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German Pages 455 [466] Year 2021
Francis Breyer Schrift im antiken Afrika
Francis Breyer
Schrift im antiken Afrika Multiliteralismus und Schriftadaption in den antiken Kulturen Numidiens, Ägyptens, Nubiens und Abessiniens
ISBN 978-3-11-068083-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-068086-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-068087-4 Library of Congress Control Number: 2021939000 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: Image #10517, Francis Dzikowski and Theban Mapping Project Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Vorwort In der heutigen Zeit ist Schriftlichkeit weltweit verbreitet und für viele gerade in der ›westlichen‹ Welt selbstverständlich, doch ist dies der Endpunkt einer sehr langen Entwicklung. Wir gehen ganz selbstverständlich mit Schrift um und wundern uns, dass es auch in Mitteleuropa noch Analphabeten geben kann. Gleichwohl vergessen wir gerne, dass die allermeisten Sprachen überhaupt nicht verschriftlicht sind und, das Phänomen ›Schrift‹ sich erst über die Welt verbreiten musste, es also zu anderen Zeiten einen gänzlich anderen Stellenwert besaß. Die typologische Entwicklung der Schrift hängt nun stark mit Adaption und Modifikation im Schriftkontakt zusammen, d.h. die geschriebensprachlichen Realisationen fremder Sprachelemente waren Schrittmacher bei der Entwicklung verschiedener Schriftsysteme und damit der Verbreitung der Schrift. Der Anlass zur vorliegenden Studie sind mehrere Desiderata. Zum einen gilt Afrika heute noch vielen als »schriftloser« Kontinent. Zum anderen werden die antiken Schriftsysteme, die in Nord(Ost)-Afrika Verwendung fanden, in den gängigen Schriftgeschichten, wenn überhaupt, nur ganz am Rande erwähnt. Und schließlich wird Schriftkontakt innerhalb der Linguistik immer noch als Randphänomen betrachtet. In meiner Dissertation über den Kulturkontakt zwischen Ägyptern und Hethitern hatte ich mich bereits mit dem Phänomen Schriftkontakt auseinander gesetzt, konkret mit der Frage, ob die luwischen Hieroglyphen von den ägyptischen inspiriert sein könnten und welche Form der Keilschrift die Ägypter genau übernahmen. Nach meiner Beschäftigung mit den antiken Sprachen und Schriften Nubiens (insbesondere dem Napatanischen und Meroitischen), dem Erlernen zweier Berbersprachen und vor allem auch nach meinen Forschungen zur aksumitischen Kultur bot es sich an, diesen Strang weiter zu verfolgen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ermöglichte dies mit der Förderung einer ›Eigenen Stelle‹ an der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität Bonn. Wie so häufig gilt mein herzlichster Dank Frau Dorothea Paals, die das Manuskript mit der gewohnten Akribie redigiert hat. Oberarth, Weihnachten 2020
https://doi.org/10.1515/9783110680867-201
Inhaltsverzeichnis Vorwort | V 1 1.1 1.2 1.2.1
1.2.4 1.2.5 1.2.6
Einleitung | 1 Hinführung | 1 Thematik und Fragestellung | 4 Wie, wann und warum kommt es zur Schriftübernahme oder auch nicht? | 7 Anlehnungen, Vorbilder und Schriftneuschöpfungen | 8 Wiederholte Schriftübernahmen und die Fortschreibung von Schrift | 9 Die Ersetzung von Schriften | 9 Religion, Magie und Schrift | 10 Schrift, Prestige und Dekorum | 11
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4
Theoretischer und methodischer Rahmen | 13 Schrift und Linguistik | 13 Terminologisches | 14 Schrifttypologie | 17 Verschriftlichung in der Linguistik | 19 Schriftusus und scriptae | 20 Standardisierung und Kodifizierung | 21 Rahmenbedingungen der Schriftentwicklung | 22 Schriftkontakt linguistisch betrachtet | 23
3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.3 3.3.1 3.3.2
Die Schriftsprachen Nordostafrikas | 31 In der Mittelmeerwelt | 31 Libysch-Berberisch | 31 Griechisch | 52 Im Niltal | 61 Ägyptisch-Koptisch | 61 Napatanisch | 96 Meroitisch | 110 Altnubisch | 117 tu-Beɖáwiɛ | 125 Am Horn von Afrika | 130 Altsüdarabisch | 130 Altäthiopisch | 149
1.2.2 1.2.3
VIII | Inhaltsverzeichnis
4 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.3 4.4 4.5 4.6 4.6.1 4.6.2
5 5.1 5.1.1
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 163 Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift | 163 Die Fortschriftungen im Niltal | 172 Von der griechischen zur koptischen Schrift | 172 Von der griechisch-koptischen zur altnubischen Schrift | 201 Von der ägyptischen zur napatanischen Schrift | 213 Von der ägyptischen und napatanischen zur meroitischen Schrift | 225 Von der meroitischen zur altnubischen Schrift | 263 Die altnubisch-koptische Schrift zur Darstellung des Altbeɖáwiɛ | 267 Die Schriftadaptionen am Horn von Afrika | 269 Von der altsüdarabischen Konsonanten- zur altäthiopischen Silbenschrift | 270 Von der griechischen Alphabet- zur altäthiopischen Silbenschrift | 276 Weitere Einflüsse bei der Herausbildung der altäthiopischen Schrift | 285 Von der altäthiopischen Schrift zur modernen äthiopischen fidäl-Schrift | 288
5.2 5.2.1 5.2.2 5.3
Streitpunkte | 293 Chronologische Fragen | 294 Das Ende des Meroitischen und der Beginn des Altnubischen – ein Hiatus? | 294 Kulturgeschichtliche Fragen | 308 Das Ende der altägyptischen Schriftkultur | 308 Das Problem der sabäischen ›Kolonisation‹ | 317 Abessinien: Indischer oder meroitischer Impetus? | 324
6 6.1 6.2 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.4 6.4.1
Konvergenzformen | 333 Adstratisch: proto-äthiopisch/äthiosabäisch | 333 Fiktiv: pseudo-sabäisch | 338 Potenziell: ›scrittura franca‹ am Roten Meer | 340 ›Offene‹ altsüdarabisch-altäthiopische Münzlegenden | 341 Griechisch-äthiopische Münzlegenden | 342 Altsüdarabische und aramäische Zahlzeichen | 344 Superstratisch: Prestigekultur | 344 Ägyptogramme | 344
Inhaltsverzeichnis | IX
6.4.2 6.4.3
Die sabäische Schriftsprache in Südarabien und Abessinien | 347 Byzantinisch-sabäische Monogramme in Abessinien | 348
7 7.1 7.2 7.3 7.4
Kulturgeschichtliche (Hinter)gründe | 349 Glaubensvorstellungen | 349 Politische Emanzipation | 350 Display und Propaganda | 351 Pragmatisches: Schriftträger | 352
8
Ergebnisse: Fortschriftung und Kodekopieren | 353
9 9.1 9.2
Ausblick: Verbindungen zur Moderne | 365 Moderne afrikanische Schriftnacherfindungen | 365 Kampf der Schriften: Neu- und Wiederverschriftlichungen im dritten Jahrtausend | 369
10
Bibliographie | 377 Tafeln | 431 Index | 453
1 Einleitung 1.1 Hinführung Alle Schriftadaptionen bzw. -anverwandlungen sind wie jede Schriftform in einen kulturellen Hintergrund eingebettet und viele Vorgänge oder Spezifika sind nur vor diesem Hintergrund verständlich. Daher muss am Anfang einer diesbezüglichen Forschungsarbeit eine Skizze der schriftgeschichtlichen Situation in den behandelten Kulturen stehen. Nach der Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen kam es aufgrund der politischen Dominanz der Griechen zu verstärktem ägyptisch-griechischem Schriftkontakt. Zum Einen verwendeten die Ptolemäer und nach ihnen noch die römischen Kaiser die ägyptische Hieroglyphenschrift auf ihren ägyptischen Monumenten, zum anderen sind viele griechische und lateinische Schriftzeugnisse aus Ägypten auf uns gekommen. Besonders spannend ist die Existenz von Texten in mehreren Schriften und Sprachen, von denen der ›Rosettastein‹ (Ägyptisch in Hieroglyphen und Demotisch; Griechisch) lediglich das berühmteste Beispiel darstellt.1 Mit der Christianisierung kamen die ›heidnischen‹ Schriften Altägyptens außer Gebrauch (es gab sogar regelrechte koptische ›Hasspredigten‹ gegen die Hieroglyphen) und die Ägypter gebrauchten zur Wiedergabe ihrer semitohamitischen Sprache die griechische Schrift, welche zu diesem um Zweck einige Sonderzeichen aus dem Demotischen erweitert wurde. Das Resultat ist die koptische Schrift2, die heute noch in der Liturgie der koptiLeider konnten aufgrund der starken Verzögerung des Drucklegungsprozesses v.a. aufgrund säumiger Gutachter während des Peer-Reviews sowie technischer Schwierigkeiten einzelne, besonders wichtige jüngste Publikationen nicht mehr berücksichtigt werden, etwa das soeben erschienene Oxford Handbook of Egyptian Epigraphy and Paleography, der von J. Cromwell & E. Grossmann herausgegebene Sammelband Scribal Repertoires in Egypt from the New Kingdom to the Early Islamic Period, der posthum von M. Kropp herausgegebene Kommentarband der Recueil des inscriptions de l’Éthiopie des périodes pré-axoumite et axoumite (III.B) von Abraham Drewes oder der monumentale Aufsatz von Joachim Quack How the Coptic Script Came About (LingAeg SM 17, 27–96). 1 F. Hoffmann, M. Minas-Nerpel & S. Pfeiffer, Die dreisprachige Stele des C. Cornelius Gallus, Berlin 2009; C. Tietze, E.R. Lange & K. Hallof, Ein neues Exemplar des Kanopus-Dekrets aus Bubastis, in: Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete 51, 2005, 1–30; M. Chauveau, Bilinguisme et traductions, in: D. Valbelle (Hrsg.), Le Décret de Memphis, Paris 1999, 25–39; C.A.R. Andrews, Der Stein von Rosette, London 1995; P.W. Pestman, Recueil de textes démotiques et bilingues, avec la collaboration de H. Quaegebeur et R.L. Vos, 3 Bände, Leiden 1977. 2 J. R. Kasser, in: A.S. Atiya (Hrsg.), Encyclopaedia Coptica VIII, New York 1989, 30–45, s.v. »Alphabets«; H. Quaegebeur, De la préhistoire de l’écriture copte, in: Orientalia lovaniensia analecta 13, 1982, 125–136. https://doi.org/10.1515/9783110680867-001
2 | Einleitung
schen Kirche Verwendung findet. In den über das Niltal christianisierten ›mittelalterlichen‹ Königreichen Nubiens, d.h. in Makuria, Nobatia und Alwa, wurde die koptische Schrift ihrerseits übernommen, diesmal um einige Schriftzeichen aus dem Meroitischen erweitert und solchermaßen zur Wiedergabe des nilosaharanischen Altnubischen tauglich gemacht.3 Diese wiederholte Adaption der griechischen Schrift (Griechisch > Koptisch > Altnubisch) ist mit der gleichzeitigen Involvierung dreier Sprachfamilien ein hervorragendes Studienobjekt, das zur Etablierung des Konzeptes der ›Fortschriftung‹ dienen soll. Im christlichen Nubien sind darüber hinaus auch zahlreiche griechische und koptische, ja sogar lateinische Inschriften erhalten, die bislang nur jeweils als Texte, nicht jedoch im Kontext von Schriftkontakt betrachtet wurden. Die Christianisierung Abessiniens erfolgte nicht über das Niltal, sondern über das Rote Meer.4 Wie in Ägypten und Nubien traf man auch hier auf eine bereits etablierte Schriftkultur. Nur wurde in Aksum das Griechische lediglich supplementär verwendet, in mehrsprachigen und -schriftlichen Königsinschriften, sowie auf Legenden von Münzen für den Außenhandel.5 Warum adaptierte man nicht auch hier die griechische Schrift, obwohl eine sehr starke Prägung der mittelalterlich-äthiopischen Literatur durch Übersetzungsliteratur aus dem Griechischen festzustellen ist? Eine Untersuchung dieser bislang kaum erforschten Schriftadaption im Zusammenspiel mit den polyskripturalen aksumitischen Inschriften sollte in dieser Frage mehr Klarheit bringen. Auf dem Gebiet des heutigen Jemen blühte fast ein Jahrtausend lang eine reiche Schriftkultur. In sabäischer Schrift wurden mehrere altsüdarabische Dialekte (Sabäisch, Minäisch, Qatabanisch & Hadramitisch) geschrieben, sehr vereinzelt auch altnordarabische.6 Gegen Mitte des 1. Jts. v. Chr. treten auf einmal sabäische Inschriften in Abessinien auf. In ihnen wird ein Reich namens Daʿamat (dʿmt) genannt.7 Handelt es sich bei den Herren von Daʿamat um Sabäer oder um sabäisch schreibende Äthiopier? Warum wird noch nicht Äthiopisch geschrieben? Wie genau sind die Unterschiede zwischen dem Sabäischen der Daʿamat-Inschriften und dem Klassisch-Sabäischen des ›Mutterlandes‹? Mehre3 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 480ff.; G. Browne, Introduction to Old Nubian, Berlin 1989, 1–3. 4 H. Brakman, Axomis (Aksum), in: Reallexikon für Antike und Christentum, Supplement I, 1992, Sp. 718–810. 5 E. Bernand, A.J. Drewes & R. Schneider, Recueil des Inscriptions de l’Éthiopie des Périodes Pre-Axoumite et Axoumite, Paris 1991ff. 6 W.M. Müller, Die altsüdarabische Schrift, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, 307–312. 7 S.C. Munro-Hay, in: S. Uhlig (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica I, Wiesbaden 2003, 294– 300, s.v. »Arabia. Relations in ancient times«.
Hinführung | 3
re Jahrhunderte später kommt es schließlich nach der Eroberung Meroës und dem Kontakt mit der dortigen Schrift zu einer Umwandlung der sabäischen Konsonantenschrift hin zu einer Silbenschrift und damit zur Schaffung einer äthiopischen ›Nationalschrift‹. Sie ist heute noch in verschiedenen Ausprägungen in Gebrauch (für das Amharische wurden weitere Sonderzeichen entwickelt). Erst vor ein paar Jahren wurde sie zur Notation des kuschitischen Oromo durch die lateinische Schrift ersetzt.8 Die Unterschiede zwischen den sabäischen Inschriften auf der arabischen Halbinsel und denjenigen auf dem afrikanischen Kontinent sind bislang noch nie untersucht worden, ebenso wenig die Hintergründe für die Herausbildung der äthiopischen Silbenschrift aus einer Konsonantenschrift. Die Könige des spätantiken Aksum in Abessinien bedienten sich mehrerer Sprachen und Schriften. Auf den Münzen für den Außenhandel stehen sowohl äthiopische als auch griechische Legenden (ähnlich hatte es auf altsüdarabischen auch aramäische Legenden gegeben). Mehrsprachige Königsinschriften sind auf Griechisch, Altäthiopisch und einer als »Pseudo-Sabäisch« bekannten Schriftsprache verfasst, einer Art äthio-sabäischem Pidgin.9 Interessant ist hierbei, dass die Schriftform archaisierend sabäisch ist. Bemerkenswerterweise wurden die Stelen so aufgestellt, dass die ›Handelsschrift‹ Griechisch dem in Aksum Ankommenden zugewandt war, dem Stadtbewohner und Untertanen die ›Imperialschrift‹ Sabäisch und die neue äthiopische ›Nationalschrift‹. Griechische Buchstaben wurden bereits in dieser Zeit als Zahlzeichen übernommen. Die Unterschiede zwischen dem Sabäischen und dem so genannten »PseudoSabäischen« wurde bisher nur anhand einer Trilingue exemplarisch von Alexander Sima 2003/04 untersucht.10 Eine Ausweitung des Untersuchungsrahmens wird zeigen, ob seine Beobachtungen auf andere Texte übertragen werden können. Die Nubier standen jahrhundertelang unter direkter ägyptischer Herrschaft, ohne dass die lokalen Sprachen (Voraltnubisch, »Prä-Meroitisch«, Voraltbeɖáwiɛ und eine frühe Form des Altlibyschen) verschriftet worden wären. Erst in der Kuschitenzeit (gegen 700 v. Chr.) wird die ägyptische Hieroglyphenschrift von Nubiern gebraucht, allerdings wie bei Hyksos und Libyern für Inschriften in
8 K. Wedekind, Alphabetisierung und Literalität in Äthiopien, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, 814–824. 9 A. Sima, Die »sabäische« Version von König ‘Ēzānās Trilingue RIE 185 und RIE 185bis, in: Archiv für Orientforschung 50, 2003/2004, 269–284. 10 A. Sima, Die »sabäische« Version von König ‘Ēzānās Trilingue RIE 185 und RIE 185bis, in: Archiv für Orientforschung 50, 2003/2004, 269–284.
4 | Einleitung
ägyptischer Sprache.11 Etwas später dann im Napatanischen (ca. 500 v. Chr.) ändert sich das Bild.12 Zwar handelt es sich immer noch um ägyptische Inschriften, diese sind jedoch nun mit einem meroitischen Substrat durchsetzt und auch die Schrift zeigt deutliche Anzeichen der Umformung. Ca. 300 v. Chr. kommt es schließlich zur Schaffung einer eigenen meroitischen ›Nationalschrift‹ in Anlehnung an die ägyptischen Schriften Demotisch und Hieroglyphisch in Kursive und Monumentale.13 Die Übernahmen und Anverwandlungen fremder Schriften in Nubien sind ein bis dato nur sehr marginal behandeltes Thema, im Gegensatz zu vergleichbaren Phänomenen in Ägypten. Diesem Desiderat soll begegnet werden. Gerade aus diesem Ungleichgewicht der Forschung lassen sich gleichzeitig neue Einblicke in die Gesamtthematik gewinnen. In Nubien fanden sich aksumitische Inschriften in griechischer Schrift und Sprache, daneben ist aus Berenike eine altäthiopische Inschrift in Geʾez bekannt.14 Bemerkenswert ist der Umstand, dass der Wechsel von einer Konsonantenschrift zu einer Silbenschrift justament nach der Eroberung Meroës 15 erfolgte, bei der die Aksumiten die Vorzüge einer Silbenschrift kennengelernt haben dürften. Überhaupt sind die Unterschiede zwischen der Schriftentwicklung in Nubien und Abessinien von größtem Interesse, da hier wahrscheinlich zwei verschiedene Wege der Christianisierung (Nil vs. Rotes Meer) bei gleichzeitigem Kontakt mit dem Griechischen festzustellen sind. Hier soll der Frage nachgegangen werden, ob sich die äthiopische Schrift aufgrund des Kontakts mit der meroitischen von einer Konsonantenschrift zur Silbenschrift wandelt oder ob der griechische Einfluss doch als stärker gelten kann.
1.2 Thematik und Fragestellung Gegenstand dieser Arbeit ist die Anverwandlung bzw. Neukonstitution von antiken Schriftsystemen des Mittelmeerraumes bzw. Südarabiens in Nordostafrika.
11 T. Eide, T. Hägg, R.H. Pierce & L. Török, Fontes Historiae Nubiorum, Bergen 1994ff. 12 F. Breyer, Das Napatanische. Eine ägyptomeroitische Kreolsprache und ihr Verhältnis zum Altnubischen, in: Lingua Aegyptia 16, 2008, 323–330; C. Peust, Das Napatanische, Göttingen 1999. 13 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 242ff.; C. Rilly, Les graffiti archaiques de Doukki Gel et l’apparation de l’écriture méroitique, in: Meroitic Newsletter 30, 2003, 41-55.; K.-H. Priese, Zur Entstehung der meroitischen Schrift, in: Meroitica 1, 1973, 273–306. 14 L. Ricci, Una nuova fotografia dell’iscrizione »Berenice«, in: Rivista di Studi Etiopici 34, 1990, 217–228. 15 L.P. Kirwan, Aksum, Meroe, and the Ballana civilization, in: W.K. Simpson (Hrsg.), Studies in ancient Egypt, the Aegean, and the Sudan (Fs. D. Dunham), Boston 1981, 115–119.
Hinführung | 5
Dabei werden in der Schriftforschung bislang meist unbeachtete Schriftformen Nubiens und Abessiniens beleuchtet sowie ihre Herkunft und Vorbilder systematisch erforscht. Das Thema versucht, über die bisherigen punktuellen Behandlungen in den Einzeldisziplinen hinauszugehen, insbesondere phänomenologische Aspekte zur Genese von Schrift, zu Schriftadaption und -verdrängung einzubeziehen. Es vereint mehrere teilweise sehr verschiedene Disziplinen, wie Ägyptologie, Semitistik, Nubienkunde und Äthiopistik, und verbindet Ansätze der historischen Kulturwissenschaft, Linguistik und Altertumskunde durch eine übergeordnete Fragestellung. Schließlich stellt es erstmals die lange vernachlässigten Schriften Nordostafrikas heraus und in den Kontext der europäischen und vorderasiatischen Schriften. Ausgangspunkt ist die Feststellung zweier Desiderata. Erstens ist festzustellen, dass die geschriebene Sprachform in den traditionellen Teildisziplinen der Sprachwissenschaft, welche sich mit der Erforschung von linguistischen Sachverhalten, die in mehreren Einzelsprachen vorliegen (Universalienforschung, Komparatistik, Sprachtypologie und kontrastive Strukturanalyse), ebenso wie in den neueren Forschungsrichtungen keine große Rolle als besonderer Arbeitsgegenstand spielt.16 Im wesentlichen beschränkt sich die Analyse auf sprachliche Struktureigenschaften und auf Lexikonanalyse. Dies ist umso erstaunlicher, als sich insbesondere die Einzelphilologien immer schon auf Schriftdenkmäler stützten und daher selbstverständlich sein sollte, dass Schriftsprachen in zwei Erscheinungsformen existieren, nämlich in einer gesprochenen und einer geschriebenen. Erst in jüngster Zeit werden zunehmend pragmatische und kulturelle Komponenten sprachlicher Differenzen als Forschungsgegenstand entdeckt und in soziolinguistisch, ethnomethodologisch und interaktionstheoretisch orientierten Studien bearbeitet.17 Zweitens kann man beobachten, dass in allgemeineren Untersuchungen zur Schriftgeschichte die Schriftkulturen Nubiens, Südarabiens und Äthiopiens – wenn überhaupt – über Nebensätze hinaus kaum thematisiert werden.18 Ein Grund dafür mag die äußerst kleine Zahl an Fachwissenschaftlern sein, die sich mit diesen Forschungsgebieten beschäftigen.
16 H. Glück, Schriften im Kontakt, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, (745–766) 745 hat dies sehr prägnant formuliert. Die Situation hat sich seitdem praktisch nicht geändert. 17 Überblick bei H. Glück, Schriften im Kontakt, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, 745–766. 18 Beispielsweise F. Coulmas, The Writing Systems of the World, Oxford 1989; H. Haarmann, Universalgeschichte der Schrift, Frankfurt a.M. 41998.
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Diese beiden Beobachtungen zusammengenommen umreißen das Forschungsgebiet dieser Arbeit: Untersucht werden soll der Schriftkontakt des pharaonischen bzw. griechischen Ägypten und der altsüdarabischen Schriftkultur mit den Kulturen Nordostafrikas, d.h. Nubien, Abessinien und Numidien. Die Übernahme der griechischen Schrift in Ägypten ist bereits verhältnismäßig gut erforscht, für den nubischen und abessinischen Raum standen hingegen entsprechende Phänomene bislang noch nicht im Fokus der Forschung. Dieser Umstand bietet einerseits die Möglichkeit, Neues zum Verständnis der Prozesse bei der Schriftadaption aufzudecken, andererseits kann bereits an vergleichbare Erkenntnisse aus der Ägyptologie bzw. Koptologie angeknüpft werden. Dabei fokussiere ich auf verschiedene Brennpunkte. Es sind dies im Einzelnen die Zeit, in welcher in Äthiopien die altsüdarabische Schrift und in Nubien die napatanische Hieroglyphenschrift eingeführt wird (ca. 6. Jhd. v. Chr.), die Herausbildung der meroitischen Schrift im 3. Jhd. v. Chr. sowie die Adaption der griechischen bzw. koptischen Schrift hin zum Altnubischen im 8. Jhd. n. Chr. Eine gewisse Sonderstellung innerhalb der Arbeit nimmt die libysch-berberische Schrift ein, da zwar oft eine Inspiration durch die altsüdarabische Schrift angenommen wird, dies bislang jedoch noch nicht wirklich schlüssig begründet werden konnte. Die Voraussetzungen zur Behandlung dieses Themengebiets sind ideal, da das schriftgeschichtlich bislang stark vernachlässigte antike Nordostafrika zahlreiche Spielarten des Schriftkontakts vorzuweisen hat und gleichzeitig im Spannungsfeld zwischen verschiedenen Kulturräumen (Sahara, Niltal, Arabische Halbinsel, Orbis Aethiopicus) verortet ist, die von jeher durch die Konkurrenz unterschiedlicher Religionen, politischer Systeme und Sprachen gekennzeichnet sind. Besonders zu beachten ist die Vielfalt der Schriftsysteme, angefangen bei den ägyptischen Hieroglyphen und Linearschriften, den semitischen Konsonantenschriften, der auf der griechischen basierenden koptischen und altnubischen Schrift bis hin zur äthiopischen und meroitischen Silbenschrift. Kulturgeschichtlich ist eine zweigeteilte Betrachtung des Forschungsgegenstandes sinnvoll, da sich der nubische und abessinische Raum trotz aller Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Richtung ihrer maßgeblichen Kulturkontakte unterscheiden: Während Nubien wegen der Lage am Nil traditionell stark nach Ägypten hin orientiert war, liegt Abessinien der südarabische Raum nicht nur im Wortsinn näher. Trotzdem lassen sich teilweise auch die gleichen Einflüsse nachweisen, etwa die Wirkungsmacht der hellenistischen Mittelmeerwelt, welche die beiden Regionen über das Niltal bzw. das Rote Meer entscheidend mit prägte. Mit anderen Worten: Eine Untersuchung von Schriftkontakten in beiden Bereichen sollte vergleichbare Phänomene erweisen. Der graphemsprachliche Kontakt untereinander dürfte darüber hinausgehende Erkenntnisse liefern. Dabei gibt es ein for-
Hinführung | 7
schungsgeschichtliches Gefälle zwischen Ägyptologie, Nubienkunde und Äthiopistik: Während die Adaption der griechischen Schrift in Ägypten gut untersucht ist, wurden die entsprechenden Prozesse in Nubien noch nie wirklich thematisiert. In der Äthiopistik ist die Forschungssituation noch schlechter, da hier die entsprechenden aksumitischen und prä-aksumitischen Inschriften noch nicht einmal zufriedenstellend ediert sind. Da es forschungsgeschichtlich bedingt wenige institutionelle Überschneidungen zwischen Ägyptologie/Nubienkunde und Äthiopistik gibt, wurden Kulturkontakte zwischen beiden Regionen bisher praktisch nie näher untersucht. Konkret soll die Frage beantwortet werden, woher der Impetus für die Umwandlung der äthiopischen Schrift von einer Konsonanten- zur Silbenschrift19 kam. Nach Meinung vieler Äthiopisten kam der entscheidende Einfluss aus Indien (Devanāgarī). M.E. ist jedoch eine Beeinflussung durch das direkt benachbarte Meroë viel wahrscheinlicher. Dies wird zu klären sein. In zumindest einem Punkt soll auch in theoretischer Hinsicht Neuland betreten werden. So wurden bei der Untersuchung von Schriftadaption fast immer Fälle behandelt, bei denen ein Schriftsystem nur einmal übernommen und verändert worden war. Im Niltal haben wir jedoch einen Spezialfall vorliegen, da die griechische Schrift nicht mehrfach in derselben Form in Ägypten und in Nubien adaptiert, sondern die adaptierte griechische Schrift (Koptisch) ihrerseits erneut einer Übernahme und Adaption unterworfen wurde (Altnubisch). Vor diesem Hintergrund wird das Konzept der ›Basisschrift‹, welches etwa Harald Haarmann20 entwickelt hat, neu zu überdenken sein. In Anlehnung an den Begriff ›Fortschreibung‹ soll der Terminus ›Fortschriftung‹ etabliert und dessen zugrunde liegende Aspekte untersucht werden.
1.2.1 Wie, wann und warum kommt es zur Schriftübernahme oder auch nicht? Im Zusammenhang mit Schriftadaption stellt sich die Frage, wozu überhaupt eine Schrift benötigt oder für nützlich erachtet wird. M.E. muss das derzeitig in der Ägyptologie favorisierte ökonomische Erklärungsmodell21 erneut auf den 19 W. Leslau, La réforme de l‘alphabet ethiopienne, in: Rassegni di Studi Etiopici 14, 1953, 96– 106; A. Grohmann, Über den Ursprung und die Entwicklung der äthiopischen Schrift, in: Archiv für Schriftkunde 1, 1918, 57–87. 20 Zusammenfassend dargestellt bei H. Haarmann, Entstehung und Verbreitung von Alphabetschriften, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, 329–347. 21 W. Schenkel, Wozu die Ägypter eine Schrift brauchten, in: A. Assmann, J. Assmann & C. Hardmeier (Hrsg.), Schrift und Gedächtnis, München 1983, 45–63.
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Prüfstand gestellt werden, denn es werden zusätzlich gewichtige ideologische, religiöse oder politische Gründe vorliegen.22 Dafür muss das kulturelle Umfeld bei der Schriftübernahme in viel stärkerem Maße berücksichtigt werden als dies bisher geschah, denn ein starkes Indiz für die Hintergründe von Schriftübernahme und Verschriftung ist das Aussterben von Schriften bei der Verbreitung neuer Religionen.23 Für Ägypten wurden die Hintergründe für das Aussterben der Hieroglyphenschrift relativ gut beleuchtet24, nun soll Entsprechendes für Nubien und Abessinien geleistet werden, d.h. der ägyptische Befund wird hier dezidiert als Kontrastfolie dienen. Außerdem soll herausgearbeitet werden, dass das Wechselspiel zwischen verschiedenen Faktoren von größerer Komplexität ist, als oft angenommen wird. Um zu ergründen, warum man in Nubien und Abessinien Schriftformen aus anderen Kulturen übernahm, werden diejenigen Elemente, die übernommen wurden, identifiziert und analysiert, wie gut sie sich zur Wiedergabe der neuen Sprache eignen. Gleichzeitig wird herausgearbeitet, wie hoch das Prestige der Matrixschrift in ihrer Assoziation mit der Kultursprache war, als deren Träger sie fungierte. Neben Prestigedruck und sprachökonomischen Faktoren wird insbesondere bei der Neuschöpfung der meroitischen Schrift zu untersuchen sein, ob und welche machtpolitischen Interessen hinter dieser stehen.
1.2.2 Anlehnungen, Vorbilder und Schriftneuschöpfungen Die Prozesse bei der Generierung neuer Schriftsysteme sind vielfältig, dementsprechend auch die Fragestellungen: Wie werden Schriften modifiziert (Vokalisationszeichen, Zeichendrehungen etc.)? Welche Rolle spielen Sonderzeichen zur Anpassung einer Schrift an das eigene phonologische System (Koptisch, Altnubisch, Geʾez, Amharisch)? Nur in der detaillierten Benennung der Modifikationsmodi lassen sich Unterschiede zwischen den einzelnen Adaptionsstrategien feststellen. Schließlich soll versucht werden, zu ergründen, welches die linguis-
22 D. Diringer, The Alphabet: A Key to the History of Mankind, New York 1948. 23 J. Baines & S.D. Houston (Hrsg.), The disappearance of writing systems: Perspectives on literacy and communication, London 2008. 24 Zuletzt M.A. Stadler, On the Demise of Egyptian Writing: Working with a Problematic Source Basis, in: J. Baines & S.D. Houston (Hrsg.), The disappearance of writing systems: Perspectives on literacy and communication, London 2008, 157–181.
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tischen oder anderen Gründe für die unterschiedlichen Lösungsansätze sein könnten. Wann wird eine neue Schrift nach dem Vorbild einer bereits bestehenden entwickelt (Meroitisch)?25 Für diese Frage muss in noch stärkerem Maße die gesamte soziokulturelle Entwicklung der Schriftkultur im Auge behalten werden (Stichwort: »Afrikanisierung« Meroës). Das Meroitische unterscheidet wie seine altägyptischen Vorbilder Demotisch und Hieroglyphisch zwischen einer linearen und einer monumental-bildhaften Schriftform.26 Auch im Altsüdarabischen gibt es eine Monumentale für Stein- & Metallinschriften und eine Kursivschrift für Alltagstexte auf Holztäfelchen.27 Nur Ersteres wurde von den Aksumiten übernommen, Letzteres nicht. Was könnte der Grund sein? Zur Beantwortung dieser Fragen wird die Schrift in ihren medienarchäologischen Kontext zu setzen sein, d.h. hinsichtlich Schriftträger (Stelen vs. Codices), -ausführung (gemeißelt vs. mit Tinte geschrieben) oder Textgattungen (religiöse/historische vs. juristische Texte).
1.2.3 Wiederholte Schriftübernahmen und die Fortschreibung von Schrift Ein Konzept, das ich im Folgenden entwickeln möchte ist, das der ›Fortschriftung‹, also der Fortschreibung von Schrift, wie sie bei der Kettenentwicklung Griechisch > Koptisch > Altnubisch zu beobachten ist. Bisher wurde dieses Phänomen noch nie detailliert erforscht. Daher soll das Konzept der ›Fortschriftung‹ anhand der Situation in Nubien entwickelt werden. Dazu müssen zuerst die Unschärfen bei der Übernahme der griechischen Schrift zur Darstellung des Ägyptischen betrachtet werden, d.h. zur Schreibung einer Sprache aus einer anderen Sprachfamilie. In diesem Zusammenhang werden die phonologischen Systeme des Ägyptischen und Griechischen nebeneinander gestellt. In einem zweiten Schritt wird Entsprechendes für den Übergang vom Koptischen zum altnubischen Schriftsystem untersucht. Um eine schärfere Kontrastierung zu erreichen, werden schließlich die Inschriften in griechischer, koptischer und lateinischer Schrift, die in Nubien gefunden wurden, näher betrachtet. Besonderes Au-
25 F. Hintze, Zur Interpretation des meroitischen Schriftsystems, in: Beiträge zur Sudanforschung 2, 1987, 41–50; K.-H. Priese, Zur Entstehung der meroitischen Schrift, in: Meroitica 1, 1973, 273–306. 26 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 231ff. 27 J. Ryckmans, Une écriture minuscle sud-arabe antique récemment découverte, in: H.L.J. Vanstiphout et al. (Hrsg.), Scripta signa vocis (Fs. Hospers), Groningen 1986, 185–199.
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genmerk liegt hierbei auf den Abweichungen von den standardsprachlichen Äußerungen und möglichen Substrateinflüssen aus dem nubischen Sprachumfeld. Von der »Fortschriftung« zu trennen sind Fälle wiederholter, aber voneinander unabhängiger Schriftübernahme, wie bei der Byblos-Schrift, dem ›Protosinaitischen‹ und dem Meroitischen, die alle drei zu unterschiedlichen Zeiten von der ägyptischen Matrixschrift abgeleitet wurden.28 Ebenso verhält es sich bei der äthiopischen und numidischen Schrift, die beide auf das Altsüdarabische zurückgehen. Auf dieses Phänomen wird eher am Rande einzugehen sein.
1.2.4 Die Ersetzung von Schriften Aus politischen und häufiger nochc religiösen Gründen werden Schriftsysteme oft tabuisiert, da sie mit ›heidnischen‹ Kulten in Zusammenhang gebracht werden.29 Beispiele sind die altägyptischen Hieroglyphen oder das Altsüdarabische, die beide von monotheistischen Predigern verdammt wurden. Mangelnde Praktikabilität wird oft als weiterer Grund für das Aussterben von Schriften angeführt, doch muss man sich fragen, ob dies wirklich haltbar ist angesichts der Tatsache, dass verschiedene Hieroglyphenschriften und auch die nicht weniger komplexe Keilschrift jahrtausendelang in Gebrauch waren. Außerdem sei daran erinnert, dass sich die chinesische Schrift nach wie vor millionenfacher Beliebtheit erfreut. Andererseits wurde die Keilschrift vom einfacheren Aramäischen verdrängt. Die genauen Mechanismen werden einer detaillierteren Untersuchung unterzogen, speziell im Falle des Meroitischen. Hierzu wird vor allem das meroitische Zeicheninventar in seiner Herleitung aus ägyptischen und napatanischen Vorbildern beleuchtet. Ist es Zufall, dass von den zoomorphen Zeichen gerade diejenigen übernommen werden, die für die beiden prominentesten Aspekte der meroitischen Götterwelt stehen (Widder – Amun; Löwe – Apedemak)? Um Fragen dieser Art zu beantworten, muss erst das Zeicheninventar des Napatanischen in seiner Anlehnung an das Hieroglyphisch-Ägyptische beleuchtet werden, um möglichen Supplementärsinn im Napatanischen aufzudecken. Schließlich wird durch den Vergleich zwischen den meroitischen und napatanischen Zeichen deutlich werden, aus welcher Quelle sich das meroiti-
28 W. Schenkel, Die ägyptische Hieroglyphenschrift und ihre Weiterentwicklungen, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, 289–297. 29 P.C. Stine, Writing and Religion, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, 604–610; A. Bertholet, Die Macht der Schrift in Glauben und Aberglauben, Berlin 1950.
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sche Hieroglyphenrepertoire tatsächlich speiste: direkt aus der ägyptischen oder über den Umweg einer napatanischen.
1.2.5 Religion, Magie und Schrift Wie lässt sich erklären, dass es im Gegensatz zu Arabien in Äthiopien beim Wechsel von einer polytheistischen zu einer abrahamitischen Religion nicht zum Schriftwechsel kam, sondern nur zu einer Umwandlung von einer Konsonanten- zur Silbenschrift und dies, obwohl in beiden Fällen der Monotheismus auf eine altsüdarabische Schrift traf? Warum gelten manche Schriftarten in bestimmten Konstellationen als „vorbelastet“, andere nicht? Zwar wurde dieser Aspekt spätestens seit Franz Dornseiffs Das Alphabet in Mystik und Magie (1922) bei der Untersuchung von Schriftübernahme bereits vielfach berücksichtigt, jedoch noch nicht vollständig ausgelotet und für Nubien und Abessinien nicht einmal angeschnitten. Bei der Anlehnung der meroitischen an die ägyptischen Hieroglyphen dürfte das hohe Maß an kultureller Aufgeladenheit eine große Rolle spielen, die bildhafte Schriften in sehr viel stärkerem Maße zeigen können. Daher sollen die meroitischen Hieroglyphenzeichen als Bilder selbst einer Untersuchung unterzogen werden, nicht nur in ihrer Herleitung aus ägyptischen Vorbildern30, sondern im Kontext der meroitischen Kultur. Komplementär und gleichzeitig zu Kontrastierungszwecken wird die Entwicklung der meroitischen Linearschrift aus dem Demotischen nachgezeichnet. Was die äthiopische Schrift angeht, so ist zuerst der äthiopische ›Sonderweg‹ der sogenannten Pseudo-Sabäischen Inschriften zu skizzieren. Ferner wird untersucht, inwieweit sich die Ausführungen der verschiedenen Versionen der aksumitischen Trilinguen voneinander und im Vergleich zu den Schriftformen im jeweiligen ›Mutterland‹ unterscheiden.
1.2.6 Schrift, Prestige und Dekorum Eines der Hauptmerkmale von Schrift im Altertum ist die Außendarstellung, sind Propaganda und Dekorum.31 Das bekannteste Beispiel ist vielleicht die Einschreibung ägyptischer Königsnamen in einer Kartusche. Weniger bekannt ist, 30 K.-H. Priese, Zur Entstehung der meroitischen Schrift, in: Meroitica 1, 1973, 273–306. 31 H. Glück, Schriften im Kontakt, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, 745–766, Abschnitt 6: Schriftkontakt und Öffentlichkeit: das Prestige von Schriftarten.
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dass ähnlich funktionierenden Monogramme spätrömischer Kaiser von altsüdarabischen und äthiopischen Herrschern auf ihre Schriften übertragen wurden.32 Gerade die Hieroglyphenschrift besaß – wahrscheinlich aufgrund ihrer Bildhaftigkeit – eine sehr große Attraktivität. Nicht umsonst haben sich alle fremden Invasoren dieser Schrift weiterhin bedient (Hyksos, Libyer, Kuschiten, Perser, Ptolemäer und Römer). Ihre Wirkungskraft war sogar so groß, dass die Meroiten in ihren Inschriften bestimmte Zeichenkombinationen einstreuten 33, die ich hier als ›Ägyptogramme‹ bezeichnen möchte. Besonders die Ptolemäer begnügten sich nicht mit den Hieroglyphen allein, sie ließen Monumente in mehreren Sprachen und Schriften errichten. Dabei wird besonders deutlich, welche politische Botschaft im Gebrauch einer bestimmten Schrift liegen kann. In ähnlicher Weise bedienten sich die aksumitischen Herrscher auch mehrerer Schriften. Die Gründe waren hier wie da Legitimation von Herrschaft. Die beiden Phänomene ›Monogramme‹ und ›Ägyptogramme‹ sollen demonstrieren, in welchem Maße es in besonderen Fällen zu systeminternem Schriftkontakt kam und welche Rolle Fragen des Layouts, des Dekorums und der Schriftträger hierbei spielten. Anhand zweier Beispiele kann voraussichtlich eine direkte Auswirkung politischer Ereignisse auf die Entwicklung von Schriften festgemacht werden: m.E. ist es weder Zufall, dass genau zur Zeit der meroitischen Schriftentwicklung die Hauptstadt des Reiches von Kusch von Napata weiter in den Süden nach Meroë verlegt wird (Stichwort: ›Afrikanisierung‹), noch, dass der Wechsel von einer Konsonanten- zur Silbenschrift im Äthiopischen stattfindet, nachdem eben dieses Meroë erobert worden und man in Aksum mit einer Silbenschrift in Berührung gekommen war. Um diese beiden Phänomene zu untersuchen, werden die jeweiligen Charakteristika in beiden Schriftsystemen analysiert und zueinander in Bezug gesetzt. Erwiesen werden können die beiden Thesen jedoch allein dann, wenn sich auch das historische Umfeld als stimmig erweist. Daher muss dieses für beide Zeitfenster detailliert beschrieben werden.
32 E. Bernand, A.J. Drewes & R. Schneider, Recueil des Inscriptions de l’Éthiopie des Périodes Pre-Axoumite et Axoumite, Paris 1991ff. 33 A.A. Gasmelseed, À propos de noms et de titres des rois kouchites, in: Hommages à Jean Leclant, BdE 106/2, Kairo 1994, 117–133.
2 Theoretischer und methodischer Rahmen 2.1 Schrift und Linguistik Nachdem die eher kulturgeschichtlichen Aspekte angerissen wurden, sollte man sich fragen, inwieweit das hier behandelte Thema auch für die Linguistik von Bedeutung sein kann. In der Tat ist dies eine Kontroverse, welche in der Sprachwissenschaft bereits geführt wird. In der Schriftlinguistik konkurrieren nämlich zwei verschiedene Einschätzungen, was den Status von Schriftsystemen betrifft. Die gegensätzlichen Positionen werden mit den Schlagworten Dependenzhypothese vs. Autonomiehypothese charakterisiert.1 Nach der Dependenzhypothese sind Schriftsysteme sekundäre Zeichensysteme, die von einem System der gesprochenen Sprache bewusst abgeleitet und daher als Gegenstand linguistischer Untersuchungen allenfalls im Zusammenhang mit Pädagogik oder Bildungspolitik interessant sind. Die Autonomiehypothese stellt demgegenüber heraus, dass Schriftsysteme eigenen Prinzipien der Systembildung folgen, auch wenn sie chronologisch und (im Normalfall) ontogenetisch Systemen der gesprochenen Sprache nachgeordnet sind.2 Wie ist nun diese Kontroverse einzuschätzen? In der Tat mag man bei ›Schrifterfindungen‹ die Dependenzhypothese favorisieren, bei altverschrifteten Sprachen ist jedoch die Autonomiehypothese sicherlich zu bevorzugen. Zurück zu der Frage, welche Erkenntnisse die Erforschung von Schriftkontakten erwarten lässt. Zum einen ist sie in ihrem kontrastiven Ansatz von Bedeutung für die vergleichende und typologische Forschung, zum anderen sind Fragen des Schriftkontakts selbstverständlich relevant für das Verständnis der jeweils beteiligten Einzelsprachen, deren Phonologie bzw. Phonematik, Morphologie und Lexikologie. Insofern besteht eine Relevanz für die einzelnen Philologien, aber auch für die allgemeine Sprachwissenschaft.
2.2 Terminologisches So banal dies auf den ersten Blick scheinen mag – vor einer sachgemäßen Behandlung von Schriftkontakt sollte geklärt werden, was unter »Schrift« eigentlich genau zu verstehen ist.3 In ihrem Lexikon der Sprachwissenschaft definiert 1 C. Dürscheid, Einführung in die Schriftlinguistik, Göttingen ³2006, 38–46. 2 C. Dürscheid, Einführung in die Schriftlinguistik, Göttingen ³2006, 38–46. 3 Zur theoretischen und methodischen Definition von »Kulturkontakten«, als deren Sonderfall »Schriftkontakt« betrachtet werden kann, sei auf das einleitende Kapitel in F. Breyer, Ägypten https://doi.org/10.1515/9783110680867-002
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Hadumod Bußmann »Schrift« wie folgt: »Auf konventionalisiertem System von graphischen Zeichen basierendes Mittel zur Aufzeichnung von mündlicher Sprache.«.4 Dies ist eine vergleichsweise konventionelle Definition. Man kann die Sache auch umdrehen und Schrift als eine Form von Sprache sehen, die mittels eines Zeichensystems die Bewahrung und Weitergabe von Information über Objekte (Schriftstücke) ermöglicht, aus denen die Information – meist visuell oder haptisch – erfassbar (›lesbar‹) ist. Dies schließt nicht aus, dass in vielen Fällen eine mehr oder weniger enge Entsprechung zu einer gesprochenen Sprache besteht. Die Perspektive ist abhängig vom Stellenwert, den man der Schrift innerhalb der Linguistik einräumt. Der Terminus »Schrift« ist im Deutschen aber noch vielschichtiger, denn er steht ferner für ① Schriftsystem (lateinische Schrift, arabische Schrift, chinesische Schrift usw.), für ② Schriftart (gestalteter Zeichensatz, Typografie), für ③ das individuelle Schriftbild einer Schreibschrift (»Ich kann deine Schrift nicht lesen.«) oder auch für ④ Schriftliche Werke (»Goethes Schriften zur Farbenlehre«) und religiöse Texte (»Die Heilige Schrift«). In der vorliegenden Arbeit geht es nur um »Schrift« im Sinne von »Schriftsystem«. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Schriftlinguistik als eigener Zweig der Sprachwissenschaft etabliert. Dort wird noch in weiterer Hinsicht unterschieden, und zwar zwischen ① dem übersprachlichen Zeicheninventar (Schrift/Skript) und ② der einzelsprachlichen Ausgestaltung (Schriftsystem). Im Englischen ist diese Unterscheidung prägnanter: Ersteres wird script genannt, Letzteres writing system. Basiseinheit der Skript ist das Graphem, dasjenige des Schriftsystems ist das Schriftzeichen/Symbol (character). Wie neu dieses Forschungsfeld ist und wie wenig es erforscht wird, zeigt die terminologische Uneinheitlichkeit – beispielsweise gebraucht Florian Coulmas den Begriff »Schriftsystem«5 für genau denselben Sachverhalt, den Christa Dürscheid »Schrifttyp« nennt (»Alphabetschrift, Segmentalschrift, Silbenschrift« etc.).6 Um diesbezüglichen Missverständnisse zu vermeiden, sei daher in der vorliegenden Arbeit der Terminologie von Helmut Glück gefolgt.7 Danach ist unter Schrifttyp der Zusammenhang eines Schriftsystems mit seiner wesentlichen, dominierenden Bezugsebene zum Sprachsystem der so verschrifteten Sprache und Anatolien. Politische, materielle und sprachliche Beziehungen zwischen dem Niltal und Kleinasien im 2. Jahrtausend v. Chr., Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2010, verweisen. 4 H. Bussmann, Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart ³2002, 585f. 5 F. Coulmas, The Writing Systems of the World, Oxford 1989. 6 C. Dürscheid, Einführung in die Schriftlinguistik, Göttingen ³2006. 7 H. Glück, Schriften im Kontakt, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, 745–766.
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zu verstehen. Bei Alphabetschriften ist dies das phonologische System, bei Silbenschriften die (Sprech)Silbe und bei logographischen Schriften Morpheme. Davon streng zu trennen ist die Schriftart – gemeint sind die Gestalt- und Strukturunterschiede zwischen Schriftsystemen desselben Schrifttyps. Das Schriftsystem ist die einzelsprachlich spezifische Verschriftung, d.h. die Summe aller Spezifika unterschiedlicher Schriftsprachen derselben Schriftart (»das französische vs. das englische Schriftsystem«). Relevante Spezifika sind Aspekte wie Schriftzeicheninventar, Repräsentationsfähigkeit und – regularien sowie Prinzipien der Orthographie. Von Schriftsprache soll die Rede sein, wenn eine eigene geschriebensprachliche Form vorhanden ist, d.h. eine Schriftgemeinschaft sich auf die Verwendung eines Schriftsystems festgelegt hat und dieses kodifiziert hat. Anders ausgedrückt ist die Schriftsprache eine überregionale und schriftnahe Sprachform der Standardsprache,8 wobei Standardsprache synonym mit dem wertenden Begriff »Hochsprache« gebraucht wird. Eine Schriftsprache kann jedoch auch definiert werden als eine überregionale, mündliche und schriftliche Sprachform der sozialen Mittel- bzw. Oberschicht als öffentliches Verständigungsmittel. Von Schriftkontakt sei gesprochen, wenn zwei oder mehrere Schriften miteinander in Kontakt treten, sei es interlingual oder intralingual (»Fremdgrapheme«). Glück selbst hat zwischen mehreren Fällen von Schriftkontakt unterschieden (Beispiele in Klammern): ① Sprachverschiedenheit und Schriftverschiedenheit (Wechsel von Schriftarten, -typen und -systemen). Politisch gewollte und staatlich organisierte Übergänge von einer Schriftart zu einer anderen (Türkei, Sowjetunion). ② Sprachgemeinschaften und Schriftgemeinschaften Schrift verbindet (Chinesisch = »graphisches Esperanto«) oder trennt (Maltesisch) verschiedene Sprachgemeinschaften; Verschriftetheit bzw. Alphabetisiertheit als Merkmal einer eigenen ›Sprache‹ (vs. ›Dialekt‹; z.B. Schweizerdeutsch; Turksprachen). ③ Schriftkontakt und Diglossie Sprachgemeinschaft verwendet als Schriftsprache allochtone Sprache, die als Medium der mündlichen Kommunikation eine stark eingeschränkte Rolle spielt (Latein und Griechisch). ④ Schriftkontakt und Religion Beobachtung, dass fast jede autokephale Kirche eine besondere Schriftart entwickelt hat; These, dass pro Schisma eine Schriftschaffung: 9 Linguistische Ketzerei stets schärfer sanktioniert, wenn sie die Schriftart betraf (Lateinverschriftung ›islamischer‹ Sprachen); Sekundäre Verschriftungen bereits etablierter Schriftsprachen aus religiösen oder politischen Motiven. 8 A. Jedlicke, Die Schriftsprache in der heutigen Kommunikation, Leipzig 1978. 9 H. Glück, Schrift und Schriftlichkeit, Stuttgart 1987, 261f.
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⑤ Schriftkontakt und Öffentlichkeit: das Prestige von Schriftarten Konzept der ›Zweischriftigkeit‹ (lateinische Werbung/Beschriftung in Osteuropa und der arabischen Welt); Prestige bestimmter Schriftarten und -systeme. ⑥ Fremdgrapheme: intralingualer Schriftkontakt im Schriftsystem Exoglossische Schreibungen (graphische Gallizismen im Deutschen; Beispiel: vis-àvis).
Im vorliegenden Zusammenhang werden fast all diese von Helmut Glück unterschiedenen Fälle behandelt: ad ①: Die Schaffung eines eigenen meroitischen Schriftsystems (in zwei Schriftformen); ad ②: Die Verschriftetheit der napatanischen Kreolsprache (kein Dialekt des Ägyptischen!); ad ③: Das sog. »Pseudo-Sabäische« in Abessinien; ad ④: Schisma mit Abspaltung der koptischen und äthiopischen Kirche; ›Fortschriftung‹ in Nubien ohne Schisma; ad ⑥: ›Ägyptogramme‹ im Meroitischen, Demotische ›Zusatzzeichen‹ bei der koptischen Neuverschriftung des Altägyptischen. Um den Übergang von Mündlichkeit zur Schriftlichkeit zu bezeichnen, sprechen wir von Verschriftlichung oder von Verschriftung – Ersteres betont das Einwirken konzeptueller Bedingungen von Schriftlichkeit auf die Textentstehung (Kohärenz, Vollständigkeit, lexikalische Präzision), während Letzteres die schematisch-wortwörtliche Übertragung eines mündlichen Textes in das Medium der Schrift bezeichnet. Da eine scharfe Abgrenzung oft nicht möglich ist, werden die Begriffe gerne miteinander gekoppelt. In der vorliegenden Monographie werden auch die theoretischen Arbeiten von Helmut Glück zum Schriftkontakt zugrunde gelegt10, wobei eine Modifizierung im Hinblick auf altertumswissenschaftliche Gegebenheiten vonnöten sein wird. Vor allem aber muss seine Typologie von ›Bilingualismus bzw. Multilingualismus‹ neu überdacht werden, da er darunter missverständlich versteht, dass ein Individuum oder eine Gruppe zwei bzw. mehrere Sprachen sowohl in ihrer gesprochenen als auch in ihrer geschriebenen Form beherrscht und verwendet. Diese terminologische Unschärfe wurde bereits schon einmal in ägyptologischem Rahmen thematisiert: D. BORCHERS, F. KAMMERZELL & S. WENINGER verwenden hierfür den Begriff ›Multiliteralismus‹.11
10 H. Glück, Schriften im Kontakt, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, 745–766. 11 D. Borchers, F. Kammerzell & S. Weninger (Hrsg.), Hieroglyphen – Alphabete – Schriftreformen. Studien zu Multiliteralismus, Schriftwechsel und Orthographieneuregelungen, Lingua Aegyptia Studia Monographica 3, Göttingen 2001, 1–8.
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2.3 Schrifttypologie12 Sehr viele – auch neuere – Darstellungen der Schriftgeschichte kranken an zwei Mängeln: Zum einen stellen sie sehr oft die Alphabetschrift als die natürlich beste Lösung für die Probleme der Verschriftung dar, zum anderen erfolgt die typologische Bestimmung der Schriftart undifferenziert und verabsolutiert. Meist wird die Schriftgeschichte als Weg »vom Bild zum Buchstaben« beschrieben, d.h. die phonetische Grundlage der Alphabetschrift wird als krönender Abschluss der Entwicklung betrachtet. Diese Perspektive ist zwar seit langem überholt, wird jedoch immer noch gebetsmühlenartig wiederholt.13 Gerne wird im Zusammenhang mit dem Thema ›Schrift‹ übersehen, dass es zahlreiche, voneinander abweichende Typologie-Versuche der Schriftsysteme gibt, die auf gänzlich unterschiedlichen Klassifizierungsprinzipien beruhen.14 Beispielsweise lässt sich Schrift auch hinsichtlich der vornehmlichen Schriftrichtung (sinistrograd, bustrophedon etc.) betrachten. Nebenbei erwähnt gibt es sogar eine Deutsche Industrie-Norm (din) für Schriften und seit Beginn des Computerzeitalters den unicode-Standard.15 Ein weit verbreiteter Irrglaube besteht darin, in Schriftsystemen direkte Abbilder von Sprachsystemen zu sehen. Selbst bei den modernen Schriftsystemen wird dies jedoch kaum je auch nur annähernd erreicht und dies ist im Grunde auch nicht bezweckt: Schriftsysteme sollen lediglich eine optimale Rekonstruktion eines sprachlichen Ausdrucks ermöglichen und um dies zu gewährleisten, werden je nach Schriftsystem verschiedene Aspekte des Sprachsystems repräsentiert. Die gängige linguistische Schrifttypologie unterscheidet nun hinsichtlich dieser verschiedenen Möglichkeiten. Dabei sind reale Schriftsysteme fast nie Vertreter des Idealtyps; es gibt praktisch keine ›reinen‹ Alphabetschriften, Silbenschriften etc., sondern vor allem Mischungen mit unterschiedlicher Gewichtung der typologischen Merkmale. Eine grundlegende Unterscheidung ist der verschiedene Bezug auf die Formseite und die Inhaltsseite von Sprache. Ersteres hat den Vorzug, dass ein Schriftzeichen mit solchem Bezug unabhängig von einer Einzelsprache ist. So wurden viele sumerische Wortzeichen in allen 12 Der folgende Abschnitt basiert maßgeblich auf: G. Nottbusch & R. Weingarten, Orthographie des Deutschen, Vorlesungsskriptum Bielefeld 52008, sub: https://www.guido-nottbusch. de/doc/Orthographie _01_Schrifttypologie.pdf (Stand: 20. April 2016). 13 Etwa H. Haarmann, Geschichte der Schrift, München 2002. 14 F. Coulmas, Theorie der Schriftgeschichte, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, 256–263. 15 Dass die Altertumswissenschaften davon nicht unbetroffen sind, zeigt die Warnung Wolfgang Schenkels auf der Ständigen Ägyptologen-Konferenz in Bonn 2010: Wenn die Ägyptologen keine Zeichenliste erstellten, würden es die Informatiker tun!
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Keilschriftkulturen verstanden, jedoch einzelsprachlich unterschiedlich realisiert, also hethitisch, babylonisch oder hurritisch gelesen bzw. ausgesprochen. Der Nachteil ist ihr hohen Zeichenbestand – im (nicht existierenden) Idealfall eines reinen Typs wäre die Menge der Schriftzeichen gleich der Menge der Konzepte! Dieser Nachteil dürfte dafür verantwortlich sein, dass sich der Bezug auf die Ausdrucksseite zunehmend verstärkt hat, der zwar die Zeichenzahl senkt, jedoch im Gegenzug eine Beschränkung auf die Einzelsprache mit sich bringt. Bei einem Bezug auf die Ausdrucksseite lassen sich sowohl grammatische als auch lautliche Strukturen kodieren, was einen entscheidenden Vorteil ausmacht – selbst die meisten dominant logographischen Systeme weisen nicht umsonst phonetische Elemente auf, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung. Die kognitive Brücke zwischen der Inhalts- und der Ausdrucksseite, zwischen der Logographie und der Phonographie ist das Rebusprinzip. Je nach Einteilung der Lautstruktur lässt sich nun weiter in segmentbezogene und suprasegmentbezogene Schriftsysteme differenzieren. Segmentalschriften repräsentieren meist nicht konkrete Laute, sondern Phoneme, bei Alphabetschriften idealtypisch alle des jeweiligen Phoneminventars, bei Konsonantenschriften nur einen Ausschnitt. Silbenschriften haben als Bezugsebene ebenfalls die Lautstruktur, dabei jedoch deren suprasegmentalen Aspekt. Dem gegenüber kodieren morpho-grammatische und syntaktische Schriftsysteme vor allem grammatische Strukturen. Beide kommen nicht isoliert vor, sondern nur als Erweiterung anderer Schriftsysteme, meist von Segmentalschriften. Interpunktionszeichen sind charakteristisch für Schriftsysteme des syntaktischen Strukturtyps.
2.4 Verschriftlichung in der Linguistik16 Der Prozess der Verschriftlichung wurde von Peter Koch & Wulf Oesterreicher mit besonderer Präzision beschrieben. Da sie dies vor allem unter Einbeziehung eines multiliteralen Umfeldes getan haben, soll ihre Behandlung der Materie als maßgeblich umrissen werden.17 Koch & Oesterreicher gehen von einer eigenen Varietätendimension ›gesprochen-geschrieben‹ aus, die sprachtheoretisch einen Varietätenraum modellierten. Dabei unterscheiden sie zwi16 H. Haarmann, Soziologie und Politik der Sprachen Europas, München 1975, 140–207, 249– 319; H. Haarmann, Allgemeine Strukturen europäischer Standardsprachenentwicklung, in: Sociolinguistica 2, 1988, 10–51; A. Scaglione (Hrsg.), The Emergence of National Languages, Ravenna 1984; J.E. Joseph, The Engeneering of a Standard Language, in: Multilingua 3, 1987, 87–92. 17 P. Koch & W. Oesterreicher, Funktionale Aspekte der Schriftkultur, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, 587–604.
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schen ›Nah-‹ und ›Distanzbereich‹, wobei die Verschriftlichung einer Sprachform das »Eindringen von bisher auf den Nähebereich beschränkten Sprachformen in den Distanzbereich« darstellt.18 Eine Extremform der Distanz zwischen beiden Bereichen ist die Diglossie19, die strikte Funktionstrennung zwischen einer high-variety (H) und einer low-variety (L) innerhalb derselben Sprache, wobei die H-Varietät die Form der konzeptuellen Schriftlichkeit darstellt, die L-Varietät diejenige der konzeptuellen Mündlichkeit ist. Wenn sich diese Funktionstrennung von H und L auf zwei nicht direkt miteinander verwandte Sprachen bezieht, ist von ›Bilingualismus‹ zu sprechen. Diese Form des ›Bilingualismus‹ muss jedoch getrennt werden von gesellschaftlichem Bilingualismus ohne Funktionstrennung und individuellem Bilingualismus.20 Koch & Oesterreicher unterscheiden also von vorne herein zwischen konzeptioneller Mündlichkeit (orat) und konzeptioneller Schriftlichkeit (literat).21 Nach dieser Unterscheidung ist ein eher informeller Schriftgebrauch konzeptuell mündlich. Geschriebene und gesprochene Sprache lassen sich also typischen Funktionen zuordnen, etwa dem Vermitteln wissenschaftlicher Erkenntnisse oder dem Mitteilen von Gefühlen. Diese Unterscheidung bezieht somit die Kommunikationsbedingungen und daraus resultierende Kommunikationsstrategien mit ein. Zentrales Unterscheidungsmerkmal hierfür ist die raumzeitliche und emotionale Nähe bzw. Distanz zwischen den Kommunikationsteilnehmern. Somit werden Texte, die in Kommunikationssituationen geäußert werden, welche durch emotionale und raumzeitliche Nähe geprägten sind, als konzeptionell mündlich bezeichnet. Konzeptionelle Schriftlichkeit ist demgegenüber eher durch Distanz bestimmt. Konzeptionelle Mündlichkeit und Schriftlichkeit bilden jedoch keine Dichoto-
18 P. Koch & W. Oesterreicher, Funktionale Aspekte der Schritkultur, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, (587–604) 596. 19 C.A. Ferguson, Diglossia, in: Word 15, 1959, 325–340. 20 B. Schlieben-Lange, Soziolinguistik. Eine Einführung, Stuttgart ³1991. 21 P. Koch & W. Oesterreicher, Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte, in: Romanisches Jahrbuch 36, 1985, 15–43; P. Koch & W. Oesterreicher, Funktionale Aspekte der Schriftkultur, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, 587– 604; W. Oesterreicher, Verschriftung und Verschriftlichung im Kontext medialer und konzeptioneller Schriftlichkeit, in: U. Schaefer (Hrsg.), Schriftlichkeit im frühen Mittelalter, Tübingen 1993, 267–292. Vgl. auch H. Steger, Bilden ›gesprochene Sprache‹ und ›geschriebene Sprache‹ eigene Sprachvarietäten?, in: Wörter, Schätze, Fugen und Fächer des Wissens. Festgabe für Theodor Lewandowski zum 60. Geburtstag, Tübingen 1987, 35–58; W.L. Chafe, Linguistic Differences Produced by Differences between Speaking and Writing, in: D.R. Olsond, N. Torrance & A. Hildyard (Hrsg.), Literacy, Language and Learning. The Nature and Consequences of Reading and Writing, Cambride 1985, 105–123.
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mie, sondern eher ein Kontinuum mit vielen graduellen Abstufungen und sind auch beide nicht an ein Medium gebunden.
2.4.1 Schriftusus und scriptae Bei Verschriftlichungsprozessen muss betont werden, dass deren Frühformen nicht unbedingt mit denjenigen späterer Schriftsprachen identisch sind – man unterscheidet daher zwischen der späteren Schriftsprache und früheren Schreibtraditionen oder scriptae.22 Die Konventionen des Schriftsystems entstehen durch den Schreibusus – die Praxis des Schreibens erst führt dazu, dass sich die individuellen Schreibungen einander angleichen. Dieser Mechanismus wird in der Schriftlinguistik als invisible hand bezeichnet. Die meist kleinräumig vorkommenden scriptae können in ihrem Wirkungsbereich expandieren. Wenn dabei andere Idiome (nicht notwendigerweise mit eigenen scriptae) in den Nähebereich verwiesen werden, sprechen Koch & Oesterreicher vom Prozess der Überdachung.23 Das Ergebnis der Überdachung wiederum wird als eine Form der ›Koiné‹ bezeichnet (auch Koiné¹ genannt). Eine überdachte scripta kann bei der Expansion und im Kontakt mit ihr verwandten regionalen Sprachformen des Nähebereichs geographisch diversifizieren und in mehrere eigenständige scriptae übergehen. Anders herum kann es zur Herausbildung mehrerer gleichberechtigter scriptae kommen (Polyzentrik), von denen eine schließlich die anderen verdrängt und ein größeres Sprachareal überdacht. Scriptae können direkt auf einer diatopisch lokalisierten Sprachform basieren. Haarmann nennt diese monodialektal24, Koch & Oesterreicher präziser monotopisch25. Hierbei ist zu betonen, dass scriptae nie mit einem lokalen nähesprachlichen Idiom völlig identisch sind. Wenn scriptae eine Misch- oder Ausgleichsform darstellen, kann man ebenfalls von ›Koiné« sprechen (Koiné²). Im Überdachungsprozess ergeben sich teilweise instabile Konstellationen, in denen sich diatopisch oder diachronisch markierte scriptae bestimmte Entfaltungsräume sichern.26 Sprachformen können dabei auf dem Weg zur Selbststän22 C.T. Gossen, Französische Skriptastudien. Untersuchungen zu den nordfranzösischen Urkundensprachen des Mittelalters, Wien 1967. 23 P. Koch & W. Oesterreicher, Funktionale Aspekte der Schriftkultur, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, (587–604) 596. 24 H. Haarmann, Soziologie und Politik der Sprachen Europas, München 1975, 149. 25 P. Koch & W. Oesterreicher, Funktionale Aspekte der Schriftkultur, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, (587–604) 597. 26 P. Koch & W. Oesterreicher, Funktionale Aspekte der Schriftkultur, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, (587–604) 597.
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digkeit stehen bleiben, sie können aus der schon mehr oder weniger erreichten Schriftsprachlichkeit absinken und sogar später wieder einen Neuansatz erleben. Solche Verschriftlichungsprozesse haben massive Rückwirkungen auf den Varietätenraum. Bemerkenswert dabei ist, dass die Überdachung wichtiger ist als die in der Linguistik so oft hervorgehobene Interkomprehension. Das Phänomen der Scheindialektisierung zeigt ferner, wie stark der Einfluss der Überdachung ist, wenn sogar eine nur mäßig verwandte Sprache, die in den Nähebereich zurückgefallen ist, als diatopische Varietät der Standardsprache empfunden wird.
2.4.2 Standardisierung und Kodifizierung Schriftsprachen bilden sich durch Standardisierung heraus. Zum einen kann diese in in einer diatopischen Festlegung bestehen, zum anderen in einer Selektion aus der Gesamtheit der Sprachmittel, die zu einer bestimmten Zeit einer Sprechergemeinschaft zur Verfügung stehen; ferner spielen soziale und kommunikative Aspekte eine große Rolle. Es gilt zu betonen, dass die Faktoren, die jene Selektionsprozesse beeinflussen, außersprachlich sind, etwa politischer Machtzuwachs, ethnische Selbstbehauptung, Zentralismus, ökonomische Stärke, kulturelle Strahlkraft, religiöses Engagement, Einfluss gesellschaftlicher Gruppen und Schichten etc.27 Koch & Oesterreicher stellen fest, dass die Favorisierung innerhalb des Selektionsprozesses immer ein Moment der Bewertung beinhaltet, das sich häufig schon dort einstellt, wo bestimmte Diskurstraditionen Modellcharakter entwickeln. Sobald die schriftliche Kommunikation in einer Gesellschaft ein bestimmtes Niveau erreicht hat, gibt es oft Tendenzen, die relativ großen Uneinheitlichkeiten eines auf Konventionen basierten Schriftsystems durch Kodifizierung zu egalisieren, um Verständigungsschwierigkeiten zu vermeiden. Geschieht diese bewusste Normierung durch eine staatliche Instanz, wird von Orthographie gesprochen. In der Ägyptologie hat sich der Begriff Eugraphie für die vornehmlich auf Tradition und Typologie ausgerichteten Schreibkonventionen eingebürgert. Übrigens gibt es dieses Prinzip der Eugraphie nicht nur bei ägyptischen, sondern vielleicht sogar stärker noch bei napatanischen Inschriften, während die meroitische Schrift anderen ästhetischen Prinzipien folgt. Die Vorteile der Kodifizierung sind maximaler Kommunikationsradius, Stabilität etc.; ihre Nachteile sind Konservatismus und Erstarrung. Oft wird unterschiedlich rigoros kodifiziert, die Schriftgemeinschaft schwankt 27 P. Koch & W. Oesterreicher, Funktionale Aspekte der Schriftkultur, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, (587–604) 598.
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zwischen Ausgrenzung und Toleranz, zwischen Homogenität und Polyzentrik. Dies betrifft insbesondere die Durchlässigkeit der ›niedrigen‹ und ›gesprochenen‹ Elemente. Dass sehr lange Immobilität der präskriptiven Norm unweigerlich zur Diglossie führt kann man im ägyptischen Neuen Reich beobachten.
2.4.3 Rahmenbedingungen der Schriftentwicklung Das Verhältnis zwischen Sprachstruktur und Schriftsystem wird sehr unterschiedlich gesehen. In der Vergangenheit wurde allzu oft postuliert, eine bestimmte Sprachstruktur sei verbunden mit der Herausbildung eines speziellen Schriftsystems, konkret: Nur die angeblich besonders ›rationalen‹ Griechen – so ist auch heute noch oft zu lesen – hätten auf die geniale Idee eines so ökonomischen Systems wie die Alphabetschrift kommen können. Auf der anderen Seite wird ein Zusammenhang aber auch negiert – die Wahrheit dürfte (wie so oft) dazwischen liegen. Da es keine universell beste Lösung für das Problem der Verschriftung gibt, kann übrigens von einer Evolution der Schrift streng genommen keine Rede sein. Einzelne Schriftsysteme müssen nämlich immer vor dem Hintergrund mehrerer Faktoren beurteilt werden: ① Die Struktur der Sprache, die das Schriftsystem repräsentiert, ② Interessen des Lesers und des Schreibers, ③ die Verwendung des Schriftsystems, ④ die Medien der Schrift und ⑤ die Vorläufer eines Schriftsystems. Nottbusch & Weingarten haben diese Aspekte besonders gut herausgearbeitet, daher sei im Folgenden auf jene Arbeit verwiesen.28 Die Struktur der Sprache, die das Schriftsystem repräsentiert. Schriftsysteme bilden eine Sprache zwar nicht ab, repräsentieren diese jedoch: Sie stellen bestimmte Aspekte derselben so dar, dass ein Leser aus der schriftlichen die intendierte sprachliche Information optimal rekonstruieren kann. Dazu ist eine große Ähnlichkeit zwischen Sprachstruktur und Schriftstruktur dienlich. Da bei isolierenden Sprachen die Wurzel des Wortes unverändert bleibt, sind für sie logographische Schriften besonders geeignet, syllabographische Schriften werden durch agglutinierende/stammflektierende Sprachen begünstigt oder solche mit einfachen Silbenstrukturen (CV oder CVC). Wurzelflektierende Sprachen mit komplexeren Silbenstrukturen begünstigen Alphabetschriften.
28 G. Nottbusch & R. Weingarten, Orthographie des Deutschen, Vorlesungsskriptum Bielefeld 52008, sub: www.guido-nottbusch.de/doc/Orthographie_01_Schrifttypologie.pdf (Stand: 20. April 2012).
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Interessen des Lesers und des Schreibers. Der Schreibende möchte ein Schriftsystem möglichst leicht lernen und schnell schreiben, der Lesende das Gemeinte möglichst schnell und genau rekonstruieren. Sie stellen also verschiedene Anforderungen an das Schriftsystem: Wird ein Schriftsystem primär als Gedächtnisstütze für den Schreiber verwendet, wird es anders gestaltet als zu kommunikativen Zwecken im Interesse des Lesers. Die Verwendung des Schriftsystems. Wie elaboriert ein Schriftsystem sein muss, hängt stark von der Vielfalt der Textsorten ab, also der Zwecke, zu denen es eingesetzt wird: Eine kleine Expertengruppe benötigt kein so stark optimiertes Schriftsystem wie breite Bevölkerungsschichten. Manchmal kultivieren Experten sogar die Komplexität, um ihren privilegierten Status als Schriftkundige zu erhalten. Die Medien der Schrift. Im Laufe der Schriftgeschichte wurden die unterschiedlichsten Materialien verwendet: Tontäfelchen (Keilschrift), Steintafeln (Epigraphie), Lapidarschriften, Knochen, Holz, Papier (Handschrift), Druckschrift, Computer etc. Unterschiedliche Schreibmaterialien wie Tontafeln oder Papyrus etc. wirkten sich aus auf die Geschwindigkeit des Schreibens, die Haltbarkeit der Schreibprodukte, die Kosten des Schreibens und auf Quantität und Qualität der Schreibprodukte. Die Vorläufer eines Schriftsystems. Die meisten Schriftsysteme basieren auf Entlehnungen von Schriftzeichen aus einem Schriftsystem für eine andere Sprache. Damit entsteht häufig das Problem, dass Lösungen, die für die Gebersprache angemessen waren, für die Nehmersprache Nachteile erbringen. Im Laufe der Schriftgeschichte der Nehmersprache müssen diese Probleme ausgeglichen werden.
2.4.4 Schriftkontakt linguistisch betrachtet Die eingangs angesprochene Fokussierung auf die Arbeit Glücks kommt nicht von ungefähr, handelt es sich doch bei ihr um die bislang einzige systematische linguistische Behandlung dieses Themas überhaupt, um die einzige Synthese hierzu.29 Damit gibt sie auf der einen Seite den Rahmen besonders stark vor, andererseits erlaubt sie besonders gut, über das dort Festgestellte hinauszukom29 H. Glück, Schriften im Kontakt, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, 745–766; H. Glück, Schrift und Schriftlichkeit, Stuttgart 1987.
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men. Zunächst einmal sollen die oben lediglich angerissenen Punkte näher erläutert werden. Zweisprachigkeit und Zweischriftigkeit. Schriftsprachen existieren in zwei Formen: geschriebensprachlich und gesprochensprachlich. Folglich muss zwischen den beiden jeweiligen Charakteristika differenziert werden und erst der Vergleich beider Systeme ermöglicht einen wirklich adäquaten Sprachvergleich. In Anlehnung an das Konzept Multilingualismus (Mehrsprachigkeit) ist in diesem Sinne das Konzept Multiliteralismus (Mehrschriftigkeit) zu untersuchen und entsprechend parallel zu Diglossie das Phänomen der Digraphie. Um diesen Themengebiet Herr zu werden, unterscheidet Glück folgende Fälle: ① Analphabetische Zweisprachigkeit Beherrschung ausschließlich der gesprochenen Sprachform zweier Sprachen ② Dominant oraler Bilingualismus Beherrschung einer der beteiligten Sprachen in beiden Sprachformen, der anderen Sprache nur in ihrer gesprochenen Form. ③ Dominant zweischriftiger Bilingualismus Beherrschung einer Sprache in beiden Sprachformen, der anderen Sprache nur in ihrer geschriebenen Form (sog. »Gelehrtenmultilingualismus«) ④ Doppelseitiger Bilingualismus Beherrschung zweier Sprachen in beiden Sprachformen ⑤ Monolinguale Zweischriftigkeit Beherrschung beider Schriftsysteme bei doppelt verschrifteten Sprachen ⑥ Alphabettechnische Zweischriftigkeit Beherrschung einer Sprache in beiden Sprachformen, der anderen Sprache nur in technischer Hinsicht bei Monolingualen, welche die geschriebene Form einer anderen Sprache buchstabieren oder in Lautsequenzen überführen können, ohne dass sie diese Sprache beherrschen würden.
Sprachverschiedenheit und Schriftverschiedenheit. Schriftkontakt wird meist dann thematisiert, wenn es zu einem Wechsel zwischen Schriftarten, -typen oder -systemen kommt, etwa in der Türkei30, der Sowjetunion31, in der Mongo-
30 L. Bazin, La réforme linguistique en Turqiue, in: I. Foror & C. Hagège (Hrsg.), Language Reform. History and Future I, Hamburg 1983, 155–177. 31 H. Glück, Sowjetische Sprachenpolitik, in: H. Jachnow (Hrsg.), Handbuch des Russischen, Wiesbaden 1984, 519–559.; I. Baldauf, Schriftreform und Schriftwechsel bei den muslimischen Rußland- und Sowjettürken (1850–1937): Ein Symptom ideengeschichtlicher und kulturpolitischer Entwicklungen, Habilitationsschrift Bamberg 1991.
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lei32, Vietnam 33, Indonesien34 oder in Somalia35. In all diesen Fällen war bzw. ist zumindest ein erklärtes Ziel die Massenalphabetisierung. Der Schriftkontakt ist also politisch gewollt und die Übergänge sind staatlich organisiert. Dies betrifft sogar den hier angesprochenen Rahmen Nordostafrika, da gerade bei mehreren Sprachen darum gerungen wird, welches Schriftsystem zu deren Verschriftlichung zu adaptieren sei (Berbersprachen, tu-Beɗawiɛ, Oromo). Gründe hierfür sind Autonomiebestrebungen einzelner Gruppen, zumeist Minderheiten, das Aufkeimen eines ›Nationalbewusstseins‹ oder Abgrenzung vom Religiösen o.ä. Der Schriftwechsel ist in jedem Fall für die Beteiligten ein nicht unerheblicher kultureller Einschnitt, da mindestens zwei Generationen lang zwei Schriftsysteme gleichzeitig in Gebrauch sind. Tendenziell besteht hier für die betroffenen Personen die Gefahr, die Lese-/Schreibfähigkeit zu verlieren. Sogar der Wechsel der Schreibvariante darf in seiner trennenden Wirkung nicht unterschätzt werden, wie die Abkehr vom Sütterlin und die Abschaffung der Fraktur als Druckschrift in Deutschland zeigt.36 Mit dieser Angleichung ging eine Möglichkeit der graphischen Markierung alloglotter Lexeme verloren: romanischstämmige »Fremdwörter« hatte man zuvor nämlich in Antiqua gesetzt und so graphisch gekennzeichnet. Dies ist im Grunde direkt zu vergleichen mit der sog. »Gruppenschrift« in ägyptisch-hieroglyphischen Texten, deren Zweck es sicherlich nicht nur war, die fremdstämmige Lexeme adäquater darzustellen, sondern auch, sie als solche auszuzeichnen. Sprachgemeinschaft und Schriftgemeinschaft sind oft nicht deckungsgleich, vor allem immer dann nicht, wenn eine Schriftsprache exozentrisch verwendet wird, wie dies beim Französischen im Maghreb der Fall ist. Die Abgrenzung beider Gemeinschaften voneinander bleibt oft unklar und stellt den Forscher vor ähnliche Probleme wie bei der Abgrenzung von Sprache und Dialekt. Es ist das
32 L. Bese, On the Modernization of the Mongolian Vocabulary, in: I. Foror & C. Hagège (Hrsg.), Language Reform. History and Future I, Hamburg 1983, 102–211. 33 J. de Francis, Colonism and Language Policy, The Hague 1977. 34 S. Takdir Alisjahbana, Language Planning for Modernization: The Case of Indonesia and Malaysia, The Hague 1976. 35 B.W. Andzejewski, Language Reform in Somalia and the Modernization of the Somali Vocabulary, in: I. Foror & C. Hagège (Hrsg.), Language Reform. History and Future I, Hamburg 1983, 67–84. 36 N. Hopster, Das »Volk« und die Schrift. Zur Schriftpolitik im Nationalsozialismus, in: D. Boucke & N. Hopster (Hrsg.), Schreiben – Schreiben lernen, Tübingen 1985, 57–77; P. Rück, Die Sprache der Schrift. Zur Geschichte des Frakturverbots 1941, in: J. Baumann, H. Günther & U. Knoop (Hrsg.), Homo Scribens – Perspektiven der Schriftlichkeitsforschung, Tübingen 1993, 231–272.
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›Thümmelsche Paradoxon‹: Man muss Sprachen, um sie beschreiben zu können, voneinander unterscheiden – um sie unterscheiden zu können, muss man sie jedoch beschrieben haben.37 Dreht man die Perspektive um, so ergibt sich durch das Konzept der Verschriftetheit auf der anderen Seite ein Kriterium zur Abgrenzung von ›Sprachen‹ (vs. ›Dialekten‹).38 Mit anderen Worten: Die Existenz einer einheitlichen Schrift für verschiedene ›Dialekte‹ kann das Kriterium der strukturellen und lexikalischen Distanz aushebeln (so etwa beim Schweizerdeutschen, im Arabischen oder Chinesischen). Von jeher gilt die gegenseitige Verständlichkeit als zentrales Kriterium für die Unterscheidung von Varietäten.39 Interessant wird es nun, wenn Sprachen mehrschriftig sind, wie dies in Indien besonders häufig der Fall ist (dort gibt es 14 zweischriftige und 3 dreischriftige Sprachen, das Santali ist fünffach verschriftet).40 Ein entgegen gesetzter Fall ist die Situation im Chinesischen, dessen ›Dialekte‹ nur durch die Verwendung derselben Schrift untereinander verständlich sind und das deshalb schon als »graphisches Esperanto« bezeichnet wurde.41 Es gibt also sowohl mehrschriftige Sprachgemeinschaften als auch mehrsprachige Schriftgemeinschaften. Schriftkontakt und Diglossie. Eine Schriftgemeinschaft umfasst mehrere Sprachgemeinschaften, wenn eine allochthone Sprache als Medium der mündlichen Kommunikation keine (große) Rolle spielt und die Sprache der mündlichen Kommunikation aus Prestigegründen o.ä. nicht als Schriftsprache verwendet werden kann. Dies ist der Fall beim Lateinischen, klassischen Griechischen und Arabischen als ›hohen‹ Schriftsprachen (der H-Varietät im Sinne Fergusons)42,
37 W. Thümmel, Kann man Sprachen zählen? Anmerkungen zu den Werken von H. Haarmann, in: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 4, 1977, 36–60. 38 W.F. Mackey, Determining the Status and Function of Languages in Multilingual Societies, in: U. Ammon (Hrsg.), Status and Function of Languages and Language Varieties, Berlin & New York 1989, (3–20) 8. 39 U. Ammon, Language – Variety/Standard Variety – Dialect, in: Soziolinguistik. Ein internationales Handbuch zur Wissenschaft von Sprache und Gesellschaft, Berlin & New York 1987, (316– 335) 318ff. 40 W.F. Mackey, Determining the Status and Function of Languages in Multilingual Societies, in: U. Ammon (Hrsg.), Status and Function of Languages and Language Varieties, Berlin & New York 1989, (3–20) 8; F. Coulmas, The Writing Systems of the World, Oxford 1989, 199 und 240. 41 J. de Francis, Language and Script Reform in China, in: J.A. Fishman (Hrsg.), Advances in the Creation and Revision of Writing Systems, The Hague & Paris 1977, 121–148; J. de Francis, The Chinese Language. Fact and Fantasy, Honolulu 1984; H. Glück, Schrift und Schriftlichkeit, Stuttgart 1987, 106f.; F. Coulmas, The Writing Systems of the World, Oxford 1989, 91–100; F. Coulmas, Function and Status of Written Language in East Asia, in: U. Ammon (Hrsg.), Status and Function of Languages and Language Varieties, Berlin & New York 1989, 216–246. 42 C.A. Ferguson, Diglossia, in: Word 15, 1959, 325–340
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allesamt Sprachen von räumlich nicht gebundenen Ideengemeinschaften. Coulmas hat das Japanische von dieser Warte aus betrachtet sogar als »written Sprachbund« bezeichnet.43 Glück charakterisiert das Lateinische ähnlich als eine Art ›Nationalsprache‹ des abendländischen Gemeinschaftsgefühls und bemerkt, dass dieser Sonderfall der Diglossie bislang kaum erforscht ist. Schriftkontakt und Religion. Für die enge Verbindung zwischen Sprache und Religion gibt es unzählige Beispiele, man denke an die ›Kreuzsprachen‹, die Sprache der Thora oder diejenige des Koran-Diktats. Für den christlichen Bereich stellt Glück die Faustregel auf, dass jede autokephale Kirche ihre besondere Schriftart entwickelt und tradiert hat – das ergibt pro Schisma eine Schriftschaffung.44 Eine weitere Beobachtung betrifft den Umstand, dass linguistische Ketzerei viel stärker sanktioniert wurde, wenn sie die Schriftart mit betraf. Wie relevant derartige Fragen immer noch sind, zeigen die Auseinandersetzungen gegen die Lateinverschriftung in islamisch dominierten Regionen Nordostafrikas (Sudan, Somalia, Maghreb). Es gibt zahlreiche Fälle, bei denen dieselbe Sprachreform je nach der Religion der Sprechergruppen unterschiedlich verschriftet wird, man denke nur an den Gegensatz zwischen der ›katholischen‹ Antiqua, der ›evangelischen‹ Fraktur und der ›orthodoxen‹ Kyrilica. Zweischriftigkeit ist hier häufig das Resultat von Missionierung oder der religiösen Trennung einer Sprechgemeinschaft. So verwenden die christlichen Hausa die lateinische und die muslimischen Hausa die arabische Schrift.45 Die politische Expansion ist ein weiterer Grund für religiös bedingte Zweischriftigkeit. Da wäre nicht nur die koloniale Lateinverschriftung in Afrika und Südamerika zu nennen, sondern auch die Ausbreitung des Islam in Mittelasien, bei der die arabische Schrift sich auf Kosten der »buddhistischen«, also mongolischen und tibetischen Schriftarten ausbreitete.46 Seltener ist die sekundäre Verschriftung etablierter Schriftsprachen aus religiösen und politischen Motiven wie im Jiddischen oder beim Ladino. Schriftkontakt und Öffentlichkeit. Schriftarten sind vielfach sozialpsychologische Objekte mit unterschiedlichem Prestige. Ein besonders gutes Beispiel dafür ist
43 F. Coulmas, The Writing Systems of the World, Oxford 1989, 133. 44 H. Glück, Schrift und Schriftlichkeit, Stuttgart 1987, 261f. 45 E.A. Gregersen, Successes and Failures in the Modernization of Hausa Spelling, in: J.A. Fishman (Hrsg.), Advances in the Creation and Revision of Writing Systems, The Hague & Paris 1977, 421–440. 46 P.B. Henze, Politics and Alphabets in Inner Asia, in: J.A. Fishman (Hrsg.), Advances in the Creation and Revision of Writing Systems, The Hague & Paris 1977, 371–420.
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die Verwendung von Schrift in Marokko: Gesprochen wird dort maghrebinisches Arabisch, Hocharabisch, Berbersprachen und Französisch bzw. Spanisch – nur zwei dieser Sprachformen werden geschrieben. Dafür ist die Zweischriftigkeit allgegenwärtig. Insgesamt hat die öffentliche Verwendung und Präsentation verschiedener Schriftarten in ehedem geschlossenen Schrifträumen rapide zugenommen, wie die bisher umfassendste Studie zu diesem Thema, »La guerre des langues dans l’affichinage« eindrücklich aufzeigt.47 Dabei wird auch nicht vor Pseudoschriftzeichen zurückgeschreckt – so gibt es beispielsweise in der Werbung ›graphische Camouflagen‹, welche auf die Aufmerksamkeit des Fremden spekulieren. Glück betont, dass das Prestige einzelner Schriftarten nicht gleichzusetzen ist mit dem Prestige einzelner Schriftsysteme, und führt als Beispiel eine Reihe westafrikanischer Sprachen an, die in lateinischer Schrift verschriftet wurden. Grundsätzlich genießt diese weltweit ein sehr hohes Prestige, selbst im arabischen Raum. Auf ausdrücklichen Wunsch der Sprecher wurde nun für bestimmte Sprachen entweder das französische oder das englische Schriftsystem angewandt, also dasjenige der ehemaligen Kolonialsprache. Hintergrund dürfte der Wunsch nach Partizipation am Prestige des Vorbilds sein. Für einige Sprachen kam es sogar zu zwei verschiedenen Lateinverschriftungen, etwa beim Hausa, das in Nigeria nach dem englischen, in Niger nach dem französischen Vorbild geschrieben wird. Carl Meinhof, einer der ›Begründer‹ der Afrikanistik als akademischer Disziplin hatte dies seinerzeit sogar für wünschenswert gehalten und vorgeschlagen, [ʃ] in den englischen Kolonien als 〈sh〉, in den französischen als 〈ch〉 und in den portugiesischen als 〈x〉 zu schreiben. 48 Derartig unterschiedliche Transkriptionsstrategien betreffen stellenweise die Forschungsgeschichte ›afrikanischer‹ Sprachen in hohem Maße, wenn etwa die Berbersprachen in der Frühzeit der Forscher durch Kolonialbeamte und -offiziere meist ad hoc nach ihrem Schriftsystem spanisch (Kanaren/Guanche) oder französisch (Algerien) dargestellt wurden. Fremdgrapheme. Ein Sonderfall des Schriftkontakts ist intralingualer Natur, d.h. Fremdgrapheme innerhalb ein und desselben Schriftsystems. Der Terminus Fremdgraphem ist doppeldeutig: Er kann sowohl ① die Schriftzeichenentlehnungen aus einer anderen Schriftart bezeichnen als auch ② Typen von Fremdwortschreibungen mit Schriftzeichenverbindungen, die nach den graphotaktischen Regularitäten des entlehnenden Schriftsystems unzulässig sind. Im ers-
47 J. Leclerc, La guerre des langues dans l’affichinage, Montréal & Quebec 1989. 48 E.A. Gregersen, Successes and Failures in the Modernization of Hausa Spelling, in: J.A. Fishman (Hrsg.), Advances in the Creation and Revision of Writing Systems, The Hague & Paris 1977, (421–440) 424.
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ten Fall stellen Fremdgrapheme oft Ergänzungen des Basisalphabets dar, welche bei der Verschriftung bzw. bei Schriftwechsel bzw. -reform aus einem anderen System entnommen wurden. Durch diesen Vorgang entstehen gemischte Systeme. Meist werden die zusätzlichen Schriftzeichen aufgrund von phonologisch begründeter Bezeichnungsnotwendigkeit inkorporiert, wie bei den demotischen ›Zusatzzeichen‹ im Koptischen oder der Intregration runischer Schriftzeichen zur Bezeichnung zweier interdentaler Frikative im Isländischen.49 Der zweite Fall ist gerade in den europäischen Schriftsystemen sehr verbreitet. Bilaterale Fälle von exoglossischen Schreibungen wären etwa die graphischen Gallizismen im Englischen (to play a rôle) oder im Deutschen (Fauxpas). Hintergrund für derartige Fremdgrapheme ist die Entlehnung von Lexemen oder Lexemverbindungen in der Graphie der Quellensprache. Dies muss nicht immer geschehen – so sind Regraphematisierungen nach den Regeln der entlehnenden Sprache durchaus keine Seltenheit (schwed. resebyrå – Reisebüro, arab. si:nema: – Kino, türk. tiyatro – Theater), besonders wenn es in den entsprechenden Schriftsystemen eine allgemeine Tendenz zur Vermeidung von Fremdgraphemen und -schreibungen gibt. Für das Deutsche hat Heller 1981 im »Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache« fast 200 Fremdgrapheme ermittelt; bei der Auswertung von Fremdwörterbüchern erhöht sich diese Zahl nach Glück um die Hälfte auf ca. 300.50 Sehr komplex wird die Angelegenheit, wenn Schriftkontakt und graphische Lehnbeziehungen zwischen verschiedenen Sprachen diachronisch betrachtet werden – Glück hat dies am Beispiel des Graphems 〈Q〉 exemplarisch durchexerziert.51
49 Viele kyrillische Verschriftungen in Mittelasien weisen Fremdgrapheme aus dem Lateinalphabet auf, wie 〈h〉 im Azerbaydžanischen, Baškirischen, Uighurischen und Kazachischen, vgl. die Tabellen in: K.M. Musaev, Alfavity jazykov narodov SSSR, Moskau 1965. 50 Die Fremdgrapheme im Deutschen kommen aus unterschiedlichen Bereichen, etwa Wörter griechischen Ursprungs (Phosphor, Rheuma, Theke), Gallizismen (Amateur, Chauffeur, Tour, Portemonnaie, Palais, Niveau), Italianismen (Cello, ciao). Daneben gibt es wenige sog. »rechtschreibliche Eindeutschungen« (Streik, Keks, Frisör). 51 H. Glück, Schriften im Kontakt, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, (745–766) 762–764.
3 Die Schriftsprachen Nordostafrikas Das Studium von Schriften im Kontakt kann nicht geschehen, ohne sich Rechenschaft darüber abgelegt zu haben, wie die einzelnen Schriftsysteme genau funktionieren. Daher sollen im Folgenden die im Schriftkontakt innerhalb Nordostafrikas beteiligten Schriftsysteme eingehend vorgestellt werden, beginnend mit der Mittelmeerwelt, also der griechischen Schrift, über das Niltal (die ägyptischen, napatanischen und meroitischen Schriftarten) bis hin zum Horn von Afrika bzw. Südarabien (die altsüdarabische bzw. äthiosemitische Schrift). Umrissen werden neben den jeweils wiedergegebenen Sprachen (insbesondere deren Phonologie) nicht nur die Prinzipien der Graphiesysteme, sondern vor allem Quellenlage, Periodisierung, Aspekte wie Schriftträger und Schreibwerkzeuge, sowie spezifische Schriftarten für bestimmte Schriftträger oder Textgattungen (Inschriften, Papyri). Wo dies aufgrund des schwer allgemein zugänglichen Forschungsstandes notwendig erscheint, werden gegebenenfalls auch weitere Punkte thematisiert wie die Entzifferung der jeweiligen Schrift (Meroitisch), die üblichen Transkriptionssysteme (Meroitisch, Altsüdarabisch), Schriftstile und Zeichenfolge im Alphabet (Altsüdarabisch) oder Sprachgliederung bzw. Sprachtyp (Meroitisch, Altnubisch). Die Skizzierung von Sonderfällen wie die griechische Diglossie oder Formen von Sprachkontakt runden das Bild ab.
3.1 In der Mittelmeerwelt 3.1.1 Libysch-Berberisch Die Berbersprachen werden trotz ihrer sehr kleinteiligen Aufsplitterung in zahlreiche Sprachinseln und großen geographischen Verbreitung zwischen der Oase Siwa und dem Niger von der französischen Berberologie gerne als eine Sprache betrachtet: la langue berbère.1 Besonders die deutschsprachige Forschung bevorzugt den Terminus ›Libysch‹, da er weniger pejorativ vorbelastet scheint.2 Die numidischen Inschriften geben eine Sprache wieder, die sehr eng mit den heutigen ›Berbersprachen‹ verwandt ist und deshalb auch als »Altli-
1 A. Basset, La langue berbère, Paris 1929, jedoch L. Galand, Les langues berbères, Hamburg 1989. Vgl. auch L. Galand, La langue berbère existe-t-elle?, in: Mélanges linguistiques offerts à Maxime Rodinson, Paris 1985, 175–184; K. Cadi, Le berbère, langue ou dialecte? in: Actes de la première rencontre de l’Université d’été d’Agadir, Paris 1982; S. Chaker, Unité et diversité de la langue berbère. Unité et diversité de tamaziɣt, (Colloque international, Ghardaïa, 20–21 avril 1991), Tizi-Ouzou 1992. https://doi.org/10.1515/9783110680867-003
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bysch« bezeichnet wird. Hinzu kommen libysche Sprachreste, die vor allem in Form von Personennamen durch altägyptische Quellen überliefert werden. Diese sollten »Voraltlibysch« genannt werden. Terminologie.3 In der Berberologie herrscht eine immer verwirrender werdende Terminologie, die sich auf diesem Gebiet der Philologie geradezu wuchernd entwickelt. Da liest man in der frankophonen Berberologie von tifinagh ancien und inscriptions maures, von inscriptions libyques im Gegensatz zu inscriptions libyco-berbères, oder von signes libyques «orientales» und «occidentales», in der deutschsprachigen Literatur ist von massylischen, masäsylischen, gätulischen und saharischen Inschriften die Rede, von Targisch und Masirisch. Da gibt es nicht nur lateinische und punische Inschriften, sondern auch inscriptions latino-libyques und latino-puniques.4 Wie verhalten sich all diese Termini zueinander, wodurch sind sie motiviert und sind sie überhaupt sinnvoll? All diese Begriffe sind mit bestimmten Konzepten verbunden, mit Ordnungskriterien oder Interpretationen, in denen die Ansichten bestimmter Forscher zum Ausdruck kommen und die im Folgenden in Grundzügen dargelegt werden sollen. Die Angehörigen der nicht-arabischen Population Nordafrikas werden meist als »Berber« bezeichnet, also mit einer Fremdbezeichnung, die sich von gr. βάρβαρος »Barbar« ableitet.5 Um diesen pejorativen Begriff ›Berber‹ bzw. ›berberisch‹ zu umgehen, wird heute gerne auf die Eigenbezeichnung amaziγ zurückgegriffen bzw. auf die entsprechende Sprachbezeichnung, das Femininum tamaziγt (γ = ġ). Es wurde sogar vorgeschlagen, die eingedeutschte Form ohne ›Artikel‹ und mit der phonetisch approximativen Wiedergabe /r/ für /γ/ zu verwenden, also ›Mazirisch‹. Dieser Terminus konnte sich bislang jedoch genauso wenig durchsetzen wie »Targisch« für die Sprache der Tuareg. Es sollte an dieser Stelle betont werden, dass der griechische Terminus βάρβαρος nicht notwendigerweise abwertend ist, sondern dass diese Nuance vielmehr erst durch den europäischen Kolonialismus verstärkt hinzu kam. Im Übrigen ist die Sprachbezeichnung Šilḥa bzw. Šilḥisch nicht weniger abwertend, ist sie doch abgeleitet von arabisch šilḥ- »Baumast« und bedeutet im übertragenen Sinne »Knüppel, Rüpel« und dann vor allem auch »Räuber«. Trotzdem wird der Ter2 K. Naït-Zerrad, in: J.E. Mabe (Hrsg.), Africa-Lexikon, Stuttgart 2001, 78f., s.v. »Berber«; H. Bußmann, Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart ³2002, 121f. s.v. »Berberisch«. 3 M. Ghaki, Quel sens faut-il donner aux termes libyen, libyphénicien, numide et libyque, in: Turât 1, 1983, 76–82. 4 G. LEVI DELLA VIDA, Sulle iscrizioni »latino-libiche« della Tripolitania, in: Oriens Antiquus 2, 1963, 65–94; M. Sznycer, Les inscriptions dites »latino-libyques«, in: Comptes rendus du groupe linguistique d’études chamito-sémitiques 10, 1963–1966, 97–104. 5 H. Stumme, Handbuch des Schilḥischen von Tazerwalt, Leipzig 1899, 3f.
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minus allgemein von europäischen Forschern gebraucht. Viele heute gebräuchliche Stammes- und Sprachnamen sind Fremdbezeichnungen, vor allem Rifisch (von lat. ripa »Ufer«), Qabylisch (von arab. qabīl(a) »Stamm«) oder Tuareg (der Plural tawārig zur arabischen Nisba targī zum einheimischen Toponym Targa6). Die Eigenbezeichnung der Tuareg lautet hingegen Imuš/haγ bzw. Imaz/žiγen, was soviel wie »die Freien« bedeutet.7 Derselben Wurzel liegt die Sprachbezeichnung tamašeq/tamahaq/tamaziγt zugrunde8 wie auch der antik überlieferte Stammesname gr. Μάζικες/Μάξυες bzw. lat. Mazax (pl. Masaces/Masices).9 Besonders häufig sind bei den modern gebräuchlichen Sprachbezeichnungen arabische Nisba-Ableitungen wie bei der Sprache der ›Berber‹ in der Oase Siwa, dem Sīwī oder Ġadamsī (›Ghadamsi) bzw. Nefūsī. Die Sprachbezeichnungen tamašeq/tamahaq/tamaziγt werden heute zur linguistischen Unterscheidung verwendet, da sie einen besonders prägnanten Lautwandel bereits in der Terminologie beinhalten. Der Begriff »Libyen« bzw. »Libyer« oder »libysch« stammt zwar ebenfalls aus dem Griechischen (Λίβυη/Λίβυές), geht jedoch auf eine Eigenbezeichnung zurück, die sich sogar schon in altägyptischen Quellen nachweisen lässt (hier: rbw, d.h. lbw).10 Dort ist ein spezifischer Stamm benannt, dessen Eigenbezeichnung offenbar später in seiner Bedeutung ausgeweitet wurde. Im Griechischen steht Λίβυη (bzw. Λίβυές/Λέβυές) zunächst für die Cyrenaika, dann für ganz Nordafrika westlich von Ägypten. Die Termini »Numidien« bzw. »Numider, numidisch« gehen auf das lateinische nomas, Numida zurück, was so viel wie »Nomade(n)« bedeutet und seinerseits mit griechisch νομάς zusammenhängt. 11 Da sich gegen Ende des 3. Punischen Krieges bestimmte libysche Gruppen zu politischen Gebilden entwickelten, die als »Numider« bezeichnet werden und diese eine besondere Form der 6 Die Region Targa entspricht in etwa dem heutigen Fessan (< lat. Phazania) im Südwesten Libyens, vgl. K.–G. Prasse, Manuel de grammaire touarègue (tahaggart), Kopenhagen 1969, Band 1, 10. 7 Der Plural lautet Amažeγ, Amašeγ, Amaziγ bzw. Amahaγ. Vgl. zu dieser Wurzel: S. Chaker, in: Encyclopédie Berbère 4, Aix-en-Provence 1987, 562–568, s.v. Amaziɣ »(le/un) Berbère«; K.G. Prasse, L’origine du mot Amazigh, in: Acta Orientalia 23, 1958, 197–200; T. Sarnelli, Sull’origine del nome Imazighen, in: Mémorial André Basset, Paris 1957, 131–138. 8 Eine Femininform, bei der die Femininendung -t an vorangehende Konsonanten assimiliert, wobei stimmhafte Konsonanten stimmlos werden. Keine Assimilation bei der Sprachbezeichnung tahaggart »Dialekt von Ahaggar«. 9 W. Huß, in: H. Cancik & H. Schneider, Der Neue Pauly 7, Stuttgart 1999, s.v. »Mazyes«. 10 J. Osing, in: Lexikon der Ägyptologie III, Wiesbaden 1980, 1015–1033, s.v. »Libyen, Libyer«. 11 W. Huß, in: H. Cancik & H. Schneider, Der Neue Pauly 8, Stuttgart 2000, s.v. »Numidae, Numidia«; Griechische Nomina werden gerne in ihrer Zitierform, also der Akkusativform (νομάδα) ins Lateinische entlehnt.
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Schrift entwickelten bzw. propagierten, wird die mit dieser Schrift geschriebene Sprachform heute meist als »numidisch« bezeichnet. Streng genommen ist dies nicht sehr präzise, da sich auch ›numidische‹ Sprachdenkmäler außerhalb des numidischen Einflussbereiches fanden. Im Grunde sollte man strenger von Inschriften in numidischer Schrift und libyscher Sprache sprechen. Otto Rössler, dem wir die bisher einzige umfassende Studie zur Grammatik dieser Inschriften verdanken,12 unterscheidet mehrere ›Dialekte‹ des Numidischen bzw. Altlibyschen. Das ›Ostnumidische‹ (Tunesien) nannte er nach den Μασσυλιοι/ Massyli der klassischen Quellen »Massylisch« und das ›Westnumidische‹ (WestAlgerien/Marokko) nach den Μασσαισυλιοι/Massaesyli nach demselben Muster »Massäsylisch«. Soweit die Lehrmeinung.13 Was praktisch immer vergessen wird, ist der Umstand, dass Rössler noch einen dritten Dialekt postulierte, das »Gaetulische«, benannt nach den Gaetuli der klassischen Autoren.14 Neue Textfunde scheinen nahe zu legen, dass die ›westnumidischen‹ Inschriften möglicherweise überhaupt keine Einheit bilden, sondern sprachlich verschiedene Dialekte wiedergeben.15 Von daher sollte man wohl auf keinen Fall von Westbzw. Ostnumidisch sprechen, sondern lieber von einem östlichen und einem westlichen Altlibysch bzw. besser noch von Massylisch, Massäsylisch und Gaetulisch, zumindest in linguistischem Kontext. Das Problem beim Gebrauch all dieser Termini ist der Umstand, dass wir die sprachhistorischen Zusammenhänge nicht wirklich durchdringen. Zwar ist sicher, dass die antiken Sprachformen mit den modernen sehr eng verwandt sind, jedoch müssen sie nicht notwendigerweise deren Vorläufer sein. Um diesem falschen Schluss vorzubeugen, sollte daher für die modernen Dialekte weiterhin der Ausdruck »Berbersprachen« gebraucht werden, da er etabliert ist und heutzutage kaum noch eine pejorative Nuance haben dürfte. Mit anderen Worten: Das dreiteilige Schema, das Burkard Kienast in Anlehnung an Otto Rössler vertreten hat (Alt-, Mittel- und Neulibysch), ist zwar durchaus plausibel, jedoch nur mit Mühe wirklich zu etablieren: Er impliziert in seiner zeitlichen Abfolge eine inhaltliche Dependenz der Idiome, die keinesfalls erwiesen ist. Für die Sprache der altägyptischen Nebenüberlieferung einen passenden Begriff zu finden ist ebenfalls nicht leicht, da in diesem Korpus keine interne dialektale Glie12 O. Rössler, Die Sprache Numidiens, in: O. Rössler, Gesammelte Schriften zur Semitohamitistik, herausgegeben von Thomas Schneider unter Mitarbeit von Oskar Kaelin, AOAT 287, Münster 2001, 392–418. 13 B. Kienast, Historische Semitische Sprachwissenschaft, Wiesbaden 2001, 528. 14 O. Rössler, Die Sprache Numidiens, in: O. Rössler, Gesammelte Schriften zur Semitohamitistik, herausgegeben von Thomas Schneider unter Mitarbeit von Oskar Kaelin, AOAT 287, Münster 2001, 392–418. 15 B. Kienast, Historische Semitische Sprachwissenschaft, Wiesbaden 2001, 528.
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derung erkennbar ist und folglich auch keine Zuweisung an einzelne Sprechergruppen erfolgen kann, wie beim Massylischen oder Massäsylischen. Daher sollte man hier von ›Voraltlibysch‹ sprechen. Für Kienasts ›Mittellibysch‹ wäre wohl am besten doch wieder auf die alten Begriffe ›Touareg ancien« bzw. »saharische Inschriften« zurückzukehren, wenn dies nicht die ›mittellibyschen‹ Texte außerhalb der Sahara ausgrenzen würde. An der Homogenität dieser Sprachstufe kann jedoch sowieso gezweifelt werden, besonders, was die Inschriften von den Kanarischen Inseln angeht. Auf diesen lebte vor der Ankunft der Spanier zu Beginn der Neuzeit eine ›Urbevölkerung‹, die Idiome gebrauchte, welche sehr nah mit den modernen Berbersprachen verwandt sind. Sehr wahrscheinlich besiedelten diese Kanarer bereits in vorislamischer Zeit die Inseln, denn ihre Sprache und Kultur ist nicht arabisch überformt wie in Nordafrika. Nach dem Sprachgebrauch der spanischen Quellen des 15. Jhds. werden die ›Ureinwohner‹ der Kanarischen Insel »Guanchen« genannt und ihre Sprache(n) entsprechend als Guanche bezeichnet. ›Kanarier‹ und ›Kanarisch‹ bzw. ›Altkanarisch‹ ist hier möglicherweise passender. Diese auf den Kanarischen Inseln einst gesprochenen Berbersprachen sind im 17. Jhd. ausgestorben. Auch in der Epigraphik herrscht ein terminologisches Tohuwabohu. Die Schriftdenkmäler werden nämlich nicht nur hinsichtlich der Sprache, sondern auch nach Schriftträger und nach geographischer und zeitlichen Verteilung unterschiedlich benannt. Ein besonderer Fallstrick ist der Umstand, dass »numidisch« in der älteren Forschungsliteratur lateinische Inschriften aus Numidien bezeichnet, vor allem in zahlreichen Artikeln aus den 1860er Jahren besonders in der Zeitschrift Revue Assyriologique.16 Hinzu kommt eine terminologische Verwechslung zwischen »libysch« und »punisch«: Noch in den 1960er Jahren hinein nannte man manche latino-punische Inschriften »latino-libyque«.17 Eine etwas kuriose Trennung geht auf Lionel Galand zurück: Dieser unterscheidet die Textzeugnisse hinsichtlich ihrer Schriftträger und zwar gebraucht er den Terminus »libyque« ausschließlich für Steleninschriften und »libyco-berbère« für Felsinschriften. Letztere nennt er auch »tifinagh ancien« im Unterschied zu »tifinagh ré-
16 Man konsultiere hierzu die Bibliographie von L. Bougchiche, Langues et littératures berbères des origines à nos jours. Bibliographie internationale et systématique, Paris 1997 mit den Einträgen zu Berbrugger, Rebaud, de Cherbonneau und de Flogny. 17 G. Levi Della Vida, Sulle iscrizioni »latino-libiche« della Tripolitania, in: Oriens Antiquus 2, 1963, 65–94; M. Sznycer, Les inscriptions dites »latino-libyques«, in: Comptes rendus du groupe linguistique d’études chamito-sémitiques 10, 1963–1966, 97–104. Vgl. K. Jongeling & R.M. Kerr, Late Punic epigraphy: an introduction to the study of Neo-Punic and Latino-Punic inscriptions, Tübingen 2005.
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cent«.18 Bei letzterem wäre wohl besser von »Neotifinaɣ« zu sprechen. Auf Galand geht eine weitere Konfusion zurück, da er ferner hinsichtlich der geographischen Verteilung weiter unterscheidet. So nennt er verschiedene Inschriften des westnumidischen Typs »maurisch«.19 Im Folgenden wird in sprachlichem Zusammenhang der Terminus ›Berbersprachen‹ gebraucht und in schriftgeschichtlichem ›numidische‹ bzw. ›libysch-berberische‹ Schrift und tifinaɣ. Sprachzugehörigkeit und -verbreitung. Die Berbersprachen bilden einen eigenen Zweig des Semitohamitischen. Sie waren wohl einst in ganz Nordafrika dominant und werden heute vor allem noch in Marokko und Algerien gesprochen, wo sie für 50–60% bzw. 30% der Sprecher Muttersprachen sind. Nicht zuletzt aufgrund der nomadischen Lebensweise ist das Sprachgebiet der Tuareg heute über mehrere Staaten verteilt: Niger, Mali, Algerien, Libyen, Burkina Faso und Nigeria. Zahlreiche Sprachinseln finden sich vor allem in Tunesien und Algerien, aber auch in Südmauretanien, Libyen und sogar Ägypten. Ein Vergleich der phonologischen Systeme ermöglicht die Rekonstruktion eines protoberberischen Lautinventars.20 Die Konsonantenlänge ist in allen Dialekten relevant, Vokalquantität jedoch nur im Tuareg. Die meisten heute noch erhaltenen Pharyngale und Laryngale stammen aus semitischen (v.a. arabischen) Entlehnungen. In den meisten nördlichen Dialekten besteht die Tendenz, dass sich die Verschlusslaute (b, t, d, k, g) zu Reibelauten entwickeln. Quellenlage. Die modernen Berbersprachen haben einen durch Textquellen nachgewiesenen antiken Vorläufer in den numidischen Inschriften, zumindest ist dies die Lehrmeinung der deutschsprachigen Berberologie. Die frankophone Berberologie akzeptiert die bahnbrechenden Forschungen zum Numidischen (Altlibyschen) durch den deutschen Semitisten Otto Rössler nicht, daher gilt die Verbindung Numidisch-Berberisch zu Unrecht dort noch immer als ›umstritten‹. Die numidischen Inschriften wurden in einer eigenen Schrift ab ca. 150 v. Chr. bis spätestens zur arabischen Eroberung um 670 n. Chr. in Nordafrika geschrieben. Wie bereits erwähnt werden diese numidischen Inschriften Rössler folgend in drei Gruppen geschieden: ① Massylisch bzw. Ostnumidisch (Tunesien, östliches Algerien), ② Massäsylisch bzw. Westnumidisch (westliches Algerien, Marokko) und ③ Gaetulisch (Marokko). Lange vor den ersten numidischen Schriftquellen sind berberische Namen und Wörter in altägyptischen Texten überliefert. Das gesamte Onomastikon dieser ›Libyer‹ wurde jüngst von 18 G. Champs, Écriture libyque, in: Encyclopédie Berbère 17, 1996, (2564–2573) 2565. 19 Siehe vorige Anm. 2568. 20 M. Kossmann, Essai sur la phonologie du proto-berbère, Köln 1999.
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Frédéric Collin gesammelt, aber nicht linguistisch ausgewertet.21 Als ›Mittellibysch‹ wird die Sprachstufe zwischen der Arabisierung und der europäischen Kolonisierung ab ca. 1850 bezeichnet. Sie ist bekannt durch eine große Zahl kurzer Inschriften in der gesamten Sahara. Da sie von den Tuareg gelesen werden können und als zu ihrer Kultur gehörig betrachtet werden, spricht man auch von »Touareg ancien«. Eine andere Bezeichnung operiert mit der geographischen Verortung (»inscriptions sahariens«). Nicht-antike Inschriften aus vormoderner Zeit fanden sich jedoch auch am Rande der Sahara, besonders in der Qabylei, in Marokko und auf den Kanarischen Inseln. Daneben sind berberische Wörter, Namen und sogar ganze Sätze und Texte in arabischen Quellen erhalten. Für die numidischen Inschriften existiert schon lange ein Textkorpus, in dem alle damals bekannten Inschriften versammelt sind.22 Für die ›mittellibyschen‹ Texte steht dies größtenteils noch aus, auch wenn es durchaus Bestrebungen gibt, das Korpus zu bündeln. So arbeitet Hary Stroomer schon seit Jahren an der Nebenüberlieferung des Šilḥischen im 16.–19. Jhd. und die kanarischen Inschriften wurden von Dominik Wölfel zusammengetragen.23 Als Otto Rössler seinen fundamentalen Festschrift-Beitrag Die Sprache Numidiens schrieb, in dem er erstmals eine Grammatikskizze für einen Teil der in numidischer Schrift geschriebenen Texte vorlegte, konnte er es sich 1958 leisten, fast ausschließlich das Recueil des Inscriptions Libyques von Chabot (1940/41) zu zitieren. Seine Arbeit basiert sogar – von libyschen Glossen aus ägyptischen, punischen und lateinischen Inschriften und der klassischen Literatur ergänzt – praktisch vollständig auf den in jenem Korpus überlieferten Satznamen. Heute sieht sich der Forscher wieder mit einer ähnlich verstreut und manchmal entlegen publizierten Fülle an Literatur konfrontiert, wie es vor Chabots Sammlung aller damals bekannter numidischer Inschriften der Fall war. In der Zwischenzeit ist nicht nur Galands Sammlung der numidischen Inschriften Marokkos erschienen (1966), es wurden auch Anstrengungen gemacht, die über die Sahara verstreuten Inschriften in tifinaɣ,24 sowie die libyschen Inschriften der Kanarischen Inseln zusammen zu tragen.25 Es werden immer wieder bislang der Forschung nicht bekannte Inschriften gefunden, sei es ›im Feld‹ wie im Falle der Stelen von Volubilis, oder in den De21 F. Collin, Les Libyens en Égypte. Onomastique et Histoire, Brüsse, 1996 (unpublizierte Diss.). 22 J.-B. Chabot, Recueil des inscriptions libyques, Paris 1940–41. Vgl. auch M. Milburn, Auf dem Weg zu einem Inventar libysch-berberischer Inschriften, in: Institutum Canarium Nachrichten 33–34, 1980, 43–45. 23 D.J. Wölfel, Monumenta linguae Canariae, Graz 1965. 24 L. GALAND, Répertoire des inscriptions libyco-berbères, (Seit 1988–89 in Vorbereitung) 25 D.J. WÖLFEL, Monumenta linguae canariae, Graz 1965.
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pots von Museen wie in Tanger.26 Selbst in einem solch berühmten Ort wie Thugga/Dougga lassen sich noch größere Inschriften finden. Erst in allerjüngster Zeit wurde beispielsweise dort zu dem Zwecke, einen Grabungsschnitt anzulegen, ein größerer Busch gefällt, hinter dem eine solche zu Tage kam bzw. erst sichtbar wurde.27 Verglichen mit der großen Zahl von über 1100 Inschriften des Chabot’schen Korpus ist die Anzahl der seitdem in Algerien, 28 Libyen,29 Tunesien30 und Marokko31 neu aufgezeigten Inschriften freilich nicht besonders beeindruckend.32 So behandelt Ghaki in seinem Aufsatz Nouveaux textes libyques de Tunisie (1991) lediglich sechs Stelen, Skounti et al. wissen 2003 von fünf Stelen 26 A. SKOUNTI, A. LEMJIDI & EL-MUSTAPHA NAMI, Tirra. Aux origines de l’écriture au Maroc, Publication de l’Institut Royal de la Culture Amazighe. Études et Recherches 1, Rabat 2003, 31. 27 Im November 2006 konnte ich im Zuge eines einjährigen Reisestipendiums des Deutschen Archäologischen Instituts Dougga besuchen und auch diese neugefundene Inschrift in Augenschein nehmen. Einem der Ausgräber von Dougga, mein Mitstipendiat, Reisegefährte und guter Freund Phillipp von Rummel sei u.a. für die Führung und die Mitteilung der Fundumstände sehr herzlich gedankt. Die Bearbeitung durch Rainer MariaVoigt (Berlin) befindet sich im Druck. 28 M. Bouchenaki, Récents travaux dans le domaine libyco-berbère en Algérie, in: Rivista di studi fenici 1, 1973, 217–224; J.B. Chabot, Note sur l’inscription libyque de Chenora, découverte par P. Alquier, in: Bulletin archéologique du Comité des travaux historiques et scientifiques 1941– 42, 146f.; J.B. Chabot, Notes sur des inscriptions libyques, in: Bulletin archéologique du Comité des travaux historiques et scientifiques, 1941–1942, 37–40 (Inschriften von Meskiana und Ain– Mlila); L. Galand, Fouilles de Mopth, in: Bulletin archéologique du Comité des travaux historiques et scientifiques 1946–1949 [1953], 655–558 (Inschr. in Mons gefunden); F. Reyniers, Stèle libyque inédite à Taddis, in: Recueil des notices et mémoires de la Société archéologue, in: Historique de Constantine 78, 1953, 201–207; M. Euzennat, Inscriptions nouvelles de Tigzirt, in: Libyca 3, 1955, 299–306; J. Lassus, L’archéologie algérienne en 1959, in: Libyca 8, 1960, 57; R. Mason, Nouvelle inscription libyque à Quinza, in: Bulletin de la société de géologie et d’archéologie d’Oran 1967, 20; J.-C. Musso & R. Poyto, Nouvelles stèles libyques de Grande-Kabylie, in: Libyca 19, 1970, 241–250; R. Poyto & A. Announe, Inscription libyque, in: Libyca 21, 1973, 235 (Inschriften aus Aguemoun Izem und Ait Bouadda); S. Chaker, Une inscription libyque du Musée des antiquités d’Alger, in: Libyca 25, 1977, 193–202; E. Fentress, A. Ait Kaci, N. Bounssair, Prospection dans le Belezma: rapport préliminaire, in: Actes du Colloque internationale sur l’histoire de Sétif, Algier 1993, 107–127 (unpublizierte Inschrift im östlichen Duktus aus Zama/Diana). 29 J.-M. Reynolds, O. Brogan & D. Smith, Inscriptions in the Libyan alphabet from Ghirza in Tripolitania, in: Antiquity 32, 1958, 112–115; A. Di Vita, Archaeological News (Tripolitania), in: Libya Antiqua 1, 1964, 133–142 (erwähnt 3 Inschriften) 30 J.-B. Chabot, Inscription libyque 1124, in: Bulletin archéologique du Comité des travaux historiques et scientifiques 1941–1942, 268–269. (Inschrift aus der Umgebung von Zarouidi); J.–B. Chabot, Note sur la seconde inscription libyque découverte depuis l’achèvement du RIL, in: Bulletin archéologique du Comité des travaux historiques et scientifiques 1943–1945, 452–453 (Henchir Hughrisi), publiziert von G. Charles–Picard, Inscriptions de la région de Sers, in: Bulletin archéologique du Comité des travaux historiques et scientifiques 1943–1945, 426–427; F.
