gewohnheitsrecht .............................................................................................. 310 B. Militärische Ziele, geschützte Fahrzeuge und sonstige Objekte im Seekrieg............................... 318 I. Gegnerische Kriegsschiffe, militärische Luftfahrzeuge und ihre Besatzungen ........................ 318
I. Kriegsschilfe und ihre Besatzungen..................................................................................... 320 2. Militärische Luftfahrzeuge und ihre Besatzungen ............................................................... 328 II. Hilfsschilfe, Staatsschilfe und -Iuftfahrzeuge ........................................................................... 330 III. Besonders geschützte gegnerische Fahrzeuge, ihre Besatzungen und Passagiere ................... 333 I. Lazarettschilfe ...................................................................................................................... 333 a) Voraussetzungen und Inhalt des Schutzes ....................................................................... 333 b) Wegfall des Schutzes ....................................................................................................... 341 2. Sanitätsluftfahrzeuge ............................................................................................................ 344 3. Küstenrettungsboote und andere Sanitätsschilfe ................................................................. 348 a) Küstenrettungsboote ........................................................................................................ 348 b) Sanitätstransporte ............................................................................................................ 350 c) Andere Sanitätsschilfe ..................................................................................................... 350 4. Passagierschilfe und -flugzeuge............................................................................................ 352
5. Nach Maßgabe des XI. Haager Abkommens und des Übereinkommens über den Schutz
von Kulturgut geschützte Fahrzeuge ................................................................................... 356 6. Kartellschilfe und -Iuftfahrzeuge sowie Fahrzeuge unter freiem Geleit .............................. 361
10
Inhaltsverzeiclmis 7. Mariner Umweltschutz......................................................................................................... 362 IV. Gegnerische Handelsschiffe, zivile Luftfahrzeuge und Personen an Bord dieser Fahrzeuge. 363 I. Begriffsbestimmungen ............. ...................................... ........................................ .............. 363 2. Die Rechtsstellung gegnerischer Handelsschiffe und ziviler Luftfahrzeuge ....................... 365 a) Gegnerische Handelsschiffe .................................... .. ....................................................... 365 b) Zivile gegnerische Luftfaluzeuge .................................................................................... 376 3. Besatzungen und Passagiere................................................................................................ 379 V. Unterwasserkabel und -pipelines ............................................................................................... 380
C. Mittel und Methoden der Seekriegfiiluung ................................................................................... 382
I. Minenkrieg ................................................................................................................................ 382 l. Das VIII. Haager Abkonunen von 1907 ............................................................................. 385
2. Völkerrechtliche Beschränkungen in räumlicher Hinsicht sowie in bezugauf neue Minengenerationen ................... ............................................................................................ 390 a) Besondere vertragliche Verbote ....................................................................................... 390 b) Begriff der Mine ... .................... ....................................................................................... 391 c) Räumliche Beschränkungen des Seemineneinsatzes ....................................................... 392 d) Rechtspflichten betreffend das Verlegen moderner Seeminen........................................ 395 aa) Überwachung............................................................................................................. 396 bb) Gefahrbeherrschung .. ........ ... ................... ..... .. .... ....................... ................................ 396 cc) Warnung.................................................................................................................... 398 dd) Sonstige Vorsichtsmaßnahmen fiir die Sicherheit der friedlichen Schiffahrt ........... 400 ee) Verbot des Mineniegens zum alleinigen Zweck. die Handelsschiffahrt zu unterbinden ......................................................................................................................... 400 e) Räumpflicht ..................................................................................................................... 401 3. Minenräumen durch Neutrale .............................................................................................. 403 4. Minenlegen vor Ausbmch eines internationalen bewaffueten Konflikts............................. 406 a) Minenlegen in eigenen Gewässern .................................................................................. 406 b) Minenlegen jenseits der eigenen Hoheitsgewässer .......................................................... 408 II. Torpedos und (Marsch-)Flugkörper ......................................................................................... 410 III. Blockade ................................................................................................................................... 4 I 5
1. Die Entwicklung des Blockaderechts in der Staatenpraxis ................................................. 416 2. Das geltende Blockaderecht ................................................................................................. 426 a) Erklärung, Notifikation, Unparteilichkeit und Wirksamkeit .......................................... 427 b) Voraussetzungen der Aufbringung .................................................................................. 430 c) Versorgung der Zivilbevölkemng, der Verwundeten und Kranken ................................ 431 IV. Ausschlußzonen ....................................................................................................................... 434 1. Die Staatenpraxis bis 1945 .................................................................................................. 435 a) Russisch-japanischer Seekrieg (1904/05) ....................................................................... 435
Inhaltsverzeichnis
11
b) I. Weltkrieg...................................................................................................................... 436 c) Il. Weltkrieg.................................................................................................................... 439 2. Völkerrechtliche Würdigung der Sperrzonen der Weltkriege ............................................. 443 3. Die Staatenpraxis seit 1945 ................................................................................................. 447 a) Falkland-Konflikt (1982) ..........................................................•..................................... 448 b) Iran-Irak-Konflikt (1980-1988) ...................................................................................... 450 4. Würdigung, Ergebnis und Ausblick .................................................................................... 454 V. Unterseeboote ............................................................................................................................ 466 I. Der Einsatz von Unterseebooten im Wandel der Zeiten...................................................... 468
2. Die geltende Rechtslage ....................................................................................................... 471 VI. Angriffe aufLandziele ............................................................................................................. 474 I. Das IX. Haager Abkommen ................................................................................................. 475
2. Rechtliche Beschränkungen durch das Zusatzprotokoll1 von 1977 und das Gewohnheitsrecht ............ .. ... ................................. ........ .. ............... ... ................................................ 477 2. Abschnitt Das Recht des Wirtschaftskriegs - Prisenrecht I -
482
A Die Rechtsstellung gegnerischen Privateigentums im Seekrieg nach dem traditionellen Recht.. 483 I. Das Recht aufBeschlagnahme und Einziehung gegnerischen Privateigentums auf See ......... 483 11. Die gegnerische Eigenschaft von Schiffen, Luftfahrzeugen und Ladungen ... ........ ... ... ........... 489
B. Staatenpraxis und Rechtsentwicklung seit dem Ende des Il. Weltkriegs ........................ .............. 493 I. Konfliktpraxis und militärische Handbücher........................................................................... 493
11. Der gegenwärtige Stand des Prisenrechts in bezug auf gegnerische Schiffe, Luftfahrzeuge und deren Ladungen ...... ...................................................... .................................................. ... 497
4. Kapitel
Das Rechtsverhältnis zwischen den Konfliktparteien und Dritten -Das maritime Neutralitätsrecht-
500
I. Abschnitt Die zwischenstaatliehen Rechtsbeziehungen - Neutralitätsrecht i.e.S.-
500
A Grundsätze des Neutralitätsrechts ................................................................................................. 50 I I. Enthaltungs- und Verhinderungspflichten ................................................................................ 501
II. Unparteilichkeit ........................................................................................................................ 506 B. Die Rechtsbeziehungen zwischen Neutralen und Konfliktparteien in neutralen Häfen, Reeden und Küstengewässern .................................................................................................................. . 508 I. Ausschluß der Konfliktparteien aus neutralen Küstengewässern ............................................ 509
12
Inhaltsverzeichnis I. Internationale Meerengen ..................................................................................................... 512 a) Transitdurchfahrt in und über internationalen Meerengen ............................................. 512 b) Meerengen, in denen das Recht aufTransitdurchfalut nicht gilt.................................... 521 2. Neutrale Archipelgewässer .................................................................................................. 532 II. Rechte und Pflichten in bezug auf den Aufenthalt von Kriegsschiffen und Prisen der Konfliktparteien in neutralen Küstengewässern ...................................................................... 534 I. Neutrales Küstenmeer und neutrale Archipelgewässer ....................................................... 534 a) Begriff und Inhalt der "bloßen Durchfahrt" .................................................................... 534 b) Selbstverteidigung in neutralen Küstengewässern .......................................................... 543 2. Kriegsschiffe und Prisen der Konfliktparteien in neutralen Häfen und Reeden .................. 549 a) Kriegsschiffe.................................................................................................................... 550 b) Prisen ............................................................................................................................... 555 c) Handelsschiffe der Konfliktparteien, die die Seestreitkräfte unterstützen...................... 556
IJI. Pflichten der neutralen Küstenstaaten bei Neutralitätsverletzungen durch die Konflikt· parteien. Rechte der benachteiligten Konfliktpartei ................................................................. 557
2. Abschnitt
Maßnahmen gegenüber neutralen HandelsscltlfTen und Luftfahneugen
566
A Kontrolle des neutralen Handels (Prisenrecht II) .................. ........................................................ 567 I. Entwicklung des Prisenrechts bis zum Ende des II. Weltkriegs ............................................... 567 II. Die Entwicklung seit 1945 und der gegenwärtige Stand des Prisenrechts .............................. 574 B. Neutrale Handelsschiffe und Luftfahrzeuge als militärische Ziele (feindselige Unterstützung).. 582
Zusammenfassende Schlußbetrachtung
589
Literaturveneichnis
593
Abkürzungsverzeichnis
AA
Auswärtiges Amt
a.A
anderer Ansicht
Abs.
Absatz
Abt.
Abteilung
AC.
Appeal Cases
Add.
Addendum
AdG
Archiv der Gegenwart
AEGIS
Advanced Surface-to-Air Missile System
AFDI
Annuaire Franr,:ais de Droit International
AIDI
Annuaire de )'Institut de Droit International
AILC
American International Law Cases
AIIL
American Journal oflnternational Law
Arun.
Arunerkung
Ann.Dig.
Annual Digest ofPublic International Law Cases
AöR
Archiv des öffentlichen Rechts
AP
Additional Protocol
Art.
Artikel
ASIL
American Society of International Law
ASW
Anti-submarine Warfare
ATC
Air Traffic Control
Aufl.
Auflage
AUnl..&P
American University Journal oflntemational Law and Policy
Austral. YBIL
Australian Yearbook of International Law
AVR
Archiv des Völkerrechts
AWACS
Airborne Warning and Control System
AWG
Außenwirtschaftsgesetz
BCPC
British and Colonial Prize Cases
Bd.
Band
Bde.
Bände
BDGV
Berichte der Deutschen Gesellschaft fiir Völkerrecht
14
Abkürzungsverzeiclmis
BGBI.
Bundesgesetzblatt
BGSG
Gesetz über den Bundesgrenzschutz
BILC
British International Law Cases
BLG
Bundesleistungsgesetz
Boston College lnt'l.&Comp.L.Rev.
Boston College Internationaland Comparative Law Journal
Breg.
Bundesregierung
brit
britisch
BSFP
British and Foreign State Papers
BTDrucks.
Drucksachen des Deutschen Bundestages
Bull.
Bulletin
BYIL
British Yearbook of International Law
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
Ca!. W.Int'l.L.J.
California Western International Law Journal
Cap.
Caput
CAPTOR
Encapsulated Torpedo
CDDH
Conference diplomatique sur Ia reaffirmation et le developpement du droit international humanitaire applicable dans les conflits armes
CEP
Circular Error Probable
CLP
Current Legal Problems
Cmd.
Papers presented to Parliament by Command of(His)
col.
colurnn
Her Majesty Columbia L.Rev.
Columbia Law Review
Corneiii.L.J.
Cornelllnternational Law Journal
Cranch.
U.S. Supreme Court Reports, Cranch
C.Rob.
C. Robinson's Adrniralty Reports
CYIL
Canadian Yearbook of International Law
Dept
Departrnent
Dick.J.lnt'l.L.
Dickinsan Journal oflnternational Law
Diss.
Dissertation
DMAHTC
U.S. Defense Mapping Agency and Hydrographie Center
Doc.
Document
Dods.
Dodson's Adrniralty Reports
dt.
deutsch
Abkürzungsverzeichnis EA
Europa-Archiv
ebd.
ebenda
ECM
Electronic Countern1easures
Ed.led.
Editor; Edition
EEZ
Exclusive Economic Zone
EFZ
Exclusive Fisheries Zone
EG
Europäische Gemeinschaften
e.g.
exempli gratia
EnUJEDI
15
European Journal oflnternational Law/Journal europeen de droit international
ENMOD-Übereinkonunen
Übereinkonunen vom 18. Mai 1977 über das Verbot der militärischen oder einer sonstigen feindseligen Nutzung umweltverändernder Techniken
Envt'l.Pol.&L.
Environmental Policy and Law
EPIL
Encyclopedia ofPublic International Law (hrsgg. v. R
Bernhardt) EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Fn.
Fußnote
Fordham Int'l.L.J.
Fordham International Law Journal
FR
Frankfurter Rundschau
FS
Festschrift
GA
General Assembly
GAI
I. Genfer Abkonunen vom 12. August 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde
GAII
Il. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schißbrüchigen der Streitkräfte zur See
GAIII
Ill. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 Ober die
GAIV
IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum
Behandlung der Kriegsgefangenen Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten Ga.J.Int'l.&Comp.L.
Georgia Journal oflntemational and Cornparative Law
gern.
gemäß
Georgetown L.J.
Georgetown Law Journal
GYIL
German Yearbook oflnternational Law
16 Hansard
Abkürzungsverzeicluus Parliamentary Debates
Harv.I.L.J.
Harvard International Law Journal
H.C.
House ofConunoiiS
H.L.
House ofLords
HLKO
Haager Landkriegsordnung (Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs; Anlage zu dem IV. Haager Abkonunen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907)
h.M.
herrschende Meinung
Houston J.Int'l.L.
Houston Journal of International Law
Hrsg.
Herausgeber
hrsgg.
herausgegeben
HuV-1
Humanitäres Völkerrecht - Informationsschriften
ICAO
International Civil Aviation Organization
ICJ
International Court of Justice
ICJ Rep.
International Court of Justice, Reports of Judgrnents, Advisory Opinions and Orders
ICLQ
International and Comparative Law Quaterly
ICRC
International Comnlittee ofthe Red Cross
i.dF.
in der Fassung
IDI
Institut de Droit International
IFF
Identification Friend or Foe
IFHV
Institut filr Friedenssicherungsrecht und Humanitäres
IGH
Internationaler Gerichtshof
Völkerrecht IIHL
International Institute ofHumanitarian Law
InL
Indian Journal oflnternational Law
IKRK
Internationales Komitee vom Roten Kreuz
!LA
International Law Association
ILC
International Law Conunission
ILM
International Legal Materials
ILQ
International Law Quaterly (seit 1952: ICLQ)
ILR
International Law Reports
!MO
International Maritime Organization
!MT
International Military Tribunal
INMARSAT
International Maritime Satellite Organization
Int.
International
Abkürzungsverzeichnis Int'l.&Comp.L.Rev.
17
International and Comparative Law Review
Intra.L.Rev.
Intramural Law Review
IRRC
International Review ofthe Red Cross
Isr. YBHR
Israel Yearbook on Human Rights
ltal.YBIL
ltalian Yearbook of International Law
ITIJ
International Telecommunication Union
i.V.m.
in Verbindung mit
JAGJournal
Judge Advocate Generai Journal
J.O.
Journal officiel
JPR
Journal ofPeace Research
Kap.
Kapitel
KWKG
Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen
LB
Lehrbuch
LCP
Law and Contemporary Problems
lit.
littera
Ll.P.C.
Lloyd's Reports of Prize Cases
LNTS
League ofNations Treaty Series
LoN
League ofNations
LoN Doc.
League ofNations Documents
LOS
Law ofthe Sea
LRPC
Law Reports, Privy Council
LRWCT
Law Reports ofTrials ofWar Criminals
MARPOL
Marine Pollution (Abkürzung fiir das Übereinkommen vom 2. November 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe)
Michigan L.R.
Michigan Law Review
Mil.L.Rev.
Military Law Review
Minnesota L.R
Minnesota Law Review
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
NATO
North Atlantic Treaty Organization
NILR
Netherlands International Law Review
No.
Number
Nord.T.l.R.
Nordisk Tidsskrift for International Ret (seit 1986: Nordic Journal oflntemational Law)
NRG
2 H. v. Hcincgl!
Nouveau Recueil Gem~ral (G.F. de Martens)
18 NWP9
Abkürzungsverzeiclmis Atmotated Supplement to the Commanders's Handbook on the Law ofNaval Operations (NWP 9 (Rev. A)/FMFM 1-10)
NYIL
Netherlands Yearbook oflnternational Law
NZWehrr
Neue Zeitschrift rur Wehrrecht
NZZ
Neue Zürcher Zeitung
ODIL
Ocean Development and International Law. The Journal ofMarine Affairs
OKM
Oberkonunando der Kriegsmarine
O.R./OR/Off. Rec.
Official Records
OTHT
Over-the-Horizon-Targeting
ÖZöRV
Österreichische Zeitschrift rur Öffentliches Recht und Völkerrecht
p.
page
Para./para.
Paragraph
Pari. Deb.
Parliamentary Debates
P.C.
Privy Council
PCIJ
Permanent Court oflnternational Justice
PCIJ Ser. A
Permanent Court oflnternational Justice, Collection of Judgements, Nos. 1-24
Proc. Proc. ASIL
Proceedings Proceedings ofthe American Society oflnternational Law
RAM
Rolling Airframe Missile
RBDI
Rewe beige de droit international
RdC
Recueil des Cours
RDI
Rewe de droit international de sciences diplomatiques et politiques
Rdn.
Randnummer
RDPMDG
Rewe de Droit Penal Militaire et de Droit de Ia Guerre
Rep.
Report/Reports
Res.
Resolution
Rev.
Review; Rewe
Rev.Egypt.D.I.
Rewe Egyptienne de Droit International
RFA
Royal Fleet Auxiliary
RGBI.
Reichsgesetzblatt
RGDIP
Rewe generate de droit international public
Abkürzungsverzeiclmis
RHDI
Revue hellenique de droit international
RIAA
Reports oflnternational Arbitral Awards
RICR
Revue internationale de Ia Croix-Rouge
RUS!Journal
Journal ofthe Royal United Services Institute for
19
Defence Studies
SAM
Surface-to-Air Missile
SC
Security Council
SCOR
Security Council, Official Records
Sect.
section/sectio
Ser.
Serie/Series
SIPRI
Stockholm International Peace Research Institute
SLBM
Sea Launched Ballistic Missile
SLCM
Sea Launched Cruise Missile
sm
Seemeilen
SOLAS
Safety ofLife at Sea (Abkürzung filr das Internationale Übereinkommen vom 1. November 1974 zum Schutze
sosus
des menschlichen Lebens auf See) Sound-Surveillance-System
Sov.YBIL
Soviel Yearbook of International Law
SRÜ 1982
Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982
SSM
Surface-to-Surface Missile
SSR
Secondary Surveillance Radar
St!GH
Ständiger Internationaler Gerichtshof
STIJIT
Ships Taken Up From Trade
Suppl.
Supptementum/Supplement
Syracuse J.Int'l.L&Com.
Syracuse Journal oflnternational Law and Commerce
sz
Süddeutsche Zeitung
TEZ
Total Exclusion Zone
TIAS
Treaties and Other International Acts Series
TLR
Times Law Reports
Towson State J.I.Aff.
Towson State Journal oflntemational Affairs
Übers.
Übersetzung
UCLA Pacific Basin L.J.
University ofCalifomia Los Angeles Pacific Basin Law Journal
UdSSR
2*
Union der sozialistischen Sowjetrepubliken
20 ÜFHS 1958
Abkürzungsverzeichnis Übereinkommen vom 29. April1958 über Fischerei und Erhaltung der lebenden Naturvorkommen der Hohen See
ÜFS 1958
Übereinkommen vom 29. April1958 über den Festlandsockel
ÜHS 1958 ÜKM 1958
Übereinkommen vom 29. April1958 Ober die Hohe See Übereinkommen vom 29. April1958 Ober das KOstenmeer und die Anschlußzone
U.N.IUN
United Nations
UNCLOS
United Nations Conference on the Law ofthe Sea
U.N. Doc.
United Nations Documents
UNEP
United Nations Environment Programme
UNIIMOG
United Nations lran-lraq Military Observer Group
UNTS
United Nations Treaty Series
u.s.
United States Reports
USA
United States of America
U.S.N.I.P.
United States Navallnstitute Proceedings
UST
United States Treaty Series
V.
von; versus
VAE
Vereinigte Arabische Emirate
VAR
Vereinigte Arabische Republik
Verf.
Verfasser
vgl.
vergleiche
Virginia J.I.L.
Virginia Journal of International Law
Virginia L.Rev.
Virginia Law Review
Vol.
Volume
VRÜ
Verfassung und Recht in Übersee
Wash.L.Rev.
Washington Law Review
WEU
WesteuropAische Union
WVR
Wörterbuch des Völkerrechts (hrsgg. v. K. Strupp/H..J. Schlochauer)
YaleL.J.
Yale Law Journal
YBILC
Yearbook ofthe International Law Commission
YB ofWorld Aff.
Year Book ofWorld Affairs
ZaöRV
Zeitschrift filr ausländisches öffentliches Recht und
Zdv
Zentrale Dienstvorschrift
Zf.
Ziffer
Völkerrecht
Abkürzungsverzeiclmis ZÖIIR
Zeitschrift filr Öffentliches Recht
ZPI
Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer
21
Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffiteter Konflikte (Protokoll I) ZVgiRWiss
Zeitschrift filr Vergleichende Rechtswissenschaft
Einleitung Die Beendigung des "Kalten Krieges" hat, wie es scheint, zu einer Wiederbelebung - oder besser: zu einem erstmaligen Funktionieren - des Systems kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen gefuhrt. Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats blockieren sich nicht mehr gegenseitig, sondern handeln gemeinschaftlich im Bewußtsein ihrer Verantwortung fur den Weltfrieden und die internationale Sicherheit. Die die Bipolarität der internationalen Beziehungen kennzeichnende Politik der Konfrontation ist einer umfassenden Kooperation zur Aufrechterhaltung und Förderung der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens gewichen. Internationale wie nationale (bewaffnete) Konflikte sind Gegenstand einer universellen Friedensordnung eines "Weltinnenrechts". 1 Mit dem Wegfall des Ost-West-Gegensatzes ist die Organisation der Vereinten Nationen einer Neustrukturierung zugänglich und kann den veränderten Bedingungen, auch unter Einbeziehung weiterer Staaten in die Hauptverantwortung fur den Weltfrieden und die internationale Sicherheit, angepaßt werden. Werm auch nicht damit zu rechnen ist, daß die Vereinten Nationen in naher Zukunft über eigene Streitkräfte verfugen werden, so erscheint die Ermächtigung einzelner oder einer Gruppe von Staaten zur zwangsweisen Durchsetzung von Resolutionen des Sicherheitsrats doch als geeignetes Mittel zur Friedenssicherung und Friedensschaffung. Angesichts dieser- unvorhersehbaren- Veränderungen muß auch die Feststellung überzeugen, es sei urmötig, dem Kriegsvölkerrecht besonderes Augenmerk zu schenken, werde doch "auf Grund der politischen und soziologischen Situation in der Welt ein Krieg oder Konflikt nicht mehr als akzeptables Instrument der Politik hingenommen".2 Zwischenstaatliche bewaffnete Auseinandersetzungen gehörten zwar nicht der Vergangenheit an, sie bedürften aber nicht mehr einer besonderen Rechtsordnung. Diese Argumente haben seit der Völkerbundära indes nur diejenigen zu überzeugen vermocht, die das Erfordernis eines Regelwerks für den Krieg/internationalen bewaffneten Konflikt unter Hinweis auf das Gewaltverbot bzw. die Ächtung
1 Dazu statt vieler J. Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues "Weltinnenrecht"?. Perspektiven der Völkerrechtsentwicklung in einem sich wandelnden intemationalen System, in: Stiftung Wissenschaft und Politik (IIrsg.), Intemationales Umfeld, Sicherheitsinteressen und nationale Planung der Bundesrepublik, Teil C Bd. 6, Ebenhausen 1992, S. 1-31 . 2 E. Beckert/G. Breuer, Öffentliches Seerecht, Berlin!New York 1991, Rdn. 1282.
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des Krieges überhaupt leugnen. Der internationale oder internationalisierte bewaffnete Konflikt wird auch in Zukunft zu den Realitäten der zwischenstaatlichen Beziehungen gehören. Die Vereinten Nationen werden solche Konflikte weder verhindern noch unterbinden können. Die durch den IrakKuwait-Konflikt bewirkte Euphorie über eine "Neue Weltordnung" ist recht schnell der Ernüchterung gewichen. Die Vereinten Nationen werden bereits angesichts der globalen wie auch ihrer eigenen Wirtschaftslage gar nicht in der Lage sein, die ihnen ursprünglich zugedachte Ordnungsfunktion wirksam zu erfüllen. Die Mitgliedstaaten sehen sich darüber hinaus mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert, die ein weitreichendes Engagement für internationale Belange erheblich erschweren, wenn nicht unmöglich machen. Die bemerkenswerte Einigkeit der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats gegenüber der irakiseben Aggression ist zudem das Ergebnis einer einzigartigen Konstellation, die sich in absehbarer Zeit kaum wiederholen dürfte: (1) Durch den Zerfall der ehemaligen UdSSR war die Republik Rußland gezwungen, sich dem Westen anzunähern, um so ihre desolate wirtschaftliche Situation überwinden zu können. (2) Der Persische Golf ist die bedeutendste Region für die Versorgung der Industriestaaten mit Erdöl. (3) Die Volksrepublik China sah in ihrer Zustimmung zu den Zwangsmaßnahmen gegen den Irak einen geeigneten Weg, sich aus der diplomatischen Isolation zu lösen, in die sie aufgrund der Ereignisse am "Platz des Himmlischen Friedens" geraten war. Die kürzlich veröffentlichte Militärdoktrin der russischen Streitkräfte hat jedoch vor Augen geführt, daß die Republik Rußland angesichts der zahlreichen Nationalitätenkonflikte im eigenen Land keineswegs bereit ist, die Aufgaben eines "Weltpolizisten" zu übernehmen. Aber auch in den USA ist eine Rückbesinnung auf nationale Interessen zu beobachten. Schließlich wird die Volksrepublik China weiterhin eine eigenständige Rolle in den internationalen Beziehungen spielen wollen. Die Ziele ihrer Außenpolitik werden daher mit denen der anderen Mitglieder des Sicherheitsrats nur übereinstimmen, wenn entweder gemeinsame Interessen betroffen sind oder andere Gründe es erfordern, sich die Ziele der anderen zu eigen zu machen. Gleichzeitig ist das Konfliktpotential trotz oder gerade wegen der historischen Veränderungen der letzten Jahre nicht geringer geworden. Die Situation in Ost- und Südosteuropa hat vor Augen geführt, daß der "Kalte Krieg" bestehende nationale und/oder religiöse Gegensätze lediglich überlagert hat. Der Nationalitätenkonflikt ist indes nicht die einzige Gefahr für die internationale Sicherheit und den Weltfrieden. Die Konflikte am Persischen Golf verdeutlichen, daß die Staaten eine Gefährdung der Versorgung mit Rohstoffen und wichtigen Wirtschaftsgütern nicht hinzunehmen bereit sind. Hinzu kommt eine Verknappung der Ressourcen, die es erforderlich macht, den Meeresboden und -untergrund verstärkt auszubeuten. Mit dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 19823 haben die Staaten
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die seit dem Jahre 1948 zu verzeichnende ständige Ausweitung küstenstaatlicher Nutzungsrechte in Seegebieten, die vormals der hohen See zugerechnet wurden, rechtlich sanktioniert. Der damit einhergehende verstärkte Zugriff auf die lebenden und nicht-lebenden Ressourcen des Meeres birgt aber zugleich die Gefahr zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen in sich. 4 Dies verdeutlichen die zahlreichen Streitigkeiten, die sich beispielsweise im Zusammenhang mit der Proklamation ausschließlicher Wirtschaftszonen oder der Geltendrnachung von exzessiven Festlandsockelansprüchen ergeben. Zahlreiche Staaten der sog. "Dritten Welt" sehen in der Nutzung des Meeres einen Ausweg aus ihrer schlechten wirtschaftlichen Lage. Zur Sicherung dieses Interesses rüsten sie ihre Seestreitkräfte aufS, so daß nicht ausgeschlossen werden kann, daß in Zukunft Streitigkeiten um natürliche Ressourcen zunehmend auf die Hohe See hinausgetragen werden. Die daraus resultierenden Gefahren für die von freien Schiffahrtswegen in besonderem Maße abhängigen westlichen Industriestaaten liegen auf der Hand. Dem Völkerrecht stellt sich die Aufgabe, auf diese Gefahren für die internationale Sicherheit zu reagieren und Mechanismen sowie verbindliche Verhaltensmuster zur Verhinderung und Begrenzung zwischenstaatlicher Konflikte bereitzustellen. Das System kollektiver Sicherheit und das Friedenssicherungsrecht werden dieser Aufgabe auch in Zukunft nur in eingeschränktem Maße gerecht werden können. Nicht zuletzt aus diesem Grunde hält das Völkerrecht in Form des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts ein weiteres Instrumentarium vor, das der Anwendung zwischenstaatlicher militärischer Gewalt rechtliche Schranken setzen soll. Dieses ius in bello hat, soweit internationale bewaffnete Konflikte an Land betroffen sind, einen beachtlichen Kodifikationsstand erreicht. Anders verhält es sich demgegenüber in bezug auf den internationalen bewaffneten Konflikt zur See. Zwar sind das Seekriegsrecht und das im Seekrieg anwendbare Neutralitätsrecht in völkerrechtlichen Verträgen fixiert. Diese Kodifikationen datieren aber mehrheitlich aus dem Jahre 1907 und sind bereitsangesichtsder technischen Veränderungen als wirksame rechtliche Schranken der modernen Seekriegfiih-
3 BT Drucks. 12/7829 v. 10.06.1994; U.N. Doc. A/CONF.62/122, 7. Oktober 1982 mit Corr. 3, 23. November 1982, Corr. 8, 26. November 1982; abgedruckt in: R. Platzöder!W. Graf Vitzthum, Seerecht/Law ofthe Sea: Textausgabe, Baden-Baden 1984, S. 69 ff. Das Seerechtsübereinkommen ist am 16. November 1994 in Kraft getreten und stellt- soweit küstenstaatliche Nutzung:;rechte betroffen sind - kodifiZiertes Gewohnheitsrecht dar. 4 D. Mahnke, Seemacht und Außenpolitik: Eine Einfilhrung in die Problematik, in: D. Mahnke/H.P. Schwarz (Hrsg.), Seemacht und Außenpolitik, Frankfurt a.M. 1974, S. 1-21, 16 ff.
' Vgl dazu die Angaben in United Nations Depl. ofDisarmament Affairs, The Naval Arms Race, New York 1986, S. 13 ff.. Ferner die Beiträge bei R. Fieldhouse (ed.), Security at Sea. Naval Forces and Arms Control, Oxford 1990; K. Booth, Law, Force & Diplomacy at Sea, Boston/Sidney 1985.
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rung allenfalls bedingt geeignet. 6 Da auch in naher Zukunft nicht mit einer Kodifizierung des Seekriegsrechts zu rechnen ise, verbleibt als rechtlicher Maßstab das Gewohnheitsrecht bzw. das ungeschriebene maritime ius in bello. Damit stellt sich zugleich die Frage des Nachweises.
6 U. Scheuner, Einwirkungen der modernen Entwicklung des Seekriegsrechts und Seerechts, in: D. Mahnke/H.-P. Schwarz (Hrsg.), Seemacht und Außenpolitik (Anm. 4), S. 59-80, 77 f. 7 Die International Law Association hat im Jahre 1990 das Committee on Maritime Neutrality errichtet, das sich mit dem besonderen Aspekten der Neutralität im Seekrieg befaßt Erste konkrete Vorschläge des Berichterstatters, auf die im folgenden zurückzukommen sein wird, wurden der !LAKonferenz in Buenos Aires (1994) unterbreitet. Darüber hinaus hat eine vom Institute of International Humanitarian Law (San Remo) und vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz eingesetzte Expertengruppe einen Entwurf zum Seekriegsrecht ausgearbeitet, der im September 1994 veröffentlicht worden ist. Auch auf diesen Entwurf wird im folgenden Bezug genommen werden. Die Arbeiten der ILA und der Expertengruppe sind indes keine Vorarbeiten fiir eine ins Auge gefaßte Kodiflkationskonferenz, sondern stellen weitgehend Beiträge der Völkerrechtslehre zur fortschreitenden Entwicklung des Kriegsvölkerrechts dar.
A Zum Nachweis ungeschriebener Normen des maritimen ius in bello
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A. Zum Nachweis ungeschriebener Normen des maritimen ius in bello Jeder Versuch des Nachweises ungeschriebener Normen des maritimen ius in bello wird zunächst an der Definition des Völkergewohnheitsrechts in Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut ansetzen müssen. Danach entsteht eine Norm des Gewohnheitsrechts durch die von einer Rechtsüberzeugung (opinio iuris sive necessitatis) getragene internationale Übung der Rechtssubjekte. Legt man das traditionelle und wohl immer noch herrschende8 Verständnis dieser Legaldefinition zugrunde, die ja keineswegs ausschließlich als Anweisung an den Internationalen Gerichtshof verstanden wird, sind das objektive und das subjektive Element in gleichem Maße konstitutiv für die Herausbildung einer gewohnheitsrechtliehen Norm. 9 Eine gewohnheitsrechtsbegründende Übung wird angenommen, wenn die betreffenden Verhaltensweisen von einer Dazu V. Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, Berlin 1991, S. 95 fi m.w.N. Die Rechtsprechung des IGH reflektiert die herrschende Auffassung in besonderem Maße. In den Nordsee-Festlandsockel-Fällen stellte der Gerichtshof klar, daß eine wie auch immer gefestigte Staatenpraxis kein hinreichender Beweis fiir die Existenz einer entsprechenden Gewohnheitsrechtsnorm ist: "Not only must the acts concerned amount to a settled practice, but they must also be such, or be carried out in such a way, as tobe evidence of a beliefthat this practice is rendered obligatory by the existence of a rule of law requiring it. The need for such a belief, i.e., the existence of a subjective element, is implicit in the very notion ofthe opinio iuris sive necessitatis" (ICJ Rep. 1969, 44). Im Nicaragua-Fall wurde in gleicher Deutlichkeit auch fiir den Fall an dem Erfordernis des objektiven Elements festgehalten, daß über den Inhalt einer gewohnheitsrechtliehen Norm eine beachtenswerte Einigkeit unter den Staaten besteht: ,.The Court notes that there is in fact evidence [...] of a considerable degree of agreement between the Parties as to the content of customary international law relating to the non-use offorce and non-intervention. This concurrence oftheir views does not however dispense the Court from having itself to ascertain what rules of customary international law are applicable. The mere fact that States declare their recognition of certain rules is not sufficient for the Court to consider these as being part of customary international law, and as applicable as such to those States. Bound as it is by Article 38 of its Statute to apply, inter alia, international custom 'as evidence of a general practice accepted as law', the Court may not disregard the essential roJe played by generat practice. [... ] in the field of customary internationallaw, the shared view ofthe Parties as to the content of what they regard as the rule is not enough. The Court must satisfY itself that the existence of the rule in the opinio iuris of States is confumed by practice" (ICJ Rep. 1986, 97 f.). Auch das Nürnberger Militärtribunal (IMT I, S. 221) stellte in bezugaufdas ius in bello fest: ,.The law ofwar is tobe found not only in treaties but in the custorns and practices of states which gradually obtained universal recognition, and from the generat principles of justice applied by jurists and practiced by military 8 9
COUrts."
Anders freilich die Vertreter der naturrechtliehen und konsensorientierten Rechtsschulen, die den konstitutiven Charakter des objektiven Elements leugnen und die Übung lediglich als Hilfsmittel zum Nachweis einer Norm heranziehen, die entweder durch das Naturrecht vorgegeben oder aber vorab im Rechtsbewußtsein der staatlichen Entscheidungsträger entstanden sei (vgl. etwa R. Ago, Science juridique et droit international, RdC 1956 II, 849-955, 932 ff.; B. Cheng , United Nations Resolutions on Outer Space- "Instant" International Customary Law?, IJIL 1965, 23-48; ferner die Nachweise bei U. Fastenrath, Lücken in1 Völkerrecht [Anm. 8], S. 99 f.). Andere begreifen das Gewohnheitsrechtmit unterschiedlichen Gewichtungen des objektiven Elements- als stillschweigenden Vertrag. Da die danach erforderliche Anerkennung durch eine entsprechende Willensäußerung zum Teil aber vermutet wird (RA. Mullerson, Sources of International Law: New Tendencies in Soviel Thinking, AJIL 83 (1989), 494-512, 496 ff. ), wenn die in Frage stehende Norm bereits von einer Vielzahl anderer Staaten anerkannt ist, werden die Unterschiede zu den anderen Theorien des Gewohn11eitsrechts weitgehend aufgehoben.
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gewissen Dauer, Einheitlichkeit und Verbreitung sind10, wenn diese Merkmale auch unterschiedlich gewichtet werden. 11 Zum Nachweis der allgemeinen12 opinio iuris soll die Übung selbst herangezogen werden können, wenn sie aufgrund der sie begleitenden Umstände Rückschlüsse auf eine mit dem tatsächlichen Verhalten korrespondierende Rechtsüberzeugung erlaubt. Im übrigen sind auch sonstige Rechtsbekundungen heranzuziehen, wenn durch sie das Bestehen einer entsprechenden Norm artikuliert oder behauptet wird. 13 Während nach 1945 über das Erfordernis sowohl des objektiven als auch des subjektiven Elements sowie über die Art ihres Nachweises weitgehende Einigkeit bestand, ist diese klassische Formel in jüngerer Zeit zunehmend in den Mittelpunkt der Kritik geraten. Stellvertretend sei auf Simma verwiesen, der meint, die Theorie des Gewohnheitsrechts müsse sich endlich der Blender des 19. Jahrhunderts entledigen und sich der rechtlichen Hermeneutik und der Sprachwissenschaft öffnen. Der Entstehungsprozeß gewohnheitsrechtlicher Normen sei keineswegs abgeschlossen, wenn die Staaten eine bestimmte Verhaltensweise an den Tag gelegt hätten. Gewohnheitsrecht existiere nicht dergestalt, daß man es lediglich aufzufinden brauche. Vielmehr erfordere sein Nachweis einen selektiven Ansatz dergestalt, daß bestimmten Fakten und Stellungnahmen eine größere Bedeutung zukomme als anderen. Die Auslegung der Staatenpraxis oder der opinio iuris sei niemals eine automatische Operation, sondern beinhalte die Auswahl und Handhabung konzeptioneller Matrizen, die es zu erhellen, zu diskutieren und zu begründen gelte.14 Diesem sowie den z.T. weiterreichenden Ansätzen15 kann hier im einzelnen nicht nachgegangen werden. Freilich ist nicht zu leugnen, daß sich das Völkergewohnheitsrecht in der Tat in einer "Identitätskrise" befindet, die indes nicht allein oder gar vorrangig auf die Kritik seitens der Völkerrechtslehre zurück10 Dazu statt vieler A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., Berlin 1984, §§ 553 ff.; I. Brownlie, Principles of Public International Law, 4th ed., Oxford 1990, S. 5 [ Ferner GM. Danilenko, The Theory oflnternational Customary Law, GY1L 31 (1988), 9-47 11 So lassen es einige Völkerrechtler genügen, wenn sich nur wenige Staaten (A. D'Amato, The Concept ofCustom in International Law, New York 1971, S. 42)- oder gar nur ein einziger Staat (E. Suy, Les actes unilateraux en droit international public, Paris 1962, S. 249 [, 260 ff.; M. Akehurst, Custom as a Source of International Law, BYIL XLVII [1974175), 1-55, 13) - an der Übung beteiligen. Hinsichtlich des Merkmals der Dauer besteht indes Einigkeit, daß sich die filr die Entstehung einer Norm des Gewohnheitsrechts erforderliche Zeitdauer nicht abstrakt und generell bestimmen läßt, sondern von Fall zu Fall erheblich variieren kann (vgl. allein ICJ Rep. 1969, 43). 12 Nach ganz h.A kommt es nicht aufdie Rechtsüberzeugungjedes einzelnen Staates, sondern auf eine "allgemeine" Grundposition an, so daß sie nicht bei jedem einzelnen festgestellt werden muß. Vgl. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht (Anm. 10), §§ 560 ff.; W Heintschel v. Heinegg, in: K. Jpsen, Völkerrecht, 3. Aufl., München 1990, § 16 Rdn. 15.
13 Vgl. allein die Nachweise bei W Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht (Anm. 12), § 16 Rdn. 42 ff. 14 B.
Simma, Editorial, 3 EJIUJEDI (1992), 215-218. Vgl. in: A. Cassese/JHH. Weiler (eds.), Change and Stability in International Law-Making, Berlin!New York 1988; ferner die Nachweise beiß. Simma, ebd., 216 [ 1'
A Zum Nachweis ungeschriebener Normen des maritimen ius in bello
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zuführen ist. Angesichts der zunehmenden Interdependenz und des damit verbundenen Bestrebens, den Bedürfnissen der modernen und komplexer strukturierten internationalen Gemeinschaft immer schneller gerecht zu werden, stehen auch die Staaten einer anpassungsfähigeren Gestaltung und Erleichterung des Entstehungsprozesses des Gewohnheitsrechts wie des Völkerrechts überhaupt keineswegs ablehnend gegenüber. 16 Gleichwohl besteht über die an die Erzeugung ungeschriebenen Völkerrechts zu stellenden Anforderungen keine Einigkeit, so daß wohl nicht davon ausgegangen werden kann, daß der Entstehungsvorgang verbindlicher ungeschriebener Verhaltensmuster die erforderliche Zustimmung (Konsens) der Beteiligten gefunden hat, soweit von den soeben skizzierten Grundsätzen zum Entstehungsprozeß von Völkergewohnheitsrecht abgewichen wird. Je nachdem, welche theoretische Grundposition zum Geltungsgrund des Völkerrechts zugrundegelegt wird, läßt sich die Existenz einer ungeschriebenen (gewohnheitsrechtlichen) Norm des Völkerrechts behaupten oder mit ebenso guten Gründen leugnen. Doch selbst wenn es aufgrund eines verifizierbaren Konsenses, auf dem nicht nur das Rechtserzeugungsverfahren, sondern auch dessen Ergebnis basieren muß, gelingt, die Existenz einer ungeschriebenen Norm nachzuweisen, wird sich diese nur in seltenen Fällen als eine konkrete Rechtsregel darstellen. Unter dem zunehmenden Regelungsbedarf, der allseits die Rechtserzeugung zu bestimmen scheint, vermögen sich die Staaten in immer geringerem Maße auf konkrete Regeln mit ebenso konkreten Rechtsfolgen zu einigen - gleichviel, ob im Rahmen eines multilateralen Vertrags, ob im Wege des formgebundenen oder des formlosen Konsenses. Auf den Nachweis ungeschriebener Normen des maritimen ius in bello wirken sich die aus der soeben skizzierten Situation resultierenden Unsicherheiten über die Erzeugung von Gewohnheitsrecht in besonderem Maße aus, da die Zahl seemilitärischer Konflikte seit 1945 im Vergleich zu sonstigen internationalen bewaffneten Konflikten gering ist. 17 Der Nachweis eines fur den Erzeugungsprozeß von Gewohnheitsrecht als konstitutiv angesehenen objektiven Elements begegnet daher erheblichen Schwierigkeiten, hält man zudem daran fest, daß nur diejenige Übung zur Herausbildung einer Norm des Gewohnheitsrechts beizutragen vermag, die von einer gewissen Dauer, Einheitlichkeit und Verbreitung ist. 18 Auch der Nachweis des subjektiven Elements begegnet nicht unerheblichen Schwierigkeiten, erlauben doch die das tatsächliche Verhalten begleitenden Umstände nur in eingeschränktem Maße Rück-
16
Vgl. allein die Nachweise bei U. Fastenrath, Lücken im Völkerrecht (Anm. 8), S. II I.
Vgl. die übersichtlichen Darstellungen bei: R. Ottmüller, Die Anwendung von Seekriegsrecht in militärischen Konflikten seit 1945, Harnburg 1978; und N. Ronzitli (ed.), The Law ofNaval Warfare, Dordrecht/Boston/London 1988); ferner W: Hein/schel v. Heinegg, Visit, Search, Diversion, and Capture in Naval Warfare: Part li, Developments since 1945, CYILXXX (1 992), 89-136,91 ff.. 17
18 So bereitsM.
Lachs, The Unwritten Laws ofWarfare, Tulasne L.R 20 (1945), 120-128.
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Einleitung
schlüsseauf eine korrespondierende Rechtsüberzeugung. 19 Darüber hinaus ist es zwar grundsätzlich anerkannt, daß auch völkerrechtliche Verträge zum Nachweis der opinio iuris herangezogen werden können, wenn in ihnen eine unabhängig vom Vertrag bestehende Rechtsüberzeugung zum Ausdruck gebracht wird?° Für den Bereich des maritimen ius in bello ist dieser Weg aber nicht immer gangbar. 21 Das I. Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Rotkreuz-Abkommen vom 12. August 194922 ist nach dem Willen der Vertragsstaaten auf den Seekrieg nur eingeschränkt anwendbar. 23 Aus diesem Grunde können die (vorgeblichen) Lücken des Seekriegsrechts auch nicht unter Bezugnahme auf das I. Zusatzprotokoll im Wege der Analogie geschlossen werden, setzt doch die analoge Anwendung der Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrags den Nachweis voraus, daß der Konsens der Parteien auch den vertraglich nicht geregelten Fall umfaßt. 24 Erst recht verbietet sich eine analoge Anwendung der Bestimmungen des I. Zusatzprotokolls auf Nicht-Vertragsparteien. Der vertraglich fixierte Konsens vermag auch nicht im Wege der Analogie eine (unzulässige!) Drittwirkung zu entfalten. Die Vorschriften des I. Zusatzprotokolls können folglich, soweit sie auf den Seekrieg anwendbar sind, auf das Rechtsverhältnis zwischen Nicht-Vertragspar19 Dies bedeutet freilich nicht, daß die Staatenpraxis während und anläßlich der maritimen bewaffiteten Konflikte jüngeren Datums (Falkland-, Iran-Irak-Konflikt) zu vernacWässigen wäre. Deren Bedeutung ergibt sich justausder Tatsache, daß die Zahl seemilitärischer Konflikte seit 1945 im Vergleich zu sonstigen internationalen bewaffueten Konflikten gering ist. Wie hier A .V. Lowe, The GulfConflict and the Law ofWar at Sea, in: D.S. Konstantinopoulos (Hrsg.), Thessaloniki 1989, S. 595-612,601. 20 Das setzt, folgt man dem 1GH, voraus, daß "the provision concerned should, at al1 events potentially, be of a fundamentally norm-creating character such as could be regarded as forming the basis of a general rule of law"; ICJ Rep. 1969, 41 f. Die in dem Vertrag zum Ausdruck gelangte Rechtsüberzeugung muß aber das Komplement einer entsprechenden Praxis sein, an der sich insbesondere diejenigen Staaten beteiligen müssen, deren Interessen besonders betroffen sind (ebd., 43). Grundlegend zu diesem Fragenkreis M.E. Villiger, Customary International Law and Treaties, Dordrecht/Boston!Lancaster 1985; R.R. Baxter, Multilateral Treaties as Evidence of Customary International Law, BYIL XL (1965/66), 257-300; ders. , Treaties and Custom, RdC 129 (1970 I), 25104. Hinsichtlich des Gewohnheitsrechtscharakters der Genfer Abkommen von 1949 vgl. ferner Th. Meron, The Geneva Conventions as Customary Law, AJlL 81 (1987), 348-370. 21 Es sei aber bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß insbesondere das am 16. November 1994 in Kraft getretene UN-Seerechtsübereinkommen von 1982 zum Nachweis von auch im bewaffiteten Konflikt geltenden Gewohnheitsrechts herangezogen werden kann. Dazu I. Sinclair, The Impact ofthe Unratified Codification Convention, in: A. Bos/H. Siblesz (eds.), Essays in Honour of Wilhelm Riphagen, S. 211-229; L.B. Sohn, Unratified Treaties as a Source of Customary International Law, ebd., S. 231-246. 22 BGBI. 1990 II S. 1551. 23 Heute besteht weitgehende Einigkeit, daß die Bestimmungen von Teil IV Abschnitt I ZP I nicht anwendbar auf Schiff-Schiff-, Schiff-Luft- oder Luft-Schiff-Angriffe, es sei denn, die Zivilbevölkerung, Zivilpersonen oder zivile Objekte an Land können in Mitleidenschaft gezogen werden. 24 Älmlich G. Dahm!J. Delbrück/R. Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 2. Auf!., Berlin!New York 1989, S. 81. Anders: A. Bleckmann, Analogie im Völkerrecht, AVR 17 ( 1977), 161-180; M. Bogdan, General Principles ofLaw and the Problem ofLacunae in the Law ofNations, NordTIR 46 (1977), 37-53.
A Zum Nachweis ungeschriebener Normen des maritimen ius in bello
31
teien sowie zwischen ihnen und den Vertragsparteien nur Anwendung finden, wenn es sich um Nonnen handelt, über deren gewohnheitsrechtliehen Charakter oder ihre sonstige Allgemeinverbindlichkeit allgemeine Einigkeit besteht. 25 Die sonstigen, sich ausdrücklich auf den Seekrieg beziehenden Übereinkommen, die mehrheitlich aus dem 19. und dem beginnenden 20. Jahrhundert stammen, sind für die moderne Seekriegführung allenfalls bedingt aussagefahig?6 Da darüber hinaus wegen der ablehnenden Haltung der bedeutenden Seemächte gegenüber einer Kodifizierung des Seekriegsrechts in absehbarer Zeit nicht damit zu rechnen ist, daß sich die Staaten wie auf der Genfer Diplomatischen Konferenz ( 1974-1977) auf einen dem I. Zusatzprotokoll vergleichbaren seekriegsvölkerrechtlichen Vertrag zu einigen vennögen, wird auch in Zukunft die Diskussion über das geltende Seekriegsrecht in besonderem Maße von den unterschiedlichen rechtstheoretischen Grundpositionen zum Geltungsgrund des Völkerrechts gekennzeichnet sein. Erwähnt sei zudem die seit dem Jahre 1907 zu verzeichnende technische Entwicklung von Waffensystemen, die indes einer Anwendung des Rechts in weit geringerem Maße entgegensteht, als dies von einer Vielzahl von Autoren angenommen wird. Gleichwohl impliziert dieser Befund keineswegs, jeglicher Versuch des Nachweises ungeschriebener {gewohnheitsrechtlicher) Nonnen des Seekriegsrechts sei von vornherein zum Scheitern verurteilt oder beinhalte notwendigerweise spekulative Elemente. 27 Allein der Hinweis auf die zahlenmäßig geringen und in ihrer Ausformung recht unterschiedlichen tatsächlichen Verhaltensweisen der Konfliktparteien ist freilich schwerlich geeignet, den erstrebten Nachweis zu erbringen. Wie gesehen, ist es aufgrund der eingeschränkten Aussagekraft der seekriegsrechtlichen Korliftkationen auch nicht ausreichend, beim Nachweis des subjektiven Elements allein oder vorrangig auf das entsprechende Vertragsrecht zu rekurrieren. Diese Schwierigkeiten lassen sich aber zumindest teilweise beheben, indem Indizien sowohl für das objektive als auch für das subjektive Element herangezogen werden.
" Zur Feststellung des Gewolmheitsrechtscharakters der Bestirrunungen des I. Zusatzprotokolls vgl. aus jüngerer Zeit Ch. Greenwood, Customary Law Status of the 1977 Geneva Protocols, in: AJM. Delissen/GJ. Tanja (eds.), Humanitarian Law of Armed Conflict. Challenges Ahead, Essays in Honour of Frits Kalshoven, Dordrecht/Boston!London 1991, S. 93-114, 96 ff.; A. Cassese, The Geneva Protocols of 1977 on the Humanitarian Law of Armed Conflict and Customary International Law, UCLA Pacific Basin L.J. 3 (1984), 55-118; L. Penna, Customary International Law and Protocol 1: An Analysis ofSome Provisions, in: C. Swinarski (ed.), Studiesand Essays on International Humanitarian Law and Red Cross Principles in Honour of Jean Pictet, Dordrecht/Boston!London 1984, S. 201 -225. 26
An dieser Stelle soll ein Hinweis auf die Kommentierungen zu diesen Übereinkommen in N.
Ronzitti (ed.), The Law ofNaval Warfare (Anm. 17), S. 61 ff., genügen. 27 So aber A.V. Lowe, The GulfConflict and the Law ofWar at Sea (Anm. 19), S. 600 [
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Einleitung
Indizien fur das objektive Element finden sich in den sog. Rules of Engagement (RoE)28 , in denen die Maßnahmen der Seestreitkräfte in definierten Situationen möglichst genau festgelegt werden, wenngleich den Kommandanten naturgemäß ein Ermessensspielraum verbleibt. RoE dokumentieren mithin, was die Seestreitkräfte unternehmen werden, wenn die Voraussetzungen des ins Auge gefaßten Szenarios eintreten. 29 Insbesondere werden recht minutiös diejenigen Kriterien beschrieben, die die Durchfuhrung von Seekriegsmaßnahmen rechtfertigen, zwingend zur Folge haben oder ihnen aber entgegenstehen. 30 Zwar vermag der Hinweis auf die RoE den Nachweis des objektiven Elements nicht vollends zu ersetzen, zumal sie aufgrund der restriktiven Publikationspolitik der zuständigen Staatsorgane nur in seltenen Fällen verfiigbar sind. Ihre Einbeziehung rechtfertigt sich aber aus der Überlegung, daß sich die Streitkräfte in ihnen in einem beachtlichen Ausmaß festlegen und daß RoE auch Aufschluß darüber geben können, welche Maßnahmen in zukünftigen vergleichbaren Fällen ergriffen werden. Das bedeutet nun nicht, daß mittels der Heranziehung von RoE ohne weiteres auf die Existenz einer korrespondierenden ungeschriebenen Völkerrechtsnorm geschlossen werden kann. RoE sind ja in aller Regel auf bestimmte Situationen zugeschnitten. Ihre Ausgestaltung wird daher von dem jeweils verfolgten außenpolitischen Ziel bestimmt. Rechtlichen Erwägungen kommt dabei nicht immer eine entscheidende Bedeutung zu. Sie können sogar gänzlich unbeachtlich sein, wenn etwa die politische Entscheidung auf eine bewußte Eskalation der Situation gerichtet ist. RoE lassen sich daher charakterisieren als die Schnittmenge politischer, diplomatischer, militärischer und in variierendem Maße (völker-)rechtlicher Faktoren, von denen sich die Staaten bei ihrer Entscheidung über ihre Vorgehensweise in einer konkreten Situation leiten lassen?1 Dies beeinträchtigt jedoch in keiner Weise ihren potentiellen Wert fur den Nachweis ungeschrie28 Bei RoE muß zwischen den im Frieden und den im bewaffueten Konflikt anwendbaren unterscheiden werden. Hier sind lediglich die letztgenannten von Interesse. Eingehend zur Bedeutung der RoE D. F1eck, Rules of Engagement for Maritime Forces and the Limitation of the Use of Force under the UN Charter, GYIL 31 (1988), 165-186; JA. Shearer, Rules of Engagement and the lmplementation of the Law of Naval Warfare, 14 Syracuse J.lnt'l.L.&Com. (1988), 767-778; JA. Roach, Rules ofEngagement, ebd. 865-878. 29 JA. Roach, ebd., 869, beschreibt den Zweck der RoE wie folgt: "ROE during anned conßict do not Iimit military responses to defensive actions alone but do place Iimits, consistent with national objectives, strategy and the law of armed conflict, on the means and methods of warfare and will necessarily affect tactics. These include restrictions on certain weapons and targets, and ensure the greatest possible protection for non-combatants consistent with military necessity, proportionality and national policy. WROE are thus a useful tool to ensure that force is used toward achieving the desired military objectives and political goal." 30 Vgl. dazu die RoE betreffend den Einsatz von Schiffsgeschützen, die während des VietnanJKrieges die Beschießung von Landzielen durch die US-Marine regelten: Rules of Engagement for the Employment ofFirepower in the Republic of VietnanJ; abgedruckt in: Syracuse J.lnt'l.L.&Com. 14 (1988), 795-828, 810 ff. Dazu J.T. Emerson, Making War Without Will: VietnanJ Rules of Engagement, in: J.N. Moore (ed.), The VietnanJ Debate, New York/London 1990, S. 161-170. 31 Anschaulich zu diesen Aspekten JA. Roach, Syracuse J.lnt'l.L.&Com. 14 (1988) 865 ff.; D. F1eck, GYIL 31 (1988), 165.
