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German Pages 368 Year 2019
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 289
Schuldausschließungsgründe bei Täterschaft und Teilnahme Von
Alexander Bechtel
Duncker & Humblot · Berlin
ALEXANDER BECHTEL
Schuldausschließungsgründe bei Täterschaft und Teilnahme
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 289
Schuldausschließungsgründe bei Täterschaft und Teilnahme Von
Alexander Bechtel
Duncker & Humblot · Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Jörg Eisele, Tübingen Die Juristische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen hat diese Arbeit im Jahre 2019 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D21 Alle Rechte vorbehalten © 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-15846-1 (Print) ISBN 978-3-428-55846-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85846-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2019 von der Juristischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Die Disputation fand am 20.05.2019 statt. Rechtsprechung und Schrifttum sind im Wesentlichen bis zum Juli 2019 berücksichtigt. Ein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Jörg Eisele. Dieser Dank bezieht sich nicht nur auf das gewährte Vertrauen mit Blick auf das – selbst gewählte – Thema der Arbeit und das stetige Interesse an deren Fortgang, sondern auch auf die Ermutigung zu eigener wissenschaftlicher Betätigung außerhalb des Promotionsvorhabens. Ein Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Bernd Heinrich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Für zahlreiche intensive Diskussionen über den Gegenstand der Arbeit schulde ich Frau Professorin Dr. Ulrike Schittenhelm Dank. Nicht selten konnte der Blick des Verfassers durch die – durchaus kritischen – Nachfragen wieder geschärft und zurück auf das Wesentliche gelenkt werden. Für die Aufnahme in die renommierte Reihe der „Strafrechtlichen Abhandlungen. Neue Folge“ bedanke ich mich bei den Herausgebern, Herrn Professor Dr. Andreas Hoyer und Herrn Professor Dr. Dres. h.c. Friedrich-Christian Schroeder. Jessica Wendt danke ich für ihre stetige Unterstützung und ihr Verständnis. Der so vermittelte Rückhalt war für die kontinuierliche Verfolgung des Promotionsvorhabens ganz wesentlich. Zum Gelingen dieser Arbeit haben schließlich meine Eltern, die mich auch während meines Promotionsvorhabens in vielfältiger Weise vorbehaltlos unterstützt haben, maßgeblich beigetragen. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Tübingen, im Juli 2019
Alexander Bechtel
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gegenstand und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Zum Begriff der Schuldausschließungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Von Entschuldigungs- und Schuldausschließungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kritik an der Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum Begriffsverständnis im Rahmen der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kritische Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Diskussionsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Folgerungen für die eigene Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzung zu Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründen . . . . . . . 1. Strafausschließungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strafaufhebungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abgrenzungsschwierigkeiten mit Wurzeln im Besonderen Teil . . . . . b) Abgrenzungsschwierigkeiten mit Wurzeln im Allgemeinen Teil: Der Rücktritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fehlendes Konfliktpotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Notwendigkeit der Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zur Einordnung des Rücktritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Einordnung auf Schuldebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erfassung durch die „vierte Deliktskategorie“ . . . . . . . . . . . . (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schuldausschluss außerhalb gesetzlicher Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zum Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Bedeutung bei den sog. Entschuldigungsgründen (insb. § 35 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bedeutung der (Un-)Zumutbarkeit für den Schuldausschluss nach § 35 I 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bedeutung der (Un-)Zumutbarkeit für den Exkulpationsausschluss nach § 35 I 2 HS. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zur Widerlegbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28 28 29 30 30 31 33 33 34 35 35 36 36 37 38 39 41 43 45 46 47 47 48 48 51 52
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Inhaltsverzeichnis (a) Widerlegbarkeit bei besonderen Rechtsverhältnissen . . . (b) Widerlegbarkeit bei Selbstverursachung . . . . . . . . . . . . . . (c) Zusammenfassung: Bedeutung der (Un-)Zumutbarkeit bei Widerlegung der Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zur Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Zumutbarkeit bei Garantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Zumutbarkeit und Außerverhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . (c) Zusammenfassung: Bedeutung der (Un-)Zumutbarkeit im Rahmen der Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Rolle der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens bei Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fahrlässigkeitsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unechte Unterlassungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zur Verallgemeinerungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewissenstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Übergesetzlicher entschuldigender Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Euthanasie-Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung zum rechtfertigenden Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zur historischen Dimension der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zur gegenwärtigen Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verfassungsrechtliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Strafrechtliche Begründung einer Rechtfertigung . . . . . . . . . . (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zur grundsätzlichen Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zur Differenzierung im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zum postulierten Erfordernis der Gefahrengemeinschaft . . . . . . . bb) Wahl des (numerisch) kleineren Übels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schuldausschluss bei Handeln auf Weisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zu den relevanten Entschuldigungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 33 StGB als Entschuldigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abweichende Deutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zur Bedeutung präventiver Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Präventionsgesichtspunkte als Säule des § 35 StGB? . . . . . . . (2) Präventionsgesichtspunkte als Säule des § 33 StGB? . . . . . . .
117 117 118 118 120 122 122 123
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Inhaltsverzeichnis bb) Einwände gegen das Modell der doppelten Schuldminderung . . (1) Einwände mit Blick auf § 35 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Einwände mit Blick auf § 33 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konsequenzen für Teilnahme-Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Denkbare Konfliktlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 35 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorliegen einer Gefahrengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gefahrengemeinschaft mit gleichmäßiger Chancenverteilung . . . (1) Karneades-Fall 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ballon-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung . . . . . . (1) Bergsteiger-Fall 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schotten-dicht-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nichtvorliegen einer Gefahrengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Haustyrannen-Fall 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Weichensteller-Fall 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übergesetzlicher entschuldigender Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorliegen einer Gefahrengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gefahrengemeinschaft mit gleichmäßiger Chancenverteilung . . . bb) Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung . . . . . . (1) Flugzeug-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bergsteiger-Fall 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nichtvorliegen einer Gefahrengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Lösung der Konfliktlagen nach gängigem Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 35 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorliegen einer Gefahrengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gefahrengemeinschaft mit gleichmäßiger Chancenverteilung . . . (1) Karneades-Fall 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ballon-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung . . . . . . (1) Bergsteiger-Fall 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schotten-dicht-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nichtvorliegen einer Gefahrengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Haustyrannen-Fall 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Weichensteller-Fall 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übergesetzlicher entschuldigender Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorliegen einer Gefahrengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gefahrengemeinschaft mit gleichmäßiger Chancenverteilung . . .
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Inhaltsverzeichnis bb) Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung . . . . . . (1) Flugzeug-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bergsteiger-Fall 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nichtvorliegen einer Gefahrengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Begründungswege der gängigen Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die limitierte Akzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entwicklungsstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Constitutio Criminalis Carolina vor dem Hintergrund italienischen Rechtsdenkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vom neuen Abstraktionsniveau des Naturrechts . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Entwicklung im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) 1943 bis 1975 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Nationalsozialistischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Anerkennung der Limitierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Der Weg zum Zweiten Strafrechtsreformgesetz . . . . . . . . . . . . . . . gg) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) De lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 29 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Reichweite nach gängiger Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) §§ 26, 27 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Reichweite nach gängiger Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der abweichende Handlungsbegriff nach Jakobs . . . . . . . . . . (3) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wesen der Entschuldigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Wesen der Teilnahme“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strafmilderung als Kompromiss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Abweichende Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gebotene Differenzierung nach alter und neuer Rechtslage . . . . . . . . . . . . 2. Lösungsansätze auf dem Boden der §§ 48, 49 StGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . a) Rudolphis abweichende Bestimmung der gesetzgeberischen Intention aa) Zur Reichweite des § 50 StGB (a. F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zum Wesen des Notstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zu Wesen und Strafgrund der Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Rudolphis Blick in die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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ff) Lösung der Konfliktlagen nach Rudolphi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weitere Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Niethammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Peters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Baumann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der AE zu E 62 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösungsansätze auf dem Boden der §§ 26, 27 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Maurachs Lehre von der Tatverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zum Inhalt der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auswirkungen auf die Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Lösung der Konfliktlagen nach Maurach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Lehre vom rechtsfreien Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zum Inhalt der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konkretisierende und verwandte Konzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . cc) Auswirkungen auf die Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Lösung der Konfliktlagen bei Anerkennung eines rechtsfreien Raumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Jägers differenzierender Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zum Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Lösung der Konfliktlagen nach Jäger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Fazit zu den gefundenen Ergebnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Der umgekehrte Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bergsteiger-Fall 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Karneades-Fall 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haustyrannen-Fall 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
210 211 211 216 218 219 222 222 222 224 226 231 232 233 234 237 238 238 240 241 244
D. Beteiligung im Umfeld von Schuldausschließungsgründen im engeren Sinne I. Beteiligung im Umfeld des § 17 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konstellationen mittelbarer Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Exkurs: Der Katzenkönig-Fall des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Handeln im unvermeidbaren Verbotsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Echte“ Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
257 258 258 258 260 262
245 245 245 248 252 252 254 254 254 254 255
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Inhaltsverzeichnis a) Teilnahme bei Unkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonderdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigenhändige Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beteiligung im Umfeld des § 20 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konstellationen mittelbarer Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Echte“ Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Teilnahme bei Unkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonderdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigenhändige Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beteiligung im Umfeld des § 19 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konstellationen mittelbarer Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Echte“ Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
262 264 265 267 267 273 273 274 277 279 279 282 282
E. Entwicklung einer eigenen Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Von der Untersuchung erfasste Schuldausschließungsgründe . . . . . . . . . . 3. Die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anerkennung eines übergesetzlichen entschuldigenden Notstandes . . . . . 5. Die Teilnahme im Umfeld entschuldigter Taten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Sonderrolle des Notwehrexzesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Nachrangigkeit von Strafzweckerwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Limitierung der Akzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Weitergehende Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Abweichende Konzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Lösungsansätze auf dem Boden der §§ 48, 49 StGB a. F. . . . . . . . bb) Lösungsansätze auf dem Boden der §§ 26, 27 StGB . . . . . . . . . . . cc) Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schuldausschließungsgründe im engeren Sinne als Prüfstein für die Tatherrschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Teilnahme an entschuldigter Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mögliche Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Gesichtspunkt der Gefahrengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Gesichtspunkt der Konfliktnähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zur Bedeutung der Zufälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Wann ist zufällig „zufällig“ mit Blick auf die Gefahrverteilung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Präkludierte Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
286 286 286 286 287 288 289 289 290 290 292 293 293 294 295 296 297 297 299 301 302 302 303 305
Inhaltsverzeichnis (2) Zur Bedeutung der bestimmungsgemäßen Geschehenssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Einfluss von Garantenstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Gefahrbefasstheit durch Einbeziehung? . . . . . . . . . . . . . . (3) Mögliche Weiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mögliche Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verengung auf Lebensnotstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dominieren generalisierender Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konsequenzen für die Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konsequenzen für den Anwendungsbereich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Übertragung der Konzeption auf die Konfliktlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 35 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Karneades-Fall 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ballon-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bergsteiger-Fall 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schotten-dicht-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Haustyrannen-Fall 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Weichensteller-Fall 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übergesetzlicher entschuldigender Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fährmann-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Flugzeug-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bergsteiger-Fall 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Weichensteller-Fall 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der umgekehrte Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bergsteiger-Fall 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Karneades-Fall 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haustyrannen-Fall 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Exkurs: Der übergesetzliche Schuldausschluss im Zeitalter automatisierten Fahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strafrechtliche Dilemmata beim automatisierten Fahren . . . . . . . . . . . . . . 2. Mögliche Lösungswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beispiel 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fahrzeugführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Hersteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beispiel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fahrzeugführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
305 309 311 312 312 312 313 313 315 317 318 318 318 319 319 320 321 321 322 322 323 325 325 325 325 326 326 326 327 328 329 329 329 333 336 336
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Inhaltsverzeichnis bb) Hersteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 c) Würdigung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
G. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 I. Der übergesetzliche entschuldigende Notstand als notwendige „Fortschreibung“ der Prinzipien des § 35 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 II. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. a. F. A/W/H/H AE AL Anm. Art. AT Aufl. B/W/M/E BayObLG BB Bd. BeckOK Begr. BGB BGBl. BGH BGHSt BT BT-Drs. BVerfG BVerfGE bzgl. bzw. ders. d.h. dies. DJ DRiZ DRZ DStR DuR etc. f.
anderer Ansicht am angegebenen Ort alte Fassung Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf Alternativ-Entwurf Ad Legendum Anmerkung Artikel Allgemeiner Teil Auflage Baumann/Weber/Mitsch/Eisele Bayerisches Oberstes Landesgericht Betriebsberater Band Beck’scher Online Kommentar Begründung Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Besonderer Teil Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bezüglich beziehungsweise derselbe das heißt dieselbe Deutsche Justiz Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsches Strafrecht Demokratie und Recht et cetera folgend
16 ff. FG FS GA gem. GG GS HK/GS h. M. Hrsg. i. E. i. S. d. i.V. m. JA JR Jura JuS JW JZ KritV LK LKW LuftSiG MDR MK M/R MSchrKrim m.w. N. NJW NK NStZ NVwZ NZV OGHBrZ OGHSt OLG Pkw RAW RGBl. RGSt Rn.
Abkürzungsverzeichnis fortfolgende Festgabe Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht gemäß Grundgesetz Gedächtnisschrift Handkommentar Gesamtes Strafrecht herrschende Meinung Herausgeber im Ergebnis im Sinne des/der in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Leipziger Kommentar Lastkraftwagen Luftsicherheitsgesetz Monatsschrift für Deutsches Recht Münchener Kommentar Matt/Renzikowski Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Nomos Kommentar Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Oberster Gerichtshof für die Britische Besatzungszone Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen Oberlandesgericht Personenkraftwagen Recht Automobil Wirtschaft Reichsgesetzblatt Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Strafsachen Randnummer
Abkürzungsverzeichnis S. SchwZStr SJZ SK s. o. sog. SoldG S/S/W StGB StPO StraFo StrRG StV StVollzG s. u. SVR u. u. a. UZwG v. vgl. Vorbem. VRS wistra WStG z. B. ZIS ZRP ZStW z. T.
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Seite Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Süddeutsche Juristen-Zeitung Systematischer Kommentar siehe oben sogenannte/r/s/n Soldatengesetz Satzger/Schluckebier/Widmaier Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafverteidiger Forum Gesetz zur Reform des Strafrechts Strafverteidiger Strafvollzugsgesetz siehe unten Straßenverkehrsrecht und unter anderem/und andere Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes von/vom vergleiche Vorbemerkung/-en Verkehrsrechts-Sammlung Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wehrstrafgesetzbuch zum Beispiel Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil
A. Einleitung I. Einführung Die akzessorietätsbezogenen Regelungen des Strafgesetzbuches (StGB) wie auch die ebendort kodifizierten Schuldausschließungsgründe waren und sind regelmäßig Gegenstand vertiefter wissenschaftlicher Betrachtung.1 Die größte Schnittmenge beider Regelungsmaterien findet sich unter dem Gesichtspunkt der sog. limitierten Akzessorietät, mithin unter der Annahme, dass das Unrecht beteiligtenübergreifend wirkt, während die Schuld Gegenstand individueller Betrachtung ist. Mit Blick auf die Beteiligung an Taten Geisteskranker, Berauschter oder im (unvermeidbaren) Verbotsirrtum Handelnder leuchtet der Grundsatz der limitierten Akzessorietät denn auch ohne weiteres ein. Inwiefern ein persönliches Defizit, das bereits die Einsichtsfähigkeit oder die Fähigkeit, nach dieser zu handeln, ausschließt, einem Hinzutretenden zu Gute kommen sollte, ist nicht ersichtlich. Hier wird vielmehr zu fragen sein, ob und unter welchen Voraussetzungen das Tätigwerden im Umfeld eines entsprechend beeinträchtigten Täters eine übergeordnete – täterschaftliche – Verantwortlichkeit begründet. Weniger eindeutig stellt sich die Lage mit Blick auf Situationen dar, in denen der Schuldausschluss Ausfluss der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens, mithin eines situativ bedingten besonderen Handlungs- und Entscheidungsdrucks ist. Hier stellt sich die Frage, ob die Reichweite der schuldausschließenden Wirkung, wie sie von den kodifizierten Entschuldigungsgründen einer-, den akzessorietätsbezogenen Regelung andererseits vorgegeben wird, in jedem Falle zu einer tat- und schuldangemessenen Bestrafung führt. Mit der zuletzt aufgeworfenen Frage haben sich nur wenige Autoren eingehender befasst. Zu mächtig wirken die Festlegungen im StGB, als dass eine differenzierende Lösung auch nur erwogen würde. Dabei bietet die Fragestellung die Chance, darüber nachzudenken, welche Ansprüche eine Rechtsordnung an die gleichermaßen vernunftbegabten wie triebge1 Fragen der Akzessorietät wurden in jüngerer Zeit etwa behandelt von Gerhold, Die Akzessorietät der Teilnahme an Mord und Totschlag, 2014; Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011; als Arbeiten mit engem Bezug zu den Schuldausschließungsgründen und den sie tragenden Erwägungen sind etwa zu nennen Diederich, Ratio und Grenzen des straflosen Notwehrexzesses, 2001; Momsen, Die Zumutbarkeit als Begrenzung strafrechtlicher Pflichten, 2006; Motsch, Der straflose Notwehrexzess, 2003; Wortmann, Inhalt und Bedeutung der „Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“ im Strafrecht, 2002; vergleichsweise „betagt“, aber in dieser Aufzählung zwingend zu nennen ist ferner die von Bernsmann vorgelegte Studie zu § 35 StGB: „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989.
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A. Einleitung
steuerten Normunterworfenen stellen darf, um auf diesem Wege eine weitere Konkretisierung der immer wieder – reichlich pauschal – in Bezug genommenen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zu erreichen. Was in der wissenschaftlichen Literatur zumeist – sofern überhaupt erwähnt – unter dem Gesichtspunkt der Teilnahme an der Notstandstat behandelt bzw. aufgegriffen wird, soll Gegenstand umfassender Untersuchung sein, wobei ein besonderes Augenmerk darauf liegen soll, die bezüglich der Teilnahme-Konstellationen von der ganz h. M. erzielten Ergebnisse kritisch zu hinterfragen, ohne den Blick für den gesetzlich gesteckten Rahmen zu verlieren. Unter Beachtung der Seltenheit von Notstandssituationen, die einer Auflösung auf Unrechtsebene unzugänglich sind, erscheint eine eingehendere Untersuchung zunächst als reichlich realitäts- und damit praxisfern. Dabei bietet sie bei genauerem Hinsehen jedoch Anlass, die den Schuldausschluss tragenden Erwägungen nachzuvollziehen und daraus Folgerungen zunächst für die Behandlung von Teilnahme-Konstellationen, sodann aber auch für den Umgang des Strafrechts mit dilemmatischen Situationen generell zu ziehen. Nicht umsonst hat in jüngerer Zeit Jäger „das Problem der Teilnahme an der schuld- und verantwortungsfreien Tat“ 2 in den Blick genommen und die Notwendigkeit „nähere[r] Untersuchung“ 3 festgestellt. Dabei hält er die Erkenntnis für möglich, „dass Drittwirkungsfragen der eigentliche Prüfstein der Schulddogmatik sind“ 4. Die Fragestellung lässt sich an klassischen Fallgestaltungen aus dem Bereich der Notstandsdogmatik exemplifizieren, etwa wenn man den sog. Bergsteiger-Fall, in welchem ein Bergsteiger droht, von einem abgestürzten Kameraden mit in die Tiefe gezogen zu werden, um einen weiteren Akteur ergänzt, der den vom Absturz Bedrohten via Zuruf dazu auffordert, das Verbindungsseil zu kappen. Entsprechende Weiterungen sind auch in anderen, in der Literatur immer wieder anzutreffenden Fallbeispielen denkbar, von denen an dieser Stelle nur der Karneades-Fall, der Fährmann-Fall oder der Weichensteller-Fall genannt sein sollen.5 Über die Frage, wer vom gesetzlich vorgesehenen Schuldausschluss profitieren soll, erfolgt also ein Zugang zu der Frage, weshalb schuldhaftes Handeln in bestimmten Situationen zu verneinen ist. Wenn diese – zufriedenstellend – beantwortet ist, kann der Blick zurück auf die personale Reichweite des Schuldausschlusses gelenkt werden, um die ausgemachten Erwägungen – unter Berücksichtigung geltenden Gesetzesrechts – fruchtbar zu machen.
2 3 4 5
Jäger, FS-Beulke, S. 127, 130. Jäger, FS-Beulke, S. 127, 136. Jäger, FS-Beulke, S. 127, 136. Eingehend zu den denkbaren Konfliktlagen unten C.II.
II. Gegenstand und Ziel der Untersuchung
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II. Gegenstand und Ziel der Untersuchung Wie vorstehend bereits angedeutet, steht im Zentrum der Untersuchung die Frage, ob die Reichweite des Schuldausschlusses in Situationen der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens, wie sie sich aus den akzessorietätsbezogenen Regelungen wie auch aus den Entschuldigungsgründen selbst ergibt, differenzierter Betrachtung bedarf. Dabei berühren sich – auch das wurde bereits deutlich – Fragen der Akzessorietät und ihrer Limitierung sowie, soweit die bedeutendste kodifizierte Form der Unzumutbarkeit in Bezug genommen ist, Fragen der „Notstandslehre selbst“ 6. Damit liegt ein Schwerpunkt der Untersuchung auf den akzessorietätsbezogenen Bestimmungen und deren Entwicklung, ein weiterer aber auf den Schuldausschließungsgründen und den sie tragenden Erwägungen. Wenn in den einleitenden Worten pauschal und differenzierungslos von „Schuldausschließungsgründen“ die Rede ist, ist damit einerseits das im Rahmen der Arbeit präferierte Begriffsverständnis vorweggenommen, andererseits und insbesondere aber auch die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit eben diesem Begriffsverständnis zum Ausdruck gebracht.7 Die Frage nach der zutreffenden „Etikettierung“, mithin nach der begrifflichen Grundlegung, bildet freilich nur den Rahmen für die Betrachtung einzelner, die Vorwerfbarkeit des Täterhandelns negierender Gründe. In diesem Zusammenhang ist ausdrücklich auch der hier so bezeichnete Schuldausschluss außerhalb gesetzlicher Regelung zu berücksichtigen, der seinen „prominentesten Vertreter“ im übergesetzlichen entschuldigenden Notstand findet. Dessen Rückbindung an den entschuldigenden Notstand ist dabei von besonderem Interesse, lassen die sich insoweit gewonnenen Erkenntnisse doch ggf. mit Blick auf die Situation der Teilnahme an entschuldigter Tat fruchtbar machen. Es geht, und dies sei ausdrücklich klargestellt, nicht darum, das bestehende Beteiligungssystem, insbesondere dessen akzessorietätsbezogene Regelungen, umzugestalten. Auch wird keine Neukodifizierung im Bereich der Schuldausschließungsgründe angestrebt. Vielmehr soll die Rechtslage, wie sie sich gegenwärtig darstellt, auf etwaige Unzulänglichkeiten hin untersucht werden. In diesem Zusammenhang kommt man nicht umhin, in der Literatur vertretene Deutungsmuster betreffend die akzessorietätsbezogenen Regelungen bzw. die Schuldausschließungsgründe heranzuziehen, die sich von der insoweit jeweils herrschenden Auffassung entfernen und mit Blick auf Beteiligungs-Konstellationen zu abweichenden Ergebnissen gelangen. Insbesondere hinsichtlich der Verortung existentieller Bedrohungssituationen, in denen kein Rechtfertigungsgrund eingreift, sind abweichende Deutungen – etwa in Gestalt der Lehre vom rechtsfreien Raum oder der Zugrundelegung der (Verbrechens-)Systemkategorie der Tatver6 7
Roxin, AT I, § 22 Rn. 66. Näher unten B.I.
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A. Einleitung
antwortung – auszumachen, deren gedankliche Grundlegungen ggf. den Boden für eine differenzierte Betrachtungsweise zu bereiten vermögen.8 Ziel der Untersuchung ist es damit, eine differenzierende Lösung für Beteiligungs-Konstellationen zu entwickeln, in denen die ganz herrschende Auffassung – unter Verweis auf die limitierte Akzessorietät sowie die Notstandslehre – durchweg zum Ergebnis der Strafbarkeit gelangt.
III. Gang der Untersuchung Am Anfang der Untersuchung (B.) stehen die Schuldausschließungsgründe. Insoweit besteht – mit Blick auf die häufig anzutreffende Differenzierung zwischen Schuldausschließungsgründen einerseits und Entschuldigungsgründen andererseits – zunächst die Notwendigkeit, das für den weiteren Verlauf der Untersuchung maßgebliche Begriffsverständnis zu entwickeln.9 Sodann ist der Kreis der die Vorwerfbarkeit negierenden Gründe präziser zu bestimmen, indem eine Abgrenzung zu bloßen Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründen erfolgt.10 Von besonderer Bedeutung ist dabei die Verortung des Rücktritts in der Verbrechenssystematik, existieren doch nicht wenige Stimmen, die – entgegen der dominierenden Auffassung – einer Charakterisierung als Strafaufhebungsgrund widersprechen und bereits die Vorwerfbarkeit berührt sehen.11 Eine weitere Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes erfolgt durch die Hinwendung zum Schuldausschluss außerhalb gesetzlicher Regelung.12 Ausgangspunkt ist in diesem Zusammenhang die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens,13 welche nach verbreiteter Auffassung nicht nur die Blaupause für einen Teil der gesetzlich normierten Schuldausschließungsgründe bildet, sondern für den Bereich der Fahrlässigkeits- und Unterlassungsstrafbarkeit weitgehend auch als ungeschriebener Schuldausschließungsgrund anerkannt ist. Z. T. wird die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens auch über den Bereich der Fahrlässigkeits- und Unterlassungsstrafbarkeit hinausgehend als selbstständiger, die Vorwerfbarkeit negierender Gesichtspunkt in die Diskussion eingeführt. In jedem Fall ist ihre Bedeutung für die Vorschrift des § 35 StGB zu untersuchen, um – auch und insbesondere unter Einbeziehung der Fälle des Exkulpationsausschlusses in § 35 I 2 HS. 1 StGB – ggf. auf einen eigenständigen Gehalt der Unzumutbarkeit schließen zu können.14 Mit der gleichen Intention erfolgt die Hinwendung 8
Näher unten C.V. Dazu B.I. 10 Vgl. B.II. 11 B.II.2.b). 12 B.III. 13 B.III.1. 14 B.III.1.b). 9
III. Gang der Untersuchung
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zur Rolle der Unzumutbarkeit im Rahmen der Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikte.15 Nachdem ein Schlaglicht auf die – von verfassungsrechtlichen (Vor-)Fragen dominierte – sog. Gewissenstat geworfen wird,16 richtet die Untersuchung ihr Augenmerk auf den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand.17 Dieser erfuhr in der jüngeren Vergangenheit verstärkte Aufmerksamkeit durch das – vom Bundesverfassungsgericht in Teilen für verfassungswidrig erklärte – Luftsicherheitsgesetz18 sowie durch das den Regelungsgegenstand des Gesetzes aufgreifende Theaterstück „Terror“ von Ferdinand von Schirach. Die historischen Wurzeln der übergesetzlichen Entschuldigung liegen indes in den sog. Euthanasie-Fällen, in denen über die Strafbarkeit von an der nationalsozialistischen Euthanasie-Aktion mitwirkenden Ärzten und Pflegern zu befinden war, welche für sich in Anspruch nahmen, durch ihre Mitwirkung jedenfalls einige der ihnen anvertrauten Personen gerettet zu haben.19 Da mitunter auch mit Blick auf die angeklagten Ärzte und Pfleger für eine Rechtfertigung plädiert wurde, ist die Brücke geschlagen zur Abgrenzung des möglichen Anwendungsbereichs des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands zum rechtfertigenden Notstand.20 Sodann ist zur grundsätzlichen Anerkennung des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands Stellung zu nehmen,21 bevor Einzelfragen in den Blick zu nehmen sind.22 Nach einer kurzen Hinwendung zu einem möglichen Schuldausschluss bei Handeln auf Weisung23 sind die hinsichtlich des Begriffs der Schuldausschließungsgründe sowie hinsichtlich des Inhalts und der Relevanz einzelner die Vorwerfbarkeit negierender Gründe gefundenen Ergebnisse zusammenfassend darzulegen.24 In einem nächsten Schritt wird gezielt die Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten in den Blick genommen (C.). Die – nach hiesigem Begriffsverständnis25 – konkretisierend als Entschuldigungsgründe zu bezeichnenden Vorschriften der §§ 33, 35 StGB werden zunächst im Hinblick auf in der Literatur z. T. vertretenen Deutungsmuster, welche die Vorschriften (und deren Ausgestaltung) irrtumsbezogen oder strafzweckorientiert erklären, untersucht.26 So könnte eine ab-
15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
B.III.1.c). B.III.2. B.III.3. Dazu B.III.3.b)bb)(1). B.III.3.a). B.III.3.b). B.III.3.c). B.III.3.d). B.IV. B.V. Dessen Entwicklung erfolgt, wie dargelegt, unter B.I. C.I.1.
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A. Einleitung
weichende Grundlegung, namentlich eine strafzweckorientierte Lesart, zugleich Ausgangspunkt einer differenzierten Bewertung der Teilnehmerstrafbarkeit sein, sodass schon insoweit eine Klarstellung angezeigt ist. Schließlich ist – anknüpfend an die ausgemachte Struktur des § 33 StGB – zu eruieren, ob der Notwehrexzess Bestandteil des nachfolgenden Untersuchungsprogrammes sein kann.27 Im Anschluss daran sind, zur Veranschaulichung der Fragestellung, Fallgestaltungen darzulegen, in denen eine Strafbarkeit wegen Teilnahme an entschuldigter Tat im Raum steht.28 Dabei erfolgt eine Differenzierung nach Situationen, in denen sich der Täter auf § 35 StGB berufen kann29 und solchen, in denen der Täter – jedenfalls nach verbreiteter Auffassung – den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand beanspruchen kann.30 Weitergehend erfolgt jeweils eine Differenzierung nach Vorliegen oder Nichtvorliegen einer sog. Gefahrengemeinschaft, wobei – in Fällen des Vorliegens – nochmals zwischen verschiedenen Formen der Gefahrengemeinschaft unterschieden wird. Auf diese Weise soll die Vielgestaltigkeit dilemmatischer Notstandssituationen, die – mit Blick auf die Teilnahme – ggf. von vornherein differenzierender Behandlung bedürfen, aufgezeigt werden. Nach Lösung der dargestellten Konfliktlagen auf Basis des gängigen Verständnisses31 werden die diesbezüglich auszumachenden Begründungswege in den Mittelpunkt der Betrachtungen gerückt.32 Den Ausgangspunkt bildet die limitierte Akzessorietät.33 Dabei wird zunächst ein Überblick über die historische Entwicklung der akzessorietätsbezogenen Vorschriften und des – damit einhergehenden – Akzessorietätsverständnisses gegeben,34 wobei die 1532 in Kraft getretene Constitutio Criminalis Carolina (Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V.) den Beginn der Betrachtungen markiert. Schwerpunkte liegen bei der Abbildung der Entwicklung auf dem Beteiligungssystem des Reichsstrafgesetzbuches von 187135, der Strafrechtsangleichungs- und Durchführungsverordnung aus dem Jahre 194336 sowie dem Weg zum Zweiten Strafrechtsreformgesetz.37 Der historische Zugang stellt sich insoweit als Notwendigkeit dar, als erstens Begründungsstrukturen hervortreten, die noch in der Gegenwart fruchtbar gemacht werden, und 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37
C.I.2. C.II. C.II.1. C.II.2. C.III. C.IV. C.IV.1. C.IV.1.a). C.IV.1.a)dd). C.IV.1.a)ee). C.IV.1.a)ff).
III. Gang der Untersuchung
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zweitens vermeintliche Gewissheiten über vom Gesetzgeber verfolgte Ziele in einem anderen Licht erscheinen. Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung ist sodann das gegenwärtige Akzessorietätsverständnis zu beleuchten.38 Insbesondere das Verständnis des § 29 StGB ist dabei kritisch zu würdigen.39 Mit Blick auf die §§ 26, 27 StGB ist eine Auseinandersetzung namentlich mit Jakobs, der einen abweichenden Handlungsbegriff zugrunde legt, geboten.40 Auch die Entschuldigungsgründe selbst, namentlich die „Notstandslehre“ 41, werden bezüglich der Teilnehmerstrafbarkeit als maßgeblicher Gesichtspunkt ins Feld geführt (C.IV.2.).42 Schließlich sind Ansätze zu würdigen, welche die Anforderungen an eine teilnahmefähige Haupttat maßgeblich aus dem „Wesen der Teilnahme“ herzuleiten trachten.43 Ein weiterer Abschnitt44 widmet sich abweichenden Lösungsansätzen. Diese weichen insoweit ab, als sie mit Blick auf die Situation der Teilnahme an entschuldigter Tat – mindestens partiell – zu Ergebnissen gelangen, die im Widerspruch zu den Resultaten der in der Hauptsache auf die limitierte Akzessorietät sowie die Notstandslehre verweisenden herrschenden Auffassung stehen. Zu differenzieren ist dabei zwischen Lösungsansätzen auf Basis der §§ 48, 49 StGB a. F., mithin solchen, die vor Inkrafttreten der §§ 26, 27 StGB infolge des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes entwickelt wurden,45 und Vorschlägen, die auch nach Inkrafttreten der §§ 26, 27 StGB für eine abweichende Betrachtungsweise werben bzw. ihre Konzeption – trotz Entwicklung (bereits) im Geltungszeitpunkt der §§ 48, 49 StGB a. F. – ausdrücklich auch auf die „neue“ Gesetzeslage angewendet wissen möchten.46 Prominentester Vertreter einer gegenüber der h. M. abweichenden Auffassung auf dem Boden der §§ 48, 49 StGB a. F. ist Rudolphi, der der Situation der Teilnahme an entschuldigter Tat eigens eine Abhandlung widmete.47 Rudolphis gedankliche Grundlegungen wirken bis heute jedenfalls insofern fort, als sie in der der Teilnahmesituation Beachtung schenkenden Literatur – z. T. nur versteckt in Fußnoten – als Gegenstand einer „abweichenden Auffassung“ Berücksichtigung finden. Nach der Einbeziehung weiterer Autoren ist dem Alternativentwurf zur
38 39 40 41 42 43 44 45 46 47
C.IV.1.b). C.IV.1.b)aa). C.IV.1.b)bb). Roxin, AT I, § 22 Rn. 66. C.IV.2. C.IV.3. C.V. C.V.2. C.V.3. C.V.2.a).
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A. Einleitung
Reform des Allgemeinen Teils aus dem Jahre 1966 (AE 1966) Beachtung zu schenken.48 Mit Blick auf die (abweichenden) Lösungsansätze auf dem Boden der §§ 26, 27 StGB bzw. solche, die (Weiter-)Geltung auch unter Beachtung der neuen Rechtslage beanspruchen, ist zunächst Maurach mit seiner Lehre von der Tatverantwortung einzubeziehen. 49 Sodann hat die in den letzten Jahrzehnten maßgeblich von Arthur Kaufmann geprägte Lehre vom rechtsfreien Raum Berücksichtigung zu finden.50 Schließlich ist eine von Jäger stammende Abhandlung jüngeren Datums zu beachten.51 Im Rahmen der Darstellung der abweichenden Lösungsansätze sind diese zudem an die eingangs52 dargestellten Konfliktsituationen anzulegen, um einen Vergleich zu den nach gängiger Auffassung erzielten Resultaten53 zu ermöglichen. Am Ende des Kapitels zur Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten ist der umgekehrte Fall, mithin die Konstellation, in der sich nur der Teilnehmer unstreitig auf einen Entschuldigungsgrund berufen kann, in die Betrachtungen miteinzubeziehen.54 Das folgende Kapitel55 ist der Beteiligung im Umfeld von Schuldausschließungsgründen im engeren Sinne gewidmet. Dabei soll – wiederum unter Einbeziehung denkbarer Fallgestaltungen – der strukturelle Unterschied gegenüber Beteiligungs-, insbesondere Teilnahmekonstellationen im Umfeld entschuldigter Taten hervorgehoben werden. Zunächst wird die Beteiligung im Umfeld des § 17 StGB in den Blick genommen,56 wobei zwischen Konstellationen mittelbarer Täterschaft57 und Fällen „echter“ Teilnahme58 differenziert wird. Sodann geht es um die Beteiligung im Umfeld des § 20 StGB.59 Auch insoweit ist eine Unterscheidung zwischen Konstellationen mittelbarer Täterschaft60 und Fällen „echter“ Teilnahme61 vorzunehmen. Schließlich erfolgt eine Hinwendung zur Beteili48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61
C.V.2.c). C.V.3.a). C.V.3.b). C.V.3.c). C.II. C.III. C.VII. D. D.I. D.I.1. D.I.2. D.II. D.II.1. D.II.2.
III. Gang der Untersuchung
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gung im Umfeld des § 19 StGB,62 bei der hinsichtlich denkbarer Beteiligungsformen entsprechend der Differenzierung bei den §§ 17, 20 StGB verfahren wird. Am Ende des Kapitels ist ein Fazit zu ziehen.63 Die im Rahmen der vorherigen Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse sollen in einer eigenen Konzeption münden.64 Zunächst sind die bisherigen Erkenntnisse zusammenfassend darzustellen,65 um – in konzentrierter Form – den Boden für die Erarbeitung eines eigenen Lösungsmodells zu bereiten. Im Zentrum des eigenen Ansatzes steht, unter Berücksichtigung der vorangegangenen Untersuchungen wenig überraschend, die Teilnahme an entschuldigter Tat.66 Berücksichtigt wird ferner die Situation der Mittäterschaft,67 bevor die über die Konstellation der Teilnahme hinausgehenden Konsequenzen der eigenen Konzeption prägnant darzulegen sind.68 Im Anschluss69 ist die eigene Konzeption an die zu Veranschaulichungszwecken dargelegten – und bereits nach gängiger Auffassung sowie den abweichenden Auffassungen gelösten – Konfliktlagen (vgl. C.II.) anzulegen. Als Exkurs sowie Test für die eigene Konzeption erweist sich sodann die Hinwendung zur strafrechtlichen Bewältigung von dilemmatischen Situationen im Rahmen des sog. automatisierten Fahrens.70 Auch in diesem Kontext wird z. T. für die Fruchtbarmachung von (übergesetzlichen) Entschuldigungsgründen geworben, sodass sich eine Einbeziehung der höchst aktuellen Fragestellung vor dem Hintergrund der – über den Bereich der Teilnahme hinauswirkenden – eigenen Konzeption als naheliegend erweist. In einem letzten Schritt sind die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung darzulegen, um so den – erhofften – Mehrwert der Arbeit herauszustellen.71
62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
D.III. D.IV. E. E.I. E.II.1. E.II.2. E.II.3. F. F.V. G.
B. Zum Begriff der Schuldausschließungsgründe Der Betrachtungsgegenstand ist nur dann hinreichend scharf umrissen, wenn der zentrale Begriff der Schuldausschließungsgründe, wie er dieser Arbeit zugrunde liegt, eine erläuternde Einordnung erfährt. Dabei ist zunächst auf die häufig anzutreffende Unterscheidung von Entschuldigungs- und Schuldausschließungsgründen einzugehen (I.), um anschließend zu untersuchen, ob neben den gängigen – eine Schuldbefreiung bewirkenden – Gründen noch weitere schuldrelevante Faktoren auszumachen sind und inwieweit diese – bejahendenfalls – vom Betrachtungsgegenstand erfasst werden (II., III., IV.). Die gefundenen Ergebnisse sind schließlich zusammenfassend darzulegen (V.).
I. Von Entschuldigungs- und Schuldausschließungsgründen Als gängig kann man die Differenzierung nach Schuldausschließungsgründen einer- und Entschuldigungsgründen andererseits bezeichnen.1 Erstere sollen dadurch gekennzeichnet sein, dass es dem Täter bei Begehung der Tat schlicht nicht möglich gewesen ist, das Unrecht der Tat zu erkennen bzw. nach dieser Erkenntnis zu handeln.2 Maßgeblich sei, dass dem Täter von vornherein – aufgrund einer „Störung in der inneren Verfassung“ 3 – die Alternative genommen ist, eine Entscheidung für das Recht und damit gegen das Unrecht zu treffen.4 Als „echte“ Schuldausschließungsgründe sollen die gesetzlich geregelten Fälle der Schuldunfähigkeit (§§ 19, 20 StGB; § 3 JGG) sowie der Verbotsirrtum (§ 17 StGB) einzuordnen sein.5 Die Entschuldigungsgründe beruhten dagegen – bei allen Unklarheiten im Einzelnen – im Wesentlichen auf der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens, 1 Vgl. nur Hallmann, Gebundene Freiheit und strafrechtliche Schuld, 2017, S. 125 f., 161; Heghmanns, AL 2015, 96; Heinrich, AT, Rn. 562; ders., AL 2015, 89, 92; Hörnle, JuS 2009, 873 f.; Jescheck/Weigend, AT, § 43 II; Kühl, AT, § 12 Rn. 9; ders., in: Lackner/Kühl, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 27; Murmann, Grundkurs, § 16 Rn. 9 ff.; Otto, AT, § 14 Rn. 1; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 108; SK-Rogall, Vorbem. §§ 19 ff. Rn. 49; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 683. 2 Exemplarisch Jescheck/Weigend, AT, § 43 II; Murmann, Grundkurs, § 16 Rn. 10. 3 Hörnle, JuS 2009, 873, 874; Kempf, in: Fischer/Hoven (Hrsg.), Schuld, 2017, S. 155, 163, spricht von „psychische[n] Defizite[n]“. 4 Murmann, Grundkurs, § 16 Rn. 10; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 108. 5 Vgl. nur Heghmanns, AL 2015, 96; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 108.
I. Von Entschuldigungs- und Schuldausschließungsgründen
29
weshalb die Rechtsordnung mit dem Täter in letzter Konsequenz Nachsicht übe.6 Die situative Überforderung des Täters („äußere Umstände“ 7) bewirke ein Absenken der Anforderungen an normgemäßes Verhalten. Die Unzumutbarkeit wird dabei, da sie für sich genommen nicht mehr als ein „regulatives Prinzip“ darstelle8, flankiert von der Erwägung, dass die Entschuldigungsgründe Ausdruck herabgesetzten Unrechts sowie herabgesetzter Schuld seien.9 Unter den Begriff der Entschuldigungsgründe werden in concreto der entschuldigende Notstand (§ 35 StGB), der Notwehrexzess (§ 33 StGB) sowie die – in ihren Voraussetzungen umstrittenen – außer- bzw. übergesetzlichen Entschuldigungsgründe gefasst.10 1. Kritik an der Differenzierung Die vorstehend skizzierte Unterscheidungspraxis im Schrifttum wirft die Frage auf, ob Gegenstand der Arbeit einzig eine Betrachtung von Täterschaft und Teilnahme im Umfeld der „echten“ Schuldausschließungsgründe in Gestalt der §§ 17, 19, 20 StGB ist. Bevor diese Frage einer Beantwortung zugeführt werden kann, sind diejenigen Argumente in den Blick zu nehmen, welcher einer strikten Unterscheidung im vorgenannten Sinne entgegengehalten werden können. Erst daraus ergibt sich das im Rahmen dieser Arbeit zugrunde gelegte Begriffsverständnis. So wird mit Blick auf die Wirkungsweise der §§ 17, 19, 20 einer- und der §§ 33, 35 StGB (inklusive möglicher übergesetzlicher Entschuldigungsgründe) andererseits vorgetragen, dass jeweils der Ausschluss der spezifisch strafrechtlichen Schuld im Raum stehe.11 Ferner liege das exklusiv für die Entschuldigungsgründe in Anspruch genommene Prinzip der Unzumutbarkeit gleichfalls den Schuldausschließungsgründen im vorgenannten Sinne zugrunde: Auch von einem schuldunfähigen oder im unvermeidbaren Verbotsirrtum befindlichen Täter könne die Normbefolgung nicht erwartet werden.12 Letztlich handele es sich um eine Frage der Terminologie, ohne dass ein sachliches Kriterium die Differenzierung gebiete.13 6
Wiederum exemplarisch Hörnle, JuS 2009, 873, 874; Otto, AT, § 14 Rn. 1. Hörnle, JuS 2009, 873, 874. 8 Henkel, FS-Mezger, S. 249, 267 f.; darauf Bezug nehmend etwa Jescheck/Weigend, AT, § 43 III 1; LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 325; NK-Paeffgen, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 242. 9 Jescheck/Weigend, AT, § 43 III 2 b); Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959, S. 156 ff.; LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 325; Schönke/SchröderSternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 111; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 683. 10 Heghmanns, AL 2015, 96; Kühl, AT, § 12 Rn. 11 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 683. 11 B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 1; MK-Schlehofer, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 278. 12 MK-Schlehofer, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 279, 281; ähnlich B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 1. 13 Roxin, JuS 1988, 425, 427. 7
30
B. Zum Begriff der Schuldausschließungsgründe
2. Zum Begriffsverständnis im Rahmen der Arbeit Das dieser Untersuchung zugrunde liegende Begriffsverständnis ist in (kritischer) Auseinandersetzung mit den zuvor umrissenen Positionen zu entwickeln. a) Kritische Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Diskussionsstand Nicht von der Hand zu weisen ist, dass der Schuldausschluss im Falle des § 20 StGB maßgeblich auf biologischen Defekten beruht, welche, insoweit sie bei Begehung der Tat eine psychische Beeinträchtigung bewirken14, die Erhebung eines – strafrechtsdogmatischen – Schuldvorwurfes ausschließen. Von einer „Störung der inneren Verfassung“ 15 zu sprechen, erscheint daher gleichermaßen prägnant wie treffend. Ebenfalls treffend ist die Feststellung, dass sowohl für § 33 StGB als auch für § 35 StGB im Ausgangspunkt äußere Faktoren – bei § 33 StGB in Gestalt eines Angriffs, bei § 35 StGB in Gestalt einer Gefahrenlage – prägend sind. Der Täter sieht sich mit dem Verhalten eines Außenstehenden bzw. mit einer existentiellen Gefahrensituation konfrontiert. Verkürzt gesprochen: Die Umwelt fordert vom Täter eine Reaktion. Schwieriger gestaltet sich die Lage aber bereits bei der Vorschrift des § 17 StGB. Nach gängigem Verständnis soll auch dem zum Wegfall der Schuld führenden unvermeidbaren Verbotsirrtum eine „Störung der inneren Verfassung“ zugrunde liegen.16 Dies mag insoweit zutreffen, als es dem Täter – aufgrund einer inneren Fehlwertung – tatsächlich an der Möglichkeit fehlt, ein Unrechtsbewusstsein zu entwickeln. Theoretisch hätte indes, ungeachtet der im Einzelfall als „unvermeidbar“ eingestuften Fehlwertung, eine (ggf. nur unter erheblichen Mühen erreichbare) Erkenntnismöglichkeit bestanden.17 Wann die Grenze zur Unvermeidbarkeit überschritten ist, ist letztlich normativ zu bestimmen. Der Gesetzgeber lässt hier also einen Wertungsspielraum, sodass es dem Rechtsanwender obliegt, zu eruieren, ob vom Täter „billigerweise nicht mehr, als er tatsächlich getan hat, erwartet werden konnte“ 18. Mit anderen Worten: Dem Täter wird nur ein gewisses Maß an Gewissensanspannung zugemutet. So gewendet, rückt der Verbotsirrtum aber in die Nähe der Entschuldigungsgründe.19 14 Übersichtlich zur „zweistufigen“ oder „biologisch-psychologischen“ Methode etwa Schönke/Schröder-Perron/Weißer, § 20 Rn. 1. 15 Hörnle, JuS 2009, 873, 874. 16 Vgl. die Einordnung unter B.I. 17 Ähnlich Roxin, FS-Bockelmann, S. 279, 290; vgl. auch Hallmann, Gebundene Freiheit und strafrechtliche Schuld, 2017, S. 142, wonach im Rahmen des Verbotsirrtums nicht „der Prozess der Willensbildung als solcher gestört ist“, sondern schlicht „ein Irrtum über die Handlungsbewertung vorliegt“. 18 Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 108. 19 Roxin, FS-Bockelmann, S. 279, 290; ders., AT I, § 19 Rn. 57, sieht auch mit Blick auf die Schuldunfähigkeit, etwa bei hochgradigen Affekten und schweren Neurosen, „normative Randzonen“. Das Aufgreifen solcher „Randzonen“ erfolgt bei Roxin freilich
I. Von Entschuldigungs- und Schuldausschließungsgründen
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Festzuhalten ist: Während die Schuldunfähigkeit nach Maßgabe des § 20 StGB mit den so bezeichneten Entschuldigungsgründen (§§ 33, 35 StGB) im Ausgangspunkt wenig Gemeinsamkeiten aufweist, ergeben sich bereits bei Betrachtung des § 17 StGB nicht unerhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten. Diesen Abgrenzungsschwierigkeiten wird auf zweierlei Art und Weise begegnet: Entweder werden tatsächlich bestehende Unterschiede, wie sie gerade im Vergleich des § 20 StGB gegenüber den §§ 33, 35 StGB auszumachen sind, unter Verweis auf eine allseits zugrunde liegende Unzumutbarkeit eingeebnet20 oder es erfolgt – gewissermaßen umgekehrt – der Versuch, das Prinzip der Unzumutbarkeit als den Entschuldigungsgründen im oben genannten Sinne exklusiv anheftend einzuordnen. b) Folgerungen für die eigene Untersuchung Beides überzeugt nur bedingt: Erstens lässt das Bemühen, in allen auf Schuldebene zu prüfenden Vorschriften das Prinzip der Unzumutbarkeit wiederzuentdecken, so sehr dies im Einzelfalle auch naheliegen mag (vgl. § 17 StGB), keine zwingenden Rückschlüsse auf die Vornahme bzw. Nicht-Vornahme einer Differenzierung zwischen Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründen zu. Selbst wenn allen Vorschriften das Prinzip der Unzumutbarkeit – in mehr oder minder starker Ausprägung – zugrunde liegen sollte, ebnet dies doch nicht die unabhängig davon bestehenden Unterschiede ein. Zweitens verschließt die einseitige Fokussierung auf eben diese Unterschiede den Blick dafür, dass die in Rede stehenden Vorschriften allesamt einen Ausschluss der strafrechtsdogmatischen Schuld bewirken. Wenn von strafrechtsdogmatischer Schuld die Rede ist, sind damit – negativ gewendet – diejenigen Voraussetzungen für die Erhebung eines persönlichen Vorwurfs gemeint, welche nicht Bestandteil des strafrechtlichen Unrechts sind.21 Auf Basis des heute herrschenden normativen Schuldbegriffs22 ist auf Schuldebene die Vorwerfbarkeit der Tat in den Blick zu nehmen.23 Das reichlich unklare Verhältnis von Schuld und in dem Bemühen, die Bedeutung – hinzutretender – präventiver Erwägungen für die Bestimmung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit herauszustreichen. Die Möglichkeit eines – präventionsorientierten – „nachsichtigen Strafverzicht[s]“ im Rahmen der so bezeichneten Schuldausschließungsgründe zu versagen, bestärke dagegen einen kriminalpolitisch verfehlten „Bestrafungsrigoriusmus“ (Roxin, a. a. O., § 19 Rn. 57). Zu Roxins präventionsorientiertem Verantwortlichkeitsmodell vgl. ferner B.II.2.b)cc)(1) sowie C. I.1.b). 20 MK-Schlehofer, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 279, 281. 21 Prägnant Frister, JuS 2013, 1057. 22 Zu Herkommen und Entwicklung etwa Jescheck/Weigend, AT, § 38 II; Roxin, AT I, § 19 Rn. 11 ff. 23 BGHSt 2, 194, 200; Heinrich, AT, Rn. 524 ff.; ders., AL 2015, 89, 91; Krey/Esser, AT, Rn. 689; Rengier, AT, § 24 Rn. 1; Schönke/Schröder-Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 113; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 625.
32
B. Zum Begriff der Schuldausschließungsgründe
Vorwerfbarkeit kann und soll im Rahmen dieser Arbeit nicht beleuchtet werden.24 Für die gegenständliche Untersuchung ausreichend ist vielmehr die Feststellung, dass sowohl die §§ 17, 19, 20 als auch die §§ 33, 35 StGB – als allgemeine Schuldmerkmale – die Voraussetzungen einer vorwerfbaren Willensbildung und -betätigung negativ regeln. Von der Wirkungsweise her gedacht, erscheint es demnach durchaus konsequent, alle Vorschriften zunächst unter den (Ober-)Begriff der Schuldausschließungsgründe zu fassen. Das Entfallen der (strafrechtsdogmatischen) Schuld ist die übergeordnete Verbindungslinie, die alle vorgenannten Vorschriften verbindet: Liegen die im Gesetz bezeichneten Voraussetzungen vor, verzichtet die Rechtsordnung sowohl bei den §§ 17, 19, 20 StGB als auch bei den §§ 33, 35 StGB auf die Erhebung eines Schuldvorwurfes. Das Vorliegen strafrechtsdogmatischer Schuld wird mithin in beiden Fällen ausgeschlossen. In einem zweiten Schritt kann sodann eine Verengung erfolgen. Gemeint ist zunächst eine Konkretisierung dergestalt, dass die Schuldausschließungsgründe im eingangs genannten Sinne (sprich § 17 StGB sowie §§ 19, 20 StGB) als Schuldausschließungsgründe im engeren Sinne bezeichnet werden. Diese Konkretisierung findet ihre Rechtfertigung darin, dass die Verzahnung der Vorschriften25 mit der (unabänderlichen) inneren Konstitution des Täters ungleich enger ist als im Falle der so bezeichneten Entschuldigungsgründe. Die Bezeichnung als Entschuldigungsgründe rührt wiederum, besinnt man sich auf die – nach h. M. – mit dem Handelnden geübte Nachsicht sowie die gesetzliche Überschrift des § 35 StGB, auch nicht von ungefähr. Konkretisierend kann und sollte diese Bezeichnung denn auch verwendet werden. Während in der – für die Fassung unter einen (Ober-)Begriff maßgeblichen – Wirkung keine Unterschiede auszumachen sind, fallen die zum Eintritt dieser Wirkung notwendigen Voraussetzungen höchst unterschiedlich aus. Ob ein Fehlen der Schuld maßgeblich an „inneren“ oder „äußeren“ Faktoren festgemacht wird26, stellt letztlich einen sachlichen Unterschied dar, der, wie noch zu zeigen sein wird, auch bei der Betrachtung der Reichweite von Schuldausschließungsgründen (im hier verwendeten Sinne) im Umfeld von Täterschaft und Teilnahme zum Tragen kommt. Der Analyse, dass der Sache nach keine Differenzierung geboten sei27, kann also nur insoweit zugestimmt werden, als sie auf den Eintritt der strafrechtsdogmatischen Wirkung beschränkt bleibt.
24 Vgl. dazu etwa Murmann, Grundkurs, § 16 Rn. 4; Schönke/Schröder-Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 114. 25 Für § 17 StGB, der, wie vorstehend gezeigt wurde, gleichsam von Unzumutbarkeitserwägungen getragen wird, gilt dies freilich nur mit Abstrichen. 26 Vgl. zu dieser Terminologie die unter B.I. angeführten Nachweise. 27 Baumann/Weber/Mitsch, AT, 11. Aufl. 2003, § 23 Rn. 2; Roxin, JuS 1988, 425, 427.
II. Abgrenzung zu Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründen
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3. Zusammenfassung In der gegenständlichen Untersuchung wird im Ausgangspunkt für alle die Vorwerfbarkeit der Tat betreffenden Vorschriften der übergeordnete Begriff der Schuldausschließungsgründe gewählt. Aufgrund der engeren Verzahnung der §§ 17, 19, 20 StGB mit der inneren Konstitution des Täters werden die genannten Vorschriften, so es denn der Konkretisierung oder der Abgrenzung bedarf, als Schuldausschließungsgründe im engeren Sinne bezeichnet. Die §§ 33, 35 StGB sind zu Konkretisierungs- und Abgrenzungszwecken als Entschuldigungsgründe zu bezeichnen. Damit ist zugleich klargestellt, dass die vorgenannten Vorschriften (§§ 17, 19, 20, 33, 35 StGB) im Ausgangspunkt allesamt vom Untersuchungsgegenstand erfasst werden.
II. Abgrenzung zu Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründen Fragen der Akzessorietät und damit Fragen der Beteiligungslehre wirft freilich auch die „vierte Deliktskategorie“ 28 auf, welche – neben den sog. objektiven Bedingungen der Strafbarkeit29 – maßgeblich Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe zum Gegenstand hat.30 Die insoweit interessierenden, „jenseits von Unrecht und Schuld liegen[den]“ 31 Merkmale schränken die Strafbarkeit – im Wege gesetzlich angeordneter Ausnahmen – ein. Nun könnte man es bei dem schlichten Hinweis auf diese „weitere Gruppe von Bestrafungshindernissen“ 32 bewenden lassen. Indes entfaltet sich in ihrem Umfeld eine Diskussion dahingehend, ob einzelne Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe der Deliktskategorie der Schuld zuzuschlagen sind.33 Damit ist 28
Roxin, AT I, § 23 Rn. 1. Zum Begriff und zur dogmatischen Einordnung vgl. Schönke/Schröder-Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 124 f. Zur Irrelevanz der Bedingungen im Umfeld von Akzessorietätsfragen s. B/W/M/E-Eisele, § 24 Rn. 22. 30 Jescheck/Weigend, AT, § 52 II; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 7 Rn. 30; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 778 ff. Monographisch widmet sich den Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründen Bloy, Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungsund Strafaufhebungsgründe, 1976. 31 Jescheck/Weigend, AT, Vor § 52 (S. 551). 32 Bloy, JuS 1993, L 33. 33 Eine Verortung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe im Ganzen auf Ebene der Schuld wird heute, soweit ersichtlich, nicht mehr vertreten; vgl. dazu Bloy, JuS 1993, L 33, L 34. Auch anderen – vereinzelt vertretenen – Ansätzen, die sich um eine Eingliederung der Strafausschließungsgründe in den Bereich von Tatbestandsmäßigkeit und/oder Rechtswidrigkeit bemühen, soll hier nicht nachgegangen werden; vgl. zu diesen Roxin, AT I, § 23 Rn. 31 ff. 29
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B. Zum Begriff der Schuldausschließungsgründe
aber der Betrachtungsgegenstand der hiesigen Untersuchung tangiert, weshalb die betreffenden Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe in den Blick zu nehmen sind. 1. Strafausschließungsgründe Strafausschließungsgründe schließen von vornherein die Begründung einer Strafbarkeit aus.34 Während die sog. sachlichen Strafausschließungsgründe (vgl. etwa § 37 StGB35), die nicht stets und ohne weiteres von objektiven Bedingungen der Strafbarkeit abzugrenzen sind36, für die Strafbarkeit aller Beteiligten von Relevanz sind37, gilt für die persönlichen Strafausschließungsgründe eine individuelle Betrachtungsweise. Demgemäß kann von der Einordnung eines Strafausschließungsgrundes als persönlich oder sachlich bzw. objektiv abhängen, ob ein Beteiligter gleichfalls in den Genuss der Straffreiheit kommt oder nicht.38 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung sind diejenigen persönlichen Strafausschließungsgründe von Interesse, welche nach teilweise vertretener Ansicht dem Schuldbereich zuzuordnen sind. Dies gilt etwa für die Vorschrift des § 258 VI StGB, nach welcher straffrei bleibt, wer die Strafvereitelung zugunsten eines Angehörigen begeht. Entgegen der in dieser Vorschrift einen persönlichen Strafausschließungsgrund erblickenden Mehrheitsauffassung39 qualifizieren einige Autoren die Norm als „Entschuldigungsgrund“ 40. Roxin geht von einem „Verantwortungsausschluss“ aus.41 Unklarheiten in der Einordnung sind aber auch bei anderen Vorschriften festzustellen, so bei § 173 III StGB (Nichtbestrafung von minderjährigen Abkömmlingen und Geschwistern beim Verwandtenbeischlaf), der ganz überwiegend als
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B/W/M/E-Mitsch, § 19 Rn. 2. Dazu Jescheck/Weigend, AT, § 52 II 1; Schönke/Schröder-Perron, § 37 Rn. 1 (m.w. N.). 36 Darauf hinweisend Roxin, AT I, § 23 Rn. 5; Schönke/Schröder-Eisele/Schittenhelm, § 186 Rn. 10. 37 B/W/M/E-Eisele, § 24 Rn. 22; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 37 Rn. 1. 38 Zur Vorschrift des § 36 StGB vgl. Roxin, AT I, § 23 Rn. 26; daran anknüpfend NK-Neumann, § 36 Rn. 3. 39 OLG München NStZ-RR 2011, 56, 57; Fischer, § 258 Rn. 39; Kühl, in: Lackner/ Kühl, § 258 Rn. 17; LK-Walter, § 258 Rn. 136; NK-Altenhain, § 258 Rn. 73; Schönke/ Schröder-Hecker, § 258 Rn. 41. 40 Explizit Bloy, JuS 1993, L 33, L 35; Frister, AT, § 21 Rn. 12 f.; Jescheck/Weigend, AT, § 47 II 3. 41 Roxin, AT I, § 23 Rn. 16 i.V. m. § 22 Rn. 139, der indes mit seiner Lehre vom Verantwortungsausschluss, wie insbesondere in Auseinandersetzung mit der Rechtsnatur des Rücktritts, des entschuldigenden Notstands sowie des Notwehrexzesses noch zu zeigen sein wird, einen schon im Ausgangspunkt abweichenden – da primär strafzweckorientierten – Ansatz wählt. 35
II. Abgrenzung zu Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründen
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persönlicher Strafausschließungsgrund charakterisiert42, vereinzelt aber wiederum auf Ebene der Schuld verortet wird.43 Die sich auftuenden Abgrenzungsfragen stellen sich letztlich vor dem Hintergrund spezieller Konflikt- und Grenzsituationen, die der Gesetzgeber gezielt in den Blick genommen hat. Die Besonderheiten des jeweiligen Delikts spielen für die Einordnung eine zentrale Rolle.44 Eine Einordnung vorzunehmen, hieße daher zunächst, sich mit den Eigenheiten der betreffenden Delikte auseinanderzusetzen. Sollte am Ende dieser Auseinandersetzung eine Einstufung der in Rede stehenden Vorschriften als Schuldausschließungsgründe stehen, bliebe dennoch zu attestieren, dass es sich um deliktsspezifische Schuldausschließungsgründe handelt, anhand welcher allgemeingültige Aussagen zur Reichweite und Wirkung von Schuldausschließungsgründen bei Täterschaft und Teilnahme nicht getroffen werden können. Dementsprechend ist der Kreis der hier interessierenden Schuldausschließungsgründe schon im Ausgangspunkt nicht um Vorschriften zu erweitern, welche nach überwiegender Auffassung ohnehin der Gruppe der Strafausschließungsgründe zuzurechnen sind. 2. Strafaufhebungsgründe Strafaufhebungsgründe wirken dergestalt, dass sie eine einmal begründete Strafbarkeit wieder aufheben.45 a) Abgrenzungsschwierigkeiten mit Wurzeln im Besonderen Teil Die mögliche Straffreiheit von Angehörigen im Zusammenhang mit der Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138 StGB), welche in § 139 III 1 StGB geregelt ist, ist in ihrer dogmatischen Einordnung ebenfalls umstritten. Während z. T. unter Betonung von Unzumutbarkeitserwägungen eine schuldausschließende Wirkung angenommen wird46, geht eine andere Auffassung dahin, einen persönli42 Fischer, § 173 Rn. 12; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 173 Rn. 7; LK-Dippel, § 173 Rn. 33; MK-Ritscher, § 173 Rn. 27; NK-Frommel, § 173 Rn. 19; Schönke/SchröderBosch/Schittenhelm, § 173 Rn. 9. 43 Bloy, Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, 1976, S. 147, spricht von einer „besondere[n] Begrenzung des Umfangs der Schuldfähigkeit“; ähnlich Schmidhäuser, BT, 13/10. Roxin, AT I, § 22 Rn. 137, sieht auch hier einen „Verantwortungsausschluss“ gegeben. 44 Darauf hinweisend auch Roxin, AT I, § 22 Rn. 134. 45 B/W/M/E-Mitsch, § 19 Rn. 2; Heinrich, AT, Rn. 622; kritisch zu diesem Verständnis, welches zu sehr an der formellen Vollendung des Delikts verhafte, etwa Bloy, Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, 1976, S. 169. 46 So bereits Geilen, JuS 1965, 426, 432; ferner MK-Hohmann, § 139 Rn. 10; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, § 139 Rn. 3/4; SK-Rudolphi/Stein, 8. Aufl., § 139 Rn. 10.
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B. Zum Begriff der Schuldausschließungsgründe
chen Strafaufhebungsgrund zu bejahen.47 Auch hier kann es sich aber allenfalls um einen deliktsspezifischen Schuldausschließungsgrund handeln, welcher die Entwicklung allgemeingültiger Kriterien nicht zulässt. Folglich ist auch insoweit keine Erweiterung des Kreises der zu betrachtenden Schuldausschließungsgründe vorzunehmen. b) Abgrenzungsschwierigkeiten mit Wurzeln im Allgemeinen Teil: Der Rücktritt Prominentestes Beispiel eines (persönlichen) Strafaufhebungsgrundes ist der Rücktritt vom Versuch nach Maßgabe des § 24 StGB.48 Der Rücktritt ist es zugleich, welcher nach Ansicht mancher Autoren als „Schuldaufhebungsgrund“ 49, als „Schuldausschließungsgrund“ 50 oder als „Entschuldigungsgrund“ 51 bzw. als Grund ausgeschlossener Verantwortlichkeit52 zu charakterisieren sei. Legte man nun die vorgenannten schuldorientierten Auffassungen – ungeachtet der terminologischen Unterschiede – zugrunde, so könnte der Betrachtungsgegenstand um Konstellationen des Rücktritts (im Umfeld von Täterschaft und Teilnahme) zu erweitern sein. Insoweit verfängt das Argument fehlender Allgemeingültigkeit53 nicht; die Regelungen zum Rücktritt finden dem Grunde nach überall dort Anwendung, wo der Versuch mit Strafe bedroht und die Tat nicht vollendet ist. Wäre also der Rücktritt der Deliktskategorie der Schuld zuzuschlagen, könnte jedenfalls an der Allgemeingültigkeit der Befunde nicht gezweifelt werden. aa) Fehlendes Konfliktpotential Einen einfachen Weg zu beschreiten, hieße, auf das fehlende Konfliktpotential beim Rücktritt im Umfeld von Täterschaft und Teilnahme zu verweisen. Damit ist nicht etwa fehlendes Konfliktpotential betreffend die Abgrenzung des § 24 I 47 Fischer, § 139 Rn. 5; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 139 Rn. 3; Maurach/Schroeder/ Maiwald, BT 2, § 98 Rn. 26. 48 Vgl. bereits RGSt 72, 349, 350; B/W/M/E-Mitsch, § 23 Rn. 7; Fischer, § 24 Rn. 2; Heinrich, AT, Rn. 763; Herrmann, Der Rücktritt im Strafrecht, 2013, S. 18 ff.; Hoven, JuS 2013, 305; Krey/Esser, AT, Rn. 780; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 24 Rn. 1; LK-Lilie/Albrecht, § 24 Rn. 50; Schönke/Schröder-Eser/Bosch, § 24 Rn. 4 f. Eine Übersicht zu den relevanten Strafaufhebungsgründen bieten Krey/Esser, AT, Rn. 780. 49 NK-Zaczyk, § 24 Rn. 5 f.; Streng, ZStW 101 (1989), S. 273, 324. 50 Schumann, Zum Standort des Rücktritts vom Versuch im Verbrechensaufbau, 2006, S. 144; vgl. zu einem schuldbezogenen Rücktrittsverständnis ferner dies., ZStW 130 (2018), S. 1, 19 ff. 51 Haft, JA 1979, 306, 312; SK-Rudolphi, 8. Aufl., § 24 Rn. 6; ders., ZStW 85 (1973), S. 104, 121 f.; Ulsenheimer, Grundfragen des Rücktritts vom Versuch in Theorie und Praxis, 1976, S. 90 ff. 52 Roxin, AT I, § 23 Rn. 17 sowie ders., AT II, § 30 Rn. 29. 53 Vgl. oben B.II.1.
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von § 24 II StGB gemeint54; vielmehr geht es um fehlendes Konfliktpotential in Ansehung der Reichweite der Rücktrittswirkungen. Während insbesondere im Umfeld des § 35 StGB sowie hinsichtlich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstandes zweifelhaft war und ist, ob Straffreiheit tatsächlich nur für den Beteiligten eintreten kann, in dessen Person alle zum Schuldausschluss führenden (gesetzlich verankerten) Voraussetzungen vorliegen55, besteht beim Rücktritt, soweit ersichtlich, bemerkenswerte Einigkeit über die nur individuelle Privilegierung.56 Im Lager der „Schuldlösung“ kann schlicht auf § 29 StGB verwiesen werden, nach welchem jeder Beteiligte nach seiner persönlichen Schuld zu bestrafen ist.57 Dieses Zurückziehen auf das Prinzip der limitierten Akzessorietät wird, wie im Einzelnen noch zu zeigen sein wird, für Konstellationen des § 35 StGB sowie des übergesetzlichen entschuldigenden Notstandes mitunter angezweifelt. Für die Verfechter eines persönlichen Strafaufhebungsgrundes ergibt sich die Reichweite der Rücktrittswirkungen von selbst.58 bb) Notwendigkeit der Einordnung Sollte eine Betrachtung der Rücktrittsregelung(en) mit dem Befund schließen, dass es sich – entgegen dominierender Auffassung – um eine Frage der Vorwerfbarkeit, mithin um einen Schuldausschließungsgrund im hiesigen Sinne, handelt, könnte einer Einbeziehung des Rücktritts die zuvor skizzierte Konfliktlosigkeit entgegengehalten werden. Dies würde aber bedeuten, die Konfliktlosigkeit hinzunehmen, ohne sie nachzuvollziehen. So würde insbesondere nicht hinreichend deutlich, weshalb im Umfeld des § 35 StGB sowie des übergesetzlichen entschuldigenden Notstandes Zweifel an Reichweite und Wirkung des Schuldausschlusses verbleiben59, beim Rücktritt insoweit aber kein Diskussionsbedarf auszu-
54 So ließe sich der Haupttäter, an dessen Tat sich ein Anstifter oder Gehilfe beteiligt, begrifflich auch als „Beteiligter“ einordnen, womit auch für den Alleintäter eine Anwendbarkeit des § 24 II StGB vorgezeichnet scheint (für einen Rückgriff auf § 24 II StGB etwa Kühl, in: Lackner/Kühl, § 24 Rn. 25; NK-Zaczyk, § 24 Rn. 96). Dem wird entgegengehalten, der Einzeltäter beherrsche auch das Rücktrittsgeschehen alleine, weshalb die – erhöhten – Anforderungen des § 24 II StGB für diesen schon strukturell nicht passten. Anzuwenden sei § 24 I StGB (dafür etwa Heinrich, AT, Rn. 788; MKHoffmann-Holland, § 24 Rn. 161; Rengier, AT, § 37 Rn. 13). 55 Vgl. Baumann, JuS 1963, 125, 129; Jäger, FS-Beulke, S. 127, 130 ff.; Maurach/ Zipf, AT 1, § 33 Rn. 39 ff.; MK-Joecks, Vorbem. §§ 26, 27 Rn. 26; Peters, JR 1949, 496, 499; ders., SchwZStr 77 (1961), S. 162, 169 f.; Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67 ff.; Welzel, S. 185. 56 BGHSt 4, 172, 179; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 24 Rn. 24; LK-Lilie/Albrecht, § 24 Rn. 4 u. 480; MK-Herzberg/Hoffmann-Holland, § 24 Rn. 156; NK-Zaczyk, § 24 Rn. 124; SK-Rudolphi, 8. Aufl., § 24 Rn. 42. 57 NK-Zaczyk, § 24 Rn. 124. 58 Kühl, in: Lackner/Kühl, § 24 Rn. 24; LK-Lilie/Albrecht, § 24 Rn. 480. 59 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 55.
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machen ist. Gleichsam setzte man sich dem Vorwurf einer inkonsequenten Vorgehensweise aus, wenn die Schuldausschließungsgründe im engeren Sinne (§§ 17, 19, 20 StGB), bei welchen das Konfliktpotential im Umfeld von Beteiligungsfragen jedenfalls hinsichtlich der Reichweite des Schuldausschlusses seinerseits überschaubar ist60, in den Blick genommen würden, der Rücktritt dagegen von vornherein unberücksichtigt bliebe. Führte der Rücktritt also zum Schuldausschluss, wären Fragen seiner Reichweite in Beteiligungskonstellationen in den Blick zu nehmen, um erstens eine Abgrenzung zu den übrigen Schuldausschließungsgründen zu gewährleisten und zweitens dem Vorwurf der Inkonsequenz zu begegnen. cc) Zur Einordnung des Rücktritts Die nach dem vorstehend Gesagten notwendige Einordnung kann nicht denjenigen Umfang einnehmen, welcher ihr in Arbeiten mit entsprechendem Begutachtungsgegenstand eingeräumt wird.61 Vielmehr sind die grundlegenden Argumentationsstränge, welche für und wider eine Verortung im Schuldbereich auszumachen sind, in den Blick zu nehmen und zu bewerten. Nicht unterschlagen werden soll in diesem Zusammenhang die Existenz von Begründungsansätzen, welche den Rücktritt schon auf Tatbestandsebene fruchtbar machen wollen62 bzw. verschiedene Formen des „Unrechtsausschlusses“ befürworten63. Beide Ansätze lassen sich, übrigens parallel zu den eine Einordnung auf Schuldebene vornehmenden Auffassungen, letztlich von der Erwägung leiten, dass Versuch und Rücktritt als „soziale Sinneinheit“ 64 zu betrachten seien. Erfolgt eine Umkehr des Täters, so könne „von einem die Strafe begründenden Versuchsgeschehen nicht mehr gesprochen werden“ 65.
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Dazu eingehend unter D. Vgl. dazu etwa Bloy, Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, 1976, S. 147 ff.; Schumann, Zum Standort des Rücktritts vom Versuch im Verbrechensaufbau, 2006, S. 132 ff.; Ulsenheimer, Grundfragen des Rücktritts vom Versuch in Theorie und Praxis, 1976, S. 33 ff. 62 Zunächst v. Hippel, Untersuchungen über den Rücktritt vom Versuch, 1966, S. 58 ff.; in jüngerer Zeit Haas, ZStW 123 (2011), S. 226, 256. 63 Bloy, Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, 1976, S. 178, sieht im Rücktritt „einen persönlich wirkenden Ausschluß der strafrechtlichen Erheblichkeit des Unrechts“; Amelung, ZStW 120 (2008), S. 205, 245, spricht von einem „nachträglichen Unrechtsausschluss“; vgl. ferner Dold, Eine Revision der Lehre vom Rücktritt vom Versuch, 2017, S. 115, wonach der Rücktritt als „Unrechtshinderungsgrund“ einzuordnen sei. 64 Bloy, Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, 1976, S. 169. 65 NK-Zaczyk, § 24 Rn. 5, der indes – auf Basis einer einheitlichen Betrachtungsweise – eine Lösung auf Schuldebene präferiert. 61
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Von Relevanz für die hiesige Untersuchung sind diejenigen Ansätze, welche eine Verortung auf Schuldebene vornehmen und dementsprechend zu einer Erweiterung des Betrachtungsgegenstandes führen könnten. (1) Einordnung auf Schuldebene So, wie die Begründungsmuster hinsichtlich der grundlegenden systematischen Einordnung im Verbrechensaufbau variieren, variieren auch die Begründungsmuster betreffend die Verortung des Rücktritts auf Schuldebene. Vor diesem Hintergrund erstaunt auch die uneinheitliche Terminologie („Entschuldigungsgrund“; „Schuldausschließungsgrund“; „Schuldaufhebungsgrund“) nicht. Z. T. wird maßgeblich auf eine durch den freiwilligen Rücktritt bewirkte erhebliche Unrechts- und Schuldminderung verwiesen.66 Während der Erfolgsunwert beim Versuch zur Gänze fehle, sei der Handlungsunwert – aufgrund der positiven Zwecksetzung der Rücktrittshandlung – jedenfalls erheblich vermindert.67 Letztlich wirke sich das – die Grundlage des Schuldvorwurfs bildende – verminderte Unrecht als Schuldminderungsgrund aus.68 Daneben wirke sich die Aufgabe der rechtsfeindlichen Gesinnung unmittelbar schuldmindernd aus69, weshalb letztlich „eine doppelte Reduktion der Schuld bis auf einen ganz geringen und deshalb ,verzeihlichen‘ Rest“ 70 zu attestieren sei. Dabei wird explizit eine Parallele zur Vorschrift des § 35 StGB gezogen, welche „auf denselben Konstruktionselementen“ 71 beruhe. Auch der Schuldausschluss nach Maßgabe des § 35 StGB wird, wie im Einzelnen an anderer Stelle noch näher darzulegen sein wird72, überwiegend auf eine Verminderung von Unrecht und Schuld gestützt, wobei sich auch hier das verminderte Unrecht als (zusätzlicher) Schuldminderungsgrund auswirken soll.73 Freilich fußt die Unrechtsminderung im Rahmen des § 35 StGB auf abweichenden Erwägungen: dem beim Tätigwerden zur Gefahrenabwehr herabgesetzten Handlungsunrecht sowie dem in Anbetracht der 66 SK-Rudolphi, 8. Aufl., § 24 Rn. 6; Ulsenheimer, Grundfragen des Rücktritts vom Versuch in Theorie und Praxis, 1976, S. 94 ff. 67 Ulsenheimer, Grundfragen des Rücktritts vom Versuch in Theorie und Praxis, 1976, S. 94 ff. sowie S. 102. 68 Ulsenheimer, Grundfragen des Rücktritts vom Versuch in Theorie und Praxis, 1976, S. 94 f. 69 Ulsenheimer, Grundfragen des Rücktritts vom Versuch in Theorie und Praxis, 1976, S. 102 f. 70 Ulsenheimer, Grundfragen des Rücktritts vom Versuch in Theorie und Praxis, 1976, S. 103. 71 Ulsenheimer, Grundfragen des Rücktritts vom Versuch in Theorie und Praxis, 1976, S. 94. 72 Vgl. B.III.1.b)aa). 73 LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 325; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 111.
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B. Zum Begriff der Schuldausschließungsgründe
Rettung des Erhaltungsgutes reduzierten Erfolgsunrecht.74 Unmittelbar schuldmindernd wirke sich die psychische Ausnahmesituation des in der Notstandssituation befindlichen Täters aus, welche die Entscheidung zu normgemäßem Verhalten erheblich erschwere.75 In Summe lägen zwei Schuldminderungsgründe vor, welche kumulativ wirkten (Lehre von der „doppelten Schuldminderung“).76 Roxin dagegen möchte die Verortung des Rücktritts auf Schuld- bzw. Verantwortungsebene77 maßgeblich mit Strafzweckerwägungen begründen; dies unter der Prämisse, dass Schuld und präventive Ahndungsnotwendigkeit erst in der Zusammenschau eine (strafrechtliche) Verantwortlichkeit ergeben.78 Wer freiwillig in die Legalität zurückkehre, bestätige schon nicht das notwendige Maß an Deliktsneigung, welches ein – auf Resozialisierung angelegtes – spezialpräventives Vorgehen erforderlich machen könnte.79 Gleichsam fehle es an einem generalpräventiven Strafbarkeitsbedürfnis: Erfolgt eine rechtzeitige Rückkehr ins Recht, gebe der Täter auch kein schlechtes Beispiel, vor dessen Befolgung gewarnt werden müsse. Ganz im Gegenteil erfahre das Recht durch die Umkehr des Täters eine (positive) Bestätigung.80 Diese Strafzweckerwägungen macht Roxin – konsequent – ebenfalls bei seiner Deutung des § 35 StGB als „Grund ausgeschlossener Verantwortlichkeit“ fruchtbar.81 Gleiches gilt für § 33 StGB.82 Schließlich wird die „schuldbezogene Qualifizierung“ 83 von manchen Autoren in der Hauptsache auf eine Versuch und Rücktritt umfassende „Bewertungseinheit“ 84 gestützt. Zwar liegt eine solche einheitliche Betrachtungsweise allen 74 Jescheck/Weigend, AT, § 43 III 2 b); Krey/Esser, AT, Rn. 749; Noll, ZStW 77 (1965), S. 1, 17 f.; Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 82 ff.; SK-Rogall, § 35 Rn. 3. 75 Jescheck/Weigend, AT, § 43 III 2 b); Krey/Esser, AT, Rn. 749; Schönke/SchröderSternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 111. 76 So auch B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 11; Heinrich, AT, Rn. 563; Küper, JuS 1971, 474, 477; S/S/W-Rosenau, § 35 Rn. 1. 77 Die von Roxin gewählte Terminologie veränderte sich, trotz inhaltlicher Kontinuität, im Laufe der Jahre – vgl. Roxin, FS-Heinitz, S. 251, 273 (Schuldausschließungsgrund) einer- und ders., AT I, § 23 Rn. 17 sowie ders., AT II, § 30 Rn. 29 (Grund ausgeschlossener Verantwortung) andererseits. 78 Roxin, AT I, § 19 Rn. 3 ff. 79 Roxin, AT I, § 23 Rn. 17 i.V. m. ders., AT II, § 30 Rn. 6. 80 Roxin, AT I, § 23 Rn. 17 i.V. m. ders., AT II, § 30 Rn. 7. Damit entkräftet Roxin das Straferfordernis sowohl unter dem Gesichtspunkt der negativen Generalprävention (Abschreckungswirkung) als auch unter dem Gesichtspunkt der positiven Generalprävention (Bestätigung des Rechts). 81 Roxin, AT I, § 22 Rn. 6. 82 Roxin, AT I, § 22 Rn. 69; zur Tragfähigkeit dieses präventionsorientierten Begründungsansatzes mit Blick auf die §§ 33, 35 StGB vgl. unten C.I.1.b). 83 Streng, ZStW 101 (1989), S. 273, 324. 84 Streng, ZStW 101 (1989), S. 273, 324; ebenso Schumann, Zum Standort des Rücktritts vom Versuch im Verbrechensaufbau, 2006, S. 143; eine Betrachtung von „Versuch und Rücktritt in einem Zusammenhang“ fordernd auch NK-Zaczyk, § 24 Rn. 5.
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schuldorientierten Auffassungen zugrunde.85 Doch wird die ausgemachte Bewertungseinheit überwiegend nur als Fundament betrachtet, auf dessen Grundlage eine schuldorientierte Lösung zu entwickeln ist. Einige Autoren wählen dagegen einen pauschaleren Ansatz, wenn festgehalten wird: „Die autonome bzw. nicht erzwungene Rückkehr zum Recht führt also zum (weitestgehenden) Wegfall der Schuld(zuweisung), die im Versuch zunächst angelegt war.“ 86 Diese Betrachtung erschöpft sich demnach in der postulierten Einheitlichkeit des Geschehens.87 (2) Erfassung durch die „vierte Deliktskategorie“ Eine Verortung des Rücktritts außerhalb von Unrecht und Schuld, auf Ebene der „vierten Deliktskategorie“ 88 in Gestalt eines Strafaufhebungsgrundes, erfolgt wiederum unter Heranziehung unterschiedlicher Begründungsmuster. Dabei ist eine Anspruch auf Vollständigkeit erhebende Darstellung angesichts der vielfältigen, sich zum Teil überschneidenden Ansätze sowie unter Berücksichtigung des Untersuchungsgegenstandes der vorliegenden Arbeit nicht möglich. Vielmehr werden, wie eingangs klargestellt89, auch diesbezüglich nur die übergeordneten Argumentationsstränge – in ihren wesentlichen Aussagen – berücksichtigt. Eine aufgrund ihrer Griffigkeit und Eingängigkeit noch immer allgegenwärtige Formulierung ist diejenige von der „goldenen Brücke“ 90, welche dem Täter 85 Vgl. Roxin, AT II, § 30 Rn. 29; SK-Rudolphi, 8. Aufl., § 24 Rn. 5; Ulsenheimer, Grundfragen des Rücktritts vom Versuch in Theorie und Praxis, 1976, S. 88 ff. 86 Streng, ZStW 101 (1989), S. 273, 324; inhaltlich übereinstimmend NK-Zaczyk, § 24 Rn. 5. 87 Schumann, Zum Standort des Rücktritts vom Versuch im Verbrechensaufbau, 2006, S. 151, die das Bild der „Bewertungseinheit“ grundsätzlich teilt (vgl. den Nachweis in Fn. 84), kritisiert an denjenigen schuldorientierten Auffassungen, welche im Rücktritt eine Aufhebung der im Versuch angelegten Schuld erblicken (vgl. die Nachweise in Fn. 86 [namentlich Streng und Zaczyk]), dass diese die separate Betrachtung von Versuch und Rücktritt „lediglich von der Ebene der Strafbarkeit in die der Schuld“ verlagerten. Bei einem solchen Verständnis einer einheitlichen Betrachtung, bei der Unrecht und Schuld zunächst (allein) auf den Versuchsbeginn bezogen blieben, könne „der nachfolgende Rücktritt die Schuld nicht ex post wieder aufheben oder tilgen“ (Schumann, a. a. O., S. 152). Erforderlich sei es daher, „den Schuldtatbestand (. . .) bis zum Versuchsende hin auszudehnen und das Entstehen der Schuld bei einem Rücktritt in Bezug auf die gesamte Bewertungseinheit zu verneinen“ (Schumann, a. a. O., S. 153). In Ansehung der Betrachtungsweise ähnlich argumentiert Dold, Eine Revision der Lehre vom Rücktritt vom Versuch, 2017, S. 114, der zur Legitimation der Einstufung des Rücktritts als „Unrechtshinderungsgrund“ ausführt, dass „die Stellungnahme des Täters zur Geltung einer Verhaltensnorm erst dann abgeschlossen [ist], wenn dieser sie unmittelbar verletzt, zurücktritt oder ein Rücktritt nicht mehr möglich ist“. Zur Sachgerechtigkeit der einheitlichen Betrachtungsweise insgesamt s. sogleich B.II.2.b)cc)(3). 88 Roxin, AT I, § 23 Rn. 1. 89 B.II.2.b)cc). 90 Explizit v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, Bd. 1, 26. Aufl. 1932, S. 315.
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B. Zum Begriff der Schuldausschließungsgründe
durch die Existenz der Rücktrittsregelungen gebaut werde.91 Allein die Möglichkeit, infolge freiwilliger Nichtvollendung bzw. Vollendungsverhinderung zur Straffreiheit zu gelangen, wirke sich als Anreiz auf den Agierenden aus.92 Diese sog. kriminalpolitische Theorie hat ihren Vordenker in Feuerbach, der das Ausbleiben der Vollendung – und damit den Opferschutz – für den Fall gefährdet sah, dass es an einer Rücktrittsmöglichkeit fehlt und der Täter daher wisse, „daß er nichts großes mehr durch Reue zu gewinnen und durch die Vollendung der That nichts bedeutendes mehr zu verlieren hat.“ 93 Die sog. Prämien-, Gnaden oder Verdienstlichkeitstheorie sieht in der Straffreiheit des Täters dagegen eine Belohnung für die (rechtzeitige) Rückkehr zum Recht. Der Täter, der freiwillig die Vollendung verhindere bzw. sich ernsthaft darum bemühe, hebe den zunächst entstandenen rechtserschütternden Eindruck seiner Tat jedenfalls teilweise wieder auf, weshalb Nachsicht zu üben sei.94 Überwiegend wird die Rücktrittsregelung indes auf Strafzweckerwägungen gestützt.95 Die dabei vorgetragenen Erwägungen unterscheiden sich nicht wesentlich von denjenigen Roxins,96 welcher jedoch auf Basis seines Verständnisses der Schuldstufe denklogisch zu einer abweichenden Einordnung – als Schuldausschließungsgrund bzw. Grund ausgeschlossener Verantwortlichkeit – gelangen muss. Der (positiven) Spezialprävention bedürfe es nicht, weil der Zurücktretende ja bereits erwiesen habe, dass er zur Rückkehr ins Recht willens und fähig ist.97 Der Aspekt der (positiven) Generalprävention finde dadurch Berücksichtigung, dass der Rücktritt vom Täter gerade verlange, den anfangs erzeugten rechtserschütternden Eindruck zu beseitigen bzw. zu minimieren, weshalb der „Normgeltungsschaden“ nicht von nennenswertem Gewicht sei.98 91
So auch RGSt 73, 52, 60. RGSt 6, 341, 342; 63, 158, 159; aus jüngerer Zeit etwa Kudlich, JuS 1999, 240, 241; die Anreizwirkung in Zweifel ziehend, jedoch von der Beseitigung eines „psychologischen Hindernisses“ ausgehend ferner Puppe, NStZ 1984, 488, 490. 93 Feuerbach, Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs zu einem peinlichen Gesetzbuche für die Chur-Pfalz-Bayrischen-Staaten, 2 (Specielle Kritik der Grundsaetze dieses Entwurfs von Verbrechen und Strafen überhaupt), 1804, S. 103. 94 Jescheck/Weigend, AT, § 53 I 3; Schröder, JuS 1962, 81; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1004; den Gedanken einer Honorierung jedenfalls streifend BGH NStZ 1986, 264, 265. 95 B/W/M/E-Mitsch, § 23 Rn. 11; Bergmann, ZStW 100 (1988), S. 329, 334 ff.; Guhra/Sommerfeld, JA 2003, 775, 776 f.; Krauß, JuS 1981, 883, 888; Krey/Esser, AT, Rn. 1262; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 24 Rn. 2; Schünemann, GA 1986, 293, 326. Strafzweckerwägungen in den Vordergrund rückend auch BGHSt 9, 48, 52. 96 Vgl. B.II.2.b)cc)(1). 97 B/W/M/E-Mitsch, § 23 Rn. 11; vgl. auch BGHSt 9, 48, 52; kritisch zur Berücksichtigung spezialpräventiver Gesichtspunkte Bergmann, ZStW 100 (1988), S. 329, 336. 98 Bergmann, ZStW 100 (1988), S. 329, 335; ähnlich B/W/M/E-Mitsch, § 23 Rn. 11. 92
II. Abgrenzung zu Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründen
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(3) Stellungnahme Sowohl die einen Schuldausschluss bejahenden Theorien als auch die für einen Strafaufhebungsgrund plädierenden Ansätze sehen sich im Einzelnen nicht unerheblicher Kritik ausgesetzt. Am heftigsten wird wohl an der von der sog. kriminalpolitischen Theorie postulierten Anreizwirkung gezweifelt. Die Annahme, der Täter lasse sich in der konkreten Tatsituation von der gesetzlichen Strafdrohung bzw. der in Aussicht stehenden Strafbefreiung zu einem Rücktritt motivieren, so der maßgebliche Einwand, beruhe auf einer wirklichkeitsfremden Psychologie.99 Letztlich ist nicht so sehr von Bedeutung, welche Argumente für und wider die einzelnen Begründungsansätze vorgebracht werden. Entscheidend ist vielmehr, auf welcher Grundlage die ratio – und damit die systematische Verortung – der Rücktrittsregelung ermittelt wird: Die schuldorientierten Auffassungen legen ihrer Einordnung allesamt eine einheitliche Betrachtung von Versuch und Rücktritt zugrunde. Versuchs- und Rücktrittsgeschehen sollen, da dies der Lebenswirklichkeit entspreche, eine Bewertungseinheit bilden. Nur von diesem Standpunkt aus lässt sich eine Einordnung auf Schuldebene überhaupt konstruieren: Betrachtet man nämlich den Versuch als abgeschlossenes Geschehen, das der strafrechtlichen Bewertung zu überantworten ist, so kann sich die Frage der Vorwerfbarkeit nur in Ansehung des Versuchsgeschehens stellen. Das die Strafbarkeit ausschließende Rücktrittsgeschehen wäre von vornherein nicht Gegenstand der Vorwerfbarkeitsprüfung. Dies gilt im Übrigen auch für die Roxinsche Konstruktion eines Verantwortungsausschlusses: Zwar sieht Roxin Strafzweckerwägungen nicht als außerhalb von Unrecht und Schuld liegend, sondern vielmehr als notwendige Ergänzung des Schuldvorwurfes (im engeren Sinne). Doch ergeben sich die Strafzweckerwägungen erst aus dem Rücktrittsgeschehen, weshalb bei separater Betrachtung von Versuch und Rücktritt auch auf Basis der Lehre vom Verantwortungsausschluss keine hinreichenden Anknüpfungspunkte für ein fehlendes Strafbedürfnis gegeben wären. Auch der Ansatz Roxins „funktioniert“ also, wie er selbst zu verstehen gibt100, nur bei einheitlicher Betrachtung.101 Aus dem vorstehend Geschilderten ergibt sich sodann bereits der von den Vertretern eines Strafaufhebungsgrundes gewählte Blickwinkel: Versuch und Rück99 So bereits Bockelmann, NJW 1955, 1417, 1419 f.; Lang-Hinrichsen, FS-Engisch, S. 353, 368; kritisch auch Roxin, AT II, § 30 Rn. 17 ff.; Schönke/Schröder-Eser/Bosch, § 24 Rn. 2; Ulsenheimer, Grundfragen des Rücktritts vom Versuch in Theorie und Praxis, 1976, S. 69 f. 100 Roxin, FS-Heinitz, S. 251, 273: „Erstens muß man sich entschließen, die Versuchshandlung und den nachfolgenden Rücktritt nicht als isolierte Phänomene, sondern als einheitlichen Bewertungsgegenstand zu betrachten.“ 101 So auch Jäger, Der Rücktritt vom Versuch als zurechenbare Gefährdungsumkehr, 1996, S. 127.
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tritt werden separat betrachtet mit der Folge, dass Bezugspunkt des Schuldvorwurfes nur das Versuchsgeschehen sein kann. Die Straffreistellung infolge einer tauglichen Rücktrittsleistung muss daher zwangsläufig außerhalb von Unrecht und Schuld – auf Ebene der „vierten Deliktskategorie“ – bewirkt werden. Folglich ist hinsichtlich der Frage Farbe zu bekennen, welcher Betrachtungsweise der Vorzug zu geben ist. Denn die gewählte Betrachtungsweise – separat oder als (normative) Einheit – legt, ungeachtet des jeweiligen argumentativen Überbaus, den Grundstein für die Verortung im Deliktsaufbau.102 Soweit diese Sichtweise mit der Behauptung angezweifelt wird, auch bei isolierter Betrachtung könne der freiwillige Rücktritt zu einer (nachträglichen) Neubewertung des (Versuchs-)Geschehens führen103, erfolgt – in Wahrheit – bereits eine (normative) Verquickung von Versuch und Rücktritt, um deren Nachweis es doch eigentlich geht. Handfester ist dagegen der Hinweis auf das zeitliche Verhältnis von Versuch und Rücktritt: Das Rücktrittsverhalten folgt dem Versuchsverhalten nach.104 Für sich genommen vermag diese Feststellung freilich den Beweis für die Notwendigkeit separater Betrachtung von Versuch und Rücktritt nicht zu erbringen. Entscheidend ist, ob dieses Nachfolgeverhältnis in zeitlicher Hinsicht Rückschlüsse auf den Gegenstand des Schuldvorwurfes zulässt. Dieser Frage ist wiederum unter Heranziehung des Gesetzes nachzugehen: Die §§ 16 I, II; 17; 19; 20; 35 II StGB erklären für Vorsatz- und Schuldfragen übereinstimmend den Zeitpunkt „bei Begehung der Tat“ für relevant.105 Insoweit ist § 8 S. 1 StGB zu beachten, der die „Begehung der Tat“ in zeitlicher Hinsicht dergestalt präzisiert, dass der Zeitpunkt der Handlung oder Unterlassung entscheidend ist. Für den Versuch bedeutet dies, dass auf das unmittelbare Ansetzen sowie – gegebenenfalls – auf weitere auf die Erfolgsverwirklichung gerichtete Handlungen abzustellen ist.106 Auf die Erfolgsverwirklichung gerichtete Handlungen sind indes nur solche, welche sich am deliktischen Erfolg orientieren. Auf einen „Rücktrittserfolg“ kommt es nicht an.107 D. h. aber, dass Gegenstand des Schuldvorwurfs auch beim Ver102 Zutreffend einen Fokus auf diese Frage legend Lang-Hinrichsen, FS-Engisch, S. 353, 370 ff. 103 Ulsenheimer, Grundfragen des Rücktritts vom Versuch in Theorie und Praxis, 1976, S. 89. 104 B/W/M/E-Mitsch, § 23 Rn. 7. 105 Darauf hinweisend auch MK-Herzberg/Hoffmann-Holland, § 24 Rn. 3. 106 MK-Ambos, § 8 Rn. 11; M/R-Basak, § 8 Rn. 3; NK-Böse, § 8 Rn. 2; Schönke/ Schröder-Eser/Weißer, § 8 Rn. 3; S/S/W-Satzger, § 8 Rn. 3. 107 Anders Schumann, ZStW 130 (2018), S. 1, 19 f., die – in Übereinstimmung mit Streng, FS-Beulke, S. 313, 316 ff., 321 ff. – anhand der §§ 17 S. 2, 35 I S. 2, II S. 1 StGB nachzuweisen sucht, dass der Schuldvorwurf mitunter „wegen eines Vortat-Verhaltens in Bezug auf das Tatunrecht erhoben“ werde. So werde mit Blick auf § 17 S. 2 StGB deutlich, dass das Kriterium der Vermeidbarkeit „auf ein vor der Tat liegendes (Fehl-)Verhalten bezogen“ werde (unterlassene Erkundigung über Rechtslage). Entspre-
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such einzig das die Deliktsneigung bestätigende Handeln, nicht aber das im Rahmen des Rücktritts gezeigte Verhalten sein kann. Insoweit handelt es sich um bloßes Nachtatverhalten.108 Das Gesetz enthält schlicht keine Anhaltspunkte für die Existenz eines ex-tunc-wirkenden Schuldausschließungsgrundes.109 Dies gilt im Übrigen auch für den unbeendeten Versuch. Bei diesem wird zwar kein aktives Handeln zur Verhinderung des Erfolgseintritts vorausgesetzt; ein schlichtes Aufhören genügt. Dennoch liegt auch darin ein Verhalten, das von dem auf die Herbeiführung des deliktischen Erfolgs zielenden Verhalten strikt zu trennen ist. Ist also festgestellt, dass beim Versuch Gegenstand des Schuldvorwurfes „exklusiv“ das auf die Tatbestandsverwirklichung gerichtete Verhalten des Täters ist, ist den schuldorientierten Auffassungen der Boden entzogen.110 An einer Verortung auf Ebene der „vierten Deliktskategorie“ führt demnach kein – mit dem Gesetz in Einklang zu bringender – Weg vorbei. Worin die ratio der Straffreistellung zu sehen ist („Goldene Brücke“, Prämiengedanke, Strafzweckerwägungen), bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung – von Bedeutung ist, dass Konstellationen des Rücktritts (im Umfeld von Täterschaft und Teilnahme) von vornherein nicht zum Betrachtungsgegenstand der hiesigen Untersuchung gehören. 3. Zusammenfassung Wenngleich die Rechtsnatur einiger Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, wie zuvor aufgezeigt, umstritten ist, kann eine Einordnung zumeist unter Hinweis auf die Verquickung des Strafausschlusses mit den Besonderheiten des betreffenden Delikts dahinstehen. Für den Rücktritt fehlt es an einer entsprechenden Verquickung, weshalb dessen Rechtsnatur zu bestimmen war. Richtigerweise ist der Rücktritt als – außerhalb von Unrecht und Schuld liegender – Strafaufhebungsgrund einzustufen. Einen Schuldausschluss – sei es in Gestalt einer „Entschuldigung“, einer „Schuldaufhebung“ oder eines „Verantwortungsaus-
chendes gelte für § 35 I S. 2, II S. 1 StGB, sodass die Formulierung „bei Begehung der Tat“ nicht auf eine „statische Übereinstimmung von Unrecht und Schuld“ abziele. Dem kann man freilich entgegenhalten, dass das vor der eigentlichen Ausführung liegende Fehlverhalten im Moment des Handelns fortwirkt, sich gewissermaßen erst in diesem Zeitpunkt aktualisiert. Damit bleibt entscheidender – zeitlicher – Bezugspunkt die Handlung selbst. Ein „Rückwirken“ kann es dagegen, wie Schumann an anderer Stelle selbst einräumt (vgl. den hiesigen Nachweis in Fn. 87), nicht geben. 108 Treffend Jäger, Der Rücktritt vom Versuch als zurechenbare Gefährdungsumkehr, 1996, S. 127; ferner Herrmann, Der Rücktritt im Strafrecht, 2013, S. 19. 109 Vgl. auch B/W/M/E-Mitsch, § 23 Rn. 7; die Rücktrittswirkungen auf Basis einer einheitlichen Betrachtungsweise treffend mit der eintretenden ex-tunc-Nichtigkeit nach einer Anfechtung (§ 142 I BGB) vergleichend MK-Herzberg/Hoffmann-Holland, § 24 Rn. 3. 110 Gleiches gilt im Übrigen für die eine Lösung auf Tatbestands- bzw. Unrechtsebene suchenden Ansätze, vgl. dazu B.II.2.b)cc).
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B. Zum Begriff der Schuldausschließungsgründe
schlusses“ – vermag er, da er nicht Gegenstand des Schuldvorwurfes sein kann, nicht zu bewirken. Die Ausführungen betreffend die ratio der Straffreistellung erscheinen angesichts des Umstandes, dass letztlich die Betrachtungsweise – genauer: die Bestimmung des Gegenstandes des Schuldvorwurfs – ausschlaggebend ist, als bloßer Exkurs. Dabei kann am Charakter als Exkurs, insoweit man diesen in der (ausschweifenden) Behandlung einer Nebensächlichkeit sieht, durchaus gezweifelt werden. Immerhin erfolgte im Rahmen der Betrachtung eine erste Annäherung an die von Roxin begründete Konzeption des Verantwortungsausschlusses, welche insbesondere bei der Begutachtung von Beteiligungskonstellationen im Umfeld der §§ 33; 35 StGB von Interesse sein wird.111
III. Schuldausschluss außerhalb gesetzlicher Regelung Neben den „klassischen“ Schuldausschließungsgründen, die oben bereits benannt wurden (I.), sind weitere Gründe zu beachten, bei deren Vorliegen ein Schuldausschluss jedenfalls diskutiert wird. Der Diskussionsbedarf ergibt sich in diesem Zusammenhang maßgeblich aus der fehlenden positiv-rechtlichen Regelung der zum Schuldausschluss führenden Voraussetzungen. In Rede stehen sog. übergesetzliche Schuldausschließungsgründe, die zumeist zwar unter Heranziehung bestehender gesetzlicher Regelungen – insb. § 35 StGB – konstruiert, letztlich jedoch auf allgemeine bzw. übergeordnete Prinzipien gestützt werden. An erster Stelle steht dabei die viel bemühte „Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“, die besondere Relevanz im Bereich der Fahrlässigkeits- und Unterlassungsstrafbarkeit hat, deren schuldausschließende Wirkung aber auch darüber hinaus erwogen wird. Weiter ist die sog. Gewissenstat zu beachten. Gemeint ist die Tatbegehung in einer Situation, in welcher der Täter sich in einem Konflikt zwischen Rechtspflicht einer- und Glaubens- bzw. Gewissensgebot andererseits befindet und den Zustand „seelischer Bedrängnis“ 112 zulasten der Rechtspflicht auflöst. Auch hier ist unklar, in welchem Umfang Art. 4 I GG – in Ausnahmefällen – einen Schuldausschluss bewirken kann. Schließlich geht es um den sog. übergesetzlichen entschuldigenden Notstand, der die fehlende positiv-rechtliche Verankerung bereits im Namen trägt und untrennbar mit Konstellationen wie dem Weichensteller- oder dem Flugzeugabschuss-Fall verbunden ist.113
111 112 113
Eingehend zur strafzweckorientierten Deutung Roxins unten C.I.1.b). BVerfGE 32, 98, 109. Vgl. dazu unten B.III.3.
III. Schuldausschluss außerhalb gesetzlicher Regelung
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1. Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens Wie eingangs angedeutet, stellt sich in Ansehung der gesetzlich normierten Schuldausschließungsgründe die Frage, in welchem Umfang das Prinzip der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens Bedeutung für den angeordneten Wegfall der Schuld hat.114 Betrachtet man – in Folge entsprechender Überlegungen – die Unzumutbarkeit (normgemäßen Verhaltens115) sodann als das den Schuldausschluss jedenfalls in existentiellen Gefahrensituationen tragende Prinzip, ist der Schritt zur Anerkennung eines allgemeinen Schuldausschließungsgrundes der „Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“ nicht allzu weit. Bevor die Berechtigung einer solchen – beträchtlichen – Erweiterung der Schuldausschließungsgründe in den Blick genommen werden kann, ist zunächst eine Annäherung an den Begriff der Unzumutbarkeit (normgemäßen Verhaltens) geboten. Sodann ist die Bedeutung der Unzumutbarkeit für die Vorschrift des § 35 StGB zu bemessen, soll diese doch „den wichtigsten Fall der Unzumutbarkeit“ 116 regeln. Nicht außen vor bleiben darf ferner die Rolle von Unzumutbarkeitserwägungen im Rahmen von Unterlassungs- und Fahrlässigkeitsdelikten – hier wird eine eigenständige Bedeutung des Prinzips, anders als im Umgang mit vorsätzlichen Begehungsdelikten, vielfach anerkannt. a) Zum Begriff Der Begriff der „(Un-)Zumutbarkeit“ wird in strafrechtlichen Abhandlungen regelmäßig mit einer derartigen Selbstverständlichkeit zu Papier gebracht, dass man meinen sollte, es handle sich um einen feststehenden (Rechts-)Begriff, der jede weitere Erläuterung und Präzisierung überflüssig macht.117 Dass dem nicht so ist, zeigt sich bereits an der Existenz entsprechender Monographien jüngeren Datums, welche den Begriff zu sezieren suchen.118 Aufgabe der gegenständlichen Arbeit kann eine derart umfassende Untersuchung des Begriffes und seiner unterschiedlichen Implikationen selbstredend nicht sein. Eine Annäherung kann nur insoweit erfolgen, als sie zur Bestimmung des hiesigen Untersuchungsgegenstandes beiträgt. Eine semantische Analyse des – stets unter Beachtung seines Gegenpols der „Zumutbarkeit“ zu betrachtenden – Begriffes der „Unzumutbarkeit“ führt zu dem Ergebnis, dass etwas (von einer Person) „billigerweise nicht verlangt werden 114
Vgl. B.I. Zur Bedeutung des Zusatzes sogleich unter B.III.1.a). 116 LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 324. 117 Dagegen treffend auf die Beliebigkeit im Umgang mit der Begrifflichkeit hinweisend auch Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 403. 118 Momsen, Die Zumutbarkeit als Begrenzung strafrechtlicher Pflichten, 2006; Wortmann, Inhalt und Bedeutung der „Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“ im Strafrecht, 2002. 115
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B. Zum Begriff der Schuldausschließungsgründe
kann“ 119. Weil damit noch nicht gesagt ist, was (von einer Person) billigerweise nicht verlangt werden kann, findet sich häufig der Zusatz des „normgemäßen Verhaltens“.120 Welzel verwendet dagegen den Zusatz des „rechtmäßigen Verhaltens“ 121, was bei Fruchtbarmachung der Unzumutbarkeit auf Schuldebene nur konsequent ist: Soll die Unzumutbarkeit ein (erst) den Schuldausschluss tragendes Prinzip sein, setzt dies die Verwirklichung von Unrecht durch den Täter voraus. Die Nichtverwirklichung von Unrecht, sprich: rechtmäßiges Verhalten, ist dem Täter indes nicht zumutbar. Demnach ist „normgemäß“, soweit es um einen Schuldausschluss geht, als Synonym für „rechtmäßig“ anzusehen.122 Damit ist, wenn auf Schuldebene von der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens die Rede ist, eine Situation bezeichnet, in welcher vom Täter billigerweise nicht verlangt werden konnte, sich rechtmäßig zu verhalten. b) Zur Bedeutung bei den sog. Entschuldigungsgründen (insb. § 35 StGB) aa) Bedeutung der (Un-)Zumutbarkeit für den Schuldausschluss nach § 35 I 1 StGB Wenngleich in Auseinandersetzung mit den sog. Entschuldigungsgründen, insb. mit § 35 StGB, nicht selten betont wird, dass die Unzumutbarkeit „keinen benennbaren sachlichen Gehalt“ 123 aufweise, wird die Begrifflichkeit regelmäßig – z. T. von den gleichen Autoren – zur Beschreibung der Ratio des Schuldausschlusses herangezogen.124 Dies hat denn auch seine Berechtigung: Wenn vom Menschen „billigerweise“ nicht erwartet werden kann, sich nicht ins Unrecht zu setzen, kann dies in einer Gesellschaftsordnung, in der die Unterscheidung von Recht und Unrecht zu den elementaren Voraussetzungen funktionierenden Zusammenlebens gehört, nur dann der Fall sein, wenn das Menschsein 119 Wortmann, Inhalt und Bedeutung der „Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“ im Strafrecht, 2002, S. 14. Etwas weiter geht Momsen, Die Zumutbarkeit als Begrenzung strafrechtlicher Pflichten, 2006, S. 53, der den semantischen Gehalt darin erblickt, dass etwas nicht verlangt werden „darf“. 120 RGSt 66, 397, 398; BGH NJW 1991, 2498, 2499; B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 4; Jakobs, AT, 17/53; MK-Schlehofer, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 303. 121 Welzel, S. 178 f. 122 Weitergehend Wortmann, Inhalt und Bedeutung der „Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“ im Strafrecht, 2002, S. 25 f., der den Begriff „normgemäß“ pauschal, also auch über einen Schuldausschluss hinausgehend, mit „rechtmäßig“ gleichsetzen will. 123 Kühl, AT, § 12 Rn. 12; ähnlich Jescheck/Weigend, AT, § 43 III 1 („inhaltlich unbestimmtes Prinzip“); Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 110 („keine sachlich-inhaltlichen Aussagen“). 124 Kühl, AT, § 12 Rn. 10; ders., in: Lackner/Kühl, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 30; ferner B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 11; Krey/Esser, AT, Rn. 748; LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 324; NK-Neumann, § 35 Rn. 2.
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als solches rechtmäßigem Verhalten im Wege steht. Die Erkenntnis, dass vom (Einzel-)Menschen in existentiellen Bedrohungslagen nicht mehr erwartet werden kann, als sich „selbst der Nächste“ 125 zu sein, ist dabei keine neue. Erstes (überliefertes) geisteswissenschaftliches Produkt jener Erkenntnis ist der berühmte Karneades-Fall, welcher die moralisch und juristisch brisante Frage aufwirft, ob in Situationen extremer Gefährdung die Tötung eines gleichermaßen Gefährdeten zur Erhaltung des eigenen Lebens vor Gesellschaft und Recht Bestand haben kann. Dass also eine Vorschrift, die bei Bedrohung gewichtiger Individualrechtsgüter trotz Unrechtsverwirklichung eine Straffreistellung bewirkt, jedenfalls im Ausgangspunkt „Nachsicht mit der menschlichen Schwäche“ 126 übt, kann nicht ernsthaft in Abrede gestellt werden. Dies zeigt sich schon an den Fällen, die im Umfeld des Notstands seit Jahrzehnten diskutiert werden. Ganz bewusst muss in diesem Zusammenhang pauschal vom Notstand, nicht vom rechtfertigenden oder entschuldigenden Notstand, gesprochen werden, ist im Gesetz eine explizite Differenzierung zwischen den beiden Notstandsarten doch erst seit 1975 angelegt127 und gewinnen die Fälle weitere Brisanz durch bestehende Unsicherheiten hinsichtlich ihrer Einordnung auf Unrechts-128 oder Schuldebene. Zu den angesprochenen Fällen, denen auf Basis der seit 1975 gesetzlich verankerten Differenzierung zwischen § 34 StGB einer- und § 35 StGB andererseits zutreffend überwiegend Relevanz auf Schuldebene beigemessen wird, die aber, wie angedeutet, auch zuvor diskutiert wurden, gehören der Bergsteiger-Fall129, der Mignonette-Fall130 sowie der Ballon-Fall131. Ohne die Fälle an dieser Stelle in extenso zu behandeln, sei nur festgehalten, dass Konstellationen in Rede stehen, in denen ein Bergsteiger das Seil zu seinem Kameraden der eigenen Rettung wegen kappt, ein Schiffbrüchiger einen Schicksalsgenossen zum Zwecke des Verzehrs tötet bzw. ein Ballonfahrer seinen Mitfahrer zur eigenen Rettung über Bord wirft. Dass in diesen Situationen die Selbsterhaltung bzw. der Selbsterhaltungstrieb eine nicht nur untergeordnete Rolle spielt, liegt auf der Hand. 125 Diese Formulierung bemühend Wortmann, Inhalt und Bedeutung der „Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“ im Strafrecht, 2002, S. 100. 126 Welzel, S. 182, zu §§ 52, 54 StGB a. F. 127 Dazu Zieschang, JA 2007, 679 f. 128 Auch vor ausdrücklicher gesetzlicher Anerkennung des rechtfertigenden Notstands in Gestalt des § 34 StGB im Jahre 1975 war die Existenz eines übergesetzlichen rechtfertigenden Notstands anerkannt. Vgl. RGSt 61, 242, 254 ff. (grundlegend); Welzel, S. 90 ff.; Schmidhäuser, Strafrecht Allgemeiner Teil, 1970, S. 251; i. E. auch Mayer, SB, 1967, S. 89 ff.; dazu auch unten B.III.3.b)aa). 129 Zuerst wohl bei Merkel, Die Kollision rechtmäßiger Interessen und die Schadensersatzpflicht bei rechtmäßigen Handlungen, 1895, S. 48. 130 Die Yacht „Mignonette“, welche im Jahre 1884 im Südatlantik Schiffbruch erlitt, ist Namensgeber für den historischen Fall. Vgl. dazu eingehend Ziemann, ZIS 2014, 479. 131 Gebildet von Neubecker, Zwang und Notstand in rechtsvergleichender Darstellung, Bd. 1, 1910, S. 62.
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Dass die „menschliche Schwäche“ allein den Schuldausschluss – und damit die Straflosigkeit – zu tragen vermag, ist damit nicht gesagt. Gesagt ist aber, dass ein Ignorieren des Selbsterhaltungstriebes einer Entwurzelung der Vorschrift gleichkäme. Der Auffassung, dass jedenfalls eine psychologische, auf den Selbsterhaltungstrieb zurückgehende, Ausnahmesituation im Rahmen des § 35 StGB schuldmindernd zu berücksichtigen ist, ist daher beizupflichten.132 Weiter bleibt die Frage, in welcher Beziehung Unzumutbarkeit und (behauptete) Unrechtsminderung stehen. Die im Rahmen der Einordnung des Rücktritts bereits skizzierte Unrechtsminderung133, welche nach überwiegender Auffassung die zweite Säule des Schuldausschlusses nach § 35 I 1 StGB bildet, leuchtet vor dem Hintergrund, dass der Täter in Notstandssituationen nicht in bloßer Schädigungsabsicht gegenüber dem Eingriffsgut, sondern auch – und insbesondere (!) – zur Erhaltung des bedrohten Guts handelt, ein. Damit ist die Situation schon einmal grundverschiedenen vom Regelfall der Unrechtsverwirklichung. Dabei ist der (begrifflichen) Konkretisierung der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens als Situation, in welcher vom Täter billigerweise nicht verlangt werden konnte, sich rechtmäßig zu verhalten134, die Aussage immanent, dass dem Täter (oder einer Sympathieperson) ein Ungemach droht, das es abzuwenden gilt. Wenn der Täter zur Abwehr dieses Ungemachs den Bereich des Rechtmäßigen verlassen muss, müssen gewichtige, anerkennenswerte (Fern-)Ziele vorliegen, welche die Erlangung von Straffreiheit zu rechtfertigen mögen. In Notstandssituationen sind diese (Fern-)Ziele in der Erhaltung gewichtiger Individualrechtsgüter zu sehen. Das Handeln zur Erhaltung dieser Güter muss sich wiederum unrechtsmindernd niederschlagen, wirkt das Täterhandeln doch zumindest auch rechtsbewahrend. D.h. aber, dass der Unzumutbarkeit, wie sie hier verstanden wird, nicht nur eine – unmittelbar schuldmindernd wirkende – psychologische Ausnahmesituation immanent ist, sondern auch eine – unrechtsmindernd zu berücksichtigende – Verfolgung anerkennenswerter (Fern-)Ziele. Die Unzumutbarkeit ist somit für die Notstandstat insoweit prägend, als sie „Geburtshelfer“ entsprechender gesetzlicher Regelungen (§§ 52, 54 StGB a. F.; § 35 StGB) war und ist. Wenn ihr inhaltliche Leere attestiert wird, so ist dies darauf zu beziehen, dass die Unzumutbarkeit erst durch die gesetzliche Regelung eine klare Konturierung erfährt: § 35 I 1 StGB konkretisiert bereits das Profil der Situation, in welcher überhaupt an einen Schuldausschluss zu denken ist – vorliegen muss eine gegenwärtige Gefahr „für Leben, Leib oder Freiheit“. Im Umkehrschluss gilt: Drohende Beeinträchtigungen von Eigentum oder Ehre sind kraft gesetzgeberischer Ent132 133 134
Zu dieser Säule des Schuldausschlusses vgl. schon B.II.2.b)ee)(1). Vgl. dazu oben B.II.2.b)ee)(1). Zur Herleitung vgl. oben B.III.1.a).
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scheidung hinzunehmen. Ferner kann nur derjenige profitieren, der zur Erhaltung eigener Rechtsgüter oder zur Erhaltung von Rechtsgütern eines Angehörigen bzw. einer anderen nahestehenden Person handelt. Weiter erfolgt eine Einschränkung durch § 35 I 2 HS. 1 StGB, indem über die Benennung bestimmter Fallgruppen sowie der Verankerung einer (Zumutbarkeits-)Generalklausel ein Korrektiv zur „weiten“ Fassung des § 35 I 1 StGB geschaffen wird. Die Anforderungen an eine Situation, in welcher vom Täter billigerweise nicht verlangt werden konnte, sich rechtmäßig zu verhalten, werden also von § 35 I StGB in nicht unerheblichem Maße konkretisiert. Mit Blick auf die Frage nach der Anerkennung eines allgemeinen (übergesetzlichen) Schuldausschließungsgrundes der „Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“ ist freilich erläuterungsbedürftig, in welchem Umfang der Gesetzgeber bei Fassung eines auf der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens beruhenden Schuldausschließungsgrundes konkretisieren darf und muss. bb) Bedeutung der (Un-)Zumutbarkeit für den Exkulpationsausschluss nach § 35 I 2 HS. 1 StGB Eine eigenständige Bedeutung der (Un-)Zumutbarkeit kann bei Einbeziehung des § 35 I 2 HS. 1 StGB erwogen werden. Dort wird – unter namentlicher Hervorhebung zweier Fallgruppen (Selbstverursachung der Gefahr; besondere Rechtsverhältnisse) – eine Ausnahme von der schuldausschließenden Wirkung des § 35 I 1 StGB gemacht, „soweit dem Täter nach den Umständen (. . .) zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen“. Daraus ergibt sich die Frage, ob der (Un-)Zumutbarkeit auch im Rahmen des § 35 I 2 HS. 1 StGB – trotz ihrer Verankerung im Wortlaut – fehlender „sachlicher Gehalt“ zu attestieren ist. Sieht man nämlich die (Un-)Zumutbarkeit im Zusammenhang mit der Begründung des Schuldausschlusses nach § 35 I 1 StGB als ursprüngliches, aus der menschlichen Natur erwachsendes Prinzip, welches der konkreten Ausformung und Einbettung in das (gegenwärtige) straftatsystematische Denken bedarf, liegt es nahe, für den – spiegelbildlichen – Exkulpationsausschluss zur identischen Feststellung zu gelangen. Daran kann unter Beachtung nachfolgender Erwägungen gezweifelt werden: Die Fassung der Vorschrift („namentlich“) lässt zwei Rückschlüsse zu: Erstens sind die benannten Fallgruppen widerlegbar135, zweitens ist die – ausnahmsweise – Bejahung der Zumutbarkeit auch außerhalb der Fallgruppen möglich (§ 35 I 2 HS. 1 StGB als Generalklausel). Sowohl hinsichtlich der Widerlegbarkeit als 135 B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 33; Jescheck/Weigend, AT, § 44 III 2; LK-Zieschang, § 35 Rn. 48; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 18; abweichend wohl einzig Lugert, Zu den erhöht Gefahrtragungspflichtigen im differenzierten Notstand, 1991, S. 131 f., der eine Widerlegbarkeit bei in einem besonderen Rechtsverhältnis stehenden Personen unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 6 WStG generell verneint.
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B. Zum Begriff der Schuldausschließungsgründe
auch in Ansehung der Generalklausel stellt sich sodann die Frage, nach welchen Kriterien der Rechtsanwender sich zu richten hat. Insoweit kommt eine eigenständige Bedeutung der „(Un-)Zumutbarkeit“ in Betracht. (1) Zur Widerlegbarkeit Konstruktiv bedeutet die Möglichkeit der Widerlegbarkeit der Fallgruppen, die ihrerseits eine Ausnahme vom Schuldausschluss nach § 35 I 1 StGB darstellen, die Anerkennung einer Ausnahme von der Ausnahme. (a) Widerlegbarkeit bei besonderen Rechtsverhältnissen Betreffend die Fallgruppe der besonderen Rechtsverhältnisse wird immer wieder betont, dass auch der erhöht Gefahrtragungspflichtige nicht zur Hinnahme der Gefahr verpflichtet ist, wenn „die Pflichterfüllung den sicheren Tod bedeuten würde“ 136. Damit wird eine absolute Grenze der Zumutbarkeit statuiert, die vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber den Selbsterhaltungstrieb eines jeden Menschen durch Schaffung von Vorschriften wie § 35 (I 1) StGB ausdrücklich anerkennt, einleuchtet. Momsen drückt dies folgendermaßen aus: „Gestaltet sich eine Notstandslage nun so, daß der Verpflichtete nur unter Todesgefahr den Inhaber der Eingriffssphäre pflichtgemäß schützen kann, aktualisiert sich unweigerlich das Selbstbehauptungsrecht mit der Folge, daß die strafrechtliche Rechtspflicht an ihre individuell-absolute Grenze gelangt.“ 137 Weshalb der drohende Tod für die Fallgruppe der Selbstverursachung, die doch im Normgefüge grundsätzlich gleichrangig neben der Gruppe der besonderen Rechtsverhältnisse steht und mit Blick auf § 35 I 2 HS. 2 StGB gegenüber dieser sogar noch privilegiert ist, in den literarischen Stellungnahmen überwiegend nicht explizit als Grenze des Zumutbaren erwähnt wird, bleibt schleierhaft.138 Festzuhalten ist jedenfalls, dass die Grenze des sicheren oder höchstwahrscheinlichen Todeseintritts lediglich (denk-)logische Folge der allgemeinen (rechtlichen) Anerkennung des menschlichen Selbsterhaltungstriebes ist, letztlich aber keine Rückschlüsse auf einen eigenständigen Gehalt der Zumutbarkeit im Rahmen des § 35 I 2 HS. 1 StGB zulässt.
136 LK-Zieschang, § 35 Rn. 56; inhaltlich übereinstimmend etwa Esser/Bettendorf, NStZ 2012, 233, 237; Fischer, § 35 Rn. 12; Jescheck/Weigend, AT, § 44 III 2 b); NKNeumann, § 35 Rn. 44; Roxin, AT I, § 22 Rn. 41; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 25. 137 Momsen, Die Zumutbarkeit als Begrenzung strafrechtlicher Pflichten, 2006, S. 345. 138 Zutreffend auf diese Inkonsequenz hinweisend auch Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 137.
III. Schuldausschluss außerhalb gesetzlicher Regelung
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(b) Widerlegbarkeit bei Selbstverursachung Anstelle einer absoluten Grenzziehung findet sich in Auseinandersetzung mit der Fallgruppe der Selbstverursachung regelmäßig der Hinweis, dass der „Einzelfall“ bzw. die „näheren Umstände“ in den Blick zu nehmen und sodann unter Zumutbarkeitserwägungen zu bewerten seien.139 Dabei sind für die gegenständliche Untersuchung nicht so sehr die an das „Verursachen“ zu stellenden Anforderungen von Interesse.140 Vielmehr geht es abermals darum, zu eruieren, ob der ausnahmsweise Nichteintritt des Exkulpationsausschlusses in Fällen der Verursachung einen eigenständigen Gehalt der (Un-)Zumutbarkeit hervortreten lässt. Meist diskutiert ist in diesem Zusammenhang die Konstellation, dass der Notstandstäter die Gefahr selbst verursacht hat, sodann aber tätig wird, um eine in Gefahr geratene Sympathieperson zu retten. Als Beispiel mag der Vater dienen, der seinen Sohn „in leichtsinniger Weise auf eine gefährliche Segelpartie mitgenommen hat“ 141. Rettet nun der Vater das Leben des Sohnes auf Kosten eines Dritten, würde § 35 I 2 HS. 1 StGB im Ausgangspunkt zur Versagung des Schuldausschlusses führen, da dem Vater eine (vorwerfbare) Verursachung zu attestieren ist. Nach überwiegender Auffassung soll hier aber mittels „des möglichen Rückgriffs auf die allgemeine Zumutbarkeitsklausel“ 142 ein Schuldausschluss möglich bleiben.143 Das spricht zunächst einmal dafür, dass der (Un-) Zumutbarkeit hier eigenes Gewicht zukommt, mithin ein Rechtsbegriff mit eigenem Gehalt ist. Betrachtet man indes die Erwägungen, die zur Begründung dieses Ergebnisses angeführt werden, stellt sich heraus, dass der Zumutbarkeit überwiegend die Funktion zukommt, die in Ansehung des Schuldausschlusses für maßgeblich erachteten Erwägungen („Doppelte Schuldminderung“; „Verantwortungsausschluss“) auch im Rahmen des § 35 I 2 HS. 1 StGB fruchtbar zu machen. So bleibt Roxin seinem präventionsorientierten Verständnis treu, wenn er festhält, dass im Falle der Rettung des in Gefahr gebrachten Angehörigen „das allgemeine Rechtsbewusstsein keine Bestrafung fordert“ 144. Damit ist letztlich gesagt, dass es keiner Bestätigung der Norm bedarf, weshalb unter dem Gesichtspunkt der (positiven) Generalprävention Straffreiheit einzutreten hat. Stützt man den Schuldausschluss nach Maßgabe des § 35 I 1 StGB dagegen zutreffend auf eine – aus einer Unrechts- und Schuldminderung erwachsenden – „doppelte
139 B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 33; Fischer, § 35 Rn. 11; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 20. 140 Den Meinungsstand bezüglich der Qualität des Verursacherverhaltens darstellend etwa LK-Zieschang, § 35 Rn. 49. 141 Jescheck/Weigend, AT, § 44 III 2 a); ähnlich B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 32 f. 142 Roxin, AT I, § 22 Rn. 50. 143 B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 33; Jescheck/Weigend, AT, § 44 III 2 a); Fischer, § 35 Rn. 11; Krey/Esser, AT, Rn. 756; LK-Zieschang, § 35 Rn. 51; Roxin, AT I, § 22 Rn. 50. 144 Roxin, AT I, § 22 Rn. 50.
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B. Zum Begriff der Schuldausschließungsgründe
Schuldminderung“ 145, wird man primär die „besondere psychische Zwangslage“ des die Gefahr für die Sympathieperson erzeugenden Notstandstäters in den Mittelpunkt rücken.146 Im Ergebnis liegt also auch – und gerade – bei der Selbstverursachung zulasten eines Angehörigen eine, aus dem Antrieb der Erhaltung der Sympathieperson erwachsende, psychische Ausnahmesituation vor, die schuldmindernd zu Buche schlägt. Wenn zusätzlich oder aber alternativ auf die gegenüber Angehörigen und sonstigen nahestehenden Personen häufig bestehende (Obhuts-)Garantenstellung verwiesen wird147, gibt dies der Zumutbarkeit im Rahmen des § 35 I 2 HS. 1 ebensowenig einen eigenständigen Gehalt: Hier wird lediglich versucht, außerhalb der Norm begründete strafrechtliche Sonderpflichten über das „Einfallstor“ der Zumutbarkeit fruchtbar zu machen, ohne dass damit ein spezifisch schuldbezogener Zumutbarkeitsbegriff geprägt würde. Vielmehr geht es darum, die (straffreie) Einhaltung der Garantenpflicht zu gewährleisten. Das, was das Recht an anderer Stelle, nämlich in § 13 I StGB (i.V. m. dem jeweiligen Straftatbestand), gebietet, soll durch Bestrafung im Falle der Einhaltung der Garantenpflicht nicht konterkariert werden. (c) Zusammenfassung: Bedeutung der (Un-)Zumutbarkeit bei Widerlegung der Fallgruppen Damit ist hinsichtlich der Widerlegbarkeit der Fallgruppen festgestellt, dass die Zumutbarkeit entweder zur Erklärung des Offensichtlichen (sicherer oder höchstwahrscheinlicher Tod als Grenze bei besonderem Rechtsverhältnis) oder aber als „verlängerter Arm“ der den Schuldausschluss nach § 35 I 1 StGB tragenden Erwägungen herangezogen wird. (2) Zur Generalklausel Auch außerhalb der (widerlegbaren) benannten Fallgruppen eröffnet § 35 I 2 HS. 1 StGB die Möglichkeit, eine Notstandshandlung aus dem Anwendungsbereich des § 35 I 1 StGB auszunehmen, indem ein allgemeiner Zumutbarkeitsvorbehalt statuiert wird. In diesem Zusammenhang sollen wiederum zwei Fallgruppen von besonderer Bedeutung sein: (Obhuts-)Garantenstellungen gegenüber einzelnen Personen 145
Vgl. dazu oben B.II.2.b)cc)(1) sowie B.III.1.b)aa). B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 33; ähnlich LK-Zieschang, § 35 Rn. 51 („seelischer Druck“); Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 692 (Täter wird sich zur Rettung „besonders gedrängt“ fühlen). 147 Als zusätzliche Erwägung zu finden bei B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 33; als alternativer Erklärungsansatz angeführt bei Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 437; Kühl, AT, § 12 Rn. 67. 146
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(insb.: Eltern-Kind-Verhältnis) sowie die Außerverhältnismäßigkeit des hervorgerufenen Schadens.148 (a) Zumutbarkeit bei Garantenstellung Hinsichtlich der Garantenstellungen stellt sich im Ausgangspunkt die Frage nach der Abgrenzung zur benannten Fallgruppe der besonderen Rechtsverhältnisse. Immerhin verlangt § 13 I StGB eine spezifische rechtliche Einstandspflicht, weshalb die Fassung sämtlicher Garantenbeziehungen unter die Fallgruppe der besonderen Rechtsverhältnisse jedenfalls nicht fernliegend ist. Die Abgrenzung kann dabei nicht unter Verweis auf die identische Rechtsfolge des Exkulpationsausschlusses dahinstehen. Während nämlich bei einem Exkulpationsausschluss infolge der Fassung unter die Generalklausel eine (besondere) Milderungsmöglichkeit nach Maßgabe des § 35 I 2 HS. 2 StGB bestehen bleibt, gilt dies bei Zumutbarkeit kraft Vorhandenseins eines besonderen Rechtsverhältnisses ausdrücklich nicht.149 Unter Beachtung der Gesetzesmaterialien, welche der benannten Fallgruppe des besonderen Rechtsverhältnisses nur Relevanz bei Bestehen einer „Schutzpflicht gegenüber der Allgemeinheit [Herv. d. Verf.]“ 150 zuerkennen, liegt es nahe, Garantenpflichten gegenüber einzelnen Personen einzig unter Heranziehung der Generalklausel zu berücksichtigen.151 Soweit bestritten wird, dass es sich beim besonderen Rechtsverhältnis um eine Schutzpflicht gegenüber der Allgemeinheit handeln muss152, resultiert dies aus einem abweichenden Verständnis der Allgemeinbezogenheit. Bei einem eher weiten Begriffsverständnis wird man einen Allgemeinbezug der Schutzpflicht auch für bereichsspezifische gefahrträchtige berufliche Tätigkeiten (Seeleute, Bergwacht, Bademeister) bejahen.153 Bei einer Verengung des Begriffes wird man nur die Personengruppen mit bereichsübergreifenden Schutzpflichten (Soldaten, Polizeibeamte, Feuerwehrleute)154 als mit Schutzpflichten gegenüber der Allgemeinheit versehen einordnen und dementsprechend – zur Erfassung auch anderer Berufsträger in gefahrträchtigen Bereichen155 – das Erfordernis der Allgemeinbezogenheit negieren. Dies 148 B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 40 f.; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 35 Rn. 11; Roxin, AT I, § 22 Rn. 52. 149 Auf die diesbezügliche Bedeutung des § 35 I 2 HS. 2 StGB hinweisend auch Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 399. 150 BT-Drs. 5/4095, S. 16. 151 Kühl, in: Lackner/Kühl, § 35 Rn. 9; Roxin, AT I, § 22 Rn. 39 i.V. m. Rn. 53. 152 Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 117; LK-Zieschang, § 35 Rn. 53. 153 Roxin, AT I, § 22 Rn. 39 f.; ähnlich Kühl, in: Lackner/Kühl, § 35 Rn. 11. 154 So die Aufzählung bei LK-Zieschang, § 35 Rn. 35. 155 Auch an diese würden besondere Erwartungen betreffend das Durchstehen einer berufstypischen Gefahr gestellt, sodass – trotz gebotener enger Auslegung der „beson-
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B. Zum Begriff der Schuldausschließungsgründe
führt zu dem Befund, dass in Ansehung der Zuordnung zu den „besonderen Rechtsverhältnissen“ im Ergebnis überwiegend Einigkeit besteht. Bereits daraus ist zu ersehen, dass auch im Hinblick auf die von der Generalklausel erfassten Fälle letztlich wenig Dissens auszumachen ist. Übereinstimmend genannt werden Garantenstellungen i. S. d. § 13 I StGB, die sich aus einer Gefahrengemeinschaft oder aber aus (elterlicher) Personenfürsorgepflicht ergeben.156 Bereits in Auseinandersetzung mit der Widerlegbarkeit der Fallgruppe der vorwerfbaren Selbstverursachung – namentlich: der Widerlegbarkeit bei Gefahrverursachung zulasten eines Angehörigen – wurde auf die z. T. vorgetragene Bedeutung bestehender Garantenstellungen für die ausnahmsweise zu attestierende Unzumutbarkeit (trotz Gefahrverursachung) hingewiesen.157 Die (Vor-)Wertung des Gesetzgebers, dass die Selbstverursachung zur Zumutbarkeit der Gefahrhinnahme führt, soll dann zugunsten des Verursachers zu korrigieren sein, wenn er gegenüber dem Träger des Erhaltungsgutes garantenpflichtig ist. Im Rahmen der Generalklausel soll das Bestehen von Garantenstellungen dagegen dazu führen, dass die mit Bejahung der Voraussetzungen des § 35 I 1 StGB grundsätzlich festgestellte Unzumutbarkeit zulasten des Täters in Richtung Zumutbarkeit korrigiert wird. Zu beachten ist freilich, dass es sich im ersten Fall um die Konstellation der Notstandshilfe handelt, in der das Nichteingreifen zugunsten des Angehörigen dem Täter unzumutbar ist. Im zweiten Fall geht es dagegen darum, dass dem (rettungsunwilligen) Täter zugemutet wird, sich selbst erhöhter Gefahr auszusetzen, um seiner Garantenpflicht gerecht zu werden. Ob dieser – pauschale – Rückgriff auf das Bestehen einer Obhutsgarantenstellung vollumfänglich zu überzeugen weiß, bedarf, jedenfalls an dieser Stelle, keiner Entscheidung. Zu erwähnen bleibt aber, dass der höchstwahrscheinliche oder sichere Tod auch vom Obhutsgaranten, wie dem Vater, der sich auf Kosten seines Sohnes vor dem Ertrinken rettet, nicht hingenommen werden muss; hier soll – zutreffend158 – wiederum die Grenze des Zumutbaren erreicht sein.159 Entscheidend in Ansehung des Bedeutungsgehalts der (Un-)Zumutbarkeit im Rahmen der Generalklausel ist, dass die Heranziehung von (Obhuts-)Garantenstellungen i. S. d. § 13 I StGB auch hier maßgeblich auf die Einhaltung der Garantenpflicht abzielt. Wer seiner Obhutsgarantenpflicht nicht bzw. nicht möglichst effektiv nachkommt, muss stets, auch bei eigener Gefährdung, soweit diese deren Rechtsverhältnisse“ – eine Einbeziehung zu bejahen sei, vgl. LK-Zieschang, § 35 Rn. 53. 156 Kühl, in: Lackner/Kühl, § 35 Rn. 11; LK-Zieschang, § 35 Rn. 59; Roxin, AT I, § 22 Rn. 53; ferner NK-Neumann, § 35 Rn. 47 ff.; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 31; S/S/W-Rosenau, § 35 Rn. 18; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 10 Rn. 114. 157 Vgl. dazu oben B.III.1.b)bb)(1)(b). 158 Vgl. dazu oben B.III.1.b)bb)(1)(a). 159 B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 40; Kühl, AT, § 12 Rn. 84; NK-Neumann, § 35 Rn. 51; i. E. auch Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 427.