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und drei Stelenfragmenten zu berichten, die seit dem Erscheinen von Galands Korpus bekannt geworden sind. Andererseits hat es aber auch einzelne bemerkenswerte Funde gegeben, wie etwa die 1969 von Almargro publizierte Inschrift von Khor Kilobersa (südlich von ed-Derr in Nubien), die aufgrund ihres nubischen Fundortes für weitere Spekulationen über Verbindungen zwischen der numidischen Schrift und Schriften des mittleren Niltals Anlass gegeben hat.33 In dieselbe Richtung weisen die ersten Funde libysch-berberischer Inschriften aus der Umgebung der Oase Selima nordwestlich von Dongola auf dem Darb el-Arbaʿin.34 Exakt vom entgegengesetzten Rand der »Berberie«, nämlich in der Region Mauretanien, gab Gaudio Nachricht von drei Inschriften, was
Reyniers, Note sur deux inscriptions libyques découvertes en 1947 dans la région de Maktar en Tunisie, in: Bulletin archéologique du Comité des travaux historiques et scientifiques 1946–1949, 489–493; L. Galand, Libyque et berbère, in: Annuaire de l’École pratique des hautes études, 4e Section, Sciences philologiques et historiques 1971–1972 [1973], 167–180, 1972–1973 [1974] 161– 170 und 1987, 26; M. Ghaki, RIL 72B: une nouvelle inscription à Borj Hellal, in: Africa 9, 1985, 7–11; M. Ghaki, Une nouvelle inscription libyque à Sicca Veneria (Le Kef): libyque »oriental« et libyque »occidental«, in: Revue des études phéniciennes, puniques et des antiquités libyques 2, 1986, 315–320; M. Ghaki, Nouveaux textes libyques de Tunisie, in: Revue des études phéniciennes, puniques et des antiquités libyques 6, 1991, 87–94 (6 Stelen). 31 A. Gaudio, Notes sur le Sahara espagnol, in: Journal des africanistes 12, 1952, 17–25 (3 Inschriften aus der Region Mauretanien); A. Jodin, Une nouvelle stèle libyque à Volubilis, in: Bulletin d’archéologie marocaine 7, 1967, 603–606; L. Galand & M. Sznycer, Une nouvelle inscription punico-libyque de Lixus, in: Semitica 20, 1970, 5–16, vgl. auch L. Galand, Une nouvelle inscription punico-libyque de Lixus, in: Bulletin archéologique du Comité des travaux historiques et scientifiques 6, 1970 [1971], 186–187; A. Skounti, A. Lemjidi & El-Mustapha Nami, Tirra. Aux origines de l’écriture au Maroc, Publication de l’Institut Royal de la Culture Amazighe. Études et Recherches 1, Rabat 2003 (seit 1966 seien nur 5 Inschriften und 3 Inschriftenfragmente gefunden worden); R. Bouzidi, Recherches archéologiques sur le quartier du Tumulus (Volubilis), Diss. Rabat 2002. 32 Generell zum Fortschritt der Forschung seit Erscheinen der Inschriftensammlungen: M. Bouchenaki, Récents travaux dans le domaine libyco-berbère en Algérie, in: Rivista di studi fenici 1, 1973, 217–224; L. Galand, État de la recherche sur les inscriptions libyco-berbères, in: Actes de l’Assemblée annuelle de l’Association des Amis de l’art rupestre saharien, Grenoble 1994, 13–14; M. Ghaki, Nouveaux textes libyques de Tunisie, in: Revue des études phéniciennes, puniques et des antiquités libyques 6, 1991, 87–94 (6 Stelen); A. Skounti, A. Lemjidi & El-Mustapha Nami, Tirra. Aux origines de l’écriture au Maroc, Publication de l’Institut Royal de la Culture Amazighe. Études et Recherches 1, Rabat 2003, 31 (Überblick über den Stand der Forschung in Marokko). 33 M. Almagro, Inscripcion Libica hallada en Khor Kilobersa (Nubia Egipcia), in: Trabajos de Prehistoria 26, 1969, 367–371.(südlich von ed-Derr!) 34 W. Pichler & G. Negro, The Libyco-Berber Inscriptions in the Selima Oasis, in: Sahara 16, 2005, 173–178.
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ebenfalls bemerkenswert erscheinen muss.35 Bislang galt die Faustregel, dass der Bereich der libysch-berberischen Inschriften im Osten nicht über die moderne Grenze zwischen Libyen und Ägypten hinausging. Weitere Funde wie in der Oase Bahariya36 oder in Giza37 dürften dem widersprechen. Es kann also durchaus sein, dass in Zukunft auch in Tibesti oder Ennedi Inschriften gefunden werden. In seinem Forschungsabriss Libyen von der Cyrenaica bis zur Mauretania Tingitana bemerkte Rössler 1980:38 »Die Sahara ist übrigens voll von Inschriften in Tuareg-Schrift, ältere und jüngere, die nur sehr grob datierbar sind. Ein Corpus der Sahara-Inschriften ist ein ganz großes Desideratum der Wissenschaft; seine Erfüllung liegt noch in weiter Ferne.« Ein Desiderat ist es geblieben, wenn dessen Erfüllung auch aus der weiten Ferne etwas näher gerückt ist. So existieren immerhin in der Zwischenzeit mehrere Publikationsorgane39, die sich thematisch ausschließlich diesem ansonsten eher vernachlässigten Forschungszweig widmen und die Ergebnisse bündeln. Hintergrund ist in allen Fällen ein Langzeitprojekt.40 Die libysch-berberischen Inschriften können bis heute – mit Ausnahme der Bilinguen – zum allergrößten Teil nicht gelesen werden. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen dürften viele Kopien nicht exakt sein. Zum zweiten ist das Korpus der saharischen Inschriften bis heute ein Desiderat geblieben, d.h. die Vergleichsbasis zum numidischen und kanarischen Korpus fehlt. Zum dritten sind die Lautwerte vieler Schriftdialekte noch nicht etabliert, was u.a. darauf zurückzuführen ist, dass die Berbersprachen in den letzten 2000 Jahren zahlreiche Lautwandel durchgemacht haben. Weitere Gründe liegen im Korpus bzw. der Schrift selbst begründet; so ist die fast beliebige Schriftrichtung nicht gerade hilfreich, ebenso wenig die zahlreichen Buchstabenvarianten. Ein Haupthinder35 A. Gaudio, Notes sur le Sahara espagnol, in: Journal des africanistes 12, 1952, 17–25 (drei Inschriften in Mauretanien). 36 A. Lemaire & G. Negro, Inscription araméenne dans l’abri du Wadi Sura et nord-arabique à l’oasis de Bahariyeh (Égypte), in: Sahara 12, 2000, 170–174. 37 G. Negro, Some »Cabalistic« inscriptions around the Great Pyramid’s original entrance. Dating the most ancient Libyco-Berber inscriptions, in: Sahara 13, 2001–2002, 148–165. 38 O. Rössler, Gesammelte Schriften zur Semitohamitistik, herausgegeben von T. Schneider unter Mitarbeit von O. Kaelin, Alter Orient und Altes Testament 287, Münster 2001, 677 (S. 277 in der Originalpublikation). 39 Épigraphie libyco-berbère, la lettre du Répertoire des inscriptions libyco-berbères, herausgegeben an der École pratique des hauts études, Paris seit 1995; Almogaren, herausgegeben in Hallein (Österreich), Institutum Canarium; Institutum Canarium Nachrichten, herausgegeben in Hallein (Österreich), Institutum Canarium; Sahara Studien, herausgegeben in Hallein (Österreich), Institutum Canarium 40 L. Galand, Répertoire des inscriptions libyco-berbères, (Seit 1988–89 in Vorbereitung); D.J. Wölfel, Monumenta linguae Canariae, Graz 1965.
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nis ist jedoch der schlichte Umstand, dass der größte Teil der Inschriften stereotyp und extrem kurz ist. Sprachgliederung.41 Die folgende Übersicht bietet lediglich einen Anhaltspunkt zur Systematik und sagt wenig aus über die Beziehungen zwischen den einzelnen Sprachen, weder in chronologischer noch in geographischer Hinsicht. Dies gilt sogar für die modernen Berbersprachen, über deren exakte interne Dialektgliederung immer noch kein vollständiger Konsens herrscht.42 Voraltlibysch oder Proto-Numidisch •
Lehnwörter und v.a. Personennamen in altägyptischen Texten
Altlibysch (Numidisch): ab ca. 150 v. Chr. bis spätestens zur arabischen Eroberung (um 670 n. Chr.) •
Massylisch: Ostnumidisch (Tunesien, östliches Algerien)
•
Massäsylisch: Westnumidisch (westliches Algerien, Marokko)
•
Gaetulisch (kleine Gruppe in Marokko)
Mittellibysch (Arabisierung – europäische Kolonialisierung ab ca. 1850): •
»Touareg ancien«, »inscriptions sahariens«
•
ältere Inschriften außerhalb der Sahara (Qabylei, Marokko, Kanarische Inseln)
•
Glossen und Namen etc. in arabischen Quellen
•
Altkanarische Inschriften (s.u. Guanche; Kanarische Inseln)
Neulibysch oder Berbersprachen •
West-Berberisch (Zenaga): Mauretanische Atlantikküste
•
Nord- Berberisch (Šilḥisch – Rifisch – Qabylisch): Atlas & Atlantikküste Marokkos – Rif-Gebirge Qabylei bis Tunesien
•
Ost-Berberisch (Oasendialekte, Siwi)
•
Süd-Berberisch (Tuareg): Zentralsahara (Algerien – Niger)
•
Guanche (Kanarische Inseln)
Die voraltlibysche Nebenüberlieferung. Das Nildelta war möglicherweise noch im Alten Reich berberisch dominiert und das Gebiet westlich des Nils von jeher von
41 B. Kienast, Historische Semitische Sprachwissenschaft, Wiesbaden 2001, Teil B. Libysch; M. Kossmann, Essai sur la phonologie du proto-berbère, Köln 1999. 42 A. Aikhenvald, A structural and typological classification of berber languages, Progressive Tradition in African and Oriental Studies, Berlin 1988; M. Ameur, A propos de la classification des dialectes berbères, Etudes et Documents Berbères, 7, Paris 1990; K. Cadi, Vers une dialectologie comparée du Maghreb: le statut épistémique de la langue tamazight, in: Tafsut 1, 1983, 51–56; A. Willms, Die dialektale Differenzierung des Berberischen, Berlin 1980.
42 | Die Schriftsprachen Nordostafrikas
Libyern/Berbern besiedelt, und zwar wahrscheinlich bis weit nach Süden. Da verwundert es nicht, wenn libysch-berberische Sprachreste in altägyptischen Quellen erscheinen. Den größten Anteil daran haben Personennamen. Der Name des berberischen Gottes Ꜣš ist bereits unter Pharao Peribsen bezeugt, also in frühdynastischer Zeit. Auf einem Relief aus der Zeit des Sahure im Alten Reich wird er ausdrücklich als nb čḥnw »Herr Libyens« bezeichnet. 43 Ꜣš kann sprachlich und inhaltlich mit dem berberischen Gott Yūš geglichen werden. Yūš war vor der Islamisierung Nordafrikas nicht nur der Name eines bestimmten Gottes, sondern auch allgemein das berberische Wort für »Gott«. In diesem Sinne wurde er beispielsweise vom westmarokkanischen Stammesbund der Berġawāta im 8.–9. Jh. in Abgrenzung zum Arabischen sogar im islamischen Gebetsruf gebraucht. Bei den Ġardāya hat sich ein alter Regenzauber erhalten, in welchem der alte Himmelsgott mit den Worten uš-aneɣ-d, ay-Yūš, aman n-azer! »Gib uns, oh Yūš, Regenwasser«44 angerufen wurde. Die Bedeutung von Yūš ist nicht ganz sicher – wahrscheinlich bedeutet es wörtlich »er gab«.45 Ebenfalls aus der Zeit des Sahure stammen Reliefs, die eine ›libysche Familie‹ darstellen, genauer gesagt einen besiegten Libyerfürsten mit seiner Frau und seinem Sohn.46 Nun sind wir in der glücklichen Lage, dass wir den Namen des Sohnes berberisch interpretieren können: w-ś-Ꜣ wird ohne Zweifel als ältester Sohn bezeichnet, er heißt »der Älteste« (√wsr) und damit fast gleich wie Jahrhunderte später die Libyerpharaonen mit Namen Osorkon (wsr-kn »euer Ältester«). Die Nennung berberischer Namen und Wörter nimmt in der sog. ›Libyerzeit‹ stark zu, da Angehörige von Berberstämmen die Macht in Ägypten übernommen hatten. Dieses ägyptisch geschriebene berberische Onomastikon zwischen dem 15. Jhd. v. und dem 2. Jhd. n. Chr. hat Frédéric Collin zusammengestellt – es handelt sich um immerhin etwa 80 Namen.47 Collin hat zwar verschiedene Elemente isoliert, jedoch auf Gleichungen mit berberischen Morphemen völlig verzichtet, obwohl sie auf der Hand liegen. Sie gehören fünf Kategorien an:
43 C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen I, OLA 110, Leuven 2002, 81. 44 W. Vycichl, Iusch, der berberische Himmelsgott, in: Orientalistische Literaturzeitung 42, 1939, Sp. 722–24. 45 So G. Camps & S. Chaker, in: Encyclopédie Berbère 3, Aix-en-Provence 1986, 431f., s.v. ›Akuš‹ gegen Vycichl (s. vorige Anm.). 46 D. Stockfisch, Bemerkungen zur sog. »libyschen« Familie, in: M. Schade-Busch (Hrsg.), Wege öffnen, FS Gundlach, Ägypten und Altes Testament 35, Wiesbaden 1996, 315–325. 47 F. Collin, Les Libyens en Égypte. Onomastique et Histoire, Diss. Brüssel 2003 (unpubliziert).
In der Mittelmeerwelt | 43
y- 3. masc. sg.; t- 2. masc. sg. bzw. 3. fem. sg. -n 3. com. pl., -n- 2. com. pl. Objektspronomina -s/-t sg. bzw. -sn/-tn pl. Possessivsuffixe -s/-sn sg./pl Statusmarkierungen -t fem. sg. st. indet. t-...-t fem. sg. st. det. t-...-tn fem. sg. st. demonstr. -n entweder sg. masc. st. demonstr. oder pl. masc. st. det. Nominalisierung bzw. Partizipien auf mKonjugationsaffixe
Das Material vor der ›Libyerzeit‹ (Mittleres Reich bis ›2. Zwischenzeit‹) wurde von Thomas Schneider zusammengestellt.48 Dort finden sich dann auch zahlreiche berberische Gleichungen (Seitenzahlen in Klammern): Ꜣn */ʾ-r/l-n/ wnrn */ʾaul-n/ bn bnn bnr ḳḳ wntt ꜤyꜢ/ꜤyꜢ hund bkꜢ mśḳṭnw rwnr kꜢfn ktfn mśrḳs
*/yerna/ (√rnu) »er hat gesiegt« (53f.) awelan, ewîlen »Sommer« (124) ibenni »Korn« (127) abennen »Verlust« (127) √bnd/bl (52–56) iggig, aggag »Donner« (26) √wn »gesättigt, reich versorgt sein« (136) aydi, idi »Hund«: tawareg idi/idyi-illa »der Hund ist es« (138) abekrûru »nom d’un passereau gris, à huppe« (146) emeseɣɣed »homme obéisant«, ms-gd-n »Der Herr ist mit uns« (147) √dwl »wachsen«, adawâl »jeune bouc« (151) √klf »zufrieden sein, sich freuen« (167f.) √ktft »rester en traînard en arrière« (171) *mas-digg⸗as »Der Herr ist mit ihm« (lat.: Mastigas) (175)
Die bekanntesten libyschen Sprachreste aus dem pharaonischen Ägypten sind jedoch die berberischen Hundenamen auf der Hundestele des Antef.49 Die vier Namen werden ägyptisch erklärt und können mit heutigem Sprachmaterial ge48 Th. Schneider, Ausländer in Ägypten während des Mittleren Reiches und der Hyksoszeit, Ägypten und Altes Testament 42.2, Wiesbaden 2003.
44 | Die Schriftsprachen Nordostafrikas
glichen werden: ① t-ḳ-rw wird übersetzt mit wḥꜢ.t »Kessel (das heißt) schnaufender Bauch« → tawarig taɣidda, pl. tiɣiddaouîn, »Bassin oder Fels mit Wasserlauf« d.h. *taɣ/qiddaw (pl.); ② p-h-t-s wird glossiert durch km.w »Schwarzer« → tawarig téfetest »dunkler, rotbrauner Ocker« (*pts [> tawareg fts] »rotbraun sein«); ③ bḥ-k-Ꜣ- steht für r č̣ ṭ mꜢ-ḥč̣ »das heisst: ›Gazelle‹« → tawarig kukuri »Gazelle« (/khukri/ oder /aukri/)(erster Konsonant unklar: ev. *bu-ḥurki /bu-khukri/; »der von der Gazelle« = »der Gazellengleiche«?; ④ Ꜣb-Ꜣ-ḳ-r entspricht tawarig abaykor und ist ein Partizip (Bildungselemente i-....-n) zur Wurzel blgd. Mit der Negation bedeutet er war/ur-abalgad »Keiner-mit-Ohr-nach-hinten«, was die Darstellung des Hundes bestätigt, der als einziger kein hoch abstehendes Ohr hat. Auch im Koptischen sind zahlreiche berberische Lehnwörter festzustellen.50 Die prominentesten Beispiele wären: mr.t/ⲙⲟⲣⲧ– ta-mart »Bart« ms – a-mas »Herr« ꜤmꜢnï – a-ma-n »Wasser« bn(.t)/ ⲃⲛⲛⲏ – a-ḇéna »Dattel« šn-bn(.t)/ϣⲛⲃⲛⲛⲏ – a-san/a-zḇan «Dattelpalme« ⲥϭⲏⲣ – zger »überqueren«. Lexikon moderner Berbersprachen. Der lexikalisch an besten bezeugte Zweig des Berberischen ist die Sprache der Tuareg. Hier sind verschiedene Dialekte gut erfasst, v.a. das Ahaggar 51 (algerische Sahara). Die beste Übersicht über das gesamte berberische Lexikon gibt Maarten Kossmann in seinem Buch »Essai sur 49 Th. Schneider, Die Hundenamen der Stele Antefs II. Eine neue Deutung, in: R. Rollinger & B. Truschnegg (Hrsg.), Altertum und Mittelmeerraum. Die antike Welt diesseits und jenseits der Levante, Fs Peter Haider, Stuttgart 2006, 527–536. 50 F. Breyer, Ägyptisch-berberischer Sprachkontakt und -vergleich (Ms.); G. Möller, Aegyptisch-libysches, in: Orientalistische Literaturzeitung 24, 1921, Sp. 193–197; J. Yoyotte, Anthroponymes d’origine libyenne dans les documents égyptiens, in: Comptes rendus du groupe linguistique d’études chamito-sémitiques 8, 1957–59, 22–24; O. Masson, Libyca, in: Semitica 25, 1975, 75–85; F. Collin, Le ›vieux libyque‹ dans les sources égyptiennes (du Nouvel Empire à l’époche romaine) et l’histoire des peuples libycophones dans le nord de l’Afrique, in: Bulletin Archéologique du Comité des Travaux Historiques et Scientifiques – Afrique du Nord N.S. 25, 1996– 98, 13–18. 51 Ch. de Foucault, Dictionnaire touareg-francais (dialecte d’Ahaggar), Paris 1951; K.-G. Prasse, Notes sur la langue touarège (d’un séjour à Tamanrasset), in: Acta Orientalia 25, 1960, 43–111; K.-G. Prasse, Du nouveau sur la vocalisatioon de la Tahaggart, in: J. Drouin & A. Roth (Hrsg.), A la croisée des études libyco-berbères (Fs Paulette Galand-Pernet & L. Galand), Paris 1993, 269–85.
In der Mittelmeerwelt | 45
la phonologie du proto-berbère« (Köln 1999). Dort findet sich nicht nur die gesamte Literatur zu den einzelnen Dialekten, diese ist außerdem ausführlich kommentiert und das Material hinsichtlich seiner Brauchbarkeit und Genauigkeit bewertet. Kamal Naït-Zerrad hat die ersten Bände seines gesamtberberischen Wurzelwörterbuches bereits publiziert, d.h. auch über dieses Werk ist die Literatur greifbar.52 Ein weiteres Hilfsmittel ist die Bibliographie von Lamara Bougchiche.53 Die tifinaɣ-Schrift (Taf. 1–3).54 Die numidischen Inschriften sind in einer Schrift verfasst, welche der noch heute von den Tuareg gebrauchten tifinaɣ-Schrift verwandt ist. Ein zentrales Problem der Berberologie bei der Erforschung der Schriftzeugnisse in tifinaɣ ist die große Diversität der Alphabete, d.h. die regional sehr starke Aufplitterung der Zeichensysteme und – fast noch gravierender – die teils an Beliebigkeit grenzende Verwendung von Zeichenvarianten. All dies hat bisher verhindert, dass die große Menge an tifinaɣ-Felsinschriften in der Sahara zusammenhängend bearbeitet wurde. Selbst die Divergenzen zwischen dem tifinaɣ der Tuareg und der numidischen Schrift sind bislang nicht restlos geklärt. Die Herkunft des Begriffs tifinaɣ »Schriftzeichen« ist unklar. Manche leiten ihn aus griechisch πίναξ »Schrifttafel« ab, 55 andere von griechisch-lateinisch φοινικος bzw. poenicus/punicus »phönizisch/punisch« (punica littera »punische Buchstaben«).56
52 K. Naït-Zerrad, Dictionnaire des racines berbères (formes attestées), Paris & Louvain 1998ff. 53 L. Bougchiche, Langues et littératures berbères des origines à nos jours. Bibliographie internationale et systématique, Paris 1997. 54 H. Claudot-Hawad, in: Encyclopédie Berbère 17, Aix-en-Provence 1996, 2573–2580, s.v. Écriture tifinagh; G. Camps, in: Encyclopédie Berbère 17, Aix-en-Provence 1996, 2564–2573, s.v. Écriture libyque; K.-G. Prasse, Manuel de grammaire touarège I, Kopenhagen 1972, Kapitel 2. 55 O. Rössler, Die Numider. Herkunft, Schrift, Sprache, in: O. Rössler, Gesammelte Schriften zur Semitohamitistik, herausgegeben von Thomas Schneider unter Mitarbeit von Oskar Kaelin, AOAT 287, Münster 2001, (651–659) 655. 56 W. Vycichl, Berberstudien & A Sketch of Siwi Berber (Egypt), Berber Studies 10, Köln 2005, 14–16.
46 | Die Schriftsprachen Nordostafrikas
Schriftprinzipien.57 Die Schrift ist ausgesprochen symmetrisch gestaltet, fast die Hälfte der Zeichen ist sogar doppelt symmetrisch.58 Das tifinaɣ ist – wie fast alle semitischen Schriften – grundsätzlich eine Konsonantenschrift. Die große Besonderheit dieser Schrift besteht darin, dass ein Konsonantenzeichen den vorangehenden Vokal in sich trägt (vK) und nicht – wie bei den anderen semitischen Konsonantenschriften – der Vokal als dem Konsonanten folgend (Kv) zu denken ist. Beispielsweise wird in den numidischen Inschriften die Filiation durch aw- »Sohn« einfach W geschrieben. Noch heute nennen die Tuareg ein bZeichen »eB« oder ein t-Zeichen »eT« usw., während Araber »Bâ« bzw. »Tâ« oder Europäer »Be« bzw. »Te« sagen würden. Mit anderen Worten: Während für die Sprecher semitischer Sprachen die Buchstaben ›Silbenöffner‹ sind, betrachten die Berber sie als ›Silbenschließer‹. Dies zeugt von einer grundlegend anderen Auffassung der Schriftzeichen, die Auswirkungen auf das gesamte Schriftsystem hat. Während nämlich im Orient ein Schriftzeichen für den Anlaut, also den vokalischen Stimmansatz entwickelt wurde (›Aleph‹), benötigt das Berberische ein eigenes Zeichen für den vokalischen Auslaut – anlautende Vokale werden ignoriert. Eine weitere Besonderheit im (modernen) Schriftsystem ist die explizite Darstellung eines fehlenden Vokals. Dies geschieht durch die Setzung einer Ligatur, die nur erfolgen kann, wenn zwei Konsonanten ohne Vokalfuge direkt aneinander stoßen (Taf. 3).59 Da im Berberischen nur Konsonantencluster von maximal zwei Konsonanten vorkommen, können auch nur maximal zwei Zeichen ligiert werden. Unligierte Konsonantenzeichen 〈KK〉 stehen also für / vKvK/, ligierte für /vKK/ – selbstverständlich ohne dass die Vokale ausgedrückt würden. Ein Konsonantenzeichen im Anlaut kann sowohl für /vK/, als auch für /K/ ohne Vokal stehen. Die Ligierung ist offenbar eine spätere Entwicklung des Schriftsystems, denn sie ist in den numidischen Inschriften nicht zu beob57 P. Galand-Pernet, La lettre dans la thématique de quelques poèmes berbères, in: Almogaren 23, 1992 [1993], 127–137; M. Aghali-Zakara, Les lettres et les chiffres: écrire en berbère, in: A la croisée des études libyco-berbères, mélanges L. et P. Galand, Paris 1993, 141–157; M. Aghali-Zakara & J. Drouin, Tifinagh Forschungen, Sahara Studien, Hallein 1988, 81–112; V. Brugnatelli, Tifinaɣ e alfabeto etrusco-venetico: a proposito dell aconcezione alfabetica della scrittura, in: Circolazioni culturali nel Mediterraneo antico. Atti della sesta giornata camito-semitica e indoeuropea, Sassari, 21–27 aprile 1991, Cagliari 1994, 47–53; K.-G. Prasse, Les principaux problèmes de l’orthographie touarègue, in: Etudes et documents berbères 3, 1987, 60–66. 58 W. Pichler, Essai systématique de l’écriture libyco-berbère, in: Comptes rendus du groupe linguistique d’études chamito-sémitiques 33, 2000, 131–139. Ein Grund für diese starke Schematisierung dürfte in dem Umstand liegen, dass die Schrift meist nicht gemalt, sondern in Fels oder Metall geritzt wird. Dabei wird zunächst die Kontur der Zeichen mit Punkten eingemeißelt und diese dann in einem zweiten Schritt durch Striche verbunden, vgl. K.-G. Prasse, Manuel de grammaire touarège I, Kopenhagen 1972, 147. 59 Vergleichbares gibt es bei indischen Schriften.
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achten – damit ist im Grunde eine Art rudimentäres Datierungskriterium gegeben.60 Eine Gemeinsamkeit zwischen dem numidischen Schriftsystem und dem des tifinaɣ ist jedoch das bereits erwähnte eigene Zeichen zur Markierung des vokalischen Auslauts – fehlt dieses, endet das Wort auf einen Konsonanten. Das entsprechende Zeichen wird bei numidischen Inschriften (etwas missverständlich) transkribiert wie das semitische Aleph (ʾ). Das Zeichen wird in den heutigen Berbersprachen teɣerit (pl. tiɣärâtîn) genannt.61 In einigen Tuareg-Dialekten dient dieses Zeichen lediglich zur Darstellung eines wortfinalen /-a/ (/-i/ und /u/ werden durch die Gleitlaute 〈y〉 und 〈w〉 ausgedrückt). Die Sprecher anderer Dialekte schreiben mit dem teɣerit-Zeichen alle auslautenden Vokale. Doppelkonsonanz wird in der libysch-berberischen Schrift nicht explizit markiert – stehen zwei gleichartige unligierte Konsonanten hintereinander, sind sie immer durch einen Vokal getrennt. Grundsätzlich wird in scriptio continua geschrieben, auch wenn es ein Trennzeichen gibt. Buchstabenfolge und -namen. Im berberischen Sprachraum gibt es keine festgelegte Reihenfolge für die Buchstaben der Schrift. Dies ist ebenfalls ein Hinweis darauf, dass die Schrift nicht von einer anderen semitischen Schrift wie der phönizischen oder der altsüd-/nordarabischen abgeleitet wurde. Verbreitet sind jedochmnemotechnische Formeln, voces memoralis. Sie dienen dazu, sich die Buchstaben einzuprägen, und bilden oft ganze Merksätze.62 Charles de Foucauld hat einen solchen Merksatz der modernen Tuareg überliefert: 63 awa nak faḍimata ult-uɣenis, aɣebbir-ennit ur-iteweḍis, taggalt-ennit maraw iyesan edseḍis »c’est moi, Faḍimata, fille d’Oughenis: sa hanche ne se touche pas, sa dot est de seize chevaux«. Buchstabennamen wie im Semitischen gibt es nicht, lediglich Buchstabiersilben. Diese beginnen – wie bereits ausgeführt – mit einem Vokal (»ab«, »ad« etc.). Sie unterscheiden sich von Dialekt zu Dialekt. 64 Dabei kommen Formen mit Gleitlaut am Anfang vor (»yab«, »yad« etc.), aber auch solche mit einem zusätzlichen Vokal nach dem Konsonanten (»abba«, »adda« etc.). Der Vokal ist zumeist /a/, seltener /e/, er kann sogar wechseln (»abbe«, »adde« etc.). Besonders spannend ist die Tatsache, dass die Buchstabiersilben auch für die Ligaturen gelten, z.B. »yant« für die Ligatur 〈n+t〉. 60 Die Ligaturen für finales t (v.a. des Femininums) finden sich jedoch bereits in den saharischen und numidischen Inschriften. Dieses Element des Schriftsystems ist also ebenfalls bereits in der Antike angelegt. 61 K.-G. Prasse, Manuel de grammaire touarège I, Kopenhagen 1972, 149. 62 Man vergleiche die Merksätze zum Memorieren der Tonarten »Geh Du Alter Esel« etc. 63 Ohne weitere Angaben zitiert bei K.-G. Prasse, Manuel de grammaire touarège I, Kopenhagen 1972. 151. 64 K.-G. Prasse, Manuel de grammaire touarège I, Kopenhagen 1972. 151.
48 | Die Schriftsprachen Nordostafrikas
Numidische Schriftdialekte. Die numidischen Inschriften lassen sich in mehrere Gruppen gliedern (Taf. 1). Chabot hatte in seinem RIL das Material in 22 Regionen gegliedert. Der Großteil dieser Inschriften ist massylisch, die Inschriften der Regionen 13 und 18–22 weichen davon ab und sind großteils massäsylisch, einige gätulisch.65 Lionel Galand hat alle bis dato bekannten Inschriften Marokkos gesammelt.66 Hier sind ebenfalls zwei Typen zu unterscheiden.67 Die einen im Norden (Rif-Gebirge) entsprechen den massäsylischen Westalgeriens (Nr. 1–8; 15), die anderen im Süden (südlich des römischen Limes) sind gätulisch (Nr. 12– 14; 16–26) und bestehen aus Epitaphen der Formel n X bn Y. Vor allem von der frankophonen Berberologie werden Rösslers Arbeiten (praktisch immer ohne jegliche Begründung) abgelehnt – so auch die Einteilung in massylisch, massäsylisch und gätulisch. Lionel Galand geht sogar so weit, zu behaupten, es gebe nicht »die eine« libysch-berberische Schrift, sondern lediglich Schriften von libyisch-berberischem Typ.68 Dass die numidischen, kanarischen und saharischen Inschriften zur selben Schrift gehören, ist jedoch eindeutig: Immerhin haben sechs Zeichen über 2000 Jahre hinweg ihre Form und ihre Lautwerte unverändert erhalten (m,n, r, l, t und y). Dass der allergrößte Teil der Inschriften immer noch nicht gelesen werden kann, ist sehr erstaunlich angesichts der Tatsache, dass die Überlieferung nie abbrach und die Zeichen großteils fast identisch sind. Schriftareal. Die meisten numidischen Inschriften, und zudem die bedeutendsten, stammen aus dem Kernland des numidischen Reiches, das sich unter Massinissa etablierte, d.h. aus dem heutigen Tunesien. Da nur sie entsprechend oft mit einer punischen oder lateinischen Version versehen sind, können diese Inschriften überhaupt gelesen werden. Das Schriftareal erstreckte sich über den ganzen späteren Maghreb, also bis nach Marokko.
65 O. Rössler, Libyen von der Cyrenaica bis zur Mauretania Tingitana, in: O. Rössler, Gesammelte Schriften zur Semitohamitistik, herausgegeben von Thomas Schneider unter Mitarbeit von Oskar Kaelin, AOAT 287, Münster 2001, (667–684) 678. 66 L. Galand, Inscriptions Libyques. Inscriptions Antiques du Maroc, Paris 1966. 67 O. Rössler, Libyen von der Cyrenaica bis zur Mauretania Tingitana, in: O. Rössler, Gesammelte Schriften zur Semitohamitistik, herausgegeben von Thomas Schneider unter Mitarbeit von Oskar Kaelin, AOAT 287, Münster 2001, (667–684) 683f., Anm. 22. Vgl. auch die Karte bei O. Rössler, Die Numider. Herkunft, Schrift, Sprache, in: O. Rössler, Gesammelte Schriften zur Semitohamitistik, herausgegeben von Thomas Schneider unter Mitarbeit von Oskar Kaelin, AOAT 287, Münster 2001, (651–659) 656. 68 L. Galand, Petit lexique pour l’étude des inscriptions libyco-berbères, in: Almogaren 23, 1993, 119–126.
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Transkription. Da Chabots Recueil des inscriptions libyques69 bis heute nicht ersetzt ist, sollte darauf hingewiesen werden, dass es zahlreiche Abweichungen von seinen Transkriptionszeichen gibt. Da wäre zum einen das Transkriptionszeichen 〈ʾ〉 (Rössler), welches graphisch den vokalischen Auslaut markiert und nur selten (in Nachahmung der punischen Schreibgewohnheiten) im An- oder Inlaut steht. Chabot hatte es 〈H〉 transkribiert, was im Grunde vielleicht sogar weniger missverständlich ist. Entscheidend ist, dass man es nicht etymologisch mit dem semitischen Aleph gleichsetzen darf. Die Halbvokale hatte Chabot 〈U〉 bzw. 〈I〉 transkribiert, Rössler in semitistischer Manier 〈w〉 bzw. 〈y〉. Ein besonderer Fallstrick ist Chabots Transkriptionszeichen 〈Ẓ〉, da hier der Punkt reines Diakritikum ist und nicht die aus der Semitistik gewohnte Kennzeichnung emphatischer Laute. Rössler differenziert im Gegensatz zu Chabot zwei Sibilanten (mit und ohne Gravis), schreibt 〈p〉, wo Chabot 〈F〉 transkribiert und 〈ś〉 für Chabots 〈Š〉. Die folgende Tabelle mag die wichtigsten Transkriptionen des Numidischen verdeutlichen:70 Chabot 1940f.
Rössler 1958
Rössler 1980a
Rössler 1980b
Prasse 1973
Galand 1973
Grundsprachlich
U
w
w
w
w
w
*w
I
y
y
i̯
y
y
*y
H
ʾ
ʾ
ʾ
h
h
—
P
f
p
f
f
f
*p
Z
z
z
z1
z
Ẓ
ḏ
z2
ž
z
*ḏ
Ż
ż
z3
ẓ
S
s
ś
s1
s
s
*ṯ
Š
ś
š
s2
š
š
*s
S
s̀
s
s3
s
s
*ś
Ṣ
ṣ
ṣ
ṣ
ṣ
ṣ
*ẓ
t
t
t
t
*t
(t)
(t)
ti
t
fem. -t
T T
t
ḏ
*z *ḏ̣, *ḍ
69 J.-B. Chabot, Recueil des inscriptions libyques, Paris 1940–41. 70 Die verschiedenen Transkriptionssysteme Rösslers finden sich in dem Sammelband O. Rössler, Gesammelte Schriften zur Semitohamitistik, herausgegeben von Thomas Schneider unter Mitarbeit von Oskar Kaelin, AOAT 287, Münster 2001 auf dem Seiten 395f., 654 und 681. Zu den beiden anderen Systemen vgl. J.-B. Chabot, Recueil des inscriptions libyques, Paris 1940–41, K.-G. Prasse, Manuel de grammaire touarège I, Kopenhagen 1972, 153f. und L. Galand, Die afrikanischen und kanarischen Inchriften des Libysch-Berberischen Typus. Probleme ihrer Entzifferung, in: Almogaren 4, 1973, (65–79) 76.
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Eine Besonderheit, die lange nicht erkannt wurde, ist der Gebrauch von besonderen Finalbuchstaben. Sie existieren für die Lautwerte n, t, ṭ, s2 und z1.71 Dabei werden mehrere Zeichen um 90° gedreht (n und z1) und ein Zeichen um 45° (t). Für s2 tritt eine Zeichenvariante ein und für ṭ ein ganz anderes Zeichen. Das Tückische an den Finalbuchstaben ist nun, dass n ›normalerweise‹ ein waagrechter Strich ist und z1 ein senkrechter, die Finalbuchstaben nach der Drehung jedoch vice versa. Anders formuliert: Die Finalform des z1 ist identisch mit der ›Normalform‹ des n und umgekehrt. Wenn man nun noch bedenkt, dass die Schriftrichtung praktisch beliebig ist (bustrophedon mit eingeschlossen!), dann versteht man, warum sich die Inschriften sehr oft einer Interpretation entziehen. Schriftrichtung. Das tifinaɣ ist die wohl einzige Schrift, die regulär von unten nach oben geschrieben wird. Diese ungewöhnliche Schriftrichtung kann als ursprünglich gelten und zeigt m.E. wie der Ansatz von vK-Buchstabiersilben, dass sich die libysch-berberische Schrift wohl eigenständig herausbildete. Es gibt zwar Ausnahmen von der Regel, doch sind diese auf eine Beeinflussung der dominanten Schriftkulturen zurückzuführen, zuerst der punischen, später der lateinischen. Aufgrund der Forschungsgeschichte werden die Zeichen der in waagrechten Zeilen verfassten Thugga-Inschrift (RIL 2) als Normbuchstaben betrachtet. Auf den Epitaphen, die zumeist von unten nach oben und in Kolumnen geschrieben sind, erscheinen die Zeichen im Vergleich zu dieser um 90° gedreht, oft in Verbindung mit Spiegelbildlichkeit. Es gilt freilich die Faustregel, dass der Buchstabe m immer in Schriftrichtung offen ist. Hier zeigt sich dann auch schon eine Unterscheidung innerhalb der massylischen Inschriften. Es ist nämlich zwischen Monumentalinschriften und Epitaphen zu trennen. Erstere sind definitiv stark vom punischen Vorbild beeinflusst, nicht nur hinsichtlich der zeilen- und linksläufigen Schriftrichtung, sondern auch der Graphien. Bei den Epitaphen zeigt sich jedoch die genuine numidische Schreibrichtung von unten nach oben, rechts oder links beginnend. Nur ausnahmsweise werden sie in rechtsläufigen Zeilen geschrieben, wohl in Nachahmung des lateinischen Schreibgebrauchs. Auch bustrophedon geschriebene Inschriften kommen vor und sogar spiralförmig organisierte. Datierung. Die älteste sicher datierte numidische Inschrift ist die berühmte Inschrift aus Thugga/Dougga (numid. Tubgag) RIL 2, eine Weihinschrift für Massinissa (numid.: Masininsan). Sie ist ins Jahr 10 des Miscipsa datiert, was dem Jahr 138 v. Chr. entspricht. Einige Inschriften aus Thugga mögen etwas älter 71 B. Kienast, Historische Semitische Sprachwissenschaft, Wiesbaden 2001, 526 mit Tabel-
le B.1.
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sein, im Großen und Ganzen stammt das gesamte numidische Korpus jedoch wohl aus der Kaiserzeit. Hier muss freilich einschränkend gesagt werden, dass Felsinschriften in tifinaɣ, die sich über die Sahara verstreuen, nicht datierbar sind (es sei denn, sie enthalten arabische Personennamen). Einzig eine Inschrift auf einer Felswand in »Ikadnouchere« im Tassili-n-Ajjer (Südalgerien), die nach Autopsie von Andreas Müller-Karpe zeitgenössisch ist mit einer nebenstehenden Darstellung einer Quadriga, kann wahrscheinlich datiert werden. Sie muss von unten nach oben nk tmby nsğ[...]t gelesen werden, was zu deuten ist als »Ich, Tambay, habe [hier] übernachtet«, wobei Tambay wohl ein Kurzname ist für Mastanaba (ms-tnʿbʾ), dem Sohn des Massinissa und Vater des Jugurtha, dessen Sieg beim Wagenrennen der Panathenäen bezeugt ist (Inscriptiones Graecae II.2:968. (S. 665f.). Der Kontext ist wohl ein Inkubationsritus, wie er im berberischen Raum verbreitet ist. Nach Lhote sind zahlreiche Inschriften in ähnlicher Weise mit Streitwagendarstellungen assoziiert.72 Seit wann die Numider eine eigene Schrift verwendeten, ist also völlig unklar. Wahrscheinlich war die Herausbildung eines Reiches nach hellenistischem Vorbild unter Massinissa der entscheidende Anlass, die bereits vorhandene Schrift erstmals auch für Monumentalinschriften zu verwenden. Wie lange sie davor im Gebrauch war, ist unbekannt. Entzifferung. Die Entzifferung der (ost)numidischen oder libysch-berberischen Schrift gelang im vorletzten Jahrhundert Joseph Halévy nach Vorarbeiten von de Sauley.73 Entscheidend waren hierfür numidisch-punische und numidischlateinische Bilinguen, allen voran die berühmten Inschriften aus Thugga.74 Die eine Inschrift wurde von Thomas d’Arcos 1631 entdeckt, die zweite (RIL 2) jedoch erst 1904 bekannt. Weil die Schrift anhand der Thugga-Inschrift RIL 1 entziffert wurde, gilt deren Duktus als ›normativ‹ für die ostnumidische oder massylische Schrift. Die westnumidische (massäsylisch und gätulische) Schrift gilt jedoch als noch nicht vollständig entziffert, da hier die entsprechenden Bilinguen fehlen. Trotzdem hat es einen Versuch gegeben, die westnumidische 72 H. Lhote, Le cheval et le chameau dans les peintures et gravures rupestres du Sahara, BIFAN 15, 1953, 1138–1228. Es gibt eine sog. »Wagenstraße« der Streitwagenepoche, die vom Mittelmeer zum Niger reicht, die Lhote entdeckt hat. Übrigens meint Herodot, die Griechen hätten das Fahren mit Vierspännern von den Libyern gelernt (Hd. 4.189). 73 J. Halévy, Essai d’épigraphie libyque, in: Journal Asiatique 7, 1873, 73–203. Vgl. auch Anonymus, Halévy’s Entzifferung der libyschen Schrift, in: Das Ausland 47, Stuttgart 1874, 398f. 74 J. Leclant, L’épigraphie libico-berbère, in: Le déchiffrement des écritures et des langues, XXIXe Congrès des Orientalistes, Paris 1975, 153–155; J. Friedrich, Entzifferung verschollener Schriften und Sprachen, Berlin, Göttingen & Heidelberg 1954; J. Friedrich, Der Wert semitischer Versionen in Entzifferungs-Bilinguen, in: Ugaritica 6, Paris 1969, 229–234.
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Schrift zu entziffern, und zwar aus der Feder von I.N. Zavadovskij.75 Die ablehnende Haltung von Lionel Galand, dem Experten für saharanische Inschriften, hat jedoch dazu geführt, dass dieser Ansatz nicht weiter verfolgt wurde.76 Schriftentwicklung. Ein Blick auf eine Zusammenstellung der numidischen und tifinaɣ-Schrift zeigt deutlich, dass es sich um Ausprägungen ein und derselben Schrift handeln muss, der libysch-berberischen. Wie genau sie zusammenhängen, ist hingegen weniger einfach zu sagen. Schon bei der westnumidischen Schrift ist man sich nicht sicher, da sie ein Dutzend Zeichen mehr aufweist als die ostnumidische. Meist wird davon ausgegangen, dass es sich um Zeichenvarianten handelt. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass im einen oder anderen Fall eine phonemische Trennung vorliegt. Immerhin ist zu erwarten, dass bereits in der Antike dialektale Unterschiede im berberischen Sprachraum existierten. Einige Schriftzeichen könnten sekundäre Modifikationen (Drehung um 90° oder 180°; Wiederholung; Verschmelzung) sein. Besonders interessant hierbei ist, dass manche Modifikationen älter zu sein scheinen als andere. G. Marcy hat diese Möglichkeiten untersucht und versucht, eine Entwicklung der libysch-berberischen Schrift als Ganzes zu zeichnen. 77 Ein weiteres Kriterium zur paläographischen Einordnung ist die Existenz ›kursiver‹ Zeichen, die im Numidischen nicht vorkommen.
3.1.2 Griechisch Grundsätzlich ist für die vorliegende Fragestellung ausschließlich die griechische Schrift relevant, wie sie im Hellenismus gebraucht wurde. Trotzdem ist es zum Verständnis dieses Schriftsystems notwendig, kurz auf die Herkunft und Vorgänger dieser Schrift in Griechenland einzugehen. Die ältesten Schriftzeugnisse Griechenlands sind nicht phonographischer Natur, sondern hieroglyphisch-piktographisch (Kreta, ca. 2000–1450 v. Chr.).78 Aus ihr ging die »protolineare« Schrift (Phaistos) hervor, aus der sich dann vermutlich um 1650–1450 75 I.N. ZAVADOVSKIJ, O dešrifovke zapadnolivijskix nadpisej iz Marokko, in: Vestnik drevnej istorii 4, 1978, 3–25. 76 L. GALAND, Une étude de Iu.N. Zavadovski sur les inscriptions libyques occidentales, in: Bulletin archéologique du Comité des travaux historiques et scientifiques 18, 1982 [1989], 170–172. 77 G. Marcy, Introduction à un déchiffrement méthodique des inscriptions »tifinâgh«, Algier 1938, 89–118 mit synoptischen Tafeln. Eine gute Übersicht zu diesen Modifikationen findet sich bei K.–G. Prasse, Manuel de grammaire touarègue (tahaggart), Kopenhagen 1969, 147f. 78 J.-P. Olivier, Cretan writing in the second millenium b.c., in: World Archaeology 17, 1985– 6, 377–389.
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v. Chr. das »Linear A« entwickelte. Dabei handelt es sich vermutlich um eine Silbenschrift; sie wurde abgelöst durch das »Linear B«, das bis ca. 1200 v. Chr. Verwendung fand. Dort gibt es neben den Silbenzeichen auch Ideogramme, Zahl-. Maß- und Gewichtszeichen. Die Linear B-Schrift war aufgrund ihres Systems nur unzureichend geeignet zur Wiedergabe griechischer Wortformen, insbesondere des Vokalismus.79 Auf den kretischen Schriften basieren die sog. »kyprominoischen« (16.–11. Jh. v. Chr.), auf denen ihrerseits die »kyprische« Schrift (8.–3. Jh. v. Chr.) fußt.80 Die griechische Schrift, wie wir sie kennen, basiert jedoch auf der phönizischen Konsonantenschrift, die von den Griechen wohl zu Beginn des 8. Jh. v. Chr. nicht unverändert übernommen, sondern durch Schaffung von Vokalzeichen aus nicht benötigten Zeichen zu einer Alphabetschrift umgestaltet wurde.81 Das Resultat war weit besser zur Darstellung des Griechischen geeignet, drückte jedoch immer noch Vokalquantität und das /h/ nur unvollkommen aus. Die ältesten dieser Schriftzeugnisse stammen aus der zweiten Hälfte des 8. Jh. v.Chr.82 Schriftklassifikation.83 Je nach Schriftträger sind unterschiedliche Schriftarten im Gebrauch; die verschiedenen Ausführungen resultieren dabei sehr deutlich aus dem jeweiligen Schreibprozess. Grundsätzlich besteht eine Dichotomie zwischen der Schrift der Inschriften und derjenigen der Papyri, wobei erstere mit Meißeln in Stein gehauen und letztere mit Tusche und Rohrfeder geschrieben wurde. Nach der Verwendung unterscheidet man ferner bei den Papyri zwischen Buchschrift und Kursive.
79 J. Chadwick, Linear B and related scripts, London 1987, 137–195 (Reading the Past 1). 80 Th.G. Palaima, Ideograms and Supplementals and Regional Interaction among Aegean and Cypriot Scripts, in: Minos 24, 1989, 29–54. 81 R.M. Voigt, Zur Entwicklung des westsemitischen und griechischen Alphabets, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 94, 2004 [2005], 225–246. 82 L. Godart, Le pouvoir de l’écrit, Paris 1990. 83 G. Menci, in: H. Cancik & H. Schneider (Hrsg.), Der Neue Pauly 11, Stuttgart 2001, Sp. 247– 249, s.v. »Schriftstile«.
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Die Schriftart der Inschriften.84 Im Hellenismus sind zwei Tendenzen sichtbar: die Zahl der Inschriften steigt stark an; gleichzeitig werden sie ausführlicher und länger. Im frühen 3. Jhd. wird die »stoichedón«-Anordnung der Schriftzeichen (in einem Karo-Netz wie bei Kreuzworträtseln) aufgegeben. Die Rundbuchstaben werden gerne verkleinert und an der Oberlinie ›aufgehängt‹; später erhalten die Buchstaben Zierformen wie Querstriche oder Häkchen. Grundsätzlich werden die einzelnen Zeichen nun enger aneinander geschrieben, Μ und Σ werden hochrechteckig und parallel geschlossen. Im Späthellenismus dringen zudem Kursivformen der Schreibschrift in den Zeichenschatz der Inschriften ein. Schrift der Papyri.85 Die Schrift der frühesten erhaltenen Papyri ist nahe an derjenigen der Inschriften (Buchstaben in scriptio continua mit gleichen Abständen unverbunden; eckige Formen bei Ε und Σ), daher spricht man hier vom »Inschriftenstil«, aus dem sich dann im 3. Jhd. v. Chr. zwei unterschiedliche Stile entwickeln, die ptolemäische Buchschrift (früher: »Unziale«) und die ptolemäische Geschäftsschrift (»Kursive«).86 Erstere wird für literarische Texte und wichtige Urkunden gebraucht, Letztere für die Verwaltung und im Alltag.87
84 H.H. Schmitt, in: H.H. Schmitt & E. Vogt (Hrsg.), Lexikon des Hellenismus, Wiesbaden 2005, Sp. 473f., s.v. »Inschriften«. Vgl. K. Brodersen, W. Günther & H.H. Schmitt, Historische griechische Inschriften in Übersetzung II (400–250) und III (250–1 v. Chr.), Darmstadt 1996 und 1999; L. Moretti & F. Canalo di Rossi, Iscrizioni storiche ellenistiche, 3 Bände, Rom 1967, 1975 & 2001; E.A. Judge, The Rhetoric of Inscriptions, in: S.E. Porter (Hrsg.), Handbook of Classical Rhetoric in the Hellenistic Period, 330 b.c. – a.d. 400, Leiden 1997, 807–828; M. Guarducci, Epigrafia greca, 4 Bände, Rom 1967–1978; G. Klaffenbach, Griechische Epigraphik, Göttingen ²1966; R. P. Austin, The Stoichedon Style in Greek Inscriptions, Oxford 1938. 85 Den besten und detailliertesten Überblick bietet G. Cavallo, Greek and Latin Writing in the Papyri, in: R.S. Bagnall (Hrsg.), The Oxford Handbook of Papyrology, Oxford 2009, 101–148. Ferner: H.H. Schmitt, in: H.H. Schmitt & E. Vogt (Hrsg.), Lexikon des Hellenismus, Wiesbaden 2005, Sp. 951f., s.v. »Schrift und Schreiben«; R. Seider, Paläographie der griechischen Papyri I–III, Stuttgart 1967–1990. S. Kaminska, Buchrolle, Schrift und Schreiben, in: W. Hoepfner (Hrsg.), Antike Bibliotheken, Mainz 2002, 9–11; H.A. Rupprecht, Kleine Einführung in die Papyruskunde, Darmstadt 1994; H. Hunger et al. (Hrsg.), Geschichte der Textüberlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur. Band 1. H. Hunger, Antikes und mittelalterliches Buchund Schriftwesen, Wien 1961.; C.H. Roberts, Greek literary hands 350 b.c. – a.d. 400, Oxford, 1955; W. Schubart, Einführung in die Papyruskunde, Berlin 1918, M. Norsa, La scrittura letteraria greca del sec. iv a.C. all’viii d.C., Florenz, 1939; V. Gardthausen, Griechische Paläographie, Berlin ²1911–13. Vgl. auch das »Heidelberger Gesamtverzeichnis der griechischen Papyrusurkunden Ägyptens«, welches online verfügbar ist. 86 G. Messeri, Relazione fra papiri documentari e papiri letterari, in: Nea Rhome 2, 2005, 5– 23. 87 R.A. Pack, The Greek and Latin Literary Texts from Greco-Roman Egypt, Ann Arbor ²1965.
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Buchschrift. Bei der Buchschrift tendieren die Buchstaben zu kursiven Formen, überschreiten jedoch die Grund- und Oberzeile nicht. Die Rundungen werden flacher, die Oberzeile wichtiger (›Aufhängung‹ bestimmter Zeichen; Verdickung an dieser) und im Späthellenismus laufen die Hasten besonders an der Grundzeile gerne zu Häkchen (Apices) aus. Turner hat zwischen drei Hauptgruppen von Buchschriften unterschieden: 88 ① informal round hands, ② formal round hands und ③ formal mixed hands. Ab dem 3. Jhd. v. Chr., also mit der verstärkten Produktion von Papyrusrollen, beginnen sich in der Minuskelschrift Schriftstile (stili) und Schrift-Kanones (canoni) herauszubilden. Die Schriftstile lassen sich zu Stilklassen zusammenfassen (classi stilistiche) – unter den Buchschriftenstilen zwischen dem 1. Jh. v. Chr. und dem 3. Jh. n. Chr. sind dies: ① der »Epsilon-Theta-Stil«, ② der »Strenge Stil« und ③ der »Mittlere Stil« (»stile intermedio«). Ab dem 2. Jh. n. Chr. verlieren die Schriftstile ihre Spontaneität und erscheinen in erstarrten typologischen Formen, sog. »Schrift-Kanones«, bei denen folgende unterschieden werden: ① Rundmajuskel (»Römische Unziale«), ② rechtsgeneigte spitzbogige Majuskel und ③ alexandrinische Majuskel Kursive.89 Im 4. Jhd. v. Chr. entsprechen die Schriftstilformen griechischer Papyrusurkunden noch denjenigen literarischer Texte. In der ersten Hälfte des 3. Jh. v. Chr. bewirken jedoch veränderte Bedingungen in Verwaltung und Kultur eine zügigere Schreibweise. Die Buchschrift orientiert sich zwar weiterhin an den Inschriften, die Urkundenschrift entfernt sich jedoch von ihnen: Es werden nämlich einige Buchstaben in einem einzigen Zug ausgeführt, um schneller, ökonomischer und zweckmäßiger zu schreiben. Weil die »Kursive« im Alltag für Briefe und Urkunden gebraucht wurde, wird »kursiv« oft mit »urkundlich« gleichgesetzt. Durch den schnellen Duktus wird der beginnende Anschluss von Nachbarbuchstaben vorbereitet, verstärkt auch durch Verbindungsstriche zwischen nicht ›natürlich‹ anschließbaren Zeichen. Weiteres Indiz für die Schnelligkeit des Schreibens ist der Umstand, dass senkrechte Hasten gerne die Grundlinie unterschreiten (oft mit Häkchen) und schräge Hasten zur Waagrechten tendieren. Wie bei der Buchschrift wird zunehmend die Oberlinie betont (Verdickung oberer Querhasten und »Aufhängen« kleinerer Buchstaben). Die hellenistischgriechische Schrift bleibt ohne Worttrennung und Akzente, jedoch können Akzentuierungen oder Interpunktion in Spalten auf der Innenseite von Papyrusrollen geschrieben stehen. In der 1. Hälfte des 3. Jh. v. Chr. verbreitet sich der sog. 88 E.G. Turner, Greek Manuscripts of the Ancient World, London ²1987. 89 G. Cavallo, Greek and Latin Writing in the Papyri, in: R.S. Bagnall (Hrsg.), The Oxford Handbook of Papyrology, Oxford 2009, 101–148; G. Menci, in: H. Cancik & H. Schneider (Hrsg.), Der Neue Pauly 11, Stuttgart 2001, Sp. 247–249, s.v. »Schriftstile«.
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»alexandrinische« oder »zenonische« (nach dem Archiv des Zenon benannte) Kanzleischriftstil. Dieser verlängert die horizontalen Bestandteile der Buchstaben und schiebt sie nach oben – sie erscheinen daher wie an einem Faden aufgehängt. Im 2. Jh. v. Chr. tauchen auf Papyri Verbindungsstriche zwischen einzelnen Buchstaben auf; die Buchstabenformen finden jedoch zur alten Proportion zurück. Bei den griechischen Papyri aus dem Ägypten der zweiten Hälfte des 2. Jhd. v. Chr. wird die Höhe der Buchstaben stärker betont und die vertikalen Striche von N, T, K und I werden etwas gebogen, um im 1. Jhd. v. Chr. dann stark gekrümmt zu erscheinen. Insgesamt entwickeln sich im 1. Jhd. n. Chr. drei Varianten der Kursive: ① eine sehr kleine, rundliche, gewundene, mit zahlreichen Ligaturen versehene Form, ② eine eckige Kursive und ③ der sog. »demotisierende« Schrifttyp mit kleinem Buchstabenkörper und eng zusammenhängendem Verlauf, aber mit ausgeprägten vertikalen Strichen, Verlängerungen und Schnörkeln. Im 2. Jh. n. Chr. wird die griechische Kursive dann von der elegante Buchmajuskel (»Römische Unziale« oder »Rundmajuskel«) beeinflusst. Das Ergebnis dieses Prozesses wird »römische Kursive« genannt: Ihre Charakteristika sind rundliche und klare Buchstabenformen mit wenigen Ligaturen und Verformungen. Mit dem Anfang des 2. Jhd. n. Chr. setzt eine neue Entwicklung ein: schmale, gerade vertikale Striche werden von kleinen Ringeln und »Augen« auf der Oberlinie unterbrochen (»Gitter-Schriftstil«). Ein anderer Stil mit nach rechts geneigten Buchstaben entwickelt sich im Laufe des 2. Jhds. Ende des 2. Jhds. n. Chr. verstärkt sich der lateinische Einfluss, zuerst bei Militärdokumenten, später auch in Verwaltungs- und Gerichtsdokumenten. Danach wird die Entwicklung vom Vierliniensystem bestimmt. Unter den Arabern nimmt die griechische Urkundenkursive schließlich im 7.–8. Jhd. bereits die Form der späteren mittelalterlichen Minuskel an.90 Schriftträger und Schreibwerkzeuge. Im Hellenismus wurden für Inschriften wie früher schon bevorzugt feinkörnige Marmorarten als Schriftträger verwendet, ansonsten Kalk- oder Sandsteine. Bei höherwertigen Inschriften wurden die Buchstaben eingefärbt. Selten haben sich Bronzeplatten erhalten – Bleibleche dienten als Untergrund für Briefe oder Fluchtafeln. Ostraka dienten für kurze Mitteilungen oder Notizen; sie sind geritzt oder mit Tusche geschrieben. Neu im Hellenismus ist seit ca. 200 v. Chr. die Verwendung von Pergament, das angeblich zur Zeit Ptolamaios’ IV. aufkam, um einer Ausfuhrsperre für Papyrus zu begegnen. Wirklich durchsetzen kann sich das Pergament jedoch erst in nachhellenistischer Zeit und zwar für die neue Buchform des Codex. Daneben wurde Pa-
90 J. Irigoin, De l’alpha à l’omega, in: Scrittura e Civiltà 10, 1986, 7–19.
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pyrus gebraucht, das fast ausschließlich aus Ägypten bezogen wurde (königliches Monopol) und nicht so teuer war, wie man bis vor wenigen Jahrzehnten meinte. Die Papyrusblätter wurden dabei so in Rollen zusammengeklebt, dass der waagrechte Faserverlauf innen verlief und der senkrechte außen. Als Schreibwerkzeug diente eine schräg angeschnittene Binse, seit dem 3./2. Jhd. v. Chr. auch ein in zwei durch eine schmale, tiefe Kerbe getrennte Spitzen auslaufendes Rohr. Geschrieben wurde mit wasserfester Tinte, die aus Ruß, Leim und Wasser bestand. Sprache.91 Das Griechische ist eine indogermanische Sprache. Schon in den ersten erhaltenen Texten um 1400 v. Chr. ist eine dialektale Gliederung erkennbar. Nach dem Ende der mykenischen Zeit und dem Einsetzen der »Dorischen Wanderung« besitzen wir in den sog. »dunklen Jahrhunderten« keine griechischen Schriftquellen. Diese setzten erst wieder nach 750 v. Chr. ein. Für die vorliegende Untersuchung ist lediglich die Sprachgeschichte nach Alexander dem Großen relevant, da nun der Kontakt mit dem Niltal erst wirklich greifbar wird. Hellenistisches Griechisch.92 Die Verwendung der griechische Sprache ist epochendefinierend für den Hellenismus. Unterschieden wird das hellenistische Griechisch von früheren Sprachstufen des Griechischen durch die Koinisierung93 auf der Grundlage des attischen Dialekts und der Entwicklung dieser »Gemeinsprache« zur Verkehrssprache (lingua franca)94 zur Kommunikation zwischen Muttersprachlern verschiedener Dialekte und Sprachen. Als Grundlage der Koine gilt nach der heutigen Lehrmeinung das sog. »Groß-Attische«, die Sprache des attischen Seebundes, welches vom weiterhin in Attika gesprochenen attischen Dialekt zu unterscheiden ist.95 In der Vergangenheit meinte man 91 B. Fossmann, in: H. Cancik & H. Schneider (Hrsg.), Der Neue Pauly 4, Stuttgart 1998, Sp. 1223–1230, s.v. »Griechisch« mit weiterführenden Literaturangaben. 92 A. Deissmann, Hellenistisches Griechisch (mit besonderer Berücksichtigung der griechischen Bibel, in: Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche 7, Leipzig ³1899, 627–639; P. Wahrmann, Prolegomena zu einer Geschichte der Griechischen Dialekte im Zeitalter des Hellenismus, Wien 1907; V. Bubenik, Dialect Contact and Koineization: The Case of Hellenistic Greek, in: International Journal of the Society of Language 99, 1993, 9–23; J. Niehoff– Pangagiotidis, Koine und Diglossie, Wiesbaden 1994; G. Neumann & J. Untermann (Hrsg.), Die Sprachen im römischen Reich der Kaiserzeit, Köln & Bonn 1980. 93 J. Siegel, Koines and Koineization, in: Language in Society 14, 1985, 357–378. 94 W.J. Samarin, Lingua Franca, in: U. Ammon et al. (Hrsg.), Soziolinguistik I, Berlin & New York 1987, 371–374. 95 G. Harrocks, Greek: A History of the Language and its Speakers, London & New York 1997, 27–127, bes. 34; V. Bubenik, Hellenistic and Roman Greece as a Sociolinguistic Area, Amsterdam & Philadelphia 1989, 175.
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auch, der ionische Dialekt sei die Grundlage bzw. die Koine sei eine »merkwürdige Mischung verschiedener Dialekte«.96 »Groß-Attisch« war die Sprache der attischen Mittelschicht und ist zu unterscheiden vom »Vulgärattischen«.97 Als Sprache der Herrschenden wurde sie durch die Bedeutung Athens im attischen Seebund Verwaltungs- und Handelssprache auf Euböa, den ionischen Inseln und in den Städten Kleinasiens. In jenen Regionen, wo die Muttersprache Ionisch war, wurden systemhafte Züge des Ionischen beibehalten und ersetzten die entsprechenden attischen. Im 3. Jhd. v. Chr. schließlich ging das Ionische in der Koine auf. Der Einfluss der anderen Dialekte war gering: die Monophthongisierung αι > ε,η in ägyptischen Papyri des 2. Jhds. v. Chr. bzw. ει > ι im 3. Jhd. sind Merkmal der Koine und nicht dem Einfluss des Böotischen zuzuschreiben. Bis zum 5. Jhd. n. Chr. waren die alten Dialekte verschwunden – gleichzeitig begann die Ausdifferenzierung der Koine.98 Alle heutigen griechischen Dialekte gehen weitgehend auf die Koine zurück. In Ägypten wurde die Koine noch ziemlich lange nach der arabischen Eroberung vornehmlich in der Verwaltung verwendet. Durch die territorialen Eroberungen im Osten erlangte die griechische Sprache eine große Verbreitung vom Schwarzen bis zum Kaspischen Meer, vom Oxus bis zum Horn von Afrika;99 im Vorderen Orient und in Nordafrika diente sie nun auch zur Verständigung mit Nichtgriechen. Die griechische Koine weist nun alle Merkmale einer lingua franca (Verkehrssprache) auf:100 ① Sie wird überregional verwendet d.h. ihr Geltungsbereich ist größer als ihr Ursprungsgebiet; ② An deren Ränder des Geltungsbereichs gebrauchen sie nur noch die sozial höher gestellten Schichten; ③ ihre grammatische Struktur wird vereinfacht; ④ Sie ist stets Schul-, nicht Muttersprache und ⑤ ihr Ausgangspunkt war ein besonders begünstigter Dialekt (im Gegensatz zu Pidgin- und Kreolsprachen). Während der Zweiten Kolonisation waren griechische Küstenstädte in Italien, Sizilien, Spanien, Nordafrika und dem Schwarzmeerraum entstanden; als Kultur- Verkehrs- und Stadtsprache gelangte das Griechische im Hellenis-
96 P. Kretschmer, Die Entstehung der Koine, Sitzungsbericht der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 143, Wien 1900, 6. 97 A.N. Jannaris, An Historical Greek Grammar chiefly of the Attic Dialect as written and spoken from classical antiquity down to the present time, London 1897. 98 C. Brixe (Hrsg.), La koiné grecque antique I–III, Nancy 1993–1998; P. Kretschmer, Die Entstehung der Koine, Sitzungsbericht der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 143, Wien 1900; A. Thumb, Die griechische Sprache im Zeitalter des Hellenismus: Beiträge zur Geschichte und Beurteilung der Κοινή, Straßburg 1901. Vgl. auch J. Siegel, Koines and Koineization, in: Language in Society 14, 1985, 357–378. 99 F.W.K. Dittenberger, Orientis Graeci inscriptiones selectae, Leizig 1903, 284ff. 100 W.J. Samarin, Lingua Franca, in: U. Ammon et al. (Hrsg.), Soziolinguistik I, Berlin & New York 1987, 371–374.
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mus danach im Osten bis Indien, im Süden bis Nubien, ohne sich freilich überall dauerhaft festzusetzen. Mit Ausnahme Kleinasiens ging der Orient dem Griechischen später wieder im Ganzen verloren; im westlichen Mittelmeer (Gallien, Spanien, westliches Nordafrika) finden sich generell weniger griechische Inschriften. Die griechische Diglossie.101 In der Gräzistik wird zwischen geschriebener (›literarischer‹) und gesprochener Koine unterschieden. Die geschriebene Sprache des Hellenismus steht im Gegensatz zur attizistischen Literatur- bzw. Reinsprache, denn da in der gesprochenen Form das Attische stärker einfloss, kam es hier zu einer Diskrepanz. Dieser im 1. Jhd. v. Chr. einsetzende Attizismus102 ist die Ursache für die griechische Diglossie, d.h. es gibt mehrere unterschiedliche Varietäten derselben Sprache, die je nach Register, Stil und Prestige verwendet werden. Bis zum Ende des byzantinischen Reiches sind folglich drei Varietäten zu unterscheiden: der Attizismus, die geschriebene und die gesprochene Koine. Aufgrund dieser Dreiteilung spricht G. Kordatos dann auch korrekter von »Triglossie«.103 Die geschriebene Koine ist zahlreich direkt durch Schriftquellen belegt. Die gesprochene Form ist demgegenüber nur sekundär über die in Ägypten gefundenen Papyri zu gewinnen, denn es handelt sich um eine unfreiwillig entstandene Varietät, entstanden aus dem Unvermögen, Einflüsse der gesprochenen Sprache durchgängig zu vermeiden. Fremdsprachliche Einflüsse.104 Diese gesprochene Koine ist also eine lokale Varietät des ›ägyptischen‹ Griechischen, denn sie dringt in Palästina nicht sehr weit vor. Übrigens existiert kein eigenes »Bibelgriechisch«, d.h. eine durch das Übersetzergriechisch entstandene Varietät.105 Im Hellenismus weist die gesprochene 101 C.A. Ferguson, Diglossia, in: Word 15, 1959, 325–340; J. Niehoff-Pangagiotidis, Koine und Diglossie, Wiesbaden 1994. 102 W. Schmidt, Der Attizismus in seinen Hauptvertretern I–IV, Stuttgart 1887–1897. 103 Γ. Κορδάτος, Ἱστορία τοῦ γλωσσικοῦ μας ζητήματος, Athen ²1973, 14. 104 V. Bubenik, Dialect Contact and Koineization: The Case of Hellenistic Greek, in: International Journal of the Society of Language 99, 1993, 9–23. 105 S.E. Porter, Verbal Aspect in the Greek of the New Testament, with reference to tense and mood, New York etc. 1989, 111–141. Vgl. auch: A. Thumb, Die griechische Sprache im Zeitalter des Hellenismus: Beiträge zur Geschichte und Beurteilung der Κοινή, Straßburg 1901, 120ff.; A. Deissmann, Licht vom Osten, Tübingen 1923; L. Radermacher, Neutestamentliche Grammatik: Das Griechische des Neuen Testaments im Zusammenhang mit der Volkssprache, Tübingen ²1925, 17ff.; A. Momigliano, Hochkulturen im Hellenismus. Die Begegnung der Griechen mit Kelten, Juden, Römern und Persern, München 1979, 65–92, 93–145. Vgl. auch F. Blass & A. Debrunner, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, bearbeitet von F. Rehkopf, Göttingen 17 1990.
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Koine, also das ›ägyptische‹ Griechisch noch kaum Unterschiede zur gesprochensprachlichen Form des Kernlandes auf. Grundsätzlich ist es sehr schwer, zwischen fremdsprachlichem Einfluss und mangelnder Sprachbeherrschung zu unterscheiden. Hinzu kommt, dass die ägyptischen Papyri zwar sehr erhellend, aber doch auch beherrschend und singulär sind.106 Die Quellen für die gesprochene Koine sind also vornehmlich ägyptisch-griechische Schriftdenkmäler vom ptolemäischen bis zum byzantinischen Stil im 6.–7. Jh., vor allem Privaturkunden und Briefe, aber auch amtliche Dokumente wie Erlasse und Verfügungen.107 Einige wenige Besonderheiten der gesprochenen Koine Ägyptens sind lexikalischer Natur108 (βᾶρις äg. »Boot«; ζύτος äg. »Gerstenbier«; κῖκι äg. »Rhizinusöl«; λεσῶνις äg. Priesteramt«; σκαφῖτις äg. »Schiffer«), ansonsten sind die Abweichungen geringfügig, d.h. es gibt zumindest auf der schriftlichen Ebene kein eigenes wirklich alexandrinisches oder gar ägyptisches Griechisch.109 Insgesamt sind die Übergänge fließend, d.h. es bestehen auch Einflüsse der gesprochenen Koine auf amtliche Dokumente. In den Inschriften und in der Literatursprache kommen vielfache Mischungen vor: von ›reinem‹ ① Attisch über ② Attisch mit Koine-Elementen und ③ Koine mit attischen Elementen bis hin zur ④ Koine. Grundsätzlich ist die geschriebene Koine jedoch sehr resistent gegenüber fremdsprachlichem Einfluss. Wie sich die Lehrmeinungen ändern können, zeigt die Inschrift des Nubadenkönigs Silko aus dem 6. Jhd. n Chr.: Bei ihr meinte man früher viele Koptizismen festzustellen110; inzwischen sind die auffälligsten Besonderheiten (βᾶρις ζύτος κῖκι λεσῶνις σκαφῖτις; ἀφῶ = ἀφίημι, εἰς τὴν σκιάν »im Schatten«; ἅπαξ δύω = δίς, ἐφιλονικήσουσιν = ἐφιλονίκησαν) als solche der Koine identifiziert, d.h. sie können sehr gut innergriechisch erklärt werden.111 106 E. Mayser, Grammatik der griechischen Papyri aus der Ptolemäerzeit: Mit Einschluss der gleichzeitigen Ostraka und der in Ägypten verfaßten Inschriften I–II, Berlin 1906–1938 (I/1, bearbeitet von H. Schmoll, Berlin ²1970); S.-T. Teodorsson, The Phonology of Ptolemaic Koine, Göteborg 1977. 107 W. Schubart, Einführung in die Papyruskunde, Berlin 1918, bes. 118–225. 108 W.P. Schmid & B. Kotrasch, in: H.H. Schmitt & E. Vogt (Hrsg.), Lexikon des Hellenismus, Wiesbaden 2005, Sp. 1002–1010, s.v. »Sprache«, bes. 1004f. 109 S.G. Kapsomenos, Das Griechische in Ägypten, in: Museum Helveticum 10, 1953, 248–263; E. Mayser, Grammatik der griechischen Papyri aus der Ptolemäerzeit: Mit Einschluss der gleichzeitigen Ostraka und der in Ägypten verfaßten Inschriften I.1, Berlin 1906–1938, bearbeitet von H. Schmoll, Berlin ²1970, 26ff.; S.–T. Teodorsson, The Phonology of Ptolemaic Koine, Göteborg 1977, 25–35. 110 F.W.K. Dittenberger, Orientis Graeci inscriptiones selectae, Leizig 1903, Nr. 201. 111 M. Capasso, Il ritorno du Cornellio Gallo: Il papiro di Qasr Ibrîm venticinque anni dopo, Neapel 2003; W.P. Schmid & B. Kotrasch, in: H.H. Schmitt & E. Vogt (Hrsg.), Lexikon des Hellenismus, Wiesbaden 2005, Sp. 1002–1010, s.v. »Sprache«, bes. 1005.
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3.2 Im Niltal 3.2.1 Ägyptisch-Koptisch Anfänge.112 Mit den Entdeckungen des Deutschen Archäologischen Instituts in ʿUmm al-Qaʾab bei Abydos hat sich der Beginn der ägyptischen Schriftgeschichte um einige Jahrhunderte nach vorne verlagert – er wird heute um 3500 v. Chr. angesetzt.113 Damit ist eine alte These, dass nämlich der Impetus zur Schriftentwicklung aus Mesopotamien kam, neu zu bewerten. Es dürfte sich wahrscheinlicher um zwei voneinander unabhängige Schriftschöpfungen handeln, entstanden aus denselben Umständen der Staatsbildung und der damit einhergehenden ökonomischen Vergrößerung. Freilich gibt es relativ unterschiedliche Ansichten, was die Hintergründe für die Anfänge der Schrift in Ägypten betrifft.114 Während die einen die Ökonomie der Staatsbildung als primäre Ursache für die Schriftschöpfung ansehen,115 spielen für andere Aspekte wie Display, Propaganda und Religion die essenzielle Rolle. 116 Wie auch immer – Schreiben war als göttliches Medium (»Gottesworte«) im pharaonischen Ägypten immer eine Form der Machtausübung und die religiösen und symbolischen Formen der Schrift lediglich eine andere Facette der Kontrolle durch den administrativen Gebrauch der Schrift. Aufgrund der starken Bildhaftigkeit der Schrift waren die Übergänge zwischen Bild und Text fließend.117 Gleichzeitig wird oft verkannt, dass die ersten Schriftzeugnisse Ägyptens eigentlich ›kursiv‹ sind. Sie stammen 112 E. Cruz-Uribe, in: D.B. REDFORD (Hrsg.), Oxford Encyclopaedia of Ancient Egypt III, New York 2001, 192–198, s.v. »Scripts. An Overview«; K. Bard, Origins of Egyptian Writing, in: F. Friedman & B. Adams (Hrsg.), The Followers of Horus: Studies Dedicated to Michael Allen Hoffmann 1944–1990, Oxford 1992, 297–306; H.G. Fischer, The Origin of Egyptian Hieroglyphs, in: W. Senner (Hrsg.), The Origins of Writing, Lincoln 1989, 59–76; N. Postgate et al., The Evidence for Early Writing: Utilitarian or Ceremonial?, in: Antiquity 69, 1995, 459–480; J.D. Ray, The Emergence of Writing in Egypt, in: World Archaeology 17, 1986, 307–316; S. Schott, Untersuchungen zum Ursprung der Schrift, Wiesbaden 1951. 113 G. Dreyer, Umm el-Qaab I. Das prädynastische Königsgrab U-j und seine frühen Schriftzeugnisse, Archäologische Veröffentlichungen 86, Mainz 1998. 114 S.D. Houston, The first writing: Script invention as history and process, Cambridge 2004; I. Regulski, A Palaeographic study of Early Writing in Egypt. Orientalia Lovaniensia Analecta 195, Leuven 2010; G. R. Kress, Before writing: Rethinking the paths to literacy, London 2000. 115 K. Lomas, Introduction: Literacy and the state in the ancient Mediterranean and Near East, in: K. Lomas, R.D. Whitehouse & J.B. Wilkins (Hrsg.), Literacy and the state in the ancient Mediterranean, London 2007, 11–21; J. Baines, Visual and Written Culture in Ancient Egypt, Oxford 2007; J. Collins & R. Blot, Literacy and literacies: Texts, power, and identity, Cambridge 2003. 116 N. Postgate et al., The Evidence for Early Writing: Utilitarian or Ceremonial?, in: Antiquity 69, 1995, 459–480.
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aus einer formativen Phase, die durch ein starkes Schwanken der Zeichenformen gekennzeichnet ist, auch wenn sich diese langsam angleichen, wie sich entsprechend die Zeichenverwendung (»Orthographie«) zu Graphiekonventionen verdichtet. Dieser Prozess der altägyptischen Schriftgeschichte ging relativ schnell von statten, wahrscheinlich nicht zuletzt, weil die mit der neuen Kulturtechnik vertraute Elite eine kleine Gruppe darstellte. Die ägyptische Schrift ist (über das ›Proto-Sinaitische‹118 und die westsemitischen Schriften119) letztlich wohl der Ursprung fast aller heute noch gebrauchten Schriften.120 und übrigens auch der Alphabetreihenfolge.121 Da dies bereits allzu oft beschrieben wurde, soll hier auf eine Darstellung der Umstände verzichtet werden, die zur Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen führte,122 auf den ›Rosettastein‹123 und andere »Bilinguen«.124
117 K.R. Weeks, Art, Word, and the Egyptian World View, in: K.R. Weeks (Hrsg.), Egyptology and the Social Sciences, Kairo 1979, 59–81; H.G. Fischer, L’écriture et l’art de l’Égypte ancienne, Paris 1986. 118 O. Goldwasser, Canaanites reading hieroglyphs: Horus is Hathor?: The invention of the alphabet in Sinai, in: Ägypten & Levante 16, 2006, 121–160; B. Sass, The Proto–Sinaitic Inscriptions, Tel Aviv 1985; A.H. Gardiner, The Egyptian origin of the Semitic alphabet, in: Journal of Egyptian Archaeology 3, 1916, 1–16. 119 G.J. Hamilton, The origins of the West Semitic alphabet in Egyptian scripts, Washington 2006; C.T. Hodge, The hieratic origin of the ugaritic alphabet, in: C.T. Hodge, S.B. Noegel & A.S. Kaye (Hrsg.): Afroasiatic linguistics, semitics, and Egyptology: Selected writings of Carleton T. Hodge, Bethesda 2004, 199–220. 120 B. Sass, Studia Alphabetica. On the Origin and Early History of the Northwest Semitic, South Semitic, and Greek Alphabets, Orbis Biblicus et Orientalis 102, Fribourg 1991; J. Naveh, Early History of the Alphabet. An Introduction to West Semitic Epigraphy and Palaeography, Jerusalem ²1987. 121 F. Kammerzell, Die Entstehung der Alphabetreihe: Zum ägyptischen Ursprung der semitischen und westlichen Schriften, in: D. Borchers, F. Kammerzell & S. Weninger (Hrsg.), Hieroglyphen, Alphabete, Schriftreformen: Studien zum Multiliteralismus, Schriftwechsel und Orthographieneuregelungen, Lingua Aegyptia – Studie Monographcia 3, Göttingen 2001, 117–158; J. Quack, Die spätägyptische Alphabetreihenfolge und das ›südsemitische‹ Alphabet, in: Lingua Aegyptia 11, 2003, 163–184. 122 S. Deicher, »Wörter für das Auge«: Wilhelm von Humboldts Reaktion auf die Entdeckung der Lesbarkeit der Hieroglyphen, in: Göttinger Miszellen 201, 2004, 17–31; M. Pope, The story of decipherment: From Egyptian hieroglyphics to Maya script, London 1999; A. Robinson, The last man who knew everything: Thomas Young, Oxford 2007. 123 C. Andrews & S. Quirke, The Rosetta Stone: Facsimile drawing with an Introduction and Translations. London 1988; F.–A. Haase, Die lateinische Übersetzung des Steins von Rosetta: Zur Bearbeitung antiker Textquellen in der Philologie der Neuzeit. Studien zur Altägyptischen Kultur 31, 2003, 153–168; R. Solé, D. Valbelle & S. Rendall, The Rosetta stone, New York 2002; J. Ray, The Rosetta Stone and the rebirth of Ancient Egypt, London 2008.
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Sprache.125 Das Ägyptisch-Koptische gehört zu den Semitohamitischen Sprachen, zu denen eine Vielzahl von Sprachen Nordafrikas und Vorderasiens zählen (und die daher auch »afroasiatisch« genannt werden). Zu diesen gehören die ›(Libysch-)Berberischen‹ Sprachen (auch: Masirisch)126 wie Tuareg oder Qabylisch, die Semitischen Sprachen (wie Arabisch und Hebräisch), die Kuschitischen Sprachen (wie Somali oder Oromo) und die Tschadischen Sprachen (wie Hausa). Umstritten ist, ob das tu-Beɗawiɛ und die Omotischen Sprachen vom Kuschitischen zu trennen sind und selbständige Zweige des Semitohamitischen darstellen. Als Altägyptisch wird die Mehrheitssprache der Bewohner des unteren Niltal in vorislamischer Zeit bezeichnet. Es ist nicht zu verwechseln mit dem Ägyptisch-Arabischen, das heute in Ägypten gesprochen wird (seit der Eroberung durch die Araber 640 n. Chr.). In seiner koptischen Sprachstufe ist das Ägyptische die Minderheitssprache der christlichen Ägypter (Kopten) bis ins Mittelalter und bis heute deren Liturgiesprache. Überliefert ist das Altägyptische ab dem ausgehenden 4. Jahrtausend v. Chr. bis 394 n. Chr. in Hieroglyphen; daneben in etwa demselben Zeitraum (bis 452 n. Chr.) in verschiedenen kursiven Varianten und ab Mitte des 3. Jh. n. Chr. in koptischer Schrift. Das Koptische wird als gesprochene Sprache ab dem 9. Jhd. von Arabischen verdrängt, als Schriftsprache ist es bis ins 14. Jhd. produktiv, am längsten in Oberägypten, wo es vielleicht noch bis in 17. Jhd. hinein aktiv gesprochen wurde – zumindest scheinen allerletzte Reste zu Beginn des 19. Jhd. vorhanden gewesen sein.127 Sprachstufen.128 Die (alt)ägyptisch-koptischen Sprachstufen können in zwei Gruppen geteilt werden, ein »Älteres« und ein »Jüngeres Ägyptisch«. Als grund124 D. Valbelle (Hrsg.), Le décret de Memphis, Paris 1999 [2000]; W. Spiegelberg, Der demotische Text der Priesterdekrete von Kanopus und Memphis (Rosettana), Heidelberg 1922. 125 Zusammenfassend: F. Junge, in: D.B. Redford (Hrsg.), The Oxford Encyclopaedia of Ancient Egypt III, Oxford 2001, 258–267, s.v. »Language«; C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 27–65; W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen 62005, 17–40; F. Junge, in: Lexikon der Ägyptologie V, Wiesbaden 1984, Sp. 1176–1211, s.v. »Sprache«; K. Jansen–Winkeln, Diglossie und Zweisprachigkeit im alten Ägypten, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 85, 1995, 85–115; F. Kammerzell, Sprachkontakte und Sprachwandel im Alten Ägypten, Habilitationsschrift Göttingen 1998, 59– 78; B.H. Stricker, De indeeling der Egyptische taal-geschiedenis, in: Oudheidkundige Mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheiden te Leiden 25, 1944, 12–51. 126 M. Tilmatine, Zum Wortpaar »Berber/Amazigh«: ein Beitrag zur terminologischen Vereinheitlichung und Klärung eines nicht lexikalisierten Terminus, in: Muttersprache 105, 1995, 18–23. 127 C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 31. 128 Grundlegend v.a. F. Junge, Sprachstufen und Sprachgeschichte, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Supplement 6, Stuttgart 1985, 17–34.
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legend angesehen wird dabei der Wechsel von synthetischen zu analytischen Mustern in der Nominalsyntax und dem Verbalsystem.129 Daneben gibt es eine Reihe von Varitäten, die oft in den gängigen Überblickswerken zum Ägyptischen gar nicht unterschieden werden.130 Älteres Ägyptisch
Jüngeres Ägyptisch
❶ Altägyptisch
❸ Neuägyptisch
ⓐ Archaisches Altägyptisch
ⓐ Medio-Neuägyptisch
ⓑ Standardägyptisch
ⓑ Neuägyptisch
❷ Mittelägyptisch
❹ Demotisch
ⓐ Frühmittelägyptisch
ⓐ Frühdemotisch
ⓑ Klassisches Mittelägyptisch
ⓑ Mitteldemotisch
ⓒ Spätmittelägyptisch
ⓒ Spätdemotisch
ⓓ Neomittelägyptisch
❺ Koptisch
Zum ›Älteren Ägyptischen‹ zählt das eigentliche Altägyptische und das Mittelägyptische. Ersteres kann unterteilt werden in Archaisches Altägyptisch – die Sprache der Frühzeit und der Pyramidentexte (27.–23. Jhd. v. Chr.) – und Standardaltägyptisch, die Sprache der Königs- und Grabinschriften des Alten Reiches (bis. ca. 2000 v. Chr.). Hierbei ist zu beachten, dass die Inschriften, welche die Pyramidentexte überliefern, zwar ebenfalls im Alten Reich hergestellt wurden, diese jedoch eine weit ältere Sprachschicht repräsentieren, die zudem in sich nicht ganz einheitlich zu sein scheint. Die Varietäten des Mittelägyptischen verhalten sich ebenfalls sehr komplex zueinander. Zum einen wäre da das Frühmittelägyptische, welches ab der 6. Dynastie in Briefen, in einigen Grabinschriften und in den Sargtexten der späten sog. »Ersten Zwischenzeit« erscheint (24.–23. Jhd. v. Chr.). Aus diesem bildet sich das ›klassische‹ oder Mittelägyptische heraus, die Sprache des Mittleren Reiches, die bis in die frühe 18. Dynastie hinein die Sprachform der Dekorumstexte bildet (23.– 14. Jhd. v. Chr.). Seit den Hekanachte-Papyri und dem Großen Atonhymnus ist davon ein Spätmittelägyptisch zu trennen, d.h. Mittelägyptisch mit neuägyptischen Einsprengseln (20.–13. Jhd. v. Chr.). Als Neomittelägyptisch oder »égyptien de tradition«131 wird die literarische Sprache des Neuen Reiches und der Spätzeit 129 A. Loprieno, Ancient Egyptian. A linguistic introduction, Cambridge (NY) 1995, 5. 130 Die folgende Darstellung orientiert sich an: F. Junge, in: D.B. Redford (Hrsg.), The Oxford Encyclopaedia of Ancient Egypt III, Oxford 2001, 258–267, s.v. »Language«. 131 P. Vernus, Littérature et autobiographie. Les inscriptions de zꜢ-mwt surnommé Kyky, in: Revue d’Égyptologie 30, 1978, 115–146, bes. 139.
In der Mittelmeerwelt | 65
bezeichnet, die bis zum Ende der ägyptischen Schriftkultur wirksam blieb. Diese Sprachform macht als Schulwissen eine von der gesprochenen Sprache getrennte, eigene Entwicklung durch (11. Jh. v. Chr. – 4. Jh. n. Chr.). Zum »Jüngeren Ägyptischen« zählt das Neuägyptische, Demotische und Koptische. Innerhalb des Neuägyptischen kann man zwischen Medio-Neuägyptisch und dem eigentlichen Neuägyptisch trennen. Ersteres ist vor allem (aber nicht nur) eine Übergangserscheinung in Briefen der frühen 18. Dynastie, den Amarna-Grenzstelen, aber auch der »Geschichte des verwunschenen Prinzen« und besteht aus Neuägyptisch mit mittelägyptischen Elementen und Formen (15.–12. Jh. v. Chr.). Das eigentliche Neuägyptische ist die Sprache der nicht-literarischen Texte des späten Neuen Reiches (19.–22. Dynastie) und der »Dritten Zwischenzeit« sowie einiger gleichzeitiger Dekorumtexte (14.–7. Jh. v. Chr.). Demotisch wird die Sprache der ägyptischen Spätzeit bis 452 n. Chr. genannt, die in demotischer Schrift (7.Jh. v. Chr. – 5. Jh. n. Chr.) auf uns gekommen ist. Es handelt sich um die Alltagssprache des paganen Ägypten in der linguistischen Nachfolge des Neuägyptischen; demotisch bezeichnet sowohl die Schrift- als auch die Sprachstufe. Intern wird zwischen Frühdemotisch (22. Dynastie und Perserzeit; 7.–4. Jh. v. Chr.), Mitteldemotisch (Administration und Alltagstexte der Ptolemäerzeit; 4.–1. Jh. v. Chr.) und Spätdemotisch (Römerzeit; 1. Jh. v. Chr. – 5. Jh. n. Chr.) unterschieden. Die letztgenannte Form weicht zunehmend dem Griechischen und folgt bereits koptischen Grammatikprinzipien, wenn auch in demotischer Schrift. Das Koptische (ab ca. 250 n. Chr. – 17. Jhd.?), die Sprache der ägyptischen Christen, wird im Allgemeinen nicht weiter intern diachronisch differenziert, d.h. es gibt keinen Begriff »Mittelkoptisch« o.ä. Der Terminus »Altkoptisch« bezieht sich nicht auf eine Sprachstufe, sondern charakterisiert die formative Phase der koptischen Schrift. Dass die Forschung trotz einer sich über beinahe ein Jahrtausend erstreckenden Überlieferung keine weiteren Sprachstufen im Koptischen unterscheidet, mag u.a. damit zusammenhängen, dass in der älteren Zeit der saidische Dialekt als Literatursprache dominant war und sich in jüngerer Zeit der bohairische Dialekt als einziger noch als Liturgiesprache halten konnte. Hinzu kommt eine gewisse Erstarrung der Sprachform, wie sie für »aussterbende« Sprachen charakteristisch ist. Die beiden besonders wichtigen Aspekte der ägyptischen Sprachgeschichte sind also Diglossie und die gleichzeitige Verwendung mehrerer Schriftarten. Dies beginnt bereits mit den ersten Inschriften in Hieroglyphen (Monumentalschrift) und Hieratisch (Kurrentschrift/Kursive) im späten 4. Jts. v. Chr. Zwar wird meist davon ausgegangen, die Kursive habe sich aus der Denkmälerschrift, den Hieroglyphen, entwickelt. Da beide Ausprägungen jedoch zeitgleich auftreten, muss dies zumindest hinterfragt werden. Ab der 4. Dynastie (um 2600
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v. Chr.) sind erste längere (zeitgenössische) Texte bekannt; 132 ab ca. ca. 1300 v. Chr. schließlich wird Schrift für alle Belange des Schreibens eingesetzt. 133 Wie bereits erwähnt, ist mit den Pyramidentexte jedoch eine Sprachform greifbar, die vielleicht sogar älter ist als die formative Phase der Schriftentstehung. Wie weit zurück in die Prähistorie man diese Sprachstufe versetzen kann, ist jedoch unklar.134 Hinzu kommt, dass durch die semitohamitische Komparatistik eine Schicht der ägyptischen Phonologie rekonstruiert werden kann, die als »Voraltägyptisch« bezeichnet wurde.135 Es stellt sich also die Frage, ob man die Sprache der archaischen Teile der Pyramidentexte nicht ebenfalls als »Voraltägyptisch« bezeichnen sollte, zumal das »Archaische Altägyptisch« fast ausschließlich über die Schriftform definiert wird – das dort überlieferte Sprachmaterial reicht über Titel praktisch nicht hinaus.136 Roman Gundacker ist es in seiner Dissertation sogar gelungen, Hinweise auf diatopische Varietäten (Dialekte) innerhalb der Pyramidentexte zu finden.137 Varietäten/Dialekte.138 Derartige Varietäten wurden bislang vor allem für Formen des Mittelägyptischen unterschieden,139 sind bislang jedoch noch sehr un-
132 S.D. Schweitzer, Schrift und Sprache der 4. Dynastie, Münster 2005. Zu den ersten Texten der 3. Dynastie vgl. J. Kahl, N. Kloth & U. Zimmermann, Die Inschriften der 3. Dynastie. Eine Bestandsaufnahme, ÄA 56, Wiesbaden 1995. 133 C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 27ff. 134 Diskussion zum Alter der als besonders archaisch geltenden »Schlangensprüche« bei R.C. Steiner, Early Northwest Semitic Serpent Spells in the Pyramid Texts, Harvard Semitic Studies 61, Winona Lake 2011. 135 F. Kammerzell, Old Egyptian and Pre-Old Egyptian. Tracing Linguistic Diversity in Archaic Egypt and the Creation of the Egyptian Language, in: S. Seidlmayer (Hrsg.), Texte und Denkmäler des ägyptischen Alten Reiches, Berlin 2005, 165–246; F. Kammerzell, Zur Interpretation einiger Beispiele graphemsprachlicher Varianz im Ägyptischen, in: Göttinger Beiträge zur Sprachwissenschaft 2, 1999, 61–97, F. Kammerzell, Probleme des afroasiatischen Sprachvergleichs, in: Indogermanische Forschungen 101, 1996, 268–290; F. Kammerzell, The Sounds of a Dead Language. Reconstructing Egyptian Phonology, in: Göttinger Beiträge zur Sprachwissenschaft 1, 1998, 21–41; vgl. auch das Handout F. Kammerzell, Sprachkontakte und Sprachwandel in Alten Ägypten: einige Fallstudien, gehalten am Sonderforschungsbereich »Kulturelle und sprachliche Kontakte. Zentren und Peripherien im historischen Raum Nordostafrika/Westasiens (Mainz, 17. Dezember 1997). 136 Der erste altägyptische Verbalsatz ist erst in der Regierung des Peribsen belegt, also in der Mitte der 2. Dynastie. 137 R. Gundacker, Studien zu Genese und innerer chronologischer Schichtung der Pyramidentexte, Diss. Wien 2009. 138 C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 33. 139 Ch.J. Eyre, Was Ancient Egyptian Really a Primitive Language?, in: Lingua Aegyptia 1, 1991, 97–123, bes. 114–121; J.P. Allen, Colloquial Middle Egyptian: Some Observations on the
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vollkommen erforscht.140 Diatopische Varianzen sind im vorkoptischen Ägyptisch bislang kaum zu fassen, auch wenn manche Einzelphänomene bestimmten ›Dialekten‹ zugewiesen wurden.141 Einige Forscher versuchten, Dialekte zu postulieren, um bestimmte phonetische Entwicklungen zu erklären, die mit den regulären Lautregeln nicht zu deuten wären.142 Mehrfach wurde vertreten, die Sprachstufen des Ägyptischen gingen in Wirklichkeit auf unterschiedliche diatopische Varietäten (›Dialekte‹) zurück, wobei die Meinungen auseinander gehen, auf welche Region welche Sprachstufe zurückzuführen sei:
Edgerton Grapow, Fecht145
143
144
Edel,146 Schenkel147
Unterägypten
Oberägypten
Mittelägypten
Altäg. & Neuägpt.
Mittelägptisch
—
Altäg. & Mitteläg.
Neuägyptisch
—
AR-Sprache & Mitteläg.
frühestes Altäg. & Neuägyptisch
—
Language of Heqanakht, in: Lingua Aegyptia 4, 1994, 1–12; J.P. Allen, The Heqanakhte Papyri, New York 2002, 86–101 und M. el–Hamrawi, Alte-Reichs-Sprache und Mittlere-Reichs-Sprache in abydenischen Texten der 11–12. Dynastie, in: Lingua Aegyptia 12, 2004, 89–122. 140 Vgl. die Bemerkung bei W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen 2012, 10 »Diskussion«. 141 G. Roquet, Chronologie relative des changements phonétiques affectant [z] et [r] et dialectismes provinciaux à l’Anien Empire, in: J. Vercoutter (Hrsg.), Hommage à la mémoire de Serge Sauneron, BdE 81, Kairo 1979, 437–462 (Altägyptisch); S.I. Groll, A short grammar of the Spermeru dialect, in: F. Junge (Hrsg.), Studien zur Sprache und Religion Ägyptens. Fs. W. Westendorf, Göttingen 1984, Band I, 41–61 und S.I. Groll, The negative sḏm.n.f in the Kubban dialect, in: J. Osing & G. Dreyer (Hrsg.), Form und Maß. Beiträge zur Literatur, Sprache und Kunst der alten Ägypter (Fs. G. Fecht), ÄAT 12, Wiesbaden 1997, 154–166 (Neuägyptisch); F. Lexa, Les dialects dans la langue démotique, in: Analecta Orientalia 6, 1934, 161–172 und F. Lexa, Grammaire démotique (7 Bände), Prag 1949: I§182–191 (Demotisch). 142 G. Fecht, Wortakzent und Silbenstruktur. Untersuchungen zur Geschichte der ägyptischen Sprache, ÄF 21, Glückstadt 1960, 246; A. Loprieno, Ancient Egyptian. A linguistic introduction, Cambridge (NY) 1995, 31 und W. Vycichl, La vocalisation de la langue Égyptienne. I: La phonétique, BdE 16, Kairo 1990, 111f. 143 W.F. Edgerton, Early Egyptian dialect interrelationships, in: Bulletin of the American Schools of Oriental Research 122, 1951, (9–12) 11f. 144 H. Grapow, Ägyptisch. Vom Lebenslauf einer altafrikanischen Sprache, in: H.H. Schaeder (Hrsg.), Der Orient in deutscher Forschung, Leipzig 1944, (205–216), bes. 209, 211f. 145 G. Fecht, Wortakzent und Silbenstruktur. Untersuchungen zur Geschichte der ägyptischen Sprache, Ägyptologische Forschungen 21, Glückstadt 1960, 161f., 206–8. 146 E. Edel, Altägyptische Grammatik, AnOr 34/39, Rom 1955/64, I, §21f. 147 W. Schenkel, Zu den Verschluß– und Reibelauten im Ägyptischen und (Hamito)Semitischen. Ein Versuch zur Synthese der Lehrmeinungen, in: Lingua Aegyptia 3, 1993, (137–182), bes. 148.
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Davies148 Satzinger
Mittelägyptisch 149
Neuägyptisch
unbekannte Lokalisierung: frühestes Altäg. & Neuägyptisch
Altäg. & Demotisch Altäg. & Mitteläg.
Abgrenzungen. Wenn traditionell zwischen Alt-, Mittel- und Neuägyptisch unterschieden wird, dann folgt dies in den Grundzügen dem Periodisierungschema der altägyptischen Geschichte mit Altem, Mittlerem und Neuem Reich, auch wenn die Trennung zwischen Mittelägyptisch/Neuägyptisch erst unter Echnaton, also bereits während des Neuen Reiches angesetzt wird. Die Periodisierung suggeriert, dass die Sprachstufen jeweils linguistisch betrachtet Nachfolger voneinander sind, was jedoch nicht der Fall ist. So hängen das Altägyptische und das mit der 12. Dynastie in offiziellen Dokumenten auftretende Mittelägyptische (ab ca. 2000 v. Chr.) nicht direkt zusammen, sondern basieren wohl auf unterschiedlichen Dialekten. Der Grund für die Veränderungen wird in der Verlagerung des Zentrums gesehen: Die Hauptstadt des Alten Reiches lag in Unterägypten (Memphis), die Pharaonen des Mittleren Reiches stammten jedoch aus der Thebais in Oberägypten. Diglossie. Das Mittelägyptische wird die ›klassische‹ Literatursprache, was Christopher Eyre als eine Art »homerischer Dialekt« des Ägyptischen bezeichnet hat.150 Ab etwa 1300 v. Chr. setzt eine Unterscheidung bei der Textproduktion ein, die Trennung zwischen einer klassischen Literatursprache (Neomittelägyptisch) und dem zeitgenössisch gesprochenen Neuägyptischen. Die Gebrauchsdomänen sind abhängig vom Textinhalt, d.h. es wird unterschieden zwischen literarischen, religiösen und Herrschaftstexten im Gegensatz zu solchen administrativer, ökonomischer oder privater Belange. Zwischen ca. 1300– 1000 v. Chr. existieren in Ägypten verschiedene Grade an Mischungen dieser Register, danach sind die Verwendungssphären strikter getrennt. Mit der persischen Eroberung 525 v. Chr. beginnt eine neue Phase der Schriftgeschichte Ägyptens, da nun mit dem Verlust der politischen Autonomie (›Fremdherrschaft‹) im Gegensatz zur ›Libyer-‹ oder ›Kuschitenzeit‹ einhergeht, dass die fremden Herrscher versuchen ihre Schriftsprachen im Niltal zu etablieren (Perser: Aramäisch; Ptolemäer/Römer: Griechisch). Die in jener Zeit gesprochene Sprachform des Ägyptischen wird nach der entsprechenden Schriftart 148 V.L. Davies, Syntax of the negative particles bw and bn in Late Egyptian, Münchner Ägyptologische Studien 29, München 1973, 202. 149 H. Satzinger, Das ägyptische »Aleph«-Problem, in: M. Bietak et al. (Hrsg.), Zwischen den beiden Ewigkeiten. Festschrift Gertrud Thausing, Wien 1994, (191–205) 202–204. 150 Ch. Eyre, Was Egyptian Really a Primitive Language?, in: Lingua Aegyptia 1, 1991, 97–123.
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Demotisch genannt. Jene geht letztlich auf das Hieratische zurück, wenn auch nicht passgenau. Immer noch ist das Neomittelägyptische für religiöse Texte in Gebrauch – in der Römerzeit beginnt schließlich das Griechische bei den Gebildeten zu dominieren. Zur Diglossie tritt also der Sprachwechsel. Der Schriftgebrauch der religiösen Texte wird in der Ptolemäerzeit immer komplexer, vor allem da das Zeicheninventar exponentiell ansteigt. In jüngster Zeit hat Dieter Kurth versucht, nicht nur die Schrift, sondern auch die Sprachform jener Inschriften als eigene Stufe zu bestimmen.151 Das Postulat eines eigenständigen »Ptolemäisch« ist jedoch zurecht auf Ablehnung gestoßen.152 Bereits in jener Periode kommt es zu ersten Wiedergaben ägyptischer Sprache durch griechische Lettern153 – eine ägyptische Inschrift des oberägyptischen Provinzherrschers Hurgonaphor ist sogar ganz in griechischer Schrift.154 Die ersten griechischen Verschriftungsversuche mit Hilfe verschiedener demotischer Laut- und Wortzeichen wird etwas missverständlich als »Altkoptisch« bezeichnet – weder ist die Sprache koptisch (sondern demotisch), noch werden in der Koptologie allgemein diachrone Sprachstufen wie »Mittelkoptisch« o.ä. unterschieden. In jener Verschriftungsphase ist sogar ein demotisch-griechisches Schriftgemisch zur Darstellung eines neomittelägyptischen Texte belegt (pBM 10808)!155 Mit der zunehmenden Christianisierung schwinden die Kenntnisse der Hieroglyphenschrift vollends – der letzte pagan-hieroglyphische Text (394 n. Chr.) legt bereits rein äußerlich Zeugnis davon ab. Ein weiterer Hinweis in jene Richtung ist der Umstand, dass zuletzt immer mehr pseudo-hieroglyphische Inschriften gefertigt wurden.156 Die letzte demotische Inschrift datiert in das Jahr 452 n. Chr. Die Herausbildung der koptischen Schrift(en) basiert auf dem sog. »Altkoptischen«. Nachdem die Schrift um 300 n. Chr. mit der Bibelübersetzung voll entwickelt ist,157 setzt wieder eine reiche ägyptischsprachige Textproduktion ein, 151 D. Kurth, Einführung ins Ptolemäische I, Hützel 2007. 152 J.F. Quack, Rezension von D. Kurth, Einführung ins Ptolemäische, Teil 1, in: Die Welt des Orients 39, 2009, 130–139. 153 J. Quaegebeur, Pre-Old Coptic, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 190f. 154 C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 28; P.W. Pestman, Recueil de textes démotiques et bilingues, avec la collaboration de H. Quaegebeur et R.L. Vos, 3 Bände, Leiden 1977, Nr. 11; K. Vandorpe, The chronology of the reigns of Hurgonaphor and Chaonnophris, in: Chronique d’Égypte 61, 1986, (294–302), bes. 300. 155 J. Osing, Der spätägyptische Papryus BM 10808, Ägyptologische Abhandlungen 33, Wiesbaden 1976. 156 H. Sternberg el-Hotabi, Der Untergang der Hieroglyphenschrift, in: Chronique d’Égypte 69, 1994, 218–248. 157 P.E. Kahle, Balaʾizah. Coptic Texts from Beir el-Balaʾizah in Upper Egypt, 2 Bände, London 1954, I, 269–272.
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auch wenn daneben Griechisch in der Verwaltung bis in die islamische Zeit dominant bleibt. Da erstmals in der ägyptischen Sprachgeschichte der Vokalismus regulär abgebildet wird, sind wir über die Situation der Dialekte im Koptischen gut unterrichtet. Unterschieden werden vor allem Sahidisch, Bohairisch, Achmimisch, Lykopolitanisch, Fayumisch und Mesokemisch.158 Es sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass Antonio Loprieno, ausgehend von früheren Überlegungen vor allem durch Fritz Hintze159, die These vertrat, die koptischen »Dialekte« seien lediglich unterschiedliche Orthographietraditionen und reflektierten keine sprachlichen Variationen.160 Bereits aus allgemeinen Überlegungen heraus (Größe des linguistischen Areals) erscheint dies mehr als fraglich, vor allem jedoch angesichts der zahlreichen Divergenzen lexikalischer161 sowie morphologischer und syntaktischer Natur.162 Die arabische Eroberung verankert ab 640 n. Chr. schließlich mit dem Islam die arabische Schriftsprache – der letzte große neu komponierte koptische Text ist das um 1322 entstandene Triadon.163 Schriftarten.164 Meist werden die ägyptischen Schriftarten je nach dem absteigenden Grad der Monumentalität bzw. Bildhaftigkeit unterteilt in: Hieroglyphen – Kursivhieroglyphen – Hieratisch. Daneben gibt es noch die ›Proto-Hieroglyphen‹, die Schriftzeichen der Frühzeit.165 Kurioserweise ist bei diesen streng genommen kaum nachgewiesen, dass sie die ägyptische Sprache widerspiegeln, noch dass ihr System dasselbe ist wie dasjenige der späteren Hieroglyphenschrift. Der Umstand, dass diese allerersten ägyptischen Zeichen im Grunde
158 Kurzübersicht über die Hauptdialekte des Koptischen bei C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 35f. Ausführlicher: R. Kasser, in: A.S. Atiy, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 133–141, s.v. »Geography, dialectal«. 159 F. Hintze, Zur koptischen Phonologie, in: Enchoria 10, 1980, 23–91. 160 A. Loprieno, Methodologische Anmerkungen zur Rolle der Dialekte in der ägyptischen Sprachentwicklung, in: Göttinger Miszellen 53, 1982, 75–95. 161 C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, Appendix 10. 162 H.-J. Polotsky, The Coptic Conjugation System, in: Orientalia 29, 1960, 392–422, hier 401, Anm. 20; A. Shisha–Halevy, Bohairic-Late Egyptian diaglosses: a contribution tot the typology of Egyptian, in: D.E. Young (Hrsg.), Studes Presented to Hans Jakob Polotsky, East Gloucester (Mass.) 1981, 314–338. 163 O. von Lemm, Das Triadon. Ein sahidisches Lehrgedicht mit arabischer Übersetzung, St. Petersburg 1903; P. Nagel, Das Triadon. Ein sahidisches Lehrgedicht des 14. Jahrhunderts, Halle (Saale) 1983, bes. 22f. 164 Nach F. Kammerzell, Egyptian Hand-Writing. An introduction into Middle Hieratic book script (Ms.). Vgl. auch L. Depuydt, On the Nature of the Hieroglyphic Script. in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 121, 1994, 17–36. 165 G. Dreyer, Umm el-Qaab I. Das prädynastische Königsgrab U-j und seine frühen Schriftzeugnisse, Archäologische Veröffentlichungen 86, Mainz 1998.
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›hieratisch‹ sind, lässt fraglich erscheinen, ob das bisherige Modell zur Genese dieser Schriftform richtig ist. Bislang geht man nämlich davon aus, dass die Schrift in ihrer stark bildhaften monumentalen Ausprägung (Hieroglyphen) entwickelt wurde und das Hieratische als »Kursive« eine vereinfachende Ableitung darstellt. Mit anderen Worten, das gängige Modell zur Unterteilung der ägyptischen Schriftarten ist nicht wirklich adäquat. Zur Unterscheidung sollte vielmehr ein Bündel distinktiver Kriterien betrachtet werden. Diese könnten sein: ① Dreidimensionalität; ② Mehrfarbigkeit; ③ komplexe Struktur innerhalb von Zeilen; ④ in mehreren Arbeitsprozessen hergestellt (Vorzeichnung etc.), eventuell mit verschiedenen Werkzeugen; ⑤ Bildhaftigkeit; ⑥ Vektor-Bestandteile (Linien, keine Flächen); ⑦ Linksläufigkeit; ⑧ Varianten (Allographen) als Teile von Ligaturen; ⑨ schnellgeschrieben vs. nachlässig ausgeführt. Erschwerend kommt hinzu, dass es Mischtexte gibt, etwa Hieroglyphentexte mit ›Hieratismen‹ (die Stele des Nastasen). Der umgekehrte Fall liegt vor im pBerlin 3022 (Sinuhe), wo mitten im hieratischen Text ein einzelnes Antilopenzeichen eher kursivhieroglyphisch ist als hieratisch. Ebenfalls belegt ist die Beeinflussung der Hieroglyphen durch das Hieratische.166 Ein Paradebeispiel für den Wechsel zwischen verschiedenen Schriftträgern und Schriftformen sind die Texte zur Schlacht von Qadeš.167 Viele Hieroglypheninschriften wurden zuerst in Hieratisch verfasst bzw. konzipiert und dann in die andere Schriftart übertragen – teilweise sind diese Vorlagen noch deutlich ›spürbar‹. Im Falle der KamoseStele ist sogar eine solche hieratische Version bzw. deren Abschrift auf einem Schreibbrett auf uns gekommen; die Berliner Lederrolle überliefert die Kopie einer Bauinschrift Sesostris᾽ I.168 und auch von zwei Stelen des Psammetik I. ist eine demotische Kopie erhalten.169 Wie wenig ausgeprägt die Trennung zwischen Hieroglyphen und Hieratisch ist, zeigt ein Blick auf die Verwendungsdomänen. Zwar ist grundsätzlich die
166 D. Kurth, Der Einfluß der Kursive auf die Inschriften des Tempels von Edfu, in: D. Kurth (Hrsg.), Edfu – Bericht über drei Surveys, Materialien und Studien, Wiesbaden 1999, 69–96. 167 A.J. Spalinger, The transformation of an ancient Egyptian narrative: P. Sallier III and the battle of Kadesh. Wiesbaden 2002; J.-L. Fournet, L’influence des usages littéraires sur l’écriture des documents: Perspectives, in: A. Bülow-Jacobsen (Hrsg.): Proceedings of the 20th International Congress of Papyrologists, Copenhagen, 23 – 29 August, 1992, Copenhagen 1994, 418– 422; M.L. Bierbrier (Hrsg.), Papyrus: Structure and usage. London 1986 168 A. de Buck, The Berlin Leather Roll, Rom 1938; H. Goedicke, The Berlin Leather Roll (P. Berlin 3029), in: Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Berlin Ägyptischen Museums, Berlin 1975, 87–104; A. Piccato, The Berlin Leather roll and the Egyptian Sense of Historyin, in: Lingua Aegyptia 5, 1997, 137–159. 169 E.F. Wente, in: D.B. Redford (Hrsg.) Oxford Encyclopaedia of Ancient Egypt III, New York 2001, 202–210, s.v. »Script. Hieratic«, hier 208.
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Faustregel offiziell = hieroglyphisch, inoffiziell = hieratisch durchaus haltbar, doch gibt es auch Gegenbeispiele wie Monumentalhieratisch.170 und Kursivhieroglyphen171. Dieses Verschwimmen der Grenzen zeigt, wie sehr der Parameter ›Bildhaftigkeit‹ ein Kontinuum darstellt – Graffiti sind übrigens in beiden Formen denkbar.172 Künstlich ist eigentlich auch die Abgrenzung zwischen Kursivhieroglyphen und Althieratisch: Beide Systeme habe keine Ligaturen, wie sie für das Hieratische typisch sind.173 Bemerkenswert ist ferner der Umstand, dass sowohl die althieratischen und dann viel später wieder die frühdemotischen Zeichenformen relativ nahe an denjenigen der Hieroglyphen sind.174 Dies zeigt, dass die Unterscheidung Hieratisch und Demotisch ebenfalls nicht sehr glücklich ist. Zeichenstile. Die Hieroglyphen bewahren während der gesamten pharaonischen Schriftgeschichte ihren Bildcharakter weitgehend, auch wenn dieser auf lange Sicht gewissen Entwicklungen unterworfen sind – man denken nur an den speziellen Zeichenstil der Inschriften aus der sog. »Ersten Zwischenzeit« oder die auf den ersten Blick als ›ptolemäisch‹ zu identifizierenden Inschriften. Das Hieratische macht demgegenüber einen viel schnelleren Wandel durch. Es muss betont werden, dass man nicht einfach Hieratisch eins zu eins in Hieroglyphen umsetzen kann. Hieratisch wird grundsätzlich linksläufig geschrieben, auch in Kolumnenschreibung. Ligaturen kommen bei den Hieroglyphen kaum vor, außer in archaischer Zeit. Wahrscheinlich aufgrund der Bildhaftigkeit, aber auch durch die Tradition bedingt, sind bei hieroglyphischen Texten viel weniger Graphieschwankungen zu beobachten. Im Hieratischen werden dafür Zweikonsonantenzeichen fast immer komplementiert. Charakteristisch ist hier ferner die ausgeweitete Funktion des Striches: Der einfache Strich dient nicht nur als Ersatz bzw. Variable für komplizierte Bildzeichen, sondern auch zur diakritischen Differenzierung zusammengefallener Zeichenformen. Im Hieratischen verfügte man über zwei Formen der Auszeichnung, die in hieroglyphischen Inschriften nicht gebraucht werden: sog. ›Verspunkt‹ zur poetischen und Rubra zur inhalt170 D. Meeks, Une borne commémorative hiératique, in: Chronique d’Égypte 70, 1995, 72–83. 171 M. Allam, Die Kursivhieroglyphen: Sind sie Hieroglyphen oder Hieratisch? Zur Stellung der Kursivhieroglyphen innerhalb der ägyptischen Schriftgeschichte, in: Annales du Service des Antiquitées Égyptiennes 81, 2007, 33–37; Mohamed Sherif Ali, Die Kursivhieroglyphen: Eine paläographische Betrachtung, in: Göttinger Miszellen 180, 2001, 9–21. 172 A. Peden, The graffiti of pharaonic Egypt: scope and roles of informal writings (c. 3100– 332). Leiden 2001. 173 Nota bene: auch die Hieroglyphen kennen Ligaturen. 174 S. Vleeming, La phase initiale du démotique ancien, in: Chronique d’Égypte 56, 1981, 31– 48.
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lichen Gliederung (Paragrapheneinteilung). Auf der anderen Seite werden Hieroglyphen oft mit vielen polychrom gefassten Details versehen. Bislang in der Ägyptologie kaum beachtet wurde die Tatsache, dass es nicht nur das Konzept der »Eugraphie« für hieroglyphische Inschriften gibt (also die möglichst passgenaue Anordnung der Zeichen in einem imaginären ›Schriftquadrat‹), sondern auch die Kalligraphie bei hieratischen Texten. Deren Kriterien sind gänzlich anders, und zwar eher wie bei anderen ›Schönschriften‹ (Chinesisch oder Arabisch). Es wären dies etwa: Flüssigkeit des Pinselstriches, Proportioniertheit der Ligaturen, Gleichmäßigkeit des Tuscheauftrags oder die Orientierung an einer Grundlinie. Altägyptische Schriftprinzipien.175 Alle ägyptischen Schriftarten der Pharaonenzeit funktionieren gleich, d.h. Hieroglyphen und Kursivschriften folgen denselben Grundprinzipien. Grundsätzlich handelt es sich nicht um eine Bilderschrift, sondern lediglich um eine teilweise sehr bildhafte Schrift.176 Das System ist gemischt phonographisch-semographisch, es werden also fallweise Laute, fallweise semantische Einheiten geschrieben. Ein hier nicht behandeltes Spezialphänomen sind nontextuelle Markierungssysteme im Ägyptischen. 177 Dass man eine Schrift entwickelte, bei der lediglich die Konsonanten wiedergegeben werden,178 ist nicht ungewöhnlich, sondern durch die Sprachstruktur der semitohamitischen Sprachen bedingt.179 Aufgrund der fehlenden Vokalschreibungen ist die Interpretation immer kontextabhängig – ein Zeichen kann mehrere Lesestrategien implizieren oder Verschiedenes notieren180: Logogramm (Wortsinn), Klassi-
175 W. Schenkel, Die hieroglyphische Schriftlehre und die Realität der hieroglyphischen Graphien, in: Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, philosophisch-historische Klasse 138, 2003; W. Schenkel, The Structure of Hieroglyphic Script, in: Royal Anthropological Institute News 15, 1976, 4–7; W. Schenkel, in: Lexikon der Ägyptologie V, Wiesbaden 1984, Sp. 713–735, s.v. »Schrift«. 176 A. Assmann & J. Assmann (Hrsg.), Hieroglyphen: Stationen einer abendländischen Grammatologie, München 2003. 177 P. Andrassy, J. Budka & F. Kammerzell (Hrsg.), Non-Textual Marking Systems, Writing and Pseudo Script from Prehistory to Modern Times. Göttingen 2009. 178 W. Ernst & F. Kittler (Hrsg.), Die Geburt des Vokalalphabets aus dem Geist der Poesie: Schrift, Zahl und Ton im Medienverbund, München 2006. 179 Die Grundbedeutung einer Wurzel liegt ausschließlich in den (meist) drei Wurzelkonsonanten – das Vokalisationsmuster dient demgegenüber lediglich der Formendifferenzierung. 180 P. Vernus, L’écriture hiéroglyphique: Une écriture duplice?, in: Cahiers Confrontation 16, 1986, 59–66.
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fikator (Kategorie; Supplementärsinn) und Phonogramm (Laut).181 Zur Unterscheidung gibt es »Lesehilfen« oder »Kennzeichnungen«. Der lautlichen Kennzeichnung dienen Phonogramme, bei denen je nach Konsonantenzahl in der Regel zwischen »Ein-« und »Zweikonsonantenzeichen« unterschieden wird. Meist werden daneben in der Ägyptologie Phonogramme für Folgen mit drei oder gar mehr Konsonanten angesetzt, doch ist dies nicht gesichert, da mit längerer Konsonantenfolge die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die durch sie notierten Wörter auch etymologisch miteinander verwandt sind, also keine phonographische Notation vorliegt.182 Die Elementargrapheme (»Einkonsonantenzeichen«) decken alle 24 Phoneme der Sprache ab, werden jedoch praktisch nie rein alphabetisch verwendet, sondern zumeist komplementär als Lesehilfe zu den etwa 80 »Zweikonsonantenzeichen«. Phonogramme werden nach dem Rebusprinzip durch Paranomasie abgeleitet, d.h. der Leser operiert mit dem »Namen« des Dargestellte, bzw. dessen Lautgestalt. Wie bereits erwähnt wurde der Schritt zum Alphabet nie vollzogen, wohl aus kulturellen und semiotischen Erwägungen heraus – Ägypten war eine Schriftbildkultur183; die Schrift war Ausdruck von Konservativismus und Machterhalt der Elite. Neben den Phonogrammen gibt es Semogramme (Begriffszeichen), die zur Notation einer semantischen Komponente der ägyptischen Sprache dienen. Diese kommen in zwei Ausprägungen vor: als Logogramme und Determinative bzw. »Klassifikatoren«. Erstere dienen zur Notation von Wörtern (Wortzeichen) und werden dann mit dem sog. »Logogrammstrich« versehen. Bei Logogrammen wird der Bildgehalt unterschiedlich transportiert, entweder über eine direkte Beziehung signifier → signified oder metonymisch (z.B. »Kuhohr« → »hören«; »Flamingo« → »rot«.)184 Determinative dienen zur Kennzeichnung eines semantischen Bereiches, d.h. einer semantischen Kategorie.185 Da sie auf der Schriftebene ähnlich funktionieren wie morphologische Elemente in den sog.
181 F. Kammerzell, The Sounds of a Dead Language: Reconstructing Egyptian Phonology, in: Göttinger Beiträge zur Sprachwissenschaft 1, 1998, 21–41. 182 W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen 62005, 44, Anm. 1. 183 K.R. Weeks, Art, Wort, and the Egyptian World View, in: K.R. Weeks (Hrsg.), Egyptology and the Social Sciences, Kairo 1979, 59–81; H.G. Fischer, L’ecriture et l’art de l’Égypte ancienne, Paris 1986. 184 O. Goldwasser, in: D.B. Redford (Hrsg.) Oxford Encyclopaedia of Ancient Egypt III, New York 2001, 198–202, s.v. »Script. Hieroglyphs«, hier 199. 185 W. Smoczynski, Seeking structure in the lexicon: On some coginitive-functional aspects of determinative assignment, in: Lingua Aegyptia 6, 1999, 153–162; O. Goldwasser & M. Müller, The Determinative System as a Mirror of World Organization, in: Göttinger Miszellen 170, 1999, 49–68.
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»Klassensprachen«, werden sie in jüngster Zeit auch gerne als »Klassifikatoren« bezeichnet, besonders von einer Forschergruppe186 um Orly Goldwasser187 und Frank Kammerzell188. Determinative stehen im Ägyptischen immer hinter der entsprechenden semantischen Einheit.189 Daraus resultiert der Umstand, dass sie im Laufe der Zeit immer mehr zu einer Art impliziten Wortgrenzensignal werden, vor allem nachdem es üblich wird, mehrere Determinative direkt hintereinander zu schreiben. Entstanden ist das Klassifikatorensystem wohl ursprünglich zur Unterscheidung homonymer Wurzeln. Nach Orly Goldwasser sind vier Arten von Klassifikatoren zu scheiden: ① Entweder handelt es sich um ein ›Bildsynonym (pictorial synonym), d.h. das Zeichen zeigt einfach, wie das Objekt aussieht; oder ② es liegt eine metonymische Beziehung vor, das Zeichen setzt also einen Kontext (z.B. das »Tor« mit »Haus« als Klassifikator). Eine weitere Art ist ③ das Taxonym und schließlich kann ein Klassifikator auch ④ eine metaphorischer Ebene anzeigen, wenn etwa das Verb sn »vorhersehen« mit der langhalsigen Giraffe determiniert wird.