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benen Völkerrechts, da ein wesentlicher Zweck der RoE in der Mehrzahl der Fälle darin liegt, dem Kommandanten die national- und völkerrechtlichen Grenzen seiner Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.32 Des weiteren ist zu berticksichtigen, daß die verschiedenen Maßnahmen der Konfliktparteien während der seemilitärischen Auseinandersetzungen seit 1945 in zahlreichen Fällen zu Gegenreaktionen Anlaß gegeben haben, die als Übung eingeordnet werden können und aus denen auch auf eine Rechtsüberzeugung der intervenierenden Staaten geschlossen werden kann.33 Freilich verbietet sich bei dieser Art des Nachweises jede Automatik. 34 Vielmehr wird in jedem Einzelfall festzustellen sein, ob etwa ein Protest motiviert ist durch das Bewußtsein über die Existenz eines entsprechenden rechtlichen Verbots35 oder aber durch sonstige, rechtlich irrelevante Erwägungen. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich nach dem Inhalt und der Form des Protestes sowie nach den Umständen seines Vorbringens. Daher wird man solchen Reaktionen, die z.B. notifiziert werden, eine größere Bedeutung zumessen müssen als denen, die z.B. anläßtich des Auftritts eines Organwalters vor der Öffentlichkeit oder den Medien vorgebracht werden. Das gleiche gilt für an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gerichtete Beschwerden, insbesondere wenn sie mit der Bitte nach geeigneten Maßnahmen verbunden sind. Wird in einem Protest eine Vertragsvorschrift als geltendes Recht in Bezug genommen, so spricht dies in besonderem Maße für die Existenz einer entsprechenden ungeschriebenen Norm. Gleichwohl rechtfertigt die Erfüllung der vorstehenden Kriterien grundsätzlich nur die Schlußfolgerung, daß bezüglich des mit dem Protest angegriffenen konkreten Verhaltens ein Konsens über ein entsprechendes Verbot besteht. Im Zusammenhang mit dem Nachweis des ungeschriebenen maritimen ius in bello ist zudem der Tatsache Beachtung zu schenken, daß dessen Normen wie kriegsvölkerrechtliche Normen überhaupt - jedenfalls mehrheitlich Ver-
So auch JA. Roach, ebd., 869. Einem Protest kommt keine rechtserzeugende Kraft zu, ist er doch lediglich actus contrarius zur Anerkennung. Dazu statt vieler W Hein/schel v. Heinegg, in: K. Jpsen, Völkerrecht (Anm. 12), § 18 Rdn. 15. 34 Zu recht warnt K wakwa: "Most of the verbal practice in thc law of war context is carried out for public relations purposes, and not with an intention ofbeing observed on the battlefield. 8oth state and non-state entities making statements in peacetime or even in relation to an ongoing conflict do not necessarily suffer the military consequences ofwhat they say"; E. Kwakwa, TI1e International Law of Armed Conflict: Personal and Material Fields of Application, Dordrecht/Boston!London 1992, S. 31. 35 Besteht ein solches Bewußtsein, beinhaltet der Protest die Erklärung, daß eine Situation oder ein geltend gemachter Anspruch nach Auffassung des erklärenden Staates völkerrechtswidrig seien. Unterbleibt ein Protest, kann diesem Unterlassen nach Maßgabe von estoppel oder acquiescence rechtserzeugende, zumindest aber rechtshemmende Kraft zukommen. Dazu statt vieler J.P. Müllerffh. Collier, Acquiescence, in: EPIL 7, S. 5-7; dies., Estoppel, ebd., S. 78-81. 32 33
3 H. v.
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hotsnormen darstellen. 36 Folglich bedarf es fiir den Nachweis ihrer gewohnheitsrechtliehen oder sonstigen völkerrechtlichen Geltung weniger einer allgemeinen Praxis in Form eines positiven Tuns denn eines Unterlassens, das aber- wie der StiGH im Lotus-Fall betont hat- auf der Überzeugung beruhen muß, dazu rechtlich verpflichtet zu sein. 37 Diese Formulierung ist freilich insofern mißglückt, als sie eine dem Unterlassen vorausgehende Herausbildung der Rechtsüberzeugung nahelegt Wenngleich dies durchaus denkbar ist, dürfen die "Unterlassensfalle" nicht auf diese Konstellation beschränkt werden. Ebenso wie bei der Entstehung völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts durch positives Tun kann sich die erforderliche, dem tatsächlichen Verhalten korrespondierende opinio iuris erst nach und nach herausbilden. Im Gegensatz zu dem "Normalfall" der Entstehung von Gewohnheitsrecht indiziert das Unterlassen indes nicht die opinio iuris. Andernfalls unterlägen - wie M Bos zu recht anmerkt -die Staaten einer permanenten Verpflichtung, einer Untätigkeit anderer mit Protesten zu begegnen. 38 Ist somit allein die Einordnung des Unterlassens als gewohnheitsrechtsbegründende Übung nicht ausreichend, sind an den Nachweis der Rechtsüberzeugung besonders strenge Anforderungen zu stellen. 39 Wie gesehen, wird sich die Rechtsüberzeugung bzw. der Konsens über die Geltung eines entsprechenden Verbots vergleichsweise einfach nachweisen lassen, soweit die Staaten in bezug auf einen konkreten Einzelfall ausdrücklich die Völkerrechtswidrigkeit einer bestimmten Maßnahme, etwa in Form von Protesten, behaupten.40 Die in der Summe der Proteste zwn Ausdruck gelangende Rechtsüberzeugung bzw. der Konsens ist indes nicht automatisch auf andere, zwar vergleichbare, aber eben doch in einem anderen Umfeld stehende oder sich in Einzelheiten unterscheidende Fälle übertragbar. Damit soll nicht dem "New Haven Approach" das Wort geredet werden, wonach das Völkerrecht als im konstanten Fluß zu begreifen ist. 41 Fehlt es indes an weiteren Indizien, wird man in derartigen Fällen über den Stand des ungeschriebenen Völkerrechts allenfalls eine fiir den Moment der Beurteilung gültige, Aussage treffen können. Ob diese auch in zukünftigen Fällen Gültigkeit beanspruchen kann, wird von der Entwicklung abhängen, die zwischenzeitlich zu einer Umgestaltung der in Frage stehenden Norm beigetragen haAuf diesen Problemkreis wird später im einzelnen eingegangen werden. PCIJ, Ser. A, No. 10 (1927), 28: " [...] for only if such abstention were based on their being conscious ofhaving a duty to abstain would it be possible to speak of an international custom". 36 37
Bos, A Methodology oflntemational Law, Amsterdam/New York/Oxford 1984, S. 241 f. W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Jpsen, Völkerrecht (Anm. 12), § 16 Rdn. 19 ff. 40 H. Gilnther, Zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht, Berlin 1970, S. 124, erhebt
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gegenOber dieser Vorgehensweise den Vorwurf der Inkonsequenz, da es letztlich doch wieder auf ein positives Tun ankomme. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß auf die genannten Maßnalunen ausschließlich zum Zwecke des Nachweises des subjektiven Elements abgestellt wird. Die Übung, also das objektive Element besteht ausschließlich in einem Unterlassen. 41 M.S. M cDougal, The Hydrogen Bomb Tests and the International Law of the Sea, AJIL 49 (1955), 356-361.
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ben mag. Halbwegs gesicherte Aussagen über die Allgemeinverbindlichkeit der im Einzelfall verifizierten Norm lassen sich daher nur treffen, wenn die Staaten auch in anderer Weise zu erkennen geben, was sie als Rechtens ansehen bzw. anzusehen bereit sind. Für den Bereich des Seekriegsrechts kommt daher - eben wegen des Fehlens einer modernen Kodifikation42 - neben den tatsächlichen Verhaltensweisen während und anläßtich seemilitärischer Auseinandersetzungen den nationalen Anweisungen an die Seestreitkräfte eine besondere Bedeutung zu - den militärischen Handbüchern. 43 Diese stellen, da sie - anders als die RoE - losgelöst von einem aktuellen Kampfgeschehen und damit auch losgelöst von auf den konkreten Einzelfall bezogenen Opportunitätserwägungen sind, einen wertvollen Beleg dafür dar, was die betreffenden Staaten als dem Recht gemäß ansehen, wenn sie auch nicht- wie zum Teil im völkerrechtlichen Schrifttum44 -als Staatenpraxis i.S.v. Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut eingeordnet werden können. 45 Lassen sich somit in den militärischen Handbüchern mehrerer Staaten identische oder vergleichbare Normen feststellen, so ist dies ein Indiz für ihre Geltung auch auf der völkerrechtlichen Ebene, verleihen die betreffenden Staaten doch einer einheitlichen Rechtsüberzeugung Ausdruck. 46 Die42 R.W Tucker, The Law of War and Neutrality at Sea, Washington, D.C., 1957, S. 26; L. Doswald-Beck, The International Law ofNaval Armed Conflicts: The Need for Reform, ltai.YBIL 7 (1986-1987), 251-282, 251 ff. 43 Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang insbesondere auf die "lnstructions for the Govemment of Annies ofthe United States in the Field" vom 24. April 1863, den sog. Lieber Code (abgedruckt in: D. Schindler/J. Toman [eds.], Tite Laws of Armed Conflicts, 3rd ed., Genf 1988, Zf. 1). Dieses militärische Handbuch war nicht nur von Einfluß auf andere Handbücher, sondern hat in erheblichem Umfang auch zur Entwicklung des Kriegsvölkerrechts beigetragen. Dazu L.C. Green, The Man in the Field and the Maxim 'Ignorantia Juris Non Excusat', in: ders., Essays on the Modem Law ofWar, Dobbs Ferry 1985, S. 27 ff, 31. 44 So etwa Th. Meron, AJIL 81 (1987), 361; E. Kwakwa, Personal and Material Fields of Application (Anm. 34), S. 32, der die Handbücher als "one ofthe most important sources of evidence of custom" bezeichnet. Vgl. im übrigen die mit umfangreichen Nachweisen versehenen Ausruhrungen von H. Spieker, Völkergewohnheitsrechtlicher Schutz der natürlichen Umwelt im internationalen bewaffueten Konflikt (Waffenwirkung und Umwelt 1), Bochum 1992, S. 93 ff. 45 Wenngleich angesichts der Komplexität der völkerrechtlichen Regelungsbereiche sowie der Vielfalt staatlichen Handeins zahlreiche Eingrenzungsversuche des objektiven Elements zum Scheitern verurteilt sind, darf nicht übersehen werden, daß es sich bei den militärischen Handbüchern um nationale und abstrakte Verlautbarungen zum Völkerrecht handelt, die nicht als Übung zu qualifiZieren sind. Wie hier Ch. Greenwood, Military Manuals and Other Administrative Rules Relating to Armed Conflicts - Introductory Report, in: M. Bothe (ed.), National lmplementation of International Humanitarian Law, Dordrecht/Boston/London 1990, S. 193-201, 197 f.; M. Sassoli, Die Bedeutung einer Kodifikation fiir das allgemeine Völkerrecht mit besonderer Betrachtung der Regeln zum Schutze der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen von Feindseligkeiten, Basel/Frankfurt a.M. 1990, Rdn. 333.
46 So auch R.R. Baxter, The Cambridge Conference on the Revision ofthe Law of War, AJIL 47 (1953), 702-703, 702; G. Schwarzenberger, International Law as Applied by International Courtsand Tribunals, Vol. II, London 1968, S. 15 ff. a.A. BM. Carnahan, Proc. ASIL 81 (1987), 26 ff, 38, der vor der Berücksichtigung militärischer Handbücher warnt. Diese bewirkten - da in Friedenszeiten konzipiert und somit von dem politischen Bestreben motiviert, gegenüber der Öffentlichkeit ein
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serBefundrechtfertigt sich indes nicht allein aus der Identität oder Vergleichbarkeit der in militärischen Handbüchern enthaltenen Vorschriften. Vielmehr erklärt sich ihre Bedeutung für den Nachweis des geltenden Seekriegsrechts auch aus ihrer Verbreitungsfunktion, sind sie doch in aller Regel das Instrument, mit dem den eigentlichen Adressaten des Kriegsvölkerrechts - den Mitgliedern der (See-)Streitkräfte - der Inhalt der sie betreffenden Normen nahegebracht werden kann. 47 Die Verbreitung in Form von militärischen Handbüchern ist kein auf die bloße innerstaatliche Umsetzung des Kriegsvölkerrechts beschränkter Prozeß. 48 Vielmehr fördert sie die Erzeugung eines bestimmten Rechtsbewußtseins bei den Mitgliedern der Streitkräfte, so daß politisch und/oder militärisch motivierte Abweichungen nicht nur auf der internationalen, sondern auch auf der innerstaatlichen Ebene einem besonderen Begründungszwang unterliegen. Abgesehen von den Verpflichtungen etwa des Art. 47 GA I, liegt es in der Natur der Aufgabe der Streitkräfte, daß sie bereits in Friedenszeiten auf bestimmte Situationen vorbereitet werden. Ein Bestandteil dieser Vorbereitung ist die Vermittlung der Kenntnis des die Streitkräfte im bewaffneten Konflikt bindenden Rechts. 49 Da sich die Besonderheiten eines zukünftigen Konflikts schwerlich vorhersehen lassen, bleibt die Vermittlung des Kriegsvölkerrechts darauf beschränkt, was dieser Normenbestand in allgemeiner und abstrakter Form, also unabhängig von Einzelfallerwägungen, vorhält. 50 Steht aber in einem solchen Einzelfall eine Anwei-
humanes Bild abzugeben- möglicherweise eine Verpflichtung zur Einnahme einer Rechtsposition, die während eines bewaffiteten Konflikts militärisch unpraktikabel oder gar gefilhrlich sein könnte. H. Spieker (Waffenwirkung und Umwelt I (Anm. 44), S. 111 f.) beschränkt militärische HandhOcher auf den Nachweis des objektiven Elements, da diese nicht ausschließlich rechtlich, sondern auch politisch motiviert seien. Dies trifR zweifellos zu. Gleichwohl vennag allein die Vennengung von rechtlichen und politischen Motiven die Heranziehung von militärischen Handbüchern zum Nachweis des subjektiven Elements nicht auszuschließen. 47 Darauf verweisen WM. Reisman!W.K. Leitzau, Moving International Law from Theory to Practice: the RoJe of Military Manuals in Effectuating the Law of Armed Conflict, in: H .B. Robertson Jr. (ed.), The Law ofNaval Operations, International Law Studies Vol. 64, Newport 1991, S. 1-18, 3; L.C. Green, lntroduction, in: ders., Essays on the Modern Law of War (Arun. 43), S. xxi; F. de Mulinen, Law of War Training with Armed Forces- Twenty Years Experience, IRRC 257 (1987), 168-179, 179; ders., Transformation of Modem Law of War into Documents for Practical Application, in: C. Swinarski (ed.), Essays in Honour ofJ. Pictet, S. 445-455. 48 Diese Überlegung wird auch den Nürnberger Militärgerichtshof zu der Feststellung bewogen haben, daß nationale Militllrvorschriften "as they bear upon a question of custom and practice in the conduct of war, might have evidentiary value, particularly if the applicable portions had been put into generat practice"; Trials of War Criminals Before the Nurernberg Military Tribunal, Vol. XI, Washington, D.C. 1950, S. 1237. Ebenso M. Bothe, National Implementation of International Humanitarian Law - Basic Issues (Conclusions by the Chairman), in: ders. ( ed. ), National Implementation (Anm. 45), S. 261-273,272. 49 So statt vieler auch D. F7eck, Military Manuals and Other Administrative Rules Relating to Armed Conflicts- Introductory Report, in: M. Bothe (ed.), National Implementation (Anm. 45), S. 185-192, 186 f.
lo Ähnlich WM. Reisman!W.K. Leitzau, Moving International Law from Theory to Practice (Anm. 47), S. 9: ,,Many futures can be irnagined; in each, the roJe and degree of effectiveness of military
A. Zum Nachweis ungeschriebener Normen des maritimen ius in bello
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sung im Widerspruch zu den derart vermittelten Normen, wird man nicht davon ausgehen können, sie werde trotz dieses Widerspruchs ohne nähere Erläuterung befolgt werden. Die mit militärischen Handbüchern erzeugte "Selbstbindung"51 auch gegenüber den eigenen Streitkräften wird daher in aller Regel auch im bewaffneten Konflikt Bestand haben. Fehlte es an dieser Form der Verbreitung, wäre zudem die fiir die Effektivität jeden Rechts erforderliche Kenntnis seiner Adressaten nicht gewährleistet. Der Zweck des Kriegsvölkerrechts, die schädigenden Auswirkungen eines internationalen bewaffneten Konflikts zu mindern und die Rückkehr zum Friedenszustand zumindest zu erleichtern, ließe sich kaum verwirklichen. Auch der Schutz der Mitglieder der eigenen Streitkräfte vor strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen des Gegners wäre in Frage gestellt, vermag doch die Unkenntnis nur ausnahmsweise vor einer Bestrafung wegen Kriegsverbrechen zu bewahren. Schließlich hat die so sichergestellte Kenntnis des im bewaffneten Konflikt anwendbaren Rechts die Erzeugung einer fiir das Kriegsvölkerrecht wesentlichen Gegenseitigkeitserwartung auf der Ebene der Streitkräfte zur Folge52, so daß Rechtsbrüche entweder von vornherein vermieden oder aber im nachhinein disziplinar- und/oder strafrechtlich verfolgt werden. Letzteres wird in aller Regel auch dem jeweiligen Gegner nicht verborgen bleiben, so daß er eine größere Bereitschaft zeigen wird, sich gleichermaßen an das Recht zu halten. 53 Die somit grundsätzlich mögliche Berücksichtigung militärischer Handbücher beim Nachweis ungeschriebener Normen des Seekriegsrechts darf freilich nicht überbewertet werden. Stets ist zu berücksichtigen, daß es sich um nationale Rechtssetzungsakte abstrakter Natur handelt, die als solche nicht unbesehen mit dem völkerrechtlichen Konsens bzw. der allgemeinen Rechtsüberzeugung gleichgesetzt werden dürfen. 54 Vielmehr ist in jedem Einzelfall der Frage nachzugehen, ob die betreffenden Vorschriften auch auf der internationalen Ebene in das Rechtsbewußtsein Eingang gefunden haben bzw. vom manualswill vary. In many, however, it would seem that effective dissemination [...] will have some mitigating effect on the harshness and cruelty ofwarfare." 51 M.
Sassoli, Bedeutung einer Kodifikation (Amn. 45), Rdn. 331.
Dazu statt vieler H. Spieker, Waffenwirkung und Umwelt I (Arun. 44), S. 117 f. m.w.N. 53 Wegen dieser Bedeutung fiir die Gegenseitigkeitserwartung wird gefordert, die militärischen Handbücher einem potentiellen Gegner zur VerfUgung zu stellen; vgl. WM. Reisman!W.K. Leitzau, Moving International Law from Theory to Practice (Amn. 47), S. 9. 51
54 So auch H. Spieker, Waffenwirkung und Umwelt I (Arun. 44), S. 94 ff.; L.C. Green, Superior Ordersand the Reasonable Man, in: ders., Essays on the Modem Law ofWar (Amn. 43), S. 43 ff., 63. Im sog. "Hostage Case" (TWC II [1948], 1230 ff.; Annual Digest 15 [1948], 632 ff.) stellte der Militärgerichtshof fest: "The fact that the British and American armies may have adopted it for regulation oftheir own armies as a matter of policy, does not have the effect of enthroning it as a rule of international law." H. Fischer (Limitation, Prohibition in the Use of Certain Weapons in NonInternational Anned Conflicts, S. 22 [bisher unveröffentlicht]) weist zudem daraufhin, daß allein das Fehlen einer Implementierung nicht den Schluß rechtfertigt, der betreffende Staat erkenne eine bestimmte Völkerrechtsnorm nicht an.
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Konsens der Staaten getragen sind55 oder ob sie dazu dienen, völkerrechtlich ungeregelte Fragen einer (nationalen) Lösung zuzuführen. Ein weiteres Problem bereitet die praktische Umsetzung, die trotz gleichlautender Normen erheblich variieren kann. 56 Im übrigen werden sich die Formulierungen und Detailregelungen nur in seltenen Fällen derart gleichen, daß unter Heranziehung militärischer Handbücher der Nachweis einer konkreten Regel gelingt. Daher wird häufig allenfalls die Möglichkeit des Nachweises einer Norm allgemeineren Inhalts, etwa in Form eines offenen Prinzips, bestehen, die es sodann im Anwendungsfall zu konkretisieren gilt. Zudem findet diese Vorgehensweise eine erhebliche Einschränkungaufgrund der Tatsache, daß zahlreiche militärische Handbücher entweder nicht veröffentlicht werden57 oder aber älteren Datums und/oder von den Erkenntnissen eines früheren Konflikts geprägt sind, deren Übertragung auf moderne Verhältnisse nur begrenzt möglich ist. 58 Und schließlich kann die Bedeutung der Handbücher erheblich variieren. Zwar ist nicht von vornherein ausgeschlossen, auch solchen älteren Datun1s oder kleinerer Seemächte Beachtung zu schenken. Indes wird man sich nicht der Erkenntnis verschließen dürfen, daß diese sich auf die Herausbildung eines allgemeinen Rechtsbewußtseins - wenn überhaupt - nur in geringem Maße auszuwirken vermögen. Demgegenüber entfalten die militärischen Handbücher der großen Seemächte häufig eine Vorbildfunktion, indem sich nämlich andere Staaten an ihnen orientieren oder sie gar übernehmen. 59 So hat beispielsweise das Handbuch der US-Marine60 wegen der hervorgehobenen Stellung der Vereinigten Staaten innerhalb des NATO-Bündnisses einen erheblichen Einfluß auf das jüngste Handbuch der Bundeswehr61 , der ''Zu Recht weist J. de Preux (in: ICRC, Commentary on the Additional Protocols, Genf 1987, Rdn. 3341) darauf hin, daß "as in many cases military manuals do not restriet thernselves to reproducing the texts of the intcmational treaties and do not actually reflect these treaties. In all areas which are not govemed by peremptory or uncontested rules of international law, they bear witness to the practices recognized by the State concerned, without assessing whether these practices will be recognized internationally." ' 6 So auchE. Kwakwa, Personaland Material Fields of Application (Anm. 34), S. 32. ' 7 Was sich daraus erklärt, daß der potentielle Gegner aus der Kenntnis der Handbücher taktische und strategische Vorteile erlangen kötmte. Gleichwohl sind insbesondere die Bundesrepublik Deutschland und die USA bestrebt, ihre jüngst fertiggestellten Handbücher einem möglichst breiten Kreis zugänglich zu machen. "So auch WM. Reisman!W.K. Leitzau, Moving International Law from Theory to Practice (Arun. 47), S. 9, die indes dazu tendieren, militärischen Handbüchern nur insoweit eine Bedeutung zuzumessen, als sie eine Momentaufnahme des im ständigen Fluß befmdlichen Kriegsvölkerrechts, das ja von der technologischen Entwicklung und anderen (politischen) Faktoren in besonderem Maße abhängig sei, zu geben geeignet sind (ebd., S. 9 ff.). '9
So auch Ch. Greenwood, in: M. Bothe (ed.), National Implementation (Anm 45), S. 196 ff.
US Dept. ofthe Navy, The Commander's Handbook on the Law ofNaval Operations (NWP 9), Washington D.C. 1987. Siehe auch: Annotated Supplement to the Commander's Handbook on the Law ofNaval Operations (NWP 9 [Rev. A]/FMFM 1-10), Washington D.C. 1989. 61 Bundesministerium der Verteidigung - Abteilung Verwaltung und Recht li 3, Humanitäres Völkerrecht in bewaffheten Konflikten- Handbuch-, Sonn 1992. 60
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australischen Marine62 sowie auf die bislang nur in Entwurfsform vorliegenden Handbücher Kanadas63 und des Vereinigten Königreichs64 entfaltet. 65 Kanada hat bis zum Abschluß der Arbeiten an dem eigenen Handbuch die Bestimmungen von NWP 9 der US-Marine gar fiir vorläufig auf die kanadischen Seestreitkräfte anwendbar erklärt.66 Doch auch dieses Beispiel verdeutlicht, daß dem Nachweis ungeschriebener Normen des maritimen ius in bello anband militärischer Handbücher Grenzen gesetzt sind, da die Orientierung der Verbündeten der Vereinigten Staaten keineswegs ausschließlich zur Formulierung identischer Regeln geführt hat, diese sich vielmehr in vielfacher Hinsicht unterscheiden. Angesichts der im Umbruch befindlichen Rechtsquellentheorie wie auch aufgrunddes begrenzten Umfangs und der eingeschränkten Aussagekraft der verwertbaren Materialien sind gesicherte Aussagen über den Stand des ungeschriebenen maritimen ius in bello nicht möglich, wenn im Rahmen des Nachweises seiner Nonnen ausschließlich auf tatsächliche Verhaltensweisen während und anläßtich seemilitärischer Konflikte abgestellt wird. Aber auch eine zu starke Berücksichtigung sonstiger Indizien und Belege (RoE oder militärische Handbücher) verbietet sichangesichtsder mit einer solchen Vorgehensweise verbundenen Gefahr, die nationale Behauptung einer Norm vorschnell mit einem internationalen Konsens bzw. allgemeinen Rechtsbewußtsein gleichzusetzen. Daher bedarf es fiir den Nachweis ungeschriebener und über den konkreten Einzelfall hinausreichender Nonnen des maritimen ius in bello einer umfassenden Einbeziehung aller genannten Elemente, Kriterien und Indizien, die ihrerseits in jedem Einzelfall einer vorherigen wertenden Betrachtung zu unterziehen sind. Das jeweilige Ergebnis wird folglich von Fall zu Fall erheblich variieren können. Häufig wird der Nachweis konkreter Regeln, etwa in Form eines eindeutigen Verbots oder einer festumrissenen Ausnahme, nicht gelingen. Dies schließt freilich nicht aus, daß auf den in Frage stehenden Sachverhalt eine weniger konkrete Norm, mithin ein ausfiillungsbedürftiger Grundsatz, zur Anwendung gelangt. 67 Diese kombinierte ABR5179- Manual ofthe Law ofthe Sea, Sidney 1983. Canadian Forces, Law of Anned Conflict Manual (Second Draft), Ottawa (ohne Datumsangabe). 64 Der Entwurf des britischen Handbuchs ist bislang nicht verfilgbar. Dem Vert: ist aber von Vertretern der britischen Marine dargelegt worden, daß der lohalt des Handbuchs in weiten Teilen dem amerikanischen Handbuch gleichen wird. 6 s Erwähnt sei auch, daß NWP 9 mittlerweile ins Spanische und Französische Obersetzt wurde. losbesondere die spanische Übersetzung wird vergleichbare Anstrengungen im sQdamerikanischen Raum beeinflussen. Eine japanische Übersetzung ist in Vorbereitung. 66 Vgl. Maritime Command, Handbook on the Law ofNaval Operations, MAOP 331, vom 9. Juli 1991. 67 Zu der auch im Völkerrecht gQitigen Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien vgl. G. Fitzmaurice, The General Principles oflntemational Law Considered from the Standpoint ofthe Rule of Law, RdC 1957 II, 5-227; R Dworkin, Taking Rights Seriously, 6th print, Cambridge, Mass., 62 63
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Operation, insbesondere die Berücksichtigung der in den nationalen Anweisungen zum Ausdruck gebrachten militärischen Interessen, gibt aber eine hinreichende Sicherheit, daß die so nachgewiesenen Normen das Verhalten der Seestreitkräfte im bewaffneten Konflikt auch tatsächlich zu bestimmen geeignet sind.68 Das bedeutet nicht, daß den militärischen Interessen der Vorrang gebührte oder daß die Praxis der Konfliktparteien als allein maßgeblich zu gelten hätte, können doch selbst seemilitärische Routinemaßnalunen und das sie bestimmende militärische Denken in eklatantem Widerspruch zu dem stehen, was selbst im bewaffneten Konflikt von der Staatengemeinschaft als noch hinnehmbar angesehen wird.69 Ist dies aber nicht der Fall, sprichtjedenfalls eine erste Vermutung für die rechtliche Zulässigkeil seemilitärischer Routinemaßnahmen. 70 Seiner Ordnungsfunktion vermag das (maritime) ius in bello - wie das Völkerrecht, ja das Recht überhaupt - nur gerecht zu werden, wenn der Bezug zur (sozialen) Realität erhalten bleibt. "Nun soll aber das Maß", mit Thomas von Aquin, "dem Gemessenen gleichgattig sein."7 1 Der erforderliche Bezug erschöpft sich nicht in der Existenz verbindlicher Verhaltensmuster, die ja die soziale Realität durchaus mitgestalten. Vielmehr bleibt das Recht von dieser und ihren Wandlungen nicht unberührt. Es ist ihr nicht apriorisch, sondern in sie eingebunden und von ihr ständig beeinflußt, muß es doch immer wieder neu auf die sich wandelnden Ordnungsaufgaben normativ antworten. In anderen Fällen schließlich wird der Nachweis einer Iex lata nicht gelingen, so daß allenfalls Schlußfolgerungen de lege ferenda möglich sein werden. 72 Gleichwohl kann solchen Schlußfolgerungen ihre Bedeutung nicht allein aus dem Grunde abgesprochen werden, daß sie in der Staatenpraxis 1979, S. 24 ff.; A. Bleckmann, Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts, Freiburg/MOnehen 1982, S. 86 ff. 68 Die Abwägung zwischen militärischen Interessen einerseits und humanitären Erfordernissen sowie sonstigen rechtsgrundsätzliehen Erwägungen andererseits bestimmt das Kriegsvölkerrecht seit jeher. Vgl. K. /psen, in: ders., Völkerrecht (Anm. 12), § 63 Rdn. 2 ff.; ferner WJ. Fenrick, The Merchant Vessel as Legitimale Target in the Law ofNaval Warfare, in: FS F. Kalshoven (Anm. 25), 425-443, 426.
s.
69 So auch F. Kalshoven, Conunentary No. 17, in: W. Heintschel v. Heinegg (ed.), TI1e Military Objective and the Principle ofDistinction in the Law ofNaval Warfare, Bochum 1991 , S. 121-129, 122. 70 Die Behauptung einer Rechtsnorm des ius in bello mag dogmatisch Oberzeugend begrundet werden, hat aber schwerlich Aussicht auf die erforderliche Anerkennung, wenn die behauptete Norm von einer militärischen Routine abweicht. "Die Norm ist nur Rechtsnorm, wenn sie ein Potential ist, d.h. in sich die latente Kraft der Verwirklichung hat, sei es durch freiwillige Erfilllung oder, mangels solcher, durch einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit, die Erfilllung in einem geordneten Verfahren erreichen zu können"; M. Huber, Wandlungen des Völkerrechts und Probleme der Erforschung seiner Geschichte, Friedenswarte 52 (1953-55), 297-310, 304 ( 71 Summa Theologiae, Zweites Buch, 96. Untersuchung, Zweiter Artikel. 72 Hingewiesen sei in diesem Zusarnmenllang auf die Arbeiten der ILA und der Expertengruppe (oben Anm. 7).
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bislang unbeachtet geblieben sind bzw. noch keinen Eingang in das allgemeine Rechtsbewußtsein gefunden haben. Beruhen sie auf allgemein anerkannten völkerrechtlichen Prinzipien, sind sie zumindest potentiell geeignet, das staatliche Verhalten im bewaffneten Konflikt zur See zu bestimmen und einen Beitrag zur fortschreitenden Entwicklung des Völkerrechts zu leisten. 73
71 Andernfalls bedeutete die Unterscheidung zwischen Iex lata und Iex ferenda einen - sieht man von den strengen Positivisten ab - unerwünschten, da kontraproduktiven Stillstand der Entwicklung des Völkerrechts. So auch D.P. O'Connell, International Law, Vol. 1, 2nd ed., London 1970, S. 20: "(... ) to await their fmal and conscious adoption by governmental authorities before deciding that Iex ferenda has become Iex lata is to impose on international law an unnecessary and frustrating halter." Zu diesem Fragenkreis ferner M. Virally, A propos de Ia Iex f erenda, in: Bardonnet/Combacaul Virally!P. Weil (eds.), Melanges offerts il Paul Reuter. Le droit international: Unite et diversite, Paris 1981, s. 519-533.
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Einleitung
B. Zum Gang der Untersuchung Wiewohl dem Seekriegsrecht und maritimen Neutralitätsrecht durchaus eine eigenständige Bedeutung zukommt, vermag der Verweis auf diesen notwendigerweise unvollständigen Normenkomplex nicht recht zu befriedigen, beurteilt sich die Zulässigkeil zwischenstaatlicher militärischer Gewaltanwendung doch vorrangig nach dem Gewaltverbot und dem Selbstverteidigungsrecht. Die zahlreichen Versuche der Völkerrechtslehre, die traditionelle Dichotomie von ius in bello und ius ad bellum aufzubrechen und die Parteien eines internationalen bewaffneten Konflikts nicht allein den rechtlichen Schranken des Kriegsvölkerrechts zu unterwerfen, sind daher Gegenstand des ersten Kapitels der vorliegenden Untersuchung. Der Anwendungsbereich des maritimen ius in bello ist dem zweiten Kapitel vorbehalten. Zunächst wird der Frage nachzugehen sein, ob der Kriegsbegriff als Anwendbarkeits- und Zulässigkeitsvoraussetzung heute noch ein wirksames rechtliches Regulativ zur Begrenzung von Seekriegsmaßnahmen darstellt oder aber durch den "internationalen bewaffneten Konflikt" ersetzt worden ist. Sodann gilt es, den räumlichen Anwendungbereich des maritimen ius in bello einzugrenzen. Die Entwicklung des internationalen öffentlichen Seerechts hat zu einer beträchtlichen seewärtigen Ausdehnung staatlicher Gebietshoheit geführt, die sich naturgemäß auf die Bestimmung des Seekriegsgebiets auswirkt. Die Darstellung des auf die Rechtsbeziehungen der Parteien eines internationalen bewaffneten Konflikts zur See beschränkten Rechts der Kampfhandlungen und des Wirtschaftskriegs folgt im dritten Kapitel. Auf die rechtlichen Aspekte des Einsatzes von Nuklearwaffen soll dabei nicht eingegangen werden. Wiewohl der Einsatz seegestützter ballistischer Nuklearraketen keineswegs eine überkommene Option darstellt und seine Vereinbarkeil mit dem Kriegsvölkerrecht noch nicht als endgültig geklärt angesehen werden kann74, handelt es sich vorrangig um ein Mittel der Abschreckung. Daher beschränkt sich die Darstellung des Rechts der Kampfhandlungen auf den Einsatz konventioneller Waffen. Das Recht der Kampfhandlungen betrifft nicht lediglich einzelne Mittel und Methoden der Seekriegfiihrung, wie etwa das Legen von Minen, der Einsatz von Unterseebooten und die Blockade. Vielmehr wird ein weiterer Schwerpunkt auf die im Seekrieg anwendbaren allgemeinen Grundsätze des Kriegsvölkerrechts zu legen sein. Eng damit verknüpft ist die Bestimmung der im Seekrieg zulässigen militärischen Ziele in Abgrenzung zu den besonders geschützten Objekten. Das vierte Kapitel schließlich ist dem Rechtsverhältnis 74 Dazu aus dem umfangreichen Schrifttum H. Meyrowitz, Les annes nucleaires et le droit de Ia guerre, in: in: FS F. Kalshoven (Anm. 25), S. 297-325; ders., Strategie nucleaire et droit de Ia guerre, RGDIP 83 (1979), 904-961; R.A. Falk/L. Meyrowit?JJ. Sanderson, Nuclear Weapons and International Law, IJIL 1980, 541-615; H. Fischer, Der Einsatz von Nuklearwaffen nach Art. 51 des I. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen von 1949, Berlin 1985; 0. Kimminich, Der Einfluß des humanitären Völkerrechts auf die Kemwaffenfrage, in: I. v. Manch (Hrsg.), Staatsrecht Völkerrecht- Europarecht, Festschrift fiir HJ. Schlochauer, Berlin 1981, S. 406-423.
B. Zum Gang der Untersuchung
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zwischen den Konfliktparteien und den nicht am Konflikt Beteiligten gewidmet. Im maritimen Kontext von besonderem Interesse ist dabei neben den Rechtsbeziehungen in den Gewässern nicht am Konflikt beteiligter Staaten die Rechtsstellung der neutralen Handelsschiff- und Zivilluftfahrt, die im Seekrieg naturgemäß stärker in Mitleidenschaft gezogen wird als im Landkrieg.
1. Kapitel
Der Einfluß der Charta der Vereinten Nationen auf das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts/Kriegsvölkerrecht Nach Maßgabe der Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen, denen insoweit über ihre gewohnheitsrechtliche Geltung1 hinaus der Charakter zwingenden Rechts zuerkannt wird2, ist in den zwischenstaatlichen Beziehungen jede Gewaltanwendung verboten, es sei denn, sie ist als Ausübung des (individuellen oder kollektiven) Selbstverteidigungsrechts oder als Zwangsmaßnahme gemäß Kapitel VII bzw. VIII UN-Charta gerechtfertigt. 3 Ist mithin einerseits die offensive Erstanwendung bewaffneter Gewalt grundsätzlich untersagt4, darf sich das Opfer eines bewaffneten Angriffs naturgemäß dagegen verteidigen. Dieses Selbstverteidigungsrecht unterliegt indes den Schranken der Erforderlichkeil und Verhältnismäßigkeit, d.h. der angegriffene Staat (wie auch seine Verbündeten) darf nur zu solchen rnilitäri1 Zum Gewohnheitsrechtscharakter des Gewaltverbots vgl. die Entscheidung des IGH im Nicaragua-Fall, ICJ Rep. 1986, 147; ferner A. Randelzhofer zu Art. 2 Zf. 4, Rdn. 56 ff., in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen. Kommentar, München 1991, mit umfangreichen Nachweisen. 2 Vgl. etwa die Stellungnahmen von Singh und Sette-Camara in YBILC 1966 ll, 153 und 199; sowie die Stellungnahmen während der Beratungen der Präambel zum I. Zusatzprotokoll vom 8.6.1977 in O.R. lll, S. 3, CDDH/U337 und Add. l. O.R. IX, S. 385, CDDH/USR.69; ferner Y. Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, Carnbridge 1988, S. 99; L. Hannikainen, Perernptory Norrns (Jus Cogens) in International Law- Historical Development, Criteria, Present Status-, Helsinkj 1988, S. 327 ff.; S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, Berlin 1992, S. 226 ff., 234 ff. 3 Dazu statt vieler MJ. Levitin, The Law ofForce and the Force ofLaw: Grenada, the Falklands, and Humanitarian Intervention, Harv.I.L.J. 27 (1986), 621-657, 627 ff.; I. Brownlie, The United Nations Charterand the Use ofForce, 1945-1985, in: A. Cassese (ed.), The Current Legal Regulation of the Use of Force, Dordrecht!Boston/Lancaster 1986, S. 491-504, 496 f. Die sog. Feindstaatenklauseln in den Art. 53 Abs. 1 und 107 der UN-Charta sindangesichtsder Mitgliedschaft der ehemaligen Feindstaaten in den Vereinten Nationen hinflillig geworden; vgl. statt vieler A. Randelzhofer zu Art. 2 Zf. 4, Rdn. 37 in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen. Kommentar (1991). Zur Bedeutung der Feindstaatenklauseln vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten siehe M.H. Forbes, Feindstaatenklauseln, Viermächteverantwortung und Deutsche Frage, Baden-Baden 1983. 4 Zur den sonstigen zum Teil vertretenen, hier indes nicht interessierenden Einschränkungen des Gewaltverbots vgl. A. Randelzhofer zu Art. 2 Zf. 4, Rdn. 49 ff., in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen. Kommentar (1991), (humanitäre Intervention), Rdn. 52 ff. (Schutz eigener Staatsangehöriger im Ausland), Art. 51, Rdn. 34 f. (präventive Selbstverteidigung); ferner WM. Reisman, Article 2(4): The Use ofForce in Contemporary International Law, Proc. ASIL 78 (1984), 74-87; A. V. Lowe, Peace without Justice: Reconsidering the Law on the Use of Force, in: W.E. Butler (ed.), Perestroika and International Law, Dordrecht/Boston/London 1990, S. 281-295; /. Brownlie, The United Nations Charter and the Use of Force, 1945-1985 (Anm. 3), S. 497 ff.; MJ. Levitin, Harv.I.L.J. 27 ( 1986), 631 ff.
I. Kap.: Der Einfluß der Charta der VN
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sehen Maßnahmen greifen, die hinsichtlich seiner Verteidigung erforderlich und verhältnismäßig sind. 5 Überdies steht zumindest fur die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Ausübung des derart beschränkten Selbstverteidigungsrechts unter dem Vorbehalt, daß der Sicherheitsrat noch nicht "die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat". 6 Was die Rechtsstellung dritter bzw. nicht an den bewaffneten Auseinandersetzungen beteiligter Staaten anbelangt, so ist es ihnen nach Maßgabe des Systems der UN-Charta im Grundsatz untersagt, eine Haltung strikter Unparteilichkeit einzunehmen - jedenfalls wenn autoritativ feststeht, welche Konfliktpartei als Aggressor zu qualifizieren ist. 7 Dieses in der UN-Charta angelegte moderne ius ad bellum - oder besser: ius contra bellum8 -, einschließlich der zu seiner Sicherung geschaffenen Strukturen und flankierenden Maßnahmen, stellt gegenüber dem Völkerbundsystem sowie dem Kellogg-Briand-Pakt9 unbestreitbar einen Fortschritt dar. 10 Gleichwohl hat es sich in der Mehrzahl der Fälle als unzureichend erwiesen.11 Dieser Befund wird nicht etwa dadurch in Frage gestellt, daß der Irak-KuwaitKonflikt (1990-1991) vor Augen geführt hat, daß in bestimmten weltpolitischen Konstellationen die strukturellen Defizite der UN-Charta überwunden werden können. Es handelt sich bei diesem Konflikt um ein singuläres Ereignis, das zwar ansatzweise dem System kollektiver Sicherheit der Charta
5 Vgl. staU vieler K. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, 3. Aufl., München 1990, § 57 Rdn. 39 f. ; 0 . Schachter, International Law in Theory and Practice, Dordrecht!Boston!London 1991, S. 152 ff. Zweifel an der Geltung dieser Grundsätze im Rahmen von Art 51 UN-Charta äußert JL. Kunz, Individual and Collective Self-Defense in Article 51 of the Charter of the United Nations, AJIL 41
( 1947), 872-879' 877 f.
6 Art. 51 UN-Charta. Zu der Frage, ob dieser Vorbehalt auch Geltung fiir Nicht-Mitglieder beanspruchen kann, vgl. K. Ipsen, in: ders., Völkerrecht (Arun. 5), §57 Rdn. 43. Zur Bedeutung des Begriffpaars "erforderliche Maßnahmen" vgl. D.W. Bowett, Self-Defence in International Law, New York 1958, S. 196. 1 Vgl. staU vieler PM. Norton, Between the Ideology and the Reality: The Shadow ofthe Law of Neutrality, Harv.l.L.J. 17 (1976), 249-311 , 251. 8 M. Bothe, Neutrality in Naval Warfare, in: A.JM. Delissen!G.J. Tanja (eds.), Humanitarian Law of Anned Conflict - Challenges Ahead. Essays in Honour of Frits Kalshoven, Dordrecht/Boston!London 1991, S. 387-405, 392; L. Kotzsch, The Concept ofWar in Contemporary History and International Law, Genf 1956, S. 83 ff., 102. 9 General Treaty for Renunciation ofWar as an Instrument ofNational Policy, Paris, 27. August 1928, LNTS Vol. 94, 57.
10 Zu den DefiZiten dieser beiden Instrumente im Vergleich zur UN-Charta vgl. Y. Dinstein, War, Aggression and Self-Defence (Arun. 2), S. 77 ff., 81 ff.; A. Randelzhofer zu Art 2 Zf. 4, Rdn. 7 ff., in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen. Kommentar (1991); H. Wehberg, Die Ächtung des Krieges, Berlin 1930, S. 53 ff., 105 ff., 123 ff.; ferner H. Kelsen, Collective Security and Collective Self-Defense under the Charter ofthe United Nations, AJIL 42 (1948), 783-796, 786 ff., der indes auch DefiZite der Charta im Vergleich zur Satzung des Völkerbundes aufZeigt, ebd. 789 ff. 11 R.R. Baxter, The Legal Consequences of the Unlawful Use of Force under the Charter, Proc. ASIL 62 ( 1968), 68-75, 70 f.; PM. Norton, Harv.l.L.J. 17 ( 1976), 252.
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l. Kap.: Der Einfluß der Charta der VN
entspricht12, das jedoch angesichts der zahlreichen (internationalen) bewaffneten Konflikte der Nachkriegszeit, zu denen der Sicherheitsrat - wenn überhaupt - allenfalls Empfehlungen abzugeben vermochte, kaum ein hinreichender Beleg für das Funktionieren dieses Systems sein dürfte. 13 Zudem ist seit der Amtsübernahme von Präsident C/inton in den Vereinigten Staaten eine Abkehr von der Idee der "Neuen Weltordnung", die sein Vorgänger Bush noch proklamiert hatte, und eine erneute Zuwendung zu einer von nationalen Interessen bestimmten Außenpolitik zu verzeichnen. Daher wird sich auch die Praxis des Sicherheitsrats wahrscheinlich nicht an feststehenden Prinzipien ausrichten. Vielmehr verdeutlichen die zahlreichen Konflikte und Krisensituationen seit 1990, daß das fur Frieden und internationale Sicherheit hauptverantwortliche Organ der Vereinten Nationen nur ausnahmsweise in der Lage ist und sein wird, seinen Aufgaben aus der Charta wirksam gerecht zu werden. 14 Kann mithin durch das ius ad bellum und das System kollektiver Sicherheit der Ausbruch internationaler bewaffneter Konflikte nicht wirksam verhindert werden, ist entgegen einer vereinzelt geäußerten Ansicht15 sehr 12 Beachte, daß es sich bei den Truppen der mit Kuwait kooperierenden Staaten nicht um UNStreitkräfte handelte. Zu der Möglichkeit der Ermächtigung nationaler Streitkräfte zur Durchfiiluung von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta vgl. J.A. Frawein zu Art. 42, Rdn. 16, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen. Kommentar (1991). 13 M. Bothe, Neutrality in Naval Warfare (Arun. 8), S. 392. Verwiesen sei ferner auf die immer noch zutreffende Wertung von U. Scheuner, Krieg und Bürgerkrieg in der Staatenwelt der Gegenwart, in: D. Blumenwitz!A. Randelzhofer (Hrsg.), Festschrift fiir F. Berber zum 75. Geburlstag, München 1973, S. 467-487, 487: ,;zwar bleibt das grundsätzliche Kriegs- und Gewaltverbot aufrechterhalten, aber das zu seiner Realisierung konzipierte System einer kollektiven Sicherheit, die Durchsetzung dieser Verbote durch die Staatengemeinschaft, ist nicht in ausreichende Wirksamkeit getreten." 14 Hinzu kommt, daß nicht abzusehen ist, ob die Interessen der Russischen Republik und der Volksrepublik China mit denen der anderen ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats übereinstimmen werden. Während des Irak-Kuwait-Konflikts war beispielsweise die chinesische Zustimmung zu den gegen den Irak gerichteten Resolutionen nicht zuletzt auf das Bemühen der chinesischen Regierung zurückzufiihren, die diplomatische Isolation zu durchbrechen, in der sie sich nach den Ereignissen vom ,,Platz des Hinuniischen Friedens" befunden hatte. 1j Die UN-Völkerrechtskommission (ILC) lehnte es im Jahre 1949 ausdrücklich ab, das Kriegsvölkerrecht in ihr Arbeitsprogramm aufZunehmen, da die Ächtung des Krieges eine rechtliche Regelung des Krieges überflüssig gemacht habe. Zudem, so die Mehrheit der Kommission, würde es als Beleg fiir ein Mißtrauen in die Bestimmungen der UN-Charta gewertet, würde sich die Kommission mit diesem Normenkomplex befassen; YBILC 1949, S. 51, paras. 45 ff. In der Studie Survey of International Law (U.N. Doc. A/CN.4/245) vom 23. April 1971 stellte der Generalsekretär der Vereinten Nationen aber fest, daß mit dieser Entscheidung weder das Kriegsvölkerrecht als aufgehoben betrachtet noch eine spätere Behandlung ausgeschlossen werden sollte (ebd. S. 213, 250). Die ILA befaßte sich im Jahre 1946 aufihrer Tagung in Cambridge mit den "Eifects ofthe United Nations Charter on the Development of International Law with Special Reference to the Status of Neutrality and the Hague and Geneva Conventions". Der britische Delegierte C.G. Dehn wie auch andere stellten sich auf den Standpunkt, die Haager und Genfee Abkommen "were based on the legality of war. That basis has disappeared. A revolution in international law has taken place and intemationallaw must now concem itselfwith the consequences ofthat revolution"; C.G. Dehn, The Elfect ofthe United Nations Charter on the Development of International Law with Special Reference to the Status ofNeutrality and the Hague and Geneva Conventions, in: ILA, Report ofthe Forty-First Conference held in Cambridge, London 1948, S. 39-47, 45. Lediglich P. Guggenheim befilrwortete
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wohl noch Raum für das Kriegsvölkerrecht - das ius in bello. 16 Nicht zuletzt aus der Einsicht in die Notwendigkeit, für den Fall des Scheiteros des ius ad bellum einen Minimalbestand an Rechtsnormen vorzuhalten, die die Anwendung militärischer Gewalt, insbesondere die daraus resultierenden Folgen für die Opfer, auf ein erträgliches Maß zu reduzieren bestimmt sind17 , hat sich die überwiegende Mehrzahl der Staaten auch nach dem Inkrafttreten der UNCharta auf mehrere kriegsvölkerrechtliche Abkommen zu einigen vermocht. 18 Daneben bzw. ergänzend gelten, insbesondere fiir den Seekrieg, zahlreiche gewohnheitsrechtliche Regeln und Grundsätze, die mit Ausbruch eines internationalen bewaffneten Konflikts ihre Rechtswirkungen entfalten. 19 Existieren folglich zwei Normenkomplexe20, die der zwischenstaatlichen militärischen Gewaltanwendung rechtliche Schranken auferlegen, stellt sich die Frage nach ihrem Verhältnis zueinander. Die Völkerrechtslehre hat sich
unter Hinweis auf die Unzulänglichkeiten des kollektiven Sicherheitssystems eine Beibehaltung des traditionellen Kriegs- und Neutralitätsrechts; ebd., S. 46. 16 Wenngleich Ursprung und Entwicklung des Neutralitätsrechts einerseits und des Kriegsvölkerrechts andererseits keineswegs untrennbar miteinander verbunden sind (so auch E. Castren, The Present Law ofWar and Neutrality, Helsinki 1954, S. 426), umfaßt der Begriff des ius in bello grundsätzlich beide Rechtsbereiche. Soweit der Begriff im folgenden ausschließlich zur Beschreibung der Rechtsbeziehungen der Konfliktparteien untereinander herangezogen wird, wird vom "ius in bello i.e.S." die Rede sein. 17 K. Ipsen, International Law Preventing Armed Conflicts and International Law of Armed Conflict - A Combined Functional Approach, in: C. Swinarski (ed.), Studies and Essays on International Humanitarian Law and Red Cross Principles in Honour of Jean Pictet, Genf 1984, S. 349-358, 350; R.W. Tucker, The Law ofWar, in: R.B. Lillich!J.N. Moore (eds.), International Law Studies Vol. 62, Newport 1980, S. 233-246, 245; D. Schind/er, Abgrenzungsfragen zwischen ius ad bellum und ius in bello, in: Y. Hangartner/S. Trechsel (Hrsg.), Völkerrecht im Dienste des MenscheiL Festschrift flir Hans Haug, Berlin/Stuttgart 1986, S. 251-258. 18 So neben den vier Genfer Abkommen vom 12. August 1949 (BGBI. 1954 II S. 783 ff., 813 ff., 838 ff., 917 ff.) die Konvention vom 14. Mai 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffueten Konflikten (BGBI. 1967 II S. 1233 ff.), das Übereinkommen vom 18. Mai 1977 über das Verbot der militärischen oder einer sonstigen feindseligen Nutzung umweltverändernder Techniken (BGBI. 1983 II S. 126 ff.), das Übereinkommen vom 10. Oktober 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können (abgedruckt in: GYIL 24 [1981], 500-511) und das Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffueter Konflikte (Protokoll I) (BGBI. 1990 II S. 1551 ff.). 19 An dieser Stelle sei lediglich verwiesen auf CJ. Colombos, Internationales Seerecht (dl Übers. der 5. englischen Aufl.), MüncheniBerlin 1963, §§ 495 ff.; D.P. O'Connell, The International Law of the Sea (ed. by J.A. Shearer), Vol. II, Oxford 1984, S. 1094 ff.; L. Oppenheim, International Law (ed. by H. Lauterpacht), Vol. II, 7th ed., London 1963, S. 457 ff. 20 Die Beschränkung auf zwei Normenkomplexe bezieht sich auf diejenigen Normen, die die Anwendung zwischenstaatlicher Gewalt unmittelbar regeln. Das Friedenssicherungsrecht umfaßt indes auch das Recht der Abrüstung und Rüstungskontrolle, so daß ilun, trotz vielr-altiger Überschneidungen, neben dem Friedens- und Kriegsvölkerrecht eine eigenständige Stellung im Völkerrechtssystem zuerkannt werden kann. Vgl. dazu grundlegend K. Jpsen, Combined Functional Approach (Anm. 17), S. 350.
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diesem Problem bereits sehr früh zugewendet, indes in weiten Bereichen weder eine einheitliche noch gar eine befriedigende Antwort zu präsentieren vermocht. 21
21 Ähnlich A.V. Lowe (The Impact of the Law of the Sea on Naval Warfare, Syracuse J.lnt'l.L.&Com. 14 (1988], 657-675, 657), der treffend feststellt: "Since the outlawing of war and of the use of force, there has been a marked reluctance to use the traditional terminology of the laws of war and neutrality. This has led to the abandonment in recent times of any clear conceptual frarnework, eilher in state practice or in academic writing. for the analysis of the rights and duties regulating hostilities at sea."
A. Die These vom ausschließlichen Vorrang des ius in bello
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A. Die These vom ausschließlichen Vorrang des ius in bello Die wohl immer noch überwiegende Mehrheit der Völkerrechtler beschränkt den Anwendungsbereich des ius ad bellum grundsätzlich auf die Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeil der Erstanwendung bewaffneter Gewalt. 22 Im übrigen wird, sieht man von den vielfach vorgenommenen Differenzierungen im Sinne der status-mixtus-Lehre Schwarzenbergers23 ab, das Verhalten der Parteien eines bewaffneten Konflikts ausschließlich nach Maßgabe des ius in bello beurteilt, es sei denn, der Sicherheitsrat trifft im Hinblick auf den betreffenden aktuellen Konflikt Entscheidungen nach Kapitel VII der Charta. 24 Immerhin, so wird geltend gemacht, seien Sinn und Zweck der UNCharta die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, mithin die Verhinderung bewaffneter Auseinandersetzungen. Komme es gleichwohl zum Ausbruch eines Krieges bzw. bewaffneten Konflikts, habe das Friedenssicherungsrecht also versagt, verdränge das ius in bello als Iex specialis das als Iex generalis zu qualifizierende ius ad bellum der UNCharta?5 Die Anwendbarkeit dieses besonderen Rechts erfolge unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Erstanwendung militärischer Gewalt, da auch ein rechtswidriger Krieg jedenfalls im Verhältnis der Konfliktparteien eben die
22 So etwa F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. II, 2. Aufl., München 1969, S. 57 ff.; L. Kotzsch, The Concept ofWar (Anm. 8), S. 83 ff., 105 ff. ; F. V. Russo, Targeting Theory in the Law of Arrned Conflict at Sea: The Merchant Vessel as Military Objective in the Tanker War, in: I.F. Dekker!H.H.G. Post (eds.), The Gulf War of 1980-1988, Dordrecht!Boston!London 1992, S. 153193, 158 ff.; I. Brownlie, International Law and the Use ofForce by States, Oxford 1963, S. 1 ff. m.
umf. Nachw.