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nicht sicher oder höchstwahrscheinlich zum Tode führt, mit Strafe rechnen. Damit ist – ganz im Sinne einer einheitlichen Strafrechtsordnung – der Bogen zu § 13 I StGB geschlagen, ohne dass eine echte Konturierung der (Un-)Zumutbarkeit gelungen wäre. (b) Zumutbarkeit und Außerverhältnismäßigkeit Zumutbar soll die Gefahrhinnahme ferner dann sein, wenn der beim Opfer zu erwartende Schaden außer Verhältnis zu dem dem Handelnden drohenden Schaden steht.160 Der Begriff der „Verhältnismäßigkeit“ weckt Assoziationen zum Verfassungsrecht, insbesondere zum Austarieren von Konfliktlagen im grundrechtlichen Bereich. Er führt aber auch im Rahmen der Generalklausel des § 35 I 2 HS. 1 StGB weiter, wo zunächst ganz pauschal die Frage aufgeworfen wird, ob von einer Person – trotz Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 I 1 StGB – billigerweise verlangt werden konnte, eine Beeinträchtigung hinzunehmen. Die drohende Beeinträchtigung steht indes nicht beziehungslos im Raum, ihr Bezugspunkt ist der bei Abwehr der drohenden Beeinträchtigung zu erwartende Schaden. Damit stehen sich zwei (hypothetische) Schadenspositionen gegenüber, von denen naturgemäß nur eine zur Konkretisierung gelangt. Hinter den (hypothetischen) Schadenspositionen verbergen sich wiederum bestimmte Rechtsgüter mit unterschiedlichen Rechtsgutsträgern. Daraus erwächst ein Interessenkonflikt, den Bernsmann treffend folgendermaßen zusammenfasst: „Was den einen übermäßig belastet, kann für den anderen ein unverdientes Maß an Vorteilen bringen; es kann aber auch so sein, daß nur die starke Belastung des einen den anderen vor allergrößtem Schaden bewahrt.“ 161 Die ausgemachten Interessen müssen also tatsächlich ins rechte Verhältnis gesetzt werden. Zunächst stellt sich dabei die Frage, ob (drohende) geringfügige Beeinträchtigungen von Leib und Freiheit bereits von vornherein aus dem Anwendungsbereich des § 35 I 1 StGB auszunehmen sind162 oder ob „Bagatellgefahren“ 163 erst über die Generalklausel des § 35 I 2 HS. 1 StGB im Wege von Proportionalitätserwägungen zu eliminieren sind164. Der Hinweis, dass „auch Bagatellgefahren 160 B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 41; Fischer, § 35 Rn. 14; Kühl, AT, § 12 Rn. 88; Roxin, AT I, § 22 Rn. 54; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 33; Wortmann, Inhalt und Bedeutung der „Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“ im Strafrecht, 2002, S. 92 f. 161 Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 404. 162 RGSt 66, 397; 399; BGH DAR 1981, 226; Jescheck/Weigend, AT, § 44 I 1; Roxin, AT I, § 22 Rn. 25 u. 29; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 6/7 f. 163 Lugert, Zu den erhöht Gefahrtragungspflichtigen im differenzierten Notstand, 1991, S. 108. 164 Dafür Lugert, Zu den erhöht Gefahrtragungspflichtigen im differenzierten Notstand, 1991, S. 108; ferner LK-Zieschang, § 35 Rn. 16, der das Merkmal der Geringfügigkeit klarer umreißen möchte, indem er nur Beeinträchtigungen, die unterhalb der
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begrifflich Gefahren sind“ 165, entbehrt zwar nicht einer gewissen sprachlichen Logik, berücksichtigt die ratio der Vorschrift aber ebensowenig wie die – auf das gegenteilige Ergebnis gerichtete – Feststellung, dass man bei nur unerheblichen Leibesgefahren schon nicht von einem „Notstand“ sprechen könne166. Zu beachten ist vielmehr, dass die Rechtsgüter „Leib“ und „Freiheit“ dem Rechtsgut „Leben“ im Rahmen der begrifflichen Aufzählung gleichgeordnet sind, was für das Erfordernis einer gewissen Erheblichkeit streitet.167 Weiter ist zu berücksichtigen, dass die dem Schuldausschluss nach § 35 I 1 StGB richtigerweise zugrunde zu legende Verminderung von Unrecht und Schuld168 beim drohenden Verlust eines Fingers oder einem erwarteten Armbruch169 schon im Ausgangspunkt eher zu bejahen sein wird als bei der Androhung einfacher Schläge oder dergleichen. Insbesondere die Annahme eines psychischen Ausnahmezustands, der vom Willen zur Selbsterhaltung herrührt, kann bei nur äußerst geringfügigen körperlichen Beeinträchtigungen als widerlegt gelten. Wer also den Schuldausschluss insgesamt auf eine doppelte Schuldminderung, resultierend aus einer Unrechts- und Schuldminderung, stützt, kommt nicht umhin, den Anwendungsbereich des § 35 I 1 StGB bei nur geringfügigen Beeinträchtigungen von Leib und Freiheit von vornherein einzuschränken.170 Es ist also zu attestieren, dass die systematische Verquickung der Rechtsgüter „Leib“ und „Freiheit“ mit dem Rechtsgut „Leben“, mehr aber noch die – hier für wichtig erachtete – Verbindung zum menschlichen Selbsterhaltungstrieb eine restriktive Handhabung des § 35 I 1 StGB gebietet. Nur geringfügige Beeinträchtigungen von „Leib“ oder „Freiheit“ sind daher bereits nicht vom Anwendungsbereich des § 35 I 1 StGB erfasst. Folglich verbleiben für die Generalklausel des § 35 I 2 HS. 1 StGB Konstellationen, in denen die drohende Beeinträchtigung zwar nicht nur unerheblich ist, der Schuldausschluss im Ergebnis aber dennoch versagt werden soll. Anhand entsprechender Fälle, die eher rar gesät sind, ist zu untersuchen, ob dem Kriterium der Zumutbarkeit eigenständige Bedeutung zukommt. So wird auf die Konstellation verwiesen, dass dem Notstandstäter ein Armbruch oder eine schwere Prellung droht und er zur Abwehr dieser Beeinträchti-
tatbestandlichen Schwelle der §§ 223, 239 StGB liegen, aus dem Anwendungsbereich des § 35 I 1 StGB herausfallen lässt. 165 Lugert, Zu den erhöht Gefahrtragungspflichtigen im differenzierten Notstand, 1991, S. 108. 166 So RGSt 66, 397, 399. 167 Vgl. auch Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 6/7 f. 168 Dazu oben B.III.1.b)aa). 169 Beispiele nach Roxin, AT I, § 22 Rn. 25, der freilich selbst nicht die Konzeption der doppelten Schuldminderung vertritt, sondern Präventionsgesichtspunkte heranzieht (vgl. B.II.2.b)cc)(1) sowie C.I.1.b)). 170 Konsequent etwa B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 14 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 44 I 1; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 6/7 f.
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gungen einen anderen tötet oder ihm eine Querschnittslähmung zufügt.171 Plastischer wird das Ganze, wenn man an ein Schiffsunglück denkt, in dessen Folge der Täter einem Nichtschwimmer die diesem zur Verfügung stehende Rettungsmöglichkeit entzieht, um eine eigene (nicht nur unerhebliche) Verletzung zu vermeiden. Kommt der Nichtschwimmer zu Tode, soll ein Fall der Außerverhältnismäßigkeit vorliegen.172 In diesem Sinne könnte der Zumutbarkeit die Rolle zukommen, über die Fallgruppe der Außerverhältnismäßigkeit einen allgemeinen Abwägungsvorbehalt zu statuieren. Freilich ist diese Abwägung bereits gesetzgeberisch vorgezeichnet, indem aufseiten des Notstandstäters nur bestimmte Rechtsgüter (Leben, Leib und Freiheit) in die Waagschale gelegt werden können. Dies wirft weiter die Frage auf, ob der dem Notstandstäter drohende Schaden stets größer sein muss als der durch die Notstandshandlung eintretende Schaden. Bei Annahme eines allgemeinen Abwägungsvorbehaltes wäre diese Frage wohl zu bejahen. Dass ein solcher in § 35 I 2 HS. 1 StGB nicht statuiert ist, ergibt sich nicht schon daraus, dass im Lebensnotstand auch die Tötung mehrerer Unbeteiligter entschuldigt sein kann.173 Daher müssen es andere Erwägungen sein, welche die – der Annahme eines allgemeinen Abwägungsvorbehalts entgegenstehende – Folgerung zulassen, dass „auch die zur Abwehr eines bloßen Leibesnotstands vorgenommene Tötung eines anderen entschuldbar“ 174 sein könne. Konkretisierend ist anzufügen, dass in diesem Zusammenhang nicht selten die Gefahr „sehr schwerer, irreversibler Gesundheitsschäden“ 175 für den Notstandstäter verlangt wird.176 Zumeist bleibt es indes bei (noch) pauschaleren Formulierungen, wie dem Erfordernis eines „besonders schwerwiegenden (. . .) Leibes- oder Freiheitsnotstands“ 177 oder einer „bes. schwerwiegenden Körperverletzung“ 178 bzw. dem Hinweis auf das Nichtgenügen einer Gefahr für „unerhebliche, unwesentliche körperliche Schäden“ 179 oder einer „geringfügigen Gefahr für Leib oder Freiheit“ 180. Festgehalten werden kann: 171 Roxin, AT I, § 22 Rn. 55; ferner Hörnle, JuS 2009, 873, 878; LK-Zieschang, § 35 Rn. 63. 172 Beispiel nach B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 41. 173 Dazu BGH NJW 1964, 730, 731. 174 RGSt 66, 397, 399. 175 Hörnle, JuS 2009, 873, 878. 176 Ähnlich Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 412 (Gefahr einer „lebensentwertenden Körperverletzung“); LK-Zieschang, § 35 Rn. 63 („. . . drohende schwer wiegende Verletzung mit der Gefahr bleibender Behinderungen“); Timpe, JuS 1984, 859, 864 (der drohende Verlust des Guts müsse dazu führen, dass „die bleibende physische Existenz für den Gutsträger nichts mehr wert ist“). 177 Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 33; ähnlich Rengier, AT, § 26 Rn. 30; Rönnau, JuS 2016, 786, 790. 178 NK-Neumann, § 35 Rn. 50. 179 Otto, AT, § 14 Rn. 13. 180 Fischer, § 35 Rn. 14.
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Während im Ausgangspunkt die Notwendigkeit von Verhältnismäßigkeits- bzw. Proportionalitätserwägungen betont wird, erscheint die Umsetzung angesichts des Umstandes, dass auch bei drohenden (schwerwiegenden) Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit im Einzelfall die Tötung eines anderen (ggf. unbeteiligten) Menschen zum Schuldausschluss führen soll, inkonsequent. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass die Hervorhebung von Proportionalitätserwägungen im Rahmen des § 35 I 2 HS. 1 StGB vereinzelt unter Hinweis auf entstehende Abgrenzungsschwierigkeiten zu § 34 StGB, der explizit eine „Abwägung der widerstreitenden Interessen“ verlangt, kritisiert wird.181 Dabei ist die Kritik nur teilweise gerechtfertigt: Zuzugeben ist, dass die Betonung von Verhältnismäßigkeits- bzw. Proportionalitätsgesichtspunkten geeignet ist, den Blick auf das Herkommen des Schuldausschlusses nach § 35 StGB zu versperren. § 35 I 1 StGB ist, wie dargelegt182, gegenwärtiger Ausfluss der Erkenntnis, dass der Mensch zur Selbsterhaltung neigt, sich also, sieht er sich – oder ihm nahestehende Personen – bedroht, „selbst der Nächste“ ist. Das Verlangen nach Proportionalität stellt dieses Herkommen bei genauer Betrachtung jedoch nicht in Frage, sondern sorgt dafür, dass der Rückgriff auf das Prinzip der Selbsterhaltung nur dort erfolgt, wo tatsächlich die Erhaltung des Notstandstäters selbst (oder einer nahestehenden Person) im Raum steht. Bei erheblichen Leibesgefahren ist zu beachten, dass die Abgrenzung zur Lebensgefahr nicht stets eindeutig ist. Die Grenze zwischen Tod und dauerhafter Behinderung, etwa in Gestalt einer Querschnittslähmung, steht nicht wie in Stein gemeißelt. Momsen ist daher zuzustimmen, wenn er konstatiert: „. . . Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit wohnt vielfach das Potential inne, sich zu einer Gefährdung des Lebens fortzuentwickeln“ 183. Der Begriff der „Erhaltung“ lässt es dabei zu, nicht nur die Gefahr der Aufhebung des (eigenen) Daseins zu erfassen, sondern auch die Gefahr der dauerhaften wesensmäßigen Veränderung. Bei einer Gefahr für die „Freiheit“ stellt sich freilich die Frage, inwieweit hier ein Bezug zur (Selbst-)Erhaltung gegeben ist.184 Fälle, in denen die – hier generell als notwendig erachtete – Erheblichkeitsschwelle in Ansehung eines Freiheitsnotstandes überschritten ist und in denen keine Rechtfertigung nach Maßgabe des § 34 StGB erfolgen kann, sodass es auf die Zumutbarkeits-
181 So ausdrücklich Momsen, Die Zumutbarkeit als Begrenzung strafrechtlicher Pflichten, 2006, S. 353 ff. 182 Vgl. oben B.III.1.b)aa). 183 Momsen, Die Zumutbarkeit als Begrenzung strafrechtlicher Pflichten, 2006, S. 250. 184 Vor diesem Hintergrund wird auch der Ansatz Momsens verständlich, der die Auffassung vertritt, „daß unabhängig vom jeweils angesprochenen Rechtsgut Gefahren im Sinne des § 35 nur solche sein können, die das Potential in sich tragen, die Individualsphäre in ihrer Existenz aufzuheben“; vgl. Momsen, Die Zumutbarkeit als Begrenzung strafrechtlicher Pflichten, 2006, S. 353.
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generalklausel des § 35 I 2 HS. 1 StGB ankommt, sind letztlich selten. Prominentestes Beispiel eines Freiheitsnotstandes im Rahmen des § 35 StGB dürfte die Tötung eines Grenzpostens an der Berliner Mauer zur Sicherung der Flucht aus der DDR und Vermeidung einer (langjährigen) Inhaftierung sein.185 Die Lösung des BGH – Versagung des Schuldausschlusses – stützte sich dabei nicht auf die Generalklausel, sondern die Fallgruppe der Selbstverursachung, habe sich der Täter doch „mit schussbereiter Waffe in Kenntnis aller Risiken in die vorhergesehene Konfliktsituation mit einem bewaffneten Grenzposten begeben“ 186. Die – umstrittenen – Voraussetzungen der Selbstverursachung sollen hier nicht behandelt werden. Unter Beachtung des angestrebten (Fern-)Zieles des Täters (Gelingen der Flucht) ist indes erstens zu attestieren, dass eine Konfrontation unbedingt vermieden werden sollte. Zweitens kann das Begeben in die Fluchtsituation in einem Staat, dessen Grenzregelungen der BGH in der gleichen Entscheidung als menschenrechtswidrig einstuft, schwerlich zum Anknüpfungspunkt für eine Selbstverursachung gemacht werden.187 Zutreffend wäre die Möglichkeit des Schuldausschlusses unter Heranziehung der Generalklausel zu erörtern gewesen. Eine Entscheidung der Frage, ob die Gefahr langjährige Inhaftierung in der DDR (mit all ihren Begleitumständen) vergleichbar ist mit der Gefahr schwerwiegender, irreparabler körperlicher Beeinträchtigungen, zu deren Abwendung eine Tötung im Rahmen des § 35 StGB grundsätzlich zulässig sein soll, kann hier nicht erfolgen.188 Jedenfalls ergibt sich aber aus dem Vorstehenden, dass auch die Fälle des Freiheitsnotstandes, die im Anwendungsbereich der Generalklausel relevant werden können, „erhaltungsrelevant“ sind: Wenn ein langjähriger Freiheitsentzug droht, kommt es zu einer Verzahnung mit den Rechtsgütern „Leben“ und „Leib“, ist der Mensch doch zur vollen Entfaltung dieser Rechtsgüter auf seine (Fortbewegungs-)Freiheit angewiesen189. Sind diese Rechtsgüter aber – freilich in jeweils nur begrenztem Maße – tangiert, kann, sozusagen in Kumulation, im Einzelfall die Grenze des Zumutbaren erreicht sein. Schichtet also die Generalklausel für Fälle des Leibes- und des Freiheitsnotstands den Bereich der Selbsterhaltung von nachteiligen, aber nicht existentiellen Beeinträchtigungen ab, fungiert sie letztlich als Gradmesser für das Erreichen der Schwelle des – eine Schuldminderung bewirkenden – psychischen Ausnahme185 BGH NJW 2000, 3079. Dazu, dass eine Gefahr für die Freiheit des Fliehenden trotz Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nach DDR-Recht bestand, vgl. Renzikowski, JR 2001, 468, 470. 186 BGH NJW 2000, 3079. 187 Zu Recht kritisch daher Renzikowski, JR 2001, 468, 471; vgl. ferner Hörnle, JuS 2009, 873, 880; LK-Zieschang, § 35 Rn. 49; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 20. 188 LK-Zieschang, § 35 Rn. 63, tendiert dazu, im Falle des „Republikflüchtigen“ kein krasses Missverhältnis anzunehmen, lässt aber die – grds. vorgelagerte – Frage der Erforderlichkeit offen. 189 Momsen, Die Zumutbarkeit als Begrenzung strafrechtlicher Pflichten, 2006, S. 250 f.
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zustands. Die vom Gesetz im Ausgangspunkt vermutete Schuldmilderung in Situationen des § 35 I 1 StGB verliert dann ihre Grundlage, wenn von einer psychischen Ausnahmesituation (aufgrund fehlenden Bezuges zur Selbsterhaltung) keine Rede sein kann. Ähnliche Erwägungen gelten hinsichtlich der in § 35 I 1 StGB vorausgesetzten Unrechtsminderung: Das Ziel der Erhaltung eines Rechtguts ist umso weniger anerkennenswert, je größer das Missverhältnis gegenüber dem durch die Erhaltungshandlung beeinträchtigten Rechtsgut ist. Dementsprechend ist auch die – als weiterer Schuldmilderungsgrund wirkende – Unrechtsminderung zu versagen, wenn in Ansehung des Missverhältnisses nicht von einem gewichtigen, anerkennenswerten (Fern-)Ziel190 ausgegangen werden kann. So fehlt es etwa für den – bereits oben angeführten – Fall, dass jemand zur Vermeidung verhältnismäßig geringfügiger körperlicher Beeinträchtigungen (drohender Armbruch, schwere Prellung) einem anderen eine Querschnittslähmung zufügt191, auch an der notwendigen Unrechtsminderung. Das vorstehend hergeleitete Fehlen der Grundvoraussetzungen für den Schuldausschluss (Unrechts- und Schuldminderung) im Falle der Außerverhältnismäßigkeit deckt sich im Wesentlichen mit der im Schrifttum herrschenden Auffassung.192 Der hier entwickelte Erklärungsansatz betreibt die Klärung der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Fall der „Außerverhältnismäßigkeit“ vorliegt, unter Untersuchung der Nähe der in Rede stehenden Konstellation zum Prinzip der (Selbst-)Erhaltung (Bestimmung des Vorliegens einer psychischen Ausnahmesituation) sowie unter Betrachtung der (relativen) Wertigkeit des vom Notstandstäter verfolgten Fernziels (Bestimmung der Unrechtsminderung). Insoweit erfolgt eine neue Akzentuierung in dem Bemühen, den Bezug der Generalklausel des § 35 I 2 HS. 1 StGB zu dem in § 35 I 1 StGB vorgesehenen Schuldausschluss (wieder) stärker hervortreten zu lassen. Abschließend ist im Hinblick auf die Funktion der Zumutbarkeit in Fällen der Außerverhältnismäßigkeit festzuhalten, dass diese keinen allgemeinen Abwägungsvorbehalt statuiert, sondern wiederum als verlängerter Arm der den Schuldausschluss nach § 35 I 1 StGB tragenden Prinzipien fungiert. (c) Zusammenfassung: Bedeutung der (Un-)Zumutbarkeit im Rahmen der Generalklausel Die Untersuchung der (Un-)Zumutbarkeit im Rahmen der Generalklausel lässt, um es vorweg zu nehmen, keine Rückschlüsse auf einen eigenständigen Bedeu190
Oben B.III.1.b)aa). Roxin, AT I, § 22 Rn. 55. 192 Jescheck/Weigend, AT, § 44 III 1; LK-Zieschang, § 35 Rn. 62; Schönke/SchröderPerron, § 35 Rn. 33, der gar maßgeblich auf die fehlende Unrechtsminderung abhebt. 191
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tungsgehalt der (Un-)Zumutbarkeit zu. Vielmehr erschöpft sich die Bedeutung der (Un-)Zumutbarkeit insoweit darin, eine Absicherung der Garantenpflicht zu gewährleisten bzw. den dem Schuldausschluss nach § 35 I 1 StGB zugrunde liegenden Prinzipien auch im Einzelfall zur Geltung zu verhelfen. cc) Zwischenfazit Ziel der vorstehenden Ausführungen war es, die Bedeutung der (Un-)Zumutbarkeit für die Vorschrift des § 35 StGB zu bemessen, um aus dieser Analyse ggf. Rückschlüsse auf die Berechtigung eines allgemeinen Schuldausschließungsgrundes der „Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“ ziehen zu können. Die Analyse hat dabei ergeben, dass die Unzumutbarkeit – verstanden als Situation, in welcher vom Täter billigerweise nicht verlangt werden konnte, sich rechtmäßig zu verhalten – im Rahmen des Schuldausschlusses nach § 35 I 1 StGB die Leitprinzipien vorgibt, welche auch von § 35 I 2 HS. 1 StGB wieder aufgenommen werden: die auf dem menschlichen Selbsterhaltungstrieb beruhende psychische Ausnahmesituation des Täters, welche sich unmittelbar schuldmindernd auswirkt sowie das Handeln in Verfolgung anerkennenswerter Fernziele, das sich im Ausgangspunkt unrechtsmindernd auswirkt. Diese Prinzipien liegen dem Schuldausschluss nur zugrunde, sodass es dem Gesetzgeber obliegt, eine Präzisierung durch Vertatbestandlichung zu erreichen. Neben der Funktion der (Un-)Zumutbarkeit im Rahmen des § 35 I 2 HS. 1 StGB als „verlängerter Arm“ der den Schuldausschluss nach § 35 I 1 StGB tragenden Prinzipien ergab die Analyse eine besondere Absicherung der Garantenpflicht aus § 13 StGB. c) Die Rolle der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens bei Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikten Wie eingangs angedeutet, wird der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens im Rahmen von Fahrlässigkeits- und (unechten) Unterlassungsdelikten vielfach schuldausschließende Wirkung zugeschrieben. Auf welchen Erwägungen diese Anerkennung beruht, soll im Folgenden – in der gebotenen Kürze – nachvollzogen werden. aa) Fahrlässigkeitsdelikte Im Anschluss an den sog. „Leinenfänger-Fall“ 193 setzte sich in weiten Teilen der Literatur die Auffassung durch, dass bei Fahrlässigkeitsdelikten die Möglich193 RGSt 30, 25: Ein Kutscher, der als Angestellter eines Droschkenbesitzers regelmäßig eine mit zwei Pferden bespannte Droschke führte, hatte erkannt, dass eines der Pferde ein sog. „Leinenfänger“ war. Damit ist ein Pferd bezeichnet, das dazu neigt, „den Schweif über die Fahrleine zu schlagen und diese mit demselben herunter- und fest an den Körper zu drücken“ (RGSt 30, 25). Die Lenkungsmöglichkeiten des Kutschers können infolgedessen erheblich eingeschränkt sein. Auch der Dienstherr des Kut-
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keit des Schuldausschlusses nach § 35 I 1 StGB bzw. §§ 52, 54 (R)StGB a. F. ungenügend ist, um den Besonderheiten der Fahrlässigkeitstat Rechnung zu tragen. Daher könne insoweit auch der ungeschriebene Schuldausschließungsgrund194 der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens eingreifen.195 Abweichend davon erkennen einige Autoren die Schuldrelevanz der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens im Fahrlässigkeitsbereich zwar an, wollen jedoch nicht durch Anerkennung eines ungeschriebenen Schuldausschließungsgrundes, sondern durch Begrenzung der subjektiven Sorgfalt abhelfen.196 Zur Vervollständigung des Meinungsbildes sei darauf hingewiesen, dass auch Stimmen existieren, welche eine besondere Relevanz der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens für die Fahrlässigkeitsdelikte generell verneinen.197 Die Frage nach der zutreffenden Einordnung – als übergesetzlicher Schuldausschließungsgrund oder aber als (begrenzendes) Kriterium im Rahmen der subjektiven Pflichtwidrigkeit – einmal dahinstehend lassend, ist zu attestieren, dass die zur Begründung der besonderen Bedeutung der Unzumutbarkeit im Rahmen von Fahrlässigkeitsdelikten vorgetragenen Argumente überschaubar sind. Zum Teil wird reichlich pauschal auf den bei Fahrlässigkeitstaten regelmäßig verminderten Unrechtsgehalt verwiesen.198 Konkretisierungsversuche finden sich nur äußerst selten. So stellt Eggert darauf
schers, der Droschkenbesitzer, hatte Kenntnis von der Eigenart des Pferdes, bestand aber auf dessen Einsatz. Letztlich kam es – bedingt durch das (Fehl-)Verhalten des Pferdes – zu einem Unfall, bei dem ein Passant verletzt wurde. Das Reichsgericht bezog in seine Überlegungen betreffend eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit des Kutschers explizit die „Pflicht des Angeklagten, seinem Dienstherrn (. . .) gehorsam zu leisten“, wie auch „die begründete Besorgnis, durch eine Weigerung, mit dem Pferde zu fahren, seine Stelle und sein Brot zu verlieren“ ein (jeweils RGSt 30, 25, 28). Zu entscheiden sei in entsprechenden Fällen, ob das an sich geforderte Verhalten (hier: Verweigerung der Fahrt) auch zumutbar sei (RGSt 30, 25, 28). Ausführlich zur Entscheidung Achenbach, Jura 1997, 631 ff. 194 Die Bezeichnung als „Schuldausschließungsgrund“ erfolgt in Anlehnung an das hier entwickelte Begriffsverständnis. 195 Kühl, AT, § 17 Rn. 97; Heinrich, AT, Rn. 1025; Rengier, AT, § 52 Rn. 87; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 126; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1145 (bei bewusster Fahrlässigkeit); ähnlich, indes – konsequent – von einem „Verantwortungsausschluss“ ausgehend Roxin, AT I, § 24 Rn. 123 ff. 196 Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, 1974, S. 199; B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 79; Jescheck/Weigend, AT, § 57 IV (unter Bezugnahme auf OLG Frankfurt VRS 41, 32, 35). Die Behauptung, Jescheck/Weigend, AT, § 57 IV, plädierten in Fällen der Unzumutbarkeit für einen Tatbestandsausschluss (vgl. MK-Schlehofer, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 305 Fn. 432), ist nur nachvollziehbar, soweit man von einer Berücksichtigung der individuellen Sorgfaltspflicht bereits auf Tatbestandsebene ausgeht. 197 Momsen, Die Zumutbarkeit als Begrenzung strafrechtlicher Pflichten, 2006, S. 461 f.; Wortmann, Inhalt und Bedeutung der „Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“ im Strafrecht, 2002, S. 111 ff. 198 Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 126; Stratenwerth/ Kuhlen, AT, § 15 Rn. 50; dagegen MK-Schlehofer, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 308 ff.
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ab, „daß der fahrlässig Handelnde den ihm drohenden Rechtsgutsverlust lediglich mittels einer Risikohandlung abzuwenden trachtet, da er darauf vertraut, daß der normwidrige Erfolg nicht eintreten werde“ 199. Dies wirke sich – verglichen mit dem Vorsatzdelikt – mildernd auf den Handlungsunwert aus. Weiter müsse der Vorsatztäter „ein größeres Maß an Willensanstrengung für den Entschluß zu seiner Tat aufbringen als der fahrlässig Handelnde“ 200, was die „Willensschuld“ des Fahrlässigkeitstäters geringer ausfallen lasse. Gelegentlich wird noch angemerkt, § 35 StGB sei ohnehin „auf vorsätzliche Delikte gemünzt“, weshalb es richtig sei, eine Exkulpation auch „bei den weniger strafwürdigen fahrlässigen Taten“, die in Konfrontation mit von § 35 StGB nicht erfassten Bedrohungssituationen begangen werden, zuzulassen.201 Deutlich wird nach Betrachtung der (spärlichen) Begründungsansätze eines: Die (bewusste) Fahrlässigkeit als solche wird letztlich als weniger gravierend erlebt, weshalb man verbreitet geneigt ist, dem Täter – durch Fruchtbarmachung der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens – „entgegen zu kommen“. Die Konsistenz entsprechender Argumentationsketten soll im Rahmen dieser Arbeit nicht untersucht werden; augenscheinlich ist jedenfalls der Bezug zum Charakter der Fahrlässigkeitsdelikte. Zuletzt ist zu überlegen, ob bei Anerkennung eines übergesetzlichen Schuldausschließungsgrundes der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens im Rahmen von Fahrlässigkeitsdelikten der Betrachtungsgegenstand um Konstellationen fahrlässiger Tatbegehung zu erweitern sein könnte. So könnte sich auch insoweit die Frage ergeben, wie weit der Schuldausschluss infolge Unzumutbarkeit reicht. Wenn für die Annahme schuldausschließender Unzumutbarkeit auch beim Fahrlässigkeitsdelikt äußere (Bedrohungs-)Faktoren eine maßgebende Rolle spielen, ist nicht von vornherein klar, welcher Personenkreis vom Schuldausschluss profitiert. Dies setzte wiederum die Teilnahmefähigkeit des Fahrlässigkeitsdelikts voraus. Die §§ 26, 27 StGB, die expressis verbis das Vorliegen einer vorsätzlichen Haupttat verlangen, scheinen der Teilnahmefähigkeit de lege lata entgegenzustehen.202 In der Rechtsprechung erfolgte ein eindeutiges Bekenntnis zur Notwendigkeit einer vorsätzlichen Haupttat bereits auf Basis der §§ 48, 49 StGB a. F.203, deren Wortlaut eine „mit Strafe bedrohte Handlung“ genügen ließ und dementsprechend weitere Deutungsspielräume eröffnete. Ohne den in §§ 26, 27 StGB
199 Eggert, Die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens bei den Fahrlässigkeitsund unechten Unterlassungsdelikten im Strafrecht, 1969, S. 78. 200 Eggert, Unzumutbarkeit, S. 79. 201 Jeweils Roxin, AT I, § 24 Rn. 123. 202 So auch Jescheck/Weigend, AT, § 61 VI; Kühl, in: Lackner/Kühl, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 9; LK-Schünemann, Vorbem. §§ 26, 27 Rn. 21; MK-Joecks, Vorbem. §§ 26, 27 Rn. 20 ff.; Schönke/Schröder-Heine/Weißer, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 119. 203 Grundlegend BGHSt 9, 370, 375 ff.; vgl. auch OLG Stuttgart JZ 1959, 579.
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normierten Voraussetzungen unkritisch gegenüber stehen zu wollen204, soll im Rahmen der gegenständlichen Begutachtung der Frage nach der Teilnahmefähigkeit de lege lata ebensowenig nachgegangen werden wie der Notwendigkeit einer Streichung des Vorsatzerfordernisses de lege ferenda. Im Zentrum der hiesigen Untersuchung steht die Reichweite der Akzessorietät im Umfeld von Schuldausschließungsgründen, nicht aber die – insoweit vorgelagerte – Frage nach der Sachgerechtigkeit des Erfordernisses vorsätzlicher Tatbegehung durch den Haupttäter. Eine Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes ist damit nicht angezeigt. bb) Unechte Unterlassungsdelikte Auch bei den unechten Unterlassungsdelikten stellt sich die Frage nach der Bedeutung der Unzumutbarkeit (normgemäßen Verhaltens). Mehr noch als im Bereich der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit sind Bedeutung und systematische Verortung umstritten. Während etliche Stimmen in Literatur und Rechtsprechung der Zumutbarkeit, die im Rahmen des echten Unterlassungsdelikts des § 323c StGB ausdrücklich genannt wird, in § 13 StGB aber keinen terminologischen Anklang findet, auch bei den unechten Unterlassungsdelikten tatbestandliche Relevanz zuschreiben205, geht eine gewichtige Auffassung dahin, die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens insoweit als (übergesetzlichen) Schuldausschließungsgrund anzuerkennen206. Vereinzelt erfolgt auch eine Verortung auf Rechtswidrigkeitsebene207; gleichsam vereinzelt bleibt die Verlagerung in den Bereich der Strafzumessung208. Wenig überraschend finden sich schließlich Stimmen, welche der Unzumutbarkeit (normgemäßen Verhaltens) im Rahmen von unechten Unterlassungsdelikten keine über § 35 StGB hinausgehende Bedeutung zukommen lassen möchten.209 Für die gegenständliche Untersuchung von Interesse sind wiederum diejenigen Erwägungen, welche zur Begründung eines Schuldausschlusses herangezogen werden. Diese lassen ggf. Rückschlüsse auf die Anerkennung eines allgemei204 Vgl. auch die Auseinandersetzung mit der Anordnung limitierter Akzessorietät unter C.IV.1. 205 BGH NJW 1994, 1357; OLG Hamburg StV 1996, 437, 438; Fischer, § 13 Rn. 81; Krey/Esser, AT, Rn. 1172 f.; Ransiek, JuS 2010, 585, 586; Schönke/Schröder-Bosch, Vorbem. § 13 ff. Rn. 155; Stree, FS-Lenckner, S. 393, 401 f. 206 BGHSt 2, 194, 204; 6, 46, 57; BGH StV 1998, 126, 127; B/W/M/E-Mitsch, § 21 Rn. 18; Dallinger, JR 1968, 6, 8; Kindhäuser, AT, § 36 Rn. 37; Kühl, AT, § 18 Rn. 33; LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 334; Peters, JZ 1966, 457, 458; Welzel, S. 220; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1216. 207 Küper, Grund- und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht, 1979, S. 97 ff. 208 SK-Rudolphi/Stein, 8. Aufl., Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 51. 209 Jescheck/Weigend, AT, § 59 VIII; Momsen, Die Zumutbarkeit als Begrenzung strafrechtlicher Pflichten, 2006, S. 386 ff.
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nen Schuldausschließungsgrundes der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zu. In der Hauptsache wird die Anerkennung eines Schuldausschlusses infolge Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens aus einer vergleichenden Betrachtung von Begehungs- und Unterlassungsdelikt hergeleitet: Es sei etwas „qualitativ anderes“, ob der Täter – außerhalb der von § 35 StGB erfassten Fälle – auf die Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter unter Inkaufnahme eigener Schädigung verzichte (vorsätzliches Begehungsdelikt) oder ob von ihm verlangt werde, sich durch Vornahme der gebotenen Handlung selbst zu schädigen (vorsätzliches unechtes Unterlassungsdelikt).210 In der Folge seien Unrechts- und Schuldgehalt bei Unterlassungsdelikten gegenüber Begehungsdelikten „häufig gemindert“ 211. Dies zeige sich auch an der Existenz des § 13 II StGB.212 Wenn weiter vorgetragen wird, der Gleichlauf mit den Begehungsdelikten, bei denen das Prinzip der Unzumutbarkeit anerkanntermaßen erst auf Schuldebene Bedeutung gewinne, gebiete eine Berücksichtigung im Schuldbereich213, liefert dies kein Argument zur Begründung einer besonderen Bedeutung im Rahmen unechter Unterlassungsdelikte. Vielmehr wird insoweit einzig die für richtig gehaltene Verortung verteidigt. Aus dem vorstehend Gesagten ist zu ersehen, dass die Einordnung der Unzumutbarkeit als Schuldausschließungsgrund maßgeblich auf – angenommenen – Besonderheiten des Unterlassungsdelikts beruht. Ähnlich den Feststellungen zum Fahrlässigkeitsdelikt ist zu attestieren, dass spezifische Prämissen zum Charakter des unechten Unterlassungsdelikts den Weg zu einer herausgehobenen Bedeutung der Unzumutbarkeit ebnen, ohne dass sich daraus Folgerungen betreffend einen allgemeinen Schuldausschließungsgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens ableiten ließen. Erneut ist abschließend die Frage zu stellen, ob – eine Verortung der Unzumutbarkeit auf Schuldebene vorausgesetzt – der Betrachtungsgegenstand um Konstellationen unechter Unterlassung zu erweitern ist. Die Möglichkeit der Teilnahme am (unechten) Unterlassungsdelikt durch positives Tun ist mit der ganz h. M. zu bejahen214, gestaltet sich also im Vergleich zum Fahrlässigkeitsde-
210 LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 334; Welzel, S. 221. Eine Einschätzung, die im Übrigen auch von Stree, FS-Lenckner, S. 393, 398, geteilt wird, für diesen aber zur Begründung einer Einschränkung auf Tatbestandsebene dient. 211 LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 334. Auch Krey/Esser, AT, Rn. 1173, Anhänger einer Tatbestandslösung betonen die (häufige) Herabsetzung des Unrechts in Unterlassungssituationen. 212 LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 334; in der Argumentation wiederum übereinstimmend Stree, FS-Lenckner, S. 393, 397. 213 So etwa B/W/M/E-Mitsch, § 21 Rn. 18; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1216. 214 BGHSt 14, 280, 282; BGH NStZ 1998, 83, 84; Busse, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten, 1974, S. 401 ff.; B/W/M/E-Eisele, § 26 Rn. 28, 110; Jescheck/Weigend, AT, § 60 III 1; LK-Weigend, § 13 Rn. 86; MK-Freund, § 13 Rn. 260;
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likt unproblematisch. Davon zu trennen sind die Teilnahme durch Unterlassen am Begehungsdelikt sowie die Teilnahme durch Unterlassen am Unterlassungsdelikt. In den beiden letztgenannten Konstellationen geht es zunächst um die Frage, inwieweit Anstiftung oder Beihilfe in Form des Unterlassens geleistet werden können. Ein Hervorrufen des Tatentschlusses durch Nichthandeln erscheint schon begriffslogisch schwierig. Möchte man einem Nichthandeln dennoch Aufforderungscharakter zuschreiben, ist regelmäßig die Grenze zum konkludenten Tun überschritten.215 Eine solche begriffliche Friktion ist für die Beihilfe freilich nicht auszumachen. Die Anerkennung der Möglichkeit, Beihilfe durch Unterlassen zu leisten, führt zur Problematik der Grenzziehung zwischen bloßer Förderung (durch Unterlassen) einer- und eigener Unterlassungstäterschaft andererseits. Insoweit bestehen divergierende Auffassungen, die kontrovers diskutiert werden.216 Die Diskussion ergibt sich sowohl in Fällen der Unterlassung im Umfeld eines Begehungsdelikts als auch in Fällen der Unterlassung im Umfeld einer (als täterschaftlich ausgemachten) Unterlassung. Damit ist festgestellt, dass in Fällen möglicher Teilnahme (insb. Beihilfe) durch Unterlassen unterlassungsspezifische Vorfragen betreffend die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme zu klären sind, was im Rahmen dieser Arbeit, die im Wesentlichen von feststehenden Rollenzuweisungen (als Täter oder Teilnehmer) ausgehen muss, nicht geleistet werden kann. Soweit unstreitig eine Teilnahme am Unterlassungsdelikt durch aktives Tun im Raum steht, so für den Fall, dass ein i. S. d. § 13 I StGB zum Eingreifen Verpflichteter von einem Dritten zur Nichtvornahme einer Rettungshandlung bestimmt wird, kann freilich die Situation auftreten, dass dem Unterlassenden der ungeschriebene Schuldausschließunsgrund der Unzumutbarkeit217 zur Seite steht. Man denke etwa daran, dass ein Garant von einem Hinzutretenden unter Hinweis auf die mit einem Eingreifen einhergehende beträchtliche Lebensgefahr und die ohnehin geringen Rettungschancen zum Einhalten bewegt wird.218 Der Garant ist nicht gezwungen, das eigene Leben erheblichen Gefahren auszusetzen.219 Ein Handeln ist für ihn dementsprechend unzumutbar. Für den Anstifter, dem es an einer Pflichtenstellung gegenüber dem beeinträchtigten Rechtsgut fehlt, bleibt
Satzger, Jura 2015, 1055, 1056 f.; Stree, GA 1963, 1, 10 ff.; abweichend nur Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959, S. 199 ff., sowie Welzel, S. 206 f., 221. 215 Treffend Roxin, AT II, § 26 Rn. 86. 216 Vgl. bereits Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, S. 258 ff.; ferner LK-Weigend, § 13 Rn. 89 ff.; MK-Freund, § 13 Rn. 266 ff. 217 Die Gründe, die für eine Verortung auf Schuldebene angeführt werden, wurden bereits dargetan. 218 Vgl. dazu auch Stree, FS-Lenckner, S. 393, 401. 219 BGH NStZ 1994, 29; BeckOK-Heuchemer, § 13 Rn. 91; Schönke/SchröderBosch, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 155.
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die Strafdrohung indes bestehen.220 Dies stellt – im Rahmen einer schuldorientierten Betrachtung – letztlich einen stimmigen Befund dar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der angenommene innere Zwiespalt im Wesentlichen an die bestehende Pflichtenstellung anknüpft.221 Bei Bejahung eines Schuldausschlusses in Situationen der Unzumutbarkeit ist die Annahme einer etwaigen Drittwirkung – hinsichtlich des Teilnehmers – daher schon strukturell ausgeschlossen. d) Zur Verallgemeinerungsfähigkeit Die vorstehenden Erwägungen zur Rolle der Unzumutbarkeit im Rahmen des § 35 StGB sowie zu ihrer Bedeutung im Bereich der Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikte fanden vor dem Hintergrund eines möglichen allgemeinen Schuldausschließungsgrundes der „Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“ statt. Nachzugehen war der Frage, welche Bedeutung die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens für die Vorschrift des § 35 StGB hat, um sodann – ausgehend von der festgestellten Bedeutung – auf die Notwendigkeit der Anerkennung eines allgemeinen Schuldausschließungsgrundes der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens schließen zu können. Die Betrachtung der Rolle der (Un-)Zumutbarkeit im Rahmen der Fahrlässigkeits- sowie der unechten Unterlassungsdelikte erfolgte ebenfalls unter dem Blickwinkel einer möglichen Erstreckung auf sämtliche Vorsatzdelikte. Die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens, wie sie hier verstanden wird, fußt auf zwei Säulen: dem Prinzip der Selbsterhaltung sowie dem Erfordernis der Verfolgung anerkennenswerter (Fern-)Ziele222. Dass es neben der Erhaltung von Leben, Leib oder Freiheit noch andere anerkennenswerte (Fern-)Ziele – im für den Fahrlässigkeitsbereich relevanten Leinenfänger-Fall den Erhalt von „Stelle und Brot“ – geben kann, steht außer Frage. Die Existenz entsprechender Motive betont Freudenthal, wenn er festhält: „(. . .) die Gefahr für die wirtschaftliche oder soziale Existenz, der drohende Zwang, die dringendsten Rücksichten allgemein menschlicher Art verletzen zu müssen, wiegen zugunsten des Täters wahrlich nicht leichter als Gefahr für Leib und Leben“ 223. Indes versäumt Freudenthal es, den notwendigen Bezug zum Prinzip der Selbsterhaltung herzustellen. Dass dieses im Lebensnotstand immer, im Leibesnotstand häufig und im Freiheitsnotstand jedenfalls vereinzelt tangiert wird, wurde bereits aufgezeigt.224 Die 220 Zu dieser Konsequenz auch LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 334; ferner – wenngleich mit der Intention, die Richtigkeit der Verortung der Unzumutbarkeit auf Tatbestandsebene zu belegen – Schönke/Schröder-Bosch, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 155; Stree, FS-Lenckner, S. 393, 401. 221 Zutreffend betont auch LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 334, die entschuldigende Wirkung (nur) für den Verpflichteten. 222 Dazu oben B.III.1.b)aa). 223 Freudenthal, Schuld und Vorwurf, 1922, S. 25. 224 Vgl. dazu oben B.III.1.b)bb)(2)(b).
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Anerkennung eines übergesetzlichen Schuldausschließungsgrundes in Gestalt der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens wäre daher keine konsequente Fortentwicklung des in § 35 StGB zum Ausdruck kommenden Grundgedankens, sondern vielmehr ein Abgehen von diesem durch bloßes Verlangen nach einem „rechtlich anerkannten überwiegenden Motiv“ 225. Dadurch würde der Grundgedanke der Vorschrift schlicht verwässert. Schon der Freiheitsnotstand vermag, wie aufgezeigt wurde, nur ganz ausnahmsweise einen Schuldausschluss zu tragen, da hier das Prinzip der Selbsterhaltung erst über die mittelbare Beeinträchtigung der Rechtsgüter „Leib“ und „Leben“ Bedeutung gewinnen kann. Bei anderen Motiven – etwa dem Bangen um die wirtschaftliche oder die soziale Existenz – mögen ganz im Hintergrund auch die elementaren Rechtsgüter „Leib“ und „Leben“ stehen, der Bezug ist indes nur derart mittelbarer Natur, dass sich ein Vergleich zum Freiheitsnotstand von vornherein verbietet. Soweit man der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens im Bereich der Fahrlässigkeits- und unechten Unterlassungsdelikte schuldausschließende Wirkung zuerkennt226, beruht dies auf – angenommenen – Eigenheiten der Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikte. Die insoweit aufgestellten Prämissen mag man zwar anzweifeln. Doch ändert dies nichts an der Tatsache, dass die Berücksichtigung im Rahmen von Fahrlässigkeits- und unechten Unterlassungsdelikten den Charakter begründungsbedürftiger Ausnahmen hat. Von der Notwendigkeit substantiierter Begründung hinsichtlich der Relevanz bei vorsätzlichen Begehungsdelikten entbindet der in Ansehung der vorstehenden Deliktstypen betriebene Begründungsaufwand gerade nicht. Das insbesondere von Freudenthal und Goldschmidt herangezogene Begründungsmuster erfasst, wie bereits dargelegt, den Charakter der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens nur unzureichend. Andere Verfechter eines allgemeinen Schuldausschließungsgrundes der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens stützen sich dagegen unmittelbar auf Verfassungsrecht. So wird, mit unterschiedlichen Akzentuierungen im Einzelnen, der Versuch einer Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip unternommen.227 Lücke geht vom Vorliegen einer Regelungslücke aus, deren Ausfüllung „durch das Rechtsstaatsprinzip (. . .) geboten“ 228 sei. Von einer Regelungslücke sei deshalb auszugehen, weil der Unzumutbarkeit im Strafrecht, wie sich an der (überwiegenden) Berücksichtigung im Bereich von Unterlassungs- und Fahrlässigkeitsdelikten zeige, eine pflichtenbegrenzende Funktion zukomme.229 Der Verweis auf die Fahrlässigkeits- und (unechten) Un225 So Goldschmidt, FG-Frank I, S. 428, 453, der Freudenthal in seiner Auffassung nachfolgt. 226 B.III.1.c)aa) u. bb). 227 Lücke, JR 1975, 55 ff.; Wittig, JZ 1969, 546 ff. 228 Lücke, JR 1975, 55, 58. 229 Lücke, JR 1975, 55, 56.
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terlassungsdelikte geht, wie sich aus dem oben Gesagten ergibt, fehl: Besonderheiten von Fahrlässigkeit und (unechter) Unterlassung – in Gestalt zusätzlicher Unrechts- und Schuldminderung – sollen den Ausschlag zugunsten einer weitergehenden Berücksichtigung geben. Ein Argument für die Erstreckung auf Vorsatzdelikte ist damit gerade nicht vorgetragen. Wenn Lücke weiter betont, der Gesetzgeber beabsichtige, „staatliche Macht zu beschränken, denn der Wille zur Gerechtigkeit enthält den zur Begrenzung öffentlicher Gewalt“ 230, so ist damit zwar nichts Falsches gesagt, eine konsistente Begründung betreffend die Anerkennung eines allgemeinen Schuldausschließungsgrundes der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens ist dadurch jedoch nicht gegeben. Wittig rückt dagegen den ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatz nulla poena sine culpa in den Mittelpunkt und schafft eine Verknüpfung zum normativen Schuldbegriff, mithin zur Frage der Vorwerfbarkeit: „Wenn man anerkennt, daß es Fälle gibt, in denen die gesetzlichen Schuldausschließungsgründe versagen, so ist der übergesetzliche Schuldausschließungsgrund der Unzumutbarkeit ein letztes Hilfsmittel zur allgemeinen und konsequenten Verwirklichung des normativen Schuldbegriffs.“ 231 Aus dieser Formulierung ergibt sich zugleich die Problematik von Wittigs Argumentation: Sie beruht auf der Annahme des „Versagens“ der normierten Schuldausschließungsgründe in bestimmten Situationen, setzt mithin das Vorliegen eines ausfüllungsbedürftigen Vakuums voraus und bedient sich zu diesem Zwecke – zugegebenermaßen naheliegend – des verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzips. Eine Begründung hinsichtlich der Existenz eines Vakuums lässt sie dagegen vermissen. e) Folgerungen Nach alledem ist festzuhalten, dass der ungeschriebene Schuldausschließungsgrund der Unzumutbarkeit im Rahmen von Fahrlässigkeits-232 und unechten Unterlassungsdelikten zwar diskutabel, insoweit für die vorliegende Untersuchung – aus den genannten Gründen – jedoch nicht von Bedeutung ist. Die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens, wie sie im Rahmen der hiesigen Untersuchung verstanden wird, findet ihre gesetzliche Konkretisierung in § 35 StGB. Eine generelle Erweiterung, die in Gestalt eines allgemeinen Schuld230
Lücke, JR 1975, 55, 57. Wittig, JZ 1969, 546, 547. 232 Mit Blick auf die Fahrlässigkeitsdelikte ist freilich zu sehen, dass der denkbare praktische Anwendungsbereich des ungeschriebenen Schuldausschließungsgrundes von vornherein knapp bemessen ist. Insbesondere das – den Gegenstand des sog. Leinenfänger-Falles bildende – Verweigern eines Verstoßes gegen (arbeitsrechtliche) Schutzbestimmungen dürfte schon vor dem Hintergrund eines gesetzlich ausdifferenzierten Arbeitnehmerschutzes keine Frage der Unzumutbarkeit mehr darstellen (so auch B/W/ M/E-Eisele, § 12 Rn. 71; Roxin, AT I, § 24 Rn. 123). 231
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ausschließungsgrundes der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens die Grenzen des § 35 StGB beträchtlich ausdehnen würde, ist nicht angezeigt. Eine abweichende Bewertung ergibt sich weder aus der gesonderten Berücksichtigung der Unzumutbarkeit im Rahmen von Fahrlässigkeits- und (unechten) Unterlassungsdelikten noch aus dem Rechtsstaatsprinzip. Inwieweit auch die Vorschrift des § 33 StGB auf die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zurückzuführen ist, wird an anderer Stelle zu erörtern sein.233 2. Gewissenstat Folgt der Täter bei einer Handlung oder Unterlassung einem „subjektiven Gefühl unbedingter Verpflichtung“ 234, geht dies über den Rechtsbruch aufgrund einer für „falsch“ gehaltenen Regelung hinaus.235 Insbesondere unter dem Eindruck einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts („Gesundbeter-Fall“ 236), in welcher das Gericht eine Ausstrahlungswirkung des Art. 4 I GG auf den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung bejahte, entspann sich eine generelle Diskussion über die Berücksichtigung des Gewissenskonflikts auf Unrechts-, Schuld- oder einer nachgeordneten Ebene. Dabei ist der Diskussionsstand, nicht zuletzt aufgrund der ihrerseits umstrittenen Differenzierung betreffend die Behandlung von Begehungs- und Unterlassungsdelikten, kaum überschaubar.237 Für die hiesige Untersuchung sind wiederum die einen Schuldausschluss präferierenden Auffassungen von Interesse, könnte doch der Betrachtungsgegenstand – eine schuldausschließende Wirkung vorausgesetzt – um Konstellationen der Gewissenstat im Umfeld von Täterschaft und Teilnahme zu erweitern sein. Was die Notwendigkeit einer dogmatischen Einordnung im Rahmen der Untersuchung betrifft, gilt im Ausgangspunkt das zum Rücktritt Gesagte: Stellte sich die Gewissenstat als schuldrelevanter Faktor heraus, läge eine Abgrenzung zu den sonstigen – als solchen eingeordneten – Schuldausschließungsgründen auf der Hand.238 Zu beachten ist, dass die Diskussion um die strafrechtliche Relevanz der Gewissenstat vor einem spezifischen verfassungsrechtlichen Hintergrund stattfindet. Die verfassungsrechtliche Problematik ergibt sich bereits aus dem „Paradoxon einer Rechtsordnung, die einerseits ihre durch Mehrheit gesetzten Regeln für all233
Vgl. unten C.I.1. Roxin, GA 2011, 1, 3. 235 Zum sog. Überzeugungstäter, der sich zum Rechtsbruch – im Gegensatz zum Gewissenstäter – nicht für (sittlich) verpflichtet hält, sondern lediglich das aus seiner Sicht „Richtige“ tut, vgl. Kühl, AT, § 12 Rn. 118. 236 BVerfGE 32, 98: Ein einer religiösen Splittergruppe angehörender Mann unterließ es aus Glaubensgründen, seiner an Blutarmut leidenden und ebenfalls der Gruppe angehörenden Ehefrau zu einer Bluttransfusion zu raten. Die Frau verstarb. 237 Prägnant zu den vertretenen Auffassungen etwa Böse, ZStW 113 (2001), S. 40, 41. 238 Vgl. B.II.2.b)bb). 234
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gemeinverbindlich erklärt, andererseits aber das Einzelgewissen und seine Entfaltung unter grundrechtlichen Schutz stellt“ 239. So stellt sich zunächst die Frage nach der allgemeinen Bedeutung grundrechtlicher Gewährleistungen für das materielle Strafrecht.240 Erwägt man sodann – von einem Hineinwirken der Gewissens- bzw. Glaubensfreiheit in das materielle Strafrecht ausgehend – einen Schuldausschluss im Einzelfall, stellt sich die Frage, vor welchen Rechtsgütern das Gewissen zurückweichen muss und vor welchen Rechtsgütern es den Vorzug verdient. Die Beantwortung dieser Frage ist ebenfalls umstritten. Dies liegt maßgeblich daran, dass eine Abwägung zwischen Gewissensfreiheit einer- und dem jeweils betroffenen – ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten241 – Rechtsgut andererseits relativ große Spielräume eröffnet. Dies gilt schon hinsichtlich der Frage, ob die Gewissensfreiheit beim Eingriff in Individualrechtsgüter generell zurücktreten muss242 oder ob auch hier – ggf. sogar bei Beeinträchtigung des Rechtsguts Leben – eine Abwägung möglich bleibt.243 Auch bei Kollektivrechtsgütern besteht in Ansehung des Abwägungsausgangs nicht stets Einigkeit.244 Ungeachtet der Frage, ob und in welcher Form der sog. Gewissenstat Schuldrelevanz zuzuschreiben ist, liegt eines jedenfalls auf der Hand: Einen etwaigen Schuldausschluss in Anspruch nehmen kann nur derjenige, der – etwa vor dem Hintergrund religiöser Gebote – sein Handeln subjektiv als zwingend erlebt. Äußere Umstände spielen für die Gewissenstat nur insoweit eine Rolle, als sie sich zur „Bewährungsprobe“ für eine vorgefasste innere Haltung verdichten. Ein Ausstrahlen der subjektiv erlebten Verpflichtung auf etwaige Teilnehmer ist dagegen nicht denkbar. Damit ist auch die Reichweite des Schuldausschlusses nicht zweifelhaft, weshalb die sog. Gewissenstat für die weitere Untersuchung keine Rolle spielt. 3. Übergesetzlicher entschuldigender Notstand Nachdem die Notwendigkeit der Anerkennung eines allgemeinen Schuldausschließungsgrundes der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens nach hier vertretener Auffassung nicht besteht, stellt sich die Frage, ob Raum für den sog. 239
Morlok, in: Dreier, GG, Bd. I, Art. 4 Rn. 158. Dazu Bopp, Der Gewissenstäter und das Grundrecht der Gewissensfreiheit, 1974, S. 85 ff. 241 Dazu, dass Art. 4 I GG (nur) verfassungsimmanenten Schranken unterliegt, vgl. BVerfGE 32, 98, 107 f.; 52, 223, 246 f.; 93, 1, 21. 242 So etwa LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 362; in der Tendenz auch Roxin, AT I, § 22 Rn. 115 ff., der indes ein Überwiegen der Gewissensfreiheit gegenüber Individualrechtsgütern dann befürwortet, wenn „die Willensentscheidung des Betroffenen unangetastet bleibt“ (§ 22 Rn. 118) oder wenn die Rechte anderer nur „wohl oder übel (. . .) vorübergehend“ verletzt werden (§ 22 Rn. 119). 243 Ebert, Der Überzeugungstäter in der neueren Rechtsentwicklung, 1975, S. 49, 68 f.; zustimmend Kühl, AT, § 12 Rn. 124. 244 Vgl. im Überblick LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 364. 240
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übergesetzlichen entschuldigenden Notstand bleibt. Auch dieser verlässt den Bereich perpetuierten Gesetzesrechts und bewirkt eine Erweiterung der Konstellationen, in denen ein Schuldausschluss in Betracht kommt. Indes ist die Erweiterung gegenüber der Anerkennung eines allgemeinen Schuldausschließungsgrundes der Unzumutbarkeit eine wesentlich behutsamere: Erfasst werden Situationen, in denen es im Rahmen des § 34 StGB am wesentlichen Überwiegen des geschützten Rechtsguts fehlt245 und in denen hinsichtlich § 35 StGB der vom Gesetz geforderte persönliche Gefahrbezug zu verneinen ist, der Täter aber nichtsdestotrotz in einem erheblichen Entscheidungskonflikt steht.246 Akademisches Paradebeispiel ist der Weichensteller-Fall nach Welzel, in welchem ein Bahnbeamter eine Weiche umstellt, um einen außer Kontrolle geratenen Güterwagen nicht in einen voll besetzten Personenzug, sondern in eine (kleine) Gruppe von Arbeitern auf einem Nebengleis rasen zu lassen.247 Viel Beachtung findet zudem die Frage, ob der Abschuss eines Passagierflugzeugs, welches in ein Hochhaus, Stadion oder einen sonstigen Ort menschlicher Zusammenkunft zu stürzen droht, einen Fall des übergesetzlichen entschuldigten Notstands darstellt.248 Den Bereich gesetzlicher Regelung verlassen die vorgenannten Konstellationen unter der Prämisse, dass der handelnde Akteur nicht (auch) zugunsten einer Sympathieperson eingreift. Denn sollte der Bahnbeamte (auch) handeln, weil im bedrohten Personenzug seine Ehefrau sitzt, läge eine Gefahrabwendung zugunsten eines Angehörigen i. S. d. § 35 I 1 StGB vor. Gleiches gälte für den den Abschuss vornehmenden (Kampf-)Piloten respektive den anordnenden Minister, sollte sich im konkret gefährdeten Gebäude die Ehefrau oder eine sonstige Sympathieperson befinden. Wenngleich die wohl überwiegende Auffassung in der Literatur der Anerkennung eines „übergesetzlichen entschuldigenden Notstands“ 249 zuneigt250, sind die 245
Dazu unten B.III.3.b). LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 342; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 115. 247 Welzel, ZStW 63 (1951), S. 47, 51. 248 Speziell zur Frage der strafrechtlichen Verantwortung bei Flugzeugabschüssen Hirsch, FS-Küper, S. 149 ff.; Jerouschek, FS-Schreiber, S. 185 ff.; Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 403 ff.; ders., ZIS 2008, 129 ff.; Rogall, NStZ 2008, 1 ff.; Roxin, ZIS 2011, 552 ff. 249 Die Terminologie ist auch insoweit, wenig überraschend, uneinheitlich. Z. T. ist die Bezeichnung als „übergesetzlicher schuldausschließender Notstand“ bzw. als „schuldausschließende Pflichtenkollision“ anzutreffen, vgl. dazu Kühl, AT, § 12 Rn. 93 (m.w. N.). 250 Grundsätzlich für die Möglichkeit des Schuldausschlusses etwa B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 49 f.; Fischer, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 15; Frister, AT, § 20 Rn. 27; Gallas, FSMezger, S. 311, 332 ff.; Gropp, AT, § 6 Rn. 196; Heghmanns, AL 2015, 96, 101; Heinrich, AL 2015, 89, 93; Jescheck/Weigend, AT, § 47 I 3; Koch, GA 2011, 129, 136 ff.; Krey/Esser, AT, Rn. 774; Kühl, AT, § 12 Rn. 92 ff.; LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 346; Rönnau, JuS 2017, 113, 115; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. 246
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Einzelheiten heillos umstritten. So ist schon streitig, ob ein Schuldausschluss einzig in Fällen erfolgen kann, in denen sowohl die geopferten als auch die geretteten Person nach Art einer Gefahrengemeinschaft gleichsam bedroht waren, was etwa beim Weichensteller-Fall, in dem die Arbeiter vor Eingreifen des Bahnbeamten keiner Gefahr ausgesetzt waren, eindeutig zu verneinen wäre. Aber auch darüber hinaus ist umstritten, welche Formen der Gefahrengemeinschaft einen Schuldausschluss zu tragen vermögen; hier finden sich etliche Differenzierungen. Ferner ist – unabhängig vom Vorliegen einer Gefahrengemeinschaft – unklar, ob immer eine die numerischen Verhältnisse berücksichtigende Rettungshandlung vorgenommen werden muss. Verlangte man eine Orientierung an „nackten Zahlen“, könnte der Weichensteller für den umgekehrten Fall – einem Umlenken in Richtung des voll besetzten Personenzuges – nicht mit Straffreiheit infolge Schuldausschlusses rechnen. Freilich folgen diese Streitfragen der grundsätzlichen Anerkennung eines übergesetzlichen entschuldigten Notstands nach, weshalb zu dessen genereller Anerkennung Stellung zu nehmen ist, bevor ggf. Position in Ansehung der genaueren Ausgestaltung bezogen werden kann. Einführend sind jedoch zunächst der historische Hintergrund, vor dem sich der Gedanke des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands erstmals entspann, sowie die notwendige Abgrenzung zur Vorschrift des § 34 StGB in den Blick zu nehmen. a) Die Euthanasie-Fälle Zum intensiven Nachdenken über die die Figur des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands regten insbesondere die (Nachkriegs-)Prozesse gegen Ärzte (und Pfleger) an, welche in Zeiten der nationalsozialistischen Herrschaft an sog. Euthanasie-Aktionen mitgewirkt hatten. Sie hatten einzelne Personen aus Pflegeund Krankeneinrichtungen ausgewählt251, die nachfolgend getötet wurden. Die Angeklagten brachten überwiegend vor, dass im Falle der Verweigerung ihrer Mitwirkung an der Auswahl noch deutlich mehr Menschen getötet worden wären, hätte man sie doch schlicht durch willfährige Mediziner ersetzt. Letztlich hätten sie durch die Mitwirkung an der Tötung einiger weniger das Leben einer größeren Anzahl an Menschen gerettet. Zu bedenken ist, dass sich die Frage nach der Schuld – im strafrechtlichen Sinne – auf Basis der §§ 52, 54 StGB a. F.
§§ 32 ff. Rn. 116; Welzel, S. 184 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 712; Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 286 ff.; konsequent von einem übergesetzlichen Verantwortungsausschluss ausgehend wiederum Roxin, AT I, § 22 Rn. 147 f. 251 Der Begriff des „Auswählens“ wird der Vereinfachung halber gewählt, ohne dass damit das konkrete Handeln, das Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs wurde, hinreichend präzise umschrieben wäre. In den zahlreichen Euthanasie-Prozessen wurde an verschiedene Handlungen der Ärzte – Herausgabe der Patienten, Untersuchungen, Rückstellungen – angeknüpft. Vgl. dazu Burkhardt, Das NS-Euthanasie-Unrecht vor den Schranken der Justiz: eine strafrechtliche Analyse, 2015, S. 231 f.
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stellte.252 Bedeutsame inhaltliche Divergenzen gegenüber der Vorschrift des § 35 StGB, in Kraft seit 1975, ergeben sich nicht. Das vorgetragene Handeln zur Rettung einer Vielzahl an Kranken konnte, forderte § 54 StGB a. F. doch ein Handeln in Konfrontation mit „einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Täters oder eines Angehörigen [Herv. d. Verf.]“ und bestand das geforderte Angehörigenverhältnis zwischen Ärzten und Betreuten gerade nicht, nicht zur Entlastung auf Basis geschriebenen Rechts führen. Soweit die Angeklagten vortrugen, sie selbst hätten sich im Falle der Teilnahmeverweigerung in einer Situation existenzieller Bedrohung wiedergefunden, verwiesen die Gerichte zumeist auf die nach ihrer Ansicht tatsächlich drohenden Nachteile in Gestalt des Stellungsverlusts, der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis oder der Einberufung zur Wehrmacht.253 Etliche Angeklagte beriefen sich zudem auf einen Nötigungsnotstand nach Maßgabe des § 52 StGB a. F., mithin darauf, dass sie „durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, welche mit einer gegenwärtigen, auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben (. . .) verbunden war, zu der Handlung genötigt worden“ waren.254 Auch dieses Vorbringen verfing überwiegend nicht. Der Vollständigkeit halber sei schließlich auf den häufigen Einwand der Agierenden hingewiesen, es habe ihnen – aufgrund des sog. Führererlasses aus dem Jahre 1939, verbindlicher Befehle, der mitunter wissenschaftlich eingeforderten Vornahme der Tötung unheilbarer Kranker etc. – am notwendigen Unrechtsbewusstsein gemangelt.255 Die rechtliche Relevanz fehlenden Unrechtsbewusstsein und die dogmatische Verortung war zu diesem Zeitpunkt noch höchst umstritten, erst eine Entscheidung des Großen Senats aus dem Jahre 1952 brachte insoweit Klarheit.256 Gesetzesform fand der so bezeichnete Verbotsirrtum, unter Rückgriff 252
§ 52 (Nötigung durch Zwangslage) 1) Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, welche mit einer gegenwärtigen, auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen verbunden war, zu der Handlung genötigt worden ist. (. . .) § 54 (Notstand) Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn die Handlung außer dem Falle der Notwehr in einem unverschuldeten, auf andere Weise nicht zu beseitigenden Notstande zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Täters oder eines Angehörigen begangen worden ist. 253 Vgl. Burkhardt, Das NS-Euthanasie-Unrecht vor den Schranken der Justiz: eine strafrechtliche Analyse, 2015, S. 525 f. 254 Burkhardt, Das NS-Euthanasie-Unrecht vor den Schranken der Justiz: eine strafrechtliche Analyse, 2015, S. 523 ff. 255 Eingehend Burkhardt, Das NS-Euthanasie-Unrecht vor den Schranken der Justiz: eine strafrechtliche Analyse, 2015, S. 457 ff. 256 BGHSt 2, 194.
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auf die Behandlung durch die Rechtsprechung, erst im Jahre 1975 in Gestalt des § 17 StGB. Den Schwierigkeiten im Umgang mit den §§ 52, 54 StGB a. F. sowie dem (behaupteten) fehlenden Unrechtsbewusstsein Rechnung tragend, konstruierte der Oberste Gerichtshof für die Britische Besatzungszone (OGHBrZ)257, unter Anknüpfung an die eingangs genannte Argumentation der Ärzte (Mitwirkung an der Tötung weniger zur Rettung vieler), einen übergesetzlichen persönlichen Strafausschließungsgrund.258 Die umfassenden Erwägungen des OGHBrZ sollen hier nicht wiedergegeben werden. In folgendem Satz mag sich aber der Argumentationsansatz des OGHBrZ widerspiegeln: „Würde jede Mitwirkung bei einem derartigen Verbrechen, auch die entfernteste, ohne Rücksicht auf ihren entscheidenden Beweggrund mit der dafür an sich vorgesehenen Strafe belegt, obwohl der sittlich billigenswerte Kampf gegen das Massenverbrechen und für die Verhütung größerer Erfolge verbrecherischer Planung ohne eine solche entfernte Mitwirkung praktisch nicht möglich war, so widerspräche das der Gerechtigkeit.“ 259 Diese zunächst reichlich apodiktisch anmutende Aussage schlägt denn bereits, ohne dies freilich zu beabsichtigen, den Bogen zum übergesetzlichen entschuldigenden Notstand, bringt sie doch zum Ausdruck, dass die Situation höchster sittlicher Bedrängnis strafrechtlich nicht unberücksichtigt bleiben darf. Eb. Schmidt resümiert diesbezüglich treffend: „Dem sittlichen Gewissen droht in der tragischen Situation bei jeder Entscheidung Belastung: im einen Fall, weil Mitwirkung nicht nur Rettung der Rettbaren, sondern zugleich auch ein Beitrag zur Tötung der Unrettbaren ist; im anderen Falle, weil Fernbleiben und Beiseitetreten Unterlassung einer möglichen Rettung gewesen ist.“ 260 Welzel liegt mit ihm auf einer Linie, wenn er festhält: „Das ist ja das Wesen des echten sittlichen Konflikts, daß der Täter nicht anders handeln kann (darf) und sich doch schuldig macht.“ 261 Eb. Schmidt und Welzel nahmen diese unausweichliche Verstrickung in sittliche Schuld zum Anknüpfungspunkt für ihre Forderung, auf die Erhebung eines rechtlichen Schuldvorwurfs zu verzichten, mithin nicht erst auf einen Strafausschließungsgrund zurückzugreifen, sondern bereits die Vorwerfbarkeit der Tat zu negieren.262 Eb. Schmidt unterstreicht seine Haltung überdies mit dem Hinweis, dass sich die Ärzte mit „einer vom Staat selbst geschaffenen Lage“ konfrontiert sahen.263
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Instruktiv zu Errichtung und Spruchpraxis Rüping, NStZ 2000, 355 ff. OGHSt 1, 321, 335; 2, 117, 126. 259 OGHSt 1, 321, 337. 260 Eb. Schmidt, SJZ 1949, 559, 568. 261 Welzel, MDR 1949, 373, 375; beinahe wortlautgleich ders., ZStW 63 (1951), S. 47, 51. 262 Eb. Schmidt, SJZ 1949, 559, 568 f.; Welzel, MDR 1949, 373, 375. 263 Eb. Schmidt, SJZ 1949, 559, 569. 258
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Auf das Verhältnis von sittlicher und rechtlicher Schuld, das gerade von Welzel in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen gestellt wird, wenn er vorträgt, dass „grundsätzlich (. . .) jede rechtliche Schuld auch eine sittliche Schuld, aber nicht jede sittliche Schuld (. . .) auch rechtliche Schuld“ 264 sei, ging denn auch der OGHBrZ in seiner zweiten viel beachteten Entscheidung zum Themenkomplex265 ein. In unmittelbarer Reaktion auf Welzel betonte der Oberste Gerichtshof, dass er dessen Ansicht für den Fall teile, dass die Befolgung eines unumstrittenen sittlichen Gebots in Rede stehe.266 Bei der Mitwirkung an der Tötung einiger weniger Kranker zur Rettung einer Vielzahl anderer unter ärztlicher Aufsicht stehender Personen attestierte der OGHBrZ jedoch, „daß das Gesamtverhalten (. . .) sittlich keineswegs schlechthin und von jedem Standpunkt aus Billigung findet“ 267. Vielmehr sei der Weg der sabotierenden Teilnahme als „sittlich zwiespältig“ 268 zu bewerten, weshalb es bei „unvermeidbare[r] rechtliche[r] Schuld“ 269 bleibe. Abgeholfen werden könne nur durch Annahme eines persönlichen Strafausschließungsgrundes.270 Peters springt dem OGHBrZ bereits in seiner Betrachtung der ersten Entscheidung271 bei, geht aber in seiner Kritik an Welzel (u. Eb. Schmidt) noch weiter, indem er die Möglichkeit eines Auseinanderfallens von rechtlicher und sittlicher Schuld generell negiert.272 Ungeachtet der Tatsache, dass auch die gesetzlich normierten Entschuldigungsgründe ein „sittlich einwandfreies“ Verhalten nicht zur Voraussetzung des Schuldausschlusses erheben, was das Verlangen des OGHBrZ nach der Befolgung eines unumstrittenen sittlichen Gebots wenig plausibel erscheinen lässt273, gebietet sich eine Einbeziehung des konkreten historischen Kontextes: Die in Rede stehenden Entscheidungen ergingen im Jahre 1949, mithin vier Jahre nach Ende des von Deutschland ausgehenden Krieges und damit auch vier Jahre nach letztgültiger Aufdeckung der von Deutschen außerhalb der eigentlichen Kriegshandlungen zu verantwortenden Gräuel, insbesondere in Gestalt der Errichtung von Konzentrationslagern und der organisierten Tötung geistig Behin-
264
Vgl. Welzel, ZStW 63 (1951), S. 47, 53. OGHSt 2, 117. 266 OGHSt 2, 117, 123. 267 OGHSt 2, 117, 123. 268 OGHSt 2, 117, 125. 269 OGHSt 2, 117, 125. 270 OGHSt 2, 117, 126. 271 OGHSt 1, 321. 272 Peters, JR 1949, 496, 497. 273 Zutreffend darauf hinweisend auch Hartung, NJW 1950, 157; Eb. Schmidt, SJZ 1949, 559, 569. 265
III. Schuldausschluss außerhalb gesetzlicher Regelung
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derter und psychisch Kranker274. Die Frage der Vorwerfbarkeit des Ärztehandelns stellte sich also vor dem Hintergrund einer unterrichteten (Welt-)Öffentlichkeit, die noch immer unter dem Eindruck des NS-Unrechtsstaats stand. Die Verneinung schon der Schuldhaftigkeit des ärztlichen Handelns wäre ggf. auch als politisches Signal (miss-)gedeutet worden. Treffend bringt dies Hartung in einer zeitgenössischen Einlassung auf den Punkt: „So wird vielleicht das Urteil, das der OGHBrZ gefällt hat, als ein Akt der Klugheit erscheinen; das endgültige Urteil über Schuld oder Unschuld wird hier wohl erst die Geschichte fällen.“ 275 Der vorstehend umrissene historische Hintergrund macht eine Vergleichbarkeit mit den heute diskutierten Fällen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands – zu denken ist neben den akademischen Beispielsfällen insbesondere an den Abschuss eines entführten Passagierflugzeugs – zugegebenermaßen schwer. Damit sei nicht gesagt, dass die rechtsdogmatische Begründung eines übergesetzlichen Schuldausschlusses heute leichter fiele als damals. Es sind vielmehr die Rahmenbedingungen, die sich geändert haben. Der seit nunmehr 70 Jahren bestehende liberale Verfassungsstaat des Grundgesetzes ermöglicht einen, wenn man so möchte, unbefangeneren Blick auf die Verantwortlichkeit des Individuums. Mit dem Individuum ist denn auch die entscheidende Bezugsgröße benannt: Zu fragen ist, was vom Einzelmenschen in einer Situation größter seelischer Bedrängnis verlangt werden und welches Verhalten – der menschlichen Natur entsprechend – nicht als vorwerfbar deklariert werden kann. Fragen der „Kollektivschuld“ 276, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs, trotz ihrer faktischen Irrelevanz bei der Bestimmung (völker-)strafrechtlicher Verantwortlichkeit277, allgegenwärtig waren und deren Bedeutung keinesfalls in Abrede gestellt werden soll278, spielen in der heutigen Diskussion um die Anerkennung eines übergesetzlichen entschuldigenden Notstands keine Rolle mehr. Die aktuelle Diskussion ist schlicht auf Basis der gesetzlich geregelten Entschuldigungsmöglichkeiten und deren möglicher Unvollständigkeit zu führen. Die Euthanasie-Fälle belegen aber auf besonders nachdrückliche Weise, dass der – mögliche – Anwendungsbereich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands nicht auf im „akademischen Elfenbeinturm“ ersonnene Sachverhalte beschränkt bleibt. Dass die Rahmenbedingungen des NS-Staats eine absolute Ausnahmeerscheinung darstellten und dies, so bleibt die Hoffnung, auch künftig tun, ändert nichts an der 274 Zu den verschiedenen Formen des NS-Euthanasie-Programms vgl. Burkhardt, Das NS-Euthanasie-Unrecht vor den Schranken der Justiz: eine strafrechtliche Analyse, 2015, S. 12 ff. 275 Hartung, NJW 1950, 157. 276 Eine umfassende rechtswissenschaftliche Untersuchung der Begrifflichkeit liefert Rothenpieler, Der Gedanke einer Kollektivschuld in juristischer Sicht, 1982. 277 Zur Irrelevanz im Rahmen der Prozesse vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg vgl. Gelberg, DuR 1978, 177, 184 ff. 278 Dies gilt insofern, als eine Auseinandersetzung mit moralischer und historischer Verantwortung in Rede steht.
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B. Zum Begriff der Schuldausschließungsgründe
Erkenntnis, dass leibhaftige Menschen sich in nicht allzu ferner Vergangenheit vor die Entscheidung gestellt sahen, ein „größeres Übel“ durch Verwirklichung eines „kleineren Übels“ zu verhindern, ohne einen persönlichen Gefahrbezug aufzuweisen. b) Abgrenzung zum rechtfertigenden Notstand aa) Zur historischen Dimension der Diskussion Die Euthanasie-Fälle, die vorstehend unter dem Blickwinkel des (übergesetzlichen) Schuldausschlusses betrachtet wurden, weisen gleichermaßen den Weg zur bedeutsamen, da grundlegenden, Abgrenzung zu Situationen des rechtfertigenden Notstands. So wurde schon in zeitgenössischer Auseinandersetzung mit der strafrechtlichen Relevanz des oben umschriebenen Ärzteverhaltens vereinzelt die Auffassung vertreten, das Handeln der Mediziner sei bereits gerechtfertigt gewesen.279 Die Rechtfertigung sollte sich aus dem „übergesetzliche[n] Notstand der Güter- und Pflichtenkollision“ 280 ergeben. Die (damalige) Übergesetzlichkeit des rechtfertigenden Notstands erklärt sich daraus, dass die §§ 52, 54 StGB a. F. überwiegend als Entschuldigungsgründe aufgefasst wurden281, ein allgemeiner Rechtfertigungsgrund – außerhalb der Notwehr (§ 53 StGB a. F.) und der speziellen zivilrechtlichen Notstände (§§ 904, 228 BGB) – aber nicht existierte. Die Notwendigkeit eines allgemeinen Rechtfertigungsgrundes war bereits zuvor vom Reichsgericht gesehen worden, das sich zu einem solchen explizit in Auseinandersetzung mit der Strafbarkeit eines einen (medizinisch indizierten) Schwangerschaftsabbruch282 vornehmenden Arztes bekannt hatte: „In Lebenslagen, in welchen eine den äußeren Tatbestand einer Verbrechensform erfüllende Handlung das einzige Mittel ist, um ein Rechtsgut zu schützen oder eine vom Recht auf279
Klefisch, MDR 1950, 258, 260 ff. Klefisch, MDR 1950, 258, 259. 281 Vgl. RGSt 64, 30, 31; 66, 222, 224 f.; 72, 246, 249; Frank, RStGB, 18. Aufl. 1931, § 52 III.; Mezger, Allgemeiner Teil, SB, 4. Aufl. 1952, S. 176 f. u. S. 179; Schönke, Strafgesetzbuch, 4. Aufl. 1949, § 52 V. u. § 54 VI.; Schwarz, StGB, 15. Aufl. 1952, § 52 4) u. § 54 4); für rechtfertigende Wirkung des § 54 (R)StGB etwa Gerland, Deutsches Reichsstrafrecht, 2. Aufl. 1932, S. 151; v. Hippel, Lehrbuch des Strafrechts, 1932, S. 118 f.; ein wiederum abweichender Ansatz findet sich bezüglich § 54 StGB bei Nagler/Jagusch, in: Leipziger Kommentar StGB, Bd. 1, 7. Aufl. 1954, § 54 III. 2. c), wonach ein Handeln zur Erhaltung des „Rechtswert[s]“ mit dem „höheren Rang“ zur „Rechtmäßigkeit“ der Handlung führe, ein Handeln zur Erhaltung eines dem Eingriffsgut „gleichwertige[n] Schutzwert[s]“ dagegen die Folge „rechtliche[r] Irrelevanz oder Neutralität“ nach sich ziehe. In allen anderen Fällen sei das Handeln „widerrechtlich“. Letztgenanntem Ansatz liegt die Auffassung zugrunde, dass „die Nicht-Rechtswidrigkeit (. . .) eben zweierlei“ – sprich: „Rechtmäßigkeit“ und „rechtliche Irrelevanz“ – umfasse (Nagler/Jagusch, a. a. O., § 54 III. 2. c)). Damit ist eine beachtliche Annäherung an die sog. Lehre vom „rechtsfreien Raum“ (und verwandte Konzeptionen) erreicht, vgl. dazu unten C.V.3.b). 282 Heute existiert mit § 218a II StGB für den medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch ein spezieller Rechtfertigungsgrund. 280
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erlegte oder anerkannte Pflicht zu erfüllen, ist die Frage, ob die Handlung rechtmäßig oder unverboten oder rechtswidrig ist, an der Hand des dem geltenden Recht zu entnehmenden Wertverhältnisses der im Widerstreit stehenden Rechtsgüter oder Pflichten zu entscheiden (. . .).“ 283 Dabei schließe es die „Vorschrift des § 54 StGB, die für einen bestimmten Kreis von Handlungen einen Entschuldigungsgrund schafft“, nicht aus, „daß auf Grund eines daneben bestehenden geschriebenen oder ungeschriebenen Rechtssatzes bei gewissen Notstandshandlungen (. . .) die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen ist“ 284. Damit war die Forderung nach einer Rechtfertigung der Euthanasie-Ärzte im Zeitpunkt ihres Vorbringens jedenfalls nicht insoweit revolutionär, als mit der Figur der übergesetzlichen Rechtfertigung dogmatisches Neuland betreten worden wäre.285 Konfliktpunkt war vielmehr die Frage, ob die „Gefahrengemeinschaft“, in der sich die Kranken befanden, tragfähige Grundlage für einen Unrechtsausschluss sein konnte. Klefisch argumentiert: „Wenn aber in einer Gefahrengemeinschaft wie hier das Leben der Mehrzahl durch die Preisgabe einiger weniger Menschen oder – für den vorliegenden Fall richtiger gesagt – durch die ganz entfernte Beteiligung an der Aktion gerettet werden kann, und wenn die von der Aktion tatsächlich erfaßten Kranken sowieso nicht zu retten waren, so verbietet es schon die Vernunft, die Rettung der Mehrzahl als Unrecht zu werten.“ 286 Bis heute hält sich die Auffassung, bestimmte Konstellationen der sog. (Lebens-)Gefahrengemeinschaft seien auf Rechtswidrigkeitsebene zu verorten und zu lösen, mit bemerkenswerter Hartnäckigkeit. Danach soll auch § 34 StGB – partiell – zur Tötung berechtigen. Überwiegend wird in diesem Zusammenhang auf die „Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung“ 287 abgestellt, mithin auf Situationen, in denen „für den Getöteten im Gegensatz zum Geretteten von vornherein keine Möglichkeit besteht, der Gefahr zu entrinnen“ 288. Daraus ergibt sich, dass sich die Abgrenzungsfrage nicht nur gegenüber möglichen Situationen eines übergesetzlichen Schuldausschlusses, sondern auch – und gerade – gegenüber Situationen der Entschuldigung nach Maßgabe des § 35 StGB stellt. So ist etwa der Urtyp des Bergsteiger-Falles – ein Bergsteiger rettet sich auf Kos283
RGSt 61, 242, 254. RGSt 61, 242, 252. 285 Den übergesetzlichen rechtfertigenden Notstand grundsätzlich anerkennend auch Hartung, NJW 1950, 157; Peters, JR 1949, 496, 497; Eb. Schmidt, SJZ 1949, 559, 565; Welzel, S. 90 ff. 286 Klefisch, MDR 1950, 258, 260. 287 MK-Erb, § 34 Rn. 127; beinahe wortlautgleich Ladiges, Die Bekämpfung nichtstaatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 474 („Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen“); inhaltlich übereinstimmend Hirsch, FS-Küper, S. 149, 164 („Tötung unrettbar Verlorener“); NK-Neumann, § 34 Rn. 76 („asymmetrische Verteilung von Rettungschancen“); Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 401 („asymmetrische Verteilung der Rettungschancen“). 288 MK-Erb, § 34 Rn. 122. 284
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ten seines ohnehin schon abgestürzten Kameraden289 – nach der vorstehend skizzierten Auffassung auf Rechtfertigungsebene zu lösen.290 Nur am Rande bemerkt sei, dass die Annahme einer einseitigen Chancenverteilung in den Euthanasie-Fällen mindestens zweifelhaft ist. Diese legt offenbar Klefisch zugrunde, wenn er davon ausgeht, dass „die von der Aktion tatsächlich erfaßten Kranken sowieso nicht zu retten waren“ 291. Soweit Klefisch damit auf diejenigen Kranken abstellt, welche sich bereits auf den sog. Verlegungslisten292 befanden und damit gegenüber den dort nicht aufgeführten Kranken von vornherein schlechter gestellt waren, verkennt er, dass die aufgeführten Kranken wiederum eine Gefahrengemeinschaft bildeten. Im Rahmen dieser Gefahrengemeinschaft ist keine Differenzierung in Ansehung der Ausgangsposition möglich. Alle waren gleich (schlecht) gestellt. So ist zu attestieren, dass die Euthanasie-Fälle zwar einen entscheidenden Impuls zur strafrechtlichen Diskussion rund um Fälle der „Gefahrengemeinschaften“ gegeben haben, jedoch keinen tauglichen Anknüpfungspunkt für die Beurteilung von Konstellationen einseitiger Chancenverteilung bilden.293 bb) Zur gegenwärtigen Diskussion Tauglicher Anknüpfungspunkt ist dagegen der Fall eines entführten Passagierflugzeugs. Droht dieses in ein Stadion, ein Hochhaus oder einen anderen Ort menschlicher Zusammenkunft zu stürzen, und sind die am Boden befindlichen Menschen einzig durch einen Abschuss der Maschine zu retten, kann an einer einseitigen Verteilung der Rettungschancen nicht ernsthaft gezweifelt werden. Die Menschen am Boden können vor dem nahenden Einschlag bewahrt werden, das Schicksal der Menschen an Bord der Maschine ist jeder lebenserhaltenden Einflussnahme entzogen. Dass (Rest-)Unsicherheiten in Ansehung des tatsächlichen Geschehensablaufs verbleiben294, steht dem nicht entgegen: der Rückgriff 289
Dazu bereits oben B.III.1.b)aa). Explizit MK-Erb, § 34 Rn. 127; NK-Neumann, § 34 Rn. 76 f. 291 Klefisch, MDR 1950, 258, 260. 292 Auf den Listen waren bereits zur Tötung bestimmte Kranke aufgeführt. Diese Listen wurden den – später angeklagten – Ärzten zur Prüfung vorgelegt, wobei diese durch Streichung möglichst vieler Namen das Überleben etlicher Menschen sicherten; vgl. dazu die Sachverhaltsfeststellungen in OGHSt 1, 321, 322 f. 293 Die Einseitigkeit der Chancenverteilung in den Euthanasie-Fällen negierend auch Archangelskij, Das Problem des Lebensnotstandes am Beispiel des Abschusses eines von Terroristen entführten Flugzeuges, 2005, S. 49 f.; Burkhardt, Das NS-EuthanasieUnrecht vor den Schranken der Justiz: eine strafrechtliche Analyse, 2015, S. 599 f.; LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 343; MK-Erb, § 34 Rn. 120; Eb. Schmidt, SJZ 1949, 559, 565 f.; zweifelnd Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, 1965, S. 29 (Fn. 85); Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 311. 294 Zu denken ist daran, dass es den Flugzeuginsassen in buchstäblich letzter Sekunde gelingt, die Gewalt über die Maschine zu erlangen und den Einschlag zu verhindern. 290
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auf Prognosen ist dem juristischen Gefahrenurteil immanent.295 Eine abweichende Betrachtung ergibt sich auch nicht etwa daraus, dass letztlich eine menschliche Einschätzung hinter dem Gefahrenurteil steht.296 Dass in Fällen der Rettungstötung – unabhängig davon, auf welcher Ebene die strafrechtliche Lösung gesucht wird – das größtmögliche Maß an Gewissheit zu verlangen ist, versteht sich von allein.297 Was das Vorliegen einer Gefahrengemeinschaft im Flugzeug-Fall betrifft, ergibt sich dieses – entgegen Fällen, in denen die Betroffenen im wahrsten Sinne des Wortes „in einem Boot“ sitzen bzw. Teil einer gemeinsamen Expedition sind (Bergsteiger-Gruppen) – zugegebenermaßen nicht von selbst. Das Bild der Gestrandeten, Abgestürzten etc., das sich beim Gedanken an eine Gefahrengemeinschaft vor das innere Auge drängt, verfängt im Verhältnis von Flugzeugpassagieren einer- und den am Boden befindlichen Menschen andererseits nicht. Wenig überraschend ist daher der Einwand, es fehle bereits am Kriterium der Gefahrengemeinschaft.298 Dies resultiere daraus, dass die Gruppe der Passagiere konkret bestimmt sei, die Gruppe der beim Einschlag zu Tode Kommenden jedoch unbestimmt bleibe.299 Weshalb es auf das Kriterium exakter Bestimmbarkeit ankommen soll, bleibt unklar. Nicht von der Hand zu weisen ist dagegen die Verbundenheit der Schicksale von Flugzeuginsassen und am Boden Befindlichen – das Schicksal der einen (möglicher Tod durch Abschuss) hat unmittelbaren Einfluss auf das Schicksal der anderen (Überleben infolge des Abschusses). Demgemäß ist das Vorhandensein einer Gefahrengemeinschaft nicht zu leugnen.300 Dabei sei betont, dass insoweit nicht von der eine Garantenstellung iSd § 13 I StGB begründenden Gefahrengemeinschaft die Rede ist. In Bezug genommen sind vielmehr Situationen, in denen „sich Rechtsgüter verschiedener Personen derartig in einer Gefahr befinden, daß sie alle untergehen müßten, wenn sich nicht das eine Gut auf Kosten des anderen (oder umgekehrt) retten würde“ 301. 295 Jerouschek, FS-Schreiber, S. 185, 194; Hirsch, FS-Küper, S. 149, 162 f.; Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 473; Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 392 f.; kritisch dazu Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 70 ff. 296 Anders Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 44: „Es wird also letzten Endes ein Mensch zum Entscheidungsträger über das Schicksal eines anderen Menschen erhoben. Das kann und darf ein für jeden gleich gültiges Recht jedoch kaum wollen.“ 297 Coninx, Das Solidaritätsprinzip im Lebensnotstand, 2012, S. 274, verlangt eine Situation, in der „gestützt auf das Urteil eines Sachverständigen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass keine besseren Aussichten mehr geltend gemacht werden können“. 298 Jerouschek, FS-Schreiber, S. 185, 189 f. 299 Jerouschek, FS-Schreiber, S. 185, 189. 300 So auch Coninx, Das Solidaritätsprinzip im Lebensnotstand, 2012, S. 95 f.; Jäger, FS-Rogall, S. 171, 186; Joecks/Jäger, § 34 Rn. 58; Schönke/Schröder-Perron, § 34 Rn. 24; Sinn, NStZ 2004, 585, 587; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 716. 301 Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 43.
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Die vorstehend wiedergegebene (Grund-)Formel der Gefahrengemeinschaft muss freilich auch und insbesondere im Flugzeug-Fall um die Komponente der beiderseitig bestehenden Rettungschancen („oder umgekehrt“) gekürzt werden – nur die am Boden befindlichen Personen haben (auf Kosten der Passagiere) eine realistische Rettungschance. Damit besteht eine einseitige Chancenverteilung.302 (1) Verfassungsrechtliche Dimension Liegt also im Flugzeug-Fall, im „klassischen“ Bergsteigerfall und in anderen Fällen mit entsprechender Gefahrverteilung eine Gefahrengemeinschaft mit einseitig verteilten Rettungschancen vor, stellt sich – der Klassifizierung ungeachtet – die Frage, wie sich eine Lösung auf Rechtfertigungsebene mit dem Grundsatz der Unabwägbarkeit menschlichen Lebens verträgt. Auf diesen wird – im Ausgangspunkt übereinstimmend – regelmäßig verwiesen, wenn es um die strafrechtliche Bewertung einer gleichermaßen lebenserhaltenden wie lebensbeendenden Rettungshandlung im Rahmen einer Notstandssituation („Leben gegen Leben“) geht.303 Die verfassungsrechtliche Dimension dieses Grundsatzes wird deutlich vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG zum LuftSiG.304 § 14 III LuftSiG sah die Möglichkeit vor, „mit Waffengewalt“ auf ein Luftfahrzeug einzuwirken, „wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist“. Die entsprechende Anordnung sollte gem. § 14 IV 1 LuftSiG „der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung“ vornehmen können. Das BVerfG erklärte die Abschuss-Bestimmung bekanntermaßen für verfassungswidrig305 und formulierte mit Blick auf Art. 1 I GG: „Menschliches Leben und menschliche Würde genießen ohne Rücksicht auf die Dauer der physischen Existenz des einzelnen Menschen gleichen verfassungsrechtlichen Schutz (. . .). Wer dies leugnet oder in Frage stellt, verwehrt denjenigen, die sich wie die Opfer einer Flugzeugentführung in einer für sie alternativlosen Notsituation befinden, 302 Vgl. zu den verschiedenen Formen der Gefahrengemeinschaften auch B.III. 3.d)aa). 303 BGHSt 35, 347, 350; 48, 255, 257; Heinrich, AT, Rn. 425; Jescheck/Weigend, AT, S. 361; Krey/Esser, AT, Rn. 616 f.; LK-Zieschang, § 34 Rn. 65; Rengier, AT, § 19 Rn. 32; Roxin, AT I, § 16 Rn. 33; S/S/W-Rosenau, § 34 Rn. 20; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 476. 304 BVerfGE 115, 118. 305 Zur Entscheidung aus öffentlich-rechtlicher Sicht vgl. etwa Baldus, NVwZ 2006, 532 ff.; Baumann, Jura 2006, 447 ff.; Schenke, NJW 2006, 736 ff.; Starck, JZ 2006, 417 ff.; Winkler, NVwZ 2006, 536 ff.
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gerade die Achtung, die ihnen um ihrer menschlichen Würde willen gebührt.“ 306 Entscheide der Staat sich zum Eingreifen, behandle er die Passagiere „als bloße Objekte seiner Rettungsaktion zum Schutze anderer“ 307. Die Passagiere würden „dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht“. 308 Dabei nahm das BVerfG in seiner Entscheidung gezielt die staatliche Intervention in den Blick, sodass sich die Frage stellt, ob ein Bezug zur Menschenwürde beim Handeln Privater grundsätzlich ausscheidet und sich die Abwägungsproblematik in dieser Form gar nicht ergibt. Zu beachten ist indes, dass § 34 StGB ein Eingriffsrecht statuiert, das sich zwar maßgeblich an Private richtet, letztlich aber staatlich legitimiert ist. Eine solche Legitimation ist solange nicht zu beanstanden, wie sie nicht zu einem die Menschenwürde missachtenden Verhalten ermuntert. Daher ist ein Menschenwürdeverstoß auch beim Handeln Privater als „K.O.Kriterium“ für jedwede Form der (Notstands-)Rechtfertigung zu betrachten.309 Für die hier interessierenden Gefahrengemeinschaften mit einseitiger Chancenverteilung stellt sich sodann die Frage, ob ein Bezug zur Menschenwürde stets und durchgängig auszumachen ist. Konkret ist zu fragen, ob auch der ohnehin verlorene, da abgestürzte, Bergsteiger „verdinglicht und entrechtlicht“ wird, wenn sein Kamerad das verbindende Seil – des eigenen Überlebens willen – 306
BVerfGE 115, 118, 158. BVerfGE 115, 118, 154. 308 BVerfGE 115, 118, 154. 309 Zu beachten sind insoweit die Fälle erzwungener Blutentnahme, bei denen die Versagung einer Rechtfertigung nach § 34 StGB maßgeblich auf einen Verstoß gegen die Menschenwürde gestützt wird; vgl. NK-Neumann, § 34 Rn. 118; Rengier, AT, § 19 Rn. 60; Schönke/Schröder-Perron, § 34 Rn. 41e; einen Verstoß gegen die Menschenwürde verneinend und eine Rechtfertigung dementsprechend bejahend etwa Roxin, AT I, § 16 Rn. 48 f. Zu beachten ist ferner die Frage der Rettungsfolter, über die – ausgehend vom Fall Daschner – in den letzten Jahren kontrovers diskutiert wurde (vgl. etwa die Schrifttumsnachweise bei Kühl, in: Lackner/Kühl, § 32 Rn. 17a). Soweit es § 34 StGB betrifft, wird dessen Anwendbarkeit unter Verweis auf die Menschenwürde – auch beim Handeln Privater –überwiegend verneint; vgl. etwa MK-Erb, § 34 Rn. 205; Schönke/Schröder-Perron, § 34 Rn. 41e i.V. m. § 32 Rn. 62a; Roxin, AT I, § 16 Rn. 97 ff. Mit Blick auf § 32 StGB gestaltet sich der Diskussionsstand abweichend. Hier wird die „Rettungsfolter“ vielfach für zulässig erachtet, wobei ganz überwiegend das Handeln von Amtsträgern in den Blick genommen wird; dezidiert für eine Rechtfertigungsmöglichkeit von Amtsträgern etwa Kühl, in: Lackner/Kühl, § 32 Rn. 17a; ders., AT, § 7 Rn. 156a; Murmann, Grundkurs, § 25 Rn. 104; ferner MK-Erb, § 32 Rn. 197 f. Im Sinne eines Erst-Recht-Schlusses müsste dann freilich auch die „private Rettungsfolter“ einer Rechtfertigung nach § 32 StGB zugänglich sein (für eine Rechtfertigung Privater explizit M/R-Engländer, § 32 Rn. 59; Murmann, Grundkurs, § 25 Rn. 104). Angesichts der Stellung der Menschenwürdegarantie im Wertgefüge der Verfassung sowie dem damit einhergehenden (absoluten) Antastungsverbot spricht indes mehr dafür, das Folterverbot – auch zur Vermeidung möglicher Weiterungen („Dammbruchargument“) – auch im Rahmen des § 32 StGB bestehen zu lassen. Dabei sind sowohl Amtsträger als auch Private in den Blick genommen (instruktiv zur Bindung von Privaten an die Menschenwürdegarantie Greve, ZIS 2014, 236, 239 f.). 307
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durchtrennt. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass im Flugzeug-Fall eine Aufladung des Grundrechts auf Leben (Art. 2 II 1 GG) mit der Menschenwürdegarantie aus Art. 1 I GG gerade deshalb erfolgte, weil es sich bei den Flugzeuginsassen zwar nicht um Außenstehende310, sicher jedoch um Unschuldige handelt. Um Unschuldige handelt es sich insoweit, als die Passagiere mit der Entstehung der Gefahrensituation, zu deren Auflösung sie – mit der Folge des Lebensverlustes – herangezogen werden, nichts zu tun haben. Einen Vorwurf im Besteigen des Flugzeugs zu suchen, mutet geradezu absurd an. Im BergsteigerFall kommt man dagegen nicht umhin, zu attestieren, dass der abgestürzte Bergsteiger selbst die Gefahrenquelle ist. Die Insassen des Flugzeugs sind dagegen in einer Gefahrenquelle (dem Flugzeug) gefangen, ohne dass sie selbst Ausgangspunkt einer Gefahr wären. Beim sog. Schotten-dicht-Fall, in dem nur durch Schließung der Schotten zu einem bereits gefluteten, gleichwohl noch mit einigen Menschen gefüllten Schiffsteil der Untergang des gesamten Schiffes verhindert werden kann und der im Zusammenhang mit Gefahrengemeinschaften mit einseitiger Chancenverteilung immer wieder ins Feld geführt wird311, verhält es sich ebenfalls so, dass die eingeschlossenen Menschen zwangsläufig mit der Gefahrenquelle verwoben sind, von ihnen selbst aber keine Gefahr ausgeht. Hier könnte wiederum über eine Tangierung der Menschenwürde nachgedacht werden. Betrachtet man das Grundrecht auf Leben (Art. 2 II 1 GG) einmal losgelöst von möglichen Bezügen zur Menschenwürde, was trotz der verfassungsgerichtlichen Einordnung des Lebensrechts als „vitale Basis der Menschenwürde“ 312 möglich bleiben muss313, ergibt sich zwar dessen Einordnung als „Höchstwert“ 314, eine umfassende Abwägungsfestigkeit kann daraus jedoch nicht gefolgert werden. Ob das BVerfG von einer solchen generellen Abwägungsfestigkeit ausgeht, wenn es formuliert, die „pauschale Abwägung von Leben gegen Leben, die zur Freigabe der Vernichtung der vermeintlich geringeren Zahl im Interesse der Erhaltung der angeblich größeren Zahl führt, ist nicht vereinbar mit der Verpflichtung zum individuellen Schutz jedes einzelnen konkreten Lebens“ 315, ist zweifelhaft. Immerhin nimmt es eine pauschale Abwägung in den Blick, was
310 Das Vorliegen einer Gefahrengemeinschaft ist nicht zu leugnen, vgl. oben B.III.3.b)bb). 311 MK-Erb, § 34 Rn. 122; Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 303 f. (m.w. N.); vgl. ferner das Fallbeispiel unten C.II.1.a)bb)(2). 312 BVerfGE 39, 1, 42. 313 Vgl. etwa Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 II 1 Rn. 14, der zutreffend darauf hinweist, dass das „Recht auf Leben und die Würde des Menschen (. . .) keineswegs immer kongruent“ sind. 314 BVerfGE 39, 1, 42. 315 BVerfGE 39, 1, 58; ein generelles Abwägungsverbot daraus ableitend offenbar Hilgendorf, in: Blaschke u. a. (Hrsg.), Sicherheit statt Freiheit?, 2005, 107, 119.
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Raum lässt für Konstellationen, in denen nicht pauschal, sondern anknüpfend an bestimmte (Unterscheidungs-)Kriterien abgewogen wird. Die Möglichkeit des Eingriffs in das Lebensgrundrecht ergibt sich bereits aus Art. 2 II 3 GG, wobei man in Konstellationen der Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung – parallel zu Gefahrengemeinschaften mit gleichmäßiger Chancenverteilung – letztlich vor einer Grundrechtskollisionslage steht. Die Feststellung, dass dem Staat in Ansehung des menschlichen Lebens eine umfassende Schutzpflicht obliegt316, trifft keine Aussage darüber, wie diese Schutzpflicht im Kollisionsfalle auszugestalten ist.317 Treffend formuliert Küper in diesem Zusammenhang: „Es muß beachtet werden, daß bei der Kollision ,Leben gegen Leben‘ die Kardinalfrage gerade darin besteht, zugunsten (und zu Lasten) welchen Lebens die Entscheidung getroffen werden soll“ 318. Es stellt sich also die Frage nach geeigneten Kriterien.319 Gemünzt auf die verfassungsrechtliche Dimension des Lebensnotstandes bedeutet dies: Die postulierte Unabwägbarkeit menschlichen Lebens muss sich, insoweit es an einem Bezug zur Menschenwürde fehlt und insoweit nicht „pauschal“ abgewogen wird, aus außerverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ergeben. (2) Strafrechtliche Begründung einer Rechtfertigung Ist also die nur teilweise Relevanz der Menschenwürdegarantie für Gefahrengemeinschaften (mit einseitig verteilten Rettungschancen) ausgemacht und lässt sich ein generelles Abwägungsverbot auch nicht aus sonstigem Verfassungsrecht ableiten, sind diejenigen Stimmen genauer in den Blick zu nehmen, welche für die Möglichkeit der Rechtfertigung streiten. Unter Beachtung des Zuschnitts der hiesigen Untersuchung muss es bei einer Betrachtung bleiben, welche die vorhandenen Argumentationsstränge im Grundsätzlichen nachzeichnet, ohne ein vollständiges Bild der zahlreichen, z. T. nur in Nuancen voneinander abweichenden, Lösungsvorschläge liefern zu können.320 Das Abstellen auf die Gefahrengemeinschaft bildet dabei nur den konstruktiven Überbau. Eine tragfähige Begründung für die Verortung auf Rechtswidrigkeitsebene ist damit nicht gegeben. 316
Vgl. auch BVerfGE 46, 160, 164. Ebenso Archangelskij, Das Problem des Lebensnotstandes am Beispiel des Abschusses eines von Terroristen entführten Flugzeugs, 2005, S. 34; Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 30. 318 Küper, JuS 1981, 785, 788. 319 Die Frage nach möglichen Differenzierungskriterien in den Mittelpunkt rückend auch Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 31. 320 Eine umfassende Analyse vorhandener Rechtfertigungsansätze in Fällen des Lebensnotstands liefert Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 21 ff.; ausführlich dazu auch Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 347 ff.; Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 413 ff.; Stübinger, NotwehrFolter und Notstands-Tötung?, 2015, S. 276 ff. 317
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Erb weist mit Blick auf den Flugzeug-Fall darauf hin, dass die mit der Gefahrenquelle unauflöslich verbundenen Passagiere „bereits unrettbar verloren“ 321 seien. Sei das Schicksal der Betroffenen aber ohnehin besiegelt, würde über dieses auch nicht unzulässig disponiert; die – mit der Bejahung der Rechtswidrigkeit eines Eingreifens einhergehende – Aufforderung zum Nicht-Handeln bedeute dagegen eine „Überstrapazierung der Solidarität der anderen“ 322. Gleiches gelte auch für den Bergsteiger-Fall, in welchem zudem nicht einleuchte, weshalb dem ohnehin verlorenen Bergsteiger noch ein Notwehrrecht gegenüber der zu seinen Lasten gehenden Rettungshandlung des anderen Bergsteigers zustehen solle.323 Dem von Erb vorhergesehenen Einwand, letztlich würde der Lebensschutz bei einem Eingreifen relativiert, begegnet er mit dem Argument, dass aufgrund der Unabänderlichkeit des Schicksals der Betroffenen keine „positive Zuweisung des Todesschicksals“ 324 erfolge. Inhaltlich weitestgehend deckungsgleich argumentiert Neumann, dessen Ausführungen sich nur in den gewählten Begrifflichkeiten von denen Erbs unterscheiden; etwa, wenn er – zusätzlich – eine Differenzierung zwischen Schutzwürdigkeit und Schutzmöglichkeit vornimmt.325 Dahinter verbirgt sich letztlich indes nur ein weiterer Hinweis auf die Unabänderlichkeit des Schicksals der von der Rettungshandlung benachteiligten Personen. Einen anderen Weg wählt Hirsch, der zwar mit Blick auf den Flugzeug-Fall ebenfalls vom Bild der Gefahrengemeinschaft (mit einseitig verteilten Rettungschancen) ausgeht, dabei aber die Grundsätze des Defensivnotstands betont, wenn er festhält, dass die Passagiere vom Gefährdungsobjekt (Flugzeug) nicht zu trennen sind.326 Die Passagiere seien „zu Bestandteilen der Gefahrenquelle“ 327 geworden. Ähnlich sei der Bergsteiger-Fall gelagert, „bei dem die Bedrohung von dem Gewicht des unrettbar verlorenen unteren Beteiligten der Seilschaft ausgeht“ 328. Dem Faktum der Lebensverkürzung tritt er, ähnlich der Argumentation Erbs, mit der Behauptung entgegen, die Rechtsordnung müsse für diejenigen Partei ergreifen, welche noch reale Rettungschancen haben. Alles andere liefe auf eine rational nicht zu begründende „Übersolidarisierung“ hinaus.329 Ladiges kann für sich in Anspruch nehmen, den von ihm befürworteten Rückgriff auf § 34 StGB330 in Fällen des Flugzeug-Abschusses auf eine umfassende
321
MK-Erb, § 34 Rn. 126. MK-Erb, § 34 Rn. 126. 323 MK-Erb, § 34 Rn. 126. 324 MK-Erb, § 34 Rn. 127. 325 NK-Neumann, § 34 Rn. 77. 326 Hirsch, FS-Küper, S. 149, 160. 327 Hirsch, FS-Küper, S. 149, 160. 328 Hirsch, FS-Küper, S. 149, 160; eingehend zur Anwendung des Defensivnotstands auf den Bergsteiger-Fall LK-Hirsch, 11. Aufl., § 34 Rn. 74. 329 Hirsch, FS-Küper, S. 149, 161. 322
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verfassungsrechtliche Untersuchung der Problematik zu stützen.331 So geht er, als Ergebnis seiner verfassungsrechtlichen Betrachtungen, davon aus, „dass die Tötung von Unbeteiligten nicht zwingend ein Verstoß gegen Art. 1 I GG beinhalten muss und dass auch eine Höchstwertigkeit des Grundrechts auf Leben nicht überzeugend vertreten werden kann“ 332. Entscheidend für die Bestimmung der Menschenwürdeverletzung sei „die Zielrichtung des staatlichen Handelns“ 333. Im Falle des Flugzeug-Abschusses seien die Passagiere schon nicht Zielobjekt der (staatlichen) Maßnahme, da deren Tötung nur Folge der Maßnahme, nicht aber Zwischen- oder Endziel sei.334 Mit Blick auf mögliche strafrechtsspezifische Hemmnisse einer Rechtfertigungslösung stellt Ladiges einen Vergleich zu Fällen des medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruchs und der Perforation an. Er sieht insoweit einen bedeutsamen Ansatzpunkt für die Beantwortung der Frage, „ob das immer wieder beschworene Verbot der Tötung von Unbeteiligten und das Abwägungsverbot in Bezug auf das menschliche Leben in der Praxis tatsächlich ernst genommen wird“ 335. Bezug nehmend auf die Regelung des § 218a II StGB, nach der die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs zur Abwendung einer schweren Lebens- oder Leibesgefahr aufseiten der Schwangeren gerechtfertigt sein kann, stellt Ladiges fest, dass eine Abwägung von Leben vorgenommen werde, wobei das Leben der Schwangeren als höherwertig eingestuft werde.336 Im Falle sog. doppelt-vitaler Indikation, in dem nur die Schwangere Überlebenschancen hat, während das ungeborene Kind – von vornherein – nicht gerettet werden kann, handele es sich (wie im Flugzeug-Fall) um eine Gefahrengemeinschaft mit einseitig verteilten Rettungschancen.337 Auch in Ansehung der Perforation, der Tötung des Kindes während der Geburt (zum Schutze des Lebens der Mutter)338, sei festzustellen, dass die weithin angenommene Rechtfertigungsmög-
330 Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 474. 331 Zur grundrechtlichen Dimension vgl. Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 278 ff. 332 Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 472. 333 Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 353. 334 Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 353. 335 Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 444. 336 Prägnant Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 450. 337 Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 453. 338 Zum Vorgehen bei der – heutzutage glücklicherweise praktisch kaum mehr relevanten – Perforation vgl. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, 2004, S. 120.
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lichkeit letztlich auf eine „Abstufung der kollidierenden Lebensinteressen“ 339 zurückzuführen sei. Regelmäßig würde es sich insoweit um Fälle handeln, in denen entweder die Mutter oder das Kind gerettet werden kann (einfach-vitale Indikation).340 Wenn man sich also den – strafrechtlichen – Umgang mit Fällen der medizinischen Indikation und der Perforation vor Augen halte, könne „die stringente Ablehnung der Rechtfertigung der notstandsbedingten Tötung innerhalb einer Gefahrengemeinschaft nicht mehr widerspruchsfrei begründet werden“ 341. Die ausgemachte Widersprüchlichkeit reichert Ladiges um die Erwägung an, dass es schwer falle, einen Rechtsgrundsatz (Aufrechterhaltung des Tötungsverbots im Lebensdilemma) zu begründen, „der in der konkreten Situation mehr Schaden als Nutzen verursacht“ 342. Jedenfalls soweit auf Eingriffsseite eine „materiell funktionslose Lebenszeitspanne“ stehe, sei eine Tötung im Rahmen einer Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung einer Rechtfertigung zugänglich.343 Zimmermann begründet seinen Rückgriff auf § 34 StGB zunächst unter Fokussierung der sich bei einseitigen Rettungschancen gegenüberstehenden Interessen: Vorzugehen sei im Wege einer „hypothetischen intrapersonalen Interessenabwägung“ 344. Der Eingriffsadressat (der unrettbar Verlorene) müsse einen Rollentausch mit dem Schutzgutinhaber vollziehen und sich – aus dessen Perspektive – fragen lassen, „ob er – könnte er für sich wählen – ein todgeweihtes Leben oder ein solches mit ,open end-Charakter‘ (= unbestimmte Todeszeit und -art) bevorzugen würde“ 345. Dabei sei mit Sicherheit davon auszugehen, dass „der Eingriffsadressat sich für das ,zukunftsoffene‘ und gegen das todesverfallene Leben aussprechen würde“ 346. Bei diesem Vorgehen ergebe sich aufseiten des bzw. der Rettbaren ein überwiegendes Interesse.347 Die Angemessenheit i. S. d. § 34 S. 2 StGB resultiere aus „genuin altruistische[n] Interessen“ 348, über welche die „al-
339 Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 453. 340 Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 453. An anderer Stelle (S. 472) weist Ladiges darauf hin, dass es sich insoweit um eine Gefahrengemeinschaft mit mehrseitiger Verteilung von Rettungschancen handele. 341 Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 454; inhaltlich übereinstimmend ders., JuS 2011, 879, 882. 342 Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 472. 343 Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 471. 344 Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 375. 345 Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 375. 346 Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 375. 347 Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 377. 348 Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 386.
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lermeisten Individuen“ 349 verfügen würden. Zu beachten sei insoweit, dass der sich Opfernde deutlich weniger verliere, „als er mit diesem Opfer auf Seiten des Empfängers dieser Solidarleistung erhalten kann“ 350. Zugleich befänden sich die Schicksalsgenossen in einer „Identifikationsgemeinschaft“, sei doch die „Situation des jeweils anderen Gefahrgenossen (. . .) für jedermann innerhalb der Gefahrgemeinschaft unmittelbar erfahrbar und einsichtig“ 351. Zimmermann baut also, um bereits an dieser Stelle eine Zuspitzung vorzunehmen, sowohl in Ansehung der Interessenabwägung als auch in Ansehung der Angemessenheitsklausel352 auf das Verständnis der unrettbar Verlorenen. Schließlich sei Otto erwähnt, der sich der Problematik unter dem Stichwort der Pflichtenkollision annähert. Dabei stellt er maßgeblich darauf ab, ob auf Seiten des von der Eingriffshandlung Betroffenen noch Rettungschancen vorhanden sind. Fehlt es an Rettungschancen, „rettet derjenige sein Leben nicht auf Kosten des Betroffenen, der in seiner eigenen Person vorhandene Möglichkeiten der Rettung nutzt“ 353. Der Handelnde vergrößere nicht seine eigene Chancen, sondern realisiere einzig die (nur) ihm gegebenen Möglichkeiten.354 Damit verfolgt er in Ansehung der Gefahrengemeinschaft mit einseitig verteilten Rettungschancen einen ähnlichen Argumentationsansatz wie Erb und Neumann. Indes geht Otto noch weiter, wenn er auch eine Handlung rechtfertigen möchte, die „in der Absicht der Rettung des Lebens einer möglichst großen Anzahl von Menschen aus einer Schar Todgeweihter erfolgt“, wobei „der Handelnde keine Möglichkeit hat, alle zu retten“ 355. Entsprechend vertritt er auch in den Euthanasie-Fällen eine Rechtfertigung der Ärzte.356 (3) Stellungnahme Den vorgenannten Auffassungen ist zugute zu halten, dass die immer wieder behauptete Unabwägbarkeit menschlichen Lebens einer differenzierteren Betrachtung zugeführt wird. Der schon axiomatische Charakter der Behauptung wird – unter Anführung beachtenswerter Erwägungen – angezweifelt. Die Kollisionslage, die auf Ebene des Verfassungsrechts wie auf Ebene des einfachen 349
Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 386. Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 386. 351 Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 386. 352 Die Bedeutung der Angemessenheitsklausel ist freilich umstritten; gegen einen eigenständigen materiellen Gehalt der Klausel etwa Köhler, AT, S. 293; LK-Zieschang, § 34 Rn. 79; Schönke/Schröder-Perron, § 34 Rn. 46 f. 353 Otto, Pflichtenkollision und Rechtswidrigkeitsurteil, 1965, S. 83. 354 Otto, Pflichtenkollision und Rechtswidrigkeitsurteil, 1965, S. 83. 355 Otto, Pflichtenkollision und Rechtswidrigkeitsurteil, 1965, S. 109; beinahe wortlautgleich ders., AT, § 8 Rn. 92. 356 Otto, Pflichtenkollision und Rechtswidrigkeitsurteil, 1965, S. 109; ders., AT, § 8 Rn. 195. 350
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Rechts gleichermaßen besteht357, soll durch präzisere „Charakterisierung“ der sich formal gleichwertig gegenüberstehenden Rechtspositionen („Leben gegen Leben“) aufgelöst werden. Erb und Neumann begründen das Absenken der Waagschale aufseiten der Rettbaren und damit deren „überwiegendes Interesse“ unter Verweis auf die Vorbestimmtheit des Schicksals der Unrettbaren. Insoweit fehle es, um nochmals das Resümee Erbs zu bemühen, an einer „positive[n] Zuweisung des Todesschicksals“ 358. Fraglich ist, ob diese Schicksalhaftigkeit tauglicher Indikator im direkten Vergleich der sich gegenüberstehenden Rechtsgüter ist. Zuspitzend könnte man fragen: Kommt dem mit dem Schicksal des nahen Todes belasteten Leben weniger Wert zu als dem – potentiell – entfaltungs- und entwicklungsfähigen Leben? Die Frage nach Art eines Bekenntnisses zu Zweckrationalität oder Wertrationalität schlicht zu bejahen (zweckrationaler Ansatz) oder zu verneinen (wertrationaler Ansatz)359, würde zur Vertiefung des – nicht unberechtigten – Eindrucks führen, dass Grenzsituationen im Bereich des Lebensnotstands ohnehin nur nach Maßgabe „einer mehr oder weniger unverbindlichen persönlichen Überzeugung“ 360 gelöst werden könnten. Handfester ist dagegen die Feststellung, dass letztlich eine Differenzierung nach verbleibenden Zeitspannen vorgenommen wird – die Lebenszeit der Unrettbaren ist von vornherein auf eine äußerst überschaubare Dauer begrenzt, während die Rettbaren ihr Leben grundsätzlich „noch vor sich haben“. Richtigerweise ist darin der Versuch der Legitimation einer eigenmächtigen Lebenszeitverkürzung zu sehen.361 Das geltende Recht behandelt indes jedes Leben gleich, erkennt ihm also unabhängig von der noch zu erwartenden Dauer, seiner „Qualität“ oder anderer vorstellbarer Kriterien das gleiche Schutzniveau zu. Differenzierungen sind schlicht nicht angelegt. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob die Zukunftsperspektive unter Heranziehung von Alter, Krankheit etc. bestimmt wird oder ob sie an das Vorhandensein einer Gefahrenkonstellation anknüpft.362 Festzuhalten bleibt: Perspektivdenken 357
Treffend Küper, JuS 1981, 785, 788. MK-Erb, § 34 Rn. 127. 359 Die Gegensätzlichkeit der Standpunkte auf die Begriffe der „Zweckrationalität“ und „Wertrationalität“ zurückführend Küper, JuS 1981, 785, 791. 360 Küper, JuS 1981, 785, 791, der vor einer entsprechenden Verkürzung in der Argumentation warnt. 361 So auch Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 45; Küper, JuS 1981, 785, 792 f.; LK-Zieschang, § 34 Rn. 74; Roxin, AT I, § 16 Rn. 39; S/S/W-Rosenau, § 34 Rn. 23; kritisch ferner K. Günther, FS-Neumann, 825, 826 f., der in der – von Neumann erwogenen – Orientierung an der Schutzmöglichkeit (welche in Situationen einseitiger Gefahrverteilung aufseiten der Unrettbaren fehlt) letztlich wieder eine „Abwägung zwischen verschiedenen Graden der Schutzwürdigkeit des Lebens“ sieht. 362 Küper, JuS 1981, 785, 793; vgl. auch Jahn, KritV 2004, 24, 30, nach dem durch die Einführung des Kriteriums der Chancenlosigkeit „der bislang unbestrittene Grundsatz des absoluten Lebensschutzes (. . .) für praktische Konkordanzen geschmeidig gemacht“ würde. 358
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ist dem strafrechtlichen Lebensschutz fremd, weshalb die (Rest-)Dauer menschlicher Existenz kein geeignetes Differenzierungskriterium darstellt. Im Übrigen ist unter Berücksichtigung des vorstehend Gesagten auch dem Ansatz Ottos eine Absage zu erteilen. Dieser argumentiert im Hinblick auf Gefahrengemeinschaften mit einseitig verteilten Rettungschancen letztlich inhaltsgleich mit Erb und Neumann.363 In Auseinandersetzung mit dem Flugzeug-Fall unternimmt er zwar den Versuch einer Relativierung, wenn er betont, dass „eine Aufrechnung der kurzen Lebenszeit Weniger gegen die lange Lebenszeit Vieler nicht in Betracht kommt“ 364. Doch misslingt diese Relativierung, wenn Otto zur Begründung einer Rechtfertigung anschließend ausführt, „dass im Falle existenzieller Bedrohungen des Gemeinwohls (. . .) die Achtung des kurzfristigen Lebensrechts einer Gruppe von Personen, die den anschließenden Tod dieser Personen nicht verhindert und die den Tod einer Vielzahl anderer zur Folge hat, nicht der Idee des Gemeinwohls entspricht“ 365. Die Herstellung eines Gemeinwohlbezugs ändert nichts an dem Umstand, dass Lebensrechte unter Berücksichtigung ihrer Fortdauer in Abwägung gebracht werden. Die teilweise Erstreckung seines Ansatzes auf Gefahrengemeinschaften mit gleichmäßig verteilten Rettungschancen – explizit nimmt Otto die Euthanasie-Fälle in den Blick366 – vermag ebenfalls nicht zu überzeugen: In Situationen, in denen schon die Ausgangslage für alle Betroffenen gleich (schlecht) ist, sind erst recht keine Differenzierungskriterien ersichtlich, welche eine Abwägung ermöglichen könnten. Das namentlich von Hirsch favorisierte Konzept des Defensivnotstands ist im Flugzeug-Fall bereits unter Hinweis auf den fehlenden Beitrag der Flugzeuginsassen zur Entstehung der Gefahrensituation abzulehnen.367 Im Bergsteiger-Fall lässt sich dagegen durchaus fragen, ob nicht der abgestürzte, seinen Kameraden durch sein Körpergewicht nach unten ziehende Bergsteiger selbst die Gefahrenquelle darstellt. So wird im Bergsteiger-Fall die Gefahr nicht selten der „Rechtssphäre“ des Abgestürzten zugeordnet368, weshalb eine Rechtfertigung nach den Grundsätzen des Defensivnotstands anzunehmen sei.369 Ohne der umstrittenen 363
Dazu oben B.III.3.b)bb)(2). Otto, Jura 2005, 470, 478. 365 Otto, Jura 2005, 470, 478. 366 Otto, Pflichtenkollision und Rechtswidrigkeitsurteil, 1965, S. 109; ders., AT, § 8 Rn. 195; ders., Jura 2005, 470, 477 f. 367 Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 98 f.; Fahl, GS-Joecks, S. 67, 78; Hilgendorf, in: Blaschke u. a. (Hrsg.), Sicherheit statt Freiheit?, 2005, 107, 127; Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 416; Merkel, JZ 2007, 373, 384 f.; Streng, FS-Stöckel, S. 135, 149 f.; S/S/W-Rosenau, § 34 Rn. 26; kritisch auch Coninx, Das Solidaritätsprinzip im Lebensnotstand, 2012, S. 87 ff. (m.w. N.). 368 Explizit M/R-Engländer, § 34 Rn. 33 i.V. m. Rn. 51. 369 M/R-Engländer, § 34 Rn. 33 i.V. m. Rn. 51; Günther, FS-Amelung, S. 147, 154 f.; Pawlik, Jura 2002, 26, 30 f.; Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 166. 364
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Frage nach der zutreffenden Konstruktion eines Defensivnotstandes – analoge Anwendung des § 228 BGB370 oder Fruchtbarmachung des Rechtsgedankens des § 228 BGB im Rahmen der Interessenabwägung des § 34 StGB371 – hier nachgehen zu können, ist jedenfalls zu entscheiden, ob der Rückgriff auf eine mutmaßliche Gefahrverantwortlichkeit ein taugliches Abgrenzungskriterium in der Konstellation „Leben gegen Leben“ darstellt. Nicht anders als in Auseinandersetzung mit dem Kriterium der Schicksalhaftigkeit stellt sich die Frage, ob der Rückgriff auf den Defensivnotstand das Notstands-Dilemma plausibel aufzulösen vermag. In Anbetracht des Umstandes, dass Gegenstand der Untersuchung nicht Wesen und Reichweite des Defensivnotstandes ist372, kann die eigene Haltung nur skizziert werden. Entscheidend für die Rechtfertigung soll sein, dass die Gefahr der „Sphäre“ des Trägers des Eingriffsgutes zuzuordnen sei. Daraus ergibt sich wiederum die Frage, nach welchen Kriterien eine entsprechende Zuordnung erfolgt. Eine – den Träger des Eingriffsguts letztlich schlechter stellende – „Verursachung“ kann nicht einzig aus den tatsächlichen Gegebenheiten hergeleitet werden: So kann im Bergsteiger-Fall der Umstand, dass der eine und nicht der andere Bergsteiger abgestürzt ist, nicht ausreichend sein, um eine Schlechterstellung des Abgestürzten zu begründen. Andernfalls würden (äußere) Zufälligkeiten den Ausschlag zulasten des Abgestürzten geben. Das hieße aber, das Schicksal als entscheidende Bezugsgröße anzuerkennen. So wenig dies bei den auf die Chancenlosigkeit des Opfers verweisenden Auffassungen überzeugt, so wenig kann dies im Rahmen der Zuordnung einer Gefahr überzeugen. Solange sich der Betroffene „völlig sozialadäquat“ 373 verhält bzw. verhalten hat, kann ihm daraus kein Vorwurf erwachsen. In den Situationen des Lebensnotstands in der Gefahrengemeinschaft ist es nun aber typischerweise so, dass alle Menschen gleichermaßen „Opfer des Schicksals“ 374 sind. In Fällen fehlender Gefahrengemeinschaft – so etwa im viel bemühten Haustyrannen-Fall375 – spielt die Schicksalhaftigkeit naturgemäß eine untergeordnete Rolle. Misshandelt ein Familienvater seine Angehörigen dauerhaft, kann die für die Angehörigen bestehende (Leibes- und
370
Vgl. etwa M/R-Engländer, § 34 Rn. 47; NK-Neumann, § 34 Rn. 86. Vgl. etwa B/W/M/E-Mitsch, § 15 Rn. 100; Heinrich, AT, Rn. 423; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 34 Rn. 9; LK-Zieschang, § 34 Rn. 72; Roxin, AT I, § 16 Rn. 76; Schönke/ Schröder-Perron, § 34 Rn. 30. 372 Monographisch etwa Otte, Der durch Menschen ausgelöste Defensivnotstand, 1998; Wilenmann, Freiheitsdistribution und Verantwortungsbegriff – Die Dogmatik des Defensivnotstands im Strafrecht, 2014; vgl. ferner Kühnbach, Solidaritätspflichten Unbeteiligter, 2007. 373 Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 99. 374 Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 99; vgl. ferner Jäger, FS-Rogall, S. 171, 182, nach dem es mit Blick auf den Bergsteiger-Fall nicht überzeugt, „die Schwerkraft als Zuständigkeitsfaktor in die Waagschale zu werfen (. . .), weil darin kein Aggressionsverhalten gesehen werden kann“. 375 BGHSt 48, 255. 371
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Lebens-)Gefahr durchaus der „Sphäre“ des Vaters zugeordnet werden. Dennoch wird eine Rechtfertigung auch in entsprechenden Fallgestaltungen abzulehnen sein, fehlt es doch an einer „angriffsgleichen, unmittelbar akuten Lebens- oder Leibesgefahr“ 376. Eine solche ist aber zu verlangen, will man die Schlechterstellung des Trägers des Eingriffsguts überzeugend begründen. Festzuhalten ist, dass die im Rahmen der gegenständlichen Untersuchung interessierenden Konstellationen den – nach hier vertretener Auffassung notwendigen – Anforderungen an ein „Verursachen“ bzw. an eine Zuordnung nicht genügen. Der von Ladiges jedenfalls im Flugzeug-Fall befürwortete Rückgriff auf § 34 StGB („jedenfalls in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG“ 377) erfolgt, wie bereits dargelegt, auf Basis einer – umfassenden – verfassungsrechtlichen Begutachtung der Fragestellung. Von entscheidender Bedeutung sind an dieser Stelle der Untersuchung indes die strafrechtsspezifischen Erwägungen, die Ladiges bezüglich einer Rechtfertigungsmöglichkeit anführt. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Darlegung etwaiger Widersprüche in der Argumentation derjenigen, welche am Tötungsverbot in der Situation des Lebensdilemmas festhalten möchten, gleichzeitig aber eine Rechtfertigung bezüglich des medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruchs bzw. der Perforation befürworten. Soweit es die strafrechtsspezifische Auseinandersetzung betrifft, soll also die – vermeintliche – Widersprüchlichkeit der Gegenauffassung den Ausschlag zugunsten der eigenen Auffassung geben. Einfach beiseite wischen lässt sich der Hinweis auf den (strafrechtlichen) Umgang mit dem medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch sowie der Perforation zugegebenermaßen nicht. So besteht jedenfalls weitestgehend Einigkeit über die „Menschqualität“ 378 des in der Geburt befindlichen Kindes379, weshalb sich in der Tat die Frage stellen lässt, ob sich eine Rechtfertigung der Perforation mit der in anderen Zusammenhängen postulierten Unabwägbarkeit menschlichen Lebens verträgt. Eingangs muss man sehen, dass auch mit Blick auf die Perforation Stimmen auszumachen sind, die eine Rechtferti-
376 Roxin, AT I, § 16 Rn. 87; zustimmend Otte, Der durch Menschen ausgelöste Defensivnotstand, 1998, S. 179 f.; gegen dieses Erfordernis Wilenmann, Freiheitsdistribution und Verantwortungsbegriff, 2014, S. 415 ff. 377 Vgl. Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 472. 378 Vgl. etwa MK-Erb, § 34 Rn. 161. 379 BGHSt 32, 19, 196 („Zeitpunkt des Einsetzens der Eröffnungswehen“); ebenso A/W/H/H-Hilgendorf, § 5 Rn. 89; Eisele, BT I, Rn. 40; Kühl, in: Lackner/Kühl, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 1 Rn. 8; Schönke/Schröder-Eser/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 13; (erst) auf den Beginn der Presswehen abstellend NK-Neumann, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 10; für ein Menschsein erst ab Vollendung der Geburt plädieren Herzberg/Herzberg, JZ 2001, 1106 ff. (zustimmend explizit Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 462 ff.).
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gungsmöglichkeit verneinen.380 Soweit eine Rechtfertigung bejaht wird381, variieren die Begründungsansätze. Populär ist der Gedanke des Defensivnotstands, wonach die Gefahr für die Mutter vom – in der Geburt befindlichen – Kind ausgeht.382 Diese Konstruktion überzeugt mit Blick darauf, dass die Konstitution des Kindes schwerlich als zurechenbares Verhalten begriffen werden kann383, nicht. Weiter ist zu beachten, dass bei der Geburt auftretende Gefahren gleichfalls der Konstitution der Mutter geschuldet sein können.384 Für die Möglichkeit der Rechtfertigung streitet aber ein anderer Gesichtspunkt: Das Eingriffsgut (Leben des Kindes) ist in seiner – noch in der Entfaltung begriffenen – Existenz untrennbar mit dem Erhaltungsgut (Leben der Mutter) verbunden. Ohne die Trägerin des Erhaltungsguts erübrigte sich jedes Nachdenken über den (strafrechtlichen) Schutz des Eingriffsguts. Insoweit ist Roxin vollumfänglich zuzustimmen, wenn er – in der Ausdrucksweise ggf. etwas antiquiert – festhält, dass die „Mutter, die dem Kinde das Leben schenkt“, nur die mit der Schwangerschaft üblicherweise verbundenen „Beschwernisse und Gesundheitsbeeinträchtigungen“ auf sich nehmen müsse, in ihrer Rolle als „Lebensspenderin“ aber nicht zur Aufopferung des eigenen Lebens oder der Hinnahme schwerer Gesundheitsschädigungen angehalten werden dürfe.385 Eine entsprechende Wertung findet sich ja auch in § 218a II StGB.386 Der Umstand, dass die Tötung des Kindes nach Beginn der Geburt dem Anwendungsbereich des § 218a II StGB entzogen ist, ist nicht zu verwechseln
380 Explizit LK-Zieschang, § 34 Rn. 74; ders., FG-Knemeyer, 2012, 449, 465; vgl. ferner Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, 2004, S. 121, der für eine übergesetzliche Entschuldigung eintritt. 381 Vgl. etwa A/W/H/H-Hilgendorf, § 5 Rn. 91; Gropp, AT, § 5 Rn. 252; Jäger, FSRogall, S. 171, 180 f.; Joecks/Jäger, § 34 Rn. 56; MK-Erb, § 34 Rn. 161; NK-Neumann, § 34 Rn. 91; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 34 Rn. 9; Otte, Der durch Menschen ausgelöste Defensivnotstand, 1998, S. 153 ff.; Roxin, AT I, § 16 Rn. 79; Schönke/SchröderPerron, § 34 Rn. 30. 382 NK-Neumann, § 34 Rn. 91; Otte, Der durch Menschen ausgelöste Defensivnotstand, 1998, S. 154 f.; vgl. ferner Schönke/Schröder-Eser/Weißer, Vorbem. §§ 218 ff. Rn. 41 („Gefährdung, die von der besonderen Konstitution des Kindes ausgeht“); i. E. auch Gropp, AT, § 5 Rn. 252. 383 Treffend Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, 2004, S. 121; Jäger, FS-Rogall, S. 171, 179; ferner Roxin, AT I, § 16 Rn. 79 („rein biologischer Vorgang“), der freilich zugleich die Kausalität zwischen Kindesgeburt und Gefahreintritt betont (§ 16 Rn. 79 mit Fn. 136). 384 Vgl. dazu Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 452 (m.w. N.); Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 460 f. 385 Roxin, AT I, § 16 Rn. 79; inhaltlich übereinstimmend MK-Erb, § 34 Rn. 161; vgl. ferner Jäger, FS-Rogall, S. 171, 180 mit Fn. 38, der durch das von Roxin gezeichnete Bild „anschaulich vermittelt“ sieht, „dass bei der Perforation in Wahrheit der Lebensschenkungsprozess von der Mutter zur eigenen Rettung abgebrochen wird“. 386 Vgl. auch A/W/H/H-Hilgendorf, § 5 Rn. 91; Jäger, FS-Rogall, S. 171, 180; Joecks/Jäger, § 34 Rn. 56; Roxin, AT I, § 16 Rn. 79; Otte, Der durch Menschen ausgelöste Defensivnotstand, 1998, S. 155.
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mit einer Rücknahme des Lebensschutzes aufseiten der Mutter.387 Nichts anderes ist gemeint, wenn von der „Ähnlichkeit“ 388 bzw. der „Nähe“ 389 der Perforation zum medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch die Rede ist. Nach dem vorstehend Gesagten ist zugleich die von Ladiges auch mit Blick auf § 218a II StGB ausgemachte Widersprüchlichkeit zu bestreiten; die Regelung nimmt Rücksicht auf die natürliche Verquickung390 zweier Leben, wie sie (nur) für die Schwangerschaft charakteristisch ist. Aus alledem ergibt sich, dass die von Ladiges ausgemachten Widersprüche in Wahrheit nicht bestehen: Sowohl die Rechtfertigungsmöglichkeit des § 218a II StGB als auch die Anerkennung einer Rechtfertigung im Falle der Perforation ist Ausdruck einer spezifischen – mit der biologischen Konstitution des Menschen verbundenen – Konfliktsituation. Eine Aussage über die generelle Möglichkeit, das Rechtsgut Leben – unter Heranziehung bestimmter Kriterien (etwa: Eingriffsrecht bei „materiell funktionslose[r] Lebenszeitspanne“ 391) – in Abwägung zu bringen, ist darin nicht enthalten. Schließlich verbleibt der Ansatz Zimmermanns, der jedenfalls für die Konstellation der Gefahrengemeinschaft mit einseitig verteilten Rettungschancen für eine Rechtfertigungsmöglichkeit plädiert und diese mit einer „hypothetischen intrapersonalen Interessenabwägung“ 392 zu begründen sucht. Danach würden sich – verkürzt gesprochen – die Unrettbaren (als potentielle Eingriffsadressaten), versetzte man sie in die Position der Rettbaren, für eine in der Dauer ungewisse Lebenszeitspanne und damit gegen die (sichere) Todesverfallenheit aussprechen. Aus diesem – gedanklichen – Perspektivwechsel ergebe sich das überwiegende Interesse aufseiten der Rettbaren. In Ansehung der Angemessenheit i. S. d. § 34 S. 2 StGB verweist Zimmermann gar auf „genuin altruistische Interessen“ 393. Zuzugeben ist, dass der Ansatz Zimmermanns im Rahmen der gegenständlichen Untersuchung nicht in seinen Einzelheiten betrachtet und bewertet werden kann.394 Entscheidend für seine Lösung bleibt indes der Solidaritätsgedanke, der jeden387 Vgl. dazu auch die Nachweise zum Willen des historischen Gesetzgebers bei Otte, Der durch Menschen ausgelöste Defensivnotstand, 1998, S. 144. 388 Kühl, AT, § 8 Rn. 134. 389 Schönke/Schröder-Perron, § 34 Rn. 30. 390 MK-Erb, § 34 Rn. 161, spricht von „Schicksalsverbundenheit“. 391 Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 471. 392 Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 375. 393 Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 386. 394 Zimmermanns Auffassung betreffend die (straf-)rechtliche Bewertung von Rettungstötungen im Rahmen von Gefahrengemeinschaften mit asymmetrischer Chancenverteilung steht im Kontext einer umfassenden Analyse von Rettungstötungen, die nicht nur zu Gefahrengemeinschaften mit symmetrischer Gefahrverteilung abgrenzt, sondern sich auch der Tötung Unbeteiligter (zu Rettungszwecken) sowie „Rettungstötungen“ am Beginn des Lebens widmet.