186 E.-S. Lincke, Die Prinzipien der Klassifizierung im Altägyptischen, Göttinger Orientforschungen IV:38/6 (= Classification and Categorization in Ancient Egypt 6), Wiesbaden 2011; F. Kammerzell & E.-S. Lincke, Egyptian classifiers at the interface of lexical semantics and pragmatics, in: E. Grossman, S. Polis & J. Winand (Hrsg.), Lexical Semantics in Ancient Egyptian, Lingua Aegyptia. Studia Monographica 9, Hamburg 2012, 55–112. Vgl. auch das Projekt COST Action A31 »Stability and Adaptation of Classification Systems in a Cross-Cultural Perspective«. 187 Vgl. besonders O. Goldwasser, From Icon to Metaphor: Studies in the Semiotics of the Hieroglyphs, OBO 142, Fribourg/Göttingen. 1995; O. Goldwasser, Prophets, Lovers and Giraffes: Wor(l)d Classification in Ancient Egypt, Classification and Categorisation in Ancient Egypt 3, Göttinger Orientforschungen IV/38, Wiesbaden 2002; O. Goldwasser, Where Is Metaphor?: Conceptual Metaphor and Alternative Classification in the Hieroglyphic Script , in: Metaphor and Symbol 20, 2005, 95–113; O. Goldwasser & N. Laor, The Allure of the Holy Glyphs: A Psycholinguistic Perspective on the Egyptian Script, in: Göttinger Miszellen 123, 1991, 37–51; O. Goldwasser, A Comparison between Classifier Languages and Classifier Script: The Case of Ancient Egyptian , in: G. Goldenberg & A. Shisha-Halevi (Hrsg.), Ancient Egyptian, neo-semitic, methods in linguistics: Polotsky memorial volume, Jerusalem 2009 16–39. 188 F. Kammerzell, Graphic Information Processing, in: P. Andrássy, J. Budka & F. Kammerzell (Hrsg.), Non-Textual Marking Systems, Writing and Pseudo-Script from Prehistory to Modern Times, Lingua Aegyptia. Studia Monographica 8, Göttingen 2009, 277–308; F. Kammerzell, Klassifikatoren und Kategorienbildung in der ägyptischen Hieroglyphenschrift, in: Spektrum. Informationen aus Forschung und Lehre 3,1999, 29–34. Zum Koooperationsprojekt Göttingen/Jerusalem (d.h. Kammerzell/Junge/Goldwasser) zwischen 1997–200 (Typology and Usage of Egyptian Hieroglyphic Writing bzw. Classifiers and Categorization in Ancient Egypt) vgl. den Bericht: »Ägyptologen setzen erfolgreiche Zusammenarbeit mit Jerusalem fort«, in: Spektrum. Informationen aus Forschung und Lehre 3/2000, 29. 189 Dies ist bei der ähnlich funktionerenden Keilschrift und auch im Hieroglyphen–Luwischen anders.
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Denkmälerschrift (Hieroglyphen).190 Die Hieroglyphen (von ἱερογλυφικὰ γράμματα hieroglyphikà grámmata »heilige Meißelzeichen«) bilden die Denkmälerschrift des pharaonischen Ägypten, geschaffen für repräsentative Zwecke. Die Hieroglyphen als Ganzes wurden mṭw.w-nčr »Gottesworte« genannt, die einzelnen Zeichen tt »Zeichen, Bild«. Entstanden im ausgehenden 4 Jts., war diese Schriftart bis ans Ende der ›heidnischen‹ Zeit (ca. 5. Jhd. n. Chr.) im Gebrauch. Ihr bildhafter Charakter war mehr oder weniger stark ausgeprägt, 191 bis hin zur Farbgebung und der Unterscheidung von Tierspezies. Die Zeichen sind stilisierte Bilder von Lebewesen und Objekten bzw. von Teilen davon.192 Sie stellen also piktographisch Wesen und Objekte der wirklichen Welt dar.193 Sie sind nicht arbiträr, sondern in Stein gemeißelte oder gemalte Miniaturbilder und also solche unterliegen ihre Darstellungsprinzipien den altägyptischen Konventionen in der Kunst, v.a. der Aspektive.194 Trotzdem geben sie immer die Laute von Sprache wieder, und zwar nicht nur der ägyptischen. Gedacht waren die Hieroglyphen prinzipiell für die Ewigkeit und gegründet sind sie in der visuellen Kunst – zu jeder Zeit spielten die Hieroglyphen eine Rolle in der visuellen Indoktrinierung durch die Machthaber. 195 Ihre ideologische Funktion wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, in wie weit die Zeichen das Weltbild ihrer ›Erfinder‹ und das ihrer Schreiber wiedergeben. 196 Beispielsweise stellt das Semogramm für pr(.w) »Haus« ein Einraumhaus dar, wie es zur Zeit der ›Schrifterfindung‹ üblich war; das Determinativ für »Mann/ Mensch« zeigt immer einen Ägypter, nie einen Afrikaner; sč̣ r »die Nacht verbringen« wird mit einem Mann (und nicht einer Frau) auf einem Bett geschrieben!197
190 Zusammenfassend: C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 27–65; W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen 62005, 17–40; H.G. Fischer, in: Lexikon der Ägyptologie II, Wiesbaden 1977, Sp. 1189–1199, s.v. »Hieroglyphen«. 191 O. Goldwasser & M. Müller, The Determinative System as a Mirror of World Organization, in: Göttinger Miszellen 170, 1999, 49–68; L.D. Morenz, Bild-Buchstaben und symbolische Zeichen: Die Herausbildung der Schrift der hohen Kultur Altägyptens, Orbis biblicus et orientalis 2005, Fribourg 2004. 192 N.M. Davies, Picture Writing in Ancient Egypt, Oxford 1958. 193 N.M. Davies, Picture Writing in Ancient Egypt, Oxford 1958. 194 O. Goldwasser, in: D.B. Redford (Hrsg.) Oxford Encyclopaedia of Ancient Egypt III, New York 2001, 198–202, s.v. »Script. Hieroglyphs«, hier 202. 195 H. de Velde, Egyptian Hieroglyphs as Signs, Symbols and Gods, in: Visible Religion 4–5, 1986, 63–72. 196 O. Goldwasser, From Icon to Metaphor: Studies in the Semiotics of Hieroglyphs, Orbis Biblicus et Orientalis 142, Fribourg 1995.
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Das System war prinzipiell offen, d.h. es wurden bei technologischen und anderen Neuerungen immer wieder Zeichen geschaffen, z.B. die Hieroglyphen für »Pferd« und »Streitwagen«, nachdem man das Pferd und die entsprechenden Fahrzeuge kennengelernt hatte. Zeichen können auch »modernisiert« werden, wenn sich das Aussehen der jeweils dargestellten Objekte änderte, etwa bei Waffen (v.a. Äxte), Werkzeugen oder der Schreiberpalette. Die Zeichenformen reflektierten aber nicht nur technische, sondern auch kulturelle Neuerungen.198 Ein Beispiel wäre die ›Schriftrolle‹, die im Alten Reich nur mit Siegelung, im Mittleren Reich jedoch mit den beiden Enden der sie bindenden Schnur gezeichnet wird und in einer Übergangsphase mit nur einem Ende. Aufgrund derartiger kultureller Implikationen lässt sich aus dem hieroglyphischen Schriftsystem, besonders der Verwendung der Determinative, viel über die altägyptischen Wahrnehmungskonzepte herausfinden.199 Die meisten Zeichen stehen für Phonogramme, die durch das Rebusprinzip gewonnen wurden, d.h. abgeleitet von den Namen der Objekte/Lebewesen, welche sie darstellen. Bei diesem Vorgang blieben die Vokale und teilweise auch ›schwache‹ Konsonanten und Flexionsendungen unbeachtet, etwa bei der Ableitung von »Wasser« = äg. *mắw → mw oder »Eule« = äg. *amw → m. Die Sprachstruktur hatte also einen großen Einfluss auf die Schriftstruktur – im Ägyptischen wird, wie in den semitischen Sprachen, die Grundbedeutung der Wurzel durch das Konsonantengerüst getragen und das Vokalisationsmuster dient lediglich der formalen Differenzierung. Bei den Semogrammen wird meist ein Objekt dargestellt, das mit dem sprachlich Bezeichneten mehr oder weniger eng zusammenhängt, man hat also meist die Darstellung des Bezeichneten direkt vor sich oder zumindest die Darstellung eines diesem nahestehenden Objektes. Es kommen aber auch rein konventionelle Symbole vor, die Champollion »tropische« Zeichen« nannte.200 Meist bestehen die Schriftzeichen aus einzelnen Bildzeichen, selten aus einer Kombination von mehreren (Bigraphe, Trigraphe).201 Daneben gibt es Kom-
197 O. Goldwasser, in: D.B. Redford (Hrsg.) Oxford Encyclopaedia of Ancient Egypt III, New York 2001, 198–202, s.v. »Script. Hieroglyphs«, hier 202. 198 O. Goldwasser, in: D.B. Redford (Hrsg.) Oxford Encyclopaedia of Ancient Egypt III, New York 2001, 198–202, s.v. »Script. Hieroglyphs«, hier 201. 199 O. Goldwasser, From Icon to Metaphor: Studies in the Semiotics of Hieroglyphs, Orbis Biblicus et Orientalis 142, Fribourg 1995. 200 W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch–ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen 62005, 42f. 201 W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen 62005, 42, Anm. 1.
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posithieroglyphen, v.a. in der archaischen Schreibnorm.202 Welche Details bei den einzelnen Zeichen graphematisch signifikant sind und welche nicht, ist nicht immer vorauszusehen, sondern eine Frage der Konvention. Beispielsweise ist unerheblich, wie viele »Wellen« die »Wasserlinie« n aufweist.203 Die Farbe 204 der Zeichen hängt nur bedingt von der natürlichen Farbe des Rebusvorbildes ab; sie ist stark konventionell und offenbar teilweise abhängig von der Wahl der Hintergrundfarbe. Auf der anderen Seite kann der Farbcode die Setzung von distinktiven Details ersetzen. Die piktographischen Elemente kommen im Allgemeinen fast nur in Schriftspielen oder kalligraphischen Aspekten voll zum Tragen. Im Normalfall kommt eine Inschrift mit ca. 200–300 Zeichen aus (bis zu 1000 Zeichen werden verwendet), in der Ptolemäerzeit jedoch »explodiert« das Zeicheninventar und erreicht wohl mehrere Tausend (max. ca. 7000) – Christian Leitz vertritt jedoch die These, man könne mit etwa 1500 Zeichen fast alle Tempelinschriften der griechisch-römischen Zeit lesen.205 Eines der großen Desiderata der Ägyptologie ist eine alle Lautwerte und Zeichenformen umfassende Zeichenliste bzw. Paläographie. Vor allem die paläographischen Experimente in der sog. »Ersten Zwischenzeit«, die früher als »barbarisch« abgetan wurden, lohnen einer näheren Betrachtung. Bislang wurde auch so gut wie gar nicht herausgearbeitet, worin die stilistischen Unterschiede zwischen den Zeichen etwa des Alten Reiches und der Ramessidenzeit genau bestehen, und dies, obwohl ein geschultes Auge meist sehr genau sagen kann, aus welcher Epoche eine Hieroglypheninschrift stammt. Verschiedene Schriftkonventionen. Die allermeisten Beschreibungen des ägyptischen Schriftsystems beschreiben de facto nur einen Teil der Schriftkonvention in pharaonischer Zeit, die mittelägyptische Hieroglyphenschrift. Nun gibt es jedoch auch innerhalb der Hieroglyphenschrift durchaus beträchtliche Abweichungen von diesem ›Standard‹. Zunächst wäre hier die archaische Schreibnorm zu nennen und – davon geschieden – die Konvention des Alten Reiches,
202 H.G. Fischer, The Evolution of Composite Hieroglyphs in Ancient Egypt, in: Metropolitan Museum Journal 12, 1977, 5–19. 203 C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 42. 204 C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 42f.; E. Staehelin, Zu den Farben der Hieroglyphen, in: Göttinger Miszellen 14, 1974, 49–53; E. Staehelin, Zu den Farben der Hieroglyphen, in: E. Hornung (Hrsg.), Zwei Ramessidische Königsgräber: Ramses IV. und Ramses VII., Mainz 1990, 101–119; W.S. Smith, A History of Egyptian Sculpture and Painting in the Old Kingdom, ²1949, 366–382; J. Kahl, Die Farbgebung in der frühen Hieroglyphenschrift, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 124, 1997, 44–56. 205 Ch. Leitz, Quellentexte zur ägyptischen Religion I. Die Tempelinschriften der griechisch-römischen Zeit, Münster 2004, 10.
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aber auch die sog. ›Gruppenschrift‹, die für das ›spätere Ägyptische‹ charakteristisch ist. Schließlich muss eine ›ptolemäische‹ Schreibnorm als eigenständig betrachtet werden, selbst wenn sie keine Sprachstufe konstituiert. Es gibt demnach innerhalb der ägyptischen Hieroglyphenschrift fünf verschiedene Schreibkonventionen: ① arachaisch, ② altägyptisch, ③ klassisch-mittelägyptisch, ④ spätägyptisch und ⑤ ptolemäisch. Ihre Charakteristika sollen im Folgenden kurz skizziert werden. Archaische Schriftkonvention. In der Frühzeit werden »schwache« Konsonanten (w,y, n, m, r, Ꜣ) besonders gerne in der Schreibung unterdrückt.206 Titel wie ()r(.)-pꜤ(.wt) »Fürst« oder ḥꜢ(.t)-Ꜥ(.w) »Graf« werden also sehr knapp (»defektiv«) geschrieben.207 In jener formativen Phase der ägyptischen Schriftgeschichte werden mehrere Phonogramme gebraucht, die später nicht mehr wirklich produktiv sind und daher nur noch in Graphien vorkommen, welche durch die Tradition ›eingefroren‹ sind. Beispiele wären der ›nw-Topf‹ 7 (W24) für n (bei (I9) für t nk »ich« oder im Monogramm 9 ni̯ »bringen«), die ›Hornviper‹ (bei t »Vater«) oder das ›Auge‹ (D4) und der ›Thronsitz‹ (Q1) für w und ś im Gottesnamen Wśr(.w) »Osiris«.208 Auffällig sind die archaischen Verbindungen eines Phonogramms mit dem Semogramm der ›laufenden Beinchen‹ (D54) für verschiedene Verben der Bewegung: yi̯ »kommen«, 9 ni̯ »bringen«, šmi̯ »gehen«, či̯ »packen«, sbi̯ »reisen«.209 Im klassischen System rutschen kleine Zeichen oft eugraphisch vor zwei schmale – dass sie zwischen diesen stehen, ist ein Relikt der archaischen Kalligraphie bzw. Eugraphie.210 Altägyptische Schriftkonvention. Die Schriftkonventionen des Alten Reiches sind naturgemäß noch eng denjenigen aus der Frühzeit verhaftet, besonders was die ›sparsamen‹ Graphien angeht. Die oftmals fehlende Setzung von Determinativen kann die Interpretation mancher Reliefbeischriften erheblich erschweren. Auf der anderen Seite ist bei monumentalen Inschriften eine Tendenz zur spie-
206 C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 50f.; J. Kahl, Defektivschreibungen in den Pyramidentexten, in: Lingua Aegyptia 2, 1992, 99–116. 207 W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen 62005, 52. 208 W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen 62005, 60f. 209 W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen 62005, 56; H.G. Fischer, The Evolution of Composite Hieroglyphs in Ancient Egypt, in: Metropolitan Museum Journal 12, 1977, 5–19. 210 W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen 62005, 55.
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lerischen ›Üppigkeit‹ festzustellen, wenn etwa ein Plural bzw. Kollektivum sehr häufig durch Dreifachsetzung eines Semogramms ausgedrückt und oft sogar dabei noch intern differenziert wird. Ein geläufiges Beispiel ist das Wort mnmn.t »Vieh«, das determiniert wird mit einem Rind, einer Ziege und einer Gazellenart oder Ꜣpṭ.w »Vögel« mit drei Vogelzeichen, die unterschiedliche Vogelarten darstellen.211 Klassisch-mittelägyptische Schriftkonvention. Die oben als allgemein beschriebene Schriftprinzipien sind grundsätzlich diejenigen der klassisch-mittelägyptischen Hieroglyphenschrift, deshalb sollen sie hier nicht extra behandelt werden. Spätägyptische Schriftkonvention (»Gruppenschrift«). Aufgrund von Lautwandel (v.a. dem Schwund bestimmter Konsonanten) bildet sich im Neuen Reich eine neue Schreibkonvention heraus. Dabei werden ›Zweikonsonantenzeichen‹ mit ihren elementargraphematischen Komplementen als Komplexe (»Gruppe«) zur Notation einzelner Phoneme gebraucht, daher der Ausdruck »Gruppenschrift« für diese Notationsform. Zum Beispiel steht bꜢ+Ꜣ nach dem Schwund des »Alephs« (Ꜣ) nun für /b/. Der teilweise synonym verwendete Ausdruck »syllabische Schrift« leitet sich von einer bestimmten Theorie zur Genese und zur Funktionsweise der »Gruppenschrift« ab, nach der sie entwickelt wurde, um mit ihnen Vokale bzw. Silben besser notieren zu können, namentlich bei der Wiedergabe fremder Wörter und Namen. Das Phänomen der »komplexen Graphoneme« betrifft eigentlich eher die Kursivschrift als die Hieroglyphen. Diese Gruppen werden zu »Schematogrammen« und notieren »visuelle Morpheme«.212 In der Spätzeit kommt es – wohl aufgrund des griechischen Einflusses – zu regelrechten ›Alphabetschreibungen‹,213 welche sowohl die Basis für die Entzifferung der Hieroglyphen bildeten als auch für das im Tourismus populäre ›ägypt(olog)ische Alphabet‹. Die Tendenz im Spätägyptischen, zunehmend mit ›Gruppen‹ zu schreiben, ist klarer als bisher zu trennen von der Verwendung der »Gruppenschrift« als graphisches Subset, um fremdsprachliches Sprachmaterial darzustellen. Diese ›syllabische Schrift‹ ist dem Katakana in Japan oder der An211 Zu diesem Phänomen jüngst ausführlicher E.-S. Lincke, Die Prinzipien der Klassifizierung im Altägyptischen, Göttinger Orientforschungen IV:38/6 (= Classification and Categorization in Ancient Egypt 6), Wiesbaden 2011, Kapitel II. 1.5.b. 212 F. Junge, in: D.B. Redford (Hrsg.), The Oxford Encyclopaedia of Ancient Egypt III, Oxford 2001, 258–267, s.v. »Language«, bes. 262. 213 S.D. Schweitzer, Zur Herkunft der spätzeitlichen alphabetischen Schreibungen, in S. Bickel & A. Loprieno (Hrsg.), Basel Egyptology Prize 1, Aegyptiaca Helvetica 17, Basel 2003, 371– 386.
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tiqua (vs. Fraktur) im deuschsprachigen Raum des 19. Jh. durchaus vergleichbar und fungiert in diesem Sinne auch als Auszeichnung.214 In ähnlicher Weise werden die griechischen Phoneme Ⲅ, Ⲇ und Ⲍ in koptischen Texten gebraucht, nämlich ausschließlich in Wörtern griechischer Herkunft. Es sollte betont werden, dass die traditionellen mittelägyptischen Graphien nicht gänzlich durch Gruppenschreibungen abgelöst werden, sondern dass die Inschriften jeweils unterschiedliche Mischungsgrade beider Graphiekonventionen aufweisen. Ptolemäische Schriftkonvention.215 Wie bereits erwähnt ist das »Ptolemäische« keine eigene Sprachstufe, wie der Ausdruck »Ptolemäische Grammatik« suggeriert, sondern lediglich eine Sache der Schriftnorm.216 Die beherrschende Tendenz jener Schriftkonvention ist die erneute ›Freistellung‹ der ›Orthographie‹, d.h. es werden wie in der Frühzeit wieder mehr Schreibvarianten zugelassen. Mehr Zeichen werden auf engerem Raum untergebracht und ähneln immer mehr »Suppenbuchstaben«, werden also kleiner und dicker. Zusätzlich dazu steigt die Anzahl der Zeichen und ihrer Lautwerte sehr stark an, so dass beispielsweise die Hieroglyphe »Kind« zwischen 20 und 30 Lautwerte besitzt – die Schrift nimmt enzyklopädische Züge an. Nach Serge Sauneron sind die ptolemäerzeitlichen ägyptischen Priester damit die Begründer einer Art von Sprachphilosophie, einer »Philosophie der Schrift«.217 Die Bildhaftigkeit der Hieroglyphenschrift wird systematisch ausgeschöpft und bis ins Extrem ausgereizt: Es gibt eine Tendenz zur sog. »Kryptographie« bzw. zu spielerischen/gelehrten Schreibungen, die vor allem einen religiösen Supplementärsinn transportieren sollen. Den Höhepunkt jener Entwicklung bildet der von Ludwig Morenz, Francis Breyer & Thomas Malcherowitz entzifferte ›Widder-Hymnus‹ von Esna.218 214 C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 45f. 215 D. Kurth, Einführung ins Ptolemäische I, Hützel 2007; F. Daumas, Valeurs phonétiques des signes hiéroglyphiques d’époche Gréco-Romaine, Montpellier, 1988; H.W. Fairman, An Introduction to the Study of Ptolemaic Signs and Their Value, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 43, 1945, 51–138. 216 D. Kurth, Einführung ins Ptolemäische I, Hützel 2007. 217 S. Sauneron (Hrsg.), Textes et languages de l’Égypte pharaonique: Cent cinquante années de recherches 1822–1972. Hommage à Jean-François Champollion, Bibliothèque d’étude 64, Kairo 1972. Vgl. auch F. Junge, Zur ›Sprachwissenschaft‹ der Ägypter, in: Studien zur Sprache und Religion Ägyptens I, Göttingen 1984, 257–272. 218 Vorgestellt wurde diese Entzifferung von Ludwig Morenz auf der Ständigen ÄgyptologenKonferenz (SÄK) 2000 (!) in Heidelberg – die gedruckte Fassung erschien leider erst mehrere Jahre danach in dem entsprechenden Tagungsband: L.D. Morenz, Schrift-Mysterium. GottesSchau in der visuellen Poesie von Esna – Insbesondere zu den omnipotenten Widder-Zeichen zwischen Symbolik und Lesbarkeit, in: J. Assmann & M. Bommas (Hrsg.), Ägyptische Mysteri-
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Zeichendisposition. Hieroglyphenzeichen können um eine senkrechte Achse gespiegelt werden, kommen also in zwei Gestalten vor. Nur wenige Zeichen könnten daneben auch gekippt werden, etwa die »Buchrolle« (Y1) oder die »Säule« (O29).219 Die Verwendung der beiden spiegelbildlichen Varianten folgt der Schriftrichtung. Für diese gilt die Faustregel: Lebewesen oder Zeichen mit einer »Schauseite« blicken »nach vorn« zum Zeilenanfang. Mit wenigen Ausnahmen (»retrograden Schreibungen« in religiösen Texten) folgen die Hieroglyphen von oben nach unten und von vorne nach hinten aufeinander und bilden dabei in der generellen Folgerichtung vertikale Kolumnen oder horizontale Zeilen. Innerhalb derselben gibt es eine spezielle Detail-Anordnung, eine meist feste Reihenfolge der Schachtelung in sog. »Schriftquadraten«. Dies ist einer der vielleicht wichtigsten Unterschiede zu den Kursivschriften, v.a. der demotischen. Hier werden nämlich die Zeichen weniger gleichmäßig innerhalb der gesamten Kolumnenbreite/Zeilenhöhe verschachtelt, um diese voll auszufüllen, sondern man schreibt gerne bei Kolumnen auf Mitte und bei Zeilen auf der Grundlinie.220 Selbstverständlich resultiert dieser Usus aus der Schriftproduktion, d.h. der kurrenten Schreibweise, welche auch die Ligaturen bedingt. Eugraphie, Zeichenverstümmelung und »visuelle Poesie«.221 Die vielleicht charakteristischste Besonderheit der ägyptischen Schriftkultur ist die enge Beziehung zwischen Monumentalkunst und Schrift.222 Dies äußert sich sowohl im Großen en?, München 2002, 77–94. Ch. Leitz, Die kryptographischen Inschriften aus Esna mit den Widdern und Krokodilen, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 29, 2001, 251–276 bezieht sich mitten in seinem Aufsatz einmal explizit auf diese Entzifferung, die er durch den SÄK–Vortrag als »publiziert« betrachtet – es erübrigt sich beinahe zu erwähnen, dass seine Fassung des Hymnus derjenigen entspricht, die auf dem Thesenpapier in Heidelberg zuvor ausgeteilt worden war. Zu Esna vgl. S. Sauneron, Esna VIII: L’écriture figurative dans les textes d’Esna, Kairo 1982. 219 C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 42. 220 W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen 62005, 55, Anm. 2. 221 J. Baines, Visual and Written Culture in Ancient Egypt, Oxford 2007; J. Baines, in: Lexikon der Ägyptologie V, Wiesbaden 1984, Sp. 693–698, s.v. »Schreiben«; L.D. Morenz, Visuelle Poesie als eine sakrale Zeichen-Kunst der altägyptischen hohen Kultur, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 32, 2004, 311–326; L.D. Morenz, Sinn und Spiel der Zeichen. Visuelle Poesie im Alten Ägypten, Köln 2008. 222 A. Assmann & J. Assmann (Hrsg.), Hieroglyphen: Stationen einer abendländischen Grammatologie, München 2003; J. Baines, Restricted Knowledge, Hierarchy, and Decorum: Modern Perceptions and Ancient Institutions, in: Journal of the American Research Center in Egypt 27, 1990, 1–23; J. Baines, On Functions of Writing in Ancient Egyptian Pictoral Representation, in: P. Taylor (Hrsg.), Iconography without texts. London 2008, 95–126; B.M. Bryan, The Disjunction of Text and Image in Egyptian Art, in: P. Der Manuelian & R.E. Freed (Hrsg.): Studies in
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wie im Kleinen, im Dekorum wie in der sog. »Eugraphie«. Wortformen werden nicht mit beliebigen Hieroglyphenzeichen geschrieben, die ihrem Zeichenwert nach in Frage kommen; es gibt sogar gewisse Konditionen für die Setzung phonographischer Komplemente, z.B. zur Unterscheidung des grammatischen Status, etwa bei der Präposition ḥr »auf« (mit »Logogrammstrich«, wenn ein Substantiv folgt, mit phonetischem Komplement r, wenn ein Pronomen folgt).223 Die Graphematik folgt zwar keinen orthographischen Normen (ist also nicht fix), dafür gelten die Prinzipien der »Eugraphie«, des Schriftgebrauchs nach einer vorbildhaften Tradition.224 Die Eugraphie betrifft in erster Linie die typographische Zeichendisposition innerhalb der Kolumnen/Zeilen, also die Position von Zeichen zueinander (ähnlich dem Paarausgleich/pair kerning in der modernen Typographie).225 Sie ist verantwortlich für die meisten Zeicheninvertierungen – ein weiterer Grund wäre die honorative Voranstellung (Götternamen stehen etwa in Satznamen/Kartuschen entgegen ihrer grammatischen Position vorne). Durch eine spezielle Zeichendisposition kann also Supplementärsinn transportiert werden. Dies gilt für die »honorific transposition« genauso wie für Zeichendrehungen aus der Schriftrichtung im Sinne der Sprechakttheorie. Letztere sind in der Ägyptologie Henry George Fischer folgend als »reversals« bekannt.226 Gemeint sind damit Drehungen, die motiviert sind durch einen Bezug zwischen Aussage und beteiligten Aktanten. Beispielsweise werden in Opferszenen, bei denen sich König und Gott antithetisch gegenüber stehen, in einer Aussage vom Typ »Hiermit gebe ich Dir x, damit Du mir y gibst« die Hieroglyphen je nach Aktionsrichtung bzw. Bezugsrichtung gedreht. Die »reversals« funktionieren nur aufgrund einer Prämisse, welche die Anordnung von Inschriften im Raum und im Bezug zueinander oder zu beistehenden Bildern betrifft: Die Zeichen wenden dem Betrachter nie den Rücken zu. Daher stehen sich in den erwähnten Opferszenen nicht nur König und Gott gegenüber, sondern auch ihre entsprechenden Beischriften sind aufeinander bezogen und die Zeichen blicken wie die Dargestellten einander an. Diese Regel ist vergleichbar mit den Etiketteregeln in der
honor of William Kelly Simpson, Boston 1996, 161–168. 223 Vgl. W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen 62005, 55, Anm. 2; 349f. 224 W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen 62005, 51f.; P. Vernus, Sur les graphies de la formule »L’offrande que donne le roi« aus Moyen Empire à la Deuxième Période Intermédiaire, in: S. Quirke (Hrsg.), Middle Kingdom Studies, New Malden 1991, 141–152, bes. 142. 225 Ausführlich hierzu W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch–ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen 62005, 51–56. 226 H.G. Fischer, The Orientation of Hieroglyphs. I. Reversals, New York 1977; H.G. Fischer, L’écriture et l’art de l’Égypte ancienne, Paris 1986.
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Heraldik, z.B. bei der Anordnung mehrerer Wappen im selben Schild, insbesondere bei Ehewappen. Ebenfalls aus der Bildhaftigkeit der Hieroglyphenzeichen resultiert der nicht seltene schriftmagische Brauch, in religiösen Texten die Darstellungen von als potenziell schädlich erachteten Wesen »unschädlich« zu machen, sei es durch Weglassung, nachträgliche Aushackung/Ausstreichung, Zeichenverstümmelung oder -substitution.227 Eine weitere Möglichkeit, Supplementärsinn zu transportieren, liegt in der Variation von Semogrammen zur Kennzeichnung pluralischer Entitäten. So wird archaisch der Plural gerne durch Dreifachsetzung des Logogramms bzw. Klassifikators ausgedrückt. Indem nun innerhalb der Zeichenkategorie dieser Semogramme drei verschiedene Spezies etwa des Tierzeichens verwendet werden, wird ein gewisser elativischer Sinn hinzugefügt. Die engste Verbindung zwischen Schrift und Bild besteht bei Inschriften, welche in der Ägyptologie lange missverständlich als »kryptographisch« bezeichnet wurden.228 Heute wird dafür der Ausdruck »visuelle Poesie« gebraucht bzw. »sportive writing«.229 Gemeint ist die Hervorhebung des piktographischen Elements, zu dem Zweck, einen zusätzlichen Sinn zu transportieren. Das Medium ist hierbei besonders frei wählbar, denn dies funktioniert im Dreidimensio-
227 W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen 62005, 56f.; F. Kammerzell, in: Lexikon der Ägyptologie VI, Wiesbaden 1982, Sp. 1359–1361, s.v. »Zeichenverstümmelung«, P. Lacau, Suppressions et modifications de signes dans les textes funéraires, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 51, 1913, 1–64; E. Edel, Altägyptische Grammatik, Rom 1955/64, §§ 69–82. 228 L.D. Morenz, Sinn und Spiel der Zeichen. Visuelle Poesie im Alten Ägypten, Köln 2008; L.D. Morenz, Visuelle Poesie als eine sakrale Zeichen-Kunst der altägyptischen hohen Kultur, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 32, 2004, 311–326; E. Drioton, Les principes de la cryptographie égyptienne, in: Comptes rendus de l’académie des inscriptions et belles-lettres 1953; H.G. Fischer, in: Lexikon der Ägyptologie II, Wiesbaden 1977, Sp. 1196, s.v. »Cryptography«; D.P. Silverman, Cryptographic Writing in the Tomb of Tutankhamun, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 8, 1980, 233–236; J. Assmann, Zur Ästhetik des Geheimnisses: Kryptographie als Kalligraphie im alten Ägypten, in: A. Assmann et al. (Hrsg.), Geheimnis und Öffentlichkeit, München 1997, 313–327; E.M. Ciampini, Cryptographie et image des dieux: À propos d’une édition de textes funéraires du Nouvel Empire, in: Orientalia N.S. 77, 2008, 85–93; J. Darnell, The enigmatic netherworld books of the Solar-Osirian Unity: Cryptographic compositions in the tombs of Tutankhamun, Ramesses VI and Ramesses IX, Orbis biblicus et orientalis, 198, Fribourg 2004. Vgl. auch R.O. Faulkner, Abnormal or cryptic writings in the Coffin Texts, in: Journal of Egyptian Archaeology 67, 1981, 173f. Vgl. auch J. Zandee, An Ancient Egyptian Crossword Puzzle, Leiden 1966. 229 L.D. Morenz, Visuelle Poesie als eine sakrale Zeichen-Kunst der altägyptischen hohen Kultur, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 32, 2004, 311–326. Leider kann von beiden Ausdrücken kein Adjektiv/Adverb gebildet werden, sodass fallweise immer noch auf den Begriff »kryptographisch« zurückgegriffen werden muss.
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nalen genauso wie im Zweidimensionalen. Plastische Beispiele sind vor allem die spielerischen Darstellungen von Personennamen (etwa Hesire; RamsesHauron oder Ramses II. in Abu Simbel), die besonders in der Ramessidenzeit populär sind.230 Bekannt sind auch ›kryptographische‹ Formen von Schmuck, etwa die Rebusschreibungen in den Pektoralen Tutanchamuns.231 In diesem Zusammenhang sollte erwähnt werden, dass es eine m.W. bislang nicht erkannte ›kryptographische‹ Schreibung des Thronnamens Amenophis’ III. auf einem von Tutanchamus Pektoralen gibt. In ähnlicher Weise unerkannt (weil für ein Zierfries gehalten) blieb der ›kryptographisch‹ geschriebene Thronname der Hatschepsut auf einem Fries an ihrem Totentempel, der durch diesen Umstand die damnatio memoriae durch Thutmosis III. unversehrt überstand. Manchmal ist in der Tat schwer zu entscheiden, ob der Bildgehalt überwiegt oder der Schriftgehalt. Bei der ›visuellen Poesie« liegt der Schwerpunkt auf dem Bild, bei den ›Reversals‹ immer noch auf der Schrift. In einigen Fällen ist jede Spielart bezeugt, etwa bei Zeichen, die für Konzepte wie »Heil«, »Leben« o.ä. stehen. Der Č̣ ṭ-Pfeiler (Ḏd) kann als Schriftzeichen vorkommen, dreidimensional als Amulett oder monumental als Architekturelement. Unbestrittener Höhepunkt der ›visuellen Poesie‹ sind die bereits erwähnten beiden Hymnen an den widdergestaltigen Chnum und den krokodilsgestaltigen Sobek in Esna, die unter fast ausschließlicher Verwendung von Widder- bzw. Krokodilszeichen geschrieben wurden.232 Alltagsschriften (Kursiven). Bereits von Anfang an existierte neben den Hieroglyphen auch eine Kursivschrift für den Alltagsgebrauch. Die ältere Variante dieser Schrift wird »Hieratisch« genannt. »Hieratisch« ist wie »Ptolemäisch« keine Sprachstufe, sie basiert nicht auf einer eigenen Grammatik, sondern bezeichnet eine Schreibschrift, die wirkt wie abgekürzt umgesetzte Hieroglyphen. Dabei ist der Bildcharakter (für uns) nicht immer ohne weiteres erkennbar. Der Ausdruck
230 E. van Essche, A propos d’une figure-monogramme d’Abou Simbel, in: Göttinger Miszellen 158, 1997, 81–90. 231 D.P. Silverman, Cryptographic Writing in the Tomb of Tutankhamun, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 8, 1980, 233–236. 232 Die ›Entzifferung‹ dieser beiden Hymnen bei Ch. Leitz, Die kryptographischen Inschriften aus Esna mit den Widdern und Krokodilen, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 29, 2001, 251– 276 basiert auf dem Thesenpapier eines Vortrages, den Ludwig Morenz auf der SÄK in Heidelberg 2000 hielt und in dem die Entzifferung durch Ludwig Morenz, Francis Breyer & Thomas Malcherowitz der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Publiziert ist der Vortrag als L.D. Morenz, Schrift-Myserium. Gottes-Schau in der visuellen Poesie von Esna – Insbesondere zu den omnipotenten Widder-Zeichen zwischen Symbolik und Lesbarkeit, in: J. Assmann & M. Bommas (Hrsg.), Ägyptische Mysterien?, München 2002, 77–94.
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»Hieratisch« geht zurück auf Clemens von Alexandria und ist aus heutiger Sicht eine Fehlbezeichnung. Damals war das Hieratische religiösen Schriften vorbehalten – juristische Texte wurden in Demotisch und monumentale Inschriften in Hieroglyphen geschrieben. Da also fast ausschließlich Priester »hieratisch« schrieben, wurde der griechische Terminus ἱερατική »heilig/priesterlich« namensgebend. Die Ägyptologie hat die Bedeutung des Begriffes auf ältere, nicht-religiöse Texte in vergleichbarer Schriftart ausgeweitet. Die Schreibform ist kursiver und flüchtiger als bei den meist in Stein gehauenen Hieroglyphen. Dieses Aussehen resultiert aus dem Schreibprozess mit Tusche und einer Schreibbinse v.a. auf Papyrus oder Ostraka (Steinabschläge), seltener auf Lederrollen oder Stoff und Holz.233 Hieratisch kommt aber auch häufig aus Keramikgefäßen vor oder als Graffiti. Außergewöhnlich sind die Tontäfelchen aus Balat in der Oase Daḫla, denn hier haben wir den einzigartigen Versuch vor uns, eine ägyptische Schriftform in Ton zu ritzen. 234 Traditionell wird in der Ägyptologie zwischen Buch- und Geschäftsschrift, zwischen Unziale und Kursive unterschieden. Zunächst war das Hieratische eine alltägliche Gebrauchsschrift. Erst in der Spätzeit wurde es auf den Bereich der religiösen Texte abgedrängt. Aufgrund seiner Gebrauchsdomänen hatte das Hieratische im Alltag der meisten Ägypter eine viel größere Bedeutung als die Hieroglyphen, auch wenn der Grad an Literarizität kaum sicher abschätzbar ist.235 Die Schreiberausbildung richtete sich nicht umsonst am Hieratischen aus; Hieroglyphen wurden im allgemeinen – wenn überhaupt – erst danach erlernt. 236 Andererseits scheint es Hinweise dafür zu geben, dass dies im Alten Reich möglicherweise noch nicht der Fall war, man also in jener Zeit als Schreiber zuerst in die Monumental233 J. Černý, Paper and Books in Ancient Egypt. An inaugural lecture delivered at University College London 29 May 1947, London 1952; A. Schlott, Schrift und Schreiber im Alten Ägypten, München 1989; R. Parkinson & S. Quirke, Papyrus, London 1995; J. Vergote, L’étymologie du mot ›papyrus‹, in: Chronique d’Égypte 60, 1995, 393–397; M. Weber, Beiträge zur Kenntnis des Schrift- und Buchwesens der alten Ägypter, Dissertation Köln 1969. 234 P. Posener-Krieger, Les tablettes en terre crue de Balat, in: E. Lalou (Hrsg.), Les tablettes à écrire de l’Antiquité à l’époche moderne, Bibliologia 12, Turnhout 1992, 41–52; L. Pantalacci, Les inscriptions hiératiques, in: Balat IV, FIFAO 46, 2002, 331–364. 235 H.K. van Donker & B.J. Haring, Writing in a workmen’s village: Scribal practice in Ramesside Deir el-Medina, Leiden 2003. 236 E.F. Wente, The Scribes of Ancient Egypt, in: J.M. Sasson (Hrsg.), Civilizations of the Ancient Near East IV, New York 1995, 2211–2221; J.J. Janssen, Literacy and Letters at Deir el-Medîna, in: R.J. Demarée & A. Egberts (Hrsg.), Village voices: Proceedings of the Symposium »Texts from Deir el-Medîna and their Interpretation«, Leiden, May, 31 – June 1, Leiden 1992, 81–94; A. Schlott, Schrift und Schreiber im Alten Ägypten, München 1989; J.R. Williams, Scribal Training in Ancient Egypt, in: Journal of the American Oriental Society 92, 1972, 214–221; H. Brunner, Altägyptische Erziehung, Wiesbaden 1957.
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schrift eingewiesen wurde.237 Dies mag damit zusammenhängen, dass die Ausbildung in jener Epoche viel eher als Lehrling und primär in der Residenz erfolgte. Strukturelle Spezifika. Grundsätzlich sind hieroglyphische und hieratische Texte meist ohne große Schwierigkeiten ineinander überführbar, auch wenn manche Zeichen zusammengefallen oder sekundär differenziert worden sind. Ein prominentes Beispiel für eine Hieroglypheninschrift, die auf einem hieratischen Text basiert ist, der Brief des Königs an ihn, den Harchuf als Zitat in seiner Grabinschrift anbringen ließ – das Original war mit Sicherheit hieratisch geschrieben. Die Distanz zwischen Hieroglyphen und Hieratisch war nicht immer gleich. Das Althieratische weist (wie übrigens auch das Frühdemotische) eine größere Nähe zu den Bildzeichen auf als andere Phasen der Kursivschrift.238 Es muss betont werden, dass es sich beim Hieratischen nicht lediglich um eine kalligraphische Variante der Hieroglyphen handelt, sondern dass beide Schriftarten teilweise auch strukturell verschieden sind.239 So kennen die späteren Kursivschriften, vor allem das Demotische, nur noch die horizontale Zeilenschreibweise. Unterschiedlich ist auch der stärkere Gebrauch phonetischer Komplemente – ›Zweikonsonantenzeichen‹ werden fast immer von einem phonetischen Komplement gefolgt. Es kommen also mehr Elementargrapheme zum Einsatz. Wahrscheinlich ist dies eine Folge der zurückgedrängten Bildhaftigkeit, welche eine phonographische Notation notwendiger machte. Weniger häufige oder elaborierte Zeichen, wie etwa die gebärende Frau als Determinativ des Verbums msi̯ »hervorbringen« , werden durch einen geschweiften Strich ersetzt. Anstelle der Zweifachsetzung zur Notation des Duals werden häufig zwei Striche (»Dualstriche«) geschrieben. Es werden sogar eine Reihe von Zeichen neu geschaffen, um einen zügigeren Schreibfluss zu gewährleisten. So wird etwa das w-Küken 0 (G43) durch die w-Schlaufe (V1) ersetzt, der ›Sitzende Gott‹ (A40) durch den ›Falken auf der Stange‹ (G7) zur Schreibung des Suffixes der 1. Person. Sg. Zu einigen sehr häufigen Zeichen bilden sich Kurzformen heraus, vor allem von ›Aleph‹ und ›m-Eule‹ .
237 E.F. Wente, in: D.B. Redford (Hrsg.), Oxford Encyclopaedia of Ancient Egypt III, New York 2001, 202–210, s.v. »Script. Hieratic«, hier 208f. 238 S. Vleeming, La phase initiale du démotique ancien, in: Chronique d’Égypte 56, 1981, 31– 48. 239 A.H. Gardiner, The transcription of New Kingdom Hieratic, in: Journal of Egyptian Archaeology 15, 1929, 48–55.
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Entwicklung des Hieratischen.240 Die Ausprägungen der hieratischen Schrift werden entsprechend der Sprachstufen benannt, d.h. auf ein archaisches Hieratisch in frühdynastischer Zeit folgt Alt-, Mittel- und Neuhieratisch. Ab der 21. Dynastie kommt es jedoch zu einer Abkoppelung, zu einer Spaltung in eine getrennte Entwicklung in Ober- und Unterägypten. Das oberägyptische Hieratisch mündet im Abnormalhieratischen, das unterägyptisches im Demotischen. Die ältesten Zeugnisse der ägyptischen Schrift überhaupt, Aufschriften mit Tusche auf Gefäßen der sog. »Dynastie 0« (König »Skorpion«), sind wohl als hieratisch zu klassifiziere – die frühzeitlichen Königsgräber von Abydos haben überhaupt zahlreiche hieratische Schriftzeugnissen bewahrt. Der älteste Textzeuge im weiteren Sinne ist eine Abrechnung aus der Regierungszeit des Horus Djet, des 4. Königs der 1. Dynastie (um 2950 v. Chr.). Ebenfalls bereits aus der 1. Dynastie stammt der allererste erhaltene Papyrus überhaupt, eine unbeschriftete Rolle aus dem Grab des Hemaka in Saqqara. Das erste beschriftete Exemplar kam in Gebelein in Oberägypten zum Vorschein und datiert in die 2. Hälfte der 4. Dynastie. Meist wird angenommen, das Hieratische habe sich aus einer Kursivschrift entwickelt, die parallel zur Hieroglyphenschrift benutzt wurde und von dieser abgeleitet ist.241 Die Zeichenformen einiger dieser Proto-Hieroglyphen sind näher am Hieratischen als an den späteren Hieroglyphen, etwa das »Schilfblatt«. Daß das Hieratische durchaus ein Impetus für die Entwicklung der Hieroglyphenschrift sein kann, zeigen bestimmte Kurzschreibungen, die vor allem ab der 5. Dynastie auftreten; für besonders häufige Zeichen wie das w-Küken, der »Alephgeier« oder die »m-Eule« und den »Sitzende Mann« kommen Kurzschreibungen auf, die eindeutig ihren Ursprung in der Kursive haben. Es könnte sich daher auch umgekehrt verhalten, dass nämlich zuerst eine ökonomische Form und erst sekundär daraus die monumentalisierte Form entwickelt wurde. Welche These man vertritt, hängt u.a. davon ab, welche Gründe man für die Entwicklung der Schrift als solche geltend macht. Vielleicht entwickelten sich auch beide Formen gleichzeitig – immerhin können bereits bei den Proto-Hieroglyphen verschiedene Schriftformen differenziert werden, je nach Beschreibsituation (geritzt etc.). Mit den Papyri aus dem Tempelkomplex von Abusir (5.–6. 240 E.F. Wente, in: D.B. Redford (Hrsg.), Oxford Encyclopaedia of Ancient Egypt III, New York 2001, 202–210, s.v. »Script. Hieratic«; H. Satzinger, in: Lexikon der Ägyptologie II, Wiesbaden 1977, Sp. 1187–1189, s.v. »Hieratisch«; H. Brunner, Hieratisch, in: Handbuch der Orientalistik 1.1, Leiden & Köln 1973, 40–47; G. Posener, L’écriture hiératique, in: S. Sauneron (Hrsg.), Textes et languages de l’Égypte pharaonique: Cent cinquante années de recherches, 1822–1972. Hommage à Jean-François Champollion I, Bibliohèque d’Étude 63, Kairo 1973, 25–30. 241 H. Satzinger, in: Lexikon der Ägyptologie II, Wiesbaden 1977, Sp. 1187–1189, s.v. »Hieratisch«, besonders Sp. 1187; W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen 62005, 26.
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Dyn.) liegt das erste größere Korpus hieratischer Schriftzeugnisse vor. Die Standardisierung ist hier bereits ziemlich weit fortgeschritten – es wird beispielsweise immer in Kolumnen geschrieben. Erst in der sog. »Ersten Zwischenzeit« kommt der Brauch auf, Hieratisch in Zeilen zu schreiben, und in der Zeit Amenemhats III. hat sich dann die Schreibkonvention ganz auf die Horizontale eingerichtet. Der Grund für den Wechsel der Anordnung ist wohl in dem Bemühen zu suchen, eine sicherere Fortschreibung und bessere Handhabung der Rolle zu gewährleisten, vielleicht sogar eine Erhöhung der Schreibgeschwindigkeit.242 Aus dem Alten Reich sind noch keine Papyri mit literarischen Texten erhalten, folglich kann erst seit dem Mittleren Reich eine Unterscheidung zwischen Buchschrift und Geschäftsschrift festgestellt werden. In der 18. Dynastie wird diese Unterscheidung weniger prägnant als im MR und mit dem Ansteigen der Textmenge in der Ramessidenzeit sind zwei weitere Entwicklungen greifbar. Zum einen ist dies die größer werdende Diskrepanz zwischen Unziale und Kursive, vor allem in der 20. Dynastie. Zum anderen sind nun erstmals auch regionale Unterschiede deutlich faßbar, etwa beim Großen Papyrus Harris, der die Hände von Schreibern aus Theben, Memphis und Heliopolis aufweist. Ab der 21. Dynastie sind viele Verwaltungsurkunden bereits in einer Frühform des Abnormal-Hieratischen verfasst. Damit ist eine besonders kursive Form der Schriftart bezeichnet, welche zur Zeit der 25.–26. Dynastie in der Thebais Verwendung fand. Bislang sind ca. 150 Rechtstexte, Briefe und Wirtschaftsurkunden in dieser Spezialform der Schrift erhalten. Im Norden entwickelt sich das Demotische ab der 21.– 25. Dynastie, in Mittel- und Oberägypten ab dem 7. Jh. Während der Regierung des Amasis löst Demotisch das Abnormal-Hieratische auch im Süden als Standard ab; das Hieratische bleibt jedoch noch weiterhin für religiöse Literatur bis ins 2. Jahrzehnt des 3. Jhd. n. Chr. im Gebrauch. Erforschung des Hieratischen. Bereits in den 1840er Jahren wurden hieratische Texte von Jean-François Champollion studiert und die generelle Deckungsgleichheit mit dem hieroglyphischen Schriftsystem erkannt. Champollion gibt sogar eine Tabelle mit hieroglyphischen Entsprechungen, und in seiner Grammaire Égyptienne sind viele der Textbeispiele in hieratischer Schrift. 243 Ein Meilenstein der Forschung war die Publikation des Papyrus Westcar durch Adolphe Erman im Jahre 1890.244 Sie kann als Beginn der modernen Forschung zum Hieratischen gelten, da hier anhand von 17 Handschriften erst242 E.F. Wente, in: D.B. Redford (Hrsg.), Oxford Encyclopaedia of Ancient Egypt III, New York 2001, 202–210, s.v. »Script. Hieratic«, hier 207. 243 J.-F. Champollion, Grammaire Égyptienne, Paris 1836. 244 A. Erman, Die Märchen des Papyrus Westcar, Berlin 1890.
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mals die Entwicklungsgeschichte dieser Schriftart vom Mittleren Reich bis in die Spätzeit dargelegt wird. Erman zeigte die Veränderungen der Schrift anhand von 70 ausgewählten Beispielen und gelangte so zu der Trennung zwischen einem »jüngeren« und einem »älteren« Hieratisch. Ein weiterer Verdienst Ermans ist es, zwischen »Unciale« und »Cursive« unterschieden zu haben, d.h. er bemerkte, dass sich Buchschrift und Geschäftsschrift unterschiedlich entwickelten. Während die Buchschrift ab dem Neuen Reich zunehmend erstarrt erscheint, entwickelte sich die Geschäftsschrift kontinuierlich weiter. Immer noch das Standardwerk ist die »Hieratische Paläographie« von Georg Möller (1909–13) von den Anfängen in der 5. Dynastie bis in römische Zeit – Möller verfolgt 800 Zeichen und Zeichengruppen über einen Zeitraum von 3000 Jahren.245 Trotz des allgemein formulierten Titels handelt es sich freilich im Grunde ›nur‹ um eine Paläographie der Buchschrift! (Unciale). In den letzten 100 Jahren sind wenige vergleichende Arbeiten publiziert worden, obwohl (oder gerade weil) in den einzelnen Textpublikationen zunehmend spezielle Zeichenübersichten angefügt wurden. 1988 erschien Hans Goedickes »Old Hieratic Palaeography« (Baltimore), eine Arbeit, die Möllers Werk für die Bereiche Alt- und Mittelheratisch fast vollständig ersetzt. Stefan Wimmer publizierte im ersten Band seiner Dissertation (ÄAT 28) eine Paläographie der nicht-literarischen Ostraka der 19.–20. Dynastie.246 Formal orientierte er sich zwar an Möller, nur dass hier eben nicht die Buchschrift thematisiert wird. Megally erfasste, dass die hieratische Schrift auch eine innere Logik hat, die ihrerseits in der Gattung des Textes fußt.247 Wimmer hat dies in der Tat berücksichtigt, indem er nur eine Textgattung in einer begrenzten Epoche untersucht und eine Art von Schriftträger. In der Zwischenzeit ist die Fülle an Literatur vor allem wegen der zahlreichen textgebundenen Kleinpaläographien beinahe unüberschaubar, weswegen es bereits erste Bibliographien zu diesem Thema
245 G. Möller, Hieratische Paläographie, Leipzig 1927–36. 246 S. Wimmer, Hieratische Paläographie der nicht-literarischen Ostraka der 19. und 20. Dynastie, Ägypten und Altes Testament 28, Wiesbaden 1995. 247 M. Megally, Considérations sur les variations et la transformation des formes hiératiques du Papyrus E.3226 du Louvre, Bibliothèque d’Égypte 49, Kairo 1971.
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gibt.248 Für jede der drei Schriftstufen Althieratisch249, Mittelhieratisch250 und Späthieratisch251 gibt es grundlegende Arbeiten und sogar Versuche, verschiedene Hände zu unterscheiden.252 Demotisch.253 Als »Demotisch« bezeichnet man nicht nur eine spätägyptische Schriftform, sondern auch die entsprechend mit dieser wiedergegebenen Sprachstufe, also die Form des Ägyptischen, die zwischen dem Neuägyptischen des Neuen Reiches und dem Koptischen in der Spätantike gesprochen wurde. Abgeleitet ist der Begriff von griechisch δεμοτικὰ γραμματα »Volksschrift« (Herodot); auf ägyptisch heißt die Schriftart äg. sẖꜢ šꜤ.t »Dokumentschrift«. Der älteste demotische Text ist der Mitte des 7. Jh. v. Chr. entstandene Papyrus Rylands 1 aus el-Hibe (643/2 v. Chr.); der letzte wurde Mitte des 5. Jh. n. Chr. niedergeschrieben (Graffiti Philae 365 & 377; 452 n. Chr.).254 Die demotische Schrift
248 M. Bellion, Égypte ancienne, catalogue de manuscrits hiéroglyphiques et hiératiques des dessins, sur papyrus, cuir ou tissu, publies ou signalées, Paris 1987; D. Jankuhn, Bibliographie der hieratischen und hieroglyphischen Papyri, GOF IV.2, Wiesbaden 1974. 249 E. Edel, Die Felsgräbernekropole der Qubbet el-Hawa bei Assuan II. Die althieratischen Topfaufschriften, Opladen 1980; J. Osing, Ächtungstexte aus dem Alten Reich (II), in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts Abteilung Kairo 32, 1976, 171–173; P. Posener-Krieger & J. De Cenival, Hieratic Papyri in the British Museum, 5th series: The Abusir-Papyri, London 1968; M. Verner, Abusir II. Baugraffiti der Ptahschepses-Mastaba, Prag 1992, Taf. LX–LXXV. 250 F. Arnold, The Control Notes and Team Marks. The South Cemeteries of Lisht II, New York 1990, 40–47; D. Czerwik, Some Remarks on the Letters to the Dead from the First Intermediate Period, in: Göttinger Miszellen 173, 1999, 61–68; T.H. James, The Hekanakhte-Papers and Other Early Middle-Kingdom Documents, New York 1962; M. Marciniak, Deir el-Bahari I. Les inscriptions hiératiques du Temple de Thoutmosis III, Warschau 1974, 173–266; M. Megally, Considérations sur les variations et la transformation des formes hiératiques du Papyrus E.3226 du Louvre, Bibliothèque d’Égypte 49, Kairo 1971, Taf. I–LII; A. Roccati, Papiro Ierativo n.54003. Estratti magici e rituali del Primo Medio Regno, Turin 1970, 47–54; K. Sethe, Die Ächtung feindlicher Fürsten, Völker und Dinge auf altägyptischen Tongefäßscherben des Mittleren Reiches, Berlin 1926, Taf. 2–10; W.K. Simpson, Papyrus Reisner I–IV, Boston 1963–1986, 17, 21–24, 49–54, 95–109. 251 S.P. Vleeming, Transcribing cursive late–hieratic, in: S. Schoske (Hrsg.), Akten des Vierten Internationalen Ägyptologenkongresses, Studien zur altägyptischen Kultur, Beihefte 3, Hamburg 1989, 211–218. 252 J.J. Janssen, On Style in Egyptian Handwriting, in: Journal of Egyptian Archaeology 73, 1987, 161–167; J.J. Janssen, Ideosyncrasies in late Ramesside hieratic writing, in: Journal of Egyptian Archaeology 86, 2002, 51–56. 253 J.H. Johnson, in: D.B. Redford (Hrsg.), Oxford Encyclopaedia of Ancient Egypt III, New York 2001, 210–214, s.v. »Script. Demotic«; für ausführlichere Literaturangaben: M. Depaw, A Companion to Demotic Studies, Brüssel 1997. 254 E. Lüddeckens, in: Lexikon der Ägyptologie I, Wiesbaden 1975, Sp. 1052–1056, s.v »Demotisch«, hier Anm. 3.
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entwickelte sich aus dem Hieratischen255 und wird wie dieses immer linksläufig geschrieben, meist mit Tusche auf Papyrus oder auf Ostraka, seltener auf anderen Materialien. Daneben existieren monumentaldemotische Inschriften, die naturgemäß eckiger und einfacher gehalten sind. Graphiesystem. Zwar ist das Schriftsystem in den Grundzügen dasselbe wie beim Hieratischen bzw. Hieroglyphischen, allerdings gibt es im Demotischen einige nicht unwichtige Besonderheiten. Beispielsweise weisen einige der Elementargrapheme spezielle wortinterne oder -finale Formen auf; weitere Sonderformen werden speziell in der Kombination mit anderen Zeichen gebraucht. Besonders einschneidend ist der Umstand, dass die Graphien oft nicht mehr der historischen Tradition folgen (d.h. es gibt immer mehr phonetische und rebusartige Schreibungen) und Determinative kaum noch zur Unterscheidung von Homonymen dienen (d.h. ihre ursprüngliche Bedeutung eingebüßt haben).256 Hinzu kommt der Zusammenfall zahlreicher Phoneme und die daraus resultierende ›Austauschbarkeit‹ etwa von 〈ṭ〉 und 〈t〉. Kurioserweise wird in einer Hinsicht im Gegensatz zu den anderen ägyptischen Schriftarten deutlich unterschieden, nämlich zwischen der Wiedergabe von /l/ und /r/. Zwei weitere graphische Neuerungen sind die »überhängenden« Schreibungen, die markieren, dass ein auslautendes Graphem sprachwirklich ist, also etwa ein finales /t/ nicht geschwunden war. Sie werden in der Umschrift durch einen untergesetzten Haken markiert, also h̭ vs. ḫ und ṱ vs. t. Im Allgemeinen weist das Demotische einen hohen Grad an Schematisierung auf (etwa Ligaturen für zwei oder mehr Phonogramme und Logogramme). Dies ist nicht nur eine Folge der zunehmenden Verschleifung des Duktus’, sondern sekundär geradezu notwendig, um die sehr knappe Schrift lesen zu können. Abkürzungen sind häufig, und besonders in der Römerzeit kommt es zu einer regelrechten Verwilderung, obwohl es vorher sogar noch kalligraphische Formen gegeben hatte. Entwicklung. Die Übergänge zwischen den einzelnen Ausprägungen des Demotischen sind fließend. Unterschiede bestehen vor allem zwischen Unter- und Oberägypten, besonders gut zu erkennen an den unterschiedlichen Schreibun-
255 M. Malinine, Choix de textes juridiques en hiératique »abnormal« et en démotique, Paris 1953; M. Malinine, L’hiératique abnormal, in: S. Sauneron (Hrsg.), Textes et languages de l’Égypte pharaonique: Cent cinquante années de recherches, 1822–1972. Hommage à Jean-Francois Champollion I, Kairo 1973, 31–35; S. Vleeming, La phase initiale du démotique ancien, in: Chronique d’Égypte 56, 1981, 31–48. 256 E. Lüddeckens, in: Lexikon der Ägyptologie I, Wiesbaden 1975, Sp. 1052–1056, s.v »Demotisch«, hier Sp. 1053.
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gen des Possessivartikels. Ab der Ptolemäerzeit kann ferner zwischen einer Buch- und einer Geschäftsschrift unterschieden werden.257 In chronologischer Hinsicht wird grob zwischen früh-, mittel- und spätdemotisch getrennt und diese Stufen weiter entsprechend der historischen Periodisierung unterteilt.258 Das Frühdemotische deckt die Zeitspanne zwischen der Saitenzeit und der frühptolemäischen Zeit ab (7. Jh. – 332 v. Chr.). Die Verbindungen zum Hieratischen sind hier noch deutlich spürbar, so sind die genauen hieroglyphischen und hieratischen Zeichenvorlagen bekannt. Schnell kommt es bei dieser unterägyptischen Entwicklung zur Herausbildung einer eigenen orthographischen Konvention – im Süden wird zeitgleich Abnormal-Hieratisch geschrieben.259 Das Demotische ist ein typisches Beispiel dafür, dass eine Schriftform sich durch politische Expansion ausbreitet: Psammetik I. (664–610) eroberte zunächst das gesamte Delta, womit sich die demotische Schrift dort verbreitete. Der älteste demotische Papyrus aus el-Hiba stammt aus dem 21. Regierungsjahr dieses Königs. Mit der erneuten Einigung ganz Ägyptens unter diesem Herrscher wurde auch das Abnormal-Hieratische verdrängt, das nicht nur bezüglich der Schrift, sondern auch in Stil, Wortschatz und Phraseologie größere Unterschiede zum Demotischen aufweist. Die Schreiber aus der Thebais übernahmen zuerst nur Phrasen und Graphien, später dann immer mehr, bis unter Amasis (569–526) am Ende der 26. Dyn. in ganz Ägypten demotisch geschrieben wurde. In der Ptolemäerzeit wird die Schrift kleiner und schematischer, und vor allem ist der Bezug zu den hieratischen Vorbildern praktisch nicht mehr erkennbar. Im Mitteldemotischen oder ptolemäischen Demotisch (332–30 v. Chr.) werden nun verschiedene lokale Traditionen erkennbar (Memphis vs. Theben) und auch Besonderheiten verschiedener Textgenres. In der Römerzeit begannen die Schreiber schließlich, mit der griechischen Rohrfeder zu schreiben, was größere Auswirkungen auf das Schriftbild hatte: Bei dieser römischen oder spätdemotischen Schriftform (30 v. Chr. – 5. Jh. n. Chr.) ist die Strichdicke folglich sehr viel einheitlicher. Zunehmend wird mit den ›Einkonsonantenzeichen‹ komplementiert und vielfach werden sogar historisch gewachsene Graphien durch solche mit diesen ›Alphabetzeichen‹ ersetzt – das Prinzip des ägyptischen Schriftsystems wird jedoch nie gänzlich aufgegeben.260
257 Siehe vorige Anm. Sp. 1052. 258 M. Malinine, Choix de textes juridiques en hiératique »abnormal« et en démotique, Paris 1953. 259 J.H. Johnson, in: D.B. Redford (Hrsg.), Oxford Encyclopaedia of Ancient Egypt III, New York 2001, 210–214, s.v. »Script. Demotic«. 260 J.H. Johnson, in: D.B. Redford (Hrsg.), Oxford Encyclopaedia of Ancient Egypt III, New York 2001, 210–214, s.v. »Script. Demotic«, bes. 211.
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Schriftform & Textgenres. Da im administrativen Bereich Dokumente gerne mehrfach verwertet wurden, haben sich mehr demotische Schriftzeugnisse aus dem privaten Bereich erhalten. Es mag zudem mit hineinspielen, dass rechtliche Dokumente im Privaten besonders sorgfältig archiviert wurden. Erst aus der Zeit nach Daraios I. sind auch literarische Texte auf uns gekommen, der erste stammt aus Saqqara (4. Jhd.). Mehr noch hat sich aus der Ptolemäerzeit erhalten, vor allem treten nun neue Textgenres in Erscheinung, z.B. narrative Texte wie die Khaemwase-Erzählung. Zwar werden religiöse Texte immer noch mehrheitlich hieratisch geschrieben, doch dringt die demotische Schrift auch in diesen Bereich ein. Ihre Kulmination findet die demotische Textproduktion in der Römerzeit, wo ganze Zyklen und Handbücher geschrieben werden; erstmals ist auch astronomische und astrologische Literatur bekannt. Im Hinblick auf Schriftkontakt mit dem Griechischen ist wichtig, dass die Ptolemäer den Rechtsstatus demotischer Texte anerkannten, auch wenn die Verwaltung großteils griechischsprachig war. In einem Rechtsstreit konnte man grundsätzlich die Sprache und damit das Rechtssystem wählen. Die griechische Dominanz führte dazu, dass immer mehr Ägypter griechisch lernten. Die Römer akzeptierten demotisch geschriebene Dokumente offenbar nicht mehr als rechtlich verbindlich, folglich ging die Produktion demotischer Urkunden in jener Zeit zurück. Demotisch war also nie die einzige ägyptische Schrift im Gebrauch und meist nicht die offizielle Schrift im Staat. In der Perserzeit war dies das Reichsaramäische, in der Ptolemäer- und Römerzeit und sogar noch länger danach war es das Griechische. Aufgrund dieses Nebeneinanders sind vielfältige Formen des Schriftkontakts belegt, etwa hieroglyphische oder hieratische Umsetzungen von Texten, die ursprünglich demotisch geschrieben waren.261 Ferner gibt es demotische Glossen zu hieratischen und hieroglyphischen Texten oder den Wechsel zwischen Hieratisch und Demotisch für verschiedene Teile von Ritualen im Handbuch zur Balsamierung des Apisstieres. Erstmals sind Übersetzungen nichtägyptischer Texte (in Aramäisch oder Griechisch) in Ägypten nachweisbar und sogar die Übersetzung aus dem Demotischen ins Griechische. 262 Von dort ist der Schritt zur Wiedergabe demotischer Sprache mit griechischen oder aramäischen Buchstaben nicht weit.
261 J.H. Johnson, in: D.B. Redford (Hrsg.), Oxford Encyclopaedia of Ancient Egypt III, New York 2001, 210–214, s.v. »Script. Demotic«, hier 214. 262 Übersicht über die spätzeitliche Literatur K. Ryholt, Late Period Literature, in: A.B. Lloyd (Hrsg.), A Companion to Ancient Egypt II, Chichester 2010, 709–731.
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Koptisch (Taf. 4–6).263 Der Übergang zwischen Demotisch und Koptisch ist weniger prägnant als man vermuten könnte, da es sich sprachlich um ein Kontinuum handelt. Hinzu kommt eine terminologische Unsicherheit: Die formative Phase der koptischen Schrift während der Adaption des griechischen Alphabets wird »altkoptisch« genannt, ist sprachlich jedoch noch grundsätzlich demotisch. Entsprechend werden immer noch viele demotische Zeichen, auch Logogramme, verwendet (Taf. 5). Im Laufe der Zeit pendelt sich die Anzahl dieser ›demotischen‹ Zusatzzeichen auf sieben im bohairischen & achmimischen und sechs im sahidischen Dialekt des Koptischen ein (Taf. 6). In diesem Sinne kann man eigentlich nicht von dem einen koptischen Alphabet sprechen, sondern von verschiedenen koptischen Alphabeten.264 Der Status der Zusatzzeichen ist nicht in jedem Fall gesichert. So hat Rudolphe Kasser die demotische Herkunft des Zeichens Ϯ angezweifelt.265 Interessanterweise gibt es einige wenige Texte aus dem 8. Jhd., welche diese demotischstämmigen Zeichen ganz bewusst vermeiden.266 Umgekehrt finden zahlreiche griechische Buchstaben fast ausschließlich Verwendung bei der Wiedergabe genuin griechischer Wörter. Wie im hellenistischen Griechischen werden die Digraphen ⲉⲓ für /i/ und ⲟⲩ für /u/ gebraucht, zusätzlich auch für die Gleitlaute – die Regeln für die jeweilige Interpretation sind nicht leicht greifbar.267 Unklar sind auch die Etymologien der traditionellen koptischen Buchstabennamen, zumindest für die aus dem Demotischen stammenden Zeichen.268 Die griechischen Digraphen, also Zeichen, die für zwei Phoneme stehen, werden nicht über Silbengrenzen hinaus gebraucht und selten über Morphemgrenzen hinweg eingesetzt. Zwar existieren Texte, die Großbuchstaben verwenden, doch sie sind selten.269 Ursprünglich waren die Formen für griechische und koptische Buchstaben gleich, doch mit der Zeit kam es zu einer getrennten Entwicklung. Die genaue Funktion des »Supralinearstriches« im Koptischen ist umstritten. Bei diesem handelt es sich um ein diakritisches Zeichen, das über zwei Buchstaben steht und typisch für sahidische Texte ist. Im Bohairischen wird er nicht gebraucht, dafür kennt man dort den sog.
263 C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 56–65. 264 R. Kasser, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 32–41, s.v. »Alphabets. Coptic«. 265 R. Kasser, PSI en TI et TI pointé dans le p. Biling. 1 de Hambourg, in: Bulletin de la Societé d’Egyptologie 9/10, 1984/5, 135–140. 266 R. Kasser & A. Shisha-Halevy, Dialect G (or Bashmuric or Mansuric), in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 74–76. 267 C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 61. 268 C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 58ff. 269 C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 286.
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»djinkim«.270 Klar ist, dass der Supralinearstrich Zahlen und Abkürzungen markiert, wie im Griechischen. Uneinigkeit herrscht in der Forschung jedoch bei einem typisch koptischen Gebrauch bei Konsonantenclustern. Dort scheint er funktional äquivalent zu einem ⲉ zu sein, also ein Vokalindikator. 271 Andere Forscher sehen in ihm jedoch die Markierung von Silbengrenzen.272
3.2.2 Napatanisch Als Napatanisch bezeichnet man eine ägyptisch-meroitische Mischsprache (Kreolsprache), die im 4.–3. Jhd. v. Chr. in Obernubien (genauer gesamt im Königreich Kusch) in einer Variante der hieroglyphischen Monumentalschrift niedergeschrieben wurde. Sprachliche Stellung. Die Grundlage des Napatanischen ist unbestreitbar eine Form des jüngeren Ägyptischen, die zusätzlich überformt wurde. Was der genaue Hintergrund für diese Umformung war, entzieht sich unserer Kenntnis; ebenso wie die exakte Natur jener Veränderungen. Nach Carsten Peust handelt es sich um einen Dialekt des Ägyptischen, 273 was bereits früher Ernst Zyhlarz vertreten hatte (»Sudan-Ägyptisch«).274 Danach hätten wir eine Varietät des jüngeren Ägyptischen vor uns, die unter der Einwirkung eines lokalen Adstrats stand. Für diese These spricht, dass die grammatischen und lexikalischen Morpheme fast ausnahmslos ägyptisch sind. Die grammatischen Kategorien und die Syntax sind jedoch stark verschieden, weswegen die Sprachform (außer von Maspero 1875) meist als »barbarisches« Ägyptisch betrachtet wurde. Peust wandte sich zu Recht gegen diese abwertende Deutung und stellte fest, dass das Napatanische eine von anderen Dialekten und Chronolekten unterschiedliche Form des Ägyptischen sei. Joachim Quack hat versucht, die sprachliche Stellung des Napatanischen innerhalb der ägyptischen Sprache genauer zu fassen und in Anlehnung an das altorientalistische »Peripherakkadisch« (Akkadisch der Randgebiete wie im Amarna-Archiv) den Terminus »Peripherdemotisch« ge-
270 R. Kasser, La surligne a-t-elle précédé ee »djinkim« dans les textes bohairiques anciens?, in: Revue d’Égyptologie 24, 1972, 91–95. 271 W. Till, Der Murmelvokal, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 68, 1932, 121f. 272 H.-J. Polotsky, Zur koptischen Lautlehre II, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 69, 1933, 125–129. 273 C. Peust, Das Napatanische, Göttingen 1999. 274 E. Zyhlarz, Sudan-Ägyptisch im Antiken Königreich von K’ash, in: Kush 9, 1961, 226–257.
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prägt.275 Seiner Meinung nach ist primär unvollkommener Spracherwerb für die Unterschiede zum ägyptischen Demotischen verantwortlich. Man denkt hier an den Gebrauch der akkadischen oder hethitischen Sprache durch Ägypter.276 Das Konzept vom »Peripherdemotischen« wird dem Charakter des Napatanischen jedoch nur sehr wenig gerecht, da die fremdsprachliche Komponente kaum berücksichtigt wird. Außerdem ist es mehr als fraglich, ob die napatanischen Charakteristika tatsächlich aus ›unvollständigem‹ Zweitspracherwerb resultieren, also in gewisser Weise ›defektiv‹ sind. Vor allem aufgrund der sehr bewusst eingesetzten Unterschiede zur traditionellen ägyptischen Hieroglyphenschrift ist dies m.E. sehr unwahrscheinlich. Vielmehr sind die Schriftzeugnisse ein sehr selbstbewusster Ausdruck einer eigenen ›kuschitischen‹ Identität, die sich von der ägyptischen abzugrenzen sucht. Dass man trotzdem mit Hieroglyphen schrieb, ist dabei nicht ungewöhnlich – schließlich war Ägypten zu jener Zeit für Nubien die einzige angrenzende Schriftkultur. Die napatanischen Herrscher schrieben ganz offensichtlich eine tatsächlich gesprochene Sprachvarietät. Wie es zu dieser kam und von wem genau sie verwendet wurde, ist nicht leicht zu bestimmen.277 Linguistisch sind zahlreiche nicht-ägyptische Elemente gut zu erklären, wenn man von einem meroitischen bzw. nubischen Hintergrund ausgeht, also von zwei später in derselben Region gut bezeugten Schriftsprachen. Es dürft sich also beim Napatanischen keineswegs um einen ägyptischen Dialekt, sondern um eine auf dem Ägyptischen basierende Kreolsprache mit meroitischem oder nubischen Substrat handeln.278 Diese Sichtweise geht deutlich weiter als die Dialekthypothese, mehr in Richtung gesprochener Sprache und bezieht die fremdsprachlichen Elemente in die Definition mit ein. Eine Kreolsprache ist eine voll ausgebaute Pidginsprache. Als Pidgin bezeichnet man eine Sprachform, die entsteht, wenn zwei Gruppen regelmäßig aufeinander treffen, welche die Sprache der jeweils anderen nicht verstehen. Aus dem Gemisch stark reduzierter Vokabulare und grammatischer Elemente beider Sprachen bildet sich schließlich eine Pigdinsprache heraus. Sobald die ersten Sprecher diese als Muttersprache sprechen und beginnen, sie sekundär zu differenzieren, beginnt die »Kreolisierung«. Prinzipiell gibt es zwei mögliche Szenarien, wie es zur Kreolisierung dieses ägyptisch-meroitischen/nubischen Pidgin gekommen sein 275 J.F. Quack, Beiträge zum Peripherdemotischen, in: Studia Aegyptia 18, 2002, 393–403. 276 Vgl. zur Problematik F. Breyer, Ägypten und Anatolien. Politische, materielle und sprachliche Beziehungen zwischen dem Niltal und Kleinasien im 2. Jahrtausend v. Chr., Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2010, Kapitel G.v. 277 Vgl. F. Breyer, Einführung in die Meroitistik. Kapitel 7. Sprachen im antiken Nubien. Im Druck in der Reihe Einführungen und Quellentexte zur Ägyptologie. 278 F. Breyer, Das Napatanische. Eine ägyptomeroitische Kreolsprache und ihr Verhältnis zum Altnubischen, in: Lingua Aegyptia 16, 2008, 323–330.
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könnte. Die Bedingungen sind dieselben: Durch ein plötzliches Ereignis wird eine signifikante Gruppe von Sprechern der einen Sprache gezwungen, mit den Sprechern der anderen in Kontakt zu treten. Gegeben ist dies im Verlauf der vornapatanischen Beziehungen zwischen Ägyptern und Nubiern nur zu zwei bzw. drei Zeitpunkten: bei der ägyptischen Eroberung Nubiens im Mittleren Reich bzw. in der Thutmosidenzeit und bei der Eroberung Ägyptens durch die Kuschiten. Im einen Fall beginnen ägyptische Beamte und Militärs in Garnisonen Nubien zu beherrschen, im anderen bestimmen ausgewählte kuschitische Funktionäre die Politik Ägyptens. Die Tatsache, dass Ägyptisch die Basis und Meroitisch das Substrat im Napatanischen ist, könnte man als Argument für die erste Variante nehmen, da hier die Ägypter dominant waren. Die Dinge liegen jedoch wahrscheinlich komplizierter und es gibt zahlreiche Beispiele, bei denen eine dominante Gruppe wie die Kuschiten die Sprache der von ihnen Beherrschten angenommen haben.279 Leider lassen sich Kreolisierungsprozesse nicht quantifizierend behandeln; man kann also nicht vom Grad der Durchmischung oder vom Anteil der beteiligten Idiome auf die zeitliche Ausdehnung des Prozesses schließen. Auffällig ist, dass zwar die grammatischen Abweichungen erheblich sind, jedoch die lexikalischen Übernahmen aus nichtägyptischen Sprachen auffällig begrenzt sind. Carsten Peust hat dies genauer untersucht und und neben den Ausdrücken, die für das ältere Ägyptisch charakteristisch sind, folgende Schichten innerhalb des napatanischen Lexikons isoliert: ① Elemente, die erst im Neuägyptischen gebräuchlich sind; ② solche, die erst im Demotischen aufkommen, für die es daher aus Ägypten kaum hieroglyphische Schreibungen gibt; ③ ›ältere‹ ägyptische Wörter mit einer speziell demotischen bzw. koptischen Semantik; ④ ein Wort ist sonst nur im Koptischen bekannt, eines sonst nur im ›Ptolemäischen‹; ⑤ typisch neuägyptische Lexeme, die im späteren Ägyptischen ausgestorben zu sein scheinen; ⑥ napatanische Neuformationen ägyptischen Sprachmaterials; ⑦ sehr begrenzt Entlehnungen aus dem Meroitischen bzw. Nubischen; ⑧ Lexeme unklarer Etymologie (vielleicht ›afrikanischen‹ Ursprungs). Besonders interessant sind im vorliegenden Zusammenhang die Wörter der Gruppe ⑤, denn sie zeigen, dass die ägyptische Sprache in Nubien bereits vor 279 Man denke nur an die normannische Eroberung Englands und den Sprachwechsel der herrschenden Schicht vom Romanischen zum Germanischen.
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der Entwicklung zum Demotischen eine eigenständige Entwicklung durchgemacht zu haben scheint. Gleichzeitig weisen die Lexeme der Gruppen ②-④ aus, dass diese Entwicklung nicht ohne ständigen Kontakt mit dem ›ägyptischen Ägyptisch‹ vonstatten ging. Sollte sich dieses Bild erhärten, hieße das, dass bei der Herausbildung des Napatanischen viel mehr Komponenten beteiligt waren, als bislang meist angenommen, nämlich ① das zeitgenössische ›ägyptische Ägyptisch‹ (Demotisch-Koptisch), ② ein altertümlicheres ›nubisches‹ Ägyptisch sowie ③ eine oder mehrere ›afrikanische‹ Sprachen (Meroitisch; Nubisch). Quellenlage. Das napatanische Textkorpus ist sehr klein. Es besteht lediglich aus drei längeren Königsinschriften und einer Nebenüberlieferung von etwa einem Dutzend kürzeren Inschriften, die zum Teil ziemlich fragmentarisch sind. ① Das längste Schriftzeugnis ist die Stele des Harsijotef aus dem Tempel B 300 in Napata am Gabal Barkal. Sie befindet sich heute in Kairo (JE 48864), ist über 2 m hoch (215x70x34 cm), schmal und rundum mit 161 Zeilen (plus Beischriften im Giebelfeld der Vorderseite) beschriftet. Datiert wird dieser königliche Rechenschaftsbericht um 370 v. Chr.; Harsijotef regierte um 404–369 v. Chr. ② Der zweitwichtigste Text, die Stele des Nastasen (reg. um 335–315 v. Chr.), stammt ebenfalls aus B 300 in Napata und steht heute im Ägyptischen Museum zu Berlin (Nr. 2268). Die Granitstele misst 163x127x16,5 cm, datiert ca. 325 v. Chr. und ist auf zwei Seiten mit 68 Textzeilen (plus Beischriften im Giebelfeld der Vorderseite) beschriftet. ③ Die dritte längere Inschrift ist die Stele des Ari (Mitte des 3. Jhd. v. Chr.) aus Tempel A in Kawa (heute in Kopenhagen: Ny Carlsberg Glyptotek 1708). Sie hat fast das gleiche Format wie die Nastasen-Stele (161x130x21 cm), besteht aus gelbem Sandstein und trägt lediglich auf einer Seite Schriftzeichen. Mit nur 15 Textzeilen (plus Beischriften im Giebelfeld der Vorderseite) ist sie unvollständig erhalten. ④ Die Grabstele der Sachmach, einer Gemahlin des Nastasen, wurde in Napata (Gabal Barkal) gefunden und befindet sich heute in Khartoum (Nationalmuseum № 1853). Sie ist als Schriftzeugnis von besonderem Interesse, da sie offenbar Pseudohieroglyphen 280 enthält – zumindest hat sie sich bislang jeglicher Deutung entzogen. 281 Kurioserweise ist gerade die Passage der Nastasen-Stele, die sich auf Königin Sachmach bezieht,
280 Zu derartigen Pseudohieroglyphen anhand der Horusstelen vgl. H. Sternberg-el Hotabi, Der Untergang der Hieroglyphenschrift. Schriftverfall und Schrifttod im Ägypten der griechisch-römischen Zeit, in: Chonique d’Égypte 69, 1994, 218–254. 281 Versuche, sie zu lesen sind zu finden bei C. Peust, Das Napatanische, Göttingen 1999, 22 und K.-H. Priese, in: D. Wildung (Hrsg.), Sudan. Antike Königreiche am Nil, Tübingen 1996, 240f. (mit guter Photographie).
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nicht lesbar. ⑤ Ebenfalls aus jener Zeit stammen kleinere napatanische Texte wie eine Opfertafel282, eine Gefäßaufschrift283 und eine Wandinschrift284 im bzw. aus dem Grab des Nastasen. Hervorzuheben sind ferner zwei Inschriftengruppen. ⑥ Von König Aktisanes (4.–3. Jhd.) stammt eine Bauinschrift aus Nuri, 285 eine Inschrift von einem Türpfosten aus Napata 286 sowie eine fragmentarische Inschrift auf einem Sandsteinblock aus Napata. 287 ⑦ Ari hat neben der großen Stele mit Sicherheit noch eine weitere (fragmentarische) Stele hinterlassen (FHN 92),288 eine Stele mit größtenteils abgeriebenem Text könnte vielleicht ebenfalls diesem Herrscher zuzuordnen sein,289 außerdem möglicherweise eine fragmentarische Inschrift im Tempel B in Kawa.290 ⑧ Hinzu kommt ein kurzer, schwer verständlicher Amunhymnus aus Musawwarat es-Sufra,291 ⑨ eine Inschrift des Sabrakamani (Sbrk[.]-[mrj?]-Imn)292 und schließlich ⑩ eine fragmentarische Inschrift am Amuntempel von Napata unklarer Datierung.293Es muss 282 D. Dunham, Nuri, The Royal Cemeteries of Kush 2, Boston 1955, 248 und Taf. 74c. 283 D. Dunham, Nuri, The Royal Cemeteries of Kush 2, Boston 1955, 247. 284 D. Dunham, Nuri, The Royal Cemeteries of Kush 2, Boston 1955, Taf. 62. 285 K.-H. Priese, Eine verschollene Bauinschrift des meroitischen Königs Aktisanes (?) vom Gebel Barkal, in: E. Endesfeder et al. (Hrsg.), Ägypten und Kusch. Fritz Hintze zum 60. Geburtstag, Berlin 1977, 343–367 mit Taf. 55f.; T. Eide, T. Hägg, R.H. Pierce & L. Török (Hrsg.), Fontes Historiae Nubiorum II, Bergen 1996, 513–515. 286 M.F.L. Macadam, On a late Napatan or early Meroitic king’s name, in: Journal of Egyptian Archaeology 33, 1947, 93f.; K.-H. Priese, Eine verschollene Bauinschrift des meroitischen Königs Aktisanes (?) vom Gebel Barkal, in: E. Endesfeder et al. (Hrsg.), Ägypten und Kusch. Fritz Hintze zum 60. Geburtstag, Berlin 1977, 347–349. 287 D. Dunham (Hrsg.), The Barkal Temples. Excavated by George Andrew Reisner, Boston 1970, 34, Nr. 25 mit Taf. 37.; K.-H. Priese, Eine verschollene Bauinschrift des meroitischen Königs Aktisanes (?) vom Gebel Barkal, in: E. Endesfeder et al. (Hrsg.), Ägypten und Kusch. Fritz Hintze zum 60. Geburtstag, Berlin 1977, 347–349; T. Eide, T. Hägg, R.H. Pierce & L. Török (Hrsg.), Fontes Historiae Nubiorum II, Bergen 1996, 528–532. 288 M.F.L. Macadam, The Temples of Kawa I. The Inscriptions, London 1949, 80f. mit Taf. 34 und M.F.L. Macadam, The Temples of Kawa II. History and archaeology of the site, London 1955, 133, Nr. 0012. 289 M.F.L. Macadam, The Temples of Kawa I. The Inscriptions, London 1949, 91f. mit Taf. 41 und M.F.L. Macadam, The Temples of Kawa II. History and archaeology of the site, London 1955, 133, Nr. 0011. 290 M.F.L. Macadam, The Temples of Kawa II. History and archaeology of the site, London 1955, 49–52 und Taf. 6f. 291 F. Hintze et al. , Musawwarat es-Sufra I.1, Der Löwentempel. Textband, Berlin 1993, 81f. 292 M.F.L. Macadam, The Temples of Kawa I. The Inscriptions, London 1949, 72–76 mit Taf. 27 und 31; T. Eide, T. Hägg, R.H. Pierce & L. Török (Hrsg.), Fontes Historiae Nubiorum II, Bergen 1996, 534–536. 293 D. Dunham (Hrsg.), The Barkal Temples. Excavated by George Andrew Reisner, Boston 1970, 37, Nr. 27, Abb. 31 auf S. 37, Taf. 63.
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betont werden, dass die Schriftzeugnisse ④-⑩ zu kurz bzw. fragmentarisch sind, um linguistisch sicher als napatanisch eingestuft zu werden – die Zuordnung erfolgt also ausschließlich aufgrund der Schriftart. Periodisierung. Über die Periodisierung des »Napatanischen« existieren wie zum linguistischen Status unterschiedliche Auffassungen. Karl-Heinz Priese hat folgende (an der historischen Periodisierung orientierte) Gliederung vorgeschlagen:294 ① Früh-Napatanisch (Kuschitenzeit; 25. Dynastie; Inschriften ›gut‹ ägyptisch); ② Mittel-Napatanisch (nach Tanutamani bis Irike-Amanote, 5. Jhd.; Demotismen, keine regionalen ›nubischen‹ Elemente); ③ Spät-Napatanisch (5.–3. v. Chr.). Carsten Peust, der sich zuletzt umfassend mit dem Corpus beschäftigt hat, zählt zu Recht ausschließlich die Inschriften der dritten Gruppe zum eigentlichen »Napatanischen« – die anderen Inschriften weisen keinerlei Besonderheiten auf, die sie von anderen ägyptischen Texten unterscheiden würden. Unklar ist die linguistische Einordnung zweier Inschriften aus vornapatanischer Zeit: einer Felsinschrift aus der Regierung des Taharqo aus der Nähe von Kalabscha295 und der Inschrift der Kadimalo aus Semna (ca. 8./9. Jhdt. v. Chr.).296
294 K.-H. Priese, Zur Sprache der ägyptischen Inschriften der Könige von Kusch, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 98, 1972, 99–124. 295 G. Roeder, Debod bis Bad Kalabscha, Kairo 1911, 211ff., Taf. 93f. 127. 296 H. Grapow, Die Inschrift der Königin Katimala am Tempel von Semne, mit 2 Tafeln, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 76, 1940, 24–41; T. Eide, T. Hägg, R.H. Pierce & L. Török (Hrsg.), Fontes Historiae Nubiorum I, Bergen 1994, 35–41; zur neuesten Bearbeitung des Textes von J.C. Darnell, The Inscription of Queen Katimala at Semna, Yale Egyptological Studies 7, Oxford 2006 beachte man die relativierende Rezension von K. ZibeliusChen, Rezension von Darnell, Katimala, in: Bibliotheca Orientalis 64, 2007, 377–387.
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Erforschung.297 Die Stelen von Harsijotef und Nastasen sind schon seit dem 19. Jhd. bekannt und wurden entsprechend bereits von Gaston Maspero und Heinrich Brugsch vollständig bearbeitet. Die Nastasen-Stele stand dabei im Vordergrund, sicherlich weil sie in Berlin aufbewahrt wird. Zwar sind die Übersetzungen stellenweise nur aufgrund der Determinative erraten, aber trotzdem immer noch bahnbrechend und gerade wegen der Besonderheiten des Napatanischen viel weniger veraltet als diejenigen vieler ägyptischer Texte. Die maßgebliche Textausgabe ist diejenige Peusts (Typendruck), der ältere von Nicolas Grimal (Harsijotef)298 und Heinrich Schäfer (Nastasen)299 ersetzt. Weitere wichtige Übersetzungen sind in den Fontes Historiae Nubiorum300 und in einer Arbeit Iuri Katznelsons zu finden.301 Eine Diplomarbeit Karl-Heinz Prieses zur Nastasen-Stele muss heute leider als verschollen gelten! Die große Stele des Ari wurde erst im 20. Jhd. gefunden und von Miles Macadam (sehr unzureichend) publiziert, ein Manko, das Peust behoben hat.302 Neben dessen umfas297 Überblick bei C. Peust, Das Napatanische, Göttingen 1999. Die wichtigsten Arbeiten sind: J.C. v. Arneth, Schreiben der Herren Heuglin und Odescalchi über ägyptische Altertümer, in: Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien 1853 [1854], Band 11, 551–554 mit 2 Tafeln; H. Brugsch, Die Geographie des Alten Ägyptens nach den altägyptischen Denkmälern I, Leipzig 1857, 163ff.; H. Brugsch, Stele von Dongola, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 15, 1877, 23–27; E.A.W. Budge, Annals of Nubian Kings with a sketch of the history of the Nubian kingdom of Napata, London 1912; T. Eide, T. Hägg, R.H. Pierce & L. Török (Hrsg.), Fontes Historiae Nubiorum II, Bergen 1996, 438–457; I.S. Katsnelson, Annaly karjena Nastasena (»Die Annalen des Königs Nastasen«), in: Drevnij Vostok 1, 1975, 61–75; C.R. Lepsius (Hrsg.), Denkmäler aus Ægypten und Æthiopien, Berlin & Leipzig, Abteilung V, Blatt 16; A. Mariette, Monument divers recueillis en Égypte et en Nubie, Paris 1872; G. Maspero, Notes sur différents points de grammaire et d’histoire, in: Mélanges d’Archéologie Égyptienne et Assyrienne 3, 1874–1878, 125–132; G. Maspero, Stele of King Harsijatef, in: Transaction of the Society of Biblical Archaeology 4, 1876, 203–225; K.-H. Priese, Stele des Königs Nastasen, in: F. Hintze & S. Wenig (Hrsg.), Nubien und Sudan im Altertum, Berlin 1963, 23–27; K.-H. Priese, Stele des Königs Nastasen, in: D. Wildung (Hrsg.), Sudan. Antike Königreiche am Nil, Tübingen 1996, 236–238; H. Schäfer, Die aethiopische Königsinschrift des Berliner Museums. Regierungsbericht des Königs Nastesen, Leipzig 1901; E. Zyhlarz, Sudan-Ägyptisch im Antiken Königreich von K’ash, in: Kush 9, 1961, 226–257. 298 N.-C. Grimal, Quatre stèles Napatéennes au musée de Caire, PIFAO 106, Kairo 1981. 299 H. Schäfer, Die aethiopische Königsinschrift des Berliner Museums. Regierungsbericht des Königs Nastesen, Leipzig 1901; H. Schäfer, Urkunden der älteren Äthiopenkönige (Urk. III), Leipzig 1905/1908. 300 T. Eide, T. Hägg, R.H. Pierce & L. Török (Hrsg.), Fontes Historiae Nubiorum II, Bergen 1996, 438–475. 301 I.S. Katsnelson, Annaly karjena Nastasena (»Die Annalen des Königs Nastasen«), in: Drevnij Vostok 1, 1975, 61–75. 302 M.F.L. Macadam, The Temples of Kawa I. The Inscriptions, London 1949, 76–80, Taf. 32f. und M.F.L. Macadam, The Temples of Kawa II. History and archaeology of the site, London 1955,
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sender Dissertation ist eine neuere Arbeit von Karola Zibelius-Chen zu konsultieren, in der mehrere Passagen neu und besser übersetzt werden.303 Graphiesystem. Bei allen Schriftzeugnissen liegt eine Form der Monumentalschrift (Hieroglyphen) vor, allerdings weist diese starke Einflüsse einer Kursivschrift auf. Dies legt nahe, dass eine solche ebenfalls in Gebrauch war, auch wenn sich keinerlei Textzeugen dieser ›napatanischen‹ Kurrentschrift erhalten haben. Das Schriftsystem entspricht weitgehend dem des jüngeren Hieroglyphisch-Ägyptischen, d.h. es handelt sich um ein gemischt-morphographisches System mit Phonogrammen (Lautzeichen), Logogrammen (Wortzeichen) und Semogrammen (Determinativen). Diejenigen Zeichen, die Lebewesen darstellen, sind dem jeweiligen Zeilenanfang zugewandt; dabei kann die Schriftrichtung ohne Präferenz links- wie rechtsläufig sein. Einige der annähernd 400 belegten Grapheme sind sehr speziell – offenbar ist das Zeicheninventar viel weniger normiert als bei den ägyptischen Hieroglyphen. So gibt es signifikante Abweichungen bei einigen Einkonsonantenzeichen 〈m, s, g, ḏ, ṯ〉, bei Zweikonsonantenzeichen 〈Ꜥn, (w)ḏꜢ, ḥm, ḥr, ḫꜤ, sw〉 und auch bei Semogrammen 〈sḏm, ḥr()-b〉. Grammatische Elemente (Endungen, Pronomina, Präpositionen) werden häufig nur mit Phonogrammen geschrieben, bei lexikalischen Elementen steht normalerweise mindestens ein Wortzeichen oder ein Determinativ. In meiner »Einführung in die Meroitistik« sind die wichtigsten Abweichungen der napatnischen Zeichenformen vom ägyptischen Usus aufgeführt. Spezielle Zeichenverwendung. Einige Zeichen werden nicht der ägyptischen Norm entsprechend gebraucht. Bestimmte Zeichen wie 〈š, p, g〉 oder 〈ḫ〉, das Sonnen- und das Stadtzeichen können sowohl Konturen als auch Binnenzeichnungen aufweisen, manchmal jedoch nur die Konturen und manche sind sogar ganz ausgefüllt. Mehrere in Ägypten distinkte Zeichen sind zusammengefallen; auf der anderen Seite existieren Unterscheidungen, die dort unbekannt sind. All dies ist auf den Einfluss der Kursive zurückzuführen. Dies geht sogar so weit, dass die relative Anordnung der Zeichen zueinander betroffen ist – Schäfer sprach seinerzeit von einer gewissen »Gespreiztheit«. Der Ari-Text weist zudem eine ganz spezielle Zeichenanordnung auf, die nicht sehr gut zu reproduzieren ist. Peust hat Kapitel 11 seiner Monographie dem Einfluss der Kursive gewidmet
30 und 134, Nr. 0778. 303 K. Zibelius-Chen, »Nubisches« Sprachmaterial in hieroglyphischen und hieratischen Texten. Personennamen, Appellativa, Phrasen vom Neuen Reich bis in die napatanische und meroitische Zeit. Mit einem demotischen Anhang, Meroitica 25, Wiesbaden 2011. Die napatanischen Passagen erschließen sich über den Index der besprochenen Textstellen.
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(Zeichenformen und Graphiesystem), weswegen dieser Aspekt hier nicht noch einmal weiter ausgeführt werden soll. Abgesehen von diesem besonderen Kontakt zwischen zwei Schriftarten sind jedoch auch sehr spezielle Konventionen festzustellen, die sich nicht oder nur mit viel Mühe aus dem ägyptischen Schriftsystem heraus erklären lassen. Diesem Umstand ist es geschuldet, dass man jene Konventionen ob ihres fremden Charakters sehr lange überhaupt nicht erkannte und das System als defektiv oder »barbarisch« beschrieb – Nachwehen sind die Schwierigkeiten, die Peust dabei hatte, sie terminologisch genau zu fassen. Die vielleicht auffälligste Neuerung ist der Gebrauch sogenannter »bedingter Determinative« (Peust). Gemeint sind hier Zeichen, die als Raumfüller dienen und die je nach graphischem Kontext verschieden sein können. Über einem langen und schmalen Zeichen, etwa dem Suffixpronomen ⸗f, steht dann ein weiteres schmales und liegendes Zeichen, bei einem aufrechten schmalen Zeichen ein ebenso schmales und aufrechtes Determinativ. Dies führt dazu, dass der Graphemkomplex 〈f+r〉 zu einer üblichen Schreibung für das Suffix ⸗f wird. Andere Morphemschreibungen sind drei Striche für das Suffix ⸗w und der »schlagende Arm« für das Konjugationspräfix t-. Diese Form der Eugraphie, also der Wechsel zwischen stehenden und liegenden Zeichen desselben Lautwertes, ist bereits im Altägyptischen angelegt und in der Tat der Motor für die Entwickvs. oder lung mehrerer Allographen der Einkonsonantenzeichen, z.B. 〈m〉 〈n〉 vs. . Dass die Napataner die Eugraphie weiter fassten, wirkt auf den ersten Blick wie die Anwendung praxisfernen Schulwissens, könnte jedoch auch eine bewusste Weiterentwicklung des ägyptischen Systems darstellen. Für die zweite These spricht der Gebrauch einer sehr speziellen ›nubischen‹ Art von Determinativen. Es sind dies phonetische Determinative, die beinahe wie Glossen neben einem ägyptisch geschriebenen Lexem stehen, jedoch mit einer ›nubischen‹ Lautung operieren. So steht beispielsweise (in einem Toponym) hinter der ägyptisch geschriebenen Lautgruppe 〈mr〉 das ägyptische Zeichen 〈nfr〉 »gut«, was nur verständlich ist, wenn man weiß, dass 〈mr〉 für /ml/ steht und auf Meroitisch 〈mlo〉 /malu/ »gut« bedeutet. M.E. liegt in derartigen »Glossen« der Schlüssel zum Verständnis des Napatanischen, denn sie zeigen, dass man das ägyptische System sehr virtuos und sogar komplexer einzusetzen verstand und dies ferner bewusst und vor einem dezidiert ›nubischen‹ Hintergrund geschah. Die Komplementierung kann im Napatanischen erfolgten bzw. nicht erfolgten Lautwandel anzeigen. Auch dies ist im Ägyptischen selbst angelegt, wurde jedoch noch nicht wirklich in extenso untersucht. Ebenfalls ausgeschöpft wird die Möglichkeit, eine Reduplikation anzuzeigen. Im Ägyptischen geschieht dies meist durch die Gruppe sp 2, was wörtlich »zweimal« bedeutet. Dies wird graphisch auf den Doppelstrich reduziert und deutet die recht häufige Haplographie im Napatanischen an. Reduplikationen sind übrigens ein typisches
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Kennzeichen von Kreolsprachen. Im Folgenden sei ein sehr knapper Überblick über den spezifisch napatanischen Gebrauch einzelner Hieroglyphen(gruppen) gegeben, wobei unterschieden wird zwischen Elementargraphemen und zusammengefassten Gruppen nach der Einteilung der ägyptischen Zeichen durch Alan Gardiner (Taf. 7). Elementargrapheme steht immer hinter 〈g〉, wenn dieses gelesen werden muss. • Aleph steht manchmal anstelle von älterem 〈n〉 (Lautwandel). • 〈m〉 • 0 〈w〉 und 〈t〉 sind als Einzelzeichen sehr oft stumm, die Gruppe 1 〈tw〉 steht jedoch für 〈t〉. • Die sog. w-Schlaufe ist bei Ari häufig, bei Harsijotef nur einmal, bei Nastasen gar nicht belegt. • Das Einkonsonantenzeichen 〈ṯ〉 hat immer den Lautwert /t/. 〈y〉 kennzeichnet meist am Wortanfang den vokalischen Anlaut und • generell nur noch selten //. • Die Opposition von 〈s〉, 〈n〉 und 〈tꜢ〉 wird in vielen Fällen aufgehoben. 〈n〉 kann sogar senkrecht stehen! (im Demotischen • Der einfache Strich für nur bei Ꜥnḫ) 〈r〉 kann eine Füllung aufweisen oder eine doppelte Kontur. Funk• Das tionsunterschiede wurden dabei nicht festgestellt. Es steht vielfach als reines Füllzeichen, wohl da es in vielen Fällen nicht mehr gesprochen wurde (besonders im Auslaut). In denjenigen Fällen, in denen es noch sprachwirklich war, wird es manchmal doppelt geschrieben. • Bei 〈p〉 ist wie beim späteren meroitischen Zeichen p sehr häufig eine Binnenzeichnung feststellbar, es besteht kein erkennbarer Funktionsunterschied zur Form ohne diese. • Innerhalb der großen Stelen wechseln die Spezifika der beiden Zeichen 〈p〉 und 〈n〉, was auf zwei Schreiber oder zwei Vorlagen hindeutet. • Das 〈ḥ〉 wird manchmal diskontinuierlich geschrieben, d.h. das Mittelstück fehlt. • Ein 〈k〉 wird manchmal nach hinten verschoben, wenn es an der Registerlinie steht, wahrscheinlich da es in der Kursive manchmal die Breite eines Zeichens überschreitet und unter dem ganzen vorangehenden Wort in die Länge gezogen wird. • Für ein nicht geschwundenes /g/ wurde im Napatanischen ein eigenes Zeichen geschaffen, das wie ein Quadrat mit Eckverstärkung aussieht (vgl. meroitisch S?). • Wenn für 〈ẖr〉 steht, wird es immer mit 〈r〉 komplementiert.
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•
Steht ein 〈t〉 mit einem »Wachtelküken« oder »Schrägen Strichen« zusammen, heißt dies, dass sich der Laut /t/ an dieser Stelle erhalten hat; im Anlaut wurde er immer gesprochen. 〈t〉 ist oftmals Füllzeichen, gerade in kalligraphischer Umgebung (Suffix); Verschreibungen 〈t~n〉, die sich aus der Kursive erklären, kommen mehrfach vor.
Personen (A-C) • Die Verwendung der Zeichen A1 , A2 und ihrer Varianten ist unsteht für »Mann« einheitlich. Ari folgt dem ägyptischen Gebrauch, d.h. als Determinativ für »sprechen, denken«. Bei und die 1. Pers. sg., und Harsijotef ist dies grundsätzlich auch der Fall, d.h. »Hand am Mund« und Varianten steht für »denken, sprechen«. Nastasen mischt die Kategorien, d.h. hier steht für beides und gelegentlich für »denken, sprechen«. • steht bei Interjektionen und wird oft fast wie ein Interpunktionszeichen verwendet. Hieraus entwickelt sich das meroitische Zeichen i 〈i〉. A35 »bauen« ist der Umstand, dass Mann und • Bemerkenswert bei Bauwerk im Zeilensprung auseinander geschrieben werden können • Bei ägyptischen Hieroglyphen werden Götter geschlechtsspezifisch determiniert, in den Kursivschriften nicht und auch im Napatanischen nicht. kann auch »ehrwürdige« Begriffe bezeichnen, • Das ›Gottesdeterminativ‹ nicht nur Götter. Tiere (E; G-L) • Bei den Rinderhieroglyphen wird besonders unterschieden; dies hat Peust speziell untersucht (Kapitel 13). Als Faustregel kann gelten: Bei kꜢ haben die Rinder nach innen gebogene Hörner und Hoden, bei wꜢ sehr kurze Hörner und bei mn(mn) große, nach außen offene Hörner und keine Hoden. Körperteile (D; F) • Das Augenzeichen kann für ḫꜤꜢi̯ »erscheinen« stehen, was sich wohl durch eine Verschreibung aus der Kursive erklärt. • Der »schlagende Arm« kann in einer Schriftzeile nie oben stehen – vielleicht eine Art ›Schrifttabu‹? • Die »laufenden Beinchen« können als ›bedingte Determinative‹ fungieren. • Natur und Bauten (N-O) • Die »drei Wasserlinien« können auf zwei Schriftquadrate verteilt werden. 〈pr〉 wird auch hochlänglich geschrieben. Es hat die • Das »Hauszeichen« Tendenz, nur für /p/ zu stehen, wahrscheinlich, da es nur komplementiert wird, wenn das /r/ noch gesprochen wurde. • Das Zeichen ℡ 〈ḥw.t〉 steht auf dem Kopf!
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•
Eine Spezialform von »Königtum«.
ꜤꜢ mit einem oberen Fortsatz steht wohl für
Gegenstände (P-Y) • Das 7 〈nṯr〉 wird gerne aus Ehrfurcht vorangestellt, sogar im Wort für »Weihrauch«. • Auf der Ari-Stele hat das »Kopftuchzeichen« eine ganz spezifische Form. • Das Zeichen steht im Napatanischen durch Zeichenzusammenfall auch für 〈šn〉. 〈wꜢ〉 steht für /w/, eigenartige Form, »Wachtelküken« meist stumm • dagegen. • Der nw-Topf 7 dient zur Notation von 〈n〉 am Wortende, (das 〈w〉 ist stumm), manchmal ist es Determinativ in Wörtern, die semantisch mit »rund sein« zusammenhängen. Striche • Der Strich kommt noch häufiger vor als im Neuägyptischen und dient oft als Wortgrenzsignal. • Bei Nastasen und Ari gibt es eine Langform des einfachen Striches, die zwar mit einer anderen Zeichenanordnung einher geht, nicht jedoch mit einem Funktionsunterschied. Er funktioniert wie ein Wortartindikator, da er nie bei Verben steht. • Auch zwischen den verschiedenen Gruppierungen der »Pluralstriche« sind keine Funktionsunterschiede erkennbar. Die »Pluralstriche« stehen häufig bei den Pluralformen der Pronomina (»Gruppenschrift«) und bei Nastasen und Ari auch als Phonogramm für 〈w〉. • Doppelstriche haben gelegentlich den Lautwert 〈y〉, öfters stehen sie für etymologisches /y/ oder /Ꜣ/ Aleph; sehr charakteristisch für Nastasen und Harsijotef ist ihre Verwendung über »laufenden Beinchen«, die jedoch auch für sich ein Schriftquadrat bilden können. Hinter 〈d〉 oder 〈t〉 zeigen sie an, dass diese gesprochen werden. Zwei Striche stehen häufig auch für die Verdopplung des Wortstammes. Kreise • Die Kreiszeichen sind fast alle zusammengefallen und untereinander austauschbar. • In der Graphie des Ortsnamens »Napata« tritt das Sonnenzeichen fast immer für das Stadtdeterminativ ein, wohl aus religiösen Gründen (Supplementärsinn). • Der ausgefüllte Kreis steht als Determinativ hinter Wertgegenständen.
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Wortschatz. Der napatanische Wortschatz ist sehr interessant und darf bei der Beurteilung der Schrift nicht unberücksichtigt bleiben. Er zeigt nämlich, dass die Basis der Schriftsprache eindeutig eine Form des »späteren Ägyptischen« ist, denn es werden viele Lexeme gebraucht, die erst im Neuägyptischen oder gar im Demotischen erscheinen oder mit einer speziellen Bedeutung, die erst im Demotischen belegt ist – daher Quacks These vom »Peripherdemotischen«. Dass die Dinge nicht so einfach liegen, zeigen Wörter, die im zeitgenössischen Ägyptischen selbst offenbar nicht (mehr) gebräuchlich waren. Auf die ›nubischen‹ Determinative wurde bereits hingewiesen. Neben diesen ist der fremde Spracheinfluss auch bei den vielen nicht-ägyptischen Namen und den zwei nachgewiesenen Lehnwörtern (srḫs »ein Priester« [meroitisch] und tgr »Kette« [nubisch]) zu erkennen – von den Wörtern ganz zu schweigen, die gänzlich unbekannt und wohl ebenfalls ›nubischer‹ Herkunft sind. Phonologie. Die beiden wichtigsten Charakteristika der napatanischen Phonologie sind der Zusammenfall der emphatischen Laute /tʾ, cʾ, kʾ/ mit den stimmlosen /t,c,k/ und die Aufhebung des Kontrastes zwischen /s/ und /š/. Letzteres steht im Gegensatz zum Ägyptischen und ist daher als Phänomen des ›nubischen‹ Substrateinflusses zu werten. Der Befund ägyptischer Lehnwörter im Altnubischen weist in dieselbe Richtung: Hier wird ägyptisch 〈š〉 mit altnubisch 〈s〉 wiedergegeben; die Unterscheidung š ~ s im Nubischen ist nämlich sekundär. Im Meroitischen wird ebenfalls nicht zwischen den beiden Lauten unterschieden, auch nicht bei Lehnwörtern aus dem Ägyptischen. Für das Napatanische heißt dies, dass 〈s〉 und 〈š〉 bei bestimmten Wörtern wechseln und nur in konkreten Fällen wie am Wortende und vor langem Tonvokal // und /ṓ/ korrekt geschrieben werden. Peust hat sehr gut herausgearbeitet, dass das Unvermögen der ›Kuschiten‹ in Ägypten offenbar in ähnlicher Weise Anlass zu Spott war wie in Mitteleuropa dasjenige vieler Asiaten, ein /r/ auszusprechen. Es wurde nämlich im Papyrus Vandier der Kuschitenpharao Schebitqo (Sohn des Schabaqo) nicht nur auf der Inhaltsseite als Sohn des Sobek (SꜢ-Sbk) persifliert.304 Ebenfalls als besonders ›nubisch‹ zu werten ist ein eigener Laut, ein labialisiertes k bzw. kw , nachgewiesen durch die Graphievarianz 〈q ~ w〉. Außerdem verfügt das Napatanische über einen palatalen Nasal (ɲ) mit der Graphie 〈nn〉. Von ägyptologischem Standpunkt aus ist zu bemerken, dass es noch die stimmhaften Verschlusslaute /b/, /d/ und /g/ gibt, die Unterscheidung von 〈h〉 und 〈ḥ〉 noch aktiv und das Ayin 〈ʿ〉 wohl noch nicht geschwunden war; ferner war die Palatalisierung k/g > ky noch nicht ganz abgeschlossen.
304 C. Peust, Das Napatanische, Göttingen 1999, 228.
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Grammatikalische Besonderheiten. Da die Grammatik signifikant von derjenigen der altägyptischen Hieroglypheninschriften abweicht und dies für das Verständnis des Napatanischen nicht unerheblich ist, soll auf die wichtigsten Besonderheiten kurz eingegangen werden. Schon Zyhlarz hatte vermutet, dass eher ›afrikanische‹ Kategorien eine Rolle spielen, etwa ›superior‹ vs. ›inferior‹. Zum einen gibt es keine Genusunterscheidung, weder bei unbelebten Wesen noch bei belebten, und auch (außer bei der 3. Person sg.) keine Genuskongruenz zwischen Nomina und ihren Attributen. Anders ausgedrückt: Das Napatanische kennt wie das Meroitische kein grammatisches Geschlecht, nur ein natürliches. Feminine Personalpronomina stehen nur noch bei Frauen und Göttinnen, beim Artikel steht zuerst p- bei Singular- und n- bzw. t- (!) bei Pluralformen, später generell bei allen Formen p-. Auch die Kategorie Numerus ist diffus. Die »Pluralstriche« wurden zu einer Art »Wortartdeterminativ«, phonetische Pluralschreibung mit w gibt es nicht, dafür recht häufig die Mehrfachsetzung (Logogramm/Determinativ). Verwirrend ist allerdings, dass man bei diesen nicht zwingend auf eine Singularform schließen kann. Speziell ist auch, dass sich nb »alle« auf mehrere Nomina hintereinander beziehen kann. Die Kategorie ›Determination‹ scheint ebenfalls anders geregelt zu sein als im Ägyptischen: Bestimmte Nomina müssten vom Kontext her determiniert sein, weisen jedoch keinen Artikel auf. Peust unterscheidet daher schematisch zwischen ›artikelfähigen‹ und ›artikelunfähigen‹ Substantiven – bei ersteren steht ein Suffixpronomen direkt am Artikel, bei den zweiten am Substantiv selbst. Artikelunfähig sind Eigennamen (außer das univerbierte pꜢ-RꜤ), Verwandtschaftsbezeichnungen, Körperteile, ehrwürdige Begriffe (Tempelteile) sowie »Tag« und »Fremdland«. Sowohl beim Artikel als auch bei den Demonstrativa ist die Eugraphie wohl bestimmender als die ägyptische Morphologie; die Nastasen-Stele bemüht sich jedoch, im Possessivartikel zumindest das Doppelschilfblatt unterzubringen. Die Pronomina sind ebenfalls deutlich umgeformt, so gibt es vor allem keine Unterscheidung zwischen Subjekts- und Objektspronomen: Anstelle des ›Dativ‹-n kann ein Pronomen stehen und umgekehrt; Suffixe stehen, wo man im Ägyptischen ein abhängiges Pronomen erwarten würde und umgekehrt. Im Ägyptischen wird das Suffix an der Verbalform ausgelassen, wenn das Subjekt nominal ist (es heißt also nicht *sḏm⸗f nṯr) – im Napatanischen wird genau dies verlangt. Vergleichbares gilt für die Folge Präposition+Substantiv (r⸗f NN »hin zu ihm, dem NN«). Sehr nicht-ägyptisch sind außerdem die Objektssuffixe am Verb (ḏi̯.n⸗s-f-w »sie gab ihn ihnen«) mit Ketten von bis zu drei Pronomina hintereinander. Grundsätzlich ist der Satzbau anders als im Ägyptischen, etwa bei der Reihenfolge von direktem und indirektem Objekt. Bemerkenswert ist ferner die Fehlinterpretation des femininen Suffixpronomens bei sḏm.n⸗s, die zu einer neuen Form ns führte. Bei den Präpositionen konnte Peust die Kategorie ›Hono-
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rativität‹ nachweisen (-r). Die verbale Morphologie zeigt ebenfalls Auffälligkeiten: Zum einen gibt es viele Reduplikationen, gerade von Simplices, die sonst nirgends belegt sind; zum anderen wird das sḏm.n⸗f durch eine Form ohne n verdrängt, d.h. der Prospektiv ist vom Perfekt nicht zu unterscheiden. Die Hilfsverben bereiten weitere Probleme, denn ri̯⸗f sḏm kann auch für w⸗f sḏm stehen und ḏi̯ »geben« muss nicht notwendigerweise kausative Bedeutung haben. Alles in allem sollte deutlich geworden sein, dass das Napatanische viel zu weit vom Standardägyptischen entfernt ist, um als ägyptischer Dialekt klassifiziert werden zu können. Die Regelhaftigkeit der Abweichungen auf grammatikalischer Ebene legt nahe, dass auch die Besonderheiten der Schrift nicht aus Unvermögen resultieren, sondern intendiert sind.
3.2.3 Meroitisch Nach diesem kurzen napatanischen Intermezzo sollte es noch fast zwei Jahrhunderte dauern, bis im Königreich Kusch wieder ein Versuch unternommen wurde, die eigene Sprache niederzuschreiben. Diesmal begnügte man sich nicht damit, bestehende Tendenzen innerhalb des ägyptischen Schriftsystems auszureizen und weiter zu entwickeln. Vielmehr wurde ein gänzlich neues System geschaffen, ohne freilich die graphischen Vorbilder Ägyptens ganz zu verlassen (Taf. 8–12). Sprachliche Stellung.305 Die genaue linguistische Einordnung der meroitischen Sprache war seit der Entzifferung der Schrift umstritten. Zwei bzw. drei Hypothesen wurden kontrovers diskutiert: Entweder müsse es sich um eine afroasiatische/semitohamitische Sprache handeln oder um eine nilosaharanische, genauer gesagt eine Sprache der nilosaharanischen Gruppe ›Eastern Sudanic‹. Schließlich stand noch die These im Raum, sie sei speziell mit dem ebenfalls nilosaharanischen Nubischen verwandt. In jüngster Zeit hat Claude Rilly die Sttimmigkeit der zweiten These ziemlich überzeugend demonstriert.306 Korpus.307 Heute sind nur etwas über 1000 meroitische Texte publiziert, auch wenn die Nummerierung der Textsammlung Repertoire d’épigraphie méroitique
305 Umfassende Darstellung bei C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 421– 492 und F. Breyer, Einführung in die Meroitistik, im Druck in der Reihe Einführungen und Quellentexte zur Ägyptologie. 306 C. Rilly, Le Méroïtique et sa famille linguistique, Leuven 2009. 307 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 90ff.
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(REM) mehr als 1300 Einträge umfasst (die Nummerierung ist parallel zu den wichtigsten Textpublikationen und damit auf Lücke nummeriert!). Mindestens ein Drittel der bekannten Texte ist jedoch noch nicht erfasst. 308 Schlimmer noch: In dem neuen Standardwerk zum Meroitischen von Claude Rilly sind nicht einmal alle dieser unpublizierten Textgruppen erwähnt.309 Für die Interpretation erschwerend kommt hinzu, dass die ganzen, also vollständig erhaltenen Texte lediglich etwa zwei Drittel des Korpus ausmachen und die restlichen oft sehr fragmentiert sind. Außerdem sind die ca. 450 sog. ›Totentexte‹ allesamt äußerst formelhaft. Die Fundorte meroitischer Texte erstrecken sich zwischen Philae am 1. Nilkatarakt und Soba am Blauen Nil.310 Sie stehen auf den unterschiedlichsten Textträgern,311 wobei die Unterschiede zum Gebrauch derselben in Ägypten im Großen und Ganzen marginal sind. Sicherlich war die meroitische Linearschrift die weitaus gebräuchlichere Schriftart.312 Dies bedeutet auch, dass vornehmlich mit Tusche und Pinsel geschrieben wurde (nicht mit dem calamus [Rohrfeder], wie beim Altnubischen).313 Das Schreibwerkzeug Pinsel ist denn auch der Grund für den teils ziemlich kursiven Duktus der Linearschrift mit den nach rechts verlängerten Hasten.314 Was die Hieroglypheninschriften angeht, so waren diese, den Pigmentresten nach zu urteilen, wohl meist farbig gefasst.315 Sie waren mit Ausnahmen der Bronzeschale von el-Hobagi (REM 1222) und einer Glasplatte (REM 0417) alle auf Stein angebracht, was ihre prinzipielle Verwendungsdomäne bezeichnet, nämlich Kult und Königtum. Auffällig ist generell der Umstand, dass viele Inschriften sehr unbeholfen aussehen316 – insbesondere die
308 Besonders hervorzuheben sind die unpublizierten Texte von Musawwarat es-Sufra, Meroë, Tabo, Naga, Wadi ben Naga, Gebel Adda und Qasr Ibrim. 309 Vgl. F. Breyer, Die meroitische Sprachforschung. Gegenwärtiger Stand und zukünftige Ansätze, in: Mitteilungen der Sudanarchäologischen Gesellschaft 23, 2012, 117–149. 310 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, Karten S. 46 und 83 und vor allem die sehr informative Übersicht mit Karte bei K. Demuß & F. Kammerzell, Das Meroitische und seine Erschließung, in: W. Seipel (Hrsg.), Der Turmbau zu Babel, Wien 2003, 155–160. 311 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 84ff. 312 Zur Frage der Literarizität vgl. B.G. Trigger, Spoken and written Meroitic: a note on the terminal formulae in Meroitic funerary inscriptions from Arminna West, in: Journal of Egyptian Archaeology 53, 1967, (166–169) 169. 313 D.N. Edwards, La Forteresse de Qasr Ibrim, in: Dossiers d’archéologie 196, 1994, (63–69) 69. 314 F. Ll. Griffith, Meroitic Inscriptions, in: D. Randall-MacIver & L. Woolley, Areika, Oxford 1909, (43–54) 50. 315 B.G. Trigger & A. Heyler, The Meroitic Funerary Inscriptions from Arminna West, New Haven & Philadelphia 1970, 2. 316 F. Ll. Griffith, Meroitic Studies IV, in: Journal of Egyptian Archaeology 4, 1917, (159–173) 162.
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linearen Texte sind oft sehr unregelmäßig und vor allem ab dem 2. Jhd. n. Chr. geradezu miserabel graviert. Texte mit Keramik als Schriftträger sind selten geritzt, sondern mit weißer Tusche ausgeführt – Graffiti sind hingegen allesamt in Stein (meist Tempelwände) geritzt. Andere Schriftträger sind selten, etwa Fayence, Glas, Leder (als Amulette, nicht als Pergament!) und Metall. Meroitische Papyri waren lange nicht bekannt, was sich jedoch mit der zunehmenden Erschließung der Alltagstexte aus Qasr Ibrim ändert. 317 An Textgruppen werden unterschieden:318 Totentexte, Königsinschriften, Bildbeischriften, Proskynemata und Graffiti, Besitzerinschriften, die sog. »Bauinschriften«, Ächtungstexte, Orakelamulette und die wenigen Wirtschaftstexte (Ostraka). Dabei sind die Totentexte von herausragender Bedeutung, sowohl forschungsgeschichtlich als auch was die Menge angeht. Die meisten stehen auf Opferplatten (ca. 250 Stück), etwa 160 auf Totenstelen. Nur in Sedeinga gibt es einen dritten Typ, den Totentext über dem Grabeingang. Periodisierung.319 Fritz Hintze hatte folgende Sprachstufen des Meroitischen unterschieden:320 Altmeroitisch (vor 40 v. Chr.), Mittelmeroitisch (40 v. Chr. – 200 n. Chr.) und Spätmeroitisch (nach 200 n. Chr.). Diese Periodisierung wurde von Claude Rilly modifiziert, der von folgender Gliederung ausgeht: 321 Protomeroitisch (2. Jts. v. Chr.); Altmeroitisch (1000–500 v. Chr.); Mittelmeroitisch (500 v. Chr. – 50 n. Chr.); Neumeroitisch (50–500 n. Chr.). Dabei ist umstritten, ob das Meroitische wirklich bereits so früh im Niltal gesprochen wurde. 322 Ebenfalls umstritten ist die These von Carsten Peust, der von einer genetischen Verbindung zwischen dem Meroitischen und dem Altnubischen ausgeht und folglich die Terminologie stark verändert:323 Was gemeinhin als »altnubisch« gilt, wird bei ihm »mittelnubisch«, da er das Meroitische als das eigentliche »Altnubische« begreift. Zwar hat Rilly jüngst überzeugend nachgewiesen, dass
317 Dort wurden allein 1980 etwa 90 Papyrusfragmente, 80 Ostraka, fast zwei Dutzend Stelen und 10 Holztafeln gefunden. 318 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 91ff. 319 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 35ff. 320 F. Hintze, Studien zur meroitischen Chronologie und zu den Opfertafeln aus den Pyramiden von Meroë, Berlin 1959. 321 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 35f. 322 Diskussion bei F. Breyer, Die meroitische Sprachforschung. Gegenwärtiger Stand und zukünftige Ansätze, in: Mitteilungen der Sudanarchäologischen Gesellschaft 23, 2012, (117–149) 127f. 323 C. Peust, Das Napatanische, Göttingen 1999, 80f. Kritisch zu dieser These: F. Breyer, Das Napatanische. Eine ägyptomeroitische Kreolsprache und ihr Verhältnis zum Altnubischen, in: Lingua Aegyptia 16, 2008, 323–330.