21 G. Schwarzenberger, The Frontiers oflntemational Law, London 1962, S. 246; ders., Jus Pacis ac Belli?, AJIL 37 (1943), 460 ff.; ferner Ph.C. Jessup, Should International Law Recognize an Intermediate Status between Peace and War?, AJIL 48 (1954), 98-103. Die Lehre vom status mixtus bleibt an dieser Stelle unberücksichtigt, da sie lediglich im Zusammenhang mit der Anwendbarkeit des klassischen Kriegsvölkerrechts von Belang ist. Es sei indes bereits hier angemerkt, daß diese Lehre zwar nicht einer gewissen faktischen Grundlage entbelut, indem sie die unterschiedlichen Phänomene zwischenstaatlicher Gewaltanwendung zu berücksichtigen versucht, sie jedoch weniger Rechtsklarheit schafft denn Mißbrauchsmöglichkeiten eröffuet, wie dies bereits im Zusammenhang mit den lnstituten etwa der ,,friedlichen Blockade" und der ,,kriegerischen Repressalie" der Fall war. Die Leugnung eines ,,Kriegszustands" ist in aller Regel mit dem Wunsch verbunden, sich den Bindungen des Kriegsvölkerrechts zu entziehen (vgl. dazu insbesondere F. Grob, The Relativity of War and Peace, New Haven 1949, S. 198 ff.). Auf die status-mixtus-Lehre wird im Zusammenhang mit der Anwendbarkeit des maritimen ius in bello zurückzukommen sein. 24 L.C. Green, Comments on the General Report on Visit, Search, Diversion and Capture, Round Table ofExperts on International Humanitarian Law Applicable to Arrned Conflicts at Sea, Bergen, 20 - 24 September 1991 (bislang unveröffentlicht). Vgl. ferner die Resolution des Institut de Droit International aus dem Jahre 1963, wonach "there cannot be complete equality in the application ofthe law ofwar when the competent organ ofthe United Nations has determined that one ofthe belligerents has resorted to arrned force in violation ofthe rules ofthe law of nations consecrated by the Charter of the United Nations" (AIDI 50 ii [1963], 376; siehe dazu J.P.A. Franr;:ois, L'Egalite d'application des regles du droit de Ia guerre aux parties a un conflit arme, AIDI 50 i [ 1963], 5 ff.). 2s L.C. Green, Comments (Anm. 24).
4 H. v. Hcincgg
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Rechtswirkungen eines Krieges entfalte. 26 Zudem würde die Einbeziehung weiterer rechtlicher Kriterien in die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Konfliktgeschehens, wie etwa der Grundsätze der Erforderlichkeil und Verhältnismäßigkeit, die Effizienz des ius in bello, insbesondere seine auf Reziprozitätserwägungen beruhende Schutzfunktion, in Frage stellen. 27 Daher sei das ius in bello "an entirely self-contained and special branch of the law. "28 Die Vertreter der These vom Vorrang des ius in bello unter Ausschluß des ius ad bellum können sich zunächst auf die Spruchpraxis der Kriegsverbrecherprozesse der Nachkriegszeit berufen. In der großen Mehrzahl dieser Prozesse29 wurde über die Maßnahmen des Aggressors ausschließlich nach Kriegsvölkerrecht geurteilt, die Rechtswidrigkeit des Kriegsbeginns blieb bei der rechtlichen Beurteilung der militärischen Maßnahmen außer Betracht. 30 Zudem können die Vertreter dieser These insoweit die Präambel des I. Zusatzprotokolls zu den Genfer Rotkreuz-Abkommen31 anführen, als danach "die Bestimmungen der Genfer Abkommen vom 12. August 1949 und dieses Protokolls unter allen Umständen uneingeschränkt auf alle durch diese Übereinkünfte geschützten Personen anzuwenden sind, und zwar ohne jede nachteilige Unterscheidung, die auf Art oder Ursprung des bewaffneten Konflikts oder auf Beweggründen beruht, die von den am Konflikt beteiligten Parteien vertreten oder ihnen zugeschrieben werden". Das bedeutet, daß der Aggressor Castren (Anm. 16), S. 58;H. Kelsen, AJJL 42 (1948), 795 f. So ausdrilcklich R.R. Baxter, The Rö1e ofLaw in Modem War, Proc. ASIL 47 (1953), 90-98,
26 E. 27
95f.
E. Castren (Anm. 16), S. 29. Die Urteile sind abgedruckt bei: L. Friedman (ed.), Tite Law ofWar, Vol. 11, New York 1972, S. 1196 fi Als Ausnahme sei die Entscheidung des Obersten Nationaltribunals Polens int Grauser-Fall erwähnt. Das Tribunal bezeiclmete den deutschen Angriff auf Polen als ,,kriminelle Invasion", so daß die Besetzung Polens nicht als Besetzung nach Maßgabe des Kriegsvölkerrechts zu charakterisieren sei, sondern als ,,rechtswidrige Inbesitznahme fremden Territoriums durch Gewalt und Zwang" (zil nachH. Lauterpacht, Rules ofWarfare in an Unlawful War, in: GA. Lipsky [ed.], Law and Politics in the World Conununity, Berkeley/Los Angeles 1953, S. 89-116, 95 f.). Augenscheinlich zog das Tribunal aus dieser Erkenntnis indes keine weiterreichenden Rechtsfolgen. 30 Der US-Militärgerichtshof stellte in dem Verfahren gegen Wilhelm List u.a. (sog. Hostage Case) in bezug auf deutsche Besatzungsmaßnahmen ausdrücklich fest: "[...] international law makes no distinction between a lawful and an unlawful occupant in dealing with the respective duties of occupant and population in occupied territory. There is no reciprocal connection between the marmer of the rnilitary occupation ofterritory and the rights and duties of the occupant and population to each other after the relationship has in fact been established. Whether the invasion was lawful or crirninal is not an intportant factor in the consideration oftbis subject", War Crimes Reports 8 (1949), 126 (siehe auch Annual Digest 15 [1948], 632; L. Friedman (ed.), The Law ofWar, Vol. 11, S. 1303 ff., 1313). Vgl. auch das Urteil des niederländischen Kassationsgerichtshofs int Zuehlke-Fall (ebd. 14 [1949], 144; ferner L. Friedman (ed.), S. 1543 ff., 1547): .. [...] it is going too far toregardas war crimes all acts committed against the Netherlands or Netherlanders by the German forces and other organs during the war, solely on the ground oftheillegal nature ofthe war launched by the then German Reich". Ferner M.S. McDougal/F.P. Feliciano, Law and Minimum World Public Order, New Haven 1961, S. 532 ff. 31 Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkonunen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffiteter Konflikte (Protokoll I) vom 8. Juni 1977; BGBl. 1990 II S. 1551. 28
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A. Die These vom ausschließlichen Vorrang des ius in bello
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wie auch der Verteidiger bzw. Angegriffene in gleichem Maße an Normen des spezifisch humanitären Völkerrechts, d.h. die den Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte gewährleistenden Bestimmungen, gebunden sind.32 Es sei dahingestellt, ob einer nahezu fünfzig Jahre alten Judikatur heute noch eine entscheidende Bedeutung zugemessen werden kann, insbesondere weil die Bestimmungen der Charta in Ermangelung eines entsprechenden Bewußtseins kurz nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs noch nicht die völkerrechtliche Beurteilung von Kriegshandlungen zu bestimmen vermochte. Gegen die These vom ausschließlichen Vorrang des ius in bello spricht jedenfalls die folgende Überlegung: Zwar steht außer Frage, daß auch dem Aggressor gegenüber die dem Opferschutz dienenden Bestimmungen Beachtung finden müssen, stehen doch gerade diese Normen nicht zur Disposition der Konfliktparteien. 33 Daraus folgt indes nicht zwingend, daß z.B. der Aggressor von den sonstigen kriegsvölkerrechtlichen Bestimmungen Gebrauch machen darf, ohne daß sein Verstoß gegen eine der Grundnormen des modernen Völkerrechtssystems rechtliche Folgen zeitigte. Es wäre in der Tat ein merkwürdiges Ergebnis, würde eine Verbotsnorm gegenüber einem ihrer Adressaten allein aus dem Grunde keine Rechtswirkungen mehr entfalten, weil just dieser sie verletzt hat. 34 Wollte man diese Konsequenz ziehen, wäre die Rechtsqualität des Gewaltverbots zur Disposition der ihm unterworfenen Rechtssubjekte gestellt. 35 Unter der Geltung der UN-Charta verbietet es sich, die durch sie bewirkten grundlegenden Veränderungen im Völkerrechtssystem schlichtweg zu ignorieren. 36 Wenngleich die Anwendbarkeit des ius in bello ein - temporäres - Scheitern des Friedenssicherungsrechts voraussetzt,
32 Statt vieler K.J. Partsch, in: M. Bothe!K.J. Partsch/W.A. Sol[, New Rules for Victims of Anned Conflicts- Commentary on the Two 1977 Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, The Hague!Boston!London 1982, S. 33. 33 Q. Wright, The Outlawry of War and the Law of War, AJIL 47 (1953), 365-376, 373, begründet dies wie folgt: "A State cannot deprive individuals, even its own nationals, of rights which they enjoy under international law. lbis principle seerns to be an inference from the human rights provisions in the Charter(... ) Consequently, insofar as the internationallaw ofwar confers rights upon soldiers and civilians as individuals, they continue to enjoy these rights even though acting in behalf of a state engaged in illegal hostilities." Vgl. ferner Art. 14 des Entwurfs der Harvard Law School Draft Convention on Rights and Duties o[States in Case ofAggression, with Comment, AJIL 33 (1939), Suppl., 819-909; und E. Lauterpacht, The Legallrrelevance ofthe "State of War'', Proc. ASIL 62 (1968), 58-68, 63, der ausschließlich auf Erwägungen der Humanität abstellt. 34 Q. Wright, AJIL 47 (1953), 366 ff.; E. Lauterpacht, Proc. ASIL 62 (1968), 63 ff.; Ch. Greenwood, Self-Defence and the Conduct of International Anned Conflict, in: Y. Dinstein (ed.), International Law at a Time of Perplexity. Essays in Honour of Shabtai Rosenne, Dordrecht!Boston!London 1989, S. 273-288,274. 33 Q. Wright, AJIL 47 (1953), 366: "To jurists, right in the realm oflaw cannot be identical with might in the realm of fact; consequently for the law to recognize that superior might can, in and of itself, provide a foundation for transfer of rights approaches a contradiction in terms." 36
4*
So insbesondereH. Lauterpacht, Rules ofWarfare in an Unlawful War (Anm. 29}, S. 98 f.
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l. Kap.: Der Einfluß der Charta der VN
eben die Existenz eines Krieges bzw. internationalen bewaffneten Konflikts37 , ist die ganz überwiegende Mehrheit der Staaten heute nicht mehr bereit anzuerkennen, das ius ad bellum werde abgesehen von den genannten Ausnahmen durch das ius in bello vollständig verdrängt, selbst wenn das System kollektiver Sicherheit aufgrund seiner strukturellen Defizite nicht funktioniert. 38 So wird in der bereits in Bezug genommenen Präambel des I. Zusatzprotokolls von 1977 ebenfalls ausdrücklich festgestellt, daß die Bestimmungen dieses Abkommens das ius ad bellum der UN-Charta unberührt lassen. 39 Kann somit die These vom ausschließlichen Vorrang des ius in bello bereits angesichts der ihr zugrundeliegenden, jedoch überkommenen, strengen Dichotomie von Friedens- und Kriegsvölkerrecht nicht aufrechterhalten werden40, wird sie überdies Sinn und Zweck des modernen Kriegsvölkerrechts nicht gerecht. Verkennt sie doch, daß das ius in bello auch der Wiederherstellung des Friedenszustandes, mithin wie das ius ad bellum einer im weiten Sinne verstandenen friedenssichemden Funktion zu dienen bestimmt ist. 41 Besteht eine der Funktionen des ius in bello aber darin, dem ius ad bellum wieder Geltung zu verschaffen, so läßt sich diese nur realisieren, will man den gegenwärtigen Bedürfnissen gerecht werden, wenn nicht nur ein 37 Zu der heutigen Relevanz des KriegsbegriflS vgl. Ch. Greenwood, The Concept of War in Modern International Law, ICLQ 36 (1987), 283-306; L. Delbez, La notion juridique de guerre, RGDIP 57 (1953), 177-209; L.C. Green, Armed Conflict, War, and Self-Defence, A VR 6 (1956/57), 387-438,394 ff.; H. Rumpf, The Concepts ofPeace and War in International Law, GYIL 27 (1984), 429-443; D. Schind/er, State of War, Belligerency, Armed Conflict, in: A. Cassese (ed.), The New Humanitarian Law of Armed Conflict, Napoli 1979, S. 3-20; R.W. Tucker, The Interpretation ofWar under Present International Law, 1LQ 4 (1951), 11-38. 38 0. Schachter, International Law in Theory and Practice (Amn. 5), S. 129 f. mw.N.
39 Dazu KJ. Partsch, in: M. Bothe/KJ. Partsch!WA. Solf(Anm 32), S. 33; B. Zimmermann, in: ICRC, Comrnentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, Geneva 1987, Rdn. 27; D. Schind/er, Abgrenzungsfragen zwischen ius ad bellum und ius in bello (Anm 17), S. 251. 40 Der Ursprung der strengen Dichotomie ist im 18. Jahrhundert zu verorten, als das ius ad bellum ,,bad ceased to be of more than speculative interest to the jurists, political theorists, and conscientious
soldiers upon whose combined efforts the development ofthe law ofwar depended. Wars engaged in by sovereign rulers bad become accepted as ipso facto legitimate exercises of their proper (most writers would still have said god-given) functions within the States-system - and this was calmly accepted. The 1aw of war therefore came to mean simply thc laws and customs governing the conduct of hostilities between civilized States; and thejus ad bellum's concems about the rights and wrongs ofwars were left aside [... ]"; G. Best, The Restraint of War in Historical and Philosophical Perspective, in: FS F. Kalshoven (Anm 8), S. 3-26, 14. Zur Bedeutung des modernen ius ad beUum vgl. auch Ch. Greenwood, The Relationship Between ius ad bellum and ius in bello, Review oflnternational Studies 9 (1983), 221-234,221 f. 41 K. lpsen, Combined Functional Approach (Amn. 17), S. 350. Es sei angemerkt, daß dieses Verständnis des ius in bello als einer auch der Wiederherstellung des
Friedens dienenden Rechtsordnung keineswegs eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts ist. So wurde bereits in Art. 16 der sog. Lieber Instructions klargestellt, daß "[...] military necessity does not include any act of hostility which mak.es the retum to peace uMccessarily difficult"; Instructions for the Government of Armies of the United States in the Field, Prepared by Francis Lieber, promulgated as General Orders No. 100 by President Lincoln, 24 April1863 (abgedruckt in: D. Schindler/J. Toman (eds.), The Laws of Armed Conflicts, Genf1988, Zf. 1).
A. Die These vom ausschließlichen Vorrang des ius in bello
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Nebeneinander dieser Normenkomplexe anerkannt wird, sondern auch die vielfaltigen Überschneidungen, die sich aus dem mit dem Völkerrecht überhaupt verfolgten Zweck der Friedenssicherung ergeben. 42 Folglich bleibt das ius ad bellum, ohne daß bereits hier auf die mit dieser Erkenntnis verbundenen Rechtsfolgen im einzelnen einzugehen wäre, jedenfalls ein grundsätzlich neben dem ius in bello anwendbarer Normenkomplex. 43 Bereits aus diesem Grunde bedürfte es keines Eingehens mehr auf den von den Vertretern der These vom ausschließlichen Vorrang des ius in bellobemühten Spezialitätsgrundsatz. Gleichwohl sei vermerkt, daß selbst bei Anerkennung der Geltung dieses Grundsatzes das ius ad bellum nicht vollends außer acht gelassen werden könnte. Auch seitens der Vertreter der These vom ausschließlichen Vorrang des ius in bello wird nicht ernsthaft bestritten, daß sieht man von dem besonderen Fall der Zwangsmaßnahmen ab - als zulässiger Zweck der Anwendung militärischer Gewalt grundsätzlich nur die Selbstverteidigung anzuerkennen ist. 44 Selbst wenn man diese Zweckbestimmung einem als lex generalis zu qualifizierenden Normenkomplex zuzuordnen bereit wäre, hätte dies nicht ihre Unbeachtlichkeit für die völkerrechtliche Beurteilung des Konfliktgeschehens zur Folge. Kriegsvölkerrechtlichen Instrumenten fehlt es an einer Bestimmung des zulässigen Kriegszwecks. Die Definitionen des Kriegsbegriffs und -zwecks im völkerrechtlichen Schrifttum45 sowie in militärischen Handbüchem46 können bereits aus dem Grunde unberücksichtigt bleiben, weil sie angesichts ihrer Unterschiede nicht zur Herausbildung einer Norm des Gewohnheitsrechts beizutragen vermochten. Weist somit die (angebliche) lex specialis eine Lücke auf (und ist sein besonderer Charakterwie die Präambel des I. Zusatzprotokolls erhellt - nicht dergestalt, daß es das ius ad bellum -jedenfalls soweit die Zulässigkeil des Kriegsziels betroffen ist vollständig verdrängt), entspricht es anerkannten Grundsätzen und Regeln völkerrechtlicher Methodologie, diese unter Rückgriff auf die Iex generalis zu 42 Ebd.; vgl. ferner R.R. Baxter, The Law ofWar, in: R.B. Lillich/J.N. Moore (Anm. 17), S. 209219, 212;D. Frei, International Humanitarian Law and Armagekräftig
ist. Bl
Die rechtliche Einordnung des Korea-Konflikts war aufgrund der Verurteilun~ Nordkoreas als Aggressor durch den UN-Sicherheitsrat86 mit besonderen Schwierigkeiten behaftet." Die unmittelbar beteiligten Staaten leu~eten - vorrangig aus innenpolitischen und nationalrechtlichen Gründen - die Existenz eines Krieges , gestanden Drittstaaten aber einen neutralen Status zu, den diese zum Teil auch ausdrücklich proklamiert hatten.89 Der indisch-pakistanische Konflikt von 196590 weist gewisse Parallelen zum ersten arabischisraelischen Konflikt auf. Auch hier ging zumindest eine der Konfliktparteien von der Existenz eines Kriegszustands aus." 1 Anders als im arabisch-israelischen Konflikt beriefen sich einige Drittstaaten
Trader vom 2. Dezember 1950 (ILR 17 [1952], 440); TheLea Lott vom 12. Dezember 1959 (ILR 28 [1963], 652; Rev.Egypt.D.I. 16 [1960], 106); The Jnge Toft vom 10. April 1960 (ILR 31 [1966], 510; Rev.Egypt.D.I. 16 [1960], 118). Zur Rechtsprechung des ägyptischen Prisengerichts und den ägyptischen Maßnahmen vgl. J. Trappe, On the Jurisdiction ofthe Egyptian Prize Court, 1948-1960, Rev.Egypt.D.I. 10 (1960), 60-67; Th.D. Brown, Minnesota L.R.. 50 (1965-1966), 856 ff.; L. Grass, AJIL 51 (1957), 532 ff. 81 Dazu L. Grass, AJIL 51 (1957), 538 ff.; N. Feinberg (Anm. 83), S. 75. In seiner Stellungnahme vor demUN-Sicherheitsrat (553rd meeting, August 16, 1951, SCOR para. 98) erklärte der ägyptische Delegierte: "Up today, the Netherlands has protested to the Egyptian Government no less than three times; Turkey, at least once; the United Kingdorn, at least ten times; the United States, twelve times; and France, twenty-two times. Most of the protests were lodged with the Egyptian Government even while the hostilities in Palestine were still in progress." 84 PM. Norton, Between the Ideology and the Reality: The Shadow of the Law of Neutrality, Harv.LL.J. 17 (1976), 249-311, 259, 281 f.; E. O'Ballance, The Arab-Israeli War 1948, London 1956, s. 136. Bl Dazu R. Ottmüller, Anwendung von Seekriegllfecht (Anm. 39), S. 118 tf.; J. Trappe, Rev.Egypt.D.L 10 (1960), 60 ff. Gleichwohl berief sich die deutsche Bundesregierung auf das Neutralitätsrecht und bezeichnete alle Warenlieferungen mit Ausnahme von Krieg.'>waffen als zulässig; H. Stelnberger, Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1956, ZaöRV 18 (1957/58), 691-763, 724f. 86 Resolutionen vom 25. Juni 1950 (U.N. Doc. S/1501) und vom 27. Juni 1950 (U.N. Doc. S/1511). 87 Vgl. J.L. Kunz, Legality ofthe Security Council Resolutions of June 25 and 27, 1950, AJIL 45 (1951), 137-142;1. Stone (Anm. 13), S. 207 ff., 228 ff. 88 So etwa in der Antwort des britischen Außenministers vom 11. Juni 1952 auf eine parlamentarische Anfrage (House ofCommons Deb. 502, col. 202); vgl. ferner die Nachweise bei J.G. Verplaetse, ZaöRV 23 (1963), 682 f.; R. Otrmüller, Anwendung von Seekriegllfecht (Anm. 39), S. 97 ff.; L.C. Green, ILQ 4 (1951), 464 ff.; ders., AVR 6 (1956/57), 418 ff.;L. Korzsch, The Concept of War (Anm. 2), S. 78 ff.; AX. Pye, The Legal Status ofthe Korean Hostilities, Georgetown L.J. 45 (1956/57), 45-60. 89 J.G. Verplaetse, ZaöRV 23 (1963), 712 ff.; HJ. Taubenfeld, International Actions and Neutrality, AJIL 47 (1953), 377-396, 392 f.; PM. Norton, Harv.I.L.J. 17 (1976), 264 ff. 90 R. Brines, The Indo-Pakistani Conflict, London 1968, S. 304 ff.; R. Ottmal/er, Anwendung von Seekriegllfecht (Anm. 39), S. 180 ff. 91 Der pakistanischen Proclamation as to Contraband of War vom 9. (The All Pakistan Legal Decisions 1965, 575), der neugefaßten Proklamation vom 11. September 1965 (ebd., 472) wie auch der Prisenordnung vom 14. September 1965 (Detention of Enemy Ships, Aircraft and Goods Ordinance, ebd., 575) war der Satz vorangestelh: "Whereas a state ofwar exists between Pakistan, on
B. Die Ernetzung des Kriegsbegriffs
177
aber ausdrücklich auf das Neutralitätsrecht und verhielten sich konform den traditionellen Rechtsregeln.92 Andere vermieden jegliche Bezugnahme auf einen neutralen Status, stellten aber sofort jegliche Lieferungen von Waffen und Kriegsmaterial ein. 93 Dem~genüber hatten im Jahre 1971 die bewaffiteten Auseinander.;etzungen zwischen den beiden Staaten , auch wenn unter ausdrücklicher Berufunf auf einen Kriegszustand wiederum die neutrale Handelsschiffahrt in Mitleidenschaft gezogen wurde9 , keine nennenswerten Auswirkungen auf das Verhalten von Drittstaaten96, was indes angesichts der kurzen Dauer dieses Konflikts nicht weiter verwunderlich ist. Eindeutige Auswirkungen auf das Verhalten der nicht am Konflikt beteiligten Staaten zeitigte demgegenüber die Einordnung des Sechs-Tage-Kriegs (1967) durch die Konfliktparteien. 97 Zahlreiche Drittstaaten unterbanden zumindest fiir die Dauer der bewafiheten Auseinander.;etzungen ihre Waffenlieferungen an die Konfliktparteien98 und beriefen sich zum Teil ausdrücklich auf das Neutralitätsrecht.99 Die Waffenlieferungen wurden nach lokrafttreten des Waffenstillstands wieder aufgenommen, obgleich zumindest die arabischen Staaten vom Fortbestand eines Kriegszustands ausgegangen waren.' 00 Mit Ausbruch des Yom-Kippur-Krieges am 6. Oktober 1973 101 nahm die Mehrzahl der Drittstaaten aber wieder eine neutrale Haltung ein, zumal die arabischen Staaten mittels des Ölembargos über ein geeignetes Mittel zur Durchsetzung ihres Standpunkts verfligten. 102 Lediglich die USA
the one hand, and India on the other". Demgegenüber leugnete Indien zwar die Existenz eines Kriegszustands, erließ aber ebenfalls eine Konterbandeliste; Gazette of India Extraordinaire of September 14, 1965, Part li, Section 3, Subsection (i). Gleichwohl sah sich Pierre Lalive in seinem Schiedsspruch vom 18. Dezember 1976 im Fall Dalmia Cemenl v. National Bank ofPakistan (ILR 67 [1984], 611 ff.) angesichtsder partiellen Aufrechterhaltung der diplomatischen Beziehungen und der Fortfiihrung der völkerrechtlichen Verträge außer.>tande, die Existenz eines Kriegszustands zu bejahen (ebd., 625). 92 Vgl. die Nachweise bei Ch. Rousseau, RGDIP 70 (1966), 180; R. Ottmüller, Anwendung von Seekriegsrecht (Anm. 39), S. 181. 93 So die USA und das Vereinigte Königreich; vgl. R. Brines (Anm. 92), S. 355 f. 94 Dazu R. Kaul, The Indo-Pakistani War and the Changing Balance of Power in the Indian Ocean, U.S.N.I.P. 99 (May 1973), 172-180; J. Rohwer, Der indisch-pakistanische Konflikt 1971, MarineRundschau 71 (1974), 7-26; R. Ottmüller, Anwendung von Seekriegsrecht (Anm. 39), S. 271 ff. 95 Pakistan veröffentlichte am 3. Dezember 1971 eine Konterbandeliste (The All Pakistan Decisions 1972, 113). Indien erklärte am 4. Dezember 1971 eine Blockade Ost-Pakistans und übermittelte am darauffolgenden Tag den diplomatischen Vertretungen in Neu Delhi eine umfassende Konterbandeliste. Insgesamt wurden 115 neutrale Handelsschiffe angehalten und durchsucht. Dazu D.K. Palit(Anm. 53), S. 149 f.;J. Rohwer, Marine-Rundschau 71 (1974), 22. 96 Lediglich die USA und das Vereinigte Königreich protestierten gegen Maßnahmen der Konfliktparteien gegenüber den unter ihrer Flagge fahrenden Handelsschiffen; R. 01/müller, Anwendung von Seekriegsrecht (Anm. 39}, S. 272 ff. 97 Dazu D. Schind/er, RdC 121 (1967 li), 283; S. Oeter, Neutralität und Waffenhandel (Anm. 13), S. 102 f.;PM. Norlon, Harv.I.L.J. 17 (1976), 257 ff.
98 Vgl. die Nachweise bei S. Oeter, Neutralität und Waffenhandel (Anm. 13}, S. 102 f.; J. Krause, Sowjetische Militärhilfepolitik gegenüber Entwicklungsländern, Baden-Baden 1985, S. 195. 99 So der französische Außenminister in seiner Erklärung vom 17. Juni 1967 vor der Nationalversammlung; vgl. J. Charpentier, Pratique Fran~aise du droit international, AFDI 1967, 892. 100 Vgl. die Nachweise in SIPRI, The Arms Trade with the Third World, Stockholm 1971, S. 515, 524 ff., 533 ff.; sowie bei J. Krause (Anm. 100), S. 196 ff. 101 Dazu R. Ottmüller, Anwendung von Seekriegsrecht (Anm. 39), S. 292 ff.
102 PM. Norton, Harv.I.L.J. 17 (1976), 260 f., 295, 300. Zur Haltung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Waffenlieferungen der USA an Israel vgl. die Nachweise bei U. Beyerlin!W. Strasser, Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1973, ZaöRV 35 (1975}, 810 ff. Die Rechtmäßigkeit des Ölembargos beleuchtet I.F.I. Shihata, Destination Embargo of Arab Oil: Its Legality under International Law, AJIL 68 (1974), 591-627. 12 H. v. Hcincgg
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2. Kap.,l. Absclm.: Krieg und internationaler bewaffheter Konfllikt
und die ehemalige Sowjetunion unterstützten die Konfliktparteien weiterhin mit umfangreichen Militärhilfen. 101 Der argentinisch-britische Konflikt um die Falkland-Inseln (1984) wurde weder von den Konfliktparteien noch von Drittstaaten als Krieg im rechtlichen Sinne charakterisiert. 104 Insbesondere die mit dem Vereinigten Königreich verbündeten westlichen Industriestaaten nahmen offen eine wohlwollende Haltung ~ugunsten ihres Partners ein. ~erh_änfi:en gegenüber Argenlinien einseitige Sanktionen und stellten Lteferungen von Rüstungsmatenal em. 5 Der Golf-Konflikt zwischen Iran und Irak (1980-1988) war durch vielfaltige Übersrffe der Parteien auf die Handelsschiffahrt nicht arn Konflikt beteiligter Staaten gekennzeichnet.' 6 Soweit diese Maßnahmen dem traditionellen Prisenrecht entsprachen. sahen die betroffenen Flaggenstaaten sie weitgehend als rechtens an107, wiewohl keine der Konfliktparteien offiziell die Existenz eines Kriegszustandes geltend gemacht hatte.' 08 Indes gingen einige Staaten dazu über, die neutrale Handels101 Umfassend dazu J.L. Scherer, Soviel and American Behavior During the Yom Kippur War, World Aff. 141 (1977), 2-23. 104 Der Vorsitzende desPrivy Council erklärte:"[ ... ] we do not consider !hat there exists a state of war between this country and Argentina"; BYIL LII (1982), 519 f. Vielmehr wurden die Feindseligkeiten von britischer Seite als Selbstverteidigungsmaßnahmen nach Art. 51 UN-Charta bezeichnet. Zur Einordnung des Konflikts vgl. ferner die Nachweise bei S.S. Junod (Anrn. 21), S. 18; L. Doswald-Beck, The International Law ofNaval Anned Conflicts: The Need for Reform. ltai.YBIL 7 (1986/87), 251-282, 266 f.; H.-H. Lindemann, Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1982, ZaöRV 44 (1984), 495 ff., 507. 105 AufErsuchen Großbritanniens verhängte die EG ein Einfuhrembargo aufargentinische Waren; dazu W Meng, die Kompetenz der EWG zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen Drittländer, ZaöRV 42 (1982), 780-803, 786 ff. Zu den verschiedenen Waffenernbargen vgl. die Nachweise bei S. Oeter, Neutralität und Waffenhandel (Anrn. 13), S. 111 f.; D.E. Acevedo, The U.S. Measures Against Argentina Resulting from the Malvinas Conflict, AJIL 78 (1984), 323-344. Ferner oben l. Kapitel, II. 3. b) cc).
106 E. O'Ballance, The GulfWar, (Anrn. 55), S. 155 f., 170 ff., 182 f.; R. Lagoni, Gewaltverbot, Seekriegsrecht und Schiffahrtsfreiheit im Gol.fkrieg, in: W Fürst!R. Herzog!D.C. Umbach (Hrsg.), Festschrift filr Wolfgang Zeidler Bd. 2, Berlin/New York, 1987, S. 1833-1867, 1851 ff.; W Heintschel v. Heinegg, Visit, Search, Diversion. and Capture in Naval Warfare: Part II, Developments since 1945, CYIL XXX (1992), 89-136, 102 ff.; F. V. Russo Jr., Neutrality at Sea in Transition: State Practice in the GulfWar as Ernerging International Customary Law, ODIL 19 (1988), 381-399, 381 f.; M. Jen/eins, Air Attacks on Neutral Shipping in the Persian Gulf: The Legality of the Iraqi Exclusion Zone and Iranian Reprisals, Boston College Int'I.&Comp.L.Rev. VIII (1985), 517-549, 517 f., 531 f.; R. Danziger, The Persian Gulf Tanker War, U.S.N.I.P. 111 (May 1985), 160-167; R. Leckow, The Iran-Iraq Conflict in the Gulf: Tite Law ofWar Zones, ICLQ 37 (1988), 629-644, 636 ff.; WJ. Fenrick, The Exclusion Zone Device in the Law ofNaval Warfare, CYIL XXIV (1986), 91126, 116 ff. 107 Das Foreign and Conunonwealth Office teilte der britischen Handelsschiffahrt u.a. mit: "[ ... ] a state which is actively engaged in arrned conflict may, in exercise of its inherent right of self-defence under article 51 ofthe UN Charter, stop and search a merchant ship in its territorial sea or on high seas providing there is reasonable ground for suspecting !hat the ship is taking arms or other war material to the other side for use in !hat conflict"; Hause o[Commons, Third Special Report from the Defence Comrnittee (Session 1986-87) The Proteerion of British Merchant Shipping in the Persian Gulf, Report and Memoranda, London 1987, 91-92. Zu den Reaktionen der neutralen Flaggenstaaten vgl. ferner die Nachweise bei Ch. Rousseau, RGDIP 91 (1987), 139; A. Gioia/N. Ronzitti, The Law of Neutrality: Third States' Conunercial Rights and Duties, in: I.F. Dekker/H.H.G. Post (eds.), The Gulf War of 1980-1988, Dordrecht/Boston!London 1992, S. 221-242,226 ff.; M. Bothe, Neutrality at Sea, ebd., S. 205-211, 206; L. Doswald-Beck, ltai.YBIL 7 (1986/87), 270; F.V. Russo Jr., ODIL 19 (1988), 385; S. Oeter, Neutralität und Waffenhandel (Anrn. 13), S. 113. 108 Für die Einordnungdes Konflikts als ,,Krieg" aber Ch. G1eenwood, ICLQ 36 (1987), 295 f.; E. David, RBDI 20 (1987), 161; F. Mehr, Neutrality in the Gulf War, ODIL 20 (1989), 105-106; S. Oeter, Neutralität und Waffenhandel (Anrn. 13), S. 112.
B. Die Ersetzung des Kriegsbegriffs
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schiffahrt durch in den Persischen Golf entsandte Flottenverbände vor Übergriffen zu schützen.109 Wenngleich zahlreiche Staaten sich mit Ausbruch des Konflikts filr neutral erklärt hatten110, hatte dies nicht eine vollständige Einstellung der Lieferung von Rüstungsmaterial zur Fo!Be.111 Andere nahmen offen eine wohlwollende Haltung entweder zugunsten des Iran112 oder des Irak1 ein. Bemerkenswert ist aber, daß diejenigen Staaten, die offiziell eine neutrale Haltung einnalunen und gleichwohl die Lieferung bestimmter Güter nicht (vollständig) unterbanden114, sich auf den Standpunkt stellten, mit ihrem Status unvereinbar sei lediglich die Lieferung von sog. ,Jethal equipment" oder solcher Gegenstände, deren Einsatz zu einer Ausweitung oder Aufrechterhaltung der bewaffueten Auseinandersetzungen filhre. 1u Zahlreiche dieser Lieferungen erfolgten aber auch im geheimen oder wurden offiziell geleugnet 116 In den sonstigen internationalen bewaffueten Konflikten seit 1945 wurde seitens der Konßilc1parteien jegliche Bezugnalune auf einen Kriegszustand vermieden. 117 Angesichts ihrer räumlichen und zeitlichen Begrenzung bestand filr die Anwendung des Neutralitätsrechts aber auch kein Anlaß. Die Algerien-Krise bleibt hier, wenngleich die Handelsschiffahrt durch die französischen Maßnalunen in erheblichem Ausmaß in Mitleidenschaft gezogen wurde111, unberücksichtigt, da es sich nicht um einen internationalen bewaffueten Konflikt handelte.119 Just aus diesem Grunde war jegliche Berechtigung Frankreichs, die Handelsschiffahrt von Drittstaaten außerhalb des KOsteruneeres BeschrAnkungen zu unterwerfen, zu verneinen. 120 Die jüngsten militärischen Handbücher erlauben keine eindeutige Schlußfolgerung in bezug auf die Frage, ob die Anwendbarkeit des Neutralitiitsrechts vom Vorliegen eines Kriegszustands abhängig sein soll. Im kanadischen Entwurfwird zunächst generell zwischen ,,Krieg" und ,,internationalem bewaffueten Konflikt" unterschieden und die Möglichkeit eines status mixtus angedeutet 121 Die Vorschriften über die Anhaltung und Durchsuchung neutraler Handelsschiffe122 setzen augenscheinlich nicht den Kriegszustand voraus. Demgegenüber wird der Beginn der staatlichen Neutralität ausdrücklich von der
109 Vgl. die Nachweise in: Third Special Report from the Defence Committee (oben Anm. 109); US Dept. ofDefense, AReport to the Congress on Security Arrangements in the Persion Gulf(l5 June 1987), ii (Report by the Secretary of Defense, C. Weinberger); US Dept of State Bull. 87 (June 1987), 87; (July 1987), 60 ff.; (August 1987), 78 ff.; (October 1987), 42 ff. Ferner A. Gioia!N. Ronzitti, The Law ofNeutrality: Third States' Commercial Rights and Duties, (Anm. 109), S. 240 ff.; R. Wolfrum, Reflagging and Escort Operation in the Persian Gulf: An International Law Perspective, Virginia J.Int'l.L. 29 (1989), 387-399; M.H. Nordquist/M.G. Wachenfeld, Legal Aspects of Reflagging Kuwaiti Tankers and Laying of Mines in the Persian Gulf, GYIL 31 ( 1988), 138-164. 110 Dazu die Nachweise oben l. Kapitel, li. 3. b) aa). 111 Dazu die Nachweise ebd. 112 Dazu die Nachweise oben l. Kapitel, li. 3. b) aa), Anm. 246 ff. 113 Dazu die Nachweise oben l. Kapitel, II. 3. b) aa), Anm. 241 ff. 114 Dazu die Nachweise oben l. Kapitel, II. 3. b) aa), Anm. 25 5 ff. w Dazu die Nachweise oben l. Kapitel, II. 3. b) aa), Anm. 266 ff. 116 Dazu die Nachweise oben l. Kapitel, II. 3. b) aa), Anm. 250, 262 ff., 274 ff. 117 Vgl. statt vieler S. Oeter, Neutralität und Waffenhandel (Anm. 13), S. 96 ff., 104, 107 ff. 118 Zu den Beeinträchtigungen der Handelsschiffahrt wAhrend der Algerien-Krise vgl. L. Lucchinl, Actes de coolrainte exerces par Ia France en Haute Mer au cours des operations en Algene, AFDI XII (1966), 803-822; J. Bernigaud, Les aspects maritimes de Ia guerre d'Algene, Revue de OOense Nationale (Octobre 1968), 1496-1502; R.. Ottmüller, Anwendung von Seekriegsrecht (Anm. 39), S. 133 ff.; W. Heintschel v. Heinegg, CYIL XXX (1992), 100 f. 119 So statt vieler DP. O'Connell, BYIL XLIV (1970), 36. 120 So statt vieler D. Schindler, State ofWar (Anm. 45), S. 10. 121 Canadian Draft Manual, paras. 301 ff. 122 Ebd., paras. 720 ff.
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2. Kap.,l. Abschn.: Krieg und internationaler bewaffueter Konfllikt
Existenz eines Kriegszustands abhängig gemachlm Andererseits soll aber die Verpflichtung der neutralen Handelsschiffahrt zur Beachtung des Konterbanderechts einsetzen, sobald eine Konfliktpartei mit oder nach Ausbruch der Feindseligkeiten Konterbandelisten veröffentlichl 114 Nach Maßgabe des deutschen Handbuchs soll die Anwendbarkeit des NeutralitAtsrechts grundsätzlich ebenfalls vom Vocliegen eines Kriegszustands abhängen. m Eine erhebliche Relativierung erfllhrt diese Aussage aber in dem dem NeutralitAtsrecht gewidmeten Kapitel. Danach "beginnt die Neutralität eines Staates mit dem Ausbruch eines bewaffueten Konfliktes in erheblichen Ausmaßen zwischen anderen Staaten...126
Eindeutig sind demgegenüber die Bestinunungen des Handbuchs der US-Marine. In bezug auf den Beginn der staatlichen NeutraliW wird klargestellt, daß es nicht auf die Existenz eines Kriegszustands ankomme, sondern auf eine Neutralitätserklärung oder eine sonstige Einnahme eines neutralen Status im Hinblick auf einen andauernden internationalen bewaffueten Konflikt. 117 Auch die Anwendbarkeit des neutralit.ätsrechtlichen Instrumentariums gegenüber der Handelsschiffahrt nicht am Konflikt beteiligter Staaten wird nicht vom Vorliegen eines Kriegszustands abhängig gemacht; vielmehr wird ein internationaler bewaffueter Konflikt als ausreichend angesehen. 121
Sowohl die Konfliktparteien als auch die nicht am Konflikt beteiligten Staaten haben somit durch ihr Verhalten zu erkennen gegeben, daß sie trotz der faktischen oder rechtlichen Einordnung eines Konflikts als Krieg nur in Ausnahmefallen von einer automatischen und vollständigen Anwendbarkeit des gesamten (maritimen) Neutralitätsrechts auszugehen bereit waren.129 Andererseits haben selbst solche Konflikte, die nach Auffassung weder der Konfliktparteien noch der Drittstaaten oder der Völkerrechtslehre als Kriege im Rechtssinne charakterisiert werden konnten, das Verhalten der nicht am Konflikt beteiligten Staaten nachhaltig zu prägen vermocht. 130 Daher entbehrt nicht nur die Lehre vom Erfordernis eines Kriegszustands, sondern auch die auf ihr beruhende Variante vom status mixtus des erforderlichen Nachweises in der Staatenpraxis. In allen (maritimen) Konflikten seit 1945 haben die unbeteiligten Staaten durch ihr Verhalten zumindest mittelbar zu erkennen gegeben, daß sie, wenn auch nicht von einer vollständigen Ersetzung, so doch von einer partiellen Modifizierung des Friedensvölkerrechts durch das Neutralitätsrecht ausgingen. Daß es dazu nicht auf ihre individuelle Entscheidung, sondern allein auf die Existenz eines internationalen bewaffneten Konflikts ankommen sollte, wird daraus ersichtlich, daß sie sich mehrheitlich der Lieferung von Waffen und sonstigen Kriegsmaterials an die Konfliktparteien enthielten bzw. derartige Lieferungen leugneten oder im geheimen vornahm Ebd., para. 1503.
Ebd., para. 1514. ZDv 15/2, Nr. 209. 126 Ebd., Nr. 1106. 127 NWP 9, para. 7.1. 121 Ebd., para. 7.4. 114 125
119 So auch D. Schind/er, State of War (Anm 45), S. 14; ders., Transformations in the Law of Neutrality Since 1945, in: AJM Delissen/GJ. Tanja (eds.), Humanitarian Law of Armed ConflictChallenges Ahead. Essays in Honour ofFrit:s Kalshoven, Docdrecht/Boston/London 1991, S. 367-386, 374 ff.; Ch. Greenwood, ICLQ 36 (1987), 297 f., 300 f. 130 Vgl. dazu die vorstehenden Nachweise.
B. Die Ersetzung des Kriegsbegriffs
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men. In Anbetracht dieser Praxis kann daher auch nicht der ebenfalls vereinzelt gebliebenen und den vorstehend skizzierten Positionen entgegengesetzten Auffassung gefolgt werden, die unter Zugrundelegung eines funktionalen Ansatzes, bei gleichzeitiger Charakterisierung des Neutralitätsrechts als Notordnung und unter Hinweis auf die Rechtslage in bezug auf das ius in bello i.e.S. eine "Geltungserstreckung der Neutralität auch auf solche Konflikte zwischen Staaten" für erforderlich hält, "die keinen Krieg im Rechtssinn darstellen". 131 Zwar ist auch nach der hier vertretenen Auffassung das Neutralitätsrecht als Notrecht zu begreifen. 132 Ein Unterschied zu der vorgenannten wie auch zu der Position, die am Erfordernis eines Krieges festhalten zu müssen glaubt, besteht jedoch zunächst darin, daß das Neutralitätsrecht nicht verstartden wird, als eröffne es auf seiten der Konfliktparteien mit Ausbruch eines Krieges oder internationalen bewaffneten Konflikts umfassende Rechte, die ausschließlich nach Maßgabe dieses Normenkomplexes zu beurteilen sind. 133 Der entscheidende Unterschied zu allen vorgenannten Positionen aber besteht darin, daß die automatische und vollständige Anwendbarkeit des Neutralitätsrechts eher die Ausnahme denn die Regel ist - gleichviel, ob ein internationaler bewaffneter Konflikt als Krieg im Rechtssinne qualifiziert werden kann oder nicht. Die moderne Staatenpraxis legt vielmehr eine an funktionalen Erwägungen orientierte differenzierende Betrachtungsweise nahe. Soweit die zwischenstaatlichen Beziehungen, d.h. zwischen den Konfliktparteien und den nicht am Konflikt beteiligten Staaten, betroffen sind, entfaltet das Neutralitätsrecht mit Ausbruch eines internationalen bewaffneten Konflikts nur insoweit automatisch seine Rechtswirkungen, als dies zur Sicherstellung von Sinn und Zweck dieses Notrechts unbedingt erforderlich ist. Die nicht am Konflikt beteiligten Staaten sind demgemäß verpflichtet, alles zu unterlassen, was zu einer Ausweitung des Konflikts beitragen kann. Insbesondere ist es ihnen untersagt, eine der Parteien in einer Art und Weise zu unterstützen, die zu einer zeitlichen, räumlichen oder sonstigen Eskalation 131 J. KtJpfer, Neutralität im Wandel (Anm. 78), S. lOS; ebenso M. Bothe, Streitkrlfte internationaler Organisationen, Köln/Berlin 1968, S. 94. K6pfer (ebd.) filhrt weiter aus: ,,Die völkerrechtliche Neutralität würde wieder ihre praktische Bedeutung zurOckgewinnen, falls man insoweit von der klassischen Rechtsautfassung abgeht. Ansonsten würde bei Konflikten, die weder im formellen noch im materiellen Sinne Kriege sind, die Neutralitätspolitik aufgewertet. Aus diesen Griinden, unter denen der des untrennbaren logischen Zusammenhangs zwischen Kriegs- und Neutralitätsrecht eine besondere Stellung einnimmt, wird hier davon ausgegangen, daß das bei Kriegen anzuwendende Neutralitätsrecht auch auf bewaffuete, internationale Konflikte anzuwenden ist." ÄlmlichM. Bothe (Neutrality at Sea, Arun. 109, S. 206), der aber lediglich einen Trend bejaht: ,,lt is submitted that the practice during the Iran-lraq war confirms the trend to substitute the notion of war by the notion of anned conflict in order to determine the field of application of what used to be called the 'law ofwar', including the law ofneutrality." Vgl. aber auch die kritische Stellungnalune von Ch. Greenwood, Comments, in: LF. Dekker/H.H.G. Post (eds.) (Arun. 109), S. 212-216, 212 f. 132 AusfUhrlieh dazu oben 1. Kapitel, 111. 2. b). 113 AusfUhrlieh dazu oben 1. Kapitei,III. 2. b).
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2. Kap., I. Abschn.: Krieg und internationaler bewaffileter Konfllikt
des Konflikts beizutragen geeignet ist. 134 Staatliche Lieferungen von Waffen und anderen Rüstungsgütern sind verboten. 135 Waffenlieferungen Privater sind, soweit das entsprechende nationalrechtliche Instrumentarium bereits vorhanden ist, unter Beachtung des Grundsatzes der Unparteilichkeit zu unterbinden. 136 Das Territorium sowie die Küsten- und Archipelgewässer dürfen keiner der Konfliktparteien als Operationsbasis zur Verfügung gestellt werden. 137 Darüber hinaus sind die nicht am Konflikt beteiligten Staaten verpflichtet, im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten jede Maßnahme einer Konfliktpartei, die darauf gerichtet ist, unter Ausnutzung des neutralen Status einen militärischen Vorteil zu erlangen, zu unterbinden.138 Erlaubnisse oder Beschränkungen der Nutzung neutralen Territoriums oder neutraler Gewässer müssen unparteilich erteilt bzw. durchgesetzt werden. 139 Demgegenüber sind die Konfliktparteien verpflichtet, die Souveränität und territoriale Integrität wie auch die Handelsbeziehungen der nicht am Konflikt beteiligten Staaten zu anderen Drittstaaten zu respektieren. 140 Die Handelsbeziehungen zu der jeweils anderen Konfliktpartei dürfen nur im Rahmen des Neutralitätsrechts beeinträchtigt werden.141 Im Hinblick auf diese essentialia neutralitatis ist die Neutralität, will ein Drittstaat verhindern, in die bewaffneten Auseinandersetzungen verwickelt zu werden, keine fakultative
114 Die Geltung dieser Rechtspflicht wird bestätigt durch die Stellungnahmen Großbritanniens (BYIL LVII [1987], 638 f.) und der USA (US Dept. ofState Bull. 88 (July 1988], 61) während des Iran-Irak-Konflikts sowie durch die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats vom 31. Oktober 1983 (U.N. Doc. SIRES/S40), vom 8. Oktober 1986 (U.N. Doc. SIRES/S82) und vom 20. Juli 1987 (U.N. Doc. SIRES/598). m Auch insoweit sei auf die Praxis während des Iran-Irak-Konflikts, aber auch während der arabisch-israelischen Konflikte verwiesen.
136 Dazu allein die umfassende Untersuchung von S. Oeter (Neutralität und Waffenhandel Anm. 13, S. 216 ff. ), in der der Autor Oberzeugend nachweist, daß "es den Organen eines neutralen Staates (verboten ist), im Rahmen ihrer ROstungsexportpolitik. mittels der Entscheidung zur Belieferung eines Kriegfilhrenden mit Waffen Partei zu ergreifen und sich in den Konflikt einzumischen" (ebd., S. 221 mw.N.). Im Hinblick auf sonstige Rilstungsgater geht Oeter von der Geltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung aus (ebd., S. 232). DemgegenOber sei die Lieferung von Ersatzteilen mit dem Neutralitätsrecht vereinbar (ebd., S. 23S). m So wurde die Invasion Kambodschas durch die USA und SOd-Vietnam wurde zum Teil mit dem neutralitätswidrigen Verhalten dieses Staates begrOndet. Vgl. die Stellungnahme des Rechtsberaters des VS-Außenministeriums,J.R Stevenson, vom 28. Mai 1970, US Dept. ofState Bull. 62 [May 1970), 76S ff.; ferner R.A. Falk, The Cambodian Operation and International Law, in: ders. (ed.], The Vietnam War and International Law Vol. 3, Princeton 1972, S. 35-S7). 131 Zur BegrOndung der Geltung dieser Rechtspflicht trotz der Charakterisierung des Neutralitätsrechts als Notordnung siehe oben 1. Kapitel, III. 2. b) aa). 139 Daraufwird im 4. Kapitel im einzelnen zurOckzukommen sein. 140 Dieser gewohnheitsrechtliche Grundsatz des traditionellen Neutralitätsrechts wird heute durch Art. 2 Zf. 4 UN-Charta bekräftigt, wenn nicht gar ersetzt. 141 Auch Ch. Greenwood (ICLQ 36 (1987), 299) erkennt an, daß "the law of neutrality may be useful in setting an upper Iimit to the riglrts ofthe combatants." Vgl. ferner J. KOpfor, Neutralität im Wandel (Anm. 78), S. 102 ff.
8. Die Ersetzung des Kriegsbegriffs
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Haltung142, und zur Anwendbarkeit des Neutralitätsrechts bedarf es nicht mehr als eines internationalen bewaffneten Konflikts. 143 Freilich bleibt es der benachteiligten Konfliktpartei freigestellt, eine Rechtsverletzung geltend zu machen. 144 Die mit diesem Ansatz einhergehende Ausklammerung der Frage nach der grundsätzlichen Zulässigkeil neutralitätsrechtlicher Maßnahmen der Konfliktparteien, die sich im maritimen Kontext ohnehin nur selten stellt, rechtfertigt sich aus der Erwägung, daß der effektive Schutz der nicht am Konflikt beteiligten Staaten wie auch die Verhinderung einer Eskalation des Konflikts nur gewährleistet werden können, wenn bereits mit Ausbruch der bewaffneten zwischenstaatlichen Feindseligkeiten diese völkerrechtlichen Minimalforderungen ihre Rechtswirkungen zu zeitigen vermögen. Ob und inwieweit darüber hinaus die Rechtsbeziehungen zwischen den Konfliktparteien und den nicht am Konflikt beteiligten Staaten nach Maßgabe des Neutralitätsrechts zu beurteilen sind, richtet sich allein nach den Beteiligten dieser Rechtsbeziehungen, nicht aber ausschließlich nach der einseitigen Entscheidung der Drittstaaten. Es wird vielmehr allein darauf ankommen, ob die Konfliktparteien willens und in der Lage sind, das Neutralitätsrecht in weiterem Umfang durchzusetzen, als dies zur Sicherstellung von Sinn und Zweck dieses Normenkomplexes unbedingt erforderlich ist. Entscheiden sie sich gegen eine Durchsetzung, etwa weil sie sich einem mächtigen Neutralen gegenübersehen, so bewirkt dieser Verzicht aber keine grundlegende Änderung des materiellen Gehalts des Neutralitätsrechts. Vielmehr bleibt dieser von der Nicht-Geltendmachung grundsätzlich unberührt, da die moderne Staatenpraxis lediglich zu der Beseitigung eines umfassenden Automatismus, nicht aber zu einer substantiellen Änderung des Rechts beigetragen hat. Nur so erklärt sich, daß immer noch von einer weitgehenden und unmodifizierten Fortgeltung des traditionellen Neutralitätsrechts ausgegangen wird. Ähnlich, wenngleich weniger differenziert, verhält es sich im Hinblick auf das Recht betreffend Maßnahmen der Konfliktparteien gegenüber der Handelsschiffahrt nicht am Konflikt beteiligter Staaten. Auch hier steht die Frage nach der grundsätzlichen Zulässigkeil (d.h. nach dem "Ob") gänzlich im Hintergrund. 145 Ist es Sinn und Zweck auch dieser Normen, einen 142 Damit ist nicht ausgeschlossen, daß ein zunächst nicht am Konflikt beteiligter Staat in Ausübung des Rechts aufkollektive Selbstverteidigung einer Konfliktpartei zu Hilfe kommt. 143 Wie hier K. Jpsen, in: ders., Völkerrecht (Anm. 6), § 70, Rdn. 1, 17. 144 So angesichtsder modernen Staatenpraxis auch PM. Norton, Harv.I.L.J. 17 (1976), 276 ff. 145 Proteste der betroffenen Flaggenstaaten richteten sich gegen Angriffe der Konfliktparteien gegen die neutrale Handelsschiffalut, nicht gegen die Anhaltungcn, Durchsuchungen oder Kursanweisungen. Selbst die Beschlagnalune der Ladungen als Konterbande wurde jedenfalls in jüngster Zeit nicht beanstandet. Lediglich während der Algerien-Krise spielte die grundsätzliche Zulässigkeil prisenrechtlicher Maßnalunen eine gewisse Rolle. Der Grund dafür war aber allein der nichtinternationale Charakter dieses Konflikts. Zur rechtlichen Einordnung des Algerien-Konflikts vgl. neben den Nachweisen bei R. Ottmüller, Anwendung von Seekriegsrecht (Anm. 39), S. 140 ff., Th.
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2. Kap., I. Abschn.: Krieg und internationaler bewaffheter Konfllikt
möglichst umfangreichen Schutz der Betroffenen sicherzustellen, so ist es nicht ausreichend, sich mit dem Hinweis auf die aus dem Fehlen eines Kriegszustands resultierende Rechtswidrigkeit prisenrechtlicher und sonstiger Maßnahmen der Konfliktparteien zu begnügen. Daher gelangen diese Normen ungeachtet eines Kriegszustands in jedem internationalen bewaffneten Konflikt zur Anwendung, sobald auch nur eine Konfliktpartei sich entschließt, auf neutrale Handelsschiffe und deren Ladungen zuzugreifen. Ihre Beachtung steht, da sie Konkretisierungen völkerrechtlicher Minimalforderungen darstellen, nicht zur Disposition der Konfliktparteien, weder im positiven noch im negativen Sinne. Sie gelten vielmehr im bewaffneten Konflikt in noch stärkerem Maße als im Krieg.
Oppermann, Die Anwendbarkeit der Genfer Abkommen zu Schutze der Konflikt, A VR 9 (1961/62), 47-59, 48 ff.