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falls bei Bestehen einer Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung in einem „nicht unwesentlich erhöhte[n] altruistische[n] Interesse am Überleben der rettbaren Gefahrgenossen“ 395 kulminiere. Als „ethisch-moralischer Verhaltensvorschlag“ 396 ist am Ansatz Zimmermanns selbstredend nichts auszusetzen. Fraglich bleibt freilich schon im Ausgangspunkt, wie tragfähig die Annahme einer (überwiegend) altruistisch veranlagten Bevölkerung ist. Es besteht nicht wenig Anlass, insoweit skeptisch zu sein.397 Der Täterperspektive des § 35 StGB liegt das Bild des „egoistischen“, dem Selbsterhaltungstrieb folgenden (Durchschnitts-)Menschen zugrunde. Nun mag man einwenden, dass die entscheidende Stellschraube ja gerade der Perspektivwechsel sei, weshalb eine Friktion bezüglich der dem Menschen in zugespitzten Bedrohungssituationen zugeschriebenen Eigenschaften von vornherein nicht entstehen könne. Dann gilt es zu fragen, mit welcher Berechtigung der Perspektivwechsel vorgenommen wird. Zunächst ist festzustellen, dass der Wechsel der Perspektive und das – nachfolgende – Operieren mit Annahmen betreffend das Opferinteresse weit davon entfernt sind, lediglich ein „harmloses Gedankenexperiment“ zu sein, welches eine ohnehin dilemmatische Situation jedenfalls einer konsensorientierten Lösung zuzuführen vermag. Während nämlich die Heranziehung von Annahmen betreffend die menschliche Natur in Konfrontation mit existentiellen Gefahrensituationen auf Schuldebene – sei es im Rahmen des entschuldigenden Notstands i. S. d. § 35 StGB, sei es im Rahmen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands – keine unmittelbaren Rechtsfolgen für die vom Eingriff Betroffenen begründet, verhält sich dies bei Annahme einer Rechtfertigung anders: die Rechtsposition der – zur Tötung „freigegebenen“ – Unrettbaren wird unzweifelhaft verschlechtert. Während auf Schuldebene allein aus Täterperspektive gefragt wird, was „nachvollziehbar“, „verständlich“ bzw. „erwartbar“ ist, führt die Einführung einer – behaupteten – altruistischen Grundhaltung (in der spezifischen Situation der Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung) als Gesichtspunkt der Interessenabwägung zum Entstehen einer Hinnahmepflicht398 aufseiten der Eingriffsadressaten. Diese stützt sich neben der – angenommenen – altruistischen Veranlagung des (Durchschnitts-)Menschen auf die nur „kurze Rest-Lebenszeit“ 399 des Eingriffsopfers. Da Perspektivdenken dem strafrechtlichen Lebensschutz aber, wie oben dargelegt, fremd ist, bleibt es beim Gedan395
Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 387. So die Bezeichnung bei Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 54, nach dem eine solche Verhaltensempfehlung „zu begrüßen“ sei. 397 Kritisch daher Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 54 f., 57 f.; vgl. auch Neumann, in: Zehn Jahre ZIS, 2018, S. 393, 405 f.: „(. . .) in der konkreten Gefahrensituation ist jeder nur daran interessiert, sein eigenes Leben soweit wie möglich zu schützen.“ 398 Dazu auch Kühl, AT, § 8 Rn. 7; MK-Erb, § 34 Rn. 6. 399 Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 387. 396
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ken der – bis zur Selbstaufopferung reichenden – Solidarisierung. Kurzum: Das Entstehen einer Hinnahmepflicht bezüglich der eigenen Tötung wird von einer – u. a. mit dem persönlichen Empfinden begründeten400 – Zuschreibung abhängig gemacht. Zur geringen inhaltlichen Überzeugungskraft des Solidarisierungsthese401 tritt eine weitere Schwierigkeit hinzu: Seiner Struktur nach ermittelt § 34 StGB das Maß der von den Mitmenschen zu erwartenden Solidarität im Wege der Interessenabwägung.402 Wenn Zimmermann den Gesichtspunkt einer auf Altruismus beruhenden Solidarisierung als eigenen Faktor in die Interessenabwägung einführt, setzt er also das gewünschte Ergebnis mit einem Abwägungsfaktor gleich und versäumt so, tatsächlich zu begründen, worin der entscheidende Grund für eine Rechtfertigungsmöglichkeit in Konstellationen der Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung liegt. Mit anderen Worten: Die Solidaritätserwartung kann am Ende der Interessenabwägung stehen, darf aber nicht als eigener Faktor in die Abwägung eingestellt werden. So findet das Abwägungsprinzip im Solidaritätsgedanken zwar eine „einsichtige Begründung“ 403. Diese Begründung darf den Blick auf das am Prinzip des überwiegenden Interesses orientierten Abwägungserfordernis jedoch nicht verstellen. Genau dieser Vorwurf ist Zimmermann indes zu machen: Die – schon in der Herleitung wenig überzeugende – Solidaritätsthese wird absolut gesetzt und nimmt der Abwägung dadurch ihre Bedeutung. Letztlich fügt sich der Ansatz Zimmermanns daher auch strukturell nicht in die Notstandsvorschrift des § 34 StGB ein. Das – von Zimmermann antizipierte404 – Dammbruch-Argument, nach dem die Anerkennung einer ausnahmsweisen Duldungspflicht in Situationen der Gefahrengemeinschaft (mit einseitiger Chancenverteilung) Tür und Tor für die Annahme rechtfertigender Rettungstötungen in weiteren Situationen des Lebensdilemmas öffne405, vermag gegenüber allen Ansätzen, welche für eine ausnahms400 Vgl. Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 390, der sich „im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte (. . .) dazu [bekennt], persönlich einer entsprechenden Aufopferungspflicht explizit zuzustimmen“. Kritisch auch insoweit Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 54, der in der (Notwendigkeit der) Hervorhebung der persönlichen Haltung die Krux des Solidarisierungsansatzes pointiert wiedergegeben sieht. 401 Eine eingehende Analyse und Kritik von Ansätzen, die Hinnahmepflichten (im Lebens-Dilemma) aus dem Solidaritätsgedanken ableiten, findet sich bei Stübinger, Notwehr-Folter und Notstands-Tötung?, 2015, S. 281 ff., der sich insbesondere mit Coninx, Das Solidaritätsprinzip im Lebensnotstand, 2012, auseinandersetzt. 402 Treffend Schönke/Schröder-Perron, § 34 Rn. 1, der davor warnt, den Solidaritätsgedanken bei § 34 StGB einseitig in den Vordergrund zu rücken. 403 Kühl, AT, § 8 Rn. 9. 404 Vgl. Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 394 ff. 405 Vgl. Roxin, AT I, § 16 Rn. 39 („Hier ist den Anfängen zu wehren.“); ferner Archangelskij, Das Problem des Lebensnotstandes am Beispiel des Abschusses eines von Terroristen entführten Flugzeugs, 2005, S. 62; MK-Schlehofer, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 296; S/S/W-Rosenau, § 34 Rn. 23; Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 57 f.,
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weise Rechtfertigung in der Konstellation der Gefahrengemeinschaft eintreten, ins Feld geführt werden. Die Berechtigung dieses Kritikpunkts hängt wiederum davon ab, welche Trennschärfe dem – jeweils – zur Begründung einer Rechtfertigung herangezogenen (Abgrenzungs-)Kriterium zuerkannt wird. Je diffuser einem das Kriterium (Rechtfertigungsmöglichkeit etwa bei „materiell funktionslose[r] Lebenszeitspanne“ 406 auf Eingriffsseite bzw. bei „bereits unrettbar verloren[en]“ 407 Eingriffsadressaten) erscheint, desto eher wird man dazu neigen, Weiterungen ungeahnten Ausmaßes zu befürchten.408 Freilich sind die auf die bestehenden Rettungschancen bzw. die verbleibenden Entfaltungsmöglichkeiten abstellenden Auffassungen, da sich hinter ihnen, wie gezeigt, eine Differenzierung nach verbleibenden Lebenszeitspannen verbirgt, schon grundsätzlich abzulehnen. Auf die Trennschärfe kommt es insoweit – streng genommen – gar nicht mehr an. Dabei wird nicht verkannt, dass zusätzlich das Vorliegen einer Gefahrengemeinschaft verlangt wird, womit ein weiteres Kriterium hinzutritt. Indes kommt es auf dessen Notwendigkeit und Berechtigung ebensowenig an, da bereits die – konkretisierende – Abgrenzung nach Rettungschancen und Entfaltungsmöglichkeiten unzulässig ist. Zurückkommend auf Zimmermanns Ansatz ist festzuhalten, dass diesem als eigener Gesichtspunkt die Solidaritätsthese verbleibt. Diese überzeugt aus zwei Gründen nicht: Erstens greift sie zur Begründung einer Rechtspflicht auf eine (angreifbare) Zuschreibung zurück. Zweitens verkehrt sie gewissermaßen Ursache und Wirkung, indem sie das Interessenübergewicht aus Solidaritätsgesichtspunkten herleitet und nicht die – zu erwartende – Solidarität aus einer Interessenabwägung gewinnt. Nach dem vorstehend Gesagten weiß keiner der eine Rechtfertigungsmöglichkeit befürwortenden Ansätze zu überzeugen. Die Auflösung klassischer Lebensdilemma-Konstellationen ist in der Folge auf Schuldebene zu suchen. Soweit der Handelnde keinen persönlichen Gefahrbezug aufweist, bleibt die Heranziehung des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands denkbar, zu dessen Anerkennung es nachfolgend Stellung zu nehmen gilt. c) Zur grundsätzlichen Anerkennung Die enge Rückbindung des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands an die Vorschrift des § 35 StGB, unter „bloßem“ Verzicht auf das Erfordernis der sieht – in expliziter Auseinandersetzung mit Zimmermann – die Gefahr des Abdriftens auf eine „einen Dammbruch jedenfalls nicht ausschließende Bahn“. 406 Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013, S. 471. 407 MK-Erb, § 34 Rn. 126. 408 Vgl. auch die Kritik bei Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 54, 56, der insbesondere die Frage in den Blick nimmt, wer zur Einschätzung über die Todgeweihtheit berufen sein soll.
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Eigengefährdung bzw. der Gefährdung einer Sympathieperson, drückt sich insbesondere in der teilweisen – überwiegend beiläufig angeführten – Charakterisierung des übergesetzlichen Schuldausschlusses als Fall des „§ 35 analog“ 409 aus. Einmal ungeachtet der Sachgerechtigkeit dieser Bezeichnung, ist für die nachfolgenden Erwägungen festzuhalten, dass eine enge Rückbindung an die Vorschrift konsequenterweise eine (enge) Rückbindung an die den Schuldausschluss im Rahmen des § 35 StGB tragenden Säulen verlangt: der – letztlich schuldmindernd zu Buche schlagenden – Unrechtsminderung sowie der aus einer psychologischen Ausnahmesituation resultierenden Schuldminderung. Was die Unrechtsminderung im Falle des übergesetzlichen entschuldigten Notstands betrifft, so geht es in den denk- und konstruierbaren Fallkonstellationen ausschließlich um die Rettung menschlichen Lebens; eine Unrechtsreduzierung kann dementsprechend grundsätzlich – vorbehaltlich etwaiger Fallkonstellationen, in denen wenige Leben zu Lasten einer Vielzahl von Leben gerettet werden – nicht in Abrede gestellt werden. Komplizierter gestaltet sich die Lage hinsichtlich der notwendigen Schuldminderung. Im Rahmen des § 35 StGB resultiert diese aus dem eine psychische Ausnahmesituation bewirkenden Selbsterhaltungstrieb. Dieser erfasst auch sog. Sympathiepersonen. In (potentiellen) Fällen des übergesetzlichen Notstands ist der Gefahrbezug dagegen ein anderer: Weder erfolgt eine eigene Gefährdung noch sehen sich Sympathiepersonen einer Gefahr ausgesetzt. Ein Bezug zur Selbsterhaltung (im obigen Sinne) ist damit nicht auszumachen. Im Falle des allgemeinen Schuldausschließungsgrundes der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens wurde das Fehlen dieses Bezugs als maßgebliches Manko ausgemacht.410 Vor diesem Hintergrund erschiene die Anerkennung eines übergesetzlichen entschuldigenden Notstands zunächst in hohem Maße widersprüchlich. Zu beachten ist indes, dass die im Umfeld der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens diskutieren Konstellationen auch keine dem Selbsterhaltungs-Motivationsdruck vergleichbaren Umstände aufweisen. Zwar mag das Bangen um die wirtschaftliche oder soziale Existenz, wie es in Fällen potentieller Unzumutbarkeit im Rahmen von Vorsatzdelikten regelmäßig diskutiert wird, gleichfalls einen nicht unerheblichen Motivationsdruck zu erzeugen. Eine Vergleichbarkeit mit Situationen, in welcher sich ein Mensch mit der Frage konfrontiert sieht, ob er (ggf. zuvor ungefährdetes!) Leben nehmen soll, um – gewissermaßen als Kehrseite – Leben zu retten, ist jedoch nicht gegeben. Weiter ist sodann mit Momsen zu fragen, ob der fehlende Bezug zur Selbsterhaltung sich hinsichtlich der Inbezugnahme des § 35 StGB („§ 35 analog“) als 409 Dreier, JZ 2007, 261, 266; Haft, AT, S. 145 f.; Kempf, in: Fischer/Hoven (Hrsg.), Schuld, 2017, S. 155, 163; LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 346; Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 271 u. S. 295. 410 Vgl. oben B.III.1.d).
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„qualitativ unübersteigbar[e]“ Hürde erweist.411 Zuzugeben ist, dass bei vergleichender Betrachtung des § 35 StGB einerseits und des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands andererseits die den Schuldausschluss tragenden Pfeiler – Verminderung von Unrecht und Schuld – zwar identisch sind, das „Mauerwerk“ des die Schuldminderung verkörpernden Pfeilers jedoch strukturelle Unterschiede dergestalt aufweist, dass einmal das Prinzip der Selbsterhaltung herangezogen wird und im anderen Fall der gewissensbelastende Entscheidungsdruck im Mittelpunkt steht. Fraglich ist somit, ob die auch hier eingeforderte Rückbindung an die den Schuldausschluss nach § 35 StGB tragenden Säulen (s. o.) so weit reicht, dass nicht nur im Ergebnis eine Kumulation von Unrechts- und Schuldminderung vorliegen muss, sondern dass auch ein Gleichlauf in Ansehung der die Schuldminderung tragenden Erwägungen zu verlangen ist. Machte man mit dem Gedanken der Analogie zu § 35 StGB ernst, so wäre nach der eingängigen Kurzformel zu fragen, ob eine planwidrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage vorliegt.412 Bejahendenfalls könnte die Vorschrift des § 35 StGB – mit der Rechtsfolge des Schuldausschlusses – auch auf Konstellationen übertragen werden, in denen der Täter unter erheblichem Entscheidungsdruck steht, ein persönlicher Gefahrbezug aber fehlt.413 Die Möglichkeit einer Analogie „in bonam partem“ steht auch für das materielle Strafrecht außer Frage. Ohne das Verhältnis des Attributs der „Planwidrigkeit“ zum Begriff der „Lücke“ hier vertiefend behandeln zu wollen414, ist jedenfalls festzustellen, dass das Fehlen einer Regelung im (positiven) Recht allein die Notwendigkeit analoger Anwendung nicht zu begründen vermag. So ist denn auch das „planmäßige Nichtvorhandensein einer Regelung“ 415 bzw. ein „beredtes Schweigen“ 416 denkbar. Dass die im Umfeld des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands diskutierten Fälle aufgrund des insoweit fehlenden persönlichen Gefahrbezugs nicht dem Anwendungsbereich des § 35 (I 1) StGB unterfallen, wurde bereits dargetan. Im Anschluss ist der Frage nachzugehen, inwieweit hinter der Nichterfassung entsprechender Sachverhalte ein gesetzgeberischer Plan steht. Womöglich wurden Fälle des fehlenden persönlichen Gefahrbezugs mit der Intention ausgeklammert, diesen unter keinen Umständen das Privileg des Schuldausschlusses zukommen zu lassen. In diese Richtung argumentiert Mitsch, der 411 Momsen, Die Zumutbarkeit als Begrenzung strafrechtlicher Pflichten, 2006, S. 465. 412 Vgl. nur B/W/M/E-Eisele, § 7 Rn. 25; Heinrich, AT, Rn. 139. 413 Zum Begriff der Analogie vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 381; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 889. 414 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 241, gibt zu bedenken, dass man schon nicht von einer „Lücke“ sprechen könne, wenn sich das Fehlen einer Regelung nicht zugleich als „unbefriedigend“ oder „planwidrig“ darstelle. 415 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 241. 416 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 370.
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die Frage aufwirft, „welche Bedeutung eine den Kreis entschuldigter Taten begrenzende gesetzliche Regelung hat, wenn die gesetzliche Rechtsfolge praeter legem auf Taten erstreckt werden kann, die die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllen“ 417. Die in § 35 I StGB vorgefundene Beschränkung auf ein Handeln zugunsten von Sympathiepersonen lasse der „Annahme, die Nichtberücksichtigung altruistischer Gefahrabwendung zugunsten fernstehender Personen sei eine planwidrige Regelungslücke, keinen Raum“ 418. Dass Mitsch mit der Verneinung schon der planwidrigen Regelungslücke relativ alleine steht419, findet seinen Grund wohl in der Thematisierung möglicher Konstellationen eines an § 35 StGB angelehnten übergesetzlichen Schuldausschlusses im Sonderausschuss des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform: Landgerichtsrat Horstkotte, Vertreter des Bundesjustizministeriums, wies im Ausschuss auf bestimmte Fälle der Gefahrengemeinschaft hin, in denen die – damals noch im Entstehen begriffene – Regelung des § 35 StGB nicht eingreife, da der „Täter gewissermaßen in der Rolle des Unbeteiligten eine Rettung von Menschen auf Kosten anderer Menschen“ anstrebe.420 Nach Benennung einiger, insbesondere in der Literatur diskutierter, Beispiele (Bergsteiger; Herz-Lungen-Maschine421) kommt Horstkotte zu 417
Mitsch, GA 2006, 11, 13; ähnlich ders., JA 2006, 509, 515. Mitsch, GA 2006, 11, 13; ders., JR 2013, 351, 356, zeigt sich neuerdings jedoch für einen übergesetzlichen Schuldausschluss in „eng begrenzte[n] Ausnahmefälle[n]“ offen. 419 MK-Schlehofer, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 299 ff., spricht sich zwar ebenso gegen das Vorhandensein einer systemwidrigen Regelungslücke aus, begründet dies jedoch mit der Möglichkeit des Rückgriffs auf Art. 4 I GG („Gewissensnot“). 420 Vgl. Horstkotte, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1849. 421 Zur Präzisierung und Abgrenzung gegenüber dem „ursprünglichen“ BergsteigerFall (dazu oben B.III.1.b)aa)): In Rede steht ein „außenstehender“ Bergsteiger, der als Nicht-Gefährdeter das Seil zu einem abgestürzten Kameraden kappt, um wenigstens das Leben eines Gefährdeten zu retten. Das – in etlichen Ausformungen existierende – Beispiel der Herz-Lungen-Maschine formuliert Horstkotte, S. 1849, wie folgt: „Darf bei einem moribunden Patienten die Behandlung mit der Herz-Lungen-Maschine abgebrochen werden, wenn in dem Krankenhaus ein anderer Patient eingeliefert wird, bei dem eine größere Chance besteht, daß er durch den Einsatz der Maschine wieder gesund wird?“ Für den Fall, dass bereits eingeleitete Rettungsmaßnahmen abgebrochen werden, um ein gleichwertiges Gut, bezüglich dessen höhere Rettungschancen bestehen, zu erhalten, wird ein Eingreifen der rechtfertigenden Pflichtenkollision wohl überwiegend abgelehnt (Welzel, S. 185, verweist auf den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand; eine Rechtfertigung ablehnend auch Krey, JuS 1971, 248, 249; LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 123; ders., JuS 2013, 113, 114 f.; MK-Schlehofer, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 293 ff.). Anderes gelte in Fällen, „in denen auf der einen Seite Leben gerettet, auf der anderen Seite nur Sterben verlängert werden kann“ (NK-Neumann, § 34 Rn. 130; ähnl. LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 123; ders., JuS 2013, 113, 115). Dann entfalle bereits die Rettungspflicht, wobei die Grenzziehung „im Einzelfall (. . .) sehr schwierig“ werden könne (LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 123). Legt man die Konstellation zugrunde, in der die Rettungschancen „nur“ (sehr) unterschiedlich verteilt sind, wird man – mit Welzel – von einem übergesetzlichen Schuldausschluss auszugehen haben. Daran ändert auf Schuldebene auch der 418
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dem – unwidersprochenen – Schluss, „daß der Gesetzgeber nicht versuchen sollte, solche Fragen durch das Gesetz zu lösen“ 422. Damit kann zwar von einem „planmäßigen Nichtvorhandensein“ einer Regelung gesprochen werden, jedoch nicht im Sinne der Bejahung des abschließenden Charakters der in Bezug genommenen bestehenden Regelung, sondern im Sinne bewusster und gewollter Öffnung gegenüber Lösungen aus Wissenschaft und Praxis423. Wenngleich das Attribut der Planwidrigkeit bei „öffnendem Regelungsverzicht“ im vorstehenden Sinne seine ursprüngliche Bedeutung verliert424, bleibt es bei der Existenz einer Lücke. Diese kann mit dem Instrument der Analogie425 geschlossen werden, wenn eine vergleichbare Interessenlage besteht. Hier liegt die eigentliche Schwierigkeit des sog. übergesetzlichen entschuldigenden Notstands: Ist die Interessenlage beim Handeln zugunsten der eigenen Person oder zugunsten von Sympathiepersonen vergleichbar mit der Interessenlage beim Handeln in einem „allgemeinen“ moralischen Entscheidungsdilemma? Mit anderen Worten: Wie weit muss der Gleichlauf der in Rede stehenden Sachverhalte reichen, damit der Analogieschluss zulässig ist? Damit ist zugleich der Bogen geschlagen zu der eingangs aufgeworfenen Frage, in welchem Umfang eine Rückbindung an die den Schuldausschluss nach § 35 StGB tragenden Säulen notwendig ist. Weist das moralische Dilemma des Piloten, Weichenstellers oder Bergsteigers hinreichende Ähnlichkeit zur – vermuteten – psychischen Ausnahmesituation des um die rettende Planke kämpfenden oder einen Kameraden verspeisenden Schiffbrüchigen auf? Bleibt man ganz beim (vielgestaltigen) Bergsteiger-Beispiel, in dem zur Rettung ein – mindestens eine weitere Person haltendes – Seil gekappt werden muss, ist die Situation des zur Eigenrettung Agierenden mit der Situation des Außenstehenden, der zur Rettung fremden Lebens fremdes Leben nehmen muss, zu vergleichen. Die Prüfung hinreichender Ähnlichkeit gipfelt – insbesondere wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Analogiebildung jedenfalls auch rechtsprakUmstand nichts, dass mit Blick auf das geringere Rettungschancen aufweisende Rechtsgut bereits Rettungsbemühungen in Gang gesetzt wurden (so aber Krey, JuS 1971, 248, 249). Die vorherige „Inobhutnahme“ ändert nichts am Vorliegen unterschiedlicher Rettungschancen und dem damit einhergehenden Entscheidungsdruck für den über die Ressourcenverteilung Befindenden sowie an der hinsichtlich der Rettungshandlung auszumachenden Unrechtsminderung. 422 Horstkotte, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1850. 423 Zu solchen „gewollten Lücken“ vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 240. 424 Wortmann, Inhalt und Bedeutung der „Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“ im Strafrecht, 2002, S. 108, geht davon aus, dass „es der Planwidrigkeit gleichkommt, wenn der Gesetzgeber ein Problem bewusst der Entscheidung durch Rechtsprechung und Literatur überlässt.“ 425 Einen Überblick zu den wichtigsten Instrumenten der Lückenfüllung (neben der Analogie) bieten Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 888.
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tische Ausformung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist426 – in der Frage, ob das Ungeregelte mit dem Geregelten „diejenigen Momente gemeinsam hat, auf denen die rechtliche Regelung (. . .) beruht“ 427. Insoweit kann von einem (gemeinsamen) „Grundgedanke“ 428 oder einem „Rechtsgedanke“ 429 gesprochen werden. Auf welchen Momenten beruht nun der Schuldausschluss in § 35 StGB? Zunächst auf der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens, welcher Elemente der Unrechts- und der Schuldminderung immanent sind. Unrechts- und Schuldminderung können ihrerseits konkretisiert werden. So beruht die Schuldminderung auf der vermuteten psychologischen Ausnahmesituation, deren Triebfeder die Selbsterhaltung ist. Situationen eines möglichen übergesetzlichen Schuldausschlusses („§ 35 StGB analog“) unterscheiden sich hinsichtlich der Unrechtsminderung grundsätzlich nicht, weisen hinsichtlich der Schuldminderung aber den Unterschied auf, dass die auch insoweit zu vermutende psychologische Ausnahmesituation aus einem moralischen Dilemma resultiert, ohne dass die Selbsterhaltung tangiert würde. Damit landet man wieder bei Momsen und seiner behaupteten „qualitativ unübersteigbar[en]“ Hürde430. Folglich heißt es, Position zu beziehen zu der Frage, ob die gegenüber der geregelten Konstellation (§ 35 StGB) bestehenden Unterschiede „von solcher Art sind, daß sie die gesetzliche Wertung (. . .) ausschließen“ 431. Wie sich schon aus der weiter oben vorgenommenen Gegenüberstellung von Konstellationen des entschuldigenden Notstands i. S. d. § 35 StGB mit (potentiellen) Konstellationen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands ergibt, lässt sich eine Antwort nicht unter Rückgriff auf eine „formal-logische Gedankenoperation“ 432 finden. Vielmehr handelt es sich stets um einen „Vorgang wertenden Denkens“ 433. Trifft also der oben skizzierte „Rechtsgedanke“ des § 35 StGB auf potentielle Fälle des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands in einem Maße zu, dass eine identische Behandlung angezeigt ist? Nach hier vertretener Auffassung ist diese Frage grundsätzlich zu bejahen: Situationen, in denen ein persönlicher Gefahrbezug in Gestalt eigener Gefährdung oder der Gefährdung von Sympathiepersonen nicht gegeben ist, fehlt – bei typisierender 426
Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 889. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 250. 428 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 250. 429 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 889. 430 Momsen, Die Zumutbarkeit als Begrenzung strafrechtlicher Pflichten, 2006, S. 465. 431 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 382. 432 Treffend Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 382. 433 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 382; übereinstimmend Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 250; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 889. 427
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Betrachtung – das Moment des Intuitiven, welches die Entscheidung zum Tätigwerden letztlich „vereinfacht“. Wer sich selbst oder Sympathiepersonen bedroht sieht, befindet sich in einer Ausnahmesituation, wird aber auf seinem Weg zum Tätigwerden weniger „innere Kämpfe“ auszustehen haben als derjenige, der sich vor die Entscheidung gestellt sieht, eine menschliche Tragödie um den Preis einer anderen menschlichen Tragödie abzuwenden. Die Konfrontation mit einer Situation, in der ganz unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung eine Verstrickung in erhebliche moralische Schuld unausweichlich erscheint, erzeugt – vorbehaltlich der Frage, ob stets das numerisch „kleiner Übel“ zu wählen ist – regelmäßig434 denjenigen psychischen Spannungsdruck, der bei Vorliegen eines persönlichen Gefahrbezugs vom Gesetz vermutet wird. Der Kritik Walters, der beim Handeln zugunsten von Nicht-Sympathiepersonen einen geringeren Entscheidungsdruck und in der Folge eine „vergleichsweise weniger verständlich[e]“ Tat sieht435, kann daher – so pauschal – nicht gefolgt werden. Das Fehlen eines unmittelbaren Bezuges zur Selbsterhaltung ist – trotz der oben herausgearbeiteten Bedeutung im Rahmen des gesetzlich normierten Anwendungsbereichs des § 35 StGB – verschmerzbar, kann ein Bezug zum Menschsein als solchem436 doch jedenfalls insoweit ausgemacht werden, als der Mensch in seiner Eigenschaft als sittlich eingebundenes Vernunftwesen betroffen ist. Dass die Auseinandersetzung um die Vergleichbarkeit der von § 35 StGB in den Blick genommenen Situationen mit möglichen Konstellationen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands in nicht unerheblichem Maße auf (typisierenden) Prämissen – betreffend die menschliche Natur und die Grenzen psychischer Belastbarkeit – beruht, ist augenscheinlich. Weniger gravierend erscheint dieser Rückgriff auf spezifische Annahmen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass das gesamte Schuldstrafrecht auf einer der rechtlichen Bewertung vorgelagerten Prämisse beruht: der Annahme menschlicher Entscheidungsfreiheit. Der Gegensatz von Indeterminismus und Determinismus kann hier nicht näher ausgeleuchtet werden, dies sei speziellen philosophischen, medizinischen oder juristischen Untersuchungen vorbehalten.437 Entscheidend ist aber doch, dass das Recht ohne Prämissen, die sich – im Zweifelsfalle – aus dem menschlichen Selbstverständnis speisen müssen438, nicht auskommt. Dies gilt umso 434 Mit Blick auf den personalen Anwendungsbereich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands werden unter E.II. freilich noch weitere Konkretisierungen herauszuarbeiten sein. 435 Walter, Der Kern des Strafrechts, 2006, S. 149. 436 Vgl. zu dieser Formulierung bereits oben B.III.1.b)aa). 437 Exemplarisch seien aus der aktuellen juristischen Literatur genannt Bröckers, Strafrechtliche Verantwortung ohne Willensfreiheit, 2015; Erber-Schropp, Schuld und Strafe, 2016; Hallmann, Gebundene Freiheit und strafrechtliche Schuld, 2017. 438 Zur Annahme menschlicher Entscheidungsfreiheit Hirsch, ZStW 106 (1994), S. 746, 763 f.; ders., FS-Otto, S. 307, 321 f.; ders., ZIS 2010, 62, 65 ff.; ähnlich Schönke/Schröder-Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 110, der ausführt, „dass Menschen nur
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mehr für die hier in Rede stehenden Extremsituationen, die schon aufgrund ihrer (erfreulichen) Seltenheit einen äußerst undankbaren Untersuchungsgegenstand abgeben. Auch die oben vorgenommene Einordnung des Menschen als sittlich eingebundenes Vernunftwesen beruht im Übrigen auf bestimmten Annahmen betreffend die Natur des Menschen und seiner Fähigkeit, Entscheidungen im Wege vernünftiger Gedankenoperationen herbeizuführen. Die hier zugrunde gelegten Annahmen führen letztlich zu dem Befund, dass Fälle fehlenden persönlichen Gefahrbezugs grundsätzlich im Wege der Analogiebildung zur Vorschrift des § 35 StGB erfasst werden können. d) Zur Differenzierung im Einzelnen Die vorstehend grundsätzlich bejahte Möglichkeit, § 35 StGB analog heranzuziehen, bedarf angesichts der Vielgestaltigkeit der Situationen, in denen es im Rahmen des § 34 StGB am wesentlichen Überwiegen des geschützten Rechtsguts fehlt und in denen hinsichtlich § 35 StGB der vom Gesetz geforderte persönliche Gefahrbezug zu verneinen ist, der Täter aber nichtsdestotrotz in einem erheblichen Entscheidungskonflikt steht, weiterer Präzisierung. Bereits eingangs wurde angedeutet, dass die Notwendigkeit einer Gefahrengemeinschaft überhaupt, deren genaue Ausgestaltung sowie das Erfordernis einer Orientierung an numerischen Gegebenheiten dramatisch umstritten sind.439 Zur präzisen Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes ist es geboten, auch zu diesen Fragen Stellung zu beziehen. Auf diesem Wege werden ggf. von vornherein bestimmte Konstellationen aus dem Anwendungsbereich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands ausgeschieden, sodass Erörterungen zur Reichweite des Schuldausschlusses im Umfeld von Täterschaft und Teilnahme insoweit obsolet würden. aa) Zum postulierten Erfordernis der Gefahrengemeinschaft „Unschuldige und an einer Gefahrensituation Unbeteiligte [müssen] darauf vertrauen dürfen, dass das Recht sie gegen eine gewaltsame Zerstörung ihres Lebens oder ihrer Gesundheit durch eine Strafdrohung unter allen Umständen im Bewusstsein von Freiheit und Verantwortung existieren können“. In diesem Zusammenhang vor einer begründungslosen Zuschreibung warnend SK-Rogall, Vorbem. §§ 19 ff. Rn. 36, nach dem zu beachten sei, „dass normative Urteile stets auf tragfähigen empirischen Grundlagen beruhen müssen“. Für den von ihm selbst präferierten „libertarischen (fähigkeitsbasierten) Begriff der Willensfreiheit“ (a. a. O., Rn. 38), nach dem Freiheit darin besteht, aufkommende Antrieben und Wünschen die Fähigkeit zu eigener Überprüfung entgegenzustellen, mithin ggf. – zugängliche – „Maßnahmen der Gegensteuerung“ (a. a. O., Rn. 39) zu ergreifen, sollen sich hinreichende Anhaltspunkte in der „Volitions-, Kognitions- und Motivationspsychologie“ (a. a. O., Rn. 38) sowie in der Hirnforschung (a. a. O., Rn. 39 i.V. m. Rn. 30 ff.) finden. 439 B.III.3.
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schützt.“ 440 Roxin und mit ihm andere Autoren441 möchten Konstellationen, in denen die Rettung von Menschen auf Kosten eingangs völlig Ungefährdeter bewirkt wird (Weichensteller), vom Wirkungsbereich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands bzw. des übergesetzlichen Verantwortungsausschlusses ausnehmen. Zunächst erscheint das Vorbringen, die Überwälzung von Gefahren auf andere müsste zu einer Erschütterung des Rechtssicherheitsgefühls der Allgemeinheit führen442, durchaus einleuchtend. Tatsächlich scheint der Agierende dem Geschehen in entsprechenden Konstellationen eine „neue Richtung“ zu geben, weshalb der Vorwurf, der Mensch spiele hier Schicksal443, alles andere als fernliegend ist. Entsprechend wird, um (vermeintliche) Fälle des Schicksal-Spielens zu extrahieren, das Vorliegen einer Gefahrengemeinschaft verlangt. Diese kann in verschiedenen Variationen auftreten, wobei ihre Grundform dann gegeben sein dürfte, „wenn sich Rechtsgüter verschiedener Personen derartig in einer Gefahr befinden, daß sie alle untergehen müßten, wenn sich nicht das eine Gut auf Kosten des anderen (oder umgekehrt) retten würde“ 444. Bei den um eine Planke kämpfenden Schiffbrüchigen, dem Urtyp der Gefahrengemeinschaft, kann jeder der Schiffbrüchigen sein Leben einzig durch die Tötung seines Gefährten retten („Du oder Ich“). Anders verhält es sich aber schon, wenn man an Situationen denkt, in denen die (Todes-)Gefahr ungleichmäßig verteilt ist, so im Falle des Bergsteigers, der sein eigenes Leben nur retten kann, indem er das Seil zu seinem abgestürzten Kameraden, der ihn mit in die Tiefe zu reißen droht, kappt.445 Hier lässt sich das eine Gut (Leben des nicht-abgestürzten Bergsteigers) zwar auf Kosten des anderen Guts (Leben des abgestürzten Bergsteigers) retten, umgekehrt gilt dies jedoch nicht. Während der im Ringen um die Planke obsiegende Schiff-
440
Roxin, AT I, § 22 Rn. 164. Vgl. etwa Jäger, ZStW 115 (2003), S. 765, 779 f.; ders., JA 2008, 678, 684; Jakobs, AT, 20/42; ders., in: Eser/Nishihara (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung IV, 1995, S. 143, 176; NK-Neumann, § 35 Rn. 61; Stübinger, Notwehr-Folter und Notstands-Tötung?, 2015, S. 385 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 718. 442 Roxin, AT I, § 22 Rn. 163; ders., in: Eser/Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, 1991, S. 357, 373 f. 443 Jäger, ZStW 115 (2003), S. 765, 779; ders., JA 2008, 678, 684; Roxin, AT I, § 22 Rn. 165; ders., in: Eser/Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, 1991, S. 357, 373; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 718; vgl. auch Stübinger, Notwehr-Folter und Notstands-Tötung?, 2015, S. 386, nach dem in der (Neu-)Erzeugung einer Gefahr für eingangs Unbeteiligte „eine durchaus schuldtypische Anmaßung von Willkür“ gesehen werden könne. 444 Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 43 (m.w. N.). 445 Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 48, spricht von einer „Variation der ,echten‘ Gefahrengemeinschaft“, wobei er zutreffend darauf hinweist, dass es in Ansehung des bereits abgestürzten Bergsteigers „schon eher blasphemisch wirkt, überhaupt von einer ,Gefahr‘ des Todes zu sprechen; sein Tod ist nicht nur höchst wahrscheinlich, sondern – gem. der Situationsfestlegung – gewiß“. 441
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brüchige und der das Seil kappende Bergsteiger sich unmittelbar auf § 35 StGB berufen können, gilt es im Rahmen dieser Arbeit, den Bogen zum übergesetzlichen entschuldigenden Notstand zu schlagen: Verlangt man insoweit, wie eingangs angedeutet, das Vorliegen einer Gefahrengemeinschaft, liegt der Schluss nahe, dass nur Fälle ungleichmäßiger Gefahrverteilung gemeint sein können. Andernfalls wäre der Vorwurf des Schicksal-Spielens nicht entkräftet, kann doch bei gleichmäßiger Gefahrverteilung keine Rede davon sein, dass lediglich „ohnehin schon verloren[es]“ 446 Leben beeinträchtigt würde. Das von Neumann gebildete Beispiel des „Kommandant[en] eines überfüllten und vom Kentern bedrohten Rettungsboots, der einige Insassen über Bord werfen lässt, um das Boot zu entlasten und damit die anderen Passagiere zu retten“ 447, zeigt dies deutlich: Zwar befinden sich alle Insassen des Boots in einer gemeinsamen Lebensgefahr. Jedoch haben im Ausgangspunkt alle die gleichen Rettungschancen, ist doch keineswegs vorgezeichnet, wer – zum Wohle aller – über Bord gehen muss. Dass der Kapitän durch die Auswahl der über Bord zu Werfenden nicht Schicksal spielt, muss erst einmal plausibel dargelegt werden. Das Argument unabänderlicher Schicksalhaftigkeit trägt also nur soweit, wie das Bestehen der (gleichmäßigen) Gefährdungslage in Bezug genommen wird. Die konkrete (Auswahl-)Entscheidung über Leben und Tod bleibt dagegen nicht dem Schicksal überlassen, sie wird in die Hände des Agierenden gelegt.448 Damit sei nicht gesagt, dass ein übergesetzlicher Schuld- oder Verantwortungsausschluss in Fällen gleichmäßiger Gefahrverteilung ausscheiden müsste. Veranschaulicht werden soll nur die mangelnde Konsequenz in der Argumentation derjenigen, die im Falle des Weichenstellers ein unzulässiges SchicksalSpielen annehmen, in Situationen gleichmäßiger Gefahrverteilung, wie sie im Übrigen auch bei den Euthanasie-Fällen vorlagen449, einen Schuld- oder Verantwortungsausschluss aber „bedenkenlos“ befürworten.450 Unterstützt wird der – inkonsequente – Vorwurf des Schicksal-Spielens z. T. durch die Erwägung, eine Aufopferung Unbeteiligter zur Rettung einer größeren Zahl an Gefährdeten gerate „in einen unauflösbaren Widerspruch zu dem Verbot, menschliche Leben zahlenmäßig miteinander zu verrechnen“ 451. Der Einwand 446
Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 718. NK-Neumann, § 35 Rn. 61, geht davon aus, dass der Kommandant entschuldigt handelt. 448 Auf einen möglichen Selbstwiderspruch hinweisend auch HK/GS-Duttge, § 35 Rn. 23, der indes unter Heranziehung dieser Widersprüchlichkeit generelle Zweifel an der Berechtigung des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands äußert. 449 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 712, gehen explizit davon aus, dass die Ärzte „durch Auswahl“ einzelner Geisteskranker an der Euthanasieaktion teilnahmen. 450 Zu den Euthanasie-Fällen Jäger, ZStW 115 (2003), S. 765, 785 f.; Roxin, AT I, § 22 Rn. 147 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 715. 451 NK-Neumann, § 35 Rn. 61; ähnlich auch Koch, JA 2005, 745, 748; Walter, Der Kern des Strafrechts, 2006, S. 148. 447
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mangelnder Konsequenz, der soeben noch dem behaupteten Schicksal-Spielen entgegengehalten wurde, richtet sich nun in die andere Richtung. Schünemann, der einem übergesetzlichen Schuldausschluss freilich insgesamt ablehnend gegenübersteht, mahnt in diesem Zusammenhang, eine Rechtsordnung, die auf Rechtswidrigkeitsebene utilitaristischen Erwägungen von vornherein ein Absage erteile, desavouiere sich selbst, wenn sie durch eine „ad-hoc-Konstruktion auf der Schuldebene“ letzten Endes doch Straffreiheit in entsprechenden Konstellationen erreichen wolle.452 Mit anderen Worten: Wer auf Rechtswidrigkeitsebene von der Unwägbarkeit menschlichen Lebens ausgeht, muss dies auf Schuldebene auch durchhalten. So sehr diese Forderung auf den ersten Blick einleuchtet, so sehr geht sie am hinter dem übergesetzlichen entschuldigenden Notstand stehenden Rechtsgedanken vorbei. Ein Schuldausschluss erfolgt in den diskutierten Fällen nicht infolge einer (Nützlichkeits-)Kalkulation. Maßgeblich ist vielmehr die Kumulation von Unrechts- und Schuldminderung, wobei letztere Ausfluss eines erheblichen psychischen Motivationsdruck ist, der in denkbaren Konfliktlagen tatsächlich überwiegend in Konfrontation mit einem erheblichen numerischen Ungleichgewicht entstehen dürfte. D.h. aber nicht, dass der psychische Motivationsdruck gleichzusetzen ist mit dem Vorliegen eines numerischen (oder qualitativen) Ungleichgewichts. Entscheidend auf Schuldebene ist das (vermutete) Vorhandensein einer psychischen Ausnahmesituation – gepaart mit einem Handeln zur Rechtsgutserhaltung. In diesem Zusammenhang ist das Resümee Winkelers, betreffend einen möglichen Flugzeugabschuss, von Interesse: „Zentral für die Straflosigkeit ist eben diese sich aus zahlreichen Aspekten zusammensetzende Nichtvorwerfbarkeit und nicht etwa der alleinige Umstand, wenige sicher verlorene Leben vernichtet zu haben, um eine zahlenmäßig größere Gruppe von Leben zu retten. Der positive Saldo von Menschenleben für sich genommen führt nicht zur Straflosigkeit der Tat (. . .).“ 453 Dieses Resümee ist, da es sich auf die Konstellation einer Gefahrengemeinschaft mit ungleichmäßiger Gefahrverteilung beschränkt, nach hier vertretener Auffassung zu eng gefasst. Es weist aber in die richtige Richtung, indem es die Vorwerfbarkeit als Fixpunkt benennt und so eine Abgrenzung zur Unrechtsebene schafft. Ob man mit Welzel „in der Zerlegung des Verbrechens in die drei Elemente Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, Schuld den wichtigsten dogmatischen Fortschritt der letzten zwei bis drei Menschenalter“ 454 sieht, mag dahinstehen. Entscheidend ist, dass es einer Verschmelzung der Ebenen entgegenzutreten gilt. 452 Schünemann, in: Neumann/Hassemer/Schroth (Hrsg.), Verantwortetes Recht. Die Rechtsphilosophie Arthur Kaufmanns, 2005, S. 145, 154; zustimmend Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 273. 453 Winkeler, Bedingt abwehrbereit?, 2007, S. 126. Zu beachten ist in diesem Kontext, dass das BVerfG die strafrechtliche Beurteilung eines Flugzeug-Abschusses in seiner Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz bewusst offenließ (BVerfGE 115, 118, 157). 454 Welzel, JuS 1966, 421.
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Die Argumentation, die Einbeziehung Unbeteiligter verletze das Verbot der Abwägung menschlichen Lebens455, verkennt demnach die Strukturverschiedenheit von Unrechts- und Schuldebene. Die Prüfung auf Schuldebene orientiert sich schon im Ausgangspunkt am Menschen und seinen – vermeintlichen – Schwächen, nicht aber an numerischen Verhältnismäßigkeitserwägungen. Der formulierte Vorwurf kann die Figur des übergesetzlichen Schuldausschlusses nicht treffen. Dies gilt sowohl für den pauschalen Vorwurf, wie ihn Schünemann formuliert, als auch für die Kritik, die sich auf die Erfassung eingangs Unbeteiligter beschränkt, wie etwa Neumann sie vornimmt. Somit ist – in Übereinstimmung mit etlichen Stimmen in der Literatur456 – auch die Erfassung von Konstellationen möglich, in denen eingangs Unbeteiligte zum Ziel der rettungsbedingten (Tötungs-)Handlung werden. Entscheidende Richtschnur bleibt die Kumulation von Unrechts- und Schuldminderung, die sich aus einem Handeln zur Rechtsgutserhaltung sowie einer psychischen Extremsituation ergibt. bb) Wahl des (numerisch) kleineren Übels In Auseinandersetzung mit dem übergesetzlichen entschuldigenden Notstand wird immer wieder eingeworfen, der Handelnde müsse sich selbstverständlich für das „kleinere Übel“ entscheiden. Dabei ergibt sich der Gehalt dieser Aussage keineswegs von selbst. Zum einen ist eine strikt numerische Sichtweise denkbar, nach welcher das kleinere Übel in der Aufopferung der zahlenmäßig kleineren Gruppe zu erblicken ist. Zum anderen kann die Formulierung verwendet werden, um einer vorgefassten Wertung begriffliche Gestalt zu geben: Neumann geht davon aus, dass „die Tötung Unbeteiligter (. . .) niemals das kleinere Übel sein kann, weil eine zahlenmäßige Abwägung von Menschenleben von Rechts wegen nicht in Betracht kommt“ 457. Durch diese Wertung, die auf Schuldebene, wie vorstehend gezeigt, richtigerweise nicht verfängt, erfolgt von vornherein eine Entkopplung von numerischen Verhältnismäßigkeitserwägungen. In der hiesigen Untersuchung, welche einem unmittelbaren Hineinwirken des Abwägungsverbots in die Bestimmung der Vorwerfbarkeit eine Absage erteilt, verbleibt dementsprechend ein Rückgriff auf die erstgenannte Deutungsweise: der Orientierung an den „nackten Zahlen“. Spielen also die numerischen Verhältnisse bei der Bestimmung der Vorwerfbarkeit eine Rolle? In der Literatur wird 455
NK-Neumann, § 35 Rn. 61. B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 49; Frister, AT, § 20 Rn. 28; Hörnle, FS-Herzberg, S. 555, 570 ff.; Kühl, AT, § 12 Rn. 105; LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 347; Murmann, Grundkurs, § 26 Rn. 95; NK-Paeffgen, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 295; Schönke/ Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 117a; S/S/W-Rosenau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 67. 457 NK-Neumann, § 35 Rn. 61. 456
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eine Orientierung an der größeren Anzahl an Menschenleben verbreitet verlangt.458 So heißt es bei Welzel schlicht: „Der übergesetzliche Entschuldigungsgrund setzt voraus, daß (. . .) der Täter wirklich das kleinere Übel gewählt hat.“ 459 Zimmermann betont den Zuschnitt des übergesetzlichen Schuldausschlusses auf Ausnahmefälle und sieht deren Charakteristikum darin, „dass ein deutliches zahlenmäßiges Überwiegen der Geretteten gegenüber den Getöteten besteht“ 460. Auch die übrigen Anhänger dieses Erfordernisses betreiben keinen nennenswerten argumentativen Aufwand, um ihre Sicht der Dinge darzulegen.461 Vor diesem Hintergrund erscheint die Auffassung Rudolphis, der die Notwendigkeit der Wahl des kleineren Übels mit der Erwägung bestreitet, dass die „materiellen Gründe für eine Entschuldigung des Täters (. . .) durchaus auch dann gegeben sein [können], wenn er z. B. mehr Menschen getötet hat, als er retten konnte“ 462, zunächst als die konsequentere. Eine Orientierung am zahlenmäßig „kleineren Übel“ wäre – nach hier verfolgter Konzeption – einzig dann legitimierbar, wenn das mengenmäßige Verhältnis zwischen Eingriffs- und Erhaltungsgütern das Maß an Unrechts- und/oder Schuldminderung beeinflusste. Die Schuldminderung resultiert aus einer psychischen Ausnahmesituation, sodass zu fragen ist, ob eine solche nur dann vermutet werden kann, wenn sich der Handelnde für das numerisch „kleinere Übel“ entscheidet. Dagegen streitet bei konsequenter Betrachtungsweise der Umstand, dass die konkrete Entscheidung des Agierenden erst am Ende seines inneren Konflikts steht, die Entstehung des Konflikts, der schuldmindernd zu berücksichtigen sein soll, dagegen bereits Folge der äußeren Umstände ist. Welchem Handlungsimpuls der Täter am Ende folgt, kann für die Annahme einer schuldmindernd zu berücksichtigenden Ausnahmesituation keine Rolle spielen. Insoweit ist Rudolphi und seiner Bezugnahme der „materiellen Gründe“ für eine Entschuldigung also beizupflichten. Weiterer „materieller Grund“ des übergesetzlichen Schuldausschlusses ist das Vorliegen einer (erheblichen) Unrechtsminderung. Fraglich ist, ob diese abhängig ist vom mengenmäßigen Verhältnis zwischen Eingriffs- und Erhaltungsgütern. Ein Blick auf § 35 StGB in seinem positiv-rechtlich festgelegten Anwendungsbereich scheint einem solchen Verständnis zunächst entgegenzustehen: Die An-
458 B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 49; NK-Paeffgen, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 295; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 10 Rn. 129; Welzel, S. 184 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 719; Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 293. 459 Welzel, S. 185. 460 Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 293. 461 Exemplarisch NK-Paeffgen, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 295: „Mit Welzel ist allerdings für eine solche Entschuldigungs-Wirkung zu verlangen, dass (. . .) das kleinere Übel gewählt wurde (. . .).“ 462 SK-Rudolphi, 8. Aufl., Vor § 19 Rn. 8.
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nahme einer Unrechtsminderung, resultierend aus dem Handeln zur Rechtsgutserhaltung, ist bei Bestehen einer Lebensgefahr unabhängig vom mengenmäßigen Verhältnis von Eingriffs- und Erhaltungsgütern. Der Bergsteiger, der zum Zwecke des eigenen Überlebens zehn Kameraden in den Tod schicken muss, ist ebenso entschuldigt wie der Bergsteiger, der die Verbindung zu „nur“ einem Kameraden kappt. Die in Fällen des Leibes- und Freiheitsnotstandes durchaus befürwortete Reduzierung der Unrechtsminderung bei Disproportionalität bzw. Außerverhältnismäßigkeit zwischen Erhaltungs- und Eingriffsgütern463 hat im Lebensnotstand keinen Platz. Entsprechendes gilt beim Handeln zugunsten von Sympathiepersonen. Dies mag man – konzeptionell – schon im Ausgangspunkt kritisch sehen.464 Vertritt man aber, wie hier, einen Gleichlauf der „materiellen“ Gründe des Schuldausschlusses bei gesetzlichem und übergesetzlichem entschuldigenden Notstand, bleibt es bei der Frage, unter welchem Gesichtspunkt eine abweichende Betrachtungsweise in Konstellationen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands geboten sein könnte. Im gesetzlichen Anwendungsbereich des § 35 StGB beruht die Nichtvornahme eines „Abschlags“ bei der Unrechtsminderung im Falle des Lebensnotstandes auf der Erwägung, dass „das Rechtsgut Leben sich als einer der höchsten Werte der Rechtsordnung der Relativierung entzieht und niemandem aus Proportionalitätsgesichtspunkten unter Strafandrohung letztlich zugemutet werden kann, seinen Tod hinzunehmen, ohne ihm offen stehende Abwehrmöglichkeiten zu ergreifen“ 465. Im Falle des Handelns zugunsten von Sympathiepersonen gilt Ähnliches. In Konstellationen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands gestaltet sich die Lage abweichend: Weder sieht sich der Täter selbst bedroht noch befindet er sich in Sorge um Sympathiepersonen. Die Menschen, zu deren Rettung er tätig wird, sind ihm im Zweifel so vertraut oder fremd wie diejenigen, welche er opfert. Die Position des Täters ist, wenn man so möchte, eine distanziertere. Dass dies der Möglichkeit des übergesetzlichen Schuldausschlusses nicht grundsätzlich entgegensteht, wurde bereits dargetan.466 Offen bleibt dabei, ob diese größere Distanziertheit in Ansehung der betroffenen Rechtsgüter eine das Maß der Unrechtsminderung beeinflussende numerische Betrachtungsweise ermöglicht. Wiederum drängt sich der Vorwurf des Verstoßes gegen das Abwägungsverbot auf. Doch auch an dieser Stelle ist zu attestieren, dass das – inhaltlich zu begrüßende – Verbot der Verrechnung menschlichen Lebens bei Bestimmung der Vorwerfbarkeit schon keine Andockstelle findet. 463
Dazu oben B.III.1.b)bb)(2)(b). Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 377: „(. . .) der ,gute‘ Wille dessen, der sich selbst rettet und zu diesem Zweck hundert andere Leben vernichtet, kann aus der Sicht der Rechtsordnung – und schon gar aus der seiner Opfer – so ,gut‘ nicht sein.“ 465 LK-Zieschang, § 35 Rn. 63. 466 Vgl. oben B.III.3.c). 464
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Damit bleibt es bei dem Faktum, dass sich der Täter in Fällen des übergesetzlichen entschuldigenden Lebensnotstandes jeweils Positionen gegenübersieht, denen ein Bezug zur eigenen physischen Existenz bzw. zur physischen Existenz von Sympathiepersonen fehlt. Die § 35 StGB immanente Täter-Perspektive bleibt bestehen, nur sieht der Agierende sich – bei vergleichbarem psychischem Druck – auf tatsächlicher Ebene mit Gütern konfrontiert, die für ihn einer (numerischen) Wägbarkeit zugänglich sind. Soll aber eine Vergleichbarkeit nicht nur in Ansehung der sich unmittelbar schuldmindernd niederschlagenden psychischen Ausnahmesituation gegeben sein, sondern auch in Ansehung der Unrechtsminderung, ist vom Täter – soweit möglich – eine Orientierung an numerischen Gegebenheiten zu verlangen.
IV. Schuldausschluss bei Handeln auf Weisung Im Rahmen von hierarchisch geprägten Befehls- und Organisationsstrukturen stellt sich nicht selten die Frage, wie sich die Befolgung eines rechtswidrigen Befehls (militärisch) bzw. einer rechtswidrigen Anordnung (zivil) auf die Strafbarkeit des Ausführenden auswirkt. Von Interesse sind vorliegend naturgemäß Regelungen, welche in entsprechenden Konstellationen einen Schuldausschluss ermöglichen. Die umstrittene Frage, ob bei Befolgung rechtswidriger, jedoch zugleich verbindlicher Weisungen bereits eine Rechtfertigung des Handelnden467 oder einzig ein Schuldausschluss468 in Betracht kommt, sei hier von vornherein ausgespart. In den Blick zu nehmen sind vielmehr Vorschriften wie § 5 I WStG, § 11 II SoldG, § 97 II StVollzG und § 7 II UZwG. Diese speziellen Regelungen für Soldaten und (Justiz-)Vollzugsbedienstete und -beamte normieren die generelle Unverbindlichkeit von Weisungen, welche die Begehung einer Straftat beinhalten. Zugleich wird klargestellt, dass die Ausführung der unverbindlichen rechtswidrigen Weisung nur dann als schuldhaft anzusehen ist, wenn der Ausführende positiv um die Strafbarkeit der Handlung weiß oder diese „nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich“ ist. Im Bereich der vom Gesetzgeber als unverbindlich eingeordneten Weisungen wird denn auch von niemandem ernsthaft bestritten, dass einzig ein Schuldausschluss – keine Rechtfertigung – in Betracht kommt.
467 Dafür etwa Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, 1995, S. 185 f.; Kühl, AT, § 9 Rn. 118d; Roxin, AT I, § 17 Rn. 19 f.; ders., in: Eser/Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, 1991, S. 357, 362 f.; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 89; Walter, JR 2005, 279, 280; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 709. 468 So beispielsweise Heinrich, AT, Rn. 511; B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 74; NKPaeffgen, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 192.
V. Zusammenfassung
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Die Regelungstechnik der genannten Vorschriften unterscheidet sich gegenüber den Schuldausschließungsgründen im StGB insbesondere dadurch, dass nicht die Voraussetzungen genannt sind, bei deren Vorliegen die Schuld – ausnahmsweise – entfällt, sondern dass geregelt ist, unter welchen Voraussetzungen die Schuld bei Befolgung einer auf eine Straftat gerichteten Weisung nicht entfällt.469 In Anlehnung an die Regelungstechnik des StGB lässt sich – im Wege des Umkehrschlusses – freilich auch für die in den Blick genommenen Sondervorschriften formulieren, wann die Schuld entfällt: immer dann, wenn der Untergebene nicht erkennt, dass er eine rechtswidrige Tat begeht und wenn dies nach den ihm bekannten Umständen auch nicht offensichtlich ist. Deutlich wird jedenfalls, dass der Schuldausschluss abhängig ist von einem – nicht auf Rechtsgleichgültigkeit beruhenden470 – Wissensdefizit. Dieses kann, wie auch in Auseinandersetzung mit dem strukturell verwandten § 17 StGB noch zu sehen sein wird471, nur demjenigen zugute kommen, bei dem es tatsächlich vorliegt. Damit wirft jedenfalls die (personale) Reichweite des Schuldausschlusses keine weitergehenden Probleme auf.472
V. Zusammenfassung Nachdem die vorstehenden Ausführungen in dem Bemühen erfolgten, den – schon im Ausgangspunkt umstrittenen – Begriff der Schuldausschließungsgründe mit Inhalt zu füllen, sei an dieser Stelle das Ergebnis der diesbezüglich angestellten Untersuchungen festgehalten. Zunächst ist festzustellen, dass der Begriff der Schuldausschließungsgründe im Ausgangspunkt all diejenigen Gründe umfasst, welche geeignet sind, die Vorwerfbarkeit der Tat zu negieren. Damit liegt dieser Arbeit ein weites Begriffsverständnis zugrunde. Konkretisierungen, wie die Bezeichnung der §§ 17, 19, 20 StGB als Schuldausschließungsgründe im engeren Sinne, bleiben freilich möglich. Neben den vorgenannten Schuldausschließungsgründen (§§ 17, 19, 20 StGB) gehören selbstredend auch – und insbesondere – die §§ 33, 35 StGB zum Untersuchungsgegenstand. Einige Aufmerksamkeit wurde der Verortung des Rücktritts im Deliktsaufbau zuteil. Nach hier vertretener Auffassung handelt es sich um einen Strafaufhebungsgrund, sodass eine Einbindung des Rücktritts ausscheidet. 469 Zum Grundsatz schuldlosen Handelns als Rechtsfolge im Rahmen des § 5 I WStG Lingens/Korte, WStG, 5. Aufl. 2012, § 5 Rn. 5; zum Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 11 II SoldG Poretschkin/Lucks, SoldG, 10. Aufl. 2018, § 11 Rn. 25; ferner Walz, in: Walz/Eichen/Sohm, SoldG, 2. Aufl. 2010, § 11 Rn. 39. 470 Zu den hinter der Einbeziehung der Offensichtlichkeit stehenden Erwägungen (mit Blick auf § 5 WStG) MK-Dau, § 5 WStG Rn. 10. 471 Dazu unten D.I. 472 Vgl. speziell zur Thematik Korte, Das Handeln auf Befehl als Strafausschließungsgrund, 2004; Lehleiter, Der rechtswidrige verbindliche Befehl, 1995; Rostek, Der rechtlich unverbindliche Befehl, 1971; Schwartz, Handeln aufgrund eines militärischen Befehls und einer beamtenrechtlichen Weisung, 2007.
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B. Zum Begriff der Schuldausschließungsgründe
Die Frage nach der Verortung sonstiger Strafaufhebungs- und Strafaufschließungsgründe auf Schuldebene bedurfte unter Beachtung der fehlenden Allgemeingültigkeit der in Rede stehenden Vorschriften keiner Beantwortung. In Auseinandersetzung mit möglichen ungeschriebenen Schuldausschließungsgründen ergab sich, dass ein allgemeiner Schuldausschließungsgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens nicht anzuerkennen ist. Weder aus § 35 StGB noch aus der überwiegend anerkannten Bedeutung der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens im Rahmen von Fahrlässigkeits- und (unechten) Unterlassungsdelikten ergibt sich die Notwendigkeit, eine erhebliche Erweiterung des Kreises schuldausschließender Konfliktlagen vorzunehmen. Die sog. Gewissenstat, die – unter Rückgriff auf Art. 4 GG – im Einzelfall die Berücksichtigung eines schweren inneren Konflikts ermöglichen soll, erscheint zwar dem Grunde nach geeignet, schuldausschließend zu wirken, schließt eine mögliche Drittwirkung aber schon strukturbedingt aus: Bei Anknüpfung an eine vorgefasste, individuell als zwingend empfundene Überzeugung kann nur der jeweilige Überzeugungsträger von einem Schuldausschluss profitieren. Der übergesetzliche entschuldigende Notstand ist, da eine Rückbindung an die § 35 StGB tragenden Prinzipien möglich ist, als ungeschriebener Schuldausschließungsgrund anzuerkennen und – eingedenk seiner unklaren Reichweite – in die nachfolgenden Untersuchungen miteinzubeziehen. Der in Spezialgesetzen vorgesehene Schuldausschluss bei Handeln auf (unverbindliche) Weisung knüpft an das Vorhandensein eines (nicht vorwerfbaren) Wissensdefitzs an, womit die schuldausschließende Wirkung – wiederum: schon strukturbedingt – nur demjenigen zugute kommen kann, welcher ein enstprechendes Defizit für sich in Anspruch nehmen kann.
C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten Die – konkretisierend – als Entschuldigungsgründe zu bezeichnenden Vorschriften der §§ 33, 35 StGB sowie der mit § 35 StGB strukturell verwandte übergesetzliche entschuldigende Notstand1 sind nachfolgend unter Fokussierung möglicher Teilnehmerstrafbarkeiten in den Blick zu nehmen. Auch insoweit ist mitunter eine Abgrenzung zur mittelbaren Täterschaft vorzunehmen, jedoch in einem gegenüber den Schuldausschließungsgründen im engeren Sinne deutlich begrenzten Umfang. Es geht demnach um die Frage, ob das Zurückziehen auf den Grundsatz limitierter Akzessorietät, wie es von der ganz herrschenden Meinung praktiziert wird, der Sach- und Rechtslage in Fällen der „Teilnahme an der entschuldigten Tat“ 2 stets und durchgängig gerecht wird. Dabei ist die Limitierung der Akzessorietät auch in ihrer historischen Entwicklung zu betrachten, um Brüche und Kontinuitäten nachzuzeichnen, die für das heute herrschende Akzessorietätsverständnis maßgeblich sind. Eng mit der Akzessorietätsfrage verwandt – und doch von eigener Bedeutung – ist die Reichweite der Entschuldigungsgründe selbst, die insbesondere von Rudolphi untersucht wurde. Weiter ist Maurachs Lehre von der Tatverantwortung zu beachten, die in Ansehung möglicher Teilnehmerstrafbarkeiten zu Lösungen gelangt, welche mit der ganz herrschenden Auffassung divergieren. Schließlich sind die äußerst raren Abhandlungen jüngeren Datums einzubeziehen, die auf dem Boden der gegenwärtigen Akzessorietätsregelungen zu einer von der herrschenden Auffassung abweichenden Einschätzung betreffend die (durchgängige) Teilnehmerstrafbarkeit gelangen.
I. Zu den relevanten Entschuldigungsgründen Dass § 35 StGB als gesetzlicher Ausdruck des Gedankens der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens einzuordnen ist, wurde bereits dargetan.3 Für den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand kann nichts anderes gelten.4 Offen bleibt damit der Charakter des § 33 StGB, der in der gegenständlichen Untersuchung bislang in einer Reihe mit den vorgenannten Entschuldigungsgründen genannt wurde, ohne dass dessen Geltungsgrund und – daraus resultierende – etwaige Besonderheiten beleuchtet wurden. Dies muss an dieser Stelle nachgeholt werden, 1 Zur Rückbindung des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands an die § 35 StGB tragenden Prinzipien vgl. oben B.III.3.c). 2 MK-Müssig, § 35 Rn. 86. 3 Oben B.III.1.b)aa). 4 B.III.3.c).
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
sollen doch nachfolgend Teilnahmehandlungen im Umfeld entschuldigter Taten untersucht werden, sodass feststehen muss, ob alle der üblicherweise als Entschuldigungsgründe5 bezeichneten Vorschriften Eingang in die Betrachtung finden. 1. § 33 StGB als Entschuldigungsgrund § 33 StGB wird trotz seines hinsichtlich der Rechtsfolge offen Wortlauts („so wird er nicht bestraft“) überwiegend als Entschuldigungsgrund begriffen.6 Dieser Einordnung liegt die Erwägung zugrunde, dass dem Exzesstäter eine doppelte Schuldminderung zu Gute komme: Zum einen sei, da das Täterhandeln im Ausgangspunkt der (Eigen-)Verteidigung dient, das Unrecht reduziert, was sich im Ergebnis schuldmindernd niederschlage. Zum anderen bewirke der in § 33 StGB vorausgesetzte psychische Ausnahmezustand eine unmittelbare Schuldminderung.7 Infolge der – doppelten – Schuldminderung verzichte der Gesetzgeber zur Gänze auf einen Schuldvorwurf.8 a) Abweichende Deutungen Der soeben skizzierten Auffassung wird z. T. eine strafzweckorientierte Deutung entgegengestellt. Prominentester Vertreter ist wiederum Roxin, der auch mit Blick auf § 35 StGB präventive Gesichtspunkte in den Mittelpunkt rückt.9 Hinsichtlich § 33 StGB sei zu bedenken, dass der Täter des Notwehrexzesses einzig in Konfrontation mit einem rechtswidrigen Angriff zum Gesetzesübertreter werde, sodass die Strafandrohung auf einen „sozial integrierte[n] Bürger“ ziele, welcher „spezialpräventiver Einwirkung nicht bedarf“ 10. Generalpräventive
5 Zu der im Rahmen dieser Arbeit bevorzugten Terminologie vgl. oben B.I.; zur Auseinandersetzung um die Rechtsnatur des § 33 StGB sogleich C.I.1. 6 BGHSt 39, 133; BGH NStZ 2016, 84, 85; B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 51; Diederich, Ratio und Grenzen des straflosen Notwehrexzesses, 2001, S. 68; Gropp, AT, § 6 Rn. 158; Jescheck/Weigend, AT, § 45 II 2; Krey/Esser, AT, Rn. 764; Kühl, AT, § 12 Rn. 128; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 33 Rn. 1; MK-Erb, § 33 Rn. 1; NK-Kindhäuser, § 33 Rn. 4; Rengier, AT, § 27 Rn. 1; Rogall, GS-Weßlau, S. 529, 543; Rosenau, FSBeulke, S. 225, 237; Schönke/Schröder-Perron/Eisele, § 33 Rn. 2; SK-Rogall, § 33 Rn. 2; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 98. 7 B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 51; MK-Erb, § 33 Rn. 2; Rengier, AT, § 27 Rn. 1; SKRogall, § 33 Rn. 2; Rosenau, FS-Beulke, S. 225, 237, geht gar von einer dreifachen Schuldminderung aus, da sich zusätzlich der Umstand, dass „dem Angreifer die Verantwortung für die Situation zukommt“, schuldmindernd niederschlagen müsse (vgl. dazu noch C.I.1.b)bb)(2)). 8 Krey/Esser, AT, Rn. 764; NK-Kindhäuser, § 33 Rn. 5; SK-Rogall, § 33 Rn. 2. 9 Dazu sogleich C.I.1.b)aa)(1). 10 Jeweils Roxin, AT I, § 22 Rn. 69; ähnlich ders., FS-Henkel, S. 171, 189; ders., FSYamanaka, S. 467, 473.
I. Zu den relevanten Entschuldigungsgründen
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Gründe könnten ebensowenig eine Bestrafungsnotwendigkeit tragen, da ein „Schwächedelikt“ von vornherein nicht zur Nachahmung ermuntere und der Rechtsfrieden durch die Überreaktion auf einen rechtswidrigen Angriff nicht nachhaltig erschüttert werde.11 Die von Roxin ins Zentrum gerückten Überlegungen zur Bestrafungsnotwendigkeit werden von nicht wenigen Befürwortern einer doppelten Schuldminderung jedenfalls als beachtenswerte Ergänzung der eigenen Konzeption begriffen.12 Ein Unterschied bleibt insoweit bestehen, als Roxin die – überwiegend so bezeichneten – Entschuldigungsgründe als Gründe ausgeschlossener strafrechtlicher Verantwortlichkeit begreift.13 Weiter ist eine irrtumsbezogene Deutung des § 33 StGB auszumachen. Dabei sind zwei Modell zu unterscheiden. Insbesondere nach Frister ist die Regelung des § 33 StGB als „typisierende Regelung des auf die Erforderlichkeit der Verteidigung bezogenen Erlaubnistatbestandsirrtums“ zu begreifen.14 So verstanden, geht der (speziellere) Notwehrexzess den allgemeinen Regeln zum Erlaubnistatbestandsirrtum vor, weshalb sich die Einordnung der Vorschrift im Deliktsaufbau an der Verortung des Erlaubnistatbestandsirrtums orientieren muss.15 Dann hängt aber von der Verortung des Erlaubnistatbestandsirrtums auch die Teilnahmefähigkeit der Exzesstat ab.16 Köhler meint dagegen, die Norm erfasse „eine besondere Konstellation affektbedingt schuldlos fehlender Unrechtseinsicht“, sodass sie als „Sonderregelung gegenüber § 17“ zu lesen sei.17 Die Auffassung, wonach der Notwehrexzess als Strafausschließungsgrund zu begreifen sei18, wird heute wohl nicht mehr vertreten. Zu Maurachs Lehre von der Tatverantwortung, nach der auch der Notwehrexzess zum Ausschluss der Tatverantwortung – mit weitreichenden Auswirkungen für die Teilnehmerstrafbarkeit – führt, wird gesondert Stellung zu nehmen sein.19
11 Roxin, AT I, § 22 Rn. 69; ders., FS-Henkel, S. 171, 189; vgl. ferner M/R-Engländer, § 33 Rn. 3; eingehend zu den Argumenten für einen präventionsorientierten Ansatz Roxin, FS-Yamanaka, S. 467, 473 ff. 12 Ausdrücklich MK-Erb, § 33 Rn. 3; NK-Kindhäuser, § 33 Rn. 6; Kühl, AT, § 12 Rn. 128; vorsichtig Krey/Esser, AT, Rn. 764 Fn. 41 (es sei einzuräumen, „dass auch präventive Erwägungen bei der Normierung des § 33 StGB eine Rolle gespielt haben mögen“). 13 Dazu – im Zusammenhang mit der Verortung des Rücktritts – oben B.II. 2.b)cc)(1). 14 Frister, AT, § 16 Rn. 40; ähnlich Albrecht, GA 2013, 369, 388 (§ 33 StGB als „unwiderlegliche Vermutung, dass er [der Täter] [. . .] einem Erlaubnistatbestandsirrtum bezüglich der Erforderlichkeit seiner Verteidigung unterliegt“). 15 Treffend Albrecht, GA 2013, 369, 388. 16 Albrecht, GA 2013, 369, 388. 17 Jeweils Köhler, AT, S. 424. 18 Vgl. die Nachweise zum älteren Schrifttum bei Diederich, Ratio und Grenzen des straflosen Notwehrexzesses, 2001, S. 16 ff. 19 Dazu unten C.V.3.a).
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
b) Stellungnahme Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, ist die Teilnahmefähigkeit der Exzesstat nicht nach allen Ansichten vorgezeichnet. Jedenfalls bei Charakterisierung des § 33 StGB als besondere Form des Erlaubnistatbestandsirrtums ist die Frage der Teilnahmefähigkeit untrennbar mit der rechtlichen Behandlung des Irrtums verbunden. Darüber hinaus ist auch zu den anderen Erklärungsansätzen Stellung zu beziehen, könnte doch an der – inhaltlich wie terminologisch bedeutsamen – Charakterisierung des § 33 StGB als Entschuldigungsgrund, wie sie im Rahmen dieser Untersuchung bisher erfolgte, nicht festgehalten werden, erwiese sich die strafzweckorientierte oder die (verbots-)irrtumsbezogene Deutung als vorzugswürdig. Eine irrtumsbezogene Deutung des § 33 StGB erscheint schon unter Beachtung des Normtextes nicht sonderlich naheliegend. Insbesondere ein Vergleich mit der Vorschrift des § 17 StGB, die, soweit man Köhler folgt, nichts anderes als eine Blaupause für die (Sonder-)Regelung des Notwehrexzesses darstellt, lässt den Irrtumscharakter in einige Ferne rücken. Während § 17 StGB expressis verbis von fehlender Unrechtseinsicht spricht, rückt § 33 StGB mit seiner Wortwahl (Überschreitung aus Verwirrung, Furcht, Schrecken) die Affektbezogenheit der Handlung in den Vordergrund. Damit ist eine Nähe zu den §§ 20, 21 StGB insoweit hergestellt, als hier wie dort eine biologisch-psychologische Fundierung erfolgt.20 Es verwundert vor diesem Hintergrund kaum, wenn Rogall festhält, § 33 StGB gehöre „systematisch zu den §§ 20, 21, 32, nicht jedoch zu den Irrtumsvorschriften der §§ 16, 17“ 21. Ein Gesichtspunkt, der gegen eine irrtumsbezogene Deutung im Sinne einer „typisierende[n] Regelung des auf die Erforderlichkeit der Verteidigung bezogenen Erlaubnistatbestandsirrtums“ 22 immer wieder in Ansatz gebracht wird, ist, dass § 33 StGB auch den Fall der bewussten Notwehrüberschreitung erfasse, was mit der Irrtums-These nicht in Einklang zu bringen sei.23 Damit wird die Diskussion um die Streitfrage betreffend die Erfassung der affektbedingten, zugleich jedoch bewussten Notwehrüberschreitung erweitert. Ungeachtet dessen, dass vieles für eine Anwendbarkeit der Vorschrift auf den Fall der bewussten Über-
20 Dass die fehlende Einsichtsfähigkeit im Rahmen des § 20 StGB strukturell wiederum einen besonderen Fall des Verbotsirrtums darstellt (vgl. dazu noch D.II.1. mit den Ausführungen und Nachweisen in Fn. 72), ändert an der fehlenden Nähe des § 33 StGB zur Vorschrift des § 17 StGB nichts: Das Fehlen bereits der Einsichtsfähigkeit beschreibt letztlich nur das Maß der Beeinträchtigung des Willensbildungsprozesses, ohne dass damit etwas über die Gründe für die Beeinträchtigung gesagt ist. 21 SK-Rogall, § 33 Rn. 9. 22 Frister, AT, § 16 Rn. 40. 23 Diederich, Ratio und Grenzen des straflosen Notwehrexzesses, 2001, S. 52; LKRönnau, Vorbem. § 32 ff. Rn. 332; Rogall, GS-Weßlau, S. 529, 542 f.
I. Zu den relevanten Entschuldigungsgründen
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schreitung spricht, womit der Irrtums-These schon insoweit der Boden entzogen wäre24, ist wiederum festzustellen, dass § 33 StGB ersichtlich keine Irrtumsregelung darstellt. Die bekannten Irrtumsregelungen (§§ 16, 17, 35 II StGB)25 operieren mit dem Nicht-Kennen bzw. der irrigen Annahme von Umständen respektive dem Fehlen der Unrechtseinsicht. § 33 StGB zielt dagegen, wie dargelegt, auf die Affektbezogenheit der Handlung, sodass eine nahe Verwandtschaft zu den Irrtumsvorschriften nicht ausgemacht werden kann. Es verbleibt der strafzweckorientierte Erklärungsansatz, der die gesetzlich angeordnete Straffreiheit auch und insbesondere auf die fehlende Notwendigkeit spezial- sowie generalpräventiver Einwirkung zurückführt. Roxin darf als wohl bekanntester Verfechter dieses Erklärungsansatzes benannt werden, ohne dass er damit alleine stünde.26 Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Roxin seine Sichtweise auch der Betrachtung des § 35 StGB zugrunde legt.27 Dabei ist es nur konsequent, wenn Roxin die §§ 33, 35 StGB als Gründe ausgeschlossener Verantwortlichkeit bezeichnet: Wenn die Schuld („notwendige, nicht hinreichende Bedingung der Strafe“ 28) nur im Zusammenspiel mit Präventionsgesichtspunkten hinreichende Voraussetzung staatlichen Strafens ist, käme es einer Verkürzung gleich, weiterhin (nur) von Entschuldigungsgründen zu sprechen. Ohne den Ansatz Roxins, der allgemein als Ausprägung eines funktionalen Schuldverständnisses aufgefasst wird29, im Rahmen dieser Untersuchung in allen Einzelheiten würdigen zu können, ist doch Stellung zu nehmen zur Bedeutung von Präventionsgesichtspunkten für die Begründung der Strafbarkeit. Obwohl Roxin mit Blick auf Teilnahme-Konstellationen ganz auf der Linie der weit überwiegenden Auf24 Weder lässt der Wortlaut eine Beschränkung auf den unbewussten Exzess erkennen noch erscheint eine Differenzierung zwischen unbewusster und bewusster Überschreitung in der Rechtspraxis durchführbar (für eine Erfassung des bewussten Exzesses etwa auch BGH NStZ 1987, 20; 1989, 474, 475; B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 64; Heinrich, AT, Rn. 590; Kühl, AT, § 12 Rn. 148; MK-Erb, § 33 Rn. 15; Murmann, Grundkurs, § 26 Rn. 83; NK-Kindhäuser, § 33 Rn. 26 f.; Rosenau, FS-Beulke, S. 225, 234 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 703). Unter dem Gesichtspunkt historischer Auslegung ist zudem zu beachten, dass eine die Unkenntnis der Überschreitung beinhaltende Fassung der Vorschrift in den Gesetzesberatungen verworfen wurde (dazu prägnant Rosenau, FSBeulke, S. 225, 234). 25 Mit Blick auf den Erlaubnistatbestandsirrtum, der bei irrtumsbezogener Deutung des § 33 StGB fruchtbar gemacht werden soll, ist insbesondere § 16 I 1 StGB von Interesse: § 16 I 1 StGB führt, soweit man den Irrtum über das Vorliegen rechtfertigender Umstände zutreffend in die Nähe des Tatsachenirrtums rückt, jedenfalls in entsprechender Anwendung zum Entfall der (Vorsatz-)Strafbarkeit des Handelnden. 26 Jäger, ZStW 115 (2003), S. 765, 786 (mit Blick auf § 35 StGB); M/R-Engländer, § 33 Rn. 3; ähnl. Motsch, Der straflose Notwehrexzess, 2003, S. 77. 27 Zudem ist der Rücktritt nach Roxin als Grund ausgeschlossener Verantwortlichkeit einzuordnen, dazu B.II.2.b)cc)(1). 28 Roxin, AT I, § 19 Rn. 9. 29 Dazu, dass Roxins Lehre als „Anwendungsfall des Funktionalismus“ zu begreifen sei, Walter, FS-Roxin II, S. 763, 766 f.
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fassung im Schrifttum liegt30, ist eine Würdigung mindestens zur Herstellung terminologischer Klarheit angezeigt. Im Übrigen könnte eine strafzweckorientierte Deutung auch Ausgangspunkt einer differenzierten Bewertung der Strafbarkeit des Teilnehmers einer entschuldigten (Haupt-)Tat sein. aa) Zur Bedeutung präventiver Gesichtspunkte Die Frage, inwieweit das Fehlen präventiver Einwirkungserfordernisse den Wegfall der Strafbarkeit (mit-)trägt, wurde soeben anhand der Vorschrift des § 33 StGB aufgeworfen. Die gleiche Frage stellt sich, wie dargelegt, auch hinsichtlich § 35 StGB, sodass auch dieser in den nachfolgenden Erwägungen Berücksichtigung finden soll. Unter Beachtung dessen, dass sich die von § 35 StGB einerseits und § 33 StGB andererseits gestellten Anforderungen an die Straffreiheit nicht unwesentlich unterscheiden, soll das behauptete Hineinwirken von Präventionsgesichtspunkten zunächst für beide Vorschriften getrennt bewertet werden. (1) Präventionsgesichtspunkte als Säule des § 35 StGB? Nach Roxin übt die Vorschrift des § 35 StGB Nachsicht mit dem jedenfalls noch mit verminderter Schuld handelnden Täter, weil „ein generalpräventives Bedürfnis zur Abschreckung anderer wegen der Seltenheit dieser Situation kaum besteht“ und weil „die Täter solcher Taten auch spezialpräventiver Einwirkung nicht bedürfen“ 31. Dieser Behauptung kann man freilich von vornherein entgegenhalten, dass sich ein fehlendes Präventionsbedürfnis erst aus dem Fehlen hinreichender Schuld ergibt, womit sich das Verantwortlichkeitsmodell als Verwechslung von Ursache und Wirkung erweist.32 So einleuchtend der Vorwurf der Verwechslung auf den ersten Blick erscheint, kommt man doch nicht umhin, zu attestieren, dass Roxin in seinem Verantwortlichkeitsmodell Schuld und Prävention vereint, sodass die Schuld – jedenfalls der Konzeption nach – nicht zur vernachlässigbaren Größe degradiert wird.33 Ein Einwand, an dem der funktionale Ansatz nicht vorbeikommt, ist dagegen der, dass sich das – behauptete – fehlen30 Zur Mehrheitsauffassung im Schrifttum (m. N. zu Roxin) s. u. C.IV. (zusammenfassend gleich zu Beginn). 31 Jeweils Roxin, AT I, § 22 Rn. 6. 32 Deutlich SK-Rogall, Vorbem. §§ 19 ff. Rn. 21 u. § 35 Rn. 8; ähnl. Hirsch, ZStW 106 (1994), S. 746, 758; Schönke/Schröder-Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 117; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 10 Rn. 103. 33 In diesem Sinne auch LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 311; dagegen wendet wiederum Hirsch, ZStW 106 (1994), S. 746, 756, ein, das von Roxin postulierte Nebeneinander von Schuld und Prävention entspreche „nicht der eigentlichen Aussage seiner Lehre, die allein der Prävention strafbegründende und zugleich auch strafbegrenzende Funktion zukommen läßt“; letztlich würde „verdeckt ein Vorrang der Prävention konzipiert“.
I. Zu den relevanten Entschuldigungsgründen
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de Präventionsbedürfnis keinesfalls durchgängig plausibel machen lässt: Der in eine Notstandssituation Geratene kann, solange (auch) eine Rettungsabsicht vorhanden ist, völlig kaltblütig und berechnend töten, was sich mit der These, dass der Notstandstäter generell keiner spezialpräventiven Einwirkung bedürfe, nur schwerlich in Einklang bringen lässt.34 Auch bleibt offen, ob ein solcher Täter tatsächlich mit dem Verständnis der Öffentlichkeit rechnen darf, womit generalpräventive Gesichtspunkte berührt sind.35 Schon daraus lässt sich ersehen, dass der präventive Ansatz mit durchaus angreifbaren Behauptungen arbeitet.36 Dazu besteht indes, wie sogleich zu zeigen sein wird, gar keine Notwendigkeit. (2) Präventionsgesichtspunkte als Säule des § 33 StGB? Ggf. überzeugt der präventionsorientierte Ansatz ja hinsichtlich § 33 StGB, wird doch hier nur der aus „Schwäche“ Überreagierende erfasst, sodass sich eine Rückbindung an die Strafzwecke u. U. als tragfähiger erweist. Wie dargelegt, argumentiert Roxin bezüglich der Straffreistellung in § 33 StGB insoweit strafzweckorientiert, als er den Exzedenten als „sozial integriert“ 37 begreift und mit Blick auf die privilegierten Affekte auch keinen Nachahmungsanreiz auszumachen vermag.38 Die Verengung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf die sog. asthenischen, mithin „aus Schwäche herrührenden“ 39 Affekte sei überdies nur bei einem präventionsorientieren Verständnis widerspruchsfrei erklärbar.40 Auch die Tatsache, dass die Grenzüberschreitung nur bezüglich der Notwehr, nicht aber bezüglich anderer Rechtfertigungsgründe, wie etwa § 34 StGB, straffrei gestellt wird, werde nur bei Einbeziehung des Präven34
Treffend Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 378. T. Walter, FS-Roxin II, S. 763, 770, fragt: „Findet in der Öffentlichkeit Verständnis, wer zugunsten eines verhassten Angehörigen einen Unschuldigen tötet, weil er sich eine Erbeinsetzung erhofft?“ 36 Kritisch daher auch Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 377 („kaum beweisbare empirische Annahmen“); Hirsch, ZStW 106 (1994), S. 746, 758 („durch Strafe tatsächlich erreichbare Präventionswirkung ist schwer vorhersehbar und meßbar“); Schönke/Schröder-Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 117 („Unschärfe präventiver Gesichtspunkte“); Hörnle, JuS 2009, 873, 876, weist darauf hin, dass jedenfalls das – behauptete – Fehlen generalpräventiver Eiwirkungserfordernisse für sich genommen kein eigenständiges Argument darstelle, sondern „auf vorgelagerte Bewertungen angewiesen“ sei. 37 Roxin, AT I, § 22 Rn. 69; ders., FS-Henkel, S. 171, 189; ders., FS-Yamanaka, S. 467, 473. 38 Roxin, AT I, § 22 Rn. 69; ders., FS-Henkel, S. 171, 189; ders., FS-Yamanaka, S. 467, 477 f. 39 Roxin, AT I, § 22 Rn. 69. 40 Roxin, AT I, § 22 Rn. 72, führt an, dass auch sthenische (aus Kraft herrührende) Affekte, wie Zorn, Empörung oder Kampfeseifer, bei konsequenter Betrachtung zu einer doppelten Schuldminderung – und damit zu Straffreiheit – führen müssten; dazu unten C.I.1.b)bb)(2). 35
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
tionsbedürfnisses verständlich: Die – im Rahmen des § 34 StGB mögliche – Verletzung Unbeteiligter beeinträchtige, anders als bei der Verletzung des rechtswidrigen Angreifers, sehr wohl den Rechtsfrieden, sodass ein Sanktionierung aus Gründen der Generalprävention geboten sei.41 All das erscheint – für sich betrachtet – nicht unplausibel. Insbesondere mit Blick auf den Exzedenten, bei dem einer der Schwäche-Affekte des § 33 StGB vorliegen muss, um in den Genuss der Straffreiheit zu kommen, sind spezialpräventive Einwirkungserfordernisse kaum ersichtlich. Indes wird man auch hier differenzieren müssen. So ist sehr wohl auch der Überängstliche oder besonders Schreckhafte in der Lage, nicht unerhebliche Schäden herbeizuführen.42 Bei diesen Personen generell einen Verzicht auf die Notwendigkeit spezialpräventiver Einwirkung, etwa in Form der Einübung von Bewältigungsstrategien im Umgang mit als bedrohlich empfundenen Situationen, zu postulieren, überzeugt nicht. Bezüglich der Abschreckungswirkung ist Roxin zunächst zuzustimmen, wenn er davon ausgeht, dass ein besonders ängstliches Handeln kaum je zur Nachahmung animieren wird. Richtigerweise ist aber noch einen Schritt weiter zu gehen und zu fragen, ob die Exzesssituation als solche tauglicher Anknüpfungspunkt generalpräventiver Erwägungen (negativer Art) ist. In der Situation akuter Bedrohung wird ein „Sortieren der Motivlage“ regelmäßig schwer fallen. Der Nicht-Privilegierung sthenischer Affekte negativ-generalpräventive Wirkung zuzuschreiben, muss daher als Ansatz „rein theoretischer Natur“ 43 charakterisiert werden. Selbst wenn man den Annahmen über die präventiven Einwirkungserfordernisses bzw. deren Fehlen weniger skeptisch gegenüber steht, verbleiben zwei ganz grundlegende Einwände: Erstens werden bei der Zusammenführung von Schuld und Prävention – unter dem Dach der „Verantwortlichkeit“ – Perspektiven vermengt, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Während Bezugspunkt der Schuld das in der Vergangenheit liegende Täterverhalten ist, ist die Prävention, deren Augenmerk auf den mit der Verhängung der Strafe zu erzielenden Wirkungen liegt, zukunftsorientiert.44 Schon die Unterschiedlichkeit der Blickwinkel lässt nicht nur an der Notwendigkeit, sondern auch und insbesondere an der Möglichkeit der Zusammenführung zweifeln. Zweitens droht bei einer durchgängigen Orientierung an Präventionserfordernissen die Gefahr des Dominierens kriminalpolitischer Interessen, der es – schon von Verfassungs wegen – vorzubeugen 41 Roxin, AT I, § 22 Rn. 72; ders., FS-Schaffstein, S. 105, 117, mahnt an, „schadenstiftender Einmischung“ müsse „durch eine Strafdrohung vorgebeugt werden, damit der Bürger sicher sei, nicht zum Opfer chaotischer Betriebsamkeit zu werden“; dazu unten C.I.1.b)bb)(2). 42 Zutreffend Diederich, Ratio und Grenzen des straflosen Notwehrexzesses, 2001, S. 29; SK-Rogall, § 33 Rn. 6, weist zuspitzend darauf hin, dass „nicht nur ,Wutbürger‘, sondern auch ,Angsthasen‘ (. . .) für die Rechtsordnung gefährlich sein“ könnten. 43 Diederich, Ratio und Grenzen des straflosen Notwehrexzesses, 2001, S. 28. 44 Treffend Hirsch, ZStW 106 (1994), S. 746, 758; ders., FS-Otto, S. 307, 325.
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gilt. Das Schuldprinzip ist ernst zu nehmen, soll es nicht zur leeren Hülle verkommen.45 Die beiden letztgenannten Erwägungen sind selbstredend auch mit Blick auf § 35 StGB (sowie den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand) fruchtbar zu machen. bb) Einwände gegen das Modell der doppelten Schuldminderung Nachdem die – nach hier vertretener Auffassung auszumachenden – Unstimmigkeiten innerhalb der strafzweckorientierten Deutung dargelegt wurden, sind die gegen die Theorie von der doppelten Schuldminderung vorgetragenen Bedenken zu berücksichtigen. Dabei muss es im Rahmen dieser Untersuchung bei einer Beschränkung auf die wichtigsten Bedenken bleiben. (1) Einwände mit Blick auf § 35 StGB Hinsichtlich § 35 StGB weist Roxin darauf hin, dass die Ausnahmetatbestände des § 35 I 2 StGB (Versagung der Entschuldigung bei Gefahrverursachung oder Vorliegen eines besonderen Rechtsverhältnisses) widerspruchsfrei nur strafzweckorientiert erklärbar seien.46 Der nach überwiegender Auffassung eine Schuldminderung bewirkende seelische Druck müsse konsequenterweise auch beim Täterkreis des § 35 I 2 StGB vermutet werden.47 Die nichtstdestotrotz auszumachende Sonderbehandlung eines bestimmten Täterkreises erfolge daher im Interesse des „Funktionieren[s] des sozialen Systems“ 48 bzw. zur Vermeidung der Entstehung extrem gefahrbehafteter Situationen49, letztlich also aus generalpräventiven Erwägungen. Zu den Fallgruppen des § 35 I 2 StGB wurde bislang im Rahmen dieser Arbeit nur insofern Stellung genommen, als die Bedeutung der Unzumutbarkeit bei Widerlegung der Fallgruppen herausgearbeitet wurde.50 Hinsichtlich der Aufnahme der Fallgruppen in die Vorschrift ist wiederum zwischen dem Bestehen eines besonderen Rechtsverhältnisses sowie der Selbstverursachung zu differenzieren. Bei Bestehen eines besonderen Rechtsverhältnisses ist zu beachten, dass in der Verletzung einer Gefahrtragungspflicht eigenes Unrecht liegt, 45 Hirsch, ZStW 106 (1994), S. 746, 757; Jescheck, ZStW 93 (1981), S. 3, 25; Kühl, in: Lackner/Kühl, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 25. 46 Roxin, AT I, § 22 Rn. 8; vgl. ferner ders., FS-Henkel, S. 171, 183 ff. 47 Roxin, AT I, § 22 Rn. 8. 48 Roxin, FS-Henkel, S. 171, 183, mit Blick auf erhöhte Gefahrtragungspflichten bestimmter Berufsträger (Soldaten, Polizisten, Feuerwehrleute etc.); zustimmend Motsch, Der straflose Notwehrexzess, 2003, S. 72 f. 49 Roxin, FS-Henkel, S. 171, 185, mit Blick auf die Sonderbehandlung der Selbstverursachung (der Gesetzgeber müsse „alles daransetzen, schon die Entstehung solcher Situationen zu verhindern“); ähnl. Motsch, Der straflose Notwehrexzess, 2003, S. 73 f. 50 Vgl. B.III.1.b)bb)(1).
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
welches das durch die Rettungshandlung geminderte Unrecht aufzuwiegen vermag.51 Infolgedessen fehlt es schon an der aus der Unrechtsminderung erwachsenden – „ersten“ – Schuldminderung. In Ansehung der aus der seelischen Zwangslage resultierenden – „zweiten“ – Schuldminderung ist bei berufsbedingt erhöht Gefahrtragungspflichtigen richtigerweise davon auszugehen, dass der Grad der psychischen Belastbarkeit höher anzusetzen ist als beim „Durchschnittsmenschen“, sodass bei der Schuldminderung jedenfalls ein „Abschlag“ vorzunehmen ist.52 Insgesamt ist die Sonderregelung betreffend das Bestehen eines besonderen Rechtsverhältnisses also durchaus auf die den Schuldausschluss nach § 35 I 1 StGB tragenden Prinzipien zurückzuführen. Bei der Fallgruppe der Gefahrverursachung besteht keine rechte Einigkeit über deren Rückbindung an den Gesichtspunkt der Unrechtsminderung oder an den Gesichtspunkt der (unmittelbaren) Schuldminderung. Z. T. wird dem Täter infolge seines Vorverhaltens eine Gefahrtragungspflicht auferlegt, deren Verletzung – parallel zu Fällen des Bestehens eines besonderen Rechtsverhältnisses – einer möglichen Unrechtsminderung den Boden entziehe.53 Vereinzelt wird dagegen vorgetragen, in der Fallgruppe der Gefahrverursachung sei mit Blick auf die psychische Ausnahmesituation festzustellen, dass der sich (bewusst) in eine Gefahrensituation begebende Täter nicht mehr mit der vollen Nachsicht des Rechts rechnen dürfe.54 Dabei wird explizit eine Verbindung zur actio libera in causa hergestellt, bei der die Versagung des Schuldausschlusses gleichfalls auf eine der Tat vorgelagerte Verhaltensweise gestützt werde.55 Nicht nur erscheint die Annahme des Fehlens einer seelischen Zwangslage beim nicht gefahrerprobten Normalbürger wenig plausibel56, auch trägt die Parallele zur a.l.i.c., da die Fähigkeit, sich normgemäß zu motivieren, in der Notstandssituation nur herabgesetzt, nicht aber zu verneinen ist, nicht.57 Die Bejahung einer Gefahrtragungspflicht infolge des Vorverhaltens erweist sich dagegen als stimmig: Auf Unrechtsebene ist die Einbeziehung eines besonders sorgfaltswidrigen bzw. leichtfertigen Vorverhaltens ohne weite51 LK-Zieschang, § 35 Rn. 47; SK-Rogall, § 35 Rn. 26; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 19. 52 In diese Richtung auch Hirsch, ZStW 106 (1994), S. 754, 756 f.; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 19; interessanterweise hebt auch Roxin, FS-Henkel, S. 171, 183, den Unterschied zwischen dem „für das ,Handeln in Gefahr‘ nicht ausgebildeten Durchschnittsmensch“ und den besonders Gefahrtragungspflichtigen hervor, ohne indes daraus zu folgern, dass auch an die psychische Belastbarkeit abweichende Anforderungen zu stellen sein könnten. 53 LK-Zieschang, § 35 Rn. 47; SK-Rogall, § 35 Rn. 26. 54 Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 19. 55 Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 19. 56 So auch SK-Rogall, § 35 Rn. 26; LK-Zieschang, § 35 Rn. 47. 57 LK-Zieschang, § 35 Rn. 47; Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 184, weist zudem zutreffend darauf hin, dass nach den Prinzipien der a.l.i.c. bei fahrlässiger Gefahrverursachung nur eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit des Notstandstäters in Betracht käme, was der Intention des § 35 I 2 StGB kaum entsprechen dürfte.
I. Zu den relevanten Entschuldigungsgründen
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res möglich, sodass die Annahme einer Gefahrtragungspflicht und die daran anknüpfende Versagung der Unrechtsminderung (im Falle der Pflichtverletzung) ein konsistentes Begründungsmuster darstellt. Auch insoweit lässt sich das Ausnahmemodell des § 35 I 2 StGB also auf die Grundprinzipien des Schuldausschlusses nach § 35 I 1 StGB zurückführen. Mit Blick auf § 35 StGB ist daher bereits an dieser Stelle hervorzuheben, dass am – hier favorisierten58 – Modell der doppelten Schuldminderung festzuhalten ist. (2) Einwände mit Blick auf § 33 StGB Bezogen auf § 33 StGB sind zwei Haupteinwände gegen das Modell der doppelten Schuldminderung auszumachen: Zunächst vermöge die Rückführung der in § 33 StGB angeordneten Straffreiheit auf das infolge des Verteidigungszwecks herabgesetzte Unrecht sowie die infolge des psychischen Ausnahmezustands verminderte Schuld nicht zu erklären, weshalb die Vorschrift auf asthenische Affekte verengt sei.59 Auch sthenische Affekte führten in Wahrheit zu einer doppelten Schuldminderung.60 Folglich sei die Ausklammerung sthenischer Affekte nicht schuld-, sondern strafzweckorientiert zu verstehen: Aggressive Affekte seien „generell weit gefährlicher“, weshalb sie – im Interesse der Rechtsgutserhaltung – „mit allen Mitteln (. . .) eingedämmt“ 61 werden müssten.62 Die Verengung kann indes dadurch erklärt werden, dass in einer Notwehrlage regelmäßig Zustände wie Verwirrung, Furcht oder Schrecken auftreten werden, während zum sofortigen Gegenschlag ermunternde Emotionen wie Zorn oder Wut eher die Ausnahme bilden dürften. Dass Schwäche-Affekte daher schuldmindernd zu berücksichtigen sind, während den sthenischen Affekten dies versagt bleibt, hängt daher mit bestimmten Vorstellungen über das Wesen des Menschen in akuten Bedrohungssituationen zusammen.63 Einzuräumen ist, dass es 58
Zur Herleitung der eigenen Haltung vgl. oben B.III.1.b)aa). Roxin, AT I, § 22 Rn. 72; ders., FS-Henkel, S. 171, 189; ähnl. Timpe, JuS 1985, 117, 118 f. 60 Roxin, AT I, § 22 Rn. 72; zustimmend Motsch, Der straflose Notwehrexzess, 2003, S. 59 f. 61 Jeweils Roxin, FS-Henkel, S. 171, 189; vgl. auch ders., FS-Yamanaka, S. 467, 478, wo die Nichteinbeziehung sthenischer Affekte auch auf eine andernfalls drohende „Verrohung des Notwehrrechts“ zurückgeführt wird. 62 Zur Kritik bezüglich der strafzweckorientierten Deutung vgl. bereits oben C.I. 1.b)aa)(2). 63 SK-Rogall, § 33 Rn. 6, mutmaßt, es handle sich insoweit um eine „alltagstheoretische Überlegung“; ähnl. ders., GS-Weßlau, S. 529, 536, wonach es naheliegend sei, 59
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
sich nur um eine Vorstellung, eine Zuschreibung, eine basale Annahme handelt. Folglich könnte man den Vorwurf erheben, dass die Erkenntnisgrundlage nicht deutlich gesicherter ist als dies beim strafzweckorientierten Ansatz der Fall ist. Dies ist wiederum solange unproblematisch, wie durch den Gesetzgeber keine gänzlich willkürlichen Festlegungen getroffen werden.64 Dass die Beschränkung auf asthenische Affekte nicht willkürlich erfolgte, lässt sich bereits aus den Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform ersehen. Dort wurde dem Vorschlag, eine pauschale Milderungsmöglichkeit bei Überschreiten der Grenzen der Notwehr vorzusehen, entgegengehalten, dass die Möglichkeit milderer Beurteilung „nicht für alle Fälle passt“ 65. Namentlich wird auf „Fälle der kaltblütigen Überschreitung der Notwehrgrenzen“ 66 verwiesen. Zuvor wurde zudem darauf hingewiesen, dass eine pauschale Milderungsmöglichkeit ebenso den „durch Zorn oder Kampfeseifer“ 67 verursachten Exzess erfassen würde, sodass offensichtlich auch diese Fälle bewusst ausgeklammert werden sollten.68 Ob man diese gesetzgeberische Einschätzung teilt, ist nicht so sehr von Belang. Hinzunehmen ist die „normative Setzung“ 69 in jedem Falle. Ist dies aber festgestellt, fügt sich die Beschränkung auf asthenische Affekte auch widerspruchslos in das Modell der doppelten Schuldminderung, da die Beschränkung einer strafrechtlich relevanten Schuldminderung auf den Bereich der Schwäche-Affekte nachvollziehbarer (gesetzgeberischer) Wertung entspricht. Ein weiterer Einwand gegen die Zugrundelegung einer doppelten Schuldminderung liegt, wie oben bereits angedeutet, in dem Hinweis, dass hinsichtlich anderer Rechtfertigungsgründe, insbesondere hinsichtlich § 34 StGB, keine Regelungen für den Fall der Überschreitung existieren. Auch demjenigen, der zur Abwehr einer Gefahr i. S. d. § 34 StGB handelt, sei eine Unrechtsminderung zu„dass der Gesetzgeber die Generierung von Angstaffekten als Regelfall einer Konfrontation mit einem Angriffssachverhalt angesehen hat“. 64 Treffend Diederich, Ratio und Grenzen des straflosen Notwehrexzesses, 2001, S. 60, die zusätzlich präventive Gesichtspunkte anführt. 65 Horstkotte, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1816. 66 Horstkotte, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1816. 67 Horstkotte, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1816. 68 Vgl. auch Horstkotte, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1818, der eine Beschränkung auf asthenische Affekte auch mit Blick darauf für geboten hält, dass so eine gesetzliche Differenzierung nach dem Grad der Notwehrüberschreitung obsolet würde, da eine extreme Überschreitung infolge Verwirrung, Furcht oder Schreckens wenig wahrscheinlich sei. 69 SK-Rogall, § 33 Rn. 6; Diederich, Ratio und Grenzen des straflosen Notwehrexzesses, 2001, hält fest, dass „sich die gesetzgeberische Wertung de lege lata nicht beseitigen“ lasse.
I. Zu den relevanten Entschuldigungsgründen
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zugestehen. Zudem könne eine Schuldminderung nicht verwehrt werden, wenn die Grenzen des Notstands aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten werden. Im Ergebnis lägen daher alle Faktoren vor, welche die Vorschrift des § 33 StGB nach überwiegender Auffassung tragen, sodass das Fehlen einer entsprechenden Regelung beim Notstand nur auf einer abweichenden Beurteilung der Bestrafungsnotwendigkeit beruhen könne.70 Hinsichtlich § 34 StGB ergebe sich die Notwendigkeit daraus, „dass eine vermeidbare Verletzung Unbeteiligter (anstatt eines rechtswidrigen Angreifers) den Rechtsfrieden beeinträchtigt“ 71. Konfrontiert mit diesem Einwand ist zunächst festzustellen, dass die Gründe für das Fehlen entsprechender Regelungen für andere Rechtfertigungsgründe jedenfalls nicht offenkundig sind.72 In der Folge ist eine gewisse Plausibilität des präventionsorientierten Ansatzes nicht zu leugnen. Die Differenzierung zwischen der möglichen Verletzung Unbeteiligter und dem Vorgehen gegen einen rechtswidrigen Angreifer leuchtet ein, sodass Roxin beizupflichten ist, wenn er ein Spezifikum der Notwehrüberschreitung darin sieht, dass „der Angreifer an der Grenzüberschreitung zum überwiegenden Teile selbst schuld ist“ 73. Die Frage bleibt, welche Folgerungen aus dieser Erkenntnis zu ziehen sind. Roxin kommt, wie dargelegt, zu dem Schluss, dass der in der Angriffssituation Überreagierende den Rechtsfrieden nicht nachhaltig erschüttere, sodass die Straffreistellung unter Präventionsgesichtspunkten zu sehen sei.74 Genauso könnte sich die Herbeiführung der Notwehrsituation durch den Angreifer aber als zusätzlicher unrechtsmindernder Faktor aufseiten des Exzedenten erweisen. Erst das vom Angreifer an den Tag gelegte rechtswidrige Verhalten schafft die akute Bedrohungssituationen, im Rahmen derer der Bedrohte überreagiert. Dies mit Blick auf den Unrechtsgehalt der Verteidigungshandlung in Ansatz zu bringen, drängt sich geradezu auf.75 Zwar können auch Gefahren i. S. d. § 34 StGB „menschengemacht“ sein, doch erfordert die Bedrohungssituation des § 32 StGB ein sofortiges Tätigwerden zur Rechtsgutserhaltung. Mit anderen Worten: Der Angreifer wirft den – späteren – Exzedenten in eine Situation akuten Handlungs- und Entscheidungsdrucks, was sich zusätzlich auf den Unrechtsgehalt der Verteidigungshandlung 70 Roxin, AT I, § 22 Rn. 72; ders., FS-Schaffstein, S. 105, 115 ff.; wiederum ähnlich Motsch, Der straflose Notwehrexzess, 2003, S. 59 f., 77; Timpe, JuS 1985, 117, 119; zur Kritik bezüglich der strafzweckorientierten Deutung vgl. bereits oben C.I.1.b)aa)(2). 71 Roxin, AT I, § 22 Rn. 72. 72 Vgl. auch Rogall, GS-Weßlau, S. 529, 531, nach dem „die dafür maßgeblichen Gründe (. . .) nicht offen zu Tage [liegen]“. 73 Roxin, FS-Schaffstein, S. 105, 117. 74 Deutlich Roxin, FS-Schaffstein, S. 105, 117: „(. . .) es braucht nicht in aller Öffentlichkeit ein Exempel gegen den Exzedenten statuiert zu werden.“ 75 So auch SK-Rogall, § 33 Rn. 7; ders., GS-Weßlau, S. 529, 536 f. u. 545 f.; ähnlich Diederich, Ratio und Grenzen des straflosen Notwehrexzesses, 2001, S. 61. Vgl. auch Schönke/Schröder-Perron/Eisele, § 33 Rn. 2, wonach der Schwäche-Aspekt eine Steigerung erfährt.
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
auswirken muss. Darin liegt das Spezifikum der Notwehr, auch und insbesondere gegenüber § 34 StGB. Die letztlich schuldmindernd zu Buche schlagende Unrechtsminderung erreicht in Konfrontation mit einem rechtswidrigen Angriff ein Maß, welches die Schaffung der Vorschrift des § 33 StGB trägt, ohne dass Widersprüche im Verhältnis zu anderen Rechtfertigungsgründen auftreten. Rosenau betont ebenfalls die Bedeutung der „Verantwortlichkeit für die den Affekt auslösende Situation beim Angreifer“ 76, geht aber noch einen Schritt weiter, indem er eben diese Verantwortlichkeit als eigenständige Säule der Straffreistellung nach § 33 StGB begreift. § 33 fuße auf der psychischen Ausnahmesituation des Angegriffenen, auf einer bestehenden Unrechtsminderung sowie auf der Verantwortlichkeit des Angreifers für die Situation.77 Die Verantwortlichkeit des Angreifers erweise sich als dritter Gesichtspunkt, welcher schuldmindernd zu berücksichtigen sei.78 An dieser Stelle mag dahinstehen, ob die Herbeiführung der Ausnahmesituation „nur“, wie hier angenommen, eine weitere Unrechtsminderung bewirkt, oder ob konsequenterweise von einer „dreifachen Schuldminderung“ auszugehen ist. In jedem Falle erweist sich die vom Angreifer zu verantwortende Ausnahmesituation als Spezifikum der Notwehr, welches die (Sonder-)Regelung des § 33 StGB zu tragen vermag. c) Zwischenfazit In Auseinandersetzung mit den Deutungsmodellen, die dem wohl herrschenden Modell der doppelten Schuldminderung mit Blick auf die §§ 33, 35 StGB entgegengesetzt werden, ergab sich, dass keines der Modelle, auch nicht das strafzweckorientierte, in eine etwaige Begründungslücke stößt. Die strafzweckorientierte Deutung im Sinne Roxins79 kann durchaus für sich in Anspruch neh76
Rosenau, FS-Beulke, S. 225, 233. Rosenau, FS-Beulke, S. 225, 233. 78 Rosenau, FS-Beulke, S. 225, 237. 79 Auch Jakobs vertritt eine dezidiert strafzweckorientierte Deutung, geht aber noch einen Schritt weiter, indem er die Schuldfrage mit der Notwendigkeit der „Stabilisierung des durch das deliktische Verhalten gestörten Ordnungsvertrauens“ gleichsetzt (Jakobs, Schuld und Prävention, 1976, S. 31; zur Verwurzelung der Schuldlehre Jakobs’ in der – soziologischen – Systemtheorie Luhmanns vgl. etwa Bröckers, Strafrechtliche Verantwortung ohne Willensfreiheit, 2015, S. 77 ff.). Mit der Notwendigkeit der Normstabilisierung wird die positive Generalprävention zur entscheidenden Größe in Jakobs’ Schuldverständnis. Daher betont er, „daß es (. . .) nicht um allgemeine Abschreckung oder um Abschreckung zumindest potentieller Delinquenten geht, sondern um Bestätigung der Richtigkeit des Vertrauens in die Richtigkeit einer Norm“ (Schuld und Prävention, S. 32). Mit Blick auf § 33 StGB sei festzustellen, dass das Ordnungsvertrauen solange nicht enttäuscht werde, „wie die Abwehr nicht drastisch deliktische Züge trägt (beim sthenischen Affekt)“ (Schuld und Prävention, S. 23). Außerhalb einer drastisch deliktische Züge tragenden Abwehr habe der Angreifer „mit seiner Enttäuschung (. . .) selbst fertig zu werden“ (Schuld und Prävention, S. 23). Jakobs löst sich mit seinem Schuldverständnis gänzlich – sowie unverhohlen („Schuld als Derivat der Generalprävention“; Schuld und Prävention, S. 32) – von der Frage nach dem (individuellen) 77
I. Zu den relevanten Entschuldigungsgründen
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men, anknüpfend an Struktur und Systematik der §§ 33, 35 StGB auf mögliche Ungereimtheiten und Widersprüche zu verweisen, die jedenfalls näherer Betrachtung bedürfen. Bei dieser zeigt sich sodann, dass die schuldbezogene Deutung in sich keineswegs inkonsistent ist. Auch Ausnahmeregelungen (wie § 35 I 2 HS. 1 StGB) oder tatbestandliche Verengungen (Erfassung nur asthenischer Affekte von § 33 StGB) können auf die die Entschuldigung tragenden Gesichtspunkte zurückgeführt werden. Überdies ist mit Blick auf die strafzweckorientierte Deutung festzuhalten, dass die angestellten Einzelüberlegungen zur Bestrafungsnotwendigkeit bzw. deren Fehlen keineswegs in Stein gemeißelt sind. Das Präventionsbedürfnis kann – je nach Täter und konkreten Umständen – sehr unterschiedlich ausfallen, sodass sich die Prämissen als überaus anfechtbar erweisen. Auch die schuldbezogene Deutung muss, wie zuvor dargetan, mit bestimmten Annahmen und Einschätzungen betreffend die „menschliche Natur“ in Ausnahme- bzw. Extremsituationen arbeiten. Die Plausibilität dieser Annahmen steht indes – jedenfalls nach hier vertretener Auffassung – nicht in Zweifel und erweckt keinesfalls den Eindruck willkürlicher Setzung. Folglich sucht der strafzweckorientierte Ansatz eine Lücke zu füllen, die so gar nicht existiert. Zugleich ist damit im
„Dafürkönnen“. Dass er das Verhalten Schuldunfähiger sowie entschuldigt Agierender als bereits für den strafrechtlichen Handlungbsegriff irrelevant erachtet (dazu unten C.IV.1.b)bb)(2)), widerspricht dem nicht, da Jakobs auch insoweit nicht an das fehlende individuelle Dafürkönnen anknüpft, sondern an die fehlende „Stellungnahme zur normativen Struktur der Gesellschaft“ (dazu, dass Jakobs einem Zurechnungssystem folgt, dem „alle Systemebenen des Straftataufbaus [. . .] unterworfen“ sind, vgl. NK-Paeffgen/ Zabel, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 212; ähnlich Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 227, nach dem der Schuldbegriff Jakobs’ „eingebettet [ist] in eine auch ansonsten neue, funktionalistisch orientierte Deliktssystematik“). Wenn schon Roxins Konzeption aufgrund des Operierens mit mannigfaltigen Annahmen hinsichtlich der Bestrafungsnotwendigkeit kaum überzeugt, muss dies für Jakobs’ Deutung erst recht gelten: Die Loslösung vom Subjekt des Schuldvorwurfes, dem Täter, erweist sich nicht nur mit Blick auf das verfassungsrechtlich verankerte Schuldprinzip als problematisch, sondern findet auch keine Bestätigung in der gesetzlichen Fassung der Schuldausschließungsgründe (im weiteren Sinne), die ersichtlich das handelnde Subjekt zum Ausgangspunkt jeglicher Betrachtung machen, sodass es für eine derart funktionale Betrachtungsweise in Wahrheit schon an einem tauglichen Anknüpfungspunkt fehlt. Nicht ohne Grund wird der Schuldkonzeption Jakobs’ entgegengehalten, sie begründe die Gefahr, „dass das Schuldprinzip seine die staatliche Strafgewalt sowohl im Hinblick auf das Ob als auch das Maß der Strafe begrenzende Funktion nicht mehr erfüllen kann“ (SK-Rogall, Vorbem. §§ 19 ff. Rn. 21). Befürchtet wird in der Folge eine Instrumentalisierung des Täters (vgl. etwa Bock, ZStW 103 [1991], S. 636, 648 f.; Hallmann, Gebundene Freiheit und strafrechtliche Schuld, 2017, S. 79; Roxin, AT I, § 19 Rn. 34 f.; M/R-Safferling, § 20 Rn. 5; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 10 Rn. 7). Ob Jakobs mit seinen Ausführungen tatsächlich den Boden für eine – durchgängige – „Instrumentalisierung“ bereiten wollte (zweifelnd etwa Bröckers, Strafrechtliche Verantwortung ohne Willensfreiheit, 2015, S. 80), bedarf hier keiner weitergehenden Erörterung (Jakobs, FS-Kühl, S. 281, 288 f., weist darauf hin, „dass auch eine freiheitlich verfasste Gesellschaft [. . .] zur Problemlösung einen Kostenträger benötigt“). Entscheidend ist, dass das Wegbewegen vom Subjekt des Schuldvorwurfes eine Stütze weder in der geltenden Verfassungs- noch in der geltenden Strafrechtsordnung findet.
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Hinblick auf die Untersuchung der Teilnehmerstrafbarkeit bei entschuldigter (Haupt-)Tat klargestellt, dass eine Orientierung an Strafzweckerwägungen konsequenterweise nicht im Vordergrund stehen kann. 2. Konsequenzen für Teilnahme-Konstellationen Ist § 33 StGB danach, ebenso wie § 35 StGB, auf das Vorliegen einer doppelten Schuldminderung zurückzuführen, könnte sich zwanglos die Folgerung anschließen, dass § 33 StGB, im Gleichklang mit § 35 StGB sowie dem übergesetzlichen entschuldigenden Notstand, in die nachfolgende Betrachtung denkbarer Konfliktlagen einzubeziehen ist. Folglich wären auch Konstellationen der Teilnahme an der Tat eines Exzedenten daraufhin zu untersuchen, ob das Resultat der Teilnehmerstrafbarkeit der Sach- und Rechtslage gerecht wird. Allerdings würde dieser Schluss die Unterschiede zwischen (übergesetzlichem) entschuldigendem Notstand und Notwehrexzess vorschnell einebnen. So wird § 35 StGB von der Vermutung getragen, dass der in die Notstandssituation Geworfene – bedingt durch den Selbsterhaltungstrieb – unter einem erheblichen Motivationsdruck steht. Dieser ist schuldmindernd zu berücksichtigen.80 Im Rahmen des § 33 StGB muss dagegen erwiesenermaßen einer der benannten Schwäche-Affekte vorliegen, wenn ein Schuldausschluss erfolgen soll.81 Erleichterungen werden dem Richter nur insoweit zuteil, als es den Zusammenhang zwischen Affekt und der Fähigkeit zu normgemäßer Motivation betrifft.82 Danach setzt § 33 StGB das Vorliegen eines biologisch-psychologischen Eingangsmerkmals voraus, bevor die Vermutung Raum greifen kann, dass die Überschreitung Resultat des Affekts war. Insoweit entzieht sich § 33 StGB daher einer generalisierenden Betrachtung. D.h. aber mit Blick auf mögliche Teilnehmer, die für sich keinen Affekt in Anspruch nehmen können, dass eine Erstreckung des Schuldausschlusses, und sei es in Form der Heranziehung des der Regelung zugrunde liegenden Rechtsgedankens, von vornherein nicht in Betracht kommt. Wenn Ausgangspunkt der Regelung der affektive Erregungszustand ist, kann ein Schuldausschluss nur demjenigen zugute kommen, in dessen Person der Erregungszustand nachweisbar vorliegt.83 80
Zu dieser Säule des entschuldigenden Notstands vgl. schon oben B.III.1.b)aa). Auf diesen Unterschied gegenüber § 35 StGB hinweisend auch LK-Zieschang, § 33 Rn. 52; das Feststellungserfordernis bezüglich des Affekts betonend zudem BGH NJW 1991, 503, 505; BGH NStZ-RR 1997, 65 f.; 1997, 194, 195. 82 Vgl. Horstkotte, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1817: „Deshalb soll (. . .) der Affekt, sofern er vorliegt, ein ausreichendes und – wenn man so will – unwiderlegliches Indiz dafür sein, daß dem Täter die richtige Motivation außerordentlich erschwert gewesen ist.“ 83 Nach Roxin, JuS 1988, 425, 427, „ist nicht einzusehen, warum die Nachsicht, die ihm [dem Exzedenten] zuteil wird, auch einem Außenstehenden gewährt werden sollte, der nicht angegriffen war und ohne Verwirrung, Furcht oder Schrecken (. . .) mithilft“. 81
II. Denkbare Konfliktlagen
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Nach hier vertretener Auffassung bedürfen Konstellationen der Teilnahme im Umfeld des Notwehrexzesses daher keiner eingehenderen Betrachtung, verbietet sich eine Erstreckung des Schuldausschlusses doch bereits mit Blick auf die Struktur des Entschuldigungsgrundes. Eine entsprechende Differenzierung wird von denjenigen – noch eingehend zu betrachtenden84 – Stimmen, welche der Strafbarkeit des Teilnehmers an entschuldigter Tat kritisch gegenüber stehen, regelmäßig nicht vorgenommen. Bei Ernstnahme der ausgemachten Strukturverschiedenheit ist ein Nachdenken über die Reichweite des Schuldausschlusses indes nur mit Blick auf den (übergesetzlichen) entschuldigenden Notstand geboten.
II. Denkbare Konfliktlagen Eine Annäherung an das oben nur schemenhaft umrissene Problem wird, jedenfalls insoweit man – mit dem Verfasser – Anhänger einer induktiven Vorgehensweise ist, bestmöglich unter Heranziehung von Fallbeispielen erreicht. Nur so wird die notwendigerweise abstrakt aufgeworfene Rechtsfrage greifbar, nur so tritt die Vielgestaltigkeit der Fragestellung hervor, die sich, wie noch zu zeigen sein wird, einer pauschalen Beantwortung entzieht. Zugegeben sei, dass sich etliche der nachfolgend herangezogenen Fälle getrost mit dem Attribut „realitätsfern“ versehen ließen. Was auf den ersten Blick wie eine Entwertung wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen lediglich als Anerkennung der Tatsache, dass Rechtsfragen nicht stets anhand einer Fülle „praxiserprobter“ Sachverhalte beantwortet werden können. Dies ist denn auch gar keine Voraussetzung rechtswissenschaftlicher Betrachtung. Das Ausloten von Grenzen, Unvollständigkeiten und Friktionen innerhalb der geltenden (Straf-)Rechtsordnung setzt beim Juristen geradezu Kreativität voraus, will er sich nicht dem Vorwurf unvollständiger Betrachtung aussetzen. Bernsmann ist also vollumfänglich zuzustimmen, wenn er – Bezug nehmend auf die Aufgabe der Dogmatik – festhält, „daß auch und gerade über (noch) ,unvorstellbare‘ Konstellationen nach- (bzw. vor-)gedacht werden darf und sogar muß“ 85. Dabei soll im Ausgangspunkt zwischen Situationen des § 35 StGB sowie des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands differenziert werden. Viele der Fälle können – je nach konkreter Ausgestaltung – dem Anwendungsbereich des
84
Vgl. unten C.V. Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 25; ähnlich auch Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 26 Fn. 7; Prittwitz, FS-Neumann, S. 999, 1006 f., weist zudem – in Auseinandersetzung mit dem Vorwurf mangelnder Praxisnähe der in der Wissenschaft behandelten Fallgestaltungen (namentlich in Gestalt des KarneadesFalls) – darauf hin, dass die „Debatten in der Moralphilosophie und der Rechtswissenschaft Voraussetzung eines zivilisatorischen Status [waren], der es heute ermöglicht (. . .), die Debatten zu führen, die es angesichts realistischer Bedrohungsszenarien zu führen gilt (. . .)“. 85
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
§ 35 StGB oder dem Anwendungsbereich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands zugeschlagen werden. 1. § 35 StGB Die auf dem Prinzip der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens beruhende Vorschrift des § 35 StGB bewirkt einen Schuldausschluss aufseiten desjenigen, der Unrecht verwirklicht, um sich oder eine Sympathieperson aus einer Situation existentieller Bedrohung zu befreien. Die Situationen existentieller Bedrohung können vielgestaltig sein, nichtsdestotrotz finden sich in der wissenschaftlichen Literatur einige immer wiederkehrende Beispiele – der Karneades-Fall, der Bergsteiger-Fall, der Mignonette-Fall sowie der Ballon-Fall.86 Mit Blick auf § 35 StGB lässt sich anhand der vorgenannten – und weiterer – Fälle vortrefflich die Wirkungsweise der Vorschrift demonstrieren. Zugleich liefern die Beispiele einen anschaulichen Anknüpfungspunkt für die Herausarbeitung unterschiedlicher Formen der Gefahrengemeinschaft.87 An diesem Punkt der Untersuchung interessieren die Beispielsfälle nicht in ihrer Grund-88, sondern in erweiterter Form – erweitert insoweit, als ein Dritter, der sich weder selbst bedroht sieht noch um eine Sympathieperson bangen muss, Teil des jeweiligen Szenarios wird und als Teilnehmer einen Beitrag zur Notstandstat leistet. Dabei soll sowohl eine Unterteilung nach Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Gefahrengemeinschaft als auch – bzgl. erstgenannter Gruppe – eine Differenzierung nach Art der Gefahrengemeinschaft vorgenommen werden. a) Vorliegen einer Gefahrengemeinschaft Von einer Gefahrengemeinschaft spricht man gemeinhin, „wenn sich Rechtsgüter verschiedener Personen derartig in einer Gefahr befinden, daß sie alle untergehen müßten, wenn sich nicht das eine Gut auf Kosten des anderen (oder umgekehrt) retten würde“ 89. Damit ist die Grundform der Gefahrengemeinschaft in Bezug genommen, deren prominenteste Konkretisierung wohl der Karneades-Fall bildet. Charakteristisch für diese Form der Gefahrengemeinschaft ist, dass alle Gefährdeten im Ausgangspunkt die gleichen Rettungschancen aufweisen. Anders liegt es hingegen, wenn verschiedene Personen sich zwar in einer gemeinsamen Gefahrensituation befinden, die Rettungschancen aber von vornherein einseitig bzw. ungleichmäßig verteilt sind. Bekanntestes Beispiel im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 35 StGB dürfte insoweit der Bergsteiger-Fall sein.90 Auch 86
Zum Herkommen dieser Fälle oben B.III.1.b)aa). Dazu oben B.III.3.d)aa). 88 Anders noch oben (B.III.3.b)), als die grundlegende Abgrenzung zum Anwendungsbereich des § 34 StGB vorzunehmen war. 89 Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 43 m.w. N. 90 Zu diesem bereits in der Einleitung, A.I. 87
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der vornehmlich im Hinblick auf den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand interessierende Flugzeug-Fall gehört hierher. Für jegliche Form der Gefahrengemeinschaft ist erforderlich, dass alle Mitglieder der Gemeinschaft derselben Gefahr ausgesetzt sind.91 aa) Gefahrengemeinschaft mit gleichmäßiger Chancenverteilung In Fällen der Gefahrengemeinschaft mit gleichmäßiger Chancenverteilung heißt es letztlich „Ich oder Du“ bzw. „Wir oder Sie“. Nun ist es, wie oben angedeutet, denkbar, dass ein Dritter92 auf den Plan tritt, für den sich die Frage stellt, ob er eingreifen bzw. mitwirken oder aber stillhalten soll. Zur Veranschaulichung sollen die nachfolgenden Beispiele dienen. (1) Karneades-Fall 1 93 Die beiden Schiffbrüchigen A und B klammern sich an eine im Meer treibende Holzplanke. Diese vermag indes nur einen von ihnen – dauerhaft – zu tragen. Der in erheblicher Entfernung auf einer anderen Planke dahintreibende Schiffbrüchige C, der keinem der beiden nahe steht, aber mehr Sympathien für den etwa gleichaltrigen A hegt, ruft dem A zu, er solle B hinunterstoßen, um nicht gemeinsam mit B unterzugehen. Der zuvor unentschlossene A kann sich daraufhin dazu durchringen, den B hinunterzustoßen. B stirbt. (2) Ballon-Fall 94 Die befreundeten A und B unternehmen gemeinsam einen Rundflug mit einem Heißluftballon. Sie befinden sich über einem großen Gewässer, als der Ballon – aufgrund eines technischen Defekts – immer weiter absinkt und in das offene Gewässer zu stürzen droht. Abhilfe kann nur durch das Absenken des Gewichts erreicht werden. A sieht sich dem Tode geweiht und ruft per Mobiltelefon seinen Arbeitskollegen C, der sich hobbymäßig mit jeglicher Form von Luftschiffen beschäftigt, an, um Rat zu erhalten. Er schildert die Situation, woraufhin C vorschlägt, den B über Bord zu werfen, um den gemeinsamen Untergang zu verhindern. A fasst sich ein Herz und wirft B über Bord. Während der Ballon daraufhin wieder etwas an Höhe gewinnt, sodass sich A bis ans Ufer retten kann, ertrinkt B. 91
Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 300 f. Die Bezeichnung „Außenstehender“ implizierte bereits die Wertung, dass ein Schuldausschluss – sei er abgeleiteter oder eigenständiger Natur – für die bezeichnete Person von vornherein nicht in Betracht kommt. 93 Eingehend sowie unter Bildung diverser Abwandlungen Koriath, JA 1998, 250; zur rechtsphilosophischen Dimension vgl. Hruschka, GA 1991, 1. 94 Nach Neubecker, Zwang und Notstand in rechtsvergleichender Darstellung, Bd. 1, 1910, S. 62. 92
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Eine Variante des Falles könnte dahingehend lauten, dass A die Situation zutreffend einschätzt, aber massive Hemmungen verspürt, seinen Kameraden tatsächlich über Bord zu werfen. Er ruft seinen Rechtsanwalt R an, der ihm noch in allen Lebenslagen ein guter Berater gewesen ist. Nachdem sich R die Situation hat schildern lassen, erläutert er, dass A, sollte er den B über Bord werfen, aufgrund der besonderen Gefahrensituation mit Straffreiheit rechnen könne. A lässt sich durch diese Einschätzung zum Handeln motivieren. bb) Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung Nachfolgend sind Fälle in den Blick zu nehmen, in denen eine ungleichmäßige Risikoverteilung vorliegt. (1) Bergsteiger-Fall 1 95 A, B und C unternehmen gemeinsam eine Gebirgstour. Als der erfahrenere C ein Stück vorausgeht, um die bestmögliche Route zu ermitteln, stürzt der mit A durch ein Seil verbundene B plötzlich ab. A droht durch das Gewicht des B mit in die Tiefe gezogen zu werden. Er versucht krampfhaft, schnellstmöglich das Seil mit seinem schon recht stumpfen Armeemesser zu kappen. Der sich etliche Meter oberhalb von A befindliche C wirft diesem daraufhin ein von ihm mitgeführtes, erst kürzlich geschärftes Armeemesser zu, mit welchem A das Seil in letzter Sekunde durchtrennen kann. B stirbt. (2) Schotten-dicht-Fall 96 Ein Kreuzfahrtschiff, das nicht genügend Rettungsboote für alle Passagiere aufweist, hat einen Eisberg gerammt und ist leckgeschlagen. Das Wasser dringt nach und nach weiter ins Innere des Schiffes vor. Das Schiff droht zeitnah komplett zu sinken, wenn nicht die Schotten zu den unterhalb der Wasseroberfläche liegenden Decks geschlossen werden. Auch in diesen Decks befinden sich indes noch etliche Passagiere. Kapitän A ist unsicher, wie er sich verhalten soll und funkt die Reederei an. Der Reederei-Mitarbeiter C, der in dieser Nacht für die Funkverbindung zuständig ist, empfiehlt A, die Schotten zu schließen, um wenigstens einen Teil der Passagiere retten zu können. A leistet der Empfehlung Folge und schließt die Schotten, sodass die Passagiere, die sich auf den Decks unterhalb der Wasseroberfläche befinden, ertrinken. Wiederum ist eine Variante des Falles denkbar: A funkt die Reederei an, wobei er mit dem Justitiar der Reederei, dem J, verbunden wird. Dieser teilt ihm mit, 95 Zuerst wohl bei Merkel, Die Kollision rechtmäßiger Interessen und die Schadensersatzpflicht bei rechtmäßigen Handlungen, 1895, S. 48. 96 Nach Mayer, LB, S. 179.
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strafrechtlich müsse A – aufgrund der Extremsituation – bei einem Schließen der Schotten keine Konsequenzen befürchten. b) Nichtvorliegen einer Gefahrengemeinschaft Auch außerhalb der Gefahrengemeinschaft sind Situationen der Entschuldigung denkbar, in denen ein Dritter Teil des Geschehens wird. Gemeint sind Situationen, in denen gänzlich Unbeteiligte erfasst werden – Unbeteiligte jedenfalls insoweit, als sie nicht derselben Gefahr ausgesetzt sind. aa) Haustyrannen-Fall 197 Ehefrau E wird von ihrem alkoholabhängigen und zu Gewaltexzessen neigenden Mann M seit Jahren gequält und gedemütigt. Auch die beiden gemeinsamen Kinder sind vor M nicht sicher: Hat M einen „schlechten Tag“, führen bereits Kleinigkeiten dazu, dass er gewalttätig wird und Frau und Kinder körperlich misshandelt. Insbesondere nach erheblichem Alkoholkonsum schwadroniert er häufiger darüber, E und die Kinder „kalt zu machen“. E hat bereits Hilfe im Frauenhaus, bei Verwandten und Nachbarn sowie bei der Polizei gesucht. Indes kehrte sie immer wieder zu M zurück, weil dieser drohte, ihr und den Kindern Schlimmeres anzutun, wenn sie nicht wieder nach Hause komme. Da M Mitglied in einer berüchtigten Rocker-Gruppe ist, muss sie seine Warnungen, dass sein Arm, sollte sie für seine Verhaftung sorgen, sie und die Kinder auch aus dem Gefängnis heraus erreichen würde, ernst nehmen. E ist verzweifelt und vertraut ihrer mitfühlenden Nachbarin N an, dass sie vorhabe, ihren Mann im Schlaf zu erstechen, um sich und ihre Kinder in Sicherzeit zu wissen. N gibt ihr daraufhin ein neues, besonders langes und scharfes Küchenmesser mit, mit welchem die E die Tat ausführen soll. E verfährt nachfolgend wie geplant und tötet ihren Mann. bb) Weichensteller-Fall 198 An einem steilen Hang löst sich ein Güterwagen, der, sollte er nicht aufgehalten bzw. umgelenkt werden, in einem nahe gelegenen Bahnhof in einen bereits voll besetzten Personenzug rasen wird. Weichensteller W sieht das Unglück kommen und erinnert sich zudem daran, dass der im Bahnhof befindliche Zug zahlreiche Schulkinder, u. a. seine Tochter, zur Schule transportiert. Für den Fall, dass W die Weiche umstellt, würde der Güterwagen auf ein Nebengleis geleitet, auf dem einige Bahnarbeiter mit Instandsetzungsarbeiten beschäftigt sind. W ringt mit sich, als der W zugeteilte Auszubildende A ihn mit den Worten „Nun tu’ doch etwas!“ aus seinen Gedanken reißt und W den entscheidenden Impuls zur 97 Angelehnt an RGSt 60, 318; BGH NJW 1966, 1823; BGH NStZ 1984, 20; BGHSt 48, 255. 98 In Abwandlung von Welzel, ZStW 63 (1951), S. 47, 51.
