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German Pages 407 [408] Year 2019
Sage' n i c h t : I c h b i n z u j u n g ... 100 Jahre Mission der Bayerischen Kap bei den Araukaner-Indianern in Chile
Schriften der Universitätsbibliothek Eichstätt Band 32
Herausgegeben von Hermann Holzbauer
Sage nicht: Ich bin zu jung ... 100 Jahre Mission der Bayerischen Kapuziner bei den Araukaner-Indianern in Chile
Dokumentation und Katalog
Herausgegeben von
Hermann Holzbauer
1996
Sage nicht: Ich bin zu j u n g 100 J a h r e M i s s i o n der B a y e r i s c h e n K a p u z i n e r b e i d e n A r a u k a n e r - I n d i a n e r n in Chile Ausstellung der Universitätsbibliothek Eichstätt gefordert von der Diözese Eichstätt und der Katholischen Universität Eichstätt Konzeption der Ausstellung:
Karl-Heinrich Birzele unter Mitarbeit von Klaus Pfeffer
Katalogredaktion (R):
Hermann Holzbauer
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme S a g e nicht: Ich bin zu j u n g . . . : 100 Jahre Mission der Bayerischen Kapuziner bei den Araukaner-Indianern in Chile ; Dokumentation und Katalog ; [Ausstellung der Universitätsbibliothek Eichstätt] / hrsg. von Hermann Holzbauer. - Frankfurt (Main) : Vervuert, 1996 (Schriften der Universitätsbibliothek Eichstätt ; Bd. 32) ISBN 3-89354-087-3 NE: Holzbauer, Hermann [Hrsg.]; Universitätsbibliothek < E i c h s t ä t t > : Schriften der Universitätsbibliothek . . . ©Universitätsbibliothek Eichstätt ISSN 0724-6579 In Kommission: Vervuert Verlag, Frankfurt am Main Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Bernhard Ludwig Printed in Germany
Noli dicere : Puer sum quoniam ad omnia, quae mittam te, ibis: et universa, quaecumque mandavero tibi, loqueris. Sage nicht : Ich bin zu jung; gehen sollst du, wohin immer ich dich sende, was immer ich dir auftrage, das sollst du reden. [Jeremias 1,7]
Den hochverdienten Missionaren der Araukanie den Priestern Brüdern und Ordensschwestern in Dankbarkeit
Machi (Heilerin) ruft mit Kultrung (Trommel) zum Ngillatun-Fest [Abb. 1]
Bischof Guido Beck unterrichtet einen Indianerknaben (ca. 1930) [Abb. 2]
Inhaltsverzeichnis Vorwort
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Dank der Universitätsbibliothek Eichstätt
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H e l m u t Schindler
Algo Entendieron Zur Religiosität der Mapuche-Indianer
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Othmar Noggler
450 Jahre Araukanermission 100 Jahre Missionsarbeit der Bayerischen Kapuziner
69
Creszentia Riedl
P. Ludwig Bertrand Riedl Lebensbild eines Missionars
107
Ludwig Bertrand Riedl
Bemerkungen in meinem Tagebuch
143
Ludwig Bertrand Riedl
Missionär ohne Ruhestand P. Barnabas (Anton) Gutknecht
165
9
Barnabas Gutknecht
Mein Weg zum Priestertum
175
Die Mission Pucura
223
Mein erster Bau: Schwesternhaus, Schulhaus und Kapelle in Calafquén
253
Die neue Missionsschule in Culän
273
Das Tollhaus des Don José
307
Helga König
Literaturauswahl
321
Karl-Heinrich Birzele
unter Mitarbeit von Klaus Pfeffer
Katalog
347
Verzeichnis der Abbildungen
381
Abbildungsnachweis
383
Abbildungen
385
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Vorwort „An der Westküste Südamerikas liegt langgestreckt vom 18.-56. Grade südlicher Breite ein vom lieben Gott besonders bevorzugtes Land: Chile. Sein Haupt ist vom ewigen Schnee der Cordillere bedeckt; sein Fuß von den Wogen des Stillen Oceans bespült; sein Herz birgt reiche Schätze von edlem Gold und Silber, von Kupfer und Eisenerzen . . . . Kein wildes Tier, kein giftiges Insekt, kein fieberhauchendes Klima bedroht das Leben seiner Bewohner. Der fruchtbare Boden, in der Mitte künstlich bewässert, im Süden von häufigen Regengüssen befeuchtet, bringt alle Arten von Früchten hervor, welche mit Leichtigkeit seine Bewohner ernähren . . . . In dieses schöne Land, von der göttlichen Vorsehung reich gesegnet, kamen zu Beginn des Jahres 1896 bayerische Kapuziner, Missionäre, um unter den araucanischen Indianern tätig zu sein . . . " So begann vor über 75 Jahren der erste Apostolische Präfekt der Araukanie aus der Bayerischen Kapuzinerprovinz, Pater Burchard Englert von Röttingen, der wenig später völlig erblinden sollte, seinen Bericht über die „Fünfundzwanzigjährige Missionstätigkeit der Bayerischen Kapuzinermissionäre in der Araukanischen Mission Chiles". 1 Die Universitätsbibliothek Eichstätt, die von der Provinz der Bayerischen Kapuziner viele Wohltaten erfahren hat und immer noch erfährt und sich auch des Besitzes der Teilnachlässe von zwei bedeutenden Missionaren, der Patres Sebastian Englert und Ludwig Bertrand Riedl, freuen, darf, möchte mit der Ausstellung „100 Jahre Mission der Bayerischen Kapuziner bei den Araukaner-Indianern in Chile" und mit vorliegendem Katalog, der Arbeiten über Araukaner und Araukaner-Mission, über Araukaner-Missionare sowie Schriften dieser Missionare als Zeitzeugnis dieser bewegten 100 Jahre enthält, einen Beitrag zur 100. Wiederkehr des Jahres leisten, in dem vier Kapuziner der Bayerischen Provinz, Pater Anselm Beyerau von Camin (18481901), Pater Dr. med. Felix Joseph Kathan von Augsburg (1860-1935), Pater T h a d d ä u s Franz von Wiesent (1858-1926) und Bruder Servulus 1 Burchard Englert: Fünfundzwanzig Jahre Missionstätigkeit der Bayerischen Kapuzinermissionäre in der Araukanischen Mission Chiles 18961921. S. 1 - 2 (Handschriftliches Manuskript im Provinzarchiv der Bayerischen Kapuziner, München)
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Eding von Gottmannshofen (1861-1933) am 4. Januar 1896 im Hafen von Corral erstmals den Boden des ihnen zugewiesenen Missionsgebietes, der Araukanie, betraten. Noch weitere 139 Kapuziner sollten ihnen in weiteren 100 Jahren getreu dem Wort des Herrn an den Propheten Jeremias folgen: „Sage nicht: Ich bin zu jung; gehen sollst du, wohin immer ich dich sende, was immer ich dir auftrage, das sollst du reden"! 2 Die Universitätsbibliothek möchte an erster Stelle den Persönlichkeiten danken, deren Wirken sie in Katalog und Ausstellung darzustellen versuchte, den hochverdienten Missionaren der Araukanie, den Priestern, Brüdern und Ordensschwestern. Sie sind ausgezogen in ein unbekanntes, weit entferntes Land zu einem fremden Volk, den Araukaner-Indianern, haben Wunden geheilt, die Rechte der Armen verteidigt, Kirchen, Schulen, Arbeitersiedlungen gebaut, Hunger gestillt, die Mädchen in Hauswirtschaft unterrichtet, den Knaben ein Handwerk gelehrt, den jungen, klugen Köpfen Wissen und Bildung vermittelt, den Indianern das Evangelium gebracht und es ihnen auch vorgelebt . . . . Ferner gilt der Dank der Universitätsbibliothek dem ehemaligen Missionssekretär der Bayerischen Kapuzinerprovinz, P. Raphael Kobler OFMCap., Unterwössen, und der Ehrwürdigen Frau Maria Eustochium Englert OSB, Abtei Frauenwörth auf Frauenchiemsee. Sie waren es gewesen, welche die Bemühungen der Universitätsbibliothek um die Erhellung der Missionsgeschichte der Araukanie und der Osterinsel, die dem Apostolischen Vikariat der Araukanie 1937 als Missionsgebiet zugewiesen wurde, entscheidend förderten. Während der Vorbereitungszeit von Katalog und Ausstellung durfte die Universitätsbibliothek vielfältige Hilfe erfahren. Aus der Reihe der Institutionen und Persönlichkeiten, die der Universitätsbibliothek stets freundlich, hilfsbereit und selbstlos zur Seite standen - sie sind in diesem Katalog anschließend aufgeführt - sei es gestattet, einigen Persönlichkeiten in besonderem Maße zu danken. Die Hochwürdigen Domkapitulare Alois Brandl und Professor Dr. Bernhard Mayer, sowie Herr Kanzler Manfred Hartl schufen für Ausstellung und Katalog die materiellen Voraussetzungen. Der Archivar und Bibliothekar der Bayerischen Kapuzinerprovinz, P. Ludwig Wörle, München, und P. Dr. Alfons Sprinkart, Altötting, sowie der Hochwürdigste Herr Bischof Sixtus Parzinger im fernen Villarrica halfen uns, wo immer sie 2 Jeremias 1,7 12
nur konnten. Getreu ihrem Leitspruch „Bis dat qui cito dat" erwiesen sie sich gegenüber der oft unruhigen Katalogredaktion als „überaus reaktionsschnelle" Fax- und geduldige Telefonpartner - den ganzen Tag, die halbe Nacht. Großer Dank gebührt auch dem Staatlichen Museum für Völkerkunde in München, dessen Direktor, Herrn Professor Dr. Walter Raunig, und Abteilungsleiter für Lateinamerika, Herrn Dr. Helmut Schindler, für die Bereitstellung wertvoller Leihgaben und die fachwissenschaftliche Unterstützung bei ethnologischen Problemen. P. Dr. Othmar Noggler, München, beriet uns in missionsgeschichtlichen und missionstheologischen Fragen. Dank in hohem Maße sei ferner Frau Gymnasialprofessorin Creszentia Riedl, Eichstätt, für ihr großes, tatkräftiges Engagement an Ausstellung und Katalog zugesprochen: inmitten so mancher stilistischen Wirrnis sah sie die klare Linie von „Anmut und Würde". Dank möchte die Universitätsbibliothek auch ihren Mitarbeiterinnen abstatten: Herrn Dr. Karl-Heinrich Birzele für die Konzeption und Realisation der Ausstellung und Herrn Klaus Pfeffer für dessen tatkräftige Mithilfe, sowie Frau Petra Schießler und Frau Inge Stark für die sorgfältige und umsichtige Gestaltung von Layout und Satz. „ E s ist wahr", so schließt P. Burchard Englert seine 1921 niedergeschriebene Missionschronik, „nicht alles Unkraut konnte in den 25 Jahren der bayerischen Missionstätigkeit ausgerottet werden, nicht das ganze Gebiet der Araukanie in ein fruchtbares Ackerfeld, in einen mit Tugenden geschmückten Garten Gottes umgewandelt werden. Aber wie stünde es jetzt - menschlich gesprochen - in diesem Gebiete ohne die 25jährige aufopfernde Tätigkeit der Missionäre?" 3 Anläßlich der Vollendung von 100 Jahren Missionstätigkeit der Bayerischen Kapuziner bei den Araukaner-Indianern in Chile versuchen Ausstellung und Katalog eine Antwort auf die bereits vor 75 Jahren gestellte Frage zu geben. Eichstätt, am 21. Mai 1996, den 95. Todestag des bei einem Versehritt im Quepe-Fluß ertrunkenen P. Anselm Beyerau von Camin O F M C a p . Hermann Holzbauer Direktor der Universitätsbibliothek 3 vgl. Englert [Anm. 1] S. 1164
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Die Universitätsbibliothek Eichstätt dankt den Förderern Domkapitular Alois Brandl Leiter der Hauptabteilung VI im Bischöflichen Ordinariat Eichstätt Kanzler Manfred Hartl Katholische Universität Eichstätt Domkapitular Professor Dr. Bernhard Mayer Leiter des Referates Weltkirche im Bischöflichen Ordinariat Eichstätt
den Autoren Birzele, Karl-Heinrich Dr. phil., Bibliotheksoberrat an der Universitätsbibliothek Eichstätt, Fachreferent für Theologie, Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte, Leiter der Teilbibliothek I in Eichstätt und der Religionspädagogischen Zweigbibliothek in München. Eichstätt Gutknecht, Barnabas O F M C a p . ( f l 9 8 7 ) Priesterweihe in Eichstätt 1932, Seelsorger in den Konventen Eichstätt - Dillingen - Erding - Dillingen. Ab 1937 Missionar in der Araukanie (Chile), u.a. in den Missionsstationen Villarrica, Panguipulli, Cunco und Padre Las Casas. Träger des Ordens „AI Merito Clase Primera de Bernardo 0 ' Higgins".
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König, Helga
Bibliotheksamtsrätin an der Universitätsbibliothek Eichstätt und Leiterin mehrerer bibliothekarischer Erschließungsprojekte. Eichstätt Noggler, Othmar OFMCap.
Dr. theol., Priesterweihe in Eichstätt 1963. Dozent im Fachhochschulbereich Sozialpädagogik der Katholischen Universität Eichstätt; Theologischer Direktor von MISSIO, Internationales Katholisches Missionswerk München. Vorsitzender des Ökumenischen Ausschusses für Indianer-Fragen. Befaßte sich in mehreren Arbeiten mit Indianer-Mission und dem Problemkreis Kirche und Dritte Welt. München Pfeffer, Klaus
Dipl. Theologe, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universitätsbibliothek Eichstätt. Eichstätt Riedl, Creszentia
Gymnasialprofessorin i.R. für die Fachgebiete Deutsch, Französisch und Geschichte am Gabrieli-Gymnasium Eichstätt. Eichstätt R i e d l , L u d w i g B e r t r a n d O F M C a p . (f 1994)
Priesterweihe in Eichstätt 1934. Ab 1937 Missionar in der Araukanie (Chile). 1937-1939 Kaplan in Vilcün; 1939-1950 Pfarrer in Puerto Saavedra; 1950-1983 Rektor des Seminars in San José de la Mariquina; 1958-1983 Lehrbeauftragter, später Professor an der Universidad Austral in Valdivia; 1972-1981 Regularoberer (Superior Regularis) der Araukanie; 1983-1985 Pfarrer in Panguipulli; 1985-1992 Pfarrer in Hangaroa (Osterinsel); 1992-1994 Seelsorger in Valdivia. Träger des Ordens Bernardo 0 ' Higgins (Gran Estrella de Piata! con Laurei de Oro en grado de Comendador)
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Schindler, H e l m u t Dr. phil., Leiter der Abteilung Lateinamerika am Staatlichen Museum für Völkerkunde in München. Befaßte sich in mehreren Arbeiten mit den Mapuche-Indianern, bei denen er ab 1980 wiederholt Feldforschungen durchgeführt hat. München (H.S.)
den Leihgebern Altötting Kapuzinerkonvent St. Konrad Pater Dr. Alfons Sprinkart, O F M C a p . , Provinzbibliothekar Konvent der Schwestern vom Heiligen Kreuz Oberin Sr. M. Bianca Zarembowicz Aschaffenburg Kapuzinerkonvent P. Hadrian Lücke, O F M C a p . Eichstätt Kapuzinerkonvent P. Rigobert Buchschachner, O F M C a p . Gymnasialprofessorin i.R. Creszentia Riedl Gengenbach Konvent der Franziskanerinnen vom Göttlichen Herzen Jesu Generaloberin Sr. M. Gebharda Frank Sr. Sixta Zapf München Provinzialat der Bayerischen Kapuziner Provinzial P. Werner Labus, O F M C a p .
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Kapuzinerkonvent St. Anton P. Karl Kleiner, OFMCap. Staatliches Museum für Völkerkunde Direktor Professor Dr. Walter Raunig
den D a m e n und Herren für ihren Beitrag zu Ausstellung und Katalog Altötting Kapuzinerkonvent St. Konrad P. Dr. Alfons Sprinkart, OFMCap. Provinzbibliothekar Augsburg Gymnasium bei St. Stephan Oberstudiendirektor P. Dr. Egino Weidenhiller OSB Frau Anneliese Leyrer Frau Christine Stegmüller Burghausen Kurfürst-Maximilian-Gymnasium Oberstudiendirektor Wolfgang Gutfleisch Frau Ina Reiter Stadtarchiv Burghausen Frau Ulla Kendlinger Coburg K apuziner konvent Fr. Totnan Fath, OFMCap. Donauwörth e+r-Repro-GmbH
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Eichstätt
Diözesanarchiv Diözesanarchivar Brun Appel Dr. Bruno Lengenfelder Kapuzinerkonvent Fr. Jürgen Maria Böhm, OFMCap. P. Florian Mayerle, OFMCap. Katholische Universität Eichstätt Professor Dr. Karl Kohut Präsident Professor Dr. Ruprecht Wimmer Bernhard Ludwig, Funk-Druck Gymnasialprofessorin i.R. Creszentia Riedl Universitätsrechenzentrum Leiter Dr. Wolfgang A. Slaby Frankfurt a m M a i n
Irene Hilgemann, Vervuert-Verlag Klaus Dieter Vervuert, Vervuert-Verlag Andrea Ziemer, Vervuert-Verlag H é s i n g u e (Frankreich)
Katholisches Pfarramt St. Laurentius Pfarrer Léon Muller Langenpettenbach
Katholisches Pfarramt Pfarrer Bernhard Koch Markt Schierling
Gemeindeverwaltung München
Diözesanarchiv Frau Manuela Kirschner
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Kreszentia-Stift Sr. Maria Seraphine Höß P. Dr. Othmar Noggler, OFMCap. Theologischer Direktor von MISSIO München Provinzialat der Bayerischen Franziskaner P. Dr. Winthir Rauch, OFM Provinzialat der Bayerischen Kapuziner P. Justin Rinck, OFMCap., Provinzökonom P. Ludwig Worte, OFMCap., Provinzarchivar Staatliches Museum für Völkerkunde Dr. Helmut Schindler Leiter des Referats Lateinamerika Stadtarchiv Dr. Manfred Heimers Panguipulli (Chile)
Katholisches Pfarramt Pfarrer P. Juan Gerardo Bauer, OFMCap. Pfreimd
Stadtverwaltung Santiago de Chile
Biblioteca National de Chile Señor Justo Alarcón R. Seminario Pontificio P. Jorge José Falch Frey Villarrica
Vicariato Apostolica de la Araucania (Obispado Villarrica) Apostolischer Vikar (Bischof) der Araukanie Monseñor Sixtus Parzinger, OFMCap. Fr. Onuphrius Reichart, OFMCap.
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den Mitarbeiterinnen von Universitätsbibliothek und Universitätsverwaltung Layout und Satz:
Petra Schießler Inge Stark
Mitarbeit am Satz:
Elfriede Linz
Bildvorlagen:
Ignaz Osiander
sowie den Damen und Herren: Carola Bauch Anton Bauer Joachim Bauer Aloisius Bauernfeind Konrad Bauernfeind Dr. Karl-Heinrich Birzele Johanna Burzler Goswin Decker
Bernhard Geyer Ludwig Geyer Willi Helmchen Konrad Koderer Dr. Klaus Walter Littger Martha Neumayr Klaus Pfeffer Franz Xaver Winkler
ALGO ENTENDIERON ZUR RELIGIOSITÄT DER MAPUCHE-INDIANER* Helmut Schindler Die Mapuche von 1500 bis 1970: geschichtlicher Abriß Die Mapuche oder Araukaner besiedelten vor der Ankunft der Europäer fast ganz Mittelchile. Ihr Wohngebiet reichte von der Insel Chiloe im Süden bis etwa zum Fluß Choapa nördlich der heutigen Hauptstadt Santiago de Chile. Die heute gängige Bezeichnung ,Mapuche' (sprich: Maputsche) bedeutet ,Menschen der Erde'. Ein anderer Name für diese Ethnie lautet ,Araukaner'. In Schriften der Kolonialzeit ist von diesem Volk häufig als ,naturales de chile' oder ¿ndios de chile' die Rede, also von den Indianern Chiles. Sie selbst sprachen damals von sich als ,reche', als ,wahre Menschen'. Darüberhinaus gibt es noch etwa ein Dutzend Bezeichnungen für Lokalgruppen, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Die Geschichte dieses Volkes während der letzten 500 Jahre war äußerst bewegt. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts unterwarfen die Inka alle nördlichen Gruppen bis etwa in die Gegend von Santiago de Chile. Im Jahre 1541 setzte die spanische Eroberung unter Pedro de Valdivia ein. Die Weißen strebten danach, sich so rasch wie möglich mit Edelmetallen, Grundbesitz und billigen Arbeitskräften zu versorgen, weshalb sie die Indianer zur Zwangsarbeit anhielten. Ein Teil der Mapuche konnte unterjocht werden, doch viele leisteten von Anfang an Widerstand. Ein wesentlicher Grund für die militärische Überlegenheit der Weißen lag in deren Besitz von Pferden. Deshalb bemächtigten sich die Mapuche so bald als möglich dieser Reittiere, und zwar als eine der ersten Ethnien Amerikas. Bereits um 1580 waren sie besser mit Pferden versorgt als die Weißen. Als am * Mein Dank gilt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die meine Studien zur Kultur und Geschichte der Mapuche wiederholt unterstützt hat.
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23. Dezember 1598 der Gouverneur Oiiez de Loyola von den Indianern getötet wurde, war dies der Auftakt für einen allgemeinen Freiheitskampf. Mehrere spanische Städte wurden zerstört, und der Rio Biobio wurde zum Grenzfluß zwischen den spanischen Besitzungen im Norden und dem befreiten Gebiet im Süden. Durch diesen Freiheitskampf aufgeschreckt, erlaubte der spanische König im Jahre 1608, im Kriege gefangene Mapuche zu versklaven. Daher unternahmen die Spanier in den folgenden Jahrzehnten immer wieder Menschenjagden in die Region südlich des Rio Biobio, die von den Mapuche mit Gegenschlägen beantwortet wurden. Als die spanische Krone 1683 den Sklavenfang wieder verbot, leitete sie damit eine Epoche relativen Friedens in Chile ein, die trotz gelegentlicher Übergriffe auf der einen und der anderen Seite nur selten ernsthaft gefährdet war. Im Sommer 1 7 2 3 / 2 4 und in den Jahren 1766 bis 1770 fanden allerdings größere Kämpfe statt, verursacht von den Spaniern, die mit Zwang einseitige Maßnahmen durchzusetzen versuchten. Um 1766 z.B. sollten die Indianer in Dörfern angesiedelt werden, was ihrem Lebensstil völlig widersprach. Ansonsten jedoch herrschte ein reger Tauschhandel zwischen Indianern und Weißen und alle paar Jahre fanden Zusammenkünfte auf höchster Ebene statt, sogenannte ,Parlamente'. Dabei trafen sich die spanischen Autoritäten mit den Häuptlingen, und unter großem Gepränge wurden wortreiche Verträge abgeschlossen. Schon früh übernahmen die Mapuche außer Pferden auch anderes Vieh, wie Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine und Hühner. Schafe lösten die Lamas als Opfertiere sowie als Woll- und Fleischlieferanten ab. Die Araukaner bauten bald auch eine Reihe europäischer Nutzpflanzen an, so z.B. Weizen und Gerste. Kaum ein anderes Indianervolk hat in historischer Zeit seinen Siedlungsraum so weit ausgedehnt wie die Mapuche, und zwar nach Osten zu, in die Pampa des heutigen Argentinien. Unter Pampa wird hier die gesamte Ebene verstanden, die vom
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Fuß der Anden bis zum Rio de la Plata reicht. Bereits im 17. Jahrhundert zogen Mapuchegruppen über die Anden, um dort unter anderem verwilderten Rindern und Pferden nachzustellen. An den Ufern salzhaltiger Gewässer der Ost-Anden und der Pampa bauten die Indianer das damals so wertvolle Mineral ab. Während des 18. Jahrhunderts setzten sich immer mehr Abteilungen chilenischer Indianer östlich der Anden fest. Die Bevölkerung dieser Regionen wurde zunehmend araukanisiert. Unter ,Araukanisation' versteht man nicht nur das Vordringen der Mapuche selbst, sondern auch die Verbreitung araukanischer Kulturelemente. Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts war die Mapuchesprache in der Pampa Verkehrssprache. Die Mapuche selbst übernahmen in der Pampa auch Kulturgüter der dortigen Jägerbevölkerung, so z.B. das Toldo, ein Lederzelt, da die in Chile für den Bau von Häusern benützten Pflanzen nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung standen. Im 19. Jahrhundert dominierten die araukanischen Einwanderer in der gesamten Pampa. Da sich das Gebiet gut für Viehzucht eignet, spielte diese unter den dortigen Mapuche eine wichtigere Rolle als in Chile. Große Bedeutung kam selbstverständlich auch der Jagd zu. In bescheidenem Ausmaß wurde sogar Bodenbau betrieben. Ebenso wie die Spanier und Portugiesen in der Neuen Welt haben sich die Mapuche im Laufe der letzten Jahrhunderte immer wieder mit Mitgliedern anderer Völker vermischt. Für die hochmütigen Weißen war es nicht nur ein Skandal, sondern fast eine Umkehr der göttlichen Ordnung, daß die Mapuche bei ihren Uberfällen Frauen raubten. Vor allem im 19. Jahrhundert entwickelte sich dieses Thema zu einem beliebten Sujet in der Malerei und der Literatur. Sofern die Frauen nicht bald wieder zurückgekauft werden konnten, wurden sie in den meisten Fällen von den polygynen Häuptlingen in die Zahl ihrer Ehefrauen aufgenommen. Doch auch Händler, Handwerker und vom Gesetz Verfolgte haben sich im Lauf der Jahrhunderte immer "wieder den Mapuche angeschlossen und sich unter ihnen verheiratet.
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Sowohl in Chile als auch in Argentinien haben sich Negersklaven zu den Mapuche geflüchtet. Die Verbindung mit Personen aus der Alten Welt hat wahrscheinlich dazu beigetragen, daß deren Nachkommen weniger anfällig für die von den Europäern eingeschleppten Krankheiten waren, die unter sämtlichen Indianervölkern immer wieder zu verheerenden Verlusten führten. Während der Kolonialzeit sind Epidemien in Chile für die Jahre 1561,1573,1590,1595,1614,1617,1645,1647,1654,1670,1693, 1720, 1740, 1758, 1765, 1787, 1793, 1799, 1801 belegt. Mit Angehörigen anderer indianischen Ethnien haben sich die Mapuche ebenfalls vermischt, so z.B. mit Mitgliedern der Jägerbevölkerung der Pampa wie auch Patagoniens. Aus den Zentralanden wurden Indianer als Soldaten in das Grenzgebiet nördlich des Rio Biobio gesandt, von denen ein Teil zu den Mapuche desertierte. 1810 begannen in Südamerika die Befreiungskämpfe. Die politischen Wirren dieser Jahre führten in Chile und Argentinien zu einer Schwächung bzw. zum Verschwinden der Grenzposten. In den Unabhängigkeitskriegen Chiles versuchten sowohl die königlichen Truppen als auch die Befreiungskämpfer einzelne Mapuchegruppen durch die Aussicht auf Beute für ihre Seite zu gewinnen. Als die Royalisten besiegt waren, setzten sich aus Weißen und Indianern zusammengewürfelte Räubergruppen in den östlichen Andentälern bzw. in der Westpampa fest. Diese Banden führten ihre Überfälle sowohl auf chilenisches Territorium durch als auch auf die Grenzgebiete von Argentinien. Nachdem diese Banden besiegt waren, verliefen die nächsten Jahrzehnte in Chile wieder ohne nennenswerte Zwischenfälle an der Grenze. Die Mapuche verkauften so viele Rinder, daß in den grenznahen Orten Münzgeld zu fehlen begann, das die Indianer zum Teil zu Silberschmuck verarbeiteten. Seit 1820 versuchten argentinische Truppen, die fruchtbarsten Gebiete der Ostpampa zu erobern. Im Jahre 1833 fand unter der Leitung des späteren Diktators J.M. Rosas ein großangeleg-
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ter Feldzug gegen die Indianer der Pampa und des nördlichen Patagoniens statt. Dabei wurden die für Viehzucht und Bodenbau günstigsten Landstriche für die Weißen gesichert. Danach hielt Rosas durch regelmäßige Lieferungen von Vieh und Waren an die Häuptlinge die Indianer von größeren Uberfällen ab. Seit dem Ende der Kolonialzeit hatten sich mehr und mehr Weiße südlich des Grenzflusses Biobio im Mapuchegebiet niedergelassen. Auch weiter im Süden gewannen.die Weißen zunehmend an Boden. Ende des 18. Jahrhunderts war die Stadt Osorno wiedergegründet worden. Im Jahre 1846 begann in Valdivia die Einwanderung von Deutschsprachigen. Ende 1862 rückte das chilenische Heer unter General C. Saavedra über den Biobio vor und errichtete in Angol ein Fort. Im Jahre 1867 besetzten Soldaten das Gebiet bis zum Rio Malleco. Die Siedlung Angol, fünf Jahre lang ein Vorposten, konnte in die neue Grenzlinie einbezogen werden. Von neugegründeten Forts aus wurde ein Krieg der verbrannten Erde gegen die Mapuche geführt. Wie im 17. Jahrhundert wurden wieder Frauen und Kinder gefangen genommen, das Vieh fortgetrieben, Häuser und Felder in Brand gesteckt. Im Winter 1869 brach erneut eine Epidemie aus; Kälte, Hunger und die Pocken forderten einen hohen Zoll an Menschenleben. Im Jahre 1878 rückte das Heer weiter vor, und am 1. Januar 1883 war dann die Eroberung des chilenischen Mapuchegebiets abgeschlossen. In Argentinien wurde ab 1862 die Grenze durch das Militär immer weiter nach Westen vorgeschoben und die Zahl der Forts zunehmend verstärkt. Im Jahre 1879 eroberten die argentinischen Truppen die gesamte Pampa. Ein Teil der Indianer floh nach Chile zurück. Am 1. Januar 1885 ergab sich als letzter der Häuptlinge Shaiweke mit 700 Männern und 2.500 Frauen und Kindern in Junin de los Andes. Nach der Eroberung des chilenischen Mapuchegebiets im vorigen Jahrhundert förderte die Regierung erneut die Einwanderung aus Europa. Etwa neun Zehntel der Ländereien der In-
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dianer gingen in die Hände von Weißen über, vor allem die für den Bodenbau günstigeren Regionen. Dörfer und Städte wurden gegründet, der Bau von Straßen und Eisenbahnen wurde vorangetrieben. Der Staat berief die Mapuche zum Militärdienst ein und unterstützte die Einrichtung von Missionen und Schulen. Die meisten Mapuche wurden zwischen 1884 und 1929 in sogenannte Reduktionen eingewiesen. Dies war eine Art von kleinen Reservaten, die de jure unveräußerbares Gemeinschaftseigentum waren. Während aber jede Siedlerfamilie mehrere Dutzend Hektar Land zugesprochen bekam, erhielten die Mapuche in den Reduktionen knapp über sechs Hektar pro Person. Nicht zuletzt aufgrund des starken Bevölkerungswachstums und der Erbteilung stehen manchen Araukanerfamilien heute nur ein Hektar oder weniger zur Verfügung, einer der Gründe für die Landflucht. In Chile sind die auf dem Lande lebenden Mapuche heute Kleinbauern und gehören der ärmsten Bevölkerungsschicht an. Immer wieder müssen sie sich mit heftigen Vorurteilen der Weißen den Indianern gegenüber auseinandersetzen. Die M a p u c h e von 1970 bis heute Die Regierung Pinochet löste sämtliche Reduktionen auf und übergab den Indianern ihr Land als Privateigentum. Danach konnte der Boden verkauft oder verpachtet werden, was dazu führte, daß die Mapuche weiteren Grundbesitz verloren. Man sollte jedoch nicht verschweigen, daß viele Mapuche auf dem Lande mit der Privatisierung einverstanden waren. Im Jahre 1994 wurden in Chile neue und fortschrittliche Eingeborenengesetze erlassen. Sofern sie ordnungsgemäß angewandt werden, können sie dazu beitragen, die soziale und wirtschaftliche Situation der Mapuche allmählich zu verbessern und das Selbstwertgefühl der Mapuche weiter zu stärken. Der letzten Volkszählung in Chile im Jahre 1992 zufolge gibt es über eine Million Mapuche. Dieses Ergebnis wird allerdings von manchen bezweifelt, die behaupten, die Formulierung der 28
entsprechenden Frage habe zu einer überhöhten Zahl geführt. A u f jeden Fall erbrachte die Volkszählung, daß die Mehrheit der Mapuche nicht auf dem Lande südlich des Rio Biobio lebt, sondern in Santiago de Chile und in anderen Städten. Denn fast alle Mapuche emigrieren für kürzere oder längere Zeit, zum Teil auch auf Dauer, um einer Lohnarbeit nachzugehen. Nach wie vor arbeiten die Frauen häufig als Dienstmädchen, die Männer z.B. in Bäckereien oder in der Landwirtschaft. Unter den Mapuche auf dem Lande verdingt sich fast jeder Mann unter Fünfzig für mehrere Monate im Jahr außerhalb seiner Gemeinde als Saisonarbeiter, weil das Land die Kleinbauern schon lange nicht mehr ernährt. Die Integration der Araukaner in die chilenische Gesellschaft schreitet fort. Schulen sind heute selbst in abgelegenen Teilen des Landes anzutreffen. Bei einem Teil der Familien und Gemeinden ist die eigene Sprache bereits verloren gegangen, und diese Situation breitet sich aus. Mapuche sind heute in vielen Berufszweigen zu finden, vor allem unter den Lehrern und landwirtschaftlichen Technikern. Wenn in Chile eine Tagung über die Mapuchekultur stattfindet, halten meist auch akademisch gebildete Mapuche Vorträge, und weitere sitzen im Auditorium. Man erzählt sich, daß diese bei den anschließenden Pausengesprächen, wenn sie sich treffen und die Reden der NichtMapuche kritisieren, gerne bemerken: „Algo entendieron", d.h. in etwa: „Einiges haben sie schon verstanden." Ich kann nur hoffen, daß mein Beitrag ebenfalls eine akzeptable Annäherung an den Glauben der Mapuche bietet. Er bezieht sich auf den bäuerlichen Bevölkerungsteil, da es kaum Studien über die Indianer in den Städten gibt. Der heutige Lebensraum der ländlichen Mapuche Soweit die Mapuche noch in ihren ländlichen Gemeinden leben, wohnen sie im südlichen Mittelchile, das auch Araukanie genannt wird, und annähernd die Größe Bayerns besitzt. Die nicht 29
allzu heißen Sommer dauern etwa von Dezember bis März, die relativ milden Winter sind durch langanhaltende Regenfälle gekennzeichnet. Es handelt sich um eine abwechslungsreiche, stark gegliederte Landschaft mit verschiedenartigen Lebensräumen. Im Osten erhebt sich die Kordillere der Anden, deren Gipfel meist weniger als 2.000 Meter erreichen und die durch ihre Kette von Vulkanen berühmt ist, von denen einige über 3.000 Meter hoch aufragen. Die Pazifikküste im Westen ist meist weniger als 180 Kilometer von den Anden entfernt, weshalb alle größeren Flüsse in ostwestlicher Richtung verlaufen. Dem Meer entlang zieht sich das als Küstenkordillere bezeichnete Berg- und Hügelland, das im Norden der Araukanie im Gebirge Nahuelbuta 1.340 Meter erreicht und in der Cordillera Pelada südlich der Stadt Valdivia bis 1.006 Meter ansteigt. Die für Bodenbau günstigsten Regionen liegen im zentralem Längstal. Die Nordgrenze des Mapuchegebiets bildet der Rio Biobio, der bei der Stadt Concepción ins Meer mündet. Im Süden reicht die Araukanie bis in die präkordillere Seenplatte, die auch als chilenische Schweiz bekannt ist. Dorthin wanderten, wie erwähnt, Mitte des 19. Jahrhunderts Tausende von Deutschsprachigen ein. In der mittleren Araukanie, in der Provinz Cautín, heute das Kernland der Mapuche, findet man entlang der Küste die geringsten Erhebungen, die höchstens ein paar Dutzend oder wenige hundert Meter errreichen. Im Zentrum dieser Provinz liegt Temuco, früher ein verschlafenes Städtchen, heute eine muntere, sich rasch entwickelnde Stadt mit ca. 200.000 Einwohnern und zwei Universitäten. Die meisten Mapuchegemeinden trifft man im Umland von Temuco, wo sich mancherorts eine Gemeinde an die andere reiht, während in den anderen Teilen der Araukanie die Mapuchegemeinden wie Inseln in die Ländereien der Weißen eingestreut sind. Ostlich von Temuco, in einem Tal am Fuße der Anden, liegt mein Forschungsgebiet, das ich kurzerhand Z. nennen werde, wenn ich im folgenden Beispiele von dort anführe.
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Verwaltungsmäßig gehört die Araukanie heute zur achten, neunten und zehnten Region Chiles. Die Landschaft war ursprünglich weitgehend von Wald überzogen, zumeist Laubwald, in dem immergrüne Südbuchen-Arten vorherrschten, und in dem Myrtenund Lorbeergewächse ebenso gediehen wie die mehrere Meter hohen Colihuegräser, die an Bambus erinnern. Unter den Nadelbäumen ist die Alerce zu erwähnen. In den Anden und in Restbeständen auch im Nahuelbuta-Gebirge sind die Araukarien mit ihren hochaufragenden Stämmen heimisch, deren Aste mit altertümlichen, schuppenartigen Blättern besetzt sind. Ihre Samen sind sehr nahrhaft und werden wie Kastanien auf unterschiedliche Weise zubereitet. Durch rücksichtslose Rodungen hat der gesamte Wald im letzten Jahrhundert schweren Schaden genommen. Wo sich noch Bergwald findet, handelt es sich meist um junge Stämme, da die hohen Bäume mit wertvollem Nutzholz in Hunderten von Sägewerken verarbeitet wurden. In den letzten Jahrzehnten wurde von offizieller Seite der Anbau kalifornischer Kiefer und sogar des wasserhungrigen australischen Eukalyptus propagiert. Diese Art von Monokultur bedeckt an manchen Stellen schon weite Flächen, prägt also das Landschaftsbild. Zahlreiche europäische Pflanzen haben in der Araukanie ein günstiges Umfeld gefunden und sich stark verbreitet. In Argentinien leben die meisten der ländlichen Mapuche am Ostabhang der Anden, vorwiegend in der Provinz Neuquen, die 1 1 / 3 der Fläche Bayerns aufweist, sowie in der südlich daran anschließenden Provinz. Es handelt sich um ein gehobenes Tafelland, ein Steppengebiet, dessen Bewuchs aus vereinzelten Büschelgräsern sowie mit Dornen bewehrtem Buschwerk besteht. Nur wo das Wasser Senken in die Oberfläche gegraben hat, finden sich fruchtbare Täler. Dieses Land weist starke Temperaturunterschiede im Tages- und Jahresverlauf auf. Es ist bekannt für seinen trockenen Westwind, der den Staub aufwirbelt, für scharfe Sonneneinstrahlung und kalte Nächte.
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Die Mapuche leben in Einzelgehöften in Streusiedlungen. Das Gehöft einer besser gestellten Familie besteht im allgemeinen aus mehreren Gebäuden, z.B. Wohnküche, Schlaf- und Vorratshaus, Latrine und Stallungen bzw. Pferche. Schon seit geraumer Zeit gleichen die Mapuche ihre Häuser zunehmend denen der weißen Landbevölkerung an. Religion und ihre Erscheinungsformen bei den Mapuche In dieser Abhandlung benütze ich das Wort ,Numen' (Plural: ,Numina'). Darunter verstehe ich mythische bzw. mystische Wesen, d.h. Wesen aus dem Bereich des Glaubens, deren Existenz durch wissenschaftliche Methoden nicht beweisbar ist. Der Charakter und der Einflußbereich der einzelen Numina ist äußerst unterschiedlich, ebenso ihr Verhalten gegenüber den Menschen. Es gibt in Amerika Hunderte indianischer Völker und deshalb auch Hunderte indianischer Glaubenssysteme unterschiedlichster Ausformung, da sich die Religionen der einzelnen Gemeinschaften im Lauf der Jahrtausende stark auseinander entwickelt haben. Dies schließt nicht aus, daß es in diesen Zeiträumen auch immer wieder zu gegenseitigen Beeinflussungen kam. Wenn hier ganz allgemein vom Verstehen fremder Ideologien die Rede ist, könnte dies zu der irrigen Annahme verleiten, die indianischen Religionen würden untereinander starke Ähnlichkeiten aufweisen. Doch geht es an dieser Stelle um unsere eigene Art der Wahrnehmung. Es soll auf bestimmte christlich geprägte Sichtweisen oder Denkschemata aufmerksam gemacht werden, die uns eigen sind, selbst wenn sich jemand als Agnostiker oder Atheist versteht. Diese christlichen Vor-Urteile können ein Verständnis erschweren. Heutzutage ist es innerhalb der Religionswissenschaften gut bezeugt, daß in vielen Glaubensgemeinschaften von Numina berichtet wird, die sowohl positive als auch negative Züge aufweisen, und daß nicht in allen Religionen die Polarität von Gut und Böse zu den geistigen Grundvoraussetzungen gehört. Doch 32
zeigt die Erfahrung immer wieder, daß es im konkreten Fall für viele schwierig ist, fremde Ideologien zu verstehen, die nicht von dieser Polarität gerpägt sind. Immer wieder suchen Vertreter unseres Kulturkreises auch in exotischen Religionen nach Numina, die sich entweder mit Gott oder dem Teufel identifizieren lassen. Viele Mißverständnisse beruhen darauf, daß der Dualismus vom vollkommenen Guten und absoluten Bösen in zahlreichen indianischen Religionen nicht so grundlegend ist wie im Christentum und in anderen Religionen des Orients. In Fachdiskussionen über die indianischen Religionen des Andengebiets wurde das ironisch gemeinte Schlagwort vom ,eindimensionalen Teufel' geboren. Damit ist der Teufel nach christlichem Verständnis gemeint, dessen Existenz mehrere Päpste des 20. Jahrhunderts ausdrücklich bestätigt haben. Dieser Teufel ist in erster Linie der Anstifter zur Sünde, der Verführer zum Bösen. In zweiter Linie bringt er Leiden und Unheil über die Menschen dieser Welt. Diese beiden Charaktermerkmale mögen in christlicher Sicht engstens verzahnt sein, für die Religionswissenschaften ist es jedoch entscheidend, in diesen Punkten sorgfältig zu differenzieren. Ein ,Teufel', der nur eine Bedrohung für die Gemeinschaft darstellt, aber nicht als Verführer und Betrüger gilt, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein zu Unrecht verteufeltes Numen, das bei richtigem Verhalten ihm gegenüber auch von Nutzen für die Menschen sein kann. Ein Beispiel hierfür scheinen viele der Numina zu sein, die bei den Mapuche als Wekufü eingestuft werden. Wer sich durch unsere Denkschemata irreführen läßt, und ein Numen fälschlicherweise mit Satan identifiziert, der stellt sich in eine fast zwei Jahrtausende währende Tradition, denn seit alters her wurden die Gottheiten der Heiden von verschiedenen Vertretern des Christentums verteufelt. Überdies landet er bald bei der abwegigen Frage: weshalb beten die Indianer den Teufel an? Die Antwort ist einfach: sie tun dies gar nicht; vielmehr wurde die uns fremde Metaphysik dieser Völker gründlich mißvertanden.
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Für Personen aus unserem Kulturkreis liegt noch eine weitere Fehleinschätzung nahe, auf die kurz hingewiesen werden muß. Moralische Vorschriften benötigen nicht die Kategorien des prinzipiell Guten und Bösen. Vielmehr besteht in jeder Gemeinschaft, gleich welcher Religion oder Ideologie, unter den Mitgliedern ein Grundkonsens über sozial richtiges und sozial falsches Benehmen. Das Wissen über das moralisch richtige Verhalten wird nicht zuletzt auch durch häufige Gespräche über das Benehmen der anderen, über Anstand und Manieren, über Worte und Taten der Nachbarn weitervermittelt. Mit anderen Worten, für dieses Wissen sorgen nicht nur gute Beispiele und Ermahnungen, sondern ebenso der Tratsch, der in jeder Gemeinschaft viel Zeit in Anspruch nimmt. Der Glaube an die zentrale Himmelsgottheit ist heutzutage fest im religiösen System der Mapuche verankert. Viele dieser Indianer sind der Auffassung, daß dieses Numen Wesenszüge besitzt, die stark an die des christlichen Gottes erinnern. Der Himmelsgott ist der Vater aller Mapuche, wenn nicht überhaupt aller Menschen. Ihm verdanken wir unsere Erschaffung, wir sind seine Kinder, seine Sprößlinge. Er lenkt unser Schicksal und will nur unser Bestes hier auf Erden. In den Gebeten wird er um sein Wohlwollen angefleht, wobei gleichzeitig auf die Opfer hingewiesen wird, die man ihm darbringt. Wenn die Mapuche vom richtigen, also gottgefälligen Weg abkommen, ihre religiösen Riten und Zeremonien vernachlässigen, die eigene Sprache nur mehr unzulänglich oder überhaupt nicht mehr beherrschen und daher auch nicht mehr die ihm genehmen Gebete zu formulieren vermögen, dann kann er in Zorn geraten und Strafen senden. Den historischen Unterlagen zufolge erscheint es jedoch durchaus fraglich, ob die Himmelsgottheit schon vor 500 Jahren zum Glaubensgut der Mapuche gehörte. Man kann nicht ausschließen, daß der Umgang mit Christen während der letzten Jahrhunderte zu seiner Übernahme in die Religion der Mapuche
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geführt hat und Generationen von Propheten dazu beigetragen haben-, die Vorstellungen über ihn weiter auszuarbeiten. Die Mapuchereligion ist eine Offenbarungsreligion, allerdings nicht in dem Sinne, in dem dieser Begriff im allgemeinen bei uns verstanden wird. ,Offenbarungsreligion' bedeutet in diesem Fall, daß Botschaften der Numina durch Träume und Visionen für die Mapuche eine Selbstverständlichkeit sind. Sie spielen eine wichtige Rolle im religiösen Leben und beeinflussen bis zu einem gewissen Grad den Alltag. Denn auf diese Weise geben die Numina den Menschen ihren Willen kund. Da Träume als Mitteilungen der Numina verstanden werden, ist es ratsam, sie zu beachten. Häufig künden sie künftige Ereignisse an und enthalten deshalb Anweisungen für das weitere Vorgehen. Somit können sie als Legitimation für folgenreiche Unternehmen dienen. In Z. erfuhr ich von Träumen, welche die Wahl des Ehepartners oder die Teilnahme an religiösen Riten begründeten. Die Bedeutung und die Auswirkung eines Traumes kann das persönliche Leben oder auch den familiären Kreis übersteigen: So berief sich der Häuptling auf jahrelange nächtliche Botschaften, als er die Leitung der Gemeindezeremonien übernahm. Personen, die in ihren Träumen wichtige Anweisungen der Numina erhalten, werden von den Familienmitgliedern geachtet. - Doch darf man dies keinesfalls so verstehen, als wären diese Indianer zu keiner Entscheidung fähig, die nicht durch einen Traum begründet wird. Bei manchen Träumen wird angenommen, daß sie das besagen, was in ihnen zum Ausdruck kommt, sie werden also als wörtliche oder, besser gesagt, bildliche Feststellungen oder Voraussagen verstanden. Für andere wird ein tradierter Symbolkatalog benützt; so deutet man Feuer, selbst Herdfeuer, als schlechtes Omen. Ungünstige Träume müssen also keineswegs Alpträume sein. Wer verstorbenen Verwandten oder Ehepartnern begegnet, die den Schläfer zu einer Reise einladen, dessen Leben ist in Gefahr, denn es dürfte sich um eine Fahrt ins Jenseits handeln. Bei
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solch bedrohlichen Träumen ist es wichtig, sie am Morgen sofort den anderen zu erzählen, die sich dann um eine harmlosere Interpretation der nächtlichen Bilder bemühen. Die Gefahr soll also zerredet und damit unschädlich gemacht werden. Wer einen erfolgsversprechenden Traum hat, der wird womöglich nicht sofort davon berichten, sondern abwarten, auf welches Ereignis er sich beziehen läßt. In mehreren Nächten aufeinanderfolgende Träume einer Person oder auch einander nahestehender Personen können sich wechselseitig erhellen. Doch die Bedeutung von Gesichten kann Folgen zeitigen, die über das Leben des einzelnen oder seiner Familie hinausgehen. Wenn aufgrund veränderter Umstände die Glaubenslehren einer anderen Interpretation bedürfen, dann wählen die höheren Mächte einen Mapuche dazu aus, die neue Wahrheit zu verkünden. Durch Träume und Visionen zwingen sie einen Mann, häufiger aber eine Frau, ein religiöses Amt zu übernehmen und als ihr Sprachrohr zu dienen. Wenn dieser Prophet die anderen von seinen Lehren zu überzeugen vermag, dann weiß man, daß er tatsächlich ein Berufener ist. Man kann davon ausgehen, daß auf diesem Wege die Mapuchereligion im Lauf der Jahrhunderte immer wieder Änderungen erfahren hat. Die religiöse Auseinandersetzung mit frischen geistigen Strömungen erfolgt also nicht so sehr in gelehrten Disputen, sondern durch das stets jungfräuliche Wort der Numina. Auf diese Weise wird religiöser Wandel nicht als Bruch mit der Tradition verstanden, sondern als deren Fortführung. Die meisten Erwählten empfinden ihre Berufung als äußerst unangenehm und sträuben sich mit allen Kräften gegen sie. Dies kann zu einem jahrelangen Ringen führen. Die höheren Mächte senden dem künftigen Propheten Schmerzen, Krankheit und Unglück. Schließlich sieht sich der oder die Betroffene gezwungen, sich in seine Bestimmung zu fügen und die Botschaften der Numina zu verkünden.
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Bei den Mapuche unserer Tage ist der Wirkungskreis eines Propheten auf die nähere Umgebung beschränkt, meist auf eine Gemeinde von wenigen dutzend Familien. Dies hat zur Folge, daß viele lokale Varianten des Glaubens entstehen. Änderungen der religiösen Lehre durch Visionäre sind aus vielen Gebieten der Erde dokumentiert, nicht zuletzt aus Schwarzafrika. Die Glaubensvorstellungen anderer Völker sind keineswegs so starr, wie häufig behauptet wird. Der Widerstand der Propheten gegen die Berufung, der uns aus dem Alten Testament geläufig ist, wurde jedoch weltweit sehr selten dokumentiert. Bei den Indianern des mittleren Andenraums und denen des Gran Chaco (Nordargentinien und Westparaguay) wird ebenfalls von Berufungen durch Numina berichtet, aber kaum jemals von einem Sträuben der Erwählten. Im Amazonasgebiet hängt es vorwiegend von der Willenskraft und der körperlichen Widerstandsfähigkeit jedes einzelnen ab, ob er sich dazu entschließt, sich der mühsamen Ausbildung zum Heiler und Meister der Rituale zu unterziehen. Auch die Heiler der Mapuche werden durch Träume und Visionen berufen. Man bezeichnet sie als ,Machi'; meist handelt es sich um Frauen. Ihren Wohnort erkennt man an dem Kultpfosten mit Stufen vor dem Haus, der u.a. mit Stämmchen des rituellen Canelobaumes geschmückt ist. Sowohl bei Krankenheilungen als auch bei anderen religiösen Zeremonien versetzen sich die Machis durch rhythmische Musik und Pendelbewegungen des Oberkörpers in Trance und teilen in diesem Zustand den Anwesenden die Botschaften der Numina mit. Die Berufung einer Machi erfolgt häufig durch Träume, Visionen und lang anhaltende Krankheiten. Eine Heilung durch eine andere Machi kann erst dann erfolgreich sein, wenn die Frau bereit ist, selbst die Ausbildung zur Heilerin anzutreten. Viele neu berufenen Machis machen eine Lehre bei einer erfahrenen Machi durch. Dabei erlernen sie, sich in Trance zu versetzen, Krankhei-
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ten zu diagnostizieren, z.B. mittels des Urins, und sie studieren die Wirkung von Heilpflanzen. Das bekannteste Kultgerät der Machis sind Schalentrommeln, deren Fell meist mit einem gleichseitigen Kreuz und anderen Zeichen bemalt ist. Weitere häufig in den Zeremonien benützte Musikinstrumente sind Schellen und Rasseln. PILLAN - D a s G e w a l t i g e oder nolla t a Oeina
Seit der frühen Kolonialzeit findet sich in den Quellen der Hinweis, daß in religiösen Riten der Mapuche häufig der Ausdruck ,pillan' zu hören ist. Was er jedoch genau bedeutet, darüber gehen die Meinungen seit jeher stark auseinander. So hieß es in einem oder anderen der älteren Beiträge, die Indianer verstünden darunter Gott, den Teufel, Blitz und Donner, die Vulkane, die Ahnen, Krieger und anderes mehr. Auch im 20. Jahrhundert hat es nicht an Erklärungsversuchen gemangelt, um diese scheinbaren Widersprüche aufzuhellen, wobei man meist versuchte, eines der genannten Konzepte zur Grundbedeutung zu erheben und die anderen davon abzuleiten. In manchen Teilen der Araukanie ist dieser Ausdruck heutzutage allerdings unbekannt, so z.B. in in meinem Forschungsgebiet Z. Seitdem man Texte in der Mapuchesprache aufzeichnet, zeigt sich zunehmend, daß dieses mysteriöse Wort vornehmlich als Adjektiv eingesetzt wird, und zwar sowohl für Numina als auch für Kultgegenstände. Der Ausdruck ,pillan' dient also als Epitheton für Numina wie auch zur Kennzeichnung für Kultgeräte, wie z.B. für Fahnen oder Messer, und auch für Feuer, Plätze und Personen, die im Kult eine Rolle spielen. Die überzeugendste Interpretation lautet also, daß mit pillan kraftvolle, außergewöhnliche, gewaltige, unheimliche Erscheinungen charakterisiert werden. Womöglich wird es hierzulande besser verstanden, wenn man vereinfachend sagt: pillan entspricht in etwa unseren Begriffen sakral, heilig und dämonisch. Personen oder Objekte, denen man die Eigenschaft pillan zuschrieb, wurden immer 38
wieder unter Fortfall des Numens mit dem Adjektiv allein bezeichnet, so wie man einen reichen Mann einfach ,den Reichen' nennt. Dies erklärt, weshalb je nach Gegend Numina, Vulkane oder Messer ,pillan' genannt werden. Mit einem Verb verbunden bedeutet ,pillan', eine heilige Handlung bzw. einen religiösen Ritus auszuführen. Ngünechen und andere Götter In ihren religiösen Zeremonien beten die Mapuche sowohl zu Himmelsgottheiten, als auch zu lokalen Numina - die für Naturphänomene wie das Meer, einen Fluß oder einen Felsen zuständig sind - und überdies zu Numina der Atmosphäre, wie Winde und der Morgenhimmel. Bei jedem dieser Prinzipien ist in den Gebeten von zwei oder vier Gottheiten die Rede, und zwar von einem Ehepaar, das ehrfurchtsvoll als ,Vater' und ,Mutter' oder auch als ,Alter' und ,Alte' angesprochen wird. Die Kinder dieses Paares werden manchmal ebenfalls in den Anrufungen erwähnt. Auf diese Weise werden die rituellen Zahlen Zwei und Vier ins Spiel gebracht, die in den Zeremonien auf verschiedenste Art eine Rolle spielen. Die Anrede an diese Gottheiten erfolgt heutzutage z.T. in der Einzahl und z.T. in der Mehrzahl, sie kann also ebensogut in einem ,Du' wie in einem Jhr' bestehen. Es gibt eindeutige Zeugnisse dafür, daß viele Mapuche damit vier Personen meinen, deren Einheit in ihrem Auftreten als vorbildliche Familie besteht. Eine zentrale Gestalt des Pantheons ist die Himmelsgottheit, die im Zenith residiert. Sie kam als Ngünechen, d.h. ,Beherrscher der Menschen', oder als ,Chaw', d.h. ,Vater', oder auch als ,Chawdio', d.h. ,Vatergott' angeredet werden. Dieser Himmelsgott lebt ebenfalls mit seiner Familie zusammen. Ngünechen hat die Mapuche und alle übrigen Menschen geschaffen, die Indianer bezeichnen sich in den Gebeten als seine Kinder, seine Sprößlinge. Er bemüht sich, uns vor Schaden zu bewahren, doch sendet er auch Strafen, wenn jemand seine Gebote nicht befolgt. Er 39
lenkt unser Schicksal, hieß es in Z.: so weist er z.B. jeder Person seinen Ehepartner zu. In einem rituellen Gespräch während einer religiösen Gemeindezeremonie bemerkten zwei alte Männer, die meiner Anwesenheit wohlgesonnen gegenüberstanden: ,wenn Ngünechen es nicht erlaubt hätte, hätte dieser Mann aus einem fernen Land nicht an diesem Fest teilnehmen können, sondern wäre im Meer ertrunken'. Ngünechen wird ebenso wie andere Numina um Gesundheit, Wohlergehen und Erfolg angefleht, wobei die Betenden vor allem für sich und ihre Familie sprechen. Er möge das Vieh und die Feldfrüchte gedeihen lassen und Krankheiten und anderes Ungemach fernhalten. In Z. sprach mir eine Frau ein kurzes Gebet an den Himmelsgott vor: „Vatergott, Muttergöttin, Alter und Alte des Morgengrauens, heute knien wir hier, wir sind eure Kinder, eure Sprößlinge, ihr habt uns das Leben gegeben und beobachtet uns immer. Vergeßt uns nicht, vergebt uns unsere Schuld." Die Worte für Vergebung und Schuld in diesem Text sind aus dem Spanischen übernommen. Der Kapuzinermissionar P. Felix José de Augusta 1 ein hervorragender Kenner der Mapuchekul1 P. Dr. med. Felix Joseph (Ottmar) Kathan von Augsburg (de Augusta) (1860-1935). P. Felix Joseph (José) Kathan gehörte zur ersten Gruppe der Bayerischen Kapuziner, die am 04. Januar 1896 in Corrai, dem Hafen von Valdivia, in Chile ankam. O t t m a r Kathan war vor seinem Eintritt in den Kapuzinerorden am 06. März 1986 Assistenzarzt am Städtischen Krankenhaus Augsburg. Er promovierte 1885 an der Universität München mit der Arbeit „Zur Casuistik der Pleuritis". München. Buchdruckerei Dr. C. Wolf & Sohn. 1885. P. Felix Kathan de Augusta ist für die Wissenschaft eine der wichtigsten Persönlichkeiten unter den Bayerischen Kapuzinern. Er wurde 1860 in der gutbürgerlichen, jüdischen Familie Kathan in Augsburg geboren und auf den Namen O t t m a r getauft. Felix de Augusta war ein Musik- und Sprachtalent. Drei Monate nach seiner Ankunft bei den Mapuche konnte er ihnen bereits in ihrer Sprache vorbeten. Indianersprachen weisen die gleiche Komplexität auf wie Sprachen anderer Völker, die Mapuchesprache ist also keineswegs leicht zu erlernen. Um seine linguistischen Studien voranzutreiben, lebte er jahrelang unter bescheidensten Verhältnissen bei den Mapuche auf dem Lande. Besondere Hilfe bei sei-
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tur, meinte noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Vorstellungen- von Ngünechen könnten nicht aus dem Christentum übernommen sein, da ihm gegenüber keine Gefühle der Schuld bestünden. Ebenso vertrat Augusta die Ansicht, daß es sich bei der Erwähnung von einer männlichen und weiblichen Gottheit um zwei Aspekte eines Wesens handelt. In neuerer Zeit haben westlich gebildete Mapuche wie Martín Alonqueo, Ramón Curivil, Armando Marileo und Juan Nanculef betont, daß es sich um ein einheitliches Gottesprinzip und damit um eine Art von Monotheismus handelt. Bei Gesprächen auf dem Lande, also z.B. in Z., wurde jedoch eindeutig von einem Ehepaar mit Kindern gesprochen. Ich erhielt den Eindruck, daß die dortigen Mapuche das Verschmelzen dieser Familie zu einer Person nen Studien erhielt er von den Mapuche Pascual S. Painemilla N. und Domingo S. Wenuñamku sowie dem blinden José Fr. Colüñ, dessen Geist Auffassungabe, Fröhlichkeit und Anhänglichkeit P. Félix schätzte. Felix de Augusta verfaßte eine Grammatik (1903) und ein Wörterbuch (1915) der Mapuchesprache sowie ein Werk mit zahlreichen Mapuchetexten (1934). Diese Arbeiten werden bis in unsere Zeit von den Fachleuten mit Lob überhäuft. P. Felix ist auch der Autor religiöser Schriften auf Spanisch und in der Mapuchesprache. Jahrzehntelang wirkte er als Sprachlehrer für die neu eintreffenden Ordensbrüder. Seit seiner Ankunft in Chile setzte er sich mit großer Tatkraft für die verleumdeten und entrechteten Indianer ein. In seinem Missionsbezirk am Budisee verteidigte er Mapucheland voll Energie über Jahre hinweg gegen den Raub durch Weiße. Seine Ordensbrüder schildern ihn als aufrechten Mann, mit einer wohlklingenden und kräftigen Stimme, die er wirkungsvoll bei Predigten einsetzte, voll Witz im persönlichen Gespräch. Häufig in Gedanken versunken, war er für viele praktische Dinge unbegabt. Seine Ungeduld konnte z.B. dann durchbrechen, wenn er für einen Aspekt der Mapuchegrammatik keine Erklärung fand. P. Felix de Augusta verstarb am 16. November 1935, dem Tag seines Namenspatrons, an einer Lungenentzündung. Seiner Bedeutung für die Erforschung der Sprache und Kultur der Araukaner-Indianer kam nur P. Ernest Wilhelm von Moesbach nahe, der die Biographie des Häuptlings Pascual Coña und dessen Schilderung der Geschichte und Kultur der Mapuche aufzeichnete. Zur Erstinformation vgl. Mora Penroz, Ziley: P. Félix de Augusta o la pasión por el verbo mapuche. 1. ed. chilena (Temuco 1993) (Colección grandes esfuerzos; 1), vor allem S. 105-109; und Helga König: „Literaturauswahl" in vorliegender Arbeit.
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als ziemlich absurde Idee empfunden hätten. Allerdings mag es durchaus sein, daß die Frage nach der Zahl der göttlichen Personen im Zenith die meisten Mapuche weitaus weniger beschäftigt als Missionare und Ethnologen. Auch sollte man nicht übersehen, daß es neben der Himmelsgottheit noch eine Reihe weiterer Numina gibt, die jedoch von den Vertretern der Monotheismusthese als ,Mittler' zur zentralen Gottheit gedeutet werden. Spätestens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde zum ersten Mal die Behauptung aufgestellt, daß die Gottesvorstellungen der Mapuche von den Missionaren beeinflußt sind. Damit war vor allem der Glaube an eine Himmelsgottheit gemeint. In den Schriften aus der Kolonialzeit ist von keiner allgemein anerkannten zentralen Gottheit der Mapuche die Rede. Die zahlreichen Kontakte zwischen diesen Indianern und den Weißen lassen es als wenig wahrscheinlich erscheinen, daß den Verkündern des christlichen Glaubens eine solche Vorstellung entgangen wäre. Der Begriff ,Ngünechen' wurde erst verhältnismäßig spät aufgezeichnet. Bislang hatte man angenommen, daß dies zum ersten Mal zu Ende des 19. Jahrhunderts durch einen in Chile tätigen Kapuzinermissionar aus Italien erfolgte. Doch stellt sich heraus, daß der Begriff schon einige Jahrzehnte früher bei den Mapuche im Osten der Pampa dokumentiert ist, die auf der Seite der Argentinier standen und deren Grenze schützten. Diese indianischen Hilfstruppen waren selbstverständlich starkem christlichen Einfluß ausgesetzt. Man kann also derzeit nicht ausschließen, daß sich der Begriff ,Ngünechen' von der Ostpampa bis nach Chile hinein verbreitet hat. Augusta hat schon 1916 in seinem Wörterbuch festgehalten, daß Ngünechen nicht nur für eine übergeordnete Gottheit verwendet wird, sondern auch für andere numinose Wesen. Dafür gibt es ein gutes Beispiel, das in den Fünfzigerjahren aufgezeichnet wurde. An der Küste südlich der Mündung des Rio Tolten befindet sich unter Wasser ein ,Mangkian' genannter wundertätiger
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Felsen, bei dem es sich um einen versteinerten Vorfahren handelt. Dieser Stein wird ebenfalls als Ngünechen angerufen. Der erste Teil des Wortes ,Ngünechen' leitet sich von ,ngünen' ab, das ,herrschen' oder ,befehlen' bedeutet, aber auch ¿ügen' und ,schlau sein'. Es wurde argumentiert, daß es sich hierbei um Homonyme handelt, d.h. zwei gleichlautende Worte mit unterschiedlicher Bedeutung, so wie im Deutschen ,Ball' sowohl den Spielball als auch ein Tanzfest bezeichnet. Doch sollte einmal diskutiert werden, ob es sich bei den zwei Bedeutungen von ,ngünen' tatsächlich um Homonyme handelt. Womöglich ist dies gar nicht der Fall und wir erfahren auf diese Weise etwas über das Bild der Mapuche von einem erfolgreichen Häuptling. Man erinnere sich, daß König Odysseus als der listenreiche' charakterisiert wird und daß wir von ,gewieften Politikern' reden. Womöglich wird das Wort ,Ngünechen' auch deshalb gerne von den Mapuche verwendet, weil es eben so allgemein ist. Mit Hilfe dieses Ausdrucks können Mapuche aus verschiedensten Gegenden miteinander über ihren Glauben reden, ohne näher darauf einzugehen, wie die höheren Wesen in ihrem Heimatort bei den Zeremonien im einzelnen angeredet werden. Das Wort Ngünechen dürfte heute das Numen, die Numina, das Numinose bezeichnen, bis zu einem gewissen Grade ist seine Bedeutung der von pillan vergleichbar, doch weist es in höherem Grade auf eine Person hin. Bei einem rituellen Gespräch zweier angesehener alter Männer in Z. unterhielten sie sich zuerst ganz allgemein über den Einfluß von Ngünechen auf unser Leben. Dann jedoch verlieh einer der beiden seiner Uberzeugung Ausdruck, es gäbe zwei durchaus verschiedene Ngünechen, nämlich den Ngünechen des Himmels und den Ngünechen der Erde. W E K U F Ü - das Prinzip des Bösen?
Weitaus weniger problematisch scheint ein anderer religiöser Begriff der Mapuche zu sein, ,Wekufü', der zumeist durch ,böser Dämon', ,Teufel' oder ,Satan' übersetzt wird. Doch ein We43
kufü verführt nicht von sich aus die Menschen zum Bösen, während dies bekanntermaßen das einzige Streben Satans ist. Allerdings kann man mit Hilfe eines Wekufü Hexerei betreiben, obgleich er nicht der Anstifter dazu ist. Bei dem Ausdruck ,Wekufü' handelt es sich um einen Gattungsbegriff: man versteht darunter verschiedene Arten potentiell bedrohlicher Numina. So manche von ihnen sind vor allem in der Dunkelheit gefährlich. Zu ihnen zählen die Piwichen, geflügelte Schlangen, die ihren Opfern das Blut aussaugen; die Chonchon, fliegende Häupter von Hexern, die Krankheiten bringen; die Witranalwe, die z.B. als Reiter auftreten, welche die Herden der Reichen bewachen. Die Anchümallen sind kleine Wesen, die manchmal als Lichter sichtbar werden und Unordnung im Haus stiften können. Doch gibt es Hinweise, daß das Wort ,Wekufü' erst unter dem Einfluß des Christentums seine rein negative Bedeutung erhielt. Nicht alles, was als ,Wekufü' bezeichnet wird, stellt notwendigerweise eine Bedrohung dar. Unweit der Ortschaft Lumaco befindet sich in einem Einschnitt am Rande eines Weges ein Felsbrocken, zu dem am Tage des Heiligen Sebastian, am 20. Januar, sowohl Mapuche als auch Weiße aus der näheren und weiteren Umgebung pilgern, um dort ihre Bitten vorzutragen und Opfer wie Blumen und Kerzen zu überbringen. Der Fels wird im Spanischen als ,Heiliger Stein' bezeichnet, in der Mapuchesprache als ,Wekufü-Stein'. Doch wäre es abwegig, daraus den Schluß zu ziehen, daß die Mapuche das Böse anbeten. Vielmehr richten sie an dieses Numen die gleichen Bitten um Wohlergehen wie an die Himmelsgottheiten. Uber das wohltätige Wirken des heiligen Wekufü-Steines erzählt man sich so manche Geschichte, doch sendet er auch Strafen, wenn er nicht mit der gebührenden Ehrfurcht behandelt wird - auch hierin den Himmelsgottheiten gleichend. So wird berichtet, daß einige Männer den Felsbrocken in die Luft zu sprengen suchten, da sich unter ihm ein reicher
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Goldschatz befinden soll. Bei der Explosion wurden die Frevler schwer verletzt. In zwei Arbeiten jüngeren Datums wird eine Deutung von ,Wekufü' gegeben, die viel zu einem besseren Verständnis beitragen könnte, falls sie sich als zutreffend erweist. Demnach bezieht sich dieser Gattungsbegriff vorwiegend auf Numina der Wildnis, d.h. Numina der Wälder, Felsen, Sümpfe, Seen, Flüsse und andere Erscheinungen mehr. Sie sind den Menschen gegenüber nicht grundsätzlich feindlich eingestellt, doch sie schützen und verteidigen ihr Revier. Wer sich solchen Gegenden nähert, hat die jeweiligen Wekufü ehrerbietig um Erlaubnis zu fragen. Andernfalls muß der Eindringling gewärtig sein, daß ihm das betreffende Numen erscheint, er also einen Perimontun hat. Dieses Wort wird im allgemeinen mit Vision übersetzt. Wenn jemand z.B. ein Piwichen oder im Wasser ein Ngürüfilu, d.h. einen Fuchs mit Schlangenkopf, oder ein Trilkefilu, ein Fell mit Tentakeln, erblickt; dann handelt es sich um einen Perimontun, und in Folge der Erscheinung kann der Betroffene erkranken. Genau besehen, wäre es treffender, von einer Manifestation als von einer Vision zu sprechen; denn unter einer Vision versteht man hierzulande allzu leicht etwas Unwirkliches, eine Halluzination. Dies würde aber dem Verständnis der Mapuche nicht entsprechen. Unabhängig davon, ob eine Person einen Perimontun hatte oder nicht, ob sie aus Versehen, aus Gedankenlosigkeit oder mit Absicht die Übertretung begangen hat, kann dies ungünstige Folgen nach sich ziehen. Machis verfügen über das Können und Wissen, um das verantwortliche Wekufü zu vertreiben. Christliche Beobachter verstanden nur, daß ein Wekufü das Leiden verursacht hat, und setzten die Riten der Machi mit einer Teufelsaustreibung gleich. Der Fehltritt des Kranken wurde also einfach übersehen oder übergangen. Für eine Machi kann ein Perimontun noch eine andere Bedeutung haben. Das Numen kann sich der Machi zeigen, um ihr seine Hilfe anzubieten, um ihr die Fähigkeiten und Kräfte ei-
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ner guten Heilerin zu verleihen. Derartige Beziehungen zu einem Numen können von ihr selbstverständlich auch mißbraucht werden. Da es kaum jemandem gelingt, mit allen auf gutem Fuß zu stehen, gibt es so manche Machi, gegen die von irgend einer Seite der Vorwurf erhoben wird, sie würde sich zu schlechten Machenschaften verleiten lassen, sie würde Hexerei betreiben. Doch der Vorwurf der Hexerei kann jeden Erwachsenen treffen. Häufig sind es die Machis selbst, die eine solche Behauptung in die Welt setzen, wenn sie in Trance die Ursachen einer Krankheit herauszufinden trachten. Bei solchen Anklagen dürften die Machis den einen oder anderen Fingerzeig aufgreifen, den sie von dem Kranken oder seiner Familie erhalten haben. Als Grund für Hexerei wird fast stets das asozial empfundene und doch weitverbreitete Gefühl des Neides genannt. Der Neid bringt Menschen dazu, sich z.B. mit einem Wekufü in Verbindung zu setzen, um den Mitmenschen Schaden zuzufügen. Unter den verschiedenen Formen des Schadenszaubers, die angeblich betrieben werden, dürfte so manche auf Ideen aus Europa beruhen, die während des letzten halben Jahrtausends von den Mapuche während ihres Zusammenlebens mit Europäern aufgegriffen wurden. DER NGILLATUN - ein gemeinschaftliches Opferfest
Um das Wohlwollen der höheren Mächte zu erringen, halten die Mapuche auf einem Kultplatz unter freiem Himmel religiöse Gemeindefeiern ab, die bis zu vier Tagen dauern und Ngillatun oder Kamarikun genannt werden. Diese Feste sind auch ein bedeutendes soziales und theatralisches Ereignis. Während eines Ngillatun beten die Teilnehmer gemeinsam zu den Gottheiten in der Höhe und zu den lokalen Gottheiten, und sie bringen ihnen Opfer dar, indem sie Schafe und mancherorts sogar Pferde schlachten, anstrengende Tänze aufFühren und die Nächte hindurch wach bleiben. In ihren Gebeten flehen sie um Wohl-
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ergehen: günstiges Wetter, reiche Ernte, Vermehrung des Viehs und Gesundheit und Erfolg in allen ihren Unternehmungen. Im Mittelpunkt des Festplatzes stehen Kultpfosten. Der Rand des Festplatzes ist meist von Laubhütten gesäumt, die den Familien während der gesamten Feier als Unterkunft dienen. Sie sind häufig in U-Form angeordnet und stets gen Osten zu offen, da dies die Gebetsrichtung der Mapuche ist, wie auch die vieler anderer Andenvölker. Das Abteil des Kultleiters befindet sich stets in der Mitte der Laubenreihe und somit im Westen. Die Kultpfosten haben von Bezirk zu Bezirk ein anderes Aussehen. Ostlich der Stadt Temuco z.B. geben sie in groben Umrissen eine menschliche Gestalt wieder, in anderen Gegenden haben sie die Form von Pfählen mit Stufen oder auch von Kreuzen. Für die Feier werden die Pfosten mit Bäumchen und anderen Pflanzen geschmückt. Wenn bei den Zeremonien eine Machi eine wichtige Rolle inne hat, verwendet man den Canelo (Drymis winteri), den sogenannten Zimtbaum, der auch bei den Heilritualen benötigt wird. Der Laurel, der sogenannte Lorbeerbaum, sowie der Ma•quibaum dienen mancherorts als Schmuck; in anderen Gebieten sind es Fruchtbäume, wie Apfel- bzw. Kirschbäumchen, sowie Araukarien oder das mehr als mannshohe Colihuegras, das Winterfutter der Rinder. Diese Bäume und Sträucher können durch Weizenähren und andere Feldfrüchte ergänzt werden, in einigen Gemeinden durch Blüten der Copihue, eines Rankengewächses, der Nationalblume Chiles. Fahnen in unterschiedlichen Farben ergänzen den Pflanzenschmuck, wobei wiederum regionale Unterschiede zu verzeichnen sind. Manche Farben verweisen auf das Wetter oder auf die Himmelssphäre: eine gelbe auf das Tagesgestirn, eine blaue auf das Firmament, weiße und schwarze auf die beiden Arten von Wolken. Wünscht man einen Wechsel von Regen und Sonnenschein, pflanzt man schwarze und weiße Fahnen auf, wird um mehr Regen gebeten, nimmt man nur schwarze Fahnen. Daneben gibt es noch persönliche Flaggen der Kultleiter und Machis,
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deren Zeichnung diesen womöglich in Visionen und Träumen enthüllt worden sind. Auf manchen Fahnen sind Himmelskörper wie Mond oder Sterne angebracht. Für die Indianer Nord- und Südamerikas ist der Tanz ein wesentlicher Bestandteil vieler religiöser Zeremonien. Zwei Arten von Tänzen werden während der Ngillatunfeiern aufgeführt. Die erste Art ist von ruhigen Bewegungen geprägt, alle Anwesenden dürfen daran teilnehmen. Männer und Frauen, Knaben und Mädchen ziehen in rhythmischen Schritten um das Kultzentrum, in manchen Gemeinden nach Geschlechtern getrennt, in anderen paarweise. Die zweite Art ist der sehr bewegte und anstrengende Vogeltanz, den fünf Männer oder Knaben gestalten. Sie sind wenig bekleidet und mit den Kultfarben bemalt, früher trugen sie nur einen Lendenschurz. Am Kopf befestigen die Tänzer zwei Federbüschel oder einen ähnlichen Zierat, um ihre Hüften ist ein hinten herabhängendes Tuch gebunden, das an den Schwanz eines Vogels erinnert; auf ihren Schultern liegt eine Decke, die mit ausgestreckten Händen an den Zipfeln gehalten wird, so daß sie hinter dem Tänzer herflattert und das Schlagen der Flügel imitiert. Bänder mit Schellen um den Oberkörper vervollständigen vielerorts den Aufzug. Die Vogelmänner tanzen zu den Klängen einer lebhaften, ja aufrüttelnden Musik mit springenden Schritten und mit nickendem Kopfe im Kreis um die Kultpfosten. Fünf verschiedene Melodien werden gespielt, zwischen denen jeweils eine kurze Erholungspause eingeschoben wird. Bei jedem Ngillatun werden mehrere Musikinstrumente gespielt, am häufigsten Kultrung-Trommeln, Pifülka genannte Flöten und die Trutruka, eine Art Alphorn. Als ,Pifülka' bezeichnet man Flötenpaare mit einem geraden Gang ohne Grifflöcher. Die mit dem kürzeren Gang und somit höherem Ton gelten als weiblich, die anderen als männlich. Als Blasinstrumente dienen auch die Horner von Rindern und neuerdings von Ziegen. In einigen Gegenden wird auf Kornetten geblasen, wobei die einzelnen Ab-
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schnitte des Rituals durch unterschiedliche Melodien angezeigt werden. Bei wichtigen Abschnitten des Rituals galoppieren Reiter mehrere Male mit schrillem Geschrei um die Lauben, voran zwei Burschen mit flatternden Fahnen, gefolgt von Kornett-Bläsern, die ihre Instrumente erklingen lassen. In früheren Zeiten trugen die Reiter dabei noch meterlange Lanzen in den Händen oder reckten gezogene Säbel hoch. Dieser Awün genannte Ritt soll feindselige Numina fernzuhalten oder durch den Lärm und den aufsteigenden Staub die höheren Mächte auf die Gebete und die Opfer aufmerksam machen. Eine solche Kavalkade wirkt äußerst dramatisch und vermittelt eine Ahnung davon, wie in früheren Zeiten eine Attacke dieser Indianer gewirkt haben muß. Leiter dieser Zeremonie sind die älteren Männer der Gemeinde. Nicht alle Teilnehmer sind gleichgestellt, stets sind einige mit besonderen Aufgaben betraut, und unter diesen wiederum besteht eine Ämterhierarchie. Am Calafquen-See z.B. trägt der Leiter der gesamten Zeremonie den Titel Ngenpin, ,Herr des Wortes'. Er muß die Mapuchesprache beherrschen und über Redebegabung verfügen. Die Gottheiten schätzen es sehr, wenn die Gebete fließend und in wohlgesetzten Worten an sie gerichtet werden. Im Zentrum und im Nordwesten der Araukanie übernimmt neben den Kultleitern eine Machi aus der Umgebung eine wichtige Rolle. Während der Nacht versetzt sie sich in Trance, um die Botschaften der höheren Mächte zu empfangen und diese dann der versammelten Gemeinde zu verkünden. Wie eingangs erwähnt, ist ein Ngillatun auch ein soziales Ereignis und dies in mehrfacher Hinsicht. Zu diesem Feste kehren viele Mapuche aus der Stadt zu ihren Verwandten zurück, um mit ihnen zu opfern, zu tanzen und zu beten. Sie unterstützen ihre Familie bei den hohen Ausgaben für die Zeremonie, informieren sich über die Ereignisse der letzten Zeit und überbringen Nachrichten von anderen, die nicht teilnehmen können.
