143 98 65MB
German Pages 608 [609] Year 1973
ULRICH SCHEUNER
Schriften zum Staatskirchenrecht
Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Herauegegeben von Ernst Friesenbahn · Alexander Hollerbach Hans Maier · Paul Mikat • Klaus Mörsdorf · Ulrich Scheuner
Band3
ULRICH SCHEUNER
Schriften zum Staatskirchenrecht
llerausgegeben von
Joseph Listl
DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN
Alle Rechte vorbehalten
@ 1973 Duncker & Humblot, Berlln 41
Gedruckt 1973 bel Buchdruckerei Alb. Sayffaerth, Berlln 81 Printed in Germany ISBN 3 428 02988 2
Inhaltsverzeichnis Einleitung: Das Schrifttum Ulrich Scheuners zum Staatskirchenrecht. Von Joseph Listt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
I. Religions- und Gewissensfreiheit 1. Der Schutz der Gewissensfreiheit im Recht der Kriegsdienstverweigerer (1961) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Religionsfreiheit im Grundgesetz (1967) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zum Schutz der karitativen Tätigkeit nach Art. 4 GG. Rechtsgutachten (1967) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die verfassungsmäßige Verbürgung der Gewissensfreiheit (1970)
19 33 55 65
U. Verhältnis von Staat und Kirche 5. Auflösung des Staatskirchenrechts? (1953) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Nachprüfung kirchlicher Rechtshandlungen durch staatliche Gerichte (1954) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kirche und Staat (1959) ............................................ 8. Kirche und Staat in der neueren deutschen Entwicklung (1959) . . . . . . 9. Rechtsgrundlagen der Beziehungen von Kirche und Staat (1961) . . . . . . 10. Staatskirche (1962) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Auseinandersetzungen und Tendenzen im deutschen Staatskirchenrecht (1966) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Die Kirche im säkularen Staat (1967) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Wandlungen im Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1968) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Fortfall gemeindlicher Kirchenbaulasten durch völlige Anderung der Verhältnisse? (1969) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Kirchensteuer und Verfassung (1969) .............................. 16. Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen (1971) ............................................................
85 99 109 121 169 189 193 215 237 263 273 279
m. Staatsklrchenvertrige 17. Die staatskirchenrechtliche Tragweite des niedersächsischen Kirchenvertrages von Kloster Loccum (1957) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 18. Evangelische Kirchenverträge I und II (1959; 1969) .................. 337 19. Konkordat (1966) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
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Inhaltsverzeichnis
20. Kirchenverträge in ihrem Verhältnis zu Staatsgesetz und Staatsverfassung (1968) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
IV. Rechtstheologie 21. 22. 23. 24.
Zum Problem des Naturrechts nach evangelischer Auffassung (1950) . . Begriff und Entwicklung des Rechtsstaats (1956) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Staat und die intermediären Kräfte (1957) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Menschenrechte und christliche Existenz (1967) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
375 395 411 423
V. Deutsches evangelisches Kirchenrecht 25. 26. 27. 28.
Grundfragen einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit (1958) Wie soll eine Landeskirche geordnet werden? (1967) . . . . . . . . . . . . . . . . Der Dienst in der kirchlichen Verwaltung (1968) .................... Die Beschlüsse des Weseier Konvents in ihrer Auswirkung auf die Entwicklung der Kirchenordnung in Rheinland-Westfalen (1968) ........
441 469 497 521
VI.Okumene 29. Die Stellung des Ökumenischen Rates im internationalen Leben (1966) 553 30. Das Problem der Gewalt und der gewaltsamen sozialen Veränderung in der ökumenischen Diskussion (1971) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563
*
Staatskirchenrechtliche Gesamtbibliographie Ulrich Scheuner . . . . . . . . . . . . 581 589 Personenregister 595 Sachwertregister
*
Die Fundstelle der Erstveröffentlichung jedes Beitrages ist am Fuße der einzelnen Titelseiten und in der Staatskirchenrechtlichen Gesamtbibliographie des Verfassersam Ende dieses Bandes (S. 581 ff.) angegeben
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. AAS ABI. ABlEKD AcP AKBI.
anderer Ansicht am angegebenen Ort Acta Apostolicae Sedis Amtsblatt Amtsblatt der Evangelischen Kirche in Deutschland Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland AöR Archiv des öffentlichen Rechts APU Altpreußische Union ArchEvKR Archiv für evangelisches Kirchenrecht AfkKR, ArchkathKR Archiv für katholisches Kirchenrecht ArchVR Archiv des Völkerrechts ASS Acta Sanctae Sedis Az. Aktenzeichen BayGVBl. Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt BayVBl. Bayerische Verwaltungsblätter BayVerf. Bayerische Verfassung BayVerfGH Bayerischer Verfassungsgerichtshof BayVerfGHE n. F. s. BayVGHE n. F. BayVGH Bayerischer Verwaltungsgerichtshof BayVGHE n. F. Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, (ab 1951 auch:) des Bayerischen Dienststrafhofs und des Bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte (n. F. 1. = 64. der Gesamtfolge 1947/48 ff.) BayVGHE n. F. bezieht sich auf Entscheidungen des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs, BayVerfGHE n. F. bezieht sich auf Entscheidungen des Bayer. Verfassungsgerichtshofs Bekanntmachung Bek. ber. berichtigt Beschl. Beschluß Bundesgesetzblatt BGBI. BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen BHE Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten Bonner Komm. Kommentar zum Bonner Grundgesetz
8
Brem. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BVFG BVG BW can. cap. CCIA CDU CIC
csu
DDR Dekl. Diss. DÖV DVBl. EKD
ELKZ Entsch. Erl. e.V. ev. ev.-luth. ev.-ref. EvStL f(f).
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GG ggf.
GRUR GVBl. Hdb. HdbDStR HessStGH h.L. h.M. i.d.F. i. s.
i.V.m.
Abkürzungsverzeichnis Bremer, bremisch (Bremischer, e, es) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz) v. 15.9.1953 Bezirksverwaltungsgericht Baden-Württemberg canon capitulum Commission of the Churches on International Affairs Christlich Demokratische Union Codex Iuris Canonici Christlich Soziale Union Deutsche Demokratische Republik Deklaration Dissertation Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Evangelische Kirche in Deutschland Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung Entscheidung (en) Erläuterung eingetragener Verein evangelisch evangelisch-lutherisch evangelisch-reformiert Evangelisches Staatslexikon folgende Seite (n) Gesetz Grundgesetz gegebenenfalls Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gesetz- und Verordnungsblatt Handbuch Handbuch des Deutschen Staatsrechts Hessischer Staatsgerichtshof herrschende Lehre herrschende Meinung in der Fassung im Sinne in Verbindung mit
Abkürzungsverzeichnis Jg. JöR jur. Jur.Diss. JZ KABl. Kap. kath. KG KirchE Lb. LG lib. LVG m.a.W. MDR
MRhKg MRK; Eur. MRK MRVO m.w.N.
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PrOTr. PrOVG. Rdnr. RGZ Sten.Ber. Sten.Prot.
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UN UWG VELKD Verf. VerfGH VerwArch
9
Jahrgang Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart juristisch Juristische Dissertation Juristenzeitung Kirchliches Amtsblatt Kapitel katholisch Kammergericht; Kirchengesetz Entscheidungen in Kirchensachen Lehrbuch Landgericht liber Landesverwaltungsgericht mit anderen Worten Monatsschrüt des Deutschen Rechts Monatshefte für Rheinische Kirchengeschichte Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Verordnung der Militärregierung mit weiteren Nachweisen numero neueFolge Neue Juristische Wochenschrift österreichisches Archiv für Kirchenrecht Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster sowie für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg Preußisches Obertribunal Preußisches Oberverwaltungsgericht Randnummer Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Stenographischer Bericht Stenographisches Protokoll unten United Nations Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. 7. 6. 1909 Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands Verfassung Verfassungsgerichtshof Verwaltungsarchiv, Zeitschrift für Verwaltungslehre, Verwaltungsrecht und Verwaltungspolitik
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Abkürzungsverzeichnis
Verwaltungsrechtsprechung Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof Volume Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Weimarer Ausgabe (der Werke Martin Luthers) WA Weimarer Reichsverfassung vom 11. 8. 1919 WeimRV,WRV ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ZevKR Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht ZRG Kan. Abt., Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Z. Sav. RG Kan. Abt. Kanonistische Abteilung
VerwRspr. VG VGH Vol. VVDStRL
EINLEITUNG
Das Schrifttum Ulrich Scheuners zum Staatskirchenrecht Von J oseph Listl Durch seine weitausgreifende literarische Schaffenskraft und sein persönliches Engagement hat Ulrich Scheuner, der am 24. Dezember 1973 das 70. Lebensjahr vollendet, in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland in vieler Hinsicht nachhaltig beeinflußt. Neben dem Staatsrecht im allgemeinen und dem Völkerrecht bildet der vielschichtige Bereich des Staatskirchenrechts, d. h. des vom Staate gesetzten Rechts, das die Beziehungen des Staates zu den auf seinem Gebiet bestehenden Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften regelt, einen der drei Schwerpunkte des, gemessen an seinem literarischen Ertrag, überaus fruchtbaren Lebenswerkes des Rechtslehrers Ulrich Scheuner. Das Schrifttum Ulrich Scheuners hat in vielen Zeitschriften, Sammelwerken, Beiträgen zu Fest-, Jubiläums- und Gelegenheitsschriften und sonstigen mitunter sehr weit verstreuten und daher selbst für den Fachkundigen oft unzugänglichen Publikationen seinen Niederschlag gefunden. Von den insgesamt achtzig Abhandlungen, Aufsätzen und Artikeln, die allein die staatskirchenrechtliche Gesamtbibliographie am Ende dieses Bandes verzeichnet, sind im vorliegenden Werk dreißig Aufsätze in ihrem ursprünglichen vollen Wortlaut abgedruckt. Lediglich in den Anmerkungen wurde die Zitierweise vereinheitlicht und die dort angeführte reichhaltige Literatur bibliographisch vervollständigt. Seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland gab es auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts kaum ein bedeutsames Problem oder eine umstrittene Fragestellung von größerer Relevanz, die Ulrich Scheuner nicht aufgegriffen und in der einen oder anderen Weise zum Gegenstand literarischer Behandlung gemacht hätte. Den Anlaß zu den wissenschaftlichen Erörterungen gaben nicht selten gutachtliche Stellungnahmen oder praktische Ratschläge zu den einzelnen Fragen. Die in diesem Bande abgedruckten Beiträge und die hier erstmals veröffentlichte Gesamtbibliographie des staatskirchenrechtlichen Schrifttums des Verfassers geben auf diese Weise auch ein anschauliches Bild der lebendigen staatskirchenrechtlichen Entwicklung des vergangenen Vierteljahrhunderts deutscher Geschichte.
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Einleitung
Das gesamte rechtswissenschaftliche Schaffen illrich Scheuners war immer in eminentem Maße praxisbezogen. Wer ihn als akademischen Lehrer erlebt hat oder mit seinem Schrifttum vertraut ist, weiß, daß der Jurist illrich Scheuner niemals bloßer Rechtstheoretiker war. Niemand, der illrich Scheuner kennt, wird mit ihm die Vorstellung eines "stillen Gelehrten" verbinden. Kennzeichnend für seine wissenschaftliche Tätigkeit war vielmehr immer die intensive Wechselwirkung von wissenschaftlicher Forschung, die sich auch auf ausländische Rechtsordnungen, insbesondere den anglo-amerikanischen und den französischen Rechtskreis, erstreckt, und praktischer Anwendung und Bewährung der Lehre in der Rechtswirklichkeit. Gerade der rechtswissenschaftliche Streit, der nicht selten unter seiner gutachterliehen Mitwirkung oder gelegentlich auch seiner persönlichen lebhaften Beteiligung als "Kampf ums Recht" vor den höchsten deutschen Gerichten ausgetragen wurde, hat seiner Lehrtätigkeit und seinem literarischen Wirken bedeutsame Impulse verliehen. Die ausgeprägten historischen Kategorien seines Denkens und sein Sinn für historische Zusammenhänge ließen ihn das Verfassungs- und Staatskirchenrecht und überhaupt die gesamte Rechtsordnung niemals als starres System und Gefüge verstehen, sondern im Gegenteil als eine in steter Veränderung begriffene und sich den in dauerndem Wandel befindlichen sozialen, kulturellen, religiösen und politischen Anschauungen und Verhältnissen anpassende Ordnung. Andererseits erklären aber die starken historischen Wurzeln seines neben der Rechtswissenschaft auch die Gebiete der Theologie, Philosophie und Geschichte umgreifenden Denkens die besondere Betonung, die er stets auf die Kontinuität der rechtlichen Entwicklung und die Bedeutung des Institutionellen in Staat und Kirche legte. Die Auswahl der Beiträge des vorliegenden Bandes hatte in erster Linie unter der Rücksicht zu geschehen, daß die zum Abdruck gelangenden Abhandlungen über den aktuellen Anlaß hinaus, zu dem sie in der Regel verfaßt wurden, auch für die Gegenwart und die zukünftige Entwicklung des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland von Bedeutung sein sollen. Ferner waren solche Beiträge bevorzugt aufzunehmen, deren Erstveröffentlichung in heute schwer auffindbaren Publikationen erfolgt ist und die durch den Abdruck in diesem Bande somit erstmals einer breiteren staatskirchenrechtlich interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Schließlich sollte bei der Auswahl der Beiträge auch darauf Bedacht genommen werden, daß nach Möglichkeit aus ihnen die staatskirchenrechtliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland während der vergangeneo 25 Jahre ersichtlich werden soll. Von den Abhandlungen, die der Verfasser zur Thematik der Grundund Menschenrechte und hier insbesondere zum Grundrecht der Reli-
Einleitung
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gions- und Gewissensfreiheit im Laufe der Jahre publiziert hat, konnte in diesem Band nur eine begrenzte, repräsentative Auswahl Aufnahme finden. Erstmals abgedruckt wird hier das bisher unveröffentlichte Rechtsgutachten "Zum Schutz der karitativen Tätigkeit nach Art. 4 GG", das der Verfasser im Jahre 1967 zum Zwecke der Vorlage beim Bundesverfassungsgericht im sog. "Lumpensammler-Fall" erstattet hat. In dieser für die Entwicklung des Religions- und Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere für die Interpretation des Grundrechts der Religionsfreiheit in seiner korporativen Erscheinungsform weittragenden Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht die Auffassung vertreten, daß das Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht nur den Kirchen und Religionsgemeinschaften zustehe, sondern auch Vereinigungen, die sich nicht die allseitige, sondern nur die partielle Pflege des religiösen oder weltanschaulichen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziele gesetzt haben. Ferner hat das Bundesverfassungsgericht in diesem Beschluß vom 16. Oktober 1968 festgestellt, daß der Begriff der "Religionsausübung" gegenüber seinem historischen Inhalt extensiv auszulegen sei und daß daher zur Religionsausübung nicht nur kultische Handlungen, Gebete und Prozessionen gehören, sondern auch die religiöse Erziehung, freireligiöse und atheistische Feiern und auch aus religiös-karitativen Motiven veranstaltete Sammlungen und die Vorbereitung solcher Sammlungen durch Kanzelverkündigungen. Das Bundesverfassungsgericht nahm in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich auf das Rechtsgutachten Ulrich Scheuners Bezug (vgl. BVerfGE 24 S. 236 [241]). Aus Raumgründen konnte auch nur ein einziger Artikel über den Schutz der Gewissensfreiheit im Recht der Kriegsdienstverweigerer aufgenommen werden. Hinsichtlich der anderen Veröffentlichungen des Verfassers zum Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen muß auf die Gesamtbibliographie am Ende dieses Bandes verwiesen werden, die die genauen Fundstellen der einzelnen Artikel des Verfassers zu dieser Thematik ausweist. Gerade bei der Erörterung der Problematik des Grundrechts der Kriegsdienstverweigerung hat Ulrich Scheuner schon in den ersten Jahren des Besteheus der Bundesrepublik auf Gefahren des Mißbrauchs dieser grundrechtliehen Gewährleistung aufmerksam gemacht. Einen vorzüglichen Überblick über die einzelnen Phasen der Entwicklung der staatskirchenrechtlichen Problemstellungen und Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik Deutschland im Verlauf der vergangenen 25 Jahre gewähren die insgesamt elf Beiträge, die sich mit Grundfragen des Verhältnisses von Staat und Kirche im engeren Sinne befassen. Bereits die beiden einleitenden Artikel dieser Gruppe, "Auflösung des Staatskirchenrechts?" (1953) und die kritische Anmerkung zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes "Die Nachprüfung
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Einleitung
kirchlicher Rechtshandlungen durch staatliche Gerichte" (1954}, beide erschienen in der Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, zeigen, wie Ulrich Scheuner stets bemüht war, möglichst frühzeitig auf Entwicklungen aufmerksam zu machen, die er entweder für den Staat oder für die Kirchen als abträglich und die amicabilis compositio zwischen den beiden Institutionen störend ansah. Eine ganze Anzahl der in diesem Bande abgedruckten Abhandlungen und Aufsätze zum Staat-KircheVerhältnis gehören inzwischen zum festen Bestand der Staatskirchenrechtswissenschaft der Bundesrepublik Deutschland. Das gilt in besonderem Maße auch von der vielfach nuancierenden und die verschiedenartigen geistigen und politischen Strömungen und Grundkräfte, die das deutsche Staatskirchenrecht der Neuzeit bestimmt haben, aufzeigenden Gesamtdarstellung "Kirche und Staat in der neueren deutschen Entwicklung" (1959). Vom Abdruck zahlreicher kleinerer Beiträge des Verfassers zur Thematik der Beziehungen zwischen Staat und Kirche mußte aus Raumgründen abgesehen werden. Das gilt von der Mehrzahl der kirchenrechtsgeschichtlichen Artikel (z. B. Cäsaropapismus, Kirchenhoheit, Summepiskopat) in der 3. Auflage des Handbuchs "Die Religion in Geschichte und Gegenwart" ebenso wie von dem umfangreichen Rechtsgutachten "Die Vereinbarkeit des Kirchenlohnsteuerabzugsverfahrens mit dem Grundgesetz" (1970). Dieses Gutachten war ursprünglich zum Zwecke der Vorlage beim Bundesverfassungsgericht im Falle einer konkreten Normenkontrollklage über die Verfassungsmäßigkeit der das Kirchenlohnsteuerabzugsverfahren regelnden Bestimmung des hessischen Kirchensteuergesetzes erstattet worden. Wegen späterer Rücknahme der Klage seitens des Klägers im Ausgangsverfahren konnte der Prozeß vor dem Bundesverfassungsgericht nicht zu Ende geführt werden. Das Rechtsgutachten Ulrich Scheuners wurde daraufhin mit drei weiteren Rechtsgutachten, die von Axel Frhr. v. Campenhausen, Theodor Maunz und Herbert Scholtissek zur selben Thematik erstattet worden waren, unter dem Obertitel "Die Mitwirkung der Arbeitgeber bei der Erhebung der Kirchensteuer. Vier Rechtsgutachten zur Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit" in Band 2 der "Staatskirchenrechtlichen Abhandlungen" (Berlin 1971) publiziert. Zahlreiche Äußerungen Ulrich Scheuners zu staatskirchenrechtlichen Fragen sind enthalten in den acht Bänden der Reihe "Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche" (Münster 1969 ff.). Auf diesen Essener Veranstaltungen hat Ulrich Scheuner bei dem 1. "Essener Gespräch" im Jahre 1966 zum Thema "Erörterungen und Tendenzen im gegenwärtigen Staatskirchenrecht" und bei dem 8. "Essener Gespräch" 1973 über die Thematik "Die karitative Tätigkeit der Kirchen im heutigen Sozialstaat. Verfassungsrechtliche und staatskirchenrechtliche Fragen" Referate gehalten. In den Bänden mit den Referaten und den im vollen Wortlaut
Einleitung
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wiedergegebenen Diskussionen der .,Essener Gespräche", die sich zu einem wichtigen Diskussionsforum zwischen Staatskirchenrechtslehrern beider Kirchen und Vertretern anderer Fachdisziplinen entwickelt haben, finden sich ferner zahlreiche Bemerkungen Ulrich Scheuners, die mit seiner auf der großen Mehrzahl dieser jährlichen Begegnungen ausgeübten Diskussionsleitung zusammenhängen. Im Interesse der Einheit der Staatsgewalt hat Ulrich Scheuner stets die Souveränität des Staates und die Verbindlichkeit der verfassungsmäßigen Ordnung auch für die auf dem Staatsgebiet bestehenden Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften stark unterstrichen. Das war für ihn - im Gegensatz zu anderen Staatsrechtslehrern - aber kein Hindernis, den Staatskirchenvertrag in der Form des Konkordates oder des den Konkordaten nachgebildeten evangelischen Kirchenvertrages als diejenige Form der Regelung und gegenseitigen Abgrenzung gemeinsamer Angelegenheiten von Staat und Kirche hervorzuheben, die eine partnerschaftliehe und freundschaftliche Kooperation und den Frieden zwischen den beiden Institutionen Staat und Kirche auf die Dauer am besten zu gewährleisten in der Lage ist. Das beweisen neben seiner richtungweisenden Abhandlung über die staatskirchenrechtliche Tragweite des niedersächsischen Kirchenvertrages von Kloster Loccum (1957) die Artikel "Evangelische Kirchenverträge" (1959; 1969) im Staatslexikon der Görres-Gesellschaft und "Konkordat" im Evangelischen Staatslexikon (1966). Der Abschnitt "Staatskirchenverträge" in der vorliegenden Sammlung enthält ferner den in der Festschrift für Erich Ruppel erschienenen Beitrag "Kirchenverträge in ihrem Verhältnis zu Staatsgesetz und Staatsverfassung" (1968), mit dem Ulrich Scheuner zu der auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts in dieser Frage bestehenden Kontroverse Stellung genommen hat. Der Rahmen dieser gesammelten "Schriften zum Staatskirchenrecht" gestattete nicht die Aufnahme des im Konkordatsprozeß vom Verfasser mit Datum vom 12. September 1955 zum Zwecke der Vorlage beim Bundesverfassungsgericht erstatteten umfangreichen "Rechtsgutachtens über den Abschluß und Rechtsbestand des Konkordats zwischen dem ID. Stuhl und dem Deutschen Reiche vom 20. Juli 1933". Dieses Gutachten findet sich abgedruckt im Teilband II des in Zusammenarbeit mit Hans Müller von Friedrich Giese und Friedrich August Frhr. von der Heydte herausgegebenen Sammelwerks "Der Konkordatsprozeß", München 1957, S. 670-714. Nicht erfaßt werden konnten auch die in dem genannten Werk über den Konkordatsprozeß enthaltenen 12 Plädoyers, die Ulrich Scheuner im Verlaufe der mündlichen Verhandlung bei diesem Verfassungsstreit über die Fortgeltung des Reichskonkordats vor dem Bundesverfassungsgericht vorgetragen hat. Sie finden sich ver-
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Einleitung
streut in den Teilbänden III und IV der Sammlung "Der Konkordatsprozeß" auf den Seiten 1137- 1582. Bedeutsame Publikationen Ulrich Scheuners befassen sich schließlich mit Fragen des evangelischen Kirchenrechts. Von seinen diesbezüglichen Abhandlungen konnten in diesen Band nur diejenigen aufgenommen werden, die sich mehr auf die äußere Rechtsgestalt der landeskirchlichen Rechtsordnung beziehen, während z. B. die ebenso anregenden wie umfangreichen Besprechungen der Bücher "Ordnung der Kirche" von Erik Wolf und "Das Recht der Gnade" von Hans Dombois in Band 10 der "Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht" (1963/64) nur in der Gesamtbibliographie registriert werden konnten. Mit den Problemen des Weltkirchenrates in Genf ist Ulrich Scheuner auf Grund seiner Tätigkeit als Vorsitzender des Ausschusses für Internationale Angelegenheiten - Commission of the Churches on International Affairs (CCIA)- dieser Organisation während der Jahre 1968 bis 1971 in besonderem Maße vertraut. Dieser Band bringt deshalb zum Abschluß zwei Beiträge aus dem Bereich der Ökumene, von denen der eine die Stellung des Ökumenischen Rates im internationalen Leben (1966) behandelt, während sich der letzte Artikel dem Problem der Gewalt und der gewaltsamen sozialen Veränderung (1971) zuwendet, einer Frage, die im Bereich der Ökumene seit längerer Zeit Gegenstand intensiver Diskussionen und Auseinandersetzungen ist. Bonn, im Juli 1973
Joseph Listl
I. Religions- und Gewissensfreiheit
Der Schutz der Gewissensfreiheit im Recht der Kriegsdienstverweigerer I. Prüfung der Grenzen der Verfassungsänderung Von den Anfängen an hat die Regelung der Kriegsdienstverweigerung im deutschen Recht ihre besondere Schwierigkeit offenbart. Nicht mit Unrecht hat Theodor Heuss im Parlamentarischen Rate vor der Verwendung des Begriffs "Gewissen" in einer normativen Bestimmung gewarnt1. Nun sind gewiß die Probleme einer rechtlichen Vorschrift nicht unlösbar, die Rechtsfolgen an die Bekundung einer inneren Überzeugung knüpft. Aber ihre rechtliche Gestaltung muß doch in mancher Hinsicht besondere Wege einschlagen, um einer so empfindlichen Materie gerecht zu werden. Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, daß der praktische Umfang unerwartet gering geblieben ist (unter 0,5 Prozent}, in dem Wehrpflichtige von der Befugnis nach Art. 4 Abs. 3 GG und nach dem ausführenden § 25 WehrpflG vom 21. 7. 195618 Gebrauch gemacht haben. Der quantitative Umfang der Anwendung ist indes bei einer prinzipiellen Frage nicht maßgebend. Bei der Auseinandersetzung mit dem Grundgesetz stand der Gesetzgeber vor der Aufgabe, sowohl der Forderung des Grundgesetzes gerecht zu werden (Art. 12 Abs. 2 Satz 4}, daß kein Gewissenszwang gegen die Personen geübt werden darf, denen eine zwingende innere Überzeugung den Kriegsdienst untersagt, wie andererseits sicherzustellen, daß diese Freistellung von einer allgemeinen Bürgerpflicht wirklich nur denjenigen gewährt wird, bei denen dieser objektive seelische Tatbestand gegeben ist. Die Grundrechtsgewährung ist an die reale Voraussetzung einer inneren Gewissensüberzeugung, also einer zwar internen, aber objektiv gegebenen und in bestimmtem Umfang auch feststellbaren Tatsache gebunden. Sie ist keineswegs so zu verstehen, daß die Erklärung des Kriegsdienstverweigerers aus der Bekundung desVorliegenseiner objektiven Tatsache zu einer bloßen Willenserklärung werden könnte, kraft deren der Wehrpflichtige sich durch eine einfache Antragstellung seiner staatsbürgerAus: Die Öffentliche Verwaltung 1961, S. 201 - 205. 1 Vgl. JöR, N.F., Bd. 1 (1951) S. 77 (43. Sitzung des Hauptausschusses vom
18. 1. 1949).
1a BGBl. I S. 659; Neufassung des Gesetzes, aber ohne Änderung des§ 25, durch Gesetz vom 28. 11. 1960 (BGBl. I S. 833) und Neubekanntmachung des Textes am 14. 1. 1961, in: BGBl. I S. 29.
z•
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Der Schutz der Gewissensfreiheit der Kriegsdienstverweigerer
liehen Pflicht entziehen könnte. Der Gesetzgeber hätte bei Ausführung der in Art. 4 Abs. 3 GG gestellten Aufgabe, das Nähere zu regeln, sich vielleicht des Versuchs enthalten können, eine Legalinterpretation der Verfassung zu entwickeln und Behörden und Richter einfach auf die verfassungsrechtliche Formel verweisen können. So ist der englische Gesetzgeber verfahren, der in der National Service Act, 1948 (11 & 12 Geo 6 c. 64) Sect. 17 nur von denjenigen spricht, die "conscientiously object", ohne weitere Umschreibung zu unternehmen. In richtiger Einschätzung der deutschen Rechtstradition, die präzisere legale Definitionen vorzieht, hat das Wehrpflichtgesetz indes unternommen, den Tatbestand des Art. 4 Abs. 3 GG näher zu deuten und festzulegen. Daß diese in § 25 Wehrpfl.G vorgenommene Legalinterpretation sich würde auf ihre Verfassungsmäßigkeit fragen lassen müssen, war angesichts der tiefen Meinungsverschiedenheiten über die Wiedereinführung der Wehrpflicht von vornherein zu erwarten. Nachdem mehrere Verfassungsbeschwerden eingelegt waren, hat eine Vorlage nach Art. 100 GG dem BVerfG Gelegenheit gegeben, Stellung zu nehmen1b. Mit eingehender Begründung hat das Gericht die Verfassungsmäßigkeit des § 25 anerkannt. Dem Urteil ist im Ergebnis und in den Grundlinien der Begründung zuzustimmen. In Einzelheiten der Begründung wird allerdings, so wie das Urteil auch § 25 hat eine verfassungskonforme Auslegung zukommen lassen, auch das Urteil von seinen eigenen Voraussetzungen aus eine Ergänzung und Erläuterung erfahren müssen. Mit großer Gründlichkeit setzt sich das Urteil mit den Einwendungen auseinander, ob nicht die Einführung der Wehrpflicht durch die Verfassungsänderung vom 19. 3. 1956 verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Es stützt sich dabei auf die Theorie von der "verfassungswidrigen Verfassungsnorm", die Bachof in seiner bekannten Schrift entwickelt hat2 • Der Gedanke der verfassungswidrigen Verfassungsnorm hat vielfach in Rechtsprechung und Rechtslehre Eingang gefunden. Vom Boden einer systematischen Verfassungstheorie aus wird man ihn aber schwerlich als eine überzeugende Begriffsbildung bezeichnen können. Es versteht sich, daß es in dem Bau eines einheitlich erlassenen Verfassungsgesetzes keine "verfassungswidrigen" Bestimmungen geben kann. Jede Verfassung ist mit allen ihren Bestimmungen, auch denjenigen, die eine individuelle Frage behandeln oder besondere Vorrechte gewähren (z. B. bundesstaatliche Reservatrechte wie in der Verfassung von 1871), ein einheitliches Ganzes, getragen von der gleichen verfassungsgebenden Autorität. Im Kontext eines zusammenhängend erlassenen Verfassungstextes kann es keine ungültige Norm geben, weil der in seiner Verfügung nicht gebundene Verfassungsgesetzgeber berechtigt ist, Grundsätze, die 1b Vgl. den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 20. 12. 1960- 1 BvL 21/60, abgedruckt in: BVerfGE 12 S. 45 ff. = DÖV 1961 S. 223 ff. 2 Otto Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, Tübingen 1951.
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er aufgestellt hat, auch einzeln zu durchbrechen. Für die ursprünglich erlassene Verfassung ist die Fragestellung also ohne Bedeutung. Niemand wird behaupten wollen, daß etwa die Bremer Klausel des Art. 141 GG wegen ihres Widerspruchs zur generellen Regel des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG von vornherein ungültig wäre oder der föderale Vorbehalt für das süddeutsche Notariat in Art. 138 der Gültigkeit entbehre. Innerhalb eines Verfassungsgesetzes kann ein besonderer grundlegender Rang einzelner Normen (Art 1, 20 GG) sich nur bei der Auslegung anderer Bestimmungen geltend machen. Das Problem der "verfassungswidrigen Verfassungsnorm" beschränkt sich also auf spätere Zusätze des mit der Änderung der Verfassung betrauten Organs. Anders steht es nur bei Bachof insofern, als er zu den verfassungswidrigen Normen auch diejenigen rechnet, die gegen überpositives Recht verstoßen3• Diese Vertauschung der Bezeichnung von "verfassungswidrig" und "naturrechtswidrig" wird für Bachof wie für die positivistische Lehre allgemein nur möglich, weil sie dazu neigt, auch das Gelten übergesetzlicher Sätze auf Gestattung des Grundgesetzes (Art. 20 GG) zurückzuführen4 • Gilt doch nach Bachof nur "durch Umformung in geschriebenes Verfassungsrecht positiviertes übergesetzliches Recht" 5 • In dieser Auffassung scheint mir keine zutreffende Vorstellung vom Naturrecht oder sonstigem überpositivem Recht zu liegen. Wer die Geltung übergesetzlichen Rechts anerkennt, gewährt ihm eine vom positiven Recht gänzlich unabhängige Geltung als zwingendes Gebot, das keiner positiven Anerkennung bedarf, das im Gegenteil gerade gegenüber positivem Recht sich behauptet. Ein Verstoß gegen Naturrecht kann daher niemals "verfassungswidrig", sondern allein "naturrechtswidrig" sein. Das Problem hat mit der Verfassung nichts zu tun, es tritt in allen Stufen der Rechtsordnung auf. Das gilt auch dann, wenn gewisse Sätze des Verfassungsrechts (Grundrechte) inhaltlich mit überpositivem Recht übereinstimmen sollten8 • Auch dann ist aber ihre erhöhte Geltung nicht Ausfluß ihrer Stellung in der Verfassung, sondern ihrer Natur als überpositives Recht. Es bleibt also von der verfassungswidrigen Norm nur die Frage, ob eine spätere Verfassungsänderung durch die konstituierte verfassungsgebende (ändernde) Gewalt gewisse Grundlagen der Verfassung zu respektieren hat. Dies Problem wird aber, so scheint mir, besser unter der Lehre von den Grenzen der Verfassungsänderung behandelt. Diese Lehre sucht in einer ihrer Ausprägungen naturrechtliche Grenzen der Vgl. S. 15, 19, 27 f., 31 f., 42 f. ' Zum Teil wird diese Fragestellung verdeckt dadurch, daß eine Geltung "vorkonstitutioneller Grundsätze" angenommen wird, einer Kategorie, die einer juristischen Definition sich entzieht. 3
6 S.45. • Otto Bachof, S. 35 ff.
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Verfassungsänderung aufzustellen7 • In einer anderen Fassung wendet sie sich gegen Abänderung der Grundlagen einer Verfassung durch einzelne Durchbrechungen oder gar durch Einfügung anderer verfassungspolitischer Bestandteile. Sie erklärt also im Sinne der demokratischen Selbstbeschränkung die Prinzipien der Verfassung nicht für abänderbar; nur die Verfassung als Ganzes kann dann durch eine "Verfassungsänderung" beseitigt, d. h. durch ein anderes System ersetzt werden8 • Es darf als bemerkenswert angesehen werden, daß das Bundesverfassungsgericht mit dieser Entscheidung vom 20. 12. 1960 die Lehre von den Grenzen der Verfassungsänderung aufgegriffen hat, indem es die Einführung der Wehrpflicht daraufhin prüft, ob sie bestimmten verfassungsrechtlichen Grundlagen entspricht9 • Es hätte sich dabei besser wohl auf die Lehre von den Grenzen der Verfassungsmäßigkeit gestützt. Von diesem Standpunkt aus gelangt das Gericht also zu einer Prüfung der Wehrpflichtnovelle zum Grundgesetz an den Grundlagen des Grundgesetzes. Es stellt mit Recht, auch im Blick auf andere demokratische Staaten, fest, daß die Einführung der Wehrpflicht weder der Menschenwürde noch der Demokratie widerspricht. Interessanter ist wohl die Heranziehung des Verfassungsgebotes der Wiedervereinigung im gleichen Zusammenhang. Es kann aus Art. 23, 146 GG erschlossen werden (vgl. BVerfGE 5 S. 85, 125 = DÖV 1956, 532). Mit Recht verneint auch hier das Urteil einen Widerspruch der Wiederbewaffnung zum Grundbestand der Verfassung. Ist aber der Verfassungssatz des Art. 73 Ziff. 1 GG nicht in Zweifel zu ziehen, so handelt auch der Gesetzgeber, der die Wehrpflicht ausgestaltet, verfassungsmäßig. Nicht ganz vermag ich übereinzustimmen mit dem dritten Gesichtspunkt, den das Gericht bei dieser Erörterung der möglichen Grenzen einer Verfassungsänderung heranzieht, der Verhältnismäßigkeit. Dies Prinzip gehört überhaupt nicht zu den verfassungsmäßigen Grundlagen, die sich einer Änderung entziehen10 • Kann man überhaupt Zweifel hegen, ob die vom BVerfG ständig (seit BVerfGE 1 S. 13, 42) angewandte Formel vom "Ermessen des Gesetzgebers" glücklich ist und man nicht besser von der Freiheit des Gesetzgebers, von seiner freien Gestaltungsmöglichkeit sprechen würde, da der Gesetzgeber nicht die Verfassung 7 So vor allem Hans Haug, Die Schranken der Verfassungsrevision, Jur. Diss., Zürich 1946. Kritisch hierzu Horst Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, Berlin 1953, S. 77 ff.
a Horst Ehmke, S. 133 ff.
' Das lediglich theoretische Bekenntnis zur Prüfung am überpositiven Recht in BVerfGE 1 S. 13, 61 und Leitsatz 27 ist ohne Folge geblieben. 10 A. A. Rupprecht von Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in seiner Bedeutung für die Notwendigkeit des Mittels im Verwaltungsrecht, Harnburg 1955, S. 41.
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"vollzieht", sondern in ihrem Rahmen echte politisch-soziale Bestimmung und Normgebung ausübt, so kann jedenfalls der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur dort gelten, wo überhaupt dem Gesetzgeber nur eine begrenzte Ermächtigung zusteht. Er ist deshalb dort verwendbar, wo die Verfassung dem Gesetzgeber lediglich begrenzten Raum läßt, z. B. bei der näheren Ausführung von Grundrechten (vgl. BVerfGE 7 S. 377, 409 ff. zu Art. 12 GG = DOV 1958, 538), aber er paßt nicht, wo die Legislative in ihrer Rolle als Gestalterin des sozialen Lebens auftritt. In jedem Fall scheint mir der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht auf Verfassungsänderungen anwendbar. Hier wie in dem ganzen Abschnitt des Urteils, der von der Zulässigkeit der Einführung der Wehrpflicht handelt, scheint mir überhaupt nicht deutlich genug zwischen den Grenzen des die Wehrpflicht ordnenden Gesetzgebers und des in ganz anderer Freiheit handelnden verfassungsändernden Gesetzes unterschieden zu sein. Kann man im Ernst daran denken, eine Verfassungsänderung wegen "Unverhältnismäßigkeit" für unwirksam zu erklären? Das Gericht hat das offenbar auch empfunden, wenn es hier davon spricht, der Grundsatz biete keinen "adäquaten Maßstab". Man wird gegenüber der Theorie der Grenzen der Verfassungsänderung überhaupt zur Vorsicht mahnen dürfen. Das Bundesverfassungsgericht steht nicht über der Verfassung, sondern ist dazu bestimmt, die von ihr, auch im Wege der Verfassungsänderung, aufgerichtete Ordnung zu entfalten und zu sichern. ß. Ethische Entscheidung und prinzipielle Ablehnung des Krieges
Was nun die Prüfung der Übereinstimmung des § 25 WehrpflG mit Art. 4 Abs. 3 GG anlangt, so hebt das Gericht zutreffend hervor, daß jede gesetzliche Umschreibung und nähere Definition von Verfassungsbegriffen ein Risiko des Fehlgreifens in sich birgt. Wie schon hervorgehoben, wird dennoch der Gesetzgeber immer wieder solche Klärungen unternehmen müssen (z. B. in einem Parteiengesetz zu Art. 21 GG den Begriff Partei zu definieren haben). In der Umschreibung des Gehalts des Art. 4 Abs. 3 GG wird man dem Gericht folgen können. Es geht mit vollem Recht der immer wieder von einer formalen Auslegung des Art. 4 gestellten- aber falsch gestellten- Frage aus dem Wege, ob die Freistellung der Dienstverweigerung eine "Ausnahme" darstelle. Das Urteil weist eine solche Annahme indirekt zurück, indem es auf die Ableitung der Gewissensfreiheit aus dem Recht der Persönlichkeit hinweist11. u Ebenso formal und unzureichend wie die "Ausnahme" ist aber auch die umgekehrt von Walter Tietgen, in: DVBI. 1959 S. 593, entwickelte Vorstellung, das Recht des Staates, Zwang auszuüben, sei gegenüber einem Grundrecht
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Die Anrufung des Art. 4 Abs. 3 GG setzt einen Konflikt zwischen der in der Verfassung begründeten Dienstpflicht und dem individuellen Gewissen voraus. In diesem Widerstreit zwischen der Pflicht des Bürgers und dem Gewissensgebot, keinen "Kriegsdienst mit der Waffe" zu leisten, gibt das Grundgesetz der Freiheit der inneren Überzeugung den Vorrang. Damit nimmt das Grundgesetz weder Stellung gegen die Wehrpflicht, die es als Bürgerpflicht statuiert, noch macht es die Gewissensfreiheit zur "Ausnahme". Es gibt angesichts des Umstandes, daß der Waffendienst in heutiger Zeit weit ernstere Probleme als früher aufwirft, der Berufung auf Gewissensbedenken Raum, und kommt damit an diesem Punkte Gewissensüberzeugungen weiter entgegen, als dies der Staat etwa in konfessionellen Fragen tut, wo er im Punkte der Zivilehe oder der Kindererziehung zu entsprechenden Zugeständnissen nicht bereit ist. Aus dieser Überlegung ergibt sich aber für die Deutung des Gewissensbegriffes eine Folgerung, die das Gericht auch gezogen hat. Die Freigabe des Gewissens in Art. 4 Abs. 3 GG muß in einem Sinne ausgelegt werden, der der grundsätzlichen Haltung des Grundgesetzes zu weltanschaulichen Fragen gerecht wird. Der Gewissensbegriff ist im Sinne einer allgemeinen Anschauung "für alle Bekenntnisse und Weltanschauungen" gleich zu interpretieren. Gerade wenn man wie das Gericht auf höhere Verfassungsgrundlagen abstellt, muß man die in Art. 3 Abs. 3 GG wie in Art. 140 GG mit Art. 136 Abs. 1 WeimRV niedergelegte weltanschauliche Neutralität des Staates und Gleichheit aller Bürger unabhängig vom Bekenntnis und von politischen Anschauungen dahin verstehen, daß der in Art. 4 Abs. 3 GG festgehaltene Gewissensbegriff einheitlich und gleich für alle Bürger auszulegen ist12 • Indem das BVerfG diese Einsicht an die Spitze seiner Deutung stellt, hat es eine weiterhin wichtige Erkenntnis der Grundgesetzauslegung gewonnen. Selbstverständlich bedeutet das nicht, daß nicht für die Definition des Gewissens die bestehenden weltanschaulichen, religiösen und philosophischen Auffassungen herangezogen und ausgewertet werden können und sollen. Aber es schließt es aus, daß der Angehörige einer bestimmten Richtung wegen seiner weltanschaulichen Grundlage eine andere, Ausnahme. Innere und äußere Grenzen einer grundrechtliehen Verbürgung sind nicht "Ausnahmen", sondern objektive Bestandteile der grundrechtliehen Ordnung. Unrichtig auch Heinrich Hannover, Zur Beweislast im Verfahren auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, in: DVBl. 1960 S. 381 f. 12 Ich darf für diese Gleichheit und Wertneutralität des Staates verweisen auf die mit der Meinung des Gerichts ganz im Einklang stehende Auffassung, die ich in: Kirche und Staat inderneueren deutschen Entwicklung, in: ZevKR 7 (1959/60) S. 257 f., näher entwickelt habe. Stärker im Sinne eines Vorrangs des Bekenntnisses vor der politischen Gemeinschaft Walter Hamel, Glaubens- und Gewissensfreiheit, in: Die Grundrechte. Hrsg. von Karl August Bettermann, Hans Carl Nipperdey u. utrich Scheuner, Bd. IV/1, Berlin 1960, S. 86 f.
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sozusagen persönliche Interpretation des Gewissensbegriffes beanspruchen könnte. Das würde die elementare Forderung der staatsbürgerlichen Gleichheit unabhängig von konfessioneller Zugehörigkeit verletzen, und damit eine Grundlage der politischen Gemeinschaft angreifen. Wenn nun das Gericht den Gewissensbegriff umschreibt, so hat es sich von einer tieferen Erörterung dieses schweren Problems zurückgehalten, aber doch eine Definition verwendet, die es in der Nähe theologischen und idealistischen Verständnisses des Gewissensphänomens hält. Es leitet das Gewissen ab aus der Selbstbestimmung des Menschen, hier also an eine idealistische Anthropologie der Autonomie des Menschen anknüpfend13, deutet aber den Anruf des Gewissens im Einklang sowohl mit neueren philosophischen Haltungen (Existenzphilosophie) wie mit theologischen Anschauungen beider Bekennntnisse als ein aus einer bestimmten Lage, aus einer konkreten Fragestellung heraus erwachsenes zwingendes ethisches Gebot1 4 • Schon in dieser Anlage des Gewissensbegriffs hat das Gericht also der von der heutigen theologischen Ethik, besonders auf protestantischer Seite, betonten Konkretheit der Gewissensentscheidung Raum gegeben und von einer rein normativen Deutung des Gewissensgebotes Abstand genommen 15 • Es steht also demnach der Anerkennung von Gewissensbedenken nach Art. 4 Abs. 3 GG nicht entgegen, daß die Ablehnung des Krieges und der Waffenanwendung mit der Folge des Tötens aus konkreten Motiven der Gegenwart entsprungen ist und daher situationsbezogene innere Gründe aufweist. Hier setzt nun die weitere schwierige Frage ein. In den Einwendungen gegen§ 25 WehrpflG ist immer wieder betont worden16 , daß nach der 13 Daß das Gericht letztlich einem philosophisch bestimmten Gewissensbegriff folgt, ergibt sich notwendig daraus, daß der vom theologischen Standpunkt aus erforderte Glaubensgehorsam des Gewissens (vgl. Ernst Wolf, Artikel "Gewissen", in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. 2, Tübingen 1958, Sp. 1556) von einem Staatsgesetz nicht beansprucht werden kann. Andererseits sind damit psychologisch-soziologische Deutungen abgewiesen, die das Gewissen nicht aus einer echten sittlichen Autonomie heraus verstehen. u Zu der Konkretheit der ethischen Stellungnahme siehe Helmut Thielicke, Theologische Ethik, Bd.1, Tübingen 1951, S. 500, Nr.1524; Albert Hartmann S. J., Toleranz und christlicher Glaube, Frankfurt/M. 1955, S. 182. Sie wird aber stets insofern wiederum normbezogen sein, als sie aus der Situation heraus die Konfrontierung mit einem absoluten Gebot gültiger, bleibender Art beinhaltet. Vgl. Hartmann, S. 175; Thielicke, S. 535 ff., Nr. 1637 ff. Der Existentialismus kennt freilich hier ggf. nur mehr die Autonomie der Treue zum eigenen Selbst (Karl Jaspers, Philosophie, 3. Aufl., Bd. 2, Berlin- Göttingen- Heidelberg 1956, s. 269). 15 Insofern sind seine Darlegungen glücklicher als die allzusehr an einer normativen Deutung orientierte, aber im Grunde wohl ähnliche Definition des Bundesverwaltungsgerichts, in: BVerwGE 7 S. 246. 18 Vgl. Adolf Arndt, Das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung,in:NJW 1957 S. 361 ff.; ders. in der Sitzung des Bundestages vom 6. 7. 1956, vgl. Sten. Ber. S. 8836 ff.
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Anschauung der neueren theologischen Ethik vor allem der protestantischen Seite die Konkretheit der sittlichen Entscheidung sich stets nur hic et nuncentfalten könne, daß daher jedes Gewissensbedenken situationsbedingt sein könne, und nicht notwendig eine prinzipielle Stellung gegen den Kriegsdienst zu enthalten brauche. Demgegenüber hat § 25 Wehrpfl.G den Art. 4 Abs. 3 GG dahin ausgelegt, daß eine absolute Entscheidung gegen den Kriegsdienst, d. h. das Töten mit militärischen Waffen, vorliegen müsse. In dem hier sich abzeichnenden Gegensatz hat das Gericht dem § 25 Wehrpfl.G eine einengende verfassungskonforme Auslegung zuteil werden lassen, hat aber gewisse Grenzen der Anerkennung von Gewissensbedenken gezogen. Es geht dabei zu Recht davon aus, daß - wie auch die Entstehungsgeschichte zeigt17 - Art. 4 Abs. 3 GG die Gewissensbelastung im Auge hat, die aus der Notwendigkeit des im Kriege mit den zeitgemäß gegebenen Waffen erfolgenden Tötens des Gegners entsteht. Nur dieser Grund, die Gewissenslast dieser wesensmäßigen Wirkung des Krieges, ist von Art. 4 Abs. 3 GG ins Auge gefaßt. Daraus ergibt sich eine Grenze, bis zu der Art. 4 Abs. 3 GG die Gewissensentscheidung respektiert. Sie muß prinzipiell den Dienst und schon die Vorbereitung dazu wegen der mit dem Kriege verbundenen Waffenwirkung, des Tötens, ablehnen. Andere Bedenken, die sich gegen die politische Natur des Krieges, den Kampf gegen bestimmte Gegner, in bestimmten Situationen richten, entsprechen dieser Voraussetzung nicht. Wer den Kriegsdienst ablehnt, weil er der derzeitigen Bundesregierung kein Vertrauen schenkt, oder weil er das politische Kalkül vornimmt, die Wiederbewaffnung beeinträchtige die Wiedervereinigung, oder weil er nicht auf Deutsche oder nicht auf Angehörige bestimmter anderer Völker schießen will, mag diese politischen Gründe als zwingende Gebote seines Gewissens empfinden18• Aber er ist dann nicht von solchen Gewissensgründen geleitet, die das Grundgesetz anerkennt, das nur die grundsätzliche Ablehnung des Tötens im Kriege als Grund annimmt. Diese Ablehnung kann durchaus situationsbezogen sein, sie kann ganz der heutigen Gegenwartslage entspringen: Dienstverweigerung, weil Atomwaffen in der Welt sind oder Bestandteil deutscher Ausrüstung werden könnten und diese dem heutigen Krieg wesentliche Wirkung der Waffen die prinzipielle Ablehnung des kriegerischen Tön Vgl. die Äußerungen von Carlo Schmid, in: JöR, N.F., Bd. 1 (1951) S. 77. 1s Ethisch für das Individuum zwingende Gebote können aus sehr verschie-
denen Motiven entspringen. Der Staat wird hier immer Grenzen, gerade auch gegenüber konfessionellen Empfindungen oder gegenüber von ihm als nicht schwerwiegend genug empfundenen Gründen (Impfgegnerschaft), ziehen müssen. Erkennt er aber eine bestimmte Gruppe von Gründen als von ihm zu respektierende Gewissensentscheidung an, so gibt es dann hier kein Urteil über "falsch" und "richtig" mehr. Darin ist dem Urteil recht zu geben. Aber aus Anerkennung bestimmter Gewissensbedenken folgt nicht, wie heute manchmal angenommen wird, daß Art. 4 GG allgemein etwa jede Gewissensentscheidung als Befreiung vom Staatsgebot anerkenne.
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tens an sich hervorrufen, kann begründet sein188 , dagegen nicht die Verweigerung, weil zwar individuelle Bereitschaft zum Töten mit anderen Waffen, aber nicht mit atomaren Mitteln besteht oder weil die Möglichkeit einer bestimmten kriegerisch-politischen Konstellation von der sonst bestehenden Bereitschaft zum Dienst ausgeschlossen wird. Das ist eine nicht leicht auszuziehende, feine Grenze, die aber dem Sinn des Art. 4 Abs. 3 GG gerecht wird. Das Grundgesetz schützt die Gewissensbedenken, die aus der prinzipiellen Ablehnung des mit den kriegerischen Waffen verbundenen Tötens erwachsen, gleich welche Gründe oder Motive situationsbezoger Art zu dieser grundsätzlichen Einstellung geführt haben. Es schützt aber nicht die Verweigerung, die nicht die Waffenwirkung an sich, sondern ihre Richtung, die bestimmte Anwendungsfälle der kriegerischen Mittel im Auge hat, und damit nicht dem grundsätzlichen Bedenken des waffenmäßigen Tötens, sondern nur Einwendungen gegen bestimmte Anlässe oder Formen der Waffenwirkung entspringt. Man kann daran zweifeln, ob dem Gericht gelungen ist, diese Unterscheidung ganz zu verdeutlichen und im Ausdruck durchweg festzuhalten. Es wäre vermutlich, da jede sittliche Entscheidung situationsbedingt sein kann, besser gewesen, nicht "prinzipielle" und "situationsbedingte" Entscheidung gegenüber zu stellen, sondern grundsätzliche Ablehnung der tödlichen Waffenwirkung und Ablehnung bestimmter Waffenanwendungen oder Formen der Bewaffnung. Jedenfalls hat das Gericht deutlich gemacht, daß es sich nicht gegen grundsätzliche Haltungen ausgesprochen hat, die aus ganz konkreten, situationsgemäßen Motiven entspringen, aber zu einer grundsätzlichen Kriegsablehnung führen. Daher sehe ich in der Wendung des Urteils, wonach derjenige das Grundrecht nicht in Anspruch nehmen kann, dem sein Gewissen den Kriegsdienst mit bestimmten Waffen verbietet, keinen Ausschluß derjenigen, die aus dem Vorhandensein atomarer Waffen zu der Überzeugung gelangen, daß für sie wegen der Möglichkeit ihres Einsatzes jede Beteiligung an einem Kriege ausscheidet. Hier entfällt dann prinzipiell wegen der heutigen Existenz solcher Waffen die Bereitschaft zum Kriegsdienst überhaupt, während das Grundgesetz denjenigen nicht schützen würde, der nur gerade bestimmte Waffen ablehnt. In der Praxis wird derjenige, der gegen atomare Bewaffnung ist, aus situationsbezogener Erwägung den Dienst in der deutschen Bundeswehr grundsätzlich ablehnen. Mit Recht weist das Urteil dabei darauf hin, daß man wegen dieser Konkretheit der Entscheidung nicht Bekenntnisse fordern darf, daß zu jeder Zeit und in jeder Kriegsmacht der Dienst verweigert werde. Es würde überhaupt richtig sein, wenn die Praxis der Prüfungsausschüsse und Prüfungskammern (§ 26 Abs. 3, 33 Abs. 3 WehrpfiG) weniger auf gene18a
Vgl. hierzu BVerwG, in: VerwRspr. 13 (1961) S. 161.
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relle Fragen über Gewaltlosigkeit im allgemeinen, Bereitschaft zur Selbstverteidigung oder Notwehr für andere und grundsätzliche Erklärungen zum Krieg Gewicht legten, als auf die Ermittlung der hier und jetzt geäußerten Gründe der Verweigerung, ihres Zusammenhangs mit einer Ablehnung der Waffenwirkung des Tötens und auf die Prüfung der Ernsthaftigkeit und Vertrauenswürdigkeit der vor ihnen stehenden Persönlichkeit. Ob der vom Gericht gezeichnete Unterschied zwischen dem Inhalt der Weigerung, der sich- aus welchen Motiven auch immer- gegen das Töten im Kriege in dieser gegenwärtigen Lage schlechthin richtet und der nur gegen einzelne Wirkungen des Krieges oder bestimmte Fälle der Kriegsführung gerichteten Bedenken immer ganz in der Formulierung durchgehalten ist, mag man fragen. In der Grundintention scheint mir aber hier eine richtige und auch in der praktischen Anwendung brauchbare Unterscheidung gegeben. Nach der Kenntnis der Praxis werden die Fälle sehr selten sein, in denen die gegenwartsbezogenen Motive nur zu begrenzter Ablehnung des Krieges, und nicht zu grundsätzlicher Verwerfung des Kriegsdienstes führen. In seinen Ausführungen hat das Gericht jedenfalls § 25 WehrpflG mit Recht insoweit einschränkend gedeutet, als es ein Verständnis dieser Norm dahin, es müsse jeweils eine für alle Fälle geltende absolute Friedensgesinnung bestehen, nicht als verfassungskonform bezeichnet. In der vom Gericht gewiesenen Linie wird es nur in wenigen Fällen zu Spannungen kommen können. In der Regel wirkt - wie die Erfahrung lehrt - die heute und hier gefaßte Abneigung gegen Auswirkungen des Kriegsdienstes sich zu einer grundsätzlichen Verweigerung des Dienstes in allen Formen und Richtungen aus.
111. Zur Erklärungspflicht des Antragstellers Das Urteil des BVerfG hatte, abgesehen von einigen allgemeinen Hinweisen, keine Veranlassung auf die Probleme der praktischen Anwendung des Art. 4 Abs. 3 GG einzugehen, die aus der Tatsache entspringen, daß hier eine innere seelische Tatsache zum Gegenstand verwaltungsmäßiger und gerichtlicher Verfahren wird. Dagegen hat das BVerwG bereits mehrfach 19 Gelegenheit gehabt, zu Konsequenzen aus dieser Lage Stellung zu nehmen und hat dabei wertvolle Erkenntnisse gewonnen. Der wichtigste hier auftauchende Punkt ist dabei die Frage der Ermittlung der Gewissensbedenken und der Prüfung ihres effektiven Vorliegens. Es ist richtig, daß hier eine feststellbare innere Realität vorliegt. Sie wird in erster Linie aus den Erklärungen des Dienstverweigerers zu tv
BVerwGE 7 S. 242; 9 S. 97, 100; 10 S. 248.
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gewinnen sein. Insofern nimmt das Gericht mit Recht eine Erklärungspflicht und dazu gehörig eine Fragebefugnis der Behörden und Gerichte an. Ohne Offenlegung seiner Gründe - da wie wir gesehen haben, ganz bestimmte Gewissensbedenken die Voraussetzung des Art. 4 Abs. 3 GG bilden - kann der Antragsteller nicht erwarten, Gehör zu finden. Selbstverständlich kann niemand zu einer solchen Erklärung genötigt werden. Es wird auch in manchen Fällen möglich sein, genügenden Aufschluß aus anderweiten Ermittlungen (Zeugenaussagen über Lebensführung, Anschauung und Haltung des Antragstellers) zu gewinnen20 • Ist diese Möglichkeit nicht gegeben, so wird aber der Kriegsdienstverweigerer, der keine Erklärungen abgibt, eine Mitwirkungspflicht versäumen, die ihm rechtliche Nachteile bereiten kann. Auch wenn eine innere Einstellung und Überzeugung eine objektive Tatsache ist, so liegt es doch - das wird zuweilen übersehen - in ihrer Natur, daß ihre Feststellung in der Regel ohne Erklärung des Beteiligten nicht möglich sein wird. Das ist ein Umstand, der völlig unabhängig von einer Beweislastverteilung besteht. Ich möchte daher trotz der Einwendungen von Tietgen21 daran festhalten, daß man hier nicht mit dem Begriff der Beweislast arbeiten darf. Es genügt, von einer Erklärungs- oder Mitwirkungspflicht bei der Aufdeckung innerer seelischer Tatbestände auszugehen. Daß andere Momente in dem Verfahren, z. B. Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des Antragstellers, wiederum von Angaben der Wehrbehörden abhängen werden, ist ebenso offensichtlich. Die ganze Argumentation aus der Beweislast heraus wird derBefassungdes Gerichts mit einem seelischen Tatbestand nicht gerecht. Hier ist ganz unabhängig von der allgemeinen Problematik der Beweislast im Verwaltungsverfahren eine Erklärungspflicht für denjenigen gegeben, der sich auf seine eigene innere Einstellung beruft, da es kein anderes zuverlässiges Mittel der Feststellung gibt. Der Gedanke, hier eine Beweislast dem Staat aufzuerlegen, geht nicht nur vom Boden der Beweisverteilung aus fehl (wenn man schließlich diese zugrundelegen will) 22 , sondern geht an der Eigenart des inneren Tatbestandes vorbei. Eine weitere Schwierigkeit der Gewissensentscheidung liegt darin, daß bei ihr zwar - sofern sie innerhalb der vom Grundgesetz gezeichneten Sphäre liegt- keine Nachprüfung der Richtigkeit oder lrrigkeit 20 So zieht das Gericht bei der Prüfung des "ernsten Gewissenskonflikts" nach § 3 Abs. 1 S. 3 BVFG stets die gesamte Situation heran, um die für den Flüchtling gegebene Zwangslage und Gewissensnot zu prüfen. Vgl. BVerwG, in: DOV 1958 S. 740 = DVBI. 1958 S. 587. 21 DVBI. 1959 S. 708. Vgl. meine Ausführungen, in: DOV 1959 S. 265 f. 22 Vgl. hierzu und auch gegen die Beweisverteilung von Tietgen, obwohl unter Anerkennung einer Beweislast Carl Hermann UZe, Verwaltungsgerichtsbarkeit, Köln- Berlin 1960, S. 247.
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erfolgen darf - auch das irrende Gewissen ist durch Art. 4 Abs. 3 GG gesichert- aber doch ihre Ernsthaftigkeit der Kognition der Behörde und des Gerichts unterliegen kann. Da die Gewissensentscheidung stets in der gesamten Persönlichkeit begründet sein muß, so kann für ihre Würdigung ein Urteil über die Gesamterscheinung des Antragstellers von Bedeutung sein. Hier wird nicht etwa die Grenze der justiziablen Gewissensprüfung überschritten, sondern etwas anderes ist Gegenstand der Ermittlung und Prüfung, nämlich die Glaubwürdigkeit des Antragstellers und seine sittliche Einsicht. Hier dürfen freilich, wie das BVerwG mit Recht dargelegt hat23 , keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. In dem jugendlichen Alter der meisten Antragsteller wird man an Konsistenz und Dauerhaftigkeit der getroffenen Entscheidung, selbst auf ihre Übereinstimmung mit früheren Bekundungen und Entschließungen des Antragstellers, nicht zu viel Gewicht legen dürfen, sofern es nur erkennbar wird, daß derzeit ein echter Gewissensernst obwaltet, der eine verbindliche sittliche Entscheidung herbeigeführthat. IV. Der völkerrechtswidrige Krieg
Auf einen letzten ergänzenden Gesichtspunkt ist aufmerksam zu machen. Das Urteil des BVerfG hat einen Fall nicht ausdrücklich berührt, in dem auch die Entscheidung in einem ganz bestimmten Kriege nach dem Grundgesetz zur Verweigerung des Kriegsdienstes berechtigt. Es ist freilich richtig, daß sich die Lösung hier nicht direkt aus Art. 4 Abs. 3 GG, sondern aus Art. 26 GG ergibt. Da das Grundgesetz den Angriffskrieg - entsprechend der heutigen völkerrechtlichen Lehre24 - verfassungsrechtlich verbietet, wird der Wehrpflichtige die Mitwirkung in einem Angriffskrieg verweigern dürfen 25 • Das Gebot der Wehrpflicht in Art. 73 Ziff. 1 GG kann niemals die Pflicht zu einer Beteiligung an einem verfassungsmäßig untersagten Handeln- Art. 26 Abs. 1 S. 2 sieht sogar Strafgebote vor!- begründen. Freilich wird man vom Boden des Völkerrechts darauf hinweisen müssen, daß der völkerrechtswidrige Angriffskrieg nur dann im Sinne des Art. 26 GG als feststehend vorliegt, wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gemäß Art. 39 der Satzung der Vereinten Nationen den "act of aggression" festgestellt hat26• In anderen BVerwGE 9 S. 101. Zum Verbot des Angriffskrieges siehe Derek William Bowett, Self-Defence in International Law, Manchester 1958, S. 145; L. Oppenheim, International Law, 7. Auf!. von H. Lauterpacht, Bd. 2, London 1952, S. 192. u Verfassungssystematisch muß insofern Art. 4 Abs. 3 GG von Art. 26 her gedeutet werden. Im Frieden kann selbstverständlich diese ganze Erwägung noch keine Bedeutung haben, weil erst der Kriegsfall über die Anwendung des Art. 26 entscheidet. 2e Vgl. Alfred Verdross, Völkerrecht, 4. Auf!., Wien 1959, S. 353 ff., 542 ff.; Georg Dahm, Völkerrecht, Bd. 2, Stuttgart 1961, S. 356 ff. 23
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Fällen liegt jedenfalls keine bindende völkerrechtliche Feststellung des Angriffs vor und können daher die Urteile der Staatenwelt auseinandergehen. Vom Begriff des Angriffskrieges des heutigen Völkerrechts, den Art. 26 GG im Auge hat, ist jedenfalls der "ungerechte" Krieg im Sinne älterer Anschauungen (injustum bellum} und im Sinne der theologischen Lehre zu unterscheiden, wenn sich vielfach auch beides decken wird. Die ältere Lehre stellte auf die tiefere moralische Berechtigung zum Kriege (Verteidigung, Abwehr von Unrecht} ab, nicht dagegen auf das mehr technische Merkmal des Angrüfs, das das heutige Völkerrecht verwendet27.
27 Zum gerechten Kriege vgl. Heinrich Kipp, Das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung, in: Verfassung und Verwaltung in Theorie und Wirklichkeit, Festschrift für W1Ihelm Laforet, München 1952, S. 83 ff.; Walter Künneth, Politik zwischen Dämon und Gott, Berlin 1954, S. 342; Joseph Mausbach, Katholische Moraltheologie, Bd. 3, 9. Aufl. von Gustav Ermecke, Münster 1953, s. 93 f.
Die Religionsfreiheit im Grundgesetz I. Die Auslegung des Art. 4 GG In den literarischen Äußerungen über das Verhältnis von Staat und Kirche wie auch in einer erheblichen Zahl von gerichtlichen Entscheidungen findet der Grundsatz der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit in der Rechtsordnung der Bundesrepublik in den letzten Jahren eine zunehmende Beachtung. In Auseinandersetzungen um Fragen des Staatskirchenrechts wird er direkt oder indirekt stärker herangezogen, und neuere Äußerungen zum Verhältnis von Staat und Kirche sehen in ihm ein konstituierendes Prinzip auch der Gestaltung dieser Ordnung 1• Auch die gerichtliche Praxis begegnet den Fragen des Art. 4 GG vielfach in Zusammenhängen der staatskirchenrechtlichen Ordnung, insbesondere an den Stellen, wo Verbindungen von Staat unä Kirche die Unabhängigkeit bürgerlicher Rechte vom Glaubensbekenntnis oder die neutrale Haltung des Staates gegenüber verschiedenen Bekenntnissen bedeutsam werden lassen. Überblickt man die Rechtsprechung, die hier nicht in ihrem ganzen Umfang, sondern nur in ihren charakteristischen Grundzügen kurz vorgeführt werden soll, so lassen sich bestimmte typische Fragenkreise abstecken. Eine erste Gruppe von Entscheidungen betrifft die Freihaltung religiöser und weltanschaulicher Entscheidungen vom Einfluß der staatlichen Gewalt, sie behandelt das Verbot, eine solche Stellungnahme durch Maßregeln der bürgerlichen Ordnung zu behindern oder zu beeinflussen. Hierher gehört das Recht eines Strafgefangenen, in Briefverkehr mit einem Mormonenprediger zu treten und sich auf diese Weise suchend einem anderen Bekenntnis zuzuwenden2 • Ferner der Anspruch einer freireligiösen Lehramtsbewerberin, zu einer Pädagogischen Akademie eines Landes, das nur konfessionelle Anstalten dieser Art unterhält, zugelassen und nicht auf das Nachbarland verwiesen zu werden3• Grenzfragen werden dort berührt, wo es sich um die Aus: Die Öffentliche Verwaltung 1967, S. 585-593. 1 So namentlich Konrad Hesse, Freie Kirche im demokratischen Gemeinwesen, in: ZevKR 11 (1964/65) S. 354. 2 OLG Saarbrücken, in: NJW 1966 S. 1088. 3 OVG Koblenz, in: DVBl. 1960 S. 325. Der weltanschaulich neutrale Staat muß staatliche Institute, die einen konfessionellen Charakter tragen, aber eine für alle wesentliche Bildungsmöglichkeit oder sonstige Veranstaltung darstellen, allen weltanschaulichen Richtungen offen halten. Das gilt auch für Bekenntnisschulen hinsichtlich der Schüler anderen Glaubens. So jetzt richtig 3 Scheuner
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im staatlichen oder privaten Leben gebotene Rücksicht auf religiöse Gebote und Vorstellungen handelt. So wird der Staat etwa bei Zeugenladungen auf die Sabbatheiligung jüdischer Bürger Rücksicht zu nehmen haben4 , aber umgekehrt die Sonntagsruhe als eine allgemeine Feiertagsregelung allen Bürgern ohne Unterschied auferlegen können5 • Eng mit diesen Fragen gehören diejenigen Fälle zusammen, in denen es sich um die Unzulässigkeit der Hereinnahme konfessioneller Gesichtspunkte in die weltanschaulich neutrale allgemeine staatliche Rechtsordnung handelt, wie bei der Ausschreibung einer Schulratsstelle nur für Bewerber einer Konfession' oder der gesetzlichen Beschränkung der Auswahl ehrenamtlicher Mitglieder einer Schulpflegschaft bei Bekenntnisschulen auf das betreffende Bekenntnis7• Anders liegt es hingegen dort, wo sich aus den vom Verfassungsrecht (vgl. Art. 7 Abs. 5, 140 GG in Verbindung mit Art. 138, 141 WeimRV) festgehaltenen Elementen einer Verbindung von Staat und Kirche eine bekenntnismäßige Bindung bei staatlichen Stellen ergibt, wie bei den Lehrern der staatlichen theologischen Fakultäten an den Hochschulen8 oder grundsätzlich bei Lehrern an Bekenntnisschulen. Von einer anderen Seite her wird eine Kernfrage der Bekenntnisfreiheit berührt in dem Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofes über die Veranstaltung von Schulgebeten. Die dort erfolgte absolute Hervorhebung der negativen Glaubensfreiheit, des "Rechts auf Schweigen", verschiebt freilich die Akzente zu sehr auf das Vermeiden jeden Bekenntnisses der eigenen Überzeugung und geht damit an dem unvermeidlichen Moment des Bekenntnisses und der im gesellschaftlichen Leben wie im Gemeinschaftscharakter religiös-weltanschaulicher Haltung begründeten Notwendigkeit auch des Einstehens für den eigenen GlauBayVerfGH im Urteil vom 20. 3. 1967, in: BayGVBl. 1967 S. 308, 313 = DÖV 1967 S. 306 (gegenüber der älteren noch am streng geschlossenen Charakter der Bekenntnisschule festhaltenden und die Aufnahme von Schülern anderen Bekenntnisses aus einer ungegliederten Schule ausschließenden Entscheidung des Gerichts, in: BayVerfGHE 12 II S. 161 ff.). 4 Vgl. hierzu Reinhold Zippelius, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 82 zu Art. 4 und die dort Genannten. Siehe aber KirchE 1 S. 13. G Daher können Bürger, die aus religiösen Gründen an einem anderen Tage ihre Läden geschlossen halten, nicht fordern, nun am Sonntag offenhalten zu dürfen. So der amerikanische Supreme Court in McGowan v. Maryland 366 US 420 und Braunfeld v. Brown 366 US S. 599 (1961). Muslimische Gastarbeiter, die vertragliche Pflichten zur Arbeit eingegangen sind, können ihnen gegenüber nicht Freistellung für den ganzen Ramadan-Monat beanspruchen. Vgl. VG Düsseldorf, in: JZ 1964 S. 258, und dazu Walther J. Habscheid, Arbeitsverweigerung aus Glaubens- und Gewissensnot?, in: JZ 1964 S. 246. 8 BayVerfGH, in: VerwRspr. 18 (1967) S. 390. Hier werden zugleich Art. 116 der bayerischen Verfassung sowie Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 136 Abs. 2 WeimRV berührt. 7 BayVerfGH, in: VerwRspr. 7 (1955) S. 281. 8 Vgl. BayVerfGH, in: VerwRspr. 6 (1954) S. 693,700 f.
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ben vorüber'. Ein zweiter wichtiger Fragenbereich umfaßt das Problem der der Ausübung der Religionsfreiheit im Rahmen der allgemeinen staatlichen Ordnung gesetzten Grenzen. Obwohl Art. 4 GG keine Einschränkungen erwähnt, zieht das Bundesverfassungsgericht der Glaubensfreiheit die Grenze der Wahrung gewisser übereinstimmender sittlicher Anschauungen der Kulturvölker und hält daher die Anwendung unlauterer Methoden der Glaubenswerbung (Versprechen von Tabak an einen Mitgefangenen für Kirchenaustritt) für auch im staatlichen Bereich vorwerfbar10 • Sicherlich überschreitet jedenfalls die religiöse Werbung dort die Grenze des auch von der staatlichen Rechtsordnung Erlaubten, wo sie sich hierbei amtlicher oder amtlich bestätigter Macht und Autorität bedient. Das gilt für die religiöse Beeinflussung der Lehrlinge durch ihren Lehrherrn, dessen Leitungs- und Erziehungsrecht diesen Bereich nicht umfaßt11 , wie für die religiöse Beeinflussung, die der nicht sorgeberechtigte geschiedene Ehegatte in der Zeit des ihm zugestandenen Verkehrs mit dem Kinde ausübt12 • Grundsätzlich bleibt freilich festzuhalten, daß die Art und die Formen der religiösen Werbung eine Sache der Religionsgesellschaften sind und daß auch hierbei angewandte unlautere d. h. sachfremde Methoden zwar vom Standpunkt religiösen Zusammenlebens und Friedens zu verurteilen sind, daß sie aber nur in Grenzfällen wie in den erwähnten ein staatliches Eingreifen hervorrufen können13• Wieder anders liegen die Fragen, in denen es sich um die Einfügung religiöser Freiheit in die öffentliche Ordnung, vor allem die staatsbürgerlichen Pflichten handelt. Die übliche Auslegung der Grundrechte, die ihnen eine lineare unbeschränkte Ausdehnung zuspricht14, kommt ' Das Urteil in: DÖV 1966 S. 51. Zustimmend Hans UZTich Gallwas, Schulgewalt und Schulgebet, in: BayVBl. 1966 S. 122 ff., und FTiedTich von Zezschwitz, Staatliche Neutralitätspflicht und Schulgebet, in: JZ 1966 S. 337 ff. Kritisch Ernst-Wolfgang Böckenförde, Religionsfreiheit und öffentliches Schulgebet, in: DÖV 1966 S. 30 ff., und meine Darlegungen: Auseinandersetzungen und Tendenzen im deutschen Staatskirchenrecht, in: DÖV 1966 S. 151 ff.; WalteT Hamel, Die Bekenntnisfreiheit in der Schule, in: NJW 1966 S. 18 ff. 10 BVerfGE 12 S. 1 ff. = DÖV 1961 S. 28. Das Verhalten des Gefangenen gab Grund für die Ablehnung einer vorzeitigen Strafentlassung. 11 Die Folge, die zeitweise Entziehung des Rechts zur Anleitung von Lehrlingen, wurde vom OVG Koblenz, in: KirchE 3 S. 395, wie vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 15 S.134 = DÖV 1963 S. 268) gebilligt. 12 BayObLG, in: KirchE 5 S. 300. Das Vormundschaftsgericht hatte dem Ehegatten bei seinem Umgang mit dem Kinde eine religiöse Einwirkung untersagt. Die angerufene Instanz billigte das. 13 Zu der grundsätzlich nur innerkirchlichen Natur der gegen unlautere religiöse Werbung (Proselytismus) gerichteten Bedenken siehe Angel FTancisco CaTTillo de Albomoz, Le concile et la liberte religieuse, Paris 1967, S. 146, 154 ff. Ferner die Declaratio de Libertate Religiosa des II. Vaticanums, § 4, in: Acta Apostolicae Sedis 58 (1966) S. 929. 14 Hierzu kritisch meine Darlegungen: Pressefreiheit, in: VVDStRL 22 (1965) s. 41 ff.
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hier in die Schwierigkeit, sich auf immanente Schranken zu berufen - die hier nicht angesprochen sind - oder einen Vorrang staatlicher Regelung für gewisse Fragen anzunehmen. Die Lösung kann allein von einem Standpunkt aus gefunden werden, der die Grundrechte nicht als ein System unbegrenzter Freiheit versteht, sondern in ihnen gegenständlich abgegrenzte Verstärkungen des rechtlichen Schutzes für bestimmte Rechte und Freiheiten sieht. Dann wird es möglich, den Kernbereich, die Wesensgarantie eines Grundrechts aus seiner historisch-verfassungsrechtlichen Sinngebung zu bestimmen und hier den Anspruch fremder Macht nachdrücklich abzuwehren, umgekehrt aber einzusehen, daß sich an seinen Randzonen, in denen es nur um weitere abgeleitete Nebenfolgerungen handelt, das Grundrecht in die allgemeine gesetzliche Ordnung einfügen muß 16 • Die Vereinsfreiheit sichert davor, die Tätigkeit eines Vereins von Zulassungen abhängig zu machen, aber der Erwerb der Rechtsfähigkeit durch einen Verein darf von der Erfüllung der Voraussetzungen des BGB abhängig gemacht werden 18 • Unter diesem Gesichtspunkt fordert die Rechtsprechung auch von einem Pfarrer, der religiös jede Eidesleistung ablehnt, den Zeugeneid 17 , von einem Beamten den Eid auf die Verfassung18 und lehnt die Aussageverweigerung eines Zeugen, der nicht in einem mit Wandkreuz versehenen Gerichtssaal aussagen möchte, als unberechtigt ab 18 • Erst recht können religliöse Bedenken nicht durchgreifen, wo es sich um die Auferlegung allgemeiner gesundheitlicher Schutzvorkehrungen wie Impfzwang20 oder Röntgenreihenuntersuchungen 21 handelt, gegen die nur von skrupulösen Gruppen Einwendungen erhoben werden. In allen diesen Fällen werden gewiß innere Überzeugungen berührt. Aber das Maß, in dem sie um einer allgemeinen staatlichen Ordnung willen in Fragen der äußeren bürgerlichen Pflichten einen Vorrang der bürgerlichen Konformität vor dem weit ausgedehnten Kreis religiöser oder weltanschaulicher Bedenken fordern, erscheint durch das tolerante Zusammenleben verschiedener Überzeugungen in der staatlichen Gemeinschaft ausreichend begründet und geboten. Es wird auf diesen Punkt, die Einfügung von Gruppen, von 15 Siehe gleichfalls meine Bemerkungen, S. 45 f. Richtig auch zu den "Randbezirken" der Grundrechtsfreiheit Siegtried Grundmann, Landschulreform und Bekenntnisschule, in: BayVBl. 1966 S. 39. 18 Vgl. Gerhard Schnorr, öffentliches Vereinsrecht, Köln 1965, S. 41 f. 17 OLG Düsseldorf, in: NJW 1966 S. 1933. Hier wird aber fälschlich auf die Schranken des Art. 2 GG rekurriert. 18 BayVerfGH, in: VerwRspr. 17 (1966) S. 259. Die hier gezogene Linie, einschränkende Gesetze dürften sich nicht gegen eine religiöse Anschauung als solche richten, enthält freilich eine Tautologie. Ob sie das tun, ist gerade die Frage, die nur aus der Entfernung des religiösen Gebots vom Zentrum der Glaubensübung und der staatlichen Pflicht vom geistig-religiösen Bereich beantwortet werden kann. 18 BayVerfGH, in: DOV 1967 S. 419. 2o BVerwGE 9 S. 78. 11 BayVerfGH, in: KirchE 3 S. 3.
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Majoritäten und Minoritäten in eine gemeinsame Ordnung der Toleranz noch zurückzukommen sein22• Ein weiterer gerade heute vieldiskutierter Kreis von Fragen knüpft an die Ausgestaltung der staatlichen Schule an. Während die Rechtsprechung die Einrichtung von Bekenntnisschulen, auch als Regelschulen, für zulässig erachtet23 , haben sich neuerdings Stimmen für die entgegengesetzte Meinung, die allerorts eine bekenntnisneutrale Schule als Regelschule fordern, erhoben2'. Diese summarische Übersicht über wesentliche in der Rechtsprechung aufgeworfene Fragen zeigt, daß die Probleme der religiösen Freiheit unter einer rechtsstaatliehen Ordnung wie der des Grundgesetzes nicht bei ihren zentralen Äußerungen liegen, deren Freiheit verbürgt ist, sondern im Felde der Erhaltung der weltanschaulichen Neutralität des Staates, bei der Abgrenzung zwischen Bekenntnisfreiheit und der allgemeinen öffentlichen Ordnung in den Randzonen der Ausdehnung religiöser Gebote ins bürgerliche Leben und endlich an Stellen, an denen der Pluralismus der Weltanschauungen im Rahmen staatlicher Einrichtungen wie der Schule Anerkennung findet oder nach Anerkennung drängt. In allen diesen Bereichen ist es wichtig, eine klare Vorstellung der inhaltlichen Aussage der Glaubensfreiheit auch für die Glaubensübung zu gewinnen, und andererseits den engen Zusammenhang der religiösen Freiheit mit dem staatskirchenrechtlichen System zu erkennen. So sehr der Grundbestand der Religionsfreiheit einen festen Standard in allen Staatssystemen darstellt, so sehr werden die Konturen ihrer Ausübung durch das jeweilige Verhältnis von Staat und Kirche bestimmt. In einem Staate ohne Vereinigungsfreiheit wird möglicherweise schon der Bestand einer Kirchengemeinde von staatlicher Zulassung und Mitwirkung abhängen, und wird die Betätigung der Gemeinde inhaltlich eng begrenzt sein, während in einer freiheitlichen Ordnung die Sicherung religiöser Lebensäußerungen weithin bereits durch andere Grundrechte gewährleistet wird. Abgesehen von der Behandlung der Glaubensfreiheit im Zusammenhang grundrechtlicher Gesamtdarstellungen25 , hat sie freilich in der 22 Es ist darauf hinzuweisen, daß auch kirchliche und internationale Erklärungen die Begrenzung der Religionsfreiheit durch die öffentliche Ordnung anerkennen: Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen von Amsterdam, 1948, Ziff. 4 (Text bei Angel FTancisco CaTTillo de Albomoz, The Basis of Religious Liberty, New York 1963, S. 159); Erklärung des Vaticanums §§ 2, 7; die Konvention der UN über die bürgerlichen und politischen Rechte von 1966, Art. 18 Abs. 3. 23 Vgl. BVerfGE 6 S. 309, 339 = DOV 1957 S. 789; BayVerfGHE 12 II S. 161; ders., in: DOV 1967 S. 307. 24 Klaus ObeTmayeT, Gemeinschaftsschule Auftrag des Grundgesetzes, München 1967; deTS., Staatskirchenrecht im Wandel, in: DOV 1967 S. 16 f.; FTiedTich von Zezschwitz, in: JZ 1966 S. 337 ff. Dagegen Faul Feuchte u. PeteT DallingeT, Christliche Schule im neutralen Staat, in: DOV 1967 S. 364 f!.
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deutschen Literatur bisher nur ein geringes Maß an Aufmerksamkeit gefunden28 • Erst die Erklärung über Religionsfreiheit des Zweiten Vatikanums hat ein stärkeres Interesse erweckt, freilich zumeist auf theologischem Felde27 • Das liegt anders in der internationalen Diskussion. In den Vereinigten Staaten hat eine ausgedehnte und kontroversenreiche Rechtsprechung weites Interesse hervorgerufen28 • In den romanischen Ländern ist dem Problem ein ständiges lebendiges Gespräch gewidmet29 • Der Ökumenische Rat der Kirchen hat in wiederholten Erklärungen den Gehalt der Religionsfreiheit sehr präzis umschrieben, und seine Definitionen sind nicht ohne Einwirkung auch für die Declaratio de Libertate Religiosa des Vatikanischen Konzils gewesen3o, die ihrerseits nunmehr die internationale theologische Diskussion stark belebt hat. Auf dem Gebiete des internationalen Rechts gehört die Religionsfreiheit zu denjenigen Grundrechten, die jede Erklärung der Menschenrechte in sich bergen muß. Das gilt für die MRK des Europarates, die in Deutschland geltendes Recht ist (Art. 9) 31 , wie für die im vergangenen Dezember von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommene und nun zur Zeichnung aufliegende Konvention der bürgerlichen und politischen Rechte der UN, wie endlich für die weithin fertiggestellte und für die nächste Generalversammlung der UN vorgesehene Konvention gegen alle Formen religiöser Intoleranz, die freilich leider in ihren Formulierungen teilweise hinter der vorgenannten Konvention der bürgerlichen und politischen Rechte zurückbleibt. 25 Vgl. Walter Hamel, Glaubens- und Gewissensfreiheit, in: Die Grundrechte, hrsg. von Karl August Bettermann, Hans Carl Nipperdey u. Ulrich Scheuner, Bd. IV/1, Berlin 1960, S. 37 ff.; Reinhold Zippelius, in: Bonner Kommentar, Anm. zu Art. 4. 21 Zu verweisen ist auf zwei theologische Darstellungen: Albert Hartmann, Toleranz und christlicher Glaube, Frankfurt/M. 1955; Ernst-Gerhard Riisch, Toleranz, Zollikon-Zürich 1955. 27 Vgl. Karl Rahner, Hans Maier, Ulrich Mann u. Michael Schmaus, Religionsfreiheit, München 1966 (Theologische Fragen heute, Bd. 9). übersieht der neueren Literatur bei Angel Francisco Carrillo de Albornoz, Le concile etc., S. 238 ff.; Pio Fedele, La liberta religiosa, Mailand 1963. 28 Siehe Hermann-Wilfried Bayer, Das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche als Problem der neueren Rechtsprechung des United States Supreme Court, in: ZaöRV 24 (1964) S. 201 ff.; William H. Marnell, The First Amendment, New York 1964. 29 Pierre Lanares, La liberte religieuse dans les conventions internationales et dans le droit public en general, Paris 1964. _ 30 Declaratio de Libertate Religiosa vom 7. 12. 1965, in: Acta Apostolicae Sedis 58 (1966) S. 929. Hierzu vergleichend Angel Francisco Carrillo de A 1bornoz, The Ecumenical and World Signiftcance of the Vatican Declaration on Religious Liberty, in: The Ecumenical Review 18 (1966) S. 58 ff., und zur de~tschen Erörterung die bei Alexander Hollerbach, Das Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 92 (1967) S. 103, Anm. 31, Genannten. 31 Zu diesen Bestimmungen vgl. meine Darlegungen: Vergleich der Rechtsprechung der nationalen Gerichte mit der Rechtsprechung der Konventions-
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In der deutschen Erörterung leidet die Behandlung der Glaubensfreiheit nicht nur unter dem mangelnden Ausblick auf die internationale Diskussion, sondern auch durch Besonderheiten der deutschen Rechtslage wie durch die Einbeziehung des Art. 4 GG in die Grundannahmen der verfehlten Vorstellungen von dem einheitlichen l!'reiheitsschema aller Grundrechte und ihrer Herleitung aus einer allgemeinen Freiheit. a) Eine erste Schwierigkeit ergibt sich bereits daraus, daß Art. 4 nicht mehr wie Art. 135 der Weimarer RV im unmittelbaren auch räumlichen Zusammenhang mit den anderen Bestimmungen zum Verhältnis Kirche und Staat steht, sondern jene sich nun erst im Anschluß an Art. 140 GG finden. Hat auch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, daß diese inkorporierten Artikel der Weimarer RV echten Verfassungsrang haben32, so hat es doch sie zugleich den elementaren Grundsätzen des Grundgesetzes, insbesondere den einschlägigen Art. 4 und 2 GG, als einem höheren Ausdruck der Wertordnung der Verfassung ein- und untergeordnet38• Diese These ist nicht unbedenklich. Ist schon jede Annahme einer Hierarchie unter gleichzeitig erlassenen Verfassungsbestimmungen nur mit größter Vorsicht zu beurteilen, so wird in dieser Zurücksetzung der institutionellen Bestandteile der staatskirchenrechtlichen Ordnung nicht genug berücksichtigt, daß seit den Anfängen der deutschen Verfassungen stets diese allgemeinen Aussagen über Kirche und Staat neben dem Grundrecht der Glaubensfreiheit in gleicher Weise zum alten überlieferten Grundrechtsbestand des deutschen Rechts gehört haben3'. Wenn die Religionsfreiheit isoliert und zum Moment einer staatskirchlichen Gestaltung gemacht wird, gewinnt sie ein Gefälle gegen bestehende Einrichtungen der Zusammenarbeit von Staat und Kirche, das der bestehenden und vom Grundgesetz intendierten Ordnung nicht gerecht wird. Sie muß notwendig ihrerseits im Zusammenhang des Systems staatskirchlicher Ordnung, der Grundlagen der Gestaltung der Beziehungen von Staat und Kirche verstanden und ausgelegt werden. b) Eine zweite Eigenart der deutschen Interpretation ist die Verbindung, in der in Art. 4 GG die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit mit der Gewissensfreiheit erscheint und die relative Verselbständigung der letzteren. Daß Glaubensfreiheit engstens mit dem Gewissen zusammenhängt, bedarf keiner Ausführung. Aber während frühere Rechtsätze, wo sie Glauben und Gewissen in einem Zuge nannten, dieweltanschaulichgetraorgane ... der europäischen Menschenrechtskonvention, in: Menschenrechte im Staatsrecht und im Völkerrecht, 2. Internationales Kolloquium des Europarates, Karlsruhe 1967, S. 227 ff.; Karl Josef Partsch, Die Rechte und Freiheiten der europäischen Menschenrechtskonvention, Berlin 1966, S. 190 ff. a2 BVerfGE 19 S. 219. 33 BVerfGE 19 S. 219/20. Dazu auch Alexander Hollerbach, in: AöR 92 (1967) s. 103 f., 113 ff. 34 Vgl. z. B. die Frankfurter Reichsverfassung von 1848, Art. V,§§ 144- 151.
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gene Gewissensentscheidung meinten, verselbständigt sich in der heutigen deutschen Auslegung die Gewissensfreiheit. Sie wird, insbesondere im Zusammenhang des Art. 4 Abs. 3 (Kriegsdienstverweigerung), zum Ausdruck einer individuellen sittlichen Überzeugung, die den Zusammenhang mit weltanschaulichen Grundhaltungen nicht mehr zu behalten braucht, sondern ohne rationale Abwägung aus dem sittlichen Gefühl heraus getroffen sein kann 35 • Diese weite Auslegung des Begriffs der Gewissensentscheidung, die im Kontext des Art. 4 Abs. 3 GG ihre spezielle Berechtigung in der Verfassungsintention der Vermeidung von Gewissenszwang hat, löst aber die grundrechtliche Gewähr der Gewissensfreiheit von dem Grundrecht der Glaubensfreiheit mehr oder weniger als selbständigen Bereich ab. Das gilt besonders, wenn man annehmen will, daß die Gewissensfreiheit auch ihre Betätigung in individuellen Stellungnahmen gegenüber rechtlichen und vertraglichen Verpflichtungen deckt (das Bedenken des Angestellten, sein Gewissen belastende Vertragspflichten zu erfüllen usw.) 38 • Eine so weite Erstrekkung der Gewissenspflicht, die ihr den Vorrang vor objektiven Rechtspflichten aller Art gewährt, ist zwar neuestens wieder in einer gerichtlichen Entscheidung- noch dazu tatsächlich zu Unrecht- angenommen worden 37, findet aber doch in der überwiegenden Meinung keine Anerkennung38. Mit der Religionsfreiheit hat diese Ausdehnung des Gewissensschutzes nur mehr einen losen Zusammenhang. Sie kann eher geeignet sein, das Gewicht der dort gegebenen fundierten weltanschaulichen Grundhaltung abzuschwächen. Man wird daher im Rahmen der Interpretation des Art. 4 GG deutlicher zwischen dem eigentlichen Bereich der Religionsfreiheit und diesem weiteren, damit nur in einem lockeren Verhältnis stehenden Bereich der Gewissensfreiheit unterscheiden müssen, zumal die letztere auch ersichtlich geistig auf einem speziellen, vorwiegend wohl kantisch geprägten Boden sittlicher Autonomie erwachsen ist. Damit soll nicht das eigene, auch praktisch in So für die Kriegsdienstverweigerung BVerwGE 12 S. 272. Vgl. FTiedTich Wilhelm Bosch u. WalteT J. Habscheid, Vertragspflicht und Gewissenskonflikt, in: JZ 1954 S. 213 ff., und dagegen FTanz WieackeT, Vertragsbruch aus Gewissensnot, in: JZ 1954 S. 468 f., ferner Reinhold Zippelius, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 59 zu Art. 4. 37 Das Landgericht Heidelberg, vgl. NJW 1966 S. 1922, billigte einem Gastwirt, der zu einem Vortrag des amerikanischen Prof. H., eines wissenschaftlichen Leugners der Kriegsschuld Hitlers, seinen Saal vermietet hatte, die Lösung des Vertrages aus Gewissensbedenken zu, weil er den Vortrag nach Erkundigung für verfassungswidrig gehalten habe. Rein tatsächlich lag hier ein Mangel an sorgfältiger Erkundigung vor Vertragsschluß vor, den die Bedenken nur ersetzen sollten. Gegen die Entscheidung KaT I Münzel, in: NJW 1966 S. 1923, und im Ergebnis auch Adolf ATndt, 2. Das Gewissen in der oberlandesgerichtliehen Rechtsprechung, in: NJW 1966 S. 2205. 38 Vgl. hierzu KaTl LaTenz, Lehrbuch des Schuldrechts, 8. Aufl., Bd. 1, München- Berlin 1967, S. 113/14, der bei Werk- und Dienstverträgen der sittlichen Pflicht den Vorrang gibt, aber bei leichtfertiger Bindung Schadensersatzpflicht statuiert. 35
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Erscheinung tretende Gewicht der Gewissensfreiheit als eines Schutzes des menschlichen Gewissens gemindert werden, aus dem sich etwa entgegen einer verfehlten Rechtsprechung die Unzulässigkeit wiederholter Bestrafung von Kriegsdienstverweigerern ableiten läßt38 • Aber beiden Grundrechtsvorstellungen, die freilich in Art. 4 GG eng miteinander verbunden werden, werden doch richtigerweise in ihrem Ansatz und Gehalt schärfer gesondert. c) In manchen Äußerungen wird die Religionsfreiheit über ihre Stellung als wichtiges Element der staatskirchenrechtlichen Gesamtordnung hinaus zu einem bestimmenden Faktor gesteigert und in dem Sinne verstanden, daß sie die Idee der religiösen Freiheit notwendig auf eine Trennung der staatlichen und kirchlichen Sphäre hinausführe. Hier wird also die Religionsfreiheit, die über das Verhältnis von Staat und Kirche nur aussagt, daß der Staat bei ihrer vollen Erfüllung sich nicht mit einer Glaubensgemeinschaft identifiziert und allen Bürgern ohne Rücksicht auf ihr Bekenntnis eine gleiche bürgerliche Stellung einräumt, die aber Erhaltung von Verbindungen zwischen dem Staat und den Religionsgesellschaften nicht ausschließt, als eine Bestimmung des Staatskirchensystems gedeutet, das in seinem ganzen Umfang der Freiheit gegenüber nur sekundär sei40 • Diese Anschauung wird in doppelter Weise dem geltenden Recht nicht gerecht. Sie legt, im Banne eines subjektiv angenommenen Endziels der Trennung, die Religionsfreiheit als Vorstufe der Trennung aus und meint, daß der Weg logisch dahin führen müsse. Das ist keineswegs richtig. Der Staat kann, sofern daraus keine bürgerliche Ungleichheit resultiert, Verbindungen zu Kirchen bewahren. Er kann in einer pluralistischen Gesellschaft die großen tra39 Entgegen der gerichtlichen Stellungnahme (OLG Hamm, in: NJW 1965 S. 1448) ist mit Adolf Amdt, 3. Die Zeugen Jehovas als Prüfung unserer Gewissensfreiheit (Art. 4, 12 GG; § 37 Ersatzdienstgesetz), in: NJW 1965 S. 431 ff., 2195, Karl Peters, Bemerkungen zur Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zur Wehrersatzdienstverweigerung aus Gewissensgründen, in: JZ 1966 S. 457 ff., und Günter Dürig, Art. 103 III GG und die "Zeugen Jehovas", in: JZ 1967 S. 426 ff., festzustellen, daß die abermalige Heranziehung zum Ersatzdienst bei einem Dienstverweigerer, der sich auf eine prinzipielle Ablehnung dieses Ersatzdienstes aus Gewissensgründen beruft und dafür bestraft wurde, einen verfassungsrechtlich nach Art. 4 wie nach Art. 12 Abs. 1 Satz 4 unzulässigen Gewissenszwang darstellt. Art. 12 Abs. 1 Satz 4 behält guten Sinn für diejenigen, die den Dienst mit der Waffe ablehnen, aber zum Ersatzdienst bereit sind, d. h. die große Majorität. Wo aber eine zugleich hineinspielende Glaubensüberzeugung - und hier greift dann auch Art. 4 GG ein - den Ersatzdienst ablehnen läßt, stößt man auf die Abwägung zwischen religiösem Gebot und staatsbürgerlicher allgemeiner Pflicht, die im Einzelfall, wo die Kernzone religiöser Empfindung getroffen wird, eine sorgsame Abwägung fordert. Jedenfalls ist nochmalige verschärfende Anwendung des Gewissenszwanges nicht statthaft und auch nicht durch die knappe Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in: BVerfGE 19 S. 135 ff., gedeckt. Vgl. auch BVerfGE 20 S. 35. •o So insbesondere Erwin FischeT, Trennung von Staat und Kirche, München 1964, der in das Grundgesetz einfach den Trennungsgedanken hineinlegt (S. 32 f.,
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genden geistigen Kräfte dieser Gesellschaft auch öffentlich anerkennen und mit Aufgaben betrauen41 • Religionsfreiheit kann auch mit staatlicher Förderung religiöser und weltanschaulich freier Gruppen und Verbände Hand in Hand gehen, die den Grundsatz der Parität beachtet. Vor allem aber ist es zweitens nicht haltbar, die zahlreichen verfassungsrechtlichen Ansätze einer Verbindung von Staat und Kirche (öffentliche Körperschaftseigenschaft der Religionsgesellschaften, Amtsseelsorge, Bekenntnisschule, Theologische Fakultäten usw.), deren Bestand ebenfalls ein entscheidendes Moment des Staatskirchensystems ist, beiseitezurükken oder sie gar als im Grunde mit dem System der Freiheit oder Trennung im Widerspruch stehend deuten zu wollen42 • Eine schwächere Form dieser Fehldeutung der Bekenntnisfreiheit ist es, wenn man aus ihr zwar zulässigerweise die weltanschauliche Neutralität des Staates ableitet, diese aber dann gewissermaßen selbständig als leitendes Prinzip entfaltet und aus ihr Rückschlüsse auf die Auslegung der Verfassung zieht. Die neutrale Haltung des Staates ist eine Folge und Funktion der Glaubensfreiheit, aber kein von ihr unabhängiges Formprinzip des Grundgesetzes. Ein letzter Punkt, in dem die heutige Auffassung des Art. 4 GG einer Weiterentwicklung bedarf, betrifft die Einsicht in die korporativen, nur vom Blick auf die religiösen Gemeinschaften und Gruppen her aufzuschließenden Züge der Religionsfreiheit. Glaubensfreiheit ist gewiß zunächst ein Recht des Individuums, und jede Gewissensentscheidung ist notwendig rein persönlich. Aber gewisse ihrer Seiten lassen sich erst wirklich entfalten, wenn man das Verhältnis von Gruppen und religiösen Verbänden untereinander und zum Staate ins Auge faßt. Der historische Beginn der Idee religiöser Freiheit liegt nicht im Gedanken rein individueller Freiheit, sondern in dem der Toleranz, des Nebeneinanderzweier religiöser Bekenntnisse43 • Im deutschen Reichsrecht gewährten Augsburger Religionsfriede und Westfälischer Friede Freiheit der Entscheidung nur den Ständen des Reiches, und Sicherung nur - in gewissem Umfang - den Bekenntnissen4'. Als Recht des einzelnen erscheint die li41 Vgl. Paul Mikat, Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Die Grundrechte, hrsg. von Karl August Bettermann, Hans Carl Nipperdey u. Ulrich Scheuner, Bd. IV/1, Berlin 1960, S. 145; Reinhold Zippelius, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 22 - 24 zu Art. 4 GG. u So aber Erwin Fischer, der ohne weiteres Theologische Fakultäten, Bekenntnisschule als Regelschule und Religionsunterricht als Verstoß gegen die Trennung bezeichnet (S. 227 ff., 235 ff., 250 ff.). u So spricht ein früher Vertreter der Toleranz, der Basler Professor Castellion, gegen den Herrscher davon "de laisser les deux religions libres" (Sebastian Castellion, Conseil a Ia France desolee, 1562, Neuausgabe von Marius F. Valkhoff, Genf 1967, S. 52). Siehe auch Joseph Lecler, Histoire de Ia tolerance au siecle de Ia reforme, Bd. 1, Paris 1955, S. 289 ff., 312 ff. " Vgl. Martin Heckel, Autonomia und Pacis Compositio. Der Augsburger Religionsfriede in der Deutung der Gegenreformation, in: ZRG 76 Kan. Abt. 45 (1959) S. 156 ff.; Heinrich Lutz, Christianitatis Afflicta, Göttingen 1964, S. 439 ff.
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bertas conscientiae45 erst seit dem späten 17. Jahrhundert, in Deutschland erst Mitte des 18. Jahrhunderts46 , und noch in frühen Verfassungen des 19. Jahrhunderts klingt diese korporative Ansicht nach47 • Wichtige Fragenkreise, die Parität, Toleranz, vor allem aber das Zusammenleben von Majoritäten und Minoritäten in Schule und Öffentlichkeit lassen sich nur vom Blick auf die Relation der Gruppen her lösen. Auf diese Seite der Religionsfreiheit wird noch zurückzukommen sein. Im folgenden sollen einige in der jetzigen Behandlung zu wenig hervortretende Probleme kurz erörtert werden. II. Die Stellung der Religionsfreiheit im Rahmen der Grundrechte Für das richtige Verständnis der Religionsfreiheit ist eine Klarheit über ihr Verhältnis zu anderen Grundrechten und ihre Position im Kreis grundrechtlicher Sicherungen von grundlegender Bedeutung. In neuerenUrteilen besteht die Neigung, die Glaubensfreiheit als einen Anwendungsfall der allgemeinen Handlungsfreiheit aufzufassen. Der Hess. StGH hat von der inneren Glaubensfreiheit die äußere Kultusfreiheit im Anschluß an die räumliche Trennung beider Aussagen in Art. 9 und 48 hess. LV getrennt und hat die letztere aus Art. 2 GG abgeleitet und dessen Beschränkungen unterworfen, um andererseits die von ihm entwickelte absolute negative Bekenntnisfreiheit als schrankenlos zu bezeichnen48. Ganz allgemein hat dann das OLG Düsseldorf49 der Glaubensfreiheit die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung gezogen, da hier dasselbe gelte wie bei dem Grundrecht der Entfaltung der Persönlichkeit. Diese Entscheidungen verkennen wichtige Zusammenhänge. Zur Religionsfreiheit gehört keineswegs nur die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, dies manifestieren d. h. aussprechen zu können, sondern ebenso die Freiheit des kultischen Handeins in Ge45 Auch bei dem Niederländer Gerard Noodt, auf dessen 1706 in Leiden zum Antritt des Rektorates gehaltene Rede "De religione ab imperio iure gentium libera" sich die deutsche Wissenschaft gern berief (vgl. DanieZ NetteZbZadt, Systema Elementare Iurisprudentiae Naturalis, 4. Auf!., Halle 1777, § 840, S. 303), erscheint die Freiheit noch mehr als Forderung an den Fürsten oder Magistrat, keinen Zwang in Sachen der Religion zu üben und "inter religionum diversitatem medius stare" (Gerard Noodt, Opera Omnia, Bd. 1, Leiden 1724,
s. 634, 644).
40 Hier ist zu verweisen auf Christoph Matthäus Pfaff, Academische Reden über das sowohl allgemeine als auch Deutsche Protestantische Kirchen-Recht, Tübingen 1742, S. 54 ff., 69 ff. 47 Bayern 1818: Gewissensfreiheit für jeden Einwohner, gleiche bürgerliche Rechte für die im Königreich bestehenden drei christlichen Kirchengesellschaften; ähnlich Baden (1818) §§ 18, 19; Württemberg (1819) §§ 24, 70. 48 Hessischer Staatsgerichtshof, in: DÖV 1966 S. 52, 54. 41 OLG Düsseldorf, in: NJW 1966 S. 1933.
Die Religionsfreiheit im Grundgesetz meinschaftund der religiösen Vereinigung. Bei Anschütz50 ist auch für Art. 135 WeimRV klar ausgesprochen, daß zur Bekenntnisfreiheit gehört die Verbreitung der Lehre und die elterliche Erziehungsfreiheit. Die gesonderte Hervorhebung der Kultusfreiheit (Religionsübung) in Art. 135 Abs. 1 Satz 2 WeimRV und Art. 4 Abs. 2 GG erklärt sich historisch aus der so lange im älteren Recht geltenden Unterschiedlichkeit des exercitium religionis; sie gehört aber wesensmäßig zur Bekenntnisfreiheit. Es entspricht der zu engen, nur das Individuum berücksichtigenden Auffassung der religiösen Freiheit, wenn man nur das individuelle Bekenntnis ins Auge faßt. Jedenfalls religiöser Glaube äußert sich immer in Gemeinschaft und Gemeinschaftsbildung, kann nur in gottesdienstlicher und gemeindlicher Verbindung sich erfüllen. Ein Ausschluß der Kultusfreiheit (Religionsübung) aus dem Kern der Bekenntnisfreiheit würde diese daher weitgehend illusorisch machen. Der von dem Hess. StGH gemachte Unterschied, der die gemeinsame Betätigung des Glaubens aus der Bekenntnis- und Glaubensfreiheit herauslöst und den Schranken des Art. 2 GG unterwirft, dürfte schon der hess. Verfassung nicht entsprechen, widerspricht aber jedenfalls der Gewähr des Art. 4 GG. Der amerikanische Supreme Court hat nie gezögert, Formen der Evangelisation, wie sie auch hierin aggressiv vorgehende Gemeinschaften wie die Zeugen Jehovas üben, für "free exercise of religion" zu erklären51 • Gewiß besteht eine natürliche Verschiedenheit zwischen der ideell unbeschränkbaren inneren Glaubensfreiheit und der gewissen Begrenzungen immanenter Art unterliegenden und in Randzonen in die öffentliche Ordnung einzufügenden Betätigung des Glaubens52• Aber auch die letztere gehört zum inneren Kern der Religionsfreiheit, ist durch Art. 4 Abs. 2 in gleicher Kraft gesichert und kann daher keineswegs den Schranken des Art. 2 GG unterworfen werden. Sie ist ebenfalls allein aus Art. 4 herzuleiten und zu beurteilen. Diese Verknüpfung von Art. 2 und 4 GG ist auch gedanklich und historisch nicht zutreffend. Das in Art. 2 aufgenommene Grundrecht ist eine späte Schöpfung, der man die Ableitung aus dem Autonomiegedanken kantischer Prägung und eines dem deutschen Idealismus entsprechenden Menschenbildes deutlich ansieht. Die Religionsfreiheit ruht hingegen auf einem älteren bis ins 16. Jahrhundert zurückreichenden Geso Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl., Berlin 1933, S. 620.
u Unter dem "free exercise" hat er stets gefaßt "freedom to believe and freedom to act". Siehe Cantwen v. Connecticut 310 US 296 (1940), Murdock v. Pennsylvania 319 US 105 (1943). Vgl. hierzu Hermann-Wilfried Bayer, in: ZaöRV 24 (1964) S. 203 f. 52 Dieser Unterschied darf aber nicht dazu führen, die Reichweite der zur Religionsübung gehörenden Handlum~en zu stark einzuschränken. Weder eine zu weite Ausdehnung (gegen sie Reinhold Zippelius, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 72, 75) noch eine zu enge Begrenzung sind hier am Platze (zu eng daher ZippeZius, Rdnr. 74).
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dankenkreis und geht von einem Menschenbilde aus, das die Würde des Menschen als Quelle seiner ohne Zwang gefaßten weltanschaulichen Haltung ansieht und diese damit in einer tiefen Schicht menschlicher Verantwortung verwurzelt, nicht aber in der Beliebigkeit freien Handelns. Viel eher könnte man historisch die Ausdehnung der Religionsfreiheit zur allgemeinen, geistigen Freiheit des Gedankens und der Meinungsäußerung als einen Ausstrahlungsprozeß der Religionsfreiheit ansehen. Der Bereich der in der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit umfaßten und zusätzlich durch Art. 4 Abs. 2 gesicherten Betätigungen der Religionsfreiheit darf daher nicht zu eng auf individuelle Äußerungen in Wort und Schrift begrenzt werden, sondern umfaßt auch gottesdienstliche gemeinsame Handlungen, elterliches Erziehungsrecht in religiöser Hinsicht (das in Art. 4 insoweit neben Art. 6 Abs. 2 GG begründet ist), Akte und Formen religiöser Werbung (einschließlich z. B. der Straßenwerbung der Zeugen Jehovas), karitative Sammlung und Hilfeleistung und religiöse Gemeindebildung, die Verbindung mit anderen religiösen Gemeinschaften auch über die Staatsgrenzen hinaus53• Soweit diese Handlungen in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten, haben sie sich, soweit ihr Wesen damit nicht berührt wird, in die allgemeine rechtliche Ordnung einzufügen (Bauvorschriften gelten für kirchliche Bauten, die Verkehrsordnung für Prozessionen, das bürgerliche Recht für kirchliche Finanzhandhabung usw.). Aber es bleibt diesen Betätigungen immer ein Moment des Regresses auf ihre Sicherung in der Religionsübung und Bekenntnisfreiheit bestehen, das auch bei aller Einfügung in die allgemeine Ordnung erhalten bleibt. Wo kirchliche Betätigung in das allgemeine Gebiet freier kommerzieller Tätigkeit hineinreicht, wie bei der Herausgabe von Zeitschriften oder dem Vertrieb von Devotionalien, unterliegt sie dessen Regelung wie etwa dem Verbot des unlauteren Wettbewerbs 54 • Einen Grenzfall behandelt die Entscheidung des LG Düsseldorf, die die unter Förderung durch Kanzelverkündigung im ganzen Bundesgebiet veranstaltete Sammlung von Altmaterial katholischer karitativer Verbände betrifft. Auf Klage eines durch Umsatzrückgang betroffenen Händlers erblickte das Gericht in Einspannung der seelsorgerischen Hilfe ein Verschaffen eines dem Mitbewerber nicht verfügbaren Wettbewerbsvorteils und gab dem Anspruch auf Unterlassung 63 Es kann hier auf die vorsichtige und durch die Anerkennung der Einwirkung der gerechten öffentlichen Ordnung begrenzte Aufzählung in der vatikanischen Deklaration verwiesen werden (§§ 4- 7), die gewiß nicht normativ für staatliches Recht sein kann, aber zur Klärung des in gemeinsamer sittlicher Überzeugung wurzelnden Gehalts der Religionsfreiheit dienen kann. Zur Zugehörigkeit der übernationalen Beziehungen der Kirchen zur Religionsfreiheit siehe nun Otto Dibelius, überstaatliche Verbindungen der Kirche und Religionsfreiheit, Jur. Diss. Bonn 1967. 64 Siehe BVerfGE 20 S. 150, 161 = DÖV 1966 S. 712 (zum Sammlungsgesetz).
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der Kanzelverkündigung statt55. Der bestehende Zusammenhang mit Art. 4 GG ist hier nicht gesehen. Die karitative Sammlung ist ein Stück der Religionsausübung, deren äußere Formen sich gewiß in die öffentliche Ordnung einzufügen haben, bei der die gottesdienstliche Aufforderung zur Spende aber ein legitimes Mittel darstellt. Der Gewinn wurde in jenem Fall durch Veräußerung des eingesammelten Altmaterials erzielt. Hier läuft, so scheint mir, die Grenzlinie: Die freiwillige karitative Hingabe des Materials und die Aufforderung dazu stehen unter dem Schutz des Art. 4 GG. In das Gebiet des Wettbewerbs greift erst die Verwertung des Ergebnisses der Sammlung ein. Die hier zu dem Verhältnis von Art. 4 und Art. 2 GG entwickelten Grundsätze gelten auch bei Art. 5 GG. Auch die Meinungs- und Pressefreiheit ist als Ausfluß der Idee geistiger Freiheit jünger als die Glaubensfreiheit und eher deren Derivat als umgekehrt. Daher vermag ich Zippelius nicht zu folgen, der insoweit die Garantie der Bekenntnisfreiheit als lex specialis zu Art. 5 bezeichnet56 . Man sollte diese unglückliche Vorstellung, Grundrechte aus einer vorgestellten allgemeinen Freiheitsnorm unbeschränkter Art abzuleiten (als welche dann meist Art. 2 GG erscheint) aufgeben und einsehen, daß die Grundrechte bei allen inneren Zusammenhängen, selbständige jeweils in sich allein zu interpretierende Verbürgungen sind, nicht Spezialgesetze jenes allgemeinen Freiheitsrechts, dessen Inhalt sich gegenüber den Rechten anderer wie gegenüber der Rechtsordnung praktisch verflüchtigen muß. Die Unzulässigkeit, die Schranken der Meinungsfreiheit für Art. 4 anzuwenden, ergibt sich dann schlicht aus der Selbständigkeit beider Grundrechte. In einer rechtsstaatliehen Ordnung werden sich natürlich weithin die religiöse Glaubensfreiheit und die an sich schon in weiterem Umfang verbürgten Freiheiten der Meinung, der Presse, der Vereinsbildung und der Versammlung überschneiden und es ist durchaus angebracht und eine brauchbare judizielle Taktik, daß das Bundesverfassungsgericht in vielen Fällen, in denen Art. 4 GG hineinspielt, sich mit der Lösung nach Art. 2 oder 5 GG begnügt, wenn diese Vorschriften zur Behandlung ausreichen57. Aber dort, wo die Schranken jener anderen Grundrechte auftreten, kann es mitunter doch nötig sein, dann über Art. 2 oder 5 GG hinaus auf Art. 4 zurückzugehen, der einen größeren Schutz gewährt58• So wird man es daher billigen können, daß das Bundesverwaltungsgericht bei der Beurteilung der Frage, ob ein bischöflicher Hirtenbrief eine unzulässige Wahlbeeinflussung sein kann, einfach aus Art. 5 GG und der freien Betätigung auch kirchlicher Stellen im Prozeß der öffentlichen LG Düsseldorf, in: NJW 1966 S. 2219. Rdnr. 76. 57 Beispiele in BVerfGE 19 S. 206, 225 = DÖV 1966 S. 57; BVerfGE 20 S. 154. Siehe auch BVerwGE 18 S.l4 ff. 58 Das Problem ist richtig gesehen bei Reinhold Zippelius, Rdnr. 64. 55 &e
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Meinungs- und Willensbildung die Lösung gefunden hat51 , ohne wie das OVG Münster hier - nicht voll überzeugend- den Öffentlichkeitsanspruch anzuführen60 • Für die Stellung des Art. 4 GG im Bereich der Grundrechte ist es wichtig zu betonen, daß die Religionsfreiheit ihrer Richtung nach die Beziehung der einzelnen oder von Gruppen zum Staate, d. h. die Gestaltung der bürgerlichen, nicht der innerkirchlichen Ordnung berührt. Die Auswirkung der Glaubensfreiheit bedeutet eine Scheidung der inneren Ordnung der Kirchen von der Sphäre der staatlichen Regelung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Daraus folgt einmal, daß der weltanschaulich neutrale Staat nicht in den Bereich der eigenständigen kirchlichen (gemeindlichen) Verwaltung eingreift (Art. 137 Abs. 3 WeimRV) 81 , aber auch kirchlichen Maßregeln grundsätzlich keine bürgerliche Wirkung beilegt, und seine eigene Rechtsordnung auch im Bereich weltanschaulicher Fragen neutral ausgestaltet d. h. allgemeine, für alle gültige Begriffe verwendet, nicht dagegen bestimmten Vorstellungen einzelner Religionsgesellschaften folgt62 . Die Selbständigkeit kirchlicher Eigenregelung, unbestritten im Raum geistlicher Fragen und Stellungnahmen, wird zwar in ihrem Kern auch durch Art. 4 GG gedeckt63, unterliegt aber in ihren weit in die Öffentlichkeit hineinreichenden Handlungen, vor allem in den praktischen, dem religiösen Bereich BVerwGE 18 S. 14 ff. OVGE 18 S. 1 ff. (Vorentscheidung im gleichen Fall). 81 Erst recht darf der Staat nicht in innerkirchliche, geistliche Fragen eingreifen. Vgl. meine Darlegung: Die Nachprüfung kirchlicher Rechtshandlungen durch staatliche Gerichte, in: ZevKR 3 (1953/1954) S. 353; Peter Häberle, Kirchliche Gewalt als öffentliche und "mittelbar" staatliche Gewalt, in: ZevKR 11 (1964/65) S. 401. Im gleichen Sinne die amerikanische Rechtsprechung: "that the courts will not review conclusions or decisions of the ecclesiastical authorithies of the church relating to mere matters of faith, practice and discipline" (Mc Guire v. Trustees of St. Patrick Cathedral, Supreme Court of New York 54 Hun 257 [1889] und der Supreme Court in Church of the Holy Trinity v. USA 143 US 226 [1892] und Kedroff v. St. Niebolas Cathedral 344 US 82 [1952]). Ein klarer Fall der internationalen Praxis: Der Anspruch eines aus der Kirche ausgetretenen Bürgers auf staatsgerichtliche Annullierung seiner Taufe kann nicht Gegenstand staatlicher Kognition bilden. So alle Instanzen Islands und auf Beschwerde wegen Verletzung der Art. 9 und 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention die MRK Kommission des Europarates im Fall 2525/65 vom 7. 2. 1965, in: Council of Europe, Collection of Decisions of the European Commission of Human Rights, Vol. 22, Strasbourg July 1967, p. 33. 82 Es gehört zur Aufgabe eines weltanschaulich neutralen Staates, in seiner Gesetzgebung neutrale, nicht konfessionell gebundene Begriffe zu verwenden, außer dort, wo er ausdrücklich die pluralistische Vielheit der geistigen Strömungen berücksichtigen und beachten will (z. B. beim Schulsystem). Aber zur allgemeinen Rechtsordnung gehören allgemeine Begriffe (siehe meine Darlegungen: Kirche und Staat inderneueren deutschen Entwicklung, in: ZevKR 7 [1959/60] S. 258, Anm. 92; im gleichen Sinn BVerfGE 12 S. 46, 54). Das gilt etwa für das "Gewissen" (Art. 4 Abs. 3 GG); aber auch für die Ehe (abgesehen von einzelnen Fragen der Eheverfehlung, vgl. Knut Wolfgang Nörr, Bürgerliches Eheauflösungsrecht und Religion, in: JZ 1966 S. 545 ff.). 58
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entfernt liegenden Fragen, der Einfügung in die staatliche Ordnung. Das gilt für Fragen der Gesundheitspolizei (bei Anlegung von Friedhöfen}, für das Arbeitsrecht (bei kirchlichen Angestellten und Arbeitern) wie für das allgemeine Steuerrecht. Gegenüber der korporativen Selbstbestimmung der Religionsgesellschaften bringt dies auch Art. 137 Abs. 3 WeimRV in der bekannten Formel von den "Schranken des für alle geltenden Gesetzes" zum Ausdruck, die an dieser Stelle, wo es um äußere Verwaltung der Kirchen geht, die Grenze deutlich betont, die die staatliche Ordnung zieht. Im Lichte des Umstandes, daß in Randzonen auch eine allgemeine Einfügung der religiösen Gemeinschaften in die allgemeine Rechtsordnung statthaft ist (Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht, Steuerrecht, Sozialrecht)64 , bedarf auch die übliche Umschreibung jener Formel64 wohl einerneuen Überprüfung, die hier freilich nicht gegeben werden kannos. In diesen Zusammenhang gehört auch das Problem, inwieweit kirchliche Selbständigkeit der staatlichen Gerichtsbarkeit Grenzen zieht. Das ist sicher der Fall, wo es sich um Nachprüfung innerkirchlicher Maßstäbe oder gar geistlicher Fragen handelt, - letztere sind überhaupt staatlicher Kontrolle entzogen - aber andererseits gehört es zu den Grundlagen der staatlichen Rechtsordnung (Art. 92 GG), daß in Fragen der bürgerlichen Rechte (Art. 136 Abs. 2 WeimRV) niemand der staatlichen Gerichtsbarkeit entzogen wird. Zwar greift der Staat nicht ein in das Recht kirchlicher Ämter, aber die bürgerlichen Folgen eines daraus entspringenden Verhältnisses wie Gehaltsansprüche, Abfindungen, Schadensersatz unterliegen seiner Gerichtsbarkeit. Daher erscheint das Urteil des Bundesgerichtshofs, das hier eine kirchengesetzliche Zuweisung an Kirchengerichte zum Ausschluß staatlicher Jurisdiktion genügen läßt, nicht haltbar66 • Die Zuständigkeit staatlicher Gerichte war seit Art. 16 der Deutschen Bundesakte von 1815 niemals zweifelhaft. Daß sie für alle vermögensrechtlichen Fragen von Personen im Dienst der Kirchen - auch Geistlichen - gilt, ist niemals vor 1945 zweifelhaft ge63 Ausdrücklich bezieht auf die innere Organisation der Kirche das "free exercise" der amerikanische Supreme Court Kedroff v. St. Niebolas Cathedral (vgl. Anm. 61). 84 Das gilt aber nicht etwa für eine Arbeitszeitbestimmung für Ordensangehörige, weil hier direkte religiöse personale Entscheidungen berührt würden. 85 Zum Begriff der "Schranken" siehe meine Darlegung in: ZevKR 3 (1953/54) S. 357 (anknüpfend an Johannes Hecket, Das staatskirchenrechtliche Schrifttum der Jahre 1930 und 1931 in: VerwArch 37 [1932] S. 382), die vom Bundesgerichtshof, in: BGHZ 34 S. 373, zitiert wird. Ferner Konrad Hesse, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1945, in: JöR, N.F., Bd. 10 (1961) S. 26 f., Carl Josef Hering, Zur Interpretation der Formel "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" (Art. 140 GG/137 111 1 WRV), in: Festschrift für Hermann Jahrreiß, Köln 1964, S. 87 ff., Peter Häberle, in: ZevKR 11 (1964/65) S. 401, Alexander HoHerbach, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/M. 1965, S. 120 ff. 66 BGHZ 34 S. 372 ff. Dazu Konrad Hesse, in: JZ 1961 S. 449 ff.
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wesen67 • Es wäre für alle Beteiligten höchst ratsam, die klaren Ausführungen von Wilhelm Kahl hierzu zu lesen. Er stellt fest, daß die Gewährung des Rechtsschutzes eine ursprüngliche Aufgabe der Staatsgewalt sei und zeigt, wie im 19. Jahrhundert alle Reste eines privilegierten geistlichen Gerichtsstandes beseitigt wurden. Er schließt: "Das Resultat der Entwicklung ist also dies, daß . . . alle vermögensrechtlichen Streitigkeiten der Kirchen und kirchlichen Institute, alle privatrechtliehen Streitsachen der Kirchendiener, sowie grundsätzliche Ehe-, Patronatund Simultanrechtsstreitigkeiten der staatlichen Civilgerichtsbarkeit unterliegen"68. Wenn es richtig ist, daß alle Gerichte nur als staatliche Gerichte zulässig sind69 , so darf der Staat diese Streitigkeiten auch nicht an kirchliche Gerichte übertragen, denen er wohl Vorentscheidungen überlassen mag, und denen Streitsachen kirchlicher Verbände untereinander zustehen können. Hier liegt der Grund, weshalb entweder die Verwaltungsgerichte oder nach Art. 19 Abs. 4 GG die Zivilgerichte zuständig sind. Neuere Entscheidungen suchen hier durch Vermutungen eines Fortbestandes staatlichen Rechtsschutzes bei fehlender anderweiter kirchlicher Zuweisung zu mildern, aber auch diese Linie wird den Geboten des Verfassungsrechts nicht ausreichend gerecht70• Die Religionsfreiheit ist, das ist abschließend zu beachten, eine staatliche Regelung. Auch kirchliche Erklärungen zur Religionsfreiheit haben diese staatliche Regelung im Auge; das gilt für die Aussagen des Oekumenischen Rates der Kirchen wie die Declaratio de Libertate Religiosa des Vatikanischen Konzils71 • Gewiß wird Toleranz auch im kirchlichen Raume heute anerkannt und als geboten angesehen, aber hier gilt andererseits die Grenze der Wahrheit. Im Punkte erkannter Wahrheit kann es in der Kirche keine Neutralität, sondern nur gegenüber dem Andersgläubigen Toleranz, Liebe, Zusammenarbeit geben. Die staatliche Regelung wendet sich hingegen in manchen Punkten auch bewußt gegen die Kirchen, etwa bei der Einführung des Kirchenaustritts (als einer bürgerlich-staatlich wirksamen Institution)1 2, des Zeitvorrangs der 67 Als Beispiel siehe Joseph Pözl, Lehrbuch des bayerischen Verfassungsrechts, 3. Aufl., München 1860, S. 233, der alle vermögensrechtlichen Angelegenheiten der staatlichen Gerichtsbarkeit unterwirft. 68 Wilhelm Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik Bd. 1 Freiburg - Leipzig 1894, S. 354 - 56. ' ' n So zutreffend PeteT HäbeTle, Berufsgerichte als "staatliche Gerichte" in: DÖV 1965 S. 370. ' 70 Vgl. BGH vom 19. 9. 1966, in: JZ 1967 S. 406, und ähnlich BVerwG vom 27. 10. 1966, ebd. S. 410. Kritisch zu der damit den Kirchen gebotenen Wahl HaTtmut MauTeT, ebd. S. 408 ff. 71 Die Abstellung dieser Erklärungen auf die staatliche Ordnung stellt klar Angel FTancisco CaTrillo de AlboTnoz, Le concile (vgl. Anm. 13) s. 23, 79 f., 140. 72 Zur rein staatlichen Natur des Kirchenaustritts siehe Klaus MöTsdoTf Artikel "Kirchengliedschaft, katholisch", in: Evangelisches Staatslexikon Stutt~ gart- Berlin 1966, Sp. 939; Reinhold Zippelius, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 58.