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Handlung – dem Umstellen der Weiche – gibt. Infolge des Umlenkens auf das Nebengleis kommen mehrere Bahnarbeiter zu Tode. 2. Übergesetzlicher entschuldigender Notstand Auch im – hier als existierend vorausgesetzten99 – Anwendungsbereich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands kann im Ausgangspunkt zwischen dem Vorliegen und dem Nichtvorliegen einer Gefahrengemeinschaft differenziert werden. Weiter kann – wiederum in Parallele zu den bei § 35 StGB genannten Fällen – zwischen Gefahrengemeinschaften mit gleichmäßiger Chancenverteilung und Gefahrengemeinschaften mit einseitiger Chancenverteilung unterschieden werden. Der Begriff der Gefahrengemeinschaft ist in diesem Zusammenhang kein anderer als im Anwendungsbereich des § 35 StGB. Im Gegensatz zum Anwendungsbereich des § 35 StGB weist der Täter in denkbaren Fällen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands keinen persönlichen Gefahrbezug auf, sodass insoweit kein Unterschied zum hinzutretenden Dritten besteht. Nichtsdestotrotz kann danach differenziert werden, wer – i. S. d. Tatherrschaftslehre – Zentralgestalt des Geschehens und wer „nur“ Randfigur ist. a) Vorliegen einer Gefahrengemeinschaft aa) Gefahrengemeinschaft mit gleichmäßiger Chancenverteilung • Fährmann-Fall100 Fährmann F, der – schon aufgrund seiner Tätigkeit – ein geübter Schwimmer ist, transportiert eine Gruppe von Schulkindern über ein reißendes Gewässer. In der Mitte des Gewässers angekommen, droht das Floß zu kentern, wenn das auf ihm lastende Gewicht nicht schnellstmöglich reduziert wird. F ist unschlüssig, was er tun soll, als der des Weges kommende Wanderer W ihm plötzlich aus etlicher Entfernung zuruft, dass F gerade so viele Kinder vom Floß stoßen solle, dass sich das Floß wieder stabilisiert. F stößt daraufhin einige Kinder über Bord. Diese ertrinken. Das Floß stabilisiert sich aber und erreicht das Ufer. bb) Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung (1) Flugzeug-Fall101 Eine Passagiermaschine wird von Terroristen entführt. Das Flugzeug nimmt – vom Boden aus nachvollziehbar – Kurs auf ein voll besetztes Fußballstadion. Ab99
Dazu oben B.III.3.c). Nach Klefisch, MDR 1950, 258, 261. 101 Eine Konstellation, die seit den Ereignissen vom 11. September 2001 nicht nur in den Rechtswissenschaften intensiv diskutiert wird und die der Gesetzgeber in Gestalt 100
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fangjäger der Bundeswehr steigen auf, um das Flugzeug durch Abdrängen und Warnschüsse zur Landung zu bewegen. Diese Versuche haben jedoch keinen Effekt. Kampfpilot K, der einen der Abfangjäger fliegt, erwägt, das Flugzeug abzuschießen, um die Menschen im Stadion zu retten. Er ist sich aber unsicher und lässt sich mit seiner Ehefrau, der E, verbinden, mit der er sich stets auszutauschen pflegt. E rät ihm, die Maschine abzuschießen, da die Menschen im Flugzeug ohnehin verloren, die Menschen im Stadion aber noch zu retten seien. K schießt die Passagiermaschine daraufhin ab. (2) Bergsteiger-Fall 2 102 Die vier Bergsteiger A, B, C und D unternehmen gemeinsam eine Gebirgstour. Während D ein Stück vorausgeht, um die bestmögliche Route zu erkunden, bleiben A, B und C zurück. C hat sich gerade aus der Seilschaft ausgeklinkt, um besser an seinen Rucksack zu kommen, als B plötzlich abrutscht und in die Tiefe stürzt. Der mit B weiterhin verbundene A droht durch das Gewicht des B mit in die Tiefe gezogen zu werden. C zückt sein Armeemesser, um das Seil zu durchtrennen, hält aber inne, da er unsicher ist, ob er dies wirklich tun soll. Aus einiger Entfernung ruft ihm D zu „Tu’ es“, woraufhin sich C zum Handeln motivieren kann. B stürzt infolge des Durchtrennens des Seiles komplett ab und verstirbt. b) Nichtvorliegen einer Gefahrengemeinschaft • Weichensteller-Fall 2103 An einem steilen Hang löst sich ein Güterwagen, der, sollte er nicht aufgehalten bzw. umgelenkt werden, in einem nahe gelegenen Bahnhof in einen bereits voll besetzten Personenzug rasen wird. Weichensteller W sieht das Unglück kommen. Für den Fall, dass W die Weiche umstellt, würde der Güterwagen auf ein Nebengleis geleitet, auf dem einige Bahnarbeiter mit Instandsetzungsarbeiten beschäftigt sind. W ringt mit sich, als der W zugeteilte Auszubildende A ihn mit den Worten „Nun tu’ doch etwas!“ aus seinen Gedanken reißt und W den entdes § 14 III LuftSiG einer Regelung zuführen wollte, dabei aber vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 115, 118) eingebremst wurde; dazu oben B.III.3.b)bb)(1). Monographisch widmen sich der Thematik – mit jeweils unterschiedlicher Schwerpunktsetzung – Archangelskij, Das Problem des Lebensnotstandes am Beispiel des Abschusses eines von Terroristen entführten Flugzeuges, 2005, sowie Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2. Aufl. 2013. Größere Aufmerksamkeit erfuhr die Konstellation in jüngerer Zeit durch Ferdinand von Schirachs Theaterstück „Terror“ (Uraufführung im Oktober 2015). Eine kritische Auseinandersetzung unter Einnahme einer spezifisch (straf-)rechtswissenschaftlichen Perspektive findet sich diesbezüglich bei Schild, Verwirrende Rechtsbelehrung, 2016. 102 Die Grundlage bildet wiederum Merkel, Die Kollision rechtmäßiger Interessen und die Schadensersatzpflicht bei rechtmäßigen Handlungen, 1895, S. 48. 103 Nach Welzel, ZStW 63 (1951), S. 47, 51.
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scheidenden Impuls zur Handlung – dem Umstellen der Weiche – gibt. Infolge des Umlenkens auf das Nebengleis kommen mehrere Bahnarbeiter zu Tode.
III. Lösung der Konfliktlagen nach gängigem Verständnis Die zuvor dargestellten Konfliktlagen sollen zunächst auf Basis des gängigen Verständnisses – von der Reichweite der Entschuldigungsgründe sowie der Limitierung der Akzessorietät – gelöst werden, bevor die insoweit auszumachende Argumentationsstruktur genauer in den Blick zu nehmen ist. Bereits an dieser Stelle ist – um dem Vorwurf unvollständiger Betrachtung vorzubeugen – zu betonen, dass der für den Teilnehmer denklogisch mögliche Rückgriff 104 auf die Figur des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands in Übereinstimmung mit der gängigen Betrachtungsweise nicht erfolgen soll. 1. § 35 StGB Zunächst sind wiederum die Fälle in den Blick zu nehmen, in denen sich der Täter auf § 35 StGB berufen kann. a) Vorliegen einer Gefahrengemeinschaft aa) Gefahrengemeinschaft mit gleichmäßiger Chancenverteilung (1) Karneades-Fall 1 A, der den B von der Planke hinunterstößt, sieht sich im Ausgangspunkt dem Vorwurf des Totschlags (§ 212 StGB) ausgesetzt. Indes handelt er in einer Situation existentieller Gefahr, die ihm keine andere Möglichkeit zur Rechtsgutserhaltung eröffnet. Auch ist kein Raum für einen Exkulpationsausschluss nach Maßgabe des § 35 I 2 StGB, sodass letztlich, insoweit man nicht – wenig nachvollziehbar – eine Situation des Defensivnotstands gegeben sieht105 oder auch in Konstellationen gleichmäßiger Chancenverteilung für eine analoge Anwendung des § 34 StGB plädiert106, von einer Entschuldigung nach § 35 I 1 StGB auszugehen ist. Dieses Ergebnis ist wenig überraschend und wird – mit Ausnahme der vorgenannten Stimmen – kaum auf Widerspruch stoßen.107 104 Soweit ersichtlich nimmt nur Welzel, S. 185, gezielt den Teilnehmer an einer entschuldigten Tat unter Einbeziehung des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands in den Blick. Freilich fehlt es bei Welzel an einer – in der Entwicklung allgemeingültiger Kriterien mündenden – umfassenden Auseinandersetzung. Dazu vgl. unten E.II. 105 So Koriath, JA 1998, 250, 256, der eine Rechtfertigung nach § 228 BGB analog befürwortet. 106 Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 422 f. 107 Übereinstimmend B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 9; Bosch, Jura 2015, 347, 348 f.; Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 153; Heinrich, AT, Rn. 317; Jescheck/Weigend, AT, § 44 (S. 480); Krey/Esser, AT, Rn. 277 ff.; Kühl, AT, § 12 Rn. 13; Murmann,
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Bei der hier vornehmlich interessierenden Frage nach der Strafbarkeit des C, der in einiger Entfernung auf einer anderen Planke dahintreibt und den A zum Handeln auffordert, wird man zunächst feststellen müssen, dass C den A i. S. d. § 26 StGB zu dessen Tat bestimmt. Erst C ruft den konkreten Tatentschluss bei A hervor, weshalb eine Strafbarkeit gemäß §§ 212, 26 StGB im Raum steht. § 26 StGB verlangt explizit nur das Vorliegen einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat, sodass die Entschuldigung des A (s. o.) einer Strafbarkeit des C nicht im Wege steht. Eine mittelbare Täterschaft des C nach Maßgabe des § 25 I Alt. 2 StGB scheidet schon deshalb aus, weil C die Notlage nicht selbst herbeigeführt hat. Er wird „nur“ im Rahmen der ohnehin bestehenden Notlage aktiv, ohne die Gefahrensituation – anknüpfend an ihre bewusste Herbeiführung – zu beherrschen. Jedenfalls soweit eine Anstiftung i. S. d. § 26 StGB im Raum steht, besteht über dieses Ergebnis Einigkeit.108 C kann sich seinerseits nicht auf § 35 StGB berufen, handelt er doch weder zur Erhaltung des eigenen Lebens noch zur Erhaltung des Lebens einer Sympathieperson. Eine Straffreiheit des C käme allenfalls in Betracht, wenn man mit Rudolphi davon ausginge, dass Notstandstaten „generell aus den einzelnen Strafdrohungen herausgenommen“ 109 sind. Ausgehend von dieser Auffassung könnte man an eine Straffreistellung des Teilnehmers denken.110 Die Betrachtungsweise Rudolphis, auf die an späterer Stelle noch einzugehen sein wird, steht indes im Widerspruch zur Auffassung der überwältigenden Mehrheit, die § 35 StGB trotz seines – gerade gegenüber §§ 17, 19, 20 StGB – generalisierenden Ansatzes als rein individuelle Privilegierung betrachtet.111 Demzufolge macht sich C nach gängigem Verständnis gemäß §§ 212, 26 StGB strafbar. Allenfalls auf Strafzumessungsebene ist an ein Entgegenkommen zu denken.112 Grundkurs, § 26 Rn. 55; Rengier, AT, § 26 Rn. 12; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 475 i.V. m. Rn. 690. 108 Vgl. B/W/M/E-Eisele, § 25 Rn. 133; Jescheck/Weigend, AT, § 62 II 6; Kühl, AT, § 20 Rn. 65; LK-Schünemann, § 25 Rn. 71; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 151; Schönke/Schröder-Heine/Weißer, § 25 Rn. 38; Schreiber, in: Eser/Fletcher (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung II, 1988, S. 1151, 1180; a. A. – soweit ersichtlich – nur Gallas, Materialien zur Strafrechtsreform, Bd. 1, Gutachten, S. 121, 134, der mittelbare Täterschaft auch dann annehmen will, wenn „der Hintermann sich darauf beschränkt, den im Notstand (. . .) Handelnden zu seinem Tun zu veranlassen“. Indes komme, „was an dieser Stelle nicht begründet werden kann, eine Entschuldigung auch des Hintermannes in Frage“ (Gallas, a. a. O., S. 121, 134 m. Fn. 44). Im Falle der die Situation „umgestaltenden“ Beihilfe findet sich z. T. eine entsprechende Beurteilung, dazu sogleich C.III.1.a)bb)(1). 109 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 98. 110 Dazu mehr unter C.V.2.a). 111 B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 9; Fischer, § 35 Rn. 9; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 35 Rn. 15; LK-Zieschang, § 35 Rn. 71; MK-Müssig, § 35 Rn. 86; NK-Neumann, § 35 Rn. 67 f.; Roxin, AT I, § 22 Rn. 66 f.; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 46; S/S/WRosenau, § 35 Rn. 21. 112 Roxin, AT I, § 22 Rn. 67; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 46.
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(2) Ballon-Fall A befindet sich gemeinsam mit B in einer Situation existentieller Bedrängnis. Nur durch das Hinauswerfen des B kann A das eigene Leben retten. Ein Ausschlussgrund nach Maßgabe des § 35 I 2 StGB ist wiederum nicht ersichtlich. Im Ergebnis steht eine Entschuldigung des A gemäß § 35 I 1 StGB. Für C, der A rät, B über Bord zu werfen, greift § 35 StGB nicht ein, da A keine Sympathieperson des C ist. Lehnt man mit der großen Mehrheit im Schrifttum sodann auch eine die Gesamtsituation erfassende Wirkung des § 35 StGB ab113 und schließt das Vorliegen mittelbarer Täterschaft aufgrund fehlender Verantwortlichkeit für das Entstehen der Gefahrenlage aus, verbleibt für C eine Strafbarkeit gemäß §§ 212, 26 StGB. In der Variante dieses Falles telefoniert A mit seinem Rechtsanwalt R, der ihm die strafrechtlichen Konsequenzen eines Tätigwerdens zutreffend schildert. Da A nach dem Telefonat „zur Tat schreitet“, ist grundsätzlich an eine Strafbarkeit des R gemäß §§ 212, 26 StGB zu denken. Indes soll die Rechtsauskunft, so sie denn zutreffend erteilt wird, im Ergebnis aus dem Bereich strafrechtlich relevanten Handelns ausgeklammert werden.114 Man mag darüber streiten, ob der sich in dem Hinweis auf die Rechtslage erschöpfende Beitrag tatsächlich tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Anstiftung ist oder ob insoweit nur auf die Beihilfe zurückgegriffen werden kann115. Es wird hier vom Einzelfall abhängen, ob Anstiftung oder (psychische) Beihilfe vorliegt. Hat der Täter bereits einen konkreten Plan, den er in jedem Falle umzusetzen gedenkt und erhofft er sich durch die Rechtsauskunft lediglich eine – zusätzliche – „Absicherung“, wird viel für eine (psychische) Beihilfe sprechen. Macht der Täter die Umsetzung seines Planes dagegen vom Ergebnis einer Auskunft abhängig, liegt in der Auskunftserteilung die entscheidende Impulsgabe zur Tatbegehung, sodass grundsätzlich von Anstiftung auszugehen ist.116 Weshalb die Rechtsprechung in entsprechend gelagerten Konstellationen stets nur eine Beihilfe in den Blick nimmt, bleibt unklar.117 Im hier gebildeten Fall verspürt Täter A im Zeitpunkt der Kontaktaufnahme massive Hemmungen, das von ihm als notwendig erkannte Handeln in die Tat umzusetzen. Erst die (Rechts-)Auskunft führt zur Überwindung der psychischen Barriere, weshalb vorliegend richtigerweise an eine Anstiftung zu denken ist. 113
Dazu soeben C.III.1.a)aa)(1). B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 9 (explizit zu § 35 StGB); Hartmann, ZStW 116 (2004), S. 585, 605; Kudlich, Die Unterstützung fremder Straftaten durch berufsbedingtes Verhalten, 2004, S. 478; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 26 Rn. 2; Mallison, Rechtsauskunft als strafbare Teilnahme, 1979, S. 136; Roxin, AT I, § 22 Rn. 67 (explizit zu § 35 StGB); Schönke/Schröder-Heine/Weißer, § 26 Rn. 13; Volk, BB 1987, 139, 145. 115 So explizit Joerden, FS-Puppe, S. 563, 575. 116 Treffend Hruschka, JR 1984, 258, 259; Schönke/Schröder-Heine/Weißer, § 26 Rn. 12. 117 Zu Recht kritisch Hruschka, JR 1984, 258, 259. 114
III. Lösung der Konfliktlagen nach gängigem Verständnis
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Von der Bestimmung der Teilnahmeform zu trennen ist die eingangs erwähnte – und von der wohl überwiegenden Meinung verneinte – Frage nach der Strafbarkeit des (potentiellen) Teilnehmers.118 Diesbezüglich liegt es nahe, die im Zusammenhang mit den neutralen, zumeist berufsbedingten Handlungen entwickelten Kriterien anzulegen.119 Danach wäre mit der h. M. primär die Willensrichtung des Rechtsanwalts in den Blick zu nehmen und zu fragen, ob er (nur) mit Eventualvorsatz hinsichtlich der deliktischen Nutzbarmachung seines (Auskunfts-) Verhaltens oder aber mit sicherem Wissen agierte. Bei Eventualvorsatz soll strafbare Teilnahme grundsätzlich ausscheiden, es sei denn, es handelt sich um einen „erkennbar tatgeneigten“ Täter. Bei sicherem Wissen soll – gewissermaßen umgekehrt – strafbare Teilnahme grundsätzlich zu bejahen sein, es sei denn, dem Beitrag fehlt der „deliktische Sinnbezug“.120 Legte man diese Maßstäbe an, so wäre im hiesigen Fall festzustellen, dass der „nur“ mit Eventualvorsatz agierende Ratgeber die Ausnahme bilden dürfte. Das Vorliegen von Eventualvorsatz unterstellt, dürfte die „erkennbare Tatgeneigtheit“ des Täters zu bejahen sein, sodass eine strafbewehrte Teilnahme zu bejahen wäre. Geht man vom wissenden Ratgeber aus, wäre eine Teilnehmerstrafbarkeit nur bei Fehlen des „deliktischen Sinnbezugs“ zu verneinen. Dieser soll fehlen, „wenn sich der fördernde Beitrag auf eine legale Handlung bezieht, die schon für sich allein genommen für den Täter sinnvoll und nützlich ist, die dieser aber außerdem zur Voraussetzung für ein davon unabhängiges, auf einem selbstständigen Entschluß beruhendes Deliktsverhalten macht“ 121. Da die Auskunft für den in der Extremsituation Befindlichen einzig den Wert hat, einmalig den notwendigen Handlungsimpuls hervorzurufen, liegt auch der deliktische Sinnbezug vor, sodass ebenfalls strafbare Teilnahme zu bejahen wäre. Das unter Heranziehung der Grundsätze der neutralen Handlung gefundene Ergebnis konfligiert mit der eingangs getroffenen Aussage, dass die zutreffend erteilte Rechtsauskunft ganz überwiegend aus dem Bereich strafbaren Teilnahmeunrechts ausgeklammert wird.122 Dies liegt daran, dass die Straffreiheit unter Heranziehung des Rechtsstaatsprinzips123 sowie (z. T. alternativ) unter Verweis 118
Auf diesen notwendigen Zweischritt hinweisend auch Joerden, FS-Puppe, S. 563,
575 f. 119
Dafür Ignor, StraFo 2001, 42, 45 f. Zum Ganzen, mit Nachweisen zum gemischt subjektiv-objektiven Ansatz im Umgang mit sog. neutralen Handlungen, Bechtel, Jura 2016, 865, 868 f. 121 Roxin, AT II, § 26 Rn. 224. Als Beispiele angeführt werden etwa das Bezahlen einer Handwerksarbeit in dem Wissen, dass der Handwerker seine Einkünfte nicht zu versteuern gedenkt (Roxin, AT II, § 26 Rn. 224) sowie das Bewirten von Personen in Kenntnis davon, dass diese nachfolgend, frisch gestärkt, eine Körperverletzung begehen wollen (ders., AT II, § 26 Rn. 225). 122 Vgl. auch die in diesem Kapitel unter Fn. 114 Genannten. 123 Hartmann, ZStW 116 (2004), S. 585, 605; Mallison, Rechtsauskunft als strafbare Teilnahme, 1979, S. 136; ähnlich Kühl, in: Lackner/Kühl, § 26 Rn. 2, wo die Rechtsauskunft als „verfassungsrechtlich nicht verbietbar“ eingeordnet wird. 120
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auf das anwaltliche Berufsrecht124 begründet wird. Im Ergebnis soll die zutreffende Rechtsauskunft jedenfalls – ungeachtet der rechtstechnischen Konstruktion125 – kein strafwürdiges Teilnahmeunrecht darstellen. Danach scheidet eine Strafbarkeit des R gemäß §§ 212, 26 StGB aus. bb) Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung (1) Bergsteiger-Fall 1 In diesem Fall befindet sich der das Seil durchtrennende Bergsteiger A in einer gegenwärtigen Lebensgefahr. Das Durchtrennen des Seiles ist denn auch der einzig gangbare Weg, soll das Rechtsgut Leben aufseiten des A erhalten werden. A ist demnach gemäß § 35 I 1 StGB entschuldigt.126 C, der dem A das Messer zuwirft, leistet einen nicht unerheblichen Beitrag. Daher kann zunächst über eine mittäterschaftliche Begehung nach Maßgabe des § 25 II StGB nachgedacht werden. Indes kann C weder als planvoll-lenkende Zentralgestalt i. S. d. Tatherrschaftslehre127 noch als mit Täterwillen Agierender i. S. d. (gemäßigt) subjektiven Theorie der Rechtsprechung128 eingeordnet werden. Letzteres ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass auch das Vorliegen von Täteroder Teilnehmerwillen – jedenfalls nach jüngerer Rechtsprechung – maßgeblich nach dem Umfang der Tatbeteiligung sowie der Tatherrschaft zu bestimmen ist.129 Das Messer ist in unserem Fall zwar unabdingbares Mittel zur Erreichung des angestrebten (außertatbestandlichen) Zieles. Doch wird die den konkreten Todeserfolg herbeiführende Handlung einzig von A ausgeführt, der das Geschehen insoweit nach seinem Belieben lenken kann. Auszuscheiden hat auch eine Tatbegehung in mittelbarer Täterschaft: Ebensowenig wie der sich mit der Gefahrensituation konfrontiert sehende Anstifter130 hat der eine physische Unterstützungshandlung Leistende Einfluss auf das Entstehen der Gefahrensituation. 124 Dazu insb. Kudlich, Die Unterstützung fremder Straftaten durch berufsbedingtes Verhalten, 2004, S. 478 f. 125 Für einen speziellen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgrund Mallison, Rechtsauskunft als strafbare Teilnahme, 1979, S. 136; für den Ausschluss der objektiven Zurechnung Kudlich, Die Unterstützung fremder Straftaten durch berufsbedingtes Verhalten, 2004, S. 478; Schönke/Schröder-Heine/Weißer, § 26 Rn. 13. 126 Zur Ablehnung einer Heranziehung des § 34 StGB vgl. schon oben B.III. 3.b)bb)(3). 127 Zu dieser B/W/M/E-Eisele, § 25 Rn. 27 ff.; Kühl, AT, § 20 Rn. 26 ff. 128 Vgl. etwa BGHSt 37, 289, 291; 38, 315, 319; 53, 145, 154; BGH NJW 2016, 884, 886. 129 Vgl. nur BGH NJW 2016, 884, 886. Zur Annäherung der Rechtsprechung an die Tatherrschaftslehre etwa B/W/M/E-Eisele, § 25 Rn. 25; Heinrich, AT, Rn. 1207 (mit zahlreichen Nachweisen zur Rspr.). 130 Zum diesbezüglichen Fehlen der Voraussetzungen mittelbarer Täterschaft vgl. oben C.III.1.a)aa)(1).
III. Lösung der Konfliktlagen nach gängigem Verständnis
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Geleistet wird in deren Rahmen „nur“ eine Unterstützungshandlung, an deren Charakter sich auch durch ihre im Einzelfall ermöglichende Funktion131 nichts ändert, sodass es an einer beherrschend-lenkenden Stellung fehlt.132 Danach verbleibt für C nur eine Gehilfenstrafbarkeit, fördert er doch – kausal133 – die Haupttat. Im Raum steht also eine Strafbarkeit gemäß §§ 212, 27 StGB. A ist für C keine Sympathieperson, sodass ein Eingreifen des § 35 StGB zu seinen Gunsten ausscheidet. Auch scheidet eine die Gesamtsituation erfassende Wirkungsweise des § 35 StGB – mit der ganz überwiegenden Ansicht im Schrifttum – aus. Im Ergebnis steht daher eine Strafbarkeit des C gemäß §§ 212, 27 StGB. Auch das Bestehen einer (Beschützter-)Garantenstellung gegenüber dem vom Absturz Bedrohten134 vermag an diesem Resultat nichts zu ändern: C obliegt zwar – als Ergebnis dieser Garantenstellung – eine Handlungspflicht gegenüber dem bedrohten A. Zugleich trifft ihn aber in Ansehung des abgestürzten B eine Unterlassungspflicht betreffend den Eingriff in fremdes Leben. Kollidieren Handlungs- und Unterlassungspflicht, richtet sich die strafrechtliche Beurteilung der eigentlich verbotenen Handlung – hier: Beihilfe zum Durchtrennen des Seils 131 Dazu, dass Beihilfe auch und insbesondere in Gestalt ermöglichender Beiträge geleistet werden kann, vgl. nur B/W/M/E-Eisele, § 26 Rn. 99; Heinrich, AT, Rn. 1320; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 27 Rn. 2; Seher, JuS 2009, 793, 794; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 900. 132 So auch Frister, AT, § 27 Rn. 30; Jescheck/Weigend, AT, § 63 II 6; Schönke/ Schröder-Heine/Weißer, § 25 Rn. 38; Schreiber, in: Eser/Fletcher (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung II, 1988, S. 1151, 1180. Anders Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 151 f., für den Fall, dass der Außenstehende dem „in Not Geratenen überhaupt erst die Möglichkeit verschafft, sich auf Kosten eines anderen in Sicherheit zu bringen“, was gerade bei Anreichen der zur Tatausführung notwendigen Werkzeuge (etwa: Tatwaffe) anzunehmen sei. Dabei soll es auch auf die Motive des Handelnden nicht ankommen: „Er besitzt die Willensherrschaft, einerlei, ob er durch den im Notstand Entschuldigten seinen Feind verderben oder ob er nur seinen Freund retten wollte“ (Roxin, a. a. O., S. 152). Wer „ohne eigene Not“ modifizierend eingreife, maße sich „die Stellung eines Richters über Leben und Tod“ an (wiederum Roxin, a. a. O., S. 152); zustimmend LK-Schünemann, § 25 Rn. 71. Interessanterweise möchte Roxin diesen Befund nicht auf Situationen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands übertragen, „weil man anders als bei den §§ 52, 54 StGB [a. F.] die Entschuldigung, die man dem Notstandstäter gewährt, dem Außenstehenden keinesfalls versagen kann“ (Roxin, a. a. O., S. 155). Beide stünden in der „gleichen, unentrinnbaren Entscheidungssituation“; sie handelten „in gleichem Maße ,frei‘ und ,unfrei‘“ (Roxin, a. a. O., S. 155). Diese Einschätzung wird im Rahmen der gegenständlichen Untersuchung durchaus geteilt, soll aber insoweit vertieft werden, als erstens der (personale) Anwendungsbereich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands zu konkretisieren ist und zweitens – im Widerspruch zu Roxin – eine (auf den Teilnehmer bezogene) Fruchtbarmachung des Rechtsinstituts auch im Anwendungsbereich des § 35 StGB zu erwägen ist. 133 Zur Streitfrage betreffend die Kausalität der Beihilfe vgl. Schönke/SchröderHeine/Weißer, § 27 Rn. 3 ff. 134 Zur pflichtenbegründenden „Gefahrengemeinschaft“ im Rahmen der Unterlassungs-Verantwortlichkeit, die von der Gefahrengemeinschaft im Sinne der Notstandsdogmatik freilich zu scheiden ist, vgl. nur Heinrich, AT, Rn. 937; Kühl, AT, § 18 Rn. 67; Schönke/Schröder-Bosch, § 13 Rn. 24.
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als Verletzung der Unterlassungspflicht – schlicht nach Notstandsgesichtspunkten.135 Andernfalls wäre das beim Eingriff in Rechtsgüter Dritter von § 34 StGB vorgegebene Prinzip des überwiegenden Interesses außer Kraft gesetzt.136 Eine Rechtfertigung kann es in der Konstellation „Leben gegen Leben“ aber nicht geben137, sodass sich die aus der Garantenstellung erwachsende Handlungspflicht auf ein rechtswidriges Verhalten richtet. Eine auf ein rechtswidriges Verhalten gerichtete Handlungspflicht kann es wiederum nicht geben, weshalb die Handlungspflicht letztlich entfällt.138 Dass auch § 35 StGB für den außenstehenden Bergsteiger keine Anwendung finden kann, wurde bereits zuvor dargetan. (2) Schotten-dicht-Fall Kapitän A befindet sich in einer Abwägungssituation dergestalt, dass er entscheiden muss, ob er eine Gruppe von Menschen in den – ohnehin sicheren – Tod schickt oder aber untätig bleibt und damit noch deutlich mehr Menschen dem Untergang preisgibt. Daher scheint seine Situation zunächst vergleichbar mit dem Piloten, der sich vor der Frage sieht, ob er das Leben ohnehin verlorener Flugzeuginsassen zugunsten einer großen Anzahl von Menschen am Boden beenden soll. Der Unterschied zwischen beiden Fällen liegt indes darin, dass für den Kapitän auch das eigene Leben auf dem Spiel steht. Er ist selbst Teil der gefährdeten Gruppe. Demzufolge kann er sich, da er jedenfalls auch zur Selbsterhaltung tätig wird, auf § 35 I 1 StGB berufen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Ausschlussgründe nach § 35 I 2 StGB: Für eine Gefahrverursachung durch den Kapitän gibt es im hiesigen Fall keine Anhaltspunkte; das Bestehen eines besonderen Rechtsverhältnisses wird mit Blick auf die besondere Rolles des Kapitäns im (internationalen) Seerecht zwar zu bejahen sein, doch wird auch vom erhöht Gefahrtragungspflichtigen nicht die Selbstaufopferung verlangt.139 Mit Blick auf Reederei-Mitarbeiter C, der dem A empfiehlt, die Schotten zu schließen, ist zunächst an eine Strafbarkeit gemäß §§ 212, 26 StGB zu denken. Indes geht aus dem Sachverhalt nicht eindeutig hervor, ob A sein Handeln von der Empfehlung abhängig machte oder ob er sich einzig eine Bestärkung erhoffte. Ginge man von letzterem aus, wären die §§ 212, 27 StGB heranzuziehen.140 Ungeachtet der genauen Einordnung ist festzustellen, dass C weder selbst 135 Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 71/72; ferner Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 116 f.; Rönnau, JuS 2013, 113; ders., JuS 2017, 113, 114 f. (mit Blick auf den Flugzeug-Fall); Satzger, Jura 2010, 753, 755 mit Fn. 22. 136 Prägnant Rönnau, JuS 2013, 113. 137 Dazu oben B.III.3.b)bb)(3). 138 Treffend Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 71/72. 139 Vgl. auch Esser/Bettendorf, NStZ 2012, 233, 237, sowie die Ausführungen oben B.III.1.b)bb)(1)(a). 140 Vgl. dazu oben C.III.1.a)aa)(2).
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bedroht ist noch eine Sympathieperson bedroht sieht. Dementsprechend kann er sich nicht auf § 35 I 1 StGB berufen. Im Ergebnis macht er sich daher gemäß §§ 212, 26 (27) StGB strafbar. In der Alternative – der Kontaktaufnahme mit Justitiar J – gilt für die grundlegende Einordnung des Beitrags als Anstiftung oder Beihilfe wiederum das vorstehend Gesagte. Jedoch sind erneut die zur Einordnung der Rechtsauskunft entwickelten Grundsätze zu beachten.141 Danach macht sich J, der A zutreffend über die Rechtslage unterrichtet, nicht strafbar. b) Nichtvorliegen einer Gefahrengemeinschaft aa) Haustyrannen-Fall 1 Der schon als „Klassiker“ einzuordnende Fall des sog. Haustyrannen, der seine Familie derart drangsaliert, dass das Zusammenleben schier unerträglich ist, hat seinen Schwerpunkt – auch und gerade in der juristischen Ausbildung – in der Frage, ob die Tötung des Peinigers (§§ 212, 211142 StGB) tatsächlich das erforderliche Mittel zur Gefahrabwendung darstellt. So verweist insbesondere der BGH auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme staatlicher Hilfe.143 Allerdings kann die Gefahr auch nach Ansicht des BGH „dann als nicht anders abwendbar bewertet werden, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte des Einzelfalls die hinreichende Wirksamkeit der Handlungsalternativen von vornherein zweifelhaft gewesen wäre“ 144. Legt man den hier gegebenen Sachverhalt zugrunde, so hatte sich E bereits um externe Hilfe bemüht, wobei diesen Bemühungen kein Erfolg beschieden war. In der Folge wird man die hinreichende Wirksamkeit anderer Handlungsalternativen ernsthaft bezweifeln müssen. Dementsprechend darf – bei verkürzter Betrachtung, wie sie im Rahmen dieser Arbeit erfolgen muss145 – von der Erforderlichkeit der Tötung ausgegangen werden. Mit Blick auf § 35 I 2 StGB stellt sich sodann die Frage nach der ausnahmsweisen Zumutbarkeit. Die Stellung der E als Ehefrau des M führt zwar nicht zum Vorliegen eines „besonderen Rechtsverhältnisses“ i. S. d. § 35 I 2 StGB, könnte aber Relevanz für die Zumutbarkeitsgeneralklausel entfalten. Letztere ist insoweit Einfallstor für Garantenstellungen, als dem Täter bei bestehenden Obhutspflichten gegenüber dem 141
C.III.1.a)aa)(2). Die Tötung eines Schlafenden ist nach überwiegender Ansicht als heimtückisch i. S. d. § 211 II Gr. 2 Alt. 1 StGB einzuordnen, nehme doch das Opfer „die Arglosigkeit mit in den Schlaf“; so BGHSt 23, 119, 121; 32, 382, 386; 48, 255, 256; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 211 Rn. 7; Schönke/Schröder-Eser/Sternberg-Lieben, § 211 Rn. 24; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, Rn. 139. Kritisch dazu Joecks/Jäger, § 211 Rn. 46; Kretschmer, Jura 2009, 590, 592; Küper, JuS 2000, 740, 745. 143 BGHSt 48, 255, 260 f. 144 BGHSt 48, 255, 260. 145 Eingehend zur Tötung des (schlafenden) Haustyrannen Haverkamp, GA 2006, 586; Hillenkamp, JZ 2004, 48; Kargl, Jura 2004, 189; Rengier, NStZ 2004, 233. 142
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Opfer der Notstandstat ein „Mehr“ an Gefahrtragung auferlegt wird.146 Indes ist trotz formalen Bestehens der Ehe die konkrete Situation der E, die andauernden und wiederkehrenden Misshandlungen ausgesetzt war, zu berücksichtigen. In der Folge kann „von einem noch bestehenden (Garanten-)Obhutsverhältnis schwerlich die Rede sein“ 147. Geht man daher von einer Entschuldigung der E nach § 35 I 1 StGB aus148, stellt sich nachfolgend die Frage nach der Strafbarkeit der Nachbarin. N unterstützt die Tatbegehung der E, indem sie dieser die Tatwaffe gibt. Daneben ist sie weder an der Ausarbeitung des Tatplanes noch an der eigentlichen Tatausführung beteiligt, weshalb eine täterschaftliche Verantwortlichkeit ausscheiden muss. Übrig bleibt eine mögliche Teilnehmerstrafbarkeit, vorliegend in Gestalt der §§ 212 (211), 27 StGB. Dass sich das Mitgeben des Messers fördernd in Ansehung der Haupttat auswirkt, kann nicht in Abrede gestellt werden. N steht in keiner besonderen Nähebeziehung zu E und/oder deren Kindern, sodass ein Rückgriff auf § 35 I 1 StGB nicht möglich ist. Sie geht also nicht straffrei aus, sondern macht sich wegen Beihilfe zu einem Tötungsdelikt, bei Bejahung heimtückischen Handelns der E gar wegen Beihilfe zum Mord strafbar. bb) Weichensteller-Fall 1 Im Gegensatz zum ursprünglichen Weichensteller-Fall, gebildet von Welzel 149, weist die hier gebildete Konstellation die Besonderheit auf, dass der Weichensteller eine Sympathieperson, seine Tochter, bedroht sieht. Dementsprechend kann er sich auf § 35 I 1 StGB berufen: Dass die Bahnarbeiter im Ausgangspunkt nicht Teil des Gefahrenszenarios, sondern Unbeteiligte sind, ändert daran nichts – § 35 StGB lässt auch die Tötung Unbeteiligter zu. Auszubildender A ruft bei W den Tatentschluss zum Handeln durch seine Aufforderung, nun doch aktiv zu werden, hervor. Eine bloße Bestärkung in einer ohnehin bereits fest stehenden Absicht, die zur Annahme psychischer Beihilfe führen würde, ist insoweit abzulehnen. Heranzuziehen sind daher die §§ 212, 26 StGB.150 Da sich im Zug keine Sympathieperson des A befindet, kommt eine 146 Zur Bedeutung von Garantenstellungen im Rahmen der Generalklausel vgl. oben B.III.1.b)bb)(2)(a). 147 Rengier, AT, § 26 Rn. 32; ähnlich BGHSt 48, 255, 259, der „kein Rechtsverhältnis“ sieht, „aufgrund dessen der Angeklagten die Hinnahme der Gefahr weiterer, auch heftiger körperlicher Attacken zuzumuten gewesen wäre“. 148 Eine Entschuldigung in entsprechend gelagerten Fällen für möglich haltend auch Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 147 f.; LK-Zieschang, § 35 Rn. 44; NK-Neumann, § 212 Rn. 24; Rotsch, JuS 2005, 12, 16; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 690. 149 Welzel, ZStW 63 (1951), S. 47, 51; zur „Urform“ des Falles vgl. „WeichenstellerFall 2“, C.II.2.b) sowie C.III.2.b). 150 Das in Ansehung der ahnungslosen Bahnarbeiter einzig in Erwägung zu ziehende Mordmerkmal der Heimtücke ist zu verneinen, kann doch jedenfalls nicht von einem (bewussten) Ausnutzen der auf Arglosigkeit beruhenden Wehrlosigkeit ausgegangen werden. Danach bleibt es beim Totschlag (§ 212 StGB) als Anknüpfungstat.
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Entschuldigung nach Maßgabe des § 35 I 1 StGB nicht in Betracht. A ist danach als Anstifter zum (mehrfachen) Totschlag strafbar. 2. Übergesetzlicher entschuldigender Notstand a) Vorliegen einer Gefahrengemeinschaft aa) Gefahrengemeinschaft mit gleichmäßiger Chancenverteilung • Fährmann-Fall F sieht sich vor die Wahl gestellt, entweder alle Kinder ertrinken zu lassen oder wenigstens einen Teil sicher ans Ufer zu bringen. Er selbst kann sich der Bedrohung – als geübter Schwimmer – jederzeit entziehen. Demnach kann eine Entschuldigung jedenfalls nicht mit Blick auf ein Tätigwerden zur Selbsterhaltung (im engeren Sinne) begründet werden. Auch steht F in keiner besonderen Nähebeziehung zu den von ihm transportierten Kindern. Danach steht fest: Ein Rückgriff auf § 35 I 1 StGB scheidet aus. Eine Strafbarkeit desjenigen, der zwar keinen persönlichen Gefahrbezug nach Maßgabe des § 35 I 1 StGB aufweist, sich aber nichtsdestotrotz einem erheblichen psychischen Entscheidungsdruck ausgesetzt sieht, weil er vor der Wahl steht, untätig zu bleiben und alle untergehen zu lassen oder tätig zu werden, um einige zu retten, dabei aber andere aktiv dem Tode zu überantworten, wird vielfach abgelehnt.151 Der übergesetzliche entschuldigende Notstand soll in entsprechend gelagerten Fällen – jedenfalls dann, wenn eine Gefahrengemeinschaft vorliegt – einen Schuldausschluss und damit Straffreiheit bewirken.152 Kommt für F also eine Berufung auf den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand in Betracht, stellt sich die Frage, welche Strafbarkeit Wanderer W droht. W ruft bei F den Tatentschluss hervor, sodass eine Strafbarkeit gemäß §§ 212, 26 StGB zulasten der über Bord geworfenen Kinder im Raum steht. Für W stellt keines der – geretteten – Kinder eine Sympathieperson dar, sodass § 35 StGB nicht herangezogen werden kann. Letztlich steht für W daher das Ergebnis einer Strafbarkeit. bb) Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung (1) Flugzeug-Fall Kampfpilot K kann sich in Ansehung der im Stadion befindlichen Menschen zwar nicht auf § 35 I 1 StGB, wohl aber auf den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand berufen.153 151 Zur grundsätzlichen Anerkennung des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands vgl. oben B.III.3.c). 152 Zur Diskussion um die Erfassung von Konstellationen, in denen es an einer Gefahrengemeinschaft fehlt, vgl. B.III.3.d)aa). 153 Zu dessen Anerkennung vgl. wiederum oben B.III.3.c).
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Ehefrau E rät K aus sicherer Entfernung, die Passagiermaschine abzuschießen, um das Leben der Stadioninsassen zu retten. Da E für K eine wichtige Stütze ist und er sein Handeln von ihrem Rat abhängig macht, ist die Grenze zur Anstiftung überschritten,154 weshalb für E eine Strafbarkeit gemäß §§ 212 (211),155 26 StGB im Raum steht. Auch E gibt ihren Rat nicht im Interesse einer im Stadion befindlichen Sympathieperson, sondern völlig losgelöst von jedwedem persönlich Bezug. Auch für sie scheidet ein Rückgriff auf § 35 I 1 StGB aus. (2) Bergsteiger-Fall 2 C selbst sieht sich nicht bedroht. Auch handelt es sich bei A nicht um eine Sympathieperson i. S. d. § 35 I 1 StGB. Dennoch steht er vor der Entscheidung, durch Durchtrennen des Seiles wenigstens eine Person zu retten oder aber untätig zu bleiben, was den Tod beider Kameraden zur Folge hätte. Damit befindet er sich in einem Entscheidungsdilemma, welches nach gängiger Auffassung im Schrifttum durch Heranziehung des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands berücksichtigt werden kann.156 Durch den Zuruf des D wird bei C der Tatentschluss hervorgerufen, sodass für D eine Strafbarkeit gemäß §§ 212, 26 StGB im Raum steht. Denkbar wäre es auch, dass D – vergleichbar dem Bergsteiger-Fall 1 – dem C ein Messer zuwirft, mit welchem C das Seil dann durchtrennt. In diesem Falle käme eine Beihilfestrafbarkeit nach §§ 212, 27 StGB in Betracht. Auch für D stellt A keine Sympathieperson i. S. d. § 35 I 1 StGB dar. Infolgedessen ergibt sich für D eine Strafbarkeit gemäß §§ 212, 26 (27) StGB. b) Nichtvorliegen einer Gefahrengemeinschaft • Weichensteller-Fall 2 Der hier als Weichensteller-Fall 2 benannte Sachverhalt stellt letztlich – erweitert um den Auszubildenden A – den klassischen, von Welzel gebildeten Fall dar.157 Verzichtet man – wie hier158 – auf das Erfordernis der Gefahrengemeinschaft und lässt auch eine Einbeziehung eingangs Unbeteiligter zu, so kann sich Weichensteller W, der sich letztlich an der Zahl der gefährdeten Personen orientiert, auf den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand berufen. 154 Zur Abgrenzung von Anstiftung und Beihilfe in diesen Fällen vgl. oben C.III. 1.a)aa)(2). 155 Hinsichtlich der Geschosskörper des Militärflugzeugs kann über das Mordmerkmal des „gemeingefährlichen Mittels“ nachgedacht werden; lesenswert dazu – in Auseinandersetzung mit Ferdinand v. Schirachs Theaterstück „Terror“ – Schild, Verwirrende Rechtsbelehrung, 2016, S. 23 f. 156 Vgl. auch die Schrifttumsnachweise unter B.III.3. in Fn. 250. 157 Welzel, ZStW 63 (1951), S. 47, 51. 158 Dazu oben B.III.3.d)aa).
IV. Begründungswege der gängigen Auffassung
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Für A bleibt es dagegen – der gängigen Betrachtungsweise folgend – bei einer Strafbarkeit gemäß §§ 212, 26 StGB. 3. Fazit Die Lösung der ausgewählten Fälle erfolgte in Anlehnung an die sich auf die Zentralgestalt des Geschehens verengende gängige Betrachtungsweise. Bei dieser Betrachtungsweise bleibt für die spezifische Situation des Teilnehmers, sei er nun Anstifter oder Gehilfe, kein Raum. Er macht sich strafbar.
IV. Begründungswege der gängigen Auffassung Naheliegend wird in Auseinandersetzung mit der Strafbarkeit desjenigen Teilnehmers, welcher weder einen Angehörigen noch eine sonstige Sympathieperson in Gefahr sieht, auf den Grundsatz der limitierten Akzessorietät verwiesen.159 Puppe fasst dessen Inhalt prägnant wie folgt zusammen: „Das Unrecht ist den Beteiligten gemeinsam, die Schuld ist individuell.“ 160 Zieschang weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass zwar das Teilnahme-Unrecht in der Notstandssituation gemindert sei, diese Minderung jedoch „für sich allein die Straflosigkeit des Teilnehmers nicht zu begründen“ 161 vermöge. Eine Entschuldigung verlange „außerdem den Motivationsdruck, dem jemand ausgesetzt ist, wenn er selbst oder eine Sympathieperson sich in Gefahr befindet“ 162. Damit ist letztlich Bezug genommen auf den auch im Rahmen dieser Arbeit favorisierten Gedanken einer kumulativen Minderung von Unrecht und Schuld.163 Die beim Täter aufgrund des besonderen Motivationsdrucks – generalisierend – zu bejahende Schuldminderung könne aufgrund des individuellen Charakters der Schuld, der letztlich in § 29 StGB positiviert werde, nicht auf den Teilnehmer übertragen werden.164 Ins Zentrum rückt damit weniger die Akzessorietät als solche denn ihre Limitierung, die eine Abhängigkeit der Teilnehmerstrafbarkeit in Ansehung schuldhafter Tatbegehung gerade nicht vorsieht. Daneben bemüht insbesondere Roxin „die Notstandslehre selbst“ 165, um der vereinzelt propagierten Straflosigkeit des Teilnehmers166 entgegenzutreten. So 159 B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 8 f.; Jescheck/Weigend, AT, § 61 VII 5; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 35 Rn. 15; LK-Zieschang, § 35 Rn. 71; MK-Müssig, § 35 Rn. 86; M/ R-Engländer, § 35 Rn. 18; Roxin, AT I, § 22 Rn. 66; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 46; S/S/W-Rosenau, § 35 Rn. 21. 160 Puppe, ZStW 120 (2008), S. 504, 507. 161 LK-Zieschang, § 35 Rn. 71. 162 LK-Zieschang, § 35 Rn. 71. 163 Dazu oben B.III.1.b)aa). 164 LK-Zieschang, § 35 Rn. 71; inhaltlich übereinstimmend MK-Müssig, § 35 Rn. 86; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 46. 165 Roxin, AT I, § 22 Rn. 66; ders., JA 1990, 137, 143.
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
habe der Gesetzgeber die Grenzen der Notstandshilfe durch die explizite Verengung auf Sympathiepersonen klar konturiert, was durch eine Straffreistellung sonstiger Teilnehmer unterlaufen würde.167 Beiden Argumentationsansätzen kann – auf den ersten Blick – kaum etwas entgegengehalten werden. So ist die Limitierung der Akzessorietät keine bloße Lehrmeinung, sondern – spätestens seit 1975168 – positives Gesetzesrecht. Dennoch sind die zuvor skizzierten Begründungswege genauer in den Blick zu nehmen, lassen sich aus deren Begutachtung doch im Mindesten Konsequenzen für – mögliche – Lösungsansätze ziehen, die weder an der Limitierung der Akzessorietät rütteln noch „die Notstandslehre selbst“ neu schreiben wollen. Aufgrund des weitestgehenden Fehlens entsprechender Ansätze169 erscheint, wie Jäger treffend resümiert, „eine nähere Untersuchung dieser Fragestellung (. . .) überfällig“ 170. 1. Die limitierte Akzessorietät Das geflügelte Wort von der „limitierten Akzessorietät“ verdeckt den Umstand, dass um die (Mindest-)Voraussetzungen der teilnahmefähigen Haupttat über Jahrzehnte gerungen wurde. Während die §§ 26, 27 StGB explizit das Vorliegen einer (nur) „rechtswidrigen Tat“ verlangen, verwiesen die Vorgängervorschriften der §§ 48, 49 StGB a. F. auf eine „mit Strafe bedrohte Handlung“. Die Offenheit dieser Formulierung warf die Frage auf, welcher Natur die Tat sein musste – vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft? Nachfolgend soll ein Überblick über die Entwicklung der hier interessierenden Akzessorietätsvorschriften gegeben werden, um einerseits den rechtlichen Rahmen abzustecken, innerhalb dessen sich frühere Lösungsansätze bewegten, andererseits aber auch ein Bewusstsein für eine Rechtsfrage zu schaffen, die vom Gesetzgeber mit einem Handstreich „gelöst“ wurde, ohne freilich die dahinter stehende Problematik aus der Welt zu schaffen. a) Entwicklungsstufen Möglich erscheint es, bereits beim römischen sowie beim germanischen und fränkischen Recht anzusetzen, um erste Erkenntnisse über frühere Beteiligungssysteme zu gewinnen, die womöglich von Bedeutung für die gegenwärtige Gesetzeslage sind. Diesbezüglich ist aber zweierlei zu beachten: Erstens gestaltet sich 166
Zu den entsprechenden Ansätzen unten C.V. Roxin, AT I, § 22 Rn. 66; ders., JA 1990, 137, 143. 168 Zur historischen Entwicklung der (limitierten) Akzessorietät sogleich unten C. IV.1.a). 169 Die unter C.V. in den Blick zu nehmenden (Minder-)Auffassungen kommen mehrheitlich – z. T. aufgrund ihres Entstehungszeitpunktes – nicht umhin, die Limitierung der Akzessorietät und/oder die Reichweite der Notstandsregelungen grundsätzlich zu hinterfragen. 170 Jäger, FS-Beulke, S. 127, 136. 167
IV. Begründungswege der gängigen Auffassung
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die Quellenlage betreffend der vorgenannten Rechtssysteme keineswegs so, dass man ein deutliches Bild verschiedener Beteiligungssysteme zeichnen könnte. Gerade gegenüber frühneuzeitlichen Kodifikationen, wie der Constitutio Criminalis Carolina (Peinliche Halsgerichtsordnung) von 1532, sind vielfach Unklarheiten in der Ausdrucksweise zu attestieren.171 Zweitens sind diejenigen Erkenntnisse, welche im Umgang mit den vorhandenen Quellen erzielt werden können, derart basaler Natur, dass eine Beschäftigung mit dem Ziel des Erkenntnisgewinns in Fragen der (Limitierung der) Akzessorietät wenig sinnhaft erscheint. So geht es in Auseinandersetzung mit dem römischen sowie dem fränkischen und germanischen Recht in erster Linie um die Frage, ob überhaupt eine Differenzierung nach Beteiligungsformen stattfand.172 Weiter ist festzustellen, dass, insoweit die Quellen eine Differenzierung erkennen lassen, im römischen Recht regelmäßig die Erfolgsherbeiführung (durch einen der Beteiligten) zur Voraussetzung strafbaren Handelns gemacht wurde.173 Weitere Aussagen über die Ausgestaltung des Abhängigkeitsverhältnisses lassen sich anhand der Quellen kaum treffen, was den Schluss zulässt, „dass die Wurzeln des heute herrschenden Akzessorietätsverständnisses nicht bis ins deutsche Mittelalter zurückreichen und die damals bekannten Regelungen noch keine Gründe für eine ganz bestimmte Form der Ausgestaltung des Abhängigkeitsverhältnisses angeben konnten“ 174. Folglich setzen die hiesigen Betrachtungen in der frühen Neuzeit an, um ihren Schwerpunkt schließlich in der Auseinandersetzung mit den Vorgängerregelungen der §§ 26 ff. StGB aus dem 19. und 20. Jahrhundert zu finden. aa) Die Constitutio Criminalis Carolina vor dem Hintergrund italienischen Rechtsdenkens Die Constitutio Criminalis Carolina (Carolina) aus dem Jahre 1532 enthält mit Art. 177 eine Vorschrift, die sich der Frage der Strafbarkeit desjenigen widmet, welcher „eynem mißthätter (. . .) hilff, beistandt oder fürderung, wie das alles namen hat, thut“ 175. Im Gegensatz zur Bambergischen Peinlichen Halsgerichtsordnung (Bambergensis) aus dem Jahre 1507, die auch denjenigen in den Blick nimmt, welcher „ursach dazu [zur misstat] gibt“ 176, fehlt es an einer expliziten Erwähnung der „Anstiftung“ 177. Darüber, welche Konsequenzen aus dem Fehlen 171 Zur Schwierigkeit im Umgang mit den Quellen auch Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 60. 172 Vgl. allgemein Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 52 ff. 173 Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 53 f. 174 Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 61. 175 Hier sowie im Folgenden zitiert nach Buschmann, Textbuch zur Strafrechtsgeschichte der Neuzeit, 1998, S. 163. 176 Art. 203 Bambergensis. 177 Freilich sind die Begriffe der „Anstiftung“ sowie der „Beihilfe“ der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Strafrechtswissenschaft unbekannt. Die in der Carolina
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dieses Passus zu ziehen sind, besteht Uneinigkeit. So ist es einerseits denkbar, unter besonderem Hinweis auf die Worte „wie das alles namen hat“ auch die Anstiftung als miterfasst zu betrachten.178 Andererseits kann man argumentieren, dass die damals weit verbreitete Rezeption des italienischen Rechtdenkens179 zu einer Einordnung der „Rathilfe“ als eigenständige Täterschaftsform (mandatum) führte, sodass die Tatbestände des Besonderen Teils der Carolina unmittelbar Anwendung fanden.180 Die Frage nach den unterschiedlichen Formen der Teilnahme einmal außen vor lassend, interessiert im Rahmen der gegenständlichen Untersuchung vor allem die (Reichweite der) Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat. Engelmann kommt in seiner Untersuchung des – für die Rezeption der Carolina bedeutsamen – italienischen Rechts des Mittelalters zu dem Schluss, dass „bei Unverantwortlichkeit des Täters (. . .) Beihilfe (auxilium) wie Anstiftung (consilium) ausgeschlossen“ 181 gewesen seien. Inhaltlich scheint damit der Weg einer strengen Akzessorietät nachgezeichnet. Nichtsdestotrotz hält Engelmann nur wenige Zeilen später fest: „Einen doktrinären Grundsatz ,accessorischer Natur‘ der Teilnahme, dessen Konsequenzen über das durch zwingende Logik Geforderte hinausgehen, haben die italienischen Juristen nicht vertreten.“ 182 Die von Engelmann in Bezug genommene „zwingende Logik“ bedeutet in Auseinandersetzung mit Konstellationen fehlender Verantwortung des Täters, dass es an einer (Allein-)Urheberschaft des Täters fehlt, weshalb die vermeintlichen Teilnehmer zu (Allein-)Urhebern werden. In Folge dessen können sie – logisch – keine Teilnehmer (mehr) sein.183 Auch Schaffstein u. v. Hippel meinen, Akzessorietätsgrundsätze, die für das Recht der Carolina hätten fruchtbar gemacht werden können, im italienischen Recht nicht zu finden.184 Anderer Auffassung ist Heimberger, der die Schriften namhafter italienischer Rechtsgelehrter des Spätmittelalters (Postglossatoren) dahingehend interpretiert, dass sich die akzessori(Art. 177) und der Bambergensis (Art. 203) beschriebenen Verhaltensweisen kommen dem Inhalt der vorgenannten „modernen“ Begrifflichkeiten jedoch – partiell – recht nah. Zum Unterschied in den Begrifflichkeiten vgl. auch Schaffstein, Die Allgemeinen Lehren vom Verbrechen, 1930, S. 174. 178 Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen in Gesetzgebung und Literatur von Schwarzenberg bis Feuerbach, 1896, S. 85 f.; v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. I, 1925, S. 207 f.; jüngst auch Geppert, Jura 2015, 143, 147 f. 179 Zum Einfluss der italienischen Strafrechtswissenschaft, nicht zuletzt durch in Italien ausgebildete Juristen, vgl. nur de With, NJW 1982, 1440, 1441; Schaffstein, in: F.-C. Schroeder (Hrsg.), Die Carolina, 1986, S. 29, 32 ff.; ders., Die Allgemeinen Lehren vom Verbrechen, 1930, S. 169 ff. (zum Einfluss des italienischen Rechts auf das Teilnahme-Verständnis). 180 Dafür Schaffstein, Die Allgemeinen Lehren vom Verbrechen, 1930, S. 171 Fn. 5; zustimmend Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 82. 181 Engelmann, FS-Binding, Bd. 2, S. 387, 475. 182 Engelmann, FS-Binding, Bd. 2, S. 387, 476. 183 Prägnant Engelmann, FS-Binding, Bd. 2, S. 387, 396. 184 Schaffstein, Die Allgemeinen Lehren vom Verbrechen, 1930, S. 203 ff.; v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. I, 1925, S. 97 Fn. 3.
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sche Natur der Teilnahme „unverkennbar zum Ausdruck gebracht“ 185 finde. Freilich setzten sich die italienischen Autoren vorwiegend mit dem sog. mandatum, einer „janusköpfige[n] Beteiligungsform“ 186, auseinander; „janusköpfig“ deshalb, weil das Mandat nach Maßgabe des italienischen Rechts jegliche Form des Bestimmens im eigenen Willensinteresse des Mandanten erfasste.187 Damit sind einerseits Fälle erfasst, die nach gegenwärtigem Verständnis der Anstiftung unterfallen, andererseits aber auch Fälle, die man, etwa bei Einwirkung durch Befehl oder Zwang, der mittelbaren Täterschaft zuordnen würde. Das mandatum ist damit eine Beteiligungsform, die der heutigen Dogmatik fremd ist. Aus deren Behandlung also Rückschlüsse auf die Reichweite der Akzessorietät ziehen zu wollen, stellt sich von vornherein als kompliziertes Unterfangen dar.188 Wie sich bereits aus der vorstehend skizzierten Figur des Mandats ergibt, liegt die maßgebliche Schwierigkeit in Auseinandersetzung mit dem frühneuzeitlichen deutschen und dem – insoweit prägenden – spätmittelalterlichen italienischen Recht darin, dass eine abstrakte begriffliche Trennung von Täterschaft und Teilnahme nicht erfolgte. In den Vordergrund gerückt wurden schlicht einzelne Formen der Beteiligung, ohne dass ein Denken in übergeordneten Kategorien auch nur im Ansatz auszumachen ist.189 Dies räumt selbst Heimberger indirekt ein, wenn er feststellt, dass auch die italienischen Juristen „zu endgültigen und befriedigenden Resultaten (. . .) nicht gelangt“ 190 seien. Die Betrachtungen zur Carolina mögen daher mit den Worten Schaffsteins schließen, der – seinerseits unter Bezugnahme auf v. Hippel – festhält, „daß derartige Fragen wie die der akzessorischen Natur der Teilnahme überhaupt der damaligen Dogmatik noch fremd gewesen sind“ 191. bb) Vom neuen Abstraktionsniveau des Naturrechts Mit der Hinwendung zum Naturrecht im 17. und 18. Jahrhundert wurden auch die Strafrechtslehren auf eine neue Grundlage gestellt. Nicht hoch genug kann der Einfluss Pufendorfs veranschlagt werden, der mit seiner Imputationslehre neben das Kriterium der Kausalität einer Handlung auch die Freiheit des Willens185 Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen in Gesetzgebung und Literatur von Schwarzenberg bis Feuerbach, 1896, S. 35. 186 Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 69. 187 Zum Verständnis des Mandats vgl. Engelmann, FS-Binding, Bd. 2, 1911, S. 387, 417; Schaffstein, Die Allgemeinen Lehren vom Verbrechen, 1930, S. 182. 188 So auch Schaffstein, Die Allgemeinen Lehren vom Verbrechen, 1930, S. 203 f. 189 Prägnant Schaffstein, Die Allgemeinen Lehren vom Verbrechen, 1930, S. 189; deutlich auch Lampe, ZStW 77 (1965), S. 262, 283 Anm. 67a. 190 Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen in Gesetzgebung und Literatur von Schwarzenberg bis Feuerbach, 1896, S. 42. 191 Schaffstein, Die Allgemeinen Lehren vom Verbrechen, 1930, S. 203.
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entschlusses setzte.192 Handelte ein Beteiligter „unfrei“ – gemeint sind Fälle von Zwang oder Irrtum –, musste er als Zurechnungsobjekt komplett außen vor bleiben.193 Handelte er dagegen frei, bestimmte sich das Strafmaß nach der Auswirkung seines Tatbeitrags, mithin nach seinem Kausalitätsanteil.194 Pufendorf setzte damit allgemeingültige Kriterien fest, die das Maß strafrechtlicher Verantwortung im Einzelfall bestimmen sollten. Dabei ist das Maß strafrechtlicher Verantwortung auf die Rechtsfolgenseite zu beziehen, ohne dass Pufendorf eine abstrakt-begriffliche Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Sinn gehabt hätte. So blieb es auch in der spezifisch strafrechtlichen Rezeption Pufendorfs zunächst dabei, dass zwar zwischen Täter- bzw. Urheberschaft und verschiedenen Formen der Teilnahme unterschieden wurde, mit der Einteilung als solcher aber noch keine Entscheidung über das Strafmaß verbunden war.195 Für die gegenständliche Untersuchung ist wiederum das Akzessorietätsverständnis jener Epoche von Interesse. Die Fokussierung der damaligen Überlegungen auf die Ermittlung des Strafmaßes lässt bereits erahnen, dass Fragen des Verhältnisses von Täterschaft und Teilnahme kaum Beachtung fanden. cc) Die Entwicklung im 19. Jahrhundert Ungeachtet des maßgeblich von Pufendorf bewirkten höheren Abstraktionsniveaus in den Strafrechtswissenschaften, fehlte es nach wie vor an einer scharfen begrifflichen Trennung von Täterschaft und Teilnahme, welche – als Folgeschritt – eine eingehendere gedankliche Auseinandersetzung mit dem insoweit bestehenden Abhängigkeitsverhältnis erlaubt hätte. So unterschied zwar Feuerbach in seinem Lehrbuch zwischen Urhebern einerseits und Gehilfen andererseits.196 Urheber konnte derjenige sein, der „die Handlung, welche den Begriff des Verbrechens ausmacht, selbst begangen hat (physischer Urheber)“ 197, genauso jedoch derjenige, der „durch absichtliche Bestimmung des Willens eines Andern zur Begehung des Verbrechens“ 198 mitgewirkt hat. Letzteren bezeichnete Feuerbach als „intellectuelle[n] Urheber“ 199. Formen des Bestimmens sah Feuerbach im Auftrag, in einem Befehl, in Drohungen oder Verheißungen, im Rat so192 Dazu Maiwald, FS-Bockelmann, S. 343, 346; Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 87 f. 193 Maiwald, FS-Bockelmann, S. 343, 346. 194 Maiwald, FS-Bockelmann, S. 343, 346; Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 88; Schaffstein, Die Allgemeinen Lehren vom Verbrechen, 1930, S. 190 f. 195 Maiwald, FS-Bockelmann, S. 343, 348; insoweit von einer „Besonderheit des gemeinen Strafrechts“ sprechend Schaffstein, Die Allgemeinen Lehren vom Verbrechen, 1930, S. 195. 196 Feuerbach, Lehrbuch, 11. Aufl. 1832, § 44 u. § 45. 197 Feuerbach, Lehrbuch, 11. Aufl. 1832, § 44 (S. 37). 198 Feuerbach, Lehrbuch, 11. Aufl. 1832, § 44 (S. 37). 199 Feuerbach, Lehrbuch, 11. Aufl. 1832, § 44 (S. 37).
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wie im absichtlichen Erregen oder Benutzen eines Irrtums.200 Schließlich ordnete Feuerbach auch den „Hauptgehülfe[n]“, den „socius principalis“ 201, als Urheber ein. Gehilfe bzw. „Gehülfe“ im engeren Sinne sollte dagegen derjenige sein, welcher Handlungen vornimmt, die „zwar für sich betrachtet, das Verbrechen nicht hervorbringen, aber durch Beförderung der Wirksamkeit des Urhebers zu dessen Entstehung mit beitragen“ 202. Damit blieb Feuerbach letztlich alten Anschauungen verhaftet203, die insbesondere die Anstiftung als Fall der („intellectuellen“) Urheber- und damit Täterschaft einordneten und dadurch eine partielle Gleichbehandlung mit – heutigen – Fällen der mittelbaren Täterschaft erreichten.204 Auch leuchtet die Kategorie des „Hauptgehülfen“ nicht recht ein, liegt doch in der Bezeichnung als „Gehülfe“ bereits eine Wertung, die einer Urheberschaft (Täterschaft) an sich – begrifflich – im Wege steht.205 Bei Feuerbach dominiert nach wie vor das Kriterium der „Urheberschaft“, ohne dass konsequent zwischen eigener Tat und der Teilnahme an fremder Tat unterschieden wurde.206 Maiwald bringt all dies treffend auf den Punkt, wenn er festhält: „Die sonst so ausgeprägte systematisierende Kraft Feuerbachs lässt es hier im Wesentlichen mit der Wiedergabe und nur in Nuancierungen präzisierten Modifizierung der herkömmlichen Teilnahmelehre bewenden.“ 207 Moderner, weil die willensgetragene Handlung in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellend, erscheinen die Äußerungen der in der Tradition Hegels stehenden Strafrechtswissenschaftler. Sie gingen von der Annahme aus, dass die Verbindung zwischen der sich äußerlich manifestierenden Tat und dem insoweit zugrundeliegenden Willen im Element der Handlung zu suchen sei.208 Berner formulierte: „Das Geschehene ist nunmehr auf den Willen, das Innere auf das Äußere, zu beziehen. Darin besteht das Zurechnen. Insofern nun das Innere sich geäußert, das Geschehene gewollt ist, nennen wir es: Handlung.“ 209 Zugleich wurde – ganz im Sinne der Imputationslehre – die Notwendigkeit freier Willens200
Feuerbach, Lehrbuch, 11. Aufl. 1832, § 46 (S. 39). Feuerbach, Lehrbuch, 11. Aufl. 1832, § 44 (S. 38). 202 Feuerbach, Lehrbuch, 11. Aufl. 1832, § 45 (S. 38). 203 Zu den Beteiligungsformen nach italienischem Vorbild, die das Teilnahme-Verständnis der (frühen) Neuzeit prägten, vgl. oben C.IV.1.a)aa). 204 So würde das Einwirken durch „Drohung“ sowie durch Ausnutzen eines Irrtums heute regelmäßig einen Fall mittelbarer Täterschaft darstellen, während die Erteilung eines Rates (zur Tatbegehung) der Anstiftung zuzuordnen wäre. Dazu auch Maiwald, FS-Schroeder, S. 283, 285 ff.; Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 98. 205 Zu Recht kritisch insoweit auch Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen in Gesetzgebung und Literatur von Schwarzenberg bis Feuerbach, 1896, S. 247 f. 206 Prägnant Maiwald, FS-Schroeder, S. 283, 285 f. 207 Maiwald, FS-Schroeder, S. 283, 291. 208 Berner, Grundlinien der criminalistischen Imputationslehre, 1843, S. 39 f.; Köstlin, Neue Revision der Grundbegriffe des Criminalrechts, 1845, S. 447. 209 Berner, Grundlinien der criminalistischen Imputationslehre, 1843, S. 40. 201
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entschließung betont.210 Wurde aber die Freiheit der Willensentschließung vorausgesetzt, musste es merkwürdig anmuten, jegliche Form der Einwirkung auf einen anderen (sei es durch Drohung, Zwang, Auftrag, Rat oder Hervorrufen bzw. Ausnutzen eines Irrtums) als Fall intellektueller Urheberschaft – im Feuerbachschen Sinne – einzuordnen. Insbesondere Köstlin machte mit der Anknüpfung an einen willensgetragenen Handlungsbegriff ernst und zog umfassende Folgerungen für die Beteiligungssystematik. Nach Köstlin handelt derjenige, der einem Irrtum unterliegt, genötigt wird oder sonst „subjektiv unzurechnungsfähig“ 211 ist, selbst unfrei, sodass – konsequent – einzig der Einwirkende („der scheinbare Anstifter“ 212) „als alleiniger, mithin auch physischer Urheber zu betrachten ist“ 213. Im Falle des Auftrags oder Rats wird dagegen auf einen seinerseits frei Agierenden eingewirkt, sodass der – im modernen Sinne – Anstiftende zur „mittelbaren Ursache“ 214 wird. Insoweit erreichte Köstlin eine Verengung des Bereichs der intellektuellen Urheberschaft, nahm er doch Konstellationen aus, die heute der mittelbaren Täterschaft zuzuordnen wären.215 Mit Blick auf die Anstiftung selbst zog Köstlin indes nicht den Schluss, dass das Einwirken auf einen seinerseits frei Agierenden generell als bloße Teilnahme an fremder Tat einzustufen ist. Vielmehr will er danach differenzieren, ob „der Handelnde in seinem Handeln sich selbst Zweck sei“ 216. Für diesen Fall sei (intellektuelle) Urheberschaft zu bejahen.217 Setze sich der Handelnde dagegen „als bloßes Mittel für einen fremden Zweck“ 218, handele es sich um Beihilfe.219 Inhaltlich ist damit der Weg einer streng subjektiven Abgrenzung nach Urheber- bzw. Täterwillen einer- und Teilnehmerwillen andererseits vorgezeichnet.220 Die Rolle der Anstiftung bleibt letztlich aus heutiger Sicht unklar. 210 Abegg, Lehrbuch der Strafrechtswissenschaft, 1836, S. 125: „Die Grundlage der Zurechnung ist überhaupt die Anerkennung und Voraussetzung der Vernünftigkeit im Menschen, seiner Handlungsfähigkeit.“; Berner, Grundlinien der criminalistischen Imputationslehre, 1843, S. 34: „An die Vernunft und an die Freiheit muss das Strafgesetz gerichtet sein; auf Vernunft und Freiheit muss auch die Imputationslehre erbaut werden.“ 211 Köstlin, Neue Revision der Grundbegriffe des Criminalrechts, 1845, S. 510. 212 Köstlin, Neue Revision der Grundbegriffe des Criminalrechts, 1845, S. 510. 213 Köstlin, Neue Revision der Grundbegriffe des Criminalrechts, 1845, S. 510. 214 Köstlin, Neue Revision der Grundbegriffe des Criminalrechts, 1845, S. 448. 215 Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 110, sieht darin eine Annäherung an die Anstiftung des geltenden Rechts. 216 Köstlin, Neue Revision der Grundbegriffe des Criminalrechts, 1845, S. 448 u. S. 464. 217 Köstlin, Neue Revision der Grundbegriffe des Criminalrechts, 1845, S. 448 u. S. 464. 218 Köstlin, Neue Revision der Grundbegriffe des Criminalrechts, 1845, S. 449. 219 Köstlin, Neue Revision der Grundbegriffe des Criminalrechts, 1845, S. 449. 220 Vgl. dazu auch Maiwald, FS-Schroeder, S. 283, 293; Schroeder, Der Täter hinter dem Täter, 1965, S. 23.
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Denn einerseits konnte die Anstiftung auch in der Konzeption Köstlins nicht für sich stehen, sondern war abhängig vom „Vorhandensein eines Gehilfen“ (im w. S.), der „seinerseits als Miturheber oder bloßer Gehilfe“ 221 einzustufen sein konnte. Andererseits sollte sie von der Gehilfenschaft (im engeren Sinne), bei der „der Gehilfe sich selbst als bloßes Mittel für einen Andern setzt“ 222, scharf zu trennen sein. Wenn Bloy also in Auseinandersetzung mit der Beteiligungslehre Köstlins konstatiert, die Anstiftung nehme „eine eigentümliche Mittelstellung zwischen Täterschaft und Teilnahme im modernen Sinne ein“ 223, ist dem vollumfänglich zuzustimmen. Für die hiesige Untersuchung von besonderem Interesse ist – einmal mehr – der Umgang mit Fragen der Akzessorietät. Mit Blick auf die Anstiftung wurde soeben bereits festgehalten, dass diese – trotz eigener (intellektueller) Urheberschaft – nur neben einer Gehilfenschaft im weiteren Sinne existieren sollte. Daneben findet sich der Hinweis, dass strafbare Anstiftung dann ausscheide, wenn „eine Handlung überall nur scheinbar als Rechtsverletzung erscheint, wie (. . .) bei Notwehr, Nothstand und Selbstmord“ 224. Bezüglich der Beihilfe verlangt Köstlin „das Vorhandensein eines Urhebers“ 225. In seinem System des deutschen Strafrechts aus dem Jahre 1855 findet sich gar der Satz: „Die Beihilfe ist akzessorischer Natur.“ 226 In einer Zeit, in der die Strafrechtswissenschaft nach wie vor vom Prinzip der Urheberschaft beherrscht wird, ist das Verlangen nach der Existenz eines Urhebers indes nicht Ausdruck eines ausdifferenzierten Akzessorietätsbegriffs, sondern vielmehr Ergebnis logischer Gedankenoperation. Beihilfe lasse sich „ohne Urheberschaft nicht denken“ 227, hält denn auch Köstlin fest. Interessanter erscheint bereits die Verneinung strafbarer Beihilfe bei Rechtfertigung der „rechtsverletzende[n] Haupthandlung“ 228. In Richtung einer limitierten Akzessorietät weist sodann die Bejahung strafbarer Beihilfe, „wenn der Thäter wegen Unzurechnungsfähigkeit (die der Gehilfe nicht kannte) (. . .) straflos bleibt“ 229. Von einem in sich stimmigen Akzessorietätsbegriff kann trotz der vorstehend wiedergegebenen Überlegungen Köstlins nicht gesprochen werden. Vielmehr handelt es sich um eine Abhandlung von Einzelfragen, die übergeordnete Ver221
Köstlin, Neue Revision der Grundbegriffe des Criminalrechts, 1845, S. 465. Köstlin, Neue Revision der Grundbegriffe des Criminalrechts, 1845, S. 465. 223 Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 81; zustimmend Maiwald, FS-Schroeder, S. 283, 293; Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 112 f. 224 Köstlin, System des deutschen Strafrechts, Allgemeiner Theil, 1855, S. 316. 225 Köstlin, Neue Revision der Grundbegriffe des Criminalrechts, 1845, S. 465. 226 Köstlin, System des deutschen Strafrechts, Allgemeiner Theil, 1855, S. 282. 227 Köstlin, System des deutschen Strafrechts, Allgemeiner Theil, 1855, S. 282. 228 Köstlin, System des deutschen Strafrechts, Allgemeiner Theil, 1855, S. 282. 229 Köstlin, System des deutschen Strafrechts, Allgemeiner Theil, 1855, S. 286. 222
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bindungslinien, die zu einem geschlossenen Konzept hätten zusammengeführt werden können, weitestgehend außen vor lässt. Dies gilt umso mehr, als die Strafbarkeit der Beihilfe nicht dadurch ausgeschlossen werden soll, „daß der zurechnungsfähige, zum Verbrechen entschlossene Hauptthäter mit der Ausführung seiner Absicht noch nicht in das Stadium des strafbaren Versuchs vorgerückt (. . .) ist“ 230. Insoweit tritt ein Akzessorietätsverständnis zutage, welches einen Abgleich mit dem gegenwärtigen Regelungssystem nur bedingt zulässt. Eine weitere Annäherung an das gegenwärtige Teilnahmesystem erreichte Luden, der den Begriff der Urheberschaft zwar nicht aufgab, die sog. intellektuelle Urheberschaft jedoch deutlich von der Anstiftung unterschied: „Die Entstehungsursache des Verbrechens kann daher immer nur in dem verbrecherischen Willen Dessen liegen, der dasselbe begeht, und nicht in den intellectuellen Handlungen Desjenigen, der ihn dazu zu bestimmen gesucht hat.“ 231 Wo der „verbrecherische Wille“ des „physisch Handelnde[n]“ 232 fehle, namentlich bei verbindlichem Befehl, Nötigungsnotstand sowie Irrtumserregung, komme – weiterhin – intellektuelle Urheberschaft in Betracht.233 Luden war damit gegenüber Köstlin insofern moderner, als er die merkwürdige Mittelstellung der Anstiftung überwand und sie eindeutig als „intellectuelle Theilnahme“ 234 charakterisierte. Gestützt wurde diese Einordnung auf eine streng objektive Betrachtungsweise: „Der Unterschied zwischen Urheberschaft und Nichturheberschaft liegt nur in der objektiven Beschaffenheit der Handlung, ob sie nämlich mit der Hervorbringung des Verbrechens in Kausalzusammenhange steht oder nicht, während er gänzlich davon unabhängig ist, ob der Handelnde das Verbrechen in seinem eigenen Interesse begehen, oder ob er das von einem Anderen bezweckte Verbrechen hervorbringen wollte.“ 235 Die Abgrenzung verschiedener Formen der Teilnahme stand nicht im Zentrum der Überlegungen Ludens, ging es ihm doch maßgeblich um eine (Neu-)Bestimmung der Grenze zwischen Urheberschaft (Täterschaft) und Nichturheberschaft (Teilnahme).236 Friktionen, die sich etwa daraus ergeben, dass insbesondere die physische Beihilfe nicht völlig aus einem naturgesetzlichen Wirkungszusammenhang gelöst werden kann, versucht Luden dadurch zu über230
Köstlin, System des deutschen Strafrechts, Allgemeiner Theil, 1855, S. 283. Luden, Handbuch des teutschen gemeinen und particularen Strafrechts, 1847, S. 355. 232 Luden, Handbuch des teutschen gemeinen und particularen Strafrechts, 1847, S. 356. 233 Luden, Handbuch des teutschen gemeinen und particularen Strafrechts, 1847, S. 357 f. 234 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 368. 235 Luden, Handbuch des teutschen gemeinen und particularen Strafrechts, 1847, S. 348 ff. 236 Vgl. auch Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 84 f., der die insoweit auszumachenden Überlegungen Ludens zusammenfasst. 231
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decken, dass er eine Annäherung an die intellektuelle Teilnahme, mithin an die psychische Unterstützungswirkung sucht.237 Mit Blick auf das Abhängigkeitsverhältnis von Urheberschaft und Teilnahme hält Luden unter Betrachtung des In-Bewegung-Setzens, Unterstützens sowie Förderns der Urheberschaft eines anderen zunächst das fest, was augenscheinlich ist: „Eine solche Handlung kann eine Theilnahmehandlung genannt werden, weil bei ihr der Handelnde einen Urheber, an dessen Handlung er Theil nehmen will, voraussetzt.“ 238 Im Hinblick auf die Beschaffenheit der Urheberschaft verlangt Luden das Vorliegen einer „wirklich verbrecherische[n]“ 239 Tat. Dabei untergliedert er den Verbrechensbegriff in drei wesentliche Elemente: „Erstens: Eine verbrecherische, durch eine menschliche Handlung hervorgebrachte Erscheinung. Zweitens: Rechtswidrigkeit dieser Handlung. Drittens: Dolose oder culpose Eigenschaft dieser Handlung.“ 240 Roxin sieht darin „die Dreiteilung, die unser System bis heute bestimmt, schon vorgezeichnet“ 241. In Ludens Verbrechenssystem fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Handlung bei Einwilligung des Opfers242 oder im Falle der „Nothwehr“ 243. Auf der dritten Stufe des Verbrechenssystems müssen dolus oder culpa – verkürzt: Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit244 – vorliegen. Beide setzen nach Luden voraus, dass der Handelnde sich eine Vorstellung über die Existenz des (zu verletzenden) Rechts sowie über den Kausalzusammenhang machen kann.245 Fehle es an einem „Zustand der Person (. . .), in welchem es derselben möglich ist, diese zweifache Vorstellung zu haben“, würde „die Möglichkeit von dolus und von culpa aufge237 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 369, attestiert mit Blick auf die physischen Teilnehmer, dass „deren Thätigkeit zwar über das rein Intellectuelle hinaus“ ginge, „aber doch nicht in solchen Handlungen“ bestünde, „welche zur wirklichen Ausführungen des Verbrechens“ gehörten. Treffend dazu auch Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 86. 238 Luden, Handbuch des teutschen gemeinen und particularen Strafrechts, 1847, S. 434. 239 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 333. 240 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 110. 241 Roxin, AT I, § 8 Rn. 9. 242 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 412 ff. 243 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 475 ff. 244 Vgl. Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 535: „Der dolus läßt sich auch definiren als der Wille, eine beabsichtigte Rechtsverletzung hervorzubringen, die culpa als der Wille, eine nicht beabsichtigte Rechtsverletzung zu bewirken.“ 245 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 535.
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hoben“ 246. Als Personengruppen, denen die Fähigkeit, die notwendige „zweifache Vorstellung“ zu bilden, fehle, benennt Luden Kinder247 sowie Menschen, die sich der sie umgebenden Verhältnisse sowie der durch ihre Handlungen hervorgebrachten Einwirkungen „nicht bewußt“ sind.248 Konkretisierend führt Luden aus: „Es können körperliche Gebrechen sein, welche den Menschen des Bewußtseins berauben; es kann ebenso gut in geistigen Krankeiten seinen Grund haben, daß ihm dasselbe abgeht.“ 249 Jedenfalls „der Zustand der höchsten Trunkenheit“ 250 soll zum Ausschluss dolosen oder culposen Handelns führen. Weiter geht Luden in Auseinandersetzung mit der „verbrecherischen Willensbestimmung“ auf den Notstand251 sowie den verbindlichen Befehl ein.252 Mit Blick auf diese hält er fest: „Umgekehrt kann keine mit Willen vorgenommene Rechtsverletzung, welche das objektive Recht gestattet [Notstand und verbindlicher Befehl], eine Verletzung desselben enthalten.“ 253 Im Falle von Notstand und verbindlichem Befehl soll es also an einem Verbrechen fehlen. D.h. mit Blick auf die Teilnahmefähigkeit, die nach Luden ja ein Verbrechen in all seinen Elementen voraussetzt, dass strafbare Teilnahme an den Taten von Kindern, Betrunkenen, existenziell Bedrohten oder durch Befehl Gebundenen nicht möglich ist. Damit tut sich – der Sache nach – ein erheblicher Widerspruch zur limitierten Akzessorietät auf. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Luden die Zurechnung, die das Schuldurteil über den Täter enthält, als außerhalb des Verbrechensbegriffes stehend betrachtet.254 Im Rahmen der Zurechnung sei die Frage der Zurechnungsfähigkeit zu ergründen, welche wiederum „in Folge unwiderstehlichen Instinctes, oder im Zustande von Geistes- und Gemüthskrankheiten“ fehlen könne.255 Leider fehlt es an einer Abgrenzung zu denjenigen Geistes246 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 535. 247 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 537 f. 248 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 538 f. 249 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 539. 250 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 544. 251 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 510: Situation der „Gewalt und Übermacht, entweder von der Natur oder von anderen Menschen herkommend“. 252 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 509 ff. 253 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 508. 254 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 81. 255 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte, Zweiter Band, 1840, S. 207.
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krankheiten, die bereits den verbrecherischen Willen und damit die Verbrechensqualität entfallen lassen.256 Letztlich kann nach Luden auch die Tat eines Unzurechnungsfähigen Verbrechen sein.257 Dies lässt wiederum den Schluss zu, dass Teilnahme daran möglich ist.258 Mit Blick auf die Konstellationen, die schon in Auseinandersetzung mit der Willensqualität des Täters und damit auf Verbrechensebene ausgeschieden werden (Kinder, Betrunkene, Notstandstäter, Befehlsempfänger), kann der Ansatz Ludens indes – der Sache nach – keineswegs als Wegbereiter der limitierten Akzessorietät verstanden werden. In all jenen Konstellationen sollte ja gerade keine Teilnahme möglich sein. Damit soll die Modernität des Verbrechensverständnisses Ludens keineswegs in Abrede gestellt werden. Immerhin löste er mit seiner Trennung von Verbrechen und Zurechnung Vorsatz und Fahrlässigkeit aus der Schuld heraus.259 Mit Blick auf den Grad der Akzessorietät kristallisiert sich jedenfalls – nochmals: der Sache nach – eher ein strenges Abhängigkeitsverhältnis heraus. Eine erste Abkehr von der Einteilung des Beteiligungssystems in Urheberschaft und Nichturheberschaft260 erfolgte durch das preußische Strafgesetzbuch von 1851. Dort wurde in § 34 erstmals zwischen „Theilnehmer“ und „Thäter“ differenziert, indem die beiden möglichen Formen der Teilnahme (Anstiftung und Beihilfe261) – in ihren jeweiligen Handlungsalternativen – umschrieben wurden: § 34262 Als Theilnehmer eines Verbrechens oder Vergehens wird bestraft: 1. wer den Thäter durch Geschenke oder Versprechen, durch Drohungen, Mißbrauch des Ansehens oder der Gewalt, durch absichtliche Herbeiführung oder Beförderung eines Irrthums oder durch andere Mittel zur Begehung des Verbrechens oder Vergehens angereizt, verleitet oder bestimmt hat; 2. wer dem Thäter zur Begehung des Verbrechens oder Vergehens Anleitung gegeben hat, ingleichen wer Waffen, Werkzeuge oder andere Mittel, welche zu der That gedient haben, wissen, daß sie dazu dienen sollten, verschafft hat, oder wer in den Handlungen, welche die That vorbereitet, erleichtert oder vollendet haben, dem Thäter wissentlich Hülfe geleistet hat. 256 Mattasch, Der Tatbestand des Verbrechens bei Heinrich Luden, 2005, S. 80, stellt ebenfalls fest: „Luden geht auf die Zurechnung nicht näher ein. Den Schwerpunkt seiner Ausführungen nimmt der Tatbestand des Verbrechens ein.“ 257 Vgl. auch Mattasch, Der Tatbestand des Verbrechens bei Heinrich Luden, 2005, S. 111. 258 Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 141. 259 Vgl. auch Mattasch, Der Tatbestand des Verbrechens bei Heinrich Luden, 2005, S. 112, die damit die Entwicklung zum normativen Schuldbegriff eingeleitet sieht. 260 Von Luden, wie zuvor gezeigt, immerhin bereits unter dem Begriff der Teilnahme zusammengefasst. 261 Die beiden Begriffe finden sich im Gesetz freilich nicht ausdrücklich wieder. 262 Zitiert nach Buschmann, Textbuch zur Strafrechtsgeschichte der Neuzeit, 1998, S. 546.
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Wenn in § 34 unter anderem von einem Anreizen, Verleiten oder Bestimmen durch „Drohungen“ sowie durch „absichtliche Herbeiführung oder Beförderung eines Irrthums“ die Rede ist, erscheint die „Teilnahme“ i. S. d. preußischen Strafgesetzbuches auch Fälle der mittelbaren Täterschaft zu erfassen. Dass dem – trotz der Formulierung – nicht so ist, geht aus dem Bericht Goltdammers zur Entstehung des preußischen Strafgesetzbuches hervor. Die Kommission ging damals davon aus, dass „der Begriff des Theilnehmers einen verbrecherischen, mithin mit dem Verbrechen erforderlichen Vorsatze handelnden Thäter voraussetze, daher derjenige, welcher sich eines Anderen, vermöge einer Täuschung desselben, nur als eines willenlosen Werkzeuges bediene, nicht Theilnehmer, sondern der einzige wirkliche Urheber des Verbrechens oder Vergehens sei“ 263. Weiter heißt es: „Das Gesetz dürfe mithin (. . .) nur auf den [Fall] bezogen werden, wo der Theilnehmer durch einen Irrthum den verbrecherischen Willen des Thäters anrege.“ 264 Dass Goltdammer selbst die Anregung des verbrecherischen Willens missverstand265, ändert nichts an der Tatsache, dass dem preußischen Strafgesetzbuch eine Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme im modernen Sinne zugrunde lag.266 Die gesetzgeberische Intention wurde in der zeitgenössischen Rezeption freilich nicht nur von Goltdammer verkannt, sondern auch von Beseler, der in seinem Kommentar ausführt, dass sich der Anstifter „einer unzurechnungsfähigen Person zur Ausführung seiner verbrecherischen Absicht bedienen“ könne, „so wie jedes anderen willenlosen Werkzeuges“ 267. Mit Blick auf den vom preußischen Strafgesetzbuch geforderten Grad der Akzessorietät ist zunächst festzustellen, dass Anknüpfungspunkt jeder Teilnahmehandlung der verbrecherisch handelnde Täter sein sollte. Nimmt man diese Anforderung ernst, so ist unter Einbeziehung der §§ 40, 41 des preußischen Strafgesetzbuches, welche – wörtlich – vom Nichtvorhandensein eines Verbrechens (oder Vergehens) bei Wahnsinn, Blödsinn, Ausschluss der freien Willensbestimmung durch Gewalt oder Drohung, Notwehr sowie Notwehrexzess ausgehen, von einem strengen bzw. extremen Akzessorietätsverständnis auszugehen.268 Dass das preußische Strafgesetzbuch dem Wortlaut nach nicht zwischen Rechtferti263 Goltdammer, Die Materialen zum Strafgesetzbuche für die preußischen Staaten, Theil I, 1851, S. 301. 264 Goltdammer, Die Materialien zum Strafgesetzbuche für die preußischen Staaten, Theil I, 1851, S. 301. 265 Lampe, ZStW 77 (1965), S. 262, 286 f., zeigt in eingehender Auseinandersetzung mit Goltdammers Anmerkungen zu den Kommissions-Beratungen, dass Goltdammer unter die Anregung des (verbrecherischen) Willens offenbar nur Fälle der mittelbaren Täterschaft fassen wollte, was der Kommissions-Auffassung diametral entgegen läuft. 266 Zur Auffassung der Kommission und der damit einhergehenden Modernität der Regelung vgl. auch Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 142 ff. 267 Beseler, Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten, 1851, S. 155. 268 So auch Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 144.
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gungs-, Entschuldigungs-, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründen differenziert, ändert nichts am Akzessorietätsverständnis, welches der Sache nach zum Vorschein kommt. dd) Das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 Ohne die Bedeutung weiterer Autoren der Zeit schmälern zu wollen269, ist der nächste – epochemachende – Schritt in der Schaffung des Reichstrafgesetzbuches im Jahre 1871 zu sehen. Dort finden sich in den §§ 47 ff. die Bestimmungen über die „Theilnahme“. Im hiesigen Zusammenhang sind von maßgeblichem Interesse die §§ 48, 49 RStGB, die sich zu den Voraussetzungen der Anstiftung (§ 48 RStGB) sowie der Beihilfe (§ 49 RStGB) verhalten: § 48 1. Als Anstifter wird bestraft, wer einen Anderen zu der von demselben begangenen strafbaren Handlung durch Geschenke oder Versprechen, durch Drohung, durch Missbrauch des Ansehens oder der Gewalt, durch absichtliche Herbeiführung oder Beförderung eines Irrthums oder durch andere Mittel vorsätzlich bestimmt hat. 2. Die Strafe des Anstifters ist nach demjenigen Gesetz festzusetzen, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wissentlich angestiftet hat. § 49 1. Als Gehülfe wird bestraft, wer dem Thäter zur Begehung des Verbrechens oder Vergehens durch Rath oder That wissentlich Hülfe geleistet hat. 2. Die Strafe des Gehülfen ist nach demjenigen Gesetze festzusetzen, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wissentlich Hülfe geleistet hat, jedoch nach den über die Bestrafung des Versuches aufgestellten Grundsätzen zu ermäßigen.
Die Vorschriften orientieren sich am preußischen Strafgesetzbuch270, sind jedoch im Wortlaut – insbesondere in Ansehung der Beihilfe – etwas entschlackt worden. Wiederum ist die Orientierung an der „strafbaren Handlung“ eines „Anderen“ (§ 48 RStGB) bzw. an dem vom „Thäter“ begangenen „Verbrechen oder Vergehen“ (§ 49 RStGB) festzustellen. Gerade mit Blick auf die Anstiftung, deren Rechtsnatur in der Strafrechtswissenschaft – gerade in Abgrenzung zur intellektuellen Urheberschaft bzw. zum mandatum271 – lange Zeit höchst umstritten war, ließ sich infolge der Gesetzesfassung nicht mehr leugnen, dass es sich um „eine weitere Form der Theilnahme“ 272 handelt. Kritik blieb zwar nicht 269 Zu nennen ist insbesondere v. Buri; zu diesem und weiteren Autoren vgl. Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 86 ff.; Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 148 ff. 270 Zu § 34 PrStGB vgl. oben C.IV.1.a)cc). 271 Vgl. dazu auch die Ausführungen oben C.IV.1.a)aa). 272 Hälschner, Das gemeine deutsche Strafrecht, Erster Band, 1881, S. 393; inhaltlich übereinstimmend Finger, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, Erster Band, 1904,
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aus273, doch mussten auch die Kritiker einräumen, dass die Einordnung der Anstiftung als (unselbstständige) Teilnahmehandlung „der Standpunkt des geltenden Rechts“ 274 war. Das Bemühen in Teilen der Strafrechtswissenschaften, die Unvollkommenheit der gesetzlichen Regelung zu betonen und abweichende Beteiligungssysteme zu propagieren, riss auch in der Folgezeit nicht ab.275 Indes soll der gegenständlichen Untersuchung – in ihrer historischen Betrachtung – das Beteiligungssystem des Reichsstrafgesetzbuches zugrunde gelegt werden. Dieses bildet nicht nur die Basis für das Beteiligungssystem der Gegenwart, sondern prägte auch die Rechtspraxis über Jahrzehnte. Zugleich würden die Grenzen des Untersuchungsgegenstandes bei Weitem überschritten, erfolgte eine Betrachtung sämtlicher vorgeschlagener Beteiligungssysteme und derer Auswirkungen auf die Akzessorietätsfrage. Diesbezüglich sei ausdrücklich auf Untersuchungen mit entsprechendem Zuschnitt verwiesen.276 Schließlich ist anzufügen, dass auch die hiesige Untersuchung eine Lösung der aufgeworfenen Rechtsfrage anstrebt, welche mit dem gegenwärtigen Regelungssystem in Einklang bzw. jedenfalls nicht in Widerspruch zu diesem steht. Zu fragen ist demgemäß nach der Reichweite des Abhängigkeitsverhältnisses, wie es sich auf Basis der Regelungen des Reichsstrafgesetzbuches darstellt. § 48 RStGB macht eine (begangene) „strafbare Handlung“ zum Anknüpfungspunkt der Anstiftung, § 49 RStGB verlangt ein „Verbrechen oder Vergehen“. So stellt sich eingangs die Frage, ob die unterschiedliche Formulierung auch zu unterschiedlichen Anforderungen an die Anknüpfungstat führt. Immerhin hätte sich der Gesetzgeber auch für eine einheitliche Formulierung entscheiden können. Die Verschiedenheit in der Formulierung ist indes darauf zurückzuführen, dass die Beihilfe zur bloßen „Übertretung“, die sich unter die „strafbare Handlung“, nicht aber unter die Begriffe des „Verbrechens“ oder „Vergehens“ subsumieren
S. 343; Schwarze, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 2. Aufl. 1872, S. 190. 273 v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 3. Aufl. 1888, S. 206, bevorzugte – nach wie vor – die Einordnung des Anstifters als intellektuellen Urheber und bezeichnet diese Haltung als „Auffassung, welche de lege ferenda als die einzig richtige erscheint“; kritisch auch Binding, Grundriss des Deutschen Strafrechts – Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 1902, S. 134 f., der eine „gewaltsame Auflösung der zwei denkbaren Begriffe des Urhebers und des Gehülfen“ beklagt. 274 v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 3. Aufl. 1888, S. 206; vgl. auch ders., Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 16./17. Aufl. 1908, S. 215 Fn. 4, wonach die Einordnung als Teilnahmehandlung „sich leider nicht bestreiten“ lasse; ferner Binding, Grundriss des Deutschen Strafrechts – Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 1902, S. 135: „Das Gesetz kennt neben der Täterschaft noch zwei Formen accessorischer Teilnahme: die Anstiftung und die Beihülfe“. 275 Eingehend dazu Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 175 ff. 276 Vgl. etwa Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985; Ebrahim-Nesbat, Die Herausbildung der strafrechtlichen Teilnahmeformen im 19. Jahrhundert, 2005; Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011.
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lässt277, nicht strafbar sein sollte.278 Demzufolge geht es nur um das Ausscheiden von Bagatellkriminalität, die heute den Charakter von Ordnungswidrigkeiten hat.279 In der Folge kann der Grad der Akzessorietät genauerer Betrachtung unterzogen werden. Hälschner verlangt in Auseinandersetzung mit der Anstiftung, „daß der Angestiftete eine von ihm selbst zu verantwortende strafbare That verübte“ 280. Taugliche Anstiftungsmittel sind nach Hälschner daher alle, welche „die freie Selbstbestimmung des Thäters nicht ausschließen und diesen in Betreff des verübten Delicts nicht als unfreies Werkzeug des Anstifters erscheinen lassen“ 281. Der Sache nach ist damit die Abgrenzung zur mittelbaren Täterschaft vorgenommen. Allenfalls „mittelbare Selbsttäterschaft“ soll nach v. Liszt – und dies ist mit Blick auf die hiesige Untersuchung von besonderem Interesse – ferner dann in Betracht kommen, „wenn infolge des Mangels der Rechtswidrigkeit, der Zurechnungsfähigkeit oder einer Bedingung der Strafbarkeit die That des Haupttäters eine strafbare nicht ist“ 282. Diese Auffassung wird in der zeitgenössischen Literatur, wenngleich diese sich verstärkt dem Verhältnis der Teilnahmeformen untereinander283, der Erfassung der versuchten Anstiftung284 sowie der Möglichkeit der Teilnahme an fahrlässiger Tat widmete285, überwiegend geteilt.286 So sollte namentlich bei Eingreifen des § 51 RStGB (Ausschluss freier 277
Vgl. § 1 RStGB: Eine mit dem Tode, mit Zuchthaus, oder mit Festungshaft von mehr als fünf Jahren bedrohte Handlung ist ein Verbrechen. Eine mit Festungshaft bis zu fünf Jahren, mit Gefängniß oder mit Geldstrafe von mehr als funfzig Thalern bedrohte Handlung ist ein Vergehen. Eine mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu funfzig Thalern bedrohte Handlung ist eine Uebertretung. 278 Binding, Grundriss des Deutschen Strafrechts – Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 1902, S. 138; Finger, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 1904, S. 23; Rüdorff, Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 3. Aufl. 1881, S. 192; v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 3. Aufl. 1888, S. 217. 279 Zur Ersetzung der Dreiteilung (Verbrechen, Vergehen, Übertretung) durch eine Zweiteilung (Verbrechen, Vergehen) vgl. nur Schönke/Schröder-Hecker, § 12 Rn. 1 ff. 280 Hälschner, Das gemeine deutsche Strafrecht, Erster Band, 1881, S. 398. 281 Hälschner, Das gemeine deutsche Strafrecht, Erster Band, 1881, S. 400. 282 v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 3. Aufl. 1888, S. 215. 283 Binding, Grundriss des Deutschen Strafrechts – Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 1902, S. 138 f.; Finger, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, Erster Band, 1904, S. 349; Rüdorff, Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 3. Aufl. 1881, S. 190. 284 Eingehend Hälschner, Das gemeine deutsche Strafrecht, Erster Band, 1881, S. 403 ff. 285 Bejahend Binding, Grundriss des Deutschen Strafrechts – Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 1902, S. 137 f.; Rubo, Kommentar über das Strafgesetzbuch über das deutsche Reich, 1879, S. 442 ff.; verneinend Finger, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, Erster Band, 1904, S. 357; Schwarze, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 2. Aufl. 1872, S. 191; v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 3. Aufl. 1888, S. 213 f. 286 Oppenhoff, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 7. Aufl. 1879, S. 106 f.; Rubo, Kommentar über das Strafgesetzbuch für das deutsche Reich, 1879, S. 444 f.;
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Willensbestimmung), § 52 RStGB (Nötigung durch „unwiderstehliche“ Gewalt oder Drohung), § 53 RStGB (Notwehr) oder § 54 RStGB (Notstand) aufseiten des Täters keine Teilnahme möglich sein.287 Ungeachtet der systematischen Verortung der Vorschriften im Verbrechensaufbau, ist die Begründung der Teilnahmeunfähigkeit in den vorgenannten Fällen eine ganz einfache: Die §§ 51 ff. RStGB weisen übereinstimmend die Rechtsfolge auf, dass „eine strafbare Handlung (. . .) nicht vorhanden“ sei. Durch das Fehlen der strafbaren Handlung ist wiederum den § 48 f. RStGB, die eine solche ausdrücklich verlangen288, der Boden entzogen. Die gesetzespositivistische Begründung wird denn auch kaum durch anderweitige Erwägungen abgerundet, der Wortlaut bleibt maßgebliche Richtschnur.289 Wenn ergänzend auf den Strafgrund der Teilnahme verwiesen wird290, ist zu beachten, dass dieser erst mit der ausdrücklichen Inbezugnahme der strafbaren Handlung eines Anderen durch das positive Gesetzesrecht an Popularität gewann, weshalb letztlich auch darin eine gesetzespositivistische Argumentation liegt. Nicht verschwiegen werden soll die Existenz von Auffassungen, die – ausgehend von der ausgemachten Rechtsnatur des jeweiligen „Strafausschließungsgrundes“ 291 – zu abweichenden Ergebnissen bezüglich der Teilnahmefähigkeit gelangten. Dabei soll der Fokus hier auf der geäußerten Kritik hinsichtlich der – propagierten – Unmöglichkeit der Teilnahme an der Notstandstat (§§ 52, 54 RStGB) liegen, ohne zu ignorieren, dass sich auch die – angenommene – Unmöglichkeit der Teilnahme an der Tat eines Unzurechnungsfähigen (§ 51 RStGB) mitunter Kritik ausgesetzt sah.292 Schwarze, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 2. Aufl. 1872, S. 191. 287 Oppenhoff, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 7. Aufl. 1879, S. 107; Rubo, Kommentar über das Strafgesetzbuch für das deutsche Reich, 1879, S. 445; Schwarze, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 2. Aufl. 1872, S. 191. 288 Dass § 49 RStGB von einem „Verbrechen oder Vergehen“ spricht, ändert daran nichts, findet diese gegenüber § 48 RStGB sprachlich abweichende Fassung ihren Grund, wie bereits gezeigt, doch lediglich in der Ausklammerung der Übertretung. 289 Deutlich Rubo, Kommentar über das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 1879, S. 444 f.; Schwarze, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das deutsche Reich, 2. Aufl. 1872, S. 191. 290 Vgl. etwa v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 3. Aufl. 1888, S. 215: „Sie [die Teilnahme] trägt den Grund ihrer Strafbarkeit nicht in sich, sondern entlehnt sie aus dieser fremden That.“ 291 Vgl. die Überschrift des vierten Abschnitts des RStGB von 1871: „Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern.“ 292 v. Lilienthal, Vergleichende Darstellung V, 1908, S. 38, hielt die Teilnahme an der Tat eines Unzurechnungsfähigen (§ 51 RStGB) sehr wohl für möglich und befürchtete Strafbarkeitslücken in Konstellationen, in denen „die Hilfskonstruktion der mittelbaren Täterschaft“ nicht greife: „Aber dieser Umweg führt lange nicht immer zum Ziel. Er ist stets ungangbar, wenn der Unterstützende die Unzurechnungsfähigkeit des andern nicht kannte, aber häufig auch wenn er sie kannte.“
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Die Notstandsvorschrift des § 54 RStGB, Vorgängernorm der gegenwärtigen Notstandsregelungen und in ihrer Rechtsnatur nicht unumstritten293, negierte das Vorliegen einer strafbaren Handlung, „wenn die Handlung außer dem Falle der Nothwehr in einem unverschuldeten, auf andere Weise nicht zu beseitigenden Nothstande zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Thäters oder eines Angehörigen begangen worden ist“. Unter Verweis auf das fehlende Abwägungserfordernis folgert Finger, die Notstandstat sei „straflose, aber nicht unverbotene Handlung“ 294. Weiter hält er fest: „Der Notstand bildet daher im Sinne des St.G. einen Strafausschließungsgrund, nicht einen Deliktsoder Schuldausschließungsgrund. Die Notstandshandlung ist also eine rechtswidrige, aber straflose Handlung.“ 295 Der Charakter als Strafausschließungsgrund (im engeren Sinne) führt Finger zu dem Ergebnis, dass die „Teilnahme an einer Notstandshandlung (. . .), wenn sie nicht aus dem Gesichtspunkt der Nothilfe straflos bleibt, strafbar“ 296 sei. Binding formuliert dagegen, die Notstandsverletzung sei – soweit kein „echtes Notrecht“ vorliegt297 – „nicht rechtmässig, (. . .) aber unverboten“ 298. Es ist dann aber nicht diese heute gewöhnungsbedürftige Charakterisierung299, aus der Binding die Teilnahmefähigkeit der Notstandstat ableiten will, vielmehr geht es ihm um die hinter der Vorschrift stehenden Erwägungen: „Von den wenigen Notrechten abgesehen ist die Notstandsverletzung nicht rechtmässig, sondern nur unverboten. Dieses Unverbotensein gründet zum Teile in dem Drucke des Notstandes, den dieser unmittelbar nur auf die darin befindlichen Personen, auf Fremde aber nicht einmal mittelbar ausüben kann; nur zum andern Teile kommt in Betracht, dass ja eines der beiden Uebel unvermeidlich ist. So giebt es keine unverbotene Beihilfe zur Notstandsverletzung und noch weniger eine unverbotene Verletzung seitens eines gar nicht in Notstandsgefahr Geratenen.“ 300 Insbesondere in der Haltung Bindings klingt die Argumentation der heute h. M. im Umgang mit Teilnehmerstrafbarkeiten im Umfeld des § 35 StGB an: Zu be293
Dazu oben B.III.3.b)aa) mit Fn. 281. Finger, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, Erster Band, 1904, S. 421. 295 Finger, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, Erster Band, 1904, S. 421. 296 Finger, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, Erster Band, 1904, S. 421. 297 Zur Zweiteilung der Notstandskonzeption Bindings in erlaubte Notstandshandlungen einer- und nicht verbotene Notstandshandlungen andererseits vgl. Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 275 f. 298 Binding, Handbuch des Strafrechts, Erster Band, 1885, S. 765. 299 Die Kategorie des „Unverbotenen“ wird auch und insbesondere von Arthur Kaufmann im Zusammenhang mit der Lehre vom rechtsfreien Raum aufgegriffen. Auf diese wird – aufgrund ihrer Auswirkungen auf die Teilnehmerstrafbarkeit – noch gesondert einzugehen sein, dazu unten C.V.3.b). 300 Binding, Handbuch des Strafrechts, Erster Band, 1885, S. 785 f.; liegt dagegen ein „wahres Notrecht“ vor, dürfe „jedermann Beistand leisten“, vgl. Binding, Handbuch des Strafrechts, Erster Band, 1885, S. 784. 294
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rücksichtigen sei die rein individuelle Privilegierung, die sich maßgeblich aus dem besonderen Motivationsdruck des Notstandstäters speise und allein durch eine etwaige Unrechtsminderung auf Teilnehmerseite nicht kompensiert werden könne.301 Auch die Haltung des Reichsgerichts zu Fragen der Akzessorietät sowie deren Reichweite ist für die Untersuchung von besonderem Interesse. Das Reichsgericht betont gleichfalls den akzessorischen Charakter der Teilnahme: „Soviel die strafbare Beihilfe betrifft, (. . .) so hat man die, auch in der Litteratur und der Rechtsprechung überwiegend vertretene, Ansicht als die richtige anzuerkennen, daß wegen der accessorischen Natur jener die rechtliche Existenz einer Hauptthat zu ihren notwendigen Voraussetzungen gehört. Dies ist die Meinung des bestehenden positiven Rechts; ob eine abweichende Theorie sich logisch und psychologisch konstruieren lasse, muß hier dahingestellt bleiben.“ 302 Bei Herleitung der Anforderungen an die Haupttat will sich das Reichsgericht nicht mit dem Wortlautargument begnügen, sondern sich zugleich der „inneren Natur“ 303 bzw. der „eigentümlichen Beschaffenheit“ 304 eines jeden „Strafausschließungsgrundes“ versichern. Ergibt diese Betrachtung, dass die betreffende Vorschrift zum Wegfall eines wesentlichen Elementes der Straftat führt, fehlt es an einer teilnahmefähigen Haupttat. Damit liegt das Reichsgericht in der Vorgehensweise auf einer Linie mit den Kritikern des Ausschlusses strafbarer Teilnahme an Taten, bei denen zugunsten des Haupttäters einer der „Strafausschließungsgründe“ der §§ 51 ff. RStGB eingreift. Auch diese305 wollten aus dem ausgemachten Charakter der betrachteten Vorschrift bzw. den hinter der Strafbefreiung stehenden Erwägungen auf die Teilnahmefähigkeit schließen. Das Reichsgericht formuliert dazu: „Daraus aber, daß von den im vierten Abschnitt aufgeführten Fällen der Straflosigkeit ein jeder für sich nach seiner eigentümlichen Beschaffenheit gewürdigt werden muß, folgt unmittelbar, daß nicht in einem dieser Fälle die Möglichkeit einer strafbaren Teilnahme schon deshalb angenommen werden kann, weil sie in einem anderen dieser Fälle allerdings bejaht werden muß.“ 306 Im Falle des § 51 RStGB, demzufolge eine „strafbare Handlung (. . .) nicht vorhanden [ist], wenn der Thäter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewusstlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistesthätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war“, kam das Reichsgericht zu dem Schluss, dass es schon an einer Handlung
301 302 303 304 305 306
Zur h. M. vgl. bereits oben C.IV. RGSt 11, 56, 59. RGSt 11, 56, 58. RGSt 11, 56, 59. Vgl. die zuvor skizzierten Haltungen v. Lilienthals, Fingers und Bindings. RGSt 11, 56, 59.
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im strafrechtlichen Sinne fehle.307 Eine Unterscheidung zwischen natürlichem Willen im Sinne der Fähigkeit, körperliches Verhalten willkürlich vornehmen zu können308 und der individuellen Fähigkeit, normgemäß zu handeln, mithin tauglicher Normadressat zu sein309, war dem Reichsgericht – zum damaligen Zeitpunkt – fremd. Entsprechend kam es zu dem Ergebnis, dass es in Fällen des § 51 RStGB schon an der grundlegenden Voraussetzung jeglichen strafrechtlichen Vorwurfs – einer Handlung – fehlt, weshalb Teilnahme – logisch – ausscheiden müsse.310 Diesen Gedankengang überträgt das Reichsgericht auch auf § 52 RStGB, nach welchem eine strafbare Handlung nicht vorhanden ist, „wenn der Thäter durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, welche mit einer gegenwärtigen, auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen verbunden war, zu der Handlung genöthigt worden ist“. Das Reichsgericht hält fest, „daß auch beim Vorhandensein der Voraussetzungen des § 52 dem Urheber der That ein freier Wille nicht beiwohnt“ 311. Da aber ein freier Wille Grundlage jeder Handlung im strafrechtlichen Sinne sei, fehle es auch bei Eingreifen des § 52 RStGB an einer Grundvoraussetzung jeder – teilnahmefähigen – Straftat.312 Wiederum erfolgt keine Differenzierung zwischen natürlichem Willen und der Frage, ob trotz Vorhandenseins der Fähigkeit, willkürlich zu handeln, ausnahmsweise die Vorwerfbarkeit zu negieren ist. Mit Blick auf § 54 RStGB ist folgender Satz des Reichsgerichts zu notieren: „Da der Notstand nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts kein bloß persönlicher Strafausschließungsgrund, sondern ein Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund ist (. . .), die Haupttäterin also schuldlos gehandelt hat, sind bei der unselbstständigen Natur der Teilnahme nach geltendem Recht auch die Teilnehmer als solche nicht strafbar.“ 313 Die heute eigentümlich anmutende Annahme, Geisteskranke oder Genötigte würden schon keine Handlung im strafrechtlichen Sinne vornehmen, einmal außen vor lassend314, ist der Befund, dass das Reichsgericht – jedenfalls bis zum Jahre 1943 – auf dem Boden eines strengen Akzessorietätsverständnisses operierte315, nicht von der Hand zu weisen.316 307
RGSt 11, 56, 58. Vgl. B/W/M/E-Eisele, § 9 Rn. 29. 309 B/W/M/E-Eisele, § 17 Rn. 3. 310 RGSt 11, 56, 58 f.; übereinstimmend RGSt 40, 21, 24 f. 311 RGSt 31, 395, 396. 312 RGSt 31, 395, 397. 313 RGSt 60, 88, 89. 314 Zu den verschiedenen Handlungslehren und deren Entwicklung vgl. B/W/M/EEisele, § 9 Rn. 2 ff. 315 Vgl. auch RGSt 52, 197, 198; 57, 272, 273; besonders eindrücklich RGSt 70, 26, 27: „Hiernach kann der Anstifter und der Gehilfe (. . .) nur bestraft werden, wenn sich 308
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
ee) 1943 bis 1975 Das Jahr 1943 brachte dem Strafrecht eine Reform, die für das Akzessorietätsverständnis von überragender Bedeutung war. Mit der Strafrechtsangleichungsverordnung317 vom 29.05.1943 und der Durchführungsverordnung318 vom selben Tag erfuhren die §§ 48 ff. RStGB erhebliche Veränderungen, die zum Teil zu mehr Klarheit, zum Teil aber auch zu verstärkten Diskussionen bezüglich der Voraussetzungen der teilnahmefähigen Haupttat führten. Anstiftung i. S. d. § 48 RStGB war von da an nicht mehr zu einer „strafbaren Handlung“ 319, sondern zu einer „mit Strafe bedrohten Handlung“ möglich.320 Beihilfe i. S. d. § 49 RStGB konnte nicht mehr zu einem „Verbrechen oder Vergehen“ geleistet werden, sondern erforderte eine „als Verbrechen oder Vergehen mit Strafe bedrohte Handlung“ 321. § 50 RStGB, der zuvor einzig die individuelle Wirkung persönlicher Strafmilderungs- und Strafschärfungsgründe zum Gegenstand hatte, erfuhr eine wesentliche Erweiterung durch den neu eingefügten Absatz 1322: § 50 1. Sind mehrere an einer Tat beteiligt, so ist jeder ohne Rücksicht auf die Schuld des anderen nach seiner Schuld strafbar. 2. Bestimmt das Gesetz, daß besondere persönliche Eigenschaften oder Verhältnisse die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen, so gilt dies nur für den Täter oder Teilnehmer, bei dem sie vorliegen.
(1) Nationalsozialistischer Hintergrund Die Reform fällt in die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft und damit in die Zeit nationalsozialistischer Gesetzgebung. Die Frage, inwiefern die Regelung von nationalsozialistischem Gedankengut durchzogen ist, liegt also nahe.323 die Haupttat, zu der er angestiftet oder Hilfe geleistet hat, als ,strafbare Handlung‘ (§ 48 StGB.), als ,Verbrechen oder Vergehen‘ (§ 49 StGB.), also als äußerlich rechtswidrige und innerlich schuldhafte Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes darstellt, und der Anstifter und der Gehilfe haften auch nur entsprechend dem Umfang, in dem die Haupttat verwirklicht worden ist (. . .).“ 316 Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, § 53 Rn. 5 f.; MK-Joecks, Vorbem. §§ 26 ff. Rn. 18; Schönke/Schröder-Heine/Weißer, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 21. 317 „Verordnung zur Angleichung des Strafrechts des Altreichs und der Alpen- und Donau-Reichsgaue“. 318 „Verordnung zur Durchführung der Verordnung zur Angleichung des Strafrechts des Altreichs und der Alpen- und Donau-Reichsgaue“. 319 Vgl. den oben abgedruckten Wortlaut der Fassung von 1871, C.IV.1.a)dd). 320 RGBl. I 1943, S. 341 (Durchführungsverordnung). 321 RGBl. I 1943, S. 342 (Durchführungsverordnung). 322 RGBl. I 1943, S. 339 (Strafrechtsangleichungsverordnung). 323 Eingehend dazu Hartl, Das nationalsozialistische Willensstrafrecht, 2000, S. 175 ff., 318 ff., 343 ff.; Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 342 ff.; recht undifferenziert Walter, Der Kern des Strafrechts, 2006, S. 208, für den der Entste-
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Immerhin erfuhren die §§ 48 ff. RStGB (später: StGB) eine weitere Reform erst im Jahre 1975, wobei die Weichenstellung zugunsten einer Limitierung der Akzessorietät, wie nachfolgend noch detaillierter zu zeigen sein wird, überwiegend bereits infolge der Änderungen des Jahres 1943 angenommen wurde. Neben dem Reformzeitpunkt als solchem ist es vor allem das zu Zeiten der NS-Herrschaft populäre Konzept des „Willensstrafrechts“, das Anlass dazu gibt, die hinter der Neufassung stehende Motivation gesonderter Betrachtung zu unterziehen. In besonders zugespitzter Form324 findet sich der Anspruch des Willensstrafrechts bei Roland Freisler, der im Ausgangspunkt die Frage aufwirft, ob der Staat unter Zuhilfenahme des Strafrechts nur „auf geschehenes Unrecht, also auf eine von Menschen (. . .) bewirkte Schädigung, Verletzung, Entweihung des Volksfriedens, der befriedeten Güter im Volksleben, antworten“ oder ob „das Volk in seinem Strafrecht und seiner Anwendung sich gewissermaßen eine dauernd arbeitende Selbstreinigungsapparatur seines Körpers schaffen“ 325 wolle. Richtigerweise könne der Zweck des Strafrechts nur darin liegen, „das deutsche Volk, seinen Bestand und seine Kraft, seinen Lebensfrieden, vor allem also auch seine Zeugungs- und Gebärkraft wie seine Arbeitsruhe gegen Angriffe von innen heraus zu sichern“ 326. Damit ist die Eingangsfrage Freislers im Sinne der zweiten Alternative, eines Strafrechts als „Selbstreinigungsapparatur“, beantwortet. Ist dies ausgemacht, ist der Schritt hin zum Hauptfeind im Inneren, der die „Selbstreinigungsapparatur“ notwendig macht, nicht weit – Freisler nennt den „Typus des Friedensstörers, zu dem die Veranlagung wie zu allem in jedem Volksglied embryonal vorhanden ist, es ist praktisch gesprochen jeder, der das Prinzip des Asozialen, Anarchischen, Unrechten, Bösen in seinem Leben zu verwirklichen bereit ist, da er dadurch von selbst zum Friedensstörer sich auswächst“ 327. In der Formulierung Freislers muss der Schwerpunkt auf den Passus gelegt werden, dass der Friedensstörer zu schädlichen Verhaltensweisen bereit ist, hält er doch nachfolgend fest, dass für den Nationalsozialismus „das die Welt Bewegende der Wille“ 328 sei. Daher sei „der Wille des Friedensstörers (. . .) der Feind, auf den das Auge des Strafrechts stets gerichtet sein muß“ 329. Die indeterministische Grundhaltung, die im Willensstrafrecht zum Ausdruck kommt, steht freilich, worauf Hartl zutreffend hinweist, im deutlichen Widerspruch zu der ansonsten eher deterministisch geprägten Ideohungszeitpunkt als solcher zu einer – im Ergebnis – kritischen Haltung gegenüber der Regelung führen muss. 324 Zu Recht resümiert Vogel, Einflüsse des Nationalsozialismus auf das Strafrecht, 2004, S. 101, mit Blick auf den Sprachgebrauch der Strafrechtsdogmatik der NS-Zeit: „Auf stark ethisierende, politisierte oder politisierbare Begriffe wie Gemeinschaft, Pflicht, Treue, Verrat oder Aktunwert sollte eine Dogmatik nicht gegründet werden.“ 325 Freisler, in: Das kommende deutsche Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1934, S. 11. 326 Freisler, in: Das kommende deutsche Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1934, S. 12. 327 Freisler, in: Das kommende deutsche Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1934, S. 12. 328 Freisler, in: Das kommende deutsche Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1934, S. 13. 329 Freisler, in: Das kommende deutsche Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1934, S. 13.
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logie des Nationalsozialismus.330 Ohne die einzelnen Komponenten des Willensstrafrechts im Rahmen dieser Untersuchung weiter darstellen zu können331, ist jedenfalls eine weitgehende Subjektivierung festzustellen. Diese musste auch bei der Neuordnung der Teilnahmebestimmungen zum Tragen kommen. Besonders deutlich wird Rietzsch, wenn er mit Blick auf die Strafrechtsangleichungs- sowie die Durchführungsverordnung vom 29.05.1943 formuliert: „Vom Boden des Willensstrafrechts aus kann es bei einer Beteiligung mehrerer an der Tat nicht darauf ankommen, ob und wie der einzelne sich strafbar gemacht hat, sondern jeder muß nach dem Maße seiner Schuld strafbar sein, ganz gleich, wie der andere Beteiligte zu beurteilen ist.“ 332 Betrachtete man die Konzeption des Willensstrafrechts sowie deren Verknüpfung mit dem Gedanken der limitierten Akzessorietät isoliert, wäre man versucht, die Neuregelung als Umsetzung spezifisch nationalsozialistischen Gedankenguts einzuordnen. Dass dem nicht so ist, geht bereits aus den Einlassungen Rietzschs, eines Verfechters des Willensstrafrechts, hervor, der einräumen muss, dass „die Theorie der extremen Akzessorietät lebhaft umstritten“ 333 war. In Bezug genommen sind damit etwa Autoren wie v. Lilienthal, Finger und Binding334, aber auch die insoweit noch nicht genannten v. Hippel 335 und Kantorowicz336, die – z. T. explizit, z. T. der Sache nach – für eine (teilweise) Limitierung der Akzessorietät eingetreten waren.337 So ist – nochmals – die Argumentation Bindings hervorzuheben, der seine abweichende Auffassung bezüglich der Teilnahmefähigkeit einer Notstandstat maßgeblich auf die die Notstandsvorschrift tragenden Erwägungen stützt. Es geht ihm nicht um die Bestrafung eines besonders schädlichen Willens, sondern um den Charakter der im Gesetz 330 Hartl, Das nationalsozialistische Willensstrafrecht, 2000, S. 90, nimmt Bezug auf die nationalsozialistische Rassen- und Erblichkeitslehre. 331 Aus der zeitgenössischen Literatur vgl. auch Ebert, DJ 1934, 480 ff.; Rietzsch, DJ 1943, 309 ff.; Schaffstein, ZStW 53 (1934), S. 603, 609 ff.; v. Gemmingen, JW 1933, 2371 ff.; prägnant aus gegenwärtiger Sicht Vogel, Einflüsse des Nationalsozialismus auf das Strafrecht, 2004, S. 81 ff. 332 Rietzsch, DJ 1943, 309, 310 f. 333 Rietzsch, DJ 1943, 309, 310. 334 Zu deren Haltung vgl. bereits oben C.IV.1.a)dd). 335 v. Hippel, Lehrbuch des Strafrechts, 1932, S. 162 Fn. 2, der die Vornahme der Ausführungshandlung durch den Täter genügen lassen möchte, um eine Teilnehmerstrafbarkeit zu begründen: „Es ist ein geradezu kulturwidriger und wissenschaftlich hilfloser Zustand, einen Menschen nicht für eigene, sondern für fremde Tat und Schuld zu strafen.“ 336 Kantorowicz, Tat und Schuld, 1933, S. 103: „Gemeinsam gilt für Anstifter und Gehilfen zunächst, dass, wenn ihre Strafbarkeit unabhängig davon ist, ob der Haupttäter schuldhaft oder nicht schuldhaft gehandelt hat, sie auch unabhängig davon sein muss, aus welchem Grund die Schuld ausgeschlossen ist (. . .).“ 337 Vgl. ferner Kohlrausch-Lange, StGB, 37. Aufl. 1941, S. 147; Schönke, StGB, 1942, Vorbem. § 47 V; eine Aufzählung weiterer Autoren, die – teils de lege lata, teils de lege ferenda – für eine Limitierung der Akzessorietät eintraten, findet sich bei Käpernick, Die Akzessorietät der Teilnahme und die sog. mittelbare Täterschaft, 1932, S. 22 Fn. 3.
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bezeichneten „Strafausschließungsgründe“. Binding näherte sich der Frage damit vom Standpunkt des geltenden Rechts und der von diesem eröffneten Auslegungsmöglichkeiten. v. Lilienthal, der für die Teilnahmefähigkeit der Tat eines Unzurechnungsfähigen (§ 51 RStGB) eintrat338, spricht zwar davon, dass unter Zugrundelegung der strengen Akzessorietät „eine Reihe von Handlungen straflos bleiben [wird], deren Täter den vollen Verbrechenswillen gehabt hat“ 339. Doch tätigt er diese Aussage zur Verdeutlichung seines Unverständnisses darüber, dass „man diese Abnormalität der Persönlichkeit [Fälle des § 51 RStGB] nicht als einen persönlichen Strafausschließungsgrund“ 340 behandelt. Letztlich ginge es darum, dass die abnorme Persönlichkeit „als rechtlich verantwortlich nicht angesehen werden darf“ 341. Darin kommt ebenfalls ein Verständnis zum Ausdruck, das vom einzelnen „Strafausschließungsgrund“ ausgeht und dessen Charakter zu ergründen sucht, um so eine Aussage zur Teilnahmefähigkeit treffen zu können. Beachtlich ist schließlich der Ansatz Kantorowiczs, der seine Konzeption einer limitierten Akzessorietät maßgeblich auf eine begriffliche Untersuchung der „strafbaren Handlung“ – im Sinne der Fassung der §§ 48, 49 RStGB vor 1943 – stützt. Dabei legt er einen dualistischen Straftatbegriff zugrunde, indem er zwischen der Strafbarkeit der Handlung und der Strafbarkeit des Handelnden differenziert.342 Von einer strafbaren Handlung sei auszugehen, „wenn sie tatbestandsmäßig ist, es sei denn, dass sie unter einen Rechtfertigungsgrund fiele“ 343. Von einer Strafbarkeit des Handelnden sei dagegen auszugehen, „wenn er die Handlung schuldhaft vorgenommen hat, es sei denn, dass er unter einen Strafausschließungsgrund fiele“ 344. Dieses Verständnis sieht er durch den Sprachgebrauch des RStGB gestützt.345 Ohne die Begründungsstrukturen Kantorowiczs hier im Einzelnen nachzeichnen zu können, ist doch festzustellen, dass das Bestimmen von Begriffsinhalten im Wege systematischer Betrachtung als strafrechtsdogmatische Arbeit im eigentlichen Sinne zu charakterisieren ist.346 Dass 338
Dazu oben C.IV.1.a)dd) mit Fn. 292. v. Lilienthal, Vergleichende Darstellung V, 1908, S. 38. 340 v. Lilienthal, Vergleichende Darstellung V, 1908, S. 38. 341 v. Lilienthal, Vergleichende Darstellung V, 1908, S. 38. 342 Kantorowicz, Tat und Schuld, 1933, S. 23. 343 Kantorowicz, Tat und Schuld, 1933, S. 23. 344 Kantorowicz, Tat und Schuld, 1933, S. 23. 345 Eingehend Kantorowicz, Tat und Schuld, 1933, S. 41 ff.; vgl. insbesondere S. 76: „(. . .) es soll damit sachlich gesagt sein, dass da, wo das Gesetz von der strafbaren Handlung und ihren Arten im begrifflichen Sinne spricht, es von einer tatbestandsmässigen, nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckten Handlung spricht, also keine Schuld des Handelnden voraussetzt, und dass andererseits unter den materiellrechtlichen Voraussetzungen der Bestrafung, deren Inbegriff hier Straftat heisst, die Schuld sich allerdings befindet, aber als eine persönliche Qualität des zu Bestrafenden, des Straftäters.“ 346 Diesen Anspruch stellt Kantorowicz im Übrigen auch an sich selbst; vgl. ders., Tat und Schuld, 1933, S. 7. 339
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Kantorowicz sich im Ausgangspunkt explizit zur „Schuldidee“ 347 bekennt, ändert am strafrechtsdogmatischen Charakter der Arbeit nichts, bekannte sich doch die große Mehrzahl der Autoren der Zeit zur Notwendigkeit einer „persönlichen Beziehung“ 348 des Handelnden zu seiner Handlung und bildet dieses Bekenntnis schlicht den Boden für eine an Wortlaut und Systematik orientierte Argumentation. Damit ist allen vorgenannten Autoren eine gegenüber den Vertretern des Willensstrafrechts grundlegend abweichende Vorgehensweise gemein. Letztere setzten die Notwendigkeit der Bestrafung des schädlichen Willens, der als Grund allen Übels in der staatlichen Gemeinschaft identifiziert wurde, an den Anfang ihrer Überlegungen, sodass das Strafrecht einzig im Lichte dieser Notwendigkeit betrachtet und ggf. umgestaltet werden musste. An einer Rezeption des positiven Rechts – unter Zuhilfenahme gängiger Auslegungsmethoden – war diesem Ansatz naturgemäß wenig gelegen. Schon in der Gegensätzlichkeit der Methodik zeigt sich, dass der nationalsozialistische Gesetzgeber sich letztlich einer Materie annahm, deren Reformbedürftigkeit sich bereits über einen erheblichen Zeitraum abgezeichnet hatte. Insoweit mag die Feststellung treffend sein, dass der Gesetzgeber „auf einen fahrenden Zug aufgesprungen ist“, wobei das Aufgreifen der (populären) Forderung nach einer Limitierung der Akzessorietät umso attraktiver war, als sich die Konzeption des Willensstrafrechts mustergültig in die eingeforderte, mehr individualisierte Betrachtungsweise einfügen ließ. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit einem möglichen nationalsozialistischen Gehalt der Regelung, wie sie gegenwärtig etwa im Hinblick auf die §§ 211 ff. StGB – wenig ertragreich – erfolgt, ist nach alledem nicht angezeigt. (2) Anerkennung der Limitierung Wie in Auseinandersetzung mit einem – möglichen – weltanschaulichen Einschlag bereits angedeutet, brachten die Änderungen aus dem Jahre 1943 nach überwiegendem Verständnis eine Limitierung der Akzessorietät mit sich. Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob die entscheidende Änderung in der Neufassung der §§ 48, 49 RStGB durch die Ersetzung der „strafbaren Handlung“ bzw. des „Verbrechens oder Vergehens“ durch die „mit Strafe bedrohte Handlung“ bzw. die „als Verbrechen oder Vergehen mit Strafe bedrohte Handlung“ oder in der Neufassung des § 50 RStGB (Strafbarkeit eines jeden Beteiligten „nach seiner Schuld“) zu erblicken ist. Der Gesetzgeber selbst sah die wesentliche Reform in der Neugestaltung des § 50 RStGB. Dies zeigt sich – bei formaler Betrachtung – schon darin, dass § 50 RStGB Gegenstand der Angleichungsverordnung war349, 347 348 349
Kantorowicz, Tat und Schuld, 1933, S. 15. Kantorowicz, Tat und Schuld, 1933, S. 15. RGBl. I 1943, S. 339.