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Das Treffen so vieler verstreut lebender Familien auf dem Kultplatz führt jedem einzelnen seine Zugehörigkeit zum Volk der Mapuche deutlich vor Augen. Die Teilnehmer erfahren sich als Gemeinschaft, die Begegnung mit den höheren Mächten und mit den Bewohnern der Umgebung ist ein äußerst beglückendes Erlebnis. Die zwanzigjährige Maria Catrilef aus der Umgebung von San Juan de la Costa schilderte ihre innere Bewegtheit mit den Worten: „Man ist von solcher Wonne erfüllt, daß man es kaum zu glauben vermag, aber man erfährt dies an sich selbst." Die fast doppelt so alte Erna Hualaman fügte hinzu: „Wenn die Machi spricht, wird man von Schmerz erfüllt, und glaubt den Wunsch nach Tränen zu spüren, und viele weinen, und man ist sehr bewegt". Und in einem Zimmer der Universität von Temuco beschrieb mir ein Mapuche von der Insel Huapi eindringlich die allgemeine Ergriffenheit beim Ngillatun, wenn die Gemeinschaft die Gegenwart des Göttlichen verspürt. Die Teilnehmer am Ngillatun laden weitere Mapuche ein, zum Teil befreundete Familien, in anderen Fällen wird eine ganze Gemeinde durch einen Boten mit zeremoniellen Reden Tage vor dem Fest zur Teilnahme aufgefordert. Die Gäste werden nach dem Eintreffen wieder mit zeremoniellen Reden empfangen und nach der Teilnahme an der Feier ebenso verabschiedet. Die Gastgeber setzen ihnen üppige Mahlzeiten mit mehreren Fleischgerichten vor, und vielerorts fehlt auch nicht der Wein. Die Etikette gebietet, die Gäste so reichlich zu bewirten, daß sie sich nicht nur satt essen, sondern auch noch möglichst viele Speisen mit nach Hause nehmen können. Auch die Weißen, meist Zaungäste, die heute nie fehlen, erfüllen eine gesellschaftliche Aufgabe. Für die Mapuche sind sie die Vertreter der anderen, die das Wir-Gefühl stärken. Man kann sie während der Zeremonie auf ihren Platz verweisen und sich über sie lustig machen, so wie man selbst in der Welt der Weißen allzu oft das Ziel abfälliger oder geringschätziger Äußerungen ist. In manchen Gegenden wird auch noch das traditionelle Hockey-
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spiel gepflegt, bei dem meist zwei Gemeinden gegeneinander antreten. Das Hockey wird von manchen als kleiner Ngillatun charakterisiert, weil die Gemeinden in der Nacht vor dem Spiel religiöse Zeremonien abhalten, um für ihre Mannschaft den Sieg zu erbitten. Früher wurde bei Auseinandersetzungen zwischen zwei befreundeten Gemeinden ein Hockeyspiel anberaumt, dessen Ergebnis man als Gottesgericht auffaßte. RUME KUNIWÜNGEY Kindliche Schauer Treu in der Brust
Die Mapuche versichern, daß ihre religiösen Zeremonien, wie z.B. eine Ngillatunfeier, ein Totenfest oder auch ein Heilritual, ,delicado' seien, also eine delikate, heikle Sache. Der entsprechende Ausdruck in ihrer eigenen Sprache ist deutlicher: ,rume kuniwüngey' bedeutet, größte Vorsicht ist angebracht, es ist sehr gefährlich'. Während der Zeremonien ist man sich der Nähe der Gottheiten gewiß, die sich auf mancherlei Weise offenbaren. In Z. werden bei einem Ngillatun alle Kultobjekte, Kulttiere und sämtliche Teilnehmer, die Gemeindemitglieder ebenso wie die Gäste, mit weißen und blauen Zeichen bemalt; alles wird den höheren Mächten geweiht. Wenn die beiden Kultpfosten an der Reihe sind, verspürt man einen Windzug. Dies ist der göttliche Hauch, der sich auf den Figuren niederläßt und die Anwesenheit der Himmelsgottheiten anzeigt. Wenn während eines Ngillatun die Sonne scheint, oder noch besser, Schönwetterwolken die sengenden Strahlen abmindern und eine leichte, erfrischende Brise weht, dann wissen die Teilnehmer, daß die höheren Mächte mit Wohlwollen auf sie blicken, daß die Gebete und Opfer in der richtigen Form durchgeführt wurden und deshalb von den Gottheiten angenommen worden sind. Doch wenn dies nicht der Fall ist, dann hat man die Strafe mit Gelassenheit über sich ergehen zu lassen. In Z. stand auf dem Kultplatz ein Araukarienbaum, dessen unterste Zweige tief her51
abhingen. Um die Reiter beim Awün nicht zu gefährden, ließ der Häuptling die unteren Aste entfernen. Welch einen Fehler er damit begangen hatte, erkannte er erst, als eine wahre Sintflut über das Fest hereinbrach. Es regnete so heftig, daß alle Kochfeuer erloschen und keiner mehr einen trockenen Faden am Leib hatte. Die Gäste entschuldigten sich und zogen sich in die Häuser ihrer Gastgeber zurück. Vor allem die Männer in wichtigen Positionen blieben jedoch am Kultplatz, um das Zürnen über sich ergehen zu lassen. Es gibt noch weitaus beeindruckendere Strafen: In Reigolil stürzte 1992 am Abend des ersten Tages ein Pferd beim Galopp, vermochte sich nicht mehr aufzurichten und starb während der Nacht. Rasch sprach es sich herum, daß der Besitzer einer evangelischen Sekte beigetreten war, deren Mitglieder nicht an den traditionellen Mapuchezeremonien teilnehmen dürfen. Noch Schlimmeres widerfuhr einem Mann beim Awün in Quechuregua. Er stürzte vom Pferd, ein Rettungswagen wurde gerufen, der ihn ins Krankenhaus brachte, wo er kurz darauf verstarb. Bald erzählte man sich auf dem Ngillatun den Grund für diesen Vorfall: als der Mann die Einladung zu der Zeremonie erhielt, hatte er zuerst abgesagt, war aber dann doch zur Überraschung der Gastgeber erschienen. Deine Rede sei ja, ja, nein, nein, vor allem bei solch heiklen religiösen Zeremonien. Auf dem Ngillatun finden zwischen den einzelnen Abschnitten rituelle Gespräche zwischen den würdigen alten Männern der Gäste und der Gastgeber statt, ,Pentukun' genannt. Einem Außenstehenden dürften sie kaum auffallen, sie sind nicht durch deutlich erkennbare Formalitäten geprägt. Die Frauen und Jugendlichen sollen bei solchen Gesprächen zuhören, denn dabei werden religiöse Themen behandelt, nicht zuletzt durch die Schilderung solch warnender oder auch erbaulicher Begebenheiten. Ein Pentukun enthält also Elemente eines Katechismusunterrichts oder einer Moralpredigt, wird aber von mehr als einer
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Person durchgeführt. Die Bedeutung solcher Gespräche für die Gläubigkeit der Mapuche sollte keinesfalls unterschätzt werden.
Totenfeier und Jenseitsvorstellungen
Die Angaben über das Totenreich sind nicht einheitlich. In manchen Gegenden heißt es, die »Persönlichkeit' oder ,Seele' des Verstorbenen würde sich in das Innere der Vulkane begeben. Häufiger ist jedoch von einer Reise auf ,die andere Seite des Wassers' die Rede, meist ist darunter eine Insel im Pazifik zu verstehen. Einem frühen Bericht aus dem 18. Jahrhundert zufolge stellte man sich das Jenseits für gewöhnliche Menschen als wenig erfreulich vor. Es wird als ein ein kaltes und unwirtliches Land geschildert, in dem es an gutem Feuerholz mangelt. Die Menschen müssen sich dort von schwarzen Kartoffeln ernähren, die sie selbst anpflanzen. Missionare haben solche Vorstellungem schon während der Kolonialzeit dazu benützt, Sterbenden die Herrlichkeiten des christlichen Himmels auszumalen, um zumindest auf dem Totenbett die Seelen durch die Taufe zu retten. So wird in Z. gelegentlich heute noch ,die andere Seite des Wassers' erwähnt, doch fast im gleichen Atemzug wird von den Wonnen der Verstorbenen beim Vatergott im Himmel gesprochen. Die Vorstellung von einer moralischen Kontrollinstanz für die Verstorbenen und einem Ort der Sühne im Jenseits ist den traditionell denkenden Mapuche fremd, so wie vielen Indianervölkern Südamerikas. Für Vergehen wird man bereits in dieser Welt durch Krankheit, Unglück und Elend bestraft, oder auch durch ein verkürztes Leben. Die Begräbnisriten erfuhren im Laufe der Zeit und von Ort zu Ort manche Abwandlung und unterschieden sich im vorigen Jahrhundert je nach sozialem Rang und Geschlecht des Verstorbenen.
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War ein Mann von Ansehen und Wohlstand gestorben, dann fand sein Begräbnis erst Wochen später statt. In der Zwischenzeit bahrten die Angehörigen ihn auf einem Gerüst in seinem Hause auf - was bald zu einer fast unerträglichen Geruchsbelästigung führte. Unter dem Leichnam wurde ein Feuer entzündet, dessen Rauch zur Konservierung beitrug. Die weiblichen Verwandten stimmten immer wieder Trauerklagen an. Boten wurden ausgeschickt, um die Nachricht vom Todesfall ringsum zu verkünden und zum Begräbnis einzuladen. Verwandte und Bekannte von nah und fern stellten sich ein, die Angehörigen des Verstorbenen empfingen die Kondolenzbesuche und bewirteten die Gäste auf das Beste. In Reden pries man Leben und Taten des Verstorbenen wie die seiner Vorfahren; Reiterspiele und Tänze fanden statt. Früher versuchte man auch durch Leichenbeschau die Ursache für den Tod festzustellen, wobei das Urteil fast stets Verhexung durch einen Gegner lautete. Schließlich wurde der Tote in einem ausgehöhlten Baumstamm bestattet. Man gab ihm Speisen und Getränke sowie Kleidung, Schmuck und Werkzeuge mit ins Grab, das durch einen beschnitzten Pfosten gekennzeichnet wurde. Heutzutage wird in Z. vor dem Begräbnis eine Totenwache abgehalten, wie dies in Chile allgemein üblich ist. Verwandte und Bekannte strömen herbei, um ihr Beileid zu bezeugen. Sie bringen Blumen, Kerzen und Lebensmittel als Beitrag zur Feier mit. Dafür erhalten sie eine gute Verpflegung, wobei Fleisch und Wein nicht fehlen dürfen, von Zeit zu Zeit wird ein Gebet gesprochen. Die meisten Toten werden nach zwei Nachtwachen bestattet, Kultleiter nach drei Nächten. Am frühen Nachmittag, bevor der Sarg zum Friedhof geleitet wird, findet die Zeremonie des Amulpüllün statt. Vier Männer, die für ihr rituelles Wissen bekannt, jedoch keine Verwanden des Verstorbenen sind, stellen sich zu beiden Seiten des Sarges auf. Jeder der Vier erhält eine Flasche Wein, von der er manchmal trinkt und ein paar Schluck für den Verstorbenen auf die
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Erde gießt, und die er von Zeit zu Zeit gegen die Flasche seines Gegenübers austauscht. Die Anrufungen im Verlaufe des Amulpüllün werden von den vier Personen gleichzeitig mit lauter Stimme gesprochen. Sie sind ein beredtes Zeugnis für die Besorgnis der Hinterbliebenen, der Verstorbene könnte einen seiner Verwandten mit sich nehmen: „Sage auf gar keinen Fall: ,Ich habe eine Familie, ich habe Söhne, ich habe Töchter, ich habe eine Gattin, ich habe gute Brüder'. Blicke keineswegs auf deine Familie zurück! Heute schon wirst du zu Asche, schon ist dein Herz zu Stein geworden, in einem fremden Land befindest du dich, du weißt nichts mehr von den Dingen (dieser Welt)." Anschließend führen vier erfahrene Frauen die gleiche Zeremonie durch. Nach wie vor wird nach dem Tod einer wichtigen Persönlichkeit deren Lebenswerk gewürdigt. Als in Z. ein Kultleiter starb, wurde an dessen Sarg eingehend die Wiederaufnahme der Ngillatunfeier in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts geschildert. D e r M y t h o s v o n T R E N G T R E N G U N D KAYKAY
Wie bei den meisten Andenvölkern sind die Erzählungen der Mapuche im allgemeinen verhältnismäßig kurz und erinnern an Parabeln, insbesondere wenn man sie mit den ausführlichen Geschichten der Amazonasindianer vergleicht. Die Mythe von Trengtreng und Kaykay wurde bereits Mitte des 17. Jahrhunderts zum ersten Mal aufgezeichnet. Sie wird in neueren Abhandlungen immer wieder als Ursprungsmythos der Mapuche eingeordnet; gleichzeitig liest man allerdings auch die Vermutung, daß die Missionare der Kolonialzeit zur Verbreitung dieser Erzählung beigetragen haben, da sie entfernt an den Bericht von der Sintflut erinnert. Es sind unterschiedliche Versionen im Umlauf, die folgende Fassung lehnt sich eng an den frühesten Bericht an. Die Einschübe ,es heißt' imitieren den Erzählstil der Mapuche, die genau angeben, wenn eine Darstellung nicht auf eigenem Erleben beruht. 55
Es heißt, die Kaykay-Schlange ließ das Meer immer höher steigen bzw. sie überschwemmte das Land durch andauernde Regenfälle. In jener Zeit, heißt es, verwandelten sich viele Menschen in Fische oder Felsen. Einige Menschen wurden von der Trengtreng-Schlange gewarnt und flüchteten auf den Berg gleichen Namens, der mit dem Ansteigen der Fluten immer höher wuchs, so daß die Menschen der Sonne gefährlich nahe kamen, wie es heißt. Mit Holzschüsseln schützten sie sich vor den sengenden Strahlen. Als das Wasser schließlich sank, konnten die Uberlebenden vom Berg Trengtreng herabsteigen und danach feierten sie den ersten Ngillatun, heißt es, wobei sie ein Menschenopfer darbrachten. Einige Frauen wurden danach beim Sammeln von Meeresfrüchten von Fischen geschwängert und so entstanden zahlreiche menschliche Familien. In mehreren Gebieten der Araukanie gibt es noch heute Berge oder Hügel, die von den dort ansässigen Mapuche den Namen einer der beiden mythischen Schlangen erhielten. So ist in Z. die Erzählung selbst zwar unbekannt, aber der Höhenzug am nördlichen Taleingang wird in den religiösen Zeremonien als Kaykay angesprochen. In der regenreichen Winterzeit um die Mitte des Jahres ruft er unter Dröhnen die Gewitterwolken herbei, die dann ihre Fracht über das Tal ergießen, berichten die Bewohner. Der Kaykayberg wird als feucht eingestuft, im Gegensatz zu dem Höhenzug am südlichen Taleingang, der in den Zeremonien ,Trengtreng' genannt wird. Dieser Trengtrengberg gilt als trocken, obgleich auf ihm ebenfalls Quellen entspringen. Da er flacher ansteigt als der Kaykayberg und tagsüber von der im Norden stehenden Sonne beschienen wird, sind seine Hänge besiedelt, vor allem in den niederen Höhenlagen. Die Mythe beinhaltet also unter anderem den Gegensatz von zu viel Feuchtigkeit bzw. Wasserüberfluß einerseits und Trockenheit bzw. Feuer und Sonne andererseits. Wohl wegen der
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langanhaltenden Winterregen im Mapuchegebiet gilt das Wasser als das gefährlichere Element. Mapuche als Mitglieder evangelischer Gemeinschaften Fast alle Mapuche, ebenso wie die meisten Chilenen, sind katholisch getauft. Zu den modernen Phänomenen in Lateinamerika gehört der Wechsel innerhalb der christlichen Konfessionen. Auch in Chile haben evangelische bzw. protestantische Sekten und Kirchen in den letzten Jahrzehnten viele Anhänger gewonnen. Diese Gemeinschaften sind zumeist fundamentalistischer Prägung und stammen usprünglich aus den USA. Die folgende Schilderung beruht zum Großteil auf Angaben in der Literatur und soll, nicht zuletzt mir selbst, den Übertritt mancher Mapuche verständlich machen. Man schätzt, daß etwa 20 % der Mapuche sich den evangélicos angeschlossen haben, vor allem den pentecostales, der Pfingstbewegung. Die Missionierung erfolgt auf eine Weise, die von der katholischen Kirche kaum kopiert werden kann, nämlich durch die Heilung hartnäckiger Krankheiten. Wenn ein Mapuche ein Leiden hat, das weder die Arzte noch die Machis erfolgreich bekämpfen können, dann mag er sich an die Evangélicos wenden. Daraufhin wird ein Pastor gemeinsam mit anderen Mitgliedern seiner Gemeinde trachten, mittels Gebeten und Auflegen der Hände eine Linderung zu erzielen oder sogar die Genesung zu bewirken. Das Zusammenwirken mehrerer Bekannter aus der Umgebung bei diesem religiösen Ritus ist den Mapuche aus den Heilzeremonien der Machis geläufig. In Z. hatte ein Mann bei einer feuchtfröhlichen Feier unter Nachbarn in Trunkenheit einen schweren Frevel begangen. Er hatte gerade eines jener Schafe eingefangen, geschlachtet und verzehrt, die bei jedem Ngillatun eine Rolle spielen und nicht getötet werden dürfen. Daraufhin erkrankte er schwer. D a niemand seine Leiden zu lindern vermochte, wandte er sich schließlich an einige Evangélicos. Er führt es auf die erfolgreiche Be57
handlung durch seine neue Glaubensgemeinschaft zurück, daß er jetzt nur noch leicht behindert ist. Die Evangélicos verstehen solche wunderbare Krankenheilungen als Beweis für die Rechtmäßigkeit ihrer Lehre und die Nähe des Gottesreiches. Um die Gesundheit nicht erneut aufs Spiel zu setzen und ebenso als Gegenleistung für den Beistand in einer schweren persönlichen Krise wird die demütige Unterwerfung unter den reinen Gott gefordert, der bedingungslose Anschluß an die religiöse Gemeinschaft. Die Evangélicos sehen sich im dauernden Kampf gegen das Schlechte in dieser Welt. Der Gegensatz zwischen Gut und Böse wird also mit viel Nachdruck herausgearbeitet. Die neue Situation, so wird gefordert, soll durch eine Veränderung im Verhalten, die Abgrenzung von der früheren Lebensführung deutlich erkennbar werden. Evangélicos werden ermutigt, sich durch das Streben nach Weiterbildung und durch Fleiß auszuzeichnen. Weder der Genuß von Tabak oder Alkohol ist gestattet noch die Teilnahme an den traditionellen Zeremonien der Mapuche, sei es ein Ngillatun oder die Krankenheilung durch eine Machi, da diese Frauen angeblich mit dem Teufel im Bunde stehen. Dafür hat ein Bekehrter regelmäßig an den religiösen Kulten der eigenen Gemeinde wie auch anderer Gemeinden gleicher Konfession teilzunehmen. Die Mitglieder werden also in ein neues soziales Geflecht eingebunden und erfahren ein starkes Gemeinschaftgefühl. Gleichzeitig wird ihnen in Gesprächen und Predigten nahegebracht, welche Freude es sei, zur Gruppe der Aufrechten zu gehören, die das rechte Wissen besitzen und auf der Seite des Lichts stehen. - So zumindest stellen die (katholischen) Autoren, auf die ich mich stütze, die Sachlage dar. Es erhebt sich jedoch die Frage, in welcher Form diese Ideen von den Mapuche rezipiert werden, und welche Entwicklungen auftreten, wenn die Leitung solcher evangelischen Gruppen ganz in die Hände von Mapuche übergeht. Für Personen, die in ihrer Jugend keine Möglichkeit hatten, sich entsprechend ihren Talenten ausbilden zu lassen, und die
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darüberhinaus einen Hang zur Mystik haben, bieten die Fortbildungskurse der Evangélicos eine geistige Nahrung, die Herz und Verstand gleichermaßen beschäftigt und einzelnen sogar den sozialen Aufstieg in den Rang eines Pastors ermöglicht. Von katholischer Seite wird auf die mangelnde theologische Fundierung der evangelischen Fundamentalisten und deren simplen Katechismusglauben hingewiesen. Aber was sollen solche akademische Spitzfindigkeiten gegenüber dem wiederholten Erlebnis der Krankenheilung und dem Gefühl der Geborgenheit in einer Gemeinschaft ausrichten, in der sich alle als Bruder bzw. Schwester ansprechen. Bei den Evangélicos werden auch Träume als Offenbarungen anerkannt. So wird von einer Gemeinde berichtet, in der die Frage nach der Beschaffenheit des Himmelreiches auftauchte. Eine der führenden Persönlichkeiten wurde daraufhin im Schlaf von seinen Vorfahren besucht, die ihn in seinem neuen Glauben bestärkten und ihn im Jenseits herumführten. Dieses beschrieb er den anderen Mitgliedern anschließend in allen Details. In diesem Falle wurden also wieder die für die Mapuche so wichtigen Gesichte als Legitimation der Konversion eingesetzt. Der Übertritt wurde keineswegs als Bruch mit der Vergangenheit begriffen, vielmehr knüpfte das Auftreten der Vorfahren in der Traumreise ein Band zu den alten Zeiten.
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450 J a h r e Araukanermission 100 Jahre Missionsarbeit der bayerischen Kapuziner Othmar Noggler Missionare im Spannungsfeld zwischen dem Anspruch des Evangeliums und der politischen Macht Die bayerischen Kapuziner, deren Ankunft in Araukanien vor 100 Jahren den Anlaß für die Ausstellung und den vorliegenden Rückblick bildet, waren die letzten in einer langen Reihe von Missionaren, die unter dem spanischen Patronat 2 als „Apostolische Missionäre" im Auftrag der Kongregation für die Glaubensverbreitung in Rom und als Mitarbeiter des Apostolischen Vikariats Araukanien unter dem Mapuchevolk arbeiteten. Eine Missionierungsgeschichte, die nach 450 Jahren noch nicht abgeschlossen ist, wirft Fragen auf, zumal die katholische Kirche für den gesamten Kontinent bereits auf der III. Generalversammlung des lateinamerikanischen Episkopates in Puebla 1979 stolz und wahrscheinüch zurecht von „Unserem katholischen Wurzelboden" „Nuestro radical substrato católico" 3 spricht und die Araukaner nicht erst als Kleingruppe vor kurzem entdeckt wurden, wie etwa die Yanomami im Amazonasbecken. Wie wenige andere Völker Amerikas stehen die Araukaner seit der ersten Begegnung mit der Weltmacht Spanien und später der Republik Chile im Licht der Geschichte. Naturgemäß ist diese Geschichte aus dem Blickwinkel derer geschrieben, die, wie die Spanier, eingestehen mußten, daß der Estado de Arauco militärisch nicht zu unterwerfen ist, es sei denn unter enormem finanziellem Aufwand und einem ebenso hohen Blutzoll. Ein Großteil der Dokumente, die die bürokratisch hervorragend durchorganisierte spanische Kolonialmacht über das „Reino de
2 Die spanische Krone fibernahm die Verantwortung für die Missionierung. 3 Documentos de Puebla, Madrid 1979, p. 26, Visión Histórica, 1.2.
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Chile"4 in Santiago, sowie am Sitz des Vizekönigs in Lima und im Archivo de Las Indias in Sevilla5 während der mehr als 250 Jahre über den Estado de Arauco6 gesammelt hat, betreffen Kriegsberichterstattung über verlorene und gewonnene Schlachten, geräumte und untergegangene spanische Städte, über Friedensverträge und Versuche, mit Hilfe der Missionare die Conquista doch noch zu vollenden. Auch die Republik Chile, die letztendlich die militärische Conquista abgeschlossen hat, sah sich gezwungen, die Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, daß die Frontera - die Grenze zum Estado de Arauco - immer noch mehr bedeutet als eine historische Erinnerung. Wie eingangs gesagt, wirft die ungewöhnlich lange Periode der Missionierung Fragen auf. Die einfachste Antwort glaubten viele in einer Halbzeile im Heldenepos „La Araucana" des Dichters und Offiziers, Ercilla y Züniga, gefunden zu haben, die lautet: „Ein Volk ohne Gott und ohne Gesetz.". Sie wurde so, aus dem Zusammenhang gerissen, ungeprüft von Generation zu Generation weitergegeben7. Diese Qualifikation : „Gente sin Dios, ni ley, ni rey - Volk ohne Gott, Gesetz und König" begegnet uns noch 1960 beim einem brasilianischen Historiker8 in der auf Aussagen von Missionaren gestützten portugiesischen Variante: „O indio vivia sem Deus, sem rei e sem lei" 9 : Dagegen entspricht es den geschichtlichen Tatsachen, daß es in Amerika wenige Völker gibt, die ihr Land mit solcher Ausdauer nicht nur verteidigt haben, sondern ihre Freiheit für die gesamte spanische Kolonialzeit wiedergewinnen und im Kernland erhalten konnten. Dafür haben sie bis zur endgültigen Niederlage im Jahre 4 Wörtlich: Reich Chiles. Chile hatte eine gewisse Unabhängigkeit vom Vizekönigreich Peru 5 Sitz der General Verwaltung der spanischen Kolonien 6 Estado de Arauco: Araukanerstaat, von den Spaniern so genannt 7 Ercilla y Zuniga, Alonso de, La Araucana, Madrid 1965, Parte I., Canto I, p. 69; Erstausgabe 1580 8 Ribeiro, J., Histöria do Brasil, Rio de Janeiro 1960, p. 48 9 Der Indianer lebte ohne Gott, ohne König und ohne Gesetz
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1881 und nicht nur im 16. Jahrhundert „viel eigenes und spanisches Blut geopfert", wie schon der genannte Dichter für seine Zeit feststellt 10 . Einen ersten Grund für die ungewöhnlich lange Dauer der Christianisierung können wir somit in der unheilvollen Verbindung von Eroberung, Unterwerfung und Missionierung sehen. Das läßt sich bereits deutlich in den ersten Jahrzehnten spanischer Präsenz in Chile ablesen. Verspielte Chancen. Nach mehreren Anläufen und mit erheblichen Verlusten war es Spanien mit dem Conquistador Pedro de Validivia 1553 gelungen, sich im „Estado de Arauco" festzusetzen. An strategisch wichtigen Punkten wurden „Städte" gegründet und Forts angelegt, wie Penco / Concepción 1550, La Imperial und Valdivia 1552. Sie dienten der Sicherung der Herrschaft, aber auch als Grundstruktur für die von Anfang an mitgeplante Missionierung. Im Umkreis dieser spanischen Siedlungen wurden die „Doctrinas" 11 errichtet, die als Zentren und Jurisdiktionsbezirk der Missionierung der Araukaner dienten 12 . Zwar waren auch in dieser Phase die Spanier militärisch nie ganz Herr der Lage, weil es immer wieder zu Kämpfen mit einzelnen Kaziken13 der Mapuche14 kam, dennoch entwickelte sich, den Quellen zufolge, neben der Wirtschaft ein erstaunlich reges religiöses Leben. Wie im übrigen spanischen Herrschaftsgebiet war auch hier die kirchliche Verwaltung der erste Schritt. Inmitten des Estado de Arauco, in der strategisch wichtigen Stadt „La Imperial", wurde 1571 der Bischofssitz errichtet, dessen Jurisdiktionbezirk im Norden vom Rio Maule - der alten Grenze zum Inkareich - theoretisch bis Feuerland 10 Ercilla y Züniga, Prölogo, p. 50 11 Missionsstationen im Gegensatz zu Pfarreien 12 Noggler, Albert, Vierhundert Jahre Araukanermission, Schöneck/Beckenried, 1973, S. 130, Exkurs: Doctrina, im Folgenden „Noggler" zitiert 13 Häuptlinge 14 Che = Mensch, Mapu-che: = Herren des Landes, Huilli-che: Bewohner des Südens, Picun-che: Bewohner des Nordens, Pehuenche: Bewohner der Berge
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im Süden reichte. Nach Osten bildete die Andenkordillere die natürliche Grenze, nach Westen der Stille Ozean. In Valdivia kamen nach den Quellen an Sonn- und Feiertagen an die 6 000 Indianer zur Messe, und in die Bischofsstadt sind die Neophyten 15 jeweils in feierlicher Prozession eingezogen. Ungewöhnlich für die Zeit ist die Errichtung je eines Frauenklosters für die Mädchenerziehung in Osorno und La Imperial, und die des Krankenhauses „St. Kosmas und Damian" [Noggler 135]. Die Missionierungsarbeit leisteten Mercedarier und Franziskaner. Mit zusätzlich neun Weltpriestern verfügte die Diözese 1570 über insgesamt 20 Priester. Bischof Antonio de San Miguel soll in seiner zwanzigjährigen Amtszeit selbst an die 200 000 Mapuche getauft haben. 1593 kamen auf Wunsch des Gouverneurs Martin Garcia Onez de Loyola, einem Verwandten des Gründers der Gesellschaft Jesu, die Jesuiten nach Chile. Zwei von ihnen sollen in elf Monaten zwischen Santiago und Osorno, allerdings zeitweilig unter militärischem Schutz, 60 000 Indianer getauft haben. [Noggler 139 bzw. 134]. Diese Berichte gleichen vielen anderen über die Bereitwilligkeit der indianischen Bevölkerung in der Anfangsphase, den neuen Glauben anzunehmen. Leider gleichen auch die Klagen über unmenschliches Verhalten der Europäer gegenüber den Mapuche, denen in anderen Regionen des iberischen Herrschaftsbereiches. Für den kurzen Einblick in die erste Phase der Missionierung mag es genügen, daß Bischof Antonio de San Miguel bei Philipp II., dem königlichen Patron, wie es damals rechtens war, und nicht beim Papst, den Rücktritt einreichte mit der Begründung „um nicht weiter die Beleidigungen mit ansehen zu müssen, die unserem Herrn in diesem Lande angetan werden wegen der schlechten Behandlung der Indianer und anderer Sachen" . Unter letzteren sind die mangelnde Zusammenarbeit mit den Behörden zu verstehen, die die Gesetze der Krone gegen die Leibeigenschaft nicht energisch und dauerhaft durchsetzten. 15 Neugetaufte
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Nicht einmal die Reservation d.h., die Verweigerung der Beichtabsolution von Spaniern ohne ein bischöfliches Attest korrekter Behandlung der Indianer, brachte bei den „Christen", wie sich die Europäer generell nannten, den gewünschten Erfolg 16 . So verläßt der erste Bischof 1591 seine Diözese. Er stirbt unerwartet auf dem Weg zu seinem neuen Bestimmungsort, Quito in Ecuador. Die Mission als Mittel der Conquista
Der Gouverneur García Oñes de Loyola, der sich in Peru ausgezeichnet hatte, wollte den ständigen Kriegen ein Ende setzen und die Conquista 17 vollenden. Dazu errichtete er ein neues Fort, das zum Anlaß des ersten Generalaufstandes wurde. Er brachte für lange Zeit den Araukanern südlich des Bio-Bio und den Mapuches im Kernland bis 1881 die Freiheit. Ihm fielen nicht nur die Städte zum Opfer - Osorno und Villarrica gerieten gar ganz in Vergessenheit - der Bischofssitz wurde nach Concepción verlegt, Missionare und Schwestern konnten entweder fliehen, sind umgekommen oder wurden vertrieben. Nach dieser Katastrophe übernahmen die Jesuiten allein die Verantwortung für die Missionsarbeit, sie konnte nunmehr nur in direkter Abhängigkeit von den Militärs und der jeweiligen militärischen Lage geschehen. P. Luis de Valdivia, S. J. wurde zur entscheidenden politischen Figur und der Idee des „Defensivkrieges", der den Spaniern nur die Gegenwehr bei Angriffen des von ihnen beherrschten Territoriums erlaubte. Mit den wichtigen Kaziken von Concepción konnte Valdivia 1605 Frieden schließen. Auch er unterstützte die Vorstellung eines theologischen Gutachtens, nachdem die Araukaner Untertanen der spanischen Krone seien und damit ihre kriegerische Unterwerfung rechtens sei [Noggler 150/151]. Um den Frieden und gleichzeitig wenigstens die 16 Lagos, R., Chillán, p. 84, zitiert in: Noggler 138 17 Eroberung
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Missionsarbeit „en correrias" d.h. in Wandermissionen zu retten, mußte er die heikle Frage der Polygamie ausklammern. Die Politik schwankt künftig zwischen der Vernunft, die rät, den Estado de Arauco und die Unabhängigkeit der Araukaner zu respektieren und dem Willen, die Conquista zu vollenden. Ein zweiter Generalaufstand 1655 kostete nicht weniger als 20 000 spanische Soldaten. Die Opfer unter ihren indianischen Hilfstruppen, die der Araukaner und der Zivilbevölkerung bleiben unerwähnt [Noggler 164]. Schon 1608 hatte Philipp III. in einem königlichen Dekret verordnet, alle im Krieg gefangenen Araukaner, ob Buben oder Mädchen, Frauen oder Männer, die älter sind als 10 Jahre, zu versklaven, ebenso die Familien gefangener araukanischer Soldaten. Unter dem Eindruck des Zweiten Generalaufstandes wurde 1671 die Durchführung dieses Dekrets auch von den Geistlichen gefordert. Auf Intervention der spanischen Königin wurde diese jedoch verhindert und 1679 generell abgeschafft [Noggler 166]. Die Erfahrung, daß die Araukaner mit Militärgewalt nicht niederzuringen sind, läßt wieder die Missionsarbeit als Mittel in den Vordergrund treten, um das gesteckte Ziel, die Unterwerfung zu erreichen. Das führte zu einer längeren Friedensperiode, die auch die Wandermission ermöglichte. Es zeugt von einer gewissen Sympathie, die sich die Jesuiten erworben hatten, daß sie unmittelbar vor dem Generalsaufstand von 1723 auf Anweisung des führenden Indianergenerals in Sicherheit gebracht wurden. Spanien mußte sich 1738 den Frieden mit Geschenken erkaufen und die Missionsarbeit brach ein weiteres Mal zusammen. Mit einem neuen Gouverneur, Antonio Guilly Gonzaga, begann 1764 wieder ein neuer Versuch, die Araukaner zu bezwingen. Diesmal sollten Zwangsansiedlungen, sog. Reduktionen, den gewünschten Erfolg bringen. Vor allem Jesuiten, aber auch Franziskaner in anderen Regionen Amerikas hatten diese Methode bei halbnomadischen Indianern angewandt und hielten sie selbst für ein geeignetes Instrument, um diese zu „zivilisieren und zu christia-
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nisieren", wie es generell hieß. Unter militärischer Bewachung mußten also Araukaner wenigstens 39 Siedlungen [Noggler 187] in Fronarbeit errichten. Am Weihnachtstag 1766 war die Brandschatzung dieser Siedlungen zugleich der Auftakt zum Krieg. Dem Bischof und dem Jesuitenprovinzial P. Hueber gelang es schließlich, auf der Basis des Defensivkrieges, den Krieg zu beenden. Damit war ein weiterer Versuch gescheitert, mit Araukanern nach bewährten Mustern in Eroberung und Christianisierung zu verfahren. Für die Jesuiten war dies zugleich die letzte wichtige Handlung in Chile. Denn im gleichen Jahr, am 26. August 1767, wurde auch in Chile das Vertreibungsdekret Karls III. durchgeführt. Damit verlor das Land 317 Priester, 70 Brüder, 32 Studenten und 15 Novizen. Die Bilanz konnte zu diesem Zeitpunkt nicht anders als betrüblich ausfallen. Im ganzen Gebiet um Valdivia, das sich geographisch über zwei Breitengrade erstreckte, gab es nur zwei Stationen, Validivia selbst und Mariquina. „Südlich davon, in Richtung des alten Osorno, war überhaupt keine Niederlassung seit 1723 mehr"18. Die spanische Krone, aufgrund des Patronatsrechtes für die Missionsarbeit verantwortlich, übertrug diese nun wieder den Franziskanern, diesmal dem vor kurzem (1756) gegründeten Propagandakolleg von Chillan. Propagandakollegien sollten, in Abhängigkeit der Kongregation für die Ausbreitung des Glaubens, qualifizierte Missionare heranbilden und waren berechtigt, sich das notwendige Personal in den einzelnen Ordensprovinzen zu beschaffen. Der neue Auftakt der Missionsarbeit stand diesmal unter einem guten Vorzeichen. In dem Gouverneur Augustin de Jauregui erhielt Chile 1773 einen fähigen Mann, der neue Wege beschritt. So ersetzte er die bisherigen Parlamente, Versammlungen der Araukaner, auf denen u.a. die Friedensverhandlungen gestaltet wurden, durch ständige Vertreter in der Hauptstadt Santiago. Am 27. April 1774 wurden die Gesandten der vier Butalmapus, der vier großen Regionen des Estado de Arauco, 18 Enrich, F., Histöria t. II, p. 258, zitiert in: Noggler 191
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feierlich empfangen. Nicht weniger bedeutsam wurde der Gedanke, Kazikensöhne in einem eigenen Kolleg heranzubilden. Dafür wurde nach kurzem Zwischenspiel in Santiago ebenfalls Chillán ausgewählt. Dem Einfluß einer unter spanischer Kontrolle herangebildeten Mapuche-Elite traute er auf Dauer größere Durchschlagskraft zu als den Militärs, die schon so oft gescheitert waren. Das Ziel war immer noch das gleiche: Die endgültige Einverleibung des Estado de Arauco in das Reino de Chile. Der nachfolgende und letzte Gouverneur Spaniens in Chile, Ambrosio O' Higgins, setzte sich für die Weihe von drei Kandidaten des Kollegs ein, die Priester werden wollten. Dies war notwendig, weil der zuständige Bischof von Concepción sich auf ein fehlendes Benefizium hinausredete. Letztendlich konnten die ersten drei Araukanerpriester in der langen Missionsgschichte durch die Intervention eines Politikers geweiht werden. Das Glanzstück während seiner Regierungszeit war die Neugründung der Stadt Osorno 1796 [Noggler 208]. Sie wurde durch die tatkräftige Arbeit der Franziskaner von Chillán möglich. In einem geharnischten Brief an den Nachfolger von Ambrosio O' Higgins schreibt der Franziskaner P. Alday: „Die Provinz Rio Bueno, die die Waffen bei der Erhebung, die das Jahr 1784 brachte, nicht zu halten vermochte oder nicht wollte, sie hat unsere Standhaftigkeit unterworfen und erhalten. Die Provinz der Ebene ist unwidersprochen unsere Eroberung Das Durchhalten in der Arbeit machte uns zu Herren der beiden [Provinzen] und des Weges in die von Chiloé . . . Keinen [Fleck Land] besaßen sie [die Spanier] im Süden von Valdivia, als wir uns zur Gründung der Mission von Rio Bueno den Mut nahmen." [Noggler 209]. „Diese freimütigen Worte besagen nicht weniger, als daß das ganze Gebiet zwischen Valdivia und dem Maipué-Flu unumstritten das Eroberungswerk der Missionare des Kollegs von Chillán ist und zwar nicht religiös, sondern politisch" [Noggler 210]. In den Unabhängigkeitswirren, die letztendlich zur unabhängigen Republik Chile führen sollten, standen die Franziskaner und
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mit ihnen die Mapuche auf Seiten der Königstreuen, mit Ausnahme des Mapuche-Franziskaners Inalicän, der auf patriotischer Seite General San Martin diente und den freien Durchzug des Revolutionsheeres bei den Pehuenches auf argentinischer Seite vermittelte. Die siegreichen Patrioten brannten 1818 das Kolleg von Chillan nieder. Einige Missionare versteckten sich bei den Indianern. Die meisten flohen jedoch nach Peru und wurden von dort, nachdem das Vizekönigreich gefallen war, 1820 in Ketten nach Santiago geführt. Dort trafen sie die übrigen, die Lord Cochrane in die Hände gefallen waren. Dieser englische Condottiere hatte 1819 Valdivia genommen und Befehl gegeben, die Missionsstationen zu zerstören und die Missionare gefangen zu nehmen. „Einige starben im Kerker; wer die Haft überstand, wurde fern von seinem ehemaligen Wirkungsfeld in die Verbannung geschickt. Predigen oder Beichte hören war ihnen unter Todesstrafe verboten" [zitiert in: Noggler 217]. So war der Abgang der Franziskaner von Chillan kaum weniger betrüblich als jener der Jesuiten fünfzig Jahre davor. Chile war Republik, betrachtete sich als die legitime Nachfolgerin Spaniens und pochte deshalb auch auf das Patronatsrecht. Daneben gab es eine starke Strömung, die für ein unabhängiges Chile eine unabhängige, sprich Nationalkirche, forderte. Nachdem sich der Klerus diesem Ansinnen widersetzte, verbannte der militärische Sieger, General San Martin, kurzerhand den Erzbischof von Santiago und schloß die Missionen im Süden. Bernardo 0 ' Higgins, Sohn des letzten Gouverneurs, und in Chillan erzogen, trat in Verhandlungen mit dem Apostolischen Stuhl und forderte einen Bischofsvikar. Rom sandte in Erzbischof Muzi einen Unterhändler, doch scheiterte dessen Mission. Sein Sekretär suchte noch einen Dominikaner zu gewinnen, um den 300 000 Seelen, die im Sprengel von Concepiön zusammengefaßt sind, „auf irgendeine Weise die geistliche Nahrung" zu reichen [zitiert in: Noggler 221].
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Der Wiederaufbau des Kollegs von Chillan im Jahre 1832 war Prieto, schließlich dem siegreichen Kandidaten im folgenden Bürgerkrieg, zu verdanken. Wie Spanien wollte auch die Republik Chile die Einverleibung des Estado de Arauco und sie setzte dabei ebenfalls auf die Franziskaner. Präsident Bulnes erreichte bei der Propagandakongregation die Entsendung von 24 italienischen Franziskanern für das Kolleg. Mit der Einführung der Institution des Missionspräfekten 19 durch Papst Pius VI., wurden Missionsarbeit und Indianerseelsorge aus der unmittelbaren Verantwortung des Bischofs von Concepción genommen. Im Franziskaner P. Pérez hatte Araukanien damit seinen ersten Apostolischen Präfekten. Chile wollte mit Riesenschritten ein moderner Staat werden und suchte deshalb auch den kirchlichen Bereich im Staatsgebiet zu ordnen. 1840 wurde das Bistum Santiago, bisher ein Suffragan von Lima, zum Erzbistum erhoben und zwei weitere Diözesen, La Serena und San Carlos de Ancud auf der Insel Chiloé, sollten dem Süden seelsorglich die notwendigen Strukturen bieten. Noch blieb also der Stachel des Estado de Arauco. Ihn gedachte auch die chilenische Republik mit Hilfe der Mission zu entfernen. [Noggler 223]. Dazu waren weitere Missionare notwendig. Präsident Bulnes schickte deshalb nochmals einen Bevollmächtigen an die Propaganda nach Rom und diese verwies ihn an das Generalat der Kapuziner. Zwischen dem Generalprokurator der Kapuziner und dem chilenischen Abgesandten wurde am 16. Februar 1848 ein Vertrag geschlossen, wonach 12 Kapuziner „sich als Missionare der Bekehrung der Eingeborenenstämme zu widmen [haben], die einen Teil des Territoriums der genannten Republik [Chile] bevölkern." [Noggler 224] Daß die chilenische Regierung die Reisekosten sowie den Unterhalt der Missionare übernahm, verstand sich von selbst. Die Kapuziner ihrerseits verpflichteten sich auf zehn Jahre, durften laut Vertrag keinen Unterricht
19 Missionsoberer mit bischöflichen Vollmachten, jedoch ohne Bischofsweihe
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geben, keine Kollegien betreuen und sich auch nicht in der Verwaltung „verkriechen" [Noggler 224-225]. Damit traten erstmals Missionare alleinverantwortlich auf den Plan, die weder mit Spanien noch mit Chile besonders verbunden waren. Acht Monate später, am 23. Oktober 1848, betraten die ersten Kapuziner, unter ihnen auch der erste Bayer, P. Thaddäus Schmalzl von Pfatter 20 , chilenischen Boden. Ihnen wurden alle zehn Missionsstationen südlich des Cautin bis zum Maipue-Fluß - anvertraut. P. Angel Vigilio de Lonigo wurde der erste Kapuziner-Präfekt mit Sitz in San José de la Mariquina. Bei der Visitation im Jahre 1850 mußte auch er feststellen, daß die größten Schwierigkeiten in der Missionierungsarbeit die eingewanderten Chilenen und Europäer, nicht die Indianer bereiteten. Er mußte die Missionare auffordern, die Indianer gegen Landraub und den Betrug von Kaufleuten zu schützen. Da die Regierung die notwendigen Gelder für neue Stationen nicht bewilligen wollte, entschloß sich der erste italienische Präfekt, in der Hauptstadt Santiago einen Förderverein „Sociedad Evangelica" zu gründen. Er verstand es, den Santiaginern die Missionsarbeit unter den Mapuche als ihre eigene Verpflichtung nahezubringen und schien Erfolg zu haben. Deshalb wollte er sich auch personell unabhängig machen und die künftigen Kapuzinermissionare aus dem Land selbst rekrutieren [Noggler 227]. Schwierigkeiten machte nur Rom, das nach einer Reihe von Auflagen letztlich zustimmte. Untergebracht im 1855 erbauten Konvent, blieb von den 12-16 Bewerbern kein einziger auch nur ein Jahr lang. In der chilenischen Kirche hatte ein wachsendes Desinteresse am Priesterberuf Platz gegriffen und so setzte ein Zuzug von ausländischen Priestern und junger Orden ein, die bis heute das Bild der chilenischen Kirche prägen. Die Missionsarbeit blieb damit personell auf Nachschub aus Italien angewiesen. Die italienischen Kapuziner hatten an ihren 20 P. Thaddäus (Sebastian) Schmalzl von Pfatter (bei Wörth an der Donau, ca. 25 km östlich von Regensburg) (1816-1866) (R).
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Vorgängern kritisiert, daß sie sich zwar um die Christen rund um die Niederlassungen, kaum aber um die „Heiden" gekümmert hatten. Die erwähnte Sociedad Evangélica forderte deshalb von den Kapuzinern die Wiederaufnahme der „Wandermissionen" der Jesuiten, die sich 1856 wieder in Chile niederlassen konnten und so ihre frühere Missionsarbeit in Erinnerung brachten. Die Sociedad Evangélica ließ sogar den späteren Bischof von La Serena, Manuel Orrego, das Missionsgebiet bereisen und die Arbeit der Patres beurteilen. Fünf Jahre nach ihrer Ankunft traf die Kapuziner das gleiche Urteil, das sie über ihre Vorgänger gefällt hatten. Manuel Orrego ging sogar so weit zu behaupten, die „Söhne des hl. Franziskus taugten nicht zur Christianisierung von Ungläubigen, weil es nicht der Geist der Regel sei und auch der hl. Gründer sie nicht für so einen harten Dienst bestimmt habe" 21 . Die Geschichte des Ordens und die Tatsache, daß die Franziskusregel als erste Ordensregel überhaupt den Missionsdienst kennt, beweisen das Gegenteil. Präfekt wie „Visitator" gingen an die Öffentlichkeit, womit natürlich die Hilfsquelle versiegte [Noggler 230 u.231]. Die politische Szene war auch nicht dazu angetan, besonnenen Geistern die Oberhand zu lassen. Ein geplanter Staatsstreich konnte durch die Flucht des Präfekten zum Staatspräsidenten aufgedeckt und die Meuterer 1851 bei Chillan Nuevo geschlagen werden. Die meuternden Truppen hatten sich um Concepción unter dem Vorwand einer Strafexpedition gegen die Mapuche versammeln können. Das gab den Ausschlag für das Vorhaben, die Araukaner nach dem alten Plan Riberas zu unterwerfen. Dieser besagte nicht mehr, als daß die Araukaner durch Chilenen ersetzt werden müßten, anstatt die vielfach gescheiterten Versuche fortzuführen, sie zu „zivilisieren". Coronel Cornelio Saavedra wurde vom Präsidenten Montt mit der Durchführung beauftragt. Ihm gelang es, die Grenze des Estado de Arauco vom 21 Pamplona, Ignacio de, Historia de las Misiones de los PP. Capuchinos en Chile y Argentina (1849-1911), Santiago de Chile, 1911, p. 174
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Bio-Bio endgültig zum Malleco-Fluß vorzuverlegen. Für das freigewordene Gebiet wurden Kolonisten angeworben. Damit beginnt ein weiteres Kapitel schreienden Unrechts gegenüber der angestammten indianischen Bevölkerung auch in Südamerika nach dem Muster der USA, das man heutzutage mit „ethnischer Säuberung" präzise umschreiben könnte. Mißernten und Bürgerkrieg im Norden verhinderten die Fortsetzung des Feldzugs. P. Angel de Lonigo konnte zwar noch in Queule eine Station gründen und die Bewohner dieses Bezirkes für den christlichen Glauben gewinnen, im übrigen hatte er verloren. Der Streit mit der Sociedad Evangelica führte schließlich 1859 zu seiner Abberufung. Seinem Nachfolger, dem Interimspräfekten (1860-1863), P. Damian de Viarreggio, war mehr Erfolg beschieden. Da ist die Missionsstation von Tolten zu nennen. Ihre Wiedererrichtung ist das Verdienst des P. Pietro da Reggio Emilia, der zunächst bedroht und verachtet, dort jahrelang ein Eremitendasein geführt hatte, bis er das Vertrauen der Indianer gewinnen konnte. Damit war eine Missionsstation dort wiedererrichtet, wo Franziskaner, Jesuiten, wiederum Franziskaner und zweimal bereits die italienischen Kapuziner vergeblich versucht hatten, Fuß zu fassen. Die italienischen Kapuziner setzten auf die Kindererziehung, ermöglichten bereits 377 Indianerbuben, die Volksschule zu besuchen und schickten zwei indianische Frauen zur Lehrerinnenausbildung nach Santiago. Der Versuch, eine Schwesterngemeinschaft dafür zu gewinnen, scheiterte. Da in Chile erst ein Gesetz von 1860 den Schulbesuch für den größeren Teil der Bevölkerung ermöglichte, war die Volksschulbildung für Indianer ein bedeutender Schritt in die Zukunft. Die kurze Amtszeit des P. Damian als Interimspräfekt gab der Missionsarbeit dennoch auf Jahre hin das Gepräge. In der ebenfalls kurzen Amtszeit des Präfekten Ignacio de Poggibonzi (1863-1865) konnten die alten Missionsstationen Pelchuquin und Pilmayquen wieder errichtet werden. Die letztere hatten die Kapuziner von den Franziskanern übernommen und sie
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lag im reinen Indianergebiet. Um die Station bildete sich bald eine „christliche Siedlung" mit über 7 000 Einwohnern; allerdings waren davon bereits 4 000 „Spanier". Der guten Arbeit wegen wurde die Ortschaft auf Geheiß der Regierung nach dem dort wirkenden Missionar, P. Paolo de Rojo, „San Pablo" benannt 22 . Der nächste italienische Präfekt, P. Jeremias de Paglieta, fällt nicht nur durch eine sechsjährige Amtszeit (1865-1871), sondern auch dadurch auf, daß er von Trapezunt am Schwarzen Meer nach Araukanien berufen wurde. Nachdem er sich einen Überblick verschafft hatte, forderte er, um kriminellen Landkäufen durch Chilenen Einhalt zu bieten, daß Kaufverträge erst mit der Unterschrift des zuständigen Missionars Rechtskraft erhalten. Da Indianer häufig durch Alkohol unterschriftswillig gemacht wurden, forderte er ein generelles Einfuhrverbot dieser Droge. Darüber hinaus sah auch er, wie bereits seine Vorgänger in der Erziehung der araukanischen Mädchen den Schlüssel für die Christianisierung. Doch Chile hatte andere Sorgen. Es hatte sich in einer Allianz mit Bolivien, Peru und Ecuador auf einen Seekrieg mit Spanien eingelassen und sich schwere Verluste, vor allem bei der Handelsmarine, eingehandelt. So machte sich P. Jeremias auf den Weg nach Europa, um sein Ziel, eine Schwesterngemeinschaft für die Erziehung der Araukanermädchen zu erreichen, zu verwirklichen. Beides erreichte er nicht mehr. Auf dem Weg in die alte Welt ereilte ihn der Tod. Mit seinem Nachfolger, P. Alberto de Cortona (1872-1885), erreichte die italienische Missionsarbeit ihren Höhepunkt. Bekanntermaßen waren die Missionare nur für die indianische Bevölkerung zuständig. Da jedoch immer mehr Chilenen sich in Araukanien niederließen, bzw. viele Indianer Christen geworden waren, wollte P. Alberto einige Stationen an den Bischof abgeben, um Personal für Neugründungen freizubekommen. Er erreichte jedoch lediglich, daß die Patres „Vizepfarrer" der Diözese mit den 22 S.C. de Propaganda Fide, L' Araucania, Memorie inedite dei FF. MM. Cappuccini nel Cili. Roma, 1890, p 155 ff., Noggler 239
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entsprechenden Vollmachten wurden. Als für San Jose ein Weltpriester angekündigt wurde, gründete P. Ottaviano da Nizza, der auch ein Lehrbuch und ein Wörterbuch der araukanischen Sprache für Italiener verfaßt hatte, 15 Meilen landeinwärts mit Erlaubnis des Kaziken Purulon. Unter seinem Schutz konnten 1874 Kirche und Schule in einem reinen Mapuchegebiet erstellt werden. Inzwischen hatten die beiden Mapuche-Lehrerinnen ihre Ausbildung abgeschlossen und konnten in Tolten und Bajo Imperial - hier mit Zustimmung des Indianerparlaments - ihre Arbeit aufnehmen. Chile hatte sich inzwischen im berühmten Pazifikkrieg zwar siegreich, aber unter großen Verlusten mit Bolivien und Peru geschlagen. Diese Schwäche und die unbetreitbaren Spannungen mit den eingewanderten Chilenen, ließen den Augenblick für einen erneuten Waffengang zur Befreiung des Estado de Arauco günstig erscheinen. Im Norden wurden die 1 500 Mann regelrecht aufgerieben und die Chilenen konnten den Übergang über den Cautinfluß mit der Gründung des Forts Temuco am 24.02.1881 feiern. Im Süden waren die Aufständischen zunächst erfolgreich, konnten Imperial nehmen, plünderten und brandschatzten die Mission und schonten auch die christlichen Indianer nicht. Der Chronist, P. Fortunato da Drena, schreibt: „Das Gemetzel der Eingebornen unter den Chilenen war groß. Viel größer wurde das, das wenige Tage später von den Soldaten der Regierung an den Eingeborenen gemacht wurde. Denn die Chilenen brannten alle ihre Hütten nieder, schleppten alle Haustiere weg, beraubten sie alles dessen, was sie hatten und töteten ohne Erbarmen alle, die in ihre Gewalt fielen; dabei ließen sie die Toten unbestattet liegen." Daraufhin kehrt wieder Ruhe ein. „Der Grund dieses fürchterlichen Aufstandes war - wie eh und je - „das schlechte Benehmen einiger ,Spanier' gewesen, die dort in Imperial wohnten" 23 . Das freie Araukanien umfaßte nach diesem Aufstand nur mehr den schmalen Streifen zwischen dem Cautin- und Tolten23 Memorie inedite, [Anm. 22] p. 96
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Fluß. Daher beschloß der Präsident der Republik, Santa Maria, die Conquista abzuschließen. Dies geschah unter Coronel Urrutia, der 281 Jahre nach der Zerstörung zu den Ruinen des alten Villarrica vorstieß. Mit dem 31.12.1882 gilt der Estado de Arauco als unterworfen. Die Lage der Indianer umschreibt der Satz, den der Kazike Paiglialef nach dem Bericht von P. Hluminato da Genova seinen Leuten, die sich gegen eine Mission sträubten, entgegenschleuderte: Wollt ihr Soldaten in diesem Land oder Missionare? Wählt! 24 . Aus dem gleichen Grund bemühte sich der Kazike von Villarrica sogar bei der Regierung um einen Missionar, den diese auch zusagte. Der Präfekt ignorierte jedoch die Anweisung, wäre doch der Pater in erster Linie als Kaplan für den Militärposten gedacht gewesen. Der Kazike von Boroa, einer der Anführer des letzten Aufstandes, entzog sich nach dem Bericht von P. Alfonso da Bitonto der drohenden Strafe durch die chilenische Justiz dadurch, daß er sich nach Santiago aufmachte und von der Regierung einen Missionar erbat. Er hatte Erfolg. Nun dekretierte die chilenische Regierung eine Missionsstation, wo bisher Missionare um Erlaubnis hatten bitten müssen. Entsprechend waren denn auch der Empfang und die Erfolge spärlich. Wieder einmal mußte aus der Sicht der Indianer Mission und militärische Besetzung als ein und dasselbe erscheinen! Mit der Unterwerfung Restaraukaniens waren wenigstens keine Kriegswirren mehr zu befürchten. Aber, so abgelegen dieses Gebiet auch sein mochte, immer wieder bekam man dort auch die weltpolitische Lage zu spüren. Einmal waren es der Niedergang der spanischen Weltmacht, dann die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kolonien, die Spannungen um den Jesuitenorden und dessen Aufhebung, und jetzt die Einigung Italiens. Von der mittlerweile auf 45 Priester angewachsenen Schar der italienischen Kapuziner waren die meisten bereits alt und 18 mußten auf ihrer Station allein zurechtkommen. So mußte nach neuen. Kräften 24 Memorie inedite, [Anm. 22] p. 122
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Ausschau gehalten werden. Zur schwierigen Situation gesellte sich noch ein tödliches Lungenleiden des Präfekten, sodaß dieser abdanken mußte. Sein Nachfolger, P. Urban de Casola (1886-1893), wollte sich neue Kräfte sichern und fuhr deshalb nach Rom. Zugleich wollte er die leidige Jurisdiktionsfrage mit dem Bischof von Ancud endgültig lösen. Vom Ordensgeneral bekam er den Hinweis, sich in Spanien um Mitbrüder zu bemühen. Tatsächlich kam es zu einem Abkommen, wonach 1889 sechs Patres und fünf Laienbrüder aus Spanien nach Chile kamen. Sie begannen ihren Einstand mit „Volksmissionen" und hatten dabei solchen Erfolg, daß sie auch für das Erzbistum Santiago verpflichtet wurden. Nachdem die Spanier jedoch nicht gewillt waren, unter einem italienischen Präfekten ihren Dienst zu tun, baten sowohl der Präfekt als auch die italienischen Patres in einer Art Protestschreiben, dann eben die Missionsarbeit der spanischen Missionare einer anderen aufstrebenden Provinz anzuvertrauen. Aus dieser mißlichen Situation zog der Präfekt die Konsequenz und machte P. Alexius de Barletta, dem letzten italienischen Präfekten (1893-1900), Platz. Er hatte wenigstens drei Patres der Franziskaner von Chillän zur Aushilfe erhalten und dachte daran, ihnen einige Stationen zu übergeben. Die Zustimmung des Ordens und der Propagandakongregation lagen dafür bereits vor. Da kam per Telegramm die unverhoffte Nachricht, die bayerische Kapuzinerprovinz sei bereit, die Araukanermission mit reichlichem Personal zu unterstützen [Noggler 257]. Nach fünfzig Jahren, eigentlich Anlaß zu einem Jubiläum, waren auch die italienischen Kapuziner ein trauriges Häuflein geworden, obwohl sie mit ihrer Methode, statt Wandermissionen Stationen zu gründen, letztlich Erfolg hatten. Die dauerhaften Gründungen in Imperial, Queule, Tolten, Pelchuquin und Boroa waren ihr Werk und mit der
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Schulbildung auch für Indianerkinder haben sie einen wichtigen Weg in die Zukunft gewiesen. Die ersten bayerischen Kapuziner unter italienischer Führung Unter dem energischen Ordensgeneral, P. Bernard (Eduard) Christen von Andermatt, der als neuen Missionssekretär P. Antonin da Reschio, einen ehemaligen Chilemissionar, an seiner Seite hatte, und dem Eindruck mehrerer drängender Briefe an die bayerische Kapuzinerprovinz [Noggler 268], schifften sich am 6. November 1895 die ersten vier bayerischen Kapuziner nach Chile ein und erreichten am 4. Januar 1896 den Hafen von Valdivia, wo sie vom Apostolischen Präfekten, P. Alexius de Barletta mit großer Freude empfangen wurden. Etwas Spanisch hatten sie auf dem Schiff gelernt und nach weiteren sechs Wochen Studium bei einem deutschen Pfarrer, wurden sie bereits eingesetzt. P. Dr. med. Felix Kathan von Augsburg 25 und Bruder Servulus Eding von Gottmannshofen 26 wurden nach Bajo Imperial geschickt, das seit 9 Monaten verwaist war. P. Anselm Beyerau von Camin 27 kam nach Quilacahuin und P. Thaddäus Franz von Wiesent 28 nach San Juan de la Costa. In rascher Folge kamen dann weitere bayerische Kapuziner, sodaß in Kürze alle bisherigen Stationen besetzt werden konnten. Da unter den Bayern auch Brüder waren, konnte ein lang gehegter Wunsch des Präfekten in Erfüllung gehen: nämlich Handwerkerschulen für junge Indianer zu gründen. Bruder Servulus
25 P. Dr. med. Felix Joseph (Ottmar) Kathan von Augsburg (1860-1935) (R). 26 Br. Servulus (Franz Seraph) Eding von Gottmannshofen (bei Wertingen, ca. 30 km nordwestlich von Augsburg) (1861-1933) (R). 27 P. Anselm (Johann) Beyerau von Camin (Westpreußen; heute Polen, ca. 130 km südwestlich von Danzig) (1848-1901) (R). 28 P. Thaddäus (Johannes) Franz von Wiesent (bei Wörth an der Donau, ca. 25 km östlich von Regensburg (1858-1926) (R).
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eröffnete in Bajo Imperial eine Schmiedewerkstätte. Br. Felix 29 und Br. Anton 30 machten in Rahue und San Jose eine Schreinerwerkstätte auf und Br. Nikander31 lehrte junge Mapuche in Quinchilca rationelle Landwirtschaft. Nach Auskunft der Chronik von P. Burkard Englert, dem ersten bayerischen Apostolischen Präfekten, gab es immer noch Indianergebiete, die noch keinen Missionar gesehen hatten. Daher war auch die Erlernung des Mapuche eine Grundvoraussetzung, der sich die ersten Bayern gründlich, z.T. mit wissenschaftlichem Elan widmeten. 1899 standen den sieben noch verbliebenen italienischen Kapuzinern bereits 15 bayerische Kapuzinerpriester und acht Brüder gegenüber. Zeit für die Übergabe. Die Propagandakongregation entband P. Alexius am 17. August 1900 seines Amtes und setzte, nachdem der Status der Apostolischen Präfektur geklärt war, P. Burkard (Andreas) Englert von Röttingen 32 am 30. Juli 1901 zum Apostolischen Präfekten ein, der nahezu 25 Jahre die Geschicke der Präfektur leiten sollte. Burkard (Andreas) Englert von Röttingen Apostolischer Präfekt ( 1 9 0 1 - 1 9 2 4 ) Die bayerischen Kapuziner waren sozusagen für die Italiener in die Bresche gesprungen. Damit waren aber bereits wichtige Vorgaben verbunden. Als erste, auch die Bayern standen, wie die Italiener im Dienst des chilenischen Staates. Er hatte die Grenzen des Jurisdiktionsgebietes bestimmt, schrieb die Missionsmethode vor, forderte jährlich einen Rechenschaftsbericht, mußte 29 Br. Felix (Joseph) Eding von Gottmannshofen (bei Wertingen, ca. 30 km nordwestlich von Augsburg) (1860-1925) (R). 30 Br. Anton (Johannes) Vogt von Bad Reichenhall (1865-1937) (R). 31 Br. Nikander (Stephan) Maier von Thundorf (Ortsteil der Stadt Freystadt/Oberpfalz, ca. 15 km südwestlich von Neumarkt/Oberpfalz) (18601941) (R). 32 P. Burchard Maria (Andreas Joseph) Englert von Röttingen (ca. 35 km südlich von Würzburg) (1864-1945) (R).
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seine Zustimmung für etwaige Versetzungen geben und bezahlte den Unterhalt der Stationen und der Missionare. P. Burkard suchte diese Abhängigkeit zu lösen. Ein erster Schritt war, daß die Gehälter direkt an die Präfektur gingen, die jährlichen fälligen Rechenschaftsberichte ohne Beanstandung unterlassen wurden und nach 1916 auch die Versetzung eines Missionars nicht mehr vom Ministerium genehmigt werden mußte. Sonst blieb die Abhängigkeit bis zur Trennung von Kirche und Staat im Jahre 1925 erhalten. Ein zweiter Schritt war die Sicherung des Eigentums an Grund und Boden. Die Missionare hatten überall, wo sie eine Station oder Kapelle gebaut hatten, auch ein Stück Land. Das war mit den Indianern der betroffenen Gegend abgemacht und damit rechtens. Erst mit der wachsenden Besiedlung durch Chilenen mußte eine Grundbucheintragung geschehen. Im Gegensatz zu den Italienern war P. Burkard der Meinung, als Eigentümer sei die Kirche, dh. die Präfektur, und nicht der chilenische Staat einzutragen. Mit Hilfe des Bischofs von Ancud gelang es schließlich 1907, daß die Präfektur als juristische Person anerkannt wurde, damit Erwerbs- und Besitzfähigkeit erhielt. Das war wichtig für die alten Missionsstationen. Bei Neuerrichtungen von Stationen und Kapellen wurde deshalb der notwendige Grund gekauft. Auch kirchenrechtlich wurde das Gebiet der Präfektur nach langen Verhandlungen mit dem Bischof von Ancud zur Zufriedenheit beider Interessenten geregelt. Für eine möglichst eigenständige Versorgung sollte künftig die Landwirtschaft ausgebaut werden. Schließlich brauchte man Reitpferde, eine große Schafhaltung für Wolle und Fleisch, Weizen und Kartoffeln für das Missionspersonal, für die wachsende Zahl von Schul- und Internatskindern, sowie für die zahlreichen Katechumenen, die sich für einige Wochen auf der Missionsstation aufhielten. Zur Gründung von Schulen hatte der bayerische Präfekt die volle Unterstützung des Präsidenten der Republik. Für das Schulsystem als ganzes wurde das Privatschulgesetz von 1922 bedeut-
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sam, das einen staatlichen Zuschuß pro Kopf und Jahr für die mittlere Assistenz bestimmte [Noggler 310]. Damit waren nach den Vorstellungen von P. Burkard wichtige Voraussetzungen für die Missionsarbeit, die religiöse Vertiefung und Betreuung der christlichen Indianer und Chilenen, geschaffen. Um Erstverkündigung, Glaubensvertiefung und die allgemeine Seelsorge nicht dem Zufall oder dem Genius einzelner Missionare zu überlassen, wurden in zwei Vollversammlungen aller bayerischen Kapuziner 1901 und 1902 die Normen erarbeitet und beraten, die künftig für alle gelten sollten. 1907 gedruckt und 1919 nach dem neuen Rechtsbuch der Kirche umgearbeitet, boten sie Orientierung und gaben der Arbeit des Einzelnen eine einheitliche Stoßkraft [Noggler 326-336]. In der Praxis mußten dennoch Abstriche gemacht werden. So zeigte sich, daß die Mapuche vor allem in den nördlichen Gebieten keinerlei Interesse an Schulen, Religionsunterricht, ja nicht einmal an „Wandermissionen" zeigten und dergleichen rundweg ablehnten. So blieb den eigentlichen Missionaren nur die Chance, „dort, wo es die Indianer zuließen"33, einige Tage zu bleiben und zu versuchen, ihr Interesse zu wecken. Dort, wo schon einige Christen waren, wurde die mehrtägige Anwesenheit des Missionars zu einer regelrechten „Volksmission" ausgebaut, wie sie in der Heimat üblich war. Diese Wandermission hatte immerhin den Vorteil nach Auffassung der Missionare, daß einige Kenntnisse über den christlichen Glauben hängen blieben, das Vertrauen zu den Missionaren wuchs und die Menschen sich später leichter in das seelsorgliche Betreuungssystem eingliedern ließen. Ergänzend zu den Wandermissionen bildeten die Schulen und die Internate ein wichtiges, wenn nicht das Instrument für die Christianisierung der Indianer. Ein erster Versuch wurde in San
33 Burchard Englert: Fünfundzwanzigjährige Missionstätigkeit det bayerischen Kapuzinermissionäre in der Araucanischen Mission Chiles, von 1896-1921. 2 Bde (in Handschrift). Provinzarchiv München, p. 74
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José gemacht. P. Athanasius Hollermayer34 schreibt in der Chronik: „jährlich hielt ich" [1900-1903] „eine kleine Mission - misioncita - auf dem Lande: In Meliquina, Puringhe im Norden, in Puringhe im Osten (Ciruelos), Pulli, Cuyinhe, Chanchan, Alepúe, Mehuin, Pitril . . . Ich benannte Laien an den verschiedenen Orten und legte ihnen den Unterricht der Leute in den wichtigsten Dingen der Religion auf' 3 5 . Sein Nachfolger, P. Mamert Dandi 36 , konnte mit dem Bruder Antonius 37 das erste Internat aufmachen, er mußte aber die ganzen Gemarkungen abklappern, um die 40 Indianerkinder zusammenzutrommeln, die das neu errichtete Internat faßte. Da die Kinder in den Ferien und generell nach der Schulentlassung im vierten Jahr zu ihren Eltern heimkehrten, glaubten die Missionare, könnte eine gewisse Vertrauensbasis geschaffen werden, die für die Christianisierung Voraussetzung ist. Darin haben sie sich nicht getäuscht. Die Volkszählung von 1908 gibt 2 100 christliche Indianer, darunter 270 Ehepaare, und 15 heidnische Indianer an. Die angeführten Beispiele mögen genügen, um deutlich zu machen, daß sich die bayerischen Kapuziner in den Missionsmethoden zunächst nicht wesentlich von den Italienern unterschieden. Ihr Personalstand und ihre finanziellen Mittel erlaubten es ihnen, alte Pläne zu verwirklichen. Dazu gehören neue Missionsstationen, Landschulen, Schwesterngemeinschaften, eine eigene Priesterschaft und schließlich auch araukanische Kapuziner, sozusagen als lebendige Erinnerung an die eigene Missionierungsgeschichte. Nach einer „genauen Schätzung" von 1907 zählte die Apostolische Präfektur 60 000 Indianer, von denen etwa die Hälfte Christen waren und bereits 45 000 Chilenen. Da34 P. Athanasius (Heinrich) Hollermayer von Eglsee (Gemeinde Ittling, Ortsteil von Straubing) (1860-1945) (R). 35 Crónica de la Casiparróquia de San José de la Mariquina desde la fundación hasta 1946. San José de la Mariquina. T. 1, p. 18-19 36 P. Mamert (Heinrich) Dandi von Waging (ca. 30 km nordwestlich von Salzburg) (1872-1937) (R). 37 Br. Anton (Johannes) Vogt von Bad Reichenhall (1865-1937) (R).
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von wohnten lediglich insgesamt 11 000 in den drei „Städten" Valdivia (8 000), La Unión (1 000) und Osorno (2 000). So waren, vor allem für die generell in Streusiedlung lebenden Indianer neue Stationen notwendig. Mit Villarrica (1899), Padre Las Casas (1902), Panguipulli (1903) Puerto Domínguez (1908), Cuneo (1910) Coñaripe und Lonquimay (1910), war ein Netz von Missionsstationen geschaffen, das in einigermaßen verantwortbarer Weise die Missionierung und Betreuung ermöglichen sollte. Dabei konnte es immer noch Überraschungen geben. So wurde Lonquimay anläßlich eines „apostolischen Ausflugs" von P. Venantius38 entdeckt. Es hatte 6 000 Einwohner, 4 000 chilenische Kolonisten und 2 000 Indianer und lag von Padre Las Casas immerhin noch drei Tagesreisen entfernt. Die Siedlung war damals zum letzten Mal vor vier bis fünf Jahren von einem Franziskaner besucht worden [Noggler 358]. Ein lang gehegter Wunsch, nämlich für die Mädchenerziehung Ordensschwestern zu gewinnen, ging im Spätherbst 1901 in Erfüllung. Die Lehrschwestern vom Hl. Kreuz von Menzingen in der' Schweiz begannen ihre Arbeit in Rio Bueno und sollten in der Jugenderziehung in den aufstrebenden Siedlungen und für die Ausbildung von Lehrkräften bis in die Gegenwart von großer Bedeutung bleiben. Als P. Burkard wegen fortschreitender Erblindung schließlich 1924 sein Amt niederlegen mußte, konnte er in der Chronik vermerken: „Es ist wahr, wir konnten das Angesicht der Araucanie nicht erneuern, aber doch vieles zum Besseren wenden . . . Die meisten Katholiken, besonders auf dem Lande, Indianer wie Chilenen, waren höchst unwissend in religiösen Dingen. Die meisten hatten nie das Wort Gottes vernommen, viele nie einen Priester gesehen noch der hl. Messe beigewohnt . . . 5 1 1 1 erwachsene Indianer wurden unterrichtet und getauft . . . Und es ist gewiß etwas Großes gewesen, 25 Jahre lang in den meisten staatlichen Schulen des Missionsgebietes den Religionsunterricht gehalten oder geleitet zu haben . . . Die 38 P. Venantius (Joseph Eugen) Ott von Friedrichshafen (1877-1928) (R).
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Kinder haben wenigstens einen Priester gesehen und sein Wort gehört . . . Dieser Schulbesuch und Schulunterricht wäre ohne dies bayr. Missionäre unterblieben, da es beim chilenischen Klerus nicht Brauch war, in die Staatsschulen zu gehen". Im Jahre 1920 hatten wir 38 Missionsschulen mit 1891 Kindern und 19 Internate (einschließlich 2 höhere Töchterinstitute mit 23 Kindern) mit 1 214 Zöglingen. Im ganzen also 3 005 Kinder. Zu den bestehenden Missionen wurden im Laufe der 25 Jahre 8 neue gegründet, 12 Kirchen und 17 Kapellen erbaut . . . 3 9 P. Burkard hatte mit seinen Missionaren den Grund gelegt, auf dem Guido Beck bald als Apostolischer Vikar aufbauen konnte. Guido (Benedikt) Beck von Ramberg Apostolischer Präfekt (1925—1928) und Apostolischer Vikar (1928-1958) Im Januar 1925 wurde der Pfarrer von Cunco in das Amt des Präfekten berufen und am 28. März 1928 zum Apostolischen Vikar ernannt 40 . Damit hatte Rom wohl der Tatsache Rechnung getragen, daß die Präfektur sich seit geraumer Zeit schon mit den bestehenden Diözesen mehr als messen konnte. Das galt nicht nur für die Anzahl der Priester, der Kirchen und Kapellen, sowie der Schulen, es betraf auch die Bevölkerungszahl, die mittlerweile auf fast 167 000 gestiegen war. Die Trennung von Kirche und Staat im Jahre 1925 hatte der Kirche freie Hand gegeben, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln. So wurden nach und nach neben dem Apostolischen Vikariat auch im unmittelbaren Umfeld die Diözesen Temuco, Valdivia und schließlich Osorno gegründet. Mit der Weihe von P. Guido Beck zum Titularbischof von Mastaura schien der Weg zur selbständigen Diözese eingeschlagen und Beck verfolgte ihn konsequent. Nicht anders als sei-
39 Burchard Englert, Chronik, [Anm. 33] p. 1157-1164 40 P. Guido (Benedikt) Beck von Ramberg (ca. 30 km südöstlich von Kaiserslautern) (1885-1958) (R).
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ne Vorgänger setzte Guido Beck auf die Jugenderziehung. In seiner dreißigjährigen Amtszeit hatte sich die Zahl der Schulen, die das Vikariat unterhielt auf 166 mit 31 440 Schülern erhöht. Darunter gab es elf Höhere Schulen. Damit lag die Möglichkeit zur Schulbildung vor allem auf dem Land, weit über dem übrigen Landesdurchschnitt [Noggler 391]. In Weiterentwicklung der ersten Unterweisungen in Gartenbau, Landwirtschaft und Schreinerei hat sich eine Reihe von Mittel-, Berufs- und Haushaltungsschulen entwickelt, die im wesentlichen bis heute funktionieren. Zum Aufbau einer Diözese gehören vor allem eigene Priester. Bereits P. Burkard hatte einen Vorstoß gemacht, um ein eigenes Seminar zu gründen, erhielt jedoch von der zuständigen Propagandakongregation eine abschlägige Antwort [Noggler 414] mit dem Hinweis, etwaige Kandidaten nach San Carlos de Ancud zu schicken. Dem widersprach jedoch die Erfahrung, da bei einer Ausbildung außerhalb des gewohnten Milieus, die jungen Leute das Interesse an der Arbeit in der durchwegs ländlichen Araukanie schnell verloren, sobald Arbeitsmöglichkeiten in der Stadt geboten wurden, wie das bei Junglehrern häufig der Fall war. Beck hatte schon als Pfarrer von Cuneo einige junge Leute um sich geschart, die er für den Priesterberuf zu begeistern suchte. Zum Apostolischen Präfekten ernannt, nahm er seine Schützlinge nach San José de la Mariquina mit und brachte sie in einem gemieteten Haus unter. Nach seinen eigenen Vorstellungen gilt damit das Jahr 1925 als Gründungsjahr des Seminars. Er beginnt mit acht Studenten. Als Leiter und Ausbilder wurde Bruder Anton Vogt, selbst ein bewährter Lehrer, eingesetzt und im Missionslehrer Domingo Alcamän hatte er zugleich einen Mapuche-Indianer an seiner Seite. In der Weiterentwicklung, die akademische Lehrer und einen Neubau notwendig machte, vermerkt die Chronik: „Von den Ende 1930 verbliebenen Schülern waren vier Araukaner, 13 Chilenen, einer Italiener, 17 Deutschchilenen und drei Reichsdeutsche"41. Das spiegelt in etwa auch 41 Provinzbote Jg. 1930, p. 22-28; 51-53
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das Verhältnis der Bevölkerung in der Region wider und zeigt, daß die ursprünglich rein indianische Bevölkerung durch Zuwanderung immer mehr zur Minderheit im eigenen Lande wird, eine Entwicklung, die nicht ohne Einfluß auf das Selbstverständnis sowohl der Indianer als auch des Seelsorgepersonals des Apostolischen Vikariats ist. Immerhin wurde 1933 der erste Araukanerpriester seit dem Ende der spanischen Kolonialzeit, Pascual Alcapang, ein ehemaliger Missionslehrer, zum Priester geweiht. Den ersten Mapuche-Kapuziner konnte Guido Beck 1956 die Priesterweihe spenden. In Padre Las Casas erzogen, konnte P. Severiano Alcamän Peinen erst auf Umwegen in die bayerische Kapuzinerprovinz eintreten, da diese in Chile kein Noviziat hatte [Noggler 425]. Chilenische Kapuziner wurden erst ab 1959 im Priesterseminar „San Fidel" ausgebildet. Man wollte vor allem keine „Weltpriester im Habit", die nur Weltpriester ersetzen. Der vorgesehene Novizenmeister, P. Dr. Francisco Valdes Subercaseaux, der spätere Bischof von Osorno42, war ein strenger Verfechter der Vorstellung, es sollte eine neue Gruppe sein, die vor allem die franziskanische Armut glaubhaft vorlebt. So dauerte es, von der kanonischen Errichtung 1950 bis zum Februar 1953, bis in aller Stille die ersten Kandidaten in Valdivia eingekleidet wurden. Damit war man wiederum dort angelangt, wo die italienischen Kapuziner vor 100 Jahren schon einmal begonnen hatten, allerdings mit der Vorstellung „Missionare" aus dem Lande zu rekrutieren [Noggler 422/23]. Die Haltung der bayerischen Kapuziner in der Frage der Verwurzelung des eigenen Ordens im Vikariat, gab P. Luis Bertrand Riedl43 in einem „Gutachten über den Fortbestand unseres Ordens in der Araucanie" wieder, wenn er schreibt: „Von vornherein muß in dieser Frage das Ziel klar gesehen und scharf umrissen werden; es handelt sich hier nicht um das Problem: 42 P. Francisco Valdes Subercaseaux (1908-1982) (R). 43 P. Ludwig Bertrand (Paulus) Riedl von Inkofen (Markt Schierling; ca. 25 km südöstlich von Regensburg) (1909-1994) (R).
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Wie bekommen wir Kräfte für die Missionspfarreien? oder: Wie bekommen wir Missionäre? Diese Frage ist untergeordnet der hier zu behandelnden: Wie soll der Orden der Kapuziner in der Araucanie weiterbestehen?" In der Zwischenzeit gab es eine andere Entwicklung: Es ging nicht mehr um die Einwurzelung des Kapuzinerordens in Araukanien, sondern in Chile. So wurde am 15. Februar 1982 die gesamtchilenische Kapuzinerprovinz gegründet. Sie zählt derzeit 75 Mitglieder, bestehend aus chilenischen, spanischen, bayrischen, belgischen, schweizerischen und einem argentinischen Kapuziner. Sieben der chilenischen Kapuziner sind Mapuche. Im Vikariat arbeiten allerdings nur noch 13, die beiden Schweizer und Belgier sind weiterhin in der Indianerseelsorge tätig, jedoch in der Diözese Osorno, die 1955 errichtet wurde. Damit ging eine Ära der Kapuziner zu Ende, die mit der Errichtung des Priesterseminars konsequent angestrebt wurde: Das Vikariat bzw. die spätere Diözese sollte nicht von Ordensmännern, sondern von eigenen Weltpriestern getragen werden. Das gegenwärtige Zahlenverhältnis von 13 zu 43 drückt das ebenso aus, wie die Tatsache, daß die Ausbildung der kommenden Priester seit 1985 vollständig in den Händen von Weltpriestern liegt. In die Zeit des „Baumeisters des Vikariats", wie Beck gerne genannt wurde, fällt auch die Gründung bzw. Berufung weiterer Ordensfrauen. Die Lehrschwestern vom Hl. Kreuz leisteten gute Arbeit, waren aber nicht zu gewinnen, auch noch mit entsprechendem Personal Katechistenarbeit auf dem Lande zu machen. Daß dies erfolgreich war, zeigte eine Laienkatechetin aus München, Frau Elsa Metzler, die in Boroa mit großem Erfolg von Hütte zu Hütte ging und Erwachsene wie Kinder unterrichtete. Unter der Leitung von P. Wolfgang Emslander 44 reifte, nachdem eine weitere Deutsche und als dritte bereits eine junge Mapuchefrau und dann eine Chilenin sich zusammenfan44 P. Wolfgang (Karl) Emslander von Kochel (ca. 60 km südlich von München) (1884-1956) (R).