4 ScheUDer
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Ziviltrauung (§ 67 PersStG) oder der Anordnung des Rechts auf Schweigen (Art.136 Abs. 3 WeimRV). 111. Religionsfreiheit und Toleranz: Individualrecht und korporativer Zusammenhang In Lehre und Rechtsprechung wird die Religionsfreiheit fast ausschließlich in ihren Bezügen als Recht der einzelnen Person gesehen. Zwar erkennt das Bundesverfassungsgericht auch die Berufung auf Art. 4 GG den Religionsgesellschaften zu73 , aber auch dabei geht es im Grunde nur um die einer Korporation gehörenden Individualrechte. Das Problem liegt an anderer Stelle. Wie einerseits volle Ausübung religiöser Freiheit das Handeln in Gemeinschaft voraussetzt und der Schutz des Art. 4 GG daher die Religionsausübung als notwendigen, in der Bekenntnisfreiheit enthaltenen Bestandteil einschließt, so lassen sich gewisse Fragen religiöser Freiheit nur im Blick auf die gemeinsame Übung und Haltung lösen. Das gilt vor allem für Fragen der Parität und der Toleranz, wie für alle Regelungen, in denen der Staat die Mehrheit der Bekenntnisse wie im Schulrecht bewußt in Rechnung zieht. Parität kann in Individualfällen eine Rolle spielen, aber zumeist handelt es sich bei ihr um eine vergleichsweise Egalität von Gemeinschaften. Vorteile, die einer von ihnen gegeben sind, sollen nach dem Grundsatz der Gleichheit in ihrer spezifischen Ausprägung als Parität anderen oder allen zugute kommen. Die Begrenzung der Parität auf gewisse große Gemeinschaften ist eine Vorstufe der heutigen Lage, in der zwar die Berücksichtung der tatsächlichen Größenverhältnisse zulässig ist74 , aber die Tendenz zur Angleichung der Lage aller Religionsgesellschaften geht75. Parität meint aber, wie Martin Heckel gezeigt hat76 , nicht nur Gleichbehandlung, sondern auch Berücksichtigung, Rücksichtnahme auf die konfessionellen Gesichtspunkte im Recht. Ihre Verletzung bewirkt nur im äußersten Fall Unwirksamkeit des erteilten Vorteils für eine Gemeinschaft, vielmehr in der Regel den Anspruch der anderen auf Gleichstellung77 • In jedem Falle aber setzt die Handhabung der Parität oder Gleichstellung die Betrachtung der staatlichen Neutralitätspflicht im Vergleich der ganzen Gruppen und ihres besonderen wie rela73 BVerfGE 19 S. 1, 5; BVerfG, in: DÖV 1965 S. 454; vgl. aber auch VGH Baden-Württemberg, in: DÖV 1967 S. 312 ff. 74 BVerfGE 19 S. 1, 8; BVerfG, in: DÖV 1965 S. 454; siehe hierzu auch Martin Hecke I, Parität, in: ZRG 80 Kan. Abt. 49 (1963) S. 285 f. 75 BVerfGE 19 S. 1 ff.; BVerfG, in: DÖV 1965 S. 454.
78
s. 265 f.
Dieser Zusammenhang ist angedeutet bei Martin Heckel, S. 283. Er tritt auch im allgemeinen Gleichheitssatz dort auf, wo gesetzgeberische Unterlassungen der Gleichziehung vorliegen. Vgl. BVerfGE 15 S. 47, 76; BVerfG, in: DÖV 77
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tiven Status voraus7s, macht es also notwendig, die Religionsfreiheit hier korporativ zu sehen. Besondere und entscheidende Bedeutung aber kommt der korporativen Betrachtung der Religionsfreiheit dort zu, wo nicht Individuum und Staat sich begegnen, sondern der Staat sich mehreren Gruppen zugleich gegenübersieht und die Freiheit der einzelnen und der Gruppen miteinander in Widerstreit tritt. In solchen Lagen ist eine Lösung grundsätzlich nur in der Toleranz, in der Berücksichtigung der Modalitäten des gruppenweisen Zusammenlebens möglich, die von jeder Teilgemeinschaft wie von deren Gliedern gewisse Einfügungen und Ermäßigungen ihres Anspruchs fordert. Ein solches gegenseitiges Rücksichtnehmen hat das Bundesverfassungsgericht anschaulich in seinem Urteil zum Jugendwohlfahrts- und Sozialhilfegesetz vom 18. 7. 1967 umschrieben. Dort verweist das Gericht die Kommunen und die verschiedenen weltanschaulich differierenden Organisationen auf "sinnvolle Zusammenarbeit" und fordert den sinnvollen Einsatz der verfügbaren öffentlichen und privaten Mittel unter Gesamtverantwortung des Jugendamtes 79 . Vor allem aber stellt sich die Aufgabe einer Interpretation der Religionsfreiheit unter korporativen Gesichtspunkten im Bereich der Schule. Wollte hier jeder einzelne, jeder Elternteil absolute Rechte durchsetzen, so könnte nur Streit und Zersplitterung die Folge sein. Schon an sich ist hier eine gegenseitige Rücksichtnahme zwischen dem nur unvollkommen gemilderten staatlichen Schulmonopol, den gemeindlichen Interessen, dem elterlichen Erziehungsrecht und dem auf die religiöse Erziehung begrenzten kirchlichen Standpunkt nötig. Jedes Schulsystem bringt es mit sich, daß Elternteile und Kinder nicht voll der ihrer Weltanschauung entsprechenden Unterrichtsform teilhaftig werden. Das gilt nicht nur im Fall der Bekenntnisschule 80 als Regelschule, sondern ebenso bei der Gemeinschaftsschule, die ebenso in die Sphäre des Art. 4 GG eingreift81 • Das Grundgesetz hat beide Schulformen, auch als Regelschule, zugelassen. Eine verfassungskonforme Lösung aber kann, wobei politische Erwägungen hier beiseite bleiben, nur, wie Feuchte-Dallinger zu Recht feststellen 82 , im Wege der Toleranz gefunden 1963 S. 262, wo deutlich ausgesprochen ist, daß hier nicht Unwirksamkeit (des Gesetzes nach Art. 131 GG), sondern Ergänzung des Gesetzes geboten ist (v. Rohdichscher Legatenfonds). Vgl. dazu auch Gerhard Leibholz u. Hans Justus Rinck, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, Köln-Marienburg 1966, S. 79. 78 Vgl. Martin Hecke!, S. 283 f. Zur Parität siehe auch Walter Hamel, in: Die Grundrechte, Bd. IV/1, S. 93 ff.; Theodor Maunz, Toleranz und Parität im deutschen Staatsrecht, München 1953; Martin Heckel, Artikel "Parität", in: Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart- Berlin 1966, Sp. 1467 ff. 78 BVerfG, Urteil vom 18. 7.1967, Hekt. FassungS. 27-30, 80 Bei der Klaus Obermayer (vgl. Anm. 24) das betont. 81 So richtig Paul Feuchte u. Peter Dallinger, in: DÖV 1967 S. 365. Vgl. auch BVerfGE 6 S. 309, 339.
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werden. Landesverfassungen und Schulgesetze legen an sich schon vielfach die Pflicht den Lehrkräften und Verantwortlichen auf, den Unterricht im Geist weltanschaulicher Duldsamkeit zu gestalten83 • Wird nun eine Bekenntnisschule von stärkeren andersgläubigen Gruppen besucht, so mögen Einrichtungen wie Einstellung besonderer Lehrkräfte für diese (Minderheitenlehrer) 84 ausreichen, jedenfalls aber wird, wie der Bayerische Verfassungsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat, dann eine sorgsame Beachtung des Toleranzgebots durch Lehrer wie Schüler geboten sein85• Damit nähert sich tatsächlich dann die Bekenntnisschule einer christlichen Gemeinschaftsschule, wenigstens in der Gestaltung der allgemeinen Unterrichtsfächer mit weltanschaulichem Einschlag86 • Die Lösung der Schulfragen, die durch den heute stärker betonten Bildungsanspruch jedes Kindes auf eine gleichwertige und möglichst gute Ausbildung eine besondere Betonung erfahren, wird, da in der Kompetenz der Länder gelegen, nach den spezifischen Traditionen und Situationen jedes Landes erfolgen. Sie wird notwendig gewisse Einschränkungen der vollen religiösen Freiheit mit sich führen. Sofern diese einen echten Ausgleich schafft und dem Bildungsanspruch Genüge tut, liegt darin keine Beeinträchtigung im Zeichen der notwendigen Toleranz und Zusammenarbeit der Gruppen in einer pluralistischen Gesellschaft87. Zur Religionsfreiheit gehört auch ihre vernünftige, von Toleranz getragene Geltendmachung und Ausübung88. Der rein individualistische Standpunkt versagt diesen Fragen gegenüber. Wiederum zeigt sich das an dem Urteil des Hess. StGH, der einem einzelnen ein absolutes Recht gegenüber allen anderen zur Verhinderung gemeinsamer Religionsübung gegeben hat. Es kann dahingestellt bleiben, ob schulrechtlich ein Schulgebet geschützt ist. Aber von einer Betrachtung aus der Gemeinschaft her kann die Lösung nur in gegenseitiger DÖV 1967 S. 366. ea Vgl. Bayerische Landesverfassung Art. 136 Abs. 1; Schulgesetz vom 17. 11. 1966, Art. 4 (BayGVBl. S. 402); Baden-Württembergische Landesverfassung Art. 16 Abs. 2; Bremische Landesverfassung Art. 33; Hessische Landesverfassung Art. 56 Abs. 4; Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen Art. 7 Abs. 2; Landesverfassung von Rheinland-Pfalz Art. 33; Verfassung des Saarlandes Art. 30. 84 Vgl. das bayerische Schulgesetz vom 17. 11. 1966, Art. 8 Abs. 4, und dazu Siegjried Grundmann, in: BayVBI. 1966 S. 37 ff. ss BayVerfGH, in: DÖV 1967 S. 308 f. 88 Paul Feuchte u. Peter Dallinger sprechen von einem "Pyrrhussieg" der Anhänger der Bekenntnisschule (S. 366). 87 Zur Bedeutung der Toleranz in der modernen Gesellschaft siehe Fritz Werner, Recht und Toleranz, in: Verhandlungen des 44. Deutschen Juristentages (1962), Bd. II/B, Tübingen 1964. 88 Hier ist auf die treffenden Darlegungen von Angel Francisco Carrillo de Albornoz, Le concile (Anm. 13), S. 145, zu verweisen, der auch der sozialen (korporativen) Seite der Religionsfreiheit richtig Beachtung geschenkt hat 82
(S. 28, 91, 149).
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Rücksicht liegen. Hier die Freistellung des Andersdenkenden von der Teilnahme in der geeignetsten Form, dort die Hinnahme der in dem Fernbleiben liegenden Folge eines offenen Bekenntnisses. Hier die Freistellung des Andersdenkenden von der Teilnahme in der ihn am wenigsten belastenden Form, dort die Hinnahme der Notwendigkeit einer indirekten Bekenntnisabgabe. Die Annahme eines absoluten Rechts zum Schweigen widerspricht auch der Realität und jedenfalls bei der religiösen Überzeugung auch deren öffentlicher und gemeinschaftsbildender Natur. Im gesellschaftlichen Leben wird der einzelne immer wieder in bestimmten Situationen sich offen zu einer Weltanschauung zu bekennen haben, an der Kirchentür, bei der Anmeldung von Kindern zur Schule, im Gespräch oder vor Gericht bei der Vereidigung. Daher wird auch das Recht zum Schweigen in Art. 136 WeimRV speziell normiert und seine Begrenzung im amtlichen Verkehr alsbald deutlich gemacht. Nur eine Betrachtung, die nicht nur Individualrechte gegeneinander ausspielt, sondern Majoritäten und Minoritäten, Staat und religiös-geistige Gruppen in eine Ordnung der Rücksicht und der Toleranz setzt, vermag in solchen Lagen eine Wahrung des Art. 4 GG in gerechtem Ausgleich zu gewährleistens9 • Die vorstehenden Ausführungen haben versucht, Teile der Problematik der Religionsfreiheit sichtbar zu machen. Sie haben an praktischen Beispielen zeigen können, wie sehr Ausdeutung und Handhabung der Religionsfreiheit von einem rechten Verständnis ihres Gehaltes, auch als Schutz von Gruppen, und ihrer Stellung im Rahmen der Gesamtheit der Grundrechte, damit aber auch von der Grundrichtung des Verfassungssystems abhängen. Nicht minder ergeben sich aber auch wichtige Momente für die Anwendung der Religionsfreiheit aus dem staatskirchenrechtlichen System. Denn in sich stellt die Religionsfreiheit kein ausreichendes Moment zur Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Kirche dar. Auch in den Vereinigten Staaten, in denen heute manche das Vorbild einer "freien Kirche" erblicken, wird die Stellung der Kirchen nicht nur durch "free exercise", sondern ebensowohl durch "no establishment" bestimmt. Der "wall of separation" ist eine Ableitung aus dem zweiten Bestandteil des Ersten Amendment90 • Die Idee, eine Regelung der Religionsfreiheit könne eine ausreichende staatskirchenrechtliche Grundlage bieten, entspringt der liberalen Sicht der religiösen Haltung, die wesentlich nur die individuelle Einstellung in Vereinzelung 88 Auf dies Moment der Religionsfreiheit als Ausdruck von Minderheitsrechten und das Gebot des Ausgleichs weist auch hin WiZZiam H. MarneZZ, The First Amendment, New York 1964, S. 197 ff. 9° Konrad Hesse, Artikel "Kirche und Staat", in: Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart- Berlin 1966, Sp. 920. Vgl. ders., in: ZevKR 11 (1964/65) S. 361. Kritisch hierzu Martin HeckeZ, Zur Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts von der Reformation bis zur Schwelle der Weimarer Verfassung, in: ZevKR 12
(1966/67) s. 24 ff.
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betrachtet und daher den Fragen der Stellung religiöser Gruppen im freiheitlichen Staat nur vom individuellen Standpunkt aus Aufmerksamkeit zuwendet. Die europäische Tradition hat bis in die Gegenwart an Elementen einer Verbindung von Staat und Kirche festgehalten. Diese Verknüpfung hat sich gewiß in neuerer Zeit gelockert, auch unter dem Zeichen einer die Neutralität des Staates stark betonenden Auslegung der Religionsfreiheit, und unterliegt heute einer egalisierenden Tendenz im Verhältnis der Religionsgesellschaften zum Staate. Diese Elemente einer Berührung und eines Zusammenwirkens von Staat und Kirche (Schule, Theol. Fakultäten, Anstaltsseelsorge, Kirchensteuer, öffentliche Körperschaftseigenschaft) besitzen noch immer einen erheblichen Umfang und bestimmen daher in entscheidender Weise die heutige staatskirchenrechtliche Lage zugleich mit der Toleranz und Glaubensfreiheit. Die letztere für das "primär" bestimmende Element zu erklären90 , scheint mir dem gegebenen Rechtszustand nicht voll gerecht zu werden. Sieht man von den Fragen rechtspolitischer Fortentwicklung ab, die heute stark in Bewegung geraten sind, die aber hier nicht zu erörtern sind91 , so ist für die Umschreibung des geltenden Rechtszustandes eine Betrachtung der Religionsfreiheit nicht zureichend. Sie müßte notwendig durch die grundlegenden institutionellen Gewährleistungen ergänzt werden, die die Stellung der Kirchen im öffentlichen Recht und ihre in Grundgesetz und Landesverfassungen ausgesprochene Anerkennung als wichtiger Bestandteil des öffentlichen Lebens enthalten. Man wird sich in der Tat auch fragen können, ob angesichts einer Entwicklung des Staatsrechts, die mehr und mehr dahin tendiert, den tragenden Kräften des öffentlichen Lebens eine staatliche Anerkennung und mehr oder weniger eine Position im öffentlichen Recht zu geben (Parteien, Gewerkschaften, Verbände), die aus dem 19. Jahrhundert stammende Vorstellung einer aus diesem Bereich ungeachtet ihrer bedeutsamen Mitwirkung ausscheidenden und in den Bereich privaten Zusammenschlusses zurücktretenden Religionsgesellschaft noch adäquat ist. Die Religionsfreiheit wird, das haben die Darlegungen zu zeigen gesucht, in diese staatskirchenrechtlichen Auseinandersetzungen tief verflochten, so wie sie auch in hohem Maße von der allgemeinen Rechtslage in einem Staatswesen und der Anerkennung allgemeiner Freiheiten in dessen Verfassung und Verfassungswirklichkeit bestimmt wird.
11 Ich darf auf meine Darlegungen, Die Kirche im säkularen Staat, in: Im Lichte der Reformation, Jahrbuch des Evangelischen Bundes, 10, Göttingen 1967, S. 5 ff., verweisen.
Zum Schutz der karitativen Tätigkeit nach Art. 4 GG Rechtsgutachten I. Zum Sachverhalt 1. Die Katholische Landjugendbewegung Deutschlands in Düsseldorf, eine nicht rechtsfähige Vereinigung, veranstaltete im Jahr 1965 im gesamten Bundesgebiet eine Sammlung von Lumpen und Altmaterial, die sie durch ihre Mitglieder bei Privatpersonen einsammeln ließ. Sie verkaufte das erlangte Material an Großhändler. Der Erlös war dazu bestimmt, der Landjugend in unterentwickelten Ländern zugute zu kommen. Der Rohstoffgroßhändler H. in Nördlingen, der sich mit der Einsammlung von Altmaterial befaßt, das er an Großhändler verkauft, erlitt durch diese Aktion nach seinen Angaben Ausfälle, weil ihm weniger Material anfiel und die Großhändler wegen Marktübersättigung eine Zeitlang kein Material abnahmen. Er hat die Landjugendbewegung vor dem Amts- und Landgericht Düsseldorf auf Schadensersatz und Unterlassung in Anspruch genommen, wobei sich letzterer Anspruch auch darauf richtete, daß die Landjugendbewegung es unterlassen solle, ihre Sammlung durch Aufforderungen von Geistlichen auf der Kanzel vorzubereiten. Die Klage ist auf die Betätigung der Landjugendbewegung in einem Dorfe gerichtet, hat aber ihrem Inhalt nach allgemeine Bedeutung für die ganze Aktion. Das Amtsgericht Düsseldorf wies sie ab, das Landgericht gab ihr insofern statt, als es die Landjugendbewegung verurteilte, es zu unterlassen, ihre Altmaterialsammlungen in ... durch Werbung von der Kanzel der katholischen Kirche vorzubereiten. Die weitergehende Forderung auf Unterlassung der Sammlung und Schadensersatz wies das Gericht ab. Das Gericht erblickte in dem Verhalten der Landjugendbewegung einen Verstoß gegen§ 1 UWG. Es sah die Sammlung als eine erwerbswirtschaftliche Betätigung an, da das Sammelergebnis dem Handel zugeführt worden war. Der Verwendungszweck des Erlöses steht nach der Ansicht des Gerichts dieser Beurteilung ebensowenig entgegen wie Der Abdruck dieses Rechtsgutachtens vom 19. September 1967 erfolgt mit Rücksicht auf die Tatsache, daß es dem Bundesverfassungsgericht vorlag und dieses in Band 24 S. 241 seiner Entscheidungen darauf Bezug genommen hat.
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der Umstand, daß die Landjugendbewegung sich nicht ständig mit der Sammlung von Altmaterial beschäftigt. Den Sittenverstoß im Sinne des § 1 UWG erblickt das Gericht nicht in der Einsammlung an sich, sondern in der Unterstützung durch die Aufforderung von der Kanzel. Dadurch habe die Landjugendbewegung ihrer Erwerbstätigkeit, die mit der des Händlers in Wettbewerb stehe, eine Unterstützung mit einer Förderung verschafft, die wie amtliche Empfehlungen eine außerhalb des Wettbewerbs liegende Ausstrahlungskraft besitze und die dem Gegner nicht zur Verfügung stehe. Darin erblickt das Gericht einen ungerechtfertigten WerbungsvorteiL Dabei hat das Gericht, wie aus seinen Darlegungen zum Schadensersatz hervorgeht, offenbar die Kanzelaufforderung, da die Landjugendbewegung sie gebilligt habe, als deren Betätigung angesehen. Gegen dies Urteil vom 16. 3. 19661 hat die Landjugendbewegung am 18. 4. 1966 Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung der Art. 2 und 4 GG erhoben. Der Unterzeichnete ist gebeten worden, sich zu den grundrechtliehen Fragen der Streitsache -1 BvR 241/66- zu äußern. II. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde 2. Der Umstand, daß die Landjugendbewegung eine nicht rechtsfähige Vereinigung ist, steht ihrer Berufung auf Grundrechte nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt ausgesprochen2 , daß in besonders gelagerten Fällen auch Personengruppen als solche Träger von Grundrechten sein und Verfassungsbeschwerde erheben können. Da im vorliegenden Falle die Landjugendbewegung Partei eines Zivilklageverfahrens gewesen ist und sich in ihren Grundrechten durch das ergangene Urteil beschwert fühlt, dürfte diese Voraussetzung gegeben sein und die Beschwerdeführerin jedenfalls die partielle Rechtsfähigkeit im Blick auf die Verfassungsbeschwerde besitzen3 • Andernfalls würde es möglich sein, zwar die Landjugendbewegung in einem gerichtlichen Verfahren als parteifähig zu behandeln, sie aber ohne grundrechtliehen Schutz gegen das Ergebnis zu lassen. Die Beschwerdeführerin hat sich auf die Art. 2 und 4 GG berufen. Soweit Art. 2 GG in Frage steht, handelt es sich um die allgemeine Handlungsfähigkeit und Betätigungsfreiheit. Gerade sie ist durch das ergangene Urteil durch das Gebot einer bestimmten Unterlassung eingeschränkt worden. Art. 2 GG steht als Schutz auch juristischen Personen Auszugsweise veröffentlicht in: NJW 1966 S. 2219. Vgl. BVerfGE 3 S. 383, 391/92; 6 S. 273, 277. 3 Vgl. Hans Lechner, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, 2. Aufl., München 1967, S. 304/05. 1
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und auch Vereinigungen zu4• Da die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 die Betätigung auch von Vereinigungen im Rahmen ihrer Zwecke umfaßt, soweit sie Ausfluß der Handlungsfreiheit ihrer Mitglieder ist, wird man auch der Beschwerdeführerio den Schutz des Art. 2 GG zubilligen können. Was Art. 4 GG anlangt, so hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, daß Religionsgesellschaften Träger von Grundrechten sein können5. Es kann dahingestellt bleiben, welche Grundrechte die Religionsgesellschaften beanspruchen können. Jedenfalls wird zu ihnen die in Art. 4 Abs. 1 und 2 gewährleistete Glaubensfreiheit und ungestörte Religionsausübung gehören. Denn da die Glaubensausübung in einer Religionsgesellschaft stets ein Akt nicht nur der individuellen privaten Haltung, sondern auch des gemeinsamen Bekenntnisses und der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung ist, gehört die Sicherung der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) zu denjenigen Grundrechten, die ihrer Natur nach einen korporativen Charakter- neben dem individueller Inanspruchnahme - tragen und daher auch den Gemeinschaften zustehen müssen, in deren Rahmen sie erst ihren vollen Gehalt empfangen. 3. Mit dieser auf die Religionsgesellschaften und ihre einzelnen Gliederungen (Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 1, 5 WeimRV) abgestellten Feststellung ist noch nicht klargestellt, daß auch die Landjugendbewegung Träger des Grundrechts aus Art. 4 GG sein kann. Die Beantwortung der hier sich erhebenden Frage hängt davon ab, ob man diese Vereinigung in einem weiteren Sinn als Teil der Religionsgesellschaft ansehen kann. Das ist zu bejahen. Es gibt im kirchlichen Raum zahlreiche rechtsfähige und nicht rechtsfähige Vereinigungen. Unter ihnen werden nicht alle als Träger grundrechtlicher Sicherung im Sinne des Art. 4 GG anzusehen sein. Es wird vielmehr auf den Zweck und die Betätigung ankommen. Die Landjugendbewegung ist eine Vereinigung, deren Aufgabe es ist, die Landjugend im Sinne des katholischen Glaubens in gemeinsamer Betätigung zusammenzufassen, die jedenfalls auch der religiösen und seelsorgerischen Betreuung und der karitativen Aktivität dient. Insoweit aber kommt die Betätigung der Landjugendbewegung, wie noch auszuführen sein wird, in den Bereich der durch Art. 4 GG geschützten Religionsübung und insoweit muß sie dann auch als Träger einer grundrechtliehen Sicherung angesehen werden. Es entspricht einer logischen Folge, daß Tätigkeiten kirchlicher Vereinigungen, die im Rahmen der Wahrnehmung der durch Art. 4 GG gewährleisteten Glaubensbezeugung und Religionsübung liegen, auch für diese Vereinigungen nach Art. 4 GG geschützt sein müssen. ' Vgl. Art. 19 Abs. 3 GG und Theodor Maunz u. Günter Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Rdnr. 68 zu Art. 2. s Vgl. BVerfGE 19 S. 1, 5.
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Erweist sich die Beschwerde als materiell begründet, so ist damit auch dargetan, daß Art. 4 GG berührt ist, und zwar in der Person der Beschwerdeführerin, der eine nach Art. 4 GG geschützte Tätigkeit verboten wurde. Der Umstand, daß das Verbot sich mittelbar gegen die Kanzelabkündigung eines Pfarrers richtet, muß hier außer Betracht bleiben. Denn durch ein gerichtliches Urteil ist der Beschwerdeführerin ein Gebot auferlegt, das sie für das Handeln des Pfarrers verantwortlich macht. Ganz abgesehen von der Frage, ob dieses Gebot an die Beschwerdeführerin in dieser Form ergehen konnte oder ob es sich hätte unmittelbar gegen den Geistlichen wenden müssen, so wird die Beschwerdeführerin in ihrer karitativen Tätigkeit durch dies an sie gerichtete Gebot beschwert. Sie muß auch die Möglichkeit haben, ihre Rechte aus Art. 4 GG, wie nicht minder die des ihr zugerechneten Pfarrers, geltend zu machen. Wenn sich herausstellen sollte, daß dies Gebot keineswegs der Beschwerdeführerin auferlegt werden durfte, so wäre sie jedenfalls in ihrem Recht nach Art. 2 GG verletzt. Denn ihr durfte nach den Grundsätzen des Rechtsstaates durch ein gerichtliches Urteil keine Rechtspflicht auferlegt werden, die überhaupt nicht besteht; das würde in unzumutbarer Weise in ihre Rechte eingreifen8 • Zusammenfassend kann jeweils davon ausgegangen werden, daß die Beschwerdeführerin Träger der Grundrechte der Art. 2 und 4 GG im Rahmen ihrer Zweckbestimmung ist und daß sie eine Verletzung dieser Grundrechte gemäߧ 90 BVerfGG geltend machen kann.
m.
Wettbewerbsrecht und Art. 4 GG
4. Bei der Betrachtung der grundrechtliehen Fragen ist es richtig, Art. 4 GG in den Vordergrund zu stellen. Von ihm soll hier ausgegangen werden. Ein Grundrecht kann verletzt werden, indem es unrichtig angewandt oder ausgelegt wird. Es kann aber auch dadurch verletzt werden, daß ein Tatbestand nach allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts oder des Verwaltungsrechts beurteilt wird, ohne daß erkannt wird, daß hier der Bereich eines Grundrechts berührt wird. Denn dort, wo allgemeine Rechtsvorschriften den Wirkungsbereich eines Grundrechts treffen, müssen sie in Bezug auf das betreffende Grundrecht gesehen und ausgelegt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Gedanken vor allem im Zusammenhang mit Art. 5 GG entwickelt. In dem sog. LüthFall7 hat es zur Auslegung des Begriffs "allgemeines Gesetz" in Art. 5 Abs. 2 GG ausgeführt, daß dieser Begriff, der die Meinungsfreiheit einschränkt, seinerseits wieder unter dem Gedanken der Meinungsfreiheit 1 7
Vgl. hierzu BVerfGE 19 S. 226,237. Vgl. BVerfGE 7 S. 198 ff.
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ausgelegt werden müsse 8• In jenem Falle handelte es sich auch gerade um den Fall einer als sittenwidrig beurteilten Handlung, die durch das Grundrecht geschützt war. In der Verkennung der Einflußweite des Grundrechts erblickte das Bundesverfassungsgericht den Grundrechtsverstoß. Diese Gedanken können im vorliegenden Falle zur Richtschnur dienen. Die einfache Anwendung des bürgerlichen Rechts (in Gestalt des UWG) kann dann in die Sphäre eines Grundrechts eingreifen, wenn sie dessen Bestand nicht beachtet und gegen die bürgerlich-rechtliche Beurteilung zur Geltung bringt. Eben hierin dürfte das rechtliche Bedenken gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf zu erblicken sein. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht dazu angetan, eine Überprüfung der wettbewerbsrechtlichen Darlegungen des Urteils des Landgerichts Düsseldorf herbeizuführen. Sie kann nur rügen, daß diese Darlegung dadurch, daß sie den Zusammenhang mit Art. 4 GG nicht gesehen und den Schutzbereich des Art. 4 GG nicht beachtet haben, einen Grundrechtsverstoß enthalten. Eben auf diesen Zusammenhang kommt es an. Wenn, was noch auszuführen ist, die Tätigkeit der karitativen Sammlung des Altmaterials eine Bezeugung christlicher Liebestätigkeit und mithin ein Teil der Glaubensübung ist, so muß dies berücksichtigt werden, auch wenn diese Betätigung in eine Randzone hineinreicht, in der sie in die allgemeine bürgerliche Ordnung sich einfügt. Vor allem aber muß dies für die Kanzelaufforderung zu karitativem Handeln gelten, die keine solche Randzone berührt und die auch nicht - hierin liegt ein weiteres Bedenken- ohne weiteres als Bestandteil der Sammlung durch die Landjugendbewegung angesehen werden kann. 5. Die Problematik des vorliegenden Falles läßt sich am besten dadurch aufrollen, daß man an den wettbewerbsrechtlichen Darlegungen des Urteils jeweils die nicht berücksichtigten Zusammenhänge mit Art. 4 GG aufzeigt.
Die erste Frage, die sich erhebt, geht dahin, ob das Gericht zu Recht die Handlungen der Landjugendbewegung überhaupt als geschäftlichen Verkehr angesehen hat. Es kann hier ohne weiteres eingeräumt werden, daß auch kirchliche Institutionen am Erwerbsleben teilnehmen und Erwerbsgeschäfte betreiben können. Eine Klosterbrauerei, ein kirchlicher Verlag, eine Zusammenkunft mit Warenverkauf 9 können hierzu gerechnet werden. Dementsprechend ist auch die Herausgabe eines Kirchenblattes den Vorschriften des UWG unterstellt worden10• Die Situation liegt hier aber anders. Das Gericht hat zwar Einsammeln des Materials und Verkauf an Großhändler als eine Einheit behandelt, • Vgl. BVerfGE 7 S. 212. e BVerfGE 19 S. 129 ff. 10 Vgl. BGHZ 3 S. 270 ff., sog. Constanze-Fall.
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aber es fragt sich, ob nicht gerade diese Sicht in den Grundrechtsbereich eingreift. Denn die Sammlung des Altmaterials, dessen Abgabe durch die Einzelpersonen nach Aufforderung ihres Ortsgeistlichen, ist eine rein karitative Tätigkeit. Wären die gesammelten Sachen als solche zur Linderung von Not verwendet worden, so wäre das evident. Die freiwillige Hergabe von Sachen zu karitativen Zwecken gehört zu den ältesten und seit jeher anerkannten Betätigungen christlichen Zeugnisses. Der Christ ist gehalten, das lehrt schon die Bibel11 , der Nächstenliebe auch durch die Tat zu dienen. Das Opfer gehört auch liturgisch zu den alten Bestandteilen sogar des Gottesdienstes 12 • Folgt man dieser Erkenntnis, so wird man die Sammlung des Materials, weil sie nichts anderes als ein karitatives Handeln der Gemeindeglieder darstellt, nicht einfach zum geschäftlichen Verkehr rechnen können. Die Aussage des Urteils, daß sie sich nicht von dem Handeln der Rohstoffhändler unterscheide, greift in den Bereich grundrechtlich geschützter Religionsübung ein. Anders mag es bei der Veräußerung des Ergebnisses der Sammlung stehen. Hier werden die Formen des bürgerlichen Rechts in normaler Weise benutzt, hier ist der Zusammenhang mit der karitativen Handlung im Zweck zwar voll gegeben, aber in der Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr eine Randzone betreten, bei der die Einordnung in das bürgerliche Recht vertretbar erscheinen kann. Das Verwaltungsgericht Augsburg hat in seinem Urteil vom 1. 4. 1966 - 39 I 66 - in einer von dem gleichen Rohstoffgroßhändler gegen die Diözese Augsburg wegen der Empfehlung der Sammlung im Amtsblatt des Bischöflichen Ordinariates angestrengten Verwaltungsklage die karitative Tätigkeit der Kirchen ganz zu dem von staatlicher Einwirkung freien inneren Tätigkeitsbereich gerechnet. Das Landgericht Düsseldorf hat sich bei seiner Stellungnahme offenbar von der Rechtsprechung zu § 1 UWG leiten lassen, die amtliche Handlungen betrifft. Aber diese Beispiele betreffen andere Situationen. Eine staatliche Kurverwaltung, die zugleich Interessen des staatlichen Kurhotels im Auge hat1a, kann gegenüber anderen privaten Beherbergungsstätten wettbewerblieh handeln, und das gleiche gilt von einer Landwirtschaftskammer, die sich an einer von mehreren Ausstellungsgesellschaften beteiligt, die landwirtschaftliche Ausstellungen veranstalten14, endlich von einem städtischen Schlachthof, der Blockeis verkauft15 • In alldiesen Fällen kamen aber keinerlei grundrechtliche Zusammenhänge ins Spiel, sondern es ging nur darum, ob diese Handlungen, wenn sie Vgl. Matthäus 6 Vers 1 - 3, Markus 12 Vers 41 - 44. Vgl. Theodor Klauser, Kleine abendländische Liturgiegeschichte, 5. Aufl., Köln 1965, S. 69. 13 Bad Ems-Fall, vgl. BGHZ 19 S. 299 ff. 1' Vgl. OLG Bremen, in: GRUR 1964 S. 210. 15 Vgl. BGH, in: GRUR 1965 S. 373. 11
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zugleich gewisse geschäftliche Interessen förderten, wettbewerbliehen Charakter trugen. Im vorliegenden Fall liegt eine solche Förderung gewerblicher Interessen nicht vor. Geht man davon aus, daß durch eine gewerbliche Tätigkeit im Sinne des § 1 UWG der Absatz einer Person auf Kosten eines Wettbewerbers gefördert werden soll1 6 , so kann jedenfalls die Sammeltätigkeit nicht in die wettbewerbliehe Handlungskette einbezogen werden. Es kann auch auf das nach der Rechtsprechung hier bedeutsame subjektive Element (Handeln zu Wettbewerbszwecken) 17 hingewiesen werden. Dieamerikanische Rechtsprechung hat demgemäß auch eine Tätigkeit wie den Verkauf religiöser Literatur durch Wandermissionare (der Zeugen Jehovas) als eine unter dem Ersten Amendment stehende Betätigung geschützt, auch wenn hier zugleich der Schutz der "freedom of the press" eingriff18 • In Rücksicht auf Art. 4 GG hätte hier das Urteil die Sammeltätigkeit in ihrer Gebundenheit als Religionsübung anerkennen müssen und durfte sie nicht einfach in ein wettbewerbliebes Handeln einordnen. Das gilt um so mehr, wenn es sich um die Kanzelaufforderung des Geistlichen handelt. 6. Die zweite Frage stellt sich dahin, ob diese Tätigkeit als sittenwidrig angesehen werden kann. Soweit in den angeführten Fällen amtlichen Handeins (Kurverwaltung, Eisverkauf des Schlachthofs, Anteilserwerb an Ausstellungsgesellschaft) amtliche Stellen handelten, traten sie stets mit der Absicht oder Nebenabsicht hervor, auch bestimmte gewerbliche Zwekke, die eigenen oder fremde, zu fördern. Allein diese Betätigung würde aber nicht zur Sittenwidrigkeit genügt haben. Die Verletzung des Sittengesetzes lag vielmehr darin, daß hier Handlungen eines Wettbewerbers vorlagen, die sich nicht auf Leistungskonkurrenz, sondern auf die Einwirkung von außerhalb des Leistungswettbewerbs liegenden Hilfen stützten 19 , also eine Willensbeeinflussung durch unsachliche Methoden vornahmen. Das Gericht hat in der Aufforderung zu karitativer Tätigkeit eine solche unsachliche Beeinflussung gesehen. Das mag vom Boden des Wettbewerbsrechts aus eine Folgerichtigkeit aufweisen, aber wiederum ist nicht berücksichtigt, daß die Aufforderung zu karitativem Handeln eine interne kirchliche Handlung darstellt, deren Hineinziehen in einen wettbewerbliehen Zusammenhang die Freiheit der Religionsübung beeinträchtigen kann. 18 Vgl. Heinrich Hubmann, Gewerblicher Rechtsschutz, München- Berlin 1962, S. 240; BGH, in: GRUR 1953 S. 294. n Vgl. Heinrich Hubmann, S. 241; BGHZ 3 S. 278. 18 Murdock v. Pennsylvania 319 US 105 (1943). 18 Vgl. Heinrich Hubmann, S. 243; Otto-Friedrich Frhr. von Gamm, Wettbewerbsrecht, Köln 1964, S. 116 ff.
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7. Daß es in diesem Zusammenhang nicht nur um eine Randzone kirchlichen Lebens geht, in der dieses ohne starke Beeinträchtigung der religiösen Freiheit der bürgerlichen Rechtsordnung eingeordnet werden kann, kann von einer anderen Seite her ergänzend verdeutlicht werden, indem die Frage aufgeworfen wird, inwieweit das kirchliche Handeln hier von der Auslegung des Art. 4 GG aus dessen Schutz untersteht. Die übliche Ausdeutung des Art. 4 GG wird zumeist von der Sicht allein auf die individuelle Glaubensfreiheit bestimmt und neigt wegen der besonderen Anführung der Religionsübung in Art. 4 Abs. 2 GG dazu, in der in Art. 4 Abs. 1 GG gewährleisteten Religionsfreiheit nur eine individuelle innere Freiheit zu erblicken. Eine solche Auslegung verkennt indes die Geschichte der Religionsfreiheit, die in ihren Anfängen eher ein korporatives als ein individuelles Recht war20 und die Einsicht, daß Religionsfreiheit notwendig auch die gemeinsame Religionsübung einschließt. Auch wenn Art. 4 Abs. 2 GG fehlen würde, würde diese gesichert sein. Zu der von Art. 4 GG gesicherten Religionsfreiheit (in diesem weiteren auch die Religionsübung einschließenden Sinne) gehört auch die karitative Betätigung. Mit Recht führt die Declaratio de Libertate Religiosa des li. Vaticanums in Nr. 4 als Bestandteil der Religionsfreiheit auf "associationes caritativas constituere" 21 • Auch wenn man von dieser Seite aus an die vorliegende Frage herantritt, so zeigt sich, daß sie unter dem Aspekt des Grundrechts hätte gewürdigt werden müssen. Das Argument des Gerichtes, es komme auf den guten Zweck nicht an, genügt nicht, um den Schutz des Art. 4 GG von der karitativen Sammlung hinwegzunehmen. Es darf hier zudem noch auf einen gewichtigen Punkt hingewiesen werden. Das Verfahren der Landjugendbewegung bei der Beschaffung der für ihre ausländische Hilfsaktion nötigen Geldmittel ist durch die moderne Entwicklung bedingt. In früherer Zeit hat man auch gebrauchte Sachen in bedürftige Länder entsandt. Heute stieße eine solche Sendung nicht nur auf hohe Transportkosten, sondern vor allem auf sanitäre Bedenken des betreffenden Landes. Es bleibt die hier gewählte Methode der Mittelbeschaffung eine unter den heutigen Umständen sachgerechte. Die Veräußerung der durch karitative Sammlung erhaltenen Sachspenden gibt die Möglichkeit der Hilfe in dem Notgebiet. Insofern hat dieser Einzelfall für die heutige karitative Praxis eine größere prinzipielle Bedeutung.
9. Die Darlegungen zum Schutzbereich des Art. 4 GG treffen aber jedenfalls den eigentlichen Gegenstand der Untersagung des Gerichtes, JO Vgl. Martin Heckel, Autonomia und Pacis Compositio. Der Augsburger Religionsfriede in der Deutung der Gegenreformation, in: ZRG 76 Kan. Abt. 45
(1959) 21
s. 156 f!.
Vgl. Acta Apostolicae Sedis 58 (1966) S. 933.
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die Kanzelaufforderung. Daß es zum engsten und eigentlichen Bereich kirchlicher Religionsübung gehört, daß im Gottesdienst auf die karitative Betätigung hingewiesen wird, bedarf keiner Ausführung. Dies Handeln als eine sittenwidrige wettbewerbliehe Handlung aufzufassen, überschreitet den Schutzkreis des Art. 4 GG und bedeutet eine innere Beeinträchtigung der Religionsfreiheit. 10. Es kommt hier noch hinzu, daß die Landjugendbewegung gar nicht die Mittel hat, um Ortsgeistliche von der Empfehlung karitativer Sammlungen abzuhalten. Sie verfügt jedenfalls nicht in dem Sinne des Urteils des Landgerichts Düsseldorf über die Pfarrer wie über abhängige Kräfte. Wenn überhaupt, hätte die Klage gegen den Ortsgeistlichen unmittelbar gerichtet werden müssen. Das ist übrigens auch geschehen. Diese Klage des Rohstoffhändlers H., die gegen die Unterstützung der Sammlung durch das Ordinariat Augsburg gerichtet war, ist vom Verwaltungsgericht Augsburg abgewiesen worden22 • Wäre die vorliegende Klage gegen den Ortsgeistlichen gerichtet gewesen, so würde der Eingriff in den durch Art. 4 GG gesicherten Bereich viel deutlicher. Zwar kann auch ein Kanzelwort oder ein Hirtenbrief 23 unter bestimmten Umständen rechtlicher Würdigung vor staatlichen Gerichten unterliegen. Eine Aufforderung zu karitativem Handeln kann aber nicht in eine wettbewerbsrechtliche sittenwidrige Handlung umgedeutet werden. Der Umstand, daß hier die Landjugendbewegung die Kanzelaufforderung unterbinden soll, verdeckt diese Zusammenhänge. Auch an diesem Punkte beeinträchtigt das Urteil den Bereich des Art. 4 GG.
Zusammenfassend kann in der Einordnung der karitativen Sammlung, vor allem der Kanzelaufforderung zu ihr in einen wettbewerbliehen Zusammenhang, eine Verkennung des hier zu beachtenden Schutzbereiches des Art. 4 GG gesehen werden. IV. Beeinträchtigung des Art. 2 GG 11. Neben der Beeinträchtigung des Art. 4 GG besitzt die des Art. 2 GG keine entsprechende Bedeutung mehr. Sie kann darin erblickt werden, daß die Handlungsfreiheit der Landjugendbewegung durch ein gerichtliches Gebot beschränkt wird, das keine zureichende Grundlage in der bürgerlichen Rechtsordnung (§ 1 UWG) besitzt und das zugleich objektive Normen der Verfassung, nämlich die Art. 140 GG, 137 Abs. 3 WeimRV verletzt. Daß die karitative Betätigung der Kirchen zu ihrem inneren Bereich gehört, der gegenüber staatlichem Eingriff frei ist, ist im bisherigen Text dargelegt worden. Ein Eingriff in diesen Bereich 22 23
Urteil vom 1. 4. 1966- 39 I 66. Vgl. BVerwGE 18 S. 14 ff.
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kann nur erfolgen, wenn es sich um die "Schranken des für alle geltenden Gesetzes" handelt. Macht das Urteil des Landgerichts Düsseldorf diese Schranken geltend? Das könnte nach der heute weithin anerkannten Auslegung des Art. 137 Abs. 3 WeimRV nur anerkannt werden, wenn es sich hierbei um ein für die Gesamtheit unentbehrliches Gesetz24 , um grundsätzliche, jedem Recht wesentliche, für den sozialen Rechtsstaat unentbehrliche Postulate25 handelt. Daß diese Voraussetzungen jedenfalls bei der Kanzelabkündigung nicht erfüllt sind, um deren Unterlassung es hier geht, ist dargetan worden. Auch keinerlei immanente Schranken der Religionsfreiheit26 können hier eingreifen, wo ein legitimer Aufruf zu karitativem Handeln vorliegt. Wenn in der Folge dieses Aufrufes eine spätere Verwertung des Sammlungsergebnisses zu geschäftlichen Handlungen führt, die ggf. wettbewerblieh beurteilt werden können, so kann dies nicht ohne Verletzung der Selbständigkeit des inneren kirchlichen Handeins auf die Kanzelabkündigung zurückbezogen werden. Liegt also gegenüber der Freiheit der Betätigung keine rechtlich wirksame Schranke vor, so kann sie nicht unterbunden werden. Das trotzdem ergangene Gebot des Urteils beeinträchtigt die rechtsstaatliche gesicherte Freiheit des Art. 2 GG. Abschließend kann festgestellt werden, daß das Urteil des Landgerichts Düsseldorf in den Schutzbereich des Art. 4 GG eingreift und weiterhin auch durch die Beschränkung der Handlungsfreiheit der Landjugendbewegung, für die es an einer rechtlich wirksamen Grundlage fehlt, den rechtsstaatlich gewährten Schutz des Art. 2 GG beeinträchtigt.
24 Vgl. Konrad Hesse, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1945, in: JöR, N.F., Bd. 10 (1961) S. 26. 21 So der BGH, in: BGHZ 34 S. 373, unter Hinweis auf meine Darlegungen, Die Nachprüfung kirchlicher Rechtshandlungen durch staatliche Gerichte, in: ZevKR 3 (1953/1954) S. 357/58. 28 Reinhold Zippelius, in: Bonner Kommentar, 2. Auf!., Rdnr. 62 ff. zu Art. 4.
Die verfassungsmäßige Verbürgung der Gewissensfreiheit Ein Bericht von der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Bern 1969
( = VVDStRL 28 [1970]) I. Wenn die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer auf ihrer Tagung in Bern vom 2.- 4. Oktober 1969 einen der Verhandlungstage dem Thema der Gewissensfreiheit widmete, so kam darin zum Ausdruck, daß die Freiheit des Gewissens sich zu einer neuen, verselbständigt neben die Religionsfreiheit tretenden Grundrechtsgarantie zu entwickeln im Begriff steht. Die geschichtliche Herkunft der weltanschaulichen und gedanklichen Freiheit aus der Idee der religiösen Freiheit und aus der Toleranz, sowie die Nähe, in der sich diese neue Ausprägung einer Gewissensfreiheit immer noch zur Glaubensfreiheit befindet, lassen einen Bericht über die beiden Referate von Prof. Richard Bäumlin (Bern) und Ernst-Wolfgang Böckenförde (Bielefeld) und über die anschließende Diskussion in dieser Zeitschrift angezeigt erscheinen. Die Ausbildung eines selbständigen Grundrechts der Gewissensfreiheit ist ein Vorgang, der einige vorausgehende allgemeine Überlegungen verdient. Er zeigt zunächst, wie sich auch im Zusammenhang eines sehr alten und geschichtlich verhältnismäßig fest umrissenen grundrechtliehen Instituts wie desjenigen der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit unter dem Einfluß einer stärker säkular gerichteten und individualistisch orientierten geistigen Strömung neue Ansätze ergeben können. Über die Freiheit der weltanschaulichen Überzeugung und Haltung und ihrer Betätigung hinaus, die in der Religionsfreiheit beschlossen liegt1 , wird nun auch unabhängig von einer weltanschaulichen Ausrichtung eine Freiheit des individuellen Gewissens und seiner Betätigung entwickelt, die man als Konsequenz einer geistigen Situation verstehen kann, in der grundlegende ethische Entscheidungen nicht notwendig mehr auf eine in einer Gemeinschaft oder Gruppe anerkannte Anschauung bezogen werden, Aus: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, Bd.15 (1970) S. 242-257. 1 Jedenfalls seit der Weimarer Reichsverfassung war nicht nur die religiöse, sondern ebenso die religionslose oder atheistische Haltung voll geschützt. Vgl. Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl., Berlin 1933,
S.619.
5 Scheuner
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sondern schlechthin in einer Erfüllung einer individuellen Selbstverwirklichung gerechtfertigt werden2 • Die hier sich abzeichnende Entwicklung ist daher ganz allgemein in der Systematik der Grundrechtsinterpretation ein Beweis dafür, zu welchen unübersehbaren und schwer eingrenzbaren Folgen man von der Vorstellung eines umfassenden allgemeinen "Hauptfreiheitsrechts" her gelangt, aus dem sich daraus abgeleitete Rechte ergeben sollen3 • Vielmehr ist daran festzuhalten, daß die Ausprägung eines Grundrechts jeweils bestimmte in Richtung und Umfang begrenzte Sicherungen grundlegender menschlicher oder sozialer Positionen schafft, die allgemeinen geistigen Strömungen oder besonderen Gefährdungen von Rechtsgütern entsprechen und die ihrerseits auch wieder dem geschichtlichen Wandel unterliegen'. Das zeigt auch ein 2 Der Gewissensbegriff enthält notwendig ein individuelles Moment des Hörens auf eine innere Gewißheit, sei sie durch ein höheres transzendental begründetes Gebot dargestellt oder abgeleitet aus einer individuellen Autonomie der Selbstbestimmung. In der christlichen überlieferung schloß der Begriff die Verweisung auf ein göttliches Gesetz (scholastische Lehre) oder eine individuelle Glaubensbindung (Luther), jedenfalls auf ein transpersonales vorgegebenes Prinzip ein, das freilich sich in der individuellen - nicht ableitbaren und nicht widerlegbaren- Aufnahme spiegelt. Die Verweisung des Gewissens allein auf die Ausprägung der eigenen Person, ihre Existenz und Daseinsangst, ist Folge wohl erst des existentialistischen Menschenbildes. Vgl. die ganz auf Selbstbezeugung abgestellte, unter Ablehnung aller "Objektivitäten" konzipierte Darstellung bei Karl Jaspers, Philosophie, Bd. 2, Berlin 1932 (3. Aufl. 1956), S. 268 ff. Zum Begriff des Gewissens grundlegende geschichtliche und begräfliehe übersieht bei Ernst Wolf, Artikel "Gewissen", in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. 2, Tübingen 1958, Sp. 1550 ff. 3 Diese Richtung ist jetzt (entgegen vorsichtiger Formulierung in seinem früheren Buche: Die Freiheit des Gewissens, Berlin 1958) von Heinrich J. Scholler eingeschlagen (Gewissen, Gesetz und Rechtsstaat, in: DOV 1969 S. 526 ff.), der mit Begriffen wie dem Primat eines Grundrechts, Lückenlosigkeit der Freiheitssphäre, Hauptgewissensfreiheitsrecht arbeitet, die durch formallogische Argumentation den Mangel an geschichtlicher Einfügung der Grundrechte und an einer Konzeption ihrer sachimmanenten Aussagekraft verbergen. Bei Scholler wird die Gewissensfreiheit aus der Sphäre der Toleranz, d. h. der weltanschaulichen Äußerungsfreiheit, in Anlehnung an Carl Schmitt transponiert in eine Verteilungsnorm zwischen Bürger und Staat, zu der Garantie einer ethischen Handlungsfreiheit mit dem Postulat des Gewissensvorranges, mithin zu einer Steigerung eines Primates subjektiver Wertsetzung gegenüber den von der Gemeinschaft anerkannten Grundwerten, die als staatliche Werte für Scholler hinter der individuellen ethischen Bestimmung zurücktreten müssen. Nur mit Schwierigkeit können von dort aus gewisse Grenzen der Gewissensfreiheit gewonnen werden (S. 530, 535). 4 In dieser anderen Sicht einer Grundrechtsinterpretation weiche ich grundsätzlich von der Dürigschen Tendenz zur Annahme unbegrenzter Freiheit und eines "Hauptfreiheitsrechtes" (vgl. Theodor Maunz u. Günter Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Rdnr. 3 ff. zu Art. 2) ab und verstehe Grundrechte nicht als Ableitung aus einem Grundprinzip, sondern als jeweils besondere und begrenzte Sicherung individueller und sozialer Freiheiten und Positionen. Das habe ich in meinem Bericht: Pressefreiheit, in: VVDStRL 22 (1965) S. 1 ff., 47 ff., näher dargelegt und kann heute auch hinweisen auf Friedrich Müller, Die Positivität der Grundrechte, Berlin 1969, S.ll ff., 40 ff.; ders., Normbereiche von Einzelgrundrechten in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Berlin 1968, s. 13 ff.
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Blick auf die moderne Entwicklung. Heute werden diejenigen Grundrechte, die die menschliche Freiheit und Unabhängigkeit im Kontext wirtschaftlicher und sozialer Selbständigkeit zu sichern trachteten, der Schutz des Eigentums und die Berufsfreiheit5 , unter den Realitätsbezügen einer Wohlfahrtsgesellschaft, die den einzelnen mehr und mehr in ein dirigiertes Zuteilungssytem von Versorgung, Bildung und Lebensstellung einfügt8 , und in einer Arbeitswelt mit überwiegend unselbständigen Berufstätigen, die der wirtschaftlichen Eigenverantwortung keinen so starken Akzent mehr gibt, mehr und mehr abgeschwächt7. Es steht, so scheint mir, mit der immer festeren Einordnung des einzelnen in eine soziale Lebensführung und Zuordnung im inneren Zusammenhang, daß die Sicherung individueller Freiheit sich nun im Bereich der geistigen Lebenshaltung um so nachhaltiger abzuschirmen trachtet. In diese Tendenz fügt sich wie die Betonung der Meinungsfreiheit in allen ihren Formen nun auch die Ausbildung eines besonderen Rechts der Gewissensfreiheit. Es vollzieht sich aber zugleich eine zweite Wandlung, die für die kirchenrechtliche Arbeit von besonderer Bedeutung ist. Für lange Jahrhunderte war die Freiheit der geistigen Entfaltung beschlossen in der Sicherung der religiösen Glaubensfreiheit und ihrer gemeinsamen Ausübung. Daneben entwickelte sich die Freiheit der Meinungsaussage, nicht in gleicher Grundsätzlichkeit geschützt und bis in die Gegenwart stärker mit Beschränkungen durchsetzt, weil es hier nicht um menschliche Grundhaltungen, sondern um in vielfacher sozialer Auswirkung stehende Kommunikationsformen geht. Mit der vollen Gleichstellung auch nichtreligiöser weltanschaulicher Haltungen war im Rahmen der Glaubens& Es genügt darauf hinzuweisen, daß die weit entfaltete Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 12 GG fast ausschließlich den immer kleiner werdenden Bevölkerungssektor selbständiger Unternehmer und Landwirte betrifft. Das wird freilich heute im allgemeinen mangels einer soziologisch fragenden Betrachtung noch nicht genügend gesehen. 8 Zu dieser Veränderung der Position des Individuums siehe Ernst Forsthoff, Haben wir zuviel oder zu wenig Staat?, in: Rechtsstaat im Wandel, Verfassungsrechtliche Abhandlungen 1950- 1964, Stuttgart 1964, S. 69 ff.; ders., Die Daseinsvorsorge und die Kommunen, ebd., S. 114 ff.; Peter Badura, Auftrag und Grenzen der Verwaltung im sozialen Rechtsstaat, in: DÖV 1968 S. 446 ff. 7 Bei der Eigentumsgarantie zeigt sich das in der wachsenden Herausarbeitung der sozialen Bindungen. Vgl. BVerfGE 20 S. 351, 356; 21 S. 92/93; 24 s. 367, 396. Hier findet sich der Satz (S. 396): "Nur das durch die Gesetze ausgeformte Eigentum bildet den Gegenstand der Eigentumsgarantie und ist verfassungsrechtlich geschützt". Er öffnet jedenfalls dem Gesetzgeber, in dem er auf einen verfassungsmäßig geformten Eigentumsbegrüf zu verzichten scheint (vgl. indes BVerfGE 24 S. 367, 388/89), sehr weite Gestaltungsmöglichkeiten. Zu beachten ist auch, daß nunmehr das Bundesverfassungsgericht gegenüber der Haltung des Bundesgerichtshofs, die bei der Entschädigung nach Art. 14 GG auf den Verkehrswert abstellt (BGHZ 6 S. 270, 293, und dazu Herbert Kröner, Die Eigentumsgarantie in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, 2. Aufi., Köln - Berlin 1969, S. 91 f.) wieder nachdrücklich auf die Abwägung hinweist, die von dieser Wertgrundlage abweichen kann (vgl. BVerfGE 24 S. 367, 419 f.).
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und Gewissensfreiheit ein gewisser Abschluß erreicht. In langer Entwicklung hatte sich zudem in diesem Bereich in Gestalt des seit dem 18. Jahrhundert entfalteten Staatskirchenrechts (auf älteren Grundlagen) ein Bestand an Rechtsregeln für die Bestimmung der Tragweite der Religionsfreiheit, der notwendigen Abgrenzung zwischen Staat und Religionsgemeinschaft und der Einfügung der letzteren in die allgemeine Rechtsordnung ergeben8 • Wenn nun neben diesem Grundrecht der weltanschaulichen Freiheit (Religionsfreiheit) ein neues Recht der Gewissensfreiheit entwickelt wird, das man nicht in diese altgewachsenen Relationen und Zusammenhänge einführt, ergibt sich unvermeidlich ein unsicheres und schwer begrenzbares Recht, dessen Bezug zur Religionsfreiheit zudem unklar zu werden droht. Dem könnte, und das ist vielleicht in den Diskussionen in Bern nicht genügend deutlich geworden, nur abgeholfen werden, wenn man klar den inneren geistigen und geschichtlichen Zusammenhang mit der Religionsfreiheit anerkennt und die dort ausgearbeiteten Maßstäbe sinngemäß auch für den Bereich der Gewissensfreiheit verwertet. Nur dann kann dieses Recht feste Konturen erhalten und zugleich davor bewahrt werden, entweder auf eine unschädliche Innerlichkeit begrenzt zu werden, oder in seinen sozialen Bezügen auf eine reine kasuistische "Güterabwägung" im Einzelfall angewiesen zu bleiben. Nur im Rahmen einer solchen historisch wie sachlich gebotenen Inbezugsetzung kann auch einer weiteren Gefahr vorgebeugt werden. Es könnte eine Neigung entstehen, im Rahmen säkularisierender Tendenzen der Gewissensfreiheit eine Stelle anstatt der Religionsfreiheit einzuräumen oder gar Ausprägungen der Religionsfreiheit von ihr aus überlagernd auszudeuten. An die Stelle der Religionsfreiheit, deren Bedeutung auch als Schutz geistigen Lebens in einer Welt, die zuweilen heute säkularer Intoleranz zuneigt, eher im Zunehmen begriffen ist, träte dann ein Freiheitsrecht, das von seiner Herkunft aus neueren und stark individualistischen Auffassungen her nur eine individuelle weltliche Selbstbezeugung sicherte, aber die Gewährleistung religiöser Gemeinsamkeit zurückdrängte 9• Es wird einer sehr sorgfältigen Prüfung bedür8 Es genüge hier auf die Bedeutung hinzuweisen, die der Formel vom "für alle geltenden Gesetze" in Art. 137 III WeimRV zukommt (dazu Martin Heckel, Staat, Kirche, Kunst, Tübingen 1968, S. 255 ff.), oder auf Art. 136 I und II WeimRV. 8 Man wird gut tun, die hier liegende Möglichkeit einer Gefährdung der Religionsfreiheit zu erkennen. Ein überlegt und maßvoll geschriebenes Buch wie das Werk von Adalbert Podlech, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, Berlin 1969, gibt etwa für die Religionsfreiheit, die es systematisch hinter der Gewissensfreiheit einordnet, volle Sicherung nur für die innere Glaubensfreiheit und engt diesen Begriff damit auf das innere Bekenntnis ein. Damit wird die Ausübung der Religionsfreiheit, die gewiß sozialen Beschränkungen unterliegt, von ihrem Kern getrennt. Glücklicherweise hat neuerdings das BVerfG (Bd. 24 S. 236, 245/46) klargelegt, daß wegen der inneren Zusanunengehörigkeit von "Religionsausübung" und Glau-
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fen, inwieweit die in langer Erfahrung für die Religionsfreiheit entwickelten Inhaltsbestimmungen und Abgrenzungen zwischen Staat und Individuum, zwischen weltanschaulichen Gruppen, dem Gemeinwohl und den einzelnen, nicht auch für die aus dem gleichen Text entwickelte Gewissensfreiheit fruchtbar gemacht werden müssen, um Überschneidungen oder sogar Kollisionen zu vermeiden und das in Bern so lebhaft aber nicht immer erfolgreich- diskutierte Problem der Begrenzungen zu lösen.
n.
Die beiden Referate haben aus dem weiten Felde der Fragen, die die Ausbildung eines selbständigen Grundrechts der Gewissensfreiheit aufwirft, eine wohlerwogene Auswahl getroffen. Sie haben davon abgesehen, sich in eine definitorische oder analytische Erörterung des Gewissensbegriffes einzulassen. Wenn man sich klar ist, daß eine solche Untersuchung ein weitgespanntes Eingehen auf theologische, philosophische und politische Entwicklungen und Konzeptionen, auf die geistesgeschichtliche Herkunft und Bedeutung der Anschauung vom Gewissen als führender und zwingender innerer Stimme des Menschen, kurz eine anthropologische Auseinandersetzung bedeuten würde, so wird man dieser Entschließung zustimmen müssen. Für einen Kreis von Staatsrechtslehrern wären diese Fragen über den Kreis ihrer Disziplin hinausgegangen. Zu bemerken ist freilich, daß an dieser Stelle Probleme liegen, die auch die rechtliche Betrachtung auf das stärkste berühren. Solange das Gewissen nur in einem engen Zusammenhang mit der weltanschaulichen Freiheit anerkannt wurde- und das gilt für Deutschland bis zur Weimarer Republik - hatte der Begriff feste Konturen und Grenzen. Auch wenn die Religionsfreiheit offen für alle weltanschaulichen Haltungen bensfreiheit die erstere extensiv auszulegen ist. Aber hier liegen in einer überlagerungder Glaubensfreiheit durch eine ihr garvorgeordnete Gewissensfreiheit Bedenken, zumal dabei außer acht bleibt, daß die Europäische Menschenrechtskonvention Art. 9 den weiten und zusammenfassenden Begriff "Religionsfreiheit" verwendet. Bei Podlech wird dann ferner etwa die Frage, ob die christliche Gemeinschafts- oder Bekenntnisschule mit Art. 4 GG vereinbar ist, allein unter dem Gesichtspunkt der Gewissensfreiheit behandelt (S. 93 ff.). Dabei wird dann aus Bezügen der Gewissensfreiheit eine Antwort gesucht, ohne zugleich auf den Kerngehalt des Art. 4 in der Glaubensfreiheit genügend Bezug zu nehmen. Die Ergebnisse bei Podlech sind, weil er erkennt, daß im Grundgesetz kein reines Trennungsprinzip zwischen Staat und Kirche besteht (S. 82 ff.), abgewogen, aber sie lassen, weil nur von einem als Selbstdarstellung verstandenen Gewissensbegriff ausgehend, doch die Erfassung der Tatsache vermissen, daß in der Schule nicht nur die individuelle Position, sondern auch das weltanschauliche Gefüge des Staates in Gruppen maßgeblich Ausdruck findet. Zur Bedeutung der Religionsfreiheit als eines Rechts, das auch Verbänden zusteht, und dessen Auslegung stets berücksichtigen muß, daß es hier um ein in Gemeinschaft ausgeübtes Recht geht, jetzt auch Joseph Listl, Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht in der neueren deutschen Rechtsentwicklung und im Grundgesetz, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 3, Münster 1969, S. 34 ff., 74 ff., 94.
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geworden war10, so beruhte sie doch auf einer gesicherten Tradition religiöser oder säkularer sozialethischer Anschauungen, die der Gewissensentscheidung in diesem Rahmen einen erkennbaren Umriß und durch ihre Einfügung in den Kreis der Religionsfreiheit anerkannte Abgrenzungen im gesellschaftlich-staatlichen Raume verliehen. Im Umkreis der religiös-weltanschaulichen Freiheit des Bekenntnisses und der Ausübung wurde die Gewissensfreiheit respektiert, aber zugleich in die allgemeine Begrenzung religiöser Betätigung gewiesen, die nicht in den Kreis bürgerlicher oder staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten eingreifen konnte (Art. 136 I WeimRV). Wenn die Gewissensfreiheit nun selbständig verstanden wird und ohne solche verfestigenden Umgrenzungen Prioritäten erlangen soll, die ihr einen Vorrang vor bürgerlichen und staatsbürgerlichen Positionen geben sollen, so wird es bedeutsam, was unter Gewissensentscheidungen verstanden wird. Müssen sie weltanschaulich, d. h. in einer umfassenderen Lebensdeutung fundiert, sein, können politische Motive und Zielsetzungen auf sie einwirken, in sie eingehen, wie lassen sich die Grenzen zu voluntativen Regungen ziehen? Diesen Fragen kann hier nicht nachgegangen werden. Die Antwort wird, darauf hat Bäumlin zu Recht hingewiesen (These 1), immer nur von einem bestimmten weltanschaulichen Standpunkt gewonnen werden können. In der Bestimmung des Gewissensbegriffes wird also eine dem Sinn des Art. 4 GG entsprechende Offenheit herrschen müssen. Auch der religiöse Gewissensbegriff hat hier seine legitime Stelle. Würde man etwa nur bestimmte philosophische Richtungen berücksichtigen, so könnte sich innerhalb des Grundgesetzes eine verborgene tiefere Diskrepanz zwischen dem christlich-traditionell gedachten Menschenbild- das in der Religionsfreiheit geschützt wird - und einer weltlichen Konzeption ergeben, die dann in dem Gewissensbegriff ihren Ansatz findet. Tendenzen zu solchen Deutungen, die in Art. 4 GG der Glaubensfreiheit in der Gewissensfreiheit eine mehr säkulare Rechtsgewähr gegenübersetzen, sind erkennbar 11 • Sie sind mit der inneren Toleranz des Art. 4 und 10 Es muß nachdrücklich betont werden, daß auch ein säkular-philosophischethisch begründeter Gewissensbegriff in der weltanschaulichen Freiheit der Weimarer Auffassung geschützt war. Schon damals wie heute war es daher nicht möglich, wie dies bei Walter Hamel, Glaubens- und Gewissensfreiheit, in: Die Grundrechte, hrsg. von Karl-August Bettermann, Hans Carl Nipperdey u. Ulrich Scheuner, Bd. IV/1, Berlin 1960, S. 37 ff., 52 ff., und ders., Die Gewissensfreiheit im Grundgesetz. Eine Erwiderung, in: AöR 89 (1964) S. 322 ff., zugrundeliegt, nur eine an einem Glauben an eine transzendente verpflichtende Wirklichkeit ausgerichtete religiöse oder weltanschauliche Haltung als begründend für das Gewissen anzuerkennen. Das ist zu eng, weil ein Gewissensbegriff philosophisch-ethisch auch von Konzeptionen aus entwickelt werden kann, die transzendente Ansätze ablehnen. Vgl. die Auseinandersetzung von Adalbert Podlech, Der Gewissensbegriff im Rechtsstaat, in: AöR 88 (1963) S. 185 ff., die freilich Hamel zu eng interpretiert und selbst einen zu eng an eine existentialistische Deutung angelehnten Gewissensbegrüf zugrundelegt (Grundrecht der Gewissensfreiheit, S. 31 ff.).
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seiner Neutralität grundsätzlich in Widerspruch. Es ist arg genug, daß in Art. 2 I GG (Entfaltung der Persönlichkeit) schon eine erkennbar auf die Autonomie des Menschen in der kantischen Philosophie abgestellte, also spezifisch begrenzte Vorstellung einer Verfassungsnorm zugrundeliegt, deren individualistisch ausgedeutetes Menschenbild daher schon manche Spannungen hervorgerufen hat. Es wäre nicht richtig, Art. 4 nun in eine theologische Abteilung (Religionsfreiheit) und eine säkulare (Gewissensfreiheit) aufzuspalten. Es gilt vielmehr, die Gewissensfreiheit als ein ergänzendes, z. T. weitergehendes Recht so zu interpretieren, daß die weltanschauliche Toleranz und Offenheit des Art. 4 GG gegenüber religiöser wie nichtreligiöser Bindung gewahrt bleibt1Z. Die Vorträge haben ferner davon abgesehen, auf die Handhabung des Gewissensbegriffs in der Lehre und Rechtsprechung zu Art. 4 III GG im einzelnen einzugehen. Nur die Grundrelation zwischen Art. 4 I und III ist näher erörtert worden. Dem wird man zustimmen können. Die Auslegung der Bestimmung über Kriegsdienstverweigerung ist unter den besonderen politischen Bedingungen der Gegenwart in einer den Begriff der Gewissensentscheidung weit deutenden Linie erfolgt, die aus praktischen Gründen zu billigen ist, aber nicht ohne weiteres allgemein als exemplarisch erscheinen kann13 • Zudem beruht die Interpretation des Art. 4 III GG auf einer besonderen Rechtsetzung, die nicht ohne weiteres auf Art. 4 I GG rückbezogen werden kann. Die Referate haben auch nicht das Feld der praktischen Konflikte zwischen Gewissensgebot und anderen Rechtspflichten betreten, das etwa für das bürgerliche Vertragsrechttc oder die ärztliche Einstellung15 er11 So wenn Podlech (Gewissensfreiheit, S. 40) die Gewissensfreiheit als das umfassendste Recht bezeichnet und ihr Priorität gibt. Ansätze zu einer Verengung der Religionsfreiheit auch bei Heinrich J. Scholler, in: DÖV 1969 S. 534. 1! Es scheint daher richtig, auch in der Rechtsanwendung den Gewissensbegriff im BäumZinsehen Sinne als "Sache Gewissensfreiheit" offen zu halten (These 1)- ähnlich Roman Herzog, Die Freiheit des Gewissens und der Gewissensverwirklichung, in: DVBI. 1969 S. 718/19 -, aber zu vermeiden, die Gewissensfreiheit auf Haltungen nicht metaphysisch bedingter Konzeptionen einzuschränken. Die Gewissensfreiheit hängt immer eng mit der Religions(Weltanschauungs)freiheit zusammen, kann von ihr nicht gelöst werden. Anders, m. E. zu Unrecht, aber Roman Herzog, S. 718. 11 Auch Podlech, Gewissensfreiheit, S. 125, spricht davon, daß Art. 4 Abs. 3 GG verstärkt die subjektive Problematik des Gewissens berücksichtigt. Von einer weitgehenden Vorrangeinräumung ist auch in BVerfGE 12 S. 45, 54, die Rede. u Zur Diskussion um die Lösung aus Vertragsbindung aus Gewissensgründen in besonderen Fällen siehe Walther J. Habscheid, Arbeitsverweigerung aus Glaubens- und Gewissensnot?, in: JZ 1964 S. 246 ff.; Franz Wieacker, Vertragsbruch aus Gewissensnot, in: JZ 1954 S. 466; Hans Welzel, Gesetz und Gewissen, in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben. Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages (1860 -1960), Bd. 1, Karlsruhe 1960, S. 383 ff.; Reinhold Zippelius, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 41 ff. zu Art. 4. 15 Zu den Gewissensfragen im ärztlichen Bereich siehe Podlech, Gewissensfreiheit, S. 38 f., 145 f.
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örtert worden ist. Auch hier hätte die Behandlung über den Rahmen der verfassungsrechtlichen Fragen in Einzelgebiete des Rechts hinausführen müssen, und man wird daher auch diese Zurückhaltung anerkennen können.
m. Das Referat von Bäumlinu1 hat in sehrüberlegterWeise die Einbettung des neuen emporsteigenden Grundrechts in die Überlieferung der geistigen Freiheit vorgenommen. Er geht davon aus, daß sich hier in der Vorstellung der Freiheit des Gewissens ein Kernbereich der geistig-sittlichen Person neu formiert und ausprägt. Der zwischen individuellen Maßstäben der Wahrheit und der Gemeinschaft mögliche Konflikt wurde historisch in verschiedenen Modellen verdeutlicht. Der absolutistische Staat verweist das Gewissen in einen privaten unpolitischen Raum, unterstellt es aber dem Gebot der Überordnung des Politischen. Die deutsche Lehre, so meinte der Ref., hat bis in den Positivismus an diesem Bilde festgehalten. Das Modell der "identitären Gesellschaft" löst den Konflikt, indem es die Identifikation des einzelnen mit dem sozialen Ganzen fordert. Das rechtsstaatliche Gemeinwesen hingegen versteht den Staat von der Gesellschaft her als Funktion, nicht als ein Absolutum. Es strebt nicht nach Lösung der Konflikte zwischen individuellem Gewissen und den gesellschaftlichen Richtigkeitsvorstellungen durch eine Statuierung einer absoluten Gerechtigkeit. Im Sinne einer offenen Gesellschaft wird vielmehr der Ausgleich in der utilitas, einer säkularen Gerechtigkeit gesucht, die in der Begrenzung der Gemeinschaftsaufgaben die Freiheit respektiert und sichert. Dem Ziel der Verständigung gegenüber bleibt die Subjektivität des Gewissens geachtet. Das Gewissen muß aber die Seinsweise des Menschen in der Mitmenschlichkeit beachten und darum der sozialen Kommunikation geöffnet bleiben. Toleranz gehört daher notwendig hierzu, zumal niemand gewiß sein kann, für sich die Erkenntnis der Gerechtigkeit zu beanspruchen (These 2. 1 - 3). Ein kurzer Blick auf bestehende Staatssysteme zeigte, daß in den Vereinigten Staaten bei umfassender Verbürgung der Religions-, Redeund Pressefreiheit kein spezielles Recht der Gewissensfreiheit besteht, vielmehr ihr Schutz in der öffentlichen Gewähr der Freiheitsverwirklichung beschlossen liegt, mit der freilich auch zugleich die Frage der Schranken behandelt und gelöst wird. Auch die Schweiz versteht Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 49) als einen Gesamtbegriff. Auch die Gewähr der Verwirklichung wird in dies Grundrecht einbezogen, die Folgerung der Toleranz nachdrücklich gezogen. In Deutschland trat die 18 Abdruck der Leitsätze der beiden Berichterstatter, auf die hier laufend Bezug genommen wird, bei Franz-Ludwig Knemeyer, Staatsrechtslehrertagung 1969 in Bern, in: DVBl. 1970 S. 138 ff.
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Gewissensfreiheit als Freiheit des forum internum zuerst in der Weimarer Zeit auf (nach älterer spezieller Funktion17); sie verselbständigt sich im Grundgesetz, deckt aber hier nur einen Ausschnitt des Bereichs, den das schweizerische Recht mit Glaubens- und Gewissensfreiheit umschreibt (These 3. 1 - 3). In der Bestimmung des Bereichs der Gewissensfreiheit in Art. 4 GG geht BäumZin aus von einer Glaubens- und Gewissensfreiheit überhöhenden allgemeinen Überzeugungs- und Gewissensfreiheit. Entsprechend der überlieferten Deutung religiöser Freiheit versteht er sie nicht als Sicherung nur des inneren Gedankens, sondern auch als Freiheit der Verwirklichung, der Betätigung. Eine Begrenzung nur auf das forum internum sei ethisch und praktisch nicht möglich, sie wäre eine zynische Umgrenzung. Auch die Europäische Menschenrechtskonvention, auf die Bäumlin im Sinne einer menschenrechtskonformen Auslegung hinweist, erstreckt in ihrem Art. 9 - freedom of thought, conscience and religion den Schutz auf die Verwirklichung dieser Freiheiten18 • Bäumlin erkennt also an, daß sich die Gewissensfreiheit zu einem überhöhenden, die Religionsfreiheit als Teilbereich einschließenden Gedanken entwickelt hat (These 4.1). Aber damit stellt sich für ihn alsbald das Problem der Schranken. Die Notwendigkeit dieser Sicht wäre stärker einsichtig, wenn Bäumlin hier den Blick darauf gerichtet hätte, daß in der geschichtlichen Entwicklung die Religionsfreiheit stets mit in einem bestimmten Rahmen der staatlich-bürgerlichen Ordnung gewährt worden ist. Er selbst betont gewiß richtig, daß eine schrankenlose Gewissens17 Im Grunde kann auch für die Weimarer Zeit noch kaum von einer Verselbständigung der Gewissensfreiheit gegenüber der dort weit ausgedehnten Glaubens- und Gewissensfreiheit gesprochen werden. Bei Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl., Berlin 1933, S. 619, geht die Gewissensfreiheit mit der Glaubensfreiheit auf in der Bekenntnisfreiheit. Ebenso bei Hermann Mirbt, Artikel 135 und 136. Glaubens- und Gewissensfreiheit, in: Hans Carl Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Bd. 2, Berlin 1930, S. 322 f., wo stärker die individuale Unabhängigkeit, aber nicht ein selbständiges Gewissenszeugnis betont wird. In der älteren Entwicklung (vgl. Bayerische Verfassung von 1818, Art. 9; Badische Verfassung von 1819, § 18; Württembergische Verfassung von 1819, § 24) bezeichnet Gewissensfreiheit schlechthin die Religionsfreiheit (nicht, wie Heinrich Scholler, Gewissen, Gesetz und Rechtsstaat, in: DÖV 1969 S. 528, anzunehmen scheint, nur die Gewährung der privaten Hausandacht). Vgl. auch Robert von Mohl, Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg, Bd. 1, Tübingen 1829, S. 317, der die Gewissensfreiheit mit der im Religionsedikt vom 15. 10. 1806 eingeführten Religionsfreiheit gleichsetzt. 18 In diesem Text steht das Gewissen selbständig neben der Gedankenfreiheit und der Religionsfreiheit. Für alle diese Freiheiten nimmt die Europäische Kommission für Menschenrechte nicht nur eine Gewähr innerer Freiheit, sondern auch der praktischen Verwirklichung an. Vgl. zur Religionsfreiheit die Fälle No 1068/61, in: Yearbook of the European Convention on Human Rights 5 (1962), The Hague 1963, S. 284, und No 1497/62, ebd., S. 286, zur Gewissensfreiheit den Fall No 2299/64, in: Yearbook 8 (1965), The Hague 1967, S. 325, 337. Vgl. auch hierzu James Edmund Sandford Fawcett, The Applications of the European Convention on Human Rights, Oxford 1969, S. 200 ff.
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freiheitmit ihrer anarchischen Tendenz nicht anerkannt werden könne. In der Ausarbeitung der Schranken lehnte der Vortragende zu Recht ab, eine immanente Schranke in einer objektiv angenommenen Wertordnung zu finden; darin würde gerade dem Gewissen gegenüber ein innerer Widerspruch liegen (These 5.1}. Zu einer gewissen Eingrenzung gelangt er dadurch, daß er scharf zwischen der Handlungsfreiheit und der Gewissensfreiheit unterscheidet. Die erstere hat in der Rechtsprechung eine Ausweitung erfahren, die keine nahe Beziehung mehr mit dem Persönlichkeitskern aufweist. Die letztere kann nur dort im Spiel sein, wo eine Stellungnahme für die Konstituierung der Persönlichkeit entscheidend wird. In der näheren Bestimmung der Grenzen lehnt Bäumlin zu Recht ab, die Gewissensfreiheit in den allgemeinen Gegensatz der individuellen Freiheit gegen Gemeinschaftsbildung zu stellen. Er sucht die Lösung vielmehr darin, daß Grundrechte durchweg Teile der Gesamtordnung der Verfassung sind, sich daher in sie einordnen müssen. In Aufnahme einer Wendung von Konrad Hesse 18 forderte der Vortragende, daß eine Konkordanz, und zwar eine optimale zwischen den dialektisch zu sehenden Verfassungsprinzipien hergestellt werde (These 5.2}. Hierfür gab er gewisse Richtpunkte. Indem er die Toleranz als den entscheidenden Gedanken hierbei herausstellte, knüpfte er, wie mir scheint, sehr zu Recht, an die Tradition der Religionsfreiheit an, die niemals nur Verwirklichung des eigenen Standpunkts, sondern stets auch Rücksicht auf den anderer bedeutete. Im Einklang mit Podlech20 stellte Bäumlin das Prinzip heraus, daß der Staat bei Eingriffen, die das Gewissen belasten können, Alternativen für den einzelnen bereitstellen, daß er auch sonst die Verhältnismäßigkeit beachten muß. Die Hervorhebung, daß es auf eine konkrete Abwägung ankomme, die das öffentliche Interesse und das Gewicht des Eingriffs für die Persönlichkeit würdige, macht es deutlich, daß Bäumlin einem abstrakten Vorrang rein individueller Wertsetzung fernsteht. Nachdrücklich warnt er jedenfalls davor, aus der Gewissensfreiheit ein Instrument der Unterdrückung anderer zu machen, und weist hierfür auf das schweizer Gebot innerkirchlicher Gewissensfreiheit als ein Beispiel zu weit gehenden Staatseingriffes hin (These 6. 1- 3}. Insgesamt erscheint an dieser vorsichtigen Interpretation, die der Gewissensfreiheit nur ergänzende und geringe Funktion zuweist, bedeutsam, wie hier versucht wird, sie in den Rahmen der Verfassung einzufügen. Dabei bleibt eine Nähe zur Religionsfreiheit gewahrt. Es ist bezeichnend, daß bei den Schranken Bäumlin auf Art. 136 I WeimRV verweist; hier spricht er in der Tat das Zentralproblem an, ob nicht auch für " Vgl. Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., Karlsruhe 1969, S. 119 f. 20 Adalbert Podlech, Gewissensfreiheit, S. 35, 155 f.
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die Gewissensfreiheit wie seit jeher für die religiöse Freiheit die bürgerliche Ordnung nicht disponibel ist, in die sich der einzelne einfügen muß. In der Ablehnung eines einfachen Vorrangs der individuellen Wertentscheidung hat Bäumlin jedenfalls extreme Lösungen hier abgewiesen. Besonders wertvoll scheint mir auch die starke Betonung des Toleranzgedankens, die zugleich über eine rein individuelle Deutung hinaus auf die Rücksicht der im pluralistischen Staat miteinander lebenden Gruppen und Anschauungen hinweist. Die Aussagen BäumZins sind zurückhaltend formuliert, und sie lassen auch erkennen, daß die Zusammenhänge mit der Glaubensfreiheit gesehen und erhalten bleiben sollen. Hier geht Böckenförde einen Schritt weiter. Er legt eingehend die historische Abkunft der Gewissensfreiheit aus dem Zusammenhang religiöser Freiheit dar21 , aber er meint, daß mit der Anerkennung der öffentlichen Religionsübung - hier scheint etwas die Verengung der Gewissensfreiheit im älteren Sinn auf die private Andacht mitzuspielen, die schon für das 19. Jahrhundert überwunden war - die Glaubensfreiheit überholt sei. Man wird dem widersprechen müssen. Gerade der religionsneutrale Staat - übrigens eine oft allzu abstrakt angewandte Formel, in der die vielen Verbindungen von Staat und Kirche, die das Grundgesetz erhält, unbeachtet bleibenträgt die Gefahr in sich, zum Indifferentismus oder gar zu einer rein weltlich verstandenen "Neutralität" überzugehen, die seinem pluralen Charakter unangemessen ist, aber die positive Glaubensfreiheit beeinträchtigen kann22• Im Ergebnis sieht Böckenförde die Gewissensfreiheit als Neubildung, als ein selbständiges Grundrecht an (These 5, 8). Hier klingt die Tendenz an, Gewissensfreiheit als ein säkulares Grundrecht dem weltanschaulichen der Religionsfreiheit gegenüberzustellen. Ich würde das kaum für richtig halten. Der Schutz des Gewissens umschließt auch den des religiösen Gewissens, sonst würde dies weltanschaulich gegenüber weltlichen Ideen und Philosophien abgewertet, was wiederum der Glaubensfreiheit des Art. 4 entschieden widerspräche. Der Ansatz einer Verselbständigung der Gewissensfreiheit läßt die Schwierigkeit der Schrankenziehung nur stärker in Erscheinung treten. Wie Bäumlin sieht auch Böckenförde in Art. 4 zugleich die äußere Betätigung geschützt (These 9). Wie der erste Referent lehnt er unbegrenzte grundrechtliche Freiheiten ab. Er setzt aber nicht bei dem allgemeinen Rahmen der Staatsgesetze ein- ihn lehnt er als Schranke ab -, sondern möchte nur die elementaren Grundlagen des Staates gesichert wissen 11 Wenn Böckenförde die Ausbildung eines eigenen Grundrechts der Gewissensfreiheit schon in die Weimarer Zeit verlegen will, so werden damit gewisse sich anbahnende Unterscheidungen indes überbetont. 21 Als Beispiel vgl. man die vom BVerfG, in: Bd. 24 S. 236 ff., zu Recht abgewehrte Neigung, den Kreis der Sammlungen zu kirchlichen Zwecken nicht mehr in den Schutzbereich des Art. 4 GG einzubeziehen.
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(These 13). Hier nähert sich - unbewußt - Böckenförde der b~kannten Definition des "allgemeinen Gesetzes" in Art. 137 III WeimRV, wie sie Joh. Heckel gegeben hat23 • Eine glücklichere Bestimmung scheint mir schon, wenn er dann von "Sozialverträglichkei t" spricht. Hier wird im Grunde das bei der Religionsfreiheit längst bekannte und in Formeln gefaßte Problem berührt, daß die Rücksicht auf innere Überzeugungen nicht die bürgerliche und politische Ordnung auflösen kann (These 10, 11, 13). Die von Böckenförde gegebene Lösung, oft auch für Art. 137 III W eimRV vertreten, scheint heute stärkerer Betonung dieser Einordnung in die Gesamtordnung Raum zu geben24• Das wird auch für das Grundrecht der Gewissensfreiheit gelten müssen25. Ein richtiger Gedanke ist es, wenn dort, wo nicht die Gesamtordnung zu erhalten ist, Böckenförde partielle Entpflichtungen mit Eröffnung einer Alternative für geboten hält. Die Zulassung solcher Ausweichpositionen ist in der Tat ein geeignetes Mittel, Gewissenszwang zu vermeiden (These 14- 15). Nach anderen Richtungen gelangt Böckenförde zu zutreffenden Abgrenzungen. Er lehnt es ab, dies Recht als allgemeine Handlungsfreiheit nach dem Gewissen zu definieren, sondern stellt auf die Unverletzlichkeit des Gewissens ab. Er macht klar, daß Berufung auf das Gewissen immer nur individuelles Recht sein kann. Denn auch er führt das Gewissen auf den Identitätskern der Persönlichkeit zurück, lehnt ein der Propaganda folgendes kollektives Gewissen ab (These 18). Wenn der Vortragende freilich die Gewissensentscheidu ng nicht notwendig als auf allgemeine sittliche Überzeugungen gegründet ansehen will, sondern eine 23 Vgl. hierzu Johannes Heckel, Das staatskirchenrechtliche Schrifttum der Jahre 1930 und 1931, in: VerwArch. Bd. 37 (1932) S. 280 ff., 282, und zum heutigen Stand der Diskussion um diese Schranke Martin Heckel, Staat, Kirche, Kunst, Tübingen 1968, S. 226 ff. Es steht heute in der Frage, ob die Eingrenzung auf fundamentale staatliche Normen in Art. 137 III WeimRV die rechte Auslegung ist, oder aber hier eine stärker dialektisch wertende Grenzziehung nötig wäre. 24 Die Formel der "Schranken der allgemeinen Gesetze" als Festlegung eines verbindlichen Rahmens kirchlicher Selbständigkeit stellt eine von langer Tradition getragene Richtlinie der gegenseitigen Zuordnung und Prioritätsbestimmung von Staat und Kirche dar. Die Begrenzung des Kreises staatlicher Normen, denen sich die Kirche einfügt, auf Fundamentalsätze, reicht für heutige Auffassung nicht mehr zu. Der Kreis wird enger zu ziehen sein, wo zentrale kirchliche Anliegen (Verkündigung, Kult, karitative Tätigkeit) in Frage stehen, als dort, wo es um mehr administrative Fragen (Arbeitsverhältnisse kirchlicher Angestellter, nichtkultische Bauten) geht. Vgl. auch hierzu Alexander Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL 26 (1968) S. 57 ff., 61162. 25 Die Vorstellung, die Anrufung der Gewissensfreiheit könne ohne weiteres staatsbürgerliche Pflichten zurückdrängen, verkennt, daß auch der tolerante Staat die Gesamtordnung gegenüber der Negierung seiner Verfassung und Sozialordnung aufrecht erhalten darf und sogar im Interesse des Rechtsfriedens und der Gleichheit den Mitbürgern gegenüber schützen muß und daß die Gemeinschaft wichtige Anliegen - Böckenförde erkannte den Impfzwang an - dann durchsetzen kann, wenn ihre Erfüllung die Persönlichkeit nicht dekonstituiert (Steuerzahlung, Schulpflicht).
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Situationsethik anerkennt, so findet das in neuerenethischen Auffassungen eine Stütze, erhöht aber den immanenten Subjektivismus dieser grundrech tlichen Position. Ebenso wie Bäumlin lehnt es auch Böckenförde ab, Begriff und Bedeutung des Gewissens an allgemeinen vorbestehenden Wertordnungen oder Maßstäben zu messen, sondern stellt allein auf die Unverletzlichkeit des personalen Bereichs ab. Die pluralistische Gestaltung unserer ethischen Überzeugungen läßt wohl, entgegen den Versuchen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, verbindliche Wertgrundlagen anzunehmen, eine andere Lösung nicht zu. Wohl aber kann man Böckenförde zustimmen, wenn er auf die "Bereitschaft zur Konsequenz", zur Übernahme auch von alternativen Lasten, als schlüssigen Beweis einer echten Gewissenshaltung hinweist. Von diesem Grundsatz aus vermochte Böckenförde in der Auslegung des Art. 4 III GG gewisse Begrenzungen der Gewissensberufung vor allem im Verfahren anzuerkennen. Im Bereich des kirchlichen Interesses hat Böckenförde auch zu Schulfragen Stellung genommen. Hier neigt er dazu, das positive Moment des Gewissens, das vom Staate, der rechtlich und finanziell eine weitgehende Herrschaft über die Schule und damit über die Persönlichkeitsbildung der Jugend beansprucht, gegenüber den Gruppen seiner Bürger zu achten wäre, zurückzustellen, stärker aber die negative Freiheit gegenüber einer bestimmten weltanschaulichen Gestaltung des Unterrichts zu betonen. Auf diese Fragen kann hier nicht näher eingegangen werden. Insgesamt trat bei Böckenförde stärker die gedankliche Lösung der Gewissensfreiheit aus der Tradition der geistigen Freiheit mit ihrer stets festgehaltenen Typik der Hervorkehr auch allgemeiner staatsbürgerlicher Bindungen hervor: einer Anerkennung der Loyalitätsforderung des Staates verschloß sich der Redner indes nicht. Nachdrücklich aber wurde von ihm vertreten, daß für die Gewissensfreiheit Art. 4 I GG keine allgemeinen Schranken aufstelle, wiewohl man solche aus der Gesamtordnung zu entwickeln habe. Daß hier sich im Grunde das Problem spiegelt, daß mit der Lösung einer eigenen Gewissensfreiheit aus dem Kreis der Religions-Weltanschauungsfreiheit des Art. 4 die innere Verbindung zwischen Art. 4 und Art. 140 GG, d. h. mit dem institutionellen Staatskirchenrecht, als sinnvoller Umgrenzung religiös-weltanschaulicher Freiheit aufgegeben wurde, das wird dabei nicht erkannt. Hier liegt aber eine Kernfrage: Geht es an, gegenüber einem historisch klar umrissenen und fundamentalen Grundrecht wie dem der Religionsfreiheit, das in bestimmte Verfassungsbegrenzungen eingebettet bleibt, ein neues eigenes Grundrecht aus demselben Stamm zu entwickeln, das von solchen Grenzen befreit ist? Müssen nicht - gewiß in angepaßter Form - auch Grundelemente staatskirchenrechtlicher Überlieferung für die Eingrenzung der Gewissensfreiheit fruchtbar gemacht werden? An die-
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sem Punkte scheinen sich die Geister zu scheiden. So sehr man diese Eingrenzung für die Religionsfreiheit akzeptiert, möchten die Vertreter einer weltlich gedachten Individualautonomie für diese jene Grenzen abstreifen. Das scheint mir nicht durchdacht. Kann man die religiöse Freiheit ungünstiger behandeln als die des weltlichen Denkens? Bedeutet das nicht, daß dann die Verfassung unerlaubte weltanschauliche Differenzierungen vornähme: An dieser Stelle zeigt sich, daß die Klärung der anstehenden Fragen wohl doch Ursprung und Natur des Gewissensbegriffes nicht einfach ausklammern kann. Wenn der moderne Staat eine weite staatsbürgerliche Sphäre der "bürgerlichen Rechte" einer Konfessionalisierung entzog (vom Eherecht bis zur Bildungsplanung), kann er diesen Raum der Durchsetzung individueller ethischer Besonderungen öffnen? Hier scheinen mir beide Referate noch Fragen offen zu lassen, die nur vom Menschenbilde der Verfassung- gibt es ein solches? -zu beantworten wären2'. Die Diskussion zu den beiden hervorragenden Referaten blieb leider enttäuschend. Zu sehr auf Detailfragen gelenkt, zersplitterte sie sich in Nebenproblemen. Einen breiten Raum nahm die Scheinfrage ein, ob man etwa Gewissensfreiheit nur als Schutz des forum internum verstehen könne. Während Zippelius in diesem Sinne votierte, hielt ihm Marcic zu Recht entgegen, daß die innere Freiheit keines Schutzes bedürfe, und nur ihre Aktualisierung sozial bedeutsam, daher regelungsbedürftig werde. Hier zeigte sich wieder die Vernachlässigung der historischen Erfahrung, auf die Bäumlin hinwies: für die religiöse Freiheit ist dies Problem ihrer Verengung auf rein interne Vorgänge seit Jahrhunderten schon gelöst. Geht es doch hier von Anbeginn an um den Gewissenszwang, der sich im Fordern einer äußeren Anpassung an den im Gewissen verworfenen Kult äußert27 • 28 Es droht damit in Anm. 4 eine Spaltung der dort als Einheit gesehenen weltanschaulich-ethischen Freiheit in eine mehr traditionell gesehene Religionsfreiheit - die man heute sogar zuweilen einzuengen sucht - und eine neue auf einem anderen Bild des autonomen Individuums ruhende Gewissensfreiheit. Solche Schizophrenien des Rechtsdenkens sind heute mehrfach erkennbar, etwa im Strafrecht, wo alleinige Betonung der Prävention sich nicht mit dem Grundbild der demokratischen Mitbestimmung verträgt, die Selbstbestimmung des Individuums (und damit dessen Verantwortlichkeit) voraussetzt. Vgl. hierzu Richard Lange, Die Krise des Strafrechts und seiner Wissenschaften, München
1969, s. 20/21.
27 Daß es bei der religiösen Freiheit um das "forcement des consciences" gehe, etwa den Zwang zum Hören der Messe, hat schon einer der frühesten Verkünder der religiösen Freiheit, Sebastian Castellion, betont (Conseil a Ia France desolee, 1562, Ausg. Marius F. Valkhoff, Genf 1967, S. 20, 23). Ebenso definiert die Declaratio de Libertate Religiosa des II. Vaticanums, in: Acta Apostolicae Sedis 58 (1966) S. 929 ff., diese Freiheit wie folgt: "Huiusmodi libertas in eo consistit, quod omnes homines debent immunes esse a coercitione ex parte sive singulorum sive coetuum socialium et cuiusve potestatis humanae, et ita quidem ut in re religiosa neque aliquis cogatur ad agendum contra suam conscientiam neque impediatur, quominus iuxta suam conscientiam agat privatim et publice, vel solus vel aliis consociatus, intra debitos limites" (Art. 2).
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Ein tieferes Problem wurde durch Häberle und Hollerbach angeschnitten, die darauf aufmerksam machten, daß das Gewissen nicht nur als individuelle Entscheidung auftrete, sondern der einzelne oft gerade als Angehöriger einer Gruppe zu gewissen Grundentscheidungen gelange. Das ergänzte Hollerbach noch durch den Hinweis auf das hier oft vorliegende soziale Phänomen. Beide Referenten und viele andere Teilnehmer der Debatte blieben aber strikt bei der Notwendigkeit einer höchstpersönlichen Entscheidung. Hier hätte wohl nur ein Verweis auf die Sozialgebundenheit der Persönlichkeit im Bilde moderner Anthropologie sowie eine kritische Aufhellung der Bestände kantischen Autonomiedenkens in der überwiegenden Auffassung weitergeholfen. Die Diskussion blieb etwas zu stark bei der Frage hängen, ob propagierte Gewissensbedenken anzuerkennen seien, und nahm von dort aus gegen die Bedeutung des Gruppenfaktors in der Gewissensbildung Stellung28 • Nur eine Stimme (Leisner) wies hier auf die Einbindung der Gewissensentscheidung in weltanschaulicher Haltung hin und stellte damit den Konnex mit der Religionsfreiheit her, der sonst so weitgehend zurückgestellt wurde. Es hing mit dieser Unsicherheit der Grundlagen zusammen, daß die Debatte um die Schrankenziehung keine Übereinstimmung ergab. Man wies darauf hin, daß praktische Probleme über andere Grundrechte (Art. 2, 5, 9 GG) sich lösen ließen (Schaumann, Quaritsch); aber damit ist keine Lösung gefunden für die Frage, ob nicht dann dennoch gegenüber anderen- begrenzten- Grundrechten Art. 4 neue Freiheiten gewährt? Hier ist im Grunde die heutige Grundrechtsinterpretation, die Grundrechte als Ausfluß eines allgemeinen Hauptfreiheitsrechts, d. h. grundsätzlich ohne Einbettung in die Gemeinschaft ansieht, in Frage gestellt. Von ihr aus wird das Schrankenproblem immer nicht viel über Abwägungsfragen hinauskommen. Nur Kopp wies hier auf einen wichtigen Gedanken zur Gewissensfreiheit hin, wenn er betonte, daß sie dazu bestimmt sei, dem Nichtkonformisten das Zusammenleben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Hier trat eine nicht aus einer allgemeinen Freiheit, sondern aus einer begrenzten spezifischen Sinngebung des Art. 4 abgeleitete Richtlinie auf. In ähnlicher Richtung äußerte sich Badura, und im Grunde entspringt auch das allgemein gebilligte Postulat nach gesetzlichen Verhaltensalternativen in Fällen, wo Gewissensnot droht, dem gleichen Gedanken. Faßt man das Ergebnis zusammen, so wird man anerkennen müssen, daß sich der Gedanke eines besonderen Rechts der Gewissensfreiheit über die Religionsfreiheit hinaus weithin durchgesetzt hat. Unklar bleibt freilich ihr Verhältnis zur überlieferten Sinngebung des Art. 4 GG. Hier 18 Demgegenüber machte Bachof zu Recht darauf aufmerksam, daß oft die Gewissensentscheidung ohne die Unterstützung der Meinungsbildung in Gruppen (z. B. bei der Kriegsdienstverweigerung) nicht möglich werde.
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werden eindringliche Fragen noch zu stellen sein, um zu verhüten, daß sich einmal die Religionsfreiheit verengt, zum anderen aber ein anderes, verborgen weltanschaulich-säkular gefärbtes Gewissensrecht als herrschende - und dann sogar intolerante - Meinungsrichtung etabliert. Es wird zu fragen sein, ob die weltanschauliche Neutralität es gestattet, die religiöse Freiheit weiter einzuengen als die Gewissensfreiheit29 • Oder umgekehrt gefragt, ob nicht auch für die Gewissensfreiheit ihre Einbettung in das Phänomen der sozialen Gemeinschaft in verwandter Weise zu sehen ist, wie es seit jeher im Staatskirchenrecht gesehen wurde und dort wohl auch in weiterem Bereich anwendbare Lösungen fand. Man wird der institutionellen Seite der Gewissensentscheidung, sowohl der Notwendigkeit gruppenweiser Besinnung auf Gewissensfragen wie der mit ihnen verbundenen Propaganda30 erneutes Nachdenken zuwenden müssen. Und man wird endlich immer wieder auf die Grundforderung der Toleranz und des Zusammenlebens zurückzukommen haben, ohne die ein Freistellen einzelner von Sozialgeboten nicht möglich ist, die aber umgekehrt auch vom Individuum ein erhebliches Maß an Achtung der Gemeinschaftswerte fordern kann. Darauf, daß zu weit geführte individuelle Lösung von Pflichten die demokratische Willensbildung mit Mehrheit und verbindlicher Gesetzesentscheidung in Frage stellen könnte, hat Martin Heckel aufmerksam gemacht. Es ist ein interessantes Bild, wie sich hier durch ein Weiterdenken eines doch wohl in dieser Richtung noch keineswegs klar ausgesprochenen Verfassungstextes Fortbildungen der Grundrechte ergeben. In der so dynamischen Auffassung, die die deutsche Grundrechtsinterpretation heute gewonnen hat, wird ein solcher Vorgang als legitim angesehen. Man kann in der Tat anerkennen, daß die heutige Zeit stärker individualisierte weltanschauliche Freiheiten nahelegt. Aber man wird sich auf der anderen Seite doch bewußt sein müssen, daß solche Erweiterungen sich sorgsam in den Gesamtaufbau der Verfassung einfügen müssen. Bei der Religionsfreiheit betont heute das Bundesverfassungsgericht nachdrücklich eine 21 Auf diese Frage hat BetteTmann hingewiesen, wenn er sagte, daß Glaubens- und Bekenntnisfreiheit wie Religionsausübung ebenso schutzwürdig seien wie die Gewissensfreiheit. Man könnte dem hinzufügen: Verdient derjenige weniger Schutz, der dem hl. Thomas oder Luther anhängt, als der, der Kant oder Marcuse nachfolgt? ao Daß Gewissensentscheidung- ebenso wie jede Betätigung der Glaubensfreiheit - stets persönlich aufgenommen und verantwortet werden muß, ist sicher. Aber wird sie damit unglaubhaft, daß sie auf Gruppenbildung beruht? Sicherlich wird niemand dem überzeugten Zeugen Jehovas deshalb den Schutz des Art. 4 III GG verweigern, weil er hier ganz in einer kollektiven Vorstellungswelt denkt. Ein anderes Problem sind die Formen der Werbung für Gruppen und deren Grenzen. Sie haben etwa bei der Kriegsdienstverweigerung ihren Platz darin, daß der Soldat im Dienst wie in der Einwirkung auf andere Soldaten Beschränkungen der Werbung unterliegt, die disziplinäre Folgen haben können. Vgl. hierzu die Äußerungen des Wehrbeauftragten Matthias Hoogen im Bericht v. 26. 2. 1970, Drucks. Bundestag VI/453, S. 8 f., 12 f.
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solche Einordnung31 • Wenn man aus ihrem Bereich heraus eine Erweiterung vornimmt - ich würde es vorziehen, immer doch eher von Erweiterung als von einem selbständigen Grundrecht zu sprechen - so muß dies auch für sie gelten. Dann kann man aber die Erfahrung der Schrankenziehung, die sich in den staatskirchenrechtlichen Überlieferungen niedergeschlagen hat, nicht außer acht lassen. Dieser erste überblick über die Verhandlungen von Bern hat versucht, die Tragweite des sich abspielenden Vorgangs sichtbar zu machen. Wenn unsere gewohnte rechtliche Denkweise immer noch damit operiert, daß erweiternde Schlüsse und Entwicklungen, die man aus einem Verfassungstext zieht, nur Folgerungen des ein wenig mythischen "Willens" des Gesetzgebers seien, so wird es angesichtssolcher Entwicklungen wie der, vor der wir hier stehen, richtig sein, den Charakter der Rechtsfortbildung schärfer ins Auge zu fassen32• Sie legt aber zugleich auch die Verpflichtung auf, gerade im Grundrechtsbereich mit Vorstellungen logischer Argumentation vorsichtig zu sein und den Blick stets auf die Gesamtordnung der Verfassung zu richten, vor allem aber sich so gut wie möglich der weiteren geschichtlichen und gedanklichen Hintergründe solcher Fortbildungen bewußt zu werden. Hier ist bei dem Rechtsgedanken der Gewissensfreiheit noch ein gutes Stück Arbeit zu leisten.
31 Vgl. BVerfGE 12 S. 1, 4; 19 S. 206, 218. Dazu Alexander Hollerbach, Das Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in: AöR 92 (1967) s. 99 ff., 103 f. 32 Zu der Theorie der Rechtsfortbildung siehe Claus-Wilhelm Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, Berlin 1969, S. 25 ff. 75 ff. 112 ff.; Franz-Jürgen Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitio'nsfrei~ heit, Düsseldorf 1969, S. 140 ff.; Louis Leventhal Jaffe, English and American Judges as Lawrnakers, Oxford 1969, S. 8 ff. I
6 Scheuner
II. Verhältnis von Staat und Kirche
Auflösung des Staatskirchenrechts? Zu den Erörterungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Marhurg am 17. Oktober 1952
( = VVDStRL 11 [1954]) I. Die Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche, zwischen dem politischen Gemeinwesen und der Verkörperung der christlichen Gemeinde, ist ein Grundelement der europäischen Geschichte. Die Formen, die das Verhältnis von politischer Gewalt und geistlichem Bereich eingenommen hat, weisen durch die Jahrhunderte hindurch tiefe Unterschiede auf. Die Wandlungen in der Gestalt des Staates wirken ebenso darauf ein wie die Veränderungen im Leben der Kirche. Auf einem Gebiete, wo alle Einzelheiten so sehr von dem geistigen Ringen der Vergangenheit gezeichnet sind, genügen auch geringere Veränderungen, um das Bild umzugestalten. Um wieviel mehr muß sich heute das Verhältnis von Staat und Kirche in gewandelter Form gegenüber dem Stande präsentieren, auf den es zuletzt die verfassungsrechtliche Ordnung der Weimarer Zeit festgelegt hatte? Der Erfassung der Wandlungen in der "Gegenwartslage des Staatskirchenrechts" galten die Erörterungen der Marburger Staatsrechtslehrertagung am 17. 10. 1952, die damit zum ersten Male nicht nur seit der Wiederaufnahme ihrer Zusammenkünfte im Jahre 1949, sondern auch seit ihrem Bestehen in der Weimarer Zeit sich mit einem Beratungsgegenstand aus diesem Bereiche befaßte1• Waren sich beide Redner, Prof. Werner Weber, Göttingen, und Prof. Hans Peters, Köln, und auch die Teilnehmer der Diskussion in der bekannten These von Rudolf Smend2 einig, daß die einfache Übernahme der staatskirchenrechtlichen Artikel der Weimarer Verfassung durch Art. 140 GG nur eine äußere Wiederanknüpfung, eine die wirkliche neue Lage offenlassende und verdeckende Formel darstellt, so zeitigen sich doch in der Analyse und vor allem Aus: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, Bd. 2 (1952/1953) S. 382-393. Berichte über die Tagung von Otto Bachof, in: DÖV 1952 S. 687 ff.; Herbert Wehrhahn, in: JZ 1952 S. 761 ff.; Christian Friedrich Menger, in: DVBl. 1952 s. 749 ff. 2 Siehe: Staat und Kirche nach dem Banner Grundgesetz, in: ZevKR 1 (1951) s. 4ff. 1
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in der Deutung der heutigen Lage weitgehende Meinungsverschiedenheiten. Sie sind in ihrer ganzen Breite und Tiefe auf der Tagung schwerlich zu vollem Ausdruck gelangt, denn sie reichen vom methodologischen Ansatz über Divergenzen in der Erfassung und Beurteilung der heutigen Wirklichkeit bis zu einer grundsätzlich verschiedenen Auffassung von Kirche und Staat. Ob das Verhältnis von Kirche und Staat wie in dem Referat von Werner Weber im Kern als eine Auseinandersetzung von Einflußbereichen und Mächten im öffentlichen und politischen Felde erscheint, oder hier eine der lateinischen Geisteswelt eigene grundsätzliche Spannung zweier Bereiche des Menschen hervortritt (Smend), ob man stärker die soziologische Realität oder die legale Situation ins Auge faßt, wie Gestalt und Entwicklung des heutigen Staates gedeutet wird, ob als Tendenz des Übergangs vom souveränen Staat zur pluralistischen Auseinandersetzung öffentlicher "Stände" (W. Weber) oder als Wandlungsvorgang der modernen Demokratie zu einer stärker als von Individuen von den Parteien und Gruppen bestimmten Wirkungseinheit (Leibholz, Scheuner), das ergibt jeweils eine sehr andere Sicht. Dieser Bericht kann es nicht unternehmen, den Rahmen dieser Probleme auszufüllen; er muß sich an dasjenige halten, was in den Erörterungen davon sichtbar geworden ist.
ß. Die Bezeichnung "Staatskirchenrecht" ist in der Auseinandersetzung des Verhältnisses von Staat und Kirche der Ausdruck einer jüngeren Stufe der Entwicklung. Sie taucht erst in dem Augenblick auf, in dem der deutsche Territorialstaat aus seiner engen inneren Bindung an eine bestimmte Konfession und damit auch der nahen Verbindung von weltlichem und geistlichem Recht heraustritt und sich als überkonfessionelle, und dann zunehmend als neutrale Einheit zunächst gegenüber dem anderen Bekenntnis, dann aber den großen Kirchen gegenüber überhaupt versteht. Reicht der Gedanke der Kirche als einer Gemeinschaft innerhalb des allgemeinen Rechts in die reformatorische Zeit zurück3 , so ist der dem Worte "Kirchenstaatsrecht" oder "Staatskirchenrecht" eigene Klang doch erst möglich angesichts einer beginnenden geistigen Loslösung von Kirche und Staat, wie sie vor dem 18. Jahrhundert nicht einsetzt•. In ihm treten sich Staat und Kirche in einer bereits wesentlich 3 Vgl. Johannes Heckel, Melanchthon und das heutige deutsche Staatskirchenrecht, in: Festgabe Erich Kaufmann, Stuttgart- Köln 1950, S. 97 ff. Siehe auch Theodor von Reinkingk, De regimine saeculari et ecclesiastico, 3. Auft., Marburg 1641, Buch 3, Cl. I, Cap. 1, § 9: "Certum enim est Ecclesiam esse in Republica, non vero Rempublicam in Ecclesia." 4 Es ist der "überkonfessionelle, rein staatsrechtliche Inhalt" des jus circa sacra (Johannes Heckel, Cura religionis, ius in sacra, ius circa sacra, in: Fest-
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säkularisierten Sicht als "Gesellschaften" gegenüber, unter denen vom staatlichen Standpunkt her der Staat den Vorrang und die Überordnung beansprucht5 • Mit dem Durchdringen einer rein staatsrechtlichen Auffassung der staatlichen Kirchenhoheit setzt die Entwicklung des neueren Staatskirchenrechts ein, zu dessen Abgrenzung vor allem Paul Hinschius beigetragen hat8 • So liegt in dem Begriffe selbst schon ein Stück Geschichte der Beziehungen von Kirche und Staat. Seit der Ausbildung des Rechtszustandes einer aus der allgemeinen Gewalt des Staates abgeleiteten staatlichen Hoheit über die Kirchen hat das Verhältnis von Staat und Kirche dem Wandel der Anschauungen und der politischen Veränderungen folgend eine Reihe von Stufen durchlaufen7. In ihnen entwickelt sich nicht nur eine wachsende Entfernung und teilweise auch Fremdheit zwischen den beiden Bereichen, sondern es treten auch die Probleme aus dem stilleren Raume landesfürstlicher Verfügung über Hoheitsrechte in den von manchen Strudeln durchzogenen Fluß der legislativen d. h. parlamentarischen Behandlung und Mitverantwortung hinüber8 • Die ganze Schwere des letzteren Wechsels hat nicht zuletzt die streitbare Auseinandersetzung sichtbar werden lassen, die nicht ohne den Hintergrund der liberalen Ideen und ihres parlamentarischen Einflusses, umgekehrt aber nicht ohne die Bedeutung der Formierung der katholischen Kreise zu einer parlamentarischen Partei erklärt werden kann9 • Die durchlaufende Linie, die über alle Verändeschrift Ulrich Stutz, Stuttgart 1938, S. 298), d. h. die Lösung der staatlichen Kirchenhoheitsrechte von einer theologischen Grundlage, die ein Charakteristikum des neueren Staatskirchenrechts bildet. 1 Karl Friedrich Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Bd. 3, Ausg. Bamberg 1797, S. 349, spricht vom "geistlichen oder Kirchenstaatsrecht" als dem "Inbegriff der Rechte und Verbindlichkeiten des Regenten und der Unterthanen, in Absicht auf die Religion"; August Heinrich Simon, Das preußische Staatsrecht, Bd. 1, Breslau 1844, S. 356, geht von den Rechten aus, "welche der Staat als natürliche Rechte der Staatsgewalt in Beziehung auf die Verhältnisse jeder Kirche in Anspruch nimmt" und bezeichnet diese Kirchenhoheit als "Preußisches Kirchen-Staatsrecht". Daneben ziehen es viele Autoren indes noch lange vor, nur vom Verhältnis von Kirche und Staat zu sprechen, wenn sie dies Gebiet bezeichnen: Aemilius Ludwig Richter, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts, Leipzig 1842, S. 77, 101 f.; Robert von Mohl. Das Staatsrecht des Königreiches Württemberg, Bd. 2, Tübingen 1831, S. 479; Emil Friedberg, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts, 6. Auft., Leipzig 1909, S. 108 f. Darin drückt sich das Verlangen aus, nicht allein auf den staatlichen Standpunkt zu treten. 1 Hierzu und zu den Problemen der systematischen Abgrenzung des Staatskirchenrechts siehe Johann Victor Bredt, Neues evangelisches Kirchenrecht für Preußen, Bd. 1, Berlin 1921, S. 103 ff. 7 Dazu Rudolf Smend, S. 5 f. 8 Friedrich Julius Stahl, Die Kirchenverfassung nach Lehre und Recht der Protestanten, 2. Auft., Erlangen 1862, S. 282/83, erkennt in Fragen der Kirchenhoheit ("Majestätsrecht") eine Mitwirkung der Stände an, nicht aber beim fürstuchen Regiment in der Kirche. 1 Vgl. Heinrich Bornkamm, Die Staatsidee im Kulturkampf, in: Historische Zeitschrift 170 (1950), S. 48 ff., 287 ff.
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rungen hinweg das Staatskirchenrecht seit Ende des 18. Jahrhunderts als eine kontinuierliche Einheit erscheinen läßt, ist die Einfügung der Kirche als einer Körperschaft unter die Hoheit des als höchste rechtliche Macht verstandenen Staates, ist der dem Rechtsdenken dieser Zeit eigentümliche Ausgangspunkt von der Souveränität des Staates, der sich auch die Kirche auf seinem Gebiete unterstellt und sie in eine den religiösen Bereich ergreifende besondere staatliche Hoheit einordnet10 • Gerade diese Grundeinstellung des Staatskirchenrechts wurde in dem glänzenden, an scharf präzisierten Formulierungen reichen Referate Werner Webers als heute weggefallen bezeichnet. Nicht weil Staat und Kirche eine andere Anschauung ihres Grundverhältnisses gewonnen haben, sondern weil der Staat als höhere Einheit sich in ein pluralistisches Ständegebilde aufgelöst habe und seiner Hand daher die Befugnisse staatlicher Kirchenhoheit fast ganz gegenüber den Kirchen entglitten seien, die ihrerseits als einer dieser Stände Mitträger öffentlicher Verantwortung und Teilordnungen des politischen Gemeinwesens geworden seien. Damit ist nach Werner Webers These eine staatliche Kirchenhoheit und das Staatskirchenrecht als Vorstellung fragwürdig geworden. In diesen Thesen führte die Marburger Auseinandersetzung mitten hinein in den Kern der heutigen Fragen, unter denen die folgenden besonders in den Blickpunkt gerückt wurden: a) Gibt es noch ein Staatskirchenrecht im Sinne rechtlicher und möglicherweise aufsichtlicher Gestaltung des Verhältnisses Staat und Kirche durch den Staat? Sind seine Grundlagen in Staat und Kirche noch gegeben? b) Kann der Staat in seiner heutigen Gestalt noch eine Kirchenhoheit ausüben? c) Nehmen die Kirchen in ihrer Stellung im öffentlichen Leben wie auch in ihrem Selbstverständnis nicht eine andere, weittragendere Position ein als in der Vergangenheit?
m. Daß in der Frage von Staat und Kirche die Anschauung von den beiden Konfessionen her eine verschiedene ist, zeigte sich in den Thesen des klaren und auf aktuelle Fragen ausgerichteten Referates von Hans Peters. Von der katholischen Gesellschaftslehre her werden die Wandlungen der Zeit in der Tat weniger empfunden, weil hier weder der 10 Umfang und Inhaltsbestimmung dieser besonderen Hoheit unterlag dabei einem Wandel, aber sie löst sich doch niemals in eine einfache Unterstellung der Kirche unter das allgemeine Korporations- oder Vereinsrecht auf. Auch Godehard Josef Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930, S. 325, der eine besondere Kirchenhoheit nach 1918 abgelehnt hat, gibt den Kirchen anderen Korporationen gegenüber doch einen Sonderstatus.
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Ausbruch des Kirchenkampfes nach 1933 ein jahrhundertelanges Miteinanderleben von Kirche und Staat wie im evangelischen Bereich abbrach, noch in der kirchlichen Auffassung der Grundbeziehungen so starke Veränderungen sich vollzogen haben. Indem die Kirche den einer Einordnung der Kirche in den Staat zugrundeliegenden naturrechtliehen Körperschaftsbegriff für sich ablehnt - Peters sprach hier von einem Zusammenhang dieses von unten herauf den sozialen Körper aufbauenden Körperschaftsbegriffes mit dem Protestantismus 11 - , behauptet sie sich gegenüber dem Staate als eine eigenständige konservative Macht, die die Grundlagen ihres Seins dem göttlichen Auftrag verdankt und sich auch in der Reichweite ihrer Betätigung im öffentlichen Leben keineswegs an die Versuche des säkularisierten Staates, sie auf einen bestimmten Bereich einzuengen, gebunden fühlt. Sie nimmt vielmehr in Anspruch, das gesamte private und öffentliche Leben mit christlichem Geiste zu erfüllen. Es geht der Kirche, wenn sie nach rechtlicher Festlegung zwischen sich und dem Staate strebt, daher nicht um eine Grenzziehung, sondern um die Freiheit ihres Wirkungsbereiches in der Öffentlichkeit. Die Kirche will die Tendenz des Staates zu fortschreitender Ausschaltung der Kirche nicht mehr anerkennen. Aus dieser Grundanschauung ergibt sich folgerichtig die Ablehnung jeder Gleichsetzung der Kirche mit anderen Körperschaften; sie hat kraft ihres Wesens einen Sonderstatus, mit dem eine Staatsaufsicht nur soweit vereinbar ist, als sie ausdrücklich zugestanden wird. Auf der anderen Seite stellt Peters fest, daß der Staat heute in wachsendem Maße die Kirche als Trägerin des religiösen und sittlichen Lebens im Volke anerkennt und ihr eine Teilnahme an öffentlichen Aufgaben einzuräumen bereit ist. Von dieser Grundlage aus bleibt im Staatskirchenrecht nur eine allgemeine Hoheit des Staates inReligionssachen, aber keine aufsichtliche Befugnis mehr erhalten12 • In diesem Umfang aber nimmt Peters eine fortdauernde Bedeutung und Tradition des Staatskirchenrechts an, das freilich eine Fülle neuer Fragen zeigt. In seinem Bericht wies Peters auf eine große Reihe praktischer Fragen hin, die diesen Fortbestand bestätigen. Die Fortdauer des Reichskonkordates und der Länderkonkordate einschließlich ihrer Schulartikel1 3 ; die praktische Anwendung der politischen Klausel der Konkordate; die Weiter11 Zur Unterscheidung der Kirche vom weltlichen Körperschaftsbegriff siehe die Enzyklika Mystici Corporis v. 29. Juni 1943, in: Acta Apostolicae Sedis 35 (1943) S. 222 f.; deutsche Übersetzung: "Die Kirche, der geheimnisvolle Leib Christi", Freiburg/Br. 1947 (Herderausgabe), S. 63; auch bei Anton Rohrbasser (Hrsg.), Heilslehre der Kirche. Dokumente von Pius IX. bis Pius XII, Freiburg/ Schweiz 1953, S. 498 f. (= Nr. 804 f.). 12 In dieser Hinsicht geht Hans Peters einig mit der Ablehnung einer besonderen Kirchenhoheit durch Godehard Josef Ebers, S. 311 ff. 13 A. A. für die Schulartikel Eduard Kern, Staat und Kirche in der Gegenwart, Harnburg - Berlin - Bonn 1952, S. 89.
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geltung der Bestimmungen über die politische Betätigung der Geistlichen; endlich das Kirchensteuerrecht. Im ganzen ergab sich aus der Auffassung von Peters eine Abwendung von der älteren Richtung, die auf eine Abgrenzung des kirchlichen Bereiches abzielte und damit z. T. Tendenzen zur Einengung des kirchlichen Bewegungsraumes verband. Stattdessen tritt dem Staate stärker als früher das eigene Verständnis der Kirche von ihrer Aufgabe im ganzen öffentlichen Bereiche gegenüber, dem der Staat in gewissem Umfange, vor allem in manchen Landesverfassungen, Rechnung trägt. Mit dieser gesteigerten Bedeutung kirchlicher Aktivität verbindet sich die Beendigung einer eigentlichen spezifischen Staatsaufsicht über die Kirchen. Im ganzen eine Sicht, die entschieden stärker - wie es der Tradition der katholischen Kirchenlehre entspricht- die Eigenständigkeit der Funktion beider Bereiche und ihre Gleichordnung als wie das übergeordnete Recht des Staates betont14 •
IV.
Werner Weber15 gab in der ersten Hälfte seiner Darlegungen eine Analyse des Absterbens der staatlichen Kirchenhoheit. In diesem Niedergang der staatlichen Tradition erblickte er die Ursache für die schwindende Beschäftigung mit dem Staatskirchenrecht. In der Weimarer Republik, so führte Weber aus, wurde ungeachtet des hinkenden Trennungssystems der heute fortgeltenden Kirchenartikel das rechtliche System der staatlichen Kirchenhoheit durch eine an die Überlieferung gebundene Beamtenschaft der Länderministerien und der Kirchenleitungen "mit einigen Abstrichen und Lockerungen" fortgeführt. Erst der Abschluß der Konkordate und Kirchenverträge zeigte ein "Mürbewerden und Zurückweichen" an. Die Theorie vollends konnte die zwiespältige Regelung der Weimarer Verfassung nicht in einer klaren Definition erfassen und blieb daher bei Bezeichnungen wie dem "hinkenden Trennungssystem" (Stutz) oder dem "System abgeschwächter staatlicher Kirchenhoheit". Die Zeit nach 1945 brachte schon vor dem Grundgesetz die Wiederherstellung des älteren Landesstaatskirchenrechts unter Beseitigung der reichskirchenrechtlichen Eingriffe der Zeit nach 1933. Die Konkordate, anfangs in ihrem Fortbestand bezweifelt, wurden bald allgemein als fortgeltend angesehen, teilweise landesrechtlich ausdrücklich bestätigt (Bayern Art. 182, Nordrhein-Westfalen Art. 23). Diese Tendenz zur Restituie':" 14 Die von Hans Peters behandelten Einzelfragen betreffen meist das konkordatäre Recht und sind daher hier nicht näher behandelt. Vgl. seine Thesen in: DOV 1952 S. 691 f. und DVBl. 1952 S. 751 f. u Dank der freundlichen Oberlassung seines Manuskriptes vermag ich im folgenden manche Formulierungen Werner Webers wörtlich wiederzugeben.
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rung des Weimarer Rechtes, die der Art. 140 GG abschloß, stellte die früheren Rechtsgrundlagen wieder her. Aber: "Nur eine sehr vordergründige Betrachtung kann sich mit dieser Feststellung begnügen." Der grundlegende Wandelliegt offen zu Tage. Er ist vor allem in der eingetretenen "Erschütterung des Staates" begründet. Die staatliche Kirchenhoheit hat ihre Grundlagen und Voraussetzungen weitgehend eingebüßt. Von den Beamten einer Tradition aufsichtliehen Einflusses auf die Kirchen ist niemand mehr vorhanden, die alte "einfach aus der Überlieferung lebende Staatlichkeit monarchischen Ursprungs" ist geschwunden. "Man wird in keinem Ministerium des Bundesgebietes einen Amtsträger mehr finden, der die schwierigen Zusammenhänge des Staatskirchenrechtes auch nur intellektuell beherrscht." "Die in der ,Weimarer Zeit' noch überaus zäh wirkende Kontinuität zur staatskirchenrechtlichen Welt der konstitutionellen Monarchie ist endgültig abgerissen". Das Element des "Staatlichen", das gerade für den Bereich des Staatskirchenrechts den politischen Ordnungsbereich repräsentierte und den Bestandteilen eines Systems reservierter staatlicher Kirchenhoheit die Stütze bot, in dem sich eine staatsbewußte Tradition verkörperte, ist nicht mehr gegeben. Diesen grundsätzlichen soziologischen Befund beleuchtete Weber an einer Reihe von rechtlichen Fragen, in denen die Verselbständigung der Kirchen und das Zurücktreten staatlichen Einflusses deutlich hervortritt. Er lenkte zunächst die Aufmerksamkeit auf die Schwächung der Bundeszuständigkeiten in staatskirchenrechtlichen Fragen. Zwar ist eine Kompetenz des Bundes hier geblieben, aber sie ist stark eingeengt. Im Katalog der Gesetzgebung des Bundes fehlen die Rcligionsgesellschaften. Damit ist er auch auf dem Gebiete der Bundesaufsicht nach Art. 84 III GG entscheidend zurückgedrängt. Verwaltungskompetenzen des Bundes fehlen. Der Fortfall des führenden Einflusses Preußens erhöht das Gewicht dieser Veränderungen. Eine Kompetenz ist nur geblieben, soweit der Bund die Ausführung der Art. 4 und 140 GG bei den Ländern überwacht und soweit überregionale Erscheinungen auf kirchlicher Seite mit ihm unmittelbar, wie die Nuntiatur oder die Fuldaer Bischofskonferenz oder die Vertretung der Evangelischen Kirche in Deutschland beim Bunde, in Beziehung treten18 • Für diese Relationen fehlt es freilich an einer materiellen Rechtsgrundlage, zumalsich die EKD und die VELKD vor Zustandekommen des Grundgesetzes konstituiert haben. Nicht weniger 18 Hans Peters hat hier von einer Zuständigkeit nach der "Natur der Sache" gesprochen und für die Beziehungen zur Nuntiatur auf Art. 59 hingewiesen. Der letztere Hinweis überzeugt, denn die heute im Völkerrecht vordringende Auffassung sieht beim Papst gerade in seiner Eigenschaft als Repräsentant der Kirche- im Unterschied zu der durch den Vatikanstaat gegebenen Rechtsstellung - die Grundlage der Stellung als Völkerrechtssubjekt. Vgl. Franz Tibor Hallos, Ist der Papst Völkerrechtssubjekt?, in: Festschrift für Wilhelm Laforet, München 1952, S. 202 ff.; Josef L. Kunz, The status of the Holy See in internationallaw, in: American Journal of International Law 46 (1952) S. 308 ff.; Louis Cavare, Le droit international public positif, Bd. 1, Paris 1951, S. 376 f.