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die §§ 48, 49 RStGB ihre neue Gestalt jedoch erst durch die diesbezügliche Durchführungsverordnung350 erhielten.351 Während § 50 RStGB vornehmlich die Lücke schließen sollte, die in Fällen entstanden war, in denen der Hintermann auf einen Unzurechnungsfähigen (§ 51 RStGB), Genötigten (§ 52 RStGB) oder im Notstand Befindlichen (§ 54 RStGB) eingewirkt hatte, der Annahme mittelbarer Täterschaft aber mangelnder Täterwille entgegenstand352, sollte die Neufassung der §§ 48, 49 RStGB einerseits dazu dienen, die Eigenständigkeit in der Schuldbeurteilung zu unterstreichen, andererseits aber auch den – nach wie vor – akzessorischen Charakter der Teilnahme betonen.353 Die Vorgabe des § 50 I (R)StGB, wonach jeder „nach seiner Schuld“ strafbar ist, wurde denn auch überwiegend als – gesetzgeberisch nunmehr eindeutig festgeschriebene – Begrenzung des Abhängigkeitsverhältnisses auf das Vorliegen einer tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Haupttat begriffen.354 Nicht wenige Stimmen in der Literatur sahen sich indes daran gehindert, die Limitierung auf eine (vorsätzliche) rechtswidrige Haupttat einzig aus § 50 (R)StGB abzuleiten und stellten in der Folge weitergehende Überlegungen an. Diese kritische Haltung gegenüber dem Aussagegehalt des § 50 (R)StGB spielt freilich auch für das heutige Verständnis des § 29 StGB eine Rolle und ist dementsprechend in Auseinandersetzung mit diesem in Ansatz zu bringen.355 Im Übrigen hatte zuvor bereits das Reichsgericht auf die geänderte Gesetzeslage reagiert und die Möglichkeit der Teilnahme an der Tat einer unzurechnungsfähigen Person ausdrücklich anerkannt.356 Auch der BGH reagierte umgehend auf die geänderte Gesetzeslage357, demonstrierte dabei aber zugleich Uneinigkeit über den Inhalt des Schuldbegriffs. So hielt er in Gestalt des 4. Senats zunächst fest, der Gesetzgeber wolle „den Begriff der Schuld ersichtlich so verstanden wissen, wie er in der Rechtsprechung allgemein aufgefaßt und angewendet wurde, nämlich als Oberbegriff für Vorsatz und Fahrlässigkeit“ 358. Konsequenz dieser Haltung war, dass auch die Teilnahme an einer unvorsätzlichen Tat mög350
RGBl. I 1943, S. 341 f. Vgl. auch Rietzsch, DJ 1943, 310, 311, wonach „die §§ 48, 49 StGB der Neufassung des § 50 StGB angepaßt“ worden seien; ähnlich Mezger, DStR 1943, 116, 118, der in der sprachlichen Neufassung der §§ 48, 49 RStGB „nur die Durchführung des Grundgedankens“ sieht. 352 Dazu Rietzsch, DJ 1943, 310, 311. 353 Rietzsch, DJ, 1943, 310, 311 f. 354 Mezger, Allgemeiner Teil, SB, 4. Aufl. 1952, S. 202 f.; Schwarz, StGB, 15. Aufl. 1952; § 50 B; Schönke, StGB, 4. Aufl. 1949, Vorbem. § 47 V 2; Wegner, Allgemeiner Teil, 1951, S. 240; Welzel, Das deutsche Strafrecht in seinen Grundzügen, 1947, S. 64 f. 355 Dazu unten C.IV.1.b)aa). 356 RGSt 77, 371, 374. 357 BGHSt 1, 47, 49; 1, 131, 132 f.; 1, 368, 369 f.; 4, 355, 357; 5, 47, 48 f.; 9, 370, 376. 358 BGHSt 4, 355, 357; inhaltlich übereinstimmend BGHSt 5, 47, 48 f. 351
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lich sein sollte, verlangte doch § 50 StGB explizit eine individuelle Prüfung der Schuldstufe. Mit anderen Worten: Setzt Beteiligung keine Schuld des Täters voraus und erschöpft sich der Schuldbegriff in der Ermittlung von Vorsatz und Fahrlässigkeit, ist Teilnahme an jedweder Tat – sei sie nun vorsätzlich oder fahrlässig – möglich. In einer Grundsatzentscheidung359 verwarf der BGH, nunmehr der 2. Senat, diese Linie unter Verweis auf Wortlaut, Entstehungsgeschichte sowie Wesen der §§ 48 ff. StGB. Mit Blick auf den Wortlaut des § 50 StGB vermerkt der BGH, dass sich aus diesem gerade nicht ergebe, „daß der Teilnehmer auch zu bestrafen ist, wenn der Haupttäter nicht vorsätzlich handelt“ 360. Anders wäre dies nur zu beurteilen, „wenn mit der Feststellung von Vorsatz oder Fahrlässigkeit die Schuldfrage bereits bejaht wäre“ 361. Nach der Schuldlehre des Bundesgerichtshofes setze sich die Schuld indes aus mehreren Elementen zusammen, wobei Vorsatz und Fahrlässigkeit „die Art der Schuld“ bestimmten, sie aber nur zusammen mit anderen Merkmalen zu begründen vermöchten.362 D.h.: Vorsatz und Fahrlässigkeit für sich genommen füllen den Schuldbegriff nicht aus, weshalb maßgeblich die „anderen Merkmale“ in den Blick zu nehmen sind. Der BGH nennt „die Schuldunfähigkeit wegen Strafunmündigkeit (§ 1 Abs 3 JGG), mangelnder Reife (§ 3 JGG), Unzurechnungsfähigkeit (§ 51 StGB)“ 363 sowie den Täter, der „in verzeihlicher Weise das Verbot nicht kennt“ 364. Unklar bleibt bei diesen Ausführungen des BGH, wo genau der Vorsatz im Deliktsaufbau zu verorten ist und ob ihm ggf. eine „Doppelstellung“ zukommt.365 Am ehesten wird man die Rechtsprechung dahingehend verstehen können, dass sie den Vorsatz als „ein selbstständiges, vom normativen Schuldurteil unabhängiges Schuldelement“ 366 einordnet. Während die Befassung mit dem Schuldbegriff mehr der Entkräftung der Argumentation dient, dass sich aus § 50 StGB zwingend die Möglichkeit der Teilnahme an fahrlässiger Tat ergebe, bekräftigt der BGH seine – neu gefasste – Haltung, dass „Anstiftung oder Beihilfe zu einer unvorsätzlichen Tat (. . .) nicht möglich“ 367 sei, unter Heranziehung des Wesens der Teilnahme. Mit Blick auf die Anstiftung betont er, dass ein „Bestimmen“, das Hervorrufen des Entschlusses, eine strafbare Handlung zu begehen, begriffslogisch nur bei einem vorsätzlich agierenden Täter möglich sei.368 Der dem Haupttäter Hilfe Leistende ordne
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BGHSt 9, 370. BGHSt 9, 370, 377. 361 BGHSt 9, 370, 377. 362 BGHSt 9, 370, 377. 363 BGHSt 9, 370, 382. 364 BGHSt 9, 370, 382, womit der Verbotsirrtum in Bezug genommen ist. 365 Zur (umstrittenen) Doppelstellung des Vorsatzes als Unrechts- und Schuldelement vgl. etwa Schönke/Schröder-Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 120/121. 366 So die Deutung bei Kühl, in: Lackner/Kühl, § 15 Rn. 34. 367 Deutlich BGHSt 9, 370, 382. 368 BGHSt 9, 370, 379. 360
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sich ohnehin dem Täterwillen unter, da nur der Täter darüber befinden könne, ob die Tat geschieht oder nicht.369 Letztlich ist mit der Neuausrichtung der BGHRechtsprechung eine Materie berührt, die den Kern der hiesigen Untersuchung nur am Rande tangiert. Dennoch zeigt sich an der Frage der Teilnahmefähigkeit unvorsätzlicher Taten deutlich, dass es auch dem Gesetzgeber des Jahres 1943 mitnichten gelungen war, ein jedenfalls in seinen Grundaussagen unumstrittenes Akzessorietätskonzept zu schaffen. So wurde die ursprüngliche Position des BGH von nicht wenigen Stimmen in der Literatur – jedenfalls im Ergebnis – geteilt.370 Unter Bezugnahme auf den Willen des (historischen) Gesetzgebers371, mögliche Strafbarkeitslücken bei Sonderdelikten372 sowie das Wesen der Teilnahmevorschriften als (auch) lückenfüllende „subsidiäre Auffangtatbestände“ 373 wurde die Möglichkeit der Teilnahme an unvorsätzlicher Tat bejaht. Gegen die Deutung der Teilnahmevorschriften als Lückenfüller „in der Zwischenzone zwischen echter Täterschaft und wirklicher Teilnahme“ 374 wurde schon damals zu Recht eingewandt, dass damit – unverhohlen375 – das Konzept der Urheberschaft wiederbelebt wird, von welchem spätestens die Teilnahmeregelungen des RStGB von 1871 ein Loskommen angestrebt hatten.376 Letztlich hat der Gesetzgeber in der Formulierung der §§ 26, 27 StGB auf die Uneinigkeit in Ansehung des Vorsatz-
369
BGHSt 9, 370, 380. Vgl. etwa Dahm, MDR 1959, 508, 509 f.; Lange, JZ 1959, 560, 561 ff.; ders., ZStW 77 (1965), S. 312, 319; Roxin, JZ 1966, 293, 297 ff. (m.w. N.). 371 Dem Verweis auf den Willen des historischen Gesetzgebers mit Blick auf die Quellenlage erhebliches Gewicht einräumend Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 351. 372 Viel gebrauchtes Beispiel war (und ist) das Verlassen des Unfallortes (§ 142 StGB) durch einen Fahrer, dem vom Beifahrer zuvor versichert wurde, er habe nachgesehen und keinen Schaden feststellen können (Abwandlung von OLG Stuttgart JZ 1959, 579, wo der Beifahrer vorgab, mit dem Geschädigten durch Verhandlung „alles erledigt“ zu haben). Mittelbare Täterschaft des Beifahrers scheitert am Sonderdeliktscharakter der Vorschrift, für eine Teilnahmestrafbarkeit fehlt es an einer vorsätzlichen Tatbegehung des „gutgläubigen“ Fahrers. Dahm, MDR 1959, 508, 509, sieht darin ein „offensichtlich ungerechtes Ergebnis“; Roxin, JZ 1966, 293, 298, attestiert ein „anerkanntermaßen auch strafwürdig[es]“ Verhalten; Lange, JZ 1959, 560, 561, spricht gar von einem „Ergebnis, das mit dem Rechtsgefühl nicht in Einklang zu bringen ist und auch jeder Rechtslogik zuwiderläuft“. 373 Dahm, MDR 1959, 508, 509; ähnlich Lange, JZ 1959, 560, 563, der im Begriff der Anstiftung „auch die Typik des spiritus rector (. . .), der nur aus Rechtsgründen der Täterqualität entbehrt“, sieht. 374 Dahm, MDR 1959, 508, 509. 375 Dahm, MDR 1959, 508, 509. 376 Treffend Welzel, S. 114, der – mit Blick auf die Sonderdelikte – feststellt, dass es sich „um ein Täterschafts-, kein Teilnahmeproblem [handelt]“; vgl. aus der gegenwärtigen Literatur Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, § 53 Rn. 16: „Wer hier für die Sonderdelikte auf Anstiftung zu einer fahrlässigen Tat ausweichen möchte, verfremdet die Anstiftung zur (psychischen) Urheberschaft für fremde Taten.“ 370
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erfordernisses reagiert377, indem er expressis verbis eine vorsätzlich begangene Tat als Anknüpfungspunkt verlangte.378 Mit Blick auf die Rechtslage nach 1943 ist also festzustellen, dass die Limitierung der Akzessorietät insoweit – ganz überwiegend379 – anerkannt wurde, als es klassische Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe betraf. Ob mit der gesetzlichen Regelung eine Begrenzung auf vorsätzliche Taten verbunden war, wurde dagegen uneinheitlich beurteilt. Der Gesetzgeber hatte es in Zeiten, in denen der nicht unwesentlich in Abhängigkeit von der präferierten Handlungslehre stehende Schuldbegriff jeglicher Konturierung entbehrte380, versäumt, eindeutige Festlegungen zu treffen. ff) Der Weg zum Zweiten Strafrechtsreformgesetz Erst mit Beginn des Jahres 1975 erhielten die Teilnahmevorschriften die Gestalt, die sie bis heute haben. Zwar wurde der Allgemeine Teil des Strafrechts bereits mit dem Zweiten Gesetz zur Reform des Strafrechts (2. StrRG) vom 4.7.1969381 grundlegend reformiert, das – ursprünglich für den 1.10.1973 vorgesehene382 – Inkrafttreten der Änderungen verzögerte sich indes bis zum 1.1.1975.383 Das 2. StrRG beruht seinerseits nicht unwesentlich auf dem Entwurf eines Strafgesetzbuches aus dem Jahre 1962 (E 62)384, erarbeitet in den Jahren 1954–1959 von einer aus Professoren, Vertretern des Bundesjustizministeriums, Justiz-Praktikern und Abgeordneten bestehenden 24-köpfigen Expertenkommission (Große Strafrechtskommission), zeigt sich aber zugleich beeinflusst von 377
Zur Entstehung der §§ 26, 27 StGB sogleich C.IV.1.a)ff). Die Sachgerechtigkeit dieser Festlegung – bei gleichzeitiger Respektierung der gesetzgeberischen Entscheidung – noch heute bezweifelnd insb. Roxin, AT II, § 26 Rn. 35 ff. 379 Zu den wenigen abweichenden Ansätzen s. u. C.V.2. 380 Unter Zugrundelegung eines finalen Handlungsbegriffs, der von einem zweckgerichteten Verhalten ausgeht, verschiebt sich die Willenskomponente, die von der Handlung eben nicht getrennt werden kann, in den Unrechtsbereich und bewirkt so zugleich ein Ausscheiden aus der Schuld. Damit stand und steht der finale Handlungsbegriff in Opposition zu der Auffassung, welche die Schuld „als Oberbegriff für Vorsatz und Fahrlässigkeit“ (BGHSt 4, 355, 357) begreift. Vgl. dazu Schönke/Schröder-Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 28/29 ff. 381 BGBl. I S. 717. 382 BGBl. I S. 742. 383 BGBl. I (1973), S. 909; vgl. auch Müller-Emmert/Friedrich, DRiZ 1969, 273, die auf die der grundlegenden Reform nachfolgenden Arbeitsschritte hinweisen: „(. . .) Anpassung von Hunderten von Nebengesetzen des Bundes- und des Landesrechts an das neue Strafrecht sowie umfangreiche Änderungen des Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrechts, des Strafregisterrechts, des Ordnungswidrigkeitenrechts und anderer Rechtsgebiete“. 384 BT-Drs. 4/650; zu den verschiedenen Entwicklungsstufen des Entwurfs Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 436. Eine rechtshistorische Analyse liefert Timm, Der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962, 2016. 378
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dem in Reaktion darauf vorgelegten Alternativ-Entwurf zum Allgemeinen Teil (AE).385 Auf den AE wird an anderer Stelle noch zurückzukommen sein386, an diesem Punkt mag die Feststellung genügen, dass die 1960er-Jahre von einem Ringen um die kriminalpolitischen Grundlegungen des deutschen Strafrechts dominiert wurden.387 Der E 62 verortete sich mit Blick auf die Akzessorietät der Teilnahme ganz in der Tradition der Strafrechtsangleichungsverordnung aus dem Jahre 1943388, sah sich aber darüber hinaus zu der Klarstellung veranlasst, „daß nur zu einer vorsätzlichen Haupttat angestiftet und Hilfe geleistet werden kann“ 389. Die Beschränkung auf eine vorsätzliche Haupttat wurde dabei auf zwei Erwägungen gestützt. Erstens sei „von Bedeutung, daß bei vielen Tatbeständen der eigentliche Sinngehalt und Unwert der Ausführungshandlung erst durch den Vorsatz hervortritt (z. B. sich zueignen, ausbeuten, dem Wild nachstellen, das Recht beugen, verheimlichen), so daß eine Ausführungshandlung ohne Vorsatz sinnentleert erscheint“ 390. Zweitens müsse die Lehre von der Tatherrschaft beachtet werden, welche eine vorsätzliche Haupttat voraussetze, sei doch eine Unterordnung unter die Tatherrschaft des Täters „nicht denkbar, wenn der Täter nicht vorsätzlich handelt“ 391. Weiter sah der Entwurf die Akzessorietät zwar schon nach bisheriger Gesetzeslage auf das Vorliegen einer rechtswidrigen Haupttat limitiert. Doch werde dies für die Teilnahmevorschriften „erst durch den Satz deutlich, daß jeder nach seiner Schuld bestraft wird (§ 50 Abs. 1 StGB)“ 392. Der Klarstellung wegen – auch dahingehend, „daß es keine Teilnahme an einer nicht rechtswidrigen Tat gibt“ 393 –, müsse daher die Rechtswidrigkeit der Haupttat ihren Niederschlag im Wortlaut bereits der Teilnahmevorschriften finden.394 Gegenstand von Kontrover-
385 Der Alternativ-Entwurf zum Allgemeinen Teil (AE) aus dem Jahre 1966, vorgelegt von 14 mehrheitlich jungen Strafrechtsprofessoren, setzte sich weniger in Widerspruch zur Dogmatik des E 62 als zur darin vorgefundenen kriminalpolitischen Konzeption. Roxin, selbst Mitverfasser des AE, fasst die (damalige) Stoßrichtung wie folgt zusammen (Roxin, AT I, § 4 Rn. 20): „Der AE vertrat straftheoretisch, sanktionenrechtlich und im Bereiche des materiellen Verbrechensbegriffs eine strikte Gegenposition zum E 1962 (. . .).“ 386 Dazu unten C.V.2.c). 387 Müller-Emmert/Friedrich, JZ 1969, 245, verknüpfen den „Durchbruch der strafrechtlichen Reformbewegung (. . .) mit der seit Ende 1966 veränderten politischen Konstellation in der Bundesrepublik“ [seit Dezember 1966 regierte eine große Koalition]. 388 Zu dieser zuvor C.IV.1.a)ee)(1). 389 BT-Drs. 4/650, S. 148. 390 BT-Drs. 4/650, S. 148. 391 BT-Drs. 4/650, S. 148. 392 BT-Drs. 4/650, S. 148. 393 BT-Drs. 4/650, S. 148. 394 BT-Drs. 4/650, S. 148.
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sen war der – beibehaltene – Verzicht auf die Schuldhaftigkeit der Haupttat (im Sinne vorwerfbarer Tatbegehung) nicht gewesen. Dies ergibt sich aus den Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission. Während intensiv über eine mögliche Hinwendung zum Einheitstätersystem sowie die Beschränkung der Teilnahme auf vorsätzliche Haupttaten diskutiert wurde395, erfuhr der Gedanke der strengen Akzessorietät nicht nur keine Revitalisierung, es fehlt – darüber hinaus – an einer „tiefergehende[n] dogmatische[n] Begründung für die Limitierung der Akzessorietät“ 396. Es ist wohl keine Spekulation, das Fehlen positiver Begründung auf die insoweit gefestigte Auslegung der §§ 48 ff. (R)StGB durch Literatur und Rechtsprechung zurückzuführen. Das vorstehend Gesagte schlug sich im Entwurf in folgender Ausformung nieder: § 30 Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat. § 31 1. Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. 2. Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Die Strafe ist nach § 64 Abs. 1 zu mildern. § 34 Jeder Beteiligte wird ohne Rücksicht auf die Schuld des anderen nach seiner Schuld bestraft.
Ein Sonderausschuss des Bundestages für die Strafrechtsreform (Sonderausschuss Strafrecht) setzte sich intensiv sowohl mit dem E 62 als auch mit dem AE397 auseinander, um das große Reformvorhaben in Gesetzesform zu bringen. In den Beratungen des Sonderausschusses nahm die Frage nach der Aufnahme des Merkmals der vorsätzlichen Haupttat relativ großen Raum ein, während die ausdrückliche Benennung der Rechtswidrigkeit praktisch unkommentiert blieb.398 So werden zwar die – auch in der Literatur diskutierten399 – Beispielsfälle im Umfeld von Sonderdelikten, bei denen der Hintermann bei unvorsätzlich agierendem Vordermann nicht belangt werden kann, angeführt.400 Eine Ausein395 Vgl. die Beratungen zum Thema „Täterschaft und Teilnahme“, Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 67 ff. 396 Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 434. 397 Zu diesem noch unten C.V.2.c). 398 Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1826 ff. 399 Zum Fall unvorsätzlicher Fahrerflucht vgl. Fn. 372 in diesem Kapitel. 400 Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1827.
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andersetzung mit der Limitierung der Akzessorietät auf eine rechtswidrige – nicht schuldhafte – Haupttat unterbleibt indes. Letztlich gehen die Ausschussmitglieder, insbesondere Ministerialrat Sturm und der Ausschussvorsitzende MüllerEmmert, mit Blick auf die Aufnahme des Vorsatzerfordernisses nicht davon aus, dass es zu gravierenden Strafbarkeitslücken komme.401 Für den Fall der Nichtaufnahme des Vorsatzerfordernisses stünde dagegen – mit Welzel – „eine Auflösung der Tatbestände und damit auch (. . .) [eine] Ausuferung der Strafbarkeit“ 402 zu befürchten. Das Ergebnis der Beratungen im Sonderausschuss ist bekannt. Die §§ 25 ff. StGB sind bis heute geltendes Recht. gg) Zwischenergebnis Die vorstehenden Betrachtungen zur Entwicklung der Beteiligungssystematik unter besonderer Berücksichtigung von Akzessorietätsgesichtspunkten lassen eine „epochenmäßige“ Zweiteilung hervortreten: Die Rede ist von der Ablösung des Urheberbegriffs durch die Kategorien von Täterschaft und Teilnahme. Erst die klare Gegenüberstellung der vorgenannten Kategorien, wie sie durch das preußische Strafgesetzbuch von 1851 vorgegeben wurde, ermöglichte eine Befassung mit dem Abhängigkeitsverhältnis, die frei war von Sonderformen der Beteiligung403 und damit offen für ein höheres Abstraktionsniveau. Der gerade in Auseinandersetzung mit dem Reichsstrafgesetzbuch zum Ausdruck kommende Gesetzespositivismus, der vor dem Hintergrund der Vielzahl an – hier nur zum Teil abgebildeten – Auffassungen und Vorschlägen zur zutreffenden Ausgestaltung des deutschen Strafrechts freilich wenig erstaunt, lässt dieses neue Abstraktionsniveau zwar erst mit Verzögerung zum Vorschein kommen, wird jedoch – spätestens mit Autoren wie Kantorowicz und v. Hippel 404 – letztlich überwunden.
401 Sturm (Protokolle, S. 1827) weist darauf hin, „daß in einigen Fällen – z. B. bei der Verleitung zum Falscheid – diese Lücken bereits durch Sondervorschriften geschlossen sind“; Müller-Emmert (Protokolle, S. 1827) pflichtet ihm bei und sieht nur „kleinere Lücken“. 402 Sturm, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1827. 403 Zu nennen ist insbesondere die „intellektuelle Urheberschaft“, die Formen der Anstiftung und (mittelbaren) Täterschaft gleichermaßen vereinte, aber auch der „Hauptgehülfe“ im Feuerbachschen Sinne, der – obschon der Bezeichnung nach Gehilfe – als Urheber zur Verantwortung gezogen werden sollte. 404 Auch Binding, Finger und v. Lilienthal haben zur Wandlung des Akzessorietätsverständnis, wie oben gezeigt, maßgeblich beigetragen. Die Leistung dieser Autoren besteht indes verstärkt im Erreichen eines höheren Abstraktionsniveaus in Auseinandersetzung mit der Frage des Wesens der Schuld (im Sinne der Vorwerfbarkeit der Tat), die selbstredend – mittelbar – auf das Akzessorietätsverständnis ausstrahlt.
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Aus der historischen Rückschau ergibt sich ein Weiteres – das Bestreben, die Möglichkeit der Teilnahme an entschuldigter Tat mit dem Wesen der Entschuldigungsgründe selbst zu begründen.405 Damit ist ein weiterer Argumentationsstrang aufgezeigt, der bis in die Gegenwart verfolgt wird und auch im Rahmen dieser Arbeit noch gesonderter Betrachtung zu unterziehen sein wird.406 Schließlich lässt der Blick in die Vergangenheit das Bemühen erkennen, das „Wesen der Teilnahme“ als ausschlaggebenden Gesichtspunkt in Auseinandersetzung mit der Reichweite des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Täterschaft und Teilnahme zu installieren. Auch darauf wird zurückzukommen sein.407 b) De lege lata Mit der Frage nach der Möglichkeit der Teilnahme an entschuldigter Tat konfrontiert, verweist die große Mehrzahl der Autoren auf die Ausgestaltung des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Täterschaft und Teilnahme durch die §§ 26 ff. StGB. Zusammenfassend ist, wie schon mehrfach betont, von der „Limitierung der Akzessorietät“ die Rede, welche einer Straffreiheit des Teilnehmers entgegenstehe. Dabei stellt sich insbesondere Frage, welche Vorschrift bzw. welche Vorschriften in Ansehung der Limitierung die „kriegsentscheidenden“ sind und ob der gegenwärtigen Ausgestaltung der Teilnahmeregelungen eine – ggf. bewusst hingenommene – Redundanz anhaftet. aa) § 29 StGB „Bei Beteiligung mehrerer ist nach § 29 nur entschuldigt, wer in seiner Person die Notstandsvoraussetzungen erfüllt (. . .).“ 408 Prägnanter als in der Formulierung von Kühl lässt sich die Haltung der h. M. zur Reichweite der Entschuldigungswirkung kaum zusammenfassen.409 Dass die Frage der Vorwerfbarkeit eine individuelle ist, soll auch hier nicht in Abrede gestellt werden. Kritisch hinterfragt werden muss aber die Aussage, dass sich (auch) unmittelbar aus § 29 StGB eine ausnahmslose Limitierung der Akzessorietät auf das Vorliegen einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat ergebe.410
405
Zu nennen ist hier insbesondere Binding, dazu oben C.IV.1.a)dd). Dazu unten C.IV.2. 407 Vgl. dazu unten C.IV.3. 408 Kühl, in: Lackner/Kühl, § 35 Rn. 15. 409 Inhaltlich übereinstimmend B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 8 f.; LK-Zieschang, § 35 Rn. 71; MK-Müssig, § 35 Rn. 86; M/R-Engländer, § 35 Rn. 18; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 46. 410 Exemplarisch Puppe, ZStW 120 (2008), S. 504, 507: „Diese Prinzip [der limitierten Akzessorietät] folgt nicht nur aus §§ 26, 27 StGB einerseits, §§ 28, 29 StGB andererseits (. . .).“ 406
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(1) Reichweite nach gängiger Auffassung Wie aus dem vorstehend Gesagten deutlich wird, tendiert die überwiegende Auffassung in der Literatur dazu, nicht nur die §§ 26, 27 StGB als Festlegung auf das Prinzip limitierter Akzessorietät zu sehen, sondern auch § 29 StGB als positiv-rechtliche Manifestierung der Beschränkung auf das Vorliegen einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat einzuordnen.411 Wenn nämlich, wie § 29 StGB es formuliert, „jeder Beteiligte (. . .) nach seiner Schuld bestraft“ wird, sei damit zugleich die Limitierung auf eine (vorsätzliche) rechtswidrige Tatbestandserfüllung ausgedrückt.412 Dieses Verständnis entspricht auch der überwiegenden Auffassung in der sich mit der Vorgängervorschrift des § 50 (R)StGB befassenden Literatur.413 Dabei wird die Vorschrift des § 29 StGB regelmäßig in Zusammenschau mit den §§ 26, 27 StGB betrachtet, die expressis verbis eine vorsätzliche und rechtswidrige Tat als Anknüpfungspunkt verlangen.414 Mit Blick auf die Teilnahme soll § 29 StGB daher mehr klarstellenden Charakter haben.415 (2) Kritische Würdigung Die Aussage, dass ein jeder Beteiligter „nach seiner Schuld“ zu bestrafen ist, dass ihm also nicht fremde Schuld zugerechnet werden darf, ist die Kernaussage unseres Schuldstrafrechts. Insoweit ist Haas in seiner Analyse des § 29 StGB zuzustimmen: „Jeder Delinquent wird als Folge des Schuldprinzips nur für seine eigene höchstpersönliche Schuld bestraft.“ 416 Nun ergibt sich daraus die Frage, ob einer Vorschrift, welche die Geltung des Schuldprinzips betont, zugleich eine verallgemeinerungsfähige Aussage darüber entnommen werden kann, welche Anforderungen an eine teilnahmefähige Haupttat zu stellen sind. Unzweifelhaft lässt 411 B/W/M/E-Eisele, § 26 Rn. 140; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 29 Rn. 1; LK-Schünemann, § 29 Rn. 1; MK-Joecks, § 29 Rn. 1; Schönke/Schröder-Heine/Weißer, § 29 Rn. 1; S/S/W-Murmann, § 29 Rn. 1. 412 B/W/M/E-Eisele, § 26 Rn. 140; LK-Schünemann, § 29 Rn. 1; Schönke/SchröderHeine/Weißer, § 29 Rn. 1. 413 Dazu oben C.IV.1.a)ee)(2). 414 Dazu unten C.IV.1.b)bb). 415 B/W/M/E-Eisele, § 26 Rn. 140 („Er [§ 29] hebt noch einmal hervor, was bereits in den §§ 26 und 27 [. . .] zum Ausdruck gebracht wird“); Schönke/Schröder-Heine/ Weißer, § 29 Rn. 1 („So gesehen hat § 29 rein deklaratorischen Charakter [. . .]“); S/S/ W-Murmann, § 29 Rn. 1 („Die Vorschrift bestätigt das Prinzip der limitierten Akzessorietät, das freilich auch schon in §§ 26, 27 zum Ausdruck kommt [. . .]“). 416 M/R-Haas, § 29 Rn. 1, der § 29 StGB eine Doppelstellung dergestalt beimisst, dass die Vorschrift eine Limitierung der Akzessorietät bewirke, dabei „jedoch zugleich den Grund für diese Limitierung zum Ausdruck“ bringe; vgl. aber auch Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, 2012, S. 276 m. Fn. 114, wonach „der Teilnehmer auch dann nur wegen seiner eigenen (und nicht etwa für fremde) Schuld bestraft [wird], wenn die Haupttat, an der er sich schuldhaft beteiligt hat, ihrerseits nicht nur rechtswidrig, sondern sogar schuldhaft begangen worden ist“.
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sich § 29 StGB, der eine unabhängige Schuldbeurteilung postuliert, die Aussage entnehmen, dass Teilnahme grundsätzlich auch dann möglich ist, wenn der Täter nicht schuldhaft handelte. Fehlende Täterschuld lässt eben keine zwingenden Rückschlüsse auf das (Nicht-)Vorliegen von Teilnehmerschuld zu. Ob der im Wortlaut zum Ausdruck gebrachten Möglichkeit der Teilnahme an schuldloser Tat zugleich eine abschließende Festlegung der Voraussetzungen einer teilnahmefähigen Haupttat innewohnt, darf dagegen angezweifelt werden. Mit Blick (allein) auf die Vorgängervorschrift des § 50 (R)StGB sahen sich nicht wenige Stimmen gehindert, diesen Schluss zu ziehen: Bockelmann konstatierte mit Blick auf § 50 I StGB: „Ob aber auch gleichgültig ist, aus welchem Grunde der Haupttäter unschuldig ist, oder ob hinsichtlich der Bestrafung des Teilnehmers Differenzierungen geboten sind, je nachdem ob es beim Haupttäter an der Zurechnungsfähigkeit, an der Zurechenbarkeit oder an der Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens gefehlt hat, – darüber sagt § 50 Abs. 1 nichts.“ 417 Ähnliches stellte Oehler fest, wenn er unter Betrachtung der §§ 48 ff. StGB festhält, „daß von einer nur tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Handlung nichts darin steht“ 418. Auch Mayer konnte der Gesetzesfassung keine eindeutige Festlegung entnehmen: „Es läßt sich aus dem Gesetz eben wirklich nichts herauslesen als dies, daß die Strafbarkeit soweit auszudehnen ist, als dies dem Wesen der Sache entspricht.“ 419 Schließlich ist Rudolphi als entschiedener Kritiker derjenigen Auffassung zu nennen, welche bereits aus der Fassung des § 50 (R)StGB eine durchgängige Limitierung der Akzessorietät herleiten wollte.420 Auf Rudolphi, dessen umfassende Behandlung der Frage ihresgleichen sucht, wird an späterer Stelle zurückzukommen sein.421 Dass sowohl Bockelmann als auch Oehler im Ergebnis von der Teilnahmefähigkeit entschuldigter Taten ausgehen422, vermag an den überzeugenden Darlegungen zum Aussagegehalt des § 50 StGB für sich genommen, die mit Blick auf § 29 StGB nach wie vor fruchtbar gemacht werden können, nichts zu ändern. Bockelmann forderte angesichts der mangelnden Ergiebigkeit der Vorschrift des § 50 StGB eine „Behandlung der Teilnahmeprobleme, die der Natur der Sache entspricht“ 423. In Bezug genommen ist damit das „Wesen der Teilnahme“ 424. So sollte die Teilnahme „an einer in schuldausschließendem Rechtsirrtum begange417
Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, 1957, S. 40. Oehler, Festschrift zum 41. Deutschen Juristentag, 1955, S. 255, 257. 419 Mayer, FS-Rittler II, S. 243, 271. 420 Vgl. Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 72 ff. 421 Vgl. unten C.V.2.a). 422 Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, 1957, S. 82 ff.; Oehler, Festschrift zum 41. Deutschen Juristentag, 1955, S. 281 ff. 423 Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, 1957, S. 44. 424 Deutlich Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, 1957, S. 79, 81. 418
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nen Tat“ 425, mithin im Falle des unvermeidbaren Verbotsirrtums, allenfalls als Teilnahmeversuch zu ahnden sein; dies auch nur für den Fall, dass der Teilnehmer vom mangelnden Unrechtsbewusstsein des Täters keine Kenntnis hatte.426 Bei Kenntnis des Verbotsirrtums sollte Teilnahme, soweit kein Fall der mittelbaren Täterschaft anzunehmen sei, dagegen ausgeschlossen sein.427 Diese Ergebnisse resultieren aus der Prämisse, dass Teilnahme die Unterordnung unter einen fremden Tatentschluss voraussetzt428, im Falle des – den Tatentschluss erst veranlassenden – Rechtsirrtums von einer Unterordnung aber „keine Rede (. . .) sein“ 429 könne. Bei Anwendung dieser Prämisse auf die entschuldigte Notstandstat kommt Bockelmann zu dem Schluss, dass das „für die Teilnahme kennzeichnende Verhältnis der Unterordnung unter einen fremden Tatentschluß (. . .) kein anderes [ist], als wenn er [der Täter] sich nicht im Notstand befindet“ 430. Mit anderen Worten: Teilnahme an einer wegen Notstands entschuldigten Tat ist möglich. Ob die Herleitung der (Mindest-)Voraussetzungen einer teilnahmefähigen Haupttat aus dem „Wesen der Teilnahme“ überzeugend ist, mag an dieser Stelle offen bleiben. Entscheidend ist, dass die vorgenannten Stimmen der von § 50 (R)StGB vorgegebenen – und von § 29 StGB inhaltsgleich übernommenen – Unabhängigkeit in der Schuldbeurteilung zwar öffnenden Charakter in Ansehung der Möglichkeit strafbarer Teilnahme an schuldloser Haupttat zuschrieben, darin aber keine abschließende Festschreibung der Voraussetzungen einer teilnahmefähigen Haupttat erblickten. Diese Auffassung überzeugt, sagt doch § 29 StGB, sieht man diesen einmal losgelöst von den §§ 26, 27 StGB, nur, dass jeder Beteiligte „nach seiner Schuld“ bestraft werden muss. Damit ist keine Aussage darüber getroffen, ob jedwede Tat, bei welcher der Täter schuldlos handelt, teilnahmefähig ist. Eine solche Auslegung mag dem Willen des historischen Gesetzgebers am ehesten gerecht werden, findet aber im Wortlaut keine Stütze. So lässt § 29 StGB ebenso Raum für die Auslegung, dass eine unabhängige Schuldbeurteilung erfolgt, insofern keine Tat vorliegt, die den Gesetzmäßigkeiten unabhängiger Schuldbeurteilung von vornherein entzogen ist. Mit anderen Worten: Ob Notstandssituationen überhaupt Gegenstand unabhängiger Schuldbeurteilung nach Maßgabe der Vorschrift sind, ergibt sich bei isoliertem Blick auf § 29 StGB nicht. Gegen diese isolierte Betrachtung mag man einwenden, dass § 29 StGB gerade nicht ohne die §§ 26, 27 StGB gedacht werden dürfe, dass die Festlegungen in den §§ 26, 27 StGB bei Auslegung des § 29 StGB zwingend zu berücksichtigen seien. Diesen Weg scheint die Mehrheit der Autoren zu gehen, was sich 425 426 427 428 429 430
Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, 1957, S. 81. Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, 1957, S. 79 f. Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, 1957, S. 80 f. Prägnant Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, 1957, S. 76 ff. Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, 1957, S. 80. Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, 1957, S. 86.
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insbesondere dann zeigt, wenn von einer „Bestätigung“ des Prinzips der limitierten Akzessorietät durch § 29 StGB die Rede ist.431 So schließt – bei gemeinsamer Betrachtung – die Aussage, dass eine unabhängige Schuldbeurteilung zu erfolgen habe, wunderbar an die in den §§ 26, 27 StGB als Anknüpfungspunkt jedweder Teilnehmerstrafbarkeit benannte vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat an. Alles erscheint „wie aus einem Guss“, als ein mustergültiges Ineinandergreifen der Rädchen im Beteiligungssystem des StGB. Die Frage bleibt allein, ob der Aussagegehalt des § 29 StGB im Wege der Implementierung des Aussagegehalts der §§ 26, 27 StGB ermittelt werden darf. Manch einer mag dieses Vorgehen schlicht als Auslegung des § 29 StGB unter dem Gesichtspunkt der Gesetzessystematik betrachten, was – zugegeben – naheliegend und dem Grunde nach nicht zu beanstanden ist. Das Wortlautargument jedoch bleibt: Die – im Sprachgebrauch des StGB beinahe schon pathetisch anmutende – Festlegung, dass ein jeder „nach seiner Schuld“ bestraft werde, sagt mit Blick auf die Teilnahme eben nicht mehr, als dass zwischen Täter- und Teilnehmerschuld kein strenges Abhängigkeitsverhältnis besteht. Ob es Situationen gibt, in denen der Gesetzgeber generell auf die Erhebung eines (Schuld-)Vorwurfes verzichtet, lässt sich § 29 StGB dagegen nicht entnehmen. In § 29 StGB also eine positive – und abschließende – Festlegung der Voraussetzungen einer teilnahmefähigen Haupttat zu sehen, sprengt die Grenzen der Wortlautauslegung. Ein solches „Positivum“ 432 kann der Vorschrift trotz der Entstehungsgeschichte (auch und insbesondere der Vorgängervorschrift des § 50 [R]StGB) und den Festlegungen in den §§ 26, 27 StGB nicht entnommen werden. Damit sei nicht gesagt, dass der (entschuldigende) Notstand dahingehend zu deuten ist, dass auf die Erhebung eines (Schuld-)Vorwurfes generell – sprich: bezüglich aller in irgendeiner Weise mit der Situation Konfrontierten – verzichtet wird. Gesagt sei lediglich, dass § 29 StGB mit Blick auf die Teilnahme keine besondere Aussagekraft zukommt. Die Vorschrift ist zwar insoweit kein nullum, betont sie doch die Geltung des Schuldprinzips, sollte aber in Auseinandersetzung mit den Anforderungen an eine teilnahmefähige Haupttat mit weit größerer Zurückhaltung gebraucht werden. (3) Fazit § 29 StGB ist nicht geeignet, die durchgängige Limitierung auf eine (vorsätzliche) rechtswidrige Haupttat zu begründen. 431 Fischer, § 29 Rn. 2; Schönke/Schröder-Heine/Weißer, § 29 Rn. 1; S/S/W-Murmann, § 29 Rn. 1. 432 In Anlehnung an Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 71, der § 50 StGB nur die Aussage entnehmen wollte, „dass die Bestrafung der Teilnahme nicht den Nachweis der vollen Schuld in der Person des Haupttäters erfordert“ und diese Festlegung als „Negativum“ einordnete.
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bb) §§ 26, 27 StGB Die §§ 26, 27 StGB verlangen übereinstimmend das Vorliegen einer „vorsätzlich begangene[n] rechtswidrige[n] Tat“. Im Falle des § 26 StGB muss das Bestimmen auf eine entsprechende Tat gerichtet sein, während § 27 StGB das Hilfeleisten zu der so charakterisierten (Haupt-)Tat unter Strafe stellt. Die hier interessierende Beschränkung auf die rechtswidrige Tat könnte im Wortlaut kaum deutlicher zum Ausdruck gebracht sein. Im Unterschied zu § 29 StGB herrscht also ein Maß an Klarheit, das kaum zu abweichender Interpretation einlädt. (1) Reichweite nach gängiger Auffassung Der Klarheit des Wortlauts entsprechend, wird in den §§ 26, 27 StGB das Prinzip der limitierten Akzessorietät verankert gesehen.433 Mit Blick auf die oben dargestellte Mehrheitsauffassung betreffend den Aussagehalte des § 29 StGB ist es nur konsequent, wenn in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen wird, dass sich die Limitierung „auch“ 434 aus § 29 StGB ergebe. (2) Der abweichende Handlungsbegriff nach Jakobs Der Wortlaut der §§ 26, 27 StGB ist derart eindeutig, dass die schiere Existenz einer abweichenden Auffassung verblüfft. Nach Jakobs „setzt eine Beteiligung eine schuldhafte Ausführung voraus“ 435, was mit der in den §§ 26, 27 StGB expressis verbis angeordneten Beschränkung auf täterschaftlich verwirklichtes Unrecht schwerlich in Einklang zu bringen ist. Dies räumt denn auch Jakobs indirekt ein, wenn er mit Blick darauf, dass Beteiligung nur bei tatvorsätzlicher Ausführung möglich sein soll, während eine schuldhafte Ausführung nicht verlangt wird, festhält: „Diese Regelung ist (. . .) schlechthin falsch.“ 436 Letztlich kann es daher nur um eine Konzeption de lege ferenda gehen. Zudem beruhen Jakobs Schlüsse hinsichtlich der Beteiligungslehre auf einer abweichenden Deutung des Handlungsbegriffes, was eine Verortung und Bewertung zusätzlich erschwert. Jakobs geht davon aus, dass ein Verhalten „ein Ausdruck kommunikativen relevanten Sinns“ 437 sein müsse, um für das Strafrecht überhaupt von Bedeutung zu 433 B/W/M/E-Eisele, § 24 Rn. 20; Jescheck/Weigend, AT, § 61 VII 1 u. 2; Krey/Esser, AT, Rn. 995; Kühl, AT, § 20 Rn. 3; LK-Schünemann, Vorbem. §§ 26 ff. Rn. 18; MK-Joecks, Vorbem. §§ 26 ff. Rn. 18; NK-Schild, Vorbem. §§ 26 ff. Rn. 10; Rengier, AT, § 45 Rn. 1; Roxin, AT II, § 26 Rn. 4; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 864; Puppe, ZStW 120 (2008), S. 504, findet den „Grundsatz der Akzessorietät der Teilnahme (. . .) in § 27 f.“ verankert. 434 Vgl. etwa B/W/M/E-Eisele, § 24 Rn. 20; Roxin, AT II, § 26 Rn. 4. 435 Jakobs, Theorie der Beteiligung, 2014, S. 37; vgl. ferner ders., GA 1996, 253; zustimmend Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, 2012, S. 275. 436 Jakobs, Theorie der Beteiligung, 2014, S. 36. 437 Jakobs, GA 1996, 253.
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sein. Nur einem kommunikativ relevanten Sinnausdruck könne und müsse, so er denn „falschen Inhalts“ 438 sei, widersprochen werden; nur durch einen solchen würde der Geltungsgrund der Norm in Abrede gestellt.439 Das Abstellen Jakobs auf den Sinn einer Handlung rückt den Ansatz auf den ersten Blick in die Nähe des finalen Handlungsbegriffs im Welzelschen Sinne. Danach ist „menschliche Handlung (. . .) Ausübung der Zwecktätigkeit“ 440. Die äußere Kausalität einer Handlung genüge nicht, könne doch der planende und vorausschauende Mensch sein Handeln lenken.441 Zu planen, vorherzusehen und – damit einhergehend – zu entscheiden, dies alles stütze sich auf den menschlichen Willen, weshalb dieser „das Rückgrat der finalen Handlung“ 442 bilde. Dabei – und darin liegt der entscheidende Unterschied gegenüber Jakobs – differenziert Welzel zwischen der Fähigkeit, das zur Zweckerreichung Notwendige zu veranlassen, und der Möglichkeit, eine positive Wertentscheidung zugunsten der Durchführung der Handlung zu treffen.443 Die Wertentscheidung, die den Schuldvorwurf ausmache, sei der Durchführung (und den damit verbundenen Planungsprozessen) vorgelagert.444 Handelnder nach Maßgabe der finalen Handlungslehre könne insbesondere auch der Geisteskranke sein, der durchaus in der Lage sei, „den Ablauf möglicher Kausalzusammenhänge und danach die erforderlichen Mittel zur Zweckerreichung höchst sinnvoll aus[zu]wählen“ 445. Welzel spricht in diesem Zusammenhang von der „intellektuell-f inale[n] Fähigkeit“ 446, die von der „Fähigkeit zu sinnvoller Wertentscheidung“ 447 strikt zu trennen sei. Dieser Differenzierung widerspricht Jakobs vehement, indem er strafrechtlichen Sinn einzig in den Handlungen Schuldfähiger zu erblicken vermag: „Nur der Schuldfähige erreicht die Ebene strafrechtlichen Sinns (. . .).“ 448 Dem strafrechtlich sinnhaften Handeln setzt er den Begriff der „Natur“ gegenüber, der „Sammelbegriff für Krankheit, Irrtum und Sonderlagen“ 449 sei. Die Tat eines Schuldlosen oder Entschuldigten unterscheide sich in keiner Weise von „natürlichen Vorgängen“ 450. 438
Jakobs, GA 1996, 253. Jakobs, GA 1996, 253; vgl. auch Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, 2012, S. 266, nach dem der „Abfall von einer Normenordnung (. . .) die Fähigkeit zum Verständnis normativer Sinngehalte voraus[setzt]“. 440 Welzel, S. 33. 441 Welzel, S. 33 f. 442 Welzel, S. 34. 443 Welzel, ZStW 58 (1939), S. 491, 503 f. 444 Welzel, ZStW 58 (1939), S. 491, 503 f. 445 Welzel, ZStW 58 (1939), S. 491, 504; kritisch Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, 2012, S. 275, nach dem das „Handlungs- und Tatherrschaftsverständnis Welzels (. . .) unangebracht reduktionistisch bzw. (. . .) naturalistisch“ sei. 446 Welzel, ZStW 58 (1939), S. 491, 504. 447 Welzel, ZStW 58 (1939), S. 491, 504. 448 Jakobs, GA 1996, 253. 449 Jakobs, GA 1996, 253. 450 Jakobs, GA 1996, 253, 254. 439
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Eine Beteiligung an solchen Vorgängen sei in Wahrheit nichts anderes als ein Umgang mit Natur.451 Jakobs zieht gar eine Parallele zu „tierischem Verhalten“ und „Maschinenabläufen“, an denen eine Beteiligung ebensowenig möglich sei.452 Dass Jakobs dem Finalismus „Halbherzigkeit“ vorwirft453, ist aus seiner Warte nur konsequent. Wer die Fähigkeit, durch einen Normverstoß eine „kompetente Stellungnahme zur normativen Struktur der Gesellschaft“ 454 abzugeben, zum integralen Bestandteil strafrechtlich relevanten Handelns macht, kann jedem Ansatz, der zwischen Durchführungs- und Wertungsebene differenziert, nur ablehnend gegenüber stehen. (3) Kritische Würdigung Jakobs knüpft mit seiner Haltung letztlich an die Rechtsprechung des Reichsgerichts an, nach welcher von einer strafrechtlich relevanten Handlung nur dann die Rede sein sollte, „wenn das, was eine Person äußerlich that, seinen Ursprung in dem freien Willen dieser Person hatte“ 455. Dabei soll das Verlangen nach einem „kommunikativ relevanten Sinn“ und – konkreter – einer „kompetenten Stellungnahme zur normativen Struktur der Gesellschaft“ keineswegs auf eine Stufe mit den insoweit eher holzschnittartigen Begründungsmustern des Reichsgerichts gestellt werden. Die Stoßrichtung bleibt aber in beiden Fällen die gleiche: Die Fähigkeit, nicht nur Handlungs-, sondern auch Wertentscheidungen zu treffen, soll Bestandteil schon des Handlungsbegriffes sein. In der Formulierung Jakobs’ ist „Handlung (. . .) das Sich-schuldhaft-zuständig-Machen für einen Normgeltungsschaden“ 456. Die so erreichte Verengung des Handlungsbegriffes, welche die Grundlage für das von Jakobs postulierte Erfordernis schuldhafter Haupttat bildet457, wird beinahe ausnahmslos kritisch gesehen, wenn auch die Einwände variieren.458 Ein gemeinsamer Einwand findet sich freilich in dem Hinweis, dass 451
Jakobs, GA 1996, 253, 256. Jakobs, Theorie der Beteiligung, 2014, S. 36. 453 Jakobs, Theorie der Beteiligung, 2014, S. 36. 454 Jakobs, Theorie der Beteiligung, 2014, S. 37. 455 RGSt 11, 56, 58; übereinstimmend RGSt 40, 21, 25; vgl. auch Jakobs, GA 1996, 253, 254 Fn. 2, bei welchem die vom Reichsgericht vorgenommene Gleichordnung des Tuns eines Unzurechnungsfähigen mit dem Tun „irgend eines anderen vernunftlosen Geschöpfes“ (RGSt 40, 21, 25) als „sehr schön“ eingeführt wird. Zum Handlungsbegriff des Reichsgerichts vgl. bereits oben C.IV.1.a)dd). 456 Jakobs, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, 1992, S. 44. 457 Missverständlich insoweit Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, § 53 Rn. 20, wonach sich Jakobs Auffassung maßgeblich aus einem abweichenden Verständnis betreffend das „Wesen der Teilnahme“ speise. 458 Vgl. etwa LK-Walter, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 28; NK-Puppe, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 50; Otto, AT, § 5 Rn. 39 mit Fn. 14; Roxin, AT I, § 8 Rn. 7 mit Fn. 9; Schild, GA 452
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Jakobs den gesamten Verbrechensbegriff in die Handlung hineinlegt und damit Unrechts- und Schuldebene verschmelzen lässt. Das mag – für sich genommen – ein bedenkenswerter Ansatz sein459, führt aber jedenfalls in der Jakobschen Konzeption zu erheblichen Friktionen mit geltendem Gesetzesrecht. Primär ist damit der Regelungsgehalt der §§ 26, 27 StGB gemeint, der nach Jakobs „schlechthin falsch“ 460 sei. Auch in der Anwendung von Notrechten ergeben sich, wie Jakobs selbst erkennt461, Friktionen. Man denke nur an den entschuldigt handelnden Täter, gegenüber welchem grundsätzlich Notrechte, insbesondere die Notwehr, in Anspruch genommen werden können. Fehlt es beim entschuldigt Agierenden aber schon an einer strafrechtlich relevanten Handlung, stellt sich die Frage, worin der rechtswidrige Angriff liegen soll. Danach müsste Notwehr ausscheiden. Jakobs sieht darin nur „Konsequenzen scheinsystematischer Art“, die dadurch gelöst würden, dass man „diesen Instituten [Beteiligung und Notrechten] eine eigene Systematik“ 462 gibt. Jakobs schafft also, worin Schünemann beizupflichten ist, einen „rein normative[n] Verbrechensbegriff“ 463, der einen Rattenschwanz an systematischen Konsequenzen nach sich zieht. Strebt man indes – wie hier – nicht eine Neukonzeption des Verbrechensbegriffes, sondern die Lösung einer Beteiligungs- wie Schuldfragen gleichermaßen berührenden Problematik auf Basis bestehenden Gesetzesrechts an, vermag der Ansatz Jakobs nicht fruchtbar gemacht zu werden. Dass dieser aufgrund seiner Tendenz, Grund und Grenzen staatlichen Strafens in einen Begriff legen zu wollen, ohnehin kritisch zu sehen ist, ergibt sich bereits aus dem vorstehend Gesagten. Es bleibt demnach bei der Feststellung, dass die §§ 26, 27 StGB die Akzessorietät auf das Vorliegen einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat limitieren. Die Möglichkeit der Teilnahme an entschuldigter Tat ist daher mit Blick auf die Beteiligungsregelungen der §§ 26, 27 StGB nicht in Zweifel zu ziehen. 2. Wesen der Entschuldigungsgründe Bereits in Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung des Beteiligungssystems fiel auf, dass durch eingehendere Betrachtung einzelner Schuldausschließungsgründe (im heutigen Sinne) die Teilnahmefähigkeit schuldloser Tat belegt werden sollte.464 Dieses Argumentationsmuster hat bis in die Gegen1995, 101; Schönke/Schröder-Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 36; Schünemann, GA 1995, 201, 220 f. 459 Die Sinnhaftigkeit der Unterscheidung von Unrecht und Schuld anzweifelnd etwa MK-Freund, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 14 (mit zahlreichen Nachweisen). 460 Vgl. erneut Jakobs, Theorie der Beteiligung, 2014, S. 36. 461 Jakobs, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, 1992, S. 42. 462 Jakobs, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, 1992, S. 42. 463 Schünemann, GA 1995, 201, 220. 464 Dazu oben C.IV.1.a)dd).
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wart überdauert. Namentlich Roxin sieht bei Betrachtung der Reichweite des § 35 StGB, wie oben angedeutet465, in der „Notstandslehre selbst“ 466 ein der Straflosigkeit des Teilnehmers entgegenstehendes Hindernis. Diesen Begründungsstrang stellt er explizit neben den Grundsatz der limitierten Akzessorietät und misst ihm damit eigenständige Bedeutung zu. Naheliegend verweist er darauf, dass die besonderen Umstände, aufgrund derer mit dem Notstandstäter Nachsicht geübt wird, in der Person eines Außenstehenden gerade nicht vorliegen.467 In Bezug genommen ist damit der „Motivationsdruck“ 468, den der Gesetzgeber bei dem von § 35 StGB erfassten Täterkreis generalisierend vermutet. Dass ein entsprechender (vermuteter) Motivationsdruck der Regelung des § 35 StGB zugrunde liegt, wird auch im Rahmen dieser Arbeit nicht bestritten.469 Der Gesetzgeber sieht diesen Druck nur beim Handeln zur Selbsterhaltung sowie zur Erhaltung einer Sympathieperson. Dass ein entsprechender Druck auch darüber hinaus vorliegen kann, wurde bereits weiter oben dargetan und muss – folgerichtig – in der Anerkennung eines übergesetzlichen entschuldigenden Notstands gipfeln.470 Das entscheidende Argument gegen eine Einbeziehung von Teilnehmern in den Wirkungsbereich des § 35 StGB liegt daher weniger im Fehlen des notwendigen Motivationsdrucks denn in dem Umstand, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Vorschrift von vornherein begrenzt hat. Diese Grundentscheidung würde in der Tat „unterlaufen“ 471, berücksichtigte man § 35 StGB auch zugunsten des Teilnehmers. Ob und unter welchen Voraussetzungen ein übergesetzlicher entschuldigender Notstand zugunsten des Teilnehmers eingreifen kann, wird an anderer Stelle zu ermitteln sein. An dieser Stelle ist festzuhalten, dass § 35 StGB in seiner gegenwärtigen Fassung einer Einbeziehung von Außenstehenden entgegensteht. 3. „Wesen der Teilnahme“ Wiederum ist es der Blick in die Historie, der ein gängiges Argumentationsmuster in Auseinandersetzung mit den Anforderungen an eine teilnahmefähige Haupttat zutage treten lässt: der Rückgriff auf das „Wesen der Teilnahme“. So findet sich bei v. Liszt mit Blick auf die Anstiftung der Hinweis, dass die Teilnahme den Grund ihrer Strafbarkeit nicht in sich trage, sondern aus fremder Tat entlehne.472 Daraus folge, „daß von Anstiftung keine Rede sein kann, wenn 465 466 467 468 469 470 471 472
C.IV. Roxin, AT I, § 22 Rn. 66. Roxin, AT I, § 22 Rn. 66. LK-Zieschang, § 35 Rn. 71. Dazu oben B.III.1.b)aa). Dazu oben B.III.3.c). Roxin, AT I, § 22 Rn. 66. v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 3. Aufl. 1888, S. 215.
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auf Seiten des Angestifteten nicht eine strafbare Handlung (. . .) vorliegt“ 473. Unter Beachtung des Umstands, dass v. Liszt eine Anstifterstrafbarkeit im Falle eines „individuellen (subjektiven) Schuldausschließungsgrundes“ 474 auf Täterseite bestehen lassen will, tritt – der Sache nach – eine Begrenzung der Entlehnung auf täterschaftliche Unrechtsverwirklichung hervor. Bockelmann wählt einen ähnlichen Ansatz, indem er sich dem „rechtlichen Wesen der Teilnahme“ 475 zuwendet und die Unterordnung unter fremden Tatentschluss zum maßgeblichen Prägemal erklärt.476 Im Falle des einem Verbotsirrtum unterliegenden Täters fehle es auf Teilnehmerseite an der notwendigen Unterordnung, während bei der Teilnahme an der Notstandstat an der Unterordnung nicht zu zweifeln sei.477 Damit ist inhaltlich der Weg einer nur teilweisen Limitierung der Akzessorietät beschritten, wobei Bockelmanns Konzeption vor dem Hintergrund der damals bestehenden Teilnahmeregelungen (§ 48 f. a. F. StGB) zu sehen ist. Auf Basis jener Regelungen hatte ja auch der BGH über die Frage zu befinden, ob Teilnahme an unvorsätzlicher Tat möglich ist.478 Seinen verneinenden Befund begründete der 2. Strafsenat u. a. mit dem Hinweis, dass Teilnahme stets die Unterordnung unter fremden Willensentschluss voraussetze, was begrifflich nur bei vorsätzlicher Haupttat möglich sei.479 Auch der BGH bediente sich also eines – behaupteten – Charakteristikums der Teilnahme, um zwar nicht die Limitierung auf eine rechtswidrige, wohl aber auf eine vorsätzliche Haupttat zu begründen. Mit Blick auf die Anstiftung nähert sich zudem Welzel deren „Wesen“, wenn er sie als „Erzeugung des Tatentschlusses“ 480 charakterisiert und daraus folgert, dass eine Anstiftung zur vorsatzlosen Tat ein „Widerspruch in sich selbst“ 481 bleiben müsse. Freilich liegt der Fokus Welzels nicht auf der Bestimmung des Wesens der Teilnahme. Für ihn geht es primär darum, die Richtigkeit des von ihm propagierten finalen Handlungsbegriffs, der bekanntlich Handlung und Vorsatz verknüpft482, zu untermauern. Deutlich zeigt sich dies in seiner Aussage, dass für die finale Handlungslehre „die Sachstruktur vorgezeichnet“ 483 gewesen sei. 473
v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 3. Aufl. 1888, S. 215. v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 3. Aufl. 1888, S. 215. 475 Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, 1957, S. 79. 476 Dazu oben C.IV.1.b)aa)(2). 477 C.IV.1.b)aa)(2). 478 Zur Entwicklung der Rechtsprechung oben C.IV.1.a)ee)(2). 479 BGHSt 9, 370, 379 f.; vgl. ferner oben C.IV.1.a)ee)(2). 480 Welzel, Aktuelle Strafrechtsprobleme im Rahmen der finalen Handlungslehre, 1953, S. 7. 481 Welzel, Aktuelle Strafrechtsprobleme im Rahmen der finalen Handlungslehre, 1953, S. 7. 482 Zum finalen Handlungsbegriff nach Welzel vgl. bereits oben C.IV.1.b)bb)(2). 483 Welzel, Aktuelle Strafrechtsprobleme im Rahmen der finalen Handlungslehre, 1953, S. 7. 474
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Lenkt man den Blick zurück auf die hier interessierende Limitierung auf das Vorliegen einer rechtswidrigen Haupttat, so ist zu attestieren, dass die Versuche, die Limitierung mit dem Wesen der Teilnahme zu verknüpfen, deutlich abgenommen haben. Zu mächtig wirkt die in den §§ 26 f. StGB getroffene gesetzgeberische Grundentscheidung, als dass (weiterhin) das Bedürfnis nach argumentativer Umrahmung gesehen würde. Daraus folgt im Übrigen, dass eine eingehendere Betrachtung der verschiedenen zum Strafgrund der Teilnahme vertretenen Theorien im Rahmen dieser Arbeit nicht erfolgen soll. Das, was zu den einzelnen Theorien zu sagen ist, muss holzschnittartig bleiben, soll das Vorhaben, eine Lösung auf Basis geltenden Gesetzesrechts zu finden, nicht aufgegeben werden. Namentlich die sog. Schuldteilnahmetheorie wie auch die reine Verursachungstheorie sind mit geltendem Gesetzesrecht nicht in Einklang zu bringen. Für die Schuldteilnahmetheorie, nach der eine Verstrickung des Täters in Schuld den eigentlichen Strafgrund der Teilnahme ausmachen soll484, ergibt sich dies schon aus § 29 StGB, der – auch nach hier vertretener Auffassung485 – jedenfalls die Möglichkeit eröffnet, Teilnehmer an schuldloser Tat zu sein. Die sog. reine Verursachungstheorie, vertreten insbesondere von Lüderssen, zieht sich dagegen zurück auf den „Grundsatz, daß der Teilnehmer nur für eigenes Unrecht haftet“ 486. Die Abhängigkeit der Teilnehmerstrafbarkeit vom Vorliegen einer Haupttat sei „rein faktischer Natur“ 487. Die damit behauptete Beziehungslosigkeit von Haupttat und Teilnahme verträgt sich mit den §§ 26, 27 StGB, die das Vorliegen vorsätzlichen Unrechts zur Voraussetzung jedweder Teilnehmerstrafbarkeit machen, freilich nicht. Das Gesetz stellt eine Beziehung her, sodass der Verweis auf eine nur faktische Abhängigkeit nicht trägt. Die Teilnehmerstrafbarkeit kann, nimmt man die Buchstaben des Gesetzes ernst, nicht ohne die Verwirklichung täterschaftlichen Unrechts gedacht werden, weshalb jenes Unrecht – denklogisch – Bestandteil auch des Teilnahmeunrechts ist. Dass darüber hinaus in jeder Teilnahmehandlung ein eigenständiger Unrechtsgehalt liegt, soll damit nicht angezweifelt werden.488 Schwierig bleibt allein das isolierte Abstellen auf den Unrechtsgehalt der Teilnahmehandlung. Das gilt im Übrigen auch für modernere, sich bereits auf dem Boden der §§ 26, 27 StGB bewegende Spielarten der reinen
484 Vgl. H. Mayer, LB, S. 319 f., wonach der Anstifter die verbrecherische Tat bewirke und den Täter verführe und der Gehilfe den Tatwillen des Täters durch sein schieres Vorhandensein stärke. 485 Zur Bedeutung des § 29 StGB vgl. C.IV.1.b)aa)(2). 486 Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnahme, 1967, S. 119. 487 Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnahme, 1967, S. 119. 488 Vgl. etwa Heinrich, AT, Rn. 1276; Schönke/Schröder-Heine/Weißer, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 16; SK-Hoyer, Vorbem. §§ 26 ff. Rn. 21; BeckOK-Kudlich, § 26 Rn. 3, spricht mit Blick auf den – hinzutretenden – Rechtsgutsangriffs des Teilnehmers von einer „als solchen kaum noch bestrittenen Tatsache“; zur (Über-)Betonung des eigenen Rechtsgutsangriffs des Teilnehmers vgl. unten C.V.2.a)cc).
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Verursachungstheorie: Renzikowski geht davon aus, dass „die Teilnahme wegen der Gefährdung desselben Rechtguts [des durch die Haupttat verletzten Rechtsguts] verboten“ 489 ist. Durch die Schaffung der Voraussetzungen für die Haupttat erreiche der Teilnehmer eine Rechtsgutsgefährdung, in welcher der eigentliche Unwert der Teilnahme liege.490 Die im Gesetz vorgesehene Anknüpfung an das Vorliegen einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat sieht er als „eigenständige Sanktionsbedingung“ 491 bzw. als „Strafbedürftigkeitserwägungen“ 492. Renzikowski zieht demnach insoweit eine Verbindungslinie zwischen Teilnahmehandlung und Haupttat, als es die Frage der Strafbarkeit, nicht aber diejenige der Unrechtsverwirklichung betrifft. Bereits damit setzt er sich in Widerspruch zu der in den §§ 26 f. StGB getroffenen Feststellung, dass täterschaftliches Unrecht Bestandteil des Teilnahmeunrechts ist. Zugleich tritt ein divergierendes Unrechtsverständnis zutage: Wenn die Unrechtsverwirklichung auf Teilnehmerseite völlig unabhängig vom Eintritt eines Erfolges ist, ist der Erfolg aus dem Unrechtsbegriff zu lösen.493 Letztlich erfolgt damit ein Bruch mit einem Handlungs- und Erfolgsunwert gleichermaßen einschließenden Unrechtsverständnis.494 Mit dieser Haltung in Ansehung des Unrechtsbegriffs steht Renzikowski nicht allein495, ihr weiter nachzugehen, ist indes schon deshalb nicht erforderlich, weil jedenfalls die von Renzikowski mit Blick auf den Strafgrund der Teilnahme vorgetragenen Annahmen, unabhängig von ihrer Grundlegung, mit geltendem Gesetzesrecht nicht in Einklang zu bringen sind.496
489
Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, 1997, S. 130. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, 1997, S. 131. 491 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, 1997, S. 131. 492 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, 1997, S. 132. 493 Prägnant Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, 1997, S. 132: „Unrecht ist die Abweichung menschlichen Verhaltens von den Anforderungen des Rechts. Die Folgen dieses Verhaltens gehören als Zustände nicht dazu, denn es ist gerade nicht Ziel des Strafrechts, Güterschäden auszugleichen.“ 494 Für einen Unrechtsbegriff, der Handlungs- und Erfolgsunwert bzw. Handlungsund Erfolgsunrecht (zum Unterschied in den Begrifflichkeiten Jescheck/Weigend, AT, § 24 III 3) vereint, etwa Gallas, FS-Bockelmann, S. 155, 165; Kühl, in: Lackner/Kühl, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 20 f.; NK-Puppe, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 20 f.; Schönke/SchröderEisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 59; Stratenwerth, FS-Schaffstein, S. 177, 192 f. 495 Arm. Kaufmann, FS-Welzel, S. 393, 403, 411; Lüderssen, FS-Bockelmann, S. 181, 182 f.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, 1973, S. 143. 496 Gegen die Lösung des Erfolgsunwertes aus dem strafrechtlich relevanten Unrecht streiten freilich Regelungen des Strafgesetzbuches selbst: Wenn der Erfolgseintritt für die Unrechtsverwirklichung irrelevant ist, müsste der beendete Versuch, bei dem das Handlungsprogramm des Täters abgeschlossen ist, konsequenterweise dem vollendeten Delikt gleichgestellt werden. Das Gesetz differenziert auf Rechtsfolgenseite aber keineswegs zwischen beendetem und unbeendetem Versuch, wenn es eine pauschale Milderungsmöglichkeit vorsieht (§ 22 II StGB). Daneben müsste im Bereich der Fahrlässigkeit schon jedes sorgfaltswidrige Verhalten pönalisiert werden, unabhängig vom 490
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Im Geltungsbereich der § 26 f. StGB führt, wie sich aus dem Vorstehenden mit hinreichender Deutlichkeit ergeben sollte, kein Weg daran vorbei, das „Wesen“ der Teilnahme unter Einbeziehung der Akzessorietätsbestimmungen zu ergründen. So hat sich die eingangs dargestellte Vorgehensweise, die Limitierung aus bzw. mit dem Wesen der Teilnahme zu begründen, ins Gegenteil verkehrt: Durch Schaffung der § 26 f. StGB hat der Gesetzgeber eine Limitierung bewirkt, die uns Rückschlüsse auf das Wesen der Teilnahme erlaubt. Man mag das Wesen der Teilnahme – aus tiefster Überzeugung – in einer bloßen Rechtsgutsgefährdung o. Ä. sehen. Dann muss man allerdings so ehrlich sein, den Alternativcharakter der eigenen Haltung hervorzuheben. Für die gegenständlich interessierende Frage, ob bzw. inwieweit die Teilnahme an entschuldigter Tat straffrei sein kann, ergibt sich aus dem akzessorietätsbezogenen „Wesen“ der Teilnahme nur, dass eine Zurechnung einzig auf Unrechtsebene vorgesehen ist, sodass insoweit keine Anhaltspunkte für eine Straffreistellung des Teilnehmers auszumachen sind. 4. Strafmilderung als Kompromiss Speziell mit Blick auf die Teilnahme an der nach § 35 StGB entschuldigten Tat wird die Bestrafung nach „gewöhnlichen“ Maßstäben als unbillig empfunden. Immerhin müsse man dem Teilnehmer zugutehalten, jedenfalls auch an einer Rechtsgutsbewahrung mitgewirkt zu haben. Dies wirke sich wiederum unrechtsmindernd aus, was im Strafrahmen zum Ausdruck kommen müsse.497 In dieser Konzession drückt sich ein Unbehagen gegenüber dem Dogma der durchgängigen Strafbarkeit der Teilnahme an entschuldigter Tat aus. Leider geht dieses Unbehagen über ein „Entgegenkommen“ auf Strafzumessungsebene nicht hinaus, was angesichts des geringen Begründungsaufwandes kaum verwundert.498 Dabei bietet doch gerade dieses Unbehagen Anlass, die Sondersituation der Teilnahme an entschuldigter Tat eingehenderer Betrachtung zu unterziehen, was die nachfolgend behandelten Autoren – in unterschiedlicher Intensität – getan haben.
Eintritt eines Erfolges. Gegenüber letzterem Einwand wird wiederum vorgetragen, das Verlangen nach einem Erfolgseintritt erfolge „aus Gründen der Strafwürdigkeit“ (Schmidhäuser, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1975, S. 219 f.) bzw. sei „Bedingung der Strafbarkeit“ (Arm. Kaufmann, FS-Welzel, S. 393, 411). Belegen lassen sich diese Thesen unter Heranziehung des Gesetzes nicht, weshalb Stratenwerths Würdigung, nach welcher „ein allein auf den Handlungsunwert bezogenes System des Strafrechts wesentlich anders aussehen müßte als das des geltenden Rechts“ (FS-Schaffstein, S. 177, 192), nach wie vor Gültigkeit hat. 497 LK-Zieschang, § 35 Rn. 71; Roxin, AT I, § 22 Rn. 67; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 46. 498 Es bleibt fraglich, wie ein Entgegenkommen auf Strafzumessungsebene zu bewirken ist, wenn Teilnahme in Form der Anstiftung vorliegt und der – entschuldigte – Täter ein tatbezogenes Mordmerkmal verwirklicht.
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V. Abweichende Lösungsansätze Nur selten wurde der Versuch unternommen, die (Sonder-)Konstellation der Teilnahme an entschuldigter Tat gründlicher Analyse zu unterziehen. Ein großes Verdienst kommt insoweit Hans-Joachim Rudolphi zu, der sich der Frage in einer wegweisenden Abhandlung bereits im Jahre 1966 annahm. In dieser Tiefe wurde die Entschuldigungs- wie Teilnahmedogmatik gleichermaßen berührende Fragestellung bis heute kein zweites Mal behandelt.499 Wird in der gängigen Kommentar- und Lehrbuchliteratur der Situation der Teilnahme an entschuldigter Tat Beachtung geschenkt, so ist es stets Rudolphi, der als Vertreter einer „anderen Auffassung“ genannt wird. Abweichender Auffassung ist auch Maurach. In seinem Fall resultiert dies aus der Konzeption der Tatverantwortung, die einer Teilnehmerstrafbarkeit bei entschuldigter Haupttat entgegensteht. Auch Arthur Kaufmann, der u. a. klassische Lebensdilemma-Situationen in den sog. rechtsfreien Raum zu verlegen sucht, sieht keine Grundlage für eine etwaige Teilnehmerstrafbarkeit. Die jüngste Abhandlung liefert Jäger, der für eine differenzierende Sichtweise plädiert. Neben den Vorgenannten existieren noch weitere Stimmen, denen das Resultat der Teilnehmerstrafbarkeit nicht durchgängig einzuleuchten vermag. Freilich wird diese Haltung eher en passant geäußert, sodass die vorsichtige Kritik lange nicht die Bedeutung hat, die etwa der Abhandlung Rudolphis zukommt. Erwähnung finden soll die im Kleinen betriebene, zurückhaltende Kritik indes schon deshalb, um ein möglichst umfassendes Bild der vergangenen wie gegenwärtigen Diskussion zu zeichnen. 1. Gebotene Differenzierung nach alter und neuer Rechtslage Wie sich in Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung des Beteiligungssystems gezeigt hat, macht es einen erheblichen Unterschied, ob die Teilnahme an der Notstandstat auf Basis der §§ 48, 49 StGB a. F. oder auf Basis der §§ 26, 27 StGB in den Blick genommen wird. So ließ der Wortlaut der §§ 48, 49 (R)StGB a. F., selbst nach der Strafrechtsangleichungs- und Durchführungsverordnung aus dem Jahre 1943, deutlich mehr Raum für Interpretationen als dies mit Blick auf die §§ 26, 27 StGB der Fall ist. Eine „mit Strafe bedrohte Handlung“ lässt, wie auch nachfolgend zu sehen sein wird, mehr (Deutungs-) Räume als die „vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat“. In Folge dessen ist es nur konsequent, die auszumachenden – abweichenden – Lösungsansätze schon im Ausgangspunkt nach ihrem Entstehungszeitpunkt zu ordnen.
499 Unter dem Gesichtspunkt der Tatherrschaft hat sich freilich auch Roxin mit Konstellationen befasst, in denen ein „Außenstehender“ im Umfeld eines entschuldigt handelnden Täters aktiv wird, vgl. ders., Täterschaft und Tatherrschaft, S. 143 ff.
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2. Lösungsansätze auf dem Boden der §§ 48, 49 StGB a. F. Wenn nachfolgend von den §§ 48, 49 StGB a. F. die Rede ist, so ist Bezug genommen auf die Gestalt der Vorschriften, wie sie sich im Zeitraum zwischen Strafrechtsangleichungs- und Durchführungsverordnung500 sowie Inkrafttreten des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes501 darstellte (1943–1975). Gleiches gilt freilich für § 50 StGB a. F. a) Rudolphis abweichende Bestimmung der gesetzgeberischen Intention Rudolphi stützte seinen Befund, „daß die Teilnahme an einer Notstandstat straflos bleiben muß“ 502, argumentativ auf drei Säulen: einer Untersuchung der Reichweite des § 50 StGB a. F., einer Auseinandersetzung mit dem Wesen des Notstands sowie einer Betrachtung von Wesen und Strafgrund der Teilnahme. Im Zentrum standen dabei die Überlegungen zum Wesen des Notstands, was jedoch nicht den Blick darauf verstellen darf, dass sich ein geschlossenes Bild nur in Zusammenschau mit Rudolphis Ausführungen zur Reichweite des § 50 StGB a. F. (§ 29 StGB) sowie zu Wesen und Strafgrund der Teilnahme ergibt.503 Dementsprechend soll der Gedankengang Rudolphis auch hier im Rahmen eines Dreischritts, wie er auch in der Abhandlung selbst vorgenommen wird, aufgezeigt werden. aa) Zur Reichweite des § 50 StGB (a. F.) Bereits in Auseinandersetzung mit der Reichweite des § 29 StGB wurde auf Stimmen verwiesen, die in der Vorgängervorschrift des § 50 StGB a. F. keineswegs eine durchgängige Limitierung auf das Vorliegen einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat zu erkennen vermochten.504 Zu diesen Stimmen zählt auch Rudolphi, der im Gesetz „keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob die Strafbarkeit der Teilnahme von dem Fehlen einer Notstandssituation bei dem Täter abhängt oder nicht“ 505, zu erblicken vermag. Dabei geht Rudolphi davon aus, dass die Neufassung der §§ 48 ff. (R)StGB im Jahre 1943 dem Bestreben geschuldet war, „Teilnahme an Taten unzurechnungsfähiger oder wegen Verbotsirrtums entschuldigter Täter [zu] ermöglichen“ 506. 500
Dazu oben C.IV.1.a)ee). Dazu oben C.IV.1.a)ff). 502 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 99. 503 In der Literatur wird Rudolphis Konzeption zumeist auf die abweichende Charakterisierung des Notstands reduziert, vgl. B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 9 Rn. 14; Maurach/ Gössel/Zipf, AT 2, § 53 Rn. 23; MK-Müssig, § 35 Rn. 87; Roxin, AT I, § 22 Rn. 66. 504 Dazu oben C.IV.1.b)aa)(2). 505 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 74. 506 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 72. 501
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Die gesetzgeberische Intention sei indes keinesfalls dahin gegangen, „den Grad der Limitierung der Akzessorietät bis ins einzelne festzulegen und damit ein für allemal der wissenschaftlichen Diskussion um die Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat ein Ende zu bereiten“ 507. Wendet man einen Blick auf die „Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch“ aus den Jahren 1913 und 1919, so ist in der Tat festzustellen, dass explizit die Teilnahme an den Taten Unzurechnungsfähiger ins Auge gefasst wurde. § 35 des E-1913 hielt mit Blick auf den Anstifter fest, dass dieser auch dann strafbar sei, „wenn sich nachträglich ergibt, daß der Angestiftete nicht vorsätzlich (§ 17) oder wegen fehlender Zurechnungsfähigkeit (§ 20 Abs. 1), wegen jugendlichen Alters (§§ 21, 22) oder wegen Taubstummheit (§ 23) nicht schuldhaft gehandelt hat“ 508. Bezüglich der Beihilfe (§ 36 E-1913) ist die nahezu identische Formulierung festzustellen.509 Der E-1919 nimmt sich Anstiftung und Beihilfe in den § 28 f. an. Gemäß § 28 E-1919 liegt Anstiftung „auch dann vor, wenn sich nachträglich ergibt, daß der Angestiftete in Wahrheit nicht vorsätzlich gehandelt hat oder nicht zurechnungsfähig war“. Hinsichtlich der Beihilfe hält § 29 E-1919 fest, dass es für die Strafbarkeit des Gehilfen bedeutungslos sei, „ob der andere das Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich begeht und ob er zurechnungsfähig ist und ob der Gehilfe dies weiß“. In der „Denkschrift zu dem Entwurf von 1919“ 510 wird mit Blick auf die vorgeschlagene Regelung der § 28 f. gleichfalls betont, dass es um die Schließung der Lücke gehe, die sich bei der Bestimmung bzw. Förderung eines Unzurechnungsfähigen für den Fall ergebe, dass es dem Bestimmenden bzw. Fördernden am Täterwillen und damit an der Qualität als mittelbarer Täter fehle.511 Bezieht man also diese Entwürfe – nebst Erwägungen – in die Betrachtung mit ein, erscheint Rudolphis Deutung der gesetzgeberischen Intention geradezu zwingend. Den Charakter des Zwingenden verliert die von Rudolphi vermutete Intention bei Erweiterung des Kreises der zu berücksichtigenden Reformentwürfe um den sog. Radbruchschen Entwurf aus dem Jahre 1922 (E-1922).512 Dort ist in den § 25 f. als Bezugspunkt der Teilnahmehandlung zwar reichlich pauschal die „strafbare Handlung“ eines anderen genannt. Doch wird in § 27 zugleich eine unabhängige Strafbarkeitsbeurteilung eingefordert: 507
Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 72. Hier und im Folgenden zitiert aus den Entwürfen zu einem Deutschen Strafgesetzbuch (veröffentlicht auf Anordnung des Reichs-Justizministeriums), 1920. 509 Beim Gehilfen soll die Strafbarkeit nicht nur bestehen bleiben, wenn sich die Unzurechnungsfähigkeit/Jugendlichkeit etc. „nachträglich ergibt“, sondern auch dann, wenn er um diese „weiß“. 510 Ebenfalls abgedruckt in den Entwürfen zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, 1920. 511 Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Dritter Teil, Denkschrift zu dem Entwurf von 1919, 1920, S. 42, 44 f. 512 Monographisch dazu Goltsche, Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1922 (Entwurf Radbruch), 2010. 508
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„Die Strafbarkeit des Anstifters und des Gehilfen ist unabhängig von der Strafbarkeit dessen, der die Tat ausführt.“ 513 Sieht man diese Aussage auch vor dem Hintergrund des § 20 E-1922, wonach eine strafbare Handlung nicht vorliegt, „wenn die Rechtswidrigkeit der Tat durch das öffentliche oder bürgerliche Recht ausgeschlossen ist“, so tritt damit eine – durchgängige – Limitierung der Akzessorietät zutage.514 Ob freilich Radbruch mit seinem Entwurf lediglich ein höheres Abstraktionsniveau anstrebte, wodurch die Limitierung in Ansehung sämtlicher Schuldausschließungsgründe eher den Charakter eines „Versehens“ erhielte, kann nicht mit abschließender Sicherheit gesagt werden. Sicher ist, dass Triebfeder der gesetzgeberischen Reformbemühungen zunächst die – als unbefriedigend empfundene – Unmöglichkeit der Teilnahme an der Tat eines Unzurechnungsfähigen war. Ob im Reformprozess, der erst 1943 in einer Änderung der Beteiligungsvorschriften mündete, ein bewusstes Umschwenken zugunsten einer weitergehenden Limitierung erfolgte, kann mit Blick auf die Quellenlage nicht eindeutig beantwortet werden. Rudolphi führt zudem ein systematische Argument ins Feld, indem er auf die Fassung der §§ 48, 48 StGB a. F. verweist und feststellt, dass der Gesetzgeber gerade nicht den Begriff der „rechtswidrigen Handlung“, sondern den ungleich weiteren Begriff der „mit Strafe bedrohten Handlung“ gewählt habe.515 Danach scheint Rudolphi für eine Implementierung des Aussagehalts der §§ 48, 49 StGB a. F. durchaus offen zu sein, womit sich insoweit ein Widerspruch zur hier vertretenen Auffassung betreffend das Verhältnis der §§ 26 f. StGB zu § 29 StGB auftut.516 Freilich vermag Rudolphi auch unabhängig vom Gehalt der §§ 48, 49 StGB a. F. in der Aussage, dass ein jeder nach seiner Schuld bestraft wird, keine positive Festlegung des Grades der Akzessorietät zu erblicken. Andernfalls hätte sich der Gesetzgeber „einer deutlicheren Ausdrucksweise bedienen müssen“ 517. Das Ergebnis, das Rudolphi bei Betrachtung des § 50 StGB a. F. erzielt, stimmt mit der hier bezüglich § 29 StGB vertretenen Auffassung überein: Die Vorschrift ist nicht geeignet, die durchgängige Limitierung auf eine (vorsätzliche) rechtswidrige Haupttat zu begründen.518 bb) Zum Wesen des Notstands Mit der Feststellung, dass § 50 StGB a. F. keine allgemeingültige Aussage über die Anforderungen an eine teilnahmefähige Haupttat zu entnehmen ist, ist noch 513 Zitiert nach Gustav Radbruch – Entwurf eines allgemeinen deutschen Strafgesetzbuches (1922), 1952. 514 So auch Goltsche, Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1922 (Entwurf Radbruch), 2010, S. 173 ff. 515 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 73. 516 Dazu oben C.IV.1.b)aa)(2). 517 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 73. 518 Vgl. dazu oben C.IV.1.b)aa).
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keine Entscheidung über die Teilnahmefähigkeit der Notstandstat getroffen. Immerhin geht auch Rudolphi davon aus, dass § 50 StGB a. F. jedenfalls die Möglichkeit der Teilnahme an schuldloser Haupttat eröffnet.519 Zu fragen ist also konkret, ob die Notstandstat eine Beschaffenheit aufweist, die einer Teilnehmerstrafbarkeit entgegensteht. Nur am Rande sei angemerkt, dass die von Rudolphi vorgenommene Hinwendung zum Wesen des Notstands (und zu Wesen und Strafgrund der Teilnahme) erst durch seine – abweichende – Deutung des § 50 StGB a. F. möglich wird. Erst die Absage an die Verankerung einer durchgängigen Limitierung in § 50 StGB a. F. macht den Weg frei für eine differenzierende, den Charakter der einzelnen Schuldausschließungsgründe berücksichtigende Betrachtungsweise. Diese Grundlegung, der, wie gezeigt, durchaus Bedeutung für die Auslegung des § 29 StGB zukommt520, wird in Auseinandersetzung mit Rudolphi viel zu häufig ausgeklammert.521 Dass mit der abweichenden Bestimmung des § 50 StGB a. F. bzw. § 29 StGB mit Blick auf die gegenwärtige Ausgestaltung der §§ 26, 27 StGB kaum etwas gewonnen ist, steht auf einem anderen Blatt. Richtungsweisend sind die von Rudolphi zum Notstand angestellten Überlegungen allemal. Im Ausgangspunkt weist auch Rudolphi darauf hin, „daß der durch die Notlage ausgelöste Selbsterhaltungstrieb zumindest in der Regel die Fähigkeit des Betroffenen zu sinngemäßer Selbstbestimmung herabsetzt und deshalb ein rechtmäßiges Verhalten als weniger zumutbar erscheinen läßt als in normalen Lebenssituationen“ 522. Zugleich hebt Rudolphi das Charakteristikum der Unrechtsminderung hervor: Straffreiheit gewähre der Gesetzgeber im Rahmen des entschuldigenden Notstands sowie des Notwehrexzesses nur deshalb, weil neben die seelische Zwangslage typisierend eine Unrechtsminderung trete.523 Anders sei nicht zu erklären, weshalb bestimmte Personengruppen beim Notstand generalisierend von der schuldausschließenden Wirkung ausgeklammert würden. Stellte man einzig auf die seelische Zwangslage ab, so könne diese auch Feuerwehrleuten, Polizisten etc. nicht abgesprochen werden.524 Die Verletzung einer besonderen sozialrechtlichen Pflichtenstellung erzeuge indes eigenes Unrecht, das die in der Notstandssituation bewirkte Unrechtsminderung wieder aufwiege. Im Ergebnis fehle es daher bei diesen Personengruppen – im Falle der Pflichtverletzung – an der
519 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 71, erkennt ausdrücklich an, dass § 50 StGB a. F. die extreme Akzessorietät „lockert“. 520 Oben C.IV.1.b)aa)(2). 521 Vgl. die in diesem Kapitel unter Fn. 503 Genannten. Poppe, Die Akzessorietät der Teilnahme, 2011, S. 412, hält in Auseinandersetzung mit Rudolphi immerhin fest, dass dieser „auch in Anbetracht der Regelung des § 50 I StGB a. F.“ für eine vom einzelnen Schuldausschließungsgrund ausgehende Betrachtung plädiert. 522 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 79. 523 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 81. 524 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 81.
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vorausgesetzten Unrechtsminderung.525 Die von Rudolphi in Bezug genommene Unrechtsminderung, die auch im Rahmen dieser Arbeit als ein Pfeiler der Notstandsvorschrift des § 35 StGB betrachtet wird526, wird denn auch im heutigen Schrifttum überwiegend anerkannt.527 Rudolphi geht insofern einen Schritt weiter, als er bei der Unrechtsminderung ein Übergewicht sieht: „In den Vordergrund gerückt hat der Gesetzgeber die unrechtsmindernde Wirkung des Notstandes.“ 528 Dies ergebe sich daraus, dass der Richter mit Blick auf die seelische Zwangslage keine Einzelfallprüfung durchzuführen habe, während er die – letztlich ebenfalls schuldmindernd zu Buche schlagende – Unrechtsminderung „anhand der im Gesetz vorgenommenen Vertypung genau nachweisen muß“ 529. Daher bilde die Unrechtsminderung in Wahrheit die Basis für die unwiderlegliche Annahme eines besonderen Motivationsdrucks.530 Ausgehend von dieser Prämisse, ordnet er entschuldigenden Notstand, Notwehrexzess sowie übergesetzlichen entschuldigenden Notstand als auf der Grenze zwischen Unrecht und Schuld stehende „Zwitterwesen“ 531 ein. Trotz dieser Charakterisierung will Rudolphi nicht so weit gehen, an der systematischen Verortung auf Schuldebene zu rütteln. Die seelische Zwangslage sei immerhin die „zweite tragende Säule“ 532, was sich auch aus der Normfassung ergebe: Der Umstand, dass nur ein Agieren zugunsten Angehöriger, nicht aber zugunsten Fremder erfasst werde, könne allein unter Unrechtsgesichtspunkten nicht erklärt werden.533 cc) Zu Wesen und Strafgrund der Teilnahme Zunächst sieht Rudolphi das Unrecht der Teilnahme „zumindest auch“ in der Förderung fremden Erfolgs- und Handlungsunrechts begründet.534 Da dieses Unrecht in Notstandssituationen herabgesetzt sei, ergebe sich – logisch – auch eine Unrechtsminderung auf Teilnehmerseite, welche letztlich, ebenso wie beim Not-
525
Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 84. Dazu B.III.1.b)aa). 527 B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 11; Gropp, AT, § 6 Rn. 131; Heinrich, AT, Rn. 563; Krey/Esser, AT, Rn. 748; LK-Zieschang, § 35 Rn. 4; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 2; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 684; kritisch etwa Frister, AT, § 20 Rn. 3, für den das Zusammenspiel aus Motivationsdruck und Unrechtsminderung schon deshalb kein tragfähiges Fundament bildet, „weil eine bloße Verminderung der Selbstbestimmungsfähigkeit ansonsten selbst bei geringem Unrecht nicht zu einer völligen Straflosigkeit führt“. 528 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 86. 529 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 86. 530 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 86. 531 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 86. 532 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 87. 533 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 87. 534 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 89. 526
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standstäter, schuldmindernd zu berücksichtigen sei.535 Die „Gesinnung“ des Teilnehmers erreiche zwar ebenfalls nicht das für Teilnahmehandlungen übliche Maß an Verwerflichkeit, doch greife bei ihm, in Ermangelung seiner Zugehörigkeit zu dem in der Notstandsvorschrift privilegierten Personenkreis, der unwiderleglich vermutete Motivationsdruck gerade nicht Raum.536 Überhaupt sei die Teilnahme „kein primärer, sondern ein sekundärer Begriff“ 537. Die Teilnahmevorschriften seien „Strafausdehnungsgründe“, die von täterschaftlicher Unrechtsverwirklichung abhängig seien.538 Konsequent weist er in der Folge darauf hin, die Tat des Notstandstäters genüge den „Mindestvoraussetzungen, die eine Handlung erfüllen muß, um eine Teilnahme an ihr zu ermöglichen“ 539. Wie der Begriff der Mindestvoraussetzungen bereits impliziert, sieht Rudolphi einen weitergehenden Differenzierungsbedarf mit Blick auf die Teilnahmefähigkeit einer Haupttat. Mit anderen Worten: Haupttat ist nicht gleich Haupttat. Dieser Ansatz lässt sich, wie schon angedeutet wurde, nur vor dem Hintergrund der Haltung Rudolphis zum Aussagegehalt des § 50 StGB a. F. nachvollziehen. Wenn Rudolphi festhält, dem Gesetz lasse sich „für die Lösung dieser Frage [die Auswirkungen des Vorliegens einer Notstandstat auf die Strafbarkeit des Teilnehmers] nichts entnehmen“ 540, erfolgt eine Bezugnahme auf seine – im Ergebnis zu begrüßende – Deutung des § 50 StGB a. F. Mit den vorstehend skizzierten Erwägungen bewegt sich Rudolphi, was bemerkenswert ist, in zweifacher Hinsicht auf der Argumentationslinie der heute h. M. Mit Blick auf die Reichweite des entschuldigenden Notstands wird – neben dem pauschalen Verweis auf die gesetzlich angeordnete Limitierung der Akzessorietät541 – auch gegenwärtig auf die Notwendigkeit des besonderen Motivationsdrucks verwiesen, der eben nur bei dem von § 35 StGB angesprochenen Personenkreis vermutet werde.542 Auch in seinem Teilnahmeverständnis liegt Rudolphi, wie sich schon aus der Betonung des Förderungscharakters der Teilnahme sowie deren Einordnung als sekundärer Begriff ergibt, durchaus auf der Linie der noch heute herrschenden Auffassung, wonach der Strafgrund der Teilnahme primär in der Mitwirkung an
535
Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 89. Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 89. 537 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 92, unter Bezugnahme auf Roxin. 538 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 92. 539 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 93. 540 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 95. 541 Dazu, dass diese richtigerweise einzig in den §§ 26, 27 StGB, nicht aber in § 29 StGB verankert ist, vgl. oben C.IV.1.b). 542 LK-Zieschang, § 35 Rn. 71; Roxin, AT, § 22 Rn. 66; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 46. 536
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fremder Normverletzung zu sehen ist.543 Dass daneben der eigene Unrechtsgehalt der Teilnahmehandlung eine immer stärkere Betonung erfährt544, ist offensichtlich dem Bemühen geschuldet, die – befürwortete – Straflosigkeit des Teilnehmers in bestimmten Konstellationen reibungsloser erklären zu können. So wird etwa das Beispiel der fehlgeschlagenen Tötung auf Verlangen genannt, in welchem sich die Frage nach der Strafbarkeit des Sterbewilligen gemäß §§ 216, 22, 23, 26 StGB stelle.545 Das Ergebnis der Straflosigkeit ergebe sich nur dann – friktionslos – aus dem Beteiligungssystem des StGB, wenn Teilnahme einen eigenen Rechtsgutsangriff des Teilnehmers voraussetze: Das eigene Leben ist gegenüber dem Rechtsgutsträger gerade nicht geschützt, sodass es aufseiten des Bestimmenden schon an einem rechtlich relevanten Angriff fehlt.546 Dabei bleibt unklar, weshalb sich die Straflosigkeit in solchen und ähnlichen Fällen547 zwingend aus „teilnahmerechtlichen Aspekten“ 548 ergeben muss. So ist es gleichfalls denkbar, Erwägungen fruchtbar zu machen, die der Teilnahmesystematik vorgelagert sind: Namentlich Sowada macht den Opferbegriff zum Ausgangspunkt seiner Betrachtungen, sieht dessen maßgebliches Charakteristikum in der Rechtsgutsträgereigenschaft und stellt in der Folge fest, „daß es für jegliche Beteiligungsform als Mindeststrafbarkeitsvoraussetzung eines Angriffs der betreffenden Person auf ein auch ihr gegenüber geschütztes Rechtsgut bedarf“ 549.
543 Jescheck/Weigend, AT, § 64 I 2; Krey/Esser, AT, Rn. 985, 994; Kühl, in: Lackner/ Kühl, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 8; Otto, AT, § 22 Rn. 7 f.; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12 Rn. 121; aus der Rspr. BGHSt 4, 355, 358; 43, 317, 320. 544 Grundlegend Roxin, AT II, § 26 Rn. 11: Das vom Täter verwirklichte Unrecht werde nur dann zugerechnet, „wenn sich die Mitwirkung an der Tätertat gleichzeitig als eigener Rechtsgutsangriff des Teilnehmers darstellt“; übereinstimmend etwa Geppert, Jura 2008, 34, 35; MK-Joecks, Vorbem. §§ 26 ff. Rn. 16; Rengier, AT, § 45 Rn. 2; Satzger, Jura 2008, 514, 517; Schönke/Schröder-Heine/Weißer, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 16. 545 Geppert, Jura 1997, 299, 300; Gropp, AT, § 10 Rn. 232 f.; Heinrich, AT, Rn. 1272 i.V. m. Rn. 1274; Rengier, AT, § 45 Rn. 5. 546 Deutlich Geppert, Jura 1997, 299, 300. 547 Viel besprochen ist auch die Konstellation der „freiwilligen“ Mitwirkung im Bereich des § 174 StGB, wo die Straflosigkeit des Schutzbefohlenen wegen Anstiftung oder Beihilfe zum sexuellen Missbrauch im Ergebnis völlig außer Frage steht, die Begründungswege aber – abhängig vom ausgemachten Strafgrund der Teilnahme – variieren. Betont man das Erfordernis eines eigenen Rechtsgutsangriffes durch den Teilnehmer, führt man die Straflosigkeit im Falle des § 174 StGB auf die fehlende Möglichkeit zurück, das Rechtsgut der sexuellen Integrität selbst zu verletzen; vgl. Schönke/Schröder-Heine/Weißer, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 42; Rengier, AT, § 45 Rn. 5. Rückt man dagegen die Mitwirkung an fremder Normverletzung in den Vordergrund, erfolgt tendenziell eine Orientierung an übergeordneten Kriterien, wie den Rückgriff auf den Schutzzweck der Norm; vgl. Jescheck/Weigend, AT, § 64 V 2. Verschiedene Tatbestände aufgreifend, bei denen sich die Straflosigkeit des Mitwirkenden nur unter der Voraussetzung eine selbstständigen Rechtsgutsangriffs erschließe, Roxin, FS-Stree/Wessels, S. 365, 370 ff. 548 Geppert, Jura 1997, 358, 361. 549 Sowada, Die „notwendige Teilnahme“ als funktionales Privilegierungsmodell im Strafrecht, 1992, S. 87.
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Ob es der (Über-)Betonung des eigenen Rechtsgutsangriffes des Teilnehmers nun bedarf, erscheint angesichts dessen, dass der Teilnehmerhandlung selbstverständlich ein eigener Unrechtsgehalt zukommt550 und es allenfalls darum gehen kann, das – zugrundeliegende – Verhältnis abgeleiteten und „genuinen“ Unrechts zu bestimmen, jedenfalls zweifelhaft. Unter Einbeziehung der weiteren Ausführungen Rudolphis wird eine Entscheidung vollends obsolet: Rudolphi zieht aus der Erkenntnis, dass das Gesetz den besonderen Motivationsdruck bei Vorliegen der unrechtsmindernden Merkmale unwiderleglich vermute, den Schluss, dass der Gesetzgeber die Notstandstat „allein wegen der objektiv bestehenden Notlage und ohne Rücksicht auf deren psychologischen Auswirkungen auf den einzelnen Täter hinnimmt“ 551. Der Gesetzgeber nehme den Rechtsgüterschutz in Notstandsfällen also „generell“ zurück.552 Diesen Befund untermauert Rudolphi, indem er einen Vergleich zu den „echten Schuldausschließungsgründen“ 553, die in der gegenständlichen Untersuchung als Schuldausschließungsgründe im engeren Sinne bezeichnet werden554, zieht. Mit Blick auf den unzurechnungsfähigen Täter attestiert Rudolphi einen Strafverzicht aufgrund einer „besonderen, von der Norm abweichenden individuellen Persönlichkeit“ 555. Allein diese Persönlichkeit mache es dem Täter unmöglich, sein Handeln an der Rechtsordnung auszurichten.556 Liege aber der Strafverzicht ganz in der individuellen Disposition begründet557, könne von einer generellen Zurücknahme des Rechtsgüterschutzes keine Rede sein, weshalb Teilnahme an den Taten Unzurechnungsfähiger oder im unvermeidlichen Verbotsirrtum Handelnder ohne Weiteres möglich sei.558 Die ganz auf der Unrechtsminderung fußende Notstandsregelung, welche die „psychologischen Auswirkungen auf den einzelnen Täter“ nicht berücksichtige559, sei der Teilnahme dagegen nicht zugänglich.560 Die Teilnahme – und hier wendet sich Rudolphi wieder Teilnahmefragen im engeren Sinne zu561 – 550
Vgl. dazu schon oben C.IV.3. mit Fn. 488. Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 95. 552 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 96. 553 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 96. 554 Dazu B.I.2.b). 555 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 96. 556 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 96. 557 Gleiches soll beim Verbotsirrtum anzunehmen sein, vgl. Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 96. 558 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 96. 559 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 95. 560 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 97. 561 Den vorstehend skizzierten Vergleich von „echten Schuldausschließungsgründen“ einer- und der Notstandsvorschrift andererseits nimmt Rudolphi in Auseinandersetzung mit dem „Wesen und Strafgrund der Teilnahme“ (ZStW 78 [1966], S. 67, 91 ff.) vor. Der Sache nach vertieft Rudolphi also seine Ausführungen zum „Wesen“ des Notstands (ZStW 78 [1966], S. 67, 74 ff.), sodass der – hier übernommenen – Gliederung der 551
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sei gerade „kein selbstständiger Unrechtstatbestand“, sondern beziehe ihren „deliktischen Gehalt aus der Mitgestaltung der von einem anderen begangenen deliktischen Handlung“ 562. Würde aber gegenüber dieser Handlung auf den Rechtsgüterschutz verzichtet, so sei nicht nachvollziehbar, weshalb eine Unterstützung oder Veranlassung dieser Handlung strafbewehrt sein sollte.563 Freilich stellt sich die Frage, ob bei Betonung des – hinzutretenden – eigenen Unrechtsgehalts der Teilnahmehandlung, wie sie immer häufiger erfolgt, die Konzeption Rudolphis von vornherein ins Leere laufen würde. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass in der Notstandssituation, so sie nun einmal vorliegt, generell eine Rücknahme des Rechtsgüterschutzes erfolgen soll564, fehlte es auch an der Grundlage für einen eigenen Rechtsgutsangriffs des Teilnehmers. Auch diesem gegenüber wäre der Rechtsgüterschutz zurückgenommen, sodass das „Funktionieren“ der Konzeption richtigerweise nicht unter Verweis auf das Bestehenbleiben eines eigenständigen Rechtsgutsangriffs des Teilnehmers in Abrede gestellt werden kann. Interessanterweise greift Rudolphi auch die Behandlung der sog. Rechtsauskunft auf, die bei zutreffender Erteilung, wie bereits dargestellt wurde565, nach heute herrschender Auffassung keine Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe nach sich ziehen sollen. Die heute herrschende Auffassung bildete sich freilich erst auf dem Boden der §§ 26 ff. StGB, mithin nach Inkrafttreten des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes im Jahre 1975, heraus, sodass Rudolphi bei seinen Betrachtungen zu folgendem Schluss kam: „Wollte man hier anders entscheiden [eine Teilnahme am entschuldigter Notstandstat zulassen], so wäre das Ergebnis die wohl einmalige Kuriosität, daß der bloße Hinweis auf die gesetzlichen Folgen einer Tat, falls er die Tat veranlaßt oder fördert, als Anstiftung oder Beihilfe strafrechtlich zu ahnden wäre“ 566. Damit rührt Rudolphi an einem wunden Punkt – das Erzielen von Straffreiheit in entsprechenden Konstellationen hat zu einigem Begründungsaufwand geführt.567 Zugleich ist es gerade die in Fällen der Rechtsauskunft befürwortete Straffreiheit, welche an der Sachgerechtigkeit der Teilnehmerstrafbarkeit in sonstigen Fällen der Förderung oder Veranlassung der Notstandstat zweifeln lässt. Vorwurf mangelnder Trennschärfe gemacht werden könnte. Indes ist zu berücksichtigen, dass die Frage nach der Teilnahmefähigkeit der Notstandstat notwendig eine Frage der Wechselwirkungen zwischen Teilnahme- und Notstandslehre ist. Dies gilt umso mehr für den Entstehungszeitpunkt der Abhandlung Rudolphis, fehlte es doch an einer eindeutigen – den §§ 26, 27 StGB entsprechenden – vorbehaltlosen Limitierung. 562 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 97 f. 563 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 98. 564 Prägnant Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 98, wonach der Gesetzgeber „diese Taten generell aus seinen Strafdrohungen ausklammert“. 565 Dazu oben C.III.1.a)aa)(2). 566 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 98. 567 Dazu oben C.III.1.a)aa)(2).
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
dd) Rudolphis Blick in die Zukunft Natürlich hatte auch Rudolphi bei der Entwicklung seiner Argumentation bereits die Strafrechtsreform vor Augen. Mit Blick auf den E 1962568, nach dem die Teilnahme eine „vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat“ voraussetzte, kam er nicht umhin, zu konstatieren, dass im Falle der Umsetzung dieses Entwurfs an der Strafbarkeit des Teilnehmers an der entschuldigten Notstandstat nicht (mehr) zu zweifeln sei.569 Ein entsprechendes Gesetz würde jedoch „die zwischen dem strafrechtlichen Notstand und den übrigen Entschuldigungsgründen bestehenden Wesensverschiedenheiten mißachte[n]“ und die wissenschaftliche Diskussion um die Grenzen der Akzessorietät vorzeitig abbrechen.570 Letztlich ist es genau so gekommen, was vermutlich die Stiefmütterlichkeit erklärt, mit welcher die Frage in den letzten Jahren und Jahrzehnten behandelt wurde. Dabei können, wie noch zu zeigen sein wird, durchaus Wege beschritten werden, welche die in den § 26 f. StGB getroffenen Anordnungen ernst nehmen, zugleich aber eine weitergehende Differenzierung bezüglich der Strafbarkeit des Teilnehmers an entschuldigter Tat ermöglichen. ee) Kritische Würdigung Rudolphis Konzeption sieht sich, stellt man sie auf den Boden des seit 1975 gültigen Beteiligungssystems, vor der Schwierigkeit, die Straflosigkeit des Teilnehmers mit dem in den § 26 f. StGB formulierten Erfordernis einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat in Einklang zu bringen. Diese Schwierigkeit ist, wie Rudolphi in seinem – damals – zukunftsgewandten Blick selbst einräumt, nicht zu meistern.571 D.h. indes nicht, dass Rudolphis Ausführungen als „Muster ohne Wert“ einzuordnen sind. Vielmehr gelingt es Rudolphi, die besondere Stellung des entschuldigenden Notstands im Gefüge der Schuldausschließungsgründe herauszuarbeiten und so als Impulsgeber für differenzierende Lösungsansätze im Strafrecht der Gegenwart zu wirken. Die Auffassung, der besondere Motivationsdruck komme in Notstandssituationen gewissermaßen nur als „Anhängsel“ der Unrechtsminderung daher, die von Rudolphi mit einiger Vehemenz vertreten wird572, ist – in dieser Pauschalität – kritisch zu sehen. So weist Rudolphi ja selbst darauf hin, dass man allein unter Unrechtsgesichtspunkten die Beschränkung des Personenkreises der zur Not-
568
Zu diesem bereits oben C.IV.1.a)ff). Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 99. 570 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 99. 571 Vgl. auch das hier gefundene Ergebnis zur Reichweite der §§ 26, 27 StGB, oben C.IV.1.b)bb). 572 Vgl. auch Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 97: „Der zweite, die gesetzliche Notstandsregelung tragende Gesichtspunkt, die seelische Zwangslage, steht demgegenüber für die praktische Rechtsanwendung im Hintergrund.“ 569
V. Abweichende Lösungsansätze
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standshilfe Berechtigten nicht erklären könne.573 Damit hat aber der Gesichtspunkt des Motivationsdrucks einen unmittelbaren Niederschlag in den Notstandsvoraussetzungen gefunden, was die These von der nur untergeordneten Bedeutung jedenfalls nicht stützt. Weiter ergibt sich aus den von § 35 StGB respektive § 54 StGB a. F. berücksichtigten Rechtsgütern, dass Situationen der Existenzbedrohung erfasst werden, denen ein besonderer Motivationsdruck immanent ist. Dass also § 35 StGB bzw. § 54 StGB a. F. maßgeblich auf eine Unrechtsminderung zugeschnitten ist, während die seelische Zwangslage nur der „Abrundung“ dient, wird von der Normfassung – sei es in Gestalt des § 54 StGB a. F., sei es in Gestalt des § 35 StGB – so nicht bestätigt. Worin Rudolphi nachdrücklich beizupflichten ist, ist die Betonung der Verschiedenheit der Notstandsregelung gegenüber den Schuldausschließungsgründen im engeren Sinne. Ein Widerspruch zu der im Rahmen dieser Arbeit befürworteten Fassung sämtlicher die Vorwerfbarkeit betreffender Vorschriften unter den Oberbegriff der Schuldausschließungsgründe574 tut sich damit nicht auf: Die Begriffsbestimmung erfolgt in der gegenständlichen Untersuchung von der strafrechtsdogmatischen Wirkung her, während damit über das „Wesen“ der einzelnen Schuldausschließungsgründe noch nichts Abschließendes gesagt ist. So lässt sich der Befund, dass bei Bejahung einer Notstandslage – im Falle der Notstandshilfe mithin nach Feststellung des besonderen Näheverhältnisses zwischen Täter und Bedrohtem – eine generalisierende Vermutung betreffend das Vorliegen einer seelischen Zwangslage eingreift, schwerlich negieren. Abgesehen von den in § 35 I 2 HS. 1 StGB normierten Fällen des Exkulpationsausschlusses wird am Vorliegen des Motivationsdruckes nicht gezweifelt.575 Dass gerade § 35 StGB gegenüber den §§ 17, 20 StGB also einen weniger individualisierenden Zuschnitt aufweist, weil der Motivationsdruck für die von der Vorschrift erfassten Konstellationen typisch, aber nicht zwingend ist, darf als gesichert gelten. Die Betrachtung von Konstellationen, in denen ein Schuldausschließungsgrund im engeren Sinne im Raum steht, ist insoweit eine individuellere, als nicht „äußere Umstände“ 576 den Boden für einen – vermuteten – seelischen Konflikt bereiten, sondern die innere Konstitution des Täters am Anfang und am Ende des Bewertungsprozesses steht. Verkürzend könnte man formulieren: Der entschuldigende Notstand wirkt von außen nach innen, während sich die Schuldausschließungsgründe im engeren Sinne (insb. §§ 17, 20 StGB) durch einen vom äußeren Rah573
Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 87. Dazu oben B.I.2.b). 575 Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 95, geht mit Blick auf den Motivationsdruck dagegen von einer „unwiderleglichen“ Vermutung aus. Im Rahmen der hiesigen Untersuchung wurde namentlich der Exkulpationsausschluss in Fällen der „Außerverhältnismäßigkeit“ u. a. auf das Nichterreichen des notwendigen Motivationsdrucks zurückgeführt, dazu oben B.III.1.b)bb)(2)(b). 576 Hörnle, JuS 2009, 873, 874. 574
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
men unabhängigen Mangel in der inneren Konstitution auszeichnen. Indem Rudolphi die Entschuldigungsgründe als sich zwischen Unrecht und Schuld bewegende „Zwitterwesen“ 577 charakterisiert, weist er zuspitzend, aber der Sache nach zutreffend, darauf hin, dass eine Entschuldigung stets einen bestimmten äußeren Rahmen voraussetzt, der ebenso für das Vorliegen einer Rechtfertigung – ob nun in Form einer Notwehr- oder in Form einer Notstandslage – unerlässlich ist. Rudolphi versucht nun, das Ergebnis der Straflosigkeit der Teilnahme durch Vernachlässigung des – vermuteten – Motivationsdrucks zu erzielen. Durch Verengung auf die unrechtsmindernd zu berücksichtigenden Rahmenbedingungen und die – von ihm behauptete – Rücknahme des Rechtsgüterschutzes erreicht er eine solche Annäherung an die Rechtfertigungsebene, dass gar kein Weg daran vorbei führt, Straffreiheit auch für den Teilnehmer einzufordern. Dass damit die „zweite tragende Säule“ 578 des Schuldausschlusses erkennbar zu kurz kommt, wurde bereits zuvor dargetan.579 D.h. aber, dass die Konzeption Rudolphis, einmal ganz unabhängig von der Existenz der §§ 26, 27 StGB, dem Wesen der Entschuldigungsgründe, insbesondere des § 35 StGB, nicht hinreichend Rechnung trägt. So ist mit der Hervorhebung der Bedeutung der äußeren Umstände und der daran anknüpfenden Vermutung hinsichtlich einer besonderen seelischen Konfliktlage ein wichtiger erster Schritt getan, dem mit Blick auf die seelische Zwangslage ein zweiter folgen muss. Wenn nämlich der äußere Rahmen für den Eintritt der entschuldigenden Wirkung von einigem Gewicht ist, hinsichtlich des besonderen Motivationsdrucks aber mit typisierenden Vermutungen gearbeitet werden kann und muss, so stellt sich die Frage, in welchen Konstellationen vergleichbare, typisierend zu betrachtende seelische Konfliktlagen auszumachen sind. Dieser Frage soll im weiteren Verlauf der Untersuchung noch intensiver nachgegangen werden.580 An dieser Stelle ist nochmals die impulsgebende Wirkung der Konzeption Rudolphis hervorzuheben. Letztlich ist es maßgeblich ihr zu verdanken, dass die Frage der Teilnahmefähigkeit der entschuldigten Tat auch nach Inkrafttreten der §§ 26, 27 StGB nicht völlig in Vergessenheit geraten ist. ff) Lösung der Konfliktlagen nach Rudolphi Abschließend sind – ungeachtet der zuvor geäußerten Kritik – die Ergebnisse, die Rudolphi in den hier untersuchten Konfliktlagen581 erzielen würde, in den Blick zu nehmen. Wenn der Rechtsgüterschutz in der Situation des entschuldi577
Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 86. Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 87, wählt diese Formulierung selbst. 579 Vgl. ferner die Ausführungen zur Bedeutung des Selbsterhaltungstriebes für die Vorschrift des § 35 StGB oben B.III.1.b)aa). 580 Vgl. unten E.II. 581 Vgl. die Darstellung oben C.II. 578
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genden Notstands wie auch des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands582 generell zurückgenommen wird, gibt es im Ergebnis keine strafbare Teilnahme an entschuldigter Tat. Von vornherein bedarf es keiner Differenzierung nach (verschiedenen Formen von) Gefahrengemeinschaften o.Ä. Greift aufseiten des Haupttäters ein Entschuldigungsgrund, geht der Teilnehmer straffrei aus. D.h. hinsichtlich der eingangs skizzierten Fälle, dass eine Teilnehmerstrafbarkeit durchweg ausscheidet. Die Nachbarin, die der misshandelten Ehefrau das Messer reicht, mit dem diese ihren Mann ersticht, ist ebenso straffrei wie der Bergsteiger, der seinem Kameraden ein Messer zuwirft, damit dieser die Verbindung zu einem bereits abgestürzten Bergsteiger kappen kann. Die den Kampfpiloten via Funk zum Abschuss einer entführten Passagiermaschine bewegende Ehefrau ist ebenso straffrei wie der Wanderer, der den Fährmann durch Zuruf dazu bringt, das Floß durch Hinabwerfen mehrerer Kinder zu stabilisieren. Der den Ballonfahrer via Telefon zum Hinauswerfen seines Mitfahrers auffordernde Arbeitskollege ist ebenso straffrei wie der Auszubildende, der den Weichensteller durch Zuruf dazu bringt, die Weiche im letzten Moment umzustellen. Die Betrachtung könnte entsprechend fortgesetzt werden. Letztlich stünde immer das Ergebnis der Straffreiheit. b) Weitere Ansätze Wie eingangs angedeutet, finden sich neben Rudolphi noch andere Stimmen, die der Teilnehmerstrafbarkeit bei entschuldigter Haupttat mit Skepsis gegenüber stehen. Nachfolgend sollen zunächst diejenigen Stimmen Beachtung finden, die ihre Vorbehalte auf dem Boden der §§ 48 ff. StGB a. F. formulierten. aa) Niethammer Schon 1946 warf Niethammer die Frage auf, ob die Strafbarkeit des Teilnehmers bei entschuldigter Haupttat in allen denkbaren Konfliktlagen mit den „unverbrüchliche[n] Gebote[n] der Gerechtigkeit“ 583 in Einklang zu bringen sei. Zur Verdeutlichung der Fragestellung bildet er ein Beispiel: Ein allgemein zu Drohungen und Misshandlungen neigender Bauer fordert seine Ehefrau auf, das Wohn- und Wirtschaftsgebäude des Hofguts – in seiner Abwesenheit – in Brand zu setzen. Käme sie dieser Aufforderung nicht nach, würde er sie, worauf sie sich verlassen könne, umbringen. Die Ehefrau geht von der Ernstlichkeit der Drohung aus und wendet sich an die seit Jahrzehnten auf dem Hof arbeitende Magd. Diese steht in keinem Verwandtschaftsverhältnis zu den Bauersleuten, sieht aber die Not der Ehefrau und möchte ihr beistehen. Daher unterstützt sie die Bäuerin, als diese Stroh und Reisig im Gebäude verteilt und anschließend mit Erdöl über582 583
Zu dessen Einbeziehung Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67, 99 Anm. 91. Niethammer, DRZ 1946, 167, 169.
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
gießt. Schließlich entzündet die Bäuerin Stroh und Reisig, sodass das Gebäude abbrennt. Der Bauersfrau springe mit Blick auf die Brandstiftung der – entschuldigend wirkende – Nötigungsnotstand, § 52 StGB [a. F.], zur Seite, während für die Magd eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Brandstiftung im Raum stehe.584 Niethammer beschränkt sich darauf, schlicht auf die „Brandstiftung“ zu verweisen, ohne die von ihm in Bezug genommene Vorschrift zu benennen. Zur Klarstellung sei daher darauf hingewiesen, dass die einfache Brandstiftung, die heute in § 306 StGB geregelt ist, bis zum Jahre 1998 in § 308 (R)StGB normiert war. Die schwere Brandstiftung, § 306a StGB, fand ihren Niederschlag in § 306 (R)StGB. Auch in der Vorgängervorschrift des § 306 StGB – § 308 (R)StGB – wurde grundsätzlich585 die Fremdheit des Tatobjektes vorausgesetzt. Geht man von Allein- oder Miteigentum des verreisten Bauern aus, so fehlt es zwar nicht an der Fremdheit, wohl aber greift, da der Bauer zur Brandlegung ausdrücklich aufforderte, eine Einwilligung. Für die Gefahr des Übergreifens des Feuers auf andere Gegenstände oder Gebäude fehlt es im Sachverhalt, so wie Niethammer ihn mitteilt, an Anhaltspunkten, sodass auch die Annahme einer „mittelbaren Brandstiftung“ 586 ausscheiden muss. Daneben bleibt ein Rückgriff auf die schwere Brandstiftung, § 306 (R)StGB a. F., möglich. Diese setzte, in Übereinstimmung mit dem heutigen § 306a StGB, gerade keine Fremdheit des Tatobjektes voraus, sondern nahm die abstrakte Gefährlichkeit der Brandstiftungshandlung in den Blick. Erfasst wurde das Inbrandsetzen von Gebäuden, welche – zumindest zeitweise – dem Aufenthalt von Menschen dienen. Das Wohn- und Wirtschaftsgebäude, das dem Aufenthalt dient und dessen Inbrandsetzung damit „rund um die Uhr“ ein besonderes Gefährdungspotential anhaftet, stellt grundsätzlich ein taugliches Tatobjekt dar. Aus heutiger Sicht würde sich die Frage anschließen, ob die Tauglichkeit als Tatobjekt infolge einer Entwidmung zu verneinen sein könnte. Eine solche ist anzunehmen, wenn die Wohnungseigenschaft von allen Bewohnern faktisch aufgegeben wird.587 Der Entschluss zur Aufgabe der Wohnungseigenschaft kann auch „mit der Inbrandsetzung selbst verwirklicht werden“ 588, womit eine – ggf. im Einverständnis mit den anderen Bewohnern erfolgende – Inbrandsetzung
584
Niethammer, DRZ 1946, 167, 169. Zur von § 308 (R)StGB zusätzlich erfassten „mittelbaren Brandstiftung“, die auf das Erfordernis der Fremdheit verzichtete, solange der in Brand gesetzte Gegenstand seiner Beschaffenheit und Lage nach geeignet war, den Brand einem der von §§ 306, 308 (R)StGB benannten Tatobjekte „mitzuteilen“, vgl. Schönke, Strafgesetzbuch, 4. Aufl. 1949, § 308 IV 2; Schwarz, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen und Verordnungen, 15. Aufl. 1952, § 308 1) b). 586 Vgl. dazu die Ausführungen in der vorstehenden Fußnote. 587 Grundlegend BGHSt 16, 394, 395 f.; ferner BGH NStZ 2008, 99; MK-Radtke, § 306a Rn. 16; NK-Kargl, § 306a Rn. 11; Schönke/Schröder-Heine/Bosch, § 306a Rn. 5. 588 BGHSt 16, 394, 396. 585
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grundsätzlich als hinreichender Manifestation der Entwidmung einzuordnen ist. Legte man die vorgenannten Maßstäbe an, wäre das Wohn- und Wirtschaftshaus infolge wirksamer Entwidmung kein taugliches Tatobjekt mehr. Jedoch ist der von Niethammer geschilderte Sachverhalt vor dem Hintergrund der damals herrschenden Rechtsauffassung betreffend die Möglichkeit der Entwidmung eines Wohngebäudes zu sehen. Im Anschluss an eine Entscheidung des Reichsgerichts589 wurde eine Entwidmung durch Inbrandsetzung offenbar für ausgeschlossen gehalten.590 Es überrascht daher kaum, dass auch eine mögliche teleologische Reduktion des Tatbestandes bei Ausschluss jeglicher Gefährdung keine Rolle spielte.591 Das von Niethammer gefundene Ergebnis (einer Strafbarkeit wegen Brandstiftung) leuchtet damit nur vor dem Hintergrund der vorstehend vorgenommenen „rechtshistorischen“ Einordnung ein, was wiederum den Exkurs in den Besonderen Teil des Strafgesetzbuches erklärt. Wichtiger als veränderte Anschauungen hinsichtlich der Reichweite einzelner Delikte im Besonderen Teil ist ohnehin die von Niethammer mit der Formulierung seines Beispiels verfolgte Intention: Niethammer mahnt an, dass bereits das Rechtsgefühl einer Verurteilung der Magd wegen Beihilfe zur (schweren) Brandstiftung widerstrebe.592 § 50 StGB [a. F.] stehe dem nicht entgegen, wie sich aus der „mit der Änderung des § 50 StGB verfolgte[n] Absicht“ ergebe.593 Diese Absicht sieht Niethammer im Ausgangspunkt in der Umsetzung des „großen allgemeinen Rechtsgedanken[s]“ 594, dass „ein besonderer in der Beschaffenheit oder Lage des Täters begründeter Umstand nur dessen Schuld, dagegen nicht auch die des Teilnehmers ausschließt“ 595. Die – angestrebte – Unabhängigkeit in der Schuldbeurteilung wird von Niethammer also grundsätzlich begrüßt. Zugleich sieht er den Anwendungsbereich der gesetzlich normierten Entschuldigungsgründe zu eng gezogen: So will er etwa in § 54 StGB [a. F.] auch die „sittliche Reinheit“, die „Ehre“ sowie ein „wirtschaftliches Gut“ 596 erfasst wissen, könne doch auch eine Gefahr für diese Schutzgüter die „freie Willensbestimmung in außergewöhnlichem Maß be-
589
RGSt 60, 136. Nach Rohde, in: Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 2, 6./7. Aufl. 1951, § 306 Nr. 10, komme § 306 StGB „auch dann zur Anwendung, wenn die in Brand gesetzte Sache ausschließlich zur eigenen Wohnung oder zum eigenen Aufenthalt des Täters dient“; ähnlich Schwarz, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen und Verordnungen, 15. Aufl. 1952, § 306 B. 591 Entsprechende Tendenzen in der gegenwärtigen Literatur und Rechtsprechung darstellend A/W/H/H-Hilgendorf, § 37 Rn. 30 ff.; Eisele, BT I, Rn. 1048. 592 Niethammer, DRZ 1946, 167, 169. 593 Niethammer, DRZ 1946, 167, 169. 594 Niethammer, DRZ 1946, 167, 168. 595 Niethammer, DRZ 1946, 167, 168. 596 Jeweils Niethammer, DRZ 1946, 167, 168. 590
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einträchtig[en]“ 597. Auch müsse die „Nothilfe“ weiter gefasst werden, vermöge diese die Schuld doch auch dort auszuschließen, wo nicht zugunsten eines Angehörigen gehandelt werde.598 Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber eine entsprechenden Erweiterung im Zuge der Reform der §§ 48 ff. (R)StGB [a. F.] nicht vorgenommen hat, folgert er, dass es Aufgabe von Rechtsprechung und Rechtslehre sei, „Sinn und Wirkung des § 50 StGB so zu erfassen zu lenken, daß ein offenbar vom Gesetzgeber nicht gewolltes, ungerechtes Ergebnis vermieden wird“ 599. Mit anderen Worten: § 50 StGB [a. F.] gibt vor, dass individuelle Konstitution und Lage eines jeden Beteiligten in den Blick zu nehmen sind. Die gesetzlichen Regelungen zu den Entschuldigungsgründen ermöglichen eine solche individuelle Betrachtung nur unzureichend. In den Bereichen, in denen eine unzureichende Berücksichtigung festzustellen ist – u. a. in Fällen der Teilnahme –, müssen Rechtsprechung und Literatur Lösungen entwickeln, damit den Anforderungen des § 50 StGB [a. F.] Rechnung getragen wird. Damit sieht Niethammer in § 50 StGB [a. F.] geradezu einen „Türöffner“, der ein Hinausgehen über den gesetzlich normierten Anwendungsbereich der Entschuldigungsgründe gebietet. Während Rudolphi u. a.600 § 50 StGB [a. F.] eher als Hürde begriffen, die es – zur Entwicklung einer mit dem Gesetz zu vereinbarenden eigenen Konzeption – zu überwinden galt, sieht Niethammer die Vorschrift erstens als Chance, die Unvollständigkeit des Gesetzes zu entlarven, und zweitens als Aufforderung, der Unvollständigkeit abzuhelfen. Diese Konzeption basiert auf der – sympathischen601 – Prämisse, dass der Gesetzgeber bei der Abfassung der Entschuldigungsgründe gewichtige seelische Zwangslagen unberücksichtigt gelassen habe. Zweifelhaft bleibt allerdings, ob § 50 StGB a. F. respektive § 29 StGB tatsächlich als Aufforderung zu lesen ist, Unvollständigkeiten im System der Schuldausschließungsgründe zu ergründen und zu beheben. Näher liegen dürfte die Deutung, dass § 50 StGB a. F. respektive § 29 StGB als systemimmanente Bestimmung auf die gesetzlich normierten Schuldausschließungsgründe Bezug nimmt und – nach zutreffender Deutung602 – insoweit die Teilnahme an schuldloser Tat ermöglicht. Wendet man den Blick zurück zu dem von Niethammer angeführten Beispielsfall der Magd, die der verzweifelten Ehefrau beim Inbrandsetzen des Hauses Hilfe leistet, so könne „der Mangel an Schuld des Täters (. . .) in solchen Fällen echter, vom Helfer tief empfundener und ernst gewollter Nothilfe nicht ohne Ein597
Niethammer, DRZ 1946, 167, 168. Niethammer, DRZ 1946, 167, 168. 599 Niethammer, DRZ 1946, 167, 169. 600 Vgl. etwa sogleich Peters, C.V.2.b)bb). 601 Dass jedenfalls die Prämisse Niethammers geteilt wird, zeigt sich im Rahmen dieser Arbeit bei Entwicklung einer eigenen Konzeption, dazu unten E.II. 602 Zur hier vertretenen Konzeption mit Blick auf den Aussagegehalt des § 29 StGB vgl. oben C.IV.1.b)aa)(2). 598
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fluß auf die Strafbarkeit des Teilnehmers sein“ 603. Helfer-Schuld und TäterSchuld hingen „untrennbar zusammen“, solange der Helfer das Verbrechen innerlich gleichsam ablehne und einzig zur Abwendung der bestehenden Not handle.604 Wie Niethammer das Urteil „Nichtschuldig“, das er auch für den Teilnehmer einfordert605, konstruktiv erreichen möchte, ergibt sich aus seinen Darlegungen leider nicht. Hier bleiben seine Ausführungen zu vage, zählt doch maßgeblich das angestrebte Resultat. Bemerkenswert bleibt freilich der Hinweis auf mögliche Unvollständigkeiten im System der Schuldausschließungsgründe und die Notwendigkeit, diese – so sie denn existieren – zu beheben. Zudem scheint Niethammer einen Schlüssel zur Problemlösung in der inneren Haltung des Helfers zu sehen, wenn er auf die Notwendigkeit der innerlichen Ablehnung des Verbrechens sowie einen unbedingten Rettungswillen verweist. Interessanterweise ist eine ähnlich gelagerte Herangehensweise auch in der jüngsten Abhandlung zur Fragestellung, vorgelegt von Jäger, auszumachen.606 Schließlich soll auch mit Blick auf die Ausführungen Niethammers versucht werden, die bezüglich der hier untersuchten Konstellationen607 zu ziehenden Konsequenzen darzulegen. Niethammer geht es, wie gezeigt, primär darum, dem – schon auf Basis der §§ 48 ff. StGB a. F. überwiegend vertretenen – Postulat durchgängiger Teilnehmerstrafbarkeit entgegenzutreten, ohne selbst ein „rundes“ Lösungskonzept anzubieten. Mit Blick auf die in seinen Augen notwendige Begrenzung der Teilnehmerstrafbarkeit formuliert er: „Um diese Grenzen in ihrem Verlauf genau festzulegen, bedarf es einer Untersuchung, die den Raum des vorliegenden Aufsatzes überschreitet.“ 608 Entsprechend vage bleiben seine Überlegungen. Was ins Auge sticht, ist, wie bereits oben festgehalten, die Betonung der inneren Haltung des Teilnehmers. Niethammer verlangt jedenfalls „tief empfundene und ernst gewollte Nothilfe“; es dürfe dem Helfer „nur darum zu tun“ sein, den Täter aus seiner Not zu befreien.609 Eine weitergehende Differenzierung ist bei Niethammer, der sich nur auf die §§ 52, 54 StGB [a. F.], nicht aber auf den Notwehrexzess oder den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand bezieht, nicht angelegt. Jedenfalls hinsichtlich der „klassischen“ Gefahrensituationen, wie sie sich in Gestalt des Karneades-Falls, des Ballon-Falls sowie des BergsteigerFalls 1 darstellen, dürfte Niethammer, soweit der Teilnehmer einzig aus tief empfundener Nothilfe agiert, zu einer Entschuldigung gelangen.
603 604 605 606 607 608 609
Niethammer, DRZ 1946, 167, 169. Niethammer, DRZ 1946, 167, 169. Niethammer, DRZ 1946, 167, 169. Vgl. dazu unten C.V.3.c). C.II. Niethammer, DRZ 1946, 167, 169. Vgl. erneut Niethammer, DRZ 1946, 167, 169.
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bb) Peters Im Jahre 1949 schlägt Peters im Zusammenhang mit den Euthanasieprozessen und dem vom Obersten Gerichtshof für die Britische Besatzungszone (OGHBrZ) befürworteten übergesetzlichen persönlichen Strafausschließungsgrund 610 vor, die Teilnehmerstrafbarkeit bei fehlender Schuld des Haupttäters unter Berücksichtigung der den Schuldausschluss tragenden Gesichtspunkte zu bestimmen. Diesen Vorschlag kann auch Peters nur unterbreiten, weil er § 50 StGB a. F. keine durchgängige Limitierung auf eine rechtswidrige Haupttat entnehmen möchte. Nach „Entstehungsgeschichte und (. . .) Sinn“ wolle die Vorschrift „verhindern, daß ein persönlicher Schuldausschluß (so vor allem Schuldunfähigkeit) dem Teilnehmer zugutekommt“ 611. Anders sei dies in Fällen, in denen der Wegfall der Schuld auf einer „äußeren Situation“ 612 beruhe. Hier sei auch der Teilnehmer entschuldigt.613 Damit liegt Peters, ohne freilich eine vergleichbare Argumentationstiefe aufzuweisen, gedanklich zunächst auf einer Linie mit Rudolphi, der in Ansehung der Teilnehmerstrafbarkeit gleichfalls zwischen Schuldausschließungsgründen im engeren Sinne und Entschuldigungsgründen differenziert.614 Ein erheblicher Unterschied zu Rudolphi besteht indes darin, dass Peters „die Straffreiheitserklärung des § 54 StGB differenziert (. . .) deuten“ 615 möchte. Je nach Lage, wirke § 54 StGB [a. F.] rechtfertigend, entschuldigend oder als persönlicher Strafausschließungsgrund.616 Letzterer sei insbesondere dort anzunehmen, „wo der Mensch in fremdes Leben eingreift“ 617. Beim Eingriff in fremdes Leben attestiert Peters – ungeachtet des Vorhandenseins einer „schwer bedrängenden Konfliktslage“ 618 – eine „schwere sittliche Fehlentscheidung“ 619. Da Peters ein Auseinanderfallen von rechtlicher und sittlicher Schuld grundsätzlich ablehnt620, ist die Bejahung rechtlicher Schuld bei vorhandener sittlicher Schuld für ihn zwingend. Bleibt im Falle der (Rettungs-)Tötung damit einzig der Rückgriff auf einen persönlichen Strafausschließungsgrund, erfasst die von Peters propagierte Straffreiheit für den Teilnehmer an entschuldigter Tat von vornherein nicht 610 Zu den Euthanasieprozessen und der Rechtsprechung des OGHBrZ vgl. bereits oben B.III.3.a). 611 Peters, JR 1949, 496, 499; vgl. ferner ders., SchwZStr 77 (1961), S. 162, 169 Fn. 12. 612 Peters, JR 1949, 496, 499. 613 Peters, JR 1949, 496, 499. 614 Vgl. auch Peters, SchwZStr 77 (1961), S. 162, 170: „Massgeblich kann nicht sein, welcher Grund für die Straffreiheit der Kategorie nach vorliegt, sondern ob dieser Grund allgemein-sachlicher oder rein persönlicher Art ist.“ 615 Peters, JR 1949, 496, 500. 616 Peters, JR 1949, 496, 500. 617 Peters, JR 1949, 496, 500. 618 Peters, JR 1949, 496, 500. 619 Peters, JR 1949, 496, 500. 620 Peters, JR 1949, 496, 497.
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diejenigen Konstellationen, welche im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden.621 Fälle der Rettungstötung sind für Peters einzig unter dem Gesichtspunkt eines möglichen persönlichen Strafausschließungsgrundes zu behandeln. Bei diesem sei „stets auf die Verhältnisse des einzelnen Teilnehmers abzustellen“ 622. Letztlich klammert Peters – aufgrund seines Verständnisses von sittlicher Schuld und deren Verhältnis zu rechtlicher Schuld sowie begünstigt durch die Fassung des § 54 StGB a. F.623 – genau diejenigen Konstellationen aus, in denen der Motivationsdruck besonders hoch ist: Konstellationen, in denen Lebenserhaltung nur um den Preis der Lebensvernichtung erreicht werden kann. Einer Fruchtbarmachung seines Ansatzes steht damit nicht nur die Fassung der §§ 26, 27 StGB entgegen, sondern auch die Fassung des § 35 StGB, der sich eindeutig624 zu seiner (nur) schuldausschließenden Wirkung bekennt. Begrüßenswert ist, ebenso wie bei Rudolphi, die Tendenz, sachliche Unterschiede zwischen den einzelnen Schuldausschließungsgründen625 herauszuarbeiten, um auf dieser Grundlage die Frage nach der Teilnehmerstrafbarkeit zu stellen. Die konstruktive Umsetzung dieses Ansatzes sieht sich freilich auf dem Boden der §§ 26, 27; 35 StGB anderen Herausforderungen ausgesetzt als auf dem Boden der §§ 48, 49, 54 StGB a. F. Dennoch liegt Peters’ Verdienst insbesondere darin, dem in den §§ 26, 27 StGB aufgenommenen Kategoriendenken626 eine differenzierende Konzeption entgegengesetzt zu haben, die sachliche Unterschiede nicht einebnet, sondern ihnen Raum gibt. Dabei ist unerheblich, dass die Berücksichtigung dieser Unterschiede heute anders aussehen muss als noch vor einigen Jahrzehnten. Bei Übertragung der Gedanken Peters’ auf die im Rahmen der hiesigen Untersuchung berücksichtigten Fallgestaltungen627 ist zu beachten, dass Peters dem entschuldigenden Notstand (§ 54 StGB a. F.) eine differenzierte Wirkungsweise zuschreibt. Wenn der Mensch bei zur Gefahrenabwehr erfolgenden Tötungen im-
621
Vgl. die oben (C.II.) geschilderten Fälle. Peters, JR 1949, 496, 499. 623 Vgl. dazu Schmidhäuser, Strafrecht Allgemeiner Teil, 1970, S. 368: „§ 54 hält sich in der Kennzeichnung der Tat sehr zurück und verneint nur die Strafbarkeit der Notstandstat.“ 624 Dass vereinzelt abweichende Auffassungen bestehen, soll nicht unterschlagen werden. So geht insbesondere Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand?, 1989, S. 382 ff., von einer Wirkung des § 35 I 1 StGB als Strafausschließungsgrund aus, soweit es Situationen des Lebensdilemmas (Leben gegen Leben) betrifft. Eine abweichende Deutung ist ferner bei Maurach zu finden, wobei diese noch gesondert zu betrachten sein wird (C.V.3.a)). 625 Für Peters gilt dies jedenfalls der Sache nach, der in Fragen der Kategorisierung, wie zuvor gezeigt wurde, durchaus eigene Wege beschreitet. 626 Peters, SchwZStr 77 (1961), S. 162, 170 Fn. 13, prangerte ein solches bereits mit Blick auf die Fassung der §§ 30, 31 StGB im E 62 (zu diesem oben C.IV.1.a)ff)) an. 627 C.II. 622
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
mer schwere sittliche Schuld auf sich lädt und diese nicht von der rechtlichen Schuld getrennt werden kann, ist eine Entschuldigung in Fällen der Rettungstötung ausgeschlossen. Kann in entsprechenden Fällen – mit Peters – nur von einer Wirkungsweise als persönlicher Strafausschließungsgrund ausgegangen werden und ist insoweit stets eine rein individuelle Betrachtung vorzunehmen628, macht sich der Teilnehmer an einer Rettungstötung auch nach dieser Konzeption grundsätzlich strafbar. D.h. für die hier betrachteten Konstellationen, dass für den Teilnehmer, in dessen Person die (geschriebenen) Notstandsvoraussetzungen gerade nicht vorliegen, durchgängig das Ergebnis der Strafbarkeit steht. cc) Baumann Im Rahmen einer Aufsatzreihe zu „Täterschaft und Teilnahme“ äußert Baumann, der Grundsatz der limitierten Akzessorietät, den er – insoweit unkritisch – in § 50 StGB [a. F.] verankert sieht, führe „in den meisten aber nicht in allen Fällen (. . .) zu befriedigenden Lösungen“ 629. Als problematisch erachtet er zum einen Fälle, in denen der Täter gerechtfertigt handelt, dem Teilnehmer aber das – beim Täter gegebene – subjektive Rechtfertigungselement fehlt. Zum anderen sieht er Friktionen in Konstellationen, in denen der Entschluss zur (entschuldigten) Notstandstat erst durch einen Dritten hervorgerufen wird.630 Zur Verdeutlichung bildet er den Brett-des-Karneades-Fall dergestalt um, dass eine der auf der Planke befindlichen Personen von ihrem Rechtsanwalt, mit dem diese einen „Dauerberatungsvertrag“ hat und welcher das Geschehen von einer Brücke aus beobachtet, auf Anfrage die Auskunft erhält, dass ein Herabstoßen der anderen Person straflos sei.631 Bezugnehmend auf Maurach632 attestiert Baumann ein Versagen der limitierten Akzessorietät „bei diesen Fällen der Unzumutbarkeit“ 633. Er fordert daher, „diese Sondergruppe aus der Limitierung auf die Rechtswidrigkeit [zu] lösen“ 634. Dass Baumann nicht nur die Fälle der Rechtsauskunft635 im Sinn hat, sondern seine Bedenken umfassender verstanden wissen möchte, ergibt sich bereits daraus, dass er – ergänzend – auf ein von Maurach gebildetes Beispiel verweist, in dem keine Rechtsauskunft erteilt, sondern
628 Vgl. nur Peters, JR 1949, 496, 499: „Liegt ein persönlicher Strafausschließungsgrund vor, so sind die Voraussetzungen bei jedem Teilnehmer selbstständig zu prüfen.“ 629 Baumann, JuS 1963, 125, 129. 630 Baumann, JuS 1963, 125, 129. 631 Baumann, JuS 1963, 125, 129; nahezu identisch das Beispiel in ders., Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 1977, § 29 I 4 b) i.V. m. § 29 vor I. 632 Zu diesem sogleich unter C.V.3.a). 633 Baumann, JuS 1963, 125, 129. 634 Baumann, JuS 1963, 125, 129. 635 Zu den Bemühungen, die Teilnehmerstrafbarkeit bei bloßer Rechtsauskunft zu umgehen, s. bereits oben C.III.1.a)aa)(2).
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schlicht der Impuls zur Notstandshandlung durch einen Dritten bewirkt wird.636 Offenbar gelten Baumanns Bedenken gleichfalls für mögliche Fälle der Beihilfe, resümiert er doch mit Blick auf die Reichweite des § 54 StGB [a. F.], dass „Anstifter und Gehilfe“ im Umfeld der Notstandstat nach herrschender Lehre strafbar seien.637 Baumann vertieft seine Bedenken leider nicht, sodass nicht klar wird, ob er die Strafbarkeit des Teilnehmers im Umfeld entschuldigter Taten generell verneint sehen möchte oder ob dies nur für bestimmte Konstellationen gelten soll. Die von ihm in seine Überlegungen einbezogenen Beispiele unterscheiden sich jedenfalls dadurch, dass einmal eine Gefahrengemeinschaft mit gleichmäßiger Chancenverteilung (Karneades-Fall) abgebildet wird, während dem anderen Beispielsfall eine Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung (Bergsteiger-Fall) zugrunde liegt. Baumanns – knapp gehaltene – Anmerkungen stehen exemplarisch für ein gewisses Unbehagen, das sich bei durchgängiger Bejahung einer Teilnehmerstrafbarkeit im Falle entschuldigter Haupttat fast zwangsläufig einstellt. Zurückkommend auf die im Rahmen dieser Untersuchung gebildeten Fallgestaltungen638, ist wiederum auf den Umstand zu verweisen, dass aus den Ausführungen Baumanns nicht recht deutlich wird, ob bei gleichmäßiger Chancenverteilung nur die Rechtsauskunft straffrei bleiben soll, während bei einseitiger Chancenverteilung auch das „gewöhnliche“ Hervorrufen des Tatentschlusses Straffreiheit nach sich zieht. Besonders naheliegend erscheint eine entsprechende Differenzierung indes nicht, bezieht sich Baumann doch explizit auf Maurach, der bekanntlich – unter Einbeziehung der Tatverantwortung – zu einer durchgängigen Straflosigkeit des Teilnehmers gelangt.639 In der Folge ist davon auszugehen, dass nach Baumann in allen der hier untersuchten Konstellation eine Strafbarkeit des Teilnehmers zu verneinen wäre. c) Der AE zu E 62 Das soeben angesprochene Unbehagen empfanden offenbar auch die Verfasser des maßgeblich von Baumann beeinflussten Alternativ-Entwurfs (AE) zum Entwurf eines Strafgesetzbuches aus dem Jahre 1962 (E 62).640 Der Alternativ-Ent636 Baumann, JuS 1963, 125, 129 Fn. 126, greift auf das von Maurach angeführte Beispiel dreier Bergsteiger zurück, von denen einer abstürzt, woraufhin der vorausgehende Bergsteiger seinem – mit dem Abgestürzten über ein Seil verbundenen – Kameraden rät, die Verbindung zum Abgestürzten zu kappen, um nicht mit in die Tiefe gerissen zu werden. 637 Baumann, JuS 1963, 125, 129. 638 C.II. 639 Dazu nochmals sogleich C.V.3.a)dd). 640 Zum E 62 vgl. erneut C.IV.1.a)ff).
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wurf zum Allgemeinen Teil enthielt folgende Bestimmungen zu Anstiftung, Beihilfe und Beteiligtenstrafbarkeit: § 28 Anstiftung (1) Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen Tat bestimmt. (2) Die Strafe kann nach § 61 Abs. 1 gemildert werden. § 29 Beihilfe (1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen Tat Hilfe leistet. (2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 61 Abs. 1 zu mildern. § 31 Selbstständige Strafbarkeit des Beteiligten Jeder Beteiligte wird ohne Rücksicht auf die Schuld des anderen nach seiner Schuld bestraft.