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den, der Gedanke, eine Gemeinschaft zu gründen, die sich der Katechese auf dem Lande widmen sollte. Bei der Einkleidung der ersten „Hermanas Catequistas de Boroa", wie sie bis heute heißen, wurden 48 Erwachsene getauft, die von den bisherigen Laienkatechetinnen vorbereitet worden waren. Die notwendigen rechtlichen Schritte übernahm der Apostolische Vikar, die Ausbildung hatten für die ersten Jahre die Kreuzschwestern übernommen. Ab 1937 stand die junge Gemeinschaft auf eigenen Füßen, vollständig nach dem Tod der beiden Gründerväter, P. Wolfgang und Bischof Beck. Obwohl auch sie Schulen, Mädcheninternate, die Betreuung der Leprakranken auf der Osterinsel, die 1937 zum Vikariat kam, übernahmen, blieb die Erwachsenenkatechese weiterhin ein Schwerpunkt. Das von ihnen erbaute und geleitete Instituto de Catequesis bildet Laienkatecheten aus und organisiert die Sakramentenpastoral in den Pfarreien. Mit den „Katechistinnen von Boroa" ist eine chilenische Gründung geglückt, die zugleich in der Christianisierungsgeschichte Araukaniens eine bedeutsame Mapuche-Gemarkung nicht nur in Erinnerung behält, sondern den Namen zwischenzeitlich bis nach Paraguay getragen hat. Eine weitere Gemeinschaft konnte bei einem Besuch von Bischof Guido Beck in Deutschland gewonnen werden. Die Kongregation der Franziskanerinnen vom göttlichen Herzen Jesu in Gengenbach, Diözese Freiburg, erklärte sich bereit, im Vikariat Dienst zu tun. Nachdem vertraglich für Unterkunft und wirtschaftliches Fortkommen der Schwestern gesorgt schien, kamen die ersten neun Schwestern am 4. März 1936 nach Chile und und am folgenden Tag auf die Missionsstation, die ihr künftiges Mutterhaus werden sollte und der Kongregation in Chile ihren Namen geben sollte: Schwestern von Purulón. Sie zeichneten sich vor allem durch große Selbständigkeit aus. Sie übernahmen Posten auf dem Lande und hatten, für damalige deutsche Verhältnisse undenkbar, z.T. nur alle vier bis sechs
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Wochen Gelegenheit, an einer Meßfeier teilzunehmen. Da die Schwestern bald guten Zulauf hatten, konnten sie auch während des Krieges, als sie vom Mutterhaus in Gengenbach abgeschnitten waren, weitere Stationen aufmachen. 1948 übernahmen die Schwestern auch das Krankenhaus in Pucon, das sich unter ihrer Führung zum bedeutenden regionalen Krankenhaus entwickelte. Ein Bericht des Jahres 1958 nennt 23 Stationen, 22 Volksschulen, 5 Internate und 4 428 Schulkinder, dazu 13 388 Krankenbesuche und 5 359 Tagespflegen. Diese Leistung wurde damals von 125 Schwestern erbracht, die bereits mehrheitlich (76) aus Chile stammten [Noggler 409-411]. Ohne besonderes Zutun, lediglich durch einen Gebietstausch, der mit der Errichtung der Diözese Valdivia spruchreif wurde, kam eine weitere Schwesterngemeinschaft in das Apostolische Vikariat: Die Dominikanerinnen von der Heiligen Familie in Pitrufquen. Seit 1935 dort tätig, leiteten sie eine Volks- und eine Mittelschule. Offensichtlich aus eigenem Interesse ließ sich die spanische Schwesternschaft vom hl. Karmel, die seit 1913 in Santiago tätig war, in Padre Las Casas nieder. Damit ging ein lang gehegter Wunsch von P. Venantius Ott in Erfüllung, der neben Schule und Internat für Buben auch eine ähnliche Institution für Mädchen wünschte. 1951 kamen die ersten drei Schwestern. Mit ihnen ist neben einem Kindergarten und der Schule auch ein Krankenposten und eine Unterkunft für Indianermädchen in dem aufstrebenden Vorort von Temuco geschaffen worden. Das Missionsdekret des II. Vatikanischen Konzils hatte festgestellt, daß das „beschauliche Leben zur vollen Anwesenheit der Kirche" gehört und deshalb „überall bei den jungen Kirchen Eingang finden" muß. Auch das sollte in der werdenden Teilkirche der Araukanie verwirklicht werden. Initiator war P. Francisco Valdes Subercaseaux, dessen Tante Karmelitin in Santiago war. Aus ihrem Erbe konnte der Bau geplant, 1953 der Grundstein gelegt und 1958 der Bau vollendet werden. Die ersten Schwe-
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stern kamen aus Italien, allerdings keine Karmelitinnen, sondern Kapuzinerklarissen. „Damit war die Kirche in Araukanien wieder dort angelangt, wo sie schon einmal stand, nämlich 1599, vor dem ersten großen Befreiungskampf der Araukaner, dem auch das Klarissenkloster in Osorno zum Opfer gefallen war" [Noggler 413]. Die Ordensschwestern sind aus der jüngeren Geschichte Araukaniens, vor allem aber aus der Pastoral zumal auf dem Land nicht wegzudenken. Nicht weniger wichtig sind die Missionslehrerinnen und -Lehrer. Einzelne waren schon früh in den Dienst der Präfektur getreten und hatten sich um die weitabgelegenen Landschulen verdient gemacht. Mit der Zahl der Schulen war auch die der Lehrkräfte gewachsen. Zwar war theoretisch ihr Einkommen über das Privatschulgesetz gesichert, aber pünktliche Auszahlung der Subventionen für die Lehrerschaft war über Jahre hin eher die Ausnahme denn die Regel. Um die Sicherung der Gehälter, Sozialversicherung und auch die berufliche Qualifikation sicherzustellen, wurde die Stiftung der Lehrerschaft von Araukanien 1937 geschaffen. Derzeit sind 1 060 Lehrkräfte Mitglied in der Fundación del Magisterio de la Araucanía. Sie unterrichten und betreuen 23 500 Kinder in 163 Volks- und 15 Mittelschulen. Eine ganze Reihe von ihnen hatte ursprünglich den Priesterberuf angestrebt und bietet so, über den reinen Schulunterricht hinaus gute Voraussetzungen für die Pastoral. Mit dem jeweiligen Ausblick auf den derzeitigen Stand wurde die chronologische Darstellung der Entwicklung, angebunden an die Amtszeit des Präfekten bzw. des Apostolischen Vikars verlassen. Das scheint gerechtfertigt, da in der Folgezeit keine wesentlichen Neuansätze mehr geschehen sind, die das Vikariat von den umliegenden Diözesen unterscheiden. Die Möglichkeiten, die das II. Vatikanische Konzil etwa mit dem Einsatz der Ordensschwestern, Brüder und Laien in der Pastoral eröffnet hat, sind kein Spezifikum etwa der Kapuziner oder des Vikari-
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ats. Dennoch sollen die Apostolischen Vikare, Bischof Wilhelm Hartl und Bischof Sixtus Parzinger kurz erwähnt werden. Bischof Wilhelm Hartl (1958-1977)
Seit den Tagen der Präfektur hatte es Tendenzen gegeben, diese und später das Apostolische Vikariat unter die bestehenden Diözesen aufzuteilen, was mit den Gründungen von Valdivia und Osorno besonders aktuell geworden war. Um der, für die seelsorgliche Einheit er Araukanie sicherlich schädlichen Vorstellung durch Fakten zu begegnen, hatte Guido Beck sich einen Weihbischof mit dem Recht der Nachfolge in Rom erbeten. Als Kandidaten hatte er zwei genannt: Den Chilenen P. Francisco Valdes Subercaseaux und P. Wilhelm Hartl 45 . Ersterer wurde der Gründungsbischof der Diözese Osorno, der zweite sein Weihbischof und Nachfolger. Die Zeit war nicht einfach. Neben den üblichen, ständigen Problemen, zu denen neben der wachsenden Bevölkerungszahl immer auch die zu geringe Priesterzahl und häufige Brände der alten in Holz aufgeführten Gebäude gehörten, verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage Chiles. In Bischof Hartls Zeit fiel das politische Experiment der „Revolution in Freiheit", mit der die Christdemokraten unter der Führung von Eduardo Frei die zusehends ungerechtere Gesellschaft mit den Prinzipien der katholischen Soziallehre umgestalten wollten, u.a. auch durch die wichtige und längst überfällige Agrarreform. Sein Nachfolger im Präsidentenamt, der Sozialist Salvador Allende, erfuhr nicht nur den Boykott des westlichen Lagers, sondern sah sich zunehmend einer breiten Opposition im eigenen Lande gegenüber, die u.a. einen neunmonatigen Streik des Transportwesens bewirkte. Daher wurde der Ruf nach einer starken Hand laut, die, zeitlich auf ein paar Monate begrenzt, wie es die demokratische Tradition in Chile wollte und kannte, 45 P. Wilhelm (Karl) Hartl von Laufen (ca. 15 km nordwestlich von Salzburg) (1904-1977) (R).
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für Ruhe und Ordnung sorgen sollte. Mit General Pinochet an der Spitze übernahm das Militär am 11. September 1973 mit Gewalt alle Macht im Lande 46 . Das Apostolische Vikariat, mittlerweile zwischen zwei wirtschaftlich und politisch bedeutenden Städten, Temuco und Valdivia gelegen, bekam, entgegen bisheriger Erfahrung bei politischen Umschwüngen, die neue Ordnungsmacht zu spüren. Bischof Hartls erste Aufgabe war es nach seinen eigenen Angaben, in den ersten Tagen nach dem Putsch darauf hinzuwirken, daß keine Hinrichtungen ausgeführt wurden. War doch zu hoffen, daß sich die Nervosität nach einigen Tagen legt und auch Militärgerichte mit Besonnenheit vorgehen. Diese Haltung kennzeichnet seinen Charakter. Auf Ausgleich und Versöhnung ausgerichtet, haben ihm die Menschen ein gutes Andenken bewahrt, manche halten ihn für einen Heiligen. Bischof Sixtus Parzinger (1977-) Wegen des Regierungsdekretes No 2568, das sich mit den Landrechten der Indianerbevölkerung befaßte und vor allem den Gemeinschaftsbesitz in Frage stellte, der immer noch einen gewissen Schutz geboten hat, gehen die Bischöfe von Temuco, Validivia, Osorno, Los Angeles, der Erzbischof von Concepción und der Apostolische Vikar von Araukanien 1979 mit einem eigenen Hirtenschreiben am 4. Mai an die Öffentlichkeit. Die Bischöfe halten darin u.a. fest: „Wir haben Anlaß zu Befürchtungen. Der Gemeinschaftsbesitz hatte bisher einen gewissen Schutz gewährt. Doch als individueller Eigentümer eines Kleinstgrundstückes sieht sich der Mapuche einer wirtschaftlichen Wettbewerbssituation gegenüber, für die er weder ökonomisch noch sozial befähigt ist . . . Es ist offenkundig, daß für 46 Zum Ganzen: Noggler, Othmar (Albert): Chile. In: Prien, Hans-Jürgen, Lateinamerika, Gesellschaft-Kirche-Theologie, Bd 1, Aufbruch und Auseinandersetzung, Göttingen 1981, 220-272
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diese Lage der Mapuche nicht allein verantwortlich ist, sondern auch wir, die wir zur „chilenischen" Kultur gehören, vor allem aber jene, die die Zielsetzungen der führenden Gesellschaft bestimmen. Die Kirche unterscheidet unmißverständlich zwischen den Begriffen der Nation und des Volkes. Innerhalb einer Nation können mehrere Völker bestehen. Existenzberechtigung haben auch Völker, die innerhalb einer Nation eine Minderheit bilden. Dies ist der Fall der Mapuche in Chile. Sie sind ein Volk, weil sie eine historische Herkunft und eine Kontinuitätslinie aufzuweisen haben. Sie gehören einer Rasse an, sie besitzen eine eigene Kultur und auch eine eigene Sprache, die sie auszeichnet."Der Vollständigkeit halber muß erwähnt werden, daß das demokratische Chile mit dem Gesetz No 19253 vom 05. Oktober 1993 einen tatsächlich neuen Ansatz versucht47. Mit dem genannten Hirtenwort aus der Zeit der Militärjunta ist das Problem Nummer eins der indianischen Bevölkerung Amerikas von Alaska bis Feuerland angesprochen. Schon zur Zeit der italienischen Kapuziner mußten Indianer vor Landraub geschützt werden und diese Aufgabe zieht sich als roter Faden auch durch die Zeit, in der ihre bayerischen Mitbrüder die Verantwortung für die Missionsarbeit übernommen hatten. Der bedeutsamste Verfechter indianischer Landrechte war P. Siegfried Schneider48, der langjährige Pfarrer von Panguipulli. Die Chronik ist voll von Fällen klaren Landraubes. Als Bayer hatte er zunächst ein gewisses Vertrauen in die Justiz. Da er mit ihrer Hilfe nichts erreichte, wandte er sich zunächst an die Autoritäten in Santiago, später an die Öffentlichkeit in Zeitungsberichten, in denen er Roß und Reiter mit Namen nannte. Er erreichte schließlich, daß für die Zeit zwischen 1884 und 1929 6,1 Hektar
47 CONADI - Corporación Nacional de Desarrollo Indígena, Ley Indígena, No 19253 D.Of. 5-10-1993, Temuco 1994 48 P. Siegfried (Alois) Schneider von Frauenhäusl (ca. 3 km nordöstlich von Kelheim a.d. Donau) (1868-1954) (R).
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Land pro Kopf einer Indianerfamilie festgelegt wurden, jedoch 500 (in Worten: fünfhundert) für Kolonisten. 49 . Wie dramatisch die Situation ist, beweist ein Brief P. Siegfrieds vom 31. Januar 1905, in dem er nach Santiago schreibt: „Meine Widersacher sind wild geworden wegen der Schande, die sie erlebt haben; sie sind allerdings gleichzeitig davon überzeugt, die Oberste Regierung werde nichts gegen sie und auch nichts zugunsten der Indianer unternehmen. Deshalb gehen die Schikanen gegenüber den Indianern in gleicher Weise weiter wie vorher, weil sie sich sagen: ,Das Geschrei, das die Zeitungen erheben, wird sich legen und danach sind wir in der besseren Lage. Die Indianer müssen aufgeben, weil sie sich sagen, wir haben die Justiz von Valdivia gekauft'. In Coz-Coz pflügt Joaquin Mera gerade den Besitz eines Indianers um. Wilhelm Angermeyer ist fest entschlossen, auf Indianerland ein Haus zu bauen. Clodomir Cornui zäunt gerade einen ganzen Besitzteil des Indianers Juan de D. Lancafilo in Anrapuile und Pedro Pineda ackert in Antilhue das Land von Philipp Millahuala ein mit der Absicht, sich des Landes zu bemächtigen. Und diese Übergriffe geschehen jetzt, zu einem Zeitpunkt, zu dem fast alle Zeitungen diese unhaltbaren Zustände kommentieren! Wenn die Oberste Regierung nichts unternimmt und noch lange zuwartet, bevor sie energische Maßnahmen ergreift, werden die Indianer vernichtet sein. Das größte Unglück für die Provinz Valdivia ist die korrupte Justiz . . . " . Dieser Brief gibt die Tragödie, die im Zusammenhang mit dem 500. Jahresgedächtnis 1992 euphemistisch mit „Begegnung zweier Kulturen" umschrieben wurde, trefflich wieder. Die offensichtlich unzähmbare Gier der weißen Einwanderer läßt sie oft genug zu Verbrechern werden. Sie wollen eigenen Grund und Boden und haben als sichtbarstes Merkmal ihrer Anwesenheit den Zaun in ganz Amerika eingeführt - andere ausschließend, wohl auch sich selbst einschließend. 49 Noggler, Othmar (Albert): Rückblick in vergangene Jahrzehnte, S."28-48. In: Gesandt zu den Indianern Chiles. München-Altötting 1985
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Indianische Völker, nicht nur die Araukaner, kennen neben dem Gemeinschaftsbesitz vor allem das Nießbrauchrecht, das auch ohne Zäune durch die Ethik geschützt ist. Damit ist ein weiterer, wesentlicher Grund für die lange Dauer der Missionsarbeit angerissen. Der christliche Glaube kam nicht nur unter dem Vorzeichen der Unterwerfung, sondern auch als unveränderbares Ganzes, bis hinein in die Liturgie, in die Neue Welt. Ein näheres Eingehen auf die Kultur schien weder notwendig noch erlaubt. Bis unmittelbar in die Zeit vor dem II. Vatikanische Konzil, war die muttersprachliche Eucharistiefeier allgemein verboten. Und an Dialog, schon gar mit indigenen Religionen war ebenfalls nicht gedacht. Umso erstaunlicher ist die Haltung einiger bayerischer Kapuziner und ihrer Bischöfe. In einem Flugblatt lud P. Sebastian Englert 50 für den 18. Dezember 1928 zu einer „Misa-Nguillatun" ein. Der Text lautet: „Geht nach San José zum großen Parlament! Euer Seelenhirte, euer Bischof und väterlicher Freund, der erlauchte Monseñor Guido Beck de Ramberga, hat euch ein schönes und herrliches Fest bereitet. Eine Überraschung. Er lädt euch ein und ruft zu einem großen Nguillatún, aber einem christlichen Nguillatún, verbunden mit einer Feldmesse. Wie bei den Bittgottesdiensten, die seit Jahrhunderten eure Vorfahren feiern, um gutes Wetter und reiche Ernte zu erhalten, so werden einige von euch ihre Opfergaben darbringen, das Lamm schlachten und feierlich und mit lauter Stimme ihre Gebete zu Gott richten. Aber diese Akte werden für sich kein Opfer sein, sondern sie werden das wahre und herrliche Opfer symbolisch darstellen und einleiten, das zur gleichen Zeit und am selben Ort dargebracht wird, um den Segen Gottes auf eure Familien, eure Erntefelder, eure Häuser und eure Seelen herabzurufen . . . Ich hoffe, ihr werdet alle zutiefst zufrieden sein über dieses wirklich araukanische Fest" [zitiert in: Noggler 335]. Dies ist wohl der Höhepunkt der Anerkennung 50 P. Sebastian (Franz Anton Seraph) Englert von Dillingen (ca. 35 km nordwestlich von Augsburg) (1888-1969) (R).
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einer fremden Kultur zu einer Zeit, als gemeinhin in fremden Religionen keineswegs Gottes Wirken, eher das des Teufels gesehen wurde. Nicht minder überraschend ist das weithin positive Verhältnis zu den magischen Krankenheilern, den Machis, soweit sie sich mit weißer Magie befassen und eine bedeutende Rolle in der Medizin und auch in religiöser Hinsicht spielen. Daß Machis - heute in der Mehrzahl Frauen - subjektiv ehrlich von einer eigenen Berufung sprechen, wurde meist nicht in Zweifel gezogen. Nicht selten fühlten sich Krankenschwester und Machi berufsverwandt. Mit solcher keineswegs bei allen Missionaren anzutreffenden Offenheit waren diese Missionare ihrer Zeit voraus. Erst in der Ausfaltung der Theologie des II. Vatikanums konnten Sätze formuliert werden, wie sie in der Enzyklika von Papst Johannes Paul II. „Redemptoris missio - Die Sendung des Erlösers", stehen: „Die Gegenwart und das Handeln des Geistes berühren nicht nur einzelne Menschen, sondern auch die Gesellschaft und die Geschichte, die Völker, Kulturen und Religionen". Und drei Jahre später äußerte sich der „Päpstliche Rat für interreligiösen Dialog" zum Thema : „Traditionelle Religionen". Darin heißt es u. a. „Ihr eigentlicher Reichtum kommt vielmehr in den Gottesdiensten vor" und schließlich hat das letzte Kontinentalkonzil in Santo Domingo von der Kirche gefordert. „Die ureigenen kulturellen Werte der indigenen Völker durch die Inkulturation der Kirche fördern, um eine größere Verwirklichung des Reiches Gottes zu erzielen, weil auch das Wahre in ihrer Religion Ausdruck des Geistes Gottes ist." Ausblick
In der Endphase einer Missionsgeschichte liegt die Versuchung nahe, einen Blick in die Zukunft zu wagen und vermutlich Bleibendes festzuhalten. Ein solcher Punkt wurde soeben behandelt. Wenn Araukaner heute nicht mehr verschämt ihr Nguillatün feiern, es als bedeutenden Wert ihrer eigenen Kultur auch (wieder) pflegen, in der Gläubigkeit ihrer Vorfahren alttesta104
mentliche Züge erkennen, so läßt das erahnen, was hier für die Erhaltung der Identität eines Volkes getan wurde. Ein weiterer Punkt ist die Mitverantwortung der Laien in der Seelsorge. Ordensbrüder und Schwestern zunächst, dann die Lehrer und Katechisten und heutzutage die Hunderten von Frauen und Männern, die die Basisgemeinden befruchten und am Leben erhalten. Das Gebiet der Präfektur, aber auch noch die des Vikariats ist trotz der Tatsache, daß um viele Missionsstationen herum Siedlungen entstanden sind, durchaus noch ländlich geprägt. So war die Gefahr nicht so groß, wie anderwärts, in der städtischen Seelsorge aufzugehen, wenngleich auch durch die dichtere Besiedlung auf dem Land die besondere Betreuung der Indianer in den Hintergrund treten ließ. Der Ausblick wäre nicht vollständig, vor allem nicht zeitgemäß, wollte man nicht auf „Entwicklungsarbeit" hinweisen. Sie geschah früher durch Schulen, Konsumgenossenschaften und dem wohl einmaligen Sozialen Wohnungsbau; heute über die Stiftung „Entwicklung der Araukanie" und der Caritas Chile. Es hieße die Augen verschließen, wollte man nicht sehen, wie mit Kirchen und Kapellen seit vielen Jahren das äußere Bild der Araukanie mit vorwiegend alpenländschem Stil verändert wurde. Mapuche, die selbst weder Wohnbauten über den schlichten Gebrauch hinaus errichtet haben, noch Sakralbauten, finden sie heute als ein Stück ihrer Landschaft. Hundert Jahre Arbeit und Verarbeitung von Geisteströmungen, auf ein paar Zeilen bannen zu wollen, grenzt an Hybris. Vieles ist nicht erwähnt, z.B. die beachtliche wissenschaftliche Leistung der Missionare. Manches fehlt, weil die Erinnerung verwischt ist und manches ist möglicherweise zu sehr gewichtet. Dennoch wurde der Versuch gemacht, um eine Ahnung zu vermitteln, was Menschen gelitten und geleistet haben. Nicht zuletzt soll mit diesen Zeilen den 143 bayerischen Kapuzinern und allen ihren Vorgängern und Helfern gedankt werden, die alle ausgezogen sind, um Menschen zu helfen, so, wie sie es verstanden.
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P. Ludwig Bertrand Riedl 1909 - 1994
Lebensbild eines Missionars Creszentia Riedl Kapuzinerpater Ludwig Bertrand Riedl wurde geboren am 29. Juni 1909 in Inkofen, Landkreis Regensburg, als Sohn des Lehrers Karl Riedl 51 und dessen Ehefrau Creszentia Riedl, geb. Senft 52 . Sein Namenspatron ist der Völkerapostel Paulus. 1910 übersiedelten die Eltern nach Steinbach, Pfarrei Rudelzhausen. Es liegt im Herzen des Hopfenlandes Holledau, ca. 50 km nördlich von München, gehört jedoch noch zur Diözese Regensburg. In der sonnigen Atmosphäre des Lehrerhauses, inmitten seiner drei Geschwister und der Dorfkinder, in enger Berührung mit der Natur und dem Bereich der Kirche wuchs Paul zu einem munteren Buben heran, dem kein Baum zu hoch und kein Spiel zu waghalsig war. Mit zunehmender Deutlichkeit zeichnete sich schon in seiner Kindheit sein späterer geistlicher Beruf ab. Die Welt der Kirche zog ihn mehr und mehr in ihren Bann. Als 1916 der Vater an die Kriegsfront nach Rumänien und Flandern kam, übernahm Paul in der Sakristei den Mesnerdienst, der ja damals zu den Obliegenheiten des Lehrers gehörte. Kein Läuten vergaß er; er wußte Bescheid über die Rangordnung der Festtage und der Heiligenfeste, deren Liturgie und Farbe des Meßgewandes. Bald kannte er den Heiligen Kalender des ganzen Jahres auswendig. Benefiziat Hönig 53 , Nachbar des Lehrerhauses, nannte 51 Karl Riedl (1882-1957) Oberlehrer und Ehrenbürger der Gemeinde Steinbach, heute Ortsteil von Mainburg (Landkreis Kelheim) (R). 52 Creszentia Riedl, geb. Senft (1887-1957); Trägerin des König-LudwigKreuzes „für Heimatverdienste während der Kriegszeit" [Verleihungsurkunde vom 4. Juli 1918] (R). 53 Franz Xaver Hönig (1878-1938) war von 1914 bis 1938 Benefiziat in Steinbach. Benefiziat Hönig stammt aus Allkofen, Pfarrei Pfakofen (Landkreis Regensburg), unweit (2 km östlich) von Inkofen, dem Geburtsort von P. Ludwig Bertrand Riedl (R).
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ihn scherzhaft den „Kalendermann". Er und die fremden Geistlichen, die zu Besuch kamen, hatten ihre helle Freude an dem geweckten Buben und staunten über die in diesem Alter ganz ungewöhnliche Sachkenntnis und Gewissenhaftigkeit in kirchlichen Verrichtungen. Daß sich hier eine Berufung abzeichnete, war für Benefiziat Hönig klar. „Glauben Sie an eine Berufung?" fragte er einmal Pauls Mutter. Diese: „Davon verstehe ich nicht viel." Benefiziat Hönig: „Hier ist eine." Behutsam hegte er den kostbaren Samen. In dem Landshuter Franziskaner Frater Urban 54 , der alljährlich zur Kollektur nach Steinbach kam, begegnete dem kleinen Paul zum ersten Mal ein Ordensmann. Auf der Stelle wollte er ihm ins Kloster folgen. Frater Urban vertröstete ihn: „Wenn ich wieder komme, nehme ich dich mit." Als er im nächsten Jahr wiederkam, nahm ihn Paul beim Wort und meinte ganz ernsthaft: „So, Mama, jetzt gib mir mein Bett, jetzt geh ich mit" . . . Wenigstens einen Klosterhabit wollte er nun haben. Das Christkind erfüllte seinen Wunsch : eine richtige kleine braune Kutte mit Zingulum lag für ihn auf dem Weihnachtstisch. Paul zog sie an - und kannte sich nicht mehr vor Freude. Das nächste Weihnachten brachte ihm eine vollständige kleine Meßgarnitur: einen kleinen Altar, Kelch, Meßbuch, Albe, die Meßgewänder in den liturgischen Farben usw. Paul prüfte Stück für Stück und stellte fest: Es fehlt noch etwas . . . das Schultertuch. Schnell war eines genäht, nach seinen Angaben. Und nun legte er die Kleider an, und ganz, wie es sich gehört, las er die Messe; der ältere Bruder Karl ministrierte, die Mutter sang dazu eine Messe und begleitete statt auf der Orgel auf dem Klavier. Benefiziat Hönig, der Freund der Lehrerkinder, alljährlich am Heiligen Abend Gast im Schulhaus, konnte den kleinen Zelebranten loben: er hatte alles 54 Frater Urbanus Grabler von Ingolstadt (1851-1919) war von 1892 bis zu seinem Tode 1919 im Franziskanerkonvent Maria Loretto in Landshut stationiert und arbeitete dort hauptsächlich als Gärtner und Kollektor (R).
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richtig gemacht. Zusammen mit seinem Bruder „Messe spielen", vor seinen kleineren Schwestern predigen - diese mußten brav zuhören, dann und wann auch „beichten"- das war fortan sein liebstes Spiel. Das kleine Meßbuch wurde später in die Sakristei der Steinbacher Kirche geschenkt. Zur Verwendung bei der Fronleichnams- und Flurprozession anstelle des großen, schweren, war es hier sehr willkommen. D i e Studienjahre
Bald nach dem Kriegsende war in Rudelzhausen Volksmission. Die Vorträge hielten Kapuzinerpatres. Trotz des fast einstündigen Fußweges von Steinbach nach Rudelzhausen war Paul Riedl einer der eifrigsten Missionsteilnehmer. Es war sein entscheidendes Erlebnis: damals reifte in ihm der Entschluß, Kapuziner zu werden. Pater Johannes Cantius 55 vom Kapuzinerkloster Mainburg 56 wurde nunmehr sein geistlicher Freund und Berater. Er ebnete die Wege für seine Aufnahme in das Kapuzinerseminar Burghausen a.d. Salzach - zum Besuch des dortigen Humanistischen Gymnasiums. Im September 1920 kam Paul nach Burghausen. 1929 legte er dort die Reifeprüfung ab. Unter der verständnisvollen Führung seines Seminardirektors P. Salutaris 57 hat sich sein Entschluß zum Ordensberuf nur noch gefestigt. Nach der 6. Klasse nahm er Abschied vom Elternhaus und trat in das Tertiarklerikat Burghausen ein. Er erhielt den Ordenshabit und den Ordensnamen Frater Ludwig Bertrand 58 . 55 P. Johannes Cantius (Philipp Joseph) Leopold von Forchheim (Oberfranken; Erzdiözese Bamberg) (1887-1963) wirkte von 1918-1921 im Kloster Mainburg. Ging 1921 in die Araukaner-Mission nach Chile. Er hat sich dort besondere Verdienste als Architekt und Baumeister erworben. Er erbaute u.a. die Kathedrale in Villarrica (R). 56 Das Kapuzinerkloster Mainburg bestand von 1918 bis 1978 (R). 57 P. Salutaris (Joseph) Seidl von Altkirchen (Gemeinde Sauerlach; bei München; Erzdiözese München und Freising) (1881-1941) (R). 58 Wahrscheinlich in Anlehnung an P. Ludwig Bertrand (Joseph) Röckl von Tiefenpölz (Landkreis Bamberg, ca. 15km östlich von Bamberg) (1865-
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Manche schwere Opfer legte das Ordensleben den jungen Menschen auf. Doch unbeirrt ging Frater Ludwig Bertrand den eingeschlagenen Weg weiter. Nach Abschluß des Gymnasiums, am 30. März 1929, wurde er eingekleidet. Es folgte das Noviziatsjahr in Laufen. Am 31. März 1930 legte er die einfache Profeß ab. Mit anderen Kapuzinerstudenten seines Jahrgangs kam er nun zum philosophischtheologischen Studium nach Eichstätt. Hier legte er am 31. März 1933 die feierlichen ewigen Gelübde ab. Es war dies die aufgewühlte Zeit der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus. Der Magister Clericorum in Eichstätt war gerade damals Pater Ingbert Naab, weithin bekannt als Studentenseelsorger wie auch als federgewaltiger katholischer Publizist und unerschrockener Gegner des Nationalsozialismus. Als einer der führenden Männer des katholischen Deutschland jener Jahre war er den Nationalsozialisten schon vor der Machtübernahme verhaßt. Nunmehr verfolgt wegen seiner Mitarbeit an nazifeindlichen katholischen Zeitschriften, mußte er 1933 verkleidet außer Landes fliehen, um sich einer Verhaftung zu entziehen. Ohnmächtige Sorge um die Kirche in Deutschland, Heimweh und Krankheit zehrten an seiner Lebenskraft. „In iniquitate temporum peregrinus factus et nominatus" (Grabinschrift), starb er bereits 2 Jahre später im Alter von 50 Jahren im Exil, in Königshofen im Elsaß. Aber sein Wort und Beispiel unerschrockenen Bekennermutes wirkten nach, unvergessen, und prägten vor allem auch die junge Kapuzinergeneration jener Jahre in ihrer geistigen Haltung. Am 29. Juni 1934, seinem 25. Geburtstag, wurde P. Ludwig Bertrand Riedl im Hohen Dom zu Eichstätt vom damaligen Bischof von Eichstätt und späteren Kardinal von Berlin, Konrad Graf von Preysing, zum Priester geweiht. Sein erstes hl. Meß1925). P. Ludwig Bertrand Röckl wirkte u.a. von 1918 bis zu seinem Tode 1925 als Guardian und Direktor des Dritten Ordens im Kapuzinerkonvent Mainburg. Die Mutter von P. Riedl war Mitglied des Dritten Ordens (R).
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opfer feierte er am 9. Juli in Steinbach. Diese Primiz, allen, die dabei waren, ein unvergeßliches Erlebnis, war die letzte in der Holledau, die noch mit großem Festzug, Teilnahme aller Vereine, auch der Nachbardörfer, mit ihren Fahnen und unter freiem Himmel - es war ein strahlend schöner Sonnentag - gefeiert wurde. Schon bei der nächsten Primiz kurze Zeit später in Mainburg und so auch fernerhin wurde von den örtlichen Parteistellen jede öffentliche Feier verboten. Das letzte Studienjahr 1934/35 verbrachte P. Ludwig Bertrand zur Ausbildung in der Seelsorgepraxis noch in Eichstätt. Dann führte ihn der Ruf seiner Ordensoberen nach Alt- und Neuötting. Er wurde hier für die Pilgerseelsorge eingesetzt. Aber plötzlich sah er sich wieder vor einer entscheidenden Wende seines Lebens: durch einen Zufall ließ er sich für die Arbeit eines Missionars begeistern. Rasch war der Entschluß gefaßt: In die Mission nach Chile! Die Reise in die Mission Am 25. Oktober 1936, Weltmissionssonntag, nahm er Abschied von Steinbach und der Heimatpfarrei. Vormittags zelebrierte er in Steinbach das Hochamt. Nachmittags zeigte P. Cosmas Behr 59 , sein ehemaliger Guardian in Eichstätt, nunmehr Superior in Mainburg, Dias über Chile und schilderte recht anschaulich jenes schöne Land, das künftig P. Ludwig Bertrands zweite Heimat werden sollte. P. Cosmas kannte das Missionsgebiet der bayerischen Kapuziner in Chile, die Araukanie, aus eigener Anschauung. Er hatte wenige Jahre zuvor den Pater Provinzial auf dessen Visitationsreise nach Chile begleitet und die Bilder dort selbst aufgenommen. Die folgenden Wochen sind ausgefüllt mit Reisevorbereitungen. Am 22. November 1936 empfing P. Ludwig Bertrand im Rahmen 59 P. Cosmas (Anton) Behr aus Großkitzighofen (Gemeinde Lamerdingen; bei Landsberg am Lech; Diözese Augsburg) (1885-1942) (R).
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der kirchlichen Aussendungsfeier in der Bruder-Konrad-Basilika in Altötting das Missionskreuz. Nunmehr darf er sich „Apostolischer Missionar" nennen. Am nächsten Tag beginnt die große Reise. Er nimmt Abschied von Eltern, Geschwistern und den nächsten Verwandten, die zur Aussendungsfeier gekommen waren. Per Bahn reist er nach Hamburg. Sein Bruder Karl 60 begleitet ihn dorthin. Am 28. November fuhr sein Schiff, die „Itauri", ein Frachtdampfer der Hamburg-Amerika-Linie, von Hamburg ab. Mit P. Ludwig Bertrand reisten der Kapuzinerbruder Epiphanius 61 und 9 Lehrschwestern vom Kloster Heilig-Kreuz in Altötting, alle dem gleichen Ziel entgegen. P. Ludwig Bertrands Tagebuch erzählt ausführlich von der langen Seereise. An Abwechslung fehlte es nicht: Sturm auf der Nordsee und im Ärmelkanal, ruhige Seefahrt an den Azoren vorbei über den Atlantik; Übergang vom europäischen Winter in die Hitze des tropischen und südamerikanischen Sommers gerade zu Weihnachten; Äquatortaufe; häufige Zwischenlandungen mit interessanten Landausflügen an der südamerikanischen Westküste, während im Hafen die Frachtgüter der „Itauri" ausund eingeladen wurden; Weihnachten bei den schwarzen Eingeborenen Kolumbiens mit deren Negermusik zur Weihnachtsmesse; nur in Latein kann sich P. Ludwig Bertrand mit dem Negerpfarrer verständigen, und dieser spricht es fließend. Endlich, nach noch siebentägiger Fahrt entlang der Küste Perus legt das Schiff zum ersten Mal in Chile an, in Arica, dem nördlichsten Hafen von Chile. Es ist der 7. Januar 1937. Die Missionare sind überrascht von der Schönheit der Stadt und ihrer Umgebung. Bald geht es weiter. In Antofagasta trifft man bayerische Englische Fräulein, die dort eine Grund- und Mittelschule für 60 Dr. Karl Riedl (1907-1985); Staatsanwalt, später Ministerialdirektor und Amtschef im Bayerischen Innenministerium (R). 61 Bruder Epiphanius (Alfons) Kleinschwärzer von Niederseeon (Gemeinde Seeon-Seebruck; bei Traunstein; Erzdiözese München und Freising) (19021992) (R).
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Mädchen führen. Große Freude beiderseits. Aus dem „Altöttinger Liebfrauenboten" erfahren hier die Missionare die letzten Neuigkeiten aus der Heimat, aus der seit ihrer Abreise noch keine Nachricht an sie gelangt war. Nur wenige Stunden hat man Zeit - weiter geht es, die chilenische Küste entlang. Die „Itauri" legt noch in Valparaiso und Talcahuano an. Die Missionare nehmen die Gelegenheit wahr, immer mehr über die chilenischen Verhältnisse zu erfahren. Die notwendigsten Kenntnisse der spanischen Sprache, der Landessprache Chiles, haben sie sich schon während der langen Reise in eifrigem Selbststudium und gemeinsamer Übung angeeignet. Am 17. Januar 1937, dem 50. Tage der Seereise, fährt das Schiff im Hafen von Corral, dem Seehafen Valdivias, ein. Die Missionare sind am Ziel. Herzliche Begrüßung und freudiges Wiedersehen mit Mitbrüdern aus der bayerischen Heimat. Selbst Missionsbischof Guido Beck war gekommen, sie zu begrüßen. Die Tätigkeit als Missionar K a p l a n in der Missionspfarrei Vilcün Die ersten 4 Wochen verbringt P. Ludwig Bertrand - von jetzt an heißt er Padre Luis - in Valdivia, um Land und Leute, die Sprache und Missionsaufgaben näher kennen zu lernen. Dann, Ende Februar 1937, beginnt er seine Missionstätigkeit als Kaplan in Vilcün, einer ländlichen Pfarrei im Norden der Araukanie, zwischen Temuco und den Cordilleren. Sein Pfarrer dort ist P. Roland 6 2 , den er von Eichstätt her noch gut kennt. Es ist eine Indianerpfarrei. So muß P. Ludwig Bertrand auch deren Sprache, die Mapuche-Sprache, lernen. Bald hat er sich eingearbeitet, vor allem auch reiten gelernt. Das Pferd ist in dem vielfach noch unwegsamen Gelände mit den im Winter morastigen Wegen und reißenden Bächen ohne Brücken ein unentbehrliches 62 P. Roland (Johannes Baptist) Feldmeier von Hienheim (bei Neustadt a.d. Donau; Diözese Regensburg) (1905-1978) (R).
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Verkehrsmittel. P. Luis reitet sehr gern. Besonders angetan ist er von der Schönheit der Vorgebirgslandschaft mit dem grandiosen Hintergrund des Vulkans Llaima. Uber seinen sehr arbeitsreichen Alltag und die weiten Seelsorgsritte hinaus ins Land, oft tief hinein in die Gebirgstäler der Cordilleren, berichtet sein Tagebuch aus den ersten Monaten in Vilcún. Für den Volksgesang bei den Gottesdiensten komponiert er eine Choralmesse mit spanischem Text. Sie findet so sehr Anklang, daß sie bald auch in anderen Missionspfarreien eingeführt wird. Auf Drängen seiner Mitbrüder gibt sie P. Luis vier Jahre später anläßlich des Eucharistischen Nationalkongresses in Santiago in Druck. 63 Ende Januar des Jahres 1939 erschreckt ein furchtbares Erdbeben in Mittelchile auch noch die Bevölkerung der Araukanie. Concepción, die drittgrößte Stadt Chiles, von Temuco entfernt wie Würzburg von München, und Chillan mit 40 000 Einwohnern sind fast völlig zerstört. Aber auch noch in Vilcún schaukelt die Erde wie ein Schiff im Sturm, länger als eine Minute. „Die Erdbeben gehören hier zum täglichen Erlebnis", schreibt P. Luis später nach Hause. „Man gewöhnt sich daran, daß die Häuser zittern und knirschen . . . Um mich braucht Ihr nicht zu bangen; denn für die Holzhäuser, in denen ich lebe, besteht weniger Gefahr. Diese legen und biegen sich zur Seite wie Kisten, wenn ein Erdstoß sie trifft; aber daß die Mauern so umfallen wie bei Steinbauten . . . , das kommt nicht so leicht vor. Immerhin, behüt uns Gott!" Pfarrer in Puerto Saavedra
Ende Februar 1939 wird P. Ludwig Bertrand als Pfarrer nach Puerto Saavedra versetzt. Dieses kleine Städtchen liegt am Stillen Ozean, dort wo der hier 600 m breite Imperialstrom in den Pazifik mündet. Vom Pfarrhaus aus kann man in etwa 1 000 m 63 Misa dialogada castellana. Musik: Ludwig Bertrand Riedl. Text: Gaspar Lefebvre (Santiago de Chile 1941) (R).
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Entfernung das Meer glänzen sehen; immerzu hört man die Brandung rauschen und summen. Einst war Puerto Saavedraein bedeutender Hafen. Jetzt ist das Hafenbecken versandet. Aber immer noch ist der Ort Sitz mehrerer Behörden und darum von einiger Bedeutung; er zählt etwa 2 500 Einwohner - Austragsbauern, Fischer, Kaufleute, Beamte - hat zwei große staatliche und eine Missionsschule, ist im Sommer viel besuchter Badeort und am Sebastianstag 64 das Ziel zahlreicher Wallfahrer aus nah und fern. Die Pfarrkirche, 10 x 35 m, ist dem Herzen Jesu geweiht und hat als zweiten Patron den Heiligen Sebastian, dessen Fest am 20. Januar wie ein wahres Volksfest alljährlich 3 Tage lang gefeiert wird. Die Mission in Puerto Saavedra besteht seit 1850. Sie war von italienischen Kapuzinern gegründet und etwa 50 Jahre später von bayerischen Kapuzinern übernommen worden. Die Pfarrei ist sehr ausgedehnt: sie zählt 25 000 Seelen, darunter 7 000 Mapuche-Indianer, die auf dem Land verstreut wohnen. Von Puerto Saavedra aus sind regelmäßig 10 Landkapellen und -schulen zu betreuen; die äußersteist 50 km entfernt: weite, zeitraubende, oft recht mühselige Wege für Pfarrer und Kaplan, um dorthin zu gelangen! Mit nicht geringen Opfern sind oft solche Seelsorgsritte verbunden. An mehreren Orten an einem Tag muß der Missionar zelebrieren, Beichte hören, taufen, Trauungen vornehmen, Kranken die Sterbesakramente spenden usw. Einmal, so erzählt P. Luis, kam er erst nachmittags 5 Uhr zu einem Frühstück, da er, das alte kirchliche Nüchternheitsgebot vor der Kommunion beachtend, am Morgen nüchtern von zu Hause weggeritten war. P. Ludwig Bertrand hat sich in Puerto Saavedra schnell eingelebt. Aufgeschlossen für die Naturschönheiten, ist er begeistert vom Reiz dieser Küstenlandschaft. „Der Strom, das Meer, die Dünen, der Budisee (südlich von Puerto Saavedra), das ist meine Pfarrei", schreibt er unter dem ersten Eindruck nach Hause. Und am 10. August 1939: „Die Leute hier sind recht gut zu mir 64 20. Januar (R).
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und gehen mir sehr an die Hand, sodaß es ein leichtes und frohes Arbeiten ist." Vielfältig sind seine Pflichten als Missionspfarrer. Die Tage sind randvoll gefüllt mit Religionsunterricht in sämtlichen Schulen des Ortes, mit Vereinsarbeit in der katholischen Aktion, Besprechungen, Gottesdiensten, Seelsorgsritten auf das Land hinaus. Letztere halten ihn oft tagelang fern, währenddessen sich im Pfarrhof die Arbeit anhäuft. Erschwert wird die Seelsorgsarbeit durch den noch tief wurzelnden Heidenglauben der Indianer, die religiöse Gleichgültigkeit vieler Chilenen und die Wühlarbeit der Kommunisten und sozialistischen Agitatoren. Deren kirchenfeindliche Haltung macht ihm viel zu schaffen, wie er im November 1939 berichtet. Unterstützung und Hilfe gegen sie verspricht er sich jedoch von der Accion catolica, den katholischen Vereinen. „Hier müssen die katholischen Vereine erst ins Leben gerufen werden", schreibt er am 8. November 1939: „Es ist der einzige Weg, der Erfolg verbürgt. Nachdem Priester mangeln, müssen Laien im Apostolat geschult werden; z.B. die Erstkommunion, die ich am Fest der Unbefleckten Empfängnis halte, haben Jungfrauen vorbereitet. Der Verein hat etwa drei geschulte Katechistinnen-Fräulein aus der Stadt. Das ist eine gewaltige Hilfe." Und am 9. Juli 1940: „Die katholische Aktion arbeitet bereits gut; auch hier in Puerto Saavedra habe ich sehr gute und tüchtige Laienmitarbeiter. Ihnen gilt meine Hauptarbeit. Denn die Bekehrung der Indianer auf dem Land hängt von der Bekehrung der Chilenen im Dorf (d. i. Puerto S.) ab". Ein anderes Mal: „Die katholische Aktion ist mein Steckenpferd. In Chile sind Staat und Kirche getrennt. Die Gläubigen müssen deswegen ihre Kirche erhalten". So reiten nach der Ernte Pfarrer und Kaplan hinaus aufs Land, um die Spenden der Bauern für die Kirche, die „primicias", einzusammeln. „Hier in Chile haben Kultgeld und primicias dieselbe Bedeutung wie anderswo die Kirchensteuern. Ich brachte 30 Sack Weizen zusammen", schreibt P. Ludwig Bertrand zu Ostern 1940. „Das ist ein klei-
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ner Trost für meine arme Kirchenkasse." Die finanzielle Lage der Missionspfarrei ist immer schwierig. „Ich habe mit meinen 10 Landkapellen und -schulen und mit der Mission hier so viel Auslagen, daß ich immer nur mit der besonderen Hilfe Gottes und seiner Heiligen durchkomme." Am 9. Juli 1940 schreibt er weiter: „Große Sorge macht mir der Kirchturm. Nach 40jährigem Bestehen hat er wegen Baufälligkeit abgerissen werden müssen: der schönste und höchste Turm der Araukanie!" Weithin war er sichtbar als das Wahrzeichen von Puerto Saavedra. „Jetzt liegt er am Boden. Im Frühjahr will ich ihn wieder aufbauen in der gleichen Form. Das kostet mir 12 000 Peso. Und die habe ich nicht. Da muß ich betteln gehen." Am 5. Januar 1941: „Gegenwärtig bin ich mitten im Turmbau . . . Sechs Meister arbeiten unter der Leitung eines Obermeisters schon seit 22. November. Das Fundament ist betoniert, der Turm ist aus Holz. Der Bau macht mir sehr viel Sorgen . . . er kostet etwa 14 000 Pesos. Bis jetzt habe ich 7 000 beisammen; das übrige ist alles zu leihen genommen . . . " Am Sebastiansfest 1941 ist der Turm fertig. Bischof Guido Beck weiht ihn ein. Der Krieg in Europa wirkt sich drüben kaum aus. Nur gewisse Artikel, wie Eisen, Nägel, Zement, sind teuerer geworden. Auch nationale Gegensätze empfindet man kaum, obwohl deren genug da wären, „da hier im D o r f , so schreibt Pater Luis am 9. Juli 1940, „sehr viele ausländische Abstammung haben", und er zählt auf: Franzosen, Italiener, Dänen, Engländer. „Trotz dieses babylonischen Völkergemisches herrscht bei uns tiefer Friede." Mit wachsender Sorge aber beobachtet er die Vorgänge in Europa. „Täglich lese ich die hiesigen Zeitungen, die mit großer Ausführlichkeit vom Krieg berichten." 9. Juli 1940: „An meine ehemaligen Schulkameraden, die im Felde sind, soll Papa recht herzliche Grüße von mir schicken und ihnen sagen, daß ich ihrer täglich bei der hl. Messe gedenken will". Was den Krieg spürbar macht, ist die Verlangsamung und seit 1942 die völlige Unterbrechung des Briefverkehrs mit der Heimat. Die Briefe werden
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zunächst über das Kapuzinergeneralat in Rom vermittelt; die Laufzeit für Luftpost ist 2-3 Monate; manche Briefe kommen gar nicht ans Ziel. Am 25. Januar 1942 schreibt P. Luis: „Fast genau vor einem halben Jahr schrieb ich Euch das letzte Mal. Der Brief kam wieder an mich zurück. Dann nach langer Pause erreichte mich Euer Brief vom 22. April. Ich las ihn am Himmelfahrtstag. Sofort sandte ich an Euch einen Brief ab; hatte aber wieder kein Glück: er wurde wieder zurückgesandt. Jetzt versuche ich es abermals . . . Ich befinde mich wohlauf und wie immer überladen mit Arbeit". Das war der letzte Brief vor Kriegsende, der das Elternhaus in Steinbach erreichte. Der nächste, über Holland vermittelt, ist datiert vom 28.10.1945 und eingetroffen am 7. März 1946. Wir erfahren aus ihm, daß P. Ludwig Bertrand bereits von der Heimat selbst beruhigende Nachricht hat: einen Brief aus Steinbach, geschrieben am 30. April 1945 (unmittelbar nach dem Einmarsch der Amerikaner), abgesandt in London am 11. Mai, und den zweiten Brief aus Neunburg vorm Wald vom 5. Mai, in Chile angekommen am 26. September 1945. Heimkehrende englische und französische Kriegsgefangene hatten die Briefe zur Weiterbeförderung mitgenommen. Doch nun erzählt P. Luis wieder von seiner Arbeit. Obwohl Puerto Saavedra am Stillen Meer „wohl der ruhigste Winkel der Welt" war, obwohl es ihm persönlich „gesundheitlich viel besser als früher, um nicht zu sagen ausgezeichnet" geht, - „die frische Meeresluft und das viele Reiten sowie die viele Arbeit hat mich gesund gemacht", - hat er doch seine großen Sorgen: „Gegenwärtig bin ich daran, im Auftrag des Bischofs eine Ackerbau- (d.i. landwirtschaftliche Fortbildungsschule für die Mapuche zu bauen. Baue schon zwei Jahre daran und werde in diesem Jahr fertig. Nächstes Jahr soll sie in Betrieb genommen werden. Die erste Fortbildungs- und Berufsschule der Araukanie." Uber diese Schule schreibt er im übernächsten Brief vom 27. März 1947: „Gestern habe ich eine neue Hilfe bekommen für
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die Ackerbauschule in der Person des Bruders Primus 65 , der die verschiedenen Ställe und den Garten betreuen und überwachen wird. Die Ackerbauschule tritt heuer ins zweite Jahr ein. Habe zwei Lehrer eingestellt, einen für allgemeine Fächer (Rechnen, Spanisch, Geographie usw.) und einen, den Direktor, für die technischen Fächer (Ackerbau, Hühnerzucht, Bienenzucht, Gartenbau, Obstbau, Forstwirtschaft, Viehzucht) . . . Was wir mit dieser Schule erreichen wollen, ist eine Hebung der wirtschaftlichen Lage der Mapuche und ebenso eine bessere und anhaltendere moralische Bildung der jungen Mapuche." Die moderne Idee der Entwicklungshilfe: Hilfe durch Selbsthilfe! Doch die Schwierigkeiten aller Art sind groß; und sie nehmen kein Ende. Auf die staatliche Unterstützung kann sich P. Ludwig Bertrand nicht fest verlassen. Er schreibt weiter: „Die Mehrzahl der Schüler, die bis jetzt (27.3.47) 16 sind, ist allerdings chilenischer Abkunft. Die Mapuche sind eben noch zu arm, um die Auslagen für eine höhere Bildung zu bestreiten, und unsere Schule ist auch zu arm, um die Burschen umsonst zu haben . . . Wehn wir nur mehr Patres und Brüder hätten, könnten wir auch billiger und besser arbeiten. Ein Pater sollte unbedingt frei sein für die geistliche Leitung der neuen Schule. Aber das ist nicht möglich." Sehr schwierig ist die Personalfrage. Am 27.7.1947 berichtet er: „Gegenwärtig bin ich daran, einen Lehrer für die allgemeinen Fächer zu suchen. Hatte recht Pech mit den bisherigen Lehrern. Der eine war zu eigensinnig, der andere zu grob mit den Schülern". Es kommt noch schlimmer: die Schwierigkeiten stiegen in den folgenden Wochen derart, daß es, wie er am 23. April 1948 an seine Eltern schreibt, „zu einem Umschwung kommen mußte. Auf dem Bau lagen noch Schulden, die ich nicht wegbringen konnte. Der Staat hat bisher mitgeholfen mit einem Zuschuß von 20 000 Pesos jährlich . . . Heuer wurde der Zuschuß auf ein65 Bruder Primus (Peter) Langenegger von Friedberg (bei Augsburg; Diözese Augsburg) (1903-1984) (R).
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mal gestrichen: aus Sparsamkeitsgründen. Die ganze Schule kam dadurch ins Wanken; der Bestand war bedroht. Um sie zu retten, versetzte der H.H. Bischof das Lehrpersonal des Araukanerinstituts von Padre las Casas, mit P. Franz Paul66 an der Spitze, hierher, warf also die zwei Schulen zusammen. Ich mußte die ganze Schule übergeben. Den bisherigen Direktor mußte ich ausstellen. Der entpuppte sich als gemeiner Betrüger: stahl aus meinem Arbeitszimmer die Abschrift des Vertrages, fälschte ihn durch ein anderes Datum und verklagte mich auf das hin beim Arbeitsgericht und verlangte Schadenersatz: 100 000 Pesos, keine kleine Summe! . . . Der Richter ist hier zu allem Unglück ein ganz minderwertiger Mensch und steht auf der Seite meiner Gegner . . . Der Prozeß läuft schon seit dem 8. März. Ihr könnt Euch denken, wie mir das zu schaffen macht. - Inzwischen ist die Ackerbauschule wieder in Gang gesetzt worden, Gott sei Dank! Der heilige Bruder Konrad, dessen Fest wir vorgestern feierten, ist Patron. Wenn ich einmal die Schulden abzahlen kann, werde ich wieder ein freier Mann sein". Die Sache nimmt in den nächsten Wochen eine unerwartete Wendung. Erleichtert schreibt darüber P. Ludwig Bertrand am 14. Juni 1948: „Die Sache mit dem Prozeß ist noch nicht entschieden. Gott hat aber die Sache auf andere Weise gelöst, sodaß jetzt die Gefahr vorbei ist. Der Richter hat nämlich zurücktreten müssen wegen unmoralischer Amtsführung: gerade zur rechten Zeit kam das, bevor er das Urteil über mich fällte. Die Gebete sind doch nicht umsonst." Uber das Ende des Prozesses liegt keine unmittelbare Nachricht vor. Wie später zu erfahren war, nahm er den erwarteten gerechten Ausgang: die neue Richterin sah den Betrug und entschied zugunsten von P. Ludwig Bertrand. Am 66 P. Franz de Paula (Joseph) Schmid von München (1886-1958). Vgl. dazu Riedl, Ludwig Bertrand (Paulus, von Inkofen): R.P. Franz Paul (Joseph Schmid) von München. Nachruf. In: Provinzbote. Anregungen und Nachrichten aus der bayerischen Kapuzinerprovinz. Bd. 40 (1960) S. 19-25 (R).
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21. Juni 1951, morgens 4 Uhr, brannte die Ackerbauschule ab, wahrscheinlich durch Brandstiftung. P. Franz Paul baute sie unter großen Anstrengungen neu auf, diesmal ganz aus Beton. Nach dem Tod des Paters im August 1958 wurde sie wegen Personalmangels geschlossen, jedoch 10 Jahre später dank der Initiative und tatkäftigen Hilfe der Bayerischen Gesellschaft für Wirtschaftshilfe in Lateinamerika neuerdings ins Leben gerufen; denn ihre ursprüngliche Zielsetzung war als Idee der Entwicklungshilfe lebendig geblieben. P. Ludwig Bertrands Mühe um die Ackerbauschule für die jungen Mapuche hat also doch trotz der anfänglichen Verdrießlichkeiten ihre späten Früchte getragen. Zurück zum Jahr 1948. Es war ein Unglücksjahr für die Pfarrei. Am Vorabend des Sebastianifestes sank nachts um 11 Uhr ein von einem wahrscheinlich betrunkenen Steuermann geführtes Fährschiff auf dem Imperialstrom; 100 Passagiere, hauptsächlich Pilger, ertranken. „Das war ein trauriges Fest!" Wenige Wochen später ereignete sich ein zweites SchifFsunglück; 45 Personen, darunter 23 aus Puerto Saavedra, kamen ums Leben. Nur durch Zufall entgeht P. Ludwig Bertrand selbst dem Unglück; ursprünglich hatte auch er mit diesem Fährschiff reisen wollen. „Das waren aufgeregte Tage!", schreibt er. Nicht genug: Im Juli und August 1948 herrscht unter den Indianern der Pfarrei der Flecktyphus. Die Epidemie fordert 25 Tote. P. Ludwig Bertrand erzählt am 29. Oktober 1948: „Mit dem Arzt von hier ritt ich hin, wo gerade Typhus herrschte: in einer Hütte lag ein Toter, und zwei Kranke seufzten daneben. In einer anderen Hütte traf ich eine Familie: 4 Kranke und zwei Gesunde in einem Raum, der nicht größer war als 3-4 m; kaum daß ich mich umdrehen konnte . . . " Im gleichen Brief berichtet er von einem verheerenden Vulkanausbruch des Villarrica, der mitten im Missionsgebiet der Kapuziner liegt. „Das gab in den anliegenden Tälern ein schreckliches Unglück: die plötzliche Schmelze des ewigen, oben aufgestapelten Schnees löste ungeheuere Lawinen aus, die
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sich, mit Lava und Asche vermischt, in die Täler ergossen und alles, was in den Weg kam, mitrissen: Baumstämme, Häuser, Vieh, Menschen. Große Saatflächen und prächtige Weiden sind jetzt bedeckt mit Lava und für immer unbrauchbar gemacht." Das Jahr 1949 verläuft wieder ruhiger. Freudig begrüßt P. Ludwig Bertrand die Nachricht von der Volksmission in der Heimatpfarrei Rudelzhausen, die Anfang Dezember 1949 und wie jene vor 30 Jahren wieder von Kapuzinern gehalten wird. Durch die Mission von 1919 war sein Ja zum Kapuzinerberuf eine reife Sache geworden. „Wird wieder ein Missionsberuf aus der Mission reifen?" fragt er. Am 22. Dezember 1949 schreibt er an die Eltern: „Die Briefe . . . die mir von Euerer Mission berichten, haben mir eine ganz große Freude gemacht. Das muß etwas Herrliches sein, wenn eine ganze Gemeinde, eine Pfarrei geschlossen vor Gott hintritt und sein Wort hört . . . Das ist etwas, was man hier nie erlebt. Hier kann höchstens von 10% die Rede sein. Das ist das Leid hierzulande." R e k t o r in S a n J o s é de la Mariquina
Das Jahr 1950 wird für P. Luis wieder ein Schicksalsjahr: Bischof Guido Beck hat ihm mit dem neuen Schuljahr - es beginnt im März - die Leitung des Missionsseminars übertragen. Dieses befindet sich in San José de la Mariquina, dem einstigen Bischofsitz der Araukanie, etwa 50 km von Valdivia und 26 km vom Meer entfernt. Schwer trennt sich P. Luis von seinem „lieben Puerto .. .von der herrlichen Natur, dem Meer .. .und von den Pfarrkindern .. .In 11 Jahren wächst man zusammen und hat sich gern" schreibt er am 19. Februar 1950 an seine Eltern. Mit Bangen sieht er seinen neuen Aufgaben entgegen. „Die ungeheuere Verantwortung um jeden einzelnen Beruf, die Sorge um alle kleinen und großen Seminaristen vom 1. Gymnasialjahr bis zum letzten Theologiejahr und zur Priesterweihe, die Enttäuschungen und Austritte, die in der letzten Zeit besonders häufig waren . . . das alles wird ein Kreuz sein, das mir der 122
Heiland tragen helfe". Am Freitag nach dem Aschermittwoch, den 24. Februar 1950, zieht er nach San José um. 33 Jahre lang wird er hier wirken - und hier auch sein Leben beschließen. Das Seminar San Fidel gliedert sich in zwei Abteilungen: das sogenannte „Große Seminar", d.i. die philosophisch-theologische Hochschule zur Ausbildung eines einheimischen Priesternachwuchses, und das „Kleine Seminar", das „liceo", eine sechsklassige Höhere Schule, die zur Hochschulreife führt. Dem Seminar angegliedert ist ein Studienheim, das, zunächst unter gleichem Dach untergebracht wie die beiden Schulen, ebenfalls dem Rektor untersteht. 1950 zählte das Große Seminar 6 Alumnen; 1951 bereits 18. Das Kleine Seminar hatte, als P. Luis es übernahm, 57 Schüler, 1953 waren es 80. Die Zahl stieg in den folgenden Jahren auf über 100. Raumnot beschränkte dann jedoch weiteren Zuwachs. 1950 wurde für das Kleine Seminar der Lehrplan der staatlichen Höheren Schulen Chiles übernommen. Ursprünglich hatte das liceo nur zwei Pflichtfremdsprachen: Englisch und Französisch. Seit 1949 kommt eine dritte Fremdsprache hinzu; man kann zwischen einer germanischen und einer romanischen Sprache, darunter auch Latein, wählen. Daß nun auch Latein als Wahlpflichtfach zugelassen ist, begrüßt P. Luis als „großen Fortschritt". Er verpflichtet seine Schüler zu Latein und im Hinblick auf das künftige Theologiestudium auch zu Griechisch. „Da kein Lateinlehrer sich fand .. .und der 84jährige P. Amadeus 67 nicht mehr kann", übernimmt er später den Lateinunterricht selbst. Es fehlt aber das geeignete Lehrbuch. Kurzerhand erarbeitet P. Luis, Unterrichtserfahrung verwertend, ein lateinisches Lehrbuch mit Grammatik, wie er es brauchte. „Es ist gut geworden" urteilt er später selbst darüber. Anfang der 70er Jahre gibt er 67 P. Amadeus (Oskar) Strittmatter von Bruchsal (1880-1964), Mitglied der Rheinisch-Westfälischen Kapuzinerprovinz; wurde aus der Provinz Kansu (Gansu) in China vertrieben und ging 1949 in Araukaner-Mission nach Chile, wo er am Seminar von San José de la Mariquina lehrte (R).
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das Manuskript nach Valdivia in Druck. In den politischen Wirren dieser Jahre aber geht es verloren und bleibt verschollen für immer. Alle Nachforschungen sind erfolglos. Für P. Luis ein sehr bitterer Verlust. Die liceos in Chile sind nur sechsklassig, „so daß die Studenten schon mit 1 6 - 1 7 Jahren das Abitur machen und an die Universität ziehen." P. Luis vergleicht mit den deutschen Schulen: „Die gründliche geistige Formung, wie sie das neunklassige Gymnasium bot, ist hier natürlich nicht möglich; Oberflächlichkeit im Denken ist die Folge." Umso mehr setzt P. Luis seine ganze Kraft ein, aus der Schule und seinen Studenten das Beste zu machen. Seit der Übernahme des amtlichen Lehrplans und der Hinführung zur staatlich anerkannten Hochschulreife nimmt alljährlich eine vom Unterrichtsministerium in Santiago entsandte Prüfungskommission die Schlußprüfungen ab. Diese finden alljährlich vor den Sommerferien im Dezember statt. Die Wochen vorher sind für P. Luis, wie er schreibt, „die schwersten Wochen des Jahres". Doch jedesmal wieder kann er nachher aufatmend von Erfolg berichten. So am 19. Dezember 1954: „Sie (die Prüfungen) sind im allgemeinen nicht schlecht ausgefallen: von den 61 sind nur 4 durchgefallen. Die staatlichen Prüfungen, die wir seit 1950 im Seminar eingeführt haben, bewähren sich ausgezeichnet. Ohne sie hätte das Seminar nie das Ansehen, das es jetzt genießt." Sehr schwierig ist es, die geeigneten Lehrer zu finden. „Ins Seminar paßt nicht jeder", schreibt er am 17.12.1954. „Wenn ich einmal einen guten Mathematikprofessor von drüben bekäme, der Frömmigkeit und Lehrgabe besitzt, wie froh wäre ich!" Ebenso schreibt er nach Europa um einen Professor für Latein, Naturwissenschaft und Musik. Die Fächer Spanisch und Geschichte dürfen nur Chilenen geben. Gar oft kann das Ministerium in Santiago seinen Bedarf an Lehrkräften nicht decken.
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Selbstverständlich spannt P. Luis sich selbst in den Lehrbetrieb beider Seminarien ein. Er gibt so viele Stunden, wie er nur kann - einmal spricht er von 30 Wochenstunden (zum Vergleich: 24 Wochenstunden sind an der deutschen Höheren Schule das Pflichtstundenmaß; für den Leiter der Schule sind es im Höchstfall 8). P. Ludwig Bertrand gibt im Kleinen Seminar Unterricht in Religion, Latein, Griechisch, Englisch, Algebra, Geometrie. Im Großen Seminar lehrt er Homiletik, Kathechetik, Pastoral- und Moraltheologie, gelegentlich auch Liturgik, und das alles neben seinen Rektoratsarbeiten, seinen sonstigen geistlichen Verpflichtungen als Priester und Ordensmann und neben der vielfältigen Beanspruchung als Erzieher und Hausvater des Studienheims. Viel Arbeit macht ihm die wissenschaftliche Vorbereitung für die Vorlesungen im Großen Seminar. Bis in das Detail, Satz für Satz, in Maschinenschrift oder sauberer, klarer Handschrift arbeitet er die Vorträge aus - es ist gewissenhafteste Arbeit! Man staunt, daß er auch dafür Zeit findet. Es war nur möglich durch strenge Disziplin in der Zeiteinteilung. Vielleicht opferte er auch viele Nachtstunden. Häufig bittet er um wissenschaftliche Fachliteratur aus Deutschland; denn daran fehlt es drüben. Auch um Anschauungsmaterial zur Kunstgeschichte, vor allem der Architektur, ersucht er und ist für jede Bereicherung seiner Schul- und Lehrerbibliothek dankbar. Er hat „Heimweh nach den schönen deutschen Kirchen und Kathedralen . . . denn hier", so hatte er schon 1941 geschrieben, „gibt es tatsächlich noch keine Kunst, mit Ausnahme von Santiago. Man muß hier erst Kunst schaffen, so wie in Deutschland zur Zeit Karls des Großen. Und das Schlimme ist, daß hier ein Karl der Große fehlt." Gute Abbildungen von Kunstwerken sollen seinen Studenten wenigstens Anregungen und guten Geschmack vermitteln. Auch die Musikerziehung läßt sich P. Ludwig Bertrand sehr angelegen sein. Mangels eines Musiklehrers übernimmt er in -den ersten Jahren selbst den Musikunterricht. Wiederum bittet er
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in seinen Briefen um gute, vor allem klassische Chorliteratur. Er will auch in der Musik „den künftigen Priestern schon einen guten Geschmack beibringen". Außer Messen studiert er mit ihnen besonders gern lateinische Motetten ein. Das macht viel Mühe, aber ihm und den Studenten auch viel Freude. Zu einer blühenden Schule gehört eben auch ein leistungsfähiger Chor für die Gottesdienste und Feiern. Die Ferien gewähren dem Vielbeschäftigten nur wenig Zeit zur Erholung. Die Großen Ferien dauern von Mitte Dezember bis Anfang März. Die Studenten bleiben über Weihnachten im Seminar; erst zu Neujahr fahren sie heim. Weihnachtliche Hausvaterpflichten, Jahresschlußausflüge mit den Studenten gehören ebenso in das alljährliche Ferienarbeitsprogramm des Rektors wie die üblichen Rektoratsarbeiten zum Schuljahrswechsel: die jährlichen Beurteilungen der Studenten, Ausfüllung der Personalbögen, Rechenschaftsbericht über den Stand des Seminars für den Bischof und das Ministerium, Korrespondenz mit den Eltern, besonders jenen der Neuangemeldeten. Hinzu kommen Korrekturen von Prüfungsarbeiten, Vorträge auf Fortbildungstagungen der Missionslehrer, Exerzitienpredigten und die eigenen Exerzitien usw. - kaum daß P. Ludwig Bertrand zu sich selbst kommt. Die wenigen Tage, die er für die eigene Entspannung erübrigen kann, verbringt er am liebsten im nahegelegenen Meerbad Mehuin. Das Wasser, das Meer sind für ihn der Gesundbrunnen. 1956 gründet er, veranlaßt durch den Wunsch der Bevölkerung, ein weltliches Lyceum für die Buben und Mädchen des Ortes. Es wird dem Seminar angeschlossen und untersteht seiner Leitung. Mit 60 Schülern in der Anfangsklasse begann dieses „Liceo annexo" im März 1956 und „arbeitet ganz gut", wie er im Juli berichtet. In den folgenden Jahren wird die Schule weiter ausgebaut . 1958 übernimmt P. Ludwig Bertrand einen Lehrauftrag für Latein und später 1966 für Philosophie an der Universität Valdivia,
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und bald wird er Ordentlicher Professor dieser Universität. Das ist für ihn eine gewaltige Mehrbelastung; es kostet nicht nur Zeit - mit dem VW-Bus des Seminars fährt er hin und her sondern auch intensives Studium zur Ausarbeitung der Vorlesungen und bringt zusätzlich viel Korrekturarbeit mit sich. Aber er ist dazu gerne bereit; denn so kann er auf die akademische Jugend unmittelbar Einfluß nehmen und an der Heranbildung einer geistigen Elite, der künftigen Führungsschicht des Landes, mitwirken. „Apostolische Arbeit" ist es, wie er am 18.3.1967 schreibt. Und am 12. Oktober 1968 (Nationalfeiertag) berichtet er: „Heute und morgen muß ich einen Stoß Prüfungsarbeiten der Universität korrigieren. Das ist keine erfreuliche Festtagsarbeit. Aber die Arbeit an der Universität ist ein geistiger Gewinn für mich und - ich weiß - auch für meine Studenten." Ahnlich schreibt er am 17.12.1969, „daß mir die Arbeit an der Universität gedeiht; sie macht mich zufrieden; ebenso natürlich und noch mehr die im Seminar." Seine Hauptaufgabe sieht also P. Luis nach wie vor in seinem Seminar, in der Heranbildung von Priestern. Das Klerikalseminar in San José ist neben dem in Santiago das einzige in Südchile, und Priesterkandidaten verschiedener Diözesen studieren hier. Aber auch in das Kleine Seminar drängen seit der Angliederung eines liceo annexo immer mehr Schüler. „Das Haus ist so voll wie noch nie", schreibt P. Luis am 23. März 1964 nach Hause. Es ist zu klein geworden. Ein Ausbau des schon seit dem großen Erdbeben von 1960 sehr beschädigten Gebäudes lohnt sich nicht mehr. Ein Anbau ist wegen der Platzenge in der Ortsmitte nicht möglich. Zudem ist die in dem überbelegten alten Holzhaus stets gegebene Feuersgefahr ein Alptraum für alle - 30 Jahre später, am 24. Juni 1993, ist er in dem verheerenden Seminarbrand schreckliche Wirklichkeit geworden. - So bleibt als einzige Lösung ein Neubau für das Kleine Seminar auf neuem Gelände außerhalb des Ortes.
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Mit Architekten erarbeitet nun P. Luis die Pläne, schickt sie an die Adveniat-Zentrale nach Essen mit der Bitte um Unterstützung. Am 24. Juli 1965 ist feierliche Grundsteinlegung, und noch vor Einbruch des nächsten Winters steht der Rohbau. Doch jetzt gehen die Arbeiten nur mehr langsam voran und stocken schließlich. Für die Fertigstellung und Einrichtung fehlen die Mittel. Auch nur einen Teil der Kosten durch Eigenleistung aufzubringen ist bei der herrschenden Not unmöglich. Ein Großteil der Studenten ist so arm, daß sie auf Almosen seitens der Schule und deren Wohltäter angewiesen sind und nur auf Freiplatz studieren können. P. Luis schreibt: „Hier im Land haben wir eine solche Inflation, daß das Geld jedes Jahr 30% seines Wertes verliert. Das Land verarmt, und ich traue mich hier nicht zu bitten; denn viele Leute leben in Schulden .. .Alle meine Mühen sind bis jetzt ohne Erfolg, und wir müssen ein weiteres Jahr im alten Holzhaus verbringen, das schon an vielen Stellen eine kostspielige Reparatur nötig hat, an Fußböden, Fenstern und Außenverschalung. Wind und Regen dringen im Winter durch. Um diese Reparatur des alten Hauses möchte ich mich drücken, um nicht unnütz Geld auszugeben." Aber für die wachsende Studentenund Schülerzahl muß vorläufig doch zusätzlicher Schul- und Wohnraum geschaffen werden. - Der Dachboden wird ausgebaut und altes Mobiliar wieder in Gebrauch genommen. Für Küche, Speisesaal, Bibliothek und Turnhalle läßt P. Luis im Hof Nebengebäude erstellen, diese jedoch vorsorglich aus Stein. - Sie blieben denn auch beim Seminarbrand von 1993 vom Feuer verschont. Angesichts der fortschreitenden Inflation wächst die Sorge um die Vollendung des Neubaus. Die erbetene Unterstützung aus der Heimat läßt auf sich warten. D a schickt Bischof Wilhelm Hartl P. Luis selbst nach Deutschland. Es war zur Weihnachtszeit 1968/69, während der chilenischen Sommerferien. Zum 2. Mal seit seiner Ausreise ist P. Luis wieder in Europa. Seinen
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ersten Heimaturlaub 1956/57 hatte er wegen der plötzlichen schweren Erkrankung von Bischof Guido Beck und der Amtsübernahme durch den neu ernannten Weihbischof P. Wilhelm Hartl vorzeitig abbrechen müssen. Wie damals war er auch jetzt wieder, trotz der strengen Kälte, rastlos unterwegs, um durch Vorträge, Predigten und Besuche Verständnis und Gebefreudigkeit für die Mission zu werben. Hauptzweck der Reise aber war eine persönliche Vorsprache in Essen, um die Adveniathilfe für das Neue Seminar zu erbitten. Unter dem Eindruck seiner Darlegungen wird P. Luis die Hälfte der Baukosten als Zuschuß versprochen, aber erst ein Jahr später, im Februar 1970, das erste Viertel dieses Betrags überwiesen. Immerhin kann damit die Arbeit am Neubau wieder aufgenommen werden. Nach Empfang der übrigen Raten berichtet P. Luis am 15. Juli 1971: „Unser Seminar geht nun allmählich seiner Vollendung entgegen, sodaß wir im nächsten Schuljahr 1972 im neuen Haus werden arbeiten können." Der neue Seminarbau umfaßt die Räume des Internats und das Schulgebäude des Lyceums. Es vergeht aber noch das Jahr 1972 unter höchst unsicheren politischen Verhältnissen, bis das Haus im Frühjahr 1973, zu Beginn des neuen Schuljahres, bezogen werden kann. Der Nuntius selbst hat es in Anwesenheit mehrerer Bischöfe eingeweiht.68 Im September 1970 war als Nachfolger des christdemokratischen Staatspräsidenten Eduardo Frei (1911-1982), dessen Amtszeit 68 Nur den Bau einer Hauskapelle hatte P. Luis zurückstellen müssen. Ein Schulsaal diente vorläufig als Gebetsraum. Erst 1995 konnte die Kapelle errichtet werden, und zwar als 2. Stock über den Studiensälen. Sie wurde am 16. Dezember 1995 von Bischof Sixtus eingeweiht. Der Festgottesdienst war zugleich die Gedenkfeier für das 70jährige Bestehen des im Jahre 1925 gegründete Seminars San Fidel. Aus kleinen Anfängen hatte es sich in diesen Jahren zu einer blühenden, angesehenen Schule entwickelt. Sie zählt derzeit 240 Schüler. P. Luis war zufrieden, als ihn der Leiter der Schule Dr. Kurenbach noch kurz vor seinem Tod durch „sein" liceo führte. Seit dem Seminarbrand 1993 beherbergt das nahegelegene Kloster Porciuncula die Alumnen des Großen Seminars. 1995 waren es 73 Seminaristen aus 7 Diözesen Südamerikas.
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abgelaufen war, der kommunistenfreundliche Linkssozialist Salvador Allende (1908-1973) gewählt worden. Damit werden linksradikale Kräfte frei. Sozialisierung der Wirtschaft, Verstaatlichung der Betriebe ist Regierungsprogramm. Doch warten die von den Terroristen aufgehetzten Arbeiter die staatlichen Maßnahmen gar nicht ab: Streiks, illegale Besetzungen von privaten Betrieben und Landgütern, namentlich in der Araukanie, sind an der Tagesordnung, ohne daß die Regierung dagegen einschreiten kann oder will. Die Folgen sind Lähmung des Arbeitswillens und Unternehmergeists, Arbeitslosigkeit, Hunger, allgemeine Unsicherheit, Unzufriedenheit mit der neuen Regierung, Bürgerkriegsstimmung. Dazu einiges aus P. Ludwig Bertrands Briefen: Am 28. Januar 1971: „Kommunistisch aufgehetzte Landarbeiter haben bis jetzt 250 Fundos im Land besetzt, und jeden Tag hört man von neuen Besetzungen. Dies bringt natürlich eine große Minderung der Produktion und damit mehr Hunger mit sich. .. .Danke für die Geldspende. Du weißt nicht, wie mich die Armen oft belagern .. .Es gibt Familien, die nichts zu essen und nichts anzuziehen haben - mit oder ohne Schuld, wer kann noch nach Schuld fragen, wenn die Leute vor dem Hunger stehen, der sie täglich bedroht und ängstigt?" - Und am 28. Februar 1971: „Hier in der Araukanie herrscht große Unsicherheit: die illegalen Besetzungen von Fundos, großen und kleinen Anwesen, das Treiben der Guerrilleros, gegen die die Regierung nicht einschreitet, sind der Grund . . . e s gibt bereits sehr viel Arbeitslosigkeit und Hunger im Land; in Anbetracht der Unsicherheit trauen sich die Privatleute nichts zu unternehmen. Wir sind erst am Anfang dieser Übel. Die marxistische Ideologie bringt doch überall die gleichen Ergebnisse. Gott möge uns helfen!" Wachsam und kritisch beobachtet P. Luis das Zeitgeschehen. Um die christlichen Werke besorgt, ergreift er in der Presse immer wieder das Wort, mahnend, warnend, klärend.
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Wie ein Leuchtturm des Glaubens und der Treue zur Kirche, sagte der Apostolische Nuntius, ist das Seminar San José in dieser Zeit des Präsidenten Allende für ganz Chile gestanden. Bei seinem Regierungsantritt war Allende gefragt worden, wie er zur Kirche stehe. Seine Antwort: „Ich werde sie behandeln wie eine Rose" (von P. Luis überliefert). Dem aber widersprach die Wirklichkeit. Es kam zwar nicht zu einem Kulturkampf, wohl aber zu offenen und versteckten Feindseligkeiten. Die Wühlarbeit und Aufhetzung gegen Autorität und bisherige Ordnungen macht auch vor den Schulen nicht halt. P. Ludwig Bertrand berichtet von Streiks an der Universität Valdivia und im selben Brief, am 2. Juni 1971, sogar von einer kleinen Meuterei in seiner eigenen Schule: „Die Studenten sind nicht mehr so zahm wie früher. Am 21. Mai mußten wir einen ganzen Kurs nach Hause schicken, weil sie die Sonderverpflichtung der Seminaristen zu Latein als 3. Fremdsprache nicht anerkennen wollten. Bloß jene, die sie annahmen, durften wiederkommen. Von 24 blieben dann bloß 5 weg und studieren an anderen Schulen weiter. Nun, die gekommen sind, sind zahmer geworden." Größte Sorge bereitet P. Ludwig Bertrand nunmehr der Schwund der Schülerzahl. „Von 100 sind wir innerhalb von 3 Jahren auf 40 gesunken. Das ist alarmierend. Es kann Zufall sein, aber nur zum Teil. Wir werden aufholen müssen. Betet viel für die Priesterberufe, die ja gar nicht zum Geschmack der Zeit gehören", schreibt er am 15. Juli 1971. Ubergriffe der Guerrilleros auf die Missionsschulen sind bis jetzt noch nicht vorgekommen. Wie lange noch? Immerhin ist man auf der Hut und hält es für geraten, nachts Wachposten aufzustellen. Studenten wechseln sich darin ab. Denn, wie P. Ludwig Bertrand am 5. Dezember 1971 schreibt, „die Roten haben bereits so viele Stoßtrupps bewaffnet und in revolutionären Methoden ausgebildet, daß ein Bürgerkrieg unvermeidlich scheint." Und ob die Regierung selbst die Missionsschulen, die doch Privatschulen sind, unangetastet läßt und ihnen weiterhin den für
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ihre Existenz unentbehrlichen Staatszuschuß gewährt? Bange Fragen, die die Zukunft erst beantworten wird. Es mag P. Ludwig Bertrand nicht leicht gefallen sein, in dieser unheildrohenden Zeit ein neues verantwortungsvolles Amt zu übernehmen: Ende Dezember 1971 wählten ihn seine Mitbrüder zu ihrem Regularoberen. Er trägt damit in Vertretung des Provinzials der bayerischen Mutterprovinz die Verantwortung für den Orden in der Araukanie. „Nun Gott befohlen, das Neue Jahr!" schreibt er unter dem Eindruck seiner Wahl, „Der liebe Gott möge uns gnädig sein!" Sein Vorgänger im Amt des Regularoberen, P. Innozenz 69 , dessen Amtszeit abgelaufen ist, meint: „Ich zweifle nicht, daß er es gut machen wird bei seiner langen Erfahrung, seinem reichen Wissen, seiner Grundsatzfestigkeit im Religiösen. Gerade weil er eine gesunde traditionelle Linie vertritt, hat er gesiegt, gerade bei den älteren Mitbrüdern." Die verantwortliche Leitung des Seminars übergibt nun P. Luis einem anderen; damit fallen auch die zeitraubenden Aufsichten für ihn weg; er muß frei sein für seine neuen Aufgaben. Den Unterricht aber im Seminar und die Vorlesungen an der Universität Valdivia behält er bei: er will weiterhin an der Jugend arbeiten. Seine erste Amtszeit als Regularoberer der Araukanie dauert bis 1975; dann wurde er für eine zweite Amtsperiode (bis 1978) gewählt. Wegen Überlastung übergibt er nach der Wiederwahl dem jungen P. Rubén Cariel, seinem ehemaligen Schüler, die Leitung von Lyceum und Internat und gibt 1976 auch den Lehrauftrag an der Universität Valdivia zurück. In diesen Jahren veröffentlicht er für seine Studenten ein philosophisches Lehrbuch 70 . Es ist sehr bald vergriffen. 69 P. Dr. Innozenz (Alois) Daumoser von Oberholz (Holzbauern; Gemeinde Haag in Obb.; Erzdiözese München und Freising) (* 1910) (R). 70 Riedl, Ludwig Bertrand: Ciencia filosófica de Dios y de su ley moral. Cursos elementales de teodicea y etica general con una síntesis de las ciencias. Santiago de Chile. 1976 (Colección vida cristiana; 9) (R).