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Meroitisch und Nubisch eng verwandt sein müssen, jedoch das eine als Weiterführung des anderen zu betrachten, dürfte allein aufgrund von lediglich zwei bis drei an Einzelbelegen festgemachten Lautregeln kaum möglich sein. Sprachareal(e). Der Sprachraum des Meroitischen lässt sich anhand von Verteilungskarten der Inschriften grob erfassen.324 Danach reichte dieser von Soba im Süden bis Philae im Norden und im Südosten zumindest bis zum Gebel Queili. Ob dies jedoch auch die wirkliche linguistische Situation widerspiegelt oder nur die Punkte der staatlichen Kontrolle, ist unklar.325 So wurden zwischen dem Roten Meer und dem Nil in der nubischen Ostwüste bislang keine Inschriften gefunden, was nicht heißen muss, dass es dort keine Sprecher des Meroitischen gab. Gleiches gilt für Dārfūr. Zwar scheint es sich als comunis opinio herausgebildet zu haben, Meroë sei ein ›Vielvölkerstaat‹ mit entsprechendem ›Sprachengewirr‹ gewesen, doch ist zumindest letzteres großteils Spekulation. Wir wissen nicht einmal, inwieweit der Großteil der Bevölkerung überhaupt meroitisch sprach – möglicherweise war Meroitisch nur die offizielle Schriftsprache des Reiches, die gesprochene Sprache einer kleinen Elite. 326 Diatopische Varietäten lassen sich im Meroitischen nur schwer feststellen, auch wenn sich durchaus einige regionale Unterschiede in den Texten niederschlagen. 327 Vor allem zwischen dem 1. und 2. Katarakt etwa bis in die Gegend von Sedeinga wurde wohl eine eigene Varietät gesprochen.328 Schriftentwicklung.329 Francis Llewellin Griffith, der die Entzifferung des Meroitischen zum Abschluss gebracht hat, war auch der erste, der eine Paläographie der meroitischen Schriftarten erstellte.330 Er unterschied drei Phasen, eine Archaische Phase (vor 25 v. Chr.), eine Übergangsphase (25 v. Chr. – 250 n. Chr.) und eine Späte Phase (250–400 n. Chr.). Die erste Phase ist gekennzeichnet
324 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 46. 325 Außer Naga, Musawwarat es-Sufra und Gebel Qeili wurden alle Inschriften im Niltal gefunden. 326 Man vergleiche die Situation im bronzezeitlichen Kleinasien, wo die Mehrheit eine luwische Sprache sprach, die staatstragenden Elemente jedoch hethitisch – gleichzeitig wurde das Hieroglyphen-Luwische zur dominanten ›Displayschrift‹. 327 Vgl. F. Breyer, Die meroitische Sprachforschung. Gegenwärtiger Stand und zukünftige Ansätze, in: Mitteilungen der Sudanarchäologischen Gesellschaft 23, 2012, (117–149) 126ff. 328 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 37ff. 329 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 315–351. Vgl. auch F. Breyer, Einführung in die Meroitistik, im Druck in der Reihe Einführungen und Quellentexte zur Ägyptologie. 330 F.Ll. Griffith, The Inscriptions from Meroe, in: J. Garstang, A.H. Sayce, F.Ll. Griffith (Hrsg.), Meroe. The City of the Ethiopians, Oxford 1911, (57–87) 58.
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durch ihre Tendenz zu langgestreckten Formen sowie durch die Nähe derselben zu denjenigen der Hieroglyphen. Die Zeichen der Übergangsphase haben einen längeren Abstrich, auch wenn dieser nicht so kräftig ausfällt wie später. Charakteristisch sind besondere Zeichenformen für 〈n〉 und 〈te〉. Die Zeichen der Späten Phase waren das Vorbild für den Schriftfont, den Griffith für das Journal of Egyptian Archaeology hatte erstellen lassen und der durch seine zahlreichen Publikationen dort für die Meroitistik in gewisser Weise prägend wurde. Fritz Hintze orientierte sich an diesem dreiteiligen Schema und erstellte eine Paläographie, bei der jedoch Meroë ziemlich überproportional vertreten ist.331 Die repräsentativste und umfassendste Paläographie wurde von Inge Hofmann erstellt, und zwar ohne Rücksicht auf Griffith allein aus den Inschriften heraus.332 Danach sind sechs Schriftstufen zu unterscheiden (I-VI), wobei Stufe V weiter in V.1–3 untergliedert wird: I (um 150–50 v. Chr.), II (um 50 v. bis 50 n. Chr.), III (um 50–100 n. Chr.), IV (um 100–150 n. Chr.), V.1 (um 150–200 n. Chr.), V.2 (um 200–250 n. Chr.), V.3 (um 250–300 n. Chr.), VI (um 300–350 n. Chr.). Die letzte alle meroitischen Texte umfassende paläographische Untersuchung stammt aus der Feder von Claude Rilly.333 Er orientiert sich wieder an Griffith und untergliedert bzw. datiert dessen drei Perioden anders: Archaisch A (erste Hälfte des 2. Jh. v. Chr.) und B (Ende des 2. Jh. v. Chr.); Übergang A (Ende des 1. Jh. v. Chr.), B (1. Jh. n. Chr.) und C (2. Jh. – Anfang 3. Jh. n. Chr.), sowie Spät A (230–300 n. Chr.) und B (300–420 n. Chr.). Schriftentzifferung.334 Die meroitische Schriftkultur musste im Gegensatz zur altägyptischen erst wieder entdeckt und als eigenständig erkannt werden. Der erste, der einen meroitischen Text (REM 0093) publizierte, war der Kölner Franz Christian Gau,335 gefolgt von den beiden britischen Reisenden George Waddington & Barnard Hanbury (REM 0079).336 Fédéric Cailliaud, der fünf Inschriften aus Meroë und Musawwarat es-Sufra veröffentlichte, äußerte sich als
331 F. Hintze, Studien zur meroitischen Chronologie und zu den Opfertafeln aus den Pyramiden von Meroë, Berlin 1959, Abb. 34. 332 I. Hofmann, Steine für die Ewigkeit. Meroitische Opfertafeln und Totenstelen, Wien 1991, S. 127, Tabelle 1. 333 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 317ff. und besonders 376ff. 334 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 47ff. 335 F.C. Gau, Antiquités de la Nubie ou Monuments inédits des bords du Nil, entre la première et la seconde cataracte, Stuttgart & Paris 1822, Taf. 14, Nr. 44. Vgl. die Ausstellung »Köln/Nil. Die abenteuerliche Orient-Expedition des Kölners Franz Christian Gau 1818–1820« im Kölner Stadtmuseum (2013). 336 G. Waddington & B. Hanbury, Journal of a visit so some parts of Ethiopia, London 1822, Taf. gegenüber Seite 286, Kommentar S. 289.
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erster zur Natur der Schrift (caractères éthiopiens).337 Der eigentliche ›Durchbruch‹ kam mit der preußischen Expedition unter Richard Lepsius, der die kulturelle Eigenständigkeitt Meroës erkannte, 53 Inschriften publizierte338 und die Linearschrift als »äthiopisch-demotisch« (d.h. »nubisch-demotisch«) beschrieb.339 Bei den meroitischen Hieroglyphen meinte er offenbar zuerst, sie seien rein dekorativ. Lepsius entdeckte auch die ersten altnubischen Texte, die er als »äthiopisch-griechisch« charakterisiert und von denen er meinte, sie seien wie das Koptische für das Ägyptische (Schriftwechsel). Die nunmehr über zwei Dutzend bekannten Inschriften boten genug Material für einen Entzifferungsversuch durch Samuel Birch. Dieser wird zwar meist als ›misslungen‹ angesehen, bei genauerer Betrachtung ist dies jedoch eine falsche Sicht: Birch entdeckte das Handwerkszeug, allen voran die Bedeutung des Barkenstandes von Wadi Ben Naga als Bilingue.340 Auch der Versuch von Heinrich Brugsch wird gerne als ungenügend bezeichnet, obwohl er die Bedeutung der Determinanten -l richtig bestimmte und bahnbrechend als erster zeigte, dass Linear- und Hieroglyphenzeichen nur zwei Schriftarten ein und desselben Schriftsystems darstellen.341 Ein echter Rückschritt ist demgegenüber ein Versuch Adolphe Ermans.342 Der Wendepunkt in der Entzifferungsgeschichte kam mit den verstärkten Aktivitäten der Briten im Sudan, die zu einer Verdoppelung der bekannten Inschriften führten. Der Demotist Francis Llewellin Griffith erkannte, dass die Schrift erst erfolgreich entziffert werden könnte, wenn das Ausgangsmaterial vollständig und vor allem fehlerfrei publiziert sei. Der Egypt Exploration Fund finanzierte daraufhin Reisen nach Berlin und in den Sudan. In Berlin entdeckte Griffith, dass mit der Opferstele des Königs Takideamani (REM 0060) einer der wenigen Totentexte in meroitischen Hieroglyphen vorlag, und parallelisierte sie mit den linearschriftlichen Inschriften. Dadurch erbrachte er den endgültigen Beweis, dass die beiden Schriftformen deckungsgleich sind. 343 Die bekannten Texte wurden 1911–12 in schneller Folge in Faksimiles publiziert, dabei stellt die
337 F. Cailliaud, Voyage à Méroé [etc.], Paris 1823 & 1926, bes. IV, 374f. und Taf. 5f. 338 C.R. Lepsius, Denkmäler aus Ægypten und Æthiopien, Berlin 1845–58 (LD) VI, B1, 1–11. 339 C.R. Lepsius, Briefe aus Ägypten, Äthiopien und der Halbinsel des Sinai, Berlin 1852, 218f. 340 S. Birch, Varia Aethiopica, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 6, 1868, 61–64. 341 H. Brugsch, Entzifferung der Meroitischen Schriftdenkmäler, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 25, 1887, 1–32 und 75–97. 342 A. Erman, Zu den aethiopischen Hieroglyphen, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 35, 1887, 152–165. 343 F.Ll. Griffith, A Meroitic Funerary Text in Hieroglyphic, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 48, 1911 (datiert 1910!), 67f.
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Publikation der Inschriften aus Karanòg344 im Grunde mit kleinen Modifikationen den heutign Stand dar. Die entscheidende Beobachtung, die Griffith bereits 1909 erwogen hatte,345 war der Umstand, dass die meroitischen Hieroglypheninschriften eine im Gegensatz zu den ägyptischen gegenläufige Schriftrichtung aufweisen. Griffith gelang es, anhand von Gleichungen mit dem Ägyptischen, Koptischen und Griechischen die Lautwerte der meroitischen Zeichen in Grundzügen346 zu bestimmen. Eine Reihe von Aufsätzen im Journal of Egyptian Archaeology mit dem Titel Meroitic Studies rundeten die bahnbrechenden Forschungen des Briten ab;347 weitere Inschriftenpublikationen und Grabungsberichte folgten.348 Schließlich widmete sich Griffith dem Altnubischen, dessen Schrift kurz zuvor von Heinrich Schäfer entziffert worden war, in der Hoffnung, im Nubischen den Schlüssel zum Verständnis des Meroitischen zu finden. Sein Fazit musste leider ernüchternd ausfallen und ist so fast unverändert heute noch gültig: »It must be confessed that, in spite of new material and some hard work on my part, progress in the understanding of the Meroitic language itself has been nearly at a standstill. Such advance as has been made has been almost entirely on the fringe of the subject.«.349 Transliteration. Die meroitischen Zeichen wurden in der Vergangenheit durch unterschiedliche Systeme transliteriert, die mehrfach Anlass zu wissenschaftlichen Fehlleistungen gegeben haben.350 Eine Übersicht über die gängigen Trans344 F.Ll. Griffith, The Meroitic Inscriptions of Shablûl and Karanòg, Philadelphia 1911. 345 F.Ll. Griffith, Meroitic Inscriptions, in: D. Randall-MacIver & C.L. Wooley (Hrsg.), Areika, Oxford 1909, 43–54. 346 Zu den Veränderungen seitdem vgl. C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 234. 347 F.Ll. Griffith, Meroitic Studies, in: Journal of Egyptian Archaeology 3, 1916, 22–30; F.Ll. Griffith, Meroitic Studies II, in: Journal of Egyptian Archaeology 3, 1916, 111–124; F.Ll. Griffith, Meroitic Studies III, in: Journal of Egyptian Archaeology 4, 1917, 21–27; F.Ll. Griffith, Meroitic Studies IV, in: Journal of Egyptian Archaeology 4, 1917, 159–173; F.Ll. Griffith, Meroitic Studies V. Inscriptions on Pottery, Graffiti and Ostraca (Faras), in: Journal of Egyptian Archaeology 11, 1925, 218–224; F.Ll. Griffith, Meroitic Studies VI, in: Journal of Egyptian Archaeology 15, 1929, 69–74. 348 F.Ll. Griffith, An Omphalos from Napata, in: Journal of Egyptian Archaeology 3, 1916, 255; F.Ll. Griffith, Meroitic Inscriptions from Faras, Nubia, in: Recueil d’études égyptologiques dédiées à la mémoire de Jean-Francois Champollion, Paris 1922, 565–600; F.Ll. Griffith, Oxford Excavations in Nubia XXX–XXXIII, in: Annals of Archaeology and Anthropology 11, 1924, 115–125 & 141–180; F.Ll. Griffith, The Meroitic Inscriptions, in: G. Roeder, Der Tempel von Dakke, Kairo 1930, 375–378. 349 F.Ll. Griffith, Meroitic Studies II, in: Journal of Egyptian Archaeology 3, 1916, (111–124) 123. 350 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 236, Anm. 1. mit Beispiel.
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literationszeichen gibt Claude Rilly,351 wobei zu erwähnen wäre, dass das System von Frank Kammerzell352 fehlt, da es nur in unpublizierten Manuskripten und Vorträgen propagiert wurde. Ebenfalls nicht aufgenommen wurde der Versuch von Abdelgardir Mahmoud Abdallah, ein System für die Transkription des Meroitischen mit arabischen Buchstaben zu finden. 353 Daher ist für einen vollständigen Überblick auf meine Einführung in die Meroitistik zu verweisen.354 Die bisherigen Systeme lassen sich auf drei Gruppen reduzieren: Griffith & Derivate, Meinhof & Derivate, sowie Hintze & Derivate. Daneben steht ein Methasystem zur EDV-Kodierung meroitischer Texte mit arbiträren Zuordnungen wie J – ne, V – te und U – to. Schließlich sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die üblicherweise gegebene Reihenfolge der meroitischen Zeichen ein wissenschaftliches Kunstprodukt und nicht überliefert ist.355
3.2.4 Altnubisch Die Einzelsprachen.356 Die nubischen Sprachen gehören zum ostsudanischen Zweig der Nilosaharanischen Sprache und bilden diesen Zweig gemeinsam mit Nera (»Barea«), Myima und Tama – die genaue Subklassifizierung ist jedoch umstritten. Ebenso unklar ist, ab wann die Sprecher des Nubischen im Niltal ansässig sind.357 Die Verteilung der heute dort gesprochenen Sprachen ist von Norden nach Süden: Kɛnzi, Nòbíin und Dongolāwi. Neben diesen sog. ›nilnubischen‹ Sprachen bzw. Dialekten existier(t)en sog. ›bergnubische‹ Sprachinseln in den Nuba-Bergen (d.h. in Kordofān) und in Dārfūr. Die wichtigste nubische 351 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, S. 241, Tabelle 9. 352 K. Demuß & F. Kammerzell, Das Meroitische und seine Erschließung, in: W. Seipel (Hrsg.), Der Turmbau zu Babel, Wien 2003, 155–160. 353 A.M. Abdalla, Beginnings of Insights into the possible Meaning of certain Meroitic Personal Names, in: Beiträge zur Sudanforschung 3, 1988, 3–18. 354 F. Breyer, Einführung in die Meroitistik, Münster 2014. Vgl. F. Breyer, Die meroitische Sprachforschung. Gegenwärtiger Stand und zukünftige Ansätze, in: Mitteilungen der Sudanarchäologischen Gesellschaft 23, 2012, 117–149. 355 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 236, Anm. 2. 356 M. Bechhaus-Gerst, in: J.E. Mabe (Hrsg.), Das Afrika-Lexikon, Stuttgart 2001, 463, s.v. »Nubisch«. Bibliographie: A. Jakobi & T. Kümmerle, The Nubian Languages. An Annotated Bibliography, Köln 1993. Die wichtigste neuere Arbeit zur dialektalen Gliederung ist: M. Bechhaus-Gerst, Sprachwandel durch Sprachkontakt am Beispiel des Nubischen im Niltal, Köln 1996. 357 Zu den nubischen Ortsnamen im Niltal bis al-Khartoum vgl. R. Thelwall, Linguistic Aspects of Greater Nubian History, in: C. Ehret & M. Posnansky (Hrsg.), The Archaeological and Linguistic Reconstruction of African History, Berkeley & Los Angeles 1982, (39–56) 50.
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Sprache war und ist das Nòbíin (auch Nòobìin oder Fadikka-Mahas), gesprochen zwischen Korosko in Unternubien und Kerma südlich des 3. Katarakts. Als einziges Idiom innerhalb des Nubischen ist es antik bezeugt und zwar in einer eigenen ›altnubischen‹ Schrift. Der Terminus Nòbíin wurde erst 1974 durch Hermann Bell in die Fachliteratur eingeführt und zwar auf der Grundlage einer Eigenbezeichnung der nobiin-sprachigen Nubier.358 Überhaupt bestehen gewisse terminologische Schwierigkeiten in der Nubiologie, was damit zusammenhängt, dass die Forschung noch sehr im Fluss ist und sich eine lange als gesichert geltende interne Gliederung als nicht haltbar erwiesen hat:359 So wurde früher das ›Nilnubische‹ als Einheit dem ›Bergnubischen‹ als Block gegenübergestellt; heute scheint klar, dass die Klassifizierung sehr viel komplexer ist und dass das Nòbíin innerhalb des Nubischen isoliert steht und sich von den anderen nubischen Dialekten des Niltals deutlich unterscheidet. Die Idiome Kɛnzi und Dongolāwi sind nicht als zwei Sprachen zu verstehen, sondern als zwei Dialekte derselben Sprache. Forschungsgeschichtlich bedeutsam ist das Nòbíin, da es bereits sehr früh beschrieben wurde, und zwar 1879 in einer Darstellung aller ›nilnubischen‹ Sprachen durch Leo Reinisch360 und vor allem in einer während der preußischen Expedition 1843–1846 entstandenen Grammatik von Richard Lepsius.361 Heute liegt mit der Grammatik des Nòbíin von Roland Werner (1989)362 eine umfassende moderne Beschreibung vor, die vor allem auch die Tonalität berücksichtigt. Dies war vor 1968 363 praktisch nicht geschehen, obwohl bereits 1913 der Musiker Wilhelm Heinitz entdeckt hatte, dass es »bedeutungsgebende Tonhöhen« gibt.364 Für das Kɛnzi-Dongolāwi und die ›bergnubischen‹ Sprachen liegen überhaupt keine tonalen Analysen vor und im Altnubischen wurde Tonalität nicht notiert.365
358 H. Bell, Dialect in Nòbíin Nubian, in: Abdelgadir Mahmoud Abdalla (Hrsg.), Studies in Ancient Languages of the Sudan, Khartoum 1974, 109–122. 359 M. Bechhaus-Gerst, Nubier und Kuschiten im Niltal. Sprach- und Kulturkontakte im ›noman’s land‹, Köln 1989. 360 L. Reinisch, Die Nuba-Sprache (Band 1: Grammatik und Texte, Band 2: Nubisch-Deutsches und Deutsch-Nubisches Wörterbuch), Wien 1879. 361 C.R. Lepsius, Nubische Grammatik, Berlin 1880 362 R. Werner, Grammatik des Nòbíin (Nilnubisch), Hamburg 1987. 363 H. Bell, The Tone System of Mahas Nubian, in: Journal of African Languages 7, 1968, 26– 80. 364 W. Heinitz, Phonographische Sprachaufnahmen aus dem ägyptischen Sudan. Ein Versuch zur Bewertung der phonographischen Methode für die Linguistik, Hamburg 1913. 365 M. Bechhaus-Gerst, Sprachwandel durch Sprachkontakt am Beispiel des Nubischen im Niltal, Köln 1996, 21.
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Die reichste lexikalische Sammlung für eine nubische Sprache hat Ch.A. Armbruster für das Dongolāwi vorgelegt (posthum von Peter Shinnie publiziert)366, dessen Sprachareal zwischen dem 3. Katarakt und Alt-Dongola liegt. Sprachlich und ethnohistorisch bildet das Dongolāwi eine Einheit mit dem Kɛnzi (auch: Kunuzi, Kenuzi). Bemerkenswert ist (neben dem Fehlen einer gemeinsamen ›nubischen‹ Identität) vor allem die mangelnde Verstehbarkeit mit dem Nòbíin.367 Kɛnzi wurde zwischen Aswan und Seiyala gesprochen – durch den Bau des Aswan-Staudammes war es jedoch zur Flutung weiter Teile des Sprachareals gekommen. Die ägyptischen Nubier wurden daraufhin 1963–1964 in die Gegend um Kom Ombo umgesiedelt, die sudanesischen Nubier nach Khasm al-Girba am oberen Aṭbara. Aus arabischen Quellen lässt sich gut rekonstruieren, wie das Kɛnzi entstand bzw. sich vom Dongolāwi separierte. Seine Sprecher, die Bani Kanz, waren nämlich ursprünglich eine Unterabteilung der arabischen Rabiʾa, die eine bedeutende Rolle in der mittelalterlichen Geschichte des Niltals spielten.368 Durch Heirat wurden sie in die Politik Dongolas involviert und stellten 1323 sogar dort einen König,369 was zum Sprachwechsel und ihrer ›Nubisierung‹ führte. Auch nach ihrem Rückzug aus Dongola und in ihren alten Siedlungsraum um Aswan behielten sie die nubische Sprache bei. Wichtige ›bergnubischen‹ Sprachen sind/waren Midob und Birgid370 – Ersteres gesprochen im Nordosten von el-Fašer bei Malha (Norddārfūr), Letzteres im Südwesten von el-Fašer, zwischen el-Fašer und Nyala (Süddārfūr). Das Birgid war bereits in den 1960er Jahren im Aussterben begriffen, nach BechhausGerst (1996) ist es in der Zwischenzeit ausgestorben, also noch vor der DārfūrKrise zu Beginn des Jahrtausends. Die wenig erforschten Idiome kleiner, in den nördlichen Nuba-Bergen (Süd-Kordofān) verstreuter Gruppen werden unter 366 Ch. Armbruster, Dongolese Nubian. A Grammar, Cambridge 1960; Ch. Armbruster, Dongolese Nubian. A Lexicon, Cambridge 1965. 367 Die Nòbíin nennen das Dongolāwi/Kɛnzi oʃkiriin baɲɲid »Sprache der Sklaven« bzw. bideriin baɲɲid »die Sprache der Armen«, ein Ausdruck, der bereits im Altnubischen bezeugt ist, vgl. M. Bechhaus-Gerst, Sprachwandel durch Sprachkontakt am Beispiel des Nubischen im Niltal, Köln 1996, 22; E. Zyhlarz, Grundzüge der nubischen Grammatik im christlichen Frühmittelalter (Altnubisch), Leipzig 1928, 189; C.R. Lepsius, Nubische Grammatik. Mit einer Einleitung über die Völker und Sprachen Afrikas, Berlin 1880, cxx. Allein die Nòbíin sehen sich als »wahre« Nubier afrikanischer Herkunft. 368 H.A. MacMichael, A History of the Arabs in the Sudan, Cambridge ²1967; Y.F. Hassan, The Arabs in the Sudan, Khartoum 1973. 369 Bekannt unter dem Erbtitel »Kanz ed-Dawla«. 370 R. Thelwall, A Birgid Vocabulary List and its Links with Daju, in: H. Ganslmayr & H. Jungraithmayr (Hrsg.), Gedenkschrift Gustav Nachtigall, Bremen 1978, 39–56; ʿUshārī Aḥ mad Maḥmūd, The Phonology of a Dying Nubian Language: Birgid, unpublizierte MA-Arbeit University of Khartoum, 1974; R. Werner, Tìdn-áal. A Study of Midob, Berlin 1993.
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dem Begriff ›Kordofān-Nubisch‹ zusammengefasst. Sie sind eng miteinander verwandt und zwischen den Gruppen existiert ein ausgeprägtes Bewusstsein der ethnischen Zusammengehörigkeit, auch wenn sich zwei Dialektgruppen trennen lassen.371 Bislang gibt es lediglich eine Grammatikskizze und einige Texte in einem »Dair« genannten Dialekt (wohl das Ghulfan) und eine Grammatik des Dilling. 372 Als Ganzes scheint eine engere Verbindung zwischen dem ›Kordofān-Nubischen‹ und dem Kɛnzi/Dongolāwi zu bestehen.373 Wie sich die Situation der nubischen Sprachen in Kordofān und Dārfūr heute darstellt, ist nicht bekannt – möglicherweise sind sie aufgrund der Bekämpfung durch die nordsudanesischen Araber stark dezimiert.374 Die Arabisierung ist denn auch einer der beherrschenden Faktoren der jüngeren nubischen Sprachgeschichte. Bereits vor etwa 200–300 Jahren wechselten die Ǧaʾalīyin, Gruppen von arabisierten Nubiern südlich des DongolāwiSprachareals, von der nubischen zur arabischen Sprache.375 Die heute arabischsprachigen Šaiqi376 (ansässig südwestlich von Meroë) sprachen wohl einmal eine Form des Nòbíin, das Šaiqīya;377 ihr Sprachgebiet schloss südlich an dasjenige des Dongolāwi an und noch 1863 wurde berichtet, dass sie sich meist des Arabischen bedienten, jedoch noch des Nubischen mächtig waren.378Anhand von Rechtsurkunden des Familienverbandes der Nidayfab konnte gezeigt werden, dass es sich dabei um eine Form des Nòbíin handelte. 379 Erst in den 1920er Jahren durch das Arabische verdrängt wurde das Ḥarāza, benannt nach dem
371 Sie bezeichnen sich alle als ajaŋ und ihre Sprache als ajaŋ-we »Sprache der ajaŋ«, vgl. R.C. Stevenson, A Survey in the Phonetics and Grammatical Structure of the Nuba Mountain Languages, in: Afrika und Übersee 40, 1956, 73–84 und 93–115, hier 112ff. 372 H. Junker & W. Czermak, Kordofān-Texte im Dialekt von Gebel Dair, Wien 1913; P.D. Kauczor, Die Bergnubische Sprache (Dialekt von Gebel Delen), Wien 1920. 373 M. Bechhaus-Gerst, Sprachliche und historische Rekonstruktionen im Bereich des Nubischen unter besonderer Berücksichtigung des Nilnubischen, in: Sprache und Geschichte in Afrika 6, 1984/5, 7–134; M. Bechhaus-Gerst, Nubier und Kuschiten im Niltal. Sprach- und Kulturkontakte im ›no-man’s land‹, Köln 1989; M. Bechhaus-Gerst, Sprachwandel durch Sprachkontakt am Beispiel des Nubischen im Niltal, Köln 1996. 374 Sprecherzahlen zu geben hat wegen der jüngsten kriegerischen Ereignisse im Sudan wenig Sinn: Anfang der 1990er Jahre waren es wohl höchstens 750000. 375 W.Y. Adams, Nubia – Corridor to Africa, London 1977, 558. 376 R.S. O’Fahey & J. Spaulding, Kingdoms of the Sudan, London 1974, 28. 377 J. Spaulding, The Old Shaiqi Language in Historical Perspective, in: History in Africa 17, 1990, 283–292. 378 R. Hartmann, Skizze der Landschaft Sennar, in: Zeitschrift für Allgemeine Erdkunde N.F. 14, 1863, 153–199. 379 J. Spaulding, The Old Shaiqi Language in Historical Perspective, in: History in Africa 17, 1990, 283–292.
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Ǧabal Ḥarāza in nördlichen Kordofān (ca. 300 Meilen westlich von Ḫarṭūm). Der Umstand, dass lediglich eine kurze Wortliste dieses Idioms existiert, 380 ist besonders bedauerlich, da es sich nach Meinung einiger Forscher um einen eigenen Zweig der nubischen Sprachen handeln könnte. Es wurde aufgrund dieser These sogar postuliert, die Nubier könnten aus der Region um den Ǧabal Ḥarāza ins Niltal eingewandert sein.381 Subklassifizierung. Erst beinahe ein Jahrhundert nach den ersten Arbeiten zum Nubischen von Leo Reinisch und Richard Lepsius unternahm es Ernst Zyhlarz 1949/50, durch internen Vergleich das Konsonantensystem des ProtoNubischen zu rekonstruieren und so zu einer Subklassifizierung zu kommen.382 Weitere Arbeiten in dieselbe Richtung erschienen 1984/5 (Bechhaus-Gerst)383 und 1986 (Braspenning).384 Dabei begann sich abzuzeichnen, dass die frühere Trennung zwischen ›Nilnubisch‹ (Nòbíin-Kɛnzi-Dongolāwi) vs. ›Bergnubisch‹ (Kordofān-Nubisch) nicht mehr haltbar war, sondern im Gegenteil eher eine gewisse Nähe des Kɛnzi/Dongolāwi zum Bergnubischen besteht und die Gemeinsamkeiten zwischen Kɛnzi-Dongolāwi und Nòbíin auf Sprachkontakt zurückgehen. Dass man überhaupt von diesen zwei Blöcken ausgegangen war, hat forschungsgeschichtliche Gründe: Die Sprachen des Niltals waren schlichtweg besser dokumentiert und erforscht. Die Opposition war also eigentlich ›gut bekanntes Nubisch‹ vs. ›Restnubisch‹. Besonders in ihrer Habilitationsschrift (1995) hat Marianne Bechhaus-Gerst herausgearbeitet, dass das Nubische aus drei Untergruppen besteht, nämlich Nordnubisch (Nòbíin), Zentralnubisch (Kɛnzi/Dongolāwi), Bergnubisch (Birgid) und Westnubisch (Midob).385 Dabei fällt auf, dass es im Niltal zwischen Aswan und dem 3. Katarakt eine durchaus 380 D. Newbold, Some Links with the Anag at Gebel Haraza, in: Sudan Notes and Records 7, 1924, 126–223; H. Bell, An Extinct Nubian Language from Kordofān, in: Sudan Notes and Records 54, 1973, 73–80. 381 H. Bell, An Extinct Nubian Language from Kordofān, in: Sudan Notes and Records 54, 1973, 73–80, besonders 77; H.A. MacMichael, A History of the Arabs in the Sudan, Cambridge ²1967, 325. 382 E. Zyhlarz, Die Lautverschiebung des Nubischen, in: Zeitschrift für Eingeborenensprachen 35, 1949–50, 1–20, 128–146 & 280–313. 383 M. Bechhaus-Gerst, Sprachliche und historische Rekonstruktionen im Bereich des Nubischen unter besonderer Berücksichtigung des Nilnubischen, in: Sprache und Geschichte in Afrika 6, 1984/5, 7–134. 384 G. Braspenning, Een Bijdrage ann de genetische Subklassifikatie van de Nubische Talen, Ms. 1986 (non vidi, zitiert von M. Bechhaus-Gerst, Sprachwandel durch Sprachkontakt am Beispiel des Nubischen im Niltal, Köln 1996, bes. 33). 385 M. Bechhaus-Gerst, Sprachwandel durch Sprachkontakt am Beispiel des Nubischen im Niltal, Köln 1996.
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erklärungsbedürftige Abfolge der Dialekte gibt (Kɛnzi-Nòbíin-DongolāwiNòbíin). Bechhaus-Gerst erklärt dies mit zwei Phasen der nubischen ›Landnahme‹. Dabei seien die Sprecher des Nòbíin bereits im 2. Jts. v. Chr. zum Nil gestoßen, die Sprecher des Kɛnzi/Dongolāwi jedoch sehr viel später, wohl im Zusammenhang mit dem Ende des meroitischen Staates im 4. Jhd. n. Chr. Bei dieser These spielt sicherlich eine Rolle, dass der Nil in jener Region nicht – wie man vielleicht erwarten könnte – eine zusammenhängende Verkehrsader darstellt, es also in Mittleren Niltal von jeher mehrere getrennte Siedlungszentren gab. Bei den Diskussionen um die interne Klassifizierung spielt das relativ einheitliche phonologische System des ›Nilnubischen‹ eine Rolle (einzig Proto-Nubisch *p wird im Nòbíin /f/ vs. Dongolāwi /b/). Außerdem wird gerne darauf verwiesen, dass es im Nòbíin ein berberisches Substrat gibt, im Kɛnzi/Dongolāwi jedoch nicht.386 Weitere Formen des Sprachkontakts bestanden mit dem Altägyptischen und dem tu-Beɖáwiɛ .387 Nach Bechhaus-Gerst stellt sich die Sprachgeschichte des nubischen Sprachareals wie folgt dar: 388 Als Erste wanderten um 1500 v. Chr. die Sprecher des Nòbíin aus dem Raum Kordofān/Dārfūr ins Niltal und nahmen dort ägyptischen Kulturwortschatz auf; die Dongolāwi/ Kenuzi folgten in den ersten Jahrhunderten n. Chr., nachdem sie vorher eine nomadische Lebensweise in der Bayuda-Steppe und westlich des Niltals gepflegt hatten. Die ›Bergnubier‹ wurden wohl erst nach dem Ende der christlich-nubischen Königreiche in die Nuba-Berge verdrängt.389 Die Einheit des ›Nilnubischen‹ ist sekundär durch lang anhaltenden und regelmäßigen Sprachkontakt entstanden.
386 E. Zyhlarz, Die Sprachreste der unteräthiopischen Nachbarn Altägyptens, in: Zeitschrift für Eingeborenen-Sprachen 25, 1934–5, 161–188 und 241–261; E. Zyhlarz, Die Lautverschiebungen des Nubischen, in: Zeitschrift für Eingeborenen-Sprachen 35, 1949/50, 1–20, 128–146 und 280–313; W. Vycichl, Berber Words in Nubian, in: Kush 9, 1961, 289–290; W. Vycichl, Considération sur le vieux nubien, in: Chronique d’Égypte 68, 1993, 332 und 335; P. Behrens, Cgroup-Sprache – Nubisch – Tu Bedawiye. Ein sprachliches Sequenzmodell und seine geschichtlichen Implikationen, in: Sprache und Geschichte in Afrika 3, 1981, 17–49; P. Behrens, Wanderbewegungen und Sprache der frühen saharanischen Viehzüchter, in: Sprache und Geschichte in Afrika 6, 1984f., 135–216. 387 C. Meinhof, Studienfahrt nach Kordofān, Hamburg 1916, 76–83; I. Hofmann, Leo Reinisch und das Nubische, in: H.G. Mukarovsky (Hrsg.), Leo Reinisch: Werk und Erbe, Wien 1987, 161– 176. 388 I. Hofmann, H. Tomandl & M. Zach, Beitrag zur Geschichte der Nubier, in: Meroitica 10, 1989, 269–290; R. Werner, Grammatik des Nòbíin (Nilnubisch), Hamburg 1987; R. Werner, Tìdn–áal. A Study of Midob, Berlin 1993. 389 R. Thelwall & Th. Schadeberg, The Linguistic Settlement of the Nuba Mountains, in: Sprache und Geschichte in Afrika 5, 1983, 219–231.
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Altnubisch. Als Altnubisch oder auch Altnòbíin bezeichnet man Texte, die in Nubien zwischen Alt-Dongola und Soba am Zusammenfluss von Blauem und Weißen Nil in einer eigenen Schrift überliefert sind.390 Zumindest für die Texte aus Unternubien ist der Terminus Altnòbíin« exakter, da hier die eindeutige dialektale Beziehung ausgedrückt wird. Seit dem 8. Jhd. n. Chr. sind zusammenhängende Texte in nubischer Sprache und Schrift bezeugt (die älteste datierte Inschrift stammt aus dem Jahr 795 n. Chr.).391 Geschrieben wurde diese Schriftsprache mindestens bis zur osmanischen Eroberung Nubiens 1484 bzw. 1485. 392 Damit war Altnubisch die offizielle Sprache der christlichen Königreiche von Makuria im Norden und Alodia im Süden – wahrscheinlich in zwei unterschiedlichen Varietäten. In Obernubien existieren etwa zwei Dutzend Inschriften (viele davon bestehen nur aus einem Personennamen), die in einem abweichenden Alphabet geschrieben sind.393 Da die meisten Inschriften Grabsteine aus Soba, der Hauptstadt Alwas oder Aloas (8.–9. Jhd.) sind, wurden sie als ›Aloa-Inschriften‹ bezeichnet. Zu ihnen zählen jedoch auch Graffiti aus Meroë und Musawwarat es-Sufra. Man hielt diese Texte, die vor den ersten längeren Texten in Altnòbíin entdeckt wurden, zuerst für nicht-nubisch.394 Die Schrift ist zwar grundsätzlich eine altnubische, nur verfügt sie über mehr meroitischstämmige Sonderzeichen und macht keinen Gebrauch von den demotischen Sonderzeichen im Koptischen.395 Inwieweit die Inschriften auch sprachlich vom ›üblichen‹ Altnòbíin verschieden sind, ist nicht sicher bestimmbar – Griffith meinte, es könne sich um einen eigenen Dialekt handeln.396 Das Altnubische ist ansonsten ziemlich homogen, zumindest auf dem Gebiet von Makuria, was Nobadia mit einschließt. Sowohl der Umfang als auch die Textgenres sind ziemlich begrenzt. So soll das gesamte altnubische Textcorpus nicht mehr als 100 Manuskriptseiten um-
390 A. Erman, Die Aloa-Inschriften, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 19, 1881, 112–115; L.P. Kirwan, Meroe, Soba and the Kingdom of Alwa, in: Meroitica 10, 1989, 299–304. 391 S. Jakobielski, Faras III. A History of the Bishopric of Pachoras, Warschau 1972, 36, Anm. 11. 392 N.B. Millet, Writing and Literacy in the Ancient Sudan, in: Abdelgadir Mahmoud Abdalla (Hrsg.), Studies in Ancient Languages of the Sudan, Khartoum 1974, 49–58. hier 57. 393 F. Kammerzell, Die Sprachen Nubiens (Ms.), 12. 394 A. Erman, Die Aloa-Inschriften, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 19, 1881, 112–115. 395 F.Ll. Griffith, Christian Documents from Nubia, in: Proceedings of the British Academy 14, 1928, 117–146, hier 130f.; W.Y. Adams, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 1815f., s.v. »Nubian Languages and Literature«, hier besonders 1815. 396 F.Ll. Griffith, The Nubian Texts of the Christian Period, Berlin 1913, 5.
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fassen, wovon der größte Teil aus Unternubien (also aus dem heutigen NòbíinSprachareal) stammt; zwei Textfragmente kamen in Alt-Dongola zu Tage397 (also in Obernubien). Bei den altnubischen Texten handelt es sich vornehmlich um religiös-theologische Übersetzungsliteratur, d.h. Teile der Bibel, Heiligen- und Märtyrerlegenden, aber auch um Grabinschriften und Beischriften zu Wandmalereien und natürlich Graffiti, Ostraka, Kaufverträge, Briefe und Amulette. 398 Besonders hervorzuheben sind die »Wunder des Heiligen Menas«, die uns über eine weitgehend intakte Pergamenthandschrift des 10./11. Jhds. überliefert sind. Vor einem Jahrhundert (1913) gab Francis Llewellin Griffith alle damals bekannten Texte heraus und erkannte, dass in ihnen ein Vorläufer des Nòbíin geschrieben war;399 die Schrift war erst 1906 entziffert worden.400 Eine erste – und bis heute nicht wirklich ersetzte – Grammatik legte Ernst Zyhlarz 1928 vor.401 Seitdem ist vor allem aus Qasr Ibrim sehr viel neues Textmaterial bekannt geworden, v.a. Teile eines Archivs aus dem 12. Jhd. Die Sprache dieser Kaufverträge und Briefe weicht deutlich von derjenigen der religiösen Texte ab; die Unterschiede sind bislang jedoch noch nicht systematisch und umfassend herausgearbeitet worden – wahrscheinlich muss man sogar mit einer eigenen Sprachvarietät rechnen, möglicherweise eine Art ›Mittelnòbíin‹.402 Der kürzlich verstorbene Altphilologe Gerald M. Browne war viele Jahrzehnte lang die beherrschende (und fast einzige) Forschungspersönlichkeit in Bezug auf das Altnubische;403 ihm verdanken wir eine weitere Grammatik und vor allem ein Lexikon.404
397 G.M. Browne, Two Old Nubian Texts from Old Dongola, in: Bulletin du Musée National de Varsovie 28, 1987, 76–86. 398 G.M. Browne, Literary Texts in Old Nubian, Wien 1989. 399 F.Ll. Griffith, The Nubian Texts of the Christian Period, Berlin 1913, 68. 400 H. Schäfer & K. Schmidt, Nubische Texte im Dialekt der Kunuzi (Mundart von Abuhor), Berlin 1906. 401 E. Zyhlarz, Grundzüge der nubischen Grammatik im christlichen Frühmittelalter (Altnubisch), Leipzig 1928. 402 G.M. Browne, Old Nubian Studies: Past, Present, Future, in: W.V. Davies (Hrsg.), Egypt and Africa. Nubia from Prehistory to Islam, London 1991, 286–293, besonders 289 hat die Erstellung einer Paläographie und einer diachronen Grammatik des Altnubischen als zwei der zentralen Desiderata der Nubienkunde bezeichnet. 403 Bibliographie bei A. Jakobi & T. Kümmerle, The Nubian Languages. An Annotated Bibliography, Köln 1993, 41–47. 404 G.M. Browne, Studies in Old Nubian, Beiträge zur Sudankunde, Beiheft 3, Wien 1988; G.M. Browne, Introduction to Old Nubian, Meroitica 11, Berlin 1989; G.M. Browne, Old Nubian Dictionary, Corupus scriptorum christianorum orientalium , Louvain 1996.
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Die altnubische Schrift (Taf. 5). Wenn hier auf die altnubische Schrift eingegangen wurde, so war damit erst einmal die Form gemeint, mit der die altnubischen Texte Unternubiens niedergeschrieben wurden – die Schrift der ›Aloa-Inschriften‹ stellt lediglich eine Variante dar, auf die extra einzugehen ist. Das altnubische Alphabet wurde 1906 von Heinrich Schäfer und Karl Schmidt entziffert.405 Es beruht auf dem Koptischen, d.h. der adaptierten Form der griechischen Schrift. Zusätzlich zu den dort vorkommenden Sonderzeichen demotischen Ursprungs wurden weitere Spezialzeichen hinzugefügt, die sich aus der meroitischen Schrift ableiten lassen.406 Hier zeigt sich ein Unterschied zwischen den beiden nubischen Alphabeten, denn während im Standardaltnubischen nur meroitische Linearzeichen als Vorbilder für diese Sonderzeichen dienten, sind in der ›Aloa-Schrift‹ auch Verbindungen zu meroitischen Hieroglyphen festzustellen (T > /tʃ/ und H > /w/). Im Ganzen sind 30 Buchstaben bekannt, wovon 24 griechische, 2–3 demotisch-koptische und 3–4 meroitische Vorbilder haben und 8 fast ausschließlich in Fremdwörtern verwendet werden. Daneben existieren diverse Diakritika, Abkürzungen und Interpunktionszeichen, welche in der Grammatik von Browne fast nicht, in derjenigen von Zyhlarz jedoch ausführlicher vorgestellt werden. Die Leserichtung ist von links nach rechts. Wenn es sich nicht um in Stein gehauene Inschriften handelt, sind die Texte meist mit der Rohrfeder geschrieben.
3.2.5 tu-Beɖáwiɛ Sprachareal. Die Sprache der vor allem in der Wüstenregion östlich des Nils nomadisch lebenden Bēǧa wird in der älteren Literatur gerne selbst Bēǧa genannt, heute wird die Eigenbezeichnung tu-Beɖáwiɛ (Tuu-Bdháawiyee) bevorzugt.407 Gesprochen wird diese Sprache gegenwärtig wohl von etwa einer Million Sprecher in den modernen Staaten Ägypten, Sudan und Eritrea. Wie das Nubische steht auch das tu-Beɖáwiɛ unter dem Druck des Arabischen. Trotz einer gemeinsamen Identität haben ganze Populationen zum Arabischen gewechselt, oft einhergehend mit dem Verlust der nomadischen Lebensweise. Hinzu kommt der 405 H. Schäfer & K. Schmidt, Nubische Texte im Dialekt der Kunuzi (Mundart von Abuhor), Berlin 1906. 406 F.Ll. Griffith, The Nubian Texts of the Christian Period, Berlin 1913, 72ff. 407 K. Wedekind, Beja Pronouns and Glides: Dialects in Search of Optima, in: G. Takács (Hrsg.), Egyptian and Semito-Hamitic (Afro-Asiatic) Studies in Memoriam W. Vycichl, Leiden 2004, 217–226, S. 217, Anm. 1: Selbstbezeichnung der Sprache »Bidhaawiyéet« (indef. fem. Nomen in seiner Zitierform); def. Form wäre dann »Tuu-Bdháawiyee« (Akut = Akzent, i = Schwa mobile, Doppelschreibung = Langvokal; dh = retroflexer Dental).
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Umstand, dass die meisten Bēǧa sowieso zweisprachig sind (entweder mit Arabisch oder dem äthiosemitischen Tǝgre). Das tu-Beɖáwiɛ stellt ein Dialektkontinuum untereinander verständlicher Varietäten dar. Von Norden nach Süden sind dies: Bišārīn (südlich von Aswān bis zum Aṭbara), ʿAbābda (heute meist arabophon; Südägypten, Nordostsudan), Haɖánɖiwa (größte Gruppe; am Gaš), Halanga und Arteya (in der Nähe von Port Sudan und Suakin), Ammárʾar (um Port Sudan, Tokar und Gaš-Delta), Ḥadārib und ein Teil der Beni ʿAmǝr, der teilweise Tǝgre spricht (Nord-Eritrea). Die Verteilung und die Benennung korreliert großteils mit den fünf Hauptgruppen der Bēǧa, den ʿAbābda, Bišārīn, Ammárʾar, Haɖánɖiwa und Beni ʿAmǝr.408 Erst in den letzten Jahren wurde das tuBeɖáwiɛ als eine der offiziellen Sprachen Eritreas verschriftet.409 Sprachliche Stellung. Das tu-Beɖáwiɛ zählt zu den semitohamitischen Sprachen. Innerhalb derselben ist seine Stellung jedoch umstritten. Den einen gilt es als Teil der (nord)kuschitischen Sprachen, den anderen als eigener, selbständiger Zweig neben Semitisch, Ägyptisch etc.410 Die Diskussion entzündet sich um einen Satz von Konjugationssuffixen bzw. um die Herkunft des sog. ›Neuen‹ Präsens. Während das eine Lager davon ausgeht, dass kuschitische Innovationen vorliegen,411 geht das andere Lager von Archaismen aus bzw. von einem arealen Phänomen, welches durch intensiven Sprachkontakt mit kuschitischen Sprachen entstanden sei.412 Hetzron vertrat sogar die These, das tu-Beɖáwiɛ weise gar keine besondere Nähe zum Kuschitischen aus, was wiederum Zaborski als
408 D. Morin, in: S. Uhlig (Hrsg.), Encyclopædia Æthiopica I, Wiesbaden 2003, 518f. s.v. »Beǧa ethnography«. 409 K. Wedekind, C. Wedekind & Abuzeinab Mousa, A learner’s grammar of Beja (East Sudan), Köln 2007. 410 M. Tosco, Cushitic overview, in: Journal of Ethiopian Studies 33, 2000, 87–121, hier 91f. 411 A. Zaborski, Remarks on the Verb in Beja, in: Y.A. Arbeitman (Hrsg.), Fucus – a Semitic/Afrasian gathering in Remembrance of Albert Ehrman, Amsterdam 1988, 491–498; A. Zaborski, Problems of the Beja present seven years later, in: Lingua Posnaniensis 39, 1997, 145–153; A. Zaborski, The Position of Cushitic and Berber within Hamitosemitic dialects, in: A. Bausi & M. Tosco (Hrsg.), Afroasiatica Neapolitana, Neapel 1997, 49–59. 412 R. Hetzron, The Limits of Cushitic, in: Sprache und Geschichte in Afrika 2, 1980, 7–25, besonders 78–101; R. Voigt, Zur Bildung des Präsens im Beḍauye, in: M. Bechhaus-Gerst & F. Serzisko (Hrsg.), Cushitic-Omotic. Papers from the International Symposium on Cushitic and Omotic Languages. Cologne, January 6–9, 1986, Hamburg 1988, 379–407; R. Voigt, Zur Gliederung des Kuschitischen: die Präfixkonjugationen, in: C. Griefenow-Mewis & R. Voigt (Hrsg.), Cushitic and Omotic Languages. Proceedings of the Third International Symposium. Berlin, March 17–19, 1994, Köln 1996 101–131; R. Voigt, Zur Gliederung des Kuschititschen: das Beɗauye und das Restkuschitische, in: I. Fiedler, C. Griefenow-Mewis & B. Reineke (Hrsg.), Afrikanische Sprachen im Brennpunkt der Forschung, Köln 1998, 309–324.
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»klassisches Gerücht« bezeichnete.413 Die Kontroverse ist noch nicht beendet, doch tendieren die meisten Forscher zur nordkuschitischen These, v.a. nach einer Studie Appleyards, der die Argumente gebündelt hat.414 Kontinuitäten. Jahrzehntelang herrschte Uneinigkeit darüber, ob es eine kulturelle und sprachliche Beziehung zwischen verschiedenen Ethnien gibt, deren Lebensraum und Lebensweise denjenigen der heutigen Bēǧa entsprechen. Es sind dies die in altägyptischen Quellen genannten mč̣ Ꜣ.w und die spätantiken Blemmyern.415 Seit dem Fund zweier Quellen aus Qasr Ibrim ist zumindest die Identität Bēǧa = Blemmyer geklärt416 und aufgrund der auffällig großen Übereinstimmungen in materieller wie ikonographischer Hinsicht (nomadische Viehzüchter; Frisuren) wird heute kaum noch bestritten, dass auch die mč̣ Ꜣ.w derselben Ethnie angehörten.417 Sie sind die Träger der Pan-Grave-Kultur bzw. X-Gruppe in der nubischen Ostwüste und konzentrieren sich um das Wadi Allaqi. Im ägyptischen Niltal sind sie zwar bereits im Alten Reich nachgewiesen, treten je-
413 A. Zaborski, The Position of Cushitic and Berber within Hamitosemitic dialects, in: A. Bausi & M. Tosco (Hrsg.), Afroasiatica Neapolitana, Neapel 1997, 49–59, hier 49, und auch A. Zaborski, Reinisch and some problems of the study of Beja today, in: H.G. Mukarovsky (Hrsg.), Leo Reinisch. Werk und Erbe, Wien 1987, 125–139, hier 133; A. Zaborski, Der Wortschatz der Bedscha-Sprache – eine vergleichende Analyse, in: E. von Schuller (Hrsg.), XXIII. Deutscher Orientalistentag vom 16. bis 20. September in Würzburg, Stuttgart 1989, 573–591, hier 574. 414 D. Appleyard, Beja as a Cushitic Language, in: G. Takács (Hrsg.), Egyptian and SemitoHamitic (Afro-Asiatic) Studies in Memoriam W. Vycichl, Leiden 2004, 175–194. R. Voigt, Zur Gliederung des Kuschititschen: das Beɗauye und das Restkuschitische, in: I. Fiedler, C. Griefenow-Mewis & B. Reineke (Hrsg.), Afrikanische Sprachen im Brennpunkt der Forschung, Köln 1998, 309–324. 415 R. el-Sayed, rʾ n mḏꜢ.w – lingua blemmyica – tu-beɗawiɛ. Ein Sprachkontinuum im Areal der nubischen Ostwüste und seine (sprach-)historischen Implikationen, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 32, 2004, 351–362; K. Zibelius-Chen, Ein weiterer Beleg zum sprachlichen Kontinuum des Medja-Bedja (Tu-bedauye), in: G. Moers et al. (Hrsg.), jnt ḏr.w: Festschrift für Friedrich Junge II, Göttingen 2006, 729–735; G.M. Browne, Textus blemmyicus aetatis christianae, Champaign (Ill.) 2003; G. Roquet, Sur quelques imprunts du Beḍaûye à l’Égyptien, in: Comptes rendus du groupe linguistique d’études chamito-sémitiques 14–17, 1969–73, Annexe I. Vgl. auch W. Vycichl, The Beja Language Tū-Beḍawīye. Its Relationship with Old Egyptian, in: Kusch 8, 1960, 252–264. 416 J.M. Plumley, Qasr Ibrim and Islam, in: Études et Travaux 12, 1983, 157–170, hier 160. 417 K. Zibelius-Chen, Die Medja in altägyptischen Quellen, in: Studien zur altägyptischen Kultur 36, 2007, 391–405; R. Herzog, Kulturelle Kontinuität der Bedja vom Altertum bis zur Gegenwart, in: DAI Sonderschrifen 18, Kairo 1985, 161–172; I. Hofmann, Beitrag zur Herkunft der Pfannengräber-Leute, in: W. Voigt (Hrsg.), XVII. Deutscher Orientalistentag vom 21. bis 27. Juli 1968 in Würzburg, ZDMG Supplementa 1, Wiesbaden 1969, 1114–1135.
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doch erst seit dem Mittleren Reich vermehrt in den Quellen auf.418 Lange galt die Gleichung mč̣ Ꜣ.w – Bēǧa als schlagender Beweis für die ethnische Identität,419 doch heute gilt die lautliche Ähnlichkeit beider Termini als Zufall. 420 Der Terminus mč̣ Ꜣ.w ist entweder eine Ableitung von einem Toponym in der Region oder aber eine ägyptische Beschreibung der Leute als »die, die das Land hin und her durchziehen«.421 Das Ethnonym βλεμμυες/Blemmyer stellt wohl eine Ableitung von tu-Beɖáwiɛ balami »Wüstenbewohner« dar.422 Der Begriff Bēǧa wird von manchen als Korruptele von arabisch bādiya »Ebene, Wüste, Territorium, auf dem Nomaden leben« betrachtet.423 Der Zusammenhang mit arabisch badw »Nomade, Beduine« ist jedoch fraglich, da die Bēǧa wohl in der Mitte des 2. Jh. v. Chr., also lange vor der arabischen Präsenz in der Region in aksumitischen Quellen als βεγά bzw. ⲃⲉⲅⲁ erscheinen.424 Wahrscheinlich lautete die ursprüngliche Selbstbezeichnung *beɖa. 418 Pfannengräber-Keramik fand sich in Schichten des Alten Reiches in Tell Edfu, dazu M. Bietak, in: Lexikon der Ägyptologie IV, Wiesbaden 1982, Sp. 999–1005, s.v. »Pfannengräber«, hier 1003 mit Anm. 15, und M. Bietak, C-Group and the Pan-Grave-Culture in Nubia, in: T. Hägg (Hrsg.), Nubian Culture. Past and Present, Stockholm 1987, 113–128, besonders 124. 419 H. Schäfer & G. Roeder, Aegyptische Inschriften aus den Königlichen Museen zu Berlin, Leipzig 1901. 420 S.A. Palmisano, Ethnicity: The Beja as Representations. Ethnizität und Gesellschaft. Occasional Papers 29, Berlin 1991, 39; vgl. auch A. Zaborski, The Problem of Blemmyes-Beja: an Etymology, in: Beiträge zur Sudanforschung 4, 1989, 169–177 (Etymologie der Bezeichnung Blemmyer). Zur Interpretation von mḏꜢ.w vgl. ausführlich R. el-Sayed, rʾ n mḏꜢ.w – lingua blemmyica – tu-beɗawiɛ. Ein Sprachkontinuum im Areal der nubischen Ostwüste und seine (sprach-)historischen Implikationen, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 32, 2004, 351–362. 421 R. el-Sayed, rʾ n mḏꜢ.w – lingua blemmyica – tu-beɗawiɛ. Ein Sprachkontinuum im Areal der nubischen Ostwüste und seine (sprach-)historischen Implikationen, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 32, 2004, 351–362 (Toponym); S. Guiliani, Medja sources in the Old Kingdom, in: Discussions in Egyptology 42, 1998, 41–54 (ägyptische Interpretation). 422 A. Zaborski, The Problem of Blemmyes-Beja: an Etymology, in: Beiträge zur Sudanforschung 4, 1989, 169–177 423 S.A. Palmisano, Ethnicity: The Beja as Representations. Ethnizität und Gesellschaft. Occasional Papers 29, Berlin 1991, 39. 424 Dies ist jedoch ebenfalls nicht gesichert, da hier ein anderer g-Laut geschrieben wird (βεγά/ⲃⲉⲅⲁ bzw. βουγα(ειτῶν)/ⲃⲟⲩⲅⲁ(ⲉⲓⲧⲱⲛ) vs. Bēǧa). Zur phonologischen Diskussion vgl. P. Behrens, C-group-Sprache – Nubisch – Tu Bedawiye. Ein sprachliches Sequenzmodell und seine geschichtlichen Implikationen, in: Sprache und Geschichte in Afrika 3, 1981, (17–49) 30f. Zur Frage, ob die Realisierung [g] des arabischen ﺝǧīm in manchen Varietäten des Arabischen (Frühandalusisch, Kairo bzw. Ägypten/Sudan) ein protosemitischer Archaismus darstellt (*g) oder eine Rückentwicklung vgl. F. Kammerzell, Old Egyptian and Pre-Old Egyptian. Tracing Linguistic Diversity in Archaic Egypt and the Creation of the Egyptian Language, in: S. Seidlmayer (Hrsg.), Texte und Denkmäler des ägyptischen Alten Reiches, Berlin 2005, 165–246, Anm. 37.
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Altbeɖáwiɛ. In antiken Quellen wird über Jahrtausende von den Bēǧa berichtet, ob als mč̣ Ꜣ.w oder als βλεμμυες. Dabei werden zahlreiche Personen- und Ortsnamen genannt, die sich sprachlich an das tu-Beɖáwiɛ anschließen lassen. Diese fast ausschließlich durch die altägyptische, napatanische, meroitische, griechische, koptische oder lateinische Nebenüberlieferung bezeugte Sprachstufe könnte als Altbeɖáwiɛ oder vielleicht sogar als Voraltbeɖáwiɛ bezeichnet werden.425 Schon länger bekannt und untersucht sind die sog. ›Blemmyer-Namen‹.426 In jüngster Zeit ist die Nebenüberlieferung ›afrikanischer‹ Sprachen im Altägyptischen umfassend aufgearbeitet worden.427 Noch wichtiger ist jedoch eine Publikation des Altnubisch-Spezialisten GERALD BROWNE, der in einem Ostrakontext in griechisch/koptischer Schrift die Wiedergabe des 30. Psalmes behandelt.428 Dieser in einem lateinischen Büchlein bearbeitete textus blemmyicus aetatis christianae wurde von dem Bēǧa-Experten KLAUS WEDEKIND einer erneuten Prüfung unterzogen, welche Brownes linguistische Identifizierung bestätigte.429 Alles in allem ergibt sich ein rundes Bild: sprachlich waren die Bēǧa offenbar genauso beständig wie in kultureller Hinsicht. So finden wir etwa bei den mč̣ Ꜣ.w stellenweise dieselben Namenselemente wie bei den Blemmyern, angefangen mit der Gottesbezeichnung hada »Häuptling, Herr, Gott« äg. ḫrt/ ḫr(r)/ḫrst – χαρα- ⲭⲁⲣⲁ über das Element tak »Mann« wie in äg. hbstk – 425 Altbeɖáwiɛ wäre dann die Sprache der Blemmyer und Voraltbeɖáwiɛ die Sprache der mč̣ Ꜣ.w. 426 H. Satzinger, Urkunden der Blemmyer, in: Chronique d’Égypte 43, 1968, 126–132; H. Satzinger, Anmerkungen zu einigen Blemmyer-Texten,in: E. Ploeckinger & M. Bietak et.al. (Hrsg.), Lebendige Altertumswissenschaft, Festgabe zur Vollendung des 70. Lebensjahres von Hermann Vetters, Wien 1985, 327–332; H. Satzinger, Die Personennamen von Blemmyern in koptischen und griechischen Texten: orthographische und phonetische Analyse,in: E. Ebermann, E.R. Sommerauer, K.É. Thomanek (Hrsg.), Komparative Afrikanistik. Sprach-, geschichts- und literaturwissenschaftliche Aufsätze zu Ehren von Hans G. Mukharovsky, Beiträge zur Afrikanistik 61, Wien 1992, 313–324; H. Satzinger, Some more remarks on Old Bedauye, in: S.M. Bay (Hrsg.), Studia Palaeophilologica (Fs. G. Browne), Champaign (Ill.) 2004, 1–5. Vgl. auch E. Zyhlarz, Die Sprache der Blemmyer, in: Zeitschrift für Eingeborenen-Sprachen 31, 1940/41, 1–21 und W. Vycichl, The Beja Language Tū-Beḍawīye. Its Relationship with Old Egyptian, in: Kusch 8, 1960, 252–264. 427 K. Zibelius-Chen, »Nubisches‹ Sprachmaterial in hieroglyphischen und hieratischen Texten, Meroitica 25, Wiesbaden 2011, R. el-Sayed, Afrikanischstämmiger Lehnwortschatz im älteren Ägyptisch. Untersuchungen zur ägyptisch-afrikanischen lexikalischen Interferenz im dritten und zweiten Jahrtausend v. Chr., OLA 211, Leiden 2011 und T. Schneider, Ausländer in Ägypten während des Mittleren Reiches und der Hyksoszeit, ÄAT 42.2, Wiesbaden 2003. Der Autor hat eine größere Abhandlung zum Altbeɖáwiɛ in Arbeit. 428 G.M. Browne, Textus Blemmyicus aetatis christianae, Champaign (Ill.) 2003. 429 K. Wedekind, Browne’s »Textus Blemmyicus Aetatis Christianae«: A Cushiticist’s perspective, Vortrag gehalten auf der »Giornata internazionale di studii sull’Eritrea« (Mai 2010).
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Βρεειτεκ/Ⲉⲓⲁϩⲁⲧⲉⲕ etc. bis hin zu yās »Hund«, äg. ys – Ιασατεκ. Besonders aussagekräftig sind auch bestimmte Cluster onomastischen Materials. Beispielsweise können sowohl das Toponym als auch die Feindesnamen bei einer Feldzugbeschreibung in der napatanischen Stele des Harsiyotef beɖáwiɛsprachige gedeutet werden (Toponym Rhrhs < rihas »arm sein«; Fürstenname: rbdn < rába »Mann, fähig« und yk < yak »Wildschwein«). Bemerkenswert ist vor allem, dass an manchen Stellen erstmals für das tu-Beɖáwiɛ eine diachrone Entwicklung feststellbar ist, etwa der Schwund des konsonantischen Anlauts beim definiten Artikel masc. 〈ⲓⲟⲩ-〉 > uu- (Nom. sg.); 〈ⲟⲩⲱ-〉 > -oo (Objektiv sg.); 〈*ⲓⲁ-〉 > ee(Nom. pl.) und 〈ⲓⲏ-〉 > ee- (Objektiv pl.).
3.3 Am Horn von Afrika 3.3.1 Altsüdarabisch Unter ›Altsüdarabien‹ bzw. ›altsüdarabisch‹ werden die antiken Hinterlassenschaften vom Süden der arabischen Halbinsel in vorislamischer Zeit subsummiert, also geographisch im heutigen Jemen und im südlichen Saudi-Arabien (Naǧrān) und chronologisch zwischen dem Ende des 2. Jts. v. Chr. und der zweiten Hälfte des 6. nachchristlichen Jahrhunderts, wenige Jahrzehnte vor dem Aufkommen des Islam. 430 Dabei gilt es zu betonen, dass sprachlich wenig Beziehungen zwischen dem klassischen Arabischen (welches man korrekt Nordarabisch nennen müsste) und dem Altsüdarabischen bestehen: Die altsüdarabischen Sprachen sind also weder Vorläufer des Klassisch-Arabischen, noch weisen sie eine besonders enge Verwandtschaft mit dem modernen Südarabischen auf, das in Sprachinseln wie etwa auf Soqotra gesprochen wird. Aufgrund des umspannenden Handels mit Weihrauch und wegen der Kontakte nach Indien war die altsüdarabische Schriftkultur von großer überregionaler Bedeutung und strahlte insbesondere nach Abessinien aus. Dass sie hier unter der Rubrik ›Horn
430 Vgl. N. Nebes, in: S. Uhlig et al. (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica II, (D-Ha), Wiesbaden 2005, 333–336, s.v. »Epigraphic South Arabian«; N. Nebes, in: S. Uhlig et al. (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica III, (He–N), Wiesbaden 2007, 153–154, s.v. Inscriptions. Epigraphic South Arabian inscriptions in Arabia; P. Stein, Ancient South Arabian, in: M.P. Streck & S. Weninger et al. (Hrsg.), Semitic Languages: An International Handbook on their Structure, their History, and their Investigation, Handbuch der Sprach- und Kommunikationswissenschaft, Berlin & New York 2011, 1043–1073; P. Stein, Aspekte von Sprachbewusstsein im antiken Südarabien, in: J. Thon, G. Veltri & E.-J. Waschke (Hrsg.), Sprachbewusstsein und Sprachkonzepte im Alten Orient, Alten Testament und rabbinischen Judentum, Orientwissenschaftliche Hefte 30, Halle (Saale) 2012, 29–59.
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von Afrika‹ aufgeführt wird, hat zwei Gründe: Erstens bildete sie die Vorlage für die äthiopische Schrift und zweitens gibt es zahlreiche Inschriften in altsüdarabischer Schrift in Abessinien, die in unterschiedlichen Sprachvarietäten verfasst sind, vom ›reinen‹ Sabäischen über ›Äthiosabäisch‹ (Sabäisch mit abessinischem Adstrat) bis hin zum sog. ›Pseudosabäischen‹. Klassifizierung. Da die interne Gliederung der semitischen Sprachen immer noch umstritten ist, existieren auch unterschiedliche Vorstellungen von der Stellung des Altsüdarabischen. Traditionell zählte man das Altsüdarabische zusammen mit dem Arabischen, dem Neusüdarabischen und dem Äthiosemitischen zum Zweig des »Südsemitischen«.431 Lange dachte man, das Altäthiopische habe sich direkt aus dem Altsüdarabischen entwickelt, doch ist diese These mittlerweile obsolet. Nach neuesten Erkenntnissen bilden die altsüdarabischen Sprachen mit den nordwestsemitischen Sprachen und dem Arabischen einen eigenen Zweig, das »Zentralsemitische«.432 Diese Zuweisung geht jedoch von einer Einheit der südarabischen Sprachen aus, welche in den letzten Jahren immer mehr relativiert wird. Herausragendes Merkmal des Altsüdarabischen ist ein determinierendes Suffix -n, welches so in den anderen semitischen Sprachen nicht üblich ist. Nicht alle Texte in altsüdarabischer Schrift sind altsüdarabisch; die größte Gruppe dieser Quellen sind die Inschriften aus Abessinien, 433 es gibt jedoch auch Texte aus Südarabien selbst. Terminologie. Die vier altsüdarabischen Sprachen Sabäisch, Minäisch, Qatabanisch und Ḥaḍramitisch sind nach den ethnischen Gruppen Südarabiens im 1. Jts. v. Chr. benannt, wie sie von Eratosthenes überliefert werden (apud Strabon). Selbstbezeichnungen haben sich nicht überliefert, ja wir kennen nicht einmal das altsüdarabische Wort für »Sprache«. Da die Sprachformen mit politischen Entitäten korrelieren, gelten die Varietäten als eigene Sprachen und nicht als Dialekte. Hinzu kommt der Umstand, dass sich eine der signifikanten Trennlinien innerhalb der Semitistik mitten durch den altsüdarabischen Sprachraum zieht, die Form des Kausativaffixes (Sabäisch h, alle anderen s1).
431 A. Faber, Genetic Subgrouping of the Semitic Languages, in: R. Hetzron (Hrsg.), The Semitic Languages, London 1997, (3–15) 5. 432 R.M. Voigt, The Classification of Central Semitic, in: Journal of Semitic Studies 32, 1987, 1– 27; J. Huehnergard, Features of Central Semitic, in: Biblica et Orientalia 48, 2005, (155–203) 160f. 433 A. Avanzini, Le iscrizioni sudarabiche d’Etiopia. Esempio di culture e lingue in contatto, in: Oriens Antiquus 26, 1987, 201–221.
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Vor allem in der älteren Literatur werden altsüdarabische Inschriften gerne als »himyar(it)isch« bezeichnet.434 Dies hängt damit zusammen, dass die spätsüdsabäischen Texte der Ḥimyar zahlreich sind und früh in Europa bekannt wurden. Problematisch ist nicht nur terminologisch, sondern auch historisch, dass der Terminus »himyarisch« auch für Inschriften bzw. Sprachformen gebraucht wurde, von denen bestimmte Forscher glaubten, sie seien nicht altsüdarabisch.435 Dies gilt sowohl für eine Handvoll gereimter und deshalb schwierig zu interpretierender Hymnen436 als auch für die altsüdarabischen Sprachreste in ›mittelalterlichen‹ Quellen.437 Auch die Sammelbezeichnung Altsüdarabisch (bzw. Ancient/Old/Epigraphical South Arabic) wurde hinterfragt: A.F.L. Beeston plädierte nach dem Fund dreier Inschriften in einer unbekannten Sprache für eine Änderung der Terminologie und schlug als neutralen Überbegriff Ṣayḥadisch vor, da die Sprachareale alle um die Wüste Ṣayḥad (bzw. Ramlat es-Sabʾatayn) herum liegen.438 Dass sich dieser Terminus nicht durchsetzen konnte, liegt wohl daran, dass Beeston keine klaren und eindeutigen Kriterien für seine These aufgezeigt hat – dies ist erst in allerjüngster Zeit erfolgt. 439 Das Minäische wird aufgrund der Konzentration des Sprachareals im Wadi al-Maḏāb auch kulturell neutral als Maḏābisch bezeichnet.440 Ḥaḍramautisch ist ein Synonym zu Ḥaḍramitisch (benannt nach dem Wādī Ḥaḍramawt). Die nordsabäischen In434 A.G. Belova, Himjaritkij jyzk. Areal’nye issledovanija j istorii arabskogo jazyka (›Die Himyaritische Sprache. Areale Studien zur Geschichte der Arabischen Sprache), Moskau 1996. 435 C. Robin, Ḥimyaritic, in: K. Versteegh (Hrsg.), Encyclopaedia of Arabic Language and Linguistics II, Leiden & Boston 2007, 256–261. 436 Ausführlicher dazu P. Stein, Aspekte von Sprachbewusstsein im antiken Südarabien, in: J. Thon, G. Veltri & E.-J. Waschke (Hrsg.), Sprachbewusststein und Sprachkonzepte im Alten Orient, Alten Testament und rabbinischen Judentum, Halle (Saale) 2012, (29–59) 40. 437 C. Robin, Ḥimyaritic, in: K. Versteegh (Hrsg.), Encyclopaedia of Arabic Language and Linguistics II, Leiden & Boston 2007, 256–261 meint, die Sprache sei (wie die zuvor im Text genannten Hymnen) nicht altsüdarabisch. P. Stein, The ›Himyaritic‹ Language in pre-Islamic Yemen. A critival Re-Evaluation, in: Semitica et Classica 1, 2008, 203–212 hat sich dagegen dafür ausgesprochen, in diesen Resten eine späte Form des Sabäischen zu sehen, und auch die Hymnen hält Stein für sabäisch. 438 A.F.L. Beeston, Languages of Pre-Islamic Arabia, in: Arabica 28, 1981, (178–186) 179; A.F.L. Beeston, Sabaic Grammar, Journal of Semitic Studies Monograph 6, Manchester 1984, 1. Man vergleiche dies mit den Tschadsprachen, die um den Tschad-See gesprochen werden. 439 P. Stein, Ancient South Arabian, in: M.P. Streck & S. Weninger et al. (Hrsg.), Semitic Languages: An International Handbook on their Structure, their History, and their Investigation, Handbuch der Sprach- und Kommunikationswissenschaft, Berlin & New York 2011, 1043–1073. 440 So etwa C. Robin, L’Arabie antique de Karib’îl à Mahomet. Nouvelles données sur l’histoire des Arabes grâce aux inscriptions, Revue du Monde Musulman et de la Méditerranée 61, Aix-enProvence 1991, 98 oder M. Arbach, Le Madhābien. Lexique, onomastique et grammaire d’une langue de l’Arabie méridionale préislamique, Diss. Aix-en-Provence (unpubl.) 1993.
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schriften auf Nordsabäisch sind im Stammesdialekt der ’Amīr formuliert und werden daher als Amritisch bezeichnet – früher nannte man sie nach dem Fundort Haramisch. Die südsabäischen Inschriften aus Ḫawlān und Radmān werden unter dem Begriff Radmanisch zusammengefasst. Die qatabanischen Texte aus dem Wādī Marḥa werden auch als awsanisch bezeichnet, da in ihnen Könige von ʾAwsān genannt werden; dies ist jedoch ein kultureller Terminus und kein linguistischer, da die Texte vom qatabanischen Standard nicht abweichen. Herkunft. Die Ursprünge der altsüdarabischen Kultur werden heute stärker noch als früher anhand nicht-sprachlicher Aspekte ergründet.441 Dies ist neben der Archäologie vor allem die Schriftgeschichte. Dabei wird immer deutlicher, dass eine enge Beziehung zum levantinischen Raum besteht, da eine Abhängigkeit von der nordwest-semitischen Schrifttradition glaubhaft gemacht werden kann.442 Und auch linguistisch gesehen besteht eine Nähe zum Nordwest-Semitischen.443 Es gibt Parallelen im Bereich der Phonologie (die nur im Sabäischen produktive Assimilation von n), Morphologie (das sabäische Verbalstammsystem ist nahe am aramäischen, das minäische ist eindeutig südsemitisch geprägt) und der Syntax (Konsekutiv-Imperfekt; Fortführung finiter Verbformen durch Infinitive). Ferner wären zu nennen: der postpositive Artikel, die morphologische Kennzeichnung abgeleiteter Verbalstämme sowie der Umstand, dass die Personalpronomina h(w)ʾ und h(y)ʾ exakt lauten wie im Hebräischen. Über die Schlüsse aus diesem Befund herrscht jedoch Uneinigkeit: Während eine ›Jenaer Schule‹ ein Migrationsmodell entwickelt hat,444 plädiert eine ›Pisaner
441 N. Nebes, Zur Genese der altsüdarabischen Kultur. Eine Arbeitshypothese, in: H. Parzinger & R. Eichmann (Hrsg.), Migration und Kulturtransfer. Der Wandel vorder- und zentralasiatischer Kulturen im Umbruch vom 2. zum 1. vorchristlichen Jahrtausend. Akten des internationalen Kolloquiums Berlin, 23.–26. November 1996, Kolloquium zur Vor- und Frühgeschichte 6, Bonn 2001, 427–435. 442 H. Hayajneh & J. Tropper, Die Genese des altsüdarabischen Alphabets, in: Ugarit-Forschungen 29, 1997, 183–198; B Sass, The Alphabet at the Turn of the Millennium. The West-Semitic Alphabet ca. 1150–850 BCE. The Antiquity of the Arabian, Greek and Phrygian Alphabets, Tel Aviv 2005, 96–132. Der Spätansatz der Übernahme des Alphabets in Arabien im 9. Jh. v. Chr. ist jedoch nicht begründbar. 443 N. Nebes, Zur Genese der altsüdarabischen Kultur. Eine Arbeitshypothese, in: H. Parzinger & R. Eichmann (Hrsg.), Migration und Kulturtransfer. Der Wandel vorder- und zentralasiatischer Kulturen im Umbruch vom 2. zum 1. vorchristlichen Jahrtausend. Akten des internationalen Kolloquiums Berlin, 23.–26. November 1996, Kolloquium zur Vor- und Frühgeschichte 6, Bonn 2001, (427–435) 432; P. Stein, Aspekte von Sprachbewusstsein im antiken Südarabien, in: J. Thon, G. Veltri & E.-J. Waschke (Hrsg.), Sprachbewusststein und Sprachkonzepte im Alten Orient, Alten Testament und rabbinischen Judentum, Halle (Saale) 2012, (29–59) 46.
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Schule‹ für ein Modell der sekundären Ausdifferenzierung in Südarabien. 445 Im Grunde hängt dies zusammen mit der Frage, ob man davon ausgeht, ob ein Impetus von außen bei der Herausbildung der Tempelbau- und Schriftkultur entscheidend war oder nicht. Eindeutig ist nur, dass sich das Sabäische so deutlich von den anderen altsüdarabischen Sprachen unterscheidet (s.o.), dass ein gemeinsamer Ursprung aller kaum denkbar ist. Das auffälligste Trennelement ist der Kausativstamm: Während im Sabäischen das gemeinsame Element von Kausativstamm und Personalpronomen h ist, lautet es bei den anderen s. Peter Stein rekonstruiert folgendes sprachgeschichtliches Szenarium:446 Die Sabäer wanderten aus dem nordwestsemitischen Areal von Norden nach Süden in die Arabische Halbinsel ein. Sie brachten ihre Schrift mit sowie eine entwickelte Tempelbaukultur und trafen in Südarabien auf die Träger der anderen Sprachen. Diese nahmen die materielle Kultur der Sabäer an, während jene ihrerseits auf sprachlicher Ebene (proto-)minäische bzw. südsemitische Merkmale (Bildung der Suffixkonjugation auf -k; Dominanz des gebrochenen Plurals) integrierten. Da die Kulturen Südarabiens um die Wüste Rubʿ al-Ḫālī in sehr großer räumlicher Nähe zueinander bestanden und zudem gemeinsame Handelsinteressen verfolgten (Stichwort: ›Weihrauchstrasse‹), war die gegenseitige Beeinflussung sehr intensiv. Letztlich bewegen wir uns also innerhalb einer Sprachbund-Theorie. Deren Ausbau wird sicherlich noch stärker als bisher den äthiosemitischen Raum mit einbeziehen müssen – man denke daran, dass etwa das stark reduzierte Lautsystem des Ḥaḍramitischen dem altäthiopischen sehr ähnlich ist.447
444 P. Stein, Untersuchungen zur Phonologie und Morphologie des Sabäischen, Epigraphische Forschungen auf der Arabischen Halbinsel 3, Rahden 2003, 5; N. Nebes, Zur Genese der altsüdarabischen Kultur. Eine Arbeitshypothese, in: H. Parzinger & R. Eichmann (Hrsg.), Migration und Kulturtransfer. Der Wandel vorder- und zentralasiatischer Kulturen im Umbruch vom 2. zum 1. vorchristlichen Jahrtausend. Akten des internationalen Kolloquiums Berlin, 23.–26. November 1996, Kolloquium zur Vor- und Frühgeschichte 6, Bonn 2001, 427–435. 445 G. Mazzini, Ancient South Arabian Documentation and the Reconstruction of Semitic, in: P. Fronzaroli & P. Marrassini (Hrsg.), Proceedings of the 10th Meeting of Hamito-Semitic (Afroasiatic) Linguistics, Firenze, 18–20 April 2001, Quaderni di Semitistica 25, Florenz 2005, 215–238; A. Avanzini, Origin and classification of the Ancient South Arabian languages, in: Journal of Semitic Studies 54, 2009, 205–220. 446 P. Stein, Aspekte von Sprachbewusstsein im antiken Südarabien, in: J. Thon, G. Veltri & E.-J. Waschke (Hrsg.), Sprachbewussstein und Sprachkonzepte im Alten Orient, Alten Testament und rabbinischen Judentum, Halle (Saale) 2012, (29–59) 46f. 447 P. Stein, Ancient South Arabian, in: M.P. Streck & S. Weninger et al. (Hrsg.), Semitic Languages: An International Handbook on their Structure, their History, and their Investigation, Handbuch der Sprach- und Kommunikationswissenschaft, Berlin & New York 2011, 1043–1073.
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Die Pisaner Sabäisten zeichnen ein völlig anderes Bild der altsüdarabischen Sprachgeschichte. Danach bildet das Altsüdarabische eine Einheit und zwar innerhalb eines sprachlichen Kontinuums, das einmal zwischen der Levante und Südarabien bestanden habe. Die einzelsprachliche Differenzierung sei sekundär durch Innovationen geschehen und zwar innerhalb Südarabiens. Korpus.448 Bei den etwa 11.800 Inschriften vor allem auf Stein (selten auf Metallobjekten449) lassen sich linguistisch mindestens vier Varietäten unterscheiden: Sabäisch (ca. 8500, davon ca. 5300 publiziert), Minäisch (ca. 1700), Qatabanisch (ca. 850) und Ḥaḍramitisch (ca. 750 ohne das Raybūn-Korpus). 450 Die wichtigste und am längsten bezeugte altsüdarabische Sprache ist das Sabäische, die Sprache des Reiches von Sabaʾ. Als älteste sicher datierte sabäische Inschrift gilt diejenige des Yiṯaʾʿamar Watar bin Yakrubmalik in Ṣirwāḥ, bekannt durch einen Synchronismus mit Sargon II. von Assyrien um 715 v. Chr.451 Die jüngste sicher datierte sabäische Inschrift (CIH 325) stammt aus dem Jahr 669 der ḥimaridischen Ära (554 n. Chr.) aus dem Wādī Mawr in der nördlichen Tihāma. Diese beiden Daten sind jedoch nichts weiter als zwei vorläufige Fixpunkte gegen Anfang bzw. Ende der Überlieferung. Vor allem aufgrund der archäologischen Forschungen ist klar, dass die altsüdarabische Kultur weit älter ist. Bestätigt wird die Annahme, diese Schriftkultur müsse älter sein als das 1. Jts. v. Chr, durch ein C14-Datum. Es wurde anhand eines Holzstäbchens mit minäischer Beschriftung in Minuskeln erhoben452 und weist darauf hin, dass die Anfänge sogar bis ins ausgehende 2. Jts.
448 N. Nebes, in: S. Uhlig et al. (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica III (He–N), Wiesbaden 2007, 153–154, s.v. »Inscriptions. Epigraphic South Arabian inscriptions in Arabia«; W.W. Müller, Die altsüdarabische Schrift, in: H. Steger & H.E. Wiegand (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung, Bd.1, Berlin/New York 1994, 307–312. 449 B. Jändl, Altsüdarabische Inschriften auf Metall, Epigraphische Forschungen auf der arabischen Halbinsel 4, Tübingen 2009. 450 Die Angaben zur Größenordnung nach N. Nebes, in: S. Uhlig et al. (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica III (He–N), Wiesbaden 2007, 153–154, s.v. »Inscriptions. Epigraphic South Arabian inscriptions in Arabia«. Teilweise signifikant davon abweichend: P. Stein, Aspekte von Sprachbewusstsein im antiken Südarabien, in: J. Thon, G. Veltri & E.-J. Waschke (Hrsg.), Sprachbewusstsein und Sprachkonzepte im Alten Orient, Alten Testament und rabbinischen Judentum, Orientwissenschaftliche Hefte 30, Halle (Saale) 2012, 29–59, bes. 30f. Seiner Aussage nach besteht das Korpus aus 5500 sabäischen, 1600 minäischen, 2000 qatabanischen und 1500 hadramitischen Inschriften. 451 N. Nebes, Itaʾamar der Sabaer: Zur Datierung der Monumentalinschrift des Yiṯaʿʾamar Watar aus Ṣirwāḥ, in: Arabian Archaeology and Epiggraphy 18, 2007, 25–33.
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v. Chr. zurück zu versetzen sind.453 Da sich die Minuskelschrift eindeutig aus der Monumentalen entwickelte, muss diese mindestens genauso alt sein. Das ›Aussterben‹ der altsüdarabischen Sprachen ist gleichfalls umstritten. Einerseits wurde die These vertreten, sie seien bereits im 4. Jhd. n. Chr. ausgestorben454 und nicht erst durch die Islamisierung verdrängt worden; auf der anderen Seite gibt es gewichtige Hinweise darauf, dass eine Form des Sabäischen noch bis weit in die islamische Zeit hinein gesprochen wurde. So sind Reste altsüdarabischer Idiome noch spät im jemenitischen Dialekt des Arabischen greifbar: Arabische Autoren (vor allem al-Hamdānī im 10. Jhd. n. Chr.) überliefern diese Sprachrelikte.455 Der Charakter dieses ›mittelalterlichen‹ und ›Ḥimyaritisch‹ genannten Idioms ist jedoch Gegenstand einer Debatte: Nach Robin ist es als nicht-sayhadisch zu klassifizieren456, nach Stein hingegen eine eigene Sprachstufe des Sabäischen.457 Bei den nicht-sabäischen Sprachformen des Altsüdarabischen sieht das Bild wie folgt aus. Das Ḥaḍramitische ist weniger lange bezeugt wie das Sabäische, wohl da es am weitesten von dessen Kerngebiet entfernt gesprochen und deshalb zuletzt verdrängt wurde. Das Ḥaḍramawt büßte zwar schließlich ebenfalls seine politische Souveränität ein (im ausgehenden 3. Jhd. n. Chr.), doch werden noch etwa zwei Jahrhunderte später vereinzelt Felsinschriften in Ḥaḍramitisch verfasst.458 Das Ḥaḍramitische oder ein enger Verwandter desselben ist denn wohl auch als Vorläufer der neusüdarabischen Sprachen zu sehen, die im
452 P. Stein, Die altsüdarabischen Minuskelinschriften auf Holzstäbchen aus der Bayerischen Staatsbibliothek in München. Bd. 1: Die Inschriften der mittel- und spät sabäischen Periode, Epigraphische Forschungen auf der Arabischen Halbinsel 5, Tübingen & Berlin 2010, 46 mit Anm. 196. 453 P. Stein, Aspekte von Sprachbewusstsein im antiken Südarabien, in: J. Thon, G. Veltri & E.-J. Waschke (Hrsg.), Sprachbewusstsein und Sprachkonzepte im Alten Orient, Alten Testament und rabbinischen Judentum, Orientwissenschaftliche Hefte 30, Halle (Saale) 2012, (29–59) 30 mit Anm. 5. 454 C. Robin, Südarabien − eine Kultur der Schrift, in: W. Seipel (Hrsg), Jemen – Kunst und Archäologie im Land der Königin von Saba, Mailand 1998, 79–85. 455 C. Robin, Les inscriptions de l’Arabie antique et les études arabes, in: Arabica 48, 2007, 509–577; Ibrahim Al-Selwi, Jemenitische Wörter in den Werken von al-Hamdānī und Našwān, Marburger Studien zur Afrika- und Asienkunde, Serie B: Asien, Band 10, Marburg 1987. 456 C. Robin, Ḥimyaritic, in: K. Versteegh (Hrsg.), Encyclopaedia of Arabic Language and Linguistics II, Leiden & Boston 2007, 256–261. 457 P. Stein, The ›Himyaritic‹ Language in pre-Islamic Yemen. A critival Re-Evaluation, in: Semitica et Classica 1, 2008, 203–212. 458 P. Stein, Aspekte von Sprachbewusstsein im antiken Südarabien, in: J. Thon, G. Veltri & E.-J. Waschke (Hrsg.), Sprachbewusstsein und Sprachkonzepte im Alten Orient, Alten Testament und rabbinischen Judentum, Halle (Saale) 2012, (29–59), 45, Anm. 45.
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Grenzgebiet zwischen den heutigen Staaten Jemen und Oman gesprochen werden.459 Seit der Mitte des 1. Jts. v. Chr. sind die nicht-sabäischen Sprachen gut greifbar. Aufgrund seiner Bedeutung und seiner langen Belegzeit dient das Sabäische jedoch als eine Art ›Leitsprache‹ für deren Periodisierung. Dabei wird paläographisch unterschieden:460 ① Altsabäisch (8.–3. Jhd. v. Chr.): vorherrschend symmetrisch, streng linear ② Mittelsabäisch (1. Jhd. v. Chr.–4. Jhd. Jhd. n. Chr.) breiter, ornamentaler, dicker ③ Spätsabäisch (5.–6. Jhd. n. Chr.) inhaltlich: monotheistisch, Hochrelief, Monogramme, wirken generell ›barock‹, d.h. überladen ornamental. Der Überlieferungszeitraum der südarabischen Sprachen lässt sich wie folgt schematisch darstellen:
459 P. Stein, Aspekte von Sprachbewusstsein im antiken Südarabien, in: J. Thon, G. Veltri & E.-J. Waschke (Hrsg.), Sprachbewusstsein und Sprachkonzepte im Alten Orient, Alten Testament und rabbinischen Judentum, Halle (Saale) 2012, (29–59) 46, Anm. 46. 460 Datierungen nach der »Langen Chronologie«.
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Die Quellen sind zwar, in absoluten Zahlen betrachtet, sehr reich (ca. 12.000 Texte; ca. 200.000 Lexeme), bei genauerem Hinsehen relativiert sich dieses Bild jedoch beträchtlich. Von den 10–12.000 Inschriften ist lediglich ein Drittel ›brauchbar‹, d.h. lang und gut genug erhalten, um signifikante Aussagen zu erlauben, die restlichen sind Inschriftenbruchstücke oder kurze Graffiti (v.a. einfache Namenszüge), die im Durchschnitt aus 2–5 Wörtern bestehen. Der mit 1900 Wörtern bis dato längste altsüdarabische Text ist eine auf zwei Blöcken unvollständig überlieferte mittelsabäische Widmungsinschrift (J 576+577) – ansonsten bestehen Inschriften diesen Typs im Durchschnitt aus ca. 100 laufenden Wörtern.461 Die Hauptmasse der ca. 3–4.000 aussagekräftigen Inschriften sind Bau-, Widmungsund Kommemorativinschriften – allein die Weihinschriften machen die Hälfte aus (1.500–2.000 Texte) und die Bauinschriften ein Viertel bis ein Fünftel (ca. 800). Noch gravierender ist, dass die allermeisten dieser Inschriften einem Standardformular folgen, also extrem stereotyp sind. Alltagstexte sind erst seit nicht allzu langer Zeit überhaupt bekannt (Minuskeltexte), publiziert sind lediglich 250 Texte, davon stammen 205 aus einem zusammenhängenden mittel- und spätsabäischen Archiv.462 Die Anteile der Textgenres am Gesamtkorpus sowie die Verteilung nach Sprachen lässt sich wie folgt darstellen (nach Stein):
461 P. Stein, Aspekte von Sprachbewusstsein im antiken Südarabien, in: J. Thon, G. Veltri & E.-J. Waschke (Hrsg.), Sprachbewussstein und Sprachkonzepte im Alten Orient, Alten Testament und rabbinischen Judentum, Orientwissenschaftliche Hefte 30, Halle (Saale) 2012, (29–59) 30, Anm. 6. 462 P. Stein, Die altsüdarabischen Minuskelinschriften auf Holzstäbchen aus der Bayerischen Staatsbibliothek in München I, Tübingen & Berlin 2010.
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Abgrenzungen.463 Bekanntestes und auffälligstes Kriterium zur Unterscheidung der altsüdarabischen Sprachen ist das Kausativmorphem, welches identisch ist mit dem Hauptelement des Personalpronomens der 3. Person. Im Sabäischen lautet es h, in den anderen Sprachen š. Kaum weniger distinktiv ist die Präposition »nach, hin, zu« (arab. li/ʾilā , hebr. lə/’el, die im Sabäischen und Qatabanischen 〈l〉 geschrieben wird, im Minäischen 〈k〉 und im Ḥaḍramitischen 〈h〉. Besonders charakteristisch für das Qatabanische ist ein Präfix 〈b-〉 beim Indikativ des Imperfekts, wie in einigen modernen libanesisch-arabischen Dialekten. Im Ḥaḍramitischen weist das feminine Pronomen ferner einen anderen Sibilanten auf (masc. s1, fem. s3t), wie in den neusüdarabischen Sprachen. Weitere Merkmale liegen im Wortschatz begründet. Sabäisch. Das Sabäische deckt die gesamte Zeitspanne ab, aus der es altsüdarabische Inschriften gibt, weist die zahlreichsten, unterschiedlichsten und am weitesten verbreitete Sprachdenkmäler auf. Sicher belegt ist das Sabäische mindestens seit dem 8. Jhd. v. Chr., wahrscheinlich lassen sich die ersten Quellen jedoch bis ins 11./10. Jhd. zurückverfolgen. 464 Das Kerngebiet lag in der früheren Periode (also bis Ende des 1. Jts. v. Chr.) in der Oase Mār’ib, im nahen Ṣirwāḥ und nördlich anschließend am Rand der Wüste Ramlat es-Sabʾatayn bis zur Mündung des Wādī Ǧawf. Westlich erstreckte es sich bis Madīna al-Bydā (alt: Našq) und Madīna Sawdā’ (alt: Našan). Im Hochland wurde in jener Zeit das Sabäische selten verwendet. Aufgrund politischer und kultureller Hegemonie verbreitete sich die Sprache und vor allem auch die Schrift insbesondere ab dem 3. Jhd. n. Chr. fast über das gesamte jemenitische Hochland und südwärts vom Yisla-Pass bis nach Ḏamār. Östlich von Ḏamār siedelte der Stamm der Radmān (Zentrum: WaꜤlan) mit bedeutenden Texten des 2.–3. Jh. n. Chr. Südlich davon erstreckte sich die Region der Ḥimyariden (Zentrum Ẓafār): Ihre Inschriften werden erst im 4.–6. Jhd. prominent, verteilen sich jedoch in ganz Süd- und in Zentralarabien. Die Sabäer hatten für ihre Sprache eine eigene Konsonantenschrift entwickelt, bestehend aus 29 Graphemen. Geschrieben wird sie von rechts nach links, bei den ältesten Inschriften auch bustrophedon. Die Schriftentwicklung lässt sich stark vereinfacht beschreiben als zunehmende Ornamentalisierung einer ehemals streng linearen und symmetrischen Schrift, hin zu einem geradezu ›barocken‹ Stil. Als Standarddialekt gilt das Mittelsabäische, vor allem da die
463 Vgl. ausführlich A.F.L. Beeston, Sabaic Grammar, Journal of Semitic Studies Monograph 6, Manchester 1984. 464 P. Stein, Die altsüdarabischen Minuskelinschriften auf Holzstäbchen aus der Bayerischen Staatsbibliothek in München. Bd. 1: Die Inschriften der mittel- und spät sabäischen Periode, Epigraphische Forschungen auf der Arabischen Halbinsel 5, Tübingen & Berlin 2010, 46.
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meisten Inschriften in jener Sprachform gehalten sind.465 Die Abweichungen sind vor allem zum Altsabäischen hin signifikant. Es existieren jedoch noch weitere diatopische Varietäten (Dialekte) innerhalb des Mittelsabäischen. 466 So weisen die Harami-Inschrifen (›Amiritisch/Haramisch‹) nördlich von MaꜤīn einen starken nordarabischen Einfluss auf und die Inschriften aus dem antiken Radmān ein starkes qatabānisches Substrat. Ebenfalls distinkt sind die spätsabäischen Inschriften der Stammeskonföderation der Ḥimyariden. Minäisch (auch: Maḏābisch). Die minäischen Inschriften stammen aus etwa derselben Zeit wie die sabäischen, nur sind sie nicht sehr zahlreich. Das Sprachareal umfasst die alten Stadtstaaten im Wādī Maḏāb, nordwestlich von Mārʾib, insbesondere zwei Regionen an der Mündung des Wādī Ǧawf, nämlich Ḫirbat MaꜤīn (alt: Qrnw), Ḫirbat Barāqiš (alt: Ytl) und einige wenige Texte aus dem Osten (dem mittleren Lauf des Wādī Ǧawf). Da die Minäer den nördlichen Abschnitt der sog. ›Weihrauchstraße‹ kontrollierten, finden sich ihre Inschriften auch im nördlicheren Arabien, v.a. in der minäischen Handelsniederlassung Dedān (heute al-ꜤUlā im nördlichen Heǧas in Saudi-Arabien) und sogar auf Delos und in Ägypten. Ab dem Ende des 2. Jhd. v. Chr. ist die Sprachform mit dem Ende der politischen Bedeutung der Minäer (nach der Eroberung durch die Sabäer) nicht mehr bezeugt. Qatabānisch. Das Qatabānische erscheint in den Quellen ab dem 8./7. Jhd. v. Chr. im Südwesten Altsüdarabiens, sein Sprachareal reichte bis zum Bāb alMandab und umfasste das Wādī Bayḥān (mit der Hauptstadt von Qatabān, TimnaꜤ), das Wādī Ḥarīb, die umliegenden Wādīs im Westen und im Süden derselben und reichte bis zum südlichen Hochland östlich von Ẓafār. Speziell sind die etwa zwei Dutzend Texte aus dem Wādī Marḥa (8. Jhd. v. Chr. sowie 1. Jhd. v. Chr. bis 1. Jhd. n. Chr .). Weil in ihnen die Könige von ʾAwsān erwähnt werden, werden sie auch als ›awsanisch‹ bezeichnet. Dies ist irreführend, da sie linguistisch betrachtet keine eigene Varietät darstellen. Nach dem politischen Ende von Qatabān mit der Expansion von Saba’ und Ḥaḍramawt gegen Ende des 2. Jh. n. Chr. verschwindet die qatabānische Sprache aus der Dokumentation.
465 Mittelsabäisch spielt also in der Sabäistik eine vergleichbare Rolle wie Altbabylonisch in der Assyriologie. 466 P. Stein, Zur Dialektgeographie des Sabäischen, in: Journal of Semitic Studies 69, 2004, 225–245; P. Stein, Materialien zur sabäischen Dialektologie: Das Problem des amrtischen (»haramitischen«) Dialektes, in: Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft 157, 2007, 13–47.
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Ḥaḍramitisch. Ḥaḍramitische Inschriften stammen, wie der Name bereits sagt, vor allem aus dem Wādī Ḥaḍramawt und seinen Ausläufern, d.h. aus dem Zentralort Šabwat, dem Anfangspunkt der ›Weihrauchstraße‹, und Raybūn. Nur einige wenige, ziemlich verstreute Texte kamen im Wādī MayfaꜤa bei Naqab alHaǧar (alt: MyfꜤt), nördlich des Ḥisn al-Ġurāb (alt: Kane/Qanaʿ) und sehr weit östlich in Ḫawr Rūrī (alt: Samārum) zutage, einer ḥaḍramitischen Handelsniederlassung östlich von Ṣalāla an der Maḥra-Küste des Indischen Ozeans. Da das Wadi Ḥaḍramawt immer sehr stark besiedelt war, wurde wohl viel zerstört oder begraben – jedenfalls sind die Texte aus Raybūn stark fragmentarisch.467 Belegt ist das Ḥaḍramitische zwischen dem 7. Jh. v. Chr. und dem Ende des 3. Jhd. n. Chr., vereinzelt sogar noch später. Das Ende der ḥaḍramitischen Epigraphik kommt mit der Eroberung von Ḥaḍramawt durch die Ḥimyariden. Varietäten (Dialekte).468 Chronologisch wird zwischen alt-, mittel- und spätsabäisch und innerhalb des Sabäischen diatopisch zwischen dem zentralsabäischen Standard sowie dem Nordsabäischen (Amritisch/Haramisch) und dem zweigeteilten Südsabäischen (Ḥimyarisch und Radmanisch) unterschieden, wo das Areal das Stammesgebiet der Ḥimyar, das andere das Gebiet von Hawlān und Radmān ist. Im Südsabäischen sind Einflüsse aus dem Qatabanischen spürbar; es verbreitet sich unter Aufnahme zentralsabäischer Elemente nach der Hegemonialbildung der Ḥimyariden in ganz Altsüdarabien. Charakteristika des nordarabisch geprägten Amritischen sind: ① Die Formen der Suffixkonjugation der 1. & 2. Person enden nicht auf -k (sabäisch fꜤlk, fꜤlkmw), sondern auf -t ; ② Es hat nur zwei nicht-emphatische, stimmlose Sibilanten (s und š), gegenüber drei im übrigen Sabäischen (s, š und ś). Charakteristika des Südsabäischen sind: ① Die Metathese der ersten beiden Radikale bei Verba primae w in in gebrochenen Pluralformen des Nomens (lwd »Nachkommen« < √wld; sabäisch sonst ’wld); ② Das indirekte Objekt (der Gottesname) beim Verb hqny »widmen« wird mit der Präposition l- angeschlossen (also PN hqny l-GN »PN hat (der Gottheit) GN gewidmet« statt PN hqny GN); ③ Die Negation dʾ verdrängt das zentralsabäische ʾl und überlebt bis in den heutigen jemenitisch-arabischen Dialekt.
467 Daher auch die divergierenden Zahlen zum ḥaḍramitischen Korpus: Insgesamt werden 1500 Inschriften gezählt, nach Abzug der fragmentarischen Texte aus Raybūn verblieben davon allerdings nur ca. 850. 468 P. Stein, Zur Dialektgeographie des Sabäischen, in: Journal of Semitic Studies 69, 2004, 225–245; P. Stein, Materialien zur sabäischen Dialektologie: Das Problem des amiritischen (»haramitischen«) Dialektes, in: Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft 157, 2007, 13–47.
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Weitere dialektale Unterscheidungen sind bislang kaum zu greifen. Einzig im Minäischen ist als Unterschied zwischen den Inschriften aus dem Ǧawf und solchen aus Dedān festzustellen, dass Letztere vergleichbare nordarabische Einflüsse aufweisen wie das Amritische.469 Schriftsystem (Taf. 13).470 Die altsüdarabische Schrift ist für alle Sprachen einheitlich oder – anders formuliert – alle Südaraber verwendeten die sabäische Schrift. Mit 29 Graphemen besitzt sie das größte Graphemset innerhalb der semitischen Alphabetschriften. Grundsätzlich handelt es sich um eine Konsonantenschrift, die Grapheme 〈w〉 und 〈y〉 werden jedoch auch zur Darstellung der Langvokale /ū/ bzw. /ī/ eingesetzt (möglicherweise auch für /ō/ und /ē/).471 Der Langvokal /ā/ kann darüber hinaus außerhalb des Sabäischen mit 〈h〉 als mater lectionis dargestellt werden; im Sabäischen selbst wird er so nie geschrieben. Allerdings gibt es Fälle, bei denen im Mittelsabäischen ein y steht, das im Altsabäischen fehlt. Ob dies einen Lautwandel anzeigt (/ā/ > /ē/) oder eine Diphtongisierung, ist nicht sicher.472 Weil alle Laryngale (’ und ḫ), Pharyngale (ḥ und Ꜥ) und Emphatica (ḍ, ṭ, ṣ und ẓ) mit Primärgraphemen dargestellt werden, ist davon auszugehen, dass die Schrift zur Darstellung der ältsüdarabischen Sprachen entwickelt wurde und keine Adaption einer anderen Schrift darstellt. Besonders charakteristisch ist ferner der Umstand, dass die drei protosemitischen Sibilanten s, š und ś graphematisch unterschieden werden (s/s1 = nordwestsemit. š, arab. s; š/s2 = nws. ś, arab. š; ś/s3 = nws./arab. s). In der Transkription werden sie heute gerne durch hochgestellte Zahlen wiedergegeben (s1, s2, s3), da ihre phonetische Realisierung nicht ganz klar ist.
469 P. Stein, Ancient South Arabian, in: M.P. Streck &S. Weninger et al. (Hrsg.), Semitic Languages: An International Handbook on their Structure, their History, and their Investigation, Handbuch der Sprach- und Kommunikationswissenschaft, Berlin & New York 2011, (1043– 1073) 1047. 470 P. Stein, Untersuchungen zur Phonologie und Morphologie des Sabäischen, Rahden 2003. 471 P. Stein, Untersuchungen zur Phonologie und Morphologie des Sabäischen, Rahden 2003, 41. 472 C. Robin, Les inscriptions de l’Arabie antique et les études arabes, in: Arabica 48, 2007, (509–577) 574–577, und vorige Anm.
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Entzifferung.473 Der erste Europäer, der in der Neuzeit altsüdarabische Inschriften sah, war Ulrich Jasper Seetzen (1767–1811), der später im Jemen vergiftet wurde. Er fand im Juli 1810 in Ẓafār acht Inschriften, die jedoch kein Aufsehen erregten. Am 12. Mai 1810 entdeckt Henry Salt in Yǝḥa bei Aksum in Abessinien eine sabäische Inschrift. Die erste publizierte altsüdarabische Inschrift ist der von Seetzen in Mankaṯ bei Ẓafār entdeckte Text CIH 620, veröffentlicht durch Joseph von Hammer 1811.474 Offiziere des Schiffes Palinurus entdeckten am »Krähenfelsen« (Ḥusn al-Ġurāb) eine zehnzeilige Inschrift, die 1834 im Journal of the Royal Asiatic Society of Bengal veröffentlicht wurde. Mit weiteren Funden bei Sanʿāʾ nahm die Forschungsgeschichte ihren Lauf. Die Inschrift CIH 620 (Mankaṯ) bildete zusammen mit CIH 621 (Ḥusn al-Ġurāb) und RES 2640 (ḥaḍramitische Bauinschrift von Naqb al-Haǧar) die Grundlage für die Entzifferung der Schrift durch den Hallenser Hebraisten Wilhelm Gesenius und seinen Schüler Emil Roediger in den 1840er Jahren. Diese beruhte auf dem augenscheinlichen Vergleich mit dem Altäthiopischen und hat bis heute im Großen und Ganzen Bestand. Joseph Halévy beseitigte 1870 die letzten Unsicherheiten, indem er einen angeblichen Brief des Propheten Muḥammad an den König des Jemen als Fälschung entlarvte. Wie bereits ausgeführt, wurden 1972 die ersten Texte auf Holzstäbchen bekannt, die eine bis dato unbekannte Minuskelschrift nachwiesen. Der Jordanier Maḥmūd al-Ġūl führte den Nachweis, das es sich bei diesen Schriftzeugnissen um solche in sabäischer Sprache handelte, und entzifferte die Schriftform durch einen Vergleich mit den monumentalschriftlichen Zeichenformen. Schriftgeschichte. Die Herkunft der altsüdarabischen Konsonantenschrift ist nicht restlos geklärt. Meist wird bei den altsemitischen Schriften aufgrund der traditionellen Zeichenfolge (’-b-g vs. h-l-ḥ-m) und der Zeichenanzahl zwischen Kurz- und Langalphabeten unterschieden.475 Beide leiten sich nach gängiger
473 N. Nebes, in: S. Uhlig et al. (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica III (He–N), Wiesbaden 2007, 153–154, s.v. »Inscriptions. Epigraphic South Arabian inscriptions in Arabia«; W.W. Müller, Die altsüdarabische Schrift, in: H. Steger & H.E. Wiegand (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung, Bd.1, Berlin/New York 1994, 307–312. 474 Joseph von Hammer, Auszug aus einem Brief des kaiserl. russ. Collegienassessors Herrn Dr. Seetzen an Herrn von Hammer aus Mocha den 14. November 1810, in: Fundgruben des Orients 2, 1811, 275–284. 475 Zur Verbindung mit der Reihenfolge der Zeichen im Ägyptischen vgl. zuletzt ausführlicher F. Kammerzell, Die Entstehung der Alphabetreihe: Zum ägyptischen Ursprung der semitischen und westlichen Schriften, in: D. Borchers, F. Kammerzell & S. Weninger (Hrsg.), Hieroglyphen, Alphabete, Schriftreformen: Studien zum Multiliteralismus, Schriftwechsel und Or-
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Vorstellung aus dem Protosinaitischen ab, das seinerseits eine Vereinfachung bestimmter ägyptischer Hieroglyphenzeichen darstellt. Dabei soll das altsüdarabische Langalphabet früh abgezweigt sein und eine eigene Entwicklung durchgemacht haben. Die heute noch gebräuchliche klassisch-arabische Schrift ist historisch betrachtet die Weiterentwicklung einer der jüngeren aramäischen Schriftformen, namentlich der nabatäischen. Das genaue Verhältnis zu den anderen mittel- und nordarabischen Schriften (Lihyanisch, Safaitisch und Thamudisch) ist nicht wirklich untersucht. Ebenso unklar ist, wie es sein kann, dass die numidische Schrift Libyens (und damit das tifinaγ) offenbar auf die altsüdarabische zurückzuführen ist.476 Die altsüdarabische Schrift war Vorbild für die altäthiopische, welche durch Veränderungen der Zeichenformen die Möglichkeit gewonnen hat, Vokale wiederzugeben und somit zu einer Silbenschrift umgeformt wurde. Die Verbindung zwischen beiden Schriftkulturen ist gesichert durch die zahlreichen sabäischen Inschriften aus dem prä-aksumitischen Abessinien.477 Die sabäische Kultur strahlte in die gesamte Region aus, sie war die Prestigekultur schlechthin, besonders für Abessinien und die Golfregion. So verwundert es nicht, dass die altsüdarabische Monumentalschrift nicht nur in aksumitischer Zeit in einer speziellen Form (»Pseudo-Sabäisch«) für Displayinschriften Gebrauch fand, sondern auch im Osten der Arabischen Halbinsel zur Wiedergabe nicht-altsüdarabischer Sprachen diente. Hierzu zählen vor allem die Inschriften aus Qaryat al-Faw nordöstlich von Naǧrān auf dem Handelsweg zum Golf, diejenigen von Naǧrān selbst (für fast klassisches [Nord-]Arabisch) und die Texte aus al-Ḥasāʾ. Schriftformen. Bis vor 40 Jahren waren praktisch nur Monumentalinschriften bekannt – wenn man die kursiveren Graffiti (etwa von Felsinschriften) dazu zählt. Anfang der 1970er Jahre wurden altsüdarabische Briefe bekannt, die in einer bis dahin nicht belegten Minuskelschrift niedergeschrieben waren (um 1. Jhd. v. –3. Jhd n. Chr.).478 Nachgewiesen sind bisher einige tausend dieser Texte, publiziert thographieneuregelungen, Lingua Aegyptia – Studia Monographica 3, Göttingen 2001, 117–158. 476 E. Littmann, L’origine de l’alphabet libyque, in: Journal Asiatique 4, 1904, 423–440. 477 A.J. Drewes & R. Schneider, Origine et développement de l’écriture éthiopienne jusqu’à l’époche des inscriptions royales d’Axoum, in: Annales d’Éthiopie 10, 1976, 95–107; R. Schneider, Les origines de l’écriture éthiopienne, in: S. Segert & A.J.E. Bodrogligeti (Hrsg.), Ethiopian Studies: Dedicated to Wolf Leslau on the Occasion of his 75th Birthday November 14th 1981, Wiesbaden 1983, 412–416. 478 J. Ryckmans, W.W. Müller & Y.M. Abdalla, Textes du Yémen antique inscrits sur bois, Louvain-la-Neuve 1994; P. Stein, The Ancient South Arabian Minuscle Inscriptions on Wood: a New Genre of Pre-Islamic Epigraphy, in: Jaarbericht Ex Oriente Lux 39, 2005 [2006], 181–199.
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jedoch nur etwa 250. Fast sämtliche dieser publizierten Texte (nämlich 205) stammen aus dem unmittelbaren Umfeld eines Tempels in der Stadt Naššān (heute: as-Sawdā’) im Wādī al-Ǧawf. Es handelte sich hierbei wohl um ein öffentliches Archiv für die Bedürfnisse breiter Bevölkerungsschichten; die Texte werden heute in der Bayerischen Staatsbibliothek aufbewahrt.479 Bei der Minuskelschrift handelt es sich zwar um eine Art Kursive, nicht jedoch um eine Kurrentschrift, d.h. die Buchstaben werden nicht zusammenhängend geschrieben. Gebraucht wurde die Minuskelschrift für Alltagstexte, etwa Briefe, Verträge oder Inventare. Wie genau das Verhältnis zwischen Monumentalformen und Minuskelformen ist, muss sich noch erweisen – meist wird davon ausgegangen, dass sich die Kursive aus der Linearform ableitet.480 Nach diesem Modell entwickelten die Minuskeln sich aus der Monumentalen in der ersten Hälfte des 1. Jts. v. Chr. und emanzipierten sich von dieser über die gesamte altsüdarabische Schriftgeschichte hinweg stetig. In den ältesten Schriftstufen gleichen die Minuskeln noch sehr den Zeichen der Monumentalschrift; am Ende der Entwicklung weisen sie fast keine Ähnlichkeit mehr mit ihnen auf. Schriftdomänen. Die beiden Schriftarten werden der späteren klassisch-arabischen Überlieferung folgend als musnad (Momumental[in]schrift) und zabūr (Minuskelschrift) benannt. Zeitgenössisch bezeugt sind die Termini mśnd »Inschrift« und das Verb zbr »(auf Holzstäbchen) schreiben«;481 musnad steht für repräsentative, in der Regel auf einem mit Rahmen verzierten Inschriftenträger (wie eine Bronzetafel oder einer Steinplatte bzw. Felswand) niedergelegte Inschriften. Die dabei bestehende Trennung nach Einsatzdomänen ist vollkommen, d.h. es gibt keine repräsentative Inschrift in Minuskeln und keinen Alltagstext in Monumentalschrift, wenn man von Werkstattentwürfen absieht.482
479 P. Stein, Die altsüdarabischen Minuskelinschriften auf Holzstäbchen aus der Bayerischen Staatsbibliothek in München. Bd. 1: Die Inschriften der mittel- und spätsabäischen Periode, Epigraphische Forschungen auf der Arabischen Halbinsel 5, Tübingen & Berlin 2010, bes. S. 21f. zur Bestimmung des Archivs. 480 J. Ryckmans, Origin and evolution of South Arabian minuscle writing on wood (1), in: Arabian archaeology and epigraphy 12, 2001, 223–235. 481 P. Stein, Stein vs. Holz, musnad vs. zabūr – Schrift und Schriftlichkeit im vorislamischen Arabien, in: Die Welt des Orients 35, 2005, 118–157; J. Ryckmans, W.W. Müller & Y.M. Abdalla, Textes du Yémen antique inscrits sur bois, Louvain-la-Neuve 1994, 35–39. 482 P. Stein, Aspekte von Sprachbewusstsein im antiken Südarabien, in: J. Thon, G. Veltri & E.-J. Waschke (Hrsg.), Sprachbewusstsein und Sprachkonzepte im Alten Orient, Alten Testament und rabbinischen Judentum, Orientwissenschaftliche Hefte 30, Halle (Saale) 2012, (29–59) 35, Anm. 15.
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Schriftträger. Die meisten erhaltenen altsüdarabischen Texte sind in Stein gemeißelte kommemorative Inschriften. Dazu gehören neben Felsinschriften (insbesondere Graffiti) Monumentalinschriften auf zugehauenen Steinplatten und Quadersteinen verschiedener Größe, in vertieftem, aber auch in erhabenem Relief. Es sind jedoch auch Bronzetafeln und Inschriften aus Metall bekannt.483 Oft begleiten die Inschriften ikonographische Dokumente, wie Reliefs, Statuen und Statuetten, aber auch Amulette, Siegel und Münzen. Alltagstexte wurden nicht nicht mit einem Pigment (wie das Hieratische) oder in Ton (wie die Keilschrift) geschrieben, sondern die Zeichen wurden mit einem spitzen Gegenstand in frisches Holz geritzt. Dies lag nahe, da Palmrispen im Überfluss zur Verfügung standen, waren sie das altsüdarabische Schreibmaterial schlechthin – damit erklärt sich die Form der Texte: Sie stehen auf langen Stäben. Schriftstile/Paläographie. Die altsüdarabische Monumentalschrift wird im Allgemeinen in vier Stilgruppen unterteilt, der archaische (erste Hälfte des 8. Jhd. v. Chr.), der frühe oder klassische (ca. 700–100 v. Chr.), der mittlere (ca. 100 v. Chr. – 300 n. Chr.) und der späte Stil (ca. 300–650 n. Chr.). ① Der Archaische Stil weist einige Buchstabenformen auf, die anders sind als die späteren. Außerdem herrscht keine Normierung bezüglich der Zeichenproportionen. Im ② Klassischen Stil, welcher bei der großen Inschrift des Karib’il Watar bin ḎamārꜤalī aus Ṣirwāḥ voll ausgeprägt ist, werden die Zeichen hinsichtlich ihrer Formen und Proportionen festgelegt (Breite = ⅓ der Höhe). Alle Buchstaben haben nun eine vertikale oder horizontale Symmetrieachse, viele sogar beides zugleich. Im ③ Mittleren Stil werden viele rechtwinklige Elemente gekrümmt, es werden kleine Häkchen angehängt und bei den Bronzeinschriften kommt es zur Herausbildung eines eigenen Stils mit Doppelstrichen. Der ④ Späte Stil ist gekennzeichnet durch die gedrungenen Zeichenformen, durch Schnörkel, Striche und Dreiecke auf den horizontalen Elementen und ein generell ›barockes‹ Aussehen. Sie sind zudem viel öfter als zuvor in erhabenem Relief ausgeführt. Die Minuskelschrift macht eine selbständige Entwicklung durch und entfernt sich immer mehr von ihrem Vorbild, der Monumentalschrift. Verantwortlich dafür ist der Schreibstil, der einen eigenen Duktus bedingt. Wahrscheinlich wurde die Minuskelschrift nie zur Kurrentschrift, da die Zeichen ja nicht mit Tusche geschrieben, sondern in Palmrispen bzw. Holz geritzt wurden. Die Paläographie spielt in der Sabäistik eine vergleichsweise große Rolle und hat Anlass zu Diskussionen gegeben, da andere Mittel zur Datierung von 483 B. Jändl, Altsüdarabische Inschriften auf Metall, Epigraphische Forschungen auf der arabischen Halbinsel 4, Tübingen 2009.
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Inschriften oft fehlen. Die altsüdarabische Chronologie basiert im Grunde auf einem Synchronismus mit der assyrischen: in der großen Prunkinschrift Sargons II. wird für das Jahr 715 v. Chr. ein Itamra (YiṯꜤ’amar) genannt und 685 v. Chr. Karibilu (Karib’il) in den Inschriften Sanheribs.484 Die Datierungssysteme innerhalb der Inschriften sind zwar hilfreich, jedoch relativ spärlich gesetzt bzw. unsicher.485 Es sind drei Zeitrechnungen bekannt, nach denen datiert wird: die himyaridische Zeitrechnung (Beginn 110–115 n. Chr.), die Datierung des Stammes Mahdi (ab 30–25 n. Chr.) und die Datierung des Stammes Radmān (ab 74 n. Chr.). Die etwa 50 nach diesen Systemen datierten Inschriften ergeben ein chronologisches Gerüst. Ein anderes Gerüst sind die Eponymendaten – leider fehlt bisher eine brauchbare Eponymenliste und die bisherigen Rekonstruktionen (A.G. Lundin) wurden stark kritisiert. Nach Königen wurde nur in Ma’īn datiert, doch auch hier hat sich keine Liste erhalten. Die willkürliche Annahme einer durchschnittlichen Anzahl von Regierungsjahren (K.A. Kitchen) ist zu unsicher, um belastbar zu sein, zumal es Namensdubletten gibt und offenbar in Sabaʾ bis zu drei Träger des Titels mkrrb gleichzeitig herrschten. Die Nennung wiederkehrender Feste ist ebenfalls keine große Datierungshilfe, da wir zu wenig über die Kulte wissen. Mit anderen Worten: Die Paläographie hat sich als das bisher wirksamste Werkzeug erwiesen, eine Sequenz der Inschriften herzustellen, und zwar anhand einer Entwicklungssequenz der Schriftzeichen nach ihrer Ausprägung. Über diese herrscht auch relative Einigkeit, nicht jedoch über die ›Einhängung‹ dieser Sequenz an Fixdaten. Während der Hauptvertreter der Langen Chronologie (Hermann von Wissmann) zurecht auf der Stichhaltigkeit der Synchronismen mit den Assyrern besteht, wird dies von den Vertretern der Kurzen Chronologie (Jacqueline Pirenne) abgelehnt – es sei nicht zu erwarten, dass der Stil der altsüdarabischen Schrift sich schon so früh derart weit von ihren nordwestsemitischen Vorbildern entfernt habe. Der ›klassische‹ Stil unter Karibʾil müsse zeitgleich sein mit dem klassischen Stil in Athen (d.h. um 430
484 N. Nebes, Itaʾamar der Sabaer: Zur Datierung der Monumentalinschrift des Yiṯaʿʾamar Watar aus Ṣirwāḥ, in: Arabian Archaeology and Epigraphy 18, 2007, 25–33. 485 W.W. Müller, Sabäische Inschriften nach Ären datiert, Wiesbaden 2010. Ältere Arbeiten: J. Pirenne, Überblick über die Lehrmeinungen zur altsüdarabischen Chronologie, in: W. Daum (Hrsg.), Jemen, Frankfurt 1987, 122–128; C. Robin, Die Grundlagen der Chronologie Altsüdarabiens und ihre Probleme, in: W. Seipel (Hrsg.), Jemen. Kunst und Archäologie im Lande der Königin von Sabaʿ, Wien 1988, 71–76; H. v.Wissmann, Die Geschichte von Saba‘ II. Das Großreich der Sabäer bis zu seinem Ende im frühen 4. Jhd. v. Chr. Herausgegeben von W.W. Müller, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Sitzungsberichte, 402. Band, Wien 1982.