Der Entwurf verzichtet mit Blick auf die Haupttat sowohl auf das Erfordernis der Vorsätzlichkeit als auch auf die Charakterisierung als (nur) rechtswidrig. Zudem wird die Anstiftung um eine fakultative Strafmilderung angereichert. Der Alternativ-Entwurf möchte – anders als der E 62 – die Kontroverse um die Teilnahmefähigkeit der (nur) fahrlässigen Haupttat nicht „durch einen legislatorischen Machtspruch“ 641 lösen. Da die Frage trotz einer die Vorsätzlichkeit der Haupttat zur Teilnahmevoraussetzung erhebenden Grundsatzentscheidung des BGH642 jedenfalls in der Wissenschaft noch höchst umstritten sei, sei die Festschreibung der Vorsätzlichkeit im Gesetz verfehlt.643 Dies habe den Vorteil, dass die Rechtsprechung im Umgang mit unterschiedlichen Deliktsgruppen und Fallkonstellationen flexibel bleibe.644 Hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Haupttat, die der Alternativ-Entwurf ebenfalls nicht im Gesetz verankert wissen möchte, wird gleichfalls auf damit verbundene Entscheidungen verwiesen, „die der Gesetzgeber nicht treffen wollte und die er auch richtigerweise der Entwicklung von Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen sollte“ 645. So sei etwa „zweifelhaft, ob bei vorsätzlich-rechts-
641 642 643 644 645
Baumann et al., AE, Allgemeiner Teil, 1966, S. 63. BGHSt 9, 370; zu dieser vgl. bereits oben C.IV.1.a)ee)(2). Baumann et al., AE, Allgemeiner Teil, 1966, S. 63. Baumann et al., AE, Allgemeiner Teil, 1966, S. 63. Baumann et al., AE, Allgemeiner Teil, 1966, S. 65.
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widriger, aber entschuldigter Ausführungshandlung die Teilnahme in allen Fällen strafbar ist“ 646. Auch im Alternativ-Entwurf wird die Erteilung einer Rechtsauskunft an den sich in der Notstandssituation Befindlichen als möglicher Anknüpfungspunkt für eine Teilnehmerstrafbarkeit angeführt.647 Dabei zielt der Entwurf offenbar nicht nur auf die Situation der Rechtsauskunft, heißt es dort doch abschließend ganz pauschal, dass „auch für die Beteiligung an der Notstandstat (. . .) nicht durch eine apodiktische Gesetzesfassung die Möglichkeit differenzierender Lösungen von vornherein ausgeschlossen werden [sollte]“ 648. Interessanterweise wird in § 31 AE 1966, der § 34 E 1962 sowie dem heute geltenden § 29 StGB entspricht, das Prinzip der limitierten Akzessorietät verankert gesehen. Eine Rückkehr zur extremen Akzessorietät komme nicht in Betracht.649 In Zusammenschau mit der zur Fassung der §§ 28, 29 AE 1966 gegeben Begründung ist § 31 AE 1966 wohl im Sinne einer Limitierung im Grundsätzlichen, die Raum für Sonderkonstellationen (wie die Situation der Rechtsauskunft) lässt, zu verstehen. Die Begründung betreffend den Verzicht auf die Charakterisierung der Bezugstat als „rechtswidrig“ hat etwas für sich, wenn es heißt, eine Aufnahme des Merkmals führte zu „Entscheidungen (. . .), die der Gesetzgeber nicht treffen wollte“ 650. So stand im Zentrum der im 20. Jahrhundert geführten Reformdiskussionen um die Ausgestaltung der Teilnahmevoraussetzungen nie die Konstellation der Teilnahme an entschuldigter Tat. Im Vorfeld der Reform aus dem Jahre 1943 wurde in erster Linie die Unmöglichkeit, Teilnehmer an der Tat eines Schuldunfähigen bzw. eines im Verbotsirrtum Handelnden zu sein, als unbefriedigend empfunden. Die Reform aus dem Jahre 1975 sollte vor allem Klarstellung dahingehend bringen, dass die Haupttat vorsätzlich begangen sein musste. Die Entschuldigungsgründe wirken in all den Reformüberlegungen geradezu als vernachlässigbare Größe. Das erstaunt vor dem Hintergrund, dass sich Gerichte regelmäßig mit den Voraussetzungen des § 20 StGB, nur höchst selten aber mit den von § 35 StGB gestellten Anforderungen befassen müssen, kaum. Das Töten zur Ermöglichung der Flucht aus einem Unrechtsstaat oder zur Befreiung vom tyrannischen Ehegatten fällt gegenüber den zahlreichen Taten stark alkoholisierter, geisteskranker oder im Verbotsirrtum befindlicher Täter kaum ins Gewicht. Entsprechend erfährt die Situation der Teilnahme unterschiedlich viel (oder wenig) Aufmerksamkeit. So verständlich dies ist, so sehr liegt darin auch ein Versäumnis, haften der Situation der Entschuldigung, worauf die vorstehend wiedergegebenen Stimmen allesamt hinweisen, doch durchaus Besonderheiten an, die bei 646 647 648 649 650
Baumann et Baumann et Baumann et Baumann et Baumann et
al., AE, Allgemeiner Teil, 1966, S. al., AE, Allgemeiner Teil, 1966, S. al., AE, Allgemeiner Teil, 1966, S. al., AE, Allgemeiner Teil, 1966, S. al., AE, Allgemeiner Teil, 1966, S.
65. 65. 65. 67. 65.
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Beurteilung der Teilnehmerstrafbarkeit nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Solche Besonderheiten machen auch die nachfolgend in den Blick genommenen Autoren aus, die – anders als Rudolphi et al. – ihre (abweichenden) Lösungsmodelle explizit auch auf dem Boden der §§ 26, 27 StGB fruchtbar machen wollen. 3. Lösungsansätze auf dem Boden der §§ 26, 27 StGB Wenn von „Lösungsansätzen“ die Rede ist, verheißt dies zunächst die Existenz etlicher Konzeptionen betreffend eine differenzierte Betrachtung der Teilnehmerstrafbarkeit bei entschuldigter Haupttat. Dem ist – um es vorweg zu nehmen – nicht so. Neben Maurach, dessen Lehre von der Tatverantwortung sich auch auf die Teilnehmerstrafbarkeit in Notstandssituationen auswirkt und Kaufmann, der mit seiner Lehre vom rechtsfreien Raum gleichfalls zu divergierenden Ergebnissen in der Teilnahme-Situation gelangt, ist es, soweit ersichtlich, einzig Jäger, der die unter Bezugnahme auf die §§ 26, 27, 29 StGB behauptete ausnahmslose Teilnehmerstrafbarkeit kritisch hinterfragt. a) Maurachs Lehre von der Tatverantwortung Die Verortung der Lehre von der Tatverantwortung bei den auch auf dem Boden der §§ 26, 27 StGB fruchtbar zu machenden Lösungsansätzen erstaunt insoweit, als Maurach seine Konzeption bereits lange vor dem Inkrafttreten der §§ 26, 27 StGB entwickelt hat.651 Ihr – sogleich näher darzulegender – Inhalt bringt es indes mit sich, dass eine Abhängigkeit von der Fassung der Teilnahmebestimmungen, wie sie insbesondere mit Blick auf Rudolphis Konzeption zu attestieren ist652, entfällt. aa) Zum Inhalt der Lehre Maurach geht davon aus, dass die pauschale Unterscheidung von Unrechtsund Schuldebene unterkomplex ist. Gegenüber der herrschenden Lehre erhebt Maurach daher den Vorwurf mangelnder Differenzierung, wenn im Rahmen der Schuldprüfung unter den Begriff der Vorwerfbarkeit sowohl die Schuldfähigkeit als auch die (Un-)Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens gefasst werden.653 Diesen Vorwurf stützt Maurach auf die Annahme, dass die „Begehung tatbestandsmäßigen Unrechts (. . .) an sich noch keine Verantwortlichkeit [begründet]“ 654. Eine Verantwortlichkeit, ein „Einstehenmüssen“ 655, setze voraus, dass die Tat
651 652 653 654 655
Grundlegend Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. 36 ff. Dazu oben C.V.2.a)dd). Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. 37. Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. 37. Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. 37.
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„die eigene Tat ihres Urhebers gewesen ist“ 656. Dies sei nicht der Fall, wenn äußere Faktoren den Täterwillen derart entscheidend beeinflusst haben, dass die Handlung nicht mehr als der Persönlichkeit des Täters entspringend charakterisiert werden kann.657 Das von der Rechtsordnung missbilligte Unrecht müsse sich gleichfalls in der Missbilligung des Unrechts-Urhebers ausdrücken, was nur bei einem äußerlich freien Urheber möglich sei.658 Mit anderen Worten: Der Missbilligung der Tat durch die Rechtsordnung muss eine Missbilligung des Täters nachfolgen. Die Feststellung der täterbezogenen Missbilligung unterfällt der Kategorie der Tatverantwortung. Maurach betont, dass Verantwortlichkeit, wie er sie versteht, auch bei Kindern und Geisteskranken vorliegen kann; immerhin ergebe sich „die bloße Tatsache der Verantwortlichkeit (. . .) aus der Existenz des sozialen Gefüges, in welches der Täter hineingeboren ist“ 659. Mit dem „sozialen Gefüge“ spricht Maurach die entscheidende Bezugsgröße der Verantwortlichkeit an: Eine Missbilligung des Täters erfolge, weil er „in der konkreten Situation anders gewesen ist als die anderen“ 660. Maurach betont also den objektivierend-vergleichenden Charakter der von ihm ins Leben gerufenen Kategorie. Mit der Feststellung, dass der Täter sich anders verhalten hat als die anderen, sei indes noch nicht darüber entschieden, ob der Täter im entscheidenden Moment „anders war als er selbst sein konnte“ 661. Letztere Entscheidung sei der Ebene der Schuld vorbehalten. Die vorstehend skizzierte gedankliche Grundlegung führt für Maurach mit Blick auf die Verortung der Schuldausschließungsgründe zu einer differenzierten Betrachtung: In Ansehung der Entschuldigungsgründe – damals: §§ 52, 53 III, 54 StGB [a. F.] – betont Maurach deren Charakter als „typisierende gesetzliche Vermutungen“ 662. Die im Gesetz umrissenen Ausnahmelagen seien „objektiv-verallgemeinernd“ und ließen keinen Spielraum für eine individuelle Betrachtung.663 Im Falle ihrer Verneinung sei daher nur festgestellt, dass der Handelnde sich „anders als die anderen“ verhalten habe, womit sie der Kategorie der Tatverantwortung zuzuschlagen seien.664 § 51 StGB a. F. [heute: § 20 StGB] ermögliche dagegen „volle Individualisierung“, erfolge doch nach Feststellung eines „biologischen“ Ausgangsmerkmals eine konkrete Betrachtung der Auswirkungen auf die psychi656 657 658 659 660 661 662 663 664
Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S.
37. 37. 38. 37. 38. 39. 42. 43. 42.
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sche Disposition des Täters, weshalb durch die Vorschrift ein „echter Schuldausschluß“ ermöglicht werde.665 Die im Rahmen dieses Kapitels interessierenden Entschuldigungsgründe werden von Maurach geschlossen der von ihm erdachten Kategorie der Tatverantwortung zugeschlagen. Damit verfolgt Maurach eine ganz eigenständige Verbrechenskonzeption, die sich – wenig überraschend – auch auf die Situation der Teilnahme auswirkt. bb) Auswirkungen auf die Teilnahme Nach Maurach kann der „Grad der Akzessorietät“ nur über die „Erkenntnis des Verbrechens“ bestimmt werden.666 Daher ist es unumgänglich, den Verbrechensbegriff Maurachs, der ganz maßgeblich durch die Kategorie der Tatverantwortung geprägt wird, zu skizzieren667: Tatverantwortung und Schuld unterfallen dem Oberbegriff der Zurechenbarkeit. In deren Rahmen ist zunächst die Tatverantwortung zu prüfen, nach deren Bejahung ein die Tat zum Verbrechen qualifizierendes Unwerturteil gefällt ist. Das Verbrechen, „Plattform strafrichterlicher Einwirkung“, wird wiederum erst dann zur Straftat, wenn ein „Mißbrauch der Zurechnungsfähigkeit“ zu attestieren ist (Schuld). Hinsichtlich der Entschuldigungsgründe bedeutet dies, dass es in der Maurachschen Konzeption bei Vorliegen der Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands oder des Notwehrexzesses bereits an einem Verbrechen fehlt, da eine Missbilligung des Täters, der sich – folgt man der gesetzlichen Vermutung – nicht „anders als die anderen“ verhalten hat, nicht ausgesprochen werden kann. In diesen Fällen fehlt mit der Tatverantwortung die erste Stufe der Zurechenbarkeit und damit der Verbrechenscharakter. Bei fehlendem Verbrechenscharakter will Maurach Teilnahme nicht zulassen: „Anstiftung ist die Bestimmung eines Verantwortlichen zur Tat, Beihilfe die Förderung des verantwortlichen Tuns.“ 668 Zurechnungsfähigkeit und Schuld würden dagegen aufseiten des Haupttäters nicht vorausgesetzt.669 Um es anders auszudrücken: Teilnahme an der Tat eines Täters, zu dessen Gunsten ein Entschuldigungsgrund eingreift, ist nicht möglich, während Teilnahme an der Tat eines Unzurechnungsfähigen denkbar ist. Maurach entwickelte seine Konzeption auf dem Boden der §§ 48 ff. (R)StGB a. F., weshalb er sich, ähnlich den anderen Autoren seiner Zeit (Niethammer, Peters, Rudophi), der Frage zuwenden musste, ob seine Anschauungen sich mit den Festlegungen im Gesetz vertragen. So musste auch er 665
Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. 42. Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. 59. 667 Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. 44. 668 Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. 72 f. 669 Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. 73. 666
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sich § 50 StGB a. F. und der Frage widmen, ob die eine individuelle Schuldbeurteilung einfordernde Vorschrift mit seinen Anschauungen in Einklang zu bringen ist. Wiederum verweist Maurach auf den von ihm gefundenen Verbrechensbegriff, der die Lösung schon vorzeichne: „die Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens wird zur allgemeinen, sämtliche Tätergruppen umfassenden Tatverantwortung geschlagen, während als Schuld das rein individualisierende Normativum des Mißbrauches der Zurechnungsfähigkeit verbleibt“ 670. Damit erwies sich § 50 StGB a. F. schon deshalb nicht als Hürde, weil Maurach – auf Basis seiner Verbrechenskonzeption – für sich in Anspruch nehmen konnte, die Unabhängigkeit in der Schuldbeurteilung nicht anzutasten. Sind nämlich die – überwiegend so bezeichneten – Entschuldigungsgründe in Wahrheit aus der Schuld (im engeren Sinne) zu lösen, so werden diese von § 50 StGB a. F. von vornherein nicht in den Blick genommen, womit ein Widerspruch zur Norm nicht auftritt. Der Eingruppierung der Entschuldigungsgründe in die Kategorie der Tatverantwortung sei mit Inkrafttreten der §§ 26, 27 StGB im Jahre 1975 keineswegs der Boden entzogen worden, wie in den von Gössel und Zipf fortgeführten Lehrbüchern Maurachs zum Allgemeinen Teil des Strafrechts deutlich wird: Unter Heranziehung des Bergsteiger-Beispiels, in welchem ein Bergsteiger droht, von seinem Kameraden mit in die Tiefe gezogen zu werden und auf Anraten eines – selbst nicht bedrohten – weiteren Bergsteigers das Seil kappt671, wird die von der h. L. aus der Fassung der §§ 26, 27, 29 StGB gezogene Konsequenz der Strafbarkeit des Anratenden (als Anstifter zum Totschlag) kritisiert; es handle sich um „eine ungerechtfertigt harte Strafbarkeitshaftung“ 672. In entsprechenden Situationen sei der Unrechtsgehalt der Handlungen des Haupttäters „nicht groß genug (. . .), um die Akzessorietät der Teilnehmerhandlungen zu tragen“ 673. Folglich sei als Voraussetzung jeder Teilnahme nicht nur eine tatbestandsmäßig-rechtswidrige Handlung, sondern eine tatbestandsmäßig-rechtswidrige sowie mit Tatverantwortung begangene Handlung zu verlangen.674 Diese Lösung kann freilich nur derjenige anbieten, welcher der Tatverantwortung in seinem Verbrechensbegriff eigenständige Bedeutung zumisst. Dies wird denn auch gar nicht bestritten, wenn es heißt, der Schuldbegriff der h. L. sei „zu einer solchen Differenzierung nicht geeignet“ 675. Tatsächlich ist es also weniger eine abweichende Deutung der Teil670
Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. 68. Vgl. auch den im Rahmen dieser Arbeit gewählten Beispielsfall, C.II.1.a)bb)(1). 672 Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil, Teilband 2, 7. Aufl. 1989, § 53 Rn. 96. Das Beispiel findet sich ferner in Maurach/Zipf, AT 1, § 33 Rn. 40, wo es nicht ausgehend von der Teilnahme-, sondern der Notstandslehre beleuchtet wird. 673 Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil, Teilband 2, 7. Aufl. 1989, § 53 Rn. 97. 674 Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil, Teilband 2, 7. Aufl. 1989, § 53 Rn. 97. 675 Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil, Teilband 2, 7. Aufl. 1989, § 53 Rn. 97. 671
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nahmevorschriften, sondern ein grundlegend anderer Zugang zum Verbrechensbegriff, der zu divergierenden Lösungen im Umfeld der Teilnahme in Situationen der Unzumutbarkeit führt.676 Damit bewegen sich Gössel und Zipf ganz auf den Pfaden Maurachs, der, wie bereits angeführt, die inhaltliche Ausgestaltung der Akzessorietät aus der „Erkenntnis des Verbrechens“ 677 gewinnen wollte. Diese Erkenntnis lautet im Falle Maurachs und seiner Schüler: Die standardisierte Regelung der Unzumutbarkeit im Gesetz, wie sie sich namentlich in den §§ 33, 35 StGB findet, kann nicht dem Bereich des individualisierenden Vorwurfsurteil zugeschlagen werden, sondern ist diesem – als generalisierendes Urteil – vorgelagert. Dieses vorgelagerte Urteil ist zu benennen als Tatverantwortung.678 cc) Kritische Würdigung Das von Maurach und seinen Schülern in Auseinandersetzung mit der Teilnahme an entschuldigter Tat erzielte Resultat der Straffreiheit steht und fällt, wie sich bereits aus den vorherigen Ausführungen ersehen lässt, mit der Anerkennung der eigenständigen Kategorie der Tatverantwortung. Mit Blick auf die Fassung der §§ 26, 27 StGB erscheint dennoch fraglich, ob sich die Konzeption mit geltendem Gesetzesrecht verträgt. Immerhin wird die Kategorie der Tatverantwortung – im Wege einer „Unterteilung der Schuldstufte“ – verbrechenssystematisch „der dritten Aufbaustufe der Schuld“ 679 zugeschlagen. Dabei ist die „dritte Aufbaustufe der Schuld“ im Sinne der von Maurach geprägten „Zurechenbarkeit“ zu verstehen.680 Nun ließe sich argumentieren, dass die §§ 26, 27 StGB, die expressis verbis eine (nur) vorsätzliche und rechtswidrige Tat verlangen, einer Einbeziehung von vertypten Formen der Unzumutbarkeit, die außerhalb des Unrechts liegen, von vornherein – und unabhängig von deren Bezeichnung – nicht zugänglich sind. So betrachtet, könnte die Maurachsche Konzeption auf dem Boden der §§ 26, 27 StGB (doch) keinen Bestand haben. Indes sehen Maurach et al. durch die Formulierung der §§ 26, 27 StGB (i.V. m. § 29 StGB) nur Schuldunfähigkeit und (unvermeidbaren) Verbotsirrtum präkludiert.681 Die Auslegung erfolgt dabei ausgehend von dem als zutreffend erachteten Verbrechensbegriff: Wenn die Tatverantwortung als überindividuelles Raster im Verbrechensbegriff anzuerkennen ist, ist sie in die Auslegung der Vorschriften des Allgemeinen Teils selbstverständlich miteinzubeziehen. Nur von diesem Ausgangspunkt aus wird verständ676 Vgl. dazu auch Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil, Teilband 2, 7. Aufl. 1989, § 53 Rn. 101, wonach den „Gefahren“ der limitierten Akzessorietät „nur durch sachgebotene Beschränkung des Schuldbegriffes (. . .) vorgebeugt werden“ könne. 677 Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. 59. 678 Prägnant zum Ganzen Maurach/Zipf, AT 1, § 33 Rn. 8. 679 Vgl. jeweils Maurach/Zipf, AT 1, § 31 Rn. 6. 680 Dies ergibt sich auch aus den Ausführungen in Maurach/Zipf, AT 1, § 31 Rn. 7. 681 Zur Auslegung des § 29 StGB vgl. Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil, Teilband 2, 7. Aufl. 1989, § 53 Rn. 112.
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lich, dass das Resultat der Straflosigkeit auf Teilnehmerseite auch auf dem Boden der §§ 26, 27 StGB bestehen bleiben soll. Daraus ergibt sich wiederum, dass fraglich allein die Berechtigung der Tatverantwortung selbst bleibt. Zunächst ist Maurach et al. zuzustimmen, wenn diese den Unterschied zwischen Schuldausschließungsgründen im engeren Sinne und Entschuldigungsgründen betonen. Der generalisierende, typisierende Charakter der Entschuldigungsgründe führt gegenüber den Schuldausschließungsgründen im engeren Sinne gewissermaßen zu einer Verobjektivierung. Die Folgen, die Maurach et al. ziehen, geben jedoch Anlass zu Bedenken: Bereits der Wortlaut des § 35 StGB sieht in der Rechtsfolge vor, dass der Täter „ohne Schuld“ handelt. Wenngleich der Schuld-Begriff zu den umstrittensten Materien des materiellen Strafrechts zählt, ist doch zu attestieren, dass sich eine Deutung der Vorschrift als Grund ausgeschlossener Tatverantwortung jedenfalls nicht aufdrängt.682 Ein Blick in die Protokolle zu den Sitzungen des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform lässt dagegen zunächst eine grundsätzliche Offenheit für Maurachs Konzeption vermuten: Landgerichtsrat Horstkotte, Vertreter des Bundesjustizministeriums, stellt zunächst fest, dass es „dogmatisch wahrscheinlich präziser“ wäre, bei der Formulierung der Rechtsfolge zwischen entschuldigendem Notstand einer- und Verbotsirrtum und Schuldunfähigkeit andererseits zu differenzieren.683 Wenn es bei letztgenannten heißt „handelt ohne Schuld“, könnte man hinsichtlich des Notstands doch auf die Formulierung „ist entschuldigt“ ausweichen.684 Diesen – möglichen – Unterschied in der Formulierung begründet er damit, dass „Verbotsirrtum und Schuldunfähigkeit (. . .) ganz individuell auf das wirkliche Können des Täters ab[stellen], während beim entschuldigenden Notstand ein normatives, generalisierendes Element hinzukommt“ 685. Letztlich solle „eine so feine terminologische Differenzierung“ aber nicht Sache des Gesetzgebers, sondern der Wissenschaft sein, seien doch – gerade mit Blick auf den entschuldigenden Notstand – etliche Deutungsversuche auszumachen, denen nicht vorgegriffen werden solle.686 Interessanterweise verweist Horstkotte explizit auf die Haltung 682 Den Wortlaut mit Blick auf die Rechtsfolge in den Mittelpunkt rückend auch SKRogall, § 35 Rn. 1 Fn. 4, der attestiert, dass den einen Schuldausschluss negierenden Lehren „offenbar die Vereinbarkeit mit dem Gesetz [fehlt]“. Ähnlich LK-Zieschang, § 35 Rn. 6, der schlicht feststellt, „dass das Gesetz ausdrücklich vom Fehlen der ,Schuld‘ spricht“. 683 Horstkotte, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1841. 684 Horstkotte, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1841. 685 Horstkotte, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1841. 686 Horstkotte, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1841.
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
Maurachs und seine „zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld geschobene Stufe der Tatverantwortung“ 687. Wenn Horstkotte dann noch festhält, die Formulierung „handelt ohne Schuld“ besage nicht notwendigerweise, „es handle sich (. . .) um dasselbe systematische Phänomen wie beim Verbotsirrtum und bei der Schuldunfähigkeit“ 688, scheint festgestellt, dass der entschuldigende Notstand schon hinsichtlich seiner Rechtswirkung zahlreichen Deutungsmustern offen steht. Überraschenderweise rudert Horstkotte nur wenige Zeilen später wieder zurück, indem er der Überzeugung Ausdruck verleiht, dass im Falle des entschuldigenden Notstands „der Bezug auf die systematische Kategorie der Schuld immerhin angedeutet werden sollte“ 689. Sodann kommt er zur Wissenschaft zurück, deren Aufgabe es sei, „die näheren Beziehungen zum Begriff der Schuld herauszuarbeiten“ 690. Die beiden letztgenannten Aussagen deuten nun eher wieder in die Richtung, dass an einer Verortung in der „systematische[n] Kategorie der Schuld“ nicht gerüttelt werden soll, innerhalb dieser Kategorie aber durchaus Raum für Differenzierungen bleibt. Wie sich dies mit dem Verweis auf Maurach und dessen Kategorie der Tatverantwortung, die, wie Horstkotte selbst hervorhebt, zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld angesiedelt ist, verträgt, vermag sich nicht recht zu erschließen. Ist der Blick in die Vergangenheit wenig erhellend, könnten es die mit der Anerkennung der Kategorie der Tatverantwortung im gegenwärtigen Recht einhergehenden Konsequenzen sein, welche an der Maurachschen Konzeption zweifeln lassen. So wird insbesondere das Resultat der Straflosigkeit der Teilnahme an einer nach § 35 StGB entschuldigten Tat kritisiert.691 Jakobs vermutet gar, die Trennung der Tatverantwortung von der Schuld „gilt freilich primär nicht dem didaktischen Interesse einer Scheidung generalisierender Zurechnungsinstitute von individualisierenden Instituten, sondern (. . .) der Vorbereitung der Deliktsfolgen und den systematischen Konsequenzen“ 692. Umgekehrt könnte man freilich dem Verweis auf die „nicht überzeugend[en]“ 693 Konsequenzen der Konzeption entgegenhalten, nur ergebnisorientiert, nicht aber unter Bezugnahme auf einen – im Strafgesetzbuch ausgemachten – Verbrechensbegriff zu argumentieren. Der
687
Horstkotte, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1841 f. 688 Horstkotte, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1842. 689 Horstkotte, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1842. 690 Horstkotte, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1842. 691 Jescheck/Weigend, AT, § 40 IV, unter Verweis auf Jescheck, AT, 3. Aufl. 1978, § 39 V; NK-Neumann, § 35 Rn. 3; Roxin, AT I, § 19 Rn. 61. 692 Jakobs, AT, 17/39. 693 Schönke/Schröder-Lenckner, 25. Aufl. 1997, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 21.
V. Abweichende Lösungsansätze
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bloße Verweis auf unliebsame Folgen stellt damit keinen Einwand von Gewicht dar. Anders verhält es sich mit dem Hinweis Lenckners, die typisierende Methode im Rahmen der §§ 33, 35 StGB könne nicht nur bei Anerkennung der Stufe der Tatverantwortung sinnvoll erklärt werden.694 Damit weist Lenckner zutreffend darauf hin, dass Maurach seine Konzeption durch die Fassung der §§ 33, 35 StGB [damals: §§ 52, 53 III, 54 StGB] bestätigt sieht. Die – gegenüber den Schuldausschließungsgründen im engeren Sinne – generalisierende Methode der Entschuldigungsgründe fügt sich gewissermaßen nahtlos in den von Maurach postulierten objektivierend-vergleichenden Charakter der Kategorie der Tatverantwortung ein. Die gesetzliche Methodik ist das Pfund, mit dem Maurach in Ansehung der Sachgerechtigkeit seiner Konzeption wuchern kann. Zugleich vollzieht Maurach den Schritt, zu dem sich Rudolphi, der gleichfalls die an äußere Umstände anknüpfende generalisierende Betrachtungsweise der Entschuldigungsgründe zum Ausgangspunkt seiner Betrachtungen macht695, nicht durchringen konnte: die Herauslösung der Entschuldigungsgründe aus dem Konglomerat „Schuld“. Folgerichtig wäre dies, wenn generalisierende Methodik und Vorwerfbarkeit tatsächlich in einem Ausschlussverhältnis stünden. Letztlich ist damit wiederum die Frage nach dem Verhältnis der §§ 33, 35 StGB zu den §§ 17, 19, 20 StGB berührt. Diese spiegelt sich auch in der Diskussion um die Notwendigkeit begrifflicher Differenzierung – zwischen Entschuldigungs- und Schuldausschließungsgründen – wider.696 Im Rahmen dieser Arbeit wird dafür geworben, sowohl die §§ 17, 19, 20 StGB als auch die §§ 33, 35 StGB unter den Oberbegriff der Schuldausschließungsgründe zu fassen, um nachfolgend zwischen Schuldausschließungsgründen im engeren Sinne und Entschuldigungsgründen zu differenzieren.697 Dieses Begriffsverständnis stützt sich auf die – insoweit unkritisch angenommene – gleichgelagerte strafrechtsdogmatische Wirkung der Vorschriften, die in der Negierung der Vorwerfbarkeit gesehen wird.698 Diejenigen, die grundsätzlich – nicht erst konkretisierend – zwischen Entschuldigungs- und Schuldausschließungsgründen differenzieren möchten, führen dies maßgeblich darauf zurück, dass es sich bei den Entschuldigungsgründen um Situationen handle, „in denen der Täter wegen einer außergewöhnlichen Konflikts- und Motivationslage die ,Nachsicht der Rechtsordnung‘ findet (. . .), indem diese faktisch auf die Erhebung des an sich noch möglichen Schuldvorwurfs verzichtet“ 699. Die Schuld sei – im Gegensatz zu den Schuldausschließungsgründen – nicht schon
694
Schönke/Schröder-Lenckner, 25. Aufl. 1997, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 21. Dazu oben C.V.2.a). 696 Vgl. dazu oben B.I. 697 Oben B.I.3. 698 Oben B.I.2.b). 699 Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 108; ähnlich Hörnle, JuS 2009, 873, 874; Jescheck/Weigend, AT, § 43 II 2. 695
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
„begriffsnotwendig ausgeschlossen“ 700. Diese Argumentation wirft ein beachtliches Schlaglicht auf die die Negierung der Vorwerfbarkeit tragenden Erwägungen. Sie geht der Frage nach dem „Warum?“ nach. Da die Beantwortung dieser Frage für die §§ 17, 19, 20 StGB einerseits und die §§ 33, 35 StGB andererseits unterschiedlich ausfällt, soll sich auch die Fassung unter einen einheitlichen (Ober-)Begriff verbieten. So wenig diese Argumentation nach hiesigem Dafürhalten auf terminologischer Ebene verfängt, so sehr fügt sich vor ihrem Hintergrund die generalisierende Methodik der Entschuldigungsgründe in die Systemkategorie Schuld ein: Denn handelt es sich im Anwendungsbereich der Entschuldigungsgründe um die Rücknahme bzw. den Verzicht auf einen an sich möglichen Schuldvorwurf, kommt es auf die individuelle Konstitution des Täters von vornherein nicht an. Wenn es aber auf die individuelle Konstitution nicht ankommt, steht auch die Methode generalisierender Betrachtung offen. So verstanden, fügen sich auch die Entschuldigungsgründe nahtlos in die Systemkategorie Schuld ein.701 Damit ist der Schluss Maurachs von der Methode auf den Inhalt alles andere als zwingend. Er erweist sich, nimmt man den Wortlaut des § 35 StGB sowie die Gesetzesmaterialien hinzu702, gar als fernliegend. Mit Blick auf § 33 StGB, der von Maurach gleichsam der Stufe der Tatverantwortung zugeschlagen wird, kann jedenfalls das Wortlautargument nicht herangezogen werden. Trotz der reichlich vage gehaltenen Rechtsfolge („so wird er nicht bestraft“) besteht indes weitgehende Einigkeit über die Eingruppierung als Entschuldigungsgrund.703 Die Einstufung als Grund ausgeschlossener Tatverantwortung überzeugt schon deshalb nicht, weil § 33 StGB – anders als § 35 StGB – in Ansehung der psychischen Konstitution des Täters jedenfalls eine teilweise Individualisierung vornimmt. Eine teilweise Individualisierung erfolgt deshalb, weil ein normalpsychologischer Affekt festgestellt sein muss, bevor die Überschreitung als „verständlich und verzeihlich“ 704 angesehen werden kann. Dass kein kompletter Verlust der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit gemeint ist, ergibt sich schon daraus, dass § 33 StGB ansonsten neben § 20 StGB keinen eigenständigen 700
Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 108. Prägnant dazu Schönke/Schröder-Lenckner, 25. Aufl. 1997, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 109. 702 Neben den nicht ganz widerspruchsfreien, aber letztlich wohl doch einer Eingruppierung in die Systemkategorie Schuld zuneigenden Ausführungen Horstkottes (vgl. erneut Horstkotte, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1841 f.) findet sich auch eine – unwidersprochene – Einlassung Drehers, wonach mit Blick auf den entschuldigenden Notstand an sich die Formulierung „Es wird ihm kein Schuldvorwurf gemacht“ angebracht sei. Diese sei als gesetzliche Formulierung jedoch ungeeignet (vgl. Dreher, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1852). Damit ist der Verzicht auf einen Schuldvorwurf in Bezug genommen, wodurch wiederum die generalisierende Methodik plausibel gemacht ist. 703 Dazu eingehend oben C.I.1. 704 LK-Zieschang, § 33 Rn. 37. 701
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Anwendungsbereich hätte.705 Ist das Vorliegen eines von § 33 StGB erfassten normalpsychologischen Affekts festgestellt, kommt es auf die Vorwerfbarkeit der Notwehrüberschreitung oder die Vermeidbarkeit der Affektzustände nicht an.706 Darin liegt wiederum für Maurach der maßgebliche Anknüpfungspunkt, den „besonders sensibel scheinenden“ 707 Notwehrexzess gleichsam als Grund ausgeschlossener Tatverantwortung anzusehen: „(. . .) liegen seine Voraussetzungen vor, so darf der Richter nicht innerhalb der als Bestürzung, Furcht oder Schrecken zu bewertenden seelischen Verfassung unterscheiden, ob der Handelnde fähig war, zu erwägen, welche Maßnahmen zur Abwehr erforderlich waren und welche darüber hinausgingen (. . .).“ 708 Die insoweit fehlende Individualisierung soll also, ebenso wie beim entschuldigenden Notstand, zu einer Herauslösung aus der Schuld führen. Überzeugt dies aber bereits im Hinblick auf den auf jegliche Individualisierung verzichtenden entschuldigenden Notstand nicht, so kann dem im Hinblick auf den jedenfalls teilweise individualisierenden Notwehrexzess erst recht nicht gefolgt werden. Maurachs Schluss von der Methodik auf den Inhalt überzeugt daher weder hinsichtlich § 35 StGB noch hinsichtlich § 33 StGB. Für den – hier als existierend vorausgesetzten – übergesetzlichen entschuldigenden Notstand gilt Entsprechendes. Die Kategorie der Tatverantwortung ist damit abzulehnen. dd) Lösung der Konfliktlagen nach Maurach Zu untersuchen bleibt, welche Ergebnisse die – hier abgelehnte – Kategorie der Tatverantwortung in den eingangs präsentierten Konfliktlagen709 nach sich zöge. Die Auswertung gestaltet sich insoweit nicht allzu komplex: Liegen die Voraussetzungen eines sog. Entschuldigungsgrundes vor, ist bereits die Tatverantwortung ausgeschlossen, da der in die Konfliktsituation geworfene Täter gerade nicht entgegen gesellschaftlicher Erwartung agiert hat. Teilnahme setzt wiederum verantwortliches Tun des Haupttäters voraus, weshalb die Teilnahme an
705 Albrecht, GA 2013, 369, 371; NK-Kindhäuser, § 33 Rn. 5; Rosenau, FS-Beulke, S. 225, 229; SK-Rogall, § 33 Rn. 2 mit Fn. 22. 706 Vgl. dazu Horstkotte, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1816 f., der einer entsprechenden Vorwerfbarkeitsprüfung, wie sie noch im E 62 vorgesehen war, eine klare Absage erteilt: „Durch eine solche Prüfung würde der Richter überfordert werden. Er müßte nicht nur prüfen, ob Verwirrung, Furcht oder Schrecken beim Täter vorgelegen hat, sondern er müßte darüber hinaus prüfen, ob das in diesem Affekt begangene Tun speziell vorwerfbar gewesen. (. . .) Deshalb soll (. . .) der Affekt, sofern er vorliegt, ein ausreichendes und – wenn man so will – unwiderlegliches Indiz dafür sein, daß dem Täter die richtige Motivation außerordentlich erschwert gewesen ist.“ 707 Maurach, Schuld und Verantwortung, 1948, S. 43 Fn. 46. 708 Maurach, Schuld und Verantwortung, 1948, S. 43 Fn. 46. 709 C.II.
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entschuldigter Tat ausgeschlossen ist. Anzumerken ist, dass grundsätzlich auch der übergesetzliche entschuldigende Notstand als Grund ausgeschlossener Tatverantwortung eingeordnet werden soll.710 Sind also entschuldigender Notstand, Notwehrexzess und übergesetzlicher entschuldigender Notstand der Systemkategorie der Tatverantwortung zuzuschlagen und ist Teilnahme nur an mit Tatverantwortung begangener Tat möglich, scheidet eine strafbewehrte Teilnahme in allen der hier geschilderten Fälle aus. Hinsichtlich des (übergesetzlichen) Notstands erfolgt weder eine Differenzierung nach Gefahrengemeinschaften noch nach der Nähe des Teilnehmers zur kritischen Situation. Erst recht werden nicht die Beweggründe des Teilnehmers untersucht. Mit der Anerkennung der Tatverantwortung als der Schuld (im engeren Sinne) vorgelagerte Wertungsstufe ist die Teilnahme an „entschuldigter“ Tat pauschal ausgeschlossen. b) Die Lehre vom rechtsfreien Raum Eine Auseinandersetzung mit der rechtlichen Bewertung von Rettungshandlungen im Rahmen existentieller Bedrohungssituationen geriete unvollständig, sparte sie die sog. Lehre vom rechtsfreien Raum aus. Dieser heutzutage in der Hauptsache mit der Person Arthur Kaufmanns verbundene Ansatz findet regelmäßig Erwähnung, sobald die Bewältigung tragischer Konfliktsituationen (im weiteren Sinne) in Rede steht.711 Dabei sei gleich zu Anfang betont, dass im Zusammenhang mit dem (Sammel-) Begriff des rechtsfreien Raumes zahlreiche Problemfelder aus dem Allgemeinen Teil des Strafrechts diskutiert werden, beginnend beim Umgang mit „sozialadäquaten“ Handlungen712, sich fortsetzend bei der Bewertung von Fällen der Pflichtenkollision713, kulminierend in der Auseinandersetzung um den strafrechtlichen Umgang mit „klassischen“ – außerhalb des Anwendungsbereichs der echten Pflichtenkollision liegenden – (Lebens-)Dilemma-Situationen.714 Letztge710
Maurach/Zipf, AT 1, § 33 Rn. 21. Vgl. etwa Fischer, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 11a; Jäger, ZStW 115 (2003), S. 765, 782 f.; Jakobs, AT, 13/3; NK-Paeffgen/Zabel, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 293 mit Fn. 1459; Otto, AT, § 8 Rn. 202; Roxin, AT I, § 16 Rn. 41 i.V. m. § 14 Rn. 26 ff.; Stübinger, Notwehr-Folter und Notstands-Tötung, 2015, S. 356 ff.; ders., ZStW 123 (2011), S. 403, 428 ff. 712 Zu diesen unter dem Gesichtspunkt des rechtsfreien Raumes etwa Schild, JA 1978, 631, 632. 713 Fischer, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 11a; Otto, AT, § 8 Rn. 202; Schild, JA 1978, 631, 635; vgl. ferner Dingeldey, Jura 1979, 478 ff., der unter den Begriff der „Pflichtenkollision“ nicht nur die Kollision gleichwertiger Handlungspflichten (bzw. Unterlassungspflichten; dazu unten F.V.2.a)bb)), sondern auch die Kollision von Handlungs- und Unterlassungspflichten fasst (479). 714 Jäger, ZStW 115 (2003), S. 765, 782 f.; Jakobs, AT, 13/3; NK-Paeffgen/Zabel, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 293 mit Fn. 1459; Roxin, AT I, § 16 Rn. 41 (i.V. m. § 14 Rn. 26 ff.); Schild, JA 1978, 631, 633 f.; Stübinger, ZStW 123 (2011), S. 403, 428 ff. 711
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nanntes Problemfeld steht im Zentrum der hiesigen Untersuchung, weshalb eine Auseinandersetzung primär mit Blick auf Situationen des Lebensnotstandes erfolgen soll. aa) Zum Inhalt der Lehre Der Lehre vom rechtsfreien Raum liegt die Annahme zugrunde, dass die Rechtsordnung in bestimmten Grenzsituationen auf keinen „rational einsichtigen, allgemeinverbindlichen Entscheidungsmaßstab“ zurückgreifen könne, weshalb sie sich einer Wertung enthalte und Platz lasse für die „freie Gewissensentscheidung“ 715. Der Versuch einer Regelung entsprechender Grenzsituationen müsse notwendig „irrationale[n], wissenschaftlich unausgewiesene[n] Kriterien“ folgen, sodass die freie Gewissensentscheidung, welche die Berücksichtigung unterschiedlicher Moralauffassungen ermögliche, vorzuziehen sei.716 Dies gebiete auch das Verständnis der Normunterworfenen als „mündige Bürger“ im Rahmen einer „freiheitlichen und toleranten Rechtsordnung“ 717. Kaufmann charakterisiert die dem rechtsfreien Raum unterfallenden Verhaltensweisen – in Anknüpfung an Binding – als „unverboten“.718 Dieser Terminus sei zwar „nicht ganz unmißverständlich“, bringe aber doch „recht gut zum Ausdruck (. . .), daß lediglich von einer negativen Wertung abgesehen wird, ohne damit jedoch eine positive Wertung zu verbinden“ 719. Aus dieser Formulierung lässt sich bereits ersehen, dass für Kaufmann „das Problem in den Unrechtsbereich gehört“ 720, womit ein erheblicher Unterschied zu der – oben besprochenen – Lehre von der Tatverantwortung ausgemacht ist, welche das (generalisierende) Urteil über die Missbilligung des Täters (Tatverantwortung) außerhalb des Unrechts verortet. Erfasst werden sollen nach Kaufmann „diejenigen (. . .) Konfliktsfälle, in denen gleichwertige oder rational nicht bewertbare Güter bzw. Pflichten miteinander kollidieren“ 721. Da Kaufmann die Richtigkeit seiner Konzeption überwiegend in Auseinandersetzung mit der Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs (§ 218a StGB722) 715
Jeweils Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 330; identisch Kaufmann, JuS 1978, 361,
366. 716
Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 338. Jeweils Kaufmann, JuS 1978, 361, 366; zur Bedeutung der Toleranz in einer pluralistischen Gesellschaft vgl. ferner ders., Rechtsphilosophie, S. 233 f. 718 Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 334 f. u. 336 f. 719 Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 334 f. 720 Kaufmann, JZ 1992, 981, 983. 721 Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 337. 722 Die in § 218a I StGB unter bestimmten Voraussetzungen angeordnete Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs ist nach wie vor Gegenstand kontroverser Auseinandersetzung. Diese betrifft – mittlerweile – weniger die (rechtspolitische) Frage nach der Geeignetheit der Fristenlösung mit Beratungspflicht denn die dogmatische Stimmigkeit des insbesondere vom Bundesverfassungsgericht angenommenen Tatbestandsausschlusses bei Fortbestehen der Rechtswidrigkeit (BVerfGE 88, 203, 273 ff.). Wenn nämlich „das von der Verfassung geforderte grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsab717
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zu erweisen sucht, finden sich bei ihm zumeist nur am Rande Verweise auf „klassische“ (Lebens-)Dilemma-Situationen. Aus diesen Verweisen lässt sich indes ersehen, dass Kaufmann offenbar sämtliche der auch hier behandelten Fallgestaltungen dem Bereich des „Unverbotenen“ zuschlagen würde. Explizit nennt er „Brett des Karneades, Mignonette-Fall, ,Euthanasie‘-Aktion Hitlers, (. . .) Weichensteller-Fall, (. . .) Bergsteiger-Fall, Selektions-Fälle“ 723. Damit sind in Bezug genommen Gefahrengemeinschaften mit gleichmäßiger Chancenverteilung (Karneades; Euthanasie-Fälle724), Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung (Mignonette; Bergsteiger-Fall725) sowie Fälle fehlender Gefahrengemeinschaft (Weichensteller-Fall). Entscheidend ist offenbar allein die Kollision gleichwertiger Güter.726 Dass dadurch der Anwendungsbereich des § 35 StGB erheblich eingeschränkt wird, wird an anderer Stelle darzulegen sein.727 bb) Konkretisierende und verwandte Konzeptionen Wenngleich, wie angedeutet, Arthur Kaufmann in der gegenwärtigen Rezeption als prominentester Vertreter der Lehre vom rechtsfreien Raum gelten kann, existieren weitere Autoren, die der Lehre jedenfalls insoweit nachfolgen, als sie deren Inhalte bei der Entwicklung eigener verbrechenssystematischer Konzeptionen fruchtbar machen. Zunächst ist hier Schild zu nennen, der die „Schwierigkeit, den rechtsfreien Raum im rechtlichen Begriffskleid der Strafrechtsdogmatik unterzubringen“, im Wege der Differenzierung „zwischen ,Rechtfertigungsgründen‘ und ,bloßen (einfachen) Unrechtsausschließungsgründen‘“ 728 auflösen möchte. Die die Inhalte des rechtsfreien Raumes abbildenden Unrechtsausschließungsgründe, die nach den Rechtfertigungsgründen zu prüfen seien, zeichneten
bruchs“ (BVerfGE 88, 203, 274) aufrecht erhalten werden soll, zugleich aber „sichergestellt sein [muss], daß gegen das Handeln der Frau und des Arztes von Dritten Nothilfe zugunsten des Ungeborenen nicht geleistet werden kann“ (BVerfGE 88, 203, 279), stellt sich die Frage, wie die Nichterfassung eines grundsätzlich rechtswidrigen Verhaltens durch die Vorschrift des § 32 StGB begründet werden kann (eingehend MK-Gropp, § 218a Rn. 3 ff.; Schönke/Schröder-Eser/Weißer, § 218a Rn. 12 ff.). Zur Haltung Kaufmanns hinsichtlich einer möglichen Nothilfe zugunsten des ungeborenen Lebens unten C.V.3.b)dd)(3). 723 Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 338 f.; explizit zum Karneades-Fall ders., JZ 1992, 981, 983; ders., Rechtsphilosophie, S. 228. 724 Zur (umstrittenen) Frage, welche Form der Gefahrengemeinschaft in den sog. Euthanasie-Fällen vorlag, vgl. bereits oben B.III.3.b)aa). 725 Sofern Kaufmann Bezug nimmt auf diejenige Variante des Falles, in welcher der abgestürzte Bergsteiger ohnehin nicht mehr zu retten ist. 726 Die Kollision gleichwertiger Pflichten, die von Kaufmann gleichfalls über die Figur des „Unverbotenen“ gelöst wird, wirkt richtigerweise – in Gestalt der Pflichtenkollision – rechtfertigend. 727 Dazu unten C.V.3.b)dd)(3). 728 Jeweils Schild, JA 1978, 631, 632.
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sich dadurch aus, dass ein ihnen unterfallendes Verhalten weder als rechtmäßig noch als rechtswidrig zu qualifizieren sei.729 Namentlich sei ein Unrechtsausschluss in Fällen des (deutlichen) zahlenmäßigen Überwiegens aufseiten des Erhaltungsgutes (Weichensteller-Fall), in Fällen der Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung (Bergsteiger-Fall) sowie – allgemein – beim Handeln in Erfüllung einer Rettungspflicht anzunehmen.730 Eine Verwandtschaft zur Lehre vom rechtsfreien Raum weist auch die von Hans-Ludwig Günther vertretene Konzeption von den „Strafunrechtsausschließungsgründen“ auf. Die Strafunrechtsausschließungsgründe greifen laut Günther ein, „wenn auf strafrechtliche Mißbilligung des Verhaltens verzichtet werden und der Strafrechtsschutz für das betroffene Rechtsgut entfallen soll“ 731. Auf die Einordnung eines Verhaltens als rechtmäßig – etwa in Folge des Eingreifens eines Erlaubnissatzes – komme es dabei nicht zwingend an.732 Ob ein Strafunrechtsausschluss zu erfolgen habe, bestimme sich infolge „einer Abwägung zwischen dem Interesse des geschädigten Opfers und der Allgemeinheit auf strafrechtlichen Schutz einerseits, dem Interesse des Täters und der Allgemeinheit auf Schutz vor dem Strafrecht andererseits“ 733. Dieser Maßstab führt bei Günther dazu, dass insbesondere in Fällen der „notstandsähnlichen Lage“ ein Strafunrechtsausschluss zu bejahen sein soll.734 Konkretisierend werden – für den Bereich des Kollidierens von Handlungs- und Unterlassungspflichten – das Beispiel der Herz-Lungen-Maschine735, die NS-Euthanasie-Fälle736 sowie der Weichensteller-Fall737 herangezogen.738 In all diesen Fällen sei „Strafunrechtsausschluß zu bejahen, eine strafrechtliche Verhaltensmißbilligung also unangebracht“ 739. Gleiches gelte für den Bergsteiger, der das Seil zu seinem Kameraden kappt, um nicht von diesem mit in die Tiefe gezogen zu werden. Die „notstandsähnliche Lage“ sei hier auf den Gesichtspunkt des Defensivnotstandes zurückzuführen, gehe doch die Gefahr vom Eingriffsadressaten selbst aus.740 Interessanterweise klammert Günther explizit Fallgestaltungen aus, „in denen für Täter wie Opfer dauerhafte Überlebenschancen auf Kosten des jeweils anderen bestehen“ und 729
Schild, JA 1978, 631, 633. Schild, JA 1978, 631 ff. 731 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 255. 732 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 255. 733 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 255. 734 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 326 ff. 735 Vgl. zu diesem oben B.III.3.c) mit Fn. 421. 736 Vgl. zu diesen oben B.III.3.a). 737 Zum „ursprünglichen“ Weichensteller-Fall oben B.III.3.; vgl. ferner die Abwandlungen oben C.II.1.b)bb) sowie C.II.2.b). 738 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 333. 739 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 335. 740 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 345 f. 730
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nennt das Beispiel eines Rettungsbootes, auf dem sich mehr Personen befinden, als es zu tragen vermag, weshalb einige „Schwächere“ von den „Stärkeren“ über Bord geworfen werden.741 Es stehe außer Streit, „daß die Tötung unter Beeinträchtigung fremder Überlebenschancen rechtlich zu mißbilligen ist“ 742. Dass just diese Konstellation, wie sie sich etwa auch im Karneades- sowie im BallonFall wiederfindet, unstreitig missbilligenswert sein soll, könnte man zunächst damit erklären, dass die Rettungschancen gleichmäßig verteilt sind. Dies ist jedenfalls im Herz-Lungen-Maschinen-Beispiel sowie im Bergsteiger-Fall, die Günther beide unter dem Gesichtspunkt des Strafunrechtsausschlusses lösen möchte, nicht der Fall (ungleichmäßige Verteilung der Rettungschancen). In den EuthanasieFällen, denen laut Günther ebenfalls keine strafrechtliche Verhaltensmissbilligung nachfolgen soll, ist indes – wie im Rettungsboot-Fall – von einer gleichmäßigen Chancenverteilung auszugehen743, sodass der Grund für die Ungleichbehandlung jedenfalls nicht offensichtlich ist. Ggf. liegt er darin, dass in den Euthanasie-Fällen Außenstehende tätig wurden, während im Rettungsboot-Fall selbst gefährdete Personen handeln. Weshalb sollte aber der um das eigene Leben Kämpfende eine Verhaltensmissbilligung verdient haben, während dies für den Außenstehenden nicht gilt? Wenig einleuchtend erscheint dies auch vor dem Hintergrund, dass der Rechtsgüterschutz der eingangs ungefährdeten Gleisarbeiter im Weichensteller-Fall zurückgenommen werden soll. Immerhin sieht sich der – außenstehende – Weichensteller keiner Form der Gefahrengemeinschaft gegenüber, sondern schafft durch sein Eingreifen eine gänzlich neue Gefahr. Ihm gegenüber auf eine Verhaltensmissbilligung zu verzichten, während dem selbst existentiell Gefährdeten eine solche „Wohltat“ versagt bleibt, sofern er sich in einer Gefahrengemeinschaft mit gleichmäßiger Chancenverteilung befindet, leuchtet nicht recht ein. Dass Günthers Konzeption deutlich konkreter wird als die Lehre vom rechtsfreien Raum und sich insbesondere durch die Systematisierung unterschiedlicher Fallgruppen auszeichnet, soll nicht in Abrede gestellt werden. So verwundert es nicht, dass Günther selbst zwar eine teilweise Übereinstimmung mit der Lehre vom rechtsfreien Raum einräumt744, ihr jedoch zugleich entgegenhält, zu weit gefasst zu sein und rechtstheoretisch widersprüchlich zu argumentieren.745
741 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 345 mit Fn. 101. 742 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 345 mit Fn. 101. 743 Dazu B.III.3.b)aa). 744 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 263. 745 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 263 f.
V. Abweichende Lösungsansätze
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cc) Auswirkungen auf die Teilnahme Von besonderem Interesse für die gegenständliche Untersuchung sind naturgemäß die Auswirkungen der Lehre vom rechtsfreien Raum auf etwaige Teilnehmerstrafbarkeiten. Nach Kaufmann bleibt die Teilnahme an einer „unverbotenen“ Handlung straflos.746 Es fehle am – aus Akzessorietätsgesichtspunkten notwendigen – Handlungsunwert der „unverbotenen“ Tat.747 Auch für Schild, der sich mit seinen Unrechtsausschließungsgründen sehr nah an den von Kaufmann protegierten „unverbotenen“ Handlungen bewegt, ist die Teilnahme an der Tat eines einen allgemeinen Unrechtsausschließungsgrund beanspruchenden Täters ausgeschlossen.748 Das Verlangen nach einer „rechtswidrigen“ Haupttat in den §§ 26, 27 StGB stehe dem nicht entgegen, da der Begriff „im Zusammenhang dieser Bestimmungen interpretiert“ 749 werden müsse. Da die Unrechtsausschließungsgründe nicht an die (individuelle) Disposition des Handelnden anknüpften, sondern „in allgemeiner Weise“ unrechtsausschließend wirkten, fehle es an einer rechtswidrigen Haupttat i. S. d. §§ 26, 27 StGB.750 Zum gleichen Ergebnis gelangt Günther, der dies auf zwei Erwägungen stützt: Zunächst müsse man sehen, dass „rechtswidrig“ nach Maßgabe des § 11 I Nr. 5 StGB im Sinne des Straftatmerkmals „Rechtswidrigkeit“ der Haupttat zu verstehen sei. Wenn die Rechtswidrigkeit – was Günther freilich voraussetzt – konkretisierend als „Strafrechtswidrigkeit“ zu verstehen ist und dieser eben auch die sog. (echten) Strafunrechtsausschließungsgründe unterfallen, fehlt es bei Eingreifen eines Strafunrechtsausschließungsgrundes an einer (straf-)rechtswidrigen Tat.751 Zudem verweist Günther auf den Strafgrund der Teilnahme. Sofern man diesen zumindest auch in dem Hervorrufen bzw. Fördern fremden Unrechts sehe, bestehe eine Abhängigkeit des Teilnahmeunrechts vom Unrechtsgehalt der Haupttat. Fehle es infolge des Eingreifens eines Strafunrechtsausschließungsgrundes am Unrecht der Haupttat, sei zugleich einer Teilnehmerhaftung der Boden entzogen.752
746 Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 342; vgl. auch ders., JZ 1992, 981, 985, wonach „Komplikationen mit anderen dogmatischen Fragen“, zu denen Kaufmann auch die Teilnahme zählt, nicht aufträten, „da das ,Unverbotene‘ insofern im Zweifel wie das Rechtmäßige zu behandeln“ sei. 747 Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 342. 748 Schild, JA 1978, 631, 636. 749 Schild, JA 1978, 631, 636. 750 Schild, JA 1978, 631, 636. 751 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 390. 752 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 390 f.
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
dd) Kritische Würdigung Dass die – mittlerweile kaum mehr geführte – Debatte um die Anerkennung bzw. Notwendigkeit eines „rechtsfreien Raumes“ mitunter auch rechtspolitische Züge trägt, ist offensichtlich, wenn man sich nur den Vorwurf Kaufmanns vergegenwärtigt, die Idee einer wertungsfreien Sphäre widerspreche dem „alte[n] Untertanengeist von Bürgern, die nicht die sittliche Entscheidung in die eigene Verantwortung nehmen wollen“ 753. Kaufmann sieht darin gar ein Charakteristikum „deutsche[r] Mentalität“ 754. Hirsch, ein Gegner der Lehre vom rechtsfreien Raum, moniert dagegen – mit Blick auf das von Kaufmann immer wieder herangezogene Beispiel des Schwangerschaftsabbruchs –, der Gesetzgeber könne sich „aus den sozialethischen Auseinandersetzungen nicht dadurch heraushalten, daß er den Rahmen der umfaßten Fälle von vornherein so weit steckt, daß jede Meinungsrichtung das erhält, was sie an Eingriffsbefugnis begehrt“ 755. Insoweit stehen sich schon recht unterschiedliche Grundhaltungen betreffend den Umfang des gesetzgeberischen Regelungs- und Wertungsauftrags gegenüber, deren Überzeugungskraft im Rahmen dieser Untersuchung nicht weiter nachgespürt werden soll. Bei der Auseinandersetzung um die Anerkennung eines „rechtsfreien Raumes“ – welcher Ausprägung auch immer – stehen ohnehin logische, rechtstheoretische sowie dogmatische Gesichtspunkte im Vordergrund. (1) Logik Unter dem Gesichtspunkt der Logik756 ergibt sich die Frage, ob der „rechtsfreie Raum“, der zur Einordnung eines Verhaltens als „unverboten“ führt, neben dem Gegensatzpaar „rechtswidrig – rechtmäßig“ existieren kann. So liegt die Überlegung nahe, dass das Gegensatzpaar andere Einstufungsmöglichkeiten ausschließt, weil es ein kontradiktorisches Verhältnis abbildet. Dass dabei noch Raum für ein Drittes bleibt, liegt jedenfalls nicht auf der Hand.757 753
Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 331; identisch ders., JuS 1978, 361, 366. Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 331; identisch ders., JuS 1978, 361, 366; vgl. ferner ders., JZ 1992, 981, 984 mit Fn. 18: „Die Ablehnung der Kategorie ,unverboten‘ entspringt der typisch deutschen Illiberalität und Intoleranz, alles und jedes reglementieren zu müssen (. . .)“. 755 Hirsch, FS-Bockelmann, S. 89, 101. 756 Der Begriff der „Logik“ bezeichnet sowohl die Folgerichtigkeit des Denkens als auch die Lehre von dieser; vgl. dazu die Hinweise im Duden – Die deutsche Rechtschreibung, 27. Aufl. 2017. 757 Eine dritte Option daher ausschließend Gimbernat Ordeig, FS-Welzel, S. 485, 495; Horn, Untersuchungen zur Struktur der Rechtswidrigkeit, 1962, S. 24; Maurach/ Zipf, AT 1, § 24 Rn. 18 f.; Sauer, Grundlagen des Strafrechts, 1921, S. 236; zweifelnd auch v. Weber, Das Notstandsproblem und seine Lösung in den deutschen Strafgesetzentwürfen von 1919 und 1925, 1925, S. 3. 754
V. Abweichende Lösungsansätze
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Indes steht und fällt die Frage der logischen Konstruierbarkeit mit dem zugrunde gelegten Verständnis der „Rechtmäßigkeit“. Hirsch weist zutreffend darauf hin, dass bei einem Verständnis von „rechtmäßig“ dahingehend, dass etwas „nicht rechtswidrig“ ist, offen bleibt, weshalb es an der Rechtswidrigkeit fehlt. In Betracht kommt das Eingreifen eines Erlaubnissatzes wie auch das Fehlen jeglicher Regelung.758 Daneben könnte „rechtmäßig“ auf das ausnahmsweise Eingreifen eines Unrechtsausschließungsgrundes beschränkt sein, wodurch eine Verengung auf den rechtlich geregelten Bereich erfolgt, ohne dass damit etwas über die Existenz eines „rechtsfreien Raumes“ gesagt wäre.759 Im Sinne der zuletzt genannten Deutungsmöglichkeit argumentiert auch Kaufmann, wenn er festhält, dass die Einordnung eines Verhaltens als entweder rechtmäßig oder rechtswidrig nur dann unausweichlich sei, wenn das Verhalten überhaupt Gegenstand rechtlicher Regelung ist.760 Nur wenn man „rechtmäßig“ dahingehend versteht, dass eine rechtliche Erlaubnis für das in Rede stehende Verhalten besteht, um – zugleich – alle anderen Verhaltensweisen dem Bereich der „Rechtswidrigkeit“ zuzuschlagen, führt kein Weg daran vorbei, die (logische) Möglichkeit eines „rechtsfreien Raumes“ zu leugnen.761 Dargetan wurde damit, dass das Begriffsverständnis darüber entscheidet, ob ein „rechtsfreier Raum“ – mit seiner Konkretisierung als „unverbotenes“ Verhalten – den Regeln logischer Betrachtung zuwiderläuft oder nicht. Besinnt man sich darauf zurück, dass vielerlei Verhaltensweisen von vornherein nicht Gegenstand abstrakter Normen sind, sondern ständig stattfinden, ohne dass jemand daran Anstoß nimmt, fällt es schwer, mit Blick auf diese Verhaltensweisen von der Notwendigkeit einer rechtlichen Erlaubnis auszugehen, wie es aber Folge des zuletzt dargetanen Begriffsverständnisses wäre. Dass Voraussetzung rechtswidrigen Verhaltens dagegen immer die Erfassung des in Rede stehenden Verhaltens durch eine (abstrakte) Regelung ist, „ist eigentlich selbstverständlich“ 762. Ob man dieser Erkenntnis dadurch Rechnung trägt, dass man „rechtmäßig“ im Sinne von „nicht rechtswidrig“ begreift und letzteres u. a. beim Fehlen jeglicher Regelung annimmt763 oder ob man nicht geregeltes Verhalten von vornherein aus dem Kategoriendenken („rechtmäßig-rechtswidrig“) ausklammert764, ist nicht entscheidend mit Blick auf den Befund:
758
Hirsch, FS-Bockelmann, S. 89, 95. Hirsch, FS-Bockelmann, S. 89, 95. 760 Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 334; insoweit zustimmend Roxin, AT I, § 14 Rn. 27. 761 Dazu wiederum Hirsch, FS-Bockelmann, S. 89, 95. 762 Hirsch, FS-Bockelmann, S. 89, 96. 763 Hirsch, FS-Bockelmann, S. 89, 95 f. 764 Vgl. wiederum Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 334; Roxin, AT I, § 14 Rn. 27. 759
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
Die Lehre vom „rechtsfreien“ Raum widerspricht grundsätzlich nicht den Anforderungen logischen Denkens. Damit ist freilich noch nichts darüber gesagt, ob ihre Anwendung auf „diejenigen (. . .) Konfliktsfälle, in denen gleichwertige oder rational nicht bewertbare Güter bzw. Pflichten miteinander kollidieren“ 765, Bestand haben kann. (2) Rechtstheorie Begreift man die Rechtstheorie als den „Versuch, das Recht als solches und das jeweilige Rechtssystem in seinen realen Funktionsabläufen zu erkennen und zu beschreiben“ 766, stellt sich die Frage, ob sich die Lösung tragischer Konfliktfälle über die Sphäre des „Unverbotenen“ nahtlos in die ausgemachten Funktionsabläufe, die ihrerseits abhängig sind von „Grundbegriffe[n] und Grundstrukturen des Rechts“ 767, einfügt. Dabei sind zwei mögliche Friktionen, die in der Argumentation nur allzu leicht vermengt werden, voneinander zu trennen: Zunächst ist da die Frage, ob ein Verhalten, welches dem Tatbestand eines Strafgesetzes unterfällt (hier: die Tötung eines anderen Menschen), dem „rechtsfreien Raum“ zugewiesen werden kann, um es anschließend als „unverboten“ zu deklarieren. So liegt in der grundsätzlichen Pönalisierung ja eine recht eindeutige Verortung durch den Gesetzgeber: Das Verhalten ist bei Strafe untersagt, ist also – im Ausgangspunkt – mit einem klaren Negativurteil belegt.768 Darin liegt gerade der Unterschied zu einem „vortatbestandlichen“ Verhalten, das schon nicht Gegenstand eigener Regelung ist, weshalb man es, sofern man darin einen Gewinn sieht, in den „rechtsfreien Raum“ verschieben kann.769 Das tatbestandlich erfasste Verhalten wird von der Rechtsordnung dagegen sehr wohl in den Blick genommen, was sich mit der eingeforderten Wertungsfreiheit schwerlich verträgt. Mit der in Anspruch genommenen Wertungsfreiheit ist denn auch schon die zweite – rechtstheoretische – Schwierigkeit benannt. Wenn mit der auf Unrechts765
Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 337. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 21. 767 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 21. 768 So auch Archangelskij, Das Problem des Lebensnotstands am Beispiel des Abschusses eines von Terroristen entführten Flugzeugs, 2005, S. 24; B/W/M/E-Mitsch, § 14 Rn. 11; Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 128; Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 264; Mitsch, FS-Weber, S. 49, 57 f.; Roxin, AT I, § 14 Rn. 29; Schünemann, in: Neumann/Hassemer/Schroth, Verantwortetes Recht. Die Rechtsphilosophie Arthur Kaufmanns, 2005, S. 145, 150; vgl. auch Hirsch, FSBockelmann, S. 89, 107, nach dem es „allen rechtlichen Maßstäben“ widerspreche, „daß vorsätzliche Tötungen fremden Lebens sich im rechtsfreien Raum abspielen und damit auf eine Stufe mit Spazierengehen und rechtlich irrelevanten Handlungsweisen gestellt werden können“. 769 Dies ist auch unter logischen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden, vgl. oben C.V.3.b)cc)(1). 766
V. Abweichende Lösungsansätze
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ebene angesiedelten Kategorie des „Unverbotenen“ zum Ausdruck gebracht wird, „daß lediglich von einer negativen Wertung abgesehen wird, ohne damit jedoch eine positive Wertung zu verbinden“ 770, ergibt sich die Frage, ob sich nicht auch dahinter in Wahrheit eine Wertung verbirgt. Wenn nämlich ein Verhalten – trotz grundsätzlicher rechtlicher Missbilligung – „unverboten“ sein bzw. einem „Unrechtsausschließungsgrund“ 771 unterfallen soll, muss eine (Neu-)Bewertung – „von der Rechtswidrigkeit zum ,Unverbotensein‘“ 772 – stattgefunden haben. Damit ist aber eine rechtliche Wertung getroffenen, sodass sich auch insoweit eine Unstimmigkeit ergibt.773 (3) Dogmatik Nachdem sich die Konzeption des rechtsfreien Raumes schon unter rechtstheoretischen Gesichtspunkten als angreifbar erwiesen hat, sind die Auswirkungen der Lehre auf die Strafrechtsdogmatik in den Blick zu nehmen. So darf schon im Ausgangspunkt nicht übersehen werden, dass die Einordnung eines Verhaltens als „unverboten“ in Situationen, in denen zur Erhaltung eigenen oder fremden Lebens getötet wird, das Postulat von der Unabwägbarkeit menschlichen Lebens in neuem Licht erscheinen lässt. In jedem Falle fehlt es nämlich an einer ausdrücklichen Missbilligung des (lebensbeendenden) Verhaltens in Gestalt eines Unrechtsurteils.774 Nun kann man auch der Auffassung sein, das Unrechtsurteil sei ohnehin nicht in allen denkbaren Konstellationen der Rettungstötung angemessen. Mit besonderer Vehemenz wird dies mit Blick auf Gefahrengemeinschaften mit einseitiger Chancenverteilung postuliert.775 Wenn man dagegen – wie hier – die Auffassung vertritt, dass es mit Blick auf die Entscheidung für das eine und gegen das andere Leben an tauglichen Differenzierungskriterien fehlt,776 muss man sich mit der Lehre vom rechtsfreien Raum notwendigerweise schwer tun. Denn wer das Fehlen jeglichen Differenzierungskriteriums durch die Annahme eines pauschalen Unrechtsausschlusses zu überwinden sucht, bewirkt damit eine – partielle – Rücknahme des Lebensschutzes. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Wertneutralität des eigenen Ansatzes betont wird: Wenn 770
Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 334 f. So die Konkretisierung bei Schild, s. o. C.V.3.b)bb). 772 Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, 1965, S. 21. 773 Vgl. auch Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 264; Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, 1965, S. 21 ff.; Otte, Der durch Menschen ausgelöste Defensivnotstand, 1998, S. 148 f.; Roxin, AT I, § 14 Rn. 29; Schönke/ Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 8. 774 Treffend auch Jerouschek, FS-Schreiber, S. 185, 195, nach dem „die Lehre vom ,rechtsfreien Raum‘ in bestimmten Konfliktlagen auf die Statuierung eines Tötungsverbotes [verzichtet]“. 775 Dazu oben B.III.3.b)bb)(2). 776 Siehe oben B.III.3.b)bb)(3). 771
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
ein lebensvernichtendes Handeln in Situationen des Lebensnotstandes kein Unrecht darstellen soll, wird die Position der auf der Eingriffsseite stehenden Leben ohne Zweifel verschlechtert. Welchen Grund es für die insoweit auszumachende Rücknahme des Lebensschutzes geben soll, erhellt auch die Lehre vom rechtsfreien Raum nicht. Die Rücknahme des Lebensschutzes bereitet offenbar auch einigen Befürwortern der Lehre vom rechtsfreien Raum Kopfschmerzen, wenn trotz Unrechtsausschlusses das Notwehrrecht der vom Eingriff Betroffenen erhalten bleiben soll.777 Die Notwehr setzt ihrerseits expressis verbis einen „rechtswidrigen“ Angriff voraus. Der „unverbotenen“ Handlung fehlt es jedoch an dieser „negativen Wertung“ 778, sodass ein Notwehrrecht des Betroffenen schwerlich konstruierbar ist.779 Zur Lösung dieses Dilemmas werden nun von den Anhängern der Lehre vom rechtsfreien Raum zwei Lösungswege angeboten. Einmal wird vorgetragen, „rechtswidrig“ i. S. d. § 32 StGB bedeute einzig, dass der Angreifer „ohne Eingriffsrecht“ handle. Da eine unverbotene bzw. einem „Unrechtsausschließungsgrund“ unterfallende Handlung (im Gegensatz zu echten Erlaubnissätzen) kein Eingriffsrecht statuiere, bleibe es bei einem rechtswidrigen Angriff und damit dem (Fort-)Bestehen eines Notwehrrechts.780 Allerdings geht diese Betrachtung an der ratio des „schneidigen“ Notwehrrechts vorbei: Verteidigt werden nicht nur (Individual-)Rechtsgüter, sondern auch die Rechtsordnung als Ganzes.781 Wenn dem aber so ist, leuchtet nicht ein, weshalb die Rechtsordnung gegen ein „ungewertetes“ Verhalten, das nicht ge-, aber auch nicht missbilligt wird, verteidigt werden muss.782 Ein anderer Vorschlag geht dahin, auch eine etwaige (Abwehr-) Reaktion auf die „unverbotene“ Rettungshandlung in den Bereich der – vermeintlichen – Wertungsfreiheit zu verweisen.783 Auf diese Weise soll die Notwehrpro777 Schild, JA 1978, 631, 636; vgl. ferner Binding, Handbuch des Strafrechts, Erster Band, 1885, S. 766, der, wie bereits gezeigt (oben C.IV.1.a)dd)), die Notstandsverletzung als „unverboten“ charakterisiert, zugleich aber davon ausgeht, dass „die Notwehr in vollem Umfange zulässig“ bleibt, wobei er die Nothilfe explizit ausnimmt. 778 Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 335. 779 Dies hervorhebend auch Hirsch, FS-Bockelmann, S. 89, 107; Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, 1965, S. 23; Roxin, AT I, § 14 Rn. 30. 780 So etwa Schild, JA 1978, 631, 636. 781 BGHSt 24, 356, 359; 48, 207, 212; Fischer, § 32 Rn. 2; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 32 Rn. 1; Kühl, AT, § 7 Rn. 6 ff.; Rengier, AT, § 18 Rn. 1; Roxin, AT I, § 15 Rn. 1; Schönke/Schröder-Perron/Eisele, § 32 Rn. 1 f.; S/S/W-Rosenau, § 32 Rn. 2; Wessels/ Beulke/Satzger, AT, Rn. 492. 782 In bemerkenswerter Klarheit zeigt diese (weitere) Unstimmigkeit Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, 1965, S. 23 ff., auf; zustimmend Archangelskij, Das Problem des Lebensnotstandes am Beispiel des Abschusses eines von Terroristen entführten Flugzeugs, 2005, S. 26; Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 130. 783 Vgl. Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 342: „So spricht manches dafür, daß das Recht auch insoweit auf eine Regelung verzichtet, denn es läßt sich eben nicht sagen, wer die moralisch und rechtlich besseren Gründe auf seiner Seite hat: derjenige, der einen Notstand beseitigen will, oder derjenige, der ihn daran zu hindern sucht.“
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blematik dahingehend entschärft werden, dass die Rechtsordnung sich auch insoweit einer eindeutigen Zuweisung enthält und wiederum einen Freiraum für die individuelle Überzeugung belässt. Diese Lösung entfaltet praktische Relevanz insbesondere mit Blick auf den Schwangerschaftsabbruch und ein mögliches Eingreifen von Abtreibungsgegnern. Diese könnten für sich ein Nothilferecht – zugunsten des ungeborenen Lebens – in Anspruch nehmen, welches seinerseits als „unverboten“ einzustufen wäre. Dann stünde man vor dem Resultat, dass sowohl die Eingriffshandlung (etwa des die Abtreibung vornehmenden Arztes) als auch die entsprechende Verhinderungshandlung (eines Abtreibungsgegners) „unverboten“ wären, sodass der Vorwurf, es entstehe ein rechtliches Chaos, in dem die größere Entschiedenheit und Durchschlagskraft die bestimmende Größe sei, nicht von der Hand zu weisen ist.784 Damit sei bezüglich des Schwangerschaftsabbruches nicht gesagt, dass die Notwehr-Problematik785 durch diejenigen Lösungsansätze, welche sich den Kategorien von Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit verpflichtet sehen, restlos überzeugend aufgelöst wird786. Ihnen ist aber zu attestieren, dass sie eine Lösung jenseits des „Rechts des Stärkeren“ suchen, was allemal überzeugender ist. Aus den vorstehenden Ausführungen ist zweierlei zu ersehen: Erstens bringt die Verlegung von notstandsbedingten Tötungshandlungen in den Bereich des „Unverbotenen“ eine partielle Rücknahme des Lebensschutzes mit sich, ohne dass mit Blick auf die betroffenen Leben taugliche Differenzierungskriterien dargetan würden. Zweitens sind die Versuche, entstehende Härten über eine Aufrechterhaltung des Notwehr- bzw. Nothilferechts abzufedern, nicht überzeugend, da sie die Struktur des Notwehrrechts ignorieren und so schon in sich unschlüssig sind oder aber eine Sphäre eröffnen, in denen die Stärke der Rechtsposition einzig von der (tatsächlichen) Entschiedenheit und Durchschlagskraft des Agierenden abhängt. Schließlich muss man sehen, dass die Konzeption Kaufmanns zu einer enormen Verengung des Anwendungsbereiches des § 35 StGB führt. Wenn nämlich die Kollision gleichwertiger bzw. rational nicht bewertbarer Güter in den Bereich des „Unverbotenen“ fällt, werden Konstellationen des Lebensnotstandes („Leben gegen Leben“) von vornherein aus dem Konglomerat Schuld herausgelöst. Dass 784 Hirsch, FS-Bockelmann, S. 89, 103; Otte, Der durch Menschen ausgelöste Defensivnotstand, 1998, S. 151 f.; Roxin, AT I, § 14 Rn. 30; das Entstehen eines rechtlichen Chaos’ als Argumentation auf „emotionale[r] Ebene“ abtuend Kaufmann, JZ 1992, 981, 984 mit Fn. 18. 785 Zu dieser schon oben C.V.3.b)aa) mit Fn. 722. 786 Populär ist eine Auffassung, nach der die gesetzgeberisch eröffnete Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs innerhalb einer bestimmten Frist sowie nach Inanspruchnahme einer Beratung zum Ausschluss des Nothilferechts unter dem Gesichtspunkt der Gebotenheit führt (vgl. etwa MK-Gropp, § 218a Rn. 12; Rengier, BT II, § 11 Rn. 25; Satzger, JuS 1997, 800, 803; Schönke/Schröder-Perron/Eisele, § 32 Rn. 19/20; ferner A/W/H/H-Hilgendorf, § 5 Rn. 48 mit Fn. 62).
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§ 35 StGB auf diese Konstellationen nicht zugeschnitten sei, begründet Kaufmann damit, dass die Vorschrift eine Verengung auf „rechtswidrige“ Taten vornehme, „unverbotenen“ Taten dieses Prädikat aber gerade nicht anhafte.787 Diese Argumentation setzt freilich die Existenz der Figur des „Unverbotenen“ voraus, weshalb sie schlicht eine – logische – Folge der eigenen Prämisse darstellt. Die praktische Bedeutung der Vorschrift wäre in jedem Falle auf Konstellationen beschränkt, in denen zur Rettung von Leib oder Freiheit in fremdes Leben eingegriffen wird.788 Weiter ist zu bedenken, dass Kaufmann der Figur des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands jedenfalls insoweit kritisch gegenübersteht, als es die Erfassung der Kollision gleichwertiger bzw. unabwägbarer Güter betrifft. Entsprechende Kollisionslagen unterfielen dem übergesetzlichen Schuldausschluss richtigerweise nicht.789 Damit zeigt Kaufmann ein tiefes, wenngleich kaum begründetes, Misstrauen gegenüber einem möglichen übergesetzlichen Schuldausschluss, der sich jedenfalls strukturell an den Vorgaben des § 35 StGB orientieren kann, plädiert aber zugleich für die Anerkennung eines rechtsfreien bzw. rechtswertungsfreien790 Raumes, für dessen Existenz das Gesetz – vorsichtig formuliert – wenige Anhaltspunkte liefert. (4) Fazit Während logische Gesichtspunkte der Anerkennung eines rechtsfreien Raumes grundsätzlich nicht entgegenstehen, sieht sich der in den letzten Jahrzehnten maßgeblich von Arthur Kaufmann vertretene Ansatz in rechtstheoretischer sowie dogmatischer Hinsicht erheblichen Bedenken ausgesetzt. Dabei wird der Ausgangspunkt seiner Betrachtungen – die Erkenntnis, dass in Lebensdilemma-Situationen Fragen der Moral, des Gewissens und der Eigenverantwortlichkeit eine erhebliche Rolle spielen – durchaus geteilt.791 Nicht geteilt wird dagegen die Auffassung, dass der Schwierigkeit, den vorgenannten Kategorien ein rechtliches Gewand zu geben, durch Heranziehung eines – vorgeblich wertungsfreien – pauschalen Unrechtsausschlusses abgeholfen werden kann. In Wahrheit wird auf die787
Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 337. Diese Konsequenz aufzeigend auch Hirsch, FS-Bockelmann, S. 89, 104 f., der zugleich darauf hinweist, dass das Gesetz „unzulänglich“ sein möge, weshalb dem Konstrukt des rechtsfreien Raumes nicht allein deshalb die Anerkennung verweigert werden könne. 789 Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 337. 790 Diese Formulierung wählte Kaufmann später (JZ 1992, 981, 984), um deutlich zu machen, dass das Recht sich nicht gänzlich zurückziehe, sondern sich – in einem bestimmten Korridor – nur einer Wertung enthalte; dazu auch ders., Rechtsphilosophie, S. 227. 791 Insoweit zeigt sich auch Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 126, von der Lehre beeindruckt, beweise diese doch „die Courage, (. . .) den eigenen Mitmenschen die Fähigkeit und das Vertrauen zuzusprechen, nach dem besten Gewissen eine vernünftige und wenn auch nicht im klassischen Sinne ,rechtmäßige‘, so aber doch gerechte Entscheidung zu treffen“. 788
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sem Wege eine partielle Rücknahme des Lebensschutzes bewirkt, ohne dass diesbezüglich legitimierende Gesichtspunkte ins Feld geführt würden. Die Betonung von Gewissen und Moral legt es – im Gegenteil – nahe, eine Lösung nicht auf Unrechts-, sondern auf Schuldebene zu suchen, wo das moralische Dilemma, unter akutem Handlungsdruck eine Entscheidung zwischen zwei Übeln treffen zu müssen, in der Frage der Vorwerfbarkeit kulminiert. ee) Lösung der Konfliktlagen bei Anerkennung eines rechtsfreien Raumes Bei Anerkennung eines „rechtsfreien“ Raumes stellt sich die Lösung der hier im Zentrum stehenden Konfliktlagen792 wiederum wenig komplex dar: Da Kaufmann alle „Konfliktsfälle, in denen gleichwertige oder rational nicht bewertbare Güter bzw. Pflichten miteinander kollidieren“ 793, in den Bereich des „Unverbotenen“ verweisen möchte, ist festzustellen, dass wohl in allen der oben geschilderten Konfliktlagen ein pauschaler Unrechtsausschluss zu bejahen und – in der Folge – eine Teilnehmerstrafbarkeit schon mangels Akzessorietät zu verneinen wäre. c) Jägers differenzierender Ansatz Eine der ganz raren Abhandlungen zum Thema jüngeren Datums stammt aus der Feder Jägers, der anhand ausgewählter Beispielsfälle „die mögliche Drittwirkung von Entschuldigungsgründen“ 794 untersucht. Dabei ist er, so viel sei vorweggenommen, von dem Bemühen geleitet, „die Notwendigkeit eines dualen Schuldsystems [zu] belegen“ 795. Gemeint ist eine Anreicherung des Schuldbegriffs um Präventionsgesichtspunkte, mithin um die Frage, ob eine präventive Notwendigkeit zur Bestrafung besteht.796 aa) Zum Inhalt Jäger entspannt seine Überlegungen ausgehend von einzelnen Fallkonstellationen, in denen der sich in der Situation des (übergesetzlichen) entschuldigenden Notstands befindliche Haupttäter Unterstützung durch einen Außenstehenden erfährt. Zentrale Bedeutung erlangen dabei der Fährmann-Fall797, der KarneadesFall798 sowie der Flugzeug-Fall799. 792 793 794 795 796 797 798 799
C.II. Kaufmann, FS-Maurach, S. 327, 337. Jäger, FS-Beulke, S. 127. Jäger, FS-Beulke, S. 127, 128. Jäger, FS-Beulke, S. 127. Jäger, FS-Beulke, S. 127, 130; hier oben C.II.2.a)aa). Jäger, FS-Beulke, S. 127, 130; hier oben C.II.1.a)aa)(1). Jäger, FS-Beulke, S. 127, 132 f.; hier oben C.II.2.a)bb)(1).
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Mit Blick auf den Karneades-Fall, in dem einer der beiden auf der Planke treibenden Schiffbrüchigen von einem Dritten den Rat erhält, seinen Kameraden hinunterzustoßen, möchte Jäger dem – den Rat befolgenden – Schiffbrüchigen den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand zur Seite stellen.800 Damit setzt er sich in Widerspruch zur ganz überwiegenden Auffassung, die das Handeln des Schiffbrüchigen als Anwendungsfall des § 35 StGB betrachtet.801 Die unmittelbare Verortung in § 35 StGB überzeugt, wendet der Schiffbrüchige doch eine drohende Lebensgefahr von sich selbst ab. Zur Abwehr entsprechender Gefahren kann – vorbehaltlich der in § 35 I 2 StGB statuierten Ausnahmen – auch ein „Unschuldiger“ getötet werden. Dies sieht Jäger offenbar anders, was schon insofern verwundert, als er an anderer Stelle in Auseinandersetzung mit dem Ballon-Fall802, der gleichermaßen die Tötung zur Eigenrettung im Rahmen einer Gefahrengemeinschaft mit gleichmäßiger Chancenverteilung zum Gegenstand hat, für eine unmittelbare Anwendung des § 35 StGB plädiert.803 Die Verortung von Fährmann- und Flugzeug-Fall im Anwendungsbereich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands sieht sich dagegen keinen Bedenken ausgesetzt. Interessanter als die Frage nach der zutreffenden Verortung ist ohnehin das von Jäger mit Blick auf die Teilnehmerstrafbarkeit entwickelte Lösungsmodell, das unabhängig von der Art der Entschuldigung des Haupttäters (§ 35 StGB unmittelbar oder analog) zum Tragen kommen soll. Jäger sieht die durchgängige Teilnehmerstrafbarkeit, wie sie von der h. M. angenommen wird, überaus kritisch. Insoweit befindet er sich auf einer Linie mit den zuvor eingehender beleuchteten Auffassungen, die – überwiegend noch auf dem Boden der §§ 48 ff. StGB a. F. – zu divergierenden Ergebnissen gelangen. Seine kritische Sichtweise resultiert maßgeblich aus einer hypothetischen Überlegung betreffend den Fährmann-Fall.804 Denke man sich den Fall nämlich so, dass der Fährmann gänzlich untätig bleibt, woraufhin der Außenstehende sich nicht mehr aufs Zurufen beschränkt, sondern einen Teil der Kinder mit einer mitgeführten Pistole vom Floß schießt, um den restlichen Kindern eine unbeschadete Überfahrt zu ermöglichen, so handle der Außenstehende entschuldigt.805 Damit nimmt Jäger auf den Umstand Bezug, dass der übergesetzliche entschuldigende Notstand gerade auf Situationen zugeschnitten ist, in denen ein Außenstehender sich einer Gefahrengemeinschaft gegenüber sieht und eine Rettung aller in der Gefahrengemeinschaft Befindlichen von vornherein ausge-
800
Jäger, FS-Beulke, S. 127, 132. Dazu (m.w. N.) oben C.III.1.a)aa)(1). 802 Zu diesem oben C.II.1.a)aa)(2) sowie C.III.1.a)aa)(2). 803 Jäger, ZStW 115 (2003), S. 765, 788. 804 Nunmehr auch betreffend den Bergsteiger-Fall (Durchtrennung des Seiles infolge des Zurufes eines ungefährdeten Dritten), vgl. Joecks/Jäger, StGB, § 35 Rn. 20. 805 Jäger, FS-Beulke, S. 127, 132. 801
V. Abweichende Lösungsansätze
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schlossen ist.806 Genau in dieser Position soll sich auch der Wanderer in der Abwandlung des Falles befinden. Aus alledem folgert Jäger, dass die „im Verhältnis zur aktiven Tötung sogar ein Minus“ darstellende Anstiftung „ihrerseits analog § 35 StGB aufgrund übergesetzlichen Notstands entschuldigt“ sei.807 Etwas Anderes könne, wie Jäger selbst einräumt, freilich dann gelten, wenn „der Gesichtspunkt der Zuständigkeit“ 808 für die Anwendbarkeit des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands eine Rolle spielte. So könne man erwägen, eine Entschuldigung nur demjenigen zuzusprechen, „der unmittelbar in der kritischen Situation steht“ 809. Dass dies nicht so sei, zeige sich indes bereits am FlugzeugFall. Auch in dieser Konstellation „wäre es ganz und gar unangemessen, nur dem unmittelbar in der Position des Konfliktlösers stehenden Piloten von Verantwortung zu befreien“ 810. Vielmehr hätte etwa auch die Ehefrau des Piloten, welche mit diesem über Funk verbunden ist und erst den endgültigen Tatentschluss hervorruft, „keinen Schuldvorwurf verdient“ 811. Zur Begründung der Unerheblichkeit des Gesichtspunkts der „Zuständigkeit“ führt Jäger also die – von ihm so eingeschätzte – Strafunwürdigkeit des Teilnehmers in einer ähnlichen Konstellation an. Damit ist, wie sich unschwer erkennen lässt, zwar eine Wertung vorgenommen, nicht jedoch ein Argument vorgetragen. Mit Blick auf Fälle, in denen aufseiten des Täters unmittelbar § 35 StGB eingreift, kommt Jäger zu dem Schluss, dass für die Teilnehmerstrafbarkeit nichts Anderes gelten könne: „Denn wenn das vom Teilnehmer für den Täter entgegengebrachte Verständnis im Falle einer analogen Anwendung des § 35 StGB zu einem Ausschluss der Teilnehmerstrafbarkeit führt, so sollte dies bei einer direkten Anwendung des § 35 StGB auch der Fall sein.“ 812 Es sprächen insgesamt „die besseren Gründe dafür, denjenigen Teilnehmer, der das Verständnis äußert, das in § 35 StGB zum Ausdruck kommt, allgemein für straflos zu erklären“ 813. An dieser Stelle bleibt Jäger leider reichlich vage, wird doch nicht recht klar, ob er den Teilnehmer gleichfalls unmittelbar gemäß § 35 StGB entschuldigen möchte oder ob wiederum der übergesetzliche entschuldigende Notstand eingreifen soll. Fast scheint es, als müsse die Frage der konstruktiven Bewältigung hinter dem zu erreichenden Resultat hintanstehen. Eine klarere Konturierung erfährt der Lösungsvorschlag Jägers bei Betrachtung der von ihm gezogenen Grenzen. Die Grenze der Straflosigkeit des Teilneh806 Dazu, dass – darüber hinaus – richtigerweise auch Situationen erfasst sind, in denen eine Gefahrengemeinschaft fehlt, vgl. bereits oben B.III.3.d)aa). 807 Jäger, FS-Beulke, S. 127, 132. 808 Jäger, FS-Beulke, S. 127, 132. 809 Jäger, FS-Beulke, S. 127, 132. 810 Jäger, FS-Beulke, S. 127, 132. 811 Jäger, FS-Beulke, S. 127, 132 f. 812 Jäger, FS-Beulke, S. 127, 133. 813 Jäger, FS-Beulke, S. 127, 133; vgl. auch Joecks/Jäger, StGB, § 35 Rn. 20.
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mers liege dort, „wo der Anstifter nicht aus Verständnis für den Täter, sondern aus egoistischen Motiven handelt“ 814. Daraus folge, dass „der in Not Befindliche die Konfliktlage nach außen erkennbar mit sich austragen muss und sich der Beitrag des Teilnehmers in einem (. . .) Entgegenbringen von Verständnis erschöpfen muss und daher im Ergebnis nicht über das gesetzgeberische Entgegenkommen hinausgehen darf“ 815. Beim Vorliegen mehrerer Motive auf Teilnehmerseite sei auf den Schwerpunkt der Motivlage abzustellen; ähnlich würde auch im Umgang mit § 216 StGB sowie § 33 StGB verfahren.816 Schließlich wendet sich Jäger § 29 StGB zu, der hinsichtlich der auf einem allgemeinen gesellschaftlichen Verständnis beruhenden und in den §§ 33, 35 StGB verkörperten „Verantwortungsausschließungsgründe“ gar keine Anwendung finde.817 Die Verantwortungsausschließungsgründe seien, da individuelle Defizite des Täters keine Rolle spielten, „genereller Natur“ 818. Jäger folgert: „Deshalb muss der Teilnehmer, der das Verständnis der Gesellschaft teilt, ebenfalls straflos sein.“ 819 Aus diesem in Ansehung der Teilnehmerstrafbarkeit erzielten Ergebnis zieht Jäger wiederum Rückschlüsse auf den Charakter von Schuldausschließungsgründen einer- und Verantwortungsausschließungsgründen andererseits. Während die Entschuldigungsgründe von dem aus den äußeren Tatumständen erwachsenden Verständnis für die innere Verfassung des Täters lebten, seien die Schuldausschließungsgründe von einem situationsunabhängigen Verständnis für die innere Verfassung des Täters geprägt.820 bb) Kritische Würdigung Jäger gebührt das Verdienst, eine Fragestellung aus dem „Dornröschenschlaf“ geweckt zu haben, die sich vielleicht nicht als „eigentliche[r] Prüfstein der Schulddogmatik“ 821, wohl aber als wegweisender Faktor betreffend Grund und Grenzen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands erweisen kann. Interessanterweise finden sich in der Argumentation Jägers Berührungspunkte mit gleich mehreren der zuvor aufgezeigten Ansätze. So plädiert er für eine generelle Unanwendbarkeit des § 29 StGB auf die Entschuldigungs- bzw. „Verantwortungsausschließungsgründe“, womit er ganz auf der Linie Maurachs liegt, der seine „Gründe ausgeschlossener Tatverantwortung“ ebenfalls – denklogisch – 814 815 816 817 818 819 820 821
Jäger, FS-Beulke, S. 127, 134. Jäger, FS-Beulke, S. 127, 134. Jäger, FS-Beulke, S. 127, 134. Jäger, FS-Beulke, S. 127, 135. Jäger, FS-Beulke, S. 127, 135. Jäger, FS-Beulke, S. 127, 135. Jäger, FS-Beulke, S. 127, 136. Jäger, FS-Beulke, S. 127, 136.
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nicht dem Anwendungsbereich der Vorschrift (damals § 50 StGB) unterworfen sah.822 Zugleich setzt sich Jäger in Widerspruch zu Roxin, dem er in der Lesart der §§ 33, 35 StGB als Verantwortungsausschließungsgründe zwar nachfolgt823, mit Blick auf § 29 StGB jedoch zu abweichenden Folgerungen gelangt.824 In Auseinandersetzung mit dem Charakter der §§ 33, 35 StGB erfolgt ferner – im Zusammenhang mit der Betonung der ausgemachten „generelle[n] Natur“ 825 der Vorschriften – eine explizite Inbezugnahme Rudolphis, der freilich mit seiner postulierten generellen Rücknahme des Rechtsgüterschutzes826 noch einen Schritt weiter geht. Schließlich greift Jäger bei der Konturierung seines Ansatzes auf Kriterien zurück, die bereits Niethammer – beinahe 70 Jahre zuvor – ins Spiel gebracht hatte. So hatte Niethammer827 festgehalten, „der Mangel an Schuld des Täters“ könne in „Fällen echter, vom Helfer tief empfundener Nothilfe nicht ohne Einfluß auf die Strafbarkeit des Teilnehmers sein“ 828. Niethammer zielt auf einen Helfer, „der das rettende Verbrechen innerlich ebenso wie der bedrängte Täter ablehnt, dem es nur darum zu tun ist, daß er den Täter durch den gewährten Beistand aus seiner Not befreie“ 829. Wenn Niethammer von „tief empfundener Nothilfe“ spricht, drängt sich ein Vergleich mit Jägers Verlangen nach einem „Entgegenbringen von Verständnis“ 830 auf. Wenn Niethammer mahnt, dem Helfer dürfe es „nur darum zu tun“ sein, eine Befreiung aus der Not zu bewirken, so ergibt sich eine Verbindungslinie zu Jägers Versagung der Straffreiheit beim Dominieren „egoistische[r] Motive“ 831. Dass Jäger seine Erwägungen auf eine breitere Basis stellt, indem er – insbesondere durch (erneute) Umbildung des Fährmann-Falles – Grund und Grenzen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands nachgeht, sei damit nicht in Abrede gestellt. Entscheidende Größe in seiner Konzeption ist aber die innere Haltung des Teilnehmers zur Notstandstat. Die Einstellung des Anstifters oder Gehilfen wird zum Gradmesser für die Beurteilung der Strafbarkeit. So begrüßenswert es ist, dass Jäger sich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands bedienen möchte, um eine Straffreistellung auch für Teilnehmer 822
Dazu oben C.V.3.a)bb). Vgl. auch Jäger, AT, Rn. 190 u. 195; ders., ZStW 115 (2003), S. 765, 786. 824 Roxin, AT I, § 22 Rn. 66, befürwortet die Strafbarkeit des Teilnehmers an einer nach § 35 StGB entschuldigten Tat u. a. mit Hinweis auf § 29 StGB. Auf den diesbezüglichen Dissens weist Jäger, FS-Beulke, S. 127, 131, denn auch hin. 825 Jäger, FS-Beulke, S. 127, 135. 826 Dazu oben C.V.2.a). 827 Ausführlich zu dessen Position oben C.V.2.b)aa). 828 Niethammer, DRZ 1946, 167, 169. 829 Niethammer, DRZ 1946, 167, 169. 830 Jäger, FS-Beulke, S. 127, 134. 831 Jäger, FS-Beulke, S. 127, 134. 823
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
zu erreichen832, so wenig vermögen die herangezogenen Differenzierungskriterien zu überzeugen. Dies liegt nicht so sehr darin begründet, dass die von Jäger im Umfeld seines Konturierungsvorschlags aufgebauten Argumentationsmuster durchaus widerspruchsbehaftet sind833, sondern vielmehr darin, dass die rein subjektive Grenzziehung einen Fremdkörper im System der Gründe ausgeschlossener Zumutbarkeit darstellt. Jäger selbst geht mit Blick auf die „Verantwortungsausschließungsgründe“ vom Dominieren der „äußeren Tatumstände“ 834 aus. Das gesellschaftliche Verständnis beruhe in diesen Situationen auf der „extrinsischen Motivation“ 835 des Täters. Beim Teilnehmer sollen die äußeren Umstände dagegen nicht zureichen, vielmehr soll dessen innere Haltung erforscht werden. Ggf. ist ein komplexes Motivbündel zu entwirren, bevor über die Frage der Strafbarkeit entschieden werden kann. Damit tritt der notwendig generalisierende Charakter der Entschuldigungsgründe in den Hintergrund. Dass auch die Entschuldigungsgründe von einem subjektiven Element getragen sein müssen, wird auch im Rahmen der gegenständlichen Untersuchung anerkannt. Insbesondere hinsichtlich § 35 StGB ist ein Handeln in Gefahrabwendungsabsicht – nicht nur in Kenntnis der Notlage – zu verlangen.836 Dies ergibt sich daraus, dass der Boden für die – vermutete und eine Schuldminderung bewirkende – psychische Zwangslage nur bei einem Handeln „unter dem Eindruck der Not“ 837 bereitet ist. Das Rettungsmotiv muss dabei allerdings nicht einziger Zweck sein.838 Unter dem Eindruck der Not kann auch handeln, wer zugleich anderweitige Zwecke verfolgt. In welchem Umfang andere Zwecke eine Rolle spielen dürfen, wird wiederum – be832 Jedenfalls gilt dies für den Fall, dass auch der Haupttäter sich in der Situation des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands befindet. Wie die Straffreiheit des Teilnehmers konstruktiv erreicht werden soll, wenn sich der Haupttäter unmittelbar auf § 35 StGB berufen kann, bleibt, wie bereits angedeutet, unklar. 833 Wenn der – die geforderte innere Haltung zur Notstandstat aufweisende – Teilnehmer in Situationen, in denen dem Haupttäter der übergesetzliche entschuldigende Notstand zur Seite steht, seinerseits aufgrund übergesetzlichen Notstands entschuldigt sein soll (vgl. Jäger, FS-Beulke, S. 127, 132), so erledigt sich insoweit jede Überlegung zum Anwendungsbereich des § 29 StGB, greift doch für den Teilnehmer ein eigener Entschuldigungsgrund ein. Kritisch zu sehen ist auch der Rückschluss von den in Ansehung der Teilnehmerstrafbarkeit erzielten Ergebnissen auf den Charakter von Entschuldigungs- bzw. Verantwortungsausschließungsgründen einer- und Schuldausschließungsgründen andererseits (Jäger, FS-Beulke, S. 127, 135 f.). So drängt sich der Einwand zirkelschlüssiger Begründung auf, wenn das postulierte Ergebnis zur klareren Konturierung der Schuldausschließungsgründe beitragen soll. 834 Jäger, FS-Beulke, S. 127, 136. 835 Jäger, FS-Beulke, S. 127, 136. 836 BGHSt 3, 271, 275; 35, 347, 350; B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 29; Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 1989, S. 105 f.; Jescheck/Weigend, AT, § 44 II 2; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 35 Rn. 5; LK-Zieschang, § 35 Rn. 38; MK-Müssig, § 35 Rn. 36 f.; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 16; SK-Rogall, § 35 Rn. 25. 837 Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 16. 838 Kühl, in: Lackner/Kühl, § 35 Rn. 5; LK-Zieschang, § 35 Rn. 38; MK-Müssig, § 35 Rn. 36; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 16.
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trachtet man die gewählten Formulierungen – uneinheitlich beurteilt.839 Vereinzelt wird zudem von vornherein zwischen dem „Rettungsziel“ (im Sinne einer unbedingten Rettungsabsicht) und dahinterliegenden Zwecken differenziert.840 Festzuhalten ist jedenfalls, dass trotz aller Unterschiede im Einzelnen an keiner Stelle ein absolutes und unbedingtes Dominieren der Rettungsabsicht eingefordert wird.841 Das ist nur folgerichtig, vergegenwärtigt man sich, dass die Entschuldigungsgründe im Ausgangspunkt kein Prüfstein lauterer Gesinnung, sondern Zugeständnisse an die menschliche Natur sind. Das in Ansehung der Teilnehmerstrafbarkeit vorgetragene Verlangen nach einem sich im „Entgegenbringen von Verständnis erschöpfen[den]“ 842 Tatbeitrag misst der subjektiven Komponente daher eine Bedeutung zu, die sie in Situationen der Unzumutbarkeit – schon strukturell – nicht hat. Dass mit der Erforschung der Motivlage zudem erhebliche Beweisschwierigkeiten verbunden sind, liegt auf der Hand. Schon hinsichtlich des bei § 35 StGB zu verlangenden Gefahrabwendungswillens dürfte, soweit dem Notstandstäter die Gefahrenlage bekannt war, die Anwendung des Zweifelssatzes regelmäßig zur Bejahung eines Handelns mit Rettungsabsicht führen.843 Während die von Jäger im Umgang mit der Teilnehmerstrafbarkeit entwickelten Kriterien aus den zuvor genannten Gründen nicht zu überzeugen wissen, ist dem grundsätzlichen Anliegen, eine differenziertere Sichtweise auf die Teilnehmerstrafbarkeit bei entschuldigter Haupttat zu entwickeln, vollumfänglich beizutreten. Als besonders begrüßenswert erweist sich die – ansatzweise – Auseinandersetzung Jägers mit Grund und Grenzen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands. So wirft er die Frage nach der Bedeutung des Kriteriums der „Zuständigkeit“ auf, das sich – bei genauerem Hinsehen – als wichtiger Faktor für die Bewältigung der hier untersuchten Konfliktlagen entpuppt. Was Jäger nur anreißt844, hat das Potential, Ausgangspunkt eines differenzierten Lösungsansat839 Z. T. wird festgehalten, die anderen Zwecke dürften „nicht dominierend“ sein (B/ W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 29; ähnl. Heinrich, AT, Rn. 579). Dagegen lassen es andere Stimmen genügen, wenn „die Rettung des bedrohten Gutes (. . .) jedenfalls ein Motiv der Tat“ war (Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 16; ähnl. NK-Neumann, § 35 Rn. 19). 840 Schmidhäuser, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1975, S. 467, hält dazu fest: „Das Rettungsziel kann auch bloßes Mittel zum Zweck sein; wer den Stiefvater rettet, nur um von ihm als Erbe eingesetzt zu werden, ist entschuldigt, obwohl der Grundgedanke der Entschuldigung hier nicht zutrifft; derartige Hintergründe des menschlichen Wollens entziehen sich der Erfassung durch das Strafrecht.“ 841 Fehlt die Rettungsabsicht freilich – nachweisbar – ganz, ist die Entschuldigung zu versagen und es bleibt bei einer Strafbarkeit wegen vollendeter Tat; vgl. M/R-Engländer, § 35 Rn. 16; NK-Neumann, § 35 Rn. 20; Rengier, AT, § 26 Rn. 11; Schönke/Schröder-Perron, § 35 Rn. 16; S/S/W-Rosenau, § 35 Rn. 19. 842 Jäger, FS-Beulke, S. 127, 134. 843 Treffend MK-Müssig, § 35 Rn. 37. 844 Jäger, FS-Beulke, S. 127, 136, selbst weist – mit Blick auf die gesamte „Drittwirkungsproblematik“ – auf die Notwendigkeit „nähere[r] Untersuchung“ hin.
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zes zu sein, der sich vom Innenleben der Beteiligten löst und damit eine größere Praktikabilität aufweist. cc) Lösung der Konfliktlagen nach Jäger Auch der Ansatz Jägers ist – ungeachtet der zuvor benannten Kritikpunkte – an die im Rahmen dieser Arbeit gebildeten Konfliktlagen845 anzulegen. Jäger beurteilt die Strafbarkeit des Teilnehmers an entschuldigter Tat846, wie gezeigt, primär nach dessen innerer Haltung. Das Teilnehmerhandeln müsse sich im Entgegenbringen von Verständnis für die Notsituation erschöpfen. Egoistische Motive dürften keine Rolle spielen. Damit wäre in jeder der hier untersuchten Konstellationen zu erforschen, wie die innere Haltung des Teilnehmers gegenüber der Notsituation ausgestaltet ist. Die geschilderten Sachverhalte verhalten sich dazu – bewusst – nicht, muss doch davon ausgegangen werden, dass sich das Teilnehmerhandeln regelmäßig in einem Entgegenbringen von Verständnis erschöpft. Der gegenteilige Beweis dürfte zudem kaum zu führen sein. Unterstellt man also in allen geschilderten Fällen ein entsprechendes (weit überwiegendes) Dominieren der Rettungsabsicht, steht für alle Teilnehmer das Ergebnis der Straffreiheit.
VI. Fazit zu den gefundenen Ergebnissen Den Stellungnahmen Niethammers und Baumanns, die bereits nicht den Anspruch haben, ein alternatives Lösungsmodell aufzuzeigen, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit entnehmen, ob diese in allen der hier geschilderten Sachverhalte zur Straflosigkeit des Teilnehmers gelangen würden. Beiden Stellungnahmen ist indes das Werben für eine größere Flexibilität hinsichtlich der Teilnehmerstrafbarkeit bei entschuldigter Haupttat gemein. Zudem findet sich Niethammers skizzenhafter Verweis auf die Bedeutung der inneren Haltung des Teilnehmers in Jägers Lösungsansatz wieder. Peters’ Verständnis des Verhältnisses von sittlicher und rechtlicher Schuld führt zu einer Aufspaltung der Notstandsregelung in Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- und Strafausschließungsgrund. Gerade dort, „wo der Mensch in fremdes Leben eingreift“, fälle der Handelnde „eine schwere sittliche Fehlentscheidung“, die dazu führe, dass „nur ein persönlicher Strafausschließungsgrund angenommen werden“ könne.847 Mag man diese Aufspaltung und ihre Hintergründe auch 845
C.II. Jäger, FS-Beulke, S. 127, 135, stuft auch § 33 StGB explizit als – auf einem allgemeinen gesellschaftlichen Verständnis beruhenden – Verantwortungsausschließungsgrund ein, um nachfolgend – pauschal – festzustellen, dass der das gesellschaftliche Verständnis teilende Teilnehmer straflos sein müsse. Daher ist davon auszugehen, dass Jäger seine Konzeption auch auf Fälle des § 33 StGB angewendet wissen will, ohne freilich ein entsprechendes Beispiel zu geben. 847 Vgl. jeweils Peters, JR 1949, 496, 500. 846
VI. Fazit zu den gefundenen Ergebnissen
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kritisch sehen848, so führt sie im Rahmen der gegenständlichen Untersuchung doch dazu, dass nach Peters in allen aufgezeigten Konstellationen eine Teilnehmerstrafbarkeit zu bejahen wäre. Zu eindeutigen Ergebnissen gelangt man auch bei Fruchtbarmachung der Modelle von Rudolphi, Maurach und Kaufmann. Während Rudolphi bei den Entschuldigungsgründen den Aspekt der Unrechtsminderung betont und daraus eine generelle Rücknahme des Rechtsgüterschutzes ableitet, geht Maurach noch einen Schritt weiter, indem er die Entschuldigungsgründe aus der Schuld (im Sinne individueller Vorwerfbarkeit) löst und sie als Gründe ausgeschlossener Tatverantwortung charakterisiert. Das Resultat ist das gleiche: Die Teilnahme an entschuldigter Tat ist stets straffrei. Eine weitere „Zuspitzung“ erreicht Kaufmann, der mit seiner Kategorie des „Unverbotenen“ gar einen pauschalen Unrechtsausschluss befürwortet, womit einer Teilnehmerstrafbarkeit wiederum der Boden entzogen ist. Jäger kann schließlich für sich beanspruchen, einen differenzierenden Ansatz entwickelt zu haben, indem die Strafbarkeit des Teilnehmers von dessen innerer Haltung zur Notsituation abhängig gemacht wird. Mit Blick auf den weiteren Gang der Untersuchung ist Folgendes festzuhalten: Niethammers und Baumanns Erwägungen sind, wie gezeigt, kaum geeignet, die Basis eines eigenständigen Lösungsansatzes zu bilden. Dazu bleiben die Stellungnahmen letztlich zu pauschal. Peters’ Auffassung, wonach der entschuldigende Notstand in seiner Wirkung aufzuspalten sei, wird im Rahmen dieser Arbeit nicht geteilt – auch und insbesondere die Tötung eines anderen Menschen kann, so eine Situation existentieller Bedrängnis gegeben ist, nach Maßgabe des § 35 StGB entschuldigend im Sinne der Negierung der Vorwerfbarkeit wirken. Unabhängig davon, verträgt sich sein Ansatz, auch den Teilnehmer zu entschuldigen, soweit der Notstand entschuldigend wirkt, nicht mit geltendem Gesetzesrecht.849 Letzteres gilt auch für Rudolphis Ansatz.850 Der von Maurach eingeführten Kategorie der Tatverantwortung ist, da die generalisierende Methode der Entschuldigungsgründe einer Verortung auf Schuldebene durchaus nicht im Wege steht, der Boden entzogen. Die insbesondere von Kaufmann protegierte Lehre vom rechtsfreien Raum ist, soweit sie einen Unrechtsausschluss bewirken soll, mit erheblichen rechtstheoretischen sowie dogmatischen Unstimmigkeiten belastet, sodass nur ihr Ausgangspunkt (Verweis auf moralisches Dilemma des Han-
848 Wenn Peters, JR 1949, 496, 497, mit Blick auf eine mögliche Entkoppelung von sittlicher Schuld und rechtlicher Schuld „eine Gefährdung des sittlichen Schuldbegriffs durch Verdunkelung der menschlichen Verantwortlichkeit“ sieht, so mutet diese – am Sittlichkeitsbegriff orientierte – Argumentation aus heutiger Sicht beinahe schon befremdlich an. 849 Dazu bereits oben C.V.2.b)bb). 850 Dazu C.V.2.a)ee).
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C. Beteiligung im Umfeld entschuldigter Taten
delnden) geteilt wird. Schließlich ist mit Blick auf Jäger festzuhalten, dass sich die Hinwendung zum übergesetzlichen entschuldigenden Notstand als vielversprechend erweist, die zur Konturierung gewählte Methode – die Frage nach der inneren Haltung des Teilnehmers – jedoch nicht überzeugt. D.h., es gilt, einen eigenen Lösungsansatz zu entwickeln, der der im Umgang mit den zuvor behandelten Ansätzen geäußerten Kritik Rechnung trägt. Dabei werden die aufgezeigten Argumentationsmuster freilich zu berücksichtigen sein.
VII. Der umgekehrte Fall Während zuvor ausnahmslos die Konstellation behandelt wurde, in welcher der Täter entschuldigt handelt, sodass sich die Frage nach der Strafbarkeit des Teilnehmers stellte, soll nun der umgekehrte Fall, in welchem nur aufseiten des Teilnehmers unstreitig ein Entschuldigungsgrund eingreift, Beachtung finden. Zur Verdeutlichung der Problematik sollen wiederum drei Beispielsfälle dienen: 1. Bergsteiger-Fall 3 Im Ausgangspunkt wie im Bergsteiger-Fall 1851: Ein Bergsteiger (B) rutscht ab und droht seinen Kameraden (A) mit in die Tiefe zu ziehen. A fordert ein weiteres Mitglied der Seilschaft (C) auf, das Seil zu B zu durchtrennen, damit er nicht ebenfalls abstürzt. C kommt der Aufforderung nach, sodass A gerettet wird. 2. Karneades-Fall 2852 Zwei Schiffbrüchige (A und B) klammern sich an eine im Wasser treibende Planke, die unterzugehen droht, sollte nicht zeitnah das Gewicht reduziert werden. In etlicher Entfernung am Ufer befindet sich C mit einem Präzisionsgewehr. A ruft C zu, er solle auf B schießen, was dieser tut. B gleitet daraufhin ins Wasser, A erreicht indes das Ufer. 3. Haustyrannen-Fall 2853 Die über die Situation in der Familie informierte Nachbarin wird von der gepeinigten Ehefrau gebeten, deren Gatten im Schlaf zu erstechen. Die Nachbarin sieht keinen anderen Ausweg zur Rettung der Frau und ihrer Kinder und lässt sich zur Tat bewegen. 851 852 853
Vgl. oben C.II.1.a)bb)(1). Nach Maurach/Zipf, AT 1, § 33 Rn. 41. Zum Ausgangsfall oben C.II.1.b)aa).
VII. Der umgekehrte Fall
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4. Lösungsansätze Hinsichtlich der Bergsteiger ist festzustellen, dass sich der vom Absturz bedrohte A in einer Situation existentieller Gefahr befindet. Wird das Seil nicht durchtrennt, stürzt er mit B in den Tod. A darf sich demnach aller erfolgversprechenden Mittel bedienen, die sein Überleben sichern. Es wird A nicht zugemutet, mit B in den Tod zu gehen. Die Rechtsordnung bringt ihm – in Gestalt des § 35 StGB – Verständnis entgegen. Durch die Aufforderung an C, das Seil zu durchtrennen, sichert A sein eigenes Überleben. Damit handelt er in Ansehung der §§ 212 I, 26 StGB entschuldigt. Der das Seil durchtrennende C ist weder selbst bedroht noch ist A eine Sympathieperson. Eine Entschuldigung nach Maßgabe des § 35 StGB scheidet daher aus. Nach vielfach vertretener und auch hier – vorbehaltlich weiterer Konkretisierung – geteilter Auffassung vermag aber für denjenigen, der sich in Konfrontation mit einer existentiellen Gefahrenlage vor der Wahl sieht, entweder alle sterben zu lassen oder jedenfalls einen Teil zu retten, der übergesetzliche entschuldigende Notstand Straffreiheit zu bringen.854 Konsequenterweise müsste dies auch für den das Seil durchtrennenden C gelten. Hinsichtlich des Schiffbrüchigen (A), der zur Sicherung des eigenen Überlebens einen Dritten auffordert, seinen Schicksalsgenossen von der Planke zu schießen, greift § 35 StGB ein: A wählt mit der Aufforderung ein geeignetes Mittel, der Situation existentieller Gefahr zu entkommen. Ein milderes Mittel ist, da B das Brett zwingend verlassen muss, nicht ersichtlich. Dementsprechend greift bezüglich der §§ 212 I, 26 StGB der entschuldigende Notstand ein. C kann sich, da er weder selbst bedroht noch A eine Sympathieperson ist, nicht auf § 35 StGB berufen. Wiederum stellt sich die Frage nach der Strafbarkeit des C. Im Unterschied zu dem das Seil durchtrennenden Bergsteiger ist festzustellen, dass sich der Scharfschütze einer Gefahrengemeinschaft mit gleichmäßiger Chancenverteilung gegenüber sieht. Auch dies soll einer (übergesetzlichen) Entschuldigung indes – auch nach hier vertretener Auffassung – grundsätzlich nicht entgegenstehen.855 Schließlich kann sich in der Abwandlung des Haustyrannen-Falles die anstiftende Ehefrau auf § 35 I 1 StGB berufen, da die Tötung des Gatten das einzig effektive Mittel zur Gefahrabwendung ist. Die die Tat ausführende Nachbarin, die in keinem relevanten Näheverhältnis zu Frau und Kindern steht, kann sich dagegen nicht auf § 35 StGB berufen. Zu denken ist an die Fruchtbarmachung des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands, sieht sich die Nachbarin – infolge der Aufforderung – doch vor der Wahl, untätig zu bleiben und Schlimmeres geschehen zu lassen oder einzugreifen, dadurch aber lebensvernichtend zu wirken. Dass das Nichtvorliegen einer Gefahrengemeinschaft einem übergesetz854 855
Vgl. auch die Lösung bei Bergsteiger-Fall 2, oben C.III.2.a)bb)(2). Vgl. oben B.III.3.c) u. d).
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lichen Schuldausschluss – jedenfalls nach hier vertretener Auffassung – nicht im Wege steht, wurde bereits dargetan.856 Damit bleibt die Frage, ob anderweitige Erwägungen dem Schuldausschluss in den zuvor präsentierten Fallgestaltungen im Wege stehen. Ein Gesichtspunkt könnte tatsächlich die von Jäger angesprochene „Zuständigkeit“ sein.857 Darunter versteht Jäger, der der Zuständigkeit im Ergebnis keine Bedeutung zumisst, eine Verengung des Anwendungsbereichs des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands auf denjenigen, „der unmittelbar in der kritischen Situation steht“ 858. Auch bei umgekehrten Vorzeichen – sprich: der Teilnehmer ist entschuldigt, während der Täter sich nicht auf einen gesetzlich normierten Entschuldigungsgrund berufen kann – stellt sich damit letztlich wieder die Frage, welcher Anwendungsbereich dem übergesetzlichen entschuldigenden Notstand zuzuerkennen ist. Dies lässt es naheliegen, dass der eigentliche Schlüssel zur Bestimmung der Beteiligtenstrafbarkeit in Situationen, in denen – sei es auf Täter-, sei es auf Teilnehmerseite – ein Entschuldigungsgrund eingreift, in der Konkretisierung der Voraussetzungen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands liegt. Demnach mögen sich Beteiligungsfragen zwar nicht als „eigentliche[r] Prüfstein der Schulddogmatik“ 859, wohl aber als Prüfstein des übergesetzlichen Schuldausschlusses erweisen. Die Lösung der hier präsentierten Abwandlungen soll an dieser Stelle noch offen bleiben.860 Zuvor soll die – soeben eingeforderte – Konkretisierungsarbeit im Rahmen der Entwicklung einer eigenen Konzeption geleistet werden.861
856 857 858 859 860 861
B.III.3.d)aa). Vgl. oben C.V.3.c)aa) u. bb). Jäger, FS-Beulke, S. 127, 132. Vgl. nochmals Jäger, FS-Beulke, S. 127, 136. Vgl. unten F.III. Dazu unten E.II.
D. Beteiligung im Umfeld von Schuldausschließungsgründen im engeren Sinne Auch im Umfeld der Schuldausschließungsgründe im engeren Sinne (§§ 17, 19, 20 StGB) sind Beteiligungskonstellationen denkbar, in denen über die Reichweite der schuldausschließenden Wirkung jedenfalls nachgedacht werden kann. Während mit Blick auf die Entschuldigungsgründe, insbesondere mit Blick auf den entschuldigenden Notstand, wie zuvor gezeigt wurde, einige Stimmen auszumachen sind, die an den von der h. L. gefundenen Ergebnissen zweifeln, ist eine entsprechende Kritik bezüglich der Schuldausschließungsgründe im engeren Sinne nicht auszumachen. Anhand der nachfolgend präsentierten Konstellationen soll verdeutlicht werden, weshalb es insoweit an kritischen Stimmen und – damit einhergehend – abweichenden Lösungsansätzen fehlt. Dabei spielt – in deutlich größerem Umfang als bei entschuldigten Taten – die Abgrenzung von bloßer Teilnahme und mittelbarer Täterschaft eine Rolle.1 Wird nämlich ein Tatbeitrag 1 Denkbar ist auch die Instrumentalisierung des entschuldigt handelnden Täters (zur Möglichkeit mittelbarer Täterschaft bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 StGB aufseiten des Vordermannes etwa RGSt 64, 30, 32 f.; B/W/M/E-Eisele, § 25 Rn. 132; Heinrich, AT, Rn. 1252 f.; Jescheck/Weigend, AT, § 62 II 6; Kühl, AT, § 20 Rn. 62 ff.; LK-Schünemann, § 25 Rn. 69 ff.; Rengier, AT, § 43 Rn. 32 ff.; Roxin, AT II, § 25 Rn. 47 ff.; ders., Täterschaft und Tatherrschaft, S. 143 ff.; Schönke/Schröder-Heine/ Weißer, § 25 Rn. 38). Übrig bleibt, da nach hier vertretener Auffassung die Vornahme von Aufforderungs- oder Unterstützungshandlungen im Rahmen einer vorgefundenen (gesetzlichen oder übergesetzlichen) Notsituation regelmäßig nur Teilnahme begründen kann (dazu oben C.III.1.a)aa)(1) sowie C.III.1.a)bb)(1)), im Wesentlichen der Nötigungsnotstand als (praxis-)relevanter Anwendungsfall. Dessen strafrechtsdogmatische Verortung ist jedenfalls für die Fälle umstritten, in denen eine Interessenabwägung nach Maßgabe des § 34 S. 1 StGB dem Grunde nach ein Überwiegen aufseiten des – durch einen Dritten – Genötigten ergeben würde: Während einige bei einem (wesentlichen) Überwiegen stets von der Anwendbarkeit des § 34 StGB ausgehen (vgl. etwa B/W/M/E-Mitsch, § 15 Rn. 106 f.; Brand/Lenk, JuS 2013, 883, 884 f.; Frister, AT, § 17 Rn. 20), gehen andere Stimmen – unter Verweis auf die bewusste Entscheidung des Genötigten für das Unrecht sowie das dem Eingriffsopfer andernfalls genommene Notwehrrecht – dahin, eine Lösung über § 35 StGB zu suchen (grundlegend Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, 1965, S. 117; ferner Heinrich, AT, Rn. 437 i.V. m. Rn. 580; ders., AL 2015, 89, 95; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 696 f.; wohl auch Kühl, AT, § 8 Rn. 132 ff.; Schönke/Schröder-Perron, § 34 Rn. 41b). Dazwischen bewegen sich differenzierende Ansätze, welche die Möglichkeit der Rechtfertigung nach § 34 StGB erst „bei einer Beeinträchtigung des Rechtsguts Leben oder einer nicht ganz unerheblichen Beeinträchtigung von Freiheit oder körperlicher Integrität“ des Eingriffsopfers negieren möchten (so NK-Neumann, § 34 Rn. 55a) bzw. – umgekehrt ausgedrückt – eine Rechtfertigung zulassen, sofern „nur in vergleichsweise geringfügiger Weise in ein Individualrechtsgut eingegriffen wird“ (vgl. etwa Kaspar, AT, § 5 Rn. 254). Eine eingehende Behandlung kann im Rahmen dieser
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in Kenntnis der die Schuldunfähigkeit des Täters begründenden Umstände erbracht, so liegt es nahe, von einer in Richtung mittelbarer Täterschaft weisenden Instrumentalisierung des Täters auszugehen. Bei eigenhändigen Delikten und Sonderdelikten scheidet die Begehung in mittelbarer Täterschaft dagegen regelmäßig aus, sodass hier „echte“ Teilnahme möglich ist. Gleiches gilt in Fällen, in denen die Tatbeteiligung in Unkenntnis der die Schuldunfähigkeit des Täters begründenden Umstände erfolgt.
I. Beteiligung im Umfeld des § 17 StGB Hinsichtlich des Verbotsirrtums nach § 17 StGB gilt es zunächst, zwischen Konstellationen mittelbarer Täterschaft und Konstellationen „echter“ Teilnahme zu differenzieren. 1. Konstellationen mittelbarer Täterschaft a) Exkurs: Der Katzenkönig-Fall des BGH Die Abhandlung von Beteiligungsfragen im Umfeld des § 17 StGB kommt in aller Regel nicht ohne Verweis auf den beinahe schon „Kultstatus“ genießenden Katzenkönig-Fall aus.2 Dort ging es letztlich um die Frage, ob das Einwirken auf einen einem vermeidbaren Verbotsirrtum unterliegenden Täter als Anstiftung oder als Fall mittelbarer Täterschaft zu bewerten ist. In dem geradezu skurrilen Fall hatten zwei Personen (A und B) auf eine dritte, leicht beeinflussbare Person (C) eingewirkt, bis diese von der Existenz eines „Katzenkönigs“ überzeugt war. Der „Katzenkönig“ stelle eine Bedrohung für die Welt dar. Millionen von Menschen oder gar die Menschheit würden vom „Katzenkönig“ vernichtet, wenn C nicht ein – von A und B ausgewähltes – Menschenopfer darbringen würde. C sträubte sich zwar zunächst gegen die Tötung der benannten Person, wurde jedoch von A und B, die C für ihre Zwecke einzusetzen gedachten, derart unter Druck gesetzt, dass er zur Tat schritt und das ausersehene Opfer – heimtückisch – niederstach. Dabei meinte er, durch die Tötung eines Menschen eine Vielzahl an Menschen zu retten. Das Opfer überlebte den Angriff. Der BGH ging davon aus, dass C die Reichweite des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) verkannt habe, indem er eine quantitative Abwägung von Arbeit nicht stattfinden. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass in Auseinandersetzung mit § 35 StGB in erster Linie Konstellationen behandelt werden, in denen – in verschiedenen Ausformungen – „Leben gegen Leben“ steht, mithin Fallgestaltungen, die auch unter Hinzuziehung einer durch Nötigung heraufbeschworenen Lebensgefahr aufseiten des Notstandstäters von vornherein nur über § 35 StGB gelöst werden können. Dass der die Situation des § 35 StGB erst heraufbeschwörende Nötigende mittelbarer Täter i. S. d. § 25 I Alt. 2 StGB ist, steht fest und bedarf keiner weiteren Erörterung (mit den Worten Roxins, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 143: „Die Willensherrschaft über den Inhaber der Handlungsherrschaft begründet die Tatherrschaft“). 2 BGHSt 35, 347.
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Menschenleben für zulässig hielt.3 Darin sei ein – vermeidbarer – Verbotsirrtum zu sehen.4 Freilich hätte man ebenfalls erwägen können, einen Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands anzunehmen.5 Immerhin ging C davon aus, durch die Wahl des „kleineren Übels“ eine Rettung vieler Menschen zu bewirken. Gesteht man dem übergesetzlichen entschuldigenden Notstand – wie auch im Rahmen dieser Arbeit vertreten – einen eigenständigen Anwendungsbereich zu, so müsste die Analogie nicht auf § 35 I StGB begrenzt bleiben, sondern könnte (und sollte) auch die Irrtumsregelung des § 35 II StGB erfassen. Danach wäre auch mit Blick auf die irrige Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands zu prüfen, ob der Irrtum vermeidbar war. Auch an diesen – vermeidbaren6 – Irrtum hätte eine Begehung in mittelbarer Täterschaft anknüpfen können.7 Dass der BGH den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand in seiner Entscheidung nur am Rande erwähnt und darauf verweist, dass es insoweit schon an einer „gewissenhafte[n] Prüfung des Vorliegens einer Notstandssituation“ 8 fehle, mag dem Bestreben geschuldet sein, die – inzidente – Anerkennung eines übergesetzlichen Schuldausschlusses zu vermeiden.9 Mit der Fruchtbarmachung von § 17 StGB verblieb man auf dem Boden geschriebenen Rechts und konnte sich „ohne Umwege“ der umstrittenen Frage nach der Konstruierbarkeit mittelbarer Täterschaft bei einem irrenden, zugleich jedoch verantwortlich handelnden Vordermann zuwenden. Die Frage, ob mittelbare Täterschaft bei einem im vermeidbaren Verbotsirrtum handelnden Vordermann möglich ist, die der BGH nicht pauschal, sondern in Abhängigkeit „von Art und Tragweite des Irrtums und der Intensität der Einwirkung des Hintermannes“ und somit im Wege „wertender Betrachtung“ beantworten möchte10, soll nicht Gegenstand eingehender Begutachtung sein. In Konstellationen wie der vorliegenden spricht freilich viel dafür, dass die – von einem Wissensvorsprung getragene – Einwirkung auf den Vordermann eine täterschaftliche Verantwortlichkeit begründet.11 3
BGHSt 35, 347, 350. BGHSt 35, 347, 350. 5 Darauf hinweisend Küper, JZ 1989, 935, 936; LK-Schünemann, § 25 Rn. 94. 6 Küper, JZ 1989, 935, 936 Fn. 3, erscheint die Vermeidbarkeit des Entschuldigungsirrtums mit Blick auf den Katzenkönig-Fall freilich „höchst fraglich“. 7 Treffend LK-Schünemann, § 25 Rn. 94. 8 BGHSt 35, 347, 350 f. 9 So die naheliegende Überlegung bei Küper, JZ 1989, 935, 936 Fn. 7. 10 BGHSt 35, 347, 354. 11 BGHSt 35, 347, 354 f.; B/W/M/E-Eisele, § 25 Rn. 138 f.; Heinrich, AT, Rn. 1260; MK-Joecks, § 25 Rn. 99; Rengier, AT, § 43 Rn. 42; Schönke/Schröder-Heine/Weißer, § 25 Rn. 43; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 853; im Falle des vermeidbaren Verbots4
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Entscheidend unter Beachtung des Anliegens dieser Arbeit ist, dass die Strafbarkeit auch des Vordermannes nicht in Zweifel steht. Bei vermeidbarem Verbotsirrtum sieht § 17 S. 2 StGB die Möglichkeit der Strafmilderung vor, ohne dass damit die Verantwortlichkeit des im Verbotsirrtum Agierenden negiert würde. Mit Blick auf die Reichweite des gesetzlich angeordneten Schuldausschlusses gibt der Fall daher keinen tauglichen Untersuchungsgegenstand ab. Was durch den Fall höchst eindrücklich dokumentiert wird, ist das Unbehagen des BGH, sich Fragen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands zuzuwenden. Das Bemühen, jedes Bekenntnis zu vermeiden, ist offensichtlich. Unter Beachtung der Seltenheit von – ggf. nur irrig angenommenen – existenzbedrohenden Situationen, in denen der Handelnde sich nur für eines von mehreren Übeln entscheiden kann, mag das „Umschiffen“ der Problematik aus Rechtsprechungsperspektive ein Akt der Klugheit sein. Umso mehr ist die Strafrechtswissenschaft berufen, sich der Frage anzunehmen. b) Handeln im unvermeidbaren Verbotsirrtum Daran, dass die Instrumentalisierung einer im unvermeidbaren Verbotsirrtum handelnden Person dem Anwendungsbereich der mittelbaren Täterschaft unterfällt, bestehen kaum Zweifel.12 Die praktische Relevanz dieses Defizits auf Schuldebene für die Beteiligungsform der mittelbaren Täterschaft fällt freilich denkbar gering aus. So sind die an die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums gestellten Anforderungen enorm hoch. Dies gilt insbesondere für die Rechtsprechung, nach der ein Verbotsirrtum nur dann unvermeidbar ist, „wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte. Das setzt voraus, dass er alle geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung von Rat beseitigt hat.“ 13 Unvermeidbarkeit kommt nach dieser Formel insbesondere in Betracht, wenn der Täter Rat bei einer Stelle gesucht hat, auf deren (Beratungs-)Kompetenz er vertrauen durfte. Mit Blick auf die Erkundigung bei Einzelpersonen fordert der BGH „eine zuständige, sachkundige, unvoreingenommene irrtums generell für Teilnahme des Hintermannes plädierend dagegen etwa Jescheck/ Weigend, AT, § 62 II 5; Krey/Esser, AT, Rn. 927 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12 Rn. 53 ff. 12 Heinrich, AT, Rn. 1252 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 62 II 5; Koch, JuS 2008, 399, 401; Krey/Esser, AT, § 27 Rn. 903, 927; Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, § 48 Rn. 36; MKJoecks, § 25 Rn. 91; M/R-Haas, § 25 Rn. 15; NK-Schild, § 25 Rn. 109; Rengier, AT, § 43 Rn. 30; Roxin, AT II, § 25 Rn. 78; Schönke/Schröder-Heine/Weißer, § 25 Rn. 43; SK-Hoyer, § 25 Rn. 73; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 846; gegen eine mittelbare Täterschaft auch bei unvermeidbarem Verbotsirrtum dagegen Köhler, AT, S. 509. 13 BGH NStZ 2000, 307, 309.
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Person, die mit der Erteilung der Auskunft keinerlei Eigeninteresse verfolgt und die Gewähr für eine objektive, sorgfältige, pflichtgemäße und verantwortungsbewußte Auskunftserteilung bietet“ 14. Unter Beachtung dieser Vorgaben ist etwa folgender Fall denkbar15: Ein Strafrechtsprofessor sieht sich durch ein lärmendes Nachbarkind daran gehindert, am heimischen Schreibtisch in Ruhe zu arbeiten. Daraufhin wendet er sich an den Vater des Kindes und lässt diesen wissen, dass das elterliche Züchtigungsrecht es gestatte, dem Kind eine ordentliche Tracht Prügel zu erteilen. Dem Professor ist freilich bewusst, dass ein solches Recht nicht (mehr) besteht. Schreitet der so informierte Vater zur Tat, stellt sich die Frage nach der strafrechtlichen Relevanz der – bewusst wahrheitswidrigen16 – Auskunftserteilung. Mit Blick auf den Vater ist zunächst festzustellen, dass dieser einem unvermeidbaren Verbotsirrtum unterlag. Er durfte auf die Sachkunde des Professors vertrauen und von einem objektiv und sorgfältig erteilten Hinweis ausgehen. Dass der Professor freilich Eigeninteressen verfolgte, musste sich dem Vater – so wie der Sachverhalt liegt – nicht aufdrängen. Der Professor nutzte den sich aus seiner Sachkunde ergebenden Wissensvorsprung aus, um den – als Zwischenziel notwendigen – strafrechtlichen Erfolg zu bewirken. Damit ergibt sich eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft (§§ 223 I, 25 I Alt. 2). Dass der den Irrtum über das Unrecht der Tat erst hervorrufende Professor vom Schuldausschluss aufseiten des Vaters nicht profitieren kann, liegt auf der Hand. Vielmehr ist der Schuldausschluss Voraussetzung für die Strafbarkeit des Hintermannes als mittelbarer Täter. Aus dem Verantwortungs-Defizit des Vordermannes erwächst erst die täterschaftliche Beteiligung des Hintermannes. Ob für den 14
BGHSt 40, 257, 264. In Anlehnung an Frister, AT, § 27 Rn. 10; Koch, JuS 2008, 399, 401. 16 § 1631 II S. 1 BGB stellt klar, dass Kinder „ein Recht auf gewaltfreie Erziehung“ haben. In S. 2 der Vorschrift heißt es konkretisierend: „Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Einzelne Stimmen in der Literatur gehen – in engen Grenzen – vom (Fort-)Bestehen eines elterlichen Züchtigungsrechts aus (deutlich Kühl, AT, § 9 Rn. 77b; Murmann, Grundkurs, § 25 Rn. 153; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 607 f.). Während z. T. in „klassischer“ Manier von einer Rechtfertigungsmöglichkeit ausgegangen wird (Kühl, AT, § 9 Rn. 77b; ferner Murmann, Grundkurs, § 25 Rn. 153, unter der Prämisse, dass § 1631 II BGB als verfassungswidrig eingestuft wird), findet sich auch der Vorschlag, bereits den Tatbestand der Körperverletzung einzuschränken (Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 607 f.). Ungeachtet der Konstruktion ist festzustellen, dass der Wortlaut des § 1631 II S. 1 BGB keine Spielräume lässt. Jede Züchtigung, welche – unter Zugrundelegung allgemeiner Kriterien – als „körperliche Misshandlung“ i. S. d. § 223 I StGB einzustufen ist, stellt damit eine strafbewehrte Körperverletzung dar (vgl. auch A/W/H/H-Hilgendorf, BT, § 6 Rn. 45; Heinrich, AT, Rn. 521; Hillenkamp, JuS 2001, 159, 165). Im Übrigen dürfte auch bei den Befürwortern eines Züchtigungsrechts Einigkeit darüber bestehen, dass eine „ordentliche Tracht Prügel“ in keiner denkbaren Lage eine (sozial-) adäquate erzieherische Reaktion darstellt (so auch die Einschätzung bei Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, Rn. 353). 15
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Fall, dass der Irrtum nicht hervorgerufen, sondern lediglich ausgenutzt wird, gleichfalls mittelbare Täterschaft anzunehmen ist, wird uneinheitlich beurteilt.17 Selbst wenn man aber beim Ausnutzen eines Irrtums keine hinreichende „Intensität der Einwirkung des Hintermannes“ 18 gegeben sieht, bleibt es bei einer Strafbarkeit wegen Anstiftung. Zu Recht weist Schaffstein in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung „für das anzuwendende Strafmaß entweder überhaupt nicht oder doch nicht von so großer Bedeutung [ist]“ 19. Insgesamt betrachtet steht also außer Frage, dass sowohl das Hervorrufen (und nachfolgende Ausnutzen) als auch das bloße Ausnutzen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums eine strafrechtliche Verantwortung begründet. Während über die Beteiligungsform, je nach Sachlage, diskutiert werden kann, steht die Strafbewehrtheit als solche nicht in Zweifel. 2. „Echte“ Teilnahme Teilnahme im Umfeld eines (unvermeidbaren) Verbotsirrtums ist vor allem dann denkbar, wenn der Tatbeitrag in Unkenntnis der fehlenden Unrechtseinsicht erbracht wird. Zudem ist an Sonderdelikte sowie an eigenhändige Delikte zu denken. a) Teilnahme bei Unkenntnis Teilnahme ist insbesondere denkbar, wenn der den Schuldausschluss bewirkende Verbotsirrtum verborgen bleibt.20 Zur Verdeutlichung soll der oben geschilderte Fall weiter gesponnen werden: Der von der Auskunft des Professors „ermunterte“ Vater trifft auf dem Weg zu seinem Kind auf den Nachbarn N, der sich vom Kinderlärm gleichfalls gestört fühlt. N gegenüber äußert V nur, dass sich sein stets lärmender Sohn nun auf eine „ordentliche Tracht Prügel“ einstellen könne. N ist ein Fan „klassischer“ Erziehungsmethoden und freut sich, dass er mit dieser Auffassung nicht allein ist. Er betont mehrfach, dass V genau das Richtige tue und er ihn zu dieser Entscheidung nur beglückwünschen könne. Bei seinen eigenen Kindern habe die „notwendige Strenge“ zu großartigen Erziehungserfolgen geführt. Dabei hält er körperliche Gewalt gegenüber Kindern zwar nicht für rechtmäßig, denkt jedoch, 17 Differenzierend etwa Schaffstein, NStZ 1989, 153, 157, der – im Anschluss an BGHSt 35, 347 – im Wege wertender Betrachtung von Fall zu Fall entscheiden möchte; zweifelnd an der Differenzierungsnotwendigkeit LK-Schünemann, § 25 Rn. 92 („beachtliche, aber womöglich überfeine, im theoretischen Bezugsrahmen der Tatherrschaftsstufen nicht zwingend notwendige Differenzierungen“); pauschal von mittelbarer Täterschaft auch beim Ausnutzen ausgehend etwa Schönke/Schröder-Heine/Weißer, § 25 Rn. 43. 18 BGHSt 35, 347, 354. 19 Schaffstein, NStZ 1989, 153, 157. 20 Schönke/Schröder-Heine/Weißer, § 25 Rn. 42.