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augenfällig sind, so betonte Weber, die Vorgänge auf anderen Gebieten. Im Hochschulwesen räumen mehrere Landesverfassungen den Kirchen ein Recht zur Einrichtung eigener Hochschulen für den theologischen Nachwuchs ein, obwohl die evangelischen Kirchen durch die Kirchenverträge verbindlich auf die Ausnutzung der theologischen Fakultäten verwiesen waren. Die Kurie hat in Trier eine Theologische Fakultät kanonisch errichtet und mit dem Promotionsrecht beliehen (1950), und hat hierfür die Anerkennung des Landes Rheinland-Pfalz gefunden. Auf der evangelischen Seite bestehen fünf theologische Hochschulen, deren Lehrkräften die Landeskirchen teilweise ohne staatskirchenrechtliche Mitwirkung die Bezeichnung "Professor" verliehen haben. Im Schulwesen ist der Einfluß der Kirchen durch die günstigere Behandlung des Privatschulwesens gesteigert, der tatsächlich dem konfessionellen Schulwesen zugute kommt 17• Manche Länder stützen es mit staatlichen Zuschüssen. Der Fortfall der Art. 146 I und 174 WeimRV ermöglicht ferner, daß die Länder anstelle der Gemeinschaftsschule die konfessionelle Schule wieder einführen. Dieser Prozeß ist unter Berufung auf das Elternrecht im Gange und die "Lehrerausbildung und Lehrerpersonalpolitik muß ihm folgen". Durch Vorschriften der Landesverfassungen ist weitgehend ein Mitspracherecht der Kirchen bei Bestellung der Religionslehrer, zuweilen sogar ein Inspektionsrecht der Kirchen über den Religionsunterricht begründet. Besonders hob Weber auch die Lösung der Kirchen von staatlicher Aufsicht im finanziellen Bereiche hervor. Die Vereinheitlichung der Kirchensteuern in den Landeskirchen und Diözesen erspart die Einholung einzelner Genehmigungen zu Steuerbeschlüssen, die durch die einmalige Bewilligung des konstanten Kirchensteuersatzes ersetzt worden sind. Die Zentralisierung der kirchlichen Finanzgebarung lockert die Kontrolle des Staates weiterhin. Endlich ist durch § 25 II der VO Nr. 165 für die brit. Zone auch der kirchliche Bereich aus der sonst so weit gesteckten Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit eximiert, jedenfalls soweit es das "eigentliche Verwaltungssystem der Kirchen" betrifft18 • Im ganzen, so schloß Weber seine Feststellungen zu dieser Verselbständigung der Kirchen ab, kann man sagen: "Es gibt kein Glied der öffentlichen Ordnung Deutschlands, dem aus dem traditionellen Organisations- und Funktionssystem so große Vorteile und Zwangsrechte mit so viel verantwortungsfreier Selbständigkeit abgezweigt sind." 11 Es ist im französischen Recht eine bekannte Erscheinung, daß die liberte de l'enseignement die Basis eines kirchlichen Schulwesens von großer Ausdehnung gebildet hat. Vgl. Georges Burdeau, Manuel de droit public, Paris 1948, s. 250 ff. te Hinsichtlich bestimmter kirchlicher Maßnahmen (Steuern) wies Werner Weber selbst auf Grenzen dieser Exemtion hin. Walter Jellinek machte in der Diskussion darauf aufmerksam, daß der Entwurf einer Verwaltungsgerichtsordnung in § 38 eine solche Exemtion nicht mehr enthält (Deutscher Bundestag, Erste Wahlperiode, Drucksache Nr. 4278).
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Dem Schwinden staatlicher Einwirkungen steht auf der anderen Seite ein Hineinwachsen der Kirchen in weite Zusammenhänge des öffentlichen Lebens gegenüber. Die Kirchen werden vom Staat als mitverantwortliche Träger der Daseinsvorsorge in ihren Einrichtungen und Anstalten anerkannt, sie werden an Jugenderziehung, Bildungswesen und Wohlfahrt beteiligt. Im bayerischen Senat ist den Kirchen eine Vertretung gewährt. Eine weitere "Heranführung der Kirchen an die Aufgaben des öffentlichen Lebens" vollzieht sich dadurch, "daß sie neben den politischen Parteien, Gewerkschaften und Wirtschaftsorganisationen in die erste Reihe derjenigen Einflußgruppen des Soziallebens getreten sind, die in den Rundfunkräten die Kontrolle des Rundfunkwesens und in ähnlicher Weise die sogen. Selbstkontrolle des Films zu verantworten haben." In dieser ausgedehnten Selbständigkeit der Kirchen im politischsozialen Leben vollzieht sich - im Kontrast zu dem mangelnden Willen und Können der Landesregierungen bei der Behauptung legitimer staatlicher Positionen gegenüber den Kirchen - nicht die Erfüllung der in Weimar vorgesehenen Autonomie. Das setzte ein Fortbestehen eines über den sozialen Machtgebilden stehenden Staates voraus. Ebensowenig liegt hierin etwa die Trennung liberalen Stiles, die die Kirche in privatrechtliche Formen verweist, oder gar das den Öffentlichkeitscharakter der Kirchen leugnende Trennungssystem der totalitären Staaten vor. Vielmehr gewinnen heute die Kirchen einen neuen "öffentlich-rechtli· chen Status von außerordentlicher Dichte". Sie genießen als Körper• schaften die Gerechtsame dieser Verbandsform, besitzen aber darüber hinaus Steuerhoheit, erwerben Hochschulfähigkeit, Einfluß auf Jugendund Bildungswesen, und üben einen bedeutenden unmittelbaren und mittelbaren politischen Einfluß aus. In dieser Statuserweiterung stehen sich, so meinte Weber, heute beide großen Kirchen annähernd gleich; aus der hinkenden Parität der Weimarer Epoche ist wirkliche Gleichstellung geworden, da sich nun auch die evangelische Kirche seit dem Kirchenkampf vollends vom Staate gelöst hat. Die volle Bedeutung dieser Erhöhung der kirchlichen Stellung erschließt sich aber für Werner Weber erst durch den Ausblick auf den Zerfall der staatlichen Souveränität. Weber verglich die Aufgliederung des öffentlichen Bereiches in der heutigen Lage mit ständestaatliehen Erscheinungen. In ihrem Rahmen verstehen sich die Kirchen "wie der Stand des Ständestaates, als öffentliche Institutionen aus eigenem, nicht verliehenem, abgezweigtem und konzediertem Recht". Sie nehmen für sich einen theologisch verstandenen Öffentlichkeitsanspruch zugleich mit der privilegierten Stellung eines unabhängigen Gliedes der politischen Gesamtordnung in Anspruch. Wenn sie dabei einer Begrenzung, einer Partnerschaft begegnen, so ist es im Grunde nicht der Staat, auf
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den sie treffen, sondern die anderen Stände, die Parteien, Gewerkschaften und ähnlichen Einflußgruppen. Mit ihnen konkurrieren die Kirchen in den Grenzbezirken ihres Einflusses, sie sind es, die in Parlamenten und Regierungen den Kirchen gewisse Zonen streitig machen. "In diese gegliederte Ordnung des politischen Gemeinwesens als wesentliche und sogar überragende Teilordnungen hineingestellt, haben die Kirchen auch Anteil an der Verantwortung für das politische Gesamtschicksal". Sie werden damit in die politischen Auseinandersetzungen hineingezogen, nehmen an unzähligen Gremien des öffentlichen Lebens teil, üben durch ihre Stellungnahme bei politischen Entscheidungen auf das Volk einen starken Einfluß. Die Beziehungen der Kirchen, die nunmehr Glieder einer vielschichtigen öffentlich-rechtlichen Gesamtordnung darstellen, sind nicht mehr Relationen "zum Staat", sondern solche der Einordnung in den Staat und der Zuordnung zu anderen Mitständen. Für eine solche Lage ist die Bezeichnung Staatskirchenrecht, sind die überlieferten Vorstellungen von Kirchenhoheit und jura circa sacra fragwürdig geworden. Mit dieser Würdigung, die Weber ausdrücklich nicht als Wertung, sondern als eine sich aufdrängende faktische Beobachtung und Analyse verstanden wissen, und mit der er auch nicht das Staatskirchenrecht preisgeben wollte, eröffnete der Vortragende eine Sicht, die den Kirchen ihren Platz im Rahmen der Deutung anwies, die Weber bereits an anderer Stelle den politischen Erscheinungen der Gegenwart gegeben hat. Er sieht den Staat in Deutschland aufgespalten in soziale Machtkörper wie die Parteien, Gewerkschaften, wirtschaftlichen Interessengruppen und Kirchen, die einen Pluralismus der Machtkomplexe aufrichten, in dem sich die souveräne Einheit des Staates aufgelöst hatn. Es war begreiflich, daß darum gerade von dieser Seite her seine Beurteilung der staatskirchenrechtlichen Lage in der Diskussion Anfechtung als ein Mißverstehen der Entwicklung des Staates erfuhr. Aber auch gegen das Bild der Kirchen, das Weber gezeichnet hatte, erhoben sich Einwendungen. Kein Zweifel, daß die Aussprache, die dem geschlossenen und faszinierenden Bau dieser Thesen gegenüber erst den kritischen Ansatz zu suchen hatte, vorerst nur einige der weiterführenden Fragen und kritischen Einwände aufgedeckt hat20•
V. Vom Verständnis der Kirche her stellte Smend die Thesen des Webersehen Referates in Frage. Er wies, in Betonung der völlig verschiedenen 1'
Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, Stuttgart
1951, s. 50 f.
10 Auf die Lücken der Erörterung hat auch Herbert Wehrhahn, in: JZ 1952 S. 762 hingewiesen.
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Lage der beiden Kirchen auch in der Gegenwart, auf den eingetretenen tiefen Wandel des evangelischen Kirchenwesens hin. Bislang dem Staate als Rechtsverband gegenübertretend, versteht sie sich seit dem Kirchenkampf als" Wesenskirche mit Wesensansprüchen" von fast revolutionärer Art, mit denen sich der Staat noch nicht abgefunden hat. Von hier aus wird klar, daß es von beiden Seiten aus einerneuen Konzeption bedarf, und Fortführung oder Wiederherstellung alter staatlicher Befugnisse nicht die entscheidende Frage sein kann. Smend wies ferner darauf hin, daß man bei der Lage der Kirchen auch die Situation in der sowjetischen Besatzungszone im Auge behalten müsse. Hier steht die Kirche einer Geisteswelt gegenüber, in der das dem abendländischen Verständnis grundlegende Verhältnis von Kirche und Staat gar nicht verstanden wird, weil es im östlichen Christentum niemals ein entsprechendes Rechtsproblem Staat-Kirche gegeben hat. Die gesamtdeutsche Rolle, die den Kirchen heute in dieser Hinsicht zufällt, bedeutet, wie Smend betonte, ebenfalls einen wichtigen Bestandteil ihrer über den Bereich des bisherigen Status hinausführenden Verantwortung und Wirksamkeit. Vor allem aber erhob Smend das Verhältnis Staat und Kirche über die gegenwärtigen soziologischen Vorgänge hinaus in die Bedeutung eines grundlegenden Momentes unserer abendländischen Existenz. Die von Weber geschilderten Erschütterungen konkreter Rechtsgestaltung bedeuteten daher keine Verwandlung der seit vier Jahrhunderten überkommenen Grundbeziehungen von politischem Gemeinwesen und Kirche. Von einem anderen Gesichtspunkt her habe ich versucht, Webers Sicht der Kirche als eine allzu sehr aus dem Blickfeld des neutralen Staates gewonnene Auffassung zu charakterisieren, die in der Kirche im wesentlichen den politisch-sozialen Machtfaktor sieht. Die Kirche jedenfalls versteht sich in ihrem Selbstverständnis nicht als einen politischen Stand, sondern gerade heute in besonderer Weise als eine außerhalb des politischen Wesens stehende geistig-geistliche Macht, die Staat und Politik gegenüber eine aus anderen Bereichen kommende öffentliche Verantwortung, ein Wächteramt wahrzunehmen hat21 • Es muß in allem Ernste die Frage aufgeworfen werden, ob nicht in der Bundesrepublik gegenwärtig eine geistige Situation besteht, in der die laizisierte, neutrale Haltung des Staates dem Religiösen gegenüber der Vergangenheit anzugehören beginnt und der Staat- wenn auch begrenzten Ausmaßesseinen Agnostizismus aufgibt, um diesen Auftrag der Kirche nicht anzuerkennen, aber wenigstens zu erkennen und sogar zu respektieren. Bischof Wüstemann, der als Gast an der Tagung teilnahm, berichtete über einen Vorgang, der auf eine solche Wandlung staatlicher Sicht hin!l Mit Recht führt Herbert Wehrhahn meine Stellungnahme dabei auf Anlehnung an Karl Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, Stuttgart 1946; Die kirchliche Dogmatik III/4, Zollikon - Zürich 1951, S. 524 ff., 532 ff. zurück.
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wies. Als 1945 die erste hessische Regierung gebildet wurde, teilte der Ministerpräsident dies den Kirchenleitungen mit und bat sie um Unterstützung. Zum Grundsätzlichen betonte er, daß Staat und Kirche nicht nur eine Beziehung zueinander haben, sondern beide als Partner Gottes in einem Gericht stehen, das freilich der irdischen rechtlichen Fassung entzogen ist. Brachten diese Äußerungen Einwendungen gegen die Sicht der Kirche in Webers Referat zum Ausdruck, so wandten sich weitere Stimmen vor allem gegen seine Deutung der Lage des Staates. Während im allgemeinen die soziologischen Feststellungen Webers über den Wegfall des traditionsreichen Beamtenturns und seiner Erfahrung in staatskirchenrechtlichen Fragen sowie über die tatsächlichen Einflußerweiterungen der Kirchen Zustimmung fanden (Giese, Hugelmann, Jellinek), erhoben Leibholz und der Berichterstatter Bedenken gegen die staatsrechtliche Sicht. Schon methodisch, so habe ich versucht einzuwenden, ist es bedenklich, allein aus faktischen Veränderungen eine Lage zu beschreiben, bei der die geistigen Wandlungen und vor allem das Selbstverständnis der Kirchen eine entscheidende Rolle spielen müsse. Geistige Gebilde und Relationen könnten nicht, wie dies einst Carl Schmitt gegenüber dem Parlamentarismus mit dem Nachweis des Fortfalls der öffentlichen Diskussion unternommen habe22 , aus zeitgeschichtlichen ideologischen Rechtfertigungen und Deutungen heraus allein beurteilt werden. Der von Weber beim modernen Staate ins Auge gefaßte Vorgang, der an die Stelle des Individuums bei der Willensbildung stärker die intermediären Gewalten, die Parteien, Wirtschaftsgruppen, Gewerkschaften und Faktoren der Meinungsbildung hervortreten läßt, ist nicht eine Selbstauflösung des Staates, sondern ein Wandlungsvorgang innerhalb der modernen Demokratie, der dem modernen Massenstaat und seinen kollektiven Tendenzen entspricht. Im demokratischen Staate kann man nicht, wie dies unausgesprochen der Hintergrund der Forderung nach einer einheitlichen und starken Staatsgewalt über allen sozialen Kräften ist, eine konstante Herrschaftsgewalt erwarten. Er ruht gerade auf dem Fehlen dauernder Herrschaftsstrukturen, er ist seinem Wesen nach vielmehr als Aufgabe der ständigen Einigung der Kräfte, des Sichzusammenfindens der Gegensätze gedacht. Von diesen Grundlagen aus erscheint mir sowohl die Auffassung der pluralistischen Auflösung des Staates zweifelhaft, als auch die Einordnung der Kirchen in die Reihe der politisch-sozialen Machtgebilde nicht zutreffend. Die Erscheinung der Kirchen lebt nach gewissen Richtungen in diesen Zusammenhängen, ist aber im Kern doch auf eine andere Grundlage gestellt, und von dieser aus ergibt sich ihre eigentliche lebendige Relation zum politischen Gemeinwesen. In verwandter Weise hat Leibholz an der zz Die geistesgeschichtliche Lage des Parlamentarismus, 2. Aufl., München 1926, s. 41 ff.
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hinter der pluralistischen These stehenden Sehnsucht nach einem starken Staate Kritik geübt. Wenn Weber den Abbau des Staates betone und die Gefahr pluralistischer Teilmächte beleuchte, so müsse er eine Desintegration annehmen, der gegenüber das Recht und die Gerichtsbarkeit den einzigen Rückhalt bilde. Leibholz wandte sich auch gegen die Gleichsetzung der politischen Parteien, die allein als Träger der politischen Ordnung anerkannt seien, mit anderen Gebilden. Von der juristischen Seite her wurden stärker die traditionellen Elemente betont. Von ihr bestritt Merk, daß man von einer Eigenständigkeit der Kirche gegenüber dem Staate sprechen könne. Giese und Jellinek wiesen darauf hin, daß in vielen Beziehungen die staatskirchenrechtliche Normierung nach wie vor in praktischer Anwendung stehe (Rechtsschutz, Korporationsrechte der Kirchen, kirchliches Anltsrecht). Auch darin zeige sich, so meinte Jellinek, die Fortführung bisheriger Linien, daß der württ.-bad. StGH in seinem Urteil vom 4. 4. 1949 über den Kulturpfennig ausdrücklich auf die in der Weimarer staatskirchenrechtlichen Ordnung begründete Gleichstellung der kleinen Religionsgemeinschaften mit den "anerkannten" Kirchen abgestellt habe23• Die Diskussion, die sich den Thesen der beiden Referate zuwandte, hat sicherlich nur einen Teil der Gesichtspunkte zur Geltung gebracht, die für eine Würdigung der Lage im Staatskirchenrecht und für eine rechtliche Neubegründung und Fortbildung des überlieferten Gefüges bedeutsam sein werden. Die tiefgreifende Wandlung in der Stellung und im eigenen Verständnis der evangelischen Kirchen ist hierbei zu würdigen, wie die Tatsache überhaupt, daß nun beide Kirchen dem Staate gegenüber eine volle innere Autonomie gewonnen haben. Ihre eigene Auseinandersetzung mit den Erfahrungen staatlicher Regime mit ideologischer Glaubenstendenz ist noch im Gange, ihre Rolle als Bindeglieder der deutschen Menschen durch die politisch-machtmäßige Trennung zweier gegensätzlicher Regime und Geistessphären hindurch, gewährt ihnen eine besondere Freiheit und einen besonderen öffentlichen Auftrag24. Der Staat aber, abgesehen von seinen politischen Veränderungen, ist- soweit er nicht totalitären Glaubensrichtungen folgt- nicht mehr der liberale Staat des 19. Jahrhunderts mit seiner Neutralität, ja Gleichgültigkeit gegenüber den geistigen Mächten. Wenn er die Kirchen an öffentlichen Funktionen beteiligt, so tut er das keineswegs nur deshalb, weil er sie neben anderen Gruppen für soziale Machtgebilde hält, sondern weiler-noch in einem weithin unbewußten Maße- die besondere Aufgabe der Kirchen im Leben des Volkes zu erfassen beginnt. Ob sich hierin Wandlungen in Richtung eines mehr dem angelsächsischen Typ VerwRspr. 4 (1952) S. 10/11. Siehe etwa Martin Fischer, Die öffentliche Verantwortung des Christen heute, 2. Aufi., Berlin 1953. 23
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der "Separation", eines zwar toleranten und zwischen den Weltanschauungen neutralen, aber doch der christlichen Botschaft in seinen Trägern aufgeschlossenen Staates vollziehen können, bleibe dahingestellt25 • Dieser Bericht muß darauf verzichten, die weiterführenden Fragen aufzugreifen. Es ist aber gewiß, daß die aufhellenden und anregenden Gedanken, die die beiden Referate der Marburger Tagung entwickelt haben, den Ansatz zu fruchtbaren weiteren Überlegungen und Klärungen bieten werden.
25 Für den amerikanischen Typus verweise ich etwa auf Evarts B. Greene, Religion and the State, New York 1941, S. 94 ff.
Die Nachprüfung kirchlicher Rechtshandlungen durch staatliche Gerichte Zum Urteil des BHG vom 18. 2. 1954 Die Frage der Zuständigkeit staatlicher Gerichte zur Nachprüfung kirchlicher Rechtshandlungen und des Umfangs einer solchen Nachprüfung in Fällen der Inzidenzkontrolle ist in den letzten Jahren Gegenstand einer erheblichen Unsicherheit geworden, die sowohl in der Literatur wie in der Rechtsprechung zu Tage tritt. Auch das Urteil des BGH vom 18. 2. 1954 macht davon keine Ausnahme. Die Entwicklung dieser Frage ist ein markantes Beispiel für die Richtigkeit der bekannten Aussage von Rudolf Smend, daß die ins Grundgesetz übernommenen staatskirchenrechtlichen Sätze der Weimarer Verfassung in diesem neuen Verfassungssystem und unter den gewandelten Verhältnissen nicht mehr den gleichen rechtlichen Gehalt verkörpern. Man kann hinzufügen, daß es sich gerade in unserer Frage zeigt, in wie weitem Maße die allgemeinen Prinzipien des Weimarer Staatskirchenrechts, vor allem Art. 137 I, III, V, in Wirklichkeit für die rechtliche Gestaltung Spielraum bieten, so daß recht verschiedenartige Ausprägungen in diesem Rahmen möglich erscheinen. Das Problem einer staatlichen Jurisdiktion in kirchlichen Fragen ist in seiner heutigen Gestalt erst mit dem Aufkommen des Staatskirchenrechts, mit der spätnaturrechtliehen Absonderung der beiden Bereiche entstanden. Sie ist Teil jener in der kirchlichen Rechtsgeschichte noch unvollkommen erfaßten Wendung des spätabsoluten Staates zu einer umfassenden Kirchenhoheit' und der Einfügung der Kirchen in den Kreis der im Staate bestehenden Korporationen als "Religionsgesellschaften". Hand in Hand damit geht eine allmähliche Einschränkung der früher ausgedehnten kirchlichen Eigengerichtsbarkeit2 oder der kathoAus: Zeitschrüt für evangelisches Kirchenrecht, Bd. 3 (1953/1954) S. 352 - 359. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 18. 2. 1954 (Az.: III ZR 311/52) ist veröffentlicht in: BGHZ 12 S. 323 = ZevKR 3 (1953/1954) S. 407 = KirchE 2, 189 = NJW 1954 S. 1284. 1 Die Herausarbeitung des sog. Kollegialsystems bringt diese Wendung nur unvollständig zum Ausdruck, weil sie den Blick nur auf das Wesen der Kirche richtet, nicht aber auf den gleichzeitigen Vorgang der säkularen Zweckdeutung des Staates und seinen Aufstieg zur höchsten irdischen Instanz, die die Kirche in eine dem Staate untergeordnete Stellung verweist.
100 Nachprüfung kirchlicher Rechtshandlungen durch staatliche Gerichte lischen Kirche gegenüber die Begründung einer staatlichen Aufsicht über die Ausübung der geistlichen Gerichtsbarkeit3• Die staatliche Einwirkung wird aus dem jus advocatiae abgeleitet. Von staatlicher Jurisdiktion oder Aufsicht bleiben nur die inneren kirchlichen Angelegenheiten, die eigentlich theologischen Fragen frei 4 • Maßstab der staatlichen Intervention ist dabei die Einhaltung der allgemeinen bürgerlichen Gesetze. Auf dieser Grundlage entwickelt sich im 19. Jahrhundert die staatliche Gerichtsbarkeit über kirchliche Fragen, zunächst in begrenztem Umfang vor den Zivilgerichten, insbesondere für vermögensrechtliche Streitigkeiten, und später, als die Erledigung von geistlichen Angelegenheiten im Wege der "Verwaltungsjurisdiktion", d. h. im Beschlußverfahren, der Einsetzung der eigentlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit Platz macht, vor den Verwaltungsgerichten. Da deren Zuständigkeit im Wege der Enume2 In den einzelnen Territorien wuchsen den Konsistorien über die anfängliche Ehegerichtsbarkeit weitere umfangreiche Zuständigkeiten der Rechtsprechung über Amtsrecht, persönlichen Rechtsstand der Geistlichen, Kirchengut, Patronate usw. zu. Vgl. KarZ Friedrich Eichhorn, Grundsätze des Kirchenrechts der Katholischen und der Evangelischen Religionspartei in Deutschland, Bd. 1, Göttingen 1831, S. 731 ff.; Aemilius Ludwig Richter, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts, 6. Aufl. von Richard Wilhelm Dove. Leipzig 1867. s. 589 ff. 3 Vgl. Georg WaZther Vinzenz von Wiese, Grundsätze des gemeinen in Teutschland üblichen Kirchenrechts, 3. Aufl., Göttingen 1804, S. 30: "Der Staat ist hierdurch zur Ausübung einer Gerichtsbarkeit über alle Personen und Güter der kirchlichen Gesellschaft berechtigt, wovon nur die innere Religion des Einzelnen eine Ausnahme macht; daher bei Streitigkeiten über Religionsdogmen der Staat bloß zur gütlichen Vermittlung befugt ist, so lange die Ruhe des Staates dadurch nicht gestört wird" und dort Anm. a): "Die conventionelle Gerichtsbarkeit der kirchlichen Gesellschaft bleibt, wenn sie auch von der höchsten Gewalt bestätigt worden, doch der Gerichtsbarkeit des Staates subordiniert." 4 Zur staatlichen Aufsicht über die Gerichtsbarkeit der katholischen Kirche siehe Kar! Friedrich Eichhorn, Bd. 2, Göttingen 1833, S. 177 ff. Er betont, daß eine bischöfliche Gerichtsbarkeit nur mit Genehmigung des Staates festgelegt werden dürfe und auch die Richter vom Staate approbiert sein sollen, daß vor diesen Gerichten ferner das Gesetz des Staates zu berücksichtigen sei, widrigenfalls die staatliche Kontrolle mit Kassation des Urteils eingreifen könne. Von der Bindung der geistlichen Gerichte an die Grundsätze der "im Reich üblichen Praxis" hinsichtlich der Gerichtsordnung, "damit die geheiligte Justiz auf keinerlei Art zum Nachteil der streitenden Parteien gehindert oder verletzt werde", spricht Punkt XXIII der Emser Punktation der vier Erzbischöfe vom 25. 8. 1786. Ferner Philipp Hedderich, Eiementa juris canonici, Bonn 1778 (später in Rom indiziert), Teil 2, S. 123: "Jure Capitulationis Caesareae et supremae advocatiae in Germania forum Augustissimi Imperatoris est fundatum immediate in Causis ecclesiasticis, quoties de conservandis Legibus Imperii fundamentalibus et tuendis Nationis et ecclesiarum Germaniae juribus agitur." Bei den eigentlichen Kirchensachen ging schon in älterer Zeit der Rechtszug manchmal an staatliche Instanzen oder Gerichte. Vgl. KarZ Friedrich Eichhorn, Bd. 1, S. 737 f., der dort die Gegenstände der geistlichen Gerichtsbarkeit als "wahre Justizsachen" bezeichnet, in die der Landesherr nicht ändernd eingreifen dürfe. Siehe auch PauZ Schoen, Das evangelische Kirchenrecht in Preußen, Bd. 2, Ber-
lin 1910, s. 269 Anm. 3.
Nachprüfung kirchlicher Rechtshandlungen durch staatliche Gerichte 101 ration genau festgelegt wird, ergibt sich auch kaum ein Bedürfnis, die Frage einer Begrenzung der staatlichen Gerichtsbarkeit in kirchlichen Fragen allgemein näher zu untersuchen. Daß innerkirchliche Maßregeln, wie Disziplinarbescheide, Verweigerung der kirchlichen Eheschließung, Nichtzulassung zum Gottesdienst, soweit nicht die Schranken staatlicher Bestimmungen verletzt wurden, nicht der staatlichen Rechtsprechung unterlagen, hat Hinschius 5 gelehrt. Die weitere Kreise berührenden Fragen mit vermögensrechtlichem Einschlag, wie Kirchensteuern, Patronat, Baulast, Begräbnis, Austritt waren jedenfalls der staatlichen Jurisdiktion in dieser oder jener Form offen. Auf einer ähnlichen Linie bewegt sich auch die Entwicklung in denjenigen Ländern, die aus dem System einer Staatskirche und der daraus folgenden Verbindung von Staat und Kirche in eine losere Beziehung heute hineinwachsen. So finden wir in der Schweiz auf der Basis einer Achtung der inneren Autonomie der kirchlichen Gemeinschaften eine Anerkennung eines nicht der Jurisdiktion des Staates unterliegenden inneren Bereiches der Kirchen, auch wenn gelegentlich die Praxis zu einer indirekten Nachprüfung innerkirchlicher Maßnahmen neigt8 • In der anglikanischen Kirche werden innerkirchliche Materien wie Kirchenzucht, Disziplin der Geistlichen, Ehelizenzen und Kultus als Teil eines von den Ecclesiastical Courts gehandhabten Ecclesiastical Law angesehen und in diesem Raume getroffene kirchliche Entscheidungen keiner Nachprüfung vor den allgemeinen Gerichten, im Wege des mandamus oder prohibition unterworfen 7• Andere Fragen, insbesondere über Grundbesitz und Vermögen, Baulast, Zutritt zu Kirchengebäuden8 oder Friedhofsrecht, gehören dagegen vor die allgemeinen Gerichte 9 • 1 Paul Hinschius, Allgemeine Darstellung der Verhältnisse von Staat und Kirche, in: Heinrich Marquardsen (Hrsg.), Handbuch des Oeffentlichen Rechts der Gegenwart in Monographien. Bd. 1, Freiburg/Br. u. Tübingen 1883, S. 255. Ein Beispiel solcher schrankenziehender Staatsgesetze ist das preußische Gesetz vom 13. 3. 1873 über die kirchliche Disziplinargewalt, dessen § 10 bei Verletzung gewisser Bestimmungen die Berufung an die Staatsbehörde eröffnete. Vgl. Paul Hinschius, S. 307; PaulSchoen, Bd. 2, S. 270 Anm.l. 1 Ulrich Lampert, Kirche und Staat in der Schweiz, Bd. 2, Freiburg/Schweiz 1938, s. 246 ff. 7 Grundlegende Entscheidung: Attorney General v. Dean and Chapter of Ripon Cathedral. (1945) 1 AllER 479. Klage eines Organisten gegen eine Anordnung des Dekans von Ripon betr. "full choral service", aufgenommen vom Att.-General, aber vom Gericht nicht sachlich entschieden, weil sie vor ein kirchliches Gericht gehöre. 8 Entscheidung von King's Bench in Cole v. P. C. (1936) 3 AllER 107. Verweisung eines Fremdenführers aus der Westminster Abtei durch das Kapitel; Eine entsprechende Streitigkeit über Zutritt zum Turm der Kathedrale in Chartres in Frankreich ist dagegen eine rein verwaltungsrechtliche Frage, weil die Kathedrale seit den Trennungsgesetzen dem Staate gehört (unter fortbestehender kirchlicher Widmung); vgl. Urteil des Conseil d'Etat in Sachen Carlier v. 18. 11. 1949, Sirey 1950, 3, 49. • Vgl. Owen Hood Philips. The Constitutional Law of Great Britain and the Commonwealth, London 1952, S. 426.
102 Nachprüfung kirchlicher Rechtshandlungen durch staatliche Gerichte Die Weimarer Verfassung brachte eine Neuerung, indem sie nun von Verfassungs wegen den Grundsatz der Selbständigkeit der kirchlichen Eigenverwaltung (Art. 137 III) festlegte. Aus diesem Prinzip ist indes nicht der Schluß gezogen worden, daß damit eine staatliche Gerichtsbarkeit über kirchliche Fragen ein Ende finde. Diejenigen Autoren, die für einen Fortfall der staatlichen Kirchenhoheit eintraten 10 , waren freilich der Meinung, daß mit Art. 137 III jede staatliche Nachprüfung kirchlicher Entscheidungen, die sich auf innerkirchlichem Gebiet auswirkten, also auch von Disziplinarentscheidungen oder der Aberkennung kirchlicher Mitgliedschaftsrechte, entfalle, soweit nicht die Kirche den Staat zur Vollstreckung - etwa von Geldstrafen oder der Entfernung von Amtsentfernten aus Gebäuden- in Anspruch nehme 11 • Die staatliche Gesetzgebung und Rechtsprechung teilte diesen Standpunkt nicht in vollem Umfang. Das preußische Gesetz vom 8. 4. 1924 bestimmte, daß in einigen Fällen (Art. 5, 17) kirchliche Streitigkeiten oder Entscheidungen der Anrufung der staatlichen Verwaltungsgerichte unterliegen sollten12 • In der Rechtsprechung hat das PrOVG seine Judikatur in Kirchensteuersachen, Patronatsfragen und Bausachen fortgeführt und dabei auch die Frage der Kirchenzugehörigkeit inzidenter mitentschieden13• Auch hat das PrOVG in Streitigkeiten zwischen den Kirchenbehörden und der Staatsaufsicht wegen Beanstandung kirchlicher Gesetze oder Maßnahmen sich nicht gescheut, über die Rechtsgültigkeit umstrittener Maßnahmen nicht nur an Hand der staatlichen Gesetze, sondern auch der Kirchenverfassungen und -gesetze zu entscheiden14 • Im übrigen hat das Gericht den Standpunkt eingenommen, daß innerkirchliche Fragen, insbesondere solche der Lehre und des Kultus, nicht einer Kontrolle unterliegen könnten und daß auch kirchliche Entscheidungen der Ämterhoheit vom Staate zu respektieren seien15• Es hat den Gedanken des Art. 137 III WRV dahin verstanden, daß bei aller Achtung vor der 10 Godehard Josef Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930, S. 298/99; Josef Löhr, Ist eine staatliche Kirchenhoheit und eine besondere
Staatsaufsicht über die Kirche mit der deutschen Reichsverfassung vereinbar?, Paderborn 1927, S. 27 f., 35 f. u Godehard Josef Ebers,
S. 397 ff.; Josef Löhr, S. 44 ff.
Vgl. auch das preußische Gesetz über die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens vom 24. 7. 1924, § 17; das württembergische Gesetz über die Kirchen vom 3. 3. 1924, §§ 42, 43, 57, 60. 13 Vgl. PrOVG 54, 209 (1909); 67, 266 (1914); 69, 290 (1915); 74, 124 (1918); 77, 292 (1921); 79, 98 (1924); in: ArchEvKR 1938 S. 73. Soweit Kirchenstrafen hierbei eine Rolle spielen, hat das OVG sie nicht nachgeprüft: PrOVG 67, 266 (1914); 11
97, 88 (1936).
14 ·Festsetzung von Besoldungen in der Haushaltsordnung in Widerspruch zur Kirchenverfassung: PrOVG 82, 231 (1927). Dagegen keine Prüfung der Verweigerung der diözesanen Zustimmung zum Haushalt einer Gemeinde: PrOVG 91, 103 (1933). 15 Keine Prüfung der Notwendigkeit von Notverordnungen: PrOVG 87, 237 (1930); der Suspension eines Geistlichen durch das Konsistorium im Kirchenkampf: PrOVG 99, 75 (1936); kirchlicher Wahlen: PrOVG 83, 173 (1929),
Nachprüfung kirchlicher Rechtshandlungen durch staatliche Gerichte 108 Autonomie der Kirche dem Staat doch eine Aufsicht, eine Kirchenhoheit, verbleibe, kraft deren er die Einhaltung der übergeordneten staatlichen Gesichtspunkte wie auch die Beschränkung der Kirchen auf "ihre Angelegenheiten" prüfen könne18. In die Zeit zwischen den beiden Kriegen fällt auch der Beginn einer eigenen kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit17. In der Gegenwart ist die Lage wiederum dadurch stark verändert, daß in den deutschen Ländern Verwaltungsgerichtsgesetze mit Generalklausel eingeführt worden sind. Sind kirchliche Maßnahmen Verwaltungsakte, sind Beeinträchtigungen kirchlicher Positionen Verletzungen von "Rechten", sind kirchliche Streitigkeiten solche des "öffentlichen Rechts"? Die Frage kann nicht aus der speziellen Auslegung der Vorschriften der Verwaltungsgerichtsgesetze, sondern nur aus den Grundgedanken des Staatskirchenrechts heraus gelöst werden. Ob und inwieweit die Kirchen öffentliche, d. h. staatliche Aufgaben erfüllen und damit Verwaltungsakte setzen, muß im Blick auf das Grundverhältnis von Staat und Kirche, insbesondere auf Art. 137 I und III WRV beantwortet werden. Von daher sind die positiven Vorschriften der§§ 23, 25 MRVO Nr. 165 und §§ 22, 23 der südd. VGG auszulegen18. Was zunächst die Möglichkeit direkter Anfechtung kirchlicher Entscheidungen im Wege der Anfechtungsklage (einschließlich Untätigkeitsklage) anlangt, so schließt § 25 II der MRVO Nr. 165 positivrechtlich die Kirchenbehörden aus dem Kreis der "Verwaltungsbehörden" im Sinne dieser Rechtsnorm aus und läßt daher auch Feststellungsklagen und öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zwischen kirchlichen Behörden nicht in den Kreis der den Verwaltungsgerichten zugewiesenen Angelegenheiten zu. Auf besonderem Recht beruhende Streitigkeiten- namentlich die Kirchensteuersachen19 - bleiben dagegen in der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte. Das VG Kassel20 (Urt. v. 20. 9. 1951) erklärt im Hinblick auf die in Art. 137 III WRV der Kirche gewährte Ämterhoheit die Anfechtungsklage eines in den Ruhestand versetzten Geistlichen gegen diese kirchliche Verfügung als im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht zulässig. Diese Vernei18 PrOVG 82, 231 (1927). Ein staatliches Recht zur Prüfung, ob kirchliche Organe die Schranken der kirchlichen Autonomie eingehalten haben, nimmt für die Schweiz an Urs Josef Cavelti, Die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften im schweizerischen Staatskirchenrecht, Freiburg/Schweiz 1954, S. 122 (Bd. 8 der Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat). 17 PrOVG 82, 204 f. (1927). 18 Ich darf bei dieser Stellungnahme mit Dank ein vom Institut für evangelisches Kirchenrecht in Göttingen erstattetes Rechtsgutachten zur Frage der Ausdehnung staatlicher Verwaltungsgerichtsbarkeit in kirchlichen Fragen verwerten. 11 Vgl. ZevKR 1 (1951) S. 323 (VG Kassel), 433 (OVG Lüneburg), 435 (BVG Berlin-Zehlendorf) und 2 (1952/1953} S. 430 (LVG Hannover}. zo ZevKR 1 (1951} S. 323.
104 Nachprüfung kirchlicher Rechtshandlungen durch staatliche Gerichte nung einer verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit gegenüber Akten innerhalb der Ämterhoheit der Kirche verdient jedenfalls den Vorzug vor einer einfachen Bejahung der Eigenschaft kirchlicher Stellen als Verwaltungsbehörden, wie sie in der Literatur vielfach anzutreffen ist21 • Die Kasseler Entscheidung gibt nicht eine für alle Fälle gültige Antwort, sondern stellt auf den Charakter der einzelnen kirchlichen Verfügungen ab und sucht zu differenzieren. Ist es auch weniger üblich, daß die Zulässigkeit einer Klage von solchen materiellen Abgrenzungen abhängt, so bietet doch dieser Weg der Unterscheidung allein die Möglichkeit, zu den erforderlichen Unterscheidungen zu gelangen. Denn die Annahme, kirchliche Verfügungen seien niemals Verwaltungsakte im Sinne der Verwaltungsgerichtsgesetze, würde der Rechtslage nicht entsprechen. Sie würde übersehen, daß zwar die öffentliche Stellung der Kirchen und ihre Autorität nicht einfach als Verleihung (Delegation) staatlicher Gewalt angesehen werden kann, sondern als eine vom Staate anerkannte eigenständige Position im öffentlichen Leben erscheint, daß aber die Kirchen in ihrer Tätigkeit auch Teile solcher öffentlich-rechtlicher Funktionen wahrnehmen, die man wenigstens teilweise zur staatlichen Sphäre rechnen muß. Das gilt vom Kirchensteuerrecht, soweit es auf der Mitwirkung des Staates beruht, für das Friedhofsrecht22 , und das Patronatsrecht23 • In diesen Gebieten werden kirchliche Verfügungen, die vermögensrechtliche Leistungen einfordern oder Anordnungen treffen, möglicherweise als Verwaltungsakte angesehen werden können24• Der Körperschaftsbegriff trägt dabei für die Lösung der Frage nichts aus. Denn die Kirchen lassen sich nicht in den allgemeinen Rahmen dieses Korporationsbegriffes einfügen. Insoweit lehnt es das vorliegende Urteil mit Recht ab, aus der Eigenschaft der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts Schlüsse auf ihre "Eingliederung" in das Staatsgefüge zu ziehen. Der BGH hebt auch zu Recht hervor, daß nach Art. 137 III WRV und 140 GG den Kirchen gegenüber dem Staate Unabhängigkeit und Eigenständigkeit in der Festlegung ihrer Ordnung zusteht. Aber er geht hier einen Schritt zu weit, indem er daraus die Folgerung ableitet, der Staat und seine Gerichte hätten schlechthin die Bestimmungen 11 So bei Erich Eyermann und Ludwf.g Fröhler, Verwaltungsgerichtsgesetz, München- Berlin 1950, S. 72; Otto Bachof, Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung, Tübingen 1951, S. 37 (für die amerikanische Zone, während für die britische Zone hier Art. 19 Abs. 4 GG mit Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte wegen des positivrechtlichen Ausschlusses der Verwaltungsgerichtsbarkeit in§ 25 Abs. 2 der MRVO Nr. 165 eingreifen soll). n Vgl. Werner Kalisch, Erbbegräbnisrechte, in: DVBl.1952 S. 623. 23 Vgl. die eingehende Darlegung der staatlichen Gesetzgebungshoheit über dies Gebiet in: PrOVG 82, 196 (1927). 14 Anders steht es in der sowjetischen Besatzungszone, wo die Entwicklung zu stärkerer Ausformung der Entfernung von Staat und Kirche voneinander geführt hat. Hier lehnen sogar staatliche Arbeitsgerichte eine Befassung mit Ansprüchen kirchlicher Angestellter ab.
Nachprüfung kirchlicher Rechtshandlungen durch staatliche Gerichte 105 der Kirche über ihre Angelegenheiten als "verbindlich" hinzunehmen. Der BGH begrenzt die Bestimmung der Kirche zwar auf den innerkirchlichen Verfassungsbereich und die Konstituierung und Zuständigkeitsregelung der kirchlichen Organe. Aber auch in dieser Hinsicht reicht die Kraft des Art. 137 nicht so weit, wie das Gericht meint. Die kirchliche Autonomie ist, und hier knüpfe ich an die Untersuchungen des Instituts für evangelisches Kirchenrecht an, begrenzt durch das "für alle geltende Gesetz" (Art. 137 111 WRV). Kraft ihres Selbstbestimmungsrechts, das heute in Westdeutschland auf einem Verhältnis von Staat und Kirche ruht, das nicht mehr als ein System der "hinkenden Trennung" (Ulrich Stutz für die Weimarer Zeit) und der restierenden Kirchenhoheit erscheint, sondern auf einer Nebenordnung von Staat und Kirche und einer Anerkennung der eigenständigen Autorität der Kirchen und ihrer Teilnahme am öffentlichen Leben beruht, ist das innere Leben der Kirche der staatlichen Aufsicht und Jurisdiktion entzogen. Aber dieser Autonomie ist durch die Verweisung auf das "für alle geltende Gesetz" eine Schranke gezogen. Der Sinn dieser Schranke geht, wie J ohannes Heckel schon früher richtunggebend festgestellt hat25 , dahin, daß nicht etwa alle generellen Beschränkungen damit gemeint sind, sondern nur solche gesetzliche Normen, die ungeachtet der kirchlichen Autonomie aus den Gedanken des überhöhenden Einflusses der nationalen Rechtsgemeinschaft heraus als sachlich notwendige Schranken und grundlegende Festsetzungen von Bedeutung für das ganze nationale Rechtsdenken auch der kirchlichen Eigenständigkeit vom Staate her Grenzen ziehen. In diesem Umfang jedenfalls wird man bei der vorfallenden Inzidenzprüfung kirchlicher Akte vor ordentlichen Gerichten oder Verwaltungsgerichten wie auch in denjenigen Fällen, in denen kirchliche Akte unmittelbar angefochten oder durch Feststellungsklage oder als öffentliche Streitigkeit unmittelbar vor ein Gericht gebracht werden, eine gerichtliche Nachprüfung für zulässig und auch für durch das staatliche Gesetz grundsätzlich geboten halten müssen. Sollten etwa kirchliche Entscheidungen Grundsätzen der Verfassung oder den in den Prinzipien der Verfassung (Art. 20 111, 19 IV) enthaltenen Grundsätzen eines ordnungsgemäßen rechtlichen Gehörs (geordneten Verfahrens) 25a in schwerwiegender Weise widersprechen, so würde eine solche Nachprüfung erfolgen dürfen. Sie würde in diesen Fällen im Grunde auch im Sinne kirchlichen Rechtsdenkens selbst liegen. Über diesen Bereich grundlegender staatlicher Rechtsnormen hinaus aber haben die Gerichte bei der Nachprüfung die Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsetzung und Rechtsanwendung zu achten. Insbesondere ist es unter 11 Das staatskirchenrechtliche Schrifttum der Jahre 1930 und 1931, in: VerwArch 37 (1932) S. 282. ua Diese Grundsätze sind in den Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und 103 Abs. 1 GG als tragende Verfassungssätze auch für den Richter bindend festgelegt; vgl. BVerfGE 3 S. 364.
106 Nachprüfung kirchlicher Rechtshandlungen durch staatliche Gerichte diesem Gesichtspunkt nicht möglich, rein innerkirchliche Vorgänge mit lediglich kirchlicher Wirkung - wie Verweigerung der kirchlichen Trauung, Disziplinarstrafen ohne bürgerliche Wirkung, Streitigkeiten um den Inhalt von Dogma und Lehre- einer staatlichen Nachprüfung zu unterwerfen. Der Maßstab, der bei der Prüfung kirchlicher Akte mit Rechtswirkungen für Dritte zur Anwendung kommt, wird im Grundzug der einer Überprüfung kirchlicher autonomer Handlungen auf die Einhaltung des Willkürverbotes und verwandter grundlegender Prinzipien sein. Es darf nicht übersehen werden, daß Fragen der kirchlichen Selbstbestimmung sehr vielfach gerade als Inzidenzfragen in Streitigkeiten anderer Art auftreten werden, wo die Kirche etwa staatliche Vollstreckungshilfe beansprucht (Räumung von Gebäuden), Eigentumsverhältnisse28, Ansprüche aus Dienstverträgen, Leistungen aus besonderen Titeln der Zusage für kirchliche Zwecke27 , Gehaltsforderungen auf Grund von Disziplinierungen usw. zur Entscheidung stehen. Hier geht es dann nicht um die aus allgemeinen Gründen gegebene Zuständigkeitsfrage die auch im vorliegenden Falle feststeht -, sondern um das Ausmaß, in dem Vorfragen gerichtlicher Prüfung unterliegen, die durch interne kirchliche Entscheidungen gestaltet sind. Wenn der BGH eine derartige Prüfung hier schlechthin ausschließen will, da die Kirche für den Staat "verbindlich bestimme, was kraft innerkirchlichen Verfassungsrechts rechtens ist", so ist diese Formulierung nicht haltbar. Ihr müssen die oben entwickelten Beschränkungen aus dem Gedanken des "für alle geltenden Gesetzes" hinzugefügt werden. Die kirchliche Selbstbestimmung ist begrenzt einmal dort, wo die Kirche bei gemischten Gegenständen auch staatliche Aufgaben miterfüllt - wie bei der Ordnung eines kirchlichen Friedhofs, der der Ortsgemeinde zugleich dient -, zum anderen aber inhaltlich überall durch die Schranke der grundlegenden Staatsgesetze. Nicht sehr ergiebig erscheint die Einschränkung, die der BGH selbst seiner Stellungnahme beifügt. Was heißt es, daß die Kirche selbst einen Teil ihrer innerkirchlichen Verfassungsordnung nicht anerkennt? Offenbar meint damit das Gericht einen vorliegenden Streit zwischen kirchlichen Organen, der sich auf die Gültigkeit kirchlichen Rechts bezieht. Wann aber ist ein solcher Streitfall gegeben? Die Zweifel eines einzelnen Gliedes der Kirche, auch eines im Amte stehenden, will wohl das Gericht nicht genügen lassen? Man wird diese ganze Formel des Gerichts nicht als hinreichend klar empfinden können. Wie die Ausführungen des BGH zur Reorganisation der oldenburgischen Landes2e Klage einer Kirchenverwaltung als Eigentümerin eines Friedhofs: OLG München, in: DVB1.1952 S. 529 . . 27 Vgl. OLG Hamburg, in: MDR 1952 S. 175 = DVB1.l952 S, 449 Nr. 161.
Nachprüfung kirchlicher Rechtshandlungen durch staatliche Gerichte 107 kirehe nach 1945 zeigen, will diese Formel eine Überprüfung innerkirchlicher Organisationsvorgänge dann ausschließen, wenn sich die neugeformte innerkirchliche Rechtsordnung "durchsetzt" und ihre Organe sich gegenseitig als rechtmäßig anerkennen sowie die Anerkennung des Kirchenvolkes und der übrigen Landeskirchen finden. Im Ergebnis ist dieser Auffassung zuzustimmen; sie würde sich aber richtigerweise darauf stützen, daß bei diesen Vorgängen eine Rechtsbildung oder Rechtsneubildung kraft übereinstimmender Rechtsgewohnheit stattgefunden hat und daß in Anbetracht der außergewöhnlichen Umstände nach dem Kriege von einer Verletzung grundlegender Regeln des Rechts und Verfahrens hier nicht gesprochen werden kann. Mit vollem Recht hält sich dann das Gericht für befugt, auf Grund seiner Zuständigkeit für vermögensrechtliche Ansprüche der kirchlichen Amtsträger die Frage dem Grunde nach zu erörtern, ob das kirchliche Recht hier einen solchen Anspruch gewährt. Es ist im Sinne der oben gemachten Ausführungen dazu bezeichnend, daß in der Tat der BGH hier die Einhaltung der "Schranken des Gesetzes" zum Mittelpunkt seiner Prüfung macht und dabei auch auf den Willkürbegriff verweist. Wenn es im Einklang mit der seinerzeit für die Staatsbeamten entwikkelten Rechtsprechung der Weimarer Zeit28 eine den Lebenserfahrungen angepaßte Altersgrenzengesetzgebung als generelle Regelung der Grenze voller Dienstfähigkeit und daher nicht als Verletzung der Rechte eines Beamten erklärt, so verdient das Zustimmung. So wird man im Ergebnis der Entscheidung des BGH folgen können, wird auch seinen materiellen Ausführungen zur Rechtslage beizupflichten vermögen, wird aber die Formel, mit der das Gericht den der Prüfung entzogenen innerkirchlichen Raum zu umhegen sucht, nicht als befriedigend annehmen können.
28 Siehe RGZ 104 S. 58 ff., 66 ff., und Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl., Berlin 1933, S. 483 und 594.
Kirche und Staat 1. Grundlagen
Durch alle Zeiten hindurch bildet für die christliche Kirche wie für den Staat ihr gegenseitiges Verhältnis ein grundlegendes Problem. Wie immer das Wesen der Kirche von ihr selbst und von einer Epoche verstanden wird, als die Gemeinde der Gläubigen versammelt die Kirche in ihrer irdischen Erscheinung die gleichen Menschen, die als Bürger unter der politischen Gewalt des Staates leben. Mit ihrer Botschaft ergreift die Kirche den ganzen Menschen und fordert dem Staat gegenüber die Freiheit ihres Bekennens und ihres geistlichen Lebens. Der Staat aber in seinen wechselnden historischen Formen nimmt den Menschen als seinen Bürger in Anspruch und tritt der Kirche als der Herr der weltlichen Ordnung und der Hüter des Friedens in dieser Welt gegenüber, der ihr darum auch mit gewissen Befugnissen der Aufsicht und Regelung begegnet. Ein solches Verhältnis der Auseinandersetzung, Abgrenzung und Spannung zwischen Kirche und Staat besteht zu allen Zeiten, auch dort, wo ein atheistischer Staat Aufgabe und Stellung der Kirche leugnet oder nur verkürzt anerkennt. Auch in der Negation, sogar in der Bekämpfung kann eine verborgene Anerkennung der Tatsache kirchlicher Gemeinschaft sich ausdrücken. Die äußere Erscheinung der Kirche wie auch die Anschauungen über sie unterliegen ebenso wie Wirklichkeit und Theorie des Staates steter geschichtlicher Veränderung. Wandelbarkeit ist auch das Zeichen des Verhältnisses von Kirche und Staat. Wenige Bereiche des öffentlichen Lebens reagieren mit so feiner Empfindlichkeit auf jede Umgestaltung der äußeren Form wie der inneren geistigen Struktur beider Partner, ja sogar auf jeden Wechsel des allgemeinen geistigen Klimas einer Epoche. Für das erste Jahrtausend der Kirche kann man - seit der Wende unter Konstantin- von einer Kirche und Staat gemeinsamen Auffassung ihrer Aufgabe und ihrer Beziehung untereinander sprechen. Schon im Mittelalter gehen kirchliche und weltliche Ansicht oft weit auseinander, und vollends in der Moderne stehen sich in der Regel zwei getrennte Betrachtungsweisen gegenüber. Es gibt daher heute keine allgemeingültige Aus: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. 3, Tübingen 1959, Sp. 1327 - 1336. - Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen.
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Lehre über das Verhältnis von Kirche und Staat, sondern neben den aus langer Tradition erwachsenen kirchlichen Auffassungen eine Reihe von Grundtypen staatlicher Lösung dieses Fragenkreises, denen mit örtlicher Variation die Praxis der Staaten folgt. Die kirchliche Lehre gründet sich auf die Schrift. Sie entwickelt ein Bild des Staates in theologischer Sicht, das seine Aufgaben und Grenzen umreißt, und formuliert die Grundsätze für ein Zusammenleben der beiden Partner. Konnte diese Lehre für lange Zeiten auf ein christliches Regiment im Staate rechnen, so muß sie sich in der Gegenwart immer mehr mit einem verweltlichten oder gar atheistischen Staat auseinandersetzen. Die staatliche Gesetzgebung hat seit der Aufklärung unabhängig von der kirchlichen Sicht oder selbst im Gegensatz zu ihr ein eigenes Rechtsgebiet entwickelt, das Staatskirchenrecht, das die staatlichen Befugnisse gegenüber den Kirchen und den Raum der Kirchen in den weltlichen Gemeinwesen abzustecken unternimmt. Ein Mittel des Ausgleichs zwischen den verschiedenen Auffassungen in Kirche und Staat stellt seit jeher der Vertrag dar, der aber Unabhängigkeit der Leitung der Kirche vom Staat voraussetzt. 2. Geschichtliche Entwicklung Man kann die geschichtlichen Wandlungen im Verhältnis von Kirche und Staat in ihren großen Linien in folgende Abschnitte gliedern: Die Zeit der staatsfernen christlichen Gemeinde im heidnischen Weltreich bringt die grundsätzliche Distanz der Kirche vom politischen Gemeinwesen zur Geltung. Mit der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion des römischen Reiches wird eine nahe Verbindung zwischen dem christlichen Herrscher und einer Staatskirche hergestellt, in der auch in dem an kirchlicher Selbständigkeit festhaltenden Westen der fürstliche Einfluß zeitweise übermächtig zu werden beginnt. Erst im hohen Mittelalter vollzieht die Kirche in einem gewaltigen geistigen Ringen die Lösung aus dieser Verklammerung und stellt ihre Freiheit wieder her, löst aber mit der Forderung einer Überordnung der geistlichen Gewalt den Widerstand der werdenden Nationalstaaten aus. Die Auseinandersetzung der universalen Kirche mit nationalem politischem Einfluß ist seither ein Grundzug der Beziehungen von Kirche und Staat. Die Reformation, in ihrer Lehre auf Selbständigkeit der christlichen Gemeinde gegenüber der weltlichen Obrigkeit gerichtet (Zwei-ReicheLehre), führt im geschichtlichen Ergebnis für den protestantischen Bereich die entstehenden Kirchengebilde unter den Schutz und dann die Herrschaft des partikularen Staates, so daß Landeskirche und Staat in engste Verbindung treten. Die unter dem rationalen Naturrecht und der Aufklärung sich vollziehende Säkularisierung des Staates führt zu einer
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über die Toleranz zur konfessionellen Neutralität verlaufenden Distanz zu den Kirchen, mit der sich zugleich ein allgemeiner Anspruch auf hoheitliche Aufsicht über alle Vereinigungen seines Territoriums verbindet. Auf dieser Grundlage der konfessionellen Gleichheit und einer Betonung der (kirchlichen Gesichtspunkten gegenüber unabhängigen) souveränen Hoheit des Staates baut sich das Staatskirchenrecht der neueren Zeit auf, das je nach dem Maß erhaltener Verbindung oder der Sonderung von Kirche und Staat, der fördernden oder abwehrenden Haltung des Staates und der Sicherung der Glaubensfreiheit verschiedene Typen staatlicher Stellung zur Kirche ausbildet. a) Im weltlich-heidnischen Staat der Antike strebt die Kirche danach, unter Respektierung des Gehorsams gegenüber der weltlichen Macht ihr eigenes Leben getrennt vom Staat zu führen. Die Fortdauer der heidnischen Staatsreligion, vor allem der Herrscherkult, dessen Vollzug die Kirche als wider Gottes Gebot ablehnen muß, führt vom staatlichen Anspruch auf Bürgergehorsam aus zu Konflikt und Verfolgung. Unverlierbares Erbe dieser Epoche ist für die Kirche die Selbständigkeit ihrer Gemeinschaft gegenüber dem weltlichen Regiment und ihre Bereitschaft zur Prüfung der staatlichen Anordnungen am göttlichen Gebot. b) Nach Konstantin gewinnt der christliche Herrscher in der Kirche eine beherrschende Stellung als von Gott erleuchteter Gesetzgeber. In Byzanz und von ihm aus später im Kirchenturn Rußlands setzt sich diese Position zu einem vom Herrscher geleiteten Staatskirchenturn fort (Cäsaropapismus). Der Westen widerstrebt dieser Lösung und entwickelt die Vorstellung eines Nebeneinanders der pontifikalen auctoritas über die ganze Christenheit und der regia potestas des Kaisers (Papst Gelasius 1., 492 - 496). Staatliche Privilegien der Kirche, der Grundsatz, daß der Herrscher den Glauben des Landes bestimmt, und bestimmender fürstlicher Einfluß im Kirchenwesen (Bischofsernennung) kennzeichnen auch das Staatskirchenturn der germanischen Reiche, dem der Einfluß der Grundherrschaft (Eigenkirche) besondere Züge verleiht. Die letzte Ausprägung dieser staatlichen Herrschaft ist das ottonisch-salische Reichskirchensystem mit sakraler Stellung des Königs, Einbau der Bischöfe mit weltlicher Hoheit in das politische Reichsgefüge und königlicher Hoheit über die Reichskirche und ihr Gut einschließlich der Bestimmung der Bischöfe (selbst bei Wahl). c) Gegenüber der kaiserlichen Oberherrschaft, die auch für das Papsttum zur Geltung gelangte, vollzog die große kirchliche Erneuerung des 10.-12. Jahrhunderts (Cluny, Gregor VII.) eine an frühere Ideen anknüpfende Abgrenzung zwischen sacerdotium und regnum, die für die geistliche Gewalt die libertas ecclesiae und in schrittweiser Weiterführung der Lehre ihren Vorrang vor der weltlichen Macht beanspruchte. Der kaiserlichen Lehre von der unmittelbaren göttlichen Herkunft der Herr-
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schermacht setzte man kirchlicherseits die Ableitung aller Gewalt aus päpstlicher Verleihung entgegen, kraftderen die Kurie eine in ihrer geistlichen Vollmacht begründete potestas indirecta in temporalibus beanspruchte. Mit dem Sieg dieser These sah sich die Kirche freilich der Macht der Einzelstaaten gegenüber, denen sie kaisergleiche Rechte und Unabhängigkeit zugesprochen hatte. So fand die Lehre der päpstlichen plenitudo potestatis, theoretisch festgehalten, im 14. Jahrhundert an der wachsenden Macht des Nationalstaates und seiner nationalkirchlichen Tendenz ein Ende, auch wenn die Auffassung des Marsilius von Padua, der die Unterordnung einer eng auf das geistliche Gebiet beschränkten Kirche unter den Staat vertrat, nicht Allgemeingut wurde und die konziliare Bekämpfung der päpstlichen Suprematie scheiterte. Beide Richtungen boten aber in der Folge ein Arsenal von Ideen für die ständisch-demokratischen Tendenzen in Kirche und Staat. Für das spätere Mittelalter blieb ein dualistisches Miteinander von Kirche und Staat beherrschend mit weiter kirchlicher Jurisdiktion über Kleriker, Ehe und Erbe sowie bestimmendem kirchlichem Einfluß auf Unterricht und Bildung (Universitätsprivilegien, Bücherzensur). Zugleich entwickelte sich die Vorstellung einer Aufgabe des Herrschers zu Schutz und Hilfe im Kirchenwesen, mit der sich nationalkirchliche Strebungen verbanden. d) Die Lehre der Reformation richtete sich gegen diese überlieferte Weite der kirchlichen Jurisdiktion und suchte die Kirche als geistliche Gemeinschaft in ihrer Unabhängigkeit von weltlichem Einfluß klar herauszustellen. Dem Staat erkannte die lutherische Auffassung nur eine helfende Stellung im kirchlichen Raum zu, und auch die calvinistische Lehre nahm ihn nur in diesem Sinne in Dienst. Die geschichtliche Anlehnung der protestantischen Bewegung an einzelstaatliche Mächte führte aber tatsächlich zur Bildung eines Landeskirchenturns mit einem als cura religionis und als Episkopalismus begründeten landesherrlichen Kirchenregiment. In England vollzog sich sogar ein offener Übergang der kurialen Suprematie auf eine königliche Kirchenhoheit. In der Struktur bleibt auch in dieser Zeit die dualistische Teilung der Jurisdiktion bestehen. Aber der evangelische Herrscher übt zuerst mit historischer, dann mit territorialistischer Begründung eine Verfügung über die iura externa der Kirche aus. Auch in den katholischen Territorien finden sich im Absolutismus über die Advokatie hinausgehende Elemente landesherrlichen Einflusses auf die Bischofsnomination und die Vermögensverwaltung, besonders in Frankreich mit nationalkirchlichen Tendenzen verbunden (Gallikanismus). e) Ein grundsätzlicher Wandel im Sinne eines Übergangs zu den modernen staatskirchlichen Anschauungen vollzieht sich mit dem Aufstieg des rationalen Naturrechts. Es baut Staat wie Kirche gleichermaßen als aus den Individuen gebildete Zweckgemeinschaften auf, gibt aber dem
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weltlichen Verband die unbeschränkte Souveränität auch über die auf seinem Gebiet wirkenden kirchlichen Gemeinschaften. Damit weicht auf der staatlichen Seite die dualistische Vorstellung eines unabhängigen Nebeneinanders von Kirche und Staat der Betonung staatlicher Souveränität und Überordnung. Mit der nationalkirchlich-episkopalistischen Reformbestrebung des Febronianismus teilt das Staatsdenken der Aufklärung die Abneigung gegen den kurialen Zentralismus. Die Grundzüge des sich am Ende des 18. Jahrhunderts ausbildenden "Kirchenstaatsrechts", gegründet auf einseitige souveräne Setzung des Staates, sind in beiden Konfessionen nahe verwandt. Dem Staat wird eine allgemeine Kirchenhoheit zugesprochen, aus der neben dem ius reformandi ein Schutzrecht (ius advocatiae) und eine hoheitliche Einwirkung auf die äußeren Kirchenangelegenheiten abgeleitet werden. Maßstab dieser staatlichen Rechte ist das Wohl des Staates und die öffentliche Sicherheit. Aus dem weiter angenommenen Aufsichtsrecht (ius inspiciendi) leitet das 18. Jahrhundert eine Reihe von Befugnissen ab, die die universale Kirche territorialistisch einengen: Das Plazet für kirchliche Gesetze und Erlasse, den recursus ab abusu als Anrufung staatlicher Instanzen gegen Entscheidungen kirchlicher Stellen, das Exklusive gegen unerwünschte kirchliche Ernennungen, endlich die Befugnis zur Säkularisation oder Zweckänderung schlecht verwalteten kirchlichen Vermögens. Die Verwirklichung dieser Grundsätze führt in Österreich, beginnend in Mailand unter Kaunitz (1768), zum Kirchensystem des J osephinismus. In Preußen ist ihr Ausdruck das Allgemeine Landrecht (1794). Grundzüge dieses Systems, besonders Staatssouveränität, einseitige Staatsgesetzgebung und Vorrang der staatlichen Gesamtordnung, sind für das Staatskirchenrecht der Folgezeit bestimmend geblieben. f) Das 19. Jahrhundert bringt mit der französischen Revolution und der Auflösung der deutschen Reichskirche das Ende des älteren Staatskirchenturns. In der Vielfalt der Strömungen dieser Epoche treten drei bestimmende Linien hervor: Glaubensfreiheit, zunehmende Autonomie der Kirche (auch auf evangelischer Seite), Aufhebung der Reste kirchlicher Jurisdiktion (Ehe, Schule) durch die vereinheitlichende bürgerliche Gesetzgebung des Staates. Auf dem Höhepunkt des Liberalismus sucht der Staat im deutschen Kulturkampf (1872 - 75) und in der französischen Trennungsgesetzgebung (1904- 08) seine Aufsicht über die kirchliche Verwaltung (mit antikurialer Tendenz) zu verstärken, in beiden Fällen mit geringem bleibendem Erfolg. Das 20. Jahrhundert sieht in dem Trennungsdekret der Sowjetunion (5. 2. 1918) und im Kirchenkampf (1933 bis 1945) das Bemühen des totalitären Staates, die Kirche in eine auf den Kultus eingegrenzte Winkelstellung zu drängen und damit zum Niedergang zu bringen. In den Staaten freiheitlicher Verfassung ist teils in Ausübung der allgemeinen bürgerlichen Freiheit, teils gesetzlich oder ver8 Scbeuner
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traglieh eine Erweiterung der kirchlichen Autonomie festzustellen, am stärksten in Deutschland nach 1945, aber auch im überlieferten Staatskirchentum (England, Skandinavien) im Sinne der Auflockerung zu größerer kirchlicher Selbständigkeit. Im Verhältnis der christlichen Kirchen in den neuen Staaten Asiens und Afrikas zeichnen sich noch keine festen Linien ab. Glaubens- und Vereinigungsfreiheit bilden hier vorerst die Grundlage. 3. Eigenständigkeit der Kirche
In der Gegenwart ist die Vorstellung des Mittelalters von einem Kirche und Staat umschließenden Corpus Christianum aufgegeben worden. Ebenso tritt die seit dem 18./19. Jahrhundert vordringende Auffassung, die die Kirche nur als religiöse Vereinigung im Rahmen der staatlichen Gebietshoheit erblickt, zurück, obwohl sie die staatliche Gesetzgebung immer noch beeinflußt. a) Die kirchliche, in den freiheitlichen Ordnungen aber auch die staatliche Anschauung gehen davon aus, daß die Kirche, auch in der Gestalt einer partikularen Kirche, eine unter der Herrschaft ihres Herrn stehende Gemeinde der Gläubigen ist, die auch als geschichtliche Erscheinung aus eigener geistlicher Berufung und Kraft lebt. Diese Eigenständigkeit der Kirche gegenüber den weltlichen Gewalten begründet die grundsätzliche Unabhängigkeit ihrer Ordnung, Ämter und Gesetzgebung von staatlichem Einfluß. Auch wo sich historisch Verbindungen zum Staat ergeben und staatliche Einwirkungen rechtlich vorgesehen sind, wird diese Freiheit des kirchlichen Lebens nicht aufgehoben. Im modernen Staatskirchenturn werden selbst staatliche Befugnisse zu Ernennungen und Gesetzgebung im kirchlichen Raum (England, Schweiz) mehr und mehr an den Vorschlag kirchlicher Gremien gebunden. Nur dort, wo der Staat der Kirche besondere öffentliche Privilegien und Fähigkeiten (Steuererhebung, öffentliche Beurkundung, Mitwirkung an öffentlichen Einrichtungen) einräumt, leitet die kirchliche Instanz solche Befugnisse aus der staatlichen Verleihung ab. Die Eigenständigkeit der Kirche ergibt sich in gleicher Weise aus der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre, wo sie aus der Eigenschaft der leiblichen Kirche als Wahrzeichen der geistlichen Gemeinde und ihres Unterschiedes zum Reich der Welt folgt, wie aus dem Gedanken der Königsherrschaft Christi, die Christus als Haupt der Kirche auch in ihrer irdischen Gestalt erblickt und daher allen weltlichen Gewalten den Eingriff in sie wehrt. Die Idee der Eigenständigkeit wirkt sich auch im Kirchenrecht aus, das keiner weltlichen Ermächtigung bedarf. Die eigene Geltung des kirchlichen Rechts kann freilich dazu führen, daß es nicht mit der staatlichen Gesetzgebung übereinstimmt und sogar offene Widersprüche bestehen (z. B. kanonisches und bürgerliches Eherecht).
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Solche Gegensätze können bewirken, daß der Staat kirchlichen Akten bürgerliche Wirkung abspricht, aber ihre freiwillige Erfüllung zuläßt (kirchliche Eheschließung), während die Kirche ihre Gläubigen auffordert, staatliche Ermächtigungen nicht auszuüben (z. B. Ehescheidung) oder gar dem Staatsgebot nicht zu folgen. Im allgemeinen streben Kirche und Staat an, einen offenen Widerspruch ihrer Weisungen zu vermeiden. Als Mittel des Ausgleichs kirchlicher und staatlicher Auffassung dient seit dem Mittelalter (Wormser Konkordat 1122) der Vertrag (Konkordat, Kirchenvertrag). Seine für beide Seiten bindende Kraft wird in der Gegenwart auch von der Kurie (Enzyklika "Immortale Dei", 1885) und dem überwiegenden Teil der Lehre anerkannt. Sie wurzelt in der für beide unabhängigen Partner gemeinsamen rechtlichen Sphäre der Koordination (für die katholische Kirche wird sie durch das Völkerrecht, für die evangelischen Kirchen durch eine über den Staat hinausreichende gemeinsame Basis des Rechtsdenkens hergestellt). b) Die Entfaltung der kirchlichen Eigenständigkeit wird durch die Gewähr voller Glaubens- und Vereinigungsfreiheit hinreichend gewährleistet. Sie schließt nicht eine öffentlich-rechtliche Stellung der Kirche ein, umfaßt aber die Möglichkeit des kirchlichen Zeugnisses in der Öffentlichkeit, d. h. die Möglichkeit, die Verkündigung durch Wort und Schrift (Presse, Beteiligung an den Massenmedien) zu üben, die Gläubigen in Vereinigungen zu sammeln und in Glaubensdingen zu unterrichten. Wo diese Weite des Wirkens in die Welt beschränkt oder verhindert wird, greift der Staat in die Selbständigkeit der Kirche ein. c) Aus der Eigenständigkeit ergibt sich eine Grenzziehung zwischen Kirche und Staat. Gemäß These 5 der Barmer Theologischen Erklärung (1934) ist damit nicht nur eine Ein- und Unterordnung der Kirche im Staat, sondern nicht minder der Anspruch des Staates unvereinbar, die "einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens" zu sein. Wo der totalitäre Staat das ganze Dasein, daher auch das geistige Leben seiner Bürger in seinen Bann zu ziehen sucht, greift er auch in die Selbständigkeit der Kirche ein. Die Kirche begegnet dem Staat unabhängig von seiner Verfassungsform als der für Ordnung und Frieden der Welt notwendigen Institution mit Gehorsam und Loyalität. Das schließt eine Prüfung der staatlichen Weisungen und nötigenfalls eine Enthaltung von näherer Mitarbeit im Staat für die Christen nicht aus (Widerstandsrecht). 4. Systeme der Verbindung und Trennung von Kirche und Staat
Bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts ergab sich aus dem politischen Grundsatz, kirchliche Einheit als Mittel staatlicher Einheit zu fordern, ein Staatskirchentum, das nur einem Bekenntnis die Stellung der anerkannten Religion zuwies, andere Glaubensrichtungen dagegen höchstens dul-
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dete. Als der Staat die seit dem 17. Jahrhundert erhobene Forderung der Gewissensfreiheit aufgriff, ergab sich als erster Schritt die Gewährung von Toleranz, dem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Rückzug auf eine überkonfessionelle Stellung folgte. Die Verfassung des Frankfurter Parlaments 1848 sprach sich in§ 147 gegen ein Staatskirchenturn aus, und die Entwicklung der meisten deutschen Länder folgte ihr. Die um die Mitte des 19. Jahrhunderts unter dem Wort "Freie Kirche im freien Staat" hervortretende Idee der Trennung fand nur an einigen Stellen Verwirklichung. In erheblichem Maß blieb dieneuere Entwicklung, besonders in Deutschland, Österreich und der Schweiz, bei der Form eines Zusammenwirkens von Kirche und Staat. Daraus ergeben sich für die moderne Zeit drei Haupttypen staatskirchenrechtlicher Gestaltung. a) Das Staatskirchentum, das System der Anerkennung einer Richtung als herrschende Religion, tritt in zwei Formen auf. Der traditionelle Typ ist durch historische Verbindung von Kirche und Staat bedingt (England, Skandinavien, einzelne Schweizer Kantone). Hier ist bei voller Glaubensfreiheit einer Kirche die Stellung als öffentlich-rechtliche Staatskirche zugesprochen, neben der andere Bekenntnisse auf den Weg freier Vereinsbildung gewiesen sind. Dafür steht dem Staat die Einwirkung auf die Besetzung der leitenden Ämter zu; notwendige Kirchengesetze erläßt ganz oder teilweise das allgemeine Parlament. - Der andere, katholische Typ geht von der konkordatären Anerkennung der katholischen Religion als der einzigen Religion des Landes aus (Italien 1929, Spanien 1953, Dominikanische Republik 1954). Anderen Religionsgemeinschaften wird eine -in manchen Fällen begrenzte- Glaubensfreiheit gewährt. Der herrschenden Religion kommt der Staat durch Anerkennung ihrer Eheschließungsform und sogar ihrer geistlichen Jurisdiktion über die Ehe entgegen. Auch hier handelt es sich um ein reduziertes Staatskirchentum, mit freier Religionsübung verbunden. b) Das System der Trennung von Kirche und Staat, das eine öffentlichrechtliche Stellung der Kirche ausschließt, kennt gleichfalls verschiedene Ausprägungen. In den USA findet sich eine Form, die das Ergebnis des Wunsches nach religiöser Duldung ist und die an das in der Bundesverfassung (1. Ergänzung 1791) enthaltene Verbot einer Staatskirche anknüpft. Im Verein mit der Glaubensfreiheit führt das zu freier Bildung von religiösen Gemeinschaften, die der Staat nach Vereinsstatus behandelt, freilich mit größerer Achtung der inneren Freiheit. Der verfassungsrechtliche "Trennungswall" schließt jede Staatsunterstützung der Kirche aus, ebenso den Religionsunterricht in der Schule. Von diesem im Ergebnis der Kirche freundlich gesinnten System unterscheidet sich die Trennung laizistischer Prägung, wie sie die französischen Trennungsgesetze 1904/08 verkörpern. Die öffentlich-rechtliche Stellung der Kirche wird beseitigt, ihr Vermögen staatlicher Aufsicht (oder bei deren Ablehnung
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der Einziehung) unterworfen, die Betätigung der Kirche im Unterricht beschränkt, die Beziehungen des Staates zu ihr abgebrochen. Die Zwischenzeit hat das System in Frankreich stark gemildert, aber für andere Länder (Genf 1907, Portugal1911 [inzwischen aufgehoben], Mexiko 1917) hat diese radikale Separation als Muster gedient. Soweit sich damit die Gewähr bürgerlicher Freiheiten verbindet, vermag die Kirche auch in diesem Rahmen ihr Leben zu organisieren. Im Trennungssystem des totalitären Staates (sowjetisches Dekret vom 5. 2. 1918) dagegen wird die Vereinigungsfreiheit begrenzt und keine volle Möglichkeit des Wirkens in der Öffentlichkeit mehr zugestanden. Der Nationalsozialismus offenbarte das Endziel seiner Kirchenpolitik in der kirchlichen Ordnung im Warthegau (ab 1939), die den Kirchen nur mehr den Status eines privaten Vereins gab, den Eintritt nur Erwachsenen gestattete und eine strenge staatliche Aufsicht festlegte. Im kommunistischen Bereich wird die Trennung als Sicherung der politischen Aktion des Volkes vor dem als rückschrittlich verstandenen kirchlichen Einfluß gedeutet. Die Lösung jeder institutionellen Verbindung von Kirche und Staat, aber auch von Kirche und Schule, die Zurückführung der Kirche auf eine juristische Person verbindet sich in der DDR mit der Anerkennung der Gewissensfreiheit (Artikel 41 der Verfassung}, vorbehaltlich ihres Mißbrauchs für verfassungswidrige oder parteipolitische Zwecke, und der Achtung vor der Wahrnehmung ihrer inneren Angelegenheiten durch die Kirche selbst. In der Praxis wird der freie kirchliche Raum jedoch im engen Sinn der Kultusübung verstanden. c) Die Ordnung des Zusammenwirkens von Kirche und Staat ergab sich für das deutsche Staatskirchenrecht aus dem langsamen Rückgang der staatlichen Stellung. Bis 1918 schloß der Fortbestand des landesherrlichen Kirchenregiments eine volle Gleichheit der Konfessionen aus, ließ aber eine lockere Parität zu. Unterschieden von den besonderen Rechten des evangelischen Landesherrn wurde die allgemeine Kirchenhoheit des Staates gegenüber allen Konfessionen, aus der sich ein als Gegenstück der Korporationseigenschaft der Kirche verstandenes Aufsichtsrecht ergab. Grundlegend blieb der Unterschied der inneren Angelegenheiten der Kirche (Lehre und Kultus), die der Kirche allein zustanden, und der äußeren und gemischten Fragen, an denen der Staat mitwirkte. Die Weimarer Reichsverfassung (1919, WRV) legte als Ziel eine weitere Sonderung von Kirche und Staat und die Ablösung der Staatsleistungen (Art. 136, 138) fest. Gleichwohl hielt die staatliche Gesetzgebung an der überlieferten Aufsicht in diesem als "hinkende Trennung" (U. Stutz) bezeichneten System fest. Das Bonner Grundgesetz übernahm 1949 (Art. 140) das Staatskirchenrecht der WRV, aber die Lehre (R. Smend) hat mit Recht die grundlegend geänderte Lage nach dem Kirchenkampf zum Ausgang auch rechtlicher Neudeutung gemacht. In der Tat wird in der Ge-
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genwart der Begriff der staatlichen Kirchenhoheit aufgegeben, deren gesetzliche Ausgestaltung langsam vertraglich und gesetzlich abgebaut wird. Als Prinzipien des staatskirchenrechtlichen Verhältnisses treten in den richtunggebenden Verträgen der Länder Niedersachsen (1955), Schleswig-Holstein (1957) und Nordrhein-Westfalen (1958) mit den Kirchen ihres Landes neue Begriffe (freundschaftliche Zusammenarbeit, Eigenständigkeit der Kirche und freiheitliche Ordnung) hervor, die eine lose Zusammenordnung beider Partner zeigen. In Österreich ist das System der Staatskirchenhoheit und der Anerkennung bestimmter Religionsgesellschaften erhalten geblieben, das sich mit einer speziellen Vereinsaufsicht des Staates verbindet; von ihr bleiben die inneren Angelegenheiten der Kirchen frei. Auch in der Schweiz lebt der Begriff der Kirchenhoheit fort, meist in Verbindung mit einer öffentlich-rechtlichen Stellung der anerkannten Gemeinschaften, wobei zum Teil das nicht vorherrschende Bekenntnis nur eine öffentlich-rechtliche Anerkennung für seine einzelnen Gemeinden besitzt. Die Glaubensfreiheit ist bundesverfassungsrechtlich gesichert. 5. Säkularer Staat und kirchJiches Eigenleben Abgesehen von den Formen radikaler Trennung weist das heutige Staatskirchenrecht überall verwandte Züge auf: Seine Quellen finden sich besonders im Staatsgesetz, daneben in Verträgen zwischen Staat und Kirche. Die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Kirche und Staat vollzieht die staatliche Verfassung und Gesetzgebung unter Achtung der Selbständigkeit der innerkirchlichen Ordnung (Art. 137 Abs. 3 WRV). Doch fordert der Staat auch hier die Achtung des "für alle geltenden Gesetzes", d. h. der Grundlagen seiner Rechtsordnung. In den gemischten Angelegenheiten, an denen beide Partner beteiligt sind (Friedhof, Schule, Ehe), behält der Staat gleichfalls einen bestimmenden Platz. Die grundlegende Norm des staatlichen Rechts ist die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Sie umfaßt nicht nur die innere Meinung, sondern auch die Freiheit des Bekennensund der Betätigung des Glaubens. In bestimmter Richtung schützt der Staat hiermit auch die Freiheit des einzelnen vor der Kirche selbst und ihrer Disziplin. Er gestattet den Kirchenaustritt, er gewährt Freiheit, die eigene religiöse Zugehörigkeit nicht zu offenbaren (Art. 136 Abs. 3 WRV). Dagegen stellt es einen unstatthaften Eingriff in kirchliche eigene Ordnung dar, wenn der Staat der Kirche selbst gegen ihre Glieder- entgegen einer Lehrzucht-Glaubensfreiheit gebieten wollte. Mit der Glaubensfreiheit hängt auch der staatliche Schutz der Feiertage zusammen. Das Elternrecht auf Erziehung dagegen (Art. 6 Abs. 2 GG) schließt das Recht auf Schulen eigenen Bekenntnisses nicht ein. Die notwendige Ergänzung der individuellen Glaubensfreiheit bildet die kirchliche Vereinigungsfreiheit, diesich auch auf Neugründungen und
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Zusammenschlüsse erstreckt (Art. 137 Abs. 5 WRV).- In diesem Rahmen entfaltet sich die kirchliche Selbständigkeit, die mehr ist als bloße Autonomie. Sie zeigt sich in der Gliederung der Kirche, ihrer Ämterverleihung und Gesetzgebung, aber auch in der selbständigen Begrenzung kirchlicher Gemeinschaften unabhängig von staatlichen Grenzen. Dementsprechend hat sich ungeachtet seiner historischen Anlehnung an Staat und Staatsgrenzen das deutsche Landeskirchenturn heute von dieser Bindung gelöst. Freiwillige Beschränkungen dieser Freiheit können die Kirchen als Gegenleistung auf sich nehmen, z. B. in Gestalt der "politischen Klausel", der Gestattung eines staatspolitischen Einspruchs gegen Besetzung leitender Ämter. Ein wichtiges Moment der Zusammenarbeit von Kirche und Staat ist die Ausstattung der Kirchen mit der Eigenschaft öffentlicher Körperschaften. Sie erschließt ihnen das Besteuerungsrecht und die Möglichkeit, Beamte zu halten. Daneben gehört zu dieser auf staatlicher Verleihung beruhenden Stellung der Kirche ihre Mitwirkung an öffentlichen Einrichtungen (Rundfunk, Schule). Für bestimmte Gebiete (Religionsunterricht in der Schule, Theologische Fakultäten) räumt der Staat der Kirche sogar eine begrenzte Mitwirkung bei seinen Maßnahmen ein. In diesen Rahmen der öffentlich-rechtlichen Bevorrechtigung der Kirchen gehört auch der strafrechtliche Schutz der Religion und ihrer Einrichtungen, die Zeugnisbefreiung der Geistlichen und deren Freistellung vom Militärdienst. Die früher gern mit den Korporationsrechten verknüpfte Aufsicht des Staates wird heute freilich mit dem Schwinden der Kirchenhoheit als nicht mehr bestehend angesehen. Unzweifelhaft ist es für die Kirche leichter, eine volkskirchliche Erfassung der Bevölkerung zu erhalten, wenn sie öffentlich-rechtliche Privilegien genießt. Daß sie aber dort, wo die bürgerlichen Freiheiten effektiv gesichert sind, auch mit Hilfe dieser ihre Organisation wirksam gestalten kann, zeigt das Beispiel des amerikanischen Kirchenwesens.
Kirche und Staat in der neueren deutschen Entwicklung I. Ein Zeitalter der Spannungen und Wandlungen Der wiederherstellende Zug, der das letzte Jahrzehnt der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Westdeutschland gekennzeichnet hat, erstreckt sich auch auf den Bereich der Relationen von Kirche und Staat1 • Nach den tiefen Erschütterungen und Kämpfen während des Hitlerreiches ist dies Verhältnis wieder in eine gewisse Ruhe zurückgekehrt, die von dem beiderseitigen Willen zu Zusammenwirken und Ausgleich getragen war. Vielleicht wird man sogar sagen können, daß das letzte Jahrzehnt im ganzen eine Periode seltener Eintracht zwischen beiden Gewalten darstellte. Regierungen, Parlamente und Parteien zeigten sich in der Bundesrepublik von dem Bestreben geleitet, die überlieferte Stellung der großen deutschen Kirchen auch im öffentlichen Leben zu respektieren und sogar nach manchen Richtungen hin zu stärken. Die Neigung, im Blick auf Erfahrungen der Vergangenheit und Auseinandersetzungen der Gegenwart eine zu große Nähe zum Staate zu vermeiden, trat eher auf der kirchlichen Seite in Erscheinung. Staatsgesetze und vor allem Vertragsschlüsse zwischen evangelischen Landeskirchen und dem Staate haben ein neues Verhältnis zwischen kirchlicher und staatlicher Sphäre zum Ausdruck gebracht. Die einzige stärkere Spannung, die im staatskirchenrechtlichen Bereiche in diesen Jahren auftrat, der Konkordatsstreit, beruhte im Grunde nicht so sehr auf einer Veränderung in der Relation Kirche und Staat, als vielmehr auf dem Widerstreit verschiedener politischer Kräfte innerhalb der staatlichen Seite, die sich im Rahmen der bundesstaatliehen Gliederung der Bundesrepublik entfalten konnten. Die Entwicklung der staatskirchenrechtlichen Verhältnisse steht freilich niemals still. Auf diesem hochempfindlichen Gebiete geistiger Beziehungen ist die Reaktionsfähigkeit auf allen Seiten so fein ausgebildet, daß auch die leisesten Schwankungen wie von einer Kompaßnadel eingefangen werden. Der Anstoß zu Wandlungen und Fortbildungen kann Aus: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, Bd. 7 (1959/60), S. 225-273. Die Abhandlung gibt einen am 30. 4. 1959 auf der Tagung der Mitarbeiter dieser Zeitschrift in Heldeiberg gehaltenen Vortrag wieder. Im Rahmen der Referate dieser Zusammenkunft fiel diesem Bericht eine auf den Westen Deutschlands begrenzte Aufgabe zu. 1
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von den verschiedensten Seiten kommen. Theologische Strömungen innerhalb der Kirche äußern ihre Wirkung auf die Anschauung von der Kirche, von Recht und Ordnung der Kirche und von ihrem Verhältnis zur weltlichen Macht. In der theologischen Bewegung der 20er Jahre, die an die Lehre KarZ Barths anknüpfte, waren die Grundlinien einer neuen Einstellung gegenüber dem Staat und dem herrschenden, so stark an das staatliche Bild angelehnten Kirchenrecht längst vorgezeichnet, ehe die Krise des Kirchenkampfes einem grundsätzlich geänderten Selbstverständnis der Kirche und einer radikalen Überprüfung der Beziehung zum Staate das Tor öffnete 2 • Daß Vorgänge im Kreis der Begegnung von staatlichen Stellen und Kirche- erfolgen sie nun auf dem Feld der Gemeinden oder der Kirchenleitungen - das Verhältnis von Kirche und Staat unmittelbar verändern können, bedarf keiner Darlegung. Der Anstoß zu Wandlungen kann aber auch aus der staatlichen Sphäre stammen. Ein Wechsel der Staatsform und Verfassung, aber auch eine Veränderung der maßgebenden politischen Kräfte und Parteien im Staate kann weittragende Wirkungen äußern. Die im Westen Deutschlands nach 1945 wiedererrichtete Staatsgewalt war von Anfang an schwächer und anlehnungsbedürftiger; sie konnte und mochte die Formen der staatlichen Kirchenaufsicht nicht mehr im alten Sinne üben und zog sich aus ihrer Ausübung zunächst praktisch, dann vielfach auch in grundsätzlicher Anerkennung eines eingetretenen Wandels zurück3 • Die nach 1945 einsetzende Hervorhebung der bundesstaatliehen Gliederung im westlichen Deutschland hat- stärker als in Weimar- die Länder zu Partnern der Kirchen gemacht; das muß von selbst der Behauptung landeskirchlicher Überlieferungen entgegenkommen, auch wenn der Evangelischen Kirche in Deutschland und den bekenntnismäßigen Zusammenschlüssen der deutschen Kirchen durch die Ereignisse eine räumlich weitergesteckte geistliche Aufgabe zugefallen ist, in der sie angesichts der politischen Spaltung Deutschlands die geistige Einheit der Christen über die Trennung hinweg zu bewahren vermögen. Endlich wird die Beziehung von Kirche und Staat aber auch durch jene langsamen und tieferen Wandlungen des geistigen Klimas berührt, die sich im Gefolge der allgemeinen Veränderung der Anschauungen und Ideen in einer hi1 Im "Römerbrief" schrieb KarZ Barth (5. Auft., München 1929, S. 467): "Es gibt keine energischere Unterhöhlung des Bestehenden als das hier empfohlene sang- und klang- und illusionslose Geltenlassen des Bestehenden. Staat, Kirche, Gesellschaft, positives Recht, Familie, zünftige Wissenschaft usw. leben ja von der durch Feldpredigerelan und feierlichen Humbug aller Art immer wieder zu nährenden Gläubigkeit aller Menschen. Nehmt ihnen das Pathos, so hungert ihr sie am gewissesten aus!" Hier ist die grundsätzliche Absage an die überlieferte Verbindung Kirche und Staat schon ebenso unüberhörbar geäußert wie die Distanz des Christen zum Staat. • Ich verweise hier auf meine Darlegungen, Die staatskirchenrechtliche Tragweite des niedersächsischen Kirchenvertrages von Kloster Loccum, in: ZevKR 6 (1957/58) s. 24 fl.
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storischen Epoche ergeben. Die Auseinandersetzungen zwischen Liberalismus und kirchlicher Lebensform, die den Ausgang des 19. Jahrhunderts beherrschten und nachwirkend bis in die 20er Jahre dieses Jahrhunderts spürbar blieben, sind abgeklungen. Die im liberalen Bereich wirksamen antiklerikalen Strömungen sind nicht verschwunden, aber mit dem Liberalismus selbst in den Hintergrund getreten. Sie finden ihre Fortführung heute in den radikalen sozialrevolutionären Anschauungen des kommunistischen Ideenkreises; zu den rationalen aufklärerischen Elementen der Kritik an den Kirchen treten hier aber ferner gesellschaftspolitische Tendenzen und geschichtsmythische Vorstellungen, die den Gegensatz vertiefen und verschärfen. In der Gesamtlage der Gegenwart aber bewirkt der Niedergang der liberalen Tendenzen und der entschiedene Atheismus des kommunistischen Lagers eine deutlich erkennbare Annäherung der westlichen Staaten an die Kirchen und eine bedeutende Aufgeschlossenheit der Öffentlichkeit gegenüber theologischen Vorgängen. Diese Situation ist indes nicht ohne ihre Gefahren. Sie birgt die Möglichkeit einer Beanspruchung der christlichen Gemeinde für politische Zwecke und gesellschaftliche Lebensformen in sich, und sie kann die Neigung verstärken, der inneren Auseinandersetzung mit den Geschehnissen im kommunistischen Osten auszuweichen. In der politischen Sphäre wird man jedenfalls sagen können, daß die eigentliche Konfrontierung mit dem heutigen Stande des Ostens und der Neuansatz einer deutschen Haltung ihm gegenüber noch unbewältigte Aufgaben darstellen, die das hinter uns liegende Jahrzehnt der Rückblicke und des Ausweichens vor der Rechenschaft im wesentlichen nur verdeckt und beiseitegelassen hat. Staat und Kirche stehen heute im Strom einer ideellen und politischen Spannung, die beide auf das stärkste berührt und herausfordert'. Unter der ruhigen Oberfläche bergen sich daher in der Gegenwart weitreichende Veränderungen in den geistigen Grundlagen und den Umweltverhältnissen, in denen die Kirchen stehen. Stärker als in den anderen Ländern des Westens wird die Christenheit im zerrissenen Deutschland vor das Nebeneinander und das Ringenzweier großer politisch-sozialer Systeme gestellt. Damit wird die Relation Kirche und Staat, so sehr die aus dem Erlebnis des Kirchenkampfes hervorgehende Lehre nach Selbständigkeit der Kirche und Entfernung vom Staate strebt, zu einem immer wieder die kirchliche Entwicklung in zentraler Weise bestimmenden Moment. ' Die im Herbst 1959 einsetzende Erörterung um den Obrigkeitsbegriff ist nur ein Stück aus diesem Vorgang der Bewältigung einer die Christenheit in Erkenntnis und Bewährung ergreifenden Veränderung der sozialen und politischen Wirklichkeit. Hierzu die - freilich die eine Seite überwiegend heraushebende- Darbietung von Material, in: Dokumente zur Frage der Obrigkeit, hrsg. von Mochalski undWerner, 2. Aufl., Darmstadt 1960; ferner Martin FischeT, Obrigkeit, Berlin 1959. ·
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Die Vielfältigkeit der Spannungen und Wandlungen in diesem Bereiche erhellt auch aus dem Spiegelbild der heutigen Entwicklung in der nicht sehr ausgedehnten Literatur. Mag die katholische Seite in erster Linie die erreichte größere Unabhängigkeit vom Staate, zugleich aber das gute Einvernehmen mit den weltlichen Gewalten im westlichen Deutschland betonen5 , auf evangelischer Seite begegnet ein sehr viel differenzierterer Chor von Stimmen. Vorwiegend von staatlicher Sicht aus stellt Werner Weber 6 den Niedergang des bisherigen, im 19. Jahrhundert ausgebildeten Staatskirchenrechts mit seiner staatlichen überwachenden Tätigkeit fest, dem auf der anderen Seite ein Emporsteigen der Kirchen zu politischem Einfluß innerhalb der öffentlichen Ordnung und eine Verflechtung in sie gegenüberstehe. Der Blick ist in dieser Auffassung freilich zu sehr nur den äußeren Formen der Begegnung von Kirche und Staat zugewendet und läßt die tiefe Spannung außer acht, in der die spirituelle Gestalt der Kirche allezeit zum weltlichen Gemeinwesen verharrt. Sie wird auch in ihrer Einschätzung der kirchlichen Gestalt als einer sozialen Vereinigung unter vielen anderen dem Auftrag der Gemeinde gegenüber der Welt nicht gerecht. Eine andere Richtung, wohl die herrschende, betont die Eigenständigkeit und das Anderssein der Kirche und ihrer Ordnung; sie strebt nach Abstand vom Staate und sucht den Raum kirchlicher Selbständigkeit tunliehst auszudehnen 7 • Sie fügt sich in eine neue Grundlegung von Recht und Ordnung der Kirche nicht aus weltlicher Autonomie, sondern aus der geistlichen Wurzel christlicher Gemeinschaft ein. Sie zeigt aber auch Berührungen mit den ausgedehnten Strömungen, die im politischen Bereich nach 1945 gegenüber der vorangehenden Ausuferung des Staates die gegenstaatliche These der Entfernung vom Staate und des Eintretens für die von ihm unabhängigen Bereiche vertreten. In einem Teile dieser Richtung wird 1 Vgl. Wilhe lm J. Böhler, Katholische Kirche und Staat, in: Politische Bildung, Heft 44 (1953) S. 131 ff. Eine vielseitige, die Problematik verdeutlichende Darstellung jetzt bei Helmut Ridder, Artikel "Kirche und Staat in Deutschland", in: Staatslexikon, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, 6. Aufl., Bd. 2, Freiburg/Br. 1959, Sp. 1022 ff. e Werner Weber, Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, in: VVDStRL 11 (1954) S. 170 ff.; deTS., Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 2. Aufl., Stuttgart 1958, S. 50 ff. Auf gewisse Begegnungen kirchlichen Einflusses mit der Interessenstellung im modernen Staat weist auch Joseph Heinrich Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen, Berlin
1956, s. 122 ff., hin.
7 Diese Tendenz geht aus von dem Erlebnis des Kirchenkampfes. Sie durchdringt das theologische und kirchenrechtliche Schrifttum. Vgl. Ernst Wolf, Barmen, München 1957, S. 124 ff.; Werner Schmauch u. Ernst Wolf, Königsherrschaft Christi, München 1958, S. 42 ff. (Theologische Existenz heute, N. F., Nr. 64). Ferner Herbert Wehrhahn, Kirchenrecht und Kirchengewalt, Tübingen 1956, S. 64 ff., 109 ff.; Konrad Hesse, Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, Göttingen 1956, S. 42 ff.; Siegfried Grundmann, Das evangelische Kirchenrecht und die ökumenische Bewegung der Gegenwart, in: AöR 84 (1959) S. 34 ff.
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dabei die Erscheinung des Staates stärker unter das Zeichen der Apokalypse als des Römerbriefes gerückt. In der Verschiedenheit dieser Anschauungen gelangen die vielfältigen Richtungen zum Ausdruck, die sich heute auf dem Felde der staatskirchenrechtlichen Verhältnisse begegnen. Eine Auseinandersetzung mit ihnen wird eine grundlegende Scheidungslinie berücksichtigen müssen. Staatliche und kirchliche Deutung des Verhältnisses der beiden Bereiche decken sich nicht. Es erscheint nicht möglich, in einem Bilde die Blickweise des staatlichen und des kirchlichen Standpunkts zu vereinen. In der modernen Zeit, und im Grunde schon seit viellängerer Dauer, stehen sich die christliche Lehre von Kirche und weltlichem Regiment und die säkularisierte Theorie des staatlichen Rechts getrennt gegenüber. Man mag offene Widersprüche zwischen den beiden Betrachtungsweisen zu meiden suchen, der Grundsatz ist tief verschieden und bewirkt daher in vielen Punkten eine unterschiedliche Sicht der Verhältnisse. Die Beurteilung der Relation von Kirche und Staat erfolgt dementsprechend auf zwei verschiedenen Ebenen, der des staatlichen unkonfessionell-neutralen Rechts und der des bekenntnisgebundenen innerkirchlichen Rechts. In weitem Umfang wird zwischen den beiden rechtlichen Kreisen wenigstens im Ergebnis eine Übereinstimmung erreicht, aber die Möglichkeit einer abweichenden Beurteilung und sogar des Widerspruches besteht. Da beide Ordnungen aus verschiedener Wurzel ihren Geltungsgrund gewinnen und Autorität ausüben, so haben sich auch besondere Formen ausgebildet, um Widersprüche auszugleichen oder tragbar zu machen, notfalls aber auch offen zu bekennen und durchzustehen. Sie sind das Erbe einer langen Erfahrung und gegenseitigen Berührung. Die folgende Untersuchung wendet sich mit Nachdruck auch der Betrachtung der Auffassungen des staatlichen Rechts zu. Im Bereich der Theologie und der Kirchenrechtswissenschaft hat sich auf der Lehrgrundlage der reformatorischen Aussagen im letzten Jahrzehnt eine grundlegende Erneuerung der Anschauungen vom Wesen der Kirche, von der Natur des kirchlichen Rechts und kirchlicher Ordnung und von der Stellung der christlichen Gemeinschaft gegenüber den weltlichen Gewalten vollzogen8 • Die staatlichen Instanzen sind im westlichen 8 Innerhalb der neuen Lehre lassen sich zwei Richtungen unterscheiden. Die eine, entscheidend durch Karl Barth beeinftußt (Rechtfertigung und Recht, Zollikon 1938; Christengemeinde und Bürgergemeinde, Stuttgart 1946; Die Ordnung der Gemeinde, in: Die kirchliche Dogmatik IV/2, Zollikon- Zürich 1955, S. 765- 824), entwickelt Wesen und Recht der Kirche aus der Herrschaft Christi über die Gemeinschaft der Gläubigen her und setzt das kirchliche Recht als Dienstrecht unmittelbar in Bezug zum liturgisch-geistlichen Leben der Gemeinde. Im Rahmen dieser Grundlegung vgl. ferner Ernst Wolf, Peregrinatio, München 1954, S. 214 ff.; Werner Schmauch u. Ernst Wolf, Königsherrschaft Christi, München 1958, S. 56 ff.; Ernst Wolf, Artikel "Gemeinde", in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Auft., Bd. 2, Tübingen 1958, Sp. 1330; Erik Wolf, Zur Rechtsgestalt der Kirche, in: Bekennende Kirche, Martin Nie-
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Deutschland diesem Wandel mit Verständnis begegnet und haben ihm in den Vertragsschlüssen zwischen einzelnen Ländern und den evangelischen Kirchen ihres Bereiches Rechnung getragen. Aber es wäre eine unzulässige Vereinfachung, wenn man annehmen wollte, im staatlichen Recht einfach ein Widerspiel der kirchlichen Lehren vorzufinden. Das ist schon darum nicht möglich, weil der moderne Staat es mit verschiedenen Konfessionen zu tun hat, denen er nur auf einer einheitlichen Grundlage begegnen kann, will er nicht die Forderung der Rechtsgleichheit und konfessionellen Neutralität verletzen, die ihm seine Verfassungsordnung vorschreibt'. Auch die staatliche Handhabung der Beziehungen zu den Kirchen kommt aus einer bestimmten historischen Tradition, die bei aller Anpassung und Wandlung der staatlichen Haltung gewisse feste Grenzen zieht. Das Verfassungsrecht des modernen säkularen Staates enthält eine Grenzziehung zwischen Staat und Kirche, die in liberaler Zurückhaltung dem eigenen Wesen der Kirchen weiten Raum gibt, aber doch in unübersehbarer Weise einen normativen Rahmen dort zieht, wo es um die Erhaltung der staatlichen Ordnung, um die Bürgergleichheit und die jenseits der konfessionellen Unterschiede begründete Einheit der staatlichen Rechtsordnung geht1°. möllerzum 60. Geburtstag, München 1952, S. 254 ff.; Max Schach, Evangelisches Kirchenrecht und biblische Weisung, Zürich 1954; Kimme, Kerygma und Dogma 5 (1955) S. 117 ff. Die andere Richtung gründet sich auf die lutherische Lehre von den zwei Reichen, die in den Untersuchungen von Johannes Heckel (Initia juris ecclesiastici Protestantium, München 1950; Lex charitatis, München 1953) neu herausgearbeitet worden ist. Sie sieht im kirchlichen Recht menschliches Recht der kirchlichen Ordnung, das aber in enger Beziehung zum göttlichen Naturrecht der spirituellen Gemeinschaft der Gläubigen steht und damit grundsätzlich vom weltlichen Recht verschiedene Gestalt zeigt. Auf dieser Grundlage siehe Siegtried GTundmann, Der Lutherische Weltbund, Köln- Graz 1957; Artikel .,Kirche", in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Auf:l., Bd. 3, Tübingen 1959, Sp. 1325 ff.; DietTich OehleT, Evangelisches Kirchenrecht als bekennende Ordnung, in: Festschrüt für Friedrich Giese, Frankfurt/M. 1953, S. 195 ff. Ferner vom Boden lutherischer Lehre Hans Dombois, Ordnung und Unordnung der Kirche, Kassel1957, S. 27 ff.; Emst KindeT, Der evangelische Glaube und die Kirche, Berlin 1958, S. 165 ff. Bei der Hervorhebung der unterschiedlichen theologischen Ausgangspunkte sollte nicht übersehen werden, daß sich beide Strömungen darin berühren, daß sie in Abkehr von der im 19. Jahrhundert praktizierten Ableitung des Kirchenrechts aus weltlich-staatlicher Ermächtigung die Eigenständigkeit des kirchlichen Rechts, seine durchgängige Andersartigkeit gegenüber dem weltlichen Recht und seine Bindung an den geistlichen Lebensvorgang der communio sanctorum vertreten und beide auch in seiner Ausgestaltung und seiner Beziehung zum Recht des Staates nach Distanz vom politischen Gemeinwesen streben. Ich darf verweisen auf meinen Beitrag: .,Recht. Theologische Begründung des Rechts", in: Evangelisches Kirchenlexikon, Bd. 3, Göttingen 1959, Sp. 460 - 464. • Von der Sicht der Kirche aus erscheinen in der staatlichen Verfassungsordnung der Bundesrepublik vor allem die Glaubensfreiheit (Art. 4) und die Gewährung der kirchlichen Selbständigkeit (Art. 137 Abs. 1-3 WeimRV in Verbindung mit Art. 140 GG) grundlegend. Für den Staat aber ist nicht weniger maßgeblich das Gebot der Rechtsgleichheit und das Verbot bürgerlicher Unterscheidung nach Bekenntnismaßstäben (Art. 3) und die aus der Religionsfreiheit sich ergebende weltanschauliche Neutralität.
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Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Gegenwart ist aus langer geschichtlicher Entwicklung erwachsen11 • Es kann nur verstanden werden, wenn man mindestens bis in das 18. Jahrhundert zurückgreift, in dem sich auf der staatlichen Seite grundlegende Vorstellungen ausgeformt haben, die heute noch nachwirken. Es erscheint daher zweckmäßig, der Untersuchung der Zeit nach 1945 einen kurzen Ausblick auf einige Grundprobleme vorausgehen zu lassen, die in der neueren Zeit für die Beziehungen zwischen Kirche und Staat sich immer wieder als bedeutsam erwiesen haben. II. Geschichtliche Grundlagen des neuzeitlichen Staatskirchenrechts 1. In allen Jahrhunderten hat die Beziehung der christlichen Kirche zum Staate in den Völkern christlichen Glaubens ein Grundelement der Geschichte gebildet. In immer erneuerter Form hat sich das Denken der Christenheit mit dieser Frage beschäftigt. Stets fand sich der Christ nicht nur als Glied des Leibes Christi in dieser Welt, sondern er stand zugleich als Untertan weltlicher Gewalten unter deren Herrschaft. Seit der Spätantike verschmolzen in der herrschenden Lehre ecclesia und politia in einen Körper, in dem sich zwei Gestalten, die geistliche und die weltliche, in die Aufgaben und die Herrschaft teilten. In der Bestimmung des Verhältnisses dieser beiden Gewalten, von Kaiser und Papst, Landesherr und Kirche, spielte sich im Mittelalter die Auseinandersetzung zwischen politischem Regiment und Autorität der Kirche ab. Schon aus der nahen Verbindung der beiden Gewalten ergab sich für die ältere Zeit ein hohes Maß gegenseitiger Durchdringung und Beeinflussung geistlichen und weltlichen Rechtsdenkens, mögen auch im späteren Mittelalter die staatlichen Theorien und die kanonistischen Anschauungen auseinanderrücken und ein deutliches Gegenüber der weltlichen Territorien und des kirchlichen Körpers bereits erkennbar werden12 • Im wesentlichen er10 Zu dieser Verschiedenheit des staatlichen und kirchlichen Standpunktes siehe Karl Barth, Die kirchliche Dogmatik IV/2, S. 779: "Davon, daß der Staat als solcher sich das Selbstverständnis der Kirche zu eigen machen würde, wird doch auch in diesem Fall keine Rede sein können. Es wird also ihr Selbstverständnis in dem vom Staat ihr gesetzten oder von ihr mit dem Staat vereinbarten Recht niemals zum Ausdruck kommen. Das bedeutet aber: Staatskirchenrecht kann nie Kirchenrecht werden oder sein wollen oder als solches von der Kirche übernommen und anerkannt werden." 11 Ich darf verweisen auf meinen kurzen geschichtlichen Überblick: Kirche und Staat, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. 3, Tübingen 1959, Sp. 1327 - 1335. 12 Das Gemeinwohl des politischen Bereichs und die selbständige territorialdynastische Einheit treten nun der Kirche und ihrer Einheit bewußt gegenüber. Vgl. Georges de Lagarde, La naissance de l'esprit lai:que au dtklin du moyen age, Bd. 1, 3. Aufl., Louvain/Belgien 1956, S. 157 ff.; Ludwig Buisson, Potestas und Caritas. Die päpstliche Gewalt im Spätmittelalter, Köln - Graz 1958, S. 216 ff. Auch das politische Gemeinwesen wird als gesondertes corpus mysti-
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hielt sich im Mittelalter, trotz aller Kämpfe zwischen weltlichen Herrschern und Kirche, zwischen Konziliaristen und Vertretern der unbeschränkten päpstlichen plenitudo potestatis, eine verhältnismäßig geschlossene und einheitliche Lehre von Kirche und Staat, die sowohl die politische Literatur wie die theologisch-kanonistischen Schriften durchdringt. Dabei ist nicht zu übersehen, daß auch das Mittelalter schon Epochen des scharfen Gegensatzes und des offenen Kampfes der politischen und der geistlichen Macht gekannt hat. Eine der großen Bewegungen des hohen Mittelalters, die kirchliche Reformbewegung des 10. und 11. Jahrhunderts, ist durchaus im Gegensatz zu den Staatsgewalten ihrer Zeit emporgestiegen und teilweise erst in hartem Streit mit den Herrschern in den einzelnen Ländern durchgesetzt worden13 • Unter dem Gedanken der libertas ecclesiae wurde die innere und äußere Selbständigkeit der Kirche gegenüber ihrer Eingliederung in ein umfassendes politisches Reichssystem errungen. Damit wurde im Westen der Weg geöffnet zu einer Unabhängigkeit der geistlichen Gewalt von weltlicher Herrschaft und zur Ausbildung ihrer Suprematie über die Christenheit. Mit dem 16. Jahrhundert setzte die Entstehung einer aus der mittelalterlichen Vorstellungswelt einer Einheit geistlicher und politischer Ordnung gelösten weltlichen Staatstheorie ein14 • Sie erblickte im Staate die höchste irdische Macht und ordnete die Kirche als einen Teil seiner Herrschaft ein 15 • Die Reformation löste in ihrer Rechtslehre und in ihrer Auffassung von Kirche und Obrigkeit die überkommene Einheit des christlichen Körpers auf. Den Anschauungen der Reformatoren entsprechend steht die geistliche Gemeinschaft der Gläubigen dem Reich der Welt und der in ihr wirkenden Obrigkeit in voller Freiheit gegenüber. Die Folgezeit aber rückte an der Kirche wiederum ihre Erscheinung als irdisches corpus in den Vordergrund und bildete auf dem Boden des Luthertums die Vorstellung einer Dyarchie geistlicher und weltlicher Gewalt aus, in der sich die politische Macht des Gebietsherrn in steigencum reipublicae zuerst im Investiturstreit angesprochen und damit bereits eine eigene Theorie der weltlichen Gemeinschaft begründet. 13 Vgl. zu diesem grundlegenden Vorgang Georges de Lagarde, S. 27 ff.; Walter Ullmann, The Growth of Papal Government in the Middle Ages, London 1955, S. 262 ff., 294 ff. 1' Eine von theologischen Bezügen gelöste Theorie der politischen Macht erscheint zuerst in Italien (Machiavelli). Im Norden wirkt sie immer nur als ein mitbestimmendes Element in einer noch vorwiegend theologisch ausgerichteten Staatslehre mit, um die Superiorität des Staates zu erhöhen. ts Zu dieser Einordnung der Kirche in den Staat trägt romanistischer Einfluß wie der Gedanke der Souveränität bei. Vgl. für Deutschland Martin Heckel, Staat und Kirche nach den Lehren der evangelischen Juristen Deutschlands in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, 2. Teil, in: ZRG 74 Kan. Abt. 43 (1957) S. 206 ff. Für die schweizerische Entwicklung (Musculus) siehe jetzt Richard Bäumlin, Naturrecht und obrigkeitliches Kirchenregime bei Wolfgang Musculus, in: Für Kirche und Recht, Festschrüt für Johannes Hecke!, Köln- Graz 1959, s. 133 ff.
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dem Maße als der stärkere Teil erwies16 • Auch im Westen und unter dem Einfluß Calvins erlangte der Staat innerhalb des Protestantismus einen ent:;;cheidenden Einfluß auf die Kirche 17 • Und auch im Schoße der katholischen Kirche vollzog sich im Gewande nationalkirchlicher Tendenzen und fürstlicher Privilegien eine verwandte Steigerung der staatlichen Stellung. Erhalten blieb aber, ungeachtet der zunelunenden Eigenentwicklung der politischen Theorie, bis in das 17. Jahrhundert eine weitgehende Berührung und Verbindung zwischen den Auffassungen in Theologie und weltlicher Jurisprudenz und damit eine gewisse Einheit der Grundanschauungen18 • Der Erhaltung einer nahen Verbindung von Kirche und Staat leistete im 16. und 17. Jahrhundert die allgemeine Annahme Vorschub, es sei ein Grundsatz politischer Staatskunst, daß der Staat um seiner Einheit und Ruhe willen auf die Einheitlichkeit des religiösen Bekenntnisses seiner Bewohner bedacht sein müsse 19 • So wirkten viele Gedanken und Kräfte zusammen, von dem spätmittelalterlichen überlieferten Amt des Fürsten als Wächter auch des Heiles seiner Untertanen über den reformatorischen Auftrag der christlichen Obrigkeit bis zu territorialistischen Vorstellungen, um dem Landesherrn - auch mit Wirkung im katholischen Raume - eine Herrschaftsstellung in der Partikularkirche seines Gebietes zu schaffen. 2. Eine für die Anschauungen der Neuzeit entscheidende Wende leitete die im 17. Jahrhundert emporsteigende naturrechtliche Theorie des Staates und der Kirche ein. In einem neuen, durchaus von dem älteren Gedanken der göttlichen Einsetzung der politischen Gewalten abweichenden, vielmehr der Naturwissenschaft parallel gehenden Schema wurde jetzt der Aufbau der menschlichen Gemeinschaften aus ihren einzelnen Elementen, den Individuen, erklärt. Staat und Kirche wurden aus dem Zueinanderfinden der einzelnen Menschen, aus ihrem freiwilligen Zusammenschluß aufgebaut; das nahm praktisch die Gestalt einer Annalune der Vertragslehre an20• In den Definitionen der Kirche 18 über die Preisgabe der ref~:;rmatorischen Scheidung der nach dem göttlichen Gesetz lebenden Kirche und des weltlichen Regiments in der späteren Lehre siehe Johannes Heckel, Lex charitatis, München 1953, S. 181 ff. 17 Das gilt nicht für die unter andersgläubigen Fürsten lebenden protestantischen Kirchen und auch nur in abgeschwächtem Sinn für die schottische und niederländische Kirche. 18 Zur gegenseitigen Berührung theologischer und staatsrechtlicher Vorstellungen siehe Martin Heckel, S. 225 ff. 18 Vgl. Jean Bodin, Les six livres de la Republique, IV/7, 1577 (dazu Joseph Lecler, Histoire de la tolerance au siecle de la reforme, Bd. 2, Paris 1955, S. 43 ff., 92 f.). Diese Auffassung stellt die weltliche Sicherheit des Staates voran und würdigt die Religion von einem politischen Standpunkt aus. 2° Für die Ausbildung dieser neuen Sicht des Staats hat, so sehr seine Grundlagen und Folgerungen der Kritik begegneten, Thomas Hobbes eine maßgebliche Rolle gespielt. Für Deutschland ist Samuel Pufendorf, dessen Lehre von
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erhielt sich im Rahmen der neuen Lehre noch längere Zeit die theologisch bedingte Einsicht in ihren Stiftungscharakter. Das Bild des Leibes Christi, einer in Christus geeinten communio, trat mit dem 18. Jahrhundert freilich mehr und mehr zurück zugunsten der Betonung einer auf einen religiösen Zweck (finis) gerichteten Vereinigung, die als societas odercollegiumbezeichnet und anderen derartigen Verbindungen gleichgestellt wird21 • Mit dieser Einfügung der Kirche in eine ihrer Grundlage nach säkulare Gesellschaftslehre als ein religiöses collegium innerhalb des Staates wurde eine Lehre von der Kirche angenommen, deren Nähe zur zeitgenössischen Naturrechtsauffassung Hand in Hand mit ihrer Entfernung von einer geistlichen Sicht der Kirche ging. Die kollegialistische Theorie barg indes für das Verhältnis von Staat und Kirche eine doppelte Tendenz in sich. Auf der einen Seite stellte sie die Kirche in den Staat, ja, unter dessen Oberaufsicht, nicht neben hin. Auf der anderen Seite aber gewann die Kirche als corpus hier gegenüber einer territorialistischen Einordnung ihrer Leitung in den Staat eine eigene Grundlage in der Vereinigung ihrer Glieder und damit einen Ansatz selbständigen Lebens22 • 3. Es ist diese Stufe der Anschauungen, die letzte, in der sich in Kirche und Staat die gleichen Anschauungen zeigen, in der sich die grundlegenden Positionen des neueren Staatskirchenrechts geformt haben. Auch der der socialitas und moralitas des Menschen freilich eine von Hobbes durchaus abweichende Anthropologie vertritt, der entscheidende Vermittler der naturrechtlichen Gesellschaftstheorie geworden. Vgl. John Wiedhofft Gough, The Social Contract, 2. Aufl., Oxford 1957, S. 105 -125; HoTst Rabe, Naturrecht und Kirche bei Samuel Pufendorf, Tübingen 1958, S. 9 ff. 21 Die Ausdrücke collectio und coetus, beide auch ein Moment des Zusammenschlusses enthaltend, sind dabei schon der mittelalterlichen Lehre vertraut. Vgl. "collectio" in c. 8 D I de cons. (Ed. Friedberg I, S. 1296) und die Definition von Torquemada (vgl. KaTl BindeT, Wesen und Eigenschaften der Kirche bei Kardinal Juan de Torquemada, Innsbruck 1955, S. 39). Coetus ist der von Melanchthon verwandte terminus (vgl. Loci praecipui theologici, 1559 in: Melanchthons Werke, Bd. 2, 2. Hrsg. von Hans Engelland, Gütersloh 1952, S. 474 ff.). Daß PufendoTf an dem regnum Christi für seine Auffassung der Kirche festgehalten hat, hat HoTst Rabe, S. 56 ff., dargetan. Bei Justus Henning BoehmeT (lnstitutiones iuris canonici, 1738) ist dann eine Gleichstellung mit anderen collegia vorgenommen, aber die Existenz der Kirche unabhängig vom Staate festgehalten (Lib. I tit. 1 § 6). Im gleichen Jahr aber wird bei Johann Gottlieb Heineccius (Elementa iuris naturae et gentium, Halae 1738, Lib. II § 183) die Kirche nur mehr als eine dem Staat untergeordnete societas angesprochen, da die dem Staat unterworfenen Individuen durch Zusammenschluß ihre Abhängigkeit nicht abstreifen können. Doch bleibt im Kollegialismus die Selbständigkeit der Kirche betont. 22 Vgl. meinen Artikel "Kollegialismus", in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Auft., Bd. 3, Tübingen 1959, Sp. 1721. Die Tendenz zur Verselbständigung der Kirche im Kollegialsystem wird deutlich bei ChTistoph Matthäus Pfaff, Akademische Reden über das sowohl allgemeine als auch Teutsche Protestantische Kirchen-Recht, Tübingen 1742, Lib. I, Cap. 1, §§ 10 bis 12, wo auf die Kirchen hingewiesen wird, "die sich selbst ohne Zuthun obrigkeitlichen Gewalts regieren" (S. 41).
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Name dieses Rechtsgebietes, zuerst als Kirchenstaatsrecht bezeichnet28, stammt aus der Zeit des späten 18. Jahrhunderts. Die Grundlinien der staatlichen Auffassung werden im Bereich beider Konfessionen sichtbar. Der Josephinismus stellt auf katholischer Seite eine kaum weniger ausgeprägte Ausformung staatlicher Hoheit dar24 • Auf kirchlicher Seite ist innerhalb der protestantischen deutschen Landeskirchen mit ihrer straffen staatlichen Lenkung kaum ein Widerstand gegen die Thesen weitgehender staatlicher Lenkung zu bemerken. Erst die Erneuerung der Theologie im früheren 19. Jahrhundert brachte hier eine Wende. Schärfer hat sich die katholische Seite gegen das Eindringen der säkularen Thesen in ihre Reihen (Febronianismus) gewendet. Die Grundzüge der damals ausgebildeten staatlichen Lehre lassen sich kurz dahin zusammenfassen: a) Der Staat wird nach Begründung und Zwecksetzung zur säkularen Erscheinung. Er löst sich von der Verbindung mit einem bestimmten Bekenntnis und nimmt den Gedanken der Toleranz auf25 , zuerst mit deutlicher, dann sinkender Differenzierung zwischen den Konfessionen. b) Der Staat nimmt für sich die souveräne Hoheit auf seinem Gebiet in Anspruch, auch über alle in ihm wirkenden Verbände, einschließlich der Kirchen. Er formt diesen Anspruch aus zum Gedanken einer allgemeinen Kirchenhoheit (ius in sacra majestaticum), in dem das Recht zur Bestimmung über die Religionsübung und die Aufnahme einer "Religionsgesellschaft" (ius reformandi), die Oberaufsicht (ius inspectionis) und die Schutzgewalt (ius advocatiae) enthalten sind. Die besonderen, dem Landesherrn aus der geschichtlichen Situation in den evangelischen Territorien zustehenden Rechte werden in der Bezeichnung des Kirchenregiments zusammengefaßt2e. Die Kirche selbst bewahrt als 23 Zu diesem Ausdruck vgl. Georg Walther Vinzenz von Wiese, Grundsätze des gemeinen in Teutschland üblichen Kirchenrechts, 3. Aufl., Göttingen 1804, § 3, S. 3; Carl Gottlieb Weber, Systematische Darstellung des im Königreiche Sachsen geltenden Kirchenrechts, Teil1, Dresden 1818, S. 2. 24 In Osterreich (zuerst in Mailand) unter Kaunitz aufgekommen, ist dies System staatlicher Aufsicht über die Kirche eine allen katholischen Ländern gemeinsame Erscheinung und bringt überall seine staatlichen Mittel (Placet, recursus ab abusu, Säkularisation, staatliche Überwachung des Verkehrs mit der Kurie usw.) zur Entfaltung. Vgl. Vincenzo Del Giudice, Manuale di diritto ecclesiastico, 9. Aufl.., Milano 1959, S. 24 ff. 25 Als "libertas conscientiae" dringt der Gedanke der Gewissensfreiheit, auch unter Hinweis auf den Osnabrückischen Frieden, im 18. Jahrhundert rasch vor. Vgl. z. B. ChTistoph Matthäus Pfaff, Lib. I, Cap. 3, S. 54 ff. Mit der Aufnahme der Toleranz bleibt der christliche Charakter des Staates zunächst erhalten; atheistische Lehren werden noch nicht geduldet. 21 Vgl. von Wiese,§§ 25 ff., S. 21 ff.; Andreas Joseph Schnaubert, Grundsätze des Kirchenrechts der Protestanten und Katholiken in Deutf:chland, Jena 1794, S. 12 ff., 61 ff.; Georg Ludwig Boehmer, Principia Iuris Canonici, 5. Aufl.., Göttingen 1785, §§ 14 ff., S. 10 ff.; Carl Gottlieb Weber, S. 4/5; Carl Gottlieb Svarez, Vorträge über Recht und Staat (vor dem späteren König Friedrich Wilhelm III.), hrsg. von HeTmann Conrad u. Gerd Kleinheyer, Köln - Opladen
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collegium ihre eigene Kirchengewalt (potestas ecclesiastica), aus der ihre kollegialen Rechte fließen, soweit sie nicht auf den Landesherrn in den evangelischen Territorien übergegangen sind27 • c) Der Vorrang des Staates kommt auch darin zum Ausdruck, daß ihm die Befugnis zum Schutz seiner inneren Ruhe und Sicherheit auch gegen die Kirche verbleibt; er selbst legt also die Grenze seiner Macht fest 28 • d) Endlich beginnt der Staat seit Mitte des 18. Jahrhunderts, den Bereich seiner säkularen Vorsorge zu erweitern. Er zieht zunehmend die geistliche Gerichtsbarkeit an sich, übernimmt die Schule und die Jurisdiktion über die Ehe. 4. Das 19. Jahrhundert hat auf diesen Grundlagen weitergebaut. Aber die Erneuerung der Theologie führte nun zu einem Auseinandertreten der christlichen Anschauung und des staatlichen Rechts. Zugleich entwickelten sich innerhalb der Staatenwelt vielfältige Differenzierungen in der Anschauung über die Religion und ihr Verhältnis zum Staate. So löste sich die relative Einheitlichkeit der Auffassungen, die noch am Ausgang der Aufklärung obwaltet, rasch auf, und in den politischen Kämpfen innerhalb der Staaten wie in ihrer seit der französischen Revolution zugespitzter gewordenen Auseinandersetzung mit den Kirchen bildeten sich divergierende staatskirchenrechtliche Systeme aus.