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Im September 1973 wurde die linkssozialistische Regierung Allende gestürzt. Der neue Staatspräsident General Augusto Pinochet (* 1915) bekämpfte mit eiserner Härte die noch im Untergrund wühlenden Anhänger Allendes. Allmählich stabilisierte sich die Ordnung im Lande. Sicherheit kehrte ein. 1978 läuft für P. Luis die 2. Amtsperiode als Regularoberer aus. Er ist froh, abgelöst zu werden, und übernimmt wieder die Leitung des Kleinen Seminars. P. Rubén Cariel wurde freigestellt für das Weiterstudium und die Promotion in Moraltheologie. Im Juni 1979 wurde P. Ludwig Bertrand überraschend zum dritten Mal Regularoberer bis 1981, lehrte aber weiterhin am Großen Seminar Moraltheologie und Ethik, sowie Philosophie in den höheren Klassen des Lyceums. Als 1982 auf Geheiß des Vatikans die chilenische Provinz der Kapuziner gegründet wurde, die alle Kapuziner des Landes umfaßt, also auch die deutschen Missionare der Araukanie, wurde P. Juan Gerardo Bauer 71 aus Böhmfeld bei Eichstätt zum neuen Regularoberen der Araukanie bestellt. P. Luis ist wieder frei geworden für seinen Dienst im Kleinen Seminar. Er leitet es aber nur mehr für kurze Zeit. 1983 kehrt P. Rubén Cariel nach Vollendung seiner Studien in Spanien und Deutschland nach San José zurück und löst P. Ludwig Bertrand ab. Pfarrer in Panguipulli
Nach 33jähriger Tätigkeit als Jugenderzieher und Lehrer geht P. Luis 1983 wieder in die Seelsorge. Er wird Pfarrer von Panguipulli, der ausgedehntesten, landschaftlich schönsten Pfarrei der Araukanie: 150 km mißt die Ost-West-Achse, 60 km die NordSüd-Achse. Sie umschließt 7 Seen und erstreckt sich tief in das Hochgebirge der Anden hinein bis an die argentinische Grenze. 71 P. Johann Gerhard (Johann) Bauer von Böhmfeld (Landkreis Eichstätt; Diözese Eichstätt) (* 1942) (R).
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Auch das Städchen Panguipulli selbst, am gleichnamigen See gelegen, berühmt durch seinen Blumenreichtum, namentlich die kostbaren Rosenanlagen, ist ein viel besuchtes Ziel von Touristen. Aber es ist keineswegs ein Alters-Ruhesitz für den nunmehr 74jährigen neuen Pfarrer. Die großen Entfernungen, die zeitraubenden Umwege um die Seen, die beschwerlichen und gefahrvollen Fahrten im unwegsamen Gebirge zu den entlegenen Missionsstationen der weit verstreuten Indianersiedlungen erschweren sehr die Seelsorgearbeit auf dem Lande, dem „campo", und beanspruchen seine ganze Kraft. Mit vollem Einsatz geht P. Ludwig Bertrand auch hier an seine neuen Aufgaben. In Puerto Fui am Pirihueico-See, dem entlegensten See nahe der argentinischen Grenze, baut er eine Kapelle für die Indianer und die dort wirkenden Missionsschwestern. In Panguipulli selbst veranlaßt er die Verbesserung der sanitären Anlagen des Pfarrhofes sowie der anliegenden Schulen und richtet für die 60 Mädchen der Mittelschule ein Internat ein. Das Jahr 1984 ist für ihn ein Jubiläumsjahr: Am 29. Juni 1984 begeht er seinen 75. Geburtstag und sein goldenes Priesterjubiläum. Seine Ordensmitbrüder und viele ehemalige Schüler feiern mit ihm. Ein dreimonatiger Heimaturlaub ist das Festgeschenk des Ordens. Bereits am 8. Juli 1984 feiert er mit seiner Heimatgemeinde Steinbach und seinen Geschwistern den 50. Gedenktag seiner Primiz: „Es war fast so schön wie die Primiz selbst am 9. Juli 1934", ein strahlender Sonnentag wie damals, allen unvergeßlich. Ende September kehrt P. Luis nach Panguipulli zurück; jedoch nur mehr für kurze Zeit. Im Zuge der Versetzungen zu Anfang des Jahres 1985 wird er von dem jüngeren Pater Miguel Heringer72 abgelöst. Er selbst soll künftig als Kaplan, hauptsächlich für die Schwesternseelsorge in Cunco eingesetzt werden. Aber es kommt nicht so weit. Bevor er dort 72 P. Miguel (Michael) Heringer von Rosenheim (Erzdiözese München und Freising) (* 1936) war Pfarrer in Panguipulli von 1986-1991 (R).
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seinen Dienst antritt, der ihm viele Erleichterungen versprochen hätte, wendet sich unerwartet sein Schicksal. Pfarrer auf der Osterinsel
Im Juni 1985 stirbt der Pfarrer der Osterinsel, ein nordamerikanischer Franziskaner. Die Osterinsel, fast 4000 km vom Festland entfernt, mitten im Pazifischen Ozean gelegen, die einsamste Insel der Welt, gehört politisch zu Chile, kirchlich aber nicht zur nächstgelegenen Festlanddiözese Valparaiso, sondern zum viel weiter entfernten Missionsgebiet der Kapuziner in Südchile. Von ihren etwa 2500 Insulanern sind die meisten katholisch, eine religiös eifrige Gemeinde, die noch vom geistigen Erbe von P. Sebastian Englert 73 zehrt. Aber nun ist sie verwaist, eine „Herde ohne Hirt". Während des Seelengottesdienstes für den verstorbenen Pfarrer der Osterinsel entschließt sich P. Luis spontan, sich für die Aushilfe zur Verfügung zu stellen. Bischof Sixtus Parzinger 74 nimmt das Anerbieten an. Aber aus den ursprünglich vorgesehenen paar Wochen oder Monaten Aushilfe werden 7 Jahre: P. Luis bleibt dort und wird Pfarrer der Osterinsel. Ein anspruchsvoller Dienst erwartet den nunmehr 76jährigen Missionar. Als dem einzigen Priester auf der Insel obliegen ihm allein alle pfarrlichen Aufgaben in Kirche, Beichtstuhl, Pfarrbüro, Jugend- und Hausseelsorge, auch der anstrengende Religionsunterricht in den Schulen sowie die Betreuung der entlegenen Aussätzigenstation. Selbst in Tagen höchster Beanspruchung findet sich für ihn keine Entlastung, auch keine Vertretung in Zeiten der Krankheit. An Ostern und Weihnachten zum Beispiel, so berichtet er, kommen sehr viele Insulaner, groß und klein, zur Beichte. Geduldig stehen sie Schlange, und der Beichtvater muß im Beichtstuhl aus73 P. Sebastian (Franz Anton Seraph) Englert von Dillingen (Diözese Augsburg) (1888-1969) war von 1937 bis 1969 Pfarrer auf der Osterinsel (R). 74 P. Sixtus (Josef) Parzinger aus St. Johann in Tirol (Diözese Innsbruck) (* 1931), seit 1977 Apostolischer Vikar (Bischof) der Araukanie (R).
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harren bis zum letzten Beichtkind, stundenlang, vom Morgen bis zum Abend ohne Pause; das dauerte einmal an Weihnachten 3 Tage lang, mit einziger Unterbrechung durch die Gottesdienste am Altar und die Nacht, und das in hochsommerlicher Schwüle. Entspannung und Anregung nach solchem Dienst in geselliger Unterhaltung gibt es für ihn nicht; er hat auf der Insel keinen Gesprächspartner auf gleicher geistiger Ebene, und mit fortschreitender Sehschwäche bald auch nicht mehr die Möglichkeit zu lesen und durch Studium sich weiterzubilden. Umso schwerer trägt er an der Trennung von seinen Ordensmitbrüdern. „Wie kann man nur solche Einsamkeit ertragen?" wurde er einmal gefragt. Seine Antwort: „Ein Junger hält es nicht aus". Mit jugendlicher Tatkraft aber geht er an seine Aufgaben, auch an jene, die nicht unmittelbar in der Seelsorge liegen: Die bauliche Sanierung des gesamten kirchlichen Bereichs ist dringend notwendig, vor allem die Restaurierung der Pfarrkirche Santa Cruz. Er hat sie in baulich schlechtem Zustand vorgefunden: schadhafte Wände, geborstene Fenster, ausgebrochene Fußbodenplatten, undichtes Dach, das den Ozeanstürmen und subtropischen Regengüssen kaum mehr standhält. Die Baumaßnahmen sind für die Osterinsulaner zwar eine willkommene Arbeitsbeschaffung, aber die Löhne sind sehr hoch, und das Baumaterial wird verteuert durch die außerordentlich hohen Transportkosten vom Festland herüber. Höchstens dreimal im Jahr kommt ein Versorgungsschiff, das die notwendigen Lebensgüter, z.B. Lebensmittel, Werkzeug, Baumaterial, bringt; die Osterinsel hat keinerlei Industrie. Das bedingt oft monatelange Wartezeiten, welche die Bauarbeiten an der Kirche immer wieder verzögern. So sieht sich P. Ludwig Bertrand vor unerwarteten finanziellen und organisatorischen Schwierigkeiten. Aber die Bevölkerung hilft gerne mit durch unentgeltliche Arbeitsleistungen und Sachspenden. Auch die Behörden zeigen sich aufgeschlossen und entgegenkommend. Und in der Not greifen auch immer wieder Diözese und der Orden P. Luis unter die Arme. In knapp drei
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Jahren ist es geschafft. Bischof Sixtus weiht die Kirche ein, als er zur Firmung auf der Insel weilt. Nun erst läßt P. Ludwig Bertrand auch seinen „Pfarrhof"- ein kleines Häuschen - in bewohnbaren Zustand versetzen; von Termiten zerfressen, bietet es kaum mehr Schutz vor Regen und Wind und ist baufällig, vom Einsturz bedroht. Während der Instandsetzung wohnt er in der Sakristei. Ein kleiner Anbau zur Erweiterung des Pfarrhauses schafft Raum für ein Gästezimmer; der Bischof, der zur Firmung kam, hatte noch in einem Hotel wohnen müssen. Auch ein Wohnhaus für die Familie der Pfarrangestellten und eine Küche als Verbindungsbau zum Pfarrhaus, sowie eine Garage für den von der Deutschen Gesellschaft für Entwicklungshilfe gestifteten Kombi wird gebaut. P. Luis sieht sich jetzt noch keineswegs am Ziel seiner Pläne. Es fehlt noch ein Jugendheim, das für die Mädchen und Burschen der Osterinsel eine attraktive Alternative sein soll zu den Diskos, deren Zahl zur größten Sorge von P. Luis erschreckend zunimmt. Ein längst verlassenes altes Gebäude nahe der Kirche bietet sich an. Hier wohnten einst, vor 100 Jahren, die ersten Osterinsel-Missionare. Als ältester Steinbau der Insel steht es unter Denkmalschutz. Nach den Plänen eines Architekten aus Santiago wird es nun für den neuen Zweck hergerichtet. Um Mittel dafür wirbt P. Luis auch in der bayerischen Heimat, wo er 1989 seinen 80. Geburtstag feiert. Bischof Sixtus, im Herbst 1991 wiederum zur Firmung auf der Insel, weiht im Beisein des Bischofs der pazifischen Nachbardiözese Tahiti den erneuerten Bau ein, und tags darauf auch ein restauriertes mächtiges Kreuz auf beherrschender Bergeshöhe, das Ziel der alljährlichen großen Wallfahrtsprozession der Insulaner. Der ganze Pazifik soll nach der Intention von P. Luis in diesem Wallfahrtskreuz gesegnet werden gegen die zerstörerischen Mächte der Natur und der Menschen. P. Ludwig Bertrand muß wegen seiner sich rasch verschlimmernden Sehschwäche mit seiner baldigen Abberufung rechnen. Zu-
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vor aber will er dem schönen Kirchplatz noch die letzte Form geben. Ein altes häßliches Bauwerk zwischen Kirche und Jugendhaus stört das Gesamtbild. Für die Fatima-Madonna, die hier verehrt wird, läßt er nach dem Entwurf seines Architekten eine neue Kapelle nahe der Kirche errichten. Ende März 1992 kann P. Ludwig Bertrand auch diese noch einweihen. Aber nun war für P. Luis die Zeit auf der Osterinsel abgelaufen. Wohl wäre er gerne bis zu seinem Lebensende dort geblieben. Neben P. Sebastian Englert wollte er begraben sein. E r liebte die Insel, das Meer, seine Gemeinde und seine Arbeit für sie. Wegen seines Augenleidens berufen ihn aber seine Ordensoberen in die Araukanie zurück. E r sieht darin den Willen Gottes und gehorcht. Am 29. März 1992, dem 4. Fastensonntag, übergibt er in einem feierlichen Gottesdienst seinem Nachfolger, Francesco Urbiola, einem Weltpriester, sein Amt und nimmt Abschied von seiner Pfarrei. A m nächsten Tag verläßt er mit dem MontagFlug der Lan Chile die Insel - für immer. Seelsorger in Valdivia Gott hat es mit P. Luis gut gemeint, als er ihn wieder in die Geborgenheit seiner Ordensgemeinschaft zurückführte. E r brauchte deren Hilfe, mit zunehmendem Alter mehr und mehr. Im Kapuzinerkonvent San Francisco in Valdivia ist für ihn eine Zelle bereit. Sein Zimmernachbar ist P. Isidor Schwamm 7 5 , ein Pfälzer, von sonnigem, heiterem Wesen, sein Freund seit der gemeinsamen Studienzeit in Eichstätt, später sein Kollege im Professorenkollegium des Priesterseminars in San Jose und hier schließlich sein Nachfolger im Rektorat, ein Mann von großer Gelehrsamkeit und tiefer Frömmigkeit. Stets hilfsbereit, nimmt er sich nun in besonderer Weise um P. Ludwig Bertrand an, liest ihm vor, betet mit ihm das Brevier, schreibt für ihn Brie75 P. Dr. Isidor (Wilhelm) Schwamm von Klingenmünster (bei Landau; Diözese Speyer) (* 1913) (R).
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fe und ist vor allem ein anregender Gesprächspartner. Ebenso rücksichts- und liebevoll begegnen ihm die übrigen Bewohner des Hauses, die Ordensmitbrüder und Studenten. Daß die Augen versagen trotz intensiver ärztlicher Behandlung ist die Tragik seines Alters. P. Ludwig Bertrand trägt schwer daran. Jetzt in seinem Ruhestand hätte er Zeit zum Lesen und Studieren. Es ist ihm verwehrt. Brille und Lupe helfen nicht mehr. Dennoch will er noch nützlich sein. Seine Aufgaben sieht er nun im Dienst am Altar, im Beichtstuhl, in der Sprechzimmerseelsorge, am Krankenbett in den Hospitälern der Stadt, und im Gebet. So rollen im Gleichmaß dieser neuen Pflichten die Monate still dahin. Aber hinter der äußeren Ruhe und Beherrschtheit verbirgt sich der bohrende innere Konflikt zwischen ungebrochenem Arbeitsdrang und zunehmender Schwäche. Sein Sehvermögen bessert sich nicht, das Alter zehrt an seiner Lebenskraft, sein altes Magenleiden verschlimmert sich zur tödlichen Krankheit. Am 19. November 1993 kommt es zum großen Zusammenbruch.
San José de la Mariquina Die letzte Station
Im Krankenhaus in Valdivia gelingt es zunächst, die akute Lebensgefahr abzuwenden. P. Luis wird nach wenigen Tagen zur Weiterbehandlung in das Sanatorium und später in das Krankenhaus von San José verlegt. Phasen der Besserung täuschen. In den Weihnacht st agen zerstört eine neue schwere Krise die Hoffnung auf Genesung. Er wird immer schwächer, eine Kerze, die langsam erlischt. P. Isidor betreut ihn, zelebriert auf seinen Wunsch hin am Krankenbett die heilige Messe in Konzelebration mit ihm. Er bereitet ihn behutsam auf den Tod vor. Es war zur Gewißheit geworden: P. Ludwig Bertrand wird seinen 85. Geburtstag und 60. Gedenktag seiner Priesterweihe, den 29. Juni 1994, nicht mehr erleben. Für diesen Tag aber 139
war für ihn eine besondere Ehrung seitens der Republik Chile vorgesehen, „in Anerkennung seiner Verdienste um Jugenderziehung und Evangelisation", wie die Begründung lautet. Ehemalige Schüler, Freunde und Kollegen hatten die Auszeichnung beim Staatspräsidenten von Chile beantragt. Sie wird nun vorverlegt auf den 4. Februar. In Anwesenheit der Spitzenvertreter der Behörden von Valdivia und San José überreicht Gabriel Valdés, der Senatspräsident von Chile, dem Todkranken die höchste Auszeichnung des chilenischen Staates, den O'HigginsOrden, der an Bedeutung unserem Pour le mérite gleichkommt: Ein Staatsakt im Krankenzimmer. Es wird gesungen, gebetet. P. Ludwig Bertrand spricht nicht mehr. Aber an seinen Reaktionen ist zu erkennen, daß er alles wahrnimmt und sich freut. Am nächsten Morgen, den 5. Februar 1994, um 4 Uhr früh, ist er verschieden. Am 7. Februar wird er im Kapuzinerfriedhof von San José beigesetzt. Darüber schreibt am 9. Februar die deutsche Ordensschwester Gabriele Kaiser, die ihn lange gepflegt hatte: „Welch tiefen Eindruck hinterließ die so ergreifende Beerdigung am Montag! Er war zwei Tage in der Pfarrkirche aufgebahrt. Noch nie hat San José eine solche feierliche Beerdigung erlebt. Es war wirklich ein Triumphzug Etwa 100 Priester konzelebrierten mit Bischof Sixtus. Auch unendlich viele Ordensschwestern und Menschen ohne Ende, auch von den Orten, wo P. Luis früher arbeitete - Exalumnen und Autoritäten waren in großer Menge gegenwärtig. Vielleicht war es die großartige Prozession, die P. Luis etwa 10 Tage vor seinem Tod sah und mir erzählte. Er hätte dies geträumt und Jesus selber war mit dabei (P. Isidor, dem P. Luis ebenfalls den Traum erzählt hatte, fügte hinzu: Jesus als Christkönig habe ihm zugelächelt und gesagt: „Ich komme bald"). Er war so glücklich darüber. Sicher ein Trost und eine Vorfreude, die Gott ihm bescherte. Nun hat er dieses so herrliche Ziel erreicht". Am offenen Grab im Friedhof sprachen u.a. der Gobernador, der Regierungspräsident von Valdivia, die Bürgermeister von Valdi-
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via und San José, und als letzter Pater Isidor. Er erzählte der versammelten Menge diesen Traum. Da klatschten sie alle, die versammelt waren, vor Begeisterung in die Hände, noch unter dem erhebenden Eindruck dieser Beerdigung. - Das ungewöhnliche Ende eines nicht alltäglichen Lebens.
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Bemerkungen in meinem Tagebuch* Ludwig Bertrand Riedl 13. J u n i [1937]
St. Antoniustag. Ich bin allein zu Hause. Der P. Pfarrer ist in Mendoza. Er ist gestern bei strömendem Regen weggeritten. Die ganze Nacht hat es gestürmt und geregnet. Ich predige über die Heiligen Verehrung: Die Heiligen sind die Helden Gottes. Wegen des schlechten Wetters gibt es wenig Arbeit. Am Nachmittag habe ich Zeit, Spanisch zu lernen und Briefe zu schreiben. Ich besuche die Katechismusstunde, die in der Missionsschule für jene Kinder des Dorfes gehalten wird, die in der Staatsschule sind und dort keinen Religionsunterricht bekommen. Zwei Fräulein von der Katholischen Aktion halten die Stunde: getrennt für Buben und Mädchen. Leider sind mehr Kinder von der Missionsschule da, die ohnehin schon Religionsunterricht erhalten, als Kinder von der Staatsschule. 14. J u n i
Regnerischer Tag. Ich bin allein. P. Roland liest heute in der neuen Missionsschule in Mendoza die hl. Messe. Kehrt abends heim. Hatte heute mehr Leute als am Sonntag. Mit dem Abendzug trifft die Diözesandelegierte der Accion Catolica ein, Fräulein Sara Cox. Sie will hier Schulungskurse halten, wie in Padre Las Casas in der vergangenen Woche.
* P. Ludwig Bertrand Riedl kam am 17. Januar 1937 in Corral, dem Seehafen von Valdivia, in Chile an. Ende Februar 1937 beginnt seine Missionstätigkeit in Vilcün, einer Indianerpfarrei, ca. 50 km östlich von Temuco. Er wirkt in Vilcun bis Ende Februar 1939. Sein Pfarrer war dort Pater Roland Feldmeier (1905-1978). Die ersten Eindrücke und Erlebnisse, die typisch sind für Leben und Tätigkeit eines Missionars in der Araukanie, schildert P. Ludwig Bertrand (Luis Beitran) in den vorliegenden „Bemerkungen" in seinem Tagebuch (R).
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15. J u n i
P. Pfarrer fährt mit dem Zug nach San José. Morgen ist der Namenstag des Bischofs 76 . Ich bin wieder allein. Wir wollen morgen auch in der Kirche den Bischofsnamenstag durch eine Generalkommunion und eine feierliche Messe feiern. Ein Bote zu Pferd meldet für morgen eine Leiche aus Codinhue an, ein zweiter eine Leiche aus Quintrilpe. Ein dritter will für morgen einen Jahrtag in Quintrilpe. Jeder möchte ein Totenamt, ausgerechnet am Namenstag des Bischofs, an dem nur ein Pater da ist. Rufe telephonisch nach Las Casas um Aushilfe. Unmöglich. Die Toten müssen sich also mit der feierlichen Absolution „Libera" begnügen. Nachmittags besuche ich die Klassen der Knabenund Mädchenschule, um Beichtgelegenheit anzusagen. In der Mädchenschule ist gerade der Provinzinspektor von Temuco zur Visite da, ganz unerwartet. In Vertretung des Pfarrers, als des Direktors der Missionsschule, begrüße ich den Inspektor und führe ihn zur Knabenschule hinunter. Erst jüngst ist er von der Regierung mit diesem Amt betraut worden. Zum ersten Male ist er hier. Er ist recht zufrieden. Mit dem Lehrer der Oberklassen, Don Martin Alonqueo, einem Mapuche, unterhält er sich ein wenig in der Eingeborenensprache: „Um ein ganzer Chilene zu sein, muß man Mapuche kennen. Ich will die Sprache lernen, nachdem ich viele Mapucheschulen unter mir habe", äußerte er sich. Inzwischen warten droben Kinder zum Beichten. Ich gehe eilig zum Beichthören hinauf. Der Inspektor beendet währenddessen die Visitation. Er besucht nachher die Staatsschule. 16. J u n i
Wir feiern den hl. Guido, Franziskaner, in Brevier und Missale. Namenstag des Bischofs. 9 Uhr Festmesse. Ich predige kurz 76 P. Guido (Benedikt) Beck von Ramberg (bei Annweiler/Pfalz; Diözese Speyer) (1885-1958). Von 1928-1958 Apostolischer Vikar (Bischof) der Araukanie (R).
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über die Worte des hl. Paulus: „Erinnert euch an eure Prälaten, die euch das Wort Gottes gepredigt haben." Um 11 Uhr kam die Leiche von Quintrilpe. Der Sarg wurde getragen von einer Anzahl Männern zu Fuß, begleitet von einer großen Zahl von Reitern. Etwa 15 km weit her sind sie gekommen. Ich sang ein feierliches Libera. Begleite den Leichenzug noch eine Strecke weit bis zum Friedhof. Der Friedhof liegt eine halbe Stunde weit außerhalb des Dorfes. Um 12 Uhr kam der Leichenzug von Codinhue, 12 km weit her. Nachmittags starker Regen. Ich habe Zeit zum Studium. 17. Juni
Heute habe ich den Jahrtag in Quintrilpe. Die Messe in der Pfarrkirche fällt aus. Um 8 Uhr Kommunionandacht für die Kollegkinder und Schwestern, 9 Uhr zu Pferd hinaus aufs Land. Um 10 Uhr komme ich bei der Kapelle an. Kapelle vor einigen Jahren von der Frau des Gutsbesitzers gebaut. Der modernste Bau in der ganzen Diözese: ein Holzbau. Stilrein. Ein lebensgroßer Christus am Kreuz auf dem Hochaltar: geschnitzt aus einem Stück Holz. Einige Leute warten aufs Beichten, darunter auch die zwei Söhne der Verstorbenen, für die die Messe gefeiert wird. Das Volk betet inzwischen den schmerzhaften Rosenkranz. Hierauf Requiem. Alles wird vom Volk selber gesungen: Kyrie, Dies irae, Sanctus, Agnus. Einen eigenen Organisten gibt es hier noch nicht. 3/4 12 bin ich fertig. Ich spreche noch einige Worte über die Stelle der hl. Schrift: „Wie durch einen Menschen der Tod, so kam durch einen Menschen das Leben." Man muß hier jede Gelegenheit ergreifen, das Wort Gottes zu verkünden. Beim Trauergottesdienst kann man vor allem die Männer treffen. Mittagessen nach dem Gottesdienst. Echt chilenischer Tisch. Um 2 Uhr mit dem Postboten des Gutes heim. Gleichzeitig mit mir kommt P. Roland von San José her an. Er erzählt von seinen Erlebnissen.
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Um 7 Uhr meine hl. Messe. Um 9 Uhr Jahrtagsamt. Ich muß mich mit dem Brevier beeilen, da ich heute noch fort muß. Die Lehrer der neun Missionsschulen der Pfarrei versammeln sich um 12 Uhr zu einer Sitzung. Zwei Vorsitzende der Lehrerschaft, zwei Lehrer aus Las Casas, kommen mit dem Abendzug. Es handelt sich um die Lösung einiger Schwierigkeiten, die sich bei der Neuorganisation der Lehrerschaft ergeben haben. Um 2 Uhr reisen die zwei Vorsitzenden wieder ab. Ich richte inzwischen meine Reittasche zurecht. In den nächsten Tagen muß ich drei Landschulen im Süden der Pfarrei besuchen. Der Weg ist schlecht. Die Pferde versinken tief in den Schlamm. Die Straßen und Wege sind voll Wasser. Die Missionsschule in Puello liegt in etwas unkultiviertem Gebiet: Eine Kolonie von Siedlern ist hier ansässig: 15 Familien. Um 16 Uhr komme ich am Hause meines Gastgebers an. In seinem Hause will ich morgen die Messe feiern. Ich suche sofort das naheliegende Schulgebäude auf. Es gehört meinem Gastgeber. Es ist ganz armselig: Kaum ein richtiges Fenster. Zwei kleine Luken. Als Tafel dienen zwei Bretter an der Wand. Nebenan ist die Wohnung des Lehrers mit seiner Familie. Der Lehrer ist ein älterer kränklicher Herr. 30 Schüler in dem kleinen Raum. Wir sprechen über die Besserung der Schulverhältnisse, die dringend notwendig ist. Beim Herbergsvater bekomme ich zwei Teller Suppe als Abendessen. Nachher sitzen wir um das Kohlenfeuer herum und wärmen uns. Es wird eine sternklare Nacht. Um 8 Uhr beten wir den Rosenkranz. Etwa 12 Personen sind gekommen. Nachher gibt es noch ein paar Tassen Maté-Tee. 19. J u n i
Ein frischer Morgen. Bete mein Brevier im Freien. Vom Herbergsvater lasse ich mir die Gegend erklären. Ich habe daran Interesse wegen der Schulfrage. Ein Kind ist da: Mädchen von
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12 Jahren. Es ist noch nicht getauft. Lebte bisher unter Protestanten. Die Mutter ist krank. Sie will, daß das Kind katholisch getauft werde. Ich unterrichte das Kind über die Grundwahrheiten des Glaubens, am Kohlenbecken sitzend. Vor der Messe um 11 Uhr taufe ich. Es kommen wenig Leute. Man sagt mir, der Lehrer habe die Messe zu wenig bekannt gegeben. Die Leute haben offenbar noch wenig Sinn noch für das Meßopfer. Ich predige deswegen auch vom Wert der hl. Messe. Es sind aber doch gute Leute. Sie wünschen, daß ich bald wiederkomme. Nachmittags um 2 Uhr reite ich mit meinem Begleiter weiter. Bei strömendem Regen. Die Pferde können nur im Schritt gehen. Sie müssen durch den Schlamm waten, müssen sich sehr anstrengen, um vorwärts zu kommen. Um 5 Uhr komme ich am Haus meines Herbergsvaters in Caihuico an, bei Don Basilio. Er erwartet mich schon. Beim Absteigen bleibe ich mit einem Fuß im Steigbügel stecken. Falle auf den Boden, zum ersten Mal auf den Rücken. Glücklicherweise neben die Steine, die im Hof lagern. Im nahen Fluß reinige ich meine Stiefel und Sporen vom Schlamm. Ich gehe zur nahen Missionskirche zum Rosenkranz. Mit dem Schulpfleger unterhielt ich mich über Verschiedenes. Seit 34 Jahren leben hier in diesem Tal chilenische Siedler. Vorher war alles Eigentum der Mapuche, der Indianer. Der Schulpfleger erzählte mir, daß sie in den ersten Jahren im Winter von der Welt ganz abgeschnitten waren: Im April mußten sie sich für den ganzen kommenden Winter eindecken. Später kommt man nicht mehr in die Stadt wegen der Flüsse und Wege. Mit etwa 20 Personen aus der nächsten Nachbarschaft bete ich bei einbrechender Nacht den Rosenkranz. 20. J u n i
In der Nacht regnet es stark. Ich höre das Platschen des Regens. Schlechte Aussichten für den Meßbesuch. Beim Schein der Kerze bete ich 7 Uhr früh mein Brevier. Um 8 Uhr wird es hell. Da stehen auch erst die Leute auf. Um 8 Uhr wasche ich mich draußen 147
in der Vorhalle. Ich mache mich auf zur Schule, steige auf den Turm und schlage mit zwei eisernen Hämmern auf die eiserne Schiene. Das ist das erste Zeichen zur Messe, das „Erstläuten". Ich habe etwas Zeit, meine Predigt zu studieren. Um 10 Uhr kommen Leute zum Beichten. Um 11 Uhr beginnt die Messe. Es hat zu regnen aufgehört. Es kommen so viele Meßbesucher, daß herinnen alles gedrängt voll ist und viele noch draußen in der Vorhalle stehen bleiben. Ich beginne den Gottesdienst wieder mit einer kleinen Einführung in den Sinn der hl. Messe: Unser Gottesopfer, unsere Gottesverehrung, unsere Gotteshingabe betätigt sich in der Messe. Nach dem Evangelium beginne ich die Predigt mit einer fortlaufenden Erklärung des Glaubensbekenntnisses. Ich verlese den Schöpfungsbericht aus der Bibel. „Gott ist unser Schöpfer und Vater, der Herr der Welt und des Menschen. Von ihm ist unser Leben. Für ihn sei unser Leben." Bei der Opferung melden sich sieben Personen, die zu spät kamen, zum Beichten. Sie müssen bis nach der Messe warten. Ich lasse sieben kleine Hostien übrig. Während ich nach der Messe beichthöre, halten die Mitglieder der Acción Católica Anbetung des Allerheiligsten. Sieben Taufen melden sich. Ich taufe die Kinder der Reihe nach. Hernach versammelt sich die weibliche Jugend der Acción zu einer Sitzung. Alle Monate ist eine Sitzung. Als praktisches Ziel der Sitzung möchte ich erreichen, daß die Mitglieder den Sonntag in der Weise heiligen, daß sie sich alle am Sonntag Morgen zu einem Gebetsgottesdienst versammeln und eine geistige Messe und geistliche Kommunion feiern, so wie es der Bischof wünscht. Für das nächste Mal kündige ich die Neuorganisation der Gruppen von Caihuico und Huichahue an, welche durch die neu errichtete Schule wünschenswert geworden ist. 20 Jungfrauen nehmen an der Sitzung teil. Obwohl sie schon müde sind, zeigen sie doch Eifer und Teilnahme. Es ist inzwischen 3/4 2 Uhr geworden. Im Nebenraum der Schule nehme ich mein Frühstück ein, das zugleich Mittagessen ist. Man hat mich aufmerksam gemacht, daß in der Nähe
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ein Mann krank sei. Ich packe meine Meßgeräte und Kleider zusammen. Der Kranke ist schon vor eingen Wochen versehen worden. Ich brauche also keine Öle mitzunehmen. Mit einigen Männern und Burschen mache ich mich auf den Weg: durch Wiesen und über Zäune und Bäche gelangen wir zum Hause. Ein Sechzigjähriger liegt schweratmend im Bett. Ich höre ihn Beichte. Gebe ihm den Krankensegen. Lege ihm auf Bitten ein Skapulier auf. Die Männer begleiten mich wieder zur Schule zurück. Dort warten schon die Pferde zum Weiterritt. 3/4 4. Mit Mühe stapfen die Pferde den langen, steilen Berg hinauf. Schlüpfrig und schlammig ist der Weg. Schon von weitem hören wir das „Zusammenläuten". Im Hof des Don Camilo in Huichahue. 4 1/4 kommen wir an. Die Schulkinder erwarten uns. Sie schreien uns entgegen: Padrecito viene . . . " Die neue Lehrerin und der Hausherr selbst berichten mir vom Fortschritt der Missionsschule, die bereits 60 Einschreibungen und einen täglichen Besuch von 45 Kindern aufweist. Im April ist sie gegründet worden. Als Schulsaal dient vorerst das große Wohnzimmer. Es wird jetzt zu klein. Don Camilo will jetzt seinen Getreideschuppen zur Verfügung stellen und herrichten. Wir besehen ihn. Er ist recht geeignet, wenn die Fenster eingesetzt sind. Um 5 Uhr beten wir den Rosenkranz mit den Schulkindern und den großen Leuten, die nach und nach immer zahlreicher erscheinen. Ich künde für morgen die Messe und die Einschreibung in die neu zu errichtende Gruppe der Acciön Catolica an. Nach dem Rosenkranz stellt sich ein Brautpaar vor. Sie wollen getraut werden. Die Brautleute können nicht lesen und schreiben, hatten nie eine Schule besucht, wissen deswegen auch wenig von der Religion. Haben noch nie gebeichtet und kommuniziert. Das Brautexamen gestaltete sich deswegen etwas mühevoll. Inzwischen hat sich ein Mann gemeldet; mit zwei Pferden steht und wartet er im Hof: Der Pater möchte zum Versehen zu seinem sterbenskranken Buben kommen. Es ist 7 Uhr geworden*. Ich muß vorher noch abendessen. Um 7 1/4 Uhr besteige ich das
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Pferd. Es ist etwas eigensinnig, ein unruhiges Chilenenpferd. Durch Morast und Wassertümpel über Hügel und Täler, durch halbkultiviertes Land und vereinzelte Waldreste, durch Quilagesträuch und unter umgestürzten Baumstämmen hindurch geht's bei Mondlicht eine Dreiviertelstunde weit. Nach 8 Uhr lange ich am Hause an. Das Haus ist voll von Besuchern. Der Knabe liegt schwer seufzend in seinem Bett. Er klagt über Nierenund Kopfschmerzen. Er schlägt seine großen leuchtenden Augen auf, daß er mich sieht. Er hat noch nie gebeichtet und kommuniziert. Ich höre seine Beichte. Gebe ihm die letzte Ölung. Weihe Weihwasser. Um 9 Uhr mache ich mich auf zur Heimkehr. Zwei junge Burschen begleiten mich. Hier ist wirkliches Kolonialgebiet. Der Boden ist zum großen Teil noch recht unwirtlich. Die Kolonisten von Huichahue arbeiten mit großem Fleiß. Weit weg von der Stadt müssen sie oft viel entbehren. Der Weg zum Arzt und zur Apotheke ist zuweilen unmöglich. Um 3/4 10 Uhr komme ich zum Hause des Don Camilo. Man wartet noch auf mich zu einer gemütlichen Unterhaltung am Kohlenbecken. Die Matetasse macht die Runde. Man bringt mir eine Gitarre. Ich spiele deutsche Lieder: „Ich hatt' einen Kameraden," „Es blühen drei Rosen auf einem Strauch", „Stille Nacht". Sie lauschen diesen fremden Klängen. 21. J u n i
Morgenrot! Es kündet Regen an, auch in Chile. Nach dem Aufstehen richte ich den Altar. Drei Buben melden sich gleich zum Beichten. Ihnen schließen sich die Großen an, voraus Don Camillo. Ich habe kaum eine freie Minute. Etwa 25 beichten. Inzwischen füllt sich der Saal. Um 11 Uhr beginnt die hl. Messe. Die Brautleute von gestern kommen, um zu kommunizieren und den Brautsegen zu erhalten. Die Schulkinder von Caihuico drängen sich heran. Die Männer bleiben draußen stehen, weil herinnen kein Platz mehr ist. Die Predigt dient dem Gedanken der katholischen Aktion. Ich lese das Evangelium vom reichen Fischfang: 150
Wie Petrus Gehilfen herbeiruft, um die Arbeit zu bewältigen. 10 Männer und Burschen und 15 Frauen und Mädchen lassen sich nach der Messe einschreiben. Lieber weniger am Anfang. Eine Taufe habe ich hernach noch zu spenden. 1 Uhr ist es inzwischen geworden. Ich setze mich zum Mittagessen. Die Kinder und die großen Leute bitten um einige deutsche Lieder. Nachher nimmt eine junge Chilenin die Gitarre, stimmt sie nach ihrer Art und spielt mir einige chilenische Tänze vor. Eine scharf rhythmische, eintönige Melodie kennzeichnet diese Nationaltänze. Der Tanz selbst ist ein Zwischending zwischen Reigen und Tanz. Zwei Kinder führen ihn aus. Das Tanzpaar berührt sich nie. Es ist ein ständiges Zusammen- und Auseinandergehen, Angreifen und Ausweichen in scharfem Rhythmus. Diese Reigentänze lernen die Chilenen schon als Kinder, so sagt man mir. Ich sehe sie zum erstenmal. Draußen regnet es in Strömen. Um 3 Uhr hört es etwas auf. Wir besteigen unsere Pferde und reiten heim. Ein kräftiger Wind bläst uns von Norden her entgegen. Um 1/2 7 Uhr komme ich wieder zu Hause an, nach 4 Tagen. 22. J u n i
Mit dem 9 Uhr-Zug fahre ich nach Temuco. Bei der Polizei erledige ich Paßangelegenheiten. Bei den Kreuzschwestern muß ich einen Auftrag erledigen. Ich spreche mit der Frau Oberin, Sr. Virginia, die eine Großnichte des hl. Bruders Konrad ist. Ich erzähle ihr, daß ich vor meiner Abreise Nachbar Bruder Konrads in Altötting St. Anna war. Ich erzähle ihr von der Heiligsprechungsfeier. Sie hat nicht die Erlaubnis bekommen, daran teilzunehmen. Gegenüber der Stadt Temuco, am anderen Ufer des Cautin, liegt der Vorort Padre las Casas mit der großen Mission. Der Pfarrer, P. Vinzenz77, hat mich gebeten, ich möchte kommen, um die Kirchenlieder einmal mit den Buben der Missionsschule auf der Orgel einzulernen. 130 Knaben wohnen in der 77 P. Vinzenz (Bruno) Amrehn aus Oberleinach (Gemeinde Leinach; bei Würzburg; Diözese Würzburg) (1896-1987) (R).
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Mission und 200 besuchen die große Missionsschule von Padre las Casas. Ein großer Indianer und Chilenenbuben wohnen zusammen im gleichen Haus. Am Nachmittag probe ich mit den Buben die Lieder. Die Orgel hat, vor Jahrzehnten schon, Bruder Wunibald 78 gebaut. Der Meister lebt noch und ist Chef der großen Schreinerei, die an die Missionsschule angebaut ist. Die Orgel ist noch in recht gutem Zustand. 23. Juni
Heute findet eine theologische Konferenz der Patres statt, die im Norden des Missionsgebietes wohnen. Padre las Casas ist der Mittel- und Treffpunkt in Nordgau. Um 10 Uhr kommen mit dem Zug der hochwürdigste Superior Regulär der Kapuziner, P. Wolfram 79 . Er leitet die Konferenz. Ein freudiges Wiedersehen mit vielen Mitbrüdern. Zum ersten Mal habe ich sie gesehen bei den Exerzitien in Valdivia. Zum ersten Mal nach seiner Ankunft in Chile sehe ich P. Barnabas 80 , der mit mir für die Mission bestimmt worden war. Einen Teil der Konferenz hatte ich zu bearbeiten. Um 12 Uhr wird sie beendet. Den P. Superior Regulär lade ich im Auftrag meines Pfarrers nach Vilcun zum Übernachten ein. Nach langem Betteln nimmt er an. Ebenso lade ich P. Barnabas zu einem Einstandsbesuch ein. Er bekommt die Erlaubnis von seinem Pfarrer. Mit P. Matthias 81 von Cherquenco fahren wir nach Vilcun und feiern in brüderlichem Kreis mit unserem Oberen einen fröhlichen Abend. Nach langer Zeit können wir einmal wieder Kartenspielen : Schaffkopf.
78 Bruder Wunibald (Ignatius) Heßler aus Soden (bei AschaiFenburg; Diözese Würzburg) (1892-1943) (R). 79 P. Wolfram (Eduard) Gradi von Johannesbrunn (Gemeinde Schalkham; bei Vilsbiburg; Diözese Regensburg) (1878-1963) (R). 80 P. Barnabas (Anton) Gutknecht von Luzern (1907-1987) (R). 81 P. Matthias (Johann Chrysostomus) Surrer von Klebham (Gemeinde Fridolfing; bei Laufen; Erzdiözese München und Freising) (1874-1949) (R).
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P. Matthias hat das Pech, sein ganzes Kapital, bestehend aus Bohnen, zu verlieren. 24. Juni In aller Frühe lasse ich die Pferde satteln und reite aufs Land nach Curaco: 10 km. Das Wetter ist kalt und regnerisch. Mit meiner Trompete kündige ich die hl. Messe an. An der Missionsschule erwartet mich schon das Fräulein Lehrerin mit einigen Buben. Recht zaghaft kommen die Leute. Heute ist San Juan Baptista: Johannes der Täufer. Der Tag ist eines der größten Feste der Chilenen, vor allem aber der Indianer. Die Novene zu San Juan wird in vielen Häusern gebetet, auch von Männern, die nie in die Messe kommen. Am Abend bleibt man in allen Häusern bis über Mitternacht auf: man „erwartet den hl. Johannes", um sich im folgenden Jahr den Heiligen als glückbringenden Patron zu sichern. Ein Pfau und ein Faß Wein darf an diesem Tag in keinem Hause fehlen. Wer keinen Pfau hat, besorgt sich einen ich habe viele Pfaue auf dem Markt in Temuco, in den Läden, im Zug gesehen . . . oder stiehlt sich einen. Den Geflügelhof muß man um diese Zeit besonders gut bewachen. Wegen des Fasses Wein, das in keinem Haus fehlt, gibt es viele Betrunkene an diesem Tag. Um 11 Uhr beginne ich die hl. Messe. Trotz Regen und Kälte und Wind sind viele gekommen: etwa 60. Der Schulsaal ist voll. Der kalte Wind pfeift durch die Bretterwände und durch die Türen. Beim Austeilen der hl. Kommunion muß ich acht geben, daß mir der Wind keine Hostien wegweht. Ich kann kaum meine Finger rühren vor Kälte. Ein armes Gotteshaus. An manchen Stellen regnet es herein. Ein Indianer hat das Haus als Schule zur Verfügung gestellt. Kürzlich hat er gedroht, die Bretter von der Wand herauszunehmen, damit sie ihm durch den eindringenden Regen nicht verfaulen. Solange das Haus nicht der Mission gehört, können wir nichts richten. Der Indianer kann jederzeit kündigen. Eine neue Schule und Kapelle hier ist eine dringende Notwendigkeit. Ich deute es den Männern von der katholischen 153
Action nach dem Gottesdienst an, daß es ein Ziel für sie ist, für Gott ein Haus zu bauen. Um 12 Uhr vier Taufen. Nach dem Gottesdienst will ich mit dem Besitzer des Schulhauses, einem Indianer, über die Schulhausfrage sprechen. Ich treffe ihn nicht im Hause. Er ist bereits zum Nachbarn gegangen, um „San Juan zu feiern". Ich gehe hinab zu meinem Herbergsvater, Don Pio Quinto. Seine Frau Betsabe bewirtet uns mit dem typischen San Juan-Gericht. Auf dem Heimweg besuche ich noch die deutsche Familie Schneeberger, eine tiefgläubige, protestantische Familie, die seit 52 Jahren hier das Land mustergültig bebaut. Bei hereinbrechender Nacht erreiche ich Vilcün. Die Lichter der Straßen leuchten mir weit entgegen. 25. Juni
Ein kalter, stürmischer Tag mit ausgiebigem Regen. Ich beantworte drei Briefe, die in der letzten Zeit von zu Hause eingetroffen sind. Der Bischof hat seine Visitation für Anfang Juli angesetzt. Die Vorbereitungen sind in vollem Gange. Ein Klavier hat man besorgt. Ich spiele seit langer Zeit wieder. 26. Juni
Heute bringe ich die Pfarrbücher in Ordnung. Trage meine Taufen und Ehen ein, die ich auf dem Lande hatte. P. Roland ist nach Temuco gefahren, um für die Visitation Verschiedenes zu besorgen. Um 2 Uhr Versammlung der Frauen der kath. Action unter der Leitung der Diözesandelegierten. Ich nahm auch teil. Verlese das Evangelium und halte eine kleine Ansprache dazu über die Unterstützung, die die katholischen Frauen der Kirche leisten sollen. Um 1/2 4 Uhr besteige ich das Pferd nach Codinhue. 14 km südlich. Ziemlich spät, 3/4 6 Uhr, lange ich an der Schule an. Es ist schon Dämmerung. Ich bete gleich mit noch anwesenden Männern und Kindern den Rosenkranz. Den Weg zum Nachtquartier lege ich zu Pferd zurück, bei finsterer
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Nacht, ganz allein. Die Herbergsmutter ist schon zu Bett gegangen. Ihre zwei Söhne, zwei junge Burschen, sitzen noch um das Kohlenfeuer in der Küche herum. Sie bewirten mich, wie sie es verstehen: mit einem Stück Räucherfleisch, einem Glas Wein und einem Glas Zuckerwasser. Das Zuckerwasser bereiten sie zu meinem Erstaunen auf besondere Weise : sie zerschmelzen ein Zuckerstück an einem Schürhaken und lassen die Tropfen ins heiße Wasser in der Tasse fallen. Ein Nachtessen um das Feuer herum wie anderswo vor 600 Jahren. Der Rauch schmerzt allmählich die Augen. Um 8 Uhr gehen wir ins Bett. Im gleichen Zimmer mit mir schlafen die zwei Burschen. Draußen pfeift der Wind. Schlechtes Wetter im Anzug? 27. Juni Es bleibt mir nichts anderes übrig, als liegen zu bleiben und meine Predigt im Bett zu überdenken. Draußen regnet es und im Zimmer schlafen meine Genossen. Bei Tagesanbruch stehe ich auf, lasse mein Pferd holen und satteln und reite zur Schule. Die Sonne leuchtet im Osten durch die Wolken. Die Umrisse der Vulkane heben sich dunkel ab. Hernach schließt sich der Himmel ganz mit Wolken und es beginnt zu regnen. Ich richte einen Altar in der Schule zurecht. Es kommen wenig, etwa 15 Kinder und 30 Erwachsene. Predige mit dem gleichen Eifer, als ob der ganze Saal voll gewesen wäre. 6. Sonntag nach Pfingsten. Evangelium von der Brot Vermehrung. Ich verkündige das Brotwunder der hl. Messe in meiner Predigt. Nach der Messe um 12 Uhr versammelt sich die katholische weibliche Jugend der Acción Católica. Wir sprechen über die Festigung der vor einem Jahr gegründeten Organisation. 1/2 12 Uhr reite ich wieder heim. Ein kalter Wind und kalter Regen. Allmählich werden die Regentropfen zu Schneeflocken. Der erste Schnee in Chile. Wie ich heimkomme, streifen die Collegbuben den Schnee von meinem Mantel. Sie hatten ihre Freude daran. Ich nehme kurz teil an der Abschiedsfeier, die die katholische Action der Diöze155
sandelegierten, Fräulein Sara Cox, nach Abschluß ihrer Kurse veranstaltete. Spreche auch einige Worte. Erinnere daran, daß der Papst gemäß einer Zeitungsnotiz in Vorausahnung seines baldigen Todes um „mehr Aktivität" gebeten hatte. Das Wort des Papstes sei das Gebot der Stunde für die katholische „Aktion". Um 6 1/4 Uhr kommt P. Roland heim. Er war nach der Hauptmesse um 10 Uhr fortgeritten, um in Mendoza eine Trauung zu vollziehen. Er mußte auch bei diesem Wind und Regen und Schnee reiten. Er erzählte, daß sich dort droben in Mendoza (das näher an den Cordilleren liegt) der Schnee an die Hufe der Pferde geheftet habe, wie in Deutschland an die Holzschuhe. 28. J u n i
Um 10 Uhr halte ich ein Jahrtagsrequiem. Um 11 Uhr hält P. Roland ein zweites Jahrtagsrequiem. Zum zweiten Requiem kommen die Leute nicht, die es bestellt hatten. Es ist ihnen offenbar das Wetter zu schlecht und der Weg zu weit. Ich spiele und singe das Requiem vor leeren Bänken. Am Nachmittag habe ich Zeit zum Studium: Im Speisezimmer, wo der einzige Ofen des Hauses steht. 29. J u n i
Am Morgen richte ich meine Reittasche zurecht, lade sie einem Kollegbuben auf und fahre zwei Stationen mit dem Zug. Zu Fuß wird der Weg über Wiesen und Felder, Bäche und Zäune zurückgelegt, der von da zur 4 km entfernten Missionsschule Curileo führt. Die Schule liegt inmitten von drei Indianerreduktionen. Eine fast reine Indianerschule. Eine herrliche, prächtige Wintersonne. Die Wasserlachen auf den Straßen und Wiesen sind mit einer Eisschicht bedeckt. Die Erdschollen der Acker sind fest gefroren. Dichter Nebel liegt in dem Tal des Curileo. Ich blase meine Signaltrompete. Alle schauen aus den Hütten. Es kommen aber wenige. Die Indianer sind hier scheu wie die Rehe. Ich
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erzähle den Indianerkindern in einer kurzen Katechismusstunde von den Aposteln, die uns als Boten Gottes den Glauben gebracht haben. Ich zeige ihnen mein rotes Meßgewand, das ich mitgebracht habe. Diese Glaubensboten haben für Gott das Blut vergossen. Hernach rede ich mit den Männern. Um 1/2 12 Uhr feiere ich die hl. Messe. Vor 28 Jahren hat mir Gott das Leben geschenkt, hat mir den Heidenapostel Paulus zum Patron gegeben. Vor drei Jahren hat er mir die Gnade des Priestertums verliehen. Ich feiere eine Dankmesse, heuer bei den Indianern. Ich lese das Evangelium von der Aussendung der Apostel und ihrer Predigt. „Bekehrt euch, das Himmelreich ist nahe." Es kommuniziert niemand. Drängen wollte ich nicht. Hier gibt es noch viel zu arbeiten. Vor drei Jahren bekam ich die Weihegabe. Heute sehe ich die Weiheaufgabe. Nach der Messe zwei Taufen. Die drei Ehen, die ich das letztemal wegen Mangels an Zeit aufschieben mußte, erwarte ich heute vergebens. Die hiesige Missionsschule mit dem gegenwärtigen Lehrer bringt wenig religiösen Erfolg. Auf dem Weg zur Station rede ich darüber auch mit dem Lehrer. Was ist da zu tun? Mit dem gleichen Zug kommt auch der Claretinerpater von Temuco, der den Schulkindern in den nächsten Tagen Exerzitien halten soll. Die Kollegbuben springen in unsern Zug, bemächtigen sich unseres Gepäcks und begleiten uns feierlich zur Mission. Um 4 Uhr ist erster Vortrag. Die ganze Kirche ist voll. Auch die Kinder vom Dorf sind zum großen Teil gekommen. Ich höre vor allem aus sprachlichem Interesse zu. Ich habe noch wenig Spanier gehört. 30. J u n i
Die Schulkinder haben ihre Exerzitien. Nach der 9 Uhr-Messe um 11 Uhr, nachmittags um 2 und 4 Uhr ist Vortrag in der Kirche. Dazwischen kleine Schulstunden. Das Stillschweigen will den Buben gar nicht gelingen. Unterdessen werden die Vorbereitungen für den Bischofsempfang immer lebendiger. Die Buben müssen Büsche und Sträucher holen. Die Mädchen binden Guir157
landen und singen und beten dazu. Es sind ja Exerzitien. Mit einem jungen Herrn aus dem Dorf probe ich einige Musikstücke. Er spielt ausgezeichnet Violine, alles nach dem Gehör. Notenlesen hat er nicht gelernt. 1. Juli Die Beichten der Kinder beanspruchen heute viel Zeit. Dazwischen höre ich die Vorträge an. Gegen Abend bestellt eine Frau einen Versehgang für morgen nachmittag. Das ist unmöglich, weil der Bischof kommt. Also gehe ich heute noch. Ein Kollegbube, ein Mapuche begleitet mich. Eine halbe Stunde zu Fuß außerhalb des Dorfes. Dort ist eine kleine Indianerniederlassung. Ich komme zum erstenmal hin. Es ist schon Dämmerung. Wir müssen vor der Hütte warten: ein junger Indianer mit 22 Jahren liegt krank drinnen. Ich spreche mit seiner Schwester heraußen: ein kräftiges, frisches Mapuchemädchen mit etwa 20 Jahren in der echten Indianertracht. Ich erkundige mich. Er ist kirchlich verheiratet, sein älterer Bruder nicht. Dieser ist auch drinnen in der Hütte. Ein jüngerer Bruder geht in die Missionsschule. Der Vater ist schon gestorben. Das Mädchen versteht ganz gut Spanisch. Gewöhnlich hat man mit Frauen und Mädchen große Mühe, sich zu verständigen. Ich werde eingelassen. Tiefes Dunkel in der Hütte. Nur der Schein des offenen Feuers inmitten der Hütte wirft den Schein auf die Gesichter der herumstehenden und sitzenden Indianer. Rechts neben dem Feuer liegt der Kranke auf dem Boden. Einige Felle darunter, einige Wolldecken darüber. Rechts neben dem Kranken haben sie ein niedriges Tischchen bereitgestellt, bedeckt mit sauberem Zeitungspapier; das ist für mich. Ich beuge mich zum Kranken nieder. Eingefallene Gesichtszüge. Er war auch einmal Schüler der Missionsschule. Hat das Beichten gelernt. Freut sich, daß ein Pater gekommen ist. Am Boden kniend, über den Kranken gebeugt, höre ich die Beichte. Wenn ich nur die Mapuchesprache schon btesser verstünde! Man könnte sich viel besser verständigen. Ich rufe 158
die Angehörigen wieder herein, erkläre ihnen und dem Kranken die hl. Sakramente, die ich spende, die hl. Kommunion und die letzte Ölung und danach den päpstlichen Segen für die Sterbestunde. Man bringt mir ein kleines Ollämpchen, damit ich lesen kann. „Den Magen sollst du auch salben", meinte der ältere Bruder, „da hat er so viel Schmerzen". Die Familie verhält sich sehr andächtig. Es herrscht ein guter Geist hier. Den älteren Bruder hole ich mir aus der Menge heraus und ermahne ihn, er möge sich ja bald kirchlich trauen lassen. Er verspricht es. Wir gehen wieder heim. Es ist Nacht geworden. Wir tappen durch die Wiesen. Der ältere Bruder und seine Frau, eine Mapuchin, kommen uns nach: Er geht auch nach Hause. Er wohnt im Dorf drinnen. Wir besprechen nochmals die Trauung. Er verspricht es schon für morgen. Einmal in seinem Leben hat er schon gebeichtet: als er in der Missionsschule war. Seine Frau hat überhaupt noch nicht gebeichtet. Ob sie mit der kirchlichen Trauung so schnell einverstanden ist? 2. Juli Mit der Kommunionandacht und dem Päpstlichen Segen nach der feierlichen Herz-Jesu-Messe um 9 Uhr schließen die Exerzitien für die Schulkinder. Der größte Teil der Schulkinder hat gebeichtet und kommuniziert: alle mit Ausnahme der AbcSchützen und einiger Buben und Mädchen, die wohl im Elternhaus der Religion ganz fremd gegenüberstehen. Die letzten Vorbereitungen für den Bischofsempfang heute Nachmittag werden getroffen. Ich setze noch die letzten Taufen ins Taufbuch: 299 Taufen im ersten Halbjahr. Nachmittag fahre ich im Auftrag des P. Pfarrers nach Temuco, um den Bischof abzuholen. Mit dem Zug von Süden kommt der Bischof mit seinem Begleiter, Alejandro, einem Theologiestudenten aus der Vilcuner Pfarrei. Der Bischof macht einen kurzen Besuch mit mir bei den deutschen Pallotinerpatres, die in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs, im Arbeiterviertel, eine Pfarrei haben. 1/2 5 fährt unser Zug wei159
ter. Auf einer Station begrüßt der Bischof die Missionsschule Curilso: die Indianerbuben singen ihrem Bischof ein Lied. Sie schreien ihr „Viva". Sie werden mit einem Bildchen beschenkt. Auf dem Bahnhof in Vilcún haben sich die ganze Schuljugend und die Mitglieder der Katholischen Aktion eingefunden, um Monseñor zu begrüßen. Ein begeisterter Empfang. Mit Vivageschrei und Liedergesang wird er durch die Straßen und über den Platz zur Kirche geleitet. Die Kirche füllt sich wie selten. „In der Predigt Gott mehr kennen lernen und im Katechismus nach Gottes Lehre leben", das sei unsere Arbeit, spricht der Bischof in der Begrüßungspredigt. 3. Juli Feierliche Bischofsmesse um 9 Uhr. Generalkommunion der Kinder und der Katholischen Aktion. Ich habe Beicht zu hören bis zur Opferung. Der Bischof predigt über die Sonntagsheiligung. Hier fehlt es in Chile am meisten. Das Volk ist des Priesters und des Gottesdienstes so entwöhnt. Der Gottesdienst dauert bis 1/2 11 Uhr. Noch beim Frühstück empfiehlt uns der Bischof immer wieder, das 3. Gebot einzuhämmern. 11 Uhr Sitzung der weiblichen Jugend der Katholischen Aktion. Der Bischof spricht von den Aufgaben des katholischen Mädchens. Besondere Arbeit der weiblichen Jugend sei: Katechismusstudium und Katechismusunterricht. Drei Fräulein geben für die Kinder in der Staatsschule Katechismusunterricht. Um 2 Uhr Versammlung der Frauen der Katholischen Aktion. Etwa 15 an Zahl. Alle im Dritten Orden. Monseñor muntert sie vor allem zur caritativen Tätigkeit auf. Um 4 1/2 spricht Monseñor zu den 15 Lehrern und Lehrerinnen der Pfarrei Vilcún. Er bespricht mit ihnen die Lehr- und Erziehungsgrundsätze für die Schule. Die Lehrer äußern ihre Wünsche bezüglich der Verbesserung der Schullokale, Beschaffung von Lehrmaterial usw. Um 3 / 4 6 ist Rosenkranz in der Kirche. Der unermüdliche Bischof spricht zu den Kindern der beiden Kollegien, zu den Buben und Mädchen. Verschiedene 160
Kinder kommen zu mir zum Beichten. Sie wollen morgen gefirmt werden, haben noch nie gebeichtet, keinen oder wenig Religionsunterricht genossen. Ich muß sie vorbereiten auf die erste Beicht und Kommunion und Firmung. Um 1/2 9 Uhr abends kommen die Männer der Katholischen Aktion, im ganzen 15. Das ist Kleinarbeit! Der Bischof widmet sich auch ihnen. Zum Schluß wird der vollständige Pfarrverband der Katholischen Aktion, die „Junta" geschaffen. 10 Uhr Schluß. Bei einer Tasse Tee bespricht der Bischof mit uns den Gottesdienst für morgen. Feierliches Pontifikalamt soll gehalten werden. 4. Juli Die Sonntagsmesse in Quintrilpe, die heute träfe, wird abgesagt. Ich hätte hinausgehen sollen. Aber die Arbeit mit den Beichten der Firmlinge und Firmpaten wird zuviel. Monseñor nimmt keine Paten an, die nicht vorher gebeichtet haben. Von Cherquénco, der Nachbarpfarrei, kommt um 9 Uhr mit dem Zug eine Abordnung der Katholischen Aktion herunter. 1/2 11 Uhr feierliches Pontifikalamt. Wir zwei Patres levitieren. Der Bischof predigt von den falschen Propheten, von den Katholiken mit falschen Grundsätzen, mit doppeltem Gewissen. Er predigt mit Mitra und Stab vom Thron aus. Er predigt sehr begeisternd und eindrucksvoll. Nach dem Gottesdienst segnet der Bischof die Abzeichen der Katholischen Aktion und nimmt eine Anzahl Neuaufnahmen vor. Alle beten zum Schluß das Glaubensbekenntnis. Eine große festliche Tafel wird heute gegeben. Der Bürgermeister ist geladen. Er kommt nicht. Der Polizeihauptmann und der Standesbeamte sind als Gäste anwesend. Ebenso Herren aus Cherquénco. Ich bediene den Tisch. Um 3/4 2 Uhr ruft mich die Pflicht in den Beichtstuhl. Firmlinge und Paten möchten beichten. Dazwischen meldet sich eine Taufe. Um 3 1/2 ist feierliche Generalversammlung der Acción católica anberaumt. Der große Saal des Mädchenkollegs ist ganz besetzt. Ich sitze am -Klavier und muß verschiedene Lieder begleiten. Zwischen hinein muß 161
ich ein Pianostück spielen (Wie froh bin ich jetzt um die Musikalien, die ich mitgenommen habe). Drei Reden verbreitern sich über den Glauben als Grundlage der Katholischen Aktion (Missionslehrer Alonqueo), über die apostolische Arbeit des Bischofs und seiner Missionäre (Diözesandelegierte Cox) und über die Aufgabe der katholischen Frau (Missionslehrerin Ullva). Der Bischof erinnerte in seiner Schlußansprache an die Worte der hl. Schrift: „Jesus begann zu wirken und zu predigen." Um 1/2 6 Uhr firmt der Bischof Kinder, die um 3 Uhr zu spät gekommen waren. Abends 8 Uhr große Festfeier zu Ehren des Bischofs. Männer und Frauen sieht man, die man nie in der Kirche sieht. Die Schulkinder singen Lieder, tanzen Reigen, tragen Gedichte vor. Mit meinem Begleiter spiele ich einige Stücke auf dem Klavier. Ein Geisterspiel in drei Akten führen die Mädchen auf. Köstlich gespielt. Aber eine schreckliche Moralpauke am Schluß. So lieben es die Chilenen, höre ich. Um 11 Uhr Ende. Die Veranstaltung hat sicher viel Sympathien für die Missionsschule erworben. 5. Juli Ich assistiere dem Bischof bei der hl. Messe. Hernach begleiten wir ihn auf die Bahn. Die Mission ist jetzt, nach den arbeitsreichen Tagen wieder ruhig. Ich bete mein Brevier. P. Roland ruft mich um 11 Uhr: Ein Versehritt. 18 km weit: nach Südwesten, wohin ich noch nie gekommen bin. Ein schöner warmer Tag, eine Freude zu reiten. Durch prächtig kultivierte Gefilde. Am Ziel empfängt mich der gute Herr Don Ruperto Reyes. Ein reicher Mann. Einer seiner Untergebenen ist krank, ein 20jähriger Bursche. Lungensucht. In der Bauernhütte unten. Ich spende die hl. Sakramente. Nachher bin ich Gast bei dem guten Herrn. Der alte Herr erzählt mir, daß er nie seinen Untergebenen das Geld blank gebe. Das würde sofort vertrunken werden. Er kauft, um dem auszuweichen, sofort selbst seinen Untergebenen, was sie notwendig an Kleidern und Schuhen sowie Lebensmitteln brau162
chen. So werden die Familien vor Elend bewahrt. Ein Volkserzieher! Auf dem Weg hierher war ich drei Betrunkenen begegnet, die aus dem Dorf General Lopes kamen. Gestern war Sonntag! Auf dem Heimweg begegne ich wieder einem. Das ist ein Elend! Heimwärts reite ich bis zur Bahnstation und warte auf den Zug. Ich unterhalte mich mit den Kindern, die gerade aus der Schule kommen. Dort ist eine Staatsschule. Sie genießen keinen Religionsunterricht, können nicht beten. Wissen gar nicht, ob sie katholisch oder protestantisch sind. (Hier gibt es viele Evangelische, d.h. Angehörige nordamerikanischer Sekten). Die Kinder wissen gar nichts. So viel unerschlossenes Gebiet in der großen Pfarrei! Das Dorf liegt 10 km von Vilcün entfernt. 6. Juli P. Roland ist zu einer wichtigen Besprechung mit dem Bischof nach Temuco gerufen worden. Es regnet den ganzen Tag. An solchen Tagen kommen immer wenige Leute zur Pfarrei. 2 Taufen kommen. Die eine spende ich dem Kind des jungen Mapuche, den ich vor wenigen Tagen versehen habe. Die Schwester, mit der ich damals gesprochen habe, bringt es. Sie erzählt mir, daß ihr Bruder noch in derselben Nacht gestorben sei, in der ich dort war. Gottes Fügung, daß ich noch am selben Tag ging! Gestern haben sie ihn beerdigt. Jetzt liegt seine Frau krank in der Hütte am selben Platz und ihr Kind, das getauft wird, scheint auch nur mehr wenig Zeit zu leben; so krank ist es. Die junge Mapuche ist ganz traurig. Mit ihrem großen weiten Schal hüllt sie das Kind ein. Ihr Silber schmuck klirrt an der Brust. Ihr anderer größerer Bruder ist noch nicht zur kirchlichen Trauung gekommen. Freilich, sein Bruder ist ja in der Nacht gestorben. Ich bitte seine Schwester, sie möchte ihn wieder an sein Versprechen erinnern.
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Missionär ohne Ruhestand P. Barnabas ( A n t o n ) Gutknecht (1907-1987) Ludwig Bertrand Riedl P. Barnabas, geboren am 13. Juni 1907 in Luzern, gestorben am 05. Oktober 1987 in Padre Las Casas, hat von seinen Eltern viel mitbekommen, obwohl sie früh gestorben sind 82 . Der Vater war Baumeister gewesen. So mußte er viel wandern, wohin ihn ein Auftrag rief. Das Wandern, das Bauen, das Beten hat P. Barnabas von ihm geerbt: es war seine Lust, seine Last, sein Verdienst sein Leben lang. Vom Elsaß - damals noch deutsch - war der Vater in die Schweiz gezogen. Hier, im schönen Luzern, wurde Anton geboren. Seen und Berge blieben seine Freude auch als Missionär. Bei der Muttergottes in Lourdes war einst der Vater von schwerer Krankheit geheilt worden. Die Liebe zur Muttergottes ging auch auf P. Barnabas über: ihr galt seine Frömmigkeit, sein Beten und Predigen. Als Vollwaise zu einer gütigen, frommen Tante 83 nach München gebracht, wuchs Anton im nicht gerade vornehmen Stadtteil Giesing auf. 84 Hier hat er seine urwüchsige Münchner Sprache mit ihren Sprüchen gelernt, die aber, mit Treu und Redlichkeit verbunden, niemand übel nahm; im Gegenteil, er machte die Münchner Gemütlichkeit salonfähig.
82 Maria Anna Gutknecht, geb. Dopler, f 08.04.1914; Alois Gutknecht, f 17.09.1917 (R). 83 „Tante" ist im übertragenen Sinn zu verstehen. Fräulein Marie Ringelgschwendt ner war Vater und Kindern Gutknecht bis dahin unbekannt. Sie war mit der Familie Gutknecht weder verwandt noch verschwägert. Juristisch gesehen, war sie die Adoptivmutter von Anton Gutknecht (R). 84 München, Tegernseer Landstraße 49/111 (R).
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Als 1923 Anton Gutknecht in der 6. Klasse Gymnasium85 in das Kapuzinerseminar nach Burghausen kam, war das Entsetzen unseres feinen und guten Direktors, P. Salutaris86, über diese München-Giesinger Sprache groß, und ebenso groß, meist auch vergeblich die Mühe, sie in Kultursprache umzuwandeln87. Zum Trost fand Toni dann im Tertiärklerikat, in das er 1924 als Frater Barnabas eintrat, einen ebenbürtigen bayrisch-sprachkundigen Kameraden und Mitbruder in Frater Marinus Mayer88. Beide machten denn auch im Absolutorium 1927 ihre goethisch-deutsche Meisterprüfung und gingen dann mit ihren frommen, tüchtigen Mitbrüdern ins Noviziat nach Laufen, und dann, ein Jahr später, nach Eichstätt zu P. Ingbert Naab89 und P. Cosmas Behr 90 , die beide unseren Barnabas viel fürs Leben mitgaben: letzterer mit seiner fröhlichen Güte, ersterer als Magister mit seinem Eifer für die Sache Gottes und der Kirche im Kampf gegen das nationalsozialistische Heidentum. 85 Anton Gutknecht ist am 13.04.1923 als Privatschüler in die 6. Klasse des Staatlichen Gymnasiums Burghausen, heute: Kurfürst-MaximilianGymnasium, eingetreten. Das Schuljahr 1923/24 begann im Frühjahr. Zeugnisse gab es zum „Sommer", „Winter" und zum [Schul-] „Schluß". (Freundliche Auskunft des Kurfürst-Maximilian-Gymnasiums Burghausen vom 17.05. und 21.05.1996) (R). 86 P. Salutaris (Joseph) Seidl von Altkirchen (Gemeinde Sauerlach; bei München; Erzdiözese München und Freising) (1881-1941) (R). 87 Im Zeugnis zu Weihnachten des Schuljahres 1925/26 (23.12.1925) findet sich jedoch bereits die Bemerkung des Klaßleiters der 8. (heute 12.) Klasse, Kustermann: „Erfreuliche Besserung im Deutschen", wohingegen er am 11.07.1925 noch feststellen mußte: „Deutsch!" (Freundliche Mitteilung des Kurfürst-Maximilian-Gymnasiums Burghausen vom 21.05.1996) (R). 88 P. Dr. Marinus (Matthäus) Mayer von Neukirchen (Gemeinde Teisendorf, bei Traunstein; Landkreis Berchtesgadener-Land; Erzdiözese München und Freising) (1904-1986) (R). 89 P. Ingbert (Karl) Naab von Dahn (bei Pirmasens; Diözese Speyer) (18851935) (R). 90 P. Cosmas (Anton) Behr von Großkitzighofen (Gemeinde Lamerdingen; bei Landsberg/Lech; Diözese Augsburg) (1885-1942) (R).
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Seine Ausbildung in Homiletik - fürs Predigen - hätte Barnabas bald das Leben gekostet. In einem Ferienaufenthalt in Türkheim 91 ging er in den Wald und machte dort mit seinem herrlichen Baß Stimmübungen. Ein Jäger hörte das Brummen, und mit geladenem Gewehr ging er dann „dem Hirschen" auf die Spur, entdeckte das braune Fell und freute sich schon auf den guten Braten, als er doch merkte, daß es kein Hirsch, sondern ein Kapuziner war, ein sonderbarer wohl, wie er noch keinem begegnet war. Auch Hitler hatte Stimmübungen bei einem Münchner Schauspieler gemacht. Seine Propagandareden mit Massenpsychose waren für uns etwas Neues und es gelang unserem Barnabas, ihn mit seiner herrlichen Stimme trefflich nachzuahmen. In seiner Zelle im Kloster zu Eichstätt entstand in ruhigen Stunden sein Bild von Maria und ihrem Jesukind, in das er seine ganze Liebe hineinlegte. Unvergeßlich für mich, mit welcher Sorgfalt er an diesem Bild arbeitete, bis es fehlerfrei schien. Neun Tage vor seiner Priesterweihe starb Bischof Leo von Mergel92. Am 29. Juni 1932 weihte ihn dann Erzbischof Hauck von Bamberg. Mit dem folgenden Pastoraljahr, noch von P. Ingbert meisterhaft geleitet - es war eine durch Hitlers Machtübernahme aufgeregte Zeit - schloß diese Periode seines Lebens ab. Er wurde als Gäupater (Aushilfspater) nach Dillingen versetzt, und unser P. Ingbert mußte in die Fremde fliehen. Diese drei Jahre in Dillingen waren wohl die sorgloseste Zeit im Leben von P. Barnabas, eine Zeit des Reifens für den künftigen Beruf: im ruhigen Kloster bei P. Dr. Stanislaus 93 , dem späteren Provinzial und Generaldefinitor, bei den Klerikern, die für Freude und Unterhaltung sorgten, bei den Brüdern und Pa91 Türkheim (bei Mindelheim; Diözese Augsburg) war Kapuzinerkloster von 1685 bis 1973 (R). 92 Bischof Leo von Mergel OSB starb am 20.06.1932 (R). 93 P. Dr. Stanislaus (Johann Baptist) Grünewald von München (1901-1959) (R).
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tres, die für ihn Vorbild des Gebetes und gegenseitigen Dienstes waren. Dazu die Erfahrung, die er in den Pfarreien machte, welche er Sonntag für Sonntag betreute. Dies alles nahm er mit in die Mission nach Chile, wofür er sich im Frühjahr 1937 freiwillig meldete. Mit einer Gruppe von Schwestern aus Gengenbach kam er am 21. April 1937 in Araukanien an. Bischof Guido Beck empfing ihn mit Freuden, ohne zu ahnen, welche Erwerbung er mit P. Barnabas gemacht hatte. Für den Rest des Jahres kam er als Mitarbeiter in die Mission Villarrica. Diese war damals noch Landpfarrei, noch nicht Bischofsitz94. P. Archangel Zimmermann 95 war dort Missionspfarrer: ständig unterwegs zu seinen Landkapellen und Schulen, immer besorgt, solche zu gründen und zu bauen, wo Not war und die Gefahr des Vordringens der Sekten drohte. Von den neu angekommenen Franziskanerinnen bekam er welche für seine Landstationen, die dann wunderbar aufblühten. Diese Erfahrung nahm P. Barnabas mit nach Panguipulli, wohin er im Jahr 1938 gerufen wurde und wo er 20 Jahre wirken sollte, um das Gesicht der Mission zu erneuern. Missionspfarrer war dort seit 1903 der Gründer der Mission, P. Siegfried Schneider96, ein weiser, kluger und energischer Priester. Er hatte die ganze Mission aufgebaut: Kirche und Pfarrhaus, ein Internat für die Buben und ein Kolleg für die Mädchen, das von Schwestern vom Heiligen Kreuz geleitet wurde, dazu noch an einigen Orten auf dem Land Schulen für die Mapuche. Hier nun beginnt die große erste Lebensarbeit des Missionärs P. Barnabas. Jung begann er sein Wirken, mit 31 Jahren voll von Kraft und Begeisterung für die christliche Erziehung der Indianerjugend und die priesterliche Betreuung der Indianerfa94 Villarrica wurde 1948 Sitz des Apostolischen Vikariats der Araukanie (R). 95 P. Archangelus (Alfred) Zimmermann von Winterhausen am Main (bei Würzburg; Diözese Würzburg) (1903-1980) (R). 96 P. Siegfried (Alois) Schneider von Frauenhäusl (bei Kelheim; Diözese Regensburg) (1868-1954) (R).
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milien. 150 km von Westen nach Osten bis zur argentinischen Grenze, 60 km vom Rinihuesee im Süden bis zum Calafquensee und darüber hinaus im Norden erstreckte sich das zu betreuende Gebiet: ohne gute Straßen waren die verstreuten Indianersiedlungen nur zu Pferd zu erreichen, andere nur über einen der sieben Seen mit Booten oder kleinen Schiffen. Was wundert es, daß die Indianer bisher kaum mehr als die Taufe empfangen hatten und im übrigen an ihren althergebrachten Sitten hingen? Für P. Barnabas gab es nur eine Lösung für dieses Missionsproblem: durch Kapellen und Schulen die Mission aufs Land zu bringen. Genau, was die bisherigen Missionäre begonnen, und Bischof Guido mit Energie weiterentwickeln wollte, das erkannte er als seine Aufgabe in Panguipulli. Die Mission hier war etwas zurückgeblieben wegen des hohen Alters des ehrwürdigen Missionspfarrers Siegfried und seiner verdienten Brüder Innozenz97 und Thiemo 98 , alle schon an die 70 Jahre alt, mit Ausnahme des Bruders Koch, Raphael 99 ; eine wunderbare, harmonische Bruderschaft, der Barnabas geruhsame und fröhliche Stunden sowie Tage der Erholung verdankte, und die es ihm erlaubte, seine weiten Reisen und Holzgeschäfte auf dem Land zu machen und die vielen Kapellen und Schulen zu bauen. Er wurde der Freund von reich und arm. Scherzend und lachend erbettelte er sich die Baumaterialien und die Hilfe für die Indianer. Als diese einmal versagte, verlud er selbst die Balken und Bretter von den Holzkarren zum Schifflein im See. Ein anderes Mal erreichte er das Schiff nicht mehr, um nach Hause zu kommen. Er nahm ein Boot mit einem Ruderer, als es schon Nacht wurde. Ein heftiger Wind stand auf und brachte das Boot in höchste Gefahr. Barnabas empfahl sich der Mutter Gottes, und sonderbar: in der 97 Bruder Innozenz (Martin) Sponbrucker von Viehhausen (Stadt Rottenburg a.d. Laaber; Diözese Regensburg) (1866-1956) (R). 98 Bruder Thiemo (Ludwig) Zierhut von Salzburg (1873-1955) (R). 99 Bruder Raphael (Michael) Schiegl von Pietenfeld (bei Eichstätt; Diözese Eichstätt) (1901-1955) (R).
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Mission in Panguipulli läutete ein Glöcklein mit unbekanntem Ton. Da sagte P. Siegfried zu seinen Brüdern: „Der Barnabas ist in Gefahr: Beten wir für ihn!" Nach 3 Stunden kam dieser erschöpft und durchnäßt und erzählte von der Gefahr im See und wie er gerettet worden war. P. Barnabas war die treibende Kraft, daß er Schwestern für mehrere Landschulen bekam: so für Melefquén, Calafquén, Licanray, Pucura, Liquiñe und Neltume: ein ganzes Netz von Stationen, in denen neben Unterricht und Gottesdienst auch Krankendienst das Ziel war - ein großer Segen für die Indianer! 1945 brannte es in der Mission Panguipulli: alle Gebäude waren aus Holz. Mit Ausnahme des Mädchenkollegs brannten sie alle ab, auch die Kirche und das Bubenkolleg. Es ergab sich die Notwendigkeit, die ganze Mission nach und nach vom Berg ins Tal zu verlegen, da sich dort, am Ufer des Sees, eine größere Siedlung - jetzt eine Stadt - gebildet hatte. P. Barnabas baute die großartige, zweitürmige Pfarrkirche, die heutzutage jeder Tourist, von woher er auch immer kommt, im Foto festhält. Sie ist wunderbar als Haus Gottes über der Stadt erbaut: „Ein Haus voll Glorie schauet weit über alle Land . . . " bis hinein in die nahen Anden über dem See. Das große Gebiet der Mission und die Gemeinde hatten noch kein Krankenhaus - eine dringende Notwendigkeit! Nach dem Neuaufbau der Mission nahm P. Barnabas auch diese Aufgabe in die Hand und erstellte, wunderbar schön und ruhig gelegen, das Krankenhaus, das heute, erweitert, seinen Namen trägt: „P. Bernabé de Lucerna". Es wurde 1956 eröffnet. Damit war in 20 Jahren in Panguipulli die Hauptarbeit geschehen. Die Vorsehung rief ihn im Jahre 1958 nach Cuneo, auch eine Mission in den Kordilleren, die bis an die Grenze von Argentinien reicht, etwa 100 km Luftlinie nördlich von Panguipulli. Hier erwartete den unermüdlichen Missionär und Baumeister eine neue Arbeit: er wollte das Los der Landarbeiter und Siedler im Dorf verbessern, die keine würdige und gesunde Wohnung,
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sondern nur elende Hütten hatten. Zwei Mustersiedlungen sind die Frucht seines sozialen und christlich-caritativen Einsatzes: eine im Dorf Cuneo mit 38 Häusern, und eine zweite, etwa 10 km von Cuneo entfernt, mit 20 geräumigen Häusern für 20 Landarbeiter. Diese sind im Oval um eine in der Mitte zu Ehren des hl. Bruders Konrad errichteten Kapelle gruppiert, für die er das größte Geläute der Araukanie erbettelte: 7 Glocken auf einem großen Eisengestell. Für Gott und seine Ehre tat P. Barnabas alles.100 Am Ende der fünfziger Jahre stellten sich Krankheiten ein: eine bleibende Nierenschwäche und eine schwere Augenkrankheit, die ihm ein Auge kostete. Die ständige Gefahr, auch das andere Auge zu verlieren, machte es notwendig, ihm leichtere Arbeit zu geben. So kam er 1970 nach Villarrica - Pucara, 1971 nach Pucón, 1975 wieder nach Panguipulli, 1976 nach Valdivia, und zum Schluß, 1977-1987 war er in Padre Las Casas eingesetzt: der gesuchte Beichtvater, der Trost der Kranken in Stadt und Land und der unermüdliche Seelsorger in den vielen Landschulen und -Kapellen. Zwei Heiligtümer sind noch das Werk dieser letzten Epoche seines Missionslebens: es war sein Wunsch und Traum, der lieben Gottesmutter einen Wallfahrtstempel an der Panamericana im Norden des Missionsgebietes, und dem lieben Himmelvater, der sonst kein Heiligtum hatte, eines im Süden erstehen zu lassen. So steht nun, schon von weitem grüßend, in Metrénco, 8 km südlich von Temuco, die Muttergotteskapelle „Nuestra Señora del Tránsito", der Patronin der Autofahrer geweiht, und in Ciruelos, kurz vor der Abzweigung der Autobahn nach Valdivia und Puerto Montt, 8 km von San José de la Mariquina entfernt, die Gottvaterkapelle: beide Kapellen mit Hilfe von 100 Über die Tätigkeit von P. Barnabas als Architekt und Baumeister vgl. Goycoolea Infante, Roberto und Roberto Goycoolea Prado: La actividad constructora del R.P. Bernabé Gutknecht en el Vicariato de la Araucanía (Concepción, Bíobío 1984) (R).