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v. Chr. datieren). Die meisten Sabäisten heute bekennen sich zur Langen Chronologie.486 Die altsüdarabische Schriftkultur sticht in mehrfacher Hinsicht innerhalb der Schriftgeschichte heraus. Zum einen hat sie gleich zu Beginn ihrer Belegzeit eine sehr strenge Symmetrie entwickelt und damit eine ausgeprägte Form der Kalligraphie, zum anderen werden besonders spätsabäische Inschriften häufig in erhabenem Relief ausgeführt. Beides ist ansonsten regulär fast ausschließlich bei stark bildhaften Hieroglyphenschriften der Fall (Ägyptische Hieroglyphen, Mayaglyphen, Hieroglyphen-Luwisch). Grundsätzlich ist zu bedenken, dass die Schriftform je nach Charakter und Inhalt des jeweiligen Texten unterschiedlich ausfallen kann. Dies reicht von Stelen, deren lineare Buchstabenformen so präzise gemeißelt sind, dass auf den ersten Blick beinahe ihren Schriftcharakter verlieren bis hin zu grob eingeritzten Graffiti. Am weitesten verbreitet sind Dedikationen (teilweise mit Feldzugberichten angereichert), daneben gibt es zahlreiche Bauinschriften, aber auch Rechts-, und Grabinschriften oder Graffiti mit Personennamen. Zeichenanordnung. In Altsüdarabien schrieb man nicht in scriptio continua, sondern setzte einen vertikalen Trennstrich zwischen den Wörtern, außer bei monokonsonantischen Wörtern, die enklitisch geschrieben werden. Im Gegensatz zu anderen semitischen Schriften wird bei der Buchstabenform nicht zwischen der Stellung im Wort unterschieden, es gibt also keine besonderen initialen, medialen oder finalen Zeichenformen. Die Schriftrichtung ist grundsätzlich von rechts nach links; die ältesten Inschriften werden auch bustrophedon geschrieben – bei der Inschrift des Yiṯa’Ꜥamar Watar bin Yakrubmalik in Ṣirwāḥ sind die Zeilen viele Meter lang! Monogramme und Zahlzeichen. In polytheistischer Zeit werden die Inschriften oft durch Symbole für eine Gottheit eingeleitet.487 Manchmal ist bei diesen die Herkunft aus Monogrammen noch erkennbar. Die Beliebtheit von Monogrammen sind eine weitere Auffälligkeit der altsüdarabischen Schriftkultur. Ob sie genuin ist oder ob eine Beeinflussung aus dem Mittelmeerraum besteht, ist nicht klar.488
486 N. Nebes, in: Der Große Ploetz, Freiburg im Breisgau 342008, 117–120 und 331–333, s.v. »Arabien (Südarabien)«. 487 A. Grohmann, Göttersymbole und Symboltiere aus südarabischen Denkmälern, in: Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, philosophisch-historische Klasse 58, 1914.
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Die Zahlen werden durch spezielle Worttrenner gekennzeichnet (zwei vertikale Striche mit Zickzack dazwischen). Notwendig wurde dies, weil es keine extra Zahlzeichen gab, sondern Zahlen mit den üblichen Konsonantenzeichen geschrieben wurden. Dabei bediente man sich – mit Ausnahme der Einer (Striche) – meist einer akrophonischen Ableitung: 5 wird 〈ḫ〉 geschrieben (von ḫms1t »fünf«), 10 〈Ꜥ〉 (von Ꜥs’rt »zehn«), 100 〈m〉 (von m’t »hundert«) und 1000 〈ʾ〉 (von ’lf »tausend«). Nur bei 50 wird dieses System durchbrochen, das Zahlwort für »fünfzig« wird auf der Konsonantenebene gleich geschrieben wie das Zahlwort »fünf« (da von derselben Wurzel abgeleitet). Gelöst wurde die Zweideutigkeit durch die Schaffung einer Sonderform des Zeichens 〈m〉. Transkription.489 Die Sabäistik wird meist der Semitistik zugewiesen und hat daher auch das entsprechende Transkriptionssystem übernommen, Interdentale werden z.B. mit untergesetztem Strich (ḏ, ṯ), Emphatica mit untergesetztem Punkt (ṭ, ḳ) und Laryngale mit bestimmten Häkchen (ḫ, ’, Ꜥ) umschrieben. Es gibt drei Zeichen, für die eine ältere Transkriptionskonvention existiert und eine neuere. Der Grund hierfür ist eine Relativierung, die in der jüngeren Forschung einsetzte und mit neueren Erkenntnissen zu den proto-semitischen Sibilanten zu tun hat. Man vergleiche hierzu die folgende Tabelle mit den Lautentsprechungen zwischen Altsüdarabisch, klassischem Arabisch, Hebräisch und den modernen südarabischen Sprachen: Altsüdarabisch
Nordarabisch
Hebräisch
Neusüdarabisch
s1 (š)
s
šš
šš
s (ś)
šš
śś
laterales ś
s3 (s)
s
s
s
2
3.3.2 Altäthiopisch Abessinien ist einer der ganz wenigen Kulturräume in Afrika, der seit der Antike über eine eigene Schrift verfügt.490 Ansonsten ist dies mit Einschränkungen nur 488 Vgl. E. Littmann, Griechische Monogramme aus Syrien und aus Abessinien, in: Rivista di Studi Orientali 32 (= Scritti in onore du Giuseppe Furlani II), Rom 1957, 749–756. 489 P. Stein, Untersuchungen zur Phonologie und Morphologie des Sabäischen, Rahden 2003. 490 P. Marrassini, Ancora sulle ›origine etiopiche‹, in: S.F. Bondì et al. (Hrsg.), Studi in onore di Edda Breschiani, Pisa 1985, 303–315; R. Schneider, L’inscription en ›pseudo-sabéen‹ d’Ézana, in: Journal of Ethiopian Studies 29, 1996, 1–3; R. Schneider, Remarques sur les ins-
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noch im berberischen Sprachareal der Fall (tifinaɣ). Die äthiopische Schrift geht nach allgemeinem Dafürhalten auf die altsüdarabische Monumentalschrift zurück, die im Verlauf des ersten Jahrtausends v. Chr. übernommen wird. Ab dem 1.–2. Jhd. n. Chr. beginnt sie eine Eigenentwicklung durchzumachen, wird ab ca. 325–30 durch Hinzufügung von Vokalisationszeichen zu einer Silbenschrift umgebildet und erreichte Mitte des 6. Jhds. n. Chr. (RIE 232) die paläographische Ausprägung, die in den ›mittelalterlichen‹ Manuskripten vorherrscht und bis heute den Standard bildet (Taf. 14–20). Äthiosemitisch.491 Das Äthiopische bildet einen Zweig innerhalb der semitischen Sprachfamilie. Da es den einzigen in Afrika vorkommenden Zweig darstellt, wird dieser auch als »äthiosemitisch« bezeichnet. Diese besondere Lage des Sprachareals hat Anlass zur Spekulation über die ›Urheimat‹ der Semiten gegeben: wanderten sie aus Afrika heraus oder sekundär nach Afrika hinein? Meist werden die äthiosemitischen Sprachen als Gruppe innerhalb des Zentralsemitischen angesehen,492 doch ist die interne Gliederung des Semitischen nicht unumstritten. Lange meinte man, die Sprache der antiken Inschriften des Königreichs Aksum sei der Vorläufer des Altäthiopischen oder Gǝʿǝz.493 Es hat sich jedoch gezeigt, dass das aksumitische Äthiopisch viel eher mit dem Tigrinischen zusammenhängt, der Regionalsprache Tigrays, also der äthiopischen Hochebene. Die wichtigsten äthiosemitischen Sprachen sind: Gǝʿǝz (Altäthiopisch), Amharisch, Tigrinisch, Tǝgre, die Gurage-Sprachen und Harārī. Grundsätzlich lässt sich eine Ausbreitung der äthiosemitischen Sprachen nach Süden nachweisen. Ursprünglich handelte es sich dabei um ein zusammenhängendes Gebiet, die Oromo-Einfälle trieben jedoch einen Keil in dieses Areal. Im Hochland angesiedelt bzw. ursprünglich beheimatet sind Gǝʿǝz, Tigrinisch und Tǝgre, Tigrinisch ist praktisch die Staatssprache Eriträas und auch in der nordäthiopischen Provinz Tigray vor allem nach dem Sieg der Tigrinophonen über die Amharen 1991 die einzige Sprache, d.h. dort lernt man Amharisch als Zweitsprache. Dieses Amharische ist die Sprache der Amhara, der Region um die moderne Hauptstadt criptions sabéennes de l’Éthiopie pré-aksumite, in: J. Lentin & A. Lonnet (Hrsg.), Mélanges David Cohen, Paris 2003, 609–614. 491 S. Weninger, Ethio-Semitic in General, in: The Semitic Languages. An International Handbook, Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 36, Berlin 2011, 1114–1123; E. Ullendorff, The Semitic Languages of Ethiopia, London 1955; E. Ullendorff, The Ethiopians, Oxford, ³1973; R. Hetzron, Ethiopian Semitic: Studies in Classification, Manchester 1972. 492 F. Corriente, Introduccíon a la gramática comparada del semítico meridional, Madrid 1996. 493 G. Gragg, Geʾez (Aksum), in: R.D. Woodard (Hrsg.), The Ancient Languages of Mesopotamia, Egypt, and Aksum, Cambridge 2008, 211–237.
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Addis Ababa. Unter dem Terminus Gurage wird eine Gruppe von etwa einem Dutzend Dialekten im Südwesten von Addis Ababa zusammengefasst. Harārī ist die Sprache der Stadt Harār in Ostäthiopien. Zwei Vorgänge sind für die äthiopische Sprachgeschichte besonders prägend: die Zentralisierung der Vokale (also die Umformung von einer Quantitätenopposition zu einer Qualitätenopposition) und der Verlust der Laryngale im Süden. Besonders Letzteres ist wohl auf den Druck kuschitischer Sprachen zurückzuführen, deren Einfluss das Äthiosemitische immer schon ausgesetzt war. Er zeigt sich vor allem im Lexikon – Morphologie und Phonologie bleiben davon weitgehend unberührt. Gǝʿǝz.494 Das Altäthiopische oder ›klassische‹ Äthiopische wird nach der äthiopischen Eigenbezeichnung lǝssāna gǝʿǝz (abgeleitet von gǝʿǝz »Art, Weise, Lebensweise, Gewohnheit«) auch Gǝʿǝz genannt. Die Masse der altäthiopischen Literatur liegt in Form von Handschriften vor, wobei die ältesten Textzeugen möglicherweise in die spätaksumitische Zeit zurückreichen.495 Größere epigraphischen Zeugnisse auf Stein sind lediglich aus dem Altertum bekannt.496 Die Produktion altäthiopischer Texte fällt in zwei große Schaffensperioden: Während der Zeit des aksumitischen Reiches (4.–7. Jh. n. Chr.) und nach einem längeren Hiatus mit dem Beginn der salomonischen Dynastie um 1270 n. Chr., v.a. aber im 14.–16. Jhd. Dabei sind die aksumitische Inschriften die mehr oder weniger einzigen genuinen Textzeugnisse, die nicht durch sprachliche Interferenzen aufgrund der Übersetzungsliteratur geprägt sind. Zunächst wurde fast nur aus dem Griechischen übersetzt (Evangelien, Psalter), im 7. Jhd. war die Bibelübersetzung wohl abgeschlossen, daneben sind mehrere apokryphe Bücher und patristische Schriften belegt. Später dominieren die Übersetzungen aus dem Arabischen, v.a. Literaturwerke der koptischen Kirche (Synaxar). Wohl ab etwa 1000 n. Chr. war das Gǝʿǝz nicht mehr eine im Alltag gesprochene Sprache, blieb jedoch bis ins 19. Jh. hinein die dominierende Literatursprache im orbis aethiopicus. und ist heute noch Liturgiesprache.
494 J. Tropper, Altäthiopisch, Münster 2002, 1ff. 495 E. Littmann, Die äthiopische Literatur, in: B. Spuler (Hrsg.), Semitistik. Handbuch der Orientalistik I/3, Leiden 1954, 375–385; S. Weninger, Das Verbalsystem des Altäthiopischen, Wiesbaden 2001, 8–12; S. Weninger, Gǝʿǝz, München & Newcastle 1993. 496 E. Bernand, A.J. Drewes & R. Schneider, Recueil des Inscriptions de l’Éthiopie des Périodes Pre-Axoumite et Axoumite, Paris 1991ff.
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Amharisch.497 Die Sprache der Amharen ist eine südäthiopische Sprache und linguistisch kein direkter Nachfolger des Gǝʿǝz, sondern stammt vielmehr von einem Schwesterdialekt desselben ab. Die engsten Verwandten hat es in isolierten Sprachgruppen zwischen Harār im Osten und Zway im Süden. Amharisch war früher die offizielle Sprache Äthiopiens, heute stellt sie immer noch die allgemeine Sprache der Kommunikation dar (lingua franca). Der Grund für die Dominanz des Amharischen war die Politik der »Amharisierung« des stark expandierenden äthiopischen Kaisserreiches im 20. Jhd. vor allem unter Ḫaylä Śǝllasse I. Mit dem Aufkommen der Salomonischen Dynastie gegen Ende des 13. Jh. hatte es sich zur Sprache des Hofes und der Elite entwickelt und darin das aksumitische Äthiopisch abgelöst. Die ersten Hinweise auf Amharisches stammen aus dem 14. und 15. Jhd.: die »Royal Songs« stehen sprachlich dem sog. »Altamharischen« nahe, d.h. einem Korpus religiöser, magischer und lexikalischer Texte aus dem 17. und vor allem aus dem 18. Jhd. Die letzten 700 Jahre der Amharisierung führten dazu, dass dialektale Unterschiede (v.a. phonetisch, phonologisch und lexikalisch) zunehmend egalisiert wurden. Diese Entwicklung machte auch vor dem Altäthiopischen nicht Halt: Die Kaiserchroniken (ab Zäraʾa Yaʿǝqob) sind in amharisiertem Gǝʿǝz verfasst! Vorklassisches Äthiopisch.498 Das Gǝʿǝz lässt sich bestenfalls bis in die spätaksumitische Zeit zurück verfolgen, also in die Spätantike. Davor werden in der Äthiopistik mehrere Varietäten unterschieden. Da wäre zum einen die Sprache der aksumitischen Inschriften in äthiopischer Sprache und Schrift, die als aksumitisches Äthiopisch bezeichnet werden. Deren Vorläufer sind zwar linguistisch dem Äthiopischen zuzuweisen, die Schrift ist jedoch noch als altsüdarabisch zu klassifizieren. Diese Sprachform ist unter dem Terminus ›Äthiosabäisch‹ bekannt, die entsprechende Schriftform wird »Protoäthiopisch« genannt.499 Die ca. 150 äthiosabäischen Texte sind zeitgleich mit den 18 ›rein sabäischen‹ Inschriften aus voraksumitischer Zeit. Daneben gibt es noch eine Konvergenzform, das sog. ›Pseudo-Sabäische‹ (RIE 185 I, 185 Ibis, 186, 190–2).500 Äthiosabäisch/Protoäthiopisch. Eine Gruppe historischer Texte (RIE 1–13) nennt eine Entität namens dʿmt, die meist als politisches Gebilde begriffen wird, denn 497 D.L. Appleyard, in: S. Uhlig et al. (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica I (A–C), Wiesbaden 2003, 232–238, s.v. »Amharic«. 498 Zu diesem Themenkomplex vgl. das letzte Kapitel bei F. Breyer, Das Königreich Aksum. Geschichte und Archöologie Abessiniens in der Spätantike, Darmstadt 2012. 499 A.J. Drewes & R. Schneider, Origine et développement de l’écriture éthiopienne jusqu’à l’époche des inscriptions royales d’Axoum, in: Annales d’Éthiopie 10, 1976, 95–107. 500 A. Sima, Die »sabäische« Version von König ʿĒzānās Trilingue RIE 185 und RIE 185bis, in: Archiv für Orientforschung 50, 2003/2004, 269–284.
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die Herrscher bezeichnen sich als ygʿḏyn, d.h. als Angehörige der Agʿazi. Dies ist besonders interessant, da dieselbe Wurzel wohl in der Sprachbezeichnung Gǝʿǝz vorliegt.501 Bemerkenswert ist auch, dass möglicherweise eine Beziehung zwischen der ›protoäthiopischen‹ Schriftform und den altsüdarabischen Minuskeln vorliegt. Zwischen dem Ende des ›Reiches‹ von dʿmt und der Herausbildung des Königreiches von Aksum liegen keine Schriftquellen aus Äthiopien vor. Aksumitisches Äthiopisch.502 Die altäthiopischen Inschriften aus dem antiken Abessinien sind ein Korpus von über 200 epigraphischen Zeugnissen auf Stelen, auf Felsen, Stein, Keramik etc. Die meisten wurden im Recueil des Inscriptions de l’Éthiopie des Périodes Pre-Axoumite et Axoumite versammelt.503 Sie stammen fast alle aus Nordäthiopien (um Aksum) und Eritrea (Mäṭära, Region um ʿAddi Qäyyǝḥ, Kärän), vereinzelt aus Südarabien (Māʾrib) und Nubien (Kawa, Meroë).504 Innerhalb der aksumitischen Inschriften vollzieht sich die vollständige 501 A. Sima, in: S. Uhlig (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica I (A–C), Wiesbaden 2003, 144–145, s.v. »Agʿazi«. 502 A. Avanzini, in: S. Uhlig et al. (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica III (He–N), Wiesbaden 2007, 159–162, s.v. »Gǝʿǝz inscriptions in Ethiopia/Eritrea in antiquity«. Zu den Quellen im Einzelnen: J.Th. Bent, The Sacred City of the Ethiopian, being a Record of Travel and Research in Abyssinia in 1893. With a Chapter by Prof. D.H. Müller on the Inscriptions from Yeha and Aksum, London 1893, 231–285; A.J. Drewes, Inscriptions de l’Éthiopie antique, Leiden 1962; D.H. Müller, Epigraphische Denkmäler aus Abessinien nach Abklatschen von J. Theodore Bent, Wien 1894; L. Ricci, Iscrizioni rupestri dell’Eritrea, in: Atti del Convegno internazionale di Studi Etiopici, Rom 1960, 447–460 sowie in: Rendiconti Mor. della Accademia Nazionale dei Lincei Serie 9a, 5, 1994, 1–11 und in Rassegna di Studi Etiopici (RSE) 42, 1998 [1999], 71–88, 43, 1999, 133– 151, N.S. 1, 2002 [2003], 63–84 & N.S. 2, 2003, 51–76; L. Ricci, Appunti archeologici, in: RSE 32, 1988 [1990], 129–165; L. Ricci, Iscrizioni paleoetiopiche, in: A.S. Kaye (Hrsg.), Semitic studies in honor of Wolf Leslau on the occasion of his 85th birthday, November 14, 1991, Wiesbaden 1991, Band 1, 1291–1311. 503 E. Bernand, A.J. Drewes & R. Schneider, Recueil des Inscriptions de l’Éthiopie des Périodes Pre-Axoumite et Axoumite, Paris 1991ff. Für die dort fehlenden konsultiere man: L. Ricci, Appunti archeologici, in: Rassegna di Studi Etiopici 32, 1988 [1990], 129–165 sowie L. Ricci, Iscrizioni paleoetiopiche, in: A.S. Kaye (Hrsg.), Semitic studies in honor of Wolf Leslau on the occasion of his 85th birthday, November 14, 1991, Wiesbaden 1991, Band 1, 1291–1311 und vor allem W. Weninger, A Hundred Years of Aksumite Epigraphy since Enno Littmann, in: W. Smidt & S. Wenig (Hrsg.), Proceedings of the 2nd International Littmann Conference at Aksum (im Druck). 504 Ferner: A. Bausi, Ancient Features of Ancient Ethiopic, in: Aethiopica 8, 2005, 149–169; J. Beaucamp, F. Briquel-Chatonnet & C.J. Robin, La persécution des chrétiens de Naǧrān et la chronologie ḥimyarite, in: Aram 11–12, 1999–2000, (15–83) 38–41; W. Diem, Laryngalgesetze und Vokalismus, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 138, 1988, 236– 262; A. Dillmann, Ethiopic Grammar: Orthography and Phonology, Morphology and Syntax of the Ethiopic Language, herausgegeben von C. Bezold, übersetzt von J.A. Crichton, Amster-
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Emanzipation vom altsüdarabischen Schriftsystem, der Wechsel von der Konsonanten- zur Silbenschrift. Die erste Inschriften in aksumitischem Äthiopisch (z.B. RIE 218) sind noch unvokalisiert, trotzdem weichen sie bereits in einem Punkt deutlich von ihrem Vorbild ab: Die Leserichtung ist immer von links nach rechts. Meist wird dies auf hellenistischen Einfluss zurückgeführt.505 Der Wechsel des Schriftsystems ist in etwa 506 zeitgleich mit dem Wechsel der Religion: 507 Unter dem Herrscher ʿEzānā vollzieht Aksum die Bekehrung zum Christentum – gleichzeitig expandiert Aksum militärisch und erobert sogar das im Norden angrenzende Reich von Meroë.508 Kurz zuvor, unter seinem Vorgänger Usanas, wadam 1907, 25 mit Anm. 25; A.J. Drewes, Some Features of Epigraphical Ethiopic, in: A.S. Kaye (Hrsg.), Semitic studies in honor of Wolf Leslau on the occasion of his 85th birthday, November 14, 1991, Wiesbaden 1991, Band 1, 382–391; A.J. Drewes & R. Schneider, Origine et développement de l’écriture éthiopienne jusqu’à l’époche des inscriptions royales d’Axoum, in: Annales d’Éthiopie 10, 1976, 95–107; G. Fiaccadori, Epigraphica Aethiopica, in: Quaderni Utinensi 8, 1990 [1996], 325–341, bes. 325ff. und 338–341; G. Fiaccadori, Teofilo Indiano, Ravenna 1992, bes. xxiv mit Anm. 36 und xxvi, Abb. 4 und xxxiiif.; M.A. Knibb, Translating the Bible: the Ethiopic Version of the New Testament, Oxford 1999, 46–55 (Appendix I: Biblical Quotations in Inscriptions from the Aksumite Period); M. Kropp, Ein Gegenstand und seine Aufschrift. RIE 180 = JE 5, in: Yaqob Beyene et al. (Hrsg.), Etiopia e oltre (Fs. L. Ricci), Neapel 1994, 129–144; M. Kropp, „Glücklich wer vom Weib geboren, dessen Tage doch kurz bemessen, ...!“ Die altäthiopische Grabinschrift von Ḥam, datiert auf den 23. Dezember 873 n. Chr., in: Oriens Christianus 83, 1999, 162–175; G. Lusini, Questioni di paleografia etiopica, in: Scrittura e civiltà 23, 1999, 407–417; M. Rodinson, Les nouvelles inscriptions d’Axoum et le lieu de déportation des Bedjas, in: Raydān 4, 1981, 97–116; A. Sima. Abschied vom ›herrlichen‹ Land MṢ́ . Eine alte crux in der Trilingue des ʿĒzānā (RIÉ 185 und RIÉ 185bis), in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 93, 2003, 227–231; A. Sima, Die »sabäische« Version von König ʿĒzānās Trilingue RIE 185 und RIÉ 185bis, in: Archiv für Orientforschung 50, 2003/2004, 269–284; S. Uhlig, Eine trilinguale ʿEzana-Inschrift, in: Aethiopica 4, 2001, 7–31; E. Ullendorff, Studies in the Ethiopic Syllabary, in: Africa 21, 1951, 207–217 (wieder abgedruckt in: E. Ullendorff, Is Biblical Hebrew a Language? Studies in Semitic Language and Civilization, Wiesbaden 1977, 230–240). 505 E. Ullendorff, Studies in the Ethiopic Syllabary, in: Africa 21, 1951, (207–217) 209f. 506 Man beachte, dass die beiden epochalen Einschnitte nicht zeitgleich sind, gegen A. Avanzini, in: S. Uhlig et al. (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica III, (He–N), Wiesbaden 2007, 159– 162, s.v. »Gǝʿǝz inscriptions in Ethiopia/Eritrea in antiquity«, die schreibt: »There is no doubt that the introduction of Christianity around the mid–4th century under Ezana coincided with the farthest-reaching reform of Ethiopic ortography, i.e. the introduction of vowels by means of regular modification of the signs in use for consonant writing (e.g. in RIE 189).« 507 F. Breyer, Die Inschriften ‛Ēzānās, in: S. Wenig (Hrsg.), In Kaiserlichem Auftrag. Die Deutsche Aksum Expedition unter Enno Littmann. Band 2. Forschungen zur Archäologie Außereuropäischer Kulturen 3.2., Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen, Deutsches Archäologisches Institut, Wiesbaden 2011, 339–352. 508 F. Breyer, Die Nennung Meroës in den Inschriften ‛Ēzānās von Aksum, in: A. Lohwasser & F. Feder (Hrsg.), Ägypten und sein Umfeld in der Spätantike. Vom Regierungsantritt Diokletians 284/285 bis zur arabischen Eroberung des Vorderen Orients um 635–646. Akten der Tagung vom
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ren die ersten vokalisierten Inschriften auf Münzen aufgetreten.509 Außergewöhnlich sind die beiden bislang gefundenen Stelen mit Inschriften in drei Sprachen bzw. Schriften (äthiopisch, pseudo-sabäisch, griechisch). Nicht alle Forscher betrachten die allgemein als ›Trilinguen‹ bezeichneten Texte als dreisprachig: Avanzini spricht sich explizit dafür aus, in ihnen ›Bilinguen‹ zu sehen (eine griechische und zwei äthiopische Versionen [RIE 185 & 270, 185bis & 270bis] in zwei Schriftformen).510 Wahrscheinlich dürfte es der Terminus ›Trigraphis‹ am besten fassen. Woher der Impetus zur Vokalisation kam, ist unklar. Manche führen ihn auf griechischen Einfluss zurück – es handle sich bei den Vokalisationszeichen um verkürzte Formen der griechischen Vokalzeichen.511 Andere halten es für keinen Zufall, dass der Wechsel zur Silbenschrift ausgerechnet zu dem Zeitpunkt kam, da Meroë erobert worden war, wo man seit langem eine Silbenschrift verwendete.512 Die Schriftreform hatte jedenfalls Bestand, wenn auch nicht ohne Rückschläge. Wie die partiell vokalisierten Inschriften RIE 193, 194 zeigen, bestand noch längere Zeit eine gewisse Unsicherheit.513 Es sollte bis in die erste Hälfte des sechsten Jahrhunderts dauern (RIE 195, Kalebs Inschrift aus Māʾrib), bis die äthiopische Schrift ihre definitive Form erreicht hatte, die Form, in welcher sie uns heute noch erscheint. Die Inschriften König Kalebs (neben RIE 195 bes. 191), der Südarabien eroberte, markieren auch in anderer Hinsicht eine Kehrtwende; wie bei wenigen anderen (RIE 192, 250) beginnt sich nämlich durch das Einstreuen von Bibelzitaten bereits die Dominanz der
7.–9.7.2011 in Münster, Philippika 61, Wiesbaden 2013, 291–310. 509 F. Breyer, Das Wort für »König« im aksumitischen Altäthiopisch. Spurensuche in einem gesprochen- und geschriebensprachlich multilingualen Areal, in: Polnische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Folia Orientalia 49, 2012, Festschrift für Andrzej Zaborski, 87–99; W. Hahn, Die Vokalisierung axumitischer Münzaufschriften als Datierungselement, in: Litterae Numismaticae Vindobonensis 3, 1987, 217–224. 510 A. Avanzini, in: S. Uhlig et al. (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica III, (He–N), Wiesbaden 2007, (159–162) 160. 511 A. Dillmann, Ethiopic Grammar: Orthography and Phonology, Morphology and Syntax of the Ethiopic Language, herausgegeben von C. Bezold, übersetzt von J.A. Crichton, Amsterdam 1907, 25, Anm. 2. 512 F. Breyer, Die Nennung Meroës in den Inschriften ‛Ēzānās von Aksum, in: A. Lohwasser & F. Feder (Hrsg.), Ägypten sein Umfeld in der Spätantike. Vom Regierungsantritt Diokletians 284/285 bis zur arabischen Eroberung des Vorderen Orients um 635–646. Akten der Tagung vom 7.–9. 7. 2011 in Münster, Philippika 61, Wiesbaden 2013, 291–310. 513 Die beste Studie zu diesem Thema ist nach wie vor A.J. Drewes & R. Schneider, Origine et développement de l’écriture éthiopienne jusqu’à l’époche des inscriptions royales d’Axoum, in: Annales d’Éthiopie 10, 1976, 95–107. Gleichwohl gilt es zu bedenken, dass die Philologie bisher mit sehr wenigen Ausnahmen, die Erkenntnisse der Numismatik vollständig unberücksichtigt gelassen hat.
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Übersetzungsliteratur abzuzeichnen.514 Unter den antiken Inschriften Abesssiniens in aksumitischem Äthiopisch befinden sich jedoch nicht nur Königsinschriften, sondern auch weitere Gedenk- (RIE 202) oder Weihinschriften (RIE 198) in Monumentalschrift. Eine große Menge an Graffiti vor allem aus der Gegend von Toḵondaʿ und Qoḥaito überliefern das lokale Onomastikon. Sie sind häufig als Monogramme gestaltet, eine in Altsüdarabien weit verbreitetes Schriftspiel. Dort wurden sogar Monogramm-Graffiti in aksumitischem Äthiopisch gefunden, genauer gesagt in Yarīm.515 Überhaupt ist es charakteristisch für die ältere Überlieferung des Äthiopischen, dass die epigraphischen Zeugnisse oft außerhalb Abessiniens gefunden wurden.516 Dies hat damit zu tun, dass besonders in vorislamischer Zeit das Horn von Afrika und Südarabien einen gemeinsamen Kulturraum bildeten. Die beiden Fragmente einer Alabasterstele (RIE 195, i–ii)517 aus dem Jahr 525 König Kalebs aus Māʾrib wurden bereits erwähnt. Sie berichten über Christenverfolgung in Māʾrib (Marǝb ማርብ) und Haǧarayn (Hagäräyne ሀገረይኔ) im Ḥaḍramawt (RIE 195, ii:10–16) und liefern mit ihren Bibelzitaten ein wichtiges Argu-
514 W.W. Müller, Zwei weitere Bruchstücke der äthiopischen Inschrift aus Mārib, in: Neuere Ephemeris für semitische Epigraphik 1, 1972, 59–74; M.A. Knibb, Translating the Bible: the Ethiopic Version of the New Testament, Oxford 1999, 46–55 (Appendix I: Biblical Quotations in Inscriptions from the Aksumite Period); J. Beaucamp, F. Briquel-Chatonnet & C.J. Robin, La persécution des chrétiens de Naǧrān et la chronologie ḥimyarite, in: Aram 11–12, 1999–2000, (15–83), 39 und Anm. 98. 515 A. Grohmann, Zur Archäologie Südarabiens, in: D. Nielsen (Hrsg.), Handbuch der altarabischen Altertumskunde I, Kopenhagen 1927, 148 mit Abb. 38; vgl. G. Fiaccadori, Teofilo Indiano, Ravenna 1992, xxiv und Anm. 36 sowie xxvi, Abb. 4. 516 S. A. Frantsouzoff, in: S. Uhlig et al. (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica III (He–N), Wiesbaden 2007, 162–163, s.v. »Gǝʿǝz inscriptions in South Arabia«. Vgl. auch: J. Pirenne & Gigar Tesfaye, Les deux inscriptions du négus Kaleb en Arabie du Sud, in: Journal of Ethiopic Studies 15, 1982, 105–124; A. Grohmann, Zur Archäologie Südarabiens, in: D. Nielsen (Hrsg.), Handbuch der altarabischen Altertumskunde I, Kopenhagen 1927, 148 mit Abb. 38, vgl. G. Fiaccadori, Teofilo Indiano, Ravenna 1992, xxiv und Anm. 36 sowie xxvi, Abb. 4; G. Igonetti, Un frammento di iscrizione etiopica da Ẓafār (Yemen), in: Annali dell’Istituto Universitario Orientale 33, 1973, 70–80; W.W. Müller, Zwei weitere Bruchstücke der äthiopischen Inschrift aus Mārib, in: Neuere Ephemeris für semitische Epigraphik 1, 1972, 59–74; J. Beaucamp, F. Briquel–Chatonnet & C.J. Robin, La persécution des chrétiens de Naǧrān et la chronologie ḥimyarite, in: Aram 11–12, 1999–2000, (15–83) 39ff.; G. Fiaccadori, Teofilo Indiano, Ravenna 1992, bes. xxiv mit Anm. 36 und xxvi, Abb. 4 und xxxiiif.; R. Schneider, Trois nouvelles inscriptions royales d’Axoum, in: IV Congresso Internationale di Studi Etiopici, Rom 1974, Band I, 767–786. ; S. Uhlig, Äthiopische Paläographie, Äthiopistische Forschungen 22, Stuttgart 1988, 47 & 80; B. Voigt, Yémen, au pays de la reine de Sabaʾ, Paris 1997, 190. 517 J. Pirenne & Gigar Tesfaye, Les deux inscriptions du négus Kaleb en Arabie du Sud, in: Journal of Ethiopic Studies 15, 1982, 105–124.
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ment für die Existenz einer aksumitischen Bibelübersetzung im 6. Jhd. 518 Zwei weitere Inschriften aus derselben Zeit wurden in der himyaridischen Hauptstadt Ẓafār gefunden (RIE 263–4). Aufgrund ihres vergleichsweise schlechten Erhaltungszustandes sind sie erst jüngst in den Fokus der Forschung geraten.519 Zur südarabischen Nebenüberlieferung des aksumitischen Äthiopisch gehören auch zwei fragmentarische Texte, die im Kunsthandel auftauchten, deren Verbleib heute jedoch unbekannt ist (RIE 265–66). Spätaksumitische Inschriften.520 Aus der Zeit zwischen dem Ende des 6. Jhds. und der Mitte des 12. Jhds. sind nur wenige Textquellen erhalten, die zudem schwer zu datieren sind. Der Grund hierfür dürfte in der schwierigen politischen und kulturellen Lage zu suchen sein, in der sich Äthiopien währen der Ausbreitung des Islam befand. Bis zum Ende des Reiches von Aksum sind es eigentlich nur eine Handvoll Inschriften: Die Aufschrift auf einer Alabasterlampe aus Südarabien (RIE 265), eine Inschrift, die auf dem Sinai gefunden wurde und von einem äthiopischen Pilger stammt, der ins Heilige Land unterwegs war, 521 die zwei (oder sind es drei?) Inschriften des ḥaṣ́ ani Danǝʾel vom Ende des 10. Jhd. (RIE 193, 194) sowie das Grabepitaph aus Ham (Eritrea) (RIE 232). Letzteres datiert nach Fiaccadori ins 10.–11. Jhd.522, was jedoch nicht von allen anerkannt wird.523 Hier verstärkt sich die bereits zuvor sichtbare Tendenz, dass Vorkommen außergewöhnlich vieler Bibelzitate.524 In diesem Sinne ist besonders die Ham-Inschrift bereits ein Vorgänger der späteren äthiopischen Epigraphiktradition. Nachaksumitische Inschriften.525 Die Periode zwischen dem 10. und 11. Jhd. nach dem Zusammenbruch des aksumitischen Reiches wird gerne unter dem (in jegli518 Psalm 19:8–9 = RIE 195, ii.:26–28; Psalm 65:16–17 = RIE 195, ii:21–23; Psalm 67:2 = RIE 195, i:20–21; Mathäus 6:23 = RIE 195, ii:20–21; Jesaia–Bezug in RIE 195, ii:29. 519 W.W. Müller bereitet zur Zeit eine umfassende Edition vor (persönliche Mitteilung). 520 G. Fiaccadori, in: S. Uhlig et al. (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica III (He–N), Wiesbaden 2007, 163–165, »Gǝʿǝz inscriptions in Ethiopia/Eritrea in medieval and moden times«. 521 G. Fiaccadori, Teofilo Indiano, Ravenna 1992, xxxiiif. 522 G. Fiaccadori, Epigraphica Aethiopica, in: Quaderni Utinensi 8, 1990 [1996], 325–341, bes. 325ff. und 338–341. 523 M. Kropp, »Glücklich wer vom Weib geboren, dessen Tage doch kurz bemessen, ...!« Die altäthiopische Grabinschrift von Ḥam, datiert auf den 23. Dezember 873 n. Chr., in: Oriens Christianus 83, 1999, 162–175. 524 M.A. Knibb, Translating the Bible: the Ethiopic Version of the New Testament, Oxford 1999, 46–55 (Appendix I: Biblical Quotations in Inscriptions from the Aksumite Period); J. Beaucamp, F. Briquel-Chatonnet & C.J. Robin, La persécution des chrétiens de Naǧrān et la chronologie ḥimyarite, in: Aram 11–12, 1999–2000, (15–83) 39 und Anm. 98.
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chem Kontext unpassenden) Schlagwort ›dark ages‹ verbucht. Bezeichnenderweise stammt die erste datierte Inschrift aus dem äthiopischen ›Mittelalter‹ wie so oft nicht aus Abessinien, sondern aus dem Fayyūm in Ägypten, aus Suhāǧ. Es handelt sich um eine Inschrift in Farbe aus einer Kapelle des Klosters Dayr al-Abyaḍ, die von einem Pilger ins Heilige Land stammt. Datiert ist sie entweder auf den 2. Juni 1038 oder 1114. In und um Lalibäla wurden mehrere Holzinschriften gefunden, die in die Zeit des gleichnamigen Königs oder kurz danach datieren. Die vielen Bibelstellen zeigen, wie sich in der Zagwe-Dynastie die Kontakte mit Ägypten wieder verstärken. Eine Weihinschrift des Köngis Yǝkunno Amlag aus der Felskirche Gännätä Maryam nahe Lalibäla spiegelt ferner die (Re)etablierung der salomonischen Dynastie 1270 wider. Gemalte Inschriften werden im 13. Jh. häufiger und verbreiten sich über ganz Äthiopien, um dann die praktisch einzige Ausprägung epi525 G. Fiaccadori, in: S. Uhlig et al. (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica III (He–N), Wiesbaden 2007, 163–165, s.v. »Gǝʿǝz inscriptions in Ethiopia/Eritrea in medieval and moden times«. Vgl. auch: F. Anfray, Les monuments des xviie et xviiie siècles. Une vue d’ensemble, in: Tadesse Beyene (Hrsg.), Proceedings of the Eighth International Conference of Ethiopian Studies, 1984, (9–45) 20f., 43, Taf. xivc; E. Balicka-Witakowska, The Wall-Paintings in the Church of Mädhane Aläma near Lalibäla, in: Africana Bulletin 52, 2004, (9–29) 28 und Anm. 103f., Abb. 37f.; W. de Bock, Matériaux pour servir à l’archéologie de l’Égypte chrétienne, St. Petersburg 1901, 54, Abb. 65; M.E. Heldman & Getatchew Haile, Who is Who in Ethiopia’s Past, Part III: Founders of Ethiopia’s Solmonic Dynasty, Northeast African Studies 9, 1989, 1–11; S. Strelcyn, Quelques inscriptions éthiopiennes sur des ›mänabǝrt‹ des églises de Lalibäla et de sa région, in: Bibliotheca Orientalia 36, 1979, 137–156; Gigar Tesfaye & J. Pirenne, Inscriptions sur bois de trois églises de Lailibala, in: Journal of Ethiopian Studies 17, 1984, 107–126; DAE III, 50f., 103, Taf. 3, 10 und Abb. 149, 295, 298f.; J. Mercier, Peinture du xiiie siècle dans une église de l’Angot (Éthiopie), in: Annales d’Éthiopie 18, 2002, (143–149) 143ff.; J. Mercier, Les miroirs des anges, ou l’invention du SMS dans la peinture éthiopienne, in: Annales d’Éthiopie 21, 2005, 139– 153; C. Lepage & J. Mercier, Art Éthiopien. Les églises historiques du Tigray, Paris 2005, 140– 146, 170–180, 193 mit Abb.; J. M. Hanssens & A. Raes, Une collection de tâbots aux Musée Chrétien de la Bibliothèque Vaticane, in: Orientalia Christiana Periodica 17, 1951, 435–445; F. Gallina, Iscrizioni etiopiche ed arabe du S. Stefano die Mori, Archivio della R. Società Romana di Storia Patria 11, 1888, 281–295; M. Cheîne, Un monastère éthiopien à Rome au xv e et xvie siècle, in: Mélange de la Faculté Orientale 5, 1911, (1–36) 26–36 (»inscriptions funéraires«); S. Tedeschi, Una storica croce processionale etiopica conservata in Italia, in: Africa (Rom) 46, 1991, 146–163; L. Ricci (Hrsg.), Pittura etiopica tradizionale, Rom 1989; O. Raineri, Santi guerrieri a cavallo. Tele etiopiche, Clusone (BG) 1996, 140f. Weitere wichtige Literatur: C. Conti Rossini, Aethiopica, in: Rivista degli Studi Orientali 9, 1923, 365–381 und 449–468, bes. 561f. [20. Iscrizione etiopica a Deyr el-Abyaḍ]; M. Chaîne, La chronologie des temps chrétiens de l’Égypte et de l’Éthiopie, Paris 1925, 191f.; M di Salvo, Croci d’Etiopia. Il segno della fede: evoluzione e forma, Ginevra & Mailand 2006, 76 und Anm. 30, Abb. 31; S. Euringer, Das Epitaphium des Tesfa Sejon (Petrus Aethiops) und seine Chronologie, in: Oriens Christianus 23, 1926, 49–66; G. Fiaccadori, Teofilo Indiano, Ravenna 1992, xxxiii.
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graphischen Materials zu werden. Daneben gab es natürlich immer auch Inschriften auf Keramik und Gegenständen wie Prozessionskreuzen, Kelchen etc. Sowohl in den gemalten Inschriften als auch in den Epigrammen besteht eine bis heute ungebrochene Kontinutität der epigraphischen Praxis. Dabei ist der Gebrauch des Altäthiopischen immer noch vorherrschend, Amharisch oder Tigrinisch werden selten gebraucht und wenn, dann nur für Titel und Legenden/ Beischriften. Eine Sonderstellung innerhalb der nachaksumitisch-altäthiopischen Inschriften nehmen die Grabsteine aus dem Kloster Santo Stefano dei Mori in Rom ein. Sie wurden zwischen dem 16. und 19. Jhd. gefertigt und sind zwar in Gǝʿǝz geschrieben, jedoch in puncto Aussehen und Layout deutlich lateinisch-italienisch geprägt. Das berühmteste dieser Schriftdenkmäler ist das zweisprachige Epitaph von Täsfa Ṣǝyon in Äthiopisch und Lateinisch.526 Sprache der antiken Inschriften.527 Sprachlich sind die antiken Texte viel weniger homogen, als man lange dachte. Sie sind nämlich nicht in einer standardisierten Schriftsprache verfaßt, sondern in verschiedenen Varietäten des Gǝʿǝz und auch anderer Dialekte. Die aksumitischen Inschriften sind daher nicht nur historisch und religionswissenschaftlich von großem Interesse, sondern auch sprachhistorisch, denn sie erlauben einen Einblick in die Entwicklung des Altäthiopischen und eine Verortung desselben innerhalb der äthiosemitischen Sprachen. Leider sind diese Aspekte bislang nur sehr wenig erforscht worden; und so lassen sich nur wenige Charakteristika aufzeigen. Auffällig ist vor allem, dass in den frühen Inschriften die Laryngale und Sibilanten noch mehr oder weniger klar getrennt werden (〈ʾ/ʿ, h/ḥ/ḫ, s/ś, ṣ/ṣ́〉) – postaksumitisch werden sie innerhalb bestimmter Lautgruppen zunehmend promiscue geschrieben. In we-
526 F. Gallina, Iscrizioni etiopici ed arabe di S. Stefano die Mori, in: Archivio dell R. Società Romana di Storia Patria 11, 1988, 281–295; M. Chaîne, Un monastère éthiopien à Rome au xv e et xvie siècle, in: Mélange de la Faculté Orientale 5, 1911, 1–36, bes. 26ff.; S. Euringer, Das Epitaphium des Tesfa Sejon (Petrus Aethiops) und seine Chronologie, in: Oriens Christianus 23, 1926, 49–66. 527 W.W. Müller, in: S. Uhlig & A. Bausi (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica IV, Wiesbaden 2010, 156–158, s.v. »Sabaic inscriptions in Ethiopia and Eritrea«. 528 Vgl. DAE IV, 76–82; W. Diem, Laryngalgesetze und Vokalismus, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 138, 1988, 236–262; A.J. Drewes, Some Features of Epigraphical Ethiopic, in: A.S. Kaye (Hrsg.), Semitic studies in honor of Wolf Leslau on the occasion of his 85th birthday, November 14, 1991, Wiesbaden 1991, Band 1, 382–391; A. Bausi, Ancient
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tionen eine archaische Endung 〈-e〉 belegt (klassisch lautet sie 〈-ä〉): 〈mǝslǝ〉 »mit« in RIE 188:16, aber 〈mǝsla〉 in RIE 187:34). Schriftformen. Aufgrund der gegenüber dem Altsüdarabischen anderen Schriftrichtung (von links nach rechts) und der vor allem in der späteren Manuskripttradition vorherrschenden Ausführung mit Tusche machen die äthiopischen Schriftzeichen eine sehr markante Entwicklung durch, die von den Tendenzen des altsüdarabischen Vorbildes signifikant abweicht. Zunächst wird die altsüdarabische Konsonantenschrift verwendet, dann werden einige Zeichen um 90° gedreht und deutlich gerundet. Die äthiopische Schrift weist einige Zeichen weniger auf als die altsüdarabische, wobei jedoch in Rechnung gestellt werden muss, dass wir mit ›altsüdarabisch‹ fast nur das Sabäische vor Augen haben. Da die Reduktion der Zeichen mit dem anderen phonologischen System der äthiosemitischen Sprachen zusammenhängt, müssen auch die anderen altsüdarabischen Schriftsprachen strenger als bisher voneinander unterschieden werden. Es hat sich nämlich gezeigt, dass das Sabäische zwar die prestigeträchtigste Schriftsprache der Region war, die anderen Idiome jedoch teilweise eine deutliche Nähe zum Äthiosemitischen aufweisen. So besitzt das Ḥaḍramitische ein stärker reduziertes Lautsystem und erhält zwar etymologisches /ḍ/, trennt jedoch ähnlich dem Äthiopischen nicht zwischen /ẓ/ und /ṣ/.529 Streng genommen müsste man also bereits zwischen einer sabäischen, ḥaḍramitischen etc. Orthographie oder gar Schrift trennen. Im Vergleich zu einer solchen ›ḥaḍramitischen‹ Schrift wäre dann die äthiopische gar nicht so reduziert. Sie weist nicht nur einige Zeichen weniger auf, sondern auch zwei mehr: die Zeichen für ein emphatisches und ein orales p. Ab dem 3. Jhd. wird die äthiopische Konsonantenschrift vokalisiert, d.h. zu einer Silbenschrift umgebildet. Aus den 30 Grundzeichen (26 mit sieben Vokalisationsformen, vier mit je fünf Varianten [w +Vokal]) entsteht so ein Raster von 202 Silbenzeichen. Die Zahlzeichen sind mit Modifikationen aus dem Griechischen entlehnt; als Worttrenner dient zunächst ein Strich wie im Altsüdarabischen, später ein Doppelpunkt wie im Meroitischen. Erst in der Neuzeit wird die Schrift zur Darstellung des Amharischen zusätzlich durch Diakritika modifiziert, vor allem zur Darstellung nasalierter Konsonanten. Grundsätzlich gibt es keine Kurrentschrift, selbst die modernen Schrifttypen für den PC orientieren sich an dem Stil, der mit einer Feder geschrieben wurde und sich etwa im 6. Jhd. n. Chr. verfestigte. Um die paläographischen Feinheiten der Features of Ancient Ethiopic, in: Aethiopica 8, 2005, 149–169. 529 P. Stein, Ancient South Arabian, in: M.P. Streck &S. Weninger et al. (Hrsg.), Semitic Languages: An International Handbook on their Structure, their History, and their Investigation, Handbuch der Sprach- und Kommunikationswissenschaft, Berlin & New York 2011, 1043–1073.
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›mittelalterlichen‹ äthiopischen Manuskripte zu durchdringen,530 ist es ferner wichtig zu wissen, dass es bis heute eine festgelegte Reihenfolge gibt, wie man die Zeichen schreibt, und dass diese teilweise stark von dem abweicht, was man als Nicht-Kundiger tun würde, sollte ere die Zeichen nachahmen oder kopieren.
530 S. Uhlig, Äthiopische Paläographie, Äthiopistische Forschungen 22, Stuttgart 1988.
4 Schriftadaption im antiken Nordostafrika Nachdem nun die Schriftsprachen des zu behandelnden Areals ausführlich vorgestellt wurden, soll im Folgenden beschrieben werden, wie die Schriftadaptionen im antiken Nordostafrika im Einzelnen vor sich gingen. Dabei soll nachgezeichnet werden, wie es von Schreibungen einzelner Wörter in der fremden Schrift zur Darstellung ganzer Texte kommt. Interferenzen im bilingualen bzw. biskripturalen Milieu spielen dabei eine herausragende Rolle, daher wird auf diese besonders fokussiert. Um den Adaptionsprozess deutlicher herausarbeiten zu können, werden die spätesten Texte in der einen Schriftsprache und die frühesten Texte der neuen besonders beleuchtet und zwar vor allem hinsichtlich ihrer funktionalen Domänen. Ebenfalls berücksichtigt werden hierbei Aspekte wie Fremdsprachenunterricht, Schreibmaterialien oder die Frage, warum und durch wen es zum Schriftwechsel kam. Schließlich ist jeweils zu fragen, was sich an der Schrift nach der Adaption änderte, also was die neue Schriftform auszeichnet. Zunächst werden die ›Fortschriftungen‹ im Niltal behandelt, um danach diejenigen am Horn von Afrika zu betrachten.
4.1 Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift Der Ursprung der numidischen bzw. libysch-berberischen Schrift ist sehr umstritten. Die bisherigen Hypothesen lassen sich in vier Gruppen teilen: ① Der Numiderkönig Massinissa als Schrifterfinder; ② Derivations-Theorien: Entwicklung aus einer anderen semitischen Schrift; ③ Autochthone Entwicklung und ④ Konvergenz-Theorien. Die erste Theorie geht davon aus, dass der numidische König Massinissa für die Einführung der Schrift verantwortlich sei.1 Hintergrund dieser These ist die Beobachtung, dass die numidische Schrift erst in seiner Zeit sicher nachgewiesen ist, unter Massinissa der erste wirklich bedeutsame Schritt hin zu einem numidischen Staat gemacht wird und ältere Inschriften der Numider offiziell die punische Schrift verwendeten, v.a. auf Münzen. Camps hat sich zurecht gegen eine solche doch recht altmodische Theorie vom ›Schrifterfinder‹ ausgesprochen, für die es keine stichhaltigen Hinweise gibt.2
1 S. Gsell, Histoire ancienne de l’Afrique du Nord 5–6, Paris 1928, 107f.; O. Meltzer & U. Kahrstedt, Geschichte der Karthager, Berlin 1879–1913, 493; J. Carcopino, Compte rendu de »S. Gsell, Histoire ancienne de l’Afrique du Nord 5–6, Paris 1928«, in: Revue historique 159, 1928, 154–161; C.–A. Julien, Histoire de l’Afrique du Nord, Paris 1978, 60. https://doi.org/10.1515/9783110680867-004
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Die Derivations-Thesen erfreuten sich sehr lange großer Beliebtheit. 3 Dabei standen immer semitische Schriftsysteme im Vordergrund, d.h. die entsprechenden Thesen wurden zumeist von Semitisten und Orientalisten vorgebracht (Littmann, Friedrich, Rössler).4 Ihnen dürfte die Denkweise zugrunde liegen, dass den Berbern nicht zuzutrauen ist, selbständig eine eigene Schrift entwickelt zu haben. Es schien daher nur logisch, nach Vorbildern zu suchen, also durch Schriftzeichenvergleiche eine Abhängigkeit von anderen Schriftformen zu ›beweisen‹. Dabei ergaben sich mehrere Schwerpunkte. Einige sahen die meisten Parallelen zur altsüdarabischen Schrift,5 andere zu altnordarabischen Schriften (thamudische, safaitische oder lihyanische Inschriften). 6 Vor Bekanntwerden dieser Schriften war die phönizisch-punische Schrift der aussichtsreichste Kandidat, vor allem, da sie in Nordafrika zahlreiche Zeugnisse hinter-
2 G. Camps, in: Encyclopédie Berbère 17, Aix-en-Provence 1996, 2564–2573, s.v. »Écriture libyque«, bes. 2570. 3 E. Littmann, L’origine de l’alphabet libyque, in: Journal Asiatique 4, 1904, 423–440 (abgeleitet vom Altsüdarabischen); M. Cohen, La grande invention de l’écriture et son évolution, Paris 1958, I, 132f. und III., 39f.; J. Friedrich, Entzifferung verschollener Schriften und Sprachen, Berlin, Göttingen & Heidelberg 1954, Die Entzifferung der numidischen Schrift 97–102; O. Rössler, Die Sprache Numidiens, in: Sybaris. Festschrift Hans Krahe zum 60. Geburtstag am 7. Februar 1958, Wiesbaden 1958, (95–120), 99, Anm. 7 (folgt Littmann); O. Rössler, Libyen von der Cyrenaika bis zur Mauretania Tingitana, Die Sprachen im Römischen Reich der Kaiserzeit, Beihefte der Bonner Jahrbücher 40, Köln/Bonn 1980, 91; O. Rössler, Gesammelte Schriften zur Semitohamitistik, herausgegeben von Thomas Schneider unter Mitarbeit von Oskar Kaelin, Alter Orient und Altes Testament 287, Münster 2001, v.a. S. 397 und 653; H. G. Mukarovsky, Zur Herkunft der Tifinagh-Schrift, in: F. Trost (Hrsg.), Die Felsbilder des zentralen Ahaggar (Algerische Studien), Graz 1981, 36–38; M. O’Connor, The Berber Scripts, in: P.T. Daniels & B. Wright (Hrsg.), The World’s Writing Systems, New York & Oxford 1996, 112–116; A. Muzzolini, Au sujet de l’origine de l’écriture libyque, in: Lettre de l’Association des Amis de l’Art Rupestre Saharien (Saint-Liziers) 19, 2001, 23–26; B. Kienast, Historische Semitische Sprachwissenschaft, Wiesbaden 2001, 524–528 (folgt Rössler/Littmann). 4 Zuletzt A. MUZZOLINI, Au sujet de l’origine de l’écriture libyque, in: Lettre de l’Association des Amis de l’Art Rupestre Saharien (Saint-Liziers) 19, 2001, 23–26; B. KIENAST, Historische Semitische Sprachwissenschaft, Wiesbaden 2001, Teil II.B.2. Libysche Schrift, 524–528. 5 O. Blau, Über das numidische Alphabet, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 5, 1851, 330–364; A.C. Judas, Sur l’écriture et la langue berbère dans l’Antiquité de nos jours, Paris 1863. 6 P. Berger, Histoire de l’écriture dans l’Antiquité, Paris 1891, 324–332; E. Littmann, L’origine de l’alphabet libyque, in: Journal Asiatique 4, 1904, 423–440; O. Rössler, Gesammelte Schriften zur Semitohamitistik, herausgegeben von Thomas Schneider unter Mitarbeit von Oskar Kaelin, Alter Orient und Altes Testament 287, Münster 2001, v.a. S. 397 und 653; H. G. Mukarovsky, Zur Herkunft der Tifinagh-Schrift, in: F. Trost (Hrsg.), Die Felsbilder des zentralen Ahaggar (Algerische Studien), Graz 1981, 36–38.
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 165
lassen hat. 7 Die arabischen Schriften sind als Vorbilder deshalb umstritten, da nicht ersichtlich ist, auf welchem Wege die Beeinflussung Numidiens stattgefunden haben soll. Daher hat es auch nicht an Versuchen gefehlt, Schriften des Mittelmeerraumes als tertium comparationis in Anspruch zu nehmen, d.h. solche der Ägäis8 bzw. die antiken Schriften der iberischen Halbinsel.9 Als Kuriosum sollte nicht unerwähnt bleiben, dass man sogar an die Keilschrift10 oder die altägyptischen Hieroglyphen11 als Parallele gedacht hat. Was spricht nun für die arabischen, was für die phönizische Schrift? Enno Littmann hat sich mit den Zeichen im Einzelnen auseinander gesetzt und meint, die Ähnlichkeit vieler numidischer Schriftzeichen mit nordarabischen Zeichen sei zu groß, um zufällig zu sein.12 Sein Schüler Otto Rössler fügte dem hinzu, für eine Verbindung spräche das »völlig gleichartige Aussehen der ›Felsinschriften‹ in den Wüsten Nordarabiens und in der Sahara, ebenso wie die Tatsache der Schriftverwendung hauptsächlich für ›Felsinschriften‹ sowohl im Westen wie im Osten!«.13 Die monumentale Verwendung in Thugga sei eine Imitation der Punier. Für eine Verbindung zu den altnordarabischen Schriften spreche auch die völlig freie Schriftrichtung. Ob dies jedoch ausreicht, um eine Verbindung zu postulieren, erscheint fraglich. Die Buchstabenvergleiche sind letzlich sehr subjektiv und dass man zwei Schriften hauptsächlich zum Verfassen von Felsinschriften gebraucht legt keinen zwingenden Schluss nahe. Wie soll man sich einen direkten Kontakt zwischen den Numidern und Altnord- bzw. Altsüdarabern vorstellen? Natürlich waren sie alle an einer Form von Karawa-
7 M. Lidzbarski, Eine Punisch-Altberberische Bilinguis aus dem Tempel des Massinissa, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften (Wien) 15, 1913, 296–304; G. Champs, in: Encyclopédie Berbère 17, Aix-en-Provence 1996, (2564–2573) 2570, s.v. »Écriture libyque«. 8 A.J. Evans, Further discoveries of Cretan and Aegean script: with Libyan and Proto-egyptian comparisons, in: Journal of Hellenistic Studies 17, 1897, 327–395; R. Dussaud, L’origine égéenne des alphabets sémitiques, in: Journal Asiatique 10è série, 5, 1905, (357–361) 358–360; D.J. Wölfel, Eine Felsgravierung eines neolithisch-bronzezeitlichen Schiffstypus und anderes aus der Archäologie der Kanarischen Inseln, in: Veröffentlichung des Instituts für Orientforschung 26 (Fs Westermann), 1955, 181–197. 9 E. Zyhlarz, Die »unbekannte« Schrift des antiken Südspanien, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 87, 1933–34, 50–67; G. Champs, in: Encyclopédie Berbère 17, Aix-en-Provence 1996, 2564–2573. s.v. »Écriture libyque«. 10 E. Ettisch, Die babylonische Keilschrift und die numidischen Grabinschriften, in: Revue d’Assyriologie et d’Archéologie Orientale 56, 1962, 133–146. 11 F. de Saulcy, Observation sur l’alphabet tifinag, in: Journal Asiatique 4, 1849, 247–264. 12 E. Littmann, L’origine de l’alphabet libyque, in: Journal Asiatique 4, 1904, 423–440. 13 O. Rössler, Gesammelte Schriften zur Semitohamitistik, herausgegeben von Thomas Schneider unter Mitarbeit von Oskar Kaelin, Alter Orient und Altes Testament 287, Münster 2001, 655.
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nenhandel beteiligt, jedoch in verschiedenen Teilen der Welt: Nordafrika und die arabische Halbinsel. Das ganz große Problem ist jedoch m.E., dass die altägyptische Schriftkultur zwischen beiden Zonen stand. Nun sind zwar durchaus altsüdarabische Schriftzeugnisse in Ägypten zu Tage gekommen, jedoch sind diese viel zu punktuell, um signifikant zu sein.14 In Nordafrika wurde meines Wissens bislang noch keine einzige altnordarabische oder altsüdarabische Inschrift entdeckt. Die Berber standen Jahrtausende lang mit dem pharaonischen Ägypten in intensivem Kontakt, sie beherrschten sogar eine Zeitlang das Niltal in Form der ›libyschen‹ Dynastie, die hunderte von Inschriften in ägyptischen Hieroglyphen hinterlassen hat. Wenn sie das Bedürfnis verspürt haben sollten, eine eigene Schrift zu haben, warum wandelten sie die Hieroglyphen dann nicht ab, wie dies in Nubien geschah? Doch selbst, wenn sie aus irgendwelchen Gründen die ägyptische Schrift nicht verwenden wollten, warum sollten sie ausgerechnet eine altarabische Schrift übernehmen? Weder zu den Altnordarabern noch zu den Altsüdarabern können regelmäßig wirklich enge Beziehungen bestanden haben. Allenfalls erscheint denkbar, dass dies im Südsudan bzw. im äthiopischen Raum geschah. Doch ist dies wirklich wahrscheinlich? Vor allem gibt es aber andere Kandidaten, die für einen Vergleich sehr viel besser taugen, etwa die phönizisch-punische Schrift. Karthago war nicht nur jahrhundertelang die dominante Kultur in Nordafrika, die zahlreiche Schriftzeugnisse hinterlassen hat, es gibt darüber hinaus immerhin mehrere numidisch-punische Bilinguen. Ein weiterer, sehr wichtiger Hinweis in die punische Richtung ist in der Sprache enthalten: Die Kontakte zwischen Berbern und Puniern waren so eng und vor allem konstant, dass sich bis heute mehrere Dutzend punische Lehnwörter im Berberischen erhalten haben.15 Außerdem ist belegt, dass die Numider durchaus regen Gebrauch von der punischen Schrift machten – die Legenden nu14 A.F.L. Beeston, Further Remarks on the Zaydʼil Sarcophagus Text, in: Proceedings of the Seminar for Arabian Studies 14, 1984, 102–110; F. Briquel-Chatonnet & L. Nehmé, Graffitti nabatées d’Al Muwayḥ et de Biʼr al-Ḥammāmāt (Égypte), in: Semitica 47, 1998, 81–88; G. Colin, À propos des graffiti sud-arabiques du ouadi Hammāmāt, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 88, 1988, 33–36; W.W. Müller & G. Vittmann, Zu den Personennamen der aus Ägypten stammenden Frauen in den sogenannten ›Hierodulenlisten‹ von Maʿīn, in: Orientalia 62, 1993, 1–10; F.J. Quack, Ägyptisches und südarabisches Alphabet, in: Revue d’Égyptologie 44, 1993, 141–151 (mit Ergänzungen und Korrekturen in Revue d’Égyptologie 45, 1994, 197); C. Robin, L’Égypte dans les inscriptions de l’Arabie méridionale préislamique, in: Hommages à Jean Leclant IV, Kairo, 285–301.; A.M.A.M. Sayed, Reconsideration of the Minaean Inscription of Zaydʼil bin Zayd, in: Proceedings of the Seminar for Arabian Studies 14, 1984, 93–99; P. Swiggers, A Minaean Sarcophagus Inscription from Egypt, in: K. van Lerberghe & A. Schoors (Hrsg.), Immigration and Emigration Within the Ancient Near East. Festschrift E. Lipiński, 335– 343; J. Tropper, Ägyptisches, nordwestsemitisches und altsüdarabisches Alphabet, in: UgaritForschungen 28, 1996, 619–632.
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 167
midischer Münzen sind auch nach Massinissa nicht auf numidisch, sondern eben auf punisch. Lange galt der Name der libysch-berberischen Schrift selbst als deutlichster Hinweis auf die punische These: Das Wort tifinaɣ »Buchstaben« (ti- ist der feminine Artikel) wurde nämlich von punic(us) abgeleitet;16 heute gilt diese Etymologie nicht mehr als gesichert, da eine Herleitung aus griechisch πίναξ »Schreibtafel« erwogen wird.17 Lidzbarski meinte noch explizit, es bestünde eine Verbindung zwischen den numidischen Zeichen und den neupunischen,18 und in der Tat gibt es Buchstaben, die gleich aussehen und denselben Lautwert haben (〈g〉, 〈t〉 und 〈š〉).19 Dagegen hat Gsell mit gutem Grund eingewandt, dass der allgemeine Schriftduktus gegen eine numidisch-punische Verbindung spricht.20 Die punische Schrift ist nämlich deutlich kursiv im Charakter, die numidische hingegen sehr stark linear; Punisch wird in Zeilen von rechts nach links geschrieben, bei den numidischen Inschriften ist die primäre Schriftrichtung von unten nach oben – Ausnahmen wie in Thugga sind lediglich Imitationen des punischen Schriftgebrauchs. Alles in allem sind trotz mancher Ähnlichkeiten die Unterschiede zwischen der punischen und der numidischen Schrift so groß, dass eine direkte Abhängigkeit zweifelhaft bleibt. Daher wurde verschiedentlich die These vertreten, es könne sich bei der libysch-berberischen Schrift um eine eigenständige Entwicklung handeln. Dies schließt gewisse Anlehnungen an andere Schriften nicht aus. Vor allem wurde jedoch die prähistorische Felsbildkunst mit ihrer Symbolik als Anregung gesehen:21 »nous postulons donc que les matériaux nécessaires à l’émergence de l’alphabet libyque ont été rendus disponibles, à haute époque, par le mouvement de schématisation et de stylisation à base géometrique caractérisant l’art rupestre pré- et posthistorique dès la période caballine. Ces outils graphiques simples [...] vont investir de nombreux domaines de l’activité de l’imaginaire et de la symbolique berbères: l’art des représentations, le système de marquage et d’appropriation et, enfin, l’écriture.«. Die tifinaɣ-Buchstabenformen seien also abgeleitet von
15 W. Vycichl, Berberstudien & A Sketch of Siwi Berber (Egypt), Berber Studies 10, Köln 2005, 2–12. 16 W. Vycichl, Berberstudien & A Sketch of Siwi Berber (Egypt), Berber Studies 10, Köln 2005, 14–16. 17 B. Kienast, Historische Semitische Sprachwissenschaft, Wiesbaden 2001, 525. 18 M. Lidzbarski, Eine Punisch-Altberberische Bilinguis aus dem Tempel des Massinissa, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften (Wien) 15, 1913, 296–304. 19 G. Champs, in: Encyclopédie Berbère 17, 1996, (2564–2573) 2570, s.v. »Écriture libyque«. 20 S. Gsell, Histoire ancienne de l’Afrique du Nord 5–6, Paris 1928, 10. 21 S. Chaker & S. Hachi, A propos de l’origine et de l’âge de l’écriture berbère. Réflexions du linguiste et du préhistorien, in: S. Chaker & A. Zaborski (Hrsg.), Études berbères et chamito-sémitique: Mélanges offerts à Karl-G. Prasse, Paris & Louvain 2000, (95–111) 107.
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bereits lange bekannten Zeichen und geometrischen Symbolen der Felsbilder.22 Die Vertreter dieser These gehen meist davon aus, dass die Schrift viel älter sei als bisher nachweisbar, etwa zwischen 1500–1000 v. Chr. Der Grund für diese Annahme ist in der phönizischen Kolonisation Nordafrikas zu sehen: Die Herausbildung des libysch-berberischen Schriftsystems müsste idealerweise vor dem ersten Kontakt mit der punischen Schrift erfolgt sein. Zwar lässt sich eine solche chronologische Sicht nicht erhärten – im Gegenteil – doch hat die Theorie einer autochthonen Entwicklung sehr viel für sich. Dafür spricht vor allem das Schriftsystem, das so anders ist als alle Schriften, die als mögliche Vorbilder in Anspruch genommen worden sein könnten. Keine derselben hat eine Schriftrichtung von unten nach oben oder ein silbenöffnendes Verständnis von der Funktionsweise der Buchstaben. Eine Ableitung von einer semitischen Schrift erscheint mir daher ausgeschlossen. Hinzu kommt im Falle der altsüd- bzw. nordarabischen These, dass bisher kein Kontaktweg nachweisbar ist. Dass die numidische Schrift von den Berbern selbst entwickelt wurde, heißt weder, dass sie frei sein muss von jeder Beeinflussung, noch, dass sie sich nicht sekundär an eine andere Schrift anglich. In der Forschung wurden bisher vier Konvergenz-Thesen postuliert. Die erste operiert mit einer Angleichung an die punische Schrift als dem in Nordafrika zum Zeitpunkt, da sich das numidische Reich herausbildete, dominanten Schriftsystem der Region. Lionel Galand »pense [...] que les matériaux libyques ont, pour la pluspart été créés en Afrique« und fährt fort »que l’influence sémitique se soit expercée fortement pour susciter ou améliorer la mise en oeuvre de ces matériaux est au contraire indéniable.«.23 Zahlreiche Forscher sehen das ähnlich.24 Andere erwägen eine Beeinflussung durch die lateinische Schrift.25 J. Février hat sogar ein Szenario hierfür erstellt, welches auf der grundlegenden Beobachtung fußt, dass die westnumidische Schrift mehr Zeichen ausweist aus die ostnumidische. Meist wird implizit davon ausgegangen, die ausführlichere sei eine Erweiterung, Février meint jedoch,
22 M. Hachid, Les Premiers Berbères entre Méditerranée, Tassili et Nil, Aix-en-Provence/Algier 2001, 173–190. 23 L. Galand, Um vieux débat. L’origine de l’écriture berbère, in: La Lettre du Recueil des Inscriptions Libyco-berbères 7, 2001, 1–3. 24 M. Almagro, Inscriptión líbica hallada en Khor Kilobersa (Nubia egipcia), in: Trabajos de preistoria 26, 1969, 367–370; G. Champs, in: Encyclopédie Berbère 17, 1996, 2564–2573, s.v. »Écriture libyque,«; J. Février, Les découvertes épigraphiques puniques et néo-puniques depuis la guerre, in: Studi orientalistici in onore de F. Levi della Vida, Rom 1956, Band I, 274–286; M. Romagnoli, Fenicigraphia libica, in: Rassegna Economica della Libia 17, 1929, 658–744; R. Reffunat, Graffiti en »Libyque de Bu Njem«, in: Libya Antiqua 11–12, 1974–75, 165–187. 25 M. Aguali-Zakar, Graphies berberes et dilemne de diffusion. Interactions des alphabets latins, ajami et tifinagh, in: Etudes et documents berbères 1, 1994, 107–121.
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sie sei eine vereinfachte Schrift und der Grund hierfür sei im Kontakt mit dem Punischen zu suchen.26 Die ist natürlich reine Spekulation. Weitere Konvergenzvorbilder wurden postuliert, doch sind sie zumeist wenig wahrscheinlich. Da wäre zunächst ein Vergleich mit dem Meroitischen, den Zavadovskij vorgebracht hat, der jedoch von Galand abgelehnt wurde.27 In den ägäischen Schriften hat man ebenfalls nach Parallelen gesucht, vor allem vor dem Hintergrund der griechischen Kolonisation.28 Die wohl aussichtsreichsten Kandidaten für einen Schriftvergleich sind die althispanischen oder altiberischen Schriften.29 Parallelen zu diesen wurden bereits in den 1930er Jahren von Ernst Zyhlarz aufgezeigt, der sich auch der altkanarischen Berbersprachen angenommen hatte.30 Seine Schriften zogen einen schon im Titel polemischen Aufsatz von Dominik Wölfel nach sich31 – in jüngster Zeit ist die iberische These wieder in den Fokus der Sprachwissenschaft gelangt und kann sogar aufgrund ihrer monographischen Aufarbeitung als die am besten untersuchte These gelten.32 Die althispanischen Sprachen Iberisch, Keltiberisch, Lusitanisch und Tartessisch sind in drei Schriften überliefert, der tartessischen sowie der nord- und südiberischen Schrift. Sprachlich ist bisher nur das Keltiberische sicher zuzuordnen, das Tartessische ist indogermanisch (vielleicht keltisch?) und auch beim Lusitanischen gibt es Indizien für eine Zugehörigkeit zu den keltischen Sprachen. Die althispanischen oder iberischen Schriften wurden seit dem 26 J. Février, Les découvertes épigraphiques puniques et néo-puniques depuis la guerre, in: Studi orientalistici in onore de F. Levi della Vida, Rom 1956, Band I, 274–286 (Punisch) 27 I.N. Zavadovskij, Les systèmes d’écriture égyptienne et méroïtique par le système d’écriture libyco-berbère, in: Meroitic Newsletter 7, 1971 [1972], 11f.; L. Galand, A propos d’une comparaison entre les écritures libyco-berbère et méroïtique, in: Meroitic Newsletter 9, 1971, 6–13; I.N. Zavadovskij, A propos de l’»a propos« de M. Galand et suite de ma notule sur l’écriture méroïtique, in: Meroitic Newsletter 10, 1972, 9–13. 28 A.J. Evans, Further discoveries of Cretan and Aegean script: with Libyan and Proto-egyptian comparisons, in: Journal of Hellenistic Studies 17, 1897, 327–395; R. Dussaud, L’origine égéenne des alphabets sémitiques, in: Journal Asiatique 5, 1905, (357–361) 358–360; D.J. Wölfel, Eine Felsgravierung eines neolithisch-bronzezeitlichen Schrifttypus und anderes aus der Archäologie der Kanarischen Inseln, in: Veröffentlichung des Instituts für Orientforschung 26 (Fs Westermann), 1955, 181–197. 29 A. Tovar, Sobre las ecrituras tartesia, libio-denicia y del Algarbe, in: Zephyrus 6, 1955, 273–283. 30 E. Zyhlarz, Die »unbekannte« Schrift des antiken Südspanien, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 87, 1933–34, 50–67; G. Champs, Écriture libyque, in: Encyclopédie Berbère 17, Aix-en-Provence 1996, 2564–2573. Vgl. auch E. Zyhlarz, Das Kanarische Berberisch in seinem sprachgeschichtlichen Milieu, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 100, 1950, 403–460. 31 D.J. Wölfel, Dilettantismus und Scharlatanerie und die Erforschung der Eingeborenensprache der Kanarischen Inseln, in: Mémorial André Basset, Paris 1957, 147–158 32 W. Pichler, Origin and development of the Libyco-Berber script, Berber Studies 15, Köln 2007.
170 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
4. Jhd. v. Chr. bis zum Beginn der römischen Herrschaft auf der iberischen Halbinsel gebraucht und sind eng miteinander verwandt. Ob sie direkt oder über einen griechischen oder gar italischen Umweg auf die phönizische Schrift zurückgehen, ist unklar – auf jeden Fall stehen sie in deutlicher Relation zum phönizischen Prototyp. Dieser kann natürlich über Nordafrika auf die iberische Halbinsel gelangt sein. Die Zeichen stehen entweder für offene Kv-Silben oder einzelne Phoneme. Eine westliche Variante unterscheidet stimmhafte vs. stimmlose Verschlusslaute, eine östliche Variante tut dies nicht. Das besondere an der iberischen Schrift ist also der Bestand an Silbenzeichen. Ob es sich hierbei um ein archaisches Kultursubstrat handelt (konkret: eine Auswirkung des tifinaɣ) oder nicht, ist unklar.33 Die Schriftrichtung der südlichen Inschriften ist linksläufig (wie im Punischen), die der nördlichen rechtsläufig (wie im Griechischen). Die keltiberische Schrift34 weist große Ähnlichkeiten mit der nordostiberischen Schrift auf, der am besten erforschten der vorrömischen Silbenschriften der Halbinsel. Die südostiberische Schrift wurde im heutigen Andalusien benutzt; sie ist erst unvollständig erforscht. Die vierte Variante der altiberischen Schrift ist die südlusitanische Schrift (auch tartessische oder südwestliche Schrift). Im Gegensatz zu den altiberischen Silbenschriften ist das graeko-iberische Alphabet eine nur leicht veränderte und immer rechtsläufige Variante der griechischen Schrift. Belegt ist sie auf dem Gebiet der heutigen Provinzen Murcia und Alicante, sie diente ebenfalls zur Aufzeichnung altiberischer Sprachen. Berberisches in fremden Schriften. Obwohl vor allem die Tuareg ihre eigene Schrift über Jahrtausende hinweg bewahrt haben, wurde sie doch nur sehr restriktiv gebraucht, und zwar hauptsächlich für Namensaufschriften an Waffen und Schmuck, für Beischriften auf Amuletten oder für kurze Felsinschriften.35 33 Es wurde auch schon eine Nähe zum Kyprisch-Syllabischen gesehen, was sich sehr gut kulturgeschichtlich erklären würde. 34 J. Ferrer i Jané, Novetats sobre el sistema dual de diferenciació gràfica de les oclusives sordes i sonores, in: Palaeohispanica 5, 2005, 957–982; C. Jordán, Celtibérico, Saragossa 2004; C. Jordán, ¿Sistema dual de escritura en celtibérico?, in: Palaeohispanica 5, 2005, 1013–1030; J. Rodríguez Ramos, Sobre el origen de la escritura celtibérica, in: Kalathos 16, 1997, 189–197; J. Untermann, Monumenta Linguarum Hispanicarum. IV. Die tartessischen, keltiberischen und lusitanischen Inschriften, Wiesbaden 1997; F. Villar, Estudios de celtibérico y toponimia prerromana, Salamanca 1995. 35 L.G.A. Zohrer, Über den Anwendungsbereich des Tifinagh in der Sahara, in: Archiv für Anthropologie N.F. 25, 1939, 134–136; G. Dieterlen & Z. Ligers, Contribution à l’étude des bijoux touaregs, in: Journal des africanistes 42, 1972, 29–53; G. Mercadier, Essai sur les dessins ornant le bouclier targui, in: Bulletin de liaison saharanienne 4, 1951, 33–36; G.A. de Calassanti-Motylinski, Notes sur deux bracelets touaregs, in: Recueil des notices et mémoires de la Société archéologique, historique de Constantine 35, 1901, 313–323; H. Lhote, L’écriture »digitale«
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 171
Längere Texte wurden bis in die neueste Zeit so gut wie gar nicht in tifinaɣ verfasst. Dafür ist berberisches Sprachmaterial in fremden Schriften durchaus reichlich dokumentiert, ja es wurden sogar Texte in diesen geschrieben. Für die Antike sind dies natürlich die zahlreichen punischen und später lateinischen Inschriften und Texte.36 Nach der arabischen Eroberung Nordafrikas hielt die arabische Schrift dort Einzug. Vor allem seit der Almohaden-Dynastie wurde Berberisches in dieser Schrift geschrieben.37 Interessant ist auch, dass es sogar eine berberische Nebenüberlieferung in hebräischer Schrift gibt.38 In der Moderne kam die lateinische Schrift zurück, und zwar mit den französischen und spanischen Kolonialbeamten. Nicht zuletzt für die Verwaltung, aber auch für den praktischen Umgang mit den Sprechern von Berbersprachen wurde Berberisches vor allem im 19. Jhd. n. Chr. in lateinischer Schrift dargestellt.39 Ein Mischsystem.40 Bei den marabutischen Stämmen in der Region von Timbuktu ist der Gebrauch arabischer Diakritika im Zusammenspiel mit der libysch-berberischen Schrift belegt und zwar zur Darstellung der Kurzvokale. So steht ein faṭha für /ǝ, ä, a/, kasra für /i, e/ und ḍamma für /u, o/. Die Diakritika werden an die Konsonantenzeichen gesetzt und vokalisieren das gesamte Wort ohne des Touaregs, in: Notes africaines 59, 1953, 82–84; M. Haward, L’identité Tifinar’, in: La Licorne 14, 1988, 267–279. 36 F. Beguinot, Di alcuni iscrizioni in caratteri latini e in lingua sconosciuta, in: Africa Italiana 54, 1936, 367–377; O. BROGAN & J.M. REYNOLDS , Inscriptions from the Tripolitanian Hinterland, in: Libya antiqua 1, 1964, 43–46 (lateinische Schrift und unbekannte Sprache); R.G. Goodchild, The Latino-Libyan inscriptions of Tripolitania, in: The Antiquaries Journal 30, 1950, 135–144. 37 S. Chaker, in: Encyclopédie Berbère 17, Aix-en-Provence 1996, 2580–2583, s.v. »Écriture (graphie arabe)« (mit Literatur); A. el-Mounassir, De l’oral à l’écrit, de l’écrit à la lecture. Example des manuscrits chleuch en graphie arabe, in: Études et documents berbères 11, 1994, 149–156; A. de Motylinski, Le manuscrit arabo-berbère de Zouagha, in: Actes du XIVe Congrès des Orientalistes, Alger 1905, Band II, Paris 1907, 68–78. 38 S. Lévy, Essais d’histoire et de civilisation judéo-marocaines, Rabat 2001; J.G. Février, Inscriptions hébraiques des sites antiques, in: L. Galand, J.G. Février & G. Vajda, Inscriptions antiques du Maroc, Paris 1966. 39 D. Abrous, Le passage à l’écrit, in: Encyclopédie Berbère 17, 1996, 2583–2585; D. Abrous, La production romanesque en Kabylie: une explication de passage à l’écrit, D.E.A. der Université de Provence 1989; D. Abrous, A propos du kabyle utilisé dans la presse écrite, in: Études et documents berbères 8, 1991; S. Chaker, La planification en linguistique dans le domaine berbère. Une normalisation pan-berbère est-elle possible?, Tafsut (série spéciale »Études et débats«) 2, 1985; S. Chaker, Berbères: une identité en construction, in: Revue de l’Occident musulman et de la Méditerranée 44, 1987. 40 J. de Coninck & L. Galand, Un essai des Kel Antessar pour améliorer l’écriture touarègue, in: Comptes rendus du groupe linguistique d’études chamito-sémitiques 8, 1960, 78–83.
172 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
Rücksicht auf die unterschiedlichen Vokalquantitäten. Ebenfalls im Gebrauch sind die arabischen Diakritika zur Markierung von Vokalabsenz (sukûn) und das Geminationszeichen tašdîd. Das Mischsystem ist ein deutliches Zeichen intensiven Austausches mit arabischen Gelehrten, war doch Timbuktu immer berühmt für sein bedeutendes Schrifttum.41
4.2 Die Fortschriftungen im Niltal Im Niltal sind zwei große Entwicklungsstränge der Schrift nachzuvollziehen. Ein Strang führt von der griechischen über die koptische zur altnubischen Schrift, ein anderer von den altägyptischen Schriftformen übere das Napatanische und Meroitische ebenfalls zum Altnubischen. Die beiden Linien sind unterschiedlicher Natur: Während sich die erste als durchgehend und vor allem im frühen Teil als überaus reich dokumentiert darstellt, ist die zweite Linie teilweise ›gestrichelt‹ und daher schwerer zu erkennen.
4.2.1 Von der griechischen zur koptischen Schrift Obwohl die Anverwandlung der griechischen Schrift in Ägypten durch eine große Zahl von Quellen vergleichsweise gut nachvollziehbar ist, kam die Forschung bislang kaum über kürzere Darstellungen des Sachverhalts hinaus. In jüngster Zeit hat sich allerdings Sebastian Richter der Neuverschriftung des Ägyptischen ausführlicher gewidmet. Die folgenden Ausführungen basieren auf seinen Arbeiten42 sowie auf umfangreichen Vorarbeiten in verschiedenen Einträgen der Coptic Encyclopaedia. 41 Vgl. Centre National de la Recherce Scientifique et Technologique (Hrsg.), Atelier sur l’Exploration Scientifique des Manuscrits de Tombouctou – Rapport Final, 21–23 décembre 2006, Bamako 2006; vgl. auch J.O Hunwick & A.J. Boye, Timbuktu und seine verborgenen Schätze, München 2009. 42 T.S. Richter, Handout zu einem Vortrag »Die Neuverschriftung des Ägyptischen. Vom hieroglyphenbasierten Schriftsystem zum koptischen Alphabet«, gehalten auf dem Akademie-Kolloquium am 26.11. 2010 in der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Leizig. An dieser Stelle möchte ich erneut meinen Dank an Sebastian Richter ausdrücken, mir seine Arbeiten vor der Drucklegung zur Verfügung gestellt zu haben. Aufgrund der großen Verzögerung im Drucklegungsprozess war es mir leider nicht mehr möglich, den nach Projektende erschienenen Aufsatz von J.F. Quack, How the Coptic Script came about, in: P. Dils, E. Grossman, T. S. Richter & W. Schenkel (Hrsg.), Greek Influence on Egyptian-Coptic: Contact-Induced Change in an Ancient African Language (DDGLC Working Papers 1, LingAeg SM 17), Hamburg 2017, 27–96 adäquat zu berücksichtigen.
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 173
Zunächst soll hier noch einmal das Ergebnis vorgestellt werden, das koptische (genauer gesagt: Das sahidische) Alphabet (vgl. auch Taf. 4).43 Ⲁ
Alpha
/a/
Ⲟ
Omikron (O)
/o/
Ⲃ
Beta (Wida)
/ν/
Ⲡ
Pi (Bi)
/p/
Ⲅ
Gamma
Allophon von /k/ nach /n/
Ⲣ
Rho (Rou)
/r/
Ⲥ
Delta (Dalda) (in gr. Lw.)
Sigma (Sima)
/s/
Ⲇ Ⲉ
Epsilon (Eie)
/e/
Ⲧ
Tau (Dau)
/t/
Ⲍ
Zeta (Zida)
Allophon von /s/ nach /n/
(Ⲟ)Ⲩ Ypsilon (He)
/u/ und /w/
Ⲫ
Phi
{/p/ + /h/}
Ⲏ
Eta (Hida)
/ē/
Ⲭ
Chi
{/k/ + /h/}
Ⲑ
Theta (Thida)
{/t/ + /h/}
Ⲯ
Psi (Ebsi)
{/p/ + /s/}
(Ⲉ)Ⲓ
Iota (Joda)
/i/ und /j/
Ⲱ
Omega (Au)
/ō/
Ⲕ
Kappa (Kabba)
/k/
Ϣ
Schai
/š/
Ϥ
Fai
/f/
Ⲗ
Lambda (Laoula)
/l/
Ϩ
Hori
/h/
Ϫ
Tschantscha /č/
Ⲙ
My (Mi)
/m/
Ϭ
Kjima
/kj/
Ⲛ
Ny (Ni)
/n/
Ϯ
Ti
/t/ + /i/
Ⲝ
Xi (Exi)
{/k/ + /s/}
Doppelvokal
/ʾ/ (Inlaut)
Terminologie. Wie die nähere Spezifizierung koptisch-sahidisch zeigt, ist die terminologische Präzision von großer Bedeutung. Im vorliegenden Fall ist dies die Unterscheidung zwischen den Termini ›Urkoptisch‹, ›Präkoptisch‹, ›Voraltkoptisch‹ und ›Altkoptisch‹. Sie scheinen selbsterklärend, sind es jedoch bei genauerem Hinsehen nicht. ›Urkoptisch‹ ist die rekonstruierte Form des Altägyptischen, die aus dem Koptischen rückgeschlossen und auf das klassische Mittelägyptische projiziert wurde, bezogen v.a. auf die Silbenstruktur und die Vokalisation. Als ›Präkoptisch‹ bezeichnet man ägyptische Namen und Wörter in griechischer Transkription vor der Neuverschriftung, d.h. Stadien und Formen 43 Nach R. Kasser, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 32– 41, s.v. »Alphabets. Coptic« und J. Vergote, Grammaire copte, Louvain 1973. Hellgrau markiert: demotische Zusatzzeichen, dunkelgrau markiert: Invention.
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der Schrift, die bei der Entwicklung des Koptischen eine Rolle spielen. ›Altkoptisch‹ ist ein Sammelbegriff für ägyptische Texte in Alphabetschriften, die auf dem Griechischen basieren (mit Zusatzbuchstaben aus ägyptischen Schriftsystemen). Hingegen ist ›Voraltkoptisch‹ die Vorstufe des ›Altkoptischen‹ ohne diese Zusatzzeichen, wird also von diesem allein anhand der Schrift unterschieden (›Voraltkoptisch‹ ist eine Komponente des ›Präkoptischen‹). Griechische Transkriptionen altägyptischen Sprachmaterials.44 Der erste Schritt zur Herausbildung der koptischen Schrift ist die Wiedergabe ägyptischer Namen mit griechischen Zeichen in griechischem Kontext. Vor allem ab der Saitenzeit (26. Dynastie) liegen uns tausende von ägyptischen Personen-, Orts- und Götternamen vor, aber auch Epitheta, Titel etc. Die allerersten Fälle sind zwar Belege in den mykenischen Linear B-Texten45 – weitere bei Homer, besonders das Ethnonym Aegyptos46 – im vorliegenden Kontext sind jedoch erst die spätzeitlichen Belege von Bedeutung. Sie beginnen etwa mit den Graffiti griechischer Söldner im Nubienfeldzug Psammetiks II. aus Abu Simbel (589 v. Chr.). Dort wird u.a. der Name eines Generals überliefert: Potasimpto (ⲡⲟⲧⲁⲥⲓⲙⲡⲧⲟ). Eine weitere wichtige Quelle ist Herodot, der Ägypten um 430 v. Chr. besucht haben dürfte. Er gibt mehrere Gottesnamen in Transkription, u.a. Amun und die frühesten Belege für eine ganze Reihe von ägyptischen Lehnwörtern im Griechischen, die sogar bis in die modernen Sprachen Westeuropas weiterentlehnt wurden: ἔβενος, ἶβις, ὄασις.47 Neben diesen Lexemen überliefert er nur einen generischen Ausdruck, nämlich ⲡⲓⲣⲟⲙⲓⲥ »Mensch« (Hd. 2.143, vgl. Bohairisch ⲡⲓⲣⲟⲙⲓ). In jener Zeit werden auch die ersten griechischen Namen ägyptisch transkribiert, etwa 〈Ꜣ-r-k-s-k-Ꜣ-r-s〉 für »Alexikles«.48 Mit der Ptolemäerzeit, als das Griechische in Ägypten selbst immer weitere Verbreitung erlangt und
44 J. Quaegebeur, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 141f., s.v. »Greek Transcriptions«. 45 Zum ägyptisch-griechischen Sprachkontakt vgl. J.-L. Fournet, Les emprunts du grec à l’égyptien, in: Bulletin de la Société de Linguistique de Paris 84, 1989, 55–80 und W. Spiegelberg, Ägyptische Lehnwörter in der älteren griechischen Sprache, in: Zeitschrift für vergleichende Sprachwissenschaft 41, 1907, 127–132. 46 Vgl. F. Breyer, Morgenländische Wörter im Deutschen: die ägyptischen Lehnwörter, in: W. Raunig & S. Wenig (Hrsg.). Afrikas Horn. Akten der Ersten Internationalen Littmann Konferenz 2.–5. Mai 2002 in München, Meroitica 22, Wiesbaden 2005, 377–401. 47 R.H. Pierce, Egyptian loanwords in Ancient Greek, in: Symbolae Osloenses 46, 1971, 96– 107. 48 J. Quaegebeur, De Griekse weergave van korte Egyptische dodenteksten, in: Phoenix 22, 1976, (49–59) 50f.; H. de Meulenaere, La mère d’Imouthès, in: Chronique d’Égypte 41, 1966, 42–43.
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schließlich bis in die arabische Zeit Verwaltungssprache ist, nehmen die Belege exponentiell zu. Die griechische Sprache ist so beherrschend, dass sogar einige griechischen Wörter ins Demotische entlehnt wurden.49 Die zahlreichen Namen wurden meist mit einer griechischen Endung versehen, um sie besser in den Text zu integrieren. Ansonsten sind die phonologischen Unschärfen groß: Ein ägyptisches ›Schwa‹ wurde mit Epsilon (ⲩ) oder Omikron (ⲟ) wiedergegeben,50 die palatalisierten Dentale (/č/, /č̣ /) sehr unterschiedlich.51 Zwar ist die Bandbreite dabei ziemlich groß, gleichwohl ist eine gewissen Systematik zu erkennen. Da viele der Schreiber Ägypter gewesen sein dürften, ist die Wiedergabe ganzer Sätze oder Formeln gut zu erklären. Diese müssen jedoch von den Transkriptionen von Personen- und Ortsnamen gesondert betrachtet werden, da es hier nicht in vergleichbarem Maße auf die Identifizierbarkeit ankam, der Hintergrund also ein anderer ist. Ab dem 1. Jhd. werden ägyptische Texte meist magischen Inhalts mit einem ausgeweiteten griechischen Alphabet geschrieben (›Altkoptisch‹). In griechischen Transkriptionen ägyptischer Wörter werden solche speziellen Supplementzeichen auch später noch (v.a. in der Römerzeit) gebraucht, etwa für /ḥ/ und /š/. Es gibt sie innerhalb griechischer Texte noch bis ins 8. Jhd., d.h. bis nach der arabischen Eroberung. Einen Sonderfall stellt ein von Crum publiziertes Textkorpus52 (Dialekt G) dar: Es enthält ausschließlich griechische Grapheme, ist jedoch linguistisch gesehen koptisch, datiert ins 8. Jhd. n. Chr. und ist damit viel zu spät, um ›voraltkoptisch‹ genannt zu werden. Die griechischen Transkriptionen ägyptischer Wörter sind in den koptischen Standardlexika erfasst.53 Für die ägyptischen Toponyme in griechischer Transkription existiert ein eigener Index54, Entsprechendes für die Personennamen fehlt leider bisher. Dass das gesamte Korpus bislang nicht zusammengestellt und ausgewertet wurde, ist bedauerlich, denn es bildet eine sehr wichtige
49 W. Clarysse, Greek Loan-words in Demotic, in: S.P. Vleeming (Hrsg.), Aspects in Demotic Lexicography, Studia Demotica I, Leuven 1987, 9–33. 50 P. Lacau, Etudes d’Égyptologie I. Phonétique égyptienne ancienne, Bibliothèque d’études 41, Kairo 1970, 131–136. 51 J. Quaegebeur, Considérations sur le nom propre égyptien Teëphthaphônukhos, in: Orientalia Lovaniensia Periodica 4, 1973, 85–100, bes. 99. 52 W.E. Crum, Coptic Documents in Greek Script, in: Proceedings of the British Academy 25, 1939, 249–271. 53 W.E. Crum, Coptic Dictionary, Oxford 1939; J. Černý, Coptic Etymological Dictionary, Cambridge 1976; W. Vycichl, Dictionnaire étymologique de la langue copte, Louvain 1983. 54 G. Roquet, Toponymes et lieux-dits égyptiens enregistrés dans le Dictionnaire copte de W.E. Crum, Bibliothèque d’études coptes 10, Kairo 1973.
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Quelle zur Rekonstruktion der Vokalisation der altägyptischen Sprache.55 Es wurden sogar bereits erste Hinweise auf die Existenz der späteren koptischen Dialekte in jenen Transkriptionen gefunden.56 Die griechischen Transkriptionen sind nicht unbedingt mit den späteren koptischen Graphien deckungsgleich. Es gibt sogar Fälle, bei denen der Transkriptionsusus die koptische Orthographie beeinflusst, etwa ⲯ für /pš/ ⲡϣ. Auf der graphophonetischen Ebene kann die stellenweise Wiedergabe von /f/ durch (ⲟ)ⲩ erwähnt werden (-ⲉⲩⲧⲏⲙⲓⲥ ~ ⲛⲉⲫⲑⲓⲙⲓⲥ; ϩⲓⲡⲡⲉϥ ~ ἱππεύς).57 Präkoptisch (6.–1. Jhd. v. Chr.).58 Ein Schritt früher bei der Herausbildung der koptischen Schrift ist das sog. ›Präkoptische‹. Unter diesem Begriff werden verschiedenen Stadien und Formen der Schrift subsummiert, die schließlich in die koptischen Alphabete münden. Im Gegensatz zu den Transkriptionen sind sie in Ägypten verortet, d.h. sie wurzeln in den griechisch-ägyptischen Kontakten, welche mit der Gründung der griechischen Kolonie in Naukratis zur Zeit der 26. Dynastie (7.–6. Jh. v. Chr.) an Fahrt gewinnen. Ab etwa der selben Zeit wird die demotische Schrift in der ägyptischen Verwaltung eingesetzt. Demotische Schreiber gebrauchen verstärkt phonetische Graphien anstelle der traditionellen hieroglyphischen.59 Die Parallelität der Ereignisse hat dazu geführt, dass 55 J. Osing, Die Nominalbildung des Ägyptischen, Mainz 1976; W. Schenkel, Zur Rekonstruktion der deverbalen Nominalbildung des Ägyptischen, Göttinger Orient-Forschungen IV.13, Wiesbaden 1983; G. Fecht, Wortakzent und Silbenstruktur. Untersuchungen zur Geschichte der ägyptischen Sprache, Ägyptische Forschungen 21, Glückstadt 1960. Vgl. auch J. Vergote, Grammaire copte, Louvain 1973; W. Vycichl, La vocalisation de la langue Égyptienne. I: La phonétique, BdE 16, Kairo 1990. 56 J. Quaegebeur, The Study of Egyptian Proper Names in Greek Transcription: Problems and Perspectives, in: Onoma 18, 1975, 403–420; Kritisch dazu: W. Brunsch, Untersuchungen zu den griechischen Wiedergaben ägyptischer Personennamen, in: Enchoria 8, 1978, 1–142. 57 J. Quaegebeur, The Study of Egyptian Proper Names in Greek Transcription: Problems and Perspectives, in: Onoma 18, 1974, 403–420, bes. 417 und J. Quaegebeur, Mummy labels. An orientation, in: E. Boswinkel & P.W. Pestman (Hrsg.), Textes grecs, démotiques et bilingues, P.L.Bat. 19, Leiden 1978, (232–259) 255. 58 Dazu allgemein: J. Quaegebeur, The Study of Egyptian Proper Names in Greek Transcription: Problems and Perspectives, in: Onoma 18, 1975, 403–420; J. Quaegebeur, De la préhistoire de l’écriture Copte, in: Orientalia Lovaniensia Periodica 13, 1982, 125–136; J. Quaegebeur, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, (188–190) 188, s.v. »Pre Coptic«.; T.S. Richter, Greek, Coptic, and the ‘Language of the Hijra’. Rise and Decline of the Coptic Language in Late Antique and Medieval Egypt,in: H. Cotton, R. Hoyland & D.J. Wasserstein (Hrsg.), From Hellenism to Islam: Cultural and Linguistic Change in the Roman Near East, Cambridge 2008, 398–443. 59 J. Quaegebeur, Une épithète méconnaissable de Ptah, in: Livre de Centenaire, Mémoires de l’Institut français d’archéologie orientale 104, 1980, (61–71) 68f.
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Brunner diese vereinfachenden Tendenzen auf griechischen Einfluss zurückführte.60 Quaegebeur hat dies jedoch zurecht abgelehnt und darauf verwiesen, dass viel eher eine Beeinflussung durch das Aramäische vorliegen dürfte. 61 Als Beispiel gibt er die Schreibung von nčr »Gott« (Sⲛⲟⲩⲧⲉ) durch die Elemantargrapheme n + t auf der Naukratis-Stele, die viel eher dem konsonantischen als dem alphabetischen verpflichtet ist. Auch später noch werden viele griechischen Namen in demotischer Schrift wiedergegeben, und zwar mit Elementargraphemen.62 Bis zu einem gewissen Grad sind auch diese Formen der Transkription systematisiert. Bei der letzten Stufe des ›Präkoptischen‹, dem ›Altkoptischen‹, ist besonders gut zu erkennen, dass die Entwicklung im Demotischen vielleicht nicht zufällig parallel läuft: Zur selben Zeit, als im ›Altkoptischen‹ mit demotischen Sonderzeichen experimentiert wird, gebrauchen die demotischen Schreiber ganz besonders viele alphabetische Schreibungen.63 Einzigartig sind in dieser Hinsicht die demotischen Ostraka aus Narmuthis (Madīnat Māḍī), Schultexte aus dem 2. Jh. n. Chr.: Auf ihnen stehen griechische Namen und Wörter in griechischer Schrift, aber auch ägyptische Ausdrücke in dieser Schrift, durchsetzt mit demotischen Zeichen.64 Überhaupt sind hier vielfältige Mischverhältnisse mit Xenographien bezeugt, von griechischen Lexemen in griechischer Schrift, die in demotische Texte eingestreut sind, bis zu ägyptischen Wörter in alphabetischer Schreibung und einer demotisch-griechischen Mischschrift.65 Wann genau der Umschwung zum ausschließlichen Gebrauch der (adaptierten) griechischen Schrift im Sinne des Altkoptischen stattfand, ist nicht mit Sicherheit zu sagen.66 Ein anderer Einschnitt ist die Hinzunahme demotischer Zeichen.
60 H. Brunner, Die ägyptische Schrift, in: Studium Generale 18, Nr. 12, 1965, (765–769) 767. 61 J. Quaegebeur, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, (188– 190) 188, s.v. »Pre Coptic«. 62 W. Clarysse, G. van der Veken & S.P. Vleeming, The Eponymous Priests of Ptolemaic Egypt, Papyrologica Lugduno-Batave 24, Leiden 1982. 63 W. Spiegelberg, Aegyptische und griechische Eigennamenaus Mumienetiketten der römischen Kaiserzeit, Demotische Studien 1, Leipzig 1901, 18f.; E. Lüddeckens, Ägpten, in: Die Sprachen im römischen Reich der Kaiserzeit, Beihefte der Bonner Jahrbücher 40, Köln 1980, (241–265) 256. 64 E. Bresciani, S. Pernigotti, M.C. Betrò, Ostraca Demotici da Narmuti I, Pisa 1983. 65 S. Pernigotti, Il «copto» degli ostraka di Medinet Madi, in: Atti del XVII Congresso Internazionale di Papirologia II, Neapel 1984, 787–791. 66 Hierzu v.a. K. Sethe, Das Verhältnis zwischen Demotisch und Koptisch und seine Lehren für die Geschichte der ägyptischen Sprache, in: Zeitschrift der Morgenländischen Gesellschaft 79, 1925, 290–316; J. Vergote, Grammaire copte, Louvain 1973, Band I.b, 1–4 und J. Quaegebeur, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 188–190, s.v. »Pre Coptic«.
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Beide Phänomene müssen getrennt voneinander gesehen werden. Aus diesem Grund wird als Zwischenstufe von einem ›Voraltkoptisch‹ gesprochen. Voraltkoptisch.67 Als ›Prä-Altkoptisch‹ (›Pre-Old Coptic‹) oder ›Voraltkoptisch‹ bezeichnet man eine Komponente des ›Präkoptischen‹, genauer gesagt die Vorgängerstufe des ›Altkoptischen‹. Der Hauptunterschied zur folgenden Entwicklungsstufe besteht darin, dass hier keine Sonderzeichen demotischen Ursprungs verwendet werden. Die Definition erfolgt also rein anhand der Schrift. Ein Unterschied liegt im transkribierten Material begründet: Im Gegensatz zu früher werden nicht nur einzelne Namen oder Epitheta/Titel wiedergegeben, sondern ganze Sätze oder sogar Passagen in ägyptischer Sprache. Quaegebeur listet eine Reihe solche Fälle auf: ① Ein heute offenbar verlorener Heidelberger Papyrus (pHeid. inv. 413) von einer Mumienkartonage aus el-Hiba weist eine grammatische Abhandlung auf dem Recto auf. Dort findet sich auch eine Liste griechischer Wörter mit ihren ägyptischen Entsprechungen in griechischer Schrift (wohl Mitte 3. Jh. v. Chr.).68 Wahrscheinlich war diese Liste ein Hilfsmittel für Ägypter zum Erlernen des Griechischen. Das lexikalische Material wurde in den koptischen Wörterbüchern von Černý und Westendorf nicht aufgenommen:69 • • • •
λεκάνιον »Schüsselchen (poet.)« – ⲕⲣⲱⲣⲓ, αξίνη »Streitaxt (ep.)« – ⲕⲟⲗⲉⲃⲉⲓⲛ, μάχαιρα »(Opfer)messer, Dolch« – ⲥⲏⲫⲓ, μόσχος »Rute, Sprößling, Jungtier« – ⲁ8ⲟⲗⲁ
Besonders der letzte Eintrag ist bemerkenswert, markiert das 8 doch sicherlich, dass der Lautwert hier anders war als beim griechischen ⲅ. ② Ein siebenzeiliges Graffito vom Sethos-Tempel in Abydos datiert in das 5. Regierungsjahr des ägyptischen Gegenkönigs Ptolemäus’ IV. und V. namens
67 J. Quaegebeur, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 190f., s.v. »Pre-Old Coptic«. 68 R.A. Pack, The Greek and Latin Literary Texts from Greco-Roman Egypt, Ann Arbor ²1965, Nr. 2157. Vgl. F. Bilabel, Neue literarische Funde in der Heidelberger Papyrussammlung, in: Actes du Ve congrès international de Papyrologie, Oxford 30 août–3 septembre 1937, Brüssel 1938, (72–84) 79f. 69 J. Černý, Coptic Etymological Dictionary, Cambridge 1976; W. Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, Heidelberg 1965/1977.
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Ḥr(.w)-wn-nfr70 (202–201 v. Chr.71).72 Nach der Datierung Ἔτους ε (Jahr 5) steht: ⲡⲟⲣⲱ ⲩⲣⲅⲁⲛⲁⲫⲟⲣ ⲙⲏⲓ ⲉⲥⲓ ⲛⲟⲙ ⲟⲩⲥⲓⲣⲓ ⲙⲏⲓ ⲉⲙⲟⲩⲛⲗⲁⲥⲟⲛⲧⲏⲣ ⲡⲛⲟⲧⲱ pr(.w)-ꜤꜢ Ḥr(.w)wn-nfr mri̯.y Ꜣś.t mn Wśr mri̯.y I͗mn(.w)-RꜤ(.w)-nsw-nčr.w nčr ꜤꜢ »Pharao Hurgonaphōr, geliebt von Isis und Osiris, geliebt von Amun-König-der-Götter, dem großen Gott.« ③ Im »Traum des Nektanebos« (gr. Pap. UPZ I, Nr. 79; 159 v. Chr.) wird dem Pharao im Traum etwas auf Ägyptisch mitgeteilt. Diese nach Wilcken »barbarischen Lautgruppen« ⲫⲁⲫⲉⲣⲉ ⲥⲓ ⲉⲩⲣⲓⲏⲝ … ⲭⲙⲉⲛⲛⲓ … ⲡⲉⲗ ⲗⲉⲗ ⲭⲁⲥⲟⲛ ⲭⲁⲛⲓ konnten bislang nicht gedeutet werden.73 ④ Eine griechische Weihinschrift der Thot-Priesterschaft von Hermopolis Magna (al-Ašmūnayn) für einen strategos (Ende 2. oder Anfang 1. Jh. v. Chr.) weist eine ägyptische Passage in griechischer Schrift auf.74 Auf den Namen ⲑⲱⲩⲑ folgt: ⲱ ⲱ ⲱ ⲛⲟⲃⲍⲙⲟⲩⲛ, d.h. »Thot trismegas, Herr von Hermopolis ( ꜤꜢ ꜤꜢ ꜤꜢ nb Ḫmnw)« ⑤ Zwei Mumienetiketten aus dem Louvre (Inv. Nr. 532 & 550) geben eine demotische Formel mit griechischen Zeichen wieder: ⲁⲛⲭⲏ ⲃⲓⲟⲛ ⲟⲙⲙⲁ ⲟⲩⲥⲟⲣⲭⲟⲛⲧⲉⲙⲟⲛⲧ ⲛⲟⲛⲧⲱ ⲛⲟⲃⲏⲃⲟⲧ – Ꜥnḫ.w bꜢ⸗f r-bꜢḥ Wśr H̱n.t-mn.t nčr ꜤꜢ nb Ꜣbč̣ w – »Möge sein Ba vor Osiris leben, dem Vorderen des Westens, dem Großen Gott, dem Herrn von Abydos.«.75 Die Etiketten stammen zwar aus dem 2. oder 3. Jhd. v. Chr., können als ›voraltkoptisch‹ gelten, da die Passagen ausschließlich mit griechischen Lettern geschrieben sind. Spannend ist die ›achmimische‹ Lautung für »Großer Gott« (ⲛⲟⲛⲧⲱ) – Aⲛⲟⲩⲛⲧⲉ (vs. Sⲛⲟⲩⲧⲉ). Unsicher sind die folgenden Fälle:
70 W. Clarysse, Hurgonaphor et Choannophris, les derniers pharaons indigènes, in: Chronique d’Égypte 53, 1978, 243–253. 71 K. Vandorpe, The chronology of the reigns of Hurgonaphor and Choannophris, in: Chronique d’Égypte 61, 1986, (294–302) 299f. 72 P. Perdrizet & G. Lefebvre, Les Graffitis grecs du Memnonion d’Abydos, Paris 1919 (= Inscriptiones Graecae Aegypti III. Inscriptiones »Memnonii« Besae Oraculi ad Abydum Thebaidis, Chicago 1978), Nr. 74; Vgl. auch P. Lacau, Un graffito égyptien d’Abydos écrit en lettres grecques, in: Études de papyrologie II, 1934, 229–246. Neuedition mit Kommentar in P.W. Pestman, Recueil de textes démotiques et bilingues, avec la collaboration de H. Quaegebeur et R.L. Vos, 3 Bände, Leiden 1977, Dokument Nr. 11. 73 U. Wilcken, Urkunden der Ptolemäerzeit, Band 1, Berlin & Leipzig 1927. 74 Alexandria, Greco-Roman Museum, Inv. Nr. 26.050; V. Girgis, A New Strategos of the Hermopolite Nome, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts Abteilung Kairo 20, 1965, 121 mit Taf. 39; P.W. Pestman, Recueil de textes démotiques et bilingues, avec la collaboration de H. Quaegebeur et R.L. Vos, 3 Bände, Leiden 1977, Dokument Nr. 12. 75 J. Quaegebeur, Mummy labels. An orientation, in: E. Boswinkel & P.W. Pestman (Hrsg.), Textes grecs, démotiques et bilingues, P.L.Bat. 19, Leiden 1978, (232–259) 254f.
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⑥ Am Anfang von pIFAO III 34 (32 v. Chr.) gibt es eine unklare Passage: Zu erkennen ist lediglich der Name des Präfekten sowie einige Elemente, die auf das Griechische weisen.76 Wahrscheinlich schrieb hier ein Ägypter, der überhaupt kein Griechisch konnte – dass sich jedoch das eine oder andere ägyptische Wort hier verbirgt, kann nicht ausgeschlossen werden. ⑦ Zwei Zeilen im pHamb. II 187 (246–45 v. Chr.) wurden früher von Siegfried Morenz als griechische Transkription einer altägyptischen Passage gesehen, was E. van t’Drak widerlegt hat.77 Sebastian Richter hat vier dieser Quellen in eine sinnvolle Ordnung gebracht und daraus ein Modell entwickelt, wie der Übergang vom Voraltkoptischen zum Altkoptischen vonstatten gegangen sein könnte.78 ① Griechischsprachler transkribieren ägyptische Wörter in griechischer Schrift. Belege für diese Vorgehensweise sind die griechischen Graffiti am Großen Tempel von Abu Simbel, genauer gesagt SB 10018.79 Der Kontext ist ein Feldzug, den Psammetik II. 593 v. Chr. nach Nubien unternahm und dafür Söldner anwarb, u.a. griechische. Wiedergegeben werden ägyptische Königs- und Personennamen in griechischer Schrift: ⲁⲙⲁⲥⲓⲥ Amasis, ⲡⲟⲧⲁⲥⲓⲙⲧⲟ Potasimto, ⲡⲥⲁⲙⲙⲉⲧⲓⲭⲟⲥ Psammetichos. Als zweite Quelle sei eine griechisch-ägyptische Wortliste aus dem 3. Jhd. v. Chr. zu nennen (pHeid. Inv. G 414).80 In dieser werden ägyptische Geräte- und Tierbezeichnungen in griechischer Transkription neben der Übersetzung aufgeführt, etwa klinê – klok »Bett«, axinê – kolebin »Beil«, sideros – benipi »Eisen«,
76 J. Schwarz & G. Wagner, Papyrus grecs de l’Institut français d’archéologie orientale, Band 3, Bibliothèque d’étude 56, Kairo 1975. 77 S. Morenz, Das Koptische, in: Handbuch der Orientalistik I/1, Leiden 1959, (90–104) 92, Anm. 1; E. van t’Drak, Coniecturae Papyrologicae, in: Studien zur Papyrologie und Antiken Wirtschaftsgeschichte, Fr. Oertel zum 80. Geburtstag gewidmet, Bonn 1964, 62–63. 78 T.S. Richter, Handout zu einem Vortrag »Die Neuverschriftung des Ägyptischen. Vom hieroglyphenbasierten Schriftsystem zum koptischen Alphabet«, gehalten auf dem Akademie-Kolloquium am 26.11, 2010 in der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Leizig. 79 S. Sauneron & J. Yoyotte, La campagne nubienne de Psammétique II et sa signification historique, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 50, 1952, 157–207; A. Bernand & O. Masson, Les inscriptions grecques d’Abou Simbel, in: Revue des Études Grecques 70, 1957, 1–46; T. Hägg, Abu Simbel, graffiti of soldiers of Psammetich II. 593 BC, in: T. Eide, T. Hägg, R.H. Pierce & L. Török, Fontes Historiae Nubiorum, Bergen 1994, Band 1, Nr. 42, 286– 288; G. Vittmann, Ägypten und die Fremden im ersten vorchristlichen Jahrtausend, Mainz 2003, 200f. 80 F. Bilabel, Neue literarische Funde in der Heidelberger Papyrussammlung, in: Actes du Ve congrès international de Papyrologie, Oxford 30 août–3 septembre 1937, Brüssel 1938, 72–84; H. Quecke, Eine griechisch-ägyptische Wörterliste vermutlich des 3. Jh. v. Chr. (P.Heid. Inv.–Nr. G 414), in: Zeitschrift für Papyriologie und Epigraphik 116, 1997, 67–80.
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machaira – sêphi »Schwert«, peristera – kranpi »Taube«, onos – jô »Esel«).81 Möglicherweise dem griechischen Vorbild folgend transkribieren nun ② Ägyptischsprachler ihre Sprache mit griechischen Zeichen. Belege hierfür sind zwei Texte aus dem herrschaftlich-sakralen Bereich. Der eine ist das Graffito aus Abydos, das ins Jahr 5 des Hor-Wenefer (= 202/1 v.Chr.) datiert.82 Hier werden ägyptische Königs-Epitheta in griechischer Transkription geboten. Die zweite Quelle für derartiges Vorgehen von ägyptischer Seite sei die Stele für einen Strategos des Hermupolites (Alexandria, Griechisch-römisches Museum, Inv. 26.050)83 aus dem 2. Jhd. v. Chr. Dort werden ägyptische Epitheta des Gottes Thot in griechischer Transkription wiedergegeben. Ob diese Strukturierung der Quellen wirklich stichhaltig ist, sei dahingestellt. In der Tat könnte es ein mögliches Szenarium sein, dass zunächst die fremden Griechen Ägyptisches in ihrer Schrift festhielten und erst sekundär die Ägypter es ihnen gleich taten. Dafür spräche, dass die vier aufgezeigten Quellen in der Tat in einer entsprechenden Schichtung aufeinander folgen. Andererseits muss der Impetus nicht unbedingt von der griechischen Seite ausgegangen sein. Es wäre auch denkbar, dass ägyptische Schreiber fallweise griechische Namen in der fremden Schrift wiedergaben, sei es aus Unsicherheit, sei es um der größtmöglichen Genauigkeit willen. Altkoptisch (Taf. 5).84 Nachdem zuerst einzelne Namen und dann ganze Sätze und kleinere Texte mit griechischen Buchstaben wiedergegeben wurden, geht man im 1.–4. Jhd. n. Chr. dazu über, ganze ägyptische Texte in einer Griechisch-basierten Alphabetschrift niederzuschreiben. Der Terminus Altkoptisch bezeichnet keinen spezifischen Dialekt, auch wenn er oft in diesem Sinne verwendet wird. Er dient lediglich als Sammelbezeichnung sowohl für die Sprache als auch die Schrift ei-
81 Hier hat Richter die Umschrift gewählt, um durch die Wahl der Schrifttype Irritationen zu vermeiden. Man hätte auch anachronistisch die ersten (griechischen) Wörter in griechischen Majuskeln notieren können und die zweiten (koptischen) in koptischer Schrift, z.B. ΚΛΙΝΗ – ⲔⲖⲞⲔ. 82 P. Lacau, Un graffito égyptien d’Abydos écrit en lettres grecques, in: Études de papyrologie II, 1934, 229–246; P.W. Pestman, Recueil de textes démotiques et bilingues, Leiden 1977, Band 1, 102–105; vol. 2, 111–112 83 V. Girgis, A new Strategos of the Hermopolite Nome, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts Abteilung Kairo 20, 1965, 121. 84 R. Kasser, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 41–45. s.v. »Old Coptic«; T.S. Richter, Greek, Coptic, and the ‘Language of the Hijra’. Rise and Decline of the Coptic Language in Late Antique and Medieval Egypt,in: H. Cotton, R. Hoyland & D.J. Wasserstein (Hrsg.), From Hellenism to Islam: Cultural and Linguistic Change in the Roman Near East, Cambridge 2008, 398–443.
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ner Gruppe paganer Texte die früher oder zeitgleich mit den christlichen bzw. manichäischen Texten in Koptisch sind.85 Mit anderen Worten: Die Abgrenzung folgt inhaltlich-kulturellen Kriterien und nicht sprach(wissenschaft)lichen. Ähnlich wie bei dem Ausdruck ›demotisch‹ bezieht sich der Begriff ›Altkoptisch‹ primär auf die Schrift und dann erst auf das Idiom. Eine schriftbasierte Definiton macht dies deutlicher: Altkoptisch wird die Verschriftung ägyptischer Sprache in Textlänge durch Schriftsysteme genannt, die, gleich dem koptischen, aus den 24 Zeichen des griechischen Alphabets sowie Ensembles von Zusatzzeichen bestehen, welche aus dem demotischen Grapheminventar generiert sind. Es sind demnach Texte, deren Schriftsystem somit im Prinzip ganz dem des Koptischen entspricht, deren Schriftformen sich jedoch im Detail von den späteren koptischen Alphabeten (und voneinander) unterscheiden. Strukturell betrachtet sind dabei Grammatik und Lexikon als ›vorkoptisch‹ einzustufen, d.h. als ›demotisch‹ oder ›spätmittelägyptisch‹. Auffällig ist das Fehlen griechischer Lehnwörter, welche in späteren Stufen des Koptischen in größerer Zahl vorkommen. In jeder Hinsicht eine Ausnahme ist der Papyrus Bodmer VI. Inhaltlich stehen die altkoptischen Texte im Kontext paganer Religion, Magie und Divination und teilen sich dabei in zwei Gruppen: Texte paganen und solche astrologischen Inhalts. Soweit die ›rein‹ altkoptischen Texte. Daneben existieren Passagen im griechischen Kontext, die ebenfalls ›altkoptisch‹ zu nennen sind. Nicht zu vergessen sind ferner altkoptische Glossen in manchen demotischen magischen Papyri. Andere Versuche, die ägyptische Sprache primär mit griechischen Zeichen zu schreiben, sollte man nicht ›altkoptisch‹ nennen. Dazu zählen vor allem die Glossen zu Jesaia, die nach Kammerer lange als ›altkoptisch‹ galten, nun jedoch als fajumisch angesehen werden.86 Der Einschub von 15 Wörtern im Berliner Magischen Papyrus (pBerlin P 5025) aus dem 4.–5. Jh. n. Chr. verwendet keine demotischen Zeichen, ist also eher als Transkription zu werten.87 Helmut Satzinger gibt eine Liste der altkoptischen Texte, die hier wiedergegeben sei.88 Danach sind ›altkoptisch‹ im engeren Sinne eigentlich nur fünf Quellen: 85 R. Haardt, Versuch einer altkoptischen Grammatik, Diss. Wien 1949; P.E. Kahle, Balaʼizah. Coptic Texts from Beir el-Balaʼizah in Upper Egypt, 2 Bände, London 1954; J. Vergote, Grammaire copte, Louvain 1973. 86 W. Kammerer, A Coptic Bibliography, Ann Arbor 1950, Anm. 1756. 87 Einmal würde man ein Suffix -f erwarten, dies wird jedoch nicht wiedergegeben. 88 H. Satzinger, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 169– 175, s.v. »Old Coptic«, 169f. Vgl. auch W. Kammerer, A Coptic Bibliography, Ann Arbor 1950; G. Steindorff, Lehrbuch der koptischen Grammatik, Chicago 1951; A. Mallon, Grammaire copte, bibliographie, chréstomathie et vocabulaire, ergänzt durch M. Malinine, Beirut 41956; J. Vergote, Grammaire copte, Louvain 1973; J. Osing, Der spätägyptische Papryus BM 10808, Ägyptologische Abhandlungen 33, Wiesbaden 1976, 128, Anm. 3.