Krie~pfer
im Algerien-
C. Die zeitliche Grenze der Anwendbarkeit des ius in bello
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C. Die zeitliche Grenze der Anwendbarkeit des (maritimen) ius in bello und des (maritimen) Neutralitätsrechts L Das humanitäre Völkerrecht und das Recht der Methoden, Mittel und Objekte bewaffneter Schädigungshandlungen
Gemäß Art. 3 lit. (b) ZP I "endet die Anwendung der Abkommen und dieses Protokolls im Hoheitsgebiet der am Konflikt beteiligten Parteien mit der allgemeinen Beendigung der Kriegshandlungen und im Fall besetzter Gebiete mit der Beendigung der Besetzung; in beiden Fällen gilt dies jedoch nicht für Personen, deren endgültige Freilassung, deren Heimschaffung oder Niederlassung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Diese Personen genießen bis zu ihrer endgültigen Freilassung, ihrer Heimschaffung oder Niederlassung weiterhin den Schutz der einschlägigen Bestimmungen der Abkommen und dieses Protokolls." Aus dieser Bestimmung wird deutlich, daß sowohl das spezifisch humanitäre, d.h. dem Opferschutz dienende, Völkerrecht als auch das Recht der Methoden, Mittel und Objekte bewaffneter Schädigungshandlungen so lange anwendbar bleiben, wie dies zur Sicherstellung ihres Sinns und Zwecks erforderlich ist. Befinden sich daher beispielsweise noch Kriegsgefangene in der Gewalt des (früheren) Gegners, entbindet diesen die Beendigung der bewaffneten Feindseligkeiten nicht von der Beachtung des den Schutz der Kriegsgefangenen bezweckenden Sonderrechts. 146 Das Recht der Methoden, Mittel und Objekte bewaffneter Schädigungshandlungen bleibt bis zur "allgemeinen Beendigung der Kriegshandlungen" anwendbar. 147 Das ist der Fall, wenn ein zwischen den Konfliktparteien vereinbarter Waffenstillstand in Kraft tritt, wenn eine Konfliktpartei kapituliert, wenn die Besetzung des gesamten Territoriums einer Konfliktpartei abgeschlossen ist und in all diesen Fällen die bewaffneten Feindseligkeiten auch effektiv eingestellt worden sind. 148 Hinsichtlich des Waffenstillstands ist zu beachten, daß die 146 Dazu statt vieler B. Zimmermann, in: ICRC, Comrnentary (Anm. 24), Rdn. 152 f.; KJ. Partsch, in: M. Bothe/KJ. Partsch/WA . Solf, New Rules for Victims of Armed Conflicts, The Hague/Boston/London 1982, S. 58; K. Ipsen, in: ders., Völkerrecht (Anm. 6), § 66 Rdn. 4 ff. Beachte, daß diese Rechtspflichten auch zur Anwendwtg gelangen, wenn es noch nicht zu bewaffi!eten Schädigungshandlungen gekommen ist. 147 Zur Feststellwtg dieses Zeitpunkts, wenn an dem Konflikt mehr als zwei Parteien beteiligt waren, vgl. B. Zimmermann, in: ICRC, Comrnentary (Anm. 24), Rdn. 153; KJ. Partsch (Anm. 148), S. 58. 148 W. Meng, in: EPIL 4, S. 288; E. Castren (Anm. 13), S. 132 ff.; K. Skubiszewski, Use of Force by States (Anm. 18), S. 805 f.; H. Mosler, Kriegsende, in: WVR II, S. 333-337, 335; Y. Dinstein, War, Aggression and Self.Defence (Anm. 6), S. 42 ff.; C.C. Hyde (Anm. 43), S. 2385; Ch. Greenwood, Self-Defence and the Conduct of International Armed Conflict, in: Y. Dinstein (ed.), International Law at a Time of Perplexity. Essays in Honour of Shabtai Rosenne, Dordrecht!Boston/London 1989, S. 273-288, 275; Oppenheimll.Auterpacht (Anm. 47), S. 597 f.; B. Zimmermann, in: ICRC, Comrnentary (Anm. 24), Rdn. 152.
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2. Kap.,!. Abschn.: Krieg und internationaler bewaffueter Konfllikt
Bestimmungen der Art. 36 ff. HLKO über den Waffenstillstand insofern nicht mehr den modernen Gegebenheiten entsprechen, als heute ein Waffenstillstand in aller Regel dauerhaften Charakters ist. 149 Daher ist es den Parteien nach Abschluß eines Waffenstillstands unbedingt untersagt, die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen. 150 Davon zu unterscheiden sind die Waffenruhe und die Feuerpause, die in aller Regel sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht begrenzt sind. 151 Die "allgemeine Beendigung der Kriegshandlungen" kann freilich auch durch beiderseitigen stillschweigenden Konsens 152, durch die vollständige Unterwerfung des Gegners153 oder durch Abschluß eines (förmlichen) Friedensvertrags154 erreicht werden. Allerdings gehören Friedensverträge in der modernen Staatenpraxis, sieht man von der einzigen Ausnahme des ägyptisch-israelischen Vertrags vom 26. März 1979155 ab, zu den Ausnahmeerscheinungen. 156 149 Y. Dinstein, Armistice, in: EPIL 3, S. 31-34,32 f.; D. Fleck, Suspension ofHostilities, in: EPIL 4, S. 239-240. Anders nochH. Ridder, Waffenruhe, in: WVR III, S. 790-791; ders., Waffenstillstand, ebd., S. 791-793. 1' 0 Wie hier Y. Dinstein, War, Aggression and Self-Defence (Anm. 6), S. 42 ff. m.w.N. aus der Staatenpraxis; ders., in: EPIL 4, S. 32. AA noch H.S. Levie, AJIL 52 (1958), 880; R.R. Baxter, RdC 149 (1976 I), 353; E. Castren (Anm. 13), S. 134; G. v.Glahn, Law Among Nations, S. 643. Diese Auffassung wurde bereits 1915 von H. Wehberg, Das Seekriegsrecht, in: F. Stier-Somlo (Hrsg.), Handbuch des Völkerrechts V, 5, Berlin/Stuttgart!Leipzig 1915, S. 56, vertreten. 1' 1 Der Unterschied wurde besonders deutlich durch die Vereinbarung zwischen dem Irak und den mit Kuwait kooperierenden Staaten vom 3. März 1991, die nach Maßgabe der UN-SicherheitsratsResolution 686 vom 2. März 1991 zustandegekonunen war. Dabei handelte es sich, da sich die Alliierten das Recht vorbehalten hatten, unter bestimmten Voraussetzungen die Kampfhandlungen wieder aufZunehmen, nicht um einen Waffenstillstand, sondern um eine bedingte Feuereinstellung. Vgl. im übrigen die vorstehenden Nachweise. 1' 2 H. Mosler, in: WVR II, S. 335; Y. Dinstein, War, Aggression and Self-Defence (Anm. 6), S. 47 f. Dazu gehört auch die bloße Einstellung der bewaffueten Feindseligkeiten, soweit - hält man am Erfordernis des Kriegszustands fest - beide Konfliktparteien eindeutig ihre Absicht zur Beendigung des Kriegszustands zu erkennen geben. Dazu reicht es aus, daß eine Partei dies kundtut und die andere nicht widerspricht Dazu statt vieler W Meng, in: EPIL 4, S. 288. 1' 3 H. Mosler, in: WVR II, S. 335 f.; Y. Dinstein, War, Aggression and Self-Defence (Anm. 6), S. 48 f.; Oppenheim/Lauterpacht (Anm. 47), S. 599 ff.; W Meng, in: EPIL 4, S. 289; E. Castren (Anm. 13), S. 133; K.-U. Meyn, Debellatio, in: EPIL 3, S. 145-147. Dabei handelt es sich aber, soweit darunter auch der Fall zu zählen sein soll, daß mit der Unterwerfung die Völkerrechtssubjektivität des ehemaligen Gegners beseitigt wird, angesichts des völkerrechtlichen Annexionsverbots lediglich um eine theoretische Beendigungsmöglichkeit handeln. 1 ~ E. Castren (Anm. 13), S. 134 ff.; W Meng, in: EPIL 4, S. 288; Oppenheim!Lauterpacht (Anm. 47), S. 605 ff.; Y. Dinstein, War, Aggression and Self-Defence (Anm. 6), S. 36 ff. ; C.C. Hyde (Anm. 43), S. 2385 ff.; H. Mosler, in: WVR II, S. 334 f. Wenngleich auf Friedensverträge grundsätzlich das völkerrechtliche Vertragsrecht Anwendung fmdet, gilt dies nicht im Hinblick auf die Regeln über den Zwang bei Abschluß eines Vertrags; Y. Dinstein, War, Aggression and Self-Defence (Anm. 6), S. 39 ff.; E. Castren (Anm. 13), S. 135.
m UNTS 1138, No. 17855, 72 ff. Der Vertrag und seine Anhänge sind abgedruckt bei R. Lapidoth!M. Hirsch, The Arab-Israel Conflict and its Resolution: Selected Documents, Dordrecht!Boston!London 1992, S. 218 ff. 1' 6 Y. Dinstein, War, Aggression and Self-Defence (Anm. 6), S. 37; W Meng, in: EPIL 4, S. 288. Als obsolet ist heute das sog. ius postliminii anzusehen; E. Castren (Anm. 13), S. 137; /. vMünch, Postliminiurn, in: WVR II, S. 785-786, 786; Ph. Kunig, Postliminiurn, in: EPIL 4, S. 140-141, 141.
C. Die zeitliche Grenze der Anwendbarkeit des ius in bello
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ll. Das Recht des gegen gegnerisches Privateigentum
gerichteten maritimen Wirtschaftskriegs
Hält man an dem Erfordernis eines Kriegszustands als Anwendbarkeitsund Zulässigkeilsvoraussetzung des Rechts des Wirtschaftskriegs gegenüber gegnerischen Handelsschiffen und Ladungen fest, so kommt der Einstellung der bewaffneten Kampfhandlungen für die Bestimmung der zeitlichen Grenze der Anwendbarkeit dieses Normenkomplexes grundsätzlich keine Bedeutung zu. 157 Wird der Kriegszustand mittels des (objektivierten) animus belligerendi bestimmt, so geschieht die "Liquidation der Kriegsmaßnahmen [...] nicht mehr insgesamt oder in kurzfristigen Übergängen, sondern in Abstufungen", d.h. "für den Abbau des Kriegszustandes [... ] läßt sich die Einheitlichkeit des Kriegszustands nicht aufrechterhalten." 158 Eine Einstellung der Kampfhandlungen wie auch ein Waffenstillstand würden lediglich das Recht der Kampfhandlungen außer Kraft setzen. Die siegreiche Konfliktpartei könnte den Kriegszustand aber teilweise aufrechterhalten, so daß insbesondere Maßnahmen des Wirtschaftskriegs gegenüber gegnerischem Privateigentum zulässig blieben. 159 Diese Auffassung vermag sich zwar insoweit auf die Staatenpraxis zu berufen, als mit Einstellung der bewaffneten Schädigungshandlungen der durch den 11. Weltkrieg begründete Kriegszustand nicht beendet wurde. 160 Sie läßt aber die moderne Staatenpraxis weitgehend außer acht oder wertet sie zu einseitig. 161 Insbesondere bleibt unerwähnt, daß der UN-Sicherheitsrat die seitens Ägyptens unter Berufung auf die Fortexistenz eines Kriegszustands durchgeführten Maßnahmen verurteilte. 162 Zudem läßt
m W. Meng, in: EPIL 4, S. 288 f.; H. Mosler, in: WVR II, S. 335; E. Casrren (Anm. 13), S. 133 f.; Oppenheim!Lauterpacht (Arun. 47), S. 597; a.A Ch. Rousseau (Arun. 62), S. 281 f. m H. Mosler, in: WVR II, S. 334. Ebenso W. Meng, in: EPIL 4, S. 289; K. Skubiszewski, Use of Force by States (Arun. 18), S. 805 f. 139 Ebd.; ferner E. Kappelhoff-Wulff, Die Zulässigkeil der Ausübung des Prisenrechts während eines Waffenstillstands, Diss. Harnburg 1969, S. 301 ff. 1150 Dazu die Nachweise bei H. Mosler, in: WVR II, S. 336 f.; W. Meng, in: EPIL 4, S. 289. 161 Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, daß Hugo Grolius (De Jure Belli Ac Pacis, Liber III, Cap. XXI, Para. VI) ausgehend vom Begriff des Waffenstillstands feststellt: ,,IIIiciti enim sunt omnes actus bellici: sive in personas: sive in res: id est quicquid vi fit adversus hostem: id enim omne per induciarum tempus sit contra jus gentium [.. .].'' Daher müßten selbst zufiillig während des Waffenstillstands erlangte Sachen zurückgegeben werden. Ebenso E. de Vattel, Le droit des gens, Buch III, §§ 245 tf.; C. van Bynkershoek, Quaestionum juris publici, Liber I, Caput XXV, S. 182. Hingewiesen sei auch auf H. Wehberg, Seekriegsrecht (Arun. 152), S. 56 f., der meint: "Darf die feindliche Flotte nicht angegriffen werden, so muß auch eine Schädigung des feindlichen Handels verboten sein; denn beide sind direkte KriegsmitteL" 162 Die ägyptische Praxis wurde durch Resolution S/2322 des UN-Sicherheitsrats vom l. September 1951 als Rechtsverstoß verurteilt. Der Wortlaut der Resolution bestätigt, "that the exercise of belligerent rights after the termination of active hostilities and the conclusion of an armistice will
188
2. Kap., 1. Abschn.: Krieg und internationaler bewaffueter Konfllikt
sich die weitere Ausübung von Maßnahmen des Wirtschaftskriegs trotz eines Waffenstillstands unter der Geltung der UN-Charta nur schwerlich rechtfertigen.163 Letztlich kann dies jedoch dahingestellt bleiben. Begreift man das Recht des gegen gegnerisches Privateigentum gerichteten Wirtschaftskriegs ebenfalls als Notordnung, als auf bestimmte außergewöhnliche Maßnahmen anwendbares Sonderrecht, so tritt die Zulässigkeilsfrage in den Hintergrund. Auf die Existenz oder Fortdauer eines wie auch immer begründeten Kriegszustands kommt es nicht an. Die Anwendbarkeit dieses Sonderrechts endet in jedem Fall erst mit der faktischen Einstellung der Handlungen, auf die es bezogen ist. Nur so kann sichergestellt werden, daß diese völkerrechtlichen Minimalforderungen ihre Schutzwirkungen effektiv entfalten. Die grundsätzliche Zulässigkeil - das "Ob" - beurteilt sich nicht nach Maßgabe des Sonderrechts, sondern nach Maßgabe insbesondere des ius ad bellum, das ja durch die Anwendbarkeit des erstgenannten nicht verdrängt wird. 164 ill Das Neutralitätsrecht
Die Neutralität eines Staates endet während eines internationalen bewaffneten Konflikts mit Eintritt in den Konflikt, d.h. mit seiner aktiven Teilnahme an den bewaffneten Kampfhandlungen, sowie mit dem Angriff einer Konfliktpartei oder der militärischen Besetzung des neutralen Territoriwns. 165 Von diesen Fällen streng zu unterscheiden sind die Neutralitätsverletzungen. Diese beenden den neutralen Status und damit die Anwendbarkeit des Neutralitätsrechts nur, soweit sie sich als aktive Teilnahme an den Kampfhandlungen auf der Seite einer Konfliktpartei darstellen. Greift der Neutrale zur Verteidigung seines Status zu bewaffneten Zwangsmaßnahmen, etwa um die rechtswidrige Nutzung seines Territoriums oder seiner Küstengewässer als Operationsbasis durch eine der Konfliktparteien zu unterbinden, so bleibt sein neutraler Status davon grundsätzlich unberührt, entspricht er damit doch nur einer durch das Neutralitätsrecht begründeten Rechtspflicht. 166 Der damit einhergehende faktische Vorteil fiir die jeweils andere Konfliktpartei ist bloße Reflexwirkung. Ist der Neutraleaufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Mittel nicht in der
normally be unlawful"; Ch. Greenwood, Self-Defence and the Conduct of International Armed Conflict (Anrn. 150), S. 276. 163 So insbesondere Ch. Greenwood, Self-Defence and the Conduct of International Armed Conflict (Anrn. 150), s. 275. 164 Eingehend dazu oben 1. Kapitel, II1. tu Oppenheim/Lauterpacht (Anm. 47), S. 671; J. Köpfor, Neutralität im Wandel (Anrn. 78), S. 68 f.; U. Scheuner, in: WVR II, S. 601;E. Castren (Anm. 13), S. 423. 166 J. Köpfer, Neutralität im Wandel (Anrn. 78), S. 69. Eingehend zu den Pflichten Neutraler zum Schutz ihres Territoriums und ihrer KOstengewässer unten 4. Kapitel.
C. Die zeitliche Grenze der Anwendbarkeit des ius in bello
189
Lage, eine Verletzung seiner Neutralität durch eine Konfliktpartei zu unterbinden, und greift die benachteiligte Konfliktpartei zu den erforderlichen Selbstverteidigungsmaßnahrnen, so ändert dies ebenfalls nichts an der Fortdauer des neutralen Status. Zum einen fehlt es an einer Rechtsverletzung, zum anderen gibt der Neutrale durch nichts zu erkennen, auf der Seite einer Konfliktpartei an den Feindseligkeiten teilnehmen zu wollen. Unterläßt es der Neutrale trotz der ihm zur Verfügung stehenden Mittel willentlich, seine Neutralität zu verteidigen, so beendet auch diese Rechtsverletzung die Neutralität nur, soweit sie einer aktiven Teilnahme an den Kampfhandlungen gleichgestellt werden kann oder die benachteiligte Konfliktpartei sie zum Anlaß für einen Angriff nimmt. 167 Die essentialia neutralitatis168 bleiben entsprechend ihrem Sinn und Zweck anwendbar, solange die bewaffneten Kampfhandlungen andauern. Demgemäß braucht ein neutraler Staat mit der "allgemeinen Beendigung der Kriegshandlungen" sich nicht mehr derjenigen Handlungen zu enthalten, deren Verbot allein mit der Existenz eines internationalen bewaffneten Konflikts zu rechtfertigen war. Gleiches gilt für die Verhinderungspflichten. Die gegenteilige, am Erfordernis eines Kriegszustands festhaltende Auffassung169, läßt sich weder mit der modernen Staatenpraxis begründen170 noch vermag sie zu erklären, warum Drittstaaten allein wegen der Aufrechterhaltung der häufig einseitigen Behauptung der Fortdauer eines Kriegszustands weiterhin den strengen Pflichten des Neutralitätsrechts unterstehen sollen. 171 Freilich ist eine weitere Anwendung des Neutralitätsrechts durch den Neutralen auch nach Abschluß etwa eines Waffenstillstands nicht zwingend ausgeschlossen. Sie rechtfertigt sich aber nur, soweit über die Absicht der (ehemaligen) Konfliktparteien zur wirklichen Einstellung der Kampfhandlungen nicht die erforderliche Sicherheit besteht. 172
167 AA augenscheinlich}. K6pfer, Neutralität im Wandel (Arun 78), S. 69. Beachte aber, daß die benachteiligte Konfliktpartei an das Gewaltverbot gebunden bleibt, so daß Gegenmaßnahmen nur unter den Voraussetzungen und in den Grenzen des Selbstverteidigungsrechts zulässig sind. 168 Dazu oben II. 3. 169 Vgl. statt vieler E. Castren (Anm. 13), S. 424; H. Mosler, in: WVR II, S. 60 I. 170 So sahen die nicht am Konflikt beteiligten Staaten in aller Regel von der Beachtung des Neutralitätsrechts ab und nahmen beispielsweise ihre Waffenlieferungen wieder auf, sobald die Konfliktparteien die Feindseligkeiten durch einen Waffenstillstand beendet hatte. 171 Wie hier, wenngleich allein auf die Absicht der nicht am Konflikt beteiligten Staaten abstellend, Ch. Greenwood, ICLQ 36 (1987), 300. l7l o auch E. Castren, Neutralität, AVR 5 (1955), 21-39, 22; J. K6pfer, NeutraliW im Wandel (Anm. 78), S. 68.
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2. Kap., 1. Abschn.: Krieg und intemationaler bewaffueter Konfllikt
Hinsichtlich der Anwendbarkeit des Rechts prisenrechtlicher Maßnahmen der Konfliktparteien gegen die neutrale Handelsschiffahrt stellt sich die Rechtslage grundsätzlich nicht anders dar als hinsichtlich des Rechts des Wirtschaftskriegs gegen gegnerisches Privateigentum. 173 Gleichviel, mit welchen Argumenten eine Konfliktpartei die grundsätzliche Zulässigkeil zu rechtfertigen sucht, bleiben die entsprechenden Normen des Neutralitätsrechts so lange anwendbar, wie diese Maßnahmen tatsächlich ergriffen werden. Auch insoweit verschließt sich die Frage nach der grundsätzlichen Zulässigkeil einer Beurteilung nach Maßgabe des Sonderrechts.
173 a.A. freilich die Völkerrechtler, die die Anwendharket des Prisenrechts vom Vorliegen eines Kriegszustands abhängig machen; vgl. statt vieler E. Kappelhoff-Wulff(Anm. 161 ), S. 314 ff.
2. Abschnitt
Das allgemeine Seekriegsgebiet (räumlicher Anwendungsbereich) Der Begriff "Seekriegsgebiet" bezeichnet diejenigen Meeresteile, Landgebiete, den darüber befindlichen Luftraum wie auch den Meeresboden und untergrund, in denen Seekriegsmaßnahmen ergriffen werden bzw. sich auswirken dürfen. 1 Seine Bestimmung erfordert neben einer positiven Kennzeichnung die Abgrenzung zu den Seegebieten und Territorien, in denen Seekriegsmaßnahmen bzw. deren Auswirkungen grundsätzlich verboten sind. Die Verwendung des Adjektivs "allgemein" dient der Klarstellung, daß nach Maßgabe des Neutralitätsrechts u.U. Ausnahmen gelten, deren Darstellung wegen der Sachnähe zu diesem Problemkreis jedoch einem späteren Abschnitt vorbehalten bleibt.2 Vom allgemeinen Seekriegsgebiet zu unterscheiden ist das "(unmittelbare) Operationsgebiet". Dieses umfaßt das Gebiet, in dem Kampfhandlungen stattfinden sowie den dreidimensionalen Raum, der - unmittelbar - eine Plattform bzw. eine Einheit von Krie~sschiffen und militärischen Luftfahrzeugen während einer Operation umgibt. A. Das traditionelle Recht Nach Maßgabe des traditionellen Seekriegsrechts, also bis zum Ende des II. Weltkriegs, war die Bestimmung des Seekriegsgebiets verhältnismäßig einfach. Es umfaßte die inneren Gewässer und das Küstenmeer der Konfliktparteien, das den Seestreitkräften erreichbare gegnerische oder vom Gegner kontrollierte Landgebiet, die Hohe See, mithin alle Seegebiete jenseits der seewärtigen Grenze des Küstenmeeres neutraler Staaten, sowie den über diesen Gebieten befindlichen Luftraum. 4 Innerhalb "neutraler Küstengewäs1 CJ. Colombos, Internationales Seerecht, München/Berlin 1963, § 558; WJ. Fenrick, The Exclusion Zone Device in the Law ofNaval Warfare, CYIL XXIV (1986), 91-126, 93; ZDv 15/2, Nr. 1010 (,,räumlicher Anwendungsbereich des Seekriegsrechts"); Canadian Draft Manual, para. 703. 2 Aus diesem Grunde bleibt auch die nähere Ausgestaltung der Rechte und Pflichten der Konfliktparteien in neutralen Küstengewässern dem Abschnitt über das Neutralitätsrecht vorbehalten. 3 CJ. Colombos (Anm. 1), § 558; WJ. Fenrick, CYIL XXIV (1986), 93; NWP 9, para. 7.8; Canadian Draft Manual, para. 704; ZDv 15/2, Nr. 1050 ("bewegliche Ausschlußzonen"). Das Operationszonen-Konzept liegt auch Art. 50 des Oxford Manual von 1913 zugrunde. Zu den im unmittelbaren Operationsgebiet geltenden Grundsätzen vgl. unten 3. Kapitel, 1. Abschnitt, C. IV. 4 DazuK.H. Bernsten, Das Seekriegsrecht, Berlin 1911, S. 84 ff.; C.J. Colombos (Anm. 1), § 558; L. Oppenheim, International Law (ed. by H. Lauterpacht), Vol. li, 7th ed., London 1963, S. 237 ff.;
192
2. Kap., 2. Absclm.. :Das allgemeine Seekriegsgebiet
ser" sowie im darüber befindlichen Luftraum war es den Kriegführenden "unbedingt untersagt", Seekriegsmaßnahmen- sei es, in Form der Waffenanwendung, sei es, in Form prisenrechtlicher Aktivitäten - zu ergreifen.5 Darüber hinaus war es ihnen untersagt, in neutralen Gewässern Prisengerichte zu errichten6 oder dort bzw. in neutralen Häfen "Stützpunkte fiir Seekrie9suntemehmungen" oder Anlagen zur Nachrichtenübermittlung einzurichten. Der Begriff "Küstengewässer" umfaßte sowohl die inneren Gewässer als auch das Küstenmeer eines neutralen Staates8 , dessen Breite - grundsätzlich gemessen von der sog. Niedrigwasserlinie - bis zum Ende des II. Weltkriegs grundsätzlich nicht mehr als 3 sm betrug.9 Zweifelsfragen ergaben sich in aller Regel nur10, wenn etwa trockenfallende Erhebungen und Kleinstinsein der Küste H. Wehberg, Das Seekriegsrecht, in: F. Stier-Somlo (Hrsg.), Handbuch des Völkerrechts V, 5,
Berlin/Stuttgart!Leipzig 1915, S. 59 ff. $ Art. 2 Haag XIII; ferner OppenheimiiAuterpacht (Anm. 4), S. 695; R Kleen, La neutralite, Tome I, Paris 1898, S. 510 ff.; KH. Bernsten, Das Seekriegsrecht (Arun. 4), S. 216 ff.; D. Steinicke, Wirtschaftskrieg und Seekrieg, Harnburg 1970, S. 76 ff.; sowie die Nachweise bei MM. Whiteman, Digest of International Law, Vol. 11, Washington D.C. 1968, S. 195 ff. Diesen Grundsatz vertritt bereits E. de Vattel, Le droit des gens, Buch III, § 132. Zu den Protesten neutraler Staaten gegen Seekriegsmaßnahmen der KriegfUhrenden in ihren Küstengewässern während der beiden Weltkriege vgl. die Nachweise in: Reichs-Marine-Amt, Seekriegsrecht im Weltkriege, Berlin 1916/1918, Nr. 873, 900, 1227, 1234, 1425, 1430, 1433; Oberkommando der Kriegsmarine, Urkunden zum Seekriegsrecht (1. September 1939 bis 31. August 1940), Berlin 1941, Nr. 436-459. Zur Herausbildung des Verbots im 18. Jahrhundert vgl. allein R. Kleen, ebd., S. 1 ff., 18. 6 Art. 4 Haag XIII. 7 Art. 5 Haag XIII. Bereits Comelius van Bynkershoek stellte in seinen Quaestionum juris publici libri duo (Leyden 1737) fest: ,,In Jure belli adversus hostem duntaxat utimor in nostro, hostis, aut nullius territorio (... ]. Sane in ipso amici portu, hostem, amici non hostem, aggredi vel capere nequaquam licet"; Liber I, Cap. VIII. Wenngleich er somit vom Grundsatz der Unverletzlichkeit neutralen Territoriums ausgeht, bejaht er unter bestimmten Voraussetzungen ein ,,Recht auf Nacheile": "Secundum haec in mari, terrae proxirno, quousque torrnenta Castellorum exploduntur, vim quidem inchoare non licet, sed inchoatam licebit persequi, dum persequimur hostem in mari (...], etiam sub terram, aut in flumine, aut in sinu forte aliquo, dummodo Castellis, etiam hostem juvantibus, parcamus, & omne amicorum periculum absit." 8 Dieses Verständnis des Begriffs ,,Küstengewässer" war bis zu den Vorarbeiten der ILC zu den Genfer Seerechtsübereinkommen von 1958 vorherrschend, wenngleich im Verlauf der Haager Kodifikationskonferenz von 1930 beschlossen worden war, den genaueren Begriff ,,KOstenmeer" zu verwenden (LoN, Acts ofthe Conference for the Codillcation oflnternational Law, Vol. III, S. 20). Die ILC legte sich im Jahre 1952 auf den Begriff .,Küstenmeer' fest, um besser zwischen den landwärts und seewärts der Basislinien gelegenen Gewässer unterscheiden zu können (YB1LC 1952 II, 68). 9 Vgl. dazu die Nachweise bei D.P. O'Connell, The International Law of the Sea (ed. by JA. Shearer), Vol. I, Oxford 1982, S. 124 ff., 151 ff., 157; Oppenheim/Lauterpacht (Anm. 4), S. 237 f., Fn. 2.
Zwar war die 3-sm-Grenze wegen des ihr zugrundeliegenden Konzepts der sog. KanonenschußReget wegen der größeren Reichweite der KOstenartillerie in die Kritik geraten. Gleichwohl blieb sie bis zum Ende des II. Weltkriegs allgemein anerkannt, weil .,the nations found it a convenient compromise between conflicting interests" (Ph.C. Jessup, The Law ofTerritorial Waters and Maritime Jurisdiction, New York 1927, S. 7). 10 Aufgrund der engen Verbindung der sog. KanonenschuB-Regel mit der 3-sm-Grenze war deren Geltung aufgrund der teeliDologischen Entwicklung freilich nicht unbestritten. Daher wurde weder im XIII. Haager Abkommen noch in nachfolgenden friedensrechtlichen Übereinkommen oder
A. Das traditionelle Recht
193
vorgelagert waren11 oder wenn der Küstenstaat eine Küstenmeerbreite von mehr als 3 sm geltend machte. So beanspruchten zu Beginn des II. Weltkriegs12 Norwegen, Schweden und Estland eine Küstenmeerbreite von 4 sm, obgleich Deutschland und das Vereinigte Königreich nur eine Breite von 3 sm anerkannten, und protestierten gegen Seekriegsmaßnahrnen, wie z.B. das Minenlegen, die zwar jenseits der 3 sm-Grenze, aber noch diesseits der 4-smGrenze durchgefiihrt worden waren. 13 Mit der zeitweiligen Ausnahme Schwedens14 gelang es diesen Staaten aber nicht, ihre Ansprüche auf Dauer gegenüber dem Vereinigten Königreich15 oder Deutschland1 aufrechtzuerhalten, so daß es jedenfalls für Kriegszeiten bei der 3-sm-Grenze blieb. In den Gebieten jenseits der seewärtigen Grenze neutraler Küstenmeere, also auf der Hohen See, unterlagen die Kriegführenden - sieht man von
Vertragsentwürfen eine allgemeinverbindliche Distanz festgelegt. Vgl. dazu die Nachweise bei D.P. O'Connell, Law ofthe Sea I (Arun. 9), S. 151 f[ 11 Zu der Frage der Zulässigkeil der Aufbringung eines Schiffes innerhalb eines Umkreises von 3 sm um trockenfallende Erhebungen vgl. die Urteile des britischenAdmiralty Court in den Fällen Twee Gebroeders (3 C.Rob. [1801], 336 ff.) und TheAnna (5 C.Rob. [1805], 373 ff.). 12 Zu Ansprüchen Italiens und Frankreichs während des I. Weltkriegs auf ein Ober 3 sm hinausreichendes KOstenmeer zum Schutz ihres neutralen Status vgl. die Nachweise bei Oppenheim/Lauterpacht (Arun. 4), S. 237 f., Fn. 2. Auch Norwegen hatte zunächst ein 4-smKüstenrneer beansprucht, dann aber gegenüber dem Vereinigten Königreich erklärt: "[... ] Norwegian naval officers have now received instructions that they are to confine their efforts to maintaining the neutrality ofthe waters within the 3-rnile Iimit, and arenot to frre on belligerent ships operatingoutside that Iimit"; abgedruckt bei: F. Deak/Ph.C. Jessup, A Collection ofNeutrality Laws, Regulationsand Treaties, Vol. Il, Washington D.C. 1939, S. 849. 13 Vgl. die schwedische Protestnote vom 27.11.1939 wegen Verletzung des 4-sm-Küstenmeeres; abgedruckt in: OKM, Urkunden zum Seekriegsrecht (Arun. 5), Nr. 352; ferner die Protestnoten betreffend britische und deutsche Neutralitätsverletzungen innerhalb skandinavischer Küstenrneere; ebd., Nr. 436-459. 14 Zum Beharren Schwedens auf der KOstenmeerbreite von 4 sm vgl. den Notenaustausch zwischen Deutschland und Schweden zwischen dem 31.10.1939 und dem 6.6.1940; ebd., Nr. 428-432. 15 Am 26. Februar 1940 erklärte der britische Unterstaatssekretär fiir Auswärtige Angelegenheiten im Unterhaus: "The question of the principles on which, in view of the special configuration of the Norwegian coast, the Iimit of territorial waters should be drawn has been the subject of much discussion and cannot be said to have been finally decided. The Norwegian Govemment, though not departing from their claim to a four-rnile Iimit to their territoria l waters, have informed His Majesty's Govemment that, for the purpose of the present war, they will not maintain the rules of neutrality and the neutrality provisions outside a distance of three rniles from the coast"; Pari. Deb. House of Commons Bd. 357 Sp. 1715; ebd. Nr. 433. 16 Das estnische Außenministerium teilte am 2. Dezember 1940 der deutschen Gesandtschaft in Reval in einer Note mit: "[... ] In Ansehung der Sachlage, daß es keine absolut anerkannte internationale Regel über die Reichweite von Territorialgewässern gibt, hält die estnische Regierung sich fiir frei berechtigt, diese Reichweite zu bestimmen. Dennoch nimmt sie den Standpunkt der deutschen Regierung zur Kenntnis und ist einverstanden, diesen in bezug auf die Neutralität im Kriegsfalle in Betracht zu ziehen, und zwar in der Weise, daß Estland, als Ausnahme von der Reichweite seiner Territorialgewässer in Friedenszeit und entsprechend der international allgemein anerkannten Bestimmung, bei der Durchfiihrung der Neutralität in bezug aufkriegfilhrende Staaten als Reichweite seiner Territorialgewässer drei Seemeilen ansieht."; ebd., Nr. 434. 13 H. v. Hcincgg
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2. Kap., 2. Abschn.. :Das allgemeine Seekriegsgebiet
bestimmten neutralisierten bzw. entmilitarisierten Gebieten ab17 - keinen vergleichbaren Beschränkungen. 18 Auch die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts bekannten Vorläufer der Anschlußzone19 wie auch Fischereizonen20 brauchten in Kriegszeiten nicht beachtet zu werden. Folglich waren die Kriegführenden auf der Hohen See berechtigt, vom gesamten seekriegsrechtlichen Instrumentarium Gebrauch zu machen, gleichviel, ob die Maßnahmen gegen gegnerische Kriegs- und Handelsschiffe oder gegen neutrale Handelsschiffe gerichtet waren. 21 Die sog. vier Meeresfreiheiten, insbesondere die Schiffahrtsfreiheit, standen dem zu keiner Zeit entscheidend entgegen. 22 Vielmehr stand die 17 Aufgrund entsprechender völkerrechtlicher Vereinbarungen besteht auch heute ein Verbot der Vomahme von Kriegshandlungen fiir Spitzbergen, die Aland-Inseln, den Suez-Kanal, den PanamaKanal sowie fiir die Antarktis. Vgl. dazu allein die Nachweise bei E. Beckert!G. Breuer, Öffentliches Seerecht, Berlin!New York 1991, Rdn. 1472 ff. 18 Hingewiesen sei aber auf Art. 18 des Entwurfs der Harvard Law Schoo\ "Rights and Duties of Neutral States in Naval and Aerial War" (AJIL 33 [1939], Suppt., 167 ff., 178), wonach es den KriegfUhrenden untersagt sein sollte, "[to) engage in hostile operations on, under or over the high seas so near to the territory of a neutral State as to endanger life or property therein". In der Kommentierung zu dieser Vorschrift wird aber darauf hingewiesen, daß sie weniger in der Staatenpraxis nachzuweisen denn Folge rechtsgrundsätzlicher Erwägungen sei (ebd., 343). 1m übrigen sei bereits an dieser Stelle betont, daß die grundsätzliche Zulässigkeil der Durchfiihrung von Seekriegsmaßnahmen auf der Hohen See zu keiner Zeit als "Freibrief' filr die Konfliktparteien verstanden wurde, wenn auch über die Schranken erhebliche Meinungsunterschiede zu verzeichnen waren und sind. 19 Dazu zählten insbesondere Zollschutz- und Sicherheitszonen. 20 Bereits durch die Friedensverträge von Utrecht (1713) und Paris (1763) wurden Fischereizonen eingerichtet, deren seewärtige Grenze teilweise bis zu 90 sm vom Festland entfernt war. 21 Dazu W. Heintschel v. Heinegg, Visit, Search, Diversion, and Capture in Naval Warfare: Part I, The Traditional Law, CYILXXIX(l991), 283-329,296 ff. mw.N. 22 Zum Inhalt der Meeresfreiheit bis zum Ende des 30-jährigen Krieges vgl. G. Fahl, Der Grundsatz der Freiheit der Meere in der Staatenpraxis von 1493 bis 1648, Köln!Berlin!Bonn!München 1969. Auch fiir Hugo Grotius stand es außer Frage, daß auf der Hohen See alle nach Maßgabe des Kriegsrechts erlaubten Maßnahmen ergriffen werden dürfen; vgl. De iure belli ac pacis, Liber 111, Cap. IV, Para. VIII: "Qui autem vere subditi sunt hostiurn, ex causa scilicet permanente, eos offendere ubique locorum jure hoc gentium licet, si ipsorum personam respicirnus. [...] Interfici ergo possum irnpune in solo proprio, in solo hostili, in solo nullius, in mari." Selbst einige Passagen seiner Streitschrift Mare Liberum sive De Jure, quod Batavis competit ad Jndicana Commercia erlauben, wenngleich Grotius das Kriegsvölkerrecht bewußt ausklammert, die Schlußfolgerung. daß die Schiffahrtsfreiheit nicht uneingeschränkt gelten soll. 1m 5. Kapitel Ober die Rechtsnatur des Meeres legt er zunächst dar, daß das Meer nicht aneignungsfiihig sei (,,Est igitur mare in numero earum rerurn, quae in commercio non sunt, hoc est, quae proprii juris fieri non possunt. Unde sequitur, si proprie loquamur, nullam maris partem in territorio, populi alicujus posse censeri. "), sondern im Gemeinbesitz aller Menschen stehe, die daher ein Recht auf Schiffahrt und Fischfang hätten ("commune est omnium maris elementurn, infmitum scilicet ita, ut possideri non queat., & omnium usibus accomodatum: sive navigationem respicimus, sive etiam piscaturam "). Während der Fischfang verboten werden könne, sei dies hinsichtlich der Schiffahrt nicht möglich, da durch sie das Meer nicht geschädigt werde (,,Et si quicquam prohibere posset, puta, piscaturarn, qua dici quodammodo potest pisces exhauriri, at navigationem non potest, per quam mari nihil perit."). Begründet wird diese Schlußfolgerung mit dem Hinweis, auch auf dem Lande könne keinem Menschen verwehrt werden, es zu begehen, wenn er unbewaffitet und bannlos sei ("etiam in terra, quae cum populis, turn hominibus singulis in proprietatem attributa est, iter tarnen, certe inerme,& innoxiurn, nullius gentis hominibus juste
A Das traditionelle Recht
195
Ausübung der Freiheiten der Hohen See unter dem Vorbehalt der sonstigen Regeln des Völkerrechts, insbesondere also auch des Seekriegsrechts. 23 Die Forderung Präsident Wi/sons in seiner berülunten Rede vom 8. Januar 1918 nach einer "absoluten Schiffahrtsfreiheit" sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten24 blieb Episode, so daß für den Zeitraum bis 1945 festgehalten werden kann, daß durch mit dem Seekriegsrecht im Einklang stehende Maßnahmen die Freiheit der neutralen wie auch der gegnerischen Schiffahrt beeinträchtigt werden konnte?5
negari"). Auch im 7. Kapitel stellt Grotius eine Beziehung zwischen der Schiffahrtsfreiheit und ihrem nicht-schädigenden Charakter her ("Unde euro navigatio nemini possit esse nociva nisi ipsi naviganti, par est ut nemini possit, aut debeat impediri, ne in re sua natura libera, sibique nemine noxia navigantium libertatem impediat"). Mithin ist die Schiffahrtsfreiheit einschrAnkbar, sobald sie nicht harmlos filr andere und diese zu schädigen geeignet ist. 23 Demgemäß konnte die anglo-amerikanische Claims Commission in den Fällen The Jessie, The Thomas F. Bayard und The Pescawha feststellen: "[...] it isafundamental principle ofinternational maritime law that, except by special convention or in time of war, interference by a cruiser with a foreign vessel pursuing a lawful avocation on the high seas is unwarranted and illegal and oonstitutes a violation ofthe sovereignty ofthe country whose flag the vessel flies"; Nielsen Report 1926, 479 f. 24 "Absolute freedom of navigation upon the seas, outside territorial waters, alike in peace and in war, except as the seas may be closed in whole or in patt by international action for the enforcement of international covenants"; zit nachArnold-Forster, The New Freedom ofthe Seas (1942), S. 72 f. 23 Vgl. die Nachweise in Anm. 4. 13*
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2. Kap., 2. Absclm..:Das allgemeine Seekriegsgebiet
B. Das allgemeine Seekriegsgebiet heute Diese schlichte Zweiteilung in neutrale Küstengewässer und Territorien einerseits und Hohe See sowie Küstengewässer und Territorien der Konfliktparteien andererseits (einschließlich dem jeweils darüber befindlichen Luftraum) läßt sich heute nicht mehr ohne weiteres aufrechterhalten. Die fortschreitende Entwicklung des internationalen öffentlichen Seerechts durch die Kodifikationen der Jahre 195826 und 198227 sowie die z.T. durch diese initiierte Staatenpraxis haben nicht lediglich zu einer beträchtlichen Ausweitung küstenstaatlicher Ansprüche, sondern auch zu einer weitreichenden Verrechtlichung der Seegebiete gefiihrt, auf die sich weder die Souveränität noch sonstige Vorzugsrechte der Küstenstaaten erstrecken. 28 Eine mögliche Folge dieser Rechtsentwicklung ist eine erhebliche Einschränkung des Seekriegsgebiets. Ist doch nicht auszuschließen, daß sich die Pflicht der Konfliktparteien zur unbedingten Achtung neutraler Küstengewässer nunmehr auch auf die erweiterten und neuen Seegebiete neutraler Küstenstaaten erstreckt und daß mit der Einfiihrung des Konzepts des "gemeinsamen Erbes der Menschheit" sowie der ,,Befriedung" der Hohen See Seekriegsmaßnahmen jenseits der von den Konfliktparteien als Küstenmeer beanspruchten Seegebiete unzulässig sind. L Die Pflicht zur Achtung neutraler Küstengewisser
Dieser Abschnitt ist den Seegebieten gewidmet, in denen neutrale Küstenund Inselstaaten Souveränität ausüben oder beanspruchen. Der Begriff
26 Übereinkommen vom 29. April 1958 Ober das KOstenmeer und die Anschlußzone (UNTS 516, 205; im folgenden: ÜKM 1958); Übereinkommen vom 29. April 1958 über die Hohe See (BGBI. 1972 II S. 1089; im folgenden: ÜHS 1958); Übereinkommen vom 29. April1958 Ober Fischerei und Erhaltung der lebenden Naturvorkommen der Hohen See (UNTS 559, 285; im folgenden: ÜFHS 1958); Übereinkommen vom 29. April 1958 Ober den Festlandsockel (UNTS 499, 311; im folgenden: ÜFS 1958). 27 SeerechtsObereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (BT Drucks. 12n829 v. 10.06.1994; U.N. Doc. NCONF.62/122; im folgenden: SRÜ 1982). Das SRÜ 1982 ist gernAß seinem Art. 308 Abs. 1 am 16. November 1994, mithin 12 Monate nach Hinterlegung der sechzigsten Ratifikations- bzw. Beitrittsurkunde in Kraft getreten. Bislang haben 62 Staaten das SRÜ 1982 ratifiziert bzw. sind ihm beigetreten (Stand: Juni 1994); Law ofthe Sea Bulletin No. 25 (June 1994), S. 1 ff., 10.
28 Ch. Rousseau, Le droit des conflits annes, Paris 1983, S. 215 ff. geht auf diese Aspekte indes nicht ein, sondern beschreibt das Seekriegsgebiet als "les eaux territoriales des belligerants et Ia baute mer." Dies ist insoweit erstaunlich, als diese Veröffentlichung ein Jahr nach Abschluß der Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen erfolgte. Wie hier statt vieler R. Lagoni, Commentary No. 4, in: W. Heintschel v. Heinegg (ed.), The Military Objective and the Principle of Distinction in the Law ofNaval Warfare, Bochum 1991, S. 56-65,63 ff.
B. Das allgemeine Seekriegsgebiet heute
197
"Küstengewässer" bezeichnet daher nicht lediglich die inneren Gewässer und das Küstenmeer, sondern auch die sog. Archipelgewässer. 1. Neutrales Küstenmeer
Die Souveränität eines Staates erstreckt sich über sein Landgebiet und seine inneren Gewässer hinaus auf das Küstenmeer, den darüber befindlichen Luftrawn sowie den Meeresboden und -untergrund.29 Daher sind die Parteien eines internationalen bewaffneten Konflikts zur See auch heute sowohl nach Art. 2 Zf. 4 UN-Charta30 als auch nach dem in Art. 1 Haag XIII31 kodifizierten allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts verpflichtet, die Souveränität des neutralen Küstenstaates nicht nur in seinem Landgebiet, sondern auch in seinen inneren Gewässern, in seinem Küstenmeer und in dem jeweils darüber befindlichen Luftrawn32 zu achten33, insbesondere sich dort grundsätzlich 29 Dazu sowie zur hisloriseben Entwicklung des Küstenmeeres vgl. D.P. O'Connell, Law ofthe Sea I (Anrn. 9), S. 59 ff.; ferner Ch. Gloria, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 3. Auß., München 1990, § 48 Rdn. 1ff. 30 Zur Geltung des Gewaltverbots wie auch des Neutralitätsrechts im Verhlltnis der Konfliktparteien zu neutralen bzw. nicht am Konflikt beteiligten Staaten vgl. ausfllhrlich oben 1. Kapitel, III. 2. b); ferner D. Schind/er, Commentary on Hague Convention XIII, in: N. Ronzitti (ed.), The Law ofNaval Warfare, Dordrecht!Boston!London 1988, S. 211-222, 216; M. Bothe, Neutrality in Naval Warfare, in: A.JM. Delissen!G.J. Tanja (eds.), Humanitarian Law of Arrned Conflict Challenges Ahead Essays in Honour ofFrits Kalshoven, Dordrecht!Boston!London 1991, S. 387-405, 391 ff. 31 Dazu statt vieler D. Schind/er, Commentary (Anrn. 30), S. 216. Anläßlich der Unterzeichnung des SRÜ 1982 erklärte Schweden u.a.: "It is [... ) the understanding ofthe Government ofSwcden that the Convention does not affect the rigbts and duties of a neutral State provided for in the Convention conceming the Rigbts and Duties of Neutral Powers in case of Naval Warfare (XIII Coovention), adopted at The Hague on 18 October 1907."; abgedruckt in: U.N. Office ofthe Special Representative ofthe Secretary-General for the Law ofthe Sea, Status ofthe United Nations Conventioo on the Law ofthe Sea, New York 1985, S. 26. 32 Dazu M. Greenspan, The Modem Law of Land Warfare, Berkeley 1959, S. 535 f. : "The inviolability of neutral territory extends equally to the air space allove that territory. It is weil recognized in international law that 'every State has cornplete and exclusive sovereignty over the airspace allove its territory'. [... ] From the time ofWorld War I, when aircraft were ftrSt used on a large scale in warfare, neutral states have defended their air space from the passage of belligerent aircraft. That neutral states have the rigbt to do this is recognized by the Hague Rules of Air Warfare, 1923, which thougb not binding as rules of warfare [... ) are yet the chief existing guide to the rules goveming this branch of warfare, in the absence of more authoritative expression." Vgl. auch die Nachweise bei MM. Whiteman, Digest II (Anrn. 5), S. 355 ff. Verwiesen sei auch auf Art. 31 ZP I, nach dessen Abs. 2 selbst Sanitätsluftfahrzeuge, die sich unberechtigt im neutralen Luftraum aufhalten, grundsAtzlieh angegriffen werden dOrfen. Ein Angriffsverbot besteht nur, soweit das SanitAlsluftfahrzeug als solches erkannt wird und sich im ilbrigen entsprechend den Anweisungen des neutralen Staates verbllt. 33 In der authentischen französischen Fassung von Art. l des XIII. Haager Abkommens ist nur von den "droits souverains des Puissances neutres" die Rede. Wie der weitere Wortlaut indes verdeutlicht, bezieht sich der räumliche Schutzbereich auf ,,le territoire ou Ies eaux neutres". Der Begriff ,,neutrale Gewässer" umfaßt, wie aus dem Bericht der dritten Kommission an die Gesamtkonferenz hervorgeht, ausschließlich die Seegebiete, in denen der neutrale Kastenstaat Gebietshoheit ausQbt: ,,Le principe qu'il convient d'aflinner tout d'abord c'est l'obligation pour les belligeraots de respecter les droits
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2. Kap., 2. Abschn..:Das allgemeine Seekriegsgebiet
jeglicher Seekriegsmaßnahmen zu enthalten und alle Beeinträchtigungen seiner territorialen Integrität zu vermeiden. 34 Diese Verpflichtung besteht freilich nicht, soweit eine Konfliktpartei mit Zustimmung des neutralen Gebietsherrn auf dessen Territorium Marine- oder sonstige Stützpunkte unterhält.35 Wenngleich durch Art. 3 SRÜ 1982 die höchstzulässige Breite des Küstenmeeres auf 12 sm festgelegt worden und der Gewohnheitsrechtscharakter dieser Bestimmung - nicht zuletzt auch angesichts des Inkrafttretens des SRÜ 1982 am 16. November 1994 - nunmehr unzweifelhaft feststehen dürfte36, bedeutet dies nicht eine Verpflichtung der Konfliktparteien, ungeachtet der tatsächlich erhobenen Ansprüche in jedem Fall einen Küstenmeerstreifen dieser Ausdehnung zu respektieren. Gleichviel, welcher theoretische Ansatz zur Erklärung des Souveränitätsbegriffs37 zugrunde gelegt wird, beinhaltet die völkerrechtliche Anerkennung der Souveränität im Küstenmeer keinen souverains des Etats neutres. Cette obligation ne resulte pas de Ia guerre, pas plus que Je droit d'un Etat
a inviolabilite de son territoire ne resulte de sa neutralite. C'est une obligation et c'est un droit qui sont inherents a l'existence meme des Etats, mais qu'il est bon de rappeler expresserneut dans des
circonstances oo ils sont plus exposes a etre meconnus. Suivant une parole de Sir Emest Satow [...] il y a Ia l'expression de Ia pensee maitresse de cette partie du droit international'."; abgedruckt in: Th. Niemeyer, Urkundenbuch zum Seekriegsrecht, Berlin 1913, S. 884. ln der Kommentierung zu Art. 1 heißt es demgemAß: "Comme oonsequence de Ia regle precedente, tout acte d'hostilite dans /es eaux territoriales d'un Etat neutre est interdit"; ebd., S. 885 (Hervorhebung d. Verf. ). Wie hier E. Rauch, The Protocol Additional to the Geneva Conventions for the Protection of Victims of International Armed Contlicts and the United Nations Convention on the Law ofthe Sea: Repercussions on the Law ofNaval Warfare, Berlin 1984, S. 36. 34 C.J. Co/ambos (Anm. 1), § 709; Oppenheim!Lauterpacht (Anm. 4), S. 236 ff.; R.W. Tucker, The Law ofWar and Neutrality at Sea, Washington D.C. 1957, S. 226 ff.; D. Schind/er, Commentary (Anm. 30), S. 216; vgl. ferner die entsprechenden Vorschriften in den militärischen Handbüchern der USA (NWP 9, paras. 7.3.4, 7.3.7), Kanadas (Canadian Draft Manual, paras. 608, 1509 Abs. 2) und der Bundesrepublik Deutschland (ZDv 15/2, Nr. 1118-1120, 1149 f.). Auch in para. 15 San Remo Manual des Round Table of Experts on International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts at Sea wird dieser allgemeine Grundsatz des Neutralitätsrechts bestätigt. 3' F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. II, 2. Aufl., München 1969, S. 119; Oppenheim!Lauterpacht (Anm. 4), S. 240 f.; Ch. Rousseau (Anm. 28), S. 414. Zu den historischen, politischen und militärischen Aspekten militarischer Stotzpunkte im Ausland vgl. RE. Harkavy, Bases Abroad. The Global Foreign Military Presence, Oxford 1989, S. 26 ff., 73 ff., 320 ff.; H. Rumpf, Military Bases on Foreign Territory, in: EPU... 3, S. 260-266. 36 Vgl. statt vieler R. Wolfrum, The Ernerging Customary Law ofMarine Zones: State Practice and the Convention on the Law ofthe Sea, NYU... 1987, 121-144. Insoweit dokumentiert sich auch in den Bestimmungen des SRÜ 1982 die filr den Nachweis einer Gewohnheitsrechtsnorm erforderliche allgemeine Rechtsüberzeugung. Das ausstehende lnk.rafttreten dieses Übereinkammes steht seiner Berücksichtigung beim Nachweis von Gewohnheitsrecht nicht entgegen. Vgl. dazu die Entscheidung der Kammer des IGH im Gulf-of-Maine-Fall (ICJ Rep. 1984, 246-346, 294) sowie des IGH im libysch-tunesischen Festlandsockel-Fall (ICJ Rep. 1982, 15-94, 38; ferner[. Sinclair, The Impact of the Unratified Codification Convention, in: A. Bos/H. Siblesz (eds.), Realism in Law-Making. Essays in Honour of Wilhelm Riphagen, Dordrecht/Boston/Lancaster 1986, S. 211-229; L.B. Sohn, Uoratified Treaties as a Source ofCustomary International Law, ebd., S. 231-246. 37 Für den hier ausschließlich interessierenden Bereich des Küstenmeeres vgl. die Obersichtliche Darstellung der verschiedenen Theorien bei D.P. O'Conne/1, Law ofthe Sea I (Anm 9), S. 60 ff.
B. Das allgemeine Seekriegsgebiet heute
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automatischen Übergang der Gebietshoheit auf diesen Teil des Meeres?8 Vielmehr bleibt es jedem Küstenstaat überlassen, durch einen entsprechenden Akt nationaler Rechtsetzung die Ausdehnung seines Küstenmeeres und die dort beanspruchten Rechte zu bestimmen. Daher ist in jedem Einzelfall gesondert festzustellen, welche Küstenmeerbreite ein neutraler Staat beansprucht. Diese Ansprüche variieren zum Teil immer noch erheblich, wie die folgende Übersicht über die z.Z. erhobenen Ansprüche verdeutlicht: 39 Breite 3 4
6 12 20 30 35 50 200
Anzahl 4 2 3 120 1 2 1 1 11
Soweit diese Ansprüche die völkerrechtlich höchstzulässige Breite von 12 sm nicht überschreiten40 und die seewärtige Abgrenzung des Küstenmeeres nicht aufgrund besonderer geographischer Umstände bzw. konkurrierender Ansprüche umstritten ist, belegen die internationale Praxis - sowohl während und anläßtich bewaffneter Konflikte41 als auch die militärischen Handbücher42 38 D.P.