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deutschen Wohltätern errichtet, und im Stil der Gnadenkapelle von Altötting gebaut. Beide sind ein Wahr- und Mahnzeichen des Glaubens für alle, die vorbeifahren und absteigen: eine Saat, die mit der Gnade Gottes herrlich aufgehen wird. P. Barnabas Gutknecht, unermüdlich wie er war, unternahm in den letzten Sommermonaten des Jahres 1987 noch eine Urlaubsreise nach Deutschland. Er schrieb eine Menge Dankesbriefe an seine vielen Wohltäter, die ihn in seinen 50 Missionärsjahren begleitet und unterstützt haben. Ihnen sei auch unser Dank sicher! Viele Freunde hat er noch besuchen können, denen er noch persönlich seinen Dank aussprach, wohl wissend, daß es sein letzter Gruß war. Nach seiner Rückkehr nahm er, trotz merklicher Schwächen, seine gewohnte Arbeit wieder auf. Noch am Fest des hl. Franziskus101 fuhr er aufs Land, hielt an zwei Kapellenschulen den Sonntagsgottesdienst und segnete die Kreuze, die nach hiesigem Brauch in die Saaten des Frühjahrs gesteckt werden. Am Abend kam er müde heim, legte sich zu Bett, verbrachte eine schmerzvolle Nacht, um am Morgen seine Seele seinem Schöpfer zurückzugeben. Die Beerdigungsmesse war ein überwältigendes Glaubensbekenntnis: Mit dem Bischof konzelebrierten an die 60 Priester. Eine unübersehbare Menge Volkes gab dem toten Pater das Geleit zum Friedhof. Menschliche Ehren fehlten dem demütigen, einfachen Kapuzinermissionär nicht, wie auch die Teilnahme so vieler Menschen an seiner Beerdigung zeigte. Auch höchste Stellen zeichneten ihn aus: die Stadtgemeinde Panguipulli ernannte ihn zum Ehrenbürger und wollte ihn auch, als den Erbauer ihrer herrlichen Pfarrkirche, in ihrem Friedhof beerdigt sehen. Die Staatsregierung unter Präsident Ibanez verlieh ihm das chilenische Bürgerrecht, und unter Präsident Alessandri den Orden „al merito" „Bernardo 0 ' Higgins" erster Klasse, letztere Auszeichnung für das soziale Wohnwerk in Cunco. 101 04. Oktober 1987 (R).
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Aber Christus, der König der Welt, für dessen Reich P. Barnabas fern der Heimat im Dienst der Mission unermüdlich „ohne Ruhestand" gearbeitet hat, wird ihm die höchste Auszeichnung geben - oder wohl schon gegeben haben.
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Mein Weg zum Priestertum Barnabas Gutknecht
Eine süße, betäubende Ohnmacht umfing den berühmten Ägyptenforscher Champollion102. Ganz unerwartet war für ihn die Sternstunde seines Lebens angekommen. Endlich, endlich hatte er gegen alle Hoffnung zur Entzifferung der altägyptischen Hieroglyphenschrift den Schlüssel gefunden. Die Freude darüber war zu groß für sein Herz. Eine Weile war er wie verrückt vor Freude und Seligkeit. Vergeblich hatte er es jahrelang versucht, in die Seele der Pharaonen und ihres Volkes einzudringen. Ohne ihre Schrift zu lesen, ging das aber nicht. Darüber war er alle die langen, nutzlosen Jahre fast verzweifelt. Was hatte es für einen Wert, die grandiosen Bauwerke der Ägypter ekstatisch anzustaunen, hingestellt für eine Ewigkeit. Und was hatte er davon, stundenlang ehrfurchtsvoll erschauernd vor den stummen Mumien zu stehen, wenn man sie nicht zum Sprechen bringen konnte? Dabei hatten die Pharaonen ausdrücklich Folgendes gewollt: uns, der Nachwelt, in ihren Schriften zu erzählen, wie sie durch ihre Großtaten am Bau des Reiches mitgewirkt und so an ihrer glorreichen Geschichte mitgeschrieben hatten. Das ohnmächtige, leidenschaftliche Bemühen, die Schriften der Pharaonen zu entziffern, war für Champollion durch all die nutzlosen Jahre eine wahre Qual gewesen, eine innere, fiebrige Glut, die ihm fast das Herz verbrannte. Aber endlich, endlich war dann für ihn gegen alle Hoffnung der heißersehnte Erfolg gekommen, die beglückende Sternstunde seines Lebens, da ihm ein holdes Geschick den Schlüssel zum Verständnis eines großen Volkes, der Grundlage unserer Kultur, übergab. Auch für uns läßt der liebe Gott in einer Gnadenstunde einen hellen Stern an unserem Horizont aufgehen. In seinem Licht 102 Jean-François Champollion (1790-1832). Entzifferte als erster die ägyptischen Hieroglyphen (R).
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erkennen wir in Blitzesschnelle die wundersame Spur des lieben Gottes in unserem Leben, seine geheimnisvolle Niederschrift auf unserem Seelengrund, das Siegel seiner Liebe, den Heilsplan, den Gott für uns von Ewigkeit her ausgedacht und dann in unserem Leben auch verwirklicht hat. Für mich kam die Sternstunde meines Lebens, die mir Einblick in Gottes weise Führung gab, am Tage meiner heiligen Primiz 103 Schon in aller Frühe war ich mit meinen Geschwistern von unserm Elternhaus in Basel zum Heiligtum Mariastein 104 gefahren, um dort dem lieben Gott zu danken, der mich trotz widriger Umstände so liebevoll an den Altar geleitet hatte. Auch meine Großmutter aus dem nahen Elsaß war dabei. Nach dem Primizamt gingen wir zum Festmahl. Aber es wollte keine Freude bei uns aufkommen; denn das Großmütterlein schluchzte immerfort in ihrem Ecksitz und weinte ihre Tränen in ihr Taschentuch hinein. Da nahm sich meine älteste Schwester Resli ein Herz - als Kreuzschwester hieß sie Maria Adjuta - und sagte zu ihr: „Mutterle, du darfst nicht weinen, du sollst dich mit uns allen freuen, daß der liebe Gott unseren kleinen Bruder Toni von damals jetzt als Priester zum Altar geführt hat." Da sagte die Großmutter: „Wie soll ich heute nicht weinen? Denn als vor 20 Jahren eure Mutter von mir Abschied nahm, um mit eurem Vater und den Kindern nach München umzusiedeln, war ich so hart und häßlich zu ihr 105 . Ich machte ihr das Herz schwer und drohte ihr, daß es ihr in München recht schlecht gehen würde." Da sagte eure Mutter: „Das weiß ich auch, daß mich in München ein Kreuzweg 103 Die (Erst)-Primiz feierte P. Barnabas am 02.07.1932 in Maria Birnbaum bei Aichach. Primizprediger war P. Irenaus (Karl) Doli von München (1877-1948). Maria Birnbaum, eine Marien wallfahrt, war von 1867 bis 1984 ein Superiorat der Bayerischen Kapuzinerprovinz. Bei der von P. Barnabas genannten „Primiz" in Basel dürfte es sich daher um eine NachPrimiz handeln (R). 104 Mariastein, ca. 15 km südwestlich von Basel; Wallfahrtskirche, 1655 geweiht, mit Kapelle zu den Sieben Schmerzen Mariae (1520) (R). 105 Im Jahre 1913 (R).
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erwartet. Aber die liebe Gottesmutter wird mir helfen, Gott zulieb mein Kreuz zu tragen. Dafür wird mein kleiner Toni einmal als Priester zu dir kommen, auch wenn ich nicht mehr lebe, und dir den Primizsegen geben. Ich habe ihr das damals nicht glauben wollen und sie ausgelacht und eine ,Spinnerin' gescholten. Und jetzt hat eure Mutter trotzdem recht gehabt, obwohl sie im ersten Jahre schon in München starb 106 und euer Vater im Krieg gefallen ist 107 und noch dazu der Toni im fremden Land und bei fremden Menschen aufgewachsen ist." Meine Mutter Meine Mutter war das einzige Kind meiner Großeltern. Nach der Volksschule wurde sie in ein französisches Internat für höhere Töchter geschickt. Die Großeltern haben das, wie viele Elsässer damaliger Zeit, als Protest gegen das mißliebige preußische Regime gemacht. Dort hatte meine Mutter das große Glück, einen tieffrommen Katecheten zu haben, den sie sich auch als Beichtvater auserwählte. Er war ein glühender Marien Verehrer. Jedes Jahr führte er den letzten Schulkurs vor dem Schulabschluß nach Lourdes. Auch meine Mutter machte jene Wallfahrt mit. Dort hatte sie ein tiefes seelisches Erlebnis, über das sie zeitlebens den Schleier der Verschiegenheit gelegt hat. Sie wurde ein Marienkind, still und innerlich. Innig verehrte sie Maria, ihres Herzens Königin, zuerst in ihren Mädchenjahren als die reinste Jungfrau, später dann leidgeprüft, in ihren letzten Lebensjahren, als die Schmerzensmutter. Meine Mutter war eine stattliche, schöne Frau, und in ihrer Jugend lag über ihr der Zauber unberührter Reinheit. Wenn sie in der Dorfkirche kniete oder auf der Dorfstraße einherging, gefiel sie im stillen gar manchem Bauernburschen. Sie aber gab nichts darauf. Umso mehr allerdings die Großmutter, die sich mit der Hoffnung trug, sie an einen reichen 106 Maria Anna Gutknecht, geb. Dopler, starb am 08. April 1914 (R). 107 Alois Gutknecht fiel im Ersten Weltkrieg am 17. September 1917 (R).
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Bauernburschen zu verheiraten. Ihr als einer Bauersfrau konnte man dies auch nicht verargen. - Nun war meine Mutter von klein auf eine große Blumenfreundin. Da kam die Großmutter auf den Gedanken, ihr Bauernhaus ganz neu aufzupolieren. Gott fügte es, daß sie meinen Vater, Alois Gutknecht, den Maurermeister aus dem Nachbardorf Blotzheim 108 , damit beauftragte. Längere Zeit hatte mein Vater in der nahen Großstadt Basel gearbeitet und sich dort auf der Bauschule den Titel „Baumeister" erworben. Nun sollte er im Auftrag der Großeltern den alten grauen Mörtel vom ganzen Haus herunterpickeln und das Haus blendend weiß verputzen, dazu dann vor jedem Fenster ein doppelbreites Gesims aus Kunststein anbringen. Das gab dann Platz für große Blumenkästen. Ein schönes Elternhaus, so rechnete die Großmutter, ist die beste Werbung für die Tochter des Hauses, noch dazu die einzige. Gar bald grüßte hell und freundlich das Haus in die Dorfstraße hinaus, vor allen Fenstern leuchteten überquellende Blumenkästen. - Damals gelang es meinem Vater, sich mit meiner Mutter auszusprechen. Er vertraute auf ihr gutes Herz und klagte ihr sein Leid: Ein Jahr zuvor (1998) habe er seine erste Frau verloren. Sie sei bei der Geburt des sechsten Kindes gestorben. Und er, der Witwer, habe noch keine Lebensgefährtin. Zwar habe er es versucht bei seiner Schwägerin, der Schwester seiner Frau, habe aber eine Abfuhr erlitten. „Ich werde doch meine Freiheit nicht an einen sechstöckigen Familienvater verkaufen", sagte sie. Da habe er ganz den Mut verloren, mit einer anderen Frau davon zu reden. Nur ihr, meiner Mutter, vertraue er dies an. Und dann sagte er so nebenbei: „Ich habe meine Angelegenheit der lieben Gottesmutter anvertraut und es ihr feierlich versprochen, bei einer guten Lösung meines schweren Anliegens mich mit meiner Braut in Lourdes zu verl o s Blotzheim, ca. 10 km nordwestlich von Basel gelegen, ist vom Wohnort der Familie Dopler, aus der die zweite Frau von Alois Gutknecht stammt, Hesingen (französisch: Hesingue), ca. 4 km entfernt. Beide Orte liegen in Frankreich (Elsaß) (R).
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heiraten." Kaum hatte er von Lourdes gesprochen, da legte sie ihm auch schon beide Hände auf den Arm und sagte: „In zwei Monaten fahren wir zu zweit nach Lourdes und erbitten uns den Segen Märiens, denn da kann nichts schiefgehen." Die Großmutter war wie vom Blitz getroffen, als sie von der Abmachung ihrer Tochter erfuhr. Alle ihre hochfahrenden Hochzeitspläne waren damit zunichte geworden. Auf ihre vielen Einwände entgegnete meine Mutter: „Das Heiraten ist eine ganz schwierige Angelegenheit. Für eine Frau ist es aber eine beruhigende Garantie, wenn ihr Mann dabei auf Maria vertraut." Natürlich bat meine Mutter ihren priesterlichen Freund, den Beichtvater aus ihrer Jugendzeit, er möge ihren Bund fürs Leben einsegnen. 109 Schon ein Jahr darauf war Vater wiederum in Lourdes. Diesmal aber ohne seine Frau, denn sie wartete auf ihr erstes Kind. Dafür hatte mein Vater einen tieffrommen Marienverehrer aus Basel mitgenommen, um an ihm einen hilfreichen Begleiter zu haben. Er war nämlich schwer krank geworden. Bei einer Bauarbeit war ihm ein schwerer Stein auf den Fuß gefallen, was einen Brand bis zum Knie hinauf verursachte. Die Arzte wollten ihm das Bein amputieren, denn sein Leben sei in Gefahr. Meine Mutter aber war ganz und gar dagegen. Sie sagte zu meinem Vater: „Das darf nicht sein; denn du brauchst doch deine beiden Füße zu deiner Bauarbeit; du gehst jetzt sofort zu Unserer Lieben Frau nach Lourdes und nimmst dir einen verlässigen Begleiter mit, der dir beim Reisen und beim Baden in der heiligen Quelle behilflich ist. Wir daheim werden dich mit unserem Gebet begleiten. Wir fangen daheim sofort mit einer Novene an, denn die liebe Gottesmutter weiß, daß wir dich so nötig haben. Verlaß dich drauf, Maria wird dir helfen." Und Maria half. Gestärkt durch den felsenfesten Glauben unserer Mutter fuhr der Vater nach Lourdes, wusch sich in der heiligen Quelle und kam gesund zurück. Noch heute hängen in Lourdes seine Krücken. Seitdem betete man bei uns daheim jeden Samstag den Familienrosenkranz. Sein erster 109 Die Ehe wurde 1899 in Lourdes eingesegnet (R).
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Bau nach der Gesundung war die stattliche Kirche in Leymen 1 1 0 an der Schweizer Grenze. Es war eine schöne, saubere und gediegene Arbeit. Aus Dankbarkeit für seine wunderbare Heilung verzichtete der Vater auf sein persönliches Honorar. Jener Kirchenbau machte ihn mit einem Schlag in der Stadt Basel und Umgebung bekannt. Er konnte kaum noch die vielen Bauaufträge annehmen. Um die zahlreichen Arbeiten gleichzeitig zu überwachen, kaufte er eine Kutsche und einen feurigen Rappen. Manchmal sattelte er am Sonntag seinen Rappen und ritt in der Umgebung von Basel umher. Als früherer Bauernbursch und später beim Militär hatte er gelernt, mit Pferden umzugehen. Stramm und stolz saß er auf seinem Pferd und zwirbelte seine beiden Bartspitzen ganz steil in die Luft, als wäre er Ulanenoffizier oder Flügeladjutant beim deutschen Kaiser. Meistens aber spannte er seinen Rappen vor die Kutsche, um sonntags zu den Großeltern nach Hesingen 111 im nahen Elsaß zu fahren. Es war ihm sehr viel daran gelegen, daß unsere Mutter gut gekleidet war, und auch wir Kinder waren wie die Grafenkinder angezogen. Meist trugen wir Matrosenkleidung, sowohl die Buben wie die Mädchen. - Hier muß ich einfügen, daß meine tapfere Mutter nach ihrer Heirat mit dem kinderreichen Witwer bald fünf eigene Kinder bekam, ein Kind pro Jahr; denn als ich 1907 geboren wurde, waren wir bereits 3 Schwestern und zwei Brüder. - Mein Vater wollte den Großeltern zeigen, wer er war und was er konnte. Für uns Kinder waren jene Ausflüge keine große Erholung; denn da mußten wir alle still und steif neben der Mutter sitzen. Auch bei den Großeltern gefiel es uns gar nicht besonders. Auch dort mußten wir brav sitzen bleiben, sowohl beim Essen wie im Garten, und durften uns wegen unserer Sonntagskleider nicht viel bewegen. D a war der Vater unerbittlich. D a blieben 110 Leymen, ca. 12 km südwestlich von Basel, liegt in Frankreich (Elsaß) ca. 2 km von der Schweizer Grenze entfernt (R). 111 Hesingen (französisch: Hesingue), ca. 6 km nordwestlich von Basel, liegt in Frankreich (Elsaß) (R).
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wir schon lieber daheim, um uns nach Herzenslust auszutoben. In dieser Zeit war der Vater auf der Höhe seiner Bauerfolge. Er war sozial und finanziell sehr gut gestellt, denn er hatte das Glück, einen kapitalkräftigen Teilhaber in seinem Baugeschäft zu haben. Damals baute Vater in Basel an dem großen Baukomplex in der Sierentzerstraße 112 , vier zu einem Gesamtkörper zusammengepaßte Einzelabteilungen mit je drei Stockwerken. Es ist ein stattlicher Bau. Aber dann gingen allmählich die guten Jahre zu Ende. Es begannen die 7 mageren Jahre, wie damals in Ägypten, als die fetten Kühe von den mageren aufgefressen wurden. Es wurde alles faul und flau im Baubetrieb. Die großen Aufträge blieben aus. Zu Vaters größtem Nachteil zog sich der reiche Teilhaber von der Baufirma zurück. Mit den nunmehr kleineren Bauaufträgen konnte sich der Vater nur notdürftig über Wasser halten. Trotzdem baute er verbissen weiter an kleineren Bauten, die ihn mehr belasteten, als sie ihm nützten. Meine Mutter gab ihm den Rat, sich einzuschränken und seinen Baubetrieb zu verkleinern. Das hätte aber die Entlassung eines Teils seiner Arbeiter bedeutet, was einem Prestigeverlust der Firma gleichkam. Das ließ aber sein Stolz nicht zu, auch konnte er es nicht verkraften, alte verlässige Mitarbeiter zu entlassen. Sein Herz war zu gut dazu. Vater klammerte sich verzweifelt an die Hoffnung auf eine baldige Wiederbelebung im Baugeschäft und nahm vom Schwiegervater eine Anleihe auf, für die er später als Pfand unser Elternhaus einsetzen mußte. Schießlich mußte dann der Vater doch seine Baufirma auflösen. Es war für ihn ein harter Tag, als er seinen guten Arbeitern, die ihm durch all die Jahre hindurch so treu gedient hatten, den letzten Lohn ausbezahlte. Mein Vater siedelte dann nach Gossau 113 um und mietete dort ein kleines 112 Benannt nach dem Ort Sierentz, der ca. 20 km nordwestlich von Basel in Frankreich (Elsaß) liegt (R). 113 Gossau in der Schweiz ca. 25 km südöstlich von Zürich bei Wetzikon und ca. 100 km südöstlich von Basel (R).
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Haus mit einem großen Grundstück, einer schönen Wiese und Garten. Uns Kindern gefiel es dort sehr gut. Da konnten wir uns nach Herzenslust austoben. Auch dem Rappen bekam der Umzug gut, denn da konnte er im Freien auf der Wiese grasen. Ihm zuliebe hatte der Vater einen kleinen Stall gebaut. Denn der Rappe war sein ein und alles. Wir Kinder freilich konnten das Pferd nicht leiden. Wir glaubten uns benachteiligt und meinten, der Vater liebe den Rappen mehr als uns. Er wurde immer liebevoll gebürstet und gestreichelt, während der Vater uns Kindern gegenüber mit seinen Liebeserweisen recht sparsam umging. Aus Eifersucht stießen wir zuweilen dem armen Rappen mit Holzscheiten in die Flanken. In Gossau war unser Leben einfacher und billiger als in der Großstadt Basel. Auch war dort mein Vater der einzige Baumeister. So fielen ihm mehrere Arbeiten zu, leider aber keine größeren Bauaufträge. Das machte den Vater ganz traurig und verzagt, bis eines Tages die radikale Wendung kam. Ich kann mich noch gut daran erinnern. Es war ein Samstagnachmittag. Wir Kinder balgten uns müde auf dem Heuboden über dem Pferdestall. Ungefähr um vier Uhr wurden wir der Reihe nach in die Waschküche hineinkommandiert. Dort steckte uns die Mutter in einen großen Waschbottich mit heißem Wasser und schrubbelte und bürstete uns von Kopf bis zu den Füßen. Wir bekamen frische Unterwäsche und wurden ins Bett geschickt. Auf dem Nachtkästchen standen große Tassen mit Kakao und einem großen Stück Honigbrot. Ich war schon längt eingeschlafen, als ich ganz plötzlich vom Vater aufgeweckt, aus dem Bett gehoben und auf seinen kräftigen Armen in die Wohnküche getragen wurde. Dort stand auf dem Tisch eine leere Schüssel. Darin lagen zwei zusammengerollte Papiere. Mein Vater ließ mich als den Kleinsten so ein Los herausziehen, entfaltete es und hielt es triumphierend in die Höhe. Es stand „München" drauf. Ich wußte nicht, was das bedeutete. Später erst erfuhr ich den Zusammenhang. Aus München war ein Brief gekommen. Ein alter Studienkamerad
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von der Bauschule in Basel schrieb meinem Vater, er habe in München das große Los gezogen. Er sei aus der Schweiz nach München umgezogen und bei einer großen Baufirma eingetreten. Dort habe er gearbeitet und geschuftet wie noch nie. Damit habe er sich die Gunst der Firma erobert. Man habe ihm Teilkontrakte zugesichert. Er habe dabei viel Geld verdient und es in kurzer Zeit zu einem soliden Wohlstand gebracht. Sofort hatte diese Nachricht beim Vater wie eine frohe Botschaft eingeschlagen: „Ich mache es auch so und ziehe nach München." Meine Mutter war nicht begeistert davon, so schnell und überstürzt von Gossau wegzuziehen. Schweren Herzens gab dann die Mutter doch nach und versprach, für den Umzug bei ihrem Vater den Restbetrag eines früheren Darlehens abzuholen. Da kam sie aber wie befürchtet, ganz schlecht bei ihren Eltern an. Vor allem ihre Mutter war darüber ganz erbost und sagte: „Bleib doch in der Schweiz in Gossau, oder wenn du willst, komm zu mir mit deinen Kindern. Sei doch nicht so dumm! Laß deinen Mann nur alleine ziehen. Er soll es auch so machen wie die Saisonarbeiter aus Italien: zuerst das Glück allein probieren und dir allmonatlich Geld schicken. Wenn es ihm dann wirklich gut geht und er dort eine bessere Zukunft hat, kann er dich später mit den Kindern abholen". Großmutter war von allem Anfang an schlecht auf meinen Vater zu sprechen gewesen. Für gewöhnlich redete sie von ihm nur als dem „Alten". Meine Mutter ging aber auf ihren großzügigen Vorschlag nicht ein, denn sie hatte es bereits dem Vater versprochen, mit ihm in die Fremde zu ziehen. Da verlor die Großmutter alle Beherrschung, wurde sehr böse und drohte ihr mit Tod und Untergang, weil sie ihrer Mutter nicht folgen wollte. Da antwortete ihr meine Mutter, was ich von der Großmutter erst am Primiztag erfahren habe. „Ich weiß, Mutter, daß mich in München ein Kreuzweg erwartet; aber die liebe Gottesmutter wird mir helfen, mein Kreuz Gott zuliebe zu tragen. Dafür wird mein kleiner Toni, auch wenn ich
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nicht mehr bin, einmal als Priester zu dir kommen und dir den Primizsegen geben." Das war ihr Abschied vom Elternhaus. Der Großvater gab ihr noch eine kleine Geldsumme und sagte dabei: „Das ist der letzte Betrag für euer Haus, das mir dein Mann als Pfand gegeben hat". Meine Mutter kam weinend wieder heim zu uns. Vater war sehr verärgert über den kleinen Geldbetrag und ließ dies unsere Mutter spüren. Aber was konnte unsere liebe, arme Mutter auch dafür, daß ihr Vater so hart und geizig war? Schon am nächsten Tag verkaufte unser Vater alle Möbel, um nicht diese teure Fracht nach München zu bezahlen. Zum Herzeleid der Mutter mußte auch manches liebe Stück verkauft werden. Nur die kleineren Sachen und die Kleider wurden verpackt. Was den Vater am meisten wurmte, war der Verkauf seines Rappen. Am liebsten hätte er ihn nach München mitgenommen. Man hätte dem Vater, der sonst so trocken und wenig gemütsvoll war, so viel Sentimentalität nie zugetraut. Mit wütendem Ingrimm übergab er seinen Rappen dem Pferdehändler, nachdem er das Tier zuvor noch lange, lange getätschelt und liebkost und den weißen Stern auf seiner Stirn geküßt hatte. Schon am nächsten Tag nahm der Vater einen frühen Nachtzug, und so kamen wir in aller Herrgottsfrühe, noch bei Dunkelheit, in München an. Es war im Jahre 1913. Wir waren nur der Vater, die Mutter und die 4 Kinder. Die 6 Halbgeschwister aus der ersten Ehe des Vaters blieben in der Schweiz bei den Verwandten ihrer Mutter, unsere älteste Schwester Resli bei unseren Großeltern zurück. Für mich war sie wie ein Märchen: jene Reise nach München, in die hell erleuchtete Großstadt mit den vielen mehrfarbigen Lichtern. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Wir blieben noch einige Zeit im großen, warmen Wartesaal. Schon bald kam des Vaters Jugendfreund und führte uns in die von ihm besorgte Wohnung: eine geräumige Dreizimmerwohnung mit Küche und Abort. Mein Vater verbrachte den ersten Tag mit dem Erwerb von Möbeln, wobei ihm sein Freund behilflich war.
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Am nächsten Tag wurde unsere Wohnung bis in die Nacht hinein mit den neuen Möbeln eingerichtet. Da passierte uns ein großes Mißgeschick. Mein Bruder Max wurde mit seiner Petroleumlampe vom Vater bald hierhin, bald dorthin kommandiert. Er stolperte, und schon lag die Lampe zerbrochen auf dem Boden. Im Nu war das Zimmer in einen Feuersee verwandelt. Mein Vater brüllte uns alle miteinander aus dem Zimmer hinaus und warf einige Decken auf den Boden, um das Feuer zu ersticken, aber immer verblieben noch kleinere Feuerherde zurück, aus denen frech die Flammen züngelten. Da riß der Vater in höchster Eile einen großen Koffer auf und warf alles, was ihm dienen konnte, auf die gefährlichen Feuerherde. Hernach ließ er uns alle wieder in das Wohnzimmer eintreten. Und nun, da die Aufregung vorbei war, bemerkte unsere Mutter zu ihrem bleichen Entsetzen, daß der Vater auch ihr Festgewand auf den brennenden Boden geworfen hatte. Der Vater raufte sich die Haare, denn er selbst hatte ihr einst dieses ganz besonders teure Festkleid in einer berühmten Maßschneiderei in Basel machen lassen. Schon am nächsten Morgen kam der Hausherr wütend angerückt und verlangte einen horrend hohen Schandenersatz für den angekohlten Zimmerboden. Mein Vater war ganz entsetzt darüber. Er konnte die hohe Summe nicht ganz bezahlen, und so wurde ihm sofort gekündigt. Wiederum hieß es auf Herbergsuche gehen. Erneut half ihm der Jugendfreund beim eiligen Suchen nach einer neuen Wohnung. Aber bei der großen Eile war es sehr schwer, eine einigermaßen gute und billige Wohnung zu bekommen. So fand sich nur in einem alten Haus eine Zweizimmerwohnung: ein großes Zimmer von 4 x 4 Metern für Wohnküche und Schlafstelle für die Eltern. Und dann noch ein ebenso großes Schlafzimmer für uns vier Kinder mit zwei Betten: Je ein Bett für uns zwei Buben und auf der gegenüberliegenden Seite ein Bett für meine beiden Schwestern Klara und Helene. Wiederum mußten die Möbel der früheren guten Wohnung wandern. Sie hatten kaum Platz in der neuen Wohnung, die viel kleiner war. Da war dann alles
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so verstellt und unbequem, und die neue Wohnung entbehrte aller Heimeligkeit. Aber es sollte noch schlimmer werden. Am anderen Tag, als sich die Mutter einrichtete und, so gut es ging endlich Feuer machte und es warm und wohlig wurde, kamen aus allen Ritzen in der Wand und im Zimmerboden eine lange Karawane von kleinen ekelhaften Käfern heraus, die wir Kinder gar nicht kannten. Es waren Wanzen. Unsere arme Mutter war der Ohnmacht nahe und ließ sich wie leblos auf einen Sessel fallen. Als mein Vater zum Mittagessen heimkam, lief er sofort empört zum Hausmeister im Parterre und brüllte ihn an, daß es in den 3 Stockwerken zu hören war: „Da mußte ich sofort für drei Monate die Miete vorausbezahlen für solch einen Saustall!" Der Hausmeister schwor bei allen Heiligen, daß das Haus nie Wanzen gehabt hätte. Nur hätte hier in der letzten Zeit ein Fremdarbeiter gewohnt, und er sei es gewesen, der mit den zu vielen Kindern das Ungeziefer eingeschleppt habe. Nun hieß es in Gottes Namen, den ekelhaften Untermietern mit Petroleum den Garaus machen. Zwei Tage lang lag die arme Mutter auf den Knien, bürstete aus allen Ritzen das Ungeziefer heraus und warf es in die Schüsseln von Petroleum. Der Vater bemühte sich ebenfalls, die Matratzen auszubürsten; denn schon hatten die Käfer in der ersten Nacht sich darin eingenistet. Wir Kinder standen ratlos herum, der Mutter überall im Weg. Da sagte sie zur älteren Schwester Klara: „Da hast du 50 Pfennig und geh mit dem Toni auf die Dult." Wir gingen fort, und das Klärli nahm ein Billet für ein Karussell. Wir setzten uns zu zweit auf ein hölzernes Schaukelpferd und fühlten uns so groß wie früher der Vater auf seinem stolzen Rappen. Es ist fast nicht zu glauben: da hatten wir wiederum Malheur: Ein schriller Schmerzensschrei durchschnitt die Luft und übertönte die lärmende Musik. Das Karussell stand still. Es war ein altes Möbel und hatte keine Sicherheitsvorrichtungen. Da hatte ein größeres Mädchen seinen Arm aus Unvorsichtigkeit in das Gestänge gebracht und das Karussell hatte ihr beim Umdrehen den Arm zerquetscht. Beim
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Anblick des blutüberströmten, armen Mädchens liefen wir sofort nach Hause. Nie, nie werde ich jenen traurigen Einstand in der Münchener Altstadt vergessen. Am nächsten Tag ging dann der Vater in der großen Baufirma Moll zur Arbeit. Seine stille Hoffnung, sofort einen bevorzugten Platz als Vorarbeiter zu bekommen, wurde ihm nicht erfüllt. Alle besseren Stellen waren schon besetzt, und trotz seiner Zeugnisse und Dokumente aus der Schweiz mußte er von der Picke an beginnen. Das war für ihn eine schreckliche Demütigung. Auch meine Mutter litt darunter, weil sein Arbeitslohn dementsprechend bescheiden war. Aber trotzdem machte sie dem Vater Mut: „Schon bald wird die Baufirma wie bei deinem Jugendfreund deine große Tüchtigkeit bemerken, und dann wird es wieder aufwärts gehen." So mußten wir alle in dürftigsten Verhältnissen weiterleben. Am allermeisten litt unsere Mutter unter dem Umstand, daß es im dritten Stock für die 3 Mietsparteien nur einen gemeinsamen Abort gab. Da war doch unser kleines, aber sauberes Einfamilienhäuschen in Gossau ein Paradies dagegen gewesen. Schon bald wurden wir Kinder in der Schule angemeldet, meine drei Geschwister in der Blumenschule 114 und ich im Kindergarten, der von katholischen Schwestern geleitet wurde. Der einzige Trost für meine Mutter war das nahe St. Jakobskirchlein 115 , ganz in der Nähe bei den Armen Schulschwestern. Dieses Kirchlein wurde für sie zur Heimat ihrer Seele. Oft trafen wir nach der Schule unsere Mutter daheim nicht an, da wußten wir es bald: sie ist sicherlich beim Beten in dem Jakobskirchlein. Hier hatte sie ihren Lieb114 Schule an der Blumenstraße. Diese führt vom Sendlinger Tor-Platz über das Angertor zum Viktualienmarkt, läßt dabei den St. Jakobs-Platz westlich liegen (R). 115 Kirche St. Jakob auf dem Anger (Unteranger 1; St. Jakobs-Platz), zwischen 1220 und 1230 als Franziskanerkloster gestiftet, wurde 1284 den Clarissinnen übergeben, die es bis zur Aufhebung der Klöster im Jahre 1803 inne hatten. 1843 zogen die Armen Schulschwestern in die KJostergebäude ein. Die 1944 schwer beschädigte Kirche wurde 1956 gänzlich abgetragen. An ihre Stelle trat 1956 ein Neubau (R).
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lingsplatz, ganz rechts hinten in einer Betbank, vor der Statue der Schmerzensmutter. Vor dieser Statue brannten tagsüber ungezählte Kerzen, betreut von einem alten hutzeligen Frauchen, das die Kerzen verkaufte und hütete. Eines Tages vertraute das Weiblein unserer Mutter an, daß der Mesner zwei Ministranten bräuchte; ob nicht die beiden Buben, die immer ihre Mutter in der Kirche abholten, ministrieren könnten. Der Mesner sei ein guter Mensch und würde gerne den Buben dafür einen kleinen Lohn bezahlen. Da sagte meine Mutter, der größere, der Max, könne schon ministrieren, und der kleine Toni könnte es dann schon auch mit der Zeit lernen. So sah sie uns als Meßdiener vor dem Altar im Ministrantenröcklein amtieren. Für sie war dieser Altardienst ihrer Buben schon eine Einübung und Vorstufe zum späteren Primizaltar. Sie gab uns allen an jenem Sonntag, als wir das erste Mal amtierten, einen besonders guten Kaffee mit KafFeebrot und einem Löffel Honig darauf. So wurde ich allmählich von Max in das Ministrieren eingeführt. Er sagte zu mir: „Es macht nichts, wenn du nicht auf lateinisch beten kannst; das besorge ich schon selber. Der Pater merkt es nicht, wenn du dabei nur murmelst, während ich laut auf Lateinisch antworte. Die Hauptsache ist das gemeinsame Marschieren: gemeinsam von der Sakristei zum Altar gehen, dann mit kerzengeradem Körper gemeinsam die Kniebeuge machen. Auch mußt du, so lange du nicht lateinisch antworten kannst, beim Murmeln deinen Kopf fast auf die Altarstufen legen. Und noch eines: du darfst niemals umschauen. Da wird der Mesner zornig und reißt dir deine Ohren aus dem Kopf wie der Gärtner seine Rüben aus den Gartenbeeten." - Später erfuhr ich, daß beim Confiteor „culpa" die Schuld bedeutete. Da ließ ich zum Teil mein Murmeln bleiben und betete „Mei Schuld, mei Schuld, an Maxi sei Schuld" 116 Denn dem Maxi, der ein großer Lausbub war, traute ich schon eine ganz ordentliche Sündenschuld 116 Anspielung auf die „Stelle im „Confiteor": mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa (R).
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zu. Bald versprach uns der Mesner eine Mark mehr als Monatslohn, wenn wir ihm bei den Seelenämtern beim Aufstellen des Katafalks, des Sarges mit Blumenkästen und der Zimmerpalmen helfen würden. Das taten wir dann auch. Der Mesner setzte sich in eine Kirchenbank und kommandierte wie ein Inspektor. Er war immer müde und schwitzte viel, auch wenn wir für ihn arbeiten mußten. Das war dann für ihn ein Anlaß, uns zum Wirt zu schicken und wieder einen Liter Bier zu holen. Später wollten wir auch den Leichengottesdienst im Spiel nachmachen. Mein Bruder hatte eine große schwarze Griffelschachtel aus Hartgummi. Wir legten einen Fisch hinein und begruben ihn in aller Feierlichkeit mit Weihwasser, Weihrauch und feierlichem Grabgesang. Nach der Zeremonie gruben wir dann die Schachtel mit dem Fisch in einer Ecke an der Kirchenmauer ein. Jede Woche schauten wir nach, wie es mit unserem Toten weiterging. Abends nach dem Gebetläuten schillerte bei dieser Leichenerhebung das Fischlein in allen Farben: das war sehr interessant für uns, wenn es dabei auch scheußlich stank. Lange Zeit trieben wir dieses makabre Spiel. Freilich, das liebste Spiel meines Bruders war: „Räuber und Schandi" mit mehreren Lausbuben aus seiner Schulklasse. Am allerliebsten jedoch war ihm das Indianerspiel. Dazu wurden nur die großen Buben auserwählt. Da zogen sie zusammen an einen großen leeren Platz in einer Gebäudelücke. Sie zogen alte, ausgefranste Westen an, banden sich ein Stirnband mit Federn um den Kopf und steckten in den Hosengurt einen aus Holz geschnitzten Dolch. Hernach wurde gekämpft und wurden Gefangene gemacht, die an den Marterpfahl gebunden und ausgiebig gezwickt wurden. Wer das ohne zu schreien aushielt und den Schmerz heldenhaft verbeißen konnte, wurde bald wieder losgebunden und ehrenvoll in den Indianerstamm aufgenommen. Dazu gehörte dann ein Festgelage: es wurde Feuer gemacht, Kartoffeln wurden gebraten, und dann tanzte man wild um das Feuer herum. Meist machte dem Spiel ein Polizist, mit einer Pickelhaube angetan, ein schnelles Ende. Da stoben
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dann alle auseinander, schnell wie die Wiesel. Meist erwischte der Polizist nur mich allein, weil ich noch kurze Beine hatte. Da wurde ich dann angebrüllt und für das nächste Mal mit ganz großen Strafen bedroht. Zum Glück kam der „Schandi" nie in die Jakobskirche. Sonst hätte er da den Haupt- und Rädelsführer der Indianerbande als Ministranten erwischt. Eine ganz große Freude war es für Max und mich, daß wir später auch in der Hauskapelle der Armen Schulschwestern im Angerkloster 117 ministrieren durften; denn als dann unsere Mutter krank und bettlägerig wurde, war für uns arme Schlucker das Frühstück nach der heiligen Messe eine große Wohltat, umso mehr, als uns die Pfortenschwester so liebevoll bemutterte. Das freundliche Pfortenstüberl wurde dann für uns so recht zu einem himmlischen Vorstüberl und die liebe Pfortenschwester zu einem leibhaftigen Engel voll der Güte. Ungefähr ein halbes Jahr nach dem Umzug aus der Schweiz bekam unsere Mutter ihr letztes, ihr sechstes Kind. Es war ein liebes, holdes Schwesterlein. Ganz schnell nach der Geburt hat es die Mutter taufen lassen und ihm ihren eigenen Namen gegeben, Annemarie. Es war ganz fein und zerbrechlich zart, zu zart für diese harte Welt. Bald schon flog sein Seelchen heim zum Himmelvater. Es war wohl gut so; denn das Schwesterlein hätte in unserer großen Armut schuldlos leiden müssen. Umso mehr, weil ihm ja bald die wärmende mütterliche Liebe gefehlt hätte. Denn leider Gottes blieb unsere liebe Mutter seit der Geburt ganz schwach und elend. Sie jammerte nicht, aber man merkte es ihr zu sehr an, daß sie am Ende ihrer Kräfte war, und daß ihr oft das Herz versagte. Immer wieder streifte sie der Todesengel. Schließlich mußte unser liebes Mütterlein doch ins Krankenhaus. War das ein Jammer für uns alle, als die Sanitäter kamen und sie auf einer Tragbahre die steile Treppe hinab zum Krankenwagen brachten! Unser Haus war nun ein Trauerhaus geworden, noch ehe uns die 117 Haupt-Mutterkloster der Armen Schulschwestern bei St. Jakob am Anger in München (R).
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Nachricht von ihrem Tod überrachte. Sie starb mit 33 Jahren am Karmittwoch und wurde am Karfreitag 1914 im Waldfriedhof 118 begraben. So war die Karwoche doppelt eine Trauerwoche für uns Waisenkinder. Für mich ist deshalb das Leiden und Sterben unseres Herrn und Heilandes immer auf das innigste verbunden mit dem Gedenken an unser liebes, frommes Mütterlein, an ihr Leiden und Sterben. Vor der Beerdigung ging der Vater mit uns vier Kindern noch zur Totenkammer, tief drunten im Kellerstock des Krankenhauses, zum Abschiednehmen. In meiner Kinderphantasie verband sich die Erinnerung an die tote Mutter mit dem Bild vom Schneewittchen, so bleich und still lag sie auf der kalten Marmorplatte, schneeweiß ihr Gesicht und eingerahmt von ihrem wunderschönen kastanienfarbigen vollen Haar. Mein Vater küßte sie noch ein letztes Mal auf die Stirn und dann auch meine drei größeren Geschwister. Mich, den kleinsten 119 , hob der Vater empor zum Abschiedskuß. Als wir dann aus dem Kellerstock ins Freie kamen, war es mir ganz unbegreiflich, daß die Sonne noch am Himmel stehen und weiterscheinen konnte. Auch unsere Wohnung war nach unserer Rückkehr für mich keine Wohnung mehr. Sie war für mich nur mehr eine lichtlose finstere Höhle. Schon bald nach dem Tod unserer Mutter wurde der Vater mit uns vier Kindern zum Wohlfahrtsamt geladen zur Aufnahme unserer Personalien. Es ging da alles kalt und frostig zu, aber neben den Beamtinnen im Arbeitsschurz saß auch eine vornehme Dame mit einem auffallend gütigen Gesicht. Später erfuhren wir, daß sie eine freiwillige Helferin des katholischen Vinzenzvereins war. Sie sollte später für mich und meine jüngste Schwester Helene ein guter, von Gott geschickter Engel sein. Mein Bruder Max fand als erster Aufnahme bei einem Vormund. Er war ein Schneidermeister. Als wir Max dorthin begleiteten, bekam ich schrecklich Angst vor diesem Menschen. Das Schlimmste für mich war, daß er einen Höcker hatte und 118 10. April 1914 (R). 119 P. Barnabas war damals noch nicht ganz 7 Jahre (R).
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noch dazu einen großen Klumpfuß. Dieser Umstand machte mir den Mann sehr schwer verdächtig, weil mir einmal gesagt worden war, daß man dem Teufel und seine Brut am Klumpfuß erkenne, auch wenn die Hörner und der Schwanz nicht sichtbar seien. Hernach erfuhren wir, daß dieser unheimliche Mensch ein ganz gemeiner Ausnützer und Schinder war. Er hatte bereits 11 Mündel, meistens Mädchen, die alle schwer in seiner Werkstatt arbeiten mußten. Dort mußte auch unser armer Brunder Max den billigen Hausknecht machen: Kohle aus dem Keller schleppen und der Frau des Vormunds beim Heizen, Kochen und Waschen helfen, alles ohne je ein gutes Wort zu hören. Einen Monat später holte eine Frau auch meine ältere Schwester Klara. Es war eine dicke Bauersfrau aus der Umgebung von München. Sie kam vom Stiegensteigen ganz erschöpft herauf in unsere Wohnung und setzte sich sofort ungebeten an unseren Tisch. Sie sagte unserem Vater, der liebe Gott habe ihr leider nur Buben gegeben, ein halbes Dutzend, und darum hätte sie immer schon als Mutter auch ein Mädchen haben wollen. Sie tat recht mütterlich und gebrauchte auch viele fromme Worte. Aber auch von ihr sollten wir bald erfahren, daß sie eine brutale Egoistin war, voll Scheinheiligkeit und Heuchelei. Genauso wie der famose Vormund brauchte sie eine billige Arbeitskraft, ein Aschenbrödel für viele Schmutzarbeiten. Und am Schmutz fehlte es in ihrer Wohnung nicht. Als unser Vater unsere Klara dorthin begleitete, fand er dort wirklich eine Räuberhöhle, voller Unrat und Unordnung vor. Sechs rotnasige wilde Bengel tobten um das Haus herum. Armes Klärli! In diesem elenden Loch! Und warst doch so ein sauberes, schönes Mädchen. Wie ist dir das in deinem Leben später nachgegangen, daß dir unsre liebe Mutter fehlte! Nun waren wir nur noch zu zweit daheimgeblieben: ich und meine jüngere Schwester Helene. Jeden Abend beteten wir beide voll Innigkeit zu unserer Mutter, daß der liebe Gott uns doch beisammen lassen möge. Da kam eines Tages jene gute
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Dame vom St. Vinzenzverein und lud uns alle an einem Sonntagnachmittag zum Kaifee in ihre Wohnung ein. Es war eine sehr vornehme Wohnung mit schönen Möbeln und erlesenem, blitzendem Geschirr. Ihr Vater war Juwelier gewesen, und jetzt lebte sie mit ihrem uralten Mütterlein zusammen und widmete sich freiwillig der katholischen Jugendfürsorge. Sie hätte, so sagte sie zu uns, eine gute Nachricht, denn die Helene käme in ein gutes Mädchenpensionat der Englischen Fräulein. Sie kenne persönlich die Frau Oberin, und da bekäme die Helene in Heiligenstatt 1 2 0 bei Altötting eine besonders gute Erziehung. Sie selber werde für das erste Jahr die Pension für Helene bezahlen und später dann werde die Mutter Oberin der Helene, wenn sie brav und fleißig sei, einen Freiplatz geben. Von Zeit zu Zeit kommt die Mutter Oberin nach München und werde selbst die Helene mitnehmen. Da sei dann die Helene in guter Hand. Das Fräulein war sehr lieb und vornehm und hatte auch einen ganz vornehmen edlen Namen: Fräulein Marie Edeltraut. Zum Glück für mich blieb die Helene nach dem Weggang von Klara noch 3 Monate beim Vater und bei mir und war so für mich Schwesterlein und Mütterlein. Unser Vater blieb während der Mittagspause meist an seinem Arbeitsplatz und aß dort in dem nächsten Restaurant zu Mittag. Da holten wir am Mittag für uns beide im Wirtshaus gleich neben unserem Haus unser Mittagessen. Das war jahraus, jahrein an jedem Tag gleich: eine säuerliche braune Suppe mit kleingeschnittenem Fleisch „Lüngerl" hieß es, und dazu für jede Portion noch ein großer Semmelknödel. Am Abend schwammen in dem Lüngerl statt dem Knödel zwei große gekochte Kartoffeln. So holten wir für uns beide in einer Kanne jeden Tag zwei Portionen und am Abend noch eine Portion dazu und eine Flasche Bier für den Vater. Bloß am Sonntag machte uns die Helene Kaffee, und wir bekamen zum Brot noch eine Schnitte Wurst dazu. So war das Essen, der Sonntag ausgenom120 Heiligenstatt ca. 6 km westlich von Altötting; Gemeinde Markt Tüßling. Mädchenpensionat der Englischen Fräulein (R).
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men, so recht eine Kasernensuppe - ein Gefängnisfraß. Anfang September 1914 kam dann beim Schulanfang die Frau Oberin zu uns und nahm mein liebes einziges Schwesterlein, mein Leneli, mit sich ins Pensionat nach Heiligenstatt. Nun war ich, mutterseelenallein zurückgeblieben, ein richtiger Waisenbub geworden. Mein Vater blieb über Mittag auch weiterhin auswärts, und so holte ich mir halt jeden Mittag in der großen Kanne meine Portion. Tagsüber spielte ich, so gut es ging, mit meinem großen Baukasten, den zum Glück mein Vater beim Umzug aus Gossau für mich eingepackt hatte. Streng hatte es mir der Vater verboten, auf die Straße hinaus zu gehen. So ging ich bei gutem Wetter hinunter in den Hinterhof, um mit den Kindern vom gleichen Haus zu spielen. Das war ein düsterer dunkler Winkel, der noch dazu zum großen Teil mit Mülltonnen ganz verstellt war. Vom berühmten bayerischen Himmel, so schön weiß und blau, war von unserer dunklen engen Schlucht aus nur ein kleines wandelndes Fetzchen zu sehen, nur ein kleines Stück vom blauen Himmel. — So recht eine Kerkerhaft. Ganz schlimm war es für mich an Regentagen. Da saßen wir Kinder vom gleichen Stockwerk im dunklen Flur beisammen, der ganz düster war und noch dazu verpestet vom gemeinsamen, unsauberen Abort im gleichen Flur. Ich brachte dann meine Bauklötzchen zum Spielen mit und die Mädchen ihre armseligen Puppen aus Stoff mit aufgenähten Perlmutterknöpfen, die als Augen dienten. Ein Bübchen hatte sein Holzpferdchen mitgebracht und ein größerer Junge sein Pfeiferl. Mitten drin schrie einmal das Mädchen mit der Stoffpuppe: „An Weihnachten möchte ich auch so eine große Puppe haben, die ,Mama' sagt, wenn man sie auf den Rücken legt. Gerne würde ich einen ganzen Teller von faulen Äpfeln aus dem Mülleimer hinunteressen, wenn ich nur auch einmal so eine schöne Puppe haben könnte." Und der Bub mit dem Pfeiferl sagte: „Ich möchte so eine ganz lange Mundharmonika bekommen, so lang von einem Ohr zum anderem. Gerne würde ich dafür die Augen zudrücken und unserem Kanarienvogel den
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Kopf abbeißen". Da sagte der andere Bub: „Ich würde dafür sogar einer toten Maus den Kopf abbeißen." Sofort zog er aus seiner langen Jackentasche eine Stoifmaus heraus und biß ganz wild in sie hinein. Mir wurde dabei ganz übel. Ich mußte mich fast erbrechen; denn ich habe so eine schrecklich große Angst vor Mäusen und Ratten. 0 , wie war doch Gossau so schrecklich weit von hier entfernt mit seinem Haus und dem Garten und den Blumen, und, ach, die Mami, die war auch so weit weg, so schrecklich weit. Als ich dann vor so vielem Weinen müde geworden war, nahm ich einen Stuhl und setzte mich gleich hinter der Eingangstüre hin, da ich doch nicht sofort einschlafen wollte wie letztes Mal. Da war der Vater so wild damals geworden, weil er so lange vor der Türe warten mußte. Da hat er mich gestraft und mich sogleich ohne Abendbrot ins Bett geschickt. Aber trotzdem schlief ich auch dieses Mal wieder ein. Ich träumte von der Mami, sie lag da wie Schneewittchen in einem Sarg aus Bergkristall, und ich stand mit den sieben Zwerglein um den Sarg herum, und wir alle weinten, und der Himmel weinte mit. Und da auf einmal fielen die harten Erdschollen auf den Sarg. Das krachte und donnerte so schrecklich. Ich bekam Angst und Herzklopfen und wachte auf. Es war der Vater, der vor der Wohnungstür mit den Fäusten polterte. Ich bat ihn kniefällig um Verzeihung und versprach ihm hoch und heilig, nie wieder einzuschlafen. Da nahm er wortlos die große Kanne und holte die zwei Portionen Lüngerl und eine Flasche Bier. Ich aber hatte keine Lust zum Essen, da es mir noch immer wegen der Mausgeschichte ekelte. Ich fing dann wieder an mit meinen Fragen, die ich jeden Tag aufs neue wiederholte, obwohl es dem Vater sicher wehe tat. Ich aber merkte das nicht, weil ich noch ein kleiner Bub mit knapp 7 Jahren war. Und die Kinder sind nun einmal so, sie plagen mit ihren Fragen so lange die Erwachsenen, bis sie endlich eine befriedigende, ihnen auch einleuchtende Antwort bekommen: „Warum, Papi, warum muß ich immer so allein in dieser Wohnung sein? Ich habe doch so viel Angst vor
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den Mäusen und den Ratten. Ich getraue mich nicht allein, auf den Abort hinaus, weil dort im Gang die großen Ratten laufen. Da benütze ich lieber den Kübel in der Zimmerecke. Und dann habe ich so schrecklich viel Zeitlang nach meiner lieben Mami. Warum, Papi, warum hast du meine Mami sterben lassen?" Da sagte er: „Sag doch das nicht, Toni, ich bin doch nicht der liebe Gott. Schon bald werde ich ja selber sterben müssen, denn Deutschland führt mit Frankreich Krieg, und da werden mich ganz plötzlich die Soldaten zum Krieg holen, und dann muß auch ich das Leben lassen." 121 „Aber warum, Papi, warum laufen wir dann nicht davon nach Gossau in die Schweiz und verstecken uns in unserem Haus im Kohlenkeller, damit sie dich nicht erwischen können?" Vater: „Ja, das geht auch nicht, denn sie werden uns an der Grenze fangen". Ich: „ 0 dann müssen wir noch hier bleiben. Wenn doch die Mami bei mir wäre! Ohne die Mami will ich nicht mehr leben. Da will ich lieber sterben. Warum, Papi, warum willst du mich denn nicht sterben lassen und dorthin lassen, wo die Mami ist? Du hast ja auch die Mami sterben lassen". Da schrie der Vater auf; es war der Schrei der Verzweiflung. Er ließ sich auf den Sessel fallen und legte sein Gesicht auf die verschränkten Arme auf den Tisch. Er weinte laut; er zitterte am ganzen Leib und schluchzte bis zum Zerbrechen und weinte, daß es Gott erbarm'. Da fing auch ich zu weinen an und schluchzte meine Tränen in mein armes Herz hinein. - Für mich änderte sich dann bald die Lage. Es kam Fräulien Edeltraut mit einer anderen Dame. Die hatte wundervolle blaue Augen, aus denen ein ganzer Himmel von Liebe und Herzenswärme strahlte. Sie fragte mich: „Nun, mein lieber Kleiner, wie heißt du denn?" Prompt gab ich zur Antwort: „Toni heißen tu ich". Das imponierte ihr anscheinend sehr, sie fand es lustig, und ein Sonnenstrahl der Freude huschte über ihr Gesicht. „Das freut mich aber, daß du Toni heißen tust", sagte 121 Alois Gutknecht starb ca. 3 Jahre später, am 17.09.1917, im Ersten Weltkrieg (R).
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sie. „Bald werde ich wieder zu dir kommen und dich zu meiner lieben Mutter bringen; da wird es dir gut gehen." Am Fest des heiligen Michael122 1914 kam dann für mich die große Wende. Mein Vater war von ihrem Besuch benachrichtigt worden und kam beizeiten heim. Er saß still und steinern in der Zimmerecke. Das Weh drückte ihm die Kehle zu. Als die Dame kam, stand er auf und reichte ihr wortlos die Hand. Dann küßte er mich und machte mir zitternd das Kreuzzeichen auf die Stirn. Die Dame sagte zu meinem Vater: „Bald schon, gleich nach dem Kriegsende, werde ich Ihnen wiederum das Büblein bringen, oder, wenn Sie es wünschen, zu den Großeltern im Elsaß. Dann wird die Grenze zum Elsaß wieder aufgemacht, die zur Zeit geschlossen ist; denn sicher wird der Krieg nicht lange dauern; der letzte Krieg von 1870 dauerte ja nur 4 Monate. Wir Deutschen sind ja das am meisten gerüstete Volk der Welt." Dann verabschiedete sie sich von meinem Vater, und ich gab der Dame die Hand, die nun meine zweite Mutter werden sollte.123 Wir gingen zu einem kleinen Laden am Petersbergerl 124 . Da kaufte sie mir ein Paar Schuhe und einen warmen Wintermantel. Sie zog mir dann ein Paar warme Strümpfe an, die sie mitgebracht hatte; wir nahmen hernach die Trambahn zu ihrer Wohnung oben auf dem Giesingerberg in der Tegernseer Landstraße 49/3. Vor dem Anläuten sagte sie zu mir: „Jetzt kommt meine Mutter! Zu mir sagst du dann in Zukunft „Tante Marie". Dort war ich gut, ja bestens aufgehoben. Ganz sicher hat mir meine liebe Mutter im Himmel droben vom lieben Gott diese fromme Tante Marie125 als zweite
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29. September (R). Fräulein Marie Ringelgschwendtner (R). Heute „Petersplatz" bei der Pfarrkirche St. Peter (R). „Tante" ist im übertragenen Sinn zu verstehen. Fräulein Ringelgschwendtner war, wie aus dem Text hervorgeht, der Familie Gutknecht unbekannt. Sie war mit der Familie Gutknecht weder verwandt noch verschwägert. Juristisch gesehen, war sie die Adoptivmutter von Anton Gutknecht (R).
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Mutter erbeten. Sie sollte mir den Weg weiterebnen bis hin zum Altar. G o t t habe sie dafür dreimal selig! Meine liebe Tante Marie Der Vater meiner Tante, Simon Ringelgschwendtner, stammte aus dem Salzburgerland. Nach seiner Gesellenprüfung kam er auf der Walz nach München, in die aufstrebende Großstadt. Dort fand er für längere Zeit eine befriedigende Arbeitsstelle. Später lernte er dann Maria Bühler kennen, eine Münchner Bürgerstochter aus einer kernkatholischen Familie. Mit der Zeit machte er sich selbständig und baute nach seiner Heirat am Stadtrand von München ein schmuckes Häuschen; später noch dazu eine Scheune für ein Wägelchen und einen kleinen Stall für ein Pferd für den Transport von Holz und Möbel. Als Schreiner war er hochgeschätzt. Seine Möbel waren sehr begehrt, sehr gediegen und ausnehmend schön. Er hatte einen guten A b s a t z , auch dann noch, als in seiner nächsten Nähe eine Möbelfabrik aufgemacht wurde. Von allen war er auch geschätzt als ein charaktervoller Mann, untadelig und fromm. Seine Schweigsamkeit rühmte man an ihm besonders. Ganz sicher hat der große Schweiger, der hl. Josef, ihn liebgewonnen und gern seine Stube und seine Werkstatt mit seinem Segen heimgesucht. So wuchs die Tante Marie als Kind in einem frommen Klima auf, durchsonnt von Gottes Gnade. In der schönen Stube hing von ihr ein Jugendbildnis. Ich erinnere mich noch gut daran: ein gesundes Mädchen, frisch und froh, mit hellen Märchenaugen und einem Strauß von weißen Blumen in der Hand. Sie sollte meine zweite liebe Mutter werden, die Pflegemutter für einen Priestersohn, so wie der heilige Josef auserwählt war als Pflegevater unseres Herrn J.esus Christus. In ihrer Jugend dachte sie noch nicht an eine gottgelobte lebenslängliche Jungfräulichkeit, und noch viel weniger daran, eine Klosterfrau zu werden, obwohl sie als Kind bei den Armen Schulschwestern in die Schule
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ging und auch später als junge Lehrerin dort bei den Schwestern praktizierte. Sie trug sich sogar eine Zeitlang mit Heiratsplänen. Sie glaubte, einen rechtlich gesinnten jungen Mann gefunden zu haben und wollte mit ihm zu zweit durchs Leben gehen. Aber ihr Bräutigam hatte einen schwerwiegenden „Geburtsfehler", der ihn für ihre streng katholische Mutter als Schwiegersohn unmöglich machte: Er war protestantisch, und damals war der Graben zwischen Katholiken und Protestanten noch tief und breit. So war auch die Reaktion ihrer Mutter sehr heftig, als sie ihr die „Erbsünde" ihres Liebsten beichten mußte. Leider war ihr Vater, der sie innig liebte, bereits in seinen besten Jahren gestorben. Die Mutter sagte ihr kurz und bündig: „Du kannst ruhig heiraten, wenn du willst, denn du bist ja alt genug. Wenn du aber meinen Segen dazu willst, mußt du dir einen Katholiken suchen." Auch die Antwort meiner Tante war gefaßt und kurz: „Gut, Mutter, ich respektiere deinen Willen. Aber ich heirate dann überhaupt nicht, auch keinen anderen." Dabei blieb es. Es muß jene Liebe ganz edel, groß und tief gewesen sein; denn auch ihr Bräutigam blieb ihrer Liebe seelisch treu und blieb ebenfalls unverheiratet sein Leben lang. Die Tante Marie ließ sich aber durch das Neinwort der Mutter nicht verbittern. Sie sah darin den Willen Gottes und machte aus der Not eine Tugend. Sie verlobte ihren Leib und ihre Seele an unseren Heiland in freiwilliger, lebenslänglicher Jungfräulichkeit, und dann gelobte sie ihm, ihre ganze Liebeskraft hinfort für ihre Kinder in der Schule, und vor allem für die armen Kinder einzusetzen. Als Zeugen für ihr heiliges Versprechen rief sie den heiligen Antonius an, den Freund des Jesuskindes und der Armen. Von ihm erhoffte sie vertrauensvoll die Gnadenhilfe für ihren Vorsatz. Auch den heiligen Franziskus, bat sie, ihr dabei zu helfen. Darum trat sie in seinen Dritten Orden ein, dem auch ihre Mutter angehörte. Nun ging sie mit Feuereifer und Energie an die Ausführung ihres vorgesteckten Lebensprogramms. Bald merkten es die Kin-
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der in der Schule, daß ihnen das Herz ihrer Lehrerin ganz und ungeteilt gehörte. Vor allem sollten es die armen Kinder spüren. Immer und immer wieder klopfte die verschämte Armut an ihr Herz und in ihrer Wohnung an, und nicht vergebens. Ihr Erbteil vom Verkauf des Anwesens ihres Vaters ging restlos auf in guten Werken. Über ihrem Bett hing ein Spruchband in goldenen Buchstaben: „Wohltaten, still und gern gegeben, sind Tote, die im Grabe leben, sind Blumen, die im Sturm bestehen, sind Sterne, die nie untergehen." So wölbte sich über ihrem Leben, hell und verklärend, ein ganzer Himmel voller Sterne. Ein besonderes Geschick, oder besser gesagt, eine gottgeschenkte Gabe hatte sie im Umgang mit besonders schwierigen Kindern. Einmal war ich Zeuge von ihrem Erfolg als Erzieherin: es schellte an unserer Wohnungstür. Vor mir stand eine hochmodern gekleidete Frau und fragte nach meiner Tante Marie, ihrer Lehrerin von anno dazumal. Als dann meine Tante Marie zur Begrüßung kam, fielen sich die beiden in die Arme und weinten laut vor Wiedersehensfreude. Später erzählte mir dann die Tante Marie Folgendes: Jene Dame war als ihr Schulkind ein schweres Problem, ein ganz unmöglicher Fall. Sie stammte aus einer ganz zerrütteten Ehe ohne Halt, so recht ein Kreuz für ihre Lehrerinnen, die sie wegen ihrem bockigen, frostigen, menschenscheuen Wesen einfach auf der Seite liegen ließen. Da betete sie zu ihrem Schutzengel eine Novene und bat dann auch den heiligen Antonius, er möge doch das arme Mädchen liebevoll auf seine Arme nehmen, so wie er es mit dem lieben Christkind tun durfte, daß es doch ein gutes Mädchen werden möge. - Von da an ging es mit dem Mädchen sichtlich aufwärts. Sie erwiderte das Vertrauen, das ich ihr schenkte: Die Eisdecke in ihrer Seele taute auf, und sie wurde meine liebste Schülerin. Später heiratete sie dann einen guten Mann und wanderte mit ihm nach Amerika aus. Jetzt, nach 25 Jahren, unternahmen sie zu zweit eine nachgeholte Hochzeitsreise, und nun kommt sie schon am ersten Tag zu mir.
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Die Krönung ihrer Wohltätigkeit aber war die Adoption von drei Waisenkindern: das erste hieß Leopoldine. Es war ein gutes Mädchen, lieb und fromm und dankbar, starb aber schon mit 20 Jahren in der Lungenheilanstalt bei Harlaching 126 . Das andere Mädchen hieß Anna. Sie war sehr talentiert und durfte sich mit der Hilfe von Tante Marie als Lehrerin ausbilden lassen. Leider war sie dann später recht undankbar und häßlich stolz, so recht eine kalte Schlange. Darum waren die Tante Marie und ihre alte Mutter entschlossen, kein Pflegekind mehr aufzunehmen. Ihre Mutter sagte: „Ich bin nun alt und fast blind, und auch du bist über die besten Jahre hinüber und mußt mal endlich anfangen, für deine alten Tage vorzusorgen und zu sparen." Aber dann erfuhr die Tante Marie durch ihre Freundin Edeltraud Winterhalter über mich, daß meine Mutter eine selten fromme Frau gewesen sei, daß ihre erste Tochter ins Kloster der Kreuzschwestern eingetreten sei, und daß noch ein kleiner Bub da sei, der unbedingt ein warmes Nestchen brauche. So überredete nun die Tante Marie ihre Mutter, noch einmal ein Pflegekind anzunehmen: „Weißt du, Mutter", sagte sie zu ihr, um ihren Widerstand zu überwinden „Anfangs wollte ich meiner Freundin auch nein sagen und das Kind nicht annehmen. Aber denk dir nur, das ist nun ein ganz besonderer Fall; denn das Büblein heißt Antonius und ist noch dazu am Tag des heiligen Antonius geboren" 1 2 7 . Und dann fing sie an, wie ein Advokat auf ihre Mutter einzureden. „Du weißt doch, Mutter, daß ich dir zuliebe damals auf meine große Liebe verzichtet habe. Danach habe ich im Himmel droben mir den heiligen Antonius als Liebhaber ausgesucht. Ihm zuliebe muß ich dieses Büblein nehmen, unbedingt, weil dieser kleine Bub ein kleiner Antonius ist; denn sonst ist es aus mit meiner Freundschaft mit meinem himmlischen Gspusi" 1 2 8 . Vor einer solch brillanten Beweisführung gab die alte 126 Harlaching, Stadtteil von München, südlich von Giesing gelegen (R). 127 13. Juni 1907, Fest des heiligen Antonius von Padua (1195-1231) (R). 128 „Gspusi" vom lateinischen „sponsus; sponsa"; „der Verlobte; die Verlob-
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Mutter jeden Widerstand auf. Und so wurde ich in der Familie Ringelgschwendtner zum vollberechtigten Familienmitglied. Was mich persönlich riesig freute, war der Umstand, daß ich schon von allem Anfang an als Wiegengeschenk einen herrlich großen Baukasten bekam. Er stammte vom einzigen Brüderlein der Tante Marie, dem kleinen kränklichen Andreas, der schon in jungen Jahren sterben mußte. Ihm hatte früher die ganze Liebe der Tante Marie und ihrer Mutter gegolten. Nun sollte ich in etwa für diese beiden Menschen den lieben unvergessenen Anderl ersetzen und ihre gemeinsame Liebe auf mich konzentrieren. Schon gleich am nächsten Tag nach meiner Ankunft sagte mir das alte Mutterl nach ihrem Mittagschläfchen: „So, jetzt gehen wir in Gottes Namen miteinander in die Pfarrkirche". Ich half ihr beim Anziehen. Sie kleidete sich noch in der Alt-Giesinger Tracht; Giesing war vor der Eingemeindung nach München 129 noch so ein recht typisches Bauerndorf gewesen, mit der alten Dorfkirche, einer Hufschmiede und den vielen alten Wirtshäusern, wo die von Land kommenden Bauern ihre Bauernwagerl einstellten. Zuerst legte sich das Mutterl einen großen Schal um die Schultern: ein dreieckiges schwarzes Tuch. Dazu als Kopfbedeckung ein sogenanntes Ringelhäubchen. Das lag ganz eng auf dem Hinterkopf auf und wurde mit seinen schwarzseidenen Bändern unter dem Kinn befestigt mit einer großen Masche, die ich ihr binden mußte. Uber der Stirne hatte das Häubchen einen Wulst aus Stoff, besetzt mit schwarzen glänzenden Glasperlen. Das war so wie ein Diadem aus Stoff und gab dem alten Mutterl Würde. Und die hatte sie im Überfluß. In ihrem ganzen Benehmen war sie würdevoll, fast hoheitsvoll. Vor dem Verlassen der Wohnung bekreuzigte sie sich und gab auch mir den „Weihbrunnsegen", indem sie ihren Segensfinger in das Weihwasserbecken tauchte und mir sodann auf Stirne, Mund und Herz das Kreuzlein machte, und das mit solcher Innigkeit, daß te", österreichisch-bayrisch für „Liebschaft; Liebste(r)" (R). 129 Die Eingemeindung erfolgte 1854 (R).
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ich es nie vergessen kann. Ich nahm sie dann sachte bei der Hand, und wir gingen in die nahe Kirche 130 . Dabei war ich mir meiner ehrenvollen und verantwortungsvollen Rolle wohl bewußt. Später dann, als ich größer wurde und dem Mutterl über den Kopf hinauswuchs, waren wir, wenn wir so Hand in Hand zur Kirche gingen, ein vergnügliches Bild: ich, der magere, hochgeschossene Bub, und das kleine zarte Frauchen wie Brüderlein und Schwesterlein. In der Kirche angekommen, sagte das Mutterl dann zu mir: „Jetzt habe ich viel zu beten. Du kannst dich jetzt hinsetzen und darfst schon mit den Augen herumschauen." Sie kniete sich dann hin und blieb eine halbe Stunde unbeweglich mit gefalteten Händen knien wie eine geschnitzte Heiligenfigur. Ich aber drehte meinen Kopf andauernd wie ein Karussell im Kreis herum. Einmal bin ich sogar, als das Mutterl beim Beten eingenickt war, leise aus der Kirchenbank herausgerutscht und bis zur Kirchentür auf einem Bein gehüpft, von einer schwarzen Bodenplatte zur anderen, die dazwischenliegenden weißen Platten überhüpfend. Meistens betete das Mutterl zwei Rosenkränze hintereinander. Dann gingen wir wieder heim. Ich machte Feuer und stellte den Wassertopf auf den Herd, damit die Tante Marie, wenn sie von der Schule heimkam, gleich den Kaffee kochen konnte. Es war noch keine Woche vergangen seit meiner Ankunft bei der lieben Tante Marie, da bekamen wir Besuch von einem Kapuzinerpater. Er kam, um das alte Mutterl wie gewöhnlich einmal im Monat beichtzuhören. Hernach wurde er im schönen Zimmer mit Kaffee und Kuchen bewirtet. Der Pater imponierte mir gewaltig. Noch nie hatte ich einen Kapuziner gesehen. Er hatte einen ehrwürdigen, langen Bart; ganz besonders gefielen mir an ihm seine lieben Augen, die von Güte strahlten. Er sagte dann, 130 Stadtpfarrkirche Heilig Kreuz zu Giesing. Die alte Giesinger Kirche (Pfarrkirche seit 1828) stand auf der steilen Böschung des östlichen Isarufers etwa 20 Meter südöstlich der neuen. Sie wurde 1888 abgebrochen. Die neue Kirche (Gietlstr. 2) wurde 1866-1868 errichtet und 1886 vollendet (R).
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als ich ihm vorgestellt wurde: „Nun werde ich jeden Tag für dieses Büblein beten, dann wird auch er, wie ich, ein Kapuziner werden, denn bei jeder heiligen Messe werde ich ihn dem lieben Gott darbringen." Dabei machte er mit seinen Händen eine Geste, als ob er einen Teller aufheben wolle. Darüber waren meine liebe Tante Marie und ihr altes Mutterl außer sich vor Freude. „Aber eines fehlt dem Toni noch", so fuhr er fort, „er hat sein Mütterlein verloren. So werde ich ihn noch ganz besonders der lieben Himmelmutter anempfehlen. Darum bringt mir den Toni schon am nächsten Sonntag in die Antoniuskirche 131 . Ich werde ihm nach meiner Messe das heilige Skapulier von Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel auflegen. Dann kann nichts mehr fehlen, und dann, ja dann, wenn ich einmal nicht mehr am Leben bin, wird der Toni als Pater an meiner Stelle die heilige Messe weiterlesen." - Jener Pater war gewiß ein Heiliger, so ganz von Herzen fromm und fein und vornehm. Er hieß Johannes Maria Rieß 132 . So wurde es gemacht, und wir alle drei gingen am folgenden Sonntag in die St. Antoniuskirche zu den Kapuzinern. Der Pater legte mir segnend seine Hände auf mein Haupt, und dann legte er das Skapulier auf meine Schultern. Seit jenem denkwürdigen Tag waren die Tante Marie und vor allem ihre Mutter doppelt lieb zu mir. Sie sahen in mir bereits den zukünftigen Priester am Altar. Das Leben lief dann ruhig weiter. Jeden Tag ging ich mit dem Mutterl in die Pfarrkirche, und wenn es nur irgendwie möglich war, nahmen wir die Trambahn und fuhren zur Antoniuskir-
131 Kapuziner- und Stadtpfarrkirche St. Anton. Kapuzinerstr. 38, München. 1893 Baubeginn der bestehenden Klosterkirche westlich der älteren Wallfahrtskapelle zur Schmerzhaften Muttergottes (R). 132 P. Johannes Maria (Georg Wilhelm) Rieß von Tiefenbach (bei Heilbronn; Diözese Rottenburg) (1863-1930). Eintritt in das Noviziat: 23.04.1883; zeitliche Profeß: 18.02.1884; ewige Profeß: 19.02.1887; Priesterweihe: 26.03.1887; gestorben in Landau am 11.03.1930. P. Johannes Maria Rieß war von 1916 bis 1918 in St. Anton, München, stationiert (R).
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che 133 . Sie wurde mir zur zweiten Heimat; denn sie war so recht von Herzen heimelig. Nie konnte ich mich satt sehen an den vielen Heiligen, die von den Wänden und den Altären so lieb und gut herunterschauten; und ganz vorne, da war der heilige Antonius so großmächtig dargestellt, so ganz nah bei Gott und Unserer Lieben Frau als unser bester Freund und Helfer in aller Not. Auch dem Mutterl war die Antoniuskirche ganz besonders lieb, so recht ein Magnet für ihre fromme Seele. Und dann war es dort viel wärmer und windgeschützter als in unserer großen Pfarrkirche hoch oben auf dem Berg von Giesing, wo es so kalt und zugig war. Natürlich kommunizierte das Mutterl jedesmal in der heiligen Messe. Hernach kehrten wir zum Frühstück im Damenstift zur seligen Kreszentia ein 134 . Dort wurden wir wie hohe Ehrengäste aufgenommen und von der lieben Pfortenschwester Maria Munditia 135 auf das allerbeste mit Kaffee und süßem Kaffeebrot bedient. Zum Glück für uns war der geistliche Inspektor des Stifts, der Hochwürdige Herr Fischer 136 , ein guter Freund zur Mutter, weil seinerzeit ihre Schwester Katharina Pfarrhaushälterin in Aschau gewesen war und ihn, den Kaplan von damals, besonders liebevoll bemuttert hatte. So zahlte uns der Hochwürdige Herr Inspektor alle erwiesenen Liebestaten voll Dankbarkeit wieder zurück. Oh, das tat uns beiden wohl; denn damals in der Kriegszeit, bei der Le133 Entfernung ca. 3 km (R). 134 Mutterhaus der Kongregation der Kreszentia-Schwestern vom Dritten Orden des hl. Franziskus. Kreszenz Schmitter'sche Anstalt. Isartalstraße 6, nahe der Kapuzinerkirche St. Anton. Die „Schmitter'sche Anstalt" wurde von Schwester Kreszenz Schmitter (1817-1890) als Damenstift zur seligen Kreszentia gegründet. 1957 erfolgte die Umbenennung in „KreszentiaStift" (R). 135 Walburga Leitner, geboren am 08.12.1889 in Knappenfeld bei Traunstein; gestorben am 28.11.1973 im Kreszentia-Stift in München (R). 136 Alois Fischer aus Grafing (1878-1941) war gleich nach seiner Priesterweihe am 29.06.1903 vom 31.08.1903 bis 14.03.1905 Kooperator Verweser in Niederaschau. Am 17.07.1913 wurde er zum Präses, am 08.07.1921 zum Superior der Kreszenz-Schmitter'schen Anstalt in München bestellt (R).
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bensmittelknappheit, war für gewöhnlich Schmalhans Küchenmeister. Nur im Winter fielen unsere Kirchgänge zum heiligen Antonius aus. Dafür verwandelte ich unsere Stube in ein Heiligtum mit der Weihnachtskrippe von Advent bis Lichtmeß. Schon lange vor der Adventszeit sammelte ich wie ein hungriger Hamster weiches Moos und Birkenrinde und reparierte alles, Grotten, Häuschen und Brücken. Dazu schnitzte ich die fehlenden Glieder der Figuren. Auch sammelte ich den ganzen Allerseelenmonat hindurch das Tropfwachs von. den Wachslichtern, die die Gläubigen bei den Seelenmessen brennen hatten, goß dann das Wachs in kleine Konservenbüchsen, um später diese selbstgemachten Kerzen hinter rotem Celluloidpapier beim Kripplein anzuzünden. Diesen rötlichen Schimmer empfand das Mutterl als ganz besonders mystisch und zum stillen Gebet und frommer Betrachtung anregend. Dafür gab sie mir dann dankbar immer wieder gute Schmankerl. Die schönste Krippendarstellung war natürlich an Drei-König. Da waren die drei Könige mit ihrem Hofstaat alle in Samt und Seide und in Goldbrokat gekleidet, daß es nur so glitzerte und glänzte. Von Neujahr bis Drei-König durfte ich auch nach Herzenslust in einer großen Schachtel wühlen, in der das Jahr über sehr schöne Paramentenstoffe verwahrt waren. Im Bedarfsfall durfte ich davon auch neue Kleider machen lassen. Das Mutterl hatte in ihren jungen Jahren in einer hochqualifizierten Damenschneiderei gearbeitet, heute würde man „Damensalon" dafür sagen. Da wurden die Paramente für die Kirche repariert. Daher stammten die wunderschönen Stoffreste, die Goldborten, Perlenschüre und auch kleine echte Goldplättchen. Am liebsten hätte ich, um den Glanz meiner Krippe zu erhöhen, jedem der drei heiligen Könige noch eine Königin zur Seite gestellt mit langem Schleier und Schleppe. Vor allem bettelte ich um die Gunst, doch wenigstens dem Mohrenkönig eine herrlich gekleidete Königin dazuzugeben. Er kam ja aus dem Morgenland mit seinem Reichtum an Gold und Elfenbein. Und vom Morgenland
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stammte doch auch die berühmte Königin von Saba, die auch einmal ins Heilige Land zum weisen König Salomon gekommen war. Aber alles Betteln war umsonst, noch einen vierten weiblichen heiligen König aufzustellen, weil davon nichts im Weihnachtsevangelium geschrieben steht. So wollte ich es doch beim Mutterl wenigstens probieren, wie man so eine Königin bekleiden könnte. Ich legte ihr, die so überaus zart und fein war, einen langen Schleier an, vom Kopf bis zum Rücken, dann legte ich auf ihre Brust das große herrliche Mittelstück eines alten Rauchmantels aus Goldbrokat, eingesäumt mit vielen Goldplättchen. Und schließlich formte ich ihre Ringelhaube in eine Krone um, indem ich sie ganz und gar mit Goldborten umwickelte und so die schwarzen Glasperlen verdeckte. So war das Mutterl wirklich wunderschön geworden, nach meiner Meinung genau so schön wie die Königin von Saba. Sie ließ lächelnd diese meine Huldigung über sich ergehen, war sie doch meines Herzens allerliebste Königin. Wir beide waren ja ein Herz und eine Seele, und jedesmal, wenn ich mir ein Lausbubenstück erlaubte und dabei erwischt wurde, hatte ich an ihr auch immer wieder einen getreuen Anwalt, der mich nie im Stiche ließ. Andererseits trachtete meine Tante Marie, mir durch Festigkeit den fehlenden Vater zu ersetzen, und überwachte mit großer Strenge mein Studium, vor allem, seitdem ich von der Volksschule in die Lateinschule übergewechselt war. 137 . Mit dem Studium war es leider bei 137 Der Bildungsweg von P. Barnabas Gutknecht läßt sich, wie folgt, rekonstruieren: Kindergarten der Katholischen Schwestern in der Nähe der Blumenstraße in München (vgl. Anm. 114); Staatliche Katholische Volksschule München-Giesing von 1913 bis 1917; Luitpold-Gymnasium München von September 1917 bis August 1920; Gymnasium bei St. Stephan in Augsburg vom 10.09.1920 bis April 1921 (Klasse 3a); Privatunterricht bei Pfarrer Gustav Viktor Keller und Kaplan Moritz Keller in Langenpettenbach offenbar von Mai 1921 bis April 1923; Eintritt in die 6. (heute 10.) Klasse des Staatlichen Gymnasiums Burghausen am 13.04.1923 (Schuljahr 1923/24); Austritt aus der Schule nach Ablegung des Absolutoriums (Abitur) am 07.04.1927. Der Bildungsweg von P. Barnabas bis
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mir sehr schlecht bestellt wegen meiner leidenschaftlichen Liebe zum Basteln und zum Schnitzen. Eine Zeitlang dachte ich daran, statt eines Kapuzinerpaters lieber ein Kapuzinerbruder zu werden, und das Kunsthandwerk als Kunstschreiner zu erlernen, um dann beim Altarbauen mitzuhelfen. Einmal ging ich sogar ganz geheim in die Werkstatt des berühmten Bildhauers Sebastian Osterrieder 138 , der bei uns ein Hausfreund war, und weihte ihm in meine Herzenswünsche ein. Da sagte er: „Ich nehme dich, Toni, jeder Zeit in meine Werkstatt auf, wenn du von deiner Pflegemutter die Erlaubnis dazu bekommst." Aber ich hatte nicht den Mut, um die Erlaubnis zu bitten. So entschloß ich mich denn doch wieder, so ein Pater zu werden wie der liebenswürdige Pater Johannes Maria. Aber leider hatte das Basteln meinem Studium schwer geschadet. Denn während meine Weihnachtskrippe von Jahr zu Jahr noch schöner und noch größer wurde, wurden gleichzeitig meine Schulnoten alljährlich immer schlechter, sodaß ich mich nur mit Ach und Krach von einem Kurs zum nächsten hinüberretten konnte. Am Ende der dritten Lateinklasse ging es dann einfach nicht mehr weiter. Da sprang als fünfzehnter Nothelfer mein Religionslehrer Viktor Keller ein. Er kannte mich vom Schulunterricht her und war mir sehr gewogen, weil ich im Fach Religion der beste Schüler war. Er machte meiner Pflegemutter den Vorschlag, mich in seine neue Pfarrstelle Langenpettenbach 139 bei Markt Indersdorf im Landkreis Dachau mitzunehmen. Dort werde er mich zu eizum Abitur 1927 ist nicht ganz lückenlos zu rekonstruieren, vor allem deshalb, weil an einigen der betreffenden Schulen die Akten aus dieser Zeit entweder verlorengingen oder durch Kriegseinwirkung zerstört wurden. Umso mehr dankt die Redaktion für freundliche Auskünfte Frau Ina Reiter (Kurfürst-Maximilian-Gymnasium Burghausen), Frau Ulla Kendlinger (Stadtarchiv Burghausen), Frau Anneliese Leyrer und Frau Christine Stegmüller (Gymnasium bei St. Stephan in Augsburg) (R). 138 Sebastian Osterrieder, bedeutender Bildhauer in München; geboren am 19.01.1864 in Abensberg; gestorben am 05.06.1932 in München (R). 139 Langenpettenbach ca. 18 km nordwestlich von Dachau (R).