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① Ein Gebet an eine ägyptische Gottheit, überliefert im altkoptischen Schmidt Papyrus. Der Papyrus datiert in das 1.–2. Jhd. n. Chr. und stammt eventuell aus der Gegend von Hermopolis.89 ② Der London Horoskop Papyrus (pLondon 98) aus dem 1.–2. Jhd. n. Chr.90 ③ Der Michigan Horoskop Papyrus (pMichigan 6131) aus dem 2. Jhd. n. Chr. Er kam bei Grabungen in Soknopaiou Nesos zu Tage.91 ④ Magische Sprüche im Mimaut Papyrus (pLouvre 2391) aus dem späten 3. Jhd. n. Chr.92 ⑤ Passagen im Pariser Zauberpapyrus (pBibl. Nat. suppl. gr. 574) aus dem 4. Jhd. n. Chr. Der Papyrus wurde in Theben erworben.93 Zu diesen Texten gibt es nun Vergleichsmaterial, also Wörter und Glossen in altkoptischer Schrift in Texten, die sprachlich viel älter sind als die altkoptischen Texte. Der Hauptzeuge ist der demotische Magische Papyrus oder »zweisprachige gnostische Papyrus« London & Leiden (p. Brit Mus. 10 070 [ehemals pAnastasi 1072] und pLeiden I. 383 [ehemals pAnastasi 65]. Er stammt aus dem 3. Jhd. n. Chr. und wurde in Theben erworben.94 Zwar ohne demotische Zeichen, aber eng verwandt mit diesen sog. ›Anastasi-Glossen‹ sind:
89 H. Satzinger, The Old Coptic Schmidt Papyrus, in: Journal of the American Research Center in Egypt 12, 1975, 37–50. 90 J. Černý, P.E. Kahle & R.A. Parker, The Old Coptic Horoscope, in: Journal of Egyptian Archaeology 43, 1957, 86–100, vgl. W. Kammerer, A Coptic Bibliography, Ann Arbor 1950, Nr. 1761–63 und 1766; R. Kasser, Papyrus Loniniensis 98 (the Old Coptic Horoscope) and Papyrus Bodmer VI, in: Journal of Egyptian Archaeology 49, 1963, 157–160. 91 W.H. Worrell, Notice of a Second-Century Text in Coptic Letters, in: American Journal of Semitic Languages and Literature 58, 1941, 84–90; R. Kasser & H. Satzinger, L’idiome du p. Mich. 5421 (trouvé à Karanis, nord-est du Fayoum), in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 74, 1982, 15–32. 92 K. Preisendanz, Papryi graecae magicae, die griechischen Zauberpapyri, Band I, ergänzt von A. Heinrichs, koptische Texte von G. Möller, Stuttgart ²1973, 30ff.; W. Kammerer, A Coptic Bibliography, Ann Arbor 1950, Nr. 1776. 93 K. Preisendanz, Papryi graecae magicae, die griechischen Zauberpapyri, Band I, ergänzt von A. Heinrichs, koptische Texte von G. Möller, Stuttgart ²1973, 66–77. Vgl. W. Kammerer, A Coptic Bibliography, Ann Arbor 1950, Nr. 1732, 1758–60, 1762f., 1767, 1772, 1776; P.E. Kahle, Balaʼizah. Coptic Texts from Beir el-Balaʼizah in Upper Egypt, London 1954, I:242–245; G. Roeder, Der Ausklang der ägyptischen Religion mit Reformation, Zauberei und Jenseitsglaube, Zürich 1961, 218–222. 94 F.Ll. Griffith & H.F.H. Thompson, The Demotic Magical Papyri of London and Leiden, 3 Bände, London 1904–1909. Vgl. W. Kammerer, A Coptic Bibliography, Ann Arbor 1950, Nr. 1763, 1769, 1779 und G. Roeder, Der Ausklang der ägyptischen Religion mit Reformation, Zauberei und Jenseitsglaube, Zürich 1961, 185–213.
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① Ein demotischer magischer Papyrus aus dem British Museum (p Brit. Mus 10 588) aus dem 3. Jhd. n. Chr.95 ② Glossen in pLeiden I. 384 aus dem 3. Jhd. n. Chr. oder etwas später (Es handelt sich um den selben Schreiber wie derjenige des pLeiden I. 383).96 ③ Der demotische pLouvre E 3229 [ehemals pAnastasi 1061], 3.–4. Jhd.97 ④ Glossen zu einem hieratischen Onomastikon in demotischer und altkoptischer Schrift in einem Papyrus aus Tebtunis (um 180 n. Chr.), dessen Hauptteil in Kopenhagen aufbewahrt wird (Fragmente befinden sich in Berlin und Florenz).98 ⑤ Demotische Ausdrücke und Namen mit altkoptische Glossen in einem Münchner Papyrus aus dem 2. Jh.99 ⑤ Berühmt ist ein magischer Papyrus in altkoptischer Schrift zur Wiedergabe eines klassisch-ägyptischen Textes (pBM 10 808) aus dem 2. Jhd. n. Chr. Er stammt aus Grabungen in Oxhyrhynchus.100 ⑥ In Berlin aufbewahrt werden zwei Mumienetiketten aus dem 2. Jh. n. Chr., die aus Achmim stammen.101 Sebastian Richter hat die Diskrepanz zwischen Schriftform und Datierung etwas genauer gefasst. Er unterscheidet zwischen zeitgenössischem Dokument und Archiv-Kopie, womit sich erklärt, warum manche dieser Texte älter sind als die mit koptisch normierten Alphabeten notierten Texte (um 300 n. Chr.) aber gleichzeitig noch als altkoptische gelten können (P.Mag.Paris, pBodmer VI):
95 H.I. Bell, A.G. Nock & H.F.H. Thompson, Magical Texts from a Bilingual Papyrus in the British Museum, in: Proceeding of the British Academy 17, 1931, 235–286. 96 J.H. Johnson, The Demotic Magical Spells of Leiden I 384, in: Oudheidkundige Mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden te Leiden 56, 1975, 29–64. 97 J.H. Johnson, Louvre E 3229: A Demotic Magical Text, in: Enchoria 7, 1977, 55–102. 98 J. Osing, Ein späthieratisches Ostrakon aus Tebtunis, in: Studien zur altägyptischen Kultur, Beihefte 3, 1989, 183–187. 99 H. Satzinger, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 169– 175, s.v. »Old-Coptic«; W. Spiegelberg, Demotica III, in: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Pt. 2, München 1928, 44–49. 100 W.E. Crum, An Egyptian Text in Greek Characters, in: Journal of Egyptian Archaeology 28, 1942, 20–31; J. Osing, Die Nominalbildung des Ägyptischen, Mainz 1976. 101 W. Kammerer, A Coptic Bibliography, Ann Arbor 1950, Nr. 1770 und 1775.
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ⓐ Dokument • Altkoptischer pSchmidt (Trismegistos ID 92845)102: Petition einer Frau an den Gott Osiris. ⓑ Archiv-Kopien • Spätmittelägyptischer Text in altkoptischer Schrift (P. BM EA 10808 = Trismegistos ID 108583)103: Drei magische Sprüche gegen Fieber, 2. Jhd. n. Chr. • Altkoptisches Horoskop (pLond. 98)104: Horoskop, ca. 1.–2. Jhd. n. Chr. • Altkoptische Passagen des Pariser Mag. Papyrus Bibliothèque Nationale suppl. Gr. 574 (= PMG IV = Trismegistos ID 64343), 3.–4. Jhd. n. Chr. • pBodm. VI105: Koptische (›Proto-Sahidische‹?) Version des Alttestamentlichen Proverbienbuches in einem altkoptischen Alphabet. Datierung: 3.–4. Jhd. n. Chr. Die Chronologie der Textgenres ist insgesamt sehr interessant: Zuerst sind Gebete belegt (Brief an einen Gott) und Horoskope, dann viele Glossen und zuletzt nur magische Sprüche. Das Gebet ist naturgemäß am tiefsten altägyptischen Vorstellungen verhaftet, Glossen der fremden Schrift von Natur aus zugewandt und magische Texte sind allgemein gerne in fremden Sprachen und Schriften gehalten. Die Horoskope weisen zudem eindeutig auf ein zweisprachiges Milieu, konkret auf zweisprachige Astrologen: der Rest der Papyrusrolle enthält griechische Texte. Auch die magischen Texte stehen nur innerhalb größerer Korpora griechischer Texte. In der Schriftverwendung zeigen sich weitere Entwicklungen. Während in den früheren Texten noch mehr Inkonsistenzen auftre102 H. Satzinger, The Old Coptic Schmidt Papyrus, in: Journal of the American Research Center in Egypt 12, 1975, 37–50 [1. Jh. n.Chr.?]; T.S. Richter, Miscellanea Magica, I. Das Rebus ⁄ /š/ im altkoptischen Papyrus Schmidt. in: Journal of Egyptian Archaeology 88, 2002, 247–250 [3. Jh. n.Chr.?]. 103 W. Crum, An Egyptian Text in Greek Characters, in: Journal of Egyptian Archaeology 28, 1942, 20–31; J. Dieleman, Ein spätägyptisches magisches Handbuch. Eine neue PDM oder PGM?, in F. Hoffmann & H.-J. Thissen (Hrsg.), Res Severa Verum Gaudium. Festschrift für KarlTheodor Zauzich zum 65. Geburtstag am 8. Juni 2004. Studia Demotica VI, Leuven/Paris/Dudley (MA), 2005, 121–128; J. Osing, Der spätägyptische Papyrus BM 10808, Ägyptologische Abhandlungen 33, Wiesbaden 1976; H.V. Sederholm, Papyrus British Museum 10808 and its Cultural and Religious Setting, Leiden/Boston 2006. 104 J. Cerny, P.E. Kahle & R.A. Parker, The Old Coptic Horoscope, in: Journal of Egyptian Archaeology 43, 1957, 86–100; R. Kasser, Papyrus Londoniensis 98 (The Old Coptic Horoscope) and Papyrus Bodmer VI”, in: Journal of Egyptian Archaeology 49, 1963, 157–160. 105 R. Kasser, Papyrus Bodmer VI, Livre des Proverbes, Louvain 1960; R. Kasser, Approche de la langue proto-saïdique, in: Hommages à Jean Leclant, Bibliothèque d’Étude 106, Le Caire, Band 4, 1994, 153–162.
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ten und eine Phase des Ausprobierens nachweisen, sind die Abweichungen in den späten magischen Passagen entweder künstliche Archaisierungen oder Spuren von Beeinflussungen durch das bereits etablierte ›normale‹ koptische Schriftsystem. Die Glossen weisen uns darauf hin, dass es vielleicht griechischsprachige Kompilatoren ägyptisch-magischer Texte gab und sogar Übersetzungen aus dem Griechischen ins Demotische. Diese Glossen waren wohl nicht für Sprecher des Koptischen gedacht, sondern für solche des Griechischen.106 Altkoptische Alphabete (Taf. 5).107 Die größere Bandbreite an Varianzen ist eines der herausragenden Charakteristika des Altkoptischen. Die meisten Texte datieren vor der Herausbildung der koptischen Literatursprache, wenige sind zeitgleich anzusetzen. Dies bedeutet, dass vorkoptische (›demotische‹) Elemente noch deutlich dominieren. Aber nicht nur sprachlich, sondern auch in puncto Schrift ist das Altkoptische immer noch stark dem Demotischen verpflichtet. Geschrieben sind die Texte nämlich in unterschiedlichen Varietäten des koptischen Alphabets, wobei sich der Anteil und die Verteilung der Zeichen demotischen Ursprungs voneinander unterscheiden. Manche Alphabete kommen mit weniger Sonderzeichen aus, andere, wie der Dialekt P (pBodmer VI) sind außerordentlich reich an Graphemen. Im Grunde kann man für jeden Text bzw. Schreiber ein eigenes Alphabet konstruieren. Da das Textmaterial jeweils meist nicht sehr umfangreich ist, lassen sich die verschiedenen altkoptischen Alphabete nicht als Ganzes rekonstruieren. Es lässt sich beispielsweise oft nicht sagen, ob auch wirklich alle Grapheme griechischer Herkunft benutzt werden. Es gibt jedoch keinen Grund, davon auszugehen, dass dies nicht der Fall ist, wie später etwa bei Dialekt H, in dem Gamma (Ⲅ), Delta (Ⲇ) und Zeta (Ⲍ) nicht vorkommen. Altkoptisches Schriftsystem.108 Auch wenn das Altkoptische in sprachlicher Hinsicht keine Einheit darstellt und gerade auf der Ebene des Schriftgebrauchs durch die Unterschiede zwischen den Alphabeten gekennzeichnet ist, lassen sich doch Gemeinsamkeiten im Schriftsystem erkennen. Allen Alphabeten liegt die griechische Schrift zugrunde, der fallweise demotische Zeichen beigestellt 106 H. Satzinger, Die altkoptischen Texte als Zeugnisse der Beziehungen zwischen Ägyptern und Griechen, in: P. Nagel (Hrsg.): Graeco-Coptica. Griechen und Kopten im byzantinischen Ägypten, = Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg 48 (I 29), Halle 1984, 137–146. 107 R. Kasser, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 41–48, s.v. »Alphabets, Old Coptic«. 108 H. Satzinger, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 169– 175, s.v. »Old-Coptic«.
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sind. Generell stehen die Buchstabenformen sehr nah an ihren Vorlagen. Die individuellen Texte sind in sich uneinheitlich, da mehr als ein Zeichen für dasselbe Phonem gebraucht werden kann. Manchmal gibt es dafür eine historische Erklärung, eventuell versuchte man stellenweise sogar bewusst sprachgeschichtlich zu differenzieren (h~ḥ). Die Zusatzzeichen betreffen selbstredend vor allem diejenigen Phoneme, die im griechischen Lautsystem nicht vorkommen. Manchmal wird jedoch auch eine griechische Lösung versucht, wie im pBibl. Nat., der den griechischen spiritus asper zur Darstellung von /h/ (< h und < ḥ) verwendet. Besonders spannend ist der Gebrauch des Striches im Londoner Horoskop Papyrus. Dieser ist zurückzuführen auf das demotische n (»Wasserlinie«) und notiert in jenem Text ein initiales silbisches n. Wahrscheinlich ist dies als Hinweis auf die Herkunft des Supralinearstrichs zu werten. 109 Auch in anderen Texten steht der Strich nur in Verbindung mit 〈n〉. Schließlich gilt es zu betonen, dass im Altkoptischen manchmal noch ganze Wörter mit demotischen Ligaturen oder Ideogrammen geschrieben werden. Zwar mag das eine oder andere später standardisiert gebrauchte Sonderzeichen auf eine demotische Zeichengruppe zurückgehen, Logogramme werden jedoch später nicht mehr geschrieben. Altkoptische Dialekte?110 Die altkoptischen magischen Texte wurden vor der Dialektstandardisierung niedergeschrieben. Dies soll nicht heißen, dass es keine Dialekte gab – im Gegenteil. Es fehlen lediglich die Konventionen, die sich für die einzelnen Varietäten durchzusetzen begannen. Generell wirken alle Texte des 4. Jahrhunderts nicht einheitlich, sondern kontaminiert – so auch die altkoptischen. Als Faustregel kann aufgestellt werden: Das Gebet und die magischen Texte sind in einer Form des Sahidischen verfasst, während die Glossen und der demotische magische Papyrus eine Art Achmimisch nachweisen; der Michigan Papyrus weist dagegen fayumische Charakteristika auf. In diesem Zusammenhang ist von großer Bedeutung, dass bei den Invokationen im Pariser Magischen Papyrus offenbar versucht wurde, mehrere Dialekte zu notieren, d.h. dem Leser die Möglichkeit zu geben, die Anrufung in seinem heimischen Idiom zu sprechen. Einen Sonderfall stellt der Papyrus British Museum (pBM) 10808 dar.111 Osing hat zwar versucht, die Sprache dieses Textes anhand der Phonolo-
109 W.E. Crum, An Egyptian Text in Greek Characters, in: Journal of Egyptian Archaeology 28, 1942, 20–31, 22, Anm. 2. 110 H. Satzinger, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 169– 175, s.v. »Old-Coptic«. 111 J. Osing, Der spätägyptische Papyrus BM 10808, Ägyptologische Abhandlungen 33, Wiesbaden 1976; H.V. Sederholm, Papyrus British Museum 10808 and its Cultural and Religious
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gie in die koptische Dialektgeographie einzuordnen, kommt jedoch zu einem uneinheitliche Ergebnis. Wahrscheinlich liegt hier keine Wiedergabe eines spätägyptischen Textes vor, sondern die archaisierende Schulaussprache eines klassisch-ägyptischen. Präkoptische Elemente im Altkoptischen. Aufgrund des paganen Inhalts werden im altkoptischen Korpus viele Lexeme verwendet, die sonst in koptischen Texten nicht auftreten, insbesondere Namen, Titel und Epitheta: ⲧⲃⲁⲓⲧⲱⲩ ⲥⲓ (ⲛ)ⲧⲏ
< tp.-č̣ w⸗f < sꜢ n(.) < ṭwꜢ.wt
»der auf seinem Berg«, Epitheton des Anubis »Sohn von...« »Duat, Unterwelt«
Ferner sind manche Wörter bezeugt, die später offenbar nicht mehr verwendet wurden112 ⲇⲟⲉⲓⲙ *ⲛⲓⲕⲉ ⲙⲁⲟⲩⲥⲉ ϭⲟϊ ϭⲁϥ ⲏⲟⲩ ⲡⲉⲉⲣ ⲕⲉⲡⲥⲟⲩⲛⲟⲩϥⲉ ⲥⲟⲩϧⲁⲛ ⲥⲟⲩⲃⲱⲛ ⲥⲟⲩϫⲁϫⲉ ⲁϩⲏϥ, ⲁʔⲏϥ
»Hilfe« — Koptisch ⲃⲟⲏⲑⲓⲁ »kopulieren« — Koptisch ⲣ-ⲛⲟⲉⲓⲕ »Leber« (?) — — »steh auf« (Imp.) — — »stark« — — »Glieder« — — »betören« — — »räuchern« — — »guter Stern« < sbꜢ nfr »günstiger Stern« < *sbꜢ ḫn (demot. ḫn »angenehm«) »schlechter Stern« < sbꜢ bn »schädlicher Stern« »Zeit seines Lebens« (?) (ʔ = w)
Eine weitere Auffälligkeit ist, dass mit Ausnahme von ⲁⲅⲅⲉⲗⲟⲥ und ⲁⲏⲣ keine Wörter griechischen Ursprungs verwendet werden. Möglicherweise wurden sie bewusst vermieden. Gerade im paganen Bereich ist eine gewisse Archaisierung vorstellbar. Syntaktische Aspekte weisen in der Tat auf die ältere Sprache, etwa das Fehlen des unbestimmten Artikels, der Umstand, dass das Possessivpronomen im status pronominalis direkt an das Nomen tritt, oder die KonditionalkonSetting, Leiden – Boston 2006. 112 H. Satzinger, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 169– 175, s.v. »Old Coptic«, speziell 174.
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struktionen. Daneben sind in der verbalen Morphologie einige vorkoptische Charakteristika nachzuweisen, etwa der Gebrauch der demotischen Relativform.113 Bislang ein Einzelfall ist eine Graphiekonvention im Londoner Horoskop-Papyrus. Dort gibt es eine eigene Notation des /w/ im Auslaut, das bereits im 2. Jhd. geschwunden war. Interferenzen im Spätdemotischen. In spätdemotischen Texten aus bilingualem bzw. biskripturalem Milieu lassen sich griechisch-demotische Interferenzen nachweisen, die erste Anzeichen für eine Konvergenz darstellen. So zeigt sich seit dem 3. Jhd. v. Chr., dass es professionelle Bilingualisten bzw. Biskripturalisten gab.114 Ausgewiesen wird dies durch die Verankerung griechischer Lehnwörter im Demotischen:115 εὐχάριστος σωτήρ νικηφόρος ἡγεμών στρατηγός σταθμός στατήρ σύνταξις λάγυνος πίναξ χλάμυς δουξ (< lat. dux)
Ꜣwqrsts swtr nqpls hgmn sꜢtrks sttmꜢs sttr sntks lkjnws pjnꜤks klms ṱwkse
wohltätig (königliches Epitheton) Retter (königliches Epitheton) siegreich (königliches Epitheton) Herrscher (ein Titel) Gouverneur eines Nomos (ein Titel) Gewicht (Begriff aus dem Rechnungswesen) Statêr (eine Münze) Syntaxis (eine Steuer) Flakon (als Maßeinheit) Tafel, Platte Mantel, Unhang Führer (ein Titel)
Clarysse, der sich zuletzt ausführlicher mit den griechischen Lehnwörtern im Demotischen und generell mit ägyptisch-griechischem Bilingualismus beschäftigt hat, klammerte in seinen Untersuchungen mehrere Texte systematisch aus: Den taxonomischen Lehnwortschatz eines spätdemotischen medizinischen Pa113 R. Haardt, Zum Gebrauch des präteritalen Relativums ’-’r (ⲉⲣ-) im Altkoptischen und Koptischen, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 57, 1961, 90–96; R. Haardt, Das Tempus wꜢḥ⸗f sdm im altkoptischen Text des Pariser Zauberpapyrus, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 57, 1961, 96–97; R. Haardt, Residuale Relativformen im Altkoptischen, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 59/60, 1963–64, 95–98; H. Satzinger, The Old Coptic Schmidt Papyrus, in: Journal of the American Research Center in Egypt 12, 1975, (37–50) 42f. 114 W. Clarysse, Egyptian Scribes writing Greek, in: Chronique d’Égypte 68, 1993, 186–201. 115 W. Clarysse, Greek Loan-words in Demotic, in: S.P. Vleeming (Hrsg.), Aspects in Demotic Lexicography, Studia Demotica I, Leuven 1987, 9–33.
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pyrus (pWien D 6257+) und denjenigen vierer spätdemotischer magischer Texte – Nomina zur Bezeichnung von Pflanzen, Mineralien &c. – sowie den demotischen Lehnwortschatz der spätdemotischen Ostraka aus Narmuthis/Medinet Madi.116 Diesen Lehnwortgruppen hat sich nun Sebastian Richter gewidmet und unter der Fragestellung der Schriftadaption genauer beleuchtet. Zunächst zum Corpus der spätdemotischen magischen Texte.117 Es sind dies der Papyurs Louvre E 3229 (= Trismegistos ID 64218)118, Papyrus BM EA 10588 (= Trismegistos ID 55956)119 und BM EA 10070+pLeiden I 383 (= Trismegistos ID 55955) 120 sowie der Papyrus Leiden I 384vo (= Trismegistos ID 55954)121. Als Beispiel für deren Systematik soll Papyrus P.BM EA 10070+pLeiden I 383, col. X 4 dienen. Geschrieben wird in Alphabet-Demotisch und glossiert mit griechischen Buchstaben, wobei folgende matres lectionis zum Einsatz kommen: 〈Ꜥ〉 = /a/, 〈Ꜣ〉 = /e/, 〈ꜤꜢ〉 = /o/. Interlineare Glossen in Griechisch, sinistrograd: Atone, Sabaôth, Jaô, Jaêa, Zeile in Alphabet-Demotisch, dextrograd: Ꜥ-tꜢ-nꜢy, S-Ꜥ-b-Ꜥ-ꜤꜢ-t-h, y-Ꜥ-ꜤꜢ y-Ꜥ-Ꜣ-Ꜥ
Jaô,
Jaê
y-Ꜥ-ꜤꜢ
y-Ꜥ-Ꜣ
116 W. Clarysse, Greek Loan-words in Demotic, in: S.P. Vleeming (Hrsg.), Aspects in Demotic Lexicography, Studia Demotica I, Leuven 1987, 9–33. 117 E. Bresciani & R. Pintaudi, Textes démotico-grecs et greco-démotiques des ostraca de Medinet Madi: un problème de bilinguisme, in: S.P. Vleeming (Hrsg.), Aspects in Demotic Lexicography, Studia Demotica I, Leuven 1987, 123–126; J. Dieleman, Priests, Tongues, and Rites. The London-Leiden Magical Manuscripts and Translation in Egyptian Ritual (100–300 CE), Leiden – Boston 2005; J.H. Johnson, Introduction to the Demotic Magical Papyri, in: H.D. Betz (Hrsg.), The Greek Magical Papyri, including the Demotic spells, Chicago – London ,²1992, lv– lviii; J.F. Quack, Kontinuität und Wandel in der spätägyptischen Magie, in: Studi epigrafici e linguistici 15, 1998, 77–94; R.K. Ritner, Egyptian Magical Practice under the Roman Empire: the Demotic Spells and their Religious Context, in: W. Haase (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt II.18.5, Berlin/New York 1995, 3333–3379; J. Tait, Theban Magic, in: S.P. Vleeming (Hrsg.), Hundred-gated Thebes. Acts of a colloquium on Thebes and the Theban Area in the Graeco-Roman Period, P.L.Bat. 27, Leiden – New York – Köln 1995, 169–182. 118 J.H. Johnson, Louvre E 3229: A Demotic Magical Text, in: Enchoria 7, 1977, 55–102. 119 H.I. Bell, A.D. Nock & H. Thompson, Magical texts from a biligual papyrus in the British Museum, in: Proceedings of the British Academy 17, 1931, 237–287; T. T.S. Richter, Der Dieb, der Koch, seine Frau und ihr Liebhaber. Collectanea magica für H.-W. Fischer-Elfert, in: Enchoria 29, 2004/2005, 67–78. 120 J. Dieleman, Priests, Tongues, and Rites. The London-Leiden Magical Manuscripts and Translation in Egyptian Ritual (100–300 CE), Leiden – Boston 2005; F.Ll. Griffith & F.H.H. Thompson, The Demotic Magical Papyrus of London and Leiden, 3 Bände, London 1904–1909. 121 J.H. Johnson, The Demotic Magical Spells of Leiden I 384, in: Oudheidkundige Mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden te Leiden 56, 1975, 29–64.
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Anhand der spätdemotischen Ostraka aus Narmuthis/Medinet Madi (2.–3. Jhd. n. Chr.) konnte Richter demonstrieren, wie sogar schon im Bereich des Verbs (verb borrowing122) in großem Stil aus dem Griechischen entlehnt wird:123 ri̯-ⲁⲧⲓⲕⲓⲛ ri̯-ⲁⲡⲟⲅⲣⲁⲫⲉⲥⲑⲁⲓ ri̯-ⲇⲓⲁⲃⲁⲗⲓⲛ ri̯-ⲇⲓⲱⲕⲓⲛ ri̯-ⲉⲓⲥⲁⲛⲕⲉⲗⲓⲛ ri̯-ⲕⲁⲧⲁⲫⲣⲟⲛⲓⲛ ri̯-ⲕⲁⲧⲁⲭⲱⲣⲓⲥⲓⲛ ri̯-ⲙⲏⲛⲩⲛ ri̯-ⲡⲁⲣⲁⲅⲣⲁⲫⲓⲛ ri̯-ⲡⲁⲣⲁⲧⲓⲑⲓⲛ ri̯-ⲥⲩⲛⲭⲱⲣⲓⲛ ri̯-ⲧⲉⲗⲏⲥⲧⲁⲓ
ἀδικειν ἀπογράφεσθαι διαβάλλειν διώκειν εἰσαγγέλειν καταφρονεῖν κασαχωρίζειν μηνύειν παραγραφεῖν παρατιθεῖν συγχωρεῖν τελείσθαι
ODN 167,3.10.13; ODN 186,16; ODN 110,5; ODN 103,9; ODN 114,3–4; ODN 124,6; ODN 112,2–3.9; ODN 160,1–2; ODN 145,5; ODN 115,5; ODN 123,5; ODN 129,6.
Ebenfalls in Richtung des späteren Sprachgebrauchs im Koptischen weist das Vorkommen griechischer Funktionswörter in jenen demotischen Ostraka. ⲕⲁⲧⲁ ⲁⲝⲓⲁⲛ ⲉⲓ ⲇⲏⲟⲩⲥⲓ ⲥⲟⲕⲣⲁⲧⲏⲥ ⲟ ⲕⲁⲓ ⲫⲁⲧⲣⲏⲥ
»dem Rang nach« ODN 184,10 »wenn nötig« ODN 184,15 »Sokorotês alias Phatrês« ODN 144,2–3.9–10
Schließlich sind die Ostraka ein Lehrstück für das Nebeneinander zweier Schriften, da auf ihnen mehrfach graphisches ›code-mixing‹ vorkommt. Als Beispiel dienen ODN 26,7–8 (links) und ODN 27,11–13 (rechts).
122 S. Wichmann & J. Wohlgemuth, Loan verbs in a typological perspective, in: T. Stolz, D. Bakker & R. Palomo (Hrsg.), Aspects of Language Contact: New Theoretical, Methodological and Empirical findings with special focus on Romanisation Processes. Empirical Approaches to Language Typology 35. Berlin 2008, 89–122. 123 Vgl. generell E. Bresciani, S. Pernigotti, M.C. Betrò, Ostraca Demotici da Narmuti I, Pisa 1983; E. Bresciani & R. Pintaudi, Textes démotico-grecs et greco-démotiques des ostraca de Medinet Madi: un problème de bilinguisme, in: S.P. Vleeming (Hrsg.), Aspects in Demotic Lexicography, Studia Demotica I, Leuven 1987, 123–126; P. Gallo, Ostraca demotici ed ieratici dall’archivio bilingue di Narmuthis II (nn. 34–99), Pisa 1997; A. Menchetti, Ostraca demotici e bilingui da Narmuthis (ODN 100–188), Biblioteca di studi egittologici 5, Pisa 2005; A. Menchetti & R. Pintaudi, Ostraka greci e bilingui da Narmuthis, in: Chronique d’Égypte 82, 2007, 227– 280.; S. Pernigotti, Il «copto» degli ostraca di Medinet Madi, in: Atti del XVII Congressso Internazionale di Papyrologia II, Neapel 1984, 787–791.
192 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
(Demot., sinistrograd) mtw⸗f (Griech., dextrograd) αντικατ- | ηγοριν. (Demot., sinistrograd) sẖ(Ꜣ.w) ḥꜢ.t-śp 20 »... und er klagt dagegen (αντικατήγορειν). Geschrieben im Regierungsjahr 20 ...« (Demot., sinistrograd) ẖr nꜢ mt pꜢy 30 (Griech., dextrograd) ειδος | (Demot., sinistrograd) ky-čṭ w⸗f ḫpr -ri̯⸗k r (Griech., dextrograd) μοιρω λογος | (Demot. sinistrograd) pꜢ (Griech. dextrograd) χρονο κρατωρ (Demot. sinistrograd) n wꜤ(.w) rmč »...wegen der Angelegenheiten dieser 30 Gefäße (ειδος). Weiter: Wenn Du ‚Schicksalsverkünder’ (μοιρωλόγος ) (und) ›Herrscher über die Zeit‹ für einen Menschen bist...« Funktionale Domänen im Schriftwechsel. Beleuchtet man die spätesten demotischen und die frühesten koptischen Texte im Vergleich und insbesondere hinsichtlich ihrer funktionalen Domänen, so zeigt sich ein sehr stimmiges Bild.124 Die spätesten demotischen Texte gehören folgenden Textsorten an: • • • • • •
Privatbriefe, private Memoranda u.ä.125 Private Rechtsurkunden126 Schulübungen (Medinet Madi) Mumienetiketten127 Astrologische Texte (Medinet Madi) Magische Texte128
bis 2./3. Jhd. n. Chr. bis 2./.3. Jhd. n. Chr. bis 2./3. Jhd.n. Chr. bis 3. Jhd. n. Chr. 2.–3. Jhd. n. Chr. bis 3./4. Jhd. n. Chr.
124 Zusammenstellung: T.S. Richter, Handout zu einem Vortrag »Die Neuverschriftung des Ägyptischen. Vom hieroglyphenbasierten Schriftsystem zum koptischen Alphabet«, 2010 in Leipzig. 125 C. Myers-Scotton, Contact linguistics, Oxford 2002. 126 M. Depauw, Autograph confirmation in Demotic private contracts, in: Chronique d’Égypte 78, 2003, 66–111; B. Muhs, The grapheion and the disappearance of Demotic contracts in early Roman Tebtynis and Soknopaiou Nesos, in: S. Lippert & M. Schentuleit (Hrsg.), Tebtynis und Soknopaiou Nesos – Leben im römischen Fayum, Wiesbaden 2005, 93–104; T.S. Richter, Flgys und die Datierung von O.BM EA 20300, in: Acts of the 8th International Conference of Demotic Studies, Würzburg 27 – 30 August 2002. (im Druck); K.-T. Zauzich, Demotische Texte römischer Zeit, in: G. Grimm, H. Heinen & E. Winter (Hrsg.), Das römisch-byzantinische Äypten, Ægyptiaca Treverensia II, Mainz 1983, 77–80. 127 J. Quaegebeur, Mummy labels. An orientation, in: E. Boswinkel & P.W. Pestman (Hrsg.), Textes grecs, démotiques et bilingues, P.L.Bat. 19, Leiden 1978, 232–325 128 E. Bresciani & R. Pintaudi, Textes démotico-grecs et greco-démotiques des ostraca de Medinet Madi: un problème de bilinguisme, in: S.P. Vleeming (Hrsg.), Aspects in Demotic Lexicography, Studia Demotica I, Leuven 1987, 123–126; J. Dieleman, Priests, Tongues, and Rites.
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 193
•
Private Verehrungsinschriften129
bis 5. Jhd. n. Chr.
Ganz deutlich ist also ein Rückzug des Demotischen aus dem öffentlichen Raum hin zur Verwendung für Besucherinschriften festzustellen, also der nach KarlHeinz Zauzich » […] wohl privatesten Textgattung, die nicht einmal eine zweite Person als Leser verlangt.«.130 Ein Blick auf die Textgattungen der ältesten koptischen Texte zeigt nun, dass diese aus dem religiösen Umfeld stammen, also in genau jenem ›privaten‹ Bereich angesiedelt sind, welche die letzte Bastion der demotischen Texte bildete: • • • •
Bibeltexte:131 Patristische Texte: Gnostische & manichäische Texte: Briefe:132
ab 3./4. Jhd. ab 3./4. Jhd. ab 4. Jhd. ab 4. Jhd.
The London-Leiden Magical Manuscripts and Translation in Egyptian Ritual (100–300 CE), Leiden & Boston 2005; J.H. Johnson, The Demotic Verbal System, Chicago 1976; J.F. Quack, Kontinuität und Wandel in der spätägyptischen Magie, in: Studi epigrafici e linguistici 15, 1998, 77– 94; R.K. Ritner, Egyptian Magical Practice under the Roman Empire: the Demotic Spells and their Religious Context, in: W. Haase (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt II.18.5, Berlin 1995, 3333–3379; J. Tait, Theban Magic, in: S.P. Vleeming (Hrsg.), Hundred– gated Thebes, Leiden 1995, 169–182. 129 E. Curz-Uribe, The Death of Demotic at Philae, a Study in Pilgrimage and Politics, in: T.A. Bács (Hrsg.) A Tribute to Excellence. Studies Offered in Honor of Ernö Gaál, Ulrich Luft, László Török, Studia Aegyptiaca 17, Budapest 2002, 163–184; F.Ll. Griffith. Catalogue of the Demotic Graffiti of the Dodecaschoenus, 2 Bände, Oxford 1935/1937; K.-T. Zauzich, Demotische Texte römischer Zeit, in: G. Grimm, H. Heinen & E. Winter (Hrsg.), Das römisch-byzantinische Äypten, Ægyptiaca Treverensia II, Mainz 1983, 77–80. 130 K.-T. Zauzich, Demotische Texte römischer Zeit, in: G. Grimm, H. Heinen & E. Winter (Hrsg.), Das römisch-byzantinische Äypten, Ægyptiaca Treverensia II, Mainz 1983, (77–80) 80. 131 F. Feder, Die koptischen Übersetzungen des Alten und Neuen Testaments im 4. Jahrhundert, in: J. Tubach (Hrsg.), Stabilisierung und Profilierung der koptischen Kirche im 4. Jahrhundert, Hallesche Beiträge zur Orientwissenschaft 44, 2007, 65–93; P.E. Kahle, The Coptic Literary Dialects, their Origin, Development and Interrelationship, in: P.E. Kahle, Bala’izah. Coptic Texts from Deir el-Bala’izah in Upper Egypt, London 1954, Band 1, 193–268; T.S. Richter, Greek, Coptic, and the ‘Language of the Hijra’. Rise and Decline of the Coptic Language in Late Antique and Medieval Egypt, in: H. Cotton, R. Hoyland & D.J. Wasserstein (Hrsg.), From Hellenism to Islam: Cultural and Linguistic Change in the Roman Near East, Cambridge 2008, 398– 443. 132 M. Choat, Belief and Cult in Fourth Century Papyri, Studia Antiqua Australiensia 1, Turnhout 2006; M. Choat, Epistolary Formulae in Early Coptic Letters, in: Actes du huitième congrès international d’études coptes, Paris, 28 juin – 3 juillet 2004, Orientalia Lovaniensia Analecta 163, Leuven – Paris – Dudley (MA) 2007, Band 2, 667–678; M. Choat & Ian Gardner, Towards
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• •
Private Listen und Memoranda Magische und medizinische Texte:
4. Jhd. ab 4. Jhd.
Bemerkenswert wären noch Zeugnisse zum Gebrauch des Koptischen in der klassischen Nebenüberlieferung, welche die Fokussierung im Bereich Religion bestätigen.133 Neuerungen. Schließlich soll dargelegt werden, was genau sich mit dem Schriftwechsel vom demotischen (hieroglyphenbasierten) zum koptischen (griechischbasierten) Schriftsystem änderte.134 Gerne wird nämlich vergessen, dass sich nicht nur die Schriftrichtung von sinistrograd zu dextrograd änderte, sondern der gesamte Schrifttyp ausgetauscht wurde: Ein logographisches System mit phonetischen Indikatoren, welches logographische, syllabographische und phonographische Grapheme kombinierte, wurde zugunsten eines alphabetischen Systems von ausschließlich phonographischen Zeichen aufgegeben. Anders ausgedrückt wechselte man von einem System mit komplexen GraphemPhonem-Relationen zu einem System mit einfacher Graphem-Phonem-Korrespondenz bzw. von einem phonologisch ›tiefen‹ Schriftsystem (typisch für Altverschriftungen), in dem morphologische und lexikalische Einheiten direkt abgebildet wurden, zu einem phonologisch ›flachen‹ Schriftsystem (typisch für Neuverschriftungen), das weitgehend direkt mit der phonologischen Bezugsebene korrespondiert.135 In manchen Schriftgeschichten wird heute noch ein derartiger Wechsel als ›Triumph‹ der angeblich ›rationaleren‹ Schrift über die ›pagane‹ gesehen und dafür der ›griechische Geist‹ in Anspruch genommen. Allein schon der Umstand, dass sich die Ägypter vor dem Schriftwechsel nicht von jenen nach selbigem unterschieden haben dürften, zeigt, wie unsinnig derartige Sichtweisen sein können. Der Schriftwechsel brachte durchaus Vorteile mit
a palaeography of fourth century documentary Coptic, in: M. Immerzeel & J. van der Vliet (Hrsg.), Coptic Studies on the Threshold of a New Millennium. Proceedings of the Seventh International Congress of Coptic Studies, Leiden, 27, August – 2 September 2000, Orientalia Lovaniensia Analecta 133, Leuven – Paris – Dudley (MA) 2004, Band 1, 495–504; T.S. Richter, Coptic letters, in: Asiatische Studien 62, 2008, 739–770. 133 J. Dummer, Angaben der Kirchenväter über das Koptische, in: P. Nagel (Hsg.), Probleme der koptischen Literatur, Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg, Halle 1968, 17–55; E. Petersen, Ein Fragment des Hierakas (?), in: Le Muséon 60, 1947, 257–260. 134 Vgl. T.S. Richter, Handout zu einem Vortrag »Die Neuverschriftung des Ägyptischen. Vom hieroglyphenbasierten Schriftsystem zum koptischen Alphabet«, gehalten auf dem AkademieKolloquium am 26.11. 2010 in der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Leipzig. 135 H. Glück, Schrift und Schriftlichkeit, Stuttgart 1987.
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sich, etwa eine bessere graphische Differenzierung. So stehen gleich mehrere Graphien für den demotischen Konverter nt: ① ⲉ Aorist, ② ⲉⲧ Präsens, ③ ⲉⲧⲉ Nominal- & Existenzsatz und ④ ⲛⲧ Perfekt. Andererseits wird teilweise sehr stark graphisch reduziert, ein Umstand, der das Verständnis erheblich beeinträchtigen kann, da allzu viele Formen graphisch nicht mehr zu trennen sind. Beispielsweise steht koptisch ⲉ für zahlreiche demotische Morpheme: ① Präposition r, ② Nominalendung Sg. fem. -t, ③ Umstandskonverter w und den ④ Substantivierungskonverter -r(i̯)⸗. Wie bei der Erfindung des Ackerbaus brachte die Neuverschriftung also erst einmal viele Nachteile, die man jedoch offenbar gewillt war, in Kauf zu nehmen. Nun könnte man sich fragen, worin die Vorteile bestanden. Ging mit dem Schriftwechsel eine steigende Alphabetisierung136 einher oder gar eine höhere Literalität von Frauen?137 Beides kann bezweifelt werden, sogar dass dies als Vorteil gesehen wurde. Wahrscheinlich ist also doch das religiöse Umfeld primär für die Abkehr von der paganen Schrift verantwortlich zu machen. Koptischer Einfluss auf die ägypto-griechische Phonologie.138 Dass das biskripturale/bilinguale Milieu zur Zeit der Neuverschriftung ein gegenseitiges Geben und Nehmen war, zeigt der koptische Einfluss in der ägypto-griechischen Phonologie. Ungefähr 50.000 nichtliterarische Sprachdokumente, v.a. Papyri, Ostraka und Inschriften von der Ptolemäer- bis zur byzantinischen Zeit geben Auskunft über das »ägyptische« Griechisch, d.h. über die orthographischen Variationen der griechischen Koiné, die in Ägypten gesprochen wurde. Sprachlich bewegt sich diese zwischen dem klassischen und dem modernen Griechischen. Hinweise auf zweisprachige Interferenzen sind bereits in der frühen Römerzeit nachzuweisen, in welcher die klassisch stimmhaften Plosive /b/ 〈β〉, /g/ 〈γ〉 und /d/ 〈δ〉 gelegentlich zu Frikativen verschoben werden. Dass sie jedoch prinzipiell immer noch plosiven Charakter hatten, belegt der Wechsel 〈β〉 ~ 〈π〉, 〈γ〉 ~ 〈κ〉, 〈δ〉 ~ 〈τ〉. Zwar sind derartige Phänomene primär innergriechische Entwicklungen; sicherlich durch Sprachkontakt induziert ist hingegen der graphische Wechsel mit den Aspiratae, d.h. 〈φ〉 ~ 〈π〉, 〈χ〉 ~ 〈κ〉 und 〈θ〉 ~ 〈τ〉 – im Ägypti136 Maximalistische Kalkulation bei F. Steinmann, Die Schreibkenntnisse der Kopten nach den Aussagen der Djeme-Urkunden, in: P. Nagel (Hrsg.), Studia Coptica, Berliner Byzantinistische Arbeiten 45, Berlin 1974, 101–110; vgl. dagegen z.B. R. Bagnall, The Decline of Demotic and the Rise of Coptic, in: R. Bagnall (Hrsg.), Egypt in Late Antiquity, Princeton 1993, (235– 240) 237. 137 Vgl. etwa R. Bagnall & R. Cribiore, Women’s Letters from Ancient Egypt, 300 BC – AD 800, Ann Arbor 2006. 138 J. Quaegebeur, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 186– 188, s.v. »Phonology of the Greek of Egypt, Influence of Coptic on the«.
196 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
schen gibt es nämlich die Opposition [+aspiriert] – [-aspiriert] nicht. Die klassisch langen Diphthonge werden reduziert zu einfachen Vokalen: 〈ει〉 ~ 〈ι〉 → /i/ (3. Jh. v. Chr.); 〈αι〉 ~ 〈ε〉 → /e/ (2. Jh. v. Chr.); 〈οι/υι〉 ~ 〈υ〉 → /y/ (1. Jh. n. Chr.), der kurze Diphthong 〈ου〉 war zu Beginn der Ptolemäerzeit schon zu einem Kurzvokal /ŭ/ geschwunden. Später wechselt er gelegentlich mit 〈ο/ω〉 /o/. Da dies auch bei den griechischen Lehnwörtern im Koptischen zu beobachten ist, dürfte diese Färbung ebenfalls auf koptischen Einfluss zurückzuführen sein. Die kurzen Diphthonge 〈αυ〉 und 〈ει〉 verschoben sich zu einem Gleitlaut /w/ und in byzantinischer Zeit weiter zu einem Frikativ /β/. Ob dies seine Ursache in der spätägyptischen Phonologie hat, lässt sich nicht sagen. Auffällig ist jedoch, dass der Itazismus in Ägypten stärker ausgebildet war, offenbar da das koptische Vokalsystem nur drei Frontvokale kennt (gegenüber vier im Griechischen). Darüber hinaus war das Graphem 〈η〉 wohl uneindeutig, denn es wechselt mit 〈(ε)ι〉 /i/, mit 〈ε/αι〉 /e/ und auch mit 〈υ〉. Im Koptischen erscheint 〈ⲏ〉 ausschließlich in Tonsilben und ist in der Umgebung von Sonoranten ein Allophon von /i/. In der Koiné steht 〈υ〉 für (attisches) /y/ und fällt schließlich im 9. Jh. mit 〈(ε)ι〉 / i/ zusammen; /u/ wird nun durch 〈ου〉 wiedergegeben. In byzantinischer Zeit wird (attisches) /y/ offenbar entrundet, denn 〈υ〉 wechselt mit 〈(ε)ι〉. Dass nun 〈υ〉 ebenfalls mit 〈η〉 wechselt, ist wahrscheinlich wiederum dem koptischen Einfluss zuzuschreiben, denn im Koptischen gibt es den Laut /y/ nicht. Parallel dazu wechselt 〈ⲩ ~ ⲓ ~ ⲏ〉 bei den griechischen Lehnwörtern im Koptischen. Der Wechsel 〈α ~ ε ~ ο〉 in Nichttonsilben (gelegentlich auch in Tonsilben) im ›ägyptischen‹ Griechischen wird ebenfalls auf Spracheinfluss zurückgeführt. Der markanteste Punkt, bei dem sich der koptisch-griechische Sprachkontakt direkt auf die griechische Sprache ausgewirkt hat, ist der Verlust aller quantitativen Unterscheidungen. So hat denn der Wechsel vom musikalischen zum aspiratorischen Akzent seinen Ursprung in Ägypten und basiert auf dem Einfluss des Ägyptisch-Koptischen. Die koptischen Alphabete (Taf. 4–6).139 Auch wenn der Sprachgebrauch dies suggeriert, gibt es nicht das eine koptische Alphabet, sondern mehrere Varianten desselben. Die verzerrte Sprachregelung von einem koptischen Alphabet hat ihre Ursache in der schlichten Tatsache, dass 92 % der Texte in ein und demselben Alphabet geschrieben sind, nämlich im sahidischen. Weitere 7 % der Manuskripte gebrauchen das bohairische Alphabet, das verbleibende 1 % ist in 12 weiteren Varietäten verfasst. Warum manche Alphabete marginal sind, ist eine spannende Frage. Wahrscheinlich standen sie abseits bei der Schaffung eines li139 R. Kasser, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 32–41, s.v. »Alphabets. Coptic«
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terarischen Standards, d.h. die sie verwendenden Individuen oder Gruppen hatten nicht genügend Prestige, vielleicht weil sie am Rand der Gesellschaft standen oder ihre Ansichten nicht akzeptiert wurden. Eine weitere, ebenfalls stillschweigend weit verbreitete Grundannahme ist, dass ein sahidisches Graphem in den anderen Alphabeten auch denselben Lautwert hat wie im Sahidischen. Dies muss jedoch nicht selbstverständlich der Fall sein und müsste eigentlich erst überprüft werden. Im Grunde gibt es hierzu prinzipiell zwei Arbeitshypothesen: Entweder behandelt man die koptische Sprache als Einheit (womit die orthographischen Unterschiede nur oberflächlich wären bzw. unterschiedliche Schreibtraditionen) oder aber man geht von einer großen Palette an Möglichkeiten aus, die im Koptischen prinzipiell zur Verfügung stehen – der eine Dialekt schöpft diese voll aus, der andere nicht. Anders ausgedrückt fassen nach dieser Sichtweise die einen Dialekte die Bandbreite desjenigen, für was ein Zeichen stehen kann, sehr eng, andere sehr weit. Letztere lassen entsprechend mehr(ere) Phoneme unberücksichtigt, vor allem die Laryngale. Ein Paradebeispiel für die unterschiedliche Lautung ein und desselben Phonems ist der Buchstabe ϭ. Im Sahidischen steht er für /c/, im Bohairisch jedoch für /čh/. Dieser Fall ist noch vergleichbar einfach, da die Opposition an der Grenze zwischen zwei gut abgrenzbaren Varietäten liegt. Schwierig wird es, wenn sie innerhalb desselben Dialalekts verläuft. Hier muss nach anderen Parametern gesucht werden. Im Dialekt P steht beispielsweise ⲕ bei griechischen Wörtern für /k/, bei ägyptischen für /c/, im Dialekt G steht ⲫ bei griechischen Lehnwörtern für /ph/, in ägyptischen für /f/. In anderen sehr alten Texten haben wir ⲭ in griechischen Wörtern für /kh/, in ägyptischen für /č/. In all diesen Fällen wird also hinsichtlich der Herkunft eines Lexems unterschieden. Somit handelt es sich zumindest bei einem Teil der Instanzen um (versteckte) Fremdgrapheme (Xenogramme). Kasser, der auf dieses Phänomen hingewiesen hat, bringt eine sehr eigenwillige Erklärung vor: Es handle sich nicht um ein und dasselbe Zeichen für zwei verschiedene Phoneme, sondern um zwei Zeichen unterschiedlicher Herkunft (ein griechisches und ein demotisches), die sich gegenseitig angeglichen hätten.140 Zur Unterstützung seiner These verweist er auf den Dialekt P, in dem das autochthone 〈k〉 sich aus dem demotischen 〈g〉 entwickelt haben soll141, um sich dann an das griechische Ⲕ graphisch zu assimilieren. Kasser hat mindestens 14 Alphabetvarietäten isoliert, deren Gebrauch sich nicht immer mit den Dialektgrenzen deckt. Aleph ist ein Kryptophonem im Sahidischen und in allen ande140 R. Kasser, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 32–41, s.v. »Alphabets. Coptic«, speziell 34. 141 P. du Bourguet, Grammaire fonctionelle et progressive de l’égyptien démotique, Louvain 1976, 75.
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ren Dialekten außer in Dialekt P, d.h. es wird nicht explizit graphisch ausgedrückt Alphabetfolge.142 Im Allgemeinen werden die Buchstaben des koptischen Alphabets in einer bestimmten Reihenfolge aufgelistet, nämlich zuerst die aus dem Griechischen übernommenen Zeichen in der dort üblichen Reihenfolge und dann danach Zusatzzeichen demotischer Herkunft. Bei deren Reihenfolge gab es mehrere Konventionen. In einigen alten Quellen steht nämlich Kjima (Ϭ) vor Djandja (Ϫ).143 Was ebenfalls bislang kaum untersucht wurde, sind die demotischen Sonderzeichen, die mittels Diakritika abgeleitet wurden, d.h. es gibt das »durchgestrichene« Hori und das Schai mit übergeschriebenem Stern. Im Dialekt G existiert ferner eine bemerkenswerte Schreibregelung: Hier steht das Bigraph ⲤⲌ für /š/. Das griechische Alphabet innerhalb des koptischen.144 Alle koptischen Alphabete bestehen zum überwiegenden Teil aus griechischen Graphemen, meist sind es so gut wie alle Zeichen des griechischen Alphabets. Hinzu kommt, dass die Zusatzzeichen demotischen Ursprungs sich graphisch den griechischen Zeichen annähern. So wird etwa das Fai (Ϥ) zunehmend wie ein umgedrehtes und oben offenes Rho (Ⲣ) gestaltet oder Djandja (ϫ), welches wahlweise für ein Delta (ⲇ) oder ein Chi (ⲭ) gehalten werden kann und das Schai (ϣ), das einem Omega (ⲱ) gleicht. Wenn also keine Supralinearstriche verwendet werden, kann ein Text oberflächlich durchaus wie ein zeitgenössisches griechisches Manuskript aussehen. Dies ist im Grunde nicht weiter verwunderlich, da bei der Schaffung des koptischen Alphabets im 3. Jh. n. Ch. Ägypten bereits ein halbes Jahrtausend lang stark hellenistisch geprägt war. Vergleichbares schlägt sich auch im großen lexikalischen Einfluss nieder, der zwar durchaus Spezialvokabular umfasst, jedoch auch sehr häufige Wörter. Diese Lehnwörter werden fast immer nur mit den genuin griechischen Graphemen geschrieben, selten tritt ein Ϩ auf, um eine stark aspirierte Aussprache näher zu bezeichnen (am Wortanfang oder im Wortinnern ⲣϩ für ⲣⲣ). Ob dies nun einen »Hyperurbanismus«145 oder eine »sekundä142 R. Kasser, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 32–41, s.v. »Alphabets. Coptic«. 143 H.R. Hall, Coptic and Greek Texts of the Christian Period from Ostraca, Stelae etc. in the British Museum, London 1905, 35f.; J. Krall, Reste koptischer Schulbücherliteratur, in: Mitteilungen aus der Sammlung des Papyrus Erzherzog Rainer 4, 1888, 126–135, bes. 129f.; A. di Bitonto Kasser, Ostraca scolastici copti a Deir al Gizâz, in: Aegyptus 68, 1988, 167–175. 144 R. Kasser, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 30–32, s.v. »Alphabets in Coptic, Greek« 145 J. Vergote, Grammaire copte, Louvain 1973, 15.
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re« und »vulgäre«146 Aspirierung abbildet, sei dahingestellt – auf jeden Fall ist es ein Kennzeichen des ägyptischen Griechisch.147 Umgekehrt treten bestimmte griechische Zeichen (etwa ⲅ, ⲇ und ⲍ) fast ausschließlich in Wörtern griechischen Ursprungs auf.148 Es existieren lediglich im lykopolitanischen Sprachareal Texte, bei denen wortinitiales ϣ für griechisch ἱ bzw. εἱ steht, wo man ϩ erwarten würde.149 Grundsätzlich war man nämlich bestrebt, für jeden Laut ein und nur ein Zeichen zu verwenden und dieses auch nur für diesen Laut. Gleichwohl darf man nicht aus den Augen lassen, dass Ägypten auch nach der Etablierung der koptischen Alphabete immer biskriptural blieb, ganz gleich welche koptische Schriftvarietät zum Einsatz kam: Daneben wurde die griechische Schrift immer zur Schreibung des Griechischen gebraucht. Beide Alphabete stehen durchaus nebeneinander, auch wenn das eine Teil des anderen ist. Im Altkoptischen ist die Anzahl der Sonderzeichen demotischer Herkunft besonders groß und sie wurde mit der Zeit deutlich reduziert. Meist werden hierfür praktische Gründe verantwortlich gemacht, man stellt sich daher vor, dass sich die Anzahl dieser Zeichen im Laufe der Zeit einpendelt, wenn auch nie völlig gleichmäßig, denn es gibt ja immer mehrere koptische Alphabete. Im Altäthiopischen ist Vergleichbares übrigens nicht zu beobachten. Hier gibt es auch kein Nebeneinander verschiedener Alphabetvarietäten. Wichtiger noch ist die Frage: Warum kommt es zuerst zu einem Anstieg der Grapheme und dann erst zu einer Vereinfachung? Eine Erklärung wäre der Umstand, dass das hellenistische Voraltkoptische nur unzureichend zur Wiedergabe des Ägyptischen geeignet war. Dass man bemüht war, diese Sprache zunehmend gut abzubilden, ist allerdings sehr bemerkenswert. Aber auch dies kann erklärt werden: Fast alle altkoptischen Texte sind magischen Inhalts, sind also aus einem Bereich, bei dem die korrekte Aussprache von essentieller Bedeutung ist. Dieser voraltkoptische Schriftgebrauch des griechischen Alphabets ist auch noch in byzantinischer Zeit belegt, v.a. in Briefen150, aber ansonsten sehr marginal. Kasser geht sogar so weit zu sagen, dass dieser Schriftusus nicht der Vorläufer für die koptischen Alphabete war, d.h. dass der Begriff »Zusatzzeichen« eigentlich unpassend sei. Man solle vielmehr umgekehrt besser von einer Reform des Demotischen sprechen, bei welcher vie146 H.-F. Weiss, Zum Problem der griechischen Fremd- und Lehnwörter in den Sprachen des christlichen Orients, in: Helikon 6, 1966, (183–209) 204. 147 A. Böhlig, Die griechischen Lehnwörter im sahidischen und bohairischen Neuen Testament, München 1958, 111. 148 J. Vergote, Grammaire copte, Louvain 1973, 10. 149 R. Kasser, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 30–32, s.v. »Alphabets in Coptic, Greek«, speziell S. 31. 150 R. Kasser, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 30–32, s.v. »Alphabets in Coptic, Greek«, speziell S. 32.
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le Fremdgrapheme übernommen wurden.151 Der Hauptzweck dieser Reform sei die Schreibökonomie gewesen. Diese Sichtweise scheint mir dann doch übertrieben in die andere Richtung auszuschlagen. Wahrscheinlich wäre es am sinnvollsten, von einer Mischung zweier Systeme auszugehen. Ökonomisierungstendenzen. Wie auch immer, die Optimierung des Systems schreitet voran: Der ›neutralste‹ koptische Dialekt (Sahidisch) hat sechs ›Zusatzzeichen‹ (ϣ, ϥ, ϩ, ϫ, ϭ, ϯ) bei 30 Graphemen, der ›ökonomischste‹ Metadialekt H besitzt nur vier (ϣ, ϩ, ϫ, ϭ) bei 23 Zeichen. Der altkoptische Dialekt P wies demgegenüber 35 Buchstaben auf. Es ist nun sehr interessant zu beobachten, dass die Ökonomisierung auch auf die griechischen Zeichen übergreift, wobei sogar die Unterscheidung Omega/Omikron nivelliert wird und damit sowohl Omikron (ⲟ) als auch Ypsilon (ⲩ) fast nur noch als Digraph ⲟⲩ für /u/ verwendet werden. Insgesamt reduziert sich das koptische Alphabet im Lauf der Zeit durch Lautwandel und veränderte Schreibkonvention durch die folgenden Ersetzungen: ϥ → ⲃ, Ϯ → ⲧⲓ, ⲅ → ⲕ, ⲝ → ⲕⲥ, ⲯ → ⲡⲥ, ⲟ → ⲱ und ⲩ → ⲏ. Fazit. Einen Schluß aus den obigen Ausführungen zu ziehen, ist vergleichsweise schwierig, vor allem weil die Quellen so disparat sind. Genau dieses Element ist gleichzeitig die Quintessenz, dass nämlich die Schaffung der koptischen Schrift nicht als linaerer Prozess gesehen werden darf, die an einem Ort zu einer bestimmten Zeit aus einem ganz bestimmten Grund stattfand. Es muss vielmehr hier mit einem prozessorientierten Modell gearbeitet werden, das der Vielschichtigkeit und Gleichzeitigkeit der Entwicklungen Rechnung trägt. Leider sind die Quellen zu spärlich, um definitive Aussagen zu machen. So ist es zwar möglich, dass im Voraltkoptischen zuerst Griechischsprachler damit begannen, Ägyptisch mit griechischen Lettern zu schreiben und Ägyptischsprachler es ihnen dann nachtaten. Diese Sicht der Dinge könnte stark eurozentristisch überformt sein, andererseits muss dies nicht heißen, dass sie in der Sache falsch ist. Bislang viel zu wenig bedacht wurde die Möglichkeit, dass man in Ägypten schon seit Jahrhunderten mit Konsonantenschriften vertraut war, allen voran der aramäischen. Gerade das Aramäische in der Perserzeit könnte dann auch eine Art »Wegbereiter« für die koptische Schrift gewesen sein. Zwar ist in dieser Hinsicht die These Kassers erfrischend, es handle sich überhaupt nicht um eine Neuverschriftung, sondern um eine extrem radikale Reform der demotischen Schrift. Gleichwohl ist auf den ersten Blick evident, dass diese über das Ziel hinaus schießt. Wovon es allerdings abzukommen gilt, ist die Sichtweise, 151 R. Kasser, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 30–32, s.v. »Alphabets in Coptic, Greek«, speziell S. 32.
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wonach der Impetus zur Neuverschriftung vom griechischen bzw. christlichen Milieu ausging. Ein zentraler Aspekt bei der phonologischen Präzisierung, die mit dem Altkoptischen einsetzt, liegt nämlich in der Tatsache begründet, dass magische, d.h. pagane Texte möglichst wirkungsmächtig notiert werden sollten. Es darf auch nicht übersehen werden, dass einer der bekanntesten Textzeugen, der Papyrus BM 10808, keinen demotischen oder koptischen Text wiedergibt, sondern wohl einen spätmittelägyptischen. Überhaupt gestalten sich die Abgrenzungen schwierig, etwa beim Übergang vom Voraltkoptischen (= Demotisch!) zum Altkoptischen. Allgemein kann man sagen: Es dauerte ziemlich lange, bis sich an verschiedenen Orten unterschiedliche koptische Alphabete herausbildeten und normiert wurden. Dass dies überhaupt geschah, sagt uns zweierlei: Erstens muss es intensiven Kontakt zwischen den Zentren dieser Plurigenese gegeben haben, zweitens müssen diese ein gemeinsames Interesse geteilt haben, in dem für die altägyptische Schriftkultur kein Platz mehr war. Die kulturellen Hintergründe dieses Phänomens sollen jedoch in einem eigenen Kapitel behandelt werden. Zunächst soll die ›Fortschriftung‹ des griechisch-koptischen Alphabets in Nubien beleuchtet werden.
4.2.2 Von der griechisch-koptischen zur altnubischen Schrift Im Gegensatz zur Herausbildung der koptischen Schrift ist diejenige der altnubischen Schrift bislang kaum näher untersucht worden. Es ist sogar unklar, ob man hier – wie in Ägypten – von einer Neuverschriftung oder von einer Erstverschriftung reden muss, da wir nicht genau wissen, ob das Meroitische, dessen Schriftkultur Nubien über Jahrhunderte beherrscht hatte, genetisch mit dem Nubischen zusammenhängt bzw. wie eng.152 Wenn das Altnubische tatsächlich die Fortsetzung des Meroitischen sein sollte, wie Carsten Peust postuliert hat,153 dann läge eine Neuverschriftung vor. Wenn jedoch die traditionelle Lehrmeinung Gültigkeit besitzt, wonach das Meroitische wenn überhaupt dann nur eine Schwestersprache des Nubischen war, hätten die Nubier erstmals ihr Idiom systematisch verschriftlicht. Wie dem auch sei: Ende des 4. bzw. Anfang des 5. Jahrhunderts n. Chr. ist Meroitisch immer noch die allgemein gebräuchliche Schriftsprache Nubiens. In Ägypten ist zu dieser Zeit die griechische Schrift bereits fest etabliert und auch die koptische bereits herausgebildet. Das Griechi152 C. Rilly, Le Méroïtique et sa famille linguistique, Leuven 2009 sprach sich jüngst erneut für eine enge Verbindung zwischen beiden Sprach(grupp)en aus. 153 C. Peust, Das Napatanische, Göttingen 1999 benennt das »Altnubische« daher in »Mittelnubisch« um und sieht das Meroitische als eigentliches »Altnubisch« an.
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sche übernimmt auch in Nubien im 5. Jhd. die Funktion der Sprache offizieller Inschriften. Daneben wird für Königsinschriften und Briefe das Koptische gebraucht sowie für religiöse, administrative und kommerzielle Angelegenheiten.154 Diese beiden Schriftsprachen bleiben im gesamten nubischen ›Mittelalter‹ für Inschriften jeglicher Art im Gebrauch, von Grabsteinen bis hin zu Graffiti auf Mauern und Keramik. Sie werden also offenbar weithin verstanden. 155 Die ältesten Dokumente in altnubischer Sprache und Schrift stammen erst vom Ende des 8. Jhd. n. Chr.,156 auch wenn ein koptisch-altnubischer Papyrus aus paläographischen Gründen älter sein könnte.157 Die Datierung eines Graffitos aus dem Wadi es-Sebua (Griffith: »Jahr 511 der Märtyrer« [=795 n. Chr.]) wurde in der Zwischenzeit korrigiert.158 Auch wenn die Quellen fehlen, so ist doch anzunehmen, dass die Adaption der Schrift zur Wiedergabe der lokalen Sprache deutlich früher stattfand. Der (vermeintliche) Hiatus zwischen dem Ende der meroitischen und dem Beginn der altnubischen Schriftkultur wird hier in einem eigenen Kapitel behandelt. Nur so viel: In Qasr Ibrim wurden koptische Briefe an Führer der Noubaden gefunden (FHN 1165–1175), die um 450 n. Chr. datieren und zeitgleich sind mit den letzten meroitischen Inschriften von diesem Ort. Die Christianisierung Nubiens wird allgemein um 550 n. Chr. angesetzt. Da wie beim Koptischen in Nubien der Großteil der neuen Schrift aus den Buchstaben des griechischen Alphabets besteht und die ›Sonderzeichen‹ meroitischer Herkunft gesondert behandelt werden, soll im Folgenden vor allem auf das schriftsprachliche Milieu zur Zeit der Adaption eingegangen werden. Literarizität im nachmeroitischen Nubien. Allgemein wird davon ausgegangen, dass in der nubischen Spätantike der Grad an Literarizität hoch war.159 Offenbar bestand ein starkes Bedürfnis, kommemoriert zu werden, oft mit einem griechi-
154 W.Y. Adams, Qasr Ibrim. The Late Medieyal Period, London 1996, 219 und 222; J.M. Plumley, New Evidence on Christian Nubia in the Light of Recent Excavations, in: S. Jakobielski (Hrsg.), Nubia Christiana, Warschau 1982, 15–21, hier 18. 155 Diskussion zur Mehrsprachigkeit in Nubien: P.L. Shinnie, Multilingualism in Medieval Nubia, in: Abdelgadir Mahmoud Abdalla (Hrsg.), Studies in Ancient Languages of the Sudan, Khartoum 1974, 41–47. 156 A. Łajtar, Greek Funerary Inscriptions from Old Dongola: General Note, in: Oriens Christianus 81, 1997, (107–126) 117. Der älteste datierbare Text stammt aus dem Jahr 797 n. Chr. 157 G.M. Browne, A Papyrus Document in Coptic and Old Nubian, in: Journal of Juristic Papyrology 23, 1993, 199–218. 158 G.M. Browne, Old Nubian Dictionary, Corpus scriptorum christianorum orientalium, Leuven 1996, 1. 159 Zum Niedergang der Literarizität in Qasr Ibrim vgl. W.Y. Adams, Qasr Ibrim. The Late Medieval Period, London 1996, 223f.
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schen Text, auch wenn dies wenig über die Literarizität der Handwerker oder gar der Verstorbenen aussagt. Grabsteine beschriftet mit einem Gebet für den Toten (aus dem Euchologion Mega) finden sich in ganz Nubien, nicht nur in den Zentren.160 Aussagekräftiger sind die zahlreichen Graffiti auf Keramik,161 da man ziemlich sicher sein kann, dass es sich bei den Rezipienten um Nubier und keine Fremden handelt. Griechische Graffiti finden sich an vielen Fundorten und assoziiert mit unterschiedlichen Gebäuden (Häuser sowohl als Kirchen) – besonders bekannt sind die zahlreichen Graffiti an den Mauern der Kathedrale von Faras. Sie sind oft gemischt mit altnubischen und enthalten sprachlich sehr viele Fehler.162 Fremdsprachenunterricht. Derartige Hinweise auf unvollkommenen Spracherwerb impliziert eine Form des Fremdsprachunterrichts. In der Tat gibt es Hinweise auf das Unterrichten von Griechisch und Koptisch in Nubien: Im Faras wurde ein koptisches Alphabet gefunden, das wohl zu Demonstrations- oder Memorierzwecken diente. Geschrieben ist es mit schwarzer Tusche auf einem verzierten Steinblock, welcher in der Kathedrale wiederverwendet worden war.163 In Debeira West fand sich entsprechend ein koptisches Alphabet auf einem Ostrakon.164 Schreibmaterialien. Wie selbstverständlich die verschiedenen Schriftsprachen nebeneinander existierten zeigt sich deutlich bei den Funden aus Qasr Ibrim. Aufgrund der extremen Trockenheit und weil es vor Ort keine Termiten gibt, haben sich hier Texte auf organischem Material besonders gut erhalten. Die tausende von Dokumenten in Meroitisch, Latein, Griechisch, Koptisch, Altnubisch, Arabisch und Osmanisch wurden oft wiederverwendet, d.h. auf einer Seite steht ein Text in einer Sprache und auf der Rückseite ein anderer Text in einer anderen.165 Die Verwendung der Schrift war offenbar weit verbreitet, nur ihre Beherrschung oft eher mangelhaft. Dabei spielt Papyrus seit der Bronzezeit eine große Rolle, bis ins ›Mittelalter‹ hinein.166 Nach der Ptolemäerzeit wird dann auch Per-
160 D.A. Welsby, The Medieval Kingdoms of Nubia, London 2002, 238. 161 D.A. Welsby, The Medieval Kingdoms of Nubia, London 2002, Abb. 28 und 96. 162 S. Jakobielski, Inscriptions, in: K. Michałowski, Faras. Wall Paintings in the Collection of the National Museum in Warsaw, Warschau 1974, 279–309, hier 299. 163 K. Michałowski, Faras. Fouilles Polonaises 1961–1962, Warschau 1965, 80 und 176–178, Abb. 48, 94 und 95. 164 P.L. Shinnie & M. Shinnie, Debeira West. A Medieval Nubian Town, Warminster 1978, 98, Nr. 195. 165 D.A. Welsby, The Medieval Kingdoms of Nubia, London 2002, 241.
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gament als Schreibmaterial gebraucht167, sogar hergestellt aus Krokodilleder (Beispiele aus Qurta).168 Papier war von Ägypten ausgehend im späten 8. oder frühen 9. Jhd. bekannt geworden.169 Zumindest in Qasr Ibrim verdrängte es andere Schreibmaterialien fast völlig:170 Dort wurden ganze Bücher aus Pergament und vielleicht auch aus Papier gefunden – von anderen Orten gibt es Reste von Bucheinbänden. Einer der am besten erhaltenen Codices wurde 1963/1964 in Serra Ost entdeckt. Er enthält 24 nummerierte Pergamentseiten (ca. 27x18 cm) in einem Ledereinband. Der Text ist eine Predigt aus den Schriften des Johannes Chrysostomos, also eine Übersetzung aus dem Griechischen ins Altnubische, und stammt wohl aus dem 11. oder 12. Jh.171 Sogar längere Texte wurden auf Keramikscherben geschrieben, allerdings ist bei diesen die Tinte oft abgewaschen und daher schlecht erhaltenen. Die einzigen nicht-monumentalen Dokumente aus Alwa sind bisher drei große und ein kleines Ostrakon aus Soba Ost. Eins ist ein magischer Text, ein anderes ein Brief und das dritte eine kurze Invokation, vielleicht als Schreibübung; das vierte Ostrakon enthält einen Teil eines religiösen Textes auf der einen Seite und auf der anderen die Zeichnung einer Kirche. Geschrieben sind sie in Griechisch bzw. einem Gemisch aus Griechisch und Altnubisch.172 Nubisches Griechisch. Zunächst soll betont werden, dass nicht alle griechischen Texte aus Nubien in ›schlechtem‹ Griechisch verfasst sind. Denn es gilt, darauf zu fokussieren, dass keine lineare Entwicklung feststellbar ist, die von guten Griechischkenntnissen hin zu schlechten reicht. Mit anderen Worten: die Qualität der Texte nimmt weder stetig zu noch ab. Am unteren Ende der Skala rangiert (nach der Einschätzung von Hägg) der Brief des Blemmyerkönigs an den der Noubaden (Mitte 5. Jh.).173 Es handelt sich offenbar um die direkte Nieder-
166 J.M. Plumley, The Christian Period at Qasr Ibrim. Some Notes on the MSS Finds, in: K. Michałowski (Hrsg.), Nubia. Récentes Recherches, Warschau 1975, 101–107, hier 103f. 167 J.M. Plumley, New Light on the Kingdom of Dotawo, in: Études Nubiennes. Colloque de Chantilly 2–6 Juillet 1975, Kairo 1978, 231–242, hier 233. 168 F.Ll. Griffith, Christian Documents from Nubia, in: Proceedings of the British Academy 14, 1928, 131f. 169 J.M. Plumley, Qasr Ibrim and Islam, in: Études et Travaux 12, 1983, 157–170, hier 161. 170 W.Y. Adams, Qasr Ibrim. The Late Medieyal Period, London 1996, 219. 171 G.M. Browne, Notes on Old Nubian Texts, in: Sudan Texts Bulletin 6, 1984, 26–36. 172 S. Jakobielski, The inscriptions, ostraca and graffiti, in: D.A. Welsby & C.M. Daniels (Hrsg.), Soba. Archaeological Research at a Medieval Capital on the Blue Nile, London 1991, 274–296, hier besonders 277–279. 173 T. Hägg, Some remarks on the use of Greek in Nubia, in: J.M. Plumley (Hrsg.), Nubian Studies, Warminster 1982, 103–107, hier 104f.
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schrift des griechischbasierten Pidgin, welches deren beider lingua franca darstellte. Der sog. ›Phonen-Brief‹ ist aufgrund der Normabweichungen so schwer zu verstehen, dass drei Forscher in ihren Studien zu drei verschiedenen Übersetzungen gelangten.174 Nach Skeat handelt sich sich bei dem Brief am ehesten um ein reines Prestigeobjekt, die eigentliche Nachricht sei mündlich überbracht worden.175 Daher könne auch nicht von lingua franca, sondern es müsse von ›Displayschrift‹ gesprochen werden.176 Erklärbar sei ein solches Verhalten durch den ständigen Kontakt mit Ägypten. Außerdem meint Skeat zurecht, man solle sich davor hüten, die Sprachform mit derjenigen des klassischen Athen oder auch nur mit derjenigen des gebildeten Römers zu vergleichen. Vielmehr sei sie im Kontext der auch sonst üblichen gesprochen Koine, besonders derjenigen Ägyptens, zu werten.177 Wie gut oder schlecht das Griechisch der Nubier auch gewesen sein mag, es bleibt neben dem Koptischen bis ans Ende des nubischen ›Mittelalters‹ eine der beherrschenden Schriftsprachen in der Region – vielleicht sogar wurde noch im 11. Jhd. in Nubien Griechisch gesprochen. 178 Hierzu vergleiche man die Arbeiten von Adams.179 Innerhalb dieses Zeitraumes und auch innerhalb der Regionen sind Unterschiede festzustellen: In Qasr Ibrim dominierten Griechisch und Koptisch im 9.–11. Jh., während der Gebrauch des Altnubischen und Arabischen im 12.–15. Jh. überwiegt.180 Griechisch als offizielle Sprache. War der Gebrauch des Koptischen etwa im Kloster Dair al-Ghazali noch durch die Anwesenheit koptischer Mönche (d.h. Muttersprachler) zu erklären, so muss bei den zwar wenigen, aber doch belegten griechischen Stelen aus der Region um die Mündung des Wadi Abu Dom (ca. 10 km 174 T.C. Skeat, A Letter from the King of the Blemmyes to the King of the Noubades, in: Journal of Egyptian Archaeology, 63, 1977, 169–178; J.R. Rea, The Letter of Phonen to Aburni, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epihraphik 34, 1979, 147–162; T. Hägg, Blemmyan Greek and the Letter of Phonen, in: M. Krause (Hrsg.), Nubische Studien, Mainz 1986, 281–286. 175 C. Rilly, The Last Trace of Meroitic? A Tentative Scenario for the Disappearance of the Meroitic Script, in: J. Baines & S.D. Houston (Hrsg.), The disappearance of writing systems: Perspectives on literacy and communication, London 2008, 185–205. 176 C. Rilly, The Last Trace of Meroitic? A Tentative Scenario for the Disappearance of the Meroitic Script, in: J. Baines & S.D. Houston (Hrsg.), The disappearance of writing systems: Perspectives on literacy and communication, London 2008, 185–205. 177 Th. Hägg, Some remarks on the use of Greek in Nubia, in: J.M. Plumley (Hrsg.), Nubian Studies, Warminster 1982, 103–107, hier 106. 178 J.F. Oates, A Christian Inscription in Greek from Armenna in Nubia, in: Journal of Egyptian Archaeology 49, 1963, 161–171, hier 171 179 W.Y. Adams, Qasr Ibrim. The Late Medieval Period, London 1996, 221. 180 J.M. Plumley, The Christian Period at Qasr Ibrim. Some Notes on the MSS Finds, in: K. Michałowski (Hrsg.), Nubia. Récentes Recherches, Warschau 1975, 101–107, hier 102.
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von Dair al-Ghazali) auf das große Prestige des Griechischen als Sprache der Oikumene hingewiesen werden.181 Zumindest in Alt-Dongola scheint Griechisch die offizielle Schriftsprache gewesen zu sein.182 Die Verteilung von Griechisch und Koptisch auf der Bauinschrift des Paulos in Faras (707 n. Chr.) legt ebenfalls nahe, dass beiden Sprachen dort ein offizieller Status zukam.183 Was Alwa angeht, so besitzen wir die Aussage des Ibn Selim aus dem 10. Jhd., der zu Alwa schreibt: »ihre (religiösen) Bücher sind auf Griechisch […] sie übersetzen diese in ihre eigene Sprache«.184 Wie lange das Griechische diesen privilegierten Status halten konnte, ist nicht ganz sicher – jedenfalls wird die Sprache in Qasr Ibrim nicht nach dem 3. Viertel des 12. Jhds. gebraucht.185 Textdomänen. Um die schriftsprachliche Situation im christlichen Nubien besser verstehen zu können, sollen nun die verschiedenen Textsorten vorgestellt werden, die bezeugt sind. Es fällt auf, dass sie fast alle im religiösen Bereich angesiedelt sind, selbst die Graffiti. Das Gros der epigraphischen Zeugnisse jener Zeit besteht aus Epitaphen – Bauinschriften sind demgegenüber viel seltener. Vielleicht ist dies kein Zufall, denn bereits im meroitischer Zeit war es offenbar nicht besonders üblich, den Bau eines Gebäudes durch eine entsprechende Inschrift einer Person zuzuweisen. Bei den Graffiti sind zwei Textformen beherrschend: die Listen und die Eigentumsvermerke. Die Listen stehen gerne im Kontext von Wandmalereien, die Eigentumsvermerke mit Kreuzeszeichen. Diese sind in vielfältigsten Formen allgegenwärtig, oft verbunden mit Kryptogrammen. Der Übergang zu magischen Texten ist demnach fließend. Grabinschriften. Die nubischen Grabinschriften sind nicht nur auf Steinstelen bezeugt, sondern auch auf solchen aus Terrakotta. Wie die meisten Inschriften neigen sie zur Formelhaftigkeit. Obwohl sie vergleichsweise häufig sind, werden sie trotzdem doch nur einer Oberschicht vorbehalten gewesen sein. Von den verschiedenen Inschriftentypen186 weist der häufigste ein Gebet vom Typ
181 A. Lajtar, Three Christian Epitaphs from the Area of Gebel Barkal, in: Journal of Juristic Papyriology 26, 1996, 73–89, hier 81. 182 A. Lajtar, Greek Funerary Inscriptions from Old Dongola: General Note, in: Oriens Christianus 81, 1997, 107–126, hier 116. 183 S. Jakobielski, Faras III. A History of the Bishopric of Pachoras, Warschau 1972, 46. 184 Bei el-Maqrizi, vgl. G. Vantini, Oriental Sources concerning Nubia, Heidelberg & Warschau 1975, 614. 185 W.Y. Adams, Qasr Ibrim. The Late Medieval Period, London 1996, 220f. 186 H. Junker, Die christlichen Grabsteine Nubiens, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 60, 1925, 111–148.
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Euchologion Mega auf, das typisch ist für griechische Grabinschriften:187 Nach einer Invokation folgt die Bitte, dass die Seele des Verstorbenen in Frieden ruhen möge, summarische Information über den Verstorbenen, seltener Titel und Ämter, Gebet und dann Alter und Todeszeitpunkt.188 Wir erfahren also über diese Texte ein wenig über die Verstorbenen, ihren sozialen Status, über Vorfahren und Nachkommen. Die Dominanz dieses Epitaphtyps kommt nicht von ingefähr: Er erinnert stark an Form und Inhalt der meroitischen Totentexte. Mit anderen Worten: Der Inschriftentyp ist zwar sprachlich griechisch (also fremd), der Inhalt jedoch eine Weiterführung der meroitischen Tradition. Als Beispiel für ein nubisches Epitaph sei der königliche Grabstein des Dawid, König von Alwa vorgestellt, der im Standardstil gehalten ist.189 Es handelt sich um die einzige Grabinschrift eines Königs, die im christlichen Nubien gefunden wurde, ist also sowohl exemplarisch als auch singulär. »Oh Gott des Geistes und allen Fleisches. Du, der du den Tod unwirksam machtest und den Hades zertratest, und der Welt Leben gabst, bette die Seele (dieses deines) Dieners David, des Königs, an der Brust Abrahams, Isaaks und Jakobs, an einem Ort des Lichts, an einem Ort satten Grüns, an einem Ort der Erfrischung, von wo Schmerz und Trauer geflohen. Vergebe [jeder Sünde begangen] durch ihn in Wort und Tat [oder Denken, erlasse und vergebe], denn [es gibt keinen, der lebt] und ohne Sünde ist. [Du allein, O Gott, bist ohne] Sünde und Deine Gerechtigkeit [ist ew]ige [Gerechtigkeit]. Oh Herr, Dein Wort [ist Wahrheit], denn Du bist die Ruhe und die Auferstehung Deines Dieners und Dir singen wir die Glorie des Vaters, und des Sohnes und des Heiligen Geistes, jetzt und immerdar und für immer. Amen. Das Jahr von seiner Geburt, als er (noch) nicht König (war) [..], wobei er König war 16 Jahre und drei Monate. Nach den Märtyrern (im Jahre) 732 vollendete er (sein Leben) am 2. des Monats Hathor; Donnerstag.«
Ein anderes Epitaph aus Arminna West kann wie folgt übersetzt werden:190
187 A. Lajtar, Greek Funerary Inscriptions from Old Dongola: General Note, in: Oriens Christianus 81, 1997, 107–126; T. Hägg, Two Christian Epitaphs in Greek of the »Euchologion Mega« Type, in: T. Säve-Söderbergh (Hrsg.), Late Nubian Cemeteries, Solna 1982, 55–62. 188 A. Lajtar, Greek Funerary Inscriptions from Old Dongola: General Note, in: Oriens Christianus 81, 1997, 107–126, hier 109. 189 S. Jakobielski, The inscriptions, ostraca and graffiti, in: D.A. Welsby & C.M. Daniels (Hrsg.), Soba. Archaeological Research at a Medieval Capital on the Blue Nile, London 1991, 274–296, besonders 275 mit Korrekturen von Th. Hägg, Greek in Upper Nubia: An Assessment of the New Material, in: Cahier de Recherches de l’Institut de Papyriologie et d’Égyptologie de Lille 17.3, 1998, 113–119, besonders 114f.; D.A. Welsby, The Medieval Kingdoms of Nubia, London 2002, Abb. 97. 190 B.G. Trigger, The Late Nubian Settlement of Arminna West, New Haven & Philadelphia 1967, 33.
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»Nach dem Zeugnis, das der Schöpfer gab, nämlich ›Adam, Du bist Staub und zu Staub wirst Du wieder werden‹, war dies die Art, in welcher die gesegnete Maria zur Ruhe ging, die da war die Tochter des Ptoou und die Tochter der Miriam im Monat Hathor des Jahres (der Märtyrer) 637. (Die Anzahl) ihrer Jahre war 39. Der gute Gott soll sie ruhen lassen im Schoße Abrahams, Isaaks und Jakobs unter dem Baum des Lebens, der im Paradiese der Freude steht, mit all seinen Heiligen, die ausrufen: »Amen, so sei es, Amen«.
Aus Alt-Dongola stammt die Grabinschrift des Eparchen von Nobadia, Petros (datiert ins Jahr 798), in welcher der Tod des Verstorbenen als Ergebnis göttlichen Eingreifens geschildert wird. Dort heißt es:191 »Durch den Willen und Befehl Gottes, der alles erschuf, fiel der gesegnete Petros, Eparch des Landes der Noubaden, in den Schlaf, am 12. des Monats Tybi, im Jahr 514 nach Diokletian. Der Gott des Geistes und allen Fleisches bette seine Seele im Schoße Abrahams und Isaaks und Jakobs, (dort) wo alle deine Heiligen sind […] ruhen.«
Graffiti. Das reichhaltige epigraphische Material aus Nubien enthält eine Fülle an Informationen prosopographischer und chronologischer Natur und ist zumeist gut in den archäologischen Kontext eingebettet. Besonders zu erwähnen ist hier eine Liste von Bischöfen an der Wand einer Nische im südöstlichen Teil der Kathedrale von Faras. Sie enthält die Namen von 27 Bischöfen und eine Lücke für einen weiteren. Die ersten 15 Namen sind von derselben Hand geschrieben. Entweder wurden sie von einem älteren Dokument abgeschrieben oder es handelt sich um einen Fall von Fortschreibung. Jeder Eintrag weist Name, das Wort für »Jahr«, das Jahr des Episkopats und den Monat und Tag des Todes auf. In der zweiten Hälfte der Liste wurde eine zusätzliche Spalte mit gelegentlichen Kommentaren wie »gestorben« angefügt. Diese Bischofsliste kann mit den Wandmalereien korreliert und daher eingeordnet werden.192 Eine andere Liste ist größtenteils unleserlich – sie enthielt wohl die Namen der Eparchen oder Könige von Makuria. Zwei weitere Listen zählen Priester und Diakone auf. 193 Bauinschriften sind im christlichen Nubien selten. Die bezeugten Exemplare wurden errichtet für den Bau der Festung in Ikhmindi, der Kirchen in Faras und bei der Konversion von Tempel in Kirchen in Debod und Taifa.194 Weitere Graffiti sind meist kurz, auf Keramik wie auch auf Felsen oder Gebäuden geschrieben – oft handelt es sich nur um einen einzelnen Buchstaben oder ein Monogramm. Diejenigen, die auf Keramik vor dem Brennen angebracht 191 A. Łajtar, Two Greek Funerary Stelae from Polith Excavations in Old Dongola, in: Archéologie du Nil Moyen 5, 1991, 157–166, bes. 158. 192 D.A. Welsby, The Medieval Kingdoms of Nubia, London 2002, 240. 193 S. Jakobielski, Faras III. A History of the Bichopric of Pachoras, Warschau 1972, 190ff. 194 D.A. Welsby, The Medieval Kingdoms of Nubia, London 2002, 240.
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 209
wurden, sind wohl Eigentumsmarkierungen (weniger Werkstattzeichen). In AltDongola wurden die persönlichen Geschirrservices von fünf Mönchen gefunden, darunter das eines Archiepiskopos und eines Archemandriten des Klosters der Heiligen Dreifaltigkeit. Die Namen stehen im Innern der Teller, viele weisen das Kreuzzeichen auf, gefolgt von den Buchstaben ⲁⲃ – der Abkürzung für Abba – und dem Namen des jeweiligen Besitzers.195 Einige haben den Titel des Mönchs, den Namen des Klosters und das Kryptogramm für Michael ⲭⲡⲑ.196 Eines der interessanteren und historisch wichtigsten Graffiti an Gebäuden ist das des Joel, König von Dotawo, in der Kathedrale von Faras. Hervorzuheben ist ferner das Graffito des Giorgiou, Christ liebender König, auf einem Architrav aus Soba Ost.197 Kreuz und Kryptogramm. An vielen nubischen Gräbern findet sich ein Kreuz aus Stein, Terrakotta und vielleicht sogar aus Holz. 198 Manche der Kreuze in Tamit und Alt-Dongola wurden wie Stelen aufgestellt und vor dem Brennen beschriftet.199 Auch im Wadi Abu Dom bzw. Deir al-Gazali in Umm Ruweim, dem Wadi el-Kab westlich von Dongola und auf der Insel Mis am 4. Katarakt ist dieser Brauch nachgewiesen,200 in Deir el-Ghazali fand sich sogar ein Stumpf in situ.201 Als Graffiti an Wänden oder Keramik findet sich oft eine Anrufung des Erzengels Michael (ⲙⲓⲭⲁⲏⲗ), der in Nubien sehr populär war. Entweder ist sein Name ganz ausgeschrieben, als Monogramm in Kreuzesform gestaltet oder als Kryptogramm.202 Der Hintergrund für diese Prominenz des Michael wird in einem kop-
195 D.A. Welsby, The Medieval Kingdoms of Nubia, London 2002, 240 mit Abb. 96. 196 K. Pluskota, Old Dongola. Recent Pottery Finds, in: Cahier de Recherses de l’Institut de Papyriologie et d’Égyptologie de Lille 17, 1997, 235–242, besonders 236ff. 197 S. Jakobielski, The inscriptions, ostraca and graffiti, in: D.A. Welsby & C.M. Daniels (Hrsg.), Soba. Archaeological Research at a Medieval Capital on the Blue Nile, London 1991, 274–296, besonders 276. 198 E. Dinkler, Beobachtungen zur Ikonographie des Kreuzes in der nubischen Kunst, in: K. Michałowski (Hrsg.), Nubia. Récentes Recherches, Warschau 1975, 22–30; P. Van Moorsel, Die Nubier und das glorreiche Kreuz, in: Bulletin Antieke Beschaving 47, 1972, 125–134 unterscheidet vier Kreuztypen. Vgl. D.A. Welsby, The Medieval Kingdoms of Nubia, London 2002, Abb. 27. 199 B. Żurawski, The Cemeteries of Dongola. A Preliminary Report, in: Cahier de Recherches de l’Institut de Papyriologie et d’Égyptologie de Lille 17.2, 1997, 195–210, hier 200. 200 B. Żurawski, The Monastery on Kom H in Old Dongola. The monk’s graves, in: Nubica IV/V, 1999, 201–253, bes. 208f. 201 P.L. Shinnie & H.N. Chittick, Ghazali – A Monastery in the Northern Sudan, Khartoum 1961, 23. 202 D.A. Welsby, The Medieval Kingdoms of Nubia, London 2002, Abb. 28.
210 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
tischen Text des Timotheos (Erzbischof von Alexandria) beschrieben.203 Die kryptographische Schreibung operiert mit den Zahlenwerten der Buchstaben: 204 ⲙⲓⲭⲁⲉⲗ = 40 (ⲙ) + 10 (ⲓ) + 600 (ⲭ) + 1 (ⲁ) + 8 (ⲉ) + 30 (ⲗ) = 689 = ⲭⲡⲑ. Sie ist auf dem erwähnten Tafelgeschirr der Mönche vom Kloster der Heiligen Trinität in Alt-Dongola häufig zu finden.205 Magische Texte. Von kryptographischen Schreibungen ist es nicht mehr weit zu magischen Texten. Immerhin muss betont werden, dass sich viele pagane Bräuche noch bis lange in die christliche Zeit in Nubien hielten. Sogar bei einigen Bischofsgräbern ließen sich Löcher für ein Libationsopfer nachweisen, wie dies bei anderen antiken und afrikanischen Kulturen ganz und gäbe war.206 Im Ostraum der Kreuzförmigen Kirche von Alt-Dongola fanden sich Hinweise auf künstliche Mumifikation und das Zusammenbinden der Glieder desVerstorbenen.207 Am Gebel Adda wurden sogar Binden mit magischen Texten um den Toten gewickelt.208 In dieses Bild passt der Brauch, Grabwände mit religiös-magischen Texten zu versehen, was ebenfalls noch eine Remeniszenz der ägyptischmeroitischen Kultur sein dürfte. Das prominenteste Beispiel dieser Art ist die Krypta, die wohl dem Erzbischof Giorgis zugewiesen werden kann, der 1113 starb. Entdeckt wurde sie Ende der 1990er Jahre im Kloster der Heiligen Trinität in Alt-Dongola. Die Texte bedecken alle Wände.209 In Qasr Ibrim wurden spät203 D.A. Welsby, The Medieval Kingdoms of Nubia, London 2002, 65: »Because the name of Michael will be for them a strong armour. If a man writes these glorious letters upon the (?wall) of his house that is nothing of the enemy will come upon the house nor will the device of wicked men have power over it. But let everyone who shall write it for himself as an amulet take care concerning the compact lest he place it in where a place there is defilement, because great is the power of these marvellous names.«. 204 J.M. Plumley, Nubian Christian Numerical Cryptograms: Some Elucidations, in: P. Van Moorsel (Hrsg.), New Discoveries in Nubia, Leiden 1982, 91–99. 205 K. Pluskota, Old Dongola. Recent Pottery Finds, in: Cahier de Recherches de l’Institut de Papyriologie et d’Égyptologie de Lille 17, 1997, 235–242, hier 237; vgl. J.R. Anderson, The Graffiti, in: D.A. Welsby (Hrsg.), Soba II. Renewed Excavation within the Metropolis of the Kingdom of Alwa in Central Sudan, London 1998, 185–209, hier 185. 206 B. Żurawski, Bishops’ tombs on Faras, in: M. Krause (Hrsg.), Nubische Studien, Mainz am Rhein 1986, 413–418, hier 416. 207 B. Żurawski, The Monastery on Kom H in Old Dongola. The monk’s graves, in: Nubica IV/V, 1999, 201–253, besonders 222ff. 208 N.B. Millet, Gebel Adda Preliminary Report for 1965–66, in: Journal of the American Research Center in Egypt 6, 1967, 53–63, hier 60; B. Żurawski, The Nubian Mortuary Complex, in: Th. Hägg (Hrsg.), Nubian Culture, Past and Present, Stockholm 1987, 275–278, besonders 277 mit äthiopischen Bezügen. 209 B. Żurawski, The Cemeteries of Dongola. A Preliminary Report, in: Cahier de Recherches de l’Institut de Papyriologie et d’Égyptologie de Lille 17.2 1997, 195–210, hier 206; B. Żurawski,
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 211
christlich-magische Texte auf Altnubisch und Arabisch gefunden. Die altnubischen weisen wie die frühen griechischen Reihen bestimmter Buchstaben auf, vor allem Vokale. Einige der Buchstaben erhielten angefügte Kringelchen. Einer der Texte kann gedeutet werden als »»ein Mann von böser Geburt [...]«, gefolgt von den Zeichen ⲟ, ⲁ und ⲉ.210 Aus Akscha stammt ein rechteckiges Gefäß mit koptischer Schrift in weißer Farbe. Der Text erbittet göttlichen Schutz für den Inhalt und Fluch dem Frevler (er soll mit Blindheit geschlagen werden).211 Ebenfalls ziemlich pagan sind die Bauopfer: In Hambukol wurden ›Magische Schalen‹ in den Ecken eines Gebäudes deponiert (als Fallen für Dämonen), innen versehen mit den griechisch geschriebenen Namen der 72 Jünger Christi und der 12 Apostel (nach Lukas).212 Nach Hägg sei dies kein koptischer Brauch, sondern er stamme aus dem sassanidischen Babylon des 6.–7. Jhd. n. Chr.213 Ob wirklich ein Bezug zu den aramäischen Zauberschalen besteht, erscheint mir fraglich. Wahrscheinlicher handelt es sich um eine Weiterführung ägyptischer Gründungsdepots. Mischformen. Ein besonderes Charakteristikum der nubischen Inschriften sind die zahlreichen erhaltenen Mischformen. Beispielsweise ist ein Graffito im Kloster des St. Simeon in Asswan aus dem Jahre 1322 in altnubischer Schrift geschrieben, sprachlich ist es jedoch in korruptem Griechisch gehalten.214 Unter den spätesten griechischen Texten von Alt-Dongola ist ein Ostrakon, welches mit dem 26. Psalm beginnt. Es datiert ins späte 13. oder frühe 14. Jh. und zeigt deutliche altnubische Einflüsse.215 Wird hier eher durch Unvermögen gemischt, geschieht dies bei Bischof Timotheos aus dem späten 14. Jh. mit Absicht. Der Großteil ist auf Koptisch geschrieben, die Grußformel an die Kongregation in
The Monastery on Kom H in Old Dongola. The monk’s graves, in: Nubica IV/V, 1999, 201–253, besonders 222ff. Farbphoto bei D.A. Welsby, The Medieval Kingdoms of Nubia, London 2002, Taf. I. 210 W.Y. Adams, Qasr Ibrim. The Late Medieval Period, London 1996, 241f. 211 J. Vercoutter, Les Fouilles Chrétiennes Françaises à Aksha, Mirgissa et Sai, in: E. Dinkler (Hrsg.), Kunst und Geschichte Nubiens in Christlicher Zeit, Recklinghausen 1970, 155–162, hier 156, Taf. 129. 212 K. Grzymski, Excavations at Hambukol (Upper Nubia): 1987 and 1988 Seasons, in: Journal of the American Research Center in Egypt 27, 1990, 139–163, besonders 148. 213 T. Hägg, Magic Bowls Inscribed with an Apostles-and-Disciples Catalogue from the Christian Settlement of Hambukok (Upper Nubia), in: Orientalia 64, 1993, 376–399, bes. 393f. 214 F.Ll. Griffith, Christian Documents from Nubia, in: Proceedings of the British Academy 14, 1928, 117–146, hier 134ff. 215 W. Godlewski, Old Dongola. Excavations 1997 – Kom A, in: Polish Archaeology in the Mediterranean 9, 1998, 171–179, hier 179.
212 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
Faras am Anfang ist jedoch auf Griechisch.216 Eine der bemerkenswertesten nubischen Inschriften ist die Grabinschrift des nubischen Königs Giorgios (*1106; reg. 1130–58) vom Kloster der Syrer im Wadi an-Natrūn in Nordägypten, in Griechisch und Altnubisch.217 Der Rand dieser großen Marmortafel ist mit einer griechischen Inschrift versehen, das Innere mit einer altnubischen. Warum sich das Epitaph dieses Herrschers so weit im Norden Ägyptens fand, ist unklar. Zweisprachige Grabstelen wie diese sind keine Seltenheit, sondern waren vor allem bei kirchlichen Würdenträgern in Faras und Alt-Dongola sehr beliebt.218 Fazit. Die Situation bei der Herausbildung der altnubischen Schrift stellt sich in vielerlei Hinsicht gänzlich anders dar als beim Koptischen, obwohl auch hier das Griechische beteiligt war. Dies hat mehrere Gründe. Der Hauptgrund ist schlichtweg die Quellenlage: Die formative Phase der Adaption kann nicht so gut nachvollzogen werden, da sich kein dem (Vor)Altkoptischen vergleichbares Korpus erhalten hat. Dass es eine experimentelle Phase des Altnubischen nie gab, ist nur schwer vorstellbar. Weitere Besonderheiten liegen in der dem Altnubischen vorangehenden Kulturphase. Im Gegensatz zu Ägypten schrieb man in Nubien bei der Übernahme des griechisch-koptischen Alphabets schon seit einem halben Jahrtausend mit einer Schrift, bei welcher die phonologischen Aspekte im Vordergrund stehen. Gleichzeitig war Nubien nie so stark griechisch durchdrungen wie seine nördliche Nachbarregion. Dies zeigt sich u.a. darin, dass sich pagane Bräuche noch sehr lange gehalten haben, bis hin zur Tradition der Totentexte oder dem Beschriften von Grabkammern. Die Epitaphe sind zwar in sprachlicher Hinsicht griechisch überformt und folgen bekannten Formeln, der Inhalt lässt jedoch noch deutlich Anklänge an die meroitischen Totentexte erkennen. Die Durchmischung, das selbstverständliche und wohl auch gleichberechtigte Nebeneinander von griechischen, koptischen und altnubischen Texten scheint ein weiteres Charakteristkum der nubischen Schriftkultur zu sein. Dass dabei den beiden erstgenannten Schriftsprachen ein besonderes Prestige zukommt, ist nicht verwunderlich. Bemerkenswert ist eher, dass sich beim Gebrauch der Schrift und Sprache die Textdomänen nicht wirklich voneinander isolieren lassen.
216 J.M. Plumley, The Scrolls of Bishop Timotheos, London 1975, 21. 217 F.Ll. Griffith, Christian Documents from Nubia, in: Proceedings of the British Academy 14, 1928, 117–146, 121ff. Abb. S. 124. 218 D.A. Welsby, The Medieval Kingdoms of Nubia, London 2002, Kapitel 3.
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 213
4.2.3 Von der ägyptischen zur napatanischen Schrift Eines der offensichtlichsten Charakteristika des Napatanischen ist die spezielle Form der Hieroglyphenschrift, die zum Teil deutlich vom Standardägyptischen abweicht, und zwar sowohl in den Zeichenformen als auch in der Zeichenverwendung und in den Lautwerten. Zwar sind alle napatanischen Schriftzeugnisse, die sich uns erhalten haben, prinzipiell in einer Form der Denkmälerschrift geschrieben, doch weisen viele Zeichenformen deutliche Beeinflussungen aus einer Linear- bzw. Kursivschrift auf. Der Gebrauch einer solchen ist für das napatanische Nubien zwar nicht direkt nachzuweisen, jedoch aufgrund jener Interferenzen zu postulieren. Das Schriftsystem basiert prinzipiell auf dem ägyptischen, ist also primär gemischt-morphographisch und weist dieselbe Schriftrichtung und -orientierung auf. Die Abweichungen liegen zumeist im Detail und sind oft nicht sogleich zu bemerken. Dies gilt für Elemantarphonogramme (›Einkonsonantenzeichen‹) 〈m, s, g, ḏ, ṯ〉, komplexe Phonogramme (›Mehrkonsonantenzeichen‹) 〈Ꜥn, (w)ḏꜢ, ḥm, ḥr, ḫꜤ, sw〉 und Logogramme 〈sḏm, ḥr()-b〉 gleichermaßen. Auf die Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Erstens hat dies Carsten Peust in seiner Dissertation für die längeren Inschriften bereits ausführlich getan,219 zweitens sollen hier die Anfänge der napatanischen Schrift thematisiert werden und die besagten Inschriften von Nastasen, Harsiyotef und Ari stehen erst am Ende einer längeren Entwicklungsreihe, die mit der Transkription meroitischer Personennamen beginnt. Die ›napatanische Orthographie‹. Diese Namen von Mitgliedern des Königshauses von Kusch (25. Dynastie und napatanische Zeit) wurden bislang – wenn überhaupt – nur hinsichtlich eines möglichen sprachlichen Anschlusses an das Meroitische untersucht.220 Da in dem jüngst erschienenen 25. Band der Reihe Meroitica Karola Zibelius-Chen das gesamte Material zusammengestellt ist, kann im Folgenden erstmals versucht werden, diese frühnapatanischen Namen
219 C. Peust, Das Napatanische, Göttingen 1999. 220 Die umfangreiche Dissertation K.-H. Priese, Das meroitische Sprachmaterial in den ägyptischen Inschriften des Reiches von Kusch, Dissertation HU-Berlin 1965 (vidi!) wurde nie vollständig publiziert, fand jedoch Eingang in die neueste Arbeit zum Thema: K. Zibelius-Chen, »Nubisches« Sprachmaterial in hieroglyphischen und hieratischen Texten. Personennamen, Appellativa, Phrasen vom Neuen Reich bis in die napatanische und meroitische Zeit. Mit einem demotischen Anhang, Meroitica 25, Wiesbaden 2011. Dort nicht berücksichtigt wurde die ebenfalls nicht veröffentlichte Dissertation von Caroline Fléchelle, Transcription des anthroponymes kouchites en écriture égyptienne de la XXVe dynastie au début du royaume de Méroé, Diss. Sorbonne 2004.
214 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
systematisch hinsichtlich ihrer Graphematik auszuwerten.221 In der folgenden Tabelle sind sie alle in chronologischer Reihenfolge versammelt, wobei sich Kolumne 2 auf die Seitenzahlen in Meroitica 25 bezieht, wo die einzelnen hieroglyphischen Graphien leicht nachzuschlagen sind. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die in Meroitica 25 gegebenen Graphien egalisiert sind, sie wurden nämlich alle in rechtsläufige Zeilenschreibungen umgesetzt. Die Gemahlinnen stehen hinter den jeweiligen Herrschern, dahinter in drei Fällen noch weitere Personen: der Königssohn Chaliut, die unklare Pekersari und der General Pekartror. Die grauen Balken rahmen die Personen verschiedener Generationen voneinander ab. Männernamen sind kursiv, Frauennamen nicht kursiv gesetzt. Um Missverständnisse zu vermeiden, wurde nicht transkribiert, sondern nach den folgenden Prinzipien transliteriert: •
• •
•
Zur Differenzierung homophoner Zeichen wurde stellenweise eine Beschreibung des Zeichens in Klammern gesetzt, etwa (storch ) vs. (widder ), beides mit dem Lautwert 〈bꜢ〉. Der Strich bei Zweikonsonantenzeichen in ›Gruppenschrift‹ ist durch die hochgestellte römische Ziffer I notiert, die ›Pluralstriche‹ durch III. 〈n(n)〉 steht für die beiden Pflanzenzeichen (2x M22 ), bei denen unklar ist, ob man äyptisch als Monogramm -n-n- oder schon meroitisch N -ne- lesen muss. Nicht unterschieden wird in der Umschrift (bei Madiqen) zwischen der ›m-Eule‹ mit ( ) und ohne ( ) überschnittenem Arm und bei Maqmalo nicht zwischen der ›m-Eule‹ ( ) und dem ›liegenden m‹ ( ), das sonst nur noch bei Malotasan vorkommt.
Zwei Parameter müssen bei einer Untersuchung kuschitenzeitlich-napatanischer Namen mitberücksichtigt werden. Zum einen müssen die Belege in chronologischer Reihenfolge betrachtet werden, zum anderen hinsichtlich der Herkunft ihrer Textzeugen.222 Beides ist in der folgenden Tabelle aufgeschlüsselt (graue Zeilen trennen verschiedene Perioden ab). Alara
(63ff.)
I͗:-rw-rw (Kawa) I͗:-rw-rw-ï/ (2x Kawa [Taharqo/Arike-amanote]) I͗:-rw(I)-rI (Kurru; Napata [Nastasen])
221 Vgl. auch C. Peust, Rezension von Meroitica 25, in: Lingua Aegyptia 19, 2011, 347–361. 222 Die Trennung der Textzeugen-Herkunft ist im Grunde nur in der ›Kuschitenzeit‹ sinnvoll, weil danach praktisch keine Quellen vorkommen, die in Ägypten entstanden sein dürften.
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 215
Kasaqa
(259f.) KꜢ(rind
)-s-q-t (Kurru; Kawa)
Kaschta
(261f.)
KꜢ(arme KꜢ(arme KꜢ(rind KꜢ(rind
)-š-tꜢ (4x Ägypten [Amenirdis I.; Peksater]) )-šꜢ-ṯ (2x Ägypten) )-š-ṯ (Ägypten) )-š-tꜢ (Kurru)
Pabatma
(120)
P-bꜢ(storch ter])
Pianchy
(114ff.) P-ꜤNḪ( )-y (26x Ägypten & Nubien; mit Positionsvar.) P-y (2x Ägypten)
Tabiry
(256f.) T-Ꜣ-b-ri̯(auge T-Ꜣ-b-ri̯(auge ment)
Abar/Abalo
(13)
I͗:-bꜢ(storch )-rw (Kawa) [I͗:]-bꜢ(storch )-r[w] (Sanam) [I͗:]-bI-rwI (Napata) [I͗:]-b-frau( )-rwI (Napata, dasselbe Monument)
Peksater
(130)
P-k-sꜢI-ṯ-r(I) (2x Abydos) P-{nb}223-ꜤNḪ( )-sꜢI-ṯ-r-arm(
)-ṯ-mꜢ (2x Ägypten [Amenirdis I.; Peks-
)-y (Kurru) )-y-frau (Kurru, dasselbe Monu-
) (Napata)
Chensa
(188f.) Ḫ-n-n-sꜢI-w-t (Kurru) Ḫ-n-n-sꜢ-w (Kurru) Ḫ-n-n-sꜢ-w-t (Karnak) K-n-n-sꜢ-t (2x Ägypten)
Schabaqo
(216f.)
ŠꜢ-bꜢ(widder )-kꜢ (10x Ägypten, 4x Nubien) ŠꜢ-bꜢ(storch )-kꜢ (Ägypten [TT99]) Σεβιχώς; Sabteca
Qalhata
(232)
Q-rw-h-tꜢ-t (Napata) Q-rw-h-t-tꜢ (Kurru) G-rw-h-t-tꜢ (Kurru)
Pekartror
(131)
PꜢ-g-Ꜣ-ṯ-tꜢ-rI -rwI -edler
(Abydos)
223 So jedenfalls die Lehrmeinung. Es könnte jedoch auch p-Ꜥnḫ phonetisch für meroit. bo(n)ẖe »Herrscher« stehen, dazwischen das ägytische Logogramm nb »Herr«.
216 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
Schabataqo
(218f.)
ŠꜢ-bꜢ-tꜢ-kꜢ (5x Ägypten, 2x Nubien) Šá-pa-ta-ku[u]; Σαβάκων/ς
I
I͗[:]-rI-ṯ-y-frau
(Ägypten)
Arty
(78)
Taharqo
(271ff.) TꜢ-h-rw-q (6x Ägypten, 9x Nubien) T-h-rw-q (1x Kerma, 1x Ägypten) TꜢ-h-Ꜣ-r-q-Ꜣ (Wadi Hammamat) TꜢ-h-rw-k-Ꜣ (Wadi Hammamat) TꜢI-h-Ꜣ-rwI-q (Ägypten [kursivhierat. Brief]) I Tarkû; Tirhâqah; Ταρ(α)κος
Naparaye
(155)
Takahatamani (47)
N(n)-p-r-y (Kurru) N(n)-p-y (Kurru, dasselbe Monument) Ḏi̯(geben)-k-h-t-I͗mn bzw. I͗-mnn-ḏi̯(geben
)-k-h-t (Napata
Atachebasken (93)
I͗:-t-ḫ-bꜢ(storch )-s-k-n-ï (Nuri) I͗:-t-ḫ-bꜢ(storch )I-sꜢI-k-n-ï (Nuri) I͗-tꜢ-ḫ--b-ś-k-n(n) (Nuri)
Tanutamani
(39ff.)
TꜢ-n-wꜢ-t-I͗mn(.w) (8x Nubien) Τεμένθης, Itàn-ta-ma-né-e
Petarty?
(133)
P-[t?]-ꜤNḪ -:-rI-ï (Napata)
Chaliut
(190)
ḪꜢ-rw-w-ṯ-Ꜣ (Napata) ḪꜢ-rw-w-t-edler (Napata, dasselbe Monument)
Pekersari
(128)
P-k-r-sꜢ-rw- (Ägypten) ꜤNḪ( )-p-k-sꜢ-r-arm( )-y (Ägypten)
Atlanersa
(91ff.)
I͗-t-rw-n-r-sꜢI (2x Napata, 1x Alt-Dongola) I͗-t-rw-n-r-sꜢ (Nuri) I͗-t-rw-n-sꜢ (Napata) I͗-d-ï-rw-n-rw-s (Nubien)
Malotaral
(140)
MꜢ-rw-nfr -t-rw-r (Nuri)
Senkamanisken
(203ff.) S-n-kꜢ(rind )-I͗mn-s-k-n (12x Nubien, u.a. Nuri) S-n-kꜢ(rind )-I͗mn-s-k-nIII (Nuri) I͗-mnn-ś-kꜢ(arme )-s-k-n (Nuri)
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 217
Nasalsa
(156)
N(n)-n-n-s-rw -sꜢI (4x Nubien [u.a. Sanam:Aspelta; Nuri]) N(n)-n-n-s-rw -sꜢ (Nuri) N(n)-n-n-s-rw (Nuri) N(n)-s-rw-s (Nuri; Napata [Chaliut]) N(n)-š-rw-[...] (Meroë) [N-sꜢ]-r -sꜢI-frau (Kawa [Anlamani]) N-s-r-sꜢ-t-frau (Kawa [Anlamani]) N(n)-sꜢI-rI -sꜢI-frau (Sanam [Aspelta])
Anlamani
(21ff.)
I͗-mnn--n-rw (10x Nubien; 2x fragment.)
Madiqen
(150)
M-d-ï-kind M-d-ï-kind M-d-ï-kind M-d-kind M-d-kind
Aspalta
(83ff.)
I͗-s-p-rw-tꜢ (12x Nubien; [u.a. Chaliut]) I͗-ś-p-rw-tꜢ (Sanam, Kawa [fragm.], Napata [Nastasen])
Asata
(89)
I͗w-sꜢI-tꜢ (Nuri) I͗w-sꜢI-ṯ-Ꜣ (Nuri) I͗w-sꜢI-ṯ-w (Nuri)
Artaha
(78)
I͗w-rw-tꜢ-h (Nuri)
Maqmalo
(146f.) M-q-m-rw (Nuri, Sanam [beides Uschebti]) M-q-NṮR 7-m-rw (Nuri) M-q-NṮR 7-m-rw-kind (Nuri)
Aramatelqo
(183f.)
Ḥr
Amanitakaye
(45)
I͗mn-tꜢI -kꜢ(arme ) (2x Nuri) I͗mn-tꜢI -kꜢ(arme )-y (Nuri [Grundsteinbeigaben])
Achaqa
(82)
I͗:-ḫ-ï-q-t (Nuri) I͗:-ḫ--q (Meroë [ohne Kartusche])
Atmataka
(94)
I͗w-ṯ-mꜢ-ṯ-k (Nuri) I͗w-ṯ-k-w (Nuri)
-q-n-ï (Sanam) -q-n (Nuri) -q-n(n) (2x Sanam) -q-n-ï (Nuri) -k-n-ï (Nuri)
-mꜢ-t-rw-q (3x Nuri; Meroë; 1x Auslaut zerstört)
218 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
I͗w-ṯ-mꜢ-ṯ-k-t (Nuri) Malotasan
(143)
M-r-nfr -t-w-s-n-ï (Nuri)
Pi(anch)her
(118)
P-Ꜥnḫ -h-r (Nuri) P-Ꜥnḫ -h-rw (Nuri)
Malonaqene
(138)
MꜢ-rw-nfr -n-q-n(n) (6x Nubien, davon 1x fragm.) MꜢ-rw-nfr -n-q (Meroë) MꜢ-rw-{sn -tꜢ(N17+N21)}-n(n) (Kawa)
Tagtal
(275)
TꜢ-g-tꜢ-w-rw (Nuri)
Analmacheye
(51f.)
I͗-n-rw-mꜢ-{ꜤꜢ} (Nuri) I͗-n-rw-mꜢ-{ꜤꜢ}I (Nuri) N-rw-bein-mꜢ-{ꜤꜢ} (Nuri) N-rw-bein-mꜢ-{ꜤꜢ}I (Nuri) N-rw-bein-mꜢ-n-t (Nuri) N-rw-bein-mꜢ-{ꜤꜢ}-y (Nuri)
Amani-natak- (32f.) lebte
I͗mnn-n-tꜢ-kꜢ(rind )-rw-bꜢ(widder )-tꜢ (Nuri) I͗mnn-{tꜢ}kreis(für g [V33 ])-rw-b-t (Nuri) I͗mnn-n-tꜢ-kꜢ(rind )-bꜢ(widder )-kreis (Meroë) I͗mnn-m-rw-bꜢ(widder )-[...] (Meroë) {spd(M44 )}-{tꜢ}-tꜢ-kꜢ(arme )I-rw-b-t (Nuri) N-tꜢ-g-rw-bꜢ(widder )-tꜢ (Nuri) N-tꜢ-kreis(für g [V33 ])-rw-bꜢ(widder ) (Nuri) N-tꜢ-kreis(für g [V33 ])-rw-b-t (Nuri) N-tꜢ-{t}-rw-{kꜢ(rind )} (Nuri)
Karkamani
(37ff.)
I͗mnn-kꜢ(rind I͗mnn-kꜢ(rind I͗mnn-kꜢ(rind
Amaniastabaqo
(26f.)
I͗mnn--ś-t-bꜢ(widder )-r-q (Nuri) I͗mnn--ś-t-bꜢ(widder )-rw-q (2x Nuri; [1x Totenstele]) I͗mnn--ś-t-rw-q-bꜢ(widder ) (Nuri [Totenstele], vetauschte Reihenfolge!)
)-rw-kꜢ(Arme ) (Meroë) )-rw-kꜢ(Arme )-ï (Meroë) )-rw-kꜢ(Arme )I-grg (3x Nuri)
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 219
I͗mnn--ś-ṯ-bꜢ(widder )-rw-q (Nuri [Totenstele]) I͗-ś-t-b-r-q (Nuri) I͗-{}-t-b-r-q (Nuri) Sichaspqo
(197f.)
S-:-{ꜤꜢ}-s-himmel --q (5x Nuri; 1x fragm.) S-:-{tꜢ für ꜤꜢ}-š (Meroë)
Nasachma
(158)
N(n)-sꜢI -ḫ-mꜢ-t-{tp } (Nuri)
Sakachaye
(212)
S-kꜢ(rind S-kꜢ(rind S-kꜢ(rind
Malowiamani
(28f.)
I͗mnn-mꜢ-rw-nfr -wꜢ (Nuri) I͗mnn-mꜢ-rw-nfr -wꜢi̯.y(wꜢ-y)-beine(D54) (Nuri) I͗mnn-mꜢ-rw-nfr -wꜢi̯.y-beine+b (5x Nuri; [Zeichen derGruppe wꜢi̯.y (ⲟⲩⲟⲉⲓ) in wechselnder Reihenfolge])
Talachamani
(44f.)
I͗mnn-tꜢ-rw-ḫ (2x Nuri)
ArikeAmanote
(30ff.)
I͗mnn-Nʼw.t-:-rw-k (2x Nuri; 6x Kawa) I͗mnn-Nʼw.t -:-r-k (Nuri)
Baskakeren
(108f.) BꜢ(widder BꜢ(widder
)-{ꜤꜢ}- (Nuri) )-{ꜤꜢ}-ï (Nuri) )-{ꜤꜢ}-y (Nuri)
)-s-kꜢ(arme )I-{nb}?-r-n(n) (Nuri) )-s-kꜢ(arme )I-r-{nb}?-n(n) (Nuri)
(Harsiyotef) Batachaliye
(111)
BꜢ(widder )-tꜢ-h--r-ï-kind(=r.?) B-h-y-rw-y-kind (Nuri)
Achratan
(82)
I͗:-ḫ-r-ṯ-n(n) (Nuri, Napata) I͗-edler -ḫ-r-ṯ-n(n) (Nuri, Napata)
Amanibachi
(19f.)
I͗mnn-auge([ri̯]?) mann (Nuri)
-bꜢ(widder
(Nuri)
)-ḫ?-t-auge
-
220 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
I͗mn-:-b--ḫ-auge
-tꜢ-mann
Nastasen
(163ff.) N--ś-tꜢ-s-n(n) (6x Napata [Nastasen-Stele]; 4x Nuri)
Sachmach
(208)
S-ḫ-mꜢ-ḫ (Napata [Nastasen-Stele])
Die graphischen Varianzen sind sehr aussagekräftig. Sie sollen in einer eigenen Studie ausführlich behandelt werden, daher sei an dieser Stelle lediglich eine Zusammenfassung der Ergebnisse gegeben.224 Um es vorweg zu nehmen: Entgegen der bisherigen Lehrmeinung sind die ersten Ansätze zur Herausbildung der meroitischen Hieroglyphenschrift als Silbenschrift nicht erst in den (spät)napatanischen Inschriften von Nastasen, Harsiyotef oder Ari festzustellen, sondern reichen bis in die ›Kuschitenzeit‹. Bereits die Wiedergaben nicht-ägyptischer Königsnamen der 25. Dynastie zeigen solch signifikante Abweichungen vom altägyptischen Schreibgebrauch, dass hier von einer eigenständigen Schriftform gesprochen werden kann. Peust hat hierfür den Ausdruck »napatanische Orthographie« geprägt.225 Darunter versteht er den Gebrauch einer Hieroglyphe mit ihrem meroitischen Lautwert. Man fragt sich, wie sich Peust das genau vorstellt, denn seiner eigenen These nach ist das Napatanische ein ägyptischer Dialekt! Wäre also nicht in letzter Konsequenz ›meroitische Orthographie‹ passender? Hinzu kommt, dass man traditionell von ›napatanisch‹ erst nach dem Ende der Kuschitenzeit spricht, d.h. nach Tanutamanis Vertreibung aus Ägypten. Von dieser Warte aus betrachtet wäre die Anwendung des Begriffes ›napatanisch‹ auf die kuschitenzeitlichen Graphien anachronistisch. Der Terminus ›Orthographie‹ ist ebenfalls nicht besonders passend, da man den Zeichen gerade oft nicht ansieht, ob sie ägyptisch oder meroitisch gelesen werden müssen. Wenn, dann müsste man schon von einer ›napatanisch-meroitischen Lesart‹ sprechen. Ein anderer Kritikpunkt an Peust ist seine m.E. allzu starre Einteilung: Die Namen folgen seiner Meinung nach entweder der ›ägyptischen‹ oder der ›napatanischen Orthographie‹. Dabei muss gerade in einer Zeit, in der sich Letztere erst herausbildet, mit einem Nebeneinander beider Systeme gerechnet werden. Methodisch gibt es noch einen weiteren Fallstrick: Das Postulat, man müsse manche Zeichen mit ihren späteren meroitischen Lautwerten lesen, beruht auf den zahlreichen Identifizierungen meroitischen Sprachmaterials im Onomastikon der ›kuschitenzeitlichen‹ und napatanischen Königsfamilie. So setzt Peust für 224 Vorläufig ist zu verweisen auf C. Peust, Rezension von Meroitica 25, in: Lingua Aegyptia 19, 2011, 347–361. 225 C. Peust, Rezension von Meroitica 25, in: Lingua Aegyptia 19, 2011, 347–361, bes. 355.