O'Conne/1, Law ofthe Sea I (Arun. 9), S. 80. Stand: Juni 1994. Die Angaben beruhen aufU.N. Office for Ocean Affairs and the Law ofthe Sea, Law ofthe Sea Bulletin No. 15 (May 1990), S. 29 ff.; No. 16 (December 1990), S. 2 f.; No. 18 (June 1991), S. 8 ff.; No. 19 (October 1991), S. 9 ff.; No. 20 (March 1992), S. 20 ff.; No. 25 (June 1994), S 104 ff. ; sowie aufUS Dept. ofState, Limits in the Seas No. 36, National Claims to Maritime Jurisdictions, 6th Revision, Washington D.C. 1990. Beachtung ist der Tatsache zu schenken, daß in einigen Fällen die seewärtige Ausdehnung des Küstenmeeres über die jeweiligen Angaben hinausgehen kann. 40 Zu exzessiven Küstenmeeransprüchen unter besonderer Berücksichtigung der Politik der USA vgl. JA. Roach/R.W Smith, Excessive Maritime Claims, International Law Studies, Newport 1994, S. 93 ff. Freilich ist zu beachten, daß gern. Art. 12 SRÜ 1982 und Art. 9 ÜKM 1958 "Reeden, die üblicherweise zum Laden, Entladen und Ankern von Schilfen dienen" in das Küstenmeer einzubeziehen sind, "wenn sie ganz oder teilweise außerhalb der seewärtigen Grenze des Küstenmeeres gelegen wären" . Darüber hinaus können unter den Voraussetzungen der Art. 13 SRÜ 1982 und 11 ÜKM 1958 ein eigenes Küstenmeer haben. Inseln haben gemäß Art. 121 SRÜ 1982 bzw. 10 ÜKM ebenfalls ein eigenes Küstenmeer. Dazu statt vieler D.P. O'Conne/1, Law ofthe Sea I (Arun. 9), S. 210 f.,218ff. 41 Zur Staatenpraxis während der maritimen bewaflheten Konflikte seit 1945 vgl. die Nachweise bei R. Ottmüller, Die Anwendung von Seekriegsrecht in militärischen Konflikten seit 1945, Harnburg 1978, S. 47 ff.; D.P. O'Connell, International Law and Contemporary Naval Operations, BYIL XLIV (1970), 19-85; PM. Norton, Between the Ideology and the Reality: The Shadow ofthe Law of Neutrality, Harv.l.L.J. 17 (1976), 249-3II; WL. Williams, Neutrality in Modem Arrned Conflicts: A Survey ofthe Developing Law, Mii.L.Rev. 90 (1980), 9-48. 39
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2. Kap., 2. Abschn.. :Das allgemeine Seekriegsgebiet
- sowie die Stellungnahmen der Völkerrechtslehre43 die Existenz einer korrespondierenden Pflicht der Konfliktparteien, die Gebietshoheit des neutralen Staates in, über und unter seinem Küstenmeer bis zur höchstzulässigen seewärtigen Ausdehnung zu respektieren. Dies erklärt sich aus der Erkenntnis, daß die Souveränität eines Staates in Zeiten eines internationalen bewaffneten Konflikts nicht anders beurteilt oder bemessen werden kann als in Friedenszeiten.44 Freilich bleibt es den Staaten angesichts ihrer ausschließlichen Kompetenz zur Festlegung des Küstenmeeres unbenommen, fiir die Dauer eines internationalen bewaffneten Konflikts eine geringere Küstenmeerbreite zu beanspruchen. Anders verhält es sich freilich in bezug auf das Küstenn1eer detjenigen Staaten, die eine 12 sm übersteigende Breite beanspruchen oder ihr Küstenmeer nicht nach Maßgabe des internationalen öffentlichen Seerechts bestimWährend des Falkland-Konflikts kam es in lediglich zwei Fällen zur Verletzung neutralen Luftraums durch britische Flugzeuge. In beiden Fällen bestand auf seilen des Vereinigten Königreichs einerseits sowie Brasiliens und Chiles andererseits Einigkeit über die Völkerrechtswidrigkeit des britischen Verhaltens. Vgl. A.L. Zuppi, Die bewaffueten Auseinandersetzungen zwischen dem Vereinigten Königreich und Argenlinien im Südatlantik aus völkerrechtlicher Sicht, Köln 1990, S. 206 f.m.w.N. Aus der Praxis der Parteien des Goltkriegs zwischen Iran und Irak sind keine Beispiele der Verletzung der territorialen Integrität und Souveränität neutraler Staaten bekannt geworden, obgleich Kuwait, Saudi Arabien, Oman und z.T . die VAE (fiir Sharija) ein 12-sm-Küstenmeer beanspruchen (vgl. die Nachweise in: Law ofthe Sea Bulletin No. 15 [May 1990], 29 ff.). 41 In diesen gehen die Staaten augenscheinlich von einer problemlosen Anwendung der Pflichten aus Art. I Haag XIII auf das 12-sm-Küstenmeer aus. Das kanadische (Draft Manual, para. 1509) und das deutsche Handbuch (ZDv 15/2, Nr. 1118, 1120) enthalten keine ausdrücklichen Bestimmungen zur neutralen Küstenmeerbreite von 12 sm. Im deutschen Handbuch wird in den Bestimmungen über das Seekriegsgebiet lediglich insoweit auf die 12-sm-Grenze Bezug genommen, als die Bestimmung des Küstenmeeres des Konfliktparteien betroffen ist (ZDv 15/2, Nr. I 011 ). Gerade das Fehlen einer ausdrücklichen Bezugnahme ist aber dahin zu verstehen, daß diese beiden Staaten bereit sind, neutrales Küstenmeer bis zur 12-sm-Grenze zu achten. Im amerikanischen Handbuch wird ausdrücklich festgestellt: "The 1982 Law ofthe Sea Convention provides that coastal nations may lawfully extend the breadth of claimed territorial waters to 12 nautical miles. (...] the U.S. is committed to recognizing the rights ofnations in the waters offtheir coasts, as reflected in the Convention. The U.S. claims a 12nautical rnile territorial sea and recognizes the right of all coastal and island nations to do likewise."; NWP 9, para. 7.3.4.2. 43 So stelltE. Rauch, Protocol Additional (Anm. 33, S. 32) ohne weitere Begründung fest: ,,As a matter of principle belligerents are bound to respect the sovereignty of neutral powers and to abstain, in neutral territory or neutral waters from any act of warfare. Any act of hostility, including capture and the right of search, committed by belligerent warships in the territorial waters of a neutral power, constitutes a violation of neutrality and is strictly forbidden." Vgl. ferner BA. Harlow, The Law of Neutrality at Sea for the 80's and Beyond, UCLA Pacific Basin L.J. 3 (1984), 42-54, 49; E. Beckert/G. Breuer, Öffentliches Seerecht (Anm. 17), Rdn. 949. 44 Bereits L. Renault hatte während der 8. Sitzung der Vollversammlung der ll. Haager Friedenskonferenz am 9. Oktober 1907 festgestellt: "Ce qui doit etre le point de depart d'une reglementation, c'est Ia souverainete de !'Etat neutre qui ne peut etre alteree par le seul fait d'une guerre alaquelle il entend demeurer etranger. Cette souverainete doit etre respectee par les belligerants, qui ne peuvent l'irnpliquer dans Ia guerre ou le troubler par des actes d'hostilite."; abgedruckt in: Th. Niemeyer, Urkundenbuch (Anm. 33), S. 879.
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men. Andere Staaten sind grundsätzlich weder in Friedenszeiten noch während eines internationalen bewaffneten Konflikts verpflichtet, Seegebiete jenseits der 12-sm-Grenze als unverletzliches neutrales Küstenmeer "unbedingt zu achten". 45 Gegen exzessive Küstenmeeransprüche haben Drittstaaten in der Nachkriegszeit regelmäßig protestiert und damit zu erkennen gegeben, daß sie eine Ausweitung der Gebietshoheit über die 12-smGrenze hinaus nicht anzuerkennen bereit sind. 46 Gleichwohl ist nicht auszuschließen, daß eine Konfliktpartei in besonders gelagerten Fällen auch zur Achtung eines breiteren Küstenmeeres verpflichtet ist. Dies ist denkbar, wenn sie etwa nach Maßgabe von "estoppel" ihr Recht verwirkt47 , wenn der Küstenstaat nach Maßgabe von "acquiescence" ihr gegenüber einen Anspruch auf Achtung erlangt48 , oder wenn sich in bestimmten Regionen lokales oder regionales Gewohnheitsrecht herausgebildet hat und die Beteiligten der in Frage stehenden Rechtsbeziehungen allesamt daran gebunden sind. 49 Daher ist es durchaus denkbar, daß die Ansprüche eines neutralen Küstenstaates gegenüber verschiedenen Konfliktparteien variieren. Keinesfalls stehen diesem Befund die aus der grundsätzlichen Unteilbarkeit staatlicher Souveränität bzw. die aus dem Grundsatz der Allgemeinverbindlichkeit staatlicher Grenzen hergeleiteten Bedenken entgegen. 50 Die Anerkennung der mit den genannten Instituten verbundenen Rechtsfolgen bedeutet ja keine völkerrechtlich sanktionierte Ausweitung der küstenstaatlichen Souveränität. Vielmehr wirken sich diese Rechtsfolgen ausschließlich in bilateralen bzw. partikularen Rechtsbeziehungen aus, so daß lediglich die Geltendrnachung der völkerrechtlichen Normallage ausgeschlossen ist.
4 l So auch D. Schind/er, Conunentary (Arun. 30), S. 220; E. Castren, The Present Law of War and Neutrality, Helsinki 1954, S. 495; R.W. Tucker (Arun. 34), S. 225. 46 Vgl. statt vieler Ch. Gloria, in: K. Ipsen, Völkerrecht (Arun. 29), § 48 Rdn. 6; ferner die Zusammenstellung der gegen exzessive Küstenmeeransprüche erhobenen Proteste in: Law of the Sea Bulletin, Nos. 1-22; US Depl. of State (Bureau of Oceans and International Environmental and Scientific Atfairs), Limits in the Seas No. 112, United States Responses to Excessive National Maritime Claims, Washington D.C., March 1992, S. 28 lf.; J.A. Roach!R.W. Smith, Excessive Maritime Claims (Arun. 40), S. 96 f. Ergänzend sei auf das bislang noch nicht veröffentlichte Gesetz aus dem Jahre 1992 verwiesen, mit welchem die VR China das Südchinesische Meer als chinesisches Küstenmeer beansprucht 47 Zu den Voraussetzungen dieser Variante des Verbots des "venire contra factum proprium" vgl. statt vielerJ.P. Müller/J'h. Collier, Estoppel, in: EPIL 7, S. 78-81 m.w.N. 48 Zum qualifizierten Stillschweigen (.,qui tacet consentire videtur si loqui debuisset ac potuisset") vgl. J.P. Müller/J'h. Co/tier, Acquiescence, in: EPIL 7, S. 5-7 m.w.N. 49 Zur Entstehungsweise und den Rechtswirkungen lokalen und regionalen Gewohnheitsrechts vgl. ICJ Rep. 1960, 39; 1950, 276; ferner A . Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Auß., Berlin 1984, § 5671f.; W. Hein/schel v. Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht (Anm. 29), § 16 Rdn. 541f. so So aber A.V. Lowe, The Commander's Handbook on the Law of Naval Operations and the Contemporary Law ofthe Sea, in: H.B. Robertson Jr. (ed.), The Law ofNaval Operations, Newport 1991, s. 109-147, 111.
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Diese sich aus exzessiven Küstenmeeransprüchen ergebenden Probleme dürften indes zunehmend von vorrangig akademischem Interesse sein, hat doch die völkerrechtliche Anerkennung der Ausschließlichen Wirtschaftszone bereits in zwölf Fällen zu der Rücknahme exzessiver Küstenmeeransprüche auf die allgemein anerkannte 12-sm-Grenze gefiihrt. 51 Vielmehr ist eben angesichts der zunehmenden Verbreitung und Anerkennung der 200-smWirtschaftszone (EEZ) eine Verlagerung der hier interessierenden Problematik auf die Zulässigkeil von Seekriegsmaßnahmen in diesem Gebiet küstenstaatlicher Vorzugsrechte zu verzeichnen. 52 Die Parteien eines internationalen bewaffneten Konflikts zur See sind somit verpflichtet, sich innerhalb des neutralen Küstenmeeres, auf dem Meeresboden und -untergrund wie auch in dem darüber befindlichen Luftraum grundsätzlich jeglicher Seekriegsmaßnahmen zu enthalten, gleichviel, ob es sich um ein Küstenmeer von 3, 6 oder 12 sm Breite handelt. 53 Diesem Befund stehen schließlich auch nicht die von Teilen des Schrifttums vorgebrachten Bedenken entgegen. 54 Diese gründen sich auf der Erkenntnis, daß mit der Anerkennung des 12-sm-Küstenmeeres das Ausmaß des neutralen und damit grundsätzlich unverletzlichen Küstenmeergebiets heute etwa viermal so groß ist wie nach Maßgabe der Haag XIII zugrundeliegenden Rechtslage. Die Mehrzahl der Küstenstaaten verfuge aber gar nicht über die Möglichkeiten, ein derart großes Seegebiet entsprechend den Neutralitätspflichten effektiv zu kontrollieren und Beeinträchtigungen ihres neutralen Status durch die Konfliktparteien abzu
31
Die folgenden Staaten haben von ursprünglich exzessiven Küstenmeeransprüchen zugunsten der
12-sm-Grenze abgese'-'heo-:.n'-:- - - - - - - - - - - - _ _ , . . - - - -
Staat Albanien Argenlinien Gabun Ghana Guinea-Bissau Haiti Kapverdische Inseln Madagaskar Mauritanien Senegal
urspr. Breite Jahr der Aufgabe 15 sm 1990 200 sm 1991 100 sm 1984 200 sm 1986 150 sm 1978 I 00 sm 1977 200 sm 1977 50 sm 1985 70 sm 1988 200 sm 1985 T~a 50sm 1989 Die Angaben beruhen auf Law of the Sea Bulletin No. 15 (May 1990), S. 29 ff.; No. 20 (March 1992), S. 20 ff. (Argentinien); US Dept. ofState, Limits in the Seas No. 112, S. 32 f. 32 Dazu sogleich unter 3. c). 33 Zu den weiteren Rechten und Pflichten der Kriegsschiffe und Prisen der Konfliktparteien innerhalb eines neutralen Küstenmeeres vgl. unten 4. Kapitel. .s-o SA. Swarztrauber, The Three-Mile Limit of Territorial Seas, Annapolis 1972, S. 240; H.B. Robertson Jr., The "New" Law ofthe Sea and the Law of Armed Conflict at Sea, Newport Paper #3, Naval War College, Newport October 1992, S. 17 f.
B. Das allgemeine Seekriegsgebiet heute
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wehren. 55 Umso mehr würden die Konfliktparteien daher versucht sein, "to test the Iimits of tolerance of both neutrals and opposing belligerents to the use of neutral territorial seas for safe havens from attack." 56 Die Berechtigung dieser Befürchtungen soll und kann hier angesichts der Staatenpraxis während des II. Weltkriegs nicht in Zweifel gezogen werden. 57 Gleichwohl vermögen die Argumente nicht zu überzeugen. Abgesehen von dem freiwilligen Verzicht eines neutralen Staates auf die friedensmäßige Ausdehnung seines Küstenmeeres eröffnet das Völkerrecht keine Möglichkeit, die Souveränität in Friedenszeiten anders zu beurteilen als während eines internationalen bewaffneten Konflikts. Die Tatsache, daß die Delegierten der II. Raager Friedenskonferenz nur eine Küstenmeerbreite von 3 sm im Auge hatten, ändert nichts an dem Befund, daß die Gebietshoheit eines Staates nach Neutralitätsrecht ebenso zu beurteilen ist wie nach Friedensvölkerrecht Das Neutralitätsrecht kann heute nur als "ein durch die Einwirkung des zwischen anderen Völkerrechtssubjekten gefuhrten Krieges modifiziertes Friedensrecht"58 verstanden werden, das jedenfalls auf die völkerrechtlich anerkannten Grenzen staatlicher Gebietshoheit ohne Einfluß ist. Daher vermögen auch die Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit eines Staates, die Pflichten zur Verteidigung seines neutralen Status zu erfiillen - die ehedem die Möglichkeiten moderner elektronischer Technologien zu sehr unberücksichtigt lassen, weitergehende Rechte der Konfliktparteien nicht zu begründen. Selbst wenn diese Pflichten und die korrespondierenden Rechte der Konfliktparteien im Falle einer Nichterfiillung durch den neutralen Küstenstaat dem entsprächen, was die genannten Völkerrechtler behaupten, änderte dies nichts an dem Grundsatz der Unverletzlichkeit des neutralen Küstenmeeres, dessen Breite das völkerrechtlich zulässige Höchstmaß nicht überschreitet. 59 Vielmehr ist die Relevanz dieses Aspekts auf die Frage nach Art und Umfang der zu diesem Grundsatz anerkannten Ausnahmen beschränkt.60
SA. Swarzlrauber, ebd.; H.B. Robertson Jr., ebd., S. 36. H.B. Robertson Jr., The "New" Law ofthe Sea (Arun. 54), S. 17. 57 Wenngleich BA. Harlow, UCLA Pacific Basin L.J. 3 (1984), 49, aus der Sicht des Praktikers 55
56
anmerkt: "[... ) the areas in question [ ...) do not seem especially strategic. Accordingly, most naval planners would not deem neutral status of an expanded ordinary territorial sea of 12 miles an unacceptable burden." 58 So J. Hinz/E. Rauch, Kriegsvölkerrecht, 3. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/München 1984, Anm I zum XIII. Haager Abkonunen (Zf. 1537). Vgl. dazu auch oben I. Kapitel, III, 2. b).
59 Nicht zuletzt aus diesen Gründen wird in NWP 9 klargestellt: "[f)he 12-nautical mile territorial sea is not, in and of itself, incompatible with the law of neutrality. Belligerents continue to be obliged to refrain from acts of hostility in neutral waters and rernain forbidden to use the territorial sea of a neutral nation as a place ofsanctuary from their enernies or as a base of operations"; para. 7.3.4.2. 60 Wie bereits eingangs erwähnt, werden diese Ausnahmen wegen des Sachbezugs zu den Neutralitätspflichten an dieser Stelle noch nicht behandelt.
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2. Neutrale innere Gewässer, Basislinien
Sind die Konfliktparteien zur Achtung der Gebietshoheit des neutralen Staates in, über und unter dessen Küstenmeer verpflichtet mit der Folge, daß sie sich dort grundsätzlich jeglicher Seekriegsmaßnahmen zu enthalten haben, so gilt dies erst recht für die landwärts der Basislinien gelegenen Gewässer die inneren Gewässer-, besteht doch dort nicht einmal das Recht der fremden Schiffahrt auf friedliche Durchfahrt. 61 Daher wie auch aufgrund der Tatsache, daß von ihnen aus die Breite des Küstenmeeres gemessen wird, kommt den i.d.R. durch Akte nationaler Rechtsetzung proklamierten Basisliniensystemen für die negative Abgrenzung des Seegebiets eine entscheidende Bedeutung zu. In das Basisliniensystem können die äußersten ständigen Hafenanlagen, die Bestandteil des Hafensystems sind,62 Flußmündungen63 sowie unter bestimmten Voraussetzungen auch trockenfallende Erhebungen64 einbezogen werden. Je nachdem, welche Art von Basislinien beansprucht wird, kann die Breite des sich daran anschließenden Küstenmeeres wie auch der von ihnen eingeschlossenen inneren Gewässer erheblich variieren. Nach Maßgabe des modernen Seevölkerrechts, wie es sich in den seerechtliehen Übereinkommen und in der Staatenpraxis darstellt, besteht die Möglichkeit, anstelle der Niedrigwasserlinie gerade Basislinien65 als Ausgangspunkt für die Bemessung der Küsten61 Art. 8 Abs. I SRÜ 1982; Art. 5 Abs. I ÜKM 1958. Ein Recht auffriedliche Durchfahrt besteht lediglich in den Fällen, in denen "die Festlegung einer geraden Basislinie (...] dazu fiihrt, daß Gebiete, die vorher nicht als innere Gewässer galten, in diese einbezogen werden"; Art. 8 Abs. 2 SRÜ 1982; s. auch Art. 5 Abs. 2 ÜKM 1958. 62 Art. II SRÜ 1982; Art. 8 ÜKM 1958. Dazu statt vieler D.P. O'Connell, Law ofthe Sea I (Anm. 9), S. 218 ff.
63 Art. 9 SRÜ 1982; Art. 13 ÜKM 1958. Dazu eingehend D.P. O'Connell, Law ofthe Sea I (Anm. 9), S. 221 ff. Eine Besonderheit gilt im Hinblick auf die Mündung des Rio de Ia Plata. Argenlinien und Uruguay beriefen sich in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 30. Januar 1961, mit der sie die Flußmündung durch eine gerade Linie schlossen, auf Art. 13 ÜKM 1958. Dagegen erhoben die USA (AJIL 57 (1963], 403 f.), das Vereinigte Königreich und Frankreich Proteste (MM. Whiteman, Digest of International Law Vol. 4, Washington D.C. 1965, S. 343). Daher können die landwärts dieser Linie gelegenen Gewässer nicht als innere Gewässer eingeordnet werden. 64 Dies setzt gern. Art. 7 Abs. 4 SRÜ 1982 und Art. 4 Abs. 3 ÜKM 1958 voraus, daß ,,Leuchttürme oder ähnliche ständig über den Wasserspiegel hinausragende Anlagen auf ihnen errichtet sind oder daß die Ziehung der Basislinien zu und von solchen Erhebungen allgemeine internationale Anerkennung gefunden hat" •~ Norwegen hatte durch Verordnung vom 12. Juli 1934 unter Hinweis auf die zahlreichen seiner Küste vorgelagerten Inseln und Kleinstinseln, dem sog. "Skjaergaard", zwischen 48 Punkten gerade Basislinien zum Zwecke der Abgrenzung der inneren Gewässer vom Küstenmeer gezogen. Die Entscheidung des IGH im britisch-norwegischen Fischereistreit, in der das norwegische Vorgehen als völkerrechtsgemäß qualifiZiert worden war (ICJ Rep. 1951, 116-143, 127 ff.), beeinflußte im folgenden die Vorarbeiten der ILC zum Genfer Übereinkommen vom 29. April 1958 über das Küstenmeer und die Anschlußzone. Demgemäß wurden in Art. 4 dieses Übereinkommens diejenigen Kriterien niedergelegt, nach Maßgabe derer gerade Basislinien zum Zwecke der Bemessung des Küstenmeeres gezogen werden können. Diese Regelung wurde sodann in Art. 7 des
B. Das allgemeine Seekriegsgebiet heute
205
meerbreite zu wählen. 66 Wie die Auswertung der Praxis von 144 Küstenstaaten67 verdeutlicht, haben bis heute 64 Staaten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und bemessen ihr Küstenmeer entweder ganz oder teilweise von geraden Basislinien aus. Weitere 7 Staaten haben sich durch Akte nationaler Rechtsetzung eine entsprechende Möglichkeit offengehalten. Soweit die proklamierten geraden Basislinien mit den in Art. 7 SRÜ 1982, 4 ÜKM 1958 niedergelegten und gewohnheitsrechtlich anerkannten68 Kriterien im Einklang stehen, die als Ausnahmen freilich trotz ihres zugegebenermaßen offenen Charakters nicht zu sehr zugunsten des Küstenstaates ausgelegt werden dürfen69, unterfallen die landwärts davon gelegenen inneren Gewässer dem Schutz des Neutralitätsrechts ebenso wie das sich seewärts daran anschließende Küstenmeer. 70 Indes bestehen in zumindest 16 Fällen71 an der Vereinbarkeil der proklamierten geraden Basislinien mit den entsprechenden völkervertraglichen und -gewohnheitsrechtlichen Grundsätzen erhebliche Zweifel. 72 Beispielsweise kann in bezug auf die burmesische gerade Basislinie im Golf von Martaban73 oder die kolumbianische in der Karibik74 selbst bei Seerechtsübereinkommens des Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 weitgehend übernommen. Danach ,,kann die Methode gerader Basislinien angewandt werden", "wo die KOste tiefe Einbuchtungen und Einseimitte aufWeist oder wo sich eine Inselkette entlang der Küste in ihrer unmittelbaren Nähe erstreckt" (Art. 7 Abs. I SRÜ 1982). 66
Zu den Archipel-Basislinien und -Gewässern vgl. unten c).
Vgl. die Nachweise in: U.N. Divisionfor Ocean Affairs and the Law ofthe Sea, Baselines: An Examination ofthe Relevant Provisions ofthe United Nations Convention on the Law ofthe Sea, New York 1989; dies., Baselines: National Legislation with Illustrative Maps, New York 1989; US Depl. o[State, Limits in the Seas No. 36, S. 7 ff.; No. 112, S. 17 ff. 68 Vgl. dazu neben der Entscheidung des IGH im britisch-norwegischen Fischereistreit (ICJ Rep. 1951, 116 ff.) und den Vorarbeiten der ILC zum ÜKM 1958 (YBILC 1954 I) R.R Churchill!A.V. Lowe, The Law ofthe Sea, 2nd. ed., Manchester 1988, S. 31 ff. 67
69 So auch M .S. McDougal/W.T. Burke, The Public Order ofthe Oceans, New Haven 1962, S. 387. D.P. O'Connell, Law ofthe Sea I (Anm. 9), S. 218, faßt das durch Art. 4 ÜKM 1958 eröffuete Ermessen des Küstenstaates bei der Festlegung gerader Basislinien angesichts der Offenheit der Kriterien sehr weit. Daher handele es sich weniger um "a text available for judicial decision" denn um "an authorization to the legislature". 70 Zu der Frage, ob das nach Maßgabe der Art. 5 Abs. 2 ÜKM 1958 und Art. 8 Abs. 2 SRÜ 1982 gewährleistete Recht auffriedliche Durchfahrt in inneren Gewässern, die durch die Festlegung gerader Basislinien neu entstanden sind, auch zugunsten der Kriegsschiffe und Prisen der Konfliktparteien gilt, vgl. unten 4. Kapitel. 71 Algerien, Burma, Ecuador, Frankreich, Guinea, Iran, Italien, Kenia, Kolumbien, Kuba, Madagaskar, Marokko, Mozambique, Senegal, Spanien und Vietnam. 72 Vgl. dazu auch die Beispiele bei WM. Reisman, Straight Baselines in International Law: A Call for Reconsideration, Proc. ASIL 82 ( 1988), 260; ferner hinsichtlich der Proteste der USA Limits in the Seas No. 112, S. 18 ff. 73 Territorial Sea and Maritime Zones Law No. 3, April 9, 1977 (Law ofthe Sea Bulletin No. 2 [March 1985], S. 9 f.). Vgl. die Darstellung der burmesischen Basislinie in: US Dept. o[Stale, Limits in the Seas No. 112, S. 21. 74 Law No. 10 of 4 August 1978 (Law ofthe Sea Bulletin No. 2 [March 1985], S. 15). Vgl. dazu die Bewertung des OS-Außenministeriums in: US Dept. o[Stale, Limits in the Seas No. 103 (April 30, 1985), Straight Baselines: Co1ombia.
206
2. Kap., 2. Abschn.. :Das allgemeine Seekriegsgebiet
großzügiger Auslegung der Kriterien von Art. 7 SRÜ 1982 bzw. Art. 4 ÜKM 1958 nicht mehr davon ausgegangen werden, diese folgten im wesentlichen dem allgemeinen Verlauf der Küste. 75 Der Golf von Martaban dürfte nicht mehr als "tiefe Einbuchtung" bzw. "tiefer Einschnitt" der Küste i.S.v. Art. 7 Abs. 1 SRÜ 1982 bzw. Art. 4 ÜKM 1958 zu charakterisieren sein. Auch die kolumbianische Karibikküste ist weder durch tiefe Einbuchtungen noch durch Inselketten in unmittelbarer Nähe zur Küste gekennzeichnet. Bislang hat sich aufgrund der zahlreichen gegen exzessive Systeme gerader Basislinien gerichteten Proteste noch kein entsprechender Gewohnheitsrechtssatz herausgebildet, wonach auch in anderen als den in Art. 4 ÜKM 1958 und Art. 7 SRÜ 1982 genannten Fällen Systeme gerader Basislinien errichtet werden können. 76 Eine weitere Schwierigkeit im Zusammenhang mit den Basislinien ergibt sich in bezug auf bestimmte Buchten. Nun kann im Hinblick auf solche Buchten, die die Voraussetzungen der Art. 10 SRÜ 1982 und 7 ÜKM 1958 (Öffnungsbreite kleiner gleich 24 sm; Fläche größer gleich Halbkreis, dessen Durchmesser eine quer über die Öffnung dieses Einschnitts gezogene Linie ist) erfiillen77 , festgestellt werden, daß diese auch nach Maßgabe des entsprechenden Gewohnheitsrechts als innere Gewässer beansprucht werden können. 78 Die besagten Schwierigkeiten ergeben sich aber daraus, daß diese Bestimmungen keine Anwendung finden auf Buchten, deren Küsten zu mehr als einem Staat gehören, sowie auf sog. historische Buchten. Während erstgenannte abgesehen von Abgrenzungsfragen keine nennenswerten Probleme aufwerfen (sieht man von der umstrittenen Entscheidung des IGH im Grenz-Fall zwischen EI Slavador und Honduras ab)79, gehören die Ansprüche auf histori73 An diesem Befund ändert auch nichts die oben in Anm. 69 zitierte Einschätzung O'Connells. Die Kriterien der Art. 4 ÜKM 1958 und Art. 7 SRÜ 1982 mögen offen sein. Gleichwohl handelt es sich bei diesen Vorschriften um Ausnahmebestimmungen, die grundsätzlich eng auszulegen sind, so daß eine erhebliche Abweichung von dem normalen Verlauf der KOste nicht mehr als völkerrechtsgemäß qualifiziert werden kann. 76 Diese Möglichkeit scheint aber A. V. Lowe, The Commander's Handbook (Anm. 50), S. 111, in Betracht zu ziehen. Vgl. im übrigen JA. RoachiR.W Smith, Excessive Maritime Claims (Anm. 40), S.
43 ff.
77 Diese Bestimmungen fmden freilich keine Anwendung. wenn das in Art. 7 SRÜ 1982 bzw. in Art. 4 ÜKM 1958 vorgesehene System gerader Basislinien angewandt wird (Art. 10 Abs. 6 SRÜ 1982, Art. 7 Abs. 6 ÜKM 1958). 78 So auch D.P. O'Connell, Law ofthe Sea I (Anm. 9), S. 209; G. Westerman, The Juridical Bay,
Oxford 1987, S. 258 f. Als derartige Buchten im Rechtssinne sind zu charakterisieren: der Golf von Amatique (Guatemala), die Samana- und die Neiba-Bucht (Dominikanische Republik) sowie die Chesapeake- und Delaware-Bucht (USA). Freilich ist nicht ausgeschlossen, daß die 24-sm-Regel bei bestimmten geographischen Konfigurationen filr nicht an das ÜKM 1958 gebundene Staaten keine Rechtswirkungen entfaltet 79 Nach vorherrschender Auffassung gilt filr multinationale Buchten ein besonderes Regime. Insbesondere steht der multinationale Charakter der Errichtung innerer Gewässer entgegen. Grundsätzlich gilt innerhalb multinationaler Buchten das Recht auf friedliche Durchfahrt, das nicht einseitig ausgesetzt werden darf. Überhaupt sollen sie nicht von der Gebietshoheit der Anliegerstaaten
B. Das allgemeine Seekriegsgebiet heule
207
sehe Buchten oder Gewässer zu den umstrittensten Fragen des Seevölkerrechts.80 Historische Buchten und Gewässer qualifizieren als innere Gewässer, wenn der Küstenstaat das in Frage stehende Seegebiet seit geraumer Zeit und effektiv als innere Gewässer behandelt und die anderen Staaten diesen Anspruch entweder ausdrücklich oder stillschweigend anerkannt haben. 81 Daher kann den zur Zeit von 19 Staaten erhobenen Ansprüchen auf historische Buchten82, die keineswegs ausschließlich in Akten nationaler Rechtssetzung, sondern auch in bilateralen Abgrenzungsvereinbarungen fixiert sind, die völkerrechtliche Vereinbarkeil nur eingeschränkt zuerkannt werden. Während beispielsweise die Hudson Bay unstreitig als historische Bucht angesehen werden kann83, ist dies hinsichtlich des Golfs von Thailand und des Golfs von Tonkin84, des Golfs von Tarent85 sowie der Großen Syrte86 zu verneinen. In
umfaßt sein. Demgegenüber erklärte der IGH den Golf von Fonseca zu historischen inneren Gewässern, auf die sich die Souveränität der Anliegerstaaten gemeinsam erstrecken soll. Ein erstes Problem ergibt sich insoweit in bezugauf Nicaragua, das - wenngleich dem Verfahren beigetreten nicht an die Entscheidung gebunden ist. Das Urteil des IGH dürfte indes angesichts der Besonderheiten des Falles schwerlich ein Präjudiz fiir andere multinationale Buchten sein. 80 Dazu L.F.E. Goldie, Historie Bays in International Law - An Impressionistic Overview, Syracuse J.Int'I.L.&Com. 11 (1984), 205 ff.; ferner MM. Whiteman, Digest Vol. 4 (Anm. 63), S. 233 ff.; LJ. Bouchez, Bays and Gulfs, in: EPIL 11, S. 45-48; JA. Roach/R.W. Smith, Excessive Maritime Claims (Anm. 40), S. 23 ff. 81 Daher ist mit dem IGH festzuhalten, daß ,.general intemationallaw [... ) does not provide for a single 'regime' for 'historic bays', but only for a particular regime for each of the concrete, recognized cases of 'historic waters' or 'historic bays',.; ICJ Rep. 1982, 74 (tunesisch-libyscher FestlandsockelFall). Vgl. auch die Entscheidung der Kammer des IGH vom 11. September 1992 im Rechtsstreit zwischen EI Salvador und Honduras (,.Land, lsland and Maritime Frontier Dispute"); ICJ Communique No. 92/22; ferner Ch. Gloria, in: K. Ipsen, Völkerrecht (Anm. 29), § 47 Rdn. 4. 82
Vgl. die Nachweise in: US Depl. o[Stale, Limits in the Seas No. 112, S. 6.
Vgl. dazu U.N. Doc. NCONF.13/1 (,.Historie Bays"); ferner Ch. Gloria, in: K. Ipsen, Völkerrecht (Anm. 29), § 47 Rdn. 4). 84 Vereinbarung zwischen Kambodscha und Vietnam vom 7 . Juli 1982; Erklärung Vietnams vom 12. November 1982 (Law ofthe Sea Bulletin No. 1 [September 1983), S. 74 f.). In der Erklärung der USA wird diesbezüglich festgestellt: ..[...) historic waters are recognized as valid only if the following prerequisites are satisfied: (A) the State asserting claims thereto has done so openly and notoriously; (B) the State has effectively exercised its authority over a long and continuous period; and (C) other States have acquiesced !herein." (Law of the Sea Bulletin No. 10 (November 1987), S. 23). Siehe ferner die Protestnoten Singapurs vom 5. Dezember 1986 (Law ofthe Sea Bulletin No. 9 [April1987], S. 53 f.); Thailands vom 9. Dezember 1985 (ebd. No. 7 [April 1986), S. 111 f.); Frankreichs vom 5. Dezember 1983 (ebd. No. 3 [March 1984), S. 16) und der Volksrepublik China vom 28. November 1982 (ebd. No. 1 (September 1983), S. 76). 8s Präsidialerlaß Nr. 816 vom 26. April1977. Siehe dazu die Proteste des Vereinigten Königreichs (BYIL LII [1982), 465) und der USA (Limits in the Seas No. 112, S. 8). 86 Dazu sowie zu dem Zwischenfall mit den USA vg). Ch. Rousseau, Extension de Ia souverainete de Ja Libye au Golfe de Ia Grande Syrte, RGDIP 78 (1974), 1177-1179; F. Francioni, The Gulfof Sidra Incident (United States v. Libya) and International Law, ltai.YBIL 5 (1980/81), 85-109; ders., The Status ofthe Gulf of Sirtein International Law, Syracuse J.Int'I.L.&Com 11 (1984), 311-326.; DR. Neutze, The Gulf of Sidra Incident: A Legal Perspective, U.S.N.I.P. Vol. 108 (January 1982), 26-31; Y.Z. Blum, The Gulf of Sidra Incident, AJIL 80 (1986), 668-677; ders., Sidra, Gulf of, in: EPIL 12, S. 343-345. 83
208
2. Kap., 2. Abschn.. :Das aUgemeine Seekriegsgebiet
den verbleibenden Fällen, wie etwa der Bucht Peters des Großen87 , ist die Rechtslage in Anbetracht der Proteste anderer Staaten88 äußerst zweifelhaft, so daß die Einordnung der betreffenden Buchten als innere Gewässer in einem bewaffneten Konflikt zur See gleichfalls schwerlich durchsetzbar wäre. Aus dem Vorstehenden folgt, daß solchen Seegebieten und Gewässern, auf die der Küstenstaat mit dem Seevölkerrecht unvereinbare Souveränitätsansprüche erhebt, der Schutz des Neutralitätsrechts (wie auch des Art. 2 Zf. 4 UN-Charta) grundsätzlich zu versagen ist. Vielmehr wird das neutrale Küstenmeer um den Abstand zwischen der Niedrigwasserlinie (bzw. der völkerrechtsgemäßen geraden Basislinie) und der tatsächlich beanspruchten Basislinie zu reduzieren sein. Die inneren Gewässer sind ebenfalls unter Zugrundelegung der völkerrechtsgemäßen Basislinie zu bestimmen. Etwas anderes gilt auch hier nur, wenn die Konfliktparteien nach Maßgabe von estoppel, acquiescence oder lokalem bzw. regionalem Gewohnheitsrecht an der Geltendmachung des völkerrechtlichen Normalzustands gehindert sind. 3. Neutrale Archipelgewässer
Inselgruppen bzw. Archipele sind grundsätzlich nicht anders zu behandeln als einzeln liegende Inseln, wenn sie zu einem Festlandstaat gehören.89 Anders verhält sich dies nach Maßgabe des SRÜ 1982 jedoch bei Staaten, die "vollständig aus einem oder mehreren Archipelen und gegebenenfalls anderen Inseln" bestehen, also sog. Archipelstaaten. 90 Diese sollen nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen91 berechtigt sein, gerade Archipelbasislinien zu ziehen, welche die äußersten Punkte der äußersten Inseln und trockenfallenden
Gegen den libyschen Anspruch haben die folgenden Staaten Protest eingelegt: Australien (Austrai.YBIL 10, 405 f); Frankreich (FBIS - Western Europe, [March 26, 1986), KI); Spanien (ebd., N 1); Bundesrepublik Deutschland (ebd., J I; vgl. ferner die Erklärung des Bundesaußenministers Genscher, ZaöRV 1988, 283 [); N01wegen (ebd., [April 7, 1986), P3 [); USA (Law of the Sea Bulletin No. 6 [October 1985], S. 40). 87 Erlasse des Ministerrats vom 21. Juli 1957 und vom 7. Februar 1989. Vgl. dazu WE. Butler, The Soviel Union and the Law ofthe Sea, Haitimore 1971, S. 110; JA. Roach/R.W. Smith, Excessive Maritime Claims (Anm. 40), S. 31 ff.
Vgl. aUein die Nachweise in: US Dept. o[State, Limits in the Seas No. 112, S. 4 ff. So auch R. Sturies, Archipelgewässer, Berlin 1981, S. 131; vgl. ferner W. Heintschel v. Heinegg, Der Ägäis-Konflikt, Berlin 1989, S. 126 ff., 134. 90 Art. 46 lila) SRÜ 1982. Vgl. ferner H.P. Rajan, The Legal Regime of Archipelagos, GYIL 29 (1986), 137-153. 91 Gern. Arl 47 Abs. 1 SRÜ 1982 muß das Verhältnis der Wasserfläche zur Landfläche einschließlich der AtoUe zwischen I zu I und 9 zu 1 betragen. Mit dieser Regelung soUte exzessiven Ansproehen auf einen Archipelstatus entgegengewirkt werden; dazu D.P. O'Connell, Law of the Sea I (Anm. 9), S. 257. 88 89
B. Das allgemeine Seekriegsgebiet heute
209
Riffe des Archipels verbinden. 92 Die Breite des Küstenmeeres sowie der anderen Seegebiete wird von diesen Basislinien aus gemessen. 93 Gemäß Art. 49 Abs. I und 2 SRÜ 1982 erstreckt sich die Souveränität des Archipelstaats auf die von den Archipelbasislinien umschlossenen Gewässer (=Archipelgewässer), den darüber befindlichen Luftraum sowie auf deren Meeresboden und -untergrund. 94 Zur Zeit erheben 14 Staaten Ansprüche auf einen derartigen Archipelstatus: Antigua und Barbuda95 , Fidschi96, Indonesien97, Kapverdische Inseln98, Kiribati99, Komoren100, Marschall-Inseln101 , Papua Neu-Guinea102, Philippinen103, St. Vincent und Grenadinen104, Sao Tome und Principe105, Solomonen106, Trinidad und Tobago107, sowie Vanuatu108. Daher mag man 92 Art. 47 Abs. I SRÜ 1982. Gemäß Art. 47 Abs. 2 darf die Länge derartiger Basislinien 100 sm grondsätzlich nicht überschreiten. Jedoch dürfen bis zu 3 Prozent der Gesamtzahl der auf einen einzelnen Archipel (zum Archipelbegrilfvgl. Art. 46lit. b) SRÜ 1982) umschließenden Basislinien bis zu 125 sm erreichen. 1m übrigen darf der Verlauf dieser Basislinien nicht erbeblich vom allgemeinen Umriß des Archipels abweichen (Art. 47 Abs. 3 SRÜ 1982).
Art. 48 SRÜ 1982. Darüber hinaus kann der Archipelstaat innerhalb seiner Archipelgewässer gern. Art. 50 SRÜ 1982 Abschlußlinien zur Abgrenzung der inneren Gewässer ziehen. 93
94
95
Act No. 18 vom 17. August 1982 (vgl. Limits in the Seas No. 36).
Marine Spaces Act, 1977 - Act No. 18 of December 15, 1977 - as amended by the Marine Spaces Amendment Act, 1978- Act No. 15 ofOctober 10, 1978 (vgl. Law ofthe Sea Bulletin No. 2 [March 1985], 27-29). 96
91
98
99). 99
Regulation No. 4 vom 18. Februar 1960 (vgl. Limits in the Seas No. 35). Decree Law No. 126177 (vgl. U.N., Baselines: National Legislation with Illustrative Maps, S. Vgl. Limits in the Seas No. 112, S. 45.
Law No. 82-005 vom 6. Mai 1982 (vgl. Limits in the Seas No. 36, 33). Marine Zones (Declaration) Act, 1984, vom 13. September 1984 (vgl. Limits in the Seas No. 36, 95). 102 Act No. 7 vom 31. März 1978 (vgl. Limits in the Seas No. 36, 115). 100 101
103 Bereits im Jahre 1961 beanspruchten die Philippinen die Einbeziehung der durch den amerik.anisch-spanischen Vertrag vom 10. Dezember 1898 abgegrenzten Gewässer in ihr Territorium. Sowohl bei der Unterzeichnung als auch bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zum SRÜ 1982 bekräftigten die Philippinen am 8. Mai 1984 diesen Anspruch und erklärten zur Rechtsnatur der betreffenden Gewässer: "The concept of archipelagic waters is similar to the concept of intemal waters under the Constitution ofthe Philippines and removes straits connecting these waters with the econornic zone or high seas from the rights of foreign vessels to transit passage for international navigation" (vgl. U.N., Status UNCLOS [Anm. 31], S. 23 und 37; Law ofthe Sea Bulletin No. 4 [February 1985], S. 20().
Act No. 15 vom 8. Juni 1983 (vgl. Limits in the Seas No. 36, 124. Decree-Law No. 14178 vom 16. Juni 1978; U.N. Doc. ST/LEG/SER.B/19, 101 ( Decree-Law No. 48/82 vom 2. Dezember 1982; Law ofthe Sea Bulletin No. 1 (September 1983), S. 39 f. 104 105
106
Declaration of Archipelagos ofSolomon Islands, 1979 (vgl. U.N. Doc. ST/LEG/SER.B/19, 106
f.); Declaration of Archipelagic Baselines, 1979 (vgl. U.N. Doc. ST/LEG/SER.B/19, 107 ().
107 Act No. 24 of 1986- Archipelagic Waters and Exclusive Econornic Zone Act, 1986 (Law ofthe Sea Bulletin No. 9 [April1987], S. 6 ff. ).
14 H. v.
H c in c~~
210
2. Kap., 2. Abschn.. :Das allgemeine Seekriegsgebiet
versucht sein, unter Hinweis auf die Souveränität des Archipelstaats in seinen Archipelgewässern mit Rauch die Schlußfolgerung zu ziehen: "As neutrality as a legal concept is nothing eise but a natural attribute of the right of sovereignty of States not parties to the conflict, the belligerents in future will have to respect archipelagic waters the same way as they have to respect the territorial sea of the coastal State. Titey will have to abstain in archipelagic waters of neutral States from any act of warfare, including capture and the exercise of the right of search. By way of analogy, all rules contained in Hague XIII concerning the territorial sea of neutral powers will have to be applied mutatis mutandis to archipelagic waters of neutral archipelagic States."109
Nun trifft es zu, daß Sirmund Zweck des Neutralitätsrechts auch der Schutz der Souveränität und territorialen Integrität der nicht am Konflikt beteiligten Staaten ist. Daher sprechen auf den ersten Blick gute Gründe dafür, auch neutrale Archipelgewässer dem Schutz des Neutralitätsrechts zu unterstellen. Dies folgte indes nicht aus einer analogen Anwendung von Haag XIII, die nach der hier vertretenen AuffassWlg allenfalls im Verhältnis der Vertragsparteien möglich wäre110, sondern aus dem entsprechenden Gewolmheitsrecht. Dies setzte jedoch voraus, daß das Archipel-Konzept mittlerweile gewohnheitsrechtlich anerkarmt ist, so daß sich die Souveränität eines Archipelstaats auch tatsächlich auf seine Archipelgewässer erstreckt. Angesichts der großen Zahl von Teilnehmerstaaten auf der 3. Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen darf auch in bezug auf Archipelgewässer der dort erzielte Konsens nicht einfach außer acht gelassen werden. 111 Die von diesem Konsens getragenen Bestimmungen des SRÜ 1982 sind daher trotz ihrer Einbeziehung in das "package deal" grundsätzlich zum Nachweis des subjektiven Elements bzw. eines allgemeinen Konsenses geeignet. 112 In diesem Zusammenhang von Bedeutung ist aber, daß dieser Konsens bestimmt ist von dem Bestreben, exzessiven Ansprüchen auf Archipelgewässer entgegenzuwirken. 113 Daher kann in bezug auf solche Ansprüche, die über den von den Art. 46 ff. SRÜ 1982 gezogenen Rahmen hinausgehen, zunächst festgehalten werden, daß diesen die völkerrechtliche Anerkermung zu versagen ist. 114 Dieser Befund 108
ff.).
Maritinte Zones Act No. 23 of 1981 (Law ofthe Sea Bulletin No. I [September 1983), S. 64
109 E.
Rauch, Protocol Additional (Anm. 33), S. 33.
110 Zur grundsätzlichen
Ablehnung der Analogie vgl. oben Einleitung. So die Kammer in1 Gulf-of-Maine-Fall, ICJ Rep. 1984, 294. Vgl. ferner die Entscheidung des IGH inllibysch-tunesischen Festlandsockel-Fall, ICJ Rep. 1982, 38. 111
112 So auch R.Y. Jennings, Law-Making and Package Deal, in: Bardonnet!Combacau/Virally!P. Weil (eds.), Melanges offerts a Paul Reuter. Le droit international: Unite et diversite, Paris 1981, S. 347-355, 349; Th. Schweisfurth, The Influence ofthe 'Third United Nations Conference on the Law of
the Sea on International Customary Law, ZaöRV 1983, 566-584, 580 ff.
m Dazu die Nachweise bei JA. Roach!R.W. Smith, Excessive Maritinte Clainls (Anm. 40), S. 131 ff.; W. Heintschel v. Heinegg, Ägäis-Konflikt (Anm. 89), S. 13~. 114 So Oberschreiten zwei Segmente des Archipelbasisliniensystems der Kapverdischen Inseln die zulässige Höchstlänge von 125 sm (Art. 47 Abs. 2 SRÜ 1982). Der beanspruchte Archipel umfaßt
B. Das allgemeine Seekriegsgebiet heute
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wird auch durch die zahlreichen Proteste belegt, die gegen derart exzessive Archipelansprüche erhoben worden sind. 115 Soweit die Ansprüche mit den Bestimmungen des SRÜ 1982 im Einklang stehen, bleibt die Frage zu beantworten, ob diese nach Maßgabe des im bewaffneten Konflikt zur See anwendbaren Neutralitätsrechts ebenso zu respektieren sind, wie etwa das 12-sm-Küstenmeer. Zieht man zunächst die gegen exzessive Ansprüche erhobenen Proteste heran, so wird deutlich, daß in ihnen die Völkerrechtswidrigkeit der proklamierten Archipelgewässer ausschließlich mit den als gewohnheitsrechtlich qualifizierten Vorschriften der Art. 46 ff. SRÜ 1982 begründet wird. 116 Darüber hinaus bestimmen die jüngsten militärischen Handbücher der USAm, Kanadas118 und der Bundesrepublik Deutschland119 die Einbeziehung neutraler Archipelgewässer in den Schutzbereich des Neutralitätsrechts, soweit diese nicht im Widerspruch zu den Bestinununr:en des SRÜ 1982 stehen. Wenngleich diese und ähnliche Stellungnahmen 20 somit die Schlußfolgerung auf eine entsprechende Gewohnheitsrechtsnorm zulassen, darf nicht außer Betracht bleiben, daß die Bereitschaft zur Anerkennung der Unverletzlichkeit neutraler Archipelgewässer z.T. auf der Annahme beruht, daß eine Konfliktpartei im Falle der daher ein Gebiet, in dem das Verhältnis der Wasserfläche zur Landfläche 12,54 zu l beträgt, was im Widerspruch zu Art. 47 Abs. l SRÜ 1982 steht (vgl. Limits in the Seas No. 112, 45). Selbst im Hinblick auf den Archetyp eines Archipelstaats, die Philippinen, bestehen erhebliebe Zweifel an der Vereinbarkeil seines Anspruchs mit dem Seevölkerrecbt, werden doch die Archipelgewässer den inneren Gewässern gleichgestellt (vgl. die philippinische Erklärung oben in Arun. 103). 115 Vgl. die Nachweise in: U.N., Status UNCLOS (Arun. 31), S. 41 ff.; sowie in: Limits in the Seas No. 112, 45 ff. Gegen die philippinische Erklärung protestiert haben ferner: Australien (Law ofthe Sea Bulletin No. 12 [December 1988], S. 9); Bulgarien (ebd. No. 7 [April 1986], S. 7 f.); Weißrußland (ebd. No. 6 [October 1985], S. 9 f.), die Tschechoslowakei (ebd. S. 10); die Ukraine (ebd., S. 11 f.); die UdSSR (ebd., S. 12 ff.). 116 So etwa die Protestnoten Australiens, Bulgariens, der Tschechoslowakei, der Ukraine, der UdSSR und der USA gegen den philippinischen Anspruch; vgl. U.N., Status UNCLOS (Anm. 31); Limits in the Seas No. 112, 46 f. 117 NWP 9, para. 7.3.6: "The United States recognizes the right of qualifying island nations to establish archipelagic baselines enclosing archipelagic waters, provided the baselines are drawn in conformity with the 1982 LOS Convention and the U.S. and other nations are accorded their full rigbts under international law, including the law of armed conflict, in those waters. (...] Belligerent foroes must refrain from acts ofhostility in neutral archipelagic waters and from using them as a sanctuary or a base of operations." Es wird aber auch betont, daß "the balance of neutral and belligerent rights and duties with respect to neutral waters, is, however, at its most unsettled in the context of arcbipelagic
waters."
118 Canadian Draft Manual, para. 1509: "1. Neutral waters are the inland waters, internal waters, territorial seas and, where applicable, archipelagic seas of states which are not participants in an international armed conflict. [...) 2. Any act ofhostility, as, for exarnple, the seizure of or attack upon an enemy vessel within neutral waters is a breacb of neutrality and as such forbidden." 119 ZDv 15/2, Nr. 1118: "Die inneren Gewässer, die Archipelgewässer sowie die KOstenmeere eines neutralen Staates sind zu achten. Jede Kriegshandlung darin ist untersagt." 120 Hingewiesen sei etwa auf den Ausschuß der ILA fllr "Maritime Neutralität", der ebenfalls Archipelgewässer gleich dem KOstenmeer behandelt wissen will.
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2. Kap., 2. Abschn..:Das allgemeine Seekriegsgebiet
Verletzung neutralen Gebiets durch den Gegner u.U. berechtigt ist, dieser Verletzung auch durch die Anwendung bewaffneter Gewalt in neutralen Archipelgewässern zu begegnen. 121 Dieses Ausnahmerecht wird in denjenigen Fällen angenommen, in denen der Archipelstaat unfähig oder unwillens ist, die Neutralitätsverletzung zu unterbinden. 122 Es ist daher anzunehmen, daß die genannten Staaten in Zukunft nur unter der Voraussetzung zur Achtung neutraler Archipelgewässer bereit sein werden, daß sie weiterhin im Genuß dieses Ausnahmerechts verbleiben. Mit der Erstreckung der Souveränität auf die Archipelgewässer werden Seegebiete erheblichen Ausmaßes dem traditionellen Seekriegsgebiet entzogen.123 Daher besteht die Gefahr, daß sie in noch größerem Ausmaß als etwa das norwegische Küstenmeer während des ll. Weltkriegs oder das heutige 12-sm-Küstenmeer als Unterschlupf oder gar als Stützpunkte fiir Seekriegsunternehmungen mißbraucht werden. 124 Hinzu kommt, daß bedeutende See- und Seehandelsrouten durch diese Archipelgewässer führen, deren Kontrolle sich die Parteien eines künftigen bewaffneten Konflikts zur See angesichts der Zielsetzung des Seekriegs kaum begeben dürften, ohne gleichzeitig fiir diese Einschränkungen kompensiert zu werden. 125 Gleichwohl vermag das auf der Natur von Seemacht und militärischen Interessen gegründete Junktim der Anerkennung der Souveränität in neutralen Archipelgewässern mit bestimmten Ausnahmerechten der Konfliktparteien die grundsätzliche Einbeziehung dieser Seegebiete in den Schutzbereich des Neutralitätsrechts nicht in Frage zu stellen. Auch insoweit gilt, daß die Souveränität eines Staates in Friedenszeiten nicht anders beurteilt werden kann als in Zeiten eines internationalen bewaffneten Konflikts~ zumal die Archipelstaaten schwerlich bereit sein dürften, sich dieser zu begeben. 126 Nicht zuletzt die Bezugnahmen auf Ausnahmerechte bestätigen ja gerade die grundsätzliche Unverletzlichkeit neutraler Archipelgewässer auch während eines NWP 9, para. 7.3.6; Canadian Draft Manual, para. 1509 Fn. l. Eingehend zu diesem Fragenkreis unten 4. Kapitel. 123 Dies verdeutlichen die folgenden Angaben zu den z.Z. proklamierten Archipelgewllssem (US Dept. ofDefense, Maritime Claims Reference Manual, Washington D.C. 1989, S. 232 lf.), wobei der erste Wert die Nord-SOd-, der zweite Wert die Ost-West-Ausdehnung in sm bezeichnet: lndonesien: 1.000 x 3.000; Kapverdische Inseln: 144 x 130; Fidschi: 300 x 300; Papua Neu-Guinea: 840 x 600; Solomonen: 500 x 120; Vanuatu: 420 x 100. 124 Diese Bedenken werden insbesondere vorgetragen vonH.B. Robertson Jr., The ,,New" Law of the Sea (Anm. 54), S. 32.; B.A. Harlow, UCLA Pacific Basin L.J. 3 (1984), 53 f. 12.! Zur Bedeutung des Seehandels und dem damit untrennbar verbunden Interesse, diesen im bewaffiteten Konflikt zur See zu kontrollieren, vgl. U.N. Dept. for Disannament Affairs, The Naval Arms Race, New York 1986, S. 10 lf. Zu den wichtigsten Seehandelsrouten vgl. die Übersichtskarte, ebd. S. 95. 126 So auch B.A. Harlow, UCLA Pacific Basin L.J. 3 (1984), 52: "The argument might be made that archipelagic waters have no claim to neutral status since they are separate and distinct from territorial waters, and sinoe only territorial waters are mentioned in Hague XIII or in conventional fonnulatioDS of naval warfare laws of neutrality. However, such an approach would exah form over substance, ignore the expectations of neutral archipelagic states, and deny international law an opportunity for progressive development." 121
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Seekriegs. Daß die Archipelstaaten nicht oder zumindest nicht immer in der Lage sein werden. ihre Archipelgewässer gegen eine mißbräuchliche Nutzung durch die Konfliktparteien zu verteidigen, mag besondere Rechte auf seiten der benachteiligten Konfliktpartei begründen, ändert indes nichts an der grundsätzlichen Pflicht zur "unbedingten Achtung" neutraler Archipelgewässer.127 II. Das Landgebiet, die inneren Gewässer, das Küstenmeer und die Archipelgewässer der Konfliktparteien
Auch heute ist es unbestritten, daß neben den Landgebieten die inneren Gewässer, das Küstenmeer sowie, falls vorhanden, die Archipelgewässer der Konfliktparteien einschließlich dem darüber befindlichen Luftraum, dem Meeresboden und -untergrund dem allgemeinen Seekriegsgebiet zuzurechnen sind. 128 Grundsätzlich bestehen in bezug auf diese Gebiete mithin keine Verbote betreffend Seekriegsmaßnahrnen, insbesondere sind die Konfliktparteien berechtigt, ihr Küstenmeer und ihre Archipelgewässer einschließlich dem darüber befindlichen Luftraum fiir die Schiff- und Luftfahrt anderer Staaten vollständig zu schließen.129 Ausgenommen von Seekriegsmaßnahmen sind jedoch diejenigen Gebiete, "in denen militärische Handlungen aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen verboten sind". 130 Darüber hinaus gilt es, 127 So auch paras. 14 und 15 des San Remo Manual: ,,Neutral waters consist ofthe intemal waters, territorial sea, and, where applicable, the archipelagic waters, of neutral States." ..Within neutral waters (...] hostile actions by belligerent forces are forbidden." Vgl. ferner E. Beckert/G. Breuer, Öffentliches Seerecht (Arun. 17), Rdn. 949. 128 CJ. Cowmbos (Arun. 1), § 558; J. Stone, Legal Controls of International Conßict, New York 1959, S. 571; E. Rauch, Protocol Additional (Arun. 33), S. 31, 44; NWP 9, para. 8.2; Canadian Draft Manual, para. 703; ZDv 15/2, Nr. 1010. Zur Staatenpraxis während bewaffueter Konflikte zur See seit 1945 vgl. die Nachweise bei R Ottmüller, Anwendung von Seekriegsrecht (Anm. 41), S. 47 ff.; E. Beckert/G. Breuer, Öffentliches Seerecht (Anm. 17), Rdn. 1112 ff. 129 Neben den vorstehenden Nachweisen vgl. auch Art. 25 Abs. 3 und 52 Abs. 2 SRÜ 1982, wonach der Küsten- bzw. Archipelstaat nach vorheriger Bekanntmachung in bestimmten Gebieten seines Küstenmeeres bzw. seiner Archipelgewässer die AusObung des Rechts der friedlichen Durchfalut fremder Schiffe vorübergehend aussetzen (darf), sofern dies filr den Schutz seiner Sicherheit unerläßlich ist. Hinsichtlich der Sperrung des Luftraums durch eine Konfliktpartei war bereits in Art. 12 der Haager Luftkriegsregeln vom 19. Februar 1923 (AJIL 17 [1923), Suppt., 245260) bestimmt, daß "in time ofwar any state, whether belligerent or neutral, may forbid or regulate the entrance, movement or sojoum of aircraft within its jurisdiction." Hinzu kommt, daß das Recht auf friedliche Durchfalut im KOstenmeer nicht das Recht aufÜberflug umfaßt; vgl. Art. 2 und 14 ff. ÜKM 1958; Art. 17 ff. SRÜ 1982. Während des Iran-Irak-Konflikts berief sich der Iran gegenOber dem Anspruch der USA auf friedliche Durchfalut ihrer Kriephiffe durch das iranische KOstenmeer auf Art. 19 SRÜ 1982 und machte geltend, die Durchfahrt von Kriegsschiffen sei von einer vorherigen Genehmigung des KOstenstaates abhilngig. Vgl. die Stellungnahme des iranischen Vertreters vor dem UN-Sicherheitsrat, U.N. Doc. S/20525 vom 15. März 1989. 130 ZDv 15/2, Nr. 1010 Abs. 2. Dazu zAhlendie Aland-Inseln (Abkommen vom 20. Oktober 1921; Friedensvertrag vom 10. Februar 1947 zwischen Finnland und den Alliierten; dazu E. Menzel, Aland-
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2. Kap., 2. Absclm.. :Das allgemeine Seekrieg.o;gebiet
drei Aspekte zu beleuchten, die für eine partielle Beschränkung der Konfliktparteien in ihren Küstengewässern zu sprechen scheinen. 1. Partielle Beschrtinkungen in bezugaufMassenvernichtungswaffen
Eine vorrangig in diesem Zusammenhang interessierende Frage ist, ob sich hinsichtlich der gegnerischen Küstengewässer131 Beschränkungen des Waffeneinsatzes aus dem Vertrag über das Verbot der Anbringung von Kernwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen auf dem Meeresboden und Meeresuntergrund vom 11. Februar 1971 132 ergeben. Nach dessen Art. I in Verbindung mit Art. II ist es verboten, jenseits des 12-sm-Küstenmeeres Kernwaffen oder sonstige Massenvernichtungswaffen sowie ,,Bauten, Abschußrampen oder sonstige eigens für die Lagerung, Erprobung oder Verwendung derartiger Waffen vorgesehene Einrichtungen auf dem Meeresboden und im Meeresuntergrund einzubauen oder anzubringen." Aus dem Wortlaut wird deutlich, daß dieses Verbot weder konventionelle Waffensysteme noch Massenvernichtungswaffen auf nichtstationären Abschußrampen und Einrichtungen erfaßt. 133 Ausgenommen sind ferner Bauten, Abschußrampen und sonstige Einrichtungen, die eben nicht eigens für die Lagerung, Erprobung oder Verwendung derartiger Waffen vorgesehen sind.134 Art. I Abs. 2135 wurde in der vorliegenden Form gefaßt, um zu verhindern, daß diejenigen Seegebiete, die nicht von einem Küstenmeer umfaßt sind, weil der Küstenstaat nicht die höchstzulässige Breite von 12 sm beansprucht, von dem Verbot ausgenommen werden. Daraus Inseln, in: WVR I, S. 21-24) und Spitzbergen (Abkommen vom 9. Februar 1920, RGBI. 1925 II S. 763 ff.; dazu I. vManch, Spitzbergen, in: WVR 111, S. 300-302). Darüber hinaus sei auf den Friedensund Freundschaftsvertrag vom 18. Oktober 1984 zwischen Argentinien und Chile (abgedruckt in: Law of the Sea Bulletin No. 4 [February 1985), 50-72) hingewiesen. In dessen Art. 10 wird unter Bezugnahme auf den Grenzvertrag von 1881 klargestellt: "1be delimitation herein agreed in no way alters what is laid down in the Boundary Treaty of 1881, whereby the Strait of Magellan is neutralized in perpertuity and unrestricted navigation in it is assured forthe flag.o; of all nations [...]"Auch aus dem Montreux-Abkommen vom 20. Juli 1936, auf das später noch im einzelnen einzugehen sein wird, ergeben sich ftlr die Dardanellen gewisse Beschrink.ungen, die auch im bewaffueten Konflikt gelten; Text in: AIIL Vol. 31 (1937), Suppl., 1-18; vgl. dazu D. Vignes, Commentary on the 1936 Montreux Convention, in: N. Ronzitti (ed.), The Law ofNaval Warfare (Arun 30), S. 468-482. 131 Der Begriff ,,Kilstengewilsser" bezeiclmet hier die inneren Gewilsser, das Küstenmeer und die Archipelgewässer. Es sei hervorgehoben, daß dieser Abschnitt auf diese Gewässer beschrllnkt ist Zu den Implikationen des Meeresbodenvertrag.o; in neutralen Festlandsockelgebieten und Ausschließlichen Wirtschaftszonen vgl. unten 3. c) und d). 132 BGBI. 1972 li S. 325 ff. 133 So auch L. Migliorino, Commentary on the 1971 Seabed Treaty, in: N. Ronzini (ed.), The Law ofNaval Warfare (Anm. 30), S. 615-622, 615 f.; J. Hin7/E. Rauch, Krieg.o;völkerrecht (Anm. 58), Zf. 1S14 Anm. 1. Dazu zAhlen insbesondere strategische U-Boote. 134 Vgl. die vorstehenden Nachweise. m ,,Die Vetpflichtungen aus Abs. 1 gelten auch ftlr die dort genannte Zone des Meeresbodens, innerhalb dieser Zone jedoch nicht ftlr den KOstenstaat und den Meeresgrund unter seinen HoheitsgewAssern."