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nem intensiven Studium anhalten. Ich sollte bei ihm privat die 4. und 5. Lateinklasse machen und mich dann zur Aufnahmeprüfung für die 6. Klasse in Burghausen stellen. Dort könnte ich dann auch ins Seminar der Kapuziner eintreten. So zog ich halt in Gottes Namen auf das Land zum heiligmäßigen Pfarrer Viktor Keller 140 und seinem Priesterbruder Moritz Keller 141 , seinem Kooperator. Der „Pfarrer von Ars" 142 in Langenpettenbach Das Leben auf dem Lande war für mich im Jahre 1921 ein Vorteil; denn damals herrschte in der Großstadt München eine große Hungersnot. Und ich war damals mitten im Wachsen und schoß wie das Unkraut in die Höhe. Andererseits begann in Langenpettenbach für mich eine harte, schwere Studien- und Arbeitszeit. Zunächst galt es, all die Lücken im Studium aufzufüllen, und dann das neue Pensum zu bewältigen. Da gab es keine Nachsicht, kein Pardon. Der Herr Pfarrer gab mir Latein 140 Gustav Viktor Keller aus Straßburg (1870-1954) : Priesterweihe am 29.06.1895. Koadjutor in Griesstätt 1895; Aushilfspriester in Hochstätt 1896; Koadjutor in Gmund 1897; Katechet in München-Giesing 1906-1920 : hier Bekanntschaft mit Frau und Fräulein Ringelgschwendtner und dem Waisenkind, seinem Schüler im Religionsunterricht, Anton Gutknecht; ab 31.05.1920 Pfarrer in Langenpettenbach; dort freiresigniert am 01.10.1928; dann Lehrer und Berater im Ignatiusheim für Spätberufene in MünchenFürstenried und ab 01.04.1929 Kursleiter in den Hansaheimen in München (R). 141 Moritz Keller aus Straßburg (1867-1924), Bruder des Gustav Viktor Keller: Priesterweihe am 29.06.1898. Koadjutor in Griesstätt, Pasing, Jesenwang 1898-1899; Aushilfspriester in München-Neuhausen 1899; Benefiziat bei der Allerheiligenkirche am Kreuze, Pfarrei St. Peter in München: GötzScheucher- und Stübich-Benefizium 1905; freiresigniert; 1920 Koadjutor in Langenpettenbach (R). 142 Jean-Baptiste Marie Vianney (1786-1859), genannt „Pfarrer von Ars" (bei Lyon; Departement Ain). Gegen sich außerordentlich streng und hart, war er ein mystisch hochbegabter Beichtvater und Prediger mit weitreichender Wirkung. Papst Pius XI. sprach ihn 1925 heilig (R).
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und Mathematik und sein Kaplan, Moritz Keller, Griechisch und die Nebenfächer. Schon in aller Herrgottsfrühe, beim ersten Morgengrauen, stand ich auf und büffelte meine lateinischen Vokabeln. Auch meine Rechenaufgaben erledigte ich schon in der Frühe; denn da war mein Kopf klar, und es gab in der Morgenstille keinerlei Störungen. Dazu kam das Anfangsstudium der griechischen Sprache. Eine ganz besonders harte Nuß! Da hieß es: Aller Anfang ist schwer. Und der Herr Kaplan Moritz Keller machte es mir auch nicht leicht. Ich sollte mir bei diesem neuen Fach gleich von allem Anfang an eine gute gediegene Grundlage aneignen, die mir das Weiterlernen dieser ehrwürdigen Sprache bis hinaus zum Abitur erleichtern sollte. Immer wieder gab mir der Kaplan diesen Rat. Das leuchtete mir auch ein. Er war ein äußerst feiner und gütiger Mensch. Aber als Schulmann im Griechischen war er wie ausgewechselt: streng und unerbittlich hart. Und das sicher nicht aus Liebe zum Strafen, sondern aus seiner Verliebtheit in die griechische Sprache, die er abgöttisch verehrte als hocherhaben und heilig. „Die griechische Sprache", so deklamierte er mir vor, „ist eine himmlische Melodie, die Musik der Welt, ja des Universums. Sogar die Engel singen auf griechisch vor dem Thron des Allerhöchsten. Nicht umsonst hat der heilige Paulus das Höchsterhabene, das wirklich Hohe Lied der Liebe 143 , auf griechisch gedichtet. Und das griechisch gesungene Gotteslob in den östlichen Kirchen dirngt heute noch, umwölkt von Weihrauchduft, die goldschimmernden Kuppeln empor, hinauf in den Himmel, unmittelbar zum Herzen Gottes. „Ja", so meinte er, „jeder, der gut griechisch beten kann, bekommt sofort ein Freibillet zum Eintritt in das Himmelreich." Die Begeisterung für die griechische Sprache übertrug der Kerr Kaplan auch auf die griechische Schrift. Sie sei einfach paradiesisch schön; ein jeder Buchstabe sei ein kleines Kunstwerk, ein Miniaturgemälde. Die Liebe und Verehrung müsse mir beim Schreiben Hand und 143 1. Kor. 13, 1 - 3 (R).
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Feder führen. So hätten es auch die alten Kirchenväter und die Mönche in ihren mittelalterlichen Schreibstuben gemacht. Die hätten bei der Niederschrift der Bibel die einzelnen Worte und Buchstaben liebevoll wie einen Herzensseufzer und einen Kuß ganz zart auf das Papier geschrieben und so den Himmel sicher verdient. Das könne man aber, so fuhr mein Lehrer fort, nur erlernen, wenn man statt einer Stahlfeder dazu die von Gott geschaffene Feder eines Vogels benütze. Darum müsse ich von jetzt ab ein halbes Jahr lang nur mit einer Vogelfeder schreiben. Er nahm den Federkiel einer Gänsefeder, machte einen doppelten Einschnitt und härtete die Federspitze über einer Kerzenflamme. Und dann machte es mir der Herr Kaplan vor, wie man „mit dem Herzen" schreiben müsse. Das konnte er auch meisterhaft. Hernach gab er mir die Gänsefeder in die Hand und gewährte mir nur zwei Wochen Schon- und Übungszeit. Dann aber, und dabei wurde seine Stimme ungewöhnlich hart, werde er mich für jeden fünften Schön- und Rechtschreibfehler ohne jede Rücksicht strafen. Letzteres werde er durch seinen Hilfslehrer aus Spanien, „das spanische Rohr" besorgen lassen, und zwar ohne Gnade und Barmherzigkeit. Nun war das Schönschreiben mit einer Vogelfeder ganz besonders schwer. Denn beim leisesten Druck auf die Feder lief im Federkiel die Tinte aus und hierließ einen Klecks, vor allem bei den Buchstaben a und o. Da gab es reihenweise Kleckse, ganz abscheulich, groß und eklig, wie zerdrückte Wanzen. Da fing ich dann direkt vor Angst zu schwitzen an; denn bei der Korrektur meines Skriptums sah dieses dann vor lauter roter Tinte wie ein wahres Schlachtfeld aus, auf dem das Blut in Strömen floß. Sofort trat dann der gefürchtete „Hilfslehrer" auf den Plan und verabreichte mir die Schläge auf meine armen Finger. Oft, sehr oft, bekam ich die Höchststrafe von sechs Hieben mit dem Tatzenstecken. Was mich am meisten wurmte, war, daß mein Lehrer mir dabei jedesmal einen griechischen Vers vordeklamierte: „u mä dareis antropos u paidoyetai" auf gut Deutsch: „Ein Bub, der nicht geschunden und
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gezwiebelt wird, wird auch nie ein rechter Mann." Wenn ich bei den vielen Schlägen leise wimmerte, dann mußte zur Bekräftigung dieser Erziehungsmethode auch noch die Heilige Schrift herhalten: „Ein Vater, der die Zuchtrute spart, versündigt sich an seinem Sohn" 144 . Gegen ein Bibelzitat konnte ich, der doch „geistlich" werden wollte, keinen Einwand machen. So biß ich halt die Zähne aufeinander und setzte mich nach der Bestrafung auf meine armen, wehen Finger. Heute bin ich überzeugt, daß es dem lieben Herrn Kaplan in seinem Inneren selber wehe tat, wenn er mit ingrimmigem Gesicht die Zuchtrute schwang; aber für ihn war jeder Fehler im Griechischen ein schweres Verbrechen gegen die edle, hocherhabene griechische Sprache, ein halbes Majestätsverbrechen, und konnte darum nicht straflos hingenommen werden. Im zweiten Jahr 145 kam bei Pfarrer Keller für mich noch viel harte Handarbeit dazu, sodaß ich oft wie ein Kuli schuften mußte. Pfarrer Keller war ein Genie im Baufach. Darum hatte ihn das Ordinariat nach Langenpettenbach geschickt, um dort die Erweiterungsarbeiten an der alten Kirche in die Hand zu nehmen. So wurden die Kirchenmauern teilweise niedergerissen und neue Mauern aufgeführt. Aber auch während der Bauzeit wurde die halboffene Kirche sonntäglich beim Gottesdienst benützt. Dieser Notzustand dauerte fast ein ganzes Jahr. So mußte ich jedes Wochenende vom Freitagnachmittag bis Samstagabend die Aufräumungarbeiten machen. Das war ein harter Frondienst und eine richtige Schwerstarbeit: mit dem Schubkarren die Schuttmassen aus der Kirche schaffen, von den Ziegelsteinen den alten Mörtel herunterklopfen und den Gebetsraum für das Volk und das Presbyterium für den Priester säubern. Zum Glück hatte die gute alte Haushälterin Mitleid mit mir, dem schmalen Studentlein, und kochte mir an diesen schweren 144 Gemeint ist wohl Sprüche 23,13: „Erspare nicht dem Knaben strenge Zucht, wenn du ihn mit der Rute schlägst, so stirbt er nicht" (R). 145 Im Jahre 1922 (R).
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Arbeitstagen eine kräftige Kost. Um 10 Uhr morgens und 4 Uhr nachmittags gab's noch ein besonders großes Butterbrot. Oh, das schmeckte herrlich! Ein Labsal vom Himmel her! Hernach, als dann der Neubau so halbwegs unter Dach und Fach war, fiel es dem Herrn Pfarrer ein, aus Sparsamkeit selbst ein Bild von der Kreuzigung Christi für den Seitenaltar zu malen. Da mußte ich mich auf ein neues Arbeitsfeld umstellen. Nun hieß es Pinsel waschen, Paletten reinigen und die Farben reiben und zwar nach einer ganz alten Methode der mittelalterlichen Meister. Das war eine sehr ermüdende, zeitraubende Arbeit, die vom Pfarrer peinlichst überwacht und kontrolliert wurde. Schließlich bat mich mein Herr Pfarrer, ihm für den Heiland am Kreuz Modell zu stehen. So schlüpfte ich halt in Gottes Namen in mein Badehöschen. Beim Heiland selber war das Modellstehen leicht, weil er als göttlicher Erlöser ruhig und gottergeben am Kreuze hing. Aber bei den Schachern, vor allem beim linken Schacher, war dies eine Schinderei; da mußte ich die verrücktesten Verzerrungen und unnatürlichsten Verdrehungen imitieren. Ich bekam oft den Muskelkrampf, um dann schließlich halbgelähmt wieder in meine Kleider zu schlüpfen. Aber auch das ging vorbei. Nach zwei harten Lehrjahren hatte ich das Arbeiten und Studium gründlich gelernt. Bei den beiden frommen Priestern hatte ich aber auch gelernt, eine große Ehrfurcht vor dem heiligen Priestertum zu empfinden. Das schätze ich als eine sehr große Gnade Gottes. Vor allem war und blieb für mich Herr Pfarrer Viktor Keller das Ideal eines Priesters. Durch sein heiligmäßiges Gebetsleben, seinen Bußgeist und seine Liebe zur Armut und den Armen ist er für mich ein Heiliger. Schon in seiner Katechetenzeit 146 nannte man ihn und seinen Priesterbruder Moritz die beiden kleinen Heiligen. Von Gestalt waren sie auch klein und noch dazu ein wenig verwachsen mit krummen, krüppelhaften Beinen. Beide hatten in ihren Kinder-
146 In München-Giesing von 1906-1920 (R).
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jähren an der Englischen Krankheit 147 gelitten. Aber in den Augen Gottes waren sie ganz groß, weil sie Heilige waren; vor allem war für mich Pfarrer Keller ein hinreißendes Beispiel. In aller Herrgottsfrühe und im Winter noch zur Nachtzeit stand er auf, um sein Offizium, das Brevier und den Rosenkranz, zu beten, in der Fastenzeit noch dazu die Kreuzwegandacht. Auch bei hohem Schnee ging er mit der Laterne zu seinem lieben Herrn im Sakrament, und auch bei klirrender Kälte blieb er vor dem Tabernakel knieen bis zur heiligen Messe, in der ich ihm dann ministrierte. Und dies das ganze Jahr hindurch. Dabei zog er aus Bußgeist auch im Winter keine warmen Strümpfe an und stand barfüßig in den Schuhen. Und was für Schuhe! So richtige klobige Bauernschuhe! Immerfort ging er aus tiefer Ehrfurcht vor dem allgegenwärtigen Gott barhäuptig einher. So ging er über die Fluren zu seinen Kranken oder allwöchentlich auf den Weg nach Indersdorf zu seinem Beichtvater, in der einen Hand einen Rosenkranz und in der anderen Hand seinen Pfarrerhut schwingend. Ich sehe ihn im Geiste immer noch ganz lebhaft vor mir: so recht ein wanderndes Gebet. Aus Bußgeist trank er niemals Alkohol. Schon in seinen jungen Priesterjahren war er als Seelsorger in einer Arbeiterpfarrei, wo die Trunksucht herrschte, in den Abstinentenverein eingetreten. Auch nahm er nie , auch im Winter nicht, den wärmenden Bohnenkaffee zu sich. Sein Zimmer war kahl wie bei einem Karthäusermönch und sein Bett hart wie ein Brett. Sein Bruder Moritz war einer solch strengen Abtötung nicht gewachsen, weil er von schwächlicherer Konstitution war und darum auch mehr auf seine Gesundheit Rücksicht nehmen mußte. Aber auch er brachte, ohne zu klagen, die Opfer, die ihm sein priesterlicher Beruf auferlegte, vor allem in der Betreuung der beiden 147 Englische Krankheit oder Rachitis, wichtigste Systemerkrankung des Knochens im Säuglings- und Kleinkind alter, hervorgerufen durch Mangel an Vitamin D. Zu den Symptomen der Rachitis gehören u.a. verkrüppelte Beine sowie Minderwuchs (R).
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Filialkirchen 148 . Das bedeutete für ihn, vor allem im Winter, ein wirkliches Martyrium, weil er bei seiner zarten Konstitution so schrecklich unter der Kälte leiden mußte. Fast immer mußte ich ihn, vor allem bei schlechtem Wetter, begleiten, bei klirrender Kälte und unheimlich heulenden Schneestürmen. Das war auch für mich ein schweres Opfer. Aber ich hatte großes Mitleid mit dem armen, so hinfälligen, schwachen Mann; darum bot ich mich immer gerne auf seine Bitte als Begleiter an; denn allein, das sah ich ein, war der Herr Kaplan den Strapazen nicht gewachsen. Da waren die Wege oft glatt und eisig und die Gräben vom Schnee zugeweht. Da kugelten und rutschten und rollten wir auf dem Glatteis nur so dahin wie Fäßchen. Auch fielen wir beide immer wieder zusammen in die Schneelöcher hinein, um dann mühsam wiederum herauszukrabbeln und eng aneinander geschmiegt unseren Weg in die Filialkirche fortzusetzen. Dort angelangt, mußte der arme Herr Kaplan, während er vor Kälte zitterte, noch im kalten Beichtstuhl sitzen und die hl. Messe lesen. Erst dann konnten wir uns im Mesnerhaus wärmen und endlich heißen Kaifee trinken; denn damals bestand noch das Nüchternheitsgebot. Das allerbeste Beispiel gaben mir diese beiden Priester nach dem Herzen Gottes durch ihre Liebe zu den Armen. Getreu wandelten sie damit in den Fußspuren des heiligen Franziskus, ihres geistigen Vaters; denn beide gehörten seinem Dritten Orden an. Schon in ihrer Münchener Zeit hatten die beiden Priesterbrüder den Ruf eines Apostels der Armen und der Arbeiter. Sie begnügten sich mit dem Allernötigsten, um den Armen umso mehr zu geben. Vor allem Viktor Keller war so recht ein SozialApostel und hat sich damit sehr verdient gemacht. Um den armen Arbeitern bessere Wohnungen zu verschaffen, gründete er einen katholischen Bau-Verein zugunsten der Arbeiter. Ganze Nächte hindurch, nach Beendigung seiner Tagesarbeit als 148 Arnzell (St. Vitus), ca. 3 km westlich, und Ainhofen (Marien-Wallfahrtskirche), ca. 4 km nordöstlich von Langenpettenbach (R).
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Kaplan und Religionslehrer der riesengroßen Pfarrei MünchenGiesing 149 , arbeitete er an der Ausarbeitung der Baupläne. Er war im Münchener Magistrat als Architekt sehr angesehen, und da haben sie ihm seine Pläne ohne weiteres angenommen. So bekamen die Arbeiter durch seine entsagungsvolle Arbeit wirklich menschenwürdige, familiengerechte Wohnungen, nachdem sie vorher jahrelang in engen elenden Baracken hatten wohnen müssen. Er baute auch im Arbeiterviertel München-Untergiesing eine hölzeren Notkirche. Und welch eine Überraschung, die fast an ein Wunder grenzt: Sie war bald zu klein, obwohl früher jenes Arbeiterviertel als ein gottloses Kommunisten viertel galt. Sicher war dies der seelsorgerliche Erfolg dieses Apostels der Armen und Arbeiter. Ganz heroisch war auch sein Wille, mit den Armen und den Arbeitern die allgemeine Not der Nachkriegsjahre am eigenen Leib zu spüren und zu teilen. Damals war die Versorgung mit Lebensmitteln miserabel. Alles ging von München hinaus aufs Land, um bei den Bauern einzukaufen. Auch die Haushälterin wollte dies für die beiden geistlichen Herren tun, weil sie unter den Bauern Verwandte hatte. Sie war eine fromme, getreue Person, die schon bei der Mutter der beiden Priesterbrüder gedient hatte. Als sie eines Tages zum „Hamstern" aufbrechen wollte, hat ihr das der Pfarrer streng verboten. Er sagte: „Ich will nicht mehr und nicht besser essen als meine Pfarrkinder. Das sind lauter zusammengeschundene, unterernährte Arbeiter. Wie soll ich da den Mut haben, von Geduld und Gottergebenheit zu predigen, wenn ich selber es mir besser gehen lasse". Später war ich ja dann selber im Pfarrhaus von Langenpettenbach Zeuge seiner Liebe zur Armut und zu den Armen. Drei Studenten ließ er an seinem Tisch mitessen. Für mich zahlte meine Tante Marie die volle Pension. Für den zweiten Studenten zahlte man nur mit knapper Not die Hälfte. Und 149 1916 z.B. zählte die Pfarrei Heilig Kreuz in München-Giesing 30.335 Seelen (R).
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der dritte war ganz arm und konnte gar nichts zahlen, weil er ein Doppelwaise war. Oft jammerte die gute Haushälterin, daß der Herr Pfarrer zu gut sei. Einmal verlor sie die Geduld. Es war an einem Samstag. Sie bat den Herrn Pfarrer, die Wäsche zum Einweichen in den Waschkorb zu legen und ein neues Hemd für den Sonntag anzulegen. Da sagte er: „Verzeihung, Fräulein Therese, ich habe gestern mein Hemd einem armen Mann gegeben". In Wirklichkeit waren es zwei Hemden gewesen, die einzigen, die er noch besaß, und dazu verschenkte er noch den Rest von seinem Monatsgehalt. Da war die gute Seele ganz außer Fassung. Sie schickte ihre Magd mit dem Fahrrad nach Indersdorf 150 , gab ihr noch von ihrem eigenen Geld und bat sie, ein paar Meter Hemdenstoff zu kaufen. Dann setzte sie sich in der Nacht noch an die Nähmaschine, damit der Herr Pfarrer am Sonntag ein frisches Hemd anziehen könne. Noch einmal war ich selbst Zeuge von seiner grenzenlosen Freigebigkeit und umwandelbaren Herzensgüte. - Mitten in der Nacht traf den Herrn Pfarrer ein Versehgang. Da weckte er mich, damit ich ihn begleite. Es handelte sich um eine schwere Geburt. Darum hatte die Hebamme in ihrer Angst den Priester für alle Fälle holen lassen. Als wir aber ankamen, war gerade das Allerschwerste schon vorbei. Immerhin hörte der Herr Pfarrer die Mutter Beicht und gab ihr die heilige Kommunion. Ich kniete in der Stubenecke. Dann sagte der Herr Pfarrer in aller Güte am Schluß vor dem Fortgehen: „Gelt, sei so gut und laß dein Kindlein, das mit Gottes Hilfe gut zur Welt gekommen ist, bald taufen. Bei der letzten Geburt hast du dein Kindlein lange auf die Taufe warten lassen. Und du weißt, ein ungetauftes Kind bringt keinen Segen, und an Gottes Segen ist alles gelegen." Da fing die Kranke ganz frech zu schimpfen an: „Ihr Pfarrer habt es leicht mit den guten Ratschlägen. Ihr habt ja keine Kinder und bekömmt doch jeden Monat ein pfundiges Gehalt. Wer kauft mir denn ein anständiges Taufkleidchen? Soll ich etwa mein Kinderl in Zeitungspapier einwickeln und so zur 150 Entfernung ca. 4 km (R).
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Taufe bringen?" Ich meinte nun, daß sich der Herr Pfarrer mit Recht über diese freche Person ärgern und sie streng zurechtweisen würde; denn „auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil", umso mehr als die vorgeschützte Armut in diesem Fall ganz selbst verschuldet war, weil ihr Mann, der versoffene Dorfmaurer, jeden Samstag seinen Wochenlohn ins Wirtshaus trug. Aber der Herr Pfarrer blieb ganz beherrscht und antwortete der Frau ruhig: „Momentan habe ich kein Geld; aber am nächsten Monatsanfang kauft dir meine Haushälterin für dein Kind ein Taufkleidchen, und dann, gelt, sei so gut und komm mit deinem Kinderl bald zum Taufen!" Beim Hinausgehen sagte er noch: „Ohne Segen geht alles leicht daneben. Und nun behüt' dich Gott! Auf Wiedersehen am Tauftag!" Bei solch einer abgrundtiefen Sanftmut war es mir in jenem Augenblick, als ginge ein Engel Gottes leise durch das Zimmer. Im September 1923 war es dann so weit. Meine zwei Studienjahre im Pfarrhaus Langenpettenbach waren abgelaufen 151 . Ich fuhr nach Burghausen, um dort im Gymnasium meine Aufnahmeprüfung in die 6. Klasse abzulegen. Die Prüfung, vor allem im Schriftlichen, war sehr schwer. Aus Prestigegründen nahm man in Burghausen meist nur die Hälfte der Schüler an. Nun waren wir in meinem Kurs sieben Schüler. Da hätten dann nur drei Schüler bestehen dürfen. Aber der sonst so strenge Studiendirektor sagte: „Wir nehmen dann noch den Anton Gutknecht als vierten Schüler a u f , was ich nachher erfahren habe, „denn er hat eine so einzig schöne, wundersame Schrift. Das ist das Zeichen eines fleißigen Studenten, und ein fleißiger Student ist mir lieber als ein sogenanntes Genie, das sich zu sehr auf sein gutes Gedächtnis verläßt". So wurde ich in die 6. Klasse aufgenommen 151 Nach freundlicher Auskunft des Kurfürst-Maximilian-Gymnasiums in Burghausen vom 17.05. und 21.05.1996 ist Anton Gutknecht bereits am 13. April 1923 als Privatschüler in die 6. (heute: 10.) Klasse des Staatlichen Gymnasiums Burghausen eingetreten (vgl. auch Anm. 137). Das Schuljahr (1923/24) begann im Frühjahr. Zeugnisse gab es im „Sommer" „Winter" und zum [Schul-] „Schluß" (R).
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dank meinem „spanischen Hilfslehrer", dem Tatzenstecken. Im nächsten Jahr rückte ich dann in die siebte Klasse auf. Da trat ich dann in das Kapuzinerklerikat ein 152 . Dort wurde ich in den Dritten Orden aufgenommen und bekam zu meiner großen Herzensfreude bereits das Ehrenkleid: den braunen Habit meines Ordensvaters Sankt Franziskus. Als ich dann zu einem kurzen Urlaub nach Hause durfte, weinte das alte Mutterl laut vor Freude und Herzensjubel. Auch meiner lieben Tante Marie standen Freudentränen in den treuen Augen. Wir feierten ein stilles, intimes Familienfest des Wiedersehens. Auch der gute Pater Johannes Maria Rieß war dazu eingeladen worden. Er war inzwischen schon sehr alt geworden und eine hochehrwürdige Patriarchengestalt. Nach dem Festessen zitierte er den Osterspruch: „Das ist der Tag, den der Herr gemacht hat; laßt uns frohlocken und fröhlich sein" 153 . Und dann fuhr er fort: „Von ganzem Herzen wollen wir auch dem lieben Herrn und Heiland dafür danken, daß unser Toni nun jetzt als Frater Barnabas bereits dem heiligen Vater Franziskus angehört. Als ich vor 9 Jahren dem kleinen Toni das Skapulier auflegte, habe ich seitdem keine heilige Messe gelesen, ohne Gott zu bitten, er möge dem Toni auf dem Weg zum Priestertum helfen. Und meine zweite Bitte war, er möge mich in Gnaden noch den Tag erleben lassen, an dem unser Toni dem Kapuzinerorden angehört. Und darum bin heute überglücklich, daß sich der Toni jetzt auf dem schnurgeraden Weg zum Priestertum befindet. So kann ich heute mit dem greisen Simon aus tiefstem Herzensgrund sagen: „Jetzt kann ich ruhig sterben, denn ich weiß, mein Platz am Altar bleibt nicht leer; es wird der liebe Toni mich vertreten als Priester Gottes vor seinem heiligen Angesicht." 154 Als dann der Pater sich von uns verabschiedete, sprach das alte 152 Im April 1924 (R). 153 Psalm 117,24 (R). 154 Nach Luc 2,29-30: „Nun entlassest Du, Herr, Deinen Diener nach Deinem Worte in Frieden; denn es haben geschaut meine Augen Dein Heil" (R).
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Mutterl in einfachen Worten genau das gleiche aus, wie zuerst der liebe Pater. „Der liebe Gott hat mich erhört; er war so gut zu mir und hat meinen Wunsch erhört, den ich ihm durch all die 9 Jahre vorgetragen habe. Jetzt kann ich leicht und ruhig sterben.". - Eine Woche nach der Wiedersehensfeier hielt das alte Mutterl auf dem Lehnstuhl seinen Mittagsschlaf. Unsere Magd wollte zur gegebenen Zeit das alte Mutterl wecken und rief es an; es antwortete aber nicht. Eine halbe Stunde später wollte die Magd dann endgültig das Mutterl vom Schlaf aufrütteln. Da war es bereits tot. Ganz still mit einem leisen Lächeln auf den Lippen war es vom Mittagsschlaf hinübergeschlummert in die Ewigkeit. Am gleichen Tag waren Tante Marie und ich auswärts beim Herrn Pfarrer Keller in Langenpettenbach. Nach dem Mittagessen benützte meine Tante Marie die Gelegenheit, dem Herrn Pfarrer und seinem Priesterbruder, Kaplan Moritz Keller, noch einmal von ganzem Herzen zu danken für alle Liebe und Geduld, die sie in den zwei Studienjahren mir zugewandt hatten. - D a auf einmal fing es in unserem Eßzimmer an zu klingen, weil auf der Anrichte leere Weingläser leise aneinander stießen. Es klang wie am Weihnachtsabend, wenn der Weihnachtsbaum angezündet war und uns Tante Marie mit einem silbernen Tischglöcklein in die schöne Stube rief, nachdem das Christkind dagewesen war. Der Herr Pfarrer meinte, ein ganz schwerer Lastwagen sei vor dem Pfarrhaus vorbeigefahren und habe das Pfarrhaus erzittern lassen. Er ging sofort zur Eingangstüre. Aber straßauf, straßab war kein Fahrzeug zu sehen. „Das ist aber sehr merkwürdig", meinte er, „wer hat denn das Klingen hervorgerufen ?" Aber nach einer Stunde schon wußten wir es alle. Es kam ein Telegramm und meldete den Tod vom Mutterl. Hernach erfuhren wir, daß sie zur gleichen Stunde starb, als wir das geheimnisvolle Klingen hörten.
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Als dann das alte Mutterl aufgebahrt war, sah ich zum ersten Mal eine Terziarin im Franziskushabit auf dem Totenbett. Es war der Wunsch der lieben Verstorbenen, im Kleid des heiligen Ordensvaters begraben zu werden. Kurz vor dem Tod hatte sie noch das goldene Jubiläum als Terziarin des heiligen Franziskus gefeiert. Dazu hatte sie ein Recht. Sie hatte ihren Ordensvater, den seraphischen Beter, getreulich nachgeahmt durch ihr immerwährendes Beten. Vor allem hat sie seit ihrer Erblindung Tag und Nacht gebetet um meinen Priesterberuf. Ich glaube fest, daß ihr immerwährendes Beten, die selbstlose Herzensgüte der lieben Tante Marie und das geduldige Kreuztragen meiner Mutter die Segensquelle waren, die meinen Weg zum Priestertum befruchtet hat.
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Die Mission Pucura Barnabas Gutknecht Pucura: die Missionsstation, mein Schmerzenskind „Wir wollen zu Land ausfahren, über die Berge weit." Es war wirklich zum Verzweifeln. Schon drei Tage wartete ich umsonst darauf, daß sich der wilde Föhnwind endlich einmal legen sollte. Ich mußte doch ganz unbedingt zum Fest des Heiligen Michael 155 in dem Missionsposten von Conaripe 156 sein. Conaripe war mir ans Herz gewachsen. Es war so recht das Dornröschen unserer Missionspfarrei, hineingetaucht in Gottes Einsamkeit, so ganz vom Wald umrauscht, tief eingebettet in den Andenbergen. Die Schwestern dort und auch die Indianer erwarteten zum Patroziniumfest mit Schmerzen ihren Padrecito 157 . Die christlichen Indianer hatten leider noch eine unausrottbare Angst vor der Macht des Teufels und der bösen Geister, und darum hatten sie ein ganz besonderes Vertrauen zum heiligen Erzengel Michael, dem himmlischen Teufelsbezwinger. Ich wartete und wartete, denn bei solchem Sturm konnte ich unmöglich über den kurzen Seeweg nach Conaripe kommen. Und der andere Weg dorthin war ein schrecklich großer Umweg: ein Tagesritt weit über all die vielen Berge in das Hochtal von Rehueico und dann durch den fürchterlichen, langen Urwald. So blieb ich noch die vorletzte Nacht vor dem Michaelsfest in Panguipulli, aber an ein Ausruhen war da nicht zu denken. Die schwüle Hitze und das Schwanken der Holzwände machten es mir unmöglich einzuschlafen. Das Haus stöhnte und ächzte an allen Ecken und Enden wie ein altes Segelschiff beim Sturm. 155 Fest des hl. Michael : 29. September (R). 156 Conaripe -: Missionsstation ca. 30 km Luftlinie nordöstlich von Panguipulli. Pucura liegt ca. 10 km Luftlinie nordwestlich von Conaripe am Calafquensee (R). 157 Liebevoll gemeinte Verkleinerungsform von „Padre" (R).
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Und dann waren auch bei diesem starken Sturm am Dach ein paar Wellblechplatten losgeworden. Das schepperte und knatterte die ganze Nacht hindurch. Mir war, als ob der Teufel selber da droben auf dem Dache hockte und mir mit diesem Höllenlärm die ganze Nervenkraft zermürben wollte, damit ich keinen Mut mehr hätte, bei diesem Hundewetter fortzugehen, und noch dazu zum Fest von seinem himmlischen Bezwinger Sankt Michael. Aber ich hatte es mir fest vorgenommen, trotzdem dorthin zu reisen über all die Berge und durch den fürchterlichen, langen Urwald, und wenn er voll von Teufeln wäre. Am nächsten Morgen war es ruhiger geworden. Aber es war nur die Ruhe vor dem erneuten Sturm, der orkanartig losbrach. So war meine letzte Hoffnung zunichte geworden, doch noch den kurzen Seeweg zu benützen. - Der Missionsbursche holte nun die Pferde, ich löffelte einen Teller Suppe aus, und dann stürmte ich so um die Mittagszeit mit meinem Burschen zum Tor der Mission hinaus. Im Dorf schauten die Leute verwundert zu uns aus ihren Häusern, denn es war verpönt, durch das Dorf zu galoppieren. Aber heute gab es keine Rücksichten. Wir hatten es ja schrecklich eilig, noch zur rechten Zeit die Paßhöhe zu erreichen. In fünf Stunden hatten wir es dann geschafft. Tief unter uns, im milden Licht der abendlichen Sonne, lag endlich das Hochtal von Rehueico. Ich schickte meinen Burschen mit den Pferden wieder heim. Ich selber stieg auf halsbrecherischen Schmuggler wegen ins Tal, um mir ein Pferd und einen Reisebegleiter zu erbitten. Leider war der Mann verreist. Auch beim Nachbarn hatte ich Pech. Es war ein Indianer, der sonst sehr entgegenkommend war, aber dieses Mal wollte er mich um keinen Preis der Welt durch den langen Wald begleiten. Er sagte: „Die Nacht ist nun einmal die Zeit der Teufel und der Hexen. Nur Hexenmeister und Schmuggler riskieren es, nachts durch diesen fangen Wald' zu gehen". Und dann wimmle es in diesem Wald von Pumalöwen. Tatsächlich war in diesem ungeheuren Urwald der Pumalöwe noch ein unumschränkter König, wie eh
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und jeh, schon seit jenem Schöpfermorgen, als der liebe Herrgott diese wundervollen Wälder Chiles ganz hoch hinauf, ganz nahe seinen Sternen, auf die Andenberge pflanzte, damit er darüber wie auf einem grünen Teppich wandern konnte, wenn er nach der Sage sonntäglich auf die Erde niedersteigt, um seiner Hände Werk ganz aus der Nähe zu betrachten. Zum Glück für mich ging der liebe Mond am Himmel auf, gerade zur rechten Zeit, als ich in den Wald hineinmarschierte. Auch war bereits die große Straße fertig, die eine deutsche Holzfirma durch den ganzen Wald mustergültig angelegt hatte. Ich betete zum heiligen Bruder Franz, er möchte doch die Pumalöwen recht fest schlafen lassen, damit sie mich in Ruhe ließen. Das haben sie auch getan, und so konnte ich ohne Zwischenfälle durch den endlos langen Wald marschieren. Freilich wackelte mir jedes Mal mein Herz im Leib, wenn ich bei jeder Wegbiegung zur Sicherheit nach rückwärts schaute, um mich zu vergewissern, daß ich noch allein des Weges ging; denn ich wußte aus Erfahrung, daß der Löwe zuerst lange Zeit seinem Opfer nachzuschleichen pflegt, um es dann zu überfallen. Nach vier Stunden kam ich endlich aus dem Wald heraus, so um ein Uhr Mitternacht, als ich mich dann hungrig und halb tot vor Müdigkeit in mein Bett in Conaripe fallen ließ. Der erste Pilger aus Pucura
In aller Frühe wachte ich vom Schlafe auf. Ganz leise, aber immerzu, klopfte jemand an mein Zimmerfenster. Es war ein Indianer aus dem nahen Reservat Pucura. Er bat mich inständig um Entschuldigung, daß er mich so früh belästigte. Aber er habe es dem Heiligen Michael hoch und heilig versprochen, in diesem Jahr als allererster in sein Heiligtum zu kommen, um sein Gelübde zu erfüllen. Ein Pater müsste das verstehen, daß ein Gelübde heilig sei, und da gilt es hundert Mal: „Ein Mann ein Wort". So hoffe er denn auch, daß der heilige Michael, der himmlische Drachentöter, ihn vor den bösen Geistern beschützen wer225
de. So sperrte ich dem Indianer halt in Gottes Namen die Kirchentüre auf. Nachdem ich mich dann ordentlich gewaschen hatte, ging ich nochmals in die Kirche. Da rutschte der Indianer auf den Knien hin zum Altar des heiligen Michael und trug in beiden Händen je vier angezündete Kerzen. Am Altar angekommen, löschte er die Kerzen aus und legte sie als seine Weihegabe auf den Altar. Dann wandte er sich zu mir, um mir von seinem Kummer zu erzählen, der ihn so früh hierher getrieben hätte. Schon seit langer Zeit hätte er zwei kranke Kinder zu Hause. Darüber sei seine Frau ganz niedergeschlagen, so ganz melancholisch und apathisch. Und dann sei er überhaupt vom Unglück ganz verfolgt. Sogar nachts könnten er und seine Frau nicht schlafen, da wäre jedes Mal der Teufel los, weil das Gebälk über seinem Bett andauernd knirschte und krachte. Er würde noch, wenn das so weiter ginge, ganz verrückt. Er habe auch so schrecklich Angst vor den bösen Geistern, die es auf ihn abgesehen hätten, ihn immerfort zu quälen. Ganz sicher sei das ganze Haus verhext, und die böse Nachbarin habe die Schuld daran, denn sie sei eine wilde Hexe und stehe mit dem Teufel selbst im Bunde. Seine einzige Zuflucht sei da der heilige Michael, der den Oberteufel aus dem Himmel in die Hölle warf. Nun habe er aber eine schwere Schuld auf sich geladen, und darunter habe er im letzten Jahr ganz schwer gelitten. Er habe nämlich im vorigen Jahr sein Gelübde nicht gehalten und sei am Michaelsfest verspätet zur Messe und zur Prozession gekommen; denn auf dem Weg zur Kirche sei er bei seinem Gevatter eingekehrt, und da hätten sie zusammen gegessen und leider auch getrunken, und darum sei er dann zu spät gekommen. Ganz sicher sei ihm deshalb der heilige Michael böse. Er hätte ihn im Stich gelassen, statt ihn vor den Quälereien des Teufels zu beschützen. Jetzt aber habe er sein Gelübde erfüllt, und so hoffe er zuversichtlich auf seine Hilfe und seinen Beistand in diesem Jahr. Ich redete ihm noch zu, er möge auch die heiligen Sakramente empfangen, denn das sei der allergrößte Schutz gegen alle bösen Geister. Da
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empfange er unseren Herrn und Heiland Jesus Christus, der in seinem Erdenleben so viele Menschen von den Quälereien des Teufels befreit habe. Darauf ging der Indianer gerne ein. Aber bevor wir in die Sakristei zum Beichten gingen, band er zuerst sein Sacktuch noch an die Tragestange des Tragaltars, auf dem die Statue des heiligen Michael stand. Er wollte ja um jeden Preis bei der Prozession den Heiligen tragen, und da wollte er sich zuerst seinen ersten Platz markieren und reservieren: ganz vorne rechts vom Heiligen. Da blieb er hernach bis zur Prozession stehen, starr und steif wie ein preußischer Wachsoldat vom Garderegiment. Während der Prozession rings um die große Kirchenwiese schaute ich immer wieder hin zu meinem Indianer, der wiederholt vor Rührung mit dem Handrücken über seine Augen fuhr. Das Kirchweihgeschenk: ein Baugrund für eine Kapelle im heidnischen Pucura Nach der Prozession nahm ich in aller Eile mein Mittagessen ein, um dann einen Mittagsschlaf zu halten; denn ich war noch immer ganz gerädert vom langen Marsch. Soeben zog ich meine Schuhe aus, um mich hinzulegen, da kam erneut der Indianer zu mir in meine Stube und bat mich um Geduld, da er mir ein Geschenk anbieten wollte. Er sagte mir, er habe einen Haufen Kinder und einen Haufen Land, und da möchte er mir eine große schöne Wiese von zwei Hektar schenken, damit ich dort in seiner Nähe eine Schulkapelle bauen könne. Er selber sei vom Pater Siegfried 158 aufgezogen worden, und so möchte er, daß auch seine Kinder in einer katholischen Schule erzogen würden. Diese katholische Schule sei dann auch die einzige Rettung für die ganze Gegend, weil dann auch all die Nachbarkinder zu gu158 P. Siegfried (Alois) Schneider von Frauenhäusl (bei Kelheim; Diözese Regensburg) (1868-1954). P. Siegfried (Sigisfredo) war von 1903 bis 1950 Pfarrer der 1903 gegründeten Pfarrei Panguipulli. P. Barnabas Gutknecht (1907-1987) wirkte von 1938 bis 1958 in Panguipulli (R).
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ten Christen würden. Ohne Religion wird der Mensch ein wildes Tier, so meinte er, ja sogar ein wahrer Teufel. Denn darum seien alle seine Nachbarn so voller Neid und Haß und Bosheit, weil sie keine Religion im Leibe hätten. Darum müsse er so schrecklich leiden. Und dann fing er auch schon an, für seine Nachbarn ein öffentliches Sündenbekenntnis abzulegen: Sein nächster Nachbar sei ein sturer Stänkerer und Raufbold und säße jedes Jahr ein paar Wochen im Gefängnis wegen Streit und Körperverletzung. Immer wieder führe er Prozesse wegen Grenzstreitigkeiten. Statt auf seinem schönen Land zu arbeiten, trage dieser faule Kerl sein ganzes Geld zu einem Winkeladvokaten, während seine Familie daheim nichts zu beißen habe. Der andere Nachbar sei ein schrecklich schmieriges Scheusal, keine Frau sei vor ihm sicher. Einmal belästigte er in seinem Suff sogar seine eigene Mutter. Die habe sich aber fest gewehrt, habe ihm sein Gesicht total zerkratzt und ihm sogar ein Auge ausgedrückt. So sei dieser Saukerl durch sein Kainsmal für das ganze Leben gebrandmarkt. Sein dritter Nachbar, sein eigener Neffe, sei noch ein eingefleischter Heide und ein Pfaffenfresser. So oft die Rede auf einen Pater käme, spucke er automatisch auf den Boden. Alle seine Kinder seien ungetauft und seine drei Frauen seien Satansweiber wegen ihrer unheimlichen Hexereien und ihrem Hokuspokus. Man hieße seine Hütte nur das Drei-Hexenhaus. Auch als Giftmischerinnen hätten sie viele Menschenleben auf dem Gewissen. Immer wieder kämen zu nächtlicher Stunde viele Indianer, alt und jung, um die von diesen Hexen gebrauten Teufelstränke heimlich abzuholen. Tatsächlich hatte jene Gegend einen denkbar schlechten Ruf. Zweimal schon war dort Pater Siegfried durch Gottes Schutz vom Tod durch Gift verschont geblieben. Einmal hatte man ihm eine Kanne Milch geschenkt. Er schüttete aber zuerst ein bißchen Milch in eine Untertasse für ein Kätzlein. Das legte
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sich sofort auf den Rücken und verendete unter schrecklichen Verrenkungen. Ein andermal gab man dem Pater ein rohes Ei zum Austrinken. A b e r der Pater schüttete zuerst das Ei in eine Tasse und da lag ein starkes, ganz schmieriges Roßhaar darin. Roßhaar ist bekanntlich steif wie ein Draht, das leicht zu Magenblutungen führt, ganz abgesehen von der Infektionsgefahr. Wahrhaftig, in diesem Reservat war noch der Teufel los. Es war zum Mutloswerden. A b e r für mich war dies erst recht ein Antrieb, in dieses Land der Todesschatten das Licht des Evangeliums hineinzutragen. Ich dankte dem Indianer aus ganzem Herzen für sein großmütiges Angebot und versprach, gleich am nächsten Morgen schon zu ihm zu kommen, um mir die „Kapellenwiese" anzuschauen. Er versprach mir auch, sofort mit mir zum Indianerrichter zu gehen, um die Schenkung des Grundstückes zu protokollieren. Mein Herz schwamm in Freude und in Seligkeit. All meine Müdigkeit war vergessen und vorbei. In dieser frohen Stimmung verabschiedeten wir uns. Aber es sollte noch nicht der endgültige Abschied sein. Von drei bis fünf Uhr waren dann die Kindstaufen, so an die fünfzig. War das ein Geschiebe und Geschrei in dem Missionskirchlein vom heiligen Michael, bis da alle Kinder, lauter goldige, kugelrunde Banzerl, zu Gotteskindern wurden. Eine seltsame Zumutung Dann endlich wurde es allmählich ruhiger. Die Leute verliefen sich. Ich ging dann in die Küche, um schnell mein Abendessen einzunehmen und dann möglichst bald ins Bett zu gehen. Es fehlte mir so viel Schlaf von der letzten Nacht und der Schlaf der Mittagsruhe, um die mich die lange Unterhaltung mit dem Indianer gebracht hatte. Gerade war ich dran zu Bett zu gehen, da kam erneut ganz unerwartet mein lieber Indianer: es war ein Jammerbild, wie unser Herr im Elend. Man sah es ihm von weitem an, daß es eine Schlägerei gegeben hatte und er auch dazu 229
betrunken war. Sein Kopf war ganz geschwollen und voll von lauter blauen Flecken, die von den vielen Fausthieben herrührten. Aus seiner breitgequetschten Nase tropfte ihm das Blut. Mein armer Ramoncito war nach der Prozession, statt heimzureiten, beim Nachbarn der Mission noch eingekehrt. Und dort hatte er gegessen und getrunken. Dummerweise kam auch sein streitsüchtiger Nachbar in das gleiche Haus, und da war der Teufel wieder los, und der arme Ramoncito war dann beim Raufen schmählich unterlegen. So kam er denn zu mir und erzählte mir von seinem Mißgeschick, und dann auf einmal sagte er mir unvermittelt: „Padrecito, Sie sind mein guter Freund und müssen mir erlauben, diesen Menschen umzubringen." Er selbst sei doch der älteste Sohn des Kaziken von Pucura und darum auch verpflichtet, für diese Gemeinheit sich zu rächen und den Übeltäter sofort umzubringen. Weil er aber ein guter Christ sein wolle, möchte er zuvor noch bei mir um die Erlaubnis bitten. Denn wir Priester seien von Gott als Richter aufgestellt, so wie im alten Bund im heiligen Land Israel. Ich war ganz verblüfft über diese Zumutung. Nach einiger Überlegung sagte ich zu ihm, ich sei wirklich von Gott als Richter bestellt, aber nur als Schiedsrichter und als Friedensrichter. Aber bei ganz schweren Fällen müsse ich zuerst den alten Pater Siegfried um seinen Rat und die Erlaubnis bitten, denn nur er allein, wegen seines Alters und seiner Erfahrung, habe das Recht, in solchen schweren Fällen zu entscheiden. Darum solle er noch ein bißchen warten, bis ich Pater Siegfried gefragt und dieser dann entschieden habe. Damit war der Indianer dann auch einverstanden und wurde wieder ruhiger. Er verabschiedete sich von mir, stieg auf sein Pferd und ritt mit seinem Sohn nach Hause. Nun endlich konnte ich mich zur Ruhe begeben. Von ganzem Herzen dankte ich dem lieben Gott, daß ich doch noch zu diesem Fest nach Conaripe gekommen war. Es war der Mühe wert gewesen: fünfzig Kinder hatte ich getauft, all den vielen Indianern hatte ich vom lieben Gott erzählt, der in seiner Güte und
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in seiner Allmacht über allem stehe und über alles triumphiere, auch über Tod und Hölle, und dann hatte ich noch ein großes Geschenk bekommen: einen Bauplatz für die neue Schulkapelle in Pucura, und dazu hatte ich gerade noch zur rechten Zeit einen Mord verhindern können. Lauter Gründe, um dem lieben Gott zu danken für alle diese Freuden, die er mich erleben ließ. Ganz sicher wollte darum der Teufel meine Reise nach Coñaripe um jeden Preis vereiteln, weil er um seine Herrschaft im heidnischen Pucura bangte. Tatsächlich sollte er auch diese seine Herrschaft in Pucura bald verlieren. A u f n a c h P u c u r a i n das Indianerreservat
Schon ganz früh am nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg, um meinen Freund Ramón zu besuchen. Ich fand ihn ganz in sich zusammengesunken am Bettrand sitzend vor: so recht ein Häufchen Elend, wie ein zertrampelter alter Hut. Sein Anblick war wirklich mitleiderregend, aber zugleich auch eine Versuchung zum Schmunzeln. Sein armer, ganz verbeulter Kopf war eine unförmige Masse, ganz aufgedunsen, kugelrund und ganz eingewickelt in Tuchfetzen und vielfarbigen Strümpfen. Uberall lugten die Blattenden und Blattstengel heraus von all den Heilpflanzen, die seine Frau fürsorglich auf alle blauen Stellen aufgelegt hatte. Er begrüßte mich freundlich und fing dann gleich zu schimpfen an über seinen bösen Nachbarn, der ihn so übel zugerichtet hatte. Er sagte dann zu seinem Sohn, er möge mir den Bauplatz zeigen, den er mir für meine Schulkapelle schenken wolle. Er selber wollte lieber zuhause bleiben, denn in dieser mitleiderregenden Aufmachung getraute er sich nicht aus seinem Haus heraus. Sein Nachbar und alle seine Neider hätten ihn aus Schadenfreude doch nur ausgelacht. Er bot mir auch sein eigenes Leibpferd an, um mit ihm zum Bauplatz hinzureiten. Er sagte mir auch, wenn mir der Platz gefiele, könnte ich am gleichen Tag noch mit seinem Sohn zum Indianerrichter Weiterreisen, um seine Schenkung dann zu protokollieren. Es war ein herrli231
ches Pferd, ein Rötling von edlem Wuchs, groß und stark und wutzelfett, mit langen, muskulösen Beinen. Es war eine wahre Pracht, auf diesem Pferd zu reiten, und dazu war es auch bei jeder Gangart weich und wohlig wie ein Kanapee. Bald waren wir beim Bauplatz angekommen: Eine wunderschöne Wiese von 2 Hektar, am Fuße eines Hügels, ganz nahe am Calafquénsee. Auf zwei Seiten war die Wiese eingesäumt von einem Bächlein, sie vereinigten sich unterhalb der Wiese und strömten hin zum See. So recht ein „Zwischenstromland" in Miniatur. Meine Freude beim Anblick dieser Wiese kannte keine Grenzen. Nie hätte ich mir ein schöneres Plätzchen erträumen können. Ich stieg vom Pferd und segnete in aller Innigkeit dieses Flecklein Gotteserde, wo schon bald der liebe Herr im Sakrament sein Gnadenzelt aufschlagen sollte. Es ist ja seine Lust und Freude, bei uns Menschenkindern zu weilen. Hier sollten dann auch die Indianerkinder zu Kindern Gottes werden im Licht des Evangeliums, das alle Finsternis verscheucht. Dort sollte aber leider noch der Satan alle seine Unterteufel mobilisieren, um mit allen Mitteln die Gründung dieser Missionsstation zu hintertreiben. Zum Glück war mir der Blick in die schwere Zukunft, die auf mich wartete, verwehrt. So ritt ich denn übervoll von Freude zu Ramón zurück und dankte ihm aus Herzensgrund für den schönen Bauplatz. Dieser hatte mittlerweile bereits ein Lamm geschlachtet und war gerade daran, das Fleisch am Spieß zu braten; „denn die Gründung einer Schulkapelle", meinte er, „muß doch gefeiert werden". Er übergab dann den Bratspieß an seinen Sohn, und dann rauchten wir aus Sympathie zusammen eine Zigarette und sogen am gleichen Röhrchen abwechslungsweise unseren Mate-Tee. Hernach machten wir uns daran, den Spießbraten zu verzehren. Freilich, für den armen Ramón war es diesmal wirklich keine Freude und keinerlei Genuß, sondern eine wahre Qual, denn von der blöden Boxerei am Vortag taten ihm noch alle Zähne weh. Es war ein wahrer Jammer, zuzusehen, wie er so auf seinem Hocker saß, so ganz zusammengekauert, und wie er
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schwitzte und wie er stöhnte und an dem großen Brocken kaute. Dabei schob er im Munde so einen großen Brocken Fleisch von einem Ende zum anderen, bis er ihn dann mit einer wehleidigen Grimasse hinunterwürgte, als ob er eine Maus verschluckte, die in seinem Schlund wiederum nach oben krabbeln wollte. Nach jedem Hinunterwürgen schüttete er dann sofort einen großen Becher Wein in seine Gurgel, um den großen Brocken leichter hinunter in den Magen zu befördern. Nach diesem Lämmerbratenessen waren wir dann beide selber so wie zwei gute sanfte Lämmer zueinander, voller Lieb' und Freundlichkeit. Immer wieder sogen wir unseren Mate-Tee zur besseren Verdauung und zur Befestigung unserer Brüderschaft. Es war ein langes, feierliches Ritual, wie wir uns freundlich lächelnd gegenseitig den Mate-Tee servierten: Die Welt stand still. Alles war nun schön und gut, wir beide waren eins geworden: zwei Herzen und ein Schlag, und das auf Lebenszeit. Wir versprachen uns in Freud und Leid immer gegenseitig gut und treu zu sein. Brüderlich zu zweit wollten wir dem lieben Herrgott eine Kapelle in Pucura bauen, allem Widerstand zum Trotz. Das Matetrinken gibt dem Menschen Mut und macht ihn sogar angriffslustig. Und so waren wir denn auch bereit, es im Notfall mit dem Teufel selber aufzunehmen und mit ihm zu streiten. Es klang wie eine übermütige Herausforderung zu einem Zweikampf mit dem Teufel mit offenem Visier auf freiem Feld. Tatsächlich sollte uns der Widerstand des Teufels nicht erspart bleiben und uns noch lange Zeit schrecklich schwer zu schaffen machen. Aber in jener Stunde war für uns der Himmel blau und schön und strahlte uns die liebe Sonne wärmend auf den Buckel. Und dann überhaupt mußte doch der liebe Herrgott selber unser Freund und Partner sein und dazu verpflichtet, uns zu helfen, da wir doch für ihn die Kirche bauten, ein Wohnzelt Gottes unter seinen vielgeliebten Menschenkindern und ein Stützpunkt für die streitende Kirche Gottes in Pucura gegen alle Macht des Teufels.
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Auf zum Indianerrichter Schließlich mußte ich dann Abschied nehmen. Es kostete mich ein großes Opfer. Wie gerne wäre ich noch geblieben! Aber ich wollte heute noch zum Indianerrichter, um, wie ausgemacht, die Schenkung des Bauplatzes gleich zu protokollieren. Gerne nahm ich das Anerbieten von Ramón an, der mir sein Leibpferd zu dieser Reise anbot. Fröhlich dankend ritt ich mit seinem Sohn davon. Zuerst aber machte ich noch einen kleinen Umweg über den geschenkten Baugrund. Zweimal ritt ich segnend rings um die schöne Wiese. Wieder packte mich das große Glücksgefühl, das anscheinend auch mein Pferd ansteckte. Eine unbändige Lust zu springen und zu rennen erfaßte es, daß ich es bei dieser Ehrenrunde kaum noch zügeln konnte. Ich zwang es noch ein Weilchen still zu halten, um noch ein Vaterunser laut zu beten um den Segen Gottes und seiner heiligen Engelscharen. Und dann ging es fort nach Norden. Es war ein Hochgefühl, auf diesem Pferd über diese sonnenbeglänzten Wiesen und Felder dahinzufegen, und es war gut so, denn wir hatten einen weiten Weg vor uns, über 50 km, und dann wollten wir den Indianerrichter noch vor Büroschluß antreffen. Leider war sein Büro bereits geschlossen, als wir dort ankamen. Beim Büroschließen sind die staatlichen Beamten so über alle Maßen pünktlich, so blieben wir im Pfarrhaus über Nacht und gingen dann am nächsten Morgen als die allerersten zum Indianerrichter. Wir wurden freundlich aufgenommen, denn er war uns Missionaren gut gesinnt. Er wußte ja, daß wir Missionare zum Besten der Indianer so viele Schulen unterhielten. So waren die Formalitäten schnell erledigt. Vor Freude hüpfte mir das Herz im Leibe, als er mir im Beisein des Sohnes von Ramón die offizielle Genehmigung zum Bau der Schule von Pucura überreichte. Kurz vorher hatte er das geschenkte Land in den Kataster des Indianerreservats von Pucura eingetragen. Dann verabschiedete ich mich vom Richter und meinem Reisebegleiter. Gerade noch erreichte ich die Eisenbahn, um unserem
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Missionsbischof 159 die Freudennachricht von der Gründung der Missionskapelle in Pucura zu überbringen. Er konnte es zuerst gar nicht fassen, daß mir dies gelungen sei. Denn er hatte selbst als Missionar vor 25 Jahren dort eine Schule gründen wollen, aber alles war gescheitert am Widerstand seiner „lieben Wasserbüffel", wie er liebkosend seine früheren Pfarrkinder 160 , die Anlieger beim Calafquénsee, benannte. Er wünschte mir von Herzen Glück zu meinem Erfolg und versprach mir seine Hilfe zum Bau der Schulkapelle. Das Hauptverdienst daran, da waren wir uns beide einig, hatte der gute Pater Siegfried, der damals genau vor 25 Jahren den kleinen Ramoncito, den Kazikensohn aus Pucura, in sein Indianerinternat voll Liebe aufgenommen und erzogen hatte. Meine schwere Fastenzeit Schon eine Woche später war ich wiederum bei meinem Freund Ramón, um unser gemeinsames Bauprojekt voranzutreiben. Da hieß es zuerst, in dem Sägewerk das Bauholz zu bestellen und es dann mit dem Ochsenkarren an den Bauplatz hinzuführen. Gerne hätte ich mich dazu im Hause von Ramón niedergelassen. Aber sein Haus war zu weit entfernt vom Bauplatz. So verschaffte mir Ramón eine Unterkunft bei seinem Pächter Manosalva. Dort lag der Bauplatz dicht daneben. Das war für mich sehr praktisch. Freilich sollte es da meinem Leib, dem armen Bruder Eselchen, sehr schlecht ergehen. Es war ein denkbar schlechter „Futterplatz". Die Leute waren bettelarm. Früher, als der Familienvater noch am Leben war, hatten sie ein kleines Bauerngütchen. Aber dann war der Vater gestorben, und nun meinte die Hausmutter, für sie und ihre vielen kleinen Kinder wäre es das beste, in die Kleinstadt Villarrica umzusiedeln. Dort hätten 159 P. Guido (Benedikt) Beck von Ramberg (1885-1958). Seit 1928 Apostolischer Vikar (Missionsbischof) der Araukanie (R). 160 P. Guido Beck war von 1915 bis 1919 Missionar in Conaripe (R).
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die Kinder eine bessere Erziehungsmöglichkeit. Der älteste Sohn sollte nun das Anwesen mit allem Drum und Dran verkaufen. Mit dem Erlös sollte er in Villarrica ein Häuschen kaufen und den Rest des Geldes in der Großstadt Valdivia in Wertpapieren anlegen. Kaum aber hatte er das Geld in Händen, fiel er auch schon in die Teufelsfalle, wie weiland der verlorene Sohn im lasterhaften Babylon. Er verjubelte das ganze Geld. So war die Familie arm wie eine Kirchenmaus. Es blieb nichts anderes übrig, als wieder ganz von vorne, und noch dazu ganz von unten her anzufangen, im Dienstverhältnis mit dem Indianerreservat von Pucura, bei Don Ramón. Das ist für den Chilenen die bitterste Buße und die allerschlimmste Schmach, von einem Indianer abhängig zu sein, für ihn, den stolzen Nachfolger der Herrenrasse Spaniens, die vor 400 Jahren das Land eroberte und die Indianer unterwarf. Trotz ihrer freundlichen Einladung brachte ich es bei der übergroßen Armut dieser Leute nicht über mich, mich so ohne weiteres an den Mittagstisch zu setzen; nur am Morgen nahm ich eine Tasse Kaffee an und am Abend einen Teller Suppe. Hernach ging ich dann gleich schlafen in dem kleinen, an das Häuschen angebauten Kartoffelschuppen. Dort diente mir die dicke Sattelunterlage als Matratze, und dann deckte ich mich mit meinem Mantel zu. Schon in aller Herrgottsfrühe stand ich auf und feierte die Heilige Messe in diesem armen Schuppen, arm wie der Stall von Betlehem. Dann holte ich die Ochsen von der Weide und jochte sie ein, um sie an den Karren anzuspannen. Hernach ging es dann den lieben langen Tag immer wieder hin und her zum Sägewerk, um das grobe Bauholz aufzuladen und an den Bauplatz zu bringen. Mittags setzte ich mich meistens an den Bach und verzehrte ein Stück Brot, das ich mir von dem mitgebrachten Wecken abgeschnitten hatte. Meistens war das Brot schon hart, und dann tunkte ich es in den Bach. Manchmal hatte ich auch Glück, daß mich gute Leute zum Essen einluden. Da war der herzensgute Sägewerksbesitzer. Oft und oft ließ er mir durch seinen
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Hausknecht eine Riesentasse Milchkaffee überbringen, wenn ich gerade in seinem Sägewerk beim Aufladen der Bauhölzer war. Dazu brachte er mir oft noch ein großes Butterbrot mit einem Löffel Honig drauf. Oh, wie das schmeckte, es war ein Genuß, ein wirklich himmlisches Labsal! Gerne hätte er mich, so sagte er mir einmal, zum Mittagessen eingeladen, aber leider war seine Frau eine fanatische Sektiererin, die mich nicht verputzen konnte. Von Hause aus war sie katholisch. Aber dann hatte sie bei ihrer religiösen Unwissenheit dem heiligen Johannes dem Täufer ein heiliges Versprechen abgelegt, in seiner Gefolgschaft Wiedertäuferin zu werden, wenn er, der große Abstinent und Büßer, ihr helfen würde, ihren Mann vom Trinken abzubringen. Tatsächlich brachte sie es auch bei ihrer großen Energie fertig, ihren Mann so weit unter ihren Pantoffel zu bekommen, daß er eines Tages in die Wiedertäuferkirche ging. Dort legte er vor der Versammlung aller Glaubensbrüder eine öffentliche Lebensbeichte ab wegen seiner häufigen Unmäßigkeit, und dann hob er zur Erbauung aller Anwesenden und zur größten Genugtuung seiner anwesenden Frau den Schwurfinger in die Höhe: er schwor dem Teufel des Trinkens ab und versprach dann hoch und heilig, nie mehr wieder eine Saufbude, diese Pforte der Hölle, zu betreten. Dieses Versprechen hielt er auch tatsächlich ein. Niemals wieder betrat er die Saufbuden des niedrigen Volkes und auch nicht die Trinkstuben der besseren Leute. Aber so alle zwei bis drei Monate hielt er sich schadlos und gönnte sich fern von seiner Frau so einen richtigen, hundertprozentigen Quartalrausch in einem besseren Hotel. Wegen seiner Holzgeschäfte mußte er so alle zwei bis drei Monate in die Stadt. Nach Abschluß seiner Holzgeschäfte lud er dann für gewöhnlich seine Geschäftsfreunde in sein Hotel zum Essen und zum Trinken ein. Hernach begab er sich dann allein auf sein Zimmer im Hotel und ließ sich von dem befreundeten Kellner Wein und Whisky auf sein Zimmer bringen, um wieder einmal für weitere zwei Monate so richtig kräftig aufzutanken, bis ihm der Wein aus den Ohren lief. Dann
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schlief er im Hotel seinen Bombenrausch aus. Wenn er sich dann wieder nüchtern fühlte, nahm er ein heißes Dampfbad und kehrte dann sanft und still zu seiner Frau zurück. Um sie bei guter Laune zu erhalten, ging er dann auch hin und wieder in die Wiedertäuferkirche. Er haßte den religiösen Fanatismus seiner Frau. Aber er konnte es sich nicht leisten, es mit seiner besseren Hälfte zu verderben, denn sie hatte einen großen Geldbeutel in die Ehe mitgebracht und blieb auch seitdem Partnerin in seinem Holzbetrieb. Hie und da, wenn sein Hausdrache abwesend war, brachte er mir selber das Frühstück zu meinem Ochsenkarren. Dann setzte er sich zu mir, während ich das Frühstück zu mir nahm, und erzählte mir lustige Lausbubengeschichten von seiner Schulzeit in der Missionsschule von Villarrica, die im Jahre 1899 von Padre Siegfried über den Trümmern der alten zerstörten Mission vom Jahre 1599 aufgebaut wurde. Einmal in der Woche ging ich zu meinem Freund Ramón zum Essen. D a konnte ich mich wieder einmal so richtig satt essen. Freilich bekam mir dort die Kost nicht allzu gut. Die gute Hausfrau warf beim Kochen immer einen Haufen Salz und Pfeffer in die großen Suppenhafen, so daß mir beim Essen die Tränen nur so am laufenden Band aus den Augen kollerten. Das brannte im Mund wie Feuer und gab einen wahren Höllendurst. Auf dem Rückweg trank ich dann im Ubermaß das Wasser aus dem Bach, so wie das liebe Vieh, und ich mußte immer wieder trinken, fast bis zum Uberlaufen. Der Leichenschmaus bei der Beerdigung eines Kindes Einmal veranlaßte mich der Hunger, gegen meine Gewohnheit eine Einladung bei einer Kindsleiche anzunehmen. Der Leichenschmaus war im Hause des anwesenden toten Kindes, denn hier in Chile bleibt zum Trost der Hinterbliebenen der Leichnam bis zum Tage der Beerdigung im Wohnhaus. Der Vater des toten Kindes war ein Holzarbeiter, der mir durch seinen Buben oft im Sägewerk beim Holzaufladen eine große Konservenbüchse mit 238
Mehlbrei bringen ließ, bereitet aus geröstetem Schrotmehl. Im Hause angelangt, fragte ich zuerst nach der Mutter, um sie zu trösten. Das ging ganz schnell vorbei, denn die gute Frau war gerade dabei, mit noch zwei großen Töchtern den großen Suppenhafen in der Küche anzuheizen. Es waren ja so viele, fast zu viele Trauergäste eingeladen. Sie alle wollten einen Teller Suppe haben und danach noch ein großes Stück vom Braten. So hatte sie alle Hände voll zu tun, und hatte nicht viel Zeit zum Weinen und zum Klagen. Und dann, ja dann blieb ihr immer noch eine große Kinderschar: ein ganzes volles Dutzend Kinder. Zu ihren vielen Kindern hatte die herzensgute Frau auch noch drei Waisenkinder aus der Verwandtschaft angenommen. Das gab im ganzen immer noch die stattliche Zahl von 15 Kindern. Da wuzzelte es nur so in der Küche von den vielen Kindern. Sie standen alle um den großen Herd herum und aßen mittlerweile ein Stück Brot und warteten geduldig auf ihre Suppenration. Auch der große Hofhund und zwei kleine Hündchen hatten sich in der Küche eingefunden und warteten ganz selbstverständlich auch auf ihren Anteil als „zur Familie gehörend". Mein Gott, was haben diese guten Leutchen so ein gutes Herz und so ein unbändig großes Gottvertrauen! Mit welcher Lust und Freude würde sich der gute Bruder Franz bei diesen Leuten niederlassen! Wie fühlt man sich vor diesen Leutchen wie ein armer kleiner Wicht bei unseren vielen angelernten Wenn und Aber, die wir dem lieben, guten, großen Gott ganz gegen seinen Willen in unsere kleinliche menschliche Fasson hin einpressen sollen. Als ich dann in die große Stube trat, sah ich am Kopfende des großen Familientisches das tote Kind aufrecht in einem blumengeschmückten Nudelkistchen eingebunden. So führte es den Vorsitz am Familientisch beim Abschiednehmen (das kleine Kindersärgchen war noch nicht ganz fertig). Dicht neben dem toten Kind saß seine Taufpatin und seine Tante, am anderen Ende der Familienvater. Ich ging zu ihm und drückte ihm mein Beileid aus. Da sagte er: „Wie gut, daß sie gekommen sind. Wir brauchen
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nämlich noch einen Totenschein mit den Personalien des toten Kindes. Dazu ist nur ein Lehrer oder Priester autorisiert. Dieses Papier wird dann mein Hausknecht sofort nach Panguipulli zum Standesamt bringen, und er erhält dann die schriftliche Erlaubnis, unser Kind im nächsten Indianerfriedhof zu begraben." So stellte ich denn die Urkunde mit meiner Unterschrift aus, und dann ritt auch schon sofort der Hausknecht mit dem Schriftstück in gestrecktem Galopp nach Panguipulli. Hernach bat mich der Hausvater, das Kind noch zu segnen und noch ein Abschiedsgebet für das Kind zu sprechen. So betete ich denn: „Himmlischer Vater, wir bitten Dich, schicke Deine Engel von Deinem hohen Himmelsthron herab in dieses Haus, um unser Kind in Deinen Himmel abzuholen. Dafür hast Du ja das Kind geschaffen, und durch die Taufe, die es zur rechten Zeit empfangen hat, ist dieses Kind auch würdig, zu Dir zu kommen in Dein Himmelreich. So nimm es auf in Deiner väterlichen Liebe, wir bitten Dich darum. Möge auch Dein Engel dieses Kind der lieben Mutter Gottes in die Arme legen; sie möge ihre Mutterliebe ihm erweisen, so wie sie es beim lieben Christkind machte in der heiligen Nacht von Betlehem. Und dann soll sie als die Königin der Engel ihm einen schönen Platz im Chor der Engel anweisen, damit es durch sein Stimmchen den Sang der Engel verschönern und verstärken helfe. Und wenn wir einmal selber sterben, dann möge dieses unser kleines Kindchen, unser liebes Engelchen, am Himmelstor uns liebevoll empfangen. Amen." Nach dieser frommen Einleitung begann der Leichenschmaus. Eine schmackhafte Fleischsuppe mit großen Fleischstücken und Kartoffeln, die dampfend aufgetragen wurde. Wir ließen uns die Suppe recht gut schmecken. Dann auf einmal stieß die Patin, die neben dem toten Kindchen saß, einen markerschütternden Schrei aus und fiel mit dumpfem Aufprall unter den Familientisch. Wir alle sprangen auf von unseren Sitzen und auch die Mutter stürzte aus der Küche in das Zimmer. Was war geschehen? Zum Entsetzen der Patin war aus dem Mund des toten
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Kindes ein wenig Schleim und Schaum herausgeflossen. Ganz deutlich zeichneten sich die dunklen Flecken ab am weißen Totenhemdchen. Alle Leute glaubten nun in ihrem Schrecken, daß das Kind nur scheintot wäre und wieder auferwachen würde. Auch ich war sehr erschrocken über diese „Lebenszeichen". Ich hatte doch bereits den Totenschein verfaßt, mit dem der Hausknecht mittlerweile in größter Eile nach Panguipulli ritt. Welche Blamage für mich, wenn das Kindchen wieder lebendig werden würde. So betete ich zum lieben Gott in der Stille meines Herzens, er möge doch das Kindchen wirklich sterben lassen und es in seinen schönen Himmel nehmen. Da wäre es gut aufgehoben, viel besser, als in diesem Tränental, wo dieser kleine Knirps nur leiden müßte und vielleicht ein ganzes Leben lang ein Krüppel bliebe. Zu unser aller Beruhigung blieb das Kindchen steif und kalt in seinem improvisierten Särglein, bald darauf fingen die Leute wieder an zu essen. Ich aber verabschiedete mich sogleich von den Eltern und den Trauergästen, denn mir war jeder Appetit vergangen. Langsam ging ich schleppenden Schrittes wiederum zurück in meine kleine arme Bude. Immer noch würgte es mich im Halse, wenn ich an das tote Kindlein dachte, mit dem Schaum auf seinem Mund und den schmutzigen Flecken auf seinem weißen Totenkleidchen. Ich fühlte mich wie ein vom Tisch der Reichen weggejagtes Hündlein. Nun war es wieder einmal schief gegangen, dachte ich mir auf dem Heimweg. Und ich war diesmal doch so gerne, ganz gegen meine Gewohnheit, zum Leichenschmaus gegangen, nur um mich wieder einmal richtig satt zu essen; denn bei der ewigen Fasterei und der harten Schwerarbeit tat mir der Hunger doch so weh. - Da hieß es halt in Gottes Namen aus der Not eine Tugend machen. - Ganz sicher verlangte der liebe Gott von mir diese Buße, dieses harte Fasten, um so mit seiner Hilfe an dieser Satansecke von Pucura die vielen Teufel auszutreiben, jene Art von Teufeln, von denen unser Herr und Heiland uns versichert hat, daß sie nur mit Gebet und mit dem Fasten auszutreiben sind.