Doch wies die Entwicklung eine Reihe allgemeiner Züge auf, die nahezu allen Staaten gemeinsam sind. Hierzu gehörte zunächst die Einführung der Religionsfreiheit, seit der Mitte des Jahrhunderts als Trennung des bürgerlichen Status vom religiösen Bekenntnis und als allgemeine Glaubens- und Gewissensfreiheit ausgebildet. Hierin setzte sich die 1960, S. 51 ff. (Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für
Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Bd.lO). 27 Vgl. von Wiese,§ 18, S. 14; Andreas Joseph Schnaubert, S. 8; Georg Ludwig Boehmer, § 8, S. 6; Carl Gottlieb Weber, S. 5. 28 Schon Brunnemann, De Jure Ecclesiastico, 1681, Lib. I Cap. 2 § 11, schreibt: "Religiosus cultus multum facit ad tranquillandam Rempublicam, quorsum certe praecipua Principis collimat cura, ut in tranquillo statu subditos conservet." Später wird das Recht des Staates aus seinem Aufsichtsrecht hergeleitet: Gottfried AchenwaU, Jus naturale, Teil 2, 1763, § 136: "Quamobrem etiam ad iura majestatica pertinet turn jus cavendi, ne ecclesia noceat reipublicae, turn jus efficiendi ut per ecclesiam reipublicae salus promoveatur." Georg Ludwig Boehmer, Principia Iuris Canonici, 5. Aufl., Göttingen 1785, Pars Gen. cap. 2 § 22: "Inspectio saecularis in ecclesiam quae est ius imperii civilis, curandi et efficiendi, ne salus et tranquillitas publica detrimenti quid ex ecclesia et ex exercitio potestatis ecclesiasticae capiat." Bei Carl Gottlieb Svarez wird auf die "öffentliche Ruhe und Sicherheit" abgestellt (S. 354). In der Mitte des 19. Jahrhunderts reduziert sich diese staatliche Begrenzung auf die Formel von der Beachtung der staatlichen Gesetze, der andererseits das Recht der Kirche zur selbständigen Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheit gegenübersteht. So die preußische Verfassungsurkunde von 1850, Art. 15 i. d. F. vom 5. 4. 1873 (aufgehoben durch Gesetz vom 18. 6. 1875); Verfassung von Waldeck 1852, § 42; Sachsen- Meiningen 1829, § 29. Ferner österreichisches Staatsgrundgesetz vom 21. 12. 1867, Art. 15.
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Säkularisierung des modernen Staatsbildes fort, die zum neutralen, agnostischen oder gar laizistischen Staate führt. Aus ihr ergab sich folgerichtig die Weiterführung einer Übernahme bestimmter bürgerlicher Bereiche (Ehe, Schule, Begräbnis) in die staatliche Gesetzgebung und der Verhandlung zwischen Staat und Kirche, vor allem im Verhältnis zur römischen Kirche. Denn der Staat kann, um der Gewissensfreiheit seiner Bürger willen, grundlegende Gebiete des bürgerlichen Rechtslebens und der öffentlichen Vorsorge nicht mehr einer differenzierenden Regelung nach dem Recht der großen Konfessionen überantworten. Er würde dadurch diejenigen seiner Bürger, die einer anderen Religionsgesellschaft angehören oder keiner Konfession sich zuzählen, einer Benachteiligung aussetzen29 • Diese Folgerung ist freilich nicht alsbald mit der Freigabe der religiösen Vereinigungsfreiheit gezogen worden, ist aber in der Folge doch als Konsequenz der Verselbständigung der Kirchen und der Lösung der staatlichen Verbindung mit einem Bekenntnis eingetreten30 • Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung stand die mit der Revolution von 1848 eindringlich erhobene Forderung der Kirchen auf den Rückzug des Staates aus der staatlichen Bevormundung des bisher geübten Systems31 • Sie fand ihren Ausdruck in der institutionellen Verselbständigung der protestantischen Kirchen und in einer entsprechenden Erweiterung der Bewegungsfreiheit des katholischen Kultus32 • Bei alledem gab indes der Staat seinen grundsätzlichen Souveränitätsanspruch nicht auf33 • Ohne dieses Recht, selbst über die Grenze kirchlicher und staatlicher Angelegenheiten und staatlicher Auf29 Zu diesem Grundsatz in neuester Zeit siehe BVerwG v. 29. 1. 1960, in: BVerwGE 10 S. 136 ff.: Pflicht des Landes Rheinland-Pfalz, eine freireligiöse Bewerbetin zu einer Pädagogischen Akademie zuzulassen, obgleich das Land nur konfessionelle Akademien besitzt. Konfessionelle Schranken verletzen hier Art. 3 III GG. so In diesem Sinne hat sich schon E. Hermann, über die Stellung der Religionsgemeinschaften im Staate, Göttingen 1849, ausgesprochen. Es heißt dort S. 24: "Ein Staat, welcher Sectenfreiheit gewährt ... ist genötigt, alle seine bürgerlichen bisher an kirchliche Akte geknüpften Belange aus dieser Verbindung zu lösen, eine rein bürgerliche Ordnung derselben aufzustellen, und diese durch rein bürgerliche Organe verwalten zu lassen." Im gleichen Sinne Paul Hinschius, Allgemeine Darstellung der Verhältnisse von Staat und Kirche, in: Heinrich Marquardsen (Hrsg.), Handbuch des Oeffentlichen Rechts der Gegenwart in Monographien, Bd. 1, Freiburg/Br. u. Tübingen 1883, S. 248. 81 Äußerungen für eine selbständige Verfassung der Kirche in den auf Anfordern des Kultusministers abgegebenen Stellungnahmen der theologischen Fakultäten und der Konsistorien aus dem Jahr 1848/49, die Aemilius Ludwig Richter als "Amtliche Gutachten die Verfassung der evangelischen Kirche in Preußen betreffend" in Leipzig 1849 herausgab. 32 Die katholische Kirche gewann diese Lösung aus der sie bisher beengenden Mitwirkung des Staates einfach durch faktische Inanspruchnahme größerer Freiheit. Vgl. Hubert Jedin, Freiheit und Aufstieg des deutschen Katholizismus zwischen 1848 und 1870, in: In benedictione memoria, Gesammelte Aufsätze zur Hundertjahrfeier der Kölner Provinz der Redemptoristen, 1959, S. 79 ff. 38 Vgl. Paul Hinschius, S. 248.
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sieht zu bestimmen, hätte der Staat seinen Maßnahmen im Kulturkampf keine rechtliche Grundlage geben können34 • Wenn das Staatskirchenrecht des 19. Jahrhunderts damit im Grunde ein starkes Element staatlicher Hoheit bewahrte, so hat hierzu auch der Liberalismus beigetragen, für den die staatliche Disposition über bestimmte Materien und staatliche Normativbestimmungen für die Kirchen Bestandteile seines Verlangens nach konfessioneller Unabhängigkeit des Staates bildeten. 5. Die Veränderungen und Kämpfe der zweiten Jahrhunderthälfte haben die Grundlagen des deutschen Staatskirchenrechts nicht mehr grundlegend berührt. Abgelehnt blieb von den Typen der staatskirchenrechtlichen Systeme die Staatskirche mit begrenzter Gleichstellung oder Duldung anderer Bekenntnisse, obwohl sich Reste einer solchen Situation in einigen kleineren Ländern (z. B. Mecklenburg) erhielten. Ebenso wurde aber umgekehrt abgelehnt das System der Trennung, das zuerst in den Vereinigten Staaten als Moment der Duldsamkeit und der neutralen Zurückhaltung des Staates eingeführt worden war, später aber zum Kampfmittel eines radikalen Liberalismus wurde und die Entkirchlichung des öffentlichen Lebens sowie eine Verstärkung der staatlichen Beaufsichtigung der kirchlichen Tätigkeit verfocht. Der Gedanke der Trennung hat die deutsche Entwicklung indirekt beeinfl.ußt, er fand indes mit seiner Iaikaien Tendenz den Schwerpunkt in Ländern überwiegend katholischer Prägung. Hier steigerte er sich in einzelnen Fällen (Frankreich nach 1904) zum Versuch einer Zurückdrängung der Kirche in eine außeröffentliche Sphäre. Im mitteleuropäischen Raume stand die historische Verbindung der evangelischen Kirche mit dem Staate einer radikalen Trennung entgegen35 • So blieb in Deutschland ein System der Verbindung von Staat und Kirche erhalten, das nach einem seiner hervortretenden Züge als das System der Staatskirchenhoheit bezeichnet wurde. Es vereinte kirchliche Selbständigkeit mit staatlicher Aufsicht und Einwirkung und bildete mit seiner Grundvorstellung eines in der allgemeinen Staatshoheit wurzelnden Aufsichts- und Verfügungsrechts des Staates38 die gemeinsame Grundlage des Status der beiden großen Bekenntnisse im öffentlichen Recht, für die katholische Seite vielfach auch vertraglich gesichert. Auf der evangelischen Seite wurde u Man hielt es freilich für notwendig, 1873 dem Artikel 15 der preußischen Verfassungsurkunde von 1850 (siehe Anm. 28) einen einschränkenden Zusatz beizufügen, 1875 ihn überhaupt aufzuheben, um die Einwände gegen die Verstärkung der Staatseinwirkung auszuschließen. Vgl. GeThaTd Anschiitz, Die Verfassungsurkunde für den preußischen Staat, Berlin 1912, S. 289 ff. 35 Nur in Genf ist es unter dem Einfluß der französischen Trennungsvorgänge 1907 zu einer grundsätzlichen Trennungsgesetzgebung gekommen. Vgl. RichaTd Bäumlin, Die evangelische Kirche und der Staat in der Schweiz seit dem Kulturkampf, in: ZRG 76 Kan. Abt. 45 (1959) S. 263 f. 38 An einem staatlichen Aufsichtsrecht hielt die Lehre durchaus fest, die in ihm einen Ausfluß der allgemeinen Staatshoheit erblickte; das Verfügungsrecht überließ dem Staat die Befugnis zur Differenzierung zwischen kirch-
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es durch die weitergehenden Einflußrechte des landesherrlichen Kirchenregiments ergänzt87 , Auf diesem Rechtsboden konnte die evangeliEche Kirche nur eine unvollkommene Unabhängigkeit gewinnen. Ungeachtet einer tieferen geistlichen Besinnung auf das Wesen der Kirche 38 hielt die evangelische Kirchenrechtslehre daran fest, wie seit dem Ende des 18. Jahrhunderts39, die Grundlage des evangelischen Kirchenrechts in einer staatlichen Delegation zu suchen. Nahm auch die Ausgestaltung des Aufbaus der evangelischen Landeskirchen mit dem Eindringen des synodalen Gedankens zunehmend Elemente der Selbständigkeit auf, so bedeutete doch dieser Vorgang der Umgestaltung der kirchlichen Ordnung zugleich eine Übernahme säkularer staatlicher Organisationsschemen. Durch das spätere 19. Jahrhundert und bis in die Weimarer Periode hinein wurde das synodale Element weithin beharrlich als eine Art parlamentarischer "Vertretung des Kirchenvolkes" mißverstanden40 • Nur auf dieser Grundlichen Gemeinschaften. Vgl. Wilhelm Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik, Bd. 1, Freiburg/Br. 1894, S. 309 ff.; Gerhard Anschütz, s. 294 ff. 87 Auch dies Institut erfuhr eine gewisse Verallgemeinerung und Typisierung im gemeindeutschen Sinne. Auch in ursprünglich katholischen Ländern nahm es, gestützt auf eine Nachfolge in erworbenen evangelischen Territorien, der Landesherr in Anspruch. Vgl. Karl Rieker, Das landesherrliche Kirchenregiment in Bayern, Tübingen 1913, S. 1 ff.; Emil Friedberg, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts, 6. Aufl., Leipzig 1909, S. 228, 231. 38 Zu ihr vgl. Günther Holstein, Die Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts, Tübingen 1928, S. 113 ff., 141 ff.; Halsten Fagerberg, Bekenntnis, Kirche und Amt in der deutschen konfessionellen Theologie des 19. Jahrhunderts, Uppsala 1952; Herbert Wehrhahn, Kirchenrecht und Kirchengewalt,Tübingen 1956, S. 49 ff.; Kurt Dietrich Schmidt, Grundriß der Kirchengeschichte, 3. Aufl., · Göttingen 1960, S. 473 ff. 38 Eine Ableitung des Kirchenrechts "im eigentlichen Sinne", d. h. der inneren Ordnung aus der kollegialistisch gedachten Kirchengewalt noch bei Andreas Joseph Schnaubert, Grundsätze des Kirchenrechts der Protestanten und Katholiken in Deutschland, Jena 1794, § 57, S. 69, während wir bei Carl Gottlieb Weber, Systematische Darstellung des im Königreiche Sachsen geltenden Kirchenrechts, Teil 1, Dresden 1818, S. 2, das positive Kirchenrecht als staatliches verstanden finden. Siehe auch die Hervorhebung der landesherrlichen Gesetze als Grundlage des evangelischen Kirchenrechts bei Kar! Friedrich Eichhorn, Grundsätze des Kirchenrechts der Katholischen und der Evangelischen Religionspartei in Deutschland, Bd. 1, Göttingen 1831, S. 419. 40 Die Kirchenrechtslehre ging im theoretischen Grundansatz davon aus, daß es Recht außerhalb des Staates, mithin ein selbständiges kirchliches Recht gebe (vgl. z. B. Wilhelm Kahl, S. 54/55, 117). Aber manche billigten nur einer vom Staat anerkannten Norm den Charakter als Rechtssatz zu (Paul Hinschius, Allgemeine Darstellung der Verhältnisse von Staat und Kirche, S. 257). Tatsächlich blieb es auch in einigen Territorien (Sachsen-Coburg-Gotha, Lübeck) beim Erlaß der kirchlichen Ordnungen durch Staatsgesetz, und auch dort, wo mehr und mehr den kirchlichen Organen die Rechtsetzung überlassen wurde, blieb die Zuständigkeit der staatlichen Legislative zum Erlaß kirchenorganisatorischer Ordnung nicht bestritten (vgl. die übersieht bei Wilhelm Kahl, S. 168 ff., sowie Paul Schoen, Das evangelische Kirchenrecht in Preußen, Bd. 1, Berlin 1903, S. 145 ff.). So erfolgte die Einführung der synodalen Verfassung durch Staatsgesetze.
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lage ist die nach 1918 in Preußen geführte Debatte um die Einführung der direkten Wahl zu den kirchlichen Synodalkörperschaften (anstelle der stufenförmigen Auswahl) zu verstehen41 / 42 • So verharrte vor 1918 das evangelische Kirchenwesen in Deutschland in einer geschichtlich bedingten engen Anlehnung an den Staat und übernahm damit die im staatlichen Raum festgehaltene Grundansicht des späten Naturrechts 43 • Es ist diese Tradition kirchlicher Auffassung, gegen die sich der Protest Rudolph Sohms richtete. Man hat bei Sohm vielleicht seine Kampfansage gegen das Kirchenrecht44 zuweilen überbetont und nicht genügend beachtet, daß seine Ablehnung in erster Linie dem Bilde der naturrechtliehen kirchlichen Korporation und des aus ihm abgeleiteten kirchlichen Rechts als Recht einer menschlichen Gesellschaft gilt45 • Es ist für die Entwicklung kennzeichnend, daß die eigentliche geistige Auseinandersetzung mit den Thesen Sohms erst nach 1918 einsetzt, als eine veränderte Situation den kritischen Blick für die Lehre von der Kirche und vom Kirchenrecht geschärft hatte". Die katholische Kirche trat dem Staate im 19. Jahrhundert mit ihrem traditionellen Anspruch auf Anerkennung ihres eigenständigen Rechts 41 / 42 Für einen echten Aufbau von den Gemeinden her trat 1848 vom Standpunkt der rheinischen Verfassung aus ein Max Goebel, Die evangelische Kirchenverfassungsfrage, Koblenz 1848, S. 18 ff. Ähnlich auch viele Äußerungen der Konsistorien und Fakultäten in dem in Anm. 31 angeführten Gutachten (Hrsg. Aemilius Ludwig Richter), die den Gedanken von "Urwahlen" der Kirchenglieder verwerfen (S. 29 ff., 123 ff., 202 ff., 235 ff. und besonders gegen Allgewalt der Synoden dort Friedrich Julius Stahl, S. 404 ff.). Gegen die Festlegung eines "kirchlichen Konstitutionalismus" auch Aemilius Ludwig Richter, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts, 6. Auf!. von Richard Wilhelm Dove, Leipzig 1867, S. 448; H. F. Jacobson, Das evangelische Kirchenrecht des preußischen Staates und seiner Provinzen, 1. Abth., Halle 1864, S. 335 ff.; Karl Eger u. Julius FTiedTich, Kirchenrecht der evangelischen Kirche im Großherzogtum Hessen, Bd. 1 von Julius Friedrich, Darmstadt 1914, S. 216. Dagegen ziehen die Parallele zum staatlichen Aufbau ausdrücklich Karl Rieker, Grundsätze reformierter Kirchenverfassung, Leipzig 1899, S. 162; Paul Schoen, S. 442; ders., Das neue Verfassungsrecht der evangelischen Landeskirchen in Preußen, Berlin 1929, S. 93. Die Neugestaltung der altpreußischen Kirchenverfassung 1921/22 suchte sich von parlamentarischen Vorstellungen abzusetzen (vgl. Otto Thümmel, Evangelisches Kirchenrecht für Preußen, Bd. 1, Berlin 1930, S. 423), lehnte sich aber im Verhältniswahlrecht (VU Art. 87) und in der Listenwahl an zeitgenössische politische Vorbilder an. Zur ganzen Entwicklung kritisch Kurt Dietrich Schmidt, S. 492 ff.; Ernst Kinder, Der evangelische Glaube und die Kirche, Berlin 1958, S. 193 f. 43 Zum Fortleben dieser Auffassungen WilheLm Kahl, S. 278 ff., PauL Schoen, Bd. 1, S. 154 ff. 44 Vgl. Rudolph Sohm, Kirchenrecht, Bd. 1, Leipzig 1892, S. 1- 3; Bd. 2, München 1923, S. 1 ff., 39 ff. 45 Siehe besonders Sohm, Bd. 2, S. 13 - 31, 59. 48 So richtig HerbeTt Wehrhahn, S. 3 f. Zur Auseinandersetzung mit Sohm siehe Günther HoLstein, Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts, Tübingen 1928, S. 33 f.; Hans Barion, Rudolph Sohm und die Grundlegung des Kirchenrechts, Tübingen 1931 (Recht und Staat, Nr. 81); Joseph Klein, Grundlegung und Grenzen des kanonischen Rechts, Tübingen 1947.
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gegenüber. Gegen die Lehre von der Trennung von Staat und Kirche nahm sie ebenso den Kampf auf wie gegen andere liberale Thesen, vor allem auch gegen die von dort kommende Tendenz stärkerer staatlicher Aufsicht über die Kirche. Der Kulturkampf führte im Endergebnis freilich doch zu einer Erhöhung des Bestandes staatlicher Normativvorschriften. Nach katholischer Lehre ist die Kirche als societas perfecta eigenständig in ihrem Recht und Aufbau und unabhängig in ihrem geistlichen Bereich, dessen Grenzen sie bestimmt. Der Staat darf nichts anordnen, was Lehre und Recht der Kirche widerstreitet, er soll vielmehr den Zielen der Kirche seine Unterstützung leihen47 • In der kirchenpolitischen Anwendung bedeutete das für die Kirche auf der einen Seite die Neigung, zu einem ihr freundlich begegnenden Staate enge Verbindung aufzunehmen, die in gewissen Fällen sich zu einem Staatskirchenturn mit Differenzierung gegenüber anderen Bekenntnissen steigerte, aber auf der anderen Seite die Fähigkeit dort, wo der Staat eine neutrale Haltung einnahm und einer näheren Beziehung auswich, aber rechtsstaatliche Garantien bot, auf der Grundlage der bürgerlichen Freiheiten und der allgemeinen Gleichheit ihre Position als freie Vereinigung auszubauen. 6. Aus diesem Überblick über die historischen Grundlagen des heutigen Staatskirchenrechts ergibt sich die starke Nachwirkung, die die Anschauungen des späten Naturrechts für die Ausgestaltung der Verhältnisse im 19. Jahrhundert geübt haben: a) Erhalten bleibt die Grundlage des Staatskirchenrechts in der Anerkennung der staatlichen Souveränität über alle Verbände des Staatsgebietes. Daraus fließt das Recht des Staates, durch sein Recht die Grenze zwischen dem staatlichen und kirchlichen Bereich zu bestimmen. Diese Grenzziehung wird dabei zunehmend verfeinert, der der Kirche überlassene Raum freier eigener Gestaltung nicht nur der -stets respektierten - Ausgestaltung ihrer Lehre, sondern auch der Ausformung ihrer Organisation wird größer4s. b) Erhalten bleibt die aus der geschichtlichen Wurzel des alten Reichsrechts stammende Befugnis des Staates, über Zulassung und Rechtsstellung der Religionsgemeinschaften zu verfügen üus reformandi). Sie wird begrenzt durch das Prinzip der Gewissensfreiheit, das mindestens die Freiheit der persönlichen Religionsübung verbürgt und die bürgerlichen Rechte vom Bekenntnis unabhängig stellt. Aber dem Staat steht die Möglichkeit zu, zwischen den anerkannten großen Bekenntnissen, den anerkannten mit Korporationsrecht begabten Gemeinschaften und den ins Privatrecht verwiesenen Sekten zu unterscheiden". 47
Vgl. zur modernen katholischen Lehre vom Verhältnis Kirche- Staat Pietro
Agastino d'Avack, Corso di diritto canonico, Bd, 1, Milano 1956, S. 268 ff. 4 & Vgl. hierzu WUhelm Kahl, S. 278 ff.
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c) Das Staatskirchenrecht ist Bestandteil des staatlichen öffentlichen Rechts und daher Gegenstand der Staatsgesetzgebung, soweit nicht Verträge zwiEchen Staat und Kirche eingreifen (die auf evangelischer Seite im 19. Jahrhundert eine seltene Ausnahme darstellen). Auf evangeliEcher Seite besteht als Teil des landesherrlichen Kirchenregiments eine staatliche Rechtsetzungsbefugnis für kirchliche Angelegenheiten allgemein fort50• d) Im deutschsprachigen Raum hat - von Einzelfällen abgesehen und außerhalb totalitärer Entwicklungsepochen - der Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche keine Aufnahme gefunden. Der Staat hält den Kirchen den öffentlich-rechtlichen Status offen, und die Kirchen streben auch darnach, eine Position als öffentlich-rechtlich anerkannte Gemeinschaften einzunehmen. e) Eine staatliche Aufsicht über die Kirchen (jus inspiciendi cavendi) wird als Ausfluß der staatlichen Kirchenhoheit angenommen, aber inhaltlich fortschreitend begrenzt. Die strengeren Formen solcher Aufsicht (Placet, Eingreifen staatlicher Gerichtsbarkeit in innerkirchlichen Fragen) leben nur in Konfliktszeiten auf. g) Die Gewissensfreiheit befördert die von konfessioneller Verschiedenheit unabhängige Ausgestaltung grundlegender bürgerlicher Einrichtungen (Ehe, Unterricht, Sozialfürsorge) durch die Gesetzgebung und damit die Übernahme dieser Materien auf den Staat. Der Staat kann die Festlegung der Grundlagen auf diesen Gebieten nicht der Verschiedenheit der konfessionellen Anschauungen überlassen, sondern muß eine gemeinsame neutrale Rechtsbasis errichten, da er eine konfessionelle Differenzierung seiner Bürger im allgemeinen Recht nicht zulassen kann. 7. Nicht nur die staatskirchenrechtlichen Systeme weisen im 19. Jahrhundert eine zunehmende Differenzierung zwischen den einzelnen Ländern auf, mit der Lockerung des Verhältnisses von Kirche und Staat tritt nun auch deutlicher hervor, daß staatliche und kirchliche Rechtsauffassungen und Rechtsvorschriften einander nicht entsprechen, sondern verschiedene, mitunter auch gegensätzliche Stellungnahmen enthalten können. Beide Teile gelangen indes dazu, mit diesem Zustand zu rechnen, und passen ihr Verhalten dieser Entwicklung an. Dort, wo das Verhältnis von Staat und Kirche auf einer gegenseitigen Anerkennung und Zusammenarbeit beruht, sind Staat und Kirche bemüht, die Zahl der Abwei" Siehe Wilhelm Kahl, S. 319 ff. Als Beispiel die Stellung der Altkatholiken in Bayern. Zunächst anerkannt und gefördert, wurde ihnen mit geänderter Lage 1890 die Qualität als öffentliche Kirchengesellschaft entzogen, und damit zug1 eich die Verwendung der in der katholischen Kirche üblichen liturgischen Kleidung unmöglich gemacht (vgl. Wilhelm Kahl, S. 344/45). so Vgl. hierzu Paul Schoen, Das Landeskirchenturn in Preußen, Berlin 1898, S.lOl ff.
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chungen gering zu halten und in ihren Folgen zu dämpfen. Vom Staate her gesehen wird die Möglichkeit eines Widerspruches dadurch verringert, daß der Staat in weitem Ausmaß den Kirchen die selbständige Rechtsetzung überläßt und selbst in die Materien innerkirchlicher Ordnung mit seinen Vorschriften nicht eingreift. In anderen Fällen kann es dem Staate genügen, daß kirchlichen Anordnungen - z. B. kirchliches Feiertagsrecht oder die Eigentumslosigkeit der Klosterangehörigen (CIC c. 586) -keine bürgerliche Wirkung zukommt, er stellt es aber den Gläubigen anheim, sie zu befolgen. Im Kollisionsfalle kann er darüber hinaus durch sein Recht kirchlicllen Gesetzen und Anordnungen - etwa einer ohne seine vorgeschriebene Genehmigung erfolgten Vermögensverfügung oder Ämterbesetzung - die Rechtswirkung versagen. Das kann in besonderen Fällen, vor allem im Eherecht, dahin führen, daß staatliche und kichliche Rechtsordnung nebeneinanderstehen und differierende Wirkungen hervorrufen. Der Staat erkennt der kirchlichen Eheschließung keine Wirksamkeit für das bürgerliche Recht zu, rechnet aber mit ihr und regelt sogar die Reihenfolge beider Akte (§ 67 PersStG). Er kennt in seinem Rechte die Ehescheidung, mag die Kirche sie auch- grundsätzlich oder in bestimmten Fällen- verwerfen. Die katholische Kirche erachtet die staatliche Zivilehe unter den zur kanonischen Ehe Verpflichteten (CIC c. 1099) für unwirksam, rät aber im Zeichen des Entgegenkommens trotzdem den Gläubigen, diesen Akt um seiner bürgerlichen Wirkungen nach bestehendem Staatsgebot zu erfüllen (c. 1063 § 3)61 • Nur in seltenen Fällen entschließt sich der Staat, seine Rechtsauffassung durch die strengste Sanktion des Strafgesetzes durchzusetzen (z. B. die Reihenfolge der Eheschließungen in § 67 PersStG). Unter den Kirchen hat die katholische Kirche ähnliche Grundsätze ausgebildet, die sie freilich nicht wie der Staat durch weltliche Machtmittel erzwingen kann. Im äußersten Falle erklärt sie staatliche Handlungen für unwirksam (Ehescheidung) und fordert die Gläubigen auf, von gewissen staatlichen Einrichtungen keinen Gebrauch zu machen (Kirchenaustritt, Feuerbestattung). Für die evangelische Kirche ergaben sich im 19. Jahrhundert, trotzdem schon grundsätzlich die Eigenständigkeit ihres Rechts vertreten wurde52, noch kaum Möglichkeiten einer abweichenden Rechtsgestaltung, weil der staatliche Einfluß auf ihre noch teilweise durch Staatsgesetze gestaltete Rechtsordnung zu stark war5 3 • u Vgl. hierzu Godehard Josef Ebers, Grundriß des kath. Kirchenrechts, Wien
1950, s. 371 f.
Vgl. bes. Kahl, S. 117. Ein überblick dieser Lage bei·Kahl, S. 282. In ähnlicher Lage befinden sich heute noch die Staatskirchen mit staatlicher Gesetzgebung für die Kirchen. Die anglikanische Kirche hat vor einigen Jahren erwogen, gegen eine von ihr bekämpfte Staatsgesetzgebung .über die Nichtigkeit der Ehe (Anerkennung späterer willentlicher Verweigerung des ehelichen Verkehrs als Nichtigkeitsgrund) eine eigene kirchliche Beurteilung durch Gerichte oder andere Instanzen 12
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Nachdem heute auch in der evangelischen Lehre die Selbständigkeit des kirchlichen Rechts zur herrschenden Ansicht geworden ist, ist die Möglichkeit eines mit dem staatlichen Gebot kollidierenden kirchlichen Rechtes durchaus gegeben, wenn auch die nach protestantischer Auffassung gegebene Zuweisung der Ehe zum bürgerlichen Bereich54 und das Fehlen einer Stellungnahme in Schulfragen den Raum möglicher Konflikte verringert. Auf dem Gebiet der Relation zwischen staatlichem und kirchlichem Recht hat die Praxis der Staaten wie der Kirchen im 19. Jahrhundert demnach fein differenzierte Formen der gegenseitigen Verweisung, Abstimmung, Rücksichtnahme, aber auch der Ignorierung, Distanzierung und des Widerspruchs entwickelt, die auch für die Gegenwart trotz stärkerer Ausprägung der Eigenständigkeit kirchlichen Rechts ihre Bedeutung haben.
m. Zum Staatskirchenrecht der Weimarer Periode 1. In der Entwicklung der Epoche zwischen 1918 und 1945 sollen hier nur einige Grundlinien herausgehoben werden, die für das Verständnis der darauf folgenden Zeit bedeutsam sind. Zugleich beschränkt sich nun die Darstellung auf die deutsche Szene, so wie sie nach 1945 nur mehr die westdeutschen Verhältnisse ins Auge faßt.
Nach der herrschenden Ansicht vollzogen sich im Jahre 1918 zwei wichtige rechtliche Veränderungen. Tatsächlich ist indes nur die eine von ihnen effektuiert worden. a) Mit dem Sturz der Monarchie mußte sich auch die Auflösung des landesherrlichen Kirchenregiments vollziehen. Mit ihm aber sank ein Institut dahin, das durch Jahrhunderte den evangelischen Landeskirchen Schutz und Schirm und einen festen Rechtsboden gegeben hatte. Vorübergehende Versuche des Staates, das Kirchenregiment dennoch fortzusetzen, wurden frühzeitig zurückgewiesen55 • Den Kirchen wuchs damit eine Selbständigkeit zu, der sie in der Erneuerung ihrer Verfassungen Rechnung zu tragen suchten. zu entwickeln. Die Bedenken gegen die Ausbildung zweier verschiedener rechtlicher und gerichtlicher Systeme überwogen aber. (The Church and the Law of Nullity of Marriage. The Report of a Commission appointed by the Archbishops of Canterbury and York, London 1955, S. 37,41 ff.). u Das schließt nicht aus, daß die Ausgestaltung des staatlichen Scheidungsrechts die Kirche veranlassen kann, demgegenüber die Frage der Kirchenzucht (und damit der Verweigerung kirchlicher Einsegung einer neuen Ehe eines Geschiedenen in bestimmten Fällen) aufzuwerfen. u Zu diesen Vorgängen siehe Johann Victor Bredt, Neues evangelisches Kirchenrecht für Preußen, Bd. 2, Berlin 1922, S. 24 ff.; Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Auf!., Berlin 1933, S. 632; Paul Schoen, Das neue Verfassungsrecht der evangelischen Landeskirchen in Preußen, Berlin 1929, S. 1 ff.
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b) Der zweite Wandel, der sich vollzog, war die grundsätzliche Annahme des Gedankens einer Trennung von Kirche und Staat. In der Nationalversammlung meinte man diesen Grundsatz, vor allem in Art. 137 Abs. 1 WeimRV, niedergelegt zu haben50 • Schon die Verfassung enthielt mit der Fortdauer der öffentlich-rechtlichen Position der Kirchen und der Aufnahme der Sperrartikel bei Schule und Eigentum (Art. 173, 174) starke Elemente der traditionellen Stellung der Kirchen, und die spätere Praxis hat die Idee einer Trennung immer weiter zurücktreten lassen. Wenn Ulrich Stutz den Zustand unter der Weimarer Verfassung als "hinkende Trennung von Staat und Kirche" 57 bezeichnete, so würde uns heute rückblickend jene Kennzeichnung nicht mehr recht einleuchten. Ich würde es vorziehen, von einer gelockerten Fortsetzung der Verbindung von Staat und Kirche zu sprechen. Momente der stärkeren Distanzierung von Staat und Kirche waren der Wegfall kirchlicher Beteiligung an der Schulaufsicht, die strengere Betonung der religiösen Neutralität des Staates (Art. 135, 141 WeimRV) 58 und das Bekenntnis zur Gemeinschaftsschule (Art. 146 WeimRV). In einem besonders wesentlichen Punkte wurden indessen keine Konsequenzen aus der neuen Lage gezogen. Nachdem schon in der Nationalversammlung Kahl dafür eingetreten war, daß die Erhaltung der öffentlich-rechtlichen Stellung der Kirchen als Korrelat die Staatsaufsicht bedinge51 , ging die Praxis allgemein vom Fortbestand der staatlichen Kirchenhoheit und der mit ihr verbundenen Staatsaufsicht aus. Die Länder schritten sogar zu neuen Kodifikationen dieses Aufsichtsrechts (Baden, Preußen, Württemberg)80 • In den vertraglichen Abmachungen leben die Aufsichtsrechte des Staates gleichfalls fort. Demgegenüber konnte sich die Auffassung, daß mit der Anerkennung der Selbstbestimmung der Kirchen in ihren Angelegenheiten eine besondere aus der Kirchenhoheit des Staates abgeleitete Aufse Vgl. G. Anschütz, S. 631.
57 Die päpstliche Diplomatie unter Leo XIII., Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Jg. 1925, Phil.-Hist. Klasse, Berlin 1926, S. 54, Anm. 2. Richtiger hat J. V. Bredt, Bd. 2, S. 111 ff., die Trennung als Grundprinzip nicht für verwirklicht angesehen. 58 Hierzu J. V. Bredt, Bd. 2, S. 114. 59 Berichte und Protokolle des Verfassungsausschusses über den Entwurf einer Verfassung des Deutschen Reiches, Sten. Ber., Bd. 336, S. 197. Er fand Gefolgschaft bei Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl., Berlin 1933, S. 637; PauZ Schoen, Der Staat und die Religionsgesellschaften in der Gegenwart, in: VerwArch. 29 (1922) S. 20; ders., Das neue Verfassungsrecht der evangelischen Landeskirchen in Preußen, Berlin 1929, S. 33 ff.; Friedrich Giese, Das kirchenpolitische System der Weimarer Verfassung, in: AöR, N.F., Bd. 7 (1924) S. 16 f.; ders., in: Albert Michael Koeniger u. Friedrich Giese, Grundzüge des katholischen Kirchenrechts und des Staatskirchenrechts, Bonn 1924, S. 222 ff. 80 Übersicht über diese Gesetze bei Friedrich Giese, Staat und Kirche im neuen Deutschland, in: JöR 20 (1932) S. 147 ff. Godehard Josef Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930, S. 305 ff.
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sieht nicht mehr vereinbar sei,- sie ist vor allem von Godehard Josef
Ebers entwickelt worden- nicht durchsetzen.
2. In der literarischen Behandlung der Epoche zwischen den Weltkriegen stehen die beiden soeben erwähnten Fragen voran. Weniger Beachtung fanden zwei andere Veränderungen, die nicht weniger grundsätzliche Punkte betrafen. Auch hier wiederholt es sich, daß die eine von ihnen zwar in der Verfassung rechtlich angelegt wurde, aber tatsächlich nur unvollkommen zur Ausführung gelangte. a) Der erste Schritt bestand in der entschiedenen Säkularisation des Staates81 • Aus einem Gemeinwesen, das im 19. Jahrhundert noch immer den Charakter eines eng mit dem christlichen Bekenntnis verknüpften Regiments festgehalten hatte82, wurde nun ein Staat, der sich in die echte Neutralität eines über den Bekenntnissen stehenden, auch dem Ungläubigen sein Recht gewährenden weltlichen Gebildes zurückzog. Im Aufruf des Rates der Volksbeauftragten vom 12. 11. 1918 hieß es: "Die Freiheit der Religionsübung wird gewährleistet. Niemand darf zu einer religiösen Handlung gezwungen werden." Dieser Satz war nicht einfach eine Konsequenz der damals noch als Ziel verfolgten Trennung von Staat und Kirche. Sie hätte durchaus mit erneuter einseitiger Parteinahme zugunsten einer laizistischen Anschauung einhergehen können. Der Ausspruch war vielmehr Ausdruck einer dezidierten Lösung der inneren Verbindung des Staates zur Religion, der Aufgabe der Formel "Thron und Altar" und des Bekenntnisses zur Toleranz. Eine Reihe von Veränderungen, die der Weimarer Staat auf dem Felde einer Lockerung der Verbindung von Kirche und Staat durchführte, entsprang dieser Tendenz. Ich erwähne die Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht, den Versuch, eine Annäherung der Stellung der kleineren Religionsgesellschaften an die großen Bekenntnisse herbeizuführen (Art. 137 Abs. 5 WeimRV), die energische Gewährleistung der Freiwilligkeit des konfessionellen Bekenntnisses (Art. 136 Abs. 3 WeimRV) und vor allem die grundsätzliche Proklamierung der Gemeinschaftsschule83. Wie die Kirche sich 1919 zu größerer Selbständigkeit erhob, so gewann, wie Ebers es ausgedrückt hatet, auch der Staat seine Freiheit 11 Godehard Josef Ebers, S. 299 ff. Ebenso Josef Schmitt, Die Selbstverwaltung der Religionsgesellschaften nach Art. 137 Abs. 3 der neuen Reichsverfassung, in: AöR 42 (1922) S.1 ff. 12 Hier ist besonders auf Art. 14 der Preußischen Verfassungsurkunde von 1850 hinzuweisen: "Die christliche Religion wird bei denjenigen Einrichtungen des Staates, welche mit der Religionsausübung in Zusammenhang stehen, unbeschadet der in Art. 12 gewährleisteten Religionsfreiheit, zum Grunde gelegt." Die Lehre bemühte sich freilich schon vor 1914, diesem Artikel praktische Bedeutung abzusprechen. Vgl. Gerhard Anschütz, Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850, Berlin 1912, S. 267 ff. 81 Zu diesen Veränderungen siehe Ebers, S. 123 ff. u Ebers, S. 123.
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von der Kirche. Er wurde religiös-neutral und gegenüber den verschiedenen weltanschaulichen Richtungen paritätisch eingestellt. Mit der weiteren Entwicklung ergaben sich indes auch hier wieder, vor allem in den Vertragsbindungen zwischen Staat und Kirche, breitere Sphären der Annäherung und Zusammenarbeit. Aber in der Grundstimmung war, trotz der Schlüsselstellung der Zentrumspartei in der Politik des Reiches und der Länder, der Weimarer Staat stärker weltlich als es heute die geistige Haltung in der Bundesrepublik in Staat und Öffentlichkeit ist. Es gehört mit in diesen Zusammenhang, daß ganz vorübergehend 1919 sogar die Tendenz auftrat, die Theologischen Fakultäten an den preußischen Universitäten aufzugeben oder umzuformen; sie wurde ohne Schwierigkeit unter Mithilfe der Hochschulen in ihrem Gesamtbestande abgewehrt65. b) Die zweite 1919 eingetretene rechtliche Veränderung, von weitreichender Konsequenz, ist freilich wiederum tatsächlich nur von geringer Auswirkung geblieben. Es gehört zu den Überlieferungen des deutschen Kirchenrechts, daß seine Grundlagen seit den Tagen des ottonischen Reichskirchensystems 68 über das Wormser Konkordat und die WienerVerträge von 1447, die Reichstage des 16. Jahrhunderts und den Augsburger Religionsfrieden von 1555, den Westfälischen Frieden von 1648, die Deutsche Bundesakte von 1815 und den Frankfurter Verfassungsentwurf von 1848 eine Sache des Reiches, der ganzen Nation gewesen sind. Diese gemeinsame Grundlage stand im Mittelalter unter dem Zeichen der kaiserlichen Pflicht zum Schutze des Glaubens87 , trat seit dem Reformationszeitalter unter die Gewähr reichsgesetzlicher Ausgleichsnormen zwischen den Religionsparteien und wurde schließlich zur bundesrechtlichen Garantie bürgerlicher Grundrechte unabhängig vom Bekenntnis (Art. 16 Dt. Bundesakte). Die Reformation hatte freilich daneben eine territoriale Kirchenrechtsordnung zur Entfaltung gebracht, auf die sich mehr und mehr das Schwergewicht der Regelungen verlagerte 68 • Das Bismarcksche Reich hatte diese Linie nicht 111 Vgl. Adolf Deißmann, Reichsverfassung und Kirchenverfassung, Rede zur Verfassungsfeier der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, Berlin 1931, S.ll ff. ss Vgl. Leo Santifaller, Zur Geschichte des ottonisch-salischen Reichskirchensystems, Wien 1954, S. 22 ff. 87 Sie hat ihren Ausdruck im Versprechen des Kaisers bei der Krönung (hier nach dem Ordo Cencius 1): " ... promitto spondeo et polliceor ego N. imperator coram Deo et beato Petro, me protectorem atque defensorem esse huius sancte romane ecclesie ..." (Text nach: Fontes Juris Germanici Antiqui in usum Scholarum, Monumenta Germaniae Historica IX, Die Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers und der Kaiserin. Hrsg. von Reinhard Elze, Hannover
1960, s. 23).
88 Zur Aufgliederung des ·Staatskirchenrechts in eine Ordnung des Reichs und der Territorien siehe Martin Heckel, Staat und Kirche nach den Lehren der evangelischen Juristen Deutschlands in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, 1. Teil, in: ZRG 73 Kan. Abt. 42 (1956) S. 203 ff.
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fortgesetzt, zunächst deshalb, weil die Verfassung von 1867/71 überhaupt eine inhaltliche Festlegung der Reichspolitik vermied, sondern sich mit formellen Kompetenzzuteilungen begnügte, zum anderen wohl auch in wohlberechneter Schonung der Selbständigkeit der Gliedstaaten und im Hinblick darauf, daß man sich im ganzen auf eine einheitliche Linie der Kulturpolitik verlassen konnte, die einen gewissen gemeinsamen Bereich gemeindeutscher kirchenrechtlicher Anschauungen nicht verließ. Es ist von hohem rechtsgeschichtlichem Interesse festzustellen, daß der Kulturkampf - mit geringen Ausnahmen - eine Erscheinung auf landesrechtlicher Ebene bildete. Preußen, Baden und Sachsen standen voran, während sich andere Länder (Württemberg) zurückhielten und das wichtigste Land mit katholischer Bevölkerung, Bayern, infolge seiner ablehnenden Haltung zum Unfehlbarkeitsdogma, in dem es einen Eingriff in landesherrliche Rechte erblicken wollte, zur Kurie in gespannten Beziehungen stand. Die Maigesetze von 1873, sowie andere wichtige Bestimmungen des Kulturkampfes, vor allem seine administrative Durchführung, waren Landessache. Nur in einigen Punkten, im Jesuitengesetz von 1872 und im Personenstandsgesetz von 1875, griff die Kulturkampfgesetzgebung auch in die Sphäre des Reiches über. Es mag als ein interessanter Gesichtspunkt angefügt werden, daß 1871 der angesehene Göttinger Rechtslehrer Heinrich Albert Zachariae ein gesetzgeberisches Eingreifen des Reiches gegen die Infallibilität forderte, mit der freilich unhaltbaren Begründung, es gehe um die Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes und mithin um den Zweck des Bundes61 • Im Jahre 1919 glich nun das Reich das Versäumnis von 1871 aus. Es nahm in einem weiten Umfang kirchenpolitische Zuständigkeiten an sich (Grundsatzgesetzgebung des Art. 10 Ziff. 1 WeimRV). Es schuf zugleich, wie die älteren Grunddokumente deutschen Staatslebens, in seiner Verfassung die richtunggebende Lösung für das neue Verhältnis von Kirche und Staat. Es übernahm dazu auch (Art. 10 Ziff. 2) die Grundsatzgesetzgebung für das Schulwesen. Das stellte einen bedeutenden Ansatz dar. Die Ausfüllung dieses Entwurfes ist freilich niemals erfolgt. Außer dem Gesetz über religiöse Kindererziehung vom 15. 7. 1921 kam nichts Wesentliches zustande. Sowohl die ursprüngliche Absicht eines Reichskonkordates wie die späteren Ansätze zu einem Reichsschulgesetz kamen nicht zur Ausführung, gescheitert nicht an föderalen Widerständen, sondern an parteipolitischen Gegensätzen70 • ee Heinrich Albert Zachariae, Zur Frage von der Reichscompetenz gegenüber dem Unfehlbarkeits-Dogma, Braunschweig 1871, S. 22 ff. Dort auch die Ablehnung der Rechtsansichten Zachariaes durch den Prof. Beseler (Brief vom 4. 6. 1871), s. 25 ff. 70 Zur Geschichte des Reichskonkordates siehe Georg Schreiber, Der erste Entwurf des Reichskonkordats (1920/1921), in: Gegenwartsprobleme des Rechts,
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So ging unter der Weimarer Verfassung tatsächlich das Schwergewicht staatskirchenrechtlicher Gestaltung wieder auf die Länder über. Sie formten in Gesetzen und Kirchenverträgen die Materie neu. Die Reichsregelung des Reichskonkordates kam sozusagen posthum zustande, inhaltlich zwar in allen wichtigen Stücken in der Weimarer Epoche vorbereitet, politisch unter Bedingungen, die schon jenseits der Erscheinungswelt jenes Staatswesens lagen. 3. Für eine Würdigung der Entwicklung zwischen 1918 und 1945 muß man die beiden Abschnitte vor und nach 1933 streng trennen. Der totalitäre Staat brachte ganz neue Probleme. Freilich ist der Einschnitt seines Auftretens für die evangelische Kirche ungleich tiefer als für die katholische. Für die Protestanten bedeutet der Kirchenkampf recht eigentlich die Lösung von der Vergangenheit und den Beginn einer grundsätzlich neuen Epoche, viel mehr als das Jahr 1918. In der Zeit 1918-1933 blieb der Staat in viel weiterem Umfang, als es eigentlich der neuen verfassungsrechtlichen Lage entsprach, auf der bisherigen Linie einer staatskirchenrechtlichen Aufsicht und Nähe im Verhältnis zu den Kirchen. Bedingt durch den starken Einfluß sozialistischer und liberaler Kräfte hielt er freilich, vor allem in Preußen, einen Kurs konstanter weltanschaulicher Neutralität. Kirchenpolitisch stand dieser Zeitraum unter der klaren Führung der katholischen Kirche, die nach dem Fall der protestantischen Monarchien dank ihrer politisch dauerhaften Abstützung die Grundlinie der Entwicklung bestimmte. Soweit vertragliche Einigungen erfolgten, steuerte die protestantische Seite nicht bloß zeitlich im wesentlichen im Gefolge der katholischen Kirche, mit mancherlei Zögerungen und nicht ohne unwillige Übernahme von negativen Paritätsbindungen, wie etwa der Annahme der politischen Klausel für die Besetzung leitender Ämter der evangelischen Kirchen. Es trat hinzu, daß manche Kreise auf protestantischer Seite nur schwer ein inneres Verhältnis zum demokratischen Staate gewinnen konnten71 • In der zweiten Phase verschiebt sich das Schwergewicht. Der Angriff des nationalsozialistischen Regimes gegen die Kirchen wurde in der Hauptsache auf der protestantischen Seite vorgetragen, wo man sich leichtere Erfolge versprach. Mit dem wachsenden Widerstande der Christen in den Kirchen werden die maßgebenden Aktionen auch hier wieder, obwohl weitgehend auf Reichsebene inauguriert, in die Aufgliederung der Landeskirchen aufgesplittert. hrsg. von Hermann Conrad u. Heinrich Kipp, Faderborn 1950, S. 159 ff. (Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, Sektion für Rechts- und Staatswissenschaft, N.F., H. 112). 71 Vgl. Gottfried Mehnert, Evangelische Kirche und Politik, 1917- 1919, Düsseldorf 1959; Rudolf Smend, Protestantismus und Demokratie, in: Krisis, ein politisches Manifest, Weimar 1931, S. 182 ff. 10 Scheuner
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Von den Auswirkungen des Abwehrkampfes der Kirchen gegen den Machtstaat Hitlers sollen hier nur einige Züge hervorgehoben werden, die sich für die Zeit nach 1945 als besonders wichtig erwiesen haben: a) Die evangelische Kirchenrechtslehre geht mit der Intention der vollen Konsequenz zur Anschauung der Eigenständigkeit des Kirchenrechts und der kirchlichen Ordnung über. b) Aus dem Mißtrauen gegen den Mißbrauch der Staatsmacht entspringt ein Verlangen nach Distanz zum Staate, das in die neue Phase nach 1945 als einflußreiche Tendenz hineinragt7 2• c) Da der Kampf gegen die Kirche von der Reichsgewalt ausgegangen war, so bleibt ein Vorbehalt gegen eine zentrale Kirchenpolitik zurück, der sich sowohl - neben bekenntnismäßigen Fragen - in dem Aufbau der Evangelischen Kirche in Deutschland auswirkt wie in der Stärkung der partikulären Kräfte im Protestantismus. d) Aus der Bewährung des engen Zusammenhalts der Gemeinden ohne die Stütze der staatlichen Korporationsrechte entsteht in manchen evangelischen Kreisen eine Kritik an einer "juridifizierten" Kirche und eine geringere Einschätzung ihrer öffentlich-rechtlichen Position im Staate73 . IV. Grundzüge der staatskirchenrechtlichen Entwicklung seit 1945 A. Wandel im Verhältnis Staat und Kirrhe
1. Im Jahre 1952 hat Werner Weber von dem Verfall des traditionellen staatskirchenrechtlichen Systems gesprochen und ihn neben anderem auf Schwäche und Unkenntnis auf der staatlichen Seite zurückgeführt74. Man wird dazu bemerken können, daß manche Auswirkungen der in der konstitutionellen Monarchie und zur Zeit des landesherrlichen Kirchenregiments geübten Kirchenhoheit schon unter der Weimarer Ordnung als überaltert und mit der Grundtendenz der Verfassung nicht mehr vereinbar erscheinen mußten. Soweit Weber aber in einem weiteren Zusammenhang den Verfall einer bewußten staatlichen Kirchenpolitik alten Stiles feststellt, trifft seine Beobachtung eine entscheidende Stelle. In der Tat kann auf seiten des Staates heute von einer umfassenden kirchenpolitischen Konzeption, ja, selbst von einer klar
72 Eine besonders eindrückliche Position in dieser Hinsicht bei Otto Dibelius, Grenzen des Staates, Tübingen 1949. 73 Vgl. hierzu (auch mäßigend und kritisch) Ernst Wolf, Zur Rechtsgestalt der Kirche, in: Bekennende Kirche, Martin Niemöller zum 60. Geburtstag, München 1952, S. 254 ff. Vgl. auch etwa die Stellungnahme gegen die Anlehnung an den Staat im Kirchensteuerrecht bei HerbeTt Wehrhahn, Zur Kirchensteuerpflicht der Protestanten in Deutschland, Tübingen 1952, S. 16 ff. u Vgl. VVDStRL 11 (1954) S. 158 f.
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profilierten Linie seiner Haltung nicht gesprochen werden. Wie es überhaupt die eigentliche Schwäche des westdeutschen politischen Neuaufbaus darstellt, daß er bei aller wirtschaftlichen und organisatorischen Leistung keine neue repräsentative politische Formgebung, im Grund auch keine wirkliche innerpolitische Programmatik erreicht hat, so gilt das auch für die kirchenpolitische Haltung. Hier liegt der Grund, weshalb zwei grundlegende Probleme, die die Christenheit in der Gegenwart bedrängen, bisher im deutschen politischen und geistigen Raume nur so geringe Spuren hinterlassen haben. a) In der gesicherten Lage des kirchlichen Lebens in der Bundesrepublik findet die Tatsache, daß sich in der Welt das Christentum heute nicht mehr in der Lage einer herrschenden, manchmal auch machtmäßig unterbauten Glaubensrichtung befindet, daß es vielmehr zu einer Religion in andersgläubiger und heidnischer Umwelt geworden ist, noch zu geringe Aufmerksamkeit. b) Sehr viel stärker bewegt die deutsche Christenheit die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus. Aber auch hier hat das letzte Jahrzehnt zwar eine Fülle von praktischen Lösungen, Hilfen und Aushilfen gebracht, aber im Kern ist man den Fragen noch ausgewichen. Fehlgeleitet von der Analogie zum Verhalten gegenüber der nationalsozialistischen Herrschaft, ist die andersartige Problematik des Lebens in der kommunistischen Welt und an ihrem Rande erst in den letzten Jahren deutlicher zum Bewußtsein gekommen. Daß es hier nicht um Identifikation mit diesen oder jenen gesellschaftlichen Lebensformen, sondern um das Zeugnis der einfachen Menschlichkeit und Konstanz des christlichen Glaubens geht, wird erst langsam erkannt. Im politischen Leben Westdeutschlands vollends ist dieser Fragenbereich immer noch weithin durch eine defensive Abschirmung verdeckt und beiseite geschoben75 • 2. Das Fehlen einer staatskirchenrechtlichen Konzeption nach dem Ausgang des zweiten Weltkrieges spiegelt sich in der Tatsache wieder, daß der Parlamentarische Rat - von einigen wenigen Eingriffen abgesehen - sich einfach zu einer Wiederanknüpfung, einer Restauration und Wiederholung der Weimarer Formel für das Verhältnis von Kirche und Staat entschloß76 • Es ist, seitdem Rudolf Smend es ausgesprochen hat77, Gemeingut der heutigen Rechtsanschauung geworden, daß diese Repristinierung der Weimarer Kirchenartikel nicht mehr den normativen Sinngehalt der älteren Periode erneuern kann, sondern auf dem 75 Es mag hier nochmals betont werden, daß sich aus Gründen der Themenstellung diese Untersuchung nur mit der kirchlichen Lage in der Bundesrepublik befaßt. 76 Zu dieser fast überall leicht modifizierten - Restitution des früheren Zustandes siehe Helmut Ridder, Artikel "Kirche und Staat in Deutschland", in: Staatslexikon, 6. Aufl.,Bd. 2, Freiburg/Br. 1959, Sp. 1023/24. 77 Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, in: ZevKR 1 (1951) S. 4.
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Boden einer gewandelten Lage verstanden und interpretiert werden muß 78• Und in der Tat begegnen sich heute die Kirchen und der Staat in einer grundlegend veränderten Situation. Nach übersteigertem Mißbrauch politischer Macht und der lähmenden Niederlage findet sich das staatliche Bewußtsein in einem geteilten Lande stark geschwächt79 • Von dem seine Hoheit vorsichtig wahrenden Staatswesen der Epoche 1918 - 1933 ist wenig mehr zu spüren. Vielmehr neigte der demokratisch erneuerte staatliche Partner dazu, den Kirchen als Kräften des Widerstandes gegen das vergangene Regime des Unrechts entgegenzukommen und ihre Freiheit zu erweitern. So konnte nicht immer der Eindruck vermieden werden, als ob die Ereignisse, wie es Helmut Ridder ausgedrückt hat80, zu einem "als Rechtstitel für eine Erweiterung des traditionellen Privilegienbündels der Kirchen tauglich erscheinenden Sieg" geführt hätten. Die Lage wird noch akzentuiert, wenn man neben dem Ausbleiben einer eigenen staatlichen Auffassung einen weiteren umfassenden geistigen Vorgang in Rechnung stellt. Der Liberalismus, der im 19. Jahrhundert und noch bis in die 20er Jahre hinein einen Gegenpart zum kirchlichen Einfluß gebildet hatte, hat heute weithin an Einfluß verloren, ebenso wie der militante rationale Fortschrittsglaube des 19. Jahrhunderts. Die Fortexistenz eines optimistischen Materialismus im kommunistischen Bereich unterstreicht diese Entwicklung nur. Beherrschen auch im Westen Ratlosigkeit und Zweifel im Vordergrund die literarische Bühne, dahinter geht eine Neuorientierung vor sich, die die theologischen Aspekte, wenn sie sie auch nicht annimmt, so doch respektiert. Ein Zeitalter der ideologischen Gegensätze wird eher zum dogmatischen Denken, nicht selten auch zur Anlehnung an gegebene weltanschauliche Positionen neigen. Was den Sozialismus anlangt, so haben sich nach der gemeinsamen Abwehr gegen totalitäre Gewalt und auf Grund einer gegenseitigen Öffnung Annäherungen zwischen ihm und jedenfalls der protestantischen Seite ergeben. Diejenigen Kräfte, die in der Vergangenheit oft so nachdrücklich für eine Trennung des Staates von kirchlichem Einflusse eintraten, sind heute merklich schwächer geworden. 18 Seither hat auch das Bundesverfassungsgericht diese These angenommen. Im Konkordatsurteil vom 26. 3. 1957 lesen wir (BVerfGE 6 S. 309, 343): "Es kann hier unerörtert bleiben, ob das Verhältnis von Kirche und Staat in der Weimarer Republik durch Art. 140 GG im ganzen übernommen worden ist, oder ob trotz der Übernahme der Bestimmungen der Art. 136 bis 139 und 141 WeimRV als Bestandteil des Grundgesetzes sich heute infolge der Neugestaltung des Verhältnisses von Kirche und Staat eine ganz andere staatskirchenrechtliche Lage darbietet." 19 Rudolf Smend, S. 12, spricht von einem "eigentümlichen staatlichen Versagen". 80 Sp.1028.
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Dieser Vorgang hat noch eine andere Seite. Je mehr die innere Substanz des Staates entleert erscheint, je lebhafter ferner der Staat die ideologische Bedrohung durch das kommunistische Lager empfindet, desto mehr ist er geneigt, sich den Kirchen zu nähern. Er sucht möglicherweise geradezu bei ihnen einen Rückhalt. Die katholische Kirche wird ihrer Überlieferung nach geneigt sein, eine solche Annäherung zu erwidern. Ein deutliches Bild einer solchen Entwicklung bietet das heutige Italien. Die Casa Savoia, deren Truppen am 20. September 1870 durch die Porta Nomentana in die ewige Stadt eindrangen, ist im Exil. Die säkulare Substanz, die dem von ihr errichteten Staate das albertinische Statut und die Epoche Cavour gegeben hatten, gehört der Vergangenheit an. Die neue Republik, geführt von der Democrazia Cristiana, lehnt sich daher unvermeidlich auf die Kirche zurück. Als im Frühjahr 1960 die Regierung Segni Verhandlungen über die "apertura a sinistra" einzuleiten sich anschickte, war es die Stellungnahme des Vatikans gegen eine solche Politik, die zu einer Aufgabe dieser Absicht und dann weiter zu einem Wechsel der Regierung führte. Natürlich wird die Situation in Italien wesentlich durch den Umstand mitbestimmt, daß nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich die katholische Kirche eine vorherrschende Position einnimmt81 • Auch in Deutschland wird man heute manchmal eher davon sprechen können, daß die Vertreter des Staates sich der Mitwirkung der Kirchen zu bedienen suchen. Es bedarf keiner Anführung, daß diese Lage von der evangelischen Seite her gesehen wird und hier die Bestrebungen teilweise verstärkt, dem Staate gegenüber in Distanz zu verbleiben. B. Die neue Selbständigkeit der Kirchen
3. Wenn sich in der Gegenwart der Rückzug des Staates aus seiner Kirchenhoheit vollzieht und den Kirchen größere Freiheit eingeräumt wird, so entspricht das durchaus den modernen Tendenzen auf katholischer Seite. Der Katholizismus wird dort, wo er noch einen geschlossenen konfession~llen Raum vorfindet, zum System der Staatskirche tendieren (Spanien, Italien). In den Ländern, wo dies nicht der Fall 81 Es entspricht dem, daß der Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil vom 28. 11. 1957 (Raccolta Ufficiale delle Sentenze e ordinanze della Corte Costituzionale IV, Roma 1957, S. 247, 251) die Klausel des Art. 8 der italienischen Verfassung vom 22. 12. 1947, daß alle Konfessionen "gleich frei vor dem Gesetz" (egualmente libere davanti alla legge) sind, keineswegs im Sinne der Parität deutet, sondern, unter Hinweis auf die Erwähnung der Lateranpakte im Art. 7 der Verfassung, die Vorrangstellung der katholischen Kirche anerkennt, daher auch den nur der katholischen Kirche im Art. 404 des Strafgesetzes gewährten Schutz vor Schmähung des Kultus und seiner Gegenstände für verfassungsgemäß erklärt. Er erklärt dabei, daß dies System seine Grundlage in der Bedeutung habe, die die katholische Kirche als Kirche nahezu der Totatiltät der Bevölkerung seit alters für Italien besitzt und die in den Lateranverträgen rechtlich bestätigt worden sei.
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ist, zieht er es aber heute vor, sich eher der bürgerlichen Freiheiten allgemeiner Art zu bedienen und vorsichtiger in der Staatsanlehnung zu verfahren. Man mag dies etwa daran erkennen, daß die Kirche heute an vielen Orten statt einer staatlichen Bekenntnisschule einer vom Staate finanziell unterstützten Privatschule zustrebt und daß im Gesamtbild der Entwicklung die staatsunterhaltenen theologischen Fakultäten keine zentrale Rolle mehr spielen. 4. Vollziehen sich die Wendungen in den Zielsetzungen und Mitteln der katholischen Kirche langsam und über längere Zeiträume hin, so tritt heute als Erbe des Kirchenkampfes ein auffälliges neues Selbstverständnis der evangelischen Kirchen hervor. Es wird seiner theologischen Begründung nach aus verschiedenen Quellen gespeist und zeigt daher auch differenzierte Ausprägungen. Die eine Richtung knüpft unmittelbar an die Auseinandersetzungen und Stellungnahmen des geistigen Ringens der 30er Jahre an, geht aus von den theologischen Thesen von Barmen und gründet ihre Auffassung von der Eigenständigkeit des kirchlichen Rechts auf die in der Gemeinde der Christen - zugleich in exemplarischer Vorbildlichkeit für die weltliche Ordnung - sich ausprägende Königsherrschaft Christi, auf der alle Maßstäbe irdischer Gerechtigkeit beruhen82 • Eine andere Strömung gründet sich auf die Zwei-Reiche-Lehre Luthers, die sie im unmittelbaren Rückgriff auf die Lehren des Reformators erneuert, und gelangt von hierher ebenfalls zu einer These der Eigenständigkeit und zugleich auch inneren Andersartigkeit des geistlichen Rechts als eines im Leben dieser Welt geltenden, aber auf das göttliche Recht der ecclesia spiritualis bezogenen Rechts 83 • Von beiden Anschauungen her, auf deren theologische Rechtslehre nicht näher eingegangen werden kann, wird nun von evangelischer Seite mit grundsätzlicher Entschiedenheit die staatliche Rechtsetzung für die Kirche abgewiesen, die Selbständigkeit der innerkirchlichen Ordnung- im Unterschied zu den zwischen Staat und Kirche gemeinsam zu st Zur Grundlegung dieser Ansicht siehe Karl Barth, Rechtfertigung und Recht, Zollikon 1938 (3. Aufl. Zollikon - Zürich 1948); ders., Christengemeinde und Bürgergemeinde, Stuttgart 1946; ders., Evangelium und Gesetz, München 1935 (Theologische Existenz heute, Nr. 32), Neuauft. München 1956 (Theologische Existenz heute, N.F., Nr. 50); Werner Schmauch u. Ernst Wolf, Königsherrschaft Christi, München 1958; Erik Wolf, Rechtsgedanke und biblische Weisung, Tübingen 1948; ders., Recht des Nächsten, Frankfurt/M.1958. 83 Für die lutherische Auffassung Johannes Heckel, Lex charitatis, München 1953; ders., Im Irrgarten der Zwei-Reiche-Lehre, München 1957 (Theologische Existenz heute, N.F., Nr. 55); Siegfried Grundmann, Der Lutherische Weltbund, Köln- Graz 1957, S. 3- 68; ders., Das evangelische Kirchenrecht und die ökumenische Bewegung der Gegenwart, in: AöR 84 (1959) S. 1 ff.; ders., Der tertius usus legis als Grundlage einer Kirchenrechtstheorie?, in: ZevKR 7 (1959/60) S. 40 f.; Theodor Heckel, Die Reform des Kirchenrechts und die Reformen der Kirche, in: Für Kirche und Recht, Festschrift für J ohannes Heckel, Köln- Graz 1959, S. 250 ff. Nahestehend dieser Gruppe auch Konrad Hesse, Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, Göttingen 1956, s. 39 ff.
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regelnden Grenzgebieten- vertreten und damit eine Gleichordnung von Kirche und Staat, von kirchlichem und weltlichem Recht gelehrt84 • Auf das Äußere gesehen, stimmen die Konsequenzen dieser Lehren, Koordination von Kirche und Staat, Eigenständigkeit kirchlichen Rechts, Abweisung staatlicher Rechtsetzung und Mitwirkung im kirchlichen Leben, mit den Grundsätzen überein, die die katholische Doktrin seit alters vertritt85 • In der theologischen Grundlegung aber wie in den einzelnen Folgerungen zeigen sich doch wichtige Differenzen und Differenzierungen. 5. Für die Relation zum Staate werden aus der neuen Rechtsanschauung der evangelischen Lehre zum Teil weitreichende Folgerungen gezogen. Das eigenständige Kirchenrecht stellt Recht einer eigenen Wurzel und einer anderen Art dar als das staatlich-weltliche Recht88 • Es tritt daher als ein echtes jus utrumque zu gleichem Rang neben dieses. Es ergibt sich daraus, daß es nur von der Kirche ohne Einmischung des Staates ausgehen kann87 • Wenn staatliche Gesetze der Kirche Autonomie zuerkennen (Art. 137 Abs. 3 WeimRV), so können solche Bestimmungen nur eine deklaratorische Bedeutung haben88 • Diese Meinung wird sogar -ohne daß die Parallele des can. 100 CIC dabei ins Blickfeld tritt- für die Anerkennung der Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts ausgesprochense. 84 Ein Gesamtüberblick bei Siegfried Grundmann, in: AöR 84 (1959) S. 14, 24 ff.; Ulrich Scheuner, Artikel "Recht. Theologische Begründung des Rechts", in: Evangelisches Kirchenlexikon, Bd. 3, Göttingen 1959, Sp. 460 ff.; Erik Wolf,
Artikel "Kirchenrecht, Ev. Kirche", in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. 3, Tübingen 1959, Sp. 1506 ff. ss Vgl. die Anerkennung dieses Standpunktes in Art. 7 Abs. 1 der italienischen Verfassung: "Lo Stato e Ia Chiesa cattolica sono, ciascuno nel proprio ordine, indipendenti e sovrani." aa Vgl. Siegfried Grundmann, in: AöR 84 (1959) S. 20. Gegen die strenge Durchführung eines solchen Standpunktes, der die Kirchenordnung schlechthin auf die Iex charitatis gründet und sie damit im Wesen vom weltlichen Recht scheidet, werden sich nicht nur praktische Bedenken erheben, wie sie Erich Ruppel, Forderungen für die Praxis des Kirchenrechts, in: ZevKR 6 (1957/58) S. 285 ff., geltend macht, sondern auch Zweifel von der Frage her, ob diese These vom zweierlei Recht wirklich in einer rechten Sicht dessen gründet, was Recht ist (vgl. dazu Hans Dombois, Ordnung und Unordnung der Kirche, Kassel 1957, S. 93 ff.). Es liegt hier letztlich wohl noch die seit Thomasius angenommene Meinung zugrunde, weltliches Recht sei nur eine äußere Regel, die nicht im Gewissen binde. 87 · 88
Siegfried Grundmann, s. 19 f., 35 f. Konrad Hesse, S. 77 f.; Siegtried Grundmann, S. 35; ders., Die Lehre von
den zwei Reichen und ihre Bedeutung für die Begründung des Kirchenrechts bei Luther, in der Sicht von Johannes Hecke!, in: ZevKR 6 (1957/58) S. 284. st Siegfried Grundmann, in: ZevKR 6 (1957/58) S. 284. Hiergegen dürften Bedenken anzumelden sein. Nicht nur ist zu beachten, daß das eigene Recht der Kirche sie als communio der Gläubigen, als Leib Christi ansehen muß (so richtig Theodor Heckel, S. 256 ff.), die Stellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist ferner eine Stellung in der civitas politica, mithin im staatlich-
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Als eine weitere Konsequenz wird die Auffassung vertreten, die rechtliche Möglichkeit des Staates, von sich aus die Grenze des von ihm respektierten Bereichs kirchlicher Selbständigkeit festzulegen, sei entfallen. An ihre Stelle sei nun die Festlegung durch vertragliche Einigung auf gleichberechtigter Grundlage getreten. An dieser Ansicht ist zutreffend, daß vom kirchlichen Recht aus eine Bindung solcher staatlicher Normen nicht anzunehmen ist. Der Staat dagegen hält auch heute -hier liegt ein Stück des früher bezeichneten Erbes der naturrechtliehen Denkform im Staatskirchenrecht vor- an seiner Souveränität über alle Gruppen seines Territoriums fest. Wir werden noch sehen, daß ein folgenreiches Geschehnis der letzten Jahre, das Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichts, mit Nachdruck die These des Vorrangs der staatlichen Souveränität festgehalten, sie sogar auf vertragliches Recht zwischen Staat und Kirche erstreckt hat. Es gehört in diese neue Sicht der Relation von Kirche und Staat, daß nicht nur die staatliche Gesetzgebung in kirchlichen Fragen beendet erscheint, sondern auch tunliehst eine Kognition staatlicher Gerichte in kirchlichen Fragen unterbleiben soll. Aus der Tatsache, daß die Kirchen dem "für alle geltenden staatlichen Gesetz" unterstehen, d. h. den Grundlagen der staatlichen Ordnung sich zugeordnet und verpflichtet halten, soweit sie für die Kirche als Stück der politischen Ordnung der Welt aus ihrer eigenen Lehre heraus Gehorsam und Loyalität fordern können90, ergibt sich für sie freilich auch in einem begrenzten Ausmaß die Hinnahme staatlicher Jurisdiktion, sowohl in gemischten Gebieten, in denen die allgemeine bürgerliche Position in Frage steht (Schule, Arbeitsverhältnis, Vermögensverfügungen) wie in solchen Fällen, wo die Kirchen sichkraftstaatlicher Hilfe besonderer rechtlicher Vorrechte erfreuen (Kirchensteuerrecht)D 1 • 6. Die geschichtliche Erfahrung lehrt, daß man auch von einem den Kirchen wohlwollend gegenüberstehenden Staate die Annahme so weitgehender Auffassungen nicht ohne weiteres erwarten kann. Dem Staate zieht schon sein Verfassungsrecht hier Schranken. Das Grundgesetz legt ihm in Art. 3 und 4 religiöse Neutralität auf, es geht davon aus, daß der Staat seinen Bürgern nach gleichem Rechte unabhängig von ihrem Bekenntnis begegne. Würde der Staat sich bereitfinden, das politischen Bereich und hier nicht ohne staatliche Anerkennung (nicht notwendig Verleihung) zu behaupten. Richtig die Sicht bei Konrad Hesse, S. 66 ff. 80 Zu dem Zusammenhang zwischen der Lehre von der Obrigkeit und der kirchlichen Stellung zum "allgemeinen Gesetz" auf den ich hier nicht näher eingehen kann, sei nur bemerkt, daß von ihm aus sowohl Grund wie Grenze des hier erforderten Gehorsams sich bestimmen. 81 Zur staatlichen Gerichtsbarkeit siehe meine Bemerkungen: Die staatskirchenrechtliche Tragweite des niedersächsischen Kirchenvertrages von Kloster Loccum, in: ZevKR 6 (1957/58) S. 26/27, und: Grundfragen einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: ZevKR 6 (1957/58) S. 357.
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Selbstverständnis jeder Religionsgemeinschaft zu übernehmen, so würde er ihre Glieder möglicherweise in gewissen Fragen verschieden behandeln müssen. Würde er etwa den Kirchen den von ihnen abgesteckten Raum ihrer kirchlichen Selbständigkeit ohne weiteres zugestehen, so müßte er sich gegenüber seinen katholischen Bürgern aus dem Eherecht zurückziehen. Das geltende Verfassungsrecht geht im Gegensatz hierzu davon aus, daß die Grundlagen der bürgerlichen Ordnung und des politischen Zusammenlebens einheitlich für alle Bürger bestimmt werden. Es hält daran fest, daß es die Aufgabe des Staates ist, eine für alle verbindliche Rechtsordnung zu gewährleisten und eine Aufspaltung m konfessionell verschiedene Ordnungen nicht zuzugestehen. Daher muß der Staat das judicium finium regundorum im Sinne des überlieferten Staatskirchenrechts in der Hand behalten. Er hat den Kirchen ;mgesichert, daß er ihre innere Autonomie (Art. 140 GG, 137 Abs. 3 WeimRV) achten wird. Diese Grenze wird er mit Rücksicht auf die besondere Eigenart und Lehre jeder Konfession respektieren, aber die für die Verfassungsinterpretation notwendigen allgemeinen Rechtsbegriffe sind für alle Bekenntnisse gleichmäßig festgelegt und gestatten keine differenzierende Interpretation92 • Was die Stellung der Kirchen im öffentlichen Recht anlangt, insbesondere ihre Position als Körperschaften des öffentlichen Rechts, so ruht sie auf staatlicher Gewährung oder Anerkennung. Es ist heute gemeinhin zugegeben, daß der Ausdruck "öffentliche Körperschaft" die besondere Lage der Kirchen im Staate nur andeutend umschreibt und jedenfalls keine Gleichstellung mit anderen Körperschaften unter Staatsaufsicht beinhaltet93, aber gerade wer die Eigenständigkeit kirchlichen Rechts vertritt, muß auf der anderen Seite erkennen, daß eine Position im Rahmen staatlicher Ordnungen auf staatlicher Bestimmung beruhen muß. In dem heute hervortretenden Bestreben, ein hohes Maß an Selbständigkeit der Kirchen im Staate anzunehmen, wird zuweilen übersehen, daß eine volle Unabhängigkeit der kirchlichen Stellung vom staatlichen Recht keineswegs ausschlösse, daß dieses sich doch mit ihnen befaßte. Es würde ihnen dann aber nicht ein im öffentlichen Recht anerkanntes Feld freier Wirksamkeit eröffnen, sondern sie unter das Recht privater Vereinigungen stellen, das eine sehr viel weitergehende 92 Das Gebot der Gleichheit Ist, wie das Bundesverfassungsgericht in anderem Zusammenhang ausgesprochen hat (BVerfGE 10 S. 59, 73), in der Verfassung selbst in einem gewissen Umfang konkretisiert. Diskriminierungen einer Religionsgesellschaft sind jedenfalls, wie das Gericht bemerkt, untersagt. Daher können auch im Verfassungsrecht vorkommende Begriffe, hinsichtlich deren die Bekenntnisse verschiedene Anschauungen haben, wie Gewissen (Art. 4 III GG) oder Elternrecht (Art. 6 II GG), nur einheitlich vom Boden der Verfassung aus und konfessionell neutral interpretiert werden. 13 Vgl. zu der besonderen Natur des Körperschaftsbegriffs in Art. 137 Abs. 3 WeimRV Konrad Hesse, S. 49, 65 ff.
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Ingerenz des Staates und seiner Rechtsordnung mit sich bringen würde94• Es gehört zu den Grundlagen des heutigen Status der Kirchen als einer öffentlich-rechtlichen Sicherung ihrer Selbständigkeit, daß auch die Kirchen diese Einfügung in das öffentliche Recht des Staates als einen Teil ihres Verhältnisses zum Staate verstehen und achten. Denn auch ihnen liegt hier eine Pflicht der Loyalität ob95 • Sie wird die Kirchen auch veranlassen, in einem Staate, der ihre Stellung achtet und sichert, staatlichen Rechtsvorstellungen dort entgegenzukommen, wo keine Grundfragen kirchlicher Ordnung berührt werden, so etwa in der Ausgestaltung eines den Gedanken rechtsstaatlicher Garantien entsprechenden innerkirchlichen Rechtsschutzes oder in der Normierung kirchlicher Dienstverhältnisse an Grundvorstellungen des staatlichen Sozialrechts, wo es um Dienste nichtgeistlicher Art, um Versorgung oder Alterssicherung geht. Soweit sich Staat und Kirche über die gegenseitige Beziehung vertraglich verständigen, muß eine solche Einigung als Brückenschlag zwischen verschiedenen Rechtsordnungen verstanden werden, die sich in GleiChordnung auf der Basis menschlicher Rechtssatzung begegnen98 • Insofern besteht zwisChen beiden Partnern eine Ebene gemeinsamer rechtlicher Verbindlichkeit, jenseits aller einseitigen Verfügung, die die älteren Legal- und Privilegientheorien hier behaupten. Die beiden ReChtsbereiche stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern gelten in steter Verbindung aufeinander. Diese Beziehung gilt gerade für das evangelische KirchenreCht in einer HinsiCht, die ungeachtet der so stark hervorgehobenen Selbständigkeit ihre historische Bedeutung behält. KirchliChe Ordnungen, vor allem der protestantischen Kirchen, die als ecclesiae particulares eher an ein bestimmtes Staatswesen gewiesen sind, sind als Teile der Gestalt der Kirche in dieser Welt niemals von Einflüssen der politischen Ordnung unberührt geblieben; ebenso, wie man hinzufügen kann, wie der Staat vom Bild der Kirche. Auch in der Gegenwart lassen sich, so wie im vergangeneo Jahrhundert bei der synodalen Einrichtung, solche Einwirkungen staatlicher Institutionen aufweisen. Das gilt nicht nur von der veränderten Stellung der Frau im öffentlichen Leben, die auch jedenfalls im protestantisChen Bereich spürbar wird. Man kann es auch bei der Einführung der kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit beobachten, 94
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Ich verweise auf meine Bemerkungen in: ZevKR 6 (1957/58) S. 26. Karl Barth, Die kirchliche Dogmatik, IV/2, Zollikon- Zürich 1955, S. 778,
hat klar ausgesprochen, daß man vom Staate nicht erwarten könne, daß er sich das Selbstverständnis der Kirche zu eigen mache. Staatskirchenrecht, so sagt er, kann nie Kirchenrecht werden. Aber die Kirche wird sich in den Raum loyal fügen können, in dem der Staat ihr einen angemessenen, sogar oft privilegierten Platz anweist. 06 Vgl. meinen Artikel "Evangelische Kirchenverträge", in: Staatslexikon, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, 6. Aufl., Bd. 3, Freiburg/Br. 1959, Sp. 171 ff.
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die sich in ihren Formen und Begriffen oft weitgehend- ich würde hinzusetzen, weiter als nötig- von staatlichen Vorbildern leiten läßt97• C. Die Ordnung des Grundgesetzes
7. Wenn der Parlamentarische Rat von einer Neubestimmung des Staatskirchenrechts absah und sich mit der Übernahme der Weimarer Vorschriften begnügte, so ist diese Lösung doch nicht ganz ohne verfassungsrechtliche Veränderungen gegenüber dem Zustand von 1919 erfolgt. Die wichtigste von ihnen liegt in der Ausschaltung des Bundes von jeder Befugnis zu staatskirchenrechtlicher Gesetzgebung. Sie entspricht der allgemeinen Tendenz des Grundgesetzes zur Sicherung eines von Bundeseinwirkung freien Länderbereiches. In der Entwicklungsgeschichte des deutschen Staatskirchenrechts ist diese Entscheidung aber ein Schritt von nicht geringer Tragweite. Er weist das Staatskirchenrecht damit weithin in die partikulare Ebene zurück. Bestehen bleiben freilich die Grundsatzbestimmungen der Weimarer Verfassung, die- ergänzt durch die Gewissensfreiheit des Art. 4 GG- einen bundesrechtlichen Rahmen festlegen, der die entscheidenden Fragen einheitlich gestaltet. Auch ist es ungeachtet des Konkordatsurteils nicht so, daß der Bund diesen einheitlichen Normativbestand nicht verfassungsrechtlich zu sichern imstande wäre. Ihm steht zwar - da es sich bei der Beachtung dieser Regeln nicht um Ausführung von Bundesgesetzen im Sinne des Art. 84 GG handelt- keine Bundesaufsicht zu. Eine Form der selbständigen Bundesaufsicht kennt das Grundgesetz nicht. Aber es stellt hier die Bundesorgane nicht rechtslos. Dem Bunde bleibt, wenn die Länder Bestimmungen der Bundesverfassung außer Acht lassen, der Weg der Verfassungsgerichtsbarkeit offen, um gegen eine solche Rechts- und Pflichtverletzung vorzugehen98 • Er kann im Wege einer Normenkontrolle oder einer auf die Versäumung einer verfassungsrechtlichen Pflicht des Landes gestützten Organklage99 vorgehen.
Zu dem erhaltenen Bestand bundesrechtlicher Regelung des Staatskirchenrechts gehört auch das Reichskonkordat von 1933. Seine Wirkung ist freilich, wie noch zu berichten sein wird, durch das Urteil des 87 Eine dieser Ordnungen (Kirchengesetz über die Errichtung eines Kirchengerichts der Landeskirche Schleswig-Holsteins vom 13. 2. 1960 [ABI. der EKD, S. 138]) verweist sogar für das Verfahren ergänzend auf die staatliche Verwaltungsgerichtsbarkeit (§ 16). 88 Zu dieser Rechtsfrage darf ich auf meine Ausführungen im Konkordatsstreit verweisen, in: Der Konkordatsprozeß, in Zusammenarbeit mit Hans Müller hrsg. von Friedrich Giese u. Friedrich August Frhr. von der Heydte, Teilbd. 4, München 1959, S. 1646 ff. Unrichtig dagegen Adolf Schüle, ebd., S.
1620 f.
89 Ein Beispiel eines solchen Klageverfahrens bildete das Verfahren wegen der beabsichtigten Volksbefragung über Atomwaffen. Vgl. BVerfGE 8 S. 104 ff., 122 ff.
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Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 1957 in einem nicht leicht zu übersehenden Maße abgeschwächt worden. Soweit Zuständigkeiten des Bundes reichen, kann er auch heute noch als Partner der Kirchen auftreten. Er kann in diesem Umfang auch mit ihnen Vereinbarungen treffen. Das hat sich bei dem Abschlusse des Militärseelsorgevertrages mit der Evangelischen Kirche in Deutschland am 22. 2. 1957 gezeigt100• Hier begegnete dem Bunde in einem Vertrage, der sich freilich inhaltlich notwendig nur auf die westdeutschen Landeskirchen beziehen konnte, die Evangelische Kirche in Deutschland als Ganzes, wobei ihrer Struktur nach freilich gemäß Art. 10 Buchst. b) ihrer Grundordnung eine rechtliche Bindung nur eintreten konnte für diejenigen Gliedkirchen, die als Beteiligte sich mit der Regelung einverstanden erklärten101 • Tatsächlich haben die Gliedkirchen im Gebiet der Bundesrepublik allein diese Zustimmung abgegeben und später die getroffene Ordnung bei sich eingeführt. Die Auseinandersetzungen, die sich an diesen Vertrag angeschlossen haben, sind nicht dem Kreis der Beziehungen von Staat und Kirche entsprungen. Sie nahmen in Zweifeln ihren Ursprung, die innerkirchlich an der institutionellen Verbindung der Militärseelsorge mit dem Staate entstanden102 und an den Angriffen, die im Bereich der Deutschen Demokratischen Republik - die dort wirkenden Gliedkirchen waren durch den Vertrag gar nicht gebunden - gegen die Abmachung gerichtet wurde. In der praktischen Ausführung ist dieser Vertrag zwischen Staat und Kirchen ohne Schwierigkeit ins Werk gesetzt worden. Die eigentliche Fortentwicklung des Staatskirchenrechts liegt aber zweifellos heute bei den Ländern. Ihrer Initiative sind die neuen Kirchenverträge entsprungen, die in Niedersachsen (1955), Schleswig-Holstein (1957), Nordrhein-Westfalen (1957) und Hessen (1959) mit weithin übereinstimmendem Inhalt abgeschlossen wurden. Sie stellen das Hauptstück neuer rechtlicher Entwicklung seit 1945 dar. Denn die Landesverfassungen, von denen nur Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz und Bremen vor, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg nach Zustandekommen des Grundgesetzes staatskirchenrechtliche Bestimmungen aufgenommen haben, wiederholen teils die Vorschriften der Weimarer Verfassung, teils legen sie sich insgesamt hier eine erhebliche Zurückhaltung auf. So zeigen sich zwar zwischen der betonten Hervorhebung der klaren Abgrenzung zwischen Staat und Kirche in Hessen Vgl. das Bundesgesetz vom 26. 7. 1957 zu diesem Vertrage (BGBl. I S. 701). Vgl. den klarstellenden Beschluß der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland v. 28. 2. 1960 (ABI. der EKD 1960 S. 93). 102 Wenn Helmut Ridder diese Verbindung als nicht "unproblematisch" bezeichnet (Sp. 1028), so beruht dies auf einer Annahme, daß das heutige Verfassungsrecht eine "positive" Trennung von Staat und Kirche enthalte; dem kann ich, wie oben ausgeführt, nicht zustimmen. 100
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(Art. 50) und der Anerkennung der Bedeutung der Kirchen für die religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens in BadenWürttemberg (Art. 4, ähnlich Rheinland-Pfalz Art. 41) mancherlei Abstufungen und Schattierungen, aber doch keine tiefergehenden Unterschiede. Dasjenige Gebiet, wo die weltanschaulich-politischen Meinungsverschiedenheiten praktisch sich in Verfassungsrecht und Gesetzgebung entfalten, ist die Schule, wo es um Bekentnis- oder Gemeinschaftsschule, Förderung der Privatschulen103, Lehrerbildung und Elternrecht geht. Auch hier ist die Einwirkung des Bundesrechts gering. Art. 7 GG gibt hierfür zwar gewisse Richtlinien, indem er gegenüber der Weimarer Verfassung eine den Privatschulen günstigere Haltung einnimt, die Beibehaltung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach ebenso wie das ältere Recht vorschreibt und das Recht der Eltern betont, aber er hält sich im entscheidenden Punkt der konfessionellen Natur des Schultyps ganz zurück. D. Kircllenreclltliclle Vorgänge seit 1945
8. Unter den staatskirchenrechtlichen Vorgängen seit 1945 darf neben den Kirchenverträgen der Länder das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Konkordatsstreit vom 26. 3. 1957 einen besonderen Platz beanspruchen. Seine Wirkungen reichen weit über eine bloße Auslegung von einigen Rechtsfragen des Grundgesetzes hinaus. Sie haben den staatskirchenrechtlichen Status in Deutschland erheblich berührt. Anlaß des Streites war das Gesetz über das öffentliche Schulwesen, welches das Land Niedersachsen am 14. September 1954 erließ, obwohl der Apostolische Nuntius gegen eine Anzahl seiner Bestimmungen Bedenken erhoben hatte. Nach Erlaß des Gesetzes griff die Bundesregierung auf Veranlassung der Kurie die Frage auf und vertrat gegenüber dem Lande den Standpunkt, daß bestimmte Vorschriften des Gesetzes mit dem Reichskonkordat nicht vereinbar seien. Der Schriftwechsel des Bundeskanzlers mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten führte indes zu keinem Ergebnis, weil die niedersächsische Seite die Vereinbarkeit mit dem Konkordat behauptete, und so erhob schließlich am 12. 3. 1955 die Bundesregierung die Verfassungsklage mit dem Antrage, eine Verletzung der Rechte des Bundes festzustellen. In dem umfangreichen Rechtsstreit bezogen die beiden Länder Hessen und Bremen, die dem Verfahren beitraten, auch die Frage des gültigen Zustandekommens des 103 Angesichts der Tatsache, daß die konfessionelle Privatschule wachsende Bedeutung gewinnt, ist die Frage der finanziellen Unterstützung solcher Privatschulen durch den Staat von erheblicher Bedeutung. Vgl. hierzu das Urteil des Verfassungsgerichtshofs in Nordrhein-Westfalen v. 21. 12. 1959, das die Vereinbarkeit des § 42 des Schulgesetzes von Nordrhein-Westfalen vom 8. 4. 1952 mit der Landesverfassung bejaht und damit die geltende Regelung für die öffentlichen Zuschüsse an Privatschulen (unter Beteiligung der Gemeinden) in Geltung erhält.
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Reichskonkordates im Jahre 1933 und seines Überdauerns nach 1945 ein. Das Urteil des Gerichts gelangte zur Zurückweisung des Antrages der Bundesregierung, weil es eine Verletzung von Rechten des Bundes nicht für gegeben erachtete. Zu der Frage der inhaltlichen Vereinbarkeit des niedersächsischen Schulgesetzes mit dem Konkordat nahm es keine Stellung, weil schon die Möglichkeit einer Verletzung von Rechten des Bundes durch dies Gesetz verneint wurdeto4. Das Verfahren ist von zahlreichen Veröffentlichungen vorbereitet und begleitet worden und hat eine Fülle von Äußerungen hervorgerufen. In seinem Hauptergebnis - Feststellung des rechtswirksamen Zustandekommens und des Fortbestandes des Konkordats mit Bindung für den Bund, aber Abweisung des Bundes im Hinblick auf die Kompetenzverteilung des Grundgesetzes- ist es als Kompromiß empfunden worden. Die Kritik hat vor allem daran eingesetzt, daß die Rechtsbegründung des Urteils nicht aus einem Gusse erscheint. Das Urteil stellt völkerrechtlich und innerstaatlich gültiges Zustandekommen und Fortgeltung des Vertrages nach 1945 fest 105. Als Vertragspartner betrachtet es unverändert den Bund als identisch mit dem Reich106 , während es einen Eintritt der Länder als Vertragspartner nach 1945 mit Recht ausschließt. Zum Angelpunkt seiner Begründung wird dann Art. 123 Abs. 2 GG, dessen zweifellos wenig klare Fassung es dahin interpretiert, daß er keine Bindung der Länder an das fortbestehende Vertragsrecht des Konkordates enthalte107. Das wird damit begründet, daß im Grundgesetz den Ländern die Verfügung über die Schule eingeräumt sei und eine bindende Wirkung des Konkordates diese Zuständigkeit teilweise wirkungslos machen würde. Ebenso weist dann der Gerichtshof den Gedanken ab, daß aus dem Rechtsprinzip der Bundestreue die Länder verpflichtet sein könnten, das Konkordat wegen der fortbestehenden Bindung des Bundes auszuführen. Immer wieder kommt das Urteil vielmehr auf den Gesichtspunkt zurück, daß mit der Hoheit der Länder auf dem Schulgebiet, die das Grundgesetz eingeführt habe, eine Verpflichtung der Länder gegenüber dem Bund zur Ausführung des Konkordates nicht vereinbar seil 08 . 104 BVerfGE 6 S. 309 - 366. Das ganze Material an Urkunden, Gutachten und mündlicher Prozeßverhandlung findet sich in: Der Konkordatsprozeß, in Zusammenarbeit mit Hans Mütler hrsg. von Friedrich Giese und Friedrich August Frhr. von der Heydte, 4 Bände, München 1957 -1959 (Veröffentlichungen des Instituts für Staatslehre und Politik e. V., Mainz, Bd. 7). Eine kritische Würdigung des Urteils mit ausführlichen Literaturangaben bei Joseph H. Kaiser, Die Erfüllung der völkerrechtlichen Verträge des Bundes durch die Länder. Zum Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichts, in: ZaöRV 18 (1958) s. 526 ff. 1os BVerfGE 8 S. 331 ff., 336. 108 s. 338. 107 s. 340 - 353. 1os S. 361 - 366 sowie vor allem S. 344, 361, 365.
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In der Begründung des Urteils liegt ein Bruch darin, daß bei Annahme einer fortbestehenden Bindung des Bundes die verfassungsrechtliche Ordnung eines Bundesstaates keinen Grund abgeben kann, um nachträglich bei Veränderung von Zuständigkeiten die Vertragsbindung tatsächlich für die zuständigen Teile der Gesamtorganisation in Fortfall zu bringen. Kann man daran zweifeln, ob die Länder heute verpflichtet sein können, bei einem vom Bunde im Bereich ihrer Sphäre wirksam abgeschlossenen völkerrechtlichen Vertrage in allen Fällen für die Ausführung einzustehen 109 , so kann bei einem 1945 in den Rechtsbestand übernommenen Vertrage - und einen anderen Sinn als den einer Übernahme in den geltenden Rechtsstand hat Art. 123 Abs. 2 GG nicht- keine Möglichkeit bestehen, die Verpflichtung durch Kompetenzänderung innerhalb des Staatswesens abzustreifen. Mit Recht hat Kaiser 110 auf den in der internationalen Rechtsprechung bekräftigten Grundsatz des Völkerrechts hingewiesen, daß ein Staat sich weder auf seine Gesetzgebung noch seine Verfassung berufen kann, um wirksam eingegangene völkerrechtliche Verpflichtungen späterhin zu beseitigen. Es wäre also geboten gewesen, ungeachtet der Änderung der Zuständigkeiten im Grundgesetz eine Rechtspflicht der Länder festzustellen, das Konkordat auszuführen. Im Grunde hat das Gericht, wenn man seine Ausführungen nachprüft, seine Argumentation auf eine versteckte Anwendung der clausula rebus sie stantibus und auf die Betonung der staatlichen Souveränität gestützt. Zwar lehnte es den Gedanken ab, die grundlegende Wandlung der rechtlichen Struktur eines Partners könne den Vertrag beenden 11 t, aber in der Folge erscheint wieder und wieder als der maßgebende Gesichtspunkt, weshalb die Verpflichtung der Länder zur Ausführung nicht besteht, die im Grundgesetz vorgenommene Kompetenzänderung. Daraus zieht das Gericht den Schluß, Art. 123 GG hindere den Gesetzgeber nicht an der Änderung des innerstaatlich parallel dem Konkordat fortgeltenden Rechts, (wofür nunmehr der Landesgesetzgeber im Schulbereich zuständig ist) 112, und die Ordnung des Grundgesetzes gebe keine Basis für die Herleitung einer Pflicht der Länder zur Einhaltung der Schulbestimmungen des Konkordats113 • Hier wird im Grunde nichts anderes tos Ich gehe dabei davon aus, daß dem Bunde nach Art. 32 GG die Befugnis zusteht, neben den Ländern auch auf dem Gebiet ihrer ausschließlichen (und der konkurrierenden) Gesetzgebungskompetenz Verträge zu schließen. So auch Kaiser, S. 541. Soweit nicht besondere Umstände vorliegen, werden dann die Länder aus Gründen der Bundestreue zur Ausführung verpflichtet sein (zu dieser bestrittenen Frage Kaiser, S. 547/48). 110 111
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s. 537 Anm. 54. s. 336. s. 344.
111 S. 353 und nochmals S. 361. AufS. 365 heißt es ausdrücklich: "Ob der Verfassungsgesetzgeber durch die eine oder andere Lösung bestehende vertrag-
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gesagt, als daß der eingetretene Zuständigkeitswandel zum Befreiungsgrund von der Vertragsbindung, zwar nicht für den zur Ausführung unzuständigen Bund, aber für die zuständigen Länder wird. Es wird damit zugleich angenommen, daß dem Staat nach wie vor die souveräne Verfügung über das Staatskirchenrecht, sogar das vertraglich gesicherte, zusteht. Denn durch Änderungen seiner Kompetenzverteilung kann er eingegangenen Bindungen die faktische Ausführbarkeit entziehen. Auch wenn das Urteil das Schwergewicht auf Art. 123 GG legt, so ist es dann diese spezielle Vorschrift, die die Lösung der Vertragsbindung herbeigeführt hat. Es gilt also der Satz: Verfassungsrecht geht vor Kirchenvertrag und völkerrechtliche Bindung. In verdeckter Form ist also doch die innerstaatliche Statusveränderung zum Anlaß genommen, um - zugleich unter Anerkennung der staatlichen Souveränität - den Fortfall der Vertragsbindung zu stützen114• So liegt in diesem Urteil zunächst - und noch wenig im Schrifttum bemerkt- eine Bestätigung des staatlichen, aus der Souveränität abgeleiteten Rechtes, sich in seiner Rechtsetzung auch über eingegangene Vertragsbindungen hinwegzusetzen. Diese These ist in dem Urteil nicht spezifisch auf das Verhältnis von Staat und Kirche begrenzt, aber es könnte sein, daß die besondere Natur des Staatskirchenrechts nicht ohne Einfluß auf die Stellungnahme gewesen ist. In der Auswirkung hat das Urteil dem Bunde die Möglichkeit genommen, durch verfassungsrechtliche Mittel die Ausführung der ihm obliegenden Vertragspflicht durch die Länder zu erreichen. Faktisch sind damit die Schulartikel des Reichskonkordates ihrer Wirkung beraubt und ist den Ländern freie Disposition insoweit eingeräumt worden115 • Die Verlagerung des Schwerpunktes im Staatskirchenrecht auf die Länder hat durch das Urteil eine erhebliche Verstärkung erfahren. Es ist nicht ohne Zusammenhang hiermit, daß nun in die evangelischen Kirchenverträge auch im Interesse des Staates gestaltete Schulartikel ihren Einzug halten. Im Loccumer Vertrag (Art. 5) erst nur eine lockere Inbezugnahme des niedersächsischen Schulgesetzes, im Vertrage mit den Landeskirchen Schleswig-Holsteins (Art. 6 Abs. 1 und 2) und Hessens (Art. liehe Verpflichtungen verletzt oder gefährdet, ist eine andere Frage, die jedoch die Geltung der Verfassung nicht berührt." 114 In einer tiefer gegründeten Form hatte Rudolf Smend, Reichskonkordat und Schulgesetzgebung, in: JZ 1956 S. 265 ff., auf den Statuswandel eines Partners als Endigungsgrund von Kirchenverträgen mit ihrer spezifischen Abhängigkeit von geistig-politischen Voraussetzungen hingewiesen. Ich möchte, ohne diesen Darlegungen folgen zu können, darauf verweisen, daß hier jedenfalls eine aus dem Wesen des Staatskirchenrechts abgeleitete Begründung gegeben ist. Vgl. zur clausula auch Eric Suy, Le Concordat du Reich de 1933 et le droit des gens, Tamise 1958. 115 Es muß betont werden, daß diese Aussage nur für die Schulartikel gilt, der andere Inhalt des Konkordates dagegen durch das Urteil nicht berührt wird.
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14) dagegen eine Anerkennung des Charakters der Schule als Gemeinschaftsschule mit christlichem Grundcharakter (Hessen: auf christlicher Grundlage). Über das engere Gebiet des Streites hinaus wird das Urteil dazu dienen, auf die Länder als die - jedenfalls für bestimmte Materien - notwendigen Partner von künftigen Kirchenverträgen aller Bekenntnisse hinzuweisen. 9. Der Inhalt der Kirchenverträge soll uns hier nicht im einzelnen beschäftigen 116 • Ihre grundlegende Bedeutung für die Fortbildung des heutigen Staatskirchenrechts liegt darin, daß in ihnen die neuen Grundauffassungen und Lösungen, denen der Parlamentarische Rat durch den restaurierenden Ausweg der Wiederaufnahme der Weimarer Formeln ausgewichen ist, in Sicht kommen. Sind sie aus mancherlei Gründen historischer Rücksicht noch mit an ältere Verhältnisse gebunden und bilden sie keine durchgreifende Neugestaltung, so stellen doch ihre Ansätze eine neue Stufe staatskirchenrechtlicher Formung jenseits der Festlegung von 1919 dar. Das gilt in einem doppelten Sinne, sowohl von ihren Einzelbestimmungen, die ein "Aufräumen" überalterter Formen und eine Neuredigierung des Zusammenwirkens von Kirche und Staat unternehmen, wie vor allem von den grundsätzlichen Formeln, in denen die Verträge die neue Lage zu erfassen und zu formulieren suchen. In den Einzelabreden vollzieht sich neben demAbbau ÜberalterterVerhältnisse (staatliche Vorhaltung kirchlich genutzter Gebäude, Patronat) eine klare Absage an die staatliche Kirchenhoheit. Ihre gesetzlichen Grundlagen werden aufgegeben, und staatliche Einflußrechte werden in der Hauptsache auf den Stand zurückgeführt, der aus der Wahrung der für alle geltenden Staatsgesetze und der staatlichen Normativbestimmungen für Vorbildung und Staatsangehörigkeit der Geistlichen nötig erscheint. Die praktisch sehr weitgehende Reduzierung der politischen Klausel unterstreicht die Selbständigkeit der Kirchen. Die hier gewonnene größere Freiheit der Kirchen schließt aber nicht etwa im Sinne eines Trennungsgedankens eine Aufgabe der institutionellen Zusammenarbeit von Kirche und Staat im Religionsunterricht, in der Bestellung von Mitgliedern der Theologischen Fakultäten an den Universitäten und von Professoren und Dozenten an den Pädagogischen Hochschulen sowie in der Anstaltsseelsorge aus 117• Diese Formen der gegenseitigen Berücksichtigung in der Ordnung der Gebiete gemischter kirch118 Ich darf auf meine Darlegungen in: ZevKR 6 (1957/58) S. 1 ff., sowie auf den Artikel "Kirchenverträge" von Werner Weber, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Auf!., Bd. 3, Tübingen 1959, Sp. 1591 ff., verweisen. 117 Die hier bestehenden institutionellen Verbindungen zeigen, daß Ridders Kritik, Sp. 1028, an institutionellen Verbindungen von Kirchenorganen und staatlichen Ämtern nicht begründet ist. Solches Zusammenwirken entspricht der alten Tradition auch der nunmehr von staatlicher Aufsicht freien Kirche. Was Ridder dabei kritisch im Auge hat, der Konfessionsproporz im staatlichen
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licher und staatlicher Betätigung werden heute bestätigt, erneuert und hier und da sogar ein wenig deutlicher nachgezogen. Das Bild rundet sich ab mit den staatlichen Zusagen für Staatsleistungen, Eigentumsschutz und Hilfe bei der Berechnung und Erhebung der Kirchensteuern. Daß sich der Staat dabei ein Genehmigungsrecht für die Höhe der kirchlichen Besteuerung vorbehält, ist keine Wiederaufnahme älterer Aufsicht, sondern eine für ihn notwendige Sicherung eines Einflusses auf die Beanspruchung der Steuerkraft der Bevölkerung. So wird in den speziellen Vorschriften der Verträge altüberliefertes Rechtsgut bereinigt, vereinfacht und bekräftigt. 10. Könnte man schon aus den Einzelzügen der neueren Kirchenverträge ein Bild geänderter staatskirchenrechtlicher Anschauungen herauslesen, so wird diese Neuformierung in den Eingangsformeln der Abmachungen selbst ausdrücklich vorgenommen. Den Grundzug der von ihnen vorgezeichneten Stellung der Kirche im Staat wird man als den Status einer öffentlich-rechtlich anerkannten Eigenständigkeit und freundschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Staate bezeichnen können. Die Merkmale der Eigenständigkeit, der öffentlich-rechtlichen Position und der freundschaftlichen Kooperation bestimmen ihn, die Festlegung der Neutralität und Toleranz des Staates ergänzt ihn. Eigenständigkeit bedeutet- die Verträge verwenden ausdrücklich dies Wort- staatliche Anerkennung der grundlegenden Andersartigkeit und Unabhängigkeit der Kirche noch über die autonome Selbständigkeit des Art. 137 Abs. 3 WeimRV hinaus. Jeder Gedanke an staatliche Delegation tritt ebenso zurück wie die Vorstellung einer "Landeskirche" im staatlichen Sinn. Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche sind auf die Ebene einer Gleichordnung gebracht, in der eine einseitige staatliche Regulierung zugunsten einer vertraglichen Einigung zurücktritt. Vertragliche Einigung über ausstehende Fragen erscheint, wie heute mit Recht hervorgehoben wird 118 , als die normale und angemessene Form der rechtlichen Regelung. Auf der anderen Seite geht es zu weit, aus der Koordination eine "positive" Trennung zu entwickeln und administratives Ineinanderwirken von Kirche und Staat in Frage zu stellen. Der Trennungsgedanke, schon für die Weimarer Zeit tatsächlich ganz zurückgetreten, ist keine zutreffende Kennzeichnung des gegenwärtigen staatskirchenrechtlichen Standes. Auch die Formel der Verträge von der "freiheitlichen Ordnung" bezeichnet nur die Ablehnung jeder inneren Verbindung von Staat und Kirche im Sinne der früheren gegenseitigen Abstützungm. Personalwesen, gehört gar nicht in dies Feld, sondern ist ein Vorgang allein der innerstaatlichen Struktur. 118 Vgl. Komad Hesse, S. 76 ff.; Helmut Ridder, Sp. 1027. 119 Wenn im hessischen Kirchenvertrag (1959) hierfür eine Erwähnung des Art. 50 der hessischen Verfassung eingesetzt ist, so besagt dies das gleiche.
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Die öffentlich-rechtliche Anerkennung der Kirchen reicht über diese Grundlinie hinaus. Sie weist den Kirchen im staatlichen Bereich eine mit der Körperschaftsformel wenigstens andeutungsweise umschriebene privilegierte Stellung zu, deren Bestandteile- Amtsrecht, Besteuerungsrecht, erhöhter Rechtsschutz, Gerichtsbarkeit - die Kirchen aus der privaten Sphäre bloßer Vereinigungen heraus zu Erscheinungen des öffentlichen Rechts machen und ihre Position staatsrechtlich sichern. Das Mißverständnis der Weimarer Zeit, damit müsse eine Staatsaufsicht parallel gehen, ist aufgegeben. Nur dort, wo im gemischten Gebiet der Staat den Kirchen unmittelbar hoheitliche Funktionen einräumt (Besteuerung, kirchliche Überwachung des Religionsunterrichts), entspricht dieser Lage eine staatliche Mitwirkung oder Genehmigung. Der Öffentlichkeitsanspruch der Kirchen hingegen beinhaltet etwas anderes. Er bezeichnet keine Teilhabe der Kirchen an staatlichen Dingen, sondern die Forderung der Kirchen als geistlicher Gemeinschaften, in freier Einwirkung auf die Öffentlichkeit ihr Wächteramt120 auszuüben und ihre Verkündigung in den modernen Formen des öffentlichen Lebens (Presse, Rundfunk, Vereinigungen usw.) wahrzunehmen. Die heute auf einem breiteren Raume erfolgende Heranziehung der Kirchen als Mitwirkende im staatlichen und öffentlichen Bereich (Vertretung in Beiräten staatlicher Einrichtungen, Anhörung) gehört wiederum einem ganz anderen Zusammenhang an. Hier handelt es sich um den Ausdruck staatlicher Berücksichtigung der Kirchen als einflußreicher und geistig bedeutsamer Erscheinung des öffentlichen Lebens. Daß hier kirchliche Zurückhaltung Grenzen finden sollte, um einer Verflechtung in staatliche Zusammenhänge im Übermaß auszuweichen, mag hinzugefügt sein. Aber es wäre eine Illusion, auch diese Seite weltlicher Mitwirkung der Kirchen zu übersehen und in ihrer positiven Einwirkung auf eine für beide Seiten annehmbare Gestaltung von Gesetzen und Verwaltungseinrichtungen des Staates zu unterschätzen. Verzeichnet ist jedenfalls eine Sicht, die aus dieser Position der Kirchen die Folgerung zieht, sie zu Bestandteilen einer Vielheit pluralistischer Kräfte des öffentlichen Lebens zu erklären und sie als Bestandteile der öffentlichen Ordnung zu deklarieren121 • Mögen fehlerhafte Formen der Vertretung kirchlicher Wünsche unterlaufen, die Kirchen erDenn auch Art. 50 legt nicht ein Trennungsdenken fest, sondern nur die gegenseitige Zurückhaltung vor Eingriff in den anderen Raum (vgl. auch Erwin Stein, in: Georg August Zinn u. Erwin Stein, Die Verfassung des Landes Hessen, Bd. 1, Bad Hornburg v. d. H. - Berlin 1954, S. 257, 258). Zum theologischen Bedenken gegen jedes .,Bereichsdenken" siehe Theodor Hecket, vgl. Anm. 83, s. 256 f. 12° Für die katholische Kirche dürfte hier die Lehre von der potestas indirecta die Grundlage der Stellungnahme bilden. Vgl. Pietro Agastino !!Avack, Corso di diritto canonico, Bd.1, Milano 1956, S. 261 f. 121 Vgl. Werner Weber, in: VVDStRL 11 (1954), S. 173 ff. 11"
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scheinen im öffentlichen Bereich nicht neben Interessengruppen und als eine unter ihnen. Sie handeln hier, wo immer sie ihre Aufgabe recht verstehen, in einem anderen Auftrag, einem anderen Geist und in einer selbständigen und zugleich höheren Verantwortung, die sich nicht allein an weltlichen Maßstäben ausrichtet. Das Merkmal der freundschaftlichen Zusammenarbeit trägt die weite Kette geordneten Ineinandergreifens staatlicher und kirchlicher Mitwirkung in Unterricht und Anstaltssorge, aber auch die Bereitschaft zu gegenseitiger Hilfe (einschließlich Rechtshilfe), aber auch die grundsätzliche Anerkennung der staatlichen Grundordnung durch die Kirchen im "für alle geltenden Gesetz" und der kirchlichen Ordnung durch den Staat in der Enthaltung von Eingriffen in ihren Ablauf122 • 11. Für den Staat tritt weiter hinzu die Anweisung seines Verfassungsrechts - dies nun als einseitige Festlegung - zu bürgerlich-politischer Gleichbehandlung der Glieder aller weltanschaulichen Gemeinschaften und zu genereller Toleranz. Sie verwehrt von einem anderen Ausgangspunkt her die Einführung staatskirchlicher Elemente, weil damit diese Pflicht zu staatlicher weltanschaulicher Neutralität verletzt werden würde. Die Pflicht zur Gleichbehandlung ist zunächst eine verfassungsrechtliche Bindung gegenüber dem einzelnen Bürger. Sie wurzelt in dem individuellen Grundrecht der Glaubensfreiheit und in der allgemeinen bürgerlichen Gleichheit ohne Rücksicht auf Konfession oder Weltanschauung (Art. 4 I, 3 111, 33 III GG, 136 I und II WeimRV)1 23 • Hier wird jede diskriminierende Berücksichtigung weltanschaulicher Zugehörigkeit ausgeschlossen, d. h. jedesachfremde Abstellung auf solche Unterschiede, erst recht natürlich eine bewußte Differenzierung zum Nachteil einer Glaubensrichtung124 • Für die Kirchen und Religionsgesellschaften wirkt dieses Gebotnur indirekt. Für sie selbst kann die Pflichtzur Neutra122 Vgl. hierzu Hans PeteTS, Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, in: VVDStRL 11 (1954) S. 191; Eckart Beulke, Bonner Grundgesetz und die Parität der Kirchen, in: ZevKR 6 (1957/58) S. 132/33. Wie weit sich heute indes Staat und Kirche organisatorisch gegeneinander verselbständigt haben, zeigt die Diskussion um die Zurechnung des Kirchendienstes zum öffentlichen Dienst, den besonders festzuhalten die Kirchenverträge Anlaß fanden (Loccum, Zusatzvereinbarung § 1; Schleswig-Holstein, Art. 2 Abs. 2 des Vertrages; Hessen, Schlußprotokoll zu Art. 1 Abs. 4). Zur besonderen Lage des kirchlichen Dienstes im Zusammenhang der Gesetzgebung zu Art. 131 GG siehe indes BVerwGE 9 S. 179. Zur Respektierung innerkirchlicher Personalbeurteilung (Lehrbeanstandung eines Professors an einer Philosophisch-Theologischen Hochschule) durch den Staat, der hieraus auch die Folgerung ziehen mag, den Betreffenden nicht zum Ordinarius aufrücken zu lassen, vgl. BayVGHE 7 I S. 41 ff. 123 Hierzu Eckart Beulke, S. 133 ff. 124 Hier sei nochmals auf das in Anm. 29 angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. 1. 1960 verwiesen: Pflicht eines Landes zur Aufnahme einer freireligiösen Bewerberin in die konfessionell ausgestalteten Pädagogischen Akademien des Landes. Das Gericht verweist dabei zutreffend auf Art. 3 Abs. 3 GG, legt freilich den Schwerpunkt auf Art. 12 GG, der hier indes nur den allgemeinen Rahmen abgibt.
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lität des Staates - abgesehen von dem ganz allgemeinen Verbot ungleicher Rechtsetzung und Rechtshandhabung in Art. 3 I GG125 - in erster Linie aus Art. 137 WeimRV zu entnehmen sein, wo die Relation der Religionsgesellschaften untereinander speziell und, wie mir scheinen will, in der Hauptsache abschließend geregelt ist. Das hier ausgesprochene Verbot einer Staatskirche setzt Privilegierungen einer Konfession, aber auch der Bevorrechtigung der großen Bekenntnisse bestimmte Grenzen. Aus Art. 137 V und VI WeimRV ergibt sich andererseits, daß dem Verfassungsrecht die tatsächliche Verschiedenheit der Religionsgesellschaften, wenn es sie auch durch Verleihung von Körperschaftsrechten zu mildern sucht, nicht unbekannt ist, daß es daher mit einer aus tatsächlichen und historischen Gründen stammenden Verschiedenheit in der Stellung der Religionsgesellschaften rechnet und sie daher in Gesetzgebung und Verwaltung sachgerecht berücksichtigt128 • Dem Staate ist also weder ein Vertragsschluß mit einer Religionsgesellschaft allein verwehrt, noch ist er gehindert, die tatsächliche Stellung der großen Bekenntnisse im öffentlichen Leben und ihre überlieferte Bedeutung für das geistige Dasein der Nation in Rechnung zu stellen. Eine strikte Gleichbehandlung gilt im Raume der individuellen Glaubensfreiheit {einschließlich der freien Kultusübung}, nicht aber dort. wo es sich um den Bereich des Art. 137 WeimRV, die institutionelle Position der Religionsgesellschaften, handel t1 27 • Der Grundsatz der Parität in der Behandlung der Religionsgesellschaften findet im Verfassungsrecht also keine Grundlage im Sinne schematischer Gleichbehandlung aller Vereinigungen weltanschaulicher 125 Eine Übertragung der Gebote der Art. 3 Abs. 3 GG und 136 WeimRV auf die Stellung der Kirchen untereinander im Wege des Hinweises auf Art. 19 Abs. 3 GG (juristische Personen), wie sie Eckart Beulke, S. 138 ff., vornimmt, halte ich für verfehlt. Einerseits ist die religiöse Toleranz im staatsbürgerlichen Sinne, wie sie Art. 3 Abs. 3 GG und Art. 136 WeimRV aussprechen, höchstpersönlich und nicht auf Rechtspersonen übertragbar, zum anderen ist die Relation der Religionsgesellschaften untereinander von individuellen Grundrechten verschieden in Art. 137 WeimRV geregelt. So richtig auch Konrad Hesse, Schematische Parität der Religionsgesellschaften nach dem Bonner Grundgesetz?, in: ZevKR 3 (1953/1954) S. 196 f. Beulke weist übrigens selbst abmildernd darauf hin, daß im Wesen der Religionsgesellschaften selbst Unterschiede liegen, die eine schematische Gleichheit ausschließen (S. 142 f., 151). 128 In diesem Sinne auch Rudolf Mayer, Kirche, Freikirche, Sekten, in: ZevKR 7 (1959/60) S. 178 ff. Für eine unterschiedslose Gleichheit der Religionsgesellschaften tritt ein die Dissertation von Jii.rgen Lehmann, Die kleinen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts im heutigen Staatskirchenrecht, Frankfurt 1959, S. 87 ff. Auch er muß aber zugeben, daß erhebliche rechtliche Differenzierungen bestehen (S.l04 ff.). 1Z7 Hierzu Konrad Hesse, in: ZevKR 3 (1953/1954) S. 193 ff.; Rudolf Smend, Zur Gewährung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an Religionsgesellschaften gemäß Art. 137 WRV, in: ZevKR 2 (1952/1953) S. 376. Zur Parität zwischen den großen Kirchen und den anderen Religionsgesellschaften vgl. Werner Weber, in: VVDStRL 11 (1954) S. 171 f.; Hans Peters, ebd., S. 187; Konrad Müller, Die Gewährung der Rechte einer Körperschaft des
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Art. Er gilt selbst zwischen den großen Bekenntnissen nicht als eine Rechtspflicht in diesem Sinne. Seine Handhabung als formelle Gleichbehandlung der traditionellen großen Kirchen ist vielmehr eine Richtlinie der staatlichen Kirchenpolitik, die bewährter Überlieferung entspricht- sie ist vor allem in den 20er Jahren beim Abschluß der Kirchenverträge geachtet worden128 - , aber aus Gründen der sehr unterschiedlichen Konfessionslage in den einzelnen Ländern ebenfalls bestimmte Grenzen findet 12'. Es wäre zu früh, über Entwicklungen auf diesem Gebiete staatlicher Stellungnahme gegenüber den verschiedenen Religionsgesellschaften in dem kurzen verflossenen Zeitraum zu sprechen. Im Ganzen hat sich auch in der staatlichen Praxis eine der Tradition folgende Linie, die dem überlieferten Rang der großen Kirchen entspricht, behauptet. 12. Sucht man die Ergebnisse dieses naturgemäß unvollständigen Überblicks zusammenzufassen, so zeigen sich deutlich die Elemente einer Fortführung traditioneller Zusammenhänge- zu denen in erster Linie die erhaltene Verbindung von Staat und Kirche in freundschaftlicher Zusammenarbeit, die öffentlich-rechtliche Position der Kirchen und die verfassungsrechtliche Neutralität des Staates gehören-, aber auch die Merkmale einer neuen Gestaltung, die fortschreitend die Restbestände der staatlichen Kirchenhoheit überwindet, die volle Eigenständigkeit der Kirchen und des Kirchenrechts herstellt und neue Wege einer Partnerschaft zwischen Staat und Kirche zu finden vermag. Faßt man den Gesamtstatus der Kirchen ins Auge, so wird man schwerlich der Meinung derjenigen zustimmen können, die heute vom Ende des konstantinischen Zeitalters sprechen. Für das westliche Deutschland gelten vielmehr die alten Überlieferungen der abendländischen Geschichte noch fort. Die Nähe zwischen Kirche und Staat ist gelockert, die religiöse Durchdringung des geistigen Lebens gemindert, aber noch immer gilt die Maxime gegenseitiger Achtung und rechtlicher wie tatsächlicher Rücksichtnahme aufeinander für Kirche wie Staat. Schwer wägbar sind die Veränderungen des allgemeinen geistigen Klimas in der gegenwärtigen Entwicklung und ihre Wirkungen auf die öffentlichen Rechts an Religionsgesellschaften gemäß Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV, in: ZevKR 2 (1952/1953) S. 141 f.; Konrad Hesse, in: ZevKR 3 (1953/1954) S.188 ff.; Rudolf Mayer, in: ZevKR 7 (1959/60) S.178 ff. 128 Ein Beispiel solcher Parität bildete die von mir in: ZevKR 6 (1957/58) S. 36, Anm. 111, berichtete paritätische Förderung der evangelischen Kirche angesichts der Gründung des Bistums Essen und der dadurch bedingten Erhöhung staatlicher Zuwendungen an die katholische Kirche. Das Land Nordrhein-Westfalen stellte der Evangelischen Kirche im Rheinland Mittel zur Verfügung, die ihr die Errichtung eines zweiten Predigerseminars in Bad Kreuznach ermöglichten. 121 Zur Parität vgl. auch Theodor Maunz, Toleranz und Parität im deutschen Staatsrecht, München 1953.
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Relation der Kirchen zum Staate wie auch auf ihre Beziehungen untereinander. Noch immer hält sich erfreulicherweise in Deutschland die größere Nähe und Verständnisbereitschaft, die der gemeinsame Abwehrkampf der 30er Jahre beiden großen Konfessionen gebracht hat. Auf der anderen Seite begründet die Entwicklung zwischen ihnen in der Natur der Sache gelegene Unterschiede. Man wird ohne Übertreibung sagen können, daß mancherlei Gründe, nicht zuletzt die wirksamere Selbstdarbietung, die der katholischen Kirche zu eigen ist, im öffentlichen Leben des westlichen Deutschland den Klang der katholischen Stimmen zuweilen stärker zur Geltung kommen lassen als den auch in sich vielseitiger orchestrierten und nicht widerspruchsfreien Chor evangelischer Äußerungen. Dafür kann wiederum darauf hingewiesen werden, daß mit den neuen Kirchenverträgen im Unterschied zur Weimarer Periode heute die evangelische Seite aktiver und bestimmender an den Neuformulierungen staatskirchenrechtlicher Grundverhältnisse mitgewirkt hat als die katholische Kirche, für die der Streit um das Reichskonkordat und dessen Verteidigung auch zugleich eine Zurückhaltung in rechtlicher Neubildung mit sich brachte. Unter den offenen Fragen der Zukunft mögen hier nur einige Punkte erwähnt sein. In einem mehr tatsächlich und vorläufig geformten Zustand verharrt noch die Beteiligung der Kirchen an den ihren Öffentlichkeitsanspruch wesentlich berührenden Einrichtungen der modernen Massenbeeinflussung (Rundfunk, Fernsehen). Auch die Kirchenverträge haben hier eine rechtliche Fixierung nicht unternommen. Weitreichende Fragen würden aufgeworfen werden, wenn sich die Bestrebungen auf evangelischer Seite zu organisatorischem Zusammenschluß bestehender Kirchengebilde, oder sogar zur Abschwächung des heutigen territorialkirchlichen Status der Landeskirchen verwirklichen würden. Haben sich nun auch Kirche und Staat daran gewöhnt, daß auf evangelischer Seite130 die räumliche Begrenzung der historisch in Anlehnung an ältere Ländergrenzen gebildeten Kircheneinheiten sich definitiv von der Entwicklung der Ländergrenzen gelöst hat131, so liegt doch die Aufrechterhaltung der derzeitigen geschlossenen Territorialkirchen nicht in Satzungen staatlichen Rechts, sondern, wie Rudolf Smend gezeigt hat132, allein in solchen 130 Vgl. hierzu Konrad Müller, Artikel "Grenzen, kirchliche und staatliche", in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. 2, Tübingen 1958, Sp. 1854 f. Die katholische Diözesaneinteilung, im Grundsatz auf der deutschen Territoriallage von 1815 aufgebaut, weist heute ähnliche Divergenzen mit staatlichen Grenzen auf. 131 So mit Recht Konrad Müller. Die leisen Versuche der neueren Kirchenverträge, in Gestalt loser institutioneller Zusammenarbeit der im Staatsgebiet wirkenden Kirchen mit dem Staat die staatliche Abgrenzung zu betonen, bedeuten demgegenüber wenig. 132 Grundsätzliche Rechtsbeziehungen der Landeskirchen untereinander, in: Für Kirche und Recht, Festschrift für Johannes Heckel, Köln- Graz 1959, S.184 ff.
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zwischenkirchlichen Rechts und Brauches. Eine Veränderung des volkskirchlichen Charakters der heutigen Landeskirchen und ein 'Obergang zum denominationeilen Typus müßte aber auch ihre staatskirchenrechtliche Stellung, vor allem den überlieferten Vorrang im öffentlichen Leben, notwendig berühren. Die evangelischen Kirchen haben in der Entwicklung nach 1945 eine größere Freiheit ihrer Eigengestaltung gefunden, als ihnen in Deutschland in ihrer Geschichte bisher beschieden war. Sie haben sie in einem neu erwachten und tieferen Verständnis ihrer geistlichen Ordnung und ihrer Verantwortung ergriffen. Auch die sich vollziehende Erneuerung ihrer inneren Ordnungen ist in dieser Hinsicht ein Stück Mitgestaltung am Staatskirchenrecht, das durch die darin zum Ausdruck kommende Besinnung und kirchliche Selbstgestaltung in einem positiven Sinne berührt wird. Ich möchte zum Abschluß in diesem Zusammenhang einem Wunsche Ausdruck geben, der in der heutigen geistigen Lage, die auf so manchen Gebieten zur strengen Ausprägung partikularer Rechtsgläubigkeit neigt, mir geboten erscheint. Möchten die evangelischen Kirchen in ihren rechtlichen Formen wie in ihrer Mitwirkung am öffentlichen Leben sich eines Grundzuges ihres Lebens bewußt bleiben, der ihnen seit dem 18. Jahrhundert am deutschen Geistesleben einen so großen aktiven Anteil gegeben hat: der Bereitschaft und Aufgeschlossenheit gegenüber der geschichtlichen Bewegung und der Öffnung gegenüber geistiger Freiheit und Toleranz.