B. Das allgemeine Seekriegsgebiet heute
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folgt - jedenfalls für die Vertragsparteien - zugleich das Verbot der Anbringung von Massenvernichtungswaffen und der anderen Einrichtungen im Küstenmeer eines anderen Staates. 136 Indes ist zweifelhaft, ob dieses Verbot auch seine Rechtswirkungen entfaltet, wenn während eines internationalen bewaffneten Konflikts zur See Massenvernichtungswaffen und die von dem Verbot erfaßten Einrichtungen im gegnerischen Küstenmeer eingebaut oder angebracht werden sollen. Trotz der Charakterisierung des Meeresbodenvertrags als Rüstungskontrollabkommen wird dies u.a. mit der Begründung bejaht, "[i]t would be absurd to admit its applicability only in time of peace. States Parties to the Treaty, belligerents as weil as non-belligerents and neutrals, are all prohibited from emplanting on the seabed, beyond the 12-mile Iimit, nuclear weapons, or any other types of mass destruction." 137 Allein die Bezeichnung als "absurd" vermag indes die Anwendbarkeit des Meeresbodenvertrags auf den Seekrieg nicht zu rechtfertigen. Vielmehr ist der zeitliche Anwendungsbereich im Wege der Auslegung zu ermitteln. Während der Wortlaut von Art. I keine gesicherten Schlußfolgerungen erlaubt, sprechen die im Wege der systematischen Auslegung berücksichtigungsfahigen Formulierungen der Präambel für eine Beschränkung des hier interessierenden Verbots auf Friedenszeiten. Sinn und Zweck ist es danach augenscheinlich nicht, den Einsatz von Massenvernichtungswaffen auch im bewaffneten Konflikt zu verhindern, sondern "die Verhinderung des Wettrüstens auf dem Meeresboden", "die Wahrung des Weltfriedens", die Erreichung der "allgemeinen und vollständigen Abrüstung" sowie "die Förderung der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen". Mithin dienen die im Meeresbodenvertrag aufgestellten Verbote vornehmlich der Friedenssicherung. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß die bloße Charakterisierung als Abkommen zur Friedenssicherung nicht zwingend die Unanwendbarkeit der genannten Verbote im bewaffneten Konflikt zur Folge hat, dient doch nach der hier vertretenen Auffassun§ auch das ius in bello im weitesten Sinne einer friedenssichernden Funktion. 13 Daher kann nicht ausgeschlossen werden, daß, um die Rückkehr zu friedlichen Beziehungen so weit wie möglich sicherstellen zu können, das Verbot der Anbringung von Massenvernichtungswaffen etc. in gegnerischen Küstengewässern auch während eines bewaffneten Konflikts Geltung beanspruchen kann. Dafür spricht schließlich insbesondere auch die Kündigungsklausel in Art. VIII des Vertrags. Die Kündigung ist danach zulässig, wenn ein Vertragsstaat "zu der Überzeugung gelangt, daß durch außergewöhnliche, mit dem Inhalt dieses Vertrags zusammenhängende Ereignisse eine Gefährdung 136 L.
Migliorino, Commentary (Anm. 133), S. 616.
Ebd., S. 620. UnklarE. Rauch, Protocol Additional (Anm. 33), S. 11, der meint: "With thc exception ofthe Seabed Arms Control Treaty of 1971, which in any event primarily is an arms control treaty rather than a treaty on naval warfare, the most recent instrument goveming thc conduct of naval warfare is almost half a century old." Damit scheint Rauch aber dem Meeresbodenvertrag auch fiir den Seekrieg Rechtswirkungen zuzusprechen. 138 Vgl. dazu oben 1. Kapitel, III. 2. 137
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2. Kap., 2. Abschn.. :Das allgemeine Seekriegsgebiet
der höchsten Interessen seines Landes eingetreten ist". Aufgrund dieser strengen Einschränkung des Kündigungsrechts ist davon auszugehen, daß der Meeresbodenvertrag auch im bewaffneten Konflikt gilt, stellt doch gerade dieser eine "erhebliche GeHihrdung der höchsten Interessen" eines Staates dar. Daraus folgt, daß eine Kündigung unter Bezugnahme auf den Ausbruch eines Konflikts nach Maßgabe von Art. VIII zulässig wäre. 139 Festgehalten werden kann mithin, daß die Vertragsparteien auch im internationalen bewaffneten Konflikt grundsätzlich daran gehindert sind, die in Art. 1 bezeichneten Waffen und Einrichtungen auf dem Meeresboden und im Meeresuntergrund der gegnerischen Küstengewässern einzubauen oder anzubringen. Besondere Regelungen in bezug auf Nuklearwaffen, wenngleich auf die Vertragsparteien beschränkt, ergeben sich schließlich aus zwei Verträgen über kernwaffenfreie Zonen- die Verträge von Tlatelolco140 und von Rarotonga141 • Der räumliche Anwendungsbereich beider Verträge urnfaßt neben den Landgebieten auch die von der Souveränität urnfaßten Seegebiete der Parteien, so daß sie insoweit den Meeresbodenvertrag ergänzen.142 Für die durch diese Verträge gebundenen Staaten ergeben sich insbesondere Beschränkungen hinsichtlich des Einsatzes von Nuklearwaffen in ihren Küstenmeergebieten und Archipelgewässern. 143 Demgemäß verzichtete das Vereinigte Königreich, das Vertragspartei von Protokoll I144 des Vertrags von Tlatelolco ist, auch während des Falkland-Konflikts auf jeglichen Einsatz von Nuklearwaffen im Küstenmeer der Falklands.145
139 Dieser Befund deckt sich i.ü. mit der Position der USA und ihrer Verbündeten; vgl. NWP 9, para. 10.2.2, insbesondere Fn. I. 140 "Treaty for the Prohibition of Nuclear Weapons in Latin America" vom 14. Februar 1967, UNTS Vol. 634, 326 (dt. Übers. in: EA 1967, D. 152). Dazu N. Pe/zer, Nuclear-Free Zones, in: EPIL 4, S. 38-41, 39 f. ; D.R. Robinson, The Treaty ofTlatelolco and the United Staes: A Latin American Nuclear Free Zone, AJIL 64 (1970), 282-310; H. Fischer, in: K. Jpsen, Völkerrecht (Anm. 29), §59 Rdn. 23 f. 141 "South Pacific Nuclear Free Zone Treaty" vom 6. August 1985, U.N. Doc. CD/633; Law ofthe Sea Bulletin No. 6 (October 1985), 24 ff.; dt. Übers. bei: G. Fahl (Hrsg.), Rüstungsbeschränkung durch internationale Verträge, 2. Aufl., 1989, S. 212 ff.
142 A. V. Lowe, Some Legal Problems Arising from the Use of the Seas for Military Purposes, Marine Policy I 0 ( 1986), 165-184, 182. 143 Art. 3 des Vertrags von Tlatelolco; Art. 5 Abs. I i.V.m. Art. 1 lit. (b) des Vertrags von Rarotonga. 144 UNTS Vol. 634, 360. 143 House of Commons Debates, Vol. 28 (19 July 1982), col. 46; A. V. Lowe, Marine Policy 10 (1986), 182.
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2. Internationale Meerengen
Der allgemeine Begriff "Meerenge" bezeichnet schmale, natürliche146, zwischen Land- oder Inselgebieten gelegene Gewässer, die an den jeweiligen Enden in die Hohe See münden. Der vorliegende Abschnitt behandelt nur solche internationalen Meerengen, die vollständig vom Küstenmeer einer oder aller Konfliktparteien umfaßt sind147, die der internationalen Schiffahrt zwischen einem Teil der Hohen See oder einer ausschließlichen Wirtschaftszone und einem anderen Teil der Hohen See oder einer ausschließlichen Wirtschaftszone dienen148 und für die keine besonderen vertraglichen Vereinbarungen bestehen. 149
146 Künstlich errichtete Wasserstraßen sind hier daher nicht Gegenstand der Untersuchung. Für diese gelten im übrigen besondere vertragliche Übereinkünfte. In dem Vertrag über den Panama-Kanal vom 7. September 1977 (33 UST I, TIAS No. 10,029; abgedruckt in ILM 16 (1977], 1082 ff.) wird bestimmt, daß "in time ofpeace andin time ofwar it shall remain secure and open to peaceful transit by the vessels of all nations on terms of entire equality (...] Vessels ofwar and auxiliary vessels of all nations shall at all times be entitled to transit the Canal, irrespective of their intemal operation, means of propulsion, origin, destination or armament". Verwiesen sei aber auch auf den Beitrag von NJ. Padelford (Neutrality, Belligerency, and the Panama Canal, AJIL 35 [1941], 55-89), der verdeutlicht, wie unter Berufung auf "Verteidigung" die Durchfahrtsfreiheit durch diese Wasserstraßen mit juristischen Argumenten i.E. außer Krall gesetzt werden kann. Hinsichtlich des Suez-Kanals bestimmt die Konvention von Konstantinopel vom 29. Oktober 1888 (AJIL 3 (1909], Suppl., 123 ff.): "[... ] the Suez maritime canal shall always be free and open, in time of war and in time of peace, to every vessel of comrncrce or war, without distinction of flag". Grundlegend dazu G. Roussos, Le principe de Ia liberte de passage du Canal de Sucz et l'application des regles du droit de Ia guerre maritime, Revue de Droit International pour le Moyen-Orient 1 (1951152), 151-164. Zur Vereinbarkeil der ägyptischen Einschränkungen der israelischen und neutralen Schiffahrt mit der Konvention vgl. die Resolution des UN-Sicherheitsrats l. September 1951 (U.N. Doc. S/2298/Rev. 1); ferner LM. Gross, Passage through the Suez Canal of Isracl-Bound Cargo and Israel Ships, AJIL 51 (1957), 530-568; E. Beckert/G. Breuer, Öffentliches Seerecht (Anm. 17), Rdn. 342. Art. 380 des Versailler Vertrags betreffend den Nord-Ostsee-Kanal kann hier gänzlich unberücksichtigt bleiben, da das Durchfahrtsrecht nur den Schiffen der Staaten gewährleistet wird, die sich mit Deutschland im Frieden befinden. Zwar hatte die Reichsregierung die Art. 380 ff. am 14. November 1936 gekündigt (RGBI. 1936 li S. 363), aber gleichzeitig erklärt, die Durchfahrt der Schiffahrt der mit dem Deutschen Reich in Frieden lebenden Staaten bleibe offen. 147 Bei internationalen Meerengen, die nicht vollständig vom KOstenmeer überlappt werden, besteht in aller Regel ein Korridor, in und über dem die Schiffahrtsfreiheit und das Recht auf Überflug gelten (vg). Art. 36 SRÜ 1982), so daß der Anliegerstaat in dem zu seinem Küstenmeer gehörenden Teil der Meerenge grundsätzlich nicht den Beschn\nkungen durch das Recht auf Transitdurchfahrt unterliegt (vg). auch NWP 9, para. 2.3.3.2). Die Ausnahmen zu diesem Grundsatz spielen in dem hier interessierenden Zusammenhang lediglich eine untergeordnete Rolle, so daß auf deren Darstellung hier verzichtet wird. Auf die Geltung des Rechts auf Transitdurchfahrt in Meerengen, die nicht vollständig vom Küstenmeer der Anliegerstaaten urnfaßt sind, wird aber im Zusammenhang mit den Rechten und Pflichten in neutralen Küstengewässern zurückzukommen sein.
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2. Kap., 2. Abschn.. :Das allgemeine Seekriegsgebiet
Stellt man allein darauf ab, daß das Küstenmeer der Konfliktparteien zum allgemeinen Seekriegsgebiet zu zählen ist, so ergeben sich in bezug auf die Zulässigkeil von Seekriegsmaßnalunen in Meerengen zunächst keine Besonderheiten. Daher steht es außer Frage, daß in Meerengen kein Verbot des Angriffs auf gegnerische Kriegsschiffe sowie der Aufbringung gegnerischer wie auch neutraler Handelsschiffe besteht, soweit diese Maßnahmen mit dem maritimen ius in bello im Einklang stehen. 150 Darüber hinaus ist der Anliegerstaat selbstverständlich berechtir, grundsätzlich allen gegnerischen Schiffen die Durchfahrt zu verweigem. 15 Umstritten ist demgegenüber angesichts der
148 So auch die Begriffsbeslimmung in Art. 37 SRÜ 1982. Vgl. auch Art. 16 Abs. 4 ÜKM 1958. Im Korfu-Kanal-Fall charakterisierte der JGH das betreffende Seegebiet als Meerenge wegen ,,its geographical situation as connecting two parts of the high seas and the fact of its being used for international navigation"; ICJ Rep. 1949,23. 149 Nicht zuletzt wegen der Ausnahmebestimmung des Art. 35 lit. c) SRÜ 1982 gehört der mit "lange bestehenden und in Kraft befmdlichen internationalen Übereinkünften" über die Durchfalu1 in bestimmten Meerengen zusammenhängende Fragenkreis zu den umstrittensten Völkerrechtsfragen (vgl. allein E. Rauch, Protocol Additional [Anm. 33], S. 49 ff.). Soweit die vertraglich gebundenen Anliegerstaaten Konfliktparteien sind, kann lediglich dem Abkommen von Montreux vom 20. Juli 1936 eine eindeutige Regelung in bezug auf die Türkei entnommen werden. Gemäß den Art. I, 2, 4 und 5 genießen neutrale Handelsschiffe das Recht auf Durchfahrt, solange sie in den Bosporus und die Dardanellen bei Tag einfahren, nicht den Gegner unterstützen und sich an die seitens der türkischen Behörden bezeichneten Routen halten. Demgegenüber enthält das Abkommen keine Beschränkungen der Türkei in bezugauf die Durchfalu1 von Kriegsschiffen. Vielmehr beslimmt Art. 20: "En temps de guerre, Ia Turquie etant belligerante, Ies dispositions des articles I 0 a 18 ne seront pas applicables; le passagedes batiments de guerre sera entierement laisse a Ia discretion du Gouvernement turc." Daher gelangen die nachstehenden Grundsätze zur Anwendung. Vgl. auchE. Beckert!G. Breuer, Öffentliches Seerecht (Anm. 17), Rdn. 329. Auf die vertraglich geregelten Meerengen wird im Zusammenhang mit dem Neutralitätsrecht zurückzukommen sein. 150 So auch E. Rauch, Protocol Additional (Anm. 33), S. 44; N. Ronzitli, The Crisis of the Traditional Law Regulating International Armed Conflicts at Sea and the Need for its Revision, in: ders. (ed.), The Law of Naval Warfare (Anm. 30), S. 1-58, 20 ff., 23; ders., Passage through International Straits in Time ofintemational Armed Conflict, in: FS R Aga Vol. II, S. 363-383, 375; M. Donner, Die neutrale Handelsschiffalu1 im begrenzten militärischen Konflikt, Kehl a..R./Straßburg!Arlington 1993, S. 143; R.R. Baxter, Passage of Ships Through International Waterways in Time of War, BYIL XXX1 (1954), 189-216, 202; M. Bothe, Neutrality in Naval Warfare (Anm 30), S. 403; W. Münch, Die Regime internationaler Meerengen vor dem Hintergrund der Dritten UN-Seerechtskonferenz, Berlin 1982, S. 44. Die gegenteilige Auffassung Harlows kann hier außer Betracht bleiben, da die Forderung nach einem entsprechenden Verbot ausdrücklich de lege ferenda erhoben wird; B.A. Harlow, UNCLOS III and Conflict Management in Straits, ODIL 15 (1985), 197-208, 206. 151 Während des israelisch-arabischen Konflikts erließ Ägypten im Jahre 1951 ein Verbot der Durchfalu1 gegnerischer Kriegsschiffe durch die Meerenge von Tiran. Gegnerische Handelsschiffe unterlagen der Aufbringung. Am 23. Mai 1967 erklärte Präsident Nasser die Straße von Tiran tlir die israelische Schiffalu1 gesperrt: "The Aqaba Gulf constitutes our Egyptian territorial waters. Under no circumstances will we allow the Israeli flag to pass through the Aqaba Gulf"; abgedruckt in: ILM 6 ( 1967), 516 ff. Dazu LM. Grass, Passage Through the Strait of Tiran and in the Gulf of Aqaba, Law and Contemporary Problems 3 (1968), l25-l46;M.B.W. Hammand, The Right ofPassage in tbe Gulf
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großen wirtschaftlichen Bedeutung der Meerengen für die internationale Schiffahrt152, ob der kriegführende Anliegerstaat berechtigt ist, die Meerenge vollständig, d.h. auch für die nicht-gegnerische Schiffahrt (Handels- wie Kriegsschiffe) zu schließen. 153 Aufgrund der strategischen Bedeutung internationaler Meerengen war bereits im Verlauf der Beratungen der II. Haager Friedenskonferenz über das VIII. Haager Abkommen ein Vorschlag der Niederlande gescheitert. der auf ein urnfassendes Verbot des Verminens von Meerengen gerichtet war. 154 Ebenfalls keine Aufnahme in das Abkommen fand ein abgeschwächter Entwurf, dem zufolge lediglich das vollständige Verminen untersagt sein sollte. 155 Wenngleich einige Delegationen dem niederländischen Vorschlag keineswegs ablehnend gegenüberstanden, fehlt es im VIII. Haager Abkommen an einer Vorschrift betreffend das Verminen von Meerengen. 156 Während des of Aqaba, Rev.Egypt.D.I. 15 (1959), 118-15J,jeweils m.w.N. Während des Iran-Irak-Konflikts galt in dem vom iranischen KOstenmeer umfaßten Teil der Straße von Hormuz ein umfassendes Durchfahrtsverbot filr die irakisehe Schiffahrt (S.H. Amin, The Iran-Iraq War: Legal Irnplications, Marine Policy 6 [1982], 193-218, 209). Vgl. ferner die vorstehenden Nachweise. tsl Zur Bedeutung der Schiffahrtsfreiheit in internationalen Meerengen vgl. U.N. Dept. of Disarmament Affairs, The Naval Arms Race (Anm. 125), S. 49 f., 68 f.; LM. Alexander, International Straits, in: H.B. RobertsonJr. (ed.), The Law ofNaval Operations, Newport 1991, S. 91-108, 101 f. 1s3 Grundlegend dazu R.R. Baxter, BYIL XXXI (1954), 202 ff. Dieses Problem stellt sich freilich in geringerem Maße in bezug auf Meerengen, auf die das Recht auf Transitdurchfahrt keine Anwendung fmdet. Ausgenommen sind Meerengen, "in denen die Durchfahrt ganz oder teilweise durch lange bestehende und in Kraft befmdliche internationale Übereinkünfte geregelt ist" (Art. 35 lit. c) SRÜ 1982) oder wenn ein ,,in navigatorischer und hydrographischer Hinsicht gleichermaßen geeigneter" Seeweg vorhanden ist, der entweder durch die Hohe See oder eine ausschließliche Wirtschaftszone (Art. 36 SRÜ 1982) oder seewärts einer Insel durch die Hohe See oder eine ausschließliche Wirtschaftszone filhrt (Art 38 Abs. I SRÜ 1982). Aus Art 45 SRÜ folgt, daß filr Meerengen i.S.d. Art. 38 Abs. I SRÜ 1982 ein nicht aussetzbares, fiir Meerengen i.S.d. Art 36 ein aussetzbares Recht auffriedliche Durchfahrt gilt. So auch H.B. Robertson Jr., The ,,New" Law ofthe Sea (Anm. 54), S. 19 f.; E. Rauch, Protocol Additional (Anm. 33), S. 38 f. ts-~ Art. 4 des niederländischen Vorschlags lautete: .,En tout cas !es detroits, qui unissent deux mers !ihres ne peuvent pas etre barres"; abgedruckt in: Th. Niemeyer, Urkundenbuch (Anm. 33), S. 47 (Annexe 12); die englische Übersetzung fmdet sich bei J.B. Scott (ed.), The Proceedings ofthe Hague Pea.ce Conferences. The Conference of 1907, Vol. III, New York 1921, S. 663 (Annex 12). Vgl. ferner die Nachweise bei H.S. Levie, Mine Warfare at Sea, Dordrecht!Boston!London 1992, S. 42 ff. m Art. 6 (Reserve) des .,Texte d'un Projet de Reglement arrete sur Ia base des Deliberations du Comite d'Examen" lautete: .,La communication entre deux mers libres ne oeut etre barree entierement par des mines automatiques de contact. Mais le passage pourra y etre soumis a conditions qui seront decretees par !es autorites competentes"; abgedruckt in: Th. Niemeyer, Urkundenbuch (Anm. 33), S. 744 (Annexe 26); siehe auchJ.B. Scott (Anm. 154), S. 674 (Annex 26). u 6 Die Dritte Kommission gab dazu in ihren Bericht an die Gesamtkonferenz folgende Erklärung ab: ,,Enfm Ia Commission, sur Ia proposition de Ia Delegation neerlandaise eut encore a s'occuper de Ia forme qui serait donnee Ia decision du Comite, approuvee par Ia Commission en principe, et d'apres laquelle, par !es stipulations de Ia Convention a conclure rien n'etait change, en quoique ce fiit, a Ia situation actuelle des detroits. La Delegation neerlandaise desirait qu'une disposition comportant ce texte fiit inseree dans le Reglement concemant Ia pose des mines. Apres discussion, il fut juge preferable de ne rien ajouter au texte du Reglement, mais de modifier le passage du Rapport qui parle de Ia resolution prise sur cette question par le Comite d'Examen; on etablirait dans le Rapport que les
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II. Weltkriegs wurden daher zahlreiche Meerengen vermint157 , wenngleich dies jedenfalls in den ersten beiden Kriegsjahren nicht zwingend die vollständige Schließung der Meerengen zur Folge hatte. Vielmehr wurde in den Bekanntmachungen der Minenwarngebiete häufi~ auf Lotsendienste hingewiesen oder es wurden sichere Passagen bezeichnee 8 , so daß in diesen Fällen der friedlichen Schiffahrt die Durchfahrt möglich blieb. Diese Beispiele sind jedoch angesichts des totalen Charakters dieses Krieges in den nachfolgenden Jahren als solche nicht geeignet, die Geltung eines Verbots der vollständigen Schließung internationaler Meerengen anzunehmen. Auch einige Beispiele aus der Staatenpraxis der Nachkriegszeit deuten vielmehr darauf hin, daß Anliegerstaaten, die Parteien eines internationalen bewaffneten Konflikts sind, wegen der mit der partiellen Freihaltung ihrer Meerengen verbundenen Gefahren diese auch für die friedliche Schiffahrt schließen werden. 159 Die vollständige Schließung internationaler Meerengen, insbesondere unter Verwendung von Seeminen, steht indes in augenscheinlichem Widerspruch zu der Entscheidung des IGH im Korfu-Kanal-Fall vom 9. April 1949.160 In Anerkennung des von Griechenland behaupteten Kriegszustands zwischen Albanien und Griechenland hatte der Gerichtshof Albanien zwar das Recht zugestanden, die Durchfahrt von Kriegsschiffen bestimmten Beschränkungen zu unterwerfen. Diese dürften jedoch nicht dazu führen, "in prohibiting such
detroits sont restes en dehors les deliberations de Ia presente Conference et, tout en reservant expressement les declarations faites au sein du Comite par les Delegations des Etats-Unis d'Amerique, du Japon, de Ia Russie et de Ia Turquie, on indiquerait Ia conviction de voir appliquer sur les mines dont on pourrait se servir dans les detroits les conditions techniques adoptees par le present Reglement"; abgedruckt in: Th. Niemeyer, Urkundenbuch (Anm. 33), S. 757; ferner bei J.B. Scott (Anm. 154), S. 654. H.S. Levie, Conunentary on the 1907 Hague Convention VIII, in: N. Ronzittl, The Law ofNaval Warfare (Anm. 30), S. 140-148, 145 f., bemerkt dazu:"(...) there is no indication as to what the then existing law was actually considered to be respect to such mining." m Dazu wie auch zur Praxis des I. Weltkriegs vgl. die Nachweise bei H.S. Levie, Mine Warfare (Anm. 154), S. 65 ff., 77 ff. 138 So in den folgenden Bekanntmachungen der deutschen Regierung: 9. April 1940 über ein Minenwarngebiet im Skagerrak zwischen Lindesnes, Lodbjerg und Flekkeröy, Sandnäs Hage (OKM, Urkunden zum Seekriegsrecht (Anm. 5), Nr. 340); 3. September 1939 betreffend die Südeinfahrt des Sundes und des GToßen Betts (ebd., Nr. 345); 5. und 17. September 1939 betreffend den GToßen Bett (ebd., Nr. 346 und 348); 29. April betreffend das Kattegat (ebd., Nr. 354). Das Vereinigte Königreich hielt in der Straße von Dover (Reede von "The Downs") und für den Firth of Forth freie Passagen offen (vgl. die Mitteilung des dänischen Handelsministeriums vom 3. September 1939; ebd., Nr. 361). 139 So enthält die schwedische Verordnung Nr. 366 vom 3. Juni 1966 (U.N. ST/LEG/SER.B/15, 259) in der Fassung vom 17. Juni 1982 (Ordinance conceming Intervention by Swedish Defence Forces in the Event ofViolations ofSwedish Territory in Peacetime andin Neutrality; Swedish Code of Statutes 1982:756), in der die Rechte fremder Kriegsschiffe und Militärflugzeuge geregelt werden, eine ausdrückliche Beschränkung auf Situationen, in denen Schweden nicht Partei eines internationalen bewaffueten Konflikts ist Die daraus folgende Möglichkeit der vollständigen Schließung von Meerengen während eines Konflikts unter schwedischer Beteiligung ist nicht zwingend auf gegnerische Kriegsschiffe und Militärflugzeuge beschränkt 160 ICJ Rep. 1949, 4 ff.
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passage or in subjecting it to the requirements of special authorization" 161 . Auch die jüngere Staatenpraxis rechtfertigt die Annahme eines solchen Verbots. Zu Beginn des Golfkriegs mit dem Irak erklärte der Iran unter ausdrücklicher Anerkennung einer Rechtspflicht, der von seinem Küstenmeer umfaßte Teil der Straße von Hormuz162 werde der friedlichen Schiffahrt offenstehen.163 Als der Iran in der Folgezeit den von seinem Küstenmeer umfaßten Teil der Straße von Hormuz zur Kriegszone erklärte und fiir die internationale Schiffahrt sperrte, reagierte die Staatengemeinschaft angesichts der überragenden Bedeutung dieser Meerenge fiir den Ölhandel mit heftigen Protesten.164 Insbesondere die USA stellten sich auf den Standpunkt, auch während eines internationalen bewaffneten Konflikts bleibe das Recht auf Transitdurchfahrt in internationalen Meerengen bestehen. 165 Diese Stellungnahme impliziert, daß das in Art. 38 SRÜ 1982 niedergelegte Recht auf Transitdurchfahrt166 durch internationale Meerengen gewohnheitsrechtlich gilt und auch während eines bewaffneten Konflikts die Kriegführenden bindet. 167 Für die
Ebd., 29. Zu den Charakteristika der Straße von Honnuz und ihre überragende Bedeutung fiir den Weltölhandel vgl. S.S. Milan, Innocent Passage Through the Strait ofHonnuz, RHDI 1982, 247-254, 247f. 163 In einer iranischen Erklärung vom I. Oktober 1980 heißt es u.a., ,,in view of its international obligations [... ) Iranshall not hesitate in any effort to keep this waterway in full operation"; vgl. Ch. Rousseau, Chronique, RGDIP 85 (1981), 174; fernerSH. Amin, Marine Policy 6 (1982), 209 f. In dem nachfolgenden iranischen Schreiben an den ON-Sicherheitsrat heißt es: "As certain rumours have been spread concerning the Straits of Honnuz, which rnight disturb international navigation in that areas, the Ministry of Foreign Affairs of the Islarnic Republic of Iran reaffums that Iran is comrnitted to keeping the Straits open to navigation and will not spare any effort for the purpose of achieving this end"; U.N. Doc. S/14226 vom 22. Oktober 1980. 164 US Depl ofState Bull. Vol. 85 (May 1985), 46; 86 (August 1986), 71; 87 (April 1987), 52; 87 (June 1987), 70; 87 (July 1987), 59, 66; AFDI 27 (1981), 895; 33 (1987), 849; NYIL 13 (1982), 259. 165 Neben den vorstehenden Nachweisen vgl. auch das Antwortschreiben des USAußenrninisteriums auf den iranischen Protest gegen Maßnahmen der US-Marine im Persischen Golf in: AJIL 78 (1984), 884 f. Die entscheidende Passage lautet: "The procedures adopted by the United States are weil established and fully recognized in international practice on and over international waters and straits such as the Persian Gulf, Strait of Honnuz, and the Gulf of Oman. The United States has made clear they will be irnplemented in a manner that does not irnpede valid exercises of the freedom ofnavigation and overflight and ofthe right oftransit passage." 166 Gemäß Art. 38 Abs. 2 SRÜ 1982 bedeutet "Transitdurchfahrt" die "Ausübung der Freiheit der Schiffabri und des Überflugs lediglich zum Zwecke des ununterbrochenen und zügigen Transits durch die Meerenge zwischen einem Teil der Hohen See oder einer ausschließlichen Wirtschaftszone und einem anderen Teil der Hohen See oder einer ausschließlichen Wirtschaftszone." Eingehend zu diesem FragenkreisJ.N. Moore, The Regime ofStraits and the Third United Nations Conference on the Law ofthe Sea, AJIL 74 (1980), 77-121. 167 Demgegenüber hatte sich der Iran auf den Standpunkt gestellt, das Transitregime gehe noch nicht gewohnheitsrechtlich; U.N. Doc. S/20525 vom 15. März 1989. Bereits anläßlich der Unterzeichnung des SRÜ 1982 hatte der Iran klargestellt, daß die Bestimmungen über Meerengen lediglich die Vertragsparteien zu binden vermögen; U.N., Status UNCLOS (Anm. 31), S. 18. 161
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gewohnheitsrechtliche Geltung des uneinschränkbaren Transitrechts168 und des nicht aussetzbaren Rechts auf friedliche Durchfahrt in Meerengen i.S.d. Art. 38 Abs. l SRÜ 1982 spricht zunächst die Tatsache, daß bereits Art. 16 Abs. 4 ÜKM 1958 für internationale Meerengen ein Verbot der Suspendierung des Rechts auf friedliche Durchfahrt vorsah. Zudem ist zu berücksichtigen, daß dieses Recht insbesondere auf solche Meerengen Anwendung findet, die erst durch die Ausweitung der Küstenmeerbreite auf 12 sm der Hohen See und ihren Freiheiten entzogen wurden. 169 Ohne die Kompensation in Form des Transitrechts wäre auf der 3. Seerechtskonferenz eine Einigung über den Status internationaler Meerengen wahrscheinlich nicht erzielt worden. 170 Hinzu kommt, daß in dem Handbuch der amerikanischen Kriegsmarine im Zusammenhang mit dem Verminen internationaler Meerengen ausdrücklich festgestellt wird, das Recht auf Transitdurchfahrt dürfe nicht beeinträchtigt
168 In seiner Rede vom 5. Februar 1987 vor dem britischen Unterhaus erklärte der britische Außenminister u.a.: "[... ] it has been recognized in State practice, international negotiations and the case law ofthe International Court that a special nigime for navigation is appropriate in straits. (...] Intemationallaw and practice have now developed to the point where, ifthe United Kingdom extends to 12 rniles, we should afford to others the essential rights in some intemationally important straits for which there is no alternative route, namely, the Straits of Dover, the North Channel lying between Scotland and Northern Ireland and the passage between Shetland and Orkney. These rights, which are widely recognized as necessary, include: a right of unimpeded passage through such straits for merchant vessels and warships; a right of overflight; the right of submarines to pass through the straits submerged; and appropriate safeguards for the security and other interests of the coastal State."; Hansard, HL 5 February 1987, col. 382 (abgedruckt in: Law ofthe Sea Bulletin No. 10 (November 1987], S. II). In ihrer gemeinsamen Erklärung vom 2. November 1988 stellen die Regierungen Frankreichs und des Vereinigten Königreichs als allgemein anerkannt fest "[T]he existence of a specific nigime of navigation in straits." Insbesondere anerkennen sie ,,rights of unimpeded transit passage for merchant vessels, state vessels and, in particular, warships following their normal mode of navigation, as weil as the right of overflight for aircraft, in the Strait of Dover." (Law of the Sea Bulletin No. 14 [December 1989], 14). Im übrigen siehe LM. Alexander (Anm. 152), S. 98 f.; H.B. Robertson Jr., Passage of Ships Through International Straits: A Right Preserved in the Third United Nations Conference on the Law ofthe Sea, Virginia J.I.L. 20 (1980), 801-857. 169 Die Ausweitung des Küstenmeeres hat zur Folge, daß in 116 Fällen Seegebiete, in denen ursprünglich die Freiheiten der Hohen See galten, nunmehr als Meerengen angesehen werden müssen. Die Angaben über diese Zahl variieren freilich erheblich. Während D.P. O'Connell, Law ofthe Sea I (Anm. 9), S. 317, von "over 130" ausgeht, geben KL. Koh (Straits in International Navigation, London 1982, S. 27) und WM. Reisman (The Regime ofStraits and National Security: An Appraisal oflnternational Law Making, AJIL 74 (1980], 48-76, 59) eine Zahl von "over 116" an. 170 Im Verlauf der 3. Seerechtskonferenz bestand unter den Delegierten bereits sehr früh Einigkeit über ein nichtaussetzbares Durchfahrtsrecht durch internationale Meerengen. So erklärte beispielsweise die Delegation der Bundesrepublik Deutschland: ,,A prerequisite for the recognition of the coastal State's right to extend the territorial sea is the regime of transit passage through straits used for international navigation"; UNCLOS, Off. Rec. Vol. XIV, S. 157-160, 158. Vgl. ferner die Stellungnahmen im Second Comrnittee, ebd., Vol. 11, S. 123 ff. Lediglich gegenOber dem Überflugrecht bestanden lange Zeit Vorbehalte. So etwa seitens der Delegationen Spaniens (UNCLOS, Off. Rec. Vol. ll, S. 136 f.; XIV, S. 149 ff.; XVI, S. 243 f.), Dänemarks (Vol. 11, S. 124); Algeriens (ebd., S. 137 f.); Albaniens (ebd., S. 139); Kuwaits (ebd.); der VR Jemen (ebd., S. 142).
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werden. 171 Demgegenüber ist den Bestimmungen des deutschen Handbuchs zwar gleichfalls die Pflicht zu entnehmen, der neutralen Schiffahrt die Transitdurchfahrt offenzuhalten; diese steht aber unter dem Vorbehalt, daß "die militärischen Umstände dies gestatten". 172 Dieser Standpunkt wird augenscheinlich von Dänemark geteilt. 173 Folglich erlaubt die moderne Staatenpraxis lediglich die Schlußfolgerung, daß das Recht der friedlichen Schiffahrt, also neutraler Kriegs- wie auch Handelsschiffe174, auf Transitdurchfahrt (bzw. nicht aussetzbare friedliche Durchfahrt) in internationalen Meerengen der Konfliktparteien grundsätzlich aufrechtzuerhalten ist175, daß es aber unter bestimmten, bislang nicht eindeutig geklärten Voraussetzungen aufgehoben werden kann. 176 Zwar ist denkbar, daß neutrale Unterseeboote von dem Recht auf Transitdurchfahrt - im Gegensatz zu Friedenszeiten177 - nur in aufgetauchtem Zustand Gebrauch machen dürfen. Diese Einschränkung des Rechts auf Transitdurchfahrt für U-Boote rechtfertigte sich aus dem anerkennungswürdigen Interesse des kriegführenden Küstenstaates, über den Schiffsverkehr in seinem Küstenmeer möglichst genau informiert zu sein. Auch die Interessen der neutralen Flaggenstaaten würden nicht übermäßig beeinträchtigt, zumal die Identifikation von getauchten VBooten je nach Beschaffenheit der in Frage stehenden Gewässer immer noch beträchtliche technische Schwierigkeiten bereitet. 178 Weitere, darüber hinaus171 NWP 9, para. 9.2.3 Abs. 6 : "Naval mines may be employed to channelize neutral shipping, but not in a manner to impede the transit passage of international straits [... ]" Der Hinweis in Fn. 24 verdeutlicht, daß die USA von der gewohnheitsrechtliehen Geltung der Bestimmungen des SRÜ 1982 über internationale Meerengen ausgehen. 172
ZDV 15/2, Nr. 1042.
In einem Hintergrundpapier zur dänischen Minenkriegfilhrung vom Januar 1978 (Forudsretninger for dansk seminekrigsferelse, S. 111 5) wird festgestellt: "Relative to third parties, such minefields may be justified under the principles of internationallaw relating to self-defence." 174 1m Schrifttum wird z.T., wenngleich ohne Begründung und ohne entsprechend differenzierende Lösungsvorschläge, zwischen Kriegs- und Handelsschiffen unterschieden (so N. Ronzitti, Crisis [Anm. 150), S. 20 f.). m Vgl. NWP 9, para. 9.2.3; G. Hoog, EP1L 3, S. 284; N. Ronzitti, Passage (Anm. 150), S. 377. 173
176 So auch M. Bothe, Neutrality in Naval Warfare (Anm. 30), S. 403; N. Ronzitti, Crisis (Anm. 150), S. 26. 177 Die Art. 37 ff. SRÜ 1982 enthalten keine ausdrückliche Bezugnahme auf das Recht von VBooten, eine Meerenge im getauchten Zustand zu passieren. Indes ist nach Art. 39 Abs. 1 lil c) nur die Tätigkeit verboten, "die nicht mit ihrem normalen ununterbrochenen und zOgigen Transit zusammenhängt". Normalerweise reisen U-Boote aber in getauchtem Zustand, nicht zuletzt, weil sie im aufgetauchten Zustand geringere Geschwindigkeiten erzielen. Wie hier A. V. Lowe, The Commander's Handbock (Anm. 50), S. 122; WM. Reisman, AJIL 74 (1980), 62 fJ.; J.N. Moore, AJIL 74 (1980), 117 fJ. Ferner zur Entstehungsgeschichte und den strategischen lmplikationen R.J. Clove, Submarine Navigation in International Straits: A Legal Perspective, Naval Law Review XXXIX (1990), 103-116; W:T. Burke, Submerged Passage Through Straits, Wash.L.Rev. 52 (1977), 193-220; RJ. Grunawalt, United States Po1icy on International Straits, ODIL 18 (1987), 445-458. 178 Zu den technischen Aspekten der U-Boot-Ortung und -Bekämpfung vgl. HD. Jopp, Marine 2000, Baden-Baden 1989, S. 127 ff., 153 ff.
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gehende konkrete Schlußfolgerungen sind aber in Ermangelung einer aussagekräftigen Staatenpraxis nicht möglich. Der Charakter des maritimen Kriegsund Neutralitätsrechts als Notordnung schränkt die Möglichkeiten zur Aufhebung des Rechts auf Transitdurchfahrt jedoch erheblich ein, so daß von deren Zulässigkeit nur in besonders gelagerten, möglicherweise nur dem nationalen Notstand vergleichbaren Situationen ausgegangen werden kann. 179 Die vorstehenden Grundsätze sind auf das gemäß Art. 38 Abs. 1 SRÜ 1982 von der Transitdurchfahrt wnfaßte Überflugrecht nur eingeschränkt übertragbar.180 So fallt zunächst ins Auge, daß die in Bezug genommene Bestimmung des Handbuchs der US Navy lediglich ein Verbot des vollständigen Verminens internationaler Meerengen enthält181 , es im übrigen aber an einem ausdrücklichen Verbot der Schließung des Luftraums internationaler Meerengen fehlt. Zwar steht außer Frage, daß gegnerische Militärflugzeuge im Luftraum über internationalen Meerengen keinen besonderen Schutz genießen und daß gegnerische zivile Luftfahrzeuge abgefangen, zur Landung gezwungen und unter bestimmten Voraussetzungen beschlagnahmt werden können. 182 Darüber hinaus besteht Einigkeit darüber, daß zivile Luftfahrzeuge in den Luftraum über einer vom Küstenmeer des Gegners wnfaßten internationalen Meerenge grundsätzlich auf eigene Gefahr einfliegen. 183 Eine im übrigen uneingeschränkte Übertragung des friedensmäßigen Überflugrechts neutraler Luftfahrzeuge über internationalen Meerengen auf die Zeit eines bewaffneten Konflikts begegnet indes erheblichen praktischen Bedenken. Im Vergleich zu Schiffen bewegen sich Luftfahrzeuge bedeutend schneller vorwärts. Wie der
179 Wie hier K. Zemanek, Meerengen, in: WVR II, S. 494-495, 495. Baxter hatte bereits im Jahre 1954 festgestellt: .,There is some basis for concluding that a belligerent is under an obligation to provide passage, subject to reasonable measures of security and control such as compulsory pilotage and navigation by day, to neutral vessels and that it may completely block passage of a strait only as a last resort in the mosturgent and compelling of circumstances."; BYIL XXXI (1954), 204. Diese Schlußfolgerung bezog sich naturgemäß aber auf das Recht der friedlichen Durchfahrt, da das Transitrecht zur Zeit der Veröffentlichung noch nicht bekannt war. AA E. Rauch, Protocol Additional (Anm. 33), S. 45, der den Konfliktparteien lediglich das Recht zugesteht, die neutrale Schiffahrt ,,reasonable measures of security and control" zu unterwerfen. Zu dieser Schlußfolgerung gelangt Rauch indes nicht aufgrund einer entsprechenden Staatenpraxis, sondern allein aufgrund des Urteils des IGH im Korfu-Kanal-Fall. 180 Beachte, daß das Recht auf Überflug in Meerengen i.S.d. Art. 36 und 38 Abs. I SRÜ 1982, 1. Alt., nicht gilt. 181 NWP 9, para. 9.2.3 Abs. 3. 182 Vgl. allein Art. 34 und 49 der Haager Luftkriegsregeln von 1923, die, wenngleich sie niemals in Kraft getreten sind, insoweit geltendes Gewohnheitsrecht widerspiegeln. So u.a E. Spetzler, Luftkrieg und Menschlichkeit, Göttingen!Berlin!Frankfurt 1956, S. 156; F.A. v.d.Heydte, Luftkriegsregeln, Haager von 1923, in: WVR II, S. 441-442, 442. Differenzierend: R. Bierzanek, Commentary on the 1923 Hague Rules, in: N. Ronzitti (ed.), The Law ofNaval Warfare (Anm. 30), S. 396-408, 404 ff. 183 So auch N. Ronzitti, Crisis (Anm. 150), S. 25; ders., Passage (Anm. 150), S. 379 f.; Canadian Draft Manual, para. 1521. Eine andere, unten zu erörternde Frage ist, ob zivile Passagierflugzeuge einen besonders geschOtzten Status haben.
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sog. Vincennes-Zwischenfall während des Iran-Irak-Konflikts184 verdeutlicht, erlaubt die zur Verfügung stehende Reaktionszeit nur in seltenen Fällen eine hinreichend sichere Identifizierung, selbst wenn das betreffende Luftfahrzeug sich innerhalb eines vorbestimmten Lufkorridors befindet und mittels eines Transponders seinen nicht-gegnerischen Charakter übermittelt. Daher wird eine Konfliktpartei angesichts der damit verbundenen Bedrohungsperzeption schwerlich bereit sein, der friedlichen Luftfahrt das Recht auf Überflug über seine internationalen Meerengen zu gestatten. Gute Gründe sprechen somit dafur, daß das Recht auf Transitdurchfahrt während eines internationalen bewaffneten Konflikts für Luftfahrzeuge nicht gilt. Doch auch insoweit gibt die Staatenpraxis über den Stand des Rechts allenfalls indirekten Aufschluß. Wie die bereits in Bezug genommene schwedische Bekanntmachung Nr. 366 vom 3. Juni 1966185 zeigt, scheinen sich die Anliegerstaaten das Recht vorzubehalten, internationale Meerengen im bewaffneten Konflikt nicht nur für gegnerische militärische Luftfahrzeuge zu schließen. Läßt sich somit dem maritimen ius in bello kein ausdrückliches Verbot der vollständigen Sperrung internationaler Meerengen, die vom Küstenmeer der Konfliktparteien urnfaßt sind, entnehmen, verbleibt nur noch die ex-post-Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit nach Maßgabe des ius ad bellum, die indes mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist. 3. Durchfahrt aufArchipelschiffahrtswegen
In engem Zusammenhang mit dem soeben behandelten Problem steht die Frage nach partiellen Beschränkungen der Konfliktparteien in bezug auf die friedliche Schiffahrt in ihren Archipelgewässern. Zwar bleibt es ihnen unbenommen, in den Teilen, in denen lediglich das Recht auf friedliche Durchfahrt besteht, dieses auszusetzen186, etwas anderes gilt indes hinsichtlich des Rechts der Durchfahrt auf Archipelschiffahrtswegen. 187 Wenngleich sich naturgemäß zu diesem Fragenkreis noch keine Staatenpraxis herauszubilden vermochte, so spricht doch die Vergleichbarkeit dieses Rechts mit dem Recht auf Transitdurchfahrt für eine entsprechende Geltung der im Zusammenhang mit dem letztgenannten Recht gemachten Ausfiihrungen. 188 Somit sind auch die Parteien eines bewaffneten Konflikts grundsätzlich verpflichtet, der friedlichen 184 Zu den Einzelheiten vgl. den Bericht der ICAO vom 7. November 1988, ILM 28 (1989), 900 ff.; ferner N. Friedman, The Vincennes Incident, U.S.N.l.P. 115 (May 1989), 74-78; D. Evans, Vincennes- A Case Study, U.S.N.l.P. 119 (August 1993), 49-56.
U.N. ST/LEG/SER.B/15, 259. Vgl. auch Anm. 31. Vgl. die Nachweise in Anm. 169. 187 Gemäß Art. 53 Abs. 2 SRÜ 1982 genießen alle Schiffe und Luftfahrzeuge auf diesen Schiffahrtswegen und Flugstrecken das Durchfahrtsrecht 185
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188 So auch E. Rauch, Protocol Additional (Anm. 33), S. 53. Vgl. ferner NWP 9, para. 9.2.3 Abs. 6; ZDv 15/2, Nr. 1042.
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Schiffahrt die ungehinderte Durchfahrt und dem friedlichen Luftverkehr den freien Überflug in und über den Archipelschiffahrtswegen zu gewähren. Gleichwohl können die Bestimmungen des SRÜ 1982 nicht unbesehen auf den Seekrieg übertragen werden. Dieses Übereinkommen regelt ausdrücklich nur die friedensmäßigen Rechtsbeziehungen. Wie insbesondere die schwedische Erklärung anläßtich der Unterzeichnung verdeutlicht189, läßt das SRÜ 1982 das geltende Seekriegsrecht grundsätzlich unberührt. Die Übertragung der Pflicht zur Gewährung der Durchfahrt auf Archipelschiffahrtswegen auf die Konfliktparteien rechtfertigt sich aus der Erwägung, daß das maritime Kriegsund Neutralitätsrecht als Notordnung so wenig wie möglich die Rechte und Interessen der nicht am Konflikt beteiligten Staaten und ihrer Schiffahrt einzuschränken vermag. Indes sprechen auch insoweit gute Gründe fiir die Zulässigkeil der Aufhebung dieses Rechts durch die Konfliktparteien, wenn dies in Anbetracht überragender nationaler Sicherheitsinteressen die einzige Möglichkeit ist, einer akuten Gefährdung zu begegnen. Sobald diese Gefahr nicht mehr besteht, ist die Aufhebung rückgängig zu machen. Ob darüber hinaus weitere Möglichkeiten zur Aufhebung des Rechts der Durchfahrt auf Archipelschiffahrtswegen durch die Konfliktparteien bestehen, läßt sich in Ermangelung einer aussagekräftigen Staatenpraxis nicht feststellen, dürfte aber angesichts des Notrechtscharakters des maritimen Kriegs- und Neutralitätsrechts zu verneinen sein. ill Die Seegebiete jenseits der seewärtigen Grenze des Küstenmeeres
Während hinsichtlich der vorstehenden Grundsätze weitgehende Einigkeit zu verzeichnen ist, variieren die Auffassungen erheblich, sobald die Zulässigkeil von Seekriegsmaßnalunen jenseits des Küsteruneeres der Konfliktparteien und der nicht am Konflikt beteiligten Staaten in Frage steht. 1. Beschränkung auf die Küstengewtisser der Konfliktparteien?