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Pucura im Schatten Moskaus Das Schlimmste für mich war aber nicht das harte Hungerleiden und die schwere Arbeit. Es war die politische Unsicherheit, die offene und versteckte Feindseligkeit gegen mich und der verbissene Widerstand gegen meine geplante Schulkapelle. Der Hauptgegner war der nächste Nachbar von der Kapellen wiese. Er hieß Marifilu und war der Cousin von Ramón. Immer lagen sie im Streit. Marifilu beneidete meinen Freund wegen seiner schönen Ländereien, die er von seinem Vater, dem Kaziken, ererbt hatte. Diese Ländereien reichten vom Tal bis hinauf zur Schneegrenze des Vulkans Villarrica: ein wunderschönes Weideland, so wie die Almenwiesen im bayerischen Oberland. Darum hatte Marifilu ein scheeles A u g e auf das Land geworfen, das Ramón im Tal besaß, ganz nahe seiner Hütte. Darum war er auch so voller Wut auf mich, daß ich die schöne Wiese von Ramón bekommen hatte. Immer schon hatte er diese Wiese für sich zu erwerben versucht. Es war ihm aber nie gelungen. So hoffte er nun, sich bei einer Revolution diese Wiese anzueignen. Sein Freund, ein kommunistischer Lehrer namens Inalaf, bestärkte ihn in seinen Hoffnungen. Tatsächlich schien damals Chile reif zu sein für eine Revolution. Der Präsident von Chile hatte bei seiner Wahlpropaganda, um recht viel „Stimmvieh" zu bekommen, den Kommunisten schön getan. Als er dann ans Ruder kam, unterwanderten die roten Brüder alle Ministerien. Breit und selbstbewußt saßen sie in den Ministerien bis hinein in die Vorzimmer der Minister. Vor allem war das Unterrichtsministerium so etwas wie ein roter Bunker. In ihrem Machtrausch fühlten sich die roten Bonzen schon so halb allmächtig. Von dort aus halfen sie ihren Genossen bis hinein ins letzte Nest. Darum waren auch die kommunistisch eingestellten Indianer so frech und angriffslustig gegen mich. So kam es eines traurigen Tages so weit, daß so ein frecher Indianer eine Brücke teilweise abriß, nur um mich zu ärgern und es mir unmöglich zu machen, das Bauholz zur Kapellenwiese hinzufahren. D a stand ich nun urplötzlich mit meinem Karren
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wie „der Ochse vor dem Berg", diesmal vor dem tiefen Bach. So mußte ich notgedrungen mit dem schwerbeladenen Karren einen großen Umweg machen mitten durch eine sumpfige Wiese. Da steckten dann die Karrenräder bis zur Achse drinnen in dem Dreck und ich ebenfalls. Ich gab mir verzweifelt Mühe, in die Radspeichen einzugreifen, um den Karren doch noch vom Fleck zu bringen. Mein Gott, war das eine Schinderei! Ein H u h n legt ein g o l d e n e s Ei
Schon bei der zweiten Reise hatte ich ein großes Pech. Der Karren stürzte um, und das ganze Holz lag in der braunen sumpfigen Brühe. Mit letzter Kraft lud ich die Hälfte der Hölzer wieder auf. Endlich kam ich noch vor Sonnenuntergang am Bauplatz an. Aber ich war am Ende meiner Kraft. Ich nahm den Ochsen noch das Joch ab und ließ sie laufen. Ich selber hockte mich auf meinen Unglückskarren. Ich war todmüde und halb ohnmächtig. Schwarze Sterne tanzten kreuz und quer vor meinen Augen. Nach langer Weile schleppte ich mich zurück in meine arme Bude. Dort fiel ich sofort, steif wie ein Stück Holz, angezogen wie ich war, auf meine Pritsche. Am anderen Morgen fuhr ich wieder fort, um die liegengebliebenen Hölzer noch zu holen. Aber vorher nahm ich mir ein Herz und ging zu einem Indianer, der mir noch etwas „handsamer" erschien. Er wohnte ebenfalls nahe der verflixten Brücke. Ich betete zu seinem Schutzengel auf dem ganzen Weg dorthin. Dann klopfte ich an seinem Zaun vor seiner Hütte an. Ich bat ihn um die Erlaubnis, durch seine trockene, steinige Wiese fahren zu dürfen; denn meine Ochsen seien einfach nicht imstande, den schweren Karren durch den Sumpf zu ziehen. Während meiner Rede schaute der Indianer andauernd auf seine Frau: Sie stand mürrisch und apathisch neben ihm. Allem Anschein nach war er ein Pantoffelheld und wollte die Entscheidung seiner besseren Hälfte überlassen.. Da, während ich noch redete, kuschelte sich eine Henne dicht an meinen Schuh und legte dampfend ein ungewöhnlich großes Ei 243
mir vor die Füße. Ich nahm das Ei und übergab es dem Indianer : „Nun schau", sagte ich zu ihm, „da hat dir der liebe Gott während meiner Rede ein feines, frisches Ei für dein Frühstück geschickt. Nimm es an. Das tut dir gut". Da leuchtete sein Auge freundlich auf. Ohne mehr auf seine Frau zu schauen, sagte er sogleich: „Gut, ich gebe Ihnen die Erlaubnis zur Durchfahrt." Dieser unerwartete Erfolg war für mich etwas ganz Großes, so wie eine gewonnene Entscheidungsschlacht zugunsten meiner Schulkapelle in diesem rebellischen Indianerland Pucura. Nun konnte ich den Rest von allem Bauholz zu meiner Kapellenwiese hinbefördern. Gar bald war nun die Schinderei mit dem Fuhrwerken vorbei. Schließlich lagen auf dem Bauplatz zwei Stapel Bauholz: einer für die Schule und der andere für die Kapelle. Nun konnte ich bereits den Zimmermann und seine Gesellen von Panguipulli holen, um mit dem Bauen anzufangen. Welche Freude war es da für mich, wieder zu meinen lieben Mitbrüdern heimzukommen, mich mal wieder herauszufüttern, ein warmes Bad zu nehmen und meine durchgeschwitzten Hemden waschen zu lassen. Abschied von Don Ramön Vor der Heimreise aber wollte ich zuerst noch meinen Freund Ramön besuchen. Wie gut, daß ich zu ihm gegangen bin. Er war seelisch wieder einmal ganz am Hund. Er war ganz krank vor Ärger, weil man ihm vor drei Tagen seinen Leibgaul, seinen Liebling, sein liebes Pferdchen, wie er es immer nannte, gestohlen hatte. Untröstlich hockte er wieder in seinem „Schmollwinkel" mit allem und mit allen hadernd, ganz hinten im Eck seines Bettverschlags. Als er meine Stimme hörte, kam er sofort heraus und sagte: „Gott sei Dank, daß Sie gekommen sind, um mir zu helfen. Sie haben mir schon einmal geholfen, gleich bei Ihrem ersten Besuch. Sie haben damals den Teufelsspuk aus meinem Haus vertrieben. Nach Ihrem Segen damals hat das ewige Knirschen und Krachen im Dachgebälk für immer aufgehört. 244
Seitdem kann ich wieder ruhig schlafen. Und jetzt, ich bitte Sie, beten Sie wiederum jenes kräftige Gebet, daß ich meinen Liebling, mein liebes Pferdchen, wieder zurückbekomme. Ganz sicher steckt wiederum bei diesem Diebstahl der Teufel selbst dahinter. Ich gebe Ihnen auch zum Segen mein Kreuzchen, das ich vom Pater Siegfried beim Schulabschluß bekommen habe". Damit gab er mir das Kreuzchen, das er immer auf der Brust trug. Mit diesem Kreuzchen in der Hand betete ich den kurzen Exorzismus. Dann beteten wir beide ein Vaterunser zum heiligen Erzengel Michael, dem himmlischen Teufelsbezwinger. Und dann sagte ich zu Don Ramón: „Jetzt beten wir noch ein zweites Vaterunser zum heiligen Vater Joseph, denn er ist der größte und allermächtigste Heilige im Himmel droben. Nie könnte ihm der liebe Herrgott einen Wunsch abschlagen. Er war in seinem Erdenleben der vielgetreue Pflegevater seines Sohnes Jesus Christus. Und dann hat er ein so goldengutes, mitleidsvolles Herz. Er versteht auch deinen Kummer über den Verlust von deinem ,Liebling', deinem Pferdchen. Er hat ja selbst auch so schrecklich Obacht geben müssen, um sein Eselchen, das Reitpferd Unserer Lieben Frau Maria, seiner Braut, auf den weiten, einsamen Wegen von Nazareth nach Betlehem und von dort in das ferne Land Ägypten zu führen. Da wimmelte es nur so von Dieben und von Räubern. Und dann schließlich muß er helfen und seine Macht erweisen, weil er ja der Kirchenpatron sein wird von unserer Kapelle, die einmal ,San José de Pucura' heißen wird. Und noch dazu, Ramón, steht es auf deinem Grund und Boden". Nach dieser Einführung faltete ich feierlich meine Hände zum Gebet. Automatisch faltete auch Don Ramón seine Hände - sie waren prall und fleischig wie die Patschhändchen eines Kindes - und dann betete ich ganz langsam und in aller Innigkeit so zehnmal hintereinander, bis auch Don Ramón mit einstimmte in mein Stoßgebet: „Heiliger Vater Joseph, mein lieber guter Gottesmann, nimm Dich um mein Pferdchen an". „So, jetzt wird
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wieder alles g u t " , meinte Don Ramón. Dann sagte er zu seiner Frau: „Geh, hole eine fette Henne, eine ganz große, und mache uns eine gute Hühnersuppe." Es ist kaum zu glauben. Wir ließen uns die Suppe schmecken und fingen gerade damit an, den Mate-Tee zu schlürfen, da wieherte draußen vor der Küchentür ungestüm und wild das Leibpferd von Ramón. Mit einem mächtigen Satz war es über die Umzäunung vor dem Hof gesprungen und wartete auf unsere Begrüßung. Wir alle stürzten aus der Küche in den Hof hinaus. Mein Freund Ramón fiel seinem Leibpferd um den Hals und Tränen der Rührung und der Freude kugelten ihm ununterbrochen über seine Wangen. Es war ein wirklicher Weinkrampf. Es war, als wäre sein eigener, totgeglaubter Sohn ins Vaterhaus zurückgekehrt. Hernach kam ich selber an die Reihe und wurde herzlich wie noch nie umarmt: „Sooft Sie kommen, Padrecit o " , sagte er, „hab ich Glück; darum, so oft Sie wollen, können Sie über mein liebes Pferd verfügen. Der liebe Gott hat es mir zurückgegeben und von jetzt an gehört es uns zu zweit." H e i m nach P a n g u i p u l l i Von diesem freundlichen Angebot machte ich sogleich Gebrauch. Anstatt fünf mühevolle Stunden im Kahn über den See zu rudern und dann noch zwei Stunden von Calafquén nach Panguipulli heimzureiten, ritt ich direkt von Pucura bis nach Panguipulli. E s war schon beinahe Mitternacht, als ich in der Missionsstation ankam. Im Zimmerfenster von P. Siegfried war noch Licht. Das wunderte mich sehr. Er war ein Frühaufsteher und ging deswegen ganz früh mit den Hühnern ins Bett. K a u m klopfte ich an seinem Fenster an, kam er auch schon zu mir heraus. „Wie freut es mich", sagte er, „daß Sie heute noch gekommen sind. So hat mich meine Ahnung nicht betrogen, daß Sie sicher kommen werden. Besorgen sie das Pferd und kommen sie dann in die Küche". Ich brachte den „Liebling" von Ramón in den Stall, wusch ihm seinen Rücken und gab ihm einen großen 246
Kübel Hafer. Dann ging ich in die Küche, wo P. Siegfried mir einen heißen Kaffee braute. „Denken Sie sich nur, mein lieber Pater", sagte er „gleich nach dem Abendgebet läutete es kurz und heftig an der Pforte. Ich ging sofort hinaus, traf aber niemand. Schnell lief ich noch den kurzen Weg bis zum Haupttor und schaute noch nach allen Seiten. Niemand war zu sehen. Da dachte ich mir: Vielleicht hat sich mein Padrecito durch seinen Schutzengel angemeldet. Darum bin ich aufgeblieben. Oh, wie freue ich mich darüber, daß Sie nach so langer Abwesenheit wieder heimgekommen sind. Ich habe mich so sehr um Sie geängstigt. Es kam zu mir von Pucura ein guter Bekannter und erzählte mir von Ihrem schweren Standpunkt infolge der Hetzereien der gegnerischen Indianer. Ein Kommunist sei in dem Indianerreservat von Haus zu Haus gegangen und hätte alle Indianer mit seinen Lügen und Verleumdungen gegen Sie und Ihr Schulprojekt aufgehetzt: Der Schulbau sei nur ein Vorwand, sich bei den Indianern einzunisten und sie dann zu versklaven. Gar bald werde dann der Pater mit Geldverleih und mit Branntwein sich einen Großgrundbesitz zusammenraffen, so wie es alle Reichen machen. Und dann überhaupt, wozu braucht der Pater soviel Bauholz? Hinter dem Plan der Schule stehe noch ein zweiter Plan: Ein großes Fundohaus so recht als Festung gegen die Indianer aufzubauen. Und dann hat dieser Lügenmensch die Indianer aufgestachelt, sie sollten doch einmal den Pater am einsamen Waldweg überfallen und ihn so verprügeln, daß ihm alle Lust vergehe, seinen Plan in Pucura durchzuführen. Dann würde er selber nach Pucura kommen und dort wohnen und Schule halten für die Indianerkinder. Dazu würde dann den Patres das Grundstück wieder abgesprochen werden. Ein hoher kommunistischer Ministerialrat habe ihm versprochen und versichert: „Ich kann alles. Ich werde schon die Sache schaukeln, zugunsten einer kommunistischen Schule". Das war zum Mutloswerden. „Aber dann", so fuhr P. Siegfried fort, sei ein ermutigendes Telegramm vom Indianerrichter eingetroffen, mit
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der Bitte, der Pater möge möglichst bald zu ihm kommen zum besten des Projektes der Schule von Pucura. „Zum Glück für uns", meinte P. Siegfried, sei der Indianerrichter ein rechtlicher, vernünftiger Mann. Schon sein Vater selig sei ein Freund der Missionare gewesen. Er habe ihm vor vierzig Jahren jedesmal geholfen, wenn die Indianer recht rebellisch waren. „Im Grunde genommen hat der Staat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, unseren Missionen zu helfen; denn der Staat war es, der uns Missionare ins Land gerufen hat, um durch Erziehung und Religion die Indianer zu guten, ruhigen Staatsbürgern zu erziehen. Nie war dies dem Staat geglückt, auch nicht mit Waffengewalt; darum hat er uns ins Land gerufen." P. Siegfried gehörte noch zu den heldenhaften Erstlingsmissionaren, die 1896 nach Araukanien gekommen waren. Da war es für mich so interessant, Einzelheiten über die Gründungsjahre unserer Mission, ihr Kämpfen und ihr Siegen zu erfahren. Eine Moritat von 1899 Was P. Siegfried mir erzählte, war ein wahres Heldenepos. Zum Schluß erzählte mir der Pater noch eine lustige Moritat. Es war im Jahre 1899. Wiedfer einmal war er zum Indianerrichter gekommen, nach einem langen, mühseligen Ritt, bei schlechtem Wetter und noch viel schlechteren, unheimlich schlechten Wegen zur Winterszeit. Patschnaß war er bei ihm angekommen. Der Indianerrichter nötigte ihn, in seinem Haus zu übernachten. Er lieh ihm seine Kleider, um den Habit am offenen Herd zu trocknen und in einem vorgewärmten Bett zu schlafen. Nun hatten sie zu Nacht zu stark gewürzte Speisen zu sich genommen, die dem Pater schlecht bekamen. Um Mitternacht quälte ihn ein gräßliches Grimmen in den Eingeweiden. Das Lokushäuschen war im Hof und der wilde Haushund war losgelassen. In seiner Not benützte er die große Handelszeitung Chiles, den Mercurio, breitete ihn sorgsam auf dem Zimmerboden aus, um sich darauf zu erleichtern. Dann faltete er mit großer Sorgfalt die 248
Zeitung wiederum zusammen zu einem Paket und wickelte die Schnur darum. Er warf es dann zum Fenster hinaus und es lag nun dummerweise direkt vor dem Hauseingang. Dieses Pech! Er wünschte, daß doch dieses „corpus delicti", seine Visitenkarte, nicht vor der Haustüre liegen blieb. Angstvoll schaute er durchs Fenster, ob nicht jemand noch vorbeikäme. Endlich kam noch ein später Reiter durch die Straße und sah das Päckchen. Sofort stieg er vom Pferd, schaute dann ängstlich nach den vier Windrichtungen, ob er doch allein wäre, dann nahm er schnell das Paket zu sich, stieg wieder auf sein Pferd und ritt rasend schnell davon. Sicher glaubte er, einen wertvollen Fund gemacht zu haben. Als P. Siegfried am nächsten Morgen wieder heimritt, sah er am Dorfrand das Päckchen aufgerissen weit weg im Straßengraben liegen. W i e d e r u m b e i m Indianerrichter
Schon am anderen Tag reiste ich schweren Herzens zum Indianerrichter. Wie wird sein Endurteil wohl ausfallen? Als ich mich dann beim Indianerrichter vorstellte, fiel mir der Stein der Sorge sofort vom Herzen. Er empfing mich mit strahlender Freundlichkeit. „Wir beide haben gewonnen in der Angelegenheit von Pucura", sagte er. „Soeben bekam ich das entscheidende Telegramm vom Minister: Bauerlaubnis für Missionsschule Pucura bleibt bestehen. Im Notfall Polizeischutz für P. Barnabas anfordern". „Das braucht es aber gar nicht mehr, diesen Polizeischutz", sagte er; „denn die beiden Hauptstänkerer von Pucura sind wegen einer Schlägerei und Messerstecherei für ein halbes Jahr ins Loch gekommen. Gott sei Dank für Sie und auch für mich. Die Sache fing an, wirklich gefährlich zu werden. Am gleichen Tag, als Sie nach Panguipulli reisten, mußte ich im Auftrag meines Ministers nach Pucura reiten, um mich an Ort und Stelle über die Proteste der Indianer zu informieren. Marifilu und Inalaf hatten alle Indianer von überall her zusammengetrommelt. Der Bauplatz für die geplante Schule war ganz 249
schwarz vor lauter berittenen Indianern. Viele waren nur aus Neugierde hergekommen und wußten gar nicht recht, um was es sich eigentlich genau handelte. Inalaf hielt dann eine Hetzrede gegen die landesfremden Patres und gegen die geplante Missionsschule: ,Sie seien lauter Indianer, und ihre Kinder seien ebenfalls Indianer, und darum solle kein Ausländer, sondern ein Indianerprofessor Lehrer ihrer Kinder sein'(NB: alle Missionslehrer sind ausnahmslos Indianer und Chilenen). Es war so recht ein Kriegsgeschrei. Zum Zeichen ihrer Zustimmung hoben alle Indianer ihre Reitpeitschen in die Höhe. Der Redner bedankte sich dafür. Und dann fingen sie wieder an, nur so draufloszubrüllen". So etwas habe er, der Indianerrichter, noch nie erlebt. Er habe direkt Angst bekommen vor dieser Masse aufgehetzter Indianer, die in wilder Raserei so wie eine Meute wildgewordener Tiere brüllten. Er habe Ruhe und Gelassenheit geheuchelt und sie weiter brüllen lassen, bis sie heiser waren. Dann sei er mit den beiden Stänkerern in das nächste Haus gegangen, um ihre Wünsche an die Regierung zu protokollieren und sie dann dorthin weiterzuleiten. Hernach habe man ihm einen Imbiß angeboten. Er sei aber sofort davon geritten und kaum außerhalb der Sichtweite der Indianer in höchster Eile davongaloppiert, um möglichst schnell aus dem Hexenkessel Pucura herauszukommen. Ende gut, alles gut Der Indianerrichter erzählte weiter: In seinem Büro angekommen, habe er dann sofort an das Ministerium einen Lagebericht telefonisch abgegeben. „Und jetzt haben wir bereits, mein lieber Pater, die endgültige, positive Entscheidung vom Ministerium. Ich wußte es schon von vornherein, daß der Minister fest bleiben würde. Aus sicherer Quelle habe er nämlich erfahren, daß der Staatspräsident, empört über die anmaßende Frechheit einiger kommunistischer Regierungsbeamter, einen Wutanfall bekommen habe, und seitdem sei ihr Einfluß ganz und gar gebrochen. 250
„So können wir beide zufrieden sein"; schloß der Mann seinen Bericht an P. Siegfried, „und Sie können in Pucura ruhig Ihre Schule bauen. Denn bis die beiden Stänkerer ihre sechs Monate Gefängnis abgesessen haben, wird Ihre Schule schon so ziemlich fertig sein". So kam es auch. Als die beiden Stänkerer nach 6 Monaten wieder auf die Menschheit losgelassen wurden, war die Missionsstation fast fertig. Der Meister und seine Gesellen hatten gut und schnell gearbeitet. Ganz sicher hatte auch der heilige Vater Joseph, der himmlische Schutzpatron der neuen Mission, seine gewohnten heiligen Hände mit angelegt an diesem Bau. Wie konnte es auch anders sein bei diesem lieben, frommen, vielgetreuen Zimmermann von Nazareth! Nun, was seit 25 Jahren ein Wunschtraum war, in diesem Winkel von Pucura, unter diesen wilden Indianern mit ihrem heidnischharten Herzen eine Missionsstation zu bauen, war nun frohe Wirklichkeit geworden. Diese Station war wie eine Wunderblume aus diesem steinigen Grund emporgewachsen, von Gottes Hand gepflanzt und betreut von seiner Liebe. Pucura, mein Sorgenkind, der Kampfplatz vieler Qual und Mühen, war nun für mich die Quelle reinster Freuden. War das ein froher Anblick, wenn morgens von allen Seiten her die Kinder zu ihrer Schule gingen! In der langen Mittagspause spielten die großen Kinder Fußball, und die lieben Kleinen tanzten ihren frohen Reigen. Da machte auch die junge Eingeborenenschwester mit, wobei ihr Schwesternschleier wie eine weiße Taube inmitten all der frohen Kinder mitflatterte. Nach der Schulzeit arbeiteten die Mädchen des Internats zusammen mit der Schwester Oberin im neu angelegten Garten, so daß die blanken Hacken und die Spaten nur so in der Sonne blitzten. Und dann, wenn zur Abendzeit beim Aveläuten sich die Mission in Schatten hüllte, sah man durch die Kapellenfenster auch den stillen roten Schein des ewigen Lichts beim Tabernakel, wo der Herr im Sakrament bereits sein Wohnzelt aufgeschlagen hatte: Die Pforte des Himmels, lichtumflossen, von fern her grüßend wie ein Winken heim zum Vater, der
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Leuchtturm Gottes, der alles Dunkle in Helligkeit verwandelt, das unüberwindliche Bollwerk der himmlischen Heerscharen gegen den Ansturm der Hölle und das ohnmächtige Anrennen der Teufel.
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Mein erster Bau: Schwesternhaus, Schulhaus und Kapelle in Calafquen Barnabas Gutknecht
Während meiner Krankheit machte mir der liebe Gott eine ganz besonders große Freude. Es war im wildesten Winterwetter. Unaufhörlich rüttelte und stürmte ein wütender Orkan gegen das alte Holzhaus unserer Missionsstation. Es stöhnte und ächzte wie ein waidwundes Tier, und die Wellblechplatten auf dem Dach schepperten in höllischem Spektakel, als hätte der Teufel ein Trommelfeuer auf uns losgelassen. Dazu platschte der Regen auf dem Dach, als würde er in Kübeln über uns ausgegossen, und im Wirbelwind prasselte er an unsere Zimmerfenster. Kein Mensch wagte, vor die Haustür zu gehen. So war es damals in dem walddurchrauschten Dornröschenland von Panguipulli mit seinen schroffen Gegensätzen zwischen wonnevoller Sommerzeit und einem überstrengen Winter mit sintflutartigen Regengüssen. An solch einem wilden Wintertag kam wie ein liebes Vogerl ein Brief aus New York zu mir geflogen. Er stammte von einem älteren Fräulein namens Frieda Hascher aus Dillingen an der Donau, wo ich so glücklich und zufrieden „Gäupater" (Aushilfspater) war, bevor ich in die Mission abberufen wurde. 161 Dieses Fräulein Hascher war nun zufällig auf der Zollstation in Hamburg, als ich und mein Reisegefährte, Bruder Totnan 1 6 2 , in das gleiche Büro eintraten. Das Fräulein tat einen Freudenschrei, eilte freudestrahlend auf mich zu und rief: „ 0 , wie ist der liebe Gott doch so gut zu mir, daß ich vor meiner 161 Anfangs 1937 wurde P. Barnabas in die Mission nach Chile ausgesandt. Am 21. April 1937 kam er in Corral, dem Hafen von Valdivia, in Chile an. Der Frachter „Karnak" war nahezu 2 Monate unterwegs (R). 162 Bruder Totnan (Alois) Fath, geb. am 24.02.1913 in Leidersbach, bei Aschaffenburg, Diözese Würzburg, war vom 21.04.1937 bis 1966 in Chile. Wegen eines schweren Bandscheibenleidens ging er 1966 nach Deutschland zurück. Er lebt heute im Kapuzinerkloster Coburg (R).
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Abfahrt nach New York in diesem Babylon von Hamburg einen Pater aus meiner Heimatstadt treffe!" Ich war ein wenig betroffen, weil ich das Fräulein von früher her nicht kannte. Um ihr die große Freude nicht zu verderben, bot ich mich an, sie zu ihrem Schiff zu begleiten; ich hatte dazu Zeit, da unsere Abfahrt erst für den nächsten Tag anberaumt war. Sie dagegen hatte es eilig, den Dampfer zu erreichen. Bruder Totnan nahm ihren schweren Koffer und ich ihre Tasche in die eine Hand und in die andere das altmodische Ungetüm von einer Schachtel mit einem großen Sommerhut. Fast im Laufschritt ging es durch die langen Straßen dem Hafen zu. Voraus das Fräulein, weil es die Straßen besser kannte, und wir beide in Riesenschritten hinterdrein, als wären wir zwei Gängster oder zwei verliebte Trottel, die dem flüchtenden Fräulein auf den Fersen folgten. Es war zudem das Jahr 1936163, als die Nazihetze gegen die Ordensleute auf höchsten Touren lief. Man hatte uns geraten, in Zivil zu reisen. Wir hatten uns aber dennoch entschlossen, den Habit nicht abzulegen. Wie zu erwarten war, wirkte unser Habit wie ein rotes Tuch auf die frechen Hitlerjungen. Im Nu waren wir das Ziel der Schneeballschützen, und wir konnten uns mit unserem unförmlichen Gepäck ihrer gar nicht erwehren. Zu unserem Glück trafen die eisigen Schneeballen zweimal ein großes Schaufenster, daß es nur so dröhnte, einer großen angeschlagenen Glocke gleich. Die Schneeballjagd ließ nach, und wir kamen schneebedeckt und schweißtriefend am Hafen an. Schon waren die Matrosen daran, die Falltreppe hochzuziehen. Wir beide schrien aus Leibeskräften hinauf zum Schiff, und auch das Fräulein fuchtelte verzweifelt mit den Armen. Fluchend und schimpfend ließen die Matrosen die Falltreppe nochmals herab, und kaum war das Fräulein oben auf dem Schiff angelangt, setzte sich der Dampfer in Bewegung, während die Musikkapelle spielte: „Muß i denn, muß i denn zum Städtele 163 Nach freundlicher Mitteilung seines Reisegefährten vom 09. Mai 1996, des Bruders Totnan Fath, hat dieses Ereignis anfangs 1937 stattgefunden (R).
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hinaus, und du mein Schatz bleibst hier." Lange winkten wir dem Fräulein noch zu und kehrten dann ins Pilgerheim St. Raphael zurück. Und nun schrieb dieses Fräulein, daß es gesund sei und in einer Familie als Kindermädchen und Erzieherin arbeite. Sie freue sich auch immer wieder über unser Zusammentreffen in Hamburg und danke von Herzem für meinen Reisesegen und für den Liebesdienst, daß ich ihr Gepäck bis zum Dampfer schleppte, den sie sonst nicht mehr erreicht hätte. Darum nochmals ein herzliches Vergeltsgott, liebe Grüße, und auch noch mein Erspartes, 800 Dollar, für Sie. Darüber war ich überglücklich, und auch mein Oberer P. Siegfried 164 war es. In seiner Freude wurde er ganz Optimist und meinte: „P. Barnabas, da können wir es fast riskieren, neben das Schwesternhaus in Calafquen noch ein richtiges Missionskirchlein hinzustellen". Schon lange hatte er sich das gewünscht. Vor vielen Jahren hatte der reichste Mann von Panguipulli in einem feierlichen, vor seiner Familie ausgesprochenem Gelübde versprochen, zu Ehren unserer lieben Frau in Calafquen eine Kapelle zu bauen. Das Versprechen hatte er freilich nicht aus Frömmigkeit, sondern mehr aus Angst vor Tod, Hölle und Gericht gemacht. Er hatte auch allen Grund zur Angst vor Gottes Strafgericht: denn er war der größte Halsabschneider für die Indianer. Mit wenig Geld, aber mit viel Lug und Trug und Alkohol hatte er die Indianer dumm gemacht und sich ein Riesenland so groß wie eine Grafschaft zusammengekratzt: 11000 Hektar Land und Wald. Dazu waren ihm keine Mittel zu schmutzig und zu schlecht. Einmal ließ er seinen Nachbarn, einen armen Idianer, wegen eines vermeintlichen, unbewiesenen Diebstahls ein halbes Jahr ins Gefängnis sperren. Es war ihm ein Joch 164 P. Siegfried (Alois) Schneider von Frauenhäusl (bei Kelheim; Diözese Regensburg) (1868-1954). P. Siegfried (Sigisfredo) war von 1903 bis 1950 Pfarrer der 1903 gegründeten Pfarrei Panguipulli. P. Barnabas Gutknecht wirkte von 1938 bis 1958 in Panguipulli (R).
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Ochsen abhanden gekommen. Er verdächtigte den Indianer, der ihm als Entgelt sein einziges Joch Ochsen übereignen mußte. Der arme Indianer war ruiniert. Denn wie sollte er ohne seine Arbeitsochsen sein Feld bestellen können! So verkaufte er, weil er keinen anderen Käufer fand, ihm, dem Indianerhenker, sein Land und zog weit weg zu den Verwandten seiner Frau. Aber bei der Ernte im nächsten Jahr kam die Unschuld des Indianers an den Tag. Vor dem Dreschen wurde der alte riesengroße Strohhaufen abgebrannt, um für die Dreschmaschine und den neuen Strohhaufen Platz zu machen. Dabei kamen die Knochen der beiden Ochsen zum Vorschein. Diese hatten sich im Winter zu tief in den Strohhaufen hineingefressen und waren dann von ihm verschüttet worden, so daß sie erstickten. Nun hätte von Rechts wegen der reiche Prasser dem armen Indianer die abgenommenen Ochsen zurückerstatten müssen. Aber das kam ihm gar nicht in den Sinn. Der abgefeimte Gauner behielt die Ochsen, eiskalt und erbarmungslos. Als er nun alt geworden war und sein Fangseil nicht mehr schwingen konnte, bekam er es endlich mit der Angst zu tun. Der Teufel war der einzige, den er fürchtete. In dessen Gewalt wollte er nicht kommen. So machte er ein Gelübde, zu Ehren unserer lieben Frau zu Lichtmeß 165 in Calaf165 Das Fest Mariae Lichtmeß (Purificatio) wird am 2. Februar gefeiert. Die Gottesmutter Maria, Patrona Bavariae, ist auch die Schutzpatronin Chiles. Viele Kirchen wurden seit Beginn der Eroberungszeit der Madonna geweiht, ein Teil davon entwickelte sich zu Wallfahrtsorten. Zu den wichtigsten Gnadenstätten der Hauptstadt Santiago zählen „Nuestra Señora de la Merced", „Nuestra Señora del Socorro" und „Nuestra Señora de Lourdes". Im Mapuchegebiet stehen die Heiligtümer der „Rosenkranzmadonna" in Dallipulli, „Unserer lieben Frau von der unbefleckten Empfängnis" in Boroa, „Unserer lieben Frau de Candelaria" in Rahue und der von P. Barnabas an der Panamericana, 8 km südlich von Temuco, bei Metrénco erbauten Autobahnkapelle „Nuestra Señora del Tránsito". Seit dem 16. Jahrhundert hört man immer wieder von Marien-Erscheinungen. Ebenso wie Santiago, St. Jakob, half die Madonna den Spaniern in der frühen Kolonialzeit bei ihren Kämpfen gegen die Indianer, wie es in den Quellen heißt. Ihre Erscheinung blendete z.B. während einer Schlacht die Mapuche so, daß die schon fast unterlegenen Truppen der Weißen die
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quen eine Kapelle zu bauen. Es sollte sofort nach der nächsten Ernte geschehen. Er wurde jedoch schwerkrank und hilflos wie ein Kind, verlor den Verstand und starb in geistiger Umnachtung. Da meinte nun P. Siegfried: „Mit einer Portion Schneid könnten Sie vielleicht die Familienangehörigen dafür gewinnen, das Gelübde einzulösen". Nun, Schneid hatte ich damals mit meinen 31 Jahren unbändig viel. So machte auch ich der Gottesmutter ein Versprechen, ihr in Calafquen einen Gnadenthron zu errichten. Kaum war ich mit der Gesundheit wieder einigermaßen auf dem Damm, begann ich mit meinen Pastoralbesuchen bei den Erben. Don Florencio war der reichste. Bei ihm fing ich an. Er war auffallend gut zu mir und gab mir einen Scheck von 2000 Pesos. Damit konnte ich das ganze Bauholz kaufen. Er sagte mir, er sei zwar nicht bigott, aber kernkatholisch. Und sein Glaube sei auf Grund eines schrecklichen Erlebnisses jetzt noch viel fester als früher. Es sei ihm vor kurzem mitten in der Nacht, früh um 3 Uhr, sein bester Freund David erschienen; er stand an seinem Bettrand und sagte: „Ich habe dir einmal ganz fest versprochen, zlu dir zu kommen, wenn ich vor dir sterben sollte. Jetzt bin ich da und sage dir: Es gibt ganz sicher eine Ewigkeit und diese Tatsache ist sehr ernst zu nehmen". Zuerst habe er an einen Traum gedacht, aber am nächsten Tag durch ein Telegramm erfahren, daß sein Freund David in der Nacht um 3 Uhr gestorben sei. Glücklich ritt ich nach dieser Begegnung zurück zur Mission und übergab P. Siegfried den Scheck, den ich erobert hatte. Dieser konnte es fast nicht glauben und prüfte den Scheck immer Oberhand gewannen. Bei einem anderen Kampf warf die Madonna den Indianern Sand in die Augen. Heute sind vielerorts in Chile Marienstatuen im Freien aufgestellt. Am 8. Dezember, dem Fest Maria unbefleckter Empfängnis, finden große Prozessionen statt, an denen zahlreiche Gläubige, darunter auch viele Mapuche, teilnehmen. In Lateinamerika, von Mexiko bis Argentinien, wird die Gottesmutter bei vielen Indianervölkern mit einheimischen Gottheiten identifiziert. Der Himmelsgott der Mapuche hat als Gattin eine Himmelsgöttin zur Seite. (H.S./R).
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wieder, ob er denn doch gültig und richtig ausgestellt sei. Mußte aber dann doch feststellen: er ist gültig und echt. Mein zweiter Besuch galt Don Florencios Bruder Leo. Vor ihm hatte ich ein bißchen Angst: denn ich wußte, daß dieser Herr seinem Vater in jungen Jahren beim Landraub fest geholfen hatte, und daß er die Indianer bis in die Seele hinein verachtete. Sein Haß galt auch in besonderer Weise P. Siegfried. Er wußte, daß an ihm die Indianer einen Anwalt und väterlichen Freund hatten. Wenn er mit seinem Pferd durch den weiten Fundo ritt, hetzte Leo ihm die großen Rassehunde nach. P. Siegfried konnte sich vor den bissigen Bestien nur durch seine Gewandtheit im Reiten retten. Aber seit dieser Zeit waren schon viele Jahre vergangen. Als ich zu ihm kam, war er schon etwas reifer und phlegmatisch geworden. Zudem hatte er in seiner zweiten Ehe eine gute Frau gewonnen, so daß er endlich das Betrügen und Stehlen bleiben ließ. Seiner frommen Frau zuliebe wollte er sogar unmittelbar neben seinem Haus auch noch ein Kapellchen bauen lassen. Er bat mich, für dieses Kapellchen einen Plan zu machen, und beim Abschied gab er mir einen Scheck von 500 Pesos. Die gleiche Summe schenkten mir seine Schwester und sein Schwager. Nur ein Familienmitglied gab mir nichts und konnte mir auch nichts geben. Aus Goldgier hatte Don Salomon, so hieß dieser, sein wunderschönes Land verkauft, um nach Goldminen und Bodenschätzen zu graben, die er aber niemals fand, so daß er immer ärmer wurde. Noch einen letzten Pastoralbesuch machte ich bei Don Juan. Er gehörte nicht zu dem obigen Familienverband. Er galt als Gentleman und hatte feinere Handschuhe an. Aber auch sein Herz war vor dem Wahn besessen, den Indianern ihre besten Ländereien abzukaufen. Wie doch der Mensch so unersättlich werden kann! Meistens gingen die Indianer selber in die Falle, indem sie sich bei ihm Geld, viel Geld borgten. Und wenn sie dann das Geld und seine Wucherzinsen nicht mehr zahlen konnten,
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dann bekam Don Juan wieder ein großes, schönes Stück Indianerland. So ging es Jahr für Jahr. Immer wieder verfing sich so ein dummer, armer Mensch in seinem Netz. Und sofort ging Don Juan daran, seinen Palisadenzaun um die neuen Besitzungen stark wie eine Festungsmauer herumzuziehen. Sofort wurde auch die Indianerhütte abgebrochen, und das Feuer fraß wiederum ein Stück Urwald. Aus allem bis zum letzten Quadratmeter wollte er fruchtbares Land machen. Schon im zweiten Sommer wogte dann dort ein neues, riesengroßes Weizenfeld. Don Juan, berauscht von seinem Erfolg, hielt sich geradezu für allmächtig. Bei einem Indianer jedoch konnte er nichts erreichen, und gerade dessen Land ersehnte er mit allen Fasern seines Herzens. Es war ein Pech für Don Juan, daß dieser Indianer sehr nüchtern und sehr fleißig war und seinen Besitz wie ein heiliges Familienerbe hütete. Dieses Stück Land war auch außerordentlich fruchtbar und lag wunderschön am Strand des Panguipullisees. Und nun sollte sich die gleiche Tragödie wiederholen, wie damals im Alten Testament zwischen dem König Achab und seinem stillen Nachbarn, dem kleinen Bauern Naboth, der seinen Weinberg um keinen Preis verkaufen wollte 166 . Eines Morgens war der Indianer mit seinem Einbaum in den See hinausgerudert, um einen Verwandten drüben am andern Ufer zu besuchen. Wie ausgemacht, wollte er am frühen Nachmittag wieder zuhause sein. Schon stand die Frau mit ihrem Kindchen am Strand, um ihren Mann zu erwarten. Der See lag ganz ruhig da, sodaß der Vater umso leichter rudern und vorwärtskommen konnte. Aber ausgerechnet an diesem Nachmittag kam der Vater nicht zurück. Die Frau schickte die Kinder heim zum Abendessen. Sie selber blieb am Seeufer und wartete stundenlang auf die Rückkehr des Vaters. Sie wartete auch noch, als die Sonne schon blutrot wie noch nie untergegangen war. Am nächsten Tag, vom leichten Morgenwind getrieben, kam der Einbaum umgekippt leer ans Ufer zurück. 166 3 Könige 21,2ff. (R).
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Es wurde darüber viel geredet und gerätselt. P. Siegfried aber wußte es: Hier war ein gedungener Mörder am Werk, der einen Unfall vortäuschen einen Unfall. Nach zwei Jahren wogte auch auf diesem Indianerfeld goldener Weizen, der dem Don Juan gehörte. Es war der letzte Landerwerb dieses Gentleman. In seinem Leben ging eine Änderung vor sich. Er wurde seines Besitzes nicht mehr froh. Krebs und Würmer fraßen an seinem Herzen. Als ich Don Juan kennen lernte, war er bereits ein gebrochener Mann, vom nahen Tode gezeichnet. Er gab mir 700 Pesos. Es war ein Bußgeld für seine Sünden und zugleich eine Bitte an unsere liebe Frau, ihn in der Stunde seines Todes nicht zu verlassen. Nach all diesen Bettelgängen fehlte mir nur noch eine kleine Summe zur Deckung meines Kosten Voranschlages. Vom HitlerDeutschland war damals nichts zu erwarten. Darum machte ich mich in Gottes Namen und mit dem Segen meines Missionspfarrers daran, als Letztes in einem „Fechtturnier" die Wohn- und Geschäftshäuser in vier wichtigen Straßen der Stadt Temuco abzuklopfen. Es kostete mich eine große Überwindung. Mir war zum Erbrechen übel. In Panguipulli waren es bekannte Leute und unsere Pfarrkinder. Dort aber mußte ich lauter unbekannte Menschen anbetteln. Doch ich überwand den Widerwillen und sagte zu mir: „So, jetzt, Bub, nimm dir ein Herze und geh heran an den Feind!" So fing ich denn herzhaft in der Großstadt mit meinem Bettelgang an. Die Leute waren gut und selbst dann, wenn ich nichts bekam, rücksichtsvoll und vornehm. Nur einmal trat ich in ein Wespennest. Wie überall bot ich sofort nach der Begrüßung mein selbstgemachtes Muttergottesbild an. So machten es auch unsere alten Sammelbrüder, um das Gespräch in Gang zu brigen. Diesmal aber kam ich schlecht an, denn ich war in das Haus eines fanatischen Sektierers geraten. Er wurde vor Schimpfen knallrot im Gesicht und hieß mich einen Götzendiener und
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einen Bilderanbeter. So legte ich halt eine andere Schallplatte auf und erzählte ihm von unseren 110 internen Indianerbuben in Panguipulli und von den vielen Schulen auf dem Campo, die von den Kindern der Armen besucht werden. Ich sagte ihm, wie notwendig diese Missionsschulen seien, daß mit bloßer Schulbildung ohne Moral und Gottesfurcht lediglich intelligente Gauner großgezogen werden. Menschen, die von Glaube und Religion nichts wissen wollen, graben sich selber das Wasser ab; denn eines Tages werden die Religionslosen über die Besitzenden herfallen und ihnen alles wegnehmen, wie wir es dann tatsächlich später im kommunistischen Allenderegime erlebten. Das sah er auch vollauf ein; und so nebenbei sagte ich ihm, das Bilderverbot habe nur bei den Juden im Alten Bund gegolten. Sie durften keine bildliche Darstellung von Gott machen; denn durch solche Bilder vom unsichtbaren Gott bestand die Gefahr, in den Götzendienst des Heidentums zu verfallen, wie es die Verehrung des „goldenen Kalbs" in der Wüste bewiesen hat. Seit Christus sichtbar erschienen ist, hat dieses Verbot den Sinn verloren. Darum haben die ersten Christen an die Wände der Katakomben das Bild vom guten Hirten und Maria, seiner Mutter, sowie Petrus und Paulus gemalt. Für die einfachen Leute, die nicht lesen konnten, wurden im Urchristentum und im Mittelalter die Bilder aus der Heiligen Schrift das Buch, in dem sie lesen konnten. Der Sektierer wurde schließlich ganz handsam, ja sogar nett, und lud mich freundschaftlich zum Mittagessen ein. Ein anderes Mal geriet ich in eine sehr peinliche Situation, ohne es zu ahnen. Es war gut, daß ich es nicht wußte. Ich kam in ein großes Haus und wurde von einer Dame respektvoll aufgenommen. Wie immer sprach ich von meinem Anliegen und bot dieser Dame mein Marienbildchen an. Sie entfernte sich damit für ein paar Minuten und kam dann mit zwei weiteren Damen und einem Geldgeschenk zurück. Sie erbat sich noch 10 weitere Marienbildchen für ihre Freundinnen. Daraufhin entfernte ich mich wieder, immer noch nicht ahnend, wo ich war. Erst viel später
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wurde mir ein Licht aufgezündet: ich war bei den „Schwestern" jener stadtbekannten Sünderin im Evangelium, von welcher der Herr sieben Teufel ausgetrieben hat. Bei allem Abscheu vor ihrem Gewerbe erfaßte mich doch Mitleid mit ihnen. Möchte das Marienbildchen für sie zum Segen geworden sein! Auch ihr Geldgeschenk wurde in die Marienkapelle hineingebaut. Sicher hat Maria, die Zuflucht aller Sünder, diese Ärmsten nicht vergessen. Bei meiner Rückkehr nach Panguipulli übergab ich meinem Obern, P. Siegfried, das Sammelergebnis. Es reichte hin, um das Fehlende im Kostenanschlag zu decken. Der Bau wurde begonnen. Unsere Liebe Frau bekam einen, wenn auch bescheidenen, Gnadenthron in Calafquen. Es war mein erstes Kirchlein, das ich baute, zu meiner ganz besonderen Freude, ein Marienkirchlein. Ein Erkundigungsritt „P. Barnabas, da ist ein Bischofsbrief für Sie", sagte mein Oberer, P. Siegfried, als ich auf mein Zimmer gehen wollte. „Was ist da wieder passiert? Herrscht irgendwo dicke Luft oder ist wieder einmal Feuer unterm Dach" ? Jedesmal, wenn der Bischof die Buchstaben besonders groß und zackig macht, ist etwas los. Ich gab den Brief P. Siegfried wieder zurück mit der Bitte, ihn gleich zu öffnen. Gespannt lasen wir beide: „P. Barnabas, kommen Sie sofort zu mir und zwar schon morgen. Ich muß mit Ihnen unbedingt etwas besprechen. Es muß etwas geschehen, denn in letzter Zeit dringen viele Sektenprediger in unsere Mission ein, und sie haben es besonders auf Panguipulli abgesehen, weil dies für sie eine vielversprechende Mission sei. Die dortige Zone ist seit kurzem dem Verkehr erschlossen, und Panguipulli ist ein aufstrebender Ort, von dem sie sich viel versprechen. Wie ich soeben erfuhr, haben diese Sekten bereits in Licanray ein Missionszentrum aufgemacht, und zwar direkt gegenüber unserer Missionskapelle".
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P. Siegfried schaute mich fragend an. Was tun? Ich konnte nur den Kopf schütteln. Keiner wußte momentan eine Antwort. Wir wußten nur: Hier muß etwas geschehen. Bevor ich zum Bischof ging, wollte ich mich auf jeden Fall persönlich von der Lage überzeugen. Kurz entschlossen, sattelte ich am nächstem Morgen in aller Frühe, als noch die Sterne am Himmel standen, mein Pferd, um nach Calafquen und Licanray zu reiten. Zuerst ließ ich das Pferd im Schritt gehen; dann aber gab ich ihm die Sporen und galoppierte dahin, so weit es der Weg zuließ. Dazwischen hinein ließ ich meinen Gaul wieder etwas ausschnaufen, trieb ihn aber dann wieder an; denn ich hatte einen weiten Weg vor mir. Immer noch lagen die weiten Felder und Wälder in dichten Nebel gehüllt. Endlich, nach zwei Stunden Ritt, lag vor mir der See von Calafquen. Die Sonne erhob sich im Osten und tauchte ihre Strahlen in die Fluten des Sees. Im Nu waren die noch traumbefangenen Inseln und Buchten aus ihrem Schlummer geweckt. In gleißendem Licht reckte sich nun auch der riesige Vulkan von Villarica zur Höhe mit seinem weißen Hermelin um seine majestätischen Schultern. Wahrlich das Abbild eines Seraphs, der in Ehrfurcht und Anbetung vor seinem Schöpfer steht. Wie ein Morgenopfer schickte er aus seinem glühend heißen Herzen ein zartes, lichtdurchwirktes Rauchfähnchen hinauf zum Himmel. Es war mir, als hielt in diesem Augenblick die Schöpfung ihren Atem an, um dem Schöpfer ihr Morgenlied zu singen. Mir selber war beim Anblick dieser Naturschönheit und dieses Lobpreises auf Gott ganz feierlich zumute. Doch ich durfte mich dieser Stimmung nicht überlassen. Ich mußte mich losreißen, ich mußte weiter nach Licanray und dann zur nächsten, schrecklich weit entfernten Bahnstation, um noch am gleichen Abend meinen Bischof anzutreffen. Schon bald umfing mich wiederum das geheimnisvolle Dunkel des Urwaldes, wo alles noch wie im Schlaf befangen war. Eine weltentfernte Stille erfüllte den dichten Wald, nur hin und
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wieder durchbrochen vom Lockruf eines Vogels. Der Weg war holperig und teilweise sumpfig, so daß mein Pferd nur langsam vorwärtskam. Mit der Zeit wirkte diese Totenstille fast beklemmend. Umso mehr freute ich mich, als sich endlich eine Lichtung zeigte und das Ende des Waldes ankündigte. Alsbald erblickte ich die weit verstreuten Indianerhütten. Mein treues Pferd bekam wieder Mut, zog wieder kräftig an, und im Galopp kam ich bald nach Licanray, von wo mich aus der Ferne das Türmchen der Missionsstation grüßte. Die letzte Wegstrecke hatte ich bald hinter mir. Und nun sah ich es mit eigenen Augen: Die Mitteilung des Bischofs war nicht aus der Luft gegriffen. Gleich gegenüber der Kapelle hatte die „Pastorin" das große Kaufhaus erworben, und auf einem großen Aushängeschild prangte in großen Lettern „Iglesia Evangelica". Die Sache stand schlimmer als erwartet. Sogleich schlug ich den Weg zu einem katholischen Indianer, namens Kaurapan, ein. Seine Söhne waren bei uns im Internat erzogen worden, und seitdem war er ein guter Freund der Mission, vor allem von P. Siegfried. Ich wurde mit der üblichen Gastfreundlichkeit der Indianer empfangen, wurde sofort zum Mittagessen eingeladen, und bei dieser Gelegenheit zog ich auch Erkundigungen ein über den Einfall der Sektierer. Zu meinem Erstaunen und Schrecken zugleich merkte ich, daß dieser alte Mann hinter der Sache gar nichts Schlimmes fand. Er sagte mir rund heraus: „Padre, ich bin katholisch und ich gehe auch weiterhin in unsere katholische Kapelle, wenn dort einmal im Monat eine Messe gefeiert wird: aber die Woche hindurch gehe ich zweimal zur Unterhaltung in den Betsaal der Pastorin. 0 , da ist es unterhaltsam: Die Pastorin hat eine ganz moderne Lichtmaschine aus England mitgebracht und dazu ein Harmonium. Und dann hat die Pastorin aus England auch noch ein junges, schönes Mädchen mitgebracht, und das kann so wunderbar singen wie ein leibhaftiger Engel".
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Mit kindlich entwaffnender Aufrichtigkeit sagte er dann: „Padre, ich weiß, es sollte nicht so sein, daß ich aus Verliebtheit dauernd zum Gottesdienst dorthin gehe. Bin ich doch schon ein alter Kerl. Aber, lieber Pater, seien Sie mir deswegen nicht bös"! Dann legte er die Hand aufs Herz und beteuerte feierlich: „Da drinnen bleibe ich katholisch bis zum Sterben, darauf können Sie und mein alter Freund P. Siegfried sich verlassen". Was wollte ich bei solcher Offenheit noch lange diskutieren! Es fehlte mir auch die Zeit, einen langen Palaver aufzuziehen, so ganz bedächtig und langsam nach Indianerart. Ich mußte fort, um noch zur rechten Zeit meinen Zug nach Valdivia zu erreichen, wo der Bischof mich für den heutigen Abend erwartete. Da mein Pferd vom langen Ritt schon müde war, erbat ich mir vom Indianer ein neues; denn ich mußte noch 55 km bis zur Bahnstation zurücklegen. Der gute, alte Indianer gab mir als Zeichen seiner Gewogenheit sein bestes Pferd. Da war das Reiten eine wahre Lust und Freude. Auch der Weg war besser als am Morgen. Nur mehr kleine Wälder und fast lauter Wiesen und Felder hatte ich zu durchreiten. Die Natur überbot sich an reizenden Bildern. Doch heute hatte ich keinen rechten Blick dafür. Die Zeit drängte, und mein Herz war zu sehr betrübt von dem, was ich gesehen und gehört hatte. 0 , hätten wir doch genügend Missionäre, um an solch neuralgischen Punkten besser missionieren zu können! Die Sonne hatte bereits ihr Tagespensum erledigt und neigte sich dem Untergang zu. Die Schatten wurden länger; es wurde düster. Aber noch düsterer war es in meinem Herzen. Ich zermartete mir den Kopf, wie man die Lage in Licanray doch noch retten könnte, während das gute Pferd im Dauergalopp der Eisenbahnstation von Loncoche zujagte. Da es höchste Zeit war, ließ ich mein Pferd auch durch die Straßen des Ortes galoppieren, obwohl dies strafbar war. Doch es war umsonst. Als ich den Kirchplatz überquerte, durchriß ein schriller Pfiff die abendliche Stille. Der Zug fuhr aus dem Bahnhof und paffte ruhig und
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gemütlich seinen Rauch in den abendlichen Himmel. Also, auch das noch! Mutlos stand ich mit meinem Pferd da. Den ganzen Tag war ich um die Wette gerannt, und jetzt war alles für die Katze. Was wird sich der Bischof denken, wenn ich trotz seiner dringenden Einladung nicht komme! Trotz aller Hoffnungslosigkeit ging ich in den Bahnhof und erkundigte mich, ob noch ein Zug nach Valdivia führe. Man sagte mir, es käme in Bälde ein Güterzug; mit dem könnte ich fahren und käme dann nachts nach Valdivia. Schnell übergab ich mein Pferd einer befreundeten Familie und begab mich dann zum Bahnhof, um auf diesen Zug zu warten. Das Dienstpersonal nahm mich freundlich auf. Der Schaffner bot mir gleich seinen gepolsterten Sitz an und dann sagte er zu mir schmunzelnd, fast in einem geheimnisvollen Ton: „Padrecito, lieber Pater, Sie sind gerade recht gekommen. Wir haben nämlich im anschließenden Waggon eine Wunderquelle entdeckt. Da läuft statt Wasser ein ganz feiner, guter Wein heraus. Sie müssen mit uns dem lieben Gott für diese gute Gabe danken! Und natürlich müssen Sie davon auch genießen". Mir war gar nicht recht wohl zumute; denn der Wein war aus einem Faß im Güterzug gestohlen, und ich sollte bei dieser Lumperei mitmachen! „Verzeihen Sie", sagte ich, „ich habe einen weiten Ritt hinter mir und habe einen nüchternen Magen. Da tut mir der Wein nicht gut". Der Schaffner nahm ohne Widerspruch meine Entschuldigung an und war keineswegs wegen meiner Abfuhr verschnupft. Aber bei der nächsten Haltestelle, wo wir längeren Aufenthalt hatten, kam er wieder zu mir mit einem sauber eingewickelten Brathuhn und einer großen Tüte Semmeln. „So, und jetzt, mein lieber Pater, essen Sie fest, damit Sie etwas in Ihrem leeren Magen haben! Und dann machen Sie mir die Freude und trinken auf meine Freundschaft"! Mir verschlug es die Sprache, setzte aber dann, so gut ich konnte, eine freundschaftliche Miene auf. Wie sollte ich diese spontane Herzlichkeit zurückweisen?
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Ich aß das ganze Brathuhn auf und alle Semmeln dazu, so daß ich fast ins Schwitzen kam; denn das wußte ich, daß ich nur mit einer guten Utnerlage den Wein vertragen konnte, der aus jener „Wunderquelle" stammte. Solche Leute muß man gern haben! So war wiederum das Band der Freundschaft mit einem Chilenen fest geknüpft. Wie herzlich diese Freundschaft war, zeigte sich, als wir um Mitternacht am Bahnhof Valdivia ankamen. Der Schaffner packte mich auf einmal ganz energisch bei meinem Kapuzinermantel und sagte: „So, und jetzt folgen Sie mir in mein Haus und übernachten Sie bei mir!" Ich wollte ablehnen, aber er bestand auf seiner Einladung: „Sie werden doch nicht um Mitternacht beim Kloster anläuten wollen? Mit solchem Spektakel stören Sie bloß Ihre Mitbrüder im Schlaf. Bei mir daheim ist das ganz anders, denn da wartet meine Frau auf mich". So blieb mir nichts anderes übrig. Ich folgte ihm in sein Haus und schlief bei ihm auf seinem Sofa bis in den frühen Morgen. Beim ersten Hahnenschrei verließ ich das Haus und wartete dann vor der Kapuzinerkirche, bis der Pförtner die Türe öffnete. Die Kapuziner schmunzelten und staunten nicht wenig, als ich so früh den Chor betrat, wo sie zur Betrachtung versammelt waren. Sofort nach dem Frühstück rief mich der Bischof auf sein Zimmer und dann hieß es im Kommandoton: „P. Barnabas, Sie müssen sofort in Licanray eine Schwesternwohnung bauen und dazu einen großen Schulsaal! Als zweiten Schulsaal kann man den Kapellenraum benützen. Ich selber werde diesen Bau finanzieren, damit Sie sofort damit beginnen können. Bis zum Schulanfang muß das Schwesternhaus bezugsfertig sein. Es werden drei Schwestern dorthin kommen, die ich selber bestimmen werde; eine wird den Haushalt besorgen, die zweite übernimmt die Schule und die dritte nimmt sich um die Kranken an, die in der Gegend der Pflege bedürfen. Nebenbei wird sie auch noch Missionsärztin sein. Ich war selber als junger Missionär in Licanray und darum ist mir an dieser Missionsstation so viel ge-
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legen. Leider habe ich keinen eigenen Missionär für Licanray; dafür müssen die Schwestern einspringen. Sie sollen in Liebe und Geduld den Indianern das Evangelium verkünden. Wir müssen einen Damm aufrichten gegen die amerikanischen Sektierer, und darum müssen Sie noch viele Schulen im Missionsgebiet von Panguipulli bauen. Die Sektierer haben es ganz auf Panguipulli abgesehen, das jetzt plötzlich dem Verkehr erschlossen wurde und das durch seinen Holzreichtum zum gelobten Land der Holzausbeuter geworden ist. Diese Ausbeuter bringen eine Menge von Holzarbeitern mit sich, um die wir uns anzunehmen haben. Außerdem verlange ich von Ihnen, was ich vom alten P. Siegfried nicht mehr verlangen konnte, daß Sie das Pfarrgebiet von Panguipulli mit einem Netz von Schulkapellen überziehen, so wie es Rom von mir fordert". Das war ein Arbeitsprogramm für volle zwanzig Jahre. Tatsächlich war ich dann genau zwanzig Jahre in Panguipulli stationiert und war buchstäblich der Bauknecht Gottes im Auftrag meines Bischofs für die Indianermission in der Araukanie. Ich sah darin den Willen Gottes, und so machte ich mich mit Feuereifer an die Arbeit, in Rekordzeit die Missionsstation in Licanray zu bauen. Tagelang stand ich im Sägewerk, um das Bauholz auszuwählen, auf Ochsenkarren zu verladen und an Ort und Stelle zu bringen. Zum Glück hatte ich einen tüchtigen Zimmermann gefunden, der so tapfer Zugriff, daß ich mich beeilen mußte, um das nötige Bauholz beizubringen. Ich schwitzte mir das letzte Fett vom Leib und hatte oft keine Zeit, beim alten Indianer Kaurapan zu Mittag zu essen. Gewöhnlich mußte geröstetes Mehl, das ich in kaltem Wasser auflöste, als Essen genügen. Erst am späten Abend hatte ich dann Zeit zum Essen und zum Ruhen. Wie ein alter Vater forderte mich der Indianer auf, fest zuzulangen, was ich mir nicht zweimal sagen ließ; denn ich hatte schrecklichen Hunger. In seiner Familie zeigte sich der Segen unserer Missionsarbeit: seine Söhne waren bei den Kapuzinern erzogen, hatten das Arbeiten gelernt, waren fleißig in Wald und
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Feld und verdienten so viel, daß sie sich neben ihrer alten Hütte ein geräumiges Wohnhaus erstellen konnten. Die Kenntnisse, die sie bei unserem Schreinermeister Bruder Innozenz 167 gewonnen hatten, waren ihnen bei diesem Bau sehr zustatten gekommen. Gerne erinnerten sie sich an ihre Lehrzeit auf der Missionsstation, wie auch der alte Kaurapan gern von seinem Freund P. Siegfried sprach. Ihm und mir zulieb blieb er auch während der Bauarbeiten dem Gottesdienst der Sektierer fern, was für ihn ein großes Opfer bedeutete. Denn an bestimmten Tagen strahlte der Betsaal der Sektierer wie ein Leuchtturm in die Nacht hinaus; so grell war er mit elektrischem Licht erhellt, eine Attraktion für die Leute, die noch nirgends ein elektrisches Licht hatten. Dazu kam noch die Musik, das bezaubernd schöne Mädchen mit seinem Sirenengesang. Das alles wirkte wie ein anziehender Magnet auf sein altes Herz. Ich mußte dies dem alten Kaurapan hoch anrechnen, daß er bei mir blieb und mir Gesellschaft leistete. Denn ein wenig Unterbrechung und Abwechslung für das tägliche Einerlei wäre das sicher gewesen. Zu meiner größten Freude und Genugtuung wurde das Schwesternhaus fahrplanmäßig fertig. Sofort fuhr ich ins Mutterhaus nach Purulon, um die drei Schwestern abzuholen, die schon mit Ungeduld und apostolischem Eifer auf ihren ersten Posten warteten. Der nächste Tag, ein Sonntag, war für die Einweihung durch den Bischof bestimmt. Es war mein schönster Tag in meinem Leben als der Bischof nach der Weihe das Allerheiligste in den Tabernakel übertrug und das ewige Licht entzündete. Der Bischof nannte das neue Schwesternhaus ein neues Nazareth, von wo aus die Liebe des göttlichen Heilandes in die ganze Umgebung hinausgetragen werden müsse. Als wir hernach beim Mittagessen beisammensaßen, zeigte sich der Bischof fröhlich und gesellig wie noch nie. Unter den anwesenden Männern dankte ihm ein Familienvater, daß nun die Kin167 Bruder Innozenz (Martin) Sponbrucker von Viehhausen (Stadt Rottenburg a.d. Laaber; Diözese Regensburg) (1866-1956) (R).
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der hier auch eine Missionsschule besuchen könnten. Ein Indianer dankte dem Bischof, daß er hierher eine Krankenschwester versetzt habe. Die Kranken seien jetzt nicht mehr so verlassen wie früher. Auch der alte Kaurapan sprach noch Worte des Dankes, daß der Bischof hierher gekommen sei. Er war überglücklich, vor allem auch, weil er neben der Krankenschwester zu sitzen kam und diese sich in feiner Weise gerade mit ihm unterhielt, so daß er einen guten Ersatz für jenes singende Mädchen hatte. Der Bischof reiste nach dem Mittagessen sofort ab. Ich aber mußte noch bleiben. Denn es sollte über den Fluß Lican, gleich neben der Schulkapelle noch eine Brücke gebaut werden. Dieser Fluß war im Sommer sanft und seicht, schwoll aber im Winter of schnell zu einem reißenden Strom an, eine große Gefahr für die Kinder, die auf ihrem Weg zur Schule diesen überqueren mußten. Zwei große Bäume waren bereits gefällt und geschält. Sie lagen am Flußufer und mußten nun über den Fluß gezogen werden. Am nächsten Morgen ging ich mit dem Knecht des alten Kaurapan zum Weideplatz, um zwei Paar Ochsen einzujochen. Mit diesem Gespann zog ich die Balken über den Fluß. Um die Mittagszeit hatten wir das Schwerste geschafft. Noch aber lagen die beiden Stämme zu weit auseinander. Wir mußten sie durch die Ochsen näher aneinanderfügen. Dem Knecht dauerte die Arbeit zu lange. Er stieß dem einen Ochsen seinen spitzen Ochsenstachel so jäh ins Fleisch, daß dieser sich überstürzte und das Genick brach. Was sollte ich nun tun? In der sommerlichen Hitze wäre das Fleisch schlecht geworden. So ritt ich in der ganzen Gegend herum und machte den Fleisch Verkäufer. Die meisten waren bereit, Fleisch zu nehmen, wollten aber erst später zahlen. Damit war aber dem alten Kaurapan wenig gedient. Er sollte sofort entschädigt werden. Er verlangte auch keinen allzu hohen Preis, aber den Schaden wollte er ersetzt bekommen. Mir blieb nichts anders übrig, als zum Bischof zu reiten. Dieser war nicht wenig erstaunt, daß ich schon wieder bei ihm auf-
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tauchte. Zum Glück für mich wirkte noch die Freude vom letzten Sonntag nach. So gab er mir ohne weiteres das Geld und trug mir noch viele Grüße auf, auch für den alten Indianer. Bei dieser Gelegenheit wagte ich nun, meinen längst gehegten Wunsch auszusprechen: Der Bischof möchte doch die vor 30 Jahren aufgegebene Missionsstation Conaripe abermals besetzen, damit ich von dort aus das ganze von lauter Indianern besiedelte Land um den Calafquensee missionieren könne. Diese ehemalige Station Conaripe liegt am Ende des Sees. Rundum mitten von den Bergen der Anden umgeben, ähnlich wie das bekannte Sankt Bartholomä am bayerischen Königssee. „Ja", sagte der Bischof, „wenn Sie mir den See mit noch drei Schulkapellen einfassen, dann bin ich gar nicht abgeneigt, Sie als Missionär in Conaripe einzusetzen. Ich selber war ja dort als junger Missionär stationiert. Vorerst aber trachten Sie, die Sägewerke und Holzfabriken dafür zu gewinnen, Holz zu beschaffen, damit Sie für die vielen Arbeiterkinder Missionsschulen bekommen. Und dann, wenn Sie das große Missionsgebiet von Panguipulli missioniert haben, werde ich von Herzen gern Ihren Wunsch erfüllen". Mit dieser frohen Hoffnung kehrte ich nun endlich wieder heim nach Panguipulli zum alten P. Siegfried, der schon mit Sehnsucht auf mich wartete und mich von Herzen willkommen hieß.
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Die neue Missionsschule in Culan B a r n a b a s Gutknecht Don Adolfo bittet u m eine Missionsschule „Grüß Gott, mein lieber Pater Barnabas. Seien Sie willkommen. Ich freue mich, daß Sie heute noch gekommen sind. Ich bin eigens lange aufgeblieben, um auf Sie zu warten. Und dann habe ich ebenfalls das Essen für Sie warm gestellt. Besorgen Sie nun schnell das Pferd. Geben Sie ihm einen Haufen Heu und Hafer. Das arme Tier hat es wirklich verdient, bei diesem schrecklich weiten Ritt. Kommen Sie sofort zum Essen in die warme Küche und dann trinken wir zusammen ein Glas Wein. Das Fest muß gefeiert werden". „Was für ein Fest", fragte ich erstaunt. „Ich werde es Ihnen dann schon sagen, warum ich heute überglücklich bin, und auch Sie werden sich darüber von ganzem Herzen freuen." Damals war ich gerade noch vor Mitternacht von der am weitesten entfernten Außenstation, weit drunten im Flachland, nach Panguipulli heimgekehrt. Ich war so an die 50 km weit geritten und war sehr müde. Aber bei dem so selten freundlichen Empfang war mir alle Müdigkeit vergangen. Und dann war ich so gespannt auf die große Neuigkeit. Schnell versorgte ich mein treues Pferd und ging dann in die Küche. Und nun erzählte mir P. Siegfried 1 6 8 die Ursache seiner übergroßen Freude. Am gleichen Tag hatte ihn ein deutscher Kolonist besucht mit Namen Adolf Riedemann. Dieser Herr wohnte im letzten Zipfel unseres pfarrlichen Missionsgebiets, ganz weit weg im tiefsten Urwald, weit drinnen in den Anden, am Fuß des Teufelsberges, eines längst erloschenen Vulkans. Dort sagen sich auch heute noch die Pumalöwen in jener letzten tiefen Einsamkeit gute Nacht. Schon zwölf Jahre lang hatte sich der deutsche Kolo168 P. Siegfried (Alois) Schneider von Frauenhäusl (1868-1954); von 1903 bis 1950 Pfarrer in Panguipulli ( R ) .