Rechtsgrundlagen der Beziehungen von Kirche und Staat I. Zum Verhältnis von Kirche und Staat Die Betrachtung der gegenwärtigen Relation zwischen Kirche und Staat, die hier gegeben wird, beschränkt sich auf die Verhältnisse in Westdeutschland. Eine Untersuchung, die so sehr auf das Recht des Staates und auf die staatliche Anschauung abstellen muß, kann nicht mit einem Blicke die Lage im Westen und Osten unseres Landes umfassen. Um aber die Situation der evangelischen Kirche im Rahmen der Deutschen Demokratischen Republik zu erfassen, bedürfte es einer grundsätzlichen theologischen Vertiefung, die auf andere und weitere Zusammenhänge führen würde. So schmerzlich es daher berührt, wird die Beschränkung auf die Gegebenheiten innerhalb der Bundesrepublik in Kauf genommen werden müssen. Im Bereiche der Bundesrepublik ist heute ein gewisser Abschluß im Verhältnis zwischen Kirche und Staat erreicht. Die Gesetzgebung des Staates, sowieso auf diesem Gebiete heute nur mehr eingeschränkt tätig, ist in den letzten Jahren mehr ergänzend und berichtigend tätig gewesen. Auch Neufassungen von Gesetzen tragen eher den Charakter von Anpassungen und Verbesserungen. Wenn sich im letzten Jahrzehnt eine neue Entwicklung angebahnt hat, so liegt ihr Schwerpunkt in den zwischen den evangelischen Kirchen und dem Staate getroffenen vertraglichen Vereinbarungen. Die Verträge von Loccum (1955}, Kiel (1957) und Wiesbaden (1960) sowie der vor dem Abschluß stehende Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den evangelischen Kirchen und kleinere Abkommen im Lande Nordrhein-Westfalen haben in weitgehender inhaltlicher Übereinstimmung untereinander eine neue Rechtsgrundlage für das Verhältnis von Kirche und Staat erarbeitet. Sie ist zwar in den Rahmen der fortbestehenden preußischen Staatsverträge von 1929 -soweit diese territorial reichen- eingefügt worden, atmet aber doch eine neue Gesinnung und einen neuen Geist. Demgegenüber erscheint auf der katholischen Seite der Rechtszustand erheblich weniger gefestigt. Auch wenn das Reichskonkordat durch das Urteil des BundesverAus: Kirche und Staat. Gespräch über Kirche und Staat am 14. und 15. Oktober 1961 in Arnoldshain. Frankfurt/M. 1962, S. 5-20. (Veröffentlichung Nr. 47 der Evangelischen Akademie in Hessen und Nassau).- Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Evangelischen Presseverbandes für Hessen und Nassau e. V., Frankfurt/M.
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fassungsgerichts 1 vom 26. 3. 1957 als fortbestehend anerkannt worden ist, so ist doch durch dies Urteil ein Teil des Vertragswerks seiner bundesrechtlichen Gewähr entkleidet, und es ist damit der Zustand vertraglicher Sicherung, wie ihn das Konkordat bedeutete, in einem gewissen Umfang erschüttert worden. Der Abschluß einer neuen Vereinbarung zwischen der katholischen Kirche und dem Bund oder den Ländern, die nun in erster Linie zuständig sind, erscheint wenig wahrscheinlich. Ergänzende kleinere Abkommen, namentlich über vermögensrechtliche Fragen, sind in Nordrhein-Westfalen und Bayern mit der katholischen Kirche, d. h. den beteiligten Diözesen, getroffen worden. Es ist auch möglich, daß dem weitere begrenzte Abkommen, auch über Fragen der Schule, folgen könnten, aber eine Gesamtregelung im Umfang der evangelischen Kirchenverträge dürfte auf katholischer Seite vorerst nicht zu erwarten sein. Die katholische Kirche wird jedenfalls als solche den Weg neuer Länderkonkordate zunächst noch nicht zu beschreiten geneigt sein. Es dürfte ihr auch nicht leicht fallen, damit das im Jahre 1933 geschaffene Werk wieder in einzelne Landesverträge aufzulösen. Jenseits dieser Verträge beruht der heutige Rechtszustand auf den Bestimmungen, die sich im Grundgesetz und in den Landesverfassungen, also in einseitiger staatlicher Rechtssetzung, vorfinden. Im Rahmen der Bundesverfassung hat sich der Staat im Ganzen damit begnügt, die bestehende Rechtslage in Gestalt der Kirchenartikel der Weimarer Verfassung zu übernehmen. Aber es ist heute allgemein anerkannt, daß diese überlieferten Formeln nun in einem neu geprägten Sinne kirchlicher Selbständigkeit gegenüber dem Staate verstanden und ausgelegt werden müssen. Das heutige Verhältnis von Kirche und Staat ist entscheidend bestimmt durch die Vorgänge der 30er Jahre. Auf der Seite der evangelischen Kirche hat das Erlebnis des Kirchenkampfes tiefgehend eingewirkt. Es hat für die Kirche den Durchbruch eines neuen Selbstverständnisses bedeutet, die Gewinnung einer theologischen Besinnung auf Wesen und Aufgabe der Kirche. Man kann sagen, daß erst mit diesem Ereignis die evangelische Kirche sich wirklich innerlich von dem überkommenen staatlichen Kirchenregiment freigemacht hat. Für den Staat ist rückblickend diese Periode willkürlicher staatlicher Eingriffe in kirchliche Angelegenheiten während des Dritten Reiches zum Anlaß geworden, den Kirchen weit entgegenzukommen und sich in einer erneuerten Haltung ihnen gegenüber auf der Linie einer Partnerschaft und einer Zusammenarbeit zu einigen. Man wird freilich an dieser Stelle die Frage stellen dürfen, ob diese neuen Grundlagen so fest und so gesichert erscheinen, wie sie in diesem Augenblick rechtlich vor unseren Augen stehen. Im Verhältnis von Kirche und Staat wird man stets gut tun, zu bedenken, daß diese Beziehungen zu den feinst empfindlichen 1
Vgl. BVerfGE 6 S. 309 ff. = KirchE 4 S. 46 = NJW 1957 S. 705.
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gehören, die das Recht und die soziale Wirklichkeit kennt. Der Ausgleich dieser Relation ist von sehr vielen Komponenten abhängig, die sich immer wieder verändern können. Da können sich einmal Entwicklungen im Inneren der Kirchen selbst vollziehen. Mit einem gewandelten Selbstbewußtsein der Kirche, mit dem Durchdringen einer geänderten theologischen Einstellung wird das Grundverhältnis schon berührt. Auf der anderen Seite wirkt natürlich die Anschauung des Staates von seiner Stellung und seiner Aufgabe ein. Der deutsche Staat, ich fasse hier Bund und Länder zusammen, ist seit dem Jahre 1945 noch nicht zu einem klaren und einheitlichen Bewußtsein seiner Lage und seiner geschichtlichen Rolle gelangt. Wir haben es heute in Deutschland mit einem sehr schwachen Staatsbewußtsein zu tun, für das sich mancherlei Gründe, von dem Mißbrauch der Vergangenheit bis zur nationalen Spaltung in der Gegenwart, anführen lassen. Auch das ist aber ein Punkt, den man ins Auge fassen muß, wenn man die heutige Lage betrachtet. Endlich aber darf die Fortentwicklung der allgemeinen geistigen Situation nicht außer acht gelassen werden. Sie hat sich seit dem Anfang dieses Jahrhunderts grundlegend gewandelt. Die liberalen Strömungen des 19. Jahrhunderts mit ihren antiklerikalen Tendenzen und ihrer Neigung, den protestantischen Glauben lediglich im Zeichen liberaler Meinungsfreiheit zu deuten, erscheinen uns heute als weit zurückliegend. Wer wollte etwa die Stimmungen der 70er und 80er Jahre, die den Kulturkampf bestimmten, heute noch als irgendwie für die Gegenwart diskutierbar ansehen? Dennoch haben jene liberalen Auffassungen die Diskussion um das Verhältnis Staat und Kirche bis zum Ausgang des monarchischen Staates weithin geprägt, wir könnten heute fast sagen, belastet. Man denke nur daran, wie sehr von dieser Haltung aus staatliche Eingriffe gegen kirchliche "Intoleranz" als berechtigt, kirchlicher Einfluß auf Unterricht und Erziehung als bedrohlich empfunden wurde. Heute treten sich Kirche und Staat in einer sehr viel größeren Unabhängigkeit und Unbefangenheit gegenüber. Die Zeit eines reinen Fortschrittsglaubens ist abgelaufen, die religiöse Frage wird auch im weltlichen Bereich ernster genommen als damals, weil die Einsicht in die Grundfragen des menschlichen Lebens zugenommen hat. Zu den Veränderungen und Einflüssen, die in der Gegenwart beachtet werden sollten, gehört auch die Erneuerung der Diskussion innerhalb der evangelischen Kirche um das Wesen der Kirche und die Bedeutung des Kirchenrechts. Die ausgebreitete rechtstheologische Debatte, in der von manchen Seiten Möglichkeit und Bestand eines Kirchenrechts in Frage gestellt wird, zeigt in der Gegenwart mannigfach variierende Ansichten. Wo der Kirchenbegriff in einem radikalen Sinne spiritualisiert wird, erscheint nicht nur kirchliches Recht als eine Veräußerlichung dieser ganz auf präsente und pneumatische Gemeinschaft abgestellten Anschauung, es wird dann auch schwierig, eine so
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verstandene Kirche des spirituellen Lebens in der Stellung einer öffentlichen Körperschaft, überhaupt in ihrer Position im öffentlichen Raum zu verstehen. Wo die These Rudolph Sohms Anerkennung findet, daß das Kirchenrecht mit dem Wesen der Kirche in Widerspruch stehe, würde der Gedanke einer vertragsgesicherten Kirche, einer durch Verträge mit dem Staate garantierten Kirche seinen Sinn verlieren. Es gehört zu den wichtigen Vorgängen der rechtstheologischen Debatte der Gegenwart, daß dieser Standpunkt der Verneinung einer äußeren Ordnung der Kirche an Boden verliert, daß für die Kirche, die nicht eine rein spirituelle Erscheinung ist, sondern als die versammelte Gemeinde des Herrn in diesem Äon und unter seinen Bedingungen lebt, die Notwendigkeit einer guten Ordnung ihres Daseins, einer rechtlichen Gestaltung nicht mehr abgelehnt wird. Eine solche kirchenrechtliche Ordnung erwächst indes nicht auf dem Boden staatlicher Verleihung, sie findet ihre Grundlage in der geschichtlichen Gestalt der Kirche selbst. Kirchenrecht steht somit nicht auf dem gleichen Boden wie staatliches Recht, aber wir müssen es-gerade wenn das Vertragsrecht zwischenKirehe und Staat in den Vordergrund gerückt wird- als ein dem staatlichen Recht kommensurables Recht ansehen. Kirchliches und staatliches Recht haben Gemeinsamkeiten, zwischen beiden läßt sich eine Brücke schlagen, kraftderen Verträge zwischen Kirche und Staat in beiden Ordnungen ihre verpflichtende Kraft besitzen. Ein weiterer Zug, der in der Gegenwart die Relation Kirche-Staat charakterisiert, ist die fortschreitende Säkularisation des öffentlichen Lebens. Ungeachtet aller vertraglichen Abreden verschiebt sich von daher manches im Leben von Kirche und Staat. Der Strom dieses Hineinziehens in die Welt ergreift in der Gegenwart auch einen Bereich, der lange Zeit hindurch ein Kernstück kirchlichen Lebens zu sein schien: die Karitas, das Gebiet der sozialen Fürsorge, dessen sich heute der Sozialstaat und die Gemeinden mit sehr viel größeren Mitteln annehmen. Wie wenig sich im Grunde das Geschick der Kirche ganz von dem des Staates in dieser Welt lösen läßt, zeigt sich auch einfach darin, daß das Schicksal der Evangelischen Kirche in Deutschland durch das Geschick des Staates auf das tiefste berührt wird. Die Teilung unseres Landes bringt auch für die Kirche Trennung und Hemmnis, die ebensowenig wie das deutsche Volk darauf verzichten möchte, die geschichtliche Einheit ihrer Gemeinschaft über die Spaltung der Gegenwart hinweg lebendig zu erhalten. 11. Der Staat und die Eigenständigkeit der Kirche
Zu den Vorgängen, die die Stellung der Kirchen im öffentlichen Bereich gegenwärtig bestimmen, gehört in erster Linie der Rückzug des
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Staates aus der alten Position der Staatskirchenhoheit.Bis zum Jahre 1933 hatte der Staat die ältere Position des 19. Jahrhunderts, die ihm kraft seiner territorialen Hoheit eine allgemeine Aufsicht auch über die Kirchen zusprach, unverändert festgehalten. Zwar wurde bereits unter der Weimarer Verfassung von dem katholischen Kirchenrechtslehrer Godehard Josef Ebers die Meinung verfochten, mit der in Art. 137 dieser Verfassung anerkannten Selbständigkeit der Kirchen sei die Fortdauer dieses staatlichen Aufsichtsrechts nicht mehr zu vereinen. Herrschende Lehre oder Staatspraxis war das aber nicht geworden. Heute wird der Wegfall der staatlichen Kirchenhoheit allgemein angenommen und dort, wo die Gesetze dem Staate noch Aufsichtsrechte zusprechen, werden sie vielfach nicht mehr praktiziert. Das Ende der jura circa sacra, das Ende der Auffassung, daß im Wesen der Staatshoheit auch eine hoheitliche Aufsicht über die Kirchen enthalten sei, wird heute von Kirche und Staat anerkannt. Das bedeutet freilich nicht, daß die bestehenden Gesetze auf diesem Gebiet mit einem Schlage ungültig geworden wären. Sie bestehen fort, wenn sie auch oft nicht mehr gehandhabt werden und wenn ihr Abbau einen Gegenstand der vertraglichen Verständigung zwischen Kirche und Staat bildet. Zuweilen hat auch der Staat auf Rechte Verzicht geleistet. Daraus können sich freilich auch Differenzen ergeben, wie bei der Vereidigung, die das Reichskonkordat für Bischöfe vorsieht und die das Land Hessen heute im Gegensatz zur katholischen Kirche als weggefallene konkordatäre Bindung ansehen möchte. Umgekehrt hat der Staat eine Einwirkung auf die Personenauswahl der Kirche, wie sie in der politischen Klausel gegenüber der Besetzung von Bischofsstühlen konkordatär erhalten ist, auf dem Feld der evangelischen Kirche praktisch aufgegeben, weil er sie vertraglich nur mehr für den Fall der Besetzung leitender kirchlicher Ämter in anderer als synodaler Weise festhält, einen Fall, der tatsächlich in den Kirchenordnungen nicht vorkommt. An die Stelle beanspruchter hoheitlicher Aufsicht und Einwirkung tritt beim Staate heute die Sicherung seines Bestandes und der in ihm waltenden obersten Rechts- und Ordnungsgrundsätze. Der Staat leitet die rechtliche Gestalt der Kirche nicht mehr in irgendeiner Form aus seiner Verleihung ab. Er erkennt an, daß die Kirchen auf einem anderen Rechtsgrunde als dem seinen ruhen, daß sie Eigenständigkeit ihm gegenüber besitzen, so wie sie die katholische Kirche seit jeher beansprucht hat. Wenn er den Kirchen dann freilich mit der Bezeichnung als öffentliche Körperschaften einen Platz in seinem öffentlichen Recht zuweist und ihnen andere öffentlich-rechtliche Privilegien verleiht, so tritt er hier als Quelle öffentlicher Hoheitsbefugnisse in Erscheinung. Gewisse Vorrechte, die der Staat den Kirchen einräumt, so vor allem das Steuerrecht - das man neuerdings auch als ein den Kirchen eigenes autonomes Recht ansehen möchte - leiten sich aus der Verleihung des Staates ab. Der Staat verfügtkraftseiner Finanzgewalt
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über die Leistungskraft seiner Bürger. Er billigt niemandem unabhängig von seiner Vergabung die Befugnis zu, durch Zwang gesicherte öffentliche Steuern zu erheben. Sieht man von diesen Einsprengungen verliehener öffentlicher Befugnisse ab, so kann man die Kirchen heute als eigenständig bezeichnen. Dies Wort, das sich auch in den neueren Kirchenverträgen findet, umschreibt die vom Staat unabhängige Rechtsgrundlage der Kirche. Der Staat erkennt damit die Kirchen in ihrer jenseits der staatlichen Sphäre in ihrem geistlichen Auftrage gegründeten Existenz an. Damit wird ein neuer Boden für das gegenseitige Verhältnis von Kirche und Staat geschaffen. Das schließt nicht aus, daß der Staat der Kirche eine besondere Stellung im öffentlichen Leben zuweist und damit hier wieder staatliches Recht zum Zuge kommt. Eigenständigkeit der Kirche bedeutet nicht Trennung vom Staate, sondern Wurzeln in einer eigenen, nicht vom Staate hergeleiteten Grundlage, die aber Verbindungen zum Staat und seinem Recht nicht verunmöglicht. Als Schlüsselbezeichnung derjenigen öffentlichen Vorrechte, die der Staat den Kirchen gewährt, wird von ihm der Begriff der öffentlichen Körperschaft verwendet. Man ist sich einig darüber, daß damit nicht die Einfügung der Kirchen in den Status der sonstigen, vom Staate abgeleiteten Körperschaften gemeint ist, sondern ein besonderer Status der Autonomie, der anderer Art ist. Zu den Vorrechten, die diese Bezeichnung in sich schließt, gehört vor allem das Besteuerungsrecht, die Fähigkeit, Beamte anzustellen, öffentliche Urkunden auszufertigen und eine Reihe weiterer öffentlicher Rechte. Könnte man den Kirchen Körperschaftseigenschaft aus eigenem Recht zusprechen? Die katholische Kirche erklärt sich im kanonischen Recht aus eigener Machtvollkommenheit zur Körperschaft kraft göttlichen Rechts (can. 100 CIC). Der Staat wird freilich diese Qualität als auf anderem Rechtsgrund beruhend als dem seinen ansehen. Er wird eine solche Selbsterklärung der Kirche vielleicht respektieren, wird sie aber nicht als einen Bestandteil seines Staatskirchenrechts erachten. Auf evangelischer Seite würde eine solche Erklärung zur Körperschaft aus eigenem Recht, wie sie auch gelegentlich vertreten wird, dem traditionellen Verständnis der Kirche nicht entsprechen. Die evangelischen Kirchen gestehen zu, daß ihre Körperschaftsstellung auf staatlichem Recht beruht, und eine bestimmte Stellung im öffentlichen Recht für sie umschreibt. Der Staat fügt damit die Kirchen in das öffentliche Recht ein, nicht in das staatliche Recht und die staatliche Organisation, sondern in jenen weiteren Bereich des Öffentlichen, in dem gerade die Gegenwart mannigfache Erscheinungen öffentlicher Rechtsbildung, die aber nicht zum staatlichen Aufbau gehören, unterzubringen sich gewöhnt hat. Die Kirchen sind jedenfalls damit aus der Sphäre bloßer privater Vereinigungen herausgehoben und mit bestimmten Vorrechten ausgestattet.
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Wenn somit den Kirchen eine selbständige, vom Staat unabhängige Stellung zuerkannt wird, so darf das doch nicht zu der Meinung führen, der Staat habe heute seine seit dem 17. und 18. Jahrhundert beanspruchte allgemeine Hoheit auf seinem Gebiete gegenüber den Kirchen aufgegeben. Seit dem Aufkommen einer modernen säkularen Staatslehre versteht sich der Staat als letzte und höchste Entscheidungsgewalt auf einem Territorium, dem - das hat namentlich die Aufklärung hervorgehoben - alle menschlichen Gemeinschaften in diesem Bereich unterstehen. Die Zeit des 18. Jahrhunderts erstreckte diese Staatshoheit auch auf die Kirchen, die er wie andere Verbände der staatlichen Hoheit unterwarf. Auch im 19. Jahrhundert hat sich der Staat immer auch zu einseitigen Verfügungen und Abgrenzungen gegenüber den Kirchen berufen gefühlt. Hat er diese Konzeption heute aufgegeben? Sieht er sich der Kirche gegenüber nicht mehr in der Rolle des letztlich mit übergeordneter weltlicher Gewalt ausgerüsteten Gemeinwesens, sondern als ein lediglich noch zur Wahrung der Grundlagen seiner Rechtsordnung befugter Partner? Man kann dieser Meinung heute vielfach begegnen. Die evangelische Kirche hat im 19. Jahrhundert die Problematik eines Konfliktes von Staat und Kirche kaum gekannt. Sie war durch das landesherrliche Kirchenregiment dem Staate so eng verbunden, daß Gegensätze nicht aufkommen konnten; ihre Diener, die vom Staat ernannt wurden und Staatsbeamte waren, befanden sich gar nicht in der Lage, dem Staate selbständig zu begegnen. In der gleichen Zeit aber geriet der Staat mit mancherlei Gesetzen, mit der Forderung des Plazet, der Einwirkung auf kirchliche Personalien und Eingriffen in die kirchliche Vermögensverwaltung des öfteren mit der katholischen Kirche in Konflikt. Sind diese Zeiten wirklich nun abgelaufen? Ich würde das mit einem erheblichen Fragezeichen versehen und vermag denen nicht zuzustimmen, die auch für die Zukunft nur mehr eine vertragliche Auseinandersetzung gemeinsamer Fragen zwischen Staat und Kirche erwarten, einseitige staatliche Maßnahmen aber ausschließen. Man sollte die im Staate schlummernden Tendenzen zur souveränen Machtbehauptung nicht unterschätzen. Tatsächlich bekennt sich heute der Staat zu einem Verhältnis der Koordination. Er ist bereit, aufkommende Fragen freundschaftlich auf dem Wege der Verständigung zu lösen. Er verzichtet auf ein einseitiges Vorgehen, er sucht mit den Kirchen im Wege des Einvernehmens auszukommen. An einem Punkte freilich, so scheint mir, behält er sich seinen Standpunkt vor. Er wahrt sich, auch wenn selbst dies gelegentlich geleugnet wird, das judicium finium regundorum, die Entscheidung über die Grenze zwischen staatlichen und kirchlichen Angelegenheiten. Der Staat ist nicht bereit, diese Verfügung, soweit er sich nicht vertraglich gebunden hat, aus der Hand zu geben. Er trifft sie in der Hauptsache durch sein Verfassungsrecht. Wenn wir die Bedeutung dieses Punktes bedenken, so dürfen wir nicht auf die in ihrem Ausgreifen zu-
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rückhaltendere evangelische Kirche blicken, wir müssen auch die Relation des Staates mit der anderen Konfession ins Auge fassen. Der Staat wird auch heute noch nicht bereit sein, in den Fragen der Ehe- und Schulgesetzgebung der katholischen Kirche zuzugestehen, daß diese Materien nach ihrem Verständnis in ihre Zuständigkeit gehören. Er wird an seinem Anspruch auf die staatliche Ordnung dieser Bereiche festhalten. Ein besonderes Problem der Abgrenzung zwischen Kirche und Staat wirft Art. 137 Abs. 3 WeimRV mit der Bindung der Kirchen an das "für alle geltende Gesetz" auf. Dieser Ausdruck weist auf eine lange Tradition zurück. Im 18. Jahrhundert gestand die Lehre dem Staat die Befugnis zu, über seine eigene Sicherheit den Kirchen gegenüber zu wachen. Das ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu der heutigen Formel abgeschwächt worden 2 • Nach der Auslegung, die 1932 der Münchener Kirchenrechtslehrer Johannes Heckel diesem Worte gab, sind mit dieser Umschreibung die Grundlagen des nationalen Zusammenlebens gemeint. Der Staat beansprucht von der Kirche, daß sie sich an die Grundlagen seiner nationalen Existenz bindet. Vielleicht kann man tiefer fragen. Wirkt sich nicht in dieser Formel ein Doppeltes aus? Für die Kirche der Respekt vor der Obrigkeit, der für sie auch theologisch begründet ist; gilt nicht für die Christen die Weisung des Römerbriefes, die Ordnungsmacht irdischer Herrschaft zu achten, soweit sie nicht zu Gottes Wort und Gebot in Widerspruch tritt? Zugleich aber drückt sich in der Sicht des Staates in dieser Konzeption aus, daß Staat und Kirche in dieser Welt unter und mit denselben Menschen miteinander zu bestehen haben. Der Staat verbürgt mit seiner Macht und seinem Rechtsgebot in diesem Äon Frieden und Ordnung und vermag diese Aufgabe auch gegenüber der Erscheinung der Kirche zur Geltung zu bringen. Der Staat hält, das besagt diese Bestimmung, daran fest, daß die Kirche in seiner Grundordnung steht; die Kirche wird dies mit dem Vorbehalt zugeben können, daß sie nichts zugestehen kann, was wider Gottes Gebot streitet. Unzweifelhaft liegt in diesen Gedanken auch die Erkenntnis, daß die Kirche dort, wo sie sich in der Welt betätigt und wo sie an den Geschäften dieser Welt teilnimmt, sich dem weltlichen Recht einordnet. Das bürgerliche Recht gilt für ihre Vermögensbezichungen, das Arbeitsrecht für ihre Angestellten und Arbeiter, das Strafrecht spart ihre Beamten und Diener nicht aus. Wohl aber nimmt die staatliche Rechtsordnuneg von ihrem Anspruch aus den Bereich inneren kirchlichen Lebens. Es ist nicht des Staates, die kirchliche Organisation, die Ämterordnung der Kirchen, den kirchlichen Dienst und die Vermögensführung der Kirchen zu regeln. Hier findet staatlicher Einfluß an Art. 137 Abs. 3 WeimRV seine Grenze. Zu den Grundlagen, die in diesem Zusammenhang zu erwähnen wären, darf das Prinzip des Rechtsstaates gerechnet werden. Aber man kann 2 Sie wurde in Preußen 1873 in die Verfassung eingefügt.
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auch darauf hinweisen, daß die Kirchen den allgemeinen Sätzen des Strafrechts ebenso wie ihre Diener unterworfen bleiben, daß die Kirchen in ihrem Vermögensrecht nach bürgerlichem Recht leben, daß sie sozialpolitische Gesetze des Staates in ihren Dienstverhältnissen nicht außer acht lassen dürfen. Es geht hier um einen sinnvollen Ausgleich zwischen der von der Verfassung gewährleisteten Autonomie der Kirchen, die vor allem das innere geistliche Leben und die Organisation der Kirchen sicherstellt und der Einfügung der Kirchen in die Grundzüge der für alle Bürger- denn Bürger sind ja auch ihre Gläubigen- geltenden Staatsordnung. Ein besonders interessantes Beispiel der Probleme, die diese Abgrenzung aufwirft, zeigt die Frage der staatlichen Gerichtsbarkeit über kirchliche Fragen. Es besteht kein Zweifel, daß die staatliche Gerichtsbarkeit dort über kirchliche Fragen urteilen kann, wo die sog. gemischten Gebiete, d. h. Gebiete gemeinsamer staatlich-kirchlicher Interessen, in Frage stehen, Friedhöfe, Schulen, Kirchensteuern. Auf der anderen Seite gehört es zur kirchlichen Autonomie, daß die Kirche in ihrem eigenen Raum Gerichte errichten kann, vor denen sie Fragen überwiegend geistlichen Charakters und Fragen kirchlicher Ordnung entscheiden kann. Die katholische Kirche kennt seit jeher eine geistliche Gerichtsbarkeit. Auch die evangelischen Kirchen verfügen über eine Disziplinargerichtsbarkeit; sie haben neuerdings in den meisten Landeskirchen Verwaltungsgerichte errichtet, die innerkirchliche Streitigkeiten entscheiden. In der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gibt es sogar eine kirchliche Verfassungsgerichtsbarkeit. Diese Gerichtsbarkeit berührt die staatlichen Gerichte nicht, weil sie innerhalb des durch Art. 137 Abs. 3 WeimRV den Kirchen vorbehaltenen autonomen Raumes wirkt. Aber diese innerkirchliche Gerichtsbarkeit stößt dort auf Grenzen, wo sie die allgemeine Rechtsstellung der Beteiligten in der staatlichen Rechtsordnung berührt. In einer lebhaft erörterten Entscheidung vom 16. 3. 1961 3 hat der Bundesgerichtshof dies Problem behandelt. Es handelte sich um die Pensionsangelegenheit eines Pfarrers einer Landeskirche, der in seinem Leben als Militärpfarrer und später als Geistlicher in einer Landeskirche tätig war. Landeskirchliche Bestimmungen brachten auf sein landeskirchliches Ruhegehalt die ihm vom Staat aus seiner früheren Tätigkeit zufließende Pension in Anrechnung. Die von dem Pfarrer erhobene Zivilklage, die die Ungültigkeit dieser kirchlichen Bestimmung behauptete, wies der Bundesgerichtshof als unzulässig ab. Er vertrat die Meinung, daß die Kirche- wie dies vorliegend durch eine Verordnung zur Erweiterung der Zuständigkeit der kirchlichen Verwaltungsgerichte vom Jahre 1960 geschehen war - solche Streitigkeiten ihren Verwaltungsgerichten zuweisen könne und daß damit im Hinblick auf die kirchliche Autonomie die Zuständigkeit der 3
Vgl. BGHZ 34 S. 372 ff. = JZ 1961 S. 449.
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staatlichen Gerichte entfalle. Auch die Grundrechtsbestimmung des Art. 19 Abs. 4 GG, die bei jedem Eingriff öffentlicher Gewalt den Rechtsweg verbürgt, hielt der Bundesgerichtshof hier nicht für anwendbar, weil dieser Artikel nicht in die kirchliche Autonomie eingreife. Mit Recht hat der Freiburger Rechtslehrer Konrad Hesse gegen diese Entscheidung eingewandt, sie lasse außer acht, daß das Grundgesetz für bestimmte Streitigkeiten ein staatliches Rechtsprechungsmonopol begründet, von dem nur im Rahmen des Grundgesetzes ein staatliches Gesetz- etwa durch Zuweisung von Fragen an andere als staatliche, aber den Vorschriften des Grundgesetzes entsprechende Gerichte entbinden könnte. Darüber hinaus aber wird man hier noch auf ein ganz grundlegendes Verfassungsprinzip hinweisen können, das im Rahmen des Art. 137 Abs. 3 WeimRV die kirchliche Autonomie begrenzt. Der Staat verbürgt nicht nur in Art. 3 GG jedem Bürger die Gleichheit und untersagt jede Diskriminierung wegen religiöser Anschauungen, er ordnet in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 WeimRV an, daß die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder beschränkt noch bedingt werden können, und sichert dort in Absatz 2 den Genuß der bürgerlichen Rechte unabhängig vom religiösen Bekenntnis. Zu diesen bürgerlichen Rechten gehört der freie Zugang zu den Staatsgerichten in vermögensrechtlichen Sachen, vor allem in Fragen eines Dienst- und Arbeitsverhältnisses. Das Urteil des Bundesgerichtshofes läuft darauf hinaus, die Pfarrer und möglicherweise sonstige Diener der Kirchen des Schutzes staatlicher Gerichtsbarkeit in vermögensrechtlichen Fragen zu berauben und sie an ihre Kirchen dafür zu verweisen. Mag man diesen Gerichten auch vertrauen dürfen, der Staat darf nicht eine Gruppe seiner Bürger um des religiösen Bekenntnisses willen nötigen, sich in Fragen, die die allgemeine staatliche Rechtsordnung für alle gleich ordnet, nämlich in der Abgrenzung der staatlichen Gerichtsbarkeit im bürgerlichen Recht, einem Sonderrecht ihrer Kirche zu unterwerfen. Der hier außer acht gelassene Grundsatz des Verfassungsrechts ist alter Herkunft. Wir finden ihn schon in§ 146 der Verfassung der Frankfurter Nationalversammlung von 1848, sogar bereits in Art. 16 der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815. Es stünde der Gegenwart schlecht an, hinter diese altverbürgten Garantien der Religionsfreiheit zurückzugehen. Das ist auch zweifellos weder Sinn noch Absicht des Grundgesetzes. Man muß jenes Urteil des Bundesgerichtshofes- obwohl aus freundlicher Gesinnung den Kirchen gegenüber entsprungen- für ein Fehlurteil halten. Es liegt auch nicht im Interesse der Kirchen selbst, Gruppen ihrer Gläubigen, auch nicht ihre geistlichen Diener, der allgemeinen staatlichen Rechtsordnung zu entziehen. Das kanonische Recht denkt hierüber anders. Es gehört aber zu den Grundlagen des modernen Staates, daß er die bürgerliche Gleichheit auch in Sachen der Religionsfreiheit verteidigt und daher kirchlicher Gerichts-
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barkeit dort Schranken zieht, wo sie in die Sphäre der allgemeinen bürgerlichen Rechtsordnung einzugreifen sich anschickt. lU. Der neutrale Staat
Bei der Betrachtung des Verhältnisses von Kirche und Staat - das haben bereits die soeben angestellten Erwägungen gezeigt - wird man sich auch stets den Charakter des modernen Staates vor Augen halten müssen, der ein in religiösen Dingen neutraler Staat ist. Ungeachtet seiner wohlwollenden und entgegenkommenden Haltung, ist der Ausgangspunkt der staatlichen Einstellung das Prinzip der Religionsfreiheit. Dieser Grundsatz entspringt nicht dem kirchlichen Denken. Zwar vertreten die Kirchen dem Staat gegenüber die Freiheit der Religionsübung, und in einem tieferen Sinne die Freiheit des Christen. Aber in ihrem eigenen Bereich kann es innerhalb der Kirchen nur das Zeugnis der Wahrheit, aber keine Toleranz gegenüber der bekenntniswidrigen, der irrigen Lehre geben. Wenn die Kirchen untereinander Toleranz üben, so entspringt das christlicher Caritas, die sie lehrt, mit Andersgläubigen und sogar mit Heiden im Guten zusammenzuleben. Die staatliche Religionsfreiheit entspringt demgegenüber einer Haltung, die die Wahrheitsfrage offen läßt. Der Staat wendet das Gleichnis Lessings von den drei Ringen an, er enthält sich des Urteils. In der neuen Zeit erstreckt sich diese staatliche Freiheit auch auf die Anerkennung des Unglaubens selbst. Hier liegen Differenzen zwischen der staatlichen Religionsfreiheit und dem kirchlichen Glauben, für den die Kirche Freiheit der Übung fordert, die zuweilen übersehen werden, vor allem dort, wo man irrtümlich den reformatorischen Glauben mit liberaler Glaubensrelativität verwechselt. Die staatliche Religionsfreiheit kann sich auch gegen die Kirchen wenden. Wenn der Staat die Möglichkeit eines Austritts aus der Kirche kennt, so widerstreitet das dem kanonischen Recht, das keine Lösung von der Kirche kennt, in der der Getaufte einmal unter die Herrschaft Christi getreten ist. Ich nehme an, daß dieser Grundsatz, es gebe kein Ausscheiden aus der Gemeinschaft der Getauften mehr, auch für die deutschen evangelischen Landeskirchen gilt. Auch ein anderer Punkt der Differenz mag erwähnt sein. Wenn der Staat anordnet, daß niemand verpflichtet sei, sein Bekenntnis zu offenbaren, so ist auch das dem christlichen Bewußtsein fremd, das vielmehr das offene Bekenntnis des Christen zu seinem Herrn verlangt. Die Religionsfreiheit ist ein staatliches Grundrecht, aber kein kirchliches Prinzip. Wo der Staat, wie er das im Recht des schweizerischen Kantons Zürich tut, fordert, daß die Kirche auch diejenigen in ihren Reihen dulde, die sich zu ihr bekennen, obwohl sie ihre Lehrgrundlage nicht annehmen, so stellt das einen Übergriff der staatlichen Religionsfreiheit in den autonomen kirchlichen Bereich dar. 12°
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Vom Staat her gesehen, liegt in der Religionsfreiheit ein Doppeltes. Zunächst die Toleranz. Der Staat mischt sich nicht in Gewissensangelegenheiten seiner Untertanen ein. Er erkennt alle Anschauungen, auch die, welche jeden Glauben ablehnen, als gleichberechtigt an. Zum zweiten liegt aber hierin der Schutz der bürgerlichen Gleichheit. Der Staat ist verpflichtet, alle Bürger ohne Rücksicht auf das Bekenntnis gleich zu behandeln. Ein Fall der letzten Jahre mag dies beleuchten. Im Land Rheinland-Pfalz bestanden nur konfessionelle Lehrerbildungsanstalten. Als sich eines Tages ein glaubensloser Bewerber bei ihnen meldete, wurde ihm bedeutet, es gebe für ihn keinen Platz bei ihnen, doch würde er jenseits der Landesgrenzen in Hessen eine Anstalt nach seinen Wünschen finden. Der Verwaltungsklage des derart Abgewiesenen wurde Recht gegeben. Rheinland-Pfalz war im Hinblick auf die bürgerliche Gleichheit verpflichtet, den Bewerber an einer seiner Anstalten aufzunehmen. Man sollte diese Regel aber auch in ihren Grenzen sehen. Der Staat bleibt berechtigt, die Bedeutung der weltanschaulichen Gruppen anzuerkennen, aber auch im Gewicht ihrer Stärke und ihrer Tradition abzuwägen. Er muß wichtige historische Einrichtungen anerkennen, in seinem Recht berücksichtigen, ja sogar in einem gewissen Sinne bevorzugen. Die öffentlich-rechtliche Stellung der historischen Kirchen, die Einrichtung von theologischen Fakultäten nur im Umkreis der alten anerkannten Religionen, die Aufnahme christlichen Religionsunterrichts an den Schulen, das alles ist kein Verstoß gegen die Gleichheit. Der Staat erkennt vielmehr in einer vielschichtigen Gesellschaft die wesentlichen Kräfte und Strömungen an, die in seiner Bevölkerung bestehen. Er verletzt damit nicht die allgemeine Gleichheit. Wie weit eine solche Differenzierung im Hinblick auf die historische und soziale Bedeutung einzelner Gruppen und Konfessionen gehen kann, wird im einzelnen Fragen hervorrufen können. In § 5 Abs. 3 des Gesetzes über die Jugendwohlfahrt vom 11. 8. 1961 hat der Gesetzgeber vorgeschrieben, daß von eigenen Wohlfahrtseinrichtungen der Gemeinden abzusehen sei, soweit geeignete Einrichtungen der Träger der freien Jugendhilfe (der Kirchen und der freien Wohlfahrtsverbände) vorhanden sind. Es ist streitig geworden, ob der Bund zuständigkeitshalber berechtigt ist, eine solche Einschränkung der Subsidiarität gemeindlicher Dienste anzuordnen. Ich weise auf diesen Punkt nur hin, um zu betonen, daß es auch Gebiete geben kann, wo um der allgemeinen Gleichheit willen der Staat öffentliche Veranstaltungen für alle zur Verfügung halten muß. Mit der Gleichheit hängt auch die Frage zusammen, wie es mit dem Verhältnis der Kirchen zu den kleineren Religionsgesellschaften steht. Die Weimarer Verfassung hat in Art. 137 Abs. 5 den Versuch unternommen, die Religionsgesellschaften untereinander insofern auf gleichen Fuß zu bringen, als sie ihnen allen bei genügender Größe und Bestandsaussicht Körperschaftsrechte verheißen hat. Auf Grund dieser
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Bestimmung haben die meisten der kleineren religiösen Gemeinschaften durch den Landesgesetzgeber solche Korporationsrechte erlangt. Aber sie sind damit nicht in ihrer Position neben die großen in der Öffentlichkeit voranstehenden Kirchen getreten. Denn deren Stellung beruht nicht auf dem Korporationsstatus, sondern auf ihrer in der Geschichte begründeten Rolle als Volkskirchen innerhalb der deutschen Bevölkerung. Es ist diese überlieferte, in zahlreichen Bestimmungen auch des Rechts verankerte besondere Stellung, nicht aber die Erhebung zur Körperschaft, in der die hervorragende Stellung der Kirchen in der Öffentlichkeit wurzelt. Die in dieser Verschiedenheit der Religionsgesellschaften begründete verschiedene Situation der großen Kirchen und der anderen Religionsgesellschaften beruht demgemäß auf sachgerechter Differenzierung. So sehr der Staat in seiner Neutralität und in seiner Respektierung der Selbständigkeit der religiösen Vereinigungen gleiche Grundsätze überall walten lassen muß, so kann er Unterschiede kennen, wo es um besondere Ausgestaltungen des Verhältnisses von Kirche und Staat im Sinne der Zusammenarbeit, der Beteiligung der Religionsgemeinschaften an staatlichen Verantwortungen geht. Hier zeigen sich Unterschiede. Nur mit den Kirchen hat der Staat Verträge abgeschlossen. Wo staatliche Einrichtungen kirchliche Vertreter zuziehen, sind es die Kirchen, an die der Staat sich wendet4• Im Bayerischen Senat, wo kirchliche Vertreter beteiligt sind, sind nur die Kirchen vertreten. Wenn ich hier zunächst die staatliche Sicht der Religionsfreiheit betont habe, die gewissermaßen in der staatlichen Toleranz und Neutralität wurzelt, so gibt es doch auch eine Seite der religiösen Freiheit, die von den Kirchen her gesehen, ihnen Rechte einräumt. Es gibt nicht nur eine individuelle Glaubensfreiheit, sondern auch eine Freiheit der Kultusübung für die Kirchen. Das erkennen wir am besten im Osten unseres Landes, wo die Glaubensfreiheit wenigstens in diesem Mindestumfang einen Schutz kirchlichen Lebens bedeutet. Der Staat ist gehalten, den Kirchen freien Raum zur Übung ihres Kultus, aber auch zur freien Entfaltung ihrer religiösen Kräfte zu belassen. In einem freiheitlichen Staatswesen bedeutet das -schon unter den allgemeinen Freiheiten der Person, des Vereins- und Versammlungswesens, der Meinungsbildung und Presse- für die Kirchen einen weiten Raum freier kirchlicher Arbeit, für den die Kirchen sich einfach auf die allgemeinen bürgerlichen Freiheiten stützen können, ohne spezielle Verbürgungen der Glaubensfreiheit anzurufen. Dort, wo der Staat im Osten unseres Landes die Kirche auf einen Winkel engster kultischer Existenz im Innern der gottesdienstlichen Gebäude zurückzudrängen sucht, wo er ihren Öffentlichkeitsanspruch leugnet und wo es bürgerliche Freiheiten im eben be4 Ober den großen Umfang solcher kirchlicher Mitwirkung siehe jetzt Konrad Hesse, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1945, in: JöR, N.F., Bd. 10 (1961) s. 74 ff.
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zeichneten Sinne nicht gibt, gewinnt die Glaubensfreiheit eine erhöhte Bedeutung, weil sie allein kirchliche Betätigungen zu schützen vermag. Freilich muß hier dann die Kirche erfahren, daß der ihr feindlich gesonnene Staat ihr die freie öffentliche Betätigung, das missionarische Ausgreifen in das öffentliche Leben, zu beschneiden oder zu unterbinden unternimmt. Auch in der Achtung der kirchlichen Religionsfreiheit aber ist der Staat wiederum gehalten, seine Neutralität zu bewahren. Der Staat kann dort, wo sachliche Maßstäbe es fordern oder gestatten, Differenzierungen auch in seiner Anerkennung kirchlicher Einrichtungen vornehmen dürfen. So wird es keinem Bedenken begegnen, daß § 11 Wehrpflichtgesetz einerseits die ordinierten Geistlichen evangelischen Bekenntnisses, andererseits aber bereits die katholischen Kleriker, die die Subdiakonatsweibe empfangen haben, von der Wehrpflicht befreit. Der hier gemachte Unterschied entspricht nur den jeweiligen kirchenrechtlichen Anschauungen. Auf der anderen Seite muß der Staat dort, wo er Rechtsvorschriften allgemeinen Charakters setzt, die für alle Bürger Anwendung finden, rechtliche Begriffe und Anschauungen zugrundelegen, die die Einheitlichkeit der Rechtsordnung für alle Staatsbürger gewährleisten. Er wird daher, wie das Bundesverfassungsgericht es ausgesprochen hat5, den Begriff "Gewissen" im Sinne eines allgemeinen Verständnisses verwenden. Das gilt daher auch für die Handhabung einer Vorschrift, wie Art. 4 Abs. 3 GG, die Befreiung vom Kriegsdienst in Fällen der Gewissensbedenken gegen den Kriegsdienst mit der Waffe gewährt. Hier wird der Interpretation des Begriffs Gewissen nicht ein für evangelische oder katholische Christen verschiedenes Verständnis zugrundegelegt werden dürfen. Es wird vielmehr eine auch die religiöse Auffassung berücksichtigende, aber allgemein deutende Auslegung dieser Verfassungsbestimmung geboten sein. Der Staat muß in seiner Gesetzgebung beide Konfessionen, aber auch diejenigen Bürger berücksichtigen, die keiner Religion sich zurechnen. Er muß daher von einem allgemeinen staatlichen Verständnis seiner gesetzlichen Bestimmungen und ihrer Begriffe ausgehen; er kann diese Begriffe nicht konfessionell variieren. Ähnliches wird etwa auch für die Interpretation des Begriffes "Recht der Eltern" in Art. 6 Abs. 1 GG gelten. Diese Worte können nicht im Sinne der katholischen Kirche verstanden werden, die damit ganz bestimmte religiöse Forderungen zu bezeichnen pflegt. Um der bürgerlichen Gleichheit willen kann der Staat die von ihm geprägten Rechtsbegriffe nicht nach den einzelnen Konfessionen differenzieren. Ein kurzes Wort mag noch zur Parität angefügt sein. Sie ist zwischen den beiden großen Konfessionen heute in der Staatspraxis weithin beobachtet, wobei man freilich zu beachten hat, daß hier zwar ein guter 5
Vgl. BVerfGE 12 S. 54 = NJW 1961 S. 357.
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Brauch des deutschen Staatskirchenrechts vorliegt, aber - soweit nicht der Gesichtspunkt der allgemeinen Rechtsgleichheit hineinspielt - Parität kein Rechtsgebot darstellt. Das Verfassungsrecht verbietet allgemeine rechtliche Diskriminierung um des Bekenntnisses willen, es fordert Religionsfreiheit, es läßt aber sachgerechte Unterschiede der Konfessionen dort zu, wo Tradition und verhältnismäßige Stärke in einzelnen Ländern und Religionen dies gebieten oder gestatten. Es darf aber als erfreulich angesehen werden, daß der Grundsatz einer Parität der beiden großen Bekenntnisse sich heute in der Praxis der deutschen Länder wie des Bundes einer allgemeinen tatsächlichen Anerkennung und Beachtung erfreut. IV. Landeskirchen und deutscher Staat
Das deutsche Staatskirchenrecht hat seit jeher eine eigentümliche und immer wieder neu geformte Spannung von Reichsrecht und Landesrecht, vom Recht des Gesamtstaates zum Recht der einzelnen Teile ausgezeichnet. Das Staatskirchenrecht der neueren Jahrhunderte hat bei uns reichsrechtlich begonnen mit dem Augsburger Religionsfrieden, der den Reichsständen die Einführung der Reformation freigab, ihnen das jus reformandi zuerkannte. Auch der Westfälische Frieden, der diese Grundlagen erweiterte und bestätigte, gehörte dem Reichsrecht an. Die Fortbildung des Staatskirchenrechts im 18. Jahrhundert hat sich dann freilich im Bereich der einzelnen Territorien vollzogen. Die Einführung der Toleranz, die Zulassung auch anderer als der im Westfälischen Frieden genannten Bekenntnisse konnte zwar reichsrechtlich der Grundlage entbehren, aber setzte sich in der Spätzeit des Reiches dennoch durch. Der Deutsche Bund hat dann erstmals das Grundrecht der Religionsfreiheit von Bundes wegen aufgegriffen. Das Reich Bismarcks allerdings hielt sich kirchenrechtlich stark zurück. Es überantwortete diesen Bereich im wesentlichen den Ländern. Es ist nicht ohne Interesse, festzustellen, daß das Schwergewicht der Gesetzgebung des Kulturkampfes in den Ländern, nicht im Reiche lag. Deshalb konnte der Verlauf dieser Auseinandersetzung in den einzelnen deutschen Staaten auch eine so sehr verschiedene Gestalt gewinnen. Der Weimarer Staat hat dann wieder in Anlehnung an die Frankfurter Entwürfe von 1848 die reichsrechtliche Grundlage verstärkt. Diese Grundlage ist im Grundgesetz erhalten geblieben, freilich sind die in Weimar dem Reich ergänzend hinzugegebenen Grundsatzzuständigkeiten für die Stellung der Religionsgesellschaften und für die Schule heute entfallen. Das Schwergewicht der Fortentwicklung des Staatskirchenrechts ist damit auf die Länder zurückgefallen. Das ist für die protestantische Kirche nichts Neues. Es sind doch schließlich die Territorien gewesen, die dem Kaiser einst im 16. Jahrhundert die Duldung des evangelischen Bekenntnisses abgerungen haben. So ist
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der Protestantismus immer wesentlich den Ländern verbunden gewesen im Unterschied zur katholischen Kirche, die sich regionalen Gebilden nicht einfügen läßt. Friedrich der Große jedenfalls hat sich lange vergeblich bemüht, vom Papst die Bestellung eines für Preußen mit besonderen Vollmachten ausgestatteten katholischen Bischofs zu erreichen. Diese geschichtliche Entwicklung spiegelt sich noch im heutigen Bestand. Die Landeskirchen geben in einer erstarrten Form den Territorialbestand der deutschen Geschichte wieder, wie er sich etwa um 1850 darbot. Bedeutet das, daß damit auch der Bestand der Landeskirchen kritischer Betrachtung unterliegen müßte? Man hat das kurz nach 1945 wohl erörtert, aber die traditionelle Realität hat sich hier stärker erwiesen als grundsätzliche Überlegungen. Immerhin darf heute festgestellt werden, daß seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts die kirchliche und die staatliche Gebietsabgrenzung in Deutschland getrennte Wege gegangen sind. Die evangelischen Landeskirchen und - so dürfen wir hinzusetzen -seit den 20er Jahren dieses Jahrhunderts auch die Diözesaneinteilung der römischen Kirche folgen staatlichen Gebietsveränderungen nicht mehr, so daß sich heute die Grenzen der Länder und die der kirchlichen Bezirke vielfältig überschneiden. An den Grenzen des gesamtdeutschen Raumes freilich besteht wiederum Deckung der Bereiche. Im ganzen weist dieser Tatbestand darauf, daß die Landeskirchen gut daran tun würden, diese Situation gelegentlich immer einmal wieder vom ökumenischen Standpunkt aus zu betrachten und zu prüfen. Ein Rückzug auf ein Landeskirchenturn engster traditioneller Fassung bedeutet auch innerhalb der deutschen Geschichte ein Zurückgreifen auf frühere, heute nicht mehr gültige Zustände. Die Bedeutung des Zusammenschlusses aller evangelischen Kirchen in Deutschland in der Evangelischen Kirche in Deutschland gewinnt eben von dorther eine Legitimation, daß er das evangelische Bekenntnis im gemeindeutschen Raume zusammenschließt und ihm im Leben der Nation seinen Platz gibt. Rein konfessionelle Zusammenschlüsse könnten diese Funktion nicht ersetzen oder übernehmen. Wenn wir am Ausgang dieses Überblickes nach einer Kennzeichnung dieses Verhältnisses von Kirche und Staat suchen, so wird man nicht auf das in der Weimarer Epoche durch Ulrich Stutz geprägte Wort von der "hinkenden Trennung" von Staat und Kirche zurückgreifen wollen. Es mag schon zweifelhaft sein, ob diese Bezeichnung für die damalige Zeit eine zutreffende Umschreibung der im Grunde doch einfach fortgesetzten Staatskirchenhoheit und Verbindung der beiden Bereiche darstellte. Die legislativen Ansätze stärkerer Trennung, die die Verfassung von 1919 enthielt, sind jedenfalls niemals zur Entfaltung gelangt. Die heutige Zeit denkt noch weniger hier im Westen unseres Landes an Trennung. Wir dürfen daher besser die Formeln verwenden, die die neueren evangelischen Staatsverträge gebrauchen: die freundschaftliche Zusammenarbeit,
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die gemeinsame Verantwortung für den evangelischen Teil der Bevölkerung, die Partnerschaft- ein Ausdruck, der allerdings nicht wörtlich in den Verträgen erscheint-, alles das deutet darauf hin, daß das heutige Verhältnis von Kirche und Staat nicht mit dem Worte "Trennung" umschrieben werden kann. Es gibt freilich von kirchlicher Seite manche, die dieser fortdauernden Verbindung mit dem Staate unter der Formel "Ende des konstantinischen Zeitalters" mit Mißtrauen zublicken. In solcher Zurückhaltung liegt sicherlich ein lebendiges Erbe des Kirchenkampfes der 30er Jahre, und es wird immer zu den Aufgaben heutiger Kirchenpolitik gehören, zu verhüten, daß diese freundschaftliche Zusammenarbeit von Kirche und Staat für die Kirche zur Last werde. Es ist unleugbar, daß ein schwacher Staat - und wir wissen, wie gering entwickelt das Staatsbewußtsein im heutigen Deutschland ist - dazu neigen kann, sich für seine Legitimation, aber auch für seine laufende Unterstützung auf die Kirche zurückzulehnen. Wir finden heute beim Staate viel eher ein allzu großes Entgegenkommen als das Gegenteil. Das kann für die Kirchen Versuchlichkeiten in sich schließen, sich mit rein staatlichen Dingen zu befassen und mit ihren Verantwortlichkeiten belastet zu werden. Daß beide Konfessionen in diesem Punkte wahrscheinlich recht verschieden denken, sei nur angemerkt. Das bedeutet, daß es für die evangelische Kirche nur um so schwieriger wird, sich hier Bindungen unerwünschter Art zu entziehen. Man sollte also in der Gegenwart von einem Verhältnis der begrenzten Partnerschaft, der unter Achtung der Selbständigkeit der Kirchen sich vollziehenden Zusammenarbeit sprechen. Die Kirchen nehmen auch die ihnen im Staate und vom Staate eingeräumte Position in Anspruch. Die Stellung als Körperschaften mit öffentlicher Anerkennung, die dadurch erschlossenen günstigen Möglichkeiten der Deckung des finanziellen kirchlichen Bedarfes eröffnen den deutschen Landeskirchen Möglichkeiten nicht nur karitativer Betätigung, sondern auch der missionarischen und seelsorgerliehen Dienste, die von nicht geringer Bedeutung sind. Diese Tatsache stellt sie, das sollte man nicht übersehen, auch unabhängig von allen weltlichen Gruppen. Ein Übergang zu einem rein freiwilligen System kirchlicher Zugehörigkeit, wie er von manchen Kritikern unserer heutigen Volkskirche empfohlen wird, hätte nicht minder seine Nachteile. Könnte er nicht manchen für die finanzielle Seite wichtigen Gruppen und Personen ein zu großes Gewicht geben? In der öffentlichen Stellung der Kirchen findet umgekehrt auch der Staat die Bestätigung, daß ihm in der Kirche ein echtes Gegenüber begegnet, das sich nicht durch Unterordnung der Kirche unter den Staat aufheben läßt, das ihm gegenüber vielmehr zu einem Amt der Mahnung und der Warnung berufen sein kann. Hier liegt für den Staat, der um die Bedeutung solcher begleitender kritischer und helfender Gedanken weiß, auch eine wichtige Ergänzung seiner selbst. Innerhalb einer so konformistisch
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geformten Gesellschaft, wie es die heutige deutsche Gesellschaft ist, ist es von größter Bedeutung, daß an einer Stelle sichtbar für alle eine tiefere Verantwortung und eine grundsätzliche Besinnung zum Ausdruck kommt. Die Wahrnehmung dieses Öffentlichkeitsauftrags der Kirche gehört zu ihren bedeutendsten, freilich auch schwersten Aufgaben. Kann es sich im evangelischen Bereich doch nicht um verbindliche Äußerungen, um lehramtliche Auslegungen handeln, sondern nur um Anruf, Mahnung, Anrede des Menschen. Und muß hier, um der Freiheit der Gewissen und um des Fehlens eines Lehramts willen, die zuweilen tief verschiedene Antwort hingenommen werden, die evangelischen Stimmen verschiedener Richtung zu derselben Frage zu geben wissen. Wenn ich zum Schluß für die evangelische Christenheit in Deutschland eine Folgerung ziehen möchte, so scheint mir die Hervorhebung zweier Punkte wesentlich. Es wird heute nicht leichter, in dem westdeutschen Staatswesen die evangelische Stimme zu Gehör zu bringen. Sie ist, wie wir eben hörten, nicht eine geschlossene Stellungnahme, wie wir es von der römischen Kirche her kennen. Sie ist aber auch heute in einer anderen Umgebung hörbar zu machen als früher. Es ist noch nicht genügend dem evangelischen Volksteil zum Bewußtsein gekommen, daß wir in der Bundesrepublik in einem sehr stark katholisch beeinfiußten Staate leben. Unzweifelhaft ist die katholische Kirche unter den geistigen Kräften dieses Staates von sehr viel weitreichender Bedeutung als vor 1918 oder auch vor 1933. Das bedeutet, daß der evangelische Beitrag zum deutschen Geistesleben mit mehr Sorgfalt und größerer Überlegung zur Geltung gebracht werden sollte als dies früher nötig war. Es gibt gewiß eine Reihe von Punkten, in denen beide Kirchen übereinstimmende Meinungen vertreten und es ist ein erfreuliches Zeichen der religiösen Toleranz, daß dies weithin bewußt geschehen kann. Aber man sollte auch nicht übersehen, daß die evangelische Kirche ihrerseits einen eigenen, ganz besonderen Beitrag zur deutschen Entwicklung zu geben hat. Das führt uns hinüber zum zweiten Punkt. Es gehört zu den großen geistigen Traditionen der deutschen Vergangenheit, daß der Fortgang des deutschen Geisteslebens im 17 ., 18. und 19. Jahrhundert sehr weitgehend durch die evangelische Geisteswelt geprägt worden ist. Das ist vielleicht für sie selbst nicht ohne Verhängnis gewesen, weil sie in fortschreitender geistiger Entwicklung ihre theologischen Gehalte allzusehr in Frage stellte oder gar verlor. Aber eines ist dieser Entwicklung zu verdanken, und in ihr vor allem dem protestantischen Bereich: die Ausbildung und Verbreitung des Gedankens geistiger Freiheit. Mir scheint hier ein wesentliches Anliegen auch der heutigen Situation zu liegen. In unserer Gegenwart, die so sehr ein Zeitalter der gesellschaftlichen Erhaltung, der geistigen Abwehr, der konservativen Bewahrung und Erneuerung darstellt, ist es gegenüber allen
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Versuchungen der Klerikalisierung und der geistigen Uniformierung immer wieder wichtig, auf diese Überlieferung des deutschen Protestantismus im Sinne der geistigen Freiheit und Beweglichkeit hinzuweisen. Es ist diese offene und nüchterne Betrachtung der Realität, es ist die grundlegende Anerkennung menschlicher Eigenverantwortung im Glauben wie im Handeln in dieser Welt, die den evangelischen Glauben befähigt, auch heute noch seine Rolle als eines großen und grundlegenden Bestandteils der geistigen Entwicklung in Deutschland zu ergreifen und zu erfüllen.
Staatskirche In der Auffassung des Mittelalters von der Sonderung des geistlichen und weltlichen Bereichs innerhalb des Corpus Christianum und von der Universalität der Kirche konnte es eine nationale Kirchenbildung nicht geben, war aber andererseits die Unterordnung des Staates unter die suprema potestas des Papstes gegeben. Die reformatorische Lehre vertrat die Scheidung des geistlichen und weltlichen Regiments (Zwei-Reiche-Lehre), mithin eine Unabhängigkeit der kirchlichen Ordnung. Dennoch kam es zur Bildung territorialer Partikularkirchen unter leitendem staatlichem Einfluß. In der Folge wurde auch in denkatholischen Ländern der Staatseinfluß auf die Kirche bedeutend verstärkt. Überall wurde im 16.-18. Jahrhundert als Regel der Staatsräson der Grundsatz befolgt, nur eine Religion im Staate zu dulden (Stankiewicz). Das daraus folgende System enger Verbindung von Kirche und Staat, das man als Staatskirche bezeichnen kann, führte zu Alleinherrschaft oder Vorrang dieser Kirche kraft Staatsgebot, Staatsbesetzung leitender Kirchenämter, Bekenntnisbindung der Bildungseinrichtungen und unter Umständen Besteuerung aller Untertanen für die Staatskirche. Vom Boden der katholischen Lehre aus wird die Staatskirche zwar nicht gefordert, aber dort, wo ein Staat mit überwiegend katholischer Bevölkerung der römischen Kirche rechtlich eine Vorrangstellung gewährt (Italien, Spanien, Kolumbien und andere lateinamerikanische Länder), als Anerkennung der bestehenden Glaubenslage akzeptiert. Diese Vorrangstellung kann in gemilderten Formen mit Religionsfreiheit für andere Bekenntnisse (aber ohne Parität mit der Staatskirche, z. B. Italien) zusammengehen. Sie wirkt sich, in der Regel konkordatär gesichert, vornehmlich in staatlicher Anerkennung kirchlicher Gebote (Eherecht) und vor allem in der konfessionellen Gestaltung des Bildungswesens aus. Demgegenüber beruht der traditionelle Typ der Staatskirche in evangelischen Ländern auf historischer Entwicklung. Sie verlief in den einzelnen Ländern verschieden. In Deutschland entstand ein Staatskirchenturn mit weitgehender landesherrlicher Bestimmung und einer Aus: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. 6, Tübingen 1962, Sp. 314-316. - Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen.
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Kirche, die im 18. Jahrhundert zur "Staatsanstalt" wurde. Eine ähnliche Staatsherrschaft wurde im 17. Jahrhundert in Schweden und Dänemark (1666) erreicht. In England entstand eine auf naher Verbindung zum Staat beruhende Verfassung (Establishment), die die Kirche selbständig ließ, aber rechtlich mit dem Staat eng verband. Die geistigen Grundlagen der Staatskirche fielen in diesen Ländern mit dem Aufkommen des Toleranz-Gedankens und der Entwicklung des modernen Staates zu einem überkonfessionellen oder sogar indifferenten Gemeinwesen hinweg. Der Abbau der älteren Position erfolgte indes langsam. In Deutschland sprach sich das Frankfurter Parlament 1848 (§ 147) gegen die Staatskirche aus, und dem folgten die meisten Verfassungen der Länder; doch blieb die Staatskirche vereinzelt (Mecklenburg) bis 1918 erhalten. Sie machte einem System sich lockernder Verbindung von Kirche und Staat Platz. In einigen Schweizer Kantonen besteht ein Rest der Staatskirche im Sinne einer Anerkennung nur einer Kirche als öffentlicher Korporation, deren Verfassung vom kantonalen Gesetzgeber gesetzt wird (z. B. Zürich, Basel-Land mit Anerkennung einzelner katholischer Gemeinden). Doch kommen daneben auch Kantone mit mehreren anerkannten Landeskirchen sowie andere Systeme der staatskirchenrechtlichen Relation vor. In den nordischen Ländern tendiert die Entwicklung zu einer Lockerung der noch auf Staatsgesetzgebung für die Kirche und Staatsbestellung leitender Posten beruhenden Stellung der Kirche. In England hat die Toleranz früh die Alleinherrschaft der anglikanischen Kirche gemildert (1689, 1828). 1919 wurde durch die Church of England Assembly Powers Act wieder eine kirchliche Repräsentation geschaffen, die dem Parlament Gesetze vorlegen muß. Doch dauert die Vertretung der Kirche im Oberhaus, die Ernennung der Bischöfe durch die Königin (d. h. den Premier) und das kirchliche Gesetzgebungsrecht des Parlaments fort. Die neuere evangelische Auffassung lehnt vom Gedanken der eigenen geistlichen Vollmacht und des von allen weltlichen Institutionen verschiedenen Wesens der Kirche eine Staatskirche ab und verficht die Eigenständigkeit der kirchlichen Ordnung. Die Erhaltung historischer Einrichtungen der Staatskirche kann bei Wandlung der staatlichen Verhältnisse die Gefahr weltlicher und sogar gegenkirchlicher Einwirkung mit sich bringen oder verstrickt die Kirche unnötig in weltliche Verantwortung. In der säkularen Rechtsentwicklung erscheint das System der Staatskirche mit rechtlicher Anerkennung nur eines Bekenntnisses als Widerspruch zum Menschenrecht der Glaubensfreiheit. Die Staatskirche in Form bestimmter rechtlicher Vorzüge (öffentlicher Status, finanzielle Ausstattung usw.) der überkommenen Kirchen bei bestehender Glaubensfreiheit wird dagegen keinen grundrechtliehen Einwänden begegnen. Religiöse Parität ist kein rechtlich notwendiger Ausfluß der Glaubensfreiheit, wo historisch gegebene Positionen bestehen.
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Den Gegensatz zur Staatskirche mit ihrem stets territorialistischen Aufbau und Anspruch bilden die Freikirchen, die besonders im angelsächsischen Bereich grundlegende Bedeutung erlangt haben. Bei einem System völliger Trennung von Kirche und Staat (USA) verschwindet freilich der Unterschied zwischen den Denominationen in dieser Hinsicht, da es keine Position im Sinne einer Staatskirche oder Volkskirche geben kann.
Literaturhinweise U. Lampert, Kirche und Staat in der Schweiz I- III, 1929 - 39. - A. Th. Jörgensen, Dänemark, eine luth. Volkskirche (ELKZ 5, 1951, 366 f.).- P. A. d'Avack, Corso di diritto canonico I, Mailand 1956. - S. Kjöllerström, Die Debatte über
Kirche und Staat in Schweden (ZSavRG Kan. Abt. 74, 1957, 309- 326). -
S. Grundmann, Der Luth. Weltbund, 1957.- E. Mayfield, The Church of England, London 1958.- A. V. Murray, The State and the Church in a Free Society, Cambridge 1958. - R. Bäumlin, Die ev. Kirche und der Staat in der Schweiz seit dem Kulturkampf (ZSavRG 76, 1959, 249 - 277). - H. Kleinstück, Staat und Staatskirche in England (Diss. Frankfurt), 1960 (Lit.). - W. J. Stankiewicz, Politics and Religion in 17th Century France, Los Angeles 1960.- Erik Wolf,
Ordnung der Kirche, 1961.
Auseinandersetzungen und Tendenzen im deutschen Staatskirchenrecht Kirchenverträge und Gesetz, Kirchensteuern, Gemeinschaftsschule, Religionsfreiheit I. Neue Bewegungen im Staatskirchenrecht Das vergangene Jahr hat durch ein Zusammentreffen mehrerer in sich gesonderter Vorgänge die Diskussion um die Grundlagen des Staatskirchenrechts von mehreren Richtungen her neu belebt. Die Erörterungen um das niedersächsische Konkordat, mehrere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, vor allem zur kirchlichen Besteuerung glaubensverschiedener Ehen, die Auseinandersetzung um Art. 32 der bremischen Verfassung sowie um das Schulgebet in Hessen und Art. 56 der hessischen Verfassung1 haben alle grundsätzliche Fragen aufgeworfen und gezeigt, daß in nicht geringem Umfang hier noch ungeklärte Bereiche vorhanden sind. In den voraufgehenden Jahren konnte es scheinen, als ob auf diesem Felde eine sehr weitgehende Übereinstimmung erreicht worden wäre. Man war sich einig darüber, daß die aus der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz übernommenen Artikel in einem neuen, den Kirchen eine größere Freiheit gewährenden Sinne zu interpretieren seien2 und der Wegfall der staatlichen Kirchenhoheit ist allgemein anerkannt3 • Die überwiegende Meinung ging davon aus, daß der Staat bereit sei - auch die freiheitliche Verfassung unter dem Prinzip der Glaubensfreiheit ihn darauf hinweise-, die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kirchen Aus: Die Öffentliche Verwaltung 1966, S. 145- 153. Der Verf. darf darauf hinweisen, daß er in einigen der Kirchensteuerverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht als Vertreter des Landes BadenWürttemberg tätig war und im Streit vor dem Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen die Bremische Evangelische Kirche vertreten hat. 2 Vgl. Rudolf Smend, Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, in: ZevKR 1 (1951) S. 11 f.; Konrad Hesse, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1945, in: JöR, N.F., Bd. 10 (1961) S. 23 ff.; LVG Schleswig, in: KirchE 3 S. 184. Vgl. auch BVerfGE 6 S. 309 (343) = DÖV 1957 S. 789 (Sp. 229); BVerwGE 7 s. 189 (193 f.). 3 Konrad Hesse, S. 23; Paul Mikat, Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Die Grundrechte, hrsg. von Karl August Bettermann, Hans Carl Nipperdey u. UZTich ScheuneT, Bd. IV/1, Berlin 1960, 8.128 ff.; ders., Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik, Berlin 1964, S. 14 f.; LVG Schleswig, in: KirchE 3 S. 184. 1
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anzuerkennen und künftig seine Beziehungen zu ihnen nicht durch einseitige staatliche Bestimmung, sondern durch vertragliche Abmachungen zu regeln, mithin auf die Grundlage eines auf Koordination beruhenden Vertragskirchenrechts zu stellen4 • Die Kirchen erhalten auf diese Weise, ohne daß ihre Stellung im öffentlichen Recht als für die Gesamtheit wichtige Erscheinungen und Bestandteile des öffentlichen Lebens berührt würde, ein weites Maß der Selbstbestimmung und eine Anerkennung ihres Wirkens in der Öffentlichkeit. Insgesamt wurde, wie die evangelischen Kirchenverträge in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hessen und Rheinland-Pfalz zeigen, die Stellung der Kirchen mit den Begriffen der Eigenständigkeit und des Öffentlichkeitsauftrags, aber auch mit dem der freundschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Staate definiert, womit zugleich deutlich gemacht war, daß Weimarer Verfassung und Grundgesetz nicht etwa eine volle Trennung beider vorgenommen, sondern eine im öffentlichen Recht begründete Verbindung zwischen Staat und Religionsgesellschaften erhalten haben5 • ' Von zahlreichen Autoren ist diese begriffliche Entwicklung dahin geführt worden, daß angesichts der wesensmäßigen Verschiedenheit staatlichen und kirchlichen Rechts das Verhältnis Staat und Kirche nur auf der Basis von Verträgen geregelt werden könne. So insberondere Siegfried Grundmann, Das Verhältnis von Staat und Kirche auf der Grundlage des Vertragskirchenrechts, in: OArchKR 13 (1962) S. 281 ff.; ferner Dietrich Pirson, Der Kirchenvertrag als Gestaltungsform der Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Kirche, in: Festschrift für Hans Liermann, Erlangen 1964, S. 185 ff.; ders., Universalität und Partikularität der Kirche, München 1965, S. 197. Vorsichtiger wird von Alexander Hollerbach, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, München 1965, S. 119 ff., das Vertragskirchenrecht aus dem Gebot der Verfassung zu vertraglicher Einigung abgeleitet. Demgegenüber habe ich schon in: Kirche und Staat in der neueren deutschen Entwicklung, in: ZevKR 7 (1959/60) S. 257 ff., darauf hingewiesen, daß man im heutigen säkularen Staat, der an der Tradition seiner umfassenden Verantwortung für alle Bürger seines Gebietes festhält, eine volle Annahme des Koordinationsprinzips nicht erwarten kann. Im gleichen Sinne auch Altred Albrecht, Koordination von Staat und Kirche in der Demokratie, Freiburg/Br. 1965, S. 128 ff., der die Grenze der staatlichen Entscheidung hier mit Recht von seiner Bindung an die Glaubensfreiheit her absteckt. Die hier besprochenen Urteile der Verfassungsgerichtsbarkeit gehen alle von der Überordnung der staatlichen Verfassung über Vertragsbindungen aus, und das Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofs betrachtet den durch Gesetz in Landesrecht überführten hessischen Kirchenvertrag vom 18. 6. 1960 sogar nur als eine Art "Verfassungswirklichkeit", statt ihn als eine den verfassungsrechtlich freigelassenen Raum gestaltende gesetzliche Festlegung anzusehen; jedenfalls gibt das Urteil der Verfassung erkennbar der Vorrang vor dem Vertrage (vgl. DOV 1966 S. 56). Man wird das Vertragskirchenrecht daher heute richtiger als eine der demokratischen Verfassung gemäße Lösung der Beziehung von Staat und Kirche, nicht aber als eine von staatlicher Sicht aus zwingende Form ansehen können. Vgl. auch Heiner Marre, Zur Koordination von Staat und Kirche, in: DVB1.1966 S.13. 5 Vgl. zur Stellung der Kirchen im öffentlichen Recht und für ihr Zusammenwirken mit dem Staat meine Darlegung: Die staatskirchenrechtliche Tragweite des niedersächsischen Kirchenvertrages von Kloster Loccum, in: ZevKR 6 (1957/58) S. 22 ff., und Heiner Marre u. Karl Eugen Schlief, Der öffentlichrechtliche Gesamtstatus der Kirchen, in: NJW 1965 S. 1514 ff.
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Gegen diese Deutung der gegenwärtigen Rechtslage waren schon in den vergangenen Jahren Stimmen laut geworden, die stärker das Gebot der staatlichen Souveränität und der Herrschaft der staatlichen Gesetzgebung über alle Vorgänge ihres territorialen Bereiches betonten6 • Es ist nicht zu übersehen, daß auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Konkordatsstreit von einer Sicht ausgeht, die auch bei fortbestehender Vertragsbindung dem staatlichen Verfassungsgeber gestattet, vertragliche Vereinbarungen innerstaatlich beiseitezusetzen7 • Das Problem des Verhältnisses der Kirchenverträge- einmal abgesehen von derbesonderen völkerrechtlichen Natur der Konkordate mit dem Hl. Stuhlezur staatlichen Verfassung beschäftigt auch die neueste Literatur8 • Sie hebt zutreffend hervor, daß die Kirchenverträge eine rechtliche Bindung des Staates herbeiführen, die auch der Gesetzgeber künftig nicht ohne Verletzung des Vertrages aufheben oder beiseiteschieben kann9 • Sie neigt aber andererseits dazu, dem Verfassungsrecht des Staates die Kraft zur Aufhebung des Vertrages unter der Kategorie einer höchsten Gemeinwohlverantwortung zuzugestehen10 • Soweit darin nicht die Definition der rechtlichen Lösungsmöglichkeit unter der von Grund auf veränderten Sachlage liegt, zeigt diese Ansicht, die die Vertragsbindung für die Verfassung disponibel zu machen geeignet ist, die Gefahr, die darin liegt, Kirchenverträge zu sehr zu individualisieren und die gemeinsame höhere Rechtsebene, in der sich hier Staat und die in ihrer sichtbaren Gestalt auftretende Kirche begegnen, nur jeweils konkret als gegeben anzusehen. Es bleibt demgegenüber die im Grundsatz der Glaubensfreiheit und in der Achtung vor dem staatlicher Verfügung entzogenen geistigen Bereich des kirchlichen Lebens liegende Begrenzung staatlicher Anordnung zu betonen11 • Der Staat kann rechtliche Bindungen abwerfen und zerstören, 8 Vgl. Ernst-Werner Fuß, Kirche und Staat unter dem Grundgesetz, in: DÖV 1961 S. 734 ff.; Helmut Quaritsch, Kirchen und Staat, in: Der Staat 1 (1961) S.188 ff. 7 BVerfGE 6 S. 309 (341, 350, 354/55) = DÖV 1957 S. 789 (Sp. 229). 8 Der Gedanke, dabei den Vertrag als eine jeweils individuelle Koordinationsordnung zwischen Staat und Kirche aufzufassen (Alexander Hollerbach, S. 158) scheint mir nicht überzeugend. Auch wenn man die dualistische Transformationslehre für überwunden hält und den Vertrag als solchen durch die Anordnung des Zustimmungsgesetzes in Wirksamkeit in der staatlichen Ordnung gesetzt sieht (so für das Völkerrecht dieneuere Meinung, vgl. Karl Josej Partsch, Die Anwendung des Völkerrechts im innerstaatlichen Recht, Karlsruhe 1964, S. 20 ff. [Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 6]), so bleibt die interne Anwendung von staatlicher Anordnung abhängig. 8 So Aljred Albrecht, S. 249, 255. Die Annahme von Alexander Hollerbach, S. 106, ein vertragswidriges staatliches Gesetz sei nichtig, kann im heutigen Verständnis des staatlichen Rechts keine Grundlage finden. Richtig ist aber, daß die Kirche dem Staate im Vertrag nicht als unterworfene Körperschaft, sondern als jenseits der weltlichen Ordnung stehende unabhängige Gemeinschaft begegnet, vgl. Dietrich Pirson, in: Festschrift für Hans Liermann, S. 185 f. 10 Alexander Hollerbach, S. 164/65. Hier wird dem Verfassunggeber und auch der Verfassungsänderung gegenüber der Vertragsbindung ein zu weiter Raum gewährt.
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aber im Eingriff in den inneren Bereich der Glaubensfreiheit verletzt er nicht nur die Menschenwürde, sondern es entbehrt hier auch sein Wirken jeder Legitimität12. Die rechtlichen Grundlagen der Beziehung von Staat und Kirche stellen eine für geistig-geschichtliche Entwicklungen überaus sensible Materie dar, die rasch auf Veränderungen der Grundsituation, auf politische Tendenzen wie auf allgemeine geistige Strömungen reagiert. Das bewahrheitet sich auch heute. Der Ausgangspunkt der ersten Nachkriegszeit, in der der Staat den Kirchen als tragenden Kräften der geistigen Überlieferung und der Sicherung eines humanen und auf die Würde der Person gegründeten Denkens sich besonders zuwandte, ist nicht mehr unumstritten. In der Öffentlichkeit wird eine kühlere Haltung und auch Kritik bemerkbar, die bis zur Neubelebung einer entschieden säkular orientierten Richtung reicht, welche eine von der Verfassung abweichende volle Trennung von Staat und Kirche anstrebt13 • In einigen der Auseinandersetzungen des Jahres 1965, vor allem in Niedersachsen, sind Auswirkungen solcher Vorstellungen hervorgetreten. Wenn man darnach fragt, welche Bereiche des Staatskirchenrechts die gerichtlichen und politischen Streitfälle am meisten berührt haben, so wird man an erster Stelle das Grundverhältnis von Kirchenvertrag, Verfassung und Gesetz zu nennen haben. In dem Kirchensteuerstreit ging es vor allem um die staatliche und kirchliche Sicht der Ehe als voller Lebensgemeinschaft. Einen breiten Raum nahm dann die Diskussion um die Begriffe Gemeinschaftsschule und Gemeinschaftsschule auf christlicher Grundlage ein, in deren Zusammenhang dann das fundamentale Problem der Religionsfreiheit und ihrer Tragweite gegenüber der Gestaltung des Unterrichts auftaucht. II. Das niedersächsische Konkordat vom 21. 2. 1.965 Im Vordergrund der Auseinandersetzungen um das niedersächsische Konkordat haben politische Fragen gestanden; der Widerstand gegen die Vereinbarung richtete sich fast allein gegen die Schulbestimmungen, von Vgl. Altred Albrecht, S. 144/45; Heiner Marre, in: DVBl. 1966 S. 13 Anm. 47. Vgl. Barmer Theologische Erklärung von 1934, Ziff. 5, und die Declaratio de Libertate Religiosa des Vaticanums li, Ziff. 6 und 13: "Libertas Ecclesiae est principium fundamentale in relationibus inter Ecclesiam et potestates publicas totumque ordinem civilem." Zustimmend Angel Francisco Carrillo de Albornoz, The Ecumenical and World Significance of the Vatican Declaration on Religious Liberty, in: The Ecumenical Review 18 (1966) S. 65 ff. 13 Diese Strömung, die sich selbst gern als "humanistisch" bezeichnet, geht freilich in die Irre, wenn sie ihre Forderung nach strikter Trennung der beiden Bereiche und ihre Verwechslung von Toleranz und Indifferentismus in das geltende Recht hineindeuten will. Hier liegt der unrichtige Grundansatz des Buches von Erwin Fischer, Trennung von Staat und Kirche, München 1964. Vgl. auch Heiner Marre, in: DVBl. 1966 S. 12 ff. 11
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denen ein Teil der Lehrerschaft wie politische Kräfte eine zu weitgehende Begünstigung der Bekenntnisschule besorgten. Auf diese politische Seite ist hier nicht einzugehen. Verfassungsrechtlich standen folgende Fragen im Vordergrund14 : Es wurde die Meinung vertreten, das Grundgesetzdie nds. Verfassung enthält überhaupt keine Schulvorschriften- gestatte überhaupt keine Bekenntnisschule, da der Staat weltanschaulich nicht gebunden sei und sich nicht mit einer Religion identifizieren dürfe 15 • Hier lag ein doppelter Irrtum vor. Wie noch zu Hessen zu bemerken sein wird, wird in dem Satz des Art. 137 Abs. 1 WeimRV: "Es besteht keine Staatskirche" nur die privilegierte Stellung einer Religion als bevorzugter und rechtlich hervorgehobener Staatsreligion untersagt, keineswegs aber jede institutionelle Verbindung von Staat und Kirche abgewiesen. Die Erhaltung der Staatsleistungen, der Kirchenbesteuerung und der Anstaltsseelsorge sprechen hier eine klare Sprache. Jeder Versuch, hier ein Gebot voller Trennung herauszulesen, würde sich in inneren Widerspruch zu anderen gleichrangigen Verfassungsbestimmungen stellen. Was sodann aber die Bekenntnisschule anlangt, so ist sie in Art. 7 Abs. 5 GG ausdrücklich zugelassen16 • Ebenso wie die weitere Behauptung, das Grundgesetz lege die Gemeinschaftsschule als Regel fest - eine solche Anordnung traf Art. 146 WeimRV, sie ging aber nicht in Art. 7 GG über -, wird hier auch verkannt, daß gerade die föderalistische Struktur des Grundgesetzes, die die gesamte Schulverwaltung den Ländern überläßt, ihnen auch die freie Bestimmung des weltanschaulichen Schultyps zugesteht17 • Art. 4 GG, auf den sich H. Krüger hier beruft, trägt nichts zur Sache aus. Das Grundgesetz hat nicht ein laizistisches Staatswesen, sondern einen Staat geordnet, den neutrale und tolerante Haltung, zugleich aber die Erhaltung einer Verbindung mit den traditionellen religiösen Kräften des Volkes charakterisieren. Ein weiterer Einwand richtete sich dagegen, daß - da das Konkordat gewisse Änderungen des nds. Schulgesetzes vom 14. 9. 1954 (GS. S. 89) bedingte- zugleich mit dem Zustimmungsgesetz eine Novelle zum Schulgesetz vorgelegt wurde; man habe hier ein ungebräuchliches Junctim hergestellt, das die Beratungen erschwere. Diese Auffassung u Das Material zum Konkordat findet sich in der von der niedersächsischen Regierung herausgegebenen Denkschrift "Die niedersächsische Schule vor und nach dem Konkordat", Hannover 1965. Siehe ferner die Regierungsvorlage zum Konkordat, Drucksachen des Landtages, 5. Wahlperiode, Nr. 529 (Bericht Nr. 540) und zum Ergänzungsvertrage mit den evangelischen Landeskirchen, Drucksache Nr. 545. 15 Herbert Krüger, Thesen zum niedersächsischen Konkordat, in: Die niedersächsische Schule (usw.), Hannover 1965, S. 108/09. 18 Für die Zulässigkeit der Bekenntnisschule vgl. BVerfGE 6 S. 309 (358) = DÖV 1957 S. 789 (Sp. 229); BVerwGE 17 S. 267 (269) = DÖV 1964 S. 314. 17 Siehe BVerfGE 6 S. 309 (354, 356/57); Konrad Hesse, in: JöR, N.F., Bd. 10 (1961) S. 69; Hans Peters, Elternrecht, Erziehung, Bildung und Schule, in: Die Grundrechte, hrsg. von Karl August Bettermann, Hans Carl Nipperdey u. UZTich Scheuner, Bd. IV/1, Berlin 1960, S. 404 ff.
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übersah, daß es der Unterrichtung der Öffentlichkeit und der loyalen Ausführung des Vertrages dienlich ist, die rechtlichen Konsequenzen alsbald ins Auge zu fassen und gesetzlich zu regeln. Eine solche enge Verbindung von Schulgesetzgebung und konkordatärer Vereinbarung findet sich auch in Österreich bei der Verbindung zwischen der Neufassung von fünf Schulgesetzen am 25. 7. 1962 (BGBL S. 1165 -1223), vor allem der Religionsunterrichts-Novelle und des Privatschulgesetzes, mit der Vorlage des mit dem m. Stuhl am 9. 7. 1962 (Zustimmungsgesetz V. 31. 7. 1962, BGBL S. 1735) geschlossenen Vertrages über Schulfragen, der auf diese Novellierung des Schulrechts abgestellt war1s. Die wichtigsten Rechtsfragen des Vorgangs in Hannover betreffen die Gemeinschaftsschule. Hier hat sich die Regierung auf den Standpunkt gestellt, daß der Begriff der Gemeinschaftsschule verschiedene Ausprägungen zuläßt. Wie schon Eduard Spranger für die Weimarer Zeit ausgeführt hat, kann sie so geformt sein, daß nur der Religionsunterricht das religiöse Element zur Geltung bringt, sonst aber ein weltlicher, "wissenschaftlicher" Zug herrscht19 • In der Tradition der deutschen Länder liegt aber ein anderer Typus, in dem die christliche Überlieferung stärker, auch in den geistigen Fragen gewidmeten Fächern (Geschichte, Literatur) den Inhalt des Unterrichts durchformt, ohne daß man so weit zu gehen braucht, damit in der Art der südwestdeutschen Schule eine bikonfessionelle Simultanschule zu prägen. Auch wo daher eine Landesverfassung nur den Ausdruck "Gemeinschaftsschule" ohne Zusatz verwendet, insbesondere dort, wo sie dabei auf verschiedene Bekenntnisse und Weltanschauungen verweist, bleibt daher die Wahl zwischen diesen verschiedenen Formen einer Berücksichtigung der christlichen Anschauung als Bestand der geschichtlichen Überlieferung offen2o. Da somit der staatliche Gesetzgeber innerhalb der Breite des Begriffes die Art der Gemeinschaftsschule näher bestimmen kann, kann er sich auch mit den Kirchen vertraglich hierüber verständigen. Das ist keine Einengung seiner Entscheidungsfreiheit, sondern, da die Rücksicht auf die religiösen und weltanschaulichen Kräfte der Sache entspricht, ihre Betätigung. In diesem Sinne hat der ev. Kirchenvertrag mit Schleswig-Holstein vom 18. 4. 1955 in Art. 6 Abs. 1 den christlichen Grundcharakter der in Art. 6 Abs. 3 der 18 Vgl. die Materialien zu diesen Gesetzen in Beilagen zu den stenographischen Protokollen der Nationalversammlung IX G. P. Nr. 735, 767, 772, abgedruckt in: ÖArchKR 14 (1963) S.179, 333 ff. 1' Eduard Spranger, Die wissenschaftlichen Grundlagen der Schulverfassungslehre und Schulpolitik, Berlin 1927 (Neudruck in Klinkhardts Pädagogischen Quellentexten, hrsg. von Theo Dietrich u. Albert Reble, Bad Heilbrunn 1963, S. 58). Sprangernennt diesen Typ "wissenschaftliche Simultanschule". 20 In diesem Sinn sind die Ausführungen von Hans Peters, S. 408/09, zu verstehen. Sprangernennt diesen Typ "christliche Simultanschule" (S. 58). Er ist verfassungsrechtlich festgelegt in Art. 16 Abs. 1 der Landesverfassung von Baden-Württemberg, Art. 12 Abs. 2 der Landesverfassung von NordrheinWestfalen, Art. 29 Abs. 2 der Landesverfassung von Rheinland-Pfalz.
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Landessatzung normierten "Gemeinschaftsschule" im Sinne der historischen Gestaltung festgelegt21. Der nds. Typus der Gemeinschaftsschule weist wiederum gewisse geschichtlich bedingte Eigenheiten auf22 • Er ist offen für alle weltanschaulichen Richtungen, aber nimmt in seiner Ausgestaltung auf die christliche Überlieferung der deutschen Bildung und Gesittung Bezug, zählt sich also nicht zum Bild der "Wissenschaftlichen Simultanschule". Die Bedeutung des christlichen Elements wird dabei wie in anderen Ländern gesetzlich dadurch anerkannt, daß im Konkordat (Art. 6 Abs. 3) wie im ev. Ergänzungsvertrag (Art. 4) bestimmt ist, daß in den Volksschulen der Anteil der Lehrer einer Konfession sich grundsätzlich nach dem Anteil der Schüler richten soll. Der christliche Charakter erfährt also hier durch diese Proporzbestimmung eine reale Stütze, ohne daß andersgläubige Lehrer beeinträchtigt werden. Im Ergebnis hat die Diskussion, so scheint mir, bestätigt, daß ein zur Ausführung des Rahmens der Verfassung geschlossener Vertrag zwischen Staat und Kirche seinen Sinn behält und den Gesetzgeber bindet. Man wird sich vielleicht fragen können, ob in Zukunft Kirchenverträge mit einem Bekenntnis nicht stärker die Rückwirkung auf die andere Konfession beachten sollten und Formen für deren rechtzeitige Anhörung - die in Niedersachsen geschehen war - gefunden werden können, um zu verhüten, daß in diesen Verträgen indirekt durch Abreden zwischen Staat und einer Kirche Interessen und Rechte der anderen Kirchen berührt werden. lll. Besteuerung glaubensverschiedener Ehen Die Serie von Urteilen, in denen das Bundesverfassungsgericht zur kirchlichen Besteuerung Stellung nahm, stellt die wichtigste Äußerung des Gerichts im Felde des Staatskirchenrechts seit dem Konkordatsurteil dar22 • Auch wenn die Tragweite der Entscheidungen begrenzt ist, so werden doch viele grundsätzliche Fragen berührt. Von den 9 Urteilen, die am 14. 12. 1965 verkündet wurden, weisen zwei -1 BvR 329/63 und 1 BvL 16/58 und 3/59 - die Vorlagen aus verfahrensrechtlichen Gründen ab. Ein Verfahren -1 BvR 571/60- betraf die Frage der gewohnheitsrechtliehen Grundlage der Besteuerung in der Ev.-lutherischen Kirche in Harn21 Darin hat man angesichts der entsprechenden historischen Gestaltung der Schule nur eine Bestätigung gesehen. Vgl. die Begründung der Regierungsvorlage und den Brief des Bischofs von Holstein vom 21. 5. 1957 bei Werner Weber, Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge der Gegenwart, Bd. 1, Göttingen 1962, S. 251, 256. 22 Die folgende Darlegung stützt sich auf die Niederschrift über einen Vortrag des Staatssekretärs Konrad MüLler in der Evangelischen Akademie Loccum vom 3. 1. 1966, die mir freundlicherweise zugänglich gemacht wurde.
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burg (die aus historischen Gründen für rechtmäßig anerkannt wurde) und ist hier ohne Bedeutung. Von den übrigen Entscheidungen betreffen zwei - 1 BvR 413 u. 416/60 = DÖV 1966, 57 und 1 BvR 193/61 - die Heranziehung juristischer Personen durch § 13 des badischen Ortskirchensteuergesetzes vom 30. 6. 1922, die übrigen - 1 BvL 31, 32/62 = DÖV 1966, 60; 1 BvR 606/60 = DÖV 1966, 62; 1 BvL 2/60 und 1 BvR 586/58die Ehegattenbesteuerung bei glaubensverschiedenen Ehen (d. h. Ehen, in denen ein Partner keiner Religionsgesellschaft angehört} 23 • Der Anlaß zu diesen Entscheidungen liegt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Ehegattenbesteuerung im Einkommensteuerrecht, die gemäß Art. 6 Abs. 1 GG jede die Ehegatten durch Zusammenrechnung ihrer Einkommen treffende erhöhte Belastung für verfassungswidrig erklärt hat24. Der kirchliche Halbteilungsgrundsatz (der verdienende nicht kirchenangehörige Gatte zahlt für den nicht verdienenden die Hälfte des für beide sich ergebenden Steuersatzes) ist ohne Zusammenhang mit der staatlichen Gesamtveranlagung der Gatten entwickelt worden. Als in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die kirchliche Besteuerung neben die bisher zureichenden sonstigen Einkünfte und Staatszuschüsse trat, stellte sich bald das Problem der Besteuerung konfessionsverschiedener Ehen. Jahrzehntelang wurde es in Gesetzgebung und Rechtsprechung nach dem Grundsatz der vollen Lebensgemeinschaft der Ehegatten und ihrer gegenseitigen Pflicht zur Deckung der religiösen Bedürfnisse des anderen Teiles durch hälftige Besteuerung des verdienenden Ehegatten für jedes der beiden Bekenntnisse gelöst. Dieser Halbteilungsgrundsatz wurde auch auf glaubensverschiedene Ehen angewandt mit der Maßgabe, daß der verdienende nicht kirchenangehörige Teil nur insgesamt die halbe Steuer leistete 25 • Bis in die letzten Jahre hat die Rechtssprechung diese Praxis bestätigt2e. Mit der Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts gegen die Zusammen28 Von diesen Urteilen enthalten die Urteile 1 BvR 413, 416/60, 1 BvL 31, 32/62 und 1 BvR 606/60 die ausführlichen Begründungen, während die anderen Urteile sich kürzer fassen. Jene vier Urteile sind in DÖV 1966 S. 57 ff. abge-
druckt und müssen in gegenseitiger Ergänzung zusammen gelesen werden. 24 Vgl. das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. 1. 1957, in: BVerfGE 6 S. 55 ff. = DÖV 1957 S. 180; ferner BVerfGE 9 S. 3 (11); 13 S. 290 (308) = DÖV 1962 S. 140; 15 S. 328 (332); 16 S. 203 (209) = DÖV 1963 S. 626 (Sp. 217);
18 s. 97 (104). ! 5 Vgl. Helmut Dreysel, Das Problem der kirchlichen Ehegattenbesteuerung, in: DVBI. 1962 S. 237 ff.; Kuno Barth, Der kirchensteuerliche Halbteilungsgrundsatz bei gemischten Ehen und Haushaltsbesteuerung, in: DVBI. 1965 S. 421 ff.; ders., Zur Haftung für die Steuerschuld des Ehegatten, vor allem bei der Kirchensteuer und Kirchenlohnsteuer, in: Der Betrieb 1965 S. 905 ff., 947 ff.; ders., Die Kirchensteuer in glaubensverschiedenen Ehen, in: Steuer und Wirtschaft 1965 S. 138 ff. 28 Vgl. PrOVG 83 (1928) S. 180; VG Kassel, in: KirchE 3 S. 51; VG Stuttgart, in: KirchE 3 S. 63; BayVerfGHE 10 II S. 87; LVG Hannover, in: ZevKR 6 (1957/58) s. 206.
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veranlagung der Ehegatten - die freilich nur die dadurch bewirkte Erhöhung der Steuer tadelte und das jetzige Splitting des gemeinsam berechneten Einkommens nach §§ 26, 26 b, 32 a EStG zuläßt, war der Halbteilungsgrundsatz gefährdet27 • Seine Verwerfung hat das Bundesverfassungsgericht jetzt vor allem mit zwei Erwägungen begründet. Es geht einmal davon aus, daß die kirchliche Besteuerung streng nur die Mitglieder der betreffenden Religionsgesellschaft erfassen dürfe. Es ist kein Zweifel, daß nach der Entstehungsgeschichte des Art. 137 Abs. 6 WeimRV (ausdrücklich wurden die Worte "von ihren Mitgliedern" des Entwurfs gestrichen) damals noch eine andere Auffassung obwaltete. Das historische Argument hat das Gericht indes - einer bei ihm öfters zu beobachtenden Tendenz folgend - abgelehnt. Es sieht in der kirchlichen Besteuerung ein vom Staat verliehenes Hoheitsrecht - damit die These eines originären Besteuerungsrechts der Kirchen abweisend - , dessen Ausübung heute an die Einhaltung der Grundrechte gebunden sei. Der Staat dürfe ein Hoheitsrecht den Religionsgesellschaften nur gegen ihre eigenen Mitglieder verleihen, weil er sonst in das Persönlichkeitsrecht Außenstehender (Art. 2 GG) eingreife (DÖV 1966 S. 58). Man wird diesem in sich geschlossenen Gedankengang, der bemerkenswerterweise den von den Antragstellern angerufenen Art. 4 GG gar nicht mehr heranzieht, sondern die Entscheidung auf Art. 2 und 6 Abs. 1 GG abstellt, grundsätzlich nur die andersgeartete historische Linie (Garantie des Art. 137 Abs. 6 WeimRV) und eine andere Anschauung vom Wesen der Ehe entgegenhalten können. Den ersten Einwand weist das Gericht ab, indem es in Art. 137 Abs. 5 WeimRV im Rahmen des Grundgesetzes keine Bestandsgarantie für älteres Recht erblickt (DÖV 1966 S. 60). Der zweite entscheidende Gesichtspunkt betrifft die Würdigung des Ehebandes. Während die Kirche von ihrer Auffassung aus die gegenseitige Haftung der Gatten aus ihrer vollen Lebensgemeinschaft gerade auch in der Toleranz den beiderseitigen religiös-weltanschaulichen Bedürfnissen gegenüber begründet, die auch die Deckung dieser Bedürfnisse als Pflicht erscheinen läßt, also den Zugriff auf den Außenstehenden aus dem Wesen der Ehe ableitet, meint das Gericht, gerade bei glaubensverschiedener Ehe bestehe auf geistigem Gebiet die volle Gemeinschaft nicht, und die Pflicht, den Unterhalt des anderen Teils zu tragen und in Form eines "Taschengeldes" (§ 1360 a BGB) für dessen religiöse Bedürfnisse zu sorgen, bestehe nur eheintern, könne aber von Dritten nicht geltend gemacht werden (DÖV 1966 S. 61/62). Wenn dann das Gericht weiter Art. 6 Abs. 1 GG mit dem Prinzip anführt, die Ehe dürfe nicht Anknüpfungspunkt für wirt27 Kritisch gegen die bisherige Praxis Hans Joachim Schlenzka, Zur Verfassungsmäßigkeit der kirchlichen Haushaltsbesteuerung unter besonderer Berücksichtigung der glaubensverschiedenen Ehen, in: DVBI. 1961 S. 14 ff. Vorlagebeschlüsse des VGH Stuttgart, in: Der Betriebsberater 1960 S. 476, und des Bundesfinanzhofs, in: Bundessteuerblatt 1962 III S. 481 ff.
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schaftliehe Folgen werden, so vergleicht es damit nicht wie sonst die Ehegatten mit ledigen Personen, sondern Kirchenangehörige mit solchen Personen, die keiner Religion zugehören, eine Erweiterung des Vergleichsmerkmals, die die Basis des Vergleichs doch nicht unbedenklich verschiebt. Es liegt hier keine Höherbelastung der Ehegatten vor, sondern es geht um die Frage, ob das Eheband zureicht, um eine Leistungspflicht des verdienenden Gatten als für die allein bei seinem Partner bestehende Steuerpflicht zu begründen. Der gerichtliche Gedankengang ist vom Boden der bisherigen Rechtsprechung des Gerichts aus folgerichtig. Von Seiten der Kirchen muß man freilich die in ihm zum Ausdruck kommende Anschauung der Ehe bedauern, die allzusehr die Gesichtspunkte der individuellen Erwerbstätigkeit und die wirtschaftlichen Vorteile in den Vordergrund rückt und die innere Lebensgemeinschaft zurücktreten läßt28 • Von dem Standpunkt aus, daß die Besteuerungsbefugnis den Religionsgesellschaften vom Staate nur gegenüber ihren Mitgliedern verliehen sei, weil die Erfassung Außenstehender Art. 2 Abs. 1 GG verletzen würde, war die badische Ortskirchensteuer, insoweit sie von juristischen Personen (Unternehmen) im Blick auf die durch ihre Arbeitnehmer verursachten kirchlichen Baulasten Steuern erhob, folgerichtig der Verwerfung verfallen (1 BvR 413, 416/60 = DÖV 1966 S. 57 ff.). Dabei läßt sich für die Weimarer Zeit eine gegenteilige Rechtsauffassung klar feststellen, die in Art. 137 Abs. 6 WeimRV ihren Ausdruck gefunden hatte. Bei der Beratung hatte im Verfassungsausschuß der Abg. Gröber gerade wegen solcher realen Besteuerungen, die man damals für durchaus sozial begründet hielt, die Weglassung der Worte "von ihren Mitgliedern" beantragt29, und diese Ansicht war dann im Plenum auch in der 3. Lesung durchgedrungen. Aber auch hier hat das Bundesverfassungsgericht die historischen Argumente 30 gegenüber der neuen Wertordnung des Grundgesetzes, in die jene Artikel sich nun einfügen, zurückgestellt. Insgesamt darf die praktische Auswirkung dieser Urteile nicht überschätzt werden. Sie ist nicht unerheblich im Bereich der badischen Ortskirchensteuer. Im übrigen aber hat das Gericht ausdrücklich- 1 BvL 31, 32/62 S. 13 des amtl. Umdrucks, nicht abgedruckt DÖV 1966 S. 60seine Entscheidung nur auf die glaubensverschiedenen Ehen bezogen. Bei den konfessionsverschiedenen Ehen wird, auch wenn man auf sie die zs Sicherlich weicht damit das Bundesverfassungsgericht von der Auffassung des Bundesgerichtshofes über die Ehe ab, die freilich nicht unumstritten ist. n Vgl. die Äußerung des Abgeordneten Gröber in der 41. Sitzung des 8. Ausschusses (Berichte und Protokolle des 8. Ausschusses der Nationalversammlung, Aktenstück Nr. 391, S. 515), die allgemein Zustimmung fand. so Ihr ist auch das Bundesverwaltungsgericht in: BVerwGE 7 S. 189 ff. = DÖV 1957 S. 789 (Sp. 229) gefolgt, das in Art. 140 GG die Absicht vorliegen sah, den bisherigen Rechtszustand aufrechtzuerhalten und eine Gewissensbeschwerung nach Art. 4 GG nicht für gegeben erachtete. Vgl. auch Gefäller, in: DVB1.1959 S. 29; Ottmar Bühler, in: JZ 1959 S. 250.
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Grundsätze der Urteile ausdehnt, jeder Ehegatte für sein Einkommen von seiner Kirche voll in Anspruch genommen werden können und es bleibt hier die Frage, ob nicht Vereinbarungen der Kirchen über die Verteilung des Steueraufkommens zur Vereinfachung der Erhebung zulässig sind und damit die bisherige Berechnung erhalten können. Auch für die glaubensverschiedenen Ehen hat das Gericht auf zwei Möglichkeiten hingewiesen. Es hält eine limitierte Besteuerung des nicht marktwirtschaftlich verdienenden Gatten nach dem Maßstab des Lebensführungsaufwandes für möglich, um unbillige Ergebnisse bei Ehen zu vermeiden, in denen der Partner, der möglicherweise ein hohes Einkommen bezieht, die Kirche verläßt, während etwa Frau und Kinder in ihr verbleiben (DÖV 1966 S. 64 zu C II 2). Auch deutet eine andere Bemerkung (dort zu C I 2 e) darauf hin, daß der marktwirtschaftlich verdienende Gatte dann herangezogen werden könne, wenn dies im Einverständnis beider Gatten erfolge. Beide Möglichkeiten werden in der jetzt überall notwendig gewordenen Neufassung der staatlichen Kirchensteuergesetze und kirchlichen Bestimmungen sorgfältig zu prüfen sein. Von besonderer Bedeutung sind aber in diesen Urteilen die Stellungnahmen zu Grundfragen. So stellt das Urteil1 BvR 413, 416/60 fest, daß die durch Art. 140 GG in das Grundgesetz inkorporierten Artikel vollgültiges Verfassungsrecht von gleichem Rang wie das übrige Grundgesetz sind (DÖV 1966 S. 58)31 , das sich allerdings der Einheit des Grundgesetzes, vor allem der Wertordnung der Grundrechte einzufügen hat, der das Gericht offenbar eine Art Vorrang zubilligt32 . Wichtig ist auch, daß das Gericht in Art. 137 Abs. 6 WeimRV zwar keine Garantie des historischen Bestands der kirchlichen Besteuerung erblickt, aber eine Sicherung des Rechts der Religionsgesellschaften auf Besteuerung. Der Staat kann dies Recht zwar ändern und einschränken, aber nicht abschaffen und aushöhlen33. Hier wird, freilich mit vage formulierten Beschränkungen, die Grundlage kirchlicher Besteuerung bestätigt. Es wird auch ausgesprochen, daß die Kirchen nicht eng an den staatlichen Rahmen gebunden sind, sondern eigene Steuern entwickeln dürfen, und daß hier dem staatlichen wie kirchlichen Recht erhebliche Freiheit gewährt ist (1 BvR 571/60 S. 7/8 d. Umdrucks). So werden die Grundlagen des kirchlichen Besteuerungsrechts durch diese Urteile nicht beeinträchtigt, sondern anerkannt und bestätigt. In einem Punkt freilich deutet das Gericht- in einem obiter dieturn - eine Ebenso BVerwGE 7 S. 189 (193) = DÖV 1957 S. 789 (Sp. 229). Ob eine solche Differenzierung im Rang zwischen den institutionellen Sicherungen und der individuellen Wertordnung zutreffend ist, mag freilich zweifelhaft sein. Vgl. zur harmonisierenden Auslegung der Grundrechte jetzt Fritz Ossenbii.hl, Probleme und Wege der Verfassungsauslegung, in: DÖV 81
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1965 s. 657 f. 33
Vgl. BVerfG, in: DÖV 1966 S. 58.
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Auffassung an, der kritisch zu begegnen ist. Die Landeskirchen, so meint es (DÖV 1966 S. 58 zu C I 2), seien keine Gebietskörperschaften mehr mit der Macht, Personen, die in ihr Gebiet eintreten, sich ohne Rücksicht auf ihren Willen einzugliedern; ihre territoriale Grundlage sei durch eine Personalgrundlage ersetzt (DÖV 1966 S. 58). Das kann sich indes nur auf verliehene staatliche Rechte, nicht auf das innere kirchliche Recht beziehen. Hier gilt der von den deutschen Landeskirchen anerkannte Rechtssatz innerkirchlichen Rechts, nach dem die Verbindung der Kirchen zur EKiD sich in einer durch die Wohnsitznahme aktualisierten Mitgliedschaft in bekenntnisverwandten Gliedkirchen auswirkt 34 • Die Respektierung ihrer räumlichen Abgrenzung durch die Landeskirchen, die einen Bestandteil des zwischenkirchlichen Rechts darstellt, ist Ausdruck kirchlicher Selbstbestimmung und kann vom staatlichen Verfassungsrecht nicht berührt werden35. Die Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts wird noch ergänzt durch einige neuere Urteile zu anderen Fragen. Daß die Teilung einer Kirchengemeinde durch eine Landeskirche zu den staatlicher Jurisdiktion entzogenen innerkirchlichen Maßnahmen gehört, wird allgemeine Zustimmung finden36 • Auch daß die in§ 8 Abs. 1 PrGKG den Kirchen gewährte Gebührenfreiheit auch den mit Körperschaftsrechten ausgestatteten Religionsgesellschaftenkraft des Satzes der Gleichheit zusteht, wird man für richtig halten, da es sich hier nicht um spezifische Staatsleistungen an die Kirchen handelt. Das Urteil gibt Gelegenheit anzuerkennen, daß die Gleichheit unter den Religionsgesellschaften nicht schematisch zu verstehen ist, vielmehr die tatsächlich bestehenden Verschiedenheiten zwischen kleineren Gemeinschaften und den großen Kirchen sachlich vertretbare Differenzierungen gestatten37 • Es wird also in begrenztem Umfang die besondere Position der großen Kirchen berücksichtigt. Wurde schon hier anerkannt, daß sich die Religionsgesellschaften als juristische Personen auf Art. 3 GG berufen können, so stellt das ein weiteres Urteil auch für Art. 4 GG fest. Das Grundrecht der Religionsfreiheit ist demnach nicht nur ein Individualrecht, sondern schließt auch Rechte kirchlicher Vereinigungen ein3s. 34 Zum zwischenkirchlichen Recht siehe Dietrich Pirson, Universalität und Partikularität der Kirche, München 1965, S. 297 ff. as In diesem Sinne äußert sich auch das Bundesverfassungsgericht, in: DÖV 1965 S. 770, wo anerkannt wird, daß kirchliche Mitgliedschaft nicht an eine Beitrittserklärung anknüpfen muß, sondern an objektive Merkmale (Wohnsitz) sich anschließen darf. Sicherlich bewegt sich diese Entscheidung mit ihrer Prüfung solcher Abgrenzung der Mitgliedschaft auf der Grenze staatlicher Einwirkung auf den gesicherten Bereich der kirchlichen Selbstbestimmung. 38 BVerfGE 18 S. 385. n BVerfGE 19 S. 1 (13). Ebenso BVerfG, in: DÖV 1965 S. 769. 3s BVerfG in: DÖV 1965 S. 768. Zur Erstreckung der Religionsfreiheit auf religiöse KÖrperschaften siehe auch Angel Francisco Carrillo de Albornoz, in: Ecumenical Review 18 (1966) S. 63, und Ziff. 4 der Declaratio de Libertate Religiosa des Vaticanums II.
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IV. Auslegung des Art. 32 der bremischen Verfassung Schwierige Fragen hat der Streit um die Deutung des Art. 32 Abs. 1 der bremischen Verfassung aufgeworfen, welcher lautet: "Die allgemein bildenden Schulen sind Gemeinschaftsschulen mit bekenntnismäßig nicht gebundenem Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage." Die weit ausholenden Formulierungen dieses Artikels sind nur teilweise aus sich selbst verständlich, müssen im übrigen aber aus Geschichte und Entstehung verstanden werden. Daß hier anstelle des Religionsunterrichts ein Unterricht in Biblischer Geschichte treten soll, daß dieser einen christlichen Grundzug tragen soll, das ist klar. Was dieser Unterricht aber ist, was "bekenntnismäßig nicht gebunden" heißt, ergibt erst der Blick auf die Überlieferung. Der Biblische Unterricht ist im 19. Jahrhundert in den Staatsschulen eingeführt worden, um das reformierte und lutherische Bekenntnis in der Stadt zusammenzuführen; für die Katholiken waren Privatschulen anerkannt, die nach dem ersten Krieg weitgehende staatliche Zuschüsse erhielten. Unter der Weimarer Verfassung war nach der Entscheidung des Reichsgerichts gemäß Art. 13 WeimRV39 Bremen verpflichtet, gemäß Art. 149 WeimRV den vollen Religionsunterricht einzuführen. Wenn es den bisher als protestantischen Unterricht ausgestalteten Unterricht in Biblischer Geschichte gemeinsam für die beiden protestantischen Bekenntnisse fortführte, entsprach es - nicht in vollem Umfang4°- dieser Forderung. Vor 1945 war also dieser Unterricht kein voller Religionsunterricht, aber ein Unterricht mit "gemeinprotestantischem" Gehalt. Auf diesen Tatbestand nimmt das "bekenntnismäßig nicht gebunden" in Art. 32 Bezug und so wurde Art. 32 auch amtlich verstanden, als am 31. Juli 1947 vor der Annahme der Verfassung in der Bürgerschaft Senator Faulmann erklärte: "Wir haben konzediert, daß es für die protestantischen Volksteile bei dem bisherigen Rechtszustande eines konfessionell nicht gebundenen Religionsunterrichts, der selbstverständlich auf allgemein christlicher Grundlage erteilt wird, verbleiben soll" 41 • In der Praxis seit 1945 ist demgemäß der Biblische Unterricht im protestantischen Sinne unter Verwendung entsprechender Lehrbücher erteilt worden. Für den katholischen Bevölkerungsteil, der es vor38 Vgl. Reichsgericht, in: Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts auf Grund Artikel 13 Absatz 2 der Reichsverfassung, hrsg. von Hans-Heinrich Lammers u. Walter Simons, Bd. 1, Berlin 1929, S. 528 ff. 40 Denn einmal war der Bremischen Evangelischen Kirche nicht der von Art. 149 WeimRV vorgeschriebene Einfluß auf den Unterricht rechtlich gesichert, zum anderen trat für die Katholiken anstelle des verfassungsrechtlich vorgesehenen Religionsunterrichts in der Staatsschule die Förderung der Privatschule. " Verhandlungen der Brem. Bürgerschaft, Stenographischer Bericht vom 31. 7. 1947, s. 274 ff.
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zog, private Schulen zu besuchen, war die Lage nach 1945 ungünstiger geworden, weil nunmehr der gesetzlich vorgesehene staatliche Zuschuß zu den Privatschulen niedriger lag als vor 1945. Das hat den Anlaß für den Antrag zweier katholischer Kirchengemeinden gegeben, gemäß dem bremischen Gesetz über den Staatsgerichtshof verbindlich Art. 32 Brem Verf. dahin auszulegen, daß der Unterricht in Biblischer Geschichte den Charakter eines "christlichen Gesinnungsunterrichts auf evangelischer Grundlage" trage. Daranschloß sich die weitere Folgerung, daß nach dem Grundsatz der Parität aus der fehlenden gleichartigen Vorsorge für den katholischen Teil eine Verpflichtung zu höheren Zuschüssen für die privaten Schulen folge. Da eine verbindliche Auslegung des Art. 32 Brem. Verf. auch die Interessen der Bremischen Evangelischen Kirche berühren mußte, schloß sich diese dem Verfahren an, soweit es die Auslegung des Art. 32 betraf. Das Urteil des Staatsgerichtshofs vom 23. Oktober 1965 hat den Antrag der beiden Antragsteller, festzustellen, daß Art. 32 Abs. 1 BremVerf. den Biblischen Unterricht als "christlichen Gesinnungsunterricht auf evangelischer Grundlage" verstehe, abgewiesen, ohne aber selbst eine zusammenhängende eigene Deutung des Art. 32 zu geben42 • Es hat vielmehr nur einzelne Wortelemente untersucht und daraus eine Deutung entwikkelt, die in sich widersprüchlich ist. Auf der einen Seite betont das Urteil, die biblische Unterweisung solle über eine protestantische Grundlage hinaus einen "gemeinchristlichen" Charakter tragen, der auch Schülern katholischen Glaubens diesen Unterricht zugänglich mache, hat damit also eine religiöse Unterweisung im Auge. Auf der anderen wird wiederum dem Unterricht jeder religiöse oder weltanschauliche Charakter abgesprochen. Welcher dieser Deutungen, die in sich unvereinbar sind, man folgt, in jedem Falle greifen sie in das Rechtsgut des Art. 4 GG ein. Wenn das Gericht über den bisherigen, durch die Unionsbestrebungen in vielen Landeskirchen als lehrmäßig möglich erwiesenen Zustand, der Lutheraner und Reformierte in diesem Bibelunterricht vereinte, hinaus im Sinne der Bibellehre von Hans Barion, den es zitiert (DÖV 1965 S. 814)43 , bei dem Bibelunterricht auf das allen christlichen Kirchen vor ihrer Bekenntnisdifferenzierung gemeinsame Lehrgut abstellen will, so wird damit dem Bibelunterricht ein die Bekenntnisunterschiede verwischender und aufhebender Charakter gegeben. Eine allgemein christliche Lehre aber gibt es nach dem Lehrverständnis der christlichen Kirchen, wie es sich historisch im Verhältnis der Kirchen der Reformation zum katholischen Glauben bis heute entwickelt hat, nicht44 • Hier wird also praktisch 42 43
DÖV 1965 S. 812. DÖV 1965 S. 15 f.
44 Es genügt, auf die "Empfehlungen und Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen", 6. Folge, Stuttgart 1965, S. 12, zu verweisen: "Aber die Dogmatik, die kultischen Formen, die über-
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der bremischen Schulbehörde die Aufgabe zugewiesen, eine solche gemeinchristliche Lehre in ihren Weisungen aufzustellen, um diesen Unterricht als einen "auf allgemein christlicher Grundlage" erteilten zu gestalten. Daß eine solche staatliche Festlegung des Inhalts der Bekenntnisse in die Religionsfreiheit sowohl der einzelnen wie der Kirchen eingreift, gehört zu den grundlegenden Folgerungen der grundgesetzliehen Verbürgung der Religionsfreiheit4 6 • Die Gefahr einer solchen Fehldeutung des Art. 32 BremVerf. ist auch schon früher erkannt worden46 , wird aberentgegen der früheren Auffassung- erst jetzt im Urteil realisiert. Aber auch die Bemühung des Urteils, dieser Konsequenz dadurch zu entgehen, daß der Unterricht in Biblischer Geschichte als ein nicht religiöser bezeichnet wird, führt in die gleiche Schwierigkeit. Dann würde der Unterricht den biblischen Stoff säkular, etwa im Sinne geschichtlicher Unterrichtung oder legendären Berichtes, vortragen. Die Bezeichnung eines Unterrichts, der nur das christliche Traditionsgut in weltlicher Beleuchtung aufnimmt, als "auf allgemein christlicher Grundlage" beruhend, würde für einen säkularen Unterricht den Namen der christlichen Kirchen gebrauchen und auch damit, weil diese Bezeichnung irreführend wäre, in die Religionsfreiheit eingreifen. Der Staat darf nicht den christlichen Namen für seine rein weltlichen Zwecke verwenden. Das weitere Verfahren in dieser Auseinandersetzung47 wirft interessante Probleme der Inhaltsbestimmung der Religionsfreiheit auf. Amerikanische Äußerungen haben neuerdings sich zu der Frage interdenominationeller Gebete und Bibellesungen geäußert und dargelegt, daß der Versuch, einen solchen Vorgang für alle Denominationen zugänglich zu gestalten, darauf hinausläuft, seinen Gehalt auf einen "common denomilieferung und das Verständnis der Kirche unterscheiden sich zwischen den evangelischen und katholischen Gemeinden so sehr, daß sie sich, wie Erfahrungen lehren, gegenwärtig nicht zu einer gemeinsamen Lehre vereinigen lassen: beide Seiten würden auf Teile ihrer Auslegung des Evangeliums, ihres Kultes und ihrer Beurteilung der gegenwärtigen religiösen Lage verzichten müssen, die für sie unaufgebbar sind." Vgl. auch dort S. 23. u Vgl. Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl., Berlin 1933, S. 619; Walter Hamel, Glaubens- und Gewissensfreiheit, in: Die Grundrechte, hrsg. von Karl August Bettermann, Hans Carl Nipperdey u. Ulrich Scheuner, Bd. IV/1, Berlin 1960, S. 37; auch die gebotene Neutralität des Staates wird hier verletzt, vgl. Ulrich Scheuner, Kirche und Staat inderneueren deutschen Entwicklung, in: ZevKR 7 (1959/60) S. 257 f. u Schon im Parlamentarischen Rat hat Adolf Süsterhenn bei Beratung des bremischen Antrages auf den heutigen Art. 141 GG darauf hingewiesen, der bremische Bibelunterricht könne zu einer Unterweisung werden, in der der religiöse Inhalt vom Staate bestimmt und geformt werde (vgl. JöR, N.F., Bd. 1 [1951] S. 908/09). Eben dasselbe stellt für Art. 32 fest Reinhard Schmoeckel, Der Religionsunterricht. Die rechtliche Regelung nach Grundgesetz und Landesgesetzgebung, Berlin-Spandau, Neuwied 1964, S. 304. 47 Eine Reihe Einzelpersonen, zwei evangelische Landeskirchen und ein Krichenkreis einer dritten, sowie zwei katholische Diözesen haben wegen Verletzung der Art. 4 und 103 GG Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Staatsgerichtshofes eingelegt.
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nator", eine "common core" zu reduzieren, der die Anhänger eines Glaubens durch diese Verkürzung verletzen kann und damit in die Religionsfreiheit des I. Amendment eingreift48 • Im Unterschied zu dem Hessischen StGHof, der sich gründlich mit amerikanischen Urteilen auseinandergesetzt hat, hat der Bremische StGHof den Weg gewählt, diese Fragen mit einem Satz beiseitezuschieben. V. Schutz der Religionsfreiheit in der hessischen Verfassung In der Stellungnahme zu dem Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofes vom 27. Oktober 1965 zur Frage des Schulgebetes in einer Klasse49 kann sich diese Abhandlung im Hinblick auf die gründlichen Darlegungen von Böckenförde 50 auf einige Punkte beschränken, die vor allem die Religionsfreiheit und Toleranz und das Verhältnis von Verfassung, Gesetz und Kirchenvertrag betreffen. Das Urteil hat davon abgesehen, sich näher zum Grundverhältnis von Staat und Kirche zu äußern, hat aber in seiner Deutung der negativen Religionsfreiheit indirekt doch seine Auffassung dieser Relation zur Geltung gebracht. Denn indem das Gericht in seiner Betonung des "Rechts zum Schweigen" dies Recht als den maßgeblichen Gehalt der Religionsfreiheit darstellt, so daß von dort aus das Recht ungestörter Religionsübung zurückgestellt wird, folgt es einer Tendenz, die Religionsübung in den gottesdienstlichen und häuslichen Raum (vgl. die Bemerkung DÖV 1966 S. 55 links unten) zurückzudrängen und damit die religiöse Betätigung in ihrer öffentlichen Bekenntnisübung zu beschränken. Das ist, jedenfalls soweit die Schule in Frage steht, eine Übernahme des Ergebnisses des Gedankens vom "wall of Separation" der amerikanischen Rechtsprechung. Gewiß hat das Gericht in anerkennenswerter Würdigung dieser Judikatur festgestellt, daß die Stellungnahme des Supreme Court gegen konfessionell neutrale Schulgebete und Bibellesungen51 sich allein auf das strikte Trennungsgebot der amerikanischen Ver48 Das wird in dem zustimmenden Sondervotum des Richters Brennan zum Urteil des Supreme Court vom 17. 6. 1963 School District of Abington Township v. Schempp 374 US 203 auf S. 286 ff. eingehend dargelegt. Richter Brennan zitiert das American Council of Education, das sagt: "Die Bestimmung des gemeinsamen Lehrguts (common core) bedeutet eine Verwässerung des einzelnen Glaubens bis zu dem Punkt, wo gemeinsame Grundlagen erscheinen. Das kann leicht zu einerneuen Konfession führen, einer Staatsschul-Konfession (a public school sect), die ihren Platz an der Seite der bestehenden Konfessionen nehmen und mit ihnen wetteifern würde." Im gleichen Sinne Paul G. Kauper, Prayer, Public Schools and the Supreme Court, in: Michigan Law Review 61/2 (1963) S. 1048, 1054, der vor allem auf die bekannte Entscheidung West Virginia State Board of Education v. Barnette 319 US 624 (1943) verweist, der jede staatliche Festsetzung religiöser, nationaler oder politischer Grundsätze als Eingriff in das I. Amendment erklärt hat. 4t Vgl. DÖV 1966, S. 51 ff. so Ernst-Wolfgang Böckenjörde, Religionsfreiheit und öffentliches Schulgebet, in: DÖV 1966 S. 30 ff.
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fassung stützt, das im deutschen Verfassungsrecht nicht gilt, aber inhaltlich folgt das Urteil, wie Böckenförde richtig beobachtet52 , dem Ergebnis der amerikanischen Stellungnahme. Darin liegt aber eine folgenschwere Verzeichnung der Gesichtspunkte. Das I. Amendment der amerikanischen Verfassung enthält, wie die amerikanische Rechtsprechung jetzt immer deutlicher erkannt und herausgearbeitet hat, zwei verschiedene Bestandteile53. Es untersagt einerseits eine Gesetzgebung, die ein "establishment of religion" enthält, und es verbietet andererseits eine Gesetzgebung, "prohibiting the free exercise thereof". Von diesen beiden Bestandteilen legt der letztere die Religionsfreiheit in dem Sinne fest, wie sie einen Grundbestandteil aller modernen freiheitlichen Verfassungen bildet und schützt damit nicht nur das innere Bekenntnis, sondern auch die freie und öffentliche Religionsausübung, wie zahlreiche Urteile klargelegt haben54 . Das erste Moment hingegen ist ein Stück institutioneller Anordnung und legt das Grundverhältnis des Staates zu den religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften fest. Die "establishment clause" ist dabei schon früh ausdehnend nicht nur als Untersagung einer Staatskirche, d. h. einer vom Staat offiziell anerkannten und als Hauptreligion normierten und privilegierten Kirche, aufgefaßt worden, sondern als Verbot näherer organisatorischer Verbindung von Staat und Religionsgemeinschaft überhaupt. In den letzten 30 Jahren hat die Rechtsprechung des Supreme Court den Sinn der Klausel ferner durch strenge Betonung des "wall of separation" dahin erweitert, daß zwar die Gestellung staatlicher Schulbusse zum Besuch des (außerhalb der Schule erteilten) Religionsunterrichts gebilligt wurde 55, aber die Erteilung von Religionsunterricht in Schulräumen56 und nun neuerdings auch interdenominationeile Schulgebete und Lesungen von Bibelstellen als unvereinbar mit dem I. Amendment angesehen 51 Hier kommen die beiden neueren Urteile Engel v. Vitale 370 US 421 (1962) und School District of Abington Township v. Schempp 374 US 203 (1963) in Betracht. 6 2 Vgl. DOV 1966 S. 31. 53 Vgl. aus der Rechtsprechung: Zorach v. Clauson 343 US 306 (1952); Engel v. Vitale 370 US 424 S. 430i31; Abington v. Schempp 374 US 203 S. 208, 221, und die eingehende Darlegung von Hermann-Willried Bayer, Das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche als Problem der neueren Rechtsprechung des United States Supreme Court, in: ZaöRV 24 (1964) S. 201 ff., besonders S. 226 ff. 54 Geschützt wird z. B. Missionierung von Haus zu Haus mit andere Denominationen kritisierenden Schriften: Cantweil v. Connecticut 310 US 296 (1940); Douglas v. City of Jeannette 319 US 157 (343); Tucker v. Texas 326US517 (1945), oder Straßenverkauf von Traktaten: Murdock v. Commonwealth of Pennsylvania 319 US 105 (1943). Es ist bemerkenswert, daß fast alle diese Urteile Anhänger der Watch Tower Society (Zeugen Jehovas) betreffen. " Everson v. Board of Education 330 US 1 (1947). Seither ist allerdings der Standard der Judikatur strenger geworden. 18 McCollum v. Board of Education 333 US 203 (1948). Dagegen ist nicht unstatthaft die Einlegung von Zeiträumen, damit die Schüler in ihnen außerhalb der Schule Religionsunterricht empfangen können (released time), vgl. Zorach v. Clauson 343 US 306 (1952).