Während der internationalen maritimen Konflikte der Nachkriegszeit haben die Konfliktparteien ihre Seekriegsmaßnalunen zum Teil auf ihre jeweiligen Küsternneergebiete oder zumindest auf die unmittelbar daran angrenzenden Seegebiete beschränkt. Im Verlaufe der insgesamt vier israelisch-arabischen Konflikte190 verzichteten die Konfliktparteien ausdrücklich auf Seekriegsmaßnalunen Vgl. den Nachweis in Anm. 31. Vgl. dazu die Darstellung des tatsächlichen Geschehens bei R. Ottma/ler, Anwendung von Seekriegsrecht (Anm. 41), S. 47 ff., 117 ff., 292 ff. 189
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jenseits der seewärtigen Grenze des eigenen bzw. des gegnerischen Küstenmeeres. So erklärte das Prisengericht in Alexandria am 10. Januar 1960 im Fall der lnge Toft: "The United Arab Republic does not ecxercise her rights of belligerency on the high seas, but Iimits herself to exercising them within the confines of her territory, ports and territorial waters."191 Insbesondere die Auseinandersetzungen nach der Versenkung des israelischen Zerstörers Ei/at vor Port Said am 21. Oktober 1967 verdeutlichen, daß die Konfliktparteien offenbar von einer Rechtspflicht ausgegangen waren, sich auf der Hohen See jeglicher Seekriegsmaßnahmen zu enthalten. Während nämlich die VAR betonte, die Ei/at habe sich im Zeitpunkt des Angriffs durch zwei von einem im Hafen von Port Said befindlichen Schnellboot ab~feuerten Lenkflugkörpern innerhalb des ägyptischen Küstenmeeres befunden1 , machte Israel geltend, sie habe eine routinemäßige Patrouillenfahrt in einer Entfernung von 14 sm von der Küste durchgeführt, sich also 2 sm jenseits der Küstenmeergrenze aufgehalten. 193 Auch während des Yom-Kippur-Krie~es (1973) wurden lediglich die Küstengewässer der Konfliktparteien 94, insbesondere die Hafeneinfahrten195, und die unmittelbar daran angrenzenden Seegebiete 196 zu Kampfzonen bzw. Minenwarngebieten erklärt. Diese räumlichen Beschränkungen wurden im Verlaufe des Konflikts auch weitgehend beachtet. 197 Ähnliche ausdrückliche räumliche Beschränkungen von Seekriegsmaßnahmen waren während des Fonnosa-Konflikts (1949-1954)198, des KoreaKrieges (1950-1953) 199 und während des Vietnam-Krieges (1964-1973)200 zu 191 ILR 31 (1960), 509 ff., 518. Vgl. ferner die Stellungnahme des Außenministers der VAR in seinem Schreiben vom 2. Juni 1967 an den Sicherheitsrat (U.N. Doc. Sn925), in dem die Maßnahmen der VAR in Beziehung zum Schutz der Souveranität und territorialen IntegriW gesetzt wurden. 191 Schreiben vom 22. Oktober 1967 an den UN-Sicherheitsrat, U.N. Doc. S/8205. Wahrend der Debatte vor dem Sicherheitsrat am 24. Oktober 1967 erklärte der Vertreter der V AR. die Eilat habe sich mit Kurs auf Port Said etwa 10 sm von der Küste entfernt aufgehalten; U.N. Doc. S/PV. 1369, 13
f[
193 Israel bezeichnete den Angriff als "an outrageous and menacing violation of the international law ofthe sea" sowie als "act of aggression committed on the high seas"; vgl. die Angaben bei D.P. O'Connell, BYIL XLIV (1970), 28 f. Während der Debatte vor dem Sicherheitsrat am 24. Oktober 1967 wies der israelische Vertreter daraufhin, daß zwischen dem ersten und dem zweiten Angriff eine Zeitspanne von etwa 1,5 Stunden vergangen sei. 194 Erklärung Ägyptens vom 6. Oktober 1973, Marine-Rundschau 1974, S. 46. 195 Marine-Rundschau 1974, 46 (Alexandria und syrische Häfen); R Ottmüller, Anwendung von Seekriegsrecht ( Arun 41 ), S. 293 Fn. 17 [ (libysche Häfen). 196 Vgl. die Nachweise beiR Ottmüller, Anwendung von Seekriegsrecht (Arun 41), S. 293 Fn. 10
f[
197 W. Jablonsky, Die Seekriegtbhrung im vierten Nahostkrieg. Marine-Rundschau 71 (1974), 645-665. 198 Dazu ausfUhrlichR Ottmüller, Anwendung von Seekriegsrecht (Arun 41), S. 63 f[ mw.N. 199 Während des Korea-Konflikts wurde zwar auch eine auf das nordkoreanische KOstenmeer beschränkte Blockade erklärt, Hauptaufgabe der internationalen Seestreitkrlfte waren aber das
15*
228
2. Kap., 2. Abschn..:Das allgemeine Seekriegsgebiet
verzeichnen. Die Konfliktparteien beschränkten sich grundsätzlich auf ihre jeweiligen Küstenmeergebiete. Maßnahmen jenseits des Küstenmeeres wurden in aller Regel nur innerhalb der Anschlußzone, d.h. bis zu 12 sm von den Basislinien, ergriffen. 201 Insbesondere die USA scheinen die Hohe See als sicheren Zufluchtsort für ihre Flugzeugträger im Golf von Tonkin vor gegnerischen Angriffen bzw. Gegenschlägen angesehen zu haben. 202 Diese Praxis hat insbesondere O'Connell zu folgender Hypothese veranlaßt "An hypothesis that might serve to minimize the threat to the peace which results from situations of limited hostilities would be that no belligerent acts are permitted on the high seas except in case of immediate and direct selfdefence. " 203 Es sei aber nochmals betont, daß O'Conne/1 die Geltung dieser Abfangen kleiner Fischerboote sowie das Verlegen und Räumen von Seeminen zur Sicherung von Landungsuntemehmen. Vgl. statt vieler M.W. Cagle/FA. Manson, The Sea War in Korea, Annapolis 19S7, S. 193 ff., 281 ff., 296 f. 200 Vgl. die Darstellungen bei DP. O'Connell, BYIL XLIV (1970), 30 ff.; R Ottmaller, Anwendung von Seekriegsrecht (Amn. 41), S. 219 ff. und RL. Schreadley, The Naval War in Vietnam 1950-1970, U.S.N.l.P. 97 (May 1971), 182-209. Ferner zu den anfanglieh ins Auge gefaßten Aufgaben der US Marine A. Harrigan, Die U.S. Siebente Flotte vor Vietnam, Marine-Rundschau 62 (196S), 312-320. 201 So wAhrend der "Operation Market Time", die sich Oberhaupt durch die BemOhungen SOdVietnams und der USA awu.eiclmete, als Rechtsgrundlage weniger das ius in bello denn das internationale öffentliche Seerecht heranzuziehen. Daher wurde gem dem Decree on Sea Surveillonce ofthe Republic o[Vietnam of April27, 196S (ILM 4 [1964], 461) nur das sOdvietnamesische 3-smKOstemneer zur Verteidigungszone erldiirt. Innerhalb der 12-sm-Anschlußzone waren "vessels within the contiguous zone suspected of preparing to aid in infringements of the customs, fiscal or innnigration regulations [...] subject to visit and search, and [...] subject to arrest and disposition". Der Angriff nordvietnamesischer Torpedoboote auf die U.S.S. Maddox, die im Golf von Tonkin außerhalb des KOstenmeeres operiert hatte, wurde seitens der USA demgemäß als Verstoß gegen die Freiheit der Hohen See gewertet; US Dept. ofState Bull. Vol. SI (1964), No. 1313. "Operation Sea Dragon" war giDzlich auf das nordvietnamesische 12-sm-KOstemneer begrenzt. Die USA rechtfertigten ihre Maßnalunen, vor allem das Verminen von Haiphong, unter Berufung auf rechtswidrige nordvietnamesische Angriffe mit dem Selbstverteidigungsrecht (AJIL S9 [196S], 632). Vgl. auch die Obersichtliche Darstellung bei F.B. Swayze, Traditional Principles of Blockade in Modem Practice: United States Mining of Internat and Territorial Waters of North Vietnam, JAG Journal 29 (1977), 143-173. 202 Nachdem im Golfvon Tonkin am 2. August 1964 der amerikanische Zerstörer U.S.S. Maddox von nordvietnamesischen Schnellbooten angegriffen worden waren, Obermittelte die US-Regierung Nordvietnam am 3. August folgenden Protest: "United States ships have traditionally operated freely on the high seas, in accordance with the rights guaranteed by international law to vessels of all nations. They will oonl.inue to do so and will take whatever measures are appropriate for their defence. The United States Govermnent expects that the authorities ofthe regime in North Viet-Nam will be under no misapprehension as to the grave consequences which would inevitably result from any further unprovoked offensive military action against United States forces"; US Dept. of State Bull. Vol. S 1 (August 24, 1964), No. 1313. Vgl. ferner die Stellungnahme des US Vertreters im U.N.-Sicherbeitsrat vom S. August 1964, A.JlL S9 (196S), 113. Nachdem der Kongress in der Gemeinsamen Resolution vom 10. August 1964 den Prlsidenten zur Ergreifung aller geeigneten Maßnahmen zur Unterbindung der völkerrechtswidrigen Angriffe auf der hohen See ennlchtigt hatte, begann "Operation Sea Dragon". Dazu DP. O'Connell, BYIL XUV (1970), 33 ff. 203 Ebd. 82. Siehe auch ebd., 26, wo O'Connell meint: "The experience of the past twenty years tends to verify the hypothesis that, except on occasions when the balance of deterrenoe which exists
B. Das allgemeine Seekrieg."~gebiet heute
229
Hypothese auf die "twilight situation which is neither peace nor war"204 beschränkt. Ebenso wie einige seinen Ansatz teilenden Völkerrechtle~5 sieht er den Rechtsgrund fiir eine räumliche Beschränkung der Konfliktparteien nicht im Seekriegsrecht, sondern im Recht der Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UN-Charta?06 Unabhängig von den fcegen die unmittelbare Anwendung des ius ad bellum bestehenden Bedenken °7 kann die These O'Conne/ls somit nicht dahin verstanden werden, als gelte auch nach Maßgabe des maritimen ius in bello eine räumliche Beschränkung auf die Küstengewässer der Konfli.ktpartien. Dies belegt insbesondere auch die Staatenpraxis in den anderen, von O'Conne/1 nicht berücksichtigten208, maritimen bewaffneten Konflikten internationalen Charakters.209
between the great Powers is threatened, as at the time of the Cuba Quarantine operation, hostilities not amounting to war must be confined to the territorial sea, or at least to the contiguous zone. The understanding appears to be that limited war must not escape beyond the territories of the contending parlies so as to threaten the delicate balance of international relatioos. Henoe it must not be carried into the high seas, wbere international interests are directly engaged." 204 Ebd., 24. 20' Ch. Greenwood, Self-Defence and the Conduct of International Anned Conflict, in: Y. Dtnstein (ed.), International Law at a Time of Perplexity. Essays in Honour of Shabtai Rosenne, Dordrecht/Boston!London 1989, S. 273-288, 276 ff.; R. Lagoni, Gewaltverbot, Seekriegsrecht und Schiffahrtsfreiheit im Golfkrieg, in: W. Farst/R. Herzog/D.C. Umbach (Hrsg.), Festscbrift filr Wolfgang Zeidler Bd. II, Berlin/New York, 1987, S. 1833-1867, 1843 ff.; und wohl auch U. Scheuner, Entwicklungen im Seekrieg."~reCht seit dem zweiten Weltkrieg, in: H.P. Jpsen!K.-H. Necker (Hrsg.), FSR. Städter, Harnburg 1979, S. 287-313,302. 206 BYIL XLIV (1970), 26 f.: "The juridical basis for this understanding seems tobe the legitimacy of the exercise of the right of self-Schiffe der Konfliktparteien Anwendung, die sich bei Ausbruch der Feindseligkeiten in neutralen Häfen und Reeden befmden. 266 Art. 14 des XIII. Haager Abkommens; NWP 9, para. 7.3.2.1; Canadian Draft Manual, para. 1513 Abs. 3; ZDv 15/2, Nr. 1127;E. Castren (Anm. 1), S. 521;E. Vanselow (Anm. 1), S. 226 f. 263
267
Art. 14 Abs. 2 des XIII. Haager Abkommens. Dazu gehören vor allem Lazarettschiffe. Dazu E.
Castren (Anm. I), S. 520. 268 So auch NWP 9, para, 7.3.2.1.
269 Art. 15 des XIII. Haager Abkommens; NWP 9, para. 7.3.2.1; Canadian Draft Manual, para. 1513 Abs. 3. 270 Diese Frist gilt auch, wenn zuvor ein gegnerisches Handelsschiff den neutralen Hafen verlassen hat.
552
4. Kap., l. Abschn.: Die zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen
der Reihenfolge des Einlaufens, es sei denn, daß der Aufenthalt des zuerst angekommenen Schiffes verlängert worden ist. 271 Während es den Kriegsschiffen der Konfliktparteien in neutralen Häfen und Reeden untersagt ist, ihre Besatzung zu ergänzen und ihre militärischen Vorräte und ihre Bewaffnung zu erneuern oder zu verstärken272, ist es ihnen grundsätzlich gestattet, dort Lebensmittel und Treibstoff aufzunehmen sowie Schäden auszubessern. 273 Indes sind die Einzelheiten keineswegs als geklärt anzusehen. Bereits hinsichtlich des Verbots der Ergänzung der Besatzung ist offen, welcher Personenkreis erfaßt sein soll. Der Wortlaut von Art. 18 des XIII. Haager Abkommens und der entsprechenden Bestimmungen der angeführten militärischen Handbücher legt eine extensive Auslegung nahe, so daß keine Personen an Bord genommen werden dürfen, die dort mit der Verrichtung von Aufgaben betraut werden, die im weitesten Sinne mit der Führung des Schiffes oder mit der Bedienung der Waffensysteme im Zusammenhang stehen. Soweit durch das Allbordnehmen dieser Personen die Kampfkraft des Schiffes erhöht bzw. auf den Stand gebracht wird, der vor einem gegnerischen Angriff bestand, rechtfertigen auch Sinn und Zweck dieses Verbots eine weite Auslegung des Begriffs "Besatzung". Nicht verhindert werden soll durch dieses Verbot aber die Ergänzung der Besatzung zum Zwecke der Wiederherstellung der Seetauglichkeit Daher ist es nicht als Neutralitätsverletzung anzusehen, wenn so viele Personen insbesondere des technischen Personals an Bord genommen werden, die aus Gründen der navigatorischen Sicherheit für ein Auslaufen und Weiterfahren des Schiffes unerläßlich sind. 274 Dieses Ergebnis, das im Schriftturn keineswegs unumstritten ist275, rechtfertigt sich 271 Art. 16 des XIII. Haager Abkommens; NWP 9, para. 7.3.2.I; Canadian Draft Manual, para. 1513 Abs. 3; ZDv I5/2, Nr. 1135; E. Castren (Arun. 1), S. 522 f. Zu der praktischen Umsetzung dieser und der vorstehenden Bestimmungen und ihren möglichen Mißbrauch sei auf den Fall der Graf Spee verwiesen. Dazu D.P. O'Connell, A Cause Celebre in the Law of Maritime Neutrality: Hague Convention No. XIII, in: H. Kipp/F. Mayer!A. Steinkamm (Hrsg.), Um Recht und Freiheil Festschrift filr FA. v.dHeydte, Berlin 1977, S. 437-447; ders., Influence (Arun. 76), S. 27-39;A. Berg, The GrafSpee, in: EPIL 3, S. 200-201; R. Bauer, GrafSpeeFall, in: WVR I, S. 701-702; F. Sadikoglu (Anm 261), S. 113 lf. Vgl. ferner die Korrespondenz und die Noten in: OKM, Urkunden zum Seekriegsrecht (Arun. 59), Nr. 462-478. Zur Staatenpraxis bis zum Ende des I. Weltkriegs vgl. E. Vanselow(Arun. 1), S. 229 f. 272 Art. 18 des XIII. Haager Abkommens; NWP 9, para. 7 .3.2.2; Canadian Draft Manual, para. 1513 Abs. 4; ZDv 15/2, Nr. 1129;E. Castren (Arun. 1), S. 523; R.W. Tucker(Anm 1}, S. 243.
273 F. Scholz, Die Kohlenversorgung feindlicher Kriegsschiffe in neutralen Gewässern, AöR 1905, 157-172, 1641f.; M. Peydiere, Du sejour et des droits des navires de guerre belligerants dans les eaux neutres en temps de guerre (Arun. 57), S. 261f.; ferner die vorstehenden Nachweise. Zur Abgrenzung dieser Rechte zu dem Verbot, neutrale Kostengewässer zu einem StOtzpunkt filr Seekriegsunternehmungen zu machen, vgl. R.W. Tucker (Anm. 1}, S. 243.
So auch Oppenheim!Lauterpacht (Anm 5}, S. 706; C.J. Colombos (Anm 1), § 736. Ablehnend insbesondere E. Castren (Anrn. 1}, S. 523, der auf die vergleichbaren Bestimmungen der nordischen Neutralitätsregeln verweist und lediglich das Recht zuzugestehen bereit ist, im Bedarfsfall einen Ant an Bord zu nehmen. 214
m
B. Rechtsbeziehungen zwischen Neutralen und Konfliktparteien
553
nicht lediglich aus teleologischen Erwägungen, sondern wird indirekt auch durch einen Vergleich mit den Vorschriften über Reparaturen bestätigt. Während innerhalb neutraler Häfen und Reeden soviel Lebensmittel aufgenommen werden dürfen, um die Vorräte auf den regelmäßigen Friedensbestand zu ergänzen276, hält Art. 19 Abs. 2 des XIII. Raager Abkommens für die Einnahme von Treibstoff ("Feuerungsmaterial") zwei Standards vor. Letztlich bleibt es daher dem neutralen Küstenstaat überlassen, nach Maßgabe des Grundsatzes der Unparteilichkeit und unter Achtung des Verbots des Art. 5 zu bestimmen, wieviel Treibstoff Kriegsschiffe aufzunehmen berechtigt sein sollen. 277 Insbesondere während des II. Weltkriegs gestanden die Neutralen aber nur die Aufnahme von soviel Treibstoff zu, die zum Erreichen des nächstgelegenen Heimathafens erforderlich war. 278 Dieser Standard findet sich heute auch im kanadischen sowie im deutschen Handbuch279 und dürfte aufgrund der mit einem anderen Standard einhergehenden Mißbrauchsmöglichkeiten280 zu einem Sachgerechteren Interessenausgleich fuhren. Wenn die Kriegsschiffe den Treibstoff erst 24 Stunden nach ihrer Ankunft erhalten, verlängert sich die Aufenthaltsdauer um weitere 24 Stunden. 281 Die Offenheit der Bestimmungen von Art. 17 des XIII. Raager Abkommens betreffend das zulässige Ausmaß von Reparaturen ist besonders deutlich im Fall der GrafSpee zu Tage getreten. 282 Gleichwohl haben sich seit dem Jahre 1907 keine Standards herauszubilden vermocht, die eine Handhabung dieser 276 Art. 19 Abs. 1 des XIII. Haager Abkommens; Canadian Draft Manual, para. 1513 Abs. 4; ZDv 15/2, Nr. 1130. Demgegenüber waren auf der II. Haager Friedenskonferenz das Vereinigte Königreich, Japan und Spanien zunächst filr eine Beschränkung auf so viele Vorräte eingetreten, die zum Erreichen des nächstgelegenen Heimathafens notwendig sind. Vgl. die entsprechenden Vorschläge bei Th. Niemeyer, Urkundenbuch (Anm. 11), S. 918 tf. (Annexe 44), 922 f. (Annexe 46), 923 f. (Annexe 47); ferner H. Wehberg, Seekriegsrecht (Anm 51), S. 429 ff.;E. Vanselow (Anm. 1), S. 234 ff. 277 Wie hier J.H.W. Verzijl, Vol. X (Anm. 52), S. 176; RW. Tucker (Anm. 1), S. 243; Ch. Rousseau (Anm. 1), S. 427; NWP 9, para. 7.3.2.2. Zu beachten bleibt freilich Art. 20 des XIII. Haager Abkommens, wonach "Kriegsschiffe[... ], die in dem Hafen einer neutralen Macht Feuerungsmaterial eingenommen haben, [... ] ihren Vorrat in einem Hafen derselben Macht erst nach drei Monaten erneuern" dQrfen. So auch ZDv 15/2, Nr. 1131; Canadian Draft Manual, para. 1513 Abs. 4 Anm 2. Vgl. ferner CJ. Colombos (Anm. 1), § 737; MM. Whiteman, Digest 11 (Anm 46), S. 282 ff., insbesondere die Entscheidung im Fall der Attilio Regolo und anderer Schiffe, ebd., S. 285-288.
Dazu RW. Tucker (Anm. 1), S. 244 einschließlich FIL 99; E. Castren (Anm. 1), S. 525 f. Canadian Draft Manual, para. 1513 Abs. 4; ZDv 15/2, Nr. 1131. 280 Angesichts der größeren Reichweite und Unabhängigkeit moderner Kriegsschiffe trifit die Einschätzung]. Stones aus dem Jahre 1956 (Anm. 16, S. 396) daher heute erst recht zu: "lbis rule would seem to contemplate primarily the short distances ofOld World naval warfare, and is open now to great abuses." 278 279
181
Art. 19 des XIII. Haager Abkommens.
Dazu D.P. O'Connell, A Cause Celebre (Anm. 271), S. 437-447; R. Bauer, GrafSpee-Fall, in: WVR I, S. 701-702;A. Berg, in: EPIL3, S. 200 f.;J. Mirwart, Guerre maritime: Sejourd'unnavire de guerre belligerant dans un port neutre. Incident du "Graf von Spee", Revue de Droit International et de Ugislation Comparee 66 (1939), 823-830. l8l
554
4. Kap., 1. Abschn.: Die zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen
Vorschrift erleichtern würden?83 Fest steht indes, daß die Ursache der Schäden, die es auszubessern gilt, unberücksichtigt bleiben kann. 284 Demgemäß ist es zulässig, auch den Gefechtsschaden zu reparieren, wenn der neutrale Küstenstaat keine anderweitigen Regelungen trifit 285 Diesem bleibt es zudem überlassen zu bestimmen, welche Reparaturen und welche die üblichen 24 Stunden überschreitende Zeit zur Wiederherstellung der Seetauglichkeit unerläßlich sind. Das dem neutralen Küstenstaat insoweit eröffnete Ermessen ist sehr weit, jedoch dürfen die Reparaturen in keinem Fall der Erhöhung der Kampfkraft dienen, so daß die Waffensysteme von den Reparaturen ausgespart bleiben müssen. 286 Im übrigen ist die Abgrenzung zwischen einer Wiederherstellung der Seetauglichkeit und einer Erhöhung der Kampfkraft äußerst problematisch.287 Der neutrale Küstenstaat wird daher in Ermangelung allgemein anerkannter und konkreter Kriterien in jedem Einzelfall seine Entscheidung auch unter Berücksichtigung der widerstreitenden Interessen der Konfliktparteien treffen müssen. Unbedingt zu vermeiden ist aber eine einseitige Bevorzugung bzw. Benachteiligung einer KonfliktparteL Schwächere neutrale Staaten sind daher gut beraten, die Reparatur von Kriegsschiffen während eines internationalen bewaffneten Konflikts zur See gänzlich zu verbieten. 288
283
Zur Ausbesserung von Schäden vgl. die Nachweise bei MM. Whiteman, Digest 11 (Arun 46),
S. 278 ff.
284 RW Tueleer (Anm 1), S. 244 f.; CJ. Colombos (Anm. 1), §§ 732, 735; Ch. Rousseau (Anm. 1), S. 424 f. Demgegenüber war in Art. 19 des britischen Vorschlags fiir die II. Haager
Friedenskonferenz vorgesehen, den Gefechtsschaden auszunehmen; vgl. die Nachweise bei Th. Niemeyer, Urkundenbuch (Anrn. 11 ), S. 920 (Annexe 44). 285 So ausdrtlcklich NWP 9, para. 7.3.2.2 Arun 47. Das kanadische (Canadian Draft Manual, para. 1513, Abs. 3) und das deutsche Handbuch (ZDv 15/2, Nr. 1128) beziehen sich lediglich auf "Schäden", ohne daß zwischen Gefechtsschäden und anderen unterschieden wird. Demgegenüber war in Art. 9 der Havanna Konvention von 1928 wie auch in Art. 34 und 36 des Harvard Draft von 1939 vorgesehen, daß der Gefechtsschaden in neutralen Häfen und Reeden nicht ausgebessert werden durfte. Zu diesem Problemkreis vgl. auch die Nachweise bei MM. Whiteman, Digest 11 (Arun 46), S. 279 ff. 286 Art. 17 des XIII. Haager Abkommens; NWP 9, para. 7.3.2.2; ZDv 15/2, Nr. 1128; Oppenheim!Lauterpacht (Anm. 5), S. 709; CJ. Colombos (Anm. 1), § 732; R.W Tucker (Anm. 1), S. 244 f.; C.C. Hyde (Anm. 57), S. 2269. Vgl. fernerE. de Vattel, Le droit des gens (Arun 33), Buch III, § 132, der meint, die Neutralen dürften flüchtenden Feinden keine Zuflucht gewähren, damit sie ihre Kampfkraft wiederherstellen. 287 C.C. Hyde (Anm. 57), S. 2269, bemerkt zu Recht: "In a strict sense, any repairs productive of seaworthiness, irrespective of the cause of damage, necessarily increase the fighting force of the recipient if it is otherwise capable of engaging in hostilities." Siehe aber auch J.L. Kunz, Kriegsrecht und Neutralitätsrecht (Anrn. 38), S. 249 ff. H. Wehberg (Seekriegsrecht [Anrn. 51], S. 428 f.) meint, es mache nichts aus, "ob indirekt eine Erhöhung der Gefechtskraft durch die Reparatur erreicht wird." 288 So etwa Art. 9 Abs. 7 und 8 des jugoslawischen Gesetzes vom 23. Juli 1987 (oben Anrn. 257).
B. Rechtsbeziehungen zwischen Neutralen und Konfliktparteien
555
b) Prisen Die Prisen der Konfliktparteien dürfen zwar neutrale Küstengewässer durchfahren, sie dürfen grundsätzlich aber nicht in einen neutralen Hafen eingebracht werden. 289 Eine Ausnahme gilt nur fiir die Fälle der Seeuntüchtigkeit, ungünstiger See sowie des Mangels an Treibstoff. 290 Sie müssen den neutralen Hafen verlassen, sobald die Ursachen, die das Einlaufen rechtfertigten, wegfallen. Unter Berufung auf die Fälle der Appam291 und der City of Flinr92 wird im Schrifttum die gewohnheitsrechtliche Geltung von Art. 23 des XIII. Haager Abkommens bestritten.293 Danach ist ein neutraler Staat berechtigt, Prisen den Aufenthalt in seinen Häfen und Reeden zu gestatten, wo sie bis der Entscheidung eines Prisengerichts verbleiben können. In der Tat trifft es zu, daß während der beiden Weltkriege die Mehrzahl der neutralen Staaten die Einfahrt von Prisen zu dem vorgenannten Zweck verboten haben. 294 Hinzu kommt, daß während der II. Haager Friedenskonferenz das Vereinigte Königreich sowie Japan Art. 23 abgelehnt hatten.295 Gleichwohl kann nicht davon ausgegangen werden, Art. 23 des XIII. Haager Abkommens sei durch ein entgegenstehendes gewohnheitsrechtliches Verbot beseitigt worden. 296 Darüber hinaus ist zu beachten, daß die Alternative zum Einbringen in einen neutralen Hafen häufig die Zerstörung der Prise ist, wenn es aus militärischen und/oder navigatorischen Gründen unmöglich ist, sie in einen Hafen der nehmenden Konfliktpartei zu verbringen. Kann die Zerstörung aber durch Einbringen in einen neutralen Hafen verhindert werden, so ist allein der daraus resultierende Vorteil fur den Nehmenden nicht geeignet, gegenüber dem neutralen Küstenstaat den Vorwurf der einseitigen Unterstützung zu erheben. Grundsätzlich bleiben neutrale Küstenstaaten daher nach Maßgabe des Grundsatzes der Unparteilichkeit berechtigt, Prisen der Konfliktparteien den Aufenthalt in ihren Häfen und Reeden bis zur Entscheidung des zuständigen Prisengerichts zu gestatten.
289 Zur Praxis während des 17. und 18. Jahrhunderts vgl. die Nachweise beiJH.W. Verzijl, Vol. X (Anm. 52), S. 76 ff.; H. Wehberg, Seekriegsrecht (Anm 51), S. 440 ff. 290 Art. 21 des Xlll. Haager Abkonunens; NWP 9, para. 7 .3.2.3; Canadian Draft ManuaL para. 1512; ZDv 15/2, Nr. 1133; CJ . Colombos (Anm. 1), §. 742; RW. Tucker (Anm. 1), S. 246. 291 DazuR. Bauer, Appam-Fall, in: WVR I, S. 75-76 mw.N. 292 Dazu/. vManch, City of Flint-Fall, in: WVR I, S. 287-288; ders., The City of Flint, in: EPIL 3, S. 85-86; J. Mirwart, Guerre maritime: Admission de prises dans un port neutre: "The City of Flint", Revue de Droit International et de Ugislation Comparee 66 (1939), 830-835; MM. Whiteman, Digest II (Anm 46), S. 295 ff.,jeweils mw.N. 293 So etwa durchRW. Tucker (Anm. 1), S. 246; CJ. Colombos (Anm. 1), § 742; Ch. Rousseau (Anm 1), S. 415; und die Konunentatoren des HarvardDraft von 1939, AJIL 33 (1939), Suppl., 448.
Dazu die Nachweise bei MM. Whiteman, Digest 11 (Anm. 46), S. 293 ff. m Vgl. Th. Niemeyer, Urkundenbuch (Anm. 11), S. 915.
294
296
EbensoRW. Tucker(Anm. 1), S. 246 f.;E. Castren (Anm. 1), S. 530 f.
556
4. Kap., 1. Absclm.: Die zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen
c) Handelsschiffe der Konfliktparteien, die die Seestreitkräfte unterstützen Handelsschiffe wurden und werden häufig zur Unterstützung der Seestreitkräfte herangezogen, ohne daß sie fönnlich in diese eingegliedert werden. So wurde den britischen Behörden während des Falkland-Konflikts durch die Order in Council vom 4. April 1982 (Requisitioning of S~s Order 1982i97 das Recht eröffnet, jedes britische Sch.iff98 zu requirieren. 2 Im Zeitraum vom 3. April bis 14 Juni 1982 wurden insgesamt 49 britische Handelsund Passagierschiffe zur Unterstützung der britischen See- und Luftstreitkräfte herangezogen. 300 Sie erhielten nicht die äußeren Kennzeichen der Royal Navy; sie unterstanden nicht dem Kommando eines im Staatsdienst stehenden Offiziers, dessen Name in der Rangliste der Seestreitkräfte enthalten war. Zwar wurde ihnen Marinepersonal zugeordnet, deren Angehörige sollten aber hauptsächlich die Kapitäne und Mannschaften z.B. bei der Behandlung der Harrier-Flugzeuge beraten301 , so daß es sich bei den requirierten Schiffen nicht um Kriegsschiffe handelte?02 Auch die britische Hilfsflotte (Royal Auxiliary Fleet, RFA) "is essentially a civilian-manned fleet dedicated to the support of the Royal Navy at sea. Though quite distinct from the merchant service, it is nevertheless crewed by certificated Merchant Navy officers and men and administered by the Royal Navy Supply and Transport Service (RNSTS) which is itself a civilian staffed organisation within the Ministry of Defence." 303
297
8.
Abgedruckt bei R. Villar, Merchant Ships at War. The Falk.lands Experience, London 1984, S.
298 Abs. 5 defmiert den Begriff "britisches Schiff' als "a ship registered in the United Kingdom or any of the following countries - (a) the lsle of Man; (b) any of the Channel Islands; (c) any colony; (d) any country outside Her Majesty's dominions in which Her Majesty has jurisdiction in right of the Government ofthe United Kingdom." 299 Abs. 2: ,,A Secretary of State or the Minister of Transport (hereinafter referred to as 'the Minister) or the Lords Commissioners ofthe Admiralty may requisition for Her Majesty's service any British ship and anything on board such ship wherever the ship may be." 300 Sog. ,,ships taken up from Irade" (STUFT). Vgl. die Zusammenstellung bei R. Vii/ar, Merchant Ships at War (Arun. 297), S. 171-183. 301 R. Villar, Merchant Ships at War (Anm. 297), S. 14. AufS. 18 fiihrt Vii/ar weiter aus: "A Department ofTrade Sea Transport Officer was also appointed to each ship from the moment ofher being taken up in order to assist the Master in working with government agencies and the military, and to draw a balance between rnilitary necessity and sound rnerchant shipping practioe." 302 S. Lyons, Commentary No. 13, in: W. Heintschel v. Heinegg (ed.), Methods and Means of Combat in Naval Warfare, Bochum 1992, S. 119-122, 121 f. 303 R. Villar, Merchant Ships at War (Arun. 297), S. 145.
B. Rechtsbeziehungen zwischen Neutralen und Konfliktparteien
557
Auch bei den Hilfsschiffen der Bundesmarine handelt es sich um Schiffe mit ziviler Besatzung, die im Eigentum des Bundes stehen oder von ihm verwendet werden und die Hilfsaufgaben für die Seestreitkräfte ausführen, ohne Kriegsschiffe zu sein. 304 Diese Hilfsschiffe erfilllen mithin wichtige Aufgaben. Ohne sie wäre der Einsatz der Seestreitkräfte in vielen Fällen zumindest in Frage gestellt, wenn nicht gar ausgeschlossen. Daher wurden sie während der beiden Weltkriege von neutralen Küstenstaaten häufig auch den Kriegsschiffen der Konfliktparteien gleichgestellt und hinsichtlich der Einfahrt in ihre Häfen und Reeden den gleichen Beschränkungen unterworfen. 305 Während in den im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehenden militärischen Handbüchern der USA, Kanadas und der Bundesrepublik Deutschland auf die Rechtsstellung von Hilfsschiffen in neutralen Häfen und Reeden nicht eingegangen wird, treten diejenigen Völkerrechtler, die sich überhaupt dieses Problems annehmen, fur eine zwingende Gleichstellung dieser Schiffe mit den Kriegsschiffen der Konfliktparteien ein. 306 Für diese Auffassung spricht auf den ersten Blick das Verbot, neutrale Küstengewässer, Häfen und Reeden zu einem Stützpunkt für Seekriegsunternehmungen zu machen (Art. 5 des XIII. Haager Abkommens). Indes darf nicht außer Betracht bleiben, daß diese in aller Regel unbewaffneten Schiffe eben nur Hilfsaufgaben wahrnehmen und insbesondere nicht berechtigt sind, Seekriegsmaßnahmen zu ergreifen. Eine Gleichstellung mit den Kriegsschiffen der Konfliktparteien ist daher keineswegs zwingend. Vertretbar erscheint es allenfalls, den neutralen Küstenstaaten das Recht, nicht aber die Pflicht, zuzugestehen, in ihren Häfen und Reeden die Hilfsschiffe den gleichen Beschränkungen wie Kriegsschiffe zu unterwerfen. 307
m
Pflichten der neutralen Küstenstaaten bei Neutralitätsverletzungen durch die Konfliktparteien. Rechte der benachteiligten Konfliktpartei
Es ist im Grundsatz unbestritten, daß den neutralen Küstenstaat nach Maßgabe des XIII. Haager Abkommens und des entsprechenden Gewohnheitsrechts im Falle der Verletzung seiner Neutralität durch eine Konfliktpartei eine Reihe von Pflichten treffen. Auch wenn der neutrale Küstenstaat durch
304 ZDv 15/2, Nr. 1006. Beachte aber, daß gemäߧ 5 Abs. 2 Nr. 4 BLG See-, Binnenschiffe und Seefischereifahneuge nicht zu den Leistungen gehören, die angefordert werden dürfen. Zur Rechtsstellung der Hilfsschiffe vgl. insbesondere H.G. Helm, Die rechtliche Stellung der Troßschiffe einer Kriegsmarine, Marine-Rundschau 54 (1957), 152-156. 30' Vgl. die Nachweise beiMM. Whiteman, Digest 11 (Arun. 46), S. 299 ff. 306 R. W Tucker (Arun. l ), S. 248 f.; Oppenheim!Lauterpacht (Arun. 5), S. 705 f., FIL 4. 307 So wohl auchA.V. Lowe, Syracuse J.Int'I.L.&Com. 14 (1988), 668.
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4. Kap., 1. Abschn.: Die zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen
das Recht der maritimen Neutralität wie auch durch das dieses verstärkende Gewaltverbot einen vergleichsweise umfassenden Schutz genießt, ist es angesichts des Fehlens eines effektiven zentralen Durchsetzungsmechanismus erforderlich und auch zumutbar, daß er aktiv zum Schutz seines neutralen Status beiträgt. Der Umfang dieser Pflichten wie auch die Rechtsfolgen ihrer Verletzung sind indes bei weitem noch nicht als geklärt anzusehen. Gemäß der Generalklausel des Art. 25 des XIII. Haager Abkommens ist "eine neutrale Macht [... ] verpflichtet, nach Maßgabe der ihr zur Verfügung stehenden Mittel die erforderliche Aufsicht auszuüben, um innerhalb ihrer Häfen, Reeden und Gewässer jede Verletzung der vorstehenden Bestimmungen zu verhindem."308 Diese Verpflichtung trifft die neutralen Küstenstaaten insbesondere im Hinblick auf Neutralitätsverletzungen durch die Konfliktparteien. 309 Das XIII. Haager Abkommen wie auch die entsprechenden gewohnheitsrechtliehen bzw. ungeschriebenen Normen geben indes nur wenige konkrete Anhaltspunkte hinsichtlich dessen, was ein Neutraler zu unternehmen hat. So muß er gemäß Art. 3 des XIII. Haager Abkommens "die ihm zur Verfügung stehenden Mittel" anwenden, um eine Prise, die innerhalb seiner Küstengewässer aufgebracht worden ist, zu befreien und das Prisenkommando zu internieren, solange die Prise sich noch in seinem Hoheitsbereich befindet.310 Die gleichen Pflichten treffen ihn, wenn eine Prise in seine Häfen oder Reeden eingebracht worden ist, ohne daß dies wegen Seeuntüchtigkeit, ungünstiger See oder Mangels an Treibstoff erforderlich war, oder wenn sie triebt ausläuft, sobald die das Einlaufen rechtfertigenden Ursachen weggefallen sind. 311 Kriegsschiffe einer Konfliktpartei, die sich unberechtigt in einem
308 So auch ZDv 15/2, Nr. 1136; ferner Art. 8 des Harvard Draft (Rights and Duties ofNeutral States in Naval and Aerial War; AJIL 33 [1939) Suppt. 167-203): "A neutral State shall use the means at its disposal to prevent the commission within its territory by a belligerent of any act of hostility, including visit, search or capture." 309 Auch Cornelius van Bynkershoek (Quaestionum juris publici libri duo, Leyden 1737, Liber I, Cap. VIII) befaßte sich mit diesem Problem Im Falle einer ,,Neutralit!tsverletzung'' durch eine der Konfliktparteien sei der neutrale Herrscher zur Wiederherstellung der völkerrechtsgernaßen Lage verpflichtet und müsse auch die Kosten dafllr tragen. Sei es die Pflicht dieses Herrschers, alles ilun Mögliche zu unternehmen, das vollständig zu ersetzen, was weggenommen wurde, müsse er unter Umständen gar zum Krieg schreiten, wenn ilun keine anderen Mittel verblieben. Bynkershoek fllhrt fort: ,,Est hoc jus, quod inter onmnes peraeque Gentes custoditur, & ejus non alia mtion est, quam quod vim inferre non liceat in alieno territorio, & quod in Principis territorio quoque sint portus, finus, fluvii." 310 Canadian Draft Manual, para 1509 Abs. 2; ZDv 15/2, Nr. 1121; NWP 9, para 7.3.2.3; E. Castren (Anm. 1), S. 496; J. K(Jp[er, Neutralität im Wandel (Anm. 5), S. 77. Befmdet sich die Prise bereits außerhalb des neutralen KQstenmeeres, so kann der KOstenstaat ihre Herausgabe verlangen, ist dazu aber nicht verpflichtet In Betracht kommt auch ein Recht, nicht indes eine Pflicht, auf Nacheile. Dazu CJ. Cowmbos (Anm. 1), § 712; E. Castren (Anm. 1), S. 496; D. Schind/er, Commentary
(Anm. 33), s. 218.
B. Rechtsbeziehungen zwischen Neutralen und Konfliktparteien
559
neutralen Hafen aufhalten, sind zum Verlassen aufzufordern und, wenn diese der Aufforderung nicht Folge leisten, zu internieren.312 Militärische Luftfahrzeuge, die - gleichviel aus welchem Grunde - in den neutralen Luftraum einfliegen, sind notfalls zur Landung zu zwingen und gleichfalls zu internieren.313 Ausnahmen gelten insoweit nur für Sanitätsluftfahrzeuge. 314 Wenngleich sowohl die Prisen als auch die Kriegsschiffe und militärischen Luftfahrzeuge der Konfliktparteien in den vorgenannten Fällen verpflichtet sind, den Aufforderungen Folge zu leisten und die Internierung zu dulden315, ist es durchaus denkbar, daß sie dem nicht entsprechen werden. Der neutrale Küstenstaat hat dann, wie auch in dem Fall, daß die Schiffe und Flugzeuge einer Konfliktpartei die Küstengewässer bzw. den Luftraum als Stützpunkt für Seekriegsunternehmungen mißbrauchen oder dort Seekriegsmaßnahmen ergreifen, die "ihm zur Verfügung stehenden Mittel" zu ergreifen, um den Verletzungen seiner Neutralität ein Ende zu setzen. 316 Wie bereits Wortlaut und Entstehungsgeschichte des XIII. Haager Abkommens verdeutlichen, handelt es sich hier nicht um eine Erfolgshaftung des neutralen Küstenstaa-
m Art. 21 Abs. 2 und 22 des XIII. Haager Abkommens; NWP 9, para. 7.3.2.3; ZDv 15/2, Nr. 1134; Canadian Draft Manual, para. 1512; D. Schind/er, Commentary (Arun. 33), S. 219; Oppenheim!Lauterpacht (Arun. 5), S. 730. 312 Art. 24 des XIII. Haager Abkommens; ZDv 15/2, Nr. 1132; Canadian Draft Manual, para. 1513 Abs. 5; NWP 9, para. 7.3.2.1; CJ. Colombos (Arun. 1), § 746; Oppenheim!Lauterpacht (Arun. 5), S. 730 [; D. Schind/er, Commentary (Arun. 33), S. 218 [;jeweils m.w.N. 313 ZDv 15/2, Nr. 1151; NWP 9, paras. 7.3.7 und 7.3.7.1. Der entscheidende Unterschied zu Kriegsschiffen, die in einen neutralen Hafen etwa wegen Seeuntüchtigkeil einlaufen, liegt darin, daß militärische Luftfahrzeuge in jedem Fall zu internieren sind. Vgl. dazu E. Castren (Arun. 1), S. 589; JM. Spaight (Arun. 61), S. 420 ff. ; R.W. Tucker (Arun. 1), S. 251 [ Nachdem während des Irak-Kuwait-Konflikts eine größere Anzahl militärischer Luftfahrzeuge des Irak in den Iran verlegt worden waren, internierte der Iran sowohl die Maschinen als auch die Besatzungen und das sonstige militärische Personal. Die USA wiesen den Iran aber darauf hin, eine Internierung von Luftfahrzeugen der Allianz sei durch Resolution 678 des Sicherheitsrats ausgeschlossen. Überdies stellten sich die USA auf den Standpunkt, die Streitkräfte der Allianz seien berechtigt, in den iranischen und jordanischen Luftraum einzudringen, um abgeschossene Piloten zu retten. Vgl. dazu US Dept. o[Defense, Conduct ofthe Persian GulfWar, Final Report to Congress, April1992, Appendix 0-30. 314 Art. 40 GA II und Art. 31 ZP I; NWP 9, para. 7.3.7 Abs. 3; Canadian Draft Manual, para. 1508 Abs. 3; ZDv 15/2, Nr. 1152 [Dazu auchE. Castren (Arun. 1), S. 590 [ 315 Vgl. statt vieler Oppenheim!Lauterpacht (Arun. 5), S. 730. 316 Art. 25 des XIII. Haager Abkommens; NWP 9, paras. 7.3.4.2, 7.3.6, 7.3.7.1; Canadian Draft Manual, para. 1504; ZDv 15/2, Nr. 1136; D. Steinicke, Wirtschaftskrieg und Seekrieg. Harnburg 1970, S. 82 ff.; R.W. Tucker (Arun. 1), S. 220 [; P. Guggenheim, Traite de Droit International Public II, Genf 1954, S. 520 [; E. Castren (Arun. 1), S. 442; J. K6pfer, Neutralität im Wandel (Anm. 5), S. 76 ff.; M. Greenspan (Arun. 16), S. 584. In San Remo Manual, para. 15 heißt es dementsprechend ebenfalls: "[...] A neutral State must Iake such measures [... ], including the exercise of surveillance, as the means at its disposal allow, to prevent the violation of its neutrality by belligerent forces."
560
4. Kap., l. Abschn.: Die zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen
tes. 317 Setzt er die ihm tatsächlich318 zur Verfügung stehenden Mittel ein, genügt er seinen Neutralitätspflichten selbst dann, wenn diese zur Zurückweisung der Neutralitätsverletzung nicht ausreichend sind oder sich als unwirksam erweisen. 319 Eine weitere Einschränkung folgt aus dem Gewaltverbot, das ja die Rechtsbeziehungen zwischen den Konfliktparteien und dem neutralen Küstenstaat weiterhin prägt. 320 Demgemäß kommt der Einsatz bewaffneter Gewalt durch den neutralen Küstenstaat zum Zwecke der Verhinderung oder Beendigung einer Neutralitätsverletzung grundsätzlich nur als ultima ratio in Betracht, d.h. wenn er als zulässige Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff gerechtfertigt ist. 321 Hierbei ist zu beachten, daß der in Frage stehende Angriff nicht unmittelbar gegen den neutralen Küstenstaat gerichtet zu sein braucht. Vielmehr ist es ausreichend, wenn etwa die Kriegsschiffe
317
Während der Verhandlungen der II. Haager Friedenskonferenz hatte der dänische Delegierte
Vedel im Ergebnis erfolgreich angemahnt, "de ne pas imposer aux Puissances maritimes neutres des obligations disproportionees a leurs moyens et ressources"; abgedruckt bei Th. Niemeyer, Urkundenbuch (Anm. ll), S. 993. Ähnlich die Stellungnahmen Rußlands und der USA; ebd., S. 1011.
Daher scheiterte der japanische Vorschlag, in dessen Art 7 vorgesehen war: "Les Etats neutres doivent prendre toutes les mesures necessaires pour assurer l'application des presentes dispositions" (ebd., S. 923 (Annexe 46)). Auch die in Art. 6 des Washingtoner Abkommens vom 8. Mai 1871 (AlabamaFall) geforderte Anwendung der gehOhrenden Sorgfalt (due diligence) vermochte sich nicht durchzusetzen, nachdem insbesondere der Delegierte Barbosa dagegen Stellung bezogen haUe (ebd., S. 965 ff., 969). Die Beschränkung der Pflichten der Neutralen auf die ihnen zur Vertilgung stehenden Mittel erklärt sich vor allem aus der im Vergleich zum Landgebiet eingeschränkten Überwachungsmöglichkeit weit ausgedehnter KOstenmeergebiete. Auch in Art. 24 des Harvard Draft von 1939 wird klargestellt, daß ,,a State is not to be charged with failure to perform its duties as a neutral State because it has not succeeded in inducing a belligerent to respect its rights as a neutral State." 318 Insbesondere ist ein neutraler KOstenstaat nicht verpflichtet, allein wegen des Ausbruchs eines internationalen bewaflheten Konflikts zwischen anderen Staaten seine Seestreitkräfte aufZurüsten, um potentiellen Neutralitätsverletzungen wirksamer entgegentreten zu können. AA noch E. Castren (Anm. I, S. 442), der indes einräumt, daß die Verpflichtung zur Anschaffung der erforderlichen Mittel abhängig ist von "the economic strain created by the defence of its neutrality, the means available of preventing infringements, as weil as its own security". 319 So insbesondere auchJ. Köpfer, Neutralität im Wandel (Anm. 5), S. 82; R.W. Tucker (Anm. 1), S. 220; BM. Telders, RGDIP 68 (1941-45), 98 f.; E. Rauch, Protocol Additional (Anm. 70), S. 55. Dies gilt heute angesichts der größeren seewärtigen Ausdehnung des KOstenmeeres und der flächenmäßig großen Archipelgewässer umso mehr. Es ist daher ausgeschlossen, daß eine dem japanischen Vorschlag auf der Il. Haager Friedenskonferenz vergleichbare Verpflichtung von einem hinreichenden Konsens der KOstenstaaten getragen werden wird. AA E. Rauch, Protocol Additional (Anm. 70), S. 56, der de lege ferenda eine Angleichung des Seekriegsrechts an das Landkriegsrecht voraussagt mit der Folge, daß der neutrale KOstenstaat ungeachtet der ihm zur VerfUgung stehenden Mittel gegen Neutralitätsverletzungen einzuschreiten verpflichtet sein wOrde. Diese Einschätzung ist indes naturgemäß noch sehr stark von der Bipolarität und dem nuklearen Abschreckungsgedanken geprägt. 320 Dazu ausfilhrlich oben l. Kapitel, III. 2. b) m.w.N. 321 So ausdrücklich ZDv 15/2, Nr. ll09 ("Nur solche Maßnahmen der Verteidigung der Neutralität sind zulässig, die auch als Selbstverteidigung gegen einen bewaflheten Angriff gerechtfertigt sind.").
B. Rechtsbeziehungen zwischen Neutralen und Konfliktparteien
561
einer Konfliktpartei, die sich in den von seiner Souveränität umfaßten Seegebieten aufhalten, von den Streitkräften der anderen Konfliktpartei angegriffen werdeo, liegt darin doch zugleich eine Verletzung der territorialen Integrität und Souveränität des neutralen Küstenstaates. 322 Etwas anders verhält es sich, wenn Kriegsschiffe einer Konfliktpartei von neutralen Küstengewässern aus Angriffe gegen außerhalb dieser Gewässer befindliche gegnerische Einheiten unternehmen. Kann diesem Verstoß gegen Art. 1 und 2 des XIII. Haager Abkommens sowie das allgemeine Völkerrecht nur durch den Einsatz bewaffneter Gewalt begegnet werden, so ist auch dieser gerechtfertigt. Dies folgt weniger aus der in dem Waffeneinsatz liegenden Souveränitätsverletzung denn aus der Erwägung, daß es der neutrale Küstenstaat nicht (wissentlich) zulassen darf, daß von seinem Gebiet Angriffe gegen dritte Staaten und ihre See- oder Luftstreitkräfte ihren Ausgang nehmen. 323 Schreitet er gegen derartige Angriffe nicht ein, wird ihm, der ja allein die Gebietshoheit über das betreffende Seegebiet ausübt, der Angriff zugerechnet. Die angegriffene Konfliktpartei ist berechtigt, das gegnerische Verhalten zum Anlaß für auch gegen das neutrale Küstenmeer gerichtete (zulässige!) Selbstverteidigungsmaßnahmen zu nehmen?24 Die vorstehenden Verhinderungspflichten obliegen dem neutralen Küstenstaat gegenüber der jeweils anderen, benachteiligten Konfliktpartei, die ihrerseits das Neutralitätsrecht beachtet. 325 Ihr gegenüber stellt die Nichterfüllung dieser Pflichten ein völkerrechtliches Delikt ctar26 , so daß sie grundsätzlich berechtigt ist, alle völkerrechtlich zulässigen Gegenmaßnahmen zu ergreifen.327 Unterläßt es der neutrale Küstenstaat willentlich, gegen die Neutralitätsverletzungen einer Konfliktpartei einzuschreiten, obwohl er über die dazu erforderlichen Mittel verfugt, darf die benachteiligte Konfliktpartei Protest erheben, Wiedergutmachung oder Schadenersatz fordern und Repressalien ergreifen. 328 Letztgenannte stehen indes unter dem Vorbehalt des Gewaltver-
m Dazu oben " 2. Kapitel, 2. Abschnitt, II. 1. 323
Dazu oben 1. Kapitel, III. 2. b).
324
Dazu statt vieler A. Randelzhofer (Anm. 236), Rdn. 28 m.w.N.
m R.W Tucker (Anm. 1), S. 220; J. Köpfer, Neutralität im Wandel (Anrn. 5), S. 81; jeweils
m.w.N. 326 Ebd.
327 Demgegenüber ist die von den neutralen Gegenmaßnahmen betroffene Konfliktpartei gehindert, die Erfiillung dieser Pflichten als Völkerrechtsverletzung oder als unfreundliche Handlung anzusehen; Art. 26 des XIII. Haager Abkommens. Ebenso Canadian Draft Manual, para. 1504 Abs. 3; E. Castren (Anrn. 1), S. 442. 328 B. MacChesney (Anm 193), S. 26 f.; J. Stone (Anm. 16), S. 400 f.; R.W Tucker (Anm. 1), S. 219 f.; J. Köpfor, Neutralität im Wandel (Anrn. 5), S. 82; Art. 24 des Harvard Draft von 1939. Indes gehtJ. Köpfer (ebd.) filr den Fall der mangelnden Bereitschaft des neutralen Staats, seine Rechte gegen
36 H. v. Hcincgg
562
4. Kap., 1. Abschn.: Die zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen
bots. 329 Der Einsatz bewaffneter oder sonstiger militärischer Gewalt entweder gegen den neutralen Küstenstaat und/oder gegen den das Neutralitätsrecht mißachtenden Gegner kommt nur unter den oben genannten Voraussetzungen zulässiger Selbstverteidigung in Betracht. 330 Kein völkerrechtliches Delikt stellt es demgegenüber dar, wenn der neutrale Küstenstaat zwar willens, aber unfähig ist, Neutralitätsverletzungen einer Konfliktpartei zu verhindern, insbesondere wenn sich die von ihm im Rahmen seiner Möglichkeiten eingesetzten Mittel als unwirksam erweisen. 331 In diesem Fall sind Gegenmaßnahmen der benachteiligten Konfliktpartei nicht als Repressalien gerechtfertigt, ist doch die Neutralitätsverletzung durch den Gegner dem neutralen Küstenstaat nicht zurechenbar. 332 Militärische Gegenmaßnahmen können zwar in Ausübung des Selbstverteidigungsrechts ergriffen werden. Erreichen die Neutralitätsverletzungen aber nicht das Ausmaß eines bewaffneten Angriffs bzw. einer hinreichenden Gefährdung, ist es der benachteiligten Konfliktpartei aufgrund des wnfassenden Schutzes der Souveränität des neutralen Küstenstaates augenscheinlich versagt, das neutralitätswidrige Verhalten des Gegners mit militärischen Mitteln zu unterbinden, selbst wenn dieser dadurch einen erheblichen Vorteil erlangt. Zieht man demgegenüber das Handbuch der US-Marine333 sowie die wohl herrschende Meinung im
Verletzungen durch eine der kriegfUhrenden Parteien zu verteidigen, auch von einer zulässigen Selbsthilfe im Wege der Ersatzvomahme aus. Er begründet dies mit einer ,,neuen, durch abrogierendes Gewohnheitsrecht begründeten Rechtsentwicklung", weil Art. 25 des XIII. Haager Abkommens nur eine "Vorbeugungspflicht" vorsehe, nicht aber eine "Duldungspflicht" postuliere. Abgesehen von dem fehlenden Nachweis eines derart "abrogierenden Gewohnheitsrechts" spricht gegen diesen Lösungsansatz, daß militArische Gegenmaßnahmen der benachteiligten Konfliktpartei heute nur in den Grenzen des Selbstverteidigung~>rechts zulässig sind. Der Lösungsweg über die "Ersatzvomahrne" machte nur Sinn, solange die Konfliktparteien eine willentliche Nichterfilllung der Neutralitätspflichten als casus belli anzusehen berechtigt waren, da dann die "Ersatzvomahme" im Vergleich zur Eröffilung von Feindseligkeiten gegenüber dem neutralen Küstenstaat das mildere Mittel gewesen wäre. 329 Dazu oben 1. Kapitel, III. 2. b); ferner J. Stone (Anm. 16), S. 400 f.; B. MacChesney (Anm. 193), S. 27. Allgemein zum Verbot sog. ,,kriegerischer Repressalien" vgl. P. Malanczuk (Anm. 235), S. 228 ff. m.w.N. 330 Dazu im einzelnen oben 1. Kapitel, 111. 2. b); fernerE. Rauch, Protocol Additional (Anm. 70), S. 56, der de lege lata den Waffeneinsatz in neutralen Küstengewässern ebenfalls nur in extremen Ausnahmefallen als zulässig ansieht. 331 Statt vieler R. W. Tucker (Anm. 1), S. 220. 332 Dazu oben 1. Kapitel, III. 2. b ). 333 NWP 9, para. 7.3.4.2 (betr. 12-sm-Küstenmeer): "Should belligerent forces violate the neutrality ofthose waters and the neutral nation demonstrate an inability or unwillingness to detect and expel the offender, the other belligerent retains the right to undertake such self-help enforcement actions as are necessary to assure compliance with the law of neutrality." Para. 7.3.6 betr. Archipelgewässer: " lf a neutral nation is unable or unwilling effectively to detect and expel belligerent forces unlawfully present in its archipelagic waters, the opposing belligerent may undertake such self-help
B. Rechtsbeziehungen zwischen Neutralen und Konfliktparteien
563
völkerrechtlichen Schrifttum334 heran, so soll die benachteiligte Konfliktpartei auch in den Fällen, in denen der neutrale Küstenstaat seine Pflichten erfiillt (bzw. er zur Verhinderung der Neutralitätsverletzung nicht in der Lage ist) und die Neutralitätsverletzung nicht als bewaffneter Angriff qualifiziert werden kann, gegenüber dem Gegner zur Durchsetzung des Neutralitätsrechts berechtigt sein. Der diesem Ansatz innewohnende Konflikt zwischen den Rechten und Pflichten des neutralen Küstenstaats einerseits und der benachteiligten Konfliktpartei andererseits335 wird auf unterschiedliche Weise gelöst. Die Unmöglichkeit bzw. Unfahigkeit der Verhinderung von Neutralitätsverletzungen wird zum Teil als Tatbestandsvoraussetzung für eine besondere Form der Selbsthilfe der benachteiligten Konfliktpartei in Form der ,,Ersatzvornahme" begriffen. 336 Es handele sich dabei, so wird geltend gemacht, um eine "neue, durch abrogierendes Gewohnheitsrecht begründete Rechtsentwicklung, weil Art. 25 des XIII. Haager Abkommens für den Neutralen nur eine Vorbeugungspflicht" vorsehe, "nicht aber eine Duldungspflicht" postuliere. 337 Nun trifft es zu, daß die USA und Südvietnam den Einmarsch in Kambodscha u.a. damit zu rechtfertigen suchten, Kambodscha hätte die Anlegung von Stützpunkten auf seinem Territorium durch Nordvietnam und den Vietkong nicht verhindert. 338 Es ist indes bereits zweifelhaft, ob das amerikanische und südvietnamesische Vorgehen allein wegen der Unflihigkeit Kambodschas und nicht auch und vorrangig wegen kollusiven Zusammenwirkens mit den Nordvietnamesen und den Vietkong gerechtfertigt war. Diese Frage kann jedoch dahingestellt bleiben, weil die Konstruktion einer völkerrechtlichen ,,Ersatzvomahme" unter der Geltung des Gewaltverbots nicht mehr geeignet ist, eine Intervention oder das Ergreifen militärischer Maßnahmen auf neutralem Gebiet zu rechtfertigen. Diese sind nur unter der Vor-
enforcement actions as may be necessary to terminate the violation of neutrality. Such self-help enforcement may include surface, subsurface, and air penetration of archipelagic waters and aiJ1Ipace and the use of proportional force as necessary." Para. 7.3.7.1 betr. neutralen Luftraum: ,,Neutral nations have an affirmative duty to prevent violation of neutral airspace by heiligereut aircraft, to compel offending aircraft to land, and to intern both aircraft and crew. Should a neutral nation he unable or unwilling to prevent the unlawful entry or use of its airspace by heiligereut aircraft, belligerent forces of the other side may undertake such self-help enforcement measures as tho circumstances may require." 334 RW Tucker (Anm. 1), S. 222 f.; E. Castren (Anm. 1), S. 442; J. KlJpfor, NeutralitAt im Wandel (Anm. 5), S. 82;M.S. McDougaVFP. Feliciano (Anm. 193), S. 404 ff.;M. Greenspan (Anm. 16), S. S84;Ph. Kunig, in: EPIL4, S. 333; jeweilsmw.N. m Zudem sei auch auf die damit vernundenen Mißbrauchsgefahren hingewiesen, die auch Tuchlr einrtwnt; (Anm. 1), S. 223 Fn. 60. 3J6 So J. KlJpfer, NeutralitAt im Wandel (Anm. S), S. 82. Dieser Ansatz liegt augemcheinlich auch den Bestimmungen des amerikanischen Handbuchs zugrunde. 337 J. KlJpfor, NeutralitAt im Wandel (Anm. S), S. 82 f. 338 Allein dieses Beispiel nimmt KlJpfor in Bezug. 36*
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4. Kap., 1. Abscbn.: Die zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen
aussetzung zulässig, daß die Voraussetzungen der Selbstverteidigung erfiillt sind. 339 Zwar liegt es im Interesse einer Konfliktpartei, selbst dafür Sorge zu tragen, daß der jeweilige Gegner aus einer Verletzung des Neutralitätsrechts keine Vorteile erlangt. Dieses Interesse hat aber hinter der unbedingt zu achtenden Souveränität des Neutralen zurückzustehen, solange es an einem bewaffneten Angriff oder einer hinreichenden Gefährdung durch die gegnerischen Streitkräfte fehlt. 340 Auch in Ermangelung eines effektiven zentralen Durchsetzungsmechanismus ist nichts dafür ersichtlich. daß die Staatengemeinschaft bereit wäre, der benachteiligten Konfliktpartei neben dem neutralen (Küsten-)Staat die Durchsetzung des Neutralitätsrechts zu überlassen. Den gleichen Bedenken begegnet der insbesondere von Tucker vertretene Lösungsansatz über eine Beschränkung der Achtungspflicht der benachteiligten Konfliktpartei durch die Effektivität der seitens des Neutralen ergriffenen Gegenmaßnahmen.341 Auch diese Konstruktion ist nicht geeignet, über die Fälle zulässiger Selbstverteidigung hinaus ein militärisches Eingreifen der benachteiligten Konfliktpartei, mithin eine Beeinträchtigung der territorialen Integrität und Souveränität des neutralen Küstenstaates zu rechtfertigen. Die Lösungsvorschläge über die Ersatzvornahme und die Begrenzung der Achtungs- und Enthaltungspflichten der Konfliktparteien durch die Effektivität der neutralen Gegenmaßnahmen sind in hohem Maße dem traditionellen, vom freien Kriegführungsrecht geprägten Rechtsverständnis verhaftet. 342 Das Neutralitätsrecht ist aber ebenso wie das ius in bello i.e.S. unter der Geltung
339 Dazu oben l. Kapitel, m. 2. b); ferner B. MacChesney (Anm. 193), S. 27; J. Stone (Anm. 16), S.400f. 340 Hinzu kommt, daß selbst die unparteiliche Erfillluog sAmtlieber NeutraliWspflichteo nicht die falctische Bessentelluog einer f5.onfliklpart.ei auszuschließen vermag. 341 R.W. Tueleer (Amn. 1), S. 223. Tueleer (ebd., S. 221) rlumt aber ein: ,,It cao hardly be said that the dilemma poeed by the situation ofthe weak neutral has been clearly aod satisfactorily resolved even today. The relatively few incidents that appear to have a bearing upoo this problem are not entirely free from ambiguity, aod their sigoificaoce as possible preoedeots ought not to be overestimated."