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nist geplagt und hatte aus dem Urwald durch ständiges Roden ein wunderschönes Weideland gewonnen. Es war eine wahre Augenweide, den Erfolg von so viel Arbeit anzusehen. Anfänglich hatte er nur ein kleines Stück Land gehabt, das sein Vater einem Indianer abgekauft und ihm als „Morgengabe" gleich nach der Hochzeit übergeben hatte. Als er vor der Heirat noch daheim bei seinen Eltern wohnte, war er ganz versauert und von seiner Mutter wegen seiner Behinderung sehr verhätschelt worden. Er war ein rechter Stubenhocker. Dies ging seinem regsamen Vater schrecklich auf die Nerven. Darum hatte er ihn von daheim in das Bergland von Culän weit fortgeschickt. Sein Vater sagte es ihm in seiner ganz massiven Art immer wieder: „Einen Pudel muß man in das Wasser werfen, sonst lernt er nie das Schwimmen. So wird in gleicher Weise auch der Mann am Rand der Welt im Urwald erst ein rechter Kerl, der sich allein zu helfen weiß. Alle weichen Muttersöhnchen soll der Teufel holen." Der Vater hatte recht. Bald schon merkte er zu seiner großen Freude, daß sein Sohn im Urwald sich zu helfen wußte: Ingrimmig biß er sich durch alle Anfangsschwierigkeiten hindurch, so wie die Ratte, von Hunger getrieben, sich durch die dicken Bretter beißt. Dann verschaffte ihm der Vater, von P. Siegfried unterstützt, eine staatliche Genehmigung, vom herrenlosen Urwald 500 Hektar Land zu roden. Nach zwölf Jahren hatte er es nun geschafft. Zum Glück hatte der Urwald sehr viele Edelhölzer, eine wahre Goldgrube für ihn. Mit dem rationellen Abbau und Verkauf der Edelhölzer konnte der Sohn alle Arbeiten finanzieren, ohne seinen Vater anbetteln zu müssen. So hatte er den schönsten Landbesitz im Umkreis weit und breit. Natürlich fehlte es ihm bei den benachbarten, einheimischen Kolonisten nicht an Neidern. Auch sie hatten die gleichen Möglichkeiten gehabt wie der deutsche Kolonist. Aber in ihrem Unverstand hatten sie aus dem Urwald kein Kapital geschlagen, weil sie radikal die Wälder niederbrannten, ohne zuvor das beste Holz herauszuholen. So war aus dem einstigen Stubenhocker ein überaus tüchtiger Bauer
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geworden. Er war selbstbewußt und stolz auf seine Leistungen. Nur fiel er leider zu sehr in das gerade Gegenteil von früher: Er war ganz besessen von einer wahren Arbeitswut, war hart und herrisch mit den Arbeitern auf seinem Fundo. Sein Herz war zum größten Teil auf der Bank bei seinem großen Guthaben, das sich Tag für Tag und Jahr um Jahr vermehrte. Das Geldanhäufen wurde seine Leidenschaft. Und das machte ihn so geizig. Darum wollte er auch aus Sparsamkeit seine beiden Mädchen nicht in das teuere Pensionat bei den deutschen Schwestern nach Valdivia schicken. Dies war der große Herzenswunsch seiner Frau gewesen. Er aber sagte: „Die Kinder sollen nur die ersten Jahre zum Landlehrer in die Schule gehen". Freilich war er mit dem Landlehrer nicht zufrieden. Er war ein fanatischer Sektierer und, was ihn besonders ärgerte, ein eingefleischter Kommunist, ein richtiger Hetzapostel unter den benachbarten Indianern, die er immer wieder beim Stehlen in seinem Land erwischte. Nun war zu seiner geheimen Schadenfreude die Landschule abgebrannt, und zwar 19 Tage vor dem Schulanfang. Es war keine Aussicht mehr, daß die Indianer wieder eine Schule bauen könnten. Auf jeden Fall verlor der verhaßte Lehrer für ein Jahr die Möglichkeit zu unterrichten. Das war für den deutschen Kolonisten eine willkommene Gelegenheit, eine katholische Missionsschule zu errichten. P. Siegfried sollte ihm einen katholischen Missionslehrer verschaffen, und er wollte als Schulsaal ein leerstehendes Haus in seinem Fundo bereitstellen. In zwei Wochen konnte das Haus so weit hergerichtet werden, daß noch zur rechten Zeit der Schulunterricht beginnen konnte. Das war sein Anliegen, das ihm auf der Seele brannte. Darum war er auch so eilig nach Panguipulli geritten. P. Siegfried war damit einverstanden. Er versprach dem deutschen Kolonisten seine Mithilfe: Vier große Fenster, eine kräftige Doppeltüre, einen Tisch mit Stuhl und eine große Schultafel aus der Missionsschreinerei. Die einfachen Schulbänke wollte Don Adolfo selber in seinem Fundo machen lassen. Dazu erbot sich P. Siegfried, mich zu ihm zu
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schicken. Dort sollte ich den Umbau leiten und nebenbei auch noch die Indianerfamilien besuchen, um die Schulkinder in das neue Schulregister einzutragen. „Jetzt wissen Sie, warum ich heute so zufrieden bin", sagte P. Siegfried. „ D a bekommen wir auf diese Weise eine neue Missionsschule, ohne daß unsere arme Missionskasse zu stark belastet wird. So und jetzt trinken wir zusammen ein Glas Wein und dann muß ich Sie recht herzlich bitten, morgen schon in aller Frühe nach Calafquen zu reiten, um dort noch den Anschluß zu dem kleinen Schleppdampfer zu bekommen, der schon vor sieben Uhr zum gegenüberliegenden Ufer nach Conaripe fährt. Von dort aus sind es noch zwei Wegstunden nach Culän zum Haus des deutschen Kolonisten. D a geht es Ihnen gut. D a brauchen Sie sich nicht wie in Pucura abrackern und Hunger leiden wie ein Kuli. D a werden Sie in Liebe aufgenommen; auch ist seine Frau sehr katholisch und zugleich eine gute Köchin." Wie konnte ich auch meinem lieben alten Padrecito seinen Wunsch abschlagen! Mein Einwand gegen den Kolonisten Nur sagte ich zu P. Siegfried, daß ich eine große Abneigung gegen Don Adolfo fühle, der mir so schrecklich unsympathisch sei. Schon oft war ich ihm bei meinen vielen Reisen begegnet. Jedesmal machte er mir den Eindruck eines wilden, rohen Menschen. So ein himmellanger Kerl, immer mit dem scheußlich großen Revolver im Gürtel, immer in der allergrößten Hetze galoppierend, steif und herrisch wie hinaufgeschraubt auf seinen Riesengaul. So oft ich ihn getroffen hatte, habe ich freundlich grüßend den Hut respektvoll vom Kopf genommen, er aber nie. Er hatte als Gegengruß für mich nur so eine lässige Handbewegung: Ein hochmütiger, widerlicher Mensch! In seiner Herzensgüte erzählte mir nun P. Siegfried, um Don Adolfo zu verteidigen, die traurige Vorgeschichte dieses Mannes, dem die schweren, widerlichen Lebensumstände ohne sei276
ne Schuld auch einen widerlichen Charakter gaben. Aber das, sagte P. Siegfried, sei nur die rauhe Schale bei seinen vielen guten Eigenschaften. „Don Adolfo ist ein armer, menschenscheuer Krüppel. Deshalb hat er so viele Hemmungen. Durch die Inzucht der deutschen Kolonisten, die vor 130 Jahren nach Valdivia kamen, hätte der arme Mensch das Pech gehabt, als elender Krüppel auf die Welt zu kommen. Er ist nicht dumm. Er war ein guter Schüler. Aber seine Mitschüler auf der deutschen Schule hatten ein grausames Spiel mit ihm getrieben und ihn zur Zielscheibe ihres Spottes gemacht. Das hat ihn so menschenscheu werden lassen. An schulfreien Tagen sperrte er sich verbittert in sein Zimmer ein und las die Romane von Karl May. Da er sich selbst so unnütz und unbeholfen fühlte, berauschte er sich an fremden, wilden Abenteuern. Später hat er in der Werkstatt seines Onkels das Handwerk eines Zimmermannes gelernt. Dort ging es ihm genau so schlecht trotz seiner großen Tüchtigkeit. Vor allem sind es seine borstigen, feuerroten Haare, die zum Spott reizen. Wie ein brennender Dornbusch stehen sie ganz steil auf seinem Kopf. Darum trägt er tagsüber immer den Hut auf dem Kopf und nimmt ihn auch beim Grüßen niemals ab, außer daheim beim Essen. Und dann hat er auch zu seinem Leidwesen so ein schrecklich lächerliches Gangwerk. Er watschelt wie eine Ente. Dazu hat er einen häßlich großen Klumpfuß, unförmig wie ein Pferdehuf. Im Mittelalter wäre es ihm zur Zeit des Hexenglaubens ganz gewiß sehr schlecht gegangen. Da hätte man bei ihm ganz sicher die Vaterschaft dem Teufel selber zugeschrieben. Der arme Mensch! Man muß wirklich Mitleid mit ihm haben. Um diesen körperlichen Defekt zu verdecken, reitet er den lieben, langen Tag auf seinem Land herum. Da schaut er auf seinem Gaul schneidig und herrschaftlich aus, so wie ein Zentaure, so ganz verwachsen mit dem Pferd, zusammengeschmolzen zu einer unteilbaren, eindrucksvollen Größe. Als Jungmann hatte er natürlich auch den Frauen gegenüber schwere Hemmungen. Nur einmal hat er mit einem deutschen
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Kolonistenmädchen angebandelt. Aber die gab ihm voll Verachtung einen Korb. Seitdem war es Schluß damit. Die Brautwerbung bei Fräulein Carmen Da suchte nun für ihn sein Vater eine Braut. Er wollte ihm ja möglichst bald den Laufpaß geben. Die Wahl fiel kurzerhand auf die junge Carmen, die Tochter der Haushälterin seines Bruders, eines Hagestolzes und Sonderlings. Dieser hatte seiner Haushälterin zulieb dem Mädchen eine gute Bildung angedeihen lassen. Sie war jahrelang im Internat der deutschen Schwestern eingekauft, war intelligent und vor allem auch wirklich fromm und ungewöhnlich arbeitssam. In ihren ersten Kinderjahren war sie bei ihrer Tante auf dem Land gewesen und hatte das Landleben lieb gewonnen. So versprach sie gerne ihrem Brautwerber, mit seinem Sohn aufs Land zu ziehen und fleißig ihm zu helfen. Insgeheim leckte sie sich die Finger ab bis hinauf zum Ellenbogen, einen so vermögenden deutschen Kolonisten als Mann zu gewinnen und auf diese Weise selber eine Fundobesitzerin zu werden. Voll Freude begleitete sie ihren Mann in seine Einsamkeit im Fundo von Culän. Fleißig und mutig ging sie an die Arbeit. Sie war stolz auf ihr Hauswesen, auf ihre Hühnerfarm und auf ihren ungewöhnlich großen, gepflegten Garten. Da gab es alles: Gemüse in Hülle und Fülle, viele Heilkräuter und auch herrlich schöne Blumen. Die meisten davon gehörten Unserer Lieben Frau von Lourdes. Sie hatte ihre Statue in einen riesengroßen, hohlen Baum am Ende ihres Garten aufgestellt. Dieser Garten war ihr Fundo, da war sie unumschränkte „Großgrundbesitzerin" und Herrscherin. Alle Dienstboten und auch ihr Mann beugten sich vor ihrem Szepter in diesem ihr gehörenden Revier. Auf ihr Drängen hin war auch Don Adolfo zu P. Siegfried gegangen. Sie dachte sich: „Wenn schon mein Mann aus Knauserei unsere Kinder nicht zu den Schwestern in Valdivia schicken will, wo ich aufgewachsen bin, dann sollen Sie
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doch wenigstens in einer katholischen Missionsschule erzogen werden". E s war schon weit über ein Uhr nachts, nachdem mich P. Siegfried in die Lebens- und Familienverhältnisse meines „künftigen Hausherrn" eingeweiht hatte. Nun war mein Herz so ganz voll Mitleid mit dem armen krüppelhaften, reichen Mann. Ich war auch voll Begeisterung für die Gründung einer neuen Missionsschule in Culän, am Fuß des Teufelsbergs. Und dann, j a dann, sollte schon im folgenden Jahr zum Jubel meines Herzens mit dem B a u einer Kapelle begonnen werden, zu Ehren Unserer Lieben Frau von Lourdes. Dann, es war schon schrecklich spät, ging ich zur Ruhe. P. Siegfried wollte mich drei Stunden später wecken, damit ich die Schiffsverbindung in Calafquen j a nicht versäume: Denn sonst hätte ich sechs bis sieben Stunden, rings um den See, nach Culän reiten müssen, an die 55 km. Ein s o n d e r b a r e r T r a u m K a u m hatte ich mich niedergelegt, schlief ich sofort ein. D a hatte ich einen Traum: Schon stand das geplante, liebtraute Bergkirchlein fix und fertig am Fuße des Teufelsberges. Mit seinem schlanken Türmchen wies es wie der Zeigefinger eines Engels hinauf zum Himmel. Im Traum hüpfte mir das Herz vor Freude. D a auf einmal bedeckte sich zu meinem Schrecken der Gipfel des Teufelsberges mit einer pechschwarzen Wolkenkappe, so wie bei einem tätigen Vulkan kurz vor einem Ausbruch. Das wunderte mich sehr. Denn der Teufelsberg war doch seit Menschengedenken ein längst erloschener Vulkan. Vor lauter Angst bekam ich Herzklopfen und wachte auf. P. Siegfried klopfte soeben an meine Zimmertüre und sagte: „ E s ist halb fünf. Der Hausknecht wartet bereits mit zwei gesattelten Pferden auf Sie im Hof unserer Missionsstation, um sogleich mit ihnen nach Calafquen zu reiten". Sofort sprang ich wie ein Feuerwehrhauptmann mit zwei Füßen aus dem Bett und steckte meinen Kopf tief in die Waschschüssel, um den Schlaf zu verjagen. 279
Hinaus in die Ferne In zehn Minuten war ich fertig, und schon stürmten wir zum Tor hinaus; zuerst im Trab und, als wir das Dorf zurückgelassen hatten, im scharfen Galopp. Soeben hatte sich der milde Mond, müde vom vielen Wachen, zur wohlverdienten Ruhe zurückgezogen. Umso strahlender schauten die stillen Sterne mit ihren klaren Augen auf uns herab, auf unseren Marathonritt in Richtung Calafquen. Für eine kurze Strecke hüllte uns der Urwald ein. Da wurde es stockfinster wie um Mitternacht. Nur langsam kamen wir voran. Der Waldweg war voller Wurzeln. Aber kaum waren wir erneut auf freiem Feld, da legten unsere Pferde wieder los und galoppierten ihren Marathon zu Ende. So kamen wir gar bald nach Calafquen. Da winkte uns auch schon aus weiter Ferne und doch wie zum Greifen nahe, der Vulkan Villarrica. Er ging uns entgegen wie eine Fee im weißen, königlichem Mantel, das Haupt umsäumt mit einem silberglänzenden Schleier, bereits liebkost von der noch weit entfernten morgendlichen Sonne, die soeben aus den unendlichen Weiten Argentiniens über die Andenberge zu uns in unser liebes Chile herüberwanderte: „Oh lieber Gott, wie bist Du doch so groß in Deiner Schöpfung!" So kam es wie ein Stoßgebet aus meinem Herzensgrund. Mein „Wasserfall" Da zerriß der schrille Pfiff der Schiffssirene die morgendliche Stille. Keine Minute war mehr zu verlieren! Ich sprang vom Pferd, warf die Zügel meinem Begleiter, dem Hausknecht, zu und lief sofort zum Landungssteg. Aber das kleine Dampferchen war eben schon zum großen Schlepper gefahren und spannte sich vor dessen Bug. Es war nur noch der schmale provisorische Laufsteg da, der vom Ufer hin zum Schlepper führte. Dieser Steg bestand aus breiten Bohlen von sieben Meter Länge, die auf großen Holzschragen auflagen und hin zum Schlepper führten. Da, im letzten Augenblick, als ich schon in der Mitte
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war, kam aus dem Bauch des Schleppers eilends der Schiffsjunge auf mich zu, um noch am Ufer die beiden Ruder des Rettungsboots zu holen. Um ihm auszuweichen, setzte ich einen Fuß auf die Schräge, dorthin, wo die beiden Bohlen aufgelegt waren. Dabei verlor ich das Gleichgewicht und -plumps, plumps- da lag ich schon im Wasser bis zum Hals. Mein Habit bauschte sich auf wie ein Fallschirm und dämpfte meinen Fall. Der Kapitän, ein deutscher Kolonistensohn, wetterte und fluchte auf deutsch und spanisch. Er brüllte den Schiffsjungen an, weil er meinte, er allein sei schuld an meinem Fall. Aber die Schuld traf mich, weil ich durch den raschen Ritt in der nächtlichen Kühle steif und starr geworden war. Ich bat den Schiffsjungen, der ganz verdattert vor mir stand, er möge mich bei der Hand nehmen und über den schwankenden Laufsteg zum Schiff hinauf begleiten. Ich wußte, daß der Junge der Sekte der Wiedertäufer angehörte. Und so sagte ich zu ihm im Spaß: „So jetzt werde ich auch von eurer Sekte als Glaubensbruder angenommen, weil ich durch dich die Wiedertaufe erhalten habe. So bin ich nun von heute an Dein Patenkind." Der Kapitän bat mich in aller Form, ich möchte den Vorfall entschuldigen. Und dann sagte er zu mir auf deutsch: „So, mein lieber Pater, Sie gehen jetzt hinunter in meine Kajüte und legen sich sofort ins Bett. Ich gebe Ihnen ein Hemd zum Wechseln, und dann trocknen wir Ihren Habit und Ihre Unterwäsche im Maschinenraum". Das tat ich gerne. Bald darauf kam der Kapitän noch zu mir in die Kajüte und brachte mir einen ganz besonders starken Matrosengrog. Wie flüssiges Feuer lief er in meinen Magen. Mir wurde warm und ich schlief ein. Da merkte ich gar nicht, daß ein Heer von Ungeziefer über meinem Bette krabbelte. Erst nach fünf Stunden, als aufs neue die Schiffssirene heulte, wachte ich auf und sah diese unliebsamen Käfer. Ich schüttelte all die ekelhaften Biester aus dem Habit und der Unterwäsche und zog mich eilends an. Dann ging ich aufs Deck. Wir waren schon im Hafen von Pucura. Von dort fuhren wir nach
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Conaripe. Das war die Endstation der langen Fahrt. Ich ging zum Kapitän und setzte mich neben seinen Kommandoplatz. Er war schon ungeduldig durch die langweilige Fahrt. Mir aber war dieses langsame Fahren gerade recht, um auf dieser letzten Strecke all die .Herrlichkeiten der Gebirgslandschaft in meine nach Schönheit dürstende Seele hineinzutrinken. Linkerhand stand das schneebedeckte Bergmassiv des Vulkans Villarrica. In Macht und Majestät hob er sein ehrfurchtsgebietendes weißes Haupt in den tiefblauen Himmel. Da haben wir Missionare aus dem lieben Bayernland immer und überall die Farben von unserem Fähnlein vor Augen: weiß und blau. Und dann, im Hintergrund über dem niedrigen Hügel von Conaripe, grüßten die ewigen Wälder der Anden wie ein grünes, wogendes Meer. Und überall in dieser unendlich-wogenden, grünenden Pracht leuchteten in unsagbarer Herrlichkeit die glitzernden Firnen des Quetrupillan. Schließlich kamen wir in Conaripe an. Ich verabschiedete mich dankend vom Kapitän und besonders herzlich auch von meinem Wiedertäufer, dem Schiffsjungen. Bald kam ich zur Missionsstation von Conaripe, wo ich zur großen Freude der Missionsschwestern die heilige Messe feierte. A u f zum deutschen Kolonisten in Culan
Nach dem Mittagessen schnallte ich mir den Rucksack mit den Meßsachen auf den Rücken und marschierte nach Culan. Genau um vier Uhr kam ich an. In echt deutscher Pünktlichkeit saß Don Adolfo mit Frau und Kindern beim Kaffeetrinken im Speisezimmer. Zum Glück war ich durch den genauen Bericht von P. Siegfried über Don Adolfo und seine Behinderung bereits informiert. So tat ich, als ob ich von all seinem körperlichen Elend gar nichts bemerkte. Er hob seinen Hut: da war wirklich Feuer auf dem Dach. Und dann richtete er sich mühsam auf, um mir die Hand zu geben, wobei sein ganzer Körper sich ruckweise drehte. Der arme Mensch! Es war eine Bewegung wie bei einem 282
Stöpselzieher. Er machte auch zur Begrüßung eine fröhliche Grimasse. Da wurde er erst recht zum Ausbund aller Häßlichkeit. Er hatte ein ganz ordinäres Gesicht voll von Sommersprossen, dazu einen ungewöhnlich breiten Mund und darüber eine erschreckend große Hakennase, spitz und kantig wie der Zinken einer Sonnenuhr. Nach dem Kaffee, den Frau Carmen mit ausgesuchter Freundlichkeit servierte, lud mich Don Adolfo ein, sofort mit ihm zum Haus zu reiten, das für die Schule bestimmt sei; denn er müsse am nächsten Tag in aller Frühe schon zum Viehmarkt nach Villarrica reiten. Schnell wurden zwei Pferde gesattelt, und dann ritten wir zu zweit dorthin. Ich kam mir vor wie der kleine unscheinbare Knabe David neben dem übergroßen König Saul, meinem Gastgeber, der herrschaftlich und machtbesessen auf seinem riesengroßen Leibroß saß. Bald waren wir dort angelangt. Das Haus war ziemlich geräumig und ergab nach Herausnahme der Zwischenwände einen genügend großen Schulsaal. Nach der Besichtigung des Hauses lud mich Don Adolfo noch ganz besonders freundlich zu einem Rundrtitt durch den großen Wald mit seinen vielen Rodungen ein. Zuerst führte er mich dorthin, wo gerade seine Arbeiter am Roden waren. Es war ein riesengroßer Platz. Die wertvollen Holzstämme waren bereits weggefahren. Er ging nun daran, bei den großen stehengebliebenen Stöcken der Urwaldriesen die Wurzeln abzuhacken. Dazu war im weiten Umkreis um den Stock ein Graben gezogen. Nach dem Abhacken der Wurzeln ringsherum, mußten dann die Ochsen mit einem Drahtseil die schweren Stöcke aus der Grube herausreißen und zur Feuerstelle transportieren. Das war eine harte Arbeit für Mensch und Tier. Oft brachen dem armen Ochsen beim ruckweisen Ziehen die Horner ab. Früher, als Don Adolfo noch wenig Ochsen hatte, war. ihm einmal ein Joch Ochsen verendet, buchstäblich hatten sich die Tiere beim starken Anziehen das Genick gebrochen. Aber jetzt hatte er viele und ganz große Ochsen. Da war die Arbeit nicht mehr allzu schwer. Das ganze
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weite Feld mit den vielen Löchern schaute aus wie ein mit Bomben übersätes Land. Wir ritten dann noch weiter durch mehrere Waldlichtungen. Schließlich kamen wir zu den schönsten Plätzen. Das waren die Erstlingsfrüchte seiner schweren Arbeit vor zwölf Jahren. Es waren herrliche Wiesengründe, auf denen große Rinderherden weideten. Wie ein Feldherr nach gewonnener Schlacht schaute Don Adolfo stolz über sein, dem Urwald abgerungenes Weideland. Ich wünschte ihm von ganzem Herzen Glück zu all dem herrlichen Erfolg. Er freute sich sichtlich über mein Lob, sowie ein Kind, dem seine Schulaufgabe gut gelungen war und nun vor der ganzen Klasse den ersten Preis bekam. Don Adolfo hatte wenig Freunde, wohl aber viele Neider. Beim Heimwärtsreiten erzählte er mir von seinem harten Anfang. Er erläuterte mir dann in allen Einzelheiten die verschiedenen Methoden der Urbarmachung und der rationellen Arbeit. Voller Stolz sagte er: „All das verdanken wir unseren Vätern und unseren deutschen Technikern. Die haben uns das beigebracht. Darum hatten wir auch den Erfolg. Die chilenischen und erst recht die eingeborenen indianischen Kolonisten hätten keinerlei Methode bei der Arbeit. Bei denen wird halt auf gut Glück nur so drauf losgewurstelt. Wenn es gut geht, ist es recht, und wenn es schlecht geht, ist es Pech". Da merkte ich, daß bei Don Adolfo der Stolz auf seine Leistung und auf seine deutsche Herkunft so eigentlich die Religion seines Herzens war: der höchste Wert auf dieser Welt. Doña Carmen Als wir ins Haus zurückgekehrt waren, erwartete uns bereits die Hausfrau zum Abendessen. Alles war aufs allerbeste hergerichtet, wie bei einem Familienfest: ein schönes Tischtuch, von ihr selbst gestickt, das feine Tischgeschirr und die vielen Blumen in der Mitte und dazu noch eine Flasche von einem ganz erlesenen Wein. Wie ein junges Mädchen freute sie sich über unser freudiges Erstaunen und unsere restlose Anerkennung. Ich sprach 284
das Tischgebet und dann setzte ich mich ganz feierlich an den Tisch wie bei einem festlichen Gelage. Frau Carmen bediente uns mit spontaner Freundlichkeit und schenkte uns die Gläser ein. Sie erzählte uns dann auch von ihren Mädchenjahren im Internat bei den deutschen Schwestern in Valdivia. Dort habe sie das Kochen und Servieren gelernt. Wie ich merkte, hatte sie es darin zur Meisterschaft gebracht. „Schon im Kloster", sagte sie mit unverhohlenem Stolz, „servierte ich im großen Speisesaal den Schwestern. Und dann durfte ich auch den Pater bedienen, wenn er aus dem nahen Kapuzinerkloster zum Messelesen kam und hernach das Frühstück zu sich nahm. Und am allgemeinen Beichttag durfte ich ihm auch das Abendessen servieren. Da bekam ich jedesmal vom Pater ein schönes Bildchen. Oh, das war ein lieber Pater, so herzensgut und väterlich. Alle seine Bildchen habe ich in einer weißen Schachtel aufgehoben. Beim letzten Mal gab er mir ein ganz besonders schönes Bildchen von der heiligen Martha, der Hausfrau von Betanien. Da wurde der Heiland immer so lieb aufgenommen, sodaß er sich so recht zu Hause fühlte. Darum hat er auch in seiner Dankbarkeit ihren Bruder Lazarus von den Toten auferweckt. Da schrieb er mir zum Andenken noch ein Verslein drauf: ,Wer den Armen und den Gästen gern serviert, wird vom Heiland selber dafür honoriert'". Sicher, so meinte sie, war der Kapuzinerpater, ein Heiliger mit seinen frohen hellen Augen und seinem freundlich lieben Lächeln, so voll Sonnenschein, und wahrer Herzensgüte. Denn so viel Liebe könne nur vom lieben Herrgott kommen, den der Pater sicherlich in seinem Herzen trug. Nach dem Abendessen machten wir es uns auf dem alten Kanapee gemütlich. Das war ein altes Möbelstück noch aus der ersten Zeit der deutschen Pioniere, die 1848 nach Chile kamen. Damals, im großen Revolutionsjahr, ging in Europa alles drunter und drüber. Alle die kleinen deutschen Duodezfürsten unterdrückten mit ihrer absolutistischen Tyrannei ihre armen Untertanen. Da suchten viele und gerade meist die besten Elemente
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eine mehr freiheitliche Heimat in Übersee. So erhielt Valdivia, die Geburtsstadt von Don Adolfo, durch die deutschen Kolonisten das Antlitz einer regsamen deutschen Stadt. Darauf war Don Adolfo über alle Maßen stolz, sogar zu stolz. Aus diesem Stolz und dieser Überheblichkeit heraus kritisierte er auch viel zu scharf die Chilenen, ohne sich diesen Fehler einzugestehen. „ S o soll auch mein Fundo", sagte er, „für alle Siedler und Kolonisten ringsherum ein Musterfundo werden, ein Beispiel dafür, was doch wir Deutsche so tüchtige Kerle sind. Die Nachbarn werden dann vor Neid ganz gelb anlaufen, wenn alle meine Pläne einmal verwirklicht sind." Aller A n f a n g ist schwer Er war 1919 nach Culän gekommen, wo er sich als erster Kolonist in diesem wilden Winkel mitten in den Urwald wagte. Die Indianer waren damals immer noch feindselig. Sie vertrauten blind auf ihren besten Bundesgenossen, den undurchdringlichen Urwald, und ließen keinen staatlichen Vermessungsbeamten in ihr Revier. Sogar die Militärs hatten einen heillosen Respekt vor den hiesigen Indianern, die mit ihren Lanzen und ihren gefährlichen Fangseilen leidenschaftlich ihre Herrschaft in Culän verteidigten. Das Gleiche wußte ich von P. Siegfried. Er erzählte mir eine Begebenheit, die für die damalige Anfangszeit der Kolonisten sehr bezeichnend war. Einst kam im höchsten S t a a t s a u f t r a g ein Offizier mit einer Gruppe von Soldaten, angetan mit Säbel und Gewehr, in die Missionsstation von Panguipulli zu P. Siegfried, um ihn zu begrüßen und ihn über die Wegverhältnisse von Panguipulli bis hin zum Andenpaß nach Argentinien auszufragen. Bereitwillig zeichnete dann P. Siegfried eine Skizze über die Wege durch die Waldtäler bis zum Andenpaß. Der Offizier überbot sich in Zeichen seiner Dankbarkeit. Dann sagte er zum Pater so ganz im Vertrauen: „Diese Ihre Skizze reicht für mich vollständig, um sie beim Kriegsministerium vorzulegen. Warum soll ich mich da noch selber schinden und vielleicht gar noch 286
den rebellischen Indianern in ihrer grünen Urwald-Hölle in eine Falle geraten? Er blieb dann noch eine Zeitlang im kleinen Hotel des deutschen Kolonisten Angermeier. Er machte sich ein paar gemütliche gute Tage und kehrte dann wieder in seine Garnison zurück. Don Adolfo hielt sich viel darauf zugute, daß er mutiger war als jener chilenische Offizier. Nachdem sein Vater mit Hilfe von P. Siegfried, der mit dem alten Kaziken Punalaf befreundet war, ein kleines Stück Land in Culän erworben hatte, war er mit zwei Hausknechten in diese Bergeinsamkeit gezogen. Er hauste ein Jahr lang in einer ganz primitiven Holzhauerhütte. Die Ritzen waren mit Lehm ausgestrichen. Später baute er ein einfaches Blockhaus für sich und seine Frau, die er erst nach einem Jahr zu sich holte. Später dann, als er bereits eine Gattersäge hatte, baute er mit Liebe und Sorgfalt ein richtiges Holzhaus: mit Brettern gut verschalt und mit Schindeln gedeckt. Zur Sicherheit umgab er dann den großen Hof mit einem Palisadenzaun. Die dicken Baumstämme von 2,80 m waren einen Meter tief in die Erde eingegraben. Die Umzäunung maß einhundert Meter im Geviert und hatte ein schweres, ganz massives Tor davor. Das ganze schaute aus wie die Umwallung einer Festung. Leider sollte diese Umzäunung eine schlimme Rolle spielen. Anstatt die Familie vor den wilden Pumalöwen und den noch wilderen Indianern zu beschützen, wurde dieser Palisadenzaun für seine Familie fast zum Verhängnis. Noch lange saßen wir beisammen. Immer neue Projekte besprach er mit mir. Für mich aber war das liebste Projekt, das mich am meisten interessierte, das geplante Kirchlein, das er schon nach der nächsten Ernte bauen wollte. Das sollte allen Nachbarn zeigen, daß er nicht bloß einen Stall und eine Scheune bauen konnte, sondern auch einen Kunstbau: ein feines, hübsches Bergkirchlein. Da wurde mir mein Herz ganz warm, voll froher Hoffnung. Ich malte mir im Geiste schon das Kirchlein aus; klein und fein, ein trautes Türmchen auf dem Dach und
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gleich daneben, seitlich angebaut, für mich noch eine kleine Klause. Das würde ein stilles Plätzchen geben. Da könnte ich in dieser Gotteseinsamkeit so ganz von Herzen innig beten, mich so ganz in Gott vergraben und in Gott zu neuem Leben auferstehen. Oh, wie ist es schön, sich dem Träumen hinzugeben und in Zukunftsplänen zu schwelgen! Aber leider sollten meine Träume alle Annehmlichkeit und Freude für mich verlieren vor der grauen, grausam harten Wirklichkeit, die schon bald meinen Träumen den Garaus machen sollte. Die große Sorge der Doña Carmen
Es war schon reichlich spät nach Mitternacht, als wir beide uns eine gute Nacht wünschten und uns zur Ruhe begaben. Als ich am nächsten Morgen erwachte, schien mir bereits die Sonne ins Gesicht. Ich wusch mich schnell, dann ging ich in die Küche und bat die Hausfrau um Entschuldigung, daß ich so lange geschlafen hatte. „Oh, das tut Ihnen gut. Sie haben gestern zu meiner Sorge so müde und so angegriffen ausgeschaut. Nehmen Sie nur sogleich ein kräftiges Frühstück." Ich aber wollte zuvor im Speisezimmer die hl. Messe lesen. Da bat sie mich von Herzen, die hl. Messe bei diesem schönen Wetter vor ihrem „Lourdesheiligtum" zu lesen bei dem hohlen Baum in ihrem Garten. So schleppte ich sofort mit dem Hausknecht den schweren Tisch hinaus und stellte ihn vor der Marienstatue auf. Bald kam auch die Frau noch nach. Sie hatte ihre Sonntagsschürze angelegt und brachte auch die beiden Mädchen mit. Sie stellten sich neben ihre Mutter und falteten fromm ihre Hände. Nach der hl. Messe nahm ich in der Küche mein Frühstück ein. Hernach ging es im Laufschritt zu dem für die Schule bestimmten Haus. Der Schreinermeister mit seinen zwei Gehilfen war schon fleißig an der Arbeit, um die Zwischenwände abzubauen. Auch ich half dabei mit, so gut ich konnte. Das Mittagessen war dann wieder ein Bankett. Hernach servierte mir die Frau einen sorgsam zubereiteten köstlichen Kaffee 288
und setzte sich zu mir zum Plaudern. Ich merkte es ihr sofort an, daß sie ein großes Anliegen auf dem Herzen hatte. Zuerst bat sie mich bei schönem Wetter die hl. Messe immer vor ihrer „Lourdesgrotte" zu lesen. Sie habe, sagte sie zu mir, das allergrößte Vertrauen in die liebe Gottesmutter. Ihr habe sie sich für ihr ganzes Leben anvertraut und auch ihren Mann mit Leib und Seele anempfohlen, seine Seele, daß er doch gläubiger würde und nicht bloß wie ein Maulwurf in der Erde wühle, und dann auch seinen Leib und sein Leben, daß ihn die liebe Gottesmutter behüten möge auf allen seinen Wegen. Sie sorge sich so sehr um sein Leben in dieser großen Einsamkeit. Er hätte auch so viele Neider, deren Neid er selber durch sein Protzen andauernd provoziere. Jedesmal wenn ihr Mann nach Villarrica zum Viehmarkt reite, hätte sie so schrecklich Angst um ihn. Man könnte ihm am Heimweg auflauern und ihn erschlagen. Sowohl bei seiner Ankunft in Villarrica als auch vor seiner Heimreise kehre er jedesmal in eine Wirtschaft ein. Diese Wirtschaft habe in der ganzen Gegend, weit und breit, den allerschlimmsten Ruf. Sie sei eine Räuberhöhle, eine Spelunke des Satans und ein Schlupfwinkel für Verbrecher. Dort kehrten auch die Goldwäscher ein, die beim Wirt ihr Gold verkaufen. Diese Goldwäscher seien ganz schlimme Kerle, der Abschaum der Menschheit. Dort bei diesem Wirt kaufe ihr Mann dann jedesmal Goldkörner. Da hinein stecke er die Hälfte des Geldes, das er am Viehmarkt vom Verkauf seiner Tiere einnimmt. In der Bank wolle er nicht alles Geld hinterlegen, sondern nur die Hälfte. Er habe Angst, es könnte einmal einen Bankkrach geben und er dabei sein ganzes Geld verlieren. Wenn er dann mit seinen Goldkörnern nach Hause kommt, sei er jedesmal ganz fiebrig vor lauter Sorge um sein Gold. Seine Augen flackerten dann in einem Feuer, vor dem ihr angst und bange werde. Da sei er dann wie vom Goldrausch besessen. Zum Glück trinke er im Wirtshaus niemals Alkohol, schon aus lauter Sorge, man könnte ihn beim Kauf und Verkauf betrügen. Beim Essen begnüge er sich
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dort aus lauter Pfennigfuchserei mit einem Armeleutegericht. Das sei die famose Tuttifruttisuppe: Eine dicke, undefinierbare Brühe, abscheulich stark gepfeffert, damit die armen Teufel, die sich nichts Besseres leisten können, nicht merken, daß darin nur minderwertiges Fleisch schwimmt. Das gibt natürlich schrecklich Durst. Das freue den Wirt, der sich darüber insgeheim die Hände reibe; denn dann saufen die meisten wie die Bürstenbinder und geben für den Suff den letzten Pfennig aus. Ihr Mann habe für das Trinken Gott sei Dank nichts übrig. Erstens schon aus Sparsamkeit, und dann habe er Angst davor, weil in seiner Verwandtschaft zwei Personen am Säuferwahn gestorben sind. Darum trinken sie zu Hause für gewöhnlich nur den Honigwein, den er selber zubereitet. Aber sie habe mit dem Ankauf von Gold bei dem verrufenen Wirt immer schrecklich Angst. Diesen Wirt, den hat der Teufel am Genick. Und ausgerechnet dieser Teufelskerl solle nach dem Wunsch meines Mannes der Taufpate werden für ihr Töchterchen. Aber dagegen habe sie sich mit Händen und Füßen gewehrt. Der hätte ihr die Hölle in das Haus gebracht, ein ganzes Regiment von Teufeln. Denken Sie sich nur. Dieser Mensch ist ein ganz gemeiner Halsabschneider. Er zahlt den Goldwäschern in barem Geld. Die Hälfte wird den Kunden wieder für den Wein abgenommen, den sie in seinem Wirtshaus trinken. Auf diese Weise fördert er ganz skrupellos das Laster und die Armut. Da gab es einen Indianer, der beim Goldwaschen viel Erfolg hatte. Er fischte eine Menge Goldkörner aus dem Bach, gleich neben seiner Hütte. Nun war der arme Kerl so ganz und gar dem Trunk ergeben. Da blieb er oft und oft viele Stunden hintereinander im Wirtshaus hocken, wie angeklebt an seinem Stammsitz, so wie die arme Fliege an dem Honigpapier, ihrer Todesfalle. Wenn er dann wieder einmal so ganz toll und voll besoffen war, dann legten sie den armen Kerl in die Kleiekammer beim Schweinestall. Eines Tages hatte er wieder einmal so einen Bombenrausch und
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lag bewußtlos in dem Schweinestall. Da sagte der Wirt zu seinem Bruder: „Nun hat sich dieses Indianerschwein total chloroformiert. Da leisten wir uns einen Spaß mit ihm". Er nahm ein im Feuer angeglühtes Markierungseisen, das für die Kennung der Tiere bestimmt ist, und brannte ihm eine Marke in sein Sitzfleisch. Wie schrecklich! Das sind Untermenschen und bei diesen Satanskerlen kehrt mein Mann schon seit Jahren immer wieder ein wegen seiner krankhaften Sucht nach dem verdammten Gold. Auch munkelt man über diese beiden Spitzbuben, daß sie Mittäter an einem Mord sind. Das Opfer war ein Chilene. Er hatte einen guten Ruf. Er war ausnahmsweise auch ein guter Christ. Um ein Gelübde zu erfüllen, gab er alljährlich den zehnten Teil seiner Ernte als Kirchenopfer. Er verehrte ganz besonders den Heiligen Sebastian und gab darum sein Kirchenopfer an seinem Festtag ab. 169 Hinter diesem Gelübde stand der Wille, Sühne zu leisten für ein geheim gehaltenes Verbrechen, das schon seit Jahrzehnten ungestraft auf seiner Familie lastete. Auch er wusch Gold in seinem Bach und verkaufte es im gleichen Wirtshaus. Da hatte er nun einmal einen ganz besonders großen Fang gemacht. Freudig trug er all die vielen Goldkörner zu diesem Wirt. Der Wirt sagte zu ihm, er möge diesmal ein bißchen Geduld haben mit dem Zahlen, weil er im Augenblick nicht alles zahlen könne. Der Goldwäscher ließ vertrauensvoll sein Gold im Wirtshaus, ohne eine Quittung zu verlangen. Schon bald darauf fand man ihn ermordet. Beim Goldwaschen hatte man ihn mit einer Gartenhacke von rückwärts einen tödlichen Schlag in das Genick versetzt. Nun zeigten alle Leute mit dem Finger anklagend auf den Wirt, weil sein Hausknecht sofort hernach spurlos verschwunden war. Daher ist es für mich so schrecklich, daß auch mein Mann diesem unheimlichen Wirt vertraut. Darum kann ich gar nicht genug zur lieben Gottesmutter beten. Wie leicht kann, da mein Mann wegen dem verfluchten Gold, an dem das Blut von unschuldigen Menschen klebt, in Gefahr kommen. 169 20. Januar
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Und auch ich mit meinen Kindern bin ständig in Gefahr, weil die Räuber so viel Gold in unserem Haus vermuten. Wie leicht ist es für einen Räuber einen Überfall in dieser großen Einsamkeit zu verüben, wenn mein Mann so oft nach Villarrica reist! Aber er will die Gefahr nicht sehen, weil er vom Glanz des Goldes ganz geblendet ist. Jedesmal wenn mein Mann nach Hause kommt, legt er die Goldkörner in eine leere Konservenbüchse. Dann wartet er bis ich meine Kinder zu Bett bringe. Hernach schleicht er dann sofort in Nacht und Nebel wie ein Dieb hinaus ins Freie, um ganz heimlich die Büchse in einem hohlen Baumstamm zu verstecken, wo es niemand weiß. Vielleicht könnte ihm da ein Lump auflauern und ihn erschlagen. Gott steh mir bei! Ich vermute, daß er die Goldkörner in einem hohlen Baumstamm des Palisadenzauns versteckt, weil er gar so schnell wieder in das Haus zurückkehrt. Aber sicher weiß ich nichts. Schon oft habe ich ihn kniefällig gebeten, er möge doch um Gottes-Christi willen das ganze Geld auf die Bank legen und nichts mehr von diesem gottverdammten Gold nach Hause bringen. Dann wäre keine Gefahr mehr, daß ein Räuber wegen dem verfluchten Gold unser Haus überfällt. Aber all mein Bitten ist umsonst. Da ist gar nichts zu machen. Da bleibt er eisern. Der Geld- und Goldteufel hat meinen Mann schon ganz umgarnt." D i e große G e d u l d s p r o b e der D o ñ a C a r m e n
Wegen seines Geizes ist mein Mann so kauserig mit mir und den Arbeitern: nur recht viel Geld zusammenkratzen und möglichst wenig Geld ausgeben, das ist sein Credo. Wir leben und essen wie die armen Leute. Knickerig und kleinlich wie er ist, schlachtet er gar nie eine Kuh oder gar ein Kalb, nur höchstens so ein altes Schaf, das er nicht mehr gut verkaufen kann. Da ist aber dann das Fleisch schon zäh und ranzig. Auch die Dienstboten und Taglöhner wollen es nicht essen. Wenn wieder einmal so ein Schaffleisch aufgetragen wird, dann fangen sie im Chor so wie die Schafe an zu blöken. Ich schäme mich dabei bis ins Herz hin292
ein; aber meinem Mann ist dieser Protest ganz egal. Da sagt er nur so kaltschnäuzig, sie sollen nur so blöken, die blöden Kerle, die sind genau so dumm wie Schafe. Dieses Pack! So mache ich den Hausknechten am Sonntag wenigstens einen Hühnerbraten aus meiner Hühnerfarm, über die ich selbst verfügen kann. Ich gebe auch den auswärtigen Taglöhnern am Samstag eine Henne mit nach Hause. Sonst wären sie im Stande, mir die Hühner aus dem Stall zu stehlen. Das halten sie für keine Sünde. Ganz im Gegenteil. Sagt man doch in Chile allgemein: „Wer einem Wucherer und Räuber etwas stiehlt, bekommt vom lieben Gott eigens einen Lohn dafür". Leider kann ich mit meinen Hühnern auch nicht allzu freigebig sein; denn ich muß viele Hühner verkaufen, weil mir mein Mann niemals Geld zum Haushalt gibt. Das muß ich alles selber finanzieren. Einmal nur gab es einen Kalbsbraten in meinem Haus. Es war beim Taufschmaus meines Töchterchens. Aber wie das kam, das muß ich Ihnen, lieber Pater, berichten: Damals gab ich unserem Hausknecht ein gutes Trinkgeld mit der Bitte, er möge mit dem Ochsenstachel ein schönes Kalb im Wald in eine nicht zu tiefe Grube treiben, damit es zu Fall käme. Und dann haben wir sofort das Kalb „notgeschlachtet", ohne zuvor meinen Mann über den Unfall zu informieren. So hatten wir doch einmal wenigstens ein komplettes Festtagsessen. Damit habe ich auch die Kritik der eingeladenen Gäste vermieden, die es niemals meinem Mann verziehen hätten, sogar beim Taufschmaus seiner eigenen Tochter knauserig zu sein. Noch heute reden die Gäste und Hausleute von jenem herrlichen Taufschmaus. Schließlich war dann auch mein Mann zufrieden; denn er wußte nichts von meiner List. Er selbst verzehrte die allergrößten Stücke Fleisch mit einem Appetit, als wäre er ganz ausgehungert. Ich schämte mich damals für ihn; denn er schmatzte dabei vor allen Gästen, ganz ungezogen und genießerisch, schlimmer als die Urwaldindianer, die er doch so sehr verachtet.
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Für gewöhnlich ißt er wenig Fleisch und das bloß aus dem einen Grund, um wiederum zu sparen. Immer verlangt er von mir, nur Mehl- und Fastenspeisen zu kochen. Die aber machen immer so viel Arbeit. Das ist ihm aber ganz egal, wenn ich so viel kochen muß. Er denkt eben nur an sich, an sein Geld und an das Sparen. Um seinen Geiz dann zu verschleiern, sagt er immer wieder: ,Meine Mutter daheim hat fast immer nur Mehlspeisen gemacht: Geschnittene Nudeln und Rohrnudeln, Dampfnudeln und gezuckerte Schmalznudeln, oh, das war fein!' Und wenn ich einmal ungeduldig werde und jammere, dann leiert er, um mich zu ärgern, immer wieder den gleichen blöden Reim herunter, so wie ein schwachsinniges Kind es tut: ,Bei meiner deutschen Mutter gab es werktags immer Nudeln, nichts wie Nudeln und am Sonntag, juhe, gab es Apfelstrudel.' Da könnte ich ganz wütend werden. Wir Chilenen essen nun einmal gerne Fleischspeisen. Das Fleisch gibt auch mehr Kraft zum Arbeiten. Das brauchten unsere Arbeiter notwendig, die sich für uns abrackern und das nicht bloß acht Stunden am Tag, sondern vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Das sind im Sommer 14 Stunden. Oft habe ich ihm das vorgehalten. Aber dann wiederholte er mir sein Dogma: ,Mein größtes Kapital ist meine Rinderherde. Das ist mein Reservekapital. Das will ich nicht angreifen'. Ja, damit treibt er Götzendienst und das sind seine Götzen, sein Geld, sein Gold und seine Kühe, die ihm wie dem Inder heilig sind. Nur dann, wenn er sie sündteuer verkaufen kann, merkt man nichts von seiner heidnischen Verehrung für seine dreimalheiligen Kühe. Da gibt er sie ganz gerne her. Wegen dieser Hungerleiderei und der ewigen Kocherei von Mehlspeisen, die mich den ganzen Vormittag in Anspruch nimmt, gibt es immer wieder Streit. Da sagt er dann ganz eiskalt, und das ist der letzte Trumpf: ,Und überhaupt wir Deutsche sind nun einmal sparsam und keine solchen verschwenderischen Fleischvertilger wie die Chilenen. Die stecken alles Geld in gutes Essen und in schöne Kleider. Darum kommen sie auch niemals auf einen
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grünen Zweig. Dann aber schauen sie zugleich ganz gelb vor Neid auf uns Deutsche, die wir durch zielbewußtes Sparen und durch zähe harte Arbeit es aus dem Nichts zu etwas bringen.' Diese lieblose Verallgemeinerung ist eine ganz gemeine Lüge, da könnte ich vor Wut zerspringen. Mit dieser Lüge soll er bei anderen hausieren gehen. Oh, ich kenne diese deutschen Herrschaften zur Genüge! Da macht mir keiner etwas vor. Als Kind war ich in den großen Ferien das Aschenputtel bei dem deutschen Dienstherrn meiner Mutter. Mein Gott, was habe ich nur da alles kochen müssen, von früh bis spät! Vor allem war an Sonn- und Feiertagen für mich das Kochen eine wahre Sklaverei. Das waren für meinen deutschen Hausherrn keine christlichen Festtage, nein, Freßtage waren sie bei ihm! Er war ein Vielfraß erster Größe. Beim Servieren, beim Auftragen und Abtragen der Speisen wurde mir beim Anblick dieses Schlemmers immer angst und bang. Sein Bauch, das war sein Gott, und der Tisch im Speisezimmer war sein Altar. Auf diesem hat er alles geopfert: sein ganzes Geld, die Gesundheit und sogar sein Leben. Alles aß er in riesigen Portionen in sich hinein: süße Suppen, Fleisch und Fisch, einen Berg von Sauerkraut mit Bratkartoffeln und dann noch eine Flasche Wein dazu. Hernach gab es als Nachtisch: starken Kaffee und eine große aufgehäufte Schüssel Schmalzküchlein mit Honig. Das war für ihn, den deutschen Hausherrn, sein Sonntagsgottesdienst. Nach solch einer Schlemmerei schwitzte er als wäre er ein Schwerstarbeiter. Er wurde rot wie ein gesottener Krebs und rang nach Luft und pustete, als ob er schon ersticken würde. Ja, und so kam es einmal dann so weit, was ich so lange schon befürchtet hatte: Es war bei einem Festgelage, das er seinen deutschen Freunden am Nationalfeiertag des Deutschen Reiches gab. Er aß damals mit -noch einem anderen deutschen Vielfraß um die Wette. Plötzlich geriet er in Atemnot. Er riß sein Hemd am Kragen auf und schnappte in Todesnot nach Luft, so wie ein armer Fisch, den eine hohe Meereswelle auf den trockenen
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Strand hinausgeworfen hatte. Er starb auf der Stelle und mußte seinen armen Leib dem Friedhof übergeben, dem Totengräber und hernach den Friedhofswürmern. Ein grauenhaftes Ende für den lasterhaften Prasser! Es ist wirklich wahr: jedes Laster wird von Gott bestraft. Darum habe ich so Angst für das Seelenheil meines Mannes wegen seines lasterhaften Geizes. Und dieses Laster ist noch viel, viel schlimmer als das Laster der Völlerei. So bete ich denn jeden Tag in aller Innigkeit zur lieben Muttergottes, daß sie, die Schlangenzertreterin, ihn aus den Schlingen des Geldteufels gnädiglich befreien möge. Und da müsse Sie, lieber Pater, mir beten helfen." Ich war ganz erschüttert über diesen Bericht der guten, frommen Frau, über die „Seelsorge" für ihren armen, vom Gold verblendeten Mann und über ihr kindliches Vertrauen auf Maria. Eine Gebetserhörung Unserer Lieben Frau von Lourdes Um ihr Vertrauen noch zu stärken, erzählte ich ihr eine offensichtliche Gebetserhörung in unserer Familie: ein Wunder von Unserer Lieben Frau von Lourdes. „Da wollten die Doktoren unserem lieben Vater das Bein oberhalb des Knies abschneiden. Sein Bein war schon ganz schwarz. Im Krankenhaus waren für die Operation die Messer schon geschliffen und auch die schreckliche Säge lag ebenfalls bereit. Da sagte zu ihm meine liebe Mutter: ,Geh, Vater, probier es doch zuerst mit einer Wallfahrt zu Unserer Lieben Frau von Lourdes. Wir alle werden dich mit unserem Gebet begleiten. Verlaß dich drauf. Wir werden beten, bis sich der Himmel biegt'. Mein Vater nahm den Vorschlag an. Auf zwei Krücken gestützt, hinkte er zum Bahnhof und fuhr nach Lourdes. Wir zu Hause gingen jeden Tag zur heiligen Messe und abends beteten wir den Familienrosenkranz. Und das half. Denn wir waren ein ganzes Rudel von einem vollen Dutzend Kindern. Vom kleinsten, das war ich, bis zum größten zierpten wir und zwitscherten und beteten die 50 Ave, und unsere liebe Mutter fügte mit ihrer schönen starken Stimme all unser Beten zu einer 296
Harmonie zusammen, die bis hinauf zum Himmel läutete, bis hin zum Gnadenthron von Unserer Lieben Frau: daß sie doch unseren lieben Vater und Ernährer wieder gesund nach Hause schicken möge. So kam es auch. Er kam gesund zurück ins Vaterhaus. Bald schon baute dann unser Vater aus Dankbarkeit im Hof unseres Hauses eine Lourdesgrotte, die heute noch dort steht. Und von da an beteten wir jeden Samstag den Familienrosenkranz. Auch der Vater, noch viel frömmer als er früher war, betete mit seinem tiefen Baß voll Andacht mit, daß es nur so dröhnte. Das klang wie eine Orgel, fast wie ein halber Kirchenchor. Das ist die schönste Erinnerung aus meiner Kinderzeit." Die gute Frau Carmen weinte vor lauter Rührung. Sie bat mich erneut um mein Gebet für ihren Mann und auch für sie und ihre Kinder, daß doch die liebe Gottesmutter sie vor Mordanschlag und Raubüberfall in ihrem so einsamen Kolonistenhaus bewahren möge. Gern versprach ich der guten Frau, in ihrem Anliegen allabendlich den Rosenkranz zu beten. So machte ich es auch. Noch am gleichen Tag, sofort nach dem Abendessen, zündete ich zwei Kerzen vor der Lourdesgrotte an und betete den Rosenkranz. Auch die Frau mit ihren Kinderchen betete mit mir. Aber schon beim dritten Rosenkranzgesätzlein hörten wir auf einmal das wilde Wiehern des Leibpferds unseres Hausherrn. Sofort eilte die Frau mit ihren Kindern ins Haus zurück. Ich betete allein den Rosenkranz zu Ende und ging dann ebenfalls ins Haus zurück. Im Hofe stand noch das Pferd von Don Adolfo. Ich erschrak zutiefst beim Anblick des Pferdes. Dichte Dampfwolken stiegen auf vom Pferd. Patschnaß und zitternd stand es da, unruhig mit seinen Füßen trippelnd. Es war wirklich, im wahrsten Sinn des Wortes, in Schweiß gebadet. Noch nie hatte ich so ein abgehetztes Pferd gesehen. Am Bauch lief ihm der Schweiß zusammen zu einem Bächlein und tropfte unaufhörlich auf die Erde. Auch seine Brust war von den Schaumflocken, die es immerfort aus dem Maul hervorstieß, über und über bedeckt. Bei diesem Anblick dachte ich mir sogleich: „Da muß dem Pferd und
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Don Adolfo etwas Schlimmes zugestoßen sein". Sofort ging ich in das Eßzimmer. Da saß Don Adolfo auf dem Sofa, ganz verstört und mit irrem Blick. Seine Frau war gerade damit beschäftigt, ihm seine langen Reitstiefel mit den vielen Schnüren auszuziehen, um es ihm bequem zu machen. Hernach brachte sie die Kinderchen zu Bett. Das schreckliche Erlebnis des Don Adolfo Da erzählte mir nun Don Adolfo: „Ich habe heute den größten Schrecken meines Lebens ausgestanden. Auf dem Heimweg von Villarrica her sind mir zwei ganz verdächtige Burschen nachgeritten. Sicher hatten sie eine schlechte Absicht mit mir. Mir wurde ganz unheimlich. Ich war dazu noch ganz allein auf der Straße. So kehrte ich denn auf halbem Weg, dort wo die breite Straße aufhört und der schmale Weg abzweigt, der nach Hause führt, in einem Wirtshaus ein. Ich bestellte eine Tasse Kaffee und unterhielt mich mit dem Wirt über die Getreidepreise und die hohen Gebühren beim Viehverkauf. Bald schon traten auch die beiden Männer ein. Sie verlangten einen Humpen Wein und Brot mit Wurst. Sie redeten nicht viel miteinander, aber schauten immer wieder verstohlen zu mir herüber. Bei ihren unheimlichen Blicken lief es mir abwechselnd heiß und kalt über meinen Rücken. Nach dem Kaffeetrinken verabschiedete ich mich in aller Form vom Wirt. Ganz langsam ritt ich dann, als wenn nichts geschehen wäre, wiederum zum Schein in Richtung nach Villarrica zurück. Ich wollte den Anschein erwecken, als wenn ich nur zu einem Gespräch mit dem Wirt hierher gekommen wäre und wiederum nach Villarrica zurückkehrte. Aber kaum war ich außer Sichtweite vom Wirtshaus, gab ich meinem Pferd die Sporen und sprengte querfeldein und dann durch einen schütteren Wald, bis ich auf weitem Umweg zur Straße kam, die heimwärts führte. Noch nie in meinem Leben bin ich so rasend schnell geritten. Das arme Pferd: Die Schaumflocken flogen ihm nur so vom Maul, und das Pferd war ganz patschnaß vor lauter Schweiß. 298
Auch ich schwitzte am ganzen Körper aus Anstrengung und noch mehr aus Angst. Denn das war mir klar, die beiden Kerle hatten es auf mich abgesehen. Mein Leben hing nur mehr an einem dünnen Faden. Nun werde ich in Zukunft niemals mehr allein nach Villarrica reiten. Mein Hausknecht muß in Zukunft mit mir reiten. Ich werde ihm auch zur größeren Sicherheit einen Revolver kaufen und eine starke Taschenlampe für den Fall, daß uns einmal auf der Reise die Nacht überraschen würde. Heute war es auch deswegen für mich so ganz gefährlich, weil ich am Viehmarkt besonders viele Tiere verkaufen konnte. Das haben diese beiden Kerle sicherlich gewußt. Denn schon auf dem Viehmarkt ist mir einer von den beiden Burschen aufgefallen. Gott sei Dank hatte ich die Eingebung, in dem Wirtshaus einzukehren und die beiden Kerle abzulenken; denn sonst steige ich dort niemals ab. Wenn ich dort im Wirtshaus nicht eingekehrt wäre, dann wären diese Kerle mir nachgeritten und hätten mich im einsamen Waldweg überfallen und erschlagen. Nun glaube ich es doch, daß mir diesmal das Gebet meiner Frau geholfen hat; denn ich merkte eine unsichtbare Macht, die mich unwiderstehlich in das Wirtshaus drängte. Darum werde ich auch endlich den Wunsch meiner Frau erfüllen und ihr aus Stein eine Lourdesgrotte bauen. Und dann habe ich es dem lieben Gott in meiner größten Not ganz fest versprochen, sogleich nach der Ernte mit dem Bau des Kirchleins zu beginnen. Die Schule entsteht
Das Baumaterial kostet mich gar keinen Heller. Ich habe ja Bauholz in Hülle und Fülle. Auch die Arbeit kostet mich nicht viel, weil ich die meiste Arbeit selber leiste. Da benütze ich die ruhige Winterzeit, um all die Hölzer, die Pfosten und Bohlen herzurichten. Das Aufstellen des Kirchleins geht dann schnell voran. Das mache ich im Vorfrühling. Da verliere ich praktisch keine Zeit. Die Zeit ist j a für mich in diesem Jahr ganz besonders kostbar. Ich habe mich bereits zu einem neuen Arbeitsplan verpflichtet.
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Da werde ich eine ganz große Rodung durchführen und sofort nachher eine Aussaat machen; denn dort ist ein ausgezeichneter Boden, das gibt dann eine fabelhafte Ernte, die mir einen großen Batzen Geld einbringt. Ich aber im Vorgefühl der Freude, daß gar bald das Bergkirchlein errichtet würde, reichte ihm freudig dankbar die Hand. Am nächsten Tag half mir auch Don Adolfo selber bei der Arbeit im geplanten Schulhaus. Da merkte ich sofort, daß er ein guter Zimmermann und Schreiner war. Er griff fest bei der Arbeit zu, und was er tat, das hatte Hand und Fuß. Als wir zu zweit dann müde heimwärts gingen, zeigte er mir eine heiße Quelle in der Nähe seines Hauses: „Da können Sie, so sagte er, ganz billig ein Thermalbad nehmen. Und wenn Sie Kneippanhänger sind, haben Sie gleich daneben zum Wechselbad das eiskalte Wasser des Forellenbachs, der hoch oben beim Gletscher am Vulkan entspringt." Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Jeden Abend nach getaner Arbeit ging ich schnell noch vor dem Abendessen dorthin, um ein Wechselbad zu nehmen. Zuerst legte ich mich in das heiße Wasser in einem vom vulkanischen Gestein geformten Bottich und dann stieg ich in den Forellenbach. Da wurde ich dann selber wie eine Forelle frisch und flink. In wenigen Minuten ertränkte ich dort jede Müdigkeit. Ich nahm jedesmal dort fünf bis sieben Wechselbäder. Bei jedem Wechselbad fühlte ich mich um Jahre jünger. So bin ich dort im Bergwinkel von Culän tatsächlich zum zweiten Mal geboren worden. Da war mir pudelwohl und ich konnte wieder springen, wie damals als Lausbub auf dem Berg von München-Obergiesing. Aber auch mein Appetit war der eines Buben, der wegen seines schnellen Wachstums unersättlich ist. Das Dumme daran war nur der Umstand, daß ich dann kein Schlafbedürfnis mehr verspürte. So blieb ich mit dem Hausherrn noch lange nach dem Abendessen auf. Wir plauderten und beschäftigten uns als unverbesserliche Weltverbesserer mit der hohen Politik. So war es immer reichlich spät, bis ich endlich aufstand und vor dem Zubettgehen
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noch zum Rosenkranzgebet zur Grotte ging. Am Samstag war es dann so weit. Die Zwischenwände waren im Haus herausgenommen worden. Der Schulsaal war so ziemlich fertig. Es fehlte nur mehr die Vergrößerung der Fensteröffnungen für die neuen großen Fenster. Ich hatte vor, sie am übernächsten Tag selber in Panguipulli zu holen. Zuerst aber wollte ich am nächsten Tag, dem Tag des Herrn, für alle Umwohner eine Sonntagsmesse feiern. Das sollte einen guten Auftakt geben zum neuen Schuljahr. So stieg ich denn am Samstag nach dem Mittagessen auf das Pferd, um alle Indianer und Chilenen rings herum zur heiligen Messe einzuladen. Am Sonntag verkündete ich dann nach der heiligen Messe den offiziellen Schulanfang. Ich dankte Don Adolfo öffentlich für sein Entgegenkommen bei der Lösung des Schulproblems. Nichts sei ja so notwendig wie die geistliche und religiöse Erziehung, vor allem der Indianerkinder. Sie müssen Spanisch lernen und das Lesen, Schreiben und Rechnen sich aneignen. Das sind die einzigen Waffen für ihre Selbstverteidigung und ihren Fortschritt. Pater Siegfried habe auch aus seiner Liebe zu den Indianern mitgeholfen. Am nächsten Dienstag kämen bereits die Schulfenster und Tafel, Tisch und Stuhl. So könnte dann ganz sicher schon 8 Tage später der Schulunterricht beginnen. Es wäre ja schlimm, ein ganzes Schuljahr zu verlieren. Viele von den Indianern, die mir zuhörten, waren frühere Schüler des Indianerinternats von Panguipulli. Voller Begeisterung applaudierten sie. Nun herrscht bei den Indianern sehr stark der Herdentrieb. Es brauchen bei Versammlungen nur ein paar einflußreiche Indianer für eine Sache Propaganda machen, dann sind die meisten Indianer einverstanden. So hielten sich auch hier die Gegner der Missionsschule, die Sektierer, zurück. Sie hatten keinen Mut, dagegen offen aufzutreten, freilich, um hernach dann trotzdem unterschwellig zu stänkern und zu bremsen. Zu meinem Leidwesen sollte ich dies bald am eigenen Leib verspüren. Nach dem Mittagessen machte ich noch einen Mittagsschlaf. Am nächsten
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Tag wollte ich ganz früh aufstehen, im Boot von Don Adolfo mit seinem Ruderknecht den See bis nach Calafquen durchqueren, um noch am gleichen Tag nach Panguipulli zu kommen. Nach dem Schläfchen nahm ich noch ein Kneippbad im nahen Fluß. Mein großer Schrecken Nach dem B a d schlüpfte ich wiederum in meine Kleider. Da fuhr jählings ein fürchterlicher Schrecken wie ein brennender Blitz durch meinen Leib, mein Herz hörte für ein paar Augenblicke auf zu schlagen, um dann wie rasend mit einem stechenden Schmerz wieder mit dem Schlagen anzufangen. Direkt vor mir raschelte ganz stark und plötzlich das Laub der Sträucher. Ich dachte mir: Jetzt wird in Blitzesschnelle mich ein Pumalöwe überfallen. Da schob sich aber ein mächtiger Indianerkopf aus dem Gebüsch heraus, direkt auf mich zu. Es war Punalaf, der Nachbar und Erzfeind des Don Adolfo. Er machte eine Handbewegung, um mich zu beruhigen. Er habe mich, so sagte er, überall gesucht und möchte mir nur das eine sagen, daß er auf keinen Fall es zulasse, daß auf seinem Land ohne seine Erlaubnis eine Schule stehe. Der damalige Verkauf von seinem Land sei ungültig und die Padrecitos würden, weil sie Ausländer sind, nur dem Don Adolfo helfen, um so durch die Schule dessen Ansprüche auf das Land zu festigen. Es ist die alte List der Kommunisten, die Indianer gegen die Missionäre aufzuhetzen. Ich sagte ihm, daß es sich nur um ein provisorisches Schulhaus handle. Ich wäre gern bereit, im nächsten Jahr das endgültige Schulhaus dorthin zu stellen, wo er es wünsche. Ich würde vorher auch zur Wahrung seiner Interessen zum Indianerrichter gehen. Der Indianer murmelte einige unverständliche Worte vor sich hin. Lautlos entfernte er sich wieder, so wie er lautlos wie eine Wildkatze gekommen war. Er hinterließ mir einen denkbar schlechten Eindruck. Eine bohrende Unruhe erfüllte mein Herz. Da, wo ich für die Religion einen Stützpunkt errichten wollte, war jetzt wieder der Teufel los. 302
„Auf diesen Blödel brauchen Sie nicht aufzupassen", sagte mir Don Adolfo, als ich beim Abendessen von der Begegnung mit Punalaf erzählte. Ich weiß es schon, so fuhr er fort, daß er die Verkaufsurkunde zwischen meinem und seinem Vater ungültig erklären will. Ein kommunistischer Winkeladvokat in Villarrica machte ihm Mut dazu. Der Indianer behauptet, die Urkunde müsse auch von seinem Onkel unterschrieben sein, um Gültigkeit zu haben. Aber jener Onkel, der damals nach Argentinien auswanderte, war noch ledig und ist dort kinderlos gestorben, sodaß die Urkunde ganz in Ordnung ist. Hinter dieser Stänkerei des Indianers steckt letzten Endes sein Neid auf mich. Während ich, mehrere Chilenen und auch Indianer damals ein Bittgesuch an den Staat einreichten, die Rodung des herrenlosen Waldes zu genehmigen, und sich dabei abrackerten, um ihren Landbesitz zu mehren, sei dieser stinkfaule Stänkerer untätig in seiner Hütte auf seinen Schaffellen an der Feuerstelle herumgehockt. Das ärgert ihn jetzt furchtbar, die günstige Gelegenheit verpaßt zu haben. Aber die Reue kommt zu spät. Und so möchte er doch wenigstens das kleine Stückchen Land zurückgewinnen, das sein Vater, der alte Kazike, meinem Vater damals verkauft hatte. Die Hauptschuld an dieser Stänkerei hat neben dem Advokaten der protestantische Pastor, ein halbgebildeter Chilene. Er ist ein verkappter Kommunist und hetzt in allen seinen Predigten gegen die Reichen und die Padrecitos. Wir gingen dann zu Bett. Ich aber konnte lange nicht schlafen. Mir schwante Unheil. Am nächsten Tag stand ich frühzeitig auf. Es war noch dunkel. Ich las die heilige Messe, dieses Mal im Speisezimmer. Die Frau hatte schon alles hergerichtet: das schneeweiße Tischtuch aufgelegt, die Kerzen angezündet, und Blumen vor dem Zimmerkreuz aufgesteckt. Auch der Kaffee stand bereits auf dem Feuer. So konnte sie der heiligen Messe beiwohnen, die ich auf ihre Bitte nach ihrer Meinung las. Das Frühstück nahm ich mit Don Adolfo ein. Nachher sagte er zu mir: „Ihr Pferd ist gesattelt.
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Reiten Sie voraus. Ich komme dann bald nach. Wir treffen uns am Anlegeplatz meines Bootes am See". Ich war sehr froh, daß ich allein vorausreiten konnte. So hatte ich einen Vorsprung. Diese Zeit wollte ich benützen, um nochmals mit Punalaf zu reden. Seine Hütte stand ganz in der Nähe am Weg zum See. Vielleicht, so hoffte ich, hat er sich eines besseren besonnen. So stieg ich denn vor seiner Hütte ab und band mein Pferd an seinen Zaun. Ich klopfte an die Tür. Da kam statt Punalaf zu meinem Schrecken seine hünenhafte Frau heraus. Breitspurig stellte sie sich vor mich hin, ihr Blick war finster drohend und ihre Haltung kampfbereit. Neben ihr erschienen noch zwei Hunde, die unheimlich mit den Zähnen fletschten. Ihr Mann, bedeutet sie mir, sei nicht zu Hause. Nun, sagte ich zu ihr, dann möchte ich mit Ihnen reden wegen der Schulangelegenheit. Sie ließ mich gar nicht ausreden. In gebrochenem Spanisch sagte sie zu mir: „Ich nicht wollen verhandeln. Ich antworten mit Prügel". Sie stieß einen eigentümlichen Laut von sich. Da kam auch schon sofort von innen her ein Junge, der ihr einen mächtig großen Prügel gab. Im gleichen Augenblick schössen auch die beiden Hunde wütend auf mich los, daß ich mich ihrer kaum erwehren konnte. Da nahm auch schon die große Hexe den Prügel in ihre Hände, hob ihn in die Höhe, um zum Schlage auszuholen. Wegen der beiden bissigen Hunde gab es für mich kein Entrinnen mehr. Da, im gleichen Augenblick zerriß ein scharfer Revolverschuß und noch ein zweiter die Morgenstille. Die beiden Hunde krochen heulend in das Haus zurück und auch die Hexe ließ auf der Stelle ihren erhobenen Prügel sinken. Gott sei Dank kam Don Adolfo ausgerechnet im gefährlichsten Moment vorbeigeritten. Er erkannte sofort meine lebensgefährliche Lage und gab den Schreckschuß ab. Das war meine Lebensrettung. Sonst hätte mich die große Hexe kurz und klein geschlagen. Von ganzem Herzen dankte ich Don Adolfo, meinem Lebensretter, den mir die Vorsehung zur rechten Zeit geschickt hatte. Wir ritten dann zu zweit nach Conaripe weiter. Auf dem Weg
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dorthin schimpfte Don Adolfo gotteslästerlich über die Indianer. Er wünschte ihnen allen miteinander Tod und Untergang. Er fluchte wie ein Türke und redete sich in einen bodenlosen Haß hinein. Ich bekam wegen seiner Haßtriaden direkt Angst vor ihm. In Conaripe angekommen, begrüßte ich den Ruderknecht von Don Adolfo, der bereits auf mich wartete. Ich bestieg das Boot, um mit dem Knecht nach Licanray zu rudern. Beim Abschiednehmen versprach ich Don Adolfo, schon am nächsten Tage zurückzukommen und die Schulfenster und anderen Sachen mitzubringen; denn jetzt erst recht, da waren wir uns beide einig, galt es, unser Vorhaben durchzuführen, um uns ja nicht vor den Indianern eine Blöße zu geben und ihnen gegenüber Angst zu zeigen. Eine leichte, günstige Brise half uns beim Rudern. Wir kamen schnell voran. Bald waren wir schon weit draußen mitten auf dem See. Oh, wie war für mich das Rudern so befreiend und beruhigend: der liebgewonnene Anblick der Anden! In dieser feierlichen Morgenstille hält die Schöpfung ihren Atem an. Da betet sie ihr Morgengebet. Es erwachen die Wälder an den Hängen der Berge, vom strahlenden Licht der Sonne geweckt; lichtumflossen schreiten die Berge erhobenen Hauptes über den grünen Teppich der ewigen Wälder ihrem Schöpfer entgegen. Ganz Anbetung geworden, heben sie ihre glitzernden Firnen zum Himmel empor wie die Engel des Herrn ihre betenden Hände. Und dazu singt die sieghaft aufsteigende Sonne in glühender Andacht dem Schöpferherrgott ihr jubelndes Lied. Gott sei Dank lag nun in weiter Ferne das Haus meines Gegners, des haßerfüllten Punalaf, und seines wilden Weibes, der mordlustigen Hexe. Welch lähmenden Schrecken hatte sie mir eingejagt! Aber es wartete auf mich, und das am gleichen Tag, ein noch größerer Schrecken: ein gefährliches Abenteuer, gefährlicher als die Abenteuer, die man in Büchern liest.
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Das Tollhaus des Don Jose Barnabas Gutknecht
In Licanray angekommen, ging ich zu den Schwestern. Mein Bootsmann eilte in das Dorf, um für Don Adolfo Einkäufe zu besorgen. Hernach nahmen wir bei den Schwestern gemeinsam unser Mittagsmahl ein. Dann gingen wir sofort zum Anlegeplatz. Wir wollten umgehend nach Calafquen weiterrudern, um noch am gleichen Tage Panguipulli zu erreichen. So war es mit Don Adolfo ausgemacht. Aber wir hatten die Rechnung ohne den Wirt, diesmal ohne das Wetter, gemacht. Der vormittags so stille See war mittlerweile durch den plötzlich aufbrechenden Wind ganz wild geworden. Ich hoffte aber, daß der Wind, so schnell er gekommen war, sich wiederum legen werde. Aber nach vier Stunden Wartezeit gab ich jede Hoffnung auf und stürmte um 5 Uhr nachmittags zur Missionsstation hinaus. Noch vor Einbruch der größten Dunkelheit wollte ich auf Schusters Rappen den See umwandern. Kaum hatte ich das Dörfchen hinter mir, fing ich sofort zu laufen an. Ich lief querfeldein, um abzukürzen, und sprang über die niedrigen Einzäunungen der Felder. Es war wirklich ein Hindernisrennen. Ganz sicher hätte ich bei einem Sportfest einen Preis gewonnen. Auf jeden Fall wollte ich vor Eintritt der Dunkelheit wenigstens durch die zweite Wegstrecke, den dichten Urwald kommen. Denn davor hatte ich ganz schrecklich Angst. Bald hüllte mich das Dunkel des Waldes ein. Mühsam und immer mühsamer war der Waldpfad zu erkennen. Spöttisch lachte der Lockvogel von den Bäumen auf mich herab, der ich schweißtriefend durch den Urwald hastete und stolperte. Endlich kam ich gerade noch zur rechten Zeit aus dem Wald heraus. Draußen im freien Feld war es noch ein wenig hell. Da war als letztes Hindernis der Fluß Relin noch zu durchqueren. Die Brücke lag weit abseits. Es war nur ein runder, rutschiger Baumstamm. Da hatte ich keinen Mut, noch dazu bei dem starken Wind, der schon Sturmstärke hatte, wie 307
ein Seiltänzer auf das andere Ufer hinüber zu balancieren. So zog ich kurz entschlossen meine Kleider aus, hielt sie in einem Bündel über meinem Kopf und watete so bis zur Brusthöhe durch die Furt. Mir fiel das Kinderverslein ein und ich trällerte es beim Durchwaten vor mich hin. „Ich bin ein kleiner Pumpernickel, ich bin ein kleiner Bär. Und wie mich Gott erschaffen hat, so trottete ich daher." Das Flußwasser war eisig kalt. Ich zitterte am ganzen Leib. Als ich aus dem Wasser stieg, klapperten die Zähne wie beim Tod von Eding 170 . Ich war ganz erstarrt. So warf ich mir zunächst nur eiligst Hemd und Habit über. Die Schuhe und die anderen Kleidungsstücke legte ich zusammen in meine Manta, das Umhangtuch, und nahm es auf den Rücken. Und dann fing ich an zu laufen und zu rennen, so schnell ich nur konnte, um doch wieder warm zu werden, und dann erst, wieder warm geworden, mich wieder vollständig anzuziehen. So lief ich dann und lief, als ob mir eine wilde Hexe auf den Fersen folgte. In meinem sonderbaren Aufzug mußte ich dann selber ganz wild wie ein leibhaftiger Hexenmeister ausgesehen haben, wie ich so dahinrannte, so ganz wie ein Verrückter, barfuß und im bis zu den Knien hochgeschürztem Habit. Der lange Habit hatte mich am Laufen schwer gehindert. Und dann hatte ich das große Bündel auf dem Rücken, den großen Schlapphut bei dem starken Sturm tief bis zu den Ohren in das Gesicht hereingedrückt, und dann noch zur Abwehr gegen streunende Hunde den groben Knotenstock in meiner Hand. Ich gab mir erst dann Rechenschaft über meinen erschreckenden Aufzug, als ich an einer Indianersiedlung vorüberrannte. Da war ein Indianer gerade dabei, seine Schafe vor Einbruch der Nacht in den Schafpferch neben seiner Hütte hineinzutreiben. Als er meiner ansichtig wurde, erfaßte ihn ein panischer 170 Altötting. Gemeint ist wohl die Uhr mit der Darstellung des „Schnitters Tod" in der Stiftskirche zu Altötting, der jede Sekunde einen Streich mit der Sense vollführt (R).
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Schrecken. Sofort warf er seinen Schäferstab weg und sprang in einem Satz hinter einen Zaun. Dort duckte er sich tiefgebeugt bis zum Boden und blieb da kauern, bis ich an ihm vorbeigekommen war - Mittlerweile war es schon schrecklich spät geworden. Es war unmöglich, noch zur Missionsstation von Calafquén zu kommen. Ins Fundohaus 171 des Don José So entschloß ich mich, im nächsten Gutshof bei Don José Mira einzukehren. Er war ein gutmütiger, alter Herr und, wie alle Chilenen, sehr gastfreundlich. Freilich, in seinen jungen Jahren, als sein Blut noch ganz wild und stürmisch durch seine Adern pulste, war er ein schrecklich-harter Fundo-Herr gewesen und hatte sich sehr viele Ungerechtigkeiten und Übergriffe gegen die ringsherum wohnenden Indianer zuschulden kommen lassen. Sein Landhunger, seine Gier, seinen Fundo von zweitausend Hektar noch mehr auszudehnen, war unersättlich. So kam es oft zu Zusammenstößen mit P. Siegfried172, dem Freund und Advokaten der Indianer. Das ging einmal sogar so weit, daß Don José in seiner Wut auf den Pater Siegfried seine scheußlich großen Hunde hetzte, als er an seinem Haus vorbeigeritten kam. Zum Glück war P. Siegfried ein tüchtiger Reiter und hatte ein außerordentlich gutes Pferd. Jedesmal, wenn sich so ein Biest am Schwanz des Pferdes festgebissen hatte, machte es plötzlich Halt und schlug mit beiden Hinterfüßen aus, sodaß der Hund dann jaulend liegen blieb.
171 Herrenhaus eines großen Gutsbesitzers (R). 172 P. Siegfried (Alois) Schneider von Frauenhäusl (bei Kelheim; Diözese Regensburg) (1868-1954); von 1903 bis 1950 Pfarrer in Panguipulli. P. Barnabas Gutkneckt wirkte in der Pfarrei Panguipulli von 1938 bis 1958 (R).
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D e r reiche u n d d o c h a r m e D o n J o s é
Aber seitdem war bereits ein Menschenalter vergangen. Don José war inzwischen alt und müde geworden. Auch hatten ihn schwere Schicksalsschläge ganz zermürbt. Zuerst starb seine Frau. Dann verlor er einen Millionenprozeß gegen einen benachbarten Gutsbesitzer. Einmal erwischten sie ihn bei einem Viehtransport von gestohlenem Vieh aus Argentinien, das er über die Anden nach Chile schmuggelte. Auch an seinen Bruder Salomon verlor er viel Geld. Dieser hatte ihm vorgegaukelt, er sei auf der sicheren Spur zu einem vergrabenen Goldschatz der Indianer aus der Zeit der Eroberung von Chile durch die Spanier. Aber alles Suchen war umsonst. Einmal trafen sie beim Graben auf ein uraltes Indianergrab. Aber auch da fanden sie nur noch die Zähne. Alles andere war schon ganz verwest. Das Allerschlimmste aber war für Don José der tragische Tod seiner innigst geliebten zweiten Frau, mit der er sieben Jahre in glücklicher Ehe zusammengelebt hatte. Sie war für ihn der gute Engel gewesen. Sie hatte ihm seine Räubermanieren und seine Wild-West-Methoden gegen die armen Indianer allmählich abgewöhnt. Sie trachtete auch von allem Anfang an danach, durch ihre Mildtätigkeit wieder gut zu machen, was ihr Mann früher verbrochen hatte. Immer wieder sagte sie es ihm vor: „Das Stehlen bringt die Enkelkinder an den Bettelstab." Und die brutale Härte gegen die armen Indianer schlägt wie ein Tomahawk 173 auf die eigenen Kinder zurück. Aus seiner übergroßen Liebe zu seiner frommen Frau nahm er willig ohne Widerrede ihre Predigten an. Der Beweis für die Richtigkeit ihrer Warnungen lag zudem in der Nachbarschaft bei seinem Bruder. Dieser hatte ebenfalls die Indianer schwer verfolgt. Und nun: Ein Sohn von ihm war unheilbar im Irrenhaus. Und ein anderer Sohn namens Francisco befand sich im Zuchthaus, weil er im Rausch seinen Cousin niedergeschossen hatte. Die Bluttat seines Nef173 Streitaxt der Indianer (R).
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fen und Patenkindes Franziskus hatten Don José schwer mitge^ nommen. Jenes Verbrechen blieb ein Schandfleck für die ganze Groß-Familie Mira. Darum fielen die Ermahnungen seiner Frau auf gutes Erdreich. D e r tragische Tod der Frau des D o n José
Da war es wirklich eine Tragik, ein unverständliches Geheimnis, daß ausgerechnet diese fromme Frau, als Don Josés besseres Gewissen, als Opferlamm für fremde Sünden sühnen sollte. Es war an einem schönen sonnigen Herbsttag. Die Weizenernte war bereits vorbei. Don José war hocherfreut über den guten Ertrag. Da war er mit seinen Kindern auf die Einladung eines Gutsherrn hin. zum Festen 174 und zum „Mosten" fortgeritten. Die Frau war daheim geblieben. Sie wollte einmal in aller Ruhe reinemachen und im Salon und Eßzimmer den Boden einwachsen. Da kam durch die Ungeschicklichkeit eines Dienstboten der Boden zum Brennen. Im Nu war der Salon ein Flammenmeer. Die Frau sperrte die Türen zum Salon zu und bemühte sich aus den andern Zimmern noch zu retten, was zu retten war. Unter anderen Dingen schleppte sie mit dem Dienstboten die lebensgroße Statue der kleinen heiligen Theresia 175 vor das Haus hinaus. Das war ihre Lieblingsheilige. Ihr wollte sie neben ihrem Fundohaus eine Kapelle bauen. Dazu hatte sie aus Frankreich diese Statue kommen lassen. Rasend schnell erfaßte das Feuer das ganze Haus. Es war ja ganz aus Holz gebaut. Bei der Rettungsaktion von so vielen liebgewonnenen Sachen wurden die Frau und ihre beiden Dienstboten vom Feuer angesengt und schwer verletzt. Als Don José vom Fest zurückkehrte, lag die 174 „festen" Schweizer Deutsch für „ein Fest feiern" (R). 175 Marie Françoise Thérèse Martin (1873-1897), genannt die „Kleine heilige Theresia". Trat mit 15 Jahren 1888 in den Karmelitenorden von Lisieux ein. Sie wurde 1925 heiliggesprochen und 1927 zur Patronin aller Missionare und Missionen erklärt (R).
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Frau bewußtlos auf dem Rasen vor dem Haus. Das Haus war bereits völlig abgebrannt: ein qualmender Trümmerhaufen. Noch am gleichen Abend fuhr Don José seine Frau und die beiden Dienstboten nach Valdivia in das städtische Krankenhaus - 130 km weit entfernt. Seine Seele schwankte zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Aber schon zwei Tage darauf starb die gute Frau an den Brandwunden. Der Leichnam der Frau wurde in dem Salon eines Hauses, das er in der Stadt besaß, aufgebahrt. Von allen Seiten kamen Verwandte und Bekannte, um Don José ihr Beileid auszudrücken. Er aber reagierte nicht darauf. Wie versteinert saß er in einer Ecke während der zweitägigen Totenwache. Das Weinen und Wehklagen der Kinder erfüllte das ganze Haus. Bis auf die Straße hinaus hörte man sie jammern. Unterdessen, 130 km entfernt, gleich neben dem Fundohaus von Don José, war der Teufel los: der Teufel des Hasses und der Schadenfreude. Er feierte eine teuflische Orgie im Haus vom Indianer Julio Catrian. Er war der unmittelbare Nachbar von Don José. Er hatte in früheren Zeiten sehr viel leiden müssen durch die brutale Härte seines reichen Nachbarn. Und jetzt führte er Freudentänze auf über das Unglück seines Peinigers zusammen mit seinem Bruder Julian, der ebenfalls Don José wie einen Satan haßte. Sie schlachteten einen fetten Ochsen und luden den ganzen Familienclan zum Festen ein. Vom Dorf brachten sie noch ein Faß Wein herbei. Und da schmausten sie nun nach Herzenslust und tanzten um das offene Feuer. Zwei Tage und drei Nächte lang dauerte das Familienfest, bis der Ochse aufgefressen und das Weinfaß leer gesoffen war. Außer dem Clan der Indianerfamilie war als erster der berüchtigte Zauberer Coniupan angekommen, speziell von dem Familien clan eingeladen. Er war es, der vor sieben Jahren im Auftrag der Indianerfamilie Catrian den offiziellen hoch-notpeinlichen Fluch gegen Don José und seine Familie ausgesprochen hatte. Nun endlich hatte sein
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Fluch wie ein Blitz eingeschlagen. Dafür war er nun mit seinem Weib ein Ehrengast. Der Fluch des Zauberers Vor sieben Jahren hatte Don José den ehrgeizigen Plan, seinen Großgrundbesitz von 2000 Hektar vom Calafquén-See bis zum Panguipulli-See auszudehnen. Er war damals eben Witwer geworden von seiner ersten Frau und stürzte sich Hals über Kopf in seine Eroberungspläne. Nun brauchte er, um seinen Plan auszuführen unbedingt das Land von Julian Datrian, dem Bruder seines Nachbarn. Julian hatte eine Indianerin mit viel Land in Coz-Coz geheiratet. Bald schon geriet er in die Falle von Don José, der ihm bereitwillig Geld auslieh. Julian nützte sein Angebot weidlich aus. Immer wieder ging er dann ins Dorf unter dem Vorwand eines wichtigen Geschäftes, damit ihm seine Frau keine Schwierigkeiten machte wegen seiner vielen Reisen in das Dorf. Im Dorf hatte er eine Menge Saufbrüder, die ihm das geliehene Geld vertrinken halfen. Als er dann schon ziemlich hoch in Schulden stand, verlangte Don José auf einmal die Rückzahlung der ganzen Schuld. Es war mitten im Winter, und es herrschte zugleich damals die Maul- und Klauenseuche. So konnte der Indianer kein Vieh verkaufen. Damit hatte Don José spekuliert. Er zog die Schlinge zu und forderte gerichtlich das Pfand für das geliehene Geld: Das Land von Don Julian und seiner Frau. Nun mußte Don Julian seiner Frau reinen Wein einschenken und seine Schuld bekennen. „Er wolle zu seinem Bruder Julio umziehen, weil er das geliehene Geld nicht zurückgeben könne." Da packte die Frau eine wilde Wut und Raserei, da sie sich von Ihrem Mann hintergangen sah. Sie riß aus dem offenen Feuer ein brennendes Scheit Holz und ging auf ihn los. Er lief davon und flüchtete zu seinem Bruder Julio. Die Frau blieb in der kommenden Woche bei ihren Hühnern, Schweinen und Schafen, wie wenn nichts geschehen wäre. Nur schickte sie eine Vertrauensperson aus ihrer Familie zu P. Siegfried und bat um seinen Rat. 313
Er ließ ihr sagen, sie solle nur stur in ihrer Hütte bleiben. Das Land gehöre ihr, denn es sei ihr Erbe mütterlicherseits; und außerdem sei ihre Ehe gar nicht gültig, weil Julian den Geiz ihres Vaters ausgenützt habe und sie um zwei Ochsen und ein Reitpferd mit Sattel und silbernen Sporen dem Vater abgekauft habe, und das gegen ihren Willen. Das sei gesetzeswidrig. Die Indianerfrau befolgte den Rat von P. Siegfried und blieb stur in ihrer Hütte. Schon nach einer Woche kam der Gerichtsvollzieher in Begleitung von Don José, der ebenfalls mit seinem zweiten Verwalter und sechs Hausknechten gekommen war, um die Ubergabe des Hauses und Landes zu erzwingen. Sie blieb auf ihrer Bank sitzen und sagte zum Gerichtsvollzieher: „Hier hat mich meine Mutter geboren und hier habe ich gelebt und hier will ich bleiben bis zum Sterben." Der Gerichtsvollzieher hielt nun der Indianerin das schriftliche Gerichtsurteil unter die Nase, und Don José zeigte ihr das Dokument, in dem ihr Mann als Pfand für das geliehene Geld das Land eingesetzt hatte. D i e S ü n d e des D o n J o s é
Darauf sagte die Indianerin: „Meinen Mann habe ich noch nie gemocht; den soll der Teufel holen und auch alle Papiere, die er hinter meinem Rücken unterschrieben hat." Der Gerichtsvollzieher und Don José sahen einander fragend an. Auf solch einen zähen Widerstand waren sie nicht gefaßt gewesen. Aber dann übergab Don José seine Reitpeitsche mit einer vielsagenden Geste seinem Verwalter. Da packten sie die Frau und schlugen auf sie ein und zerrten sie hinaus aus ihrer Hütte. Zwei Hausknechte hielten nun die Frau fest. Die anderen Hausknechte schafften einige klobige Möbel in das Freie und legten alles neben der Frau auf den Boden unter einem Apfelbaum, auch ihr Küchengeschirr. Und dann zündeten sie die Hütte mit dem großen Strohdach an allen Ecken und Enden an. Im Nu brannte die Indianerhütte lichterloh. Steil stieg die Feuersäule zum 314
Himmel empor, wie weiland das Opferfeuer des gerechten Abel auf seinem verlassenen Altar, der neben seinem Leichnam zum Himmel um Rache schrie. 176 In stoischer Ruhe machte die Frau gar keinen Versuch, sich zu wehren. Alles wäre nur nutzlos gewesen. Nachdem die Hütte niedergebrannt war, verließ die Indianerin hocherhobenen Hauptes die Brandstätte und ging schnurstracks, ohne sich auch nur umzusehen, fort, weit fort. Ihr treuer Hund, der sich vor so vielen Leuten verkrochen hatte, kam ihr nachgesprungen. Er war ihr einziger Begleiter hinein in den tiefen Wald zum Zauberer. Nach zwei Stunden hatte sie ihr Ziel erreicht, den Löwenwald, in dessen Lichtung sich das Haus des verrufenen Zauberers Coniupan befand. Sie bat ihn, den ganz großen Fluch auf das Haupt und das Haus von Don José herabzurufen. Schon am nächsten Tag könne er zwei Schafe bei ihr holen als Entgelt für seinen Fluch und Zauberspruch, und wenn seine Verfluchung ihre Wirkung gezeigt habe, bekäme er ohne weiteres als Belohnung noch drei Schafe dazu. So war nun nach sieben Jahren der Fluch wie ein Blitz auf Don José heruntergefahren. Aus diesem Grund also war der Zauberer zur Familie Catrian gekommen. Er feierte seinen „Sieg", um dann hernach auch sogleich die drei Schafe abzuholen, das Honorar für seine Arbeit. Das Fundohaus — die Höhle des Lasters
Nichts wußte ich von alle dem, als ich damals übermüdet an der Türe des Fundohauses anklopfte und um Einlaß bat. Nur das hatte man mir erzählt, daß Don José nach dem Tod seiner zweiten Frau die Freude am Leben und die Lust zur Arbeit für immer ganz verloren hatte. Zwar hatte er wiederum im Fundo ein Haus gebaut, aber er fühlte sich im neuen Haus nicht mehr daheim. Darum ging er immer wieder nach Valdivia, wo er viele 176 Genesis 4,3ff. (R).
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Freunde hatte und wo er von seiner ältesten Tochter nach allen Regeln der Kunst verwöhnt und bemuttert wurde. Seine Söhne waren dann die Herren im Haus. Gerne benützten sie dann die Abwesenheit des alten Vaters, um zusammen mit den drei Cousinen aus dem Nachbarfundo scheußliche Freß- und Saufgelage zu halten. So war es auch an jenem Abend. Don José war am Vortag nach Valdivia gereist. Sofort luden die Söhne des Hauses ihre famosen drei Cousinen aus dem Nachbarfundo zu einem Freundschaftsessen ein, das bald in eine wilde Sauferei ausartete. Sie soffen zusammen die ganze Nacht bis in die frühen Morgenstunden. Hernach schliefen sie bis zum Mittagessen und fingen dann erneut an, hemmungslos weiterzutrinken. Als ich an der Tür spätabends anklopfte, erschien in der Türe ein großer Kerl mit aufgedunsenem, hochrotem Kopf. Sein feuerrotes Gesicht erinnerte mich an die hell leuchtenden Glaskugeln vor dem Heiligen Grab am Karsamstag. Als er meiner ansichtig wurde, verzog er sein ganzes Gesicht zu einem breiten blöden Grinsen. Dann führte er mich in das Speisezimmer. Mir schien es ein Abteil der Hölle zu sein. Grölend und lallend begrüßte mich ein halbes Dutzend total besoffener Burschen. Sie glotzten mich mit blutunterlaufenen, wässerigen Augen ganz geistesabwesend an, direkt irrsinnig: Das war der totale Säuferwahn. Das waren keine menschlichen Gesichter mehr. Mir erschienen diese Kerle wie zweibeinige Bulldoggen, die sich überfressen hatten und nun zu faul zum Bellen und zum Beißen waren. Ihr Wortführer hieß Don Carlos. Er hatte mir die Türe aufgemacht und stellte mich nun vor und hieß mich willkommen. Dann hob er ein volles Glas in die Höhe und schüttete es in einem Zug in seinen Schlund hinein. Daraufhin füllte er noch einmal sein Glas und forderte auch die anderen auf, ein Glas auf meine Gesundheit auszutrinken. Das taten sie nun auch. Sie füllten ihre Gläser, standen auf, sprachen im Chor ihren Trinkspruch und leerten ihr Glas auf einen Zug. Dann setzten sie sich anscheinend ganz müde und erschöpft wieder auf die Stühle. Nun bat mich Don
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Carlos auch meinerseits auf ihre Freundschaft ein Glas Wein zu trinken. Ich bat ihm, mich zunächst zu entschuldigen, weil ich hungrig sei und zuerst etwas essen wollte. Sofort begleiteten sie mich in die Küche. Dort griff ich kräftig zu, um doch zum Trinken eine haltbare Unterlage zu bekommen. Dann kehrte ich in das Speisezimmer zurück und trank auf meine Gastgeber. Der Uberfall im Fundohaus Hernach bat ich, mich zu entschuldigen, denn ich wollte schlafen gehen, weil ich durch den Gewaltmarsch so schrecklich müde sei. Ich konnte aber gar nicht schlafen. Und das war meine Rettung. So war ich sofort hellwach, als um Mitternacht ein Höllenlärm auf dem Gang vor meinem Zimmer losging. Die tollgewordenen Burschen hatten es unter sich ausgemacht, einen Überfall auf mich zu inszenieren, um mir das Gruseln beizubringen. So hatten sie es in den billigen Cowboy-Romanen und in den WildWest-Filmen gesehen. Sie wollten sich mit mir nur einen J u x , einen Spaß erlauben; ich sei j a ein zünftiger Mensch, wie sie meinten, und würde es nicht so tragisch nehmen. Es wäre auch gar nicht so tragisch gewesen, wenn sie nicht so viel gesoffen hätten. So aber waren sie bereits dem Säuferwahn, dem delirium tremens, verfallen und waren nicht mehr zurechnungsfähig. Sie brüllten ohne jede Hemmung nur so darauf los. Wie vom Teufel selbst besessen, rissen sie die gemeinsten Zoten. Mitten in diesem Tumult der Hölle krachten zwei Revolverschüsse direkt vor meiner Zimmertür. Ich sprang aus meinem Bett, warf mir schnell den Habit über, nahm die Hosen und die Schuhe in meine linke Hand und sprang hinaus zum Fenster. Dummerweise lag unter dem Fenster ein grober, kantig zugehauener Balken. Ich fiel darauf und verletzte mir die Brust, sodaß mir auf einer Seite alle Rippen schmerzten. Nun ging ich die Längsseite des Hauses entlang, um den Vorhof des Hauses an seiner Giebelseite zu erreichen und durch die Hofpforte zu entkommen. Soeben war ich an der Giebelseite angelangt, da kam auch schon der 317
Rädelsführer aus der großen Eingangstür des Hauses heraus und trat auf die Veranda. Er hatte mein Schlafzimmer leer gefunden und das Fenster offen. Da war er dann durch den Mittelgang des Hauses zur Haustür gegangen und stand nun vor der Türe auf der erhöhten Veranda, dem offenen Vorraum des Hauses. Mit ausgestrecktem Arm hielt er schußbereit seinen Revolver in die Höhe und zückte ihn nach allen Seiten. Da erblickte er mich auch schon an der Hausecke, wo ich mich tief unter die Veranda geduckt hatte. Sofort schoß er die restlichen vier Revolverschüsse auf mich ab. Sie pfiffen an meinem Ohr vorüber. „Carlos", so schrie ich ihn an: „Ich bin doch Dein Freund Barnabas. Mach doch keine Dummheiten!" „Eben deshalb", grölte er, „weil Sie mein Freund sind, beschütze ich Sie und schieße auf die Einbrecher, die hinter Ihnen in den Gartensträuchern sich verstecken. Und jetzt", so befahl er mir, „kommen Sie mit mir ins Eingangszimmer. Da werde ich vom Fenster aus die Kerle niederschießen". Er war total verrückt. Er packte mich am Ärmel und zerrte mich ins Eingangszimmer. Dort angekommen, legte er den mächtigen Revolver auf den Tisch und fing an, in seinen Taschen nach neuen Patronen zu suchen, um den Revolver aufs neue zu laden. Er wankte nur so hin und her und konnte sich in seinem Bombenrausch kaum noch auf den Füßen halten. Blitzschnell benützte ich die Gelegenheit, riß den Revolver an mich und stürzte in die Nacht hinaus. Vor lauter Erregung spürte ich den Schmerz in meiner Brust nicht mehr. Ich lief rückwärts um das Haus herum, dann durch den Obstgarten und durch eine lotterige 177 Gartentüre hinüber in das Haus des Gutsverwalters. Dort klopfte ich an das Schlafzimmerfenster und schrie: „Der Sohn des Herrn ist verrückt geworden, lassen Sie mich doch hinein". Sofort wurde mir das Fenster von innen aufgemacht. Ich stieg hinein, und dann sperrte mich der Verwalter in den Kleiderschrank. Zu meinem Glück war der Verwalter durch die Revol177 „lotterig" Schweizer Deutsch für „aus den Fugen gehen" (R).
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verschlisse aufgewacht, hatte das Fenster halb geöffnet und angespannt hinausgehorcht. Das war meine Rettung. Schon bald darauf ertönte von draußen der klägliche Ruf des Verrückten: „Padrecito! Mein Freund, wo sind Sie? Wo ist mein Revolver?" Ich blieb mäuschenstill im Kasten. Allmählich verloren sich die Rufe des Verrückten. Ich legte mich ins Bett. Von Schlafen war natürlich keine Rede. Schon beim allerersten Morgengrauen stand ich auf. Ganz leise ging ich durch den Garten wiederum zum Fundohaus zurück. Dort lagen noch die Schuhe und die Hosen, die mir beim Aufprall auf den groben Balken aus der Hand geglitten waren. Eilends marschierte ich nun zur Missionsstation Calafquen. In 1 1 / 2 Stunden war ich dort. Die Schwestern dort waren bereits beim Morgengebet im Kirchlein. Dort las ich dann zur Freude der Schwestern die hl. Messe. Wie sind sie doch so froh und dankbar um eine hl. Messe in ihrer Einsamkeit! Nach der Messe erzählte ich den Schwestern mein glücklich überstandenes Abenteuer. War das ein Schrecken für die guten Schwestern: Don Carlos hatte j a den erdenklich schlechtesten Ruf eines streitlustigen Krakeelers. Und bei seinem Rausch hätte das Allerschlimmste passieren können. D a waren wir nun alle voll des Dankes gegen den lieben, guten Himmelvater, der mich wieder einmal durch seine heiligen Engel väterlich beschützt hat. D e r Schlußakt des A b e n t e u e r s K a u m war ich mit dem Frühstück fertig, läutete es schnell und wild an der Pforte. Ich ging hinaus. D a kniete vor der Türe der arme böse Rädelsführer Carlos. Er war ein Häuflein Elend und bat mit aufgehobenen Händen um Verzeihung. Ich gewährte sie ihm gerne; denn noch nie hatte ich einen so total zerknirschten Sünder gesehen. Er war in seiner schrecklichen Ernüchterung so ganz verstört. Seine zweite Bitte war: Ich möchte ihm um Gottes Willen den unseligen Revolver wieder übergeben. Er schwor mir: 319
„Der Revolver gehört mir gar nicht, sondern meinem Freund", dem er, wie vorher ausgemacht, den Revolver heute noch zurückgeben müsse. Sonst käme es zu seiner Schande auf, was für eine Gemeinheit er sich damit geleistet hätte. Auf Ehrenwort versprach er mir, daß er, Don Carlos, gleich nach dem nächsten Viehverkauf eine große Summe als Schmerzensgeld zugunsten des Kirchleins zahlen würde. So gab ich ihm, wenn auch mit Widerstreben, den Revolver wieder zurück. Tatsächlich hielt er sein Versprechen. Das war wie ein Wunder; denn auf einen Säufer ist doch kein Verlaß. Das Geld war ein Heftpflaster auf mein Herz für jene Schreckensnacht im Fundohaus. Mit dem Geld konnte ich eine Ave-Glocke kaufen. Sie hat einen schönen, weichen Klang. Und jedesmal, wenn ich in Calafquen diese Ave-Glocke läuten höre, danke ich aufs neue dem lieben Gott, daß ich mit heiler Haut jenes so gefährliche Wild-WestAbenteuer überleben durfte.
„Lieber Pater Edilbert 178 , mit 1000 herzlichen Brudergrüßen sende ich Dir den 2. Teil von meinem letzten Artikel. Es ist die letzte Moritat. Aber alles ,echt wahr', nicht aus den Fingern herausgezuzelt 179 wie es die berühmten Schriftsteller oft machen ,Mehr Dichtung als Wahrheit', Dein dankbarer Bruder Barnabas" 180 178 P. Edilbert (Johannes vom Kreuz) Lindner von Oberweihern (Stadt Pfreimd; Landkreis Schwandorf/Oberpfalz; Diözese Regensburg) (19111987). P. Edilbert war neben der Wahrnehmung seiner pastoralen Aufgaben noch schriftstellerisch tätig (R). 179 [heraus]gesogen (R). 180 Handschriftliches Postskriptum auf dem Originalmanuskript (R).
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Literaturauswahl Helga König
Alonqueo Piutrin, Martin: Mapuche ayer - hoy (Padre Las Casas 1985) L'Araucania. Memorie inedite delle missioni dei FF. MM. Cappuccini nel Chili / hrsg. von Antonio