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 221
das Bigraph in allen Fällen den Lautwert /ne/ an (und nicht äg. -n-n-) und möchte deshalb diejenigen Gleichungen von Zibelius-Chen ausschließen, die mit einem anderen Vokal, namentlich /na/ operieren.226 Doch ist die Frage, ob dies methodisch betrachtet wirklich zulässig ist, denn das Hauptargument für die Lesung /ne/ waren gerade Gleichungen von derselben Art wie diejenigen, die Peust ausschließen möchte. Mit demselben Recht könnte man auf der Basis der ›ausgeschlossenen‹ Gleichungen /na/ als Lautwert etablieren und alle neLesungen verwerfen.227 Dieselbe Problematik gilt für den Rinderkopf (als späte, verkürzte Form der ›liegenden Kuhantilope‹ 〈w〉, für welchen er den meroitischen Lautwert /u/ annimmt228 und folglich alle Gleichungen mit anderem Vokal zurückweist, also Atmataka I͗w-ṯ-mꜢ-ṯ-k (und Varianten) zu meroit. /ata-mete-/ (S. 94), Chaliut ḪꜢ-rw-w-t/ṯ-Ꜣ zu meroit. /ḫara-/ (S.190) und I͗:-b-s-rinderkopf-ḫꜢs.t zu »beja« /ū-b(e)sa/ (S. 17).229 Hierzu wäre zu bemerken, dass der letzte Beleg gar keine merotische Gleichung darstellt. Wie auch immer – grundsätzlich sind die Beobachtungen Peusts ausgesprochen wertvoll, besonders diejenigen zur graphematischen Trennung zwischen Belegen aus Ägypten und solchen aus Nubien.230 Einzelbeobachtungen. In der Kuschitenzeit ist noch eine Varianz festzustellen, ein gewisses Ringen um die Auswahl des Zeichenfundus. Deutlich wird dies etwa bei der singulären Verwendung des tꜢ im Namen der Qalhata. In jenem Stadium wechselt der storch ( ) noch mit dem widder ( ) für bꜢ, später nicht mehr. Ähnlich verhält es sich mit den kꜢ-armen ( ) und dem stier ( ). Es ist sicherlich kein Zufall, dass genau diese beiden Zeichen (stier und widder) zu meroitischen Hieroglyphen werden (ob) – der König gilt als »Starker Stier« und der Widder ist das Symbol des Gottes Amun. Beim Stier wird pars pro toto nur noch der Kopf geschrieben. Wahrscheinlich leitet sich der meroitische Lautwert /u/ für o von der Schreibung des honorativen Suffixes -qo mit dem stier ab. Möglicherweise ist meroitisch o jedoch auch eine verkürzte Schreibung der ›liegenden Kuhantilope‹ 〈w〉, welche in den fraglichen Namen sehr
226 Es sind dies: Naparaye N(n)-p-(r)-y zu meroit. /*nape-/ (S. 155), Nasalsa N(n)-n-n-s-rw -sꜢ (und Varianten) sowie Nasachma N(n)-sꜢI -ḫ-mꜢ-t-{tp } zu meroit. /nasa-/ bzw. /nase-/ (S. 156 & 158) und K-n?-sꜢI ?-m-ḫ-ï-n(n)-Mann zu meroit. /*amaḫena-/ (S. 241). 227 Peust gibt in Anm. 26 eine Liste aller 25 Namen, die mit dem Bigraph n(n)/ne geschrieben werden. Davon operieren 21 nicht mit /na/. 228 In der ›Gruppenschrift‹ bereits im Neuen Reich geläufig für semit. /ʼu/. 229 C. Peust, Rezension von Meroitica 25, in: Lingua Aegyptia 19, 2011, 347–361, bes. 354. 230 C. Peust, Rezension von Meroitica 25, in: Lingua Aegyptia 19, 2011, 347–361, bes. 354f. zu Schreibungen des Königsnamens Taharqo.
222 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
häufig vorkommt und dort meist den Lautwert /u/ besitzt. 231 Schon relativ früh wird der Strich in den Zeichengruppen der ›Gruppenschrift‹ weggelassen, d.h. man nähert sich bereits den meroitischen Silbenschreibungen an. Wie immer im Ägyptischen überwiegt der Gebrauch der Einkonsonantenzeichen, doch im vorliegenden Corpus ist eine starke Zunahme des Gebrauchs festzustellen, der bereits stark an jene ›alphabetischen‹ Schreibungen denken lässt, die Champollion zur Entzifferung der Hieroglyphen führten. Auffällig ist das fast vollständige Fehlen des ›t-Brot‹ ( ) im Sinne eines Konsonantenzeichens. Das Zeichen steht lediglich als eine Art Determinativ bei weiblichen Personennamen, offensichtlich abgeleitet von der ägyptischen Femininendung t. Diese war in der Spätzeit schon längst in den meisten Fällen geschwunden, also gar nicht mehr sprachwirklich. Der Schritt vom Phonogramm zum Klassifikator liegt also nahe. Unterstützend war vielleicht auch der Umstand, dass das Meroitische kein grammatisches Geschlecht kennt. Das Einkonsonantenzeichen 〈ṯ〉 wird demgegenüber sehr häufig geschrieben, sehr viel häufiger als in Ägypten. Bei den Zweikonsonantenzeichen ist eine relativ deutliche Distribution hinsichtlich der Vokale festzustellen.232 Ebenfalls deutlich ist, dass das ›einfache Schilfblatt‹ ( ) für den vokalischen Anlaut steht und das ›Doppelschilfblatt‹ ( ) für /y/, besonders für die meroitische Endung -ye. Sehr häufig ist die Gruppe ›Schilfblatt + Sitzender Mann‹ ( ) für den vokalischen Anlaut. Diese Gruppe wird im Meroitischen übernommen. Dort steht der ›sitzende Mann‹ dieser Verbindung für den Vokal /a/ (a), das ›Schilfblatt‹ (nach der graphischen Angleichung an die ›Maat-Feder‹) für den Vokal /e/ (e). Wir haben also den einmaligen Fall vor uns, dass zwei Zeichen in der ägyptischen ›Gruppenschrift‹ zu einer Gruppe werden und dieses Bigraph später sekundär in seine Einzelteile aufspaltet, wobei jedem Teil ein anderer Vokal zugewiesen wird. Ebenfalls wie bereits im Meroitischen verwendet werden bestimmte Zeichenkomplexe, v.a. die Doppelschreibung der Wasserlinie (n). Dieses Doppelzeichen wechselt mit dem Bigraph und mit der Gruppe 〈n-ï〉, was die Lesung /ne/ ganz eindeutig macht. Wir sehen also auch hier, wie sich das System langsam zu entwickeln beginnt. Zunächst scheint man für /ne/ sowohl die Wasserlinien als auch geschrieben zu haben, später steht Letzeres nur noch für n mit e-Vokal und n für alle anderen Vokalisationen. Besonders hervorzuheben ist die Kombination des Landzeichens mit h (Artaha; Batachaliye). Beide treten schon bei Taharqo nebeneinander auf und verschmelzen im Meroitischen zu einem Silbenzeichen (T). Es liegt demnach nicht nur eine graphische Anleh231 So C. Peust, Rezension von Meroitica 25, in: Lingua Aegyptia 19, 2011, 347–361, bes. 354. 232 So zuerst C. Peust, Rezension von Meroitica 25, in: Lingua Aegyptia 19, 2011, 347–361.
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 223
nung vor, wie Peust meint.233 Ob die Kombination eine Distribution zum Ausdruck bringt (etwa dass sich frühmeroit. /h/ nur vor 〈tꜢ〉 erhalten hätte), sei dahingestellt. Auf jeden Fall verdient Peusts These, dass dieses h möglicherweise im Protomeroitischen noch vorhanden, aber später geschwunden sei, große Beachtung. Spannend ist der Einsatz des Löwenzeichens 〈rw〉, das teilweise mit dem ›Mund‹ 〈r〉 wechselt, teils jedoch strikt von diesem getrennt wird. Leider ist in dieser Zeit noch nicht ganz klar, wann der ›liegende Löwe‹ für meroit. /r/, wann für /l/ und wann für den retroflexen Dental /ɗ/ steht.234 Für diesen wird in der späteren meroitischen Hieroglyphenschrift das Zeichen dggeschrieben, dessen Verbindung zur ägyptischen Schrift meist über den ägyptischen Lautwert 〈wḏꜢ〉 hergestellt wird. In einer stark reduzierten spätzeitlichen Lautung wäre von diesem Lautwert nur mehr der Dental übriggeblieben, der dann zur Wiedergabe des meroitischen Dentals verwendet worden wäre. Die Analyse der hier ausgewerteten Personennamen zeigt, dass diese Hypothese falsch sein dürfte. Vielmehr werden zwar wenige, aber doch mehrere dieser Namen mit der ›normalen‹ ägyptischen Hieroglyphe auge geschrieben: P-auge-m-k-y-gott (der meroit. Gott Apademaka, S. 18f.; Variante: I͗-p-r-m-kI-NṮR-gott) und Q-q-IIIauge-y (zu meroit. ide-).235 Hinter der Schreibung des retroflexen Lautes steht also wohl der ägyptische Lautwert 〈r〉. Dass der entsprechende Retroflex in Sprachen, welche diese Art von Phonemen nicht kennen, durch einen Labial dargestellt werden kann, ist nicht ungewöhnlich und in der Tat ist die Graphievariante von Apedemak neben dem Toponym »Meroë« das bekannteste Beispiel hierfür im Meroitischen.236 Das einzige meroitische Zeichen, das in jenen Namenstranskriptionen wirklich fehlt, ist die Gans für k (k). Hierbei handelt es sich um eine akrophonische Ableitung vom ägyptischen Namen des Gottes Geb, der mit einer Gans geschrieben wird.237 Im Gegenzug dazu wird die ›sitzende
233 C. Peust, Rezension von Meroitica 25, in: Lingua Aegyptia 19, 2011, 347–361, bes. 358. 234 Peust zweifelt an der Existenz retroflexer Laute im Meroitischen, vgl. C. Peust, Graphemund Phonemfrequenz im Meroitischen und mögliche Schlußfolgerungen, in: Lingua Aegyptia 18, 2010, 193–208. Ob statistische Aussagen wirklich die bisherigen Thesen zur meroitischen Phonologie beiseite schieben können, erscheint fraglich. 235 C. Peust, Rezension von Meroitica 25, in: Lingua Aegyptia 19, 2011, 347–361, bes. 357, Anm. 41 stellt noch den Namen der Tabrirya (S. 266) sowie auge-y-g-Ꜣ-d-ï-Ꜣ-n(n) (S. 56ff.), d.h. /dkdkne/ zu /ide-/ und damit hierher. 236 Hierzu zuletzt F. Breyer, Die Nennung Meroës in den Inschriften ‛Ēzānās von Aksum, in: A. Lohwasser & F. Feder (Hrsg.), Ägypten sein Umfeld in der Spätantike. Vom Regierungsantritt Diokletians 284/285 bis zur arabischen Eroberung des Vorderen Orients um 635–646. Akten der Tagung vom 7.–9.7.2011 in Münster, Philippika 61, Wiesbaden 2013, 291–310. 237 Vgl. F. Breyer, Die meroitische Sprachforschung. Gegenwärtiger Stand und zukünftige Ansätze, in: Mitteilungen der Sudanarchäologischen Gesellschaft 23, 2012, 117–149, bes. S. 145.
224 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
Kuhantilope‹ ( ) für w im Meroitischen nicht in dieser Form weitergeführt. Somit lassen sich mit Ausnahme von ẖ (H) und k (k) alle meroitischen Hieroglyphen auch in den kuschitenzeitlich-frühnapatanischen Namen finden. Dabei muss betont werden, dass sich eines der beiden Zeichen sehr gut akrophonisch aus dem Ägyptischen erklärt. Mit anderen Worten: Es kann keine Zweifel geben, dass bereits in der Kuschitenzeit der erste Schritt in Richtung der Herausbildung einer eigenen Schrift getan wird. Weitere Ambiguitäten. Die Abgrenzung zwischen ägyptischen und napatanischmeroitischen Hieroglyphen bzw. ihrer Lesart ist auch außerhalb der Personennamen teilweise relativ schwierig. Letztlich ist sie auch der Grund dafür, dass Peust aus seiner Arbeit über das Napatanische die gesamten Nebenzeugen desselben ausgeklammert hat, weil der Grad ihrer ›Napatanizität‹ schwer zu bestimmen ist – Jochen Hallof hat in seiner Rezension dieses Werkes darauf hingewiesen und ein Beispiel für ein typisch napatanisches Zeichen in dieser Nebenüberlieferung gegeben.238 Nun gibt es eine Reihe von Textzeugen, bei denen die Abgrenzungsschwierigkeiten ziemlich weit gehen. Sie stammen offenbar aus der Zeit, in welcher der letzte Schritt zur Schaffung der meroitischen Schrift getan wurde. Eine archaische Inschrift (REM 0401) vom Amuntempel in Meroë weist mehrere Hieroglyphen auf, die sowohl meroitisch als auch ägyptisch sein könnten. Im Einzelnen sind dies d 〈d〉, n 〈n〉 und S 〈se〉 bzw. , und . Man kann sich streiten, ob die Inschrift grundsätzlich ägyptisch mit einzelnen meroitischen Zeichen ist (Griffith)239 oder umgekehrt (Rilly).240 Weitere Textzeugen mit vergleichbaren Ambiguitäten kamen in Kawa zu Tage (REM 0648 und 0662).241 Dorther stammt insbesondere das Fragment eines Goldblattes mit einer ungewöhnlichen Inschrift (Kawa XLV), die in fast allen Punkten umstritten ist.242 Verwendungsdomänen. Die Domäne zu bestimmen, in welcher die Hieroglyohen ›napatanisch-meroitischer Lesart‹ gebraucht wurden, ist verhältnismässig ein238 J. Hallof, Rezension von C. Peust, Das Napatanische, Göttingen 1999, in: Beitäge zur Sudanforschung 8, 2003, (151–155) 155. 239 F.Ll. Griffith, The Meroitic Inscriptions of Shablûl and Karanòg, Philadelphia 1911, 4 und Tabelle S. 18, Kol. 8. 240 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 214, 264, 272 und 352 mit Diskussion in Amn. 1. 241 F.L.M. MacAdam, The Temples of Kawa I, London 1949, 105f und 109f. 242 Ausführlichere Diskussion bei K. Zibelius-Chen, »Nubisches« Sprachmaterial in hieroglyphischen und hieratischen Texten, Meroitica 25, Wiesbaden 2011, 38 und 237, bes. mit Anm. 1574.
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 225
fach: Sie kommen ausschließlich bei den Personennamen von Mitgliedern des ›kuschitischen‹ Herrscherhauses vor. Es gibt zwar wenige Fälle, bei denen diefraglichen Personen nicht zwingend Angehörige des Königs waren (also Nachkommen oder Gemahlinnen), sondern lediglich sehr hohe Ämter innehatten. Da jedoch im Königreich Kusch die oberste Elite wohl ausschließlich aus der königlichen Großfamilie stammte, dürfte die Sachlage trotzdem eindeutig sein. Es stellt sich nun die Frage, warum sich diese eigene ›napatanisch-meroitische Lesart‹ herausbildete? Sicheres kann nicht gesagt werden, m.E. könnte ein Grund sein, dass die Elite in Kusch nur über rudimentäre Kenntnisse der ägyptischen Schrift verfügte, aber viel stärker als in Ägypten an der Machtausübung partizipierte (Stichwort: Königswahl). Außerdem war es wahrscheinlich sehr prestigeträchtig, sich mit ägyptischer Schrift zu umgeben, selbst wenn man sie in ihrer komplexen Ausprägung nur wenig durchdrang. Kurzum: Die Sprachbzw. Kulturbarriere war mit Sicherheit ein ausschlaggebender Faktor für die Etablierung einer eigenen ›napatanischen Lesart‹, die sich später zur meroitischen Schrift entwickeln sollte. Fazit. Grundsätzlich sollte zwischen dem voll ausgeprägten napatanischen Schriftsystem und der teils älteren, teils zeitgleich verwendeten ›napatanischen Orthographie‹ unterschieden werden. Ferner gilt es zu betonen, dass sich beide Ausprägungen deutlich von dem System der ägyptischen Hieroglyphenschrift unterscheiden, auch wenn sie sich aus diesem – genauer gesagt aus ihrer spätägyptischen Stufe – entwickelt haben. Zeichenformen sind dabei zwar nicht unwichtig, jedoch systematisch gesehen eher Nebensache. Wichtiger ist die Beobachtung, dass die Naptaner die ägyptische ›Gruppenschrift‹ weiter ausbauten und bereits zu ersten Ansätzen einer Vokale notierenden Schrift gelangten. Ein weiterer Punkt ist der starke Einfluss der Kursive auf die napatanische Schrift, ein Umstand, der bei deren Weiterentwicklung zu den beiden Schriftarten des Meroitischen (Hieroglyphen und Linearschrift) von großer Bedeutung sein sollte.
4.2.4 Von der ägyptischen und napatanischen zur meroitischen Schrift Die napatanische Schrift bewegt sich ähnlich wie das zugehörige Idiom immer noch hauptsächlich innerhalb der Grenzen der altägyptischen Hieroglyphenschrift. Die meroitische Schrift geht jedoch ganz eindeutig einen großen Schritt in eine andere Richtung. Hatte man sich mit der ›napatanischen Lesart‹ bereits deutlich einer Alphabetschrift angenähert, wird bei den meroitischen Hieroglyphen der Ansatz, Vokale und damit Silben zu notieren, weiter ausgebaut und das System hin zu einer Silbenschrift verändert. Im Zusammenhang mit der Her-
226 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
ausbildung des meroitischen Schriftsystems gibt es mehrere Probleme, die teilweise eng miteinander verwoben sind. Zunächst stellt sich die Frage, wann und wo genau die Schrift in Meroë überhaupt aufkam.243 Wie genau verhalten sich die Linearzeichen zu den Hieroglyphen, wie ist die Verbindung zum Demotischen und wie eng ist sie? In welcher Beziehung stehen die meroitischen zu den napatanischen und damit letztlich zu den ägyptischen Hieroglyphen? Wie genau funktioniert das graphische System, ist seine Entstehung möglicherweise fremdinduziert und wenn ja, woher? Schließlich sind die wohl größten Schwierigkeiten zu nennen: Wir verstehen noch immer nur einen kleinen Teil der meroitischen Texte und wissen nicht, welche Sprache(n) im vormeroitischen Nubien gesprochen wurde(n). Im mittleren Niltal der klassischen Kerma-Zeit war das Phänomen Schrift durchaus präsent, trotzdem verschrifteten die Träger der Kerma-Kultur ihre Sprache nicht. In Kerma wurde eine große Zahl von ägyptischen Siegeln und Siegelabdrücken aus der ›Zweiten Zwischenzeit‹ gefunden, und auch die Siegel lokaler Herstellung zeigen, dass die Praxis des Siegelns ganz alltäglich war.244 Die zahlreichen in Kerma gefundenen ägyptischen Objekte sind sehr oft beschriftet. Der Brief des Hyksos-Königs an den Kerma-Herrscher, welcher auf der bekannten Kamose-Stele wiedergegeben wird, scheint auf Ägyptisch in ägyptischer Schrift geschrieben worden zu sein.245 Wie schwierig die Materie ist, zeigen Aussagen des Meroitisten Claude Rilly zum Napatanischen. Dieser meint explizit contra Peust, beim napatanischen Schriftgebrauch handle es sich um Fehler, also nicht um ein eigenes System.246 Seiner Meinung nach sind die ersten Inschriften in meroitischer Schrift die Pilgergraffiti aus Dukki Gel und Kawa, die er Anfang des 2. Jhd. v. Chr. datiert.247 Das hier gebrauchte gemischte System mit demotischen Graphien (v.a. bei den Götternamen) zeige eine generelle Abhängigkeit
243 C. Rilly, The Last Trace of Meroitic? A Tentative Scenario for the Disappearance of the Meroitic Script, in: J. Baines & S.D. Houston (Hrsg.), The disappearance of writing systems: Perspectives on literacy and communication, London 2008, (185–205) 185f. 244 C. Bonnet, Das Königreich von Kerma, in: S. Wenig & K. Zibelius-Chen (Hrsg.), Die Kulturen Nubiens – ein afrikanisches Vermächtnis, Dettelbach 2013, (121–134) 126; D. Valbelle, The Cultural Significance of Iconographic and Epigraphic Data found in the Kingdom of Kerma, in: T. Kendall (Hrsg.), Nubian Studies, Boston 2004, (176–183) 177. 245 W. Helck, Historisch-biographische Texte der 2. Zwischenzeit und neue Texte der 18. Dynastie, Wiesbaden 1983, 82ff. 246 C. Rilly, The Last Trace of Meroitic? A Tentative Scenario for the Disappearance of the Meroitic Script, in: J. Baines & S.D. Houston (Hrsg.), The disappearance of writing systems: Perspectives on literacy and communication, London 2008, (185–205) 186. 247 C. Rilly, Récents progrès dans le domaine de la philologie méroïtique, in: Meroitic Newsletter 30, 2003, 73–77; M.F.L. Macadam, The Temples of Kawa I. The Inscriptions, London 1949.
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der meroitischen Linearschrift vom Demotischen.248 Wie ich in einem Rezensionsartikel zeigen konnte, ist diese Sichtweise in vielen Punkten unsicher. 249 Um diese Unsicherheiten präziser benennen zu können, ist die Schilderung in einem weiteren Kontext notwendig, daher soll im Folgenden kurz auf den Sprachkontakt in jener Zeit eingegangen werden und danach auf die Situation des Ägyptischen innerhalb Nubiens. Protomeroitisches in ägyptischen Quellen. Die meroitische Sprache ist lange vor den ersten meroitischen Schriftdenkmälern bezeugt, und zwar indirekt aus ägyptischen Quellen.250 Die erste große Quellengruppe besteht aus den Namen ›nubischer‹ Fürsten in den sog. ›Ächtungstexten‹. George Posener strich bereits 1940 heraus, dass bei diesen bestimmte Phoneme entweder gar nicht vorkommen (p, f, h, ḫ und ḏ) oder nur singulär bzw. unklar belegt sind (d, ḥ und ḳ). Zwar konnte in dem Material des Alten und Mittleren Reiches bisher kein Anschluss an das meroitische Onomastikon gelingen, Poseners Beobachtungen könnten jedoch als deutliches Indiz in Richtung auf das Meroitische gewertet werden. Lediglich das Toponym kꜢš konnte bislang bis ins Meroitische verfolgt werden, doch kann es sich hierbei genauso gut um eine Entlehnung in diese Sprache handeln.251 Weitere Quellen mit (proto)meroitischem Sprachmaterial sind ① eine Liste von 57 Personennamen (ausländische Tempelskaven?) in syllabischer Schrift von einem Papyrus (pMoskau 314 Vs.) aus Krokodilopolis,252 ② nicht-ägyptisches Sprachmaterial in den sog. »Chapitres supplémentaires« des Totenbuches (Tb. 163–165),253 ③ weitere Personen- und Ortsnamen in Texten des Neuen Reiches254 sowie ④ (proto-)meroitische Lehnwörter im Mittelägyptischen. Claude Rilly255 macht zum pMoskau 314 Vs. Vorschläge für 11 Namen, Thomas Schneider hat jedoch auf eine geplante Arbeit verweisen, wonach die-
248 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 241–260. 249 F. Breyer, Die meroitische Sprachforschung. Gegenwärtiger Stand und zukünftige Ansätze, in: Mitteilungen der Sudanarchäologischen Gesellschaft 23, 2012, 117–149. 250 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 4ff. teilt die Nebenüberlieferung des Proto-Meroitischen in direkte und indirekte Bezeugungen, doch streng genommen sind auch seine »direkten« Quellen durch den ›ägyptischen Filter‹ gegangen, also indirekter Natur. 251 R. el-Sayed, Afrikanisches Lehngut in ägyptischen Schriftquellen des Alten Reiches bis in griechisch-römische Zeit, in: T. Schneider (Hrsg.) unter Mitarbeit von F. Breyer, O. Kaehlin und C. Knigge, Das Ägyptische und die Sprachen Vorderasiens, Nordafrikas und der Ägäis, AOAT 310, Münster 2004, 303–320. 252 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 5–11. 253 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 11–14. 254 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 15–16. 255 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 5–11.
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se Namen libysch-berberisch sind.256 Argumente gegen Rilly und für Schneider wurden in einer Rezension von Rillys Werk en detail vorgebracht und müssen daher hier nicht erneut aufgeführt werden;257 damit entfällt die Grundlage für die Aussage Rillys, man habe im Reich von Kerma bereits einen Vorläufer des Meroitischen gesprochen.258 Dies ist eine sehr komplexe Frage, die noch nicht endgültig beantwortet ist.259 Die »chapitres supplémentaires« wurden 2005 von Karola Zibelius-Chen einer sehr eingehenden Untersuchung unterzogen, die meroitistische Ausbeute war jedoch viel magerer als gemeinhin erwartet. Dieselbe Autorin hat 2011 auch eine imposante Bearbeitung des gesamten »nubischen« (d.h. nicht-ägyptischen) Sprachmaterials in hieroglyphischen und hieratischen Texten vom Neuen Reich bis in die meroitische Zeit vorgelegt.260 Zu bemerken ist vielleicht hierzu noch, dass mit »hieroglyphisch« etwas uneindeutig sowohl das ägyptische als auch das meroitische Schriftsystem gemeint ist.261 Protomeroitisches im Demotischen. Protomeroitisches Sprachmaterial lässt sich nicht nur in hieroglyphischen oder hieratischen Texten feststellen, sondern nach dessen Herausbildung auch im Demotischen. Als Beispiele seien genannt: 262 meroit. 〈arebetke〉 »ein Beamter« – demot. 〈ꜢrbtgꜤy, ꜢrbtngyꜤ〉, meroit. 〈ḫoḫonete〉 »ein Titel« – demot. 〈ḫḫnꜢt〉, meroit. 〈akroro〉 »Prinz(?)« – demot. 〈Ꜣkrr〉, meroit. 〈qore〉 »König« – demot. 〈kwr〉, meroit. 〈qorene〉 »Königsschreiber(?)« – demot. 〈qrn, qwrn, qrnꜢ〉. Mittelägyptisches im Meroitischen. Der ägyptisch-meroitische Sprachkontakt ist auch in anderer Richtung bezeugt, wenn auch nicht zeitgenössisch, sondern le-
256 T. Schneider, Ausländer in Ägypten während des Mittleren Reiches und der Hyksoszeit, ÄAT 42.2, Wiesbaden 2003. 257 F. Breyer, Die meroitische Sprachforschung. Gegenwärtiger Stand und zukünftige Ansätze, in: Mitteilungen der Sudanarchäologischen Gesellschaft 23, 2012, 117–149. 258 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 11. 259 F. Breyer, ›Zwerg‹-Wörter, ägyptisch-kuschitischer Sprachkontakt bzw. –vergleich und die sprachliche Situation im mittleren Niltal des 3.–2. Jahrtausend v. Chr., in: Studien zur Altägyptischen Kultur 41, 2012, 99–112. 260 K. Zibelius-Chen, »Nubisches« Sprachmaterial in hieroglyphischen und hieratischen Texten. Personennamen, Appellativa, Phrasen vom Neuen Reich bis in die napatanische und meroitische Zeit. Mit einem demotischen Anhang, Meroitica 25, Wiesbaden 2011. 261 F. Breyer, Rezension von Karola Zibelius-Chen, »Nubisches« Sprachmaterial in hieroglyphischen und hieratischen Texten, Meroitica 25, in: Beiträge zur Sudanfoschung 11, 2013, 227– 230. 262 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 362, 367f., 375, 383, 389, 392.
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diglich zeitversetzt.263 Anhand der Vokalisation, 264 welche in der meroitischen Schrift im Gegensatz zur ägyptischen abgebildet wird, lässt sich nachweisen, dass einige Lehnwörter bereits aus dem Mittelägyptischen ins Meroitische gedrungen sind. Ein besonders prägnantes Beispiel hierfür ist der Gottesname Amun, der mittelägyptisch noch */amn˘w/ ausgesprochen wurde und im Meroitischen noch viele Jahrhunderte später als amani erscheint (als mit /a/ und nicht mit /u/!).265 Nicht verschwiegen werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings eine Bemerkung Peusts, der die These aufstellte, die griechische Überliefeurng Εργαμενης des Königsnamens Ergemenes/Arkamaniqo (rq-mnk)266 könnte auf einen Lautwandel des Gottesnamens innerhalb des Meroitischen deuten.267 Eine vergleichbare vorkoptische Vokalisation weisen auch die Götternamen /ara/ (Horus) und /wusa/ (Isis) auf und bei mehreren Lehnwörtern kann sie sogar noch bis in Altnubische weiterverfolgt werden, man vergleiche koptisch S.Bⲏⲣⲡ und S.Bⲛⲟⲩⲃ vs. nobiin náb, von 〈rp〉 (*/ūr˘p/) bzw. 〈nb(w)> (*/nāb˘w/).268 Die meroitische Namensform 〈ḫs〉 von Chons (äg. 〈H̱nsw〉, gr. Χωνς) ist ein weiterer Belegt für den Schwund eines Nasals im Meroitischen, wie er bei den meroitischen Titeln Kandake (gr, kandakh, äg. 〈kndky〉 vs. meroit. 〈ktke~kdke〉) oder 〈ant~at〉 /an(n)ata/ (äg. ḥm-nčr) bereits länger bekannt ist.269 Im Meroitischen sind jedoch nicht nur ägyptische Götter, sondern auch 263 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 17f. Die Liste ist nicht vollständig, so fehlen etwa 〈Atri〉 Hathor, 〈Mata〉 Mut und 〈Arette〉 Harendotes. Manchmal gibt es Fälle, bei denen eine Gleichung in einem Nachbarfach tradiert wird, obwohl sie nicht mehr haltbar ist; diese finden sich besprochen bei F. Breyer, Die meroitische Sprachforschung. Gegenwärtiger Stand und zukünftige Ansätze, in: Mitteilungen der Sudanarchäologischen Gesellschaft 23, 2012, 117–149. 264 J. Osing, Die Nominalbildung des Ägyptischen, Mainz 1976; W. Schenkel, Einführung in die altägyptische Sprachwissenschaft, Darmstadt 1990; C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999. 265 Vgl. ausführlicher F. Breyer, Zur Wiedereinführung des neuassyrischen Lautwertes tàn aufgrund der keilschriftlichen Wiedergabe eines meroitischen Pharaonennamens, in: J. Luchsinger, H.-P. Mathys & M. Saur (Hrsg.) »... der seine Lust hat am Wort des Herrn!«. Festschrift für Ernst Jenni zum 80. Geburtstag, AOAT 336, 2007, 17–22. 266 K.-H. Priese, Nichtägyptische Namen und Wörter in den ägyptischen Inschriften der Könige von Kusch I, in: Mitteilungen des Instituts für Orientforschung 14, 1968, (165–191) 186. 267 C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 226. Vgl. W. Vycichl, Mots méroitiques et mots égyptiens, in: Meroitic Newsletter 13, 1973, 67f. Vgl. auch L. Török, The Kingdom of Kush, Leiden 1997, 203f. 268 Vgl. C. Peust, Egyptian Phonology, Göttingen 1999, 226. Peust folgt nicht der communis opinio, was die Vokalisation des Ägyptischen angeht, daher die dortigen Abweichungen gegenüber den hier im Text gegebenen Formen. 269 Vgl. C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 308 und 373. Hierzu auch ausführlicher C. Peust, Das Napatanische, Göttingen 1999, 78ff.
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ägyptische Ortsnamen bezeugt, etwa 〈Ḏw-wꜤb〉 »Gebel Barkal« oder 〈Ḥw.t-Ty〉 »Tempel der Teye« = »Sedeinga« oder 〈bꜢq./bꜢk.t〉 »Bocchis« und 〈pr(.w)-nbs〉 »Pnubs« (lat. Nups), die man hinter meroit. 〈Tew : webi〉, 〈Atiye〉 oder 〈Beqe, Boq-〉 und 〈Nbse〉 vermutet.270 Protomeroitisch in Selbstzeugnissen. Waren all diese Belege für eine Frühform des Meroitischen und für ägyptisch-meroitischen Sprachkontakt eher zufälliger Natur, so ist eine andere Quellengruppe sehr intentional entstanden. Es sind die bereits eingehend vorgestellten Namen von Mitgliedern des königlichen Hauses der 25. Dynastie.271 Da sie – wie oben gezeigt – in einer Frühform des Napatanischen geschrieben sind, wurden sie dort behandelt. ›Nubisches‹ Ägyptisch. Die ägyptische Sprache war wohl nie die Muttersprache der im Mitteleren Niltal lebenden Bevölkerung, sondern für diese eine Fremdsprache, die im Kontakt mit den Ägyptern gebraucht wurde. Dies geschah vornehmlich zu Zeiten der ägyptischen Kolonisation Nubiens und später unter umgekehrten Vorzeichen während der Kuschitenzeit. Im erstgenannten Fall wurde in Nubien mit den ägyptischen Kolonialbeamten und -militärs kommuniziert, für die das Ägyptischen tatsächlich ihre Muttersprache war, die sie untereinander verwendeten. In schriftlicher Form äußert sich dies in Alltagsdokumenten oder in offiziellen Inschriften; linguistisch betrachtet sprechen wir von mittelägyptischen bzw. neomittelägyptischen und neuägyptischen Texten.272 Inwieweit die ägyptische Sprache in Nubien verstanden wurde, ist unbekannt – möglicherweise wurde sie nur von Mitgliedern der Elite und von Händlern beherrscht. Wie es um die Ägyptischkenntnisse während der ›Kuschitenzeit‹ bestellt war, ist ebenfalls nicht eindeutig zu sagen, da die gut geschriebenen Inschriften wie die Siegesstele des Pianchy oder die Traumstele Tanutamanis nicht notwendigerweise von ›Nubiern‹ verfasst worden sind, sondern sogar viel wahrscheinlicher von den besten ägyptischen Schreibern. Andererseits heißt das noch lange nicht, dass die herrschende Schicht wiederum und sogar von jeher über gute Ägyptischkenntnisse verfügte. Lediglich eine Beobachtung könnte uns mehr über die Ägyptischkenntnisse der ›Kuschiten‹ verraten: Es finden
270 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 367, 376 und 382. 271 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 19–27; K.-H. Priese, Das meroitische Sprachmaterial in den ägyptischen Inschriften des Reiches von Kusch, Dissertation HU-Berlin 1965. Vgl. auch C. Peust, Das Napatanische, Göttingen 1999. 272 Beispiele für Erstere wären die »Semna-Despaches«, für Letztere die Semna-Stelen Sesostris’ III., die Tombos-Stele Thutmosis’ I., die Gebel Barkal-Stele Thutmosis’ III. oder das NauriDekret und die Heiratsstele Ramses’ II.
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sich in den Kawa-Inschriften Taharqos auffällig viele kanaanäische Lehnwörter. Möglicherweise wollte ein kuschitischer Schreiber durch den Gebrauch ungewöhnlicher Wörter seine ›Fremdsprachenkenntnisse‹ hervorheben. Am anderen Ende der Skala steht die Beobachtung, dass bereits unter Senkamanisken eine rapide Abnahme der Ägyptischkenntnisse festzustellen ist: Sogar auf dem königlichen Siegel, das im ›Schatzhaus‹ von Sanam häufig belegt ist, wird der Titel nsw bt falsch geschrieben! Da umstritten ist, inwieweit die napatanischen Inschriften von Nastasen oder Harsiyotef linguistisch dem Ägyptischen zuzuschlagen sind, kann wenig über die Ägyptischkenntnisse jener Zeit gesagt werden. Immerhin sind manche religiöse Inschriften, wie diejenigen auf dem Sarkophag des Aspelta, in sehr gutem Ägyptisch gehalten. Dies muss jedoch nicht viel heißen, da sie schlichtweg auf eine gute Kopie zurückgehen könnten. In meroitischer Zeit scheint sich der Gebrauch der ägyptischen Sprache dann ganz auf jene Domäne zu fokussieren, also auf den religiösen Bereich – man denke an die Inschriften am Löwentempel von Musawwarat es-Sufra, 273 die Opferstele der Batahaliye,274 die Stele des Amanibachi275 und die Stele des Adichalamani aus Philae.276 Ägyptische Versatzstücke, meist Titel, erscheinen sonst nur noch an ganz bestimmten Stellen, an Statuensockeln, Stelengiebeln sowie an Tempelwänden und auf königlichen Totenstelen. Graphisch und stilistisch ist eine Anlehnung an ptolemäische Vorbilder greifbar. Als Fallbeispiel soll hier kurz auf die Barkenstände aus Wad Ban Naqa 277 eingegangen werden, auch wenn bzw. gerade weil die ägyptischen Inschriften aus Musawwarat es-Sufra besser bearbeitet sind.278 Die Barkenstände stehen nämlich definitiv innerhalb der ägyptischen Tradition. Dies zeigt sich an einer Tendenz der ägyptischen Monumente dieses Typs: Die Zurückdrängung des Königs in den Himmelserhebungs-Szenen.279 Aufälligerweise gibt es keine direkten wörtlichen Parallelen zwischen den meroitischen Stücken und ihren ägyptischen Pendents, aber zahlreiche parallele Versatzstücke. Die Inschriften auf den beiden meroitischen Barkenständen sind voneinander abhängig bzw. weisen eine sehr geringe Varianz auf, die nicht unbedingt großes Textverständnis bedingt. In einem Fall kann sogar die Adaption von einer für eine männliche 273 F. Hintze, Die Inschriften des Löwentempels von Musawwarat es-Sufra, Berlin 1962; FHN 582ff. 274 R.J. Leprohon, Stelae II: The New Kingdom to the Coptic Period, Mainz 1991, 123–126. 275 R.J. Leprohon, Stelae II: The New Kingdom to the Coptic Period, Mainz 1991, 127–130. 276 A. Farid, The stela of Adikhalamani, in: Mitteilungen des Deuschen Archäologischen Instituts Abteilung Kairo 34, 1978, 53–56. 277 K.-H. Priese, Wad Ban Naga 1841, in: Forschungen und Berichte 24, 1984, 11–29. 278 F. Hintze, Die Inschriften des Löwentempels von Musawwarat es-Sufra, Berlin 1962. 279 Vgl. D. Kurth, Den Himmel stützen. Rites Égyptiennes II, Brüssel 1975.
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Gottheit gefertigte Vorlage auf eine Göttin plausibel gemacht werden.280 Die Zeichenformen sind definitiv ›ptolemäisch‹, ebenso die Graphien, wenn etwa der Stern als Logogramm für »Gott« steht. Auffällig sind Zeichendrehungen, v.a. beim ›Schlaufen-s‹ und beim ›Isis-Thron‹ – aber derartige Drehungen aus der Schriftrichtung heraus sind auch in Ägypten zu beobachten. Signifikanter ist vielleicht die Haplographie, wenn etwa die mkt.t-Barke offenbar als lexikalische Einheit nicht erkannt und daher sogar in den Paralleltexten desselben Monuments unterschiedlich fehlerhaft abgetrennt wurde, einmal m t.t und dann wieder m kt.t »in der mkt.t-Barke«. Ebenfalls bemerkenswert ist die konsistente Schreibung von »Leben« mit dem nw-Topf und dem Einkonsonantenzeichen ḫ. All dies spricht nicht unbedingt für sehr für weit verbreitete Ägyptischkenntnisse im meroitischen Nubien. Man bediente sich wohl vielmehr immer noch der ägyptischen Schrift, da sie eine sakrale Aura ausströmte. In diesem Sinne könnte man von einem ›hieratischen‹ Gebrauch der ägyptischen Hieroglyphenschrift in Nubien sprechen. Die ägyptischen Titel auf meroitischen Monumenten sollen an anderer Stelle in dieser Studie ausführlicher behandelt werden. Nur so viel: Sie sind nicht nur Beleg für die Verwendung von Logogrammen im meroitischen Schriftsystem, sondern darüber hinaus auch eine gutes Beispiel für Fremdgrapheme/ Xenogramme und sollten daher als ›Ägyptogramme‹ bezeichnet werden. ›Nubisches‹ Demotisch. Beim Demotischen muss zwischen den demotischen Zeugnissen aus Nubien und den demotischen Texten von Nubiern in Ägypten unterschieden werden. Die südlichste demotische Inschrift ist eine römerzeitliche Weihinschrift auf der Südwand des Apademaktempels von Naga.281 Weitere Proskynemata meroitischen Ursprungs stammen aus dem Dodekaschoinos, genauer gesagt aus den Tempeln von Maharraqa, Dakka, Dendur und Philae.282 36 davon scheinen von Meroiten verfasst worden zu sein,283 fünf davon wohl in christlicher Zeit.284 In Musawwarat wurden ebenfalls einige demotische Graffiti 280 K.-H. Priese, Wad Ban Naga 1841, in: Forschungen und Berichte 24, 1984, (11–29) 26. 281 F.Ll. Griffith, Meroitic Inscriptions I. Sôba to Dangêl, London 1911, 61 und H.-J. Thissen, in: K. Zibelius, Der Löwentempel von NaqꜤa in der Butana (Sudan) IV. Die Inschriften, Wiesbaden 1983, 38f. 282 F.Ll. Griffith. Catalogue of the Demotic Graffiti of the Dodecaschoenus, Les Temples Immergés de la Nubie, 2 volumes, Oxford 1935/1937; A. Burkhardt, Ägypter und Meroiten im Dodekaschoinos. Untersuchungen zur Typologie und Bedeutung der demotischen Graffiti, in: Meroitica 8, Berlin 1985, 1–137. 283 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 261. 284 T. Eide, T. Hägg, R.H. Pierce & L. Török (Hrsg.), Fontes Historiae Nubiorum II, Bergen 1996, 728–736.
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gefunden;285 ebenso in Shokan.286 Eine Inschrift auf einem Grabstein aus Karanog trägt einen ägyptischen Namen in demotischer Schrift.287 In Meroë stehen meroitische neben demotischen Beischriften auf Amphoren, etwa auf REM 0804B, C und D (Dipinti), REM 0090 und 1188.288 Die zahlreichen unbearbeiteten demotischen Texte aus Qasr Ibrim scheinen offenbar von ägyptischen Pilgern zum Orakel des Amanap verfasst worden zu sein.289 Das Pendant dazu sind die Inschriften der ›Meroitenkammer‹ von Philae.290 Neben diesen direkt belegten demotischen Zeugnissen in Nubien bzw. von Meroiten gibt es Hinweise auf den Gebrauch einer Form der demotischen Schrift in der Verwaltung Nubiens in spätnapatanischer bzw. frühmeroitischer Zeit. Zwar haben sich keine direkten Zeugnisse erhalten, jedoch wird aufgrund des massiven demotischen Einflusses bei der Bildung der linearmeroitischen Zeichen gerne auf die Verwendung der demotischen Schrift in Nubien geschlossen. Sollte dies zutreffen, so dürfte sich das Demotische in Nubien selbständig weiterentwickelt und von seinem ägyptischen Vorbild entfernt haben. Möglicherweise hat dieses ›napatanische‹ Demotisch auch Archaismen bewahrt, wie dies Rilly bei den demotischen Inschriften in Kawa aufzeigen konnte: Die Graphien des Gottesnamens Amun sind hier noch sehr nahe am Frühdemotischen.291 Andererseits ist auch nicht auszuschließen, dass in Nubien noch länger nach älteren Archivkopien gearbeitet und gelernt wurde. Schließlich ist sogar ein späterer »Reimport« graphisch älterer Texte nicht unwahrscheinlich. Daher ist auch ein sekundärer Einfluss auf die meroitische Linearschrift nicht grundsätzlich von der Hand zu weisen, besonders bei den Zeichen für 〈y〉 und 〈to〉. Herleitung der Linearzeichen (Taf. 9). Trotz intensiver Forschung sind die exakten Umstände, unter denen die meroitischen Linearzeichen geschaffen wurden, immer noch unklar. Francis Llewellin Grifith, der Entzifferer des Meroitischen, war zwar auch ein bedeutender Demotist, machte jedoch nur einige Bemerkungen in dieser Richtung292 – möglicherweise schien ihm eine Ableitung aus dem 285 P. Wolf, Arbeitsbericht über die Dokumentation der Sekundärinschriften von Musawwarat es-Sufra, in: Mitteilungen der Sudanarchäologischen Gesellschaft 9, 1999, (44–51) 44. 286 Diese Texte werden durch M. Chauveau bearbeitet. 287 F.Ll. Griffith, The Meroitic Inscriptions of Shablûl and Karanòg, Philadelphia 1911, 72. 288 REM, S. 196f. und T. Säve-Söderbergh, Inscriptions, in: T. Säve-Söderbergh (Hrsg.), Late Nubian Cemeteries, Scandinavian Joint Expedition to Sudanese Nubia 6, Arlöv 1982, (50– 55) 51. 289 K.-T. Zauzich, Zwei Orakelbitten aus Qasr Ibrim, in: Enchoria 25, 1999, 178–182. 290 F.Ll. Griffith, Meroitic Inscriptions II. Napata to Philae and Miscellaneous, London 1912. 291 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 262. 292 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 242.
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Demotischen einfach zu selbstverständlich zu sein. Weitere Beobachtungen in diese Richtung stammen von MacAdam.293 Grundlegend ist bis heute der Aufsatz von Karl-Heinz Priese »Zur Entstehung der meroitischen Schrift«.294 Ferner hat sich Inge Hofmann in einem Abschnitt ihrer wichtigen Monographie von 1981 zu diesem Thema geäußert.295 Im Großen und Ganzen gibt es drei teils sehr unterschiedliche Thesen: Ableitung ① aus dem Abnormal-Hieratischen, ② aus dem Demotischen, ③ aus der ›Gruppenschrift‹. Grundsätzlich gehen die Meinungen auseinander, ob die Schöpfung des meroitischen Schriftsystems fremdinduziert war, gar von einem ›Schrifterfinder‹ initiiert wurde, oder eine genuin meroitische Eigenleistung darstellt. Ableitung aus dem Abnormal-Hieratischen. Griffith vertrat 1909 die These, das Meroitische habe sich aus den thebanischen Kursiven (›Abnormal-Hieratisch‹) entwickelt und zwar parallel zur Herausbildung des Demotischen aus der nordägyptischen Kursive.296 Seiner Meinung nach habe es Vorläufer auf vergänglichem Material gegeben. Zwei Jahre Später vertrat Griffith dann eine etwas andere Sichweise:297 Die Vorläufer des Meroitischen seien gar nicht so alt (nicht vor der Ptolemäerzeit); einige Zeichen seien zwar den demotischen sehr ähnlich, andere jedoch eher über einen langen Zeitraum hinweg aus dem Hieratischen bzw. sogar Hieroglyphischen abgeleitet. 1916 stellt Griffith beim Zahlzeichen für »20« eine spezifische Verbindung her zu einer demotischen Form, die unter Psammetik I. gebraucht wurde. Gleichwohl habe eine Abkopplung von den ägyptischen Kursiven stattgefunden.298 Ableitung aus dem Demotischen. Neues Material erhielt die Diskussion nach der Publikation der Inschriften aus Kawa. Unter ihnen sind Graffiti mit Demotismen im Meroitischen (REM 0648A und 0662) – dies betrifft besonders den Gottesnamen Amun und das Personendeterminativ.299 MacAdam meinte aufgrund jener Interferenzen, es handle sich um die ältesten meroitischen Lineartexte über-
293 M.F.L. Macadam, The Temples of Kawa I. The Inscriptions, London 1949; M.F.L. Macadam, Queen Nawidemak, in: Allen Memorial Art Museum Bulletin 23, 1966, 42–71. 294 K.-H. Priese, Zur Entstehung der meroitischen Schrift, in: Meroitica 1, 1973, 273–306. 295 I. Hofmann, Material für eine meroitische Grammatik, Beiträge zur Afrikanistik 13, Wien 1981. 296 F.Ll. Griffith, Meroitic Inscriptions, in: D. Randall-MacIver & C.L. Wooley (Hrsg.), Areika, Oxford 1909, (43–54) 50f. 297 F.Ll. Griffith, The Meroitic Inscriptions of Shablûl and Karanòg, Philadelphia 1911, 20. 298 F.Ll. Griffith, Meroitic Studies, in: Journal of Egyptian Archaeology 3, 1916, (22–30) 23f. 299 M.F.L. Macadam, The Temples of Kawa I. The Inscriptions, London 1949, 105f. und 109f.
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haupt, und plädierte für eine Ableitung aus dem Demotischen.300 Die demotische Herkunft der meroitischen Lienarzeichen festigte sich in der Folgezeit als comunis opinio: MacAdam (1966) demonstrierte sie anhand der Herleitung des Zeichens 〈ḫ〉301 und Priese (1968) anhand der Zeichen 〈k〉 und 〈q〉.302 In dem eingangs herausgehobenen Artikel meinte Priese dann, die Linearzeichen seien eine Weiterentwicklung der unterägyptischen Geschäftsschrift der 25. Dynastie, also einer Variante des Frühdemotischen.303 Priese hat in seiner leider unpubliziert gebliebenen Dissertation umfangreiche Vergleiche zwischen den meroitischen Linearzeichen und demotischen Zeichen angestellt.304 Dabei ist festzustellen, dass Priese eine Tendenz dazu hat, Erklärungen in Ligaturen zu finden, und vor einer Ableitung der Linearzeichen aus den meroitischen Hieroglyphen zurückzuschreckt. Ein Schwachpunkt seiner Argumentation ist ferner, dass er bei seinen Parallelen mal aus dieser, mal aus jener Quelle schöpft. Im letzten halben Jahrhundert seit der Entstehung jener Arbeit hat sich in der Demotistik viel getan.305 Rilly konnte etwa bei seiner Behandlung des meroitischen i 〈i〉 gut demonstieren, dass heute ein paralleles demotisches Zeichen bekannt ist, das Griffith noch nicht vorlag.306 Ableitung aus der ›Gruppenschrift‹. Grundsätzlich vertritt Priese die These, wonach das meroitische Schriftsystem sich aus dem Usus herleitet, meroitische Namen in ägyptische bzw. napatanische Hieroglyphen zu transkribieren, also letztlich von einer Form der ägyptischen Monumentalen, der sog. ›Gruppenschrift‹.307 Aus den meroitischen Hieroglyphen? Kurioserweise wurde m.W. bislang noch nie wirklich erwogen, ob die meroitische Linearschrift nicht vielleicht doch von den meroitischen Hieroglyphen abgeleitet wurde. Offenbar wird praktisch immer
300 M.F.L. Macadam, The Temples of Kawa I. The Inscriptions, London 1949, 110. 301 M.F.L. Macadam, Queen Nawidemak, in: Allen Memorial Art Museum Bulletin 23, 1966, (42–71) 49. 302 K.-H. Priese, Nichtägyptische Namen und Wörter in den ägyptischen Inschriften der Könige von Kusch I, in: Mitteilungen des Instituts für Orientforschung 14, 1968, (165–191) 184. Vgl. C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 252. 303 K.-H. Priese, Zur Entstehung der meroitischen Schrift, in: Meroitica 1, 1973, (273–306) 281. 304 K.-H. Priese, Das meroitische Sprachmaterial in den ägyptischen Inschriften des Reiches von Kusch, Dissertation HU-Berlin 1965. 305 So ist exemplarisch zu verweisen auf O. El-Aguizy, A Palaeological Study of Demotic Papyri, MIFAO 113, Kairo 1998. 306 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 251. 307 K.-H. Priese, Zur Entstehung der meroitischen Schrift, in: Meroitica 1, 1973, (273–306) 275.
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ausgeschlossen, dass im Meroitischen eine ähnliche Entwicklung stattgefunden haben könnte wie diejenige, die man für die Herausbildung der ägyptischen Kursivschriften in Anspruch nimmt. Explizit formuliert – geschweiget denn begründet – wurde diese Sichtweise jedoch nie. Fremdinduziert oder Eigenschöpfung? Die Herkunft des Systems schien Griffith 1909 definitiv fremd zu sein. Er geht sogar noch weiter, wenn er meint, die Schaffung dieser Schrift könne erst nach der ›Erfindung‹ des ›semitischen‹ Alphabets stattgefunden haben, »probably by some foreign adviser«.308 Durch die Nennung des Ergamenes in klassischen Quellen und aufgrund der Inschriften meroitischer Herrscher im Dodekaschoinos postuliert er sogar eine ptolemäische, bzw. hellenistische Beeinflussung.309 Dies ist freilich keine neue Theorie, denn sie wurde ähnlich bereits von Richard Lepsius geäußert.310 1912 präzisiert Griffith seine Sicht von einer ›Schriftreform‹ unter Ergamenes, 311 indem er der romantischen Idee vom Philosophen auf dem Königsthron folgt, der die Schrift für sein Volk erfindet.312 Einwände kamen besonders von Ernst Zyhlarz.313 Zuletzt hat auch Rilly darauf hingewiesen, dass – wenn das System tatsächlich eine Silbenschrift ist – eine Herleitung aus einem griechischen oder semitischen Alphabet unwahrscheinlich ist.314 Nun hat Frank Kammerzell in den letzten Jahren wieder dafür plädiert, das Meroitische als Alphabetschrift zu betrachten,315 was dieses Argument wieder zunichte machen würde. Die Idee eines ›Schrifterfinders‹ wird heute zunehmend kritisch gesehen; ob die merotische Schrift nicht doch aufgrund von Kulturkontakten entstand, ist eine ganz andere Frage. Als Kandidaten wurden schon indische Schriften (Brāhmī/Kharoṣṭī), die äthiopische Silbenschrift oder die persische Keilschrift in Betracht gezogen.316 Immerhin wurden in Berenike, also in Nubien, Texte in indischen Schriften gefunden! Wahrscheinlich spielen mehrere Faktoren hinein – Kulturkontakt,
308 F.Ll. Griffith, Meroitic Inscriptions, in: D. Randall-MacIver & C.L. Wooley (Hrsg.), Areika, Oxford 1909, (43–54) 50f. 309 F.Ll. Griffith, The Meroitic Inscriptions of Shablûl and Karanòg, Philadelphia 1911, 17. 310 C.R. Lepsius, Nubische Grammatik. Mit einer Einleitung über die Völker und Sprachen Afrikas, Berlin 1880, cxxiv. 311 F.Ll. Griffith, Meroitic Inscriptions II. Napata to Philae and Miscellaneous, London 1912, 24. 312 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 244. 313 E. Zyhlarz, Das Meroitische Sprachproblem, in: Anthropos 25, 1930, (409–463) 412. 314 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 245. 315 F. Kammerzell, Die Sprachen Nubiens. Ms. 7ff.; F. Kammerzell, Napatanisch – Meroitisch – Nubisch, Ms. 10ff. Mehr dazu in einem eigenen Abschnitt. 316 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 277.
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›Gruppenschrift‹, die Herausbildung einer eigenen ›nationalen‹ Identität etc. Anderseits ist auffällig, dass es nicht viele Texte gibt, bei denen die Schreiber nach einer graphischen Konvention suchen, also scriba im Sinne der linguistischen Schriftbetrachtung. Nicht unerwähnt bleiben sollte in diesem Zusammenhang eine neue Theorie von Penelope Aubin, nach welcher die indische Kharoṣṭī-Schrift Vorbild für die meroitische Schrift war.317 Die Kharoṣṭī-Schrift wurde zwischen dem 3. Jhd. v. Chr. und dem 4. Jhd. n. Chr. in Indien gebraucht und wird gemeinhin von der aramäischen Schrift abgeleitet. 318 In dieser Schrift inhärieren alle Konsonanzenzeichen den Vokal /a/, außer wenn durch Diakritika explizit anders markiert. Bekannt ist diese Schrift vor allem durch ihre Verwendung in den berühmten Inschriften des Königs Ashoka. Aubin sieht nun einen direkten Zusammenhang zwischen der Funktionsweise des Kharoṣṭī und des Meroitischen und geht daher ausführlich auf Diakritika im Meroitischen ein.319 Auffällig ist in der Tat nicht nur die systematische Ähnlichkeit, sondern auch der Umstand, dass die Kharoṣṭī-Schrift etwa zur selben Zeit entstand wie die meroitische. An Kontakten zwischen dem Niltal und Indien mangelte es nicht, wie insbesondere Inge Hofmann in einer längeren Arbeit zu diesem Thema herausgearbeitet hat.320 Da wäre nicht nur eine indische Gesandtschaft, die unter Ptolemaios II. Philadelphos Alexandria erreichte (erwähnt von Clemens Alexandrinus), sondern auch buddhistische Grabsteine aus der Ptolemäerzeit im Niltal. All dies ist nicht in Abrede zu stellen, doch sollte man mit Schlüssen vorsichtig sein: Nur weil zwei Schriftsysteme zeitgleich entstanden sind und sehr ähnlich funkionieren, muss noch lange kein Zusammenhang zwischen ihnen bestehen. Die Einzelvergleiche zwischen den jeweiligen Buchstabenformen sind zudem sehr unsicher und vor allem subjektiv.321 Außerdem muss man auf der Suche nach möglichen Vorbildern gar nicht so weit Ausschau halten – immer317 P. Aubin, Evidence for an Early Nubian Dialect in Meroitic Inscriptions: Phonological and Epigraphic Consideration, in: Meroitic Newsletter 30, 2003, 15–39. In diesem Zusammenhang zitiert sie eine unpublizierte Dissertation: Hélène Longpré, Investigation of the Ancient Meroitic Writing System, PhD thesis Rhode Island College 1999, 47–54. 318 Zuletzt ausführlich und methodisch sehr sauber und kritisch R.M. Voigt, Die Entwicklung der aramäischen zur Kharoṣṭhī und Brāhmī-Schrift, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 155, 2005, 25–50. 319 P. Aubin, Evidence for an Early Nubian Dialect in Meroitic Inscriptions: Phonological and Epigraphic Consideration, in: Meroitic Newsletter 30, 2003, (15–39) 22. 320 I. Hofmann, Wege und Möglichkeiten eines indischen Einflusses auf die meroitische Kultur, Studia Instituti Anthropos 23, St. Augustin 1975. 321 Vorbildlich ist in dieser Hinsicht R.M. Voigt, Die Entwicklung der aramäischen zur Kharoṣṭhī und Brāhmī-Schrift, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 155, 2005, 25–50, wo die Kritik an einem oberflächlichen Vergleich zwischen einzelnen Zeichenformen sehr gut auf den Punkt gebracht wird.
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hin gibt es die äthiopische Schrift in unmittelbarer Nachbarschaft der meroitischen. Auch für diese hat man indischen Einfluss geltend gemacht: Die Umbildung von einer Konsonanten- zur Silbenschrift sei durch indischer Kontakte induziert worden. Die äthiopische Silbenschrift scheidet als Vorbild für die meroitische aus, da diese Umstrukturierung deutlich nach dem Aufkommen der meroitischen Schrift vor sich ging. Auch die persische Keilschrift scheidet als Vorbild aus, da sie eine ›normale‹ Silbenschrift und keine, die nach dem Devanāgārī-Prinzip funktioniert. Daher scheidet auch sie als Vorbild aus. Man sollte sogar noch weiter gehen und den Meroiten mehr zutrauen, als das in der Vergangenheit (wohl nicht zuletzt aufgrund einer westlich-kolonialistischen Arroganz) getan wurde. Grundsätzlich gilt es nämlich Abstand zu nehmen von einer Sichtweise, nach welcher die Meroiten nach dem Ende der Kuschitenzeit zunehmend weniger der komplexen ägyptischen Schrift mächtig waren und deshalb mit der meroitischen Schrift ein vereinfachtes System schufen.322 Damit sind wir bei einer weiteren These angelangt, die von Peter Behrens entwickelt wurde.323 Behrens war zwar mehr auf die linguistische Bestimmung des Meroitischen aus, doch tat er dies mithilfe einiger Schriftzeichen, deren Lautung er durch akrohponischen Rebus aus dem Omotischen zu erklären versuchte. So sei bei k 〈k〉 zu verweisen auf Kefa kafo »Vogel«, bei b 〈b〉 auf Kefa beegee, Moča bago und Bilin baga etc. »Schaf«, bei u 〈to〉 auf Kefa und Oromo tʼoofoo »Trinkgefäß aus Rinderhorn« und bei d 〈d〉 auf Moča doʼo, Kefa deʼo und Ometo loʼo »gut« (vgl. äg. wꜢḏ). Wie auch immer man diese Gleichungen werten mag, dass die meroitische Schrift eine eigenständige Errungenschaft sein kann, sollte außer Frage stehen. Ein Problem hier ist u.a., dass die Suche nach graphischen Kognaten voraussetzt, dass die Lautwerte der meroitischen Zeichen fest etabliert sind, was m.E. nicht der Fall ist. Sehr bezeichnend für die Forschungsgeschichte ist die Sichtweise verschiedener Forscher zum meroitischen Trennzeichen. Hier denkt Griffith u.a. an fremden Einfluss, d.h. an das gleich aussehende Trennzeichen im Äthiopischen. 324 Priese wies jedoch darauf hin, dass bereits im Spätägyptischen die Determina322 Vgl. B. Trigger, Summary of Discussion and Final Comments, in: Meroitica 1, 1973, (337– 349) S. 339f.: »The papers of Professor Hintze and Dr. Priese indicate that the invention of the Meroitic script was a more sophisticated undertaking than has been believed hitherto. […] This completely reverses older theories, which postulated that deterioration among the Meroites of literary skills originally acquired from the Egyptians and which interpreted the invention of the Meroitic script as the haphazard creation of a simplified system among a people no longer able to manage the complicated Egyptian script.«. 323 M. Bechhaus-Gerst, Nubier und Kuschiten im Niltal. Sprach- und Kulturkontakte im ›noman’s land‹, Köln 1989, 103ff. referiert diese Thesen von Peter Behrens als »persönliche Mitteilungen« ausführlich.
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tive de facto die Funktion von Worttrennern erfüllen, Peust geht noch weiter und spricht von »Wortgrenzsignalen«.325 Fazit Linearzeichen. Nach Claude Rillys Meinung sind die meroitischen Linearzeichen weder aus der ›Gruppenschrift‹ noch aus dem ›Abnormal-Hieratischen‹ abzuleiten.326 Er betont den Umstand, dass die Entwicklung der Schrift wohl primär aus einer administrativen Notwendigkeit heraus geschehen sein dürfte. Damit ist für ihn das logische Vorbild die demotische Schrift. Griffith hatte zwar als eigentlichen Anreger das Abnormal-Hieratische gesehen, jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Buchstabenformen später durch das zeitgenössische Demotische erneut beeinflusst worden sein könnten. 327 Priese sah dagegen eine Entwicklungslinie bis zum Späthieratischen. Auch Rilly tut dies: Seiner Meinung nach gehen von 23 Zeichen zumindest 13 sehr wahrscheinlich auf demotische Vorbilder zurück, 8 wahrscheinlich und lediglich bei zweien ist die Sachlage unklar.328 Er sieht eine große Nähe zu den frühen ptolemäischen Zeichen aus Oberägypten (ca. 330–180 v. Chr.), nicht nur bei den Buchstaben, sondern auch bei den Zahlzeichen.329 Priese hatte demgegenüber für eine Herleitung aus dem Frühdemotischen plädiert. Sollte dies zutreffen, dann stellt sich die Frage: Warum gibt es so lang keine Quellen, also einen Hiatus zwischen dem Frühdemotischen und der meroitischen Linearschrift? Es ließe sich argumentieren, die napatanischen Verwaltungstexte, die es sicherlich gegeben haben muss, seien weiterhin in einer Form des Frühdemotischen geschrieben gewesen und nur nicht erhalten. Leider gibt es keine handfesten Hinweise in diese Richtung. So liegt es näher anzunehmen, dass man sich in Nubien eine zeitgenössische Form der demotischen Schrift zum Vorbild nahm. Dies führt uns nun zur Frage, wann genau die meroitische Schrift entwickelt wurde. Traditionell gilt REM 0805 (Fragment einer königlichen Opfertafel) als älteste meroitische Linearinschrift (Ende 2. Jhd. v. Chr.). Die ersten längeren Inschriften des Taneyidamani (REM 0217, 405B, 1044, 1140) werden dagegen Ende des 2. Jhd. n. Chr. datiert. Nun gibt es jedoch eine Reihe von paläographisch älteren Texten, Graffiti aus Kawa, eine Opfertafel aus Meroë und Inschriften aus Dokki-Gel, sowie die Tanyidamani-Stele REM 0405 A.330 Wenn also die ersten Anfänge der meroitischen Schrift 324 F.Ll. Griffith, Meroitic Inscriptions, in: D. Randall-MacIver & C.L. Wooley (Hrsg.), Areika, Oxford 1909, (43–54) 51. 325 C. Peust, Das Napatanische, Göttingen 1999, 124. 326 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 259. 327 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 259. 328 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 260. 329 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 260. 330 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 346, Taf. 12.
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zu Beginn des 2. Jhd. v. Chr. anzusetzten sind, dann passt dies (mit Rilly) sehr gut zu den frühptolemäischen Zeichen. Herkunft der meroitischen Hieroglyphen (Taf. 8).331 Auf den ersten Blick scheint es viel leichter zu sein, die bildhaften Hieroglyphen mit ihren definitiv ägyptischen Vorbildern332 zu vergleichen als die abstrakten Linearzeichen. Die Diskussionen um Details zeigen allerdings, dass auch hier ›der Teufel im Detail steckt‹. Claude Rilly hat die meroitischen Zeichen einzeln mit den ägyptischen Hieroglyphen verglichen333 und dabei einige sehr gute Einzelbeobachtungen vorgebracht, etwa dass bei d 〈d〉, e 〈e〉 und h 〈ḫ〉 eine Beeinflussung durch die meroitische Linearschrift vorliegen könnte. Spannend ist auch seine Bemerkung zum e 〈e〉: In ägyptischen Inschriften aus meroitischer Zeit wird die Feder nie anstelle des ›Schilfblattes‹ gebraucht, und auch die Orientierung des Zeichens ist fast nie wie beim ›Schilfblatt‹. Griffith hatte noch die Meinung vertreten, wonach das ›Schilfblatt‹ aus ästhetischen Gründen durch die Feder ersetzt worden sei.334 Beim H 〈ẖ〉 weist MacAdam einen ganz anderen Weg, nämlich über die Inhaltsseite. Danach sei mit dem Zeichen ein Bierkrug dargestellt und es liege ein Rebus für »Bier« vor, den er durch einen Hinweis auf »Beja« ha »any fermented drink, especially beer« zu untermauern sucht.335 Vielleicht geht das Zeichen jedoch auch auf den »nw-Topf« zurück, was immerhin angesichts von Hintzes Gleichung mit dem altnubischen Zeichen 〈ŋ〉 Sinn ergeben würde.336 Eine »Sakralschrift«? In jüngster Zeit hat Ludwig Morenz in einer Arbeit über die altkanaanäische Schrift (»Proto-Sinaitisch«) postuliert, bestimmte ägyptische Hieroglyphen seien aufgrund ihrer sakralen Konotation ausgewählt und zu »meroitisch-hieroglyphischen Alphabetzeichen« gemacht worden:337 a und i
331 Grundsätzlich C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 263ff. und vor allem auch C. Rilly, Meroitische Texte aus Naga, in: K. Kröper, S. Schoske & D. Wildung (Hrsg.), Königsstadt Naga. Grabungen in der Wüste des Sudan, Berlin & München 2011, 178–201. 332 Zeichen wie der Widder oder der Löwe lassen daran keine Zweifel aufkommen, da sie in typisch ägyptischer Manier gezeichnet werden. 333 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 263ff. 334 F.Ll. Griffith, The Meroitic Inscriptions of Shablûl and Karanòg, Philadelphia 1911, 14. 335 M.F.L. Macadam, Queen Nawidemak, in: Allen Memorial Art Museum Bulletin 23, 1966, (42–71) 49 mit Anm. 17. 336 F. Hintze, Meroitisch und Nubisch: eine vergleichende Studie, in: Beiträge zur Sudanforschung 4, 1989, (95–106) 98f.. 337 L.D. Morenz, Die Genese der Alphabetschrift. Ein Markstein ägyptisch-kanaanäischer Kulturkontakte, Würzburg 2011, Exkurs 6: Sakrale Konnotationen der meroitisch-hieroglyphischen Alphabetzeichen.
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repräsentierten die Menschenwelt, l und b stünden für die beiden Hauptgötter, den löwenköpfigen Apademak und den widderköpfigen Amun, und schließlich seien die Maat-Feder (e) und das Udjat-Auge (d) als Amulette bekannt. Im Allgemeinen sind m.E. Erklärungsmodelle, die mit ›magischen Konnotationen‹ oder ähnlichem arbeiten, eher mit Skeptis zu betrachten, da allzu oft der Bereich Religion/Magie als ›Notnagel‹ herhalten muss, sobald man etwas nicht erklären kann. In der Tat ist jedoch auffällig, dass die Hieroglyphen fast ausschließlich im königlich-sakralen Bereich Verwendung finden. Dies hat jedoch vor allem mit ihrer Bildhaftigkeit zu tun und muss nicht notwendigerweise mit der Auswahl der Zeichen zusammenhängen. Der Umstand, dass es bei der Ableitung der ägyptischen Hieroglyphen mehrfach zu Verdopplungen (meroit. S /se/ vs. äg. und meroit. n vs. äg. ; meroit. N vs. äg. ) oder graphischen Ergänzungen (rUI) kam, zeigt m.E. deutlich, dass Griffith mit seinem ästhetischen Ansatz eher recht haben dürfte (Stichwort: horror vacui).338 Wenn Morenz schreibt: »doch standen insbesondere für b verschiedene hieroglyphische Vorbilder zur Verfügung«, dann zeigt sich, dass es nicht unerheblich ist, ob man die meroitische Schrift als Silben- oder Alphabetschrift betrachtet. 339 Denn das meroitische Zeichen steht eben nicht grundsätzlich für /b/, sondern primär für /ba/, und damit scheidet als Vorbild die ägyptische ›Bein-Hieroglyphe‹ aus und der Widder wird zum selbstverständlich ersten Kandidaten. Alternativ hätte man auch den ›ba-Vogel« nehmen können, hat es jedoch nicht getan, da der Widder das damals gebräuchlichere Zeichen war. Diese Beobachtung ist insofern wichtig, als es im meroitischen Reich eine eigene Gattung in der Plastik gibt, die genau jenes darstellt, den »ba-Vogel«. Man geht sogar davon aus, dass die meroitischen Pyramiden von Statuen dieses Typs bekrönt waren.340 Wäre die sakrale Dimension also derart dominant, wie Morenz annimmt, hätte man sicherlich die Silbe /ba/ mit dem menschenköpfigen Vogel anstatt mit dem Widder geschrieben. Ableitungsprinzipien. Morenz’ These ist jedoch von besonderer Wichtigkeit, da sie die Frage aufwirft, nach welchen Kriterien die meroitischen Hieroglyphenzeichen überhaupt ausgewählt wurden. Griffith meinte, die Zeichen müssten
338 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 272. 339 Morenz vertritt Letzteres und ist damit nicht auf der Höhe der Forschung. Freilich ist dies beim Lexikon der Ägyptologie IV, 104–107 (s.v. »Meroe, Schrift und Sprache«) auch der Fall und sogar im Neuen Pauly liest man (offenbar kritiklos aus dem Lexikon der Ägyptologie übernommen), das Meroitische sei eine Alphabetschrift. 340 D. Welsby, The Kingdom of Kush, London 1996, 97.
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möglichst gedrungen sein.341 Man könnte dies genauer wie folgt formulieren: Sie müssen so geartet sein, dass sie ohne viel Freiraum sowohl bei Zeilen- als auch bei Kolumnenschreibung das Textfeld möglichst gleichmässig ausfüllen. 342 Dem könnte man hinzufügen, sie müssten möglichst bildhaft sein, bzw. die Gestalt von Lebewesen besitzen. Dies würde zumindest die Ersetzung des ägyptischen »k-Korbes« durch das Gänsezeichen k erklären, die Ersetzung des ägyptischen ›Schilfblattes‹ durch i bzw. e, die ausschließliche Verwendung der Eule m (gegenüber dem ägyptischen ). Gegen einen solchen ›ästhetischen‹ Ansatz hat sich Priese ausgesprochen, wenn auch wenig überzeugend.343 In jüngster Zeit hat Peust eine Beobachtung gemacht, die in mehrfacher Hinsicht richtungsweisend sein dürfte:344 Er bemerkt, dass bei der Wiedergabe der Namen von Mitgliedern der königischen Familie in der Kuschitenzeit und in der folgenden napatanischen Zeit die ägyptische Hieroglyphe der »Kuhantilope« ( ) sehr häufig vorkommt und zwar zur Notation des Vokals /u/. Damit wird das meroitische Zeichen o 〈o〉 /u/ zur Kurzform der ägyptischen Hieroglyphe . Dies zeigt zweierlei: Erstens darf bei der Suche nach ägyptischen Vorbildern die Vokalisation nicht unberücksichtigt bleiben (wie bei Morenz), und zweitens muss man sich nach napatanischen Parallelen umsehen und nicht nur nach ägyptischen (wie Rilly). Ferner ist sicherlich mit einer (Rück)beeinflussung aus der Kursive zu rechnen, was etwa beim Trennzeichen evident sein dürfte. Mit anderen Worten: Fundamentale Fragen im Zusammenhang mit der Schaffung der meroitischen Hieroglyphenschrift sind noch nicht beantwortet. Napatanische Vorbilder. Die Meinungen darüber, inwieweit die napatanische Form der Hieroglyphenschrift bei der Schaffung der meroitischen maßgeblich war, gehen auseinander. Claude Rilly hat sich jüngst ausführlicher dazu geäußert und dies in Abrede gestellt.345 Seiner Meinung nach hätten sich die ›Kuschi-
341 F.Ll. Griffith, The Meroitic Inscriptions of Shablûl and Karanòg, Philadelphia 1911, 14. 342 F.Ll. Griffith, The Meroitic Inscriptions of Shablûl and Karanòg, Philadelphia 1911, 14. 343 K.-H. Priese, Zur Entstehung der meroitischen Schrift, in: Meroitica 1, 1973, (273–306) 280 und 287. 344 C. Peust, Rezension von K. Zibelius-Chen, »Nubisches« Sprachmaterial in hieroglyphischen und hieratischen Texten, in: Lingua Aegyptia 19, 2011, 347–361, bes. 354. 345 C. Rilly, The Last Trace of Meroitic? A Tentative Scenario for the Disappearance of the Meroitic Script, in: J. Baines & S.D. Houston (Hrsg.), The disappearance of writing systems: Perspectives on literacy and communication, London 2008, 185–205 (bes. S. 186) und C. Rilly, Meroitische Texte aus Naga, in: K. Kröper, S. Schoske & D. Wildung (Hrsg.), Königsstadt Naga. Grabungen in der Wüste des Sudan, Berlin & München 2011, 178–201; C. Rilly, Reducing Polyvalency in Writing Systems: From Egyptian to Meroitic, in: A. de Voogt, I. Finkel (Hrsg.), The Idea of Writing. Play and Complexity, Leiden/Boston 2010, 221–234.
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ten‹ zunächst in Form des Napatanischen der ägyptischen Sprache und Schrift nicht nur deshalb bedient, weil die ägyptische Kultur ein sehr hohes Ansehen besessen habe, sondern vor allem auch weil »das komplizierte Schriftsystem kaum auf eine andere Sprache hätte übertragen werden können«. 346 Wie unsinnig eine solche These ist, zeigen die napatanischen Inschriften selbst, denn in ihnen wird eben gerade nicht die ägyptische Sprache, sondern eine eigene ›nubische‹ Sprachform wiedergegeben. In seiner Monographie zum Napatanischen hat Carsten Peust sehr gut herausgearbeitet, dass dieses Idiom nicht dem ›ägyptischen Ägyptisch‹ entspricht, sondern eigenen (oft sehr unägyptischen) Regeln folgt.347 Wie genau die Unterschiede linguistisch zu fassen sind, darüber herrscht Uneinigkeit. Peust und Quack betonen die Ägyptizität des Napatanischen (Peust: ägyptischer Dialekt; Quack: »Periphärdemotisch«),348 man wird jedoch dem Idiom wohl besser gerecht, wenn man seinen Mischcharakter in den Vordergrund stellt (Breyer: »ägyptomeroitische Kreolsprache«).349 Wie auch immer: Das ägyptische Schriftsystem war sehr wohl dazu geeignet, nicht-ägyptisches Sprachmaterial wiederzugeben.350 Rilly betrachtet die napatanischen Abweichungen vom Standardägyptischen als ›Fehler‹ und hat damit eine Sichtweise auf diese Inschriften, die sich nur geringfügig von derjenigen des 19. Jhd. unterscheidet, als man meinte, diese Texte seinen in ›barbarischem‹ Ägyptisch gehalten. Ferner sei nach Meinung Rillys die ägyptische ›Gruppenschrift‹ von den napatanischen Schreibern fehlerhaft verwendet worden.351 Auch dies lässt sich nicht nachweisen – im Gegenteil. Da dieses gesamte Material nun von Ka-
346 C. Rilly, Meroitische Texte aus Naga, in: K. Kröper, S. Schoske & D. Wildung (Hrsg.), Königsstadt Naga. Grabungen in der Wüste des Sudan, Berlin & München 2011, (178–201) 179. 347 C. Peust, Das Napatanische, Göttingen 1999. 348 J.F. Quack, Beiträge zum Peripherdemotischen, in: Studia Aegyptia 18, 2002 (Fs Gaál, Luft & Török), 393–403. Auf den Bezug zum Meroitischen geht Quack mit keinem Wort ein. 349 F. Breyer, Das Napatanische. Eine ägyptomeroitische Kreolsprache und ihr Verhältnis zum Altnubischen, in: Lingua Aegyptia 16, 2008, 323–330. 350 Eine sehr gute Zusammenfassung darüber findet sich bei J. Quack, Egyptian Writing for Non-Egyptian Languages and Vice Versa: A Short Overview, in: A. de Voogt, I. Finkel (Hrsg.), The Idea of Writing. Play and Complexity, Leiden/Boston 2010, 317–235. Vgl. auch J. Quack, From Group-Writing to Word Association. Representation and Integration of Foreign Words in Egyptian script, in: A. de Voogt, I. Finkel (Hrsg.), The Idea of Writing. Play and Complexity, Leiden/Boston 2010, 73–92. Vgl. auch: T. Schneider (Hrsg.) unter Mitarbeit von F. Breyer, O. Kaehlin und C. Knigge, Das Ägyptische und die Sprachen Vorderasiens, Nordafrikas und der Ägäis, AOAT 310, Münster 2004. 351 Dabei verweist er auf eine bis heute unpublizierte Dissertation: C. Fléchelle, Transcription des anthroponymes kouchites en écriture hiéroglyphique égyptienne de la XXVe dynastie au début du royaume de Méroé. Apports chronologiques de l’évolution orthographique, Mémoire de DEA de l’Université Paris IV – Sorbonne. Paris 2004.
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rola Zibelius-Chen zusammenhängend bearbeitet wurde, lässt sich sehr gut nachvollziehen, dass es an der napatanischen Zeichenverwendung der ›Gruppenschrift‹ nichts gibt, was man als ›fehlerhaft‹ betrachten könnte. In der Tat ist jedoch gut zu erkennen, dass sich etwas Eigenes herauszubilden beginnt. Wenn Rilly also die Natur der Schriftzeugnisse aus napatanischer Zeit völlig falsch beurteilt, beraubt er sich damit eines wesentlichen Zugangs zur meroitischen Schrift. Erste meroitische Textzeugen. Nachdem die Frage nach den ersten Zeugnissen in meroitischer Schrift im Zusammenhang mit den meroitischen Linearzeichen kurz angerissen wurde, soll nun näher auf dieses Thema eingegangen werden. Zuallererst muss man zwischen Textzeugen und Inschriften unterscheiden, also zwischen den ersten zusammenhängenden Sätzen in meroitischer Sprache und den ersten Belegen für eine eigenständige meroitische Schrift. Rilly betrachtet die Inschriften auf der Sargbank Arqamanis aus der Pyramide Beg. N. 7 (Ende 3. Jhd. v. Chr.) als ältesten Beleg für einen meroitischen Satz.352 Ganz abgesehen davon, dass Rillys Interpretation (meroit. mk-l-tk »Geliebt von der Gottheit«) des dort vorkommenden Nekropolennamens (?) Arqamanis 〈M-k-r-t-k〉 nicht zutreffend sein dürfte,353 muss eine solche Aussage generell erstaunen. Die Namen der Kuschitenpharaonen sind mit ziemlicher Sicherheit (proto)meroitisch und mit den (proto)meroitischen Passagen in den »chapitres supplémentaires« des Totenbuches verschiebt sich die Beleglage chronologisch deutlich nach hinten.354 Bei der Frage nach den ältesten Belegen für die meroitische Schrift kommt Rilly jedoch einen deutlichen Schritt weiter: Bis jetzt wurde die Inschrift der Sanakadachete (REM 0039) vom Tempel Naga 500 (»Tempel F«) gerne als älteste meroitische Inschrift tituliert. Rilly plädiert aufgrund paläographischer Kriterien für eine Umdatierung dieser Quelle vom 2. Jhd. v. ins 1. Jhd. n. Chr. Aber auch ohne diese Umdatierung dürfte eine Völkerliste aus dem Tempel M260 in Meroë (REM 0401) älter sein, da die Zeichen noch ganz deutlich zwi352 C. Rilly, Meroitische Texte aus Naga, in: K. Kröper, S. Schoske & D. Wildung (Hrsg.), Königsstadt Naga. Grabungen in der Wüste des Sudan, Berlin & München 2011, (178–201) 181 mit Abb. 215. 353 F. Breyer, Die meroitische Sprachforschung. Gegenwärtiger Stand und zukünftige Ansätze, in: Mitteilungen der Sudanarchäologischen Gesellschaft 23, 2012, (117–149) 144. Vgl. K. Zibelius-Chen, »Nubisches« Sprachmaterial in hieroglyphischen und hieratischen Texten. Personennamen, Appellativa, Phrasen vom Neuen Reich bis in die napatanische und meroitische Zeit. Mit einem demotischen Anhang, Meroitica 25, Wiesbaden 2011, 148f. 354 K. Zibelius-Chen, Die nicht ägyptischsprachigen Lexeme und Syntagmen in den chapitres supplémentaires und Sprüchen ohne Parallelen des Totenbuches, in: Lingua Aegyptia 13, 2005, 181–224.
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 245
schen dem Meroitischen und Ägyptischen schwanken. Rilly datiert dieses Schriftzeugnis in die erste Hälfte des 2. Jhd. v. Chr.. Nun geht Rilly davon aus, dass sich beim Meroitischen zuerst die Kursive für den Alltagsgebrauch, und danach davon abgeleitet eine Displayschrift herausgebildet habe.355 Wenn man die ›napatanische Orthographie‹ als Vorläufer der meroitischen Schrift ausschließt, kann man nur zu einem solchen Ergebnis kommen, denn nach Rillys eigenen Forschungen sind die linearmeroitischen Pilgergraffiti aus Kawa und Dukku Gel deutlich älter, wie die frühdemotische Paläographie der in ihnen eingestreuten demotischen Wörter nahelegt.356 Die Ableitung der Hieroglyphenschrift von der Lienarschrift erfolgte Rillys Meinung nach unter König Taneyidamani um 100 v. Chr.357 Als einziges Indiz für diese These dient ihm der Umstand, dass die meroitischen Hieroglyphen in der Kartusche auf dem Bronzezylinder dieses Herrschers (REM 1140) angeblich noch etwas unbeholfener wirkten als diejenigen in der Kartusche seiner große Stele (REM 1044). Die Kategorie ›unbeholfen‹ ist allerdings alles andere als objektiv; außerdem hängt eine These zur Schriftgeschichte, die auf dem Vergleich zwischen zwei einzelnen Kartuschen aufbaut, an seidenen Fäden. Es gibt also eine Vielzahl von Unsicherheiten in Rillys Thesen, die noch einmal zusammengestellt sein sollen: ① Rilly blendet die ›napatanische Orthographie‹ in der Diskussion völlig aus; ② er betrachtet deren Zeichenverwendung als ›fehlerhaft‹ und ③ die napatanischen Inschriften als Zeignisse schriftkundigen Unvermögens; ④ geht er von der Grundprämisse aus, dass zuerst die Linear- und dann davon abgeleitet die Hieroglyphenschrift entstanden sei. Dies gründet ⑤ auf paläographischen Datierungen maßgeblicher Inschriften, die jedoch andererseits u.a. die Stütze seiner eigenen Paläographie bilden (Zirkelschluss). Mit anderen Worten: Rillys These ist als Ganzes in Frage zu stellen. Vor einer erneuten Behandlung des Themas sollte man sich grundsätzlich Rechenschaft darüber ablegen, wie bestimmte Prämissen zu bewerten sind, etwa ob die beiden Ausprägungen der meroitischen Schrift voneinander abgeleitet sind oder nicht bzw. in welchem Maße.
355 C. Rilly, The Last Trace of Meroitic? A Tentative Scenario for the Disappearance of the Meroitic Script, in: J. Baines & S.D. Houston (Hrsg.), The disappearance of writing systems: Perspectives on literacy and communication, London 2008, (185–205) 188. 356 C. Rilly, The Last Trace of Meroitic? A Tentative Scenario for the Disappearance of the Meroitic Script, in: J. Baines & S.D. Houston (Hrsg.), The disappearance of writing systems: Perspectives on literacy and communication, London 2008, (185–205) 183. 357 C. Rilly, The Last Trace of Meroitic? A Tentative Scenario for the Disappearance of the Meroitic Script, in: J. Baines & S.D. Houston (Hrsg.), The disappearance of writing systems: Perspectives on literacy and communication, London 2008, (185–205) 185.
246 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
Das Verhältnis der meroitischen Schriftarten zueinander. Wurde das meroitische Schriftsystem als Ganzes entwickelt, gab es also von vorne herein sowohl hieroglyphische als auch lineare Zeichen? Wie erwähnt, verneint Rilly dies und leitet die Hieroglyphen von den Linearzeichen ab.358 Griffith hatte genau die umgekehrte These vertreten und meinte, die Kuschiten hätten zuerst die Hieroglyphen adaptiert und aus ihnen danach die Kursive abgeleitet. Man kann nur vermuten, dass Griffith dies aus einer ägyptozentrischen Sichtweise für selbstverständlich hielt. Morenz geht ebenfalls davon aus, dass die Hieroglyphen am Anfang der Entwicklung standen, da seiner Meinung nach die bildhaft-sakrale Konnotation bei der ›Schrifterfindung‹ im Vordergrund stand. Letztlich ist dies wohl eine Frage der Mentalität. In ähnlicher Weise gehen die Meinungen darüber auseinander, was genau den Anstoß zur Erfindung der Schrift überhaupt gebildet haben mag. Während die einen (z.B. John Baines) ideologisch-religiöse Gründe vermuten, sehen andere (z.B. Wolfgang Schenkel) den Hauptgrund in ökonomischen, d.h. säkularen Zwängen.359 Einig ist man sich lediglich darin, dass die frühe Staatsentstehung ursächlich sein dürfte. Der Vergleich mit der Entwicklung der ägyptischen Schrift ist sogar noch interessanter, wenn man sich vor Augen hält, dass auch dort die ersten Zeugnisse für die Kursivschrift jünger sind als die ältesten Formen der Monumentalen. Wie in Meroe dürfte dies jedoch nichts weiter als dem Überlieferungszufall geschuldet sein – hier wie da erhalten sich Inschriften auf Stein eher als Texte auf organischen Schreibmaterialien. Der grundlegende Unterschied in Nubien ist, dass zu dem Zeitpunkt, als man hier eine eigene Schrift entwickelte, bereits ein voll ausgeprägtes Vorbild bestand. Allein schon dadurch wird es viel wahrscheinlicher, dass beide Schriftformen gleichzeitig übernommen wurden, also weder Rilly noch Griffith mit ihren Ableitungsthesen richtig liegen. Höheres ›Prestige‹ der Hieroglyphen? Zur Frage des ›Prestiges‹ bestimmter Schriftarten ist zu bemerken, dass die Taneyidamani-Stele immerhin vor dem großen Amuntempel B500 in Napata stand und nicht in meroitischen Hieroglyphen, sondern in der linearen Form beschriftet ist.360 Den bildhaften Hierogly358 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 275. 359 J. Baines, Restricted Knowledge, Hierarchy, and Decorum: Modern Perceptions and Ancient Institutions, in: Journal of the American Research Center in Egypt 27, 1990, 1–23; J. Baines, Visual and Written Culture in Ancient Egypt, Oxford 2007; J. Baines, On Functions of Writing in Ancient Egyptian Pictoral Representation, in: P. Taylor (Hrsg.), Iconography without texts. London 2008, 95–126; W. Schenkel, Wozu die Ägypter eine Schrift brauchten, in: A. Assmann, J. Assmann & C. Hardmeier (Hrsg.), Schrift und Gedächtnis, München 1983, 45–63. 360 F. Hintze, Die meroitische Stele des Königs Tanyidamani aus Napata, in: Kush 8, 1960, (125–162) 127f.
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 247
phen von vorne herein ein höheres Prestige einzuräumen, dürfte also relativ ägyptisch gedacht und für den meroitischen Bereich zum Teil zu überdenken sein. Privatinschriften, die ganz in meroitischen Hieroglyphen verfasst sind (Proskynemata REM 1046 A und B), zeigen, dass diese Schriftform nicht vollständig auf den königlich-religiösen Bereich beschränkt war. Ein Amulett (REM 0704), das mit einem Gemisch aus meroitischen Hieroglpyhen- und Linearzeichen beschrieben ist, weist in eine ähnliche Richtung. Zeichenauswahl und Lautwertgewinnung. Ebenfalls nicht ganz eindeutig ist, in welchem Maße die Entwicklung der meroitischen Schrift eine Weiterentwicklung darstellt oder sogar eine ›Neuschöpfung‹ auf der Grundlage ägyptischer Vorbilder. Dass man sich am Fundus der ägyptischen Hieroglyphen bediente, um möglicherweise ihre magische Kraft zu behalten, erscheint durchaus einleuchtend und wurde jüngst von Morenz explizit herausgearbeitet.361 Dass dies mit einem deutlichen Bruch zur ägyptischen Schrift geschah, ist allerdings ebenso falsch wie Rillys Ansicht, man habe dabei Lautwerte und Zeichen vertauscht oder völlig unbekannte erfunden.362 Die ägyptische ›Teich-Hieroglyphe‹ (N 37) steht ägyptisch in der Tat für 〈š〉 und im Meroitischen für 〈r〉, doch hat dies nichts mit einer Vertauschung zu tun, sondern mit einer Verschreibung: In den ägyptischen Kursivschriften ähneln sich 〈š〉 und 〈r〉 oft sehr. Die meroitische Hieroglyphenschrift wurde also nicht ganz so abgekoppelt von der linearen Variante entwickelt, wie Rilly meint. Der Lautwert 〈k〉 für das Zeichen der sꜢSpießente (G 39) ist ebenso wenig frei erfunden, sondern schlichtweg die akrophone Ableitung von einem anderen, fast gleich aussehenden Vogelzeichen, der »Bläßgans« (G38) mit dem Lautwert für 〈gb〉. Für das linearmeroitische Zeichen l /l/ kann Rilly auf der anderen Seite eine eigenständige Ableitung von den demotischen Zeichen für »Vorsteher« (äg. m.-rʾ-mšꜤ »General« – ⲗⲉⲙⲏⲏϣⲉ/λεμεῖσα)363 geltend machen. Dieses meroitische Zeichen war also nicht vom frühdemotischen Zeichen für /l/ abgeleitet,364 ein weiterer Hinweis auf den Gebrauch der demotischen Schrift im napatanischen Nubien. Bemerkenswerter-
361 L.D. Morenz, Die Genese der Alphabetschrift. Ein Markstein ägyptisch-kanaanäischer Kulturkontakte, Würzburg 2011, Exkurs 6: Sakrale Konnotationen der meroitisch-hieroglyphischen Alphabetzeichen. 362 C. Rilly, The Last Trace of Meroitic? A Tentative Scenario for the Disappearance of the Meroitic Script, in: J. Baines & S.D. Houston (Hrsg.), The disappearance of writing systems: Perspectives on literacy and communication, London 2008, (185–205) 183ff. 363 Vgl. W. Vycichl, Dictionaire étymologique de la langue copte, Leuven 1983, 98. 364 C. Rilly, Meroitische Texte aus Naga, in: K. Kröper, S. Schoske & D. Wildung (Hrsg.), Königsstadt Naga. Grabungen in der Wüste des Sudan, Berlin & München 2011, (178–201) 180.
248 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
weise geschah diese akrophone Ableitung in Kusch sehr viel früher als in Ägypten, wo dies erst in römischer Zeit der Fall war. Nach Rilly war die Zeichenauswahl rein arbiträr, auch wenn seiner Meinung nach bei einigen eine Rolle gespielt haben soll, dass die Hieroglyphen (den bereits vorhandenen) Linearzeichen möglichst ähnlich sehen sollten, etwa bei 〈d〉: d – d.365 Damit steht Rillys Ansicht in diametralem Gegensatz zu derjenigen von Morenz, der einen Zusammenhang zwischen der Auswahl des Löwen- bzw. Widderzeichens und der Dominanz der Kulte des löwenköpfigen Apademak bzw. des widderköpfigen Amun herstellt.366 Weder das eine noch das andere dürfte der Fall sein. Vielmehr sind beide Thesen aus mangelhafter Kenntnis der napatanischen Schrift entstanden – Rilly war nicht bekannt, dass bereits in der ›napatanischen Orthographie‹ das Auge für den meroitischen Dental 〈d〉 steht,367 Morenz hat außer Acht gelassen, dass die Auswahl des Widderzeichens darauf beruht, dass dieses für die Silbe /ba/ steht und nicht nur für /b/.368 Karl-Heinz Priese, der sich sehr ausführlich mit der napatanischen Schrift beschäftigt hat, hat sich bereits vor Jahrzehnten für eine Ableitung der meroitischen Schrift vom napatanischen Zeichenschatz ausgesprochen.369 Selbst wenn man das napatanische Schriftsystem als Vorbild für die meroitischen Hieroglyphen akzeptiert, sind immer noch mehrere Formen der Anlehnung denkbar: Eine langsame Weiterentwicklung oder eine bewusste ›Neuschöpfung‹ aus dem alten Zeichenvorrat heraus. Rilly plädiert für Ersteres, er spricht vom Herauskristallisieren (»cristallisation«) der neuen Schrift.370 Darunter versteht er im Einzelnen, dass von der napatanischen Schrift schrittweise die Determinative und Logogramme eliminiert werden und dadurch die Zeichenanzahl drastisch reduziert wird. Dabei gilt es zu beachten, dass dies trotz andersartiger Darstellung nicht der Fall ist, denn auch im Meroitischen gibt es noch Logogramme und stellenweise werden sogar Determinative gebraucht. Warum die vokalinhärierenden Zeichen N 〈ne〉,S 〈se〉, T 〈te〉 und u 〈to〉 beibehalten werden, kann Rilly gut erklären: weil sie häufige Morpheme wiedergeben. 371 365 C. Rilly, Meroitische Texte aus Naga, in: K. Kröper, S. Schoske & D. Wildung (Hrsg.), Königsstadt Naga. Grabungen in der Wüste des Sudan, Berlin & München 2011, (178–201) 179ff. 366 L.D. Morenz, Die Genese der Alphabetschrift. Ein Markstein ägyptisch-kanaanäischer Kulturkontakte, Würzburg 2011, Exkurs 6: Sakrale Konnotationen der meroitisch-hieroglyphischen Alphabetzeichen. 367 C. Peust, Rezension von K. Zibelius-Chen, »Nubisches« Sprachmaterial in hieroglyphischen und hieratischen Texten, in: Lingua Aegyptia 19, 2011, (347–361) 357. 368 Vgl. dazu ausführlicher im vorhergehenden Kapitel zu den napatanischen Hieroglyphen. 369 K.-H. Priese, Zur Entstehung der meroitischen Schrift, in: Meroitica 1, 1973, (273–306) 281. 370 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 278. 371 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 279.
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 249
Dies ist sehr plausibel, auch wenn immer noch nicht ganz aus dem Blick verloren werden sollte, dass möglicherweise doch phonologische Unterschiede gekennzeichnet werden, etwa zwischen den verschiedenen Dentallauten. 372 Ob Rillys evolutionäre Sicht wirklich den Kern trifft, sei dahingestellt. M.E. war der Schritt von der napatanischen Orthographie und dem Napatanischen doch etwas größer und wurde bewusster in Abgrenzung zu den ägyptischen Hieroglyphen gemacht. Zumindest zwei Indizien sprechen für diese etwas abgesetzte Entwicklung. Zum einen gibt es doch einige Hybridtexte, in denen die Unsicherheit der Schreiber sichtbar wird. Wäre die Entwicklung graduell verlaufen, hätte es nicht zu einer derartigen Diskrepanz kommen können, dass die Schreiber zwischen beiden Systemen schwankten. Zum zweiten berücksichtigt die evolutionäre These zu wenig, dass mit dem Wechsel des Schriftsystems ein grundsätzlicher Bruch mit wichtigen ästhetischen und stilistischen Konventionen des pharaonischen Ägypten einhergeht. Zwar orientierte man sich ohne Zweifel stark an den ägyptischen Zeichenformen, also etwa an der Aspektive (sichtbar v.a. bei a und b), die Grundregeln der Zeichenanordnung jedoch, die ägyptische ›Eugraphie‹, wird aufgehoben. Mehr noch: Sie weicht einer neuen Form der Ästhetik, welche an der Zeile orientiert ist und nicht mehr am ›Schriftquadrat‹. Nun könnte man vorbringen, dass auch in der Ptolemäerzeit eine Tendenz besteht, dass die einzelnen Zeichen stilistisch etwas »knubbeliger« werden und immer mehr wie Suppenbuchstaben wirken. Andererseits sind ptolemäerzeitliche Inschriften gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie die ›Schriftquadrate‹ eben nicht zur Schriftzeile hin auflösen, sondern im Gegenteil immer mehr Zeichen auf kleinem Raum unterbringen. Der gedrungene Stil der meroitischen Zeichen hat also wohl nichts damit zu tun, dass man den ptolemäischen Stil vor Augen hatte, sondern mit einem gänzlich verschiedenen ästhetischen Empfinden. Wie nicht anders zu erwarten, verhalten sich hier die Schriftzeichen zu ihren Vorbildern genauso wie die meroitischen Reliefs, die stilistisch deutlich von den ägyptischen zu unterscheiden sind. Dass man in Nubien offenbar ganz andere Vorstellungen von ›Typographie‹ hatte als in Ägypten, ist bei den napatanischen Steleninschriften deutlich zu erkennen: Peust hat sehr schön herausgearbeitet, dass bei der Schreibung 〈f+r〉 für das Suffixpronomen ⸗f der Füllpunkt, der im Demotischen häufiger an die einzelne Hornviper gesetzt wird, »rehieroglyphisiert« wurde, und zwar nicht zufälligerweise mit einem Zeichen, dessen Lautentsprechung häufig geschwunden war.373 Dies und vergleichbare
372 Damit würden T 〈te〉 und u 〈to〉 keine Vokale inhärieren (zumindest nicht andere als / a/), sondern sich beim Dental unterscheiden, etwa 〈t1a〉 /t1a/ vs. 〈t2a〉 /t2a/. 373 C. Peust, Das Napatanische, Göttingen 1999, 265.
250 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
Phänomene374 im Napatanischen zeigen, dass die Schreiber eigentlich einer anderen Ästhetik verpflichtet waren und aus ihrem ›Schulwissen‹ heraus einen hyperkorrektiven Schriftgebrauch an den Tag legten. Die Hieroglyphen im Einzelnen.375 Vor einer tabellarischen Übersicht über die meroitischen Hieroglyphen ist eine kurze Bemerkung zu den Varianzen notwendig. Diese sind nämlich bei den einzelnen Hieroglyphenzeichen zum Teil beträchtlich.376 Tendenziell kann gesagt werden, dass es bei a 〈a〉, k 〈k〉, l 〈l〉, o 〈o〉, s 〈s〉, T 〈te〉, w 〈w〉 und y 〈y〉 fast keine Veränderungen gibt, bei p 〈p〉 hingegen eine sehr große Bandbreite. b
nur in REM 0401 (Fassade des Amuntempels von Meroë) dann erst wieder n. Chr. in REM 0046
d
d
im 2. Jhd. v. Chr. auch nur das Auge ohne Schminkstriche (REM 0401; 1044) sicher mit ihnen unter Sanakadachete (REM 0039), unsicher (REM 0009) im Napatanischen kann das einfache Auge für 〈d〉 stehen
e
e
Zeichenorientierung oft unklar Umgekehrt in REM 0401, 0039, 1026 und 0415 bei REM 1046A-B unklar, ob Linear- oder Hieroglyphen-Zeichen
h
ḫ
Kann fast immer wie ein ägyptisches r aussehen, vgl. Linearzeichen. ab dem 2. Jhd. n. Chr. (Natakamani) dann mit zwei Bögen als Innenzeichnung, aber auch Strich
i
i
Ab Natakamani Variante mit zwei erhobenen Armen
m
m
Reinterpretation ab dem 2. Jhd. n. Chr.: Eule (Tyto alba affinis) wird nubisch interpretiert als Bubo bubo acephalus. Sonderform nur bei der ba-Statue REM 1222 (el-Hobagi) vor der Restaurierung (!)
n
n
REM 0401 noch einzelne Wasserlinie, danach zwei untereinander, meist mit drei bis vier Zacken REM 1047 umgedreht: Verlängerungen der Enden nach oben, nicht nach unten
374 Etwa die häufigeren Haplographien, vgl. C. Peust, Das Napatanische, Göttingen 1999, 133. 375 Grundsätzlich hierzu C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 263ff. unter Berücksichtigung von C. Peust, Rezension von K. Zibelius-Chen, »Nubisches« Sprachmaterial in hieroglyphischen und hieratischen Texten, in: Lingua Aegyptia 19, 2011, (347–361) 353ff. 376 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 263ff.
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 251
N
ne
Nur in Naqa unter Natakamani Variante: zwei Palmwedel „ (REM 0003– 0020, 122, auch 1005) Nimmt Griffith als Kriterium für die paläographische Datierung von REM 1005, aber eventuell falsch; Zeichenform auch sonst gebräuchlich, wenn auch nur selten und als kalligraphische Variante
q
q
Ganz alt eindeutig das ägyptische q, spät dann sehr ähnlich einer meroitischen Pyramide mit Sockel (Reinterpretation), z.B. in REM 0060 Letzter Beleg REM 1222 sogar mit Sockel etwas abgesetzt von der Pyramide. diese Form auch auf einem Löwen aus Qasr Ibrim mit einer Inschrift des Yesbocheamani, heute im Nubian Museum in Assuan.
r
r
Mit Punkt daneben, der ab Natakamani auch fehlen kann, v.a. im Zusammenhang mit Vokalzeichen. oft mit Innenstrich, in REM 1222 Konfusion mit 〈to〉, d.h. sieht aus wie äg. 〈h〉. Seltene Variante in Amara REM 0084 (Natakamani) und am Löwen aus Ibrim.
S
se
REM 0401 als einfaches Riegel-s, erst später redupliziert und umgemodelt.
u
to
Als Horn selten, nur in insgesamt zwei Phasen: Amischacheto und Amanitore; zwei Kandaken? Zufall? seltene Spätform REM 0060: Reinterpretation zu einer Art langem Dreieck mit Innenstrich, unklar, was es darstellt.
w
w
Auch wechselnde Orientierung
:
Trennzeichen; drei, aber auch nur zwei Punkte; KEIN Leitzeichen! Einfluss der Kursive?! in REM 0060 zuerst drei, dann zwei Punkte.
Die Abweichungen von den ägyptisch-napatanischen Hieroglyphen lassen sich durch zwei Tendenzen beschreiben: Die Reinterpretation und den Einfluss der Kursive. Im Grunde ist das Bild nämlich sehr eindeutig, denn die allermeisten Zeichen lassen sich graphisch und von ihren Lautwerten her direkt auf ägyptische bzw. napatanische Vorbilder zurückverfolgen. Neun bzw. zehn Zeichen gehen auf ägyptische Elementargrapheme (›Einkonsonantenzeichen‹) zurück. In mehreren Fällen erfolgte praktisch keine Änderung bei der Übernahme des Zeichens, so v.a. bei m m, t t, w w und y y. Zwei Zeichen wurden wahrscheinlich aufgrund des Einflusses der Linearzeichen etwas umgeformt: Das ›Schilfblatt‹ wurde gedreht und sieht meist wie eine ›Maatfeder‹ aus, das h ḫ näherte sich graphisch dem ägyptischen r. Am charakteristischsten ist sicherlich die Verdopplung der Wasserlinie. Griffith hat dafür eine sehr überzeugende Erklärung gefunden, die er mit einer Deutung des Zeichens S se verknüpft: danach war der ›Schriftent-
252 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
wickler‹ bemüht, oblonge Zeichen zu vermeiden, d.h. besonders hohe oder breite.377 Um also eine möglichst gleiche Zeichenproportion zu erreichen, wurden manche Zeichen etwas gestaucht (etwa e oder m) und andere modifiziert (etwa q oder p). Zu diesen Modifikationen gehört die Verdopplung der einfachen Wasserline zu n und des ›s-Riegels‹ zu S. Eine andere Tendenz könnte gewesen zu sein, möglichst bildhafte und zoomorphe Hieroglyphen zu wählen, etwa beim ›Widder‹ b oder der ›Gans‹ k für k (anstelle von ). Inwieweit dieses Prinzip wirklich eine Rolle spielte oder nicht vielmehr ausschließlich der Umstand, dass diese Zeichen in der ›Gruppenschrift‹ für Silben standen und man darauf bedacht war, die Vokale wiederzugeben, lässt sich letztlich ohne eine sehr ausführliche Analyse der ›napatanischen Orthographie‹ nicht mit Sicherheit sagen. Sehr spannend ist eine Bemerkung Rillys, der meint, manche Zeichen seien später innermeroitisch noch einmal umgeformt worden und zwar vor einem dezidiert ›nubischen‹ Hintergrund. So habe man in der Eule zunehmend eine einheimische Art mit spitzen Ohren gesehen und die ›Böschung‹ ( ) immer mehr als steile Pyramide meroitischer Ausprägung interpretiert.378 Meroit.
Ägyptisch
Änderung
e
e
Drehung unter Einfluss der Linearform (e)
h
ḫ
ḫ
Möglicherweise Einfluss der Linearform (h)
m
m
m
Uminterpretation in eine einheimische Eulenart
n
n
n
Verdopplung aus ästhetischen Gründen (gedrungener!)
p
p
p
Napatanische Zeichenform, die deutlich elaborierter ist
q
q
ḳ/q
Uminterpretation in eine ›meroitische‹ Pyramide. In der ›napatanischen Orthographie‹ stehen oder für /ku/ (Honorativelement 〈-qo〉 /-qu/) und für /k/ (ohne Vokal!) bzw. /ka/ (Kandake, maka) und /ke/ (yerike).
t
t
t
Innenzeichnung typisch meroitisch
w
w
w
Vereinfachung der Schlaufe
y
y
y
Gedrungenere Gruppe
S
se
s
Verdopplung in Analogie zu n
377 F.Ll. Griffith, The Meroitic Inscriptions of Shablûl and Karanòg, Philadelphia 1911, 14. 378 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 336 und 271.
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 253
Fünf Zeichen sind ebenfalls aus dem Inventar der ägyptischen Phonogramme ableitbar und zwar von ›Zweikonsonantenzeichen‹ bzw. Gruppen, die in der sog. ›Gruppenschrift‹ des Neuen Reiches bereits für einzelne Laute bzw. Silben gebraucht werden. Bemerkenswert ist hier vor allem der charakteristische Gebrauch der Gruppe ›Schilfblatt+Essender Mann‹ (M17+A2), denn diese wird im Napatanischen ausschließlich zur Wiedergabe des (vokalischen) Anlauts gebraucht. Die Ableitung zu /a/ ist daher nur folgerichtig. Damit lässt sich eine definitive Abhängigkeit von den napatanischen Hieroglyphen festmachen. Die Umformung vom ›Essenden‹ (A2) zum ›Sitzenden Mann‹ (A1) ist ebenfalls bereits im Napatanischen angelegt und nicht unbedingt ein Charakteristikum des Meroitischen. Sie war möglich geworden, sobald der Bezug zur (ägyptischen) Interjektion durch den Sprachwechsel zum Napatanischen nicht mehr ohne Weiteres durchschaubar war. Beim Zeichen r r ist nicht ganz sicher, ob es von der ägyptischen Gruppe aus r mit dem Logogrammstrich gebildet ist (Griffith, Priese), d.h. ob der Punkt diesen Strich repräsentiert, oder ob er nicht vielmehr ein meroitischer Zusatz ist (Rilly), um eine Verwechslung insbesondere mit h ḫ auszuschließen – immerhin gibt es zahlreiche Fälle, bei denen kein Punkt steht oder auch die Form 5.379 Meroit.
Ägyptisch
Änderung
b
b
bꜢ
Zeichen der ›Gruppenschrift‹; ›Logogrammstrich‹ weggelassen
s
s
šꜢ
Zweikonsonantenzeichen in der ›Gruppenschrift‹ unter Weglassung des ›Logogrammstrichs‹
a
a
-, ()a-
Zeichen einer Gruppe in der ›Gruppenschrift‹ unter Vernachlässigung des ›Schilfblattes‹, das zu einem anderen Vokalzeichen wird. Napatanisch: vokalischer Anlaut
l
l
rw/l
Zweikonsonantenzeichen in der ›Gruppenschrift‹ unter Vernachlässigung des ›Logogrammstrichs‹; rw steht schon äg. für /l/
r
r
r(ʼ)
Gruppe in der ›Gruppenschrift‹. Man beachte, dass hier eine Spur des ›Logogrammstrichs‹ erhalten bleibt
k
k
Gbb
Akrophonische Ableitung vom Gottesnamen Geb, vgl. χῆβ /khēb/
379 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 271.
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Mehrere Zeichen können über ägyptische Wortschreibungen erklärt werden und zwar in Kombination mit kuschitenzeitlichen bzw. napatanischen Schreibgewohnheiten Meroit.
Ägyptisch
Änderung
o
o
ϩⲟ
Priese: Substitution der Wortschreibung für »Gesicht« (kopt. ϩⲟ), also ›Menschenkopf+Logogrammstrich‹ durch den zoomorphen Rinderkopf, der im Napatanischen prominent wird. Peust: verkürzte Form von für /u/.
i
i
Schreibung der ägypt. Interjektion bzw. des ›Vokativs‹ .
tꜢ-h
Gruppe bekannt aus dem Namen des Kuschitenpharaos Taharqo, hier jedoch für /ta/, vgl. TꜢ-h-rw-kꜢ; ITarkû; Tirhâqah; Ταρ(α)κος. Tanutamani wird allerdings nur mit dem ›Landzeichen‹ geschrieben (TꜢ-n-wꜢ-t-I͗mn; Τεμένθης, Itàn-ta-ma-né-e). Nach Peust liegt hier keine Gruppe vor, sondern der Erhalt des äg. h in bestimmten Fällen im Meroitischen. Alternativ könne das 〈h〉 für einen Vokal oder das Merkmal [retroflex] stehen. Man beachte, dass im Napatanischen bei Nastasen das Zeichen 〈h〉 auch anstelle von pr steht. Wahrscheinlich liegt hier eine Beeinflussung aus der Kursive vor. Damit wäre Gruppe tꜢ+Land-Determinativ+Logogrammstrich in einer Hyperkorrektion zur hieroglyphischen Gruppe tꜢ+ umgedeutet worden (und zwar bereits kuschitenzeitlich!).
T
te
u
to
ⲧⲟ
Die Schreibung erklärt sich aus der spätzeitlichen Vokalisation des Wortes für »Land«, vgl. koptisch ⲧⲟ.
d
wḏꜢ/ ri̯
Amalgamierung des ›Auges‹ (ri̯) für /r/ und des ›Horusauges‹ (wḏꜢ) zur Darstellung des retroflexen Lautes /ɗ/ (bereits in der ›napatanischen Orthographie‹).
nn
Bewusste (?) Hyperkorrektion des ägyptischen Digraphen nn (2xM22) in zwei Binsenzeichen (M23) im Meroitischen. In der ›napatanischen Orthographie‹ steht nn (2xM22) entweder für /ne/ (vgl. meroit. Namensendung -ne) oder /na/.
d
>N
ne
+
/
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Akrophonisch sind die Ableitungen des k-Zeichens vom Gottesnamen Geb, der nach der griechischen Nebenüberlieferung χῆβ /khēb/ stimmlos anlautete. Richtige Wortschreibungen liegen hingegen bei N 〈ne〉, T 〈te〉 und u 〈to〉 vor. Ersteres ist wohl abgeleitet von der ägyptischen Graphie für das Demonstrativum bzw. für die Konstruktion zur Besitzanzeige o.ä. Die Zeichen 〈te〉 und 〈to〉 zu entwirren, ist nicht ganz einfach. Ersters ist bekannt aus der Kartusche des Kuschitenpharaos Taharqo. Wie exakt diese lautlich zu interpretieren ist, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, da die keilschriftliche (ITarkû), hebräische (Tirhâqah) und griechische (Ταρ(α)κος) Nebenüberlierferung nicht konsistent ist. Die hebräische Form scheint zu suggerieren, dass tatsächlich ein h gesprochen wurde, auch wenn man nicht ausschließen kann, dass dieses hebräische h der Darstellung eines Langvokals dient. Auch der Vokal ist nicht sicher zu bestimmen – möglicherweise stellt die hieroglyphische Zeichengruppe also bereits ein /te/ dar (vgl. hebrä. Tirhâqah). Das Landzeichen diente in der Kuschitenzeit zur Wiedergabe des Namens Tanutamanis (TꜢ-n-wꜢ-t-I͗mn; Τεμένθης, Itàn-ta-mané-e). Wahrscheinlich, um eine Verwechslung mit der Wasserlinie zu vermeiden und das Zeichen gedrungener zu machen, wurde nicht das übliche schmale Landzeichen (N16) als Rebus für die spätzeitliche Vokalisation von »Land« (kopt. ⲧⲟ) gewählt, sondern das schräge und kompaktere Zeichen der Landzunge (N21). Die Umformung zu einer Art ›Horn‹ erfolgte dann wohl unter dem Einfluss der Kursive (u). Dieses Phänomen ist also bei mehreren Zeichen festzustellen (d d, e e, h ḫ und u to). Für das Zeichen H ẖ gibt es bisher keine wirklich befriedigende Erklärung. Möglicherweise liegt hier ein ›nubisches‹ Rebus vor, eine akrophonische Ableitung von *ẖe »Bier« o.ä., vgl. tu-Beɖáuyɛ ha »Vergorenes«. Andererseits wird das Zeichen unter Adichalamani auch gerne durch das ägyptische ›Krugständer-g‹ ersetzt. Verkehrt man die Blickrichtung und fragt sich, welche Laute im Meroitischen und im Napatanischen wie dargestellt werden, dann erhält man an einem Punkt einen sehr deutlichen Hinweis auf die Gleichzeitigkeit der Herausbildung von Hieroglyphen- und Linearschrift. Es ist der Bereich der Frikative, der uns dies deutlich zeigt. Im Meroitischen wird zwischen 〈k〉 und 〈q〉 unterschieden, wahrscheinlich realisiert als /ka/ bzw. /qw/ (oder auch /ku/?). Wie Carsten Peust herausgearbeitet hat, wird in der ›napatanischen Orthographie‹ das Honorativsuffix 〈-qo〉 (d.h. /-ku/) fast immer mit oder geschrieben, etwa bei den Namen der Kuschitenpharaonen Schabaqo, Schebitqo und Taharqo.380 Teilweise stehen dahinter die ›Pluralstriche‹, möglicherweise als Vokalindikator für /u/. Nun gibt es gerade bei Taharqo den Fall, dass einmal der Name dieses Kö380 C. Peust, Rezension von K. Zibelius-Chen, »Nubisches« Sprachmaterial in hieroglyphischen und hieratischen Texten, in: Lingua Aegyptia 19, 2011, (347–361) 353ff.
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nigs nicht mit oder geschrieben wird, sondern mit , und zwar auffälligerweise in einem Text aus Ägypten und nicht aus Nubien. Peust schließt daraus, der Schreiber dieser Graphie habe die ›napatanische Orthographie‹ nicht gekannt, da er ein Ägypter und kein ›Kuschit‹ war. Er kann ferner nachweisen, dass in allen Fällen, wo im Napatanischen für das Honorativsuffix -qu steht, der Vokal bereits durch ein eigenes Zeichen notiert ist. Entscheidend ist nun, dass es ganz offensichtlich eine Regel der ›napatanischen Orthographie‹ ist, bei der a- bzw. e-Vokalisation zu schreiben und bei der u-Vokalisation oder . Mit anderen Worten: steht hier für /ka/ (wie beim Titel Kandake oder bei maka »Gott«) oder /ke/ (wie bei dem häufigen Element yerike »zeugen«) und sowohl als auch für /ku/. Nun ist das eine Zeichen ( ) ganz ohne jeden Zweifel das Vorbild für das meroitisch-hieroglyphische q 〈q〉 /qwa/ (oder nicht vielmehr besser /kwa/ oder gleich /ku/?) und das andere ( ) in seiner kursivschriftlichen Form mit dem ›Logogrammstrich‹, wie er für die ›Gruppenschrift‹ charakteristisch ist, für dessen linearmeroitische Entsprechung q 〈q〉 /qwa/. Damit hätten wir einen Fall vor uns, der eine gegenseitige Ableitung der beiden Schriftformen sehr unwahrscheinlich macht. Dies heißt freilich noch nicht, dass nicht sekundär eine Angleichung stattgefunden haben kann – daher die Betonung des mittleren Zackens zwischen den beiden Armen bei q. Änderung der Zeichenorientierung. Bislang wurde die vielleicht signifikanteste Veränderung auf dem Weg von der ägyptisch-napatanischen zur meroitischen Schrift noch nicht thematisiert: Die Änderung der Schriftrichtung bzw. der Zeichenorientierung. Griffith, dem mit der Entdeckung der verdrehten Leserichtung erst der Durchbruch bei der Entzifferung des Meroitischen gelang, hat sich zu den möglichen Gründen für die veränderte Schriftrichtung nicht geäußert. 381 Besonders wichtig erscheint es mir, zu betonen, dass hinter der Änderung der Schriftorientierung nicht etwa Unvermögen steht und wohl auch keine »imperfection de l’écriture égyptienne«, wie Rilly meint, also eine Unvollkommenheit der ägyptischen Schrift.382 Denn der Umstand, dass in Beischriften zweier sich gegenüberstehender Personen die Schriftrichtung der ägyptischen Hieroglyphen wechselt, hat nichts fehlerhaftes, sondern ist im Gegenteil eine sehr kunstvolle (honorative) Konvention. Ein weiterer denkbarer Grund für den Orientierungswechsel wurde bislang m.W. noch nicht angeführt. Die Inschriften der Uschebtis Tanutamanis, sind nicht nur über mehrere Stücke verteilt, son-
381 F.Ll. Griffith, Meroitic Inscriptions, in: D. Randall-MacIver & C.L. Wooley (Hrsg.), Areika, Oxford 1909, (43–54) 49f. 382 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 276.
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dern zudem retrograd geschrieben.383 Damit unterscheiden sie sich in signifikanter Weise von den Uschebtis seiner Vorgänger. Ist es Zufall, dass gerade am Ende der ›Kuschitenzeit‹ diese Inschriftenform von deutlich schlechterer Qualität ist, zumal sie wahrscheinlich gefertigt wurde, nachdem sich die Kuschiten aus Ägypten zurückgezogen hatten? Leider ist nicht ersichtlich, ob die Inschriften mit Absicht oder ›aus Versehen‹ retrograd geschrieben wurden. Da gerade im religiösen Bereich ersteres gerne der Fall ist, sollte man diese Inschriften vielleicht nicht überbewerten. Nun könnte man eine bewusste Abgrenzung der Meroiten vom ägyptischen Vorbild vermuten, deren Gründe in der Staatsentstehung, also in einer Form von ›Nationalbewusstsein‹ zu suchen wären. Dies wäre jedoch ein verzerrtes und anachronistisches Bild, denn die Meroiten sahen sich – besonders in napatanischer Zeit – immer noch als Rechtsnachfolger der Kuschitenpharaonen und damit als rechtmäßige Herrscher Ägyptens. Nach Rilly haben die Meroiten die Blickrichtung der Hieroglyphenzeichen gegenüber der ägyptischen verdrehten, weil sie die Blickrichtung von Darstellungen und Beischriften synchronisieren wollten.384 Grundsätzlich ist dies denkbar und wohl sogar plausibel. Problematisch ist nur, dass Rilly seine These anhand der kürzlich in Naga gefundenen Stele REM 1294 entwickelte. Betrachtet man die Stele oder Photographien derselben genauer,385 dann wird man feststellen, dass der Vokalindikator 〈i〉 in beiden Instanzen gedreht ist, also dem Gegenüber im wahrsten Sinne des Wortes den Rücken zuwendet (die Beine zeigen die Blickrichtung des stehenden Mannes eindeutig). Aus diesem Befund lässt sich eine Alternativthese entwickeln, nach welcher die Vokalindikatoren der Auslöser für die Änderung der Leserichtung waren. Wie andere Texte zeigen, schrieb man vor allem in der Frühzeit der meroitischen Schrift diese etwas verkleinert, ganz ähnlich einer Glossierung. Paradebeispiel hierfür ist die Votivstele des Taneyidamani aus dem Apedemak-Tempepel (REM 0405).386 Zunächst waren es wohl die Vokalindikatoren 〈i〉, 〈e〉 und 〈o〉, die sich den Konsonantenzeichen zudrehten, auf die sie bezogen sind. In einer Analogie wurden daraufhin irgendwann alle Zeichen verdreht geschrieben.
383 F. Breyer, Tanutamani. Die Traumstele und ihr Umfeld, Ägypten und Altes Testament 57, Wiesbaden 2003, 347. 384 C. Rilly, Meroitische Texte aus Naga, in: K. Kröper, S. Schoske & D. Wildung (Hsg.), Königsstadt Naga. Grabungen in der Wüste des Sudan, Berlin & München 2011, (178–201) 186. 385 K. Kröper, S. Schoske & D. Wildung (Hrsg.), Königsstadt Naga. Grabungen in der Wüste des Sudan, Berlin & München 2011, Abb. 34 auf S. 35. 386 Vgl. F. Hintze, Zur Interpretation des meroitischen Schriftsystems, in: Beiträge zur Sudanforschung 2, 1987, (41–50) 41 und 43.