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werden. Im Ergebnis ist damit, obwohl die freundliche Grundeinstellung der USA zur Religion hervorgehoben wird und obwohl zahlreiche staatliche Einrichtungen mit religiösen Formen fortbestehen (Armeegeistliche, Gebet im Kongreß, religiöse Eidesform usw.) 57 im staatlichen Bereich, vor allem in der Schule, jede direkte Förderung religiöser Vorgänge durch das Verbot des establishment untersagt. Es muß aber festgehalten werden, daß diese Stellungnahme des Supreme Court, die in der Literatur mancher Kritik begegnet58 , sich ausschließlich auf die establishment clause stützt und nirgends die Religionsfreiheit (free exercise clause) heranzieht. Das Ergebnis ist also hier durchweg aus einer institutionellen Anordnung der Relation von Staat und weltanschaulichen Gemeinschaften im Sinne der Trennung gewonnen. Der Hessische Staatsgerichtshof hat hingegen versucht, dasselbe Ergebnis aus der Religionsfreiheit abzuleiten, indem er die sog. "negative Religionsfreiheit" überbetont. Hier liegt der entscheidende Fehlansatz des Urteils. Er weist zugleich auf eine tiefere Frage zurück. Unter Ziffer 5 meint der StGHof, eines Eingehens auf die Beziehung von Staat und Kirche entraten zu können, weil "es sich hier allein um das Verhältnis des Staatsbürgers zum Staate handelt, nicht um das Verhältnis des Staates zu den Religionsgemeinschaften". Damit wird eine grundlegende Seite der Religionsfreiheit außer acht gelassen. Religionsübung ist nicht, wie es offenbar dem StGHof vorschwebt, lediglich ein individuelles Bekennen, sondern eine gemeinsame öffentliche Ausübung des Glaubens59 • Das Verhältnis des einzelnen Gläubigen kann also gar nicht getrennt von der Stellungnahme zu den Religionsgesellschaften behandelt werden; beides ist unlöslich verknüpft. Es gehört zu den Methodenfragen einer Verfassungsauslegung, wenn in ihr angenommen wird, individuelle Grundrechte hätten ohne weiteres einen Vorrang vor institutionellen Bestimmungen desselben Textes. Eine Verfassungsauslegung, die das Ganze der Verfassung umgreift, muß vielmehr beides miteinander sehen, wobei sich dann im Einzelfall durchaus das Grundrecht bei Abwägung als stärker erweisen kann; aber dies kann nicht von vornherein und ungeprüft gelten. Auch die Grundrechte fügen sich dem demokratischen Bau der Verfassung als einer Gesamtstruktur ein60 • Vielleicht kann man eine leise Neigung zu der hier bezeichneten ÜberEin ausführlicher Überblick über sie bei Bayer, S. 221 ff. Auch hierzu sei verwiesen auf Bayer, passim. 69 Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen von Amsterdam 1948, Ziff. 2, und Erklärung von New Delhi 1961, wo wir lesen: "Freedom to manifest one's religion or belief, in public or in private and alone or in community with others, is essential to the expression of inner freedom." (Abgedruckt bei Angel Francisco Carrillo de Albornoz, The Basis of Religious Liberty, New York 1963, S. 157, 162). 80 Vgl. Horst Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: VVDStRL 20 (1963) S. 90 ff.; Fritz Ossenbilhl, in: DÖV 1965 S. 655,657. 57
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betonung gewisser Verfassungsbestandteile auch schon in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zu den Kirchensteuern bemerken. Jedenfalls nimmt von hier aus der Irrtum seinen Ausgang, die ungestörte Religionsübung gehöre nicht zur Religionsfreiheit, sei also nicht bereits in Art. 4 GG garantiert61 , sondern gehöre nur zur Kultusfreiheit62 • Die öffentliche Religionsübung ist vielmehr bereits in der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) gesichert. Wieweit sie im staatlichen Raum, vor allem der Schule stattfinden kann, läßt sich nicht unabhängig vom generellen Verhältnis von Kirche und Staat und damit auch vom staatlichen Schulsystem bestimmen. Von hier aus wird aber auch deutlich, daß zu jeder weltanschaulichen Haltung auch ein Stück Bekennen gehört. Das sog. Recht zum Schweigen hat nicht die unbeschränkbare Ausdehnung, wie sie ihm der StGHof gibt, sondern richtet sich nur gegen den Staat und soziale Mächte (Arbeitgeber usw.). Ihm ist Genüge geschehen, wenn kein Zwang, auch keine indirekte Nötigung, erfolgt. Daß in einer Nichtkonformität auch ein Bekennen liegen kann, läßt sich ebensowenig vermeiden, wie in der heutigen säkular gesonnenen Welt unter manchen Umständen schon die religiöse Haltung ein Akt des Bekennens sein kann. In seiner zustimmenden Erklärung zum Urteil McCollum v. Board of Education hat Richter Jackson, einer der empfindlichsten Verfechter religiöser Freiheit, bemerkt, daß man den Begriff der Nötigung nicht zu weit fassen könne. Die Verfassung schütze das "right to dissent", aber es sei zweifelhaft, ob sie damit vor der Verlegenheit schützen wolle, die immer mit Nichtkonformität unweigerlich verbunden ist. Das scheint mir den Kern der Frage zu treffen. Dem Gebot der Religionsfreiheit ist Genüge geschehen, wenn dem Kinde während des Gebetes jede mögliche Haltung (Fernbleiben, schweigende Anwesenheit usw.) freigestellt ist. Will man den säkular Denkenden von jedem "indirekten" Zwange religiöser Übung schützen, so kann das auf eine intolerante Aufnötigung seiner Maßstäbe in der Öffentlichkeit hinauslaufen. 11 So richtig es prinzipiell ist, daß Landesstaatsgerichtshöfe das Recht nur an der Landesverfassung messen, so sollten sie doch nicht solche Bestimmungen der Landesverfassung anwenden, die mit dem Grundgesetz kollidieren und ungültig sind. Es bleibt die Frage, ob Art. 9 und 48 der hessischen Verfassung den durch Art. 4 GG umschriebenen Raum der Religionsfreiheit voll beinhalten. Soweit das nicht der Fall ist, ist in der Tat gemäß Art. 30 GG ein Rekurs auf sie rechtlich nicht statthaft. 12 Dieser Fehlschluß wird durch die Trennung von Art. 9 und 48 der hessischen Verfassung nahegelegt. Auch der Kommentar von GeoTg August Zinn u. ETwin Stein (Die Verfassung des Landes Hessen, Bd. 1, Bad Hornburg v. d. H.Berlin 1954, S. 249) entgeht ihm nicht ganz, wenn er die ungestörte Religionsübung zur äußeren Kultusfreiheit rechnet, während er Art. 9 der hessischen Verfassung nur auf die innere Glaubensfreiheit bezieht. Art. 4 GG schützt auch die gemeinsame Religionsübung als Bestandteil der Religionsfreiheit. Dasselbe gilt auch von Art. 9 der Europäischen Konvention der Menschen-
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Zur Verfassungsauslegung hier nur eine Bemerkung, da Böckenförde zu Art. 56 Abs. 5 und 156 Abs.1 HessVerf. das Nötige gesagt hat. Zur Auslegung des Art. 4 GG darf Art. 2 GG nicht herangezogen werden. Das Grundrecht der Glaubensfreiheit ist eines der ältesten Menschenrechte und hat seinen Gehalt ganz unabhängig von der späteren Vorstellung einer autonomen Persönlichkeitsentfaltung, die historisch nur eine säkularisierte Ableitung aus der religiösen und geistigen Freiheit ist. Die Vorstellung, alle Freiheitsrechte leiteten sich aus Art. 2 GG als einem "Hauptfreiheitsrecht" ab, ist sowohl systematisch wie historisch nicht haltbar63 • Daß auch die Religionsfreiheit immanenten Schranken unterliegt, ist seit jeher anerkannt84 • Das gilt dann aber nicht minder für die aus ihr gefolgerte Befugnis, seine Anschauung nicht zu offenbaren. Die Unterscheidung dieser Seiten der religiösen Freiheit ist nicht gerechtfertigt. Daher kann aus dem Recht auf Schweigen nicht die Befugnis hergeleitet werden, die ungestörte Religionsübung anderer zu behindern. Die von dem Gericht hier gemachte Unterscheidung verlagert das Schwergewicht des Sinnes der Religionsfreiheit maßgeblich in eine Richtung, wie sie der "wall of separation"-Theorie entspricht, und sie zeigt Tendenzen, die ungestörte Religionsübung in Kirche und Haus abzudrängen (DÖV 1966 S. 55 links unten). Im Grunde geht dies Urteil, wie vor allem das des Bremischen StGHofs, auch von einer anfechtbaren Auffassung der Toleranz aus. Toleranz ist nicht Indifferentismus, sondern im Gegenteil die trotz der eigenen Überzeugung bestätigte Kommunikation und das friedliche Miteinander mit Andersgesinnten65 • Sie bedeutet nicht die Pflicht zur Verleugnung der eigenen Überzeugung, und wird daher für jeden, der sich zu einer, sei es säkularen, sei es religiösen Auffassung bekennt, auch gewisse mit seiner abweichenden Gesinnung verbundene soziale Schwierigkeiten nicht aufheben können. Dem weltanschaulich neutralen Staate liegt es ob, in rechte, die eigenartigerweise gar nicht in das Blickfeld des Hessischen Staatsgerichtshofes getreten ist. sa Vgl. meine Darlegungen: Pressefreiheit, in: VVDStRL 22 (1965) S. 42 ff. u Der amerikanische Supreme Court hat das gegenüber der Eheauffassung der Mormonen schon in Davis v. Beason 130 US 333 (1890) zur Geltung gebracht. Sonntagsruhe gilt auch für jüdische Geschäfte als allgemeine staatsbürgerliche Regel: Braunfeld v. Brown 366 US 599 (1961). Allgemeine staatsbürgerliche Pflichten, wie die Finanzierung staatlicher Bekämpfung der Tuberkulose der Rinder, können nicht unter Berufung auf religiöse Bedenken (gegen die dafür vorgesehene Zwangsorganisation der Viehhalter) abgelehnt werden. So hat auch die Europäische Kommission für Menschenrechte entschieden, vgl. Yearbook of the European Convention on Human Rights 5 (1962), The Hague 1963, S. 283 ff. 85 Zum Begrüf der Toleranz siehe Albert Hartmann, Toleranz und christlicher Glaube, Frankfurt/M. 1955, S. 112 ff. Zum Nebeneinander von Anschauungen in der modernen Gesellschaft und zur Toleranz siehe Fritz Werner, Recht und Toleranz, in: Verhandlungen des 44. Deutschen Juristentages, Bd. 2, Tübingen 1964,S.B7.
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seinem Bereich der Nichtkonformität Raum zu geben. Aber in einer pluralistischen Gesellschaft muß er auch von dem Nebeneinander verschiedener Konfessionen und Anschauungen offen Kenntnis nehmen und in der Erziehung auf das friedliche Miteinander aller Gruppen hinwirken 66 • Diesem Erziehungsideal, das Art. 56 Abs. 3 HessVerf. besonders betont, wird durch das Ergebnis des Urteils des Hessischen StGHofs kein Dienst erwiesen. Die Entscheidung des Staatsgerichtshofs berührt auch die Frage, inwieweit eine allgemeine Formel der Verfassung durch die Gesetzgebung näher konkretisiert werden kann. Das Gericht neigt der Meinung zu, die Verfassung habe in Art. 56 Abs. 2 und 3 den Typ der Gemeinschaftsschule bereits derart festgelegt, daß die Gemeinschaftsschule auf christlicher Grundlage dann eine Abweichung hiervon bedeuten würde. Ist diese Auffassung hinreichend fundiert? Böckenförde hat zutreffend hervorgehoben67, daß nach Art. 156 Abs. 1 HessVerf. der herkömmliche Zustand bis zum Erlaß des in Art. 56 Abs. 7 vorgesehenen Gesetzes gesichert ist, mithin in Hessen als einem klassischen Land der christlichen Simultanschule68 die Gemeinschaftsschule auf christlicher Grundlage. Aber auch, wenn man die von Art. 56 für eine künftige Regelung vorgesehene Normierung betrachtet, kann im Hinblick auf die Vorschrift des Art. 56 Abs. 7 Satz 2 eine Gemeinschaftsschule auf christlicher Grundlage nicht als eine Überschreitung des von der Verfassung offen gelassenen Rahmens angesehen werden. In Schleswig-Holstein hat eine ähnliche Bestimmung der Landessatzung (Art. 6 Abs. 3) über die "Gemeinschaftsschule" durch den Vertrag mit den evangelischen Landeskirchen eine Interpretation in dem Sinne erfahren, daß die Gemeinschaftsschule christlichen Grundcharakter habe1D. Der Vertrag des Landes Hessen mit den evangelischen Landeskirchen geht denselben Weg. Das erzeugt nicht nur eine Vertragsbindung zwischen Land und Kirchen, sondern bewirkt durch die gesetzliche Annahme auch eine gesetzliche Regelung. Diese gesetzliche Fixierung des Verfassungsinhalts kann nur normativ aufgefaßt, nicht als "Verfassungswirklichkeit" behandelt werden; sie ist entweder verfassungsgemäß oder nicht. Zieht man Art. 156 Abs. 1 HessVerf. als derzeit maßgebliche Grundlage heran, so zeigt sich, daß, solange das nähere Gesetz nach Art. 56 Abs. 7 nicht ergangen ist, der Kirchenvertrag mit dem Ausdruck "GemeinschaftsEduard Spranger (siehe oben Anm. 19) S. 55 ff. DÖV 1966 S. 36 f. 18 Walter Lande, Die Schule in der Reichsverfassung, Berlin 1929, S. 139. 18 Kirchenvertrag vom 23. 5. 1957 (bei Werner Weber, S. 234) Art. 6. Die Begründung hierzu (vgl. Weber, S. 251) sieht das als eine authentische Interpretation der Landesverfassung an, kein richtiger Rechtsausdruck:, da es sich nicht um eine solche, sondern um Konkretisierung oder Präzisierung eines von der Verfassung gelassenen Gestaltungsraumes handelt. 18
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schule auf christlicher Grundlage" den durch Art. 156 gesicherten derzeitigen tatsächlichen und durch die Verfassung normativ geschützten Zustand zutreffend umschrieben hat. Der hier gegebene Überblick mußte notwendig lückenhaft sein. Aber er erschien nötig, weil nur der größere Zusammenhang deutlich machen kann, in welchem Umfang heute neue Fragen im Verhältnis des Staates zu den Religionsgesellschaften andrängen. Sie werden ihre Antwort nur finden, wenn man immer die Gesamtstruktur dieser Beziehungen im Auge behält. Der Versuch, einzelne Fragen von einem speziellen und engeren Ansatz her zu bewältigen, führt leicht zu Verzeichnungen und Einseitigkeiten. Dabei zeigt sich dann auch die grundlegende Bedeutung, die vor allem in landesrechtliehen Gestaltungen dem Fundament zukommt, das das Grundgesetz gelegt hat. In ihm wird das Verhältnis des Staates zu den weltanschaulichen Kräften entscheidend durch den Grundsatz der Glaubens- und Gewissensfreiheit bestimmt, und fernerhin nicht in einem Sinne des staatlichen Indifferentismus und der Trennung, sondern im Verständnis einer pluralistischen Gesellschaftssituation als eine Beziehung verstanden, in der geistig formende Kräfte der auch den Staat bildenden menschlichen Gesellschaft dem Staate in Zuordnung und Zusammenarbeit begegnen7o,
70 Hier werden tiefere Probleme aufgeworfen, denen nicht nachgegangen werden kann. Der Aufsatz von Konrad Hesse, Freie Kirche im demokratischen Gemeinwesen, in: ZevKR 11 (1964/65) S. 337 ff., kann nur mehr erwähnt, nicht mehr hier berücksichtigt werden.
Die Kirche im säkularen Staat I. Christen als Minderheit in der modernen Welt Wenn wir die Konstitutionen und Dekrete des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Hand nehmen, so finden wir in ihnen neben den gewohnten Bezugnahmen auf die Akte früherer Konzilien und die Äußerungen der Päpste in reichem Maße Zitate aus den altchristlichen Autoren. Das entspricht ebenfalls einer Tradition, aber es mag auch als Zeichen dafür genommen werden, daß die frühchristlichen Stimmen heute zu uns vernehmlicher sprechen. Denn ähnelt nicht die Stellung der Christen in der modernen Umwelt viel eher derjenigen der Nachfolger Christi in den ersten Jahrhunderten als jener, in der sich die christliche Kirche seither bis an die Schwelle unserer Zeit befunden hat? Bis in das 19. Jahrhundert konnte sich die christliche Kirche in Europa als Ausdruck einer christlichen Gesellschaft von entschieden religiös bestimmter Grundhaltung empfinden. Wer heute noch vom "christlichen Abendland" spricht, hat dies Bild langer Jahrhunderte vor Augen, in denen die Kirche neben dem Staate eine eigene Gemeinschaft bildete, die weite Bereiche des geistigen wie des sozialen Lebens in ihrer Obhut hatte. Noch für das 19. Jahrhundert gilt, daß man die Formation einer Persönlichkeit des öffentlichen oder kulturellen Lebens nicht ohne den Blick auf ihren religiösen Hintergrund zu bestimmen vermag, konnte dabei in einzelnen Fällen auch schon die Wendung zur Negation einer ursprünglich christlichen Herkunft oder Erziehung sichtbar werden. In der Gegenwart erscheint die Lage tief verändert. Indem die Welt immer mehr zu einer Einheit zusammenwächst, wird die Lage der Christen als Minderheit in ihr deutlich. Das tritt noch klarer hervor, wenn wir den Blick über Europa und den Westen hinaus richten. In Asien und Afrika sind in den meisten Ländern die Christen nur eine kleine Minderheit. Dennoch stellen sie gerade hier vielfach eine geistig besonders bewegte und aktive Gruppe dar, von nicht geringem Einfluß im öffentlichen Leben. Aber wie sieht es im Grunde genommen in den westlichen Ländern aus? Sind nicht, Aus: Im Lichte der Reformation. Fragen und Antworten. Jahrbuch des Evangelischen Bundes. Bd. 10. Hrsg. zum Luthertag 1967, Göttingen 1967, S. 5 - 31. - Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Evangelischen Bundes, Bensheim/Bergstraße. Vortrag im Akademischen Festakt der 59. Generalversammlung des Evangelischen Bundes am 22. Oktober 1966 in Hildesheim.
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wenn wir die wirklich am Leben der Gemeinde aktiv Anteil nehmenden Christen zählen, auch hier die Christen eine Minderheit, befindet sich nicht allenthalben die Kirche in der Diaspora? Kaum in einem Lande nimmt sie mehr eine herrschende Stellung ein. Inmitten einer nichtchristlichen oder einer dem Christentum entfremdeten säkularen Umgebung ist sie zu einer Kirche auf dem Felde der Mission geworden. Man hat nach 1945 diese Veränderungen in der heutigen Welt gern mit der Vokabel vom Ende des konstantinischen Zeitalters umschrieben. Indes ist dieser Ausdruck nicht glücklich, weil er den Akzent an eine falsche Stelle legt. Mit dem konstantinischen Zeitalter wird nämlich die Nähe der Kirche zum Staat bezeichnet, und es könnte dadurch der Eindruck entstehen, als habe die Kirche nun mit der Lösung aus dieser Verbindung sich eine breite Wirksamkeit in der heutigen Gesellschaft eröffnet. In Wirklichkeit liegt die entscheidende Wandlung in der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft, an der auch die Aufhebung näherer Verbindung zum Staate nichts zu ändern vermag. Ihre Ursachen lassen sich nicht allein oder zuerst im Verhältnis von Kirche und Staat finden, sondern in dem Prozeß der Verweltlichung des modernen Denkens und Lebens; die Beziehung Kirche und Staat ist hiervon nur ein Teilaspekt. In der äußeren Stellung der Kirchen kommt dieser Tatbestand, wenn wir die Bundesrepublik ins Auge fassen, noch wenig zum Ausdruck, und gerade hieran hat sich, sowohl von säkular gesonnener Seite wie aus den Reihen der Kirchen selbst, manche Kritik geknüpft. Der statistische Bestand weist immer noch über 90 Ofo der Angehörigen der Bundesrepublik als Glieder der großen christlichen Kirchen aus, und nur geringe der Bevölkerung gehören keiner religiösen Gemeinschaft an. Dem entspricht auch die Gestaltung der verfassungsrechtlichen Position der Kirchen. Ihnen gewährt die Rechtsordnung - wie übrigens auch seit der Weimarer Zeit den kleineren Religionsgemeinschaften- die Stellung öffentlicher Körperschaften und einen öffentlich-rechtlichen Status mit manchen erheblichen Vorzügen (Besteuerungsrecht, Selbstbestimmung in ihrer Organisation, Einwirkung auf die religiöse Erziehung und Bildung in Schule und Hochschule), und die staatlichen Organe ziehen ferner die kirchlichen Instanzen zu mancherlei Aufgaben heran, von der Mitwirkung in der Sozialarbeit bis zur Beratung und zur Repräsentation. Entspricht diese hervorgehobene Position den gewandelten Verhältnissen, der Lage eines Staates, der selbst sich ganz als ein neutraler, als ein säkular gewordener Staat empfindet? Vor wenigen Jahren noch wurde diese Frage kaum gestellt. Man hoffte in den geltenden Gesetzen und Vertragsbestimmungen über die Kirchen und ihre Stellung, vor allem den Verträgen zwischen Kirche und Staat, eine tragfähige Basis für die beiderseitigen Abgrenzungen gefunden zu haben. Aber in der Gegen-
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wart wird auch von innerkirchlicher Seite die Frage aufgeworfen, ob nicht in einer veränderten Lage auch die Beziehungen von Kirche und Staat einer neuen Grundlage bedürften. Würde die Kirche nicht größere Freiheit und auch stärkere Wirkungskraft erlangen, wenn sie manche Züge ihrer gesicherten Stellung ablegte und allein der inneren Stärke ihrer Verkündigung vertraute? Ein so weithin geäußerter Zweifel an dem Bestehenden läßt es an der Zeit erscheinen, den Fragen eingehend nachzugehen. Wo liegen die Veränderungen, denen sich die christliche Gemeinde in einer säkularen Umwelt gegenüber sieht? Wie wirken sie sich auf die Beziehungen der christlichen Gemeinschaft zu den Institutionen des politischen Gemeinwesens aus? Ergeben sich daraus Folgerungen für eine Umgestaltung oder Anpassung? Den Fragen soll in drei Abschnitten nachgegangen werden. Der erste wird die Grundlinien der Entwicklung seit 1945 beleuchten, während der zweite die Lage der Kirchen inmitten einer säkularisierten Gesellschaft in den Vordergrund zu stellen hat. Im letzten Teil wird dann die Prüfung zum Kern des Problems zurückführen und danach fragen, inwieweit sich aus den heutigen Gegebenheiten ein Anlaß zur Veränderung der Grundlagen im Verhältnis von Kirche und Staat ergibt. U. Grundlinien der Gestaltung des Verhältnisses von Kirche und Staat seit 1945 Für die evangelischen Kirchen in Deutschland bedeutet der Kirchenkampf der dreißiger Jahre einen tieferen Einschnitt als die Revolution von 1918, obwohl sie in der letzteren die Anlehnung an das landesherrliche Kirchenregiment verloren, die ihnen für Jahrhunderte einen Halt geboten hatte, von dem sie sich nicht leicht lösten. Aber die Weimarer Epoche war, das wird heute auf vielen Gebieten erkennbar, den alten Verhältnissen der monarchischen Zeit doch geistig und personell noch stark verbunden. Die Auseinandersetzung mit dem totalitären Staate hingegen offenbarte erstmals den evangelischen Christen, daß sich die politische Macht gegen die christliche Freiheit wenden könne, und so fand im Widerstand die überkommene Nähe zum Staate ihr Ende. Das Erlebnis dieser Kämpfe hat seither die Haltung der evangelischen Kirchen entscheidend geprägt. Für unsere Betrachtung sind folgende Punkte bedeutsam: a) Die evangelische Christenheit, die so lange ihre äußere Ordnung und ihr Recht der Wahrnehmung durch den Staat überlassen hatte, tritt heute mit Entschiedenheit für ihre Selbständigkeit gegenüber staatlichem Einfluß ein. Sie nimmt ebenso wie die katholische Kirche ihre
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volle Selbstbestimmung in Lehre und äußerer Gestalt und ihre Befähigung zu eigener unabhängiger Rechtssetzung in Anspruch. b) In der Abwehr gegen die politische Macht hat die evangelische Christenheit gezeigt, daß sie - wie dies sich schon längst im Kulturkampf für die katholische Kirche erwiesen hatte - aus eigener Kraft sich zu behaupten imstande war. Sie ist dadurch im Bewußtsein ihrer Unabhängigkeit gestärkt und in der Forderung der Freiheit vom Staate bestätigt worden. c) Erst in den Jahren nach 1945 ist eine bleibende Einsicht in die innere Ordnung der Kirche und ihr Recht entfaltet worden, die auf die Jahre des Kampfes zurückgeht. Sie lehrt den notwendigen Zusammenhang zwischen den theologischen Aussagen des Glaubens und den Normen des kirchlichen Rechts. Die rechtliche Ordnung der Kirche steht im Dienste der Erbauung der Gemeinde, sie muß in ihren Begriffen und Gestaltungen in Schrift und Bekenntnis gegründet sein. Für das Verhältnis von Kirche und Staat wirken sich diese Gedanken in der Betonung der Eigenständigkeit der Kirche aus. Die Kirche ist keine weltliche Vereinigung, ihr Wesen und ihr Auftrag wurzeln als Stiftung ihres Herrn in einer anderen Dimension. Es ist eine andere Frage, wieweit der Staat dies Selbstverständnis der Kirche und die daraus folgende Unabhängigkeit annimmt oder mindestens respektiert. Seit der Aufklärung jedenfalls erblickt der Staat, in einer rein weltlichen und der Auffassung der Kirche nicht entsprechenden Sicht, in den Kirchen nur Religionsgesellschaften, Zusammenschlüsse der Personen eines bestimmten Bekenntnisses innerhalb des Staates. Der kirchliche und der staatliche Ausgangspunkt bleiben demnach hier verschieden; aber ohne Aufgabe des grundsätzlichen Standpunktes kann zwischen ihnen ein praktischer Ausgleich in der Anerkennung einer weitgehenden Freiheit und Selbstbestimmung der Kirchen, aber auch ihrer an gewissen Punkten vorgenommenen Einordnung in die öffentliche Ordnung des Staates gefunden werden. Bestimmt somit der Kampf der dreißiger Jahre noch heute die kirchliche Stellungnahme in weitem Umfang, so werden heute doch auch einige der Folgerungen, die man aus jener Zeit gezogen hat, im Lichte der seitherigen Entwicklung Gegenstand einer kritischen Prüfung sein können. Das gilt zunächst von der Forderung der Distanzierung gegenüber dem Staate. So richtig sie als Grundsatz kirchlicher Selbständigkeit ist, das Verhältnis von Kirche und Staat wird verzeichnet, wenn man in ihm allein die Lösung der Kirche vom Staate hervorhebt und die grundlegende Andersartigkeit kirchlicher Erscheinung und kirchlichen Rechts gegenüber der Welt betont. Wie kann es bei solcher Verschiedenheit zwischen beiden zu einem Nebeneinander, zu einer Verständigung kommen? Vertragliche Abreden zwischen Kirche und Staat vor allem
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sind doch nur möglich, wenn auch die kirchliche Rechtsbildung als die Regel für eine in dieser Zeitlichkeit lebende, auf die Wiederkehr des Herrn wartende, daher in historischer Wirklichkeit existierende Gemeinschaft verstanden wird. Nur so vermögen sich das politische Gemeinwesen und die christliche Gemeinde auf einem gemeinsamen Boden rechtlicher Anschauung zu begegnen. Im Grunde sind doch in Kirche und Staat die gleichen Menschen, als cives oder fideles, als Bürger oder Gläubige, versammelt. Daher kann auch die Kirche, bei aller Hervorhebung ihrer Freiheit, niemals dem Gegenüber zum Staate, der Aufgabe eines Zusammenlebens mit ihm entgehen, und dasselbe gilt umgekehrt auch für den Staat, selbst dann noch, wenn er Wesen und Auftrag der Kirche als ideologische Verirrung ablehnen möchte, wie es die marxistische Lehre tut. Die Beziehung von Staat und Kirche kann also nicht einzig unter dem Zeichen der Distanzierung gesehen werden. Es wäre vor allem ein Irrtum zu meinen, daß sie, je weiter sie geführt wird, der christlichen Gemeinschaft um so größere Freiheit der Entfaltung gewährte. So tiefe Versuchungen undGefahren in einer zu engen Verbindungbeider Seiten liegen, so muß der Jurist darauf hinweisen, daß das Aufgeben aller rechtlichen Sicherungen gegenüber dem Staate, worinmanche heute die Lösung sehen möchten, niemals volle Freiheit gegenüber der bestehenden Hoheit des Staates bringen kann, sondern möglicherweise der Kirche nur mehr den Stand eines privaten Vereins beläßt, in dem sie viel stärkeren staatlichen Einwirkungen ausgesetzt sein kann als in einem im öffentlichen Recht angesiedelten Rechtsstatus. Auch für den Staat mag es von Vorteil sein, das Verhältnis zu den Kirchen in klarer rechtlicher Form zu regeln und feste Abgrenzungen vorzunehmen, anstatt diesen Fragenbereich der Unbestimmtheit eines tatsächlichen Einflusses zu überlassen. Ein zweiter Punkt, an dem die aus den Auseinandersetzungen der dreißiger Jahre hervorgegangenen Anstöße eines richtigen Verständnisses bedürfen, betrifft mehr die innerkirchliche Ordnung und die Verbundenheit der evangelischen Kirchen untereinander. Es handelt sich um das Bekenntnis und seine Auswirkung für das Verhältnis der Landeskirchen zueinander. Wenn die Bekennende Kirche zur Besinnung auf die Grundlage des Bekenntnisses aufrief, so geschah das im Zeichen einer Selbstbesinnung auf das schriftgemäße Fundament des Glaubens, nicht aber als eine Aufforderung zu konfessioneller Sonderung. Im Verein mit anderen geistigen Strömungen unserer Zeit, vor allem der lutherischen Erneuerung und dem verstärkten Rückgriff auf die reformatorische Lehre, hat freilich dieser Ruf zum Bekenntnis zu einer stärkeren Betonung der Bekenntnisunterschiede unter den evangelischen Christen in Deutschland geführt. Das zieht auch für die Stellung der protestantischen Christen gegenüber dem Staate insofern eine Folge nach sich, als die Verbindung aller evangelischen Christen in der Evangelischen Kirche
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in Deutschland darüber zu einem Bunde von begrenzter Wirkungsmöglichkeit abgeschwächt worden ist. Man wird die Gliederung der evangelischen Gläubigen in den Landeskirchen als ein geschichtliches Ergebnis betrachten können, dem in den einzelnen Landeskirchen auch eigene Traditionen und Lebensformen entsprechen. Aber man wird ebensowenig den jetzigen Bestand, der eine eigentümliche Verfestigung älterer territorialer Herrschaftsverhältnisse aus der Zeit des Kirchenregiments darstellt, für zeitlos und ohne weiteres gerechtfertigt ansehen dürfen, wie andererseits die strengere Betonung bekenntnismäßiger Unterschiede als eine Bestrebung anerkennen können, die wirklich bei der großen Zahl der Gemeindemitglieder voll aufgenommen wird. Bei ihnen dürfte vielmehr die Empfindung der allgemeinen Verbundenheit aller evangelischen Christen in Deutschland stark ausgeprägt sein. Damit soll nicht einer Verwischung der überlieferten Unterschiede im Bekenntnis das Wort geredet, sondern die Notwendigkeit betont werden, darüber die Gemeinsamkeit nicht aus dem Auge zu verlieren. Nur dann kannangesichtsder steigenden Beweglichkeit der Bevölkerung auch das Problem des Wechsels aus einer Landeskirche in die andere erträglich bleiben. Es setzt jedenfalls die Anerkennung des gemeinsamen Grundsatzes voraus, daß jede Landeskirche sich auf ihren historischen Raum beschränkt. Wollte man den Weg einer Aufteilung der Glieder der Kirche nach konfessionellen Beständen unter Sprengung der heutigen landeskirchlichen Form gehen, so sollte man sich darüber klar sein, daß damit der volkskirchliche Anspruch der großen historischen Kirchen aufgegeben und der Schritt zu einer denominationeilen Vielfalt und Gleichheit in der deutschen Entwicklung vollzogen würde, in der sich die noch bestehende Vorrangstellung der großen Kirchen gegenüber den kleineren Religionsgemeinschaften auflösen würde. Das könnte ökumenisch sogar als positiver Schritt verstanden werden, aber es würde wohl zugleich auch im Verhältnis zur anderen Konfession die Position der evangelischen Christen durch den Verlust ihrer Einheit stark beeinträchtigen. Eine dritte Anschauung, die sich auf das Erbe des Abwehrkampfes zurückführen läßt, beeinflußt vor allem die Zuwendung der Kirche zur Welt. Es handelt sich um die enge Abschließung der Gemeinden bei den kirchlichen Wahlen. Es war begreiflich, daß man sich unter dem Schock des Mißbrauchs der kirchlichen Wahlen durch die Deutschen Christen im Jahre 1933 gegen Überfremdung hinfort zu sichern trachtete. Aber hält die nach 1945 eingeführte Methode der Begrenzung des kirchlichen Wahlrechts auf diejenigen Gemeindeglieder, die sich einem umständlichen Verfahren der Eintragung in Listen unterziehen, einer kritischen Prüfung unter heutigen Gesichtspunkten noch stand? Der sehr geringe Beteiligungssatz an den Wahlen zum Gemeindevorstand läßt diese Frage mehr und mehr dringlich erscheinen. Wenn es in der Gegenwart der
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Kirche in besonderem Maße obliegt, ihre missionarische Rolle ernst zu nehmen und ihrer Botschaft einen weiten Raum zu öffnen, kann sie es dann auf sich nehmen, an dieser Stelle die am Rande Stehenden nicht in eine Mitwirkung zu rufen, sondern sie abzustoßen? Erfreulicherweise beginnt man auch in einigen Landeskirchen, sich von diesem Prinzip, in dem auch die verhärtende Lehre von der Kerngemeinde anklingt, abzukehren. Wenden wir den Blick zurück auf den Staat, so stellt seine heutige Rolle als neutrale Macht über den Religionsgemeinschaften das Ergebnis einer längeren Entwicklung dar, die mit der Aufklärung einsetzt und die ältere Verbindungen zwischen Kirche und Staat fortschreitend gelockert hat. Mit der Anerkennung der Toleranz gelangte der Staat zunächst gegenüber den christlichen Hauptbekenntnissen, später auch gegenüber allen religiösen oder weltanschaulichen Haltungen, zum Grundsatz der Gleichbehandlung. Sie bedeutet, daß der Staat alle seine Bürger ohne Unterschied der Glaubenshaltung in allen öffentlichen Fragen gleichstellt. Es wäre aber eine irrtümliche Meinung, daß der Staat diese Neutralität nur dann erfüllt, wenn er alle Verbindungen zu den religiösen Gemeinschaften löst und die Form eines betont laizistischen Regiments annimmt. Die Neutralität gebietet, daß der Staat nicht bestimmte weltanschauliche Haltungen bevorzugt und ihnen Vorrechte vor anderen gewährt. Es bleibt hingegen möglich, daß der Staat, wie er auch auf anderen Gebieten das Vorhandensein sozialer Gruppen anerkennt und nach ihrem Gewicht mit ihnen zusammenwirkt, in bestimmten Lebensbereichen die Bedeutung der Kirchen, denen der Großteil seiner Bevölkerung zugehört, respektiert und sie in seiner Rechtsordnung berücksichtigt. Das Bild des deutschen Staatskirchenrechts ist von solchen Elementen eines Zusammenwirkens von Staat und Kirche bestimmt, die nicht nur Reste älterer Stufen ihres Verhältnisses, sondern bewußt erhaltene Bestandteile ihrer heutigen gegenseitigen Zuordnung darstellen. Grundlegende Neuformungen der Beziehungen von Staat und Kirche erfolgen nur in größeren Abständen. Dazwischen vollzieht sich eine Entwicklung in allmählicher Anpassung und Umformung vorhandener Regelungen. Es entspricht dieser Einsicht, daß die Grundlagen der gegenwärtigen verfassungsrechtlichen Gestaltung auf die Zeit der Weimarer Republik zurückreichen. Bei der Schaffung des Grundgesetzes im Jahre 1949 hatte man weder die Zeit noch, so darf man hinzufügen, auch die Kraft, um eine Neugestaltung zu unternehmen. Es wurden daher, mit leichten Änderungen, die so sorgfältig einst in Weimar ausgearbeiteten Kirchenartikel übernommen. Das hat freilich keinen Stillstand der Entwicklung bedeutet. Die Wissenschaft hat alsbald betont, daß die gleichen Bestimmungen im Kontext einer anderen Verfassung und unter gewandelten Verhältnissen nicht mehr das Gleiche besagen. So hat man daher, und die Praxis hat sich dieser Auffassung angeschlossen, den
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Schluß gezogen, daß die in der Weimarer Zeit noch festgehaltene staatliche Kirchenaufsicht heute entfallen ist. Die eigentliche Anpassung und Fortentwicklung des überkommenen Rechts hat sich vor allem durch die Kirchenverträge vollzogen, die mit dem Loccumer Vertrag von 1955 ihren Anfang nehmen und bis zum niedersächsischen Konkordat von 1965 reichen. In ihnen ist es gelungen, sowohl in grundsätzlichen Aussagen dem modernen Verhältnis der Kirchen zum Staate einen allgemeinen Ausdruck mit der Anerkennung der Freiheit und Selbstbestimmung der Kirche zu finden, als auch in Einzelheiten ältere Bestandteile des Rechts anzupassen und neu aufgetretene Fragen zu regeln. Im Ergebnis hat auf dem Boden des heutigen Rechts die Kirche ihre öffentliche Bedeutung und ihre Stellung im öffentlichen Recht behalten, hat aber andererseits - durch den Wegfall der Staatsaufsicht wie durch die stärkere Betonung ihrer Selbstbestimmung- größere Freiheit gewonnen. An die Stelle der staatlichen Hoheit über die Kirchen ist der Gedanke freundschaftlichen Zusammenwirkens auf dem Boden der Gleichordnung getreten; auf diesem Boden konnten die Kirchen auch dem Staate als Vertragspartner begegnen. Es wird in diesen Verträgen, die ältere überholte Verschränkungen zwischen Staat und Kirche (Patronate, staatliche Bereitstellung kirchlicher Gebäude usw.) bereinigen und eine Einigung über neue Fragen im Bereich der Erziehung und der Massenkommunikationsmittel ordnen, eine neue Konzeption des Verhältnisses von Staat und Kirche sichtbar, das, ungeachtet wachsender Selbständigkeit beider Seiten, doch gewisse funktionelle Verbindungen zwischen beiden Seiten auf Lebensgebieten, denen ihr gemeinsames Interesse gilt, aufrechterhält. Damit legen die Kirchenverträge einen Grundzug der heutigen rechtlichen Situation klar, der sich auch schon aus der Verfassung und ihrer Zuweisung einer öffentlich-rechtlichen Stellung an die Kirchen ergibt. Das System des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche, welches das geltende Recht festlegt, ist nicht das einer Trennung oder eines weltlichen Staates. Eine solche Trennung, die die Kirchen in den Bereich des privaten Vereinigungsrechts zurückführt, ist in den Vereinigten Staaten aus Gründen der Toleranz von Anfang an in einem freundschaftlichen Geiste verwirklicht worden, und sie entspricht der dort sehr starken Aufgliederung der religiösen Gemeinschaften. Sie ist im Sinne einer Vorherrschaft weltlichen Denkens - und damit mit einem Einschlag der Intoleranz - 1905 in Frankreich unter dem Zeichen des laizistischen Staates eingeführt worden. In den letzten 20 Jahren hat sie aber bereits erhebliche Abmilderungen erfahren. Die deutsche Entwicklung ist seit jeher, eigentlich seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555, durch eine eingehende verfassungsrechtliche Ausgestaltung der Grundlagen des Verhältnisses zwischen Staat und Religion gekennzeichnet. Dieser Zug gilt auch heute. Man kann, das Verbot
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einer Staatskirche in der Weimarer Regelung aufnehmend, von einer Distanz, aber nicht von einer Trennung sprechen. Das Verhältnis von Staat und Kirche ruht nicht allein auf der Religionsfreiheit, sondern auf einem durch Verfassung und Vertrag ausgestalteten genaueren Gewebe rechtlicher Sicherungen. Sie sind für beide Seiten bedeutsam. Auch für den Staat bedeutet diese Gestaltung Klarheit und Übersicht auf diesem Felde, das damit für die Öffentlichkeit leicht überschaubar ist. Gewiß behält sich der Staat, das sollte auch von kirchlicher Seite nie übersehen werden, in seiner Souveränität einen letzten Hoheitsbereich und die Möglichkeit einseitiger Lösungen vor, die auch gelegentlich, wie das bekannte Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichts gezeigt hat, ihren Ausdruck finden kann. Aber solange die heutige Stellung der Kirchen fortbesteht und die Kirchen damit eine bedeutende Stellung im öffentlichen Leben einnehmen, erscheint es auch angemessen, schwebende Fragen nicht einseitig zu lösen, sondern im Wege des Vertrages einer einverständlichen Behandlung zuzuführen. Gerade gegen die Form des Vertrages, aber auch weiter gegen die in der rechtlichen Sicherung liegende Verbindung von Staat und Kirche, richten sich die auch aus christlichen Kreisen kommenden Zweifel. Läßt sich diese bedeutsame Stellung mit ihren mancherlei Vorrechten inmitten einer pluralistischen und verweltlichten Gesellschaft halten? Entspricht es der wahren Freiheit der Kirche oder sucht diese nicht in den Sicherungen beim Staat eine Stütze? Wird hier nicht nur ein Besitzstand aufrechterhalten, der vielleicht sogar dem kirchlichen Wirken hinderlich sein könnte? So lauten manche Stimmen, die wir heute namentlich unter der jüngeren Generation vernehmen. Die Antwort kann nicht allein im Blick auf den Staat und das Verhältnis zu ihm gegeben werden. Es ist vielmehr nötig, zuerst das Augenmerk auf einen anderen viel weiteren Bereich zu richten, der aber für die Erscheinung des modernen Säkularismus entscheidend ist, auf die Stellung der Christenheit inmitten der modernen gesellschaftlichen Entwicklung. ßl. Kirche und säkularisierte Gesellschaft Wenn wir von einer Säkularisation der modernen Welt sprechen, so bedarf es einer kurzen Verdeutlichung der Meinung dieses Ausdrucks. Säkularismus bedeutet die Abwendung von einer religiös bestimmten Weltansicht, das Unternehmen einer Sinnbestimmung des Lebens aus einer von der Religion verschiedenen, philosophischen, rationalen oder sonst in diesseitigen Kategorien begründeten Anschauung. Der Bereich der Religion wird im säkularisierten Denken von den Grundlagen der als maßgebend angenommenen Anschauung abgetrennt und in einen besonderen eigenen Bereich verwiesen. Die Tendenz zu einem rein welt-
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liehen Denken hat es schon im Mittelalter gegeben. Als bestimmende Erscheinung aber ist der Säkularismus eine neuzeitliche Erscheinung seit der Epoche der Aufklärung. Er bedeutet die Abwendung von einem Weltbild, wie es seit der späten Antike unter dem Vorzeichen einer eschatologisch bestimmten Sicht der Menschengeschichte das europäische Denken bestimmt hatte. An seine Stelle tritt eine von der Rationalität geprägte Deutung der Welt, in der der optimistisch gesehene autonome Mensch als freibestimmter Herr seines Lebens, als Bezwinger der Naturkräfte und als Träger des Fortschritts in den Mittelpunkt rückt. Indem die Einsichten in den gesetzlichen Zusammenhang der Welt dem Menschen die technische Verfügung über immer weitere Bereiche eröffnen, schließlich sogar über seine eigene genetische Entwicklung, rücken die Fragen nach Ursprung und Ziel des Weltgeschehens ebenso wie die nach dem Sinn des menschlichen Lebens und nach der Verantwortung menschlichen Tuns in den Hintergrund. In der Gegenwart, die unter dem Zeichen des Glaubens an die technologische Beherrschung der Natur steht und die nur noch quantifizierbare Aussagen anerkennen möchte, hat sich ein säkulares Denken in den Vordergrund geschoben, dem gegenüber die religiöse Haltung fast in eine gewisse Isolierung zu geraten droht. Das Vordringen einer solchen weltlichen Denkform, die sich auch überall im Gebrauch der Lebensformen und Traditionen auswirkt, berührt auf das Tiefste die Stellung der christlichen Kirchen in ihrer modernen Umgebung. Ihr überweltlicher Auftrag wird von großen Teilen der Gesellschaft nicht mehr verstanden. Eine säkulare Sicht vermag den Ruf religiöser Besinnung nicht mehr zu vernehmen, sondern allenfalls die Kirche in ihrer sozialen und karitativen Wirksamkeit anzuerkennen und zu würdigen. Im geistigen Bereich wird aber ihre Lehre eher zum Ärgernis der weltlichen Vernunft. Wie bei einem Eisberg der größere Teil seines Umfangs dem an der Oberfläche haftenden Blick verdeckt bleibt, vermag eine solche Sicht die Kirche nicht zu erfassen. Sie erblickt in ihr, wie dies im Grunde auch der staatlichen Betrachtung der "Religionsgemeinschaften" seit der Aufklärung entspricht, einen Zusammenschluß der Angehörigen eines Glaubens und rückt sie damit auf die Stufe anderer weltlicher Gruppen, Verbände und Vereinigungen. Die Kirchen werden damit selbst in die Gesellschaft eingeordnet und ihren Kategorien unterstellt. Wie sich diese Lage auf die christliche Gemeinde auswirkt, das hängt durchaus von deren eigener Haltung zu dieser Entwicklung ab. Die Erscheinung des Säkularismus ist, seitdem man ihrer voll bewußt wurde, zuerst unter dem Gesichtspunkt des Abfalls von einer christlichen Anschauung gewürdigt worden. Noch die Oxforder ökumenische Konferenz von 1937 hat sie vornehmlich unter diesem kritischen Gedanken beurteilt. Aber die Zeit läßt sich nicht zurückstellen. Ein Bemühen, die moderne Auffassung wieder durch ein christliches Bild zu ersetzen,
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würde die Kirche nur in eine Isolierung führen. Daher hat sich auch heute die Einstellung gewandelt. Die Verweltlichung wird nun unter dem Gesichtspunkt gesehen, daß sich die Christenheit allezeit mit der Welt in ihrer jeweiligen geschichtlichen Gestalt auseinandersetzen muß. Für den kirchlichen Auftrag ist die Welt eine Erscheinung, diehier kann man auf die Zwei-Reiche-Lehre Luthers zurückgreifen- nach ihren eigenen Gesetzen lebt, auf die sie aber auch gerade in dieser ihrer historischen Gestalt für ihre Verkündigung gewiesen ist. Ihr gegenüber erfüllt dieKirehe ihren Auftrag, wenn sie aus ihrc1· ganz anderen tieferen Wurzel heraus in ihr den Ruf Gottes vernehmbar macht. Das gewährt ihr auch die Möglichkeit zu einer kritischen, wertenden Haltung gegenüber den weltlichen Ideen. Der Erzbischof von Canterbury, Arthur Michael Ramsey, hat vor kurzem diese Aufgabe der Christen in ihrer kritischen Rolle gegenüber der Welt klar umschrieben: "So hat die christliche Kirche mit ihren Gliedern die schwierige, aber faszinierende Aufgabe, im Herzen der säkularen Welt zu leben, das Gute anzunehmen, was sie dort findet, und zu gleicher Zeit in Liebe eine Kritik der säkularen Welt im Lichte der übernatürlichen aufrechtzuerhalten." (Sacred and Secular, London 1965, S. 65). Zu dieser Fähigkeit, der Rationalität und Utilität der heutigen Welt kritisch zu begegnen, gesellt sich die christlicher Erkenntnis offene Einsicht in das Wesen des Menschen, die den Menschen in seiner Ganzheit und Würde voller und tiefer zu verstehen vermag, als dies ein rationales Denken zu tun imstande ist, das jeweils nur einzelne Teilbezüge in seine Verfügung bekommt. Sieht man den Auftrag der Kirche von diesem Standpunkt aus an, so kann sie mit ihrer Botschaft mitten in die geistige Auseinandersetzung der Zeit, in die Nöte des Menschen unserer Tage hineingreifen. Sie muß dazu die Säkularisierung der Welt nicht bloß als Verfall und Entfremdung, sondern als einen Anruf für ihr Wirken, eine Herausforderung (Challenge) verstehen, die ihr als missionierender Kirche einen besonderen Auftrag, aber auch besondere Möglichkeiten eröffnet. Für die Behauptung und Entfaltung der Kirche kommt es heute daher nicht in erster Linie auf ihre Beziehung zum Staate, sondern darauf an, wie sie ihre Stimme unter den gesellschaftlichen Kräften vernehmbar zu machen weiß, wie sie die Menschen mit ihrem Anruf erreicht. Das läßt sich freilich nur bewirken, wenn die Kirche auch bereit ist, sich in dieser Welt der Formen zu bedienen, die ihr den Zugang zu den Menschen öffnen und das Wirken in einer pluralistischen Gesellschaft ermöglichen. Das prägt sich etwa in der Wahrnehmung des kirchlichen Wächteramtes aus. Wort und Mahnung christlichen Zuspruchs können sich statt an die Regierenden auch an Kreise und Gruppen der Gesellschaft oder auch an die Gesamtheit als solche richten. Die Denkschrift zur Frage der Ostgebiete, die ein Ausschuß innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland im letzten Herbst vorlegte, ist hierfür ein Beispiel. 15 Scbeuner
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Sie zielte nicht nur auf ein Handeln staatlicher Organe, sondern wandte sich unmittelbar an das ganze Volk, um auf seine Empfindungen, seine Haltung einzuwirken. Das Wirken der Kirche in der modernen Gesellschaft bedarf der neuen Formen und Mittel. Es ist vor allem darauf angewiesen, sich in reicherem Maße als bisher auch der Mithilfe der Laien zu versichern. Auch sie sind in der Kirche zum Zeugnis aufgerufen, und ihnen kommt in einem Glauben, der auf dem Gedanken des allgemeinen Priestertums ruht, ein Anteil an der Verkündigung zu. Es wird daher gut sein, wenn auch, bis in die Sprache der kirchlichen Gesetze und Kundgebungen hinein, die Züge einer von oben geführten Kirche zurücktreten und der Anruf, die Aufforderung zur Mitwirkung, die Entfaltung eigenen Antriebs an deren Stelle treten. Die neuen Mittel der Einwirkung, deren sich die Kirchen in der Gestalt von Evangelischen Akademien, Diskussionen, auch der Beteiligung an den Sendungen der Massenmedien, heute bedienen, entsprechen dieser Forderung. Ich möchte aber meinen, daß auch manche heutigen Auseinandersetzungen in der Theologie selbst eng mit dem missionarischen Auftrag der Kirche verknüpft sind. Die theologische Auseinandersetzung mit den Strömungen der Zeit und den Einsichten der neuzeitlichen Wissenschaft, Anfang dieses Jahrhunderts im Zeichen einer liberalen Anschauung im Gange, ist dann für über ein Menschenalter zurückgetreten, weil man sie wohl durch die Theologie Karl Barths für überwunden hielt. Von einer anderen Richtung und unter anderen Vorzeichen her stellen sich gewisse Grundfragen heute erneut, sie führen auch zu einer Neubesinnung über die Ausgangspunkte und Möglichkeiten einer für unsere Zeit sprechenden Schriftauslegung. Es liegt mir fern, zu diesen weite Kreise beschäftigenden Problemen Stellung zu nehmen. So schmerzlich manche Kreise die hier sichtbar werdende Problematik empfinden, wird nicht hier auch ein echtes Ringen um eine der heutigen Welt gegenüber angemessene Form der Schriftauslegung und der Verkündigung erkennbar? Was bedeuten diese Überlegungen für das Verhältnis der Kirche zum Staat? Sie machen zunächst klar, daß entscheidende Fragen der Stellung der Kirche zur modernen Welt gar nicht von ihm aus bestimmt werden, sondern abhängig sind von der inneren Kraft, mit der die christliche Gemeinde sich inmitten der gesellschaftlichen Kräfte entfalten kann. Es ist in erster Linie Sache der Kirche selbst, wie sie ihren Auftrag zu erfüllen vermag. Es genügt ein Gedanke an die Lage der Christen in der kommunistischen Welt, aber auch an die Probleme, die sich ihnen in einer heidnischen Umwelt stellen, um zu erkennen, welches Gewicht der staatlichen Ordnung für die freie Wirksamkeit der kirchlichen Verkündigung zukommt. Man wird die Möglichkeiten, die eine demokra-
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tische Ordnung und eine in ihr gesicherte Rechtsstellung der Kirche bieten, vor allem auch unter dem Gesichtspunkt der missionarischen Chance beurteilen müssen, die sie bieten. Das gilt etwa für den Religionsunterricht in staatlichen Schulen - der freilich in allem Ernst als ein Angebot verstanden werden will, das es fruchtbar zu machen gilt -, für die Seelsorge in Anstalten, auch für die Militärseelsorge und endlich, wovon noch zu reden sein wird, von der Kirchensteuer, die es ermöglicht, daß sich die Kräfte der Kirche ganz auf ihren geistlichen Auftrag konzentrieren können. Die Annahme dieser Sicherung braucht die Kirche nicht in Abhängigkeit vom Staate zu bringen. Sie ist festgelegt, ist also nicht von Einflüssen der staatlichen Organe abhängig. Man wird im Gegenteil eher feststellen können, daß in der Gegenwart die Entfernung zwischen Staat und Kirche größer geworden ist als noch vor einem Menschenalter. Das liegt auf der einen Seite an der Selbständigkeit der Kirche und ihrem Bestreben, allen Erinnerungen an ein Bündnis von "Thron und Altar" auszuweichen. Das liegt auf der anderen Seite aber auch bei den staatlichen Institutionen. Die in ihnen tätigen Menschen sind heute, das zeigt sich häufig, den kirchlichen Fragen stärker entfremdet. Diese Fremdheit tritt eigentümlicherweise weniger im politischen Raum hervor, als in manchen Entscheidungen der Gerichte in kirchenrechtlichen Fragen. In ihnen offenbart sich die Unsicherheit gegenüber kirchlichen Fragen, die nicht so sehr eine Folge eines geänderten Verhältnisses von Kirche und Staat als einer Säkularisation der Gesellschaft und des durch sie bedingten Verständnisverlustes ist. Unter diesem Gesichtspunkt mag daher die öffentlich-rechtliche Stellung der Kirche auch als eine Vorkehrung verstanden werden, die eine Entfremdung zwischen Staat und Kirche verhindern kann. Indem sie ein Bindeglied zwischen beiden herstellt, sichert sie auch ein Verständnis der weltanschaulichen Neutralität des Staates, das Religionsfreiheit und Toleranz in den Vordergrund stellt, sich aber von der Richtung auf eine säkulare, d. h. laizistische, Haltung des Staates fernhält. Denn mit einer solchen Einstellung würde tatsächlich nur die Bevorzugung einer bestimmten, nur diesmal weltlichen, Anschauungsrichtung verbunden sein. Der weltlich ausgerichtete Staat würde nicht mehr ein wirklich neutraler sein, sondern einer "säkularen Religion" folgen und dann wiederum Züge der Unduldsamkeit - nur in anderer Richtung - annehmen. Wie nahe hier Mißverständnisse liegen können, hat jüngst der Streit um das Schulgebet in Hessen gezeigt, wo die Bekenntnisfreiheit der einen Seite und ihr Recht, sich einer Teilnahme zu enthalten, in eine negative Verhinderung der Glaubensübung bei anderen umgedeutet wurde.
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Die Kirche im säkularen Staat IV. Das kirchenpolitische System der Verfassung und der Auftrag der Kirche
Wenn man vom Boden der Verfassung und des Vertragsrechts die Stellung der Kirchen in der Bundesrepublik insgesamt würdigt, so besteht gewiß Anlaß, von einer gesicherten, ja von einer im Vergleich zu anderen Ländern günstigen Position der Religionsgemeinschaften zu sprechen. Zwar finden wir auch im Ausland Beispiele eines öffentlichrechtlich gestalteten Status der Kirche, besonders dort, wo, wie in England und den skandinavischen Ländern, noch erhebliche Elemente einer Staatskirche fortbestehen, oder wo, wie in einer Reihe Schweizer Kantone, die Kirchengesetzgebung in ähnlichem Sinne noch in den Händen des kantonalen Gesetzgebers ruht. An wenigen Orten aber genießen die Kirchen in einem solchen System ein vergleichbares Maß an freier Selbstbestimmung, zugleich aber auch ein so erhebliches Bukett von rechtlich verbürgten Vorteilen. Gewiß fehlt es auch in den deutschen Verhältnissen nicht an gelegentlichen Spannungen in den Beziehungen von Staat und Kirche. In der Beurteilung mancher im Interessenfeld beider Seiten liegender menschlicher Lebensverhältnisse geht die Anschauung der christlichen Kirche und die des säkularen Staates auseinander. Der Staat wird dabei, und das kann in einem konfessionell neutralen Staate nicht anders sein, seiner eigenen weltlichen Beurteilung der Dinge folgen. Er wird, um ein Beispiel anzuführen, das letzthin die Kirchen beschäftigt hat, etwa bei der Besteuerung glaubensverschiedener Ehen (Ehen, in denen ein Teil keiner christlichen Kirche angehört) darauf bestehen, daß nur der kirchenangehörige Teil steuerlich belastet werden kann, der andere Teil aber, auch als einziger Verdiener, nicht für dessen kirchliche Verpflichtungen haften kann. Denn aus staatlicher Sicht schließt die Ehe keine nach außen wirksame Pflicht der Gatten ein, für die religiösen Bedürfnisse des anderen Teiles einzustehen, während demgegenüber die kirchliche Sicht der Ehe als einer vollen Lebensgemeinschaft hier andere Folgerungen zu ziehen hätte. Es gibt auch, bei allem gegenseitigen Wunsch nach einem guten Zusammenleben, Sachfragen, die in sich Gegensätzlichkeiten bergen, über die weder die politischen Gruppen im Staate, noch auch die beiden großen Konfessionen unter sich einig sind. Das gilt vor allem von den Problemen des Schulsystems, in denen sich heute namentlich die katholische Kirche mit ihrem Wunsch nach konfessioneller Trennung einem Drängen starker politischer Strömungen zugunsten der Gemeinschaftsschule ausgesetzt sieht. Die evangelische Kirche kann hier eine freiere Stellung einnehmen, ohne daß sie imstande gewesen ist - das muß man wohl hinzufügen-, für sich selbst immer eine sichere Linie zu finden. Aber die eigentlichen Fragen im Verhältnis von Staat und Kirche liegen heute nicht an solchen Punkten, an denen sich die säkulare Tendenz
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der heutigen Politik und die weltanschaulich neutrale Haltung der staatlichen Gesetzgebung (etwa in Sachen der Ehe und ihrer Auflösung) nicht mit kirchlicher Anschauung und Lehre deckt- beide Seiten haben längst gelernt, daß es Fragen gibt, wo staatliches und kirchliches Recht auseinandergehen und die Kirche daher nur an die innere Disziplin ihrer Gläubigen appellieren kann -, und auch nicht an gelegentlichen rechtlichen Auseinandersetzungen. Vom Boden des geltenden Rechts aus erscheint die heutige Regelung dauerhaft, zumal sie zu erheblichen Teilen verfassungsrechtlich gesichert ist. Die Empfindung einer gewissen Unsicherheit rührt vielmehr aus dem heute von mancher Seite, sowohl von Vertretern einer bewußt weltlichen Gesinnung wie aber auch aus innerkirchlichen Kreisen, geäußerten Zweifel her, ob diese gesicherte Position der Kirche noch ihrer wirklichen Lage inmitten einer säkularen, pluralistischen Gesellschaft entspricht. Vermag, so fragt man im Blick auf die geringeren Zahlen der wirklich aktiv am Gemeindeleben teilnehmenden Christen, die Kirche den weiten Rahmen, den ihr die staatliche Rechtsordnung darbietet, noch auszufüllen oder wird hier ein ererbter Besitzstand festgehalten, der nicht mehr in allen Punkten legitim erscheint? Die Stimmen, die sich in diesem Sinne einer Kritik, oder doch einer Selbstprüfung, äußern, sind in der Tat ein Anlaß, die innere Berechtigung der Lage neu zu bedenken. In ihrem Verhältnis zum Staate wird die Kirche immer wieder auch ihr eigenesBild zu prüfen haben und sich vom Boden ihres Auftrags her fragen müssen, ob sie durch eine Bindung an den Staat ihre Freiheit bedroht sehen kann oder ob sie in einer anderen Gestaltung bessere Möglichkeiten der Wirksamkeit fände. Diese Prüfung muß freilich nüchtern und zwar im Hören auf das Glaubensgebot, das den Christen frei von weltlicher Abhängigkeit macht, aber auch ohne theoretische Voreingenommenheit erfolgen. Unter den kritischen Äußerungen stammt ein Teil aus einer Richtung betont laizistischen, "humanistischen" Denkens. In ihm werden Gedanken aufgenommen, die in ihren wesentlichen Zügen schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts von radikalen liberalen Strömungen entwickelt worden sind. Sie fordern eine strikte Trennung des Staates von der Kirche, die allem staatlichen Handeln einen weltlichen Zug gibt, und möchten zwar die Religionsfreiheit erhalten, sehen aber den von ihr geöffneten Raum kirchlicher Tätigkeit vornehmlich - und verengend - in der Ausübung des Kultus, in einer von der Welt abgewandten "privaten" Glaubensübung. Die Religionsgemeinschaften sollen nach dieser Auffassung private Vereinigungen sein, frei in ihrem Leben, aber ohne eine öffentliche Stellung oder eine Berücksichtigung in staatlichen Einrichtungen. Institutionelle Verbindungen des Staates mit der Kirche, Verträge zwischen beiden, werden abgelehnt. Die Stimmen, die diesen Standpunkt vertreten, verraten gegenüber dem schon seit Jahrzehnten bekannten Arsenal der Argumente keine neuen Züge. Sie wirken daher in manchen
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Zügen schon ein wenig historisch, aber es ist kein Zweifel, daß sie gegenwärtig in weiteren Kreisen aufgenommen werden. Man wird es im Grunde begrüßen dürfen, daß diese Strömungen heute in artikulierter Form offen zum Ausdruck kommen, weil sie seit dem vorigen Jahrhundert in der modernen Gesellschaft, bald stärker, bald schwächer, vorhanden sind und es daher auch immer richtig sein wird, in eine geistige Auseinandersetzung mit ihnen einzutreten. Was hier vor allem verkannt wird, ist - von der bestehenden Rechtslage einmal abgesehen-, daß die völlige Außerachtlassung wesentlicher geistiger Kräfte und Gemeinschaften gerade im modernen pluralistischen Staate dessen Grundstruktur widerspricht, die auf der Anerkennung einer gegliederten Gesellschaft und der Mitwirkung ihrer Gruppen beruht. Ferner ist hervorzuheben, daß die Rechtsordnung heute auch andere Assoziationen, die Parteien, die Gewerkschaften, in eine über den privaten Bereich hinausreichende Stellung bringt. Warum soll diese Anerkennung der öffentlichen Bedeutung nur politischen und sozialen Gruppen gelten und nicht auch im geistigen Bereich wirksam sein? Endlich aber kann nur zu leicht die "Weltlichkeit" des Staates, die unter Außerachtlassung der bestehenden geistigen Gliederung des Volkes eine anschauungsmäßige Uniformität durchsetzen möchte, zu einem neuen weltanschaulichen Zwang und zur Intoleranz führen. In einem Punkte muß gewissen neueren Äußerungen aber entschieden widersprochen werden, soweit sie den Versuch unternehmen, ihre politischen Wünsche bereits in das geltende Recht hineinzudeuten. Es ist bereits betont worden, daß das Grundgesetz nicht ein System der säkularen Trennung von Staat und Kirche festlegt, sondern an einer öffentlich-rechtlichen Stellung der Religionsgemeinschaften und damit an, auch institutionell verfestigten, Verbindungen zwischen Staat und Kirche festhält. Die Verkennung dieser rechtlichen Gegebenheiten ist nur geeignet, die Diskussion zu verwirren, und es wäre ein Zeichen großer geistiger Unsicherheit, wenn solche Fehldeutungen des geltenden Rechts sich in Urteile staatlicher Gerichte einschleichen wollten. An dieser Stelle auch eine Bemerkung zu einem in der Erörterung stets mit Gewicht auftretenden Punkte. Die Kritik an der Position der Kirchen weist gern darauf hin, daß ihre bedeutenden Rechtsbefugnisse im Widerspruch ständen zu der geringen Zahl ihrer Glieder, die sich aktiv an ihrem Leben beteiligten. Dabei wird vor allem auf den sonntäglichen Gottesdienstbesuch hingewiesen. Niemand wird zweifeln, daß hier ein Punkt zu erruiter Selbstbesinnung der Kirchen vorliegt, Form und Kraft ihrer Verkündigung zu überdenken. Aber ist es wirklich berechtigt, diesen einen Zug kirchlichen Lebens allein ins Auge zu fassen? Findet die Kirche nicht heute zu ihren Gliedern auch auf anderen Wegen, durch Zusammenkünfte, Freizeiten, schließlich auch durch die reiche theologische und religiöse Literatur? Und ist es nicht so, daß der große Teil
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der Namenschristen, die vielleicht wesentlich nur zu den großen Einschnitten des Lebens, Taufe, Heirat, Tod, sich des kirchlichen Zuspruchs bedienen, doch der Kirche innerlich verbunden bleibt, auch wenn seine aktive Teilnahme an ihrem Leben nur intermittierend genannt werden kann? Hier an dieser Stelle vor allem liegt das weite Feld kirchlicher Mission, liegen bei aller formalen Zugehörigkeit für die Verkündigung große Möglichkeiten, deren sich die Gemeinden stärker annehmen sollten. Von einem ganz anderen Gedanken gehen die Äußerungen innerkirchlicher Kritik an der heutigen Situation aus. Sie besorgen, daß die Kirche durch ihre rechtliche Stellung allzusehr an den Staat gebunden, in der Freiheit ihrer Verkündigung beeinträchtigt werden könnte. Manche dieser Stimmen meinen, daß die Kirche alle Vorzüge, die ihr das Recht heute gewährt und in denen sie gewissermaßen verrostete Stützen sehen möchte, aufgeben solle, um in voller Unabhängigkeit wirklich "Volkskirche" werden zu können. Es ist leicht zu erkennen, daß der Ausgangspunkt dieser Empfindungen in jenen Vorstellungen liegt, die aus den Erfahrungen des Kirchenkampfes die Folgerung voller Lösung aller Bande zum Staate ziehen wollen. Das Leitbild dieser Strömungen ist die ganz aus eigener innerer Kraft lebende Kirche, die allen Elementen des Landeskirchentums, der Besteuerung, den Verträgen mit dem Staat, der kirchlichen Einwirkung auf den religiösen Unterricht in den Schulen, entsagen solle. Im Ergebnis wird damit ungefähr das gleiche gefordert, wenn auch von anderen Grundlagen aus, wie es die Trennung von Staat und Kirche fordert. Diese Stellungnahmen, die in dieser Entschiedenheit nur an einigen Stellen erklingen, gehen an dem missionarischen Auftrag der Kirche insofern vorbei, als sie die großen Möglichkeiten verkennen, die ihr in ihrer heutigen Lage gegeben sind. Hier wirkt wohl auch jene Vorstellung der Kerngemeinde ein, von der wir früher sprachen, die eher eine Verengung des Kreises der erwählten Kirchenglieder im Auge hat. Bedeutenden Einfluß auf diese Meinung hat aber auch ein idealisiertes Bild der Lage der Kirchen in Ländern des Trennungssystems, wobei naturgemäß an solche Staaten gedacht wird, in denen sie nicht Negation oder Zurückdrängung kirchlichen Wirkens, sondern eine Freigabe der Religionsgemeinschaften im Rahmen der verwirklichten Glaubensfreiheit und der allgemeinen Wirkungschance eines freien Gemeinwesens bedeutet. In erster Linie steht dabei die Lage in den Vereinigten Staaten vor Augen. Es kann gewiß nicht geleugnet werden, daß die christliche Gemeinde aus voller weltlicher Freiheit geistlichen Gewinn ziehen kann, stärkeres Selbstvertrauen gewinnen mag und vor Versuchlichkeiten geschützt ist, die jede gesicherte Position für den Menschen darstellt. Die heutige Lage in den USA ist indes das Erbe einer geschichtlichen Entwicklung, die völlig anders verlaufen ist als in Europa. Von Anfang an sammelten sich drüben diejenigen kirchlichen Richtungen, die in Europa
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oft benachteiligt oder verfolgt wurden und die daher den Charakter freier Bildungen betonten. Die Festlegung des "no establishment" in dem ersten Zusatz der Verfassung von 1790 entsprang der großen Verschiedenheit dieser Richtungen, die allein den Weg des staatlichen Abstandes, der Toleranz und Distanzierung als richtig erscheinen ließ. Erst in neuererZeitist im Zeichen des "wall of separation" (Mauer der Trennung) aus dieser Ablehnung eines Staatskirchenturns eine weitgehende Sonderung und Abstinenz des Staates gegenüber religiösen Richtungen geworden. Die Stärke des amerikanischen Kirchenturns aber beruht darauf, daß es sich in diesem System noch in einer Epoche entwickeln konnte, in der die Gesellschaft überwiegend religiös gestimmt war. Zudem besitzt das amerikanische Volk eine Gabe, die den Deutschen sehr viel weniger geschenkt ist: die Fähigkeit, sich freiwillig zu assoziieren, selbst tätig zu werden, Opfer für eine Gemeinschaft zu bringen. Die Übertragung dieses Systems auf die europäischen Länder, die weithin jedenfalls in Zentral- und Nordeuropa immer ein öffentliches, gesetzlich gestaltetes Verhältnis von Staat und Kirche gekannt haben, würde einen Bruch der Tradition, aber auch den Verzicht auf weite Möglichkeiten des Wirkens in sich schließen. Greifen wir ein Beispiel heraus, das heute gern verwendet wird, die Kirchensteuer. Von einer theologischen Sicht her ist das, was die Gemeinde für den Unterhalt des Gottesdienstes und seiner Diener und Einrichtungen gibt, immer unter die Kategorie des Opfers zu fassen. In der frühchristlichen Gemeinde wurde noch im Gottesdienst, dessen Liturgie die Erinnerung daran bewahrt, die Opfergabe (damals Brot, Öl, Wein) am Altar niedergelegt. Ein ganz auf freier Gabe beruhendes kirchliches Finanzierungssystem hat seine großen Vorzüge in starker Aktivierung der Gläubigen, aber auch seine Mißlichkeiten in dem großen Zeitaufwand der Diener der Kirche für diese Seite und in manchen personalen Abhängigkeiten. Auch die Kirchensteuer, wie wir sie kennen und der sich jeder durch den Austritt entziehen kann, enthält ein Moment der Freiwilligkeit, das vielleicht kirchliche Sitte einmal stärken und sichtbarer machen könnte. Darüber hinaus aber gehört zu jener europäischen Tradition einer in öffentlicher Stellung befindlichen Kirche vieles, was auch in den deutschen Kirchen ein Moment der Unabhängigkeit und der geistigen Stärke ausmacht, die freie unabhängige Stellung des Seelsorgers, die Möglichkeit karitativer und sozialer Dienste, der Reichtum der Lehre an den staatlichen theologischen Fakultäten. Alles in allem, man muß an denjenigen Stimmen, die zu einer vollen oder weitgehenden Aufgabe aller kirchlicher Rechte raten und dabei auf größere Freiheit und Wirkung hoffen, doch wohl einen Mangel an realem Blick und eine Außerachtlassung der Aufgabe der Kirche als einer missionierenden Kirche, die sich jener rechtlichen Möglichkeiten bedienen kann, feststellen. Der Gedanke der Freiheit derKirehe steht auch bei jenen Auffassungen voran, die in viel gemäßigterer Ansicht die Kirche keineswegs zur Auf-
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gabeihrer heutigen Stellung auffordern, aber sie eindringlich zur Selbstprüfung in einer gewandelten Situation aufrufen. Hier tragen den Zweifel zwei Momente: einmal die Erfahrung, daß in einer fortschreitend säkularen Gesellschaft die Kirche sich nicht auf einen bestimmten Besitzstand verlassen kann, den sie auch rechtlich einmal verlieren könnte; zum anderen aber der aus dem Blick eben auf die Rolle der Kirche in der Gesellschaft entnommene Gedanke, daß die Kirche weniger auf eine institutionell gesicherte Position, als auf die Früchte ihres geistigen Einflusses auf den einzelnen Menschen vertrauen sollte. Hier wird, vor allem auch in jüngeren Stimmen des katholischen Raumes, gefragt, ob nicht die Kirchen sich zu stark auf ein Festhalten und Verteidigen einzelner Rechte und Verbürgungen ohne Rücksicht darauf festlegten, ob sie noch wirklich von den Kirchen innerlich mit Leben erfüllt werden könnten. Stark wird hier die Religionsfreiheit in den Vordergrund gerückt. Jenseits des eigentlichen Glaubensbereiches, so sagt man, könnte die Kirche nur den gleichen Status wie andere Gruppen im Gemeinwesen beanspruchen. Dazu ebenfalls einige kritische Bemerkungen. Auch in dieser Sicht, die sich in der Formel der freien Kirche im demokratischen Gemeinwesen (Konrad Hesse) ausprägt, erblicke ich noch eine zu hohe Bewertung der Staatsfreiheit an sich. Es muß immer wieder betont werden, daß die freie Wirksamkeit der Kirche nicht mit dem Maße ihrer Lösung aus staatlicher Bindung zunimmt, sondern von einem bestimmten Punkte an eher abnehmen kann. Allerdings sollten sich die Kirchen in allem Ernste den hier anstehenden Fragen öffnen, in denen fruchtbare Überlegungen ihnen entgegentreten. Zum ersten sollten sie sich bewußt sein, daß die Kirche alle empfangene weltliche Sicherung stets nur entgegennehmen kann nicht wie einen Besitzstand, auf den man ein Vertrauen setzt, sondern wie eine Gabe, deren man sich um ihrer missionarischen Möglichkeitenwillen bedient, wie sie besteht, aber im Sinne des "Haben, als hätte man nicht". Auch sollte man gewiß nicht müde werden, unter der Sicherung immer die Freiwilligkeit, im Dienst wie im Opfer, zu entwickeln und damit die Abhängigkeit von bestehenden Vorzügen zu mindern. Zweitens aber darf man den Grundsatz aufnehmen, daß nur solche Vorrechte erhalten und bewahrt werden sollten, deren Rahmen die christliche Gemeinschaft noch lebendig gestalten kann oder in denen sie wenigstens einen fruchtbaren Anruf, eine Herausforderung für ein solches inneres Erfüllen erblicken darf. Es mag sein, daß der Mantel, in dem die Kirche heute steht, hier und dort für ihre Kraft zu weit geworden ist. Dann sollte man auch die Folgerung ziehen, mindestens solche Positionen nicht festzuhalten. Bei ruhigem Urteil wird man gewiß von einem vorschnellen Vorgehen abraten müssen. Aber das sollte nicht von einer ernsten Selbstprüfung entbinden. Sicherlich aber sollte sich die Kirche niemals dort, wo ihre eigene
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Ausstrahlung nicht mehr zureicht, staatlicher Stützen an deren Stelle bedienen; das würde den Weg des Klerikalismus einzuschlagen heißen. Drittens bedarf auch die Wirksamkeit der Kirchen im politischen Bereich des Nachdenkens. Das gilt in doppelter Weise. Einmal bedarf es eines rechten Verständnisses dessen, was man heute mit dem nicht glücklichen Ausdruck des "Öffentlichkeitsanspruchs" der Kirche benennt und was man besser die Wahrnehmung ihres mahnenden Amtes gegenüber den Verantwortlichen in den Mächten der Welt heißen kann. Es wird hier sehr auf eine Frage des Maßes und der Klarstellung des geistlichen Charakters des Zuspruchs ankommen, sowie auf die Verdeutlichung, daß es sich hier um ein seelsorgerisches Anliegen, einen Dienst am Gewissen handelt, nicht um ein Eingreifen, einen Hilfsdienst an der Welt. Viertens aber steht vor dem deutschen Protestantismus die Aufgabe, sich noch sehr viel eindringlicher um ein besseres Verständnis der Demokratie zu bemühen. Noch immer, so scheint mir, ist es der evangelischen Lehre nicht gelungen, ein rechtes inneres Verhältnis zu den Lebensformen eines nicht in einer höheren Autorität verfestigten, sondern auf dem freien Konsens aller aufgebauten Gemeinwesens zu finden. Das hat schon Weiterblickenden in der Weimarer Zeit Sorge bereitet. Die hier bestehenden Hindernisse sind tief begründet und reichen bis in die reformatorische Lehre zurück. Das Staatsbild der Reformatoren ist sichtlich noch das einer älteren Anschauung, die von der vorgegebenen Überordnung eines Regiments ausgeht, wie es auch im Begriff der Obrigkeit zum Ausdruck kommt, so sehr man diesen heute beweglicher und moderner interpretieren kann. Es fehlt in der deutschen evangelischen Tradition das Element der freiwilligen Bildung kirchlicher wie weltlicher Gemeinschaften, das den späteren Calvinismus im Zeichen des Gottesbundes so stark kennzeichnete und das die Freikirchen außerhalb Deutschlands, vor allem im angelsächsischen Raum, so entscheidend geprägt hat. In diesen Zusammenhängen liegen die Wurzeln auch der weltlichen Demokratie, die noch in der Kolonialzeit Nordamerikas in Vorstellungen einer gleichzeitigen Begründung einer christlichen Kirche und eines politischen Gemeinwesens sich äußert. Die bloße Übernahme eines autonomen Individualismus liberaler Prägung, die auf einem dem christlichen nicht entsprechenden Menschenbilde beruht, scheint mir für eine Lösung dieser hier anstehenden Probleme kein richtiger und fruchtbarer Weg zu sein. Ich darf am Ende einige Ergebnisse kurz zusammenfassen: 1. Zwar ist eine Neuformung des Verhältnisses von Kirche und Staat im Jahre 1949 unterblieben. Aber der Zustand ist deshalb nicht unbeweglich geblieben, hat sich vielmehr in mancher Richtung vor allem durch das Vertragsrecht fortentwickelt: Die Freiheit der Kirchen ist in
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größerem Maße hergestellt worden. Damit ist zugleich auch eine weitere Distanzierung zum Staate eingetreten. Auf der anderen Seite aber ist das ältere System staatlicher Kirchenhoheit überwunden und durch das Prinzip der freundschaftlichen Zusammenarbeit abgelöst worden. 2. Die verfassungsrechtliche Ordnung erhält die Kirchen in Anerkennung ihrer Bedeutung in und für die Gesamtheit in einem öffentlichrechtlichen Status. Damit hebt der Staat die Religionsgemeinschaften in ihrer besonderen Aufgabe und Sendung inmitten der pluralistischen Gesellschaft heraus, ohne sie in deren Formen einzufügen. Es wäre daher irrig, die heutige Entwicklung im Sinne einer fortschreitenden Trennung von Staat und Kirche zu deuten. Vielmehr bleibt ungeachtet der religiösen Neutralität des Staates ein Element der institutionellen und funktionellen Verbindung, der rechtlich unterbauten Kooperation erhalten. 3. In seinem Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften wird der Staat bestimmt durch den Grundsatz der Toleranz und der konfessionellen Neutralität. Mit diesen Prinzipien steht die Gewährung einer öffentlich-rechtlichen Stellung an die Kirchen nicht in Widerspruch; sie stellt vielmehr in der Gegenwart auch einen Ausdruck der Bedeutung der Kirchen inmitten einer pluralistischen Gesellschaft dar. Der säkulare Staat gewinnt auch von seiner Seite aus eine stärkere Distanz zu den Kirchen. Sie beruht sowohl auf dem Auseinandergehen des kirchlichen Selbstverständnisses mit seiner Betonung der Eigenständigkeit kirchlicher Ordnung wie auf den vom Staate noch teilweise festgehaltenen Momenten einer älteren, aus der Aufklärung stammenden Vorstellung, die dem Staat über alle Lebensformen seines Gebietes eine Hoheit zuweist. 4. Das Verhältnis von Staat und Kirche kann in der Gegenwart nur auf dem Hintergrund der weitgehenden Säkularisation des modernen Lebens verstanden werden. Sie ist für die Existenz der christlichen Gemeinde die entscheidende Gegebenheit, der gegenüber die Beziehung zum Staat nur ein Teilaspekt ist. Es liegt an der Christenheit, diese Lage nicht rein negativ als Zeichen des Niedergangs einer christlich geformten Gesellschaft, sondern aktiv im Sinne einer Herausforderung an die missionierende Kirche zu verstehen. 5. Indem die christliche Kirche auch im altchristlichen Raume Europas zur Diaspora geworden ist, steht sie vor einer gewissen Spannung ihrer traditionellen rechtlichen Stellung im volkskirchlichen Sinne und ihrer inneren Kraft zur Füllung dieses Rahmens. An diese Spannung knüpft heute eine Kritik an, die teils weitgehend eine Lösung vom Staate verlangt oder jedenfalls doch die Kirche zur Selbstprüfung der bestehenden rechtlichen Situation auffordert, die leergewordene Vorrechte nicht festhält.
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6. Eine Stellungnahme zu diesen kritischen Zweifeln muß von dem Auftrag der Kirche ausgehen, ihre Botschaft in dieser Welt zu verbreiten, und die rechtlichen Sicherungen, die die heutige Lage der Kirche bietet, auch im Blick auf die Möglichkeiten beurteilen, die dieser Rahmen der christlichen Verkündigung gewährt. Das Festhalten an der volkskirchlichen Überlieferung kann auch heute noch als ein Anruf, eine Aufforderung an die missionierende Kirche gerechtfertigt werden. Am Ende angelangt, mag manchen das Ergebnis meiner Überlegungen zu konservativ gegenüber den reformerischen Stimmen klingen. Aber ehe man aus Formen heraustritt, die in der Verfassung gegründet sind, in deren Rahmen sich in den vergangenen Jahren ein gutes Verhältnis des Staates zu den Kirchen hat erreichen lassen und die in Wahrung kirchlicher Freiheit weite Wirkungsmöglichkeiten eröffnen, bedarf es in der Tat der besonnenen Erwägung. Das schließt die Mahnung ein, die Tradition nicht einfach hinzunehmen, sondern in ernster Selbstprüfung auch immer wieder vom Boden des Auftrags der Kirche in einer säkularen Gesellschaft aus zu durchdenken. Im Rahmen der bestehenden Ordnung und unter ihr sollen auch neue Formen sich entfalten können. Wenn die evangelischen Christen ihre heutige Lage in der Bundesrepublik, in einem auf Recht und Freiheit gegründeten Gemeinwesen, im rechten Sinne aufnehmen, so werden sie sie nicht nur als einen ihnen zukommenden Vorzug, sondern vor allem als Anruf, als Forderung verstehen, dies Angebot eines gesicherten Standes zu ergreifen und den ihnen eröffneten Raum zu erfüllen mit der Verheißung der Verkündigung, dem paradigmatischen Zeugnis des Glaubens und der Liebe und dem Dienst am Menschen.
Wandlungen im Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland Einleitung: Das Bedürfnis nach Neuorientierung Es ist nicht schwer einzusehen, daß wir in der Entwicklung der Bundesrepublik an einer Wende stehen, mit der der Zeitraum abschließt, in dem der Wiederaufbau und die Sicherung der sozialen Ordnung im Vordergrund standen. Es heißt die bedeutende Leistung der letzten beiden Jahrzehnte nicht verkleinern, wenn man feststellt, daß in ihnen nach der tiefen und bis heute nachwirkenden Erschütterung aller politischen und moralischen Grundlagen in derZeit desDrittenReichs konservierende oder auch restaurative Kräfte einen beträchtlichen Einfluß besaßen. Es entsprach dieser Lage, daß sich nach 1945 das Verhältnis von Staat und Kirche noch einmal auf älteren, nur teilweise erneuerten Grundlagen konstituierte 1• Auch wenn man die radikalen Stimmen, die eine Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse fordern, auf ihr Maß zurückführt, so ist doch klar, daß wir in einem Zeitmoment stehen, in dem neue Fragen andrängen und in dem die bisherigen Lösungen einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Die Bewegung setzt dabei von verschiedenen Seiten ein. Das gilt auch für den Bereich des Verhältnisses von Staat und Kirche. Die neuen Tendenzen kommen hier auch aus dem kirchlichen Raume selbst, wo sich in beiden Konfessionen kritische Stimmen erheben, wie aus dem staatlichen Bereich, in dem nicht nur Einzelprobleme, wie vor allem die Gestaltung der Schule, zu Auseinandersetzungen mit der Kirche führen, sondern im Zuge sich wandelnder Auffassungen auch Grundsatzfragen der Relation von Staat und Kirche aufgeworfen werden. Das Staatskirchenrecht ist ein hochempfindlicher Bereich, der auf leise Schwankungen der geistigen und politischen Lage reagiert. Stärker als andere Gebiete des Rechts wurzeln seine Bestimmungen in der Geschichte und sind sie abhängig von den geistigen Strömungen der Zeit. WandAus: Staat und Kirche in der Bundesrepublik. Frankfurt a. M. 1968, S. 27- 59. (Schriften der Evangelischen Akademie in Hessen und Nassau. Hrsg. von Hans Kallenbach und Willi Schemel. Heft 77.)- Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Evangelischen Presseverbandes für Hessen und Nassau e. V., Frankfurt/M. 1 Auf gewisse restaurative Tendenzen der Entwicklung nach 1945 habe ich schon in: Kirche und Staat inderneueren deutschen Entwicklung, in: ZevKR 7 (1959/60) S. 252 f. hingewiesen.
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Iungen, die sich hier, in der geistigen, religiösen oder politischen Auseinandersetzung abzeichnen und die andere Rechtsmaterien erst allmählich erreichen und beeinflussen, werden im Staatskirchenrecht in der Regel rasch fühlbar. Der Parlamentarische Rat hatte 1948/49 nicht die Zeit und die Kraft, die schweren Fragen des Staatskirchenrechts anzugehen. So begnügte er sich damit, im wesentlichen die Weimarer Kirchenartikel in das Grundgesetz zu übernehmen. Die Auslegung hat, angefangen von der grundsätzlichen Äußerung von Rudolf Smend2 , gewiß den übernommenen Bestimmungen neue Linien zu entnehmen gesucht, und die Ordnung unter dem Grundgesetz weist - vor allem auch in ihrer vertraglichen Fortbildung - nicht unerhebliche Unterschiede zur früheren Zeit auf. Aber es bleibt auch richtig, daß die letzte Grunddebatte über staatskirchenrechtliche Fragen anläßlich einer Verfassungsgebung auf das Jahr 1919 zurückweist. Damals ist, unter der Teilnahme von Männern wie Wilhelm Kahl, Adolf v. Harnack, Friedrich Naumann, Gröber, eine ausgedehnte und tiefgehende Auseinandersetzung geführt worden, in der die Fragen der Trennung von Kirche und Staat, der Religionsfreiheit, der öffentlichrechtlichen Stellung der Kirchen und der Schule in vollem Umfang erörtert wurden3 • Im Grunde wiesen die damals verhandelten Probleme freilich schon weiter zurück. In den Debatten am Beginn unseres Jahrhunderts schon, die zwischen der liberalen Richtung und den stärker bewahrenden Strömungen geführt wurden, waren manche der danach anstehenden Fragen aufgeworfen worden. Nimmt man den Vortrag zur Hand, den Ernst Troeltsch 1906 in Heidelberg zum Thema "Die Trennung von Staat und Kirche, der staatliche Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten" gehalten hat', so sieht man, daß damals schon der Gedanke der Trennung hervortrat, die konfessionelle Gestaltung der Schule umkämpft wurde und die liberale Wissenschaftstheorie sogar die Stellung der theologischen Fakultäten im Rahmen einer Ansicht von der Voraussetzungslosigkeit wissenschaftlicher Arbeit in Zweifel zog. In Weimar gelang es, aufbauend auf einem Schulkompromiß der Parteien, eine Lösung zu erreichen, die Religionsfreiheit und weltanschauliche Neutralität des Staates sicherte, die Lösung der Kirche aus dem bisherigen kirchenhoheitliehen Nexus aber nicht zu eigentlicher Trennung auszog, sondern den Kirchen eine öffentlich-rechtliche Stellung und manche anderen Rechte erhielt, aber ihnen ein höheres Maß an Bewegungsfreiheit als früher gab. 1 Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, in: ZevKR 1 (1951) S. 4 ff. Vgl. zu diesem "letzten Versuch einer Statusbegründung der Kirche" nun Hans Maier, Kirche- Staat- Gesellschaft, in: Hochland 60 (1967/68) S. 202. 3 Siehe die Verhandlungen des VIII. Ausschusses (Verfassungsausschusses) der Nationalversammlung, Aktenstück Nr. 391, S. 188- 231. ' Ernst Troeltsch, Die Trennung von Staat und Kirche, der staatliche Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten, Tübingen 1907.
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Als man ohne eingreifende formale Änderung diesen Status 1949 in das Grundgesetz überführt hatte, hat Smend seine bekannte These von der verschiedenen Interpretationsmöglichkeit der gleichen Normen unter geänderten Verhältnissen entwickelt, und in der Tat ist ihm die Lehre 5 gefolgt und hat der rechtlichen Lage neue Deutungen gegeben. So fiel die noch in Weimar aus dem Körperschaftsbegriff gerechtfertigte Kirchenhoheit, so hat man die Linie der Eigenständigkeit, der Freiheit der Kirche vom Staat, stärker ausgezogen und stieß bis zu einer Theorie der Unabhängigkeit und Koordination der Kirchen im Verhältnis zum Staate vor 8 • Hier aber erhebt sich nun die Frage: Tragen diese Fundamente noch? In den letzten Jahren haben sich in zunehmendem Maße kritische Stimmen gegen die im Zeichen einer Koordination ausgearbeitete Sicht der Relation Kirche-Staat erhoben7 , und die Rechtsprechung hat in einigen Punkten bisher festgehaltene Auffassungen in Frage gestellt8 • Der Empfindung, die nach dem zweiten Weltkrieg die moralische Autorität der Kirchen zu stärken suchte, steht nun die zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft und das Aufleben laizistischer Strömungen gegenüber. Konflikte, wie sie lange Zeit fast ganz vermieden werden konnten, treten im Bereich der Schule zwischen einer Reihe von Ländern und der katholischen Kirche hervor und ziehen auch das Vertragskirchenrecht in Mitleidenschaft. Stellen sich hier neue Fragen, so öffnet sich andererseits im gleichen Moment auch die innerkirchliche Bereitschaft, die Lage neu zu überdenken. Das "aggiornamento" des Zweiten Vatikanischen Konzils weist der katholischen Meinung den Weg zur Selbstprüfung9 • Und ebenso& Vgl. etwa Konrad Hesse, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1945, in: JöR, N.F., Bd. 10 (1961) S. 23; siehe den überblick über die Rechtslehre, die hier fast durchweg folgte, bei ChTistoph Link, Verfassungsrechtliche Fragen zur Aufhebung der "Staatskirche", in: BayVBI. 1966, S. 300, Anm. 25. Zurückhaltend hingegen BVerfGE 6 S. 309 (343) (Konkordatsurteil), siehe aber jetzt BVerfGE 18 S. 219 f. • Hier kann verwiesen werden auf Siegtried Grundmann, Das Verhältnis von Staat und Kirche auf der Grundlage des Vertragskirchenrechts, in: ÖArchKR 13 (1962) S. 281 ff.; Altred Albrecht, Koordination von Staat und Kirche in der Demokratie, Freiburg/Br. 1965, S. 39 ff. 7 Zuerst schon Herbert Krüger, in: ZevKR 6 (1957/58) S. 72 ff.; Emst-Wemer Fuß, Kirche und Staat unter dem Grundgesetz, in: DÖV 1961 S. 737 ff.; Reinhold Zippelius, Kirche und Staat und die Einheit der Staatsgewalt, in: ZevKR 9 (1962/63) S. 42 ff., und vor allem Helmut QuaTitsch, Kirchen und Staat, in: Der Staat 1 (1962) S. 175 ff., 289 ff.; ders., Neuesund Altes über das Verhältnis von Kirchen und Staat, in: Der Staat 5 (1966) S. 455 ff. Eine Sammlung der wichtigsten kirchenrechtlichen Abhandlungen seit 1945 jetzt in: Staat und Kirchen in der Bundesrepublik, hrsg. von Helmut QuaTitsch u. Hermann Weber, Bad Homburgv. d. H.1967. 8 Hierzu meine Darlegung: Auseinandersetzungen und Tendenzen im deutschen Staatskirchenrecht, in: DÖV 1966 S. 145 ff.; Alexander HoUerbach, Das Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 92 (1967) S. 99 ff. ' Es mag genügen, hier vor allem auf die Darlegungen von Hans Maier, Kirche- Staat- Gesellschaft, in: Hochland 60 (1968) S. 202 ff., zu verweisen.
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wenig fehlen auf evangelischer Seite die niemals seit 1945 verstummten Stimmen, die an der Wiederbefestigung landeskirchlicher Ordnungen wie an der Festhaltung rechtlicher Vergünstigungen seitens des StaatesKritik üben 10 • Daß auch das äußere Bild, das die Kirchen inmitten eines Prozesses der Verweltlichung des Lebens und im Rahmen einer pluralistisch sich gliedernden Gesellschaft bieten, Wandlungen aufweist, wird niemand leugnen können. So erscheint es heute von vielen Seiten her geboten, die überkommenen und nach 1945 gebildeten Vorstellungen von der Position der Kirchen im weltlichen Gemeinwesen neu zu überdenken und zu prüfen. Das soll in drei Abschnitten geschehen, deren erster vor allem dem kirchlichen Selbstverständnis gewidmet ist, während der zweite das Staatskirchenrecht, wie es sich namentlich vom Staate her darbietet, ins Auge faßt, und der dritte endlich versucht, einige Ausblicke auf die weitere Entwicklung zu gewinnen. I. Kirche und moderne Welt Die tieferen Grundlagen staatskirchenrechtlicher Lösungen liegen stets in den allgemeinen Vorstellungen einer Zeit, dem Gewicht, das in ihnen der Theologie zukommt, von den theologischen Grundlehren über die Kirche und ihr Verhältnis zur Welt, und umgekehrt in der weltlichen Staatsidee und in der aus ihr abgeleiteten Sicht der Kirche. Betrachtet man die heutige Situation unter diesem weiteren Gesichtspunkt, so scheint sie in ihren allgemeinen geistigen Strömungen eher der Epoche zu Beginn dieses Jahrhunderts zu entsprechen als der dazwischenliegenden Spanne. Bis in die 20er Jahre hinein sahen sich die Kirchen einer starken liberalen und säkularen Richtung gegenüber, die auf eine Lösung der Verbindungen zwischen Staat und Kirche drängte und die sich in ihrer Betrachtung der Kirchen durchaus an die Meinung der Aufklärung anschloß, die in den Kirchen religiöse Vereinigungen der Gläubigen im Staate erblickte. Innerhalb der Kirchen selbst entsprach dem eine Richtung, die das Wirken der Kirche in die Welt hinein - als kulturelle und soziale Aufgabe - betonte. Demgegenüber traten schon in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts andere Bestrebungen hervor. Karl Barth löste die Vorstellung der Kirche aus ihrer Einbindung in Geschichtlichkeit und soziale Wirksamkeit und führte sie streng auf Offenbarung und Verkündigung zurück. In der Auseinandersetzung mit dem radikalen Laizismus der Zeit des Kirchenkampfes hat seine Lehre 10 In diesem Sinne seien drei neuere Einzelschriften der Kritik am bestehenden Kirchenturn der protestantischen Kirchen genannt: Götz Harbsmeier, In verrosteten Angeln?, München 1965 (Theologische Existenz heute, Nr. 129); Rolf-Peter Calliess, Kirche und Demokratie, München 1966 (Theologische Existenz heute, Nr. 133); Johannes Schlemmer, Geld und Geltung, München 1967 (Theologische Existenz heute, Nr. 142).
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wesentlich dazu beigetragen, der Kirche den Weg zu größerer Freiheit und Behauptung zu weisen11 • In anderem Sinn, aber übereinstimmend in der Ablehnung der Fragestellung aus dem ersten Viertel des Jahrhunderts, lenkte im lutherischen Denken die Besinnung auf die Gedankenwelt Luthers und der Reformation zu einer Auffassung der Kirche zurück, die ihre Scheidung von der Welt im Sinne der Zwei-Reiche-Lehre und damit auch wiederum ihre Unabhängigkeit vom Staate hervorhob. Freilich bestehen Unterschiede dieser beiden Richtungen, die beide nach 1945 für die Neugestaltung einflußreich wurden. Barth steht der reformierten Vorstellungswelt nahe und öffnet sich in der Betonung der Gemeinde als zentralem Ort geistlichen Lebens einer Sicht der Kirche, die eher dem westlichen Bilde freier kirchlicher Bildung Raum gibt. Die lutherische Auffassung hingegen bleibt in der Hervorhebung der Bedeutung des Amtes und der partikularen Kirchenbildung den überkommenen kirchlichen Formen näher. Die Entwicklung nach 1945 hat zur Wiederherstellung des Landeskirchenturns geführt. Das Erbe des Kirchenkampfes blieb freilich darin wirksam, daß in den Ordnungen, die sich die einzelnen Kirchen gaben, das geistliche Moment viel stärker ausgeprägt wurde und daß die Kirche nun dem Staate im Bewußtsein ihrer Eigenständigkeit und Unabhängigkeit begegnete. In der Fortführung des verfassungsrechtlichen Rahmens der Weimarer Zeit lag es aber, daß die Kirchen im Besitz der dort gesicherten öffentlich-rechtlichen Stellung und damit in einer Verbindung mit dem Staate blieben, die durch die Reihe der 1955 einsetzenden Kirchenverträge mit einzelnen Ländern im Sinne sowohl der Bereinigung gewisser Abhängigkeiten vom Staate wie der grundsätzlichen weiteren Zusammenarbeit bekräftigt wurde. Es sind diese Elemente der heutigen Stellung der Kirchen, die in der Gewährung staatsrechtlicher Vorteile durch den Staat und der Inanspruchnahme staatlicher fördernder Normen bestehen, gegen die sich eine innerkirchliche Kritik wendet, deren Gedanken sich gegen die Wiederbefestigung der Institutionen und das Verbleiben auf den staatsrechtlich gesicherten Positionen richten. Hier werden, in oft weitgehender Wendung, die öffentlich-rechtliche Stellung der Kirchen, vor allem aber die Kirchensteuer, endlich aber auch der Weg des Kirchenvertrages in Frage gestellt. Im Grunde steht den Autoren, die in dieser Richtung zu der heutigen Erscheinung landeskirchlicher Arbeit und Gestalt ihre Bedenken äußern, das Beispiel freikirchlicher Ordnung vor Augen, das 11 Zum Einfluß Karl Barths und den daraus abgeleiteten Lehren des Kirchenkampfes siehe Herbert Wehrhahn, Die kirchenrechtlichen Ergebnisse des Kirchenkampfes, in: Evangelische Theologie 7 (1947/48) S. 313 ff.; Ernst Wolf, Das Problem der Rechtsgestalt der Kirche im Kirchenkampf, in: ZevKR 8 (1961/62) S. 1 ff.; Eberhard Klügel u. Klaus Till, Artikel "Kirchenkampf. III. B. Barmer Erklärungen im einzelnen", in: Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart- Berlin 1966, Sp. 955.
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der Kirche größte Freiheit vom Staate, Bescheidung auf den Kreis der wirklich ihr zugehörigen Gemeinde und stärkere Glaubwürdigkeit ihres Auftrages geben soll. Es würde dieses Bild der innerkirchlichen Diskussion unvollständig lassen, würde nicht darauf hingewiesen, daß sich auch im Felde der Theologie Wandlungen vollziehen. Der 1945 weithin maßgebliche Einfluß der Theologie Barths ist seither durch die Auswirkung der Lehre Bultmanns abgelöst worden. Das bedeutet, daß - sehe ich recht Fragestellungen der Wahrheits- und Gottesfrage, wie sie eher am Beginn dieses Jahrhunderts erörtert wurden, heute wieder zur Aussprache stehen, freilich in eigentlicher Begrenzung auf die hermeneutischen Probleme, und mit einem Ausgangspunkt in der kerygmatischen Betrachtung, die die damaligen Ansätze der Theologie überwunden hat. Es darf aber hinzugefügt werden, daß diese Wendung des theologischen Denkens für unsere Probleme wenig ausgetragen hat. Ein Bild der heutigen innerweltlichen Stellung der Kirche wird von ihr nicht gezeichnet. Höchstens darin wirkt sie ein, daß sie in ihrem Ansatz die Neigung stärkt, von der Gemeinde Christi, vor allem von ihrer Botschaft, von ihrem missionierenden Auftrag her und eher in Anlehnung an frühchristliche Vorstellungen zu denken. Es ist nun an der Zeit, den Blick über die innerkirchliche Diskussion hinaus auf die allgemeine geistige Lage unserer Gegenwart zu richten. Als in den Jahren 1947-49 die Landesverfassungen und das Grundgesetz beraten wurden, stand man noch unter dem Eindruck des Zusammenbruchs und der Eindrücke der voraufgegangenen Zeit. Es war natürlich, daß die Kirchen, die im Kampfe gegen das Dritte Reich gestanden hatten, in ihrer Position gesichert und anerkannt wurden. Die Lage unterschied sich von der, in der sich die Kirchen zunächst nach der Revolution von 1918 gesehen hatten. Damals, so berichtet in einer Rede, die er 1931 zur Verfassungsfeier in Berlin hielt, Adolf Deißmann, trafen sich am 15. November führende Persönlichkeiten der evangelischen Landeskirchen, der Synoden, der Verbände und der Berliner Fakultät unter dem Eindruck des Endes der bisherigen Ordnung des landesherrlichen Regimentes der Kirchen und der Forderungen auf Trennung von Staat und Kirche 12 • Man nahm alsbald die Arbeit auf, um in der kommenden Verfassung eine angemessene Ordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche zu erreichen. In den eingehenden Beratungen der Nationalversammlung gelang es, zwischen den Befürwortern einer Trennung von Staat und Kirche und den politischen Kräften, die den Kirchen eine gesicherte Stellung im öffentlichen Recht zu erhalten wünschten, den Ausgleich zu finden, der in seinen Grundzügen nach 1945 wieder auf12 Vgl. Adolf Deißmann, Reichsverfassung und Kirchenverfassung. Akademische Rede, Berlin 1931, S. 4 f.
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genommen wurde. In den Erörterungen des Parlamentarischen Rates freilich begegnete die Bestätigung dieses Rechtszustandes - sehr rasch trat die Idee einer solchen Übernahme der Weimarer Artikel an die Stelle der zunächst vorgeschlagenen selbständigen Neufassung1s - zunächst Widerständen von sozialistischer und liberaler Seite, die vor allem föderalistische Bedenken gegen die Regelung dieser Fragen von Bundes wegen vortrugen. Aber eigentlich nur die den heutigen Art. 123 Abs. 2 G bildende Bestimmung über die l!~ortgeltung der Konkordate fand breitere Erörterung. Die Übernahme der Weimarer Artikel fand ohne größere und tiefere Aussprache Annahme 14 • Die seither verflossene Zeit hat gezeigt, daß die Ereignisse die Grundlinie der Entwicklung dieses Jahrhunderts nicht verändert haben. Die Kirchen haben ihre Position im Volke wieder aufbauen und auch festigen können, aber der Zug der Verweltlichung, der unser Zeitalter kennzeichnet, hat sich fortgesetzt. Der äußeren Ausgestaltung des kirchlichen Lebens in Bauten und Einrichtungen entspricht keine Erweiterung und Stärkung des Kreises der eng mit den Kirchen verbundenen Gläubigen. Im Gegenteil, er hat eher abgenommen, während sich freilich der weite Kreis der nur locker der Kirche verbundenen Bürger, die eine Bindung zu ihr zu erhalten wünschen, konstant zeigt. Aus diesen Kreisen kommt indes, sieht man von gelegentlichen Äußerungen zur Kirchensteuer ab, in der Öffentlichkeit keine starke Kritik am gegenwärtigen System. Aber längst ist inzwischen auch die Stimme der laizistischen Befürworter einer Trennung von Staat und Kirche vernehmbar geworden. Der Versuch, in die Vorschriften des Grundgesetzes das erstrebte Schema der Trennung hineinzudeuten, muß freilich einfach an den rechtlichen Aussagen scheitern15. Aber die aus dieser Richtung vorgetragenen Gedanken vermögen doch auf die Auslegung des Grundgesetzes einzuwirken. Das Bestreben, möglichst viel an Elementen der Trennung zu fixieren, die damit übereinstimmende Betonung der Neutralität des modernen Staates, eine Auslegung der Glaubensfreiheit vornehmlich im Sinne einer auf das Individuum abgestellten Abwehr religiöser Inanspruchnahme, hängen hiermit zusammen. Es wird bei der Erörterung der neueren Auslegung der Kirchenartikel darauf zurückzukommen sein. Es ist vor allem wiederum die innerkirchliche Diskussion, in der die veränderte Lage gesehen und aus ihr Folgerungen gezogen werden. 13 Der ursprüngliche, von SüsteThenn eingebrachte Antrag sah eine neugefaßte knappe Zusammenraffung der Art. 136-144 WeimRV vor. Vgl. KlausBeTto von Doemming, Rudolf WeTneT Füsslein u. Werner Matz, Entstehungs~eschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR, N.F., Bd. 1 (1951) S. 899 f. 14 Vgl. JöR, N.F., Bd. 1 (1951) S. 898 ff. 15 In weitem Ausmaß ist dieser Versuch unternommen bei ETwin FischeT, Trennung von Staat und Kirche, München 1964. Vgl. zur Kritik auch Konrad Hesse, Freie Kirche im demokratischen Gemeinwesen, in: ZevKR 11 (1964/65)
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Ohne jenen angeführten Rufen nach einer weitgehenden Aufgabe der jetzigen Stellung der Kirchen im Verfassungsrecht zu folgen, wird doch die Lage der Kirche und ihre künftige Entwicklung inmitten einer säkularisierten Gesellschaft und auf dem Boden der heutigen Tatsachen nüchtern und zugleich aus neuer theologischer Perspektive betrachtet. Der Zeitraum, in dem man die überkommene dualistische Sicht von Staat und Kirche als zweier großer Institutionen in ihren Relationen zueinander bewahren konnte, ist dahingegangen18. Die christliche Gemeinschaft ist nicht mehr mit den Völkern des Abendlandes gleichzusetzen, die Lage der Christengemeinde in ihnen ist im Grunde nicht wesensmäßig verschieden von der der christlichen Gemeinden in der nichtchristlichen, außerwestlichen Welt. Das macht es leichter, die Kirche in ihrem wesentlich geistlichen Leben zu verstehen, als die Schar der Gläubigen, die in dieser Welt zusammenleben und wirken. Die christliche Kirche wird als Minderheit in einer nicht mehr oder nur mehr schwach christlich geprägten Umgebung gesehen, deren Aufgabe vor allem die Verkündung der Botschaft, die Mission ist. Auch auf katholischer Seite, wo naturgemäß stärker die Tradition des Gegenüber von Kirche und Staat fortwirkt, wird in der Constitutio "Lumen Gentium" des II. Vaticanums der Begriff "societas", der dem besonders entspricht, zugunsten derjenigen des Leibes Christi und des Gottesvolkes zurückgedrängt, und die Kirche sogar als ecclesia peregrinans bezeichnet17. Aus dieser neuen Sicht, die sich heute in zur Selbstprüfung und Reform orientierten Kreisen beider Konfessionen durchsetzt, wird der Akzent nicht mehr auf die Verteidigung der Institutionen gelegt- so wenig diese, wie in manchen radikalen Stimmen, unterschätzt werden -, sondern auf die Sicherung des freien Wirkens der Kirche. Nicht Privilegien sollen verteidigt werden, sondern nur rechtliche Stellungen, die die Kirche wahrhaft innerlich und lebendig ausfüllen und aktiv gestalten kann. Der Kern der heutigen Auseinandersetzung wird nicht im Verhältnis zum Staate gesehen, sondern in der Auseinandersetzung mit einer säkular gewordenen Umwelt (Gesellschaft). In der Aufgabe, in dieser Welt die Botschaft zu verkündigen und zu verbreitern, liegt die Aufgabe der Kirche, und ihre rechtliche Sicherung im staatlichen Recht sollte vor allem von diesem Gesichtspunkt her, und auch in Erfassung 18 Daß die Gegenwart nicht mehr im Bilde einer dyarchischen Sicht von Kirche und Staat als umfassenden Institutionen gesehen werden kann, betont Konrad Hesse, Artikel "Kirche und Staat", in: Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart- Berlin 1966, Sp. 910. Martin Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL 26 (1968) S. 10 f., 50. 17 Vgl. Constitutio Lumen Gentium, in: Acta Apostolicae Sedis 57 (1965) S. 5 ff. Kap. II Art. 9, 12, 14, Kap. IV Art. 33, Kap. VII Art. 48. Zu dieser Wandlung in der Sicht der Kirche vgl. Edmund Schlink, Nach dem Konzil, MünchenHarnburg 1966, S. 74/75.
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der hier gebotenen pastoralen Möglichkeiten, verstanden und gewürdigt werden. Die Kirche ist zum Dienst an den Menschen gerufen, und von daher sind auch ihre institutionellen Fragen zu beurteilen18 • Ich glaube, mit diesen kurzen Hinweisen den entscheidenden Ausgangspunkt deutlich gemacht zu haben, von dem die Kirche selbst ihre rechtliche Position im Staate betrachten sollte. Sie sollte nicht als Institution denken, die Sicherung und Rechte anstrebt, sondern als Gemeinde Christi, die die freie Wirksamkeit für ihren Auftrag erstrebt und die gewährte Vorteile und Rechte als missionierende Kirche unter dem Blickwinkel ihrer Bedeutung für ihr Zeugnis und ihre Diakonie würdigt. Welche Folgerungen sich daraus für die Gestalt der Kirche in der Bundesrepublik ergeben, wird der Prüfung bedürfen. Zuweilen, so scheint mir, wird in der Debatte, im Blick vor allem auf das amerikanische Beispiel, zu rasch das Bild der Freikirche als das allein diesen Forderungen entsprechende Vorbild angenommen. Ehe wir darauf zurückkommen, erscheint es richtig, die bestehende Rechtslage und ihre neuerliche Bewegung ins Auge zu fassen. TI. Verfassungsrechtliche Grundlagen im Verhältnis von Kirche und Staat Die Stellungnahmen zum heutigen System des Staatskirchenrechts, die wir im vorhergehenden Abschnitt ins Auge faßten, stellten keine rechtlichen Aussagen dar, sondern Äußerungen sei es kirchlicher sei es weltlicher Auffassung über mögliche und wünschenswerte Fortbildungen. Der Fragenkreis des Staatskirchenrechts bedarf indessen auch einer Untersuchung der rechtlichen Grundlagen und ihr wenden wir uns nunmehr zu. Ungeachtet aller politischen Auseinandersetzungen stehen die verfassungsrechtlich verankerten Grundlagen des Verhältnisses von Kirche und Staat fest. Sie bilden den Ausgangspunkt für die rechtliche und tatsächliche Gestaltung der heutigen Lage und damit auch aller Überlegungen zur kommenden Entwicklung. Die maßgebenden Bestimmungen finden sich im Grundgesetz. Zwar weist die Zuständigkeitsverteilung der Verfassung die kirchlichen Angelegenheiten- wenn man von einigen Gebieten absieht, die Gegenstände der Bundesgesetzgebung berühren - in der Hauptsache den Ländern zu. Aber wie schon die Weimarer Verfassung gibt das Grundgesetz in einer Reihe von Artikeln der Landesgesetzgebung einen festen von ihr einzuhaltenden Rahmen. Damit gewinnt der Bund zwar keine Kompetenz für die Durchführung dieser Normen- höchstens aufsichtlich kann er sich für ihre Einhaltung 18 Für eine weitere Ausführung dieser Gesichtspunkte darf ich verweisen auf meinen Vortrag ,.Die Kirche im säkularen Staat", in: Im Lichte der Reformation, Jahrbuch des evangelischen Bundes, Bd. 10, Göttingen 1967, S. 1 ff., 15 ff.
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einsetzen - aber die Länder werden dadurch in entscheidenden Punkten an eine einheitliche normative Basis von Bundes wegen gebunden. In der Tat kommt daneben den oft umfangreichen Bestimmungen der Landesverfassungen zum Staatskirchenrecht nur geringe Bedeutung zu. Eigentlich nur hinsichtlich der Geltung der Kirchenverträge und vor allem für die Festlegung von Grundsätzen für die Schule haben sie eigenes Gewicht. Für diese letztere Materie hat aber wiederum das Grundgesetz in Art. 7 ebenso wie für das Staatskirchenrecht normative Grundlagen gelegt, die bereits wesentliche Grundentscheidungen enthalten. Änderungen der im Bundesrecht gelegten Grundlagen der Relation von Staat und Kirche im Wege der Verfassungsänderung sind kaum zu erwarten. Sie würden auchangesichtsihrer Bedeutung für die Bewegungsfreiheit der Länder bei diesen möglicherweise besonderen Widerstand finden; das wäre bedeutsam, da eine Verfassungsänderung auch im Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit finden muß. Die grundgesetzlichen Vorschriften sind auch bis heute nicht Gegenstand eines Konfliktes gewesen. Der einzige, den Bund berührende Streit im Gebiet des Staatskirchenrechts, der Prozeß um das Reichskonkordat, betraf das in Art. 123 Abs. 2 GG geregelte Problem der Geltung der Konkordate und hatte die föderale Frage der Aufsichtsführung des Bundes über die Vertragserfüllung durch die Länder zum Gegenstand. Anders liegt es in einigen Ländern, aber auch hier wiederum nur im Bereich der Schule. Hier sind in der Tat die Festlegungen mehrerer Landesverfassungen im Zuge der heutigen Auseinandersetzungen um die Konfessions- oder Gemeinschaftsschule in die Debatte einbezogen worden. Rheinland-Pfalz hat Art. 29 und Baden-Württemberg Art. 15 seiner Verfassung geändert, um dem zwischen den Landtagsparteien gefundenen Ausgleich den Weg zu öffnen1'. In Nordrhein-Westfalen und wohl auch in Bayern stehen solche Änderungen noch bevor. Aber vom Schulbereich abgesehen, sind auch in den Ländern die die Kirchen berührenden Bestimmungen keinen Tendenzen der Änderung ausgesetzt. Wandlungen im Staatskirchenrecht vollziehen sich daher in der Bundesrepublik nur innerhalb dieses bleibenden Rahmens. Sie beruhen nicht auf Änderungen des Rechts, sondern auf Änderungen seiner Deutung und Auslegung in Rechtslehre und Rechtsprechung. Und hier haben sich in der Tat,- im Gefolge eines gewissen Wandels der Anschauungen- in den letzten Jahren auch bei den Gerichten Zeichen eines Wandels der Anschauung ergeben. Das staatskirchenrechtliche System der Grundgesetzes ruht auf folgenden Grundlagen: a) Gewährleistung voller Religionsfreiheit und Toleranz, aus der sich weltanschauliche Neutralität des Staates ergibt; 11 Vgl. für Rheinland-Pfalz: Gesetz v. 10. 5. 1967 (GVBl. S. 137) und für Baden-Württemberg: Gesetz v. 8.12.1967 (GVBl. S. 7).
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b) Anerkennung der Freiheit der Kirchen in der Gestaltung ihrer Angelegenheiten im Rahmen einer Achtung der staatlichen Grundordnung; c) Anerkennung der Kirchen in ihrer öffentlichen Bedeutung und demzufolge Gewährung einer öffentlich-rechtlichen Stellung (Körperschaftsrecht) an sie mit bestimmten staatlich übertragenen Vorteilen (Besteuerung usw.). Es stellt demnach zwar ein System der Sonderung der Bereiche von Staat und Kirche dar, die jedem eine unabhängige Stellung gibt, aber es läßt einen Bestand an Verbindungen von Staat und Kirche bestehen, der ein gewisses Maß von Zusammenarbeit und Wirken auf gemeinsamen Gebieten festhält. Dies System ist in einzelnen Fragen durch die seit 1955 geschlossenen Kirchenverträge (ebenso wie die älteren Verträge) ergänzt und fortgebildet. Diese Verträge bringen keine Änderung der Grundzüge, aber die Lösung der Kirchen aus der staatlichen Aufsicht und eine Bereinigung mancher Verschränkungen beider Teile, begründen andererseits aber auch im Gebiet von kirchlicher Organisation, von Schule, Lehrerbildung und theologischen Fakultäten Formen des Zusammenwirkens und der gegenseitigen Einwirkung. Darüber hinaus haben die Kirchenverträge auch in ihren Präambeln die Zusammenarbeit von Staat und Kirche sowie die Eigenständigkeit und den Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen besonders hervorgehoben und damit Akzente einerseits in der Richtung gesicherter Freiheit der Kirchen, andererseits der fortbestehenden Verbindung zwischen Staat und Kirche gesetzt. Auf dieser Grundlage hat sich zunächst in der Lehre des Staats- und Kirchenrechts eine Lehre entfaltet, die das geltende Recht als Ausdruck einer Unabhängigkeit und Koordination der beiden Gewalten betrachtete. Sie ging von der Anschauung aus, daß in einer neuen Lage und in anderem Zusammenhang auch die übernommenen Artikel der Weimarer Verfassung, wie es Smend betont hatte, veränderter Interpretation zugänglich seien. Diese These ist heute allgemein angenommen, freilich trägt sie- ursprünglich zur Begründung größerer kirchlicher Freiheit herangezogen- einen ambivalenten Charakter. Änderungen der Anschauung können sich auch in anderer Richtung vollziehen. Eine bald weit verbreitete Lehre jedenfalls sah im heutigen Recht den Ansatz zu einer Koordination von Staat und Kirche, in der jeder Teil in voller rechtlicher Unabhängigkeit vom anderen seine Sphäre gestalte. Eigenständigkeit wurde als Ausgliederung aus der staatlichen Verfügung verstanden20. Gegen diese Ansicht bestehen indes, wie ich schon früher to Vgl. vor allem Konrad Hesse (der seine Auffassung seither geändert hat), Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, Göttingen 1956, S. 28 ff.; Siegtried Grundmann, Staat und Kirche in Bayern, in: BayVBl.
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betont habe, durchgreifende Bedenken. Es ist nicht zu erkennen, wie sie dem Gebot des Gehorsams gegenüber den weltlichen Gewalten entspricht, das die Kirche lehrt. Als historisches Gebilde in dieser Welt fordert die Kirche Freiheit für die Erfüllung ihres göttlichen Auftrages, aber sie entzieht sich nicht der Einordnung in das Gemeinwesen. Der moderne Staat aber, im Gefolge der Auffassungen der Aufklärung, die immer noch grundlegend sein Verhältnis zur Kirche bestimmen, ordnet alle sozialen Gemeinschaften seines Gebietes seiner Herrschaft ein und kennt zwar autonome Räume, in denen er die Bestimmung anderer Verbände achtet, aber keine ihm ganz entzogene Sphäre21 • Zwar hat die Koordinationsthese auch in die Rechtsprechung Eingang gefunden22 , aber sie hat in neuerer Zeit starken Widerspruch auf sich gezogen, der nun seinerseits wieder zu weit in der Betonung der von ihm verteidigten staatlichen Souveränität geht, der nunmehr etwa im Kirchenvertragsrecht die Befugnis zugesprochen wird, nicht nur - ein zutreffender Satz - durch Staatsgesetz Vertragspflichten zuwiderhandeln, sondern dadurch zugleich auch diese Pflichten beseitigen zu können 23 • Im Grunde erscheinen diese Auseinandersetzungen wohl seit den neuesten Untersuchungen überholt. Die Lehre der vollen Koordination von Staat und Kirche wird sich nicht behaupten und es wird andererseits klar, daß der Weg auch nicht in die kämpferische These einer vollen Verfügung des souveränen Gesetzgebers münden kann. Die Verfassung enthält besondere institutionelle Gewährungen für die Kirchen, die ihnen ein freilich nicht staatsfreies - Feld der Selbstbestimmung sichern und sie erkennt damit die Kirchen als Bestandteile der staatsrechtlichen Ordnung, mithin als mögliche Vertragspartner an. Es scheint mir im Ganzen, als ob die Auseinandersetzung um die Koordinationsthese doch mehr theoretischen Charakter trägt, so wesentlich klare Grundvorstellungen natürlich für jede Auslegungsfrage sind. 1962 S. 33 ff.; ders., Laizistische Tendenzen im deutschen Staatskirchenrecht?, in: Kirche und Staat, Festschrift für Hermann Kunst, Berlin 1967, S.126 ff. 21 Ich habe diese kritischen Gesichtspunkte schon in: Die staatskirchenrechtliche Tragweite des niedersächsischen Kirchenvertrages von Kloster Loccum, in: ZevKR 6 (1957/58) S.10 ff., geäußert. 22 Vor allem beim BGH (BGHZ 34 S. 372 und jetzt BGH, in: JZ 1967 S. 406), der daraus für das kirchliche Dienstrecht unhaltbare Folgerungen zum staatlichen Rechtsschutz gezogen hat. Die staatliche Souveränität wurde dagegen - wenn auch versteckt - betont im Konkordatsurteil des BVerfG (vgl. BVerfGE 6 S. 309 [344, 353] und meine Bemerkung hierzu in: Kirche und Staat inderneueren deutschen Entwicklung, in: ZevKR 7 [1959/60] S. 264 f.). 23 In diesem Sinne Helmut Quaritsch, Kirchenvertrag und Staatsgesetz Zum Problem der Einwirkung nachträglicher Verfassungs- und Gesetzesänderungen auf die von Staat und evangelischen Klrchen geschlossenen Verträge, in: Hamburger Festschrift für Friedrich Schack zu seinem 80. Geburtstag, Harnburg 1966, S. 125 ff. Dagegen meine Darlegungen: Kirchenverträge in ihrem Verhältnis zu Staatsgesetz und Staatsverfassung, in: Festschrift für Erich Ruppel, Hannover - Berlin u. Harnburg 1968, S. 312 ff.
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Die eigentlichen Wandlungen zeigen sich vielmehr in der Deutung bestimmter Problembereiche innerhalb des Staatskirchenrechts, die sich an bestimmte Rechtsnormen anschließen. Ich möchte zuerst hinweisen auf eine Neigung, den Satz des Art. 137 Abs. 1 WeimRV: "Es besteht keine Staatskirche" als eine Anordnung der Trennung von Staat und Kirche zu deuten, ihm ein Verbot jeder institutionellen Verbindung beider zu entnehmen (Ridder)2 4 oder ihn als "Grundsatzregelung" anzusehen25. In Wirklichkeit enthält diese Bestimmung rückwärtsgerichtet gegen das Landeskirchenturn nur die Untersagung bevorzugter Stellung einer Kirche im staatlichen Recht, besitzt aber nicht entfernt die Tragweite, wie man sie heute der "no establishment"-Klausel des Ersten Amendment der amerikanü:chen Verfassung gibt, die sich in der Tat in der Rechtsprechung zu einer Normierung der Trennung entwickelt hat26 • In der gleichen Richtung liegt es, wenn aus der weltanschaulichen Neutralität des Staates, die nur eine erläuternde Formel für die Enthaltung des modernen Staates von weltanschaulicher Stellungnahme darstellt, selbständige Folgerungen gezogen werden, die etwa jede Verbindung des Staates zu den Kirchen in Frage stellen. Die eingreifendste Akzentverschiebung aber scheint mir in jener Rechtsprechung zu liegen, die im Verhältnis zwischen Staat und Kirche zwar richtig die Grundregel des Art. 4 GG heranzieht, ihr aber im Verhältnis zu den institutionellen Bestimmungen den Vorrang gibt und die Religionsfreiheit nur als individuelles Abwehrrecht vor allem negativer Art ausdeutet. Sie tritt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch mehr nebenbei auf, hat aber große grundsätzliche Bedeutung. Das Gericht erkennt auf der einen Seite an, daß die in das Grundgesetz übernommenen Kirchenartikel der Weimarer Verfassung volle Bestandteile des Grundgesetzes geworden seien. Damit würden sie im Sinne einer koordinierenden Auslegung zusammen mit der Glaubensfreiheit des Art. 4 in wechselseitigem Bezug auszulegen sein. Stattdessen aber erhebt das Gericht Art. 4 GG zur übergeordneten Norm, indem es sich auf den Vorrang der Grundrechte als der elementaren Wertordnung des Grundgesetzes beruft27 • Diese Lösung befriedigt nicht. Sie zerreißt den Zusammenhang der staatskirchenrechtlichen Ordnung als einer Einheit individueller und korporativer Gewährungen, in der die Religionsfreiheit mit den sachlich-institutionellen Anordnungen ver24 Helmut Ridder, Artikel "Kirche und Staat", in: Staatslexikon, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, 6. Aufl., Bd. 4, Freiburg/Br. 1959, Sp. 1028. 2& Klaus Obermayer, Staatskirchenrecht im Wandel, in: DÖV 1967 S. 12. 18 Vgl. zur amerikanischen Auslegung des First Amendment Hermann-Wilfried Bayer, Das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche als Problem der neueren Rechtsprechung des United States Supreme Court, in: ZaöRV 24 (1964) S. 201 ff.; William H. Marnell, The First Amendment. The History of Religious Freedom, New York 1964, S.115 ff. 27 BVerfGE 19 S. 206 (219 ff.).