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dass sich die Strafverfolgungsbehörden besser um „echte“ Kriminalität kümmern sollten. Er geht davon aus, dass V dies ähnlich sieht. V sieht sich infolge des Gesprächs nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch auf der richtigen Seite, was seine Entschlossenheit weiter bestärkt. Während N meint, es mit einem volldeliktisch agierenden Täter zu tun zu haben, unterliegt V in Wahrheit einem unvermeidbaren Verbotsirrtum.21 N schätzt die Rechtslage zutreffend ein und glaubt, dies gelte auch für V. Dementsprechend kann von einer – mittelbare Täterschaft begründenden – Instrumentalisierung des V keine Rede sein. Das Ausnutzen22 eines (vorgefundenen) Verbotsirrtums kann nur dort stattfinden, wo der Verbotsirrtum dem potentiell Ausnutzenden bekannt ist. Die von N getätigten Äußerungen können daher, da V bereits zur Tatbegehung entschlossen war, nur als psychische Beihilfe gewertet werden. Diese ist auch – und insbesondere – in Form der Bestärkung bzw. Stabilisierung des Tatentschlusses denkbar.23 Dabei wird gerade in jüngerer Zeit betont, dass die bloße Anwesenheit am Tatort oder die bloße Billigung des (geplanten) Geschehens für sich genommen nicht ausreiche, um strafbare Beihilfe annehmen zu können.24 Fälle wie der vorliegende dürften sich im Grenzbereich von explizit zum Ausdruck gebrachter, aber strafloser Billigung und strafbewehrter Stabilisierung des Tatentschlusses bewegen. Indes spricht hier, da bereits der Sachverhalt eine „Bestärkung“ der Entschlossenheit vorgibt, einiges dafür, strafbare (psychische) Beihilfe zu bejahen. Durch den Verweis auf die Bewährtheit der Erziehungsmethode und die persönliche Überzeugung von deren Richtigkeit liefert N dem V weitere Motive für seinen Tatentschluss. Die Erfahrungen und Überzeugungen eines anderen Vaters rücken die geplante Erziehungsmethode für V auch ethisch in den Bereich des Vertretbaren, womit der Tatentschluss „auf eine breitere und festere Grundlage [ge]stellt“ 25 wird. Dadurch ist auch dem – seinerseits umstrittenen26 – Kausalitätserfordernis Genüge getan, wirkt doch die zusätzliche Motivation im Tatentschluss fort.27 21
Dazu oben D.I.1.b). Zur Frage, ob ein bloßes Ausnutzen mittelbare Täterschaft begründen kann, vgl. oben D.I.1.b) mit Fn. 17. 23 BGH NStZ-RR 2016, 136, 137; NStZ 2012, 316 f.; StV 1982, 516, 517; B/W/M/ E-Eisele, § 26 Rn. 100; Fischer, § 27 Rn. 11; Roxin, AT II, § 26 Rn. 199 f.; Rudolphi, StV 1982, 518, 520; Schönke/Schröder-Heine/Weißer, § 27 Rn. 15; Wessels/Beulke/ Satzger, AT, Rn. 902; grundsätzlich ablehnend dagegen Hruschka, JR 1983, 177, 178 f., mit der Erwägung, dass die sog. psychische Beihilfe in den eigentlich der Anstiftung vorbehaltenen Bereich der Einwirkung auf den Täterwillen übergreife. 24 Vgl. etwa BGH NStZ 2016, 463 m. Anm. Eisele, JuS 2016, 470; NStZ-RR 2016, 136 m. Anm. Hecker, JuS 2016, 944; B/W/M/E-Eisele, § 26 Rn. 100; Schönke/Schröder-Heine/Weißer, § 27 Rn. 15. 25 Rudolphi, StV 1982, 518, 520. 26 Grundlegend dazu B/W/M/E-Eisele, § 26 Rn. 101 ff.; Roxin, AT II, § 26 Rn. 184 ff.; Schönke/Schröder-Heine/Weißer, § 27 Rn. 3 ff. 27 Treffend Rudolphi, StV 1982, 518, 520. 22
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Wiederum stellt sich die Frage, ob die Teilnehmerstrafbarkeit des N ein unangemessenes Ergebnis darstellt. N ist bewusst, dass er Unrecht fördert, ohne dass die Außenwelt ihm eine Entscheidung abverlangt. Es handelt sich um die Förderung von Unrecht, das außerhalb existentieller Bedrängnis begangen wird. Damit ist kein Ansatzpunkt für einen Schuldausschluss aufseiten des N ersichtlich. Dass V„zufällig“ im unvermeidbaren Verbotsirrtum agiert, ändert daran nichts. b) Sonderdelikte Stellt der unvermeidbare Verbotsirrtum schon im Allgemeinen eine Rarität dar, so gilt dies insbesondere im Hinblick auf den Täterkreis der sog. echten Sonderdelikte. Darunter fallen Tatbestände, die bestimmte – bereits vor der konkreten Tat bestehende – (außerstrafrechtliche) Eigenschaften oder Verhältnisse des Täters erfordern.28 Derjenige, der die im Tatbestand verlangten personenbezogenen Merkmale nicht aufweist, kann das Delikt nicht als Täter begehen.29 In Betracht kommt einzig eine Strafbarkeit als Teilnehmer. Unterliegt der die geforderten Eigenschaften aufweisende Täter einem unvermeidbaren Verbotsirrtum, kommt für einen Außenstehenden daher (nur) Teilnahme in Betracht. Der einem unvermeidbaren Verbotsirrtum unterliegende Richter (§ 339 StGB)30 ist ebensowenig vorstellbar wie der den Umfang seiner Offenbarungsbefugnis unvermeidbar falsch einschätzende Arzt oder Therapeut (§ 203 StGB)31. Auch § 266 StGB stellt freilich ein echtes Sonderdelikt dar, erfordert der Tatbestand doch – für beide Varianten32 – eine Vermögensbetreuungspflicht. Wem hinsichtlich des in Rede stehenden Vermögens keine Pflichtenstellung zukommt, kann auch nicht Täter des § 266 StGB sein.33 Der Inhaber einer Vermögensbe28
B/W/M/E-Mitsch, § 6 Rn. 39; Nestler/Lehner, Jura 2017, 403, 412; Satzger, Jura 2011, 103, 105; vgl. auch Heinrich, Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht, 2001, S. 184: „Sonderstellung des Täters innerhalb der Gesellschaft“. 29 B/W/M/E-Mitsch, § 6 Rn. 40; Satzger, Jura 2011, 103, 104; kritisch zur – durch § 28 I StGB manifestierten – Unmöglichkeit, persönliche strafbegründende Merkmale wechselseitig zuzurechnen, A/W/H/H-Heinrich, § 49 Rn. 7 f. 30 Dazu BGHSt 48, 247, 276 f., in Auseinandersetzung mit Rechtsbeugung in der DDR: Die Vorstellung, sich „zum Schutz der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung“ über geltendes Recht hinwegsetzen zu dürfen, begründe „jedenfalls (. . .) keinen unvermeidbaren Verbotsirrtum“. 31 Vgl. etwa BayObLG NStZ 1995, 187, wonach die Annahme, gegenüber einem ebenfalls Schweigepflichtigen ein Geheimnis offenbaren zu dürfen, zwar grundsätzlich einen Verbotsirrtum begründe, dieser jedoch – durch Einholung verlässlicher Rechtsauskunft – vermeidbar sei. 32 Dazu BGHSt 50, 331, 342; A/W/H/H-Heinrich, BT, § 22 Rn. 68; MK-Dierlamm, § 266 Rn. 40; differenzierend hinsichtlich des Inhalts des Merkmals in den beiden Varianten etwa Mitsch, BT 2, 6.2.1.2.1. 33 BGH NStZ-RR 2008, 6; BGH wistra 2015, 146; Fischer, § 266 Rn. 185 f.; Heger, in: Lackner/Kühl, § 266 Rn. 2; MK-Dierlamm, § 266 Rn. 288; NK-Kindhäuser, § 266 Rn. 127; Schönke/Schröder-Perron, § 266 Rn. 52.
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treuungspflicht kann wiederum einem Verbotsirrtum unterliegen.34 Unterstellt man dessen Unvermeidbarkeit, was freilich mit Blick auf den Untreuetäter, „der idR von Berufs wegen eine herausgehobene Position bekleidet, in den Geschäftsverkehr eingebunden ist und dem häufig erhebliche Vermögenswerte anvertraut sind“ 35, die absolute Ausnahme darstellen dürfte, steht die Strafbarkeit des Teilnehmers, soweit er sich nicht selbst auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen kann, außer Frage. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb der mit vollem Unrechtsbewusstsein agierende Teilnehmer vom Schuldausschluss aufseiten des Täters profitieren sollte. Weder äußere Umstände noch ein – aus den Umständen resultierender – besonderer Motivationsdruck streiten insoweit für die Straflosigkeit auch des Teilnehmers. c) Eigenhändige Delikte Auch in Ansehung der eigenhändigen Delikte gibt der unvermeidbare Verbotsirrtum einen undankbaren Untersuchungsgegenstand ab. Unter eigenhändigen Delikten versteht man solche, bei denen die Tathandlung das wesentliche Unrecht der Strafvorschrift abbildet.36 In der Folge ist Täterschaft nur für den Fall denkbar, dass die Tathandlung unmittelbar eigenhändig vorgenommen wird.37 Darüber, welche Delikte als „eigenhändig“ einzustufen sind, besteht in weiten Teilen keine Einigkeit. So existieren unterschiedlichste Ansätze, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Frage nach der Eigenhändigkeit eines Delikts zu beantworten.38 Das Herausarbeiten tauglicher Abgrenzungskriterien kann im Rahmen der gegenständlichen Untersuchung nicht geleistet werden.39 Als gesichert darf die Einordnung der Aussagedelikte (§§ 153 ff. StGB) als eigenhändige Straftaten gelten.40 Bereits bei den Verkehrsdelikten der §§ 316, 315c StGB ist der eigenhändige Charakter umstritten.41 34 Vgl. dazu BGH NStZ 2006, 214, 217 f. (insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 50, 331 [Mannesmann-Entscheidung]): Ein – bei normativen Tatbestandsmerkmalen besonders sorgsam vom Tatbestandsirrtum abzugrenzender – Verbotsirrtum kann etwa in der Einschätzung liegen, das betreuungspflichtige Vermögen aufgrund unternehmerischer Handlungsfreiheit (zur Erreichung bestimmter Fernziele) mindern zu dürfen. Die Vermeidbarkeit dieses Irrtums liegt auf der Hand. 35 Waßmer, in: Graf/Jäger/Wittig, § 266 Rn. 231. 36 B/W/M/E-Mitsch, § 6 Rn. 46; Jescheck/Weigend, AT, § 26 II 6; Wessels/Beulke/ Satzger, AT, Rn. 56. 37 Schönke/Schröder-Heine/Weißer, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 85; Nestler/Lehner, Jura 2017, 403, 405; vgl. auch Satzger, Jura 2011, 103, 105. 38 Im Überblick etwa bei Roxin, AT II, § 25 Rn. 289 ff.; Satzger, Jura 2011, 103, 107 ff. Entsprechende Bemühungen kritisierend Walter, FS-Beulke, S. 327, 331 f., nach dem es „dogmatisch falsch“ sei, die Eigenhändigkeit „aus der ,Natur‘ eines Delikts oder dem aktuellen Wortlaut des Strafgesetzes“ zu folgern. 39 Eine Auseinandersetzung mit den eigenhändigen Delikten findet sich etwa bei Herzberg, ZStW 82 (1970), S. 896; Schünemann, FS-Jung, S. 881. 40 OLG Hamm NJW 1992, 1977; Hettinger/Bender, JuS 2015, 577; LK-Schünemann, § 25 Rn. 51; MK-Müller, Vorbem. § 153 Rn. 16 f.; Otto, JuS 1984, 161, 166;
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Die vorgelagerten Einordnungsfragen einmal außen vor lassend, sind wiederum kaum Konstellationen denkbar, in denen auf Täterseite ein unvermeidbarer Verbotsirrtum Raum greift.42 Zwar ist hinsichtlich der Aussagedelikte zu bedenken, dass die Zuständigkeit der Stelle nicht in allen Fällen offenkundig ist43, sodass diesbezügliche Irrtümer durchaus denkbar sind. Doch stellt sich insoweit bereits die Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum als schwierig dar. Ein Tatbestandsirrtum soll vorliegen, „wenn der Täter die die Zuständigkeit begründenden Tatsachen nicht kennt“ 44, ein Verbotsirrtum (in Gestalt eines Subsumtionsirrtums) sei gegeben, wenn der Täter „die Stelle aus falschen rechtlichen Erwägungen für unzuständig [hält]“ 45. Zum Teil wird die auf rechtlicher Fehlwertung beruhende Annahme der Unzuständigkeit auch in die Nähe des Tatbestandsirrtums gerückt46, womit sich – einmal mehr – die Problematik normativer Tatbestandsmerkmale auftut. Ohne dieser hier weiter nachgehen zu wollen, sei folgendes Beispiel genannt47: Zeuge Z soll vor der Prüfungsstelle des Patentamts aussagen (§ 46 I 1 PatG). Er sagt die Unwahrheit, wobei er davon ausgeht, dass der Behörde keine weitergehenden Befugnisse als der Staatsanwaltschaft zukommen. Letztere ist zur eidlichen Zeugenvernehmung nicht berechtigt (§ 161a I 3 StPO). Mit Blick auf die Strafbarkeit des Aussagenden (Z) nach § 153 StGB stellt sich die Frage, ob bereits ein Tatbestandsirrtum vorliegt, der gemäß § 16 I 1 StGB den Vorsatz entfallen lässt.48 Indes unterliegt Z einem Irrtum, der sich aus einem Rengier, BT II, § 49 Rn. 3; Roxin, AT II, § 25 Rn. 303 („höchstpersönliche Pflichtdelikte“); Satzger, Jura 2011, 103, 109; Schönke/Schröder-Heine/Weißer, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 85; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 57; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, Rn. 819. 41 Bejahend Eisele, BT I, Rn. 1102 (zu § 316 StGB) u. Rn. 1122 (zu § 315c, wobei § 315c I Nr. 2 g StGB [Verletzung der Pflicht zur Kenntlichmachung eines Fahrzeugs] ausgenommen wird); LK-Schünemann, § 25 Rn. 52; NK-Zieschang, § 315c Rn. 7 u. § 316 Rn. 12; zweifelnd Satzger, Jura 2011, 103, 109 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 57; verneinend Roxin, AT II, § 25 Rn. 295; Zimmermann, JuS 2010, 22, 25 f. 42 Man stelle sich nur vor, ein mit 1,5 Promille aufgegriffener Autofahrer trägt vor, er sei davon ausgegangen, dass das Führen eines Kraftfahrzeugs in der Autofahrer-Nation Deutschland auch nach reichlichem Alkoholgenuss noch erlaubt sei. 43 Vgl. etwa § 46 I 1 PatG, wonach die Prüfungsstelle des Patentamts „Zeugen, Sachverständige und Beteiligte eidlich oder uneidlich vernehmen“ kann. 44 Schönke/Schröder-Bosch/Schittenhelm, Vorbem. §§ 153 ff. Rn. 32; ferner BeckOK-Kudlich, § 153 Rn. 20; MK-Müller, § 153 Rn. 72; NK-Vormbaum, § 153 Rn. 105. 45 Schönke/Schröder-Bosch/Schittenhelm, Vorbem. §§ 153 ff. Rn. 32; ähnl. MK-Müller, § 153 Rn. 72; SK-Rudolphi, 8. Aufl., § 153 Rn. 6. 46 Vgl. BeckOK-Kudlich, § 153 Rn. 20.1, nach dem die Herleitung der Zuständigkeit aus außerstrafrechtlichen Verfahrensordnungen dazu führt, dass „dem Täter der spezifisch strafrechtlich-soziale Sinn seines Handelns in gleicher Weise unbekannt [bleibt] wie beim Irrtum über Tatsachen“; differenzierend auch NK-Vormbaum, § 153 Rn. 106. 47 Nach A/W/H/H-Hilgendorf, § 47 Rn. 50. 48 Dafür A/W/H/H-Hilgendorf, § 47 Rn. 50.
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Vergleich mit den Befugnissen der Staatsanwaltschaft speist. Dieser BefugnisVergleich wird vorgenommenen, um die vorgefundenen Umstände besser bewerten zu können. Dabei werden die Kompetenzgrenzen der Staatsanwaltschaft – fehlerhaft – zum Maßstab erhoben. D.h. aber, dass es nicht an Tatsachenkenntnis mangelt, sondern ein bekannter rechtlicher Rahmen fehlerhaft auf eine andere Konstellation übertragen wird. Im Ergebnis ist daher von einen Verbotsirrtum auszugehen. Stuft man diesen als unvermeidbar ein49, stellt sich die Frage nach der Strafbarkeit eines möglichen Teilnehmers. Denkt man sich nun eine weitere Person (A) hinzu, die vor der Aussage mit der Bitte an Z herangetreten ist, die Unwahrheit zu sagen, so kommt eine Strafbarkeit wegen Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage in Betracht. § 160 StGB kann schon deshalb nicht eingreifen, weil es sich bei Z nicht um eine – vermeintlich50 – gutgläubige Person handelt. Ist sich A über die Zuständigkeit der Behörde bei seinem Einwirken auf Z im Klaren, sodass für ihn kein (unvermeidbarer) Verbotsirrtum eingreifen kann, bleibt es beim Ergebnis der Strafbarkeit wegen Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage. Die fehlerhafte rechtliche Wertung aufseiten des Z kann A, der mit vollem Unrechtsbewusstsein handelt, nicht zugutekommen.
II. Beteiligung im Umfeld des § 20 StGB Gegenüber § 17 StGB bietet § 20 StGB eine echte Fülle an Beispielen, in denen sich Beteiligungsfragen im Umfeld eines Schuldausschlusses (im engeren Sinne) stellen. Erneut ist zwischen Fällen mittelbarer Täterschaft und Fällen „echter“ Teilnahme zu differenzieren.51 1. Konstellationen mittelbarer Täterschaft Im Ausgangspunkt besteht Einigkeit darüber, dass die Einwirkung auf einen „willenlosen“ 52 Ausführenden mittelbare Täterschaft des Einwirkenden begründen kann. An dieser Stelle interessiert der nach Maßgabe des § 20 StGB unverantwortlich agierende Täter, der von einem – eigene Zwecke verfolgenden – Hin49 Dies dürfte aufgrund existierender Belehrungspflichten (etwa § 57 StPO) regelmäßig nur schwerlich zu begründen sein; zutreffend insoweit A/W/H/H-Hilgendorf, § 47 Rn. 50. 50 Nach BGHSt 21, 116, 117 f., soll auch das Einwirken auf einen unerkannt Bösgläubigen von der Vorschrift erfasst werden. Zu Recht kritisch dazu etwa BeckOK-Kudlich, § 160 Rn. 6; MK-Müller, § 160 Rn. 16 ff. 51 Zur Entwicklung der Unterscheidung von mittelbarer Täterschaft („intellektueller Urheberschaft“) und Teilnahme in Form der Anstiftung in der Strafrechtswissenschaft des 19. Jhd. vgl. oben C.IV.1.a)cc). 52 Formulierung nach F.-C. Schroeder, Der Täter hinter dem Täter, 1965, S. 71, der darunter „Zurechnungsunfähigkeit, Fehlen von Vorsatz und Fahrlässigkeit und Zwang“ fasst.
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termann instrumentalisiert wird.53 Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten ist insoweit die Frage, ob bei der Einwirkung auf einen erkannt Schuldunfähigen stets mittelbare Täterschaft anzunehmen ist oder ob im Wege differenzierender Betrachtung vorzugehen ist. Immerhin kann in der Einwirkung – aufgrund der Limitierung der Akzessorietät durch die §§ 26, 27 StGB54 – auch eine Anstiftung oder Beihilfe gesehen werden. Z. T. wird die Frage der Tatherrschaft unter Rückgriff auf die beim Hintermann ausgemachte rechtliche Überlegenheit beantwortet: Spricht die Rechtsordnung dem Vordermann jede Verantwortlichkeit ab, während der Hintermann vollverantwortlich agiert, ergebe sich bereits daraus Tatherrschaft und folglich mittelbare Täterschaft.55 Dabei wird von einigen Stimmen wiederum zwischen dem Hervorrufen des Tatentschlusses und der bloßen Unterstützung differenziert.56 Andere wollen die allgemeinen Kriterien der Tatherrschaft anlegen, um zwischen mittelbarer Täterschaft und Teilnahme abzugrenzen.57 Denkbar sind etwa folgende Fallgestaltungen58: A ist eifersüchtig auf O, der mit der Ex-Freundin des A zusammen ist. Daher bittet er den schizophrenen T, der mit A in einer Straße wohnt und diesen bewundert, O zu „beseitigen“. Dabei ist A bewusst, dass T gerade an einem besonders heftigen Schub seiner Schizophrenie leidet. T schreitet sogleich zur Tat und tötet O. Der schizophrene T wird beim Anblick des Regionalpolitikers P im Fernsehen regelmäßig wütend. Ihm missfällt dessen „selbstgefälliges“ Auftreten. Er beschließt, dass P sterben muss. Dies teilt er auch seinem Nachbarn A mit. A kann 53 Die Einwirkung auf einen Schuldunfähigen i. S. d. § 20 StGB grundsätzlich dem Anwendungsbereich mittelbarer Täterschaft zuschlagend etwa BGH NJW 1983, 462 (mit Blick auf selbstschädigendes Verhalten eines Schuldunfähigen); B/W/M/E-Eisele, § 25 Rn. 129; BeckOK-Kudlich, § 25 Rn. 27; Heinrich, AT, Rn. 1252 f.; Jescheck/Weigend, AT, § 62 II 4; Koch, JuS 2008, 399, 401; Krey/Esser, AT, Rn. 898; Kühl, AT, § 20 Rn. 66 f.; LK-Schünemann, § 25 Rn. 113; Roxin, AT II, § 25 Rn. 139 f.; Schönke/ Schröder-Heine/Weißer, § 25 Rn. 46; SK-Hoyer, § 25 Rn. 51, 73; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 846; anders wiederum Köhler, AT, S. 509. 54 Dazu oben C.IV.1.b)bb). 55 In dieser Pauschalität etwa Jescheck/Weigend, AT, § 62 II 4; Krey/Esser, AT, Rn. 898 f.; ähnl. Kühl, AT, § 20 Rn. 66. 56 Nach LK-Schünemann, § 25 Rn. 113, ist bei bloßer Unterstützung Teilnahme (in Form der Beihilfe) denkbar, wenn dem Vordermann nicht bereits die Unrechtseinsicht, sondern nur die Fähigkeit fehlt, nach dieser zu handeln; ähnl. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 236; ders., AT II, § 25 Rn. 139; anders Krey/Esser, AT, Rn. 899, nach denen auch bei beim vorsätzlichen Hilfeleisten stets mittelbare Täterschaft anzunehmen ist. 57 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 850; wohl auch Heinrich, AT, Rn. 1252a; ähnl. MK-Joecks, § 25 Rn. 102 ff., der – unter Fokussierung der Einwirkung auf Kinder (§ 19 StGB) – „allein die tatsächliche Überlegenheit im Einzelfall“ (Rn. 102) zur Annahme mittelbarer Täterschaft genügen lassen möchte. 58 Zweite Konstellation ähnl. bei Rengier, AT, § 43 Rn. 29.
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P ebenfalls nicht leiden, weshalb er T, als dieser einmal wieder an einem akuten Schub leidet und ankündigt, P nun zu „erledigen“, eine Pistole übergibt, mit welcher T die Tat ausführt. Ungeachtet des Vorliegens möglicher Mordmerkmale, stellt sich in der ersten Konstellation die Frage nach einer Strafbarkeit des A gemäß §§ 212 I, 25 I Alt. 2 StGB. Der schizophrene T ist angesichts des zum Tatzeitpunkt vorliegenden psychotischen Schubes gemäß § 20 StGB schuldunfähig.59 A ist der geistige Zustand des T bekannt, als er ihn bittet, O zu töten. Daher liegt es nahe, von einer Instrumentalisierung des schuldlos agierenden Vordermannes auszugehen, ohne dass sich echte Abgrenzungsfragen zur Teilnahme (in Form der Anstiftung) stellen. A nutzt die Verfassung des T gezielt aus, um diesen zur Tatbegehung zu bewegen. Dabei stellt sich – anders als beim (unvermeidbaren) Verbotsirrtum – nicht die Frage, ob ein bloßes Ausnutzen des vorgefundenen Defekts zur Bejahung mittelbarer Täterschaft genügen kann. Der Zustand der Schuldunfähigkeit wird in den seltensten Fällen auf eine Einwirkung des Hintermannes zurückzuführen sein.60 Entscheidend ist, dass demjenigen, der in einem in seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit offensichtlich schwer Beeinträchtigten einen Tatentschluss weckt, die Herrschaft über das nachfolgende Geschehen zukommt. Das Wachrufen kriminellen Potentials bei einem nach § 20 StGB Schuldunfähigen kann nicht anders als ein planvoll-lenkendes Ausnutzen eines (vorgefundenen) Defekts und damit als Anwendungsfall mittelbarer Täterschaft eingeordnet werden. Nach alledem ergibt sich, dass jedenfalls das Hervorrufen des Tatentschlusses bei einem nach Maßgabe des § 20 StGB Schuldunfähigen regelmäßig mittelbare Täterschaft des Einwirkenden begründet. Hinsichtlich der zweiten Konstellation, in welcher nicht der Tatentschluss hervorgerufen, sondern „lediglich“ eine unterstützende Tätigkeit erbracht wird, stellt 59 Die Schizophrenie wird als endogene Psychose der „krankhaften seelischen Störung“ zugerechnet, vgl. Fischer, § 20 Rn. 9; Heghmanns, AL 2015, 96, 97; Jescheck/ Weigend, AT, § 40 III 2 a; MK-Streng, § 20 Rn. 34; NK-Schild, § 20 Rn. 85; Schönke/ Schröder-Perron/Weißer, § 20 Rn. 11; SK-Rogall, § 20 Rn. 15; zu den verschiedenen (Unter-)Formen der Schizophrenie vgl. Müller/Nedopil, Forensische Psychatrie, 5. Aufl. 2017, S. 175 f. Dabei genügt der Verweis auf eine diagnostizierte Schizophrenie für sich genommen nicht, um Schuldunfähigkeit anzunehmen – vielmehr ist stets zu eruieren, ob der Täter sich bei Tatbegehung in einem Zustand befand, der seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausschloss (vgl. nur BGH NStZ-RR 2012, 239; 2013, 145, 146; 2013, 368, 369; 2016, 167), was jedenfalls bei akuten Schüben anzunehmen sein wird (für fehlende Einsichtsfähigkeit in solchen Fällen BGH NStZ-RR 2013, 145, 146; 2013, 368, 369; BeckOK-Eschelbach, § 20 Rn. 18). 60 Anders etwa, wenn der spätere Täter von einem anderen mit dem Ziel „abgefüllt“ wird, den herbeigeführten Rauschzustand zur leichteren Manipulation des Volltrunkenen zu nutzen. Zum Herbeiführen der Schuldunfähigkeit durch Dritte vgl. auch Sinn, Straffreistellung aufgrund von Drittverhalten, 2007, S. 328 f., der freilich einen „strukturellen Unterschied“ zwischen im Menschen angelegter und durch menschliches Verhalten bewirkter Schuldunfähigkeit ausmacht, was die Regelung des § 20 StGB indes unberücksichtigt ließe.
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sich wiederum die Frage, ob Beihilfe zu einem Tötungsdelikt oder mittelbare Täterschaft gegeben ist. Während das Hervorrufen des Tatentschlusses bei einem Schuldunfähigen – als geradezu „klassischer“ Anwendungsbereich der mittelbaren Täterschaft – zur Genüge behandelt wird, finden sich nur wenige Stellungnahmen zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterstützung eines Schuldunfähigen.61 Auch insoweit ist ein Verweis auf das Verantwortungsprinzip denkbar, wonach nicht die Art und Weise der Einwirkung (Hervorrufen des Tatentschlusses oder Unterstützung), sondern die normative Zuweisung der Tatherrschaft entscheidend ist. Mit anderen Worten: Die Wertung des § 20 StGB weist dem Einwirkenden ausnahmslos die Rolle der Zentralgestalt zu, sodass stets mittelbare Täterschaft anzunehmen ist.62 Z. T. wird mit Blick auf Unterstützungshandlungen danach differenziert, ob dem schuldunfähigen Vordermann bereits die Unrechtseinsicht oder lediglich die Fähigkeit fehlt, nach dieser zu handeln. Namentlich Roxin und Schünemann plädieren dafür, Beihilfe anzunehmen, wenn die Schuldunfähigkeit erst auf mangelndem Hemmungsvermögen beruht und sich die Unterstützungshandlung in einer Förderung oder Modifizierung der Tatbegehung erschöpft.63 Anders als bei demjenigen Schuldunfähigen, bei welchem bereits ein grundlegender Verständnismangel vorliegt („Defekt [. . .] im intellektuellen Bereich“ 64), könnten im Umgang mit dem lediglich hemmungsunfähigen Schuldunfähigen („Defekt [. . .] im voluntativen Bereich“ 65) durchaus Unterstützungshandlungen erbracht werden, durch welche die Tat nicht zum Werk des Unterstützenden würde.66 Explizit ausgenommen werden Handlungen, welche die Tat nicht nur fördern, sondern erst ermöglichen, da die Tatbegehung dann dem verantwortlichen Willen des Einwirkenden anheimgestellt würde.67 Geht man im obigen Sachverhalt davon aus, dass der schizophrene T zur Tötung des Politikers nicht auf die Waffe des A angewiesen war, käme bei differenzierender Betrachtungsweise grundsätzlich Beihilfe in Betracht. Weiter dürfte bei T nicht bereits die Einsichts-, sondern lediglich die Steuerungsfähigkeit aufgehoben sein; bei Fehlen der Einsichtsfähigkeit dominerte – folgt man Roxin und Schünemann – nämlich der Wille des Unterstützers, sodass wiederum mittelbare Täterschaft vorläge. Zu fragen ist daher, ob der zu attestierende akute psychotische Schub bereits die Einsichtsfähigkeit aufhebt. Regelmäßig dürfte diese Frage zu bejahen sein.68 Von 61
Zutreffend darauf hinweisend Krey/Esser, AT, Rn. 899 mit Fn. 41. Für eine solche Lösung explizit Krey/Esser, AT, Rn. 899 mit Fn. 42. 63 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 236; LK-Schünemann, § 25 Rn. 113. 64 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 234. 65 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 235. 66 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 236; LK-Schünemann, § 25 Rn. 113. 67 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 236, nennt das Beispiel eines „Irren“, der ein Haus in die Luft sprengen möchte, wozu ein anderer ihm die Bombe verschafft. 68 Müller-Isberner/Eusterschulte, in: Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 6. Aufl. 2015, S. 235; vgl. auch Müller/Nedopil, Forensische Psychatrie, 5. Aufl. 2017, S. 185, wobei hinsichtlich der Schizophrenie zu bedenken sei, dass „nach der Logik des 62
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diesem Befund ausgehend, wäre auch bei differenzierender Betrachtung mittelbare Täterschaft des A zu bejahen. Freilich sind auch Fälle denkbar, in denen nur die Steuerungsfähigkeit aufgehoben ist. Insbesondere im Zusammenhang mit übermäßigem Alkoholkonsum („Rausch“), der mehrheitlich ebenfalls der „krankhaften seelischen Störung“ zugerechnet wird69, ist das Hauptaugenmerk auf die Frage der Steuerungsfähigkeit zu legen.70 Dabei ist – auch und insbesondere im Zusammenhang mit Alkoholund sonstigem Rauschmittelkonsum – zu beachten, dass die Fälle verminderter Steuerungs- und damit verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) die Fälle aufgehobener Steuerungsfähigkeit bei weitem übersteigen.71 Nichtsdestoweniger ist jedenfalls denkbar, dass einem stark alkoholisierten Täter die Steuerungsfähigkeit abzusprechen ist, sodass sich Unterstützungshandlungen – unter Rückgriff auf Roxin und Schünemann – als strafbewehrte Beihilfehandlungen darstellen können. Man denke etwa an eine Zechgemeinschaft, deren Teilnehmer mit anderen Kneipenbesuchern in Streit geraten. Bittet ein – erkennbar – volltrunkenes Mitglied der Gemeinschaft einen seiner Kumpane darum, ihm einen in der Ecke stehenden Schirm zu reichen, damit er einem der Kneipenbesucher „eine ordentliche Lektion“ erteilen könne, steht, soweit sich der Kumpane nicht selbst im Zustand der Steuerungsunfähigkeit befindet, nach der differenzierenden Konzeption „nur“ eine Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung im Raum. Bereits diese Konstellation zeigt, dass pauschale Lösungen schwerlich zu überzeugen vermögen. Dies gilt einmal für die durchgängige Bejahung mittelbarer Täterschaft, wie sie, unabhängig von der Teilnahmeform, unter Verweis auf das Verantwortungsprinzip vertreten wird. In abgeschwächter Form gilt dies aber auch für die von Roxin und Schünemann präferierte Lösung, die bei Vorliegen dreier Vorausset§ 20 StGB die Frage nach der Einsichtsfähigkeit zuerst beantwortet und (. . .) verneint werden muss“, aus „psychopathologischer Sicht“ indes nicht sinnvoll zwischen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit unterschieden werden könne (zu den Schwierigkeiten der „Nachbarwissenschaften“, mit den gesetzlichen Begrifflichkeiten umzugehen, prägnant Weißer, GA 2013, 26, 29). Nachweise zur Rspr. in diesem Kapitel bei Fn. 59. 69 BGHSt 43, 66, 69; 57, 247, 249; BeckOK-Eschelbach, § 20 Rn. 22; Heghmanns, AL 2015, 96, 97; Krey/Esser, AT, Rn. 696; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 20 Rn. 4; LKSchöch, § 20 Rn. 59; Roxin, AT I, § 20 Rn. 10; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 646; den Alkohol-Rausch der „tiefgreifenden Bewusstseinsstörung“ zuordnend dagegen etwa B/W/M/E-Eisele, § 17 Rn. 19; Hallmann, Gebundene Freiheit und strafrechtliche Schuld, 2017, S. 131; Krümpelmann, ZStW 88 (1976), S. 6, 16 mit Anm. 44; Schönke/ Schröder-Perron/Weißer, § 20 Rn. 13; offen gelassen von BGHSt 37, 231, 239. 70 BGH NStZ 1983, 19; 1984, 408, 409; 2016, 670 f.; NStZ-RR 2016, 103, 104; Stollenwerk, JuS 2017, 988, 991; Schönke/Schröder-Perron/Weißer, § 20 Rn. 16. 71 Darauf hinweisend auch Müller/Nedopil, Forensische Psychatrie, 5. Aufl. 2017, S. 42; ferner Adam/Schmidt/Schumacher, NStZ 2017, 7, 10; BeckOK-Eschelbach, § 21 Rn. 1; vgl. auch MK-Streng, § 21 Rn. 6, wonach den Gerichten eine „großzügige“ Anwendung des § 21 StGB leicht falle, da die Strafrahmenmilderung nur fakultativ sei und der Strafrahmen auch bei Wahrnehmung der Milderungsmöglichkeit regelmäßig noch relativ weit sei.
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zungen – Unterstützungshandlung, fehlende Steuerungsfähigkeit beim Vordermann, nur fördernder Charakter der Handlung – stets Teilnahme in Gestalt der Beihilfe vorsieht. Ist nämlich der den Schirm reichende Zechkumpane noch relativ nüchtern und erkennt, dass der Volltrunkene zwar zur Tat entschlossen ist, durch kurzes Zureden oder anderweitige Ablenkung jedoch von seinem Vorhaben abzubringen wäre, kann ihm sehr wohl Tatherrschaft unterstellt werden. Durch das sofortige Reichen des Schirmes erlangt der Unterstützer die Kontrolle über das nachfolgende Geschehen, womit mehr für mittelbare Täterschaft spricht. Denkbar ist ebenfalls, dass der Volltrunkene den Eindruck eines unumstößlich zur Tat Entschlossenen vermittelt und der Kumpane, der die Eskalation für unausweichlich hält und auch selbst keine Scherereien mit dem Berauschten haben möchte, den Schirm „notgedrungen“ überreicht. Hier von einem bewussten Ausnutzen des Defekts auszugehen, erscheint eher fernliegend, was wiederum für die Annahme einer Teilnehmerstrafbarkeit spricht. Daraus ergibt sich, dass – nach hier vertretener Konzeption – die Abgrenzung von (mittelbarer) Täterschaft und Teilnahme hauptsächlich im Bereich der Unterstützung eines nach § 20 StGB erkanntermaßen Schuldunfähigen relevant wird. Insoweit besteht noch Einigkeit mit Roxin und Schünemann. Der von ihnen ausgewiesene Korridor (Einschränkung auf fördernde – nicht ermöglichende – Unterstützungshandlungen, die gegenüber einem Steuerungsunfähigen vorgenommen werden) ist indes mit Blick auf dessen mangelnde Flexibilität zu kritisieren. So spricht das Vorliegen nur fördernder bzw. modifizierender Handlungen zwar grundsätzlich eher für Beihilfe, zwingend ist dies indes nicht. Aus den konkreten Umständen kann sich auch bei nur fördernden Handlungen eine beherrschende Position des Unterstützers ergeben. Umgekehrt wird eine ermöglichende Handlung regelmäßig, aber nicht immer zu Lenkungsgewalt führen. Zu folgen ist Roxin und Schünemann insofern, als Beihilfe bei Unterstützung eines bereits der Unrechtseinsicht Unfähigen ausscheiden muss. Hier manifestiert sich – in Parallele zu den Fällen des Ausnutzens eines (unvermeidbaren) Verbotsirrtums72 – ein elementarer Wissensvorsprung, der in der Tatbegehung fortwirkt. Folglich ist in diesen Fällen auch bei Unterstützungshandlungen mittelbare Täterschaft anzunehmen.73 72 Auch beim (unvermeidbaren) Verbotsirrtum fehlt es dem Täter an der Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen. Die Besonderheit des § 20 StGB besteht darin, dass die fehlende Einsicht Ausfluss einer psychischen Unfähigkeit ist. Strukturell stellt die fehlende Einsichtsfähigkeit im Rahmen des § 20 StGB daher einen Spezialfall des (unvermeidbaren) Verbotsirrtums dar; vgl. dazu BGH NStZ 1985, 309 („Fall des Verbotsirrtums“); BeckOK-Eschelbach, § 20 Rn. 9 („lex specialis“); Kühl, in: Lackner/Kühl, § 20 Rn. 15 („Unterfall des Verbotsirrtums“); MK-Streng, § 20 Rn. 16 („besondere [. . .] Form von Verbotsirrtum“); Schönke/Schröder-Perron/Weißer, § 20 Rn. 4 („besonderer Anwendungsfall“). 73 A. A. Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, wonach „die bloße Förderung der Tat eines Unzurechnungsfähigen nicht zur Begründung mittelbarer Täterschaft aus[reicht]“.
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Nochmals: Ob Unterstützungshandlungen, die gegenüber einem nach Maßgabe des § 20 StGB Steuerungsunfähigen erbracht werden, mittelbare Täterschaft oder eine Beihilfestrafbarkeit begründen, bestimmt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Pauschale Lösungen sind auch in diesem Rahmen abzulehnen. Dass sich der Unterstützer strafbar macht, steht außer Frage: Wer zur Unrechtseinsicht fähig ist und in der konkreten Tatsituation auch nach dieser Einsicht handeln kann, kann vom Ausschluss der Hemmungsfähigkeit aufseiten des Vordermannes nicht profitieren. Dies gilt nicht nur für den mittelbaren Täter, sondern auch und insbesondere für den Gehilfen, der die Tat eines Hemmungsunfähigen fördert. Das die Basis des Schuldausschlusses bildende biologisch-psychologische Eingangsmerkmal ist untrennbar mit der Person des Schuldunfähigen verbunden, sodass eine „Erstreckung“ des Schuldausschlusses – vermittelt etwa über äußere Rahmenbedingungen – von vornherein ausscheidet. 2. „Echte“ Teilnahme Eine Teilnehmerstrafbarkeit kommt regelmäßig dann in Betracht, wenn Beiträge im Umfeld eines unerkannt Schuldunfähigen erbracht werden. In diesen Fällen ist ein Ausnutzen des bestehenden Defekts weder bei Hervorrufung des Tatentschlusses noch bei Vornahme unterstützender Tätigkeiten denkbar. Denkbar ist freilich ebenfalls mittäterschaftliches Handeln. Bleibt es indes bei der bloßen Aufforderung zur Tatbegehung bzw. dem Erbringen klassischer Unterstützungshandlungen, fehlt es an der notwendigen Tatherrschaft74 bzw. dem aus dem Tatinteresse, dem Umfang der Tatbeteiligung und der Tatherrschaft abzuleitenden Täterwillen75. Zu denken ist daneben an Sonderdelikte und eigenhändige Delikte. Bei diesen Deliktsgruppen ist es irrelevant, ob der Beteiligte den Verantwortungsmangel aufseiten des Täters kennt; die Möglichkeit täterschaftlicher Begehung steht und fällt mit der Inhaberschaft einer Sonderstellung bzw. der eigenhändigen Vornahme der Tathandlung. a) Teilnahme bei Unkenntnis Wird ein unerkannt Schuldunfähiger zur Tatbegehung aufgefordert, liegt darin – wie „gewöhnlich“ – eine Anstiftung. Denkt man sich den oben gebildeten Fall des eifersüchtigen A, der seinen Nebenbuhler O loswerden möchte76, so, dass A 74 So die (modifizierte) Tatherrschaftslehre, vgl. B/W/M/E-Eisele, § 25 Rn. 28 f. u. 34; Jescheck/Weigend, AT, § 61 V 3 b u. § 63 I 1 a. 75 So die sog. gemäßigt subjektive Theorie der Rspr., vgl. etwa BGHSt 28, 346, 348 f.; BGH NStZ-RR 2016, 6, 7; 2017, 5, 6. 76 Zur ursprünglichen Variante des Falles s. o. D.II.1.
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in Unkenntnis der Schizophrenie des T an diesen herantritt, weil er diesen schlicht als besonders loyal und zuverlässig erlebt, so scheidet mittelbare Täterschaft aus. Gleiches gilt für Unterstützungshandlungen, die gegenüber einem unerkannt Schuldunfähigen erbracht werden. Einer Differenzierung nach mangelnder Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit, wie sie grundsätzlich auch hier befürwortet wird77, bedarf es dabei von vornherein nicht: Bleibt das Defizit im Verborgenen, fehlt es auch mit Blick auf Unterstützungshandlungen gegenüber einem der Unrechtseinsicht Unfähigen am Ausnutzen eines Wissensvorsprungs. b) Sonderdelikte Bei den Sonderdelikten bietet sich wiederum ein Rückgriff auf die §§ 203, 339 StGB an. Bei diesen scheidet mittelbare Täterschaft jedenfalls für den Fall aus, dass dem auf den Sonderpflichtigen Einwirkenden selbst keine Sonderstellung zukommt. Ist dies dagegen der Fall, ist mittelbare Täterschaft (und Mittäterschaft) denkbar.78 Soweit die Möglichkeit mittelbarer Täterschaft hinsichtlich § 339 StGB bestritten wird79, beruht dies auf der Einordnung der Rechtsbeugung als eigenhändiges Delikt.80 Der Fokus soll an dieser Stelle der Untersuchung auf Konstellationen liegen, in denen ein Außenstehender, dem die tatbestandliche Sonderstellung fehlt, auf einen schuldunfähigen Inhaber der Sonderstellung einwirkt. Denkbar ist etwa, dass der – unerkannt oder erkannt81 – geisteskranke Richter von der ihm zugeteilten Rechtsreferendarin überredet wird, ihren Bekannten freizusprechen, obwohl sich dieser nachweislich strafbar gemacht hat. Die Rechtsreferendarin macht sich wegen Anstiftung zur Rechtsbeugung (§§ 339, 26 StGB) strafbar.82 Mit Blick auf mögliche Unterstützungshandlungen ist denkbar, dass die Referendarin dem – von ihr erkannt – geisteskranken Rich77
Dazu soeben D.II.1. Zu § 203 StGB vgl. BGHSt 4, 355, 359 (zur Möglichkeit mittelbarer Täterschaft); MK-Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 165; NK-Kargl, § 203 Rn. 85; zu § 339 StGB vgl. LK-Hilgendorf, § 339 Rn. 130 f.; MK-Uebele, § 339 Rn. 67; Seebode, Das Verbrechen der Rechtsbeugung, 1969, S. 116 f.; SK-Stein/Deiters, § 339 Rn. 60; S/S/W-Kudlich, § 339 Rn. 32. 79 Vgl. Welzel, S. 546: „Mittelbare Täterschaft an der Rechtsbeugung ist unmöglich (. . .).“ 80 Dafür auch Jescheck/Weigend, AT, § 26 II 6; LK-Schünemann, § 25 Rn. 51. Dabei wird nicht recht klar, ob die Vorgenannten mittelbare Täterschaft infolge der Eigenhändigkeit pauschal ausschließen wollen. An einem expliziten Bekenntnis fehlt es insoweit (vgl. dazu NK-Kuhlen, § 339 Rn. 82 mit Fn. 287, wonach die Vorgenannten „mittelbare Täterschaft nicht aus[schließen]“). 81 Auch wenn der Außenstehende das (Schuld-)Defizit aufseiten des Vordermannes erkennt, steht einer Instrumentalisierung im Sinne mittelbarer Täterschaft der Sonderdeliktscharakter entgegen. 82 Ein ähnliches Beispiel (Einwirkung der Ehefrau auf ihren Ehemann, der Richter ist) findet sich – ohne das Vorliegen von Schuldunfähigkeit – bei A/W/H/H-Heinrich, § 49 Rn. 6. 78
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ter dabei hilft, ein eklatant unrichtiges Urteil abzufassen, welches so nur zustande kommt, weil der sich in einer manischen Phase befindliche Richter Freude daran hat, „entgegen den Buchstaben des Gesetzes zu entscheiden“. Hier steht eine Strafbarkeit wegen Beihilfe (§§ 339, 27 StGB) im Raum. Wendet man sich § 203 StGB zu, so kann der Einwirkende, dem selbst keine Schweigepflicht zukommt83, allenfalls Anstifter oder Gehilfe sein. Allenfalls deshalb, weil gerade beim Einwirken auf einen Schweigepflichtigen häufig mit Elementen der Täuschung operiert werden wird. Führt dies dazu, dass beim Schweigepflichtigen der Vorsatz entfällt, kann schon in Ermangelung einer Vorsatztat keine Teilnahme (insb. in Form der Anstiftung) vorliegen. Das klassische Beispiel bildet die Konstellation, in der einem Arzt vorgespiegelt wird, der Patient sei mit der Mitteilung seiner Krankengeschichte, seines Testergebnisses etc. an eine dritte – anfragende – Person einverstanden.84 Dabei ist freilich umstritten, ob das vorgespiegelte Einverständnis zu einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum führt85 oder ob die Unbefugtheit einzig auf Rechtswidrigkeitsebene durch (wirksame) Einwilligung oder das Vorliegen eines anderen Rechtfertigungsgrundes (etwa § 34 StGB) entfallen kann, sodass die Fehlvorstellung über die Befugnis stets einen Erlaubnistatbestandsirrtum begründet86. Sollte letzteres der Fall sein, richtete sich die Bestrafungsmöglichkeit des Teilnehmers nach den – ihrerseits umstrittenen – Rechtsfolgen des Erlaubnistatbestandsirrtums. Entfiele bei irriger Annahme der tatsächlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes erst die Schuld, wie es die sog. rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie postuliert87, bliebe es aufseiten des irrenden Geheimhaltungsverpflichteten beim Vorliegen einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat. In der Folge müsste eine strafbewehrte Anstiftung zum Geheimnisbruch bejaht werden. Beim schuldunfähigen Geheimhaltungsverpflichteten, etwa einem geisteskranken Arzt, der hier im Mittelpunkt der Betrachtungen steht, ist vorwerfbares Handeln ohnehin zu verneinen. Dennoch ergibt sich die Frage, ob 83 Bei bestehender Sonderstellung ist mittelbare Täterschaft (u. Mittäterschaft) denkbar (vgl. bereits die Nachweise in diesem Kapitel bei Fn. 78). Missverständlich insoweit Siegmund, Die anwaltliche Verschwiegenheit in der berufspolitischen Diskussion, 2014, S. 79, nach dem „mittelbare Täterschaft bei einem Verstoß gegen § 203 StGB nicht denkbar“ sei (die nachfolgenden Ausführungen Siegmunds lassen indes vermuten, dass die Negierung nur bei fehlender Sonderstellung gelten soll). 84 Zu einem solchen Sachverhalt etwa OLG Köln NJW 1962, 686; vgl. ferner Klesczewski, BT, § 6 Rn. 80; Krey/Hellmann/Heinrich, BT 1, Rn. 552 (mit ausführlicher Lösung); LK-Schünemann, 11. Aufl., § 203 Rn. 159. 85 So etwa OLG Köln NJW 1962, 686, 687 f.; Klesczewski, BT, § 6 Rn. 80; Maurach/Schröder/Maiwald, BT 1, § 29 Rn. 44; MK-Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 58, 84; Schönke/Schröder-Eisele, § 203 Rn. 109. 86 Dafür Kühl, in: Lackner/Kühl, Vorbem. § 201 Rn. 2; LK-Schünemann, 11. Aufl., § 203 Rn. 89; NK-Kargl, § 203 Rn. 49; S/S/W-Bosch, § 203 Rn. 32 i.V. m. Rn. 54. 87 Heinrich, AT, Rn. 1133 f.; Jescheck/Weigend, AT, § 41 IV 1 d); Rengier, AT, § 30 Rn. 20; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 755 f.
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jedenfalls eine rechtswidrige Haupttat vorliegt. Richtigerweise wird man beim vorgetäuschten Einverständnis schon vom Entfall des Tatbestandsvorsatzes nach § 16 S. 1 StGB auszugehen haben. Dies ergibt sich daraus, dass § 203 StGB in erster Linie die Interessen des betroffenen Patienten, Mandaten etc. in den Blick nimmt. Die Vorschrift trägt dem verfassungsrechtlich über das allgemeine Persönlichkeitsrecht abgesicherten „individuellen und höchstpersönlichen Geheimbereich des Einzelnen“ 88 Rechnung.89 Wenn das Schutzgut z. T. gleichberechtigt in „Elementen des (. . .) Gemeinschaftsschutzes“ 90 im Sinne des Schutzes von „Allgemeininteressen an der Verschwiegenheit der für Hilfe in Krankheit und Rechtsnot zuständigen Berufe“ 91 oder – moderner – „der Selbstdarstellung des Individuums in der Gemeinschaft“ 92 gesehen wird, ergibt sich dies nicht zuletzt aus dem Zuschnitt der Vorschrift auf bestimmte Berufsgruppen. Hätte man nur bzw. primär den Geheimbereich des Einzelnen schützen wollen, hätte man mit dem Geheimnisschutz nicht bei bestimmten Berufsgruppen halt machen dürfen, sondern diesen viel weiter fassen müssen, lautet die Argumentation.93 Betrachtet man die Berufsgruppen indes genauer, so wird deutlich, dass Tätigkeitsfelder erfasst werden, in denen es typischerweise zur Preisgabe ganz besonders sensibler Informationen kommt. Den im Rahmen dieser Tätigkeitsbereiche offenbarten Informationen einen besonderen Schutz angedeihen zu lassen, ist daher naheliegend. Die These vom primären oder zumindest gleichberechtigten Schutz der Integrität der erfassten Berufsgruppen trägt vor diesem Hintergrund nicht. Entscheidend ist die Sensibilität der zur Kenntnis gelangten Information.94 Damit steht der Geheimnisschutz als solcher im Vordergrund. Bei konsequenter Rückbesinnung95 auf den vorrangingen Schutzzweck der Vorschrift ist daher bei – durch Einverständnis zum Ausdruck gebrachten – fehlendem Geheimhaltungs88
BeckOK-Weidemann, § 203 Rn. 2. Den Aspekt des Individualschutzes betonend auch Klesczewski, BT, § 6 Rn. 63; Heger, in: Lackner/Kühl, § 203 Rn. 1; LK-Schünemann, 11. Aufl., § 203 Rn. 14 ff.; NK-Kargl, § 203 Rn. 3 f.; Schönke/Schröder-Eisele, § 203 Rn. 3. 90 MK-Cierniak/Pohlit, 2. Aufl., § 203 Rn. 5. 91 Bosch, Jura 2013, 780; ähnlich A/W/H/H-Hilgendorf, § 8 Rn. 30: „Interesse am Funktionieren des Gesundheitsdienstes, der Rechtspflege usw.“. 92 MK-Cierniak/Pohlit, 2. Aufl., § 203 Rn. 5. 93 Deutlich MK-Cierniak/Pohlit, 2. Aufl., § 203 Rn. 4; ähnlich auch Schönke/Schröder-Lenckner, 27. Aufl. 2006, § 203 Rn. 3. 94 Vgl. auch NK-Kargl, § 203 Rn. 3; Schönke/Schröder-Eisele, § 203 Rn. 3. 95 Inkonsequent etwa NK-Kargl, § 203 Rn. 50, der trotz Betonung des Individualschutzes (§ 203 Rn. 3 f.) nur die Möglichkeit rechtfertigender Einwilligung anerkennt. Dies ergebe sich aus der „kollektive[n] Dimension“ jedes individuellen Schutzinteresses, wonach von einem „obj. Geheimhaltungsinteresse“ auszugehen sei. Ähnlich argumentiert auch LK-Schünemann, 11. Aufl., § 203 Rn. 93, der im Ausgangspunkt gleichfalls „die Individualsphäre des Einzelnen“ (§ 203 Rn. 14) in den Mittelpunkt rückt, um später festzustellen, dass „die Erlaubnis einer einzigen Weitergabe das Rechtsgut und damit dessen Beeinträchtigung (wenn auch mit Willen des Trägers) bestehen läßt“. „Systematisch gesehen“ gehe es daher um eine rechtfertigende Einwilligung. 89
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interesse bereits der (objektive) Tatbestand zu verneinen. Der Irrtum über das Vorliegen eines Einverständnisses ist in der Folge Tatbestandsirrtum nach § 16 S. 1 StGB. D.h. wiederum, dass Teilnahme in Fällen des vorgespiegelten Einverständnisses generell ausscheidet.96 Entfernt man sich einmal von den Irrtums-Konstellationen, ist etwa denkbar, dass Ärzte oder Anwälte durch Journalisten zur Preisgabe vertraulicher Informationen über prominente Patienten bzw. Mandanten „bewegt“ werden.97 Dabei spielt es für die Strafbarkeit des Einwirkenden keine Rolle, ob der Geheimnisverpflichtete – erkannt oder unerkannt – schuldunfähig ist. Stets bleibt es aufgrund des Sonderdeliktscharakters des § 203 StGB bei einer Teilnehmerstrafbarkeit (i. d. R. als Anstifter). Weder in Fällen der Einwirkung auf einen erkannt Schuldunfähigen noch in Fällen des Herantretens an einen unerkannt Schuldunfähigen ist irgendein Gesichtspunkt auszumachen, der an der Strafbarkeit des Außenstehenden zweifeln lässt. Dies gilt in besonderem Maße für denjenigen, der einen erkannt schuldunfähigen Geheimnisverpflichteten zur Offenbarung eines Geheimnisses bewegt, indem er dessen Geisteszustand für seine Zwecke ausnutzt. Nach dem oben Gesagten98 begründet ein solches Vorgehen im Regelfalle mittelbare Täterschaft, was bei Fehlen der tatbestandlich vorausgesetzten Sonderstellung indes ausscheiden muss. c) Eigenhändige Delikte Schließlich ist Teilnahme im Umfeld der Begehung eigenhändiger Delikte durch einen Schuldunfähigen denkbar. In diesem Zusammenhang drängt sich die Begutachtung von Konstellationen auf, in denen ein Betrunkener zur Teilnahme am Straßenverkehr bewegt wird. Die Alkoholisierung hat insoweit den „Vorteil“ für sich, sowohl tatbestandliche Voraussetzung verschiedener Verkehrsstraftaten zu sein als auch einen Anknüpfungspunkt für das Vorliegen von Schuldunfähigkeit i. S. d. § 20 StGB zu bilden. Wird etwa der infolge eines Alkoholrauschs Steuerungsunfähige99 von einem seiner Zechkumpanen, der selbst zwar ebenfalls 96 Anders mag die Situation zu beurteilen sein, wenn der Geheimhaltungsverpflichtete über das Vorliegen der tatsächlichen Umstände eines Rechtfertigungsgrundes (etwa dem Bestehen einer Gefahrenlage i. S. d. § 34 StGB) irrt. Hier ergibt sich die – irrig angenommene – Offenbarungsbefugnis nicht aus dem Einverständnis des Rechtsgutsträgers, sondern aus objektiven Umständen, die eine Abwägung zwischen Geheimhaltungsinteressen einer- und anderweitigen (Individual-)Interessen andererseits erforderlich macht. Ein entsprechender Irrtum vermag tatsächlich einen Erlaubnistatbestandsirrtum zu begründen, bei dem eine Strafbarkeit des Teilnehmers – je nach angenommener Rechtsfolge – denkbar bleibt. 97 Vgl. den Fall bei Bosch, Jura 2013, 780, 788, in dem ein Strafverteidiger gegenüber einem befreundeten Journalisten Angaben über den Fall einer prominenten Mandantin macht, nachdem der Journalist ein Zahlungsversprechen in Höhe von 5000 Euro abgegeben hatte. 98 D.II.1. 99 Zur Verortung des Alkoholrauschs im Rahmen des § 20 StGB s. o. D.II.1.
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alkoholisiert, jedoch in seiner Steuerungsfähigkeit nicht gravierend beeinträchtigt ist, dazu bewegt, sich noch hinter das Steuer eines Pkw zu begeben, so steht eine Anstiftung zur Trunkenheitsfahrt (§§ 316 I, 26 StGB) im Raum.100 Dass der Fahrer selbst aufgrund der erheblichen Alkoholintoxikation schuldunfähig ist, steht einer Teilnehmerstrafbarkeit – aufgrund der Limitierung der Akzessorietät – nicht entgegen. Zu beachten ist für den Fahrer freilich der Vollrausch-Tatbestand des § 323a StGB. Mit Blick auf diesen stellt sich sodann die Frage, ob auch insoweit eine Teilnahme des Zechkumpanen denkbar ist.101 Hält man Teilnahme am Vollrausch-Tatbestand grundsätzlich für möglich102, ist zu berücksichtigen, dass Teilnahme nur an vorsätzlichen Taten denkbar ist, weshalb der Rauschzustand vorsätzlich herbeigeführt worden sein müsste.103 Wurde die erhebliche Beeinträchtigung in der Steuerungsfähigkeit infolge Alkoholkonsums vom Berauschten einkalkuliert, sodass jedenfalls dem Vorsatzerfordernis aufseiten des Rauschtäters Genüge getan ist104, ist nachfolgend die innere Haltung des Zechkumpanen in den Blick zu nehmen. Soll sich dessen Verhalten – das gemeinsame Trinken, ggf. verbunden mit der Aufforderung zu weiterem Alkoholkonsum – als strafbewehrte Förderungshandlung darstellen, müsste auch der Zechkumpane vorsätzlich agiert haben. Verlangt man – wie hier – beim Täter einzig Vorsatz bezüglich des Rauschzustandes, dürfen an den Teilnehmervorsatz konsequenterweise keine weitergehenden Anforderungen gestellt werden. Das Trinken unter gegenseitiger – verbalisierter105 – Animation zum Fortsetzen des Alkoholkonsums stellt demnach, soweit der Animierende den Rauschzustand seines Gegenübers einkalkuliert, eine taugliche Beihilfehandlung dar.106 100 Richtigerweise sind die §§ 315c, 316 StGB als eigenhändige Delikte einzustufen, zum Meinungsstand s. o. D.I.2.c) mit Fn. 41. 101 Die Möglichkeit der Teilnehmerstrafbarkeit hinsichtlich § 323a StGB generell negierend Heger, in: Lackner/Kühl, § 323a Rn. 17 (Sinn der Vorschrift sei es, „die Pflicht zur Selbstkontrolle nur dem Täter aufzuerlegen“); ähnl. Ranft, JA 1983, 239, 244. 102 Eisele, BT I, Rn. 1226; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 96 Rn. 23; MKGeisler, § 323a Rn. 69; NK-Paeffgen, § 323a Rn. 66; Rengier, BT II, § 41 Rn. 26; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 431 f.; Schönke/Schröder-Hecker, § 323a Rn. 23. 103 Treffend weist NK-Paeffgen, § 323a Rn. 63, darauf hin, dass üblicherweise von einem „Abgleiten“ in die Trunkenheit auszugehen sein wird. Bei einer echten „Zechgemeinschaft“ dürfte die billigende Inkaufnahme eines Rausches dagegen eher die Regel denn die Ausnahme darstellen. 104 Vorsatz in Ansehung der Rauschtat oder hinsichtlich einer spezifischen Rauschgefährlichkeit bedarf es richtigerweise nicht, vgl. dazu BayObLG NJW 1974, 1520, 1521 f.; Eisele, BT I, Rn. 1223; NK-Paeffgen, § 323a Rn. 64. Abweichende Auffassungen, die zur Bejahung eines vorsätzlichen Vollrausches jedenfalls das Wissen des Täters um seine Rauschgefährlichkeit verlangen (vgl. etwa MK-Geisler, § 323a Rn. 70; Schönke/Schröder-Hecker, § 323a Rn. 9), resultieren maßgeblich aus der Einordnung des Tatbestandes als konkretes Gefährdungsdelikt. 105 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 431, ist freilich zuzustimmen, wenn er attestiert, es genüge nicht, „daß jemand am gleichen Tisch ebenfalls trinkt“. 106 Vgl. auch die Falllösung bei Schumann/Azar, JA 2017, 114, 120 f.; ferner Eisele, BT I, Rn. 1226, der eine Beihilfe-Strafbarkeit des fleißig ausschenkenden Gastwirtes
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Im hier gebildeten Fall, in dem der Zechkumpane nicht nur zum Trinken, sondern – nachfolgend – auch zur Trunkenheitsfahrt animiert, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der beiden Einwirkungshandlungen. Anders als beim Täter, bei dem die Begehung der Trunkenheitsfahrt Voraussetzung seiner Bestrafung wegen Vollrausches ist107, ist ein Nebeneinander der beiden Tatbestände nicht von vornherein ausgeschlossen. Auch kann, da die Trunkenheitsfahrt eigenhändiges Delikt ist, eine Teilnahme am Vollrausch nicht unter Hinweis auf eine täterschaftliche Beteiligung an der Rauschtat zurückstehen. In Betracht zu ziehen ist daher schlicht das Vorliegen von Tatmehrheit zwischen Teilnahme am Vollrausch und der Rauschtat selbst.
III. Beteiligung im Umfeld des § 19 StGB Auch Kinder108 können zur Begehung von Straftaten verleitet oder bei deren Begehung unterstützt werden. In Parallele zur Vorschrift des § 20 StGB ist bei Einwirkung auf einen kindlichen Täter zunächst an das Vorliegen mittelbarer Täterschaft zu denken. Die Bedeutung von Sonderdelikten und eigenhändigen Delikten, bei denen mittelbare Täterschaft eines Außenstehenden ausscheidet, ist mit Blick auf kindliche Täter naturgemäß gering. Dies gilt in besonderem Maße für Sonderdelikte, da die zu verlangende „Sonderstellung des Täters innerhalb der Gesellschaft“ 109 regelmäßig erst nach Überschreiten der von § 19 StGB gesetzten Altersgrenze eingenommen werden wird. Bei eigenhändigen Delikten ist der kindliche Täter zwar nicht undenkbar, dürfte jedoch eine Seltenheit darstellen. 1. Konstellationen mittelbarer Täterschaft Bei der Einwirkung auf Kinder erweist sich die Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Teilnahme als besonders umstritten. § 19 StGB vermutet für die
(§§ 323a, 27 I StGB) erwägt, wenn der volltrunkene – und daher nach § 20 StGB schuldunfähige – Gast anschließend eine Trunkenheitsfahrt begeht. Zu beachten sei gleichwohl der Bereich sozialadäquater Verhaltensweisen, welcher zum Entfall der objektiven Zurechnung führen könne (die Grenze des sozial Üblichen ist bei der Verabreichung alkoholischer Getränke überschritten, „wenn die Trunkenheit offensichtlich einen solchen Grad erreicht, daß der Trunkene nicht mehr Herr seiner Entschlüsse ist und nicht mehr eigenverantwortlich handeln kann“ [BGHSt 49, 239, 252]). 107 Zur Einordnung der Rauschtat als objektive Bedingung der Strafbarkeit BGHSt 16, 124, 127; 17, 333, 334; 42, 235, 242; jüngst BGH NStZ-RR 2017, 135, 137; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 96 Rn. 4; kritisch zu dieser Einordnung und den daraus resultierenden Konsequenzen etwa Berster, ZStW 124 (2012), S. 991, 992 ff.; Kraatz, ZStW 125 (2013), S. 819, 822 ff.; MK-Geisler, § 323a Rn. 3 ff. 108 Vgl. die Legaldefinition in § 176 I StGB: „Person unter vierzehn Jahren“; zur Altersgruppe der „Kinder“ im Strafrecht ferner Mitsch, Jura 2017, 792 f. 109 Heinrich, Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht, 2001, S. 184.
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Altersgruppe der unter 14-Jährigen generalisierend, dass die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht oder zur entsprechenden Handlungssteuerung fehlt.110 Diese in Gesetzesform gegossene Vermutung wird z. T. als Beleg dafür genommen, dass der Gesetzgeber die Tatherrschaft in Fällen der Einwirkung auf ein Kind ausschließlich beim Einwirkenden sieht, sodass stets mittelbare Täterschaft anzunehmen ist.111 Andere wollen auch bei Kindern eine einzelfallorientierte Betrachtung dergestalt vornehmen, dass die Frage nach der tatsächlichen Überlegenheit des Hintermannes in den Blick genommen wird.112 Schließlich übertragen Roxin und Schünemann die Differenzierung nach fehlender Einsichts- und fehlender Steuerungsfähigkeit auch auf den Fall des kindlichen Täters, sodass Teilnahme in Form der Beihilfe möglich ist, wenn aufseiten des Kindes „nur“ die Steuerungsfähigkeit fehlt und sich der Beitrag in einer fördernden Tätigkeit erschöpft.113 Insoweit ergeben sich Überschneidungen zur Argumentation bezüglich der Abgrenzung von (mittelbarer) Täterschaft und Teilnahme beim Einwirken auf Schuldunfähige, die nach Maßgabe des § 20 StGB unverantwortlich handeln.114 Zu beachten ist freilich, dass bei Kindern von vornherein nicht zwischen fehlender Einsichts- und fehlender Steuerungsfähigkeit differenziert wird. § 19 StGB knüpft das Prädikat der „Schuldunfähigkeit“ einzig und allein an das Alter im Zeitpunkt der Tatbegehung.115 Nach dieser „biologischen Methode“ 116 ist die Bildung weiterer (Unter-)Gruppen nicht vorgesehen. Damit geht aber von der gesetzlichen Fassung das Signal aus, dass über die Feststellung des Kindesalters im Tatzeitpunkt hinausgehende Individualisierungen bedeutungslos sind. Im Vordergrund steht eine Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers, die man – kriminalpolitisch – als verfehlt betrachten mag117, die es aber zu akzeptieren gilt. Wenn 110 Vgl. auch M/R-Safferling, § 19 Rn. 1: „Das Gesetz privilegiert Kinder unabhängig von ihrer tatsächlichen Einsichtsfähigkeit und normativen Motivierbarkeit.“ 111 BeckOK-Kudlich, § 25 Rn. 27.1; Jescheck/Weigend, AT, § 62 II 4; Koch, JuS 2008, 399, 401; Kühl, AT, § 20 Rn. 66; Rengier, AT, § 43 Rn. 28; Schönke/SchröderHeine/Weißer, § 25 Rn. 44; ferner Krey/Esser, AT, Rn. 898 f., die ausdrücklich auch Unterstützungshandlungen zur Begründung mittelbarer Täterschaft genügen lassen (Rn. 899). 112 MK-Joecks, § 25 Rn. 103 f.; ähnl. Exner, Jura 2013, 103, 107 f.; Heinrich, AT, Rn. 1252a. 113 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 239; LK-Schünemann, § 25 Rn. 113. 114 Dazu oben D.II.1. 115 Zum Beurteilungszeitpunkt vgl. nur SK-Rogall, § 19 Rn. 8 f. 116 E 1962, Begr. S. 137, unter Verweis auf „begründete jugendpsychologische Erkenntnisse“ und „praktische Bedürfnisse“. 117 Weinschenk, MSchrKrim 1984, 15, 24, regt an, § 19 StGB sowie § 3 JGG durch ein „Maßregelrecht“ mit Bestimmungen zu ersetzen, „nach denen jeder kindliche und jugendliche Gesetzesübertreter einer Begutachtung zuzuführen ist“; für eine Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters auf 12 Jahre plädiert etwa Hinz, ZRP 2000, 107, 113; differenzierend Paul, ZRP 2003, 204, 205, der die Sanktionierung unter 14-Jähriger nur bei „besonders problematischen Tätergruppen“ ermöglichen möchte und entsprechende Änderungen im StGB und JGG anregt; ähnl. die Erwägungen bei Hefendehl, JZ 2000,
III. Beteiligung im Umfeld des § 19 StGB
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Roxin und Schünemann auch mit Blick auf gegenüber einem Kind erbrachten Einwirkungen zwischen fehlender Einsichts- und fehlender Steuerungsfähigkeit des Kindes unterscheiden, wird damit – jedenfalls hinsichtlich einer möglichen Beihilfestrafbarkeit – eine Kategorisierung ins Zentrum gerückt, die das Gesetz nicht vorsieht. § 19 StGB unterscheidet sich gegenüber § 20 StGB gerade durch seine Pauschalisierung. Ein Ausloten des Maßes an Freiheit im Willensbildungsund Willensumsetzungsprozess wird von § 19 StGB explizit nicht verlangt. Zur Bestimmung der Strafbarkeit eines Beteiligten eine weitergehende Individualisierung vorzunehmen, hieße, die Wertung des Gesetzgebers zu umgehen und an deren Stelle eine eigene Wertung zu setzen. Aus den gleichen Gründen ist der Auffassung, welche die tatsächliche Überlegenheit im Einzelfall zur Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Teilnahme heranziehen möchte, eine Absage zu erteilen: Die Fassung des § 19 StGB sieht – anders als § 20 StGB – keine Form der Individualisierung vor, sodass sich an die geistige und sittliche Reife des Kindes anknüpfende Spekulationen über die Einsicht in die Tragweite des eigenen Tuns verbieten.118 Es sei an dieser Stelle nochmals betont, dass die gesetzliche Pauschalisierung in vielerlei Hinsicht kritisch gesehen werden kann.119 Nichtsdestotrotz ist die gesetzgeberische Wertung hinzunehmen; dies gilt auch und insbesondere im Umgang mit Beteiligungsfragen. Sind Kinder also differenzierungslos von jeglicher strafrechtlichen Verantwortung befreit, begründet jedwede Einwirkung (in Kenntnis des kindlichen Alters) Tatherrschaft. Es spielt insoweit keine Rolle, ob die Einwirkung in der Hervorrufung des Tatentschlusses besteht oder nur fördernden Charakter hat: Stets liegt die Tatherrschaft beim vollverantwortlich agierenden Einwirkenden, sodass durchgängig mittelbare Täterschaft zu bejahen ist. Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung im Einzelfall zu einer Strafbarkeit des Einwirkenden wegen Anstiftung oder Beihilfe gelangt, ändert dies nichts an dem übereinstimmenden Befund der Strafwürdigkeit des jeweiligen Verhaltens. Der „biologische“ 120 Zuschnitt der unwiderleglichen Schuldunfähigkeitsvermutung in § 19 StGB steht jeglicher Erweiterung der schuldausschließenden Wirkung von vornherein entgegen. Das Einwirken auf 600, 605; allgemein zur Diskussion um die Strafmündigkeitsgrenze Wolfslast, FS-Bemmann, S. 274. 118 Anders RGSt 61, 265, 267, das zur Beantwortung der Frage, ob ein Großvater seinen Enkel zur Brandstiftung „nur“ angestiftet oder diesen im Sinne mittelbarer Täterschaft instrumentalisiert habe, die soeben genannten Kriterien heranzog. 119 Zutreffend weist etwa Paul, ZRP 2003, 204, 205, darauf hin, dass auch ein 12Jähriger „in der Regel den Unterschied zwischen ,Mein‘ und ,Dein‘ erfassen“ sowie generell zutreffend einschätzen kann, „was es bedeutet, wenn er einen Gleichaltrigen verprügelt“; ähnl. Weinschenk, MSchrKrim 1984, 15, 23 (fehlende strafrechtliche Verantwortlichkeit eines „psychisch gesunden 13jährigen, der schon 20mal wegen Eigentumsvergehens verhört wurde“, sei „geradezu grotesk“). 120 Vgl. erneut E 1962, Begr. S. 137.
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D. Beteiligung im Umfeld von Schuldausschließungsgründen i. e. S.
Personen, denen der Gesetzgeber pauschal die strafrechtliche Verantwortlichkeit abspricht, erscheint – im Gegenteil – als besonders strafwürdig. So werden in besonderem Maße schutzbedürftige Personen121 zur Begehung von Straftaten verleitet oder jedenfalls bei deren Begehung unterstützt. 2. „Echte“ Teilnahme „Echte“ Teilnahme ist zunächst denkbar, wenn dem Auffordernden oder Unterstützenden nicht bewusst ist, dass er es mit einem kindlichen Täter zu tun hat. Wer einen 13-Jährigen in der Vorstellung, es handle sich um einen 14- oder 15Jährigen, zur Begehung einer Straftat bewegt, handelt gerade nicht im Bewusstsein, einen Schuldunfähigen zu instrumentalisieren. Entsprechend bleibt es bei einer Teilnehmerstrafbarkeit. Wie eingangs angedeutet, ist die täterschaftliche Verwirklichung eines Sonderdelikts durch einen unter 14-Jährigen schwerlich denkbar. Etwas weniger unwahrscheinlich erscheint die Begehung eines eigenhändigen Delikts durch einen kindlichen Täter. So kann auch ein Kind vor Gericht als Zeuge vernommen werden und dabei falsch aussagen. Erfolgt die vorsätzliche Falschaussage infolge des Zuredens eines Außenstehenden, macht sich Letzterer wegen Anstiftung zur Falschaussage gemäß §§ 153, 26 StGB strafbar.122 Denkbar ist auch, dass ein unter 14-Jähriger dazu bewegt wird, einen Pkw zu führen, wobei es zu erheblichen Verkehrsverstößen (vgl. § 315c I Nr. 2 StGB) und – infolgedessen – zur konkreten Gefährdung von Menschen und/oder Sachen kommt. Nimmt der Anstiftende das verkehrswidrige Verhalten in seinen Vorsatz auf 123, kommt, soweit der Fahrer auch „grob verkehrswidrig und rücksichtslos“ handelt, eine Strafbarkeit gemäß §§ 315c I Nr. 2 (III Nr. 1 StGB), 26 StGB in Betracht. An der Strafbarkeit der Einwirkung auf den kindlichen Täters eines eigenhändigen Delikts kann kein ernstlicher Zweifel bestehen. Es gilt das bereits in Auseinandersetzung mit der mittelbaren Täterschaft Gesagte.
IV. Fazit Im Gegensatz zu Situationen, in denen der gesetzlich normierte oder unter Anwendung des normierten Rechtsgedankens zu bejahende Schuldausschluss seinen Ursprung in – nach Innen wirkenden – äußeren Rahmenbedingungen hat, besteht 121 Die Altersgrenze in § 19 StGB ist im Übrigen auch vor dem Hintergrund der großen Belastung zu sehen, die mit einer gerichtlichen Hauptverhandlung einhergeht; vgl. etwa MK-Streng, § 19 Rn. 18 („Hauptverhandlung für ganz junge Täter untauglich“). 122 Ein entsprechendes Beispiel bildet Mitsch, Jura 2017, 792, 795. 123 Der Gefahreintritt wird – im Gegensatz zur Verkehrswidrigkeit des Verhaltens – regelmäßig auch nicht vom Fahrervorsatz erfasst sein (§ 315c I, III Nr. 1 StGB), was einer Teilnehmerstrafbarkeit indes nicht entgegensteht (§ 11 II StGB).
IV. Fazit
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mit Blick auf die Schuldausschließungsgründe im engeren Sinne kein Anlass, über die Reichweite der schuldausschließenden Wirkung zu spekulieren. Das Hervorrufen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums bzw. das Ausnutzen eines solchen begründen regelmäßig – strafbewehrte – mittelbare Täterschaft. Auch wenn der Verbotsirrtum aufseiten des Täters unerkannt bleibt, sodass eine Instrumentalisierung des Irrenden ausscheidet, fehlt es an Gesichtspunkten, die einer Strafbarkeit des Einwirkenden (als Anstifter oder Gehilfe) entgegenstehen könnten. Fehlendes Unrechtsbewusstsein greift, so es in einer Person – unvermeidbar – vorliegt, nicht um sich, sondern ist untrennbar mit der Person des Irrenden verbunden. Wer selbst nicht irrt, ist sich des Unrechts seines Tuns völlig bewusst und kann – im Gegensatz etwa zu Teilnahmehandlungen in Situationen existentieller Bedrängnis – nicht einmal für sich in Anspruch nehmen, Unrecht um der Erhaltung gewichtiger Rechtsgüter willen zu verwirklichen. Bei den Sonderdelikten sowie den eigenhändigen Delikten scheidet mittelbare Täterschaft nur aufgrund des jeweiligen Deliktscharakters aus. Soweit der Verbotsirrtum im Umgang mit dem Täter eines Sonderdelikts bzw. eines eigenhändigen Delikts verborgen bleibt, sodass mittelbare Täterschaft schon unter diesem Gesichtspunkt zu verneinen ist, steht die Strafbarkeit des Einwirkenden ebenfalls außer Zweifel: Das Fördern oder Hervorrufen fremden Unrechts muss – bei eigenem Unrechtsbewusstsein und außerhalb existentieller Bedrohungssituationen – eine Strafbarkeit nach sich ziehen. Wer einen nach Maßgabe des § 20 StGB Schuldunfähigen zur Begehung einer Straftat auffordert und dabei Kenntnis vom Schuld-Defizit hat, ist mittelbarer Täter. Bei der Erbringung von Unterstützungshandlungen ist dagegen, soweit die Schuldunfähigkeit auf fehlender Steuerungsfähigkeit beruht, sorgsam zwischen mittelbarer Täterschaft und Teilnahme zu differenzieren. Auch für den Fall, dass „nur“ Teilnahme – in Gestalt der Beihilfe – zu bejahen ist, steht außer Frage, dass die schuldausschließende Wirkung des § 20 StGB einzig dem Täter vorbehalten bleibt. Das von § 20 StGB verlangte biologisch-psychologische Eingangsmerkmal ist naturgemäß mit der Person des Handelnden verknüpft. Die Vorschrift operiert gerade nicht mit Vermutungen betreffend die menschliche Natur (in Konfrontation mit Extremsituationen), sondern trägt dem Umstand Rechnung, dass bereits intrinsische Faktoren einer freien Entscheidung für das Unrecht – und damit gegen das Recht – entgegenstehen können. Dementsprechend müssen auch Einwirkungshandlungen im Umfeld des schuldunfähigen Täters eines eigenhändigen Delikts bzw. eines Sonderdelikts strafbar sein. Die Einwirkung auf einen unter 14-jährigen Täter – welcher Art sie auch sei – begründet mittelbare Täterschaft. Teilnahme kommt daher nur bei eigenhändigen Delikten sowie bei Sonderdelikten in Betracht. § 19 StGB, der schlicht das Unterschreiten der Altersgrenze von 14 Jahren (im Handlungszeitpunkt) zur Voraussetzung des Schuldausschlusses macht, kann seine Wirkung – wiederum naturge-
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D. Beteiligung im Umfeld von Schuldausschließungsgründen i. e. S.
mäß – nur hinsichtlich desjenigen entfalten, der die Altersgrenze unterschreitet. Zwar arbeitet auch § 19 StGB mit einer Vermutung. Dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit bei jedem unter 14-Jährigen gravierend beeinträchtigt ist, wird zu Recht angezweifelt. Doch wird die Vermutung an ein „biologisches“ Eingangsmerkmal geknüpft, wodurch der Erweiterungsfähigkeit der Vorschrift enge Grenzen gesetzt sind. Wie sich nicht nur aus den unmittelbar vorangegangen Ausführungen, sondern auch und insbesondere aus den Einzelbetrachtungen zu den Schuldausschließungsgründen der §§ 17, 19, 20 StGB ergibt, erweisen sich Beteiligungsfragen im Umfeld von Schuldausschließungsgründen im engeren Sinne in erster Linie als Fragen der Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Teilnahme. Mit Blick auf den (unvermeidbaren) Verbotsirrtum ist schon unklar, ob zwischen dem Hervorrufen und dem bloßen Ausnutzen eines Irrtums differenziert werden muss; hinsichtlich § 20 StGB besteht Uneinigkeit, ob unter Heranziehung des Verantwortungsprinzips jedwede Einwirkung auf den Schuldunfähigen mittelbare Täterschaft begründet oder ob – und falls ja, in welchem Umfang – Raum für eine einzelfallorientierte Betrachtung bleibt; nahezu parallel verlaufen die Fronten in Bezug auf § 19 StGB. Dass eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einwirkenden besteht, wird – zu Recht – nicht bezweifelt. Umstritten ist allein die Verortung der Verantwortung im Beteiligungssystem des StGB. Während sich bei der Begutachtung von Teilnahmehandlungen im Umfeld von Entschuldigungsgründen ergab, dass die Situation der Beteiligung einen neuen Zugang zu Grund und Reichweite des Schuldausschlusses infolge der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens eröffnet, bietet sich hinsichtlich der Schuldausschließungsgründe im engeren Sinne gewissermaßen das umgekehrte Bild: Der auf intrinsischen Faktoren beruhende Schuldausschluss erweist sich als Herausforderung für die Lehre von der Tatherrschaft, die vor der Schwierigkeit steht, zwischen – gesetzlich gewollter – umfassender Verantwortungsverlagerung und der Möglichkeit einzelfallorientierter Abgrenzung zu differenzieren. Dass auch insoweit eine diffizile Problematik aufgeworfen wird, die näherer Begutachtung lohnte, liegt auf der Hand.124 Für die gegenständliche Untersuchung ist festgestellt, dass die unter Geltung der limitierten Akzessorietät erzielten Ergebnisse jedenfalls dort mit einem Fragezeichen zu versehen sind, wo der Schuldausschluss auf einer Situation der Un124 Eingehend zur „Willensherrschaft bei Benutzung von Unzurechnungsfähigen und Jugendlichen“ Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 233 ff., S. 722 f. (m.w. N.); vgl. auch Noltenius, Kriterien der Abgrenzung von Anstiftung und mittelbarer Täterschaft, 2003, S. 301 ff.; grundlegende Arbeiten zur Beteiligungslehre liefern ferner Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985; Haas, Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, 2008; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, 1997; Rotsch, „Einheitstäterschaft“ statt Tatherrschaft, 2009; Stein, Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre, 1988.
IV. Fazit
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zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens beruht. Im Folgenden muss es daher darum gehen, unter Berücksichtigung der bislang gewonnenen Erkenntnisse eine Konzeption zu entwickeln, die dem Gedanken der Unzumutbarkeit auch mit Blick auf diejenigen zur Geltung verhilft, deren Handeln als vorwerfbar eingeordnet wird, deren Situation sich aber strukturell nicht von Fällen des – gesetzlich – anerkannten Schuldausschlusses unterscheidet.
E. Entwicklung einer eigenen Konzeption Wie am Ende des vorherigen Abschnitts angedeutet, wird die Bedeutung der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens, wie sie ihren Niederschlag in § 35 StGB gefunden hat und gleichsam im – anzuerkennenden – übergesetzlichen entschuldigenden Notstand findet, auch mit Blick auf den Teilnehmer an entschuldigten Tat herauszuarbeiten sein. Zuvor sollen indes die bisher gewonnen Erkenntnisse in ihrer Gesamtheit nachgezeichnet werden, um ein klares Bild des Fundaments zu gewinnen, auf welchem die eigene Konzeption fußt.
I. Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse 1. Terminologie Von terminologischer Bedeutung ist zunächst die Feststellung, dass sowohl die §§ 33, 35 StGB (sowie der übergesetzliche entschuldigende Notstand) als auch die §§ 17, 19, 20 StGB im Ausgangspunkt als Schuldausschließungsgründe zu begreifen sind. Konkretisierend sind die §§ 33, 35 (sowie der übergesetzliche entschuldigende Notstand) als Entschuldigungsgründe, die §§ 17, 19, 20 StGB als Schuldausschließungsgründe im engeren Sinne zu bezeichnen. 2. Von der Untersuchung erfasste Schuldausschließungsgründe Neben den zuvor genannten Schuldausschließungsgründen wird auch mit Blick auf etliche – überwiegend so eingeordnete – Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe diskutiert, ob diese bereits zum Wegfall der Schuld führen. Von besonderer Bedeutung ist – aufgrund seiner Allgemeingültigkeit – der Rücktritt vom Versuch, der zwar überwiegend als Strafaufhebungsgrund eingeordnet wird, von einigen Stimmen indes als „Schuldaufhebungsgrund“, „Entschuldigungsgrund“ bzw. Grund ausgeschlossener Verantwortlichkeit begriffen wird.1 Einer schuldbezogenen Deutung ist schon deshalb der Boden entzogen, weil Gegenstand des Schuldvorwurfes auch im Rahmen des Versuchs nur das auf den deliktischen Erfolg gerichtete Handeln sein kann. Auf einen etwaigen „Rücktrittserfolg“ gerichtete Handlungen können als bloßes Nachtatverhalten nicht Gegenstand der Vorwerfbarkeitsprüfung sein.2 1 2
Vgl. die Nachweise bei B.II.2.b). B.II.2.b)cc)(3).
I. Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse
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Mit Blick auf eine mögliche schuldausschließende Wirkung der sog. Gewissenstat ist festzuhalten, dass diese – ungeachtet der komplexen Abwägungsproblematik zwischen Gewissensfreiheit einer- und dem jeweils betroffenen Rechtsgut andererseits – von vornherein nur demjenigen zugute kommen kann, der sein Handeln subjektiv als zwingend erlebt. Eine „Ausstrahlungswirkung“ scheidet damit bereits unter diesem Gesichtspunkt aus.3 Schließlich ist an die Möglichkeit des Schuldausschlusses bei Handeln auf Weisung zu denken. Dabei ist zunächst umstritten, ob bei Befolgung rechtswidriger, jedoch verbindlicher Weisungen bereits eine Rechtfertigung des Weisungsempfängers anzunehmen ist oder ob eine Lösung nur auf Schuldebene gesucht werden kann. Bei – bereits ausweislich des Gesetzes – unverbindlichen Weisungen ist die Möglichkeit des Schuldausschlusses wiederum davon abhängig, ob die strafrechtliche Relevanz der angewiesenen Handlung offensichtlich war.4 In diesem Zusammenhang ist freilich zu sehen, dass an ein gänzlich individuelles Wissensdefizit angeknüpft wird, das strukturelle Verwandtschaft zu § 17 StGB aufweist. Damit ist auch insoweit keine etwaige „Ausstrahlungswirkung“ des Schuldausschlusses denkbar. Zum weiteren Umgang mit dem Handeln auf (verbindliche oder unverbindliche) Weisung sei auf Untersuchungen mit entsprechendem Zuschnitt verwiesen.5 Im Ausgangspunkt sind Gegenstand der Untersuchung daher die §§ 33, 35 StGB (samt übergesetzlichem entschuldigendem Notstand) sowie die §§ 17, 19, 20 StGB.6 3. Die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens Die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens erweist sich auf Schuldebene als Situation, in welcher vom Täter billigerweise nicht verlangt werden konnte, sich rechtmäßig zu verhalten.7 Dabei ist der Unzumutbarkeit zum einen die Aussage immanent, dass das Menschsein als solches rechtmäßigem Verhalten im Wege steht. Zum anderen setzt die Unzumutbarkeit die Verfolgung anerkennenswerter (Rettungs-)Ziele voraus.8 § 35 StGB stellt die gesetzliche Konkretisierung des Gedankens der Unzumutbarkeit dar, wobei sich die Erkenntnis, dass der Mensch sich in akuten Gefahrensituationen „selbst der Nächste“ ist, schuldmindernd, der Umstand, dass (auch) zur Rechtsgutserhaltung gehandelt wird, unrechtsmindernd niederschlägt.9 Sowohl die Ausnahmetatbestände des § 35 I 2 3 4 5 6 7 8 9
Zum Ganzen B.III.2. Zum Ganzen B.IV. Vgl. die Nachweise bei B.IV. Zur Sonderrolle des Notwehrexzess vgl. unten E.5.a). Oben B.III.1.a). Oben B.III.1.b)aa). Oben B.III.1.b)aa).
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E. Entwicklung einer eigenen Konzeption
HS. 1 StGB als auch deren Widerlegbarkeit lassen sich auf die den Schuldausschluss nach § 35 I 1 StGB tragenden Säulen zurückführen.10 Gleiches gilt für die in § 35 I 2 HS. 1 StGB enthaltene Generalklausel, die eine Versagung des Schuldausschlusses auch außerhalb der benannten Ausnahmetatbestände ermöglicht.11 Ein eigenständiger Schuldausschließungsgrund der „Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“ ist – außerhalb von Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikten12 – nicht anzuerkennen. Die eigenständige Bedeutung der Unzumutbarkeit im Rahmen von Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikten beruht auf Besonderheiten dieser Begehungsformen. Zudem würde die Anerkennung eines Schuldausschlusses in Fällen wirtschaftlicher oder sozialer Not im Vorsatzbereich zu einem Abgehen vom Grundgedanken der Unzumutbarkeit führen, da diesem ein akuter Selbsterhaltungstrieb oder jedenfalls eine vergleichbare (vermutete) psychische Ausnahmesituation13 immanent ist.14 4. Anerkennung eines übergesetzlichen entschuldigenden Notstandes Die Vergleichbarkeit ist mit Blick auf die psychische Ausnahmesituation dort gegeben, wo – bei Fehlen eines persönlichen Gefahrbezugs – fremdes Leben genommen werden muss, um fremdes Leben zu retten. Das Gewissen erfährt in solchen Situationen in jedem Falle eine erhebliche Belastung: Greift der Außenstehende ein, ist Kehrseite der Rettungshandlung die Mitwirkung an einer Lebensvernichtung. Bleibt der Außenstehende gänzlich passiv, lässt also den Dingen ihren Lauf, stellt sich das Verhalten als Unterlassen einer möglichen Lebensrettung dar.15 Die Anerkennung eines übergesetzlichen entschuldigenden Notstands wird auch nicht etwa dadurch entbehrlich, dass etliche der in diesem Kontext diskutierten Konstellationen von nicht wenigen Stimmen bereits auf Rechtfertigungsebene gelöst werden. Einer Heranziehung des § 34 StGB steht – jedenfalls in den hier interessierenden Konstellationen – das Fehlen tauglicher Differenzierungskriterien entgegen: Es ist kein Kriterium ersichtlich, das die Ungleichbehandlung von Leben plausibel zu machen vermag, sodass das Resultat der Straflosigkeit einzig auf Ebene der Vorwerfbarkeit erzielt werden kann.16 Dabei werden nicht nur Konstellationen erfasst, in denen sich die Träger von Eingriffs- und Erhaltungsgut nach Art einer Gefahrengemeinschaft gleichsam be10 Zu den Ausnahmetatbeständen vgl. C.I.1.b)bb)(1); zur Widerlegbarkeit vgl. B.III.1.b)bb)(1). 11 Dazu B.III.1.b)bb)(2). 12 Dazu B.III.1.c). 13 Zum übergesetzlichen entschuldigenden Notstand vgl. sogleich E.I.4. 14 B.III.1.d). 15 Vgl. B.III.3.a) sowie B.III.3.c). 16 Vgl. dazu B.III.3.b).
I. Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse
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droht sehen. Bei konsequenter Rückbindung des übergesetzlichen Schuldausschlusses an den Gedanken der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens kommt ein Wegfall der Schuld auch dort in Betracht, wo eingangs Unbeteiligte zum Ziel der Eingriffshandlung werden.17 Soweit möglich, hat sich der Handelnde bei seiner Rettungshandlung an den numerischen Verhältnissen zu orientieren.18 5. Die Teilnahme im Umfeld entschuldigter Taten Ausgehend von der Erkenntnis, dass die Entschuldigung nach § 35 StGB auf der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens und damit – konkretisierend – auf einem Zusammentreffen von Unrechts- und Schuldminderung beruht, sowie der Erkenntnis, dass für den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand Vergleichbares gilt, stellt sich die Frage, wie weit der Schuldausschluss infolge Unzumutbarkeit reicht. Relevanz entfaltet diese Frage insbesondere mit Blick auf Teilnahme-Konstellationen. Immerhin erscheint es bei einem Schuldausschluss infolge situativer Überforderung nicht von vornherein plausibel, die Vermutung der Überforderung nur einem bestimmten – durch zusätzliche Kriterien zu konkretisierenden – Personenkreis zuzugestehen, während gleichsam mit der Gefahrensituation befasste Personen „leer ausgehen“. Folglich konzentriert sich auch die gegenständliche Untersuchung auf denkbare Situationen der Teilnahme an entschuldigter Tat. Anschauungsmaterial aus der Rechtsprechung ist – wenn man so möchte: glücklicherweise – kaum vorhanden. Daher bietet sich ein Rückgriff auf Karneades-Fall, Weichensteller-Fall, Bergsteiger-Fall, Flugzeug-Fall sowie vergleichbare Fallgestaltungen an, die leicht um einen Teilnehmer ergänzt werden können. Für diesen stellt sich sodann die Frage nach einem möglichen (übergesetzlichen) Schuldausschluss. a) Die Sonderrolle des Notwehrexzesses Üblicherweise wird auch der Notwehrexzess als Entschuldigungsgrund begriffen, sodass – konsequenterweise – auch die Teilnahme an nach § 33 StGB entschuldigten Taten näherer Begutachtung unterzogen werden müsste. Die Einstufung als ein auf einer Kumulation von Unrechts- und Schuldminderung beruhender Entschuldigungsgrund wird denn auch im Rahmen der gegenständlichen Untersuchung nicht angezweifelt.19 Indes speist sich die Schuldminderung, anders als beim (übergesetzlichen) entschuldigenden Notstand, nicht aus der generalisierenden Vermutung situativer Überforderung, sondern aus dem – zu erweisenden – Vorliegen eines asthenischen Affekts. Nur sofern das Vorliegen eines 17 18 19
B.III.3.d)aa). B.III.3.d)bb). C.I.1.c).
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E. Entwicklung einer eigenen Konzeption
Affekts, mithin eines biologisch-psychologischen Eingangsmerkmals, erwiesen ist, werden dem Richter Beweiserleichterungen betreffend den Zusammenhang zwischen Affekt und der Fähigkeit zu normgemäßer Motivation zuteil. D.h. aber doch, dass die schuldausschließende Wirkung des § 33 StGB von vornherein nur denjenigen zu erfassen vermag, bei welchem erwiesenermaßen einer der benannten Affektzustände vorliegt. Einem Nachdenken über die Reichweite des Schuldausschlusses steht daher bereits die Struktur des Entschuldigungsgrundes entgegen.20 b) Zur Nachrangigkeit von Strafzweckerwägungen Eng mit der Frage nach den den Notwehrexzesses tragenden Gesichtspunkten verbunden ist die Frage, inwieweit Strafzweckerwägungen bei Normierung der Entschuldigungsgründe eine Rolle gespielt haben.21 Namentlich Roxin betrachtet, ausgehend von einem funktionalen Schuldverständnis, die §§ 33, 35 StGB in der Hauptsache als Ausdruck fehlender Präventionsnotwendigkeit. Diesem Ansatz, der die Fassung der Vorschriften nur bei Einbeziehung von Präventionsgesichtspunkten für erklärbar hält, gebührt im Mindesten das Verdienst, stetig dazu herauszufordern, die Rückbindung der Entschuldigung an eine Unrechts- und Schuldminderung auch mit Blick auf Ausnahmetatbestände (§ 35 I 2 HS. 1 StGB) bzw. tatbestandliche Verengungen (auf asthenische Affekte im Rahmen des § 33 StGB) plausibel zu machen. Zu überzeugen vermag er letztlich – auch vor dem Hintergrund wenig tragfähiger Annahmen zur (fehlenden) Bestrafungsnotwendigkeit in bestimmten Konstellationen – nicht.22 Damit ist zugleich festgestellt, dass auch eine mögliche Erstreckung des Schuldausschlusses (insbesondere auf Teilnehmer), unabhängig von der zu wählenden rechtstechnischen Konstruktion, nicht von Strafzweckerwägungen geleitet sein kann. c) Limitierung der Akzessorietät Die Strafbarkeit der Teilnahme an entschuldigter Tat wird weit überwiegend unter Rückgriff auf das Prinzip der limitierten Akzessorietät begründet. Dieses scheint heute geradezu zur „DNA“ der Lehre von der Straftat zu gehören. Dabei zeigt eine historische Betrachtung verschiedener Beteiligungssysteme und – daran anknüpfender – Beteiligungslehren, dass der Gedanke der (limitierten) Akzessorietät eine geradezu „moderne“ Erscheinung ist. Letztlich wurde das Beteiligungssystem bis zum Inkrafttreten des preußischen Strafgesetzbuches (1851) vom Begriff der Urheberschaft dominiert. In dessen Umfeld entwickelten sich – z. T. beeinflusst durch ausländische Rechtstraditionen – Beteiligungsformen, die 20 21 22
C.I.2. Eingehend C.I.1.b)aa) u. C.I.1.b)bb). C.I.1.c).
I. Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse
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der heutigen Beteiligungslehre gänzlich fremd sind.23 Dabei stand im Vordergrund das Bemühen, den ausgemachten Beteiligungsformen bestimmte Handlungen zuzuordnen und – daran anknüpfend – das jeweils zutreffende Strafmaß zu ermitteln. Das Verhältnis der Beteiligungsformen unter- und zueinander erfuhr wenig Beachtung. Eine vertiefende Betrachtung des Abhängigkeitsverhältnisses findet sich gegen Mitte des 19. Jahrhunderts sodann bei Luden, der schon vor Inkrafttreten des preußischen Strafgesetzbuches zu der Erkenntnis gelangte, dass auch im Falle intellektueller Einwirkung sorgsam zwischen Teilnahme (in Form der Anstiftung) und „intellektueller Urheberschaft“ (heute: mittelbare Täterschaft) zu differenzieren sei.24 Größere Bedeutung kommt aber noch dem Verbrechensbegriff Ludens zu, der bereits eine deutliche Annäherung an den Verbrechensbegriff der Gegenwart erreicht, indem er eine dreigliedrige Struktur vorsieht.25 Mit der im preußischen Strafgesetzbuch erstmals kodifizierten abstrakt-begrifflichen Trennung von „Thäter“ und „Theilnehmer“, die ihre Fortsetzung im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 fand, begann eine Epoche gesetzespositivistischer Betrachtung. Mit Blick auf die Teilnahmefähigkeit einer Tat wurde anknüpfend an den Wortlaut der Teilnahmevorschriften, die eine „strafbare Handlung“ (Anstiftung) bzw. ein „Verbrechen oder Vergehen“ (Beihilfe) als Bezugspunkt verlangten, festgestellt, dass es – wiederum ausweislich des Gesetzeswortlautes – in Fällen der Unzurechnungsfähigkeit, des Nötigungsnotstands, der Notwehr oder des (allgemeinen) Notstands gerade an einer strafbaren Handlung fehle. Folglich sei Teilnahme in all diesen Fällen – begriffsnotwendig – ausgeschlossen.26 Die vorgenannte Argumentationsstruktur wurde von Rechtsprechung und überwiegender Literaturauffassung fruchtbar gemacht. Einzelne Literaturstimmen wendeten sich freilich unter Bezugnahme des Charakters bestimmter – damals so bezeichneter – „Strafausschließungsgründe“ gegen die aus dem gesetzespositivistischen Ansatz folgende Konsequenz streng akzessorischer Betrachtung.27 Der zunehmenden Kritik an der strengen Akzessorietät Rechnung tragend, befeuert aber auch durch die Konzeption des „Willensstrafrechts“, ersetzte der Gesetzgeber des Jahres 1943 die Teilnahme-Voraussetzung der „strafbaren Handlung“ bzw. des „Verbrechens oder Vergehens“ durch die „mit Strafe bedrohte Handlung“ bzw. die „als Verbrechen oder Vergehen mit Strafe bedrohte Handlung“. Zugleich wurde in der Vorgängervorschrift des heutigen § 29 StGB (§ 50
23 Vgl. etwa das mandatum (im Anschluss an die italienische Rechtswissenschaft des Spätmittelalters), C.IV.1.a)aa); vgl. ferner den „Hauptgehülfen“ im Feuerbachschen Sinne, C.IV.1.a)cc). 24 C.IV.1.a)cc). 25 Vgl. nochmals C.IV.1.a)cc). 26 C.IV.1.a)dd). 27 C.IV.1.a)dd).
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E. Entwicklung einer eigenen Konzeption
[R]StGB) festgehalten, dass bei Tatbeteiligung mehrerer „jeder ohne Rücksicht auf die Schuld des anderen nach seiner Schuld strafbar“ ist.28 Infolge dieser Neufassung(en) wurde in Rechtsprechung und Literatur überwiegend29 von der Limitierung der Akzessorietät auf eine (nur) rechtswidrige Haupttat ausgegangen. Umstritten blieb, bis hinein in die Vorarbeiten zum 2. StrRG, die Frage nach der Teilnahmefähigkeit unvorsätzlicher Haupttat.30 Seit Inkrafttreten des 2. StrRG im Jahre 1975 bilden die §§ 26, 27, 29 StGB den maßgeblichen Fixpunkt für die Beurteilung der Teilnehmerstrafbarkeit bei entschuldigter Haupttat. Bei der Umgestaltung der Teilnahmevorschriften lag der Fokus, wie soeben angedeutet, auf der Verengung auf vorsätzliches Täterhandeln, nicht aber auf der – seit 1943 als gesetzlich angeordnet begriffenen – Limitierung auf eine rechtswidrige Tat. Entgegen der Mehrheitsauffassung im Schrifttum lässt sich nicht bereits aus § 29 StGB eine durchgängige Limitierung der Akzessorietät auf das Vorliegen einer rechtswidrigen Haupttat ableiten. § 29 StGB lässt sich zwar entnehmen, dass Teilnahme an schuldloser Haupttat möglich ist. Doch ist der Festlegung, dass ein jeder „nach seiner Schuld“ bestraft wird, mit Blick auf die Teilnahme nur die Aussage immanent, dass zwischen Täter- und Teilnehmerschuld kein strenges Abhängigkeitsverhältnis besteht. Die Vorschrift trifft dagegen keine Aussage darüber, ob es Situationen gibt, in denen der Gesetzgeber generell auf einen Schuldvorwurf verzichtet.31 Deutlich bringen dagegen die §§ 26, 27 StGB zum Ausdruck, dass das Abhängigkeitsverhältnis auf den Unrechtsbereich begrenzt ist, während ein Schuldausschluss auf Täterseite die Teilnehmerstrafbarkeit unberührt lässt. An diesem Befund führt – de lege lata – kein Weg vorbei.32 d) Weitergehende Erwägungen Zur Abrundung des durch die Fassung der §§ 26, 27 StGB gefundenen Ergebnisses wird z. T. noch auf die „Notstandslehre selbst“ verwiesen. Der beim Notstandstäter vermutete Motivationsdruck fuße auf dem Handeln zur Selbsterhaltung bzw. zur Rettung einer Sympathieperson, sodass Dritte von vornherein keinen Schuldausschluss beanspruchen könnten.33 An dieser Feststellung ist mit Blick auf § 35 StGB nicht zu rütteln. Indes ist ein vergleichbarer Motivationsdruck auch in anderen Konfliktsituationen festzustellen. Folgerichtig ist daher die 28 29 30 31 32 33
Vgl. zum Ganzen C.IV.1.a)ee). Zu den abweichenden Ansätzen vgl. sogleich E.I.5.e). Vgl. dazu C.IV.1.a)ff). C.IV.1.b)aa)(2). C.IV.1.b)bb). Dazu C.IV.2.
I. Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse
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Anerkennung eines übergesetzlichen entschuldigenden Notstands34, wodurch die „Notstandslehre selbst“ nur in ihrer kodifizierten Form einem weiterreichenden Schuldausschluss entgegensteht. Versuche, die Teilnahmefähigkeit entschuldigter Taten maßgeblich aus dem „Wesen der Teilnahme“ herzuleiten, sind kaum noch auszumachen. Seit Inkrafttreten der §§ 26, 27 StGB ist ein entsprechender „Bedarf“ freilich auch nicht mehr gegeben, sodass etwa die teilnahmespezifischen Erwägungen Bockelmanns, nach denen Teilnahme an einer im unvermeidbaren Verbotsirrtums begangenen Tat ausgeschlossen, an einer wegen Notstands entschuldigten Tat aber möglich ist35, im gegenwärtigen Beteiligungssystem schwerlich fruchtbar gemacht werden können. e) Abweichende Konzeptionen Im Geltungsbereich der § 26 f. StGB ist der Mehrzahl der Auffassungen, die einer (durchgängigen) Teilnehmerstrafbarkeit bei entschuldigter Haupttat ablehnend gegenüberstehen, der Boden entzogen. Dennoch finden sich auch in der Argumentation derjenigen, welche sich vor Inkrafttreten der §§ 26 ff. StGB kritisch mit den von der h. M. erzielten Resultaten auseinandersetzten, Anknüpfungspunkte, die sich bei Entwicklung einer – differenzierenden – Lösung auf dem Boden des gegenwärtigen Beteiligungssystems als hilfreich erweisen können. aa) Lösungsansätze auf dem Boden der §§ 48, 49 StGB a. F. Rudolphi betont in seiner umfassenden Untersuchung der Teilnehmerstrafbarkeit bei entschuldigter Haupttat insbesondere den strukturellen Unterschied von (übergesetzlicher) Notstandstat und Schuldausschließungsgründen im engeren Sinne. Im Rahmen der Notstandssituation bilde die Unrechtsminderung die Basis für die unwiderlegliche Annahme eines besonderen Motivationsdrucks, während bei den „echten“ Schuldausschließungsgründen einzig die individuelle Disposition den Strafverzicht trage. Wenn im Rahmen des Notstands aber der – die Unrechtsminderung tragende – äußere Rahmen von entscheidender Bedeutung ist und die tatsächliche psychische Verfassung des Täters unerheblich bleibt, könne daraus nur gefolgert werden, dass der Gesetzgeber den Rechtsgüterschutz in Notstandsfällen „generell“ zurück nehme. Die Förderung oder Veranlassung einer Handlung, gegenüber welcher auf den Rechtsgüterschutz verzichtet wird, könne daher – bei konsequenter Betrachtung – nicht strafbar sein.36 Niethammer sieht den Anwendungsbereich der gesetzlich normierten Entschuldigungsgründe zu eng gezogen und entnimmt § 50 StGB a. F. den Auftrag, indi34 35 36
Dazu oben B.III.3.c). Dazu C.IV.1.b)aa)(2). Zum Ganzen C.V.2.a).
294
E. Entwicklung einer eigenen Konzeption
viduelle Konstitution und/oder Lage eines jeden Beteiligten detailliert zu betrachten, um zu Ergebnissen zu gelangen, die mit den „unverbrüchliche[n] Gebote[n] der Gerechtigkeit“ in Einklang stehen. So verdiene insbesondere der Notstands-Teilnehmer in Fällen „tief empfundener und ernst gewollter Nothilfe“ das Urteil „Nichtschuldig“, auch wenn kein vom Gesetz erfasstes Näheverhältnis besteht.37 Peters differenziert, ähnlich wie – einige Jahre später – Rudolphi, zwischen dem Wegfall der Schuld infolge eines individuellen Defizits und dem Schuldausschluss in Anknüpfung an eine „äußere Situation“. Bilden die äußeren Rahmenbedingungen die Basis des Schuldausschlusses, sei auch der – gleichermaßen mit der Situation konfrontierte – Teilnehmer zu entschuldigen. Mit Blick auf die hier untersuchten Konstellationen, in denen der Notstandstäter töten muss, um Leben zu retten, wäre eine Teilnehmerstrafbarkeit nach Peters dennoch zu bejahen, da die Notstandsvorschrift (§ 54 StGB a. F.) differenziert zu deuten sei und im Falle der Rettungstötung nur als Strafausschließungsgrund wirke.38 Baumann sieht in § 50 StGB a. F. die Akzessorietät auf das Vorliegen einer rechtswidrigen Haupttat limitiert, hält aber die unter Zugrundelegung limitiert akzessorischer Betrachtungsweise erzielten Resultate nicht für durchweg angemessen. Namentlich das Hervorrufen des Tatentschlusses beim Notstandstäter, sei es durch Rechtsrat, sei es durch unmittelbare Aufforderung, erscheint ihm nicht durchweg strafwürdig. Ob Teilnahmehandlungen im Umfeld entschuldigter Taten generell straflos bleiben sollen, bleibt indes unklar.39 Die Verfasser des Alternativentwurfs zum Allgemeinen Teil des StGB (AE), zu denen u. a. auch Baumann gehörte, möchten mit Blick auf den Charakter der teilnahmefähigen Haupttat weder das Merkmal der Vorsätzlichkeit noch das Merkmal der Rechtswidrigkeit im Gesetz verankert sehen. Hier sollten Wissenschaft und Rechtsprechung konkretisierend wirken, auf keinen Fall sollte aber der Gesetzgeber eine abschließende Regelung erlassen, um damit ggf. Entscheidungen zu treffen, die er so gar nicht treffen wollte.40 bb) Lösungsansätze auf dem Boden der §§ 26, 27 StGB Maurach und – ihm folgend – seine Schüler Gössel und Zipf gehen von der Existenz einer zwischen Unrecht und Schuld angesiedelten Verbrechenskategorie aus, im Rahmen derer im Wege generalisierender Betrachtung zu ermitteln ist, ob nicht nur die Tat, sondern auch deren Urheber zu missbilligen ist. Gesetzgeberischer Ausdruck dieser Wertungsstufe sollen die üblicherweise so bezeichneten 37 38 39 40
Zum Ganzen C.V.2.b)aa). Zum Ganzen C.V.2.b)bb). Zum Ganzen C.V.2.b)cc). Zum Ganzen C.V.2.c).
I. Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse
295
Entschuldigungsgründe, insbesondere der entschuldigende Notstand, sein. Anhand dieser werde ermittelt, ob der Täter „in der konkreten Situation anders gewesen ist als die anderen“. Sind die Voraussetzungen eines Entschuldigungsgrundes zu bejahen, so sei festgestellt, dass der Täter gerade nicht den Erwartungen des „sozialen Gefüges“ zuwider gehandelt habe, womit es an der Tatverantwortung fehlt. Auf Ebene der Schuld verbleibe sodann Raum für die Frage, ob der Täter „anders war als er selbst sein konnte“.41 Wenn bereits die Tatverantwortung fehle, könne Anstiftung oder Beihilfe zur entsprechenden Tat nicht geleistet werden. Anstiftung und Beihilfe setzten ein verantwortliches, d.h. den allgemeinen Erwartungen zuwiderlaufendes, Tun aufseiten des Täters voraus. Teilnahme sei freilich dort möglich, wo zwar die allgemeinen Erwartungen enttäuscht würden, der Täter indes aufgrund seiner individuellen Disposition nicht „anders sein konnte“.42 Die in den letzten Jahrzehnten in der Hauptsache mit Arthur Kaufmann verbundene Lehre vom rechtsfreien Raum verweist die Problematik des Kollidierens gleichwertiger Güter oder Pflichten in die Sphäre der Wertungsfreiheit.43 Insoweit sei der Rechtsordnung sowohl ein Positiv- als auch ein Negativurteil versagt. Für die Teilnahme hat dies in Situationen des Lebensnotstandes die Konsequenz, dass es an einer anknüpfungsfähigen Haupttat fehlt.44 Jäger kommt in einer Abhandlung jüngeren Datums zu dem Schluss, dass eine Teilnehmerstrafbarkeit bei Entschuldigung des Täters dort zu negieren sei, wo sich das Teilnehmerhandeln in einem „Entgegenbringen von Verständnis“ erschöpfe. Wo dagegen „egoistische Motive“ dominierten, bleibe es bei einer Strafbarkeit. Explizit einbezogen wird auch die Teilnahmehandlung im Umfeld eines Täters, der für sich den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand in Anspruch nehmen kann. In diesem Zusammenhang betont Jäger, dass Fragen der „Zuständigkeit“ für den Schuldausschluss infolge übergesetzlichen Notstands keine Rolle spielten.45 cc) Anknüpfungspunkte Auffällig ist – bei allen Unterschieden in der Terminologie sowie hinsichtlich der gezogenen Schlüsse – die immer wiederkehrende Betonung der strukturellen Unterschiede zwischen Schuldausschließungsgründen im engeren Sinne und Entschuldigungsgründen.46 Während bei letzteren der situative Rahmen im Vordergrund steht, knüpfen erstere an die individuelle Disposition des Täters an. Hierin 41 42 43 44 45 46
Dazu C.V.3.a)aa). Zum Ganzen C.V.3.a)bb). Dazu C.V.3.b). Vgl. C.V.3.b)cc). Zum Ganzen C.V.3.c)aa). Zur Sonderrolle des § 33 StGB oben E.I.5.a).
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E. Entwicklung einer eigenen Konzeption
liegt in der Tat eine bedeutende Strukturverschiedenheit, die sich zwar nicht in der verbrechenssystematischen Zuordnung niederschlägt, jedoch einen wichtigen Fingerzeig für den Umgang mit Teilnahmekonstellationen gibt. Zu berücksichtigen ist ferner der Verweis auf mögliche Unvollständigkeiten im System der Schuldausschließungsgründe. In diesem Zusammenhang interessiert insbesondere der – auch im Rahmen der gegenständlichen Untersuchung anerkannte – übergesetzliche entschuldigende Notstand und dessen Anwendungsbereich. Dass es insoweit konkretisierender Kriterien bedarf, zeigt deutlich die Abhandlung Jägers, in welcher das Kriterium der „Zuständigkeit“ zwar in den Raum gestellt, jedoch sogleich wieder verworfen wird. 6. Schuldausschließungsgründe im engeren Sinne als Prüfstein für die Tatherrschaftslehre Die bereits in Auseinandersetzung mit den Entschuldigungsgründen zu Tage getretene Strukturverschiedenheit gegenüber den Schuldausschließungsgründen im engeren Sinne erweist sich auch bei Betrachtung von Beteiligungskonstellationen im Umfeld von Schuldausschließungsgründen im engeren Sinne. Ganz bewusst wird insoweit von Beteiligungskonstellationen gesprochen, ist der Schritt hin zur Annahme mittelbarer Täterschaft bei Einwirkung47 auf eine im (unvermeidlichen) Verbotsirrtum befindliche oder nach Maßgabe der §§ 19, 20 StGB schuldunfähige Person doch nicht allzu weit. Ausgeschlossen ist die Begehung „durch einen anderen“ bei Sonderdelikten und eigenhändigen Delikten, sodass mit Blick auf diese Deliktstypen von vornherein nur Teilnahme in Betracht kommt. Eine Einschränkung ist hinsichtlich der Sonderdelikte für den Fall zu machen, dass dem Einwirkenden selbst gleichfalls eine Sonderstellung zukommt. Mittelbare Täterschaft scheidet schließlich in Fällen der Einwirkung auf einen unerkannt Schuldunfähigen aus. Bei Einwirkungen auf einen erkannt Schuldunfähigen stellt sich die Frage, ob Teilnahme (in Form der Anstiftung oder Beihilfe) oder mittelbare Täterschaft vorliegt. So ist beim unvermeidbaren Verbotsirrtum umstritten, ob das bloße Ausnutzen eines bereits vorgefundenen Irrtums zur Begründung mittelbarer Täterschaft genügt.48 Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich auch mit Blick auf § 20 StGB. Während z. T. dafür plädiert wird, jegliche Form der Einwirkung auf einen nach § 20 StGB erkanntermaßen Schuldunfähigen als Anwendungsfall mittelbarer Täterschaft zu begreifen, gehen differenzierende Ansätze dahin, entweder nach „allgemeinen Kriterien“ zwischen Täterschaft und Teilnahme abzugrenzen oder aber ausgehend von der in § 20 StGB angelegten Unterscheidung von fehlender Einsichts- und fehlender Steuerungsfähigkeit zu einer weitergehenden 47 48
Im Sinne eines Hervorrufen des Tatentschlusses oder einer bloßen Förderung. Vgl. D.I.1.b).
II. Eigene Auffassung
297
Differenzierung zu gelangen.49 Ähnliche Abgrenzungsfragen stellen sich hinsichtlich des kindlichen Täters (19 StGB). Auch insoweit ist umstritten, ob stets mittelbare Täterschaft anzunehmen oder eine differenzierende Betrachtung geboten ist.50 Unabhängig von der Frage, ob im Einzelfall das Ergebnis einer täterschaftlichen Begehung oder einer „bloßen“ Teilnahme steht, ist jedenfalls festzuhalten, dass der Schuldausschluss nur demjenigen zugute kommen kann, welcher das von den §§ 17, 19, 20 StGB jeweils geforderte intrinsische „Defizit“ aufweist. Besonders deutlich zeigt sich dies mit Blick auf Fälle mittelbarer Täterschaft, in denen das Defizit gerade den Anknüpfungspunkt für die Tatherrschaft des Einwirkenden bildet. Mit der Tatherrschaft ist denn auch die Größe bezeichnet, die sich im Umgang mit dem auf intrinsischen Faktoren beruhenden Schuldausschluss einer besonderen Herausforderung ausgesetzt sieht. Es gilt, herauszuarbeiten, welche Regelungen schon kraft ihrer Existenz eine Verantwortungsverlagerung bewirken und welche Regelungen die Möglichkeit einzelfallorientierter Betrachtung offen lassen. Damit sind Fragen berührt, die primär Bedeutung für unser Beteiligungssystem und dessen Verständnis haben, nicht aber an der Reichweite der schuldausschließenden Wirkung zweifeln lassen.51
II. Eigene Auffassung Ausgehend von den vorstehend umrissenen Erkenntnissen ist zu untersuchen, ob die unter Verweis auf die §§ 26, 27, 29 StGB erzielten Resultate bei Teilnahme an entschuldigter Tat zwingend sind. Wenngleich es sich aus den vorstehenden Erwägungen bereits ergeben haben sollte, sei an dieser Stelle mit aller Deutlichkeit betont, dass es weder um eine Umschreibung des Beteiligungssystems noch um eine Neufassung der gesetzlich normierten Entschuldigungsgründe (insb. § 35 StGB) geht. Auf Basis des geltenden Rechts, unter Einbeziehung der bisherigen Erkenntnisse, soll die Teilnehmerstrafbarkeit bei entschuldigter Haupttat neuerlicher Betrachtung unterzogen werden. 1. Die Teilnahme an entschuldigter Tat Zunächst ist die im Zentrum der gegenständlichen Untersuchung stehende Situation der Teilnahme an entschuldigter Tat in den Blick zu nehmen. Bereits in Auseinandersetzung mit Rudolphi wurde darauf hingewiesen, dass sich anschließend an den Befund, dass in Notstandssituationen der äußere Rahmen den Anknüpfungspunkt für die „nur“ typisierend vermutete seelische Konfliktlage dar49 50 51
D.II.1. D.III.1. Dazu D.IV.
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E. Entwicklung einer eigenen Konzeption
stellt, die Frage aufdrängt, ob Situationen auszumachen sind, in denen bei typisierender Betrachtung eine vergleichbare Konfliktlage vorliegt.52 Eine vergleichbare Konfliktlage ist nach einer im Schrifttum häufig vertretenen und auch hier befürworteten Auffassung dann gegeben, wenn sich eine selbst keinen Gefahrbezug aufweisende Person vor die Wahl gestellt sieht, untätig zu bleiben und dadurch die mögliche Rettung von Menschenleben zu unterlassen oder aktiv zu werden und als Kehrseite der Lebensrettung andere Leben zu nehmen. So oder so: Die Belastung des Gewissens ist unumgänglich.53 Die Fortentwicklung dieser Erkenntnis muss in der Anerkennung eines übergesetzlichen entschuldigenden Notstands gipfeln. Dabei sind – bei konsequenter Berücksichtigung der den gesetzlichen Schuldausschluss tragenden Säulen – auch Konstellationen zu erfassen, in denen eingangs Unbeteiligte durch die Rettungshandlung betroffen werden.54 Akzeptiert man die dargelegten Prämissen, liegt der nächste Schritt in deren Fruchtbarmachung für die Situation der Teilnahme an entschuldigter Tat. Regelmäßig sieht sich auch – und insbesondere – der Teilnehmer mit der Frage konfrontiert, ob er an der Rettungshandlung mitwirken oder in der Rolle des passiven Beobachters verbleiben soll. Dass – bei typisierender Betrachtung – auch hier ein Gewissenskonflikt zu attestieren ist, kann nicht ernsthaft in Abrede gestellt werden. Betrachtet man nun die Konstellationen, in denen Straffreiheit unter Rückgriff auf die Figur des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands erzielt werden soll, fällt auf, dass der Schuldausschluss nur mit Blick auf die den Rettungs- wie Tötungserfolg unmittelbare bewirkende Person – den Fährmann, den Piloten, den Weichensteller55 – diskutiert wird. Dies liegt insoweit nahe, als die Vornahme der sowohl lebensrettend als auch lebensvernichtend wirkenden Maßnahme letztlich in den Händen eben dieser Person liegt. In ihr scheint sich die Konfliktlage gewissermaßen „exklusiv“ zu verdichten. Regelmäßig wird mit der Vornahme der Rettungshandlung die Einordnung als Täter verbunden sein, während den im Umfeld aktiv Werdenden die Einstufung als Teilnehmer verbleibt. Dass grundsätzlich auch Teilnehmer vom Anwendungsbereich des übergesetzlichen Schuldausschlusses erfasst werden können, zeigt sich indes schon an den Euthanasie-Fällen, in denen die Ärzte (und Pfleger) als Teilnehmer eingestuft wurden.56 Dass mit der Einordnung als Täter oder Teilnehmer kein abschließendes Urteil über die Möglichkeit des Schuldausschlusses gesprochen ist, zeigt sich auch deutlich an den hier als „umgekehrte“ Fälle aufgeworfenen Konstellationen, in denen das Handeln als „Zentralgestalt“ in einer (Lebens-)Gefahren-
52 53 54 55 56
Vgl. C.V.2.a)ee). Vgl. B.III.3.c). B.III.3.d)aa). Zu den – um einen Teilnehmer erweiterten – Fällen vgl. C.II.2. Vgl. OGHSt 1, 321 ff.; 2, 117 ff.
II. Eigene Auffassung
299
situation nicht zwangsläufig zum (übergesetzlichen) Schuldausschluss führen muss.57 Daraus ergibt sich, dass – zunächst anhand der Teilnahme-Konstellationen – die Reichweite des übergesetzlichen Schuldausschlusses in den Blick zu nehmen ist. Es geht weniger um die Frage, ob jemand Täter oder Teilnehmer ist, sondern darum, ob der jeweilige Beteiligte eine Position innehat, die der Position des von § 35 StGB erfassten Täterkreises hinreichend vergleichbar ist. Konkretisierungsversuche in Ansehung des Anwendungsbereiches des übergesetzlichen Schuldausschlusses beschränken sich im Wesentlichen darauf, die Erfassung eingangs Unbeteiligter zu begründen bzw. abzulehnen58 oder die Notwendigkeit der Orientierung an numerischen Verhältnissen darzulegen59. Von ebensolcher Bedeutung ist indes die Frage, welcher Personenkreis sich bei wertender und typisierender Betrachtung in einer der Situation des § 35 StGB vergleichbaren seelischen Konfliktlage wiederfindet. Die Situation der Teilnahme eignet sich deshalb so hervorragend für die Ausarbeitung konkretisierender Kriterien, weil Teilnahme in vielerlei Formen und Ausprägungen auftreten kann. Vom Ratschlag via Telefon, über das verbale Einwirken „vor Ort“, bis hin zum Reichen eines Werkzeugs sind allerlei taugliche Anknüpfungshandlungen denkbar, sodass die auszumachenden Unterschiede in Intensität und Nähe der (Teilnahme-)Handlung eine Gleichbehandlung – in welche Richtung auch immer – jedenfalls nicht nahelegen. Ausgehend von den im Rahmen der Untersuchung präsentierten TeilnahmeKonstellationen sind daher Kriterien zu entwickeln, welche den Anwendungsbereich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands insgesamt präziser fassen, um dem Gedanken der Unzumutbarkeit überall dort zur Geltung zu verhelfen, wo er sich berechtigterweise in Form eines Schuldausschlusses wiederfinden muss. a) Mögliche Kriterien Wie zuvor angedeutet, sind bereits die als Teilnahmehandlung denkbaren Anknüpfungshandlungen derart vielgestaltig, dass sich eine eingehendere Betrachtung lohnt. Zudem kann die Teilnahmehandlung in Konfrontation mit einer – in verschiedenen Ausprägungen denkbaren – Gefahrengemeinschaft oder aber in Konfrontation mit der „Umlenkung“ einer Gefahr auf eingangs Unbeteiligte erbracht werden. Ggf. liegen hier Anknüpfungspunkte für eine differenzierte Betrachtungsweise. Jäger wirft in der jüngsten Abhandlung zur Frage der Teilnehmerstrafbarkeit bei entschuldigter Haupttat das Kriterium der „Zuständigkeit“ in den Raum, das 57 Vgl. insbesondere die unter C.VII.2. dargestellte – und noch keiner abschließenden Lösung zugeführte – Variante des Karneades-Falles. 58 Dazu B.III.3.d)aa). 59 Dazu B.III.3.d)bb).
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E. Entwicklung einer eigenen Konzeption
mit Blick auf den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand als den Kreis der möglichen „Profiteure“ eingrenzendes Merkmal denkbar, jedoch zu verwerfen sei.60 Diesen Befund untermauert Jäger, der freilich für „die Notwendigkeit eines dualen Schuldsystems“ 61 eintritt, mit der Erwägung, dass auch der noch so weit entfernte Teilnehmer – wie die Ehefrau des Kampfpiloten, die diesem über Funk rät, die entführte Passagiermaschine abzuschießen – „keinen Schuldvorwurf verdient“ 62. Ungeachtet dessen, dass solche – strafzweckbasierten – Strafwürdigkeitserwägungen bei Bestimmung der Schuldhaftigkeit des Handelns richtigerweise außen vor zu lassen sind63, erweist sich die Einschätzung als zu kurz gegriffen. So leuchtet nicht recht ein, dass zwischen Teilnahmehandlungen, die aus erheblicher Entfernung und ohne unmittelbare sinnliche Wahrnehmung der Konfliktsituation erfolgen (insb.: das Hervorrufen des Tatentschlusses via Funk/Telefon64), einerseits und Teilnahmehandlungen, die in direkter Konfrontation mit der Gefahrensituation erbracht werden (etwa: Reichen des Messers an den vom Absturz bedrohten Bergsteiger65; Hervorrufen des Tatentschlusses zur Durchtrennung des Seiles im Rahmen einer Seilschaft66), andererseits von vornherein keine Differenzierung erfolgen soll. Mit Blick auf § 35 StGB ist festzustellen, dass die Nähe zur Gefahrensituation keinen Einfluss auf die Entschuldigung hat, solange nur zur Rettung einer Sympathieperson gehandelt wird. Eine Übertragung dieser Feststellung ist jedoch schon deshalb nicht zwingend, weil der übergesetzliche entschuldigende Notstand Straffreiheit in vergleichbaren Situationen erzielen soll, die Vergleichbarkeit aber nur im Wege wertender Betrachtung zu erzielen ist. Mit anderen Worten: Der fehlende Bezug zur Selbsterhaltung bzw. zur Erhaltung einer Sympathieperson muss durch anderweitige Umstände „aufgewogen“ werden. Vollständig aufgewogen wird das Fehlen des persönlichen Bezugs etwa beim Weichensteller, beim Fährmann sowie beim (Bundeswehr-)Piloten. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Handelnde sich einer Gefahrengemeinschaft (welcher Ausprägung auch immer) gegenüber sieht oder nicht.67 Die personenbezogenen Kriterien, welche Weichensteller, Piloten, Fährmann etc. gegenüber anderen – mit der Konfliktsituation in Berührung kommenden – Personen auszeichnen, werden nachfolgend noch herauszuarbeiten sein. Aus den vorstehenden Erwägungen ergeben sich zwei zentrale Anknüpfungspunkte für eine differenzierte Betrachtungsweise. Zunächst geht es um die Unter60
Vgl. auch C.V.3.c)aa). Jäger, FS-Beulke, S. 127, 128. 62 Jäger, FS-Beulke, S. 127, 133. 63 Eingehend C.I.1.b). 64 Solche Konstellationen finden sich unter C.II.1.a)aa)(2), C.II.1.a)bb)(2), C.II. 2.a)bb)(1). 65 C.II.1.a)bb)(1). 66 C.II.2.a)bb)(2). 67 B.III.3.d)aa). 61
II. Eigene Auffassung
301
scheidung verschiedener Formen der Gefahrengemeinschaft, die zwar mit Blick auf die (übergesetzliche) Entschuldigung der Zentralgestalt im Ergebnis keine Rolle spielt, für den „entfernteren“ Teilnehmer aber ggf. von Bedeutung sei könnte. Dann ist da der Gesichtspunkt der Konfliktnähe, der – unter der Voraussetzung weiterer Konkretisierung – ggf. ein wichtiges Indiz für die Vermutung einer hinreichend erheblichen seelischen Konfliktlage sein kann. aa) Der Gesichtspunkt der Gefahrengemeinschaft In einem ersten Schritt ist zu fragen, ob dem Teilnehmer ein übergesetzlicher Schuldausschluss jedenfalls dann zu versagen ist, wenn Gerettete und Beeinträchtigte sich anfänglich nicht gleichermaßen in Gefahr befinden. In diesen Kontext gehören der Haustyrannen-Fall68 sowie der Weichensteller-Fall69. Mit Blick auf die Zentralgestalt des Geschehens ist die Einbeziehung eingangs Ungefährdeter insoweit unbedenklich, als der Schuldausschluss nicht Folge reiner Nützlichkeitserwägungen, sondern Ausfluss des kumulativen Vorliegens von Unrechts- und Schuldminderung ist.70 Dass die hier interessierende Schuldminderung für den unmittelbar Agierenden in einer Situation, in der jede Entscheidung als die „falsche“ erscheint, generalisierend zu vermuten ist, wurde bereits dargetan. Folglich stellt sich die Frage, ob diese Vermutung für den Teilnehmer an entschuldigter Tat gleichermaßen fruchtbar gemacht werden kann. Für den Teilnehmer an einer – nach § 35 StGB oder infolge übergesetzlichen Schuldausschlusses – entschuldigten Tat stellt sich die Ausgangslange zunächst nicht anders dar als für den im Zentrum des Konflikts Stehenden: Die Beteiligung erfolgt in Konfrontation mit der Frage, ob gehandelt werden soll, um Leben zu retten, infolgedessen aber auch Leben zu nehmen, oder ob Passivität vorzuziehen ist mit der Folge, dass eine mögliche Rettung (einer erheblichen Anzahl an Menschen) unterlassen wird. Das moralische Dilemma stellt sich, abstrakt betrachtet, identisch dar. Daher kann es auch für den Teilnehmer richtigerweise keinen Unterschied machen, ob sich Gerettete und durch die Rettungshandlung Beeinträchtigte anfänglich in einer Gefahrengemeinschaft befanden oder nicht. Konsequenterweise ist ein moralisches Dilemma sodann auch – und erst Recht – für jegliche Form der Gefahrengemeinschaft zu bejahen. Mit dieser Feststellung ist freilich noch nichts darüber gesagt, ob Teilnahme im Umfeld entschuldigter Tat durchgängig straffrei zu stellen ist. Festgehalten ist nur, dass sich das moralische Dilemma für den Teilnehmer im Ausgangspunkt in gleicher Form wie für den – im Zentrum stehenden – Täter stellt. Aussagen über die – gegenüber der Zentralgestalt geminderte – Intensität des Entscheidungs68 69 70
C.II.1.b)aa). Vgl. C.II.1.b)bb) sowie C.II.2.b). B.III.3.d)aa).
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E. Entwicklung einer eigenen Konzeption
drucks können, da die moralische Dilemma-Situation grundsätzlich die gleiche ist, unter dem Gesichtspunkt der Gefahrverteilung (zwischen den Gefährdeten) nicht getroffen werden. bb) Der Gesichtspunkt der Konfliktnähe Betrachtet man die im Rahmen dieser Untersuchung geschilderten Konfliktlagen genauer, so fällt auf, dass sowohl Situationen denkbar sind, in denen der Teilnehmer „vor Ort“ – in sinnlicher Konfrontation mit der Gefahrensituation – tätig wird, als auch Situationen, in denen der Teilnehmer aus „sicherer Entfernung“ seinen Beitrag erbringt. Das eindrücklichste Beispiel des vor Ort agierenden Teilnehmers liefert sicherlich der Bergsteiger, der ein Messer zur Durchtrennung des Seiles reicht71 bzw. zur Durchtrennung des Seiles auffordert72. Eine ähnliche Nähe zur (Rettungs-)Zentralgestalt ist auch in den hier geschilderten Weichensteller-Konstellationen auszumachen.73 Anders liegt es freilich in den Fällen, in denen die Einwirkung auf die Zentralgestalt unter Einschaltung eines technischen Kommunikationsmittels erfolgt.74 Schwierig zu verorten sind schließlich Fälle, in denen der Teilnehmer zwar am Ort des Geschehens anwesend ist, der Situation jedoch insoweit distanziert gegenübersteht, als sein Hinzutreten völlig zufällig erfolgt.75 Im Folgenden muss es darum gehen, die letztlich immer normativ zu beantwortende Frage nach der Konfliktnähe durch Ausarbeitung konkretisierender Kriterien greifbarer und damit besser handhabbar zu machen. (1) Zur Bedeutung der Zufälligkeit Betrachtet man die hier geschilderten Varianten des Bergsteiger-Falles sowie den Karneades-Fall, fällt auf, dass Menschen als Teilnehmer aktiv werden, die sich nur durch Zufall nicht derjenigen Gefahr ausgesetzt sehen, zu deren Abwendung sie mitwirken. Der allein auf einer Planke treibende Schiffbrüchige hätte sich – infolge des Schiffsunglücks – ebenfalls auf der „Schicksalsplanke“ wiederfinden können, sodass er selbst vor der Wahl gestanden hätte, Hand an seinen Kameraden zu legen oder unterzugehen. In den Varianten des Bergsteiger-Falls ist gleichfalls festzustellen, dass sich der das Messer Zuwerfende bzw. zur Durchtrennung des Seiles Ermunternde nur durch Zufall nicht selbst vom Absturz bedroht sieht.
71 72 73 74 75
C.II.1.a)bb)(1). C.II.2.a)bb)(2). C.II.1.b)bb) sowie C.II.2.b). C.II.1.a)aa)(2); C.II.1.a)bb)(2); C.II.2.a)bb)(1). So insbesondere im Fährmann-Fall, C.II.2.a)aa).