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Silben- oder Alphabetschrift? Im Folgenden soll eine Diskussion wieder entfacht werden, die streng genommen eigentlich an den Anfang der Betrachtungen zur meroitischen Schriftadaption gehört. Dass sie hiermit eher an deren Ende gestellt wird, hat zwei Gründe. Zum einen kann es trotz einiger Einwände kaum Zweifel daran geben, dass das Meroitische eine Silbenschrift ist; zum anderen sind diese Bedenken bislang lediglich in Form von Vorträgen bzw. in unpublizierten Manuskripten geäußert worden. Zunächst jedoch zur Begründung, warum das Meroitische keine Alphabetschrift ist.387 Die Indizien hierfür wurden im Grunde alle bereits von Griffith angeführt,388 jedoch erst von Fritz Hintze systematisch als Indizien für eine Silbenschrift zusammengestellt 389 – erstaunlicherweise erst lange nachdem sich seine These durchgesetzt hatte.390 Erstens gibt es Glossierungen bei Inschriften in senkrechten Kolumnen, d.h. die Vokalzeichen werden deutlich kleiner geschrieben; zweitens kann es bei Inschriften in waagrechten Zeilen eine Silbentrennung durch »spacing« geben. Den wäre hinzuzufügen, dass die Schreibung von 〈e〉 auch die Absenz eines Vokals markieren kann, worauf ebenfalls bereits Griffith verwiesen hat.391 Rilly fügt Hintzes Argumenten weitere hinzu.392 Auf der Vorderseite der Votivstele des Taneyidamani REM 0405A steht eine Inschrift in waagrechten Zeilen, bei der die Vokalzeichen verkleinert und unterschrieben an die ›Konsonantenzeichen‹ angefügt wurden. Ferner wird generell zwischen Vokalzeichen und vorhergehendem ›Konsonantenzeichen‹ nie ein Zeilensprung gesetzt. Außerdem wird nur vereinzelt und nur in den ältesten Texten 〈e〉 oder 〈i〉 am Zeilenanfang geschrieben und auch nur dann, wenn die beiden Laute für sich eine ganze Silbe bilden. Nun ist Hintzes These von der meroitischen Silbenschrift nicht unwidersprochen geblieben.393 In der Tat ist Bruce Trigger zuzustimmen, der meinte, die Schrift sei nicht besonders geeignet zur Wiedergabe der meroitischen Spra-
387 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 280ff. 388 F.Ll. Griffith, The Meroitic Inscriptions of Shablûl and Karanòg, Philadelphia 1911, 7. 389 F. Hintze, Zur Interpretation des meroitischen Schriftsystems, in: Beiträge zur Sudanforschung 2, 1987, 41–50. 390 Dass das Meroitische eine Silbenschrift sei, wurde von ihm bereits 1973 vertreten, vgl. F. Hintze, Some Problems of Meroitic Philology, in: Meroitica 1, 1973, 321–336. 391 F.Ll. Griffith, Meroitic Studies II, in: Journal of Egyptian Archaeology 3, 1916, (111–124) 120. 392 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 260 und 282f. 393 B.G. Haycock, The Problem of the Meroitic Language, in: R.E. Thelwall (Hrsg.), Aspects of Language of the Sudan, Londonderry 1978, (50–81) 50 und Abdelgardir Mahmoud Abdalla, Beginnings of Insights into the possible Meaning of certain Meroitic Personal Names, in: Beiträge zur Sudanforschung 3, 1988, (3–18) 6.
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che.394 In der Tat notiert sie keine Vokalquantität, Diphthonge ebenso wenig und vor allem wird der Aspekt Tonalität, der immerhin bei den nilosaharanischen Sprachen eine große Rolle spielt, völlig unterdrückt.395 Rilly meint hierzu lediglich, die jahrhundertelange Verwendung der Schrift beweise das Gegenteil, nämlich dass die Schrift sehr wohl den Anforderungen entsprochen habe.396 Der entscheidende Punkt ist nun, dass wir möglicherweise die meroitische Schrift immer noch nicht richtig interpretieren, und hier setzt Frank Kammerzell ein, der in mehreren Vorträgen seine veränderte Sicht der Dinge dargelegt hat. 397 Zunächst weist Kammerzell darauf hin, dass im Meroitischen die Zeichen nicht mit einer Silbe korrespondierten, was eine Silbenschrift definiere. 398 Von 64 möglichen Kombinationen von ›Konsonanten-‹ mit Vokalzeichen stehe lediglich weniger als ein Drittel der Fälle (nämlich die 16 mit /a/ vokalisierten ›Grundzeichen‹ sowie die vier Zeichen 〈te〉, 〈to〉, 〈ne〉 und 〈se〉) tatsächlich für eine Kv-Silbe. Aus diesem Grund plädiert Kammerzell für eine invertierte Sichtweise, die mit einem graphematisch leeren Graphonem -⸗ /-a/ operiert. Systematisch läge damit bei a-Schreibungen im Wortinlaut eine Verbindung von »Grundzeichen« und »Leergraphem« ⸗ /a/ vor. Um zu einem kohärenten Gesamtsystem zu kommen, muss Kammerzell nun die Zeichen mit fixem Vokal, also (〈te〉, 〈to〉, 〈ne〉 und 〈se〉, ›eliminieren‹. Um dies zu erreichen, tritt er für phonologische Unterschiede zwischen 〈te〉 und 〈to〉 ein, d.h. die Zeichen stehen für verschiedene Dentale t² und t³. Dabei sei u 〈to〉 möglicherweise eine Affrikate (/ʦ/ʥ/ʣ/ʤ/ ʧ/). Mit anderen Worten: Die Systemarchitektur steht über allem und die Interpretationsmuster ordnen sich dieser unter. Zur Stützung seiner These verweist Kammerzell auf systematische Zusammenstellungen von Graphemvarianzen, die bislang kein Distributionsmuster erkennen lassen,399 wie auch auf Unstimmigkeiten zwischen der Vokalisation bestimmter ägyptischer Lehnwörter und den derzeitigen Silbenregeln des Ägyptischen. Ferner analysiert er die Zeichen
394 B.G. Trigger, Spoken and written Meroitic: a note on the terminal formulae in Meroitic funerary inscriptions from Arminna West, in: Journal of Egyptian Archaeology 53, 1967, (166–169) 169. 395 Das Altnubische tut dies zugegebenermaßen ebenfalls. 396 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 284. 397 Die Vorträge sind leider nicht publiziert, daher beziehe ich mich auf Handouts und zwei Manuskripte, die mir Frank Kammerzell freundlicherweise zur Verfügung stellte, wofür ihm nochmals herzlich zu danken sei: F. Kammerzell, Die Sprachen Nubiens. Ms. 7ff.; F. Kammerzell, Napatanisch – Meroitisch – Nubisch, Ms. 10ff. 398 Andere Definitionen von »Silbenschrift« gingen auf eine Fehlinterpretation von Ignace Gelb zurück. 399 Vgl. F. Hintze, Some Problems of Meroitic Philology, in: Meroitica 1, 1973, (321–336) 323.
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T 〈te〉 und q 〈q〉 als Digraphen, gebildet mit dem Strich als Vokalzeichen für 〈o〉 /u/ bzw. zur Anzeige von Labialisierung (/tw(u)/ und /kw(u)/).400 All dies ist nicht neu und war schon früher von Forschern wie Meinhof und Hintze beobachtet worden. Neu ist lediglich, dass die Definition von ›Silbenschrift‹ zum absoluten Richtmaß erhoben wird. Ob man allerdings wirklich die Silbenzeichen 〈te〉, 〈to〉, 〈ne〉 und 〈se〉 so einfach ›wegdiskutieren‹ kann, ist sehr fraglich. Zumindest kann dies nicht ohne eingehende Diskussion geschehen. Allerdings ist die neue These vor allem deshalb von Wichtigkeit, weil sie zeigt, dass wir das meroitische Schriftsystem immer noch nicht völlig durchdringen, dass also entgegen aller andersartigen Verlautbarungen über die Phonologie des Meroitischen nicht wirklich belastbare Aussagen gemacht werden können. Damit wären dann aber auch die Versuche Rillys, diese Sprache an das Nilosaharanische anzugliedern, verfrüht.401 Schon ein ägyptologisch fundierter Blick in die erste Monographie Rillys (2007) zeigt dies deutlich: Rilly führt die Grundlagen an, anhand derer Griffith vor über hundert Jahren die Lautwerte der meroitischen Zeichen bestimmte.402 Bei zahlreichen Gleichungen, die mit dem Ägyptischen operieren, hat sich die phonologische Interpretation seit Griffiths Tagen so deutlich verändert, dass sich damit auch die Grundlagen der Entzifferung verschieben. Diese sind also völlig neu zu überdenken, was natürlich im vorliegenden Rahmen nicht geleistet werden kann, jedoch in einer eigenen Studie präsentiert werden soll.403 Eine griechische Ligatur im Meroitischen (Taf. 11). Rillys Monographie von 2007 ist in einigen Teilen veraltet. Nicht nur hat er sich bereits selbst publizistisch ›überholt‹, sondern aufgrund der langen Drucklegungszeit konnten die Neuerscheinungen nicht adäquat berücksichtigt werden.404 Dies trifft besonders auf die Kapitel zu den Lettern zu, die für Zahlen und Maßangaben stehen. 2003 erschien hierzu eine Studie von Carsten Peust,405 und in der Zwischenzeit wurde sogar diese durch die Publikation eines Zahlenostrakons aus Qasr Ibrim revi400 Eine solche Segmentierung war von Griffith seinerzeit explizit verworfen worden, allerdings wäre dies in der Tat erneut zu überdenken. 401 C. Rilly, Le Méroïtique et sa famille linguistique, Leuven 2009. 402 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 231–234. 403 Der Autor hat ein umfangreiches Manuskript zur ›napatanischen Orthographie‹ und zum ägyptisch-meroitischen Sprachkontakt in fortgeschrittener Vorbereitung. Darin werden nicht nur die ägyptischen Lehnwörter im Meroitischen kulturgeschichtlich untersucht, sondern vor allem auch ihr Wert für die ›Vokalisation‹ des Ägyptischen behandelt und schließlich vor allem die phonologischen Grundlagen für die Bestimmung der meroitischen Lautwerte. 404 Vgl. im Detail F. Breyer, Die meroitische Sprachforschung. Gegenwärtiger Stand und zukünftige Ansätze, in: Mitteilungen der Sudanarchäologischen Gesellschaft 23, 2012, 117–149.
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diert.406 Die Ziffern orientieren sich an ptolemäischen Vorbildern; wie bei diesen sind die Zeichen für »8« und »9« ambigue. Bei denjenigen für »5«, »7«, »500« und »½« ist jedoch eine eigenständige Entwicklung zu konstatieren. Außerdem ist festzustellen, dass das duodezimale System nicht ägyptisch ist. Soviel zu den Zahlzeichen. Ergiebiger sind die neuesten Forschungen zu bestimmten, selten vorkommenden Logogrammen im Meroitischen, hinter denen sich Maßangaben verstecken dürften:407 v, * und h. Sie wurden in jüngster Zeit von Jochen Hallof einer eingehenden Studie unterzogen, genauer gesagt das Zeichen v wurde ausführlich beleuchtet und im Zuge dessen die These von den Maßangaben erhärtet.408 Das Zeichen v kommt nämlich 23 mal auf Ostraka und Papyri (nicht jedoch in Monumentalinschriften) vor und damit sehr viel häufiger als die anderen beiden.409 Zwei weitere Zeichen (p und e) erscheinen ausschließlich auf Keramik und dürften demnach keine Buchstaben, sondern Töpfermarken sein.410 Hallof konnte nun sehr gut nachweisen, dass v nicht nur ein Wortzeichen, sondern außerdem aus dem Griechischen abgeleitet ist. Es handelt sich nämlich um die meroitische Umsetzung der Abkürzung von gr. λίτρα »Gewicht« (entspricht 327 Gramm). Auf griechischen Papyri werden ⲗ und ⲓ übereinander gesetzt und so bereits zu einem pfeilähnlichen Zeichen. Eine Auffälligkeit der Beleglage ist, dass v nur im alltagsweltlichen Bereich vorkommt und sich die Belege im Norden des Reiches von Meroë konzentrieren (Fundzufall?). Hallof kann zeigen, dass mit v ein eigenes Wort geschrieben wird und dass es keine Produktangabe, sondern eine Maßangabe notiert. Bemerkenswert ist ferner sein Nachweis für den Überlieferungsweg der Fremdgraphie. Die griechische Ligatur ⲗ+ⲓ lässt sich nämlich auf Steinkugeln nachweisen, welche der römischen Besatzung der Grenzfestung Primis als Wurfgeschosse dienten.411 Über die Pleneschreibung des griechische λίτρα in der demotischen Inschrift des Gesandten Pasan im Tempel von Philae aus dem Jahr 253 n. Chr. (Demotische Inschrift
405 C. Peust, Eine Revision der Werte der meroitischen Zahlzeichen, in: Göttinger Miszellen 196, 2003, 49–64. 406 J. Hallof, Ein meroitisches Zahlenostrakon aus Qasr Ibrim (REM 2112), in: Beiträge zur Sudanforschung 10, 2009, 91–101. 407 F.Ll. Griffith, Meroitic Studies, in: Journal of Egyptian Archaeology 3, 1916, 22–30, besonders 23. 408 J. Hallof, Das Zeichen v in meroitischen Texten, in: Beiträge zur Sudanforschung 11, 2012, 93–105. 409 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 358. 410 Siehe vorige Anm. 411 A. Wilkins, H. Barnard & P.J. Rose, Roman Artillery Balls from Qasr Ibrim, in: Sudan & Nubia 10, 2006, 64–78.
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Philae 416)412 kann Hallof ferner nachweisen, dass den Meroiten auch das hinter der Maßangabe stehende Lexem bekannt gewesen sein muss. Er kann sogar den Zeitpunkt, zu dem die Übernahme der Ligatur und Überführung in ein meroitisches Zeichen stattfand, paläographisch mehr oder weniger genau bestimmen: Den Zeichenformen von REM 1176 nach zu urteilen fand sie bereits in der archaischen Epoche der meroitischen Schrift statt, also vor 100 v. Chr.. Ein Logogramm für »Osiris«? Bei der Invokation des Osiris wird auf einer der ältesten Opfertafeln aus Meroë (REM 0425) ein quadratisches Zeichen o geschrieben, das auch eine Verlängerung aufweist (d).413 Griffith deutete es als ägyptisches 〈š〉 , Priese als ägyptisches 〈ś〉 .414 Rilly schlug jedoch vor, hier eine spielerische Wortschreibung für »Osiris« zu sehen, da dieser Gottesname /ūʂai/ im Meroitischen wie das koptische Wort für »See« (ϣⲏⲓ) klang und das ägyptische Zeichen ein Schwimmbecken/See darstellt. Damit wäre das Zeichen o/ d nicht nur ein meroitisches Logogramm, sondern auch ein ägyptisches Fremdgraphem. Funktionale Domänen. Für das Meroitische funktionale Domänen abzustecken ist verhältnismäßig einfach, da es im Gegensatz zum Napatanischen weniger Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zur ägyptischen Hieroglyphenschrift gibt. Ein Nebeneinander ist dennoch festzustellen, der parallele Gebrauch von meroitischen Hieroglyphen sowie von ägyptischen Hieroglyphen in ›napatanischer Orthographie‹ bzw. in Form von ›Ägyptogrammen‹. Dabei ist zu beobachten, dass Erstere sehr viel deutlicher als in Ägypten auf den religiös-sakralen Bereich festgelegt sind, auf Tempelbeischriften und Totenkult. Für repräsentative Zwecke bediente man sich in engen Grenzen weiterhin der ägyptischen Schrift: Für religiöse Texte wie Hymnen oder für Königsnamen in Kartuschen und beigefügten Titeln. Kommemorierende Texte wie Feldzugsberichte o.ä. wurden seit der napatanischen Zeit in einer ›einheimischen‹ Schriftform präsentiert, zuerst in napatanischen Hieroglyphen, später in meroitischer Linearschrift. Dies zeigt, dass in Nubien die ›Kursive‹ nicht mit dem Bereich ›Alltagswelt‹ geglichen werden darf. Die wenigen Hybridtexte, also Textzeugnisse, in denen sowohl ägypti412 T. Eide, T. Hägg, R.H. Pierce & L. Török (Hrsg.), Fontes Historiae Nubiorum III, Bergen 1998, 1000–1010. 413 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 352; I. Hofmann, Steine für die Ewigkeit. Meroitische Opfertafeln und Totenstelen, Beiträge zur Sudanforschung, Beiheft 6, Wien 1991, Taf. 1.1. 414 F.Ll. Griffith, The Inscriptions from Meroe, in: J. Garstang, A.H. Sayce, F.Ll. Griffith, Meroe. The City of the Ethiopians, Oxford 1911, (57–87) 75; K.–H. Priese, Zur Entstehung der meroitischen Schrift, in: Meroitica 1, 1973, (273–306) 291.
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sche bzw. napatanische als auch meroitische Hieroglyphenzeichen erscheinen, sind Belege für eine Übergangsphase während der Schriftentwicklung. Leider fehlen bislang Schriftquellen aus dem ökonomischen und privaten Bereich weitgehend, sodass man nur über den dort wohl anzunehmenden Gebrauch einer eigenen napatanischen Ausprägung der demotischen Schrift spekulieren kann. Fazit. Die meroitische Schrift ist eine Weiterentwicklung der napatanischen bzw. der ›napatanischen Orthographie‹. Es besteht also eine eindeutige Kontinuität zu den älteren in Nubien verwendeten Formen der Schrift. Die Entwicklung geschah jedoch nicht graduell, sondern mit einem deutlichen ›Quantensprung‹, ohne dass dieser als Bruch bezeichnet werden kann. Letztlich ist der Hintergrund für die Herausbildung der meroitischen Schrift mit Sicherheit in einer wie auch immer zu wertenden Absetzung vom ägyptischen System zu sehen. Die beiden meroitischen Schriftarten sind nicht voneinander abgeleitet, sondern wurden in gegenseitiger Abhängigkeit parallel entwickelt. Das bestimmende Moment hierbei ist im System der Vokalnotation zu sehen, wie es bereits im Gebrauch der ›Gruppenschrift‹ während der ›Kuschitenzeit‹ angelegt ist (›napatanische Orthographie‹). Fremdeinwirken ist nach dem heutigen Forschungsstand definitiv auszuschließen, ebenso jegliche Vorstellungen von einem »Schrifterfinder«. Dies zeigen nicht zuletzt die vereinzelten hybriden ägyptischmeroitischen Inschriften, Belege für eine Experimentierphase innerhalb des ›Quantensprungs‹. Neu ist auch die Erkenntnis, dass das meroitische Schriftsystem immer ein gemischtes war, also immer noch Logogramme enthielt (selbst, wenn man die ›Ägyptogramme‹ nicht zur meroitischen Schrift zählen sollte). Es lässt sich sogar ein Fremdgraphem griechischer Herkunft nachweisen. Die These, wonach das Meroitische als Alphabetschrift zu verstehen sei, kann vorerst noch nicht als erwiesen gelten. In diesem Zusammenhang muss erneut betont werden, dass die Grundlagen zur Bestimmung der meroitischen Lautwerte einer Reevaluierung unterzogen werden sollten. Immer noch nicht geklärt ist ferner, warum es bei der Weiterentwicklung der ägyptisch-napatanischen Schrift zu einer Umkehrung der Zeichenorientierung kam. Möglicherweise entstand sie aus der ›Glossierung‹ durch Vokalzeichen, die sich den auf sie bezogenen Konsonantenzeichen zuwandten.
4.2.5 Von der meroitischen zur altnubischen Schrift Die altnubische Schrift besteht größtenteils aus Zeichen, die vom koptischen Alphabet übernommen wurden. Genauso, wie es in der koptischen Schrift Zusatz-
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zeichen gibt, die demotischer Herkunft sind, gibt es in der altnubischen Schrift drei Sonderzeichen meroitischen Ursprungs (Taf. 5).415 Die demotischen Zusatzzeichen im Koptischen wurden im Altnubischen mit übernommen. Es sind dies Ϣ /֨š/, Ϥ /f/ und Ϩ /h/; das Zeichen £ ist die Umformung eines koptischen Buchstabens für /j/. Die drei aus dem meroitischen Schriftsystem stammenden Zeichen sind $ /ɳ/ < meroit. N, µ /ŋ/ < meroit. hund \ /w/ < meroit. w. Anstelle der beiden zuletzt aufgeführten wird gerne der Digraph ⲟⲩ geschrieben. Soweit die herrschende Ansicht, der hier erst einmal provisorisch gefolgt werden soll.416 Die meroitische Ableitung des altnubischen Buchstabens µ /ŋ/ ist nicht ganz sicher, da er möglicherweise auf ein griechisches Gamma zurückgehen könnte, dem ein diakritischer Strich hinzugefügt wurde. Zumindest würde dies gut zu dem nasalen Lautwert passen, den dieses Zeichen besitzt.417 Immerhin kann auch das griechische Gamma für Nasalierung stehen. Auch bei der Gleichung \ /w/ – meroit. w könnte man Zweifel haben. Diese Unsicherheiten sollen jedoch im Teil »Streitpunkte« extra behandelt werden. Die ersten altnubischen Texte datieren ans Ende des 8. Jhd. n. Chr. Der älteste sicher datierte stammt aus dem Jahre 797;418 es gibt jedoch einen koptischaltnubischen Papyrus, der aus paläographischen Gründen älter sein dürfte. Die letzten meroitischen Texte sind jedoch deutlich älter, d.h. man kann annehmen, dass die Adaption der koptischen Schrift deutlich früher vor sich ging. Immerhin ist das Koptische in jener Zeit in Nubien bezeugt, etwa in den Briefen an den Führer der Noubaden, die in Qasr Irbim gefunden wurden (FHN 1165–1175) und die um 450 n. Chr. datieren, zeitgleich mit den letzten meroitischen Inschriften von diesem Fundort. Nun könnte man annehmen, dass der passendste Zeitpunkt für eine Adaption der koptischen Schrift die Christianisierung Nubiens war und demnach gegen 550 n. Chr. stattfand, doch ist dies nicht viel mehr als geraten. Der (vermeintliche?) Hiatus zwischen den spätesten meroitischen und den frühesten altnubischen Schriftzeugnissen ist ein spezielles Problem, das in einem eigenen Kapitel gesondert behandelt werden soll. ›Alwa-Nubisch‹. Wenn das altnubische Alphabet überhaupt in Überblickswerken zur Schriftgeschichte erscheint, dann wird nie erwähnt, dass man wie beim 415 C. Rilly, The Last Trace of Meroitic? A Tentative Scenario for the Disappearance of the Meroitic Script, in: J. Baines & S.D. Houston (Hrsg.), The disappearance of writing systems: Perspectives on literacy and communication, London 2008, 185–205. C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 34. 416 C. Rilly, La langue du royaume de Méroé, Paris 2007, 34. 417 C. Peust, Das Napatanische, Göttingen 1999, 78, Anm. 58. 418 A. Łajtar, Greek Funerary Inscriptions from Old Dongola: General Note, in: Oriens Christianus 81, 1997, (107–126) 117.
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Koptischen auch streng genommen von Alphabeten im Plural sprechen sollte. Im Obernubien fanden sich nämlich ca. 20 spätantike Inschriften, die in einer vom Standard der Handschriften abweichenden Schriftform gehalten sind.419 Viele von ihnen bestehen aus nicht viel mehr als einem Namen, es gibt jedoch immerhin auch Graffiti (aus Meroë und Musawwarat es-Sufra) und insbesondere den Teil eines Epitaphs aus Soba, der Hauptstadt Alwas im 8.–9. Jhd. n. Chr., der publiziert worden war, lange bevor die ersten altnubischen Handschriften bekannt wurden und den man zuerst nicht für nubisch hielt. 420 Dies mag verwundern, da Richard Lepsius, der die Stele immerhin mit nach Berlin brachte,421 eine nubische Grammatik publiziert hatte.422 Adolphe Erman war jedoch nicht wirklich beschlagen in afrikanistischen Dingen – außerdem lässt sich auch heute nicht genau sagen, wie der Text der Inschrift dialektal zum Altnòbíin/Altnubischen steht. In Anlehnung an den Sprachgebrauch ›Alwa-Inschrift‹ soll dieser Text daher als ›Alwa-Nubisch‹ bezeichnet werden. Griffith meinte, es könne sich um einen eigenen Dialekt handeln,423 doch der einzige Grund für diese These ist der Umstand, dass in diese Inschrift die koptischen Zusatzzeichen ägyptischen Ursprungs nicht gebraucht werden, dafür andere Sonderzeichen meroitischer Herkunft. Diese leiten sich nicht nur von meroitischen Linearzeichen ab, sondern auch von Hieroglyphen (T 〈to〉 > 〈j〉; H 〈ḫ〉 > 〈w〉).424 Phonologisch lässt sich dies gut erklären: 〈to〉 [tw]~[tʃ] > 〈j〉 /tʃ/ bzw. 〈ḫ〉 /ḫw/ > /w.
419 A. Erman, Die Aloa-Inschriften, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 19, 1881, 112–115; L.P. Kirwan, Meroe, Soba and the Kingdom of Alwa, in: Meroitica 10, 1989, 299–304. 420 A. Erman, Die Aloa-Inschriften, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 19, 1881, 112–115. 421 C.R. Lepsius (Hrsg.), Denkmäler aus Aegypten und Aethiopien, Berlin & Leipzig 1845–58. 422 C.R. Lepsius, Nubische Grammatik. Mit einer Einleitung über die Völker und Sprachen Afrikas, Berlin 1880. 423 F.Ll. Griffith, The Nubian Texts of the Christian Period, Berlin 1913, 5. 424 F.Ll. Griffith, Christian Documents from Nubia, in: Proceedings of the British Academy 14, 1928, 117–146, hier 130f.; W.Y. Adams, in: A.S. Atiya (Hrsg.), The Coptic Encyclopaedia VIII, New York 1991, 1815f., s.v. »Nubian Languages and Literature«, hier besonders 1815.
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Fazit. Die meroitische Schriftsprache war höchstwahrscheinlich der Elite vorbehalten. Ihr Gebrauch beschränkte sich auf die Bereiche Palast, Tempel, Totenkult und Verwaltung. Bei der Ersetzung der meroitischen Eliten durch Blemmyer und Nubier verloren die alten Zentren an Bedeutung. Die neuen Machthaber hatten eigene Kulte, eigene Lebensformen und vor allem einen eigenen politischen Willen. Entscheidend für das Ende der meroitischen Schriftkultur dürfte jedoch gewesen sein, dass der Zentralstaat verloren ging; es ist also anzunehmen, dass die Schriftkunde stark zurückging. In Unternubien scheint sie sich jedoch noch etwas länger gehalten haben (2–3 Generationen), wohl aufgrund der Nähe zu Ägypten. Das Griechische wird nun auch in Nubien zur Prestigesprache; entsprechend ist der Prestigeverlust der meroitischen Schrift, die jedoch wohl noch in Teilen beherrscht wird. Das endgültige Aus dürfte mit der Christianisierung gekommen sein, in deren Kontext wohl die Schöpfung der altnubischen Schrift zu sehen ist, also zwei Jahrhunderte früher als bisher meist angenommen wird und sich belegen lässt. Dass man nach der Adaption der koptischen Schrift wie bei dieser Zeichen aus dem alten Schriftsystem übernahm, hat dieselben Gründe wie in Ägypten: Die neue Schrift war ursprünglich für eine völlig andersartige Sprache, für ein ganz anderes phonologisches System gemacht und die darin nicht darstellbaren Laute wollten notiert werden. Es ist also kein Zufall, dass die meroitischen Sonderzeichen gerade für die besonderen Nasale des Nubischen stehen. Auffälliger ist schon, dass man kein System zur Notation der Tonalität entwickelte, die in den nubischen Sprachen und daher wohl auch im Altnòbíin eine wichtige Rolle spielt. Warum das südlichste der christlich-nubischen Königreiche eine Sonderweg einschlug, ist ebenfalls schlecht einzuschätzen.
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4.3 Die altnubisch-koptische Schrift zur Darstellung des Altbeɖáwiɛ In jüngster Zeit hat Gerald Browne ein kleines Büchlein in lateinischer Sprache verfasst (Textus Blemmyicus Aetatis Christianae), in dem ein bereits seit langem bekanntes Ostrakon bearbeitet wird.425 Schon Francis Llewellyn Griffith hatte die These vertreten, es könnte hier ein Text in der Sprache der Blemmyer vorliegen, eine These, die Werner Vycichl bekräftigt hat.426 Die Blemmyer sind eine nomadische Gruppe, die gegen Ende der meroitischen Zeit in Niltal virulent wird und (zusammen mit anderen Gruppen wie den Noba) nicht nur für die Nordverschiebung der römischen Grenze unter Diokletian verantwortlich gemacht wird, sondern letztlich auch für den Zusammenbruch des Reiches von Meroë. In griechischen und koptischen Quellen erscheinen mehrere Dutzend Namen von Personen, die als »Blemmyer« bezeichnet werden und die man sprachlich in die Nähe des tu-Beɖáwiɛ stellen kann. Dies wurde systematisch erstmals von Ernst Zyhlarz427 getan, gefolgt von Werner Vycichl428 und Helmut Satzinger.429 Letzterer gab sich bis zum Erscheinen des »Textus« reserviert, was Zyhlarz’ These von der Beziehung Blemmyersprache – tu-Beɖáwiɛ anging, um sich danach deutlich positiv zu äußern.430 Durch seine jahrzehntelange Bearbeitung altnubischer Texte an christlicher Übersetzungsliteratur geschult, erkannte Browne, es müsse sich bei den ersten Worten des Ostrakontextes um den Anfang von Psalm 30 (nach der Zählung der Septuaginta) bzw. Psalm 29 (nach der hebräischen Bibel) handeln.431 Mit dieser Quasibi-
425 J.E. Quibell, Excavations at Saqqara (1907–1908), Kairo 1909, 109 mit Taf. xlii.3. 426 W. Vycichl, Ethnologie et linguistique de la Nubie moderne, in: Études nubiennes, Kairo 1978, 359–371, bes. 370f. 427 E. Zyhlarz, Die Sprache der Blemmyer (Ein Beitrag zur Alt-Afrikanistik), in: Zeitschrift für Eingeborenen-Sprachen 31, 1940–41, 1–21. 428 W. Vycichl, Éthnologie et linguistique de la Nubie moderne, in: Études nubiennes, Kairo 1978, 359–371, bes. 370f. 429 H. Satzinger, Urkunden der Blemmyer, in: Chronique d’Égypte 43, 1968, 126–132; H. Satzinger, Anmerkungen zu einigen Blemmyer-Texten, in: E. Ploeckinger & M. Bietak et.al. (Hrsg.), Lebendige Altertumswissenschaft, Festgabe zur Vollendung des 70. Lebensjahres von Hermann Vetters, Wien 1985, 327–332; H. Satzinger, Die Personennamen von Blemmyern in koptischen und griechischen Texten: orthographische und phonetische Analyse, in: E. Ebermann, E.R. Sommerauer, K.É. Thomanek (Hrsg.), Komparative Afrikanistik. Sprach- geschichts- und literaturwissenschaftliche Aufsätze zu Ehren von Hans G. Mukharovsky, Beiträge zur Afrikanistik 61, Wien 1992, 313–324. 430 H. Satzinger, Some more remarks on Old Bedauye, in: S.M. Bay (Hrsg.), Studia Palaeophilologica (Fs. G. Browne), Champaign (Ill.) 2004, 1–5. 431 Zur Interpretation vgl. K. Seybold, Die Psalmen. Eine Einführung, Stuttgart ²1991.
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lingue liefert er den Schlüssel zum weiteren Verständnis des Textes: κύριε ὁ θεός μου ἑκέκραξα πρὸς δέ, καὶ ἰάσωμε; κύριε, ἀνήγαγες, ἐξ ᾅδον τὴν ψυχήν μου. Damit wäre die Übersetzung des ganzen Textes eine Entsprechung des Psalms nach der Lutherbibel (moderne Übersetzung in Klammer): ① »Ein Psalm, zu singen (ein Lied) von der Einweihung des Hauses, von David. ② Ich preise dich, Herr; denn du hast mich erhöht (aus der Tiefe gezogen) und lässest meine Feinde sich nicht über mich freuen. ③ Herr, mein Gott, da ich schrie zu dir, machtest du mich gesund. ④ Herr, du hast meine Seele aus der Hölle geführt (von den Toten herauf geholt); du hast mich lebend (am Leben) erhalten, da jene in die Grube fuhren (aber sie mussten in die Grube fahren). ⑤ Ihr (seine) Heiligen, lobsinget dem Herrn; danket und preiset seine Heiligkeit (und preiset seinen heiligen Namen)!«. Klaus Wedekind, ein ausgewiesener Spezialist für das tuBeɖáwiɛ, hat die These und Lesung von Browne überprüft und für richtig befunden.432 Mehr noch: Er hat festgestellt, dass die antike Sprachform von der modernen nur sehr geringfügig abweicht: ① [ⲓⲉⲓ]ϩⲁ ⲟⲩⲱ-ⲭⲁⲣⲁ-[ⲩ]ⲁ ⲁ-ⲗⲁⲣ-ⲁ ② ⲕⲁ] ⲁ-ⲗⲓϩ-ⲁ ⲓⲟⲩ-ⲙⲓⲑ ③ ...]ⲑⲑⲁⲣ-ⲓ ⲙⲁⲗⲓϩ-ⲁ ⲗⲁⲡ-ⲁ ④ [ⲓⲉⲓ]ϩⲁ ⲓⲟⲩ-ⲙⲉⲓⲥⲧⲟⲩⲣ ⑤ ...] ⲓⲏⲗϩⲟⲩⲙ ⲃ ⲙⲏ⸌ⲛ⸍ ⑥ ...]ⲁⲁⲣⲁ? ⲟⲩⲱ-ⲙⲛⲏ ⑦ ...]ⲙⲁⲣⲁ ① yi]hā wū-hada-wa a-lil-a ② ka a-leh-a yū-mit ③ ...]tar-i melah-a leʼab-a ④ yi]hā yū-mestūr ⑤ yē-lehum-b men?⑥ wū-men ⑦ – ?. Wie ist nun dieser Text schriftgeschichtlich zu werten? Zunächst sollte betont werden, dass die Schrift ›nur‹ griechisch ist, es also keinen einzigen Hinweis dafür gibt, dass er vor einem koptischen oder gar altnubischen Hintergrund entstand. Dass sich die Person, die den Text niederschrieb, streng an das griechische Alphabet hielt, ist nicht weiter verwunderlich – immerhin war die Vorlage sicherlich in griechischer Schrift und Sprache. Nun könnte man dem »Textus« als singulärem Beispiel für eine antike Verschriftlichung des tuBeɖáwiɛ keine weitere Bedeutung beimessen. Dies würde jenem Schriftzeugnis allerdings sehr wenig gerecht, denn es zeigt uns, dass man prinzipiell sehr wohl in der Lage war, diese kuschitische Sprache zu schreiben. Mehr noch: Die griechische Schrift stellte sie sogar vergleichsweise gut dar, Der Hauptgrund hierfür dürfte darin zu suchen sein, dass das tu-Beɖáwiɛ nicht (mehr) so reich ist an Laryngalen, die bei anderen griechischbasierten Schriftadaptionen ein Problem darstellten. Einzig die wichtige Unterscheidung der Vokallänge wäre noch verbesserungsbedüftig gewesen. Diese Beobachtungen führen uns nun zu einer zentralen Frage: Warum kam es beim tu-Beɖáwiɛ bis in allerjüngste Zeit nie zu einer Verschriftung? Hier schließt sich übrigens ein Kreis, denn Klaus Wede432 K. Wedekind, More on the Ostracon of Browne’s »Textus Blemmyicus«, in: G. Lusini (Hrsg.), Current Trends in Eritrean Studies 70, Neapel 2010, 73–82 und F. Breyer, Einführung in die Meroitistik, Münster 2015, 194–197.
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kind war bis vor kurzem im Auftrag der eriträischen Regierung damit beschäftigt, eine auf dem lateinischen Alphabet basierende Verschriftung des tuBeɖáwiɛ linguistisch zu begleiten. Man kann nur darüber spekulieren, was hinter der bis dahin ausgebliebenen Verschriftung steht. Am wahrscheinlichsten dürfte die nomadische Lebensweise dafür verantwortlich zu machen sein bzw. die fehlende Staatlichkeit. Dass auch Nomaden eine Schriftkultur entwickeln und bewahren können, zeigen die Sprecher der Berbersprachen mit ihrer jahrtausendealten tifinaɣ-Schrift. Freilich zeigt gerade dieses Beispiel, dass in einem nomadischen Umfeld der Schrift keine herausragende Bedeutung zukommt, wird sie doch von den Amazighen (›Berbern‹) meist zu dekorativen Zwecken (Besitzangabe bei Waffen oder Schmuck) oder in Graffiti etc. gebraucht und weniger als Mittel der schriftlichen Kommunikation (Briefe) oder gar zur Notation narrativer Texte. Auch der jahrhundertelange Kontakt mit anderen Schriftkulturen hat nicht dazu geführt, dass die Bēǧa die Notwendigkeit sahen, eine eigene Schrift zur Darstellung ihrer Sprache zu entwickeln. Dass dies prinzipiell möglich war, zeigt der »Textus« deutlich. Noch vor 200 Jahren wäre die Basis nicht das Griechische gewesen (wie in der Spätantike), sondern selbstverständlich die klassisch-arabische Schrift. Dass heute die Lateinschrift als Ausgangspunkt gewählt wurde, hat nicht nur mit der Kolonialzeit zu tun, sondern auch mit dem religiösen und ethnischen Gefüge des jungen Staates Eritrea, mit der Abgrenzung von Äthiopien mit seiner eigenen Schriftkultur und dem Versuch, im Internetzeitalter Anschluss an die Moderne zu finden. Interessant ist, dass die Bēǧa im Sudan sich durch das eriträische Vorbild bestärkt fühlen und nun ihrerseits auch eine Möglichkeit suchen, ihre Sprache zu schreiben.433 Hier ist die Einflussnahme konservativ-islamischer Kreise viel stärker, daher wird heftig über die Basis der Verschriftung gestritten. Es könnte sein, dass in ein paar Jahren ein und dieselbe Sprache im Nordsudan in arabischer Schrift und in Eritrea in lateinischer Schrift geschrieben wird. Andererseits ist die Verschriftungsbemühung im Sudan gegen die Bevormundung der Bēǧa durch die arabisch dominierten Kreise des Nordsudan gerichtet – ihr Erfolg ist also mehr als ungewiss.
4.4 Die Schriftadaptionen am Horn von Afrika Nachdem wir mit den Bēǧa bzw. dem tu-Beɖáwiɛ bereits am Horn von Afrika angelangt sind, soll im Folgenden dargestellt werden, wie es dort zur Herausbildung einer eigenen Schriftkultur kam.434 Um jeglichen Animositäten von vorne herein zu begegnen, sei betont, dass »äthiopisch« nicht heißt, dass sich der ent433 Pesönliche Mitteilung von Klaus Wedekind.
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sprechende Sachverhalt auf den heutigen Staat Äthiopien bezieht und die Eriträer ausschließt – im Gegenteil. Der Begriff geht zurück auf einen griechischen Terminus der historischen Geographie und ist genauso wenig ethnisch festgelegt wie das Toponym »Nubien«. Um allen Eventualitäten zu begegnen, könnte man allgemeiner von »abessinisch« sprechen,435 doch empfiehlt sich dies nur in historischem Kontext. Der linguistische Bezugsrahmen, in dem sich das Phänomen »Schrift« ohne Zweifel bewegt, verlangt den Gebrauch des Begriffs »äthiopisch«, da die im orbis aethiopicus gesprochenen semitischen Sprachen unter »Äthiopisch« (bzw. »Äthiosemitisch«) firmieren. Mit dieser »semitischen« Verbindung ist dann auch der Ursprung der äthiopischen Schrift angesprochen, der im antiken Südarabien zu suchen ist. Die Grundschrift wird von Sprechern des Altsüdarabischen übernommen und relativ lange unverändert gebraucht. In einem revolutionären Schritt entwickelt man dann im Königreich Aksum durch diakritische Zeichen zur Darstellung der Vokalisation eine Silbenschrift, die eigentliche ›äthiopische‹ Schrift. Diese ist besonders in der Folgezeit eng verbunden mit einer bestimmten Sprachform, dem sog. »Altäthiopischen« oder Gǝʿǝz. Schließlich erfolgte in modernerer Zeit eine Adaption dieser Silbenschrift zur Darstellung anderer Sprach(stuf)en: Zuerst für andere äthiosemitische Sprachen und schließlich auch für kuschitische und nilosaharanische Sprachen.
4.5 Von der altsüdarabischen Konsonanten- zur altäthiopischen Silbenschrift Die altäthiopische Silbenschrift entwickelt sich bis zur Mitte des 4. Jh. n. Chr. hin auf der Basis der altsüdarabischen Konsonantenschrift. Die ersten vokalisierten Zeichen treten kurz vor dem ersten christlichen Herrscher Äthiopiens ʿEzana in Münzlegenden auf, also gegen 320 n. Chr. ʿEzana selbst vollzog dann den Wechsel bei den Inschriften. Die so in Grundzügen geschaffene äthiopische Schrift ist die einzige Silbenschrift von Sprechern einer semitischen Sprache (die Keilschrift funktioniert syllabo-ideographisch). Typologisch betrachtet handelt es sich um eine alphasyllabische Schrift wie viele indische oder südostasiatische Schriften, etwa Brāhmī oder Kharoṣṭhī.436 Die äthiopische Bezeichnung ist
434 A. Amha, On loans and additions to the fidäl (ethiopic) writing system, in: A. de Voogt & I.L. Finkel (Hrsg.), The idea of writing, Leiden 2009, 179–196. 435 So geschehen in meinem Buch »Das Königreich Aksum. Geschichte und Archäologie Abessiniens in der Spätantike« (Darmstadt 2012). 436 H. Jensen, Die Schrift in Vergangenheit und Gegenwart, Berlin ³1969, 337 und 351.
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fidäl »Buchstabe(n)«, wie bereits Ludolf 1661 bemerkt.437 Der Terminus ist etymologisch unklar, möglicherweise ist er zu fadala »trennen, absetzen« (√bdl) zu stellen. Wenn man die grundsätzlich altsüdarabische Herkunft der Schrift erst einmal außer acht lässt, stellt sie sich wie folgt dar: Der Grundstock von 182 Zeichen steht für 26 Konsonanten mit jeweils sieben Varianten, die gemeinhin »Ordnungen« oder »Vokalreihen« genannt werden. Es gibt dabei jeweils eine Elementarform /Ca/, die also mit /a/ vokalisiert ist (= 1. Ordnung), und sechs weitere Formen für die Kombination mit den anderen Vokalen (2.–7. Ordnung). Neben diesen existieren weitere Zeichen, die Labialisierungen anzeigen und im Zusammenhang mit Frikativen verwendet werden.
ፊደል
Herkunft der Konsonantenschrift. Obwohl die engen Verbindungen zwischen der äthiopischen und der altsüdarabischen Schrift eindeutig sind, seit Wilhelm Gesenius und Emil Rödiger 1841 letztere mit Hilfe der erstgenannten entzifferten, ist die Herkunft des fidäl in der Forschung immer noch umstritten. Nach der Entdeckung altsüdarabischer Inschriften in Yǝḥa, ʾAbba Panṭaleon und Käskäse wurde eine Genese aus dem Altsüdarabischen heraus 1913 durch Enno Littmann und die Deutsche Aksum-Expedition explizit formuliert (DAE IV, 41 und 78). Adolf Grohe versuchte 1915 nachzuweisen, dass die Schrift der frühen sabäischen Graffiti Vorbild für die äthiopische Schrift war, und weniger die Form der Monumentalinschriften. Diese These wurde 1976 von Abraham Drewes und Roger Schneider weiterentwickelt, die jedoch auch zugaben, dass die Inschriften durchaus einen Einfluss hatten.438 Schneider meinte später, die Schrift der Graffiti sei früher in Äthiopien eingeführt worden als diejenige der Inschriften.439 Jüngst hat Sergej Frantsouzoff auf die Verbindung zur altsüdarabischen Minuskelschrift hingewiesen und zwei Szenarien aufgestellt: 440 Entweder sei diese in Äthiopien bekannt gewesen und verwendet worden, oder beide Formen entwickelten sich unabhängig voneinander, wenn auch aus einer gemeinsamen Quelle, der Monumentalschrift. Eine andere Hypothese, wonach die äthiopische Schrift auf das nordarabische Thamūdische zurückgeht, wurde von
437 Iobi Ludolfi, Lexicon Aethiopico-Latinum, London 1661. 438 A.J. Drewes & R. Schneider, Origine et développement de l’écriture éthiopienne jusqu’à l’époche des inscriptions royales d’Axoum, in: Annales d’Éthiopie 10, 1976, 95–107. 439 R. Schneider, Les origines de l’écriture éthiopienne, in: S. Segert & A.J.E. Bodrogligeti (Hrsg.), Ethiopian Studies: Dedicated to Wolf Leslau on the Occasion of his 75th Birthday November 14th 1981, Wiesbaden 1983, 412–416. 440 S.A. Frantsouzoff, South Arabian Minuscle Writing and Early Ethiopian Script of PreAxumite Graffiti: Typological Resemblance or Genetic Interdependence?, in: Proceedings of the Fifteenth International Conference of Ethiopian Studies I, Addis Abeba 2002, 572–586.
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Ryckmans vorgebracht441 und immerhin von Forschern wie Drewes,442 Garbini443 und Ricci444 durchaus vertreten. Leider gibt es keinerlei Hinweise auf direkte Kontakte zwischen den beiden Kulturregionen, außerdem ist »thamūdisch« eine künstliche Sammelbezeichnung, welche eine schriftgeschichtliche und sprachliche Einheit suggeriert, die nie existiert hat. Daher dürfte der Ursprung doch am Horn von Afrika zu suchen sein. Auch hierfür sind verschiedene Szenarien denkbar:445 Entweder die äthiopische Schrift wurde von der altsüdarabischen abgeleitet (communis opinio)446 oder es handelt sich um eine genuin äthiopische Entwicklung.447 Eine Zwischenposition wäre der Umweg über eine gemeinsame südsemitische Protoschrift.448 Die äthiopische Schrift gänzlich als Eigenentwicklung zu beschreiben, hieße aufgrund der engen Verknüpfung mit der altsüdarabischen, diese letztlich aus der äthiopischen abzuleiten. Dies dürfte nach allem, was wir über die altsüdarabische und (proto-)aksumitische Kultur wissen, chronologisch sehr unwahrscheinlich sein. Allerdings ist hier einzuwenden, dass genau dies bereits schon einmal vertreten wurde449 und dass wir über die formative Phase der aksumitischen Kultur sehr wenig wissen.450 Dieses Problem soll in einem eigenen Kapitel gesondert behandelt werden. Es sei lediglich darauf hingewiesen, dass es bemerkenswerte Gemeinsamkeiten zwischen der altsüdarabischen und der numidischen Schrift gibt, dem Vorläufer des berberischen tifinaɣ.451 Vielleicht ist also mit ganz anders gearteten Kontaktwegen zu rechnen. 441 J. Ryckmans, L’origine de l’ordre des lettres de l’alphabet éthiopien, in: Bibliotheca Orientalis 12, 1955, 2–8, bes. 4f. 442 A.J. Drewes, Problèmes de paléographie éthiopienne, in: Annales d’Éthiopie 1, 1955, 122. 443 G. Garbini, Storia e problemi dell’epigrafia semitica, Neapel 1979, 80f. 444 L. Ricci, L’expansion de l’Arabie méridionale, in: J. Chelhod et al. (Hrsg.), L’Arabie du Sud. Histoire et civilisation, Paris 1984, 249–257, bes. 256. 445 A. Amha, On loans and additions to the fidäl (ethiopic) writing system, in: A. de Voogt & I.L. Finkel (Hrsg.), The idea of writing, Leiden 2009, 179–196. 446 F. Coulmas, The Writing Systems of the World, Oxford 1989. 447 Asres Yenesew, The Kam Memorial: The Foundation of the Ethiopian Syllabary, Asmara 1951 (in Amharisch); M. Bernal, Cadmean Letters, Winona Lake 1990; Akele Bekerie, Ethiopic, an African Writing System: its History and Principles, Lawenceville (NJ) & Asmara 1997. 448 G. Hudson, Ethiopian Semitic archaic heterogeneity, in: Proceedings of the Fifteenth International Conference of Ethiopian Studies III, Addis Abeba 2002, (1765–1776) 1767. 449 J. Pirenne, Les Grecs à l’aurore de la culture monumentale sabéenne, in: Toufic Fahd (Hrsg.), L’Arabie préislamique et son environnement historique et culturel, Straßburg 1988, 257– 271; J. Pirenne & Gigar Tesfaye, Les deux inscriptions du négus Kaleb en Arabie du Sud, in: Journal of Ethiopic Studies 15, 1982, 105–124. 450 F. Breyer, Das Königreich Aksum. Geschichte und Archäologie Abessiniens in der Spätantike, Darmstadt 2012. 451 E. Littmann, L’origine de l’alphabet libyque, in: Journal Asiatique 4, 1904, 423–440.
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Periodisierung.452 Drewes & Schneider haben 1976 die ›konsonantische‹ Phase der äthiopischen Schrift vor der Umbildung zur Silbenschrift näher untersucht und sind aufgrund der Paläographie einzelner Zeichen, aber auch unter Zuhilfenahme von Kriterien wie Schriftgröße und Zeichendisposition zu einer vorläufigen Periodisierung gekommen.453 Danach muss unterschieden werden zwischen »Protoäthiopisch« (frühe aksumitische Graffiti nahe an der altsüdarabischen Schriftform) und »Altäthiopisch« (die Form der ältesten Monumentalinschriften). Das »Protoäthiopische« teilt sich seinerseits in zwei Phasen, deren erste in der linksläufigen Inschrift RIE 181 und RIE 180 repräsentiert wird, die zweite in RIE 182–183.454 Die Zeichen der ersten Phase sind noch sehr nahe an den südarabischen Zeichenformen; in RIE 180 unterscheiden sich nur sechs: ሐ (ḥ) ist um 180° gedreht; ሠ (s) und ደ (d) um 90°, ነ (n), ከ (k) und አ (ʾ) spiegelbildlich verkehrt. Einige dieser Änderungen setzten sich durch und wurden zum Standard (ሐ, መ, ሠ, ደ). In der zweiten Phase gibt es jedoch einige mittig stehende und mittelgroße Zeichen (በ, ገ), die teils oben (ሐ, ሰ, አ) und teils unten (የ, ጸ) verlängerte sind. Einige altsüdarabischen Grapheme wurden gar nicht übernommen, da die äthiosemitischen Sprachen die entsprechenden Laute nicht (mehr) kannten (ġ, ẓ, ś, z und ṯ). Interessant ist der Zusammenfall der Laute z und ḏ: Immerhin entschloss man sich im Äthiopischen dazu, das häufiger vorkommende Graphem 〈ḏ〉 zur Darstellung von /z/ zu verwenden.455 Die erste Inschrift in »altäthiopischer« Form ist diejenige von Maryam ʿAnza (RIE 218);456 dieselbe Form ist auch bei den ʿEzana-Inschriften (RIE 185 ii) festzustellen. Hier stehen nun alle Zeichen auf derselben Grundlinie, auch wenn ሐ, ሰ und አ immer noch höher sind als በ und ገ. Als nächste Phase kommen die vokalisierten Inschriften ʿEzanas (RIE 187–189), bei denen alle Buchstaben auf derselben Linie stehen und von gleicher Größe sind. So fundiert diese Einteilung von Drewes & Schneider auch sein mag, einen Makel hat sie dennoch: Die Münzlegenden wurden nicht adäquat berücksichtigt, wie dies unter den v.a.
452 S.A. Frantsouzoff, in: S. Uhlig & A. Bausi (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica IV, Wiesbaden 2010, 580–585, s.v. ›Script, Ethiopic‹. 453 A.J. Drewes & R. Schneider, Origine et développement de l’écriture éthiopienne jusqu’à l’époche des inscriptions royales d’Axoum, in: Annales d’Éthiopie 10, 1976, 95–107. 454 RIE bezieht sich auf die Zählung nach E. Bernand, A.J. Drewes & R. Schneider, Recueil des Inscriptions de l’Éthiopie des Périodes Pre-Axoumite et Axoumite, Paris 1991ff. 455 S.A. Frantsouzoff, in: S. Uhlig & A. Bausi (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica IV, Wiesbaden 2010, 580–585, s.v. »Script, Ethiopic«, bes. 582. 456 F. Breyer, Bemerkungen zu Kropps Bearbeitung der Stele von Maryam Anza, in: H. Elliesie (Hrsg.), Akten der Ersten Internationalen Tagung zum Horn von Afrika (im Druck in: Studien zum Horn von Afrika).
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mit Handschriften arbeitenden Äthiopisten gerne der Fall ist.457 Inzwischen existiert zur Paläographie der aksumitischen Münzlegenden in äthiopisch-altsüdarabischer Schrift eine eigene Studie.458 Vom Südarabischen zum fidäl.459 Wenn man die Zeichen nach ihren Veränderungen klassifizieren will, erhält man folgendes Bild:460 • • • • • •
Einige Zeichen werden kaum verändert (ሰ, ቀ, በ, ነ, አ, ከ, ወ, ዐ, የ, ገ, ጸ und ፀ) Manche behalten ihre Form bei, werden jedoch um 180° gedreht (ሐ und ረ) Andere werden bei gleicher Form um 90° gedreht (መ, ሠ und ደ) Ein Zeichen wird vom »Andreaskreuz« zum senkrechten Kreuz (ተ) Bei mehreren Zeichen wird ein Strich weggelassen (ሀ, ዘ und ጠ) Stärker umgeformt werden ለ, ኀ und ፈ.
Die Schriftrichtung ist einer der Hauptunterschiede zwischen dem altsüdarabischen und dem äthiopischen System. Ersteres kann bustrophedon geschrieben werden (was besonders bei den archaischen Inschriften der Fall ist), d.h. sowohl links- als auch rechtsläufig. Die äthiopische Schrift ist demgegenüber ausschließlich rechtsläufig, wie die griechische. Eine weitere Unterscheidung sind zwei Zeichen, die nach dem Vorbild anderer neu geschaffen wurden: ጰ und ፐ. Wie bei manchen Zeichen im Koptischen treten diese Grapheme fast ausschließlich bei Lehnwörtern auf, vornehmlich griechischen Ursprungs (etwa ጳጳስ ṗāṗṗās »Bischof« oder ጠረጴዛ ṭaraṗṗezā), aber auch in späteren europäischen, die auf dem Romanischen basieren (ፖሊስ polis »Polizei«, ፓስፖ posta
457 Dies wird von numismatischer Seite aufgearbeitet, nicht von äthiopistischer, vgl. W. Hahn, Déclination et orthographie des légendes grecques sur les monnaies d’Axoum, in: Bulletin de la Société française de numismatique 49, 1994, 944–949 und W. Hahn, Die Vokalisierung axumitischer Münzaufschriften als Datierungselement, in: Litterae Numismaticae Vindobonensis 3, 1987, 217–224. Ein Fall, bei dem die numismatische Forschung nicht berücksichtigt wurde, wäre die Lesung des Königsnamens bei G. Fiaccadori, in: S. Uhlig et al. (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica II (D–Ha), Wiesbaden 2005, 328–329, s.v. »Eon«. 458 S.C. Munro-Hay, The Geʿez and Greek palaeography of the coinage of Aksum, in: Azania 19, 1984, 134–144. Vgl. auch V. West, Gǝʿǝz Legends on Aksumite Coins, in: Oriental Numisatic Society Newsletter 159, 1999, 5–6. 459 A. Amha, On loans and additions to the fidäl (ethiopic) writing system, in: A. de Voogt & I.L. Finkel (Hrsg.), The idea of writing, Leiden 2009, 179–196. 460 Nach S.A. Frantsouzoff, in: S. Uhlig & A. Bausi (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica IV, Wiesbaden 2010, 580–585, s.v. »Script, Ethiopic«, bes. 582.
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»Postamt«). Hintergrund ist das Fehlen eines bilabialen Plosivs im Äthiopischen, daher spricht man die beiden letztgenannten Lehnwörter in Amharischen gerne auch /bolis/ und /bosta/ aus. Buchstabenreihenfolge.461 Die Reihenfolge des äthiopischen Alphabets galt bis in jüngste Zeit als rätselhaft.462 In den letzten Jahrzehnten sind jedoch zunehmend Zeugnisse in altsüdarabischer Schrift zu Tage getreten, die den Befund erklären. So gibt es heute mehr als ein halbes Dutzend Dokumente zur altsüdarabischen Buchstabenfolge.463 Die meisten stammen aus Altsüdarabien. Da wäre zunächst ein unter der Leitung von William F. Albright im antiken Timnaʿ (Hajar Koḥlân) gefundenes Ensemble von achzehn Bodenplatten zu nennen (um 300 v. Chr.), in die zur Positionsmarkierung jeweils ein bis vier Striche sowie ein Buchstabe eingeritzt waren. Spezifischer sind zwei Felsinschriften aus al-ʿUlā, dem antiken Dedān: Eine listet alle Grapheme komplett auf, eine andere die ersten elf Zeichen. Auf einer Stele aus dem Almaqah-Tempel von Mārib steht neben dem Dedikationstext eine Liste der ersten zehn Zeichen des sabäischen Alphabets; zwei weitere Inschriften aus Mārib bieten die ersten elf bzw. vier Buchstaben vom Anfang der Alphabetfolge. Besonders spannend sind zwei altsüdarabische Palmblätter, denn diese stammen üblicherweise aus dem Alltagsbereich. Das eine stammt aus einem Tempel in as-Sawdāʼ und listet das vollständige altsüdarabische Alphabet auf,464 das andere befindet sich heute in Sanaʿāʼ und bietet immerhin die ersten 23 Zeichen in altsüdarabischer Minuskelschrift (!). 465
461 S.A. Frantsouzoff, in: S. Uhlig & A. Bausi (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica IV, Wiesbaden 2010, 580–585, s.v. »Script, Ethiopic«. 462 E. Hammerschmidt, Die äthiopische Schrift, in: H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10), Berlin 1994, (317–321) 319. 463 Zusammengestellt bei F. Kammerzell, Die Entstehung der Alphabetreihe: Zum ägyptischen Ursprung der semitischen und westlichen Schriften, in: D. Borchers, F. Kammerzell & S. Weninger (Hrsg.), Hieroglyphen, Alphabete, Schriftreformen: Studien zum Multiliteralismus, Schriftwechsel und Orthographieneuregelungen, Lingua Aegyptia Studia Monographcia 3, Göttingen 2001, (117–158), 154f. mit Anm. 47. Vgl. besonders J. Ryckmans, L’ordre alphabéthique sud-sémitique et ses origines. in: Chr. Robin (Hrsg.), Mélanges linguistiques offerts à Maxime Rodinson par ses élèves, ses collèges et ses amis, Comptes rendus du Groupe Linguistique d’étude chamito-sémitique, Supplément 12, Paris 1985, 343–359; H. Hayajneh & J. Tropper, Die Genese des südarabischen Alphabets, in: Ugarit-Forschungen 27, 1997, 183–198; J. Tropper, Entstehung und Frühgeschichte des Alphabets, in: Antike Welt 32, 2001, 353–358. 464 J. Ryckmans, Un abécedaire sud-arabe archaïque complet, gravé sur un péiole de palme, in: I primi sessanta anni du scuola. Studi dedicati dagli amici a Sergio Noja Noseda nel suo 65° compleanno – 7 luglio 1996, Studi Arabo Islamici, Lesa 1997, 1–36. 465 J. Ryckmans, W.M. Müller & Y.M. Abdallah, Textes du Yémen antique inscrits sur bois, Publications de l’Institut Orientaliste de Louvain, Louvain-la-Neuve 1994, 43f. (Nr. 1 und Taf.
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Nur durch ein Photo aus dem Nachlass von A.M. Honeyman bekannt ist ein Fragment einer qatabanischen Inschrift, auf dem sich in drei Zeilen jeweils bis zu vierzehn Buchstaben aus der Mitte des Alphabets erhalten haben. 466 Der Befund zeigt also: Die Alphabetfolge galt im der gesamten südarabischen Schriftkultur (sabäisch und qatabanisch), und zwar nicht nur für die Monumentalform, sondern auch für die Minuskel. Die Verbindung zu Äthiopien konnte durch den Fund des Alphabet von Daḫanamo im heutigen Eritrea (RIE 165) geschlagen werden:467 Wir haben hier ein Graffito mit nahezu vollständigem altsüdarabischen Alphabet vor uns. Es zeigt eindeutig, dass in Abessinien grundsätzlich die südsemitische Buchstabenreihenfolge galt. Der Hauptunterschied liegt im Fehlen der Grapheme ġ, ẓ, ś und z, was wohl die lokale Phonetik widerspiegelt.468 Zwei weitere, ebenfalls in Daḫanamo gefundene Abecedarien geben eine veränderte Reihenfolge, die näher an der traditionellen äthiopischen (Hahu) ist. Ryckmans hat darauf hingewiesen, dass die Veränderung gegenüber der südarabischen Reihung auf das Bestreben zurückzuführen ist, ähnlich geformte Zeichen nebeneinander zu stellen.469
4.6 Von der griechischen Alphabet- zur altäthiopischen Silbenschrift Das Gros der äthiopischen Schriftzeichen mag zwar letztlich aus Südarabien stammen, es gibt jedoch einen kleinen Teil an Zeichen, der griechischen Ursprungs ist, die Zahlzeichen. Weniger sicher ist, ob auch die ausschließliche Rechtsläufigkeit der Schrift und die Vokalisationszeichen auf griechischen Einfluss zurückgehen.
1a–b). 466 A.K. Irvine & A.F.L. Beeston, New evidence on the Qatabanian letter order, in: Proceedings of the Seminar for Arabian Studies 18, 1988, 35–38. 467 A.J. Drewes & R. Schneider, L’alphabet sudarabique du Dakhanamo, in: Raydān 3, 1980, 31–33; J. Ryckmans, L’ordre alphabéthique sud-sémitique et ses origines, in: C. Robin (Hrsg.), Mélanges linguistiques offerts à Maxime Rodinson par ses élèves, ses collèges et ses amis, Comptes rendus du Groupe Linguistique d’étude chamito-sémitique, Supplément 12, Paris 1985, 343– 359. 468 S.A. Frantsouzoff, South Arabian Minuscle Writing and Early Ethiopian Script of PreAxumite Graffiti: Typological Resemblance or Genetic Interdependence?, in: Proceedings of the Fifteenth International Conference of Ethiopian Studies I, Addis Abeba 2002, 572–586, bes. 575. 469 J. Ryckmans, Alphabets, Scripts and Languages in Pre-Islamic Arabian Epigraphic Evidence, in: ʿAbd ar-Raḥmān aṭ-Ṭayyib al-Anṣārī (Hrsg.), International Symposium on Studies in the History of Arabi. Band II, Riyadh 1984 [1985], 73–86, bes. 81.
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Zahlzeichen (Taf. 17).470 Bei Schriftvergleichen werden Zahl- und Satzzeichen gerne vernachlässigt. Nun gibt es im Äthiopischen nicht nur Trennzeichen (Wort- und Satztrenner, Komma, Semikolon), sondern auch ein eigenes Fragezeichen. Heute stehen allerdings gerne nicht nur die europäischen Ausrufezeichen, Anführungszeichen und Fragezeichen, sondern auch Spacien anstelle der Worttrenner, und die arabisch-europäischen Ziffern. Schon allein der Umstand, dass man in Aksum eigene Zahlzeichen besaß, ist sehr bemerkenswert, denn dies war bei vielen Schriftsystemen der Antike nicht der Fall. Nicht nur die Ziffern, sondern auch das gesamte Zahlzeichensystem ist vom griechischen abgeleitet.471 Dies heißt auch, dass es keine Ziffer für die »Null« gibt. Die Ziffern sind formal modifizierte (Groß-)Buchstaben des griechischen Alphabets unter Beibehaltung ihrer Zahlenwerte.472 Diese richten sich bekanntlich nach der Stellung des Buchstabens im Alphabet, d.h. ፩ Alpha – 1, ፪ Betha 2, ፫ Gamma – 3 etc. Dabei ist zu beachten, dass auch das alte griechische Digamma mit dem Zahlwert »6« gebraucht wird (፮). Aleph bis Iota stehen für die Zahlen »1–10«, Kappa bis Rho für die runden Zehner »20–100«; ፪፻ Beta+Pi (2x100) für »200«, ፲፻ Iota+Pi (10x100) für »1000«, ፼ zweimal Pi (100x100) für »10.000« und ፲፼ Iota+Doppelpi (10x100x100) für »100.000«. Bei den zusammengesetzten Zahlen zwischen 11 und 99 werden Zehner und Einer-Schriftzeichen häufig mit äthiopisch wa »und« verknüpft – sie können jedoch auch unverbunden nebeneinander stehen. Dies ist eine Frage des Stils – die verbundene Form gilt als angemessener. äthiop.
griechisch
äthiopisch
äthiopisch
griechisch
1
፩
Α–Ⲁ
11
፲፩ oder ፲ወ፩
20
፳
Κ–Ⲕ
2
፪
Β–Ⲃ
12
፲፪ oder ፲ወ፪
30
፴
Λ–Ⲗ
3
፫
Γ–Ⲅ
13
፲፫ oder ፲ወ፫
40
፵
Μ–Ⲙ
4
፬
Δ–Ⲇ
14
፲፬ oder ፲ወ፬
50
፶
Ν–Ⲛ
5
፭
Ε–Ⲉ
15
፲፭ oder ፲ወ፭
60
፷
Ξ–Ⲝ
6
፮
Ϛ–Ⲋ
16
፲፮ oder ፲ወ፮
70
፸
Ο–Ⲟ
7
፯
Ζ–Ⲍ
17
፲፯ oder ፲ወ፯
80
፹
Π–Ⲡ
470 S.A. Frantsouzoff, in: S. Uhlig & A. Bausi (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica IV, Wiesbaden 2010,580–585, s.v. ›Script, Ethiopic‹. 471 D. Diringer, The Alphabet: A Key to the History of Mankind, London 1968, 231. 472 Gute Übersicht über die Zahlzeichen bei J. Tropper, Altäthiopisch, Münster 2002, 14f.
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äthiop.
griechisch
äthiopisch
äthiopisch
griechisch
8
፰
Η–Ⲏ
18
፲፰ oder ፲ወ፰
90
፺
Ϟ
9
፱
Θ–Ⲑ
19
፲፱ oder ፲ወ፱
100
፻
Ρ–Ⲣ
10
፲
Ι–Ⲓ
200
፪፻
1000
፲፻
10000
፼
100000
፲፼
Die Kennzeichnung als Zahlzeichen erfolgt durch einen waagrechten Strich über und unter dem Schriftzeichen. In einem äthiopischen Text sind diese Ziffern also explizit als Fremdgraphien/Xenogramme markiert. Ein Sonderfall sind die griechischen Inschriften wie die Trilingue des ʿEzana. Dort stehen griechische Zahlen in einem griechischen Text und hier macht die Unterscheidung durch die Stricheinrahmung wirklich Sinn. Angesichts des aksumitischen Befundes ist eine Vermittlung des Koptischen bei den griechischen Zahlzeichen eher unwahrscheinlich, auch wenn dies vertreten wurde.473 Sie wurden bislang kaum beachtet, obwohl sie sehr interessant sind, z.B. weil das sog. ›milesische Prinzip‹ Verwendung findet. Es gibt nämlich im Griechischen drei Systeme zur Darstellung von Zahlen mit Hilfe von Buchstaben: ① Das ›akrophone Prinzip‹ (nach den Anfangsbuchstaben der Zahlwörter), ② das ›Thesis-Prinzip‹ (linear nach der Reihenfolge im Alphabet) und ③ das ›milesische Prinzip‹ (dekadisch gestuft nach der Reihenfolge im Alphabet).474 Das archaische System, also die sog. ›hieratischen‹ Ziffern (ein Strich für »eins«, zwei Striche für »zwei« etc.), wurde Mitte des 4. Jhds. durch das ›alphabetische System‹ ersetzt (also durch die Schreibung mittels Buchstaben). Dabei wurden sehr alte, in der Zwischenzeit obsolet gewordene Schriftzeichen wieder eingegliedert: Digamma Ϝ, ϝ (< semit. Waw) für »6«, Qoppa ϙ bzw. Ϟ, ϟ (< semit. Qoph) für »9« und Sampi Ϡ, ϡ (< semit. Ṣade) für »900«. In Minuskeln wurde für Digamma später eine Ligatur von σ und τ gebraucht, das Stigma Ϛ, ϛ (gr. »Zeichen«). Bei der äthiopischen Ziffer für »90« scheint die Herkunft vom griechischen Qoppa eindeutig zu sein (Ϟ > ፺), auch wenn es nach dem Vorbild des n-Zeichens 6. Ordnung (ን) umgebildet wurde. Eine ähnliche Umbildung dürfte auch den Zeichenformen von ፬ (→ ዐ), ፱ (→ ሀ/ፀ), ፳ (→ ለ), ፵ (→ ሣ), ፶ (→ ሃ), ፷ (→ ፕ) und ፸ (→ ሮ) zugrun-
473 Getachew Haile, Ethiopic writing systsm, in: P.T. Daniels & W. Bright (Hrsg.), The World’s Writing Systems, Oxford 1996, 574. 474 G. Ifrah, Histoire universelle des chiffres, Paris 1981.
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de liegen. Der Hintergrund ist eigentlich derselbe wie bei der Ersetzung des Digamma durch das Stigma: Irgendwann war die Herkunft des Zeichens nicht mehr bekannt, so dass die Schreiber versuchten, sich irgendwie einen Reim darauf zu machen. Bemerkenswert an der Umformung der griechischen Ziffern zu den äthiopischen ist auch der Umstand, dass im Griechischen die Buchstaben nur durch einen Oberstrich als Zahlen gekennzeichnet wurden. Die Aksumiten übernahmen also das griechische Ziffernsystem in seiner ›milesischen‹ Form – 403 v. Chr. war das ionische Alphabet aus Milet in Athen eingeführt worden und hatte sich im Hellenismus über die gesamte Koiné verbreitet. In jüngster Zeit wurden Anstrengungen unternommen, das äthiopische Ziffernsystem zu reformieren. So versuchten Kidanewold Kifle (1956) und später wieder Amdework (2000) ein äthiopisches Zahlzeichen für die Null einzuführen.475 Dies konnte sich jedoch u.a. mangels kirchlicher und politischer Unterstützung nicht durchsetzen.476 Schriftrichtung.477 Zahlreiche südarabische Inschrifen aus Abessinien sind bustrophedon geschrieben. In den sabäischen Graffiti scheinen beide Schriftrichtungen üblich (ca. 40, also etwa ⅓ sind rechtsläufig [davon 31 einzeilig]); im »Protoäthiopischen« kommen beide Schriftrichtungen vor (RIE 181 linksläufig). Allgemein wird angenommen, dass der griechische Einfluss maßgeblich war bei der Festlegung der rechtsläufigen Schriftrichtung im »Altäthiopischen«, doch lässt sich dies weder nachweisen noch entkräften. Vokalisation. Nach Grohmann gehen die Häkchen und Kringel, mit deren Hilfe die Vokalisation der äthiopischen Zeichen ausgedrückt werden, auf griechische Glossierungen zurück.478 Ausschlaggebend für diese These sind die Buchstaben der 7. Ordnung (o-Vokalisation), bei denen oft ein kleiner Kreis angefügt wird, der in der Tat wie ein omikron aussieht (ሆ, ሎ, ሮ, ቆ, ቶ, ኖ, ፎ). Dies könnte jedoch genauso gut Zufall sein, denn immerhin ist ein ähnlicher Kringel auch Bestandteil vieler Zeichen der fünften Ordnung (e-Vokalisation: ል, ሔ, ሜ, ሬ, ሴ, ቄ, ቤ, ቴ, ኄ, ኔ, ኤ, ዌ, ዜ, ዬ, ጌ, ጤ, ፄ). Dabei fällt zwar auf, dass der ganze 475 Amdework Mitiku, Creating zero in the Amharic/Geez numeric system, in: Journal of Society of Ethiopian Electrical and Electronic Engeneers, sub: http://www.yebbo.com/zero. (Stand: 1.7.2015). 476 Meheretu Adnew, Ethiopic script: Its current status and future potential for Ethiopian languages, MA-Arbeit Addis Abeba University (unpubliziert), 30. 477 S.A. Frantsouzoff, in: S. Uhlig & A. Bausi (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica IV, Wiesbaden 2010, 580–585, s.v. »Script, Ethiopic«. 478 A. Grohmann, Über den Ursprung und die Entwicklung der äthiopischen Schrift, in: Archiv für Schriftkunde 1, 1918, 57–87.
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Kreis bei den Zeichen der 7. Ordnung überwiegt (alle außer ሆ) und bei denen der 5. die Ausnahme ist (nur ሬ und ዬ). Doch stellt sich hier die Frage, welches denn eigentlich die typischen formalen Merkmale der vokalisierten Zeichen sind.479 Diese Frage ist zu trennen von der Herkunft der Vokalisation, die als Problem in einem eigenen Kapitel extra behandelt werden soll. Die Zeichen der 1. Ordnung (a) sind die ererbten Grundformen, die der zweiten Ordnung (i) weisen im allgemeinen ein Häkchen rechts auf mittlerer Buchstabenhöhe auf und diejenigen der 3. Ordnung (u) eines am rechten unteren Ende des Buchstabens. Auffällig ist, dass sich die drei semitischen »Grundvokale« am leichtesten graphisch voneinander unterscheiden. Die Zeichen der 5. Ordnung (e) sind offenbar eine typologische Weiterbildung derjenigen der 2. Ordnung (i), was sprachgeschichtlich Sinn ergeben würde. Das Häkchen wird nach links oben zu einem Kringel gebogen. Die Buchstaben der 4. Ordnung (ā) sind nicht durch Anfügungen gekennzeichnet, sondern durch eine quasi-ikonische ›Verlängerung‹ des rechten ›Fußes‹. Ebenso ikonisch ist die ›Brechung‹ des ›Fußes‹ bei den Zeichen für Schwa bzw. Nullvokal. Auffälligerweise ist das Ableitungsprinzip bei den Zeichen der 1.–3. Ordnung (a, i, u) sehr eindeutig – es scheint also, dass man bei der Herausbildung des Systems zuerst die drei ›Grundvokale‹ unterschied. In einem zweiten Schritt wurde der e-Vokal unterschieden und zwar sicherlich nicht von ungefähr typologisch abgeleitet von der Notation des i-Vokals. Gleichzeitig kam man auf den Gedanken, die Vokalquantität des a-Vokals zu unterscheiden, und bediente sich nun mnemotechnisch besonders geeigneter ikonischer Kennzeichen wie der ›Längung‹ und der ›Brechung‹ der Zeichen. Weil die Kennzeichnung der o-Vokalisation und des Schwa bzw. Nullvokals typologisch gesehen am uneinheitlichsten ist, dürfte sie am Ende der Entwicklungsreihe stehen; zu diesem Zeitpunkt waren nämlich bereits die meisten anderen Möglichkeiten der Kennzeichnung ›besetzt‹. Diese Entwicklungslinie spricht ziemlich deutlich gegen die Theorie von einer Beeinflussung durch das griechische omikron. Wäre dies ausschlaggebend gewesen, hätte man bestimmt darauf verzichtet, einige Zeichen nur durch ›Verlängerung‹ zu differenzieren und so eine Verwechslung mit den Zeichen der 4. Ordnung zu riskieren. Generell ist zu beachten, dass die ›Ausnahmen‹ von den Ableitungsprinzipien fast alle im Einzelfall durch eine gewisse ›Inkontabilität‹ zu erklären sind, also ein bestimmtes ›Häkchen‹ kann nicht an einer bestimmten Stelle stehen, da der entsprechende Buchstabe etwa kein ›Füßchen‹ hat. Abgesehen von diesen formalen Punkten sollte der griechische Einfluss generell hinterfragt werden. War dieser innerhalb der formativen Phase der äthiopischen Schriftgeschichte überhaupt jemals groß genug? Allein
479 Vgl. J. Tropper, Altäthiopisch, Münster 2002, 9f.
Schriftadaption im antiken Nordostafrika | 281
der Umstand, dass Kaleb von Aksum sich die Adulitana von einem griechischen Händler übersetzen lassen musste, zeigt, dass die Griechischkenntnisse in Aksum stark schwankten. Griechische Inschriften in Abessinien.480 Zunächst könnte man den Eindruck gewinnen, es gäbe sehr viele griechische Inschriften aus dem antiken Abessinien. Das sog. Monumentum Adulitanum ist dabei schon sehr lange bekannt, einige wurden von Henry Salt 1805 erstmals kopiert, andere von späteren Forschern, namentlich von Enno Littmann während der Deutschen Aksum-Expedition. Heute sind sie versammelt im Recueil des Inscriptions de l’Éthiopie des Périodes Pre-Axoumite et Axoumite (RIE).481 Der Übersetzungs- und Kommentarband der semitischen Inschriften ist bis heute nicht erschienen und wird nach dem Tod der beiden beteiligten Semitisten wohl auch nie erscheinen. Die griechischen Inschriften hat Étienne Bernand 2000 als RIE IIIa bearbeitet, d.h. die Inschriften Nr. 269–286. Sehr kurios ist der Umstand, dass Bernand entgangen ist, dass RIE 273 in Gǝʿǝz verfasst ist und nicht auf Griechisch!482 Die griechischen Inschriften aus Abessinien sind im Einzelnen:
480 G. Fiaccadori, in: S. Uhlig et al. (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica III (He–N), Wiesbaden 2007, 158–159, s.v. »Greek inscriptions in Ethiopia/Eritrea«. Vgl. auch: B. Hendrickx, Official Documents Written in Greek Illustrating the Ancient History of Nubia and Ethiopia, Johannesburg 1984; F. Anfray, A. Caquot & P. Nautin, Une nouvelle inscription grecque d’Ézana, roi d’Axoum, in: Journal des Savants 1970 [1971], 260–273; A. Bausi, Numismatica aksumita, linguistica e filologia, in: Annali dell’Istituto italiano di numismatica 50, 2003 [2005], 157–175, bes. 164, Anm. 17 und 171f.; J. Bingen, Notes d’épigraphie grecque IV, in: Chronique d’Égypte 57, 1982, 350–353; D. Buxton, The Abyssinians, London 1970, 206; G. Fiaccadori, Per una nuova iscrizione etiopica de Aksum, in: Egitto e Vicino Oriente 4, 1981, 357–367; G. Fiaccadori, Un’epigrafe greca aksumita (RÍEth 274), in: V. Ruggieri & L. Pieralli (Hrsg.), Εὐκοσμία. Studi miscellanei per il 75° di Vincenzo Poggi S.J., Soverai Mannelli (CZ) 2003, 243–255; G. Fiaccadori, Sembrouthes ›gran re‹ (DAE IV 3 = RIÉth 275). Per la storia del primo ellenismo aksumita. in: La Parola del Passato 59, 2004 [2005], (103–157) 113 & 122; G. Fiaccadori, Nuova iscrizione greca da Aksum, in: La Parola del Passato 62, 2007, 70–76; W. Hahn, Déclinaison et orthographie des légendes grecques sur les monnaies d’Axoum, in: Bulletin de la Société française de numismatique 49, 1994, 944–949; E. Littmann, Griechische Monogramme aus Syrien und aus Abessinien, in: Rivista di Studi Orientali 32 (= Scritti in onore du Giuseppe Furlani II), Rom 1957, 749–756, bes. 754ff. 481 E. Bernand, A.J. Drewes & R. Schneider, Recueil des Inscriptions de l’Éthiopie des Périodes Pre-Axoumite et Axoumite, Paris 1991ff. 482 G. Fiaccadori, Per una nuova iscrizione etiopica de Aksum, in: Egitto e Vicino Oriente 4, 1981, 357–367.
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① Das Monumentum Adulitanum (prima) (RIE 276 = ODWG 1),483 Ptolemäus III. Euergetes um 245–243 v. Chr.; Kopie gemacht um 518/20 in Adulis ② das Monumentum Adulitamun (secunda) (RIE 277 = ODWG 5 = FHN 234), Unbekannter König von Aksum des 2.–3. Jhd. v. Chr., vielleicht Sembrouthēs ③ die Däqqamḥare-Inschrift (RIE 275 = ODWG 8), Sembrouthēs ④ die Inschrift von ʾAbba Pänṭälewon (RIE 272 = ODWG 6) Etwas älter als die Däqqamḥare-Inschrift, Datierung und Lesung unsicher; ein anonymer König brüstet sich, die Ordnung zu beiden Seiten des Roten Meeres wieder hergestellt zu haben ⑤ die beiden Meroë-Inschriften (RIE 286 = ODWG 9 und RIE 286a = FHN 297–8) Unbekannter König, 3.–4. Jhd. n. Chr., Siegesmonument, wohl von einem Steinthron ⑥ die ʿEzana-Inschriften Zug gegen die Bēǧa (RIE 270 & 270bis = FHN 297–98) und Zug gegen die Noba (RIE 271 = FHN 299) Gǝʿǝz, Pseudo-Sabäisch und Griechisch; nur kleine Abweichungen, manchmal bedeutungsvolle Zusätze oder Abzüge; im Gegensatz zu den äthiopischen und pseudo-sabäischen Versionen (RIE 189–190) wird der Sieg dem Christengott und »seinem Sohn Jesus Christus« oder »dem Gott Christus« zugeschrieben; Verwendung der Trinitarischen Formel und Bibelandeutungen ⑦ die Pearce-Inschrift Trinitarische Formel spiegelt sich im isosephischen Siglum am Ende einer heute verlorenen Inschrift, die Pearce in Aksum kopierte und die zwischen die 370er bis 380er Jahre datiert; enthält den Anfang von Psalm 47 (48) oder vielmehr 87 (88); bisher einziges Bibelzitat in der griechischen Epigraphik Abessiniens: Wichtig für die Frage nach der Bibelübersetzung in Gǝʿǝz in aksumitischer Zeit.484 483 F.W.K. Dittenberger, Orientis Graeci inscriptiones selectae, Leipzig 1903, 84–88 und 284–296, Nr. 54 und 199; T. Eide, T. Hägg, R.H. Pierce & L. Török (Hrsg.), Fontes Historiae Nubiorum III, Bergen 1999, Nr. 234; B. Hendrickx, Official Documents Written in Greek Illustrating the Ancient History of Nubia and Ethiopia, Johannesburg 1984, 15–23 und 35–45, Nr. 1 & 5. Vgl. auch H.W. Pleket, R.S. Stroud & J.H.M. Strubbe (Hrsg.), Supplementum epigraphicum Graecum 43, Amsterdam 1995, 480, Nr. 1646–1647. 484 G. Fiaccadori, Un’epigrafe greca aksumita (RÍEth 274), in: V. Ruggieri & L. Pieralli (Hrsg.), Εὐκοσμία. Studi miscellanei per il 75° di Vincenzo Poggi S.J., Soverai Mannelli (CZ) 2003, 243–255.
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⑧ und die Grabinschrift aus Gumala, die erst kürzlich entdeckt wurde und noch unpubliziert ist. Gefunden nordöstlich von Aksum, datiert ins 5.–6. Jhd. n. Chr.; Begräbnis eines Christen (Formeln!) namens Kyriakós (zehn Jahre alt), vielleicht Mitglied der griechischen Gemeinschaft in Aksum.485 Wie so oft wurden die Münzlegenden im RIE nicht berücksichtigt. Die aksumitischen Goldmünzen waren nämlich, da sie für den internationalen Fernhandel gedacht waren, mit griechischen Legenden versehen.486 Griechische Schriftzeichen stehen ferner vereinzelt auf Objekten wie Tonlämpchen, Keramik, Amphoren (mit tituli »Label« und Monogrammen)487 oder Schmuck, vor allem bei Importen aus Ägypten. Griechisch war immerhin die spätantike lingua franca auch am Roten Meer – König Zoskalēs von Adulis (1. Jhd.) soll Griechischkenntnisse besessen haben. Wie es scheint, war Griechisch nicht nur die lingua franca zwischen der Mittelmeerwelt und dem orbis aethiopicus, sondern auch etwas wie eine offizielle oder zumindest eine halboffizielle Schriftsprache vor dem Gebrauch des Gǝʿǝz, intendiert für Elite, Gesandte und Händler. Dass es Personen gab, die des Griechischen mächtig waren und die Schrift beherrschten, ist evident, denn irgendjemand muss die Vorlagen für die Inschriften hergestellt haben.488 Wie weit die Kenntnisse reichten, lässt sich kaum beurteilen. Immerhin könnte der frühe Gebrauch der griechischen Schrift vielleicht »an important factor towards the ›stylistic‹ confidence shown by the Gǝʿǝz inscriptions« gewesen sein.489 Die Sprache der griechischen Inschriften Abessiniens ist nicht immer schön, aber im Allgemeinen korrekt. Sie spiegelt wohl die gesprochene Sprache der Händler und weist insofern eine starke soziolinguistische Komponente auf. 485 G. Fiaccadori, Nuova iscrizione greca da Aksum, in: La Parola del Passato 62, 2007, 70– 76. 486 Zusammengestellt bei S. MUNRO -HAY & B. JUEL-JENSEN, Aksumite Coinage, London 1995. Vgl. auch die zahlreichen Einzelstudien von Wolfgang Hahn, etwa: W.R.O. HAHN, Die Münzprägung des Aksumitischen Reiches, in: Litterae Numismaticae Vindobonenses 2, 1983, 113– 180; W. HAHN, Eine axumitische Typenkopie als Dokument zur spätantiken Religionsgeschichte – mit einem philologischen Exkurs zu den biblischen Namen axumitischer Könige von M. KROPP, in: Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte 46, 1996 [1997], 85–99; W. HAHN, Das Kreuz mit dem Abessinierland, in: Mitteilungen des Instituts für Numismatik und Geldgeschichte 18, 1999, 5–8; W. HAHN, Aksumite Numismatics. A Critical Survey of Recent Research, in: Revue Numismatique 155, 2000, 281–311. 487 E. Littmann, Griechische Monogramme aus Syrien und aus Abessinien, in: Rivista di Studi Orientali 32 (= Scritti in onore du Giuseppe Furlani II), Rom 1957, 749–756, bes. 754ff. 488 S. Munro-Hay, Aksum. An African Civilisation of Late Antiquity, Edinburgh 1991, 245. 489 S. Munro-Hay, Aksum. An African Civilisation of Late Antiquity, Edinburgh 1991, 247.
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Daneben sind spätantike Charakteristika greifbar, die für das ›ägyptische‹ Griechisch typisch sind, allen voran orthographische Besonderheiten wie der Itazismus. Hinsichtlich Lexikon, Grammatik und Syntax ist das ›aksumitische‹ Griechisch zudem durch die Nähe zur Sprache des Neuen Testaments gekennzeichnet. Ägyptische Papyri bilden den Referenzrahmen für die Paläographie. 490 Die Sprache der äthiopischen Epigraphik weist ebenfalls nach Ägypten, dann aber auch nach Nubien und Palästina (bei christlichen Dokumenten).491 Das Bild, welches uns die aksumitische Epigraphik überliefert, könnte ziemlich verzerrt sein. Zwar nehmen die griechischen Inschriften innerhalb des Gesamtkorpus einen verhältnismäßig großen Raum ein, insgesamt ist ihr Umfang allerdings ziemlich begrenzt. Insgesamt sind zwischen dem 3. Jhd. v. Chr. und der Mitte des 6. Jhds. n. Chr. nur etwa 20 griechische Schriftzeugnisse auf uns gekommen (von den Münzen abgesehen), d.h. die Belegspanne reicht über fast ein Jahrtausend. Zudem ist eine deutliche Konzentration auf die frühe Zeit festzustellen, die Zeit der Christianisierung Äthiopiens und gleichzeitig die Zeit großer Machtausdehnung mit Ausgreifen bis ins Niltal. Mit anderen Worten: Die Stellung des Griechischen in der aksumitischen Gesellschaft darf auf keinen Fall überschätzt werden. Immerhin wurde die Sprache und Schrift unter Kaleb, also zur Zeit engster byzantinisch-aksumitischer Kontakte und größter Machtentfaltung, nicht mehr beherrscht – warum sonst sollte Kaleb die Adulitana durch einen fremden Händler kopieren und übersetzen lassen? Die oft sehr korrupten Münzlegenden weisen in dieselbe Richtung. Sie sind teils so verderbt, dass sich nur mit allergrößter Mühe und epigraphischer Raffinesse ein Sinn ergibt – man denke an die Diskussion um die Interpretation der Legende ⲃⲁⲭⲁⲥⲁ, die von frühen Kompilatoren der äthiopischen Königsliste und in deren Gefolge von vielen Forschern als Königsname interpretiert wurde, jedoch in Wirklichkeit für ⲃⲁ[ⲥⲓⲗⲉⲩⲥ] ⲭ[ⲟⲣ]ⲁⲥ ⲁ[ⲃⲁⲥⲥⲓⲛⲱⲛ] steht.492
490 G. Fiaccadori, Sembrouthes ›gran re‹ (DAE IV 3 = RIÉth 275). Per la storia del primo ellenismo aksumita. in: La Parola des Passato 59, 2004 [2005], (103–157), 113 & 122. 491 J. Bingen, Notes d’épigraphie grecque IV, in: Chronique d’Égypte 57, 1982, 350–353 = J. Bingen, Pages d’épigraphie grecque I. Attique – Égypte (1952–1982), Brüssel 1991, 163–165 unter »Les Res gestae du roi Aïzanas«. 492 W. Hahn, Das Kreuz mit dem Abessinierland. Epigraphische Anmerkungen zu einer axumitischen Münzlegende, in: Mitteilungen des Instituts für Numismatik und Geldgeschichte 18, 1999, 5–8.
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4.6.1 Weitere Einflüsse bei der Herausbildung der altäthiopischen Schrift Neben dem möglichen Impetus aus Indien oder Meroë, der in einem eigenen Kapitel im Teil »Streitfragen« diskutiert werden, gab es weitere Fremdeinflüsse auf die äthiopische Schriftkultur – sie betreffen vor allem die Zeichennamen und Buchstabenfolge. Zeichennamen.493 Für die äthiopischen Grapheme existieren traditionelle Zeichennamen, die genauso überliefert werden wie die Schulaussprache des Klassisch-Äthiopischen. In Europa wurden diese Zeichennamen durch Täsda Ṣǝyon bekannt gemacht, der sie im Vorwort zur Druckfassung des altäthiopischen Neuen Testaments von 1548 aufführt. Sie wurden vor allem von Hiob Ludolf in seiner altäthiopischen Grammatik (1702) aufgegriffen, was ihnen eine gewisse Verbreitung sicherte.494 Dass die Namen wirklich authentisch sind, scheint ihre Nennung in altäthiopischen Texten nahezulegen.495 Gleichwohl ist dies in der Forschung umstritten. Der Grund hierfür ist in der Chronologie der entsprechenden Texte zu sehen. Drei Überlieferungsstränge datieren zwar in der Tat vor Hiob Ludolf, also vor dem Einsetzen der europäisch-äthiopistischen Forschungstradition, jedoch erst nach dem Druck der ersten äthiopischen Bibel in Rom 1548. Ludolf hatte für einige der Buchstabennamen »Übersetzungen« gegeben (ማይ aqua, ርእስ caput, ቤት domus, ዐይን oculus, እፍ os), mokiert sich aber auch über einige Erklärungen seiner Vorgänger, d.h. offenbar gab es 1548 noch keinen Standard. So könnten einige Namen erst im 16. Jahrhundert geprägt worden sein und zwar unter westlichem Einfluss, genauer gesagt nach der Einrichtung von Missionarsschulen.496 Ganze 18 der Buchstabennamen entsprechen denen des nordwestsemitischen Alphabets, d.h. den hebräischen (ʼalf, bēt, gaml). In diesem nicht enthalten sind die Namen ኀ ḫarm, ጰ ṗāyt, ፀ ṣ́ appā und ፐ p(s)a. Ganz anders als in der nordwestsemitischen Tradition sind: ሠ šaut, ሰ sāt, ነ nahās und የ yaman. 493 S.A. Frantsouzoff, in: S. Uhlig & A. Bausi (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica IV, Wiesbaden 2010,580–585, s.v. ›Script, Ethiopic‹; D.T. Daniels, Ha, la, ḥa or hōi, lawe, ḥaut: the Ethiopic letter names, in: A.S. Kaye (Hrsg.), Semitic studies in honor of Wolf Leslau on the occasion of his 85th birthday, November 14, 1991, Wiesbaden 1991, 275–288. 494 H. Ludolf, Grammatica Aethiopica ..., Frankfurt am Main ²1702, 2–3. 495 Getatchew Haile, Archaic Amharic Forms, in: R. Pankhurst & S. Chojnacki (Hrsg.), Proceedings of the Third International Conference on Ethiopic Studies, Addis Abeba 1960, Band II, 61–80, bes. 62 und 65, Anm. 6; C. Conti Rossini, Lo ʿAwda Nagast, scritto divinatorio etiopico, in: Rassegna di Studi Etiopici 1, 1941, 127–145, speziell 133. 496 P.T. Daniels, The Study of Writing Systems, in: P.T. Daniels & W. Brights (Hrsg.), The World’s Writing Systems, New York & Oxford 1996, 3–17.
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Die Buchstabennamen sind heute nicht in Gebrauch. Statt dessen nimmt man ihren Lautwert mit a-Vokalisation (ha, la, ḥa, ma etc.). Da im Amharischen einige Zeichen in der Aussprache zusammengefallen sind, werden sie sekundär differenziert nach ihrem Vorkommen in besonders charakteristischen Lexemen: እሳቱ ፡ ሰ ʼsatu sa »Feuer-s« versus nǝguśu śa ንጉሡ ፡ ሠ »Negus-s«.497 Isenberg meinte, die nicht-nordwestsemitischen Namen seien genuine Ableitungen auf -āwi bzw. verkürzt zu -āi (fem.: -āwit, -āut, -āt) von den Lautsilben, die sie repräsentieren.498 August Dillmann meint jedoch, es handle sich um Neuschöpfungen, gewissermaßen Lehnübersetzungen aus dem Arabischen.499 Theodor Nöldeke und Mark Lidzbarski gehen bei ihren Studien der semitischen Buchstabennamen auf die äthiopischen kaum ein.500 Mit der Entdeckung und Entzifferung der ›proto-sinaitischen‹ Inschriften rückte in der Schriftforschung das akrophonische Prinzip in den Vordergrund und damit eine Ableitung etwa des ነ von nahas »Schlange«. Ignace Gelb hatte sich skeptisch gegenüber der akrophonen Ableitung gezeigt. Mit dem Fund des Abecedariums von Ugarit kam man dann wieder mehr auf die altsüdarabische Tradition zu sprechen, die einfach den Laut nimmt und einen Vokal anfügt. Ein Hinweis in diese Richtung könnte die Art und Weise sein, wie heute die Laute differenziert werden, die im Amharischen zusammengefallen sind, nämlich gerade nicht mit Akrophonie, sondern einfach mit prominenten Wörtern, in denen der Laut vorkommt (übrigens nicht unbedingt am Wortanfang!). Gibt es nun eine alte Tradition oder nicht? Marcel Cohen meinte, die Tradition sei verloren gegangen.501 Dem hat vor allem Edward Ullmann widersprochen.502 Angesichts der ungebrochenen Tradition des Altäthiopischunterrichts sei dies undenkbar. Meines Erachtens spricht jedoch vor allem die Überlieferungsgeschichte für eine Neuschöpfung unter europäischem Einfluss.503
497 W. Leslau, Reference Grammar of Amharic, Wiesbaden 1995, 3. 498 C.W. Isenberg, Grammar of the Amharic Language, London 1842, 4f. 499 A. Dillmann, Ethiopic Grammar: Orthography and Phonology, Morphology and Syntax of the Ethiopic Language, herausgegeben von C. Bezold, übersetzt von J.A. Crichton, Amsterdam 1907, 17f. 500 Th. Nöldeke, Die semitischen Buchstabennamen, in: Th. Nöldeke, Beiräge zur semitischen Sprachwissenschaft, Straßburg 1904, 124–136; M. Lidzbarski, Die Namen der Alphabetbuchstaben, in: Ephemeris für semitische Epigraphik 2, 1907, 125–139. 501 M. Cohen, La Grande invention de l’écriture et son évolution, Paris 1958, 136. 502 E. Ullendorff, Studies in the Ethiopic Syllabary, in: Africa 2, 1951, (207–217) 212. 503 E. Mittwoch, Die traditionelle Aussprache des Äthiopischen, in: Mitteilungen des Seminars für orientalische Sprachen, 28, 1925, (126–248) 134; C. Conti Rossini, Lo ʿAwda Nagast: Scritto divinatorio etiopico, in: Rassegna di Studi Etiopici 1, 1941, (127–145) 137; E. Ullendorff, Studies in the Ethiopic Syllabary, in: Africa 2, 1951, (207–217) 212.
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Spezialzeichen.504 In magischem Kontext werden gerne sog. ›Geheimzeichen‹ verwendet, v.a. in ›Zauberrollen‹. Vermutlich gibt es einen Zusammenhang mit einer arabischen Geheimschrift, die bei den Kopten verwendet wird. Andererseits ist auf eine große Ähnlichkeit mit den sog. »caractères à lunettes« bei einem frühislamischen Autor namens Ibn Waḥšiyya hinzuweisen.505 Auffällig ist auch, welche Zeichen es nicht gibt. Für die äthiopische Schrift wurde kein Zeichen entwickelt zur Darstellung der Gemination, obwohl dieses in den äthiosemitischen Sprachen eine herausragende Rolle spielt. Von westlichen Wissenschaftlern werden hierfür manchmal zwei Punkte über den Buchstaben gesetzt. Diese Wissenschaftskonvention hat nun ihrerseits wieder auf die Verschriftlichung am Horn von Afrika zurückgewirkt: von den Irob in Tǝgray werden diese beiden Punkte im entsprechenden Sinn gebraucht, bei der Darstellung ihrer kuschitischen Sprache Irobǝñña (amharische Sprachbezeichnung!), einem SahoDialekt.506 An das Arabische angelehnt hat sich Johannes Kolmodin für das Tigrinische, und zwar durch ein Zeichen, das dem Arabischen šadda zur Kennzeichnung der Emphase nahe steht.507 Nur am Rande sei erwähnt, dass man in der Typographie teilweise ebenfalls westliche Vorbilder suchte, beispielsweise gibt es äthiopische Schriftfonts, die stilistisch an die Fraktur angelehnt sind. Buchstabenfolge. Neben der ›ererbten‹ Reihenfolge der äthiopischen Zeichen gibt es noch eine weitere, die sekundär zu sein scheint. Die beiden Gliederungsprinzipien des äthiopischen Syllabars werden als Hahu und Abugida bezeichnet. Hahu ist die Reihenfolge, die auch in der wissenschaftlichen Fachliteratur Verwendung findet, d.h. die Gliederungen nach »Ordnungen« hinsichtlich der Vokale und nach dem ursprünglich altsüdarabischen Alphabet. Dem gegenüber folgt das Abugida-System der Reihenfolge der Buchstaben im Hebräischen, also ʼaleph-beth-gimel.508 Die ›Ordnungen‹ sind dieselben, nur die Buchstabenfolge ist anders.
504 S.A. Frantsouzoff, in: S. Uhlig & A. Bausi (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica IV, Wiesbaden 2010, 580–585, s.v. »Script, Ethiopic«. 505 J. Hammer (Hrsg./Übers.), Ahmad Bin Abubekr Bin Hashih, Ancient Alphabets and Hieroglyphic Characters Explained [etc.], London 1806. 506 S.A. Frantsouzoff, in: S. Uhlig & A. Bausi (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica IV, Wiesbaden 2010, 580–585, s.v. »Script, Ethiopic«, bes. 584. 507 S.A. Frantsouzoff, in: S. Uhlig & A. Bausi (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica IV, Wiesbaden 2010, 580–585, s.v. »Script, Ethiopic«, bes. 584. 508 S. Chernetsov, in: S. Uhlig (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica I, Wiesbaden 2003, 55, s.v. »Abugida and Hahu«.
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4.6.2 Von der altäthiopischen Schrift zur modernen äthiopischen fidäl-Schrift Neben der Adaption der altsüdarabischen Schrift und anderen fremden Einflüssen, kam es in der äthiopischen Schriftgeschichte zu weiteren, sekundären Adaptionen.509 Als erste ist die Umformung der altäthiopischen Schrift zur Darstellung der amharischen Sprache zu nennen. Vorerst sind allerdings einige Bemerkungen zur linguistischen und historischen Verortung vonnöten.510 Amharisch ist heute die offizielle Sprache Äthiopiens, eines Vielvölkerstaates mit etwa 80 Sprachen, Muttersprache von fast 18 Millionen Menschen und für ca. 5 Millionen Zweitsprache, und daher von überregionaler Bedeutung. Das Zentrum des Sprachareals liegt bei Gojjam, Gondär, im westlichen Wollo und Shäwa, d.h. in Nordwest- und Zentraläthiopien.511 Bis ins 19. Jahrhundert ist Amhara nur als Toponym zu verstehen, nicht als ethnische Gruppe – bis unter Ḫaylä Śǝllasǝ identifizierten sich die Sprecher des Amharischen auf einer lokaleren Ebene und eher sozial, d.h. Amharisch war die Sprache des Hofes, der Soldaten und des orthodoxen Klerus und – davon ausgehend – dann auch die Sprache der gebildeten Städter.512 Letztlich war die italienische Besatzung 1935– 1941 einer der entscheidenden Punkte bei der Durchsetzung des Amharischen. Amharisch als Sprache der Könige.513 Ende des 13. Jh. gründete Yäkuno ʼAmlag (1270–1285) die Salomonische Dynastie durch den Sieg über die Zag we-Könige. Seit dieser Zeit ist Amharisch als lǝsanä nǝgus bekannt, als »Sprache der Könige«. Damit ist vor allem gemeint, dass es sich bei diesem Idiom um die orale lingua franca am äthiopischen Hof handelt.514 Dies ist vor allem auch eine Abgrenzung vom Gǝʿǝz, der lǝsanä ṣǝḥuf »Schriftsprache/Literatursprache«. Bereits im 13. Jhd. ist also von einer Diglossie-Situation auszugehen. Unter Zäraʼa Yaʿǝqob (1434–1468) verbreiteten die steuereintreibenden č̣ äwa-Truppen die Sprache im
509 Abraham Demoz, Amharic Script Reform Efforts, in: S. Segert & A.J.E. Bodrogligeti (Hrsg.), Ethiopian Studies: Dedicated to Wolf Leslau on the Occasion of his 75th Birthday November 14th 1981, Wiesbaden 1983, 393–411. 510 R. Meyer, The Role of Amharic as a National Language and an African lingua franca, in: S. Weninger (Hrsg.), The Semitic Languages: An International Handbook, Berlin & New York 2011, 1212–1219. 511 D.L. Appleyard, in: S. Uhlig et al. (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica I (A–C), Wiesbaden 2003, 232–238, s.v. »Amharic«. 512 S.B. Chernotsov, On the origins of the Amhara, in: St. Petersburg Journal of African Studies 1, 1993, 103–117. 513 D.L. Appleyard, in: S. Uhlig et al. (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica I (A–C), Wiesbaden 2003, 232–238, s.v. »Amharic«. 514 E. Ullendorf, The Ethiopians, Oxford 1960, 124.
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Land v.a. in Richtung Süden.515 Diese Verbreitung ist dann auch der Grund, weswegen die Jesuiten bei ihren Aktivitäten in Äthiopien Amharisch als Medium verwendeten. Mitte des 19. Jhd. verdrängte Amharisch das Gǝʿǝz dann auch als Schriftsprache: Tewodros II. (1855–1868) und später Mǝnilǝk II. (1889–1913) ordneten als erste an, dass die Königschroniken in Amharisch geschrieben würden.516 Trotzdem dauerte es noch sehr lange, bis sich das Idiom auch in der Ausbildung durchsetzte. Dass dies überhaupt geschah, ist wohl der politischen und v.a. militärischen Expansion ›Großäthiopiens‹ zu verdanken, die eine Administration in einer einzigen Sprache nach sich zog. Schließlich wurde das Amharische 1955 von Kaiser Ḫaylä Śǝllasǝ zur Nationalsprache erklärt, nachdem mit der Gründung einer Sprachakademie 1942 bereits der Erste Schritt in Richtung Standardisierung getan worden war. Dieser Schritt von de facto zu de jure ist als bewusste Entscheidung zur Nationenbildung zu verstehen und ging einher mit der Einrichtung von Druckereien und der Einführung von Schulen in Äthiopien. Bereits 1908 war die erste Zeitung Äthiopiens erschienen; die Printmedien waren bereits da fast alles amharisch und selten in Gǝʿǝz. Bis 1991 blieb Amharisch im Grunde die einzige Sprache der Grundschulen. Erst nach dem Sieg der nordäthiopischen Truppen von Sprechern nicht-amharischer äthiosemitischer Sprachen wurde dieser Vormachtstellung ein Ende bereitet, ein Primat, das auch zur Diskriminierung von Nicht-Amharisch-Sprechern geführt hatte. Vom Altäthiopischen zum Amharischen.517 Bei der Verschriftung des Amharischen werden alle 26 Grapheme des Altäthiopischen übernommen. Neu sind die Diakritika zur zusätzlichen Kennzeichnung palatalisierter Konsonanten (ein Strich über den entsprechenden alveolaren Buchstaben): ሰ → ሸ, ቀ → ቐ, ተ → ቸ, ነ → ኘ, ከ → ኸ, ዘ → ዠ, ዸ → ጀ, ገ → ጘ. Eine Ausnahme von dieser graphischen Konvention ist die Notation mit ›Kringelchen‹ bei ጠ → ጨ. Neu ist auch die Ableitung በ → ቨ, d.h. die Trennung des bilabialen Frikativs /v/ vom bilabialen Plosiv /b/. Das Graphem ቨ kommt ausschließlich in Fremdwörtern vor (ቪዛ visa, ሺይሩስ virus) – bei älteren Lehnwörtern mit /v/ wird 〈b〉 geschrieben (veranda – bärända). In den üblichen Darstellungen der amharischen Zeichen wird ቨ am Ende extra gestellt. Nach Ullendorff ist ein Manuskript aus 515 S.B. Chernotsov, On the origins of the Amhara, in: St. Petersburg Journal of African Studies 1, 1993, 103–117. 516 Bahru Zewde, The Changing fortunes of the Amharic language: lingua franca or instrument for dominion?, in: V. Böll, D. Nosnitsin, T. Rave, W. Smidt, E. Sokolinskaia (Hrsg.), Studia Aethiopica (Fs. S. Uhlig), Wiesbaden 2004, 304–318, bes. 309; R.L. Cooper, Government language policy, in: M.L. Bender et al. (Hrsg.), Languages in Ethiopia, Oxford 1976, (187–190) 190. 517 A. Amha, On loans and additions to the fidäl (ethiopic) writing system, in: A. de Voogt & I.L. Finkel (Hrsg.), The idea of writing, Leiden 2009, 179–196.
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dem 16. Jh. das älteste erhaltene Zeugnis für den Gebrauch dieser Diakritika.518 Das ganze Set der 229 amharischen Zeichen wird fidäl gäbäta genannt, »Buchstabentafel«. Zuerst werden die 33 Grundzeichen und ihre vokalischen Ableitungen in sieben Reihen abgebildet, wobei es natürlich die beiden im Äthiopischen gebräuchlichen Alphabetreihenfolgen gibt (Hahihu und Abugida). Nun folgt bei Hahihu das Graphem ቨ, das in der Abugida-Ordnung nicht vorkommt. Dann stehen 40 Grapheme, die komplexe Segmente darstellen, unterteilt in zwei Untergruppen: Zuerst werden die Buchstaben für die labialisierten velaren Frikative aufgeführt, die Bender als »defektiv« bezeichnet, da sie nicht mit dem o-Vokal vorkommen.519 Danach folgen 20 Zeichen für weitere labialierte Konsonanten (alle außer ዃ hwa coronal). Weitere Entwicklung des Schriftsystems.520 Nachdem das Amharische neu verschriftet war, wurde in modernster Zeit auch das Tigrinische zunehmend in äthiopischer Schrift dargestellt. Als Besonderheit ist hier vor allem die Darstellung der spirantisierten Konsonanten (ቐ q, und ኸ ḵ) zu nennen. Im Amharischen sind manche Laute zusammengefallen, die Graphien orientieren sich jedoch noch großteils an der traditionellen altäthiopischen ›Orthographie‹. Mǝnilǝk II. versuchte vergeblich, die amharische Schrift zu reformieren521 und auch andere Versuche scheiterten.522 Den jüngsten Versuch startete das Ethiopian Languages Research Center (Hrsg.), አማርኛ ፡ መዝገበ ፡ ቃላት Amarǝñña mäzgäbä qalat (»Amharisches Wörterbuch), Addis Abeba 1993 a.m. (= 2001 a.d.). Komplex wird die Situation u.a. auch dadurch, dass im Tigrinischen einige Laute unterschieden werden, die im Amharischen zusammengefallen sind. Hinzu kommen zunehmende Unterschiede zwischen dem äthiopischen und dem eriträischen Gebrauch: In Eriträa werden die Grapheme ሠ, ኀ und ፀ bei der Darstellung des Tigrinischen nicht mehr gebraucht, in Äthiopien dagegen durchaus. Dort ist wiederum das Zeichen ጸ weggefallen. Die Situation ist also nicht so verschieden von der europäischen: Man muss bereits vorher wissen, in 518 E. Ullendorff, Catalogue of Ethiopian Manuscripts in the Bodleian Library II, Oxford 1951, 19f. und 214, Nr. 79 (ms. Clarke Or. 39). 519 M.L. Bender, S.W. Head & R. Cowley, The Ethiopian writing system, in: M.L. Bender et al. (Hrsg.), Languages in Ethiopia, Oxford 1976, 120–129. 520 S.A. Frantsouzoff, in: S. Uhlig & A. Bausi (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica IV, Wiesbaden 2010, 580–585, s.v. »Script, Ethiopic«. 521 S.A. Frantsouzoff, in: S. Uhlig & A. Bausi (Hrsg.), Encyclopaedia Aethiopica IV, Wiesbaden 2010, 580–585, s.v. »Script, Ethiopic«, bes. 583. 522 W. Leslau, La réforme de l’alphabet éthiopien, in: Rassegna di Studi Etiopici 12, 1953 [1954], 96–106; R. Cowley, The Standardization of Amharic Spelling, in: Journal of Ethiopian Studies 5, 1967, 1–8.
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welcher Sprache und wo ein Text verfasst wurde, um ihn korrekt lesen zu können. Monumentale und Handschrift. Die äthiopische Schrift erhielt ihre definitiven Schriftform in der Spätantike, und zwar in der Regierungszeit des aksumitischen Königs Kaleb, einem Zeitgenossen Justinians. Wir sind hier in einer sehr kuriosen Situation, denn die Basis für diese Aussage sind die Monumentalinschriften jenes Königs, die in Südarabien gefunden wurden. Handschriften aus aksumitischer Zeit haben sich wahrscheinlich gar nicht erhalten. Trotzdem ist der Duktus der Schrift zur Zeit Kalebs eindeutig derjenige einer Handschrift. Zwar gibt es später selbstverständlich noch paläographische Unterschiede, im Großen und Ganzen bleiben die Buchstabenformen jedoch gleich.523 Auch die heutigen Schrifttypen sind eindeutig an den Manuskripten orientiert. Auf der anderen Seite wurde keine Kurrentschrift entwickelt, d.h. die Buchstabensetzung erfolgt bis heute wie bei einer monumentalen Steininschrift. Nun gibt es eine weitere Auffälligkeit, welche die Einmaligkeit der fast 2000 Jahre alten kontinuierlichen Schrifttradition in Äthiopien herausstreicht: Die traditionelle Strichsetzung. Gemeint ist damit die Art und Weise sowie die Reihenfolge, in welcher die einzelnen Striche aneinander gefügt werden, um die einzelnen Buchstaben zu zeichnen. Sie weicht zum Teil deutlich von dem ab, was man (als Europäer) vielleicht intuitiv erwarten würde. Diese Reihenfolge muss, wie bei der chinesischen Schrift, erlernt werden. Folgende Prinzipien nach J. Tropper kommen zum Einsatz:524 • • •
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Die Buchstaben sind fast alle aus mehreren, voneinander abgesetzten Einzelstrichen zusammengesetzt. Die Strichführung erfolgt prinzipiell von links oben nach rechts unten. Elemente, die im Druck eine kreishafte Form ausweisen (z.B. ቀ), bestehen handschriftlich aus zwei Halbkreisen bzw. zwei Bögen und einem geraden Strich. Elemente, die im Druck eine halbkreisähnliche Form aufweisen (z.B. በ), bestehen handschriftlich aus einem geraden senkrechten Strich (links) und einem (rechts) angefügten Bogen. Besonders auffällig sind die handschriftlich vergleichsweise komplexen, d.h. aus mehreren separaten Einzelstrichen zusammengesetzten Zeichenformen von መ, ወ, የ, ጰ, ፀ und ፈ.
523 S. Uhlig, Äthiopische Paläographie, Äthiopistische Forschungen 22, Stuttgart 1988 unterscheidet acht Stilperioden. 524 Nach J. Tropper, Altäthiopisch, Münster 2002, 11.
292 | Der Ursprung der libysch-berberischen Schrift
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Zur Differenzierung der Vokalordnung dienen hauptsächlich kurze Striche mit verdicktem, punkthaftem Ende bzw. Häkchen. Die Entsprechung im Druck hat dagegen die Form eines einfachen Punktes.
In seinem Lehrbuch des Altäthiopischen hat J. Tropper eine Tabelle zusammengefügt, die sich an der handschriftlichen Wiedergabe des Textes Śǝna fǝṭrat durch Getatchew Haile & Misrak Amare orientiert.525
525 Getatchew Haile & Misrak Amare, Beauty of Creation, Manchester 1991.
5 Streitpunkte An mehreren Stellen sind wir bislang an einem Punkt angelangt, an dem die Schwierigkeiten so groß wurden, dass auf eine gesonderte Behandlung verwiesen wurde. Diese sollen im Folgenden unter der Rubrik ›Streitpunkte‹ en détail diskutiert werden. Sie betreffen vor allem die Übergänge und damit verbundene Lücken in der Überlieferung, wie etwa im Falle des Altnubischen, das einzelne Zeichen der meroitischen Schrift übernahm, obwohl zwischen dem Ende der meroitischen Schriftkultur und dem Beginn der altnubischen vielleicht mehrere Jahrhunderte klaffen. Ist dieser Hiatus nun real oder lediglich der Forschungsgeschichte bzw. dem Fundzufall geschuldet? Hier kann nur eine nähere Beschreibung der Quellenlage, der Forschungssituation und der historischen Gegebenheiten Klarheit verschaffen. Das Ende der altägyptischen Schriftkultur ist ein weiteres, nur sehr schwer zu fassendes Thema. Viel diskutiert wurde die Frage, warum genau das ägyptische Schriftsystem, das trotz seiner großen Komplexität mehrere Jahrtausende beibehalten wurde, ausgerechnet zugunsten des griechischen Alphabets weichen musste, und das, obwohl es nicht an möglicherweise einfacher zu handhabenden Alternativen gemangelt hätte (Aramäisch, Altpersisch etc.). War die Schrift in der Ptolemäerzeit zu komplex geworden oder war schlicht und einfach die Christianisierung das auslös(ch)ende Moment? Ein weiterer Streitpunkt ist die lange vorherrschende Sichtweise zur ›sabäischen Kolonisation‹ Äthiopiens, die vor allem aufgrund neuester Funde in Tigray erst in allerjüngster Zeit ernsthaft in Frage gestellt wird. Konkret geht es hier darum, in welchem politischen und soziokulturellen Umfeld die südarabische Schrift von der arabischen Halbinsel auf den afrikanischen Kontinent wanderte. Geschah dies durch eine altsüdarabische Schicht, die Teile des äthiopischen Hochlandes einer Kolonie gleich beherrschte oder war es nicht vielmehr eine einheimische Elite, die sich an die prestigeträchtige altsüdarabische ›Hochkultur‹ anlehnte? Schließlich soll hier ein Problem behandelt werden, das bislang in der Forschung so gut wie gar nicht thematisiert wurde: Woher kam der Impetus für die Umbildung der altsüdarabischen Konsonantenschrift zur äthiopischen Silbenschrift? Spielt hier das griechische Alphabet mit seinen Vokalschreibungen hinein oder ist das Vorbild nicht viel eher bei den indischen Schriften oder noch besser in der meroitischen Silbenschrift zu suchen?
https://doi.org/10.1515/9783110680867-005
294 | Streitpunkte
5.1 Chronologische Fragen 5.1.1 Das Ende des Meroitischen und der Beginn des Altnubischen – ein Hiatus? Das altnubische Alphabet ist, wie wir gesehen haben, eine Adaption zweiten Grades des griechischen, d.h. die Weiterentwicklung eines koptischen Alphabets mit Hilfe mehrerer Sonderzeichen meroitischen Ursprungs.1 Mindestens zwei davon haben nicht nur eine sehr ähnliche Form wie im Meroitischen, sondern auch denselben Lautwert. Mit anderen Worten: Es muss zumindest eine kurze Zeit gegeben haben, in der sich die Kenntnisse der meroitischen Schrift und die Adaption des griechisch-koptischen Alphabets überlappten. Millet etwa meinte, dies müsse um 600 n. Chr. der Fall gewesen sein, doch ist dies nicht viel mehr als geraten. 2 Die Quellenlage zeichnet nämlich anderes Bild, das erheblichen Zweifel an einem Nebeneinander aufkommen lässt. Danach ist das Ende der meroitischen Schriftkultur etwa im 5. Jhd. anzusetzen, das Einsetzen der altnubischen jedoch erst im 8. Jhd. Diese Fundlücke von vielleicht mehreren hundert Jahren zwischen dem Ende des Meroitischen als Schriftsprache und dem Einsetzen des Altnubischen stellt eines der großen Probleme der Nubienkunde dar. Möglicherweise ist dies lediglich der Überlieferungszufall, d.h. aus jenen Jahrhunderten haben sich schlichtweg keine relevanten Quellen erhalten. Vielleicht ist jedoch auch nur die Forschungssituation verantwortlich zu machen – bekanntlich konzentriert sich die Forschung meist auf die ›Glanzzeiten‹ einer Kultur und behandelt erst in einem zweiten Schritt die ›Ränder‹. Drittens wär zu erwägen, ob die Ähnlichkeiten zwischen den Sonderzeichen im Altnubischen und den entsprechenden meroitischen Zeichen nicht doch Zufall sein könnten. Zunächst zur letztgenannten These. In der Tat sind die Gleichsetzungen zwischen den Zusatzzeichen und ihren möglichen meroitischen Vorbildern nicht ganz so evident, wie gerne behauptet wird. Immerhin scheint ein Fall ziemlich sicher zu sein, dass nämlich altnub. $ 〈ñ〉 /ɳ/ auf meroit. N 〈ñ〉 /ne/ zurückgeht. Die fast identische Zeichenform der Schlaufe geht einher mit demselben Lautwert. Weniger sicher ist, ob das altnubische Zeichen \ 〈w〉 /w/ wirklich auf das meroitische w 〈w〉 zurückgeht. Der Lautwert stimmt hier zwar über-
1 L. Török, The End of Meroe, in: D. Welsby (Hrsg.), Recent Research in Kushite History and Archaeology: Proceedings of the Eighth International Conference of Meroitic Studies, London 1999, 133–156, hier Anm. 167; F.Ll. Griffith, The Nubian Texts of the Christian Period, Berlin 1913, 71. 2 N.B. Millet, Writing and Literacy in the Ancient Sudan, in: Abdelgadir Mahmoud Abdalla (Hrsg.), Studies in Ancient Languages of the Sudan, Khartoum 1974, 49–58, hier: 54.
Chronologische Fragen | 295
ein, die Zeichenform jedoch nicht vollständig. Gewisse Unsicherheiten verbleiben auch bei dem altnubischen Buchstaben £ 〈j〉 /j/. Dieser ist am ehesten als Amalgamierung des koptischen Zeichens Ϭ /tʃ/ bzw. /dʃ/ mit dem meroitischen T 〈to〉 /tu/ zu werten, was phonologisch durchaus machbar erscheint (über [tw]~[tʃ] > 〈j〉 /tʃ/). Am unsichersten ist wohl die These, das altnubische µ 〈ṅ〉 /ŋ/ ginge auf das meroitische Zeichen h〈ḫ〉 zurück, da sie allein auf der Zeichenform basiert und die Lautwerte überhaupt nicht zueinander zu passen scheinen. Griffith hat denn auch bereits 1911 die Ähnlichkeit als Zufall abgetan. 3 Meinhof hingegen sah dies anders und postulierte aufgrund des Zeichenvergleiches, das meroitische Zeichen müsse für einen Nasal stehen.4 Auch Priese und Hintze dachten in diese Richtung, weswegen sogar die Transkription 〈g〉 für h erwogen wurde.5 Einen gänzlich anderen Ansatz vertritt Peust, nach dessen Meinung es sich beim altnubischen µ um ein griechisches Gamma handelt, an das ein diakritischer Strich angefügt wurden.6 Spannend ist in diesem Zusammenhang die Form der ›Alwa-Inschriften‹, denn sie könnte als Argument gegen Peusts These gewertet werden. Nebenbei erwähnt ist auch das ebenfalls dort dem meroitischen w viel näher als die Drucktype \ . Es vorkommende könnte ebenfalls ein Beispiel für eine griechisch-meroitische Amalgamierung sein, man denke an das griechische Ypsilon Ⲩ. Wie lässt sich dieser Befund nun interpretieren? Zunächst zeigt er uns, wie wenig wir immer noch über die Phonologie des Meroitischen wissen bzw. wie unsicher sie fundiert ist. Zum zweiten demonstriert er, dass die Gefahr eines Zirkelschlusses groß ist: Die Lautwerte des Meroitischen wurden nämlich zumindest auch aufgrund des Schriftzeichenvergleiches erhoben. Und schließlich muss vielleicht doch mit unkonventionelleren Lösungsansätzen gearbeitet werden, etwa mit dem Konzept der ›Schriftzeichen-Amalgamierung‹. Gleichzeitig wird deutlich, wie gefährlich es ist, mit Drucktypen zu arbeiten, da diese den Befund verfälschen. So hätte Peust wohl kaum seine These von einem diakritisch abgewandelten Gamma aufgestellt, hätte er die ›Alwa-Inschriften‹ mit berücksichtigt. Alles in allem scheinen die Anlehnungen zu groß zu sein, um als Zufall abgetan werden zu können. Zumindest zwei der Vergleiche sind wohl letztlich als sehr belastbar einzustufen, da hier Form und Lautwert mehr oder weniger übereinstimmen:
3 F.Ll. Griffith, The Meroitic Inscriptions of Shablûl and Karanòg, Philadelphia 1911, 15. 4 C. Meinhof, Die Sprache von Meroe, in: Zeitschrift für Eingeborenensprachen 12, 1921–22, (1– 16) 2. 5 K.-H. Priese, Zur Entstehung der meroitischen Schrift, in: Meroitica 1, 1973, (273–306) 288 und F. Hintze, Meroitisch und Nubisch: eine vergleichende Studie, in: Beiträge zur Sudanforschung 4, 1989, 95–106. 6 C. Peust, Das Napatanische, Göttingen 1999, 78, Anm. 58.
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$ 〈ñ〉 /ɳ/ \ 〈w〉 /w/
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