Dies wird besonders deutlieb an der folgenden Stellungnahme K"pfers (NeutraliW im Wandel, ,,zum anderen stellt die bewiesene UoBhigkeit seitens des neutralen Staats, Neutralitllsverletzuogen zurllckzuweisen, ein starkes Motiv fi1r einen Kriegfilhrenden dar, gegen die neutrale Macbl zum Angriffoberzugehen." Wie hier i.O. B. MacChesney (Amn. 193), S. 26 f., der in bezug auf den Altmark-Fall meint: ,,In view of the wealcDesses of international society in providiog adequate meaos for redressing wrongs, a rule pennittiog intervention on the ground of self-help on the facts in the Altmark case might be justified. Such a rule would be more in accord with the realities and more likely to secure the survival of the rules of neutrality. On the other band, resort to self-help should be confined to the gravest circwmtaooes. On mora1 aod humanitarian grounds, the British ioterveotion can be understood and defended. It is difficuh to say dogmatically tha1 their iotervention violated the law in foroe at that time. The thrust ofthe Charterprovisionsand the Corjü Channel case, however, suggest tha1 the use offorce under such circ:umstances would now be illegal. lo view of the weakoesses of international iostitutions previously meotioned, it may still be questioned whether such a oonclusion is desirable." 342
Amn. S, S. 83):
B. Rechtsbeziehungen zwischen Neutralen und Konfliktparteien
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des Gewaltverbots als "Notrecht" zu begreifen, das auf seiten der Konfliktparteien gegenüber den nicht am Konflikt beteiligten Staaten nur ausnahmsweise besondere Rechte zu begründen vermag. Deren oberste Grenze stellt in jedem Fall das moderne, in der UN-Charta angelegte ius ad bellum, dar. Wollte man für das Neutralitätsrecht über die zulässige Selbstverteidigung hinausgehende Rechte der Konfliktparteien annehmen, bedürfte es des Nachweises eines entsprechenden Konsenses, wozu es indes angesichts der Bedeutung des ius ad bellum mehr bedürfte, als der Aufzählung einiger weniger und zudem fragwürdiger Beispiele. 343
Ml Demgern!ß sieht para 22 des San Remo Manual in bezug auf Maßnahmen der benachteiligten Konfliktpartei gegen NeutraliWsverletzungen des Gegners vor: "Should a beUigereot Stato bo in violation of the regime of neutral waters, as set out in this documen1, the neutral Stato is under an obligation to take the measures necessary to tenninate the violation. lf the neutral State fails to terminale the violation of its neutral waters by a belligerent, the opposing belligerent must so notifY the neutral State and give that neutral State a reasonable time to tenninate the violation by the belligerent. lfthe violation ofthe neutral waters by the belligerent constitutes a serious and immediate tbreat to the security ofthe opposing belligerent and the violation is not terminated, then that beUigerenl may, in tho absence of any feasible and timely alternative, use such force as is strictly necessary to respond to tbe tbreat posed by the violation." DemgegenOber waren in dem Alternativentwurf ftlr die Tagung in OUawa noch folgende Bestimmungen vorgesehen: "Should a neutral state be unwilling or unable to enforce its neutral obligatioos with respect to hostile activities by belligerent naval forces within its neutral waters, the opposing belligerent must notifY the neutral State and give it a reasonable time to allow that neutral state to enforoe i1s neutral obligations. lf the violation of the neutral waters by the belligerent is not then terminated tbe other belligerent may use such force as is strictly necessary to terminate the violation. Howeva-, if the beUigerent is faced with an imminent threat to bis naval forces by the belligerent forces that are abusing the neutral waters, the former may inuncdiately use such foroe as is strictly necessary to tenninate the violation." bzw.: "Wiihout prejudice to the right of self-defense as embodied in the Charter of tho United Nations, should a neutral State be unwilling or unable to enforce i1s neutral obligatioos with respect to hostile military activities by belligerent naval forces within i1s neutral waters, tho opposing belligerent may, following notification to the neutral State and expiration of a reasonable period to allow the neutral State to enforoe its neutral obligations, use such foroe as is ncoessary to terminate the violation of neutral waters." Schließlich einigten sich die Teilnehmer auf die Beschrlnkuog militAriscba' Ma8oahmen gegen eine mit der Neutralitätsverletzung einhergehende ,,serious and immediate" Bedrohung. da die im ursprOnglichen Entwurf vorgesehenen Gegenmallnahmen angesichts der in Frage stehenden SouverlniW des neutralen KOstenstaates allgemein als zu weitgehend erachtet wurden.
2. Abschnitt
Maßnahmen gegenüber neutralen Handelsschiffen und Luftfahrzeugen Die neutrale Handels- und Luftschiffahrt bleibt während eines internationalen bewaffneten Konflikts zur See naturgemäß nicht unbehelligt. umfaßt doch das allgemeine Seekriegsgebiet die Hohe See sowie den darüber befindlichen Luftraum. Hinzu kommt, daß die gegnerische Wirtschaft nicht allein von der eigenen, sondern insbesondere auch von der neutralen Handelsschiff- und Zivilluftfahrt abhängt, und es im Interesse der Konfliktparteien liegt, auch die Zufuhr solcher Waren zu unterbinden, die auf Schiffen und Luftfahrzeugen unter neutraler Flagge befbrdert werden. Der vorliegende Abschnitt ist der Frage gewidmet, welchen rechtlichen Beschränkungen die Parteien eines internationalen bewaffneten Konflikts zur See beim Zugriff auf neutrale Fahrzeuge unterliegen. Der erste Teil gibt einen kurzen Überblick über die Entwicklung und den gegenwärtigen Stand des Prisenrechts. 1 Prisenrechtliche Maßnahmen stellen indes nicht die einzige Möglichkeit des Zugriffs auf neutrale Handelsschiffe und Luftfahrzeuge dar. 2 Gegenstand des zweiten Teils sind daher die Voraussetzungen, unter denen neutrale Fahrzeuge als zulässige
1 Allch hier erfolgt die Darstellung des Prisenrechts in komprimierter Fonn, da sich der Verfasser mit diesem Fragenkreis bereits an anderer Stelle ausfllhrlich befaßt hat. Vgl. W. Heintschel v. Heinegg, Visit, Search, Diversion, and Capture in Naval Warfare: Part I, The Traditional Law, CYIL XXIX (1991), 283-329; Part II, Developments since 1945, CYIL XXX (1992), 89-136; ders., The Current State of International Prize Law, in: HH.G. Post (ed.), International Economic Law and Armed Conflict, Dordrecht/Boston!London 1994, S. 5-34. Eine umfassende Darstellung der Staatenpraxis der Nacbkriegszeit bis 1974 findet sich auch bei R. Ottmaller, Die Anwendung von Seekriegsrecht in milit!rischen Konflikten seit 1945, Harnburg 1978, S. 47 ff. Zur Praxis des lranlrak-Konflikts vgl. A. Gioia/N. Ronzitti, The Law ofNeutrality: Third States' Conunercial Rights and Duties, in: /F. Dekker/HH.G. Post (eds.), The GulfWar of 1980-1988, S. 221-242; M . Donner, Die
neutrale Handelsschiffahrt im begrenzten militarischen Konflikt, Kehl a.R./StraßburglArlington 1993, s. 235 ff. 1 Eine weitere Zugriffsmöglichkeit auf neutrales Privateigentum innerhalb des eigenen KOstenmeers und der inneren Gewisser eröffi:tet das sog. Angarienrecht. Da dessen Anwendbarkeit indes nicht auf den internationalen bewaffi:teten Konflikt beschrlnkt ist und seine Fortgeltung zudem zweifelhaft ist, soU hier nicht DAher darauf eingegangen werden. Zum Angarienrecht vgl. CL. Bullock, Angary, BYIL m (1922-23), 99-129; E.R. van Bogaert, L'angarie, NILR XXI (1974), 251-264; 0 . Breundorff, Die Besclllagnahme neutraler Schiffe, Diss. Kiel 1939, S. 21 ff.; AH. Schr"der, Das Angarienrecht: Die Beschlagnahme von Handelsschiffen im Kriege, Harnburg 1965; R. Lagoni, Angary, Rigbt ot: in: EPIL 3, S. 18-19; ferner die Nachweise bei MM Whiteman, Digest of International Law, Vol. 10, Washington D.C. 1968, S. 787 ff.
A Kontrolle des neutralen Handels
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militärische Ziele auch angegriffen werden können (feindselige Unterstützung).
A. Kontrolle des neutralen Handels (Prisenrecht ll) L Entwicklung des Prisenrechts bis zum Ende des D. Weltkriegs
Während das Neutralitätsrecht sich in seiner modernen Form erst im 18. Jahrhundert rechtlich institutionalisierte3 , sind erste völkerrechtliche Regeln über die Rechtsstellung des neutralen Seehandels im Kriege bereits im 12. Jahrhundert nachweisbar. 4 Erste Kodiflkationen finden sich im "Breve curiae maris" von Pisa aus dem Jahre 1298 sowie in den 'Jenueser Statuten von 1316. Insbesondere nach den letztgenannten werden zum ersten Male alle geschützt, die nicht Feinde sind.5 In Kapitel 276 des Conso/ato del mare6 , das zeitlich Ende des 14. Jahrhunderts einzuordnen ist, wurde zum einen der bereits damals gewohnheitsrechtlich anerkannte7 Grundsatz der Unverletzlichkeit neutralen Eigentums auf See festgeschrieben, zum anderen das - gleichermaßen anerkannte- Durchsuchungsrecht. 8 Auch die Versenkung eines neutralen Handelsschiffs sollte zulässig sein, wenn es gegnerische Ladungen beiOrderte und der Kapitän sich weigerte, diese an einen befohlenen Ort zu schaffen. Jedoch mußten zuvor die an Bord befindlichen Personen in Sicherheit gebracht werden. 9 Parallel dazu bildeten sich angesichts des zunehmenden 3 Dazu statt vieler S. Oeter, Ursprünge der Neutralität, ZaöRV 48 (1988), 447-489, 481 f. m.umfangr.N. 4 JM. Pardessus, Collection des lois maritimes anteneures au xvii-i:me sii:cle, Tome ll, Paris 1828, S. cxxii, erwähnt folgenden Fall aus dem Jahre 1164: Während des Krieges zwischen Pisa und Genua brachte Pisa ein sarazenisches Schiff auf, das angeblich genueser Waren transportierte. Nachdem der ägyptische Sultan gegen die Aufbringung protestiert und geltend gemacht hatte, die Ladung gehörte einem seiner Untertanen, wurden Schiff und Ladungen wieder freigegeben. Zum prisenrechtlich relevanten Inhalt sonstiger älterer Seerechtssammlungen vgl. die Nachweise bei J.H. W. Verzijl!W.P. Heere/J.P.S. Offerhaus, International Law in Historical Perspective, Vol. XI, Part IX-C, The Law ofMaritime Prize, Dordrecht/Boston!London 1992, S. 121f. ~ Vgl. dazu die Nachweise bei F. Jorda, Das "Consulat des Meeres" als Ursprung und Grundlage des Neutralitätsrechtes im Seekriege bis zum Jahre 1856, Diss. Harnburg 1932, S. 25 f.
Dazu die Nachweise bei J.H.W. VerzijVWP. Heere/J.P.S. Offerhaus (Anm. 4), S. 22 ff. E. Nys, Les origines du droit international, Paris 1894, S. 232, bemerkt zum Consolato: "Le consuat de Ia mer n'est pas un code des lois maritimes redige et publie par l'autorite legislative d'un ou de plusieurs Etats; c'est une collection de coutumes de Ia mer appliquees par Ia cour consulaire de Bareclone et on peut le considerer comme resumant Ies usages maritimes adrnis dans Ies differentes riverains de Ia Mediterranee." 6
7
1 E. Nys, ebd., S. 230. Auch Hugo Grotius (Oe Jure Belli Ac Pacis, Liber III, Cap. I, Para. 5) und Cornelius van Bynkershoek (Quaestionum Juris Publici, Liber I, Cap. XIV, S. 108) erkennen das Consolato als Ausdruck des Naturrechts an. 9 In der deutschen Übersetzung von F. Jorda lautet diese Passage: "Und wenn etwa der Kapitän des genommenen Schiffes sich weigert, die Ware in seinem Schilfe, die Feinden gehört, so weit zu beiordern, bis die, welche sie genommen haben, sie an einen sicheren Platz gebracht haben, obwohl der
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4. Kap., 2. Abschn.: Neutrale Handelsschiffe und Luftfahrzeuge
Seehandels aber auch Regeln über die Konterbande aus. 10 Einem Feind gleichgestellt wurden diejenigen, die dem Gegner Munition, Vorräte, Schiffsbaornaterial oder sonstige verbotene Waren lieferten. In diesem Zusammenhang unterscheidet Hugo Grotius zwischen (a) Gütern, die Kriegszwecken dienen, (b) solchen, die nicht Kriegszwecken dienen, und (c) solchen, die sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten nützlich sind. 11 Den Neutralen sei es untersagt, Waren der ersten Kategorie zu liefern. Waren der zweiten Kategorie seien frei, und Waren der dritten Kategorie dürften - gegen Entschädigung - nur im Falle der Notwendigkeit abgefangen werden. Bynkershoek wendet gegen diese Unterscheidung ein, sie sei in der Praxis nicht nachweisbar. 12 Diese ergebe lediglich ein Verbot der Lieferung von Konterbande. Im übrigen dürften die Neutralen mit jeder Partei Handel treiben und ihnen straflos alles liefem. 13 Aus den Verträgen und Edikten des 16. und 17 Jahrhunderts folge - so Bynkershoek -, daß Konterbande alles sei, was im Krieg von Nutzen ist. Auf die Verwendungsmöglichkeit außerhalb des Krieges komme es nicht an. 14 Folgerichtig verneint Bynkershoek auch die Konterbandeeigenschaft von Rohstoffen, da andernfalls jeglicher Handel zur See zum Erliegen komme. 15 Ebenso wie Bynkershoek erkennt auch Emer de Vatte/16 nur zwei Kategorien von Waren an. Listen absoluter und relativer Konterbande tauchten in der Staatenpraxis erst später auf. 17 Während des 17. und 18. Jahrhunderts erfuhr der Konterbandebegriff erhebliche Wandlungen.18 Ende Admiral es befohlen hat, dann kann der Admiral das Schiff versenken lassen, - wenn er will, - nur muß er die Personen retten, die sich darauf befmden, und keine herrschaftliche Autorität kann ilm deshalb zur Rechenschaft ziehen, auch nicht durch Beweis in einer Klage, die gegen ilm erhoben würde. Aber Voraussetzung ist, daß die Ware oder der größte Teil davon Feinden gehöre." 10 Zu den entsprechenden Edikten vgl. die Nachweise bei Cornelius van Bynkershoek, Liber I, Cap. IX und X; ferner H. Wehberg, Das Seekriegsrecht, in: F. Stier-Somlo (Hrsg.), Handbuch des Völkerrechts Bd. V, Berlin/Stuttgart/Leipzig 1915, S. 19; A. Veillon, Die Auswirkungen des Prisenrechts aufdie Neutralen, Diss. Bem 1959, S. 17 ff. 11 Liber 111, Cap. I, Para. V. 12 Liber I, Cap. X, S. 76: "Nec etiam potui animadvertere, mores Gentium hanc Grotii distinctionem probasse, magis probarunt, quod deinde ait, neque obsessis licere res promiscui usus advehere, sie enirn alteri prodessem in necem alterius [...]."Und er ftlgt hinzu: "Sie, puto, ei sedet, sed in causa mea me sedere judicem ornnes Ieges omniaque jura prohibent, nisi quod usus, Tyrannorum omnium princeps, admittat, ubi foedera inter Principes explicanda sunl" 13 Liber I, Cap. X, S. 77: "Ceteroquin regula est, pactis fere perpetuis probata, ne non hostes ad hostes nostros vehant Contrabande goederen, si vehant & deprehendantur, in commissum cadant, exceptis autem bis libere utrirnque mercantur, & quaecunque alia ad hostes vehunt irnpune." 14 Liber I, Cap. X, S. 79. 1 ~ Liber I, Cap. X, S. 79 f.: "Si omnem materiam prohibeas, ex qua quid bello aptari possit, ingens esset catalogus rerum prohibitarurn, quia nulla fere materia est, ex qua non saltem aliquid, bello apturn, facile fabricemus. [... ] Hac interdicta, tantuni non omni commercio interdicirnus, quod valde esset inutile." 16 Le Droit des Gensou Principes de Ia Loi Naturelle, Buch 111, § 112. 17 JH.W. VerzijVWP. Heere/JP.S. Offerhaus (Anm. 4), S. 342. 18 Dazu die Nachweise ebd., S. 333 ff.; ferner A. Hold v. Ferneck, Die Kriegskonterbande, Wien 1907, s. 9 ff.
A Kontrolle des neutralen Handels
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des 18. Jahrhunderts waren die Konterbandelisten Englands und Frankreichs so umfangreich. daß das allgemein anerkannte Prinzip der Unverletzlichkeit neutralen Eigentums auf See faktisch außer Kraft gesetzt war. 19 Nach Maßgabe der sog. "Regel von 1756" wurden neutrale Schiffe, die während eines Krieges zugunsten einer Konfliktpartei Handel trieben, der ihnen in Friedenszeiten untersagt war, gegnerischen Handelsschiffen gleichgestellt, unterlagen mithin der uneingeschränkten Aufbringung und Einziehung. 20 Die Versuche der "bewaffneten Neutralitäten"21 und der Völkerrechtslehre22 , den Schutz des neutralen Seehandels vor Übergriffen der Kriegsparteien zu verbessern, waren im Ergebnis wenig erfolgreich?3 Erst mit der Pariser Deklaration von 1856 wurde der Grundsatz der Unverletzlichkeit neutralen Eigenturns auf See in allgemeinverbindlicher Weise festgeschrieben. Da indes das Konterbandereche4 ebenso erhalten blieb wie das Blockaderecht, war dieser Schutz nicht absoluter Natur. Zum einen unterlagen neutrale Handelsschiffe - nicht aber neutrale Kriegsschiffe - innerhalb des allgemeinen Seekriegsgebiets jederzeit der Anhaltung und Durchsuchung. 25 Zum anderen durften sie und W. Heintschel v. Heinegg, CYIL XXIX (1991), 287 mw.N. Dazu G. Schramm, Das Prisenrecht in seiner neuesten Gestalt, Berlin 1913, S. 160; K. Neuss, Die Entwicklung des Prisenrechts durch den Zweiten Weltkrieg, Diss. Würzburg 1966, S. 74 ff.; CJ. Colombos, Internationales Seerecht (dl Übers. der 5. englischen Aufl.), München!Berlin 1963, §§ 765 f.; P. Hübner, Die Theorie von der Einheitlichkeit der Reise in Bezug auf die Kriegskontrebande, Diss. Erlangen 1908, S. 14 ff.; F.D. v. Hansemann, Die Lehre von der einheitlichen Reise im Rechte der 19
20
Blockade und Kriegskonterbande, Zeitschrift filr Völkerrecht und Bundesstaatsrecht - Beiheft zum IV. Bande, Breslau 1910, S. 33 ff. 21 Dazu die Nachweise oben 3. Kapitel, I. Abschnitt, C. III. 1.; ferner A. Veillon (Anm 10), S. 48 ff. 22 Die Völkerrechtslehre des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts versuchte die Unverletzlichkeit neutraler Handelsschiffe insbesondere mit der Gebietshoheit des Flaggenstaates zu begründen. Vgl. M. Hübner, De Ia saisie des bätiments neutres ou du droit qu'ont les nations belligerantes d'arreter les navires des peuples arnis, Bd. I, Den Haag 1759, S. 19 ff., 25 ff., 68 ff., 210 ff.; GM Lampredi, Tratato del commercio dei popoli neutrali in tempo di guerra, Bd. I, Florenz 1788, S. 10 ff., 102 ff.; JF.W. Schlegel, Sur Ia visitedes vaisseaux neutres sous convoi, Kopenhagen 1800, S. 53 ff.; L. Holst, Versuch einer kritischen Übersicht der Völkerseerechte, Harnburg 1802, S. 72 ff.; JB. Hautefouille, Droits et devoirs des nations neutres en temps de guerre maritime, Bd. II, I. Aufl., Paris 1849, S. 5 ff., 14, 20 ff., 46 ff. a.A freilich M. Th. Ortolan, Regles internationales et diplomatie de Ia mer, Paris 1845, S. 79 ff., der lediglich Kriegsschiffe als schwimmendes Territorium des Flaggenstaates anzuerkennen bereit ist. 23 Vgl. statt vieler K.H. Bernsten, Das Seekriegsrecht, Berlin 1911, S. 7 ff.; P. Hubner (Arun. 20), 29 ff. 24 Freilich bestand über den Inhalt des Konterbanderechts keine Einigkeil Lediglich die von Hugo Grotius eingefilhrte Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Konterbande sowie freien Gütern war Mitte des 19. Jahrhunderts anerkannl Da indes zahlreiche Staaten zugleich an der Lehre von der einheitlichen Reise und der Lehre von der Infizierung neutraler Güter festhielten, blieb der Schutz neutralen Eigentums auf See weitgehend unvollkommen. Vgl. dazu S.H. Brown, Der neutrale Charakter von Schiffund Ladung im Prisenrecht, Zürich 1926, S. 142 ff.; W Heintschel v. Heinegg, CYIL XXIX ( 1991 ), 315 ff., 323 ff. 23 So stellte Lord Stowell im Fall The Maria (1 C.Rob. 340, 360 [1799]) fest: ,,It is an uncontestable right ofthe lawfully comrnissioned cruisers of a belligerent nation to visit and search all merchant vessels, whatever be the ships, whatever be the cargoes, whatever be the destinations."
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4. Kap., 2. Absclm.: Neutrale Handelsschiffe und Luftfahneuge
ihre Ladungen aufgebracht bzw. beschlagnahmt werden, wenn sie (a) Konterbande beförderten, (b) sich aktiv einer Aufforderung zum Anhalten und einer Durchsuchung widersetzten, (c) den Gegner in neutralitätswidriger Weise unterstützten oder (d) Blockadebruch begingen. 26 Aufbringung und Beschlagnahme waren mithin zulässige Reaktionen der Konfliktparteien auf ein bestimmtes Verhalten neutraler Handelsschiffe, das jedoch -dies sei hervorgehoben - nicht in jedem Fall einen Völkerrechtsverstoß darstellte. Insbesondere die Beförderung von Konterbande war nicht verboten, sondern stellte lediglich eine gefährliche Aktivität dar. Dem Recht des Kriegführenden zur Aufbringung und Beschlagnahme entsprach somit auf seiten des Neutralen nicht immer eine Unterlassungspflicht. 27 Die Freiheiten der Hohen See wurden zu keiner Zeit als rechtliche Hindernisse für die Kontrolle und Unterbindung des neutralen Seehandels begriffen. Die Schiffahrtsfreiheit stand seit jeher unter dem Vorbehalt der sonstigen Regeln des Völkerrechts, zu denen nach allgemeiner Auffassung auch das Prisenrecht zählte. 28 Gegen den neutralen Handel gerichtete prisenrechtliche Maßnahmen wurden insbesondere mit der fehlenden Bereitschaft der neutralen Flaggenstaaten begründet, ihren Handelsschiffen die Unterstützung des Gegners zu untersagen. 29 Die vorstehend skizzierte Rechtslage hatte bis zu Beginn des I. Weltkriegs weitgehend Bestand. Die Londoner Konferenz von 1908/09 bestätigte, daß neutrale Handelsschiffe, die einen Blockadebruch begehen30, der Anhaltun§, Durchsuchung oder Aufbringung gewaltsam Widerstand entgegensetzen3 , (absolute oder relative) Konterbande befördern32 oder den Gegner in neutraliEbenso Richter Marshall im Fall The Nereide (9 Cranch. 388, 427 [1815]), der die Anhaltung und Durchsuchung bezeiclmet als "a right growing out of, and ancillary to, the greater right of capture." Vgl. ferner U. Scheuner, Durchsuchung von Schiffen, in: WVR I, S. 407-408, 407; W. Heintschel v. Heinegg, CYIL XXIX (1991), 296 tf. m.w.N. Ein Verbot der Anhaltung und Durchsuchung neutraler Handelsschiffe im Geleit von Kriegsschiffen ihrer Flagge wurde vorrangig von den Staaten der bewaffiteten Neutralitäten behauptet, war aber keineswegs allgemein anerkannt Vgl. statt vieler G. Schramm, Prisenrecht (Anrn. 20), S. 300.
W. Heintschel v. Heinegg, CYIL XXIX (1991), 300 f., 315 tf. So Lord Summer im Fall The Kronprinsessan Margaretha (1 AC. 754 [1921)) und im Fall The Prins der Nederlande (1 AC. 760 [1921)): ,Jt is no transgression ofthe Iimits ofa neutral's duty, 26 27
but merely the exercise of a hazardous right, in the course of which he may come into conflict with the rights of the belligerent and be worsted." "Neutrals who carry contraband do not break the law of nations; they run a risk for adequate gain, and, if they are caught take the consequences. lf they know what they are doing, those consequences may be very serious; if they do not, they may get off merely with some inconvenience or delay; this must suffice them." Vgl. ferner CJ. Colombos (Anm. 20), §§ 760 tf. allein W. Heintschel v. Heinegg, CYILXXIX (1991), 297 m.w.N. C.C. Hyde, International Law, Vol. III, 2nd rev. ed., Boston 1945, S. 1958; CJ. Colombos (Anrn. 20), § 866; G. Schramm, Prisenrecht (Anrn. 20), S. 298; L. Oppenheim, International Law (ed. by H. Lauterpacht), Vol. II, 7th ed., London 1963, S. 848.
28 Dazu 29
Art. 20 und 21 der Londoner Deklaration von 1909. Art. 63. 32 Art. 37 und 40. 30
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A Kontrolle des neutralen Handels
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tätswidriger Weise unterstützen33 der Aufbringung und Einziehung unterliegen. Die Einziehung wegen Beforderung von Konterbande sollte jedoch nur zulässig sein, "wenn die Konterbande nach Wert, Gewicht, Umfang oder Fracht mehr als die Hälfte der Ladung ausmacht". 34 Absolute und relative Konterbande35 sollten ebenfalls beschlagnahmt und eingezogen werden können. 36 Die Anwendbarkeit der Lehre von der einheitlichen Reise wurde auf absolute Konterbande beschränkt. 37 Die Zerstörung neutraler Prisen sollte grundsätzlich verboten sein. 38 Eine Ausnahme war nur für den Fall vorgesehen, daß die Einbringung in einen Hafen das Kriegsschiff "einer Gefahr aussetzen oder den Erfolg der Operationen, worin es derzeit begriffen ist, beeinträchtigen könnte. '.39 Freilich sollten vor der Zerstörung die an Bord befindlichen Personen sowie die Schiffspapiere und sonstigen Beweisstücke in Sicherheit gebracht werden. 40 Mit Ausnahme der im Geleit eines Kriegs-
33 Art. 45 und 46. Diese Vorschriften stellten einen bemerkenswerten Beitrag zur Klärung der Rechtslage dar, waren Akte neutralilätswidriger UnterstOtzung, also der Transport gegnerischer Streitkräfte, die Nachrichtenbelorderung sowie die urunittelbare Teilnahme an den Feindseligkeiten, nach den Regeln über die Konterbande oder als "contrebande par analogie" behandelt (dazu J.H.W. Verzijl/W.P. Heere/J.P.S. Ojferhaus [Anrn. 4], S. 343 f.). Die Reaktionen der Staaten auf Akte der neutratilätswidrigen Unterstützung waren höchst uneinheitlich. Dazu G. Schramm, Prisenrecht (Anm. 20), S. 253. Ein britischer Vorschlag auf der II. Haager Friedenskonferenz, neutrale Handelsschiffe, die eine der genannten Funktionen erfiillen, gegnerischen Hilfsschiffen gleichzustellen, scheiterte am Widerstand der Niederlande und der USA, die nicht bereit waren, diese Handlungen als Neutralilätsverletzungen anzuerkennen. Vgl. dazu die Nachweise bei W. Heintschel v. Heinegg, CYIL XXIX (1991), 319 f.; ferner NL. Hili, The Origin ofthe Law ofUnneutral Service, AJIL 23 (1929), 56-67; J. Gaigneron Jollimon de Marolles, L'assistance hostile au cours de Ia Guerre Mondiale, Diss. Rennes 1935, S. 331I 34 Art 40. Diese Vorschrift beruhte auf der k.ontinentaleuropl!ischen Lehre. Im Gegensatz dazu kam es nach der anglo-amerikanischen Lehre ausschließlich auf die Kenntnis des Eigentümers oder des Kapitäns des HandelsschifiS von der Konterbandeeigenschaft an. Vgl. z.B. die Entscheidung des Privy Council im Fall The Ringende Jacob, 1 C.Rob. 89 (1798). Freilich wurde in Art. 43 der Londoner Erklärung bestimmt, daß im Falle der Unkenntnis der Feindseligkeiten die Einziehung der Konterbande nur gegen Entschädigung erfolgen darf. 3' Die Art. 22 und 24 enthielten eine Auflistung detjenigen Waren, die als absolute oder relative Konterbande angesehen werden durften. GernAß Art 27 durften "Gegenstände und Stoffe, die filr kriegerische nicht verwendbar sind, [... ] nicht als Kriegskonterbande erklärt werden." ln Art. 28 und 29 wurden solche ,,freien Waren" aufgelistet Dazu allein Th. Niemeyer, Das Seekriegsrecht nach der Londoner Deklaration vom 26. Februar 1909, Berlin 1910, S. 211I 36 Art. 30 li und 33 li Gemäß Art. 42, einer Kodifikation der Lehre von der Ansteckung, unterlagen auch die "dem Eigentümer von Konterbande gehörenden Waren, die sich an Bord desselben SchifiS befmden", der Einziehung. Zu der Anwendung der Lehre von der Ansteckung vgl. die Nachweise bei W. Heintschel v. Heinegg, CYILXXIX (1991), 327. 37 Art. 30 bestimmte, daß es keinen Unterschied macht, "ob die Zuftlhrung dieser Gegenstände urunittelbar erfolgt oder ob sie noch eine Umladung oder eine BeR>rderung zu Lande erfordert." Diesen Passus enthielt Art. 33 über die Beschlagnahme relativer Konterbande nicht
38 39 40
Art. 48. Art. 49. Art. 50.
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4. Kap., 2. Abschn.: Neutrale Handelsschiffe und Luftfahneuge
schiffes unter ihrer Flagge fahrenden Handelsschiffe41 blieb die neutrale Handelsschiffahrt dem Anhaltungs- und Durchsuchungsrecht unterworfen. 42 Die Londoner Erklärung trat indes nicht in Kraft, da sich das britische Oberhaus der Ratifikation widersetzte. Wenngleich ihre Vorschriften zunächst Eingang in zahlreiche Prisenregelungen fanden, wurden sie in der Folgezeit kaum beachtet, so daß sie sich mehrheitlich nicht zu Gewohnheitsrecht zu verfestigen vermochten. 43 Sowohl während des I. als auch während des II. Weltkriegs wurde die neutrale Handelsschiffahrt sehr viel weiterreichenden Beschränkungen unterworfen. Den Neutralen wurde das Recht abge~rochen, ihre Handelsschiffe im Geleit von Kriegsschiffen fahren zu lassen.4 Wenngleich insbesondere die Neutralen auf dem Geleitrecht beharrten45 , blieb bis zum Ende des II. Weltkriegs ungeklärt, ob sich die Konfliktparteien der Allhaltung und Durchsuchung von im Geleit fahrenden neutralen Handelsschiffen enthalten mußten. 46 Die Lehre von der einheitlichen Reise fand auch auf relative Konterbande Anwendung. 47 Überhaupt wurde die Unterscheidung zwischen relativer und absoluter Konterbande faktisch aufgehoben. Aufgrund 41 Art. 61 f. steHlen ebenfalls einen Versuch zur Klärung der bis dahin umstrittenen Rechtsstellung von im Geleit fahrenden neutralen Handelsschiffen dar. Vgl. dazu die Nachweise bei R. Städter, Flottengeleit im Seekrieg, Harnburg 1936, S. 26 ff.; ders., Geleit, in: WVR I, S. 639-641, 640; ferner U. Scheuner, in: WVR I, S. 408. 41 Verwiesen sei allein auf die Entscheidung des Schiedsgerichts im Fall des französischen Postschiffs Carthage, RIAA 11 (1961), 449 ff. (459); AJIL 7 (1917), 623 ff.: ,.(...] d'apres les principes uni versellement admis, un bätiment de guerre belligerant a, en these generale et sans conditions particulieres, le droit d'arreter en pleine mer un navire de commerce neutre et de proceder a Ia visite pour s'assurer s'il observe les regles sur Ia neutralite, specialement au point de vue de Ia contrebande." DazuP. Seidel, The Carthage and the Manouba, in: EPIL 2, S. 43-45. 43 R.W. Tucker, The Law of War and Neutrality at Sea, Washington D.C. 1957, S.· 266 f.; F. Kalshoven, Commentary on the 1909 London Declaration, in: N. Ronzini (ed.), The Law of Naval Warfare, Dordrecht!Boston!London 1988, S. 257-275, 271 f.; A. Veillon (Anm. 10), S. 85 ff., 124 ff.; W. Meng, Contraband, in: EPIL 3, S. 122·125, 122; Derneutrale Charaktervon Schiffund Ladung im Prisenrecht (Anm. 24), S. 219 ff. 44 Nachdem das Vereinigte Königreich von einer weiteren Anwendung der (nicht in Kraft getretenen) Londoner Erklärung abgesehen hatte, wurden neutrale Handelsschiffe im neutralen Geleit ebenso behandelt wie Schiffe, die sich einer Althaltung und Durchsuchung widersetzen. Dies entsprach der Rechtsprechung britischer Prisengerichte aus dem 18. und 19. Jahrhundert. So in den FAllen The Maria (1 C.Rob. 340 [1799]) und The Elsebe (S C.Rob. 174 [1804]). Vgl. ferner Oppenheim!Lauterpacht (Anm. 29), S. 849 ff. 4 ' Vgl. die Nachweise beiMM. Whiteman, Digest oflntemational Law, Vol. 11, Washington D.C. 1968, S. 37 f.; fernerE. Castren, The Present Law ofWar and Neutrality, Helsinki 1954, S. 580 ff.; R.W. Tucker (Anm. 43), S. 334 f.; B. Akzin, Neutral Convoys in Law and Practice, Michigan L.R 40 (1941142), 1·23; E. Gordon, La visitedes convois neutres, RGDIP 41 (1934), 566-630. Anerkennung fand das neutrale Geleitrecht auch in den Art. 56 ff. des Harvard Draft on Rights and Duties ofNeutral States in Naval and Aerial War, AJIL 33 (1939) Suppl., 167-203. 46 F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. II, 2. Aufl., MOnehen 1969, S. 19S; CJ. Colombos (Anm. 20), § 873;R. SttJdter, Convoy, in: EPIL 3, S. 128·130, 129. 47 S.WD. Rowson, Prize Law During the Second World War, BYIL XXIV (1947), 160-21S, 189 lf.;A. Veillon (Anm. 10), 92 ff.; C.C. Hyde (Anm. 29), S. 2130; Oppenheim/Lauterpacht (Anm. 29), S. 816, 821; R.W. Tucker (Anm. 43), S. 269 f. Vgl. ferner die Nachweise bei MM. Whiteman, Digest 10 (Anm. 2), S. 827 ff.
A Kontrolle des neutralen Handels
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der Einbeziehung von Lebensmitteln und Rohstoffen in die Konterbandelisten gab es praktisch auch keine "freien Waren" mehr. 48 An die Stelle der Anhaltung und Durchsuchung auf hoher See trat zunehmend die Kursanweisung.49 Hinzu kam ein umfassendes System der Kontrolle des neutralen Handels - das sog. Navicert-System, das es den Konfliktparteien ermöglichte, neutrale Handelsschiffe bereits im Ausgangshafen zu untersuchen. 50 Während des II. Weltkriegs wurde das Navicert-System, das fur die neutrale Handelsschiffe zweifellos auch Vorteile beinhaltete51 , mit den sog. "ship warrants scheme" verbunden. 52 Die Folge war "[ ... ) a complete control of neutral trade. No import of a commodity would be navicerted if it exceeded the quota or if either the consignor or consignee were objectionable. Even the 'end use' within the neutral country was controlled if desirable. Exports were similarly rigidly controlled. " 53 Der Begriff der "neutralitätswidrigen Unterstützung" wurde extensiv ausgelegt, und die Rechtsfolgen waren nicht mehr auf die Aufbrin-
48 Da die Londoner Deklaration von 1909 nicht in Kraft getreten war, fehlte es an einer verbindlichen und konkreten Bestimmung des Konterbanderechts. Die Staaten stellten sich daher auf den Standpunkt, der Inhalt des KonterbandebegriffS bestimme sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. S.WD. Rowson, BYIL XXIV (1947), 186 ff.; A. Veillon (Amn. 10), 91 ff., 130 ff.; RW. Tucker (Arun. 43), S. 264 ff.; J. Stone, Legal Controls oflnternational Conflict, New York 1959, S. 478 ff.; E. Castren (Arun. 45), S. 547 ff.; J.W. Garner, Violations of Maritime Law by the Allied Powers during the World War, AJIL 25 (1931), 26-49, 33 ff.; Der neutrale Charakter von Schiffund Ladung im Prisenrecht (Amn. 24), S. 219 ff., 253 ff.; vgl. ferner die Nachweise zur Staatenpraxis bei MM. Whiteman, DigestlO (Amn. 2), S. 795 ff.; W. Heintschel v. Heinegg, CYIL XXIX (1991), 325 ff. 49 Erstmalig anerkannt wurde die Kursanweisung durch ein britisches Prisengericht im Fall des schwedischen Schiffs Zamora, BCPC II (1916), 1 ff. Vgl. ferner Ph.C. Jessup, The Diversion of Merchantrnen, AJIL 34 (1940), 312-315, 312 ff.; R.W. Tucker (Anm. 43), S. 271 ff., 338 ff.; A. de Kerautem, Le derouternent, Diss. Paris 1935, S. 15 ff., 54 ff.; CJ. Colombos (Anm. 20), §§ 889 ff.; J. Wolf, Ships, Diverting and Ordering into Port, in: EPIL 4, S. 223-224; sowie die Nachweise bei W. Heintschel v. Heinegg, CYILXXIX (1991), 301 f. ' 0 Dabei kam auch eine Art Quotenregelung zur Anwendung, der statistische Daten des Handels in Friedenszeiten zugrundelagen. Dazu G. Fitzmaurice, Some Aspects of Modem Contraband Control and the Law ofPrize, BYIL XXII (1945), 73-95, 89 f. Zum Navicert-System vgl. die Nachweise bei D. Steinicke, Kriegsbedingte Risiken der neutralen Seeschiffahrt, Harnburg 1968, S. 3 ff.; ders., Das Navicertsystem: Eine völkerrechtliche Untersuchungs von Maßnahmen der britischen Seehandelskontrolle im ersten und zweiten Weltkrieg, Harnburg 1966; A. Veillon (Arun. 10), S. 97 ff.; MM. Whiteman, Digest 11 (Anm. 45), S. 38 ff.; ferner K. Neuss, Entwicklung des Prisenrechts (Anm. 20), S. 169 ff.; RW. Tucker (Amn. 43), S. 280 ff.;M. Moos, The Navicert in World War II, AJIL 38
(1944), 115-119.
" Die Vorteile lagen darin, daß die im Besitz eines Navicerts befmdlichen neutralen Handelsschiffe durch die Seestreitkräfte des Ausstellerstaats weitgehend unbehelligt blieben. Freilich sah der Gegner in der Annahme eines Navicerts häufig auch einen Akt der neutralitätswidrigen Unterstützung. Vgl. dazu CJ. Colombos (Amn. 20), § 786; ferner die Nachweise bei W. Heintschel v. Heinegg, CYIL XXIX (1991), 303 f. ' 2 Dazu D. Steinicke, Kriegsbedingte Risiken (Amn. 50), S. 34 ff.; CJ. Colombos (Amn. 20), § 783;MM. Whiteman, Digestll (Amn. 45), S. 49 ff. 53 J. V. Lovitt, The Allied Blockade, US Dept. ofState Bull. Vol. 11 (1944), 597-615,601.
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4. Kap., 2. Abschn.: Neutrale Handelsschiffe und Luftfahrzeuge
gung und Einziehung des betreffenden Schiffs beschränkt. 54 Vielmehr wurden neutrale Handelsschiffe- wie auch neutrale Luftfahrzeuge55 -,die im Verdacht standen, die gegnerischen Streitkräfte in neutralitätswidriger Weise zu unterstützen, ohne vorherige Warnung angegriffen und versenkt. 56 Der ursprünglich mit der Londoner Deklaration von 1909 beabsichtigte Versuch der Verbesserung des Schutzes des neutralen Handels wurde durch die Ereignisse der beiden Weltkriege zunichte gemacht. 57 Erhalten blieben neben dem Grundsatz "toute prise doit etre jugee"58 lediglich die Regeln, die den Interessen der Konfliktparteien nutzten - so insbesondere das Recht zum Angriff auf neutrale Handelsschiffe, die sich einer Aufforderung zum Anhalten widersetzen oder einer Durchsuchung tätigen Widerstand entgegensetzen59 oder im Geleit gegnerischer Kriegsschiffe fuhren. 60 Der Nürnberger Gerichtshof bestätigte in bezug auf die neutrale Handelsschiffahrt die grundsätzliche Fortgeltung des Prisenrechts und wertete insbesondere die warnungslosen Angriffe als Völkerrechtsverstöße. Gleichwohl beseitigte etwa das Urteil gegen Admiral Dönitz nicht die durch die Praxis der Weltkriege entstandenen Unsicherheiten über den Stand des Prisenrechts. II. Die Entwicklung seit 194S und der gegenwärtige Stand des Prisenrechts
Seit dem Ende des II. Weltkriegs sind die neutrale Schiff- und Luftfahrt lediglich während der arabisch-israelischen61 und der indisch-pakistanischen 54 R.W Tucker (Anm. 43), S. 319 ff.; N.L. Hili, Recent Developments in the Law ofUnneutral Service, AJIL 21 (1927), 490-498. Vgl. ferner die Nachweise bei MM. Whiteman, Digest 10 (Arun 2), S. 853 ff. ~~ ln Art. 53 der Haager Luftkriegyegeln von 1923 waren die Voraussetzungen niedergelegt, unter denen private neutrale Luftfahrzeuge der Wegnalune unterworfen sein solhen. Zur Anwendung des Prisenrechts auf neutrale Luftfahrzeuge vgl. auch R.W Tucker (Arun 43), S. 354 f[ ~·Diese Praxis fand teilweise Anerkennung in Art. 65 des Harvard Draft von 1939. Danach dürfen neutrale Handelsschiffe wie gegnerische Kriegsschiffe behandelt werden, wenn sie unmittelbar auf der Seite des Gegners an den Feindseligkeiten teilnehmen oder ausschließlich gegnerische Truppen transportieren. "Vgl. die Nachweise oben in Anm. 43.
" Dazu die Nachweise bei S.W.D. Rowson, BYIL XXIV (1947), 162 ff.; A . Gervais, La jurisprudence fran~ (britannique, italierme, allemande) des prises maritimes dans Ia se(Xmde guerre mondiale, RGDIP 52 (1948), 88-161,53 (1949), 201-274, 54 (1950), 251-316,55 (1951), 481-543; G. Kretschmer, Die deutsche Prisenrechtsprechung im zweiten Weltkrieg, Diss. Bonn 1967, S. 104 ff.; P. Fauchille, Jurisprudence fran~se en matiere de prises maritimes, Paris 1916, S. 1 ff. ~ 9 Diese Regel findet sich sowohl im Londoner Protokoll von 1936 als auch in Art. 53 Abs. 2 des Harvard Draft von 1939. Dazu F. Berber, LB II (Arun 46), S. 194 f.; Y. Dinstein, The Laws of Neutrality, lsr. YBHR 14 (1984), 80-110, 103 ff. 60 F.
Berber, LB D (Arun 46), S. 195; R. StMter, Flottengeleit (Arun 41 ), S. 63 ff., 130 ff.
Dazu die Nachweise bei R. OttmQl/er, Anwendung von Seekriegsrecht (Arun 1), S. 47 ff., 292 ff.; R.R. Baxter, The Law ofWar in the Arab-Israeli Conflict: On Waterand on Land, Towson State J.I.Aff. 5 (1971), 1-17; Th.D. Brown Jr., World War Prize Law Applied in a Lirnited War Situation: Egyptian Restrietions on Neutral Shipping with Israel, Minnesota L.R. 50 (1965-1966), 849-873; 61
A Kontrolle des neutralen Handels
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Konflikte62 sowie während des Iran-Irak-Konflikts63 durch prisenrechtliche Maßnahmen in Mitleidenschaft gezogen worden. 64 Die Maßnahmen der Konfliktparteien glichen in weitem Maße der Praxis der beiden Weltkriege, wenn auch die Kontrolle des neutralen Handels keineswegs das Ausmaß etwa der britischen Maßnahmen erreichte. Diese Konfliktpraxis sowie die bereits mehrfach in Bezug genommenen militärischen Handbücher der USA, Kanadas und der Bundesrepublik Deutschland verdeutlichen, daß die Staaten auch heute noch von der grundsätzlichen Zulässigkeil der Anhaltung und Durchsuchung neutraler Handelsschiffe und neutraler Luftfahrzeuge ausgehen. 65 Die Völkerrechtslehre erkennt diese ebenfalls an66, ist sich indes in bezugauf die Existenz eines Kriegszustands als Anwendbarkeits- und Zulässigkeitsvoraus-
AM. Abdef-Fatah, La jurisprudence egyptienne en matiere de prise, Rev.EgypLD.I. 38 (1982), 1191.51; Y. Dinstein, lsr. YBHR 1980,56 f.;LM. Gross, Passage through the Suez Canal oflsrael-Bound Cargo and Israel Ships, AJIL 51 ( 1957), 530-568; J. Trappe, On the Jurisdiction ofthe Egyptian Prize Court, 1948-1960, Rev.Egypt.D.l. 10 (1960), 60-67; W. Heinischef v. Heinegg, CYIL XXX (1992), 91 ff.
62 Dazu R. Ottmüller, Anwendung von Seekriegsrecht (Anm. 1), S. 180 ff., 271 ff.; W. Heinischef v. Heinegg, CYIL XXX (1992), 94 ff.; H. Hecker, Indien erläßt ein Prisengesetz, VRÜ 1972, 4.55465; J. Rohwer, Der indisch-pakistanische Konflikt 1971, Marine-Rundschau 71 (1974), 7-26; D.K. Palit, The Lightning Campaign, Salishury 1972, S. 150 ff.; P. Sharma, The Indo-Pakistan Maritime Conflict, 196.5. A Legal Appraisal, Bombay 1970, S. 87 ff. 63 T. Schiller, The GulfWar and Shipping: Recent Developments, in: B. Parrit (ed.), Violence at Sea, Paris 1986, S. 115 ff.; A. Gioia/N. Ronzitti (Anm. 1), S. 231 ff.; M. Donner, Neutrale Handelsschitfahrt (Anm. 1), S. 235 ff., 248 ff., 261 ff.; R. Lagoni, Gewaltverbot, Seekriegsrecht und Schiffabrisfreiheit im Golfkrieg, in: FS W. Zeidfer, Band II, S. 1833-1867, 1851 ff.; D.L. Peace, Major Maritime Events in the Persian GulfWar, Proc. ASIL 82 (1988), 146-154; W. Heinischef v. Heinegg, CYIL XXX (1992), 102 ff.; D. Momtaz, Commentary, in: A. de Guttry!N. Ronzitti (eds.), The Iran-Iraq War (1980-1988) and the Law ofNaval Warfare, Cambridge 1993, S. 19-35, 24 ff.; A. Gioia, Commentary, ebd., S. 57-81, 59 ff., 72 ff. 64 Zur Beeinträchtigung der internationalen Handelsschiffahrt während des Algerien-Konflikts, der hier wegen seines nicht-internationalen Charakters unberücksichtigt bleiben soll, vgl. die Nachweise bei R. Ottmüller, Anwendung von Seekriegsrecht (Anm. 1), S. 133 ff.; L. Lucchini, Actes de contrainte exerces par Ia France en Haute Mer au cours des operations en Algene, AFDI XII ( 1966), 805-821; W. Heintschel v. Heinegg, CYIL XXX (1992), 100 f.; D.P. O'Connell, International Law and Contemporary Naval Operations, BY1L XLIV (1970), 19-85, 36. 65 Vgl. dazu die Nachweise oben 1. Kapitel, 111., 2. b) bb); ferner NWP 9, para 7.6; Canadian Draft Manual, para. 720; ZDv 15/2, Nr. 1138.
66 A. Gioia/N. Ronzitti (Anm. 1), S. 232;M. Donner, Neutrale Handelsschitfahrt (Anm. 1), S. 167 ff.; R.W. Tucker (Anm. 43), S. 332 ff.; CJ. Colombos (Anm. 20), §§ 864 ff.; 0. Rojahn, Ships, Visit and Search, in: EPIL 4, S. 224-226; Oppenheim!Lauterpacht (Anm. 29), S. 848 ff.; Ch. Rousseau, Le droit des conflits armes, Paris 1983, S. 318 ff.; Y. Dinstein, lsr. YBHR 14 (1984), 103; San Remo Manual, paras. 118 (,,In exercising their legal rights in an international armed conflict at sea, belligerent warships and military aircraft have a right to visit and search merchant vessels outside neutral waters where there are reasonable grounds for suspecting that they are subject to capture."), 125 (.,In exercising their legal rights in an international armed conflict at sea, heiligeren! military aircraft have a right to intercept civil aircraft outside neutral airspace where there are reasonable grounds for suspecting they are subject to capture."). Ebenso das Committee on Maritime Neutrality der ILA: "[... ) heiligeren! war ships have a right to visit and search vis-a-vis neutral commercial ships in order to ascertain whether those ships carry contraband"
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4. Kap., 2. Abschn.: Neutrale Handelsschiffe und Luftfahlzeuge
setzung des Prisenrechts nicht einig.67 Freilich soll das Anhaltungs- und Durchsuchungsrecht nicht uneingeschränkt gelten. So wird gefordert, es müßten hinreichende Verdachtsmomente für die BefOrderung von Konterbande oder für einen Akt neutralitätswidriger (besser: feindseliger68) Unterstützung bestehen. 69 Diese Einschränkung macht indes keinen rechten Sinn, dient doch die Überprüfung eines neutralen Handelsschiffs oder Luftfahrzeugs gerade der Feststellung, ob es sich z.B. der Beförderung von Konterbande enthält. Freilich sollten Allhaltung und Durchsuchung "with alt possible tact and consideration" durchgeführt werden. 70 Demgegenüber ist heute allgernein anerkannt, daß neutrale Fahrzeuge im Geleit von Kriegsschiffen oder militärischen Luftfahrzeugen, die dieselbe Flagge fUhren, von der Allhaltung und Durchsuchung ausgenommen sind. 71 Der Kornmandant des Geleitzug ist jedoch auf verlangen verpflichtet, Informationen über Art und Bestimmungsort der Ladungen zu geben. 72 Neuerdings wird vereinzelt geltend gemacht, auch sog. multinationale Geleitzüge seien von prisenrechtlichen Maßnahmen auszunehmen. 73 Indes steht die Staatenpraxis, insbesondere das Urnflaggen von elf kuwaitischen Tankern durch die USA während des Iran-IrakKonflikts74, der Annahme eines entsprechenden Rechts de lege lata entgegen. Ist eine Anhaltung und Durchsuchung auf hoher See nicht möglich oder unzurnutbar, dürfen neutrale Handelsschiffe angewiesen werden, einen Hafen Dazu die Nachweise oben 2. Kapitel, I. Absclmitt, 1., II. 3. Der Begriff ,,neutralitätswidrig" ist irrefilhrend, da die unter diesen Begriff fallenden Verhaltensweisen völkerrechtlich nicht verboten sind, sondern lediglich den Schutz des Neutralitätsrechts entfallen lassen. Zudem entspricht der Begriff ,,feindselig" dem französischen Wortlaut der Art. 45 f. der Londoner Deklaration von 1909 (,,Oe l'assistance hostile"). 69 So San Rerno Manual, paras. 118, 125; ferner die britische Erklärung in bezug auf prisenrechtliche Maßnahmen des Iran während des Iran-Irak-Konflikts: .. [... ] under Article 51 ofthe United Nations Charter a State such as Iran, actively engaged in an arrned conflict, is entitled in exercise ofits inherent right ofself-