II. Eigene Auffassung
303
Vergegenwärtigt man sich, dass sich der Schuldausschluss im gesetzlich normierten Anwendungsbereich des § 35 StGB mit Blick auf die Schuldminderung auf das Vorliegen eines persönlichen Gefahrbezugs stützt, kann eine vergleichbare Situation jedenfalls dort attestiert werden, wo das Fehlen des Gefahrbezugs gänzlich zufällig ist. Wo die Nichtanwendbarkeit des § 35 StGB daraus resultiert, dass der Beteiligte „gerade so“ der (Selbst-)Gefährdung entgangen ist und damit (noch) unter dem Eindruck der Gefahrensituation steht, muss der Motivationsdruck, nun jedenfalls helfend tätig zu werden, als nochmals erhöht gelten. Die Erkenntnis, dass die (Eigen-)Verschonung gewissermaßen schicksalhaft erfolgte, wird den Handlungsimpuls eher verstärken und – als Kehrseite – die Fähigkeit, sich normgemäß zu verhalten, deutlich reduzieren. In Fällen, in denen die Gefahrverteilung willkürlich erfolgt, wie dies insbesondere bei aus natürlichen Gefahrenquellen resultierenden Bedrohungsszenarien typisch sein wird, erscheint der Zuschnitt des § 35 StGB schlicht als zu eng. (a) Wann ist zufällig „zufällig“ mit Blick auf die Gefahrverteilung? Nun gilt es freilich weiter zu konkretisieren, wie weit das Kriterium der Zufälligkeit – betreffend die Gefahrverteilung – reicht. So könnte man etwa die Frage aufwerfen, wie sich die Lage im Bergsteiger-Fall darstellte, wenn ein außerhalb der Seilschaft stehender Bergsteiger, der entweder einer anderen Seilschaft angehört oder – wenig wahrscheinlich – alleine im Gebirge unterwegs ist, auf die Situation trifft, in der ein Mitglied der für ihn fremden Seilschaft vom Gewicht seines abgestürzten Kameraden gleichsam nach unten gezogen zu werden droht. Wenn er nun das Messer zuwirft oder zur Durchtrennung des Seiles ermuntert76, könnte daran gezweifelt werden, dass er nur „durch Zufall“ nicht selbst der (Absturz-)Gefahr ausgesetzt ist. Konkretisierend stellt sich die Frage, wie weit die Gefahrensphäre, innerhalb welcher die Gefahrverteilung sodann zufällig erfolgt, zu ziehen ist. So betrifft die Gefahr eines Absturzes im Gebirge grundsätzlich alle Seilschaften und (Einzel-)Bergsteiger, die sich dort bewegen. Zugleich bestand und besteht für den hinzutretenden Bergsteiger nicht die Gefahr, von einem Mitglied der fremden Seilschaft oder – sofern er allein unterwegs war – überhaupt von einem anderen Bergsteiger in die Tiefe gezogen zu werden. Um die identische Gefahr geht es insoweit nicht. Vielmehr handelt es sich „nur“ um eine zufällige Gefahrverteilung innerhalb des gleichen Gefahrenbereichs. Gegen eine Einbeziehung von Personen, die sich zwar innerhalb des gleichen Gefahrenbereichs, nicht aber innerhalb der konkreten Gefahrensphäre bewegen, 76 Gleiches gilt für den Fall, dass er selbst Hand anlegt und das Seil durchtrennt, womit er beteiligungsrechtlich als Täter einzustufen wäre. Die Teilnahmehandlungen stehen hier deshalb im Vordergrund, weil diese – im Rahmen der gegenständlichen Arbeit – den Zugang zu Fragen der Reichweite des übergesetzlichen Schuldausschlusses insgesamt darstellen, vgl. auch E.II.3.
304
E. Entwicklung einer eigenen Konzeption
spricht zunächst, dass diese hinsichtlich des konkreten Bedrohungsszenarios für sich nicht in Anspruch nehmen können, „gerade so“ davon gekommen zu sein. Vielmehr tritt diesen allgemein vor Augen, dass auch sie sich in einem Gefahrenbereich bewegen, der existenzbedrohende Situationen heraufbeschwören kann. Zugegeben: Wie allgemein die Erkenntnis, selbst mögliches Opfer einer Gefahr zu werden, ist, hängt freilich vom jeweiligen Szenario ab. So trifft den Arzt, der vor der Frage steht, ob er die bereits an einen „moribunden“ Patienten angeschlossene Herz-Lungen-Maschine einem anderen Patienten, der signifikant höhere Rettungschancen aufweist, zur Verfügung stellt77, gleichfalls die Erkenntnis, dass auch er einmal auf – nur begrenzt verfügbare – maschinelle Lebenserhaltungsmaßnahmen angewiesen sein kann. Auch für die (ggf. ihrerseits verheiratete) Nachbarin der gepeinigten Ehefrau, die bei der Beseitigung des Familientyrannen behilflich ist bzw. selbst Hand anlegt78, mag sich die Erkenntnis aufdrängen, dass sie selbst Opfer gravierender häuslicher Gewalt werden könnte. Indes stellt sich die Realisierungswahrscheinlichkeit im Handlungszeitpunkt in den beiden letztgenannten Beispielen deutlich geringer dar als im Fall des zufällig hinzutretenden Bergsteigers. Dies ist gemeint, wenn darauf verwiesen wird, dass die Erkenntnis, selbst potentieller Gefährdungsadressat zu sein, in manchen Situationen wesentlich allgemeiner, mithin unspezifischer daherkommt als in anderen. Dennoch verbleibt die Frage, ob die – mögliche – Abstufung zwischen verschiedenen Situationen allgemeiner (Gefahr-)Erkenntnis eine differenzierte Betrachtung auch mit Blick auf die Möglichkeit übergesetzlicher Entschuldigung verlangt oder ob von einer „zufälligen“ Gefahrverteilung nur dann die Rede sein kann, wenn die schicksalhafte Verschonung von der sich konkret realisierenden Gefahr, mithin eine überaus spezifische Gefahrerfahrung im Raum steht. Mit einigem Recht weist Rönnau in Auseinandersetzung mit dem möglichen Anwendungsbereich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands darauf hin, dass „die Frage der Entschuldigung nicht schematisch behandelt werden“ 79 dürfe. Richtig ist: Stets muss eine hinreichende Vergleichbarkeit zur Situation des § 35 StGB gegeben sein, was, wie bereits herausgearbeitet wurde80, eine im besonderen Maße wertende Betrachtung erforderlich macht. Nichtsdestotrotz wird man insoweit konkretisieren müssen, möchte man sich nicht dem Vorwurf aussetzen, einen in seinem Anwendungsbereich völlig konturlosen, damit kaum greifbaren und letztlich nur zur Erzielung „billiger“ Resultate herangezogenen Schuldausschließungsgrund zu hofieren. Bei konsequenter Anbindung des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands an die den entschuldigenden Notstand nach § 35 StGB tragenden Gesichtspunkte wird man bezüglich der zufälligen 77 78 79 80
Zu diesem Beispiel vgl. B.III.3.c) mit Fn. 421. Vgl. oben C.II.1.b)aa) sowie – zur Abwandlung – C.VII.3. LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 356. B.III.3.c).
II. Eigene Auffassung
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Gefahrverteilung eine „schicksalhafte“ Verschonung von der sich konkret realisierenden Gefahr verlangen müssen: Eine besondere Nähe zu dem § 35 StGB zugrunde liegenden Selbst- bzw. Angehörigenerhaltungstrieb wird man (nur) dann attestieren können, wenn ein Handeln unter dem konkreten und gegenwärtigen Eindruck der Eigenverschonung erfolgt. Mit anderen Worten: Der rein zufällig hinzutretende Bergsteiger aus dem eingangs behandelten Beispiel weist keine hinreichend konkrete Gefahrerfahrung auf, die einen übergesetzlichen Schuldausschluss zu tragen vermöchte. Auch ein Hinzutreten im identischen Gefahrenbereich genügt also dann nicht, wenn es dem Handelnden an der konkreten Gefahrerfahrung fehlt. (b) Präkludierte Fälle Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich ein wesentlicher Unterschied zu Fällen, in denen der Teilnehmer81 schon aufgrund räumlicher Distanz nicht in den Dunstkreis der Gefahrensituation geraten konnte (insb. Fälle der Einwirkung über ein technisches Kommunikationsmittel). Zugleich sind unter diesem Gesichtspunkt Fälle präkludiert, in denen zwar eine gewisse räumliche Nähe zum Gefahrenherd besteht, eine anderweitige Verteilung der konkreten Gefahr jedoch ausgeschlossen war und ist. Gemeint ist etwa der vom sicheren Ufer aus agierende Wanderer, der dem Fährmann rät, einen Teil der Kinder ins Wasser zu werfen. Ebenfalls hierhin gehört die Nachbarin, die zwar „Flur an Flur“ mit der gepeinigten Ehefrau des Haustyrannen lebt, jedoch keine Gefahr-Adressatin darstellt. (2) Zur Bedeutung der bestimmungsgemäßen Geschehenssteuerung Wie insbesondere bei Lösung des Fährmann-Falles, des Flugzeug-Falles sowie des Weichensteller-Falles gezeigt, führt die – im Regelfall mit täterschaftlicher Begehung verbundene – Einordnung als Zentralgestalt, welche die lebensrettende wie lebensbeendende Maßnahme unmittelbar vornimmt, regelmäßig zum übergesetzlichen Schuldausschluss. Ausnahmsweise kann auch einem Teilnehmer eine solche zentrale Stellung zukommen, etwa in den sog. Euthanasiefällen, in denen die Ärzte als Teilnehmer angeklagt waren, ihnen hinsichtlich der Rettungshandlung aber eine derart zentrale Rolle zukam, dass auch insoweit Geschehenssteuerung im Sinne der Möglichkeit zur Vornahme der lebensrettenden wie lebensvernichtenden Maßnahme zu bejahen war. So verstanden, wäre Geschehenssteuerung auch für den Schützen im abgewandelten Karneades-Fall82 sowie für die Nachbarin im abgewandelten Haustyrannen-Fall83 anzunehmen. Gleiches gilt für 81 Wiederum: Gleiches gilt – konsequenterweise – auch für einen nach Beteiligungsregeln als Täter einzustufenden Hinzutretenden. 82 C.VII.2. 83 C.VII.3.
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E. Entwicklung einer eigenen Konzeption
die von Jäger gebildete Abwandlung des Fährmann-Falles, in der der Wanderer den Fährmann nicht durch Zuruf zum Hinabwerfen der Kinder vom Floß bewegt, sondern mit einer Waffe einige Kinder selbst herunterschießt.84 Die Möglichkeit zur Vornahme der gleichermaßen lebensrettend wie lebensvernichtend wirkenden Maßnahme ist in all diesen Situationen zu bejahen. Jäger folgert daraus mit Blick auf den Fährmann-Fall, dass der „nur“ den Tatentschluss beim Fährmann Hervorrufende erst Recht straflos ausgehen müsse, wenn dies schon für den selbst zur Waffe Greifenden gelte. Richtig ist dies, wenn man bei diesem Verständnis der Geschehenssteuerung stehen bleibt und jedwede Eingriffsmöglichkeit als zuständigkeitsbegründend bewertet. Die Frage bleibt, ob diese Wertung mit Blick auf Situationen der „aufgedrängten“ Rettungshandlung verfängt. „Aufgedrängt“ ist die Rettungshandlung deshalb, weil sowohl die gegenüber dem Haustyrannen selbst Hand anlegende Nachbarin als auch die Schützen in den Abwandlungen von Karneades- und Fährmann-Fall willkürlich Zeugen des Gefahrenszenarios werden und gerade nicht bestimmungsgemäß mit der Konfliktlage in Berührung kommen. Bei Fährmann, Weichensteller und (Kampf-)Pilot bringt dagegen bereits das jeweilige Tätigkeitsfeld eine besondere Nähe zu Gefahren- und Grenzsituationen mit. Dabei wird von den Handelnden erwartet, auch in komplexen Konfliktlagen „kühlen Kopf“ zu bewahren und rationale Entscheidungen zu treffen. Im Anwendungsbereich des § 35 StGB findet diese Erwartung ihren Niederschlag in § 35 I 2 HS. 1 StGB, wonach von den im Rahmen eines besonderen Rechtsverhältnisses Agierenden zu verlangen sei, Eigeninteressen nicht zur primären Richtschnur des Handelns zu machen. Ähnliches gilt für Ärzte, die wie wohl keine andere Berufsgruppe mit Situationen konfrontiert werden, in denen es „um Leben und Tod“ geht. Im Kontext des nationalsozialistischen Unrechtsstaates, wo Ärzte durch Erstellung von Verlegungslisten einige Patienten dem Tod überantworten mussten, um andere Patienten retten zu können85, ist freilich eine Pervertierung der ärztlichen Aufgabenzuschreibung auszumachen. Nichtsdestotrotz ist ein Personenkreis benannt, dem die Bewältigung existenzieller Bedrohungslagen schon qua „Amtes“ auferlegt ist. Im Anwendungsbereich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands scheidet ein Handeln im Eigeninteresse (zur Selbst- oder Angehörigenerhaltung) von vornherein aus. Ein „egoistisches“ Handeln muss daher auch nicht unterbunden werden. Entscheidend ist, dass sich der Agierende in einer Situation wiederfindet, in der das Tätigwerden wie das Passivbleiben gleichermaßen belastend wirken. Mit Blick auf die bestimmungsgemäß mit dem Gefahrenszenario in Berührung Geratenden ist zu attestieren, dass von diesen eine Entscheidung geradezu erwartet wird. Empirisch nachzeichnen86 lässt sich diese 84
Jäger, FS-Beulke, S. 127, 132. Eingehend zu den Euthanasie-Fällen oben B.III.3.a). 86 Dazu, dass es in solchen Fragen keine empirische Sicherheit geben kann, vgl. sogleich E.II.1.c)bb). 85
II. Eigene Auffassung
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These anhand des Flugzeug-Falles. Ferdinand von Schirachs Theaterstück „Terror“, welches sich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eines eine entführte Passagiermaschine abschießenden Kampfpiloten widmet, fordert die Zuschauer am Ende dazu auf, über „schuldig“ oder „nicht schuldig“ zu befinden. Die überwältigende Mehrheit der Zuschauer im deutschsprachigen Raum kommt zu dem Ergebnis „nicht schuldig“, heißt das Handeln des Piloten also gut.87 Dies ist schon deshalb so bemerkenswert, weil im Stück durchweg – fälschlich – suggeriert wird, ein Freispruch des Piloten stünde im Widerspruch zu geltendem Verfassungsrecht. Eine Trennung zwischen der verfassungsrechtlichen Bewertung einer den Abschuss für zulässig erklärenden Regelung und der individuellen (strafrechtlichen) Vorwerfbarkeit des (Gleichwohl-)Abschusses wird nicht vorgenommen.88 Trotz der auch lebensvernichtenden Wirkung der Rettungshandlung geht die gesellschaftliche Erwartung also dahin, eine (Handlungs-)Entscheidung zu treffen.89 Hält man diesen Konstellationen nun den Fall der Nachbarin, die – auf Bitten der gepeinigten Ehefrau – den Haustyrannen tötet, sowie den Fall des Wanderers, der einige Kinder bzw. einen Schiffbrüchigen vom Floß bzw. der Planke schießt, entgegen, erscheint die Erwartungshandlung gegenüber dem Hinzutretenden keineswegs derart eindeutig. Hier verfängt der Vorwurf des „Schicksal-Spielens“, der regelmäßig in Auseinandersetzung mit dem Weichensteller-Fall sowie vergleichbaren Fallgestaltungen vorgetragen wird90, endlich: Auf dem Hinzutretenden lastet nicht in gleichem Maße die gesellschaftliche Erwartung, sich „vernünftig“ zu verhalten und dabei ggf. geltendes Recht zu igno-
87 Im Anschluss an die Ausstrahlung einer Verfilmung des Theaterstücks votierten 86,9 % der abstimmenden deutschen Zuschauer für „nicht schuldig“, in Österreich und der Schweiz wurden nahezu identische Ergebnisse erzielt (vgl. http://www.daserste.de/ unterhaltung/film/terror-ihr-urteil/voting/index.html [Stand: 04.07.2019]). Bei – bislang – 1495 Theatervorführungen in Deutschland votierten die Zuschauer in 1372 Fällen mehrheitlich für „nicht schuldig“ (vgl. http://terror.theater/ [Stand: 04.07.2019]). 88 Vgl. dazu auch die prägnante Kritik bei Kempf, in: Fischer/Hoven (Hrsg.), Schuld, 2017, S. 155, 156 f.; ferner Fahl, GS-Joecks, S. 67, 71; Schild, Verwirrende Rechtsbelehrung, 2016, S. 20 ff., 43 f. 89 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Zimmermann, Rettungstötungen, 2009, S. 390, der – freilich zur Begründung einer (hier abgelehnten) solidaritätsbasierten Rechtfertigung – auf „die überwiegende Zustimmung zur moralischen Entscheidung des § 14 Abs. 3 LuftSiG“ verweist. Gerade diese Zustimmung als „schmutzige[n] blinde[n] Fleck im demokratischen Rechtsstaat“ einordnend Jahn, der in diesem Zusammenhang auch „die etwas bigotte Haltung von Juristen“ anprangert. Diese hielten „die durch das Recht transportierten moralischen Standards“ empathisch hoch, hofften aber zugleich auf ein entschiedenes Handeln Einzelner in entsprechend gelagerten Bedrohungssituationen (jeweils Jahn/Baschung, FS-Breidling, S. 167, 171). Ob es tatsächlich „bigott“ ist, an in Rechtsform gegossenen Prinzipien (insbesondere: der Unabwägbarkeit menschlichen Lebens) festzuhalten, zugleich aber Verständnis für denjenigen aufzubringen, der diesen Prinzipien im Konfliktfall nicht nachzufolgen vermag, weil er bei Befolgung (gleichfalls) eine Verstrickung in erhebliche moralische Schuld empfindet, muss indes angezweifelt werden. 90 Dazu B.III.3.d)aa).
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E. Entwicklung einer eigenen Konzeption
rieren, um letztlich das „kleinere Übel“ zu wählen. Auf die Überforderung des sich selbst oder eine Sympathieperson rettenden „Normalbürgers“ wird im Anwendungsbereich des § 35 I 1 StGB mit Nachsicht reagiert. Die gesellschaftliche Erwartung geht nicht dahin, dass normkonformes Verhalten an den Tag gelegt wird. Fehlt aber der persönliche Gefahrbezug, lastet auf dem „Normalbürger“ auch kein – vorgelagerter – Erwartungsdruck, in Konfliktsituationen das „Richtige“ zu tun. Das Fehlen dieses Erwartungsdrucks führt aber – gegenüber dem bestimmungsgemäß mit der Konfliktsituation in Berührung Kommenden – zu einem Abschlag bei der Schuldminderung. Die stets im Hintergrund schwingende Erwartung, Verantwortung auch um den Preis der (vielfachen) Lebensvernichtung zu übernehmen, lässt den Motivationsdruck – bei typisierender Betrachtung – gegenüber dem zufällig mit dem Szenario in Berührung Kommenden nicht unerheblich anwachsen.91 Freilich lässt sich dem entgegenhalten, dass der „Normalbürger“ in Konfrontation mit dem Szenario „Leben gegen Leben“ erst Recht überfordert sein müsse. Dies ändert indes nichts an der – hier als zutreffend erachteten – Annahme, dass im Falle des Nichthandelns eines „Normalbürgers“ keine gesellschaftlichen Erwartungen enttäuscht werden. Insoweit wird auf ein Abwälzen der Verantwortung verzichtet. Ausgangspunkt der vorstehenden Erwägungen war die Frage, ob in tragischen Situationen jedwede Eingriffsmöglichkeit eine die Vergleichbarkeit mit der Situation des § 35 StGB tragende Konfliktnähe begründet. Dies ist nach hiesigem Dafürhalten nicht der Fall. Über die bloße Möglichkeit zur Vornahme der entscheidenden Handlung hinaus bedarf es eines bestimmungsgemäßen In-Berührung-Kommens mit der jeweiligen Gefahrensituation. Wenn dies aber richtig ist, ist mit Blick auf die von Jäger gebildete (weitere) Abwandlung des FährmannFalles, in der ein vorbeikommender Wanderer selbst einige Kinder vom Floß schießt, festzuhalten, dass dem Wanderer ein übergesetzlicher Schuldausschluss zu versagen ist. In der Folge trägt das Argument, dass erst Recht dem „nur“ anstiftenden Wanderer ein Schuldausschluss zu Gute kommen müsse, nicht. Mit anderen Worten: Nicht in jeder Situation des Lebenskonflikts, in dem der die lebensrettend wie lebensvernichtende Handlung Bewirkende keinen Gefahrbezug aufweist, kann eine Entschuldigung unter Rückgriff auf den übergesetz91 Dass mit Blick auf den Ausschlusstatbestand des § 35 I 2 HS. 1 StGB bei erhöht Gefahrtragungspflichtigen von einer höheren psychischen Belastbarkeit auszugehen ist (dazu oben C.I.1.b)bb)(1)), widerspricht dem nicht. Während die – insoweit angenommene – erhöhte Belastbarkeit auf das Hintanstellen eigener Rettungsinteressen bezogen ist, spielen entsprechende Interessen in Situationen des übergesetzlichen Notstandes von vornherein keine Rolle. Es gilt dort nicht, eine Widerstandskraft gegenüber dem Trieb zur Selbst- bzw. Angehörigenerhaltung zu entwickeln, sondern eine – „allgemein erwartete“ – Handlungsentscheidung zu treffen, die immer auch eine (u. U. quantitativ beachtliche) Lebensvernichtung zum Gegenstand hat.
II. Eigene Auffassung
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lichen Notstand erfolgen. Diese Feststellung ist unabhängig von der Einordnung als Täter oder Teilnehmer, wenngleich die (bestimmungsgemäße) Geschehenssteuerung regelmäßig mit täterschaftlicher Begehung einhergehen wird. (a) Einfluss von Garantenstellungen Häufig werden diejenigen, welche mit Blick auf bestimmte (Gefahren-)Bereiche Aufsichts- und Kontrollfunktionen wahrnehmen, zugleich Träger einer Garantenstellung i. S. d. § 13 I StGB sein. So nimmt ein (behandelnder) Arzt regelmäßig eine Beschützergarantenstellung gegenüber den – ihm anvertrauten – Patienten ein.92 Berücksichtigt man diesen Umstand in den sog. Euthanasie-Fällen, ist festzustellen, dass die Ärzte im Ausgangspunkt für das Wohlergehen sämtlicher Patienten, von denen sie letztlich – zur Rettung anderer – einige auswählten und in den Tod schickten, in besonderem Maße verantwortlich waren. Ein Spezifikum der Euthanasie-Fälle liegt freilich darin, dass die Wahrnehmung ärztlicher (Schutz-)Verantwortung (denk-) notwendig die Teilnahme an einem staatlich organisierten Tötungsprogramm bedeutete, weshalb der Oberste Gerichtshof für die Britische Besatzungszone resümierte, dass insoweit „keinerlei erfüllbare Rechtspflicht zum Schutz der Kranken“ 93 bestanden habe. Die Annahme einer „Rechtspflicht zur Gegenwirkung mit anderen als ärztlichen Mitteln“ 94 wird ausdrücklich verworfen.95 Nicht ganz zu Unrecht wird dagegen eingewendet, dass durch eine derart begründete Ablehnung einer Rechtspflicht „die Lösung der Kollision schon vorweggenommen“ 96 werde. Immerhin wird die als Kontrapunkt in Betracht kommende Handlungspflicht (betreffend die Rettung jedenfalls einer gewissen Zahl von Kranken) unter Heranziehung der zu beachtenden Unterlassungspflicht (betreffend den Eingriff in fremdes Leben) von vornherein als nicht existent betrachtet. Dabei ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund sich die Fürsorgepflicht der Ärzte im nationalsozialistischen Unrechtsstaat als Nullum erweisen sollte. Letztlich spricht daher mehr für die Bejahung (auch) einer Handlungspflicht.97 Mit dieser Feststellung ist indes noch nichts darüber gesagt, ob aus dem Vorhandensein der (formalen) 92 Kühl, in: Lackner/Kühl, § 13 Rn. 9; MK-Freund, § 13 Rn. 173; Murmann, Grundkurs, § 29 Rn. 50; NK-Gaede, § 13 Rn. 39; Rengier, AT, § 50 Rn. 30; Schönke/Schröder-Bosch, § 13 Rn. 28a. 93 OGHSt 2, 117, 121 f. 94 OGHSt 2, 117, 122. 95 Weitere Nachweise zur – bereits das Vorliegen einer Rechtspflicht verneinender – Rspr. finden sich bei Burkhardt, Das NS-Euthanasie-Unrecht vor den Schranken der Justiz: eine strafrechtliche Analyse, 2015, S. 560. 96 Gallas, FS-Mezger, S. 311, 328. 97 Deutlich Gallas, FS-Mezger, S. 311, 329: „Man wird daher eine Rechtspflicht der Ärzte zur Rettung annehmen müssen, und zwar i. S. einer ,Garantenpflicht‘, deren Verletzung für den nicht verhinderten Erfolg strafrechtlich verantwortlich macht.“
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E. Entwicklung einer eigenen Konzeption
(Handlungs-)Pflicht auch deren materielle Bestandskraft resultiert.98 An dieser Stelle gewinnt wiederum das (mittlerweile in Gestalt des § 34 StGB auch gesetzlich verankerte) Prinzip der Interessenabwägung Bedeutung, welches – soweit man mit der hier vertretenen Auffassung taugliche Differenzierungskriterien in der Situation des Lebensnotstands vermisst – einen Vorrang der bzw. des in Erfüllung der (formalen) Handlungspflicht rettbaren Leben(s) nicht zu begründen vermag. Wenn dem aber so ist, „ist die Handlungspflicht materiell nicht von Bestand“ 99. Denkt man an den Weichensteller, so lässt sich – mit Blick auf die eingenommene Position – durchaus an eine (Überwachungs-)Garantenstellung hinsichtlich der Gefahren, die sich aus der Benutzung identischer Schienenwege durch zahlreiche (zeitlich dicht gestaffelte) Züge ergeben, denken.100 Diese Garantenstellung gilt, so man sie denn bejaht, im Ausgangspunkt freilich in Ansehung aller potentiellen Gefahradressaten. Auch insoweit ist die Handlungspflicht im Konfliktfall – in Parallele zum zuvor Gesagten – materiell nicht von Bestand. Mit anderen Worten: Regelmäßig wird der bestimmungsgemäß Gefahrbefasste eine Garantenstellung auch gegenüber den (letztlich) Geretteten aufweisen. Auf Unrechtsebene vermag diese eine Rechtfertigung deshalb nicht zu tragen, weil sich die in der Gefahrensituation entstehende Handlungspflicht im Falle der Tötung eines anderen Menschen nicht gegen „die durch § 212 StGB repräsentierte formale Unterlassungspflicht“ 101 durchzusetzen vermag.102 Was die Vorwerfbarkeit des Täterhandelns betrifft, ließe sich freilich argumentieren, eine bestimmungsgemäße Geschehenssteuerung liege jedenfalls dann vor, wenn der Täter (auch) gegenüber den Geretteten eine Garantenstellung aufweist. Dagegen ist zu sehen, dass der – vermutete – Motivationsdruck aus der Stellung des Handelnden in der Gesellschaft resultiert. Die insoweit bestehende Erwartungshaltung führt – bei typisierender Betrachtung – zu einer extraordinären psychischen Spannungslage. Ob mit der Stellung des Handelnden formale Handlungspflichten einhergehen, kann an dieser Stelle nicht entscheidend sein. 98 Zum Verhältnis von formalen und materiellen Rechtspflichten Gropp, FS-Hirsch, S. 207, 210 f. 99 Gropp, FS-Hirsch, S. 207, 214. 100 Siehe auch Bott, In dubio pro Straffreiheit?, 2011, S. 115, wo (unter Bezugnahme auf einen von Mitsch, JA 2006, 509 ff., gebildeten Fall) einem Weichensteller eine „Schutzgarantenstellung“ mit Blick auf die in einem Bahnhof befindlichen – von einem vermeintlichen Terroranschlag bedrohten – Menschen zugesprochen wird; vgl. ferner das Beispiel bei Gropp, FS-Hirsch, S. 207, 213, in dem ein „Sicherungsposten“ vor der Wahl steht, einen herannahenden Schnellzug – durch Weichenstellung – umzulenken und so 10 Gleisarbeiter zu retten, einen einzelnen Gleisarbeiter aber zu töten oder dem Geschehen seinen Lauf zu lassen. 101 Gropp, FS-Hirsch, S. 207, 213. 102 Zum Kollidieren von Handlungs- und Unterlassungspflichten vgl. auch bereits C.III.1.a)bb)(1).
II. Eigene Auffassung
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Damit ist nicht gesagt, dass (gesellschaftliche) Erwartungshaltungen nicht häufig in Gestalt formaler Handlungspflichten ihren Ausdruck finden werden. Eine untrennbare Verbindung von formal-rechtlicher Handlungspflicht und sich zu einem extraordinären Motivationsdruck verdichtender Erwartungshandlung besteht indes nicht. (b) Gefahrbefasstheit durch Einbeziehung? Weiter stellt sich die Frage, ob eine bestimmungsgemäße Gefahrbefasstheit auch durch (aktive) Einbeziehung in der konkreten Situation entstehen kann. Zu denken ist daran im „umgekehrten“ Karneades-Fall, in dem der am Rande Stehende per Zuruf von einem der Schiffbrüchigen darum gebeten wird, den anderen Schiffbrüchigen von der Planke zu schießen.103 Ggf. erfährt die Position des am Rande Stehenden in diesem Fall eine „Aufwertung“ mit der Folge, dass auch ihm unter dem Gesichtspunkt bestimmungsgemäßer Gefahrbefasstheit ein Schuldausschluss zu gewähren ist. Ähnliche Erwägungen könnten mit Blick auf den „umgekehrten“ Bergsteiger-Fall104, bei dem sich die Straffreiheit des zum Handeln aufgeforderten Eingreifenden freilich schon unter dem Gesichtspunkt zufälliger Gefahrverteilung ergibt, anzustellen sein. Indes lastet in diesen Konstellationen, in denen die Aufforderung zum Handeln von dem bzw. einem der Gefährdeten kommt, kein übergeordneter Erwartungsdruck auf den Akteuren. Die Aufforderung des bzw. eines der Bedrohten zum Handeln ist naheliegend und liegt im menschlichen Selbsterhaltungstrieb begründet. Eine Position, in welcher das Damokles-Schwert (gesamt-)gesellschaftlicher Ächtung über dem Außenstehenden schwebt, wird damit nicht begründet. Anders könnte die Lage zu beurteilen sein, wenn die Handlungsaufforderung nicht von dem/den Gefährdeten, sondern von einem Dritten, einer „Autorität“, kommt. Man stelle sich vor, im umgekehrten Karneades-Fall würde der am Ufer stehende Präzisionsschütze von einem hinzukommenden Polizisten, der seinerseits über keine Erfahrung im Umgang mit einem Präzisionsgewehr verfügt, dazu aufgefordert, einen der beiden Schiffbrüchigen von der Planke zu schießen. Vom Polizisten wird Verantwortungsübernahme, ähnlich dem Fall des Bundeswehrpiloten, erwartet, sodass dessen Anstiftung wohl infolge übergesetzlichen Schuldausschlusses straflos wäre. Fraglich ist, wie sich die Lage für den Schützen darstellt. Ggf. ist dieser nur als „Werkzeug“ des bestimmungsgemäß mit der Gefahrensituation in Berührung Kommenden anzusehen, sodass sich ein Schuldvorwurf auch für ihn verbietet. Allerdings lässt sich das – vermutete – Internum des Erwartungsdrucks nicht per Aufforderung auf einen Dritten abwälzen. Selbst wenn vom Polizisten erwartet wird, zu handeln, gilt dies nicht für den zufällig Hinzutretenden. 103 104
Vgl. oben C.VII.2. C.VII.1.
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E. Entwicklung einer eigenen Konzeption
(3) Mögliche Weiterungen Die hier entwickelten – konkretisierenden – Kriterien betreffend den personalen Anwendungsbereich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands sind vor dem Hintergrund der bislang diskutierten, im Rahmen dieser Arbeit jeweils leicht modifizierten Fallgestaltungen zu sehen. Anhand jener Fallgestaltungen wurden Gemeinsamkeiten und Unterschiede etwaiger Dilemma-Situationen herausgearbeitet, um die jeweilige strukturelle Rückbindung an die Vorschrift des § 35 StGB nachzuvollziehen. Die ausgemachte Rückbindung wurde zu Kriterien verdichtet, die auch und insbesondere in der Situation der Teilnahme zum Tragen kommen. D.h. zugleich, dass Raum bleibt für – bislang nicht vorherseh- bzw. vorstellbare – Konstellationen, in denen ggf. weitere, gleichermaßen eine hinreichende Rückbindung begründende Umstände bzw. Eigenschaften hervortreten.105 Damit wird die Absage an eine schematische Betrachtung, wie sie Rönnau formuliert106, jedenfalls insoweit geteilt, als damit eine starre Beschränkung auf die – bislang – herausgearbeiteten Kriterien bei gleichzeitiger Blindheit gegenüber Besonderheiten neu aufkommender Fallgestaltungen in Bezug genommen ist. b) Zwischenfazit Die oben entwickelten – konkretisierenden – Kriterien zum Anwendungsbereich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands sind an dieser Stelle zunächst mit Blick auf den Teilnehmer an entschuldigter Tat festzuhalten. Der Teilnehmer geht demnach straffrei aus, wenn – er nur zufällig nicht selbst Adressat der drohenden (Lebens-)Gefahr ist oder – die Geschehenssteuerung bestimmungsgemäß in seinen Händen liegt. Plastischer wird das Ganze bei Anwendung der Kriterien auf die hier dargestellten Konstellationen.107 c) Mögliche Einwände Anschließend soll Stellung zu möglichen Einwänden genommen werden, die dem Verfasser hinsichtlich des hier vorgeschlagenen Lösungsweges naheliegend erscheinen.
105 Die nachfolgend noch gesondert zu betrachtenden Dilemma-Situationen im Rahmen des automatisierten bzw. autonomen Fahrens stellen eine solche Weiterung, da es bereits an einer grundlegenderen Anwendungsvoraussetzungen des (übergesetzlichen) entschuldigenden Notstands fehlt, richtigerweise nicht dar; vgl. zum Ganzen F.V. 106 Vgl. abermals LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 356. 107 Dazu unten F.
II. Eigene Auffassung
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aa) Verengung auf Lebensnotstand Dem hier präsentierten Ansatz mag man zunächst entgegenhalten, er verenge sich ganz auf die Situation des Lebensnotstands (im Sinne des Gegenüberstehens von Leben als Erhaltungs- und Eingriffsgut). Nur für diese Konfliktlage wird dem übergesetzlichen entschuldigenden Notstand im Rahmen dieser Arbeit ein eigener Anwendungsbereich zuerkannt108, womit Teilnahmehandlungen außerhalb dieser Konstellation durchweg strafbar bleiben. In den – seltenen – Fällen, in denen eine Tötung zur Abwendung schwerer Leibes- und/oder Freiheitsgefahren nach § 35 StGB entschuldigt sein kann109, ist indes mit Blick auf Nicht-Gefährdete kein der gesetzlichen Regelung vergleichbarer Motivationsdruck auszumachen. Nicht umsonst war schon die Aufnahme der Freiheit als von § 35 StGB erfasstes Schutzgut nicht unumstritten.110 Eine echte Dilemma-Situation tut sich für den weder sich selbst noch eine Sympathieperson gefährdet Sehenden denn auch gar nicht auf, wenn er vor der Wahl steht, an einer Lebensvernichtung mitzuwirken, um Rechtsgüter „niederen Ranges“ zu erhalten. Genügt zur Lebensrettung eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder dergleichen, wird regelmäßig bereits § 34 StGB eingreifen, der in Fällen der Teilnahme entweder schon für den Entfall einer geeigneten Bezugstat sorgt oder aber vom Teilnehmer selbst in Anspruch genommen werden kann. In Fällen der (Mit-)Täterschaft kann sich der Nicht-Gefährdete ebenfalls regelmäßig auf § 34 StGB berufen. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass die Situation des Lebensnotstandes den wichtigsten Anwendungsbereich des entschuldigenden Notstands darstellt. Daher stellt sich auch die Teilnahme-Frage hauptsächlich in entsprechenden Konfliktlagen. bb) Dominieren generalisierender Wertungen Weiter kann der hier vorgeschlagenen Konkretisierung der Voraussetzungen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands vorgeworfen werden, dass mit 108 So auch Heghmanns, AL 2015, 96, 101; anders LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 352. 109 Dazu B.III.1.b)bb)(2)(b). 110 Insbesondere Jescheck meldete im Rahmen der Großen Strafrechtskommission Bedenken an und fürchtete das Entstehen einer an sich nicht gewollten Unzumutbarkeits-Generalklausel, die sich von einer Beschränkung auf existenzbedrohliche Gefährdungen verabschiede; vgl. dazu die Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 12, S. 160, 194. Auch im Sonderausschuss für die Strafrechtsreform waren noch vereinzelt kritische Stimmen zu finden, so etwa die Abgeordnete Schwarzhaupt, die – mit Blick auf mögliche Falschaussagen vor Gericht – befürchtete, das Handeln zur Abwendung einer Freiheitsgefahr könnte geradezu inflationär in Anspruch genommen werden; vgl. Schwarzhaupt, Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 1851.
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E. Entwicklung einer eigenen Konzeption
generalisierenden und typisierenden Wertungen gearbeitet wird, die so nicht zwingend sind.111 Die getätigten Aussagen zum besonderen Motivationsdruck eines bestimmungsgemäß mit der Gefahrensituation In-Berührung-Kommenden sowie zum nur zufällig Nicht-Gefährdeten sind nichts anderes als – empirisch niemals gesichert zu begründende – Annahmen über die menschliche Natur und die Grenzen menschlicher Belastbarkeit. Wenn man dies als problematisch erachtet, muss man sich freilich die Frage gefallen lassen, ob nicht eine Normativierung des Schuldbegriffes insgesamt abzulehnen ist. So beruht auch der gesetzliche Regelungsbereich des § 35 I 1 StGB auf der Prämisse, dass der sich selbst oder eine Sympathieperson bedroht sehende Mensch dazu neigt, sich von seinem Selbsterhaltungstrieb leiten zu lassen, wodurch die Appellfunktion des tatbestandlichen Verbots kaum noch zum Tragen kommt. Auch die Ausschlussgründe des § 35 I 2 HS. 1 StGB operieren mit Prämissen über den Menschen, etwa hinsichtlich des besonders Gefahrtragungspflichtigen, dem ein „Mehr“ an psychischer Belastbarkeit zuzuschreiben ist.112 Selbst wenn man nicht nur den das Kriterium der Konfliktnähe präzisierenden Voraussetzungen, sondern schon dem Kriterium selbst skeptisch gegenüber steht, kommt man nicht daran vorbei, zuzugestehen, dass das Bemühen um eine differenzierte Sichtweise eine Notwendigkeit darstellt. In Bezug genommen ist damit in erster Linie die Entwicklungsgeschichte der (limitierten) Akzessorietät, die eine Geschichte vieler Unklarheiten und Widersprüchlichkeiten darstellt und letztlich den Eindruck erweckt, als sei – mit Blick auf bestimmte Fallgestaltungen – eingeebnet worden, was hätte (weiterhin) differenziert betrachtet werden sollen. Akzeptiert man diese Einebnung, die seit Inkrafttreten der §§ 26, 27 StGB unanfechtbare Realität ist, möchte aber den zwischen den einzelnen Schuldausschließungsgründen auszumachenden Unterschieden Rechnung tragen, ist – auf Basis eines normativen Schuldbegriffes – der übergesetzliche entschuldigende Notstand fruchtbar zu machen. Dieser ist grundsätzlich anerkannt, mit Blick auf die Teilnahme an entschuldigter Tat aber kaum hinreichend betrachtet worden. Wer also die Existenz des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands bejaht, akzeptiert, dass Wertungsfragen nicht außen vor bleiben können. Dies gilt auch hinsichtlich der Frage, inwieweit es von Bedeutung ist, ob der Rettende durch sein Tun unmittelbar eine Lebensvernichtung bewirken muss, um eine Lebensrettung zu erreichen. Die unmittelbare Lebensvernichtung ist dabei zu verstehen als Situation, in welcher der Mensch selbst Hand an das Leben der oder des zu Opfernden legen muss, etwa in dem von Thomson gebildeten „fat man“-Fall.113 111 Dass das Operieren mit entsprechenden Annahmen auf Unrechtsebene ungleich problematischer ist, wurde bereits dargetan (vgl. B.III.3.b)bb)(3)). 112 Dazu C.I.1.b)bb)(1). 113 Thomson, The Monist 59 (1976), S. 204, 207 f.
II. Eigene Auffassung
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Gemeint ist der Fall, dass ein außer Kontrolle geratener (Straßenbahn-)Wagen, der in eine Gruppe von Menschen zu rasen droht, nur gestoppt werden kann, indem ein auf einer Fußgängerbrücke stehender dicker Mann in den Weg des Wagens geworfen wird. Laut Thomson macht es einen Unterschied, ob der Wagen „nur“ durch mechanische Einwirkung umgelenkt wird und infolgedessen (weniger) Menschen zu Tode kommen oder ob – wie im Beispiel – selbst Hand an menschliches Leben gelegt wird, um eine größere Katastrophe zu verhindern. Zwar sei eine Verursachung von Toden in beiden Fällen zu bejahen, die Richtung des Handelns sei jedoch unterschiedlich. Während in Fällen der Einwirkung auf eine Sache genau diese – zu Rettungszwecken vorgenommene – Einwirkung im Vordergrund stehe, habe die Einwirkung auf eine Person unmittelbar deren Tod zum Ziel, was ein Handeln unzulässig mache.114 Diese Wertung wird im Rahmen der gegenständlichen Untersuchung nicht übernommen. Sie ist bereits deshalb wenig praktikabel, weil es Fälle gibt, in denen sich die Einwirkung auf eine Sache und die Tötung von Menschen schon im Ausgangspunkt nicht trennen lassen, etwa bei Abschuss eines entführten Passagierflugzeuges. Zwar ist die – zu Rettungszwecken vorgenommene – Einwirkung hier auch auf eine Sache gerichtet, zugleich – und zwingend – aber auf die in der Maschine befindlichen Personen.115 Wie Thomson in einem solchen Fall zu entscheiden gedächte, wird nicht recht klar. Solche Schwierigkeiten umgeht der hier präsentierte Ansatz, indem nicht die Richtung der Rettungshandlung, sondern der Gesichtspunkt der Konfliktnähe zum entscheidenden Gradmesser gemacht wird. Letztlich mag man auch dies kritisch sehen, kommt aber sowohl vor dem Hintergrund der Entwicklungsgeschichte der (limitierten) Akzessorietät als auch unter Beachtung des öffnenden Regelungsverzichtes betreffend das Tätigwerden Nicht-Gefährdeter in Situationen des Lebensnotstandes116 nicht umhin, die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtungsweise anzuerkennen. Dass diese auf Basis eines normativen Schuldbegriffes nicht ohne Wertungen auskommt, liegt auf der Hand. 2. Konsequenzen für die Mittäterschaft Wenn in Situationen des Lebenskonflikts nicht jede Rettungshandlung eines Hinzutretenden kraft übergesetzlichen Notstands entschuldigt sein kann, sondern weitere Voraussetzungen vorliegen müssen, gilt dies selbstverständlich nicht nur für Teilnehmer, sondern auch für mögliche Mittäter. 114 Deutlich Thomson, The Monist 59 (1976), S. 204, 216: „that what matters in these cases in which a threat is to be distributed is whether the agent distributes it by doing something to it, or whether he distributes it by doing something to a person.“ 115 So attestierte das BVerfG mit Blick auf das LuftSiG einen Menschenwürdeverstoß ungeachtet der Tatsache, dass die Einwirkung mit Waffengewalt zunächst auf eine Sache – das Passagierflugzeug – zielen sollte; dazu B.III.3.bb)(1). 116 Vgl. oben B.III.3.c).
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E. Entwicklung einer eigenen Konzeption
Zunächst ist freilich festzustellen, woraus sich die Unabhängigkeit in der Schuldbeurteilung für Mittäter ergibt. Für die Teilnahme ergibt sich diese nach hier vertretener Auffassung in der Hauptsache aus den §§ 26, 27 StGB, während § 29 StGB insoweit keine abschließende Aussage trifft.117 § 29 StGB zielt in seiner Formulierung auf sämtliche Beteiligte ab, erfasst mithin auch Mittäter.118 Konsequenterweise muss damit auch für diese die Annahme gelten, dass § 29 StGB keine Aussage darüber trifft, ob es Situationen gibt, in denen der Gesetzgeber generell auf einen Schuldvorwurf verzichtet. Die kodifizierten Entschuldigungsgründe lassen indes einen entsprechenden gesetzgeberischen Willen nicht zutage treten. So verlangt der hier maßgeblich interessierende § 35 StGB einen persönlichen Gefahrbezug.119 Liegt dieser beim Mittäter nicht vor, scheidet eine Entschuldigung aus. Daher gilt auch für den Mittäter, dass die „Notstandslehre selbst“ 120 in ihrer kodifizierten Form einem generalisierenden Schuldausschluss im Wege steht. Der übergesetzliche entschuldigende Notstand kann indes auch auf den Mittäter Anwendung finden. Dabei sind wiederum die ausgehend von der Teilnahme-Situation erarbeiteten Kriterien zu beachten. So kann sich der mittäterschaftlich an der lebensrettend wie lebensvernichtend wirkenden Maßnahme Beteiligende nur dann auf den übergesetzlichen Notstand berufen, wenn er nur zufällig nicht selbst Adressat der drohenden (Lebens-)Gefahr ist oder die Geschehenssteuerung bestimmungsgemäß in seinen Händen liegt. Denkt man sich den Bergsteiger-Fall so, dass der vom Absturz in die Tiefe bedrohte Bergsteiger gemeinsam mit einem seiner Kameraden das Seil zum bereits abgestürzten Mitglied der Seilschaft durchtrennt121, ist der mit Hand Anlegende als Mittäter einzustufen. Da eine Situation vorliegt, in welcher die Gefahrverteilung insoweit zufällig ist, als genauso gut der Helfende hätte Opfer der (Todes-)Gefahr werden können, bleibt ein Rückgriff auf den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand möglich. Bildet man den Haustyrannen-Fall so, dass gepeinigte Ehefrau und Nachbarin den Wüterich im Wege arbeitsteiligen Zusammenwirkens vom Leben zum Tode befördern, ist der nun als Mittäterin einzustufenden Nachbarin ein Schuldausschluss zu versagen: Weder erfolgt die Gefahrverteilung zufällig noch liegt eine bestimmungsgemäße Geschehenssteuerung vor, sodass eine übergesetzliche Entschuldigung ausscheiden muss.
117
C.IV.1.b)aa)(2). B/W/M/E-Eisele, § 26 Rn. 140; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 29 Rn. 1; Schönke/ Schröder-Heine/Weißer, § 29 Rn. 3; SK-Hoyer, § 29 Rn. 1. 119 Gleiches gilt für § 33 StGB, der strukturell ebensowenig auf eine generalisierende Straffreistellung angelegt ist; dazu oben C.I.2. 120 Roxin, AT I, § 22 Rn. 66. 121 Zum Ausgangsfall (Bergsteiger-Fall 1), in welchem dem vom Absturz Bedrohten „nur“ ein Messer gereicht wird, vgl. oben C.II.1.a)bb)(1). 118
II. Eigene Auffassung
317
Mit den soeben gebildeten Abwandlungen wird der Lösung der ursprünglich gebildeten Teilnahme-Fälle freilich teilweise vorgegriffen. Dies ist insoweit unschädlich, als nochmals deutlich wird, dass das Ergebnis der Straflosigkeit weniger von der jeweiligen Beteiligungsform als von der auszumachenden Konfliktnähe abhängt. 3. Konsequenzen für den Anwendungsbereich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands Das Erforschen des Anwendungsbereiches des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands stellt, wie nun schon mehrfach betont, den eigentlichen Schlüssel zur Lösung der Problematik der Teilnehmerstrafbarkeit bei entschuldigter (Haupt-)Tat dar. Die über diesen Zugang gewonnenen Befunde sind für den Anwendungsbereich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands freilich von allgemeiner Bedeutung. So ist dieser nach hier vertretener Auffassung zwar nicht vom Vorhandensein einer Gefahrengemeinschaft (welcher Ausprägung auch immer) abhängig122, verlangt indes, dass das Fehlen eines persönlichen Gefahrbezugs durch das Vorliegen hinreichender Konfliktnähe kompensiert wird. Die Rückbindung an die Vorschrift des § 35 StGB erfordert eine Vergleichbarkeit hinsichtlich der den Schuldausschluss tragenden Gesichtspunkte, was – auch unter Beachtung der gebotenen Zurückhaltung beim Rückgriff auf außer- bzw. übergesetzliche Rechtssätze123 – Präzisierungsarbeit notwendig macht. Der häufig bemühten Vielgestaltigkeit möglicher Kollisionslagen Rechnung tragend, darf die Präzisierung nicht zu kleinschrittig geraten, sondern muss sich an denjenigen Grundstrukturen orientieren, welche in den bisher behandelten und auch im Rahmen dieser Arbeit aufgegriffenen (und abgewandelten) Situationen immer wieder hervortreten.
122
B.III.3.d)aa). Wenngleich im Bereich des materiellen Strafrechts das Überschreiten der äußersten Wortlautgrenze nur für den Fall einer strafbarkeitsbegründenden Wirkung unzulässig ist, ist jedenfalls insoweit Zurückhaltung geboten, als der Rückgriff auf den übergesetzlichen Notstand nicht dazu führen darf, dass Situationen des Lebensnotstandes generell straffrei gestellt werden. Ein solches Ergebnis liefe dem Ausnahmecharakter der Rechtsfigur entgegen und würde mit Blick auf die Teilnahme zu einem Unterlaufen der in den §§ 26, 27 StGB einer- und § 35 StGB andererseits getroffenen grundsätzlichen Wertungen führen. Roxin, AT I, § 22 Rn. 144 f., warnt – von seinem präventionsorientierten Ansatz aus konsequent – vor einem Entstehen „richterlicher Kriminalpolitik“, sollte der Gedanke der Unzumutbarkeit nicht nur im Rahmen „scharf umrissene[r] Fallgruppen“ fruchtbar gemacht werden. Kempf, in: Fischer/Hoven (Hrsg.), Schuld, 2017, S. 155, 163 f., gibt zu bedenken, dass eine Fruchtbarmachung außerhalb „eng begrenzte[r] Ausnahmefälle“ zu einer Verringerung der „tatsächliche[n] Durchsetzungskraft der Strafrechtsnormen“ führe. 123
F. Übertragung der Konzeption auf die Konfliktlagen Die ausgehend von der Teilnahme-Situation vorgenommene (weitergehende) Konturierung des Anwendungsbereichs des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands soll nachfolgend an den unter C.II. dargestellten Konfliktlagen erprobt werden. Auf diesem Wege werden die unter C.III. skizzierten, der ganz herrschenden Auffassung im Schrifttum entsprechenden Resultate den bei Heranziehung des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands auszumachenden Ergebnissen gegenübergestellt.
I. § 35 StGB Wiederum sollen zunächst diejenigen Konstellationen in den Blick genommen werden, in welchen eine Teilnahmehandlung im Umfeld eines gemäß § 35 StGB entschuldigten Täters erbracht wird. Auf eine Differenzierung nach dem Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Gefahrengemeinschaft sowie nach Art der Gefahrengemeinschaft wird hier, da sich eine entsprechende Einteilung mit Blick auf die den (übergesetzlichen) Schuldausschluss tragenden Erwägungen nicht als fruchtbar erwiesen hat, verzichtet. Im Mittelpunkt stehen sollen die einzelnen Konfliktlagen. 1. Karneades-Fall 11 Der zur Eigenrettung handelnde Schiffbrüchige kann sich im Hinblick auf die Tötung seines Schicksalsgenossen auf § 35 I 1 StGB berufen.2 Wird der Entschluss zur Vornahme der lebensrettend wie lebensbeendend wirkenden Maßnahme durch einen – in einiger Entfernung auf einer weiteren Planke dahintreibenden – dritten Schiffbrüchigen, der in keinem rechtlich relevanten Näheverhältnis zum Agierenden steht, hervorgerufen, kann sich der i. S. d. § 26 StGB zur Tatbegehung Bestimmende seinerseits nicht auf § 35 StGB berufen. Nach hier vertretener Auffassung bleibt die Möglichkeit eines Rückgriffs auf den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand. Auf diesen kann sich der den Tatentschluss Hervorrufende nach Maßgabe der zuvor geleisteten Konkretisierungsarbeit berufen, wenn er entweder nur zufällig nicht selbst Adressat der drohenden (Lebens-)Gefahr ist oder die Geschehenssteuerung bestimmungsgemäß in seinen Händen liegt.3 Der Umstand, dass der alleine auf einer Planke treibende Schiff1 2 3
Vgl. oben C.II.1.a)aa)(1) sowie C.III.1.a)aa)(1). Vgl. schon C.III.1.a)aa)(1). E.II.1.b).
I. § 35 StGB
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brüchige Teil einer „Schicksalsgemeinschaft“ ist, ist nicht gleichzusetzen mit dem Vorliegen bestimmungsgemäßer Geschehenssteuerung. Dass der eine und nicht der andere Schicksalsgenosse in der Position ist, „von außen“ Einfluss auf die Gefahrentwicklung zu nehmen, ist gerade nicht vorgezeichnet, sondern entspringt dem Zufall. Daher kann ein Schuldausschluss jedenfalls nicht auf den Gesichtspunkt bestimmungsgemäßer Gefahrbefasstheit gestützt werden. Zugleich ist mit der Zufälligkeit der Gefahrverteilung der zweite Gesichtspunkt angesprochen, welcher einen übergesetzlichen Schuldausschluss zu tragen vermag. Wo sich der Eingreifende nur zufällig nicht selbst existentieller Bedrohung ausgesetzt sieht, wird der Impuls, jedenfalls rettend tätig zu werden, besonders ausgeprägt sein und die Fähigkeit zu normgemäßer Motivation entsprechend erheblich beeinträchtigt.4 In der Folge ist eine hinreichende Vergleichbarkeit mit der Situation des § 35 StGB zu attestieren, sodass eine Strafbarkeit des Anstifters aufgrund übergesetzlichen entschuldigenden Notstands ausscheidet. 2. Ballon-Fall5 Der seinen Mitfahrer zur Eigenrettung aus dem vom Absturz bedrohten Ballon Werfende kann sich – insoweit unbestritten – auf § 35 I 1 StGB berufen.6 Für den via Telefon den Tatentschluss hervorrufenden Arbeitskollegen scheitert ein Rückgriff auf § 35 StGB in Ermangelung des Bestehens eines Näheverhältnisses aus. Für die Heranziehung des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands bedürfte es nach hier vertretener Auffassung nun entweder einer zufälligen Gefahrverteilung oder einer bestimmungsgemäßen Geschehenssteuerung. Da die eingetretene Absturzgefahr von vornherein auf die Teilnehmer am Rundflug begrenzt war, hilft der Gesichtspunkt der zufälligen Gefahrverteilung nicht weiter. Auch ist zu beachten, dass es sich beim telefonisch auf den Werfer Einwirkenden zwar um einen Hobby-Luftschiffexperten, nicht jedoch um einen zur Bewältigung kritischer Situationen ausgebildeten Fluglotsen oder dergleichen handelt. Demnach liegt auch kein Fall der bestimmungsgemäßen Geschehenssteuerung vor, sodass im Ergebnis – in Übereinstimmung mit der h. M. – eine Strafbarkeit wegen Anstiftung zum Totschlag (§§ 212 I, 26 StGB) zu bejahen ist. 3. Bergsteiger-Fall 17 Wirft ein selbst nicht gefährdeter Bergsteiger einem vom Absturz bedrohten Kameraden ein Messer zu, damit dieser das Seil zu einem bereits abgestürzten Mitglied der Seilschaft kappen kann, ist nur mit Blick auf den zur Eigenrettung 4 5 6 7
E.II.1.a)bb)(1). Vgl. schon oben C.II.1.a)aa)(2) sowie C.III.1.a)aa)(2). C.III.1.a)aa)(2). C.II.1.a)bb)(1) sowie C.III.1.a)bb)(1).
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F. Übertragung der Konzeption auf die Konfliktlagen
Agierenden ein Rückgriff auf § 35 I 1 StGB möglich. Für den das Messer zur Verfügung Stellenden, für den der Gefährdete keine Sympathieperson darstellt, steht dagegen eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum Totschlag (§§ 212 I, 27 I StGB) im Raum.8 Da die (konkrete) Absturzgefahr für jedes Mitglied der Seilschaft besteht, liegt der Fall einer zufälligen Gefahrenverteilung vor. Genauso gut hätte sich der das Messer zur Verfügung Stellende in der Situation des vom Absturz Bedrohten wiederfinden können (gemeinsam mit diesem oder an dessen Stelle). Nach den hier entwickelten Kriterien genügt dies zur Bejahung einer hinreichenden Konfliktnähe, sodass für den potentiellen Totschlags-Gehilfen der übergesetzliche entschuldigende Notstand eingreift. 4. Schotten-dicht-Fall9 Während sich der die Schotten schließende Kapitän auf § 35 I 1 StGB berufen kann, stellt sich die Frage, wie es sich mit dem die Vorgehensweise empfehlenden Reederei-Mitarbeiter verhält. In Ermangelung eines bestehenden Näheverhältnisses zu einer der bedrohten Personen kommt eine Fruchtbarmachung der Vorschrift für diesen nicht in Betracht. Zudem ist er nicht vor Ort, sondern erteilt seinen Ratschlag via Funk. Schon unter diesem Gesichtspunkt ist eine zufällige Gefahrverteilung ausgeschlossen. Damit verbleibt die Möglichkeit einer bestimmungsgemäßen Gefahrbefasstheit. Diese erscheint unter Berücksichtigung dessen, dass er – als „gewöhnlicher“ Reederei-Mitarbeiter – schlicht für die Betreuung der Funkverbindung zuständig ist, zweifelhaft. Zugleich steht die Befassung mit einem Gefahrenszenario für ihn eher zu erwarten als für den im Ballon-Fall eingreifenden Hobby-Luftfahrtexperten. Zieht man dagegen wieder einen Vergleich zum Kampfpiloten10, erscheint die Wahrscheinlichkeit der Befassung mit (Lebens-)Gefahrensituationen für den Reederei-Mitarbeiter nicht allzu hoch. In diesem Grenzbereich erscheint es hilfreich, sich auf den Ausgangspunkt des hier befürworteten Lösungsansatzes zurückzubesinnen: Entscheidend ist der Gesichtspunkt der Konfliktnähe. Eine hinreichende Konfliktnähe ist – nach hier vertretener Auffassung – u. a. dann zu bejahen, wenn die Position des Handelnden gleichsam mit der Erwartung verknüpft ist, Verantwortung auch um den Preis der (vielfachen) Lebensvernichtung zu übernehmen.11 Eine solche Erwartung dürfte mit Blick auf den vom Geschehen schon räumlich distanzierten Einwirkenden eher zu verneinen sein. Zu beachten ist dabei auch, dass die räumliche Instanz nicht durch eine spezifische – ggf. rechtlich manifestierte – Entscheider-Stellung aufgewogen würde. In der Folge ist ein übergesetzlicher Schuldausschluss zu versagen, sodass es bei einer Strafbarkeit des Teilnehmers bleibt. 8
Vgl. bereits C.III.1.a)bb)(1). C.II.1.a)bb)(2) sowie C.III.1.a)bb)(2). 10 Zu diesem unten F.II.2. 11 Vgl. E.II.1.a)bb)(2). 9
I. § 35 StGB
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5. Haustyrannen-Fall 112 Die Nachbarin, die der von ihrem Ehemann drangsalierten Frau das Messer übergibt, mit welchem diese sodann den (schlafenden) Wüterich tötet, sieht sich dem Vorwurf der Beihilfe zum Mord bzw. Totschlag ausgesetzt.13 Während sich die Ehefrau – das Fehlen anderweitiger, gleich effektiver Abwendungsmöglichkeiten vorausgesetzt – auf § 35 I 1 StGB berufen kann, verbietet sich für die unterstützend tätig werdende Nachbarin, die zwar aus tief empfundenem Mitgefühl handeln mag, der es indes an einem Näheverhältnis zu Frau und Kindern fehlt, eine Heranziehung der Vorschrift. Auch hier ist wiederum an ein Eingreifen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands zu denken. Dies setzt nach hier vertretener Auffassung einmal mehr das Bestehen einer hinreichenden Konfliktnähe voraus. Dafür müsste die Nachbarin bestimmungsgemäß mit der Gefahrensituation in Berührung gekommen sein oder aber nur zufällig nicht selbst Betroffene der abzuwendenden Gefahr. Insoweit ist zunächst festzustellen, dass die Bewältigung existenzieller Konfliktlagen der Nachbarin nicht schon „qua Amtes“ auferlegt ist, sodass es an einer bestimmungsgemäßen Geschehenssteuerung fehlt. Zudem liegt kein Fall zufälliger Gefahrverteilung vor: Die Nachbarin steht (nicht nur räumlich) außerhalb der familiären Konfliktsituation, sodass ihrem Eingreifen der – ansonsten allzu leichtfertig gebrauchte – Vorwurf des SchicksalSpielens nicht erspart bleiben kann. Infolgedessen scheidet ein Rückgriff auf den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand aus und es bleibt bei einer BeihilfeStrafbarkeit.14 6. Weichensteller-Fall 115 Dem die Weiche jedenfalls auch zur Rettung seiner Tochter umstellenden Weichensteller ist, da § 35 StGB auch die Tötung gänzlich Unbeteiligter zulässt, ein Handeln im entschuldigenden Notstand zu attestieren.16 Für den den Tatentschluss hervorrufenden Auszubilden stellt sich die Frage, ob dieser aufgrund übergesetzlichen entschuldigenden Notstands straffrei ausgeht. Das Vorliegen hinreichender Konfliktnähe unter dem Gesichtspunkt zufälliger Gefahrverteilung scheidet aus. Dass der im Rahmen seiner Tätigkeit für die Überwachung des Schienenverkehrs zuständige Auszubildende nicht selbst in die Position des Bedrohten geriet, ist kein Zufallsprodukt. Übrig bleibt damit das Kriterium be-
12
C.II.1.b)aa) sowie C.III.1.b)aa). Vgl. C.III.1.b)aa). 14 Immerhin sieht § 27 II 2 StGB eine obligatorische Strafmilderung vor, sodass die absolute Strafdrohung des § 211 I StGB, die bei Tötung eines Schlafenden im Raum steht (dazu schon oben C.III.1.b)aa)), entfällt. Zum Strafrahmen bei der – nicht entschuldigten – Anstiftung sogleich F.II.2. 15 C.II.1.b)bb) sowie C.III.1.b)bb). 16 Vgl. auch C.III.1.b)bb). 13
322
F. Übertragung der Konzeption auf die Konfliktlagen
stimmungsgemäßer Geschehenssteuerung. Dabei könnte problematisch sein, dass Auszubildende, unabhängig von ihrem Tätigkeitsfeld, in besonderem Maße weisungsgebunden arbeiten. In Anlehnung an diese untergeordnete Position könnte an der bestimmungsgemäßen Geschehenssteuerung gezweifelt werden. Dem lägen letztlich außerstrafrechtliche Erwägungen, hier in Gestalt des Arbeits- und Ausbildungsrechts, zugrunde. Fraglich ist, inwieweit solche Erwägungen bei der Bestimmung der Konfliktnähe zu berücksichtigen sind. Wenn es – wie hier vertreten wird – richtig ist, dass ein bestimmungsgemäßer Gefahrbezug mit dem Bestehen einer gesellschaftlichen (Handlungs-)Erwartung verknüpft ist17, ist mit Blick auf die betreffende Person im Wege wertender Gesamtbetrachtung zu ermitteln, ob bzw. inwieweit eine entsprechende Erwartung besteht. Dabei können außerstrafrechtliche Regelungen eine Rolle spielen, müssen es aber nicht. Dächte man sich den Fall so, dass der Auszubildende im Zeitpunkt der Gefahrkonkretisierung allein über die (Nicht-)Umstellung der Weiche befinden müsste (etwa, weil der Weichensteller gerade ausgetreten ist), dürfte eine (Handlungs-)Erwartung auch hinsichtlich seiner Person zu bejahen sein. In dieser Konstellation würde eine Handlungsentscheidung wohl von den wenigsten vom Abwarten einer entsprechenden Weisung abhängig gemacht werden. Entscheidend erscheint der Gesichtspunkt, dass der Auszubildende sich dort aufhält, wo er sich – seiner Tätigkeit entsprechend – aufhalten soll. Er ist kein „Betriebsfremder“, sondern Teil der Personengruppe, welcher das Stellen der Weichen anvertraut ist. Als Konsequenz dessen ist auch dem Auszubildenden bestimmungsgemäße Geschehenssteuerung zu attestieren, sodass das Hervorrufen des Tatentschlusses beim Weichensteller aufgrund übergesetzlichen entschuldigenden Notstands straffrei bleiben muss.
II. Übergesetzlicher entschuldigender Notstand Nachfolgend sollen die Fälle betrachtet werden, in denen sich die „Zentralgestalt“ nach überwiegender Auffassung auf den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand berufen kann, während der – nach Beteiligungsregeln so zu charakterisierenden – Randfigur eine Strafbarkeit wegen Teilnahme an einem Tötungsdelikt droht. 1. Fährmann-Fall18 Der Fährmann, der zur Stabilisierung des vom Kentern bedrohten Floßes einige der von ihm transportierten Kinder über Bord stößt, wobei er sich selbst – als geübter Schwimmer – keiner existentiellen Bedrohung ausgesetzt sieht, kann sich auf den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand berufen. Er rettet einen
17 18
Vgl. E.II.1.a)bb)(2). C.II.2.a)aa) sowie C.III.2.a)aa).
II. Übergesetzlicher entschuldigender Notstand
323
Teil der bedrohten Kinder, um nicht alle verloren zu geben. Einem Schuldausschluss steht auch nicht etwa die Erwägung entgegen, dass es sich um eine Situation gleichmäßiger Gefahrverteilung handelt.19 Nun gilt es freilich, die zuvor entwickelten Konkretisierungskriterien betreffend den persönlichen Anwendungsbereich des übergesetzlichen Notstandes auch mit Blick auf den Fährmann anzuwenden. Wenn es richtig ist, dass es einer hinreichenden Konfliktnähe bedarf, um den übergesetzlichen Schuldausschluss für sich zu beanspruchen, muss diese Nähe auch bei der – regelmäßig als Täter einzustufenden – Zentralgestalt des Geschehens vorliegen. Folglich müsste der Fährmann entweder nur zufällig nicht selbst Adressat der Bedrohung geworden sein oder er müsste sich bestimmungsgemäß als Entscheider im Rahmen einer Bedrohungssituation wiedergefunden haben. Eine zufällige Gefahrverteilung liegt schon insoweit nicht vor, als der Fährmann als geübter Schwimmer von vornherein nicht dem Risiko des Ertrinkens ausgesetzt ist. Hinsichtlich der bestimmungsgemäßen Geschehenssteuerung ist festzustellen, dass schon das Tätigkeitsfeld des Fährmannes eine besondere Nähe zu Gefahrensituationen mit sich bringt. Der Entscheidungs- und Handlungsdruck lastet auf dem – für eine sichere Überfahrt verantwortlichen – Berufsträger. Damit liegt das Kriterium bestimmungsgemäßer Geschehenssteuerung in dessen Person vor. Der den Fährmann zum Handeln auffordernde Wanderer ist weder nur zufällig nicht selbst gefährdet noch bestimmungsgemäß mit dem Gefahrenszenario konfrontiert. Ihm ist der (übergesetzliche) Schuldausschluss daher zu versagen.20 2. Flugzeug-Fall21 Der sich zum Abschuss der entführten Passagiermaschine entscheidende Kampfpilot kommt – aufgrund seiner Zugehörigkeit zum (überschaubaren) Kreis der für die Luftraumüberwachung zuständigen (Bundeswehr-)Piloten – bestimmungsgemäß mit dem Gefahrenszenario in Berührung.22 Daran ändert auch der Umstand nichts, dass er in einer Befehlskette steht und jedwede Form der Einwirkung23 auf ein (entführtes) Luftfahrzeug gemäß § 14 III LuftSiG mindestens durch den Inspekteur der Luftwaffe legitimiert werden muss. Das Bestehen von – rechtlich abgesicherten – Befehlshierarchien ist unabhängig von der Stellung des Piloten als vorhersehbar über eine (tatsächliche) Eingriffsmöglichkeit verfügende 19
Dazu schon B.III.3.d)aa). Vgl. dazu auch bereits E.II.1.a)bb)(2). 21 C.II.2.a)bb)(1) sowie C.III.2.a)bb)(1). 22 Vgl. auch E.II.1.a)bb)(2). 23 Nachdem das Bundesverfassungsgericht § 14 III LuftSiG a. F., der den Einsatz von Waffengewalt gegen (entführte) Luftfahrzeuge ermöglicht hatte, für nichtig erklärt hat, sind gemäß § 14 I LuftSiG noch das Abdrängen, das Zur-Landung-Zwingen, das Androhen von Waffengewalt sowie das Abgeben von Warnschüssen zulässig. 20
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F. Übertragung der Konzeption auf die Konfliktlagen
Zentralgestalt. Ihm kann der (übergesetzliche) Schuldausschluss nicht versagt werden. Gleiches gilt im Übrigen für einen Befehlenden, welcher dem Piloten die Anweisung zum Abschuss erteilt. Auch der Befehlende befindet sich bestimmungsgemäß in einer Situation wieder, in der über im eigentlichen Sinne existentielle Fragen zu entscheiden ist. Ob der Befehlende insoweit mittelbarer Täter oder „nur“ Anstifter ist, kann dahinstehen. Entscheidend ist, dass sich die Konfliktlage auch in seiner Person derart verdichtet, dass eine die (übergesetzliche) Entschuldigung tragende Verminderung von Unrecht und Schuld zu attestieren ist. Damit verbleibt die Frage, wie es um die Strafbarkeit der zum Abschuss ratenden Ehefrau bestellt ist. Diese ist jedenfalls nicht nur zufällig Ungefährdete. Auch wenn das Risiko der Flugzeug-Entführung grds. alle Personen trifft, die – häufig, gelegentlich oder selten – auf das Flugzeug als Fortbewegungsmittel zurückgreifen, fehlt es doch an einer situationsbezogenen Zufälligkeit. Ansonsten führte bereits die Erkenntnis des allgemeinen (Lebens-)Risikos, dass eine Flugoder Schiffsreise, eine Überfahrt mit der Fähre oder eine Gebirgstour mit Gefahren behaftet ist, zu einer zufälligen Gefahrverteilung. Damit würde der von § 35 StGB vorgegebene situationsspezifische Zuschnitt, der sich – insb. in Abgrenzung zu den Schuldausschließungsgründen im engeren Sinne – geradezu als das prägende Charakteristikum der Vorschrift erweist, ignoriert und die Grenzen der behutsamen Erweiterung des notstandsbedingten Schuldausschlusses gesprengt. Erst recht fehlt es an einem bestimmungsgemäßen Gefahrbezug, gehört doch die Ehefrau ersichtlich nicht zu dem zur Bewältigung entsprechender Konfliktlagen ausersehenen Personenkreis. In der Folge ist die Heranziehung des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands ausgeschlossen. Soweit man die vom Kampfpiloten verwendeten Geschosskörper als „gemeingefährliches Mittel“ i. S. d. § 211 II Gr. 2 Var. 3 StGB begreift24, bleibt es bei einer Strafbarkeit wegen Anstiftung zum Mord. Da § 26 StGB keine Milderungsmöglichkeit vorsieht (und auch keine gesetzlich vertypten Milderungsmöglichkeiten ersichtlich sind), bleibt auch die Strafdrohung der lebenslangen Freiheitsstrafe bestehen.25
24 Kritisch dazu Schild, Verwirrende Rechtsbelehrung, 2016, S. 23, nach dem bei einem von einem geschulten Piloten präzise eingesetzten Sprengkörper eine „Gemeingefährlichkeit (. . .) auszuschließen“ sei, da allenfalls die durch das Mittel herbeigeführten Wirkungen, nicht aber das Tötungsmittel selbst als gemeingefährlich eingestuft werden könnten. 25 Zu den Reformvorschlägen betreffend § 211 StGB, von denen etliche freilich nicht nur auf die Rechtsfolgen-, sondern auch auf die Tatbestandsseite zielen, vgl. nur Kühl, in: Lackner/Kühl, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 25; NK-Neuman, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 169 f.; besonders hervorzuheben sind mit Blick auf die Rechtsfolgenseite die Überlegung, die sog. Rechtsfolgenlösung (entsprechende Anwendung des § 49 I Nr. 1 StGB) auf sämtliche Mordmerkmale auszudehnen (MK-Schneider, § 211 Rn. 282), sowie der Vorschlag, in § 211 StGB einen minder schweren Fall vorzusehen (vgl. Mitsch, JZ 2008, 336, 340).
III. Der umgekehrte Fall
325
3. Bergsteiger-Fall 226 Der das Seil durchtrennende Bergsteiger sieht sich, gleichsam wie der das Messer zuwerfende Bergsteiger im Bergsteiger-Fall 1, nur zufällig nicht selbst gefährdet, sodass für ihn – in Übereinstimmung mit der h. M. – ein übergesetzlicher Schuldausschluss zu erfolgen hat. Für den Tatentschluss hervorrufenden Bergsteiger kann konsequenterweise nichts anderes gelten. Auch er ist zu entschuldigen. 4. Weichensteller-Fall 227 Der Weichensteller kommt – wiederum aufgrund des ihm zugewiesenen Aufgabenbereiches – bestimmungsgemäß mit dem Gefahrenszenario in Berührung, sodass ihm der übergesetzliche Schuldausschluss nicht versagt werden kann. Für den Auszubildenden gilt das bereits in Auseinandersetzung mit der obigen Variante des Falles (Weichensteller-Fall 1) Gesagte. Auch er findet sich voraussehbar in der Situation des Entscheidungsdilemmas wieder, sodass auch das Hervorrufen des Tatentschlusses beim Weichensteller infolge übergesetzlichen entschuldigenden Notstands straflos bleibt.
III. Der umgekehrte Fall Schließlich sollen auch diejenigen Konstellationen einer Lösung zugeführt werden, in welchen die Rollen der Beteiligten insoweit umgekehrt sind, als nur aufseiten des Teilnehmers unstreitig ein Entschuldigungsgrund greift, während dies für den nach Beteiligungsregeln als Täter einzustufenden Handelnden unklar ist.28 Die Lösung dieser – nur selten in den Blick genommenen29 – Konstellationen wurde bisher bewusst offengelassen. 1. Bergsteiger-Fall 330 Wird ein Bergsteiger von seinem vom Absturz bedrohten Kameraden dazu aufgefordert, das Seil zu kappen, an dem ein dritter, bereits abgestürzter Bergsteiger hängt, so stellt sich die Frage, ob ein übergesetzlicher Schuldausschluss unter dem Gesichtspunkt zufälliger Gefahrverteilung in Betracht kommt. Der das Seil Kappende sieht sich, als Teil der Bergsteiger-Gruppe, nur zufällig nicht derjenigen Gefahr ausgesetzt, die nun seinen Gefährten betrifft. Die Erkenntnis schicksalhafter Eigenverschonung führt – nach hier vertretener Auffassung – zu einem 26 27 28 29 30
C.II.2.a)bb)(2) sowie C.III.2.a)bb)(2). C.II.2.b) sowie C.III.2.b). Oben C.VII. Verdienstvoll Maurach/Zipf, AT 1, § 33 Rn. 41. C.VII.1.
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F. Übertragung der Konzeption auf die Konfliktlagen
verstärkten Handlungsimpuls, dessen Kehrseite die Reduzierung der Fähigkeit zu normgemäßer Motivation darstellt. In der Folge kann sich der zur Kappung aufgeforderte Bergsteiger auf den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand berufen. 2. Karneades-Fall 231 Ähnliche Umstände weist die (weitere) Abwandlung des Karneades-Falles auf, in der ein am Ufer stehender Präzisionsschütze von einem der gefährdeten Schiffbrüchigen dazu aufgefordert wird, seinen Schicksalsgenossen von der Planke zu schießen. Zu beachten ist, dass der Schütze weder nur zufällig ungefährdet noch bestimmungsgemäß mit der Geschehenssteuerung betraut ist. Er befindet sich weder im identischen Gefahrenkreis noch besteht mit Blick auf seine Person eine Handlungserwartung. D.h. aber, dass ein hinreichender, die Vergleichbarkeit mit § 35 StGB tragender Motivationsdruck nach hier vertretener Auffassung nicht besteht. Dem Schützen ist ein übergesetzlicher Schuldausschluss im Falle seines Tätigwerdens zu versagen. 3. Haustyrannen-Fall 232 Wird die über die Situation der Familie umfassend informierte Nachbarin von der gequälten Ehefrau gebeten, den Wüterich (im Schlaf) zu töten, ist mit Blick auf die Nachbarin festzustellen, dass sie weder nur zufällig ungefährdet noch bestimmungsgemäß mit der Geschehenssteuerung betraut ist. Es ergibt sich kein Unterschied gegenüber der Ausgangs-Konstellation, in welcher die Nachbarin „nur“ unterstützend tätig wurde.33
IV. Zusammenfassende Betrachtung Die unter Heranziehung des hier vorgeschlagenen Lösungsmodells erzielten Resultate divergieren nur zum Teil gegenüber den von der h. M. gewonnenen Ergebnissen. Ein Schuldausschluss (auch) aufseiten des Teilnehmers wird vorliegend im Karneades-Fall sowie in den verschiedenen Varianten des Bergsteigerund Weichensteller-Falles befürwortet, während die h. M. auch in diesen Konstellationen zur Strafbarkeit des Teilnehmers gelangen würde. Auf einer Linie mit der h. M. befindet sich die Lösung im Ballon-Fall, im Schotten-dicht-Fall, im Haustyrannen-Fall, im Fährmann-Fall sowie im Flugzeug-Fall. Dass eine Teilnehmerstrafbarkeit auch in denjenigen Konstellationen, in welchen (auch) nach hier vertretener Auffassung ein Eingreifen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands abzulehnen ist, z. T. mit Härten verbunden ist, ist augenscheinlich. 31 32 33
C.VII.2. C.VII.3. Vgl. die Lösung oben F.I.5.
V. Exkurs
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Liegt die Teilnahme-Handlung in einer Anstiftung und verwirklicht der (seinerseits entschuldigte) Täter ein – tatbezogenes34 – Mordmerkmal, droht auf Rechtsfolgenseite die lebenslange Freiheitsstrafe. Damit ist indes ein Manko der Rechtsfolgenregelung des § 211 StGB benannt, nicht aber des hier präsentierten Lösungsansatzes. Die Lösung der „umgekehrten“ Fälle unter Heranziehung der hier entwickelten Konzeption unterstreicht die Unabhängigkeit des Schuldausschlusses von der beteiligungsrechtlichen Einordnung. Während in den oben (F.II.) dargelegten Fallgestaltungen der übergesetzliche Schuldausschluss dem täterschaftlich Agierenden durchgängig zuzubilligen war, ergibt sich bei den unter F.III. behandelten Konstellationen ein differenziertes Bild. Wie auch für die – den Zugang zur Problematik bildende – Teilnehmer-Strafbarkeilt gilt, dass entscheidend die persönliche Stellung des Handelnden gegenüber der Konfliktsituation ist.
V. Exkurs: Der übergesetzliche Schuldausschluss im Zeitalter automatisierten Fahrens Das – zumindest teilweise – erzielte Resultat der Straflosigkeit des Teilnehmers wurde unter Heranziehung des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands erreicht. So bot gerade die Konstellation der Teilnahme an entschuldigter Tat Anlass, den personellen Anwendungsbereich des übergesetzlichen Schuldausschlusses näherer Betrachtung zu unterziehen. Dabei zeigte sich, dass der fehlende persönliche Gefahrbezug durch das Vorhandensein hinreichender Konfliktnähe kompensiert wird. Diese ist nach hier vertretener Auffassung wiederum dann gegeben, wenn der Handelnde entweder nur zufällig nicht selbst Adressat der drohenden (Lebens-)Gefahr ist oder die Geschehenssteuerung bestimmungsgemäß in seinen Händen liegt. Mit diesen Voraussetzungen vor Augen, gilt es nun, die Anwendbarkeit des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands auf die im Zusammenhang mit dem sog. automatisierten Fahren diskutierten Dilemma-Situationen zu prüfen. Dass es im Rahmen dieser Arbeit nicht um eine umfassende Aufarbeitung der strafrechtlichen Implikationen dieses Themenkomplexes gehen kann, liegt auf der Hand. Nichtsdestotrotz soll der Transfer gewagt werden; immerhin wird der übergesetzliche entschuldigende Notstand diesbezüglich immer wieder als möglicher Lösungsweg in die Diskussion eingeführt. Mit welcher Berechtigung dies geschieht, soll nachfolgend – in der gebotenen Kürze – untersucht werden. 34 Das Vorliegen eines täterbezogenen Mordmerkmals dürfte bei einem Handeln in Rettungsabsicht die Ausnahme bilden. Zudem muss man sehen, dass sich der kein subjektives Mordmerkmal verwirklichende Teilnehmer bei Anwendung des § 28 II StGB ohnehin „nur“ nach §§ 212, 26 StGB strafbar macht bzw. – bei Heranziehung des § 28 I StGB – von einer obligatorischen Strafmilderung profitiert.
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F. Übertragung der Konzeption auf die Konfliktlagen
1. Strafrechtliche Dilemmata beim automatisierten Fahren Dem Zuschnitt der hiesigen Untersuchung und der – nach hiesiger Auffassung – notwendigen Verengung des Anwendungsbereichs des übergesetzlichen entschuldigen Notstands auf den Lebenskonflikt („Leben gegen Leben“) folgend, soll es von vornherein nur um diejenigen Konfliktsituationen gehen, in welchen jedwedes „Verhalten“ des automatisiert fahrenden Fahrzeugs35 zu einer Lebensvernichtung führt; egal, welchen (Fahr-)Weg das Fahrzeug einschlägt, ein tödlicher Ausgang ist nicht zu vermeiden. Dabei gelten – der Einfachheit halber – die folgenden Parameter: Der Betrieb vollautomatisierter Fahrzeug auf deutschen Straßen ist zulässig36, das System übernimmt die gesamte Steuerung und erfasst die eintretenden Konfliktsituationen zutreffend.37 In erster Linie geht es um Fälle, in denen sich eine Verkehrssituation ergibt, in denen das Fahrsystem eine Entscheidung zwischen dem Leben seines/seiner Insassen und dem Leben anderer Verkehrsteilnehmer treffen muss. Beispiel 138: In einer Kurve befindet sich – infolge eines vorherigen Verkehrsunfalles – ein verletzter Fußgänger auf der Fahrbahn. Der Fußgänger ist erst beim Einfahren in die Kurve wahrnehmbar, wobei sich das (voll-)automatisiert gesteuerte Fahrzeug mit der vorgeschriebenen Geschwindigkeit bewegt. Ein Abbremsen ist nicht mehr möglich, ein Ausweichen führt dazu, dass das Fahrzeug von der Straße abkommt und eine Klippe/einen Abhang etc. herunterstürzt. Auch eine Rückübertragung der Lenkung auf den Fahrer ist – aufgrund der zu langen (menschlichen) Reaktionszeit – nicht mehr möglich. 35 Begrifflich sind verschiedene Formen des automatisierten Fahrens zu unterscheiden: Das teilautomatisierte, das hochautomatisierte sowie das vollautomatisierte Fahren. Am höchsten ist der Automatisierungsgrad beim vollautomatisierten Fahren, bei dem das System Verkehrssituationen eigenständig bewältigt und beim Erkennen von „Systemgrenzen“ – bei gleichzeitigem Nichteingreifen des Fahrers trotz Übernahmeaufforderung – an geeigneter Stelle anhält (zur Begriffsbestimmung im Bereich selbstfahrender Autos vgl. etwa Sander/Hollering, NStZ 2017, 193, 194; ferner Jänich/Schrader/ Reck, NVZ 2015, 313, 314; Singler, NZV 2017, 353 f.). Das in der – medialen – Berichterstattung häufig im Vordergrund stehende autonome Fahren zeichnet sich dagegen dadurch aus, dass der Mensch nur noch Passagier und eine Rückübertragung der Verantwortlichkeit auf diesen (etwa in besonders kritischen Verkehrssituationen) gar nicht vorgesehen ist (Lange, NZV 2017, 345, 346; Singler, NZV 2017, 353, 354). Die Serienreife autonomer Fahrzeuge steht – nach gegenwärtiger Einschätzung – „erst in 10–15 Jahren“ zu erwarten (Lange, NZV 2017, 345, 346; nach Singler, NZV 2017, 353, 354, wird das autonome Fahren „die Regel erst um 2040 sein“). 36 Gemäß § 1a StVG (in Kraft seit Juni 2017) ist dies, soweit die Fahrzeuge bestimmte (Sicherheits-)Standards aufweisen, der Fall. 37 Weber, NZV 2016, 249, 250. 38 Nach Weber, NZV 2016, 249, 250; ähnlich das Beispiel im Bericht der Ethik-Kommission für automatisiertes und vernetztes Fahren, eingesetzt durch den Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, vorgelegt im Juni 2017, S. 16 (nachfolgend: Bericht Ethik-Kommission).
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Weiter sind solche Verkehrssituationen von Interesse, in denen das Fahrsystem eine Entscheidung zwischen verschiedenen Nicht-Fahrzeuginsassen treffen muss. Beispiel 239: Ein Lkw überfährt zur Vermeidung eines (tödlichen) Zusammenstoßes mit einer Gruppe Schulkinder einen Fußgänger. Dabei ist jeweils zwischen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Fahrzeugführers und des Herstellers40 zu differenzieren. Immerhin ergibt sich für den Fahrzeugführer ein gesteigertes Interesse an der Erhaltung des eigenen Lebens. 2. Mögliche Lösungswege Die mit dem automatisierten und autonomen Fahren verbundenen rechtlichen Fragestellungen, die nicht nur das Strafrecht, sondern auch und insbesondere das Straßenverkehrszulassungsrecht sowie das Haftungsrecht betreffen, werden in jüngerer Zeit kontrovers diskutiert.41 Im Folgenden soll es, wie angekündigt, nur um die strafrechtlichen Implikationen und um diese auch nur insoweit gehen, als es die Auflösung der (Lebens-)Dilemma-Situationen betrifft. Dabei sind die bislang vorgeschlagenen Lösungen in die Betrachtungen miteinzubeziehen. a) Beispiel 1 Im ersten Beispiel sieht sich das Fahrzeug vor die „Entscheidung“ gestellt, entweder dem Kurvenverlauf – durch weiteres Einlenken – zu folgen oder durch ein Ausweichen eine Klippe/einen Abhang hinabzustürzen. Im ersten Fall wird der im Kurvenbereich befindliche Fußgänger überfahren, im zweiten Fall stürzt der Fahrzeuginsasse ab. aa) Fahrzeugführer Trifft das Fahrsystem nun die – dem Insassen im Regelfall erwünschtere – „Entscheidung“, dem Kurvenverlauf zu folgen, um die größtmögliche Sicherheit für den Insassen zu gewährleisten, dabei aber den Tod des Fußgängers zu bewirken, stellt sich mit Blick auf den Fahrzeugführer zunächst die Frage, an welches Verhalten ein strafrechtlicher Vorwurf geknüpft werden kann. Das Einlenken in 39 Nach Engländer, ZIS 2016, 608, 616; ähnlich das Beispiel bei Joerden, in: Hilgendorf (Hrsg.), Autonome Systeme und neue Mobilität, 2017, S. 73, 82 f.; vgl. ferner das Beispiel bei Neumann, in: Zehn Jahre ZIS, 2018, S. 393, 396 f. (bezogen auf einen Fahrer in einem gewöhnlichen, nicht-automatisierten Fahrzeug). 40 In Anlehnung an Engländer, ZIS 2016, 608, 611, sind damit all diejenigen natürlichen Personen bezeichnet, welche auf Herstellerseite als mögliche Zurechnungssubjekte in Betracht kommen. 41 Vgl. etwa Armbrüster, ZRP 2017, 83; Balke, SVR 2018, 5; Gless/Janal, JR 2016, 561; Greger, NZV 2018, 1; König, NZV 2017, 123; Lange, NZV 2017, 345; Schulz, NZV 2017, 548; Singler, NZV 2017, 353; Stender-Vorwachs/Steege, NZV 2017, 553.
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F. Übertragung der Konzeption auf die Konfliktlagen
die Kurve vollzieht das (voll-)automatisierte Fahrzeug höchst selbstständig, sodass es in diesem Schicksalsmoment an einer (Handlungs-)Entscheidung des Fahrzeugführers fehlt. Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs kann daher nur ein vorgelagertes Verhalten sein. Naheliegend ist der Rückgriff auf „das In-Bewegung-Setzen des entsprechend programmierten Fahrzeugs“ 42. Dieses ist auch kausal für den späteren Todeseintritt. Richtigerweise wird man bereits an dieser Stelle abzuschichten haben, ob vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln des Fahrzeugnutzers im Raum steht.43 Liegt der Fall so, dass der Fahrzeugnutzer um die Programmierung seines Fahrzeuges weiß, mithin Kenntnis davon hat, dass das Fahrzeug ihn – im Konfliktfall – schützen wird, kann mit Blick auf eine Dilemma-Situation gerade kein Vertrauen auf das Ausbleiben einer Schädigung Dritter geltend gemacht werden.44 Der Einwand, die Dilemma-Situation würde „regelmäßig (. . .) nicht vorsätzlich herbeigeführt (. . .)“ bzw. die Gefährdung eines Dritten würde „nicht zumindest billigend in Kauf genommen“ 45, gerät daher zu pauschal. Wer sein Fahrzeug im Wissen um die entsprechende Programmierung und die mit der Teilnahme am Straßenverkehr verbundenen Risiken nutzt, nimmt in Kauf, dass Dritte für den Fall des (Lebens-)Konflikts in Mitleidenschaft gezogen werden.46 Der „Regelfall“ dürfte hinsichtlich hochautomatisierter Fahrzeuge sogar darin zu erblicken sein, dass der Fahrzeugnutzer Kenntnis von der Programmierung hat. Wo dies nicht der Fall ist, sodass von fahrlässigem Handeln auszugehen ist, ergeben sich jedenfalls hinsichtlich Rechtfertigungs- und Entschuldigungsfragen keine Abweichungen. Abweichungen ergeben sich freilich insoweit, als die Bestrafung wegen fahrlässiger Erfolgsherbeiführung (hier: § 222 StGB) eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung voraussetzt. Auch hier könnte an die Nutzung eines – vorprogrammierten – 42 Engländer, ZIS 2016, 608, 611; ähnlich Sander/Hollering, NStZ 2017, 193, 203 mit Fn. 153 („Inbetriebnahme des mit automatisierten Fahrsystemen ausgestatteten Autos“); zustimmend Hilgendorf, in: ders. (Hrsg.), Autonome Systeme, 2017, S. 143, 168; vgl. auch Weber, NZV 2016, 249, 251, der allerdings ein Szenario zugrunde legt, in welchem sich der Autokäufer für eine – durchgängig – zulasten anderer Personen gehende Programmierung entscheidet, sodass Anknüpfungspunkt „die Entscheidung des Autokäufers und die anschließende Verwendung des Fahrzeugs im Straßenverkehr“ sein soll; Weigend, ZIS 2017, 599, hält die Frage nach der strafrechtlichen Haftung des Fahrzeugnutzers mit Blick auf die Beschränkung des Anknüpfungsverhaltens auf das In-Bewegung-Setzen dagegen für „eher sekundär“. 43 Wenig nachvollziehbar insoweit Engländer, ZIS 2016, 608, 611 ff., der die Frage, ob der Fahrzeugnutzer hinsichtlich des Todeseintritts eines Dritten vorsätzlich oder fahrlässig agiert, nur am Rande – nach Abschluss der Erwägungen zu objektiver Zurechnung, Rechtfertigung und Entschuldigung – streift (vgl. ZIS 2016, 608, 615 mit Fn. 46). 44 Treffend Sander/Hollering, NStZ 2017, 193, 203. 45 Jeweils Beck, in: Hilgendorf (Hrsg.), Autonome Systeme, 2017, S. 117, 120; kritisch gegenüber vorsätzlichem Handeln auch Engländer, ZIS 2016, 608, 615 mit Fn. 46. 46 Insoweit zutreffend Weber, NZV 2016, 249, 251, der darauf verweist, dass „die Entscheidung [zur Nutzung eines entsprechenden Systems] (. . .) erst in dem Moment wirksam [wird], in dem die Situation tatsächlich eintritt“.
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Fahrzeugs im Wissen um den möglichen Eintritt einer Dilemma-Situation angeknüpft werden.47 Soweit diese Nutzung aber ausdrücklich zugelassen ist, stellt sich die Frage, ob der Fahrer nicht im Bereich des erlaubten Risikos agiert.48 Geht man von (eventual-)vorsätzlichem Nutzer-Handeln aus, ist zu erörtern, ob das „erlaubte Risiko“ zu einem Zurechnungsausschluss führt. Die Heranziehung des „erlaubten Risikos“ im Umgang mit automatisierten Fahrzeugen dürfte – mit Blick auf den Fahrzeugnutzer – entgegen Engländer nicht deshalb so schwierig sein, weil es an der „Unfähigkeit zur Erfolgsverhinderung im Einzelfall“ und damit an einer wesentlichen Voraussetzung des erlaubten Risikos fehlt.49 So weist Hilgendorf zu Recht darauf hin, dass der Fahrzeugnutzer an der Programmierung des Systems nichts mehr ändern kann, sodass sehr wohl eine entsprechende Unfähigkeit zu attestieren ist.50 Als problematisch dürfte sich viel mehr erweisen, dass „derzeit noch kein allgemein akzeptiertes Risiko [besteht]“ 51. Auch die – moralphilosophische – Erwägung, „dass eine auf die Minimierung der Opfer ausgelegte Programmierung durchaus im Interesse jedes Einzelnen sein kann“ 52, trägt solange nicht, wie eine generelle Risikosenkung nicht in praxi erwiesen wurde bzw. allgemein akzeptierte Entscheidungs-Regeln existieren.53 Bevor über – konsensfähige – Entscheidungsregeln nachgedacht wird54, sollen möglicherweise einschlägige Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe in den Blick genommen werden, welche die Problematik ggf. entschärfen. Da es bei der geschilderten Dilemma-Situation an einem „Angriff“ i. S. d. § 32 II StGB fehlt, stellt sich die Frage nach einem Eingreifen des § 34 StGB. Richtig ist, dass im Zeitpunkt des Fahrtantritts noch keine gegenwärtige Gefahr für den Fahrzeugnutzer vorliegt. Wenn aber selbst im Rahmen des § 32 StGB auch die automatisierte Gegenwehr, etwa in Form einer Selbstschussanlage, erfasst wird, 47
Beck, in: Hilgendorf (Hrsg.), Autonome Systeme, 2017, S. 117, 140. Vgl. wiederum Beck, in: Hilgendorf (Hrsg.), Autonome Systeme, 2017, S. 117, 140; eingehend zum Gesichtspunkt des erlaubten Risikos bei Herstellung/Nutzung automatisierter Fahrzeuge Hilgendorf, in: ders. (Hrsg.), Autonome Systeme, 2017, S. 143, 164 ff. 49 Engländer, ZIS 2016, 608, 612. Ähnlich argumentiert Erb, FS-Neumann, S. 785, 794, wenn er die Nichtanwendbarkeit des erlaubten Risikos darin begründet sieht, dass „die (weiteren) Handlungsfolgen auf einer von Menschenhand bewusst initiierten Wendung des Geschehens beruhen“, welche „rechtliche[r] Steuerung zugänglich“ sei. Diese Steuerung könne – und müsse – über § 34 StGB erfolgen. 50 Hilgendorf, in: ders. (Hrsg.), Autonome Systeme, 2017, S. 143, 169 51 Beck, in: Hilgendorf (Hrsg.), Autonome Systeme, 2017, S. 117, 141. 52 Hevelke/Nida-Rümelin, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik, Bd. 19, 2015, S. 5, 11; vgl. auch Schuster, RAW 2017, 13, 18, nach dem es „erst einmal für jeden“ darum gehe, „die abstrakte Gefährlichkeit des Objekts zu minimieren“. 53 Diese Schwierigkeit einräumend Hevelke/Nida-Rümelin, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik, Bd. 19, 2015, S. 5, 21 f.; kritisch zum Ansatz der Vorgenannten auch Joerden, in: Hilgendorf (Hrsg.), Autonome Systeme, 2017, S. 73, 85 mit Fn. 19. 54 Dazu unten F.V.2.c). 48
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weil entscheidender Beurteilungszeitpunkt der Moment ist, in dem sich die Bedrohungssituation realisiert55, kann für § 34 StGB nichts anderes gelten.56 Im Zeitpunkt des Eingreifens der automatisierten Abwendungsmaßnahme besteht für den Fahrzeugnutzer eine gegenwärtige (Lebens-)Gefahr, sodass eine Notstandslage gegeben ist. Indes stehen sich auf Erhaltungs- und Eingriffsseite Rechtsgüter gegenüber, die, wie im Rahmen dieser Arbeit gezeigt wurde57, einer Abwägung nicht zugänglich sind. Kein Leben überwiegt ein anderes.58 Es bleibt die Möglichkeit der Entschuldigung nach § 35 StGB. Eine gegenwärtige Lebensgefahr liegt für den Fahrzeugnutzer, wie soeben gezeigt, vor. Besteht die einzige Möglichkeit, das eigene Leben zu bewahren, im Überfahren einer anderen Person, bestehen auch keine Zweifel an der Erforderlichkeit. Zu erwägen ist, ob eine Entschuldigung deshalb zu versagen ist, weil die Entscheidung für den Schutz des eigenen Lebens nicht erst in der konkreten Dilemma-Situation getroffen wird, sondern schon zuvor gefallen ist (spätestens mit dem konkreten Fahrtantritt). In diesem – vorgelagerten – Zeitpunkt kann das Vorliegen einer psychischen Ausnahmesituation („Motivationsdruck“) ausgeschlossen werden, sodass es womöglich an einem der den Schuldausschluss nach herrschender – und auch hier befürworteter – Auffassung tragenden Pfeiler fehlt.59 Zieht man an dieser Stelle eine Parallele zu einer „klassischen“ Dilemma-Situation, etwa dem Flugzeug-Fall, so könnte man auch insoweit daran denken, dass der Pilot und/oder sein Vorgesetzter die Abschuss-Entscheidung bereits im Vorfeld der konkreten Konfliktsituation treffen, um im Ernstfall nur noch „funktionieren“ zu müssen. Der entscheidende Unterschied liegt freilich darin, dass die Entscheidung im Flugzeug-Fall im Vorfeld getroffen werden kann, aber nicht muss. Zu kurz greift daher die Argumentation, § 35 StGB erfasse auch das Handeln von Personen, die nicht in Panik verfielen, sondern ruhig und überlegt vorgingen, weshalb die Vorschrift unproblematisch Anwendung finden könne.60 Dies ist zwar zutreffend, da § 35 StGB richtigerweise nur auf der pauschalisierenden An55 Vgl. etwa Kühl, AT, § 7 Rn. 43; MK-Erb, § 32 Rn. 115; Schönke/Schröder-Perron/ Eisele, § 32 Rn. 18a; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 501. 56 Treffend Engländer, ZIS 2016, 608, 612; Fahl, GS-Joecks, S. 67, 76 (bzgl. § 35 StGB); Weber, NZV 2016, 249, 252 (bzgl. § 35 StGB). 57 B.III.3.b)bb)(3). 58 Engländer, ZIS 2016, 608, 612; Weber, NZV 2016, 249, 251; vgl. auch das Bekenntnis der Ethik-Kommission, S. 18: „Auch im Notstand dürfen Menschenleben daher nicht gegeneinander ,aufgerechnet‘ werden“. 59 Die Frage – z. T. ausschließlich mit Blick auf den Programmierer (unten F.IV. 2.a)bb)) – aufwerfend ferner Engländer, ZIS 2016, 608, 614 f.; Fahl, GS-Joecks, S. 67, 75; Hörnle/Wohlers, GA 2018, 12, 23 f.; Joerden, in: Hilgendorf (Hrsg.), Autonome Systeme, 2017, S. 73, 86 f.; Schuster, RAW 2017, 13, 15; Weber, NZV 2016, 249, 252 f. 60 Weber, NZV 2016, 249, 253.
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nahme eines erhöhten Motivationsdrucks beruht. Nichtsdestotrotz ist der Verweis auf die „generalisierende Zuschreibung“ 61 gleichbedeutend mit der Anerkennung einer gesamten Fallgruppe, in welcher die den Schuldausschluss tragenden Gesichtspunkte nur eingeschränkt zur Geltung kommen. Es ginge nicht mehr nur um das im Einzelfall wider Erwarten kühl und berechnend agierende Individuum, sondern um ein komplettes Anwendungsfeld (Nutzung automatisierter Gefahrabwendungsmaßnahmen), welches den hinter § 35 StGB stehenden Wertungen nur bedingt zugänglich wäre, weil die (Handlungs-)Entscheidung bereits im Vorfeld getroffen werden muss. Damit wäre aber die Plausibilität der Lehre von der doppelten Schuldminderung insgesamt in Frage gestellt.62 Bei konsequentem Festhalten an der Lehre von der doppelten Schuldminderung ist festzustellen, dass beim Fahrer zwar in dem Moment, in dem die automatisierte Gefahrabwendungsmaßnahme zum Tragen kommt, eine psychische Ausnahmesituation gegeben sein dürfte, es jedoch genau zu diesem Zeitpunkt an einer durch die psychische Disposition (mit-)bedingten Handlungsentscheidung fehlt. D.h. aber, dass die hinter § 35 StGB stehende ratio bei Nutzung automatisierter Gefahrabwendungsmaßnahmen nicht greift, womit ein Schuldausschluss nicht auf die Vorschrift gestützt werden kann. bb) Hersteller Der Begriff des „Herstellers“ ist, wie oben angedeutet, vielgestaltig. Auf Herstellerseite kommen mehrere Zurechnungssubjekte in Betracht63, wobei der Programmierer sicherlich die größten Einflussmöglichkeiten mit Blick auf ein mög61
Vgl. die Formulierung bei Engländer, ZIS 2016, 608, 614. Daher attestiert auch Fahl, GS-Joecks, S. 67, 75, es liege „auf der Grundlage der Theorie von der doppelten Strafmilderung wohl [näher], dem Täter die Anwendung des § 35 StGB zu versagen“. Es verwundert schließlich auch nicht, dass Engländer, ZIS 2016, 608, 614 f., die Frage nach der psychischen Disposition des Täters im Zeitpunkt der Entscheidung zur Nutzung des automatisierten Systems zum Anlass nimmt, die Lehre von der doppelten Schuldminderung grundlegend zu hinterfragen. 63 Zu denken ist etwa an die in Entwicklungsabteilungen tätigen Personen, die zwar auch Mitarbeiter externer Unternehmen sein können, jedoch – aufgrund der engen Verflechtung zwischen zuarbeitenden Unternehmen und Autobauern – insgesamt der Hersteller-Seite zuzuschlagen sind (davon zu unterscheiden sind wohl die von Beck, in: Hilgendorf (Hrsg.), Autonome Systeme, 2017, S. 117, 135, angeführten „Forscher“, die gewissermaßen ergebnisoffen arbeiten). Die Zuordnung zur Hersteller-Seite steht im Übrigen auch für Programmierer, welche für externe Software-Unternehmen arbeiten, nicht in Zweifel. Nicht zu vernachlässigen sind ferner die beim Automobilhersteller zuständigen „Entscheider“, die für ein Inverkehrbringen automatisierter Systeme votieren (dazu Sander/Hollering, NStZ 2017, 193, 197). Schließlich kommen die Verkäufer der Fahrzeuge, insbesondere wenn sie – wie bei einem Vertragsautohaus – eine besondere Verbindung zum Autobauer aufweisen, als Zurechnungssubjekte in Betracht. Allgemein zu möglichen Zurechnungssubjekten (auf Hersteller-Seite und darüber hinaus) etwa Beck, in: Hilgendorf (Hrsg.), Autonome Systeme, 2017, S. 117, 135 ff.; Gless/Janal, JR 2016, 561 ff. 62
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liches Dilemma-Szenario aufweist. Dementsprechend sollen die Ausführungen im Rahmen dieser Arbeit auf den Programmierer beschränkt bleiben. Zunächst stellt sich die Frage, ob der für die Systemeinstellungen verantwortliche Programmierer potentieller (Neben-)Täter oder Teilnehmer eines (vorsätzlichen) Tötungsdelikts ist. Ist die Programmierung bewusst so gewählt, dass dem Fahrzeuginsassen der Vorzug vor anderen Personen zu geben ist, so geschieht in der Dilemma-Situation genau das, was vom Programmierenden gewollt ist. Entsprechend ist vorsätzliches Handeln anzunehmen.64 Zu eruieren ist sodann, ob eine täterschaftliche Verantwortung oder eine „bloße“ Gehilfenschaft anzunehmen ist. Für die Annahme täterschaftlichen Agierens mag die Bedeutung der einmal vorgenommenen Programmierung für das Verhalten des Fahrzeugs in der konkreten Dilemma-Situation sprechen.65 Zugleich kommt die Programmierung nur zum Tragen, wenn der Fahrzeugnutzer sich überhaupt zum Fahrtantritt entscheidet, das Fahrzeug also in Bewegung setzt. Denkbar ist daher auch eine Beteiligung als Teilnehmer.66 So liegt die Entscheidung über das Zur-Anwendung-Gelangen des Systems (mit seiner Programmierung in Gefahrensituationen) letztlich beim Fahrer, der seine eigene Sicherheit bewusst dem Fahrsystem überantwortet und sich dieses zu Nutzen macht. Die Programmierung des Systems erweist sich aus diesem Blickwinkel eher als ermöglichende Gehilfenhandlung i. S. d. § 27 I StGB. Stellt man den Gesichtspunkt des „erlaubten Risikos“ auch für den Programmierer hintan67, stellt sich für diesen gleichermaßen die Frage nach einer möglichen Rechtfertigung oder Entschuldigung. Dass eine Berufung auf § 34 StGB auch für den Programmierer ausscheiden muss, liegt auf der Hand. Als weitere Größe in die Diskussion eingeführt wurde allerdings die Kollision von (gleichwertigen) Unterlassungspflichten.68 Dem Programmierer fehle in der Situation der Systemkonfiguration von vornherein die Möglichkeit, nichts zu tun und dem Schicksal seinen Lauf zu lassen, sodass – hinsichtlich der denkbaren Programmierungsvarianten – mehrere Unterlassungspflichten kollidierten.69 So wie bei der Kollision mehrerer gleichwertiger Handlungspflichten, sei jedenfalls 64 So auch Sander/Hollering, NStZ 2017, 193, 202; vgl. ferner Erb, FS-Neumann, S. 785, 795. 65 So Sander/Hollering, NStZ 2017, 193, 202. 66 Dies erwägend Weber, NZV 2016, 249, 253 mit Fn. 39. 67 Zu denken ist mit Blick auf den berufsbedingt Programmierenden auch an eine Beihilfe durch „neutrale Handlung“. Soweit man allerdings nicht von direktem Vorsatz ausgeht (vgl. Sander/Hollering, NStZ 2017, 193, 202), hat es auch der „nur“ eventualvorsätzlich agierende Programmierer mit einem erkennbar tatgeneigten, da nutzungswilligen Täter (in Person des Fahrers) zu tun. Zur Beihilfe durch neutrale Handlungen vgl. bereits oben C.III.1.a)aa)(2). 68 Schuster, in: Hilgendorf (Hrsg.), Autonome Systeme, 2017, S. 99, 107 ff.; ders., RAW 2017, 13, 17 f.; Weigend, ZIS 2017, 599, 603. 69 Schuster, in: Hilgendorf (Hrsg.), Autonome Systeme, 2017, S. 99, 108; Weigend, ZIS 2017, 599, 603.
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zu erwägen, dem Handelnden ein Wahlrecht zuzugestehen, das mit Blick auf das „geopferte“ Rechtsgut zu einer Rechtfertigung führt.70 Die Parallele zur Kollision von Handlungspflichten liegt auf der Hand. Es leuchtet nicht ein, dass die Rechtsordnung auf die Befolgung zweier Verbote bestehen sollte, wo tatsächlich nur eines befolgt werden kann.71 Zum Teil wird mit Blick auf entsprechende Konstellationen vorgetragen, dass es sich in Wahrheit gar nicht um die Kollision zweier Unterlassungspflichten handele.72 Die Befolgung einer Unterlassungspflicht sei eben nicht ohne das (gleichzeitige) Entstehen einer Handlungspflicht gegenüber dem jeweils anderen Gefährdungsgut denkbar, sodass richtigerweise eine Handlungs- mit einer Unterlassungspflicht kollidiere.73 Soweit man die Konstruktion kollidierender Unterlassungspflichten, die hier keiner eingehenderen Untersuchung unterzogen werden soll, ablehnt74, stellt sich für den Programmierer die Frage der Entschuldigung. Da es an dem von § 35 StGB geforderten Näheverhältnis zum Fahrzeuginsassen im Regelfall fehlen dürfte, verbleibt nur der Rückgriff auf den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand. Freilich ist auch und gerade für den Programmierer zu attestieren, dass dieser zu einem Zeitpunkt handelt, in dem die konkrete Gefahrensituation noch „Zukunftsmusik“ ist. Mit Blick auf den auch im Rahmen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands – pauschal – vermuteten Motivationsdruck stellt sich daher in gleichem Maße wie für den Nutzer die Frage, ob ein (übergesetzlicher) Schuldausschluss überhaupt in Betracht kommt. Bei automatisierten Sicherheitsmechanismen muss die (Präferenz-)Entscheidung notwendigerweise im Vorfeld getroffen werden, zu einem Zeitpunkt, in dem es regelmäßig an einem besonderen Motivationsdruck fehlen wird. Daher ist eine Heranziehung des übergesetzlichen Schuldausschlusses – ungeachtet der Bestimmung hinreichender Konfliktnähe – von vornherein ausgeschlossen.75 70 Schuster, in: Hilgendorf (Hrsg.), Autonome Systeme, 2017, S. 99, 108 ff., der freilich bereits über einen Tatbestandausschluss nachdenkt (S. 108; deutlich für eine Verortung auf Tatbestandsebene ders., RAW 2017, 13, 18); eine Rechtfertigung beim Kollidieren gleichwertiger Unterlassungspflichten erwägend etwa Lenckner, GA 1985, 295, 304 f.; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 76; ähnl. Otto, Jura 2005, 470, 473. 71 Deutlich Lenckner, GA 1985, 295, 305. 72 Erb, FS-Neumann, S. 785, 795 f.; Joerden, in: Hilgendorf (Hrsg.), Autonome Systeme, 2017, S. 73, 91 f.; Satzger, Jura 2010, 753, 755. 73 Satzger, Jura 2010, 753, 755. 74 Lenckner, GA 1985, 295, 305, äußert, obschon er die rechtfertigende Wirkung kollidierender Unterlassungspflichten grundsätzlich befürwortet, Zweifel an der Tragfähigkeit des Konstrukts für den Fall, „daß beide Handlungsalternativen jeweils in der vorsätzlichen Tötung von Menschen bestehen“. 75 A. A. offenbar Weigend, ZIS 2017, 599, 605, nach dem der übergesetzliche entschuldigende Notstand „an der Schwelle zur Rechtfertigung steht“, weshalb man „bei großzügiger Betrachtung eine solche, die Situation der Unzumutbarkeit einer an sich rechtmäßigen Entscheidung vorwegnehmende Programmierung ihrerseits bereits als zulässig ansehen“ könne.
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F. Übertragung der Konzeption auf die Konfliktlagen
b) Beispiel 2 Im Unterschied zum ersten Beispiel stellt sich die Situation hier so dar, dass eine Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen Personen(-gruppen) getroffen werden muss, ohne dass eine (tödliche) Eigengefährdung des Fahrzeugnutzers im Raum steht. aa) Fahrzeugführer Geht man davon aus, dass eine Verantwortlichkeit nicht bereits unter dem Gesichtspunkt des sog. erlaubten Risikos auszuscheiden hat, bleibt, da eine Rechtfertigung nach § 34 StGB wiederum ausscheidet, nur der Rückgriff auf eine Entschuldigung. In Ermangelung eines persönlichen Gefahrbezugs kann § 35 StGB nicht eingreifen. Für eine Heranziehung des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands fehlt es wiederum an der – vermuteten – psychischen Konfliktlage im Zeitpunkt der Handlungsentscheidung. bb) Hersteller Für den Hersteller – hier: in Person des Programmierers – gilt letztlich das Gleiche. „Klassische“ Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe mögen eine Straffreiheit nicht zu begründen. c) Würdigung und Ausblick Die erzielten Ergebnisse sind freilich vor dem Hintergrund der bislang nur recht spärlichen Regelungen zum automatisierten Fahren zu sehen.76 Die Ergebnisse der Ethik-Kommission für automatisiertes und vernetztes Fahren erweisen sich ob ihrer Unbestimmtheit gleichfalls als wenig hilfreich.77 Damit fehlt es an belastbaren Orientierungspunkten, die einen Rückgriff auf das strafbefreiend wirkende „erlaubte Risiko“ erleichtern würden. In diesem Zusammenhang ist, wie insbesondere von Hörnle und Wohlers vorgeschlagen, an das Aufstellen von Präferenzregeln zu denken, welche für Rechtssicherheit sorgen würden.78 Gemeint ist, dass auf Straffreiheit zu erkennen ist, wenn das System in – denk- und programmierbaren – Dilemma-Situationen unter Berücksichtigung abgestufter Präferenzregeln arbeitet, über deren Ausgestaltung freilich (weitgehende) Einigkeit bestehen müsste.79 Denkbar wäre etwa, zu verlangen, dass bei einer möglichen Kollision mit verschieden großen Menschengruppen stets die Kollision mit der 76
Vgl. insbesondere die §§ 1a, 1b sowie 1c StVG (in Kraft seit Juni 2017). Zu Recht kritisch daher auch Hörnle/Wohlers, GA 2018, 12, 20 f. 78 Hörnle/Wohlers, GA 2018, 12, 33. 79 Eingehend zu möglichen Präferenzregeln und deren Rangfolge Hörnle/Wohlers, GA 2018, 12, 24 ff.; knapper Hilgendorf, in: ders., Autonome Systeme, 2017, S. 143, 173 ff.; Weigend, ZIS 2017, 599, 603 f. 77
V. Exkurs
337
kleineren Gruppe vorzuziehen ist.80 Zu erwägen ist sodann, ob dies immer und durchgängig gilt oder ob eine Modifikation etwa dergestalt vorzunehmen ist, dass eine Kollision mit der größeren Gruppe vorzuziehen ist, wenn dadurch (etwa, weil sich die Menschen nicht ihrerseits in einem Fahrzeug befinden) das Risiko für die Fahrzeuginsassen verringert wird. Eine Orientierung an den numerischen Verhältnissen könnte auch für den Fall angezweifelt werden, dass zwar nicht der Fahrzeugnutzer gefährdet, eine Entscheidung für das „kleinere Übel“ aber die Einbeziehung eingangs Unbeteiligter bedeuten würde.81 Weiter könnte man sich fragen, ob Kindern – als besonders schützenswerte Verkehrsteilnehmer – ein allgemeiner Vorrang zukommen sollte.82 Wo diese Präferenzregeln strafrechtsdogmatisch fruchtbar zu machen sind, bedarf im Rahmen dieser Arbeit keiner Entscheidung. Sowohl ein Zurechnungsausschluss unter dem Gesichtspunkt des „erlaubten Risikos“ als auch eine Berücksichtigung im Rahmen der rechtfertigenden Pflichtenkollision erscheinen denkbar. Deutlich wurde indes, dass ein Verschieben der Fragestellung in den Schuldbereich keine Aussicht auf Erfolg verspricht. Weder § 35 StGB noch der – auf dem identischen Fundament beruhende – übergesetzliche entschuldigende Notstand sind auf die Programmierung oder den Einsatz automatisierter Gefahrabwehrmechanismen zugeschnitten. Abschließend sei mit Blick auf mögliche Präferenzregeln noch Folgendes angemerkt: Das Verbot der „Verrechnung“ menschlichen Lebens, wie es grundsätzlich auch im Rahmen dieser Arbeit vertreten wird, hat im Rahmen der Programmierungs-Entscheidung nicht diejenige Bedeutung, welche ihm unter Notstandsgesichtspunkten zukommt. Es geht nicht um die Frage, ob sich ein Mensch in einer Konfliktsituation für die Wahl des „kleineren“ Übels entscheiden darf. Mit der Orientierung am „kleineren“ Übel im Rahmen der Programmierung wird nicht die Gleichwertigkeit eines jeden Lebens in Abrede gestellt, sondern eine künftige – auch bei vollkommen korrekter Programmierung nicht auszuschließende – Dilemma-Situation aufzulösen versucht, deren Nicht-Berücksichtigung in Wahrheit keine Alternative darstellt. So ist der technologische Fortschritt – im Interesse aller – ausdrücklich gewünscht, was für das automatisierte bzw. autonome Fahren in besonderem Maße gilt. Wenn die Bewältigung unterschiedlichster Verkehrssituationen (vor-)programmierten Systemen überlassen werden soll, weil dies die Verkehrssicherheit insgesamt erhöht, gleichzeitig aber das Auftreten von (Lebens-)Dilemma-Situationen nicht zu verhindern ist, stellt sich – verkürzt gesprochen – nur noch die Frage, „ob ein Mensch gerettet werden muß, wenn ein 80
Dafür Weigend, ZIS 2017, 599, 605. Insoweit von einer unzulässigen „Neuverteilung von Lebenschancen“ ausgehend Hilgendorf, in: ders., Autonome Systeme, 2017, S. 143, 174. 82 Zu denkbaren Abstufungen Hörnle/Wohlers, GA 2018, 12, 33 f. Hinter einer möglichen Bevorzugung von Fahrzeuginsassen oder Kindern steht freilich eine qualitative Abstufung von Menschenleben, für deren Rechtfertigung auch mit Blick auf automatisierte Gefahrabwehrmechanismen keine Anhaltspunkte ersichtlich sind. 81
338
F. Übertragung der Konzeption auf die Konfliktlagen
Mensch gerettet werden kann“ 83. Welcher Mensch Mittel und welcher Mensch Zweck des „Rettungshandelns“ ist, steht dabei weder im Moment der Programmierung noch im Moment des Fahrtantritts fest. Damit ist jeder Einzelne Mittel und Zweck zugleich.84 Nochmals: Eine Verlagerung der Fragestellung in den Schuldbereich vermag – jedenfalls bei Festhalten an der Lehre von der doppelten Schuldminderung – schwerlich zur Straffreistellung von Nutzer und Programmierer zu führen. Die Handlungsentscheidung wird eben nicht maßgeblich vom (vermuteten) Motivationsdruck getragen, sondern erfolgt weit im Vorfeld der eigentlichen Konfliktsituation. Dass der Programmierer, dessen Aufgabe es ist, dem Fahrzeug „Handlungsanweisungen“ – auch für Konfliktsituationen – mit auf den Weg zu geben, i. S. d. hier entwickelten Konzeption bestimmungsgemäß mit der Konfliktlage in Berührung gerät, sodass der personelle Anwendungsbereich des übergesetzlichen Schuldausschlusses eröffnet wäre, ist daher letztlich ohne Belang. Der Nutzer eines Fahrzeugs, das in der Konfliktsituation zwischen verschiedenen Übeln „wählen“ muss, ohne dass der Fahrer selbst gefährdet wäre (vgl. Bsp. 2), wäre i. S. d. hiesigen Konzeption nur zufällig nicht selbst Gefährdeter, sodass auch insoweit der personale Anwendungsbereich eröffnet wäre. Aufgrund des Auseinanderfallens von Handlungsentscheidung und Dilemma-Situation fehlt es jedoch an einer viel grundlegenderen Voraussetzung des (übergesetzlichen) Schuldausschlusses. Aus alledem ergibt sich ein Regelungsauftrag an den Gesetzgeber. Dieser ist gehalten, Präferenzregeln verbindlich festzuhalten, um so die Herstellung bzw. Nutzung (voll-)automatisierter und autonomer Fahrzeuge, welche die Verkehrssicherheit insgesamt dramatisch erhöhen sollen, von Strafbarkeitsrisiken zu befreien. 83 Neumann, FS-Roxin I, S. 421, 432; ders., in: Zehn Jahre ZIS, 2018, S. 393, 407, stellt nun mit Blick auf Dilemma-Situationen beim automatisierten/autonomen Fahren fest, dass bei einer Programmierung des Fahrzeugs auf die Herbeiführung einer möglichst geringen Opferzahl keine Möglichkeit bestehe, „zwischen (ex post gesehen) ,geopferten‘ und ,geretteten‘ bzw. (ex ante gesehen) ,gefährdeten‘ und ,nichtgefährdeten‘ Personen zu unterscheiden“. Niemand wisse, wer durch die Programmierung in einer konkreten Gefahrensituation begünstigt und wer benachteiligt werde, sodass – abstrakt – allein feststehe, dass „die Überlebenschance eines jeden Verkehrsteilnehmers erhöht“ werde (Neumann, a. a. O., S. 393, 407). Zu Recht betont Neumann in diesem Zusammenhang, dass sich diese Betrachtungsweise nicht der gleichen – auch hier geteilten – Skepsis ausgesetzt sieht, die ihr bei Behandlung typischer Notstandssituationen entgegenschlägt. Gemeint ist die Kritik an der Annahme einer gewissermaßen altruistischen Grundhaltung aufseiten der – auch und insbesondere im Rahmen einer Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Chancenverteilung – von der Rettungshandlung negativ Betroffenen (dazu oben B.III.3.b)bb)(3)). Spezifikum bei der Programmierung ist der Umstand, dass es „zum Zeitpunkt der Umsteuerung der Gefahr (. . .) an einer menschlichen Handlung [fehlt], in die die Betroffenen einwilligen könnten. Es fehlt damit auch an einer menschlichen Handlung, zu der sie ihre Einwilligung versagen könnten“ (Neumann, a. a. O., S. 393, 406). 84 Treffend Schuster, RAW 2017, 13, 18.
G. Zusammenfassung Nachdem wesentliche Erkenntnisse der Arbeit bereits unter E.I. zusammengefasst wurden, wird es nachfolgend in erster Linie darum gehen, die auf Basis dieser Erkenntnisse gewonnenen Befunde zusammenfassend darzustellen. Angesprochen ist damit insbesondere die hier vorgeschlagene Präzisierung betreffend den Anwendungsbereich des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands.
I. Der übergesetzliche entschuldigende Notstand als notwendige „Fortschreibung“ der Prinzipien des § 35 StGB Der übergesetzliche entschuldigende Notstand wird – ungeachtet weiterer Präzisierungen – ganz überwiegend als ungeschriebener Schuldausschließungsgrund anerkannt.1 Die zu Präzisierungszwecken angestellten Überlegungen beschränken sich freilich im Wesentlichen auf die Notwendigkeit einer Verengung auf Fälle der Gefahrengemeinschaft sowie einer Orientierung am – zahlenmäßig – kleineren Übel. Unter Heranziehung der im Zentrum der Konfliktsituation stehenden Protagonisten (Weichensteller, Pilot, Schiffskapitän) wird die Situation gravierender innerer Bedrängnis nachgezeichnet. Auf eine darüber hinaus gehende Charakterisierung der Handelnden wird verzichtet. Aus welchen Erwägungen im Einzelnen sich die Vergleichbarkeit mit der gesetzlich geregelten Entschuldigung ergibt und ob diese in allen diskutierten Konstellationen identisch sind, bleibt zumeist im Verborgenen. Dies bedeutet im Ergebnis einen Verzicht auf weitere Konturierung des Schuldausschließungsgrundes. Vor diesem Hintergrund verwundert es wiederum nicht, dass der Situation der Teilnahme an (übergesetzlich) entschuldigter Tat mehrheitlich keine bzw. nur insoweit Beachtung geschenkt wird, als auf die Strafbarkeit des Teilnehmers ver1 Vgl. nur Archangelskij, Das Problem des Lebensnotstandes am Beispiel des Abschusses eines von Terroristen entführten Flugzeuges, 2005, S. 80 f.; Burkhardt, Das NS-Euthanasie-Unrecht vor den Schranken der Justiz: eine strafrechtliche Analyse, 2015, S. 603 f.; B/W/M/E-Eisele, § 18 Rn. 49; Fischer, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 15; Gropp, AT, § 6 Rn. 196; Haft, AT, S. 145 f.; Heinrich, AT, Rn. 596; Kühl, AT, § 12 Rn. 92 ff.; LK-Rönnau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 346; NK-Paeffgen/Zabel, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 295; Rengier, AT, § 26 Rn. 42; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 115 ff.; SK-Rogall, Vor § 19 Rn. 58; S/S/W-Rosenau, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 67; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 10 Rn. 129; Stübinger, Notwehr-Folter und Notstands-Tötung?, 2015, S. 382 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 712; auf Grundlage eines strafzweckorientierten Erklärungsansatzes von einem „übergesetzlichen Verantwortungsausschluss“ ausgehend Roxin, AT I, § 22 Rn. 147 ff.
340
G. Zusammenfassung
wiesen wird. Verbindet man aber die Erkenntnis, dass Konfliktlagen existieren, welche § 35 StGB vergleichbar sind, mit dem Umstand, dass insbesondere der Teilnehmer an (übergesetzlich) entschuldigter Tat eine besondere Nähe zu der die Entschuldigung auslösenden Konfliktsituation aufweist, so drängt sich die Frage auf, weshalb der Teilnehmer von vornherein vom Schuldausschluss ausgenommen sein sollte. Dies bedeutet wiederum, dass nachzuvollziehen ist, welche Erwägungen den übergesetzlichen Schuldausschluss in den anerkannten Konfliktsituationen tragen, um so Aussagen auch hinsichtlich der spezifischen Situation der Teilnahme treffen zu können. Die Konstellation der Teilnahme fordert also dazu heraus, den Blick zu weiten, indem die den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand tragenden Erwägungen im Einzelnen nachvollzogen werden. Aus dieser Betrachtung ergibt sich, dass der übergesetzliche entschuldigende Notstand, der richtigerweise auf die Situation des Lebens-Dilemmas, nicht aber auf das Vorliegen einer Gefahrengemeinschaft zu beschränken ist, zur Anwendung gelangen kann, wenn der Handelnde eine hinreichende Konfliktnähe aufweist. Dies ist wiederum zu bejahen, wenn er – nur zufällig nicht selbst Adressat der drohenden (Lebens-)Gefahr ist oder – die Geschehenssteuerung bestimmungsgemäß in seinen Händen liegt. Zufälligkeit meint dabei – zur Wahrung hinreichender Anbindung an den gesetzlich erfassten Fall der Entschuldigung – „schicksalhafte“ Verschonung von der sich konkret realisierenden Gefahr. Der Gesichtspunkt der bestimmungsgemäßen Geschehenssteuerung verlangt das Bestehen einer gesellschaftlichen Handlungserwartung, die – zugleich – in Form einer Garantenstellung (auch) gegenüber dem Erhaltungsgut formalisiert sein kann, aber nicht muss. Die Frage der Beteiligungsform ist insoweit nur von sekundärer Bedeutung, sodass ein Schuldausschluss auch für den Teilnehmer in Betracht kommt. Was Welzel in seinem Lehrbuch zum Deutschen Strafrecht für die Situation des Bergsteigers, der seinem vom Absturz bedrohten Kameraden ein Messer reicht, gewissermaßen en passant festhält2, bedarf der Ausdifferenzierung, soll der Vielzahl denkbarer Fallgestaltungen Rechnung getragen und die Anbindung an den gesetzlich geregelten Fall der Entschuldigung gewährleistet werden. Zu dieser Differenzierung möchte die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten, indem – unter Rückbindung an die die gesetzliche Entschuldigung tragenden Prinzipien – eine Konkretisierung des personalen Anwendungsbereichs des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands erfolgt. Dass bei alledem generalisierende Wertungen dominieren, ist hinzunehmen, möchte man sich vom normativen Schuldbegriff nicht zugunsten eines abwei2 Welzel, S. 185: „Wenn ohne das Kappen des Seiles beide Kletterer verloren wären, ist X. [der das Messer Reichende] aus übergesetzlichem Notstand entschuldigt, während dem A. [dem vom Absturz Bedrohten] schon § 54 [a. F.] zur Seite steht.“
II. Ausblick
341
chenden – etwa rein funktionalen – Schuldverständnisses abwenden und die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit unter völlig anderen Vorzeichen beantworten.
II. Ausblick Der übergesetzliche entschuldigende Notstand ist kein „Allheilmittel“, das stets dann – gewissermaßen als „Joker“ – fruchtbar gemacht werden kann, wenn die Verhängung einer bzw. der gesetzlich vorgesehenen Strafe gegenüber dem Handelnden, sei er Täter oder Teilnehmer, unbillig bzw. mit großen Härten verbunden erscheint. Ein Rückgriff auf den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand ist nur dort möglich, wo eine hinreichende Anbindung an § 35 StGB gewährleistet ist, was nach hier vertretener Auffassung das Vorliegen hinreichender Konfliktnähe voraussetzt. In anderen Fällen ist, gerade was das – auch im Wege restriktiver Auslegung nicht zu vermeidende – Hinzutreten von (tatbezogenen) Mordmerkmalen und die damit verbundene Strafdrohung betrifft, über eine Ausweitung der Rechtsfolgenlösung nachzudenken.3 Dass de lege ferenda eine Reform der Rechtsfolgenseite des Mordtatbestandes angezeigt ist, kann hier nur angemahnt, nicht jedoch vertieft werden. Die Grenzen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands zeigen sich auch mit Blick auf eine aktuelle Diskussion – die Rede ist vom strafrechtlichen Umgang mit (Lebens-)Dilemma-Situationen beim (voll-)automatisierten bzw. autonomen Fahren. Etwaigen Strafbarkeitsrisiken von Nutzern und Programmierern kann, wenngleich die denkbaren Dilemma-Szenarien grundsätzlich sowohl den äußeren als auch den – hier entwickelten – personalen Kriterien nach eine Heranziehung des übergesetzlichen Schuldausschlusses ermöglichten, nicht unter Rückgriff auf den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand begegnet werden. Entscheidend ist insoweit die fehlende Synchronität von (vermuteter) seelischer Konfliktsituation und Handlungsentscheidung. Vom Erfordernis der Synchronität ausnahmsweise abzusehen, wie es vereinzelt – zum Teil explizit, zum Teil konkludent – gefordert wird, hieße, das angenommene Beruhen auch des übergesetzlichen Schuldausschlusses auf einer doppelten Schuldminderung (Handeln auch zur Rechtsgutserhaltung sowie – vermuteter – Motivationsdruck als psychische Triebfeder) in Abrede zu stellen. Bei Festhalten an der Lehre von der doppelten Schuldminderung verbietet sich daher insoweit ein Rückgriff auf den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand.
3
Dazu bereits oben F.II.2.
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Sachverzeichnis Abschuss Passagierflugzeug 74, 82 ff., 138 f., 149 f., 307, 315, 323 f. Akzessorietät – limitierte 176 f., 181 f., 189, 192 – strenge 164 f., 166 ff., 170 f. Alternativ-Entwurf 180 f., 219 ff. Altruismus im Lebensdilemma 90 f., 97 ff. Analogie zu § 35 StGB 102 ff. Außerverhältnismäßigkeit der Schadensverursachung im Rahmen des § 35 StGB 57 ff. Ballon-Fall 135 f., 142 ff., 319 Bambergensis 153 f. Beihilfe – neutrale 143 – psychische 142, 263 Bergsteiger-Fall 81 f., 85 f., 93 f., 136, 139, 144 ff., 150, 254 f., 303 f., 319 f., 325 f. Constitutio Criminalis Carolina 153 ff. Defensivnotstand siehe Notstand Entwurf Strafgesetzbuch 1962 (E 62) 180 ff. Erlaubnistatbestandsirrtum 119 ff., 275 Erlaubtes Risiko beim automatisierten Fahren 331, 336 f. Euthanasie 75 ff., 236, 309 Exkulpationsausschluss im Rahmen des § 35 StGB 51 ff. Fahren – automatisiertes 328 ff. – autonomes 328
– Präferenzregeln 336 f. Fährmann-Fall 138, 149, 246 f., 306, 308, 322 f. Fat-man-Fall 314 f. Flugzeug siehe Abschuss Garantenstellung – Bedeutung für Exkulpationsausschluss bei § 35 StGB 54, 55 ff. – Bedeutung für übergesetzlichen entschuldigenden Notstand 309 ff. – bei Kollidieren mit einer Unterlassungspflicht 145 f. Gefahrengemeinschaft 81 f., 83 f., 107 ff., 134 f., 138, 301 f. Geringfügigkeitsschwelle siehe Außerverhältnismäßigkeit Gesetzespositivismus 168, 183 Gewissenstat 46, 72 f. Handlungsbegriff – finale Handlungslehre 190 f. – nach Jakobs 189 ff. Haustyrannen-Fall 94 f., 137, 147, 254 f., 321, 326 Imputatonslehre 155 f., 157 f. Karneades-Fall 49, 135, 140 f., 218 f., 246, 254, 302, 311, 318 f., 326 Katzenkönig 258 ff. Kinder als Tatmittler 279 ff. Konfliktnähe – als Kriterium bei übergesetzlicher Entschuldigung 302 ff. – Bedeutung für Dilemma-Situationen beim automatisierten Fahren 335, 338
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Sachverzeichnis
Limitierung der Akzessorietät siehe Akzessorietät Mandatum 154 f. Mittäterschaft im (übergesetzlichen) entschuldigenden Notstand 315 ff. Mittelbare Täterschaft – bei entschuldigt agierendem Vordermann 141, 144 f. – bei kindlichem Täter siehe Kinder – Differenzierung nach fehlender Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit 270 ff. Menschenwürde – Folter 85 – Luftsicherheitsgesetz 84 f. Normativer Schuldbegriff 31 f., 314, 340 f. Normstabilisierung als Intention des Schuldstrafrechts 130 f. Nötigungsnotstand 257 f. Notstand – Abgrenzung rechtfertigender und entschuldigender 81 ff. – defensiver 88, 93 ff. – entschuldigender – Ausnahmen vom Wegfall der Schuld siehe Exkulpationsausschluss – Bedeutung der Unzumutbarkeit für § 35 StGB 48 ff. – Grundlage für übergesetzliche Entschuldigung siehe Analogie – Strafzweckorientierter Erklärungsansatz 122 f., 125 ff. – übergesetzlicher entschuldigender – Anbindung an § 35 StGB siehe Analogie – Historie 75 ff. – übergesetzlicher rechtfertigender 80 f. Notwehrexzess – doppelte Schuldminderung 118, 127 ff. – irrtumsbezogene Deutung 119 ff.
– strafzweckorientierte Deutung 118 f., 123 ff. – und Teilnahme 132 f. Oberster Gerichtshof für die Britische Besatzungszone (OGHBrZ) 77 f., 309 Perforation 89 f., 95 ff. Pflichtenkollision 91, 145 f., 334 f. Preußisches Strafgesetzbuch 163 ff. Rechtsauskunft 142 ff. Rechtsfreier Raum 232 ff. Reichsgericht – Anerkennung limitierter Akzessorietät 177 – Zugrundelegung strenger Akzessorietät 170 f. Reichsstrafgesetzbuch 165 ff. Rücktritt – Bewertungseinheit 40 f., 43 ff. – Rechtsgrund 41 f. – Schuldorientierte Auffassungen 39 ff. Schotten-dicht-Fall 86, 136 f., 146 f., 320 Schuldausschließungsgründe – Begriff 28 ff. – im engeren Sinne 32 Schwangerschaftsabbruch 89, 95 ff., 233 f., 243 Selbsterhaltungstrieb 48 f., 98 Sittliche Schuld, Verhältnis zur rechtlichen Schuld 77 f., 216 ff. Strafaufhebungsgründe 35 ff. Strafausschließungsgründe 34 f. Strafrechtsreform – Angleichungs- und Durchführungsverordnung von 1943 172 ff. – Zweites Gesetz zur Reform des Strafrechts (2. StrRG) 180, 292 Strafunrechtsausschluss 235 f.
Sachverzeichnis Tatverantwortung, Lehre von der 222 ff. Teilnahme – am Unterlassungsdelikt 67 ff. – Strafgrund 193 ff., 203 ff., 237 Tötung Unbeteiligter 107 ff. Übel, kleineres 111 ff. Unrechtsbewusstsein, fehlendes 76 f., 283 Unverboten 169, 233, 238 f., 240 f. Unzumutbarkeit – als allgemeiner Schuldausschließungsgrund 69 ff. – Begriff 47 f.
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– im Rahmen von Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikten 63 ff. Urheberschaft 154, 157 ff., 165, 179 Verantwortungsausschluss 34, 40, 43, 121, 248 Weichensteller-Fall 74, f., 137 f., 139 f., 148 f., 150 f., 321 f., 325 Weisung, Handeln auf 114 f. Willensstrafrecht 173 f. Zahlenmäßiges Verhältnis siehe Übel, kleineres