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schränkt ist. Die Hervorhebung der Glaubensfreiheit gestattet es, die institutionellen Vorschriften, die über Art. 140 GG inkorporiert wurden, doch wieder gegenüber einer weit ausgelegten Religionsfreiheit abzuwerten28. Damit verlagert sich aber ein Schwerpunkt staatsrechtlicher Interpretation auf Art. 4 GG und gibt diesem Artikel ein Übergewicht, das möglicherweise bestehende Sicherungen der Religionsgemeinschaften überspielen kann. Die Bedeutung dieser Entwicklung wird erst voll erkennbar, wenn man die einseitige Deutung berücksichtigt, die Art. 4 nicht nur in Teilen der Lehre, sondern auch - vornehmlich im hessischen Schulgebetsurteil211 -in der Rechtsprechung erfahren hat. Hier wird Religionsfreiheit ganz als negatives Abwehrrecht des Individuums gedeutet, dessen Gehalt vornehmlich im "Recht auf Schweigen", d. h. dem Recht, besteht, um der Freiheit des Nichtbekennenmüssens die Religionsübung anderer zu untersagen. Martin Heckel hat in seiner Kritik hier nicht mit Unrecht von einer Tendenz zu einem "laizistischen Establishment" gesprochen. Was hier verfehlt wird, liegt in zwei Richtungen. Einmal wird die Religionsfreiheit, wie ich an anderer Stelle versucht habe zu zeigen30, in ihrem Grundansatz mißverstanden, wenn man sie nur vom Individuum her sieht. So sehr sie natürlich ein Grundrecht jedes einzelnen ist, das sein Gewissen schützt, so sehr ist doch wirkliche Freiheit religiöser Gesinnung und Betätigung nur in der Gemeinschaft der gleichen Gläubigkeit oder Gesinnung möglich. Der Vertreter einer weltlichen Ethik oder Überzeugung mag in der Isolierung bestehen, religiöse Freiheit muß notwendig auch die korporative Freiheit der Gemeinde, das gemeinsame Bekennen und kultische Handeln einschließen, wenn sie wahre Glaubensfreiheit gewähren will. Historisch geht die korporativ gesehene Freiheit eines Glaubens der individuellen Gewährung voran. Die Erklärung über die Religionsfreiheit des II. Vaticanums erklärt zu Recht: "Die Freiheit als Freisein vom Zwang in religiösen Dingen, die den einzelnen zukommt, muß ihnen auch zuerkannt werden, wenn sie in Gemeinschaft handeln. Denn die Sozialnatur des Menschen wie auch die Religion selbst verlangt religiöse Gemeinschaften81 ." Die positive, volle Erfüllung der Religionsfreiheit weist auf diesen Weg. Nur auf diese Weise kann aber auch vom Boden der Religionsfreiheit aus echte Toleranz gewonnen werden. Könnte um des Nichtbekennens der eigenen Meinung willen der weltlich Gesonnene jede religiöse Bezeugung im öffentlichen Bereich hindern, so würde das Intoleranz, nicht Freiheit begründen. Nur im Blick zs Zur Kritik siehe Alexander Hollerbach, in: AöR 92 (1967) S. 113 ff. n Hess. StGHof, in: DÖV 1966 S. 51 ff. ao Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, in: DÖV 1967 S. 585 ff. st Declaratio de Libertate Religiosa, in: Acta Apostolicae Sedis 58 (1966) S. 929, Art. 4.; siehe im gleichen Sinne auch Angel Francisco CarriZZo de AZbornoz, Le Concile et la liberte religieuse, Paris 1967, S. 28, 91,149.
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auf Gruppen und ihr Verhältnis zueinander kann die Rücksichtnahme als Gehalt der Toleranz erschlossen werden, die vom einzelnen um der Rücksicht willen auch gewisse Einfügungen und Duldungen verlangen kann. Eine echte Duldsamkeit kann nur in gegenseitiger Rücksichtnahme der Bevölkerungsteile bestehen32• Zum zweiten aber ist es unrichtig, in der Religionsfreiheit die negative Seite des Nichtbekennens überzubetonen. Im gesellschaftlichen Leben lassen sich Akte der Nichtkonformität nicht vermeiden und sie sind ausreichend geschützt, wenn sie als solche garantiert sind. Nur unter besonderen Umständen wird es begründet sein, um der Verdeckung der Abweichung willen das Handeln anderer zu beschränken. Das Mißverständnis reicht hier im Grunde tiefer, in ein Denken, das Freiheitsrechte nur als Abwehr und Rückzug, nicht aber als gesicherten Raum freier Betätigung des Bürgers, als Freigabe, als Wirkungschance und Erfüllung der Person versteht. Es mag genügen, an einem besonders wichtigen Punkte die Tendenzen der neueren Rechtsprechung analysiert und kritisch betrachtet zu haben. Es läßt sich daraus erkennen, wie die Verfassungsinterpretation durch eine Verlagerung der Gewichte, durch Betonung des einen, Zurücklassen des anderen Moments Veränderungen, auch eingreifender Art, im Gefüge des Staatskirchenrechts hervorrufen kann. Ich möchte andere Fragen nur kurz erwähnen. In den in der Öffentlichkeit so stark beachteten Kirchensteuerurteilen ging es nicht um das Prinzip der Besteuerung an sich, das vom Gericht zutreffend in seiner verfassungsrechtlichen Verankerung anerkannt wurde, sondern um die Auswirkung des - an sich unbestrittenen- Grundsatzes, daß Kirchen nur ihre Angehörigen besteuern können, bei der Heranziehung von Ehegatten. Die Kirchen glaubten hier aus der engen Bindung der Ehe den Schluß gegenseitiger Haftung für die kirchlichen Abgaben ziehen zu können, das Gericht wandte den weltlichen Maßstab individueller Isolierung der Gatten in finanzieller Hinsicht an und lehnte die Haftung des der Kirche nicht angehörenden Gatten für den anderen und dessen Abgaben ab 33 • Da die Besteuerung eine vom Staate verliehene Befugnis darstellt, so ist die Anwendung des weltlichen Maßstabes der Würdigung der Ehebindung hier verständlich. Ernster zu nehmen ist wieder ein Nebenbei dieser Urteile, das die territoriale Heranziehung von Kirchengliedern, die in eine andere Kirche ziehen, in Frage zu stellen scheint. Hier kann die Selbstbestimmung im kirchlichen Mitgliedschaftsrecht in Mitleidenschaft gezogen werden, die innerhalb der Kirchengemeinschaft der EKiD- mit wenigen Ausnahmen- die nahe Verwandtschaft der Gliedkirchen im Bekenntnis eben durch diesen Vorgang der Aufnahme in eine andere Gliedkirche zwi32 33
Siehe auch MaTtin Heckel, in: VVDStRL 26 (1968) S. 9 ff. Vgl. die Urteile v. 14. 12. 1965, in: BVerfGE 19 S. 206 - 287.
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sehenkirchlich anerkennt und festgelegt hat34 • Es kann freilich nicht übersehen werden, daß hier auch innerkirchliche Fragen berührt werden, die die mangelnde kirchliche Gemeinschaft unter den Gliedern der EKiD betreffen. Wenn endlich die staatliche Rechtsprechung heute dahin neigt, stärker die Gleichstellung aller Religionsgemeinschaften zu betonen und denjenigen kleineren Gruppen, die Körperschaftsrechte erworben haben - und das sind die meisten -, gleiche Vorrechte wie den großen Kirchen bei Gebührenfreiheit und anderen solchen Begünstigungen zubilligtss, so wird eine solche schon in der Weimarer Verfassung angelegte Gleichstellung der großen Kirchen und der kleineren Gemeinschaften nicht ohne Kritik bei den ersteren aufgenommen. In der Tat erkennt aber die Rechtsprechung auch an, daß eine schematische Gleichbehandlung - man denke nur an Heranziehung in der Öffentlichkeit, Vertretung in öffentlichen Gremien usw.- nicht möglich ist und Differenzierungen, die die tatsächlichen Verschiedenheiten beachten, möglich sind. Darüber hinaus aber darf man auch fragen, ob hier nicht, gesehen vom Blickpunkt ökumenischer Öffnung und Zusammenarbeit, diese Tendenz der Rechtsprechung die großen Kirchen zutreffend in die Richtung einer Auflockerung und einer Anerkennung auch der kleineren Gemeinschaften weist. Auf einem letzten Gebiete endlich, dem der Schule, vollzieht sich die Entwicklung in erster Linie durch Änderungen der Gesetze und sogar der (Landes-)Verfassungen. Der Rechtsprechung fallen hier nur Probleme zu, die sich auf die Bedeutung der Religionsfreiheit und Toleranz in diesem Bereich beziehen. Man hat vom Boden jener die negative Seite überbetonenden Auffassung die These aufgestellt, eine öffentliche Bekenntnisschule widerstreite der Bekenntnisfreiheit, oder jedenfalls sei sie als Regelschule verfassungswidrig36 • Hier tritt wieder jene die individuelle Seite der Glaubensfreiheit allein betonende Ansicht hervor, die zugleich auch blind ist für den christlichen Eltern im Sinne einer weltlichen Normativität auferlegten Zwang und die Notwendigkeit verkennt, hier einen angemessenen Ausgleich verschiedener Gruppen und ihrer Anschauung zu finden, der nach Möglichkeit die Reibungen der Einordnung gering hält. Zu Recht hat daher die Rechtsprechung auch jenen Standpunkt abgewiesen und die in Art. 7 GG gegebene Freiheit der Gestaltung gewahrt37 • Es ist begrüßenswert, daß sich hier die Gerichte u Daß die Aufnahme der glaubensverwandten Zuwanderer in den bekenntnisverwandten Gliedkirchen der EKD nicht lediglich territorialem Denken entspricht, sondern auch theologisch in der Verbundenheit dieser Kirchen zueinander begründet werden kann, hat jüngst Günther Wendt, Gesamtkirchliche Verankerung des Mitgliedschaftsrechts in den Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: Festschrift für Erich Ruppel, Hannover- Berlin u. Harnburg 1968, S.129 ff., dargelegt. as Vgl. BVerfGE 19 S. 1 ff. zur Gebührenfreiheit der Neuapostolischen Kirche. ss Im letzteren Sinne Klaus Obermayer, in: DÖV 1967 S. 15/16, und ders., Gemeinschaftsschule, Auftrag des Grundgesetzes, München 1967, S. 16 f., 28 f. 37 Hier sind zu nennen: BVerfGE 6 S. 356- 358; 10 S. 136/37; BVerwGE 10 S. 137; 17 S. 269; 19 S. 259; BayVerfGHE 20 II S. 43f., ders. in: DÖV 1967
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jenem nicht unbedenklichen Trend unserer Zeit versagt haben, politisch erwünschte Aussagen in Verfassungsgebote umzudeuten. Gegenüber dieser Tendenz erscheint es heute geboten, im Sinne größerer Beweglichkeit, aber auch der Erhaltung echter Verantwortung des Gesetzgebers, den Spielraum, den die Verfassung gibt, der freien Entscheidung der Parlamente zu erhalten. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß sich in der Rechtsprechung zu einem gewissen Grade jene Akzentverschiebungen spiegeln, die das Staatskirchenrecht im Zuge neuerer Strömungen erfährt. Man findet in den Urteilen der letzten Jahre die Neigung, die Sonderung von Staat und Kirche stärker hervortreten zu lassen, den Akzent auf die Religionsfreiheit zu legen, die freilich noch nicht in ihrem vollen Gehalt erfaßt wird und deren Spannungsverhältnis zu den institutionellen Ordnungen oft einseitig im Sinne eines Vorrangs gesehen wird, und unter den Religionsgemeinschaften eine Gleichstellung entsprechend der weltanschaulichen Neutralität des Staates festzuhalten, wobei die Orientierung freilich besser an dem spezifischen Begriffe der Parität als am allgemeinen Gleichheitssatz genommen würde.
m.
Künftige Entwicklungen
Der Überblick über die Grundlagen der heutigen staatskirchlichen Ordnung und über die Kräfte, die in einer sich verändernden Umwelt auf Fortbildung oder weitergehend auf Reform drängen, läßt erkennen, daß in der Gegenwart kein endgültiger Stand der Entwicklung erreicht ist. Die Basis der gegenwärtigen rechtlichen Regelung erscheint schon etwas zeitlich und gedanklich zurückliegend. Ihre Konzeption beruht noch auf dem Bilde eines Ausgleichs gegenüberstehender Institutionen, deren Abgrenzung und Zusammenwirken in Einzelfragen zu regeln ist. Demgegenüber geht es heute eher darum, im Wege gesetzlicher oder vertraglicher Gestaltung durch den Staat den Raum religiöser Freiheit und kirchlichen Wirkens im Staate zu sichern und den Kirchen eine angemessene, ihrer Bedeutung im öffentlichen Bereich entsprechende Stellung zu geben. Die Umrisse einer neuen Ordnung sind aber noch keineswegs klar ausgebildet. Im Gegenteil, hier bestehen, in Gestalt der Forderung auf strikte Trennung von Staat und Kirche, als Idee einer "freien Kirche" oder im Bilde der Kirche als öffentlich bedeutsamer Gemeinschaft im Staate, sehr unterschiedliche Vorstellungen. S. 635 ff. Aus der Literatur sei hingewiesen auf Christoph Link, Artikel "Bekenntnisschule. III. Juristisch.", in: Evangelisches Staatslexikon, StuttgartBerlin 1966, Sp. 141 ff.; Siegfried Grundmann, Landschulreform und Bekenntnisschule, in: BayVBI. 1966 S. 37 f.; Paul Feuchte u. Peter Dallinger, Christliche Schule im neutralen Staat, in: DÖV 1967 S. 364 f.; Axel Frhr. von Campenhausen, Erziehungsauftrag und staatliche Schulträgerschaft, Göttingen 1967, S. 169.
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Es ist dennoch notwendig, vom Stande der heutigen Lage aus nähere Überlegungen zur kommenden Entwicklung anzustellen, an denen sieb staatliches und kirchliches Handeln orientieren kann. Der Anstoß zu Änderungen wird nicht vom Staate ausgehen. Es besteht für Bund und Länder kein Anlaß, solange die jetzige Verfassungsordnung besteht, eine neue Gesamtordnung im Verhältnis von Staat und Kirche ins Auge zu fassen. Die jetzige Regelung hat nicht zu Konflikten geführt. Eine Ausnahme bildet allein das Gebiet der Schule, wo heute Änderungen in einer Reihe von Ländern erforderlich werden. Sieht man genauer zu, so lassen sich tatsächlich alle seit 1945 entstandenen Spannungen zwischen Staat und Kirche auf diesen delikaten Bereich zurückführen, in dem die Interessen beider sich begegnen und überschneiden. Die Gedanken der Fortbildung werden daher wesentlich auch von den Kirchen selbst mit zu überdenken und zu klären sein. Man wird hierfür folgende Leitsätze aufstellen können: a) Es handelt sich nicht um eine grundlegende Neugestaltung der Ordnung von Staat und Kirche, sondern eher um Aufgaben der Anpassung und Fortentwicklung im Zuge der Wandlung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das schließt nicht aus, für eine weitere Zukunft auch neue Leitbilder vorschauend zu bedenken und zu entwickeln. b) Das Verhältnis von Staat und Kirche sollte weniger im Zeichen einer institutionellen Abgrenzung gesehen werden, wie als Aufgabe der Gewähr religiöser Freiheit und Festlegung einer angemessenen Stellung der Kirchen im modernen demokratischen Staate. c) In der Ausgestaltung der kirchlichen Stellung sollte der europäischen Tradition ihre Bedeutung bleiben, die die Kirchen auch in der Gegenwart noch als Bestandteile des öffentlichen Bereichs ansieht und in diesem Rahmen ihnen den Raum des Wirkens und der möglichen Kooperation mit dem Staat zuweist. Von der Seite des Staates stehen derzeit eigentlich nur zwei größere Fragen an: die Schule und die Wahl der rechtlichen Mittel der Fortentwicklung in Gesetz oder Vertrag. Was das Schulrecht anbelangt, so geht es heute um eine Überführung der kirchlichen Einwirkung in eine neue lockere Form. Für die evangelischen Kirchen liegen hier keine grundsätzlichen Schwierigkeiten. Sie haben zwar auf diesem Felde keine klaren eigenen Anschauungen in den letzten 20 Jahren entwickelt, sondern oft mehr reaktiv gegenüber den katholischen Forderungen und Setzungen agiert. Für die katholische Kirche hingegen liegt hier, im Sinne ihrer Vorstellung elterlicher Erziehungspflicht, wie sie auch das II. Vaticanum festhält38, ein grundlegendes Anliegen. Hier weichen die Anschauungen ae Declaratio de Educatione Christiana, in: Acta Apostolicae Sedis 58 (1966) S. 728. Hier wird in Art. 3 Eltern und Kirche der christliche Auftrag gegeben, in Art. 4 freilich auch der Anteil des Staates anerkannt und für den Staat vor
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beider Bekenntnisse voneinander ab. Die evangelische Kirche vermag die Gemeinschaftsschule, wenn sie dem religiösen Element den nötigen Raum gewährt, anzunehmen. Wie bei anderen Einrichtungen, billigt sie dem Staate hier eine entscheidende Gestaltungsmacht zu. Die Frage, vor der die evangelische Kirche steht, liegt mehr in der Wahl der rechten Form der Sicherung des christlichen Elements. Angesichts der erheblichen Variationsbreite des Begriffes "christliche Gemeinschaftsschule" bietet die Festlegung dieses Typs keine starke Gewährleistung, aber sie vermag im Hinweis auf eine ungefähre Anpassung der Lehrkräfte an den Bekenntnisstand der Schüler und im Moment der positiven Berücksichtigung des christlichen Erbes unserer kulturellen Überlieferung eine Stütze christlicher Erziehune zu bedeuten. Bei dem verfassungsrechtlich gesicherten Religionsunterricht wird es in erster Linie darauf ankommen, ob die Zusammenarbeit von Lehrern und Kirche hier eine wirksamere Ausrichtung der christlichen Botschaft bewirken kann, als dies heute leider vielfach hier der Fall ist. Bedeutsam wird es ferner sein, und hier begegnen sich beide Bekenntnisse, dafür einzutreten, daß das Schulmonopol des Staates gelockert, daß den Schulen in freier (privater) Trägerschaft ein größerer Raum bei angemessener finanzieller Förderung durch den Staat gegeben wird. In der Wahl der Mittel rechtlicher Fortbildung ist der Staat frei. Er kann sich des Gesetzes bedienen, er kann ohne legislativen Eingriff auf anpassende Interpretationen durch die Rechtsprechung hoffen, aber er wird dort, wo er bewußt neu gestaltet, gut daran tun, dies im Einverständnis mit den Kirchen zu tun. Die Verfechter der Staatssouveränität in der Rechtslehre möchten heute den Weg des Kirchenvertrages abwerten und einseitige staatliche Lösungen bevorzugen. Auch im innerkirchlichen Bereich sieht man im Kirchenvertrag auf evangelischer Seite gelegentlich einen Ausdruck des Privilegiendenkens. Ich möchte dem nicht folgen. Die Kirchen haben eine Stellung im öffentlichen Recht bewahrt. Es macht ein wesentliches Moment dieser Stellung aus, und ist auch verfassungsrechtlich im Bund (Art. 123 II GG) wie in vielen Ländern anerkannt, daß die Kirchen öffentlich-rechtliche Vertragspartner des Staates bilden. Die Kirchen stehen, davon wird noch zu sprechen sein, in der Gegenwart nicht allein im Staate in solcher Position. Parteien, Gewerkschaften, Interessenverbände erhalten heute, in Verfassung, Gesetz oder Erlaß, eine Stellung der Mitwirkung und Mitsprache im öffentlichen Bereich. Manche sie betreffende gesetzliche Regelung ist materiell mehr ein Ergebnis der Unterhandlung als der einseitigen Anordnung. Daß für die Kirchen hier die Vertragsform gewählt wird, entallem die Gerechtigkeit der Mittelverteilung im Sinne einer freien Wahl der Eltern betont (Art. 6). Die öffentliche Bekenntnisschule als singuläre Erscheinung in Deutschland wird nicht erwähnt. Vgl. hierzu den Konzilskommentar von Bischof Pohlschneider, in: Das II. Vatikanische Konzil, hrsg. v. Suso Brechter OSB u. a., Bd. 2, Freiburg/Br. 1968, S. 381 f.
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spricht ihrer besonderen, auf ihrem geistlichen Auftrag beruhenden Situation und der damit zusammenhängenden Natur der vertraglich geregelten Gegenstände. So erscheint der Kirchenvertrag (Konkordat) auch heute nicht als notwendiges, aber als legitimes und geeignetes Mittel einvernehmlicher Regelung gemeinsamer Fragen zwischen Kirche und Staat. Dabei bleibt es freilich Voraussetzung, daß auch von kirchlicher Seite die Brücke gemeinsamer Rechtsbildung anerkannt bleibt, die kirchliches Recht und staatliches Recht, die beide für die gleichen Menschen in dieser Welt gelten sollen, verbindet. Ein Wort der Warnung vor einer allzu weitgehenden Spiritualisierung kirchlichen Rechts, die seiner Aufgabe, in hoc saeculo zu wirken, nicht gerecht wird, mag darum hier angebracht sein. Eine Forderung wird allerdings hier zu betonen sein. In allen Kirchenverträgen finden sich Klauseln, die in künftigen Streitfällen freundschaftliche Einigung der Partner vorsehen. Es sollte den Kirchen ein ernstes Anliegen sein, sich auch der Anpassung des Vertragsrechts nicht zu verschließen und es nicht zum Mittel des Festhaltens vergangener Positionen werden zu lassen. Nur dann kann der Vertrag ein lebendiges Werkzeug staatskirchenrechtlicher Gestaltung bleiben. Es wäre endlich auch erwünscht, daß zwar die vertraglichen Instrumente für beide Bekenntnisse gesondert gestellt werden, aber ihr Inhalt doch sorgsam auf das Verhältnis zu beiden Kirchen ausgerichtet würde. Aus der Fülle von inhaltlichen Fragen, über deren Neugestaltung gesprochen werden könnte, möchte ich nur drei herausgreifen: Öffentlichrechtliche Stellung der Kirche, Religionsfreiheit, Selbstbestimmung. Auch hier mögen einige Grundthesen vorangeschickt sein: a) Es ist Gemeingut reformerischen Denkens in beiden Kirchen, daß es für die Kirchen gilt, sich von einem bloßen Festhalten an Vorrechten und Vorzügen freizumachen, ein Denken in Privilegien und Rechten zu meiden. b) Insbesondere sollte die Kirche sich hüten, staatliche Hilfe und Förderung dort zu nehmen, wo sie aus eigener Kraft einen Raum menschlichen Lebens nicht mehr ausfüllen und formen kann. Staatliche Hilfe im religionsleer gewordenen Bereich bringt keinen Segen. c) Für die Beurteilung öffentlicher Positionen und staatlicher Gewährungen darf die Kirche auch ihre Bedeutung für den missionarischen Auftrag in Rücksicht nehmen. Kirchliche Rundfunksendungen, der Religionsunterricht in der Schule, die theologischen Fakultäten und die Anstaltsseelsorge können daher, wie andere Formen der Verbindung zum Staate, auch unter diesem Gesichtspunkt gewürdigt werden. Stets aber sollte die Kirche nur das an staatlich gewährten Möglichkeiten fordern, was sie ihrerseits auch mit Leben erfüllen kann.
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Betrachtet man unter diesen Leitsätzen die öffentlich-rechtliche Stellung der Kirchen, so mag manches daran als von geringerem Gewicht erscheinen. Daß die Kirchen Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, ist eine Chiffre für bestimmte staatliche Berechtigungen, aber ihre rechtliche Stellung hängt nicht davon ab. Das geltende Recht knüpft zwar manche Gewährungen, wie Gebührenfreiheit, Besteuerungsrecht usw. an diese Eigenschaft, aber das ist keine zwingende Verbindung. Es wäre aber voreilig, daraus den Schluß zu ziehen, es sei ohne Bedeutung, daß die Kirchen eine Stellung im öffentlichen Recht einnehmen. Der Gedanke, die Religionsgemeinschaften auf die Stufe eines privaten Vereins zu stellen, ist ein grundlegender Bestandteil des laizistischen Trennungssystems im liberalen Stile des 19. Jahrhunderts. Paßt aber dies Schema noch in unsere Zeit? Im Grunde beruht die Verweisung der Kirche in den privaten Bereich auf einem überholten Unterschied von Staat und Gesellschaft, wobei die letztere mit dem privaten Raum gleichgesetzt wird. Es liegt darin ferner die Zuweisung der Religion in die individuelle Sphäre, also die grundsätzliche Verkennung des gemeinschaftlichen, korporativen Charakters religiösen Lebens und religiöser Freiheit. Im modernen Leben, das im Gegensatz zum liberalen Vorstellungskreis steht, der sich in der Antithese Staat-Individuum erschöpft, haben die Gruppen ihre eigene Bedeutung. Sie ragen hinein in jenen Bereich des öffentlichen Lebens, in dem von Gewerkschaften, Parteien, Verbänden soziale und politische Fragen geformt werden. Sollte es nun, wo die Kräfte einer pluralistischen Gesellschaft in dieser oder jener Form rechtlich als Bestandteile des öffentlichen BereiChs anerkannt werden, manche, wie die Parteien, verfassungsrechtlichen Status erhalten, angemessen sein, den Kirchen, die als Gruppen innerhalb des Volkes aber auch Träger eines einzigartigen Auftrages am Menschen sind, ihr Gewicht und ihren weiten Einfluß haben, aus dem öffentlichen Bereich auszuschließen? Liegt nicht in ihrer öffentlichrechtlichen Stellung eine Anerkennung ihrer Aufgabe im Leben der Gesamtheit, die ihnen zu Recht einen Status, aber auch eine Verantwortung gibt? Es ist bezeichnend, daß in benachbarten Ländern, in Österreich wie in der Schweiz, die öffentlich-rechtliche Stellung der Kirchen noch heute gesetzlich - hier auf die Protestanten, dort, z. B. im Kanton Zürich 1963, auf die Katholiken- ausgedehnt wird. Unter den öffentlich-rechtlichen Vorrechten der Kirchen ist eines, das heute gern von Reformern beiseitegerückt wird: das vom Staate verliehene Besteuerungsrecht. Auch hier scheint mir eine ruhige Prüfung und überlegtes Handeln geboten. Daß theologisch die Steuer anstelle des freiwilligen Opfers Bedenken birgt, daß sie heute manchen als Moment kirchlicher Unglaubwürdigkeit erscheint, das bedarf keiner Ausführung. Aber bringt das System freiwilliger Abgaben, das - wie wir aus Amerika wissen- auch in ein System der Zusagen und der "Einhebung" gebracht werden muß, wirklich so viel Vorzüge? Macht es 17 Seheuner
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nicht den Prediger abhängig von großen Geldgebern in der Gemeinde, bindet es nicht allzuviel Kraft des einzelnen Pfarrers? Bis in die Wertung seelsorgerliehen Handeins am "Ertrage" hinein liegen auch dort Versuchungen. Man sollte doch wohl eher danach streben, das Element der freien Gabe in unserem System zu stärken, etwa indem man durch Unterrichtung der Pflichtigen über die Verwendung ihr Verständnis mehrte und indem jedenfalls Mitwirkung und Kontrolle des Laienelements bei der Beschlußfassung über den kirchlichen Haushalt erkennbar würde. Hier ist manches schon unternommen worden, aber es dürfte hier sicherlich Anlaß sein, weitere Versuche anzustellen. Daß bei einer kürzlichen Testbefragung nur die Hälfte der Pflichtigen Höhe und Erhebungsart der Kirchensteuer billigten, gibt zu denken.
Konrad Hesse hat in seinem bekannten Aufsatz "Freie Kirche im demokratischen Gemeinwesen" 38 die Meinung vertreten, es werde hinfort stärker auf die Religionsfreiheit, als auf die in der Vergangenheit vorwiegenden Grenzziehungen und institutionellen Sicherungen ankommen. Das hängt teilweise mit seinem im Ende auch freikirchliche Formen ins Auge fassenden Ausblick zusammen, aber ich stimme ihm in erheblichem Maße zu. Es wird allerdings nötig sein, zu erkennen, daß Religionsfreiheit nicht, wie heute oft fälschlich angenommen wird, allein ein Abwehrrecht individuellen Charakters ist, sondern eine allgemeine, die Gemeinschaft der Bürger begründende Aufgabe gegenseitiger Achtung und freien Zusammenlebens hat. Auch vom Staate her muß sie im Sinne der Anerkennung aktiver Erfüllung dieser Freiheit durch religiöses Leben verstanden werden, nicht als Ausklammerung der Religion, als Verdrängung ins individuelle Gewissen und in den Privatbereich. Art. 4 GG ist zuallererst eine Bürgschaft positiver religiöser Freiheit, ungestörter Betätigung der ihrem Wesen nach öffentlich bekennenden und wirkenden Religionsgemeinschaften. Ebenso wie die Religionsfreiheit ist auch das Problem kirchlicher Selbstbestimmung nicht eines, das neuer gesetzlicher Gestaltung bedürfte, sondern in dem es auf ein erneutes richtiges Verständnis der bestehenden Grundlagen ankommt. Ich habe an früherer Stelle dargelegt, daß die nach 1945 entwickelte Lehre von der vollen Unabhängigkeit kirchlicher Gestaltung vom Staate im kirchlichen Raum - im Grunde haben hier die evangelischen Autoren doch wohl einen im katholischen Denken der beiden societates perfectae wurzelnden Gedanken aufgenommen- der christlichen Aussage vom Verhältnis von Kirche und weltlichem Regiment nicht gerecht wird und auch dem staatlichen Selbstverständnis zuwiderläuft. Es wird wohl in der Tat richtiger sein, im Verhältnis von Staat und Kirche nicht nach einer Grundformel der Abgrenzung zu suc.~en, sondern zu erkennen, daß die Kirche wohl ihren su
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inneren geistlichen Auftrag hat, in dem sie sich weltlichem Gebot immer entziehen muß, daß sie aber in weiten Feldern ihres Wirkens innerhalb der staatlichen Rechtsordnung lebt, und daher ihre Einfügung in diese unter Wahrung ihrer Freiheit mehr ein Problem differenzierter Abstimmung ist. Darum geht die neueste Deutung der Formel des Art. 137 Abs. 3 WeimRV von der Bindung an das "für alle geltende Gesetz" über die Auslegung von Johannes Heckel und ihre Derivate nun hinaus. Im Grunde gelten hier Abstufungen. Der eigentlich religiöse, kultische und geistliche Bereich wird nur Bindungen der staatlichen Ordnung von grundlegendem Gewicht für das Gemeinwesen unterworfen werden können. Die kirchlich erlaubte Doppelehe oder die religiöse Ablehnung jeden, auch des lebenswahrenden, operativen Körpereingriffs kann der Staat nicht dulden. Dort aber, wo die Kirche als Gemeinschaft in die Welt hineinwirkt, wird sie sich stärker der allgemeinen Rechtsordnung einfügen müssen, vor allem dort, wo sich allgemeine staatliche Gebote und im administrativen Außenbereich liegende kirchliche Funktionen begegnen. Der Angestellte eines kirchlichen Krankenhauses untersteht dem Arbeitsrecht, so wenig dies etwa für Arbeitszeitregelung oder betriebliche Mitbestimmung in einem Kloster anwendbar wäre. Religionsfreiheit und Selbstbestimmung der Kirchen, untereinander auch eng zusammenhängend, stellen demnach Fragenkreise dar, in deren Umkreis dem tieferen Verständnis wie der Neubesinnung noch vieles geöffnet bleibt. Auf beiden Gebieten ist Raum für eine Auslegung der staatskirchenrechtlichen Ordnung, die über die heutigen Linien hinausführen kann. Es ist nicht leicht, für das geltende System des Staatskirchenrechts eine zusammenfassende Kennzeichnung zu finden. Ulrich Stutz hat einst von "hinkender Trennung" gesprochen, aber es bleibt zu bemerken, daß "Trennung", jedenfalls im Verstand einer Verweisung aus dem Bereich der öffentlichen Anerkennung und Bedeutung, nicht das Signum des geltenden Systems darstellt. Eher könnte man von gelockerter Verbindung, von einer Ordnung freier Zusammenarbeit sprechen. Wohin aber werden sich in Zukunft die Linien ausziehen? Unter der Geltung des Grundgesetzes wohl nicht in der Richtung voller Trennung, wie es dem Denken laizistischer Gruppen vorschwebt. Könnte aber nicht doch eine Ordnung als weitere Stufe der Entwicklung in Frage stehen, in der die öffentlich-rechtliche Position aufgegeben, die Bindungen zum Staat weiter gelöst oder gelockert, und damit der Weg zur freien Kirche betreten würde? Die Formel der "freien Kirche" ist nicht ganz bestimmt. Hesse versteht darunter nicht die Trennung oder eine freikirchliche Form, wohl aber ein Zurücktreten der institutionellen Sicherungen zugunsten einer Begründung der Stellung der Kirche in der Religionsfreiheit. Er zielt also nicht auf eine Änderung des bestehenden rechtlichen Status, aber auf seine Neuinterpretation vor allem im Handeln der Kirche ab. 17•
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Anderen Kritikern der bestehenden Situation schwebt dagegen unverkennbar der Übergang zu einer freikirchlichen Gestaltung vor. Es ist das Beispiel der Vereinigten Staaten, das in allen diesen Vorstellungen vor Augen steht. Dort ist gewiß, in einem Verhältnis freundlicher Trennung von Staat und religiösen Gemeinschaften, auf dem Boden der demokratischen Freiheitsrechte eine aus eigener Kraft gesicherte Existenz der Religionsgemeinschaften erreicht40 , aber das ist ein Zustand, der langsam, und schon im 19. Jahrhundert gewachsen ist, und der übrigens in seiner heutigen Form keineswegs schon mit dem Ersten Amendment von 1791 gegeben war. Der Abbau staatskirchlicher Präferenzen in den Einzelstaaten zog sich ein halbes Jahrhundert hin und der Aufbau des Trennungswalls in seiner jetzigen strengen Form, vor allem mit Wirkung auch für die Einzelstaaten, ist eine Entwicklung des letzten halben Jahrhunderts, und mag in seinen jüngsten Ausprägungen bereits als ein Zeichen säkularisierender Tendenzen angesehen werden41 • Es bleibt die Frage, ob die Übertragung der amerikanischen Formen der andersgearteten europäischen Tradition, in der die Relation von Kirche und Staat dem öffentlichen Recht und damit zugleich auch klarer gesetzlicher Formung überantwortet wird, gerecht würde. In Frankreich ist die Trennungswelle von 1905 längst einer Lage gewichen, in der sich neue rechtliche Verbindungen von Staat und Kirche geknüpft haben. Auch nach einer anderen Seite erheben sich hier Fragen. Das Kirchenwesen der amerikanischen Kolonien ist von Anfang an geprägt gewesen von dem Bilde einer kongregationalistischen Kirchenauffassung, von einer Kirche der freiwilligen Vereinigung. Ihr entspricht die freikirchliche Situation der amerikanischen Denominationen. Die Traditionen der deutschen Kirchen, zumal der lutherischen, mit ihren Anschauungen von Amt und Leitung, würden sich in einer freikirchlichen Existenz tiefer Wandlung ausgesetzt sehen42• So scheint mir bei einer abwägenden Beurteilung der künftige Weg in der Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirchen in der 40 Die deutsche Diskussion ist in neuer Zeit namentlich von dem eindrücklichen positiven Bilde eines freien Kirchenwesens beeindruckt worden, das Albert Victor Murray gezeichnet hat: The State and the Church in a Free Society, London 1958. Zur amerikanischen Lage siehe John Courtney Murray, Das Verhältnis von Kirche und Staat in den USA, in: Das Verhältnis von Kirche und Staat, Würzburg 1965, S. 49 U. (Studien und Berichte der Katholischen Akademie in Bayern, Heft 30). 41 Die langsame Vollziehung des disestablishment und die erst mit dem Urteil Meyer v. State of Nebraska (1923) 292 US. 390 vorgenommene Erstrekkung des Ersten Amendment auf die Einzelstaaten (über das Vierzehnte Amendment) ist eingehend dargelegt bei WiUiam H. Marnell, The First Amendment. The History of Religious Freedom, New York 1964, S. 115 ff., 163 ff. 42 Die Eigenart der Voluntary Churches in der calvinistisch-amerikanischen Tradition ist Gegenstand neuerer amerikanischer Arbeiten. Siehe vor allem den Sammelband von Aufsätzen: "Voluntary Associations", der John Luther Adams 1966 von seinen Freunden gewidmet wurde (Richmond, Virginia).
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Bundesrepublik nicht in die Richtung freikirchlicher Trennung zu weisen. In den Ländern der europäischen Überlieferung dürfte es angemessener sein, den Status einer öffentlich-rechtlichen Stellung, in dem mit der Anerkennung der öffentlichen Bedeutung der Kirchen zugleich das Moment ihrer näheren Einordnung in die Gesamtheit Gestalt erhält, zu behalten. Dieser Status würde aber, auch bei Erhaltung seiner jetzigen Rechtsgrundlage, sich von der Form dyarchischer Institutionenabgrenzung hinweg und zu der Konzeption einer in ihrer Freiheit und Selbstbestimmung gesicherten Entfaltung kirchlichen Wirkens im Staate orientieren. Das schlösse auch im weltanschaulich neutralen Staate keineswegs die Erhaltung von Verbindungen von Staat und Kirche aus, die der Aufgabe und Bedeutung der Kirchen im Volke entsprechen und deren Art und Maß gerade durch die öffentlich-rechtliche Gestaltung begrenzt und offengehalten werden kann. So führt uns am Schlusse die Überlegung wieder zu der Einsicht, daß nicht eine völlige Neuordnung, sondern eine Fortentwicklung und Anpassung der Weg ist, den die kommende Zeit in der Bundesrepublik beschreiten sollte. Das legt allen beteiligten Kräften, dem Gesetzgeber, der Rechtsprechung, vor allem aber den Kirchen selbst, die Aufgabe auf, an dieser Neubesinnung und Fortentwicklung mitzuwirken, die Fragen immer wieder zu überdenken und, wo nötig, auch vor Neugestaltungen des Gesetzes oder der Kirchenverträge nicht zurückzuschrecken. Die Kirchen vor allem, das kann hier nicht mehr ausgeführt werden, werden Folgerungen auch für ihr eigenes Verständnis und für ihr inneres Leben zu ziehen haben. Die Formen einer hierarchischen Ordnung oder, evangelisch gesprochen, einer Amtskirche werden neueren offeneren Formen Raum zu geben haben, die auch der Aktivität der Laien breiten und wesentlichen Anteil geben. Bestehende Einrichtungen werden im Sinne einer in Freiheit wirkenden, einer sich selbst als missionierende Kirche empfindenden christlichen Gemeinde auf ihre Wirkungskraft zu prüfen sein. Auf evangelischer Seite wird es darum gehen, über den Institutionen der Landeskirchen die weitere und reale Einheit der Christen im deutschen Raum sichtbar zu machen, so wie sie geschichtlich gewachsen und dadurch in ihrer Zusammengehörigkeitgeprägt ist, wobei es schmerzlich ist zu denken, wie sehr alles dies, wovon wir hier sprechen, für die Kirchen der DDR nicht mehr wirklich anwendbar gemacht werden kann. Eine ökumenische Gesinnung und Öffnung wird dazu beitragen können, zwischen dem volkskirchlichen Anspruch der großen Kirchen und der Lage der anderen christlichen Religionsgemeinschaften eine Brücke und den Weg der Begegnung zu finden. Ich vermag diese Seite des Bildes nicht mehr auszuführen. Aber es ist notwendig, sie im Auge zu behalten, um die Weite und Größe der Aufgabe zu überschauen. Das Verhältnis von Staat und Kirche ist niemals ein ruhendes. So wie die Kirche auf ihrer Wanderschaft in dieser Welt
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immer wieder zu neuem Aufbruch bereit sein muß, so wandeln sich auch Staat und soziale Umwelt. In einem säkularen Zeitalter fällt den Kirchen, in ihrem nicht an Wirtschaftserfolg und irdischer Erfüllung, sondern an der vollen Bestimmung des Menschen ausgerichteten Auftrag eine wesentliche Funktion des Dienstes am Menschen, der Erhaltung der Religion als einer Lebensmacht im menschlichen Dasein, zu. In der Wahrnehmung dieses Auftrags leisten die Kirchen ihren einzigartigen Beitrag auch in der modernen Gesellschaft. Ihn zu erfassen und zum Leben zu bringen, ist ihre eigene Sache. Ihnen hierzu die Freiheit zu sichern und dem kirchlichen Beitrag im öffentlichen Leben den angemessenen Platz zu geben, ist der Sinn der rechtlichen Ausformung der Beziehungen von Staat und Kirche.
Fortfall gemeindlicher Kirchenbaulasten durch völlige Änderung der Verhältnisse? Die beiden Urteile des Bundesverwaltungsgerichtst, die im Wortlaut der Begründung völlig übereinstimmen, schließen einen langen Rechtsstreit ab, dessen Anfänge bis in die Mitte der 50er Jahre zurückreichen, da erst die Zuständigkeitsfrage zwischen Zivil- und Verwaltungsgerichten entschieden werden mußte 2• Das Ergebnis der Urteile berührt unmittelbar nur einen schmalen Ausschnitt aus dem Bestand kirchlicher Baulasten mit spezieller Struktur, das gemeindliche Aufkommen für die Unterhaltung von Kirchtürmen. Angesichts der Vielzahl ähnlicher Fälle nicht nur in der Erzdiözese Köln sind indes die finanziellen Auswirkungen nicht ganz unbeträchtlich. Vor allem aber beginnt der hier zunächst von dem OVG Münster und dann ihm folgend dem Bundesverwaltungsgericht in diesen Zusammenhang eingeführte Gedanke des "Wegfalls der Verhältnisse als Grund für die Unwirksamkeit von Normen" nun auch bei anderen kirchlichen Rechtstiteln aufzutreten. In der Entscheidung vom 26. 4. 1968 hat das Bundesverwaltungsgericht ihn erneut herangezogen, um darzulegen, daß das Kirchensteuergesetz in RheinlandPfalz vom 19. 1. 1950 einen älteren speziellen Rechtstitel für ein gemeindliches Pfarrzusatzgehalt entbehrlich gemacht habe 3 • Der Fall lag freilich insofern anders, als hier die Vorinstanz- mit der Revision nicht angreifbar- aus§ 1 des pr. Gesetzes vom 14. 3. 1845 (GS S. 163) einen Vorbehalt für den Fall abgeleitet hatte, daß die gewährten-Leistungen nicht durch veränderte Umstände entbehrlich würden. Dafür indes, daß weder Art.14GGnochArt.140GGin Verbindung mit Art.13811WeimRV eingreife, hat das Bundesverwaltungsgericht doch auf den Gedanken des Erlöschens von Vorschriften wegen Veränderung der Verhältnisse zurückgegriffen, um eine Verletzung dieser Bestimmungen auszuschließen, die bei einer Aufhebung der geschützten Rechte möglich gewesen Aus: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, Bd. 14 (1968/69) S. 353- 361. Vom 3. Nov. 1967 - VII C 68.66 und 69.66 -. Das erstere ist in ZevKR 14 (1968/69) S. 375 ff. und in der amtlichen Sammlung BVel'WGE 28 S. 179 ff. abgedruckt. Dem Bundesverwaltungsgericht lagen zwei Rechtsgutachten vor; eines vom Verfasser, der Erzdiözese Köln erstattet, das andere von Prof. Jochen A. FTowein, den beklagten Gemeinden erstattet. 2 Urteil des Bundesgerichtshofes vom 28. 10. 1959, in: BGHZ 31 S. 115 ZevKR 8 (1961/62) S. 102 ff. 3 DÖV 1968 S. 769 = DVBl. 1969 S. 32 = ZevKR 14 (1968/69) S. 387 ff. 1
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wäre. Wie im vorliegenden Falle unterläuft diese Annahme eines Obsoletwerdens von Normen die verfassungsrechtlichen Garantien. Wir haben es hier also mit einer Rechtsprechung zu tun, die in einem weiteren Umfang gegenüber älteren kirchlichen Rechtstiteln den Grundsatz des Erlöschens durch Veränderung der Verhältnisse- gesehen in der Entwicklung des Kirchensteuerrechts-zur Geltung bringt. Die in dem Urteil sich abzeichnende Tendenz, durch älteres Recht (Gesetz, Herkommen oder Observanz) begründete besondere Leistungen der zivilen Gemeinden als durch dieneuere Ausgestaltung des Kirchensteuerrechts aufgehoben anzusehen, bestätigt jedenfalls die richtige Voraussicht des Strebens nach "Bereinigung" oder "Entflechtung" solcher rechtlicher Verbindungen weltlicher und kirchlicher Verhältnisse, die jedenfalls für die den Ländern obliegenden Lasten in den neueren evangelischen Kirchenverträgen vorgenommen wurde 4• Entsprechende Abreden sind für die katholischen Diözesen wegen der ungleich beschränkteren Ausdehnung vertraglicher Abmachungen in diesem Bereich nur vereinzelt getroffen worden5 • Alle diese Abmachungen beziehen sich indes nur auf die den Ländern, nicht aber die den Gemeinden obliegenden Lasten. Die nunmehr ergangene Rechtsprechung dürfte Anlaß sein, das Werk der Bereinigung auch in dieser Richtung zu beginnen und voranzutreiben. Unsere so unhistorisch denkende Zeit ist, das lehren diese Urteile, gegenüber älteren nur mehr geschichtlich zu rechtfertigenden Rechtsbeständen unduldsam. In dem zwischen zwei rheinischen Gemeinden und den entsprechenden katholischen Kirchengemeinden geführten Rechtsstreit handelte es sich um eine im rheinischen Partikularrecht (Köln. Synodalstatut v. 1662 pars III tit. VII c. 2 § 3 und ihm entsprechende VOen des Hzgt. Jülich-Berg, insbesondere die NormalVO v. 10. 9. 171 18) begründete gemeindliche Bau4 Vgl. Vertrag mit Niedersachsen 1955, Art. 17 Abs. 3; Schleswig-Holstein 1957, Art. 20; Nordrhein-Westfalen - Lippische Landeskirche 1958, Art. 5 Abs. 3; Hessen 1960, Art. 7; Rheinland-Pfalz 1962, Art. 8. Zu dieser Seite der
Verträge siehe meine Darlegung: Die staatskirchenrechtliche Tragweite des niedersächsischen Kirchenvertrages von Kloster Loccum, in: ZevKR 6 (1957/58) s. 29 ff. 5 Vertrag Hessens mit den katholischen Bistümern vom 9. 3. 1963 (GVBl. S. 102) Art. III; Niedersächsisches Konkordat vom 28. 2. 1965, Art. 16, Anl. §§ 10, 11. Vgl. hierzu Ernst Gottfried Mahrenholz, Das Niedersächsische Konkordat und der Ergänzungsvertrag zum Loccumer Vertrag, in: ZevKR 12 (1966/67)
s. 217,225.
Texte bei Voss, Die staatliche Baulast der Pfarrkirchen auf Grund der Säkularisation in dem rheinischen Herzogtum Berg, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 79 (1922) S. 126 ff., 170 ff. Siehe auch J. J. Scotti, Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in den ehemaligen Herzogthümern Jülich, Cleve und Berg und in dem vormaligen Großherzogthum Berg über Gegenstände der Landeshoheit, Verfassung, Verwaltung und Rechtspflege ergangen sind, Bd. 1, Düsseldorf 1821, S. 285; Jos. Vogt, Das kirchliche Vermögensrecht, 2. Aufl., Köln 1910, S. 66. 8
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last. Rechtsgeschichtlich übrigens keine partikularrechtliche Einrichtung, sondern ein im mittelalterlichen Deutschland weitverbreitetes Institut, in dem das Aufkommen der weltlichen Gemeinde für den Kirchturm wohl bedingt war durch die Verwendung . des Turmes für Gerichtssitzungen oder als Wehr- und Wachturm7 • In dem Rechtsstreit wurde von den Zivilgemeinden bestritten, daß der Ausdruck "loci communitas" (Synodalstatut 1662) oder "Gemeinde" (VO 1711) die politische Gemeinde und nicht die Pfarreingesessenen meinte. Die erste Instanz hatte, in Abweichung von früherer Stellungnahme des Reichsgerichts 8 , das letztere angenommen, doch wohl in Verkennung sowohl der Tragweite der termini (communitas deutet auf die weltliche Gemeinde hin) 9 wie des Umstands, daß im Rheinland die weltlichen Gemeinden schon im 18. Jahrhundert deutlich formiert waren10 • Das OVG Münster ließ in seinem Urteil vom 14. 2. 1966 die rechtsgeschichtliche Frage offen, indem es auch bei Unterstellung der Pflicht der zivilen Gemeinde das AußerkrafttretenderNorm wegen Veränderung der Verhältnisse annahm. Es berief sich dabei- die Zitate sind vom Bundesverwaltungsgericht übernommen worden - auf zwei neuere verwaltungsgerichtliche Urteile 11 und Äußerungen des Schrifttums12 • Die Änderung erblickt das OVG Münster im Entfall der Funktionen, die die Türme, die Glocken und die Uhr als Zeitmesser einst für die weltlichen Gemeinschaften erfüllt hatten. Vor allem aber führt es an, das ältere Kirchensteuerrecht habe die Steuer subsidiär bei unzureichenden sonstigen Einnahmen für ortskirchliche Bedürfnisse vorgesehen (pr. Ges. v. 14. 6. 1905, GS S. 281), das jetzige Recht v. 1950 löse die Kirchensteuer vom Haushalt der einzelnen Ge7 Vgl. für das rheinische Recht Aemilius Ludwig Richter, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts, 8. Aufl. von Richard Wilhelm Dove, Leipzig 1886, 5. 1349. Über gemeindliche Lasten für den Kirchenbau siehe auch Gerhard Lüttgert, Evangelisches Kirchenrecht in Rheinland und WestfalenJ Gütersloh 1905, 5. 587 ff. Vorgänge der Ablösung dieser Lasten vollzogen sich partiell vielfach im 19. Jahrhundert. a Vgl. den Hinweis bei Lüttgert, 5. 593. 9 Hierzu Karl Siegtried Bader, Dorf und Dorfgemeinde im Zeitalter von Naturrecht und Aufklärung, in: Festschrift für Karl Gottfried Rugelmann zum 80. Geburtstag, Bd. 1, Aalen 1959, 5. 12 ff., wo "communitas" und "Gemeinde" ausdrücklich für die weltliche Gemeinde bezeugt werden. 10 Dazu K. G. Faber, in: Rheinische Vierteljahresschrift 25 (1960) 5. 258 ff. Ferner auch Landgericht Gießen, in: KirchE 1 5. 345 = ZevKR 5 (1956) 5. 319, 321. Die herzogliche Verordnung vom 19. 1. 1753, die die Verordnung vom 10. 9. 1711 erneut einschärft (Ziffer 11), untersagt ausdrücklich die Verwendung aller "Kirchen-Mittel" für den Turm und ordnet die Leistungspflicht der "Gemeinden" unter Mitwirkung der Orts- und Kirchspielvorsteher und der fürstlichen Beamten an. 11 BayVerfGH,in: BayVGHE 8 II 5.28; OVG Münster, in: OVGE 14 5.282/283. 11 Ludwig Enneccerus, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl. von Hans Carl Nipperdey, Bd. 1, Tübingen 1959, 5. 287 f.; Hans Julius Wolff, Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Bd. 1, München- Berlin 1965, 5. 117 f. (jetzt 7. Aufl., München 1968, 5. 130). Von diesen Äußerungen begnügt sich Wolff mit dem Verweis auf die beiden Urteile der Anm. 11.
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meinde und gebe ihren subsidiären Charakter auf. Damit sei die Lage der Kirche so vorteilhaft geworden, daß jene Baupflicht "spätestens mit dem Inkrafttreten des Kirchensteuergesetzes vom 15. 2. 1950 ... auch ohne ausdrückliche Aufhebung al,lßer Kraft getreten" sei. Die Revision konnte, da Landesrecht in Frage stand, an der Heranziehung dieses Grundsatzes des Obsoletwerdens nur einen Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungsgrundsätze oder gegen Bundesrecht (Art. 140 GG mit 138 II WeimRV) rügen. Das Bundesverwaltungsgericht hat, indem es zu diesem Fragenkreis erstmals in seiner Rechtsprechung Stellung nahm, den Grundsatz des Wegfalls von Vorschriften wegen völliger Änderung der Verhältnisse anerkannt. Aber trägt das Prinzip wirklich die Entscheidung? Wo kommt es her? Das Bundesverwaltungsgericht hat es nur aus einer späten Erwähnung in einem bis zur Jahrhundertwende zurückreichenden Lehrbuch entlehnt. Sein Ursprung liegt in der deutschen Pandektenwissenschaft des 19. Jahrhunderts 13 , und hier finden sich auch die klaren Abgrenzungen. Am Anfang der Pandektenlehrbücher steht ein Abschnitt von Recht und Gesetz, und hier findet sich neben der Beendigung der Gesetzesgeltung durch aufhebende Norm oder Gewohnheit der Gedanke der Aufhebung aus einem im Gesetz selbst liegenden Grunde. Als solchen führt ein führendes Lehrbuch der älteren Zeit an: a) die Befristung oder die Bindung an vorübergehende Umstände (transitorisches Ges~tz); b) gänzlicher Wegfall des Gegenstandes, auf den die Norm sich bezieht; c) Wegfall bestimmter Voraussetzungen, wenn die Norm wesentlich auf ihnen beruht und durch sie bestimmt und bedingt ist1 4 • In der Regel werden später die beiden letzteren Gesichtspunkte zusammengezogen und als Wegfall der tatsächlichen Verhältnisse, für die das Gesetz gegeben ist, definiert15 • Stets aber wird ausdrücklich betont, daß der bloße Fortfall der Veranlassung oder des Zwecks eines Gesetzes nicht zum Wegfall ausreiche, sondern hier der Gesetzgeber handeln müsse 11 • Im öffentlichen Recht hat die Lehre keine weite Verbreitung erreicht17. 13 Ich finde ältere Bezeugungen dieser Lehre nicht. Noch Anton Friedrich Justus Thibaut, System des Pandektenrechts, 9. Aufl. besorgt durch Alexander August von Buchholtz, Bd.1, Jena 1846, S. 32 ff., erwähnt den Satz nicht. u Unterschieden sind diese drei Gruppen bei Carl Georg von Wächter, Pandekten, hrsg. durch 0. von Wächter, Bd. 1, Leipzig 1880, S. 153 ff. F. G. Puchta,
Pandekten, 10. Aufl. besorgt von A. F. Rudorff, Leipzig 1866, betont dagegen nur die zeitliche Begrenzung. u Vgl. Bernhard Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Aufl. von Theodor Kipp, Bd. 1, Frankfurt!M. 1906, S. 128; Heinrich Dernburg, Pandekten, 5. Aufl., Bd. 1, Berlin 1896, S. 67. Beide geben als Beispiel für Wegfall der Verhältnisse Vorschriften über Hexenprozesse an. In dieser Form tritt auch, etwas weniger klar, die Lehre bei Enneccerus auf. Erst ein Zurückgehen auf die Pandektenwissenschaft aber legt sie in ihrer wirklichen Tragweite klar. te Wächter, S. 154; Dernburg, S. 67. Weniger klar Enneccerus, der hier nur von "Motiv" und .,Veranlassung" spricht. Unklar RGZ 31 S. 196.
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Der Blick auf die Herkunft der Lehre zeigt, daß sie nicht mit dem später entwickelten Gedanken des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zusammenhängt, sondern enger begrenzt nur den echten vollen Entfall der tatsächlichen Grundlage, nicht aber der Zweckbestimmung des Gesetzes, im Auge hat. Die Auseinandersetzungen des Bundesverwaltungsgerichts sind im Lichte dieser Lehre unzureichend und sogar fehlgehend. Das Gericht setzt nämlich dieses Obsoletwerden gleich mit der normativen Kraft des Faktischen, jener bekannten von Georg Jellinek entwickelten Lehre von der Anpassung der Normen an veränderte Machtverhältnisse und gesellschaftliche Umbildungen18. Diese Lehre hat aber nichts mit unserem Rechtsgedanken zu tun. Sie betrifft vielmehr das Verhältnis von Recht und Macht und lehrt - nicht immer unbedenklich - die historische Anpassung des Rechts an reale Machtfaktoren und soziale Zielsetzung. Was Jellinek im Auge hat, ist also Veränderung des Rechts durch Umwälzungen und soziale Wertverschiebungen. Bei Jellinek wird das Recht verändert nicht durch den Wegfall des Sachverhalts, sondern von außen her durch Einflüsse der Macht und des Gesinnungswandels. Nur vom Boden der Lehre Jellineks her hat es Sinn, wie das Gericht es tut, auf Krieg und Revolution als Gründe des Rechtswandels hinzuweisen. Für die Lehre vom Wegfall einer Norm kraft Veränderung der Verhältnisse aber sind Krieg und Revolution ohne Bedeutung. Es ist bezeichnend, daß das Bundesverwaltungsgericht an entscheidender Stelle das Zurücktreten der Zweckbestimmung der älteren Norm als Grund für den Wegfall anführt. Eine genaue Prüfung der pandektistischen Lehre vom Obsoletwerden, die das Gericht anführt, zeigt indes, daß die bloße Änderung der Zweckbestimmung nicht zum Wegfall des Gesetzes ausreicht. Die Lehre, die das Gericht anruft, trägt also seine Folgerungen nicht, und die rechtstheoretische Verwechslung zwischen Schwinden des zugrundeliegenden Sachverhalts und dem Prinzip der normativen Kraft des Faktischen kann diesen Mangel nur unterstreichen. Auch die beiden vom Bundesverwaltungsgericht angeführten verwaltungsgerichtlichen Urteile tragen seine These nicht. Das bayerische Urteil19 hat es mit besoldungsrechtlichen Vorschriften zu tun, die einmalige Eingriffe in den 30er Jahren getroffen hatten und daher schon vor 1945 erledigt waren. Es lag also klar der Fall des transitorischen Gesetzes vor, den die ältere Lehre auch vom Wegfall der Verhältnisse deutlich unter17 Sie findet sich nicht bei Heinrich Albert Zachariae, Deutsches Staats- und Bundesrecht, 3. Aufl., Bd. 2, Göttingen 1866, S. 184 ff., der nur die ausdrückliche Aufhebung von Gesetzen kennt. Sie klingt an bei Joseph Pözl, Lehrbuch des Bayerischen Verfassungsrechts, 3. Aufl., München 1860, S. 367, der aber nur die Befristung der Gesetze erwähnt. 18 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., 7. Neudr., Darmstadt 1960, s. 337 ff. 11 BayVerfGH, in: BayVGHE 8 II S. 28.
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scheidet. Die Entscheidung des OVG Münster20 nimmt an, daß mit der vollen Beseitigung (Eingliederung) der Industrie- und Handelskammern im Dritten Reich deren Recht außer Kraft getreten sei, da der Lebenssachverhalt nicht mehr bestand, den die Gesetze regeln sollten. Hier ist die Lehre richtig angewandt; nicht der Zweck, die gesamte tatsächliche Grundlage des Rechts war entfallen. Ganz anders liegt es indes im vorliegenden Fall. Die Baulast für die Kirchtürme besteht nach wie vor als Aufgabe. Nur die Zweckbestimmung, die früher- und auch stets nur teilweise- die Beteiligung der weltlichen Gemeinde an der Last trug, hat für die Gegenwart kein Gewicht mehr. Gerade die Änderung des Zweckes aber reicht nach jener Lehre vom Wegfall wegen Veränderung der Verhältnisse nicht aus. Der Rechtsgedanke, auf den sich das Gericht beruft, vermag also die Entscheidung im vorliegenden Fall nicht zu rechtfertigen. Mit dem Hinweis auf die Änderung der Zweckbestimmung der Türme hat das OVG Münster den Hinweis verbunden, daß die Regelung der gemeindlichen Last in der früheren bedrängten finanziellen Lage der Kirchgemeinden beruht habe. Jetzt, wo seit 1950 die Kirchensteuer nicht mehr als subsidiäre Ortskirchensteuer bei unzureichenden sonstigen Einnahmen erhoben werde, habe sich die Lage der Kirche so gebessert, daß die Baulast spätestens mit dieser Gesetzesänderung entfallen sei. Diese Argumentation erscheint besonders angreifbar. Nicht die Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, sondern ein Akt des Gesetzgebers wird also als maßgeblicher Grund für die Aufhebung des älteren Rechts angeführt. Dabei steht durch eine Reihe gerichtlicher Entscheidungen fest, daß der Gesetzgeber von 1950 die Frage der älteren Lasten durchaus erkannt, aber nicht im Sinne ihrer Aufhebung beantwortet hat21 • Es ist gedanklich nicht gut möglich, von einem Wegfall einer Norm kraft Änderung tatsächlicher Verhältnisse zu sprechen, wenn diese in einer gesetzlichen Neuregelung bestehen. Darin kann keine Aufhebung der Norm von innen her vorliegen; es liegt vielmehr eine gesetzliche Novellierung vor, die gerade die behauptete Aufhebung der älteren Last nicht enthält. Leider ist dieser bedenkliche Teil der Begründung des OVG Münster, den der Tatbestand des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts wiedergibt, ohne daß freilich in der Begründung zu ihm Stellung genommen wird, in dem Abdruck des Urteils in der amtlichen Sammlung weggelassen worden213• Der Hinweis auf die Verbesserung der Lage der Kirche durch die neuere Steuergesetzgebung ist übrigens nicht neu. Er ist schon oftmals OVGE 14 S. 282/283. Vgl. die eingehenden Darlegungen zur Entstehung des Kirchensteuergesetzes von 1950 in den Urteilen des OLC Hamm, in: KirchE 2 S. 375, 389/390, und des VG Münster, in: KirchE 5 S. 329/330. 21 a Insoweit vollständig der Abdruck in ZevKR 14 (1968/69) S. 377 ff. 2o 21
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seit 1945 vorgetragen, stets aber von den Gerichten zurückgewiesen worden22, gerade auch im Hinblick auf die Gesetzgebung von NordrheinWestfalen23. Diese ausgedehnte entgegenstehende Rechtsprechung auch der obersten Bundesgerichte findet freilich in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts keine Erwähnung. Wenn aber der Gedanke der Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse die Entscheidung des Gerichts nicht zu tragen vermag, so ist die Feststellung, daß die die Baulast begründende Norm in Wegfall geraten sei, insbesondere der Hinweis auf die neuere Gesetzgebung als Grund hierfür, eher als ein Akt judizieller rechtsändernder Gestaltung anzusehen, denn als eine deklaratorische Feststellung des Eintritts der Selbstaufhebung einer Norm. Das ist aber für den zweiten Gesichtspunkt von entscheidender Bedeutung, dem wir uns nun zuwenden, der Tragweite des Art.140 GG in Verbindung mit Art.138 II WeimRV. Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Frage der Besteuerung glaubensverschiedener Ehen ist anerkannt, daß die in Art. 140 GG in das Grundgesetz inkorporierten Artikel der Weimarer RV vollgültiges Verfassungsrecht der Bundesrepublik darstellen24. Das gilt auch für die Erhaltungsgarantie, die Art. 138 I für die auf Gesetz, Vertrag oder besonderem Rechtstitel beruhenden Staatsleistungen und Art. 138 II für das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften aussprechen. Der erste Absatz des Art. 138 WeimRV handelt nur von Staatsleistungen, nicht von gemeindlichen Lasten und hat daher für diesen Fall keine Bedeutung25 . Bei dem zweiten Absatz aber ist anerkannt, daß "Eigentum und andere Rechte" als Sammelbegriff für alle kirchlichen Vermögensrechte anzusehen ist26• Der Schutz des Art. 138 Il 22 Die Rechtsprechung hat ausdrücklich verworfen den Gedanken der clausula rebus sie stantibus: OLG Celle, in: KirchE 1 S. 241, die Berufung auf die Geschäftsgrundlage: OLG Celle, in: KirchE 4 S. 109, 142 = ZevKR 6 (1957/58) S. 89, sowie ähnliche Gesichtspunkte: BGH, in: KirchE 3 S. 6, 30/31, und VG Augsburg, in: KirchE 3 S. 281,285. 23 Vgl. OLG Hamm, in: KirchE 2 S. 393/394. 24 BVerfGE 19 S. 206 (219) = ZevKR 12 (1966/67) S. 374,377. 25 Vgl. RGZ 125 S. 189; Konrad Hesse, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1945, in: JöR, N.F., Bd. 10 (1961) S. 3, 59; Werner Hofmann, Ablösung oder Anpassung der Kultusbaulast des Staates?, in: ZevKR 10 (1963/64) S. 369; Gregor GelZer u. Kurt Kleinrahm, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. von Kurt Kleinrahm u. Hans-Joachim Fleck, Göttingen 1963, S. 162. Die hier bestehende Lücke hat Art. 121 der Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen geschlossen. Zieht man in Rücksicht, daß beim Inkrafttreten des Kirchensteuergesetzes vom 15. 2. 1950 am 16. 3. 1950 der Text der am 29. 6. 1950 in Kraft getretenen Landesverfassung schon im wesentlichen feststand, so wird der Gedanke, dies Gesetz habe- entgegen der Absicht des Art. 21 der Landesverfassung! - eine Beseitigung der alten Lasten herbeigeführt, erst völlig zur offenen Frage. 28 Ernst Rudolf Huber, Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte in der Weimarer Verfassung, Tübingen 1927, S. 6; Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl., Berlin 1933, S. 653; Vlrich
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ist nicht nur gegen Säkularisation, sondern nicht minder gegen alle Art von entschädigungsloser Entziehung kirchlicher Rechte durch die öffentliche Gewalt gerichtet27 • Er sichert die Funktion des von ihm behüteten Gutes gegen jede Antastung durch die öffentliche Gewalt28 • Das Schutzobjekt des Art. 138 II WeimRV ist die öffentliche Funktion des Religionsgutes im Leben der Religionsgemeinschaften2', und aus dieser Zweckbestimmung heraus ist die Bestimmung auszulegen. Das Bundesverwaltungsgericht spricht hier von erweiternder Auslegung. Es ist nicht zu erkennen, daß diese heutige Lehre weiter reicht als schon die Ansicht der Weimarer Zeit. Sie ist vor allem durch den Sinn der Vorschrift selbst geboten, die öffentliche Funktion der Kirche nach ihrer materiellvermögensrechtlichen Seite vor dem Zugriff der öffentlichen Gewalt zu sichern. Insofern steht, wie Konrad Hesse richtig bemerkt hat30, Art. 138 II WeimRV in innerer Verbindung mit Art. 137. Die Selbständigkeit der Religionsgemeinschaften erscheint nur gesichert, wenn auch ihre für ihren Dienst unentbehrlichen Güter und ~littel geschützt werden. Dabei ist der Kreis der der kirchlichen Funktion dienenden Rechte und Sachen nicht zu eng zu ziehen und etwa, wie das Bundesverwaltungsgericht andeutet, auf die unmittelbare Bestimmung für Kultuszwecke zu beschränken. Eine mittelbare Beziehung zur kirchlichen Funktion, wie sie hier die gemeindliche Baulast für ein Kultusgebäude aufweist, erscheint ausreichend31 • Daß eine solche Auslegung des Art. 138 II WeimRV richtig ist, beweisen auch die früher erwähnten Bestimmungen der Kirchenverträge und Konkordate, in denen eine Ablösung entsprechender staatlicher Lasten vereinbart wurde. Hier ist stets der Weg der Abfindung durch eine Kapitalzahlung oder Verrentung beschritten worden32 • Die verschiedenen Länder, die diese Abmachungen getroffen haben, haben damit die Zugehörigkeit dieser Lasten zu dem unter Erhaltungsgarantie stehenden kirchlichen Vermögen ohne weiteres anerkannt33• Brennberger, Kultusbaulast und Kriegsschäden, in: ZevKR 2 (1952/1953) S. 329, 330. Es ist hier von dem weiten, in Art. 14 GG festgelegten Eigentumsbegrüf
auszugehen. 27
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Gerhard Anschütz, S. 654. Johannes Heckel, Kirchengut und Staatsgewalt, in: Rechtsprobleme in
Staat und Kirche, Festschrift für Rudolf Smend, Göttingen 1952, S. 103, 129/130. H Geller-Kleinrahm-Fleck, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Auf!., Göttingen 1963, S. 184. 30 Das neue Bauplanungsrecht und die Kirchen, in: ZevKR 5 (1956) S. 62, 74. 31 So auch Hans Peter Muus, Kirchengut und öffentliche Sachen, in: ZevKR 11 (1964/65) s. 123, 138. 32 Eine übersieht und Würdigung dieser Abmachungen bei Werner Hofmann, in: ZevKR 10 (1963/64) S. 370 ff. 33 Daß der Weg der Ablösung dieser Lasten an sich zulässig ist, wird allgemein angenommen. Vgl. Werner Weber, Die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften, Stuttgart 1948, S. 6; Paul Mikat, Kirchen und
Fortfall gemeindlicher Kirchenbaulasten?
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Diese Garantie des Art. 138 II WeimRV kommt im vorliegenden Falle zum Tragen. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Erhaltungsgarantie mit dem Hinweis auszuräumen versucht, daß ein automatisches Außerkrafttreten einer Norm wegen Änderung der Verhältnisse von der Gewährleistung nicht erfaßt werde. Wenn aber, wie dargelegt, dieser Grund eines Wegfalls des zugrundeliegenden Sachverhalts hier nicht vorliegt, dann greift der Schutz der Verfassungsbestimmung ein. Das geschützte Recht kann nicht entzogen werden, auch nicht im Wege freier richterlicher Rechtsgestaltung. Insofern gilt der Schutz auch gegen die Akte der Rechtsprechung. Insgesamt ergibt sich also, daß die dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts mitgegebene Begründung das Ergebnis des Urteils nicht zu tragen vermag. Praktisch freilich wird das Urteil eine nicht unerhebliche Bedeutung ausüben. Es kann daher am Schluß nur nochmals auf die Notwendigkeit hingewiesen werden, mit der Ablösung dieser älteren Rechtstitel, die staatliche oder gemeindliche Lasten für kirchliche Zwecke begründen, voranzuschreiten.
Religionsgemeinschaften, in: Die Grundrechte, hrsg. von Karl August BetteTmann, Hans Carl Nipperdey u. Ulrich Scheuner, Bd. IV/1, Berlin 1960, S. 229; Geller-Kleinrahm-Fleck, S. 161/162; Konrad Hesse, in: JöR, N.F., Bd. 10 (1961) S. 59; Werner Hofmann, in: ZevKR 10 (1963/64) S. 370 f.
Kirchensteuer und Verfassung 1. Im Forum dieser Zeitschrift hat Rechtsanwalt Heinze zur Neuformung des Kirchensteuersystems drei Punkte herausgestelltl: Demokratisierung im Sinne einer Mitwirkung der Kirchenglieder an Steuerbeschlüssen und Haushaltsentscheidungen; Änderungen der Steuerbemessung bei Unternehmern hinsichtlich des Gewinns in Personalgesellschaften; Rückkehr von der zentralen Erhebung zur Pfarrgemeindesteuer. Darüber hinaus hat er weitergehend die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Status der Religionsgemeinschaften und die Verwandlung der Kirchensteuer in einen Kirchen- oder Pfarrbeitrag privater Natur im Auge. Eine Auseinandersetzung mit diesen Gedanken muß zunächst feststellen, daß hier nicht, wie Heinze meint, ein verfassungsmäßiges System entworfen wird, sondern ein Eintreten für eine Verfassungsrevision vorliegt, da die Grundlagen des bestehenden Systems unter Verfassungsgarantie (Art. 137 Abs. 6 WeimRV mit Art. 140 GG) stehen. Es erscheint notwendig, zunächst grundsätzlich zur Natur der Kirchensteuer als öffentlich-rechtlicher Abgabe Stellung zu nehmen.
Rechtsgrundlage der Kirchensteuer 2. Heinze bezeichnet die Kirchensteuer als Relikt des Grundsatzes Thron und Altar. Das verkennt die historische Entstehung der Einrichtung und versperrt den Weg zu einer modernen Deutung der Beziehung des Staates zu den Gruppen einer pluralistischen Demokratie. Die in der Bundesrepublik bestehende Kirchensteuer ist geschichtlich eine Spätfolge der in der napoleonischen Zeit vorgenommenen Säkularisation des Kirchengutes. Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die kirchlichen Bedürfnisse nicht mehr aus dem Ertrag des Restvermögens und den inzwischen erwachsenen staatlichen Ersatzverpflichtungen gedeckt werden konnten, erschien die staatliche Ermächtigung zur Steuererhebung geeignet, um die Lücke zu schließen. Heinze wendet gegen den heutigen Bestand ferner ein, das Besteuerungsrecht fließe aus dem Status der Religionsgemeinschaften als öffentliche Körperschaften, es fehle aber an einer diesen Status rechtfertigenAus: Zeitschrüt für Rechtspolitik. Jg. 2 (1969) S. 195 -197. GerhaTd B. Heinze, Plädoyer für ein zeit-und verfassungsgemäßes Kirchensteuersystem, in: Zeitschrüt für Rechtspolitik, J g. 2 (1969) S. 97 ff. 1
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den öffentlich-rechtlichen Funktion der Kirchen. Das Argument verkennt die besondere Stellung der Kirchen in der heutigen Rechtsordnung. Es ist allgemein anerkannt, daß ihre Korporationsqualität nicht den allgemeinen Sinn anderer Körperschaften des Staats- und Verwaltungsrechts hat. Die Stellung als öffentliche Körperschaften ist für die Religionsgesellschaften nicht Einfügung in den Staatsorganismus und Übernahme öffentlicher Aufgaben. Sie ist vielmehr Schlüsselbezeichnung für die Anerkennung der Religionsgemeinschaften in ihrer Bedeutung als geistig-soziale Faktoren des öffentlichen Lebens. Sie bezeichnet die Achtung der Selbständigkeit der Religionsgemeinschaften und ihrer Funktion im Raume der Öffentlichkeit. Auch sollte klar zwischen den einzelnen den Religionsgemeinschaften von der Verfassung und dem Gesetz verliehenen Rechten und dieser Gesamtbezeichnung als Körperschaft unterschieden werden. Man hat die Korporationseigenschaft früher gern als Gesamtumschreibung ihrer Rechte angesehen, und dem folgen auch heute noch manche Autoren. Indes ist es richtiger, die von Verfassung und Gesetz gewährten Rechte gesondert als unabhängig von dem Körperschaftsbegriff gewährte Rechtspositionen aufzufassen. Das Bundesverfassungsgericht nimmt denn auch in seinen grundlegenden Entscheidungen vom 14. 12. 1965, in denen es die Verfassungsgarantie des Besteuerungsrechts der Kirchen bestätigt hat (BVerfGE 19 S. 206, 217 f.; 253, 257 f.), nicht auf den Körperschaftsstatus, sondern direkt auf die Verfassungsgewähr Bezug. Der Umstand, daß nur Religionsgemeinschaften, die Körperschaften sind, Steuern erheben dürfen, hat einen anderen Zusammenhang. Hier dient die Korporationsgemeinschaft nur zur Kennzeichnung der Bedeutung und Dauer, die Voraussetzung für die Gewähr des Besteuerungsrechts ist. Im übrigen könnten die Kirchen ein eigenes Beitragssystem ohne öffentlich-rechtlichen Zwang auf der Grundlage ihres Rechtes zu selbständiger Ordnung ihrer Angelegenheiten (Art. 137 Abs. 3 WeimRV) entwickeln2• Die staatliche Steuerermächtigung bezieht sich im Grunde nur auf die vom Staat gewährte Hilfe bei Ermittlung, Einziehung und Beitreibung. 3. Die Verfassungsgarantie der Steuererhebung durch die Religionsgemeinschaften (Art. 137 Abs. 6 WeimRV) steht nicht, wie Heinze meint, in einem verdeckten Widerspruch zu dem Grundsystem des Grundgesetzes. Das Grundgesetz legt die Relation Staat und Religionsgemeinschaften nicht im laizistischen Sinne voller Trennung, sondern einer Sonderung unter Erhaltung gewisser öffentlich-rechtlicher Positionen (die es auch anderwärts bei Verbänden, z. B. in der Berufsausbildung, kennt) 1 Vgl. Hanns Engelhardt, Die Kirchensteuer in der Bundesrepublik Deutschland, Bad Hornburg v. d. H. 1968, S. 19; Peter Wendt, Bedenkliche Rechtsprechung des BVerfG zur Gesetzmäßigkeit der Verwaltung im (Kirchen-)Steuerrecht, in: NJW 1966S.1444;BVerfGE 19 S. 206 (217) = NJW 19665.147.
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fest. Die Behauptung, die Verleihung des Besteuerungsrechts sei mit der weltanschaulichen Neutralität des Staates nicht zu vereinbaren, ist neuerdings in einer Reihe Heinze wohl entgangener Urteile des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes (BayVerfGE 21 li S. 1, 38, 153, 158, 170) ausdrücklich abgelehnt worden. Weder wird diese Neutralität betroffen, da jede Dauer verbürgende Religionsgemeinschaft Körperschaftsrechte und Steuerhebungsrecht erlangen kann, noch wird die Religionsfreiheit verletzt. Denn der Bürger kann der staatlich verliehenen Besteuerung durch den vom Staate gewährleisteten Austritt aus der Religionsgemeinschaft begegnen. Dieser Austritt hat, wie immer seine innerkirchenrechtliche Bedeutung im Blick auf das Taufband zu würdigen ist, Bedeutung nur für die staatliche Sphäre und greift damit in das eigentliche religiöse Band zwischen dem einzelnen und der Religionsgemeinschaft nur nach Maßgabe der von dieser selbst aufgestellten Maßstäbe ein. 4. Für die Rechtsgrundlage der Kirchensteuer ist aber nicht allein die bestehende Verfassungsgarantie von Bedeutung. Sie läßt sich auch, unabhängig von der historischen Entwicklung, für die Gegenwart neu aus einer modernen Vorstellung von der Struktur der pLuraListischen Gesetzschaftsordnung gewinnen, sofern man sich nur von Vorstellungen löst, die an älteren Modellen einer Verdrängung der Religionsgemeinschaften in den privaten Bereich haften. In der Ordnung des Grundgesetzes werden für das Ganze bedeutsame soziale Gruppen, Parteien, Verbände, Koalitionen anerkannt und mit verfassungsrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Positionen ausgestattet. Der Staat erkennt damit die bedeutsamen Verbindungen seiner Bürger im öffentlichen Bereich an und kann dies auch in der Form der Gewähr jeweils angemessener öffentlich-rechtlicher Vorrechte (z. B. Teilnahme am Verfassungsleben, Tarifhoheit, Mitwirkungsrechte) tun. Nur durch eine solche Einbeziehung der sozialen Gruppen in den öffentlichen und ggf. auch öffentlich-rechtlichen Bereich kann eine Rechtsordnung in der Gegenwart der Struktur der pluralistischen Gesellschaft gerecht werden, die nicht allein eine Summe von Individuen, sondern eine organisierte, eine Gruppengesetzschaft ist. In dem Zeitpunkt, in dem andere wichtige Sozialverbände in eine öffentlichrechtliche, sogar verfassungsrechtliche Position aufsteigen, wo der Staat teilweise für ihre Finanzierung die Sorge übernimmt (Parteienfinanzierung, praktische Subvention der Mehrzahl der ideellen Vereinigungen), würde die Abdrängung der Religionsgemeinschaften in eine Vereinsexistenz weder sachgerecht sein, noch eines diskriminierenden Elements entbehren. 5. Zum Schluß dieser allgemeinen Darlegung zwei rechtspolitische Hinweise: Kein Zweifel, daß das geltende Kirchensteuersystem für die Religionsgemeinschaften in der Bundesrepublik eine günstige Lage schafft. Eine Änderung würde indes nicht nur erhebliche karitative und soziale 18°
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Leistungen, die die Kirchen heute tragen, dem Staatshaushalt aufbürden, sie würde vor allem durch die notwendig werdende Reduktion eigener kirchlicher Tätigkeiten aus Ersparnisgründen gerade diejenigen modernen-und auch oft kostenintensiven-Formenkirchlicher Arbeit, wie den Dialog an Akademien und Kirchentagen, die Beteiligung an sozialer und politischer Studienarbeit und Verantwortung (mit Stellungnahmen und Denkschriften), die Entwicklungshilfe u. a. m. treffen, die die Öffentlichkeit als fortschrittlich und gesellschaftlich bedeutsam bewertet. Eine arme Kirche wird - zur Überraschung wohl mancher Befürworter von Änderungen - möglicherweise eher eine orthodoxe als eine modern geöffnete Kirche sein. Das kultische Bedürfnis und die Kernschar der Anhänger würden dominieren. Eine zweite Bemerkung zu einer zuweilen übersehenen Gefahr der Finanzierung nur durch freie Beiträge. Das gern verwandte Beispiel der USA, gewiß eindrücklich in der Höhe seiner in Jahrzehnten entwickelten Beitragsleistung, trägt in sich doch den Nachteil, daß gelegentlich kapitalkräftige Gemeindeglieder ein ungutes Obergewicht erlangen können. Dieser Gesichtspunkt ist übrigens schon in der Nationalversammlung in Weimar 1919 zur Sprache gekommen und hat damals wichtige Parteien veranlaßt, der Verfassungsgarantie des Besteuerungsrechts der Kirchen zuzustimmen3 •
Mitbestimmung und Publizität 6. Begründet man die Kirchensteuer in ihrer geltenden Form aus der Verfassungsgewährleistung und aus einer neuen Wertung der Relation zwischen Staat und bedeutenden sozialen Faktoren des öffentlichen Lebens, so bleibt die Notwendigkeit von Verbesserungen und Reformen im einzelnen doch offen. Manches von dem, was Heinze vorschlägt, ist hier schon in der Entwicklung. Seine Forderung, daß die steuerpflichtigen Kirchenglieder eine entscheidende Mitbestimmung über den Steuersatz (der sowieso staatlicher Genehmigung bedarf) und den Haushalt besitzen sollten, wird heute allgemeiner Zustimmung begegnen. Rechtlich zieht freilich die Anerkennung des Grundsatzes der selbständigen Ordnung ihrer Angelegenheiten durch die Religionsgemeinschaften (Art. 137 Abs. 3 WeimRV) der Auferlegung einer staatlichen Modellvorstellung innerer kirchlicher Ordnung verfassungsrechtliche Grenzen. Doch wird man 3 Vgl. die Worte des Abgeordneten Dr. Quarck in der 20. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 2. 4. 1919 (Bericht und Protokolle des VIII. Ausschusses, S. 199): "Für die Forderung steuerlicher Vorrechte habe ich praktisches Verständnis. Das amerikanischeVorbild der Unterhaltung der Kirchen durch einzelne Großkapitalisten mit entsprechendem Einfluß des Großkapitals auf das kirchliche Leben ist nicht nachahmenswert und auch nicht im Sinne des Sozialismus." Vgl. hierzu auch Alexander Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL 26 (1968) S. 88 f.
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den hier zuständigen Ländern den Erlaß grundlegender Normativbestimmungen zu einer demokratischen Vertretung beim Beschluß über kirchliche Steuern und Haushalte zugestehen können. Ein Beispiel bietet Art. 5 des bayerischen Kirchensteuergesetzes vom 15. 3. 1967, der für die zentralen und örtlichen kirchlichen Steuerverbände eine Vertretung aus den Steuerpflichtigen mit Beschlußrecht vorschreibt. Dementsprechend sind mehrheitlich aus Laien gebildete Gremien mit maßgeblicher Beschlußfassung über Umlagesatz und Haushalt in den bayerischen Diözesen gebildet worden (Gemeinsame Satzung über Steuerverbände vom 30. 1. 1968, in: ABI. für die Diözese Augsburg 1968 S. 81). In den evangelischen Landeskirchen und Gemeinden ist die Forderung, daß eine mehrheitlich aus Laien bestehende Vertretung verbindlich über Steuersatz, Haushalt und andere Finanzfragen (Umlagen, Finanzzuweisungen an Gemeinden) beschließt, durchweg erfüllt. In der katholischen Kirche vollzieht sich gegenwärtig im Anschluß an das II. Vaticanum ein Wandel. Schon bisher gab es Kirchensteuerräte mit gewählten oder berufenen Laien und beratender Funktion. Nun werden nicht nur in Bayern, sondern auch in anderen Diözesen Vertretungen mit gewählter Laienmehrheit und beschließender Aufgabe eingeführt und diese Entwicklung wird sich vermutlich fortsetzen. Hier wie auch auf protestantischer Seite wäre freilich auch ein Mehr an Publizität der Haushalte und an unterrichtender Erklärung in der Öffentlichkeit zu wünschen. Steuerbemessung Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, daß die Anlehnung der Kirchensteuer an die Einkommensteuer verfassungsrechtlich nicht zwingend ist4 • Der Landesgesetzgeber könnte andere Maßstäbe zulassen. Die auch von Heinze als praktisch naheliegend anerkannte staatliche Einziehung macht aber den Anschluß an die Einkommensteuer aus Arbeitsund Kostengründen praktisch geboten. Was Heinze nun in diesem Rahmen als unbillige Besteuerung der Gewinne bei Personalgesellschaften tadelt, richtet sich, wie er auch sieht, gegen die Bemessung der Staatssteuer und nur mittelbar gegen die angelehnte Kirchensteuer. Ein ähnliches Problem ergibt sich bei hohen Einkommen, wo die Kirchensteuer den hohen Satz der staatlichen Progression, in dem ein Element der Umverteilung steckt, übernimmt. Durch die Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer als Sonderausgabe wird dieser Effekt übrigens erheblich vermindert. Soweit er bleibt, haben manche protestantischen Landeskirchen durch "Kappung", d. h. Festlegung eines Höchstsatzes (etwa 4 °/o) des 4 BVerfGE 19 S. 253 (258) = NJW 1966 S.150. Daß die Anlehnung an die Einkommenssteuer verfassungsrechtlich bedenkenfrei ist, hat jüngst der Bundesfinanzhof (Urteil vom 28. 2. 1969- VI R 163/67) entschieden.
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erhobenen Einkommensprozentes (und Erstattung höherer Erträge), Abhilfe gegeben. Doch werden sich Meinungsunterschiede darüber zeigen, ob hier nicht ein soziales Problem liegt. Rückkehr zur Pfarrgemeindesteuer? 7. Durchaus möchte ich zuletzt dem Vorschlag Heinzes widersprechen, in der Gestaltung der Steuer zur Erhebung von Pfarrgemeindeabgaben zurückzukehren und die höheren Verbände (Landeskirchen, Diözesen) auf Umlagen zu verweisen. Das wäre ein deutlicher sozialer Rückschritt. Schon 1890 wurde die Berliner Stadtsynode zum Ausgleich zwischen reichen und armen Gemeinden geschaffen und in neuerer Zeit hat sich die Erhebung der am Staatsmaßstab ausgerichteten Steuer als Landeskirchen-(Diözesan-)steuer weithin durchgesetzt. Nur so kann- da Umlagen den Effekt des inneren Finanzausgleichs nur unvollkommen bewirken - ein sozialer Ausgleich wohlhabender und ärmerer Gemeinden und Bezirke erzielt werden. Eine örtliche Erhebung würde weit mehr geeignet sein, bei reichen Gemeinden Aufwand zu fördern; sie würde zudem gerade wieder die modernen Formen überörtlicher Seelsorge und Arbeit gefährden, denen örtliches Interesse die Umlage vorenthalten könnte. Man wird im Gegenteil noch weitere Fortschritte im Finanzausgleich zwischen Landeskirchen und Diözesen wünschen müssen.
Verfassungsrechdiche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen I. In den letzten Jahren hat die Diskussion im Staatskirchenrecht an Breite und Intensität sehr zugenommen. Der Periode der 50er und frühen 60er Jahre, in denen im Verhältnis Kirche und Staat harmonisierende Neigungen vorwalteten und die Theorie zeitweise den Standpunkt einer weitgehenden Selbständigkeit der kirchlichen Ordnung gegenüber dem Staat vertrat, ist ein Zeitabschnitt gefolgt, in dem die Überordnung der staatlichen Gewalt in den Vordergrund gerückt wird und in dem sich stärkere Bestrebungen geltend machen, welche im Grundgesetz festgelegte institutionelle Positionen der Religionsgesellschaften und ihre erhaltenen Verbindungen zum staatlichen und öffentlichen Bereich in Frage stellen1• Indem das Prinzip einer strengen Trennung von Staat und Kirche betont wird, möchte man unter dem Gedanken der weltanschaulichen Neutralität des Staates die bestehenden institutionellen Verbindungen zwischen Staat und Kirchen einschränkend deuten oder sogar zurückdrängen. Die gewandelte Situation hat nach zwei Richtungen die rechtliche Entwicklung des Staatskirchenrechts in Bewegung gesetzt. Während die grundgesetzliehen Vorschriften keine Veränderung erfahren haben, vollzogen sich auf dem seit jeher besonders empfindlichen Gebiet der Berücksichtigung religiöser Elemente im Schulwesen in der zweiten Hälfte der 60er Jahre erhebliche und rasche Umgestaltungen. Angesichts einer zunehmenden Kritik an dem Fortbestand eines überwiegend auf die Bekenntnisschule ausgerichteten Schulwesens in einigen Ländern entschlossen sich in den Jahren 1967 und 1968 in raschem Vorgehen fünf Länder, Aus: Festgabe für Theodor Maunz zum 70. Geburtstag am 1. September 1971. München 1971, S. 307- 328.- Abdruck mit freundlicher Genehmigung der C. H. Beck'schen Verlagsbuchhandlung, München. 1 In dieser Richtung darf hingewiesen werden auf die kritische Stellungnahme zu Thesen der 50er Jahre bei Helmut Quaritsch, Kirchen und Staat, in: Der Staat 1 (1962) S. 175 ff., 289 ff.; deTS., Neuesund Altes über das Verhältnis von Kirchen und Staat, in: Der Staat 5 (1966) S. 451 ff., und Hennann Weber, Grundprobleme des Staatskirchenrechts, Bad Hornburg v. d. H. 1970. Zur Deutung des Grundgesetzes im Sinne eines ausgewogenen Ausgleichs und einer Ablehnung des Gedankens strikter Trennung von Staat und Kirche siehe Martin Heckel und Alexander Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL 26 (1968) S. 5 ff., 57 ff.; Martin Heckel, Staat, Kirche, Kunst, Tübingen 1968, S. 197 ff.
280 Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen von dem bisherigen Schulsystem abzugehen und die christliche Gemeinschaftsschule als Regelschule anzunehmen: Baden-Württemberg: Änderung der Art. 14, 15 LV durch Gesetz vom 8. 2.1967 (GELS. 7); Rheinland-Pfalz: Änderung des Art. 29 LV durch Gesetz vom 10. 5. 1967 (GVBl. S. 137); Nordrhein-Westfalen: Änderung des Art. 12 LV durch Gesetz vom 10. 5. 1968 (GVBl. S. 36); Bayern: Änderung des Art. 135 LV durch Gesetz vom 22. 7. 1968 (GVBl. S. 235) ;2 Saarland: Änderung des Art. 27 LV durch Gesetze vom 12. 5. 1965 (GVBl. S. 189) und 5. 11. 1969 (GVBl. S. 765). Daneben aber läßt sich im Staatskirchenrecht eine zweite Linie von Wandlungen beobachten, die sich freilich in ganz anderer Weise vollziehen. Es handelt sich hier um Stellungnahmen der Rechtsprechung, in denen es vor allem um das Verhältnis bestehender rechtlicher Einrichtungen zu der in Art. 4 GG verbürgten Glaubens- und Gewissensfreiheit geht. Die Vorordnung des Grundgesetzes, vor allem der in ihm festgelegten Grundrechte, vor die gesamte Rechtsordnung hat auf manchen Gebieten dazu geführt, daß bestehende Gesetze einer Prüfung an den einer weiten Interpretation des Grundgesetzes entnommenen Maßstäben ausgesetzt werden. Das hat sich im Bereich der Wirtschaft im Hinblick auf Art. 12 GG, im Gebiet der Ehe und Familie im Verhältnis zu Art. 3 Abs. 2 und 6 GG und bei der persönlichen Freiheit in Beziehung auf Art. 2 Abs. 2, 104 GG - um nur einige Beispiele zu nennen - gezeigt. Für die Materie des Staatskirchenrechts hat Art. 4 GG eine solche grundlegende Bedeutung erlangt. Ihm entnimmt eine weitverbreitete Lehre das Gebot der weltanschaulichen Zurückhaltung oder Neutralität des Staates - wobei sie sich zugleich auf Art. 137 Abs. 1 WRV stützt3 - , ohne daß freilich über den Sinn und die Tragweite des Begriffs der Neutralität Einigkeit bestände. Für manche beinhaltet das Prinzip der Neutralität ein Gebot an den Staat sich aller institutionellen Verbindung zu den Kirchen zu enthalten; damit wird diesem abgeleiteten Grundsatz der Gedanke einer strengen Trennung von Staat und Kirche unterlegt4 • Die überwiegende Meinung5 freilich übersieht nicht, daß sich aus Art. 4 GG ein solches t Der bayerischen Verfassungsänderung folgte eine vereinbarte Anpa!lsung der Kirchenverträge mit der katholischen und der evangelischen Kirche durch den Vertrag mit dem Heiligen Stuhl vom 7. 10. 1968 (Bek. im BayGVBI. S. 397) und mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 10. 12. 1968 (GVBI. s. 401). 3 Vgl. zu dieser Deutung der Neutralität Helmut Quaritsch, in: VVDStRL 26 (1968) S.l11; Friedrich von Zezschwitz, Staatliche Neutralitätspflicht und Schulgebet, in: JZ 1966 S. 339; Adalbert Podlech, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, Berlin 1969, S. 85 ff.
Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen 281 Prinzip staatlicher Indifferenz nicht entnehmen läßt und sie erkennt, daß Art. 4 nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit den eine Verbindung zur Kirche herstellenden anderen Vorschriften des Grundgesetzes gesehen werden muß, deren verfassungsrechtlichen Rang auch das Bundesverfassungsgericht voll anerkannt hat6 • Im Lichte dieser Meinungsverschiedenheiten gewinnt die Auslegung des Grundgesetzes, vor allem des Art. 4 in seinem Verhältnis zu anderen Bestimmungen und zur Gesetzgebung im Bunde wie in den Ländern, eine erhöhte Bedeutung. In den letzten Jahren sind in der Literatur an verschiedenen Punkten Zweifel an der Vereinbarkeit bestehender Regelungen mit der in Art. 4 geschützten Glaubensfreiheit geäußert worden. In einer Reihe von Fällen, so für die Abhaltung von Schulgebeten7 , die Besteuerung des nicht der Religionsgemeinschaft angehörenden Gatten in einer glaubensverschiedenen Ehe8 , für den Zeitpunkt des Eintritts der Steuerbefreiung beim Kirchenaustritt9 und endlich für verschiedene Punkte des Kirchensteuerrechts 1o ist es auch zu gerichtlichen Entscheidungen gekommen. Der Umfang der Gewähr des Art. 4 GG stand in allen diesen Verfahren zur Erörterung. Es ging um die Sicherung der negativen Bekenntnisfreiheit- der Freiheit, nicht zu religiöser Stellungnahme oder zu einem Bekenntnis der eigenen Haltung genötigt zu werden- wie auch um die Freiheit der nicht zu einer Religionsgemeinschaft Gehörenden, nicht für deren Erhaltung durch Steuer- oder Dienstleistung herangezogen zu werden. Dabei ergaben sich für die Auslegung des Grundgesetzes zwei wichtige Probleme. Daß der einfache Gesetzgeber an die Maßstäbe der Verfassung gebunden ist, ist unbestritten. Werden diese Maßstäbe im Grundgesetz aber allein oder vorwiegend durch Art. 4 GG festgelegt oder sind auch andere Vorschriften der Verfassung, einschließlich der übernommenen Artikel der Weimarer Verfassung, zu berücksichtigen? Und ferner die Frage, ob etwa Art. 4 GG gegen' Vgl. Wolfgang Keim, Schule und Religion, 2. Aufl., Harnburg 1969, S. 128 ff.; Friedrich von Zezschwitz, Glaubensfreiheit und schulische Erziehung - Staat
oder Eltern?, in: JZ 1971 S.13 ff. s Siehe Martin Heckel, Staat, Kirche, Kunst, S. 198 ff.; Alexander Hollerbach, Das Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des BundesverfassungsKerichts, in: AöR 92 (1967) S. 104 ff.; Klaus Schlaich, Zur weltanschaulichen und konfessionellen Neutralität des Staates, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 4, Münster 1970, S. 17 ff. 8 BVerfGE 19 S. 206 (218/19). 7 Vgl. die bekannte Entscheidung des Hessischen StGH vom 17. 10. 1965, in: DÖV 1966 S. 51 = KirchE 7 S. 275. 8 BVerfGE 19 S. 226 ff., 242 ff., 268 ff. 'Vgl. hierzu nun BVerwGE 35 S. 90. 10 Ablehnung der Bedenken gegen die bestehende Regelung im Kirchensteuerrecht durch den Bayerischen VerfGH, Entsch. 21 II S. 171 und 21 II S. 1, 76, 173. Abdruck der gesamten Entscheidungen des Gerichts bei Theodor Karg, Kirchensteuerrecht in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, 2. Aufl., München 1969, s. 31 ff.
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über anderen Verfassungsbestimmungen eine Art Vorrang zu behaupten hat. Hier werden grundsätzlich Probleme des Verfassungsverständnisses und der Auslegung aufgeworfen. Es ist in der Lehre überwiegend anerkannt, daß das Grundgesetz, vor allem der Grundrechtsteil, als ein Ganzes im systematischen Zusammenhang ausgelegt werden muß 11 • Die Verfassungsauslegung hat die Bestimmungen des Grundgesetzes in ihrer verfassungsystematischen Ergänzung und Zuordnung zu erkennen, sie muß sich von dem Grundsatz einer integrierenden Einheit und Harmonie der Verfassungsordnung leiten lassen 12. In diesem Sinne ist es richtig, daß das Bundesverfassungsgericht die in das Grundgesetz aufgenommenen Sätze der Weimarer Reichsverfassung in den Zusammenhang mit der in Art. 4 GG verbürgten Glaubens- und Gewissensfreiheit stellt und sie in diesem Rahmen auslegt13. Aber dieser Zusammenhang ist ein gegenseitiger. Auch Art. 4 kann nicht für sich allein gesehen, er muß in Bezug auf die institutionellen Gewährleistungen des Grundgesetzes verstanden werden. Es würde mit dem Grundsatz einer integrierenden Verfassungsinterpretation nicht übereinstimmen, wenn man einem Bestandteil der Verfassungsordnung, dem Grundrecht des Art. 4, eine höhere Bedeutung beimessen und ihm gegenüber anderen verfassungsrechtlichen Bestimmungen eine überlagernde Kraft zuschreiben wollte14. Ansätze zu einer solchen Vorordnung einzelner grundrechtlicher Bestimmungen vor anderen Verfassungsnormen lassen sich etwa in der Rechtsprechung zu Art. 5 GG, auch sonst in der Judikatur finden 15. Doch scheinen mir die Bedenken gegen eine solche Bestrebung zur Begründung einer hierarchischen Ordnung innerhalb der Grundrechte schwerwiegend zu sein. Gewiß gibt es im Grundgesetz Unu Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl., Berlin 1968, S. 190 ff.; Horst Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: VVDStRL 20 (1963) S. 77 ff.; meine Darlegungen: Pressefreiheit, in: VVDStRL 22 (1965) S. 35 ff.; Fritz Ossenbühl, Probleme und Wege der Verfassungsauslegung, in: DÖV 1965 S. 657 f.; Richard Bäumlin, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, in: VVDStRL 28 (1970) S. 18 f. u Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl., Karlsruhe 1970, S. 28 f. ("praktische Konkordanz"); Martin Heckel, Staat, Kirche, Kunst, S. 66; Richard Bäumlin, S.18 ff. 13 BVerfGE 19 S. 206 (219 ff.). " Ich darf auf meine Darlegungen: Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, in: DÖV 1967 S. 587 ff., verweisen. Ferner Alexander Hollerbach, in: AöR 92 (1967) S. 115 f.; Martin Heckel, in: VVDStRL 26 (1968) S. 12 ff.; Joseph Listl, Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht inderneueren deutschen Rechtsentwicklung und im Grundgesetz, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 3, Münster 1969, S. 89 ff. 11 Gegen solche hierarchische Tendenzen in der Grundrechtsauslegung Horst Ehmke, in: VVDStRL 20 (1963) S. 78; gegen ein vereinfachtes Systemdenken meine Darlegung in: VVDStRL 22 (1965) S. 47 ff.; ferner Hans Huber, in: VVDStRL 20 (1963) S. 116. Gegen die Annahme einer differenzierten "Wertordnung" im Grundgesetz auch Ernst-Wolfgang Böckenförde, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, in: VVDStRL 28 (1970) S. 58 f.
Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen 283 terschiede der Tragweite zwischen den Normen, heben sich einzelne Sätze z. B. Art. 1 und 20 GG - auch im Blick auf ihre besondere Sicherung in Art. 79 Abs. 3 GG- heraus. Aber zwischen grundrechtliehen Bestimmungen, auch soweit der Unterschied zwischen Rechtsverbürgungen und institutionellen Festlegungen eingreift, begegnet eine solche Differenzierung erheblichen Zweifeln. Sie trägt Wertungen in die Verfassung hinein, für die der Wortlaut keinen zureichenden Anhalt bietet18• Die Einordnung der übernommenen Bestimmungen der Weimarer Verfassung in die von einer anderen Gesamtstimmung getragene Ordnung des Grundgesetzes, die gegenseitige Abstimmung zwischen ihnen und Art. 4 GG stellen Richtpunkte dar, denen man zustimmen kann. Eine Differenzierung grundrechtlicher Normen aber nach ihrem "inneren Gewicht" legt subjektive Maßstäbe an und führt die Gefahr herbei, allein aus Art. 4 die Grundsätze staatskirchenrechtlicher Regelung zu entwickeln und die somit gewonnenen Systemgedanken dann anderen Vorschriften überzuordnen. Im Gebiet des Schulrechts würde das noch besonderen Bedenken begegnen, weil hier die maßgebende Bestimmung des Art. 7 GG nicht nur zugleich mit Art. 4 entstand, sondern innerhalb der Verfassungsberatungen auch mit besonderem Nachdruck ausgestaltet wurde17 • Es erscheint nun angebracht, diesen einleitenden Überblick abzubrechen und die besonderen Probleme ins Auge fassen, die sich an die Gestaltung des Schulwesens in weltanschaulicher Hinsicht knüpfen. Art. 7 GG ruft auch in anderer Hinsicht, z. B. für die Gestaltung des Religionsunterrichts oder die Zulassung und Unterstützung von Privatschulen, verfassungsrechtliche Fragen hervor. Hier beschränken wir uns indes auf diejenigen Probleme, die mit der weltanschaulichen Ausrichtung der Schule, insbesondere der nunmehr verstärkt erfolgten Einführung einer christlichen Gemeinschaftsschule, zusammenhängen. II.
Die weltanschauliche Ausrichtung des Schulsystems ist seit der Weimarer Zeit- und im Grunde schon seit früherer Zeit - ein Gegenstand lebhaften politischen Ringens gewesen. In der Weimarer Verfassung wurde in Art. 146 Abs. 1 Satz 2 die Gemeinschaftsschule als Regelschule vorgesehen. Die Bestandssicherungsklausel des Art. 174 wirkte sich indes, da ein Reichsschulgesetz niemals zustande kam, dahin aus, die älteren Schultypen bestehen zu lassen. So blieb etwa in Baden der Typ der christlichen 18 Nicht unbedenklich daher auch die in BVerfGE 19 S. 206 (219) angenommene Unterscheidung der Grundrechtsnormen nach "Bedeutung und innerem Gewicht". 17 Siehe die besondere Erklärung der CDU/CSU und einiger kleinerer Gruppen in der 47. Sitzung des Hauptausschusses vom 8. 2. 1949, in: JöR, N.F., Bd. 1 (1951) S. 110.
284 Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen
Gemeinschaftsschule, in Bayern die Bekenntnisschule erhalten1s. Es ist ein Zeichen der großen politischen Tragweite dieser Materie der inneren Ausrichtung der Schule, daß der Parlamentarische Rat sich 1949 hier nicht mit einer Übernahme der Regelung von 1919 begnügte, sondern eine neue Grundlage schuf und in das Grundgesetz einbrachte. Die Bestimmung des weltanschaulichen Charakters derSchule blieb dabei weitgehend den Ländern überlassen. Während für andere Punkte, den Religionsunterricht oder das Privatschulwesen, in Art. 7 GG genauere Riebtsätze aufgestellt wurden, hielt sich hier der Verfassungsgesetzgeber zurück19. In der Tat haben die Landesgesetzgeber- und teilweise lagen die einschlägigen Bestimmungen der Landesverfassungen bei Ausarbeitung des Grundgesetzes bereits vor - von dieser Freiheit recht unterschiedlichen Gebrauch gemacht. Einige Länder gaben der Bekenntnisschule im Rahmen der Zulassung eines Antragsrechts der Eltern weiten Raum2o. Andere legten den Charakter der Schule als den einer weltanschaulich neutralen Gemeinschaftsschule fest 21 . Endlich wählten einige Länder auch den Typ der Gemeinschaftsschule mit christlicher Grundlage22. Gegen diese Situation, soweit sie der Bekenntnisschule einen weiten Raum beließ, richteten sich schulpolitische Bestrebungen seit den 60er Jahren, die dann in den betreffenden Ländern zu einer Neuorientierung im Wege der Verfassungsänderung führten23 • Zugleich setzte aber auch 18 Zur Lage in Weimar siehe Walter Lande, Die Schule in der Reichsverfassung, Berlin 1929, S. 96 ff. Dort S. 124 ff. zur Sperrvorschrift des Art. 174 und S. 132 ff. zu den Schwierigkeiten, die damals bestehende Lage präzis zu umreißen. 19 Das betonte auch BVerfGE 6 S. 6, 309 (346 f.), 20 So die ursprünglichen Fassungen der Landesverfassungen in BadenWürttemberg, Art. 15 Abs. 2; Bayern, Art. 135; Nordrhein-Westfalen, Art. 12 und Rheinland-Pfalz, Art. 29; ferner Saarland, Art. 27. 21 Berlin, Schulgesetz vom 26. 6. 1948 (i. d. F. v. 16. 7. 1969) § 1; Bremen, Art. 32 der Landesverfassung und Schulgesetz vom 4. 4. 1949 (i. d. F. v. 24. 3. 1970) § 1; Hamburg, Schulgesetz vom 9. 12. 1966 (i. d. F. v. 18. 2. 1970) § 8. 22 Das gilt vor allem für Niedersachsen im Schulgesetz vom 14. 9. 1954 (i. d. F. v. 4. 7. 1969) § 2. In Schleswig-Holstein ist die Gemeinschaftsschule in Art. 6 Abs. 3 der Landesverfassung vom 13. 12. 1949 (GVBl. 1950 S. 3) festgelegt, und Art. 6 des Kirchenvertrages mit den evangelischen Landeskirchen vom 23. 4. 1957 (GVBl. S. 73) gibt ihnen einen ,.christlichen Grundcharakter". Dazu dann der erläuternde Hinweis in der Regierungsbegründung, abgedruckt bei Werner Weber, Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge der Gegenwart, Bd. 1, Göttingen 1962, S. 251. In diese Reihe gehört auch, wie Ernst-Wolfgang Böckenförde, Religionsfreiheit und öffentliches Schulgebet, in: DOV 1966 S. 37, nachgewiesen hat, Hessen, wo Art. 56 die Gemeinschaftsschule proklamiert, aber Art. 156 der Landesverfassung vorerst vor lokrafttreten eines Ausführungsgesetzes den bestehenden Zustand sichert, den wiederum Art. 15 des Kirchenvertrages mit den evangelischen Landeskirchen vom 18. 2. 1960 (GVBl. S. 54) auf die ,.christliche Grundlage" der Schule festlegt. Vgl. auch Axel Frhr. von Campenhausen, Erziehungsauftrag und staatliche Schulträgerschaft, Göttingen
1967, s. 207.
23 Zu dieser Wandlung siehe Paul Mikat, Gegenwartsaspekte im Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ecclesia et Jus,
Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen 285 neben der politischen eine verfassungsrechtliche Erörterung ein, die sich gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Anordnung der Bekenntnisschule und auch einer christlichen Gemeinschaftsschule für Kinder anderen Bekenntnisses oder ohne Bekenntnis wandte. Sie ging im Sinne der oben gekennzeichneten Vorrangstellung des Art. 4 GG davon aus, daß der Schutz der Glaubensfreiheit es untersage, einen Zwang zum Besuch einer konfessionellen Schule auszuüben. Dabei zeichneten sich in der Hauptsache zwei Richtungen dieser Anschauung ab. Die weitgehendere24 legt Art. 4 GG im Sinne der Anordnung einer strikten Trennung von Staat und Kirche im altliberalen Sinne aus, sieht daher alle Berührungen von Staat und Kirche als Ausnahmen an und sucht sie zu beschränken. Sie gibt zugleich dem Art. 4 unddemdarinnachihrerMeinung festgelegten Grundsatz der Neutralität des Staates gegenüber weltanschaulichen Richtungen eine Auslegung, die staatliche Vorkehr und Förderung der Religionsgemeinschaften ausschließen soll. Für diese Richtung ist jede Anordnung, die Kinder unfreiwillig in konfessionelle Schulen (und dazu rechnet diese Ansicht auch die christliche Gemeinschaftsschule) führt, unzulässig. Eine andere gemäßigtere Richtung erkennt an, daß im Grundgesetz keine volle Trennung von Staat und Kirche vorgesehen ist, und daß der Staat in dem verfassungsmäßig zugelassenen Umfang auch eine Förderung der Religionsgemeinschaften unternehmen kann, sie gibt aber ebenfalls dem Art. 4 nach der Seite der negativen Freiheit die Deutung, daß mit ihm ein Zwang zum Besuch einer anderskonfessionellen Schule als Bekenntnisschule unvereinbar ist. Hinsichtlich der Gemeinschaftsschule hält es diese Auffassung für mit Art. 4 GG vereinbar, wenn in ihr der christliche Charakter sich auf die Pflege des überlieferten Anteils christlichen Gutes an der heutigen Kultur beschränkt (christliches Bildungserbe), nicht dagegen, wenn der Unterricht von einem Element christlicher Denkweise durchdrungen wird (bekenntnismäßige christliche Gemeinschaftsschule) 23 • Festgabe für Audomar Scheuermann, München- Faderborn 1968, S. 86 ff.; Axel Frhr. von Campenhausen, Staat, Schule und Kirche, in: ZevKR 14 (1968/ 1969) s. 30 ff. 24 In diesem Sinne Erwin Fischer, Trennung von Kirche und Staat, München 1964 (die angekündigte 2. Aufl.lag bei Abfassung dieses Beitrags noch nicht vor}, S. 158 ff., 235 ff.; ders., Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschule? Die Antwort des Grundgesetzes, München 1966; Herbert Krüger, Die Rechtswirkungen der strukturellen und geistigen Umgestaltung des Deutschen Staates nach 1945 auf das Reichskonkordat von 1933. Rechtsgutachten, in: Der Konkordatsprozeß, in Zusammenarbeit mit Hans Müller hrsg. von Friedrich Giese und Friedrich August Frhr. von der Heydte, 3. Teilbd., München 1958, S. 1085; Klaus Obermayer, Gemeinschaftsschule, Auftrag des Grundgesetzes, München 1967, S. 22 f., 29 ff.;Friedrich von Zezschwitz, Staatliche Neutralitätspflicht und Schulgebet, in: JZ 1966 S. 337 ff. 25 Für diese Haltung siehe Adalbert Podlech, S. 82 ff., 101 ff.; Hermann Weber, Schule, Staat und Religion, in: Der Staat 8 (1969) S. 504 f.; mit gewissen Einschränkungen auch Wolfgang Keim, S. 180 ff. Ferner in diesem Sinne Axel Frhr. v. Campenhausen, Erziehungsauftrag, S. 173 ff., 194 ff.; ders., in: ZevKR 14 (1968/69) s. 33 ff.
286 Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen Diese Gedankengänge, die auch in verwandter Form noch schwebenden Verfassungsbeschwerden gegen die baden-vvürttembergische Gesetzgebung zugrunde liegen, werfen eine Reihe von Fragen auf, denen hier näher nachgegangen werden soll. Sie berühren einmal die Sinngebung des Art. 4 GG. Inwieweit läßt sich aus dem Gebot staatlicher Neutralität für die Schulgesetzgebung eine Bindung ableiten? Es gilt auch die Glaubensfreiheit in ihrer positiven wie negativen Seite näher zu bestimmen, vor allem im Blick zugleich auf die Verkörperung der weltanschaulichen Auffassungen in Gruppen, den Gedanken der Toleranz, der sich aus dem Miteinander der Glaubensfreiheit aller ergibt, zu entfalten. Besonders aber ist auch das Verhältnis der in Art. 4 und 7 GG enthaltenen Regelungen zu beachten, und die dem Landesgesetzgeber offengelassene Entscheidung zu berücksichtigen. Auf diese Weise wird es möglich sein, die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Gemeinschaftsschule mit christlichem Charakter zu klären.
In. Bevor hierauf näher einzugehen ist, muß indes das Augenmerk darauf gerichtet werden, daß gegen die in mehreren Ländern gefundene Lösung einer christlichen Gemeinschaftsschule auch von einer anderen Richtung her rechtliche Bedenken aufgetreten sind, die ebenfalls zu VerfassungsrechtlichenBeschwerden geführt haben. Sie gründen sich im umgekehrten Sinn zu den soeben angeführten Einwendungen darauf, daß eine Beeinträchtigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit auch darin liegen kann, daß Kinder christlicher Eltern nicht die von ihren Erziehungsberechtigten gewünschte konfessionelle Erziehung erhalten können, sondern eine Gemeinschaftsschule besuchen müssen. Diese Bedenken können zwei Gesichtspunkte anführen, die- so scheint mir- beide indes in der heutigen Lehre keinen rechten Anhalt mehr besitzen. Soweit man auf das Recht der Eltern über die Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen (Art. 6 Abs. 2 GG) verweist, so besteht dies Recht im Bereich der schulischen Erziehung nur in einer Kooperation mit dem staatlichen Recht, über die Heranbildung der Kinder zu leistungsfähigen und selbstbestimmten Staatsbürgern in der Schule zu wachen (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 und 7 Abs. 1 GG) 21 • Aus dem Elternrecht läßt sich wohl ein Anspruch auf Mitwirkung in der SchuleMitbestimmung- ableiten, nicht aber ein Recht, vom Staate die Einrichtung eines bestimmten Schulsystems zu fordern~ 7 • 28 Zu dieser Deutung des Elternrechts siehe Hans Peters, Elternrecht, Erziehung, Bildung und Schule, in: Die Grundrechte, hrsg. von Karl August BetteTmann, Hans Carl Nipperdey u. Ulrich Scheuner, Bd. IV/1, Berlin 1960, S. 385; Axel Frhr. von Campenhausen, Erziehungsauftrag, S. 32 f. 27 So wohl auch Hans Peters, S. 386, 405 f.; Wolfgang Keim, S. 169 f., Axel Frhr. von Campenhausen, Erziehungsauftrag, S. 28 ff., 168.
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Ernster ist der Hinweis auf die den Kindern wie ihren Erziehungsberechtigten entstehende Gewissensbelastung28 • Das katholische Kirchenrecht legt den Eltern in can. 1372, 1374 CIC die Pflicht auf, ihre Kinder in ihrem Glauben zu erziehen und von Schulen gemeinsamer Erziehung fernzuhalten, sofern nicht besondere Umstände die bischöfliche Duldung eines anderen Verhaltens nahelegen. Auch die Erklärung über die christliche Erziehung desZweiten Vatikanums vom 28. 10. 196529 äußert sich zwar beweglicher, indem sie die Zusammenarbeit der Bildungsmächte in der Schule betont30, aber sie hält am natürlichen Elternrecht fest und fordert vom Staate, seine Mittel so einzusetzen, daß den Eltern wirklich eine freie Wahl der Schule bleibt31 • Man wird daher nicht leugnen können, daß hier für die Kinder und Erziehungsberechtigten aus der Notwendigkeit, nur eine diesen Forderungen nicht entsprechende staathelle Schule verfügbar zu haben, eine Gewissensbelastung entstehen kann32 • Das sollte nicht geleugnet oder verkleinert werden. Gerade die neuere Entwicklung, die mit besonderem Nachdruck die als eigenes Grundrecht verstandene und säkular gesehene Gewissensfreiheit überaus empfindlich ausdeutet und ihre Unverletzlichkeit betont33 , sollte dies nicht verkennen, da schon der Gleichheitssatz gebietet, die Glaubensfreiheit nicht enger als die Gewissensfreiheit zu deuten. Demgegenüber wird man nur -und wir werden auf diesen Gesichtspunkt zurückkommen- darauf verweisen können, daß aus der Glaubens- und Gewissensfreiheit im Rahmen des geselh:chaftlichen Zusammenlebens nicht überall ein Anspruch auf gesonderte staatliche Einrichtungen erwachsen kann, daß vielmehr im pluralistischen Gemeinwesen auch ein gewisses Nachgeben, ein Sicheinfügen in ein tolerantes Miteinander gefordert werden darf 34 • Auch wird man zugeben müssen, daß der Besuch einer weltanschaulich neutral gehaltenen Schule nicht mit 28 Auf sie macht aufmerksam der Gelehrte, dem diese Festschrift gewidmet ist, vgl. Staat und Schule im Verfassungsrecht, in: Für Kirche und Recht, Festschrift für Johannes Hecke!, Köln 1959, S. 3 f.; ders. schon im Konkordatsprozeß: Rechtsgutachten über Pflichten des Landes Niedersachsen aus dem Reichskonkordat, in: Der Konkordatsprozeß, in Zusammenarbeit mit Hans Müller hrsg. von Friedrich Giese und Friedrich August Frhr. von der Heydte, 2. Teilband, München 1957, S. 783; vgl. auch Paul Feuchte u. Peter Dallinger, Christliche Schule im neutralen Staat, in: DÖV 1967 S. 365 f. 28 Acta Apostolicae Sedis 58 (1966) S. 728 ff. ao Declaratio Nr. 5. 31 Siehe den Kommentar von Bischof Dr. Johannes Pohlschneider, in: Das Zweite Vatikanische Konzil, Teil 2, Freiburg/Br. 1967, S. 380 f. (Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Erg. Bd. 2). 12 Das wird im Grunde auch von Autoren nicht geleugnet, die einen Anspruch der Betroffenen an den Staat hier abweisen. Vgl. Wolfgang Keim, S. 175 f.; Adalbert Podlech, S. 98 f. 33 Vgl. für die (säkular verstandene) Gewissensfreiheit Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: VVDStRL 28 (1970) S. 64. Daß diese Gewissensfreiheit nicht weiter reichen kann als die im gleichen Art. 4 verbürgte Glaubensfreiheit, d. h. das religiöse Gewissen den gleichen Schutz im Grundgesetz erhält wie das weltliche, dazu meine Darlegung: Die verfassungsmäßige Verbürgung der Gewissensfreiheit, in: ZevKR 15 (1970) S. 248.
288 Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen der Notwendigkeit verglichen werden kann, eine Anstalt bestimmter weltanschaulicher Ausrichtung besuchen zu müssen35 • Doch wird sich aus dem Gedanken der Gleichheit der objektive Grundsatz ergeben, daß der Staat auch Sorge tragen muß, daß religiöse Minderheiten durch die Verwendung privater Schulen einen Ausweg finden. In dem modernen Sozialstaat, der weite Teile des Einkommens seiner Bürger beansprucht und umverteilt, kann man den Bürger nicht mehr einfach auf eigene Kostentragung verweisen. Ein richtiger Gedanke, den man zur Gewissensfreiheit entwickelt hat, verweist auf die Notwendigkeit, bei Eingriffen Alternativen des Ausgleichs zur Verfügung zu stellen38 • Dieser Gedanke erscheint auch hierfür fruchtbar.Nur dann wird derVerweis auf das Privatschulweseneinen gangbaren, die Gewissensfreiheit schützenden Weg darstellen, wenn hierfür auch die erforderliche staatliche Förderung verfügbar ist37• Im ganzen aber wird man von der herrschenden Anschauung sagen können, daß sie aus Art. 4 oder 6 Abs. 2 GG entnimmt, die Glaubensfreiheit werde durch Nichtgewähr der von den Erziehungsberechtigten erstrebten Schulart nicht verletzt. Ich muß es bei diesen kurzen Bemerkungen hier bewenden lassen. IV. Kehren wir zurück zu den Bedenken, die gegen eine religiöse Ausrichtung der Schule in dieser oder jener Form aus dem Gedanken erhoben werden, daß dadurch Andersgläubige oder Nichtgläubige zum Besuch einer in einem bestimmten weltanschaulichen Sinne orientierten Schule genötigt werden. Hier liegt der Tatbestand anders. Es wird nicht eine Sondereinrichtung versagt, die der Gewissenspflicht entspricht, sondern es wird die Forderung nach Teilnahme an einem in stärkerer oder geringerer Form weltanschaulich ausgerichteten Unterrichtssystem verlangt38• Auch hier bedarf es indes sorgsamer kritischer Abwägung der Gesichtspunkte. u Siehe Martin Heckel, in: VVDStRL 26 (1968) S. 14; Axel Frhr. von Campenhausen, in: ZevKR 14 (1968/69) S. 27 f.; Richard Bäumlin, in: VVDStRL 28 (1970)
S.25f. 35 So Axel Frhr. von Campenhausen, Erziehungsauftrag, S. 181. Auf die nur dem Grade nach hier bestehende Unterscheidung weist hin Ernst- Wolfgang Böckenförde, in: DÖV 1966 S. 37 f. Gegen die Differenzierung Paul Feuchte u. Peter Dallinger, in: DÖV 1967 S. 366; Konrad Hesse, Freie Kirche im demokratischen Gemeinwesen, in: ZevKR 11 (1964/65) S. 360, Anm. 60. 38 Vgl. Richard Bäumlin, in: VVDStRL 28 (1970) S. 22f.; Ernst-Wolfgang Böckenförde, ebd., S. 60 ff. 37 Die Forderung einer entsprechenden staatlichen Förderung wird heute weithin hier als begründet anerkannt. Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: DÖV 1966 S. 34 ff.; Hans Jürgen Toews, Die Schulbestimmungen des niedersächsischen Konkordats, Göttingen 1967, S. 75. Vgl. auch jetzt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Subventionierung des Privatschulwesens, in: BVerwGE 27 S. 360. 38 Vgl. Axel Frhr. v. Campenhausen, Erziehungsauftrag, S. 182. Siehe auch Anm.35.
Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen 289 Zunächst wird auszugehen sein von der grundsätzlichen Zulässigkeit staatlicher Bekenntnis- und Gemeinschaftsschulen und der Befugnis der Länder, diese Schularten inhaltlich unterschiedlich zu gestalten. Die grundsätzliche Zulässigkeit der drei Schultypen Bekenntnisschule, Gemeinschaftsschule und Weltanschauungsschule (d. h. Schule mit weltlicher Anschauungsbindung) ergibt sich aus der Verfassungsnorm des Art. 7 Abs. 5 GG, der bei seiner Eingrenzung der Privatschule hier zugleich normativ die möglichen Schultypen -übrigens mit Belassung großer Bewegungsfreiheit- festlegt38 • Wenn demgegenüber das Grundgesetz des weiteren sich zurückhält und der Landesgesetzgebung die nähere Gestaltung überläßt, so ist damit zugleich eine Anordnung getroffen, die dem Grundaufbau des Grundgesetzes entspricht. Das Bundesverfassungsgericht hat nachdrücklich die hier den Ländern gewährte Gestaltungsfreiheit hervorgehoben 40 • Es würde daher einer grundlegenden Regel des Grundgesetzes widersprechen, wollte man die hier gewährte Freiheit in zu starkem Maße durch die Heranziehung des Art. 4 GG einschränken. Es ist schon allgemein bemerkt worden, wie sehr eine erweiterte Handhabung der Grundrechte des Grundgesetzes den föderalen Spielraum der Länder mehr und mehr einengt41 • Es bleibt daher zunächst weiter festzustellen, daß die Einrichtung einer staatlichen Bekenntnisschule nicht gegen Grundsätze des Grundgesetzes verstoßen kann42 • Dabei ist Bekenntnisschule hier verstanden im Sinne einer durch den Geist eines Bekenntnisses bestimmten Schulgattung, d. h. im Sinne der sog. materiellen Bekenntnisschule, deren Gehalt durch ihre Ausrichtung, nicht durch personelle Bekenntnisübereinstimmung von Schülern und Lehrern bestimmt wird43 • Es ist außerdem nicht bestritten, 18 Die Literatur geht einhellig von der Geltung und Verbindlichkeit der drei in Art. 7 Abs. 5 GG genannten Typen aus. Vgl. Hans Heckel, Zur Frage der Vereinbarkeit der Bekenntnisschule mit dem Grundgesetz, in: DÖV 1953 S. 593 ff.; Hermann von Mangoldt, Grundgesetz, 2. Aufl. von Friedrich Klein, Bd. 1, Berlin- Frankfurt/M. 1957, S. 287, 298; Theodor Maunz, Deutsches Staatsrecht, 17. Aufl., München 1969, S. 146. 40 BVerfGE 6 S. 309 (365). Vgl. ferner zu diesem Spielraum BayVerfGH, in: BayVBl. 1968 S. 241; Erwin Stein, Probleme des Schulrechts nach dem Grundgesetz, in: NJW 1950 S. 658; Axel Frhr. von Campenhausen, Erziehungsauftrag, S. 178; Alexander Hollerbach, in: VVDStRL 26 (1968) S. 95. 41 Vgl. Alexander Hollerbach, in: AöR 92 (1967) S. 115. 42 Obereinstimmend Hans Heckel, in: DÖV 1953 S. 595 f.; Theodor Maunz u. Günter Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Rdnr. 46 zu Art. 7; Friedrich Müller, Schulgesetzgebung und Reichskonkordat, Freiburg/Br. 1966, S. 43; Erwin Stein, Zur staatskirchenrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Juristen-Jahrbuch, Bd. 8 (1967/68), Köln-Marienburg 1967, S. 132; Christoph Link, Verfassungsrechtliche Fragen zur Aufhebung der Staatskirche, in: BayVBl. 1966 S. 304; Hans Jürgen Toews, S. 70; Hermann Weber, Grundprobleme des Staatskirchenrechts, in: JuS 1967 S. 443; Thomas Oppermann, in: VVDStRL 26 (1968) 8.148; BVerfGE 6 S. 309 (339); BVerwGE 17 S. 289. 43 Vgl. hierzu Hans Peters, S. 409 Anm. 131; Axel Frhr. von Campenhausen, Erziehungsauftrag, S. 178.
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daß der freiwillige Besuch einer solchen Schule durch andere als Bekenntniszugehörige keinen Verstoß gegen Art. 4 GG darstellt. Dagegen sieht die überwiegende Meinung heute in dem Zwang, eine solche Schule zu besuchen, weil nur sie zur Verfügung steht, eine andere Schulart entfernungsmäßig nicht zu erreichen ist und die Grundlage für eine Privatschule fehlt, einen Eingriff in die Glaubensfreiheit44 • Man wird zugeben können, daß die Einfügung in eine solche konfessionell geschlossene Schuleinrichtung die Persönlichkeit des Schülers einer erheblichen inneren Beeinflussung aussetzt, die seine Glaubensfreiheit berührt und auch das Erziehungsrecht der Eltern einengt45 • Es ist denkbar, daß diesem Bedenken durch eine abschwächende Gestaltung des Charakters der Schule, jedenfalls in Klassen, in denen Nichtbekenntniszugehörige anwesend sind, im Sinne eines Zurücktretens des Bekenntnischarakters entsprochen werden könnte; ein weiteres Moment in diesem Sinne läge in der Bestellung von "Minderheitenlehrern". Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat in mehreren Urteilen diesen Weg für gangbar gehalten46 • Er würde praktisch bedeuten, daß der Bekenntnisschultyp in diesen Fällen zu dem einer christlichen Gemeinschaftsschule tatsächlich verändert würde 47 • Wenden wir uns nun zur Gemeinschaftsschule. Hier muß zunächst festgestellt werden, daß gegenüber dem einigermaßen einheitlichen Typ der konfessionellen Schule diese Form sehr verschiedene Ausgestaltungen zeigen kann48 • Auch die heutige Gesetzgebung läßt das ohne weiteres erkennen. Neben den Verfassungen und Gesetzen, die eine neutrale Gemeinschaftsschule errichten, und dabei nur auf das christliche Bildungsgut mitunter hinweisen (z. B. Berlin, Schulgesetz vom 26. 6. 1948, § 1) steht die christliche Gemeinschaftsschule, die wiederum verschiedene Prägungen aufweist. So spricht Art. 29 Abs. 3 LV Rheinland-Pfalz aus: "Unterricht und Erziehung sind christlich, aber nicht bekenntnismäßig gebunden." Bayern (Art. 135 LV) führt die "Grundsätze der christlichen Bekenntnisse" an, während Nordrhein-Westfalen eine offenere Umschreibung wählt (Art. 12 Abs. 6): "In Gemeinschaftsschulen werden Kinder auf 44 Neben den in Anm. 24 Genannten Adalbert Podlech, S. 96; Wolfgang Keim, S. 180 ff.; Axel Frhr. v. Campenhausen, Erziehungsauftrag, S. 192; Alexander Hollerbach, in: VVDStRL 26 (1968) S. 95; Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: VVDStRL 28 (1970) S. 87. 45 So auch jetzt BayVerfGHE Bd. 20 li S. 46. 48 BayVerfGH vom 20. 3. 1967, in: Bd. 20 li S. 37 ff.; ebenso die Urteile vom 14. 7. 1967, in: VerwRspr. 19 (1968) S. 387 ff., und vom 18. 9. 1967, in: BayVerfGH Bd. 20 II S. 159, 164. Ihnen schließt sich an VGH Mannheim, in: DVBI. 1968 S. 117. Vgl. ferner das Urteil des BayVerfGH vom 19. 11. 1967, in: Bd. 20 li S. 191. 47 Auf diese Mutation weisen hin Paul Feuchte u. Peter Dallinger, in: DÖV 1967 S. 366. Ebenso Axel Frhr. v. Campenhausen, in: ZevKR 14 (1968/69) S. 36 f.; Alexander Hollerbach, in: VVDStRL 26 (1968) S. 96/97. 48 Ein überblick über die heutigen Gestaltungen bei Paul Feuchte und Peter Dallinger, in: DÖV 1967 S. 370 f.; Axel Frhr. v. Campenhausen, Erziehungsauftrag, 8.196 ff.; Wolfgang Keim, S. 93 f.
Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen 291 der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte in Offenheit für die christlichen Bekenntnisse und für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen gemeinsam unterrichtet und erzogen." Im Grunde würde man eine ganze Reihe unterschiedlicher Typen herausarbeiten können49 • Im Interesse der Übersicht lassen sich wohl drei Haupttypen unterscheiden: a) Eine Gemeinschaftsschule von säkularer Grundhaltung, deren Unterricht keine weltanschauliche Färbung aufweist. Bei einer objektiven Vermittlung des Erbes an europäischer und deutscher Überlieferung wird auch dieser Typ dem christlichen Einfluß einen Platz im Kulturerbe einräumen müssen 50 • Eduard Spranger hat diesen Typ den der "wissenschaftlichen" Simultanschule genannt51 • b) Eine christliche Gemeinschaftsschule, die dem christlichen Gedankengut im Rahmen der allgemeinen kulturellen Darbietung sich offenhält und es als ein in der heutigen Gesellschaft wirkendes wesentliches Element anerkennt, ohne eine eigentliche Gestaltung der dazu geeigneten Unterrichtsstoffe aus einer christlichen Auffassung zu unternehmen. Christlich ist hier im Sinne gemeinsamer Grundlagen der großen Bekenntnisse verstanden. Man kann hier von einem Typ der "offenen" christlichen Gemeinschaftsschule sprechen, einer Schule, deren christlicher Charakter durch die Vermittlung des allgemeinen christlichen Bildungserbes gekennzeichnet wird52• c) Eine christliche Gemeinschaftsschule, die neben der Pflege christlichen Gutes (Schulgebet usw.) im Unterricht, soweit geeignet, die gemeinsamen christlichen Anschauungen beider Bekenntnisse zur Geltung bringt. Man spricht hier - nicht ganz zutreffend - von bekenntnismäßiger Gemeinschaftsschule53. Wiederum kann für alle diese Typen die grundsätzliche Zulässigkeit im Rahmen der Gestaltungsfreiheit der Länder angenommen werdens4. Aber wie steht es hier mit dem Verhältnis zu Art. 4 GG? Kann Zwang 48 Darauf weist besonders hin Konrad Müller, Das niedersächsische Modell der "christlichen Gemeinschaftsschule", in: Die neue Gesellschaft 13 (1966)
s. 344 f.
60 Auf dieses Gebot weist richtig hin Axel Frhr. von Campenhausen, Erziehungsauftrag, S. 195. Der Ausschluß allen christlichen Erbes würde die Schule in die Nähe einer laizistischen Weltanschauungsschule rücken. 61 Eduard Spranger, Die wissenschaftlichen Grundlagen der Schulverfassungslehre und Schulpolitik, Berlin 1927 (Neudruck in Klinkhardts Pädagogischen Quellentexten, hrsg. von Theo Dietrich u. Albert Reble, Bad Heilbrunn
1963, s. 58. 52 Adalbert Podlech, S. 104, nennt diesen Typ bildungsmäßig christliche Gemeinschaftsschule; Axel Frhr. von Campenhausen, in: ZevKR 14 (1968/69) S. 38, wählt den Ausdruck "offene" christliche Schule. ss Adalbert Podlech, S. 104. 54 Axez Frhr. v. Campenhausen, Erziehungsauftrag, S. 169 f. 19°
292 Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen
zum Besuch einer Gemeinschaftsschule die Glaubensfreiheit beeinträchtigen? Bei der "neutralen" Form wird dies verneint. Man wird freilich hinzufügen können, daß auch dieser Typ keineswegs eine ganz farblose Einrichtung darstellt. Auch hier werden bestimmte Anschauungen vermittelt, auch wenn man es ablehnen muß, zu glauben, daß dies etwa die "Wertordnung des Grundgesetzes", der "ethische Standard" der Verfassung sein könnte 66 • Eine solche geschlossene Wertordnung, die Aussagen für eine Erziehung liefern könnte, gibt es nicht56 • Aber man darf feststellen, daß bei diesem ganz offen gehaltenen Typus, sofern sich in ihn nicht ein negatives gegen weltanschauliche Auffassung gerichtetes Element einschleicht, eine Verletzung des Art. 4 GG nicht gegeben ist. Weithin wird dies auch für die Gestaltung der christlichen Form mit Bezug nur auf das christliche Bildungsgut angenommen57 • In der Tat läßt sie noch eine gewisse Nähe zu der "neutralen" Schule zu, die sich der besonderen Bedeutung der christlichen Überlieferung für die europäische und deutsche Kultur bewußt ist. Dagegen werden gegen die sog. bekenntnismäßige christliche Gemeinschaftsschule, in der die Anschauung gemeinsamer christlicher Haltung im Unterricht zur Geltung gelangt, Bedenken erhobenss. Man wird diese Bedenken nicht aus einem allgemeinen Prinzip des Staatskirchenrechts ableiten können. Ganz abgesehen davon, daß es überhaupt methodisch nicht unbedenklich wäre, aus einem solchen Grundsatz, der nirgends im Grundgesetz formuliert ist, Folgerungen zu ziehen51 , schließt die im Grundgesetz konkret durch die Verbindung des Art. 4 GG mit institutionellen Bestimmungen umschriebene Neutralität staatliche Förderung der Religion, Verbindungen von Staat und Kirche nicht aus. Zumal im Blick auf Art. 7 Abs. 5 G wird also aus allgemeinen Gesichtspunkten staatskirchenrechtlicher Art keine Einwendung zu gewinnen sein. Die eigentlichen Fragen knüpfen sich vielmehr an das subjektive Recht der individuellen Glaubensfreiheit in Art. 4 GG. Untersagt sie es, daß 55 An diesem Maßstab möchte sich Klaus Obermayer, S. 23, 38, orientieren. " Vgl. Konrad Hesse, Grundzüge, 4. Aufl., S. 124, 126; Friedrich Müller, Die Positivität der Grundrechte, Berlin 1969, S. 9; Hermann Weber, in: Der Staat 8 (1969) s. 505. 57 Siehe Adalbert Podlech, S. 105/106; Axel Frhr. v. Campenhausen, Erziehungsauftrag, S. 201/202; Wolfgang Keim, S. 187 (freilich mit der Einschränkung, daß die christliche Beziehung der Schule nur ein "christliches Element" bedeute); PauZ Feuchte u. Peter DaZZinger, in: DOV 1967 S. 365 f.; Friedrich Müller, Christliche Gemeinschaftsschulen und weltanschauliche Neutralität des Staates, in: DÖV 1969 S. 441 ff.; Christoph Link, Artikel "Bekenntnisschule", in: Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart- Berlin 1966, Sp. 142; Hermann Weber, in: Der Staat 8 (1969) S. 504. 58 AdaZbert Podlech, S. 105/106; Hermann Weber, in: Der Staat 8 (1969) S. 504; Friedrich von Zezschwitz, in: JZ 1971 S. 14 ff. 59 Vgl. Hermann Weber, Grundprobleme des Staatskirchenrechts, S. 38.
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das Kind in einer Schule- es sei denn bei freiwilligem Besuche des betreffenden Schultyps- einem Einfluß weltanschaulicher Art ausgesetzt werde? Bei der Form der Gemeinschaftsschule, in der auch in Unterrichtsfächern außerhalb des Religionsunterrichts eine christliche Anschauung zur Geltung gelangt und christliches Brauchtum sich entfaltet60 , nimmt eine von einem Teil der Literatur geäußerte Ansicht durch das Vorliegen eines solchen Einflusses eine Beeinträchtigung des Art. 4 GG als gegeben an. Diese Meinung läßt sich indes bei einer eingehenderen Prüfung der Bedeutung des Art. 4 nicht halten. Es wird dazu notwendig sein, vor allem drei Punkte ins Auge zu fassen. Es gilt zunächst die heute zuweilen überbetonte negative Glaubensfreiheit in ihrem Verhältnis zur Glaubensfreiheit anderer in ihrem positiven Verständnis abzuwägen. Sodann ist die Bedeutung der Glaubensfreiheit in einer pluralistischen Gesellschaft sowohl in ihrer Tragweite für die individuelle Sicherung wie für das Verhältnis der diese pluralistische Gesellschaft ausmachenden weltanschaulichen Gruppen zu würdigen. Endlich aber muß dem Gedanken des Zusammenlebens, der Toleranz, gerade im Hinblick auch auf die Schulerziehung in einer pluralistischen Umwelt Beachtung geschenkt werden. Daran mag sich noch ein Ausblick auf die Frage knüpfen, ob wirklich in einer christlichen Gemeinschaftsschule, in der das christliche Element nur im gemeinsamen Gut der Bekenntnisse und nur in der dadurch abgeschwächten Gestalt einwirken kann, von einem formenden Einfluß hinsichtlich der Schule gesprochen werden kann. Der Inhalt der Glaubensfreiheit des Art. 4 GG besteht in der Freiheit der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung, der Freiheit ihres öffentlichen Bekenntnisses und der Freiheit der gemeinsamen öffentlichen religiösen Betätigung in Gottesdienst, Diakonie, Mission und öffentlichem Zeugnis. Alle diese Freiheiten, die der Begriff Religionsfreiheit zusammenfaßt61, stellen nicht nur individuelle Abwehrrechte gegen den Staat dar. Sie sind auch Rechte gegenüber dem Staat und Dritten, die eine religiöse Betätigung sicherstellen. Die Religionsfreiheit ist nicht nur Ausgrenzung gegenüber dem staatlichen Eingriff, sie ist auch Schutz der institutionellen Entfaltung. Sie umschließt also auch den ganzen genannten Raum, wie ihn auch Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention umschreibt. Die neuere Tendenz, bei der Glaubensfreiheit nur die negative Seite einer Freiheit von staatlicher Einwirkung zu betonen, ist einseitig. Das hier unterstrichene Recht des Individuums, sich einer Beteiligung an weltanschaulichen Veranstaltungen und Einflüssen 80 Zum christlichen Brauch in einer Gemeinschaftsschule siehe die Bekanntmachung des baden-württembergischen Kultusministeriums vom 9. 11. 1967 U II 1186/80, in: ABI. S. 1260. 81 Vgl. hierzu Erwin Stein, Zur staatskirchenrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Juristen-Jahrbuch, Bd. 8 (1967/68), 1967, S. 131. Für diesen weitergreifenden Gehalt des Art. 4 GG auch BVerfGE 24 S. 236 (245 f.).
294 Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen zu enthalten, wird ergänzt und begrenzt durch das Recht der anderen ihrer Religionsfreiheit nachgehend ihrem Gewissen zu folgen. Staatliche Neutralität kann also nicht im Sinne einer völligen Ausschaltung religiöser Momente aus dem staatlichen Bereich verstanden werden. Der Staat würde damit in einer pluralistischen Gesellschaft nicht neutral bleiben, sondern zugunsten einer bestimmten, laizistischen, Tendenz Stellung nehmen. Gewiß muß der Staat sich jeder Identifikation mit einer Weltanschauung enthalten. Aber Neutralität ist nicht Indifferenz oder Abkehr, sondern kann sich durchaus mit Anerkennung und Berücksichtigung vereinen. Je weiter heute die staatliche Tätigkeit auf allen Gebieten ausgreift, desto mehr würde die Fernhaltung jedes religiösen Moments aus allen staatlichen Sphären diskriminierend wirken. Verweisung der Individuen auf den individuellen Bereich, wie ihn neuerdings in grundlegender Verkennung des Art. 4 GG v. Zezschwitz wieder hier lehrt62 , kann angesichts der staatlichen Finanzbeanspruchung aller Bürger nicht mehr zureichen. Es tritt hier ein Zug hervor, der sich auch sonst bei in die Öffentlichkeit hineinwirkenden individuellen Grundrechten geltend macht. Wo bestimmte Lebensbereiche, in denen diese Freiheiten eine Rolle spielen, weitgehend durch staatliche Einwirkung und Gestaltung bestimmt werden - wie dies z. B. auf dem Gebiet des Rundfunks und Fernsehens, bei der Pflege der Wissenschaft und auch in der Schule der Fall ist -, kann Freiheit nicht allein in der Ausgrenzung der Freiheit von Individuen und Gruppen gegenüber dem Staate bestehen, sondern schließt sie ihre angemessene Teilhabe an den staatlichen Einrichtungen ein63 • Angesichts des weitgehenden tatsächlichen Schulmonopols des Staates muß daher der Staat in diesem Bereich auch dem Bestand verschiedener weltanschaulicher Kräfte und Gruppen Rechnung tragen. Es bedarf also, soll die einseitige Betonung der negativen Glaubens- und Gewissensfreiheit im Sinne einer Ausklammerung religiöser und weltanschaulicher Momente aus staatlichen Einrichtungen nicht zu einer Beeinträchtigung der positiven Rechte anderer führen, der Abwägung und der Rücksicht auf beiden Seitens4. JZ 1971 s. 12 ff. Das ist der Inhalt der Fernsehentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in: BVerfGE 12 S. 205 (215, 232, 261 ff.). Vgl. zur Wissenschaftsfreiheit meine Bemerkung in: VVDStRL 26 (1968) S.131 ff. und Festschrift für Leo Brandt zum 60. Geburtstag, Köln - Opladen 1968, S. 618 ff. Auch von dem Grundsatz strenger Trennung, den die neuere amerikanische Rechtsprechung entwickelt hat und der von der deutschen Lage sich deutlich abhebt, hat die neueste Entscheidung des amerikanischen Supreme Court im Fall Walz - 397 U.S. 664 (1970) bei Festhaltung der Nichtbeteiligung der Kirche bei staatlichen Vorkehrungen doch die Steuerbefreiung der Kirchen im Sinne des Herkommens in den USA anerkannt, weil sonst die Trennung in eine "inhibition" umschlagen würde (Chief Justice Burger S. 677). Vgl. hierzu die Würdigung von Paul G. Kauper, The Walz Decision: More on the religion clauses of the first Amendment, in: Michigan Law Review 69/1 (1970) S. 179 ff. 84 In diesem Sinne einer Beachtung sowohl der positiven wie der negativen Gehalte der Religionsfreiheit siehe auch Axel Frhr. von Campenhausen, I! 13
Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen 295 Diese Üherlegung bedarf einer Ergänzung von einem zweiten Gesichtspunkt. Die Religionsfreiheit ist ein Grundrecht des Individuums. Es entspricht aber der Natur religiöser und weltanschaulicher Haltung, daß die Verwirklichung dieses Grundrechts- man könnte vergleichend auf das Vereins- und Versammlungsrecht oder die Koalitionsfreiheit hinweisen -in der Gemeinsamkeit des Bekennensund der Ausübung in der Öffentlichkeit sich vollzieht. Es kann daher die Religionsfreiheit nicht nur im Verhältnis einzelner Individuen, sie muß auch im Zusammenleben der Gruppen in einem geistig pluralistischen Gemeinwesen gesehen werden. Es kommt auf das Miteinander der verschiedenen Gruppen an, die in ihrem korporativen Zusammenhang zu sehen sind65 , und die sich daher um der gemeinsamen Lebensführung im Staate gewissen Einschränkungen gegenseitig unterwerfen müssen. Das ist der Sinn des Hinweises des Bundesverfassungsgerichts im Konkordatsurteil, daß nicht alle Wünsche der Eltern an eine ihren Wünschen entsprechende Schulart erfüllt werden können, daß gewisse Verzichte für sie bei der Bestimmung des Schultyps unvermeidlich sind, ohne daß damit die Gewissensfreiheit beeinträchtigt würde 66 • In einer pluralistischen Gesellschaft kann es in weltanschaulichen Fragen ebensowenig Mehrheitsentscheidungen geben, wie eine volle Durchsetzung der negativen oder positiven Seite jedes Individualrechts. Die Rechte aller müssen vielmehr in eine Abwägung, in eine Übereinstimmung gebracht werden, die möglichst geringe Verzichte vom einzelnen fordert. Man darf nicht übersehen, daß die Glaubensfreiheit- eben um dieser Zusammenhänge willen-in ihrer geschichtlichen Entwicklung zuerst als ein korporatives Recht, als Zulassung eines Bekenntnisses auftritt87 • Damit berühren wir aber bereits den dritten hier bedeutsamen Gesichtspunkt, den Grundsatz der Toleranz. Man mißversteht den Sinn der Toleranz, wenn man sie nur als Duldung anderer Standpunkte, also sozusagen als unvollkommene Vorstufe der vollen Glaubens- und GewissensGrundgesetz und Kirche. - Anmerkungen zu den Auseinandersetzungen des Staatskirchenrechts, in: BayVBI. 1968 S. 222 f.; Herbert Scholtissek, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 3, Münster 1969, S. 138 f.; Klaus Schlaich, in: Essener Gespräche, Bd. 4, Münster 1970, S. 24 f. 85 Zur korporativen Seite der Religionsfreiheit siehe Joseph Listl, in: Essener Gespräche, Bd. 3, Münster 1969, S. 75 ff. 88 BVerfGE 6 S. 309 (339 ff.). Die hieran vom Boden eines rein individualistischen Verständnisses der Glaubensfreiheit geübte Kritik von Hermann Weber, in: Der Staat 8 (1969) S. 509, die diese Zusammenhänge verkennt, geht daher fehl. Zur Begegnung von Grundrechtsansprüchen von mehreren Seiten und dem Gebot der Abwägung siehe Friedrich Müller, Normbereiche von Einzelgrundrechten in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Berlin 1968, S. 20 ff.; ders., Die Positivität der Grundrechte, Berlin 1969, S. 21 ff. 87 Vgl. hierzuMartin Heckel, Staat und Kirche nach den Lehren der evangelischen Juristen Deutschlands in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, München 1968, S. 115/116, 118 ff., 163 ff.; Klaus Schlaich, Kollegialismus. Die Kirche und ihr Recht in der Zeit der Aufklärung, Tübingen 1967, S. 77 ff., 326.
296 Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen freiheit auffaßt. Das gilt für die historische Entwicklung, erfaßt aber nicht die Sinngebung der Toleranz in der Gegenwart mit ihrer pluralistischen Gesellschaft. In ihr verbindet sich Freiheit des Glaubens und Gewissens notwendig mit der Toleranz im Sinne einer Bereitschaft zur Achtung der Anschauungen anderer und zum einvernehmlichen Zusammenleben. Hier wirkt nicht nur der Gleichheitssatz ein- dessen Verwirklichung etwa im Miteinander verschiedener nationaler oder rassischer Gruppen ohne gegenseitige Toleranz nicht möglich ist-, sondern Freiheit, wird sie nicht im Sinne anarchistischer Durchsetzung des eigenen Standpunkts aufgefaßt, kann in einer Welt verschiedener weltanschaulicher Haltungen nur in der gegenseitigen Rücksichtnahme realisiert werden68 • Das schließt ein, daß eine Information der Kinder in der Schule über die verschiedenen weltanschaulichen Haltungen, ihre Begegnung miteinander im praktischen Kontext der gleichen Schule keine Beeinträchtigung der Gewissensfreiheit darstellt. Das bloße Fernhalten jeder solchen Begegnung aus der Schule würde im Gegenteil ein Moment unrealistischer oder einseitiger Formung in die Schule hineintragen. Wenn wir den Blick speziell auf die Gemeinschaftsschule zurücklenken, so muß das Prinzip staatlicher Neutralität in einer differenzierten Gesellschaft nicht den Weg an der Ausrichtung am "geringsten Nenner", d. h. der Entfernung aller weltanschaulichen Momente aus der Schule, gehen. In Wirklichkeit kann eine solche Reduzierung auf eine "neutrale Ebene" auch zu einem verdeckten weltanschaulichen Gesinnungsdruck führen. Sie kann, wie es M. Heckel ausgedrückt hat, die "Intoleranz der Negation" 69 oder, einem amerikanischen Autor folgend70 , das "establishment of the religious rule of the minority" bedeuten. Daher läßt sich aus Art. 4 GG auch nicht die Forderung einer weltanschaulich neutralen Schule als Regelschule herauslesen71 • Eine solche Norm enthielt Art. 146 Abs. 1 Satz 2 WeimRV. Doch ist diese Vorschrift nicht in Art. 7 GG übernommen worden 72 • Den Ländern steht vielmehr die Wahl eines Schulsystems offen, das in seiner Gestaltung für alle ohne Gewissenszwang zugänglich ist. Das kann durch Gliederung der Schularten geschehen, soweit namentlich in größeren Orten damit Wahlmöglichkeiten eröffnet werden. Als ein offener Grundtyp kann aber auch eine christliche Gemeinschaftsschule gewählt werden, ebensowohl wie eine säkulare Ausprägung der Gemeinschaftsschule. In beiden Formen werden nicht alle 88 Peter Häberle, in: VVDStRL 28 (1970) S. 110, 117; Alexander HollerbaCh, in: VVDStRL 26 (1968) S. 96 ff. 11 Martin Heckel, in: VVDStRL 26 (1968) S. 14. 70 William A. Mamell, The First Amendment, New York 1964, S. 193. 71 So indes Hermann Weber, in: Der Staat 8 (1969) S. 500, 505 f.; Klaus Ober-
mayer, S. 23. n Auch in der Weimarer Zeit war die Regelschultheorie keineswegs unbestritten. Das wird auch bei einem ihrer Vertreter, WalteT Lande, Die Schule in der Reichsverfassung, Berlin 1929, S. 106 ff., zugegeben.
Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen 297 Elternwünsche erfüllt. In beiden werden die Kinder im gemeinsamen Unterricht mit anderen Anschauungen konfrontiert. Es ereignet sich in beiden ein Lernprozeß, der das Miteinander und die Toleranz einüben kann. Es mag hier nur erwähnt werden, daß zahlreiche Landesverfassungen und Schulgesetze eben auf diese allgemeine Toleranzpflicht im Unterricht hinweisen73. Die christliche Gemeinschaftsschule entspricht diesen Gesichtspunkten, da sie keine besondere konfessionelle Ausrichtung verkörpert, sondern entweder in ihrem bildungsmäßigen Typ nur eine Betonung des christlichen Bildungserbes enthält oder in dem Typ der Aufnahme christlicher Anschauungen auch diese Elemente nur in der Abschwächung der gemeinsamen Grundlagen zur Geltung bringt. Dieser Schultyp trägt mithin in sich einen Charakter der pluralenAnschauungund der Gemeinsamkeit. Er ist daher ein Schultyp, der in dem dargelegten Sinne keinen Gewissenszwang beinhaltet- wenn auch ebenso wie die neutrale Gemeinschaftsschule gewisse Verzichte der einen oder anderen Gruppe. Diese Schulart ist mit Art. 4 GG deshalb vereinbar74. Dies Ergebnis läßt sich noch durch eine letzte Erwägung stützen. Eine Beeinträchtigung des Gewissens in der Schule kann niemals durch bloße Information über andere weltanschauliche Haltungen liegen; sie gehört zur Unterrichtung, die sonst ganz farblos bleiben müßte. Sie könnte nur dort vorliegen, wo eine Beeinflussung, eine Prägung des Schülers erfolgt. Eine solche liegt sicherlich vor in der Bekenntnisschule, die ihrem Wesen nach auf die Betonung einer Sonderart und ihrer Haltung ausgerichtet ist76• Die Gemeinschaftsschule bringt aber keine konfessionelle Prägung. Soweit christliches Gut in ihr in geeigneten Gegenständen des Unterrichts zur Geltung kommt, wird es als gemeinsames, im ganzen jedoch nicht im Sinne einer religiösen, prägenden Haltung, sondern als wesentliches Element einer kulturellen und geistigen Überlieferung dargeboten. Es liegt darin eine Öffnung, die in der Richtung der gekennzeichneten Neutralität und Toleranz einer mehrheitlichen Gesellschaft wirkt. In diesem Sinne hat die Rechtsprechung des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofes von einem "zumutbaren Ausgleich" gesprochen78 . Auf dem Gebiete der Schulerziehung werden die weltanschaulichen Probleme sich niemals in einem idealen Sinne lösen lassen. Ihre Regelung kann nur in Angriff genommen werden, indem man sowohl der gesellschaftlichen Lage verschiedener weltanschaulicher Haltungen in der Bevölkerung als auch der verfeinerten Empfindlichkeit moderner geistiger 73 Vgl. in den Landesverfassungen die Vorschriften in Baden-Württemberg, Art. 17 Abs. 1; Bayern, Art. 136 Abs. 1; Berlin, Art. 20 Abs. 1; Bremen, Art. 33; Hessen, Art. 56 Abs. 3 und 4; Nordrhein-Westfalen, Art. 7 Abs. 2 u. Art. 12 Züf. 6; Rheinland-Pfalz, Art. 33; Saarland, Art. 30. 7' In diesem Sinne auch Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: DÖV 1966 S. 37 f.; Alexander Hollerbach, in: VVDStRL 26 (1968) S. 95 ff. 1a Alexander Hollerbach, in: VVDStRL 26 (1968) S. 98. 7t DVBI. 1968 S. 118.
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Anschauungen Rechnung trägt. Der Übergang, der sich Ende der 60er Jahre zu einer Schulart vollzog, in der als "christliche Gemeinschaftsschule" das für einen großen Teil des Volkes noch - gewiß in einer in der Gegenwart weithin abgeschwächten Gestalt- wirksame christliche Gut unserer Bildung und Kultur einen Platz erhält, mag manchen als eine mehr taktische Bewegung erscheinen, die weitere Entwicklungen möglich macht. Die Zukunft läßt sich nicht vorhersehen. Worauf es in diesen Darlegungen ankam, war die Ausführung, daß der damit- in verschiedener Ausprägung - in mehreren Ländern in den Vordergrund gerückte Schultyp der christlichen Gemeinschaftsschule, in den beiden hier gekennzeichneten Ausgestaltungen, in einem richtigen Verständnis der Glaubensfreiheit in ihrer positiven wie negativen Seite, in der Würdigung des korporativen Elements im Miteinander der Weltanschauungen, die damit Einfügung und Zusammenleben verschiedener Haltungen notwendig macht, keine Beeinträchtigung der Gewissensfreiheit der Schüler mit sich bringt, die gegen Art. 4 GG verstößt. Diese Gestaltung der Schule kann vielmehr geeignet sein, in den Auseinandersetzungen um die weltanschaulichen Momente in der Schule durch die Vorkehr des Gemeinsamen, durch das Zurücktreten prägender zugunsten informativer Elemente des christlichen Erbes, der Ausbildung einer Gesinnung der Toleranz und einem weltanschaulichen Ausgleich zu dienen.
111. Staatskirchenverträge
Die staatskirchenrechtliche Tragweite des niedersächsischen Kirchenvertrages von Kloster Loccum Der Vertrag des Landes Niedersachsen mit den evangelischen Landeskirchen des niedersächsischen Raumes vom 19. 3. 1955 bezeichnet in der Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche in Deutschland einen Vorgang von großer und fruchtbarer Prägekraft, geeignet, der Entwicklung für eine lange Zeit als Richtpunkt zu dienen. Nach vielen Seiten hin bedeutet der Vertragsschluß das Betreten eines neuen Weges. Es ist nicht nur ein Abkommen, das in manchen Punkten mit älteren, nicht mehr zeitgemäßen Einrichtungen und Verstrickungen aufräumt, es ist vor allem ein Vertrag, der sich um eine Neuformulierung des Verhältnisses von Staat und Kirche für die Gegenwart bemüht. Es ist endlich eine Übereinkunft, in der erstmals in der neueren Geschichte vertraglicher Beziehungen zwischen Staat und Kirche das evangelische Bekenntnis nicht mehr bloß die Formeln der katholischen Konkordate in paritätischer Anpassung für sich wiederholt, sondern selbst die Führung in einer weiterführenden Gestaltung übernimmt. Das Loccumer Abkommen geht darauf aus, überholte Formen und Verbindlichkeiten der finanziellen und administrativen Verbindung zwischen den Landeskirchen und der staatlichen Verwaltung aufzulockern und zu vereinfachen, ein Werk der Bereinigung und der Klärung, das den Weg für eine erneuerte, klarere Beziehung von Staat und Kirche freilegt. Darüber hinaus aber unternimmt der Vertrag es, diese neue Beziehung selbst zu umschreiben und die modernen Formeln zu prägen, die das veränderte Bild ausdrücken sollen. Während das Grundgesetz von 1949, genügend von anderen politischen Nöten beansprucht, den kulturpolitischen Entscheidungen ausgewichen ist und sich begnügt hat, die Regelung der Weimarer Verfassung einfach im alten Wortlaut, wenn auch, wie Rudolf Smend gezeigt hat1, nicht im alten Sinne, fortzuführen, versucht die Loccumer Konvention, die gegenwärtige Lage im westlichen Deutschland mit neuen Wendungen zu erfassen und einzufangen. Endlich aber istes-wieder im Unterschied zur Weimarer Zeit, die evangelische Kirchenverträge in der Hauptsache nur als Folgeerscheinung von Länderkonkordaten kannte Aus: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, Bd. 6 (1957/58) 5.1-37. 1 Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, in: ZevKR 1 (1951) S. 4 ff.
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-bemerkenswert, daß diesmal die evangelische Seite ganz unabhängig den Weg zu einerneuen vertraglichen Regelung beschreitet und damit ein Text geschaffen worden ist, der wirklich zum ersten Male die besonderen Züge der evangelischen kirchenrechtlichen Problematik und Terminologie zeigt. Man könnte noch manche anderen bedeutsamen Züge des Vertrages hervorheben. Nachdem in der Zeit zwischen den beiden Kriegen in weitem Umfang, von der Weimarer Reichsverfassung bis zum Reichskonkordat, die Staatsgewalt des Reiches kirchenrechtliche Gesetze und Verträge hervorgerufen hatte, die die Regelungen in den Ländern überwölbten und ihnen die Richtung wiesen, rückt mit dem Loccumer Vertrage deutlich wieder die kirchenpolitische Aktivität der Länder in den Vordergrund. Innerhalb des evangelischen Bereiches aber stellt das Abkommen wiederum ein Zusammenwirken mehrerer Landeskirchen auf regionaler Ebene, auf dem Boden eines deutschen Landes dar. Es ist zugleich ein Zeugnis der Zusammenarbeit von Landeskirchen verschiedenen Bekenntnisses, das über eine bloße Vertragspartnerschaft hinaus in der Einrichtung gemeinsamer institutioneller Formen und vor allem in der Bereitschaft sich verwirklicht, durch einen finanziellen Ausgleich eine gewisse Verbundenheit unter sich zu schaffen. Neben dieser augenfälligen Stärkung der Landesgewalt im Gebiete des Staatskirchenrechts tritt ein anderer wichtiger Zug des Loccumer Vertrages erst bei einer näheren Gesamtwürdigung in Erscheinung. Indem sich der Abschluß der Übereinkunft auf die fünf Landeskirchen im Gebiete des niedersächsischen Staates beschränkt, bestätigt er die schon seit einiger Zeit wissenschaftlich bemerkte Entwicklung2, die trotz des Versuches der Weimarer Verfassung (Art. 137 V) zu einer Egalisierung der Position aller Religionsgesellschaften doch den Vorrang und die besondere Stellung der historisch als Volkskirchen bestehenden Landeskirchen erhalten hat. I. Die staatskirchenrechtliche Lage der evangelischen Kirche in der Zeit von 1918 - 1945 Wenn sich der Loccumer Kirchenvertrag von der Situation des Staatskirchenrechts der vorangehenden Zeit so deutlich abhebt, obwohl nicht nur die Verfassungstexte sich wenig geändert haben und der Vertrag auch selbst an manche ältere Formel anknüpft, so kommt darin die tiefe Wandlung der gesamten staatskirchenrechtlichen Probleme seit dem Jahr 1918 zum Ausdruck. Die Weimarer Verfassung stellte die Beziehung von Staat und Kirche unter den Gedanken einer zunehmenden 2 Vgl. Konrad Müller, Die Gewährung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an Religionsgesellschaften gemäß Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV, in: ZevKR 2 (1952/1953) S. 139 ff.
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Trennung und Entfernung, ohne doch andererseits in voller Bewußtheit mit der Vorstellung des älteren Staatskirchenrechts von der fortbestehenden staatlichen Kirchenhoheit zu brechen. Heute dagegen treten sich Staat und Kirche auf dem Boden einer freundschaftlichen Zusammenarbeit und einer gemeinsamen Verantwortung für die Bevölkerung gegenüber, als Partner eines Verhältnisses, in dem in ganz anderer Weise ein jeder die Andersartigkeit und die Selbständigkeit des anderen Teiles achtet. An die Stelle der Zielsetzung einer Trennung ist die Vorstellung einer freiheitlichen Ordnung getreten, die in einem anderen Sinne das Mit- und Nebeneinander von Kirche und Staat nicht mehr als eine Aufgabe der Grenzziehung allein, sondern der bleibenden geistigen Auseinandersetzung und Berührung auffaßt. Wenn die Relation von Staat und Kirche, die ihre Wurzeln tief in das gesamte geistige Leben eines Landes oder einer Epoche einsenkt, stets in allen ihren Bezügen auf die feinsten Wandlungen im Staate wie in der Kirche, aber auch auf die Bewegungen der allgemeinen geistigen Richtung der Zeit reagiert, so ist auch die hier berührte Veränderung das Ergebnis des Zusammenwirkens vieler Kräfte. Geändert hat sich, vor allem unter dem Einfluß des Kirchenkampfes wie der theologischen Erneuerung des letzten Menschenalters, das Selbstverständnis der Kirche. Auch der deutsche Staat ist, bei aller Anknüpfung an das erste Unternehmen republikanischer Selbstgestaltung nach 1919, nicht nur in seinem Selbstbewußtsein durch die Vorgänge und Folgen des vulkanischen Ausbruchs der Leidenschaften im Dritten Reich eigentümlich gedämpft und gebrochen, aber auch - stärker als die Gegenwart es wahrhaben will - auf der Suche nach neuen Gestaltungen und Werten. Namentlich aber ist das allgemeine Denken unserer Tage entschieden über die Vorstellungswelt des späten 19. Jahrhunderts mit ihrer Reduzierung des Religiösen auf die individuelle Glaubensfreiheit hinausgeschritten3. Alles das zusammen hat dazu beigetragen, eine ganz andere allgemeine Stimmung zu schaffen, deren Interpretation zu unternehmen der Loccumer Vertrag versucht. In der Entwicklung des Verhältnisses von Staat und evangelischer Kirche haben inderneueren Zeit zwei Ereignisse eine markante Zäsur bedeutet. Die Revolution von 1918 löste mit dem Wegfall der Monarchien das Landeskirchenregiment auf, der Kirchenkampf von 1933 - 45 erschütterte die konstantinische Ergänzung von Kirche und Staat. Beide 3 Das gilt auch im Bereich der kommunistischen Welt. Wenn dort auch die Reduktion der Kirche auf eine bloße Vereinigung der Gläubigen und die Begrenzung des kirchlichen Raums auf gottesdienstliche Funktionen im Vordergrund steht und der Öffentlichkeitsanspruch der Kirche geleugnet bleibt, so liegt im tieferen Grunde in dem offenen oder versteckten Kampfe des Regimes gegen die Kirchen eine - negative - Anerkennung der Eigenständigkeit und des Auftrags der Kirche, die zwar eine Verkehrung der gegenseitigen Beziehungen darstellt, aber eine geheime Respektierung der Einzigartigkeit der staatlich-kirchlichen Beziehung bedeutet.
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Vorgänge stellten für die evangelische Seite in ganz anderer Weise ein einschneidendes Geschehen dar als für das katholische Bekenntnis. Das nachtridentinische kanonische Recht hat die Selbständigkeit der Kirche gegenüber dem Staate stets betont4 , so sehr die Kirche bereit sein mochte, mit katholischen Herrschern oder Staaten Vereinbarungen über gewisse Einflußrechte des Staates zu treffen. Seit langem findet sich die katholische Kirche bereit, auf den Boden einer weitgehenden Scheidung von Kirche und Staat zu treten, sofern ihr die nötigen Sicherungen für ihre freie Betätigung und Organisation gesichert erscheinen. In diesem Zeichen ist vor allem die bekannte Allokution Benedikts XV. vom 22.11.1921 zu verstehen, die mit der Akzentuierung des möglichen Wegfalls bestehender Vertragsbindungen gegenüber "civitates funditus novatae" ältere, in vorrevolutionärer Zeit katholischen Herrschern gewährte Vorrechte zum Erlöschen bringen wollte 5• Auch der Zusammenstoß mit dem nationalsozialistischen Staate bildete für die katholische Kirche schwerlich ein neuesunderschütterndes Erlebnis. Sie konnte in diesem Vorstoß der totalitären Leugnung des Raumes der Kirche nur eine neue, freilich in den Symptomen verschärfte Form des militanten Säkularismus erblicken, dem sie schon seit dem 19. Jahrhundert entgegengetreten war. Die evangelische Seite stand dagegen mit der Ablösung einer jahrhundertelangen Nähe zu staatlicher Herrschaft und Führung und mit der Beendigung des landesherrlichen Kirchenregiments vor einer weitreichenden Erschütterung der bisherigen Rechtsgrundlagen6 • Sie war vor die Notwendigkeit einer Neugestaltung sowohl ihrer eigenen kirchlichen Ordnung wie ihres Verhältnisses zum Staat gestellt. An die erste Aufgabe sind die Landeskirchen mit regem Eifer getreten und haben in der Verbindung einer Kirchenleitung teilweise konsistorialen Typs unter Betonung der geistlichen Leitung mit einem gestärkten synodalen Element ein neues Fundament zu legen gesucht. Freilich schlich sich bei der Deutung der "Selbstregierung" der Landeskirchen nicht selten die Meinung ein, das synodale Element im Sinne des weltlichen Parlamentarismus als Vertretung des Kirchenvolks gegenc Schon in den Verhandlungen, die die Kurie nach 1815 mit Vertretern der deutschen evangelischen Mächte in Rom über die Zirkumskriptionsbullen führte, wies sie den Ausdruck "secundum suprema quae imperantium sunt protectionis jura" zurück, weil damit "una potestä illimitata circa sacra" beansprucht werde. Vgl. Note vom 10. 8. 1819 des Kardinals Consalvi, in: Die neuesten Grundlagen der deutsch-katholischen Kirchenverfassung in Aktenstücken usw., Stuttgart 1821, S. 343. Heute genügt der Hinweis auf can. 1322 § 2 CIC. Vgl. Ulrich Stutz, Der Geist des Codex iuris canonici, Stuttgart 1918,
S.ll6, 118.
5 Acta Apostolicae Sedis 13 (1921) S. 521. Dazu Ulrich Stutz, Konkordat und Codex, Berlin 1930, S. 695. 8 Von einem "Verschwinden des Rechtsbodens" spricht Adolf Deißmann, Reichsverfassung und Kirchenverfassung, Rede zur Verfassungsfeier, Berlin
1931, s. 5.
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über der kirchlichen Leitung zu deuten7 • So übte im Augenblick einer Lösung vom Staate doch das staatlich-politische Vorbild eine starke indirekte Wirkung aus. Denn es bedarf schwerlich der Ausführung, daß im Bereiche geistlichen Regiments es keine Gewaltenteilung nach weltlichem Muster geben kann8, sondern nur eine Gliederung des Dienstes und der Ämter in Frage stehtG. In der Behandlung des Verhältnisses zum Staate kam der Charakter der 20er Jahre als Zeit des Übergangs nicht minder zur Geltung. Unter dem Eindruck der Lösung der alten Bindungen nahm man die Definition des Zustands als einer Trennung, wenigstens einer "hinkenden Trennung"10, allgemein an, und erst allmählich wuchs die Erkenntnis, daß das Staatskirchensystem des Weimarer Staates in weitem Maße vielmehr an einer Verbindung von Staat und Kirche festgehalten hatte. Jedenfalls wurden prinzipielle Folgerungen aus dem Trennungsgedanken nicht gezogen. Man fand sich auf evangelischer Seite allgemein mit dem Fortbestand einer staatlichen Kirchenhoheit ab und nahm es auch ohne weiteres hin, daß die Länder - z. B. Preußen im Gesetz vom 8. 4. 1924 und Württemberg im Gesetz vom 3. 3. 1924 - ihre Aufsichtsrechte noch einmal auf herkömmlicher Grundlage befestigten und kodifizierten. Auf der katholischen Seite war man hier konsequenter und vertrat mit Nachdruck den Fortfall jeder staatlichen Kirchenhoheit, freilich ohne die herrschende Lehre des Staatsrechts und die Praxis zu erschüttern11 • Man sagt nicht zuviel, wenn man für die Weimarer Periode die Weitergeltung jener überlieferten Grundvorstellungen annimmt, die in den deutschen Ländern am Ausgang des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluß der späteren Aufklärung die Fundamente des deutschen Staats7 Ein hervorragender Kenner des Kirchenrechts, Paul Schoen, schrieb: "Ist sonach unbestreitbar, daß die Landessynode eine dem weltlichen Parlament durchaus angeglichene Institution und daher ebenso wie dieses als Repräsentativorgan zu charakterisieren ist ... " (Das neue Verfassungsrecht der evangelischen Landeskirchen in Preußen, Berlin 1929, S. 95). Richtiger im Ansatz Otto Thümmel, Evangelisches Kirchenrecht für Preußen, Bd. 1, Berlin 1930, S. 423; Bd. 2, Berlin 1933, S. 90, der aber dann doch noch in Bd. 2, S. 141 f., zustimmend das Wort Schoens übernimmt. s Darum gehen auch die vom Dualismus der Geist- und Rechtskirche und der Anstalt und Genossenschaft getragenen Ausführungen Günther Holsteins (Die Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts, Tübingen 1928, S. 264, 336 ff.) über die Gewaltendreiteilung in der Kirchenverfassung fehl. e Kirchliches Recht ist Dienstrecht, als Recht einer Ordnung des Dienstes. Vgl. Karl Barth, Die kirchliche Dogmatik, Bd. IV/2, Zollikon-Zürich 1955, s. 781. 10 Das Wort ist von Ulrich Stutz geprägt: Die päpstliche Diplomatie unter Leo XIII., Berlin 1925, S. 54. Vgl. hierzu Werner Weber, Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, in: VVDStRL 11 (1954) S. 154. 11 Vgl. Godehard Josef Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930, S. 311 ff. Die Staatsrechtslehre hielt an der Kirchenhoheit des Staates fest; siehe Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl., Berlin 1933, S. 636 f.
20 Scheuner
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kirehenrechts gelegt haben. Damit galten insbesondere folgende Vorstellungen fort: Die Überordnung des Staates über alle Gesellschaften (Vereinigungen) seines Gebietes, also auch über die Kirche 12 ; die Auffassung der Kirche als einer menschlichen Vereinigung, als Religionsgesellschaft13; die Position des Staates jenseits und oberhalb der einzelnen Bekenntnisse, woraus seine Fähigkeit zu einer neutralen oder paritätischen Haltung gegenüber den Kirchen folgt. Diese überlieferten Grundlagen des Staatskirchenrechts, die nicht aus kirchlichen, sondern aus staatsrechtlichen Wurzeln entsprangen, zerbrachen im Kirchenkampf der Jahre nach 1933. Auf der einen Seite gab der Staat sie preis. In seinem Streben nach radikaler Säkularisierung, andererseits nach ideologischer Neuformung der Menschen suchte er den Raum der Kirche auf den engen Rahmen des individuellen Glaubenslebens und des rein gottesdienstlichen Kults zu beschränken, um mit der Leugnung des Öffentlichkeitsauftrags der Kirche ihr eine vereinsmäßige Winkelstellung zuzuweisen. Innerhalb der evangelischen Kirche aber fand die bekennende Gemeinde in der kämpferischen Auseinandersetzung mit der Staatsgewalt eine neue Grenzziehung zum Staate, dem sie die schuldige Achtung nicht versagte, aber dessen totalen Herrschaftsanspruch über das menschliche Leben sie ebenso zurückwies, wie sie die volle Freiheit der Kirche von Staat und Staatsaufsicht bekannte 14. Damit trat ein grundsätzlich anderes Selbstverständnis der Kirche ans Licht, das in der Periode des kirchlichen Abwehrkampfes gegen den totalitären Staat seine Erhärtung erhielt15. Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen unter dem Gebot ihres Herrn, das Kirchenrecht als das im Dienst der Gemeinde stehende menschliche Recht, Recht anderer, besonderer Art als das weltliche Gesetz, verbindlich aus einer Aufgabe für das geistliche Leben der Gemeinde heraus und darin begrenzt. Beide damit ihrem Wesen nach eigenständig und unabhängig gegenüber jeder weltlichen Gewalt16. Aber im Zusammenleben mit ihr und in Anerken12 Johann Gottlieb Heineccius, Eiementa iuris naturae, Halae 1738, Buch II § 183: "Cum itaque omnia collegia et societates simpliciores magis compositis ita sunt subordinata, ut nihil, quod majori illi societati manüesto refragetur, agere, salva justitia, possint, consequens est, ut et ecclesiam subordinatam esse oporteat reipublicae adeoque imperanti competere debeat ius dirigendi res ecclesiae." Vgl. Daniel Nettelbladt, Introductio in jurisprudentiam naturalem, 4. Aufl., Halle 1777, § 864; Andreas Joseph Schnaubert, Grundsätze des Kirchenrechts der Protestanten in Deutschland, 2. Auf!., Jena 1795, § 13, S. 11. 13 Das steht im Zusammenhang mit der allgemeinen Lehre des 18. Jahrhunderts, alle menschlichen Gemeinschaften auf Vertragseinigung zurückzuführen. Vgl. John Wiedhofft Gough, The Social Contract, 2. Aufl., Oxford 1957, S.147 -163. 14 Barmer Theologische Erklärung, Ziff. 3 und 5. 15 Joachim Beckmann, Der theologische Ertrag des Kirchenkampfes, in: Bekennende Kirche, Martin Niemöller zum 60. Geburtstag, München 1952, S.82f. 16 Vgl. zur Lehre von der Kirche als einer von weltlichen Gesellschaften unterschiedenen communio Ernst Wolf, Peregrinatio, München 1954, S. 288 f.
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nung der göttlichen Institution des Staates und seiner irdischen Ordnungsgewalt bleibt die Kirche bereit auch zum Gehorsam gegen die weltlichen Satzungen des Staates 17 • Auch vom Staate her gesehen blieb in der Weimarer Zeit vieles in Bewegung. Das Schwergewicht der überkommenen Praxis bewirkte, daß er seine Aufsichtsrechte in üblicher Form fortführte. Der neue wesentliche Ansatz der Weimarer Verfassung, der dem Reich mit der Grundsatzgesetzgebung über die Rechte und Pflichten der Religionsgesellschaften weite Möglichkeiten eröffnete, kam nicht zur Entfaltung. Nur das Gesetz über die religiöse Kindererziehung vom 15. 7. 1921 brachte eine reichsrechtliche Regelung. Der wiederholte Ansatz zu einem Schulgesetze (Entwürfe 1921, 1925, 1927) scheiterte 18 • Das Reichskonkordat, basierend auf Verhandlungen aus dem Beginn der 20er Jahre, wurde erst nach dem Ende der Weimarer Zeit abgeschlossen, und eben aus dieser Tatsache leiten sich heute die vielfach erhobenen Bedenken gegen sein Zustandekommen ab. Es gehört jedenfalls als Ausdruck eines Handeins des Reiches bereits in die Sphäre des Aufstieges der Reichsgewalt nach 1933. ll. Zur Wandlung der staatskirchenrechtlichen Lage in der Gegenwart Die Lage des Staatskirchenrechts nach dem Ausgang des zweiten Weltkrieges zeigt nach dem Zusammenbruch des Staates, nach den die alte unbefangene Nähe zum Staate aufhebenden Erfahrungen des Kirchenkampfes, nach der Wiederherstellung eines Friedens zwischen Staat und Kirche im westlichen Deutschland, angesichts ferner der äußerlichen Inkraftsetzung des früheren Weimarer Rechtszustandes im Grundgesetz die Zeichen einer tiefen Wandlung. Werner Weber hat die Veränderung vor allem vom Schwinden der staatlichen Aufsichtsbefugnisse her gesehen und auf den Verlust einer näheren Kenntnis der alten Überlieferung in der Bürokratie hingewiesen 19 • Er hebt die größere Freiheit hervor, die die Kirchen gewonnen haben, und sieht sie als mitverantworZum Kirchenrecht Max Schoch, Evangelisches Kirchenrecht und biblische Weisung, Zürich 1954, S. 106 f., 111 ff. 17 Zur grundsätzlichen Bereitschaft der Kirche, als eine menschliche Gemeinschaft in dieser Welt mit dem Staate zusammen zu leben und sich seinen Anordnungen im öffentlichen Bereich zu fügen, siehe Karl Barth, Die kirchliche Dogmatik, Bd. IV/2, S. 779; Max Schach, S. 128 ff. 18 Vgl. hierzu Gustav Adolf Vischer, Aufbau und Organisation der Evang.Luth. Kirche in Bayern, München 1948, S. 45 ff., und die von der bischöflichen Arbeitsstelle für Schule und Erziehung herausgegebene Materialsammlung: Das Ringen um das sogenannte Reichsschulgesetz, Dokumente aus den parlamentarischen Verhandlungen 1919 bis 1927, Köln 1956. 19 VVDStRL 11 (1954) S. 155 ff., 177 ff. 20'
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tende und handelnde Subjekte auf die politische Ordnung des Gemeinwesens einwirken20 • Wenn er sie dabei als Glieder einer vielschichtigen öffentlichen Gesamtordnung in das politische Gemeinwesen einbezogen kennzeichnet21 , so verzeichnet diese These einer politischen Standschaft der Kirchen das Bild der Staatsgewalt, die nach dem Grundsatz der offenen Bildung des Staatswillens in der Demokratie zwar vielen Kräften die Mitwirkung an der politischen Entscheidung eröffnet, aber deshalb nicht die übergeordnete Einheit des Staates einer pluralistischen Auflösung anheimgibt. Sie wird aber auch der eigenen Sicht der Kirchen nicht gert:cht, die sich gerade in Distanz zum Staate, als ein echtes Gegenüber sehen, nicht aber als Beteiligte an der politischen Ordnung. Der Abstand gegenüber dem Staate wird vielleicht noch eindrücklicher, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Stellungnahme der evangelischen Landeskirchen wie der Evangelischen Kirche in Deutschland oder der Vereinigten lutherischen Kirche und der Union von der Situation in der Deutschen Demokratischen Republik ständig mitbeeinftußt wird. Daraus aber ergibt sich ein Bild des Staates, das die Möglichkeiten sehr verschiedener politischer Formen des Gemeinwesens in Rechnung stellt. Das schließt nicht aus, daß die Staatsgewalt, welcher Artung auch immer, dennoch als eine heilsame Anordnung Gottes geachtet wird22, aber es bewahrt vor der Neigung, die Kirchen in das Gefüge der politischen Ordnung einzubeziehen, es stärkt vielmehr die Einsicht in die unverlierbare innere Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche gegenüber der weltlichen Gewalt23• Der entscheidende Grundzug der heutigen Lage ist darin zu erblicken, daß beide Konfessionen nun die grundlegende Andersartigkeit und Eigenständigkeit ihres Wesens und ihres Rechts betonen und der Staat sich dazu bereit findet, das anzuerkennen und rechtlich zu gestalten, daß er sich ferner bereit findet, seine Aufsichtsrechte tatsächlich wie auch rechtlich erheblich einzuschränken, andererseits aber von der Linie des Trennungsgedankens abzugehen und ein neues Verhältnis des freundschaftlichen Zusammenwirkens mit den Kirchen zu suchen. Unabhängigkeit der beiden Partner, gegenseitige Respektierung ihrer Position und auf dieser Basis eine loyale Kooperation: das sind die Kennzeichen dieser Lösung, von der aus die Relation von Staat und Kirche einer Umformung unterzogen wird. Älteres Recht, Gesetze wie Verträge, gilt freilich heute weithin fort und wird durch die neue Anschauung nicht etwa entkräftet. S.173 f. S.175. 22 Vgl. die Theologische Erklärung der 2. Synode der EKD vom 29. 6. 1956: "Das Evangelium rückt uns den Staat unter die gnädige Anordnung Gottes, die wir in Geltung wissen, unabhängig von dem Zustandekommen der staatlichen Gewalt oder ihrer politischen Gestalt" (ABI. der EKD 1956, Nr. 133). 23 "Das Evangelium macht die Kirche dessen gewiß, daß sie mit dem Worte Gottes frei ist, auch da, wo sie in ihrem Dienst gehindert oder verfolgt wird." 20 21
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Aber auf der anderen Seite stellt sich die Aufgabe einer allmählichen Anpassung und Umformung des Rechts entsprechend der geänderten Lage. Dabei gilt es eine Reihe von Grundfragen zu lösen, für die hier mehr die Problematik als die Lösung aufgewiesen werden kann. 1. Auch die evangelischen Kirchen bestimmen nun ihre Erscheinung vom Gedanken der vollen Freiheit von aller weltlichen Gewalt her, in Unabhängigkeit von staatlicher Anerkennung oder Verleihung. Ihre Stellung zum Staate wird daher mit den Begriffen der Selbstverwaltung oder Autonomie nicht mehr zureichend umschrieben, sondern besser mit dem Wort Eigenständigkeit bezeichnet. Ebenso wird die Andersartigkeitund Eigenständigkeit des Kirchenrechts anzuerkennen sein, das sich in keiner Weise mehr von staatlicher Zulassung oder Ermächtigung ableitet, es sei denn, es handele sich um Anordnungen der kirchlichen Stellen im gemischten Gebiet, die auch nicht der Kirche Angehörige treffen24 •
2. Die Vorstellung des Bestandes einer staatlichen Kirchenhoheit muß heute aufgegeben werden25 • Damit entfallen nicht die bestehenden einzelnen staatlichen Aufsichtsrechte, die gesetzlich oder vertraglich begründet sind. Es wäre auch unrichtig, auf einen Wegfall der sonstigen staatlichen Einwirkungsmöglichkeiten zu schließen. Der Staat legt bestimmte staatskirchenrechtliche Prinzipien fest, sowohl durch Vertrag als auch einseitig durch Verfassung und Gesetz. Er nimmt auch weiterhin als Zeichen seiner weltlichen Überordnung in bestimmtem Umfang die Grenzziehung zwischen staatlichem und kirchlichem Bereich in Anspruch (z. B. im Eherecht). Wenn er im übrigen die Freiheit der Kirchen respektiert, so bringt er seine grundsätzlichen Anliegen in der Formel von den "Schranken des für alle geltenden Gesetzes" (Art. 137 111 WRV) zur Geltung. Mit ihr sichert er den Vorrang derjenigen Schranken kirchlicher Selbstbestimmung, die aus den Grundwerten der staatlichen Rechtsordnung und der nationalen Gemeinschaft sich ergeben26 • Hier bringt also der Staat die Vorstellung einer gewissen Überordnung zum Ausdruck, auf die er auch heute nicht verzichtet27 • 24 Z. B. die Friedhofsordnung eines kirchlichen Friedhofs, der der ganzen politischen Gemeinde als einziger Begräbnisplatz am Orte dient. 25 So auch Werner Weber, in: VVDStRL 11 (1954) S. 158; Konrad Hesse, Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, Göttingen 1956,
s. 73.
26 Die Formel reicht noch über die Frankfurter Verfassung von 1849 in das ältere Recht zurück, wo sie freilich in umfassenderer Weise der Sicherung des Vorrangs der staatlichen Interessen dient. Vgl. Georg Ludwig Boehmer, Principia Iuris Canonici, 5. Aufl., Göttingen 1785, § 22: "Inspectio secularis in ecclesiam, quae est ius imperii civilis, curandi et efficiendi, ne salus et tranquillitas publica detrimenti quid ex ecclesia et ex exercitio potestatis ecclesiasticae capiat." 27 Ich vermag der Meinung Konrad Hesses, S. 75 ff., der ein volles Verschwinden jeder Unterordnung der Kirchen unter den Staat annehmen möchte, nicht
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3. Andererseits bleibt auch die Position des Staates gegenüber den Kirchen eine unabhängige. Der moderne Staat bindet sich nicht an bestimmte geistige Anschauungen- das gilt jedenfalls für das freiheitliche Staatswesen - und zieht daher eine den Kirchen gegenüber neutrale, auch wieder in gewissem Sinne übergeordnete Stellung vor. Das drückt sich vor allem in seiner Garantie der Gewissensfreiheit auch zu Lasten der Kirchen aus (Austritt, Wegfall jeden Zwanges zu kirchlichen Handlungen), aber auch im Prinzip der Toleranz. Darüber hinaus aber folgt aus dieser Position des Staates, daß er dort, wo geistlicher und weltlicher Bereich sich verknüpfen und durchdringen, keineswegs auf eine eigene Stellungnahme verzichtet und nicht etwa kirchliche Auffassungen ohne weiteres übernimmt. Dementsprechend sind auch vom Staate in diesem Felde verwendete Begriffe des Staatskirchenrechts und Verfassungsrechts nicht verschieden für jedes Bekenntnis nach dessen Lehre auszudeuten, sondern einheitlich vom Boden des Staates aus zu interpretieren. So kann etwa das "Elternrecht" des Art. 6 II GG nicht einfach im Sinne katholischer natürlicher Sittenlehre ausgelegt werden, sondern ist hier vom Staate her gesehen auf ein allgemeines Erziehungsrecht beschränkt, das keine Bestimmung über das Schulsystem beinhaltet28 • Und ebenso kann der Begriff des "Gewissens" in Art. 4 III GG nicht verschieden für jede Kirche oder Glaubensgemeinschaft interpretiert werden, sondern fordert vom Staate her eine einheitliche Ausdeutung vom Boden eines philosophisch bestimmten Gewissensbegriffes29 • 4. Staat und Kirche berühren sich heute in vielfacher Beziehung. Für ihre Beziehung eignet sich daher nicht mehr der Begriff der Trennung30, sondern der einer freundschaftlichen Zusammenarbeit31 • Darin liegt von Seiten des Staates die Anerkennung einer berechtigten - wenn auch begrenzten - Wirksamkeit der Kirchen im öffentlichen Bereich, die man mit dem Ausdruck des "Öffentlichkeitsanspruchs" der Kirchen benennen kann32 • Es ist eine Besonderheit des deutschen Staatskirchenrechts, daß die Freiheit der Kirche und die Neutralität des Staates nicht zu einer Verdrängung der Kirchen aus dem öffentlichen Bereich und zuzustimmen. Sie läßt sich auch mit allgemeinen theologischen Sätzen über die Gehorsamspflicht auch der Christengemeinde gegenüber der politischen Ordnung nicht vereinen. 28 Daher unrichtig die Interpretation von Paul Fleig, Das Elternrecht im Bonner Grundgesetz, Freiburg/Br. 1953, die einer bestimmten konfessionellen Deutung des Elternrechts unter Heranziehung der Gewissensfreiheit positive Geltung beilegen möchte. 29 Andernfalls würden manche Begriffe staatlichen Rechts in eine konfessionelle Aufspaltung geraten, die mit der Aufgabe nationaler Rechtseinheit (vgl. Art. 72 Abs. 2 Ziff. 3 GG) nicht zusammenpaßte. 30 An dem Hans Erich Feine, Staat und Kirche, Tübingen- Stuttgart 1948, S. 30, festhält. 31 Richtig Konrad Hesse, S. 74. 32 Der Begriff bei Rudolf Smend, in: ZevKR 1 (1951) S. 9.
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öffentlichen Recht geführt hat. Sie würde sonst die Kirchen in den bloßen Vereinsstatus überweisen. Mit dem überlieferten Begriffe der "öffentlichen Körperschaft" wird diese Stellung der Kirchen- freilich mit einem ungeklärten Begriffe, der hier nicht seinen sonstigen präzisen Sinn hat- gekennzeichnet. 5. Endlich aber ergibt sich im heutigen Kirchenrecht ein Problem der Parität zwischen den beiden großen Konfessionen. Das hindert nicht, daß der Staat den Inhalt etwaiger Abmachungen mit den Kirchen entsprechend der bekenntnismäßigen Verschiedenheit variiert, wie das im Loccumer Vertrag deutlich geschehen ist. Auf der anderen Seite ergibt sich daraus aber die Forderung für die evangelische Kirche, bei ihren Verträgen mit dem Staat nicht etwa schlechter gestellt zu werden als die katholische Kirche. Die evangelischen Partner haben, wenn ihnen auch die internationalrechtliche Seite des katholischen Konkordatsrechts verschlossen ist, Anspruch darauf, ihre Verträge mit dem Staat in förmlicher Gestalt als staatsrechtliche Vereinbarungen abzuschließen und nicht etwa auf mindere Formen des Verwaltungsabkommens abgedrängt zu werden. In dem Vertragswerk von Loccum werden die neueren Züge des Staatskirchenrechts in mehrfacher Weise erkennbar. Sie finden zunächst am sichtbarsten ihren Ausdruck in den allgemeinen Formeln, die die Abmachung für das Verhältnis von Staat und Kirche prägt. Nicht weniger aber treten sie ans Licht in den einzelnen Abmachungen des Vertrages, die eine Bereinigung und Anpassung des bestehenden Rechts an eine erneuerte Konzeption dieser Relation herbeiführen. Endlich aber, wenn auch versteckter, werden die veränderten Elemente bemerkbar in Anlage und Umfang der gesamten Abreden, die deutlich den Charakter einer von der protestantischen Position her aufgestellten Vereinbarung und einer vom Standpunkt des Landesrechts aus entworfenen Regelung tragen.
m.
Zustandekommen und rechtliche Natur des Vertrages
In den 20er Jahren waren die Verträge zwischen Staat und Kirche in Deutschland ein Teil jenes weitgespannten Kreises vertraglicher Abkommen, mit denen die katholische Kirche nach dem ersten Weltkrieg ihre Positionen neu zu definieren und zu festigen trachtete. In diesen weiteren Zusammenhang einer höchst aktiven Konkordatspolitik unter den Pontifikaten Benedikts XV. und Pius XI. fügten sich die Verhandlungen mit dem Deutschen Reich über ein Konkordat in den Jahren 1920-21, die zu keinem Ergebnis führten 33 , fügten sich auch das baye33 Vgl. hierzu GeoTg SchTeibeT, Der erste Entwurf des Reichskonkordats (1920/21), in: Gegenwartsprobleme des Rechts, hrsg. von HeTmann Conrad u.
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ri~che (1924), preußische (1929) und badische (1932) Konkordat ein. Daher wiesen die einzelnen Vereinbarungen untereinander, aber auch im Vergleich mit gleichzeitigen ausländischen Abschlüssen eine weitreichende Übereinstimmung auf34 • Die evangelischen Verträge mit Bayern (1924), Preußen (1931) und Baden (1932) stellten dieser von einer einheitlichen Gesamtanschauung getragenen Konkordatspolitik der katholischen Kirche gegenüber nur aus Gründen der Parität gleichzeitig abgeschlossene Parallelabkommen dar, nach Umfang und Inhalt sichtbar nach dem Modell des anderen Bekenntnisses ausgestaltet35 • So wurde in den preußischen Vertrag aus Gründen der Gleichbehandlung in Art. 7 die politische Klausel für die Besetzung der leitenden Ämter der Kirche eingefügt, trotzdem sich gerade zu diesem Punkte ein lebhafter Widerstand in den Kreisen der evangelischen Kirche bemerkbar machte38 •
Der niedersächsische Kirchenvertrag ist im Unterschied von den Geschehnissen der Weimarer Zeit nicht ein Einzelglied einer größeren Kette kirchenpolitischer Abmachungen. Er steht für sich allein. Die Anregung zu seinem Abschluß entsprang den besonderen Verhältnissen des Landes Niedersachsen. Allerdings haben sich aus seinem Zustandekommen Absichten auf den Abschluß ähnlicher Vereinbarungen zwischen Land und evangelischer Kirche in Hessen und Schleswig-Holstein ergeben. Aber jedenfalls fehlt durchaus eine entsprechende Bewegung auf katholi~cher Seite; dies um so mehr, als die kirchenpolitische Entwicklung hier vorerst durch den noch schwebenden Rechtsstreit um die Anwendung des Reichskonkordates oder einzelner seiner Bestimmungen gehemmt erscheint37 und außerdem der Bestand des Reichskonkordates Heinrich Kipp, Faderborn 1950, S. 163 ff. (Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, Sektion für Rechts- und Staatswissenschaft, N.F., Heft 1/2); Ernst Deuerlein, Das Reichskonkordat, Düsseldorf 1956, S. 15 ff. 34 über diese Ära der Konkordatspolitik, an der der gegenwärtige Papst Pius XII. als Nuntius in Berlin und München sowie als Kardinalstaatssekretär so großen Anteil hatte, siehe Gertrud Heinzelmann, Das grundsätzliche Verhältnis von Kirche und Staat in den Konkordaten, Aarau 1943, S. 148 ff.; Francesco Conci, La Chiesa ed i vari Stati, Neapel 1954, S. 113 ff. 35 Vgl. August Roedel und Rudolf Paulus, Reichskirchenrecht und neues bayerisches Kirchenrecht, München- Berlin 1934, zum bayerischen Vertrag (S. 87): "Die vertragliche Regelung der Beziehungen entspringt der Gleichstellung der protestantischen Kirchen mit der katholischen Kirche." 38 Recht eindringlich kamen diese Bedenken auch zur Geltung auf der Synode der hannoverschen Kirchen im April1931. (Vgl. Aktenstücke und Protokolle des außerordentlichen Kirchentages der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers [1931] S. 34 - 48). Es kam hier zur Sprache (S. 34/36), daß der preußische Landtag bei Annahme des Konkordates auf einer Parität zwischen den beiden Konfessionen in der Frage der Sicherung des Eigentums, der Dotation und der staatlichen Mitwirkung bei Besetzung kirchlicher Ämter bestanden hatte. Zur damaligen Haltung gegenüber der politischen Klausel siehe auch Otto Friedrich, Der evangelische Kirchenvertrag mit dem Freistaat Baden, Lahr/Baden 1933, s. 82 ff. 37 Das Material über diesen Rechtsstreit zwischen dem Bunde und dem Lande Niedersachsen (nebst Hessen und Bremen) in: Der Konkordatsprozeß, in Zu-
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ein Hinübertreten auf die Linie landesrechtlicher Abmachungen - von dem Sonderfall der Begründung der Diözese Essen abgesehen38 - vorerst nicht notwendig oder auch nicht als wünschenswert erscheinen läßt. Bildet der niedersächsische Vertrag also zunächst eine isolierte Erscheinung, so tritt er doch insoweit in einen weiteren Zusammenhang ein, als sich in ihm Gedanken und Erwägungen niedergeschlagen haben, die allgemein nach dem zweiten Weltkriege von evangelischer Seite zum Verhältnis von Staat und Kirche entwickelt worden sind. Nach dieser Seite hin gewinnt die Abrede exemplarische Bedeutung. Den unmittelbaren Anlaß zu einem neuen Vertragsschluß zwischen Kirche und Staat in Niedersachsen bildeten sowohl staatliche wie kirchliche Wünsche, die sich einander in mehrfacher Richtung begegneten und auf eine baldige Regulierung des bestehenden Zustandes drängten. Im Vordergrund stand dabei die ungleiche Lage der einzelnen evangelischen Kirchen im Lande Niedersachsen hinsichtlich ihrer finanziellen Ausstattung durch das Land. Sie ergab sich für die Landeskirchen Oldenburg, Braunschweig und Schaumburg-Lippe aus der früheren einzelstaatlichen Selbständigkeit dieser Gebiete. Diese Landeskirchen waren nicht Teilnehmer an dem preußischen Kirchenvertrage von 1929, dessen Bestimmungen nach der finanziellen Seite hin für die Kirchen eine ungleich günstigere Lösung darstellten, als sie diese nichtpreußischen Landeskirchen gegenüber den ehemaligen Ländern Oldenburg, Braunschweig und Schaumburg-Lippe besessen hatten. Die Ev.-luth. Landeskirche von Schaumburg-Lippe besaß überhaupt keine vertragliche Abmachung mit dem Staate. Die Braunschweigische ev.-luth. Landeskirche hatte in ihrem vertraglichen Ausgleich mit dem Staate vom 8. 8. 192338 nur einen recht ungünstigen Abschluß erreichen können. Besonders schwierig war die Lage der Ev.-luth. Kirche in Oldenburg. Sie verfügte nur über eine im Jahre 1872 mit dem Staate verabredete Bauschsumme von jährlich 48 000 Mark, deren nomineller Ansatz über alle Kostensteigerungen und Entwertungen hin der gleiche geblieben war. Das Einströmen der Ostvertriebenen hatte zudem die oldenburgische Landeskirche für die Versorgung einer ausgedehnten Diaspora in bisher rein katholischen Gebieten verantwortlich gemacht. So sah sich die Landessammenarbeit mit Hans MülleT hrsg. von FTiedTich Giese u. FTiedTich August Bd. 1 - 4, München 1957 - 1959 (Veröffentlichungen des Instituts für Staatslehre und Politik e. V., Mainz, Bd. 7). 38 Vertrag zwischen dem Lande Nordrhein-Westfalen und dem Heiligen Stuhle vom 19. 12. 1956, angenommen durch Gesetz vom 12. 2. 1957 durch den Landtag (GVBl. 1957 S. 19). Der Weg eines landesrechtliehen Vertrages war hier durch Art. 2 IX des preußischen Konkordates von 1929 vorgezeichnet, den die Präambel zu dem neuen Vertrage in Bezug nimmt. 39 Text bei Hans LieTmann (Hrsg.), Kirchen und Staat, Bd. 1, München 1954, S. 87. Vgl. hierzu KonTad MülleT, Der Loccumer evangelische Kirchenvertrag als Spiegel der staatskirchenrechtlichen Lage in der Bundesrepublik, in: DÖV FThT. v. d. Heydte,
1955 s. 421 f.
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kirehe bereits im Jahre 1955 genötigt, eine Sonderhilfe der Landesregierung zur Deckung ihres Haushalts in Anspruch zu nehmen40 • Aus dieser Lage ergab sich die Notwendigkeit einer Neuregelung für die Zukunft, die nur in einer ausgleichenden Neuverteilung der staatlichen Zuwendungen unter alle fünf in Niedersachsen tätigen Landeskirchen gesucht werden konnte 41 • Aus der Fühlungnahme über diese Frage erwuchs dann ein umfassendes Gespräch zwischen Staat und Landeskirchen, das sich im Dezember 1954 zur beiderseitigen Absicht eines neuen Vertragsschlusses verdichtete. Dank einer intensiven Arbeit und der alsbald hergestellten grundsätzlichen Einigkeit beider Seiten über die allgemeinen Zielsetzungen konnten die Verhandlungen, in denen im Fortgang mehrerer Entwurfsfassungen der heutige Text erarbeitet wurde, ungemein rasch zum Erfolg geführt werden. Das war nicht zuletzt dem Umstande zu verdanken, daß auf der staatlichen Seite Ministerialbeamte die Besprechungen führten, die mit dem Gegenstande und mit den neuesten Anschauungen des Verhältnisses von Staat und Kirche wohlvertraut waren. Sie waren auch beweglich genug, das Gebot der Zeit zu einer wirklichen Neugestaltung zu erkennen. Hatte anfangs die Absicht bestanden, Teile des preußischen Staatsgesetzes vom 8. 4. 1924 noch aufrechtzuerhalten, so gab das Land dann diese Grundlage staatsaufsichtsrechtlicher Befugnisse ganz preis (Art. 23 li). Nicht alle Punkte des Verhältnisses von Staat und Kirche, die in den Verhandlungen berührt wurden, sind schließlich in den endgültigen Vertragstext eingegangen. Manche Wünsche der einen Seite gingen über den Rahmen hinaus, den der andere Teil zugestehen wollte oder konnte. Andere Gegenstände, die besondere Fragen aufwarfen, blieben schließlich einvernehmlich auf sich beruhen. Den Landeskirchen wäre eine Einbeziehung der Rechtsstellung der hannoverschen Klosterkammer in die Abreden willkommen gewesen; der Staat hätte die Aufnahme einer dem Art. 32 des Reichskonkordates entsprechenden Bestimmung über die politische Betätigung der Geistlichen nicht ungern gesehen42 • Schwer40 Der Staat bewilligte ihr einen Zuschuß von 170 400 DM als einmalige Sonderbeihilfe. Vgl. Konrad Müller, S. 422. Oldenburg hätte andernfalls einen höheren Kirchensteuersatz (1 °/o mehr) als die anderen Landeskirchen forterheben müssen. Vgl. Erich Ruppel, Der Vertrag zwischen Staat und Kirche in Niedersachsen, in: Informationsblatt für die Gemeinden in den niederdeutschen lutherischen Landeskirchen 1955, S. 109. 41 Zur Größenordnung die Angabe der (abgerundeten) Seelenzahlen der fünf beteiligten Landeskirchen (nach Angaben bei Heinz Brunotte, Die Evangelische Kirche in Deutschland, Hannover 1955) gemäß dem Stande vom 1. 1. 1954: Ev.-luth. Landeskirche Hannovers 3 900 000; Braunschweigische ev.-luth. Landeskirche 700 000; Ev.-luth. Kirche in Oldenburg 545 000; Ev.-ref. Kirche in Nordwestdeutschland 225 000; Ev.-luth. Landeskirche Schaumburg-Lippe 71 000 Seelen. 42 Vgl. Erich Ruppel, S. 110.
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wiegender war der Gedanke des niedersächsischen Ministerpräsidenten, über den finanziellen Ausgleich unter den Landeskirchen hinaus eine Verschmelzung der im Lande Niedersachsen befindlichen evangelischen Kirchen gleichen Bekenntnisses zu erstreben43 . Hier sprach der Wunsch mit, die Einheit des nach 1945 neugebildeten Landes Niedersachsen auch auf kirchlichem Gebiete zu bezeugen und zu festigen44 . Eine solche territoriale Angleichung der landeskirchlichen Abgrenzung an den in der neuesten Geschichte so wandelbar gewordenen Gebietsstand der deutschen Länder ist aber mit der heutigen Lösung der Landeskirchen von staatlicher Anlehnung nicht mehr vereinbar. Die deutschen evangelischen Landeskirchen haben spätestens 1918 aufgehört, in ihrem territorialen Umfang sich den Veränderungen der politischen Gebietsgliederungen in Deutschland anzuschließen. Zeigt ihr gegenwärtiger Bestand auch alle Spuren der Territorialgeschichte der deutschen Länder, an die sie durch das landesherrliche Kirchenregiment so lange gebunden waren, und bleibt im Hinblick auf die sonst kaum vermeidbare Aufgabe der Eigenschaft als Volkskirchen die Beibehaltung dieser historischen Territorialgestalt für die Landeskirchen geboten, so handelt es sich doch nunmehr um einen historischen, abgeschlossenen Charakterzug, der nicht mehr durch weiterschreitende Anpassung an gebietliehe Veränderungen fortgebildet werden kann. Der staatliche Gedanke hat in dem Vertrage nur nach zwei Richtungen seine Spur hinterlassen. Einmal ist in der Tat die Rechtslage aller Kirchen des niedersächsischen Landes vereinheitlicht worden. Zum anderen haben sich die fünf Kirchen bereit erklärt, ihre Anliegen gegenüber dem Lande Niedersachsen künftig gemeinsam zu vertreten, zu diesem Zweck gemeinsame Bevollmächtigte zu bestellen45 und eine Geschäftsstelle am Sitz der Landesregierung einzurichten (Art. 2 li). Diese Maßnahme, die keinerlei kirchliche Verbindung der einzelnen Kirchen untereinander in sich schließt, stellt eine administrative Vereinfachung der kirchlichen Beziehungen zum Staate dar. Ein solcher Weg würde auch Kirchen offenstehen, die nicht, wie die niedersächsischen Kirchen, nahezu mit ihrem ganzen Bestande innerhalb eines Landes liegen4&. 43 Vgl. die Ansprache des niedersächsischen Ministerpräsidenten Kopf bei der Unterzeichnung des Vertragesam 19. 3. 1955 in Loccum. 44 Hierzu sagte Ministerpräsident Kopf an jenem Tage: "Vier Fünftel der niedersächsischen Bevölkerung sind einander im evangelischen Glauben verbunden. Ich sehe darin ein starkes Band unserer Landeseinheit." Vgl. auch Konrad
Müller, S. 421. 45 Erich Ruppel, S. 110, weist mit Recht darauf hin, daß nicht ein gemein-
samer Bevollmächtigter, sondern Bevollmächtigte der verschiedenen Kirchen vorgesehen sind. 48 Kleine Teile der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, der Braunschweigischen ev.-luth. Landeskirche und der Ev.-ref. Kirche in Nordwestdeutschland gehören nicht zum Lande Niedersachsen; vgl. Erich Ruppel, S. 112.
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Ein wichtiges Problem bildete bei den Verhandlungen das Verhältnis der neuen Abmachungen zum preußischen Kirchenvertrag von 1931. Beide Vertragspartner gingen davon aus, daß der preußische Vertrag, ungeachtet des Untergangs des preußischen Staates, fortgilt und Bestandteil der vertraglichen Verpflichtungen des Landes Niedersachsen in Nachfolge des Landes Preußen ist. Sie befanden sich damit in übereinstimmung mit der Auffassung der übrigen aus preußischem Gebiet entstandenen Länder, von denen Nordrhein-Westfalen (Verfassung Art. 23) diese Fortgeltung ausdrücklich bestätigt hat, Hessen und Baden-Württemberg (für Hohenzollern) sie rechtlich anerkennen47 • Dieser Standpunkt, der auch der Stellungnahme der Literatur entspricht48 , ist deshalb bemerkenswert, weil die auf preußischem Gebiet entstandenen Länder keineswegs eine allgemeine Nachfolge nach dem preußischen Staat für sich annehmen49 • Es ist übrigens seither die Weitergeltung der preußischen Verträge von 1929 durch den Vertrag des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem Hl. Stuhl über die Errichtung des Bistums Essen vom 19. 12. 1956 bestätigt worden, der sich ausdrücklich im Vorspruch als ergänzende Vereinbarung zu Art. 2 IX des Abkommens mit der katholischen Kirche vom 14. 6. 1929 bezeichnet. Auch die niedersächsischen Abmachungen setzen den Fortbestand der preußischen Verträge voraus; sie haben nicht die Absicht, sie zu ersetzen, sondern wollen den Vertrag von 1931 fortbilden und neufassen. Mit dieser Feststellung tragen die niedersächsischen Kirchen der Verbundenheit mit den evangelischen Kirchen, die unter dem preußischen Vertrage von 1931 leben, Rechnung. Sie wollen die gemeinsame Verbindlichkeit dieses Vertrages nicht schmälern und lassen die Frage dahingestellt, inwieweit die einzel47 Für Hessen siehe die Anerkennung der preußischen Verträge (im Gegensatz zum Reichskonkordat) bei Georg August Zinn u. Erwin Stein, Die Verfassung des Landes Hessen, Bd. 1, Bad Hornburg v. d. H. - Berlin 1954, S. 246, wo zur Begründung die Staatensukzession angeführt wird, nicht ganz im Einklang mit der generellen Ablehnung einer Sukzession nach Preußen, ebd. S. 83. Für Baden-Württemberg siehe Rudolf Spreng, Willi Birn u. Paul Feuchte, Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart- Köln 1954, S. 55 f. Vgl. auch die bayerische Verfassung, Art. 182. 4 & Werner Weber, Die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften, Stuttgart 1948, S. 23 f.; ders., in: VVDStRL 11 (1954) 8.156; Hans Peters, Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, in: VVDStRL 11 (1954) S. 201. A. A. Eduard Kern, Staat und Kirche in der Gegenwart, Harnburg - Berlin Bonn 1951, S. 89 f. 48 Nachweise in meinen Ausführungen: Die Funktionsnachfolge und das Problem der staatsrechtlichen Kontinuität, in: Vom Bonner Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung, Festschrift für Hans Nawiasky, München 1956, S. 39, 45. Es mag übrigens bemerkt sein, daß der Gedanke einer Nachfolge verselbständigter Teile eines durch Auflösung (dismemberment) untergegangenen Staates international wiederholt Anerkennung gefunden hat. Vgl. die Beispiele Columbien 1829/31 und den argentinischen Bund 1854 bei Arnold Duncan Lord McNair, International Law Opinions, Bd. 1, Cambridge 1956, S. 174 -177; Daniel Patrick O'Connell, The Law of State Succession, Cambridge 1956, S. 43 f.
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nen Nachfolger des preußischen Staates einzeln zu Abänderungen jenes Vertrages berechtigt sein könnten50• Auf die Landesverfassung Niedersachsens vom 13. 4. 1955 brauchte der Vertrag keine Rücksicht zu nehmen, da sie, ebenso wie die Verfassungen von Harnburg und Schleswig-Holstein, auf grundrechtliche Satzungen und damit auch auf eine Ordnung der Fragen von Kirche und Staat verzichtet hat. Das Grundgesetz mit seiner Verweisung auf die Weimarer Verfassung 51 dagegen behält für den Vertrag um so mehr seine Bedeutung, als- abgesehen von der Gewährleistung der Glaubensfreiheit (Art. 1), der Anstaltsseelsorge (Art. 6) und des kirchlichen Eigentums (Art. 18)- die Loccumer Abreden die grundsätzlichen Garantien des Grundgesetzes für die kirchliche Selbständigkeit, Vereinigungsfreiheit und Körperschaftsstellung (Art. 140 GG in Verb. mit 137 III- V WRV) nicht wiederholen. Diese Lösung, die die Rechtsstellung der Kirchen teils in der allgemeinen bundesrechtlichen Grundordnung des staatskirchenrechtlichen Bereiches, teils in landesrechtlicher Vereinbarung begründet sein läßt, entspricht dem bisherigen Rechtszustande. Sie hat ihre Bedeutung darin, daß sie den evangelischen Kirchen auch über landesrechtliche Zusicherungen in Vertrag, Verfassung oder Gesetz hinaus bundesrechtliche Gewähr bietet52 und mit den aus den Vorschriften des Grundgesetzes fließenden Zuständigkeiten des Bundes53 wie mit der entsprechenden Bundespflicht der Länder eine wesentliche Sicherung schafft. Von diesem Zusammenhang aus erscheint es vertretbar, daß der Loccumer Vertrag von dem Versuche abgesehen hat, die bundesrechtlichen Gewährungen sämtlich in landesrechtlicher Vertragsform zu wiederholen. &o
Komad Müller, S. 422.
Eigenartigerweise erwähnt der Vorspruch des niedersächsischen Kirchenvertrages nur die Weimarer Verfassung; gemeint ist aber sichtlich die durch das Grundgesetz ausgesprochene Fortgeltung ihrer Regelung (vgl. auch Art. 16 li und 18 I). 62 Das ist nicht ohne Bedeutung. Der hessische Staat hat z. B. anläßlich einer Änderung des preußischen Gesetzes über die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens vom 24. 7. 1924 die Meinung vertreten, es liege ihm ob, die vermögensrechtliche Vertretung der Kirche nach außen zu regeln (Georg August Zinn u. Erwin Stein, S. 246). In dieser allgemeinen Fassung ist diese Ansicht gegenüber Art. 137 III WeimRV i. V. m. 140 GG nicht aufrechtzuerhalten, mag man auch die Fortbildung der preußischen Vermögensverwaltungsgesetze für statthaft halten. Gegen die Zulässigkeit solcher Bestimmungen überhaupt schon unter der Weimarer Reichsverfassung Godehard Josef Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930, S. 263; a. A. Werner Weber, in: VVDStRL 61
11 (1954)
s. 156.
Ober sie Werner Weber, S. 160. Die von ihm richtig gezeichneten Befugnisse des Bundes, die staatliche Seite gegenüber kirchlichen Anliegen für den Gesamtbereich der Bundesrepublik zu vertreten, sind unterdes durch den Abschluß des Vertrages über die Militärseelsorge zwischen der EKD und dem Bunde am 22. Februar 1957 (BGBl. II S. 701) bestätigt worden. 53
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Es gehört nicht zum Inhalt eines Vertrages zwischen Kirche und Staat, sich über die rechtliche Natur der getroffenen Vereinbarung zu äußern. In dieser Hinsicht sind die Anschauungen der Gegenwart über die älteren Ansichten jedenfalls hinausgewachsen. Noch in der Weimarer Zeit wurde die Meinung vertreten, daß evangelische Kirchenverträge nur den Rang von Verwaltungsverträgen beanspruchen könnten, deren Einhaltung der Verfügung des Gesetzgebers unterliege 54 • In dieser Meinung klang freilich allzusehr noch der Zustand des Staatskirchenturns (Kirchenregiments) nach, in dem allerdings echte Verträge zwischen Kirche und Staat nicht möglich waren55 • Schon damals aber betonte eine andere Richtung, daß in ihren Verträgen sich Staat und Kirche, letztere auf Grund ihrer eigenständigen Existenz, gleichberechtigt begegneten und die Geltung jener Verträge mithin in einer eigenen Rechtssphäre der Relation zwischen kirchlichem und staatlichem Recht wurzele 56 • Wenn heute die rechtliche Ordnung der Kirche als ein Teil ihres leiblichen Bestandes im Raume der Welt aus dem Gebot der Ordnung in der christlichen Gemeinde, nicht aber aus staatlicher Verleihung oder Genehmigung abgeleitet wird57, so gewinnt eine vertragliche Einigung zwischen Kirche und Staat ihren Platz nicht im staatlichen Recht allein, sondern in der weiteren, auch das kirchliche Recht umspannenden Sphäre des öffentlichen Rechts. Sie wird zu einem Bande zwischen dem staatlichen Rechtskreise und der andersartigen Ordnung kirchlichen Rechts, zugleich aber von der Kirche her auch zum Ausdruck des der christlichen Gemeinde aufgegebenen Gehorsams gegen das staatliche Regiment. Für den Christen gehören also Verträge zwischen Kirche und Staat in den Bereich schuldiger Achtung vor der politischen Gewalt58 , ihr Inhalt aber wird seinem Charakter als judicium finium regundorum nach nicht durch einseitige Verfügung des Staates, sondern in einvernehmlicher Gestaltung fixiert. Vom Staate her gesehen, der immer noch an dem Standpunkt der Aufklärung von der Souveränität über alle Vereinigungen seines Territoriums festhält59 , handelt es sich um staatsrechtliche 54 Vgl. Hans Liermann, Das evangelische Konkordat, in: AöR, N.F., 13 (1927) S. 419 f.; ders., Deutsches Evangelisches Kirchenrecht, Stuttgart 1933, S.137 f. 55 Ein weit verbreitetes Werk der anglikanischen Lehre weist zutreffend auf die Schwierigkeit hin, in einem System der Staatskirche (establishment) anzuerkennen, "that the Church can have a law of her own resting on other authority than that of the State" (Edward John BickneZZ, A theological introduction to the Thirty-Nine Articles of the Church of England. 3rd ed. revised by H. J. Carpenter, London 1955, S. 64 ff.). 58 Ernst Rudolf Huber, Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich, Breslau 1930, S. 83 ff.; Otto Friedrich, S. 64 ff. 57 Zur Begründung der rechtlichen Gestalt der christlichen Gemeinde siehe KarZ Barth, Die kirchliche Dogmatik, Bd. IV/2, S. 778 ff.; Max Schach, Evangelisches Kirchenrecht und biblische Weisung, S. 99 ff., 126 ff. 58 Vgl. KarZBarth, S. 779.
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Verträge, denen die Verfassung in Respektierung der kirchlichen Selbständigkeit bindende Wirkung als Vereinbarung gibt, so daß der Gesetzgeber sie nicht aus einseitiger Satzung zu ändern oder aufzuheben vermag. Zwischen der rechtlichen Sicht von Staat und Kirche bleibt also immer ein gewisser Zwiespalt. Beide aber vermögen sich zu begegnen in der Zurechnung jener Vereinbarungen zu einer Zone des Öffentlichen, d. h. des öffentlichen Rechts in einem weiteren Sinne, in der die Einigung für beide beteiligten Rechtsbereiche als bindend respektiert wird. In seiner äußeren Gestalt besteht der Vertrag aus 23 Artikeln, die durch eine Zusatzvereinbarung von 12 Paragraphen ergänzt werden. Der Unterzeichnung im Kapitelsaal des Klosters Loccum am 19. 3. 1955 folgte die Billigung der staatlichen und kirchlichen Versammlungen in kurzer Zeit. Der Landtag nahm den Vertrag am 30.3.1955 in 1.- 3. Lesung an, das Landesgesetz erging am 18. 4. 195560 • Ebenso stimmten die kirchlichen Gremien der Vereinbarung zu61 • Die Ratifikation erfolgte am 22. 4., das Inkrafttreten vollzog sich am 23. 4. 195562 • Nur eine Landeskirche fügte dem Vertrage einen Vorbehalt hinzu, der einvernehmlich in einer Erklärung zwischen der Ev.-luth. Kirche von Oldenburg und dem Lande am 19. 3. 1955 festgelegt wurde. Die Kirche wahrte sich, gegenüber der Bezugnahme des niedersächsischen Schulgesetzes vom 14. 8. 1956 in Art. 5 des Vertrages, die in § 31 des Schulgesetzes niedergelegte Erhaltung des in Art. 23 und 24 der oldenburgischen Verfassung vom 17. 6. 1919 und § 18 des Schulgesetzes für das Herzogtum Oldenburg vom 4. 2. 1910 i. d. Fass. vom 1. 8. 1936 vorgesehenen Regimes der konfessionellen Schule83 • IV. Die Aussagen des Vertrages zum allgemeinen Verhältnis von Kirche und Staat Mit Recht haben die literarischen Stimmen zum Vertrage84 einen seiner wichtigsten Beiträge zum Staatskirchenrecht der Gegenwart in der Neu69 Mit Recht sagt daher Karl Barth, daß der Staat in seinem Staatskirchenrecht von dem Selbstverständnis der Kirche unvermeidlich weit entfernt bleibt
(S. 779).
60 GVBI. S. 159. Die Zusatzvereinbarung ist veröffentlicht in MinBI. S. 438. Von den Materialien sind llU erwähnen: Regierungsvorlage mit Begründung, Landtag, 2. Wahlperiode, Drucksache 1906; Sten. Ber. der 98. Sitzung des Landtages vom 30. 3. 1955, S. 6381 - 91; die in Loccum bei der Unterzeichnung gehaltenen Ansprachen, insbesondere die von Ministerpräsident Kopf und Landesbischof Lilje. 61 Kirchengesetze (nach den Angaben bei Konrad Müller, S. 422): Hannover vom 14. 5. 1955 (KABI. S. 31); Nordwestdeutschland vom 12. 4. 1955 (GVBI. Bd. 11 S. 51); Braunschweig vom 15. 4. 1955 (KABI. S. 7); Oldenburg vom 22. 4. 1955 (GVBI. Bd. 14 S. 83); Schaumburg-Lippe vom 19. 4. 1955 (KABI. S. 1). 62 Bek. im niedersächsischen GVBI. 1955 S. 181. 83 Text bei Hans Liermann (Hrsg.), Kirchen und Staat, Bd. 2, München 1955, S. 18, und GVBl. Oldenburg S. 87.
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formulierung der Relation von Kirche und Staat gesehen. In Anlehnung an die verfassungsrechtlichen Grundbestimmungen ist es den Loccumer Vereinbarungen in der Tat gelungen, in dieser Richtung einen bedeutsamen Beitrag zur Fortbildung und zur begrifflichen Präzision zu leisten und an die Stelle der älteren, nicht mehr passenden Vorstellungen neue Prägungen zu setzen. Sie finden sich in der Hauptsache im Vorspruch des Vertrages, wo die Rede ist von der "freiheitlichen Ordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche", von der "gemeinsamen Verantwortung für den evangelischen Teil der niedersächsischen Bevölkerung", dem "freundschaftlichen Verhältnis zwischen Land und Landeskirchen" und dem "Öffentlichkeitsauftrag" der Kirche. Diese Formeln gilt es im Lichte der früher aufgezeigten grundsätzlichen Würdigung des gewandelten Verhältnisses von Staat und Kirche kurz zu beleuchten. Es empfiehlt sich, die neuen Aussagen nicht nur im Zusammenhang mit dem Staatskirchenrecht des Bundes, sondern vor allem auch dem der Länder zu prüfen, die in der Gegenwart wieder eine so bedeutende Rolle für das Staatskirchenrecht gewinnen. Nicht alle Landesverfassungen enthalten überhaupt Stellungnahmen zu unserem Thema. Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein nehmen ganz von grundrechtliehen Vorschriften Abstand. Bayern, Berlin, Hessen und NordrheinWestfalen geben nur Einzelbestimmungen in Anlehnung an das bisherige Recht, ohne grundsätzliche Aussage zum Verhältnis von Staat und Kirche. Von den übrigen Verfassungen nennt die Verfassung von Rheinland-Pfalz vom 18. 5. 1947 die Kirchen "anerkannte Einrichtungen für die Wahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundanschauungen des menschlichen Lebens", eine spezifisch staatskirchenrechtliche, um nicht zu sagen zweckhaft staatliche Prägung, die die Kirchen etwas zu stark unter den Gesichtspunkt ihrer Dienste für den Staat rückt65 • In ganz entsprechender Weise erkennt die Verfassung von Baden-Württemberg vom 11. 11. 1953 die Bedeutung der Kirchen "für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens" an. Sinn und Absicht dieser Formulierungen ist eine grundsätzliche Begründung für die besondere Stellung der Kirchen im öffentlichen Recht und für ihre Mitwirkung im öffentlichen 84 Werner Thieme, Der Vertrag von Kloster Loccum, in: DVBI. 1955 S. 273 ff.; Konrad Müller, Der Loccumer evangelische Kirchenvertrag als Spiegel der
staatskirchenrechtlichen Lage in der Bundesrepublik, in: DÖV 1955 S. 421 ff.;
Erich Ruppel, Der Vertrag zwischen Staat und Kirche in Niedersachsen, in:
Informationsblatt für die Gemeinden in den niederdeutschen lutherischen Landeskirchen 1955, S. 108 ff.; Rudolf Smend, Der niedersächsische Kirchenvertrag und das heutige deutsche Staatskirchenrecht, in: JZ 1956 S. 50 ff. 85 Der gleiche Gedanke war glücklicher gefaßt in Art. 120 der Verfassung von Württemberg-Hohenzollern vom 20. 5. 1947: "Die Religionsgemeinschaften stehen unter den für sie gültigen göttlichen Geboten. In der Erfüllung dieser religiösen Aufgabe entfalten sie sich frei von staatlichen Eingriffen. Als Träger des sittlichen Lebens des Volkes wirken sie neben dem Staat."
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Leben66 • Demgegenüber klingt eine andere Note an in der Verfassung von Bremen vom 21. 10. 1947, die zu Eingang der Einzelbestimmungen in Art. 59 II erklärt: "Die Kirchen und Religionsgemeinschaften sind vom Staate getrennt." Hier ist der Akzent des staatlichen Denkens noch stärker, und es wird nicht nur durch Ablehnung der Staatskirche die Selbständigkeit der Kirche betont, sondern auch auf die aus der Weimarer Zeit fortgeführte Idee der Trennung abgestellt. Es wäre unrichtig, zwischen diesen Formeln einen prinzipiellen Gegensatz anzunehmen, aber sie stellen doch unverkennbar verschiedene Ausgestaltungen der staatskirchenrechtlichen Grundkonzeption dar. In einem gemilderten Sinne finden wir diese Elemente auch in den Formeln des niedersächsischen Kirchenvertrages wieder. Die erste von ihnen, die "freiheitliche Ordnung", ist sichtbar vom Staate her geprägt und schließt sich an die Überlieferung der Weimarer Zeit an. Sie drückt zunächst die Freistellung der Kirche von staatlicher Aufsicht aus und läßt damit eine Grundtendenz des gegenwärtigen Vertragswerks erkennen: den Verzicht des Staates auf äußere Kontrollrechte in möglichstem Ausmaß, das Vertrauen auf die innere Selbstüberwachung der Kirche selbst, zugleich die Anerkennung der Andersartigkeit und Gleichberechtigung der Kirche 57• Schwächer nur klingt in dieser Formel auch der Gedanke der Trennung an68 • Es ist in der Tat weniger die Vorstellung einer Entfernung von Staat und Kirche, die hier laut wird sie würde auch der gleich zu berührenden Zusammenarbeit beider nicht mehr entsprechen -, sondern die Betonung der Selbständigkeit jedes der beiden Partner, auch des Staates. In der Anrufung einer freiheitlichen Ordnung versichert der Staat sich auch gegenüber den beiden großen Konfessionen der weltanschaulichen Freiheit. Er bezieht damit eine Stellung oberhalb der konfessionellen Gegensätze, wie sie kürzlich der Kultusminister von Nordrhein-Westfalen, Luchtenberg, mit dem Ausdruck "neutrale Ordnungsmacht" gekennzeichnet hat6G. Die protestantischen Christen, deren geistiges Erbe in den beiden letzten Jahrhunderten so stark mit dem Gedanken der Toleranz und der geistigen Freiheit verbunden gewesen ist, werden für dies Bekenntnis des Staates zu einer freiheitlichen und national einheitlichen Kulturordnung Verständnis haben - fügt sich in sie doch das Verlangen nach kirchlicher Selbständigkeit natürlich ein70 • es Zur Heranziehung der Kirchen zu öffentlichen Funktionen siehe die Aufzählung bei Gustav-Adolf Vischer, Aufbau, Organisation und Recht der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Bd. 2, München 1956, S. 95. 87 Vgl. die Äußerung des Ministerpräsidenten Kopf im Landtag (Sten. Ber.
s. 6382).
es Erwähnt in den Verhandlungen des Landtags von Kultusminister Voigt (S. 6384) und Abg. Böhme (S. 6388). av Rede zur Einbringung des Vertrages über das Bistum Essen in der 54. Sitzung des Landtags, 3. Wahlperiode, am 22. 1. 1957 (Sten. Ber. S. 1686). 21 Scheuner
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In jedem Falle darf das Wort von der Trennung von Staat und Kirche heute nicht im Sinne einer vollen Loslösung verstanden werden. Vor solcher Deutung bewahrt die in manchem Bedacht zukunftsreichste Formulierung des Vertrages von dem "freundschaftlichen Verhältnis zwischen Staat und Kirche". Damit und mit der Betonung gemeinsamer Verantwortung für die Bevölkerung wird der Kernpunkt im neuen Verhältnis von Staat und Kirche berührt, die sich gerade in ihrer vollen Unabhängigkeit voneinander in einer vertrauensvollen Kooperation begegnen können. Auch wenn der Vertrag selbst das Wort "Partnerschaft" nicht aufgenommen hat71 , so gelangt in seinen Wendungen die auf der Respektierung der gegenseitigen unabhängigen Positionen gegründete Zusammenarbeit ebenso klar zum Ausdruck wie die Abkehr von einer Säkularistischen Trennung von Staat und Kirche mit einer Gleichgültigkeit oder gar Fremdheit. In den westdeutschen Gegebenheiten der Gegenwart ist, das zeigen auch die Einzelvorschriften, die historische Nähe von Staat und Kirche noch nicht abgeklungen. Aus der Verbindung von Staat und Kirche erwächst für den Staat die Verpflichtung, den "Öffentlichkeitsauftrag" der Kirchen anzuerkennen. Das umschließt nicht nur die Ablehnung jeden Versuches einer Verdrängung der kirchlichen Tätigkeit auch auf wohltätigem und publizistischem Gebiete in eine Winkelstellung des rein Privaten, sondern schließt auch die Respektierung der Kirche als eines besonderen und wichtigen Faktors des öffentlichen Lebens im Staate, klar unterschieden von bloßen Interessengruppen und politischen Gruppierungen, ein, wie dies auch in den Bestimmungen der baden-württembergischen und der rheinpfälzischen Verfassung zum Ausdruck kommt. Zugleich klingt in diesen Worten aber auch die Andersartigkeit der Kirche und damit das Einzigartige und Besondere ihres Auftrages an, die sie in einem besonderen geistlichen Sinne zur Partnerin und zum Gegenüber des Staates macht und ihr auch die Befugnis zu mahnenden wie zu helfenden Äußerungen in der Öffentlichkeit gewährt72 • Es entspricht dieser Stellung der Kirche, daß sie als öffentliche Körperschaft anerkannt wird, so wenig dieser Begriff in seinen Einzelheiten heute der Rechtslage der Kirche noch gerecht zu werden vermag, so sehr 70 In diesem Sinne einer "Freiheit zwischen Staat und Kirche", die aber andererseits zur Zusammenarbeit führt, auch die Deutung von Landesbischof Hanns Lilje (Ansprache bei der Unterzeichnung). 71 Siehe indes die Verwendung des Begriffs bei Ministerpräsident Kopf im Landtag (Sten. Ber. S. 6382). 72 Die 2. Synode der EKD hat in ihrer Theologischen Erklärung vom 29. 6. 1956 besonders auf dies Recht der Kirche Gewicht gelegt: "Die Inhaber der staatlichen Macht bitten wir, der Kirche den Raum nicht zu verwehren, den sie braucht, um das Evangelium in aller Öffentlichkeit zu verkündigen, die Jugend in seiner Wahrheit zu unterweisen und den Dienst der Liebe an all denen zu tun, die in Nöten Leibes und der Seele seiner bedürfen" (ABI. der EKD 1956, S. 169 [Nr. 133]).
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er vielmehr nur mehr eine abkürzende Bezeichnung für die Vorrechte und Begünstigungen ist, die die Kirche im öffentlichen Recht genießt73, Mancherlei Privilegien sind mit diesem Begriff umschrieben, von dem Recht zur Ausstellung öffentlicher Urkunden und zur Führung von Siegeln, der Fähigkeit, öffentlich-rechtliche Verträge zu schließen, bis zur Qualifikation, Beamte im öffentlichen Dienst anzustellen, die gegenüber gelegentlichen neueren Anzweiflungen in Art. 1 li Satz 2 Halbsatz 2 des Vertrages und § 1 der Zusatzvereinbarung klargestellt wird74 • Es entspricht auf der anderen Seite auch dieser Stellung der Kirche im öffentlichen Recht, daß sie sich - wie ihr schon das Gebot des Gehorsams gegen die Staatsgewalt aufgibt- den grundlegenden Anordnungen des Staates und seiner Rechtsordnung unterordnet, wie dies die Formel von der "Selbständigkeit innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" (Art. 1 li) zur Geltung bringt. V. Verzicht auf die staatliche Kirchenhoheit: Recht und Organisation der Kirchen Wenn wir uns den Einzelheiten des Kirchenvertrages und hier zunächst den Bestimmungen über den Einfluß des Staates auf die kirchliche Organisation und das Recht der Religionsgemeinschaften zuwenden, so treten wir aus dem Bereich grundsätzlicher Klarstellungen zum Verhältnis von Staat und Kirche, wie sie in der Präambel des Vertrages sich finden, in die Zone einer älteren Form der Auseinandersetzung der politischen und geistlichen Macht auf der Ebene einer Gegenseitigkeit spezieller Gewährungen des Staates einerseits, der Zugeständnisse staatlicher Einwirkung auf kirchliche Einrichtungen andererseits und einer aus dem Hergebrachten kommenden, mehr unreflektierten Selbstbehauptung der staatlichen Souveränität75 • Dennoch entbehrt auch diese Materie nicht des Grundsätzlichen. Es liegt in der nunmehr mit allem Bewußtsein vollzogenen staatlichen Abkehr von der Kirchenhoheit des überlieferten Staatskirchenrechts als eines umfassenden Rechts des Staates zur Auf73 Konrad Hesse, Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, Göttingen 1956, S. 66 f. Insbesondere schließt dieser Begriff für die Kirche weder das Korrelat der Staatsaufsicht noch eine Ableitung ihrer Selbständigkeit vom Staate her in sich. 74 Dabei wird aber heute nachdrücklich die Verschiedenheit des kirchlichen Dienstes vom staatlichen .klarzustellen sein, die zwar im Grundsatz stets schon bestand (vgl. PauZ Schoen, Das evangelische Kirchenrecht in Preußen, Bd. 1, Berlin 1903, S. 174), aber doch in der Weimarer Zeit so weit zurücktrat, daß die Rechtsprechung weithin staatliche Vorschriften auf kirchliche Diener zur Anwendung brachte (vgl. Otto Thü.mmeZ, Evangelisches Kirchenrecht für Preußen, Bd. 1, Berlin 1930, S. 295). Nach BGHZ 18 S. 373, 375, steht heute der kirchliche Dienst selbständig als öffentlicher Dienst neben dem staatlichen Dienst und dem Arbeitsrecht. 75 Hierzu RudoZf Smend, in: ZevKR 1 (1951) S. 5.
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sieht und Kontrolle der kirchlichen Autonornie 70 • Damit zeichnet sich das Zurücktreten eines grundlegenden Begriffes ab, der in einer langen Entwicklung zum Ausdruck eines aus der allgerneinen Staatsgewalt abgeleiteten Gestaltungs- und Aufsichtsrechts des Staates über die Religionsgesellschaften geworden war 77 • In der Tat hatte man namentlich von katholischer Seite 78 das Fortbestehen einer solchen besonderen Staatsaufsicht schon für die Weimarer Zeit als mit dem Trennungsgedanken nicht vereinbar bestritten. Die herrschende Lehre freilich 79 , unter Hinweis auf die Position der Kirchen als öffentliche Körperschaften, hielt arn Fortbestehen dieses staatlichen Hoheitsrechtes ebenso fest wie die staatliche Gesetzgebung, die mehr oder weniger unbekümmert den staatlichen Aufsichtsbefugnissen noch umfassende gesetzliche Gestalt verlieh. Auch in der Gegenwart kann die Aufgabe der Kirchenhoheit nicht bedeuten, daß das Verhältnis von Staat und Kirche nicht weiterhin durch besondere öffentlich-rechtliche Bindungen gekennzeichnet wäre. Die evangelischen Kirchen legen Gewicht darauf, öffentliche Körperschaften zu sein und ihre Existenz im Staate innerhalb des öffentlichen Rechts zu führen (vgl. Art. 1 II nds. Kirchenvertrag). Öffentlich-rechtliche Stellung der Kirche aber und öffentlich-rechtliche Bindung gegenüber dem Staate fallen zusammen. Was die letztere angeht, so wird sie in der Formel von der Selbstbestimmung "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" in demjenigen Bestande umschrieben, der auf einseitiger staatlicher Satzung beruht. Denn auch heute verzichtet der moderne Staat nicht auf sein Erstgeburtsrecht der inneren Souveränität, kraftderen er eine allgerneine Hoheit über alle Individuen und alle Vereinigungen seines Gebietsbereiches innehat80 • In ihrer Gesamtheit aber Diesen Verzicht stellen fest WerneT Thieme, S. 275; KonTad MülleT, S. 426. Zur Geschichte des Begriffs des "ius circa sacra" vgl. Johannes Heckel, Cura religionis, ius in sacra, ius circa sacra, in: Festschrift Ulrich Stutz (Kirchenrechtliche Abhandlungen, Heft 117/118), Stuttgart 1938, S. 224 ff. In der Ausbildung, die das 18. Jahrhundert dem Begriffe des ius circa sacra gab, um.!:chloß es das ius reformandi, das ius inspiciendi und das ius advocatiae. Vgl. GeoTg Ludwig BoehmeT, Principia Iuris Canonici, 5. Aufl., Göttingen 1785, §§ 20 - 23, S. 12 ff., und die gleichen Begriffe noch bei WHhelm Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik, Freiburg/Br. u. Leipzig 1894, s. 309 ff. 78 GodehaTd Josef EbeTs, Kirche und Staat im neuen Deutschland, München 1930, s. 311 ff. 79 Vgl. GeThaTd Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl., Berlin 1933, S. 636 f., und später noch FTiedTich Giese, in: AlbeTt Michael KoenigeT u. FTiedTich Giese, Grundzüge des katholischen Kirchenrechts und des Staatskirchenrechts, 3. Aufl., Göggingen bei Augsburg 78
77
1949, s. 269 f.
80 Diese Funktion des Souveränitätsgedankens bleibt erhalten trotz der Notwendigkeit, in der Gegenwart die rechtlichen Grenzen und Schranken staatlicher Macht nachdrücklich zu betonen. Insofern wirkt im modernen Staat noch immer die Tradition des absoluten Regimes nach. Vgl. zur Kritik der Souveränität WeTneT Kägi, Europa und das Problem der Souveränität, in: Europa in evangelischer Sicht, Stuttgart 1953, S. 148 f., und Max Schach, S. 129 ff.
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tendiert die öffentlich-rechtliche Beziehung zwischen Staat und Kirche heute nicht auf eine Lösung im Wege der staatlichen Gesetzgebung, sondern auf eine einvernehmliche Gestaltung im Wege des Vertrags hin81 • Die evangelischen Kirchen erkennen diese gegenseitige Verknüpfung ihrer öffentlichen Stellung und der Anerkennung der für das Ganze grundlegenden Werte und Prinzipien der staatlichen Rechtsordnung - soweit diese nicht ihrem Gehorsam gegen Gottes Gebot widerstreiten- an 82 • Sie bleiben darüber hinaus bereit, im Austausch gegen Begünstigungen auch weitergehende überlieferte Bindungen auf sich zu nehmen, wo sie, wie im westlichen Deutschland, auf eine loyale und sachgerechte Handhabung solcher Rechte durch den Staat vertrauen dürfen. In diesem Sinne rückt der nds. Kirchenvertrag mit der Preisgabe des Aufsichtsgesetzes von 1924 die einseitige staatliche Verfügung beiseite, findet sich aber in der Aufrechterhaltung der im preußischen Kirchenvertrag von 1931 enthaltenen Aufsichtsbefugnisse, ergänzt durch einige Übernahmen auch aus dem Gesetz von 192483 , zu vertraglicher Fortführung bestimmter Einflußrechte des Staates bereit. Auf vereinbarter Grundlage bleibt also ein gewisser Bestand der für die ältere Phase des Staatskirchenrechts charakteristischen Verknüpfungen staatlicher Gewährungen und kirchlicher Zugeständnisse erhalten84 • Freilich, sie sind alle im Sinne der beabsichtigten Bereinigung und Vereinfachung - vorn Staate als "Entbürokratisierung" bezeichnet - neu geprüft und der heutigen Konzeption angepaßt; das Maß der staatlichen Einwirkung ist durchgängig stark herabgesetzt. Der Staat vertraut, wie von Seiten des Landes betont wurde85, darauf, daß die Kirchen selbst in preußi~chen
81 So auch Konrad Hesse, S. 72, 73, 81. Seine Meinung, daß eine subordinationsrechtliche Gestaltung staatskirchenrechtlicher Verhältnisse heute unvollziehbar geworden sei (S. 72), geht indes zu weit. 82 Insoweit auch richtig Konrad Hesse, S. 73, 75. Würde der Boden dieses Verhältnisses, das man am besten als eines der öffentlich-rechtlich anerkannten Selbständigkeit und der freien Zusammenarbeit bezeichnen kann, verlassen, so führt der Weg bei Verlust der öffentlich-rechtlichen Bindung nicht in eine volle Freiheit, sondern in die relativ größere Abhängigkeit des Niedersinkens zum privatrechtliehen Vereinsstatus und zum Verzicht auf die historische Sonderstellung der großen Bekenntnisse in Deutschland. 83 Vgl. Art. 11 des niedersächsischen Vertrages = Art. 4 des preußischen Gesetzes und Art. 4 des preußischen Vertrages (Errichtung von Kirchengemeinden); Art. 20 des niedersächsischen Vertrages = Art. 6 Ziff. 1 des preußischen Gesetzes (Denkmalpflege); Art. 12 II des niedersächsischen Vertrages = Art. 7 des preußischen Gesetzes (Kirchensteuer). 84 Aus dem preußischen Gesetz von 1924 werden aber auch Begünstigungen der Kirchen übernommen. So Art. 19 des niedersächsischen Vertrages =Art. 14 des preußischen Gesetzes (Ermächtigung der kirchlichen Disziplinarbebörden zur Beeidigung von Zeugen und Sachverständigen und Verpflichtung der Amtsgerichte zur Rechtshilfe für sie). 85 Vgl. Ministerpräsident Kopf, Ansprache in Loccum am 19. 3. 1955 und im Landtag, Sten. Ber., S. 6382: "Wir vertrauen auf die innere Kontrolle der kirch-
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ihrer Verwaltung die erforderlichen Kontrollen und Rechtsgarantien gewährleisten, so daß es in vielen bisher festgehaltenen Punkten staatlicher Mitwirkung dieser äußeren Bevormundung künftig nicht mehr bedarf. Diese vertragliche Klärung und Bereinigung zeigt auch zugleich, daß die neue Anschauung der Relation von Staat und Kirche nicht etwa ohne solche ausdrücklichen gesetzlichen oder vertraglichen Maßnahmen zum Wegfall bestehender Bindungen des älteren Status führt. Wo, wie in den anderen Nachfolgestaaten Preußens, das Gesetz von 1924 noch in Geltung steht, bleibt es in Geltung und vermag nur auf formell einwandfreie Weise ersetzt zu werden86 • Unter dieser Zielsetzung ist vom Staate ganz aufgegeben worden die Vermögenskontrolle der Art. 10-13 des Gesetzes von 1924. Reduziert ist die staatliche Mitwirkung bei der Bildung und Veränderung der Kirchengemeinden. An die Stelle einer Zustimmung (Art. 4 pr. Ges. von 1924) ist die bloße Mitteilung und bei erhobenen Bedenken des Landes die nochmalige Überprüfung getreten (Art. 11). Für die staatliche Mitwirkung bei der Bildung kirchlicher Anstalten und rechtsfähiger Stiftungen ist eine ergänzende Vereinbarung vorgesehen. In der Tat konnte der Staat auf eine weitergehende Beeinflussung hier verzichten, da die Höhe seiner finanziellen Leistungen nicht mehr von der Zahl der Kirchengemeinden abhängig ist. Beschränkt ist auch die staatliche Aufsicht über die Gesetzgebung der Kirchen. Die Vorlagepflicht für kirchliche Vorschriften über die vermögensrechtliche Vertretung der Kirche, ihrer Verbände und Untergliederungen ist geblieben, aber der staatliche Einspruch darf- statt bei fehlender Gewährleistung geordneter Geschäftsführung - nur bei mangelnder Gewähr geordneter Vertretung erfolgen (Art. 10). Wenn zur Entscheidung hier entstehender Differenzen das Verwaltungsgericht angerufen werden kann, so ist mit der Würdigung dessen, was eine geordnete Vertretung darstellt, freilich ein nicht unwesentliches Gebiet innerkirchlicher Ordnung seiner Jurisdiktion unterstellt. Fast unverändert erhalten geblieben sind die Vorschriften über die Vorbildung der Geistlichen und der zu Gliedern einer Kirchenleitung liehen Selbstverwaltung und glauben, daß Staat und Kirche am besten miteinander auskommen und miteinander arbeiten werden, wenn sie sich als gleichberechtigte Partner gegenüberstehen." In gewissen Grenzen ist diese institutionelle Selbstkontrolle der Kirchen in Vergleich zu setzen mit der materiellen Selbstzucht der Wissenschaft und ihrer institutionellen Ausprägung in der akademischen Selbstverwaltung, dort freilich alles im Rahmen einer Erscheinung des staatlichen Bereichs. Vgl. Herbert Wehrhahn, Lehrfreiheit und Verfassungstreue, Tübingen 1955, S. 15 ff. (Recht und Staat, Heft 183/184). 88 Ebenso Konrad Hesse, S. 75. Vgl. auch VG Frankfurt vom 13. 12. 1955, in: ZevKR 5 (1956) S. 325, das die Fortgeltung von § 17 des preußischen Gesetzes von 1924 bejaht. A. A. mit Hinweis auf Art. 140 GG das LVG Schleswig vom 8. 1. 1954, in: ZevKR 3 (1953/1954) S. 419, und OLG Celle vom 14. 7. 1955, in: ZevKR 5 (1956) S. 312.
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oder einer höheren Kirchenbehörde bestellten Pfarrer (Art. 8, 9 pr. Vertr. = Art. 8, 9 nds. Vertr.). Aufgenommen ist die Möglichkeit der Anrechnung auch eines Studiums an deutschsprachigen Schweizer Universitäten. In diesem Bildungs- und Nationalitätszensus, den erst die Maigesetze von 1873 eingeführt haben87 , haben sich die deutschen Kirchen beider Bekenntnisse gewöhnt, Garantien einer sorgsamen Vorbildung der Geistlichen zu suchen, während das Erfordernis der eigenen Nationalität ein auch in anderen Staaten weit verbreitetes Erfordernis darstellt88. Stark eingeschränkt erscheint das am tiefsten in die kirchliche Ämterhoheit eingreifende staatliche Einfl.ußrecht, die Befugnis zur Geltendmachung politischer Bedenken gegen leitende Amtsträger der Kirche bei deren Ernennung. Ihr Inhalt ist zunächst, dem Zuge der innerkirchlichen Entwicklung folgend, durch eine Akzentverlagerung im Kreis der der Klausel unterliegenden Personen verändert. An die Stelle des Vorsitzes einer Behörde der Kirchenleitung oder einer höheren kirchlichen Verwaltungsbehörde (Art. 7 pr. Vertr.)- Ämter, in deren Benennung noch die ältere konsistoriale Ordnung vor Augen stand - tritt nun (Art. 7 nds. Vertr.) das leitende geistliche Amt einer Kirche. Damit wird auch in denjenigen lutherischen Kirchen, die, wie die Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, ihre Verfassung nicht geändert haben, das bischöfliche Amt als leitende geistliche Stellung der Anwendung der Klausel unterworfen89. Die entscheidende Neuerung liegt aber darin, daß im Falle einer synodalen Wahl zu diesem Amt - die die Regel bildet - die Einholung einer staatlichen Äußerung durch die kirchlichen Stellen entfällt. Sie wird durch Anzeige vom Eintritt der Vakanz 90 sowie später der erfolgten Wahl ersetzt. Damit ist tatsächlich die politische Klausel auf der evangelischen Seite in weitestem Maße ihrer Bedeutung entkleidet. Man wird auch feststellen können, daß das ältere staatliche Vetorecht, wie es für Hannover die Bulle "Impensa Rarnanorum Pontificum" vom 26. 3. 1824 enthielt9 t, und die später entwickelte ein87 Vorangegangen waren Vorschriften, die für Preußen die vorangegangene Naturalisation forderten (Kabinettsorder vom 17. 10. 1847 und 27. 1. 1862. Vgl. Paul Hinschius, Die preußischen Kirchengesetze des Jahres 1873, Berlin 1873,
8.103).
88 Es wird auch von der katholischen Kirche in neueren Konkordaten häufig zugestanden; vgl. Konkordat mit Österreich (1934) Art. 10, Portugal (1940) Art. 9, Dominikanische Republik (1954) Art. 5. 89 Vgl. Erich Ruppel, S. 110. 90 Diese Anzeige soll der Landesregierung Gelegenheit geben, mit synodalen Kreisen Fühlung zu nehmen, um etwaige politische Gesichtspunkte gegen einzelne Kandidaten zur Geltung zu bringen (Amtliche Begründung, Regierungsvorlage von 1906, S. 4416). 91 Text bei Angelo Mercati, Raccolta di Concordati, 2. Aufl., Bd. 1, Rom 1954, S. 689. Vgl. hierzu noch§ 72 der hannoverschen Verfassung vom 6. 8. 1840: "Die nicht unmittelbar vom Könige oder dessen Behörden, sondern von Dritten ernannten oder präsentierten Prediger oder Pfarrer und anderen höheren Kir-
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schränkende politische Klausel zunächst im Verhältnis zur katholischen Kirche erwachsen sind92 • Frühe freilich traten entsprechende Einschränkungen der Ämterhoheit, sobald das landesherrliche Besetzungsrecht aufhörte, auch auf der evangelischen Seite auf, z. B. in § 1 der badü:chen VO vom 28. 2. 1862, die für die Mitglieder des Evangelischen Oberkirchenrats vorsieht, daß sie der Staatsregierung "genehm" sein müssen93 • Seit dem Fortfall des landesherrlichen Regiments dürfte allerdings der überwiegende Grund für das Festhalten oder die Neueinführung der politischen Klausel auf evangelischer Seite in Gesichtspunkten der Parität mit dem katholischen Bekenntnis zu suchen sein. VI. Vermögensverwaltung und Eigentum der Kirche Besonders nachdrücklich ist die Bereinigung älterer Positionen auf dem Gebiete der finanziellen Beziehungen und der Eigentumsverhältnisse erfolgt. Hier, wo mannigfache Verzahnungen und auch strittige Fragen über die Höhe der vom Staat zu leistenden Besoldungszuschüsse94, die Baulasten, Darbietung von Grundstücken für kirchliche Zwecke durch den Staat usw. bestanden, bringt der Vertrag eine grundlegende Vereinfachung. Er faßt die Probleme in drei Hauptpunkten zusammen: staatliche Dotation mit innerkirchlichem Ausgleich, Regulierung der Kirchensteuer und Abscheidung zwischen staatlichem und kirchlichem Eigentum. Die finanziellen Zuwendungen des Staates werden in einer Gesamtsumme zusammengefaßt, die auch die Pfarrbesoldungszuschüsse - die bisher außerhalb vertraglicher Sicherung standen- in den Vertrag einbezieht. Die Dotation für das Kir